Charité-Compendium Gynäkologie 9783110472356, 9783110462562

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Charité-Compendium Gynäkologie
 9783110472356, 9783110462562

Table of contents :
Vorwort der Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust
2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung
3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie
4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau
5 Störungen des menstruellen Zyklus
6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität
7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane
8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz
9 Sexuell übertragbare Krankheiten
10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane
11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust
12 Mammakarzinom
13 Radio- und Chemotherapie
14 Gynäkologische Notfälle
15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin
Register

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Jens-Uwe Blohmer, Matthias David, Wolfgang Henrich, Jalid Sehouli (Hrsg.) Charité-Compendium Gynäkologie

Jens-Uwe Blohmer, Matthias David, Wolfgang Henrich, Jalid Sehouli (Hrsg.)

Charité-Compendium Gynäkologie

Herausgeber Prof. Dr. med. Jens-Uwe-Blohmer Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum, Campus Charité-Mitte Charitéplatz 1, 10177 Berlin, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Matthias David Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Gynäkologie, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Wolfgang Henrich Charité – Universitätsmedizin Berlin, Kliniken für Geburtsmedizin, Campus Virchow-Klinikum, Campus Charité-Mitte Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Jalid Sehouli Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, E-Mail: [email protected] Mitinaugurator des ursprünglichen Projekts: Dr. med. Norman Krause, SRH Wald-Klinikum Gera ISBN: 978-3-11-046256-2 e-ISBN (PDF): 978-3-11-047235-6 e-ISBN (EPUB): 978-3-11-047241-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit den Autoren große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Einbandabbildung: Yakobchuk Olena/Stock/Thinkstock Datenkonvertierung/Satz: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort der Herausgeber Das vorliegende Compendium Gynäkologie zielt mit den Themen konservative und operative Gynäkologie und Senologie auf eine Optimierung der Patientinnenversorgung und damit der Frauengesundheit. 1 Ein Kapitel befasst sich mit chirurgischen und internistischen Notfällen, die dem Frauenarzt* neben den Anforderungen an seine Kernkompetenz begegnen können. Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge waren zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung als Ärztinnen und Ärzte in den Frauenkliniken der Charité tätig. Die Charité als größtes Universitätsklinikum Europas mit ihren hohen Fallzahlen bietet einen unerschöpflichen Fundus an interessanten „Fällen“ und Erfahrung. Angesprochen werden mit dem Werk neben Assistenzärzten in den ersten klinischen Jahren vor allem Medizinstudentinnen und -studenten, aber auch Studierende im praktischen Jahr in der Prüfungsvorbereitung. Seiner Bedeutung entsprechend verzichtet das Compendium auf ausführliche ausschweifende Texte, unterstützt den Leser im verstehenden Erfassen durch knappe, zum Teil stichwortartige Wissensvermittlung und zahlreiche instruktive Übersichten, Tabellen und Abbildungen. Auch die an der Charité geleistete vorbildliche Forschung findet in diesem Werk ihre angemessene wissenschaftliche Darstellung. Diagnostik und therapeutische Empfehlungen orientieren sich an nationalen und internationalen Leitlinien und Lehrmeinungen und werden ergänzt durch die langjährigen Erfahrungen des Autoren- und Herausgeberteams. Dass dieses Buch in dem gesteckten kurzen Zeitraum fertiggestellt werden konnte, ist besonders Herrn Prof. David zu verdanken, der durch unablässige Unterstützung der Autoren und freundliche Beharrlichkeit die rechtzeitige Abgabe der Beiträge erreichte. Nicht zuletzt gilt unser Dank dem Verlag De Gruyter, der sich für die Initiative der Herausgeber begeisterte und die Veröffentlichung dieses Compendiums vorantrieb und begleitete und der es auch ermöglicht, dass das Compendium digital zur Verfügung gestellt und so einer „zeitgemäßen Nutzung“ zugeführt wird. Jens Blohmer, Matthias David, Wolfgang Henrich, Jalid Sehouli

* Im Vorwort wie auch in den Kapiteln wird für alle Personen- und Funktionsbezeichnungen das generische (geschlechtsneutrale) Maskulinum verwendet, das die weibliche Form einschließt. Eine Ausnahme bildet der Begriff Patientinnen – damit sind ausschließlich die weiblichen Patienten gemeint.

Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber — V Verzeichnis der Autoren — XVII Klaus Pietzner, Jens-Uwe Blohmer 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust — 1 1.1 Weibliches äußeres Genitale — 1 1.1.1 Innervation — 2 1.1.2 Blutversorgung — 2 1.1.3 Lymphgefäße — 2 1.2 Weibliches inneres Genitale — 3 1.2.1 Vagina — 3 1.2.2 Uterus — 4 1.2.3 Halte- und Stützapparat des Uterus — 5 1.2.4 Position des Uterus — 7 1.2.5 Innervation von Vagina und Uterus — 8 1.2.6 Blutversorgung von Vagina und Uterus — 8 1.2.7 Tube — 8 1.2.8 Ovar — 8 1.2.9 Innervation der Adnexe (Ovar und Tube) — 9 1.2.10 Blutversorgung der Adnexe — 9 1.2.11 Lymphabflusswege — 9 1.3 Weiblicher Beckenboden — 10 1.3.1 Diaphragma pelvis — 10 1.3.2 Bindegewebsapparat des Beckens — 11 1.3.3 Logen des Beckenbodens — 11 1.4 Weibliche Brust — 12 1.4.1 Innervation — 13 1.4.2 Blutversorgung — 13 1.5 Axilla — 13 Matthias David 2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung — 17 2.1 Anamneseerhebung — 17 2.1.1 Familienanamnese — 17 2.1.2 Sozial- und Berufsanamnese — 17 2.1.3 Eigenanamnese — 17 2.1.4 Krankheitsanamnese — 18

VIII 

2.1.5 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.3 2.3.1 2.3.2

 Inhaltsverzeichnis

Gynäkologische Anamnese — 18 Gynäkologische Untersuchung — 20 Kompletter Untersuchungsgang — 20 Untersuchung von Abdomen und Regio inguinalis — 22 Untersuchung der Vulva — 23 Untersuchung der Vagina — 23 Untersuchung der Portio — 24 Untersuchung des Corpus uteri — 24 Untersuchung der Adnexe — 25 Untersuchung der Mammae — 25 Palpation der Brust — 26 Palpation der Lymphabflusswege — 26

Jens-Uwe Blohmer 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie — 27 3.1 Sonographie — 27 3.1.1 Untersuchungsablauf — 28 3.1.2 Darstellung des Uterus — 29 3.1.3 Darstellung der Ovarien — 29 3.1.4 Darstellung der Tuben — 30 3.1.5 Häufige auffällige Befunde — 30 3.1.6 Mammasonographie — 32 3.2 Kolposkopie — 35 3.2.1 Durchführung — 35 3.2.2 Befunde — 36 3.3 Zytologischer Abstrich — 39 3.3.1 Abstrichtechnik — 40 3.4 Probeexzision von der Portio — 43 3.5 Konisation — 44 3.6 Large Loop Excision of the Transformation Zone (LLETZ) — 46 3.7 Hysteroskopie — 46 3.7.1 Durchführung — 46 3.7.2 Diagnostische Indikation — 46 3.7.3 Therapeutische Indikationen — 47 3.7.4 Komplikationen — 47 3.8 Kürettage — 48 3.8.1 Fraktionierte Kürettage — 48 3.8.2 Abortkürettage — 48 3.9 Gynäkologische Laparoskopie — 50 3.9.1 Durchführung — 50

Inhaltsverzeichnis 

3.9.2 3.9.3 3.9.4 3.10

 IX

Diagnostische Laparoskopie/Pelviskopie — 50 Diagnostik bei chronisch-rezidivierenden Unterbauchschmerzen — 51 Operative Laparoskopie/Pelviskopie — 51 Stanzbiopsie der Mamma — 54

Nicole Gehrmann, Sylvia Mechsner 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau — 57 4.1 Pubertät und Adoleszenz — 57 4.1.1 Kindheit — 57 4.1.2 Pubertät und Adoleszenz — 57 4.1.3 Reihenfolge der somatischen Pubertätsentwicklung — 57 4.1.4 Pubertas praecox — 59 4.1.5 Pubertas tarda — 60 4.2 Androgenisierungserscheinungen — 61 4.2.1 Ovariell bedingte Androgenisierung — 62 4.2.2 Androgenbildende Tumore des Ovars — 63 4.3 Lebensphasen der Frau und ihre Störungen — 64 4.3.1 Hormonelle Regulation der Fortpflanzung — 64 4.3.2 Ovar — 65 4.3.3 Amenorrhö — 66 4.4 Kongenitale Anomalien und Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung — 67 4.4.1 Kongenitale Anomalien des weiblichen Genitaltrakts — 67 4.4.2 Störungen/Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung — 73 Nicole Gehrmann, Jana Barinoff 5 Störungen des menstruellen Zyklus — 75 5.1 Zyklusstörungen — 75 5.2 Amenorrhö — 75 5.2.1 Einteilung der Amenorrhö — 77 5.3 Hypothalamische und hypophysäre Amenorrhö — 77 5.3.1 Hypothalamische Amenorrhö — 77 5.3.2 Primär hypophysäre Amenorrhö — 78 5.3.3 Sekundär hypophysäre Amenorrhö: — 78 5.3.4 Sonderformen einer hypophysären Amenorrhö — 79 5.4 Ovarielle Amenorrhö — 79 5.5 Uterine Amenorrhö — 80 5.6 Extragenitale Amenorrhö — 80 5.6.1 Diagnose der Amenorrhö — 80 5.7 Anovulatorischer Zyklus — 81

X 

 Inhaltsverzeichnis

5.8 Polyzystisches Ovarialsyndrom — 83 5.9 Hyperthecosis ovarii — 84 5.10 Rhythmus- und Typusstörungen — 85 5.10.1 Rhythmusstörungen (Regeltempostörungen) — 85 5.10.2 Typusstörungen — 86 5.11 Dysfunktionelle Blutungen (Metrorrhagie) — 87 5.12 Zusatzblutungen — 88 5.13 Dysmenorrhö (Algomenorrhö) — 89 5.14 Prämenstruelles Syndrom (PMS) — 90 Sylvia Mechsner, Nicole Gehrmann, Heribert Kentenich 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität — 91 6.1 Empfängnisverhütung — 91 6.1.1 Hormonale Kontrazeption — 93 6.1.2 Mechanische Methoden — 107 6.1.3 Lokal-chemische Methoden — 110 6.1.4 Natürliche Empfängnisverhütung — 110 6.1.5 Sterilisation — 112 6.1.6 Computergestützte Verhütung — 114 Heribert Kentenich, Marina Werling 6.2 Infertilität/Sterilität — 114 6.2.1 Ursachen der Sterilität — 115 6.2.2 Therapiemöglichkeiten — 118 Matthias David, Elena Ioana Braicu, Sylvia Mechsner 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane — 121 7.1 Vulva und Vagina — 121 7.1.1 Zysten der Vulva — 121 7.1.2 Solide benigne Vulvatumoren — 122 7.1.3 Pruritus vulvae — 123 7.1.4 Vulvaödem — 124 7.1.5 Vulvaverletzungen/-hämatome — 124 7.1.6 Benigne Vaginaltumoren — 125 7.1.7 Iatrogene Vaginalveränderungen — 125 7.1.8 Traumen im Vaginalbereich — 126 7.2 Cervix uteri — 126 7.2.1 Erythroplakie — 126 7.2.2 Polypen — 127 7.2.3 Papillome, Kondylome — 127 7.2.4 Zervixriss (Emmet-Riss) — 128 7.3 Corpus uteri — 128

Inhaltsverzeichnis 

7.3.1 Endometriumpolypen — 128 7.3.2 Endometriumhyperplasie — 128 7.3.3 Myome — 129 7.3.4 Myom und Schwangerschaft — 133 7.4 Ovarien — 134 7.4.1 Zysten und gutartige Tumoren der Ovarien — 134 7.4.2 Tumorähnliche Veränderungen — 139 7.4.3 Postentzündliche Konglomerattumoren von Tube und Ovar — 140 7.4.4 Symptome und Komplikationen von Ovarialtumoren — 141 7.4.5 Diagnose benigner Ovarialtumoren — 142 7.4.6 Therapie benigner Adnextumoren — 143 7.4.7 Therapie tumorähnlicher Veränderungen an Tube und Ovar — 143 7.4.8 Gutartige Ovarialtumoren — 143 7.4.9 Dringliche Operationsindikationen — 144 7.5 Endometriose — 144 Kaven Baessler, Irena Rohr 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz — 149 8.1 Funktionelle Anatomie des Beckenbodens — 149 8.1.1 Muskulärer Beckenboden — 149 8.1.2 Bedeutende bindegewebige Strukturen im Beckenboden — 150 8.2 Descensus genitalis — 150 8.2.1 Formen — 152 8.3 Harninkontinenz — 157 8.3.1 Belastungsinkontinenz — 158 8.3.2 Überaktive Blase — 162 8.3.3 Mischinkontinenz — 164 8.3.4 Sonderformen — 164 Katharina von Weizsäcker, Anne-Katrin Oligmüller 9 Sexuell übertragbare Krankheiten — 165 9.1 Einführung — 165 9.2 Spezifische Erreger – Neisseria gonorrhöae („Tripper“) — 166 9.3 Treponema pallidum (Lues, Syphilis) — 168 9.4 Haemophilus ducreyi („Weicher Schanker“) — 170 9.5 Calymmatobacterium granulomatis (Granuloma inguinale) — 171 9.6 Chlamydia trachomatis — 172 9.7 Vaginale Candidiasis — 173 9.8 Ektoparasiten — 175

 XI

XII 

9.8.1 9.8.2 9.9 9.10 9.11 9.12 9.13 9.14

 Inhaltsverzeichnis

Phthirus pubis (Filz- oder Schamlaus) — 175 Sarcoptes Scabiei („Krätze“) — 177 Trichomonas vaginalis — 178 Herpes-simplex-Virus (HSV 1, HSV 2) — 179 Humanes Papillomavirus (HPV) — 182 Molluscum contagiosum (MCV, Dellwarzen) — 182 Human Immunodeficiency Virus (HIV-1, HIV-2) — 182 Hepatitis-Viren B, C, D (HBV, HCV, HDV) — 184

Mustafa Zelal Muallem, Andreas Kaufmann, Jalid Sehouli 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane — 185 10.1 Vulvakarzinom — 185 10.1.1 Stadieneinteilung — 187 10.1.2 Therapie — 188 10.2 Vaginalkarzinom — 191 10.3 Zervixkarzinom — 194 10.4 Endometriumkarzinom — 204 10.4.1 Invasives Karzinom — 205 10.5 Uterussarkome — 211 10.6 Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom und Peritonealkarzinom — 212 10.6.1 Chirurgische Therapie — 218 10.6.2 Chemotherapie — 219 10.6.3 Epitheliale Borderline-Tumoren (BOT) — 222 10.7 Gestationsbedingte Trophoblasterkrankungen (GTE) — 223 10.7.1 WHO-Klassifikation gestationsbedingter Trophoblasterkrankungen — 223 Jens-Uwe Blohmer, Ragna Völker 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust — 227 11.1 Anlage- und Entwicklungsstörungen — 227 11.1.1 Anlagestörungen — 227 11.1.2 Entwicklungsstörungen — 229 11.2 Entzündliche Veränderungen der Brust — 233 11.2.1 Mastitis puerperalis — 233 11.2.2 Mastitis non-puerperalis — 235 11.3 Symptomdefinierte Veränderungen — 237 11.3.1 Mastodynie — 237 11.3.2 Mamillensekretion — 238 11.4 Architekturveränderungen — 240 11.4.1 Fibrozystische Mastopathie — 240

Inhaltsverzeichnis 

11.5 Gutartige Tumore — 241 11.5.1 Fibroadenom — 241 11.5.2 Zyste — 242 11.5.3 Papillom — 243 11.5.4 Lipom — 243 11.5.5 Galaktozele — 244 11.5.6 Fettgewebsnekrose/Ölzysten — 244 11.5.7 Phylloidestumor — 245 Jens-Uwe Blohmer, Dorothee Speiser 12 Mammakarzinom — 247 12.1 Epidemiologie — 247 12.2 Ätiologie — 247 12.2.1 Hormonelle Faktoren — 248 12.3 Pathologie, Tumorausbreitung, Klassifikation — 249 12.3.1 Stadieneinteilung (TNM) — 249 12.3.2 Metastasierungswege — 253 12.4 Diagnostik — 255 12.4.1 BI-RADS-Kategorien — 255 12.4.2 ACR-Kategorien zur Brustdichte — 256 12.4.3 Mammographie-Screening — 256 12.4.4 Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie = MRT) — 257 12.5 Therapie — 259 12.5.1 Operative Therapieverfahren — 259 12.5.2 Neoadjuvante und adjuvante Hormontherapie (endokrine Therapie) und Chemotherapie — 265 12.5.3 Adjuvante Strahlentherapie — 267 12.5.4 Mammakarzinom in der Schwangerschaft — 267 12.5.5 Therapie des metastasierten Mammakarzinoms — 268 12.6 Nachsorge — 269 Radoslav Chekerov 13 Radio- und Chemotherapie — 271 13.1 Radiotherapie — 271 13.1.1 Ziele der Radioonkologie — 271 13.1.2 Strahlenschäden — 273 13.1.3 Strahlentherapie bei Brustkrebs — 275 13.1.4 Strahlentherapie beim Zervixkarzinom — 276 13.1.5 Strahlentherapie beim Endometriumkarzinom — 278 13.1.6 Strahlentherapie beim Vulvakarzinom — 279

 XIII

XIV 

 Inhaltsverzeichnis

13.1.7 Strahlentherapie beim Vaginalkarzinom — 280 13.1.8 Strahlentherapie beim Ovarialkarzinom — 281 13.1.9 Strahlentherapie in der palliativen Situation — 282 Nikola Bangemann, Jens-Uwe Blohmer 13.2 Gynäkologische Systemtherapie — 283 13.2.1 Chemotherapie – Wirkungsweise der Zytostatika — 283 13.2.2 Targettherapien in der Antitumortherapie — 287 13.2.3 Systemtherapie des primären Mammakarzinoms — 292 13.2.4 Metastasiertes Mammakarzinom — 295 13.2.5 Chemotherapie von Vulva- und Vaginalkarzinomen — 298 13.2.6 Chemotherapie beim Zervixkarzinom — 299 13.2.7 Systemtherapie beim Endometriumkarzinom — 300 13.2.8 Systemtherapie bei Sarkomen des Uterus — 300 13.2.9 Chemotherapie beim Ovarialkarzinom — 301 13.2.10 Chemotherapie bei Keimzell- und Keimstromatumoren des Ovars — 302 Robert Armbrust, Mathias David 14 Gynäkologische Notfälle — 305 14.1 Einleitung — 305 14.2 Rupturierte Ovarialzyste — 306 14.3 Adnextorsion — 308 14.4 Extrauteringravidität — 309 14.5 Adnexitis — 313 14.6 Tuboovarialabszess — 316 Lisa Antonia Dröge, Wolfgang Henrich 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin — 319 15.1 Eklampsie — 320 15.2 Sinusvenenthrombose — 321 15.3 Intrakranielle Blutung — 322 15.4 Lungenarterienembolie in der Schwangerschaft — 323 15.5 Fruchtwasserembolie — 323 15.6 Aortendissektion — 324 15.7 KHK und Angina pectoris — 325 15.8 Pneumothorax — 325 15.9 Mediastinalemphysem (Hamman-Syndrom) — 326 15.10 Primäre und sekundäre pulmonale Hypertonie — 326 15.11 Peripartale Kardiomyopathie — 327 15.12 HELLP-Syndrom — 328 15.13 Cholezystitis — 328

Inhaltsverzeichnis 

 XV

15.14 Appendizitis — 329 15.15 Pankreatitis — 330 15.16 Nephrolithiasis — 330 15.17 Ovarialvenenthrombose — 331 15.18 Bridenileus — 331 15.19 Stieldrehung des Ovars — 332 15.20 Endomyometritis/A-Streptokokkensepsis — 332 15.21 Vorzeitige Plazentalösung — 333 15.22 Uterusatonie — 334 15.23 Hämatoperitoneum bei spontaner Gefäßruptur — 334 15.24 Plazentationsstörungen I: Plazenta praevia/Vasa praevia — 335 15.25 Plazentationsstörungen II: Plazenta accreta, increta, percreta — 335 15.26 Uterusruptur — 336 Register — 337

Verzeichnis der Autoren Kapitel 1 Dr. med. Klaus Pietzner Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Jens-Uwe Blohmer (Hrsg.) Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum Campus Mitte Charitéplatz 1, 10177 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 2 Prof. Dr. med. Matthias David (Hrsg.) Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 3 Prof. Dr. med. Jens-Uwe Blohmer (Hrsg.) s. o. Kapitel 4 Nicole Gehrmann (FÄ) Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 5 Nicole Gehrmann (FÄ) s. o.

XVIII 

 Verzeichnis der Autoren

Dr. med. Jana Barinoff Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 6 Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner s. o. Nicole Gehrmann (FÄ) s. o. Prof. Dr. med. Heribert Kentenich Fertility Center Berlin Spandauer Damm 130, 14050 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 7 Prof. Dr. med. Matthias David (Hrsg.) s. o. Priv.-Doz. Dr. med. Elena Ioana Braicu Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner s. o. Kapitel 8 Priv.-Doz. Dr. med. Kaven Baessler Beckenboden und Inkontinenzzentrum standortübergreifen St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof Klinik für Gynäkologie Wüsthoffstr. 15, 12101 Berlin E-Mail: [email protected] Franziskus-Krankenhaus Berlin Klinik für Urologie Budapester Str. 15 – 19, 10787 Berlin



Dr. med. Irena Rohr Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 9 Dr. med. Katharina von Weizsäcker Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Geburtsmedizin Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Dr. med. Anne-Katrin Oligmüller Martin-Luther-Krankenhaus Klink für Gynäkologie und Geburtshilfe Caspar-Theyß-Str. 27 -31, 14193 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 10 Prof. Dr. med. Jalid Sehouli Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Dr. med. Mustafa Zelal Muallem Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Andreas Kaufmann Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 11 Prof. Dr. med. Jens-Uwe Blohmer (Hrsg.) s. o.

Verzeichnis der Autoren 

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XX 

 Verzeichnis der Autoren

Dr. med. Ragna Völker Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 12 Dr. med. Dorothee Speiser Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum Campus Mitte Charitéplatz 1, 10177 Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Jens-Uwe Blohmer (Hrsg.) s. o. Kapitel 13 Dr. med. Radoslav Chekerov Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Dr. med. Nikola Bangemann Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum Campus Mitte Charitéplatz 1, 10177 Berlin E-Mail: [email protected] Kapitel 14 Prof. Dr. med. Matthias David (Hrsg.) s. o. Dr. med. Robert Armbrust Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected]



Kapitel 15 Prof. Dr. med. Wolfang Henrich (Hrsg.) Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Geburtsmedizin Campus Virchow-Klinikum und Charité Campus Mitte Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected] Dr. med. Lisa Antonia Dröge Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail: [email protected]

Verzeichnis der Autoren 

 XXI

Klaus Pietzner, Jens-Uwe Blohmer

1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust 1.1 Weibliches äußeres Genitale Das äußere Genitale besteht aus: Mons pubis, großen und kleinen Schamlippen, Klitoris, Orficium urethrae externum, dem Scheidenvorhof mit den hier endenden Drüsen und dem Hymen bzw. den verbliebenen Carunculae hymenales (Abb. 1.1) Begrenzung der Vulva: –– ventral: Mons pubis –– lateral: Regiones inguinales beidseits; Oberschenkelinnenseiten –– dorsal: Damm (Perineum). Das Hymen markiert die Grenze zwischen dem äußeren (= Vulva) und dem inneren Genitale (= Vagina, Uterus, Ovarien und Tuben).

Praeputium clitoridis Clitoris Vestibulum Labium minus Labium majus Mündung der GI. vestibularis major Fossa vestibuli vaginae (navicularis)

Frenulum clitoridis Ostium urethrae externum Ductus paraurethralis Hymen bzw. Carunculae hymenales Perineum Anus

Abb. 1.1: Schematische Darstellung des äußeren weiblichen Genitale.

https://doi.org/10.1515/9783110472356-005

2 

 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

Äußeres Genitale: Die äußeren weiblichen Geschlechtsteile werden auch als Vulva bezeichnet. Drüsen: In der Umgebung der Urethra findet man Schleimdrüsen, die Glandulae vestibulares minores. Im hinteren Drittel der kleinen Labie mündet die Glandula vestibularis major, die Bartholinsche Drüse. Mons pubis: Syn. Schamberg, Mons veneris, Venushügel; Fettpolster der vorderen Schamgegend mit charakteristischem Schamhaardreieck bei der Frau.

1.1.1 Innervation Die Innervation erfolgt im Wesentlichen über den Nervus pudendus, den Nervus ilioinguinalis, den Nervus genitofemoralis und den Plexus coccygeus.

1.1.2 Blutversorgung Die aus der Arteria iliaca interna entspringende Arteria pudenda interna versorgt den größten Teil des äußeren Genitale. Die Venen des äußeren Genitale einschließlich der Dammregion münden in die V. pudenda interna.

1.1.3 Lymphgefäße Die Lymphgefäße bilden um die Klitoris ein ringförmiges Netz, der Abfluss erfolgt zu den Lnn. inguinales superficiales bzw. profundi. Innervation: Aus dem Nervus pudendus gehen die Nn. rectales inferiores (Analregion), die Nn. perinei (Dammhaut), die Nn. labiales posteriores (große Schamlippen) sowie der N. dorsalis clitoridis (Glans clitoridis) hervor. Aus dem N. genitofemoralis stammt der Ramus genitalis (Labia majora und angrenzende Teile der Oberschenkel) und aus dem N. ilioinguinalis ziehen die Nn. labiales anteriores zu den vorderen Anteilen der großen Schamlippen sowie zum Präputium clitoridis. Die Nn. cavernosi clitoridis (aus dem autonomen Beckengeflecht) ziehen entlang der Gefäße oder mit dem N. pudendus durch das Diaphragma urogenitale und sorgen für die vegetative Innervation der Schwellkörper. Plexus coccygeus: Wird von den Ästen des 4. und 5. Sakralnerven sowie des N. coccygeus gebildet und versorgt die Haut zwischen Steißbeinspitze und Anus. Arteria pudenda interna: Die 2 Endäste der A. pudenda interna verlaufen oberflächlich (A. perinealis zum Damm und Rr. labiales posteriores zu den Labia majora) bzw. tief (A. clitoridis). Die A. clitoridis teilt sich auf in die A. bulbi vestibuli vaginae, die A. urethralis, die A. dorsalis clitoridis (Glans) sowie die A. profunda clitoridis (Korpus). Die Verläufe der Venen entsprechen denen der Arterien.



1.2 Weibliches inneres Genitale 

 3

Venen des äußeren Genitale: Auch über die Vv. pudendae externae gelangt Blut aus den oberflächlichen, reich anastomosierenden Venen des äußeren Genitale zur V. saphena magna oder direkt zur V. femoralis und von dort in die Geflechte der Beckenvenen.

1.2 Weibliches inneres Genitale 1.2.1 Vagina Bindegewebig-muskulärer Schlauch, der in dorsokranialer Richtung von unten vorn nach oben hinten verläuft; die vordere Scheidenwand ist 6–8 cm, die hintere 8–10 cm lang (Abb. 1.2). Durch den Ansatz des Vaginalrohres oberhalb der Portio vaginalis cervicis uteri ergibt sich ein rinnenartiger Raum rings um die Portio, das Scheidengewölbe. Die Portio ragt hier in die Scheide hinein und ist normalerweise gegen die Hinterwand gerichtet. Topographisch unterscheidet man ein vorderes und ein hinteres Scheidengewölbe. Fimbriae tubae Ampulla Epoophoron Isthmus tubae Pars uterina tubae Fundus uteri Cavitas uteri Corpus uteri Ovarium, Tuba uterina

Schnittrand des Peritoneums

Cervix uteri (Portio supravaginalis)

Lig. teres uteri

Portio vaginalis cervicis

Paries anterior Paries posterior

vaginae

Carunculae hymenales

Abb. 1.2: Vagina und rechte Tuba uterina von ventral geöffnet; linker Eileiter und linker Eierstock in natürlicher Lage (aus Waldeyer, Anatomie des Menschen, 19. Auflage, Verlag Walter de Gruyter, 2012).

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 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

Hinteres Scheidengewölbe: Das hintere Scheidengewölbe reicht höher hinauf. Hinter diesem Fornix vaginae posterior (früher auch als „Lacuna spermatica“ bezeichnet) liegt der Douglassche Raum (Excavatio rectouterina), der vom Bauchfell ausgekleidete tiefste Punkt der Bauchhöhle. Der Ureter zieht in der Nähe des lateralen Scheidengewölbes nach vorn zur Blase.

1.2.2 Uterus Der Uterus ist 7–8 cm lang und birnenförmig. Die oberen zwei Drittel werden als Gebärmutterkörper (Corpus uteri), das untere Drittel als Gebärmutterhals (Cervix uteri) bezeichnet. Zwischen beiden befindet sich ein kurzes Zwischenstück, der Isthmus uteri (Abb. 1.3). Der Teil der Cervix uteri, der in die Vagina hineinragt, wird klinisch als Portio bezeichnet. Die Portio ist von mehrschichtigem Plattenepithel bedeckt und trägt als Öffnung den äußeren Muttermund (Abb. 1.4). Durch die Cervix uteri zieht der spindelförmige Zervikalkanal, der sich hinter dem inneren Muttermund am oberen Ende des isthmischen Kanals zur Gebärmutterhöhle, dem Cavum uteri, erweitert. Lig. suspensorium ovarii Fundus uteri

Ovarium

Tuba uterina Corpus uteri Cervix uteri Portio uteri Vagina

Labium minus Labium majus Abb. 1.3: Schematische Darstellung des inneren weiblichen Genitale. Teile des Uterus sind: Fundus uteri, Corpus uteri, Cervix uteri mit innerem und äußerem Muttermund und die Portio uteri. Äußerer Muttermund: Der äußere Muttermund, Ostium uteri, wird von einer vorderen und einer hinteren Muttermundslippe begrenzt. Bei Frauen, die nicht geboren haben, ist der äußere Muttermund rundlich-punktförmig, bei Mehrgebärenden quergespalten.



1.2 Weibliches inneres Genitale 

 5

Abb. 1.4: Äußerer Muttermund.

Die Uterusschleimhaut (Endometrium) unterliegt unter hormonellem Einfluss der Sexualsteroide zyklischen Veränderungen. Sie besteht aus einschichtigem Zylinderepithel. Die glatte Muskulatur (Myometrium) der Gebärmutter besteht aus sich überkreuzenden, spiralförmigen Muskelzügen. Dieses Netzwerk gewährleistet 1. die Vergrößerung des graviden Organs, 2. die Kraftentwicklung während der Austreibungsphase der Geburt. Der Uterus ist im Korpus- und Fundusbereich außen von Peritoneum bedeckt (Uterusserosa). Zu beiden Seiten des Uterus setzt sich das Bauchfell in Form einer Duplikatur bis an die seitlich Beckenwand als Ligamentum latum (Abb. 1.5) fort und schließt an seinem oberen Rand die Tuben ein. Ligamentum latum: Zwischen den Peritonealblättern des Ligamentum latum uteri befindet sich eine dünne Bindegewebslage, das Parametrium. Klinisch wird der Begriff Parametrium jedoch häufig umfassender auf das gesamte Beckenbindegewebe bezogen, das unter dem Peritoneum alle Nischen zwischen den weiblichen Beckenorganen ausfüllt. In diesem Bindegewebe befinden sich Lymphbahnen und Lymphknoten.

1.2.3 Halte- und Stützapparat des Uterus Die Lagefixierung erfolgt durch Bindegewebszüge (parametraner Halteapparat), den Beckenboden (Stützapparat) und paarige Bänder (Abb. 1.6): –– Ligamentum teres uteri (klinisch: Lig. rotundum) –– Ligamentum ovarium proprium –– Ligamentum latum (Abb. 1.7) –– Ligamentum sacrouterinum –– Ligamentum vesicouterinum –– Ligamentum pubovesicale

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 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

Ampulla tubae uterinae Lig. ovarii proprium Ovarium Tuba uterine Isthmus tubae uterinae Fimbriae tubae Fundus uteri

Lig. latum uteri

Lig. suspensorium ovarii Corpus uteri Lig. teres uteri Cervix uteri Portio vaginalis uteri

Paries anterior vaginae

Abb. 1.5: Anhangsgebilde des Uterus (Adnexe) in der Ansicht von dorsal mit entfaltetem Lig. latum uteri, das gemeinsam mit dem Lig. teres uteri Teil des Halte- und Stützapparats des Uterus ist.

Spatium retrorectale Fascia rectalis Rectum Lig. sacrouterinum

Spatium pararectale Excavatio rectouterina

Lig. cardinale Uterus Lig. vesicocervicale Fascia vesicalis Vesica urinaria Lig. pubovesicale

Spatium vesicocervicale Spatium paravesicale

Spatium praevesicale

Abb. 1.6: Schematische Darstellung der Bänder und Räume im kleinen Becken der Frau.



1.2 Weibliches inneres Genitale 

 7

Tuba uterina Mesosalpinx Mesovarium Ovarium Mesometrium Ventralfläche des Ligamentum latum

Ligamentum cardinale uteri

Abb. 1.7: Sagittalschnitt durch das Ligamentum latum als schematische Darstellung.

1.2.4 Position des Uterus Die häufigste Position des Uterus ist antevertiert-anteflektiert. Die Versio beschreibt die Längsachse des Uterus im Vergleich zur Längsachse der Scheide (antevertiert – nach vorne geneigt). Die Flexio beschreibt die Längsachse des Uterus gegen die Längsachse der Cervix (anteflektiert – nach vorne geknickt). Eine Abbiegung des Uterus nach dorsal (Retroflexio) hat entgegen der Lehrmeinung aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert keinen Krankheitswert und bedarf keiner operativer Intervention. Bänder: Die Bänder im Spatium subperitoneale pelvis bilden gemeinsam mit der Blase, dem Uterus und dem Rektum 8 Räume im kleinen Becken: die paarigen (d. h. rechts und links von der Mittellinie gelegenen) Spatii paravesicales und die Spatii pararectales sowie die unpaaren Räume (von ventral nach dorsal) Spatium retropubicum, Spatium vesicocervicale, Excavatio rectouterina (Douglas’scher Raum) und das Spatium retrorectale. Ligamentum teres uteri: Das sog. runde Mutterband zieht vom Tubenwinkel durch den Leistenkanal zu den großen Schamlippen. Ligamentum ovarium proprium: verläuft vom Tubenwinkel zum Eierstock. Ligamentum latum uteri: ist eine nerven- und gefäßhaltige Bauchfellduplikatur zwischen Uterus und Beckenwand. Ligamentum sacrouterinum: auch als Plica rectouterina bezeichnet, enthält Bindegewebe und glatte Muskelfasern, die in sagittaler Richtung vom Isthmus uteri zum Rectum ziehen. Ligamentum vesicouterinum: sog. Blasenpfeiler, gefäßführende laterale Bindegewebsfalte zwischen Blase und Uterus. Ligamentum pubovesicale: Verstärkungszüge der Fascia diaphragmatis pelvis superior, von der Hinterfläche der Schambeinäste zur Blase ziehend.

8 

 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

1.2.5 Innervation von Vagina und Uterus Die Nerven stammen aus dem Plexus hypogastricus inferior und ziehen durch die Plica rectouterina zur Scheide und zum Uterus. Im Parametrium bilden Fasern dieses Plexus mit zahlreichen Ganglienzellen den Plexus uterovaginalis.

1.2.6 Blutversorgung von Vagina und Uterus Aus der A. uterina, einem Ast der A. iliaca interna; die A. uterina überkreuzt in der Nähe des lateralen Scheidengewölbes den Ureter und erreicht etwa in Höhe des inneren Muttermundes die laterale Kante des Uterus. Die meist reichlich vorhandenen und teilweise varikös veränderten Venen folgen wie üblich dem Verlauf der entsprechenden Arterien und sind teilweise in venösen Plexus angeordnet. Laterale Kante des Uterus: Hier entlässt die A. uterina den abwärtsziehenden Ramus vaginalis (R. descendens) und den aufsteigenden Ramus uterinus (R. ascendens); weitere Äste: Ramus tubarius (Versorgung Tuba uterina), Ramus ovaricus (Anastomosen mit der A. ovarica im Mesovar – „Eierstock-Arkaden“), A. lig. teretis uteri. Charakteristisch für den uteruswandnahen Ramus uterinus ist die starke Schlängelung, die im Falle einer Gravidität und der damit verbundenen Organvergrößerung eine Art Längenreserve gewährleistet. Plexus uterovaginalis: Dieser Nervenplexus gibt auch Zweige an die Tube und das Ovar ab.

1.2.7 Tube Der Eileiter besteht aus einem 12–16 cm langen, bindegewebig-muskulösen Schlauch, der im freien Rand des Lig. latum verläuft und in der oberen, lateralen Ecke (Tubenwinkel) beidseits in den Uterus mündet. Der Eileiter besteht aus einem intramuralen Teil, dem dünnen isthmischen (uterusnahen) Anteil und dem weiteren ampullären Anteil der im Fimbrientrichter endet. In der Ampulla tubae findet meist die Befruchtung der Eizelle statt, welche dann durch den uteruswärts gerichteten Schlag der Flimmerzellen zum Cavum uteri transportiert wird.

1.2.8 Ovar Etwa 3 × 2 × 2 cm groß, plattoval, weißlich, meist narbig-gyrierte Oberfläche; bei älteren Frauen stark atrophiert; an der Seitenwand des kleinen Beckens intraperitoneal in der Fossa ovarica gelegen, die durch die Aufzweigung der A. iliaca communis



1.2 Weibliches inneres Genitale 

 9

in die A. iliaca interna bzw. die A. iliaca externa und die dazugehörigen Venen gebildet wird. Hinter dem Ovar laufen Ureter, Vasa obturatoria und N. obturatorius. Der Eierstock ist „schwebend“ mit seinen benachbarten Strukturen verbunden durch: –– Mesovar –– Lig. ovarii proprium –– Lig. suspensorium ovarii Das rechte Ovar steht in enger räumlicher Beziehung zur Appendix. Mesovar: Der Margo mesovaricus (vorderer Rand des Ovars) ist über das Mesovarium an der Rückseite des Ligamentum latum fixiert. Ligamentum ovarii proprium: Im Lig. ovarii proprium verläuft der Ramus ovaricus der A. uterina, es verbindet den medialen Ovarialpol mit dem Tubenwinkel des Uterus. Ligamentum suspensorium ovarii: Der obere, laterale Ovarialpol wird durch das Ligamentum suspensorium ovarii, welches die Vasa ovarica enthält, mit der Beckenwand verbunden. Klinisch auch als Lig. infundibulopelvicum bezeichnet.

1.2.9 Innervation der Adnexe (Ovar und Tube) Über den Plexus ovaricus, der aus dem Plexus aorticus abdominalis und dem Plexus renalis kommt und mit den Vasa ovarica zum Eierstock zieht.

1.2.10 Blutversorgung der Adnexe Durch die A. ovarica, die beidseits knapp unterhalb der Aa. renales aus der Aorta abdominalis entspringt, und den Ramus ovaricus der A. uterina. Das venöse Blut fließt über die V. ovarica dextra in die V. cava inferior bzw. über die V. ovarica sinistra in die V. renalis.

1.2.11 Lymphabflusswege Zu den paraaortalen und paracavalen Lymphknotenstationen (entlang der Ovarialvenen), den Lnn. interiliaci, den Lnn. sacrales superiores und den Lnn. inguinales (entlang der Ligg. rotunda).

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 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

1.3 Weiblicher Beckenboden Der Beckenboden wird durch zwei Platten von Skelettmuskulatur, das Diaphragma pelvis und das Diaphragma urogenitale, gebildet. Der Beckenboden sichert die Lage der Beckeneingeweide nach kaudal und unterstützt die Verschlussmechanismen für Enddarm, Vagina und Urethra.

1.3.1 Diaphragma pelvis Das Diaphragma pelvis ist die innere Muskelschicht und wird vom M. levator ani (Hauptteil) und dem sich dorsal anschließenden M. coccygeus gebildet. Der M. levator ani zieht vom Os pubis und dem Arcus tendineus der Fascia obturatoria trichterförmig zum Anus und zum Lig. anococcygeum. Der M. levator ani erfüllt gegenüber der Eingeweidesäule eine tragende Funktion. Bei seiner Kontraktion streben die bogenförmig um den Levator-Spalt (zum Durchtritt von Rektum, Vagina und Harnröhre) verlaufenden Fasern einen geraden Verlauf an und engen so den Hiatus genitalis von lateral ein (Abb. 1.8). Der muskuläre Beckenboden ist nur ein Teil der haltenden Kräfte des Beckenaus­gangs. Weitere Faktoren sind die bindegewebige Einpassung der Organe in das

M. bulbospongiosus

Fascia lata Fascia diaphragmatis urogenitalis inferior Centrum perinei Fascia obturatoria mit Alcock-Kanal Fascia diaphragmatis pelvis inferior (medialer Teil entfernt) Fascia glutea

Fascia lata M. ischiocavernosus M. transversus perinei profundus M. transversus perinei superficialis M. semitendinosus et m. biceps femoris M. sphincter ani externus Tuber ischiadicum M. obturatorius internus M. levator ani M. gluteus maximus Lig. anococcygeum Os coccygis

Abb. 1.8: Beckenbodenmuskulatur der Frau, vom Damm aus gesehen. Auf der linken Bildhälfte sind die Faszien dargestellt.



1.3 Weiblicher Beckenboden 

 11

Spatium subperitoneale pelvis, die „Schwebelage“ des Uterus mit Anteversio und Anteflexio, die Intaktheit der Bauchdecke sowie die Kohäsionskräfte der Eingeweide.

1.3.2 Bindegewebsapparat des Beckens Klinisch unterteilt man nach topographischen Beziehungen zu den Beckenorganen: –– Parazystium (umgibt die Harnblase) –– Parametrium (um die Gebärmutter) –– Parakolpium (um die Scheide) –– Paraproktium (um den Mastdarm). Bindegewebsapparat: Die beiden Muskelplatten des Beckenbodens sowie die Beckenwand werden von Faszien überzogen. Zusammen mit dem subserösen Bindegewebe bilden sie den Bindegewebsapparat des Beckens. Funktion: –– Fixierung und Gewährleistung der Verschieblichkeit der Beckenorgane bei Volumenschwankungen, –– Bindegewebige Trennwände zwischen den Organen, –– Zuführung von Nerven und Gefäßen.

1.3.3 Logen des Beckenbodens sind Spalträume zwischen den Faszien, in denen sich Blut oder Ergüsse sammeln können. –– Fossa ischiorectalis: keilförmiger Spalt zwischen Diaphragma pelvis und Seitenwand des kleinen Beckens; Begrenzung: medial durch Fascia diaphragmatica pelvis inferior, lateral durch Fascia obturatoria, dorsal vom Lig. sacrotuberale und M. gluteus maximus. In der Seitenwand der Fossa verläuft der Canalis pudendi (Alcockscher Kanal) mit dem Nerven-Gefäß-Bündel. –– Spatium perinei superficialis –– Spatium perinei profundum –– Spatium retropubicum Spatium perinei superficialis: Zwischen Fascia perinei superficialis und Fascia diaphragmatica urogenitalis inferior. In ihm befindet sich der M. ischiocavernosus und der M. bulbospongiosus. Spatium perinei profundum: Raum zwischen Fascia diaphragmatis urogenitalis inferior und superior. In ihm liegen M. transversus perinei profundus und superficialis, M. sphincter urethrae, die Glandula vestibularis major (Bartholin) sowie Nerven und Gefäße für die Clitoris. Spatium retropubicum: Auch Retzius’scher Raum genannt, befindet sich zwischen Blase und Schambein und wird unten vom Lig. pubovesicale begrenzt.

12 

 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

1.4 Weibliche Brust Sie besteht aus dem Drüsengewebe, der Brustwarze mit dem Warzenvorhof und dem stark gegliederten Bindegewebskörper mit eingelagertem Fettgewebe (Abb. 1.9). Sie liegt zu zwei Drittel auf dem M. pectoralis major und zu einem Drittel auf dem M. serratus anterior. Drüsen- und Fettkörper werden von Bindegewebesträngen (Cooper’sche

Areola Mamille

Fettgewebe Sinus lactiferi

MontgomeryDrüse

Ductus lactiferi Azinus Cooper'sche Ligamente Lobus

Lobuli

subcutanes Fettgewebe subareoläre Muskulatur

Montgomery-Drüse subcutanes Fettgewebe Cooper'sche Ligamente Fettgewebe

interlobuläres Bindegewebe Sinus lactiferi Ductus lactiferi Azinus intralobuläres Bindegewebe interlobuläres Bindegewebe superficiale Faszie

Pectoralisfaszie M. pectoralis major Abb. 1.9: Struktur der weiblichen Brust von vorn (oben) und von der Seite (unten) aus gesehen. Der größte Teil der Brust besteht aus Fett; die Gestalt wird durch ein Netzwerk stützender Bindegewebszüge erhalten. Die Brustrüsen bestehen aus Alveolen, die sich in ein System von Sinus entleeren, von wo aus Gänge zur Brustwarze führen.

1.5 Axilla 

 13

Ligamente) durchzogen, welche die Pektoralisfaszie mit der Haut verbinden. Die Brustwarze (Mamilla) ist vom Warzenhof (Areola mammae) umgeben. Beide sind pigmentiert. Der Brustdrüsenkörper besteht aus 15–20 verzweigten, tubuloalveolären Einzeldrüsen, die zu Lobi gruppiert sind.

1.4.1 Innervation Die Brustdrüse wird von den oberen Nn. thoracici versorgt.

1.4.2 Blutversorgung –– medial durch die Rami perforantes (Rr. mammarii mediales) der A. thoracica interna (1.–4. ICR), lateral und kranial durch die A. thoracica lateralis und A. thoracoacromialis. Äste der Interkostalarterien ziehen durch die Pektoralismuskulatur zur Basis der Brustdrüse. Die konzentrisch im Fettgewebe verlaufenden Arterien anastomosieren zu einem dichten Geflecht, das den Warzenhof und die Mamille versorgt. –– Lymphabflusswege zu den zentralen, extern mammären, supra- und infraklavikulären, interpektoralen, axillären und Mammaria interna-Lymphknoten. Lymphabflusswege: Klinisch werden vier wesentliche Abflusswege beschrieben: 1. entlang der Blutgefäße um den Pectoralisrand zu den Axillär- und Subklaviagefäßen, 2. entlang der A. mammaria interna, 3. transpektoral zur A. mammaria interna und zur A. subclavia sowie 4. die kutanen Bahnen. Hieraus ergeben sich entsprechende Konsequenzen für die Palpation. Es genügt nicht, allein die Brust abzutasten. Die Axilla sowie die Supra- und Infraklavikulargruben müssen ebenfalls untersucht werden.

1.5 Axilla Die Form der Achselhöhle entspricht einer vierseitigen Pyramide. Die Wände der Achselhöhle sind: –– vorn: Fascia clavipectoralis, M. pectoralis major und minor –– medial: Die ersten 4 Rippen und deren Interkostalmuskulatur, kraniale Anteile des M. serratus anterior –– lateral: Humerus, M. coracobrachialis, Caput breve des M. biceps brachii –– hinten: M. subscapularis, M. teres major, M. latissimus dorsi –– unten: Fascia axillaris.

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 1 Anatomie der weiblichen Genitalorgane und der weiblichen Brust

Der axilläre Fettkörper füllt die Achselhöhle aus und umgibt Nerven und Gefäße der oberen Extremität. Für die Präparation bei der Axilladissektion wichtige Nerven- und Gefäßstrukturen: –– cranial: Vena axillaris, Arteria axillaris, und Plexus brachialis, die etwas dorsal der Vene liegen –– an der medialen Wand der Axilla läuft der A. thoracica lateralis und hinter ihr der → N. thoracicus longus. –– dorsal zieht der N. thoracodorsalis mit der A. und V. thoracodorsalis. –– Nervus intercostobrachialis, etwas unterhalb und parallel zur Vena axillaris. Die Achsel-Lymphknoten liegen verstreut im Fettgewebe außerhalb der bindegewebig eingehüllten Nerven-Gefäß-Stränge und sind netzartig miteinander verbunden. Man unterscheidet 3 Lymphknotengruppen (Level I–III) (Abb. 1.10). Nll. laterales

Nll. centrales Nll. supraclaviculares

Nll. apicales

Nll. subscapulares Nl. thoracoepigastricus

Nl. parasternalis Nll. pectorales

Abb. 1.10: Lymphknotengruppen der Brustdrüse und der Achselhöhle, oberflächliche Lymphknoten dunkler, tiefe heller dargestellt; Pfeile = Stromrichtung (Nll. = Nodi lymphatici).

1.5 Axilla 

 15

Vena axillaris: Anzahl und Lokalisation der in die V. axillaris einmündenden Äste kann variieren. Relativ häufig sind auch anatomische Variationen wie z. B. aufgeteilte axilläre Venen. Nervus thoracicus longus: Aus dem Plexus brachialis, versorgt den M. serratus anterior. Nervus thoracodorsalis: Aus dem Plexus brachialis, versorgt den M. latissimus dorsi. Nervus intercostobrachialis: Hautnerv der Achselgrube, Anastomose mit dem N. cutaneus brachii medialis. Level I–III: Chirurgische Einteilung der Lymphknotenstationen in Level I (erstreckt sich von der Axilla bis zum lateralen Rand des M. pectoralis minor), Level II (hinter dem M. pectoralis minor) und Level III (mediocranial des M. pectoralis minor unterhalb der A. subclavia).

Matthias David

2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung Jede Diagnose basiert auf Anamnese, klinischer Untersuchung und Zusatzuntersuchungen sowie ggf. einer Verlaufsbeobachtung.

2.1 Anamneseerhebung Dazu zählen: Eigen- und Familienanamnese, Sozial- und Berufsanamnese, ggf. die Zwischenanamnese. Die gynäkologische Anamnese im engeren Sinne umfasst Angaben zur: aktuellen Anamnese inklusive Beschwerden, Menstruationsanamnese, Sexualfunktion und Verhütung, Schwangerschaftsanamnese, vorausgegangene Operationen.

2.1.1 Familienanamnese Erfragt werden sollten vor allem: vererbbare oder familiär gehäufte Erkrankungen, Ansteckungsmöglichkeiten in der Familie (z. B. nach Tuberkulose), Diabetes mellitus, Steinleiden, Blut- und Krebserkrankungen, Bluthochdruck, Schlaganfall, Infarkte, Nervenleiden.

2.1.2 Sozial- und Berufsanamnese Gefragt werden sollte nach: den Familien- und Partnerschaftsverhältnissen sowie den Wohnverhältnissen, der beruflichen Situation (Stress, Über-/Unterforderung, Mobbing etc.). Psycho-soziale Aspekte: Eine Krankheit ist immer als komplexes Geschehen aufzufassen, das von biologischen, psychischen u. sozialen Faktoren beeinflusst wird und auf diese zurückwirkt.

2.1.3 Eigenanamnese Auf diese ist besonderer Wert zu legen. Einfühlsam und aufmerksam müssen die Schwerpunkte im Gespräch gesetzt werden. Zur Eigenanamnese gehören: Krankheitsanamnese, Medikamentenanamnese, Miktions- und Stuhlanamnese, Ess- und Schlafverhalten, psychische Situation; ggf. die Zwischenanamnese.

https://doi.org/10.1515/9783110472356-006

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 2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung

Zwischenanamnese: Die Zwischenanamnese bei Wiederaufnahme von Patientinnen fasst die vor­ ausgegangenen Behandlungen, Behandlungszeiträume, Komplikationen oder Therapieerfolge und -auswirkungen zusammen. Besonders bei onkologischen Patientinnen muss auch dezenten Hinweisen (z. B. unklare Schmerzen, Abgeschlagenheit etc.) nachgegangen werden.

2.1.4 Krankheitsanamnese Hier fragt man nach: Kinderkrankheiten, Unfällen und Verletzungen, Krankheiten im Erwachsenenalter (besonders Unterleibserkrankungen, Entzündungen, Geschlechtskrankheiten, Mammaerkrankungen), nach Operationen (Wann? Warum? Wo? Wer?), Allergien (Medikamente, Nahrungsmittel, chemische Substanzen, Metalle), Lebensgewohnheiten (Nikotinabusus, Alkoholabusus, Koffeinabusus, abnormes Essverhalten).

2.1.5 Gynäkologische Anamnese Insbesondere für die Erhebung der gynäkologischen Anamnese ist ein vertrauensvolles Arzt-Patientinnen-Verhältnis wichtig, denn das diagnostische Gespräch in der Frauenheilkunde berührt immer die Intimsphäre der Frau. Es werden Dinge erfragt, die oft nicht einmal dem Ehemann, dem Lebenspartner oder anderen nahestehenden Angehörigen bekannt sind. Darauf ist in Form und Inhalt des Anamnesegesprächs stets Rücksicht zu nehmen. Aktuelle Anamnese: Mit Hilfe der aktuellen Anamnese wird geklärt, warum die Patientin den Frauenarzt/die Frauenärztin aufsucht.

Die Hauptgründe dafür sind: Blutungsstörungen, klimakterische Beschwerden, Unterleibsschmerzen, Schmerzen in Vulva und Vagina, Ausfluss/Pruritus, Kinderwunsch, Wunsch nach Kontrazeptiva, Androgenisierung, Veränderungen in den Mammae, Miktions-/Inkontinenz-, Stuhlgangbeschwerden, (Früh-)Schwangerschaft, Vorsorge- bzw. Früherkennungsuntersuchungen. 2.1.5.1 Menstruationsanamnese Gefragt wird nach Menarche oder Menopause, Blutungsdauer und Blutungsstärke, Zykluslänge (Regeltempo- und Typusstörungen), Zwischenblutungen, Kontaktblutungen, Hormoneinnahme (Hormon[ersatz]therapie) in der Postmenopause, Einnahme oraler oder Nutzung andere hormoneller Kontrazeptiva.

2.1 Anamneseerhebung 

 19

Regelkalender: Das Vorliegen eines Regelkalenders erleichtert die Erhebung der Menstruationsanamnese. Diese lässt sich aber auch einfach im sogenannten Kaltenbach-Schema dokumentieren (Abb. 2.1).

Stärke der Blutung

Zyklus 1.

2.

3.

4.

5.

6.

stark normal schwach Eumenorrhö

Hypermenorrhö

Hypomenorrhö

Zusatzblutungen

Zwischenblutungen

Oligomenorrhö

Ovulationsblutungen

postmenstruelle Blutungen

prämenstruelle Blutungen

Abb. 2.1: Kaltenbach-Schema. Graphische Darstellung der Menstruationsblutung im sog. Kaltenbachschema. Dieses umfasst die letzten sechs Zyklen bzw. die letzten 6 Monate. Horizontale Zeitachse mit Unterteilung in Wochenbzw. Monats-Abschnitte und vertikale Dreiteilung zur Dokumentation der Blutungsstärke (schwach– normal–stark). Durch zusätzliche graphische Symbole können für das Zyklusgeschehen wichtige Ereignisse (Schmerzen, Fluor, Zwischenblutung usw.) gekennzeichnet bzw. Therapiemaßnahmen festgehalten werden. (siehe auch S. 76)

20 

 2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung

2.1.5.2 Gynäkologisch orientierte Eigenanamnese Einige Aspekte der Vorgeschichte mit besonderer Bedeutung sind Genitalinfektionen, frühere gynäkologische Operationen und die letzte Vorsorgeuntersuchung. 2.1.5.3 Schwangerschaftsanamnese –– Frage nach Schwangerschaften: Wie viele? Wann? Komplikationen? Aborte? Abruptiones? Komplikationen? Totgeburten? –– Frage nach Geburten: Wie viele? Wann? Spontan? Sectio? Komplikationen? 2.1.5.4 Sexualanamnese Folgende Informationen sollen mindestens eruiert werden: letzter Geschlechtsverkehr; gegenwärtige Partnerschaft, mit oder ohne Geschlechtsverkehr; Gebrauch von Verhütungsmitteln. Schon bei der Erhebung der allgemeinen Anamnese ist auf dezente Hinweise der Patientin zu achten, die als Einstieg zu Fragen der Sexualität zu deuten sind.

2.2 Gynäkologische Untersuchung 2.2.1 Kompletter Untersuchungsgang Die Untersuchung findet für gewöhnlich in Steinschnittlage auf dem gynäkologischen Unter­ suchungsstuhl statt (Abb. 2.2, 2.3).

–– –– –– –– –– –– –– –– ––

Inspektion, Palpation (ggf. Auskultation und Perkussion des Abdomen) Inspektion und Palpation der Regio inguinalis Inspektion der Vulva, ggf. Kolposkopie, ggf. Abstrich/Biopsie Inspektion der Vagina, ggf. Kolposkopie, ggf. Abstriche/Biopsie Inspektion der Portio, ggf. Kolposkopie/Zyto.-Abstriche, ggf. Biopsie oder endozervikale Kürettage Palpation der Vagina und der Portio Palpation des Uterus Palpation der Adnexe/Vaginalsonographie (Uterus und Adnexe, Dauglas-Raum) Inspektion und Palpation der Mammae und Axillae beidseits



2.2 Gynäkologische Untersuchung 

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Die Untersuchung sollte aus juristischen Gründen möglichst immer in Anwesenheit einer weiteren weiblichen Person (z. B. Schwester, PJ-lerin, Famulantin etc.) stattfinden.

Abb. 2.2: Gynäkologischer Untersuchungsstuhl mit Kolposkop.

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 2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung

2

1

3

2

4 Abb. 2.3: Instrumente für die gynäkologische Untersuchung: zweiblättriges Speculum (1) nach Kristeller, selbsthaltende Entenschnabelspekula (2) nach Cusco, Vaginoskop (3), Stieltupfer (4).

2.2.2 Untersuchung von Abdomen und Regio inguinalis Alle Untersuchungsbefunde gut dokumentieren, ggf. Skizze, Ultraschallbilder usw.

2.2.2.1 Inspektion Zu achten ist bei der Inspektion des Bauches auf Symmetrie von Bauch und Becken, Beschaffenheit der Haut und den Bauchumfang (Zunahme?). 2.2.2.2 Palpation Mittels Palpation sollen Größe, Konsistenz, Schmerzhaftigkeit, Organzugehörigkeit und Oberflächenbeschaffenheit eines auffälligen Befundes erfasst und vom Normalbefund abgegrenzt werden. Der Arzt sollte sich vor der Palpation die schmerzende Region von der Frau zeigen lassen. Die Palpation erfolgt hin zum Punctum maximum.

Auch bei schlanken Frauen ist die exakte Zuordnung pathologischer Tastbefunde zu einem Organ oft schwierig; wann immer möglich, sollte eine ergänzende Vaginalsonographie durchgeführt werden, um auffällige Befunde zu verifizieren und/oder einen Normalbefund zu bestätigen.



2.2 Gynäkologische Untersuchung 

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Die Lymphknotenregionen sind – wenn zugänglich – ebenfalls zu palpieren. Dies kann wichtige Informationen über das eventuelle Vorliegen von entzündlichen oder venerischen Genitalerkrankungen, Malignomen im Genitalbereich sowie Systemerkrankungen liefern.

2.2.2.3 Perkussion Die Perkussion hat eine rückläufige klinische Bedeutung. Es findet sich z. B. gedämpfter Schall über Tumoren, einem verbackenen Omentum oder Aszites, tympanitischer Schall über Darmschlingen. 2.2.2.4 Auskultation Auskultiert wird über den vier Quadranten des Bauches. Dies hat vor allem eine Bedeutung bei der Ileusdiagnostik: beim paralytischen Ileus – abnehmende oder fehlende Darmgeräusche, beim mechanischen Ileus oder Subileus – hochstehende klingende Darmgeräusche.

2.2.3 Untersuchung der Vulva Dies betrifft Mons pubis, große und kleine Schamlippen, Klitoris und Damm, Vestibulum vaginae, Introitus vaginae, Urethralmündung und Hymen bzw. Carunculae hymenales. Zu beachten sind Kratzwunden (Hinweise auf Pruritus vulvae), Entzündungszeichen, Prellungen, Zeichen äußerer Gewalteinwirkung, Tumoren, Naevi u.a. Hautveränderungen, Narben (z. B. nach Episiotomie), Fehlbildungen. Hymen (auch Jungfernhäutchen): Man unterscheidet verschiedene Ausprägungsformen des Hymen, so z. B. das H.septus, imperforatus, anulare, kribriforme etc. Die Elastizität des Jungfernhäutchens ist sehr variabel. Radiäre Einrisse sprechen für stattgehabte Kohabitationen, Carunculae für Geburten. Bei der Einschätzung der Virginität (Jungfräulichkeit) sollte man sehr zurückhaltend sein.

2.2.4 Untersuchung der Vagina Voraussetzung für die Inspektion der Scheide ist die optimale Ausleuchtung und die richtige Handhabung der Spekula. Spekulumeinstellung: Zur Verfügung stehen zweiblättrige Spekula (eine Hilfsperson muss das vordere Blatt halten) oder die selbsthaltenden, sog. Entenschnabelspekula nach Cusco (bei Kolposkopie, Zytologie oder Biopsien besonders günstig, da der Arzt beide Hände frei hat).

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 2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung

Alle Abschnitte der Scheide müssen inspiziert werden. Geachtet wird auf Entzündungszeichen und auffälligen Fluor, Fehlbildungen und Stenosen, Ulzera und Tumoren, ggf. mit Hilfe des Kolposkops.

2.2.5 Untersuchung der Portio Hier erfolgt die Inspektion immer unter Zuhilfenahme des Kolposkops. Die Abstrichentnahme umfasst den sogenannten Zyto-Abstrich von Portio und Zervikalkanal (auch Pap.-Abstrich genannnt nach Papanikolaou), einen HPVAbstrich, ggf. bakteriologische Abstriche (Erreger und Resistenz) sowie den sog. Nativabstrich (Abb. 2.4).

Abb. 2.4: Abstrichentnahme. Abstrichabnahme aus dem Zervikalkanal mit einer Zyto-brush unter Verwendung eines selbsthaltenden Spekulums, Sagittalschnitt.

Bei Dysplasieverdacht wird ambulant eine Kolposkopie dirigierte Probeentnahme vorgenommen, die durch eine endozervikale Strichkürettage ergänzt wird.

2.2.6 Untersuchung des Corpus uteri Bei der Palpation des Uterus werden Größe, Lage, Konsistenz, Beweglichkeit und Schmerzhaftigkeit festgestellt und dokumentiert. Dies erfolgt bimanuell.



2.3 Untersuchung der Mammae 

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Abb. 2.5: Gynäkologische bimanuelle Unter­ suchung: Die Finger der inneren Hand liegen an der Portio bzw. im hinteren Scheidengewölbe, während die äußere Hand flach, mit sanftem Druck über der Symphyse den Fundus uteri in die Tiefe drückt. Die innere Hand dient als Widerlager. Sie schiebt bzw. hebt den Uterus der äußeren Hand sanft entgegen.

Wichtigste ergänzende Untersuchungsmethode ist die Vaginalsonographie.

2.2.7 Untersuchung der Adnexe Die Adnexuntersuchung (Palpation der Adnexe) wird möglichst von vaginal durchgeführt und kann durch eine rektale Untersuchung ergänzt werden. Es geht um die Lage, Größe, Konsistenz und Schmerzhaftigkeit der Adnexregionen. Auch hier ist die Vaginalsonographie eine wichtige Ergänzung. Adnexe: Unter dem Begriff „Adnexe“ werden klinisch die Eileiter, und die Eierstöcke verstanden. Der Begriff „Adnextumor“ macht keine Aussage über die Dignität des Befundes.

2.3 Untersuchung der Mammae Die Untersuchung erfolgt nach schematischer Unterteilung der Brust in vier Quadranten (Brustwarze, oben–innen, oben–außen, unten–innen, unten–außen) Beurteilt werden: Größe, Symmetrie, Hautveränderungen, Einziehungen, Vorwölbungen, Verfärbungen, Ulzerationen, suspekte Mamillensekretionen. Milchleiste: Bei der Inspektion der sog. Milchleiste achtet man auf rudimentäre Brustdrüsenkörper (Polymastie), rudimentäre Brustwarzen (Polythelie). Eine geringe Polymastie macht erst in graviditate größere Beschwerden (Sekretstau, Entzündung). Die Polythelie kann als „Warze“ fehlgedeutet werden.

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 2 Gynäkologische Anamnese und Untersuchung

2.3.1 Palpation der Brust Ziel der Untersuchung ist das Auffinden oder der Ausschluss von Mammatumoren. Jede Brustuntersuchung muss systematisch durchgeführt werden. Zunächst erfolgt die Palpation des oberen äußeren Quadranten. Palpiert wird dann im Uhrzeigersinn weiter – unterer äußerer, unterer innerer und schließlich oberer innerer Quadrant und dann die Brustwarze.

2.3.2 Palpation der Lymphabflusswege Die Palpation der Lymphabflusswege gehört zu jeder Untersuchung der weiblichen Brust. Sie umfasst beide Axillae sowie die infra- und supraklavikulären Gruben. Beurteilt werden Größe, Lage und Form, Konsistenz, Mobilität und Dolenz von tastbaren Lymphknoten, die auf ein malignes Geschehen hindeuten oder entzündungsbedingt vergrößert sein können.

Jens-Uwe Blohmer

3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie 3.1 Sonographie Die Sonographie ist die nicht-invasive diagnostische Standardmethode in der gynäkologischen Praxis. Gegenüber dem transabdominal-transvesikalen Ultraschall (einzusetzen z. B. bei Virgo intacta oder Scheidenstenose unterschiedlicher Ursachen), der eine gut gefüllte Harnblase erfordert, sollte die Vaginalsonographie bei leerer Blase erfolgen. Sie ermöglicht es, bis auf wenige Millimeter bis Zentimeter an die Organe des kleinen Beckens heranzukommen und deshalb mit hoch-auflösendem, hoch-frequentem Ultraschall arbeiten zu können (>5 MHz). Sonographie: Bildgebendes diagnostisches Verfahren, bei dem die Gewebedarstellung anhand des Echos von Ultraschallwellen im Frequenzbereich zwischen 1 und 18 Mhz erfolgt. Grundlage dafür ist, dass der Schall an Grenzflächen zwischen Geweben unterschiedlicher Dichte reflektiert und gebeugt und abhängig von der Gewebeart absorbiert wird. Transabdominal-transvesikaler Ultraschall: Bei gut gefüllter Harnblase können durch die Bauchdecke mittels eines Sektor- oder Linear-Ultraschallkopfes Uterus, Adnexe und Harnblase im kleinen Becken dargestellt werden. Bei leerer Blase ist zumeist der Darm „im Weg“, so dass es häufig aufgrund der schlechten Leitfähigkeit des Ultraschalls durch Luft im Darm nicht zur Darstellung verwertbarer Bilder kommt. Das Erreichen der nötigen Blasenfüllung ist zeitaufwendig und für viele Patientinnen unangenehm. Vaginalsonographie: Endosonographie, bei der ein entsprechend geformter Ultraschallkopf nach Beschichtung mit Ultraschallkontaktgel und Überziehen eines Medizinalkondoms in die Scheide eingeführt wird, so dass Uterus und Adnexe und auch die Harnblase aus nächster Nähe darstellbar werden. Es muss eine gründliche Desinfektion des Schallkopfes einschließlich des Handstücks und der Tastatur des Ultraschallgerätes nach der Untersuchung erfolgen.

Indikationen für die Vaginalsonographie sind beispielsweise: –– Unterbauchbeschwerden –– Tastbefund im Unterbauch –– Tumordiagnostik im kleinen Becken –– Lagekontrolle eines Intrauterinpessars –– Sterilitätsdiagnostik (z. B. PCO-Syndrom) –– Zyklusmonitoring (Ovulationszeitpunkt) –– Uterusfehlbildungen

https://doi.org/10.1515/9783110472356-007

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Die Farbdopplersonographie und 3D-Sonographie sind ergänzende Untersuchungsmethoden zur Differenzierung von sonographischen Herdbefunden im kleinen Becken, u.a. zur Differenzierung zwischen benignen und malignen Adnextumoren. Von der Einschätzung, ob es sich um einen benignen oder malignen Befund handelt, hängt das weitere klinische Vorgehen entscheidend ab: Während manche benigne Befunde belassen und im weiteren Verlauf (z. B. funktionelle Ovarialzysten) kontrolliert werden, bedürfen malignitätsverdächtige Befunde einer operativen Abklärung (Laparoskopie/Laparotomie).

3.1.1 Untersuchungsablauf –– Zunächst bimanuelle Palpation, um die Lage, Größe, Beweglichkeit, Schmerzhaftigkeit des Uterus, die Größe und Lage der Ovarien, eine mögliche Infiltration der Parametrien zu erfassen. –– Durchführung der Sonographie auf einer Untersuchungsliege oder dem gynäkologischen Stuhl: –– die mit einem medizinischen Kondom überzogene und mit Ultraschallgel beschichtete Vaginalsonde wird in die Scheide eingeführt und im vorderen oder hinteren Scheidengewölbe plaziert –– Darstellung des Uterus im Längs- und Querschnitt (Abb. 3.1) Die Größe des Uterus wird in zwei Ebenen mittels der Maße Länge, anterior-posteriorer Durchmesser und Breite erfasst (das Volumen des Uterus lässt sich errechnen).

(a)

(b)

Abb. 3.1: Vaginalsonograpischer Längsschnitt des Uterus [blau], links im Bild die Zervix, rechts der Uteruskorpus mit Endometrium [gelb] (stärker echogen als die Uterusmuskulatur). Im Bereich der Zervix lässt sich eine kleine irrelevante Retentionszyste der Zervix [rot] darstellen.

3.1 Sonographie 

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3.1.2 Darstellung des Uterus –– Myometrium –– Untersuchung des Endometriums: Hyperplasie? Polypen? Korpuskarzinom?; Dickenmessung von Myometriumgrenze zur Myometriumgrenze im Längsschnitt (= dieses international gebräuchliche Maß heißt doppelte Endometriumdicke (DED)) Praktische Bedeutung: –– Zyklusmonitoring: Rückschlüsse von Endometriumdicke auf den Hormon-Einfluss bzw. vica versa Zyklusmonitoring: Im Rahmen der Sterilitätsdiagnostik und -therapie ist es wichtig, festzustellen, in welcher Zyklusphase sich die Patientin befindet und ob die Ovulation unmittelbar bevorsteht oder bereits erfolgt ist. Dazu wird neben der Basaltemperaturmessung und Serumhormonbestimmungen auch die sonographische Beurteilung von Ovarien (Follikelwachstum) und Uterus (Endometriumbefund) herangezogen.

3.1.3 Darstellung der Ovarien Die Adnexbereiche müssen sonographisch immer vollständig untersucht werden, auch wenn die Adnexe angeblich entfernt wurden (Remnant Ovary). Die Ovarien lassen sich prämenopausal anhand der Follikel leicht erkennen; Messung in zwei Ebenen mittels dreier Maße (Länge, Breite, Dicke). Das Ovarialvolumen unterliegt zyklischen Schwankungen und ist unter der Einnahme hormonaler Kontrazeptiva verringert. Postmenopausal nimmt das Ovarialvolumen stark ab, außerdem fehlen die Follikel, so dass die Darstellung der Ovarien aufgrund der erschwerten Abgrenzung zum

Abb. 3.2: Vaginalsonographische Darstellung eines normalen Ovars prämenopausal mit kleinen Funktionszysten (Follikel).

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

umliegenden Darm häufig nicht gelingt, wenn die Ovarien normal groß und nicht zystisch verändert sind. Remnant Ovary: Hierbei handelt es sich um Ovarialrestgewebe, das bei einer Operation, die eigentlich die Entfernung des Ovars zum Ziele hatte, (versehentlich) verblieben ist. Solche zunächst kleinen Ovarreste können sich nach einigen Jahren so regenerieren, dass der Eindruck entsteht, vom betroffenen Ovar sei gar kein Gewebe entfernt worden.

3.1.4 Darstellung der Tuben Die Eileiter lassen sich lediglich am Isthmus tubae als zarte Strukturen darstellen und im weiteren Verlauf häufig nicht verfolgen, wenn sie nicht pathologisch verändert sind (z. B. Saktosalpinx). Die Darstellung gelingt allerdings mittels eines wasserlöslichen Ultraschallkontrastmittels. Damit kann man die Tubendurchgängigkeit sonographisch überprüfen (Hysterosalpingokontrastsonographie). Hysterosalpingokontrastsonographie: Es wird ein Kontrastmittel über einen Katheter ins Cavum uteri appliziert, so dass der Tubenverlauf sonographisch sichtbar wird. Es handelt sich dabei um den Zucker Galactose, der nach Aufschütteln durch kleinste Luftbläschen im Ultraschall ein starkes Echo hervorruft und damit die Tuben sonographisch sichtbar macht. Somit lässt sich, z. B. bei unerfülltem Kinderwunsch feststellen, ob die Tuben durchgängig sind. Kontraindikation: Galaktoseintoleranz; tritt mit einer Häufigkeit von 1:30.000 auf. Das Ultraschallkontrastmittel Echovist wird nicht mehr vertrieben, so dass alternativ physiologische Kochsalzlösung benutzt wird.

3.1.5 Häufige auffällige Befunde –– Uterus: Myome und Endometriumpolypen (Abb. 3.3) –– Ovarialzysten: im geschlechtsreifen Alter insbesondere die Funktionszysten (z. B. Corpus-luteum-Zyste) (Abb. 3.4) –– Zystische-solide Adnextumoren: Kystome und Dermoide (Abb. 3.5) Wichtig ist die Erkennung von malignitätsverdächtigen Ovarialzysten, weil diese unbedingt operativ abgeklärt werden müssen, im Frühstadium keine Symptome verursachen und damit häufig Zufallsbefunde sind. Verdächtig aber nicht beweisend für einen malignen Ovarialtumor sind Zysten bei prämenopausalen Frauen, die noch nach 3 Monaten nachweisbar sind, neue Zysten bei sicher postmenopausalen Frauen, Zysten mit Binnenstrukturen (polypös), freie Flüssigkeit neben Uterus und Ovarien und im Douglas. Differentialdiagnostisch müssen beim Verdacht auf eine Ovarialzyste zystische Befunde der Tube (Saktosalpinx) und Hydatiden sowie Parovarialzysten ausgeschlossen werden.

3.1 Sonographie 

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Abb. 3.3: Vaginalsonographie: Korpuspolyp, DD submuköses Myom.

Abb. 3.4: Vaginalsonographie: funktionelle Zyste.

Abb. 3.5: Vaginalsonographie: Dermoidzyste.

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

3.1.6 Mammasonographie Die Mammasonographie (Ultraschall-Untersuchung der Brust) wird heute vorwiegend als systematische Freihand-Untersuchung beider Brüste und beider Axillae durchgeführt. Der Schallkopf für diese Untersuchung ist ein Linearschallkopf und muss eine Sendefrequenz von mindestens 7 MHz haben (Ultraschallvereinbarung Kassenärztliche Vereinigung), optimal ist ein weites Spektrum von 7 bis 15 MHz. Die Brustdrüsen werden maänderförmig und lückenlos von parasternal bis über die hintere Axillarlinie hinaus und von der Clavicula bis unter die untere Umschlagfalte untersucht. Die Haut erscheint ventral als helles Band, das subkutane Fettgewebe ist echoarm, durchzogen von den echoreichen Cooper-Ligamenten, der bindegewebige Drüsenkörper ist echoreich mit echoarmen Parenchymanteilen (Drüsenläppchen und -lappen). Die darunter liegende Muskulatur zeigt auch sonographisch ein fein gestreiftes Bild. Die Axilla-Region muss mit untersucht werden, da sich hier der axilläre Ausläufer der Brustdrüse befindet, der sich mit der Mammographie kaum darstellen lässt. Außerdem lassen sich die Lymphknoten (Lk) gut sonographisch beurteilen: Unauffällige Lk haben eine sonographisch gut erkennbare erhaltene Mark-Rinden-Struktur (echoreiches Mark und echoarme Rinde, Abb. 3.6). In Involution stellt sich auch der Lk-Hilus echoarm dar, wird allerdings von einem echoreichen Ring abgegrenzt. Dieses monographische Bild erinnert dann an eine Schießscheibe (Target-Lk).

Abb. 3.6: Sonographisches Bild eines unauffälligen axillären Lymphknotens (Pfeil). Gut erkennbar ist die echoarme Rinde und das echoreiche Mark des Lymphknotens.

3.1 Sonographie 

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Die sonographischen Herdbefunde innerhalb des vorwiegend echoreichen (hellen) Brustdrüsengewebes stellen sich echoarm bis echoleer dar (dunkel). Typisches sonographisches Bild einer Zyste (Abb. 3.7): –– echoleer mit glatter Begrenzung –– längster Durchmesser parallel zur Haut (waagerechte Tumorachse) –– Auf Druck verändert sich die Form des Herdbefundes (Deformierbarkeit). –– Die Zyste infiltriert nicht die Cooper-Ligamente und die Begrenzung des Drüsenkörpers (Keine veränderte Architektur). –– Es zeigt sich eine dorsale Schallverstärkung (helleres Areal) dorsal der Zyste (Die Schallwellen werden kaum in der Zyste absorbiert im Gegensatz zum umgebenden Drüsengewebe. Deshalb erscheint das Gewebe dorsal der Zyste heller).

Abb. 3.7: Ultraschallbild einer Mammazyste.

Typisches sonographischs Bild eines Fibroadeoms (FA): Das Ultraschall-Bild des Fibroadenoms ähnelt dem der Zyste. Fibroadenome sind allerdings nicht deformierbar, zeigen mitunter zarte Binnenstrukturen und eine dorsale Schallabschwächung (Die Schallwellen werden im FA stärker absorbiert als in der Umgebung. Deshalb erscheint das Gewebe dorsal des FA dunkler).

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Typisches sonographisches Bild eines Mammakarzinoms (invasiv-duktal oder „of no special type“ [NST]), stromareich, nicht triple-negativ, (Abb. 3.8):

Abb. 3.8: Ultraschallbild eines stromareichen, invasiven Mammakarzinoms, NST, Hormonrezeptoren positiv, HER2/neu negativ. Die unregelmäßige Begrenzung ist gut zu erkennen.

Sonographisch lassen sich die Gewebsveränderungen durch die Infiltration des umgebenden Gewebes darstellen: –– echoarm mit unscharfer Begrenzung –– breiter Randwall (echoreich oder echoarm, abhängig vom Umgebungsgewebe) –– senkrechte Tumorachse (senkrecht zur Haut) –– Die Cooper-Ligamente und Begrenzungen des Drüsenkörpers sind durchbrochen (infiltriert). –– nicht deformierbarer (solider) Herdbefund Triple-negative Mammakarzinome (keine Hormon- und keine HER-Rezeptoren nachweisbar, hohe Wachstumsrate – hohes Ki67) sehen oft den Fibroadenomen ähnlich. Einige Indikationen für die Mamamsonographie: –– tastbare Herdbefunde der Mammae und Lymphknotenschwellungen –– Mammographische Herdbefunde –– Ultraschallgestützte Biopsien der Mammae und Lymphknoten –– Operationsplanung durch Bestimmung der Ausdehnung, Multifokalität, Multizentrizität, Infiltration von Haut und/oder Muskulatur, Lymphknotenmetas­tasen

3.2 Kolposkopie 

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–– Messung des Ansprechens des Mammakarzinoms auf eine neoadjuvante Chemotherapie –– Nachsorge nach Behandlung des Mammakarzinoms.

3.2 Kolposkopie Kolposkopie: Beurteilung der Vagina und der Ektozervix unter Auflicht bei 10–40-facher Vergrößerung.

3.2.1 Durchführung –– Einstellung der Portio mit (selbsthaltendem) Speculum. Zytologische Abstrichentnahme – immer vor der Kolposkopie und vor dem Abtupfen der Portio – von der Portio und getrennt endozervikal. Zum zytologischen Befund gehört immer der Nachweis endozervikaler Zellen. Wenn diese nicht nachgewiesen wurden – unbedingt wiederholen.

–– Entfernung von Fluor und Schleim (Abtupfen). „Nativ“-Betrachtung. –– Betupfen mit 1–3 %iger Essigsäure für etwa 30 s (bewirkt Ausfällung des Zervixschleims und ein Aufquellen des Zylinderepithels und von verhorntem Epithel – ähnlich der „Waschfrauenhände“). –– „Schiller’sche Jodprobe“, d. h. Betupfen mit Jodlösung (Abb. 3.9). –– Erneute Beurteilung der Portiooberfläche, ggf. gezielte Portio-Biopsie.

Abb. 3.9: Schiller’sche Jodprobe. (Kolpophotogramm links vor, rechts nach Jodprobe, Vergrößerung 6-fach) Zur Durchführung des Testes wird 3 %ige Jodlösung (Lugol’sche Lösung) aufgetragen. Dadurch werden glykogenhaltige Zellen, z. B. normales nicht verhornendes Plattenepithel, dunkelbraun bis schwarz gefärbt. Atypisches Epithel, aber auch normales Zylinderepithel und metaplastisches Epithel enthalten wenig oder kein Glykogen und färben sich daher nur wenig (gelb) oder gar nicht (jod-negativ) an.

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Kolposkopie und zytologischer Abstrich bei jeder Krebsfrüherkennungsuntersuchung!

Abb. 3.10: Invasives Zervixkarzinom (Läsion ist erhaben, irregulär, vulnerabel und enthält atypische Gefäße).

Schiller’sche Jodprobe: Jod bewirkt eine dunkelbraune Verfärbung des normalen glykogenhaltigen Plattenepithels. Glykogenarmes oder glykogenloses Epithel – wie z. B. bei prämalignen oder malignen Prozessen – färbt sich hellbraun oder weiß, d. h. es ist „jodnegativ“.

3.2.2 Befunde 2011 wurde eine neue Kolposkopie-Nomenklatur von der IFCPC (International Federation for Cervical Pathology and Colposcopy) eingeführt und sollte auch in Deutschland eingesetzt werden. Die unten genannten Kolposkopie-Befunde (Tab. 3.1) sind beschreibende: –– Normalbefunde –– Plattenepithel (Abb. 3.11) –– Zylinderepithel –– Transformationszone

Abb. 3.11: Kolpofotogramm einer 50-jährigen Frau. Die gesamte Portio ist von Plattenepithel bedeckt. Der Übergang zum Zylinderepithel ist nicht mehr einsehbar.

3.2 Kolposkopie 

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–– Abnorme Befunde –– Punktierung: scharf begrenzter Bezirk mit punktförmigen Kapillaren (Abb. 3.12) –– Mosaik: scharf begrenztes Portioareal, das durch blockartiges Wachstum atypischer Epithelien entsteht. Die ausgesparten schmalen Streifen des normalen Epithels begrenzen kleine rhombische oder quadratische Flächen, die zusammen ein Mosaik bilden (Abb. 3.13, 3.14). –– Leukoplakie: Hyperkeratosen oder Parakeratosen, die auf der Portio mehr oder weniger scharf begrenzte weißliche Flecken verschiedener Größe und Form bilden. Grobe, sich über das Epithelniveau erhebende Leukoplakien sind verdächtig und biopsiebedürftig (Abb. 3.15), –– Gefäßatypien: abgebrochene, d. h. abrupt endende Gefäße, Haarnadelkapillaren und Korkenzieherkapillaren, –– Gefäßkaliberschwankungen, unregelmäßige interkapilläre Abstände. In der Umgebung von Punktierungen, Mosaiken oder Leukoplakien sind sie abklärungsbedürftig. –– Tiefe Epitheldefekte entsprechen Ulcera, flache Defekte Erosionen. Beide sind biopsiebedürftig. Nicht eindeutige Befunde entstehen dadurch, dass die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze nicht sichtbar ist. –– Weitere Befunde –– Entzündungen –– Atrophien –– Kondylome –– Papillome

(a)

(b)

Abb. 3.12: Portioareal mit Punktierung a) vor und b) nach Essigsäure-Applikation.

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Tab. 3.1: Kolposkopische Nomenklatur der Cervix uteri (IFCPC 2011). Grundsätzliches

–– adäquat/inadäquat: Begründung: z. B.: Entzündung, Blutung, Narben –– Zylinder-Plattenepithel-Grenze (ZPG): vollständig/teilweise/nicht einsehbar –– Transformationszone (TZ; Typ 1, 2, 3)

Normale Befunde

Originäres Plattenepithel –– reif –– atroph Zylinderepithel –– Ektopie Metaplastisches Plattenepithel –– Ovula Nabothi –– Drüsenausführungsgänge Deziduose in der Schwangerschaft

Abnorme Befunde

Grundsätzliches

Lokalisation der Läsion: –– innerhalb oder außerhalb der TZ Größe der Läsion: –– Anzahl der betroffenen Quadranten –– Prozent der Zervix

Grad 1 „minor changes“

–– zartes essigweißes Epithel –– zartes Mosaik, zarte Punktierung

Grad 2 „major changes“

–– –– –– –– –– ––

nicht spezifisch

–– Leukoplakie (Keratose, Hyperkeratose) –– Erosion –– Lugol’sche Probe (Schiller-Test)

intensiv essigweißes Epithel grobes Mosaik, grobe Punktierung prominente Drüsenausführungsgänge scharfe Grenzen „inner border sign“, „ridge sign“ rasche Essigsäurewirkung

Verdacht auf Invasion

–– Atypische Gefäße –– Zusätzliche Befunde: auf Berührung blutende Gefäße, unregelmäßige Oberfläche, exophytische Läsion, Nekrose, Ulkus, Tumor

Verschiedene Befunde

–– kongenitale Transformationszone (KTZ), kongenitale Anomalie –– Kondylome (Papillome) –– Endometriose –– Polypen (ektozervikal, endozervikal) –– Entzündung –– Stenose –– postoperative Veränderung (vernarbte Portio, „Scheidenblindsack“)



3.3 Zytologischer Abstrich 

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Abb. 3.13: Mosaik auf der Portiooberfläche vor Essigsäure-Applikation.

Abb. 3.14: Mosaik nach Essigsäure-Applikation.

Abb. 3.15: Multifokale wachsartige Leukoplakie innerhalb der Transformationszone (ohne Essigsäure).

3.3 Zytologischer Abstrich Zytodiagnostik: Herstellen gefärbter Ausstriche und mikroskopische Untersuchung der von Oberflächen abgelösten Zellen (sog. Exfoliativzytologie), die durch direkte Abstrichentnahme von der Schleimhautoberfläche (ekto- und endozervikal) gewonnen werden.

Die Zervixzytologie ist neben der Kolposkopie der wichtigste Bestandteil der Früherkennung des Zervixkarzinoms und wird (zunehmend) durch die HPV-Bestimmung (-Typisierung) aus dem Zervixabstrich ergänzt. Außerdem ist eine Beurteilung vaginaler Epithelien in Bezug auf Zyklusgeschehen, Ovulation (Abb. 3.16) und ovarielle Hormonbildung möglich (Hormonzytologie).

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 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Abb. 3.16: Typisches Zellbild eines zytologischen Abstrichs von der Portio in der Ovulationsphase (Geschlechtsreife).

Mikroskopische Untersuchung: Beurteilung von Epithelzellen in Bezug auf ihre Kern/PlasmaRelation, Veränderungen des Zellkerns (Färbeintensität, Struktur des Chromatins fein oder grob), der Zellform, der Zell-Lagerung, des Hintergrundes (sauber, Erythrozyten, Leukozyten, Nekrosematerial, physiologische und pathogene Bakterien, Pilze).

3.3.1 Abstrichtechnik Einstellen der Portio, Abstreichen der Portiooberfläche mit einem Spatel oder einer Bürste (Cytobrush), anschließend Abstrich aus dem Zervikalkanal (Cytobrush). Watteträger sind obsolet. Ihre Oberfläche ist zu glatt, um ausreichend Zellen zu gewinnen. Diese werden dazu noch von der Watte aufgesaugt und gelangen so nicht auf den Objektträger. Nach der Abstrichentnahme jeweils Auftragen der Zellen auf einen beschrifteten Objektträger und sofortige Fixierung (96 %ige Alkohollösung oder Fixierspray). Die Färbung der Abstriche erfolgt modifiziert nach Papanicolaou. Diese Alkoholbasierte Färbung gelingt nur am sofort in Alkohol fixiertem Abstrich. Luftgetrocknete Zellen werden nicht mit der Färbung nach Papanicolaou angefärbt. Eine H/E-Färbung ist nach Lufttrocknung möglich. Seit 2013 gilt in Deutschland zur Klassifizierung zytologischer Abstriche die Münchner Nomenklatur III (Tab. 3.2). Tab. 3.2: Münchner Nomenklatur III. Bei der Beurteilung muss berücksichtigt werden, dass das Zellbild sich z. B. bei Entzündungen, nach Radio- oder Chemotherapie und nach chirurgischen Eingriffen ändern kann. Pap (Gruppe)

Zytopathologischer Befund

Konsequenz (Empfehlung)

Korrelat in BethesdaKlassifikation

0

unzureichendes Material (Zell­abstrich unbrauchbar)

Abstrichwiederholung

unzureichend für Bewertung



3.3 Zytologischer Abstrich 

 41

Pap (Gruppe)

Zytopathologischer Befund

Konsequenz (Empfehlung)

Korrelat in BethesdaKlassifikation

I

unauffällig und unver­ dächtig

Abstrichkontrolle im Vorsorgeintervall im Rahmen der Krebsfrüherkennungsu­ntersuchung

NILM

II-a

unauffällig bei auffälliger Anamnese [1]

ggf. Abstrichkontrolle wegen auffälliger Anamnese [1]

NILM

II

mit ein­ge­schränkt pro­tektivem Wert

II-p

Plattenepithel mit Kernveränd­erung geringer als bei CIN I, auch mit koilozytärem Zytoplasma/Parakeratose

ggf. Abstrich­kontrolle unter Berücks­ichtigung von Anamnese und klinischem Befund (evtl. nach Entzündungst­herapie, hormoneller Aufhellung; ggf. additive Verfahren, Kolposkopie)

ASC-US

II-g

zervikale Drüsenzellen mit (über reaktive Veränderung hi­nausgehenden) Anomalien

ggf. Abstrichkontrolle unter Berück­ s­ichtigung von Anamnese und klinischem Befund (evtl. nach Entzündungstherapie; ggf. additive Verfahren, Kolposkopie)

AGC en­do­ zervikal nicht näher spezifiziert

II-e

Endometriumzellen in zweiter Zyklushälfte bei > 40. Lebens­jahr

klinische Kontrolle unter Berück­s­ichtigung von Anamnese und klinischem Befund

Endometrium­ zellen

III

un­klar bzw. zweifel­haft

III-p

CIN II, CIN III, Platte­n­ epithelkarzinom nicht ausge­schlossen

Differentialkolposkopie, ggf. additive ASC-H Verfahren, evtl. kurzfristig zytopathologische Kontrolle nach Entzündungs-­ t­herapie, hormoneller Aufhellung

III-g

ausgeprägte Drüsenepithelat­ypien; Adenocarcinoma in situ, invasives Adenokarzinom nicht ausgeschlossen

Differentialkolposkopie, ggf. additive Verfahren

AGC endozervikal (favor) neoplastisch

III-e

abnorme Endometrium­ zellen (insbesondere post­menopausal)

weiter­führende klinische Diagnostik, ggf. mit Histopathologie

AGC endometrial

III-x

zweifelhafte Drüsenzellen un­gewissen Ursprungs

weiterführende Diagnostik (z. B. fraktionierte Kürettage, ggf. additive Verfahren, Differentialkolposkopie)

AGC (favor) neoplastisch

III D

Dysplasie mit größerer Regressionsneigung

III D1

leichte Dysplasie (CIN I)

Kontrolle in 6 Monaten; bei Persistenz > 1 Jahr Differentialkolposkopie, ggf. additive Verfahren

LSIL

42 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Tab. 3.2: (fortgesetzt) Pap (Gruppe)

Zytopathologischer Befund

Konsequenz (Empfehlung)

Korrelat in BethesdaKlassifikation

III D2

mäßige Dysplasie (CIN II)

Kontrolle in 3 Monaten; bei Persistenz > 6 Monate Differentialkolposkopie, ggf. additive Verfahren

HSIL

IV

unmittelbares Zervixkarzinom-Vorstadium → Differentialkolposkopie und Therapie

IV a-p

schwere Dysplasie (CIN III)

HSIL

IV a-g

Adenocarcinoma in situ

AIS

IV b-p

wie CIN III, Invasion nicht aus­geschlossen

HSIL mit Verdacht auf Invasion

IV b-g

wie Adenocarcinoma in situ, Invasion nicht ausgeschlossen

AIS mit Verdacht auf Invasion

V

Malignom → weiterführende Diagnostik mit Histopathologie und Therapie

V-p

Plattenepithelkarzinom

Plattenepithelkarzinom

V-g

endozervikales Adeno­karzinom

endozervikales Adenokarzinom

V-e

endometriales Adeno­karzinom

endometriales Adenokarzinom

V-x

anderes Malignom (einschließlich unklaren Ursprungs)

andere (invasive) maligne Neubildung

AGC: atypical glandular cells (aty­pische Drüsenzellen) AIS: Adeno­carcinoma in situ ASC-H: atypical squamous cells of un­de­termined si­gni­ficance can­not exclude HSIL (aty­pische Platte­ nepithel­zellen unklarer Bedeutung und nicht aus­ge­schlos­se­ne höherg­radige in­traepitheliale Läs­ion) ASC-US: atypical squamous cells of un­de­termined si­gni­ficance (aty­pische Platte­nepithel­zellen unklarer Bedeutung) CIN: (c)zervikale in­traepitheliale Neoplasie HSIL: high grade squamous in­traepitheli­al le­si­on (höherg­radige in­traepitheliale Läs­ion) LSIL: low grade squamous in­traepitheli­al le­si­on (ge­ring­gradige in­traepitheliale Läs­ion) NILM: negative for in­traepitheli­al le­si­on or ma­li­g­nan­cy (kein Anhalt für in­traepitheliale Läs­ion oder Malignität) [1] Zytopathologie, Histopathologie, Kolpo­skopie, Klinik



3.4 Probeexzision von der Portio 

 43

Ursachen einer fehlerhaften oder mangelhaften Beurteilung des Abstriches: –– zu wenig Zellmaterial, –– unzureichende Alkohol-Fixierung, –– schwere degenerative Zellveränderungen, –– starke Entzündung, –– sehr blutiger Abstrich, –– starke Zellüberlagerung, –– keine endozervikalen Zellen, –– Fehler beim beurteilenden Zytologen. Wissenschaftlich untersucht und bewiesen ist, dass 2/3 der Zytologieversager zu Lasten des Abstriches (falsche Abnahme, Fixierung usw.) und nur 1/3 zu Lasten des Zytologen gehen.

3.4 Probeexzision von der Portio Indikation: Durchführung bei suspektem kolposkopischem oder zytologischem Befund zur histologischen Sicherung Durchführung: Einstellen der Portio, Kolposkopie, Schiller’sche Jodprobe, Entnahme von Gewebe aus dem suspekten Areal (zentral und am Rand zum normalen Gewebe) mittels einer Biopsiezange, Fixierung in Formalin; Durchführung ambulant, Anästhesie nicht nötig. Histol.: Histologische Einteilung der zervikalen intraepithelialen Neoplasien erfolgt in drei Graden (CIN I–III): Die Notwendigkeit einer weiteren Therapie hängt von der Schwere der dysplastischen Veränderung ab (Abb. 3.17).

Abb. 3.17: Histologisches Bild einer CIN III. Auf der rechten Seite des Feldes markieren sich Kernvergrößerungen mit Verklumpungen und einem Riesenkern. Die Reifung ist links besser. Einige mehr oberflächliche Zellen zeigen koilozytische Veränderungen.

44 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

CIN I–III: –– CIN I: Gute Reifung, Kernabnormalitäten sind in einem minimalen Grad vorhanden. Diese sind auf tiefere Lagen des Epithels beschränkt, nur einige erreichen die Oberfläche (wäre dies nicht so, wäre eine zytologische Erfassung des CIN I nicht möglich). Mitosen sind vorhanden, jedoch nicht zahlreich, und zeigen keine abnormen Konfigurationen. –– CIN II: Eine Reifung ist in der oberen Hälfte des Epithels vorhanden, wieder mit einigen die Oberfläche erreichenden Kernatypien. Kernabnormalitäten sind hervorstechender und reichen höher in das Epithel als bei CIN I. Abnorme Mitosen sind zu sehen und können in der gesamten basalen Hälfte des Epithels vorhanden sein. –– CIN III: Differenzierung und Stratifikation können vollständig fehlen oder nur im obersten Drittel des Epithels vorhanden sein. Kernabnormalitäten können sich durch die gesamte Dicke des Epithels erstrecken und sind hervorstechender als in CIN I und II. Mitosen sind zahlreich und abnorme Formen häufig.

3.5 Konisation Konisation: Entfernung eines Gewebskegels aus der Zervix zur histologischen Untersuchung. Die Konisation ist nach vorangegangener Biopsie eine therapeutische Methode. In seltenen Fällen kann sie diagnostisch sein, wenn die histologischen Befunde der Biopsien nicht mit den zytologischen und kolposkopischen korrelieren.

Indikation –– Zytoabstrichergebnis IVa,b oder V bei negativem Biopsieergebnis (fehlende Korrelation Zytologie und Biopsie) –– CIN III bei Portiobiopsie und/oder Zervixkürettage –– Frühinvasion (pT1a) ohne Lymphgefäßeinbruch bei noch bestehendem Kinderwunsch Durchführung Siehe (Abb. 3.18) Vorgehen nach Erhalt des histologischen Befundes –– CIN II/III nicht im Gesunden entfernt, ektozervikaler Restbefund: Kolposkopie/ Zytologie alle 3 Monate, HPV-Test –– endozervikaler Restbefund: Zervixabrasio –– wenn positiv: Rekonisation, ggf. Hysterektomie –– frühinvasives Karzinom – Stadium Ia1: Konisation im Gesunden ausreichend –– Stadium Ia2 und Kinderwunsch: Konisation und pelvine Lymphadenektomie (laparoskopisch) –– Ia1/Ia2 ohne Kinderwunsch: Hysterektomie und pelvine Lymphonodektomie (Laparoskopisch)

3.5 Konisation 

 45

Abb. 3.18: Schematische Darstellung der Konisation. Es wird ein Gewebskegel aus der Zervix gewonnen. Je nach histologischem Befund ist die Konisation eine diagnostische aber auch eine therapeutische Methode.

Kontraindikation: (klinisches) Zervixkarzinom Komplikationen –– früh: Blutungen, Infektionen –– spät: Zervixstenose oder -insuffizienz Durchführung: Desinfektion, Palpation, Einstellung der Portio, Anhaken der Portio seitlich bei 3 und 9 Uhr, Infiltration der Portio mit verdünnter Suprarenin-Lösung, die durch vasokonstiktorischen Effekt auch die Eingriffsdurchführung/Übersichtlichkeit verbessert, Schillersche Jodprobe, Schneiden eines Gewebskegels mit der Elektroschlinge oder dem CO2-Laser unter kolposkopischer Sicht, wobei die Basis den jodnegativen Bezirk im Ganzen umfassen soll. Die Spitze soll nicht an den inneren Muttermund heranreichen, bei älteren Frauen jedoch auf jeden Fall 50 % des Zervikalkanals entfernen. Nach Markierung des Kegels mit einem Faden für die Orientierung des Pathologen Koagulation des Kegelkraters, Östrogentamponade. Vorgehen nach Erhalt des histologischen Befundes: Ist abhängig vom Grad der dysplastischen bzw. karzinomatösen Veränderung und ob eine Entfernung im Gesunden erfolgt ist (siehe entsprechendes Kapitel dieses Buches).

46 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

3.6 Large Loop Excision of the Transformation Zone (LLETZ) LLETZ: Bei der loop excision wird mit Hilfe einer Niedrigstrom-Hochfrequenz-Schlinge das kolposkopisch vollständig einsehbare suspekte Ektozervixareal bzw. die gesamte Transformationszone unter kolposkopischer Sicht reseziert. Alternative zur Konisation, da breiterer Konus besonders in der Tiefe.

Vorteile: in Lokalanästhesie, konstengünstig und ambulant durchführbar. Komplikationen: Blutungen, Infektion (selten); Spätfolgen wie bei einer Konisation.

3.7 Hysteroskopie Diagnostisch und therapeutisch einsetzbar.

3.7.1 Durchführung Desinfektion, Entleerung der Blase mit Katheter, Palpation des inneren Genitale, Anhaken der Portio, Dilatation der Cervix mit Hegarstiften, Eingehen mit dem Hysteroskop unter druckgesteuerter CO2-Insufflation oder Einspülung von physiologischer Kochsalz- oder Glucoselösung, Inspektion bzw. Durchführung der operativen Maßnahmen.

3.7.2 Diagnostische Indikation –– Postmenopausale oder klimakterische Blutungen mit Beurteilung suspekter Endometriumbefunde zur gezielten Kürettage –– Endometrium- und Plazentapolypen –– Endometriumhyperplasie –– Submuköse Myome zur exakten Lagebestimmung –– Sterilitätsdiagnostik (in Kombination mit der Pelviskopie) –– Lost-IUD



3.7 Hysteroskopie  

 47

Diagnostische Indikation: Endoskopische Beurteilung der Zervix, des Cavum uteri, des Endometriums, der Tubenostien. Diagnostische Hysteroskopie ohne Vollnarkose, ggf. in Parazervikalblockade ambulant durchführbar, als sogenannte Office-Hysteroskopie auch ohne lokale Anästhesie mit sehr schmalen Instrumenten. Sterilitätsdiagnostik: Beurteilung der Zervix auf Stenosen und Zervizitis, bei wiederholten Aborten auf Einrisse des inneren Muttermundes und Unebenheiten. Beurteilung des Cavum uteri auf Uterusfehlbildungen, Septen, submuköse Myome, intrauterine Adhäsionen, Endometriumpolypen und -hyperplasien. Beurteilung der Tubenostien auf Stenosierungen, Polypen, Fibrosen.

3.7.3 Therapeutische Indikationen –– –– –– –– ––

Septen und Synechien: Durchtrennung und Resektion Submuköse Myome: Resektion unter hysteroskopischer Sicht Endometrium- und Plazentapolypen: Resektion unter hysteroskopischer Sicht „Verlorene“ Intrauterinpessare: Auffinden und Entfernen Endometriumablation bei Blutungsstörungen und Wunsch des Uteruserhalts

Therapeutische Indikation: Operative und resezierende Eingriffe im Cavum uteri unter Sicht mittels eines Operationshysteroskops oder eines Resektoskops sowie elektrochirurgischem bzw. lasertechnischem Instrumentarium. Durchführung mit nichtleitender Dextranlösung bei monopolaren Hochfrequenz-Instrumenten (dann Messung eingebrachter und auslaufender Flüssigkeitsmenge zur Vermeidung von Überwässerung und Elektrolytimbalancen) oder mit bipolaren HochfrequenzInstrumenten (weiter mit der physiologischen Kochsalzlösung). Endometriumablation: Elektrochirurgische Abtragung des Endometriums mittels einer Schlinge oder eines Rollerballs bzw. lasertechnische Verödung des Endometriums.

–– Stenosierte Tubenostien: Dilatation und transuterine Sondierung –– Transuterine Sterilisation (wird wegen hoher Versagerquoten kaum noch durchgeführt)

3.7.4 Komplikationen –– –– –– –– –– –– ––

Zervixläsion Uterusperforation Infektion Nachblutung Gasembolie (bei volumen- und druckgesteuerter Insufflation sehr selten) Überwässerungssyndrom (lebensgefährliche Elektrolyt-Imbalance) Allergie auf Dextranlösung

48 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

3.8 Kürettage Die Kürettage ist einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe. Die Zervix-KorpusKürettage des Uterus, auch fraktionierte Kürettage oder Abrasio, wird von der Abortkürettage unterschieden.

3.8.1 Fraktionierte Kürettage Die fraktionierte Kürettage dient diagnostischen und therapeutischen Zwecken. Diagnostisch geht es bei Blutungsstörungen, insbesondere postmenopausalen Blutungen, um den Ausschluss oder die Sicherung eines Endometriumkarzinoms oder auch Zervixkarzinoms. Therapeutisch lassen sich durch die Kürettage Polypen oder hyperplastische Schleimhautanteile, die Blutungsstörungen verursachen können, entfernen. Fraktionierte Kürettage: Mittels scharfer, löffelartiger Instrumente (Küretten) wird zunächst Schleimhaut aus dem Zervikalkanal des Uterus gewonnen. Dann erfolgt die Dilatation des Zervikalkanal mit Hegarstiften und die anschließende Gewinnung von Korpusschleimhaut mittels einer etwas größeren Kürette. Die Kürettage kann in Kurznarkose (Dauer meist weniger als 5 min) oder in Lokalanästhesie (Parazervikalblockade) durchgeführt werden.

Die getrennte Ausschabung von Cervix und Corpus uteri ist erforderlich, um im Falle eines Endometriumkarzinoms oder Zervixkarzinoms Stadium I und Stadium II unterscheiden zu können.

3.8.2 Abortkürettage Die Abortkürettage dient der Entfernung von Schwangerschaftsgewebe bei gestörter Frühgravidität. Sie erfolgt entweder mittels Saugkürettage oder mit einer stumpfen Kürette. Das medizinische Vorgehen unterscheidet sich nicht von der Technik des Schwangerschaftsabbruches. Wenn der Gebärmutterhals fest verschlossen und derb ist (z. B. missed abortion oder Abruptio bei Patientinnen ohne vorausgegangene Schwangerschaften), sollten vor der Kürettage lokale Prostaglandine appliziert werden.

3.8 Kürettage 

 49

Abortkürettage: Entleerung des schwangeren Uterus bei nicht intakter Frühgravidität. Wenn die Fehlgeburt bereits spontan begonnen hat (Abortus incipiens oder incompletus), wird der Zervikalkanal entsprechend der Schwangerschaftswoche (8. SSW bis Hegar Nr. 8, 10. SSW bis Hegar Nr. 10) dilatiert und dann mittels einer Saugkürette oder einer stumpfen Kürette das Schwangerschaftsmaterial entfernt. Nach einer Saugkürettage kann mit einer stumpfen (!, damit die in der Schwangerschaft besonders empfindliche Basalschicht des Endometriums nicht geschädigt wird, sonst drohen Synechien oder gar eine uterine Amenorrhö – Asherman-Syndrom) Kürette das restliche verbliebene Gewebe aus dem Uterus entfernt werden. Lokale Prostaglandine: Durch Auflockerung des straffen Gewebes der Cervix uteri wird das Verletzungsrisiko durch die Dilatation gesenkt. Die Kürettage ist ein Routineeingriff, dennoch kann es im Einzelfall auch zu schweren Komplikationen kommen:

–– Blutung –– aufsteigende Infektion –– Perforation der Uteruswand mit möglicher Verletzung des dahinter liegenden Darmes –– Asherman-Syndrom Blutungen: Blutungen aus dem Uterus, insbesondere nach Abort bei mangelhafter Uteruskontraktion. Aufsteigende Infektion: Möglich sind Endomyometritis, Adnexitis mit Uterussynechien und Tubenverschluss als Spätfolge. Perforation: Durchstoßung der Uteruswand, teilweise mit Verletzung von Blutgefäßen des Uterus oder der Verletzung von Bauchorganen. Die Perforation der Uteruswand mit der Uterussonde, der Kürette oder Hegarstiften ist zwar eine seltene (1:300), aber für den Eingriff typische Komplikation der Kürettage. Bei Verwendung sehr kleiner Küretten zur Kürettage des Corpus uteri ist die Perforationsgefahr erhöht und bei kleinen, atrophischen Uteri. Die Uterusperforation mit der Sonde bleibt zumeist folgenlos, bei der Perforation mit der Kürette kann es jedoch, insbesondere wenn die Perforation nicht bemerkt wird, zur Verletzung von Bauchorganen (Darm!) kommen, die innerhalb von 3–5 Tagen zu einer lebensbedrohlichen Peritonitis führen kann. Auch sind lebensbedrohliche intraabdominale Blutungen nach Perforation beschrieben worden. Deshalb sollte nach einer Perforation immer eine diagnostische Laparoskopie zur Erkennung intraabdominaler Verletzungen durchgeführt werden. Asherman-Syndrom: Eine sehr seltene Spätkomplikation ist das Asherman-Syndrom: Partielle oder totale Verklebung des Cavum uteri durch Bildung bindegewebiger Narbenzüge zwischen der Vorder- und Hinterwand des Uterus nach Zerstörung der Basalschicht des Endometriums. Es resultiert eine uterine Amenorrhö.

50 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

3.9 Gynäkologische Laparoskopie (Syn.: Pelviskopie) Laparoskopie: sog. Bauchspiegelung; d. h., Inspektion der Bauchhöhle mit einem Endoskop.

Der Einsatz der Methode ist an eine entsprechende instrumentelle Ausstattung und erfahrene Operateure gebunden. Die gynäkologische Laparoskopie kann sowohl diagnostisch als auch therapeutisch durchgeführt werden, beides zunehmend ambulant (Tagesklinik). Größere Eingriffe sollten jedoch weiterhin in jedem Fall stationär erfolgen, da die Risiken im Prinzip die gleichen wie bei Laparotomien sind. Pelviskopie: Endoskopische Betrachtung des kleinen Beckens.

3.9.1 Durchführung –– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

Katheterisieren (ggf. Dauerkatheter) der Harnblase nach Desinfektion der Urethra Palpation des inneren Genitale Desinfektion der Bauchdecke Eingehen mit der Veress-Nadel in die Nabelgrube Sicherheitstests (Ausschluss Perforation von Darm oder Blutgefäßen) Insufflation von CO2 unter Kontrolle des intraabdominalen Druckes Inzision am Nabelunterrand Eingehen mit dem Trokar, ggf. unter Sicht Rundumblick im Abdomen Einführen von weiteren Trokaren für die Instrumente (sog. Arbeitstrokare) unter Sichtkontrolle in den Unterbauch –– Durchführung des eigentlichen Eingriffs bzw. der diagnostischen Maßnahme(n)

3.9.2 Diagnostische Laparoskopie/Pelviskopie Sterilitätsdiagnostik: (heutzutage meist im Zusammenhang mit einer Hysteroskopie durchgeführt), immer mit Chromopertubation Diagnostik von genitalen Fehlbildungen: insbesondere sicherste Diagnose des Mayer-Rokitansky-Küster-Syndroms. Diagnosesicherung bei Extrauteringravidität: (wenn sonographisch nicht eindeutig auszuschließen). Nicht zu früh durchführen, da je nach Sitz der Gravidität eine zu kleine Schwangerschaft auch endoskopisch übersehen werden kann.



3.9 Gynäkologische Laparoskopie  

 51

Sterilitätsdiagnostik: Beurteilung des Uterus (Größe, Form, Mobilität), der Ovarien (Größe, Form, Mobilität, Oberflächenbeschaffenheit, Funktionszeichen, PCO), der Tuben (Länge, Verlauf, Wandbeschaffenheit, Beweglichkeit), der Fimbrientrichter (seeanemonenförmig-plump, zart-ödematös, offen-verschlossen), des gesamten kleinen Beckens (Ligamenta sacrouterinae, die retroovarielle Beckenwand, das Blasendach) zum Ausschluss einer Endometriose. Chromopertubation: Nach Legen eines Portioadapters nach Semm oder Schultz oder eines intrauterinen Katheters erfolgt die Instillation einer Blaulösung und intraabdominelle Beobachtung des Blauaustrittes durch die Tuben.

3.9.3 Diagnostik bei chronisch-rezidivierenden Unterbauchschmerzen Endoskopische Beurteilung des Abdomens zu Klärung der Ursache oder Erhärtung eines Verdachtes auf psychosomatische Ursachen. Diagnosesicherung –– bei akuter Schmerzsymptomatik: Ausschluss einer Adnextorsion oder z. B. Erkennen einer Zystenruptur. –– Raumforderungen im kleinen Becken: (am häufigsten Ovarialprozesse). Kann in der Vordiagnostik – Palpation, Ultraschall (ggf. auch MRT), ggf. Tumormarker – keine eindeutige Dignitätszuordnung erfolgen, sollte einer Laparotomie eine Laparoskopie vorangestellt werden. Chronisch-rezidivierende Unterbauchschmerzen: Länger als 3 Monate anhaltende oder immer wiederkehrende Schmerzen im Unterbauch. Ursachen: Adhäsionen, Entzündungen oder postentzündliche Veränderungen, Endometriose, psychosomatische Ursachen.

3.9.4 Operative Laparoskopie/Pelviskopie Sterilisation: Durchführung einfach und relativ atraumatisch. Sterilitätstherapie: –– Chirurgische Sanierung von Endometrioseherden oder -folgezuständen (Zystenenukleation, Adhäsiolyse, Koagulation und Resektion von Endometrioseherden) (Abb. 3.19, Abb. 3.20) –– Salpingostomien mit Evertierung der Ränder bei Saktosalpingen –– Salpingoneostomien nach vorangegangenen Fimbriektomien (Erfolgsrate bei mikrochirurgischem Vorgehen höher) –– Adhäsiolyse mit Mobilisierung der Tuben und Ovarien (gute Erfolge durch Vermeidung erneuter Adhäsionen) –– Tubotomie oder Tubektomie bei Tubargravidität oder Tubarruptur

52 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

Endometriose: Versprengte und implantierte Endometrioseherde im kleinen Becken (insbesondere Ligamenta sacrouterina, retroovarielle Beckenwand, Blasendach) sowie im gesamten Abdomen. Häufige Ursache für chronische Schmerzen und Sterilität.

1

6

3 (a)

(b)

4

2

5

7

Abb. 3.19: (a) Laparoskopischer Situs des kleinen Beckens. (b) Man erkennt Uterus [1] und beide Adnexe. Das linke Ovar [3] wird durch eine Zyste stark vergrößert. 1 Uterus, 2 rechtes Ovar, 3 linkes Ovar mit Zyste, 4 linke Tuba uterina, 5 rechte Tuba uterina, 6 Ligamentum rotundum rechts, 7 Dünndarmschlinge.

2 1

3

(a)

(b)

4

Abb. 3.20: (a) Laparoskopischer Situs des kleinen Beckens. Beim Anheben der linken Adnexe kommt es zur Zystenruptur und es entleert sich schokoladenartiger Zysteninhalt. (b) 1 linkes Ovar mit Zyste, 2 Uterus, 3 rechtes Ovar, 4 Sigma



3.9 Gynäkologische Laparoskopie  

 53

Saktosalpingen: Saktosalpinx = Verschluss der Tube/des Fimbrientrichters durch Verklebung infolge einer Entzündung; ggf. nachfolgend Retention von Flüssigkeit in der Tube (Hydro-, Pyo-, Hämatosalpinx). Salpingostomie: Eröffnung der Tube distal und Bildung einer dem Fimbrientrichter ähnlichen Öffnung durch Evertierung der Ränder. Salpingoneostomie: Eröffnung der Tube distal bei Zustand nach Entfernung der ursprünglichen Fimbrientrichters (Fimbriektomie) und Neubildung einer Öffnung durch Umnähen der Tubenränder.

Enukleation von Myomen Je nach Erfahrung des Operateurs und Lage der Myome (Fundus, subserös) sind Entfernungen von Myomen bis zu 10 cm Größe möglich. Extrauteringravidität In über 90 % endoskopische Sanierung möglich. Bei noch bestehendem Kinderwunsch möglichst Salpingotomie mit anschließender Entfernung des Schwangerschaftsgewebes. Bei Rezidiv in der gleichen Tube oder abgeschlossener Familienplanung: Salpingektomie Nach tubenerhaltender Operation sollten mehrfach ß-HCG-Kontrollen zum Ausschluss von Schwangerschaftsresten und Ultraschallkontrollen auch wegen der Möglichkeit der Simultangravidität (intra- und extrauterin), erfolgen. Extrauteringravidität: Außerhalb des Cavum uteri implantierte Schwangerschaft (Zervix, Tubenecke, im gesamten Verlauf der Tube, Ovar, freie Bauchhöhle). Salpingotomie: Eröffnung der Tube Salpingektomie: Entfernung der Tube

Adhäsiolyse: Lösen von Verwachsungen bei Sterilitätstherapie und chronischen Unterbauchschmerzen, insbesondere nach vorangegangenen abdominalen Operationen und Entzündungen (Abb. 3.21). Tuboovarialabszesse Endoskopisches Vorgehen nach strenger Indikationsstellung. Bei (vermuteter) Darmbeteiligung sollte eine Laparotomie großzügig indiziert werden. Ovarialprozesse Die laparaoskopische Diagnose von Ovarialprozessen ist umstritten bei Verdacht auf ein Ovarialkarzinom. Der suspekte Ovarialtumor sollte in toto entfernt werden.

54 

 3 Diagnostisch-therapeutische Verfahren in der Gynäkologie

2

3

2

5

6 1 4 7 (a)

(b)

Abb. 3.21: Laparoskopischer Situs des inneren Genitale. Man erkennt spinnwebenartige peritubare Adhäsionen [4] zwischen dem distalen Anteil der linken Tube [2] und der seitlichen Beckenwand bzw. dem Sigma [7]. 1 Uterus, 2 linke Tuba uterina, 3 linkes Ovar, 4 peritubare Adhäsionen, 5 Ligamentum rotundum, 6 Ligamentum ovarii proprium, 7 Sigma.

Ovarielle Funktionszysten werden zu häufig operiert. Persistierende, sicher nicht maligne Ovarialzysten (fehlende Erhöhung von Tumormarkern, kein Aszites, keine Binnenstrukturen im Ovar, unauffällige Anamnese) können in toto enukleiert und im Endobag (Bergesack) entfernt werden, ggf. Adnektomie. Besonders bei Dermoidzysten besteht bei Streuung des Zysteninhalts die Gefahr einer abakteriellen Peritonitis.

3.10 Stanzbiopsie der Mamma Tastbare Tumore der Mamma oder sonographische Herdbefunde der Mammae lassen sich ultraschall-gestützt mit der Stanzbiopsie histologisch abklären. Ziel: Unterscheidung des Mammakarzinoms von anderen benignen Befunden (Fibrome, Mastopathie, Zysten). Durchführung: in Lokalanästhesie, unter US-Sicht mittels spezieller Biopsiegeräte (Syn.: Stanzbiopsie, jet biopsy, tru-cut biopsy). Es werden mindestens 3 Gewebezylinder aus dem punktierten Areal gewonnen, anhand derer eine histologische Diagnosesicherung möglich ist. Damit ist eine sichere Dignitätszuordnung möglich, und es kann im Falle eines Malignoms ohne Schnellschnittuntersuchung behandelt werden (siehe Kapitel zur Therapie des Mammakarzinoms). Vor der Biopsie erfolgt die Desinfektion des Tumorgebietes. Bei Eingriffen an der Mamma



3.10 Stanzbiopsie der Mamma 

 55

empfiehlt es sich, nach der Hautdesinfektion lokal anästhesierende Verfahren anzuwenden. Bei nur mammographisch detektierbaren Herdbefunden (Mikrokalk) ist die stereotaktische mammographische Vakuumbiopsie indiziert.

Nicole Gehrmann, Sylvia Mechsner

4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau 4.1 Pubertät und Adoleszenz 4.1.1 Kindheit Die Kindheit wird hormonell durch die Unreife des Hypothalamus und die resultierende funktionelle Ruhe der Ovarien charakterisiert.

4.1.2 Pubertät und Adoleszenz Die Pubertät ist die Phase zwischen Kindheit und Erwachsenalter, in der die sexuelle Reifung erfolgt und an deren Ende die Fähigkeit zur Fortpflanzung steht. In einem Alter von etwa 11 Jahren (9–13 Jahre) kommt es zu einem „Erwachen“ des endokrinen Regelkreises Hypothalamus-Hypophyse-Ovar. Der Beginn der Pubertät ist durch das Wachstum der Brust (Thelarche) gekennzeichnet (Tanner B2). Innerhalb von ca.  2  Jahren nach Beginn des Brustwachstums tritt die erste Regelblutung auf. Die Menstruationszyklen sind noch meist anovulatorisch (50–80 %). Der Pubertätswachstumsschub erfolgt meist in der ersten Hälfte der Pubertätsentwicklung (ca. 12 Jahre). Etwa 2 Jahren nach der Menarche beginnt die Adoleszenz. Die Adoleszenz ist definiert durch ovulatorische Zyklen, volle Geschlechtsreife und den Wachstumsstillstand. Die Phase der Adoleszenz erstreckt sich etwa bis zum 18. Lebensjahr. Thelarche: Ovarielle Aktivierung (Anstieg des Östrogens) Pubarche: Aktivierung der Nebennierenrinde

4.1.3 Reihenfolge der somatischen Pubertätsentwicklung 1. Thelarche: Knospung der Brustdrüse (Einteilung in Tanner-Stadien B1–B5) (Abb. 4.1, Tab. 4.1) 2. Pubarche: Entwicklung der Schambehaarung (Tanner-Stadien P1–P6) (Abb. 4.2, Tab. 4.1) 3. Reifung des Skelettsystems/puberaler Wachstumsschub 4. Menarche: erste Regelblutung (zunächst Entzugsblutung bei meist anovulatorischen Zyklen)

https://doi.org/10.1515/9783110472356-008

58 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Juvenile Dauerblutung: Dysfunktionelle Blutung bei anovulatorischen Zyklen. Es handelt sich um eine Östrogenentzugsblutung (unter Östrogeneinfluss kommt es zur Proliferation des Endometriums) ohne gestagenbedingte sekretorische Transfomation. Es kommt zu einer glandulär-zystischen Proliferation des Endometriums. Bei einer Dauerblutung mit starkem Blutverlust muss an das Vorliegen einer Gerinnungsstörung gedacht werden (z. B. von-Willebrand-Syndrom).

B1

B2

B3

B4

B5

Abb. 4.1: Stadien der Brustdrüsenentwicklung nach Tanner (1962).

Tab. 4.1: Tanner-Stadien. Stadieneinteilung der Brustentwicklung und Pubesbehaarung des heranwachsenden Mädchens. Brustentwicklung B1

keine palpable Drüse

B2

Brustknospe; Areola mammae vergrößert, Drüse im Bereich der Areola mammae vorgewölbt

B3

Drüse größer als Areo­la mammae

B4

Knospenbrust; Drüse im Mamillenbereich hebt sich gesondert von der übrigen Drüse ab

B5

reife Brust; Zurückweichen der Vorwölbung der Areola mammae in die allgemeine Brustkontur (wird nicht immer erreicht)



4.1 Pubertät und Adoleszenz 

 59

Tab. 4.1: (fortgesetzt) Pubes­behaarung P1

keine Behaarung

P2

wenige Schamhaare an Labia majora

P3

kräftigere Behaarung von um­schriebener Ausdehnung

P4

kräftige Haare wie beim Erwachsenen

P5

ausgedehnte kräftige Behaarung, nach oben horizontal begrenzt, seitlich auf Oberschenkel übergreifend

P6

dreieckige Ausweitung gegen den Nabel

PH 1

PH 2

PH 4

PH 3

PH 5

Abb. 4.2: Stadien der Schambehaarung nach Tanner (1962).

4.1.4 Pubertas praecox Pubertas praecox: Vorzeitige Pubertätsentwicklung der Brust oder in Kombination mit einer Pubesbehaarung vor dem 8. Geburtstag oder Menarche vor dem 9. Geburtstag. Abzugrenzen sind die Normvarianten: Prämature Pubarche, Prämature Thelarche.

Einteilung der Pubertas praecox: 1. Normvarianten 2. Zentrale Pubertas praecox 3. Pseudopubertas praecox

60 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Diagnose: –– Anamnese und klinische Untersuchung –– ggf. neurologische/ophthalmologische Untersuchung –– ggf. radiologische Skelettreifebestimmung –– ggf. CT/MRT des Schädels Prämature Pubarche: isolierte vorzeitige Schambehaarung mit oder ohne Axillarbehaarung (meistens zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr) vorzeitige Reifung der Zona reticularis der Nebennierenrinde. Prämature Thelarche: isolierte vorzeitige Brustentwicklung Prämature Menarche: isolierte zyklische Blutungen (sehr selten) Zentrale Pubertas praecox: vorzeitige Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse 1. Idiopatisch (ca. 85 %) der Fälle der zentralen Pubertas praecox 2. genetisch 3. ZNS-Erkrankungen: z. B. Hirntumore, Hydrozephalus, Neurofibromatose Typ I, Hamartome 4. ohne Erkrankungen des ZNS: Syndromal Pseudopubertas praecox: autonome Überproduktion von Sexualhormonen. 1. Pseudopubertas praecox: (Östrogene erhöht): z. B. Ovarialzysten, Ovarialtumore, exogene Östrogenexposition, unbehandelte Hypothyreose, andere Tumore, McCune-Albright-Syndrom 2. Pseudopubertas praecox: (Androgene erhöht): z. B. androgenproduzierende Tumore des Ovars, Granulosazelltumor, Nebennierenrindenadenom oder -karzinom, AGS

4.1.5 Pubertas tarda Pubertas tarda: Verspäteter Eintritt der Pubertät oder das Ausbleiben der Pubertät. Fehlende Thelarche im Alter von 14 Jahren oder eine einmal eingesetzte Pubertätsentwicklung, die um mehr als 18 Monaten stagniert, oder der Zeitabstand zwischen Thelarche und Menarche ist länger als 5 Jahre.

Formen: –– konstitutionell (häufig) –– funktioneller hypogonadotroper Hypogonadismus (nicht primär endokrinologische Erkrankung) –– Hypothalamus/Hypophyse: Hypogonadotroper Hypogonadismus (angeboren oder erworben) –– Gonaden: Hypergonadotroper Hypogonadismus (angeboren oder erworben) Diagnose: –– Anamnese (Familienanamnese) –– Auxologische Daten: Gewicht, Größe/BMI (Perzentilenkurven)



4.2 Androgenisierungserscheinungen  

 61

–– klinische Untersuchung (Tanner-Stadien, Hymenbeurteilung) –– Knochenreifung (Röngtenbild der linken Hand) –– Hormonbestimmung (LH, FSH, Estradiol, DHEAS, Prolaktin, TSH und fT4) Konstitutionell: pos. Familienanamnese (Vater oder Mutter waren „Spätentwickler“), Kleinwuchs (durch Ausbleiben des Pubertätswachstums), Knochenalter retardiert. Nach verspätetem Beginn der Pubertät: erreichen der vollständigen körperlichen Reife und genetischen Endzielgröße. Funktioneller hypogonadotroper Hypogonadismus: Ein verzögerter Pubertätsbeginn findet sich bei vielen chronischen Erkrankungen z. B. chron.-entzündlichen Darmerkrankungen, Mukoviszidose, schweren Herzerkrankungen, chron. Niereninsuffizienz u.s.w. aber auch bei Essstörungen, Leistungssport. Angeborener hypogonadotroper Hypogonadismus: z. B. Kallmann-Syndrom (olfaktogenitale Dysplasie) durch ein vorzeitige Degeneration des Bulbus olfactorius und der GnRH-produzierenden Nervenzellen des Hypothalamus, Prader-Willi-Syndrom Erworbener hypogonadotroper Hypogonadismus: Tumorerkrankungen z. B. Kraniopharyngeom, Germinom, Prolaktinom, Speichererkrankungen z. B. Hämochromatose, andere Ursachen Angeborener hypergonadotroper Hypogonadismus: (Prämature Ovarialinsuffizienz) bei UllrichTurner-Syndrom, XY- und XX-Gonadendysgenesien, Galaktosämie Erworbener hypergonadotroper Hypogonadismus: z. B. durch Chemotherapien oder Bestrahlungen im Kindesalter, Operationen an den Gonaden

4.2 Androgenisierungserscheinungen Androgenisierungserscheinungen der Frau wie Akne, Hirsutismus, Alopezie und Seborrhö sind klinische Zeichen einer erhöhten Androgenwirkung (Abb. 4.3). Es wird zwischen einer Hyperandrogenämie (Erhöhung der Konzentration verschiedener Androgene im Blut) und einem Hyperandrogenismus (klinische Zeichen einer Hyperandrogenämie bei normalen Androgen-Serumkonzentrationen) unterschieden. Androgenisierungserscheinungen sind vielfältig. Die Ursachen können durch eine ovarielle Erkrankung z. B. PCO-Syndrom (meist in Kombination mit einem metabolischen Syndrom/Hyperinsulinismus), durch androgensezernierende Tumore oder durch Nebennierenerkrankungen (Cushing-Syndrom, virilisierendes Adenom oder Karzinom, angeborene Nebennierendefekte wie das Adrenogenitale Syndrom) bedingt sein. Aber auch Hypophysentumore und anabole Medikamente (Kortikosteroide) können die Ursache sein.

62 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Abb. 4.3: Virilisierung.

4.2.1 Ovariell bedingte Androgenisierung 4.2.1.1 Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCOS) Klinische Leitsymptome: –– Zyklusstörungen (Oligomenorrhö oder sekundäre Amenorrhö) –– Androgenisierungserscheinungen (Hirsutismus, Akne, Alopezie) –– Sterilität/Anovulation –– sonografisch vergrößerte, polyfollikuläre Ovarien (Abb. 4.4) –– Adipositas –– erhöhter LH-/FSH-Quotient (>2)

Abb. 4.4: Vaginalsonographischer Befund eines Ovars bei PCO-Syndrom. Die perlschnurartig aufgereihten Follikel sind deutlich erkennbar.



4.2 Androgenisierungserscheinungen  

 63

Häufigkeit: mit ca. 5–12 % die häufigste endokrine Erkrankung der Frau in der reproduktiven Lebensphase. PCOS: Die Diagnose ergibt sich rein klinisch aus dem Vorhandensein von Oligo-/Amenorrhö, Hyperandrogenämie oder Hyperandrogenismus. Insbesondere bei adipösen Patientinnen ist eine periphere Insulinresistenz (>60  %) vorhanden. Der Nachweis erfolgt duch einen oGTT mit 75  g Glukose und Bestimmung von Insulin/Glukose nüchtern sowie nach einer und zwei Stunden. Eine periphere Insulinresistenz gilt als nachgewiesen bei einem Glukose-Insulin-Quotienten von 1,5–2,0 ng/ml vor. Therapie: Tumorentfernung. 4.2.2.1 Adrenogenitales Syndrom (AGS) Ätiologie: Dem AGS können verschiedene Störungen von Enzymsystemen der Nebenniere zugrunde liegen. Zu 95 % der Fälle ein 21-Hydroxylase-Defekt (autosomal-rezessiv). Je nach Molekulargenetik und Rest-Aktivität des Enzyms werden zwei klinische Formen unterschieden: Klassisches AGS mit Salzverlust und nicht klassisches AGS ohne Salzverlust (einfach virilisierendes AGS). Weitere Enzymstörungen: 3-beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt, 11-beta-Hydroxylase-Defekt. Klinik klassisches AGS: –– Virilisierung des äußeren Genitale (Nach Prader 5 verschiedene Stadien) –– Inneres Genitale weiblich –– Inadäquate Glukokortikoidproduktion –– Inadäquate Mineralokortikoidproduktion –– Hyperplasie der Nebennierenrinde

64 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Klinik nicht klassisches AGS vor der Pubertät: –– Prämature Pubarche –– Beschleunigtes Längenwachstum –– Leichte Klitorishyperplasie Klinik nicht klassisches AGS in der Pubertät und bei der erwachsenen Frau: –– Hirsutismus, Akne, Seborrhö –– Klitorishypertrophie –– Primäre oder sekundäre Amenorrhö –– Oligoamenorrhö –– Infertilität Klassisches AGS mit 21-Hydroxylase-Defekt: Diagnosestellung beim Neugeborenen bis 6 Monate, Genitale: DSD,46XX, Häufigkeit ca. 1:12000, Aldosteron und Cortisol sind vermindert, Renin erhöht, Testosteron erhöht, 17OHP: >5000ng/dl, 21-Hydroxylase-Aktivität: 0 Zusammenfassung: Störung der Cortisolbiosynthese der Nebenniere. Klinische Leitsymptome sind Störung der sexuellen Differenzierung bei Mädchen mit uneindeutigem Genitale bei Geburt. Das Neugeborenen-Screnning von 17OHP ermöglicht eine frühzeitige Diagnose. Substitution mit Glukokortikoiden und mit einem Mineralokortikoid bei Salzverlust. Nicht klassisches AGS mit 21-Hydroxylase-Defekt: Diagnosestellung in der Präpubertät bis ins Erwachsenenalter, Genitale: leichte Klitorishypertrophie, Häufigkeit ca. 1:1000, Aldosteron, Cortisol, Renin sind normal, Testosteron ist normal bis erhöht, 17OHP> 200  ng/dl, 21-HydroxylaseAktivität: >20 % Zusammenfassung: Das nicht klassische AGS tritt häufiger auf. Die Diagnose kann in der Regel nicht im Neugeborenen-Screening gestellt werden.

4.3 Lebensphasen der Frau und ihre Störungen 4.3.1 Hormonelle Regulation der Fortpflanzung Bei der Frau hängen die Ovarialfunktion und die daraus resultierende Reproduktion von verschiedenen, zusammenspielenden Organsystemen (Hypothalamus-Hypophyse-Ovar) ab. Wenn diese Organkaskade aufeinander abgestimmt funktioniert, kann die sexuelle Reifung erfolgen, mit der die reproduktive Phase der Frau beginnt, und es können die weiteren Phasen bis zur Menopause durchlaufen werden.



4.3 Lebensphasen der Frau und ihre Störungen 

 65

Hypothalamus: Pulsatile GnRH-Sekretion (Gonadotropin-Releasing-Hormon). Hypophyse: Freisetzung von Gonadotropin: FSH (follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon) durch die Stimulation von GnRH aus dem Hypothalamus. Ovar: Follikelentwicklung, Steroidbiosynthese, Ovulation und Corpus-luteum-Phase durch LH und FSH aus der Hypophyse. FSH: führt zum Wachstum des dominanten Follikels, Proliferation der Granulosazellen, Zunahme der Östrogenproduktion. LH: Der mittzyklische LH-Anstieg ist Mitauslöser der Ovulation und der Bildung des Corpus-luteum. Steroidhormone: Diese werden hauptsächlich im Ovar synthetisiert, man unterscheidet 3 Gruppen: Progesteron (C-21-Steroide), Östrogene (C-18-Steroide), Androgene (C-19-Steroide) – diese werden auch in der Nebennierenrinde gebildet.

Gonadotropin-Releasing-Hormon GnRH: Decapeptid, zyklusabhängig pulsatil freigesetzt. In der Follikelphase GnRH-Freisetzung ca. alle 60–90 min. In der Lutealphase Freisetzungsintervall bis zu 3 h.

Die Amplitudenmodulation ist für die FSH- und LH-Sekretion von Bedeutung. Bei unregelmäßiger GnRH-Pulsfrequenz resultiert ein niedriger FSH-und LH-Level: Amenorrhö und Anovulation. Die Hypothalamusfunktion wird durch verschiedene positive und negative Feedbackmechanismen reguliert. Gonadotropine FSH und LH: Glykoproteine, Dimere aus zwei alpha- und beta- Untereinheiten. FSH-Rezeptoren der ovariellen Granuloasazellen sind zuständig für die Gametenproduktion der Gonaden. Granulosazellen aromatisieren unter FSH Androgene zu Östradiol.

LH führt dazu, dass die Thekazellen des Ovars mehr Androgene produzieren, die wiederum durch die Granulosazellen zu Östradiol umgewandelt werden. Außerdem stimuliert LH den Eisprung, die Corpus luteum-Bildung und die Eizellreifung.

4.3.2 Ovar Die Follikelreifung ist ein monatlicher Prozess aus Signalen von Hypothalamus, Hypophyse sowie der Steroidbiosynthese des Ovars mit zyklusentsprechender Follikelbildung.

66 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Follikelreifung in ihren 3 Phasen: 1. Follikelphase 2. Ovulation 3. Lutealphase Methoden zur Erkennung der Zyklusphasen: 1. Klinik 2. Labor 3. Sonographische Darstellung des Ovars/der Follikel

4.3.3 Amenorrhö Amenorrhö: Das Ausbleiben der Periode wird als Amenorrhö bezeichnet. Man unterscheidet die primäre und die sekundäre Amenorrhö.

Ätiologie: –– Anatomisch: Uterusfehlbildungen, Hymenalatresien, Asherman-Syndrom (anatomisch bedingte Amenorrhö) –– Prolaktinom (hyperprolaktinämische Amenorrhö) –– Hyperandrogenämie (normogonadotrope, normoprolaktinämische Amenorrhö) –– Gonadendysgenesie (hypergonadotrope Amenorrhö) –– Primäres Ovarialversagen (hypergonadotrope Amenorrhö) –– Anorexia nervosa (hypothalamisch bedingte Amenorrhö) –– Kallmann-Syndrom (hypothalamisch bedingte Amenorrhö) –– Follikelpersistenz (normogonadotrope, normoprolaktinämische Amenorrhö) –– Kraniopharyngeom (durch Kompression hervorgerufene hypogonadotrope Ovarialinsuffizienz) Primäre Amenorrhö: Eine primäre Amenorrhö liegt vor, wenn mit Vollendung des 16. Lj. noch keine spontane uterine Blutung eingetreten ist. Nach Beginn der Thelarche sollte 2 Jahre später die Menarche folgen. Sekundäre Amenorrhö: Von einer sekundären Amenorrhö spricht man, wenn die Menstruation nach vorherigen Blutungen mehr als 3 Monate ausbleibt. Anovulatorischer Zyklus: Das Endometrium steht unter einer kontinuierlichen Östrogenstimulation, wodurch die Schleimhaut aufgebaut, aufgrund des fehlenden Progesterons das Stroma jedoch nicht ausreichend stabilisiert wird. Die dadurch bedingten Blutungen sind meist stärker, können aber durchaus rhythmisch verlaufen. Beim anovulatorischen Zyklus hat die Patientin keinen Eisprung.



4.4 Kongenitale Anomalien und Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung  

 67

Hyperprolaktinämie: Kann zu Zyklusstörungen unterschiedlichen Schweregrads führen. Diese kann Anovulationen, Oligo- oder Amenorrhö hervorrufen. Physiologische Hyperprolaktinämie während der Stillzeit. Reversible Suppression der GnRH-Sekretion führt zu einer Stillamenorrhö. Eine dysfunktionelle Hyperprolaktinämie kann durch zahlreiche Medikamente oder durch eine Hypothyreose verursacht sein. Das Prolaktinom verursacht eine Hyperprolaktinämische Amenorrhö. Hyperandrogenämie: Diese führt ebenfalls zu Anovulationen, Oligo- oder Amenorrhö. Klinisch besteht oft Hirsutismus, Akne, Seborrhö und Alopezie. Schilddrüsenerkrankungen: können zu Zyklusstörungen unterschiedlichen Schweregrades führen.

Diagnose: –– Anamnese –– Inspektion und gynäkologische Untersuchung –– Ultraschalluntersuchung –– Ggf. Hormonuntersuchung Therapie: symptomatisch Prämenopause: Zeitraum zwischen 40. Lebensjahr und Beginn des Klimakteriums. Phase beginnender Zyklusunregelmäßigkeiten, zu Beginn normogonadotrop, zum Ende hypergonadotrop. Klimakterium: Bezeichnet den Zeitraum Prämenopause–Menopause–Postmenopause (bis 12 Monate nach der Menopause) unregelmäßige Zyklen, Oligomenorrhö, häufig klimakterische Beschwerden. Starke Variationen der FSH-, LH- und Östradiolspiegel, zunehmende Corpus-luteumInsuffizienz. Menopause: Zeitpunkt der letzten Blutung, der eine mindestens einjährige Amenorrhö folgt. Das Menopausealter liegt derzeit bei Frauen in Mitteleuropa um das 52. Lebensjahr. Postmenopause: Der Zeitraum nach der Menopause bis zum Senium, beginnend nach 12-monatiger Amenorrhö. Climacterium praecox: Menopause vor dem 40. Lebensjahr. Die endokrinen Veränderungen entsprechen denen der normalen Menopause. Senium: Späte Postmenopause nach dem 65. Lebensjahr.

4.4 Kongenitale Anomalien und Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung 4.4.1 Kongenitale Anomalien des weiblichen Genitaltrakts –– Vaginale und uterine Fehlbildungen sind durch die embryologische Entwicklung des weiblichen Genitale bedingt.

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 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

–– Begleitfehlbildungen: Nieren, Skelettsystem, Nervensystem, Herz –– Hemmungsfehlbildung der Müller-Gänge Klinik: –– Scheide (je nach Art der Fehlbildung): Kohabitationsstörungen, Probleme beim Benutzen von Tampons, Hämatometra/-salpinx, Unterbauchschmerzen, primäre Amenorrhö ohne Unterbauchschmerzen –– Uterus (je nach Art der Fehlbildung): Sterilität, Infertilität Diagnose: –– Anamnese, körperliche Entwicklung (Tanner-Stadien), Inspektion des äußeren Genitale, Darstellung des Scheideneingangs, Sonografie des inneren Genitale, Sonografie der Nieren

(a)

(b)

Abb. 4.5: Die Abbildung zeigt das Vaginalsonogramm eines Uterus arcuatus in einem Querschnitt. Die Uterusmuskulatur ist blau, das Endometrium ist gelb dargestellt.

(a)

(b)

Abb. 4.6: Die Abbildung zeigt das Vaginalsonogramm eines Uterus subseptus im Querschnitt des oberen Anteils des Corpus uteri. Die Uterusmuskulatur ist blau, das Endometrium ist gelb dargestellt.



4.4 Kongenitale Anomalien und Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung  

 69

–– Zusatzuntersuchungen: diag. Vaginoskopie, Hysteroskopie, Laparoskopie –– ggf.: Hormonstatus (LH, FSH, E2, Testosteron, SHBG, FAI, 17OHP) –– ggf.: Chromosomenanalyse Einteilung der Fehlbildung: –– Scheide: Hymenalfehlbildungen, longitudinales Scheidenseptum, transversales Scheidenseptum, Vaginalhypoplasie/-atresie/-aplasie –– Uterus: Uterus arcuatus, Uterus subseptus, Uterus septus, Uterus bicornis, Uterus didelphis, Uterushypoplasie, Uterus unicornis, Uterusaplasie, Cervix duplex, Atresie/Aplasie einseitig, Atresie/Aplasie beidseits (Abb. 4.5–Abb. 4.10)

(a)

(b)

(c) Abb. 4.7: Vaginalsonogramm eines Uterus septus, (a) im Horizontalschnitt des oberen Anteils des Corpus uteri. (b) Die Uterusmuskulatur ist blau, das Endometrium ist gelb dargestellt. (c) Uterus septus in der 20. SSW. Durch das Fruchtwasser wird die Septierung deutlich.

70 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Abb. 4.8: Hysteroskopisches Bild eines Uterus bicornis.

(a)

(b)

(c) Abb. 4.9: Uterus bicornis unicollis. (a, c) Vaginalsonogramm ohne Schwangerschaft, (b) Situs bei einer Sectio nach Kindesentwicklung und Naht der Uterotomie.



4.4 Kongenitale Anomalien und Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung  

a

b

c

d

 71

e

I Uterushypoplasie/-agenesie

a

b

c

d

a

b

II Uterus unicornis

III Uterus duplex

a V Uterus septus

IV Uterus bicornis

b VI Uterus arcuatus

Abb. 4.10: Übersicht der Uterusfehlbildungsformen (nach American Fertility Society); I: Uterushypoplasie/-agenesie; a) vaginal; b) zervikal; c) fundal; d) tubal; e) kombiniert; II: Uterus unicornis; a) kommunizierendes Horn; b) nicht kommunizierendes Horn mit Endometrium; c) nicht kommunizierendes Horn ohne Endometrium; d) ohne rudimentäres Horn; III: Uterusduplex; IV: Uterus bicornis; a) komplett; b) partiell; V: Uterus septus; a) komplett; b) partiell; VI: Uterus arcuatus.

Klassifikationen genitaler Fehlbildungen: –– AFS-Klassifikation, VCUAM-Klassifikation, ESHRE/ESGE-Klassifikation Operationsindikationen: –– Abflussbehinderung des Menstrualblutes (Hymenalatresie, Scheidenseptum, Cervixatresie, Cervixaplasie) –– nicht mögliche Kohabitation (Scheidenseptum, Vaginalaplasie) –– Sterilität, Infertilität –– wiederholte Aborte (sog. habituelle oder rezidivierende Abortneigung) –– Frühgeburten

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 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

Andere Infertilitätsursachen müssen zuvor ausgeschlossen werden. Operative Therapie: –– Metroplastik (hysteroskopisch=Septumdissektion; abdominale oder vaginale Metroplastik) –– Laparoskopische Neovaginaanlage nach Vecchetti, Neovaginaanlage mittels Amnion u.a. Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH): Durch eine Hemmungsfehlbildung der Müller-Gänge kommt es zu einer Aplasie von Uterus, Cervix und der Scheide. Die Ovarien sind nicht betroffen. Karyotyp 46,XX. Es kann als reine genitale Fehlbildung oder in Kombination mit Malformationen anderer Organsysteme auftreten. (Nieren, Skelettsystem, Herz-Kreislauf-System). Leitsymptom ist die primäre Amenorrhö. Die Vorstellung in der Praxis erfolgt meist aufgrund einer ausbleibenden Menarche oder dem Unvermögen zur Kohabitation. Je nach anatomischer Vorraussetzung und Wunsch der Patientin kann neben den o.g. Operationsverfahren zur Neovaginaanlage auch ein nichtoperatives Dehnungsverfahren durchgeführt werden, um eine kohabitationsfähige Scheide zu erlangen. Zur Umsetzung des Kinderwunsches bei fehlender Gebärmutter kommen prinzipiell die Adoption, Leihmutterschaft (in Deutschland nicht erlaubt) oder die Uterustransplantation in Frage. Differenzialdiagnose zum MRKH-Syndrom: komplette Androgenresistenz (Complete Androgen Insensitivity Syndrom) (Abb. 4.11, Abb. 4.12)

3

1

1 2

(a)

2

(b)

Abb. 4.11: (a) Laparoskopischer Situs einer 22-jährigen Patientin mit Mayer-Rokitansky-KüsterHauser-Syndrom. Die Adnexe sind beidseits komplett vorhanden, der Uterus fehlt. An seiner Stelle findet sich, in Projektion auf das Blasenperitoneum, lediglich ein etwas intensiver gefärbter Gewebestrang. Der Blasenkatheter zeichnet sich transperitoneal ab. (b) 1 Tubae uterinae, 2 Ovarien, 3 Blasenkatheter.



4.4 Kongenitale Anomalien und Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung  

(a)

 73

(b)

Abb. 4.12: (a) Darstellung des Introitus vaginae bei einer 22-jährigen Patientin mit MayerRokitansky-Küster-Hauser-Syndrom. Die eigentliche Vagina ist nicht angelegt. (b) Man erkennt eine bindegewebige Membran, die unterschiedlich weit nach innen dehnbar ist.

4.4.2 Störungen/Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung „Disorders of Sex Development“ (DSD): Hier werden angeborene Abweichungen von der normalen weiblichen und männlichen Differenzierung der Gonaden bzw. des inneren und äußeren Genitale zusammengefasst. Es liegt jeweils keine Übereinstimmung von phänotypischem, gonadalem Geschlecht und chromosomalem Geschlecht vor.

Ursache: –– Chromosomenaberrationen, autosomal-dominante, autosomal-rezessive und X-chromosomal-rezessive Genmutationen Einteilung: –– Störungen durch numerische Aberrationen der Geschlechtschromosomen: –– 47,XXY (Klinefelter-Syndrom) –– 45,XO (Ullrich-Turner-Syndrom ) –– 45,X/46,XY-Mosaike (gemischte Gonadendysgenesie) –– 46,XY-DSD –– 46,XX-DSD Gemischte Gonadendysgenesie: Erhöhtes malignes Entartungsrisiko für die Gonaden. Komplette XY-Gonadendysgenesie: Erhöhtes malignes Entartungsrisiko für die Gonaden.

Geschlechtszuweisung: Bei Neugeborenen mit uneindeutigem Genitale sollte keine Geschlechtszuweisung erfolgen. Für die Geschlechtszuordnung muss eine möglichst genaue Diagnose gestellt werden. Bei Unklarheit darüber, ob das Neugeborene dem

74 

 4 Normale und gestörte geschlechtsspezifische Entwicklung der Frau

weiblichen oder männlichen Geschlecht zugewiesen werden soll, kann seit Mai 2013 der Eintrag im Geburtenregister in Deutschland zunächst ohne eine Geschlechtsangabe erfolgen.

Nicole Gehrmann, Jana Barinoff

5 Störungen des menstruellen Zyklus 5.1 Zyklusstörungen Zyklusstörungen: alle Abweichungen vom regelmäßigen Zyklus Regeltempostörungen: Störungen des Blutungsrhythmus (Tempoanomalien) Regeltypusstörungen: Störungen der Blutungsstärke (Typusanomalien) Dysfunktionelle Blutungen: Dauer >14 Tage, Zyklus nicht mehr erkennbar (Metrorrhagie) Zusatzblutungen: zusätzlich zur Regelblutung auftretende Blutungen

Ätiologie/Pathogenese: –– funktionell, ovariell bedingt: Ausfall oder Einschränkung der Ovarialfunktion mit Amenorrhö, anovulatorischer Zyklus, PCO-Syndrom, Hyperthecosis ovarii –– organisch erworben, uterin lokalisiert: Polypen, Myome, Karzinome, Ashermann-Syndrom

5.2 Amenorrhö Amenorrhö: das Fehlen oder das Ausbleiben der Regelblutung über 3 Monate hinaus.

–– physiologische Amenorrhö (vor der Menarche, während der Gravidität, der Laktation und der Menopause) –– pathologische Amenorrhö –– Primäre Amenorrhö: liegt vor, wenn nach Vollendung des 16. LJ die Regelblutung noch nicht eingetreten ist. –– Sekundäre Amenorrhö: liegt vor, wenn die Menstruation über 3 Monate ausgeblieben ist und keine Gravidität besteht. –– Oligomenorrhö: liegt bei einem Blutungsintervall von zwischen 35 Tagen und maximal 3 Monaten vor.

https://doi.org/10.1515/9783110472356-009

76 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

Stärke Monat der Blutung -5 -4

-3

-2

-1

aktuell

stark normal schwach 11

12

stark normal schwach

1

2

3

4

Symbol Erklärung aktueller Monat in Zahlen orale Kontrazeptiva Notfallkontrazeptivum vaginales Freisetzungssystem transdermales kontrazeptives Pflaster Intrauterinpessar Intrauterinsystem operativer Eingriff Geburt Schmerzen Fluor

stark

stark

normal

normal

schwach

schwach

(a) Eumenorrhö

(b) Hypomenorrhö

Typusstörung stark

stark

normal

normal

schwach

schwach

(c) Oligomenorrhö

(d) Hypermenorrhö

stark

stark

normal

normal

schwach

schwach

(e) Polymenorrhö

(f) Menorrhagie

Tempostörung stark normal schwach (g) Brachymenorrhö

Abb. 5.1: Das Kaltenbach-Schema für einen (a) normalen Zyklus (Eumenorrhö) und für verschiedene Zyklusstörungen wie Hypomenorrhö (b), Oligomenorrhö (c), Hypermenorrhö (d), Polymenorrhö (e), Menorrhagie (f) und Brachymenorrhö (g) und Prinzip der Darstellung (siehe auch S. 19).



5.3 Hypothalamische und hypophysäre Amenorrhö 

 77

5.2.1 Einteilung der Amenorrhö 5.2.1.1 Ätiologie Amenorrhö: Bei der Amenorrhö ruht meist die generative Ovarialfunktion, d. h. die Ovulation bleibt aus. Teilweise fehlt zusätzlich die vegetative Ovarialfunktion, d. h. es besteht ein Östrogenmangel (z. B. hypo- und hypergonadotrope Ovarialinsuffizienz). –– nach Lokalisaton: Eine Störung der Hypothalamus-HypophysenvorderlappenOvar-Achse kann auf jeder Ebene des Regelkreises vorliegen (hypothalamische, hypophysäre, ovarielle, uterine oder extragenitale Amenorrhö). –– nach dem Gonadotropinspiegel: Man unterscheidet die normogonadotrope (70 %), die hypergonadotrope (20 %) und die hypogonadotrope (10 %) Amenorrhö. –– nach dem Prolaktinspiegel: Man unterscheidet die normoprolaktinämische und die hyperprolaktinämische Amenorrhö. Hyperprolaktinämie: erhöhte Prolaktinspiegel hemmt die pulsatile hypophysäre LH-Ausschüttung und führt so zu einer Amenorrhö. –– nach dem Androgenspiegel: hyperandrogenämische Amenorrhö. –– organische Ursachen: angeborene Fehlbildung der Genitalorgane oder eine erworbene Erkrankung der endokrinen Drüsen. –– Einfluss von Stress: Physische und psychische Reize greifen hemmend in den hypothalamo-hypophysär-ovariellen Regelkreis ein.

5.3 Hypothalamische und hypophysäre Amenorrhö 5.3.1 Hypothalamische Amenorrhö Hypothalamische Amenorrhö: Mangel oder Fehlen der hypothalamischen GnRH-Sekretion durch eine Funktionsstörung hypothalamischer Steuerungszentren. Hypophysenvorderlappen und Ovar sind meist funktionell intakt.

Ätiologie: –– Stress: Stressbedingter Ausfall der zirkadianen LH-Episoden, bei Andauern der psychischen Belastung Ausfall der nächtlichen LH-Impulse und Amenorrhö („Notstandsamenorrhö“). –– traumatische Erlebnisse: Heimweh, Trauer, schwere Erkrankungen können zu einer vermehrten Prolaktin-Freisetzung und somit zu einer weiteren Hemmung der pulsatilen LH-Freisetzung führen. –– Anorexia nervosa: Psychogene Essstörung bei Adoleszenten mit ausgeprägter Gewichtsreduktion (22–24 % Körperfett) und Fehlen einer somatischen Erkran-

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 5 Störungen des menstruellen Zyklus

kung. Endokrinologische Merkmale sind eine geminderte pulsatile LH-Freisetzung, Gonadotropin- und Östrogenausschüttung (hypogonadotrope Amenorrhö). –– Leistungssport: Erhöhte Beta-Endorphin- und Prolaktinspiegel blockieren die pulsatile LH-Sekretion im Hypothalamus. –– Post-pill-Amenorrhö: normogonadotrope Amenorrhö durch die suppressive Wirkung der „Pille“, Ausbleiben der Menstruation über einige Monate nach Absetzen oraler Kontrazeptiva (siehe S. 101/102)

5.3.2 Primär hypophysäre Amenorrhö Hypophysäre Amenorrhö: Schädigung oder Fehlentwicklung der Hypophyse. Aufgrund der großen Reservekapazität des Hypophysenvorderlappens kommt es erst zur Insuffizienz mit Amenorrhö, wenn der Ausfall mindestens 75 % beträgt.

–– Anlage- und Reifungsstörungen: Es kommen enzymatische Mangelsyndrome und Anlagefehler des Ventrikelsystems mit Auswirkung auf die GnRH-Produktion im Hypothalamus vor. –– Tumore: Es können Drucknekrosen am Hypothalamus und auch an der Hypophyse entstehen. –– Kallmann-Syndrom: Seltene familiär auftretende primär hypothalamische Amenorrhö in Kombination mit einer Fehlentwicklung des Bulbus olfactorius (kongenitale Anosmie). –– Entzündungen: Lues, Tuberkulose, autoimmune Hypophysitis. –– Tumore: Kraniopharyngeome führen zu Drucknekrosen und Destruktionen. STH-produzierende Hypophysenadenome führen neben einer Amenorrhö zu Riesenwuchs und Akromegalie. ACTH-produzierende Hypophysenadenome sind häufigste Ursache (80  %) für ein Cushing-Syndrom (Adipositas, Mondgesicht, Striae, Hypertonie, Hyperglykämie). Größere Hypophysentumoren führen neben endokrinologischen Störungen oft zu neurologischen Ausfällen (Gesichtsfeldausfall, Kopfschmerzen).

5.3.3 Sekundär hypophysäre Amenorrhö: –– Hyperprolaktinämie (Prolaktin > 700 mU/l), (Amenorrhö-Galaktorrhö-Syndrom) Leitsymptom einer Hyperprolaktinämie neben Amenorrhö: –– Galaktorrhö



5.4 Ovarielle Amenorrhö 

 79

5.3.4 Sonderformen einer hypophysären Amenorrhö –– Amenorrhö-Galaktorrhö-Syndrom: Die Prolaktin-Sekretion wird durch einen hypothalamischen Hemmfaktor (identisch mit dem Neurotransmitter Dopamin) gesteuert. Wird die Dopaminsekretion gehemmt, resultiert ein Anstieg des Prolaktins. –– Enthemmungs-Hyperprolaktinämie: Durch den Druck auf den Hypophysenstiel kommt es zu einer vermehrten Prolaktin-Sekretion. –– Dopamin-Antagonisten: Eine kompetitive Hemmung der Dopaminwirkung durch Dopamin-Antagonisten (Metoclopramid, Phenothiazine, Neuroleptika) führt zu einer Hyperprolaktinämie. –– Hypothyreose: Ein gesteigertes TRH bei Hypothyreose bewirkt eine hypothalamische Stimulation der Prolaktin-Sekretion. –– Chiari-Frommel-Syndrom: postpartale Amenorrhö mit persistierender Laktation. –– Sheehan-Syndrom: Postpartale Hypophysenvorderlappennekrose, die nach Geburtskomplikationen mit schweren Blutverlusten (Ischämie des Hypophysenvorderlappens mit schockbedingter Mikrothrombosierung) auftreten kann. Je nach Ausmaß der Nekrose findet man den Ausfall von Gonadotropinen, ACTH, TSH und Prolaktin.

5.4 Ovarielle Amenorrhö Ovarielle Amenorrhö: bedingt durch fehlende oder rudimentär angelegte, hypoplastische Ovarien oder durch eine erworbene ovarielle Funktionsstörung. Die volle Geschlechtsreife wird meist nicht erreicht. Die Genitalorgane und sekundären Geschlechtsmerkmale bleiben unterentwickelt (hypergonadotrope A.). Climacterium praecox: Auf das Alter bezogene, vorzeitige Erschöpfung des ovariellen Keimepithels (s. S. 67). „Resistant ovary syndrome“: Follikel in verschiedenen Reifungsstadien sind vorhanden, die Reifung bleibt allerdings – infolge blockierender Autoantikörper gegen Gonadotropinrezeptoren – aus.

Ätiologie: Primär ovarielle Amenorrhö bei chromosomalen Aberrationen: –– Ullrich Turner Syndrom (45 X0), Swyer-Syndrom (46 XY), Triple-X-Syndrom (47 XXX) –– Gonadendys- und -agenesie –– testikuläre Feminisierung –– Hermaphroditismus verus (Ovotestes)

80 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

Sekundär ovarielle Amenorrhö: –– Status nach Ovarektomie, Radiatio des kleinen Beckens oder Zytostatika-Therapie –– Autoimmunerkrankungen (M. Addison, Hashimoto-Thyreoiditis, M. Basedow).

5.5 Uterine Amenorrhö Uterine Amenorrhö: Das primäre Fehlen oder der sekundäre Verlust des Endometriums führen zu einer uterinen Amenorrhö.

Ätiologie: primär uterine Amenorrhö: –– Uterus- und Vaginalaplasie (Mayer-Küster-Rokitansky-Syndrom) sekundär uterine Amenorrhö: –– Nach forcierter Abrasio (Asherman-Syndrom) entstehende Synechien bzw. Adhäsionen der Uteruswände Scheinbare Amenorrhö bei Gynatresien: –– Hymenal-, Vaginal- und Zervixatresie: eine Abflussbehinderung des Menstrual­ blutes aus der Vagina- (Folge: Hämatokolpos), aus dem Cavum uteri (Folge: Hämatometra). Leitsymptom sind periodische Unterbauchbeschwerden

5.6 Extragenitale Amenorrhö Extragenitale Amenorrhö: Funktionsstörungen anderer endokriner Organe können zu einer Amenorrhö führen.

Ätiologie: –– Adrenogenitales Syndrom (AGS) –– Cushing-Syndrom –– Hypothyreose, Diabetes mellitus

5.6.1 Diagnose der Amenorrhö Indikationen zur Abklärung: –– bei Vollendung des 16. Lebensjahres –– bei Kleinwuchs –– bei Virilisierung der Genitale



5.7 Anovulatorischer Zyklus 

 81

Anamnese: –– Thelarche, Pubarche, Menarche –– psychische, physische Belastungen –– periodische Unterbauchschmerzen –– Medikamenteneinnahme –– Allgemeinerkrankungen, z. B. Diabetes mellitus und Anorexia nervosa –– Galaktorrhö –– Symptome endokriner Erkrankungen –– Dysmorphien: Schildthorax mit weit auseinanderliegenden Mamillen, Pterygium colli und Cubitus valgus sind Stigmata einer Gonadendysgenesie –– Symptom endokriner Erkrankungen: Beispiele sind Struma, Striae, Stammfettsucht, Kachexie oder Akromegalie. Hormonelle Diagnose (Stufendiagnose): 1. Prolaktin-Bestimmung 2. Gestagentest 3. Östrogen-Gestagen-Test 4. HVL-Funktionsprüfung (FSH, LH) 5. Clomifen-Test 6. GnRH-Test Chromosomenanalyse: Bei primärer Amenorrhö sollte immer eine genetische Untersuchung erfolgen. Therapie: Vor allem bei bestehendem Kinderwunsch.

5.7 Anovulatorischer Zyklus Anovulatorischer Zyklus: Periodisch auftretende Blutungen ohne vorausgegangene Ovulation und Corpus-luteum-Bildung (Abb. 5.2, Abb. 5.3).

Ätiologie: Unzureichende GnRH-Ausschüttung im Hypothalamus. –– GnRH-Ausschüttung: Die unzureichende oder desynchronisierte GnRH-Ausschüttung führt zu einer gestörten FSH- und LH-Sekretion. Dadurch wird auch die Follikelreifung negativ beeinflusst. –– Auftreten: Eine Häufung tritt während endokrinologischer Übergangszeiten der Geschlechtsreife auf. Außerdem können Adnexitiden, psychische und physische Belastungen (z. B. Leistungssport) zu anovulatorischen Zyklen führen.

82 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

–– Anamnese: Anovulatorische Zyklen sind selten regelmäßig (häufig Oligooder Polymenorrhö). Der Verlauf der Basaltemperaturkurve ist monophasisch. –– Hormonstatus: Progesteronbestimmung am 20.–22. Zyklustag mit deutlich erniedrigten Werten.

Temp. (°C) 37,5 37 36,5 36 7

1

(a)

14

21

28

Tage

Temp. (°C) 37,5 37 Abb. 5.2: Basaltemperaturkurve eines typischen anovulatorischen Zyklus (b) im Vergleich mit einem normalen Tage biphasischen Zyklus (a). Menstruationsblutung

36,5 36

Aufwachtemperatur in °C

(b)

1

7

14

21

28

Biphasischer Zyklus Normalverlauf mit hypothermer Follikel- und hyperthermer Lutealphase

37,0

36,5 1

8

15 Zyklustag

22

29

Zyklus mit Lutealinsuffizienz verzögerter, treppenförmiger Temperaturanstieg, vorzeitiger Abfall der Temperatur

Abb. 5.3: Basaltemperaturkurve eines typischen Zyklus bei Lutealphaseninsuffizienz (Corpus-luteum-Insuffizienz) im Vergleich zum normalen biphasischen Zyklus.



5.8 Polyzystisches Ovarialsyndrom 

 83

Therapie: bei Vorliegen regelmäßiger Zyklen: nur bei Kinderwunsch (Ovulationsauslösung) bei unregelmäßigen Zyklen: –– junge Frauen: Östrogen-Gestagen-Präparate –– ältere Frauen: synthetische Gestagene zyklisch zur Verhinderung einer Endometriumhyperplasie

5.8 Polyzystisches Ovarialsyndrom Polyzystisches Ovarialsyndrom: Das PCO-Syndrom ist ein Symptomenkomplex aus polyzystisch veränderten Ovarien, Zeichen der Hyperandrogenämie, Anovulation und häufig Adipositas. Morphologisch finden sich im Ovar multiple kleinzystische Follikelstrukturen, eine Verdickung der Tunica albuginea sowie eine Hyperplasie der Theca interna (Abb. 5.4).

Abb. 5.4: Typisches vaginalsonographisches Bild bei PCO-Syndrom: perlschnurartig angeordnete kleine Follikelzysten.

–– Stein-Leventhal-Syndrom: Auftreten einer typischen Symptom-Trias: 1. Polyzystische Ovarien, 2. Amenorrhö, 3. Sterilität. Ätiologie: Unbekannt, zur Ätiopathogenese (Abb. 5.5) –– Hyperandrogenämie: Die chronisch gesteigerte Androgenproduktion im Ovar führt zu Hirsutismus und Akne. –– Anovulation: Fehlende Follikelreifung und ausbleibende Ovulation. –– Anamnese: Erste Hinweise auf ein PCO-Syndrom sind Oligomenorrhö, Hirsutismus, Sterilität und Adipositas.

84 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

–– Vaginalsonographie: Das Ovar ist häufig vergrößert. Es weist einen verstärkten Stromaanteil und eine Vielzahl kleiner subcortical angeordneter Follikel entsprechend dem Bild einer Halskette („necklace sign“) auf. –– Endokrinologische Diagnose: –– oGTT zum Ausschluss einer Insulin-Resistenz –– FSH erniedrigt/LH erhöht –– LH/FSH-Quotient >2 –– Testosteron (gesamt und freies) erhöht –– Ausschlussdiagnose androgenproduzierender Nebennierenrinden- und Ovarialtumoren (DHEAS und CT-Abdomen) –– Cushing-Syndrom: Dexamethason-Kurztest Zyklusstörungen Östradiol Granulosazellatresie Thekazellhyperplasie Hypophyse LH Prolactin Insulin

Akne Hirsutismus Ovar

Androstendion

4.

1.

3.

2.

Östron Fettgewebe

Hypothalamus Dopamin

Abb. 5.5: Ätiopathogenese des PCO-Syndroms.

Therapie: –– Zyklusregulierung: Östrogen-Gestagen-Sequenz-Präparate –– Herstellung der Fertilität: oft durch Einsatz der Reproduktionsmedizin –– Virilisierung: Cyproteronacetat- oder Chlormadinonacetat-haltige Präparate haben antiandrogene Partialwirkungen. Die Östrogensubstitution führt zu einer Zunahme des sexualhormonbindenden Globulins (SHBG). Durch eine verstärkte Androgenbindung erreicht man eine Senkung des freien Testosterons.

5.9 Hyperthecosis ovarii Hyperthecosis ovarii: Dem PCO-Syndrom sehr ähnliches, jedoch durch typische Befunde eindeutig abgrenzbares Syndrom. Es finden sich morphologisch multiple Inseln luteinisierter hyperplastischer Thekazellen, die über das gesamte Stroma verteilt sind.

Klinik: –– therapieresistente Amenorrhö –– Hyperandrogenämie



5.10 Rhythmus- und Typusstörungen 

 85

–– hypogonadotrope Situation –– Akne und Hirsutismus –– Klitorishypertrophie und Alopezie Ätiologie: Vermutlich angeborener Enzymdefekt. Diagnose: Histologische Untersuchung einer Gewebeprobe vom Ovar. Therapie: Nicht möglich.

5.10 Rhythmus- und Typusstörungen 5.10.1 Rhythmusstörungen (Regeltempostörungen) Rhythmusstörungen: Anomalien der Blutungsabstände, bei meist erhaltener Zyklizität der Menstruation.

5.10.1.1 Oligomenorrhö –– Oligomenorrhö: Zyklus >35 Tage –– primäre Oligomenorrhö: Auftreten direkt nach der Menarche z. B. als wichtiges Symptom eines PCO-Syndroms. –– sekundäre Oligomenorrhö: Auftreten häufig prämenopausal. Therapie: –– kein Kinderwunsch: Ovulationshemmer, Östrogen-Gestagen-Kombination –– bei Kinderwunsch: Clomifen, Gonadotropine, GnRH-Therapie, Dopaminagonisten 5.10.1.2 Polymenorrhö Polymenorrhö: Die Blutungsstärke ist meist normal, kann jedoch auch verstärkt sein (Hyperpolymenorrhö). Die Formen der Polymenorrhö lassen sich anhand von Basaltemperaturkurven differenzieren.

–– Zyklus < 22 Tage –– verkürzte Follikelphase oder verkürzte Corpus-luteum-Phase oder verkürzter monophasischer Zyklus

86 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

Therapie: –– bei verkürzter Follikelphase: Östrogenbehandlung vom 3.–7. Zyklustag –– bei verkürzter Corpus-luteum-Phase: Östrogen-Gestagen-Kombination oder Clomifen –– bei verkürztem monophasischen Zyklus: Gestagene oder Östrogen-GestagenKombination

5.10.2 Typusstörungen Typusstörungen: Anomalien des Blutungsmusters, d. h. eine Verstärkung, eine Abschwächung oder eine Verlängerung der Regelblutung.

5.10.2.1 Hypomenorrhö Hypomenorrhö: Regelblutung meist nur 1–2 Tage mit minimalem Blutverlust.

Ätiologie: –– atrophische Endometriumveränderungen (z. B. nach langer Anwendung Gestagen-betonter Ovulationshemmer) –– Ashermann-Syndrom mit Synechien nach forcierter Curettage Therapie: Nicht notwendig, nur bei Kinderwunsch. 5.10.2.2 Hypermenorrhö Hypermenorrhö: Starke Regelblutung mit überdurchschnittlichem Blutverlust.

Ätiologie: –– organische Ursachen: Die Kontraktionsfähigkeit des Uterus kann durch intramurale und submuköse Myome, Adenomyosis uteri, entzündliche Prozesse, Endometriumpolypen und Malignome oder durch ein Intrauterinpessar eingeschränkt werden. –– hormonale Ursachen: Bei einem Gestagendefizit ist die regelrechte Abstoßung des Endometriums beeinträchtigt. –– Gerinnungsstörungen oder die Einnahme von Antikoagulantien (Cumarinderivate, Heparin)



5.11 Dysfunktionelle Blutungen (Metrorrhagie) 

 87

Therapie: –– Behandlung organischer Ursachen (Myom- oder Polypentfernung, Entzündungstherapie, ggf. Entfernung des Intrauterinpessars, Durchführung einer Abrasio zum Ausschluss eines Karzinoms) –– geringe Hypermenorrhö: Östrogen-Gestagen-Kombination 5.–25. Zyklustag. –– ausgeprägte Hypermenorrhö: Gestagene hochdosiert 5.–25. Zyklustag. –– bedrohliche Hypermenorrhö: mehrmonatige therapeutische Amenorrhö (z. B. durch GnRH-Analoga, Ulipristalacetat beim Uterus myomatosus), fraktionierte Kürettage. –– symptomatische Maßnahmen: Uterotonika, Antifibrinolytika (Tranexamsäure) –– Ultima Ratio: Hysterektomie, Endometriumablation Menorrhagie: Zu starke und verlängerte Regelblutung. Es handelt sich meist um die gleichen Ursachen wie bei der Hypermenorrhö, daher gleiches therapeutisches Vorgehen.

5.11 Dysfunktionelle Blutungen (Metrorrhagie) Dysfunktionelle Blutungen: Unregelmäßige, langanhaltende (> 14 Tage) Blutungen, die unabhängig vom Zyklus auftreten (azyklische Blutungen).

Ätiologie: –– azyklische Blutungen: sind in jedem Lebensalter der Frau klinisch bedeutsam, da außer funktionellen Störungen auch organische Ursachen bestehen können. –– organische Ursachen: genitale Karzinome, Myome, Polypen, schwere Endometritiden oder ein Intrauterinpessar können Ursache für eine azyklische Blutung sein. Eine gestörte Frühgravidität (Abort, Extrauteringravidität) ist immer auszuschließen. –– dysfunktionelle Ursachen: Die Follikelpersistenz (5–8 Wochen) führt zu einer anhaltenden Östrogenproduktion. Am Endometrium bewirkt dies eine überschießende Proliferation (Hyperplasie). Der steigende Östrogenbedarf des Endometriums führt aufgrund eines relativen Östrogenmangels zu Durchbruchblutungen. –– Follikelpersistenz: Die Follikelpersistenz in Kombination mit einer Hyperplasie des Endometriums tritt häufig in der Adoleszenz (juvenile Blutung) und in der unmittelbaren Prä- und Perimenopause auf.

88 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

Therapie: –– Jede azyklische Blutung und jede Dauerblutung muss durch eine Hysteroskopie und fraktionierte Abrasio histologisch abgeklärt werden. (Ausnahme: Juvenile Blutungsstörung). –– Östrogen-Gestagen-Therapie nach Ausschluss einer organischen Ursache: –– Dauerblutung < 3 Wochen: kombinierte Östrogen-Gestagen-Gabe führt innerhalb von 3–4 Tagen zur Blutstillung. Absetzen der Therapie nach 10–14 Tagen führt zur Hormonentzugsblutung. –– Dauerblutung > 3 Wochen: Sequenz-Therapie erst mit Östrogenen zum zyklusgerechten Aufbau der Schleimhaut, dann mit Gestagenen zur sekretorischen Umwandlung; nach Absetzen der Therapie tritt die Entzugsblutung auf.

5.12 Zusatzblutungen Zusatzblutungen: Alle Blutungen, die außerhalb der Menstruation auftreten.

Ätiologie: –– organische Ursachen: Kolpitis, Endometritis, Myome, Polypen, Karzinome, Verletzungen, hämorrhagische Diathese, Portioektopien. –– prämenstruelle Blutung: Schmierblutung 2–3 Tage vor Eintritt der Regelblutung. Ursache ist meist eine Corpus-luteum-Insuffizienz mit vorzeitigem Abfall der Progesteron- und Östrogenspiegel. –– Ovulations- oder Mittelblutung: Durch Absinken des Östrogenspiegels unmittelbar nach der Ovulation entstehende kurzzeitige Östrogenentzugsblutung. Auftreten oft gemeinsam mit dem Mittelschmerz. –– postmenstruelle Blutungen: Schmierblutungen im Anschluss an die Regelblutung, beruhen auf einer verzögerten Regeneration des Endometriums durch eine unzureichende Östrogenproduktion oder treten bei einer verzögerten Abstoßung des Endometriums auf. Bei verzögerter Abstoßung des Endometriums bleibt die Basaltemperatur erhöht. Diagnose: –– Basaltemperaturkurve: Verkürzte Hyperthermiephase mit treppenförmigem Anstieg der Temperatur postovulatorisch. –– Vaginalsonographie –– ggf. fraktionierte Abrasio zur histologischen Sicherung



5.13 Dysmenorrhö (Algomenorrhö) 

 89

Therapie: Hormonsubstitution: 1. prämenstruelle Blutung: 16.–25. Zyklustag Östrogen-Gestagen-Substitution 2. Ovulationsblutung: 12.–16. Zyklustag Östrogensubstitution 3. postmenstruelle Blutung: bei verzögerter Regeneration 3.–7. Zyklustag Östrogensubstitution, bei verzögerter Abstoßung 5 Tage vor der zu erwartenden Regelblutung Östrogen-Gestagen-Substitution.

5.13 Dysmenorrhö (Algomenorrhö) Dysmenorrhö: Eine Dysmenorrhö ist eine stark schmerzhafte Regelblutung – oft in Kombination mit ausgeprägten Allgemeinbeschwerden.

Symptom: –– Dysmenorrhö: Die krampfartigen Unterbauchbeschwerden setzen Stunden vor der Regelblutung ein und enden spätestens mit der Menstruation. Krankheitswert besteht bei 5–10 % der Frauen. –– primäre Dysmenorrhö: Auftreten direkt nach der Menarche. –– sekundäre Dysmenorrhö: Auftreten im Erwachsenenalter („erworben“). Ätiologie: –– psychosomatisch-lernpsychologische Faktoren –– Prostaglandin-F2α: Es wird vermehrt im sekretorisch transformierten Endometrium gebildet und zum Zeitpunkt der Menstruation freigesetzt. –– organische Ursachen: Endometriose, Adenomyosis uteri, Myome, Uterusanomalien, Zervikalstenose, Intrauterinpessare, Genitalentzündungen. Therapie: –– hormonale Kontrazeptiva: Gestagenbetonte Ovulationshemmer sind besonders geeignet (Einsatz im sog. Lang- oder Dauerzyklus, d.h. Nonstop-Einnahme über mehrere Monate) –– Prostaglandin-Synthetase-Hemmer: z. B. Ibuprofen oder Indometacin führen bei 80 % der Patientinnen zur deutlichen Beschwerdebesserung, z.T. -freiheit. –– Kausaltherapie: Zur Klärung einer organischen Ursache sollte eine diagnostische Laparoskopie erwogen und ggf. eine gezielte Therapie der jeweiligen Ursache eingeleitet werden. –– symptomatische Maßnahmen: Wärme und Hydrotherapie

90 

 5 Störungen des menstruellen Zyklus

5.14 Prämenstruelles Syndrom (PMS) Als PMS werden ausgeprägte psychische und physische Beschwerden bezeichnet, die bei ovulatorischen Zyklen 7–10 Tage vor der Menstruation beginnen und mit dem Einsetzen der Blutung enden. Krankheitswert: Etwa 20–40 % aller Frauen leiden in der zweiten Zyklushälfte unter einem PMS unterschiedlicher Stärke. Bei 10–20 % dieser Frauen ist eine Behandlung notwendig. Symptom: Mastodynie, Ödeme, Migräne, psychische Störungen Ätiologie: Die genaue Ursache des PMS ist unbekannt. Die Genese ist am ehesten multifaktoriell. Therapie: –– Ovulationshemmer: Niedrigdosierte hormonale Kontrazeptiva vom 16.–25. Zyklustag. –– Diuretika: z. B. Spironolacton (Aldosteronantagonist) zum Ausschwemmen von Ödemen. –– Progesteron-Gel: Lokalanwendung bei leichter Mastodynie.

Sylvia Mechsner, Nicole Gehrmann, Heribert Kentenich

6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität 6.1 Empfängnisverhütung Empfängnisverhütung dient der Familienplanung sowie einer Geburtenkontrolle. In Ländern mit stark zunehmender Bevölkerung kommt der Empfängnisverhütung im Hinblick auf Volksgesundheit, Säuglings- und mütterliche Morbidität sowie Mortalität eine besondere Bedeutung zu.

Synonym: Kontrazeption, Konzeptionsverhütung Epidemiologie: 48  % der Weltbevölkerung verwenden keine Kontrazeption. In Mittel- und Westeuropa verhüten ca. 30 % der Frauen mit hormonalen Kontrazeptiva, ca. 2–3 % mit einem IUP (Spirale) und 0,5 % unter Verwendung von Kondomen. Verbreitung von Verhütungsmethoden sind abhängig von: –– Pearl-Index (Zuverlässigkeit) (Tab. 6.1) –– Nebenwirkungen –– Handhabung; Akzeptanz –– Empfängnis nach Absetzen –– Kosten Pearl-Index: Beurteilungsmaß für die Effektivität einer Verhütungsmethode. Der Pearl-Index gibt die Häufigkeit der ungewollten Schwangerschaften im Anwendungsjahr bei 100 Frauen = 1200 Anwendungsmonate wieder. Schwankungen des Pearl-Indexes derselben Methode resultieren aus unterschiedlicher Zuverlässigkeit der Anwendung und sind insbesondere vom Kinderwunsch der Benutzerinnen und Benutzer abhängig. Zuverlässigkeit und Kosten sind die wichtigsten Kriterien für die Wahl des Kontrazeptivums (Tab. 6.1).

Tab. 6.1: Pearl-Index-Werte (%) für die häufigsten kontrazeptiven Methoden. Methode

Pearl-Index

Natürliche Kontrazeptionsmethoden Coitus interruptus



10 – 38

Kalendermethode



14 – 40

Temperaturmethode



0,5 – 3

symptothermale Methode



0,7 – 2

Billings-Ovulationsmethode

https://doi.org/10.1515/9783110472356-010



15,5 – 32

92 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Tab. 6.1: (fortgesetzt) Methode

Pearl-Index

Mechanische Kontrazeptiva Präservativ (für Männer oder Frauen)



0,4 – 2(–12)

Scheidendiaphragma mit Spermizid



1,3 – 4

Portiokappe mit Spermizid



2

Intrauterinpessar



0,5 – 2,7



5

Einphasenpille



0,2 – 0,5

Mikropille



0,2 – 0,5

Zweistufenpille



0,2 – 0,5

Dreistufenpille



0,2 – 0,5

Minipille



0,8 – 1,5

Hormonpflaster



0,7 – 0,88

Vaginalring



ca. 0,65

Gestagendepotinjektion



ca. 0,5

Gestagenimplantat



ca. 0,3

gestagenhaltiges Intrauterinpessar



ca. 0,1

Sterilisation



– 4

Chemische Kontrazeptiva Spermizide

– 29

Hormonale Kontrazeptiva

0,004 – 0,06

Methoden –– Zeitwahlmethoden: Verkehr nur an „sicheren“ Tagen –– Coitus interruptus: Unterbrechung der Kohabitation vor der Ejakulation –– Verhinderung der Spermienaszension: Kondom; spermizide Vaginalcreme oder -zäpfchen –– Störung des Eitransports: reversibel (hormonell); irreversibel (Sterilisation) –– Verhinderung der Ei-Einnistung: hormonell, IUD –– Hemmung der Ovulation: „Pille“

6.1 Empfängnisverhütung 

 93

6.1.1 Hormonale Kontrazeption Die hormonale Kontrazeption wurde in Deutschland 1961 eingeführt. Synonym: Pille; Anti-Baby-Pille; Ovulationshemmer (dieser Begriff gilt nicht für die Minipille) Hormonale Kontrazeption: Empfängnisverhütung mit synthetischen Steroiden, die als Wirksubstanz ein Östrogen und/oder ein Gestagen in unterschiedlichen Kombinationen enthalten.

Die Wirkmechanismen sind vielfältig: –– Hemmung der Gonadotropinsekretion –– Hemmung von Follikelreifung und Ovulation –– Viskositätsänderung des Zervixsekretes –– Nidationshemmung –– Hemmung der Tubenmotilität Östrogene: Als Östrogene stehen die vom natürlichen Östradiol abgeleiteten synthetischen Steroide Ethinylöstradiol zur Verfügung. Ethinylöstradiol hat eine hohe orale Wirksamkeit.

Die Gründe dafür sind: –– langsame Metabolisierung in der Leber durch Äthinylgruppe am C-17, –– lange HWZ von 7 Std., –– hohe Affinität und lange Bindung an Östrogenrezeptoren. Es gibt inzwischen auch orale Kontrazeptiva mit natürlichem Östrogen (Estradiolvalerat). Diese belasten weniger den Leberstoffwechsel und haben ein geringeres Thromboserisiko. Gestagene: Die natürlichen Gestagene wie 17-α-Hydroxyprogesteron und Progesteron sind oral unwirksam. Synthetische Gestagene leiten sich vom Progesteron oder 19-Nortestosteron ab und sind oral wirksam.

Die Derivate des Progesterons/17-α-Hydroxyprogesterons: –– Medroxyprogesteronacetat (MPA) –– Chlormadinonacetat (CMA) –– Cyproteronacetat hat keine androgene/anabole Wirkung. Die 19-Nortestosteronderivate weisen durch Metabolisierung in Östrogene eine androgene Partialwirkung auf. Aufgrund des Substituenten am C-Atom 13 werden die 19-Nortestosteronderivate in 13-Methylgonane (Norethisteron, Norethynodrel, Lynestrenol) und 13-Ethylgonane (Norgestrel, Desogestrel, Gestoden) unterteilt.

94 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

6.1.1.1 Hormonale Kontrazeptiva (Abb. 6.1) Kombinationspräparate: Östrogen-/Gestagengemisch unterschiedlicher Zusammensetzung

–– Monophasische/Einstufenpräparate: mit täglich gleicher Östrogen/Gestagenmenge. Meist in oraler Form als normale kombinierte Pille bekannt, können aber auch in Form eines Pflasters oder Vaginalringes appliziert werden. –– Modifizierte Kombinationspräparate (Zwei- oder Dreistufenpräparate): Gestagendosis variiert, zunächst geringe Gestagendosis, die dann gesteigert wird, ggf. variiert auch die Östrogenkonzentration –– Zweiphasenpräparat mit dem Zyklus angepasster Östrogen-/Gestagenmenge täglich. Enthalten in den ersten 6–7 Tagen nur Östrogen(50 µg), Gestagen nur in der 2 Phase (15 Tage) Wirkmechanismus: –– zentral: Hemmung der pulsatilen GnRH-Sekretion –– peripher: zervikale, endometriale und tubare Wirkung Kombinationspräparat (21/7) 2-Stufenpräparat (7 + 1 5/6) 3-Stufenpräparat (6 + 5 + 10/7) Kombinationspräparat mit Estradiolvalerat (komplexes Dosierungsschema) (2 + 5 + 1 7 + 2/2) Kombinationspräparat (24/4) Kombinationspräparat im Langzyklus (84/7) Kombinationspräparat kontinuierliche Therapie Gestagen-Monotherapie Ethinylestradiol

Estradiolvalerat

Gestagen

Placebo

Abb. 6.1: Übersicht der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von oralen Kontrazeptiva und deren Einnahmemodus.

6.1 Empfängnisverhütung 

 95

Einphasenpräparate: enthalten in jeder Tagesdosis eine definierte Menge eines Östrogen-/Gestagen-Gemisches. Die Einnahme erfolgt über 21 Tage; danach schließt sich eine vier- bis siebentägige Einnahmepause an oder eine Einnahme einer Pille ohne Wirkstoff bis zum Eintritt der Abbruchblutung. Die tägliche Einnahme unterliegt keinem zeitlichen Rahmen. Einphasenpräparate können als Ein-, Zwei- und Drei-Stufen Präparate verschrieben werden. Zweiphasenpräparate: Syn. Sequenzpräparat, enthalten in den ersten 7–11 Tagen nur Ethinylöstradiol. Bei konstant bleibender Östrogendosierung wird in den weiteren 10–15 Tagen ein Gestagen zugesetzt. Das Applikationsschema ahmt den natürlichen Zyklus nach; es muss auf eine tageszeitlich genau gleiche Einnahme geachtet werden.

Minipille (Gestagenmonopräparate) Depot-Gestagene Postkoitalpille = „Pille danach“, sog. Notfallkontrazeptivum Die Kombinationspräparate gehören zu den sichersten und verbreitetsten Methoden der Empfängnisverhütung. Ihr Pearl-Index wird auf Studienbasis mit 0,03 angegeben. Wirkmechanismus: Die Kombinationspräparate wirken zentral über die Hemmung der pulsatilen GnRH-Sekretion. Periphere Wirkung entfalten sie –– zervikal über Hemmung der mittzyklischen Öffnung des Zervikalkanals und Verminderung des Zervikalsekretes wodurch die Spermienaszension gestört ist; –– endometrial über verfrühte Proliferationshemmung und unvollständige sekretorische Transformation, wodurch die Nidation erschwert wird; –– tubar über progesteroninduzierte Verminderung der Zilienzahl und -größe, wodurch der Spermien- und Eitransport beeinträchtigt wird. Mögliche (unerwünschte) Nebenwirkungen der Ovulationshemmer (Tab. 6.2) 1. allgemeine (Kopfschmerzen) 2. gynäkologische (Blutungsstörungen) 3. organspezifische Nebenwirkungen a) Leberstoffwechsel b) Fettstoffwechsel c) Gerinnungsstoffwechsel d) Glukosestoffwechsel Erwünschte Wirkungen: Mastodynie wird gebessert.

96 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Ausschluss von Kontraindikationen –– absolute: Z. n. Thrombose, Z. n. Herzinfarkt, Migräne mit Aura –– relative: Adipositas, Immobilisation, Hypertonus –– Prävention: Halbjährliche Kontrollen mit gynäkologischer Untersuchung, Blutdruckmessung und Glukosescreening des Urins Allgemeine Nebenwirkungen (NW): Allgemeine NW wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Ödeme und Gewichtszunahme sind auf die Östrogenwirkung zurückzuführen; Stimmungsschwankungen, Müdigkeit, depressive Verstimmungen und Libidoverlust sind gestagenbedingte Veränderungen. Gynäkologische Nebenwirkungen: Manifestation überwiegend als sog. Durchbruchblutungen in den ersten Pillenzyklen. Blutungen in der ersten Einnahmephase werden mit einem Östrogen höher dosierten Präparat behandelt; bei Blutungen in der zweiten Einnahmephase eignet sich ein höher dosiertes Gestagenpräparat. Leberstoffwechsel: –– Veränderungen der Transaminasen, alkalische Phosphatase und gGT; Trägerproteine sind erhöht (Thyreoglobulin, SHBG). –– Sowohl durch Enzyminduktion wie kompetitive Hemmung hepatischer Enzyme wird auf den Steroidstoffwechsel eingewirkt. Daraus resultiert eine Beeinflussung des Abbaus von Arzneimitteln und in Interaktion mit Medikamenten ein beschleunigter Abbau des Kontrazeptivums. –– Risiko: Minderung der kontrazeptiven Sicherheit und Zyklusstörungen –– Benigne Lebertumore treten häufiger auf. Inzidenz: 1,3/100.000 pro Jahren; Risiko hohe Mortalitätsrate von ca. 30  % durch Massenblutung bei Ruptur der Leberkapsel. Fettstoffwechsel: –– Östrogene stimulieren die Synthese der Apolipoproteine –– schnellere LDL-Elimination; Erhöhung des zirkulierenden HDLs –– Gestagene erhöhen den atherogen Index (HDL sinkt/LDL steigt) –– Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen steigt, besonders bei zusätzlichem Nikotinabusus, Adipositas und über 35 Lj. Gerinnungsstoffwechsel: –– Östrogenbedingte Reduktion der AT-III-Aktivität –– Risiko für thromboembolische Erkrankungen steigt um Faktor 4. Glucosetoleranz: –– Erniedrigung der Glukosetoleranz und Erhöhung der Insulinresistenz –– Risiko: Manifestation eines latenten Diabetes mellitus

6.1 Empfängnisverhütung 

 97

Tab. 6.2: Zusammenstellung von Nebenwirkungen der Pille, ihrer wahrscheinlichen Ursachen und des vorgeschlagenen Wechsels. Nebenwirkungen

wahrscheinliche Ursache

Vorgeschlagener Wechsel auf Präparat

Akne

Nortestosteroneffekt

mit Anti-Androgen-Effekt

Ausfluss, schleimiger

zu hohe Östrogenwirkung

mit niedrigerer Östrogenwirkung

Blutung zu stark (Menorrhagie)

Gestagenmangel

mit höherer Gestagenwirkung

Blutung zu schwach

Östrogenmangel

mit höherer Östrogenwirkung, evtl. Mehr-Phasen-Präparat

Chloasma

zu hohe Östrogenwirkung

mit niedrigerer Östrogen­wirkung

Depressionen

zu hohe Gestagenwirkung

mit niedrigerer Gestagen­wirkung

Durchbruchsblutungen

Östrogenmangel

mit höherer Östrogenwirkung, evtl. Mehr-Phasen-Präparat

Gewichtszunahme, langsame

zu hohe Gestagenwirkung

mit geringerer Gestagenwirkung

Gewichtszunahme, rasche

zu hohe Östrogenwirkung

mit geringerer Östrogenwirkung

Hitzewallungen

Östrogenmangel, zu hohe Gestagenwirkung

mit höherer Östrogen- und niedrigerer Gestagenwirkung

Hypertrichosis

Nortestosteroneffekt

mit Anti-Androgen-Effekt

Kohabitationsbeschwerden, trockene Vagina

Östrogenmangel

mit höherer Östrogenwirkung, evtl. Mehr-Phasen-Präparat

Kopfschmerzen

zuviel Östrogen, zuviel Gestagen

mit geringerer Östrogen- und Gestagenwirkung

Libidoabnahme

zu hohe Gestagenwirkung

mit geringerer Gestagenwirkung

Mastodynie

zu hohe Östrogenwirkung

mit geringerer Östrogenwirkung

Migräne

zu hohe Östrogenwirkung

mit geringerer Östrogenwirkung, evtI. Pille ganz absetzen

Müdigkeit

zu hohe Gestagenwirkung

mit geringerer Gestagenwirkung

Myohyperplasie

zu hohe Östrogenwirkung

mit geringerer Östrogenwirkung

Ödeme

zu hohe Östrogenwirkung

mit geringerer Östrogenwirkung

Pseudo-Amenorrhö („silent menstruation“)

Östrogenmangel

mit höherer Östrogenwirkung, evtl. Mehr-Phasen-Präparat

Schmierblutung mitten im Zyklus

Östrogenmangel

mit höherer Östrogenwirkung

Übelkeit

zuviel Östrogene, zuviel Gestagene

mit niedrigem Östrogen- und Gestagengehalt

Varikosis, „schwere Beine“

zu hohe Östrogenwirkung

mit geringerer Östrogenwirkung

98 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Erwünschte Wirkungen: Einsatz von Ovulationshemmern unter therapeutischen Aspekten (z B. bei Endometriose, zyklischer Migräne oder PCO-Syndrom) (Tab. 6.3). Kontraindikationen: Die ausführliche Anamnese sowie die Kenntnis über absolute und relative Kontraindikationen sind von großer Bedeutung. Mit jeder Patientin sollte bei Vorliegen von Kontraindikationen nach einer akzeptablen Alternative gesucht bzw. Nutzen und Risiko des jeweiligen Präparats kritisch gegeneinander abgewogen werden (Tab. 6.4). Tab. 6.3: Therapeutischer Einsatz von Ovulationshemmern. Indikationen

Klinik (unter Pilleneinnahme)

Zyklusstörungen Hypermenorrhö, Menorrhagie

Abschwächung der menstruellen Blutung

Polymenorrhö

Zyklusnormalisierung durch regelmäßige Entzugsblutungen

Verschiebung der Menstruation

Vorverlegung oder Hinausschieben der Blutung bei bestimmten Indikationen (z. B. Operation, Wettkampf, Urlaub)

Dysmenorrhö

Besserung der Dysmenorrhö durch Ovulationshemmung sowie durch Beeinflussung der Prostaglandinsynthese und -wirkung

Prämenstruelles Syndrom

Abnahme der prämenstruellen Beschwerden (Gereiztheit, Depressionen, Ödeme)

Ovarialzysten

Verkleinerung bzw. Verschwinden von Ovarialzysten durch antigonadotropen Effekt

Endometriose

Rückgang der Endometriose und Abnahme der Beschwerden (Dysmenorrhö, Menorrhagien und Dyspareunie)

Audrogenisierung Akne, Seborrhö, Hirsutismus, Alopecia androgenetica

Unterdrückung der ovariellen Androgensynthese durch antigonadotropen Effekt, Beeinflussung der Steroidsynthese im Ovar, günstige Wirkung von Östrogenen und speziellen Gestagenen auf Haut und Hautanhangsgebilde

Erkrankungen der Brustdrüse Mammahypoplasie

mäßige Volumenzunahme der Mammae

Mastopathie

Abnahme der Mastopathiebeschwerden, selteneres Auftreten gutartiger Brusttumoren

6.1 Empfängnisverhütung 

 99

Absolute und relative Kontraindikationen (Tab. 6.4): Tab. 6.4: Kontraindikationen für kombinierte orale Kontrazeptiva (COCs); Quellen: Empfehlungen zur hormonellen Kontrazeption, 44. Arbeitstreffen des Zürcher Gesprächskreises 2010; WHO medical eligibility criteria for contraceptive us. Fourth edition 2009. Kontraindikationen für COCs laut Zürcher Gesprächskreis

Kontraindikationen für COCs laut WHO

Thromboembolische Erkrankungen

Raucherinnen ≥ 35 Jahre und ≥ 15 Zigaretten/Tag

Stoffwechselerkrankungen mit manifesten sekundären Gefäßschäden

multiple kardiovaskuläre Risikofaktoren (Alter, Rauchen, Diabetes mellitus Typ 2 (DM2), arterielle Hypertonie)

schwer behandelbarer Bluthochdruck

Hypertonie ≥ 160/≥ 100mmHG oder mit vaskulärer Erkrankung

ausgeprägte Hypertriglyzeridämie

akute oder anamnestische tiefe Beinvenenthrombose oder Lungenembolie

akute oder chronisch progrediente Lebererkrankung

großer chirurgischer Eingriff mit verlängerter Immobilisation

Störung der Gallensekretion

Thrombogene Mutationsträgerin (Faktor V, Prothrombin, Protein S, Protein C, Antithrombin)

Intrahepatische Cholestase

akuelle oder anamnestische ischämische Herzerkrankung

Vorausgegangene oder bestehende Lebertumoren

Apoplex oder anamnestisch nach zerebrovaskulärem Ereignis

Hormonabhängige Karzinome

kompliziertes Herzvitium (mit pulmonaler Hypertonie oder anamnestisch nach subakuter bakterieller Endokarditis oder mit Risiko für Vorhofflimmern) Systemischer Lupus erythematodes mit positiven Antipospholipid-Antikörpern Migräne mit oder ohne Aura ≥ 35 Jahre aktuelle Brustkrebserkrankung DM2> 20 Jahre oder Nephropathie/Retinopathie/ Neuropathie oder andere sekundäre Gefäßschäden akute virale Hepatitis (Beginn von OC) Dekompensierte Leberzirrhose Hepatozelluäres Adenom Maligne Lebertumoren

100 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Prävention: Präventive Maßnahmen sollen vor der Erstverordnung und dann halbjährlich durchgeführt werden (z. B. RR-Kontrolle) (Tab. 6.5).

Tab. 6.5: Präventive Maßnahmen vor Erstverabreichung der Pille. 1. Anamnese

Ziel: Ausschluss von Kontraindikationen

2. Eigenanamnese

–– kardiovaskuläre Erkrankungen (→ Thromboembolie) → Thrombose (→ Hypertonie) –– Stoffwechselerkrankungen → Diabetes mellitus –– diätetische Faktoren → Nikotin/Alkohol/Medikamente –– andere Allgemeinerkrankungen

3. Familienannaınnese

Ziel: Filtern gesunder Risikopatientinnen der in der Eigenanamnese aufgeführten Erkrankungen

4. Untersuchung allgemein

–– Größe/Gewicht/Blutdruck –– Ganzkörperstatus → Varikosis

5. Untersuchung gynäkologisch –– Spekulumeinstellung → Genitalanomalie –– Tastbefund → Myome –– Ultraschall → Ovarialzysten 6. Zervixzytologie

Ausschluss Zervixpathologie

7. Brust

Mastopathie/Karzinomausschluss

8. Blutuntersuchung

Serumlipide/Blutzucker/Leberenzyme bei Krankheitsverdacht

9. Urinuntersuchung

Eiweiß/Glucose bei Krankheitsverdacht

6.1.1.2 Ovulationshemmer und Reproduktion Minderung der Fertilität –– Es stellt sich die Frage, ob nach Absetzen des Ovulationshemmers eine Fertilitätsstörung besteht. Dieses ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn sich die nachfolgenden Zyklen regelmäßig gestalten. Bei bereits vorbestehender Hormonstörung (in den meisten Fällen Hyperandrogenämie/Oligomenorrhö/PCO-Syndrom), besteht auch nach Absetzen der Pille diese Störung weiter. Diese Zyklusstörung hat aber nichts mit der Einnahme der „Pille“ zu tun. –– Fertilitätsminderung maximal bis 2,5 Jahre nach Absetzten der „Pille“ –– kein erhöhtes Abortrisiko Pilleneinnahme in der Schwangerschaft –– teratogenes Risiko nicht erhöht

6.1 Empfängnisverhütung 

 101

Pille in der Laktationsphase –– Hormonelle Bestandteile der Ovulationshemmer gehen in die Muttermilch über. –– in der Stillzeit: „Minipille“ Pille und Karzinomerkrankungen Erhöhtes Risiko an einem Karzinom zu erkranken durch Pilleneinnahme? Pilleneinnahme nach einer Karzinomerkrankung? 1. Mammakarzinom –– Risiko der Erkrankung nicht eindeutig erhöht –– Pilleneinnahme nach Therapie nicht empfehlenswert 2. Endometriumkarzinom –– Protektion durch Ovulationshemmer 3. Zervixkarzinom –– erhöhte Inzidenz unter der Pille wird diskutiert bei HPV-positive Frauen –– Pilleneinnahme nach Therapie mit Uteruserhalt möglich 4. Vulvakarzinom –– Pille ohne Einfluss auf Erkrankung 5. Ovarialkarzinom –– wahrscheinlich Protektion bei epithelialen Formen Wissenswerte Aspekte zu Ovulationshemmern 1. Post-Pill-Amenorrhö (Ausbleiben der Menstruation nach Ovulationshemmern?) 2. Kosten („Pille“ auf Rezept?) 3. Pille bei Jugendlichen? (rechtliche Aspekte) 4. Pille in der Perimenopause? (Alternative zur Substitutionstherapie?) 5. Gründe für das Absetzen der Pille (medizinische und individuelle Gründe) 6. Einnahmedauer (Pillenpause erforderlich?) Post-Pill-Amenorrhö: Syn.: Ovulationshemmeramenorrhö, Over-Suppressions-Syndrom; sekundäre Amenorrhö, die für mindestens 6 Monate nach dem letzten Pillenzyklus besteht.

0,8  % aller Frauen bleiben nach Pilleneinnahme über ein Jahr hinaus amenorrhoisch. Die Amenorrhörate ist bei Frauen, die keine hormonalen Kontrazeptiva nehmen, mit 0,7  % nahezu gleich hoch. Es ist fraglich, ob es das „Over-Suppressions-Syndrom“ tatsächlich gibt, oder ob sich eine Zyklusstörung zufällig nach Ovulationshemmereinnahme manifestiert. Untersuchungen zeigen, dass späte Menarche, Oligomenorrhö, Untergewicht, primär unregelmäßiger Zyklus und hypothalamische Störungen für amenorrhoische Phasen prädisponieren. Bei jeder Post-Pill-Amenorrhö muss wie bei jeder anderen Amenorrhö nach der Ursache der

102 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Störung gesucht werden. 25 % dieser Patientinnen haben eine Hyperprolaktinämie. Keinen Einfluss hat die Einnahmedauer, die Zusammensetzung des Präparates oder die Parität auf die Entstehung einer Post-Pill-Amenorrhö. Patientinnen mit Kinderwunsch werden einer Stimulationstherapie mit Clomifencitrat, Gonadotropinen oder rekombinantem FSH zugeführt. Die Hyperprolaktinämie wird mit Dopaminagonisten supprimiert. Eine Substitutionstherapie erfolgt, wenn kein aktueller Kinderwunsch besteht. Kosten: Hormonale Kontrazeptiva müssen in Deutschland von jeder Frau nach Vollendung des 20. LJ selbst bezahlt werden. Etwa 20–30 Euro werden derzeit für eine 3-Monatspackung veranschlagt. Finanzschwächere Frauen, Studentinnen und arbeitslose Frauen können eine Kostenbefreiung beantragen. Frauen, die aus medizinischen Gründen einen sicheren Antikonzeptionsschutz benötigen, erhalten die „Pille“ auf Rezept. (z. B. Tumorleiden mit Radiatio oder Chemotherapie). Junge Mädchen und Frauen bis zum 20. Lj. beziehen den Ovulationshemmer ebenfalls über ein Rezept. Die Rezeptgebühr entfällt. (§ 24a Sozialgesetzbuch Nr. V) „Pille“ für Jugendliche: Von Rechts wegen werden Mädchen ab 14 J. vom Gesetzgeber in der Arzt-Patienten-Beziehung als entscheidungsfähig angesehen, so dass die „Pille“ ohne Wissen und Einverständnis eines Erziehungsberechtigten verschrieben werden kann. Vor der Vollendung des 14. Lebensjahres ist die Verordnung hormonaler Kontrazeption statthaft, bedarf jedoch der Zustimmung des/der Sorgeberechtigten. Bei unregelmäßiger/unsachgemäßer Einnahme kann mit der Jugendlichen die Verabreichung eines Depot-Gestagens diskutiert werden. Zyklusstörungen oder Herabsetzung der Fertilität sind nicht zu befürchten. Einnahmepausen sind bei Mädchen mit stabilem Zyklus nicht erforderlich. Ovulationshemmer können jedoch die langsame Entwicklung einer Zyklusstörung maskieren. Bei jungen Frauen mit einer primären Oligomenorrhö oder anovulatorischen Zyklen konnte nicht bewiesen werden, dass die Suppression der hypothalamisch-hypophysären Achse prognostisch ungünstig ist. Günstige therapeutische Effekte können ausgeschöpft werden, wenn zum Kon­ trazeptionswunsch starke Dysmenorrhö, unregelmäßige und/oder verstärkte Blutungen sowie Akne hinzukommen. „Pille“ in der Perimenopause: Frauen in der Perimenopause weisen in größerem Maße Risikofaktoren wie Adipositas, Hypertonus und Hyperlipidämie auf, die einer Ovulationshemmereinnahme entgegenstehen. Die Morbidität unter Pilleneinnahme ist in dieser Lebensphase erhöht (thromboembolische Ereignisse). Vorteile der Pilleneinnahme sind: –– Regulierung unregelmäßiger Menstruationsblutungen –– Regulierung starker Blutungen –– Besserung von Beschwerden des prämenstruellen Syndroms –– Schutz vor fibrozystischen Brusterkrankungen und adenomatöser Hyperplasie

6.1 Empfängnisverhütung 

 103

Niedrig dosierte Kombinationspräparate sind die Pille der Wahl. Die Zyklusanamnese muss berücksichtigt werden; Östrogene sind erforderlich bei klimakterischen Beschwerden, Gestagene bei Vorliegen eines anovulatorischen Zyklus. Der Zeitpunkt, an dem die Ovarialfunktion soweit erloschen ist, dass keine Konzeption mehr befürchtet werden muss, sollte erkannt werden. Nach einer Pillenpause von mindestens einem Zyklus wird in der Lutealphase FSH und Progesteron bestimmt: FSH sollte über dem Normbereich und Progesteron unter dem Lutealphasenbereich liegen. Absetzen der „Pille“ Gründe medizinischer Natur: –– Gravidität –– erstmaliges Auftreten/Verschlimmerung von Migräne –– flüchtige zerebrale Attacken –– akute Sehstörungen –– Thrombophlebitis/thromboembolische Erkrankungen –– Oberbauchschmerzen (Ausschluss von Lebererkrankungen) –– starker Blutdruckanstieg –– Vergrößerung bestehender Myome –– längere Immobilisation (Unfall) –– Wochen vor geplanter Operation Individuelle Gründe: –– Lustlosigkeit, ständig ein Medikament einzunehmen (Compliance) –– Auftreten unangenehmer Begleiterscheinungen, z. B. Mastodynie, Blutungsstörungen oder Kopfschmerzen. Einnahmedauer: Frauen ohne anamnestische Risikofaktoren können die „Pille“ zwischen dem 20. und 35. Lj. durchgehend einnehmen. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass Frauen nach dem 35. Lebensjahr weiter mit oralen Kontrazeptiva verhüten können, insofern keine Risikofaktoren vorliegen. Minipille oder Depot-Gestagene werden als reine Gestagenpräparate angewandt; weltweit geringe Akzeptanz, aber geringere Risiken

Applikationsformen von Gestagenen: –– orale tägliche Einnahme der sog. Minipille; immer zum gleichen Zeitpunkt, z. B. morgens

104 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

–– intramuskuläre Injektion von Medroxyprogesteronacetat (MPA) in mikrokristalliner Form als Depotpräparat; Wirkdauer von 3 Monaten –– intrauterine Applikation eines Gestagen-Progesteron-Depots im Intrauterinpessar (IUP); Wirkdauer von 3 oder 5 Jahren (je nach Präparat) –– subdermale Implantation eines gestagenhaltigen Stäbchens Minipille Minipille: Alternative zum Ovulationshemmer für Frauen, die >35 Jahre alt sind u./o.: Rauchen, aber hormonale Kontrazeptiva wünschen, Stillen, ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Erkrankungen haben, einen Hypertonus haben und Kopfschmerzen unter Kombinationspräparaten entwickelt haben. Wirkungsweise: –– Hypothalamus: Störung der GnRH-Hormonfreisetzung. –– Hypophyse: Veränderung des zyklischen Profils der Gonadotropinsekretion; Senkung des präovulatorischen LH-Peaks > 15–20 % anovulatorische Zyklen. –– Ovar: Störung der Follikelreifung, durch Inhibition der Steroidproduktion; Beeinträchtigung der Gelbkörperfunktion. –– Uterus: Proliferationshemmung; verfrüht einsetzende Transformation, Nidationshemmung. Implantation und Überleben der Blastozyste ist erschwert, aber nicht unbedingt verhindert. –– Zervix: zähflüssiges Zervikalsekret; Behinderung der Spermienpenetration. –– Tube: Veränderungen der Tubenmotilität → Risiko einer Tubargravidität (Absolutes Risiko ~ 4/100 Schwangerschaften) Reine Gestagenpräparate: Da die eingesetzte Gestagendosis im Vergleich zur damals in Ovulationshemmern enthaltenen gering war, wurde sie weltweit unter dem Begriff „Minipille“ bekannt. Seit 1970 ist die „Minipille“ auf dem Markt. Ausnahmslos werden Abkömmlinge des 19-Nortestosterons für die „Minipille“ verwandt: –– Norethisteron 0,35 mg –– Lynestrenol 0,50 mg –– Levonorgestrel 0,03 mg Akzeptanz: Aufgrund der nicht optimalen Zykluskontrolle, der im Gegensatz zu den Ovulationshemmern geringeren kontrazeptiven Sicherheit, dem relativ höheren Risiko der Extrauteringravidität und der größeren Unsicherheit bezüglich der Wiederherstellung der Fertilität nach Absetzen weltweit geringe Akzeptanz. (BRD 1  % Marktanteil, USA 0,2 %), 50 % der Frauen geben innerhalb eines Jahres die Einnahme wieder auf. Pearl-Index: Für die Minipille 0,8 %. Studien zeigen, dass der PEARL-Index mit dem Alter der Frau steigt, was wiederum die besondere Eignung der Minipille für ältere

6.1 Empfängnisverhütung 

 105

Frauen beweist. Die Zuverlässigkeit ist beeinträchtigt, wenn die Einnahme von nur einer oder zwei Tabletten vergessen wird oder die Absorption durch Erbrechen bzw. Diarrhö gestört ist. Ein festes Einnahmeschema muss für die Minipille eingehalten werden. Nebenwirkungen: Durchbruch- oder Schmierblutungen, verminderte Blutungsstärke und erheblichen Schwankungen des intermenstruellen Intervalls. 30–60  % der Frauen vermelden Menstruationsstörungen. Funktionelle Ovarialzysten – mit Unterbauchschmerzen und Dyspareunien – sind die häufigste Nebenwirkung. Nach Absetzen der Minipille erfolgt zumeist eine spontane Rückbildung. Positive Auswirkungen sind Besserung der Dysmenorrhö und von Beschwerden des Prämenstruellen Syndroms. Die Kosten belaufen sich auf ca. 30–50 Euro für eine Dreimonatspackung. Depot-Gestagene (MPA, Norethisteron) Diese bieten gegenüber der Minipille folgende Vorteile: keine Einnahmefehler; geringe Nebenwirkungen –– Pharmakokinetik: langsame Resorption aus dem Injektionsbereich. –– Pharmakodynamik: steiler Anstieg des Serumspiegels –– Anwendung: i. m. Injektion –– Wirkungsweise: Viskositätserhöhung des Zervikalsekretes; Beeinträchtigung der Endometriumentwicklung. –– Pearl-Index: 0,3 %. –– Nebenwirkungen und Nachteile: Gewichtszunahme, Akne, Zyklusstörungen –– Fertilität nach Absetzen: Konzeptionen sind nach 2–10 Monaten zu erwarten. Depot-Gestagene: Die Anwendung der Gestagene als Depotinjektion (Syn. „3-Monatsspritze“) steigert die Sicherheit zur Empfängnisverhütung erheblich. Die gebräuchlichsten Substanzen sind –– Medroxyprogesteronacetat (MPA), –– Norethisteronenantat als Depotform. Vorteile der Depot-Gestagene: –– tägliche, zeitlich exakte Tabletteneinnahme nicht notwendig –– Gefahr von Einnahmefehlern existiert nicht –– keine östrogenhaltigen Nebenwirkungen –– subjektive Nebenwirkungen durch Umgehung des enterohepatischen Kreislaufs gering –– Symptomverbesserung bei Migränepatientinnen –– MPA beeinflusst die Milchsekretion nur wenig

106 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Nachteile der Depot-Gestagene: –– Blutungsunregelmäßigkeiten bis zur Amenorrhö; instabiler Zyklus –– Absetzen bei Auftreten von Nebenwirkungen ist nicht möglich. Pharmakokinetik: Depot-MPA als mikrokristalline Suspension bildet an der Injektionsstelle ein Depot, aus der die Resorption erfolgt. Konstante Serumspiegel zwischen den Injektionen sichern die Ovulationshemmung. Norethisteronenantat, in öliger Lösung, wird aufgrund seiner Lipophilität im Fettgewebe gespeichert (Sekundärdepot). Höhere Schwankungen im Serumspiegel führen nur zu einer zeitlich begrenzten Ovulationshemmung. Pharmakodynamik: Depot-MPA hält den Serumspiegel für längere Zeit auf einem Niveau und fällt ganz allmählich ab. Unterdrückung des präovulatorischen LH-Gipfels und Ovulationshemmung für mindestens 3 Monate. Der Norethisteronspiegel steigt im Serum steil an und fällt schnell wieder ab. Nach 6–8 Wochen kommt es wieder zur Ovulation. Die kontrazeptive Wirkung beruht dann auf peripheren Gestageneffekten. Anwendung: Depot-MPA wird alle 90 Tage intramuskulär (150 mg) verabreicht. Die erste Injektion erfolgt bis zum 5. Zyklustag, danach ist eine Rücksichtnahme auf die Menstruation nicht erforderlich. Norethisteron wird nach der ersten Injektion noch 3mal im Abstand von 8 Wochen verabreicht, bei der ersten Gabe ist der Blutungszeitpunkt von Bedeutung. Ab der 5. Injektion wird ein 84-Tage-Intervall angewendet. Wirkungsweise: Die Depotpräparate verursachen eine Viskositätserhöhung des Zervikalschleims und verhindern die Spermienaszension im Zervikalkanal. Depot-MPA bewirkt am Endometrium eine abortive, sekretorische Transformation, die langfristig in eine Atrophie übergeht. Norethisteron beeinträchtigt die zyklische Ausreifung des Endometriums sehr unterschiedlich bis gar nicht. Beide Depot-Gestagene inhibieren den Gametentransport bzw. die Kapazitation der Spermien. Pearl-Index: Wird mit 0,3–0,5  % angegeben. Depot-Gestagene bieten nahezu den gleichen Konzeptionsschutz wie Kombinationspräparate. Die meisten Konzeptionen ereignen sich kurz nach den ersten Injektionen oder in den letzten Tagen vor der nächsten Injektion. Nebenwirkungen: Gewichtszunahme, Übelkeit, Schwindel, Nervosität, Akne, Kopfschmerz, Libidoverlust und Endothelschäden an Gefäßwänden. Zyklusstörungen treten gehäuft in den ersten Monaten auf. In Analogie zur Minipille sind verkürzte oder verlängerte Zyklen, verstärkte oder verminderte Blutungen, unregelmäßige oder Schmierblutungen (häufigste unerwünschte Begleiterscheinung) und ein völliges

6.1 Empfängnisverhütung 

 107

Ausbleiben der Menstruationsblutung zu beobachten. Nach der ersten Injektion von Depot-MPA hat schon jede zweite Frau Blutungsunregelmäßigkeiten. Zur Therapie bieten sich Östrogene 40–60 µg/die (Estradiolvalerat), ein Kombinationspräparat oder ein Methodenwechsel an. Fertilität nach Absetzen: Durch lang andauernde Freisetzung der Substanz aus dem Injektionsdepot vergehen nach Absetzen von Depot-MPA mindestens 10 Monate bis zur Konzeption. (Nach Entfernung eines IUPs durchschnittlich 2  Monate). Nach Norethisteron konzipieren die meisten Frauen innerhalb von 3–6 Monaten. Für eine andauernde Fertilitätsminderung durch Depot-Gestagene gibt es keine Hinweise. „Pille danach“: Indikation: ungeschützter sexueller Kontakt/Geschlechtsverkehr, besonders in Zyklusmitte, mit Wahrscheinlichkeit einer Gravidität von 30 % u./o. das Versagen einer anderen Methode der Kontrazeption. Applikation: Einnahme einer Tablette mit 1,5 mg Levonorgestrel (rezeptfrei erhältlich: 18 Euro) oder 30 mg Ulipristalacetat (rezeptfrei erhältlich: 30 Euro). Wirkungsweise: Hemmung der Ovulation, Nidationshemmung und Tubenmotilitätsveränderung. Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Blutungsstörungen. Pearl-Index: kann nicht errechnet werden. Aufklärung: über Anwendung; einmalige Gabe im Zyklus; zeitlicher Rahmen.

6.1.2 Mechanische Methoden Intrauterinpessar (Abk.: IUP, Syn. IUD) und Kondom werden in Deutschland deutlich häufiger als Diaphragma und Portiokappe als mechanische Verhütungsmethoden angewendet.

Varianten von IUPs: (Abb. 6.2) –– unbeschichteter Kunststoffkörper –– Kupfer-/Progesteronbeschichtung. Wirkungsmechanismus: Nidationshemmung durch chronische Endometritis. Nebenwirkungen: Hypermenorrhö, Unterbauchschmerzen, Infektionen. Pearl-Index: 0,3–6 %. „verlorenes“ IUP: disloziertes IUP durch unkorrekten Sitz, Gravidität oder Eindringen ins Myometrium. Abklärung mit Ultraschall, dann Abrasio in Kombination mit einer Hysteroskopie und ggf. Laparoskopie.

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 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

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Abb. 6.2: Formen von IUPs; 1: Lippes-Schleife; 2: Margulies-Spirale; 3: DanaSuper; 4: Kupfer-T; 5: Kupfer-7; 6: Progesteron abgebendes Intrauterinpessar (mit Hormonzylinder).

Varianten von IUPs: –– Kupfer-IUP: IUP, das im vertikalen Anteil mit feinstem Kupferdraht umwickelt ist (3. Generation). Einführung in den 1970iger-Jahren. Kontinuierlich abgespaltene Cu-Ionen wirken spermizid als zusätzlicher kontrazeptiver Effekt. Wegen des Kupferverbrauchs ist ein Wechsel alle 5 Jahre notwendig. Kupferhaltige IUPs sind heute die meist verwendeten. –– Progesteronhaltiges IUP: Levonorgestrel (LNG) freisetzendes IUP-2  Systeme: Eines ist mit 13,5 mg (LNG) beladen und eines mit 52 mg bzw. 20  µg/24h). Die Systeme unterschieden sich in der Größe, Jaydess ist etwas kleiner und zur Kontrazeption insbesondere von jungen Frauen gedacht. Ein IUP (52 mg LNG) kann auch medizinisch zur Therapie der Hypermenorrhö eingesetzt werden und wirkt sich günstig auf eine Dysmenorrhö aus. Das freigesetzte Hormon wird vom umliegenden Endometrium aufgenommen und stört seine Funktion und Morphologie im Sinne einer irregulären sekretorischen Transformation. Es entsteht eine Asynchronie zwischen dem glandulären und stromalen Kompartiment. In 50 % findet sich eine entzündliche Zellinfiltration. In 50  % der Fälle setzt eine Amenorrhö ein, Zwischenblutungen kommen in 50 % vor, besonders in den ersten Monaten nach Einlage. Das Gestagen beeinträchtigt außerdem die Kapazitation und die Tubenfunktion. Der Preis beträgt ca 180 Euro.

6.1 Empfängnisverhütung 

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Wirkmechanismus: Verhinderung der Implantation über Makrophagen- und Leukozytenanreicherung. Störung der Synchronisation zwischen Blastozystenentwicklung und Umwandlung des Endometriums. „Verlorenes“ IUP: Wenn die in die Vagina ragenden Kunststofffäden nicht gefunden werden, wird vom „verlorenen“ oder „okkulten“ IUP gesprochen. IUP-Einlage: Kann jederzeit eingelegt werden, Patientin sollte aber sicher nicht schwanger sein. Post partum nach 6–8 Wochen. Der Eingriff ist fast immer ohne Narkose möglich. Kontraindikationen: Genitalinfektionen, Uterusfehlbildungen, Gravidität, unklare Meno-Metrorrhagien Vorgehen: Nach Einstellen mit sterilen Spekula Anhaken der Portio vorn mit einer Kugelzange. Sondierung des Cavum uteri mit einer Uterussonde. Das IUP mit dem Applikator wird in das Cavum uteri bis zum Fundus eingeführt. Entfernung des Applikators und Kürzen der Fäden. Sonographische Lagekontrolle. Spontanausstoßung meist innerhalb der ersten 3 Monate. Kondom: meist aus dünnem Latex hergestelltes, weit verbreitetes mechanisches Kontrazeptionsmittel für den Mann. Der Pearl-Index beträgt 0,4–7 % (Tab. 6.6). Das Kondom bietet auch Schutz vor sexuell übertragbaren und HIV-Infektionen und es senkt das relative Risiko einer Zervixdysplasie auf 0,2. (s. Dysplasie der Zervix uteri) Diaphragma: (Abb. 6.3) federnde, gummiüberzogene Drahtspirale mit einer Schale aus dünnem Hartgummi, Pearl-Index dem Kondom entsprechend. Meist wird ein spermizides Gel auf das Diaphragma aufgetragen. Portiokappe: feste Kunststoffkappe in der Größe der Portiooberfläche; der Pearl-Index liegt bei 7. (Abb. 6.4)

Tab. 6.6: Kondom: Vor- und Nachteile. Das Kondom hat in den letzten Jahren wegen seiner Schutzwirkung vor sexuell übertragbaren Erkrankungen an Bedeutung gewonnen. Frauen erkranken seltener an Salpingitiden bei Benutzung des Kondoms als kontrazeptive Maßnahme. Vorteile

Nachteile

–– –– –– –– –– ––

–– Erektionsstörungen möglich –– Vorbereitung vor sexuellem Verkehr notwendig –– Latexallergie

gute Akzeptabilität Reversibilität Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen Fertilität bleibt unbeeinflusst Ovarfunktion unbeeinträchtigt Kontrazeption in der Stillperiode

110 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Uterus

Vagina Scheidendiaphragma

Abb. 6.3: Das Scheidendiaphragma mit federndem Außenring ist in der Scheide platziert.

Uterus

Vagina Portiokappe

Abb. 6.4: Die Portiokappe umschließt die Cervix uteri, indem sie sich an der Portio festsaugt.

6.1.3 Lokal-chemische Methoden Wirkungsweise: Die spermizide Wirkung beruht auf oberflächenaktiven Wirkstoffen Nonoxinol und Octoxinol. Bei Eintritt einer Schwangerschaft unter lokalchemischen Mitteln besteht kein teratogenes Risiko für den Fetus. Es stehen Tabletten, Ovula und Cremes zur Verfügung; diese werden 5–10 Minuten vor dem Verkehr in die Vagina appliziert. Lokal-chemische Substanzen werden oft mit den o.g. mechanischen Methoden kombiniert. Der Pearl-Index liegt zwischen 5 und 20 %. Allergische Reaktionen sind selten. Risiken und Kontraindikationen sind nicht vorhanden.

6.1.4 Natürliche Empfängnisverhütung Natürliche Empfängnisverhütung: Syn. Rhythmusmethode, Natural Family-Planning; basiert auf einer periodischen (sexuellen) Enthaltsamkeit, deren Dauer und Zeitraum von unterschiedlichen Parametern des weiblichen Zyklus abhängt.

6.1 Empfängnisverhütung 

 111

Das Interesse an Methoden der „periodischen Abstinenz“ ist weltweit groß. Sämtliche Methoden sind absolut unschädlich. Voraussetzung ist, dass es im Zyklus der Frau eine praktisch verwertbare Periodizität von Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit gibt: –– beschränkte Befruchtungsfähigkeit der Gameten: a) Eizelle (6–10 Std.), b) Spermium (24–72 Std.) –– pro Zyklus nur eine Ovulation –– Bestimmbarkeit des Ovulationstermins Kyüsaku Ogino: Orientierte sich allein an den zeitlichen Abläufen des Zyklus. Durch Untersuchungen von Ovar-Gewebe kam er zu der Erkenntnis, dass die Dauer der Corpus-luteum-Phase im Zyklus konstant ist. Schwankungen der Zykluslänge sind auf die Länge der Follikelphase zurück zu führen. Nach Ogino erfolgt die Ovulation zwischen 12.–16. Zyklustag vor der nächsten Menstruation (Tab. 6.7). Tab. 6.7: Berechnung der fruchtbaren Tage nach Ogino. Erster fruchtbarer Tag = Zykluslänge–18, d.h. 28–18= 10. Zyklustag Letzter fruchtbarer Tag = Zykluslänge–11, d.h. 28–11= 17. Zyklustag → Fruchtbare Tage: 10.–17. Tag

Hermann Knaus: Entwickelte das Ogino-Konzept weiter. Nach Knaus liegt die Ovulation stets am 15. Tag vor der folgenden Regelblutung. Nach Vorliegen eines 12-monatigen Menstruationskalenders liegt nach Knaus-Ogino die fruchtbare Phase zwischen dem 9.–17. Zyklustag (Tab. 6.8). Tab. 6.8: Berechnung der fruchtbaren Tage nach Knaus. Erster fruchtbarer Tag = Zykluslänge–17, d.h. 28–17 = 11. Zyklustag Letzter fruchtbarer Tag = Zykluslänge–13, d.h. 28–13 = 15. Zyklustag → Fruchtbare Tage: 10.–15. Tag

Temperaturmethode: Als zusätzliche Information wird die täglich rektal oder oral gemessene Aufwachtemperatur genutzt. Der Ovulationszeitpunkt ist genauer festzustellen als bei der KnausOgino-Methode, was sich in der geringeren Versagerquote widerspiegelt. Die Temperaturmessung ermöglicht, unabhängig von Schwankungen der Zykluslänge, den individuellen Ovulationstermin einer Frau mit ausreichender Genauigkeit zu ermitteln (Abb. 6.5).

112 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Temp. (°C) 37,5 37 36,5 36

(a)

1

7

14

21

28

Tage

37,5 37 36,5 36

(b)

1

7

14

21

28

Tage

Abb. 6.5: Verlauf der Basaltemperaturkurve. (a) Die Temperaturkurve zeigt in der Follikelphase niedrige Werte unter 37°. Nach der Ovulation (Zyklustag 13) steigt am 15. Zyklustag die Temperatur an. Die Corpus-luteum-Phase oder hypertherme Phase dauert bis zur nächsten Blutung. (b) Verlauf bei Schwangerschaft. Menstruationsblutung

–– Basaltemperatur: Das Temperaturblatt beginnt mit dem ersten Tag der Menstruation als 1. Zyklustag. Auf der Ordinate ist die Basaltemperatur in Zehntelgrad Celsius aufgetragen. Im Intermenstruum steigt die Temperatur innerhalb von 1–2 Tagen um 3–6 Zehntelgrade an. Die erhöhte Temperatur hält bis kurz vor der Regelblutung an (hypertherme Phase). Bei einem signifikanten Temperaturanstieg liegt die Temperatur an 3 aufeinanderfolgenden Tagen um mindestens 0,2 °C höher als an den 6 vorangegangenen Tagen. Der Anstieg erfolgt innerhalb von 48 Std. postovulatorisch (Definition der WHO). Ab 3. Tag des Temperaturanstieges bis zur Blutung ist keine Konzeption beobachtet worden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung ist Disziplin und Motivation zur Familienplanung. –– Symptothermale Methode: Meist angewandte Modifikation zur Temperaturmessung. Beobachtet wird das mit der Ovulation verbundene Symptom „flüssiger Zervixschleim“. Die Menge und Spinnbarkeit des Zervixschleims steigt präovulatorisch an. Die Frau beurteilt durch Selbstuntersuchung die Spinnbarkeit des Schleimes, mittzyklisch sind 5–10 cm gefordert.

6.1.5 Sterilisation Bei einer Sterilisation werden der Frau beide Eileiter durchtrennt. Damit ist die Möglichkeit einer natürlichen Konzeption nicht mehr gegeben. Die Sterilisation ist neben den Ovulationshemmern (Kombinationspräparate) die sicherste Methode zum Konzeptionsschutz. Pearl-Index 0,02– 0,03 %

6.1 Empfängnisverhütung 

 113

Sterilisationsberatung: Vor der Sterilisation muss ein Arzt/Ärztin die Patientin bezüglich des angestrebten Erfolges und der Reversibilitätschancen aufklären. Es sollte ausführlich über die psychischen Konsequenzen des Eingriffes gesprochen werden. Der Partner muss nicht um eine schriftliche Einwilligung ersucht werden. Durchführung: Wird bei der Frau zumeist pelviskopisch (Syn. laparoskopisch) durchgeführt. Am häufigsten wird dabei zunächst der Eileiter durch uterusnahe Elektro-/ Hitzekoagulation in seiner Durchblutung unterbrochen und das Tubenlumen verklebt. Anschließend wird der Eileiter an dieser Stelle durchtrennt. Die Enden werden auseinandergezogen und beide Schnittstellen erneut koaguliert. Gleiches Vorgehen erfolgt auf der kontralateralen Seite. Gelegentlich werden auch Plastikclips zur Eileiterunterbindung eingesetzt. Eine Sterilisation, die (geplant) im Rahmen einer Sectio caesarea abdominalis erfolgt, hat für die Patientin keinen längeren stationären Aufenthalt zur Folge. Komplikationen: Die folgenreichste Komplikation bei der Tubensterilisation ist die Unterbindung oder Verletzung des unmittelbar unter der Tube liegenden Ramus ovaricus der A. uterina. Dadurch kommt es zur Minderperfusion des Ovars mit Störungen im Hormonhaushalt, Zyklusstörungen bis zum Organverlust. Schädigungen von Nachbarorganen, Nerven- und Blutgefäßen durch Operationsinstrumente oder aufgrund der Koagulation sind selten. (Komplikationen der Pelviskopie/Laparoskopie) Pearl-Index: Versagerquote ergibt sich aus: –– spontaner Rekanalisation der Tube –– ungenügender Tubenkoagulation –– Unterlassung der Eileiterdurchtrennung –– „Clippen“ der Tuben Indikationen zur Sterilisation –– abgeschlossene Familienplanung –– internistisches Risiko bei Eintritt einer Schwangerschaft –– Kontraindikationen oder Unverträglichkeit kontrazeptiver Methoden –– Erbkrankheiten, die auf ein weiteres Kind übertragen werden können –– während oder nach einer Re-Re-Sectio (mehrmalige Kaiserschnittoperation) Eine Wiederherstellungsoperation (Syn. „Refertilisierungsoperation“) ist grundsätzlich möglich, aber meist nur über eine Laparotomie und Mikrochirurgie. Die Voraussetzungen sind erhaltene Tuben, keine zu große Koagulationsstrecke oder Teiltubenentfernungen. Das Risiko einer Extrauteringravidität ist 7-fach erhöht. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft liegt bei ca. 40–60 % und ist in den ersten

114 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

2 Jahren postoperativ am größten. Die Kosten hierfür muss die Frau meist selbst tragen. Sterilisation des Mannes Sterilisation beim Mann: Die Sterilisation erfolgt durch eine beidseitige Vasektomie. In Lokalanästhesie oder Allgemeinnarkose wird der Ductus deferens bilateral per Ligatur, Elektrokoagulation oder Teilresektion unterbunden. Der Eingriff erfolgt in der Regel ambulant. Der Operationserfolg sollte mit einem Spermiogramm 3 Monate postoperativ geprüft werden. Der Pearl-Index liegt bei 6 %. Eine Refertilisierung ist auch hier möglich. Hämatome und Wundinfektionen sind die häufigsten Komplikationen.

6.1.6 Computergestützte Verhütung Die fertile Phase im Zyklus der Frau wird durch Hormonmessung bestimmt; Teststäbchen zeigen die Konzentration von E3G und LH im Morgenurin an. Ein Monitor wertet die Ergebnisse aus und zeigt die fruchtbaren Tage an. Nebenwirkungen entstehen für die Frau keine. Relativ leichte Handhabung, die subjektive Interpretation von Körperzeichen (Zervixschleim) entfällt. Pearl-Index wird mit 6 % angegeben. Kontraindikationen: Frauen mit Leber- und Nierenerkrankungen, PCO-Syndrom, Hormontherapie, Frauen im Klimakterium.

Heribert Kentenich, Marina Werling

6.2 Infertilität/Sterilität Infertilität wird laut WHO als das Ausbleiben einer Schwangerschaft nach mindestens 12 Monaten regelmäßigen ungeschützten Verkehr definiert. Synonym wird von Sterilität, ungewollter Kinderlosigkeit oder Fertilitätsstörungen gesprochen. Vom Sterilitätsproblem können die Frau, der Mann oder das Paar betroffen sein.

Als Ursachen können sein: Hormonstörungen der Frau (25 %), Störungen der Eileiterfunktion der Frau (20 %), Störungen beim Mann (30 %), Störungen der Gebärmutter oder des Bauchfells mit Verwachsungen (10 %) und schließlich idiopathische Sterilität (nicht weiter einzugrenzende Sterilität) (NICE Guidelines 2013). Bei ungeschütztem Sexualverkehr sind 92  % der Frauen im Alter von 19 bis 26  Jahren nach einem Jahr sowie 98  % in dieser Altersgruppe nach zwei Jahren spontan schwanger. In der Altersgruppe der Frauen von 35 bis 39 Jahren sind 82 % nach einem Jahr schwanger und 90 % der Frauen nach zwei Jahren.

6.2 Infertilität/Sterilität 

 115

Insofern werden die meisten Frauen spontan innerhalb von ein bis zwei Jahren schwanger. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden vom Alter der Frau abhängig. Die weltweite Rate für Sterilität, also dem zum Zeitpunkt der Datenerfassung aktuellen Ausbleiben einer Schwangerschaft trotz regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr über einen Zeitraum von 12  Monaten, beträgt 9  % (Range 3,5– 16,7 %). Die Lebenszeitprävalenz für Sterilität liegt bei 4 %. Frauen, bei denen keine Eileiter oder keine Eizellen – mehr – vorhanden sind und/oder bei denen die Gebärmutter nicht angelegt ist oder die operativ entfernt wurde, gelten als absolut infertil. Wenn in zwei Spermiogrammen eine Azoospermie nachgewiesen wurde, liegt eine Infertilität des Mannes vor. In diesen Fällen besteht keine Möglichkeit der Spontankonzeption. In allen anderen Fällen besteht eine Subfertilität, d. h. es besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer spontanen Konzeption. So ist bspw. auch nach Indikationsstellung zu Methoden der künstlichen Befruchtung (IVF/ICSI) die Möglichkeit einer spontanen Schwangerschaft von etwa 5–20 % anzunehmen. Diese Schwangerschaften können entweder in den Behandlungspausen oder auch nach Abschluss der Therapie eintreten, da die Patientin nicht absolut infertil ist.

6.2.1 Ursachen der Sterilität 6.2.1.1 Hormonstörungen Hypergonadotrope Ovarialinsuffizienz Etwa 1–2 % aller Frauen im reproduktiven Alter sind von dieser Störung betroffen, bei der die Eizellreserve erschöpft ist. Diese Frauen kommen bereits vor Erreichen des 40.  Lebensjahrs in die Wechseljahre oder haben eine begrenzte Eizellreserve. Hormon-Diagnostik: Hohes FSH und LH, niedriges Östradiol, niedriger AMH-Wert. Eine mögliche Form der Behandlung ist die Eizellspende, die aber in Deutschland verboten ist. Hypogonadotrope Ovarialinsuffizienz Bei dieser Störung sendet der GnRH-Pulsgenerator nicht wie üblich alle 1 ½ Stunden das Hormon GnRH vom Hypothalamus zur Hypophyse, um dann die Hormone FSH und LH frei zu setzen. Die Patientinnen haben ebenfalls eine Amenorrhö oder Oligomenorrhö. Hormon-Diagnostik: LH und FSH niedrig oder normal. Östradiol niedrig, AMH eher im normalen Bereich.

116 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

Mögliche Therapie: Behandlung mit einer GnRH-Pumpe oder mit Stimulationsmedikamenten wie FSH oder HMG (FSH/LH). Hyperprolaktinämie Die Hyperprolaktinämie kann zur Oligo-/Amenorrhö führen. Ein Mikro- oder Makroprolaktinom sollte mit MRT diagnostiziert werden, wenn der Prolaktinwert über 50 ng/ml liegt. Medikamentös kann die Hyperprolaktinämie durch eine Vielzahl von Medikamenten, insbesondere Antidepressiva und Neuroleptika bedingt sein. Auch eine Hypothyreose kann eine Hyperprolaktinämie bedingen. Hormon-Diagnostik: Prolaktin, TSH, Testosteron. Medikamentöse Therapie: Es steht eine Vielzahl von Dopaminagonisten zur Verfügung, wobei insbesondere der Wirkstoff Cabergolin patientinnenfreundlich ist, weil er in niedriger Dosierung nur ein bis zweimal pro Woche genommen werden muss. Hyperandrogenämie Die Rotterdam-Kriterien erleichtert die Diagnostik im Zusammenhang mit Hyperandrogenämie/PCO-Syndrom: –– Oligo-/Amenorrhö und/oder –– Hyperandrogenämie und/oder –– Polyzystisches Ovar-Syndrom. Wenn zwei dieser drei Kriterien vorliegen, so spricht man von einem PCO-Syndrom. Die Hyperandrogenämie ist die häufigste Ursache bei Oligo-/Amenorrhö. Hormon-Diagnostik: Testosteron, DHEAS, Androstendion, falls DHEAS erhöht 17-alpha-Hydroxyprogesteron (zum Ausschluss Adrenogenitales Syndrom). Das PCO-Syndrom ist oft mit einer Glukosetoleranzstörung und einem Hyperinsulinismus verbunden. Sollte dieses im Vordergrund stehen (meistens bei Adipositas), so ist der Einsatz des Medikaments Metformin (off-label-use) zu erwägen, (englische NICE-Guidelines 2013). Medikamentöse Therapie: Stimulationstherapie mit Clomifen und/oder FSH und/oder HMG, eventuell mit Metformin.

Schilddrüsenerkrankungen Dominierend bei Schilddrüsenstörungen ist die Hypothyreose (in seltenen Fällen Hyperthyreose). Hormon-Diagnostik: TSH, eventuell fT3 und fT4. Medikamentöse Therapie bei Hypothyreose: L-Thyroxin bei Werten > 2,5 µU/ml.

6.2 Infertilität/Sterilität 

 117

6.2.1.2 Andere Ursachen für die Sterilität Eileiter Durch Infektionen können die Eileiter geschädigt werden, dieses kann eine Konzeption verhindern. Dann steht in erster Linie die operative Korrektur der Eileiter im Vordergrund, z. B. durch Lösung von Verwachsungen (Laparoskopie). Gebärmutter Störungen der Gebärmutter (Anlagestörungen wie Uterus bicornis oder Myome) haben für die Sterilität eine untergeordnete Bedeutung. Allerdings sollten Myome, die innerhalb der Gebärmutterhöhle (Cavum) liegen (submuköse Myome) oder diese wesentlich verengen, operativ entfernt werden (Hysteroskopie). Spermien Die Spermien wachsen im Hoden über einen Zeitraum von etwa 2 Monaten heran. Die endgültige Ausreifung erfolgt im Nebenhoden, so dass das Wachstum der Spermien etwa 3 Monate dauert. Die Spermien werden beurteilt nach Menge des Ejakulates, Konzentration der Spermien/ml, Beweglichkeit und morphologischer Einschätzung unter dem Mikroskop. Die Grundlagen der Spermabegutachtung und möglichen Therapie sind im WHO-Handbuch wiedergegeben (WHO 2012). Die Normalwerte sind: ≥ 15 Mio. Spermien/ml, ≥ 32 % bewegliche Spermien (WHO A und B), mehr als 3 % normal geformte Spermien. Endometriose Ein Sonderfall der Sterilität bildet die Endometriose. Hier sind Gebärmutterschleimhaut als Implantate insbesondere im Bereich des Bauchfalls (Peritoneum), aber auch der Gebärmutter vorhanden. Die Grundlage der Therapie besteht in einer operativen Therapie mit Entfernung der Endometrioseherde. Lebensstil und Gesundheitsverhalten Auch das Verhalten der Betroffenen hat Einfluss sowohl auf die Spontanschwangerschaftsrate als auch auf die Erfolgsraten der Sterilitätsbehandlung. So mindern bspw. Übergewicht, Untergewicht und Nikotinkonsum die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer Schwangerschaft. Ebenfalls hat die gelebte Sexualität (wie die Häufigkeit und der Zeitpunkt des vaginalen Verkehrs) einen wesentlichen Einfluss auf die spontane Schwangerschaftsrate. Psychische Einflussfaktoren wie alltagsbedingter Stress werden bezüglich ihrer Auswirkung auf die Schwangerschaftsrate eher überschätzt.

118 

 6 Empfängnisverhütung, Sterilität und Infertilität

6.2.2 Therapiemöglichkeiten Hormonelle Stimulation: Sollte nach Korrektur der Hormonstörungen weiterhin eine Eireifungsstörung und/oder eine Zyklusstörung bestehen, so sind Stimulationsmedikamente wie Clomifen alleine oder in der Kombination mit FSH und HMG einzusetzen, um das Wachstum von 1–2 Follikeln zu erreichen (Cave: Höhergradige Mehrlinge). Die Ovulation kann mit HCG oder rekombinantem HCG induziert werden. Eine Hormonbehandlung, Diagnostik und Therapie der Eileiter und der Gebärmutter sowie der Endometriose werden über die Krankenkassen (GKV und PKV) gewährleistet. Die weiterführenden Behandlungen wie intrauterine Insemination, IVF/ICSI-Behandlung bedürfen einer Zustimmung, wobei bei den gesetzlich versicherten Patienten Altersgrenzen zu beachten sind (Frau mindestens 25 Jahre und nicht älter als 40 Jahre, Mann mindestens 25 Jahre und nicht älter als 50 Jahre). Die Behandlungen werden nur bezahlt beim Ehepaar. Bei privat versicherten Patientinnen und Patienten gilt das Verursacherprinzip. Eine hormonelle Stimulation mit Insemination ist indiziert bei leichtgradiger Spermieneinschränkung. Für die In-vitro-Fertilisation (IVF) ergeben sich folgende Indikationen: –– nicht (weiter) therapierbare Eileiterstörungen –– männliche Fertilitätsstörungen –– schwere Formen der Endometriose –– idiopathische Sterilität Für die intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), bei der ein Spermium mit Hilfe einer Mikronadel in die Eizelle injiziert wird, sind insbesondere schwere Formen der männlichen Subfertilität als Indikation anzusehen. Die In-vitro-Fertilisation inkl. ICSI-Methode wird in Deutschland etwa 60.000 Mal im Jahr durchgeführt; zusätzlich der Transfer von kryokonservierten Vorkernstadien/Embryonen etwa 20.000 Mal.  Klinische Schwangerschaftsraten sind bei etwa 30–35 % pro Embryotransfer zu erwarten. Die Geburtenrate liegt bei etwa 20 % pro Behandlungsversuch. In Deutschland wurden im Jahre 2013 2,5 % aller Kinder nach reproduktionsmedizinischen Maßnahmen geboren. Bis zum Jahre 2016 wurden etwa 240.000 Kinder nach der Methode der In-vitroFertilisation/ICSI geboren. Im Rahmen der In-vitro-Fertilisation ist es in der Menschheitsgeschichte zum ersten Mal möglich, früheste Formen des menschlichen Lebens zu beobachten, diese zu beforschen und damit auch therapeutisch zu behandeln. Insofern sind damit viele ethische Fragen verbunden, so dass die individuellen religiösen, kulturellen und ethischen Einstellungen des Paares zu bedenken sind.

6.2 Infertilität/Sterilität 

 119

Bei Diagnostik und Therapie der ungewollten Kinderlosigkeit sollten die medizinischen und psychischen Besonderheiten der betroffenen Frauen und Männer sowie des Paares betrachtet werden (Alter, Häufigkeit des Sexualverkehrs usw.), bevor therapeutische Schritte empfohlen werden.

Matthias David, Elena Ioana Braicu, Sylvia Mechsner

7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane 7.1 Vulva und Vagina 7.1.1 Zysten der Vulva 7.1.1.1 Dysontogenetische Zysten z. B. Wolff-Gang-/Gartner-Gangzysten im seitlichen Bereich von Vulva und (häufiger) Vagina Wolff’scher Gang: Urnierengang, entsteht zunächst aus der Vereinigung der Vornierenkanälchen und wächst dann selbständig bis zur Kloake vor; nach Verschwinden der Vornieren wird er zum Urnierengang. Beim weiblichen Geschlecht bleibt der Anfangsteil als Längsgang des Epoophoron („Nebeneierstock“) erhalten, der Rest degeneriert zum rudimentären Gartner-Gang. Gartner’scher Gang: Erhaltene Endabschnitte der Wolff-Gänge, liegen seitlich im Bindegewebe der Gebärmutter bzw. der Scheidenwand, bisweilen auch im Hymen.

7.1.1.2 Retentionszysten Bartholinischer Pseudoabszess: Auf dem Boden einer meist einseitigen Entzündung der Bartholinschen Drüse und ihrer Ausführungsgänge entstehendes bis hühnereigroßes Empyem im unteren Drittel der großen Schamlippen durch eine entzündliche Verklebung des Ausführungsganges.

Symptome: Schwellung, Rötung, Druckdolenz (Abb. 7.1) Therapie: Marsupialisation: Nach Eröffnen und Entleeren des Pseudoabszess Einnähen des Zystenrandes (lat. marsupium: Beutel) in die Hautoberfläche, um einen weiteren Abfluss des (entzündlichen) Sekrets zu gewährleisten und ein Verkleben des neugeschaffenen Ausführungsganges zu verhindern.

–– bei mehrmaligen Rezidiven: Entfernung der gesamten Bartholinischen Drüse Epidermis- und Talgretentionszysten –– bis zu 1 cm große, pralle Strukturen mit krümelig-käsigem Inhalt –– Lokalisation: Labia majora –– Therapie: Exzision in Lokalanästhesie, ggf. antibiotische Vorbehandlung https://doi.org/10.1515/9783110472356-011

122 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Abb. 7.1: Bartholinischer Pseudoabszess rechts, Die rechte große Labie wird im dorsalen Anteil durch einen prall-elastischen, etwa 4 cm großen Tumor aufgetrieben.

7.1.2 Solide benigne Vulvatumoren 7.1.2.1 Haut und Hautanhangsgebilde Grundsätzlich können alle gutartigen tumorösen Veränderungen der Haut und ihrer Anhangsgebilde auch im Vulvabereich auftreten. 7.1.2.2 Condylomata acuminata –– braunrötliche, papillomatöse, verhornte Plattenepithelwucherungen –– Ursache: Infektion mit dem Humanen Papillomavirus (HPV)-Typen 6 und 11 –– Übertragung: Geschlechtsverkehr –– Inkubationszeit: 2–3 Monate Prädilektionsstellen: Labieninnenseite Risikofaktoren: –– chronischer Fluor –– oraler Kontrazeptiva –– Rauchen Therapie: –– medikamentös –– Laserung



7.1 Vulva und Vagina 

 123

7.1.2.3 Nävuszellnävus –– Risiko der malignen Entartung –– melanomverdächtig sind Naevi mit Farbveränderungen –– klinisch unverdächtige Naevi können in Lokalanästhesie exzidiert werden 7.1.2.4 Schweißdrüsenadenome –– meist unter 2 cm groß, multipel oder vereinzelt auftretend –– Lokalisation: Labia majora, Sulci interlabiales, laterale Oberfläche der Labia minora –– Therapie: Exzision in Lokalanästhesie 7.1.2.5 Ektope Tumorbildungen –– Manifestation einer Endometriose –– akzessorische Milchdrüsen Akzessorische Milchdrüsen: Die Milchleiste erstreckt sich bis zu den Labien, so dass im Bereich der Labia majora akzessorisches Mammagewebe auftreten kann bis hin zu laktierenden Drüsen im Bereich der Schamlippen.

Therapie: operative Entfernung

7.1.3 Pruritus vulvae Auf die Vulva begrenzter Juckreiz z. T. mit großer Beschwerdeintensität Ursachen: 1. dermatologische Krankheitsbilder (Lichen sclerosus et atrophicans (Abb.  7.2), allergisches Kontaktekzem, irritative Dermatitis, Lichen simplex chronicus, Psoriasis) 2. Infektionen (Candidose, Vulvovaginitis, parasitäre Erkrankungen) 3. Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Ikterus, Urämie) 4. idiopathisch (sog. primärer Pruritus) 5. psychogen psychogen: Pathogenetisch imponieren bei den betroffenen Frauen häufig sexuelle Konflikte (Abwehr gegen den Partner oder unerfüllte Erwartungen). Psychodynamisch stellen sich diese Symptome als masturbatorisches Äquivalent dar. Das Krankheitsbild zwingt ja zur Beschäftigung und Manipulation mit bzw. am Genitale, so dass so eine Schuldentlastung erfolgt. Die vom Arzt verordneten Sitzbäder, Salben usw. unterstützen eine Chronifizierung des Leidens (sekundärer Krankheitsgewinn).

124 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Abb. 7.2: Lichen sclerosus. Man erkennt im Bereich der Vulva leukoplakische, lichenifizierte Areale. Die kleinen Labien sind in ihrem dorsalen Anteil atrophisch verändert.

Therapie: –– Zu 1.–3.: je nach Verursachung –– Zu 4.: Sitzbäder, lokale Salbentherapie (v.a. östriol- oder hydrokortisonazetathaltige Präparate) –– Zu 5.: Psychotherapeutische Mitbetreuung Ultima ratio: Unterspritzung, Denervierung

7.1.4 Vulvaödem Ursache: allergisch, entzündlich, neoplastisch, neurologisch, toxisch Therapie: richtet sich nach entsprechender Diagnose nach der eingegrenzten Ursache

7.1.5 Vulvaverletzungen/-hämatome Ursache: stumpfe oder scharfe Traumen Therapie: je nach Größe und Ausbreitungstendenz Lokalmaßnahmen oder chirurgisch



7.1 Vulva und Vagina 

 125

–– Chirurgische Therapie: Ausräumung des Hämatoms, Aufsuchen und Umstechen des verletzten Gefäßes, ggf. Tamponade, ggf. antibiotische Prophylaxe. Auch auf Verletzungen von Nachbarorganen ist bei der chirurgischen Versorgung zu achten.

7.1.6 Benigne Vaginaltumoren 7.1.6.1 Condylomata acuminata eher selten 7.1.6.2 Adenome –– Morphologische Typen: endophytisch, zystisch, oberflächlich spreitend, exophytisch/endophytisch adenomatös –– Symptom der zystischen und der oberflächlich spreitenden Form: massiver Fluor, Vulvovaginitis, Dyspareunie –– Therapie: Exzision (endophytische Form meist Zufallsbefund, keine Beschwerden) 7.1.6.3 Mesenchymale Vaginaltumoren insgesamt sehr selten: Leiomyome, Fibrome, Myxome, Lipome, Neurofibrome; in Abhängigkeit vom Beschwerdebild (Störungen der Miktion, Defäkation, Dyspareunie) Exzision nötig

7.1.7 Iatrogene Vaginalveränderungen 7.1.7.1 Granulationspolypen –– am Scheidenabschluss nach Hysterektomie –– Klinik: anhaltende Schmierblutungen (Kontaktblutung) aus den polypoiden Wucherungen –– Therapie: Abtragung, lokale Verätzung 7.1.7.2 Tubenprolaps nach Hysterektomie –– als Folge eines unzureichenden Peritonealverschlusses –– Klinik: Schmerzen beim Verkehr, ggf. Kontaktblutung –– bei Spekulumeinstellung ähnliches Bild wie bei Granulationspolypen, Patientin hat jedoch starke Schmerzen beim Abtragungsversuch –– Therapie: Abtragung und Übernähung in Kurznarkose –– anschließend lokale oder systemische Östrogentherapie

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 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

7.1.8 Traumen im Vaginalbereich –– Ursache: Kohabitationsverletzungen, Pfählungsverletzungen, Beckenfrakturen –– bei Diagnose und Therapie sind mögliche Verletzungen von Nachbarorganen zu beachten –– ggf. Zystoskopie, Rektoskopie, Laparoskopie notwendig

7.2 Cervix uteri 7.2.1 Erythroplakie Erythroplakie: Erosive Veränderungen an der Ektozervix.

7.2.1.1 Erosio vera Erosio vera: flacher Epitheldefekt der Portio uteri.

–– Ursache: meist mechanische Reizung des Plattenepithels der Ektozervix (Pessar, bei Uterusvorfall) oder Entzündung, v. a. bei postmenopausalen Frauen –– Leitsymptom: Schmierblutung –– Therapie: Ausschaltung des mechanischen Traumas, Applikation von Östrogensalbe 7.2.1.2 Erosio falsa Erosio falsa: Verlagerung der Epithelgrenze zwischen Platten- und Zylinderepithel auf die Ektozervix (Ektropionierung).

–– Ursache: Gravidität, hormonelle Kontrazeption –– Leitsymptom: Kontaktblutung, Fluor –– Therapie: Absetzen oraler Kontrazeptiva, lokale Destruktion mit Elektrokoagulation, Laser –– insbesondere bei Auftreten im Bereich der Umwandlungszone fragliche Dignität, deshalb histologische Sicherung durch Biopsie.



7.2 Cervix uteri 

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7.2.2 Polypen Endozervikale Polypen sind die häufigste Neubildung der Cervix uteri (Abb. 7.3)

1 2

3

Abb. 7.3: Die Abbildung zeigt einen im äußeren Muttermund erscheinenden Zervikalpolyp (2). Die hintere Muttermundslippe ist teilweise durch Vaginalsekret verdeckt. Die seitlichen Vaginalwände (3) wölben sich beidseits ins Bild hinein. 1 = Portio cervicis uteri.

–– Prädilektionsalter: 45–65 Jahre –– Morphologie: fokale Hyperplasien der Endozervix, wenige mm bis cm groß, rundlich-länglich, meist gerötete Oberfläche durch starke Vaskularisation, Verbindung zum Zervikalkanal gestielt oder breitbasig –– Leitsymptom: Fluor, Schmier- und Kontaktblutung –– Gewebstypen: fibröse, angiomatöse, granulomatöse, papilläre, zystische oder adenomatöse Polypen und Mischformen –– DD: Myom, Adenom, Papillom, Kondylom, Karzinom, Sarkome –– Maligne Entartung (Karzinom): ca. 0,2–0,4 % –– Therapie: Abdrehen, Zervixkürettage, ggf. Hysteroskopie

7.2.3 Papillome, Kondylome Papillome, Kondylome: Tumorartige Veränderungen durch Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV).

Durchseuchung bei Erwachsenen: 20–30 % –– Übertragung durch Geschlechtsverkehr; häufig Rezidive. Formen: –– spitze Kondylome (Condylomata acuminata) durch HPV-Typen 6 und 11 langsam wachsend, z. T. Spontanheilung –– flache kondylomatöse Läsionen durch HPV-Typen 16 und 18 – hohes onkogenes Potential (High-risk-HPV-Typen)

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 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Diagnose: Kolposkopie, Abstrich (HPV-Typisierung), Probeexzision Therapie: möglichst komplette Destruktion durch elektro-, kryo-, infrarot- oder laserchirurgische Maßnahmen.

7.2.4 Zervixriss (Emmet-Riss) Emmet-Riss: narbig abgeheilter geburtsbedingter Zervixriss, häufig bei 3 oder 9 Uhr gelegen.

Therapie: je nach Symptom (chronischer, störender Ausfluss, Schmierblutungen, sekundäre Sterilität, habituelle oder rezidinierende Abortneigung) lokal destruierende (bei Erosionen) oder plastisch-chirurgische (sog. Emmetplastik) Maßnahmen.

7.3 Corpus uteri 7.3.1 Endometriumpolypen –– fokale Hyperplasie der Basalis, die in unterschiedlichem Umfang Drüsenstroma und Blutgefäße enthält –– Prädilektionsalter: 5. Lebensjahrzehnt –– Morphologie: breitbasig, gestielt, wenige mm große bis das gesamte Cavum ausfüllende Polypen kommen vor –– Koinzidenzen: in ca. 40 % mit Uterus myomatosus; in ca. 10 % mit Zervixpolypen, mit Endometriumkarzinom 40–50 %; maligne Entartung selten (< 0,5 %) –– Klinik: Blutungsstörungen, Fluor (durch Ulzerationen), Schmerzen (Ausstoßungsbestrebungen führen zu schmerzhaften Myometriumkontraktionen) –– Diagnose: Ultraschall –– Therapie: Hysteroskopie, frakt. Abrasio

7.3.2 Endometriumhyperplasie –– Ursache: anhaltende östrogene Stimulation in der Peri- und Postmenopause –– Morphologie: unterschiedlich ausgeprägte Verdickung des Endometriums –– Entartungspotential: gering (0,5  %) bei glandulärer und glandulär-zystischer Form; –– hoch bei adenomatöser Hyperplasie mit Atypien (Präkanzerose) –– Klinik: länger anhaltende Metrorrhagien



7.3 Corpus uteri 

 129

–– Therapie: –– fraktionierte Kürettage –– Gestagene (Rezidivprophylaxe) –– Endometriumablation –– Hysterektomie – bei Nachweis von Atypien Endometriumablation: Chirurgische Alternative zur Hysterektomie: hysteroskopische Abtragung bzw. Verödung des Endometriums. Prinzip: Endometrium in seiner Gesamtheit entfernen bzw. irreversibel schädigen. Verfahren: Laser, Koagulation mittels „Rollball“, Resektion mit elektrischer Schlinge.

7.3.3 Myome Myome: Myome sind gutartige, nur selten solitäre Muskelgeschwülste des Uterus (klin.: Uterus myomatosus).

Epidemiologie: Myome sind die häufigsten uterinen Neubildungen. Ätiopathogenese: u. a. Einfluss von –– genetischer Komponente (familiäre Häufungen kommen vor) –– Konstitution –– Ethnie (häufiger bei Frauen schwarzafrikanischer Herkunft) –– erhöhtem Körpergewicht Das Myomwachstum ist vor allem östrogenabhängig, aber auch Gestagene haben einen Einflus; das Vorkommen von Myomen ist also an die Geschlechtsreife gebunden. Lokalisation: –– Zervixmyom (selten) –– Korpusmyom –– submuköses Myom (in das Cavum hineinwachsend, Abb. 7.4) –– intra- oder tramsmurales Myom (innerhalb der Muskulatur, das Corpus uteri in toto vergrößernd) –– subseröses Myom (unter der Serosa an der Uterusaußenseite) (Abb. 7.5) –– intraligamentäres Myom (zwischen den Blättern des Lig. latum, Sonderform des subserösen Myoms) Myome können dem Myometrium breitbasig aufsitzen oder gestielt sein. Sekundäre Veränderungen des Myomgewebes (Nekrose, Entzündung, Fibrosierung, Verkalkung) sind möglich, aber selten.

130 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Morphologie/Histologie: Makroskopisch bilden Myome gut abgrenzbare Knoten von fester Konsistenz und weißlich-gelblicher Farbe. Sie sind von einer sog. Myomkapsel umgeben. Histologisch sind Myome gutartige mesenchymale Neubildungen glatter Muskelfasern mit begleitendem Bindegewebe. Gutartig: Uterusmyome entarten nicht. Die sehr seltenen Leiomyosarkome entstehen de novo. Myomgröße: Die Myomgröße variiert stark, d. h. von nur als Zufallsbefund bei der histologischen Aufarbeitung eines Operationspräparates gefundenen „Myomknospen“ bis hin zu großen Myomen von einigen Kilogramm. Klinik: Die durch Myome verursachten Beschwerden sind abhängig von Sitz, Wachstumsrichtung, Größe, Zahl und pathologisch-anatomischer Beschaffenheit (seltene sekundäre Veränderungen) der gutartigen Tumoren. Wahrscheinlich bleiben die meisten Myomträgerinnen symptomfrei. Häufigste und charakteristische Symptome sind: Blutungsstörungen (Meno-, Metrorrhagien, Hypermenorrhö, sekundäre Anämie) Sekundäre Anämie: Als Folge wiederholter und anhaltender Blutverluste entwickelt sich eine sekundäre Anämie mit typischen anämiebedingten Beschwerden. Teilweise sind die Patientinnen durch die allmähliche Entwicklung der Anämie gut an die niedrigen Hämoglobin-Werte adaptiert. Druckbeschwerden (insbesondere Blasendruck), Unterbauchschmerzen, Dysmenorrhö, selten Dyspareunie und Obstipationsbeschwerden sowie Fertlitätsstörungen kommen vor. Druck- und Verdrängungserscheinungen: Intraligamentäre Myome und sehr große intramurale Myome können zu einer Ureterkompression, einem Hydroureter bzw. zu einer Hydronephrose führen. Große Hinterwandmyome können Defäkationsbeschwerden, Obstipationserscheinungen und selten einen Ileus verursachen. Fertilitätsstörungen: Ein Uterus myomatosus kann sich bei jungen Frauen auch primär durch eine Fertilitätsstörung manifestieren. So verursachen subseröse tubenwinkelnah gelegene Myome durch Verdrängung bzw. Kompression der Tube eine Gametentransportstörung oder submuköse Myome eine Nidationsstörung. Diagnose: Die Verdachtsdiagnose Uterus myomatosus wird heute meist per Ultraschall gestellt. Bei der Palpation ist der Uterus vergrößert, die palpatorische DD eines gestielten subserösen Myoms zu einem Adnextumor kann schwierig sein (Abb 7.6).



7.3 Corpus uteri 

 131

Therapie: Bei vielen Patientinnen mit Uterusmyomen ist keine Behandlung erforderlich. Bei Frauen in der unmittelbaren Prämenopause kann die Menopause und die danach einsetzende Involution der Myome abgewartet werden. Abzuwägen ist jeweils zwischen uteruserhaltendem Vorgehen und einer Hysterektomie. Behandlungsindikationen: –– starke Blutungen/schwere Blutungsstörungen mit sekundärer Anämie –– schnelles Myomwachstum in der Postmenopause –– sehr große Myome (Nabelhöhe und größer) –– unklare DD hinsichtlich eines Ovarialtumors –– akute Komplikationen –– störende Druckerscheinungen auf Nachbarorgane –– myombedingte Infertilität –– zu erwartende Komplikationen bei einer Schwangerschaft Therapie: 1. medikamentös: 1. Wahl: Progesteronrezeptormodulator Ulipristalacetat; 2. Wahl: GnRH-Analoga (Unterdrückung der östrogenen Wachstumsstimulation) 2. interventionsradiologisch: Myomembolisation (Uterusarterienembolisation – UAE) oder Therapie mit hochintensivem fokussiertem Ultraschall (MRgFUS, HIFUS) 3. operativ: a) uteruserhaltende Myomchirurgie –– Vorgehensweise je nach Situs und Myomgröße –– Myomenukleation –– hysteroskopisch (submuköse Myome), s. Abb. 7.4 –– per laparoscopiam (subseröse, Latummyome und intramurale Myome) –– per laparotomiam ( große, tief intramurale Myome) Ein uteruserhaltendes Vorgehen ist bei Frauen mit Kinderwunsch fast immer möglich. Auch bei Frauen, die, unabhängig vom Lebensalter, dies wünschen, sollte eine Hysterektomie umgangen werden, da sonst mit einer erheblichen Einschränkung des Selbstwertgefühls zu rechnen ist. Bei uteruserhaltenden Operation besteht immer das Risiko der Myomneuentstehung. b) –– –– –– ––

Hysterektomie: vaginal, abdominal, laparoskopisch-assistiert vaginal (LAVH), total-laparoskopisch (TLH), suprazervikal-laparoskopisch (LASH)

132 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Suprazervikal oder total: Es muss entschieden werden, ob die Cervix uteri erhalten bleiben soll (suprazervikale Hysterektomie – laparokopisch (LASH) und offen abdominal möglich) oder mit entfernt wird (sog. totale Hysterektomie). Die Belassung der Zervix kann sich günstig auf die Sexualität der Patientin auswirken. Es soll auch seltener im späteren Lebensalter zur Inkontinenz und Prolapsbildung kommen. Nach suprazervikaler Hysterektomie sind monatliche Schmierblutungen aus der Zervix bei 5–10 % der Patientinnen möglich. Es sollte weiter regelmäßig ein Pap.-Abstrich von der Portio entnommen werden (Früherkennung!). Unabhängig von der Vorgehensweise sind folgende Komplikationen möglich: –– intraoperativ: Verletzungen von Blase, Harnleiter oder Darm –– postoperativ (früh): Nachblutungen, Thromboembolien, febrile Verläufe; (spät) Bildung von Blasen-Scheiden- oder Ureter-Scheidenfisteln auf Grund von Blasenoder Ureterläsionen durch trophische Störungen, Dyspareunie, Tubenprolaps, Scheidenblindsackprolaps c) Hysteroskopisch: Abtragung kleiner submuköser Myome mit dem Operationshysteroskop (Resektoskop) Abdrehen: Submuköse Myome, die „in statu nascendi“ (lat. im Zustand des Geborenwerdens) im bzw. teilweise sogar vor dem Zervikalkanal erscheinen, werden mittels

Abb. 7.4: Hysteroskopische Abtragung eines submukösen Myoms mit der Elektroschlinge.

Abb. 7.5: Laparoskopische Abtragung zweier subseröser Myome – das größere breit gestielt an der Hinterwand.



7.3 Corpus uteri 

 133

Abb. 7.6: Bauchzugang per Laparotomie: großer, bis zum Nabel reichender derber Tumor – präoperative Einschätzung großes Myom, DD Ovarialfibrom.

Faßzange abgedreht. Die Patientinnen haben meist starke Schmerzen und blutigen Ausfluss. Nach gelungener Entfernung sollte mittels Hysteroskopie sichergestellt werden, dass auch der sog. Myomstiel mit enfernt wurde, ggf. wird eine Corpusabrasio angeschlossen.

7.3.4 Myom und Schwangerschaft Myome können zu einer Fertilitätsminderung führen. Bei eingetretener Schwangerschaft unterliegen Myome einem zusätzlichen Wachstumsreiz und können sich schnell vergrößern (post partum wieder Regression). Mögliche, aber seltene Folgen: –– erhöhte Früh- und Fehlgeburtenrate –– Lageanomalien des Feten durch Raumeinengung –– vorzeitige Wehen –– Geburtshindernis –– gestörte Blutstillung post partum (Atoniegefahr) –– verzögerte, postpartale Uterusrückbildung Folgen: Nur akute Komplikationen (Verdacht auf Stieldrehung, mechanische Störungen, nicht anders beherrschbare Schmerzen durch zentrale Minderdurchblutung oder Nekrose) erfordern mitunter auch in der Schwangerschaft die Enukle­­ation. Schmerzzustände, die auf Degenerationserscheinungen der Myome hinweisen, sind konservativ durch Bettruhe, lokale Kühlung und Antiphlogistika zu behandeln.

134 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

7.4 Ovarien 7.4.1 Zysten und gutartige Tumoren der Ovarien Adnextumor: Im klinischen Sprachgebrauch werden alle Resistenzen, Anschwellungen oder Infiltrationen im Adnexbereich unabhängig von ihrer Dignität und Ätiologie als Adnextumor zusammengefasst.

Adnextumore umfassen daher: –– Ovarial- und Tubentumore –– entzündliche u. postinflammatorische Veränderungen –– endometriosebedingte Zysten –– Funktionszysten –– tumorähnliche Veränderungen wie Paraovarialzysten, Hydatiden u. a. Alle Adnextumoren können in Abhängigkeit von der Tumorart unterschiedlich häufig ein- oder beidseitig auftreten. –– Einteilung: folgt histogenetischen Gesichtspunkten 7.4.1.1 Tumoren des epithelialen Zöloms 7.4.1.1.1 Seröse Tumoren –– Sind die häufigsten epithelialen Tumoren (ca. 45 %) –– 20 % der Ovarialtumoren sind seröse Kystome (ein Drittel davon bösartig) –– Prädilektionsalter: 45.–64. Lebensjahr Morphologie: Inhalt meist klare, manchmal bräunlich-trübe Flüssigkeit, wenig gekammert, Oberfläche meist glatt, in 50 % beidseitig, können bis Kopfgröße erreichen. Bei der transvaginalen Sonographie zeigen sich meist einkammerige, glatt- und dünnwandige zystische Raumforderungen, papilläre Strukturen sind krebsverdächtig (Abb. 7.7). Seröse Kystome: Auch als Kystadenom bezeichnet; pathologisch-anatomisch unterscheidet man mehrkammrige, einfache und papilläre, nach Art der Epithelauskleidung seröse (serös-papilläre), und muzinöse.

Papilläre Strukturen: Das serös-papilläre Kystom neigt häufiger als das muzinöse zur karzinomatösen Entartung.

7.4 Ovarien 

 135

Abb. 7.7: Transvaginalsonografie. Man erkennt einen serösen, zystischen Tumor mit sogenannten papillären Auflagerungen. Diese sind hochsuspekt und sprechen für ein malignes Geschehen.

Oberflächenpapillom: papilläre Auflagerungen auf der Ovaroberfläche, blumenkohlartiges Aussehen, stets Aszites- aber benigne. Adeno-/Zystadenofibrom: grauweiße, oberflächlich grob gebuckelte Tumoren von derber Konsistenz (hoher Bindegewebsanteil), vorwiegend einseitig, maximal Faustgröße erreichend. Borderline-Tumoren: Tumoren, deren Epithel eine Proliferationstendenz ohne Invasion des Bindegewebes erkennen lassen.

Die serösen Borderline-Tumoren können entarten und stellen somit eine Krebsvorstufe dar. Formen: –– Cystadenoma serosum papillare –– Papilloma ovarii proliferans –– Adenofibroma proliferans Als epitheliale Geschwülste mit den Differenzierungspotenzen des Müller-Epithels sind bei den Borderline-Tumoren seröse, muzinöse, endometrioide, klarzellige und urotheliale Differenzierungen möglich. Das weitaus größte Kontingent bilden die serösen Tumoren. 30 % aller Borderline-Tumoren sind bilateral entwickelt und ca. 30 % zeigen eine ovarübergreifende Manifestation mit Beteiligung des Peritoneums und des Omentum majus, selten auch der abdominalen Lymphknoten. 5–15 % rezidivieren nach zumeist langer Latenzzeit. 7.4.1.1.2 Muzinöse Tumoren –– 25 % aller Ovarialtumoren: 80 % einseitig, 20 % entarten maligne, 10 % Borderline-Tumoren –– Prädilektionsalter: 30.–60. LJ

136 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

–– Morphologie: meist vielkammerig mit schleimigem Inhalt, können extreme Größe erreichen –– Histogenese: Muzinkystom, Brenner-Tumor, Teratom –– Formen: –– Cystadenoma mucinosum simplex –– Cystadenoma mucinosum pseudoglanduläre –– Adenofibroma mucinosum –– Pseudomyxoma peritonei –– Cystadenofibroma mucinosum Pseudomyxoma peritonei: Das Ovar ist in ein gallertiges Gebilde umgewandelt, das aus zahlreichen, dünnwandigen, schleimenthaltenden Zysten besteht. Wenn Schleim in die freie Bauchhöhle gelangt, siedeln sich schleimbildende Zellen auf dem Peritoneum an, es entsteht ein Gallertbauch, die Schleimproduktion führt zu intraabdominalen Verdrängungserscheinungen (Abb. 7.8).

1 2 5 3 (a)

4

3

(b)

Abb. 7.8: (a) Computertomogramm in Nierenhöhe bei einer Patientin mit Pseudomyxoma peritonei. Der gesamte Bauchraum ist mit Schleimmassen angefüllt, das Darmpaket ist zentral auf engem Raum gedrängt. (b) 1 Schleimmassen, 2 Darmkonvolut, 3 Nieren, 4 Wirbelkörper, 5 Aorta.

7.4.1.1.3 Seromuzinöse Tumoren Vorkommen der Kombination beider Sekretformen in einem Tumor in ca. 10 %. 7.4.1.1.4 Endometrioide Tumoren –– weisen endometriumdrüsenähnliche Epithelstrukturen auf –– Abgrenzung von der Endometriose: bilden keine Schokoladen- oder Teerzysten –– Morphologie: einkammerig, höchstens faustgroß, klarer bis etwas getrübter dünnflüssiger Inhalt –– Formen: –– Zysten

7.4 Ovarien 

–– –– –– ––

 137

Zystadenome Adenofribrome Zystadenofibrome Borderline-Tumoren

7.4.1.1.5 Mesonephroide Tumoren –– 1 % aller Ovarialtumoren, fast immer bösartig –– Histogenese: Ursprung aus Resten der Urniere (Mesonephros) –– Größe: 5–10 mm, meist Zufallsbefund im Ovarhilus –– Formen: mesonephroides Adenom, mesonephroides Zystadenofibrom 7.4.1.1.6 Brenner-Tumoren –– solide, fibromartige, harte Geschwulst mit glatter Oberfläche –– 1 % der Ovarialtumoren, 5 % doppelseitig, 1 % maligne, 10–20 % bilden Östrogene –– Prädilektionsalter: 40.–60. Lebensjahr –– Koinzidenzen: 2–5 % mit Korpuskarzinom, in 18 % mit Myomen –– 9 % der Brenner-Tumoren haben niedrige potentielle Malignität 7.4.1.2 Keimstrangmesenchymtumoren Hormonaktive Tumoren, die auch als Funktionstumoren bezeichnet werden; machen ca. 4 % der Ovarialtumoren aus. 7.4.1.2.1 Feminisierende Keimstrangtumore Granulosazelltumor: mit 70  % häufigster hormonbildender Tumor, in 95  % einseitig. Prädilektionsalter: 5 % in der Kindheit, 55 % in der Geschlechtsreife, 40 % in der Postmenopause Wirkung: in der Kindheit. Pubertas praecox, während der Geschlechtsreife: Blutungsanomalien; Postmenopause: Blutungen (glandulär-zystische Hyperplasie) Alle Funktionstumoren sind fakultativ bösartig (bis zu 30 % sind maligne). Thekazelltumoren: immer einseitig, fibromartig, sehr derb, bis enteneigroß. Vorkommen: vorwiegend postmenopausal, 3 % sind maligne 7.4.1.2.2 Androgenbildner Androblastom (Arrhenoblastom): aus Sertoli- und Leydigzellen bestehend

138 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Morphologie: meist faustgroß, glatt, mäßig fest, von Zysten durchsetzt, in 95 % einseitig (vorwiegend rechts) 35 % sind maligne Prädilektionsalter: 75 % < 40 Jahre, 66 % < 30 Jahren Diagnose: erhöhte Testosteron-/DHEAS-Spiegel Man unterscheidet 5 Tumortypen: tubuläres Androblastom, testikuläres tubuläres Adenom (Pick-Adenom, Sertoli-Zelltumor), Androblastoma tubulare lipoides ovarii, mäßig differenziertes und undifferenziertes Androblastom Hiluszelltumor: meist einseitig, mikroskopisch klein bis hühnereigroß, gutartig, meist virilisierend, selten östrogenbildend Prädilektionsalter: Menopause Adrenalresttumor: bis doppelfaustgroßer, mäßig derber Lipidzelltumor Prädilektionsalter: Geschlechtsreife bis zu 20 % maligne Wirkung: Virilisierung oder Cushing Syndrom 7.4.1.3 Fibrome im Ovar meist einseitige und in jedem Lebensalter auftretende, hühnerei- bis mannskopfgroße, sehr derbe, gutartige Tumore –– 5 % aller Ovarialtumoren –– in 50 % kombiniert mit Aszites –– in 5 % Hydrothorax: sog. Meigs-Syndrom Meigs-Syndrom: Auftreten von Aszites und (meist rechtsseitigem) Hydrothorax im Zusammenhang mit gutartigen Ovarialtumoren (meist beim Ovarialfibrom), vorwiegend bei älteren Frauen. Die Pathogenese ist ungeklärt. Rasche Rückbildung nach der Tumorentfernung.

7.4.1.4 Keimzelltumor/Dermoidzyste –– fast 15 % aller Ovarialtumoren, etwa faustgroß und zu 25 % beidseitig, wird auch als Teratoma adultum (reifes Teratom) bezeichnet –– Prädilektionsalter: frühe Geschlechtsreife –– Morphologie: einkammerige Zyste, teigiger, fast eiterartiger Inhalt, der sog. Dermoidzapfen enthält völlig ausdifferenzierte Derivate aller drei Keimblätter wie Hautanhangsgebilde, Zähne, Knorpel, Schilddrüsengewebe (Struma ovarii, kann zur Hyperthyreose mit basedowoiden Symptomen führen), oft Haare und Talgdrüsen. –– Pathogenese: entstanden aus einer einzelnen Eizelle nach der ersten Reduktionsteilung, die Teratomanlage ist also angeboren.

 139

7.4 Ovarien 

7.4.2 Tumorähnliche Veränderungen 7.4.2.1 Ovarialzysten Follikelzysten –– entstehen durch Follikelpersistenz –– Inhalt: klare bernsteinfarbene Flüssigkeit, ein- oder beidseitig Polyzystische Ovarien (PCO) (Stein-Leventhal-Syndrom) Solitäre Corpus-luteum-Zysten einseitig, selten; Auftreten in der Schwangerschaft oder bei Zyklusanomalien Multiple Luteinzysten –– spontan bei 10 % der Blasenmolen und Chorionepitheliome –– induziert nach Gonadotropininjektionen im Rahmen eines Überstimulationssyndroms Paraovarialzysten und Hydatiden (Abb. 7.9)

5 6

7 3 (a)

3 7

9

4

2

8

1

(b)

Abb. 7.9: (a) Die laparoskopischen Bilder zeigen Paraovarialzysten, die im vorliegenden Fall beidseits vorkommen. Die Tuba uterina zieht typischerweise um die Zyste herum zum Ovar. (b) 1 = Paraovarialzyste links, 2 = Paraovarialzyste rechts, 3 = Linke Tube, 4 = Rechte Tube, 5 = Uterus, 6 = Ligamentum rotundum links, 7 = Linkes Ovar, 8 = Rechtes Ovar, 9 = Ligamentum ovarii proprium links. Paraovarialzysten: Durch eine Flüssigkeitsansammlung im Epoophoron oder Parovarium können sich zwischen den Blättern des Ligamentum latum bis kindskopfgroße, einkammerige Zysten mit dünnflüssigem, bernsteinfarbenem, klarem Inhalt entwickeln. Hydatide: Die gestielten Hydatiden sind Abkömmlinge von Resten der Urniere im Mesovar (Epoophoron, Parovarium). Sie entwickeln sich im Bereich des Fimbrientrichters der Tube.

140 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

7.4.3 Postentzündliche Konglomerattumoren von Tube und Ovar 7.4.3.1 Sakto-/Hydrosalpinx posthornförmig aufgetriebene, flüssigkeitsgefüllte Tube als Endzustand nach einer Salpingitis/Adnexitits 7.4.3.2 Pyosalpinx Pyosalpinx: eitergefüllte Tube infolge eines Adnexitis bzw. eines Tuboovarialabszesses.

7.4.3.3 Abgekapselter Tubovarialabszess Abgekapselter Tubovarialabszess: Kombinierter Abszess von Ovar und Eileiter.

7.4.3.4 Konglomerattumoren Konglomerattumoren: tumorartige Verdickungen bei chronischen Entzündungen oder Restzuständen nach abgelaufener Entzündung im kleinen Becken, die zu Verwachsungen von Uterus, Adnexen, Beckenperitoneum, Darm und Netzanteilen sowie Exsudatretention führen können.

Palpatorisch und oft auch sonographisch schwierige Abgrenzung von malignen Tumoren oder Endomteriose-Zysten (Abb. 7.10).

1

6

3 (a)

(b)

4

2

5

7

Abb. 7.10: (a) Endometriose-Zyste. Laparoskopischer Situs des kleinen Beckens. (b) Man erkennt den Uterus [1] und beide Adnexe. Das linke Ovar [3] wird durch eine Zyste stark vergrößert. 1 Uterus, 2 rechtes Ovar, 3 linkes Ovar mit Zyste, 4 linke Tuba uterina, 5 rechte Tuba uterina, 6 Ligamentum rotundum rechts, 7 Dünndarmschlinge.

7.4 Ovarien 

 141

7.4.4 Symptome und Komplikationen von Ovarialtumoren Frühsymptome fehlen meist, mögliche Spätsymptome sind: 1. Schmerzen a) häufig uncharakteristische, diffuse, ziehende oder stechende Unterbauchschmerzen b) auch Rücken- und Kreuzschmerzen c) akute Schmerzen bei Stieldrehung, Ruptur, Infektion d) zyklische Schmerzen bei Endometriose e) Dyspareunie 2. Leibesumfangszunahme a) bei gutartigen Ovarialtumoren insgesamt selten und dezent b) mit fortschreitendem Wachstum Ausdehnung des Tumors über das Becken hinaus c) bei zusätzlichem Aszites (Meigs-Syndrom) d) beim Riesenkystom (meist muzinöse Kystome) 3. Verdrängungsbeschwerden a) Defäkations- und Miktionsstörung b) Harnstauung (durch Druck auf die Nachbarorgane Blase, Rektum, Ureter) c) Einflussstauung der unteren Extremität d) Beckenvenenthrombose e) Zwerchfellhochstand bei großem Tumor f) gastrointestinale Beschwerden bis hin zum mechanischen Ileus 4. Kreislaufstörung a) Druck auf die V. cava bzw. Einengung der Beckengefäße durch große Tumoren b) Stieldrehung – peritonealer Schock und akuter Blutstau im Tumor c) Ruptur – peritoneale Schockreaktion, evtl. Blutung in die freie Bauchhöhle d) Überstimulationssyndrom – akute Kreislaufbelastung durch erhöhte Blutviskosität bei Flüssigkeitsverlust 5. Uterine Blutung/Blutungstörungen 6. Hormonwirkung a) Östrogenwirkung: Pseudopubertas praecox, sekundäre Amenorrhö, Dauerblutung, Anovulation, Postmenopausenblutung, Endometriumhyperplasie, Endometriumkarzinom b) Gestagenwirkung: Oligomenorrhö, Dauerblutung, Anovulation c) Androgenwirkung: u. a. virile Schambehaarung, Bartwuchs, tiefe Stimme, Amenorrhö d) Thyroxinbildung: Hyperthyreose e) „Fremdkörper“peritonitis: Der bei einer Ruptur austretende, mit Haaren und Talg durchsetzte Inhalt von Dermoiden bzw. Teratomen kann zu einer Fremdkörperperitonitis führen. 7. Gewichtsabnahme

142 

8. 9. 10. 11.

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Stieldrehung Ruptur Infektion Inkarzeration

Überstimulationssyndrom: Potentiell lebensbedrohliche, iatrogen verursachte Komplikation der ovariellen Stimulationstherapie (Grad I–III) bei Sterilität. Stellt in der ausgeprägten Form einen gynäkologischen Notfall dar. Spontane Rückbildung der Symptome ist möglich. Bei Eintreten einer Schwangerschaft Persistenz über Wochen und Verschlechterung des Syndroms möglich, was eine stationäre Überwachung und Therapie nötig machen kann.

7.4.5 Diagnose benigner Ovarialtumoren 1. Anamnese a) Allgemeinbeschwerden b) Abdominal- od. Unterbauchschmerzen c) Zunahme des Leibesumfangs d) Blutungsstörungen e) vorausgegangene Erkrankungen 2. Inspektion a) Habitus (Hormonwirkung), Vorwölbungen des Abdomens, Abmagerung b) Speculumuntersuchung des Genitale 3. Palpation a) bimanuell vaginal-abdominal, rektal, ggf. rektovaginal b) Abdomen 4. Sonographie: vaginal und abdominal 5. Laboruntersuchungen: Blutbild, CRP, Hormonwerte/Östrogenen, HCG, Progesteron, Thyroxin; ggf. Tumormarker – insbesondere CA 125 und HE4, aber auch CEA, Ca 19-9, CA 72-4- bei V. a. muzinöse Tumoren, Inhibin B (bei V. a. Granulosazelltumoren), AFP bei seltenen Tumoren 6. CT, MRT 7. diagnostische Laparoskopie 8. Zusatzuntersuchungen zur weiteren Diagnose (Organbeteiligung) und/oder Operationsvorbereitung i. v. Pyelogramm, Zytoskopie, Rektoskopie, Magen-DarmPassage, Kolon-Kontrast-Einlauf.

7.4 Ovarien 

 143

7.4.6 Therapie benigner Adnextumoren Die ätiologische Vielfalt von Adnextumoren erfordert eine differenzierte Therapie. Jeder neu aufgetretene oder schon bestehende Adnextumor muss differentialdiagnostisch abgeklärt werden, ggf. ist eine Verlaufsbeobachtung ratsam. Es ist abzuwägen, ob eine konservative Therapie möglich oder eine operative Behandlung erforderlich ist. Grundsatz „So konservativ wie möglich, so radikal wie nötig.“ in Abhängigkeit von Alter, Beschwerden, Befundausmaß, Kinderwunsch. Die Tumordignität lässt sich mit bildgebenden Verfahren immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angeben.

7.4.7 Therapie tumorähnlicher Veränderungen an Tube und Ovar –– Hydrosalpingen bei Sterilität: laparoskopische Eröffnung (Neostomie), vor reproduktionsmedizinschen Maßnahmen Entfernung (Salpingektomie) –– postentzündliche Konglomerattumoren: laparoskopische Sanierung, ggf. Adhäsiolyse, bei ausgeprägten Befunden (Einbeziehung von Darm, Blase, Uterus): Laparotomie –– endometriosebedingte Konglomerattumoren: laparoskopische Adhäsiolyse, Zystenenukleation, Verödung von Endometrioseherden –– überstimulierte Ovarien: immer konservativ, ggf. Aszites Punktion –– Funktionszysten bedürfen keiner operativen Therapie, meist spontane Rückbildung, daher zunächst erneute sonographische Befundkontrolle nach 2–3 Monaten

7.4.8 Gutartige Ovarialtumoren –– sicher gutartige Tumoren sollten laparoskopisch angegangen werden; die organ­ erhaltende Entfernung von Ovarialzysten ist möglich; ggf. Verwendung eines Bergebeutels (Endobag) zur Entfernung des Präparats –– in Zweifelsfällen Laparotomie und Schnellschnittuntersuchung des entfernten Ovars –– bei sicherer Gutartigkeit kann auch ein abwartendes Vorgehen erfolgen; falls eine operative Behandlung erfolgt, sollte so konservativ wie möglich operiert werden –– auch bei älteren Frauen darf das kontralaterale Adnex nicht automatisch mitentfernt werden; in der präoperativen Aufklärung sollte dies aber thematisiert werden (Verhinderung der Entwicklung eines Tuben- bzw. Ovarialkarzinoms)

144 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

7.4.9 Dringliche Operationsindikationen Dies sind folgende Komplikationen gutartiger Ovarialtumoren: –– Stieldrehung (selten) –– Inkarzeration (sehr selten) –– Zystenruptur mit Blutung oder anhaltender peritonealer Reizung (häufig) –– sekundäre Entzündung (sehr selten)

7.5 Endometriose Endometriose: Vorkommen von endometriumähnlichem Gewebe außerhalb der physiologischen Schleimhautauskleidung der Uterushöhle, das ähnlichen zyklischen Veränderungen unterworfen ist wie das Endometrium.

Epidemiologie: wahrscheinlich 2–3 % aller Frauen in der reproduktiven Phase, die tatsächliche Inzidenz ist unbekannt. Typisches Alter bei Erstdiagnose: zwischen 20. u. 40. Lebensjahr Formen: –– Endometriosis genitalis interna, Endometriosis genitalis externa, Endometriosis extragenitalis Endometriosis genitalis interna: Lokalisation in der Uterusmuskulatur, auch als Adenomyosis uteri bezeichnet. Endometriosis genitalis externa: Endometrioseherde in Ovarien, Tuben, Douglasraum, Ligg. sacrouterina. Endometriosis extragenitalis: Endometrioseherde in Darm, Ureter, Harnblase, Zwerchfell, Bauchwand, Lunge.

Tief infiltrierende Endometriose: meist im Septum rektovaginale/retrocervikal lokalisiert und von hier aus Vagina, Sacrouterinligamente, Darm und/oder Ureter infiltrierend Pathogenese: Archimetra-Theapie bzw. tissue repair-Konzept Diese derzeit favorisierte Theorie geht von einer primären Erkrankung der Gebärmutter aus, bei der es durch eine Hyper-/Dysperistalsis zu einer Mikroruptur (tissue injury) der Basalis kommt mit einer konsekutiven Hochregulation von Reparaturmechanismen (repair). Im Rahmen dessen kommt es zu einer Aromataseexpression mit einer lokalen Östrogensynthese. Proliferation und Angiogenese werden aktiviert. Eine lokale Oxytocinsynthese verstärkt die Hyper-/Dysperistaltik und ein Circulus vitiosus wird in Gang gesetzt.

 145

7.5 Endometriose 

Makroskopisches Erscheinungsbild 1. pigmentierte Flecken (bläulich-rot; bläulich-schwarz; bläulich-braun) 2. nichtpigmentierte bläschenförmige Veränderungen-Erscheinungsformen a) normal erscheinendes Peritoneum b) nicht pigmentierte Veränderungen c) Peritonealläsionen d) Peritonealdefekte Klinische Stadieneinteilung (nach rASRM) Die Endometriosis genitalis externa wird nach der revised American Society for Reproductive Medicine in I–IV Stadien eingeteilt. Dabei werden die Ausdehnung der peritonealen Endometrioseläsionen, deren Infiltrationstiefe, aber auch Zysten und Adhäsionen berücksichtigt. Stadium I/II beschreiben eher peritoneale Endometriosemanifestationen (Abb. 7.11), während im Stadium III/IV zunehmend auch Endometriome und Adhäsionen dazu kommen. Die Stadieneinteilung steht in keiner Korrelation zur Stärke der Beschwerden. Weil hier weder tief infiltrierende Herde noch eine Adenomyosis uteri berücksichtigt werden, gibt es seit 2012 eine zusätzliche ENZIANKlassifikation für diese Manifestationen.

2

3

(a)

1

4

1 5

6

(b)

Abb. 7.11: (a) Laparoskopischer Situs retrouterin. (b) Man erkennt zwei Endometrioseherde [1] im Bereich des linken Ligamentum sacrouterinum [3]. Durch endometriosebedingte entzündliche Gewebe­reaktionen sind Adhäsionen [5] zum Sigma [6] entstanden. 1 Endometrioseherde, 2 Zervixhinterwand, 3 Lig. sacrouterinum links, 4 Lig. sacrouterinum rechts, 5 Adhäsionen, 6 Sigma.

Symptom: Charakteristische Beschwerden sind perimenstruelle Schmerzen. Perimenstruelle Schmerzen (zyklische Unterbauchschmerzen und Dysmenorrhö): Die Endometriose verursacht typische progressive perimenstruelle Schmerzen, die kurz vor Einsetzen der Menstruationsblutung beginnen und an den ersten 1–2 Tagen am stärksten ausgeprägt sind. Die Beschwerden können so stark sein, dass Bettlägerigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit besteht.

146 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

Dysmenorrhö, die zur Arbeits-/Schulunfähigkeit und Bettlägerigkeit führt, sollte an Endometriose denken lassen. Es finden sich: –– meist zyklusabhängige diffuse Schmerzen im Beckenbereich und Dyspareunie –– mit Progression der Erkrankung auch azyklische Unterbauchschmerzen –– zyklische Dyschezie und/oder Dysurie –– Blutungsstörungen (Schmierblutungen, Hypermenorrhö, Dysmenorrhö) –– Sterilität Etwa die Hälfte der Patientinnen mit Endometriose haben keine typischen Symptome. Schweregrad der Erkrankung und Intensität der Symptome korrelieren nicht unbedingt miteinander. Diagnose: 1. typische Anamnese: Schmerzsymptome, Sterilität 2. Klinischer Befund Inspektion: typische äußere, aber seltene Endometrioselokalisationen (im Vulvabereich, im Bereich von Episiotomienarben). Besondere Aufmerksamkeit verdient außerdem das hintere Scheidengewölbe und die Portio (ggf. gezielte Biopsie unter kolposkopischer Sicht). Palpation: –– knotige Sakrouterinligamente (30–50 %) –– Douglasinduration/auch von rektal tastbar, Darminfiltration? –– (fixierte) Retroversio uteri (20–30 %) –– Adnexveränderungen (10–20 %) –– Portiolüftungsschmerz 3. Bildgebende Verfahren Ultraschall (vaginal und abdominal), ggf. MRT bei V.a. Adenomyosis und tief infiltrierende Herde, Endosonographie bei V.a. Darminfiltration 4. Laparoskopie diagnostisches Verfahren der Wahl mit Inspektion des Situs, Biopsie von endometrioseverdächtigen Herden, ggf. Sanierung Therapie: 1. operativ –– histologische Sicherung –– komplette Entfernung der Endometrioseherde durch Exzision oder Koagulation –– Beseitigung von Adhäsionen a) laparoskopisch: Exzision/Thermokoagulation der Herde, Ausschälung von ovariellen Endometriose-Zysten (ggf. dadurch Beeinträchtigung der Follikelreserve, bei bereits erfolgten Zystenexstirpationen AMH-Bestimmung) (Abb. 7.12) b) Laparotomie: nur bei sehr ausgedehntem intraabdominalem Befall

7.5 Endometriose 

 147

2

1

3

(a)

(b)

4

Abb. 7.12: (a) Endometriose-Zyste. Laparoskopischer Situs des kleinen Beckens. Beim Anheben der linken Adnexe kommt es zur Zystenruptur und es entleert sich schokoladenartiger Zysteninhalt. (b) 1 linkes Ovar mit Zyste, 2 Uterus, 3 rechtes Ovar, 4 Sigma.

2. Medikamentös (Monotherapie oder prä-/postchirurgisch) Präparategruppen: –– Gestagene (zugelassen: Dienogest 2 mg) –– Östrogen-Gestagen-Kombination (off label use) –– GnRH-Agonisten (zugelassen) Aktuelles Behandlungskonzept 1. Bei Verdacht auf Endometriose/Adenomyosis uteri ohne Hinweis auf Organ­­de­ struktion wie Blasen-, Darm- und/oder Ureterinfiltration kann zunächst eine hormonelle Therapie eingeleitet und eine therapeutische Amenorrhö erreicht werden. Diese Therapie kann fortgesetzt werden, bis erneute Beschwerden oder Organdestruktion auftreten oder Kinderwunsch besteht. 2. Bei Kinderwunsch oder Beschwerden unter hormoneller Therapie oder Verdacht auf Organdestruktion sollte eine chirurgische Entfernung aller sichtbaren Herde erfolgen (Laparoskopie). Nach Möglichkeit hormonelle Therapie 2 Monate vorher absetzen. Gelegentlich kann auch ohne operative Sanierung direkt eine künstliche Befruchtung versucht werden (Indikationen sind individuell zu stellen). 3. Nach operativer Sanierung sollte erneut eine hormonelle Langzeittherapie zur Rezidivprophylaxe eingeleitet werden. 4. Bei Kinderwunsch sind hormonelle Therapien nicht sinnvoll. Sollte sich postoperativ nicht nach 6–9 Monaten eine Schwangerschaft einstellen, ist eine reproduktionsmedizinische Beratung angeraten. Je nach Befund auch direkt nach der OP. 5. Kontinuierlicher Einsatz monophasischer Ovulationshemmer oder GestagenMonopräparate zur Rezidivprophylaxe bis zur Menopause.

148 

 7 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Genitalorgane

6. Bei chronifizierten Schmerzen Einleitung einer multimodalen Schmerztherapie mit hormoneller Therapie, Analgetika, Physiotherapie, Erlernung von Schmerzbewältigungsstrategien usw. ggf. Vorstellung in einem Schmerzzentrum. 7. Zur Verbesserung der Immunlage: Diät, Sport.

Kaven Baessler, Irena Rohr

8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz 8.1 Funktionelle Anatomie des Beckenbodens 8.1.1 Muskulärer Beckenboden 1. M. levator ani, bestehend aus M. pubococcygeus, M. iliococcygeus, M. coccygeus und M. puborectalis (Abb. 8.1); 2. sogenanntes Diaphragma urogenitalis, bestehend aus Mm. transversus perinei profundus et superficialis, M. sphincter urethrae (bestehend aus M. compressor urethrae und M. sphincter urethrovaginalis); 3. Die Muskulatur des Beckenbodens besteht zum größeren Teil aus tonischen, sogenannte Slow-twitch-Fasern für den Tonuserhalt und dessen Anpassung bei Lage- und Druckveränderung.

endopelvine Faszie vordere Scheidenwand Rectum externer Analsphinkter

Arcus tend. fasc. pelv. M. levator ani Urethra pineale Membran („Diaphragma urogenitale“)

Abb. 8.1: Seitliche paramediane Sicht auf den Beckenboden. Der Levator ani ist gefenstert, um die Position des Arcus tendineus fasciae pelvis zu zeigen, an dem die endopelvine Faszie befestigt ist und auf der, wie in einer Hängematte, die Urethra und die Blase liegen (mod. nach: DeLancey, 2002, with permission; redrawn after DeLancey, 1994). https://doi.org/10.1515/9783110472356-012

150 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

8.1.2 Bedeutende bindegewebige Strukturen im Beckenboden 1. Arcus tendineus fasciae pelvis: von der Symphyse bis zur Spina ischiadica beidseits, hier ist die endopelvine Faszie zusammen mit der Vagina befestigt und Urethra und Blase liegen auf ihr. 2. Arcus tendineus levator ani: bindegewebige Verdichtung, an der der M. ileococcygeus entspringt. 3. Ligamenta sacrouterinae: diese Bindegewebsverdichtungen von Zervix/oberer Scheide zum Sakrum auf beiden Seiten sichern die Lage des Uterus und der Scheide. Kontinenzsicherung: Die Sicherung des urogenitalen Situs wird durch die Integrität des muskulären und bindegewebigen Beckenbodens ermöglicht, die ein statisch-dynamisches Gleichgewicht in der abdominopelvinen Höhle erhalten. Bei korrekter Lage von Urethra und Blase sowie Intaktheit des Beckenbodens sorgt während einer intraabdominalen Druckerhöhung eine Prä- und Reflexkontraktion des Beckenbodens für Stabilität, Erhöhung des intraurethralen Druckes und für Kontinenz.

8.2 Descensus genitalis Als Descensus genitalis wird das Tiefertreten der Scheide und/oder des Uterus bezeichnet. Das Tiefertreten bis zum Hymenalsaum wird im deutschsprachigen Raum allgemein als Descensus, ein Tiefertreten über den Hymenalsaum hinaus als Prolaps definiert (Abb. 8.2–8.4).

(b) (a)

(c)

(d)

Abb. 8.2: Descensus – Schweregrade. Die Abbildung zeigt schematisch verschiedene Ausprägungen des Descensus uteri. A – Normalbefund, B – leichter Descensus uteri, C – mittelschwerer Descensus uteri (die Portio erscheint im Introitus vaginae, D – Totalprolaps des Uterus.



8.2 Descensus genitalis 

(a)

(b)

(c)

(d)

 151

Abb. 8.3: Descensus genitalis im vorderen (b: Zystozele), hinteren (c: Rektozele) sowie mittleren und hinteren (d: Descensus uteri und Enterozele) Kompartiment.

Traditionelle GradeinteiIung

Baden-WaIkerHalf-Way-System

ICS-ProlapsStandardisierung Stadien

Normal: Level der Spina ischiadica 1. Grad „klein“ 2. Grad „mäßig“

Scheidenmitte

Grade 1 „half-way to hymen“

Stage 1

Hymenalsaum

Grade 2 „hymen“

Stage 2

–1 cm +1 cm

Introitus

3. Grad „groß“

Grade 3 „half-way past hymen“

4. Grad „Totalprolaps“

Grade 4 Maximum descent

Stage 3

Stage 4

Abb. 8.4: Verschiedene Gradeinteilungen des Descensus. Die ICS-Prolaps-Standardisierung ist eine quantitative Vermessung der Senkung.

152 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

8.2.1 Formen Zystozele: Descensus der Blase in die Scheide (Abb. 8.5).

–– Pulsationszystozele: zentraler oder medianer Defekt in der vorderen endopelvinen Faszie –– Traktionszystozele: paravaginaler oder lateraler Defekt durch Abriss der endopelvinen Faszie bzw. Arcus tendineus fasciae pelvis z. B. an der Spina ischiadica Rektozele: Descensus des Rektums in die Scheide aufgrund eines Defektes in der hinteren endopelvinen Faszie (Septum rectovaginale) (Abb. 8.5, Abb. 8.6). Enterozele: Descensus des Dünndarmes in die Scheide, insbesondere nach Hysterektomie. Descensus uteri: Descensus des Uterus, häufig mit Elongatio colli, wobei die Ligamenta sacrouterinae überdehnt und insuffizient sind.

3 1

2

(a)

(b)

Abb. 8.5: (a, b) Zysto- und eine Rektozele bei: 1 Zystozele – rot, 2 Rektozele – lila, 3 Urethralmündung.



8.2 Descensus genitalis 

 153

Abb. 8.6: Ausgeprägte Rekto-/Enterozele mit Partialprolaps uteri.

Prävalenz: Etwa 10–20  % der weiblichen Normalbevölkerung hat eine klinisch signifikante Senkung im Stadium II oder mehr (IUGA-Standardisierung, Stadium II: 1 cm proximal bis 1 cm distal des Hymenalsaumes). Pathogenese: 1. Insuffizienz des bindegewebigen Halteapparates, häufig in Kombination mit 2. Insuffizienz bzw. Defekten des muskulären Beckenbodens Ätiologie und Risikofaktoren: –– Schwangerschaft: Bindegewebs- und Muskelveränderungen, um eine vaginale Geburt zu ermöglichen; erhöhter intraabdominaler Druck –– Vaginale Geburt: Überdehnung des Beckenbodens beim Durchtreten des kindlichen Kopfes (lt. MRT-gestützten Berechnungen mit Dehnung des M. pubococcygeus um Faktor 3,3 einhergehend); Abrisse (sog. Avulsionen in ca. 20  % der Geburten) des M. levator ani vom Ramus inferior ossis pubis; Überdehnung, Zerreißung der endopelvinen Faszie sowie der Ligg. sacrouterinae –– konstitutionelle Bindegewebsschwäche –– schwere körperliche Arbeit, chronische Bronchitis/Asthma: wahrscheinlich durch andauernde Belastung bzw. chronisch-rezidivierende intraabdominale Druck­erhöhung

154 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

–– Adipositas: erhöht den intraabdominalen Druck –– Nikotinabusus: führt zu Veränderungen des Bindegewebes –– Systemische Hormonersatztherapie: scheint ebenfalls das Bindegewebe ungünstig zu beeinflussen Symptomatik: Symptome werden meist erst ab Stadium II geäußert, wenn die Senkung den Introitus erreicht bzw. die Beckenbodenebene überschreitet. Direkt: –– Druckgefühl nach unten –– Fremdkörpergefühl –– Sicht- und fühlbare Vorwölbung im Introitus Indirekt: –– Belastungsinkontinenz häufig in den früheren Stadien I–II, ab Stadium II häufiger –– Blasenentleerungsstörungen, ggf. mit notwendiger manueller Reponierung der Senkung, Pollakisurie durch Restharnbildung und konsekutiv rezidivierende Blasenentzündungen –– Stuhlentleerungsstörungen, ggf. mit notwendiger manueller Reponierung einer Rektozele bzw. Schienung der Scheide –– Kreuzschmerzen durch Zug an den Ligg. sacrouterinae –– Dyspareunie: superfizielle Schmerzen am Introitus (z. B. vernarbt, zu eng oder zu trocken); tiefe Schmerzen im Becken (z. B. durch Dehnung der Sakrouterinligamente) –– Koitale Inkontinenz (Urin-, Wind- oder Stuhlverlust beim Geschlechtsverkehr) –– Ulkusbildung durch Dehnung und Druck, können Fluor und Blutungen verursachen Diagnostik: –– Allgemeine Anamnese mit Relevanz zu Beckenbodenerkrankungen –– Evaluation von neurologischen Erkrankungen, Z.n. Apoplex, M. Parkinson, etc. –– Diabetes mellitus, Hypertonie etc. –– chronisch-obstruktive Lungenerkrankung/Asthma –– Ödeme der Beine: häufig Ursache einer pathologischen Nykturie –– Medikamenteneinnahme, z. B. Diuretika (Pollakisurie), Antidepressiva oder Anticholinergika (Harnretention) –– Bindegewebserkrankungen wie Marfan-Syndrom oder Ehlers-Danlos-Syndrom



8.2 Descensus genitalis 

 155

Voroperationen wie Hysterektomie, Darmresektionen, etc. –– Spezifische Beckenboden-Anamnese –– Miktionsfrequenz: normal bis zu 7/Tag bei normaler Trinkmenge von 1,5–2 l –– Nykturie: Frau wird vom Harndrang wach; normal bis zu 1 mal/Nacht –– Enuresis nocturna: Unwillkürlicher Harnverlust während des Schlafes –– Belastungsinkontinenz: Urinverlust bei körperlicher Belastung (Husten, Niesen, Lachen, Sport, Wandern, Treppensteigen, Bücken, schweres Heben, Tanzen) ohne Vorankündigung –– Imperativer Harndrang: Starker, nicht unterdrückbarer Harndrang, häufig mit Angst vor einem Urinverlust –– Dranginkontinenz: imperativer Harndrang mit Urinabgang; die Blase entleert sich teilweise komplett, bevor die Toilette erreicht wird –– Überaktive Blase: Symptomkomplex aus Pollakisurie, Nykturie und imperativen Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz –– Inkomplette Miktion, Restharngefühl: häufig mit Pressen und langsamen Harnstrahl verbunden –– Koitale Inkontinenz: Harnverlust während des Geschlechtsverkehrs –– Dysurie: Schmerzen am Ende der Miktion, typisch für Zystitis –– Gebrauch von Vorlagen –– Leidensdruck: Beschreibung z. B. mit kein – wenig – mäßig – stark oder 10-cm-Analogskala –– Inspektion: Erosionen, Lazerationen, Intertrigo –– Spekulumeinstellung mit geteilten Spekula: Ausmaß der Senkung jeweils der vorderen und hinteren Vaginalwand sowie des Uterus oder des Scheidenendes nach Hysterektomie beim Pressen –– Palpation des Beckenbodens: Abrisse, Ruhetonus, Kontraktion –– Rektale Untersuchung insbesondere zur Darstellung einer anterioren Rektozele und Bestimmung von Sphinktertonus und -Kontraktion –– Husten-Stresstest ohne und mit Reposition des Prolapses zur Darstellung einer larvierten Belastungsinkontinenz –– Restharnbestimmung (im Ultraschall > 50 ml Blaseninhalt als Zeichen einer Entleerungsstörung) –– Introitus- oder perineale Beckenboden-Sonographie –– Nierensonographie zum Ausschluss einer Hydronephrose bei hochgradigem Prolaps (Prävalenz einer Hydronephrose 5–17 %) Restharnbildung und rezidivierende Blasenentzündungen: Bei einem Prolaps, insbesondere einer großen Zystozele, kann ein sog. Quetschhahnmechanismus auftreten: Die Harnröhre wird so komprimiert, dass es zu Blasenentleerungsstörungen mit Restharn kommt sowie zu einer Kontinenz bei Belastung. Wird die Senkung bei der Untersuchung reponiert und es zeigt sich dann ein Urinverlust beim Husten, spricht man von einer larvierten Belastungsinkontinenz, da die Frau sonst keinen Urin verliert.

156 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

Ulkusbildung: Bei einem Partial- oder Totalprolaps können Druck- und Dehnungsulzera der Portio und der Scheidenwand entstehen, was zu blutigem Fluor oder Blutungen führen kann. Schweregrad: Die klinische Einteilung kann beschreibend erfolgen, richtet sich nach dem Höhenstand der Portio uteri in Bezug auf die drei Abschnitte der Vagina. Häufigste Gradeinteilung des Descensus genitalis: –– Grad I: Descensus innerhalb der Scheide –– Grad II: Descensus erreicht den Introitus vaginae –– Grad III: Descensus reicht bis vor den Introitus vaginae –– Grad IV: Totalprolaps von Uterus und Vagina. Therapie: –– abhängig vom Ausmaß des Descensus und der Beschwerden, begleitender Belastungsinkontinenz, Wunsch der Patientin –– bei fehlenden Symptomen auch klinische Beobachtung möglich –– Abbau von bekannten Risikofaktoren (Nikotinabusus, Adipositas, chronische Obstipation) –– digitale Unterstützung der Defäkation (Druck auf die hintere Scheidenwand oder den Damm), Reposition der Blase zur besseren Blasenentleerung –– lokale Östrogenisierung der Vagina –– Eine operative Therapie sollte nur bei Symptomen und Leidensdruck erfolgen. –– Ein Erhalt des Uterus kann bei gesundem Organ angestrebt werden. Konservativ –– gezielte Beckenboden-Rehabilitation (Reduktion der Senkungssymptome u.a. durch Verringerung des genitalen Hiatus) –– Pessartherapie

Abb. 8.7: Vordere vaginale Plastik: Zystozelenversenkung durch Fasziennähte.

8.3 Harninkontinenz 

 157

Operativ –– Zystozele: Colporrhaphia anterior (vordere Scheidenplastik, Abb. 8.7) –– Rektozele: Colporrhaphia posterior (hintere Scheidenplastik) –– Descensus uteri: vaginale sakrospinale Hysteropexie, Sakrohysteropexie, Fixation an den Sakrouterinligamenten –– Prolaps des Scheidenendes nach Gebärmutterentfernung: Vaginale sakrospinale Fixation (Vaginae fixatio nach Amreich-Richter), Sakrokolpopexie

8.3 Harninkontinenz Die Harninkontinenz ist als unfreiwilliger Urinverlust definiert; die häufigsten Formen sind Belastungs- und Dranginkontinenz.

Die Harninkontinenz bei der Frau ist häufig, die Prävalenz liegt zwischen 10 und 50 %. Die Inzidenz steigt mit dem Lebensalter. Inkontinenz kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen, die Partnerschaft/Sexualität beeinflussen und zur Einschränkung der sozialen Kontakte führen.

gesteigerter intraabdomineller Druck (z. B. beim Husten, Niesen)

gesteigerter intraabdomineller Druck (z. B. beim Husten, Niesen)

Harnblase

Trichterbildung

Urethra Beckenbodenmuskulatur Vagina (a)

(b)

Abb. 8.8: (a) Intakte Beckenbodenfunktion: Bei Anstieg des intraabdominalen Druckes erfolgt ein suffizienter Verschluss der Harnröhre. (b) Belastungsinkontinenz – Trichterbildung: Bei Erhöhung des intraabdominalen Druckes kontrahiert der Beckenboden nicht rechtzeitig oder nicht kräftig genug, um die Harnröhre zu sichern oder die endo-pelvine Faszie oder Ruheposition der Harnröhre sind insuffizient.

158 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

8.3.1 Belastungsinkontinenz Als Belastungsinkontinenz wird der unwillkürliche Urinverlust während körperlicher Anstrengung, z. B. beim Husten, Lachen oder Niesen, Sport etc. definiert (Abb. 8.8).

–– Ursache: inkompetenter Verschlussmechanismus der Harnröhre durch –– insuffiziente bindegewebige Halterung (Blasenhalsdescensus) in Ruhe und bei Belastung –– reduzierten Urethraverschlussdruck –– fehlende neurologische Kontrolle ohne Beckenboden-Präkontraktion vor Belastung –– insuffiziente „Stiffness“ (Festigkeit) der Urethra –– Nach Symptomen können drei Schweregrade beschrieben werden (nach Ingelman-Sundberg): –– Grad I: Harnverlust beim Husten, Niesen, Lachen und Pressen –– Grad II: Harnverlust beim Heben, Laufen und Treppensteigen –– Grad III: Harnabgang im Stehen, ohne körperliche Betätigung 8.3.1.1 Diagnostik –– Anamnese, Beckenbodenfragebogen (vorzugsweise validiert und Arzt/Ärztinunabhängig) –– klinische Untersuchung –– Husten-Stress-Test mit und ohne Reponierung einer Senkung –– Descensusbestimmung mit Spekula beim Pressen und/oder Husten –– Palpation des Beckenbodens (Evaluation Levatordefekte, Ruhetonus und Kontraktionskraft) –– Introitus- oder Perianalsonographie zur Darstellung von Blasenhalsdescensus, Beckenbodenkontraktion und deren Wirkung auf den Blasenhals (Bla-

(a)

(b)

Abb. 8.9: Introitus-Beckenboden-Ultraschall: (a) Ruheposition, (b) deutlicher rotatorischer Blasenhalsdescensus mit leichter Trichterbildung beim Pressen (s. Pfeil).

8.3 Harninkontinenz 

 159

senhalselevation vorhanden oder nur Bewegung des Beckenbodens hinter dem Rektum sichtbar, Abb. 8.9) –– Sonographische Restharnbestimmung –– Miktionsprotokoll (Trinkmenge, Miktionsvolumen, Urinverlust) –– Urinuntersuchung zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes (cave: Sensitivität eines Urinteststreifens liegt nur bei 50 %, deshalb kann bei Dysurie z. B. primär eine Urinkultur angelegt werden) –– Urodynamische Untersuchung bei unklarer Symptomatik Therapie: Eine Behandlung der Harninkontinenz ist notwendig, wenn der Harnverlust als störend empfunden wird (Leidensdruck) und Auswirkungen auf die Lebensqualität hat. 8.3.1.2 Konservative Therapie Urodynamik: Bei der urodynamischen Untersuchung/Messung wird mit einem Katheter (Wasser- oder Microtip) simultan der Blasen-, der Urethral- und der intraabdominale Druck gemessen. Während der langsamen Blasenfüllung mit einer Flüssigkeit werden 1. und 2. Harndrang, Blasenkapazität und Symptome wie imperativer Harndrang notiert. Es können Detrusorkontraktionen auftreten, die zu einem Drang und konsekutiver Inkontinenz führen. Desweiteren wird etwa alle 100 ml Blasenfüllung die Kompetenz der Urethra bzgl. eventueller Inkontinenz beim Husten beobachtet. Die internationale urodynamische Definition der Belastungsinkontinenz ist ein Urinverlust, der simultan bei Belastungen wie Husten auftritt in Abwesenheit einer Detrusorkontraktion (urodynamische Belastungsinkontinenz). Aus dem Druckanstieg während der Füllung lässt sich die Compliance errechnen, die über 20 ml/mH2O liegen sollte. Nach erfolgter Füllung wird eine Blasenentleerung durch die Patientin initiiert, bei der der Detrusordruck und der Uroflow (ml/s) bestimmt wird. Es ist auch möglich, ein Urethradruckprofil zur Bestimmung des urethralen Verschlussdruckes (Urethradruck – Blasendruck) durchzuführen. Auf ein sog. Stressprofil beim Husten kann aufgrund fehlender klinischer Bedeutung verzichtet werden. Da Anamnese und Husten-Stresstest zusammen eine gute Sensitivität und Spezifität zur Diagnostik einer Belastungsinkontinenz haben, ist eine Urodynamik vor konservativer oder operativer Therapie nicht zwingend notwendig. Die Darstellung einer Detrusorüberaktivität bei überaktiver Blase ist nicht erforderlich. Urethrozystoskopie: Mit der Urethrozystoskopie können Blasendivertikel, eine chronische Urethritis, Papillome, intravesikale Fremdkörper und Karzinome aufgedeckt werden. Die zystoskopische Abklärung wird bei einem morpholoigschem Korrelat und bei Hämaturie empfohlen.

160 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

Sonographie des Beckenbodens: Die Introitus- und Perinealsonographie dient der dynamischen Beurteilung von Blase, Harnröhre und der Beckenbodenmuskulatur in Ruhe, beim Pressen und bei der Beckenbodenkontraktion. Die sonographische Bildgebung besitzt einen wesentlichen Stellenwert in der Ergänzung der klinischen Untersuchung. Gezielte Beckenboden-Rehabilitation: Sie hat das Ziel, eine Blasenhals-elevierende Beckenbodenkontraktion zu erreichen, die als submaximale Kontraktion über einen längeren Zeitraum (ca. 1 min) auch beim Weiteratmen und bei Belastung wie Husten gehalten werden kann. Die Beckenbodenkontraktion muss als sog. Präkontraktion vor der Belastung erfolgen. Ein Training der quergestreiften Muskulatur des Beckenbodens kann notwendig sein. Die Koordination einer Präkontraktion ohne gleichzeitige Erhöhung des intraabdominalen Druckes reicht häufig jedoch für eine Kontinenzsicherung im Alltag aus. Diese Therapie erfordert eine spezialisierte Physiotherapeutin. Sollte die Patientin zu den 30  % der Frauen gehören, die den Beckenboden nicht bewusst anspannen können, kann eine Bewusstseinsschulung über eine vaginale Elektrostimulation (überschwellig, Kontraktion muss gefühlt werden können) erfolgen. Daran kann sich ein Biofeedbacktraining mit einer vaginalen EMG-Sonde anschließen, sofern die Frau nun eine Beckenbodenkontraktion ausführen kann (Abb. 8.10). Ein weiteres Ziel der Beckenboden-Rehabilitation ist es, dass die Präkontraktion in das tägliche Leben integriert wird, womit tägliche gezielte Anspannungen z. B. vor dem Husten, Aufstehen, Treppensteigen, Bücken, garantiert sind und ein Extra-Training nicht notwendig ist. In der Schwangerschaft und nach der Geburt kann ein gezieltes Beckenbodentraining zur Prävention und Therapie einer Inkontinenz beitragen.

(a)

(b)

Abb. 8.10: Perinealer Beckenboden-Ultraschall zur Diagnostik und Beckenbodenrehabilitation (Biofeedback): Mittsagittaler Schnitt, rechts die Symphyse, Blase gelb umrandet, M. levator ani hinter dem Rektum (rot). (a) Ruheposition, (b) Beckenbodenkontraktion. Es kommt zu einer ventrokranialen Verlagerung von Rektum, Vagina, Urethra und Blase.

8.3 Harninkontinenz 

 161

Pessartherapie: Pessare wirken kontinenzverbessernd über die Reposition einer Senkung mit Elevation von Urethra und Blasenhals. Es handelt sich um ein mechanisches Hilfsmittel in der Inkontinenzversorgung. Eine Pessartherapie sollte Patientinnen mit Belastungsinkontinenz als Therapieoption angeboten werden (Abb. 8.11).

(a)

(b)

Abb. 8.11: (a) Siebschalenpessare, (b) Lage eines Urethrapessars (Ring mit kugelförmiger Ver­dickung zur Stützung der Urethra) in der Vagina: Insbesondere die vordere Vaginalwand und Urethra und auch der Uterus werden oberhalb der Levatorplatte gehalten. Damit können Senkungssymptome, Belastungsinkontinenz oder Blasenentleerungsstörungen häufig suffizient behoben werden.

8.3.1.3 Operative Therapie Eine operative Therapie sollte nach Ausschöpfung der konservativen Therapie und auf Wunsch der Patientin in Betracht gezogen werden. –– Vaginale suburethrale spannungsfreie Bandanlage (retropubisch, transobturatorisch oder als sog. „single-incision-Schlinge“ mit Verankerung in der Fascia obturatoria) –– Die Schlinge besteht aus einem nicht-resorbierbaren, synthetischen und monofilamentärem Netz. –– Wichtig ist die Lage ca. in der Mitte der Harnröhre oder im distalen Drittel und –– die spannungsfreie Positionierung, um die Harnentleerung nicht zu beeinträchtigen. –– Wirkungsweise: die Urethra wird bei Belastung gegen die Schlinge gedrückt, sog. „dynamic kinking“. –– Offene oder laparoskopische Kolposuspension nach Burch –– Nach Eröffnung des Cavum Retzii wird die endopelvine Faszie paraurethral bis Blasenhals und auch weiter proximal bei paravaginalen Defekten mit per-

162 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

manenten Fäden an den ileopectinalen Ligamenten befestigt und moderat eleviert. –– Eine zu hohe Elevation führt zu Harnentleerungsstörungen und überaktiver Blase. –– Periurethrale Injektion von sog. „bulking agents“ (z. B. Polyacrylamid-Hydrogel) zur Unterfütterung der Urethra und zum besseren Verschluss bei Belastung –– Implantation eines artifiziellen Sphinkters –– Ultima ratio, wenn andere therapeutischen Maßnahmen keinen Erfolg erzielt haben Suburethrale Bandeinlagen sind der Goldstandard mit Erfolgsraten nach aktueller Studienlage um 90 % kurzfristig und 70 % nach 17 Jahren. Sie sollen Frauen mit einer Belastungsinkontinenz und Wunsch nach operativer Sanierung als primäre Therapieoption angeboten werden (Abb. 8.12).

Abb. 8.12: Suburethrale Bandeinlage: Hier liegt das Band retropubisch spannungsfrei hinter der mittleren Urethra, fängt bei Druckerhöhung die Urethra auf und sichert so die Kontinenz.

8.3.2 Überaktive Blase Das Krankheitsbild der überaktiven Blase (ÜAB) umfasst die Symptome Pollakisurie (häufiges Wasserlassen), imperativer Harndrang (nicht unterdrückbarer starker Harndrang) und Nykturie (vermehrtes nächtliches Wasserlasssen) mit oder ohne Harninkontinenz.

Ätiologie: –– Verstärkte Afferentierung: Vermehrtes Einströmen von Harndrangimpulsen über den langen Reflexbogen in das ZNS, wodurch ein Ungleichgewicht zwischen den erregenden und den hemmenden Reizen entsteht. –– Mangelhafte zentralnervöse Hemmung: Reguläres Einströmen von Harndrangimpulsen über den langen Reflexbogen in das ZNS bei verminderter Hemmfunktion im ZNS. –– Blasenwandveränderungen –– Gestörtes Mikrobiom der Blase

8.3 Harninkontinenz 

 163

Diagnostik: –– Anamnese, Beckenbodenfragebogen (vorzugsweise validiert und vom Arzt unabhängig) –– klinische Untersuchung –– Evaluation Genitalatrophie –– Husten-Stress-Test mit und ohne Reponierung einer Senkung –– Descensusbestimmung mit Spekula beim Pressen und/oder Husten –– Palpation des Beckenbodens (Evaluation Levatordefekte, Ruhetonus und Kontraktionskraft) –– Introitus- oder Perinealsonographie zur Darstellung von Blasenhalsdescensus, Beckenbodenkontraktion und deren Wirkung auf den Blasenhals (Blasenhalselevation vorhanden oder nur Bewegung des Beckenbodens hinter dem Rektum sichtbar) –– Sonographische Restharnbestimmung –– Miktionsprotokoll (Trinkmenge, Miktionsvolumen, Urinverlust) –– Urinuntersuchung zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes (cave: Sensitivität eines Urinteststreifens liegt nur bei 50  %, deshalb kann bei Dysurie oder zum Screening bei überaktiver Blase z. B. primär eine Urinkultur angelegt werden) –– Urodynamische Untersuchung/Messung bei unklarer Symptomatik –– Urethrozystoskopie zum Ausschluss von intravesikalen Pathologien empfohlen, wenn die initiale Therapie keine Besserung bringt. Pollakisurie: ≥ 8 Miktionen/24 Stunden bei normaler Harnmenge (bis 1,5–2 l/24h) Nykturie: ein- oder mehrmaliges nächtliches Aufwachen durch den Harndrang Miktionstagebuch: Das Miktionstagebuch stellt eine gute Möglichkeit dar, die Miktionsfrequenz, die Miktionsvolumina, die Anzahl der Inkontinenzepisoden, den Vorlagenverbrauch und die Trinkmenge objektiv zu erfassen. 2–5 Tage sind ausreichend. Klinische Untersuchung bei der überaktiven Blase: Hierzu gehört die peranale/ genitale Inspektion (Beurteilung des Scheidenzustanden, pH-Wert-Messung), vaginale Untersuchung mit geteilten Spekula (Beurteilung der Lageveränderung des Genitales in Ruhe und beim Pressen), Infektzeichen, Erhebung wesentlicher neurologische Befunde inklusive Reithosenareal. Therapie –– Verhaltenstherapie und „Drangstrategien“: z. B. Vermeiden von Speisen und Getränken, die die Symptomatik verstärken (z. B. histaminhaltige Nahrungsmittel oder Koffein), nach dem Abendessen keine Getränke mehr, Reduktion von Ödemen durch Sport und Hochlagerung z. B., um die nächtliche Urinproduktion zu reduzieren.

164 

 8 Senkungszustände des weiblichen Genitale und Harninkontinenz

–– Miktionstraining: Verlängerung von kurzen Miktionsintervallen auf der Basis des Miktionstagebuches (sog. Blasendrill) –– Gezielte Beckenbodenrehabilitation: gezielte submaximale Beckenbodenkon­ traktion (ohne unerwünschte Erhöhung des intraabdominalen Druckes) in Drangsituationen –– Vaginale Elektrostimulation –– Anticholinergika –– Botulinumtoxin –– Sakrale Neuromodulation –– Lokale Östrogenisierung –– Operative Harnblasenaugmentation und Harnblasenersatz sowie eine Harnableitung sind als Ultima Ratio anzusehen. Anticholinergika wirken an den M3-Rezeptoren der Blase und steigern das Blasenvolumen und reduzieren die Drangsymptomatik. Typische Nebenwirkungen sind trockener Mund, Obstipation und Akkommodationsschwierigkeiten. Auf die „anticholinerge Last“ bei älteren Patientinnen sollte geachtet werden, um kognitive Funktionen nicht zu beeinträchtigen. Botulinumtoxin kann bei Unverträglichkeit und Nichtansprechen der anticholinergen Therapie in den Detrusor injiziert werden. Die Wirkung hält etwa sechs Monate, danach kann eine erneute Injektion durchgeführt werden. Bei der sakralen Neuromodulation werden Stimulationselektroden in die Sakralforamina S2–S4 eingeführt. Die genaue Wirkweise ist unklar, es kommt zur Unterdrückung der Detrusorüberaktivität. Die Therapie wirkt aber auch bei chronischen Schmerzen sowie neurogenen Blasenentleerungsstörungen.

8.3.3 Mischinkontinenz Mischinkontinenz: Unwillkürlicher Urinverlust, der sowohl mit Harndrang, aber auch mit körperlicher Anstrengung verbunden ist.

Die Therapie sollte sich nach der dominanten Problematik (Leidensdruck) richten und zunächst eher eine konservative Maßnahme beinhalten.

8.3.4 Sonderformen Hierzu zählen die neurogene Inkontinenz, extraurethrale Inkontinenz (z. B. bei Fisteln) und die sog. Giggle-Inkontinenz insbesondere bei jüngeren Mädchen, die durch das Lachen wahrscheinlich eine Detrusorkontraktion auslösen, die zur Inkontinenz führt.

Katharina von Weizsäcker, Anne-Katrin Oligmüller

9 Sexuell übertragbare Krankheiten 9.1 Einführung

Im Laufe der Jahre haben sich zu den klassischen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Gonorrhö, Ulcus molle, Lymphogranuloma venereum etc. weitere Erreger gesellt, deren Transmissionsweg nicht mehrheitlich der Geschlechtsverkehr darstellt, sondern die auch auf anderem Wege, z. B. durch Blut oder Blutprodukte, Keimverschleppung und durch Schmierinfektion epidemiologische Bedeutung erlangt haben. Einige haben bis auf den Umstand, dass sie die genitomukosale Barriere als Eintrittspforte überwinden können, keinen weiteren unmittelbaren klinischen Bezug zum Genitale. Andere Erreger können, wie die HIV-Infektion zeigt, durch ihre immunpathologischen Auswirkungen indirekt bestimmte genitale Infektionen verstärken und damit eine sekundäre genitale Symptomatik provozieren. Weitere, wie z. B. viele anaerobe Bakterien, sind nur fakultativ pathogen, d. h. sie sind nach Verdrängung der vaginalen Normalflora Teil der vaginalen polymikrobiellen Kolonisation und können dennoch u. U. infolge einer Keimaszension zum „Pelvic Inflammatory Disease“ (PID) mit einer hohen Morbidität und Spätfolgen wie Infertilität führen (Abb. 9.1).

4 3

2a

6 (a)

(b)

1

2b

6

6 5

Abb. 9.1: (a) Laparoskopischer Situs des kleinen Beckens. (b) Man erkennt ausgeprägte Adhäsionen um die linke Tube [2a] und das linke Ovar [1], durch die beide Strukturen am Darm fixiert sind. 1 linkes Ovar, 2a linke Tube, 2b rechte Tube, 3 Lig. infundibulopelvicum links, 4 Mesosalpinx, 5 Darm (Sigma), 6 Adhäsionsstränge.

https://doi.org/10.1515/9783110472356-013

166 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

In der Gruppe von Erregern mit einer spezifischen genitalen Symptomatik finden sich v. a. Keime, die auf epitheliale Zielzellen spezialisiert sind. Allgemeine Charakteristika genitaler Infektionen sind: –– häufig kombinierte Infektionen –– chronische genitomukosale Schädigung als begünstigende Bedingung für die Transmission von viralen und bakteriellen Erregern (z. B. HIV) –– Anpassung der verschiedenen Erreger an den Wirtsorganismus erschwert Therapie

9.2 Spezifische Erreger – Neisseria gonorrhöae („Tripper“) Transmission und Epidemiologie: –– Mensch ist einziger natürlicher Wirt. –– Erreger kann außerhalb des menschlichen Körpers nur kurze Zeit überleben. –– Infektion durch einen infizierten Sexualpartner ausschließlich über direkten Schleimhautkontakt (genital, oral) –– Bei einem Sexualverkehr mit einem infizierten Mann besteht für die Frau ein Transmissionsrisiko von > 70 %. –– Es besteht seit 2001 in Deutschland keine Meldepflicht mehr. Geschätzte Häufigkeit: ca. 10 Infektionen/100000 Einwohner pro Jahr. –– Deutlich höhere Prävalenz bei MSM (Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben) –– (rektal) und Sexarbeiterinnen. Nur kurzes Überleben außerhalb des Wirts: Übertragungen über Kontamination durch Toiletteneinrichtungen, Handtücher etc. sind kein epidemiologisch relevanter Transmissionsweg. Inzidenz: Genaue Inzidenzschätzungen sind wegen nicht mehr bestehender Meldepflicht und häufig asymptomatischen Verläufen schwierig Biologie: gramnegativer, nichtmobiler Diplokokkus (Abb. 9.2) Klinik: –– akute pyogene Infektion des zylindrischen und transitorischen Epithels –– infiziert werden können Endozervix, Urethra, Analkanal, Bartholinische Drüsen, Pharynx und Konjunktiva (Abb. 9.3) –– Inkubationszeit: 1–14 Tage –– bei Frauen sind ca. 50  % der Infektionen asymptomatisch, bei Männern treten Symptome häufiger auf –– vom Genitalbereich ausgehende klinische Symptom: Zervizitis, Urethritis, Bartholinitis und bei weiterer kontinuierlicher Ausbreitung Endometritis, Salpingitis, Peritonitis und Perihepatitis



9.2 Spezifische Erreger – Neisseria gonorrhöae („Tripper“) 

(a)

 167

(b)

Abb. 9.2: Mikroskopisches Bild eines gonokokkenhaltigen Zervixabstrichs: Nachweis intrazellulär gelegener Diplokokken, (a) Methylenblaufärbung; (b) Gramfärbung.

Abb. 9.3: Gonokokkeninfektion der Bindehaut; durch sekundären Befall der Kornea (Ulkus­ bildung), Komplikationen bis hin zum Verlust des Sehvermögens möglich.

–– Mögliche systemische Komplikationen: Arthritis, Tenosynovitis, Endo-, Myo- und Perikarditis, Hepatitis, Meningitis, Dermatitis, Sepsis. Eine disseminierte Gonokokkeninfektion tritt in 0,5–3 % der Patientinnen auf. Diagnose: –– Erregernachweis (mikroskopisch, in der Kultur oder durch Nukleinsäureamplifikationstechniken (PCR)). Abstrichentnahme bei Frauen urethral und endozervikal. –– Bei klinischem Verdacht oder Expositionsrisiken muss ein kultureller Nachweis mit Resistenztestung erfolgen. Therapie: –– Ceftriaxon i.m. oder i.v. (1 g) und Azithromycin p.o. (1–2 g) jeweils als Einmaldosis –– Alternativ Cefixim, Ciprofloxacin, Ofloxacin oder Azithromycin p.o. als Einmaldosis bei nachgewiesener Empfindlichkeit im Antibiogramm –– Es entsteht keine Immunität, daher sind Re-Infektionen möglich.

168 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

9.3 Treponema pallidum (Lues, Syphilis) Transmission und Epidemiologie: –– Übertragung durch sexuellen Verkehr, Eindringen durch mukokutane Mikroläsionen –– Transplazentare Übertragung und Übertragung durch Blutprodukte möglich. Inzidenz: –– Deutschland: 6,1/100 000 (RKI 2013) –– Seit 2001 kontinuierlich ansteigende Zahl an gemeldeten Infektionen –– Übertragung durch sexuellen Verkehr; nichtsexuelle Transmissionen durch kontaminierte Gebrauchsgegenstände sind durch die kurze extrakorporale Überlebenszeit der Treponemen epidemiologisch nicht relevant. Biologie: T. pallidum ist eine 5–20 µm lange, 0,15 µm breite, helikale und bewegliche Spirochäte. Klinik: Primäre Syphilis –– Nach einer mittleren Inkubationszeit von 21 Tagen (10–90 Tage) Enstehung einer indurierten, schmerzlosen Papel als sog. Primäraffekt, die anschließend ulzeriert (Ulcus durum, harter Schanker). –– Innerhalb einer Woche Entwicklung einer indolenten und nicht suppurativen Lymphadenopathie, die bis zu einem Monat anhalten kann. –– Primäre Manifestationen an anderen Körperstellen z. B. im oralen oder analen Bereich möglich. –– Spontane Abheilung des syphilitischen Ulkus nach 4–6 Wochen. Sekundäre Syphilis –– Hämatogene und lymphogene Aussaat 4–10 Wochen nach Infektion: generelle Lymphadenopathie und oft kaum sichtbares masernähnliches Exanthem ohne Juckreiz auf Stamm und Extremitäten, aber auch auf Handflächen, Fußsohlen und im Gesicht möglich. –– Ausgesprochen vielfältiges Bild der Hauterscheinungen, daher Verwechslung mit anderen infektiösen und nichtinfektiösen Hauterkrankungen häufig! –– Ein Drittel der Patienten entwickelt bevorzugt im Genital- oder Perianalbereich schmerzlose, mukosale, warzenartige Erosionen (Condylomata lata). –– Die Läsionen enthalten große Mengen von infektiösen Spirochäten. –– Unbehandelte Patientinnen: in 30 % wird Infektion durch das Immunsystem eliminiert. –– Bei zwei Drittel der Patientinnen Übergang in ein latentes Stadium.



9.3 Treponema pallidum (Lues, Syphilis) 

 169

Latente Syphilis –– Nach Abklingen der Sekundärläsionen bzw. -symptome können Patientinnen über mehrere Jahre symptomlos bleiben (Diagnose nur serologisch zu stellen). –– Etwa 1/3 der Patienten verbleiben in diesem Stadium ohne weitere Folgen. Tertiäre Syphilis –– Unbehandelte Patientinnen entwickeln frühestens nach 5, meist nach 15– 20 Jahren weitere klinische Symptome einer späten Organmanifestation: –– Neurosyphilis (u.a. als syphilitsche Meningitis, progressive Paralyse oder Tabes dorsales (Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks mit Sensibilitätsverlust und einschießenden Schmerzen)). Eine Neurosyphilis ist bei HIV-infizierten deutlich häufiger (20 %). –– Kardiovaskuläre Syphilis (Aneurysmen der Aorta mit gummatösen Veränderungen und ein Verlust der Elastizität) –– Granulomatöse Reaktion auf T. pallidum (isolierte Gummata in Haut, Knochen, Gelenken oder in anderen Organen) Diagnose: –– Erregernachweis: Dunkelfeldmikroskopie in Primäraffekten oder Condylomata lata –– Kulturverfahren sind nicht praktikabel –– Serologische Diagnose: als spezifischer Test wird meist der bereits zwei bis drei Wochen nach Infektion positive Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest (TPHA) bzw. Partikelagglutinationstest (TPPA) als Suchtest eingesetzt. Eine Infektion wird dann durch einen Fluoreszenz-T. pallidum Antikörper-Absorptionstest (FTA-Abs) bestätigt. Serologische Diagnostik: Als unspezifischer Test, der in Zusammenhang mit einem positiven Ergebnis der spezifischen Tests eine produktive Infektion kennzeichnet, wird der Veneral Disease Research Laboratory Test (VDRL) zur Bestätigung von Makrolipidantikörpern eingesetzt. Unspezifische Tests und spezifische IgM-Tests eignen sich damit zur Einschätzung einer Behandlungsindikation sowie als Verlaufskontrolle eines Behandlungserfolgs.

Therapie: –– Primäre und sekundäre Syphilis: Benzathin-Penicillin 2,4 Mio IE i. m. als Einmaldosis –– Latente Syphilis > 1 Jahr oder unbekannter Infektionszeitpunkt: Benzathin-Penicillin 2,4 Mio IE i.m. dreimal im Abstand von jeweils einer Woche (7,2 Mio IE als Gesamtdosis) –– Nur bei Penicillinallergie: Tetrazykline oder Ceftriaxon (in der Schwangerschaft: Desensibilisierung und anschließend Therapie mit Penicillin) –– Therapie der Neurosyphilis: Penicillin G i. v.

170 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

–– Nach der ersten Penicillinapplikation kann es besonders in frühen Stadien nach 2–8 Std. zu einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion kommen. Jarisch-Herxheimer-Reaktion: Reaktion auf Toxine, die durch den Zerfall von Treponema pallidum frei werden; Fieber, grippeähnliche Symptom wie Gelenkschmerzen und Ödeme im Bereich der luetischen Hautläsionen können auftreten. Die Therapie ist symptomatisch.

9.4 Haemophilus ducreyi („Weicher Schanker“) Transmission und Epidemiologie: –– auf sexuellem Wege von einem infizierten Partner übertragen –– verursacht eine akute, ulzerative, schmerzhafte Erkrankung (weicher Schanker) –– Transmission findet meist im ulzerativen Stadium statt. –– In Europa/Deutschland sind Infektionen mit Haemophilus ducreyi extrem selten (meist Folgen von Sextourismus oder Kontakt zu infizierten Partnern aus Endemiegebieten) Biologie: gramnegatives, fakultativ anaerobes, unbewegliches Bakterium Klinik: –– Nach Inkubationszeit von 4–7 Tagen entsteht zunächst eine weiche Papel mit erythematöser Reaktion. –– Daraus bildet sich eine 5–10 mm große schmerzhafte Ulzeration mit scharf demarkiertem weichen Wandrall. –– meist am externen Genitale, seltener vaginal oder zervikal lokalisiert (dort oft auch ohne die charakteristischen Schmerzen) –– Selten verbleibt die Läsion im papulären Stadium oder mehrere Läsionen konfluieren zu einer großen Läsion. –– lokale Komplikationen: rektovaginale Fisteln, bakterielle Superinfektionen der Ulzera –– In etwa der Hälfte der Fälle schmerzhafte meist einseitige inguinale Lymphadenitis mit erythematöser Reaktion der Haut und Bubobildung, die spontan purulent nach außen rupturieren können. –– Eine systemische Ausbreitung ist bisher nicht beobachtet worden. Diagnose: –– meist klinische Diagnose –– Ulzerierende Läsionen durch HSV, Treponeam pallidum und Chlamydien sollten ausgeschlossen werden (siehe dort). –– Kultur auf Spezialmedium, PCR in Speziallaboren möglich.



9.5 Calymmatobacterium granulomatis (Granuloma inguinale) 

 171

Therapie: –– Azithromycin (1 g p. o.) oder Ceftriaxon (250 mg i. m.) als Einmaldosis –– Alternativ Ciprofloxacin oder Erythromycin

9.5 Calymmatobacterium granulomatis* (Granuloma inguinale) Transmission und Epidemiologie: –– Neben der sexuellen Transmission über Mikroläsionen spielt auch eine Autoinokulation oder Kontamination eine Rolle.1 –– Nur geringe Kontagiosität des Erregers – mehrere Expositionen für eine produktive Infektion notwendig. –– Übertragung erst nach längerem Kontakt mit einem infizierten Partner in bis zu 50 % zu erwarten. –– Nur in bestimmten Regionen von Indien, Afrika, Zentralaustralien und PapuaNeuguinea (Kontakt zu Personen aus Endemiegebieten, Sextourismus). Biologie: gramnegatives, 1,5 µm langes, kokkoides Bakterium mit Kapselbildung Klinik: –– Nach Inkubationszeit von 8–80 Tagen entstehen an den Labien, aber auch im sonstigen Genital- oder im Analbereich kleine subkutane Knoten, die sich in meist schmerzlose, scharf begrenzte Ulzera umwandeln. –– Primäre orale Läsionen sind selten. –– Unter langsamer Größenzunahme und ausgeprägter Fibrosierung können distale Lymphödeme entstehen. –– Verruköse Ausprägung der Infektion möglich und bevorzugt in der Regio analis. –– zervikale oder intravaginale Ulzerationen selten Diagnose: –– Hinweisend neben dem klinischen Bild ist der Nachweis von intravakuolären Erregern in der Wright- oder Giemsafärbung nach Exprimieren einer Läsion, bzw. aus einer Biopsie. –– C. granulomatis tritt gehäuft mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen auf – entsprechende Zusatzuntersuchungen sind empfohlen.

* Klebsiella granulomatis

172 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

Therapie: –– Doxycyclin (100 mg zweimal täglich), Trimethoprim-Sulfamethoxazol (160 mg/ 80 mg zweimal täglich) oder Azithromycin (1 g einmal pro Woche oder 500 mg täglich) über mind. 3 Wochen –– Alternativ Erythromycin, Ciprofloxacin über mind. 3 Wochen –– Resistenz: Wenig Daten, Empfehlung zur Standardtherapie daher schwierig, evtl. Kombination mit Aminoglykosid bei insuffizientem Ansprechen auf Therapie.

9.6 Chlamydia trachomatis –– Serogruppen L1, L2 und L3 verursachen Lymphogranuloma venereum –– Serogruppen D, E, F, G, H, I, J und K verursachen eine Zervitis, PID, Inklusionskonjunktivitis und Neugeborenenpneumonie. –– Da beide biologische und immunologische Ähnlichkeiten haben, wird die Biologie und Klinik gemeinsam abgehandelt. Transmission und Epidemiologie: –– C. trachomatis wird durch sexuellen Kontakt mit einem infizierten Partner durch Mikroläsionen übertragen. –– keine klaren Angaben zur Übertragungshäufigkeit vorhanden –– Lymphogranuloma venereum in Deutschland selten (in Gebieten von Afrika, Indien, Südostasien und Südamerika hohe Prävalenz) –– C. trachomatis der Serogruppen D–K mit hoher Prävalenz v. a. bei jungen Frauen (bis zu 20 % bei 20 bis 24-Jährigen), meist asymptomatisch Biologie: gramnegative, kokkoide, pleomorphe, obligat intrazellulärer Erreger Klinik: –– Chlamydien der Serogruppen L1–3 befallen vornehmlich das lymphatische Gewebe. –– primäre Ausbreitung als Thrombolymphangitis oder Perilymphangitis entlang der lymphatischen Endothelien; führt zu einem Befall der lokalen Lymphknoten, in der Folge mit Abszedierung und Aufbrechen (Bubo-Bildung) –– nach Wochen bis Monaten Abheilung mit Narbenbildung und Obstruktion submuköser und subkutaner Lymphgefäße –– Folge: Lymphödeme der unteren Extremitäten bis zur Elephantiasis –– Chlamydien der Serogruppen D-K besiedeln vornehmlich das Platten- und Zylinderepithel der unteren Genitalwege und führen dort primär nur in einem Drittel der Fälle zu Symptomen, z. B. mukopurulente Zervizitis (Abb. 9.4).



9.7 Vaginale Candidiasis 

 173

Abb. 9.4: Chlamydienzervizitis. Mucopurulente Chlamydienzervizitis, deutlicher Austritt von putridem Sekret aus dem äußeren Muttermund.

–– bei weiterer epithelialer Ausbreitung: Urethritis, Bartholinitis, Endometritis, Salpingitis, PID bis zur Perihepatitis und Spätfolgen wie „frozen pelvis“ und sekundärer Tubensterilität –– subklinische Verläufe sind möglich Diagnose: Erregernachweis im Abstrich mit Nukleinsäureamplifikationstechniken (PCR) –– direkter Antigennachweis durch Markierung mit fluoreszierenden Antikörpern oder im ELISA oder EIA (relativ hohe Rate an falsch positiven Befunden) –– Kultureller Nachweis nur mit speziellen Abstrichröhrchen und Medien –– Serologische Untersuchungen nur in Ausnahmefällen zur Differentialdiagnose in speziellen Fragestellungen Therapie: –– Auch bei fehlender Symptomatik sollten alle Frauen bei Nachweis von Chlamydien der Serogruppen D–K behandelt werden. –– Azithromycin 1 g p.o. als Einmalgabe bei unkomplizierten Fällen –– Alternativ Doxycyclin, Erythromycin, Levofloxacin, Ofloxacin (bei Schwangeren auch Gabe von Amoxicillin (500 mg dreimal täglich über 7 Tage) möglich)

9.7 Vaginale Candidiasis Transmission und Epidemiologie: –– mögliche Übertragungswege: aus dem Gastrointestinaltrakt, Kontaktinfektionen, sexuell

174 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

–– Prävalenz in der Normalbevölkerung etwa bei 10 %, u. U. ohne klinische Symptome –– in Kollektiven mit hoher sexueller Promiskuität sind Prävalenzen von 31–55 % zu erwarten –– Prävalenzerhöhung durch Immunsuppression (rez. vaginale Candidiasis ist eines der häufigsten Erstsymptome einer HIV-Infektion bei Frauen), Schwangerschaft, Diabetes mellitus, Vorhandensein anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen –– 75 % aller Frauen machen mindestens eine symptomatische genitale Candidose durch, 40–45 % rezidivierende Episoden. –– meist Candida albicans, aber auch andere Candida species ursächlich Ohne klinische Symptomatik: Trotz einer genitalen Besiedlung entwickelt etwa ein Viertel der Frauen keine Symptome

Biologie: fakultativ pathogener Sproßpilz, dünnwandige grampositive kapsellose Hefe von ovaler bis runder Form Klinik: –– genitaler Pruritus, Brennen und verstärkter weißlicher Ausfluss unterschiedlicher Ausprägung, der kleinklumpig sein kann („Cottage cheese“) (Abb. 9.5) –– Erytheme der Labien und der Vulva –– Scheide ist gerötet und rau. –– Patientinnen klagen über Dyspareunie und mitunter auch über Dysurie. –– häufig weißliche Beläge an der Scheidenwand Diagnose: –– Typische Symptome bei vaginalem pH > 4,5 –– einfachste Nachweismethode: Phasenkontrastmikroskopie (Pseudohyphen) (Abb. 9.6) –– Nachweisrate kann durch Zugabe von 10 % KOH erhöht werden. –– Kultureller Nachweis insbesondere bei Therapieversagen und V.a. auf Candidiasis durch non-albicans Candida sp. erforderlich

Abb. 9.5: Canididiasis der Vulva mit typischen weißlichen Belägen um ein superinfiziertes Ulcus der Vulva.



9.8 Ektoparasiten  

 175

Abb. 9.6: Candida albicans: Mikroskopisches Bild von Pseudomycel und ovalen Sproßformen.

Therapie: –– viele Imidazole u. a. Antimykotika sind gut wirksam, z. B. Clotrimazol (1 %-Creme einmal täglich über 7 Tage oder 2 %-Creme über 3 Tage) oder Nystatin  –– Applikation lokal oder z. T. systemisch (insbesondere bei Immunsuppression oder schwerem Befall) –– bei therapierefraktären Fällen oder Patientinnen mit Immunsuppression zweimalige orale Gabe von 150 mg Fluconazol im Abstand von 72 Stunden –– Orale Einnahme kann bei Patientinnen mit hohem Candidarisiko auch wöchentlich für längere Zeit erfolgen.

9.8 Ektoparasiten 9.8.1 Phthirus pubis (Filz- oder Schamlaus) Transmission und Epidemiologie: –– meist durch sexuellen Kontakt übertragen –– Kopfhaar nicht betroffen, selten Barthaar, Augenbrauen, Wimpern –– Epidemien besonders in Populationen mit fehlender sanitärer oder medizinischer Versorgung in Krisenzeiten möglich Biologie: –– Ca. 1 mm lange erwachsene Phthirus pubis hat außerhalb des Wirts eine Lebensspanne von etwa 24 Std (Abb. 9.7). –– entsteht nach mehreren Zwischenstadien innerhalb 8 Tagen aus den Eiern

176 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

Klinik: –– von leichtem Stechen mit/ohne Jucken und lokalem Erythem bis zu ausgeprägtem Pruritus, Erythem, Entzündungsreaktionen –– Symptome individuell sehr verschieden, hängen von einer vorangegangenen Sensibilisierung ab. –– Läusebisse können für mehrere Tage als kleine bläuliche Flecken persistieren. Diagnose: Meist leicht durch die gut sichtbaren an der Körperbehaarung hängenden Läuse und deren Eier gestellt (Abb. 9.8). Therapie: Behandlung der betroffenen Körperteile mit Cremes und/oder Shampoos, die z. B. Permethrin oder Pyrehtrum enthalten. Auskämmen mit Läusekamm, Rasieren. Wechsel und Waschen von Bekleidungsstücken, Bettwäsche etc.

Abb. 9.7: Phthirus pubis, sog. Filz- oder Schamlaus, 1,4–1,6 mm lang, vorwiegend an Schamhaaren, praktisch nie im Kopfhaar zu finden.

Abb. 9.8: Phthiriasis pubis, kolposkopische Vergrößerung: Im Zentrum sind Laus und Nisse an Haarschaft und Bissstelle gut sichtbar (Quelle: SOA-AIDS Amsterdam, gemeinfrei).



9.8 Ektoparasiten  

 177

9.8.2 Sarcoptes Scabiei („Krätze“) Transmission und Epidemiologie: –– Übertragung durch direkten Hautkontakt (mind. 5–10 Minuten!) –– Je ausgeprägter das Infektionsbild des Betroffenen ist, desto höher ist die Chance einer Transmission. –– Ausbrüche in Einrichtungen möglich (z. B. Kindergärten, Altersheime, Obdachlosenunterkünfte, Erstaufnahmeunterkünfte). –– Hohe Prävalenz in Ländern mit tropischem Klima (bis zu 15 %) –– Überleben außerhalb des Menschen ca. 24–48 h (je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit) Biologie: Nach Hautkontakt bohrt sich die 400 µm lange weibliche Milbe durch das Epithel bis zum Stratum granulosum; die dort abgelegten Eier differenzieren sich nach etwa 2–3 Wochen über das Larven- und Nymphenstadium zu geschlechtsreifen Milben. Klinik: –– Manifestationsorte: Hände, besonders die Interdigitalfalten, Axillarfalte, Ellenbogen, innere Oberschenkel, Abdomen, äußerer Genitalbereich, Areolabereich (Regionen mit dünner Hornschicht und relativ hoher Temperatur) –– Pathognomonisch sind die als kurze Linien auf der Haut sichtbaren Milbenkanäle. –– Meist entstehen kleine erythematöse Papeln und ein polymorphes Bild mit Urtikaria und Ekzemen. –– starker Juckreiz, meist in der Nacht zunehmend –– Scabies crustosa: Massiver Befall mit Hyperkeratosen bis hin zu Borkenbildung auf erythematösem Grund und oft wenig Juckreiz, z. B. bei immunsupprimierten Patientinnen Diagnose: –– Mikroskopischer Direktnachweis aus Hautschabseln oder mit Klebebandtest Therapie: –– Lokalbehandlung mit Permethrin, Crotamiton oder Benzylbenzoat. Systemische Therapie mit Ivermectin. –– Polymorphes Bild: Skabies kann eine Vielzahl von Dermatosen imitieren. –– Sichtbarmachen der Milbengänge: Nach kurzem Aufstreichen von Tinte kann der Milbengang durch sein bizarres Muster sichtbar werden.

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 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

9.9 Trichomonas vaginalis Transmission und Epidemiologie: –– fast ausschließlich sexuelle Übertragung –– Frauen, die einen selbst asymptomatisch infizierten Partner haben, werden bis zu 85 % infiziert. –– Prävalenz korreliert in verschiedenen Gruppen mit dem Grad der sexuellen Aktivität; im Durchschnittsklientel der gynäkologischen Praxis ist eine Prävalenz von 1–5 % zu erwarten. Biologie: Trichomonas vaginalis ist ein 10–20 µm großes, durch 4 vordere Flagellen sehr bewegliches Protozoon; es ist bei seiner Infektion auf den Urogenitaltrakt begrenzt. (Abb. 9.9) Klinik: –– in 50–90 % der infizierten Frauen klinisch symptomatische erythematöse Vaginitis unterschiedlicher Ausprägung –– in bis zu 75  % verstärkter Ausfluss, der bei jeder 10. Frau übelriechend oder schaumig sein kann (Abb. 9.10) –– Schmerzsymptomatik bis auf Brennen und Jucken selten Diagnose: –– Mikroskopisch im Nativpräparat (cave: Verwechslung mit Spermien) –– kultureller Nachweis Therapie: –– Metronidazol p.o. (2 g als Einmaldosis oder über 5–7 Tage) –– Mitbehandlung des Partners

Abb. 9.9: Die Abbildung zeigt oben einen nach Giemsa gefärbten Vaginalabstrich. Nach dieser Färbemethode färben sich die Trichomonaden blau (rote Pfeile) an. Unten sind zwei phasenkontrastmikroskopische Aufnahmen von Trichomonas vaginalis dargestellt. Unten rechts: Trichomonas vaginalis als vereinfachte schematische Darstellung.



9.10 Herpes-simplex-Virus (HSV 1, HSV 2) 

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Abb. 9.10: Trichomonaden-Zervizitis. Schaumiger Fluor im hinteren Scheidengewölbe und Zervizitis bei Trichomonadeninfektion.

Schmerzsymptomatik: Häufig ist die Trichomoniasis vergesellschaftet mit dem Auftreten anderer fakultativ pathogener Bakterien und weiteren sexuell übertragbaren Erregern wie Chlamydien und Mykoplasmen, so dass Unterleibsschmerzen durch eine begleitende, nicht durch Trichomonas hervorgerufene Salpingitis verursacht sein können. Nativpräparat: Der Nachweis von Trichomonas vaginalis wird durch Erkennen der typischen Form und Motilität der Parasiten in 95 % möglich.

9.10 Herpes-simplex-Virus (HSV 1, HSV 2) Transmission und Epidemiologie: –– häufigster Transmissionsweg: enger körperlicher Kontakt mit einer infizierten Person, die auf genito- oder oromukosalen epithelialen Oberflächen-Virus freisetzt oder Virus in Körpersekreten enthält. –– Kontagiosität schwer einzuschätzen –– Seroprävalenzstudien: HSV 1: ca. 8 5 % der Frauen, HSV 2: ca. 20 % der Frauen

180 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

Anderer Transmissionsweg: Infektionen über kontaminierte Gegenstände sind als Infektionsweg epidemiologisch nicht relevant, da extrakorporal das Virus durch Eintrocknung rasch inaktiviert wird.

Biologie: HSV 1 und HSV 2 gehören zur Gruppe der humanpathogenen Herpesviren (mit Varizella-zoster Virus (VZV), Epstein-Barr-Virus (EBV), Zytomegalie-Virus (CMV) und den humanen Herpesviren 6, 7 und 8 (HHV 6–8)). Es handelt sich um doppelsträngige DNA-Viren, die in verschiedenen Körperzellen persistieren (HSV in Ganglien) und durch Reaktivierung immer wieder Symptome verursachen können. Klinik: –– Bei primärer Herpesinfektion nach 4–5 Tagen Inkubationszeit entstehen erythematöse Papeln, die sich zu Vesikeln und Pusteln mit serösem Inhalt entwickeln. –– 5–6 Tage später entleeren sich diese und bilden feuchte schmerzhafte Ulzerationen, die im Verlauf abtrocknen und spontan heilen. Klinik: Die klinischen Symptome von HSV 1 und 2 sind vergleichbar, obwohl bei genitalem Herpes HSV 2 dominiert (HSV 1 in 20–30 %). Primäre Herpesinfektion: Die rezidivierende genitale Herpesinfektion zeigt verglichen mit der primären eine geringer ausgeprägte und kürzer anhaltende klinische Symptomatik. Charakteristisch ist als prodromales Symptom eine Parästhesie im Genitalbereich. Diese kann bis zu 2 Tage vor dem Auftreten der Eruptionen beginnen und variiert von leichten bis zu stechend scharfen Schmerzen. Die beim Rezidiv entstehenden Effloreszenzen sind meist auf eine Seite des externen Genitales beschränkt und dehnen sich über eine viel geringere Fläche als die Primärinfektion aus. Vesikel: Vesikel können bilateral am externen Genital, vaginal, zervikal und auch urethral lokalisiert sein (Abb. 9.11)

(a)

(b)

Abb. 9.11: Herpes genitalis. (a) Typische Herpes-Bläschen nahe der linken Leiste. (b) Bereits teilsweise eröffnete Herpesbläschen im Bereich der linken großen Labie.



9.10 Herpes-simplex-Virus (HSV 1, HSV 2) 

 181

Abb. 9.12: Herpes genitalis. Ulcerierter superinfizierter Herpes genitalis am äußeren Genitale.

–– Schmerzen, Jucken, vaginaler oder urethraler Ausfluss und Dysurie –– Schwellung der inguinalen Lymphknoten möglich –– bei primärer Infektion: bis zu zwei Drittel systemische Symptome wie Fieber, allg. Unwohlsein, Photophobie, Myalgien –– bis 30 % zusätzlich aseptische Meningitis mit Nackensteife und Kopfschmerzen –– häufige Komplikation des primären Herpes: extragenitale Haut-Manifestationen –– Komplikationen: fungale oder bakterielle Superinfektion der Läsionen (Abb. 9.12) Patientinnen mit Immunsuppression können auch eine disseminierte HSV-Infektion mit multipler Organbeteiligung entwickeln. Diagnose: –– klinisch anhand der prodromalen Schmerzsymptomatik und der typischen kleinen vesikulären Effloreszenzen –– bei Diagnoseunsicherheit Virusnachweis aus Läsionen mit Kultur oder Nukleinsäureamplifikationstechniken (PCR) –– Diagnosestellung ist bei superinfizierten Ulzerationen oder chronischer Manifestation bei Immunsupprimierten oft erschwert –– Serologische Tests nur in speziellen Fragestellungen zur Differentialdiagnostik Therapie: –– Acyclovir, Valacyclovir oder Famciclovir (systemisch gegeben) können Dauer und Schwere der Symptome sowohl bei Primär- als auch bei Rezidivepisoden verringern. –– Für den Nutzen von topisch appliziertem Aciclovir gibt es bisher keine Evidenz. –– Bei häufigen Rezidiven ist eine Suppressionstherapie mit Acyclovir oder Valacyclovir zu erwägen. Suppressionstherapie: Der Einsatz von Acyclovir oder Valacyclovir hat keinen Einfluss auf Schwere und Häufigkeit von Rezidiven nach dem Absetzen der Medikamente.

182 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

9.11 Humanes Papillomavirus (HPV) Siehe Kapitel 10.

9.12 Molluscum contagiosum (MCV, Dellwarzen) Transmission und Epidemiologie: –– Übertragung durch Schmier- und Kontaktinfektion oder sexuell –– gehäuft in den auch für andere sexuell übertragbare Erreger prädisponierten Risiko- und Altersgruppen, aber auch innerhalb eines Haushalts, Kindergarten etc. Biologie: MCV ist ein den Pockenviren ähnliches Virus; die Läsionen überschreiten nicht die Epidermis. Klinik: –– Inkubationszeit bis zum Auftreten der typischen Hautveränderungen 2–3 Monate –– selten lokale Entzündungsreaktion mit Juckreiz –– Die kleinen primären Läsionen wachsen über mehrere Wochen bis 5 mm Durchmesser (max. 15 mm). –– häufigste Komplikation: bakterielle Superinfektion der Läsionen Diagnose: klinisch anhand der charakteristischen kleinen, umwallten Läsionen Therapie: 1. Oberflächendestruierende Maßnahmen: a) Laser-, Elektro- und Kryotherapie b) Exzision oder Kürettage c) Bei kleinsten Läsionen ist auch eine Silbernitratbetupfung möglich, die jedoch meist mehrere Sitzungen erfordert. Unbehandelt Regression meist nach einigen Monaten bis Jahren, Spontanrezidive sind – auch trotz Therapie – möglich. Spontanrezidive: Da die Läsionen einen gutartigen Verlauf haben und auch eine spontane Regression möglich ist, andererseits auch häufig Rezidive nach destruierender Therapie beobachtet werden, ist der Nutzen gegenüber möglichen Narbenbildungen nach Therapie gut abzuwägen.

9.13 Human Immunodeficiency Virus (HIV-1, HIV-2) Transmission und Epidemiologie: –– In Deutschland wird von ca. 80.000 bis 90.000 Infizierten ausgegangen, bei ca. 3.000 bis 4.000 Neuinfektionen pro Jahr.



9.13 Human Immunodeficiency Virus (HIV-1, HIV-2)  

 183

–– Infektion durch Geschlechtsverkehr (höheres Risiko beim rezeptiven Partner (anal oder vaginal)), i.v. Drogenabusus (kontaminierte Spritzen), Schnitt- oder Stichverletzungen sowie perinatal. –– Heterosexuell erworbene Infektion liegen in ca. 18 % der Patientinnen in Deutschland vor. –– Infektion durch Blutprodukte spielt durch verbessertes Screening kaum noch eine Rolle. –– Erhöhtes Transmissionsrisiko bei: –– ulzerierenden genitomukosalen Begleitinfektionen –– traumatischem Geschlechtsverkehr –– hoher Viruslast des infizierten Partners Biologie: Lymphotropes Retrovirus mit verschiedenen Subtypen Klinik: –– Nach genitomukosaler Übertragung hat das HIV primär keinen Bezug mehr zum weiblichen Genitalbereich und breitet sich systemisch mit einer kurzen virämischen Phase und der Induktion von Anti-HIV-Antikörpern aus. –– Mononukleose-ähnliches Krankheitsbild nach 1 bis 6 Wochen (oft nur sehr schwach ausgeprägt!) –– Anschließende Periode der Symptomfreiheit – Dauer (ohne antiretrovirale Therapie) meist 10–15 Jahre. –– T-Lymphozyten und Makrophagen: HIV kann eine große Anzahl von Zellen, insbesondere solche, die einen CD4- und weitere Co-Rezeptoren tragen wie z. B. T4-Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen, Gliazellen und Langerhans-Zellen, infizieren. Mit dem Fortschreiten der Infektion werden zunehmend funktionelle Defekte der T4-Lymphozyten und eine Verminderung der Lymphokinproduktion deutlich, die eine Inhibition einiger Funktionen der Makrophagen nach sich ziehen. Die Folge ist ein generalisiertes Versagen der zellvermittelten Immunabwehr. –– Klinisch zeigt sich dies im Auftreten von sog. AIDS-definierenden Erkrankungen wie opportunistischen Infektionen (z. B. Pneumcystis jirovecii-Pneumonie), Tuberkulose oder Malignomen (z. B. Kaposisarkom oder Lymphome). –– Bereits im asymptomatischen Stadium führt die progrediente Immunsuppression zu einer erhöhten genitalen Infektanfälligkeit. –– Dabei sind folgende Erkrankungen charakteristisch: rezidivierende Candidosen, bakterielle Infektionen mit Aszension (PID), rezidivierender Herpes genitalis. –– Besondere Bedeutung hat für HIV-infizierte Frauen die chronisch persistierende HPV-Infektion: Sowohl Condylomata accuminata als auch Präkanzerosen (CIN, VIN, VAIN) treten gehäuft auf. Das Risiko für HPV-assoziierte Malignome ist bei HIV-Infizierten erhöht.

184 

 9 Sexuell übertragbare Krankheiten

Diagnose: –– Antikörpernachweis (ELISA) mit anschließender Bestätigung mit Western-Blot –– Diagnose und Therapie der HIV-Infektion bzw. der opportunistischen Infektionen sollten von spezialisierten Ärzten/Zentren übernommen werden und fallen in den Aufgabenbereich der Internisten. Gynäkologisch steht die Therapie der genitalen Begleitinfektionen im Vordergrund. Bei rezidivierenden Infektionen im Genitalbereich sollte aber immer auch an eine HIV-Infektion gedacht werden.

9.14 Hepatitis-Viren B, C, D (HBV, HCV, HDV) Bei HBV (mit oder ohne HDV) ist von einem hohen Anteil von sexueller Übertragung auszugehen. Für HCV-Infizierte ist eine Übertragung durch Sexualverkehr zwar denkbar, gilt aber als weniger wahrscheinlich. Allerdings kann das Risiko durch bestimmte Faktoren (z. B. HIV-Koinfektion) erhöht sein. Die sexuelle Transmission ist am ehesten im Zusammenhang mit Mikrotraumata zu erwarten, bei denen eine hohe Virusbelastung (v. a. in der Akutphase der Infektion oder bei Menschen mit chronisch persistierenden hochvirämischen Hepatitiden) im Blut oder anderen Sekreten vorliegt. Viren der Hepatitis-Gruppe gewinnen auch im Verlauf der Erkrankung keine sekundäre Beziehung zum Genitalbereich.

Mustafa Zelal Muallem, Andreas Kaufmann, Jalid Sehouli

10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane 10.1 Vulvakarzinom

Epidemiologie: –– Inzidenz: Das Vulvakarzinom ist das vierthäufigste weibliche Genital-Karzinom. Im Jahre 2010 lag die Inzidenz in Deutschland bei 4,6/100.000 Frauen/Jahr. Die Inzidenz ist steigend. –– Altersgipfel: Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 72 Jahre, aber auch junge Frauen können an einem Vulvakarzinom erkranken. Ätiologie: Zwei Typen des Vulvakarzinoms: –– Verhornendes Plattenepithelkarzinom: Die verhornenden Karzinome entstehen eher HPV-unabhängig. Sie sind der häufigste Typ des Vulvakarzinoms (65 % bis 80  % der Fälle) und kommen vor allem bei älteren Frauen vor. Für diesen Karzinomtyp sind degenerative und chronisch entzündliche Hauterkrankungen ein wichtiger Risikofaktor wie insbesondere der Lichen sclerosus mit einem 4–5 %igen Lebenszeitrisiko für die Entstehung eines Karzinoms. –– Nicht-verhornendes Plattenepithelkarzinom: sind eher HPV-abhängig und treten meist bei jüngeren Frauen auf (mittleres Alter etwa 55 Jahre). Ihrer Entstehung geht meist eine persistierende Infektion mit humanen Papillomviren, vor allem HPV 16, 31 und 33, voraus. Als weitere Risikofaktoren gelten Rauchen oder eine Immunsuppression, z. B. nach Organtransplantation oder bei HIV-Erkrankung. Intraepitheliale Neoplasien oder Krebserkrankungen im Anogenitalbereich stellen ebenfalls einen Risikofaktor dar. Histopathologie: Die häufigsten invasiven Vulvakarzinome sind Plattenepithelkarzinome (>95 %), gefolgt von den Basalzellkarzinomen (~ 5 %). In seltenen Fällen (~1 %) können Vulvakarzinome ihren Ursprung von den Bartholin’schen Drüsen nehmen. –– Histopathologische Beurteilungskriterien: Bei der histologischen Aufarbeitung müssen Tumorgröße, Invasionstiefe, Lymph- und Blutgefäßbefall, das Grading, die Mitoseaktivität und der Verhornungsgrad beurteilt werden. Eine Biopsie sollte nur von einem erfahrenen Gynäkologen durchgeführt werden und gilt als der Goldstandard in der Diagnostik.

https://doi.org/10.1515/9783110472356-014

186 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Prämaligne Veränderungen: –– Vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN): Es handelt sich um Dysplasien mit Zellatypien bzw. das Carcinoma in situ. Das Entartungsrisiko ist hoch. Die Grenzen zwischen den einzelnen Dysplasieformen sind fließend. –– VIN I = leichte Dysplasie: Veränderungen auf das untere Epitheldrittel beschränkt. –– VIN II = mäßige Dysplasie: Veränderungen in den unteren zwei Dritteln. –– VIN III = schwere Dysplasie (Carcinoma in situ): Das gesamte Epithel ist betroffen.

–– der vulväre Morbus Paget Morbus Paget: Meist einseitig befallene, rötlich-ekzematöse, girlandenförmige Hautareale mit weißlichen Schuppungen. Histologisch werden Paget-Zellen gefunden = helle, muzinhaltige Zellen. Der M. Paget kann bis zu. 40 % mit einem Adenokarzinom des Rektums, der Urethra, der Zervix, der Bartholin-Drüse und bis zu 15 % mit einem Adenokarzinom der Mamma vergesellschaftet sein!

Diagnose: Präkanzerosen sind meist asymptomatisch oder zeigen sehr unspezifische Symptome: Pruritus, Nässen, unangenehmer Fötor, Missempfinden, Brennen, Stechen und Dyspareunie –– Detaillierte Inspektion des äußeren Genitale – inklusive der Vaginal-, Portio- und Analregion, und Kolposkopie –– Palpation –– Zytologischer Abstrich (eingeschränkte Aussagefähigkeit!) –– Toluidinblauprobe (Collins-Test) (Abb. 10.1) –– gezielte Biopsien Therapie: –– VIN I und II: Laservaporisation –– VIN III: Exzision im Gesunden –– ausgedehnte VIN III-Areale: Skinning-Vulvektomie (oberflächlich begrenzte Hautareale werden abgetragen) Collins-Test: Die Vulvaläsionen mit dem blauen Farbstoff Toluidin (1 %-ige) Lösung betupft. Toluidin hat eine erhöhte Affinität für Zellkerne in proliferationsaktiven Geweben.

gezielte Biopsie: Großzügig – auch ambulant in Lokalanästhesie möglich – biopsieren. Gesundes Randareal mitnehmen. Günstig: kolposkopiegestützte Biopsie. Laservaporisation: Verwendung von CO2-Laser (bis 2 mm Eindringtiefe) oder Neodym-YAG-Laser (höhere Eindringtiefe) nach histologischem Karzinomausschluss. Therapieerfolg: 90  %. Nachteile: Keine abschließende Histologie aller therapierten Areale und lange Heilungsdauer (3–6 Wochen).

10.1 Vulvakarzinom 

(a)

 187

(b)

Abb. 10.1: Collins-Test. (a) Man erkennt im Bereich der gesamten Vulva und des Perineums leukoplakische, hyperpigmentierte und erythroplakische Läsionen. (b) Nach Anfärbung mit Toluidinblau (Collins-Test) erkennt man eine intensive Blaufärbung der veränderten Areale. Toluidinblau färbt die Zellkerne. Da bei diesen schweren, im Bild gezeigten Epithelveränderungen auch die obersten Zellschichten kernhaltig sind, nehmen diese den blauen Farbstoff im Gegensatz zum normalen Vulvaepithel an.

Skinning-Vulvektomie: Auch als Laser-Skinektomie durchführbar. Die gesamte oder partielle vulväre Kutis wird entfernt. Besonders bei multizentrischen Befunden wird diese Methode eingesetzt.

10.1.1 Stadieneinteilung Die Stadieneinteilung erfolgt nach dem FIGO- oder TNM-System. Das FIGO-System schließt die klinischen Befunde ein, das TNM-System fokussiert auf die Befunde der Histologie. Stadieneinteilung des Vulvakarzinoms FIGO (Modifikation 2009) –– FIGO I = Tumor begrenzt auf Vulva oder Perineum, keine Lymphknotenmetastasen, –– IA = Größe ≤ 2 cm und Strominvasion ≤ 1 mm; –– IB = Größe > 2 cm oder Strominvasion > 1 mm. –– FIGO II = Infiltration von Vagina (unteres Drittel), Urethra (unteres Drittel) oder Anus, keine Lymphknotenmetastasen. –– FIGO III = regionäre Lymphknotenmetastasen (= inguinale und femorale Lymphknoten). –– FIGO IV = Nachbarorganbefall = obere 2/3 der Urethra oder Vagina (A) oder Fernmetastasen (B).

188 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Stadieneinteilung des Vulvakarzinoms TNM (2010) –– Tis: Carcinoma in situ, VIN III –– T1: auf Vulva und Perineum begrenzt –– T1a: größte Ausdehnung ≤ 2 cm und Stromainvasion ≤ 1 mm –– T1b: größte Ausdehnung > 2 cm oder Stromainvasion > 1 mm –– T2: Infiltration von Vagina (unteres Drittel), Urethra (unteres Drittel), o. Anus –– T3: Infiltration der oberen zwei Drittel von Urethra/Vagina, Blasenschleimhaut, Rektumschleimhaut, oder fixiert mit dem Beckenknochen. –– N0: Lymphknoten unauffällig –– N1: eine Lymphknotenmetastase beliebiger Größe oder zwei Lymphknotenmetas­ tasen < 5 mm –– N2: zwei Lymphknotenmetastasen, mindestens eine ≥ 5 mm oder ≥ 3 befallene Lymphknoten –– N3: fixierte und/ oder ulzerierte Lymphknoten –– M0: keine Fernmetastasen. –– M1: Fernmetastasen (einschl. Beckenlymphknotenmetastasen). Der Lymphknotenstatus ist der wichtigste Prognosefaktor.

–– Potentielle Lymphknotenmetastasierung ist mit der Tumorgröße, der Invasionstiefe, dem Grading, dem Tumoreinbruch in Gefäße und auch der Tumorlokalisation assoziiert. Bei einer Invasionstiefe 3 mm Infiltrationstiefe im unteren Scheidendrittel (introitusnah) wird wie ein Vulvakarzinom therapiert: Vulvektomie mit radikal oder partiell Kolpektomie mit Parakolpienresektion mit inguinaler und ggf. auch pelviner Lymphonodektomie. –– Bei fortgeschrittenen Fällen (FIGO IVa) ggf. Exenteration.

194 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Primäre kombinierte Radiochemotherapie: ist die Therapie der Wahl im Stadium III–IVa. Palliative Chemotherapie: Im metastasierten Stadium mit Beschwerden und bei locoregionärem Sitz des Rezidives nach vorangehender Strahlentherapie ist eine Chemotherapie indiziert; Substanzen: z. B. Cisplatin, Carboplatin, Ifosfamid, 5-FU. Nachsorge: analog zur Nachsorge beim Vulvakarzinom. Prognose: Die 5-Jahres-Überlebenszeit beträgt 92 % im Stadium I, 82 % im Stadium II und 20 % bei Patientinnen in den Stadien III und IVa.

10.3 Zervixkarzinom Epidemiologie: In Deutschland erkranken (8/100.000 Frauen) pro Jahr an einem Zervixkarzinom, die Zahl der neuerkrankten Patientinnen nimmt deutlich ab. Das Zervixkarzinom macht somit 2 % aller Neoplasien der Frau aus. Heute werden 60 % der Karzinome im Stadium I diagnostiziert. Altersverteilung: –– Dysplasien und Carcinoma in situ: 30–40 Jahre –– Invasives Karzinom: 40–59 Jahre Inzidenz: Die Inzidenz variiert weltweit zwischen 48/100.000/Jahre (Kolumbien) und 4/100.000/Jahre (Israel). Die Inzidenz ist in den Entwicklungsländern höher als in den Industrienationen. Ätiologie: Die Karzinogenese des Zervixkarzinoms ist ein komplexer Prozess bestehend aus: –– Initiation (meist HPV) –– Promotion (z. B. Rauchen, Herpes-simplex-Infektion) –– Risikofaktoren: Das Sexualverhalten spielt eine wichtige Rolle: –– frühe Kohabitarche –– frühe Schwangerschaft –– häufig wechselnde Geschlechtspartner –– Multiparität –– niedriger sozio-ökonomischer Status Initiation: Infektionen mit humanen Papillomaviren (HPV) spielen eine essentielle Rolle bei der Entstehung des Zervixkarzinoms. HPV-Onkogene E6 und E7

10.3 Zervixkarzinom 

 195

inaktivieren die Tumorsuppressor-gene p53 und Rb. Die HPV-Typen 16 und 18 werden in –– 50 % aller schweren Dysplasien –– 60 % aller Carcinomata in situ und –– 70 % aller invasiven Plattenepithelkarzinome nachgewiesen. Für insgesamt 14 HPV-Typen (z. B. 31, 33, 35, 51, 52 und 58) ist eine Assoziation mit Präkanzerosen und invasiven Karzinomen nachgewiesen worden. HPV-Typen 6 und 11 verursachen Condylomata acuminata. Dennoch müssen an der Entstehung des Zervixkarzinoms bzw. seiner Vorstufen auch andere Faktoren (z. B. Tumorpromotoren) beteiligt sein, denn nur ca 1 % der HPV-positiven Frauen erkrankt tatsächlich an einem Karzinom. Promotion: –– Rauchen (Akrolein, Nitrosamine/Benzolderivate im Zervikalsekret als Mutagene) –– HSV-2-Infekte –– andere Faktoren (Genitalinfektionen mit Chlamydia trachomatis, AIDS, frgl. orale Kontrazeptiva) Präkanzerosen: Die prämalignen Veränderungen an der Zervix sind der direkten Untersuchung (Kolposkopie, zytologische Abstriche) gut zugänglich. Zu den Präkanzerosen des Zervixkarzinoms zählen: –– Zervixdysplasie: Hierzu zählen abnormes Plattenepithel, Differenzierungsstörungen und Zellatypien –– Zervikale Intraepitheliale Neoplasie (CIN I–III) (Abb. 10.3, Abb. 10.4). –– Carcinoma in situ (Cis). Unterschied zum invasiven Karzinom: intakte Basalmembran. Zervixdysplasie: Der Ausgangspunkt prämaligner oder maligner Veränderungen ist die Grenzzone zwischen Endo- und Ektozervix, also Zylinderepithel und Plattenepithel, die sogenannte Transformationszone. Im Bereich der Transformationszone entsteht aus Reservezellen ein ausreifendes Plattenepithel. Das Zylinderepithel wird abgestoßen. Diesen Prozess nennt man indirekte Metaplasie. Unter dem Einfluss verschiedener Faktoren können sich hier Dysplasien entwickeln.

Eine Sonderform ist die virusbedingte Dysplasie, die mit Koilozyten einhergeht. –– Low-risk = Läsionen mit HPV 6 und 11 u.a. Low-risk-HPV-Typen (geringes Entartungsrisiko) –– Intermediate-risk = HPV 31, 33, 35, 51, 52, 58 (vorwiegend in squamous intraepithelialen Läsionen (SIL nach der Bethesda-Klassifikation) –– High-risk-HPV 16 = HPV 16 (high grade SIL und öfter im Plattenepithelkarzinom) –– High-risk-HPV 18 = HPV 18 (öfter im Adenokarzinom als in SIL)

196 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Abb. 10.3: CIN I. Man erkennt eine zirkuläre atypische Transformationszone mit essigweißem Epithel und zartem Mosaik sowie essigweißem Satelliten bei 6 Uhr. Die Läsion ist weiß, zeigt eine glatte Oberflächenbeschaffenheit, der Gefäßabstand im Mosaik ist gering und die Abgrenzung zum normalen nicht verhornenden Plattenepithel ist gezackt. Diese „Grading“-Kriterien sprechen für eine leichtgradige Präkanzerose, die histologisch als CIN I bestätigt wurde. Nachweis von HPV 16.

Abb. 10.4: CIN III. Man erkennt essigweißes Epithel mit grobem Mosaik und grober Punktierung sowie essigweißem Satelliten bei 5 Uhr. Die Läsion ist opak und gegenüber dem normalen nicht verhornenden Plattenepithel erhaben, der Gefäßabstand im Mosaik und der Punktierung ist groß. Diese „Grading“-Kriterien sprechen für eine schwergradige Veränderung, was auch histologisch als CIN III bestätigt wurde.

Zervikale Intraepitheliale Neoplasie (CIN) entspricht einer histologischen Diagnose: –– CIN I: Leichte Dysplasie mit Aufhebung der Epithelschichtung, Störung der Differenzierung, wenige Mitosen im unteren Epitheldrittel –– CIN II: Mäßiggradige Dysplasie, gleiche Veränderungen wie CIN I in den unteren zwei Dritteln des Epithels. –– CIN III: Schwere Dysplasie und Carcinoma in situ mit Schichtungsverlust, Aneuploidie der Kerne, atypische Mitosen, entdifferenziertes Epithel. CIN III stellt eine obligate Präkanzerose dar (mehr als 30 Prozent entwickeln sich innerhalb von fünf Jahren in eine Krebserkrankung). Carcinoma in situ: Das Carcinoma in situ zeigt histologisch alle Merkmale eines invasiven Malignoms – außer der Invasion der Basalmembran. Invasive Karzinome entstehen i. d. R. aus einem CIS. Patientinnen mit einem unbehandelten CIS entwickeln nach 10 Jahren in 30–40 % der Fälle ein invasives Karzinom, nach 30 Jahren in 80 % der Fälle. Der invasive Prozess beginnt mit dem Durchbruch der Basalmembran und dem folgenden Fortschreiten ins Zervixstroma.

10.3 Zervixkarzinom 

 197

Vorgehen bei verschiedenen zytologischen Abstrichbefunden (Pap-Abstrich): –– I und II: jährliche Zytologische Kontrolle –– III (unklarer Befund): Entzündungsbehandlung oder lokale Östrogenapplikation. Je nach klinischem und kolposkopischen Befund kurzfristige zytologische Kon­ trollen oder sofortige histologische Abklärung –– IIID: Zytologisch-kolposkopische Kontrolle nach 3 Monaten, gezielte Biopsie und Zervixkürettage, bei Persistenz Konisation erwägen. –– IV–V: Kolposkopisch-zytologische Kontrolle und histologische Klärung (Biopsie), Konisation oder loop excision erwägen, ggf. Folge-OP Abstrichbefunde: Die alte Nomenklatur nach Papanicolaou (Pap) wird heute nicht mehr verwendet. In Deutschland ist die sogenannte Münchener Nomenklatur III seit 2014 vorherrschend, in den USA die Bethesda-Klassifikation. Beide haben Vorteile und Schwächen. Biopsie: Wird dann eine CIN gefunden, ist eine Konisation indiziert. Nach Konisation gilt: –– CIN II und III in sano entfernt: Engmaschige zytologisch-kolposkopische Kontrolle, HPV-Test (Test of cure). –– CIN III (ausgedehnt, multizentrisch oder nicht in sano): Rekonisation, evtl. Hysterektomie. –– CIN III nicht in sano: Ektozervikaler Restbefund: Kolposkopie/Zytologie alle 3 Monate, endozervikaler Restbefund: Zervixabrasio; wenn positiv: bei Kinderwunsch Rekonisation, sonst Hysterektomie.

Zervixbeurteilung. Zytologische, deskriptive und histologische Einteilung der Epithelveränderungen der Zervix uteri: siehe Tab. 3.2. Primärprävention Der kausale Zusammenhang von HPV-Infektionen mit der Entstehung von prämalignen und malignen Veränderungen an der Zervix aber auch anderen anogenitalen Epithelien (Vulva, Vagina, Anus) ermöglicht die Prävention durch Impfung. Virusneutralisierende Antikörper verhindern die Infektion durch Impfstofftypen zu über 99 % bei HPV-Naiven. CIN III werden effizient verhindert. Voraussichtlich 70–90 % der Zervixkarzinome sind verhinderbar. Die Impfempfehlung der STIKO (2014) –– Mädchen: ab 9 bis 14 Jahren 2 Impfdosen in 6 Monate Abstand, reguläre Kassenleistung –– Mädchen: ab 15 bis 18 Jahren 3 Impfdosen innerhalb eines Jahres, reguläre Kassenleistung –– Jungen: die Impfung ab 9 Jahren ist zugelassen (kein Off-Label-Use), aber noch nicht empfohlen, keine obligatorische Erstattung durch die Krankenkasse

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Frauen über dem 18. Lebensjahr: die Impfung ist zugelassen (kein Off-Label-Use) aber noch nicht empfohlen, keine obligatorische Erstattung durch die Krankenkasse Histologie der Zervixmalignome: Die Mehrheit aller invasiven Zervixkarzinome sind Plattenepithelkarzinome (80 %), gefolgt von den Adenokarzinomen (5–15 %). Andere Tumorformen, wie Adenokankroide, adenosquamöse und mukoepidermoide Karzinome, sind selten. Als Besonderheit treten, selten, sogenannte Gartnergangkarzinome auf. Sarkome der Gebärmutter können sehr selten auch die Zervix befallen. Wachstumsformen: –– endophytisch (60 %) –– exophytisch (13 %) –– Tonnenkarzinom Stadienabhängigkeit des pelvinen Lymphknotenbefalls –– FIGO I: 20 %, FIGO II: 35 %, FIGO III: > 50 % Frühsymptom: –– dünn-wäßriger, blutig-tingierter Ausfluss –– Metrorrhagien –– leichte Kontaktblutungen –– Dauerblutungen sind möglich Spätsymptom: –– übelriechender, Fluor mit Gewebeabgang –– Flankenschmerzen (Nierenstau) –– ischialgiforme Beschwerden (Befall der Beckenwand) –– Dysurie und/oder Hämaturie (Blasenbefall) –– Defäkationsbeschwerden (Organbefall) –– Anschwellen der unteren Extremitäten (venöse oder lymphatische Stauung) FIGO-Stadieneinteilung (Abb. 10.5) Invasive Diagnose: –– Biopsie –– endozervikale Kürettage (ECC) –– elektrochirurgische Schlingenresektion (loop excision, large loop excision of the transformation zone = LLETZ) –– Konisation (veraltet: Skalpell; Laser): möglichst gewebeschonend, da das Risiko der Zervixinsuffizienz in folgenden Schwangerschaften erhöht wird

10.3 Zervixkarzinom 

 199

Diagnose: Zum kompletten präoperativen Staging gehören folgende Untersuchungen: –– Inspektion –– Kolposkopie –– Zytologie –– rektovaginale Untersuchung –– Vaginalsonographie

FIGO I: Das Karzinom ist streng auf die Portio beschränkt Ia: Präklinisches invasives Karzinom Oberflächenausdehnung 7 mm oder weniger Ia1: Invasionstiefe < 3 mm Ia2: Invasionstiefe 3–5 mm

(a)

Ib: Tumorveränderungen größer als FIGO Ia2 Ib 1 : Tumor < 4 cm Ib2: Tumor > 4 cm FIGO II: Der Tumor hat die Grenzen der Zervix in Richtung Scheide und/oder Beckenwand überschritten, Beckenwand und unteres Scheidendrittel werden aber nicht erreicht. IIa: ohne Infiltration des Parametriums

(b)

IIa

IIb

IIIa

IIIb

IIb: mit Infiltration des Parametriums FIGO III: Der Tumor erreicht die Beckenwand und/oder das untere Scheidendrittel und/oder verursacht eine Hydronephrose oder eine stumme Niere. IIIa: Befall des unteren Scheidendrittels

(c)

IIIb: Befall der Beckenwand und/oder Hydronephrose oder stumme Niere

FIGO IVa : Der Tumor infiltriert die Schleimhaut von Blase und Rektum und/oder überschreitet die Grenzen des kleinen Beckens (d) Abb. 10.5: Zervix – FIGO-Stadien: (a) FIGO I, (b) FIGO II, (c) FIGO III, (d) FIGO IVa.

200 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Beim Verdacht auf Fernmetastasierung: –– Röntgenthorax (CT-Thorax sensibler) –– Oberbauchsonographie –– Zystoskopie/ Rektoskopie –– Urogramm –– CT-Abdomen/ggf. MRT Präoperativ: Ziel aller angegebenen Untersuchungen ist es, die Tumorausbreitung präoperativ so gut wie möglich festzulegen und Metastasen in den verschiedenen Organsystemen auszuschließen. Das präoperative Staging entscheidet über die weitere Therapie. Ins gegenwärtige Stagingsystem der FIGO gehen die Befunde von CT und MRT noch nicht ein. Zytologie: Wenn möglich neben dem Zyto.-Abstrich von der Portio auch Virusabstriche (HPV-Diagnose) entnehmen. Untersuchung: Bei der obligat rektovaginalen bimanuellen gynäkologischen Untersuchung werden die Portio, die Lage, Form, Größe, Konsistenz, Mobilität und Dolenz des Uterus, die Parametrien, die Beziehungen zum Rektum und zur Blase beurteilt. Weiterhin sollten die Halslymphknoten stets abgetastet werden. Operative Therapie: Die operative Therapie des Zervixkarzinoms ist die Therapie der Wahl in den FIGO-Stadien I–IIb. Die kurative operative Therapie erfolgt stadienabhängig. FIGO Ia1: Konisation in Gesunden; ggf. – wenn kein Kinderwunsch – abdominale Hysterektomie. Lymphknotenentfernung ist nicht indiziert. Wichtig ist der histologische Befund: –– beginnende, frühe Stromainvasion ( 8–10 mm ist immer suspekt, besonders, wenn das Endometrium inhomogen strukturiert ist (aber Vorsicht: Endometriumdicke an sich nur für Typ-I-Endometriumkarzinom wichtiges Untersuchungsmerkmal)

Abb. 10.6: Vaginalsonographische Darstellung des Uteruskorpus im Querschnitt, unauffälliges, hochaufgeb. Endometrium mit Messung der doppelten Endometriumdicke (15 mm).

Abb. 10.7: Vaginalsonographie eines suspekten vakuoligen Endometriums mit Messung der doppelten Endometriumdicke (15,2 mm).

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Computertomografie (CT) und Magnetresonanz-Tomographie (MRT) (fakultativ) –– Urogramm (fakultativ) –– Röntgenthorax (CT-Thorax sensibler zum Ausschluss von Fernmetastasen) Invasive Diagnose: –– Hysteroskopie –– fraktionierte Kürettage = entscheidende Methode zur histologischen Sicherung der Diagnose Vaginalsonographie: Die DED eines atrophischen, postmenopausalen Endometriums ist etwa 2 mm. Die Vaginalsonographie ist hervorragend zur Beurteilung der Myometriuminfiltration, aber auch der Blasen- und Rektuminfiltration geeignet. Die farbkodierte Dopplersonografie liefert wichtige Zusatzinformationen zur Tumordurchblutung. Computertomografie: Keine Früherkennungsmethode! Kann präoperativ in 70  % das Lymphknoten-Staging charakterisieren. Gleiches gilt für MRT, das durch seine hervorragende Weichteildifferenzierung neben dem N-Staging für das präoperative Tumorstaging geeignet ist. Beim Endometriumkarzinom sollte man das MRT sehr zurückhaltend einsetzen, da die Patientinnen i. d. R. nach der diagnostischen Kürettage zur Untersuchung kommen. Die bereits gesetzten intrauterinen Veränderungen durch die Kürettage können die Befundung erschweren. Stellenwert bei den fortgeschrittenen Stadien. Urogramm: Präoperative. Fragestellungen: Ureterenverlauf? Stenosen? Dilatationen? Stau im Nierenbecken-Kelchsystem? Verkalkte Lymphknoten? Blasendachimpressionen? Blasenwandinfiltrationen? Röntgenthorax: Filiae? Kardiale Dekompensationszeichen? Stauung? Erguss? Infiltrate? Hysteroskopie: Endoskopische Methode zur Beurteilung des Cavum uteri. Gezielte Probeentnahmen sind möglich. Das Risiko der methodenbedingten Verschleppung von Tumorzellen in die freie Bauchhöhle via Tuben wird in der Literatur derzeit als gering erachtet. Es ist aber nicht völlig ausgeschlossen. Kürettage: Sensitivität 92 % (unter hysteroskopischer Kontrolle: 100 %), Spezifität 100 %. Operative Therapie = Methode der Wahl: Stadienabhängigkeit: Die einfache abdominale Hysterektomie mit Entfernung der beiden Adnexen ist die Standardoperation beim Endometriumkarzinom in Frühsta-

10.4 Endometriumkarzinom 

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dien. Bei histologisch gesichertem Zervixbefall ist die Wertheim’sche Operation anzustreben. Lymphonodektomie: Als Prognosefaktoren für einen Befall der pelvinen und/oder der paraaortalen Lymphknotenstationen gelten: –– Myometriuminfiltration (>50 %) –– histologischer Typ II (z. B. serös-papilläres Karzinom) –– Differenzierungsgrad (III) –– Adnexbeteiligung –– Zervixbefall und –– intraperitoneale Ausbreitung Omentektomie: beim Typ II-Endometriumkarzinom oder bei intraperitonealer Ausbreitung. Stadienadaptiertes operatives Vorgehen –– FIGO Ia: Abdominale Hysterektomie mit bilateraler Adnektomie. Die Lymphonodektomie ist abhängig von Risikofaktoren (in erster Linie dem Grading). –– FIGO II: Modifizierte erweiterte abdominale Hysterektomie mit bilateraler Adnektomie, Lymphonodektomie –– FIGO III: Abdominale Hysterektomie mit bilateraler Adnektomie, ggf. WertheimOP oder partielle Kolpektomie, ggf. Omentektomie. Lymphonodektomie –– FIGO IVa: Exenteration –– FIGO IVb: Palliativ-Operationen Primäre Strahlentherapie: Die Indikation zur primären Radiatio ist gegeben, wenn schwere internistische Risiken oder die definitive Ablehnung seitens der Patientin eine stadiengerechte, prognosefaktororientierte OP unmöglich machen. Arten der Strahlentherapie: –– Brachytherapie –– Teletherapie –– kombinierte Radiatio Adjuvante Strahlentherapie: Ziel der adjuvanten Radiatio ist immer die Reduzierung der vaginalen und pelvinen Rezidive. Der Effekt ist umstritten, ein Vorteil gegenüber der alleinigen Operation noch nicht bewiesen. Brachytherapie: Die Brachytherapie (= Afterloading-Therapie) hat folgende Vorteile: –– hohe Tumordosis –– geringe Belastung der Nachbarorgane –– kurze Bestrahlungszeit

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Lagestabilität des Applikators –– geringe Belastung der Patientin –– fehlende Strahlungsbelastung für das Personal Teletherapie: Die Teletherapie (= Perkutanbestrahlung) wird bei nachgewiesenem Lymphknotenbefall und bei möglichem Beckenwandbefall indiziert. Kombinierte Radiatio: Kombination von Brachytherapie und Perkutanbestrahlung Hormon- und Chemotherapie: FIGO I und II: keine adjuvante Hormon- oder Chemotherapie Nur 10–15 % aller Pat. weisen zum Zeitpunkt der Diagnose ein fortgeschrittenes Stadium auf und sind potentielle Kandidatinnen für eine systemische Therapie. FIGO III und IV: 6 Zyklen von Carboplatin/Taxol oder hochdosierte Gestagentherapie, z. B. Medroxyprogesteron-Acetat (MPA) Nachsorge: –– Zwischenanamnese und Allgemeinstatus –– Palpation Lymphknotenstatus –– Gynäkologische Untersuchung –– Vaginalsonographie –– Laboruntersuchungen –– Abdominalsonographie (Nierenstau?, Aszites?, Leberfilae?) –– Röntgenthorax (keine routinemäßige Anwendung) –– Bildgebende Verfahren bei spezifischem Verdacht oder Beschwerdebild –– Untersuchung der Mammae (regelmäßige Mammographie, mind. alle 2 Jahre) Prognose (5-Jahresüberlebenszeit): FIGO I 87 % FIGO II 72 % FIGO III 51 % FIGO IV 9 % Die Prognose hängt beim Endometriumkarzinom u. a. vom Grading und von der Myometriuminfiltration ab. Die 5-Jahresüberlebensrate beträgt im Stadium I beim Grading: –– G1: 94 % –– G2: 88 % –– G3: 79 %

10.5 Uterussarkome 

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Die 5-Jahresüberlebensrate beträgt im Stadium I bei einer Myometriuminfiltration von: –– unter einem Drittel: 82,4 % –– ein Drittel bis zur Hälfte: 78 % –– mehr als die Hälfte: 66,8 %

10.5 Uterussarkome Seltener Tumor des Corpus uteri, der von mesenchymalen Uteruskomponenten ausgeht. Ätiologie: Unbekannt, aber wie beim Endometriumkarzinom werden Adipositas, Hypertonie und Diabetes als Risikofaktoren genannt. Maligne Transformation von Leiomyomen ist eine absolute Rarität (< 0,3 %). Epidemiologie: 3 % aller Uterusmalignome sind Sarkome, Inzidenz: 1.7/100.000/ Jahren Sie sind für ca. 15  % aller Todesfälle durch gynäkologische Malignome verantwortlich. Altersgipfel: –– Leiomyosarkom: ca. 50.–55. LJ –– Mesodermaler Mischtumor und endometriales Stromasarkom: ca. 40–45. LJ Die endometrialen Stromasarkome können auch bei Kindern und Jugendlichen entstehen. Alle anderen Sarkomtypen findet man gewöhnlich peri- oder postmenopausal. Histopathologische Einteilung –– Leiomyosarkom (LMS) –– Endometriale Stromasarkom (ESS) –– Undifferenziertes uterines Sarkom (UUS) –– andere Sarkome –– Cave: Das Karzinosarkom, auch als maligner Müller-Mischtumor bezeichnet, gehört nicht zu der Gruppe der Sarkome, sondern wird als aggressivste Form der epitheliale Tumoren jeweils den epithelialen Ursprungsorganen zugeordnet. Leiomyosarkome: Die Tumore der glatten Muskelzellen des Uterus unterteilt man nach der Anzahl der Mitosen pro High-Power-Field (HPF): 10 Mitosen/HPF und Atypien Grad I–III = Leiomyosarkom.

Diagnose: Nur in 30 % aller Fälle ist die Diagnose „Sarkom“ präoperativ bekannt. –– gynäkologische Untersuchung/Vaginalsonographie –– fraktionierte Kürettage (an sich keine sichere Diagnose hierdruch möglich) –– CT-Thorax (Vorsicht: bis zu 20  % bereits pulmonale Metastasen zum Zeitpunkt der Primärdiagnose beim Leiomyosarkom)

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Bei klinischem Sarkomverdacht: Ausbreitungsdiagnostik (Lunge!) Stadieneinteilung beim Karzinosarkom ist analog wie beim Endometriumkarzinom. Bei LMS, ESS und UUS ist die Stadieneinteilung wie folgt: –– Stadium I: Tumor auf Corpus beschränkt (IA/T1a < 5 cm in größter Ausdehnung IB/T1b > 5 cm in größter Ausdehnung) –– Stadium II: Tumor auf Becken begrenzt –– Stadium III: Intraabdominale Metastasen –– Stadium IV: Tumorbefall Blase und/oder Rektum und/oder Fernmetastasen Therapie: Abdominale Hysterektomie mit bilateraler Adnektomie. Lymphonodektomie nicht angezeigt. –– Chemotherapie bei metastasierten Tumorstadien (Doxorubicin) Strahlentherapie: Eine postoperative Strahlentherapie kann die Rezidivrate nicht senken. Chemotherapie: Doxorubicin Prognose: Die Prognose der Sarkome ist schlecht. Ungünstig beim Leiomyosarkom, günstiger beim Stromasarkom. Die 5-Jahresüberlebensrate beträgt höchstens ca. 20 %.

10.6 Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom und Peritonealkarzinom Epidemiologie: Inzidenz: 14/100.000/Jahr. Frauen in Deutschland haben ein Lebenszeitrisiko von 1,5 %, an Eierstockkrebs zu erkranken. Das Ovarialkarzinom ist das sechsthäufigste Karzinom der Frau, aber in der Mortalitätsstatistik steht es an 1. Stelle. Altersgipfel: 55 LJ, für benigne Ovarialtumore 45 LJ, für Borderline-Tumore 49 LJ. Ätiologie: ca 10 % der Ovarialkarzinome sind erblich bedingt mit den häufigsten Keimbahnmutationen im BRCA1- oder BRCA2-Gen. Risikofaktoren: –– genetische Faktoren: BRCA1- oder BRCA2-Mutationen –– Reproduktionsfaktoren –– Ernährungsfaktoren –– Bestrahlungsfolgen –– Umweltfaktoren –– zytogenetische Faktoren



10.6 Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom und Peritonealkarzinom 

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Reproduktionsfaktoren: Protektiver Effekt durch Suppression der Ovulation (Schwangerschaften, Stillen, orale Kontrazeptiva). Man vermutet eine karzinogene Wirkung an der Ovaroberfläche bei der Ovulation („incessant ovulation“) –– Anzahl der Schwangerschaften: Nonnen haben zweifach erhöhtes Erkrankungsrisiko; Nulliparae haben ein um 40 % höheres Erkrankungsrisiko im Vergleich zu einer II. Gravida –– Orale Kontrazeptiva: Die Einnahmedauer ist proportional zum protektiven Effekt. –– Stillen: steigert das Erkrankungsrisiko –– späte Menopause: steigert das Erkrankungsrisiko –– Infertilität: Frauen, die über mehrere Jahren erfolglos eine Schwangerschaft anstreben (z. B. Ovulationsinduktion etc.), haben ein 8-fach erhöhtes Risiko. Ernährungsfaktoren: Adipöse Frauen erkranken öfter. Man vermutet den Einfluss von Fetten und Milchprodukten. Umweltfaktoren: Asbest- und Talgexposition steigern das Erkrankungsrisiko. Zytogenetische Faktoren: In 20 % der Ovarialkarzinome sind die Onkogene HER-2/ neu, c-myc, H-ras, K-ras verändert oder überexprimiert. Ein Funktionsverlust von Suppressorgenen p53, Rb1 und BRCA1 und BRCA 2 wird beschrieben. Histogenetische Einteilung Alle Ovarialgewebetypen können benigne, intermediäre oder maligne Tumoren bilden: –– Epitheliale Tumoren (ca. 80 %) –– Keimzelltumoren (ca. 5 %) –– Tumoren des gonadalen Stromas (7 %) –– Karzinosarkom = Müller’scher Mischtumor (< 1 %) –– Metastasen (7 %) Differenzierungsgrad –– GX = Grading nicht bestimmbar –– GB = Borderline-Malignität –– G1 = gut differenziert –– G2 = mäßig differenziert –– G3 = schlecht-oder undifferenziert Metastasen: Ovarialmetastasen anderer Malignome sind relativ häufig. Hierzu zählen: –– Metastasen gastrointestinaler Karzinome (Krukenberg-Tumoren) –– Mamma-Karzinom

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Endometriumkarzinom –– Lymphome Die Prognose ist ungünstig: Die 5-Jahresüberlebensrate beträgt ca. 12 %. Epitheliale Tumoren Zu der histologisch und prognostisch sehr heterogenen Gruppe der epithelialen Tumoren zählen: –– Seröse Tumoren: Über 50 % aller Ovarialkarzinome sind maligne seröse Zystadenokarzinome. 2 Typen: –– High-grade (G3) seröse Karzinome: (90 %) aller serösen Karzinome, schnelle Progression, hochmaligne Tumorentität, häufige Mutationen (p53) und hohe chromosomale Instabilität. –– Low-grade seröse Karzinome: (10 %) aller serösen Karzinome, relative genetische Stabilität, schrittweise Progression aus Vorläuferläsionen: Borderlinetumor – STIC (= seröse tubare intraepitheliale Karzinome). –– Muzinöse Tumoren (10–15 %): Im Stadium I oft gut differenziert; zu 90 % auf ein Ovar beschränkt; die seltenen G2–G4-Tumoren sind in 50 % bilateral; relativ chemoinsensibel; 5-Jahresüberlebensrate ca. 45 % –– Endometrioide Tumoren (20 %): In 15–20 % mit einem Endometriumkarzinom assoziiert; im Stadium I beträgt die 10-Jahresüberlebensrate knapp 100 %. –– Klarzellige Tumoren (5  %): Fast immer einseitig, 5-Jahresüberlebensrate ca. 12 %, im Stadium I auch nur 60 %. –– Maligner Brenner-Tumor (2 %): nur 10 % der Brenner Tumoren sind bösartig. –– Maligner Müller’scher Mischtumor des Ovars = Karzinosarkom des Ovars (1–4 % aller Ovarialkarzinome): Grundsätzlich ist die Prognose relativ schlecht. Dabei ist die 5-Jahres-Überlebensrate umso geringer, je höher der prozentuale Anteil an Sarkom-Gewebe im Tumor ist. Keimzelltumoren Zu den Keimzelltumoren zählen: –– Dysgerminome: Mit ca. 1  % häufigster Keimzelltumor; Altersmedian 20 Jahre; häufigstes Ovarialmalignom bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren; im Falle einer Gonadendysgenesie bzw. einer testikulären Feminisierung häufig mit Gonadoblastomen assoziiert; 20  % bilateral (oft unauffällige Ovarien); bei großen Dysgerminomen kann eine lymphogene Metastasierung erfolgen. Die 5-Jahresüberlebensrate beträgt ca. 75 % (Stadium I: ca. 96 %). –– Endodermale Sinustumoren (Dottersacktumor): Zweithäufigster Keimzelltumor. Altersmedian 19 Jahre (14 Monate–49 Jahre); in 95 % unilateral; die Diagnose erfolgt in 71 % im Stadium Ia, in 6 % im Stadium II und in 23 % im Stadium III, fast nie im Stadium IV. 5-Jahresüberlebensrate ca. 70 %.



10.6 Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom und Peritonealkarzinom 

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–– Teratome: maligne (= unreife) Teratome sind selten; meist unilateral; Altersgipfel: 1–2 Lebensjahrzehnt. Histologisch können verschiedene unreife Gewebe nachgewiesen werden: Glia, Retina, Nerven, Bindegewebe, glatte Muskelzellen, respiratorische oder enterale Epithelien. Prognose und Therapie hängen vom Grading ab, wobei G0 = reifes Gewebe, G1 = hauptsächlich reifes Gewebe (Neuroepithel auf einem Objektträgerfeld), G2 = zunehmende Unreife (Neuroepithel auf max. 3 Objektträgerfeldern), G3 = unreifes Gewebe (Neuroepithel auf ≥ 4 Feldern gemischt mit sarkomatösem Stroma). Die 5-Jahresüberlebensraten betragen bei G1-Tumoren 82 %, bei G2-Tumoren 63 % und bei G-3-Tumoren ca. 30 %. –– Embryonale Karzinome: selten; schnell wachsende Tumoren; strahlenresistent, sehr chemosensibel; 5-Jahresüberlebensraten ca. 30–50 %. –– Polyembryome: selten; schnell wachsende Tumoren; strahlenresistent, sehr chemosensibel; 5-Jahresüberlebensraten ca. 30–50 %. –– Chorionkarzinome: selten; schnell wachsende Tumoren; strahlenresistent, sehr chemosensibel; 5-Jahresüberlebensraten ca. 80 %. Tumoren des gonadalen Stromas (Keimstrang-Stroma-Tumoren) Diese Tumoren entstehen aus Zellen, die sich von den embryonalen Keimsträngen (Granulosazellen, Sertolizellen) oder von ovariellen Stroma ableiten (Thekazellen, Leydig-Zellen, Fibroblasten); 8 % aller Ovarialtumoren (50 % sind nur Fibrome) und 5–7 % aller malignen Ovarialtumoren, hierzu zählen: –– Granulosa-Stromazell-Tumoren: –– 70 % dieser Tumoren produzieren Östrogen. –– Granulosazelltumoren: ist der häufigste potentiell maligne KeimstrangStroma-Tumor. –– Es wird zwischen 2 Untergruppen unterschieden, nämlich dem adulten (mehr als 95  %) und dem viel selteneren juvenilen Granulosazelltumor. 10–30  % maligne; 97 % unilateral; in 25 % mit einem Endometriumkarzinom assoziiert (wegen ihrer Östrogen-Produktion); 10-Jahresüberlebensrate im Stadium I > 90 %. –– Tumoren in der Thekome⁄Fibrome-Gruppe: –– Thekom: exzessive Östrogenproduktion, vermehrt postmenopausal. –– Fibrom⁄ Fibrosarkom –– Sklerosierender Stromatumor –– Sertoli-Stroma-Tumoren: –– Leitsymptom ist die Androgenproduktion. –– Serolizelltumor: extrem selten und meist benigne. –– Leydigzelltumor: extrem selten und meist benigne. –– Sertoli-Leydig-Zell-Tumoren: 0,2  % aller Ovarialmalignome, häufig hormonell aktiv.

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Gynandroblastome: –– Beim Nachweis von Zelltypen aus weiblichen und männlichen Gonaden spricht man von einem Gynandroblastom. –– Keimstrangtumor mit Annular tubules (Peutz-Jeghers-Syndrom) Stadieneinteilung = immer chirurgisch-intraoperativ –– FIGO I: Tumor begrenzt auf Ovarien oder Tuben –– FIGO II: Ovarial-, Tuben- oder Peritonealkarzinom befällt das kleine Becken. –– FIGO III: histologisch nachgewiesene Peritonealmetastasen außerhalb des Beckens und/oder regionäre (abdominalen) Lymphknotenmetastasen –– FIGO IV: Fernmetastasen jenseits des Peritoneums oder der abdominalen Lymphknoten Metastasierungswege: Lokoregional: Nach Durchbruch der Ovarialkapsel gelangt der Tumor über die Peritonealflüssigkeit zur rechten parakolischen Rinne, zum Diaphragma, der Leberoberfläche, dem Omentum majus und anderen intraperitonealen Organen. Lymphogen: Die lymphogene Ausbreitung erfolgt über das Ligamentum infundibulopelvicum zu den retroperitonealen Lymphknotenstationen entlang der Aorta und der Vena cava. Weiterhin: über das Ligamentum latum durch die Parametrien zur Beckenwand mit Befall der iliakalen, hypogastrischen und Obturatoria-Lymphknoten. Hämatogen: Fernmetastasen befallen das Leberparenchym und die Lunge bei epithelialen Tumoren selten, meist eher Leberkapselmetastasen und Pleurergüsse (wegen der diffusen Peritonealkarzinose). Die häufigsten Todesursachen sind meist Ileus, Pneumonie und Embolien. Prognose: Die Prognose ist abhängig von: –– Tumorstadium –– Residualtumor nach der Erstoperation (wichtigster Prognosefaktor) –– histologischem Typ –– Grading (Frühstadien) –– Alter der Patientin –– Allgemeinzustand der Patientin Symptom: –– keine Frühsymptome –– unspezifische Symptome, hierzu zählen: –– diskrete Abdominalbeschwerden –– Zunahme des Bauchumfanges als Ausdruck der Aszitesentwicklung –– Fremdkörpergefühl



10.6 Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom und Peritonealkarzinom 

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–– Pollakisurie –– später: Aszites, Blutungsanomalien, Gewichtsabnahme, Ileuse, Dyspnoe bei Pleuraerguss –– endokrine Stigmata –– Ausnahme: Dottersack-Tumoren Da es sich um relativ große, schnellwachsende Tumoren handelt, kann es zur Stieldrehungssymptomatik kommen, aber auch zu Rupturen und Einblutungen. Endokrine Stigmata: Hormonaktive Tumoren können durch den anhaltenden Proliferationsreiz zu Blutungsstörungen, aber auch zur Pseudopubertas praecox (Granulosazelltumoren), zu Hirsutismus oder Virilisierung (Androblastome) führen. Ausbreitungsdiagnostik: Um ein möglichst umfassendes Bild vom Stadium der Erkrankungen zu gewinnen, sollten folgende Untersuchungen durchgeführt werden: –– bimanuelle rektovaginale Untersuchung –– Vaginalsonographie –– Abdominalsonographie –– Dopplersonografie (fakultativ) –– Rektoskopie/Zystoskopie (fakultativ) –– Magen-Darm-Passage (fakultativ) –– Kolosigmoideoskopie (fakultativ) –– Rö-Abdomenübersicht (fakultativ) –– Urogramm –– CT u./o. MRT –– Tumormarker CA 125, Ca-17-4, CA 19-9, HE4, ß-HCG, AFP (je nach Tumortyp) Trotz aller Sorgfalt bei der Diagnose ist die Diskrepanz zwischen den Befunden der Bildgebung und dem OP-Situs oft frappierend. Tumormarker: –– CA 125 ist als Verlaufsparameter geeignet und bei 80  % der Patientinnen mit einem epithelialen Ovarialkarzinom erhöht (> 35 U/ml), insbesondere für die serösen Subtypen. Als Screening-Test für die Erfassung im symptomfreien Stadium ist CA125 aufgrund seiner geringen diagnostischen Sensitivität (43,3 %) nicht geeignet. In den Frühstadien (I/II) haben weniger als 50 % aller betroffenen Frauen erhöhte CA 125-Werte. Ein weiterer Nachteil ist, dass der CA 125-Wert häufig auch bei vielen benignen Erkrankungen wie Endometriose, Aszites sowie Lebererkrankungen erhöht sein kann. –– HE4 = (Human epididymis protein 4): Aufgrund seiner Freisetzung bereits in frühen Tumorstadien und seiner hohen Spezifität (95 %) gegenüber gutartigen Ovarialerkrankungen und Sensitivität (72,9 %) ergänzt er ideal CA 125 in der Diagnostik des

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Ovarialkarzinoms. Insbesondere Frauen in symptomfreien Frühstadien und in der Prämenopause profitieren von der Bestimmung HE4 im Vergleich zu CA 125. Die Kombination der Tumormarker HE4 und CA 125 ermöglicht eine genauere Vorhersage einer malignen Erkrankung als alle anderen Marker alleine. Aus dem HE4- und dem CA125-Wert lässt sich ein Algorithmus zur Abschätzung des Malignitätsrisikos (Risk of Ovarian Malignancy Algorithm, ROMA) errechnen. –– –– –– ––

AFP sehr spezifisch bei Keimzelltumoren (Dottersack-Tumoren). ß-HCG sehr spezifisch bei Chorionkarzinomen und embryonalen Karzinomen. CA 19–9 kann bei muzinösen Karzinomen erhöht sein. Inhibin-B bei adulten Granulosazelltumoren.

CT u./o. MRT: Intra- und retroperitoneale Tumorläsionen 12 Monate. Die Rezidivtherapie mit Zytostatika wird wesentlich von der Resistenz des Tumors gegenüber den einsetzbaren Zytostatika beeinflusst. –– Bei platinsensiblen Rezidiven (Rezidiv in mehr als 6 Monate nach letztem Zyklus Platintherapie) sind platinhaltige Therapieschemata (Kombinationen mit Gemcitabine, Topotecan oder peg.-lip.Doxorubicin) indiziert. –– Bei Patientinnen mit BRCA-positiven high grade-Ovarialkarzinomen und Ansprechen auf die platinhaltige Chemotherapie besteht zudem die Indikation zu einer Erhaltungstherapie mit einem PARP-Inhibitor. –– Bei platinresistenten Rezidiven (weniger als 6 Monate nach letztem Zyklus Platintherapie) kommt nur eine platinfreie zytotoxische Monotherapie in Frage.



10.6 Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom und Peritonealkarzinom 

 221

HIPEC (Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie): Bisher existieren keine Daten, die eine Verbesserung des progressionsfreien oder Gesamtüberlebens durch die zusätzliche Durchführung einer HIPEC zur Operation gezeigt haben. Ebenso kann aufgrund der vorliegenden Daten die erhöhte operative Komplikationsrate nicht dahingehend bewertet werden, dass die HIPEC als sicher durchführbar einzustufen sei. Beim Ovarial-, Tuben, oder primären Peritonealkarzinom soll die HIPEC daher nicht außerhalb von prospektiven kontrollierten Studien, weder in der Primär- noch in der Rezidivtherapie, durchgeführt werden. Spezialfälle: –– Keimzelltumoren: Auf eine adjuvante Chemotherapie oder Strahlentherapie kann nur im Stadium IA G1 verzichtet werden. Die Tumoren sind gut radiosensibel. Wegen u. a. des Fertilitätsverlustes und der hohen Wirksamkeit der Chemotherapie ist eine Radiatio aber nur in Einzelfällen indiziert. Bei fortgeschrittenen Tumoren stehen Polychemotherapieschemata PEB (Cisplatin, Etoposid und Bleomycin) oder PEI (Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid) zur Verfügung. –– Primäres ovarielles Chorionkarzinom: Bei diesem Tumor erfolgt primär eine Polychemotherapie, z. B. MAC (Methotrexat, Adriamycin, Cyclophosphamid). –– Tumoren des gonadalen Stromas: bei Granulosazelltumoren bis FIGO III mit kompletter Tumorentfernung ist der Nutzen einer adjuvanten Therapie nicht nachgewiesen. Ab den seltenen Stadien III–IV und mit postoperativem Tumorrest: 4 Zyklen BEP oder 6 Zyklen Carboplatin und Paclitaxel. Erhaltungstherapie: ist die präventive Gabe eines Arzneimittels nach Erreichen einer Remission zur Erhaltung derselben. Für die First-line-Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms hat sich die Behandlung mit Bevacizumab (VEGFAntikörper) in Kombination mit Carboplatin/Paclitaxel als Standard etabliert. Auch in der Rezidivsituation ist Bevacizumab zugelassen (bei Patientinnen, die diese Substanz nicht als Erst-Therapie erhalten haben, auch hier in Kombination mit einer Chemotherapie). Nachsorge: Die Nachsorgeuntersuchungen müssen in den ersten 3 Jahren alle 3 Monate, für das 4.–5. Jahr alle 6 Monate, dann wenigstens einmal pro Jahr durchgeführt werden. Folgende Untersuchungen sind üblich: –– Zwischenanamnese –– Gewichtsbestimmung –– klinische Untersuchung/gynäkologische Untersuchung –– Vaginalsonographie (Rezidiv? Aszites?) –– Laboruntersuchungen –– Lebersonographie (Filiae?Aszites?)

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 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Nierensonographie (Stau?Aszites?) –– Röntgen-Thorax (Filiae?Erguss?) –– CT/MRT (Rezidiv?Filiae?Aszites?)

10.6.3 Epitheliale Borderline-Tumoren (BOT) Die Borderline-Tumoren (= Tumors of low malignant potential= LMP) stellen eine eigene Tumorgruppe dar und unterscheiden sich sowohl feingeweblich als auch tumorbiologisch sehr von den echten Ovarialkarzinomen. Der wesentliche Unterschied der Borderline-Tumoren zu den Ovarialkarzinomen liegt in ihrer insgesamt deutlich besseren Gesamtprognose und darin, dass sie meist erst viel später (> 5 Jahre) erneut auftreten können. Wichtig für die Prognose der Borderline-Tumore ist der Ausschluss sog. invasiver Implantate (Abb. 10.9). –– Inzidenz: 5 Neuerkrankungen pro 100 000 Frauen. –– Mittleres Ersterkrankungsalter: 45–55 Jahre.

(a)

(b)

Abb. 10.9: (a) Ultraschallbild (Abdominalsonographie) eines großen Ovacialkarzinoms mit den typischen, auch dopplersonographischen auffälligen randständigen Binnenstrukturen. (b) OP-Situs und einer Längslaparotomie mit dem vor die Bauchdecke luxierten großen Ovarialtumor, der dem Ultraschallbild von (a) entspricht.

Präkanzerosen: Maligne Tumoren können aus Borderline-Tumoren (BOT) nach einer Latenzphase von ca. 20 Jahren in ca. 1–10 % aller betroffenen Frauen entstehen. –– Seröse BOT: häufigster Typ, mit Mikroinvasion in ca. 5 % und Lymphknotenbeteiligung bis 20 % wird es als low-grade seröses Ovarialkarzinom eingestuft und entsprechend behandelt. –– Muzinöse BOT: mit Mikroinvasion in ca. 5 %.



10.7 Gestationsbedingte Trophoblasterkrankungen (GTE) 

 223

Äquivalent zu den malignen Ovarialkarzinomen werden Borderline-Tumore des Ovars in die FIGO-Stadien I–IV eingeteilt. Am häufigsten mit ca. 75  % der Fälle, werden BOT im FIGO-Stadium I diagnostiziert. Nur 25 % der Patientinnen bieten bei Diagnose einen Tumorbefall, der über die Ovarien und das kleine Becken hinausgeht. Therapie: ein sorgfältiges chirurgisches Staging ist erforderlich und sollte neben der kompletten Tumorentfernung (einschließlich bilateraler Salpingoophorektomie) stets die Inspektion des Abdomens mit Gewinnung einer Spülzytologie, Resektion aller auffälligen Areale und peritonealer Biopsien unauffälliger Areale sowie eine Omentektomie umfassen. Der Nutzen einer adjuvanten Therapie wurde bei Borderline-Tumoren bislang nicht gezeigt.

10.7 Gestationsbedingte Trophoblasterkrankungen (GTE) 10.7.1 WHO-Klassifikation gestationsbedingter Trophoblasterkrankungen Villöse Trophoblasterkrankung Partielle Blasenmole (Mola hydatiformis partialis), meist triploid (69 XXY oder 60 XXX). Gleichzeitige Befruchtung einer defekten Eizelle mit zwei Spermien (Dispermie). Komplette Blasenmole (Mola hydatiformis totalis) Destruierende Blasenmole (Mola hydatiformis destruens). Unfähigkeit des mütterlichen Organismus, die Proliferation des molig veränderten Trophoblasten zu begrenzen. Die physiologischen Vorgänge bei der Implantation laufen weiter, das Gewebe durchdringt das Myometrium und erreicht teilweise auch extrauterine Strukturen oder setzt sog. Fernmetastasen. Nicht villöse Trophoblasterkrankung Chorionkarzinom: Das Chorionkarzinom entsteht häufig nach Molenschwangerschaften (50 % entwickeln sich aus Blasenmolen), Aborten, Extrauteringraviditäten, aber auch nach normalen Schwangerschaften. Deshalb wird u. a. an der Kürettage nach Aborten festgehalten. Primäre extrauterine Chorionkarzinome (Ovar, Lunge, Magen, Pankreas, Blase, Nieren) entstehen durch Trophoblastmetaplasie und zählen zu den Teratomen. Es besteht eine Korrelation zum erhöhten mütterlichen Alter (>40. Lebensjahr). –– Plazentabetttumoren: selten und häufig auch benigne –– Epidemiologie: Inzidenz Blasenmole: 0,5–2,5/1000; Chorionkarzinom: 2,5/100000 Schwangerschaften

224 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

Altersbezogene Inzidenz: Eine signifikante Zunahme von Blasenmolen wird bei schwangeren Frauen beobachtet, die entweder jünger als 15 Jahre oder älter als 40 Jahre sind. Ätiologie der Blasenmole: –– defekte Keimanlage mit Zellkernverlust –– Duplikatur des väterlichen Chromosomensatzes –– Eindringen je eines X- und Y-Genoms –– Immunologische Faktoren: unklare immunologische Rolle, Konzeptus als väterliches Transplantat Duplikatur: 90 % der Blasenmolen sind XX-homozygot. Der XX-Chromosomensatz entsteht durch die Verdopplung eines väterlichen X-Spermiengenoms. 10 % der Blasenmolen sind XY-heterozygot. Konzeptus: Der Konzeptus kann als komplettes väterliches Transplantat angesehen werden. Die entsprechenden immunologischen Faktoren sind bisher nicht eindeutig geklärt. –– traubenförmiges Gewebe (Abb. 10.10) –– deformierte Zotten, multiple Bläschen Zentrales Ödem –– Embryo bei partieller Blasenmole –– kein Embryo bei kompletter Blasenmole Klinische Einteilung (TNM/FIGO) FIGO I = T1: Tumor auf den Uterus beschränkt FIGO II = T2: Uterus überschritten, Tumor bereitet sich auf inneres Genital aus. FIGO III = M1a: Lungenmetastasen FIGO IV = M1b: alle anderen Fernmetastasen Metastasierende GTE: GTE mit schlechter Prognose („high-risk“) –– 4 Monate seit der letzten Schwangerschaft –– ß-HCG-Werte im Serum > 40000 mIE/ml –– Hirn-bzw. Lebermetastasen –– vorangegangene ausgetragene Schwangerschaften am Termin –– vorangegangene Chemotherapie Klinische Symptome: –– uterine Blutungen –– weiche Uterusvergrößerung (besonders nach Molenausstoßung) –– Metastasen-Symptom (entsprechend TNM-Klassifikation: PULMO, HEPAR, BRAIN)



10.7 Gestationsbedingte Trophoblasterkrankungen (GTE) 

 225

Abb. 10.10: Blasenmole in einem Hysterektomiepräparat, (a) Sonographisches Korrelat (Corpus uteri mit Blasenmole), (b) Uterus von außen, (c) Uterus corpus aufgeschnitten mit dem typischen Blasenmolen-Gewebe.

(a)

(b)

(c)

–– Präeklampsiezeichen in Frühgravidität –– Tumormarker = Verlauf der ß-HCG-Werte Diagnose: 1. in graviditate: –– ungewöhnlich hohe ß-HCG-Werte (Diagnose bei HCG >500.000 mIE/ml fast sicher) –– Ultraschall: „Schneegestöber“ im Cavum 2. außerhalb der Gravidität –– bimanuelle Palpation –– (Hysteroskopie) Kürettage (u. U. vorher Prostaglandin-Priming) 3. Ausbreitungsdiagnostik –– CT-Thorax, Röntgenthorax, Knochenszintigramm –– Beckenangiografie (fakultativ)

226 

 10 Prämaligne und maligne Tumoren der weiblichen Genitalorgane

–– Laparoskopie –– CT bzw. MRT (Schädel) –– HCG-Nachweis im Liquor (bei ZNS-Beteiligung. Das Verhältnis HCG im Serum zu HCG im Liquor < 70:1) Kürettage: Sehr hohe Perforationsgefahr. Deshalb sollte zur Verbesserung der Uteruskontraktion und zur Verbesserung des Gewebeexpression immer intraoperativ eine Oxytocinfusion verabreicht und eine Saugkürettage durchgeführt werden. Chirurgische Therapie Blasenmole: Vollständige Uterusentleerung (z. B. Prostaglandininduzierte Ausstoßung, Nachkürettage) Plazentanaher Pseudotumor: Therapie der Wahl ist die Hysterektomie, da dieser Tumor relativ therapieresistent ist. Destruierende Mole und Chorionkarzinom: Die Operation (Hysterektomie) ist nur relativ selten indiziert. Die Metastasenchirurgie scheint beim Vorliegen isolierter, therapieresistenter Leber- oder Hirnmetastasen bei strenger Indikationsstellung sinnvoll. Chemotherapie: –– Blasenmole: Option Chemotherapie (Methotrexat = MTX) –– Destruierende Mole und Chorionkarzinom: Eine Chemotherapie mit MTX oder Actinomycin D (Act-D) ist die Therapie der Wahl. –– High-risk GTE: EMA-CO Schema oder EMA-EP Schema Chorionkarzinom: Die Anzahl der Therapiezyklen richtet sich nach der ß-HCGKonzentration im Serum. Dauer der Chemotherapie: ß-HCG-Werte negativ für 8–12 Wochen. Bei Negativwerten sollten 2–3 Zyklen zur Stabilisierung des Therapieeffektes durchgeführt werden.

Jens-Uwe Blohmer, Ragna Völker

11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust 11.1 Anlage- und Entwicklungsstörungen Ätiologie, Pathologie und pathologische Anatomie: –– Entwicklung der Brustdrüse erfolgt mit Beginn der Pubertät (10.–12. Lebensjahr) vor der Pubarche und Menarche unter hormonellem Einfluss. –– Die Kenntnis der Stadien der physiologischen Brustentwicklung (Tab. 11.1) ist wichtig für die Erkennung von Anlage- oder Entwicklungsstörungen (s. Kap. 1). Hormoneller Einfluss: Über die hypothalamische GnRH-Freisetzung sowie die hypophysäre Sekretion von FSH und später LH führt die ovarielle Freisetzung von 17ß-Östradiaol zur fortschreitenden Aufzweigung des Milchgangsystems. Die weitere Ausbildung wird über die Hormone des Corpus luteum induziert.

Tab. 11.1: Stadien der physiologischen Brustentwicklung nach Tanner. B1

keine palpable Drüse

B2

Brustknospe; Areola mammae ver­größert, Drüse im Bereich der Areo­la mammae vor­gewölbt

B3

Drüse größer als Areola mammae

B4

Knospenbrust; Drüse im Mamillen­bereich hebt sich ge­sondert von der übrigen Drüse ab

B5

reife Brust; Zurückweichen der Vorwölbung der Areola mammae in die allgemeine Brustkontur (wird nicht immer erreicht)

11.1.1 Anlagestörungen Mögliche Fehlbildungen sind: 1. Mammaagenesie, Syn. Amastie oder Aplasia mammae (Abb. 11.1): angeborenes, ein- oder beidseitiges Fehlen der Brustdrüse selten auch mit Fehlen der Brustwarze bei Frauen mit normalem Menstruationszyklus und Konzeptionsfähigkeit –– für die fehlende Anlage der Brustdrüse wird ein genetischer Defekt mit X-chromosomal-rezessiver Vererbung angenommen 2. Athelie: Fehlen der Brustwarze bei normal entwickeltem Brustdrüsenkörper 3. Polymastie, Syn. akzessorische Mamma (Abb.  11.2): angeborenes Vorhandensein überzähliger kompletter Brustanlagen im Bereich der (bilateral angelegten) Milchleiste durch inkomplette embryonale Rückbildung –– häufigste Lokalisation: Axilla-, Vulvaregion (Abb. 11.2) https://doi.org/10.1515/9783110472356-015

228 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

Abb. 11.1: Angeborenes Fehlen des Brustdrüsengewebes rechts im Sinne einer Mammaaplasie.

Abb. 11.2: Akzessorische Mamma mit Mamille unterhalb der linken Brust.

Milchleiste: embryonale Anlage der Milchdrüse. Sie bildet sich als ektodermale Epithelverdickung von der vorderen Axillarfalte bis zur Leistengegend bzw. zum Oberschenkel. Nur ein kleiner Teil der Leiste bleibt in der Thoraxregion bestehen und wird zur Brustdrüse. Akzessorische Mamillen (Polythelie) oder überzählige Brustdrüsen (Polymastie) können entstehen.

–– Sonderform: akzessorische Mamma, Mamma aberrans: akzessorisches Brustdrüsengewebe meist zwischen dem oberen äußeren Quadranten der Brust und der Achselhöhle lokalisiert, ohne Mamille und Areola a) Polythelie: (Abb.  11.3): Vorhandensein überzähliger Brustwarzen ohne darunterliegendes Drüsenparenchym im Bereich der Milchleiste



11.1 Anlage- und Entwicklungsstörungen 

 229

Abb. 11.3: Überzählige/zweite akzessorische Mamille innerhalb/auf der normalen rechten Mamma.

4.

5.

6.

7.

–– häufigste Anlagestörung, Auftreten bei 1–5 % aller Frauen Bei Anlagestörungen der Brustdrüse ist eine Untersuchung der Nieren zum Ausschluss einer Fehlbildung obligat. Akzessorische Mammae ohne Mamille und Areola: Die mangelnde Abflussmöglichkeit führt insbesondere während der Schwangerschaft und Stillzeit zur Vergrößerung und schmerzhaften Schwellung, die durch Kühlung gelindert werden kann. Manche Frauen lassen sich nicht nur aus kosmetischen Gründen, sondern auch, um nicht nach einer Geburt abstillen zu müssen, solche Überschussbildungen präventiv entfernen. Zusätzliche Mammae im Bereich der Milchleiste: Lokalisationen sind Axilla (43  %), innerhalb bzw. unterhalb der normalen Mamma (26  %); Sonderform: Mamillare Polythelie (23 %), bei der sich eine akzessorische Mamille innerhalb oder außerhalb des Areolakomplexes befindet. Poland-Syndrom (Poland 1841): obligate Merkmale: Aplasie des M. pectoralis major, Fehlbildung der Hand z. B. Syndaktylie, Oligodaktylie; fakultativ: Einseitige Mammahypoplasie/-aplasie, radiokubitale Synosmose, Hypotrichosis der Axilla, Vier-Finger-Furche Amazonen-Syndrom: Hypo- oder Aplasie der Mamma bei erhaltener Brustmuskulatur

11.1.2 Entwicklungsstörungen Die Reifeentwicklung der Brust nimmt einen Zeitraum von 3–4 Jahren in Anspruch, in deren Verlauf es zu einer physiologischen Asymmetrie (Anisomastie) kommen kann, die am Ende des pubertären Wachstumsschubes wieder ausgeglichen ist.

230 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

1. Formabweichungen der Brustwarze: Hohl-, Flach- und Spaltwarzen, führen häufig zu Stillschwierigkeiten 2. Neonatale Hypertrophie –– Folge einer passiven endokrinen Stimulation am Ende der Schwangerschaft –– gelegentlich milchige Sekretion (sog. Hexenmilch) –– Entzündungsgefahr bei manuellen Manipulationen –– spontane Rückbildung innerhalb der ersten Lebenswoche, sonst Abklärung 3. Mammaasymmetrien (Abb. 11.4) –– eine gewisse Seitendifferenz der Brustgröße ist physiologisch –– Mammahypertrophie durch pathologisches unilaterales Brustdrüsenwachstum –– Mammahypoplasie in Folge eines unilateralen mangelnden oder fehlenden Wachstums Genese: Angeboren oder erworben – eine ungenügende Ansprechbarkeit des Drüsengewebes auf Östrogene und Prolaktin wird vermutet Diskutiert wird, ob mit der operativen Korrektur wegen der psychischen und oft auch sozialen Probleme (einige dieser Mädchen nehmen nicht am Sport- und Schwimmunterricht teil, vermeiden Kontakte zu Jungs) bis zum Abschluss des Längenwachstums der betroffenen Frau und bis zur vollen Ausbildung der weiblichen Brust gewartet wird, oder ob diese Korrekturoperation abhängig vom Leidensdruck und unabhängig vom Lebensalter durchgeführt wird. 4. beidseitige Mammahypoplasie/Mikromastie Klassifikation pathologischer Befunde erschwert durch –– interindividueller Variationsbreite der Brustgröße

Abb. 11.4: Deutliche Anisomastie mit rechter hypoplastischer Mamma.



11.1 Anlage- und Entwicklungsstörungen 

 231

–– soziokulturelle Einflüsse –– individuelles Empfinden der Patientin (u./o. ihres Partners) Bei der Beurteilung ist die Entwicklung anderer sekundärer Geschlechtsmerkmale zu beachten. Ursachen: –– konstitutionell –– Rezeptordefekte –– primäre/sekundäre Ovarialinsuffizienz –– Fehlanlage –– therapeutische Eingriffe in der Kindheit Therapie: Augmentation durch Implantateinlage nach Abschluss der Brustentwicklung 5. Fehlendes Brustwachstum –– Stets abklärungsbedürftig sind Störungen der Brustentwicklung in der Pubertät, insbesondere im Zusammenhang mit Zyklusstörungen. Mögliche Ursache: –– testikuläre Feminisierung –– Turner-Syndrom, Gondadendysgenesie 6. Mammahyperplasie –– Makromastie = Gewicht einer Brust >600 g (Abb. 11.5) –– Gigantomastie = Organgewicht >1500 g Sonderform: Pubertätshyperplasie, nicht reversible Graviditätsmakromastie Operative Korrektur wegen psychischer Belastung und statischen Veränderungen/Schmerzen. Mammahyperplasie: Brustvergößerung, die über das dem Alter der Patientin entsprechende Maß hinausgeht. Pubertätshyperplasie: Eine ein- oder beidseitige Hyperplasie der Brust tritt am häufigsten in der Pubertät auf. Kausale Genese ist möglicherweise ein vermehrtes Ansprechen der Östrogenrezeptoren bei normalen Östrogenspiegeln im Serum, Hyperprolaktinämie, Hyperthyreose, Anovulationen oder eine Corpus-luteum-Insuffizienz. Graviditätsmakromastie: Erstmanifestation in der 8.–20. SSW. Nur das Brustdrüsengewebe ist betroffen. Gewisse spontane postpartale Rückbildung. Meist operative Korrektur nötig. Statische Veränderungen/Schmerzen: Durch das Gewicht der Brüste kommt es zu Fehlhaltungen und schmerzhaften Fehlbelastungen ganzer Muskelgruppen im Schulter-Halsbereich und der Wirbelsäule. Die elastischen Cooper-Fasern der Brust werden überdehnt. Folge ist eine Ptosis der Brust. Häufig entwickeln sich zwischen Thoraxwand und aufliegender Brust rote, nässende Hautläsionen (Intertrigo), Abb. 11.6.

232 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

Abb. 11.5: Makromastie beider Mammae (mit angezeichneter Umschneidungsfigur für die von der Patientin gewünschte operative Reduktionsplastik).

Abb. 11.6: Mögliche Folgen einer Makromastie: Intertrigo unter beiden Mammae.

Diagnostik: –– Anamnese –– Inspektion und Palpation –– Mammasonographie und evtl. Mammographie bei auffälligen klinischen oder sonographischen Befunden (vor Durchführung einer Reduktions­plastik) –– Hormonstatus (bei vermuteten endokrinologischen Störungen) –– ggf. humangenetische Untersuchung



11.2 Entzündliche Veränderungen der Brust 

 233

Therapie: –– Polymastie, -thelie: operative Resektion –– Mammahypoplasie: Operative Augmentation wenn möglich mit Expander/ Implantat, in Ausnahmefällen auch mit Eigengewebe (freie Transplantation). –– Makromastie: Reduktionsplastik 7. Tubuläre Brust (Grad 1 bis 4) Tubuläre Brust: Angeborene Fehlbildung mit komplettem Fehlen oder unzureichender Entwicklung der beiden unteren Quadranten, höher stehender Submammarfalte durch innere Narbenbildung und in die übergroße Areola prolabiertes Brustdrüsengewebe, insgesamt „rüssel- oder schlauchförmiges“ Aussehen. Die Ursache ist eine Hernienbildung der Areola, durch die dann der Drüsenkörper hindurch tritt.

Therapie: Verkleinerung der Areola, Herniotomie, Durchtrennen der inneren Narbenbildung, Neuformierung einer tieferen, neuen unteren Umschlagfalte, ggf. auch Augmentation der unteren Quadratenten mit Implantaten.

11.2 Entzündliche Veränderungen der Brust 11.2.1 Mastitis puerperalis Mastitis puerperalis: Eine Entzündung der Brustdrüse in der Stillzeit, die durch eine Behinderung des effektiven Milchflusses und durch eine Infektion ausgelöst wird. Eine unvollständige Brustentleerung kann eine Infektion begünstigen.

Epidemiologie: –– stark variierende Angaben in der Literatur: Inzidenz zwischen 2–50 % –– bei Erst- häufiger als bei Mehrgebärenden, meist in der 3–4. Woche p.p. Ätiologie, Anatomie: –– Erreger: Staphylococcus aureus, incl. Methicillin-resistenter St. aureus, ß-hämolysierende Streptokokken –– Infektionsweg: retrograd durch die Milchgänge zu den Lobuli Mikroverletzungen der Brust als Eintrittspforte der Erreger in die periduktalen Lymphbahnen Formen: 1. interstitiell: Eindringen über Rhagaden, Ausbreitung entlang der Lymphspalten 2. parenchymatös: Keimbesiedlung der Milchgänge 3. abszedierende Mastitis 4. hämatogene Ausbreitung (selten)

234 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

Diagnostik: –– Anamnese und Klinik: –– bei Abszessbildung Fluktuation –– Schmerzen, Hautrötung, Induration –– hohes Fieber und Abgeschlagenheit –– Mammasonographie, bei Abszess ultraschallgestützte Punktion mit Abstrich auf Erreger und Resistenzen Klinische Symptome: –– Beginn meist 1–2 Wochen post partum –– Verschlechterung des AZ, Unwohlsein, Fieber (>38,4°C) –– Schwellung, Rötung, Überwärmung, Schmerzen örtlich begrenzter Bereiche der Brust, meist ein- selten beidseitig –– die gesamte Brust wirkt gestaut und ist druckschmerzhaft –– reaktive, z. T. schmerzhafte Vergrößerung der ipsilateralen axillären Lymphknoten –– Anhand der Symptome kann nicht zwischen bakteriellen und einer rein stauungsbedingten Mastitis unterschieden werden. Vor Therapiebeginn mögliche Ursachen bewerten: –– Stilltechnik: Brust wird nicht leer getrunken –– Stillfrequenz: zu häufiges Stillen, dadurch Verletzung von Areolahaut und Mamille und Eindringen von Erregern –– wunde Brustwarzen –– verstärkte Brustdrüsenschwellung –– Blockierung des Milschflusses z. B. durch Kleidung –– verstärkter Milchfluss –– Verletzungen der Brust –– fehlender Milchspendereflex z. B. durch Stress oder Schlafmangel –– psychische Faktoren –– mangelnde Hygiene Therapie: –– ganzheitliche Betreuung der Frau –– Regelmäßige Brustentleerung (Stillen und anschließend Ausstreichen oder Abpumpen) mit Stillbeginn an der betroffenen Brust. –– Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika –– Lokal: Wärme vor der Brustentleerung, Kühlen nach der Brustentleerung. Wenn nach 24–48 Std. weiter Fieber oder keine Besserung der klinischen Symptomatik, dann ist von einer bakteriellen Mastitis auszugehen. Risiko der Abszedierung, daher Gabe eines Antibiotikums, 1. Wahl: Cephalosporine der 1. und 2. Generation oder ß-Laktamase geschützte Penicilline, bei Allergie Clindamycin



11.2 Entzündliche Veränderungen der Brust 

 235

–– bei Abszessbildung: 1. Abszesspunktion, 2. Chirurgische Intervention mit Abszessspaltung, Drainage der Wundhöhle, zusätzlich zur Antibiotikatherapie; Abstillen nicht nötig –– bei selten auftretenden Infektionen mit ß-hämolysierenden Streptokokken: Stillpause, evtl. simultane Antibiotikabehandlung des Säuglings –– Differentialdiagnosen: inflammatorisches Mammakarzinom

11.2.2 Mastitis non-puerperalis Mastitis non-puerperalis: Alle bakteriellen und abakteriellen Entzündungen der Brust, z. T. mit Abszess- oder Fistelbildung außerhalb der Stillzeit.

Epidemiologie: –– häufigste entzündliche Veränderung der Brust –– Häufung bei Frauen zwischen dem 20 und dem 40. Lebensjahr –– In 60 % Raucherinnen, bei rezidivierenden Entzündungen sind >90 % Raucherinnen. Ätiologie, Pathogenese: –– isolierte gesteigerte Sekretbildung mit Retentionssydrom –– abakterielle Mastitis durch Traumen –– primäre oder sekundäre Keimbesiedlung In 20 % findet man bis zum Abklingen der Entzündung eine Hyperprolaktinämie. Keimbesiedlung: Monoinfektion durch Staphylococcus aureus (40 % nachweisbar) oder Mischinfektionen von koagulasenegativen Staphylokokken (in 40 % nachweisbar) mit Anaerobiern, Enterokokken, Streptokokken der Gr.B, Fusobakterien, Mykoplasmen.

Formen: 1. Unspezifische Mastitis non puerperalis a) akut oder chronisch eitrig abszedierend b) Sonderformen: Plasmazellmastitis und granulomatöse Mastitis 2. Spezifische Mastitis non puerperalis: Tuberkulose, Lepra, Lues, M. Boeck, Aktinomykose, Typhus Diagnostik: –– Anamnese und Klinik –– Mammasonographie –– Abstrich auf Erreger und Resistenz aus dem Mamillensekret oder dem Abszess –– Labordiagnostik (Entzündungsparameter)

236 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

DD: –– inflammatorisches Karzinom –– Dermatosen Plasmazellmastitis: Sonderform der chronischen abakteriellen Mastitis, Erkrankungsalter häufig über 40 Jahre, ggf. Mamillensekretion, meist beidseits, mammographisch typische längliche, grobe Verkalkungen entlang der Gangstrukturen. Granulomatöse Mastitis: nichtinfektiöse granulomatöse Entzündung mit unklarer Ätiologie und möglicherweise immunologischem Pathomechanismus. Auftreten häufiger bei jungen Frauen zwischen 20. und 40. Lebensjahren. Diagnose, per Biopsie. Mammasonographie mit Abszesspunktion: Nachweis von Mammaabszessen und Verlaufskontrolle, Ausschluss eines Karzinoms.

Klinische Symptome akut: –– Fieber selten –– Schwellung, Rötung, Schmerzen der betroffenen Brust (Abb. 11.8) –– reaktive, z. T. schmerzhafte Vergrößerung der ipsilateralen axillären Lymphknoten –– pathologische Mamillensekretion (in 20–30 %) –– bei Abszedierung typische Fluktuation und Nachlassen der Schmerzhaftigkeit chronisch-rezidivierend: –– chronische Entzündung, Induration, Mamillenretraktion, Obstruktion der Ausführungsgänge, Fistelbildung –– Rezidivzeiträume bis 20 Jahre sind möglich. Bei therapierefraktären Verläufen sollten spezifische Formen der Mastitis non-puerperalis ausgeschlossen werden.

Abb. 11.7: Mastitis non-puerperalis, rechts.



11.3 Symptomdefinierte Veränderungen 

 237

Therapie: –– Lokal: Kühlende Umschläge, ggf. Dopaminagonisten –– Antibiotikagabe: Kombination aus Cotrimoxazol, evtl. einem Cephalosporin, Metronidazol oder Clindamycin (ggf. Umstellung der Antibiose nach Resistogramm) –– bei fehlender Besserung nach 1 Woche adäquater Behandlung Biopsie zum Ausschluss eines inflammatorischen Mammakarzinoms –– bei Abszessbildung: wiederholte Punktion zusätzlich zur Antibiose, evtl. chirurgische Intervention mit Abszessspaltung, Drainage; nach Abklingen der Entzündung bei Frauen über 30 J. Mammographie –– Rezidivierende Mastitiden sind häufig schwer zu therapieren (Milchgangsfisteln, unbefriedigende kosmetische Ergebnisse).

11.3 Symptomdefinierte Veränderungen 11.3.1 Mastodynie Mastodynie: diffuse oder umschriebene Schmerzen, Spannungsgefühl und Berührungsempfindlichkeit in einer oder beiden Brüsten.

Epidemiologie: –– häufigstes senologisches Symptom –– häufiger prä- als postmenopausal Ätiologie und Pathogenese: –– kausale Genese unbekannt Formen: 1. Zyklische Mastodynie (häufigste Form): Östrogenbedingte, interstitielle Wasser­ einlagerungen führen über eine zyklische Zunahme des Brustdrüsenvolumens zu einem Spannungs- und Schweregefühl – besonders im oberen äußeren Quadranten der Brüste, gelegentlich von Knotenbildungen im Sinne der Mastopathie begleitet 2. Zyklusunabhängige Mastodynie – unabhängig vom Menopausenstatus Klinik: Brennen, Ziehen, punktförmige Schmerzen –– idiopathisch –– psychosomatisch –– traumatisch (Hämatom, Fettgewebsnekrose) –– Mastitis –– Mammakarzinom –– Mondor-Syndrom

238 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

Differntialdiagnosen: Tietze-Syndrom, Interkostalneuralgie, Pleura-, Herzschmerzen Mondor-Syndrom: Strangförmige, oberflächliche Thrombophlebitis oberfläch­licher Brustvenen und Lymphbahnen (Lymphangitis), die als derbe fixierte Stränge tastbar sind. Tietze-Syndrom: Chondropathia tuberosa, schmerzhafte Verdickung der Rippenknorpel am Sternalansatz unklarer Ursache.

Diagnostik: –– Zyklus- und Schmerzanamnese –– Inspektion und Palpation –– Sonographie und evtl. Mammogaphie (Karzinomausschluss) –– evtl. Feinnadelpunktion oder Stanzbiopsie –– Ausschluss orthopädischer oder internistisch-kardiologischer Grundleiden –– endokrinologische Abklärung nur bei zusätzlichen Problemen (z. B. Infertilität, Mamillensekretion, Schilddrüsenerkrankungen) Therapie: –– Die meisten der Patientinnen benötigen nach senologischer Diagnose und Aufklärung keine Therapie –– Die zyklische Mastodynie kann durch Gravidität, Menopause oder orale Kontrazeption verschwinden –– medikamentöse Therapie –– Gestagene topisch oder systemisch –– Ovulationshemmer (gestagenbetontes Präparat) –– Phytotherapeutika (z. B. Mönchspfeffer)

11.3.2 Mamillensekretion Galaktorrhö Galaktorrhö: jede milchige Absonderung aus mehr als einem Milchgang einer oder beider Mamillen.

Epidemiologie: –– 0,5–1 % aller prämenopausalen Frauen –– seltener bei Nullipara –– keine Altersgipfel, kann während der gesamten Zeit zwischen Pubertät und Menopause auftreten



11.3 Symptomdefinierte Veränderungen 

 239

Ursache: –– endokrinologisch: verantwortliches Hormon ist Prolaktin –– die meisten Patientinnen weisen normale bis leicht erhöhte Prolaktinspiegel auf –– Verhältnis Hyperprolaktinämie zu Normoprolaktinämie ist 1:10. –– Eine Ursache der Hyperprolaktinämie kann die Einnahme bestimmter Medikamente sein (Antihypertensiva, Neuroleptika, Antidepressiva). –– Seltene Ursache der Hyperprolaktinämie: Nieren- oder Leberinsuffizienz oder ektope Prolaktinsynthese Diagnostik: genaue Anamnese insbesondere der Medikamente und des Zyklus –– Bestimmung von Prolaktin und der Schilddrüsenhormone –– Sekretzytologie und Galaktographie nur, wenn das Sekret nicht eindeutig milchig ist. Therapie: –– Behebung einer Hyperprolaktinämie je nach Ursache (bei Adenom Medikamente) –– schwierig und unbefriedigend bei Galaktorrhö mit normalem Prolaktinspiegel: Nur bei Patientinnen mit starker Sekretion und hohem Leidensdruck Versuch einer Therapie mit Prolaktin-senkenden Mitteln über längeren Zeitraum – langfristiger Erfolg fraglich. Pathologische Sekretion Als pathologische Mamillensekretion wird jede nicht eindeutig milchige Absonderung bezeichnet. Sie kann farbig, serös oder blutig sein.

Epidemiologie: –– vorwiegend zwischen 35 und 50 Jahren, nach der Menopause sinkt die Häufigkeit –– Inzidenz ist nicht genau bekannt, etwa 10 % aller an der Brust erkrankten Frauen Ursache: –– Blutige, seröse oder wässrige Sekretionen können durch proliferierende Läsionen bedingt sein: Papillome, Adenome, Mammakarzinome –– Gelbliche, grüne, braune und schwarze Sekretionen durch eine Milchgangsektasie: Mastopathie, Zysten –– Putride Sekretion bei Mastitis nonpuerperalis

240 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

Morbus Paget der Mamille: Ekzemartige Veränderung der Brustwarze, des Warzenvorhofes und der umgebenden Haut, gelegentlich auch als Erosion oder flaches Geschwür, durch langsame intraepidermale Ausbreitung von Zellen eines in-situ Adenokarzinoms (DCIS) der Milchdrüsenausführungsgänge. Vortäuschung einer Mamillensekretion durch nässende Oberfläche. Mammakarzinom: In 0,5–12  % pathologische Sekretion, in 30  % beim postmenopausalen Karzinom; das Sekret ist serös bis blutig und tritt meist unilateral aus; in 10 % sind LIN oder DCIS Ursache einer Mamillensekretion.

Diagnostik: –– Sekretzytologie (Frage: Blut oder Zellatypien) –– Bei braunem, schwarzem, blutig erscheinenden Sekret Hämoccult-Test. –– Mammographie, -sonographie –– Bei auffälligem sonographischem Befund z. B. Duktektasie mit solider Struktur Stanzbiopsie zur histologischen Klärung –– wenn Mammographie und Sonographie unauffällig sind evtl. Galaktographie, Duktoskopie und Entfernung des Milchganges in Narkose Therapie: Ergibt sich aufgrund des Nachweises von Blut oder atypischen Zellen die Indikation zur operativen Therapie, so muss nach entsprechender Markierung (Duktoskop, Sonde, Blaulösung) der betroffene Milchgang, ggf. das Milchgangsbündel exstirpiert werden.

11.4 Architekturveränderungen 11.4.1 Fibrozystische Mastopathie Fibrozystische Mastopathie: proliferative und regressive Umbaureaktionen des Brustdrüsenparenchyms vor und während der Menopause durch hormonelle Dysbalancen

Epidemiologie: häufigste benigne Brustveränderung, betrifft ca. 50–60  % aller Frauen, gehäuft zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr Ätiopathogenese und Histologie: vermehrte Sekretion der Drüsen führt zu Gang­ ektasien und Zystenbildung, vermehrte Proliferation des Drüsenparenchyms, z. B. als Fibrose, Adenose, Hyalinose, epitheliale Hyperplasie Prognose: –– sklerosierende Adenose: Leicht erhöhtes Mammakarzinomrisiko (RR: 1,5–2) –– Einfache epitheliale Hyperplasie: Leicht erhöhtes Mammakarzinomrisiko (RR: 1,5–2) –– Atypische epitheliale Hyperplasie: erhöhtes Mammakarzinomrisiko (RR: 4–5)



11.5 Gutartige Tumore 

 241

Klinik: symptomlos oder zyklisch (meist in zweiter Zyklushälfte) auftretende Schmerzen, ein- oder beidseitig, umschriebene oder diffuse ein-oder beidseitige Verhärtungen möglich Diagnostik: –– Palpation: derbes, klein- bis grobknotig verändertes Drüsengewebe –– Sonographie: häufig echodichter Drüsenkörper mit unruhigem Bild, solide (Abgrenzung zum Karzinom oft schwierig) und zystische Strukturen, Duktektasien –– Mammographie: diffuse Struktur- und Dichteveränderungen, Mikroverkalkungen evtl. mit sog. Teetassenphänomen, Zysten Therapie: keine spezifische Therapie, sonographische Verlaufskontrolle, histologische Sicherung durch Stanzbiopsie bei zweifelhaften Befunden, Therapie der Mastodynie (Kap. 11.3.1) und von schmerzhaften Zysten (Kap. 11.5.2)

11.5 Gutartige Tumore 11.5.1 Fibroadenom Epidemiologie: häufigster gutartiger Tumor der Brust, meist bei jüngeren Frauen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und bei 45 bis 55-Jährigen vor der Menopause Ätiologie: überschießende Entwicklung lobulärer Strukturen bevorzugt während der Adoleszenz, oft multifokal in 10–20 % Klinik: symptomlos oder prämenstruelle ein- oder beidseitige Mastodynien, meist diffus in den oberen äußeren Quadranten, ein- oder beidseitige Sekretion möglich. Diagnostik: –– Palpation: derb, elastisch, glatt oder lobuliert, rund oder oval, verschieblich –– Sonographie: meist scharfe glatte Grenzen, homogene Binnenstrukturen, echoarm bis echoreich, Verkalkung und damit dorsaler Schallschatten möglich, häufig bilateraler schmaler Schallschatten, horizontale Längsachse, verdrängendes Wachstum, schwach komprimierbar (Abb. 11.8) –– Mammographie: bei unter 40-Jährigen und histologisch gesicherter Diagnose verzichtbar, glatt begrenzt, oval, gelappte oder rundliche Verschattung, evtl. mit grobscholligen, popkornartigen Verkalkungen Differentialdiagnosen: muzinöse, papilläre, medulläre Karzinome, Lymphome, Sarkome, Metastasen, Phylloidestumor

242 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

Abb. 11.8: Sonographisches Bild eines Fibroadenoms der Mamma, benigner Befund, häufig bei jüngeren Frauen (< 30 Jahre), wichtige Differentialdiagnose zum Mammakarzinom.

11.5.2 Zyste Epidemiologie: ab 30.–40. Lebensjahr bei 50  % aller Frauen, größere Zysten bei 20–25 % der Frauen Ätiologie: flüssigkeitsgefüllte, lokale Erweiterungen der peripheren Gänge Formen: Mikrozysten von 1–2 mm Durchmesser, Makrozysten, Zysteninhalt: klar, gelblich, milchig, grünlich-blau, bräunlich oder schwarz Klinik: symptomlos oder Tastbefund, plötzlich aufgetreten, aber auch wieder verschwunden Diagnostik: –– Palpation: rundlich, elastisch, glatt begrenzt –– Sonographie: ovale, runde, glatte, scharf berandete Herdbefunde ohne Binnenechos, dorsale Schallverstärkung, bilateraler Schallschatten –– Mammographie: ab 40. LJ. zum Ausschluss eines okkulten Karzinoms, homogene, glatt begrenzte Verschattungen mit schmalem Halo Therapie: bei Beschwerden Zystenpunktion, sonst keine



11.5 Gutartige Tumore 

 243

11.5.3 Papillom Papillom: gutartige intraduktale papilläre Proliferation von rundlicher oder gelappter Form, die einen Milchgang ausfüllt, eine Sekretretention und Duktektasie hervorrufen kann. Papillome können zentral oder peripher, solitär oder multipel oder intrazystisch auftreten.

Epidemiologie: meist zwischen 40. und 50. Lebensjahr Klinik: 80 % fallen durch seröse oder blutige Mamillensekretion auf, selten ein Tastbefund Diagnostik: –– Sekretzytologie –– Sonographie: echoreicher Herdbefund in dilatiertem Milchgang, histologische Sicherung durch Biopsie –– Galaktographie: Gangabbruch, Kontrastmittelaussparung Differentialdiagnosen: DCIS, Mammakarzinom Therapie: –– zentrales solitäres Papillom ohne Atypien keine Therapie, wenn Biospie repräsentativ –– Atypisches Papillom: offene Biopsie, lokale Exzision Prognose: Assoziation mit in situ oder invasiven Karzinomen (bei atypischen Papillomen bis zu 20 %), erhöhtes ipsilaterales Karzinomrisiko (4,6–13 % bei atypischen Papillomen)

11.5.4 Lipom Lipom: gutartige Tumore, die aus Fettgewebe bestehen und durch eine Kapsel begrenzt sind.

Klinik: Tastbefund Diagnostik: –– Palpation: glatt begrenzte, weiche, gut komprimierbare, mobile Resistenzen –– Sonographie: vom umgebenden Fettgewebe häufig nicht sicher abgrenzbar, glatter, dünner Rand, echoärmer als Fibroadenome, komprimierbar und verschieblich –– Mammographie: bei typischem Palpations- und Sonographiebefund verzichtbar Therapie: nur, wenn als störend empfunden, Exzision

244 

 11 Gutartige Erkrankungen der weiblichen Brust

11.5.5 Galaktozele Galaktozele: Retentionszyste, meist bei stillenden Frauen, die durch Verschluss eines Milchgangs entstanden ist.

Klinik: oft schmerzhafter zystischer Tastbefund Diagnostik: –– Palpation: wie Klinik –– Sonographie: –– zystisch mit echoreichen Binnenstrukturen, entspricht der eingedickten Milch, Verkalkung möglich, dann ausgeprägter dorsaler Schallschatten und Abgrenzung vom Karzinom erschwert –– Biopsie bei nicht eindeutigem Befund Therapie: Kontrolle nach dem Abstillen; Exstirpation, wenn als störend empfunden

11.5.6 Fettgewebsnekrose/Ölzysten Fettgewebsnekrose/Ölzysten: traumatisch bedingte Nekrosen des Brüstdrüsengewebes (postoperativ, nach mechanischem Trauma, nach Radiatio). Ölzysten sind Zyste, die lipidreiches, nekrotisches Material enthalten.

Klinik: harter Tastbefund, Hauteinziehung möglich, Größenzunahme möglich Diagnostik: –– Palpation: –– derbe, teils druckdolente Knoten, schlecht bis nicht verschieblich, Hauteinziehung und Größenzunahme möglich –– Sonographie: –– echoarme bis echoreiche Tumore, die glatt und rund sein können, aber auch die sonomorphologischen Kriterien eines Malignoms zeigen können –– Mammographie: Ölzysten sind transparente Läsionen mit glatter Kapsel, eierschalenartige Verkalkungen sind möglich –– Stanzbiopsie zur Diagnosesicherung bei nicht eindeutigen Fällen Therapie: Exzision nur bei Beschwerden oder wenn als störend empfunden



11.5 Gutartige Tumore 

 245

11.5.7 Phylloidestumor Phylloidestumor: seltener epithelial-mesenchymaler Tumor, gekennzeichnet durch seinen blattförmigen Aufbau (phyllon griech. Blatt) und die fingerförmigen Ausläufer in das Drüsengewebe, kann benigne (ca. 60–70 %), maligne (ca. 25–30 %) oder ein Borderline-Tumor sein.

Epidemiologie: 0,3 % aller Mammatumoren, d. h. selten, durchschnittliches Erkrankungsalter ab dem 40. Lebensjahr Prognose: –– häufig Rezidive –– Risiko der malignen Entartung benigner Phylloidestumoren beträgt 30 % Klinik: glatter, knolliger, derber Tastbefund, mit schnellem Wachstum, durch die Größe Formveränderung und Asymmetrie der Brust möglich Diagnose: –– Inspektion und Palpation –– Sonographie (glatt begrenzte echoarme Struktur mit zarten Binnenechos, horizontaler Tumorachse, leicht komprimierbar, ähnlich einem Fibroadenom) –– Mammographie (homogene Verschattung, zum Teil scharf begrenzt, evtl. mit Halo) –– Stanzbiopsie Therapie: Exstirpation mit einem Sicherheitssaum, systemische Therapie nur bei Malignität

Jens-Uwe Blohmer, Dorothee Speiser

12 Mammakarzinom 12.1 Epidemiologie

Epidemiologie: Das Mammakarzinom ist das häufigste Karzinom der Frau. Jede achte Frau erkrankt an Brustkrebs in ihrem Leben. Inzidenz: –– weltweit steigend –– Deutschland: etwa 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr –– Mortalität: 80 % leben nach 10 Jahren (alle Stadien zusammen) –– Altersgipfel: 50. bis 70. Lebensjahr –– Es gibt geographische Inzidenzunterschiede, die wahrscheinlich auf Umwelteinflüsse zurückzuführen sind. Zum Beispiel steigt die Inzidenz am Mammakarzinom seit Jahrzehnten in Japan mit zunehmender Annahme des westlichen Lebensstils (späte 1. Geburt, hochkalorische Ernährung mit gesättigten Fettsäuren, Bewegungsmangel) (Tab. 12.1). Mortalität: Die Mortalität am Mammakarzinom sinkt in Deutschland seit Jahrzehnten, zurzeit beträgt sie ca. 20 % nach 10 Jahren. Durch die steigende Inzidenz und verringerte Mortalität nimmt in Deutschland die Anzahl von am Mammakarzinom erkrankten Frauen (Prävalenz) zu. Tab. 12.1: Epidemiologische Daten zum Mammakarzinom (ICD-10: C50), Quelle: RKI 2016. Männer

Frauen

Neuerkrankungen

620

69550

Standardisierte Erkrankungsrate1

1,1

117,4

Sterbefälle

150

17.748

Standardisierte Sterberate1

0,3

23,9

5-Jahres-Prävalenz

2300

317.200

Relative 5-Jahres-Überlebensrate

78 %

88 %

Relative 10-Jahres-Überlebensrate

65 %

82 %

1

je 100.000 Personen, altersstandardisiert

12.2 Ätiologie Ätiologie: Bei den meisten Frauen unbekannt. Ausnahme sind die Keimbahnmutationen bei familiär gehäuft auftretenden Mamma- und Ovarialkarzinomen, bei denen https://doi.org/10.1515/9783110472356-016

248 

 12 Mammakarzinom

das Lebenszeitrisiko, an einem Mammakarzionm zu erkranken, bis zu 80 % betragen kann. Risikofaktoren: –– genetische Prädisposition (BRCA- und andere Keimbahnmutationen) –– Störungen der hypophysär-ovariellen Achse (Hyperöstrogenismus) –– Adipositas und Insulinresistenz –– Ernährung (Fettzufuhr, Alkoholabusus) –– endokrine Faktoren (erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Nulliparae, Spätgravidae und Frauen, die in der Pubertät bzw. Adoleszenz bestrahlt wurden) –– hohe Brustdichte –– familiäre Häufung von Mamma- und Ovarialkarzinom –– Z.n. Brustbiopsien (weisen möglicherweise auf eine erhöhte Proliferation im Drüsengewebe hin) Einen protektiven Effekt haben ausgetragene Schwangerschaften vor dem 30. Lebensjahr, Multiparität und eine frühe Menopause. Genetische Prädisposition: siehe Kapitel 12.3

12.2.1 Hormonelle Faktoren Östrogene: Östrogene führen zur Proliferation und zum Wachstum der Brustdrüse sowie zu einer Steigerung der Proliferation von Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinomzellen. Östrogene gelten als Onkogene. Gestagene: Einen Hinweis für eine gestagenbedingte Genese des Mammakarzinoms gibt es bisher nicht. Allerdings steigert die Gestagenzugabe zur Hormonsubstitution mit Östrogenen in der Menopause das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken. Prolaktin: Prolaktin gilt als Tumorpromotor für das Mammakarzinom im Tiermodell. Seine Bedeutung beim Menschen ist umstritten. Die hormonelle Kontrazeption ist kein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines Mammakarzinoms, sondern ist in Kombination mit einem „westlichen“ Lebensstil, einer späten ersten Schwangerschaft und einer reduzierten Anzahl von Schwangerschaften sowie kürzeren Dauer der Stillzeit als einer der multifaktoriellen Risikofaktoren für ein Mammakarzinom anzusehen. Eine alleinige Östrogensubstitution in der Peri- und Postmenopause reduziert das Risiko, neu an einem Mammakarzinom zu erkranken, erhöht aber bei vorhandenem Uterus das Risiko, an einem Endometriumkarzinom zu erkranken. Die kombinierte Hormonsubstitution in der Peri- und Postmenopause (Östrogene und Gestagene) erhöht das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken. Nach Absetzen



12.3 Pathologie, Tumorausbreitung, Klassifikation 

 249

dieser Mono- oder Kombinations-Hormonsubstitution reduziert sich dieses Risiko nach 3–5 Jahren wieder auf das der Frauen ohne Hormonsubstitution.

12.3 Pathologie, Tumorausbreitung, Klassifikation Histologische Tumortypen: –– Invasives Mammakarzinom nicht speziellen Typs (NST, früher: Invasives duktales Mammakarzinom, 80 % aller invasiver Mammakarzinome) –– Invasives duktales Karzinom mit prädominierender oder auch extensiver intraduktaler Komponente (Abkürzung: EIC) –– Invasives lobuläres Karzinom (typisch ist die fehlende Expression von E-Cadherin, typische Lagerung der Tumorzellen: „indian file pattern“, 10–15 %) –– Muzinöses Karzinom (Sonderform des invasiven duktalen Karzinoms, schleimbildend, 2 %) –– Medulläres Karzinom (Sonderform des invasiven duktalen Karzinoms, ausgeprägte leukozytäre Infiltration, 3 %) –– Invasives papilläres Karzinom (seltene Sonderform des invasiven duktalen Mammakarzionoms) –– Tubuläres Karzinom (Sonderform des invasiven duktalen Mammakarzioms, sehr gute Prognose, 2 %) –– Adenoid-zystisches Karzinom (2 mm) oder infraclavikuläre Lk-Metastase –– pN3b: klinisch detektierbare ipsilaterale Mammaria interna Lk-Metastase plus befallene axilläre Lk; oder mehr als 3 positive axilläre Lymphknoten plus mikroskopische Mammaria interna Metastase, welche durch Sentinel-LymphknotenEntfernung nachgewiesen wurde –– pN3c: ipsilaterale supraclavikuläre Lymphknotenmetastase Fernmetastasen –– M0: keine Fernmetastasen –– M1: Fernmetastasen (meist in Knochen, Lunge, Leber oder Gehirn vorhanden) Prognosefaktoren Das histopathologische Grading erfolgt modifiziert nach Bloom und Richardson, Grading-Kriterien (1–4): –– Tubulusausbildung –– Kernpleomorphie –– Mitoserate –– Gering differenzierte Mammakarzinome (G3–4) haben eine schlechte Prognose. Prognosefaktoren: Anhand der Prognosefaktoren werden Patientinnen mit einem hohen Rezidivrisiko erkannt und es werden damit Aussagen über das Überleben, die Lokalrezidivneigung und Fernmetastasierung getroffen. Unter Rezidivrisiko werden das Risiko für das Entstehen eines Lokalrezidives und von Fernmetastasen zusammengefasst. Tumorgröße: Die Größe des Primärtumors korreliert positiv mit dem axillären Lymphknotenbefall. Für nodal-negative Karzinome ist die Tumorgröße der wichtigste Prognosefaktor. Lymphknotenbefall: Der axilläre Lymphknotenstatus ist der stärkste Prognosefaktor für ein Rezidiv und das Überleben. Die Anzahl der befallen Lymphknoten korreliert mit dem Risiko des Rezidives oder Todes.

252 

 12 Mammakarzinom

Fernmetastasen: Beim Vorliegen von Fernmetastasen ist die Prognose der Patientin infaust. Aktuell liegt deren 5-Jahres-Überlebensrate in Deutschland bei ca. 50 %. Grading: Das histologische Grading korreliert mit dem rezidivfreien Intervall und dem Überleben. Histologischer Typ: Tubuläre Mammakarzinome haben eine signifikant bessere Prognose als z. B. neuroendokrine oder metaplastische Karzinome. Gefäß-Invasion: Der im HE-Schnitt nachgewiesene Lymph- oder Blutgefäßbefall (in­travasale Tumorzellen) ist prognostisch ungünstig. Lymphangiosis: Die Lymphangiosis carcinomatosa ist prognostisch sehr ungünstig. Peripherer Tumorzellnachweis: Der Nachweis von (zytokeratinpositiven) Tumorzellen im Knochenmark oder im Serum weist auf ein erhöhtes lokales Rezidivrisiko hin. Genexpressionsanalysen: Genetische Tests am ER-positiven Tumor zur endokrinen Resistenz (z. B. OncotypeDX, Endopredict, Mammaprint) geben Auskunft zum individuellen Risiko für eine Fernmetastasierung und sind gleichzeitig prädiktiv für die Notwendigkeit einer zusätzlichen adjuvanten Chemotherapie vor der endokrinen antitumorösen Therapie. Molekulare Subtypen: Mammakarzinome können molekulargenetisch untersucht und in unterschiedliche Subtypen unterteilt werden. Diese Subtypen sind mit einer unterschiedlichen Prognose verbunden und sagen außerdem vorher, wie der Tumor auf die verschiedenen Therapien anspricht. Diese molekularen Subtypen lassen sich inzwischen mit kommerziellen Tests nachweisen (z. B. PAM50 und BluePrint). Mit klassischen immunhistologischen Untersuchungen lassen sich diese molekularen Subtypen relativ genau nachbilden. Hormonrezeptoren: Der Hormonrezeptorstatus gibt wertvolle Informationen zur weiteren Therapieplanung und zur Prognose der Patientin. Östrogenrezeptor (ER)positive Tumoren haben in der Regel eine bessere Prognose als östrogenrezeptornegative. Patientinnen mit einem Progesteron-Rezeptor-(PR) positiven Mammakarzinom haben eine bessere Prognose als die ohne PR-Nachweis. HER-2/neu-Rezeptor: Patientinnen mit einer immunhistologisch nachgewiesenen HER2/neu Überexpression (kodiert als 3+) oder der genetischen Amplifikation (diese Vermehrung wird mit einer der Methoden der in-situ-Hybridisierung wie FISH oder SISH oder CISH nachgewiesen) dieses epithelialen Wachstumsfaktors (Human epithelial growth factor receptor) haben unbehandelt eine schlechte Prognose. Gegen



12.3 Pathologie, Tumorausbreitung, Klassifikation 

 253

diesen Rezeptor gerichtete Antikörper (Trastuzumab) verbessern zusammen mit einer Chemotherapie die Prognose dieser Patientin. Triple-negatives Mammakarzinom: Wenn sich kein ER, kein PR und keine HER2/ neu-Überexpression histologisch nachweisen lassen, bezeichnet man dieses Mammakarzinom als triple-negativ. Patientinnen mit diesen Eigenschaften haben häufig eine hohe Proliferationsrate/Wachstumgsfraktion (Ki67 >20–25 %). Patientinnen mit einem triple-negativen Mammakarzinom (TNBC) haben eine schlechte Prognose. Sie müssen mit einer Chemotherapie behandelt werden. Die immunreaktive Subgruppe unter den TNBC wird zunehmend mit Immuntherapeutika (z. B. Checkpoint-Inhibitoren) behandelt. 12.3.1.4 Molekulare und immunhistologisch ähnliche Subtypen –– luminal A (ER- und PR-positiv, Her2/neu-negativ, Ki-67 [Proliferationsmarker] niedrig),  –– luminal B (ER-positiv, PR häufig negativ, Her2/neu-negativ, Ki-67 hoch), –– HER2-Subtyp (HER2/neu-positiv) –– Basaler Subtyp (HER2/neu-negativ und HR-negativ)

12.3.2 Metastasierungswege Das Mammakarzinom kann sich früh lokal (intraduktal und invasiv in umgebendes Brustgewebe) und lymphogen und hämatogen ausbreiten. –– Lymphogene Metastasierung: Eine regionäre lymphogene, Metastasierung liegt heute in Deutschland in ca. 30 % aller Mammakarzinome vor. –– Befall der axillären, infraklavikulären und parasternalen Lymphknoten (= regionäre Lymphknoten) Einteilung der Axilla-Lymphknoten –– Sentinel-Lk: erster drainierender Lk –– Level I: Lk lateral des lateralen Randes des M. pectoralis minor –– Level II: Lk zwischen medialem und lateralen Rand des M. pectoralis minor + interpektorale Lk –– Level III: Lk medial des medialen Randes des M. pectoralis minor Zum Level III gehören weiterhin die infraklavikulären und die apikalen axillären Lymphknoten. Jede weitere Metastasierung (supraklavikulär) wird als Fernmetas­ tasierung bezeichnet. Bei allen operativen Vorgehensweisen beim Mammakarzinom sollen neben der kompletten Tumorentfernung auch der Lymphknotenstatus bestimmt werden. Bis auf wenige Ausnahmen (klinischer Verdacht auf eine Lk-Metas­

254 

 12 Mammakarzinom

tasierung) ist die Sentinel-Node Entfernung (SNE) die Standardprozedur und ist ein diagnostisches und kein therapeutisches Verfahren. Die Entfernung parasternaler Lk ist kein Standardverfahren und wird sehr selten durchgeführt. Eine Biopsie aus dem suspekten parasternalen Lk ist die Methode der Wahl. Anhand des Lk-Status (axilläre Lk befallen oder nicht, Anzahl befallener Lk) wird die Prognose der Patientin eingeschätzt (tumorbefallene Lk bedeuten ein hohes Risiko für eine Fernmetastasierung und häufig eine endokrine Resistenz und damit eine schlechte Prognose). Die SNE hat eine signifikant geringere Morbidität als die axilläre Lymphonodektomie, bei der mindestens 10 Lk entfernt werden. Sentinel-Lymphknoten (SN): Der Sentinel-Lymphknoten (sog. Wächter-Lymphknoten) ist der erste das Tumorbett drainierende Lymphknoten im Lymphabstromgebiet. Unter der Annahme, dass sich Lymphknotenmetastasen schrittweise von einem Lymphknoten zum nächsten ausbreiten, lassen sich durch die Analyse des jeweils ersten Lymphknotens in dem betroffenen Drainagegebiet nodal negative Patientinnen identifizieren. Ist dieser der SN nicht befallen, findet keine weitere axilläre Lymph­ onodektomie (LNE) statt. Wenn der SN Tumor-infiltriert ist, dann kann (abhängig von weiteren Tumorfaktoren, der operativen Therapie und geplanten Nachbestrahlung) eine weitere axilläre LNE von ca. 10 Lk erfolgen. Die Markierung des SN erfolgt durch die subkutane Injektion periareolär von kolloidaler Lösung, die mit Technetium markiert wurde und/oder durch die subkutane periareoläre Injektion von Patentblau. Beide Lösungen werden durch die subkutan verlaufenden Lymphbahnen zum ersten Lk, dem Wächterlymphkntoen (engl. Sentinel Node) transportiert und dort gespeichert. Mit einer Gamma-Sonde, die die Radioaktivität des Technetium misst und/oder durch den blau gefärbten Lk wird der SN delektiert und anschließend entfernt. Tumorzellen würden den gleichen Weg gehen und sich im gleichen Lk nachweisen lassen. –– Es wird angenommen, dass einige Mammakarzinome (ungünstige Tumorbiologie, z. B. triple-negative Karzinome) sehr schnell hämatogen metastasieren. Tumorzellen und freie Tumor-DNA lassen sich im Blut häufig schon zum Zeitpunkt der Primärdiagnose nachgewiesen, ohne dass es später zu einer Fernmetastasierung kommt. Unter bestimmten Voraussetzungen (Interaktion zwischen aggressiver Tumorzelle und umgebendem Gewebe, „soil and seed theory“) kann es bei diesen Patientinnen zu einer hämatogenen Metastasierung in gut durchblutete Gewebe wie Lunge, Leber, proximale Knochen (-mark), Wirbelsäule, Becken, Gehirn kommen. –– Der Nachweis von Tumorzellen im SN ist ein Surrogatmarker für die Fähigkeit des Tumors, lymphogen und hämatogen zu metastasieren. In der Finalphase der Erkrankung werden meist multiple Metastasen in fast allen Organsystemen gefunden.

12.4 Diagnostik 

 255

12.4 Diagnostik Die Ziele der Diagnostik beim Mammakarzinom sind: 1. Erkennung von Risikofaktoren für ein Mammakarzinom, z. B. hohe Brustdichte (ACR 3–4) 2. Erkennung von frühen, kurablen Mammakarzinom-Stadien 3. Erhalten therapierelevanter Informationen über das entdeckte Mammakarzinom (Größe, Lage, Ausdehnung eines begleitenden DCIS, weitere Herde, Lk-Metastasierung, Beteiligung von Haut und Muskulatur, Infiltration der Thoraxwand, kontralaterales Mammakarzinom) 4. Ausschluss oder Entdeckung von Fernmetastasen 5. Messung des Ansprechens, wenn eine neoadjuvante Therapie durchgeführt wird Für die Brustkrebsfrüherkennung sind folgende Untersuchungen notwendig: –– ärztliche Untersuchung –– Selbstuntersuchung der Patientin –– Mammographie und Mammographie-Tomosynthese –– ergänzend: Mammasonographie, Mamma-MRT Jedes diagnostische Verfahren in der Brustdiagnostik muss mit einer abschließenden Beurteilung analog der BI-RADS-Klassifikation (Breast Imaging-Reporting And Data System) und einer Beurteilung der Brustdichte und Beurteilbarkeit und die davon abhängige Erkennbarkeit unterschiedlicher Tumorgröße analog zu den ACR-Kriterien (American College of Radiology) abgeschlossen werden.

12.4.1 BI-RADS-Kategorien –– 0: Die diagnostische Untersuchung ist unvollständig oder nicht auswertbar. Weitere Bildgebung oder Vergleichsaufnahmen werden benötigt. –– 1: Normales Gewebe. Kein Herdbefund. –– 2: Gutartiger Herdbefund, z. B. Fibroadenome, Zysten, Implantate, intramammäre Lk. –– 3: Vermutlich gutartiger Befund. Weniger als 2 % Malignomwahrscheinlichkeit. Kontrolluntersuchung in 6 Monaten empfohlen. In Ausnahmefällen ist eine Biopsie möglich. –– 4: Verdächtiger Befund. Mammakarzinom nicht ausgeschlossen. Eine Biopsie sollte durchgeführt werden. –– 5: Verdacht auf ein Mammakarzinom. Mehr als 95 % Malignomwahrscheinlichkeit. Histologische Sicherung notwendig. –– 6: Biopsie durchgeführt, Malignität nachgewiesen.

256 

 12 Mammakarzinom

12.4.2 ACR-Kategorien zur Brustdichte –– ACR-Kategorie 1: (Nahezu) komplette Involution (weniger als 25 % Parenchym bezogen auf das gesamte Brustgewebe), sehr gut beurteiltbar, kleinste Karzinome erkennbar, a. –– ACR-Kategorie 2: Fortgeschrittene Involution (zwischen 25 % und 50 % Parenchym), mäßig gut beureilbar, b. –– ACR-Kategorie 3: Mittelgradige Involution (zwischen 50  % und 75  % Parenchym), schlecht beurteilbar, c. –– ACR-Kategorie 4: Dichte Brust (mehr als 75 % Parenchym), sehr schlecht beurteilbar, Karzinome ab 2 cm können erkannt werden.

12.4.3 Mammographie-Screening Im Mammographie-Screening in Deutschland werden alle Frauen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr aufgrund der Daten aus den Einwohnerregistern der Bundesländer zentral alle 2 Jahre zur digitalen Mammographie in 2 Ebenen eingeladen. Sollte sich in der Mammographie ein suspekter Herdbefund finden, muss eine Mammasonographie und ggf. eine sonographisch gestützte Biopsie oder eine mammographisch gestützte Vakuumbiopsie durchgeführt werden. Mammographie-Screening: In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass das Brustkrebs-Screening mittels Mammographie zur Senkung der Mortalität beiträgt. Auf jeden Fall werden häufiger kleinere Mammakarzinome festgestellt und damit die therapeutische Morbidität gesenkt. Mammographie: Die Mammographie muss in zwei Ebenen durchgeführt werden. Es sollte ausschließlich die digitale Mammographie angewendet werden. Die mittlere, effektive Dosis der Mammographie beidseits in 2 Ebenen (mit einer eventuellen Zusatzaufnahme) beträgt ca. 0.5 mSv und liegt damit im Niedrigdosisbereich. Somit ist kein erhöhtes Strahlenrisiko zu erwarten (Abb. 12.1). Mammasonographie: Die Mammasonographie ermöglicht die Differenzierung zwischen soliden und zystischen Tumoren und wird damit zur Klärung klinischer und mammographischer Herdbefunde eingesetzt. Solide Befunde sollten ultraschallgestützt biopsiert (bei BIRADS 4 und 5) oder sonographisch kontrolliert werden (bei BIRADS 3). Zur Differenzierung sonographischer Befunde können die Elastographie und 3D-Sonographie eingesetzt werden. Feinnadelpunktion: Die Feinnadelpunktion (FNP) zur Gewinnung einer Aspirationszytologie wird heute weitgehend Sonographie – gestützt an solchen Lk durchgeführt, die klinisch und sonographisch verdächtig sind auf das Vorliegen von Metastasen. Stanzbiopsie: Hierbei werden mindestens drei repräsentative Gewebezylinder zur histologischen Untersuchung aus dem Herdbefund sonographisch gestützt „gestanzt“. Alle histologischen und immunhistologischen Untersuchungen und Untersuchungen zur Genexpression sind an diesen Gewebszylindern möglich (Abb. 12.1).

12.4 Diagnostik 

 257

Sekretzytologie: Die Sekretzytologie sollte bei jeder pathologischen (das heißt einseitigen u./o. blutigen) Mamillensekretion erfolgen. Duktoskopie: ist die Endoskopie des sezernierenden Milchganges und wird bei pathologischer Sekretion durchgeführt wird mit dem Ziel, intraduktale Prozesse (Papillom, DCIS) zu erkennen, zu markieren und exstirpieren zu lassen. Es gibt Berichte über duktoskopische Mikrobiopsien aus den intraduktalen Befunden. Galaktographie: Die Methode dient der Darstellung intraduktaler Prozesse mittels in den sezernierenden Gang eingebrachtem Röntgenkontrastmittel und anschließender Mammographie, hat eine geringe Sensitivität, Spezifität, ist schmerzhaft und stellt eine Strahlenbelastungg für die Patientin dar. Sie wird durch den hoch auflösenden Ultraschall, die Brust-MRT und die Duktoskopie abgelöst werden.

12.4.4 Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie = MRT) Die MRT mit Kontrastmittelgabe sollte erst beim Verdacht auf ein Mammakarzinom durchgeführt werden, wenn sich dieser klinische Verdacht (z. B. einseitige Mamilleneinziehung) durch die Mammographie, Sonographie und Biopsie nicht ausschließen lies. Bei Frauen mit einer BRCA1-Mutation hat die Mamma-MRT die höchste Sensitivität. Gesicherte Indikationen für MRT: –– Differenzierung zwischen Narbe und Rezidiv –– Abklärung verdächtiger Befunde nach Prothesen-Implantation –– CUP-Syndrom (Cancer metastastis with unknown primary) zur Suche nach einem okkulten Mammakarzinom bei nachgewiesenen axillären Lk-Metastasen –– Früherkennung bei BRCA1-mutierten Patientinnen Die MRT-Sensitivität ist hoch (> 90 %), deren Spezifität gering (50–70 %). In der präoperativen Diagnostik kann der generelle Einsatz dieser diagnostischen Methode bei allen Patientinnen zu einer Zunahme von Mastektomien und Nachresektion führen ohne, dass dadurch die Lokalrezidivrate und Mortalität gesenkt werden. Deshalb wird die präoperative MRT-Untersuchung der Mammae nur bei einzelnen Patientinnen, z. B. mit einer hohen Brustdichte (ACR 3–4) und einem lobulären invasiven Mammakarzinom, empfohlen. Markierung oder Lokalisation: Nicht palpable Befunde, die operativ entfernt werden sollen, müssen bildgebend (sonographisch, mammographisch, im MRT) markiert werden, meistens mit einem Markierungsdraht. Nach Entfernung des Gewebe muss dieses mit der Markierungsmethode intraoperativ untersucht werden, ob der markierte Herdbefund tatsächlich entfernt wurde (Abb. 12.1).

258 

 12 Mammakarzinom

Schnellschnittuntersuchung: Ein intraoperativer Schnellschnitt ist indiziert, wenn sich aus dem Befund auch sofortige therapeutische Konsequenzen ableiten, z. B. ob die Resektionsränder tumorfrei sind oder der SN von Tumor infiltriert ist.

(a)

(b1)

(b2)

(d)

(c) Abb. 12.1: 54-jährige Patientin aus dem Mammographie-Screening mit einem bifokalen invasiven Mammakarzinom. (a) NST T1mN0M0, Mammographie bds. in 2 Ebenen, (b) Mammasonographie eines dieser Mammakarzinom-Herde, (c) Mamma-MRT mit dem Verdacht auf ein multizentrisches Mammakarzinom, (d) Ultraschall-gestützte Biopsie des 2. Herdes mit dem Nachweis eines invasiven Mammmakarzinoms mit einem ausgedehnten DCIS (EIC).

12.5 Therapie 

 259

12.5 Therapie Das Ziel der Therapie des Mammakarzinoms ist: –– lebenslange Heilung vom Mammakarzinom bei Vermeidung einer Übertherapie zur minimalen Beeinträchtigung der Lebensqualität. Sollte eine Heilung nicht möglich sein (metastasiertes Mammakarzinom), müssen die metastasenbedingten Beschwerden reduziert und die Lebensqualität so hoch und lange wie möglich erhalten werden. Dazu sind genaue Kenntnisse des Krankheits-Stadiums, der Tumoreigenschaften, Prognose- und prädikive Faktoren notwendig (s. vorherige Abschnitte). Die Therapie des Mammakarzinoms ist –– multimodal und –– individualisiert. Dabei gilt: –– Über 90  % aller in Deutschland festgestellten Mammakarzinome sind frühe, nicht metastasierte Stadien und damit primär oder sekundär (nach einer neoadjuvanten Therapie) operabel. –– Mammakarzinome sind überwiegend chemo- und radiosensibel. –– Viele Mammakarzinome (ER+) sprechen auf eine Hormontherapie an. Multimodal: Verschiedene Therapieansätze zusammen sind effektiv und möglich. Individualisiert: Es wird anhand der individuellen klinischen Daten und der bekannten Tumorfaktoren die optimale Therapieform ausgewählt.

12.5.1 Operative Therapieverfahren Das operative Vorgehen wird bestimmt durch: –– die klinischen Befunde wie Tumorgröße und Lk-Metastasierung (TNM), –– die histopathologischen Befunde, –– die individuellen Vorstellungen und Voraussetzungen (wie Brustgröße) der Patientin. Mögliche Operationsverfahren: –– Brusterhaltende Therapie (BET) = Tumorektomie bis zur Segmentresektion (die umgebenden Milchgänge werden mit entfernt, um ein evtl. oder nachgewiesenes DCIS mit zu entfernen) und SNE und Nachbestrahlung (ca. 70 % aller Fälle) (Abb. 12.2),

260 

 12 Mammakarzinom

–– Hautsparende Mastektomie (auch als subkutane Mastektomie bezeichnet) mit SNE und/oder Axilladissektion und primärer Rekonstruktion (Wiederaufbau) der Brust. (Abb. 12.3), –– modifiziert radikale Mastektomie (ME) mit SNE und/oder Axilladissektion (ca. 30 % aller Fälle). Brusterhaltende Therapie (BET): Ziel dieses Therapieverfahrens ist es, der betroffenen Frau die eigene Brust mit einem möglichst intakten Erscheinungsbild und möglichst normaler Konsistenz zu erhalten, ohne die lokale Tumorkontrolle und die Heilungschancen zu minimieren.

12.5.1.1 Brusterhaltende Operationen Onkologisch wichtig: 1. Der Abstand zwischen dem Tumorgewebe und dem Schnittrand beträgt mindestens 1 gesunde Zelle (mikroskopische R0-Resektion). Eine MindestMillimeterangabe muss nicht mehr erreicht werden. Eine größerer Abstand zwischen Tumor und Schnittrand als R0 führt nicht zu einer erhöhten Heilungsrate (DFS, OS), verschlechtert aber die Situation der Patientin durch die Entnahme größerer Brustvolumina, durch eine größere Volumen- und Formasymmetrie zwischen operierter und gesunder Brust und einer erhöhten Nachresektions- und sekundären Ablatiorate, um diesen größeren Resektionsrand zu erreichen. 2. Zur brusterhaltenen Operation erfolgt immer die Erhebung des axillären Lk-Status durch eine SN-Entfernung und/oder axilläre LNE (auch als axilläre Dissektion bezeichnet). 3. Wenn eine R0-Resektion erreicht werden kann, können auch Patientinnen mit einem multizentrischen und multifokalen Mammakarzinom brusterhaltend operiert werden. 4. Um eine Boost-Bestrahlung auf das Tumorbett zur Erhöhung der lokalen Sicherheit zu ermöglichen, muss das Tumorbett mit Titanclips (damit sind auch postoperative MRT-Untersuchungen möglich) markiert werden. 5. Nicht palpable Mammakarzinome müssen bildgebend markiert werden. Intraoperativ muss das entfernte Gewebe bildgebend untersucht werden. 6. Es muss immer bestrahlt werden zusätzlich zu einer brusterhaltenden Operation, entweder intraoperativ (IORT) oder postoperativ, um die Lokalrezidivrate zu reduzieren. Methoden der brusterhaltenden Operationen: 1. Einfache Tumorentfernung (Lumpektomie). Defektdeckung Typ 1 nach Hoffmann. 2. Segmentresektion: Entfernung eines pyramidenförmigen Brustgewebsanteils mit der Pyramidenspitze unter der Mamille. Das Ziel ist, das begleitende DCIS, das sich segmental in der Brust ausdehnt, mit zu entfernen. Die Defektdeckung

12.5 Therapie 

3.

4. 5.

6.

erfolgt durch Mobilisierung des umliegenden Drüsengewebes auf dem M. pectoralis major und unter der Haut und Adaptation dieser so gebildeten glandulären Lappen. Defektdeckung Typ 1 nach Hoffmann. Tumorlageadaptierte Mastopexie. Dabei werden glanduläre Lappen gebildet und der Hautüberschuss reseziert wie bei einer ästhetisch motivierten Mastopexie (Typ 2 nach Hoffmann) Lokale Haut-Fett-Drüsengewebs-Verschiebelappen (z. B. Rotationslappen) zur Defektdeckung. (Typ 2 nach Hoffmann) Tumorlageadaptierte Brustreduktion. Es werden Techniken der Brustreduktion genutzt, um einen größeren Volumendefekt nach Tumorentnahme zu decken. Danach muss häufig eine kontralaterale angleichende Brustreduktion erfolgen. (Typ 3 nach Hoffmann) (Abb. 12.2) Defektdeckung mit distanten Lappen (Typ 4 nach Hoffmann).

(a)

(c1)

 261

(b)

(c2)

(c3)

Abb. 12.2: (a) Bilaterales Mammakarzinom, re. T1N0M0, li. T2N0M, vor bds. BEOP als tumorlage­ adaptierte Reduktion: präoperativ, (b) Intraoperativ wird mit dem kaudozentral gestielten MAK der Volumendefekt nach Segementresektion gedeckt, (c) Bilaterales Mammakarzinom, re. T1N0M0, li. T2N0M, nach bds. BEOP als tumorlageadaptierte Reduktion: postoperativ während der Bestrahlung.

262 

 12 Mammakarzinom

12.5.1.2 Ablative Verfahren Mastektomie: Es werden der gesamte Drüsenkörper mit (Mastektomie) oder ohne Mamillen-Areola-Komplex (MAK-sparende ME) entfernt. Haut und M. pectoralis major und minor werden belassen. Für die axilläre Lk-Diagnostik werden zusätzlich eine SNE und/oder axilläre LNE durchgeführt. Rekonstruktion/Wiederaufbau: Verschiedene Verfahren mit Implantaten/Expandern (heterologe Rekonstruktion) oder Eigengewebe (autologe Rekonstruktion) ersetzen den Drüsenkörper und z.T. auch die entfernte Haut und bilden damit die entfernte Brust nach. Dadurch kann das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität vieler Frauen positiv beeinflusst werden. Diese Verfahren dürfen nicht die onkologische Therapie beeinträchtigen. (Abb. 12.3) Nachbestrahlung: Die Strahlentherapie ist derzeit ein essentieller Bestandteil des organerhaltenden Therapiekonzeptes. Die Nachbestrahlung des Restparenchyms senkt die Rate intramammärer Rezidive um ca. 50 %.

M. pectoralis major (a) M. pectoralis major

Implantat

Kapsel

azelluläre dermale Matrix (b)

Umschlagfalte

(c)

azelluläre dermale Matrix

Abb. 12.3: Prinzip der Sofortrekonstruktion nach (subkutaner) Mastektomie mit submuskulärer Implantateinlage mit Unterstützung durch azelluläre dermale Matrix (ADM): (a) Der M. pect. major wird kaudal von der Rippe gelöst und die submuskuläre Implantattasche präpariert, (b) die ADM wird fixiert in die untere und seitliche Umschlagfalte und am Rand des M. pect. major, (c) seitliche Ansicht (Achtung: auf der Abbildung wurde der Drüsenkörper belassen), Mod. nach: Macadam, S.A., Lennox, P.A. Acellular dermal matrices: Use in reconstructive and aesthetic breast surgery, Can J Plast Surg. 2012 Summer; 20(2): 75–89.

12.5 Therapie 

 263

12.5.1.3 Mamma-Rekonstruktionen Rekonstruktionen können als Sofort- oder Primärrekonstruktion unmittelbar nach Entfernung der Brustdrüse in der gleichen Operation oder als verzögerte oder Sekundärrekonstruktion durchgeführt werden. Folgende Rekonstruktionsverfahren stehen zur Verfügung: 1. Heterologe Brustrekonstruktion a) Rekonstruktion mit Silikon-gefülltem Implantat mit oder ohne ADM oder synthetischem Netz (Abb. 12.3) b) Rekonstruktion mit Wasser-gefülltem Expander und späterem Implantat 2. Autologe Brustrekonstruktion (Eigengewebsrekonstruktion) a) Muskel-gestielte Eigengewebesrekonstruktion, z. B. M.-latissimus-dorsiLappen, M.-rectus-abdominis-Lappen (transverse rectus abdominis muscle, (TRAM)-flap) b) Freie Eigengewebsrekonstruktion (Gefäßrekonstruktion mit mikrochi­ rurgischen Techniken), z. B. DIEP (tiefer inferiorer epigastrischer Perforatorlappen), gluteale Lappen Rekonstruktionsverfahren: Es konnte gezeigt werden, dass Patientinnen mit Sofortrekonstruktion keine schlechtere Prognose (Rezidivrate, Überlebensrate) haben als Patientinnen mit sekundärer Rekonstruktion. Silikongel-Prothesen: Folgende Aspekte gilt es heute u. a. bei der Silikonprotheseneinlage zu berücksichtigen: –– Es gibt keinen Hinweis, dass Silikongelimplantate beim Menschen Krebserkrankungen hervorrufen können mit Ausnahme des seltenen Implantat-assoziierten anaplastischen großzelligen Lymphoms (ALCL). –– Es gibt keinen Hinweis, dass Silikon teratogen oder mutagen ist. –– Es gibt keinen konkreten Hinweis, dass Silikon zu Autoimmunerkrankungen oder Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises führt. Nachteile der heterologen Rekonstruktion: Es kann zum Austritt von Silikongeltropfen (Bleeding) kommen mit einer entzündlichen Umgebungsreaktion. Das kann die Ursache für eine Kapselfibrose oder eine sehr seltene Lymphomerkrankung (Anaplastic Large Cell Lymphoma, ALCL) sein.

264 

 12 Mammakarzinom

Eigengewebsrekonstruktion: Die Verlagerung des Eigengewebes ermöglicht die Wiederherstellung von Volumen und, wenn erforderlich auch, von Haut. Die Vorteile sind die Herstellung von körperwarmem Gewebe, die guten Langzeitergebnisse, da sich das transplantierte Eigengewebe in Bezug auf Gewebsvolumen und Ptosis der rekonstruierten Brust der Altersentwicklung der Patientin anpasst. Es tritt keine Kapselfibrose auf. Die Nachteile der Eigengewebsrekonstruktion sind: Hebermorbidität, also Sensibilitätsstörungen im Entnahmegebiet, mechanische Instabilität (Hernien). In der aktuellen S3-Leitlinie zur Eigengewebsrekonstruktion wird auf die insgesamt hohe Komplikationsrate nach Eigengewebsrekonstruktion ebenso wie auf die guten Langzeitergebnisse hingewiesen und darauf, dass es zwischen den freien und gestielten Lappenplastiken hinsichtlich der Ergebnisse und Risiken keine Überlegenheit eines der beiden Prinzipien gegenüber dem anderen gibt. Die Auswahl der Rekonstruktions- und Operationstechnik hängt von vielen Faktoren ab (Abb. 12.4).

Verhältnis Brust-zu-Tumorgrößen und keine NACT? generell: bei N0: SNB, bei N1: axill. LNE

günstig: brusterhaltende Operation, Tumor palpabel?

ungünstig: Mastektomie, Bestrahlung wahrscheinlich?

ja

nein

nein

ja

Anzeichnung auf der Haut, Foto

Mammographische und/oder sonographische Drahtmarkierung, intraoperative Präparateradiographie und/oder -sonographie

hautsparende Mastektomie mit Sofortrekonstruktion möglich (Implantat + Netz/ADM oder Expander)

Mastektomie, evtl. spätere Rekonstruktion (Eigengewebe)

Abb. 12.4: Behandlungsalgorithmus der Brustoperationen, mod. nach Blohmer JU, Onkologe 2015. NACT = neoadjuvante Chemotherapie

Komplikationen Jede Patientin ist vor der Operation ausführlich über das OP-Verfahren und Komplikationsmöglichkeiten aufzuklären. Komplikationsmöglichkeiten sind: –– axilläre und Brust-Serome (ca. 10 %) –– Lymphödeme der Brust und des Armes (ca. 5 %) –– Wundheilungsstörungen, Haut und MAK-Nekrosen, Entzündungen –– Nachblutungen –– unbefriedigende kosmetische Resultate, Asymmetrien in Form und Volumen

12.5 Therapie 

 265

–– Hypästhesien, Parästhesien der Brust, des Oberarmes bei autonomer Rekonstruktion der Geberregion (Bauch) –– Kapselfibrose (starke Narbenbildung) nach Implantatrekonstruktion Die Patientin muss vor der Operation über eine evtl. notwendige –– Chemotherapie –– Strahlentherapie (bei BET immer nötig) oder –– endokrine Therapie aufgeklärt werden.

12.5.2 N  eoadjuvante und adjuvante Hormontherapie (endokrine Therapie) und Chemotherapie Die Ziele der neoadjuvanten und adjvuanten Therapie des Mammakarzinoms sind: –– Vernichtung der freien Tumorzellen und Mikrometastasen und –– damit Vermeidung einer Fern-Metastasierung und damit lebenslange Heilung. Dazu müssen die Prognose der Patientin bekannt sein (,um die Notwendigkeit der adjuvanten Therapie zu erkennen), die Tumoreigenschaften wie Rezeptoren, molekularer Subtyp, Genexpression (für eine zielgerichtete Therapie) und Begleiterkrankungen der Patientin (für die Abschätzung der allgemeinen Prognose der Patientin und der organischen Ressourcen für die Kompensation der therapiebedingten Nebenwirkungen). Die adjuvante, postoperative Therapie verfolgt ausschließlich das Ziel der Vermeidung von Fernmetastasen. Die neoadjuvante, präoperative Therapie verfolgt neben dem Ziel der Vermeidung von Fernmetastasen zusätzlich die Ziele der Tumorverkleinerung und damit Reduktion der operativen Radikalität und der in-vivo-Testung der verwendeten medikamentösen Therapie (Am histologischen Verschwinden des Karzinoms (pCR als Surrogatmarker) kann auf die Wirkung auf die Mikrometastasen und peripheren Tumorzellen geschlossen werden.). Eine pathologische Komplettremission (kein Karzinomgewebe mehr histologisch nachweisbar nach der neoadjuvanten Therapie) bedeutet eine sehr gute Prognose der Patientin. Da permanent neue Studienergebnisse publiziert werden, müssen laufend die Therapieempfehlungen der medikamentösen Tumortherapie von den Fachgesellschaften aktualisiert werden. Im Rahmen dieses Lehrbuches wird nur auf die Therapiegrundlagen und -prinzipien hingewiesen. Die aktuellen Therapieempfehlungen sind unter www.ago-online.de zu finden. Die Therapieprinzipien der Systemtherapien können im Kapitel 13 dieses Lehrbuches nachgelesen werden.

Patientinnen mit einem ER-positiven Mammakarzinomen erhalten eine endokrine Therapie, die sich gegen den Östrogenrezeptor richtet (wie Tamoxifen und Fulves­

266 

 12 Mammakarzinom

trant als ER-Antagonisten) oder den Östrogenspiegel im Gewebe reduziert (wie GnRHAnaloga bei prämenopausalen Patientinnen und Aromatasehemmer bei postmenopausalen Patientinnen). Bei einer möglichen endokrinen Resistenz (Hinweise darauf geben Genexpressionsanalysen wie OncotypeDX oder Endopredict oder ein ausgeprägter Lk-Befall) sollten diese Frauen zusätzlich eine adjuvante Chemotherapie erhalten. Prämenopausal: Prämenopausale Patientinnen mit einem ER-positiven Mammakarzinom erhalten grundsätzlich den ER-Antagonisten Tamoxifen für mindestens 5 Jahre, wenn sie keine Kontraindikation gegen Tamoxifen wie eine Thrombophillie haben. Bei Kontraindikationen ist auch die Gaben eines GnRHa anstatt des Tamoxifens möglich. Sehr junge Frauen (unter 35 Jahre) mit einem sehr hohen Rezidivrisiko und nach einer adjuvanten Chemotherapie können einen Aromatasehemmer mit GnRHa für 5 Jahre erhalten, gefolgt von Tamoxifen über weitere 5 Jahre. Es muss auf mögliche Langzeit-Nebenwirkungen dieser Behandlung wie Koronarerkrankungen und Osteoporose hingewiesen werden. –– Prämenopausale Patientinnen mit einem ER-negativen Mammakarzinom erhalten adjuvant eine Chemotherapie, die ein Anthrazyklin und ein Taxan enthalten muss. –– Prämenopausale Patientinnen mit einem HER2/neu überexprimierenden Mammakarzinom erhalten eine Anti-HER2-Anikörpertherapie (wie Trastuzumab) zusammen mit einer adjuvanten Chemotherapie (wie 2) und wenn sie zusätzlich ER-positiv sind, die übliche endokrine Therapie (wie 1). Postmenopausal: –– Postmenopausale Patientinnen mit einem ER-positiven Mammakarzinom erhalten ebenfalls grundsätzlich für mindestens 5 Jahre Tamoxifen und sequentiell Aormatasehemmer. Die Reihenfolge und Dauer dieser endokrinen Therapie richten sich nach verschiedenen Faktoren wie dem Rezidivrisiko und dem histologischen Tumortyp und möglichen internistischen Risikofaktoren. –– Postmenopausale Patientinnen mit einem ER-negativen Mammakarzinom erhalten adjuvant eine Chemotherapie, die ein Anthrazyklin und ein Taxan enthalten muss. –– Postmenopausale Patientinnen mit einem HER2/neu überexprimierenden Mammakarzinom erhalten eine Anti-HER2-Anikörpertherapie (wie Trastuzumab) zusammen mit einer adjuvanten Chemotherapie (wie 2) und, wenn sie zusätzlich ER-positiv sind, die übliche endokrine Therapie (wie 1).

12.5 Therapie 

 267

12.5.3 Adjuvante Strahlentherapie Die Ziele der adjvuanten Strahlentherapie sind: –– die Verbesserung der lokalen Kontrolle (geringe Lokalrezidivrate) und –– die Verbesserung des Überlebens. Brusterhaltende Therapie Nach oder während der brusterhaltenden Operation müssen die Patientinnen eine Teilbrustbestrahlung (peritumoral, bei geringem Rezidivrisiko) oder eine Ganzbrustbestrahlung erhalten. Die adjuvante Bestrahlung reduziert das Lokalrezidivrisiko auf die Hälfte dessen ohne Bestrahlung (z. B. von 10 % auf 5 %). Die zusätzliche Boost-Bestrahung des mit Clips markierten Tumorbettes reduziert abhängig vom Rezidivrisiko das Lokalrezidivrisiko ohne das Gesamtüberleben zu beeinflussen. Die Nebenwirkungsrate ist allerdings erhöht (Fibrose, Hauttoxizität). Die Dosierung, Fraktionierung (1,5–2 Gy/d), Dauer (3–6 Wochen) und zusätzliche Bestrahlung der Lymphabflusswege (LAW) richten sich ebenfalls nach dem Rezidivrisiko der individuellen Patientin. Strahlentherapie nach Mastektomie: Die Thoraxwand und/oder die Lymphabflusswege werden nach Ablatio mammae nur bestrahlt, wenn ein erhöhtes Rezidivrisiko besteht (z. B. T3-Karzinom, Inflammatorisches Mammakarzinom, Befall der axillären Lk).

12.5.4 Mammakarzinom in der Schwangerschaft –– Als Mammakarzinom in der Schwangerschaft gilt ein histologisch gesichertes Mammakarzinom während der Schwangerschaft und 1 Jahr nach Entbindung –– Inzidenz: 1–7 Fälle/10.000 Schwangerschaften –– 3  % aller Mammakarzinome werden im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft diagnostiziert. Die Prognose einer Patientin mit einem Mammakarzinom in der Schwangerschaft ist alters- und stadienadaptiert die gleiche wie die einer nicht schwangeren Patientin. In der operativen und systemischen Therapie gelten die gleichen Kriterien und Prinzipien wie bei nichtschwangeren Frauen. Die wirksamen und notwendigen Anthrazykline und Taxane können und müssen nach dem 1. Trimenon während der Schwangerschaft gegeben werden.

268 

 12 Mammakarzinom

Besonderheiten in der Behandlung des Mammakarzinoms in der Schwangerschaft: 1. SN-Entfernung ist möglich, allerdings ohne Markierung mit Patentblau 2. Keine Bestrahlung in der Schwangerschaft 3. Keine endokrine (antihormonelle) Therapie in der Schwangerschaft wie Tamoxifen und/oder GnRHa 4. Keine Chemotherapie im 1. Trimenon 5. Keine Antimetabolite wie 5-FU in der Schwangerschaft 6. Keine Antikörper wie Trastuzumab oder Bevacizumab in der Schwangerschaft Auf jeden Fall sollen diese Therapien in Registerstudien dokumentiert werden.

12.5.5 Therapie des metastasierten Mammakarzinoms Aktuell überleben 50  % der Patientinnen mit einem met. Mammakarzinom in Deutschland 5 Jahre. Die Prognose ist für jede Patientin unterschiedlich und von den befallenen Organen (Patientinnen mit zerebralen Metastasen haben eine sehr schlechte Prognose, Patientinnen mit ausschließlichen Knochenmetastasen haben eine sehr gute Prognose) und von den histologischen Eigenschaften des Karzinoms (Metastasen eines TNBC sind prognostisch ungünstig) abhängig. Die Ziele der Therapie des metastasierten Mammakarzinoms sind: –– Verbesserung der Lebensqualität durch Reduktion der metastasenbedingten Symptome und –– eine Verlängerung des Überlebens. –– Gleichzeitig soll die Beeinträchtigung durch die Nebenwirkungen der Behandlung so gering und kurz wie möglich sein. Dazu gelten folgende Prinzipien in der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms: 1. Wenn das Mammakarzinom ER+ ist, erhält die Patientin eine endokrine Therapie 2. Wenn das Mammakarzinom HER2/neu überexprimiert ist, erhält die Patientin ein Anti-HER2/neu-Therapie 3. Wenn endokrine Therapie unwirksam sind, dann erhält die Patientin eine MonoChemotherapie oder eine gegen diese Resistenz gerichtete Therapie wie z. B. einen CDK 4/6-Antagonisten 4. Kombinierte Chemotherapien (mehr als eine Substanz) werden nur bei hohem Remissionsdruck (z. B. Atemnot durch Pleuraergüsse, Leberkapselschmerz bei Lebermetastasierung) eingesetzt 5. Die Therapie wird immer begleitet von supportiven Therapien wie Antiemetika, Analgetika 6. Lokalisierte Therapien wie Operationen und Strahlentherapie können zusätzlich zur Symptomkontrolle eingesetzt werden.

12.6 Nachsorge 

 269

12.6 Nachsorge Die Ziele der Nachsorge beim Mammakarzinom sind: 1. Erkennung von potentiell kurablen lokalen und lokoregionären Rezidiven, Zweitkarzinomen, kontralateralen Mammakarzinomen: dazu mindestens einmal/Jahr Mammographie, mindestens alle 6 Monate Mammasonographie 2. Kontrolle der Therapieadhärenz: Werden die Empfehlungen der Tumorkonferenz befolgt? 3. Behandlung der Nebenwirkungen der Therapien (z. B. Analgetika bei Knochenschmerzen) 4. Psychosoziale Betreuung (Psychoonkologie, soziale Rehabilitation)

Radoslav Chekerov

13 Radio- und Chemotherapie 13.1 Radiotherapie 13.1.1 Ziele der Radioonkologie –– Nicht-invasive Antitumortherapie. –– Maximale Schädigung des Tumors unter Schonung des umgebenden gesunden Gewebes. –– Lokale Tumorkontrolle –– Schmerzausschaltung Die Radioonkologie nutzt unterschiedliche Arten ionisierender Strahlung, welche unter Funkions- und Organerhalt auf nicht-invasivem Weg in die Krebsbehandlung (Strahlentherapie oder Radiotherapie) allein oder in Kombination mit Operation oder Chemotherapie eingesetzt werden. Die Bestrahlung kann sowohl als kurative Behandlung (Primärtherapie) oder als adjuvante Therapie nach einer Operation eingesetzt werden. Im fortgeschrittenen metastasierten Krankheitsstadium (Palliation) werden ionisierende Strahlen genutzt, um das Tumorwachstum zu stoppen und eine Stabilisierung zu erreichen. Wesentlich ist die Bedeutung der palliativen Strahlentherapie zur Schmerzreduktion bei Organmetastasierung. 13.1.1.1 Grundlagen der Strahlentherapie Anwendung hochenergetischer, ionisierender Röntgenstrahlen (Photonen, in speziellen Fällen Elektronen) zur Behandlung maligner Tumoren. Übliche Radionuklide sind Iridium-192 und Cäsium-137. Das Ziel ist die maximale Schädigung des Tumors bei gleichzeitiger Schonung des umgebenden gesunden Gewebes durch gezielte Berechnung des therapeutischen Strahlenfeldes. Röntgenstrahlen führen durch Radikalbildung oder direkt zu Einzelstrang- oder Doppelstrangbrüchen in der DNA der Zelle und induzieren damit den Zelltod (Apop­ tose). Vorteilhaft sind die Unterschiede in den Reparaturmechanismen zwischen gesunden Zellen und Tumorzellen. Gesunde Zellen haben funktionierende Reparaturmechanismen und sind widerstandsfähiger, deshalb können sie eine Strahlentherapie meist unbeschadet überstehen. Krebszellen haben ein schnelles und unkontrolliertes Wachstum, sind weit weniger widerstandsfähig und werden durch wiederholte Bestrahlung stärker geschädigt (synthetische Letalität, Apoptose).

https://doi.org/10.1515/9783110472356-017

272 

 13 Radio- und Chemotherapie

13.1.1.2 Ultraharte Röntgenstrahlen Ultraharte Röntgenstrahlen werden mit einem Beschleuniger (Kreisbeschleuniger, Linearbeschleuniger) erzeugt und mit einer Energie von 3 Megavolt (MV) bis ca. 40 MV für die Tiefentherapie eingesetzt. 13.1.1.3 Elektronenstrahlung Mit dem Linearbeschleuniger kann eine Teilchenstrahlung, die Elektronenstrahlung, erzeugt werden. Die Elektronenstrahlen haben ihr Maximum umso näher zur Hautoberfläche, je geringer die Energie ist. In der Tiefe ist der Dosisabfall steil. Daher eignet sich die Elektronenstrahlung für die Bestrahlung im oberflächennahen Bereich (z. B. Thoraxwandbestrahlung). 13.1.1.4 Strahlendosis Die Strahlendosis ist die in einem Gewebevolumen aufgenommene Strahlenmenge (Energiedosis). Sie wird in „Gray“ = Gy angegeben. Die Bestrahlung wird in Einzeldosen von 1,8–2,2 Gy pro Tag fraktioniert, bei einer Anwendung von fünfmal pro Woche wird die Wochendosis von etwa 10 Gy erreicht. Die Gesamtdosis, die bei der primären oder postoperativen Bestrahlung gegeben wird, liegt zwischen 50–60 Gy. Für die Behandlung gynäkologischer Karzinome werden die perkutane Bestrahlung oder die Brachytherapie (Kontaktbestrahlung oder interstitielle Therapie) allein oder in Kombination eingesetzt. Bei der Brachytherapie werden die Strahlenquellen direkt an die Tumoroberfläche gebracht. Es wird eine schmale Plastikhülse in den Tumor (z. B. im Gebärmutterhals) eingelegt. Über die Hülse wird dann mit Hilfe eines Applikators ferngesteuert ein winziger radioaktiver Strahler an zuvor berechnete Stellen innerhalb des Applikators gefahren (Kontakttherapie im Nachladeverfahren – „Afterloading“). An diesen Haltepunkten verweilt der Strahler (Iridium-92) wenige Sekunden bis Minuten, so dass eine individuell geplante lokale Dosisverteilung im Gebärmutterhals und somit am Tumor resultiert (Abb. 13.1). Hier unterscheidet man zwischen: –– Kontakt-Therapie (Oberflächentherapie): Applikation der Strahlenquelle direkt auf die Körperoberfläche –– Intrakavitäre oder intraluminale Bestrahlung (Afterloading-/Nachladeverfahren): Einlage der Strahlungsquelle in Hohlräume (z. B. Zervix) –– Interstitielle Bestrahlung: Spickung des Gewebes mit radioaktiven Implantaten 13.1.1.5 Bestrahlungsplanung Ziel ist eine homogene Dosisverteilung in der Tumorregion (z. B. Brustwand, kleines Becken) und möglichst geringe Dosisbelastung in angrenzenden Geweben (z. B. Lunge, Harnblase, Rektum). Moderne Bestrahlungstechniken, wie die IMRT (intensitätsmodulierte Radiotherapie), Rapid-Arc-Technik und IGRT (image-guided-radio-

13.1 Radiotherapie 

 273

Uterus

Beckenwand

Tumor

Vagina

Abb. 13.1: Isodosen-graphische Darstellung der Dosisverteilung eines 265 Gy bestrahlten Gebietes. Die einge­ 132–265 Gy zeichneten Linien verbinden Punkte mit gleicher Dosis. Die rote Linie verdeut63–132 Gy licht etwa den Bereich, in dem Tumor­ zellen von einer wirksamen Dosis erreicht 31–63 Gy werden, in etwa 3 cm von der Strahlungs16–31 Gy quelle entfernt.

therapy) nutzen CT-gestützte, dreidimensionale Darstellungen der anatomischen Verhältnisse, Definition der Zielvolumina und Risikoorgane und ermöglichen eine optimierte Berechnung der Dosisverteilung. Die graphische Darstellung der Dosisverteilung eines bestrahlten Gebietes wird über Isodosen abgebildet, hierfür werden Linien verwendet, die alle Punkte mit gleicher Dosis verbinden. Für die Bestrahlungsplanung liegt die Patientin in Rückenlage, in einer Position, die der am Bestrahlungsgerät entspricht. Zwischen der Computertomographie und der ersten Bestrahlung wird der individuelle Bestrahlungsplan erstellt.

13.1.2 Strahlenschäden Strahlenschäden sind die pathologischen Veränderungen nach Einwirkung ionisierender Strahlung auf den menschlichen Organismus. Zu unterscheiden sind durch kleinste Strahlendosen induzierbare onkogene und mutagene Effekte von den Nebenwirkungen der Strahlentherapie, die abhängig von Gesamtdosis und Dosisverteilung sind. An der Brust unterscheidet man akute Strahlenschäden – diese treten zwischen 1.–90. Tag nach Bestrahlung mit lokalen Erscheinungen wie Strahlendermatitis aber auch allgemeinen Symptomen wie Erbrechen, Müdigkeit auf. Chronische bzw. späte Strahlenschäden sind die Ulkusbildung, Fibrose, Nekrose (Abb. 13.2). 13.1.2.1 Nebenwirkungen der perkutane, pelvinen Strahlentherapie Die Strahlenempfindlichkeit von Darm und Blase bilden die limitierenden Faktoren bei der Bestrahlung (Blase 60 Gy, Dünndarm 45 Gy). In 6–14,5 % der Fälle treten

274 

 13 Radio- und Chemotherapie

Abb. 13.2: Strahlenschaden. Eine Komplikation der Strahlentherapie ist die lokale Gewebeschädigung mit Ausbildung von Nekrosen und Ulzerationen. Hier: tiefes Ulcus nach Bestrahlung eines Mammakarzinomrezidives.

Komplikationen während und nach der Strahlentherapie auf: Dermatitis, Zystitis, Reizblase, Inkontinenz, Proktitis, Kolitis, Darmwandfibrose, Ileus, Fisteln zwischen Rektum, Vagina, Blase, Strikturen des Sigmas, Lymphödem der unteren Extremität. (Cave: Zweitmalignomentstehung, Strikturen, Fibrose, Narben). Die Akutnebenwirkungen der Strahlentherapie des weiblichen Beckens können für einige Wochen nach Ende der Therapie auftreten. Sie umfassen insbesondere eine Entzündung der Schleimhäute im bestrahlten Bereich, also in Dünndarm und Dickdarm, in Blase und Scheide mit möglichen daraus resultierenden Verdauungsstörungen, Durchfällen, Schmerzen bei Stuhlgang und Wasserlassen. Selten auftretende Spätnebenwirkungen stellen u.a. eine chronische Reizdarmsymptomatik, Verwachsungen mit der Gefahr von Verengungen (Stenosen) und Ausbildung unnatürlicher Verbindungen (Rektum-Scheiden-Fisteln) zwischen Organen dar, die behandelt werden müssen. Radiogene Fisteln können auch nach einer sehr langen Latenzzeit von 10–20 Jahren auftreten.  omplikationen der intrakavitären Strahlentherapie (bei Zervix-/Korpuskarzinom) K Nach intrakavitärer Strahlentherapie kann sich durch Verödung des Zervikalkanales eine Sekret (Serometra) – oder Eiteransammlung (Pyometra) in dem abgeschlossenen Kavum entwickeln, die zu einer erheblichen Vergrößerung des Uterus und zu Schmerzen führen kann.

13.1 Radiotherapie 

 275

13.1.3 Strahlentherapie bei Brustkrebs Neben der Operation, der Hormontherapie und der Chemotherapie erhalten die meisten Patientinnen eine Bestrahlung der Brust. Die optimale Therapie des Mammakarzinoms ist von vielerlei Faktoren abhängig und einem steten Wandel unterworfen. Prinzipiell kann eine Bestrahlung vor der Operation (präoperativ, neoadjuvant), während der Operation (intraoperativ) oder nach der Operation (postoperativ, adjuvant) durchgeführt werden. Während die ersten beiden Möglichkeiten zumeist noch in Studien untersucht werden gilt die adjuvante Strahlentherapie als Standardbehandlung nach brusterhaltender Therapie (BET) jeglichen Tumorstadiums und nach Mastektomie bei lokal fortgeschrittenen Tumoren. Die Strahlentherapie hat als Ziel, das Risiko für ein Wiederauftretens des Tumors in der Brust (Lokalrezidiv) auf ein Minimum zu reduzieren. Das Bestrahlungsvolumen umfasst daher die gesamte Brust. Eine unmittelbar im Anschluss an die Gesamtbrustbestrahlung oder simultan zur Ganzbrustbestrahlung durchgeführte Dosisaufsättigung („Boost“) des Tumorbettes führt zusätzlich zu einer Reduktion der Lokalrezidive. Postoperativ sollte die Strahlentherapie innerhalb der ersten 6  Wochen eingeleitet werden. In bestimmten Stadien ist eine zusätzliche Bestrahlung der unmittelbaren Lymphabflüsse wie der Achselhöhle oder der Lymphknoten über dem Schlüsselbein erforderlich, z. B. bei einem ausgeprägten Befall der axillären Lymphknoten. 13.1.3.1 Primäre Bestrahlung Die Indikation zur primären Strahlenbehandlung ist nur selten gegeben (z. B. exulzeriertes, nicht operables, blutendes Mammakarzinom und/oder andere Kontraindika-

Abb. 13.3: Großes exulzeriertes und zerfallendes Mammakarzinom links. Derart ausgedehnte Befunde sind selten anzutreffen.

276 

 13 Radio- und Chemotherapie

tionen für Operation). Bei ausgedehnten, inoperablen Mammakarzinom ist prinzipiell auch die primäre Chemotherapie indiziert (Abb. 13.3). Die alleinige intraoperative Bestrahlung bei Brustkrebs ist inzwischen eine leitlinienkonforme Standardtherapie für low risk-Patientinnen. 13.1.3.2 Postoperative Bestrahlung –– Die Bestrahlung der Brustdrüse nach brusterhaltender Therapie und Mastektomie bei high risk-Patientinnen ist Standard. –– umfasst die verbleibende Brust und angrenzende Thoraxwand. –– Senkung der Lokalrezidivrate von 25–30 % auf 3–5 % innerhalb von 5 Jahren –– hat für die meisten Patientinnen keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben, begünstigt jedoch das rezidivfreie Überleben. –– Die Bestrahlung der regionären Lymphabflussgebiete wird zunehmend zurückhaltend gestellt und ist high risk-Patientinnen vorbehalten. Die Strahlentherapie der Brust ist gut verträglich und beeinträchtigt selten das Allgemeinbefinden. Die häufigste Nebenwirkung ist die Hautreaktion mit Hautrötung und -überwärmung. Begleitende lokale Pflege mit Lotionen/Salben wird empfohlen. Langzeitfolgen können sein: Zweitmalignome, Strikturen, Fibrose, Narben. 13.1.3.3 Strahlentherapie beim Rezidiv Das intramammäre/lokoregionäre Rezidiv in der vorbestrahlten Brust nach brusterhaltender Therapie wird in der Regel durch eine sekundäre Ablatio mammae behandelt. Bei sehr kleinen Lokalrezidiven kann eine zweite brusterhaltende Operation erwogen werden. Bei einem Thoraxwandrezidiv besteht die Indikation zur operativen Ausräumung mit anschließender Nachbestrahlung.

13.1.4 Strahlentherapie beim Zervixkarzinom Prinzipiell stehen zur Therapie des Zervixkarzinoms sowohl die Operation als auch die Strahlentherapie zur Verfügung. Dabei ist für die Wahl des optimalen Verfahrens das Erkrankungsstadium entscheidend. Die Ergebnisse von Operation und Strahlentherapie sind in den Frühstadien des Zervixkarzinoms vergleichbar. Bevorzugt werden in der modernen Therapie des Zervixkarzinoms aber unimodale Therapiestrategien: primäre Operation oder primäre Bestrahlung. Die Strahlentherapie des Zervixkarzinoms wird einerseits als primäre Behandlung, d.h. ohne Entfernung der Gebärmutter, in kurativer Absicht durchgeführt, oder bei Risikofaktoren oder auch nach einer Operation (postoperativ, adjuvant) erfolgen. Die Kombination mit einer Cisplatin-basierten Chemotherapiehat eine entscheidene

13.1 Radiotherapie 

 277

Bedeutung und kann das Überleben günstig beeinflussen (kombinierte Radiochemotherapie). Im Rahmen von Studien wird der Wert weiterer Verfahren wie die Teilkörpererwärmung (Hyperthermie) und die simultane Gabe von Antikörpern untersucht. Die Therapieplanung des Zervixkarzinoms richtet sich nach dem Stadium. In den Frühstadien der Tumorausbreitung (Ia, Ib, IIa, teilweise IIb1) hat sich das operative Verfahren durchgesetzt, obwohl die Ergebnisse nach alleiniger Strahlentherapie nahezu gleichwertig sind. Im Stadium IIb gehen die Meinungen über das am besten geeignete Vorgehen auseinander, wobei bei Operationsfähigkeit der Patientin durch eine erweiterte radikale Hysterektomie mit besseren Ergebnissen zu rechnen ist. Zervixkarzinome im Stadium III und IV werden meist durch alleinige Bestrahlung behandelt. Beim Stadium III kann durch Bestrahlung in 35 % eine Heilung erreicht werden. 13.1.4.1 Primäre Strahlentherapie des Zervixkarzinoms Die primäre Strahlentherapie des Gebärmutterhalskrebses besteht aus drei Komponenten: perkutane Strahlentherapie am Linearbeschleuniger, die Brachytherapie (Afterloading) und die parallele Chemotherapie. Die perkutanen Hochvolttherapie (Dosis 45 Gy, 20–25 Einzelsitzungen) erfolgt standardisiert als Intensitätsmodulierte Bestrahlung (IMRT) und umfasst das kleine Becken bis zur Beckenwand. Parallel dazu erfolgt einmal pro Woche die Brachytherapie mit insgesamt 5–6 Sitzungen. Die Chemotherapie wird einmal pro Woche oder in der ersten und fünften Bestrahlungswoche über fünf Tage appliziert. Das am häufigsten verwendete Medikament ist Cisplatin. 13.1.4.2 Postoperative Strahlentherapie des Zervixkarzinoms Bei der postoperativen Strahlentherapie wird in aller Regel ebenfalls von außen und innen bestrahlt und eine Chemotherapie zur Verbesserung der Wirksamkeit hinzugegeben: –– bei Scheidenbefall: Kontaktbestrahlung (Afterloading-Verfahren) –– bei Lymphangiosis des Parametriums: kombinierte Radiatio –– bei pelvinem u./o. paraaortalem Lymphknotenbefall: perkutane Radiatio bzw. kombinierte Radatio des kleinen Beckens (Dosis 50 Gy) und adjuvante Chemotherapie Die Brachytherapie der verbliebenen Scheide dient dabei lokal der Verhinderung eines Narbenrezidivs. 13.1.4.3 Strahlentherapie beim Rezidiv eines Zervixkarzinoms Die Therapie in der Rezidivsituation (Strahlentherapie, Chemotherapie, Palliativoperation, Exenteration) wird von Radioonkologen und Gynäkologen in Abhän-

278 

 13 Radio- und Chemotherapie

gigkeit von Befund, Vorbehandlung und Vorbelastung, sowie von der Lebenserwartung und den Wünschen der Patientin individuell entschieden. Bei zentralem Rezidiv besteht die Präferenz für die operative Therapie i.S. der pelvinen Exenteration. Bei einem Beckenwandrezidiv ohne vorausgegangene Bestrahlung kann das Rezidiv bestrahlt werden. Neuerdings wird auch die Kombination mit einer Chemotherapie erwogen. 13.1.4.4 Aktuelle Entwicklungen in der Strahlentherapie des Zervixkarzinoms Die Möglichkeit der dreidimensionalen Bestrahlungsplanung anhand der Computertomographie (CT), Kernspintomographie (MRT) und anderen modernen bildgebenden Verfahren bietet wesentliche Vorteile in der Zielvolumenbestimmung, in der Wahl der Bestrahlungstechnik und in der Berechnung der räumlichen Dosisverteilung. Aktuelle technische Fortschritte in der Strahlentherapie gynäkologischer Tumoren sind die Intensitätsmodulierte Strahlentherapie (Intensity-Modulated-Radiotherapy, IMRT) zur weiteren Optimierung der Dosisverteilung, die bildgesteuerte Strahlentherapie (Image-Guided-Radiotherapy – IGRT) zur Verbesserung der Lagerungskontrolle und den Einschluss stoffwechselsensitiver Diagnostik (Positronenemissionstomographie – PET) in die Bestrahlungsplanung. Vorteile bietet auch eine MRT-gestützte Brachytherapie. Die regionale Hyperthermie wird in Verbindung mit der Strahlentherapie („Thermo-Radiotherapie“) eingesetzt, um die Wirkung der Strahlen auf den Tumor zu erhöhen. Eine Überwärmung kann mit Hilfe von Mikrowellen oder Infrarotstrahlen erzeugt werden. Oberhalb einer Temperatur von 42,5–43 °C können die Zellen absterben, unterhalb wird eine Strahlensensibilisierung erreicht. Besonders empfindlich gegenüber einer Überwärmung sind Zellen mit niedrigen pH-Werten und reduzierter Versorgung mit Sauerstoff und Glucose. (Bedingungen, die eine erhöhte Resistenz gegenüber Strahlen verursachen). Deshalb ergänzen sich die Verfahren ideal. Sie stellt eine experimentelle Methode dar und wird beim lokal inoperablen Zervixkarzinom rezidiv untersucht.

13.1.5 Strahlentherapie beim Endometriumkarzinom Die therapeutischen Strategien beim Endometriumkarzinom umfassen sowohl die Operation als auch die Strahlentherapie oder Chemotherapie. Dabei ist für die Wahl des optimalen Verfahrens das Erkrankungsstadium entscheidend. Die Ergebnisse von Operation und Strahlentherapie sind in den Frühstadien des Zervixkarzinoms vergleichbar.

13.1 Radiotherapie 

 279

13.1.5.1 Primäre Strahlentherapie des Korpuskarzinom Abgesehen von den relativ seltenen, weit fortgeschrittenen inoperablen Fällen (Stadien III und IV) ist stets die operative Therapie i.S. der abdominalen Hysterektomie unter Mitnahme der Adnexe, ggf. pelvine, bzw. paraaortale Lymphonodektomie ab Stadium Ib) anzustreben und zu favorisieren. Die Heilungsergebnisse einer reinen Strahlentherapie in der Kombination aus perkutaner und intrakavitäre Bestrahlung liegen bei vergleichbaren Tumorstadien 10–20 % unter den Ergebnissen operativer bzw. kombinierter Verfahren. Eine primäre Strahlentherapie ist beim Endometriumkarzinom nur dann indiziert, wenn schwere internistische Risiken oder die definitive Ablehnung seitens der Patientin eine stadiengerechte, prognosefaktororientierte OP unmöglich machen. 13.1.5.2 Postoperative Strahlentherapie des Korpuskarzinom Die Rolle der adjuvanten Radiotherapie hat sich bei den frühen Stadien des Endometriumkarzinoms gewandelt: für die adjuvante Strahlentherapie konnte in randomisierten Studien im Stadium FIGO I und II eine signifikante Reduktion der lokoregionären Rezidive nachgewiesen werden, dies hatte aber keinen Effekt auf das Gesamtüberleben. Heute fließen in die Entscheidung über eine adjuvante Radiotherapie folgende Faktoren mit ein: Art der Operation, Histologie (endometrioid vs. serös), Tumorgröße (35 %). Gerade bei schwer einschätzbarem Rezidivrisiko kommen additiv tumorgenetische Tests (Gen­expressionsanalysen) zum Einsatz (Tab. 13.3). Tab. 13.2: Risikogruppen Mammakarzinom und daraus resultierende Therapieempfehlungen. Quelle: Onkopedia.com 2016, Empfehlungen der DGHO, Professor Dr B. Wörman. Legende: G = Grading ER = Estrogenrezeptor; HER2 = human epidermal growth factor Receptor, Lk = Lymphknoten; Gen-Signatur: Bewertung von transkriptions- und prognoserelevanten Genen. Gegen Chemotherapie Unklar

Für Chemotherapie

Prognostisch Primärtumor

≤ 2cm

Nodalstatus

N0

1–3 befallene Lk

≥ 4 befallene Lk

Histologischer Grad

G1

G2

G3

Gefäßinfiltration

fehlt

ausgedehnt

prädiktiv HR-Status

positiv ≥ 50 %

positiv < 50 %

negativ

HER2-Status

negativ

negativ

positiv

Molekularer Subtyp

Luminal A

Luminal B, HER2 enriched, Basal like (triple negativ)

weitere Gen-Signatur

niedriges Rezidivrisiko

intermediäres Rezidivrisiko

hohes Rezidivrisiko

Proliferation (Ki67)

niedrig

hoch

uPA/PAI

niedrig

hoch

294 

 13 Radio- und Chemotherapie

Die Therapieempfehlung wird auf Basis von Leitlinien, die jährlich aktualisiert werden, in einem interdisziplinären Tumorboard erarbeitet und danach mit der Patientin besprochen. Tab. 13.3: Antihormonelle Therapie. (a) prämenopausal und (b) postmenopausal. Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Gynäkoonkologie 2016 (www.ago-online.de). Generelle Prinzipien der adjuvanten endokrinen Therapie Therapiedauer bis zu 10 Jahren nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung, insbesondere bei hohem Rezidiv-Risiko Prämenopause

Postmenopause Oxford/AGO, LoE/GR

Tamoxifen* 5–10 Jahre

Oxford/AGO, LoE/GR

1a

A

++

AI für 5 J.

1a

A

+

GnRHa-Monotherapie 1a 1a B + (nur bei relevanten Kontraindikationen für Tamoxifen (Tam.))

B

+

Präferenz bei lobulären 2b Karzinomen

B

++

Bei Patientinnen mit Ovarialfunktion (innerhalb von 8 Monaten) nach adjuvanter CHT (explorative retrospektive Analyse weist auf größeren Benefit bei jungem Alter hin)**:

sequentielle Therapie für 5–10 J.

++

#OFS (Ovarialfunktionssuppression) 5 J. + Tam. 5 J.

1b

B

+/–

Tam → AI (2–5 J.)*

1a

A

#OFS 5 J. + AI 5 J. 1b B

1b

B

+/–

AI (2–5 J.)* → Tam (Präferenz bei N+ Status)

1b

C

Tamoxifen 20 mg/d für 5–10 J.

1a

A

Dauer der AI-Therapie ≤ 5 J. OFS = Ovarialfunktionssuppression * Behandlung so lange tolerabel and prämenopausal * Switch zum AI optional, wenn Patientin postmenopausal wird # gesteigerte Nebenwirkungen können Compliance beeinträchtigen, höhere Compliance bei Tamoxifen; ist effektiver als Kombination mit GnRH oder Behandlung mit GnRH+AI mit eingeschränkter Compliance. ** Behandlungsdauer kann auf bis zu 10 Jahre Tamoxifen (Tam.) verlängert werden

++



13.2 Gynäkologische Systemtherapie 

 295

Tab. 13.4: Mögliche Systemtherapie (primärsystemisch oder adjuvant) abhängig von HER2. Die Systemtherapie beinhaltet bei allen primären Mammakarzinomen von > 5mm üblicherweise die Kombination einer Anti-HER2-Therapie und einer Chemotherapie. Die duale Anti-HER2-Therapie ist primärsystemisch wegen der besseren Ergebnisse (pCR) zu bevorzugen; ein Effekt auf das Gesamtüberleben wurde bis dato im Vergleich zur Mono-HER2- Blockade nicht nachgewiesen, so dass die duale Therapie adjuvant nicht zugelassen ist. Die HER2-Blockade wird immer mit einer Chemo­ therapie kombiniert. Bei fehlender HER2-Expression und Empfehlung zur Chemotherapie bekommen die Patientinnen eine der hier genannten Kombinationstherapien. Grundsätzlich gilt: Je höher das Rezidivrisiko, desto dosisintensiver die Therapieplanung; P = Paclitaxel, E = Epirubicin, A = Adriamycin, C = Cyclophosphamid, D = Docetaxel. Empfohlene Therapiekombinationen bei HER2-Negativität

Empfohlene Therapiekombinationen bei HER2-Positivität

–– 4× EC oder AC alle 2–3 Wochen gefolgt von Paclitaxel 12× wöchentlich oder 4× alle 2 Wochen –– 4× EC oder AC alle 2–3 Wochen gefolgt von Docetaxel, 4× alle 3 Wochen –– Docetaxel/Adriamycin/Cyclophosphamid, 6× alle 3 Wochen –– Docetaxel/Cyclophosphamid 4× alle 3 Wochen (weniger Kardiotoxizität) –– 3× Epirubicin alle 2 Wochen gefolgt von 3× Paclitaxel alle 2 Wochen, gefolgt von 3× Cyclophosphamid alle 2 Wochen in jeweils hoher Chemotherapiedosis (empfohlen bei > 4 befallenen Lymphknoten)

–– 4× EC oder AC alle 2–3 Wochen –– gefolgt von Paclitaxel 12× wöchentlich oder Docetaxel alle 3 Wochen –– beginnend mit dem Taxan: Trastuzumab, primärsystemisch in Kombinafion mit –– Pertuzumab bis zur Operation, Trastuzumab wird nach Beendigung der Chemotherapie für ein Jahr komplettiert –– 6 Zyklen Docetaxel und Carboplatin alle 3 Wochen in Kombination mit Trastuzumab, als wenig kardiotoxische Variante möglich –– Strahlentherapie und antihormonelle Therapie adjuvant nach der Operation, während der Komplettierung von Trastuzumab möglich Duale Antikörperblockade mit Trastuzumab und Pertuzumab nur primärsystemisch bis zur OP empfohlen; Tratuzumab: Immer 1 Jahr Therapie empfohlen

13.2.4 Metastasiertes Mammakarzinom Im Rahmen der Nachsorge sollte bei Z. n. Mammakarzinom immer bei spezifischen Beschwerden, die länger als 3 Wochen anhalten und neu oder anders als bereits bekannt sind (z. B. Rückenschmerzen), an neu aufgetretene Metastasen gedacht werden: –– Schmerzen, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule oder der langen Röhrenknochen –– unerklärlicher Gewichtsverlust –– anhaltender Husten –– Veränderungen des Essverhaltens, Inappetenz –– Sehstörungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Wesensveränderungen

296 

–– –– –– ––

 13 Radio- und Chemotherapie

Oberbauchschmerzen gastrointestinale Beschwerden unklarer Hautausschlag Lymphknotenschwellung

Metastasenscreening: Erfolgt symptomorientiert (z. B. CT des Thorax bei Husten und/oder Atemnot oder eine Skelettszintigraphie bei Knochenschmerzen). –– Möglichst histologische Sicherung der Metastasierung und Gewinnung eines immunhistochemischen Befundes (Hormonrezptoren, HER2) zur Optimierung der Therapieplanung. –– Komplettierung des Stagings mit CT-Thorax/Abdomen, Skelettszintigraphie und ggf. MRT des Kopfes. Therapieplanung abhängig von Ausdehnung der Metastasen, Symptomen und Immunhistochemie (Abb. 13.7) –– Antihormonelle Therapie: 1. Wahl bei Hormonrezeptor positiven Metastasen, Kombination mit mTOR-Inhibitoren oder Zellzyklusmodulatoren möglich –– HER2-Blockade: Nach Sicherung der HER2-Überexpression (HER2 3+ immunhistochemisch oder HER2 Gen-amplifiziert) immer Bestandteil der Systemtherapie – je nach Tumorcharakter und Therapiedruck (Müssen tumorbedingte Symptome schnell verringert werden?) in Kombination mit Zytostatika (wirken schnell auf die Symptome) oder antihormoneller Therapie (wirken nach 3–4 Monaten auf die Symptome) –– Zytostatika: Indiziert bei triple-negativen Metastasen. Bevorzugt kommen Monochemotherapien zum Einsatz, nur bei hohem Therapiedruck (drohende Organdestruktion, Beschwerden) Polychemotherapie erwägen. Die Kombination einer Chemotherapie (Taxan) mit Antikörpern gegen die Gefäßneubildung (VEGF-Antikörper Bevazicumab) hat eine ähnliche Ansprechrate wie eine Chemotherapiekombination allerdings weniger Nebenwirkungen wirkt allerdings nur als firstline-Therapie (1. Chemotherapie bei Bekanntwerden der Metastasierung). –– Antiresorptive Therapie: Immer Bestandteil der Therapie bei Knochenmetastasen. Für die Behandlung kommen Bisphosphonate oder Rank-Ligand-Antikörper (Denosumab) in Frage. Diese reduzieren Schmerzen, metastasenbedingte Frakturen, die Ausdehnung und die Anzahl neuer Knochenmetastasen. –– Supportive Therapie: Fester Bestandteil der Behandlung einer Patientin mit Metastasen. Darunter werden alle Maßnahmen verstanden, die zur Verbesserung der Lebensqualität der Patientin beitragen: Medikamentöse Therapie tumorbedingter Beschwerden, Physiotherapie, Lymphdrainage, psychoonkologische Betreuung, antiemetische Therapie.



13.2 Gynäkologische Systemtherapie 

lokoregionär

akute Bedrohung von Organfunktionen

Fernmetastasen

ossär metastasiert

HR positiv

HER2 positiv

Bisphosphonate oder RANKL-Antikörper

HR negativ

Anti-HER2 Therapie

Operation und/oder

ggf. in Kombination mit

Strahlentherapie

oder

und ggf. medikamentöse Therapie

 297

oder

endokrine Therapie

Chemotherapie

(a) HR negativ

HR positiv

prämenopausal

postmenopausal oder

keine endokrine Therapie

Ausschaltung der Ovarialfunktion und Tamoxifen

Aromatasehemmer

Nichtansprechen/ Progress

Nichtansprechen/ Progress

Nichtansprechen/ Progress

Ausschaltung der Ovarialfunktion und Aromatasehemmer

Fulvestrant

Aromatasehemmer

Tamoxifen oder Fulvestrant

oder Tamoxifen oder

(b)

Exemestan und Everolimus

Abb. 13.7: Entscheidungspfade. (a) Metastasiertes Mammakarzinom und (b) Wahl der endokrinen Therapie (Quelle: Onkopedia.com 2016, Empfehlungen der DGHO, Professor Dr B. Wörmann). Das metastasierte Mammakarzinom ist grundsätzlich nicht heilbar und sollte immer individualisiert behandelt werden. Grundsätzlich gilt: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“ zur optimalen Erhaltung der Lebensqualität. Der antihormonellen Therapie ist der Vorzug zu geben. Die Abbildung zeigt die möglichen Therapieentscheidungen.

298 

 13 Radio- und Chemotherapie

Das „metastasierte Mammakarzinom“ subsumiert eine Vielzahl unterschiedlich zu bewertender histologischer und Ausbreitungs-Typen des generalisierten Brustkrebes. Metastasierter Brustkrebs ist für die meisten Patientinnen nicht heilbar, allerdings gibt es sehr große Unterschiede im Krankheitsverlauf. Als prognostisch günstig gelten Hormonrezeptorpositivität, ein langes tumorfreies Intervall nach Erstdiagnose, ein guter Allgemeinzustand der Patientin und das Fehlen von viszeralen Organmetastasen (Lunge, Leber) und von ZNS-Metastasen. Besonders bei HER2-Überexpression werden seit der Entwicklung der HER2-blockierenden Substanzen anhaltende Remissionen bei guter Lebensqualität beobachtet. Das Therapieziel ist immer die Verbesserung der Lebensqualität der Patientin. Dazu gehört die Reduktion von Tumorsymptomen bei möglichst geringer Therapietoxizität, die Wachstumsverlangsamung des Tumors mit Verlängerung des Gesamtüberlebens und die optimale Begleitbehandlung von Tumor- oder therapiebedingten Beschwerden. Frauen mit metastasiertem Mammakarzinom sollten durch ein interdisziplinäres Team behandelt werden, damit onkologische, soziale, psychische und physiotherapeutische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden.

13.2.5 Chemotherapie von Vulva- und Vaginalkarzinomen Die Daten zur Rolle der Chemotherapie beim Vulva- und insbesondere beim Vaginalkarzinom sind sehr limitiert. Die Standardtherapie in den Frühstadien ist die Operation, in fortgeschrittenen Stadien soll immer eine individualisierte Entscheidung über die Anwendung der Radiochemotherapie erfolgen. Alter und Allgemeinzustand erlauben häufig nicht den Einsatz effektiver Polychemotherapie-Kombinationen. In Analogie zur Behandlung anderer Plattenepithelkarzinome wird auch beim lokal fortgeschrittenen Vulva- und Vaginalkarzinom eine kombinierte Radiochemotherapie eingesetzt. Das Ansprechen liegt bei unter 25 %, die meisten Erfahrungen existieren für den Einsatz von 5-Fluorouracil in Kombination mit Cisplatin oder Mitomycin C. Präinvasive Läsionen der Vagina können durch lokale Anwendung von 5-Fluor­ ouracilcreme oder ß-Interferon behandelt werden. Es findet dabei ein Rückgang der Läsionen statt, ohne dass Narben oder Schrumpfungen auftreten. Langzeiterfahrungen damit gibt es noch nicht. Eine lokale 5-Fluorouracil-Applikation nach Desepithelialisierung bei multilokulärem Carcinoma in situ der Vulva kann in 50 % der Fälle zur Abheilung führen. Präoperative Daten zur neoadjuvanten Radiochemotherapie bei lokal fortgeschrittenen Vulvakarzinomen zeigten eine Tumorreduktion in 63–92 %, welche eine Operation günstig beeinflussen können. Der alleinige Einsatz von Zytostatika in der Behandlung des Vulva- und Vaginalkarzinoms fokussiert sich auf palliative Indikationen, meist bei fortgeschritten



13.2 Gynäkologische Systemtherapie 

 299

metastasierten oder rezidivierten Erkrankungssituation, wo eine Operation oder Strahlentherapie kontraindiziert oder anatomisch/therapeutisch nicht mehr eingesetzt werden kann (z. B. nach mehrfachen Resektionen oder nach vorausgegangener Radiotherapie).

13.2.6 Chemotherapie beim Zervixkarzinom In der modernen Therapie des Zervixkarzinoms werden unimodale Therapiestrategien, d.h. primäre Operation oder primäre Bestrahlung bevorzugt. Die Indikation zur Chemotherapie besteht: –– präoperativ (neoadjuvant) – Ziel ist ein Down-Staging des Tumors –– primär simultane Radio-Chemotherapie mit Cisplatin –– postoperativ (adjuvant) –– palliativ Früher galt das Zervixkarzinom als chemoresistent. In den letzten Jahren wurden vielfältige positive klinische Erfahrungen mit Chemotherapeutika wie Cisplatin, Carboplatin, Fluorouracil gesammelt: 70 % der gynäkologischen Plattenepithelkarzinome sind chemosensibel. Die medikamentöse Systemtherapie des Zervixkarzinom wird in unterschiedlichen Situationen (neoadjuvant, adjuvant, Rezidiv- beziehungsweise Palliativsituation) entweder allein als medikamentöse Therapie (Chemotherapie, zielgerichtete Therapie) oder in Kombination mit der Strahlentherapie eingesetzt. Der stärkste Effekt der Chemotherapie auf das rezidivfreie und das Gesamtüberleben zeigt sich in der Primärbehandlung in der Kombination mit Bestrahlung. Gegenwärtig wird die präoperative (neoadjuvante) Chemotherapie bei primärer Inoperabilität zum Down-Staging unter Studienbedingungen geprüft. Postoperativ bei ungünstigen Prognosekriterien (pelviner u./o. paraaortaler Lymphknotenbefall) kann eine adjuvante Chemotherapie die Überlebenszeit bei Responderraten zwischen 30 und 60 % verbessern. Die Chemotherapie hat auch in dieser Situation Bedeutung als Kombinationspartner und „Verstärker“ der Strahlentherapie. Bei fortgeschrittenen und primär metastasierten Karzinomen (Stadium III oder IV) oder im Rezidiv zeigen neuere Daten eine hohe Effektivität für die Kombination aus Chemotherapie und zielgerichtete Antikörpertherapie. In Abhängigkeit vom Therapiedruck und vorbestehende Toxizitäten zeigten Kombinationen aus Cisplatin und Taxan oder Topoisomerasehemmer und Taxan die stärkste Effektivität. Die Addition einer zusätzlichen zielgerichteten Blockade mit dem VEGF-Inhibitor Bevacizumab verbessert nachweislich das rezidivfreie und das Gesamtüberleben. Neue Studienkonzepte werden hier überprüft.

300 

 13 Radio- und Chemotherapie

13.2.7 Systemtherapie beim Endometriumkarzinom Die primäre Therapie des Endometriumkarzinoms in den Frühstadien besteh in der Operation, bei Nachweis von Risikofaktoren (großer Tumor, positive Lymphknoten, nicht tumorfreie Resektion) erfolgt eine Strahlentherapie. Die Chemotherapie wird als additive dritte Therapiesäule eingesetzt, selten allein, vielmehr als Teil einer Kombination mit Strahlentherapie. Die häufigste Indikation für den Einsatz der Chemotherapie beim Endometriumkarzinom ist das lokal fortgeschrittene oder metastasierte Stadium. Wegen erheblicher Toxizität der Behandlung und häufiger bestehender Polymorbidität der meist älteren Patientinnen ist die Indikation für eine Polychemotherapie sehr zurückhaltend zu stellen. Nachgewiesene Wirksamkeit wird für Substanzen der Platin (Cisplatin, Carboplatin)-, Anthrazyklin (Doxorubicin)- oder Taxan (Paclitaxel)-Gruppe berichtet. Die Kombination aus Platin und Taxanen ist auf dem Weg, die zuvor häufig eingesetzte Kombinationen auf Basis von Anthrazyklinen aufgrund der besseren Verträglichkeit und äquivalenter Remissionsraten zu ersetzen. Indikation besteht für FIGO-Stadien IB G3, II und III sowie alle serösen und klarzelligen Endometriumkarzinome. Die optimale Kombination und Sequenz von Strahlentherapie (Brachy- und/oder Teletherapie) und Chemotherapie sind noch nicht genau definiert: Radiatio gefolgt von Chemotherapie oder Chemotherapie-Radiatio-Chemotherapie werden häufig in der klinischen Praxis eingesetzt. Eine weitere medikamentöse Therapieoption besteht in der antihormonellen Behandlung. Diese kann nur bei Frauen mit gut differenziertem, progesteronrezeptorpositivem endometrioidem Endometriumkarzinom im FIGO-Stadiums Ia ohne myometrane Infiltration und dringendem Kinderwunsch als konservativer Therapieversuch mit hochdosierten Gestagenen erwogen werden. Aufgrund des hohen Rezidivrisikos sollte bei abgeschlossener Familienplanung die Hysterektomie erfolgen. Eine adjuvante endokrine Therapie (postoperativ) mit Gestagenen ist dagegen obsolet.

13.2.8 Systemtherapie bei Sarkomen des Uterus Eine besondere Herausforderung stellt die medikamentöse Therapie der Uterussakrome dar. Zum einen bestehen wesentliche Unterschiede in der histopathologischen Einteilung zwischen Leiomyosarkom, endometrialen und undifferenzierten Sarkomen, diese haben auch deutlich unterschiedliche prognostische Bedeutung. Die meisten Daten liegen zu Anthracyklin-haltigen Mono- oder Kombinationschemotherapien vor. Wesentlich ist auch die unterschiedliche Chemotherapie-Empfindlichkeit innerhalb der Subgruppen der Uterussarkome. Leiomyosarkom: das häufigste Sarkom des Uterus, zeigt eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Chemotherapie; die meisten Daten zur Chemotherapie liegen für Anthracyclin/Cisplatin- oder Taxan/Gemcitabin-Kombinationen.



13.2 Gynäkologische Systemtherapie 

 301

Endometriales Stromasarkom: zum Wert einer adjuvanten Chemotherapie liegen keine validen Daten vor; es besteht die Empfehlungen zur individualisierten Anwendung von antihormonellen Therapien mit z. B. Progesteron oder Aromatasehemmer.

13.2.9 Chemotherapie beim Ovarialkarzinom First-line-Therapie: Der wichtigste prognostische Faktor für das Gesamtüberleben ist die Resttumormenge nach vorausgegangener radikaler Tumorresektion. Trotzdem soll man beachten, dass das 5-Jahresüberleben trotz Optimierung der Operation und kombinierter Chemotherapie nur zw. 30–42 % liegt. Bei mikroskopisch nachweisbaren Resten: 90 %-komplette Remissionen, bei Tumorrest 2  cm 10  % komplette Remission. Im Anschluss an die erfolgte operative Therapie (ca. 4–8 Wochen postoperativ) ist eine Platin-basierte Chemotherapie meist über 6 Zyklen indiziert. Bei Patientinnen mit einem FIGO-Stadium Ia Grad 1 nach komplettem operativem Staging soll keine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden. Bei Patientinnen mit FIGO-Stadium IaG2, Ib G1/2 kann eine Platinhaltige Chemotherapie über 4 bis 6 Zyklen angeboten werden. Alle Patientinnen mit FIGO-Stadium Ic oder Ia/b und Grad 3 sowie die fortgeschrittenen FIGO-Stadien III und IV sollen eine platinhaltige Chemotherapie aus Carboplatin und Paclitaxel über 6 Zyklen erhalten. In fortgeschritten Stadien (IIIa–IV nach FIGO) kann eine zusätzliche Behandlung mit dem VEGF-Antikörper Bevacizumab erwogen werden. Rezidivtherapie: Zur Behandlung eines Rezidives nach wiederholter chirurgischer Tumorreduktion bei Versagen der First-line-Therapie. Man unterscheiden zwischen Platin-resistentem (kurzes Intervall bis zum Wiederauftreten) und sensitivem (langes Intervall bis zum Wiederauftreten) der Erkrankung (entsprechend Abstand zur letzten Platin-Chemotherapie). Platin-sensitives Ovarialkarzinom: Folgende Kombinationen können in Betracht gezogen werden: –– Carboplatin/Gemcitabin /Bevacizumab, –– Carboplatin/liposomales Doxorubicin, –– Carboplatin/Paclitaxel, –– Carboplatin/Gemcitabin. Platin-resistentes Ovarialkarzinom: Ziel ist eine nicht-platinhaltige Monotherapie: Pegyliertes liposomales Doxorubicin –– Topotecan, –– Gemcitabine, –– Paclitaxel wöchentlich.

302 

 13 Radio- und Chemotherapie

Die klinische Forschung fokussiert sich auf die Untersuchung der Wirkungsweise, der Effektivität und Wirksamkeit von verschiedenen zielgerichteten Behandlungskonzepten wie Blockade von Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren (VEGF), Reparatursysteme (PARP) oder Zytokine.

13.2.10 Chemotherapie bei Keimzell- und Keimstromatumoren des Ovars Maligne Keimzelltumoren –– gutes Ansprechen auf Cisplatin, Vinblastin, Bleomycin, Etoposid, Ifosfamid –– 80 % Heilungschancen Maligne Stromatumoren –– Therapie wie bei Keimzelltumoren –– Spätrezidive nach 5 J. häufig 13.2.10.1 Maligne Trophoblasttumoren Behandlung 1. Monochemotherapie (bei Blasenmole, nicht metastasierendem Chorionkarzinom, metastasierendem Chorionkarzinom low risk) 2. Polychemotherapie (bei metastasierendem Chorionkarzinom high risk) Maligne Keimzelltumore: Sie sprechen auch im fortgeschrittenen und disseminierten Stadium gut auf aggressive Chemotherapie an. Eingesetzt werden v. a. Cisplatin, Vinblastin, Bleomycin sowie Cisplatin, Etoposid, Bleomycin (neuerdings Ifosfamid). Nach 3–6 Zyklen Polychemotherapie beträgt die Heilungsrate über 80 %. Maligne Keimstrang-Stromatumore: Diese Tumore des Ovars werden nach Chemotherapieprotokollen maligner Keimzelltumore oder Weichteilsarkomen behandelt. Insbesondere maligne Granulosazelltumore zeigen ein gutes Ansprechen auf platinhaltige Polychemotherapie, neigen jedoch zu Spätrezidiven nach 5 Jahren und später. Maligne Trophoblasttumore: Die Chemotherapie ist die Behandlung der Wahl beim Chorionkarzinom und bei der destruierenden Blasenmole. Eine Monotherapie mit Methotrexat bzw. Actinomycin D führt in fast 100 % der Fälle zur Dauerheilung der destruierenden Blasenmole und des nicht metastasierenden Chorionkarzinoms. Metastasierendes Chorionkarzinom low risk: Beim Low-risk-Chorionkarzinom führen Monotherapien mit Methotrexat oder Actinomycin D zur Heilung in bis zu 95 % der Fälle. Die Anzahl der Zyklen richtet sich nach der klinischen Remission und das Serum-HCG. Wenn das HCG im Normbereich ist, werden noch 3 Zyklen der Che-



13.2 Gynäkologische Systemtherapie 

 303

motherapie durchgeführt. Beim Versagen der Therapie mit Methotrexat kann Actinomycin D angewandt werden, da zwischen den beiden Zytostatika keine Kreuzresistenz besteht. Metastasierendes Chorionkarzinom high risk: High risk-Chorionkarzinome sollten mit einer Polychemotherapie behandelt werden. Die besten Ergebnisse wurden mit dem Schema nach Lee (Methotrexat, Actinomycin, 6-Mercaptopurin; 70–80 % Dauerremissionen) erzielt. Beim Vorliegen von ZNS- und Lebermetastasen wird parallel zur Chemotherapie eine Bestrahlung durchgeführt.

Robert Armbrust, Mathias David

14 Gynäkologische Notfälle 14.1 Einleitung Der akute Unterbauchschmerz ist ein Symptom, mit denen sich Patientinnen häufig in der Praxis oder Kliniknotaufnahme vorstellen. Dahinter können sich potentiell lebensbedrohliche gynäkologische Erkrankungen wie eine rupturierte Extrauteringravidiät mit Hämatoperitoneum, aber auch eine Ovarialzystenblutung, eine Adnextorsion, eine Adnexitis oder ein Tuboovarialabszess verbergen. Weitere gynäkologische Ursachen akuter Unterbauchschmerzen können aber auch maligne Prozesse (z. B. ein fortgeschrittenes Zervixkarzinom) oder beninge Erkrankungen wie die Exazerbation einer Endometriose oder chronisch-rezidivierender Unterbauchschmerzen, ein ovarielles Überstimulationssyndrom, ein Abortgeschehen sowie Komplikationen nach einer Operation (unbeabsichtigte übersehene Organverletzungen, postoperative Infektionen) sein.

Typische Symptomatik: starke abdominale Schmerzen bis hin zum „akuten Abdomen“ mit folgenden Leitsymptomen (nicht alle Symptome müssen, können aber gemeinsam auftreten): –– starke Bauchschmerzen –– abdominale Abwehrspannung –– Kreislaufstörungen bis hin zum Kreislaufschock –– Störungen der Darmperistaltik (Meteorismus, Übelkeit, Erbrechen) –– Blasenentleerungsstörungen –– schlechter Allgemeinzustand, ggf. verbunden mit Fieber Das „akute Abdomen“ ist kein eigenes Krankheitsbild, sondern beschreibt vielmehr einen Symptomkomplex. Es soll bis zu 200 mögliche Ursachen des „akuten Abdomens“ geben. Differentialdiagnostisch wird allgemein zwischen abdominellen, extra-abdominellen Ursachen sowie Stoffwechselstörungen unterschieden. Möglich sind chirurgische, gastroenterologische, urologische, onkologische, internistische, gynäkologische oder auch geburtshilfliche Krankheitsbilder. Behandlungstriagierung: Je nach klinischem Zustand der Patientin und der angegebenen Schmerzstärke muss entschieden werden, ob eine sofortige operative Intervention erforderlich oder ob ein abwartendes, konservatives Vorgehen möglich ist (zielgerichtete effiziente Diagnostik, interdisziplinäre Entscheidung). https://doi.org/10.1515/9783110472356-018

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 14 Gynäkologische Notfälle

Besonderheiten beachten: 1. Bei gynäkologischen Notfällen sind die (potentiellen) Auswirkungen der zugrunde liegenden Erkrankung, deren Folgezustände und die Auswirkungen einer Operation auf die Fertilität, Ovarialfunktion und Sexualität stets zu bedenken. 2. Es sollte stets geklärt werden, ob es sich um Schmerzen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft (Schwangerschaftstest im Urin), handelt, die schwangerschaftsbedingt oder ohne Bezug zu einer bestehenden Gravidität sind. Anamneseerhebung Die Anamneseerhebung unterscheidet sich auch in der Notaufnahme nicht wesentlich von dem üblichen Vorgehen, muss aber der klinischen Situation der Patientin angepasst, u.U. verkürzt und auf die Erhebung wesentlicher Informationen beschränkt werden. Prinzipiell sollte bei Aufnahme der gynäkologischen Patientin in der Rettungsstelle zwischen einem tatsächlichen medizinischen Notfall und einem „scheinbaren“ Notfall unterschieden werden. Im Rahmen der Abklärung eines „akuten Abdomens“ oder auch bei Patientinnen mit starker vaginaler Blutung ist eine eilige Diagnostik, eine schnelle Entscheidung über das weitere Vorgehen und sofortiges Handeln erforderlich. Bei Patientinnen mit leichteren Symptomen kann die Abklärung der Ursachen in Ruhe erfolgen.

14.2 Rupturierte Ovarialzyste Epidemiologie: Ca. 30 % aller Frauen mit einer normalen Menstruation und mehr als 50 % mit einer irregulären Menstruation sollen Ovarialzyste verschiedener Größe aufweisen. Sie sind damit die häufigsten gynäkologischen Tumoren im kleinen Becken. Meist sind sie physiologisch, einseitig und nicht maligne. Patho-/Physiologie: Am häufigsten sind sog. Follikelzysten. Diese entwickeln sich in der Regel in den ersten zwei Wochen des menstruellen Zyklus einer Frau im reproduktionsfähigen Alter beim „Ausbleiben“ der physiologischen Follikelruptur und damit nicht stattgehabter „Freilassung“ des Ovums. Die somit entstehen Zysten sezernieren weiter Östrogen und werden nicht absorbiert. Dies führt einer Flüssigkeitsretention und damit einem Wachstum. Dagegen bilden sich Corpus-luteum-Zysten erst in der zweiten Hälfte des Zyklus aus. Dazu kommt es, wenn der entsprechende Follikel aus dem Ovar zwar rupturiert, aber eine „Verdämmerung“ ausbleibt. Corpus luteum-Zysten sind entweder mit seröser Flüssigkeit gefüllt oder mit Blut und produzieren weiter Progesteron. Ovarialzysten können platzen oder zu einer Stieldrehung führen – beides sind mögliche Ursachen für akute Unterbauchschmerzen.



14.2 Rupturierte Ovarialzyste 

 307

Klinik: Bei sehr großen Ovarialzysten wird die Symptomatik allein auf Grund der Größe durch eine peritoneale Reizung hervorgerufen, dann meisten subakute Schmerzen (Abb. 14.1). Typischer ist aber der plötzliche einsetzende, abdominale, kolikartige oder dumpfe, einseitige Schmerz bei der Zystenruptur. Diese kann zu deutlichen Peritonitiszeichen und abdominaler Abwehrspannung führen. Möglich ist auch eine in­traabdominalen Sickerblutung, die entweder aus dem Zystenbett oder aus einem aufgerissen Gefäß der Zystenoberfläche gespeist wird. Eher selten entwickeln sich bei längerem Fortbestehen dieser Blutung Hypotension und hämodynamische Instabilität. Diagnostik: Schmerzhafte Palpation des Unterbauches, Abwehrspannung; vaginalsonographisch Nachweis einer Ovarialzyste oder deren Reste (entrundete echoleere Formation im Ovar, vermehrte freie Flüssigkeit im Douglas oder im gesamten Unterbauch (Zysteninhalt)). DD: Blut/-koagel. Therapie: Therapeutisch ist in Abhängigkeit von einer Verschlechterung oder Verbesserung nachfolgender Kriterien zu entscheiden, ob operiert (Laparoskopie) werden muss oder ob (die Flüssigkeitsresorption) abgewartet werden kann: –– Gesamtzustand der Patientin (inkl. Blutdruck und Puls) –– von Patientin angegebene Schmerzstärke –– intraabdominale Flüssigkeitsmenge –– Hämoglobin (Hb)-Wert –– Dynamik dieser Befunde im zeitlichen Verlauf Der Patientin sollte unbedingt eine stationäre Aufnahme zu Beobachtung angeboten werden.

Abb. 14.1: Große beninge Ovarialzyste links.

308 

 14 Gynäkologische Notfälle

14.3 Adnextorsion Bei einer Torsion handelt es sich im Allgemeinen um eine, z. T. mehrfache Drehung eines abominalen Tumors (oder einer Zyste), der durch einen Stiel Verbindung zu einem Organ der Patientin hat.

In ca. 50–60 % der Fälle kommt es zu einer Torsion des Ovars oder der Tube (Abb. 14.2), es kann aber auch zu einer Drehung anhängender Neubildungen wie einer Hydatide (Paratubarzyste) kommen. Während der anfänglichen venösen Kompression wird weiter arteriell Blut zugeführt wird. In der Folge kommt es zu einer venösen Stauung, Einblutung und dann zu einer hämorrhagischen Infarzierung (bläulich-livide Verfärbung bis zu Nekrose). Epidemiologie: Die Ovartorsion ist einer der fünf häufigsten gynäkologischen Notfälle; ca. 20  % aller Ovartorsionen (Corpus luteum) sollen in der Schwangerschaft auftreten (Inzidenz 1: 5.000). Risikofaktoren sind: –– (zystische) Ovarialtumoren > 6 cm 
 –– ausgeprägte Hydro-/Sactosalpinx (Abb. 14.3) –– große Hydatiden oder Paratubarzysten 
 –– Patientinnen mit ovarieller Stimulation vor IVF o.ä. 
 –– Schwangerschaft Klinik: Die Symptomatik tritt häufig plötzlich nach einer bestimmten Körperbewegung auf. Durch die hämorrhagische Infarzierung entstehen akut abdominelle Schmerzen mit meist zunehmender Intensität, z.T. auch Übelkeit und Erbrechen. Diagnostik: In der abdominellen Untersuchung zeigen sich ein deutlicher Druckschmerz sowie eine Abwehrspannung. In jedem Fall ist eine transvaginale Ultraschalluntersuchung durchzuführen, womit häufig auch der Schmerz reproduziert werden kann z. B. durch leichten Druck mit der Sonde auf der betroffenen Seite. Sonographisch ist eine größere, häufig teils zystische, teils solide Formation im Adnexbereich darstellbar. Eine Dopplersonographie der zuführenden Gefäße kann hilfreich

Abb. 14.2: Sactosalpinx rechts.



14.4 Extrauteringravidität (EUG) 

 309

Abb. 14.3: Stieldrehung des linken Adnex.

sein, häufig ist aber die klinische Symptomatik zusammen mit dem (schmerzhaften) Adnextumor ausreichend für die Diagnosestellung. Therapie: Beim Verdacht auf eine Adnextorsion sollte baldmöglichst, unabhängig von dem seit Erstauftreten der Symptome vergangenen Zeitintervall, eine Laparoskopie durchgeführt werden. Eine Detorquierung kann versucht werden. Wenn Infarzierung oder Nekrose vorliegen, muss die Entfernung von Tube oder Ovar erfolgen.

14.4 Extrauteringravidität (EUG) Extrauteringravidität: jede Nidation und Entwicklung einer befruchteten Eizelle außerhalb des Cavum uteri, einschließlich der zervikalen, isthmischen und der Lokalisation in der Sectionarbe.

Epidemiologie: in den letzten Jahren wird weltweit über eine Zunahme berichtet; Häufigkeiten zwischen 1 auf 30 bis 1 auf 230 Geburten werden angegeben Zunahme: Mögliche Ursache könnte neben einer allgemeinen Zunahme aufgrund erhöhter Promiskuität und damit mehr Adnexitiden auch die vermehrte Anwendung reproduktionsmedizinischer Maßnahmen sein.

In den letzten Jahren ist außerdem eine steigende Rate an ektopen Schwangerschaften im Bereich der uterinen Sectionarbe nach vorangegangener Sectio caesarea zu beobachten (sog. Narbenschwangerschaften) wohl als Folge der Zunahme von Kaiserschnittentbindungen und wiederholter Sectios, sowie mglw. der Nahttechnik. Lokalisation: häufigste Form Tubargravidität (ca. 95  %), meist im ampullären Tubenanteil (ca. 70 %), seltener im isthmischen Abschnitt (ca. 10 %); Ovargravidität (0,5–3 %); Abdominalgravidität- Einnistung im Peritoneum (< 1 %); Zervikalgravidität (sehr selten); Narbenschwangerschaften (sehr selten) (Abb. 14.4)

310 

 14 Gynäkologische Notfälle

Die Bezeichnung „Extrauteringravidität“ (Abkürzung im klinischen Sprachgebrauch: EU oder EUG) ist nicht ganz korrekt, da z. B. die Lokalisationen in der Cervix uteri oder intramural in der Sectionarbe auch den ektopen Schwangerschaften zugeordnet wird. „Intrauterin“ sind Schwangerschaften im Corpus uteri. Sehr selten sind sog. Simultangraviditäten oder heterotope Schwangerschaften, d. h., ein gleichzeitiges Bestehen einer Intra- und einer Extrauterinschwangerschaft. Ätiologie: –– Störungen der Tubendurchgängigkeit durch Adnexitis (IUD, Sexualverhalten), Endometriose, (mikrochirurgische Sterilitätsbehandlung, vorangegangene EUG) –– Operationen an der Tube, im kleinen Becken, Appendektomie; peritubare Verwachsungen durch abgelaufene/nicht erkannte Appendizitis Klinik: Leitsymptome sind unklare, abdominelle Schmerzen und/oder eine leichte vaginale Blutung bei positivem Schwangerschaftstest. Ebenso berichten Patientinnen häufig von einem Schwindel-/Schwächegefühl. Diese Symptome können aber auch nicht stark ausgeprägt sein und schon mehrere Tage bestehen. Die Unterbauchschmerzen sind eher einseitig und ziehend. Sie entstehen wahrscheinlich durch den Austritt kleinerer Mengen Blut, welche zu einer peritonealen Reizung führen.

Abb. 14.4: Uterusnahe Tubargravidität rechts.

Klinische Stadien: akut (Tubarruptur) oder protrahiert mit keiner oder geringer Symptomatik: –– Stadium I (symptomloses Stadium): Sekundäre Amenorrhö, subjektive Schwangerschaftszeichen (Übelkeit, Brustspannen, leicht erhöhte Basaltemperatur) –– Stadium II (symptomarmes Stadium): Schmierblutung ca. 6–8 Wochen nach der Menstruation abdominelle Schmerzen, z. T. krampf- bzw. wehenartig, mit Betonung auf einer Seite –– Stadium III (Stadium des peritonealen Schocks-akutes Abdomen)/Tubarabort: Blutung ins Abdomen führt zur peritonealen Reizung mit Kaltschweißigkeit,



14.4 Extrauteringravidität (EUG) 

 311

Blässe, Schwächegefühl, Tachykardie schubweises Auftreten der Beschwerden möglich, meist einseitig lokalisiert. –– Tubarruptur: Oft aus Wohlbefinden heraus einsetzender, akuter, seitenbetonter Schmerz mit abdomineller Abwehrspannung und Schocksymptomen. Die nun starken Unterbauchschmerzen (akutes Abdomen) strahlen dann in den Oberbauch oder den Rücken aus bedingt durch die größere Menge freien Blutes intraabdominal. (Abb. 14.5) Symptom Schmierblutung: Durch die nachlassende ßHCG-Produktion des gestörten Trophoblasten tritt ein Abbau der Dezidua im Cavum uteri auf und damit eine uterine Blutung.

Abb. 14.5: Hämoperitoneum bei rupturierter Tubargravidität links.

Diagnose: –– Gynäkologische Untersuchung: Portioschiebeschmerz, außerdem einseitig verdickte, druckschmerzhafte Adnexe, ggf. deutliche Abwehrspannung bis hin zum Bild des akuten Abdomen. –– Vaginalsonographie: intrauterin keine Fruchthöhle darstellbar, das Endometrium ist hochaufgebaut; es kann sich zentral ein echoarmer Ring im Uterus befinden (sog. Pseudogestationssack), vor der 6. SSW meist nur Ringstruktur im Adnexbereich darstellbar, später peritubares Hämatom, Flüssigkeit im Douglas und u. U. vitale Extrauteringravidität (selten!) sichtbar. –– Bei nicht eindeutiger „intrauteriner“ Lokalisation spricht man von einer „Schwangerschaft unklarer Lokalisation“, wobei es sich in ca. 10 % tatsächlich um eine EUG handelt (Vorgehen: Kontrollsonographie und ßHCG-Kontrolle alle 3  Tage, Klinikaufnahme ist nicht erforderlich). –– Laboruntersuchungen: ßHCG im Serum (Verlauf); Blutbild: Anämie bei intraabdominaler Blutung; CRP, Leukozyten (DD Entzündung) DD: gestörte intrauterine Gravidität: Abortus incompletus oder completus; schmerzhafte intrauterine Frühgravidität; rupturierte Corpus luteum-Zyste; Appendizitis; Adnexitis; stielgedrehter Ovarialtumor

312 

 14 Gynäkologische Notfälle

Therapie: Die Wahl der Behandlungsart wird vor allem von der klinischen Symptomatik und der Lokalisation der EUG bestimmt. Grundsätzlich gibt es drei Therapieoptionen: –– operativ als Laparoskopie oder selten per Laparatomie, –– medikamentös (Methotrexat i.m. oder oral), –– abwartendes Vorgehen. Operatives Vorgehen: Therapie der Wahl ist die Laparoskopie; Ziel: Erhaltung einer funktionsfähigen Tube. –– Salpingotomie: Eröffnung der Tube mit einer Inzision an der antimesenterialen Seite über der Nidationsstelle und Entfernung oder Herausspülen (Aquadissektion) des Schwangerschaftsproduktes –– Salpingektomie: bei starker Blutung, schlechter Tubenqualität oder ungünstigem Sitz der EUG muss die Tube zum Teil oder ganz entfernt werden Die operative Intervention ist weiterhin die häufigste Therapiemaßnahme bei einer EUG bzw. einem EUG-Verdacht. Laparoskopisch kann tubenerhaltend eine Salpingotomie oder bei einem Tubarabort auch ein Ausmelken der Tube erfolgen. Bei Ruptur, Hämoperitoneum und/oder ungünstigem klinischen Befund ist eine Salpingektomie erforderlich. Die kumulative Schwangerschaftsrate nach Salpingotomie ist etwas höher als nach der Tubenentfernung. Insbesondere bei ausdrücklichem Kinderwunsch sollte also ein tubenerhaltendes Vorgehen angestrebt werden. Hinweise zum postoperativen Vorgehen: –– in jedem Fall histologische Sicherung des entfernten Materials –– beim tubenerhaltenden Vorgehen Kontrolle des ßHCG-Verlaufs (cave zurückgebliebener Schwangerschaftsrest bei weiter ansteigenden Werten) –– ist die Patientin Rhesus-negativ, auch nach einer EUG Anti-D-Prophylaxe verabreichen Medikamentöse Behandlung: Von den medikamentösen Therapieoptionen hat heute nahezu nur die i.m.-Applikation von Methotrexat (MTX) Bedeutung. Die MTX-Therapie kann Patiennen mit geringer Symptomatik angeboten werden. Auch bei den ungünstigen EUG-Lokalisationen im Bereich der Cervix uteri oder im intramuralen Tubenanteil (sog. interstitielle Gravidität) und bei einer Sectio-Narbenschwangerschaft ist die MTX-Gabe einer Operation vorzuziehen. Bei einem ßHCG-Wert von über 5000 IU/l, einem sehr raschen Anstieg des ßHCGWertes vor der MTX-Gabe (mehr als 50 % innerhalb von 48 Stunden) sowie vermehrter freier Flüssigkeit im Unterbauch (Verdacht auf ein Hämoperitoneum) sollte von einer MTX-Therapie abgesehen werden.

14.5 Adnexitis 

 313

Absolute Kontraindikationen für MTX-Gabe: akutes Abdomen, Lungen-, Leber-, Nieren-, Knochenmarkerkrankungen. Die Nebenwirkungen sind insgesamt gering. Die mit MTX behandelten Frauen sollten innerhalb der ersten 3 Monate nach MTX-Gabe nicht schwanger werden.

Abwartendes Vorgehen: bei Symptomfreiheit und fallenden ßHCG-Werten ist eine Spontanheilung möglich (Verlaufskontrolle mit Ultraschall und ßHCG-Bestimmung).

14.5 Adnexitis Adnexitis: Meist von der Scheide (Zervix) ausgehende aufsteigende Infektion, die zu einer Entzündung der Adnexe einschließlich des Peritoneums führt.

Syn.: Adnexitis, Salpingitis, akuter Adnexprozess, „pelvic inflammatory disease“ (PID) Aufgrund des Entstehungsprozesses ist die Adnexitis häufig verbunden mit einer Zervizitis, Endometritis, Perimetritis, Oophoritis, Pelveoperitonitis, Parametritis, Perihepatitis (Fritz-Hugh-Curtis-Syndrom). Häufigkeit: ca. 1 auf 100 Frauen vorwiegend im reproduktiven Alter nach Aufnahme des Geschlechtsverkehrs, meist zwischen dem 15. u. 39. Lebensjahr, 70  % unter 25 Jahren, etwa 33 % haben ihre erste Infektion vor dem 20. Lebensjahr Die Adnexitis ist die häufigste gynäkologische Infektionskrankheit der nichtschwangeren Frau. Fritz-Hugh-Curtis-Syndrom: Durch unerkanntes Fortschreiten einer Chlamydieninfektion, Aszension und Eindringen in die Bauchhöhle kann tertiär die Leber in Form einer Perihepatitis befallen werden. (Abb. 14.6)

Abb. 14.6: Typische Verwachsungen von der Leberoberfläche zur vorderen Bauchwand (Fitz-Hugh-Curtis-Syndrom).

314 

 14 Gynäkologische Notfälle

Ätiologie: –– aszendierende Infektion (häufig !): kanalikulär via Zervikalkanal, Cavum uteri –– hämatogen oder deszendierende Infektion von Nachbarorganen (z. B. Appendix, insgesamt selten) –– iatrogen-postoperativ –– i. R. einer Tuberkulose (sehr selten) Keimspektrum (meist polymikrobiell): Neisseria gonorrhöae, Chlamydien, Anaerobier (vorwiegend Bacteroides) und fakultativ anaerobe Keime, Mycoplasma hominis, Enterobacteriaceae, E. coli Prädisponierende Faktoren –– Menstruation, Reflux von Menstrualblut, leicht geöffnete Cervix –– Geburt, Wochenbett, Abort –– Curettage –– liegendes Intrauterinpessar (vor allem in den ersten Wochen nach Einlage) –– Partnerzahl/-wechsel –– vaginale Infektionen Pathophysiologie: Entzündung der Tuben mit ödematöser Schwellung der Schleimhaut und Absonderung serös-eitriger oder eitrig-fibrinöser Exsudate führt zur einer Lumenverlegung und Einstülpung/Verklebung des Fimbrientrichters sowie des uterinen Ostiums, Perisalpingitis, Vermehrung des Exsudates, keulenförmige Auftreibung der Tube: Sacto-, Hydro-, Pyosalpinx (Abb. 14.7)

Abb. 14.7: Ausgeprägte Pyosalpingen beidseits bei aktuer Adnexitis.

Klinik der akuten Adnexitis: Schmerzen, Fieber, peritoneale Reizung Anamnese: plötzliche heftige Schmerzen im Unterbauch bis hin zum akuten Abdomen, erhöhte Temperaturen, beeinträchtigtes Allgemeinbefinden

14.5 Adnexitis 

 315

Klinisch-gynäkologischer Untersuchungsbefund: Abwehrspannung im gesamten Unterbauch, dolente Adnexregionen, Portio-Schiebe- und -Lüftungsschmerz Nebenbefunde: Kolpitis, Zervizitis, gelegentlich Blutungsstörungen, Diarrhöen, Meteorismus, Subileuserscheinungen, Blasenbeschwerden, Eiterabgang aus der Zervix Diagnose: Anamnese, klinischer Befund, Mikrobiologie (Zervixabstrich), Sonographie (auch zur Verlaufsbeobachtung), ggf. Laparoskopie (Diagnosebestätigung, Abstrichentnahme, Spülung des Bauchraumes, Sanierung); Laborwerte: Leukozytose, CRP-Erhöhung; Fiebermessung DD: Akute Appendizitis, Tubargravidität, Adnextuberkulose, Adnexendometriose, geplatzte Ovarialzyste, Ovarialkarzinom, stielgedrehter Ovarialtumor, Follikelblutung des Ovars, Divertikulitis, Cholezystitis, Pyelonephritis, Zystitis Therapie: –– Mögliches Therapieschema: 2 g Cefoxitin i.v. 4 × tgl. oder 1 g Ceftriaxon i.v. 1 × tgl. plus 100 mg Doxycyclin i.v. 2 × tgl. für mindestens 5 Tage; bei klinischer/laborchemischer Besserung Entlassung möglich; dann: oral 100mg Doxycyclin 2 × tgl. plus 400 mg Metronidazol 2 × tgl. für insgesamt 14 Tage (d. h. 5+9d) –– unkomplizierte Chlamydieninfektion: 1  g Azythromycin oral (Einzeldosis) oder 100 mg Doxycyclin 2 × tgl. für 7 Tage; alternativ: 500 mg Erythromycin 4 × tgl. für 7 Tage Bei ca. 20 % der Frauen mit einer Chlamydien bedingten Infektion des inneren Genitale entwickelt sich eine schwerere Form der Unterbauchentzündung; ca. 4–5 % von ihnen klagen über chronische Unterbauschmerzen als Folgezustand.

–– operative Therapie, wenn die konservative Behandlung wirkungslos ist, bei Adnextumor, Tuboovarialabszess, akutem Abdomen Folgen vor allem einer nicht oder nicht adäquat durchgeführten Adnexitistherapie: –– Verschluss des Tubenlumens: Fertilitätseinschränkungen/Sterilität –– unvollständige Verklebung/Lumeneinengung/narbige Abheilung: Risiko für Tubargravidität –– ausgedehnte Verwachsungen der Tube mit der Umgebung: chronische Unterbauchschmerzen und/oder Schmerzen beim Verkehr –– Entzündung im Douglasschen Raum: Retroflexio uteri fixata (selten) –– fortschreitende Entzündung: Tuboovarialabszess

316 

 14 Gynäkologische Notfälle

14.6 Tuboovarialabszess Epidemiologie/Pathogenese: Der Tuboovarialabszess stellt keine eigene Entität dar, sondern ist vielmehr der Endpunkt einer aszendierenden Genitalinfektion (Adnexitis) bzw. der sog. Pelvic inflammatory disease (PID). Ein kombinierter Abszess von Ovarien, Tuben und Umgebungsgewebe im kleinen Becken sowie dessen Abdeckung durch das große Netz ist Ausdruck einer prinzipiell noch intakten Abwehr des Körpers. Bei Ruptur des Abszesses kann es zu einer schnellen Ausbreitung der Infektion in der Bauchhöhle kommen. Darm, Peritoneum, Omentum majus sind ohnehin bereits sekundär betroffen (Abb. 14.8). Klinik: Häufig starke abdominelle Schmerzen, Abwehrspannung, Fieber, (Sub-)Ileussymptome inkl. Übelkeit und Erbrechen. Diagnostik: Laborchemisch CRP-Erhöhung sowie Leukozytose. Bei der gynäkologischen Untersuchung zeigen sich ein deutlicher Portioschiebeschmerz sowie ein druckschmerzhafter Adnexbereich. Sonografisch kann man Uterus und Adnexe oft nur noch schwer voneinander abgrenzen. Es findet sich dabei häufig ein großer zystisch-solider Konglomerattumor im Adnexbereich. Typische Erreger: Streptokokken, Enterobacteriaceae, Peptostreptokokken, Bacteriodes-Formen u.a Therapie: Es sollte zügig eine antibiotische intravenöse Therapie begonnen werden. Geeignet ist eine Kombination aus einem Cephalosporin wie Ceftriaxon und Doxycyclin oder Metronidazol, außerdem kommt die Kombination Clindamycin plus Gentamicin infrage. Eine operative Sanierung ist fast immer erforderlich, eine medikamentöse Therapie allein reicht meist nicht aus. Die OP kann primär oder nach einer mehrtägigen

Abb. 14.8: Ausgeprägter Tuboovarialabszess mit Pus im Unterbauch.

14.6 Tuboovarialabszess 

 317

Anbehandlung erfolgen. Oft muss dann auch eine Adnektomie durchgeführt werden, die bei jungen Frauen nur als ultima ratio in Frage kommt. Eine Abszesseröffnung und Spülung des Unterbauches kann laparoskopisch versucht werden. Die operative Versorgung von Tuboovarialabszessen ist technisch kompliziert und mit einer erhöhten Komplikationsrate assoziiert. In fortgeschrittenen Fällen mit bereits ausgeprägten Verwachsungen und Einbeziehung des Darmes kann auch eine Laparatomie notwendig werden; in seltenen Fällen ist auch eine Darmteilresektionen mit Anlage eines temporären Anus praeter nötig.

Lisa Antonia Dröge, Wolfgang Henrich

15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin Eine physiologische Schwangerschaft erfordert die Anpassung des Körpers durch ein gesteigertem Herzzeitvolumen, eine zunehmende renale Filtrationsleistung und eine Reduktion des Gefäßwiderstands. Die moderne Geburtsmedizin ist zunehmend mit Schwangeren höheren Alters und mit chronischer Vorerkrankung konfrontiert. Dies führt dazu, dass Geburtsmediziner nicht nur typische schwangerschaftsbedingte Komplikationen erkennen müssen, sondern sich auch mit interdisziplinären, vor allem internistischen, neurologischen und chirurgischen Krankheitsbildern auseinander setzen müssen. Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über schwangerschaftsbedingte sowie schwangerschaftsassoziiert auftretende Notfälle mit 1. zerebralen, 2. thorakalen, 3. abdominalen und 4. systemischen Komplikationen (s. Tab. 15.1). Die Reihung erfolgt nicht nach Prävalenz, sondern nach Relevanz der Erkrankung bei nicht rechtzeitiger therapeutischer Intervention. Tab. 15.1: Übersicht über die Komplikationsformen. Komplikations­ formen

Schwangerschafts­ induziert

Schwangerschafts­ assoziiert

Diagnostik

Zerebrale Komplika- –– Hypertensive Krise tionen –– Eklampsie Kopfschmerz und neurologische Symptome

–– Sinusvenenthrombose, Intrazerebrale Blutung –– (SAB, Aneurysma), Meningitis

–– RR, cCT, Angio-MRT, EEG, Liquorpunktion, Augenhintergrund

Thorakale Komplikationen Brustschmerz, Dyspnoe, HerzKreislaufversagen

–– Aortendissektion –– Angina pectoris –– Lungenödem, Mediastinalemphysem, Pneumothorax –– angeborene und erworbene Vitien –– Primär pulmonale Hypertension –– Kardiomyopathie

–– –– –– –– –– –– ––

–– Lungenembolie –– Fruchtwasserembolie → sekundär pulmonale Hypertension –– Mirrorsyndrom mit Pleuraerguss

https://doi.org/10.1515/9783110472356-019

BGA, SpO2 RR, Puls Echokardiographie EKG, D-Dimere Spiral-CT, Rö-Thorax Troponin, CK-MB pro-BNP, Albumin

320 

 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin

Tab. 15.1: (fortgesetzt) Komplikations­ formen

Schwangerschafts­ induziert

Schwangerschafts­ assoziiert

Diagnostik

Abdominale Kompli- –– HELLP-Syndrom kationen –– Endomyometritis und Ober-, Mittel- und A-StreptokokkenUnterbauchschmerz Sepsis –– Vorzeitige Lösung –– Uterusruptur –– Peritonitis durch Harnblasenläsio/ Darm­läsion nach Sektio

–– Appendizitis –– Cholezystitis, Pankreatitis –– Magenulcus, Nephrolithiasis –– Stieldrehung des Ovars –– Ovarialvenen­ thrombose –– Bridenileus

–– RR-Messung –– Sonographie, MRT, Angio-CT, ÖGD –– GOT/GPT, LDH,AP BB, Gerinnung, CRP, Lipase Kreatinin, Bilirubin, Urinstix –– Bakterieller Abstrich

Systemische Komplikationen Die vier häufigsten Gründe

–– Angeborene/ erworbene Gerinnungs­ störungen

–– BGA, BB, Hk –– Elektrolyte, Gerinnung –– SpO2, Sonographie

–– Atonie –– Plazentaretention, Geburtsverletzung, Koagulopathie –– Plazenta und Vasa praevia –– Abnorm invasive Plazentation (AIP)

15.1 Eklampsie Klinik: Generalisiert tonisch-klonischer Anfall, 50  % ante-, 30  % intra-, 10–30  % postpartal, (–48h) Prodromi: Präeklampsie, Kopfschmerz, Hyperreflexie, neurologisches Defizit, Sehstörungen (Abb 15.1) Diagnostik: RR-Messung, Reflexe DD: Epileptischer Anfall, intrakranielle Blutung, Hirntumor Epidemiologie: Präeklampsie 2–5 %, 80 % davon sind Erstpara Ätiologie: eskalierte Präeklampsie durch plazentare Dysfunktion: Hirnödem, vasogenes Ödem und Endothelinflammation Therapie: Magnesiumsulfat prophylaktisch und therapeutisch und ggf. Diazepam, Blutdruck einstellen (Ziel 140/90 mmHg), kausale Therapie durch Sectio

15.2 Sinusvenenthrombose 

(a)

 321

(b)

Abb. 15.1: Uterine Dopplersonographie im 2. Trimonen. (a) normaler Widerstand mit hohem enddiastolischen Fluss, (b) erhöhter Widerstand mit postsystolischer Inzisur und erhöhtem enddiastolischen Widerstand. Prognosefaktor für plazentare Dysfunktion mit späterer Präeklampsie.

15.2 Sinusvenenthrombose Klinik: Kopfschmerz, fokal neurologisches Defizit, ggf. epileptischer Anfall Diagnostik: Angio-MRT (Abb 15.2), CT DD: Migräne, Blutung, Insult, Hirntumor

Abb. 15.2: Angio-MRT der Kopf-Halsgefäße, sagittal langstreckige Thrombose im posterioren Segment des Sinus sagittalis superior.

322 

 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin

Epidemiologie: 1:200.000 außerhalb und 1:5000 innerhalb der Schwangerschaft Ätiologie: Schwangerschaft, 30 % idiopathisch, Faktor-V-Leiden und ProthrombinMutation, Antithrombinmangel, Protein-C- und Protein-S-Mangel, AntiphospholipidAntikörper Therapie: Niedermolekulares Heparin (NMH), peripartal Heparinperfusor, prophylaktisch 6 Wochen NMH o. Vitamin-K-Antagonisten, Antiepileptika, Thrombophilie abklären, selten Rezidiv

15.3 Intrakranielle Blutung Klinik: (Vernichtungs-) Kopfschmerz, neurologisches Defizit, Somnolenz, Konvulsion Diagnostik: cCT, cMRT (Abb 15.3) DD: Insult, Hirnödem, Migräne Epidemiologie: 1:10.000 Schwangerschaften Ätiologie: Hypertension, 5 % präexistentes Aneurysma Therapie: bei Symptomen eilige Sektio, bei symptomfreiem Aneurysma Sektio erwägen oder assistierte vaginale Geburt (Vakuumextraktion und PDA), gegebenenfalls Antihypertensiva

Abb. 15.3: Intrazerebrale Blutung mit Ventrikel­ einbruch nach RR 230/140 mmHg Spitzendruck und nachfolgendem Hirntod.

15.5 Fruchtwasserembolie 

 323

15.4 Lungenarterienembolie (LUAE) in der Schwangerschaft Klinik: Dys- und Tachypnoe, Tachykardie, Brustschmerz, Husten ggf. mit Hämo­ ptyse, Schwitzen, Hypoxämie nicht pathognomonisch, Jugularvenenstauung, Angst Untersuchung: Vitalparameter, BGA, Bedside-Echokardiographie, EKG, Spiral-CT –– negative D-Dimere schließen eine LUAE oder tiefe Beinvenenthrombose (TVT) aus, in der Schwangerschaft sind D-Dimere erhöht Die Echokardiographie dient zum Nachweis einer Rechtsherzbelastung und raschen Einschätzung der klinischen Relevanz sowie zur Differentialdiagnostik. DD: Kardiomyopathie, Pneumothorax, Pneumonie, kardiale Ischämie, Lungenödem Epidemiologie: TVT ca. 1/1000 Schwangerschaften, 10  % entwickeln LUAE, vor allem peripartal bis 6 Wochen postpartal Ätiologie: nach TVT postoperativ und peripartal wegen Hyperkoagulabilität Therapie: Fulminante TVT und LUAE: Lyse auch in der Schwangerschaft möglich, sonst therapeutische Heparinsierung, 3–6 Monate Erhaltungstherapie, im Notfall Thrombektomie

A. pulmonalis li A. pulmonalis re

Abb. 15.4: Thrombus der A. pulmonalis rechts.

15.5 Fruchtwasserembolie Klinik: 70 % peripartal, Synkope, Dyspnoe, Hypotension, kardiogener Schock, DIC (80 %) Untersuchung: Echo: Rechts- gefolgt von Linksherzversagen bei akuter pulmonaler Hypertension (Pulmonary Collapse Syndrome)

324 

 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin

Differentialdiagnosen: LUAE, Anaphylaktischer/Septischer Schock; Herzinfarkt, Aortendissektion Epidemiologie: 1:10.000 Schwangerschaften, Letalität 85  %, 60  % überleben mit neurologischem Defizit Ätiologie: Makrotransfusion von Fruchtwasser/fetalen Zellen: anaphylaktische Reaktion. Erhöhtes Risiko bei Uterustrauma (Sektio, Abort, Curettage, vaginal-operative Geburt), Polyhydramnion, Mehrlingen, Geburtseinleitung, Eklampsie, Multiparität Therapie: Reanimation (Cardiopulmonary resuscitation (CPR)), Notsectio; EKs, FFPs, TKs 1:1:1, Gerinnungsprodukte, Uterotonika, Kompressionsnähte, Hysterektomie, massive Flüsssigkeitstransfusion vermeiden Pathomechanismus: Durch Fruchtwasser ausgelöste, im Rahmen einer anaphylaktoiden Reaktion mit Komplementaktivierung auf fetale Antigene folgende Mikrothrombosierungen mit Vasospasmen: Pulmonale Hypertension und systemische Hypotension, Rechtsherzversagen. Massive Hämorrhagie durch DIC.

15.6 Aortendissektion Klinik: schneidend-scharfer Rücken- und Thoraxschmerz. Ausstrahlung in den Hals, Arm, Unruhe. Plötzliches Herz-Kreislaufversagen nach Ruptur Untersuchung: Echokardiographie und CT Differentialdiagnosen: Herzinfarkt, LUAE, Bandscheibenprolaps Epidemiologie: ca. 1:15.000, Letalität 75 %. Bei Frauen 40-Jährige) Ätiologie: Gesteigerter O2-Bedarf und Herzleistung in der Schwangerschaft Therapie: –– Diagnostisch und therapeutisch: 1.  Wahl Herzkatheter, Stent ohne Clopido­ grel wenn möglich; ggf. Thrombolyse, Bypass: fetale Mortalität 20 %. Low-dose Aspirin, NMH, Nitrate, ß-Blocker möglich. Keine Statine. Prospektiv: keine Schwangerschaft mit linkventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF)  6mm, freie Flüssigkeit retrozökal und im Douglas, perityphlitischer Abszess DD: Cholelithiasis, Stieldrehung, Pankreatitis Epidemiologie: ca. 5–10/10.000, v.a. im 2. und 3. Trimenon, wie bei Nicht-Schwangeren, häufiger Perforation Ätiologie: wie bei Nicht-Schwangeren: Koprostase Therapie: Kein konservatives Vorgehen!

–– Laparoskopie (Abb. 15.7): Cave: Uterusmanipulation, erhöhte Fehl- und Frühgeburtsrate (2–3 %) –– bei perityphlitischem Abszess, Perforation und Peritonitis: Breitspektrumantibiotika, Tokolyse

330 

 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin

2 3

1

3

1 2

28. SSW

16. SSW

Abb. 15.7: Trokarplatzierung zur laparos­ kopischen Appendektomie mit Verlagerung der Appendix in Abhängigkeit von der Schwangerschaftswoche.

15.15 Pankreatitis Klinik: Oberbauch-/Rückenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, ggf. Ikterus, Fieber Untersuchung: Sono, Labor: Transaminasen, Lipase, CRP, PCT, Bilirubin, Calcium, Triglyceride DD: Hyperemesis gravidarum, Gastritis, Cholezystitis Epidemiologie: 1:3.000 Ätiologie: zumeist bei Cholelithiasis und Stase im Ductus choledochus, schwangerschaftsbedingte Hypertriglyceridämie, Hypocalciämie zeigt schlechte Prognose Therapie: Hydrierung, Nahrungskarenz, Analgesie, bei Gallensteinen ggf. operative Intervention

15.16 Nephrolithiasis Klinik: Flankenschmerzen, durch Aufstau Pyelonephritis, Sepsis Untersuchung: Sono (60 % Sensitivität), ggf. MRT/CT Differentialdiagnosen: Appendizitis, Magenulkus, Pankreatitis, HELLP-Syndrom, vorzeitige Lösung Epidemiologie: ca. 1:1.500

15.18 Brideninleus 

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Ätiologie: erhöhter Progesteronspiegel, mechanische Kompression der Ureteren. Calciumsubstitution fördert die Steinbildung Therapie: Analgesie, Hydrierung bei Infektzeichen: Ureterschieneneinlage, notfalls Nephrostomie, Ureteroskopie (nicht bei Infektzeichen), Kontraindiziert sind: Lithotripsie, Nephrolithotomie

15.17 Ovarialvenenthrombose Klinik: Unterbauchschmerz, Fieber (80 %), Komplikation: Sepsis, LUAE bis 25 % Untersuchung: Angio-MRT, CT Differentialdiagnosen: Appendizitis Epidemiologie: 1:10.000 nach Spontanpartus, –1:1000 nach Sektio. Relatives Risiko erhöht bei Mehrlingen, 90  % rechts (Blutabfluss des schwangeren Uterus v.a. über V. ovarica rechts) Ätiologie: Hyperkoagulabilität in Schwangerschaft, bei Thrombophilie Therapie: Antibiotika, NMH in therapeutischer Dosis bis Fieber sistiert, danach prophylaktische Gabe

15.18 Brideninleus Klinik: Unter-, Oberbauchschmerzen, Obstipation, Blähungen, Übelkeit, schwallartiges Erbrechen Untersuchung: Sono, Röntgen Abdomen, CT, BB, CRP, Elektrolyte, diagnostische Laparoskopie Differentialdiagnosen: Appendizitis, Ulkus, Volvulus, Nephrolithiasis, paralytischer Ileus Epidemiologie: selten, v.a. im III. Trimenon Ätiologie: v.a. nach Appendektomie, Adhäsionssitus Therapie: Magensonde, laparoskopische Adhäsiolyse, evtl. Darmteilresektion

332 

 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin

15.19 Stieldrehung des Ovars Klinik: akuter Unterbauchschmerz, lokale Abwehrspannung, ev. Übelkeit, Erbrechen, moderate Leukozytose und CRP Erhöhung Untersuchung: –– Palpation, Sonographie inkl. Farb-Doppler, direkt unter dem Schallkopf gelegene druckdolente Ovarialzyste ev. mit Kapselödem –– MRT, Labor: Blutbild, CRP DD: Appendizitis, Ovarialvenenthombose Epidemiologie: selten, besonders im 1. Trimenon häufiger rechts (Sigma links protektiv) Ätiologie: anatomische Besonderheiten: Hypermotilität des Ovars z. B. nach Hormonstimulation, Adhäsionen, nach ruckartiger Bewegung, Adnexvarikosis Therapie: Laparoskopische Detorquierung und Zystenenukleation. Organerhalt anstreben, bei Nekrose Adnexektomie, perioperative Tokolyse Cave: Uterusperforation durch Trokareinstich

15.20 Endomyometritis/A-Streptokokkensepsis Klinik: Allgemeines Krankheitsgefühl, Frontalkopfschmerz, Unterbauchschmerz, Fieber, fötide Lochien, Diarrhö als Peritonitonitiszeichen –– selten aber fulminant: Toxic Shock Syndrom durch A-Streptokokken: –– zunehmende Schmerzen trotz Analgetika, zunehmende CRP-Erhöhung bei gleichzeitiger Leukopenie. Fieber und Leukozytose gelten als günstiges Verlaufskriterium –– Sepsiskriterien: Ggeneralisierte Abgeschlagenheit, Gliederschmerz, Hypotension, Fieber, Tachykardie Untersuchung: Palpation v. abdominal, Blutbild, CRP, Lochialabstrich, Streptokokken-A-Schnelltest, > 38 °C Blutkulturen, Sonographie Epidemiologie: ca. 3:100 Geburten bis 10 Tage postpartal, A-Streptokokken 6:100.000 v.a. in den ersten 4 Tagen post partum, vierthäufigste schwangerschaftsbedingte Todesursache in Deutschland DD: Appendizitis, Lochialstau, Pyelonephritis



15.21 Vorzeitige Plazentalösung 

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Ätiologie: aszendierende Infektion aerober und anerober Keime, Kontakt mit A-Streptokokken-Infizierten (Scharlach!), häufiger nach vaginaler Geburt (vorzeitiger Blasensprung) als nach Sektio, da keine generelle Antibiotikaprophylaxe, Therapie: Antibiotika. Bei A-Streptokokken: Intensivmedizinische Behandlung, Penicillin G und Clindamycin; trotz Behandlung hohe Letalität (50 %)

15.21 Vorzeitige Plazentalösung Klinik: Vaginale Blutung 50 %, Schmerzen 50 %, Dauerkontraktion, ev. brettharter Uterus –– Grad 0: retrospektive Diagnose –– Grad I: Blutung –– Grad II: Schmerzen und auffälliges CTG –– Grad IIIa: Schock und intrauteriner Fruchttod –– Grad IIIb: IIIa + DIC Untersuchung: Ultraschall, CTG, Spekulumeinstellung, Blutbild (Thrombozyten, Hb) DD: vorzeitige Wehen, Plazenta/Vasa praevia, Blutung, Zeichnungs-, Ektopie- und Carcinomblutung Epidemiologie: 1000 ml, -Grad II: 1000 bis >1500 ml, -Grad III: >1500 ml; schlaffer Uterus, Hypotonie, Tachykardie. Normaler Blutverlust: Spontangeburt: bis 500 ml; Sektio: bis 1000 ml Untersuchung: Uteruskontraktion, Spiegeleinstellung, Abdominalsonographie zum Ausschluss eines Plazentarestes DD: Geburtsverletzungen, Plazentarest, Gerinnungsstörung Epidemiologie: 5 % aller Geburten, führende Ursache der Müttersterblichkeit Ätiologie: Plazentareste/-retention, Uterusüberdehnung: Polyhydramnion, Makrosomie, Mehrlinge, Infektionen (AIS) Therapie: –– medikamentös: Oxytocin, Misoprostol, Sulproston, FFP, Tranexamsäure, FBG, EKs und TKs –– mechanisch: Kompression z. B. Credé- und Hamilton- Handgriff, Aortenkompression –– interventionell: Bakriballon, Uteruskompressionsnähte z. B. nach B-Lynch, Embolisation/Ligatur der Aa uterinae, notfalls Hysterektomie

15.23 Hämatoperitoneum bei spontaner Gefäßruptur Klinik: Hypotonie, Blässe, Tachykardie, akutes Abdomen, plötzlicher Hb-Abfall Untersuchung: Hb, Hk, Sono: freie Flüssigkeit intraabdominell DD: Uterusruptur, Gefäßrupturen der abdominellen Gefäße (z. B. A. hepatica, A. lienalis, A. ovarica und A. uterina) Epidemiologie: selten



15.25 Plazentationsstörungen II 

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Ätiologie: angeborene oder erworbene Gefäßfragilität (präexistentes Aneurysma), prädisponierend sind Endometriose und Myome Therapie: notfallmäßige explorative Längslaparatomie, Blutstillung

15.24 Plazentationsstörungen I: Plazenta praevia/Vasa praevia Klinik: in 80 % schmerzfreie Blutung Untersuchung: Ultraschall: Plazenta praevia marginalis: bis 2cm vor dem inneren Muttermund/ Praevia totalis: Plazenta liegt vor dem inneren Muttermund. Vasa praevia: kindliche Gefäße vor dem inneren Muttermund. Epidemiologie: Plazenta praevia 1:200, Vasa praevia 1:2.000, nach Kinderwunschbehandlung 1:300; nicht diagnostiziert: über 50 % perinatale Mortalität Ätiologie: Vorausgegangene Uterusoperationen: Sektio, Curettage; Multiparität, Rauchen Therapie: Sektio bei Vasa praevia ab 36+0 SSW je nach Geburtsbestrebungen, Plazenta praevia ab 37+0SSW am wehenfreien Uterus (CAVE: transplazentare Kindsentwicklung bei von der Vorderwand ausgehender Plazenta praevia)

15.25 Plazentationsstörungen II: Plazenta accreta, increta, percreta Klinik: ggf. vaginale Blutung, postpartale Plazentaretention und Atonie Untersuchung: Sonographie: Fehlende Abgrenzung zwischen Plazenta und Myometrium, Vorbuckeln der Uteruskontur, Mottenfraslakunen, plazentare Hypervaskularisation mit Brückengefäßen zwischen plazentaren Lakunen und Uterusoberfläche bzw. Blasenwand, MRT zur OP-Planung Epidemiologie: zunehmend mit steigender Sektiorate, ca 1:700 Ätiologie: Vorausgegangene Uterusoperation: Sektio, Curettage, Multiparität Therapie: Elektive Sektio nach 35. SSW, EKs, TKs, Gerinnungsprodukte. Je nach Größe des Plazenta percerta/increta-Anteils: Hysterektomie oder Exzision des invadierten Uterussegments

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 15 Maternale Notfälle in der Geburtsmedizin

15.26 Uterusruptur Klinik: Unterscheide Ruptur am nichtoperierten Uterus und Ruptur nach vorausgegangener Sektio!

Unterbauchschmerzen, Wehensturm und eine sichtbare Bandl-Furche sind Zeichen des cephalopelvinen Missverhältnisses bei prothrahierter Geburt. Bei Spontanpartus nach Sektio unter PDA kann das einzige Zeichen einer Uterusruptur das pathologische CTG sein. Untersuchung: Sonographie, CTG Differentialdiagnosen: vorzeitige Lösung Epidemiologie: 1:17.000 ohne Vor-OP, 1 % nach uterinem tiefem Querschnitt, 10 % nach anderer Schnittführung Ätiologie: Vorausgegangene Sektio oder Myomenukleation. Risikoerhöhung bei Geburtseinleitung, bei unteren Uterinsegment