Übungen im Medienrecht 9783899495898, 9783899494471

Media law is a portmanteau term for various areas that cover individual and mass communication as information and entert

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Übungen im Medienrecht
 9783899495898, 9783899494471

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow
Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente
Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente
Fall 4: Verfilmung einer tatsächlich begangenen Straftat
Fall 5: Satirischer Beitrag in einer Zeitschrift
Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen
Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten
Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk
Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion
Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses für Markenrechtsverstöße der Auktionsteilnehmer
Fall 12: Sperrung des Zugangs zu Internetseiten
Backmatter

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JURA Übungen

JURA Juristische Ausbildung

Übungen herausgegeben von

Professor Dr. Dagmar Coester-Waltjen, München Professor Dr. Dirk Ehlers, Münster Professor Dr. Klaus Geppert, Berlin Professor Dr. Jens Petersen, Potsdam Professor Dr. Helmut Satzger, München Professor Dr. Friedrich Schoch, Freiburg i. Br. Professor Dr. Klaus Schreiber, Bochum

De Gruyter Recht · Berlin

Karl-Nikolaus Peifer Tanja Dörre

Übungen im Medienrecht

De Gruyter Recht · Berlin

Dr. iur. Karl-Nikolaus Peifer, Professor an der Universität zu Köln, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht mit Urheberrecht, Gewerblichen Rechtsschutz, Neue Medien und Wirtschaftsrecht Wiss. Mitarbeiterin Tanja Dörre, Universität zu Köln, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht mit Urheberrecht, Gewerblichen Rechtsschutz, Neue Medien und Wirtschaftsrecht

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 978-3-89949-447-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Copyright 2008 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Iris Farnschläder, Kassel Datenkonvertierung: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten

Vorwort

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Vorwort Vorwort Vorwort Mit der Verlagerung von Teilen des Ersten Staatsexamens in die Verantwortung der Universitäten haben sich die Prüfungsanforderungen verschoben. Viele Fakultäten haben die ihnen angebotene Möglichkeit dazu genutzt, ihre Schwerpunktausbildung zu stärken, um die angehenden Juristinnen und Juristen zielgerechter auf bestimmte juristische Berufe vorzubereiten. Der Anteil der Spezialisierung bereits während der Ausbildung in der Studienphase hat sich dadurch deutlich erhöht. Gleichzeitig wurde im staatlichen Teil des Ersten Staatsexamens das Gewicht der Aufsichtsarbeiten deutlich erhöht. Aufsichtsarbeiten sind auch heute noch überwiegend Fallgutachten. Die Themenarbeit ist zwar vereinzelt vorzufinden, doch wurde sie überwiegend in die Seminare verlagert. Damit erscheint es aus didaktischer Sicht geboten, auch in den Schwerpunktbereichen Fallgutachten zu erproben. Auf diese Weise kann Wissen im relevanten Zusammenhang erlernt und seine Bedeutung für die rechtliche Lösung erprobt werden. Die vorliegende Sammlung von Fällen wurde im Schwerpunktbereich Medienrecht und Kommunikationsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln entwickelt und erprobt. Die Verfasser erreichten zahlreiche Bitten von Studierenden anderer Fakultäten, das Fallmaterial in einer didaktisch aufbereiteten Weise einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dieser Bitte sind wir mit dem vorliegenden Werk nachgekommen. Vorgelegt werden 12 Fälle, die das Rechtsgebiet mit seinen klausurtypischen Besonderheiten vorstellen und in systematischer Weise aufbereiten. Die Fälle sind miteinander vernetzt, so dass Einzelheiten wiederholt und vertieft werden und somit ein zusätzlicher Lerneffekt erzielt wird. Für die Verfasser steht im Vordergrund das Bemühen, Klausurtechnik im sachlichen Zusammenhang zu vermitteln. Die Sammlung behandelt vor allem die medienprivatrechtlichen Grundlagen des Fachgebiets, ohne jedoch die öffentlich-rechtliche Herkunft des Fachgebiets zu vernachlässigen. Die Besonderheit verfassungsrechtlicher Einwirkungen auf das Privatrecht spielt bei zivilrechtlichen Fällen eine Rolle. Die Fälle sind parallel aufgebaut. Sie beginnen mit dem Sachverhalt, der überwiegend gerichtlichen Entscheidungen entnommen wurde. Bewusst wurde darauf verzichtet, die Originalsachverhalte stärker als erfor-

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Vorwort

derlich zu vereinfachen oder zu banalisieren. Die Studierenden sollen darauf vorbereitet werden, die wesentlichen Angaben der für die Falllösung erheblichen tatsächlichen Hinweise in der im Gerichtsverfahren zu findenden typischen sachlichen Formulierung herauszuarbeiten und im Gutachten zu verwenden. Im zweiten Teil jeder Falllösung werden die „Schwerpunkte des Falles“ lehrbuchartig, aber kurz dargestellt. Das Werk versucht auf diese Weise, die Vorzüge eines Lehrbuchs mit denen einer Fallsammlung zu verbinden. Es verfolgt so das Ziel, die Abschlussklausur einer Vorlesung zielgerechter vorzubereiten, als dies eine rein systematische Darstellung zu tun beabsichtigt. Im Schlussteil folgt jeweils eine ausformulierte Lösungsskizze zur Lernkontrolle. Die Lösungsskizze beschränkt sich auf das für die Klausur Notwendige. Alle darüber hinausgehenden Informationen, die für das Verständnis wichtig sind, finden sich in den „Schwerpunkten“. Das Fallmaterial kann zur individuellen Nach- und Vorbereitung genutzt werden, allerdings auch Grundlage für studentische Arbeitsgemeinschaften sein. Für wertvolle Vor- und Kontrollarbeiten danken wir Frau stud. iur. Katharina Greis und Frau stud. iur. Charlotte Helmke. Köln, 25. 9. 2007 Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität zu Köln [email protected]

Wiss. Mit. Tanja Dörre

Inhalt

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Inhalt Inhalt Inhalt Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow (vgl. LG Hannover, Urteil vom 11. 1. 2006, – 6 O 73/05 –, AfP 2006, 193 – Fallaufbau in persönlichkeitsrechtlichen Fällen, Grundlagen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Ehrenschutz, Sanktionensystem, insbesondere Schadensersatz- und Geldentschädigungsanspruch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente (vgl. BGH, Urteil vom 5. 12. 1995, – VI ZR 332/94 –, NJW 1996, 984 – Vertiefung allgemeines Persönlichkeitsrecht, insbesondere Diskretionsschutz gegenüber der Unterhaltungspresse, Schutz der Intim-, Privat- und Sozialsphäre, Tatsachenbehauptung und Werturteil, Vertiefung Sanktionensystem, insbesondere Berichtigungs-, Widerrufsund Gegendarstellungsanspruch) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente (vgl. EGMR, Urteil vom 24. 6. 2004, – 59320/00 –, NJW 2004, 2647; BVerfG, Urteil vom 15. 12. 1999, – 1 BvR 653/96 –, NJW 2000, 1021; BGH, Urteil vom 19. 12. 1995, – VI ZR 15/95 –, NJW 1996, 1128 – Recht am eigenen Bild, Besonderheiten der Bildberichterstattung durch die Presse, Entwicklung der Prominentenrechtsprechung, Unterlassungsanspruch als Sanktion) . . . . . . . . . . . . . .

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Fall 4: Verfilmung einer tatsächlich begangenen Straftat (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. 6. 1973, – 1 BvR 536/72 –, NJW 1973, 1226; OLG Koblenz, Urteil vom 5. 10. 1972, – 9 U 552/72 –, NJW 1973, 251; BVerfG, Beschluss vom 25. 11. 1999, – 1 BvR 348/98 –, NJW 2000, 1859; OLG Saarbrücken, Urteil vom 14. 1. 1998, – 1 U 785-97-155 –, NJW-RR 1998, 745; OLG Koblenz, Urteil vom 24. 3. 1998, – 4 U 1992/97 –, AfP 1998, 328 – Berichterstattung über Straftäter im Rundfunk, Rundfunkfreiheit, Filmfreiheit, Verdachtsberichterstattung) . . . . .

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Inhalt

Fall 5: Satirischer Beitrag in einer Zeitschrift (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. 6. 1987, – 1 BvR 313/85 –, NJW 1987, 2661 – Persönlichkeitsschutz nach dem Tode, Kunstfreiheit, Besonderheiten der Satire) . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen (Presserecht, besondere verfassungsrechtliche Stellung der Presse, Sorgfaltspflichten der Presse bei der Recherche und Berichterstattung, Presseselbstkontrolle)

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Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten (vgl. BGH, Urteil vom 10. 2. 2005, – III ZR 294/04 –, NJW 2005, 1720; VGH München, Beschluss vom 13. 8. 2004, – 7 CE 04.1601 –, AfP 2004, 473; OVG NRW, Beschluss vom 19. 2. 2004, – 5 A 640/02 –, AfP 2004, 475; BVerwG, Urteil vom 3. 12. 1974, – I C 30.71 –, BVerwGE 47, 247 – Presserecherchen und Pressezugang zu behördlichen Informationen, Informations- und Auskunftsansprüche der Presse und des Bürgers gegen öffentlich-rechtliche Institutionen)

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Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. 1. 1986, – 1 BvQ 12/85 –, BVerfGE 71, 350; BVerfG, Beschluss vom 24. 3. 1987, – 1 BvR 147, 478/86 –, BVerfGE 74, 297 – Rundfunkrecht und Rundfunkfreiheit, Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Finanzierung durch Rundfunkgebühren, Rundfunkgebühren als Beihilfe) . . .

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Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk (Rundfunkbegriff, Werbeeinschränkungen des Rundfunkrechts, Schleichwerbung und Produktplatzierung) . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion (vgl. AG Peine, Urteil vom 15. 9. 2004, – 18 C 234/04 –, NJW-RR 2005, 275; AG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 22. 12. 2005, – 712 C 465/05 –, CR 2006, 424 – Recht der neuen Medien, Haftung bei negativer Bewertung in Online-Meinungsplattformen, Vertragsschluss bei InternetAuktionen, Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Selbstregulierung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses für Markenrechtsverstöße der Auktionsteilnehmer (vgl. BGH, Urteil vom 19. 4. 2007, – I ZR 35/04 –, K & R 2007, 387; BGH, Urteil vom 11. 3. 2004, – I ZR 304/01 –, BGHZ 158, 236; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. 2. 2004, – I-20 U 204/02 –, MMR 2004, 315 – Recht der neuen Medien im elektronischen Geschäftsverkehr, Haftung von Internetdiensteanbietern, Störerhaftung für Verstöße gegen das Recht des Geistigen Eigentums) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fall 12: Sperrung des Zugangs zu Internetseiten (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 19. 3. 2003, – 8 B 2567/02 –, MMR 2003, 348; VG Düsseldorf, Urteil vom 10. 5. 2005, – 27 K 5968/02 –, CR 2005, 885; VG Köln, Urteil vom 3. 3. 2005, – 6 K 7151/02 –, MMR 2005, 399 – Vorgehen gegen Zugangsvermittler bei Rechtsverstößen, Jugendschutz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow (vgl. LG Hannover, Urteil vom 11. 1. 2006, – 6 O 73/05 –, AfP 2006, 193) Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

I.

Sachverhalt

Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

Der Comedy-Star P moderiert am 22. 1. 2005 die Außenwette in der Unterhaltungsshow „Wetten, dass …?“, die ca. 14,5 Millionen Zuschauer im Fernsehen verfolgen. U. a. interviewt er G, eine Zuschauerin der Außenwette, die denselben Nachnamen wie der Hauptmoderator der Show trägt. Folgendes Gespräch zwischen P und G wird live übertragen: P: „Oh, Frau G. Herzlich Willkommen. Sie heißen also so wie der Moderator von ,Wetten, dass …?‘“. G: „Ja!“ (G zeigt P ihren Personalausweis.) P: „Ich will ja nichts sagen, aber du siehst echt ganz schön alt aus für dein Alter.“ G: „Ja. Dankeschön.“ (P und G sprechen nun über den Nachnamen der G.) P: „Ja, wir haben übrigens ne schöne Operationsshow bei Pro7. Da könnte ich Sie mal vorschlagen.“ G: „Vielen herzlichen Dank.“ (G lacht und winkt ins Publikum.) P: „Ja, ich wollt einfach …“ G: „Beim nächsten Mal im Fußballstadion werde ich dich verprügeln.“ P: „Jawoll!“ G: „Ok.“ P: „Rüpel!“ In den folgenden Tagen berichten die Medien über dieses Interview. Am 25. 1. 2005 wendet sich G zunächst an Presseagenturen und sodann an P persönlich, um bekannt zu geben, dass sie von P die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlange. P entschuldigt sich am 26. 1. 2005 telefonisch bei G und erklärt überdies am 27. 1. 2005 in einer Live-Fernsehsendung: „Ich war ja bei ,Wetten, dass …?‘. Mein Auftritt hat ja etwas … Wirbel verursacht, mehr oder weniger. Und … es ist an dieser Stelle auch wirklich mal Zeit, Entschuldigung zu sagen. Deswegen, falls ich jemanden am Samstag mit meinem Auftritt verletzt habe, dann tut mir das wirklich leid.“ G tritt in der Folgezeit in drei Fernsehsendungen auf, in denen sie sich zu dem Interview äußert. In diesem Rahmen gestattet sie den Fernsehsendern, das Interview einzuspielen.

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

Sie ist der Ansicht, P sei verpflichtet, ihr 35.000 € zu zahlen, um die Nachteile auszugleichen, die sie infolge des Interviews erleidet. Vor allem ertrage sie es nicht, ständig auf den Vorfall angesprochen zu werden. P meint, seine Äußerungen seien harmlos gewesen. Schließlich seien Schönheitsoperationen in der modernen Gesellschaft üblich und anerkannt. Auch viele Prominente würden sich hierzu bekennen. Außerdem habe G sich freiwillig von ihm interviewen lassen und seine Bemerkungen durch ihr selbstbewusstes Auftreten provoziert. Zu berücksichtigen sei ferner, dass es sich um Spontanäußerungen in einer Live-Sendung gehandelt und er mit G einen „Schlagabtausch auf Augenhöhe“ geführt habe. Hat G gegen P einen Anspruch auf Zahlung von 35.000 €?

II. Schwerpunkte des Falles Fall 1 betrifft den Ehrenschutz als Unterfall des Persönlichkeitsschutzes. Zentral ist das Verhältnis von Ehre und Meinungsfreiheit. Außerdem behandelt er die Voraussetzungen eines Geldentschädigungsanspruchs sowie die Berechnung einer Geldentschädigung. 1. Allgemeine Hinweise zur Prüfung persönlichkeitsrechtlicher Fälle Die zivilrechtliche Prüfung persönlichkeitsrechtlicher Fälle beginnt mit der Frage, welche Anspruchsgrundlage einschlägig ist. Die Anspruchsgrundlage richtet sich nach der begehrten Rechtsfolge und der verletzten Rechtsposition. Verletzt ist im Fall 1 möglicherweise das Recht auf Ehre. Zivilrechtlich ist dieses Recht über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB geschützt, wenn es um vorsätzliche Beleidigungen geht. Einen besonderen Rechtfertigungsgrund regelt § 193 StGB („Wahrnehmung berechtigter Interessen“). In diesem Rahmen sind die Medienfreiheiten aus Art. 5 GG zu berücksichtigen und mit dem Persönlichkeitsrecht abzuwägen. Wenn die Beleidigung „nur“ fahrlässig erfolgt, kommt ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Das verletzte Rechtsgut („sonstiges Recht“) stellt das Recht auf Ehre als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Auch hier sind die Grundrechte des Anspruchsgegners zu beachten. Ihre Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht erfolgt innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Rahmenrecht ist, liegt einer der wenigen Fälle vor, in denen die Verletzung des Tatbestands nicht die Rechtswidrigkeit indiziert,

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sondern die Rechtswidrigkeit positiv festgestellt werden muss. Der Abwägungsvorgang ist zentral für die Falllösung. In diesem Bereich haben sich typische Konstellationen herausgebildet, die in den Fällen 1 bis 5 näher behandelt werden. Folgendes Grobschema zu § 823 BGB sollte der Fallbearbeiter sich einprägen: Man beginnt mit § 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB, definiert im Rahmen dieser Norm den zivilrechtlichen Schutzgehalt des Persönlichkeitsrechts, um sodann auf der Ebene der Rechtswidrigkeit die grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten gegen das Gewicht der persönlichkeitsrechtlichen Beeinträchtigung abzuwägen. Im Übrigen gilt das allgemeine Prüfungsschema zu § 823 BGB (vgl. Peifer, Schuldrecht. Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 3, Rn. 1) mit einigen anspruchsspezifischen Ergänzungen (vgl. Fälle 1 bis 5). Oftmals überprüft das BVerfG persönlichkeitsrechtliche Entscheidungen der Zivilgerichte. In vielen Fällen beanstandet das im Zivilprozess unterlegene Medienunternehmen, dass die zivilgerichtliche Verurteilung und damit ein Akt der öffentlichen Gewalt seine medialen Freiheiten beschränkt. Daraufhin untersucht das BVerfG, ob das Zivilgericht bei der Auslegung des einfachen Rechts die Wertung der (Medien-)Grundrechte beachtet hat. Sofern der Fallbearbeiter sich zu der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde des Medienunternehmens äußern soll (öffentlichrechtliche Klausur), muss er seine Prüfung – anders als in der zivilrechtlichen Klausur – mit den Mediengrundrechten beginnen. Da das zivilgerichtliche Urteil möglicherweise in Mediengrundrechte „eingreift“, ist zunächst der Schutzgehalt der Medienfreiheit zu bestimmen. Sodann sind die Schranken des Grundrechts zu prüfen und schließlich sind auf der Schranken-Schranken-Ebene die Mediengrundrechte mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuwägen. 2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht hat eine verfassungsrechtliche sowie eine zivilrechtliche Ausprägung. Verfassungsrechtlich handelt es sich um ein die speziellen Freiheitsrechte ergänzendes „unbenanntes Freiheitsrecht“. Zivilrechtlich ist es als ein „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (erstmals BGHZ 13, 334, 337 f. – „Leserbrief“; zu den Unterschieden zwischen dem verfassungsrechtlichen und dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht: Jarass, NJW 1989, 857, 858).

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a) Verfassungsrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht aa) Schutzbereich (1) Sachlicher Schutzbereich

Ziel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es, dem Einzelnen einen „autonomen Bereich privater Lebensgestaltung (zu sichern), in dem er seine Individualität wahren und entwickeln kann“ (BVerfG, NJW 1973, 1226, 1227). Um auf künftige gesellschaftliche Veränderungen und technische Entwicklungen reagieren zu können, ist der Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts allerdings nicht abschließend bestimmt. Vielmehr hat die Rechtsprechung anhand der zu entscheidenden Einzelfälle verschiedene Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herausgebildet. In der „Eppler-Entscheidung“ (NJW 1980, 2070, 2071) zählte das BVerfG den Schutz der Intim-, Privat- und Geheimsphäre, den Ehrenschutz, das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort sowie das Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen verschont zu bleiben, als persönlichkeitsrechtliche Ausprägungen auf. Infolge des „VolkszählungsUrteils“ (BVerfG, NJW 1984, 419, 421 f.) ist überdies das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anerkannt. (2) Persönlicher Schutzbereich

Auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG können sich alle natürlichen Personen berufen. Juristische Personen sind Träger dieses Grundrechts gemäß Art. 19 Abs. 3 GG nur, sofern es seinem Wesen nach auf sie anwendbar ist, was davon abhängt, welche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist (zum Recht am gesprochenen Wort: BVerfGE 106, 28, 42). In jüngerer Zeit mehren sich die Stimmen, die davon ausgehen, dass auch juristische Personen eine Ehre im Sinne sozialer Reputation haben, also beleidigt werden können (BGH, NJW 1994, 1281, 1282). Diese Tendenz ist kritisch zu sehen, denn sie stellt juristische Kunstgebilde den Menschen gleich. bb) Schranken

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegt den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG – den Rechten anderer, d. h. den durch die Rechtsordnung, insbesondere durch die Grundrechte, geschützten Rechtsgütern Dritter, der

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verfassungsmäßigen Ordnung, worunter alle formell und materiell verfassungsmäßigen Normen zu verstehen sind, sowie dem Sittengesetz. cc) Schranken-Schranken

Um das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht auszuhöhlen, ist das einschränkende Gesetz seinerseits im Lichte des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auszulegen („Wechselwirkungslehre“). Erforderlich ist eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung zwischen den persönlichkeitsrechtlichen Belangen und den durch das einschränkende Gesetz geschützten Interessen. b) Zivilrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht

Die Prüfung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Rahmen des § 823 BGB ähnelt der verfassungsrechtlichen Prüfung insofern, als zunächst die Beeinträchtigung des Schutzbereichs zu erörtern und sodann das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit den widerstreitenden Interessen des Anspruchsgegners abzuwägen ist, um festzustellen, ob die Beeinträchtigung rechtswidrig ist. Inhaltlich entsprechen sich die verfassungsrechtliche und die zivilrechtliche Schutzbereichsprüfung sowie die verfassungsrechtliche „Schranken-Schranken-Prüfung“ und die zivilrechtliche Rechtswidrigkeitsprüfung weitgehend. Zu beachten ist, dass einige besondere Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in speziellen zivilrechtlichen Vorschriften normiert sind (hierzu Peifer, Schuldrecht. Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 3, Rn. 47 f.). Zu diesen sog. „besonderen Persönlichkeitsrechten“ gehören: – das Namensrecht (§ 12 BGB), – das Recht am eigenen Bild (§§ 22 ff. KUG), – das Recht an der Stimme (§§ 22 ff. KUG analog) und – das Urheberpersönlichkeitsrecht (§§ 12 ff. UrhG). Sofern sich diese Spezialregelungen, die Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen, mit Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überschneiden, die gesetzlich nicht explizit geregelt sind, gehen erstere vor. Zu den wichtigen Ausprägungen des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die nicht spezialgesetzlich geregelt sind (hierzu Peifer, Schuldrecht. Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 3, Rn. 49), zählen: – die Ehre (relevant im Hinblick auf fahrlässige Ehrverletzungen, denn §§ 185 ff. StGB setzen Vorsatz voraus),

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– das Recht am eigenen Bild (relevant im Hinblick auf Bildaufnahmen, denn §§ 22 ff. KUG richten sich nur gegen die Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung eines Bildnisses), – die Diskretion (Intim-, Privat- und Sozialsphäre; besondere Ausprägung: Recht auf informationelle Selbstbestimmung) und – die persönliche Identität/Individualität (Recht auf wahrheitsgemäße Darstellung wesentlicher Persönlichkeitsattribute). Fall 1 betrifft den Ehrenschutz. Geschützt ist sowohl die innere als auch die äußere Ehre. Unter innerer Ehre ist die allein aus der Personenwürde folgende Achtung vor sich selbst zu verstehen, während die äußere Ehre das in der Gesellschaft erworbene Ansehen des Einzelnen, seinen Ruf oder Leumund bezeichnet. Der Schutzgehalt der Ehre ist nach h. M. objektiv zu ermitteln, unabhängig von dem persönlichen Ehrempfinden des Einzelnen, das sowohl übersteigert als auch unterentwickelt sein kann (objektiver Ehrbegriff; Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 12.7). Sowohl Meinungsäußerungen als auch unwahre Tatsachenbehauptungen, die das innere Ehrgefühl herabsetzen bzw. die soziale Reputation mindern, verletzen die Ehre. Eine wahre Tatsachenbehauptung kann nur ehrenrührig sein, wenn es sich um eine Formalbeleidigung (vgl. § 192 StGB) handelt. Ob eine Äußerung ehrverletzend ist, muss im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) aus der Sicht eines unbefangenen und verständigen Publikums ermittelt werden, wobei sowohl der Wortlaut als auch der sprachliche und situative Kontext der Äußerung (Comedy, Satire!) zu berücksichtigen ist. Steht der Inhalt der Äußerung danach eindeutig fest, so ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen (zu dem Problem mehrdeutiger Äußerungen: Fall 5). 3. Mediengrundrechte a) Bedeutung der Medienfreiheiten in verfassungs- und zivilrechtlicher Hinsicht

Die Mediengrundrechte des Art. 5 GG sind – wie alle Grundrechte – in erster Linie Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Allerdings bilden die Grundrechte zugleich eine objektive Wertordnung, die nicht lediglich auf das öffentliche, sondern auf das gesamte Recht, mithin auch auf das bürgerliche Recht ausstrahlt. Zwar wirken die Grundrechte nach h. M. im Verhältnis der Bürger untereinander nicht unmittelbar. Allerdings beein-

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flusst die grundrechtliche Wertordnung das bürgerliche Recht mittelbar insofern, als die zivilrechtlichen Normen, insbesondere die wertausfüllungsfähigen und -bedürftigen Generalklauseln, im Geiste der Grundrechte auszulegen und anzuwenden sind (sog. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, BVerfGE 7, 198, 205 – Lüth). Einen weiteren Ansatz, um den Einfluss der Grundrechte auf das Privatrecht zu begründen, vertritt die sog. Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten. Diese betont die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte, die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG auch die Zivilgerichte verpflichte, die Grundrechte der Bürger vor Eingriffen Dritter zu bewahren (umfassend hierzu Canaris, AcP 184 [1984], 201, 212 ff.). b) Meinungsfreiheit

Grundlage der Meinungsfreiheit bildet Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG. aa) Schutzbereich (1) Sachlicher Schutzbereich

Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG schützt Meinungsäußerungen bzw. Werturteile. Darunter sind Äußerungen zu verstehen, die durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind. Abzugrenzen sind Meinungsäußerungen von Tatsachenbehauptungen, also Aussagen, deren Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises überprüft werden kann. Ob eine Meinungsäußerung oder eine Tatsachenbehauptung vorliegt, ist aus der Sicht eines unbefangenen durchschnittlichen Rezipienten unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes der Aussage zu beurteilen. Vermischt eine Äußerung Wertungen und Tatsachen, so ist maßgeblich, ob der wertende oder der tatsächliche Charakter der Aussage überwiegt. Wenn nicht eindeutig zu ermitteln ist, welches Element bestimmend ist, hat die Äußerung im Zweifel Meinungscharakter, damit der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG nicht übermäßig verkürzt wird (BGH, NJW 1996, 1131, 1133). Über seinen Wortlaut hinaus schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG allerdings auch Tatsachenbehauptungen, sofern sie Voraussetzung für die Bildung einer Meinung sind. Denn ein Meinungskampf wäre leer und sinnlos, wenn zwar Meinungen frei geäußert werden dürften, nicht jedoch die der Meinungsbildung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände. Zu-

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

meist tragen Tatsachenbehauptungen zur Meinungsbildung bei. Eine wichtige Ausnahme bilden jedoch die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen oder bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen. Sie führen die Rezipienten irre. Daher schützt das Grundrecht der Meinungsfreiheit sie nicht (BVerfGE 61, 1, 8). Auf den Wert (seriöse Berichterstattung, Comedy, Boulevardpresse), die Vertretbarkeit oder Sinnhaftigkeit der Äußerung kommt es im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG ebenso wenig an wie auf die Form, sodass auch polemische und scharfe Äußerungen geschützt sind. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG umfasst sowohl die positive Meinungsfreiheit, d. h. jede Art der Artikulation und Übermittlung einer Meinung, als auch das Recht, keine Meinung äußern zu müssen (negative Meinungsfreiheit)1. (2) Persönlicher Schutzbereich

Auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG können sich natürliche Personen (Jedermann-Grundrecht) und unter den Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen berufen2. bb) Schranken

Schranken der Meinungsfreiheit sowie der sonstigen in Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 GG genannten Grundrechte bilden gemäß Art. 5 Abs. 2 GG die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend (z. B. Jugendschutzgesetz, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, hierzu Fall 12) und das Recht der persönlichen Ehre. Bedeutsam ist die Schranke der allgemeinen Gesetze. Allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Alt. 1 GG sind nach h. M. alle formellen sowie materiellen Gesetze, „die nicht eine Meinung als solche verbieten („Zensurgesetze“), sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen“ (BVerfGE 7, 198, 209).

1 Aktueller Problemfall in den USA: politische Äußerungen von Unternehmen, wenn einzelne Mitarbeiter anderer Ansicht sind, sie aber mit der Meinung ihres Arbeitgebers identifiziert werden können. 2 Problemfall in Deutschland: politische Äußerungen von Unternehmen, z. B. Werbekampagne von Benetton („ölverschmutzte Ente“, BVerfG, NJW 2001, 591 mit Anmerkung von Fezer, NJW 2001, 580), Politikerschelte durch Unternehmen in Form von Wirtschaftswerbung (BGH, GRUR 1997, 761).

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cc) Schranken-Schranken

Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG sind ihrerseits im Lichte des jeweiligen durch Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 GG geschützten Grundrechts auszulegen und anzuwenden, um den Kommunikationsgrundrechten eine angemessene Verwirklichung zu sichern. Es findet eine „Wechselwirkung“ in dem Sinne statt, dass die allgemeinen Gesetze „in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen“ (sog. Wechselwirkungslehre; BVerfGE 7, 198, 208 f.; spöttisch: „Schaukeltheorie“). Erforderlich ist eine Abwägung zwischen der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 GG geschützten Medienfreiheit und dem durch das allgemeine Gesetz geschützten Rechtsgut. Für die Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit wurden folgende Abwägungskriterien entwickelt (vgl. Paschke, Medienrecht, 2. A., Rn. 255 ff.): – Gefährdungspotential der Äußerung: Meinungsäußerungen weisen ein geringeres Gefährdungspotential auf als Tatsachenbehauptungen. Denn bei Meinungsäußerungen erkennt der Rezipient, dass sie die persönliche Ansicht des Äußernden wiedergeben, während Tatsachenbehauptungen bei ihm die Vorstellung objektiver Wahrheit erwecken können. – Gegenstand der Äußerung: Betrifft die Äußerung eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, so gilt eine „Vermutung zugunsten der freien Rede“ (BVerfGE 7, 198, 219). Hingegen ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders stark zu berücksichtigen, sofern die Medien sich mit ausschließlich privaten Vorgängen zum Zwecke der Unterhaltung beschäftigen (ausführlich hierzu Fall 3). – Vorverhalten des Betroffenen: Weniger schutzwürdig ist, wer zuvor selbst im geistigen Meinungskampf schwerwiegende Vorwürfe erhob (BGHZ 45, 296, 309: Gegenschlagsargument) oder der Öffentlichkeit bereits Informationen über sein Privatleben zur Verfügung stellte (BGH, NJW 2005, 594, 596: Preisgabeargument). – Grenze der Abwägungsfähigkeit: Handelt es sich bei der Äußerung um eine Formalbeleidigung oder Schmähkritik, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die bloße Diffamierung einer Person im Vordergrund steht, oder berührt eine Äußerung die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), so tritt die Meinungsfreiheit stets zurück (BVerfGE 93, 266, 294). Neben diesen allgemeinen Abwägungskriterien berücksichtigen Gerichte häufig die Besonderheiten des konkreten Falls, um Einzelfallgerechtig-

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

keit dort zu schaffen, wo die generelle Abwägung nicht zu einem angemessenen Ergebnis führt. Von einer solchen „Bauchentscheidung“ sollte in Fallgutachten aber nur äußerstenfalls Gebrauch gemacht werden. dd) Zensurverbot

Kein Grundrecht, sondern eine spezielle Schranken-Schranke bzw. „absolute Eingriffsschranke“ bildet nach h. M. das Zensurverbot gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG mit der Folge, dass es nicht zu „diesen Rechten“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG gehört, mithin nicht eingeschränkt werden kann. Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG verbietet lediglich die Vorzensur, also „einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von einer behördlichen Vorprüfung und Genehmigung seines Inhalts“ (BVerfGE 33, 52, 72). 4. Zivilrechtliche Ansprüche zum Schutz der Persönlichkeit Gegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen kann der Betroffene zivilrechtlich vor allem mit dem Gegendarstellungs-, Berichtigungs-, Unterlassungs-, Schadensersatz- sowie Geldentschädigungsanspruch vorgehen. Fall 1 betrifft einen auf Geld gerichteten Anspruch. a) Schadensersatzanspruch

Ist dem Betroffenen infolge der Persönlichkeitsrechtsverletzung ein materieller Schaden entstanden, so kann er diesen gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB/§§ 22 f. KUG, § 249 Abs. 1 BGB unter folgenden Voraussetzungen ersetzt verlangen: aa) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Im Rahmen der Prüfung, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB beeinträchtigt ist, ist zunächst festzustellen, welche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht kommt, um sodann zu untersuchen, ob deren Schutzbereich eröffnet und verletzt ist. Nicht ausgeschlossen ist, dass mehrere Ausprägungen verletzt werden. Das hat Auswirkung auf die Höhe des zuzusprechenden Schadensersatzes.

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bb) Haftungsbegründende Kausalität

Des Weiteren muss die Verletzungshandlung – wie auch sonst im Deliktsrecht – kausal (Äquivalenztheorie, Adäquanztheorie, Schutzzweck der Norm) für die eingetretene Beeinträchtigung geworden sein (hierzu Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 14, Rn. 31 ff.). cc) Rechtswidrigkeit

Da der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weit und unbestimmt ist, indiziert die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht stets die Rechtswidrigkeit. Vielmehr ist die Rechtswidrigkeit im Wege einer umfassenden einzelfallbezogenen Abwägung der persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Betroffenen mit den (medialen) Interessen des Handelnden positiv zu ermitteln (Lehre vom Verhaltensunrecht). An der Rechtswidrigkeit fehlt es, wenn der Betroffene in die Verletzung eingewilligt hat (ausführlich zur Einwilligung Fall 3). Einwilligen können auch Kinder, wenn sie in der Lage sind, das Gewicht des Eingriffs zu beurteilen, oder ihre Eltern für sie die Einwilligung im Interesse des Kindeswohls erteilen (Problem der „Super-Nanny“). Problematisch kann die Reichweite der Einwilligung sein. Willigt derjenige, der an einer Talkshow mitwirkt, darin ein, dass diese Show später in „TV-Total“ vermarktet wird? Willigt das Aktmodell in die Verbreitung des kunstvollen Fotos im Internet ein? Beides wird man nicht ohne weiteres annehmen können. dd) Verschulden

Im Rahmen des Verschuldens ist bedeutsam, ob der Verletzer gegen publizistische Sorgfaltspflichten im Rahmen seiner Recherche verstoßen hat (hierzu Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 2.8 ff.). ee) Schaden

Ein Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass die Persönlichkeitsrechtsverletzung sich negativ auf konkrete Vermögensgüter des Anspruchstellers auswirkt und ihm damit einen materiellen Schaden zufügt. In Betracht kommt ein Vermögensschaden in folgenden Fällen: – Schäden an eigenen Rechtsgütern, wie z. B. im „Lady Diana-Fall“: Auf der Flucht vor Paparazzi verunfallt die Prinzessin mit ihrem Fahrzeug. Ersatzfähig sind die Schäden an dem Fahrzeug. Darüber hinaus wären

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– –



ff)

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die Heilbehandlungskosten ersatzfähig gewesen, sofern die Prinzessin den Unfall überlebt hätte. Einkommensverlust wegen Stellenkündigung infolge ehrenrühriger oder sonst persönlichkeitsrechtsverletzender Berichterstattung (entgangener Gewinn, § 252 BGB): Beispiel: Die Sekretärin der gediegenen Rechtsanwaltskanzlei X lässt Aktfotos von sich anfertigen. Ohne ihr Wissen erscheinen die Fotos in einem Herrenmagazin. Der Kanzleiinhaber kündigt der Sekretärin, weil er den Vorfall für mit dem Kanzleiprofil unvereinbar und daher untragbar hält. Ausgaben, die für die rechtliche Verfolgung der Persönlichkeitsrechtsverletzung notwendig sind (insbesondere Rechtsanwaltskosten) Gesundheitsschäden infolge ständiger Einbrüche in die Privatsphäre: Achtung: In der Regel werden nur körperlich wirkende Schäden als Gesundheitseinbuße anerkannt; rein seelische Beeinträchtigungen müssen einen medizinischen Krankheitswert erreichen. Problematisch ist diese Unterscheidung bei Opfern von Mobbing-Fällen. Neuerdings wird die ungebilligte kommerzielle Auswertung von Persönlichkeitssplittern, wie Name, Bildnis und Stimme, als Vermögensschaden anerkannt (BGH, NJW 2000, 2195, 2197 f. – Marlene Dietrich, dazu Fall 5). In diesen Fällen soll der Schaden wahlweise berechnet werden anhand des konkret eingetretenen Schadens, des vom Verletzer erzielten Gewinns (str., Seitz, NJW 1996, 2848 f.: Verwischung der Grenzen zum Bereicherungsrecht) oder in Form einer angemessenen (fiktiven) Lizenzgebühr, die der Verletzer bei Abschluss eines ordnungsgemäßen Vertrags für die Persönlichkeitsrechtsverletzung hätte zahlen müssen (Schadensermittlung im Wege der „Lizenzanalogie“). Diese dreifache Art der Schadensberechnung entstammt dem Recht des Geistigen Eigentums (vgl. z. B. § 97 UrhG, hierzu BGHZ 97, 37, 41 – Filmmusik). Haftungsausfüllende Kausalität

Schließlich muss die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ursächlich (Äquivalenztheorie, Adäquanztheorie, Schutzzweck der Norm) für den Schaden sein. Das ist fraglich, wenn das Opfer einer Ehrverletzung übertrieben reagiert. Im „Diana-Fall“ stellt sich das Problem der sog. „Herausforderungsfälle“ (dazu BGHZ 57, 25 – „Sternschanzentreppe“; Peifer, Schuldrecht. Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 3, Rn. 68). Wenn der Verletzte durch selbstgefährdendes Verhalten eine neue Kausalkette in Lauf

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setzt, zu der er sich auch nach wertender Betrachtung nicht „herausgefordert“ fühlen durfte, dann liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, eine Überreaktion vor, für deren Schadensfolgen der Täter nicht haftet. gg) Anspruchsberechtigter3

Anspruchsberechtigt ist derjenige, der in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unmittelbar und individuell betroffen ist. Nicht unmittelbar betroffen ist derjenige, den lediglich die „Fernwirkungen“ der Berichterstattung über eine andere Person treffen, weil er sich dem „Opfer“ der Berichterstattung persönlich verbunden fühlt (z. B. Familienangehörige; BGH, GRUR 1974, 794, 795). Individuell betroffen ist derjenige, der infolge der Nennung seines Namens oder sonstiger individualisierender Merkmale (z. B. Beruf, Wohnort, Einzelheiten aus dem Lebenslauf) jedenfalls für sein näheres Umfeld erkennbar ist (BGH, NJW 1992, 1312, 1313). hh) Anspruchsverpflichteter

Anspruchsverpflichtet ist derjenige, der selbst das allgemeine Persönlichkeitsrecht rechtswidrig und schuldhaft verletzt. Verletzungshandlung in Medienfällen ist nicht nur die Äußerung, sondern auch ihre Verbreitung, sofern derjenige, der die Verbreitung verantwortet, sich nicht sofort und ernsthaft distanziert. Gehaftet wird für eigenes Handeln und für das Verhalten von Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB). Darunter fallen auch freie Mitarbeiter (OLG München, NJW-RR 1990, 1433, 1434). Eine juristische Person haftet für das Handeln ihrer Organe (§ 31 BGB, Bsp.: Haftung der Deutschen Bank für die Äußerungen ihres Vorstandssprechers zur Finanzkrise des Medienhändlers Kirch, BGH, ZIP 2006, 317 – Kirch/ Breuer). Zu beachten ist, dass Medienunternehmen verpflichtet sind, ein Organ mit der Aufgabe zu betrauen, Beiträge auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen hin zu überprüfen (BGH, NJW 1963, 902). Wenn sie dies unterlassen, haften sie für eigenes Organisationsverschulden (sog. „Fiktionshaftung für mangelhafte Organisation“, BGH, NJW 1980, 2810, 2811).

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Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz: Fall 5.

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

b) Geldentschädigungsanspruch

Von dem Anspruch auf Erstattung des materiellen Schadens abzugrenzen ist der Geldentschädigungsanspruch, der darauf gerichtet ist, die aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung resultierenden immateriellen Nachteile auszugleichen. aa) Anspruchsgrundlage

Ein immaterieller Schaden ist gemäß § 253 Abs. 1 BGB nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zu ersetzen. Jedoch sieht keine gesetzliche Bestimmung einen immateriellen Schadensersatz bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor; insbesondere § 253 Abs. 2 BGB ist nicht einschlägig. Dennoch erkennt die Rechtsprechung seit der „Herrenreiter-Entscheidung“ des BGH (NJW 1958, 827) an, dass demjenigen, der infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung einen immateriellen Nachteil erleidet, ein Geldentschädigungsanspruch zusteht, weil ansonsten „Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde“ (BVerfG, NJW 2000, 2187, 2188). Während der BGH den Geldentschädigungsanspruch in der „Herrenreiter-Entscheidung“ noch auf § 847 BGB a. F. analog (nunmehr § 253 Abs. 2 BGB) stützte, ist er heute als eigenständiger, von dem Schmerzensgeldanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB losgelöster Rechtsbehelf anerkannt. Anspruchsgrundlage ist nunmehr § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Ob daneben auch § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz (z. B. §§ 185 ff. StGB) als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, ist umstritten (davon ausgehend BGH, NJW 1966, 1213, 1214; zweifelnd WenzelBurkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 14, Rn. 100), kann aber offen bleiben, da diese Anspruchsgrundlage jedenfalls keinen über § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG hinausgehenden Anspruch begründet. bb) Funktionen des Geldentschädigungsanspruchs

Dem Geldentschädigungsanspruch kommt eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu, wobei, anders als beim Schmerzensgeldanspruch (§ 253 Abs. 2 BGB), die Genugtuungsfunktion überwiegt (BGH, NJW 1997, 1148, 1150). Überdies dient der Anspruch neuerdings der Präven-

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tion (BGH, NJW 1995, 861, 865 – Caroline von Monaco; Anmerkungen von Peifer, JR 1996, 420; ders., ZVglRWiss. 96 [1997], 74). Derzeit wird die Präventionsfunktion allerdings noch an vorsätzliches Handeln mit Kommerzialisierungstendenz geknüpft. Das betrifft in erster Linie die typischen Paparazzi-Fälle (Sammeln und Veröffentlichen privater Fotos, um den Umsatz von Presseprodukten anzukurbeln). Die Gerichte sprechen insoweit von einer „Zwangskommerzialisierung“. Zum Teil wandern diese Fälle (in durchaus bedenklicher Weise) ab in den Bereich der Vermögensschäden (s. o.). cc) Voraussetzungen

Da der Geldentschädigungsanspruch den Anspruchsgegner bei der Wahrnehmung seiner Kommunikationsgrundrechte stark belasten kann, ist er lediglich unter strengen Voraussetzungen zu gewähren4: (1) Schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung

Ob der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwer wiegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Bejaht hat die Rechtsprechung eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung z. B. in folgenden Fällen (ausführlich hierzu Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 746 ff.): – Verletzung der Intimsphäre (z. B. durch Nacktfotos, OLG Oldenburg, NJW 1989, 400), – Schmähkritik (BGH, NJW 1963, 902 zu der Aussage, eine Fernsehansagerin sehe aus wie eine „ausgemolkene Ziege“ und bei ihrem Anblick werde den Zuschauern „die Milch sauer“), – Erfundene Interviews (BVerfG, NJW 1973, 1221), – Unzutreffende Darstellung einer Person als Straftäter (OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 477 f.), – Unautorisierte Werbung mit dem Namen oder Abbild einer Person (BGH, NJW 1971, 698), – Hartnäckige Wiederholung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, die für sich betrachtet nicht als schwerwiegend einzustufen ist (BGH, NJW 2005, 215).

4 Im Übrigen wird auf die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs verwiesen.

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(2) (Besonderes) Verschulden

Außerdem muss der Verletzer schuldhaft gehandelt haben. Ein schweres Verschulden, d. h. zumindest grobe Fahrlässigkeit, ist nach h. M. nicht erforderlich (BGH, NJW 1980, 2801, 2807; a. A. Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 350). Allerdings kann ein fehlendes schweres Verschulden dazu führen, dass ein Geldentschädigungsanspruch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ausscheidet, weil kein „unabwendbares Bedürfnis“ (s. u.) für die Entschädigung besteht. (3) Subsidiarität der Geldentschädigung gegenüber sonstigen Rechtsbehelfen

Des Weiteren darf die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf andere Weise – vor allem mithilfe eines Gegendarstellungs-, Berichtigungs-, Unterlassungsanspruchs oder einer Entschuldigung des Verletzers – befriedigend auszugleichen sein. Ob ein alternativer Weg eröffnet ist, ist anhand des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen. So kann etwa ein unverzüglicher Widerruf das Bedürfnis nach einer Geldentschädigung nehmen, nicht jedoch ein Widerruf, der erst in einem langwierigen Rechtsstreit durchzusetzen ist (BGH, NJW 1995, 861, 864). (4) Unabwendbares Bedürfnis

Im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Falles ist zu ermitteln, ob ein unabwendbares Bedürfnis für einen Geldentschädigungsanspruch gegeben ist. Zu berücksichtigen sind vor allem die Art und Schwere der Beeinträchtigung, ihr Anlass und Beweggrund, der Verschuldensgrad sowie Präventionszwecke. (5) Immaterieller Schaden

Der Verletzte muss einen immateriellen Schaden erleiden. Darunter ist eine in Geld nicht messbare Beeinträchtigung zu verstehen (z. B. Rufschädigung, Schmälerung der Lebensfreude). (6) Anspruchsberechtigter5

Hinsichtlich der Anspruchsberechtigung gelten gegenüber dem Schadensersatzanspruch Besonderheiten: Juristische Personen sowie sonstige Per5

Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz: Fall 5.

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sonenverbände sind nicht anspruchsberechtigt. Dies folgt daraus, dass der Geldentschädigungsanspruch insbesondere der Genugtuung dient, ein (seelisches) Genugtuungsbedürfnis aber lediglich natürliche Personen empfinden können (BGH, NJW 1980, 2807, 2810). dd) Höhe der Geldentschädigung

Die Höhe der Geldentschädigung legt das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO nach seiner freien Überzeugung fest (Beispiele in Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in Presse und Rundfunk, 2. A., Rn. 771). Bei der Bemessung sind u. a. folgende Kriterien zu berücksichtigen: – Eingriffsintensität, – Grad des Verschuldens, – Präventionszwecke, – Verbreitungsgrad (Leser-, Hörer-, Zuschauerzahl), – Verhalten des Betroffenen.

III. Lösungsskizze6 Anspruchsziel: Zahlung in Höhe von 35.000 € Anspruchsgrundlage: § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG

G könnte gegen P einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 35.000 € gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG haben. 1. Voraussetzungen a) Schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung

Dann müssten die Äußerungen des P „Ich will ja nichts sagen, aber du siehst echt ganz schön alt aus für dein Alter.“ und „(…) wir haben übrigens ne schöne Operationsshow bei Pro7. Da könnte ich Sie mal vorschla6 Die Lösungsskizze erwähnt nicht alle Prüfungspunkte aus den vorab vorgestellten Prüfungsschemata, sondern konzentriert sich auf die wesentlichen Probleme des Falles. Um Schwerpunkte richtig setzen und Zeit einsparen zu können, sollten Sie in einer Klausur entsprechend vorgehen.

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

gen.“ das allgemeine Persönlichkeitsrecht der G schwerwiegend verletzt haben. Die Äußerungen könnten die Ehre der G berührt haben. Eine Ehrverletzung liegt vor, wenn die Äußerungen als ehrenrührige unwahre Tatsachenbehauptungen oder als ehrenrührige Werturteile einzustufen sind. Ehrenrührig ist eine Äußerung, die geeignet ist, die innere oder äußere Ehre einer Person zu verletzen, sie insbesondere verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Aus der Perspektive eines unbefangenen Zuschauers hat P mit seinen Äußerungen erklärt, dass G unattraktiv sei und etwas unternehmen solle, um ihr äußeres Erscheinungsbild zu verbessern. In einer Gesellschaft, die Äußerlichkeiten stark betont, stellt die öffentliche Einordnung einer Person als unattraktives und damit „minderwertiges“ Gesellschaftsmitglied eine Bloßstellung und Diskriminierung dar. Außerdem kann sie das Selbstwertgefühl einer Person negativ beeinflussen. Unbeachtlich ist der Einwand des P, Schönheitsoperationen seien in der modernen Gesellschaft üblich und auch Prominente würden sich dazu bekennen. Entscheidend ist, dass P der G unerbeten zu einer Schönheitsoperation geraten, sie damit implizit darauf hingewiesen hat, dass eine Operation für sie notwendig sei. Mithin sind die Aussagen des P geeignet, die innere sowie die äußere Ehre der G zu verletzen. Die Äußerungen, die in erster Linie das äußere Erscheinungsbild der G bewerten, sind ehrenrührige Werturteile. Eine Ehrverletzung liegt also vor. Ob die Ehrverletzung eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Gegen eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung könnte sprechen, dass G sich freiwillig von P hat interviewen lassen. Allerdings musste G nicht damit rechnen, in dem Interview bloßgestellt zu werden. Das Interview war nicht Teil einer Comedy-Sendung, sondern der Familien-Unterhaltungsshow „Wetten, dass …?“. Zwar ist P ein Comedy-Star. Er ist aber nicht als Comedian, sondern als Moderator der Außenwette aufgetreten. G durfte daher davon ausgehen, dass P sein Verhalten dem Charakter der Sendung „Wetten, dass …?“ anpasst. Somit ist unbeachtlich, dass G sich bereitwillig hat interviewen lassen. Nicht entlastend ist der Einwand des P, G habe seine Bemerkungen durch ihr selbstbewusstes Auftreten provoziert. G hat lediglich die Fragen des P beantwortet. Vor allem hat sie das Gespräch nicht auf ihr äußeres Erscheinungsbild gelenkt. Sie hat ihn nicht dazu eingeladen, sie zu beleidigen. Zugunsten des P könnte es sich auswirken, dass er sich nicht wohlüberlegt, sondern spontan in einer Live-Sendung geäußert hat. Jedoch muss

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ein Fernsehmoderator sein Verhalten auch in einer Live-Sendung kontrollieren können. Auch ist nicht ersichtlich, dass ihm seine erste Bemerkung über das äußere Erscheinungsbild der G versehentlich unterlaufen ist. Vielmehr hat er sie mit seiner weiteren Äußerung über die Schönheitsoperations-Show bekräftigt, obwohl zwischenzeitlich das Thema gewechselt hat. P kann sich also nicht auf einen versehentlichen „Ausrutscher“ berufen (so auch LG Hannover, AfP 2006, 193, 195). Unzutreffend ist schließlich der Einwand des P, er habe mit G einen „Schlagabtausch auf Augenhöhe“ geführt. P war bereits aufgrund seiner Position als Moderator überlegen. Überdies hat G lediglich auf die Angriffe des P reagiert, während P das Interview initiiert und gelenkt hat. Es erscheint unbillig, G zu benachteiligen, weil sie sich verbal gegen die Bemerkungen des P gewehrt hat. Die Einwände des P können nicht von seinem missbilligenswerten Verhalten ablenken: Er hat G grundlos und bewusst mit herabsetzenden Bemerkungen über ihre äußere Erscheinung überzogen, um sich auf ihre Kosten vor einem Millionenpublikum zu profilieren (LG Hannover, AfP 2006, 193, 195). Er hat sie als bloßes „Objekt der Unterhaltung“ vorgeführt. Dies genügt, um eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung anzunehmen. b) Rechtswidrigkeit

Des Weiteren müsste P rechtswidrig gehandelt haben. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der G mit entgegenstehenden Rechten des P festzustellen. aa) Entgegenstehendes Recht des P: Meinungsfreiheit

Wie bereits dargelegt, hat P eine Meinung geäußert; er kann sich also auf die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG berufen. bb) Abwägung

Eine wichtige Rolle in der Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Meinungsfreiheit spielt die Frage, welchen Zweck die Meinungsäußerung verfolgt. Die Äußerungen des P betreffen kein Thema von allgemeiner Bedeutung. Es besteht kein nachvollziehbares öffentliches Interesse daran, zu erfahren, wie P das äußere Erscheinungsbild der G bewertet. Zudem tragen die Äußerungen zu den Interviewthemen – Außen-

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

wette und Namensgleichheit der G mit dem Hauptmoderator – nichts bei. Sie dienen allenfalls dazu, das Publikum zu unterhalten und seine Schadenfreude zu bedienen. Schutzwürdiger als diese Zwecke ist das Interesse der G, nicht vor einem breiten Publikum bloßgestellt zu werden. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegt daher. Folglich hat P die Ehre der G rechtswidrig verletzt. c) Verschulden

Weiterhin müsste P schuldhaft, also vorsätzlich oder (grob) fahrlässig gehandelt haben. P hat seine erste ehrenrührige Äußerung nach einem Themenwechsel nochmals bekräftigt. Dies spricht dafür, dass er G nicht bloß versehentlich, sondern bewusst beleidigen wollte. Er hat also vorsätzlich gehandelt. d) Subsidiarität

Der Anspruch auf Geldentschädigung ist subsidiär und bildet die ultima ratio der möglichen Sanktionen. Daher darf die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf andere Weise befriedigend auszugleichen sein. Als anderweitige Ausgleichsmöglichkeit scheiden sowohl der Unterlassungs- als auch der Berichtigungsanspruch aus. Der Unterlassungsanspruch führt nicht zu einer Wiedergutmachung. Der Berichtigungsanspruch ist G unzumutbar, da er die Demütigung der G aufgreifen müsste und sie damit erneut publik machte. Möglicherweise hat P die Ehrverletzung der G aber bereits dadurch hinreichend ausgeglichen, dass er sich bei ihr in einer Fernsehsendung entschuldigt hat. Jedoch kann eine Entschuldigung die Äußerungen nicht vergessen machen; vielmehr erinnert sie das Publikum erneut an das Interview. Außerdem kann eine Entschuldigung niemals genau den Personenkreis erreichen, der die verletzende Äußerung gehört hat. Die Entschuldigung in einer Fernsehsendung ist daher – unabhängig davon, ob sie ernsthaft erklärt wird – nicht geeignet, einen Geldentschädigungsanspruch insgesamt entfallen zu lassen (LG Hannover, AfP 2006, 193, 195). Somit kommt keine anderweitige Ausgleichsmöglichkeit in Betracht. e) Unabwendbares Bedürfnis

Außerdem müsste ein unabwendbares Bedürfnis den Geldentschädigungsanspruch rechtfertigen. Ob ein unabwendbares Bedürfnis besteht, ist

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im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Falles zu prüfen. Gegen ein besonderes Bedürfnis für eine Geldentschädigung könnte die Reaktion der G sprechen, die sich für die Empfehlung des P, eine „Operationsshow“ zu besuchen, bedankt und lachend ins Publikum gewunken hat. Jedoch schließt diese Reaktion nicht aus, dass G sich in ihrer Ehre beeinträchtigt fühlt. Es liegt nahe, dass G ihre Verletztheit vor einem Millionenpublikum verbergen wollte. Möglich ist auch, dass ihr die Bedeutung der Äußerungen des P erst anschließend nach und nach bewusst geworden ist. Überdies zeigt ihre spätere Drohung, P zu verprügeln, sowie ihre Entschädigungsforderung, die sie bereits kurz nach der Sendung erhoben hat, dass sie sich verletzt fühlt (LG Hannover, AfP 2006, 193, 195). Mithin besteht ein unabwendbares Bedürfnis für den Geldentschädigungsanspruch. f) Immaterieller Schaden

Schließlich müsste die Persönlichkeitsrechtsverletzung zu einer immateriellen Einbuße der G geführt haben. Der Ruf der G ist geschädigt und ihre Lebensfreude vor allem dadurch geschmälert, dass sie häufig auf das Interview angesprochen wird. Sie hat also eine immaterielle Einbuße erlitten. g) Zwischenergebnis

G hat gegen P einen Geldentschädigungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. 2. Höhe der Geldentschädigung Fraglich ist, wie hoch die Geldentschädigung ist, die P an G zu zahlen hat. Bei der Bemessung sind die Intensität und der Verbreitungsgrad der Äußerung zu berücksichtigen. Die ehrenrührigen Äußerungen sind weit verbreitet worden. Das Interview haben ca. 14,5 Millionen Zuschauer verfolgt. Die Beleidigungen waren scharf. Andererseits hat G selbst die Öffentlichkeit gesucht (Herausforderung). Sie ist in verschiedenen Fernsehsendungen aufgetreten, in denen sie die Einspielung des Interviews gestattet hat. Damit hat sie daran mitgewirkt, dass die Äußerungen der Öffentlichkeit präsent bleiben. Zwar ist es nachvollziehbar, dass G sich gegen die Äußerungen des P wehren möchte. Fernsehauftritte sind hierfür allerdings nicht notwendig. Es wäre ausreichend gewesen, gerichtliche Schritte einzuleiten.

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Fall 1: Beleidigung in einer Fernsehshow

Zugunsten des P wirkt es sich aus, dass er sich sowohl telefonisch als auch in einer Fernsehshow bei G entschuldigt hat. Insgesamt erscheint eine Geldentschädigung in Höhe von 6.000 €7 als angemessen (so LG Hannover, AfP 2006, 193, 196). 3. Ergebnis G hat gegen P einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 6.000 € gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.

7 In der Klausur sind andere Beträge ebenfalls vertretbar. Entscheidend ist die Begründung.

Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente

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Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente (vgl. BGH, Urteil vom 5. 12. 1995, – VI ZR 332/94 –, NJW 1996, 984) Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente

I.

Sachverhalt

Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente

V ist Verleger der monatlich erscheinenden Boulevard-Zeitschrift „Königshäuser aktuell“. Die Zeitschrift berichtet regelmäßig über die monegassische Erbprinzessin C. So lautet etwa die Schlagzeile des Titelblatts der Ausgabe 9/2006: „C – tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs.“ Erst im Innenteil der Zeitschrift erfährt der Leser, dass C nicht selbst an Brustkrebs erkrankt ist, sondern sich für Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Brustkrebs einsetzt. Einen Monat nach Erscheinen der Zeitschrift begehrt C von V, auf der Titelseite der nächsten Ausgabe klarzustellen, dass der durch die Schlagzeile erweckte Eindruck, sie sei an Brustkrebs erkrankt, unrichtig ist. Zu Recht? Abwandlung: C bevorzugt es, sich selbst zu der Schlagzeile zu äußern. Sie fordert V schriftlich auf, folgende richtig stellende Erklärung auf der Titelseite seiner Zeitschrift abzudrucken: „Gegendarstellung: In der Ausgabe 9/2006 der Zeitschrift ‚Königshäuser aktuell‘ wurde auf der Titelseite behauptet: ‚C – tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs.‘ Hierzu stelle ich fest: Ich bin nicht an Brustkrebs erkrankt, setze mich vielmehr für die Früherkennung von Brustkrebs ein. C“ Die Erklärung unterzeichnet C handschriftlich und sendet sie V unmittelbar nach Erscheinen der Erstmitteilung zu. Hat C gegen V einen Anspruch auf Abdruck der Erklärung?

II. Schwerpunkte des Falles Fall 2 betrifft die Frage, welche Mittel die (Boulevard-)Medien im Kampf um die Aufmerksamkeit der Rezipienten einsetzen dürfen; konkret geht es darum, wie sie wahre Tatsachen verpacken dürfen, ohne die Interessen der Personen zu verletzen, über die sie berichten. Bedeutend ist nochmals das Verhältnis der Meinungsfreiheit (vgl. Fall 1) zu dem allgemeinen Persön-

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lichkeitsrecht. Zudem behandelt Fall 2 den Berichtigungs- und Gegendarstellungsanspruch, als klassische Mittel, um sich einer Wortberichterstattung zu erwehren. 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht – insbesondere Diskretionsschutz (Intim-, Privat- und Sozialsphäre) Fall 2 betrifft den Schutz der Intim- bzw. Privatsphäre als besondere Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Diese persönlichkeitsrechtlichen Schutzinteressen lassen sich unter der Überschrift „Diskretionsinteresse“ zusammenfassen (vgl. Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, 1997, S. 397). Der bisher von der h. M. vorgenommene abgestufte Schutz dieses Interesses beruht auf der sog. „Sphärentheorie“, die Heinrich Hubmann entwickelte (Das Persönlichkeitsrecht, 2. A., S. 268 ff.; JZ 1957, 521; kritisch dazu Baston-Vogt, a. a. O. S. 399). Danach ist das Persönlichkeitsrecht in Schutzkreise oder Schutzsphären aufzuteilen, nämlich in die (Geheim- und) Intimsphäre, die Privatsphäre und die Sozialsphäre. Besonders intensiv geschützt ist der innere Kreis, die (Geheim- und) Intimsphäre. Der Schutz nimmt ab im mittleren Kreis, der Privatsphäre. Den geringsten Schutz genießt der äußere Kreis, die Sozialsphäre. Verkürzt kann man sagen, dass in das Bade- und Schlafzimmer überhaupt nicht und in das Wohnzimmer nur mit guter Rechtfertigung hineingeschaut werden darf. Intensiver darf eine Person betrachtet werden, wenn sie sich auf einem öffentlichen Marktplatz befindet. Die Sphärentheorie hat also letztlich Bedeutung für die Abwägung zwischen Berichts- und Persönlichkeitsinteresse. a) Intimsphäre

Die Intimsphäre umfasst die innere Gedanken- und Gefühlswelt, einschließlich ihrer äußeren Erscheinungsformen. Betroffen ist die Intimsphäre einer Person vor allem dann, wenn – hinreichend deutlich und detailliert – Vorgänge aus ihrem Sexualbereich geschildert werden. Zur Intimsphäre kann aber auch der Gesundheitszustand zählen, z. B. eine AIDS-Erkrankung oder eine Drogensucht (str.). Die Intimsphäre ist nach verbreiteter Auffassung absolut geschützt, d. h. eine Abwägung mit gegenläufigen Berichtsfreiheiten erübrigt sich grundsätzlich. Allerdings finden sich auch Entscheidungen, in denen anders verfahren wird (z. B. KG Berlin, AfP 2004, 371, 372).

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b) Privatsphäre

Thematisch betrifft der etwas weiter gezogene Kreis der Privatsphäre alle außerhalb der Intimsphäre liegenden Vorgänge des persönlichen Bereichs, wie z. B. Eheschließungen und -scheidungen, das Freizeit- und Urlaubsleben. Räumlich-gegenständlich hat die deutsche Rechtsprechung die Privatsphäre bislang auf den häuslichen Bereich sowie auf sonstige Örtlichkeiten beschränkt, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind, sodass der Einzelne objektiv erkennbar davon ausgehen darf, nicht von der Öffentlichkeit beobachtet zu sein. Hierzu gehört neben dem eigenen Grundstück auch (nach dem bekanntesten Fall der letzten Jahre) der rückwärtige und schlecht beleuchtete Teil eines Gartenlokals, nicht aber ein öffentlich einsichtiger Ort, wie ein Marktplatz, ein Urlaubsstrand oder eine Skipiste (BVerfG, NJW 2000, 1021, 1025). Die räumlich-gegenständliche Beschränkung der Privatsphäre bemängelte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner „Caroline-Entscheidung“ vom 24. 6. 2004 (NJW 2004, 2647, ausführlich zu der Entscheidung und den Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung: Fall 3), weil das Kriterium der „örtlichen Abgeschiedenheit“ zu unbestimmt und für den Betroffenen zu schwer handhabbar sei. Tatsächlich umfasse die Privatsphäre auch eine soziale Komponente, sie könne daher auch in die Öffentlichkeit hineinragen. Das räumliche Kriterium ersetzt der EGMR durch ein funktionales, indem er darauf abstellt, ob eine Person im Rahmen ihrer „amtlichen Funktion“ öffentlich auftritt oder ob es sich um das alltägliche Leben einer Person handelt; im letzteren Fall sei stets die Privatsphäre betroffen. Letztlich führt diese Abgrenzung dazu, dass die Privatsphäre Prominenter auch in der Öffentlichkeit geschützt wird. Ob im Einzelfall die Intim- oder die Privatsphäre berührt ist, hängt oftmals davon ab, wie detailliert ein persönlicher Vorgang geschildert wird. So ist etwa die Privatsphäre beeinträchtigt, wenn ein Bericht mitteilt, ein Prominenter habe seine Ehefrau betrogen, die Intimsphäre hingegen, wenn er zusätzlich über die intimen Hintergründe des Ehebruchs informiert. Besonders geschützt ist die Privatsphäre von Kindern (hierzu BVerfG, NJW 2000, 1021, 1023), da sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen. Das Recht eines Kindes auf Entwicklung seiner Persönlichkeit („Recht auf Personwerden“) erstreckt sich – auch nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung – nicht lediglich auf häusliche sowie örtlich abgeschiedene Bereiche, sondern gewährleistet überdies die ungestörte, kindgerechte Entwicklung in der Öffentlichkeit (z. B. beim Spielen).

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Etwas anderes gilt nur, sofern sich ein Kind bewusst der Öffentlichkeit zuwendet (Bsp.: Teilnahme einer Prominententochter an einem Reitturnier). Befindet sich ein Elternteil mit seinem Kind in einer „Situation spezifisch elterlicher Zuwendung“, so ist auch das elterliche allgemeine Persönlichkeitsrecht verstärkt gemäß Art. 6 Abs. 1, 2 GG. Die Boulevardpresse reagiert auf den besonderen Schutz der Kinder vor allem damit, dass sie Prominentenkinder in Presseorganen „pixelt“ oder in sonstiger Weise anonymisiert darstellt (zu einer Anonymisierung mithilfe von Augenbalken: BVerfG, ZUM 2007, 463). Die Privatsphäre ist nicht absolut geschützt. Ob ein Eingriff in die Privatsphäre zulässig ist, ist im Wege einer umfassenden Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Medienfreiheiten zu ermitteln. c) Sozialsphäre

Die Sozialsphäre schützt den Einzelnen in den Beziehungen zu seiner Umwelt, beispielsweise in seinem beruflichen Wirken. Ob ein Eingriff in die Sozialsphäre zulässig ist, ist wiederum im Wege einer Interessenabwägung zu bestimmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Persönlichkeitsschutz in dieser Sphäre am schwächsten ausgeprägt ist, da der Einzelne hier nicht in seinem höchstpersönlichen Bereich, sondern als Glied der sozialen Gemeinschaft dargestellt wird. Abzugrenzen ist die Sozialsphäre von der Öffentlichkeitssphäre, in der der Mensch sich bewusst der Öffentlichkeit zukehrt (z. B. öffentliche Auftritte von Politikern und Künstlern). Über die Öffentlichkeitssphäre darf grundsätzlich berichtet werden. 2. Zivilrechtliche Ansprüche zum Schutz der Persönlichkeit Neben dem Schadensersatzanspruch und dem Geldentschädigungsanspruch (vgl. Fall 1) sind insbesondere Ansprüche auf Unterlassung künftiger Verletzung und auf Beseitigung der Folgen einer bereits erfolgten Verletzung relevant. Eine besondere Form des Beseitigungsanspruchs ist der Berichtigungsanspruch. Er kommt vor allem bei fehlerhaften Presseberichterstattungen in Betracht. a) Berichtigungsanspruch

Der Berichtigungsanspruch – in Gestalt des Widerrufs- oder Richtigstellungsanspruchs – zielt auf die Beseitigung der noch andauernden Folgen einer rechtswidrigen Tatsachenbehauptung. Zu stützen ist er auf § 1004

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Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. der jeweiligen Schutznorm (z. B. § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB, §§ 22 f. KUG). Der Berichtigungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 185 ff. StGB, §§ 22 f. KUG i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB ist in der Praxis kaum relevant, da er an strengere Voraussetzungen (Verschulden!) geknüpft ist. aa) Anspruchsvoraussetzungen (1) Tatsachenbehauptung

Berichtigt werden kann nur eine Tatsachenbehauptung, nicht aber ein Werturteil. Denn es wäre mit der Meinungsfreiheit unvereinbar, jemanden gerichtlich zu zwingen, seine Meinung aufzugeben (zu den Begriffen „Tatsachenbehauptung“ und „Werturteil“: Fall 1). (2) Unwahrheit

Berichtigen muss der Äußernde nur eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Unwahrheit hat der Betroffene zu beweisen. Da dieser Negativbeweis oftmals schwierig zu führen ist, trifft den Verletzer allerdings eine erweiterte Darlegungslast, die ihn anhält, Belegtatsachen für seine Behauptung anzugeben (BVerfG, NJW 1999, 1322, 1324). (3) Rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Die unwahre Tatsachenbehauptung muss das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rechtswidrig beeinträchtigen. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln. Sie muss nicht bereits im Zeitpunkt der Verbreitung der Erstmitteilung gegeben sein; abzustellen ist vielmehr auf die gegenwärtige Situation (BGH, NJW 1960, 672). Allerdings ist anerkannt, dass der Betroffene keinen Widerruf, sondern allenfalls eine Richtigstellung beanspruchen kann, wenn die Verbreitung der Erstmitteilung rechtmäßig, insbesondere infolge der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gerechtfertigt war (Wenzel-Gamer, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 13, Rn. 24). (4) Fortdauer der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Der Beseitigungsanspruch setzt voraus, dass die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung noch andauert. Ihre Fortdauer hängt insbesondere davon

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ab, ob sich das Umfeld des Betroffenen an die Berichterstattung erinnert oder sie weiterhin in einem Archiv (oder im Internet) gespeichert ist. Der Berichtigungsanspruch besteht ungeachtet des Umstandes, dass dem Betroffenen die Möglichkeit offen steht, den Abdruck einer Gegendarstellung zu verlangen. Zwar könnte man annehmen, dass eine Gegendarstellung in der Lage ist, die Verletzungsfolgen zu beseitigen. Doch nimmt eine solche Gegendarstellung nicht der Störer, sondern der Betroffene selbst vor. Es „bleibt also immer noch etwas hängen“. Etwas anderes gilt allenfalls, sofern der Verletzer oder das Medium, in dem der verletzende Beitrag erschienen ist, freiwillig eine richtig stellende Korrektur veröffentlicht. (5) Erforderlichkeit

Die Berichtigungspflicht kann die Äußerungsfreiheit scharf beschneiden. Daher ist sie nur gerechtfertigt, wenn sie erforderlich ist, um die fortdauernde Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung zu beseitigen. Ihre Erforderlichkeit ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzustellen. Das bloße Genugtuungsinteresse des Betroffenen genügt hierfür nicht. (6) Anspruchsberechtigter (vgl. Fall 1 – Schadensersatzanspruch) (7) Anspruchsverpflichteter

Anspruchsverpflichtet ist jeder, der die zu berichtigende Behauptung als eigene aufgestellt oder verbreitet und sich dabei zu Eigen gemacht hat (z. B. Autor, Verlag, Rundfunkanstalt). bb) Berichtigungserklärung (1) Inhalt

Liegen die Anspruchsvoraussetzungen vor, so ist der Anspruchsgegner verpflichtet, eine Erklärung abzugeben, welche die unwahre Tatsachenbehauptung berichtigt. Die Erklärung kann entweder in Form eines Widerrufs oder einer Richtigstellung erfolgen. (a) Widerruf

Der Widerruf bildet die weiteste Form der Berichtigung. Er kommt in Betracht, wenn die Behauptung insgesamt unwahr ist. Ist der Anspruchsgeg-

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ner zum Widerruf verpflichtet, so muss er seine ursprüngliche Tatsachenbehauptung öffentlich als unwahr kennzeichnen. Sofern dies zum Verständnis erforderlich ist, muss er überdies den wahren Sachverhalt mitteilen (sog. „qualifizierter Widerruf“; Wenzel-Gamer, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 13, Rn. 62). (b) Richtigstellung

Unverhältnismäßig ist der Widerruf, wenn eine Tatsachenbehauptung nur teilweise unwahr ist. In diesem Fall genügt das mildere Mittel der Richtigstellung, die sich darauf beschränkt, die unwahren Aspekte der beanstandeten Äußerung zu kennzeichnen und zu korrigieren oder eine unvollständige Berichterstattung zu ergänzen. (2) Form, Ort und Zeitpunkt

Die Berichtigung muss in Aufmachung, Größe und Auffälligkeit der Erstmitteilung entsprechen. Insbesondere ist sie an vergleichbarer Stelle zu platzieren, um möglichst dieselben Rezipienten zu erreichen (BGH, NJW 1995, 861, 863). Sie ist in der nächst erreichbaren Ausgabe bzw. Sendung zu veröffentlichen, die dem rechtskräftigen Urteil nachfolgt (WenzelGamer, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 13, Rn. 98). b) Gegendarstellungsanspruch

Abzugrenzen ist der Berichtigungsanspruch von dem Gegendarstellungsanspruch. Während der Berichtigungsanspruch den Verletzer verpflichtet, selbst eine Erklärung abzugeben, mit der er sich von seiner Erstmitteilung distanziert, handelt es sich bei der Gegendarstellung um eine persönliche Erklärung des Betroffenen, die allerdings der Verletzer dulden muss, indem er die Erklärung in seinem Publikationsorgan (z. B. Zeitung, Illustrierte, Homepage, Fernsehsendung) veröffentlicht. Bundeseinheitlich geregelt ist der Gegendarstellungsanspruch für Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten (zu dem Begriff der „Telemedien“: Fall 11) in § 56 RStV (§ 14 MDStV a. F.). Der presse- sowie der rundfunkrechtliche Gegendarstellungsanspruch sind in den einzelnen Ländergesetzen normiert (z. B. § 11 LPG NW1, § 44 LMG NW). Die Pressegesetze sind vielfach einander ähnlich. In der Textsamm1

Vgl. § 10 Muster-PG in der Textsammlung von Fechner, Medienrecht.

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lung „Fechner, Medienrecht (3. Auflage)“ findet sich unter Nr. 19 ein Musterpressegesetz (Muster-PG) mit Hinweis auf abweichende Landesvorschriften. aa) Anspruchsvoraussetzungen

Die sich weitgehend entsprechenden Ansprüche gemäß § 56 RStV, § 11 LPG NW und § 44 LMG NW weisen folgende gemeinsame Voraussetzungen auf: (1) Veröffentlichung der Erstmitteilung in einem bestimmten Medium

Zunächst ist eine Gegendarstellung nur möglich gegenüber Erstmitteilungen, die in einem periodischen Druckwerk (§§ 11 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 4 LPG NW2), einer Sendung (§ 44 Abs. 1 LMG NW) oder einem journalistischredaktionell gestalteten Angebot im Rahmen eines Telemediendienstes (§ 56 Abs. 1 S. 1 RStV) veröffentlicht wurden. (2) Tatsachenbehauptung

Überdies muss sich die Gegendarstellung auf eine Tatsachenbehauptung beziehen. Unbeachtlich ist, ob die Tatsachenbehauptung wahr, unwahr oder persönlichkeitsrechtsverletzend ist, ob der für das Medium Verantwortliche die Behauptung als eigene aufgestellt oder bloß als fremde Mitteilung wiedergegeben hat. Eine Gegendarstellung kann sich dagegen nicht gegen ein Werturteil richten. Das wird zum Teil als Lücke im Persönlichkeitsschutz angesehen (vgl. zum Problem E. Schneider, MDR 1978, 613). (3) Kein Ausschlussgrund

In bestimmten Fällen ist eine Gegendarstellung ausgeschlossen, so wenn sie unangemessen lang ist, einen strafbaren Inhalt hat oder zu spät verlangt wird (zu den einzelnen Ausschlussgründen vgl. § 11 Abs. 2 LPG NW, § 44 Abs. 2 LMG NW, § 56 Abs. 2 RStV). Den wichtigsten Ausschlussgrund bildet das Fehlen eines berechtigten Interesses an der Gegendarstellung (§ 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LPG NW, § 44 Abs. 2 Alt. 1 LMG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 1 RStV), der insbesondere vorliegt, wenn 2

Vgl. § 6 Abs. 4 Muster-PG.

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– der Inhalt der Gegendarstellung offensichtlich unwahr (OLG Karlsruhe, AfP 2006, 168, 169) oder offensichtlich irreführend ist (OLG München, AfP 1992, 171, 172; Bsp.: Eine Behauptung, die lediglich ergänzt bzw. eingeschränkt hätte werden müssen, wird vollständig negiert.), – die gewünschte Gegendarstellung belanglos ist (BVerfG, NJW 1998, 1381, 1383), – die Gegendarstellung ausschließlich sachfremde Zwecke (z. B. Rache) verfolgt oder – bereits eine inhaltsgleiche Gegendarstellung eines anderen Betroffenen veröffentlicht wurde (OLG Hamburg, AfP 1974, 576, 577). Ferner darf der Umfang der Gegendarstellung nicht unangemessen sein (§ 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 LPG NW, § 44 Abs. 2 Alt. 2 LMG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 2 RStV), wobei als Orientierung der Umfang der Erstmitteilung dient (§ 11 Abs. 2 S. 2 LPG NW, § 44 Abs. 2 Alt. 2 LMG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 2 RStV). Die Gegendarstellung darf keinen strafbaren Inhalt (insbesondere Verstoß gegen §§ 185 ff. StGB) aufweisen (§ 11 Abs. 2 S. 3 Alt. 2 LPG NW, § 44 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 LMG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 RStV). Sie darf keine Wertungen, sondern lediglich Tatsachen enthalten (§ 11 Abs. 2 S. 3 Alt. 1 LPG NW, § 44 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 LMG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 RStV). (4) Form und Frist

Die Gegendarstellung muss schriftlich fixiert und nach h. M. (Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 29.29) handschriftlich von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterschrieben sein (§ 11 Abs. 2 S. 4 LPG NW, § 44 Abs. 3 S. 2 LMG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV). Die Gegendarstellung ist grundsätzlich in fünf Teile gegliedert: Der Überschrift „Gegendarstellung“ folgen die Anknüpfung an die Erstmitteilung und deren Wiedergabe, sodann die Entgegnung und schließlich die Unterzeichnung (Bsp. in Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 317 sowie Prinz/ Peters, Medienrecht, Rn. 522 ff.). Die Gegendarstellung muss dem Verletzer unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB), nachdem der Betroffene erstmals von der Erstmitteilung Kenntnis erlangt hat, spätestens aber innerhalb von drei Monaten (§ 11 Abs. 2 S. 5 LPG NW, § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV) bzw. zwei Monaten (§ 44 Abs. 3 S. 3 LMG NW) nach der Veröffentlichung zugehen.

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Zu beachten ist, dass nach h. M. bereits eine formell oder materiell unzulässige Formulierung dazu führt, dass der Anspruch insgesamt scheitert („Alles-oder-nichts-Prinzip“; Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wortund Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 11, Rn. 212). Es gibt also keine Möglichkeit, den Antrag auf Gegendarstellung im Prozess nochmals abzuändern oder nachzubessern. (5) Anspruchsberechtigter

Gegendarstellungsberechtigt ist jede Person oder Stelle, die durch eine Medienmitteilung betroffen ist (§ 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW, § 44 Abs. 1 LMG NW, § 56 Abs. 1 S. 1 RStV). „Personen“ sind neben lebenden natürlichen und juristischen Personen des privaten und öffentlichen Rechts sonstige Personenvereinigungen, die klagen und verklagt werden können (z. B. nicht rechtsfähige Vereine). Unter einer „Stelle“ sind in erster Linie Behörden zu verstehen. Erforderlich ist eine individuelle Betroffenheit, d. h. die mitgeteilte Tatsache muss die Person oder Stelle in ihrer eigenen Interessensphäre berühren (Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 29.9 f.). (6) Anspruchsverpflichteter

Anspruchsverpflichtet sind der verantwortliche Redakteur und der Verleger (§ 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW) bzw. der Veranstalter (§ 44 Abs. 1 LMG NW) oder der Diensteanbieter (§ 56 Abs. 1 S. 1 RStV). bb) Form, Ort und Zeitpunkt der Gegendarstellung

Wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und der Anspruchsberechtigte dem Anspruchsverpflichteten seine Gegendarstellung zugeleitet und ihn zur Veröffentlichung aufgefordert hat, muss der Anspruchsgegner die Gegendarstellung – in der nächstfolgenden, für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe an gleicher Position (ggf. sogar auf der Titelseite; zu Einschränkungen vgl. die Falllösung) und mit gleicher Schrift wie die Erstmitteilung (§ 11 Abs. 3 S. 1 LPG NW) bzw. – innerhalb des gleichen Programms, in der gleichen Programmsparte und zur gleichen Tageszeit (§ 44 Abs. 4 LMG NW) bzw. – in gleicher Aufmachung und in unmittelbarer Verknüpfung mit der Erstmitteilung (§ 56 Abs. 1 S. 2, 3 RStV) ohne Einschaltungen und Weglassungen veröffentlichen.

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Im Anschluss an die Gegendarstellung darf der Anspruchsgegner einen sog. Redaktionsschwanz abdrucken, in dem er sich von der Gegendarstellung inhaltlich distanziert. Allerdings muss sich der Anspruchsgegner auf tatsächliche Angaben beschränken. Er darf die Gegendarstellung nicht mit hämischen Kommentaren begleiten (sog. Glossierungsverbot, § 11 Abs. 3 S. 3 LPG NW, § 56 Abs. 1 S. 5 RStV).

III. Lösungsskizze Ausgangsfall Anspruchsziel: Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung Anspruchsgrundlage: § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB C könnte gegen V einen Anspruch auf Abdruck einer berichtigenden Erklärung gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB haben. 1. Voraussetzungen a) Tatsachenbehauptung

Die Schlagzeile „C – tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs.“ müsste eine Tatsachenbehauptung sein. Tatsachenbehauptungen sind Aussagen, deren Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises überprüft werden kann. Ob eine Tatsachenbehauptung vorliegt, ist aus der Sicht eines unbefangenen durchschnittlichen Lesers zu beurteilen. Der Durchschnittsleser versteht die Schlagzeile in dem Sinne, dass C an Brustkrebs erkrankt ist, sie sich ihrer Krankheit stellt und erwehrt. Ob C an Brustkrebs leidet und wie sie darauf reagiert, kann ermittelt und bewiesen werden. Es handelt sich also um Tatsachen. Zwar ist der Begriff „tapfer“ wertend. Insgesamt überwiegt jedoch der tatsächliche Charakter der Aussage. Mithin behauptet die Schlagzeile Tatsachen. b) Unwahrheit

Auch ist die Schlagzeile unwahr. C ist nicht an Brustkrebs erkrankt.

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c) Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Somit fragt sich, ob die Schlagzeile das allgemeine Persönlichkeitsrecht der C beeinträchtigt. In Betracht kommt eine Beeinträchtigung ihrer Intim- und Privatsphäre. Ob Angaben über den Gesundheitszustand einer Person ihre Intimoder Privatsphäre betreffen, entscheidet der Einzelfall. Maßgeblich ist einerseits die Art der Krankheit, insbesondere, ob sie für Dritte offen erkennbar ist, wie manche Körperbehinderungen. Andererseits ist bedeutend, wie detailliert die Krankheit beschrieben wird und wie sich der Bericht auf den Betroffenen auswirkt. Die Zeitschrift „Königshäuser aktuell“ hat keine Einzelheiten über den Gesundheitszustand der C berichtet. Auch stigmatisiert die Schlagzeile C nicht. Betroffen ist daher nicht die Intim-, sondern die Privatsphäre der Betroffenen. Unbeachtlich ist, dass C tatsächlich nicht an Brustkrebs erkrankt ist. Ihr Persönlichkeitsrecht ist bereits dadurch verletzt, dass die Schlagzeile den Lesern den Eindruck einer Erkrankung vermittelt (vgl. BGH, ZUM 2005, 735, 738 f.). d) Rechtswidrigkeit

Überdies müsste die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der C mit entgegenstehenden Rechten des V festzustellen. aa) Entgegenstehende Rechte des V (1) Pressefreiheit

Möglicherweise kann V sich auf die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG) berufen. Doch wird darüber gestritten, ob die Kundgabe einer einzelnen Äußerung schon das Grundrecht der Pressefreiheit berührt oder ob es bei der Wiedergabe von Einzelaussagen nicht lediglich um die Wahrnehmung der allgemeinen Meinungsfreiheit geht. Das BVerfG differenziert wie folgt: Die in einem Presseartikel geäußerte Meinung soll durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützt sein, während sich Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG „auf die Voraussetzungen (beziehe), die gegeben sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozess erfüllen kann“. Der Schutzbereich der Presse-

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freiheit ist danach (erst) berührt, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt geht; handelt es sich dagegen um die Frage, ob eine bestimmte Äußerung erlaubt war oder nicht, so kann ungeachtet des Verbreitungsmediums allenfalls Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG einschlägig sein (BVerfGE 85, 1, 13 – Kritische Bayer-Aktionäre). Folgt man dem, so genießen Einzeläußerungen in der Presse gegenüber sonstigen Meinungsäußerungen keine Privilegien. Der Maßstab ist hier wie dort Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG (näher hierzu vgl. Fall 3). Vorliegend geht es um eine einzelne Aussage, deren Richtigstellung die Presseaufgabe insgesamt nicht berührt. Die Pressefreiheit ist also nicht einschlägig. (2) Meinungsfreiheit

Für V könnte aber die Meinungsfreiheit streiten. Dann müsste Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG auch Tatsachenbehauptungen, wie die Schlagzeile „C – tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs.“, schützen. Über seinen Wortlaut („Meinung“) hinaus erfasst Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG im Interesse eines möglichst effektiven Grundrechtsschutzes auch Tatsachenbehauptungen, sofern sie Voraussetzung für die Bildung einer Meinung sind. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen tragen nicht zur Meinungsbildung bei. Sie führen die Rezipienten gezielt in die Irre. Der Bericht im Innenteil der Zeitschrift verdeutlicht, dass V nicht davon ausgegangen ist, dass C an Brustkrebs leidet. Dennoch hat er bewusst eine Schlagzeile veröffentlicht, die bei dem Leser diesen falschen Eindruck erwecken konnte. Die Veröffentlichung und Verbreitung der Schlagzeile hat nicht zur Meinungsbildung beigetragen. V kann sich daher nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. (3) Allgemeine Handlungsfreiheit

Ihm bleibt allerdings die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Dieses Auffanggrundrecht schützt das Interesse, äußern und verbreiten zu können, was man will, also auch das Interesse, unwahre Tatsachen zu behaupten (vgl. erstmals BVerfGE 6, 32, 36 – Elfes: „Jeder kann tun und lassen was er will.“; ferner BVerfGE 80, 137, 153 f. – Reiten im Walde).

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bb) Abwägung

Jedoch tritt das Interesse des V, eine unwahre, die Privatsphäre der C berührende Schlagzeile zu veröffentlichen, allein um die Neugier der Leser zu erregen und sie zum Kauf der Zeitschrift anzureizen, hinter das Interesse der C an dem Schutz ihres höchstpersönlichen Lebensbereiches zurück. Die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung ist also rechtswidrig. e) Fortdauer der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Ein Anspruch auf Beseitigung in Form der Berichtigung setzt voraus, dass C fortdauernd in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt ist. Die Beeinträchtigung dauert an, solange die Gefahr besteht, dass die Schlagzeile einem breiten Teil der Rezipienten noch präsent ist. Die Schlagzeile ist erst einen Monat alt. Es liegt daher nahe, dass sich viele Menschen, die sich (allein) die Schlagzeile angeschaut haben, noch an die vermeintliche Erkrankung der C erinnern können. C ist also fortdauernd in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt. f) Erforderlichkeit3

Schließlich ist die Berichtigung erforderlich, um die fortwirkende Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung zu beseitigen. Es ist kein milderes Mittel ersichtlich, das den Eindruck der Rezipienten zerstören kann, C sei an Brustkrebs erkrankt. g) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen eines Berichtigungsanspruchs gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB sind damit erfüllt. 2. Berichtigungserklärung Der Inhalt und Umfang des Berichtigungsanspruchs richtet sich nach den Einzelfallumständen. Insbesondere darf der Anspruchsgegner nicht unverhältnismäßig belastet werden.

3 Dieser Prüfungspunkt sollte in der Klausur allenfalls kurz erwähnt werden, sofern die Erforderlichkeit nicht ernsthaft zu bezweifeln ist.

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a) Widerruf oder Richtigstellung?

Hier kommen als Berichtigungsmaßnahmen der Widerruf und die Richtigstellung in Betracht. Eine Behauptung ist zu widerrufen, wenn sie insgesamt unwahr ist. Die Richtigstellung genügt, wenn der Anspruchsgegner eine Änderung der Erstmitteilung begehrt, weil sie teilweise unwahr, unvollständig, unklar oder übertrieben ist und dadurch einen falschen Eindruck erweckt. Die Äußerung „C – tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs.“ ist nicht insgesamt unwahr. C kämpft tatsächlich gegen Brustkrebs, indem sie sich für Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Brustkrebs ausspricht. Allerdings vermittelt die Schlagzeile den falschen Eindruck, C bekämpfe ihre eigene Erkrankung. In diesem Fall genügt das mildere Mittel der Richtigstellung, um die Behauptung zu berichtigen. b) Ort und Form der Richtigstellung

Die Richtigstellung ist ebenfalls auf der Titelseite zu platzieren. Sie ist in der nächstfolgenden, noch nicht gedruckten Ausgabe der Zeitschrift „Königshäuser aktuell“ zu veröffentlichen. Durch die Richtigstellung ist klarzustellen, dass C nicht selbst an Brustkrebs erkrankt ist, sondern sich allgemein und unabhängig von einer persönlichen Betroffenheit dem Kampf gegen diese Krankheit durch ihr Engagement stellt. 3. Ergebnis C hat gegen V einen Anspruch auf Abdruck einer Richtigstellung, die den durch die Schlagzeile erweckten Eindruck zerstört, sie sei an Brustkrebs erkrankt, gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB. Abwandlung Anspruchsziel: Veröffentlichung einer Gegendarstellung Anspruchsgrundlage: § 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW4 C könnte gegen V einen Anspruch auf Abdruck ihrer Gegendarstellung gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW haben.

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Vgl. § 10 Muster-PG.

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Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente

1. Voraussetzungen a) Veröffentlichung der Erstmitteilung in einem periodischen Druckwerk

Die Schlagzeile „C – tapfer kämpft sie gegen Brustkrebs.“, auf die sich die Gegendarstellung bezieht, war Teil der monatlich erscheinenden Zeitschrift „Königshäuser aktuell“, die ein periodisches Druckwerk im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW i. V. m. § 7 Abs. 4 LPG NW5 ist. b) Tatsachenbehauptung

Wie bereits im Ausgangsfall dargelegt, handelt es sich bei der Schlagzeile um eine Tatsachenbehauptung. c) Kein Ausschlussgrund

Die Gegendarstellung dürfte nicht ausgeschlossen sein gemäß § 11 Abs. 2 LPG NW. aa) Fehlen eines berechtigten Interesses

Gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LPG NW muss C ein berechtigtes Interesse daran haben, dass ihre Gegendarstellung veröffentlicht wird. Das berechtigte Interesse fehlt insbesondere dann, wenn die Gegendarstellung offensichtlich unwahr, irreführend oder belanglos ist. Die Gegendarstellung der C stellt klar und zutreffend dar, dass C nicht an Brustkrebs erkrankt ist. C hat ein nachvollziehbares Interesse daran, dass die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, dass sie nicht lebensbedrohlich erkrankt ist. C hat also ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung ihrer Gegendarstellung. bb) Kein unangemessener Umfang der Gegendarstellung

Überdies darf die Gegendarstellung nicht unangemessen lang sein (§ 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 LPG NW). Die Gegendarstellung gilt als angemessen, sofern sie den Umfang der Erstmitteilung nicht überschreitet (§ 11 Abs. 2 S. 2 LPG NW). Die Gegendarstellung der C überschreitet den Umfang der Erstmitteilung bloß geringfügig und beschränkt sich auf die zur Klarstellung notwendigen Informationen. Ihr Umfang erscheint somit angemessen. 5

Vgl. § 6 Abs. 4 Muster-PG.

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cc) Beschränkung der Gegendarstellung auf tatsächliche Angaben

Außerdem muss sich die Gegendarstellung auf tatsächliche Angaben beschränken (§ 11 Abs. 2 S. 3 Alt. 1 LPG NW). C behauptet in der Gegendarstellung, sie sei nicht an Brustkrebs erkrankt, setze sich aber für die Früherkennung ein. Diese Aussage ist dem Beweis zugänglich. Die Gegendarstellung bezieht sich ausschließlich auf Tatsachen. d) Form

Die Gegendarstellung ist schriftlich fixiert und handschriftlich von C unterzeichnet. Mithin ist sie formell ordnungsgemäß im Sinne des § 11 Abs. 2 S. 4 LPG NW. e) Frist

Zudem muss die Gegendarstellung dem Verbreiter der Erstmitteilung unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB), nach der Veröffentlichung der Erstmitteilung zugehen (vgl. § 11 Abs. 2 S. 5 LPG NW). C sandte V die Gegendarstellung „unmittelbar nach Erscheinen der Erstmitteilung“ und damit fristgerecht zu. f) Anspruchsberechtigte und -verpflichteter

C, die die Erstmitteilung individuell betrifft, ist anspruchsberechtigt und V als Verleger anspruchsverpflichtet im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW. 2. Ort und Form der Gegendarstellung a) Ort

Die Gegendarstellung ist in der nächstfolgenden, für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe der Zeitschrift „Königshäuser aktuell“ abzudrucken, und zwar in dem Teil des Druckwerks, in dem die Erstmitteilung erschienen ist (Gedanke der Waffengleichheit; § 11 Abs. 3 S. 1 LPG NW). Da die Schlagzeile auf der Titelseite der Zeitschrift „Königshäuser aktuell“ erschienen ist, muss dort auch die Gegendarstellung platziert werden. b) Form

Gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 LPG NW ist die Gegendarstellung in der gleichen Schrift wie die Erstmitteilung zu veröffentlichen.

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Fall 2: Wortberichterstattung über Prominente

Zweifelhaft ist dieses Gebot, wenn die Gegendarstellung auf der Titelseite veröffentlicht werden muss; vor allem ist fraglich, ob in diesem Fall die Gegendarstellung in derselben Schriftgröße abgedruckt werden muss wie die Erstmitteilung. Die Rechtsprechung betont, dass die Gegendarstellung nicht dazu führen darf, dass die Titelseite ihre wesentlichen Funktionen einbüßt. Sie muss weiterhin eine Identifizierung des Blattes ermöglichen, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufnehmen und das Interesse des Publikums erregen können (BVerfGE 97, 125, 151). Grundsätzlich sollte die Gegendarstellung nicht mehr als ein Drittel der Titelseite in Anspruch nehmen (OLG Karlsruhe, AfP 2006, 168, 170). C hat also u. U. eine gewisse Reduzierung der Schriftgröße hinzunehmen. 3. Ergebnis C hat gegen V einen Anspruch auf Abdruck der Gegendarstellung gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 LPG NW auf der Titelseite der nächstfolgenden, für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe der Zeitschrift „Königshäuser aktuell“.

Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente

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Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente (vgl. EGMR, Urteil vom 24. 6. 2004, – 59320/00 –, NJW 2004, 2647; BVerfG, Urteil vom 15. 12. 1999, – 1 BvR 653/96 –, NJW 2000, 1021; BGH, Urteil vom 19. 12. 1995, – VI ZR 15/95 –, NJW 1996, 1128) Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente

I.

Sachverhalt

Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente

Erneut berichtet die von V verlegte Boulevard-Zeitschrift „Königshäuser aktuell“ über die monegassische Erbprinzessin C. Unter der Überschrift „Das Leben einer Prinzessin . . .“ erscheint eine Fotoserie, die verschiedene Ausschnitte aus dem Leben der C wiedergibt. Die Fotos zeigen C, die – mit einem Bekannten, der C die Hand küsst, zur Abendzeit an einem kaum beleuchteten Tisch in einem Gartenlokal sitzt, – mit ihren Kindern auf einem Spielplatz spielt, – auf einer frei zugänglichen Koppel auf einem Pferd reitet. C ist empört über die Fotos, die gegen ihren Willen aufgenommen und verbreitet worden sind. Sie meint, auch ihr stehe ein geschützter Privatbereich außerhalb ihres Hauses zu, den die Presse zu respektieren habe. Kann C verhindern, dass V die Fotos nochmals in seiner Zeitschrift abdruckt?

II. Schwerpunkte des Falles Einen beachtlichen Teil der Allgemeinheit interessiert nicht bloß das berufliche, sondern auch das private Wirken prominenter Personen. Dieses Interesse befriedigen Paparazzi-Fotos, die Prominente in allen Lebenssituationen abbilden. Mit der Zulässigkeit dieser Fotos beschäftigt sich Fall 3. Er stellt das Verhältnis zwischen der Pressefreiheit und dem Recht am eigenen Bild dar. Dabei berücksichtigt er neben der deutschen die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Zudem erörtert Fall 3 den Unterlassungsanspruch, der eine wichtige Rolle im Bereich des Persönlichkeitsschutzes spielt.

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Fall 3: Bildberichterstattung über Prominente

1. Allgemeine Hinweise zur Prüfung der §§ 22 f. KUG (§ 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m.) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 22 f. KUG bildet die Anspruchsgrundlage bei Eingriffen in das Recht am eigenen Bild gemäß §§ 22 f. KUG (zum Schutzgesetzcharakter der §§ 22 f. KUG: BGHZ 26, 349, 351 – Herrenreiter; BGHZ 20, 345, 347 – Paul Dahlke; OLG München, NJW 1988, 915, 916). Allerdings schützt das besondere Persönlichkeitsrecht gemäß §§ 22 f. KUG den Einzelnen nur vor der Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung seines Bildnisses (§ 22 S. 1 KUG). Vor der Aufnahme seines Bildnisses behütet ihn das allgemeine Persönlichkeitsrecht; Anspruchsgrundlage in diesen Fällen ist (§ 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m.) § 823 Abs. 1 BGB. Wendet der Betroffene sich sowohl gegen die Aufnahme als auch gegen die Verbreitung seines Bildnisses, so prüft die Rechtsprechung teilweise einen einheitlichen Anspruch aus § 823 Abs. 1, 2 BGB, §§ 22 f. KUG. Dieses Vorgehen ist vertretbar, da es unnötige Wiederholungen bei der inhaltlichen Prüfung vermeidet1. Die Prüfung eines Anspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 22 f. KUG ähnelt der Prüfung eines Anspruchs gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Verletztes Rechtsgut ist das Recht am eigenen Bild. Die in § 22 KUG beschriebene Verletzungshandlung liegt in der Verbreitung bzw. Zurschaustellung eines Bildnisses. Rechtswidrig ist diese Handlung zunächst, wenn keine Einwilligung vorliegt (§ 22 S. 1 KUG). Allerdings scheidet die Rechtswidrigkeit aus, wenn einer der in § 23 Abs. 1 KUG verfolgten Zwecke erfüllt ist und dieser Zweck keine berechtigten Interessen des Abgebildeten verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG). Die Prüfung entspricht der Rechtswidrigkeitsprüfung im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB. In beiden Fällen sind – auf der Ebene des § 23 Abs. 2 KUG bzw. auf der Rechtswidrigkeitsebene des § 823 Abs. 1 BGB – die Interessen des Abgebildeten mit den Interessen des Anspruchsgegners abzuwägen. Für den Anspruchsgegner streiten vor allem die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG. Im Fall 3 geht es um die Freiheit der Presse, Bildnisse aus dem Privatbereich veröffentlichen zu dürfen. 2. Bildnisschutz Das Recht am eigenen Bild schützt den Einzelnen davor, dass unbefugt ein Bildnis von seiner Person verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt 1 Überdies wird gelegentlich – entgegen dem hier vertretenen Ansatz – § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 22 f. KUG als Anspruchsgrundlage gewählt. Dabei wird angenommen, dass §§ 22 f. KUG das Rechtsgut in § 823 Abs. 1 BGB nur definieren.

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(§§ 22 f. KUG) bzw. angefertigt (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) wird. Die deutsche Rechtsprechung und Literatur hat dieses Recht in einer Weise konkretisiert, die dazu führte, dass Prominente in der Öffentlichkeit häufig keinen Schutz gegen Paparazzi genießen. Diese pressefreundliche Linie stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)2 in seiner Entscheidung vom 24. 6. 2004 (NJW 2004, 2647) grundsätzlich in Frage. a) Rechtslage bis zur EGMR-Entscheidung aa) Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung eines Bildnisses

Grundsätzlich dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden (§ 22 S. 1 KUG). Allerdings ist in den Fällen des § 23 Abs. 1 Nr. 1–4 KUG eine Einwilligung ausnahmsweise entbehrlich, sofern kein berechtigtes Interesse des Abgebildeten (§ 23 Abs. 2 KUG) verletzt ist („abgestuftes Schutzsystem“). (1) Bildnis

Ein Bildnis im Sinne der §§ 22 f. KUG ist nach der amtlichen Gesetzesbegründung die „Darstellung einer Person in ihrer wirklichen, dem Leben entsprechenden Erscheinung“. Der Begriff „Bildnis“ ist weit zu fassen. Die Darstellungsform (z. B. Foto, Filmaufnahme, Zeichnung) ist unbeachtlich. Nach h. M. ist selbst die Abbildung eines Toten als „Bildnis“ geschützt. Interessanterweise wurde der Bildnisschutz infolge von Paparazzi-Fotos der aufgebahrten Leiche des Reichskanzlers Otto von Bismarck gesetzlich geregelt (zu diesem Fall RGZ 45, 170). (2) Erkennbarkeit

Die abgebildete Person muss auf dem Bildnis erkennbar sein (ausführlich zur Erkennbarkeit Wenzel-von Strobl-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 7, Rn. 13 ff.). Erkennbarkeit ist schon anzunehmen, wenn der Abgebildete begründeterweise davon ausgehen darf, er sei zu identifizieren. Dafür ist die Abbildung der Gesichtszüge nicht erforderlich (BGH, NJW 1979, 2205; KG, AfP 2006, 567, 568). Ausreichend kann sein, dass das Bildnis Merkmale zeigt, die gerade dem Abgebildeten 2 Zur Gründung, Organisation, zum Verfahren und zu den Aufgaben des EGMR vgl. www.coe.int/T/D/Menschenrechtsgerichtshof/.

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eigen sind (z. B. persönliche Gegenstände, ein PKW mit lesbarem Kennzeichen, der typische Gang im Filmwerk, das Wohnhaus, in dem der Betroffene lebt), solange die Person selbst noch mit abgebildet wird. Außerdem können begleitende Umstände auf den Abgebildeten hinweisen; seine Erkennbarkeit kann beispielsweise aus einem Untertext folgen, der den Abgebildeten namentlich erwähnt (BGH, NJW 1965, 2148, 2149). Auch die Nachahmung einer Person durch ein Double, einen Schauspieler oder eine Bühnenfigur soll ein „Bildnis“ darstellen, wenn der Darsteller den Eindruck erweckt, er sei die dargestellte Person (so schon KG, JW 1928, 363 – Piscatorbühne: Darstellung der Person des Kaisers Wilhelm I. durch einen Schauspieler auf der Theaterbühne). Unbeachtlich ist, wie dieser Eindruck erweckt wird. Nicht erforderlich ist, dass er auf einer Ähnlichkeit des Darstellers mit dem Dargestellten beruht (BGH, NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel: Verletzung des Rechts am eigenen Bild durch Nachstellen einer bekannten Filmszene). §§ 22 f. KUG können analog angewandt werden, wenn die Person selbst nicht gezeigt, wohl aber erkennbar ihre Stimme zu hören ist (Schierholz, Der Schutz der menschlichen Stimme gegen Übernahme und Nachahmung, S. 93). Bei den soeben genannten Doublefällen sollte man gleichfalls §§ 22 f. KUG analog anwenden. (3) Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung

Ein Bildnis wird verbreitet, indem es körperlich weitergegeben wird (z. B. in der Zeitung); es wird öffentlich zur Schau gestellt, indem es wahrnehmbar gemacht wird (z. B. im Internet). (4) Einwilligung (§ 22 S. 1 KUG)

Die Einwilligung einer Person rechtfertigt die Verwendung ihres Bildnisses3. Sie kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erklärt werden. Ob eine konkludente Einwilligung vorliegt, ist nach den Einzelfallumständen zu beurteilen; maßgeblich ist insbesondere das Vorverhalten des Abgebildeten (BGH, GRUR 1962, 211, 212: Wer Fotografen zu seiner Hochzeitsfeier zulässt, willigt konkludent in die Anfertigung von Fotos ein.). Wer in die Kamera lächelt, gibt konkludent zu erkennen, dass er in die 3 Zum Teil wird vertreten, die Einwilligung wirke bereits tatbestandsausschließend (so Paschke, Medienrecht, 2. A., Rn. 694; Wenzel-von Strobl-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 7, Rn. 60).

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Bildnisaufnahme einwilligt. Wer in die Kamera des stadtbekannten Zeitungsfotojournalisten lächelt, gibt zu erkennen, dass er auch mit der Veröffentlichung in der Zeitung einverstanden ist. Eine Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden lässt, eine Entlohnung erhält (§ 22 S. 2 KUG). Das führt dazu, dass die Veröffentlichung bezahlter Fotos nur schwer rückgängig zu machen ist. Bei der Einwilligung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Dies bedeutet, dass §§ 104 ff. BGB grundsätzlich anzuwenden sind. Ergänzungsbedürftig ist allerdings § 107 BGB, der die Wirksamkeit der Willenserklärung eines Minderjährigen an die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter knüpft. Der persönlichkeitsbezogene Charakter des Eingriffs gebietet es, dass zusätzlich der Minderjährige in die Bildnisveröffentlichung einwilligen muss, es sei denn, er ist noch nicht einsichtsfähig (Wenzel-von Strobl-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 7, Rn. 69: Einsichtsfähigkeit ab dem 14. Lebensjahr). Zunehmend wichtiger wird die Frage, wie weit eine im Zusammenhang mit der Bildnisaufnahme oder -verbreitung erteilte Einwilligung reicht. Willigt derjenige, der einer Nacktaufnahme für ein Biologielehrbuch zustimmt, auch darin ein, dass dieses Foto im Fernsehen gezeigt wird (verneinend BGH NJW 1985, 1617)? Der Umfang der Einwilligung ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Einen Anhaltspunkt bietet die im Urheberrecht entwickelte „Zweckübertragungslehre“ (vgl. § 31 Abs. 5 UrhG). Danach reicht die Einwilligung lediglich soweit, wie der mit ihrer Erteilung verfolgte Zweck. Die Veröffentlichung des Bildnisses in einem völlig anderen Zusammenhang ist somit von der Einwilligung regelmäßig nicht gedeckt (OLG Karlsruhe, AfP 2006, 467, 468). Die Einwilligung kann gemäß §§ 119 ff. BGB (analog) angefochten sowie nach verbreiteter Meinung analog § 42 Abs. 1 S. 1 UrhG („Rückruf wegen gewandelter Überzeugung“) widerrufen werden. Ein Widerruf setzt voraus, dass sich seit der Einwilligungserteilung die innere Einstellung des Betroffenen gewandelt hat, sodass ihm nicht mehr zugemutet werden kann, an der Einwilligung festzuhalten. Allerdings ist die Anwendung des für das Urheberrecht entwickelten Rückrufsrechts problematisch, weil seine Ausübung Entschädigungspflichten für die vom Vermarkter bereits vorgenommenen Investitionen nach sich ziehen kann (vgl. § 42 Abs. 3 UrhG). Die möglichen finanziellen Folgen erzeugen mittelbar den Druck, das Rückrufsrecht nicht auszuüben. Mit dem Anliegen, den Persönlichkeitsschutz effektiv durchzusetzen, ist dies häufig nicht vereinbar. Vor die-

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sem Hintergrund erscheint es besonders wichtig, genau zu prüfen, ob die einmal gegebene Einwilligung tatsächlich die zu untersuchende Vermarktung noch deckt. (5) Abbildungsfreiheit (§ 23 Abs. 1 KUG)

Wenn stets eine Einwilligung erforderlich wäre, dürften viele Bildnisse zu Presse-, Rundfunk- und Kunstzwecken nicht verwendet werden. Um zu verhindern, dass die Kommunikationsfreiheiten unangemessen stark beschnitten werden, ist in folgenden Fällen eine Einwilligung entbehrlich: (a) Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG)

Ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte liegt nach der klassischen deutschen Interpretation insbesondere vor, wenn eine Person der Zeitgeschichte abgebildet ist. Dabei wird nach h. M. seit Neumann-Duesberg (JZ 1960, 114) zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte differenziert. Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gebietet diese Interpretation nicht; denn danach kommt es nicht auf die Bedeutung der Person, sondern auf die zeitgeschichtliche Bedeutung der abgebildeten Situation an. Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte verleitet dazu, Bilder von manchen Personen der Zeitgeschichte stets als zeitgeschichtlich bedeutsam einzustufen und damit das grundsätzliche Einwilligungserfordernis auszuhebeln: Die Bundeskanzlerin beim Tomatenkauf, die Prinzessin beim Ausritt oder der Außenminister in der Diskothek – alle Situationen stellen nach dieser Auffassung zeitgeschichtliche Ereignisse dar. Genau an dieser Stelle ist das deutsche Recht in das Kreuzfeuer der Kritik des EGMR geraten (s. u.). Nach der traditionellen deutschen Auffassung ist als absolut zeitgeschichtlich anzusehen eine Person, die aufgrund ihrer Funktion (z. B. Willy Brandt, BGH, ZUM 1996, 240), besonderer Leistungen (z. B. Boris Becker, OLG Frankfurt, AfP 1988, 62, 63) oder ihrer Herkunft (z. B. Prinzessin Caroline von Hannover, BGH, NJW 1996, 1228, 1229) deutlich aus der Masse herausragt und dadurch im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. Bildnisse solcher Personen seien von zeitgeschichtlichem Interesse, weil die Allgemeinheit ein anerkennenswertes Interesse daran habe, zu erfahren, ob das funktionsgebundene und das persönliche Verhalten dieser Personen miteinander harmonieren. Die gesamte Boulevardpresse mit ihrer Prominentenberichterstattung ruht auf dieser Einordnung.

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Relative Personen der Zeitgeschichte erregen nur in Bezug auf ein bestimmtes Ereignis das öffentliche Interesse (z. B. Straftäter, OLG Hamburg, ZUM 1995, 336, 337; Begleiter einer absoluten Person der Zeitgeschichte, die mit ihr zusammen öffentlich auftreten, LG Hamburg, ZUM 1998, 852, 858). Hier folgt die Abbildungsfreiheit also aus dem Ereignis. Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit besteht ausschließlich im Zusammenhang mit diesem Ereignis. Daher darf das Bildnis einer relativen Person der Zeitgeschichte nur einwilligungsfrei veröffentlicht werden, sofern ein – thematischer sowie zeitlicher – „Ereignisbezug“ vorliegt (Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 1991, S. 146). (b) Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG)

§ 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG ist einschlägig, sofern die Landschaft oder sonstige Örtlichkeit den Gesamteindruck des Bildes prägt. Die Person befindet sich hier bloß zufällig in der dargestellten Umgebung; den Gehalt des Bildes verändert sie nicht (z. B. Tourist vor dem Kölner Dom). (c) Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG)

Maßgeblich im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG ist, dass das Geschehen als solches im Vordergrund steht und nicht eine einzelne Person. Zustimmungsfrei sind z. B. Bilder von einer Gewerkschaftsdemonstration, sofern nicht eine einzelne Person herangezoomt und besonders herausgestellt wird. (d) Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG)

Abbildungsfrei gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG kann z. B. die künstlerische Collage aus Urlaubsfotos sein. (6) Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten (§ 23 Abs. 2 KUG)

Obwohl die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG erfüllt sind, darf ein Bildnis gemäß § 23 Abs. 2 KUG nicht verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden, wenn ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten entge-

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gensteht. Ob ein berechtigtes Interesse verletzt ist, ist anhand einer umfassenden Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den widerstreitenden Mediengrundrechten des Art. 5 GG zu ermitteln. Die Mediengrundrechte schützen sowohl die Veröffentlichungs- und Verbreitungsinteressen des Anspruchsgegners als auch die Informationsinteressen der Allgemeinheit. Im Rahmen der Abwägung sind vor allem folgende Aspekte relevant (vgl. Wenzel-von Strobl-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 8, Rn. 55 ff.): – Besonderer Schutz der Intim- und Privatsphäre (vgl. Fall 2), zum Teil absoluter Schutz der Intimsphäre; daher strenge Behandlung von Nacktfotos, „oben-ohne-Fotos“ – Personengefährdung: Ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten ist regelmäßig anzunehmen, wenn es nicht ganz fern liegt, dass die Veröffentlichung des Bildnisses sein Leben, seine Gesundheit oder Freiheit gefährdet (Bsp.: Topmanager wehrt sich gegen Fotos seiner Kinder, weil er Entführungsdrohungen erhalten hat.). Erforderlich ist allerdings, dass der Betroffene sich so verhält, wie es die Gefährdungssituation erfordert, d. h. er muss sich selbst bemühen, eine Veröffentlichung seines Bildnisses zu vermeiden (BVerfG, NJW 2000, 2194). – Resozialisierungsinteresse des Straftäters (vgl. Fall 4) – Kommerzielle Bildnisverwertung: Stets unzulässig ist es, ein Personenbildnis unautorisiert allein zu Werbezwecken oder zu sonstigen kommerziellen Zwecken (z. B. Benutzung des Bildnisses eines Sängers als CDCover, BGH, NJW 1997, 1152) zu verwenden. Solche Veröffentlichungen sind nach h. M. bereits nicht gemäß § 23 Abs. 1 KUG privilegiert (BGH, NJW 2007, 689 – Sixt-Werbung mit Oskar Lafontaine; LG Hamburg, ZUM 2007, 155 – Welt Kompakt-Werbung mit einem digital verjüngten Foto von Joschka Fischer). Verfolgt eine Bildnisveröffentlichung neben kommerziellen Interessen aber zugleich – wenn auch marginal – Informationszwecke, so ist eine Interessenabwägung im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG erforderlich. Das Interesse des Abgebildeten an der Nichtveröffentlichung überwiegt, wenn die informativen Zwecke völlig hinter die kommerziellen Zwecke der Werbung zurücktreten (BGH, NJW 2007, 689 – Oskar Lafontaine; BGH, NJW 2002, 2317 – Marlene Dietrich: Werbung für Artikel in Presseerzeugnissen). bb) Bildnisherstellung

Nicht §§ 22 f. KUG, sondern Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) schützen den Einzelnen davor, dass Dritte unbefugt

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Bildnisse von ihm aufnehmen (BGH, NJW 1957, 1315, 1316). Die Prüfung des Schutzbereichs und der Rechtswidrigkeit folgen den Grundsätzen der §§ 22 f. KUG. So ist die Bildnisanfertigung zulässig, wenn das Bildnis gemäß §§ 22 f. KUG verbreitet werden darf. b) Entscheidung des EGMR vom 24. 6. 2004

Der EGMR erklärte in dem „Caroline-Urteil“ vom 24. 6. 2004, es sei unzulässig, einwilligungsfrei Fotos zu veröffentlichen und zu verbreiten, die Prinzessin Caroline von Hannover in alltäglichen Situationen außerhalb privater Räume zeigen (NJW 2004, 2647). Zuvor hatten deutsche Gerichte die Veröffentlichung und Verbreitung der Fotos gegen den Willen der Prinzessin zugelassen, weil die Prinzessin eine absolute Person der Zeitgeschichte sei und die abgebildeten Situationen keinen privaten Charakter aufwiesen (so BVerfG, NJW 2000, 1021; BGH, NJW 1996, 1128). aa) Kritik an der deutschen Rechtsprechung

Der EGMR kritisiert die deutsche Rechtsprechung in folgenden Punkten: (1) Absolute Person der Zeitgeschichte

Zunächst beanstandet der EGMR, dass die deutschen Gerichte den Begriff der „absoluten Person der Zeitgeschichte“ in einer Weise anwenden und auslegen, die den Schutz des Privatlebens prominenter Personen unzumutbar verkürze. Allenfalls Politiker seien generell als absolute Personen der Zeitgeschichte einzuordnen. Das Privatleben prominenter Personen, die keine amtliche Funktion wahrnehmen (z. B. Sänger, Schauspieler), dürfe jedoch nicht derart weitgehend eingeschränkt werden (NJW 2004, 2647, 2650, Nr. 72). Etwas verkürzt gesprochen, ist es danach zwar zulässig, das Foto der Bundeskanzlerin beim Waldspaziergang einwilligungsfrei zu verbreiten; nicht zulässig ist es jedoch, ein entsprechendes Foto von Prinzessin Caroline von Hannover zu verbreiten, da sie kein offizielles politisches Amt im Fürstentum Monaco innehat. Den Wertungswiderspruch löst der EGMR nicht auf. (2) Örtliche Abgeschiedenheit

Außerdem bemängelt der EGMR, dass die deutsche Rechtsprechung die Privatsphäre, die ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG begründen kann, räumlich auf den häuslichen sowie den Bereich „örtli-

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cher Abgeschiedenheit“ begrenzt. Diese (räumliche) Begrenzung sei zu eng und mechanistisch. Es sei unklar, wann genau „örtliche Abgeschiedenheit“ vorliege (NJW 2004, 2647, 2650 f., Nr. 75; hierzu vgl. Fall 2). Die Unterscheidung zwischen dem hinteren und abgedunkelten Bereich des Gartenlokals und den vorderen Plätzen sei wohl kaum scharf zu treffen. (3) Qualität des Presseerzeugnisses

Schließlich kritisiert der EGMR, dass die deutschen Gerichte nicht hinreichend danach unterschieden, ob die Bildnisse lediglich der Unterhaltung dienen oder einen ernsthaften Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse leisten (NJW 2004, 2647, 2649 Nr. 60, 63 und 2651, Nr. 76). Dieser Aspekt wird auch im deutschen Recht schon lange diskutiert. Kann und soll man zwischen qualitätvoller Politberichterstattung und Boulevardjournalismus, der lediglich die Neugier befriedigt, trennen? Der EGMR würde diese Frage wohl bejahen. bb) Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung

In seinem „Caroline-Urteil“ stellte der EGMR einen Verstoß Deutschlands gegen Art. 8 EMRK („Recht auf Achtung des Privatlebens“) fest. Die deutschen Gerichte bindet die Entscheidung des EGMR allerdings nicht, da die EMRK keine § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechende Vorschrift aufweist. Vielmehr sind die deutschen Gerichte gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die Urteile des BVerfG gebunden. Damit befinden sie sich in einer misslichen Lage: Einerseits müssen sie das „Caroline-Urteil“ des BVerfG vom 15. 12. 1999 (NJW 2000, 1021) befolgen, in dem das BVerfG u. a. erklärt, die Privatsphäre sei räumlich zu begrenzen. Andererseits müssen sie die völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands wahrnehmen und das EGMRUrteil beachten. Das KG Berlin entschied sich für eine salomonische Lösung, indem es die Bindungswirkung des bundesverfassungsgerichtlichen Urteils angesichts der Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung (vgl. Art. 1 Abs. 2, 23–26 GG) als gelockert ansah (ZUM 2006, 872, 874; AfP 2004, 564, 565; ebenso Michael, AfP 2006, 313, 318; a. A. OLG Hamburg, ZUM 2006, 875, 876; AfP 2006, 179, 180; AfP 2006, 180, 181). Eine völkerrechtsfreundliche Auslegung der nationalen Bestimmungen zum Bildnisschutz steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, das zuletzt in seiner Entscheidung vom 14. 10. 2004 (NJW 2004, 3407; ähnlich bereits BVerfGE 82, 106, 120; 74, 358, 370) betonte, dass die deutschen Gerichte verpflichtet sind, die Entscheidungen des EGMR zu berücksichtigen. Aller-

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dings sollten sie dabei die Auswirkungen auf die deutsche Rechtsordnung einbeziehen; dies gelte insbesondere dann, „wenn es sich um ein in seinen Rechtsfolgen ausbalanciertes Teilsystem des innerstaatlichen Rechts handelt, das verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen will“ (NJW 2004, 3407, 3411). Wie sich diese Berücksichtigungspflicht konkret auswirkt, ist umstritten (vgl. Beuthien, K&R 2004, 457; Heldrich, NJW 2004, 2634; Lenski, NVwZ 2005, 50; Ohly, GRUR Int. 2004, 902). Kann die deutsche Rechtsprechung an den Begriffen „absolute Person der Zeitgeschichte“ und „örtliche Abgeschiedenheit“ festhalten? Vertretbar erscheint es, den Begriff „absolute Person der Zeitgeschichte“ weiterhin als Orientierungshilfe zu verwenden, sofern die Kritik des EGMR jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt wird (so auch Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 264; Ohly, GRUR Int. 2004, 902, 911 f.). An der räumlichen Begrenzung der Privatsphäre auf den häuslichen sowie den Bereich örtlicher Abgeschiedenheit kann angesichts der klaren Kritik des EGMR allerdings nicht festgehalten werden (Ohly, GRUR Int. 2004, 902, 912). Daher darf – entgegen der bisherigen Tendenz – bei Bildnissen, die den Betroffenen außerhalb eines Bereichs örtlicher Abgeschiedenheit zeigen, künftig nicht ohne weiteres das Recht am eigenen Bild gegenüber der Pressefreiheit unterliegen. Stattdessen ist auch bei privaten Handlungen in der Öffentlichkeit im Einzelfall zu untersuchen, ob ein überwiegendes berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit an der Bildnisveröffentlichung besteht. Hierbei ist insbesondere darauf abzustellen, welchen Zweck die Bildnisveröffentlichung verfolgt: Trägt sie zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse bei oder dient sie der bloßen Unterhaltung? Wenn die Bildnisveröffentlichung sowohl der sachlichen Information als auch der Unterhaltung dient (z. B. Infotainment), ist maßgeblich, wo ihr Schwerpunkt liegt. Ähnlich ging das KG Berlin in seiner Entscheidung vom 29. 10. 2004 (AfP 2004, 564) vor, in der es Fotos beurteilte, die die Lebensgefährtin eines prominenten Sängers (H. Grönemeyer) gemeinsam mit ihm in alltäglichen Situationen außerhalb privater Räume zeigen. Das Gericht ordnete den Sänger weiterhin als „absolute Person der Zeitgeschichte“ ein. Allerdings berücksichtigte es im Rahmen der Interessenabwägung, dass die Bildnisse lediglich das alltägliche Leben einer Privatperson wiedergeben. Daher entschied es, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter das Interesse der Betroffenen, für sich zu sein, zurückzutreten hat.

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Der BGH beschäftigte sich in seiner Entscheidung vom 6. 3. 2007 (GRUR 2007, 523; vgl. außerdem BGH, ZUM-RD 2007, 397 – Grönemeyer) erstmals ausführlicher mit der „Caroline-Entscheidung“ des EGMR. In dem Urteil untersuchte er, ob eine Zeitschrift ein Foto verbreiten darf, das Prinz Ernst August von Hannover gemeinsam mit seiner Ehefrau auf einer öffentlichen Straße in St. Moritz abbildet. In dieser Entscheidung fallen vor allem zwei Punkte auf: Zunächst distanziert der BGH sich von den Begriffen der relativen und absoluten Person der Zeitgeschichte „im Sinn der bisherigen Rechtsprechung“. Stattdessen ordnet er den klagenden Prinzen als „eine in der Öffentlichkeit bekannte Person“ ein. Überdies betont der BGH, dass bereits die Entscheidung darüber, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte angehört (vgl. § 23 Abs. 1 KUG), eine Abwägung der widerstreitenden Interessen des Abgebildeten einerseits sowie des Verbreiters und der Allgemeinheit andererseits erfordere (so auch BGH, ZUMRD 2007, 397, 398). Damit verengt das Gericht den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zugunsten des Abgebildeten. Methodisch ist dieses Vorgehen bedenklich. Die Struktur der §§ 22 f. KUG legt eine dreistufige Prüfung nahe, die auf der ersten Stufe (§ 22 S. 1 KUG) die Interessen des Abgebildeten, auf der zweiten Stufe (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) die Interessen des Verbreitenden und der Allgemeinheit berücksichtigt und auf der dritten Stufe (§ 23 Abs. 2 KUG) entscheidet, ob das Interesse des Betroffenen das gegnerische Interesse überwiegt. Ein Prüfungsaufbau, der das Persönlichkeitsrecht auch auf der zweiten Ebene maßgeblich berücksichtigt, benachteiligt die Pressefreiheit erheblich und widerspricht dem Grundsatz, dass das Persönlichkeitsrecht und die Pressefreiheit abstrakt gleichwertig sind. Außerdem gestaltet der BGH die Prüfung der §§ 22 f. KUG unübersichtlich, indem er die Prüfungsbereiche des § 23 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 KUG inhaltlich vermengt. Daher ist dieser Prüfungsaufbau für eine Klausur nicht zu empfehlen. Die berechtigten Interessen des Abgebildeten sollten weiterhin im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG berücksichtigt werden (so bislang BGH, NJW 1997, 1152, 1153; NJW 1996, 1128, 1129; kritisch zur Vorverlagerung der Interessenabwägung bereits früher Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 1991, S. 143 f.). 3. Pressefreiheit Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG schützt die Pressefreiheit als institutionelle Freiheit. Dabei geht es nicht um den Schutz einzelner Äußerungen oder Bildveröffentlichungen, sondern um den Schutz der Presse in ihrem ge-

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samten Aufgabenbereich von der Nachrichtenbeschaffung bis zur Nachrichtenvermittlung, von der Meinungsbildung bis zur Meinungsverbreitung. Dieser Ansatz bringt es mit sich, dass in das institutionelle Grundrecht auch Tätigkeiten einbezogen sind, die als solche nicht zentral für die Wahrnehmung von Äußerungsfreiheiten sind, gleichwohl im Prozess der institutionellen Meinungsbildung eine Rolle spielen, so etwa die verdeckte Ermittlung von Journalisten, das Redaktionsgeheimnis, der Betrieb einer Anzeigenabteilung zur Finanzierung des redaktionellen Teils einer Zeitung oder der Vertrieb von Zeitungen über Gratisvertriebswege. a) Schutzbereich aa) Sachlicher Schutzbereich

„Presse“ sind alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckwerke und Informationsträger, die nicht unter den Film- und Rundfunkbegriff fallen. Die Verbreitung der Informationen erfolgt im Bereich der Presse mittels eines zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens; hierzu zählt der klassische Druck ebenso wie ein modernes digitales Verfahren. Von Film und Rundfunk grenzt sich die Presse insofern ab, als ihre Erzeugnisse regelmäßig noch stofflich verkörpert sind. Presseerzeugnisse sind z. B. Zeitungen und Zeitschriften, ferner CD-ROMs und DVDs. Hingegen stellen Online-Angebote („elektronische Presse“) keine Presseerzeugnisse dar, weil ihr Gedankeninhalt stofflich nicht verkörpert ist (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 1, Rn. 5, Kap. 9, Rn. 2; von Mangoldt/Klein/Starck-Starck, 5. A., Art. 5, Rn. 102; SachsBethge, 3. A., Art. 5, Rn. 73 a; a. A. Fechner, Medienrecht, 6. A., Rn. 655, der darauf hinweist, dass Online-Angebote ausgedruckt und damit nachträglich verkörpert werden können). Der Pressebegriff ist weit und formal auszulegen. Es ist weder auf die Anzahl, den Absatzweg oder die Erscheinungsmodalitäten des Produkts noch auf seine Seriosität und Qualität abzustellen. Unter den Schutz der Pressefreiheit fallen daher nicht nur die FAZ und das Handelsblatt, sondern auch die BILD-Zeitung und die „Bunte“. Die Pressefreiheit schützt alle Pressetätigkeiten von der Beschaffung bis zur Verbreitung der Information sowie presseinterne Hilfstätigkeiten. Überdies garantiert Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG das Institut der freien Presse und damit Strukturprinzipien, wie die Staatsfreiheit der Presse und den Tendenzschutz (d. h. die bewusste politische Ausrichtung einer Zeitung als kirchlich, politisch oder gewerkschaftlich). Diese Strukturprinzipien be-

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wirken z. B., dass eine Zeitung ihre Journalisten auf eine politische Redaktionslinie festlegen und ein Kirchenblatt von seinen Mitarbeitern Papsttreue verlangen darf (zum Tendenzschutz vgl. auch § 118 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BetrVG). Von „innerer Pressefreiheit“ spricht man hingegen, wenn es um den Schutz der Redaktion vor Einflüssen durch den Herausgeber geht. Die Reichweite der „inneren Pressefreiheit“ ist umstritten. In erster Linie ist sie ein presseethisches Postulat, kann mithin nicht vom einzelnen Journalisten oder der Redaktion als Kollektiv eingeklagt werden. Berührt ist sie etwa, wenn der Herausgeber die Redaktion anweist, einen kritischen Artikel über einen lukrativen Werbekunden nicht zu veröffentlichen (zur „inneren Pressefreiheit“: Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 748 ff.; Löffler/ Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 38, Rn. 11 ff.). bb) Persönlicher Schutzbereich

Grundrechtsträger sind alle im Pressewesen tätigen natürlichen und juristischen Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) (z. B. Journalisten, Verleger, Drucker). b)

Schranken und Schranken-Schranken

Die Schranken (Art. 5 Abs. 2 GG) und Schranken-Schranken der Pressefreiheit entsprechen den Schranken der Meinungsfreiheit (vgl. Fall 1). Im Rahmen der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist insbesondere zu berücksichtigen, inwiefern ein öffentliches Interesse an der fraglichen Berichterstattung besteht und wie intensiv die Berichterstattung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreift. c)

Verhältnis zur Meinungsfreiheit

Umstritten ist, ob die Presse- oder die Meinungsfreiheit einschlägig ist, wenn eine Meinung in einem Presseerzeugnis geäußert wird. Nach einer Auffassung verdrängt in diesen Fällen die Presse- die Meinungsfreiheit; die Pressefreiheit sei gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG umfassend gewährleistet (Sachs-Bethge, 3. A., Art. 5, Rn. 89). Nach h. M. werden Meinungsäußerungen ausschließlich gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützt; hingegen ist die Pressefreiheit maßgeblich, „wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt“ geht (BVerfGE 85, 1, 12 f.).

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Allerdings führen beide Ansichten regelmäßig zu dem gleichen Ergebnis, da beide Grundrechte den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegen. In zivilrechtlichen Klausuren ist es daher nicht erforderlich, dieses Abgrenzungsproblem umfassend darzulegen. Grundsätzlich sollte man Einzelmeldungen unter dem Grundrecht der Meinungsfreiheit schützen, solange sie nicht von generellem Gewicht sind und daher die Presse als Institution betreffen. Die Frage, inwieweit die Boulevardpresse Fotos von privaten Auftritten Prominenter veröffentlichen darf, betrifft insoweit nicht nur einen Einzelfall, sondern ein ganzes Pressegenre. Hier empfiehlt es sich, die Pressefreiheit selbst als Prüfungsmaßstab heranzuziehen und zu erörtern, inwieweit Veröffentlichungsverbote bestimmte Bereiche der Presse lahm legen können. 4. Unterlassungsanspruch Der Unterlassungsanspruch dient dem Einzelnen dazu, künftige Beeinträchtigungen seines Persönlichkeitsrechts abzuwehren. Soweit nicht ausnahmsweise Spezialvorschriften eingreifen (z. B. § 12 S. 2 BGB bei der Verletzung des Namensrechts) ist der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch auf § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. der jeweiligen Schutznorm (z. B. § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB, §§ 22 f. KUG) zu stützen. Der Unterlassungsanspruch hat folgende Anspruchsvoraussetzungen: a) Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Erforderlich ist zunächst eine Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, die sprachlich in Form von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen oder in sonstiger Weise (z. B. Abbildungen) erfolgen kann. b) Rechtswidrigkeit

Die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung muss rechtswidrig sein. Die Indizfunktion versagt bei Rahmenrechten, hier gilt die Lehre vom Verhaltensunrecht. Die Rechtswidrigkeit ist danach im Wege einer umfassenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und den widerstreitenden Kommunikationsgrundrechten positiv zu ermitteln (vgl. Fall 1).

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c) Begehungsgefahr

Es muss eine Begehungsgefahr in Gestalt einer Wiederholungsgefahr oder einer konkreten Erstbegehungsgefahr bestehen. aa) Wiederholungsgefahr

Erfolgte bereits ein rechtswidriger Angriff auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, so wird die Wiederholungsgefahr vermutet. Der tatsächliche Nachweis der Wiederholungsgefahr ist dem Betroffenen nicht zuzumuten, da er in presseinterne Vorgänge nicht hineinblicken kann. Ausnahmsweise entfällt die Wiederholungsgefahr, wenn der für das Medium Verantwortliche eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, in der er sich verpflichtet, die beanstandete Äußerung nicht mehr zu verbreiten und für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine angemessene Vertragsstrafe zu zahlen. Gleiches gilt, wenn der Anspruchsgegner seine Äußerung in sonstiger Weise freiwillig korrigiert (z. B. Veröffentlichung eines Widerrufs oder einer Richtigstellung). Die Unterlassungserklärung kann auch noch im Zivilprozess abgegeben werden. Geschieht dies unverzüglich, so hat der Kläger die Kosten des begonnenen Verfahrens selbst zu tragen (§ 93 ZPO). Oft wird daher eine Abmahnung an den Anspruchsverpflichteten versandt, bevor die Unterlassungsklage eingereicht wird. Wer daraufhin keine Unterlassungserklärung abgibt, hat Anlass zur Prozessführung gegeben. § 93 ZPO gilt dann auch bei einem sofortigen Anerkenntnis nicht mehr. bb) Erstbegehungsgefahr

Erstbegehungsgefahr ist gegeben, wenn eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung zwar noch nicht erfolgt ist, der Betroffene jedoch weiß oder aus konkret darzulegenden Umständen darauf schließen kann, dass sie droht. Die Erstbegehungsgefahr wird nicht vermutet, sondern der Betroffene muss sie substantiiert darlegen. Die bloße Recherchearbeit des Mediums genügt nicht für die Erstbegehungsgefahr. Denn es ist gerade die Aufgabe der Medien, Vermutungen nachzugehen. Die Erstbegehungsgefahr ist grundsätzlich anzunehmen, wenn ein Artikel bereits fertig formuliert ist (Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 12, Rn. 35). Hingegen soll ein fertig gestelltes Drehbuch nach der Auffassung des OLG Hamburg (AfP 2007, 143, 144; AfP 2007, 146, 148 – Contergan-Film) noch keine Erstbegehungsgefahr begründen.

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d) Anspruchsberechtigter

Anspruchsberechtigt ist der unmittelbar und individuell Betroffene (vgl. Fall 1). e) Anspruchsverpflichteter

Anspruchsverpflichtet ist grundsätzlich, wer die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung willentlich und adäquat kausal (mit)herbeigeführt hat oder wessen Verhalten solch eine Störung befürchten lässt (BGH, NJW 2004, 762, 765; GRUR 2002, 618, 619). Als ein solcher Störer in Betracht kommen sowohl der Behauptende (z. B. Autor) als auch der Verbreiter (z. B. Verleger, Chefredakteur, Buchhändler, Rundfunkanstalt, Content-Provider). Die Haftung beim Unterlassungsanspruch kann damit weitergehen als beim Berichtigungsanspruch. Sie kann auch denjenigen treffen, der eine Meldung weitergibt, ohne sie sich selbst zu eigen zu machen. Zweck der Unterlassungs- und Beseitigungshaftung ist es, die fortwirkende Störungsquelle möglichst schnell und effektiv zu beseitigen, also etwa eine Internetquelle zu sperren oder eine Wiederholungssendung im Rundfunk zu unterlassen.

III. Lösungsskizze Anspruchsziel: Untersagung der erneuten Veröffentlichung der Fotos Anspruchsgrundlage: § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG C könnte gegen V einen Anspruch auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung der Fotos gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG haben. 1. Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung Dann müssten die Bildnisse das Persönlichkeitsrecht der C beeinträchtigen. Indem V die Fotos veröffentlicht und verbreitet, könnte er das Recht der C am eigenen Bild (§§ 22 f. KUG) verletzen. a) Bildnis

Die Fotos sind Bildnisse im Sinne des § 22 S. 1 KUG.

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b) Erkennbarkeit

Auch beschäftigt sich die Fotoserie „Das Leben einer Prinzessin ...“ erkennbar mit C. c) Verletzungshandlung

V verbreitet die Bildnisse der C dadurch, dass er die Zeitschrift „Königshäuser aktuell“, in der die Fotos veröffentlicht sind, an die Käufer der Zeitschriftenexemplare körperlich weitergibt. Damit verletzt V das Recht der C am eigenen Bild. 2. Rechtswidrigkeit Weiterhin müsste die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung rechtswidrig sein. a) Einwilligung

Zwar willigt C nicht in die Veröffentlichung und Verbreitung der Fotos ein (vgl. § 22 S. 1 KUG). b) Abbildungsfreiheit

Jedoch könnte eine Einwilligung gemäß § 23 Abs. 1 KUG entbehrlich sein. Möglicherweise handelt es sich bei den Fotos um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG). Fraglich ist, wann ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte vorliegt. Nach der traditionellen deutschen Rechtsprechung ist maßgeblich, ob eine absolute oder relative Person der Zeitgeschichte abgebildet ist. Zwar kritisierte der EGMR die personenbezogene Deutung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, da sie den Schutz des Privatlebens prominenter Personen unzumutbar verkürze. Allerdings ist es auch nach der „Caroline-Entscheidung“ des EGMR vertretbar, den Begriff „absolute Person der Zeitgeschichte“ als erste Orientierungshilfe zu nutzen, sofern die Interessen prominenter Personen hinreichend im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden. Absolut zeitgeschichtlich ist eine Person, die besonders aus der Masse herausragt und dadurch im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. C nimmt als Prinzessin eine besondere Stellung in der Gesellschaft ein. Ihre Herkunft bewirkt, dass die Öffentlichkeit an ihr interessiert ist. Folg-

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lich ist sie eine absolute Person der Zeitgeschichte. Damit sind die Fotos als Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte zu qualifizieren, die gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG einwilligungsfrei verbreitet werden dürfen. c) Verletzung berechtigter Interessen der C

Allerdings darf die Verbreitung der Fotos kein berechtigtes Interesse der C verletzen (§ 23 Abs. 2 KUG). Entscheidend ist, ob die Interessen der C gewichtiger sind als die Interessen des V. aa) Interesse des V: Ausübung der Pressefreiheit

V könnte sich auf die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG) berufen. Die Pressefreiheit umfasst u. a. das Recht, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen. Dazu gehört auch das Recht, frei zu entscheiden, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird (BVerfG, NJW 2000, 1021, 1024). Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist also eröffnet. Die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) verdrängt die Pressefreiheit hier nicht; denn C und V streiten nicht nur um die Freiheit, die streitgegenständlichen Fotos abbilden zu dürfen, sondern darüber hinaus um die grundsätzliche Reichweite der Abbildungsfreiheit und damit um eine institutionelle Freiheit der Presse (a. A. noch vertretbar, sofern nur auf den Einzelbericht abgestellt wird). bb) Interesse der C: Schutz ihrer Privatsphäre

Hingegen ist C an dem Schutz ihrer Privatsphäre interessiert. Fraglich ist allerdings, ob alle Fotos der Serie „Das Leben einer Prinzessin ...“ die Privatsphäre der C betreffen. 1. Foto: C sitzt mit einem Bekannten, der ihr die Hand küsst, zur Abendzeit an einem kaum beleuchteten Tisch in einem Gartenlokal

Privat könnte das erste Foto sein, das C zeigt, die mit einem Bekannten, der ihr die Hand küsst, zur Abendzeit an einem kaum beleuchteten Tisch in einem Gartenlokal sitzt. Bislang bestimmt die deutsche Rechtsprechung die Privatsphäre u. a. räumlich: Geschützt sind der häusliche Bereich sowie sonstige Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit so deutlich abgeschieden sind, dass

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der Einzelne davon ausgehen darf, nicht von der Öffentlichkeit beobachtet zu sein. C hat sich in einen dunklen Bereich eines Gartenlokals zurückgezogen. Zwar muss sie davon ausgehen, dort von den übrigen Gästen des Lokals beobachtet zu werden, nicht jedoch von der breiten Öffentlichkeit. Somit hat C sich in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen. Das erste Foto zeigt C also in einem privaten Raum. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR. Allerdings stellt der EGMR nicht auf das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit, sondern auf die „soziale Dimension“ der Privatsphäre ab. Zum Privatleben zählten wechselseitige Beziehungen zwischen dem Einzelnen und Dritten selbst dann, wenn sie in den öffentlichen Raum hineinreichten. Etwas anderes gelte nur, wenn eine Person in ihrer „amtlichen Funktion“ auftrete. Das Foto zeigt die Privatperson C in einer vertraulichen persönlichen Situation. Damit ordnet sowohl die traditionelle deutsche als auch die europäische Sicht das erste Foto der Privatsphäre der C zu. 2. Foto: C spielt mit ihren Kindern auf einem Spielplatz

Möglicherweise erfasst der Privatsphärenschutz auch das zweite Foto, das C mit ihren Kindern auf einem Spielplatz abbildet. Die Privatsphäre von Kindern ist besonders geschützt, da sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen (BVerfG, NJW 2000, 1021, 1023). Das Recht eines Kindes auf „Personwerden“ erstreckt sich nicht lediglich auf häusliche sowie örtlich abgeschiedene Bereiche; darüber hinaus schützt es die ungestörte, kindgerechte Entwicklung in der Öffentlichkeit. Befindet sich ein Elternteil mit seinem Kind in einer Situation spezifisch elterlicher Zuwendung, so verstärkt Art. 6 Abs. 1, 2 GG auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Elternteils. C spielt mit ihren Kindern. Mithin befindet sie sich in einer Situation spezifisch elterlicher Zuwendung. Ihr Persönlichkeitsrecht ist daher auch außerhalb privater Räume besonders geschützt. Auch das zweite Foto gehört also der Privatsphäre der C an. 3. Foto: C reitet auf einer frei zugänglichen Koppel

Zweifelhaft ist, ob die Verbreitung des dritten Fotos die Privatsphäre der C berührt. Dieses Foto zeigt C, die auf einer Koppel reitet.

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C befindet sich nicht in einem örtlich abgeschiedenen und damit privaten Raum, sondern reitet in einem Gebiet, das der breiten Öffentlichkeit frei zugänglich ist. Überdies zählt ein Ausritt nicht zu dem höchstpersönlichen Bereich privater Lebensgestaltung. Folglich ist die Privatsphäre nach der traditionellen deutschen Rechtsprechung weder in räumlicher noch in thematischer Hinsicht betroffen. C bewegt sich hier in ihrer Sozialsphäre. Etwas anderes könnte nach der Rechtsprechung des EGMR gelten. Wie bereits dargelegt, stellt der EGMR allein darauf ab, ob C in einer amtlichen Funktion oder als Privatperson handelt. Das Foto zeigt die Privatperson C, die ein Hobby ausübt. Demnach genießt es den Schutz der Privatsphäre. Fraglich ist, ob die deutschen Gerichte die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigen müssen. Zwar bindet die Entscheidung des EGMR die deutschen Gerichte nicht, da die EMRK keine § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechende Vorschrift aufweist. Jedoch gebieten es die völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands und der Respekt vor der Autorität des EGMR, seine Entscheidungen bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen (BVerfG, NJW 2004, 3407; a. A. vertretbar). Mithin berührt die Verbreitung des dritten Fotos die Privatsphäre der C. cc) Abwägung

Das Interesse des V, seine Pressetätigkeit nach seinem Belieben ausüben zu können, ist daher mit dem Interesse der C, ihre Privatsphäre ungestört genießen zu können, abzuwägen. Zwar ist C es als Prinzessin gewohnt, im Blickpunkt der Öffentlichkeit und auch im Visier der Fotojournalisten zu stehen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie eine mediale Dauerbeobachtung und -verfolgung hinnehmen muss. Auch das Privatleben prominenter Personen ist vor ungewollten äußeren Einflüssen zu schützen. Eine wichtige Rolle in der Abwägung spielt die Frage, welchen Zweck die Bildnisveröffentlichung verfolgt. Entscheidend ist, ob die Bilder zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse beitragen oder der bloßen Unterhaltung und der Befriedigung von Neugier dienen. Die Fotoserie „Das Leben einer Prinzessin ...“ soll vornehmlich unterhalten und die Neugierde der Leser befriedigen. Die drei Fotos weisen allenfalls einen geringen Informationswert auf. Der Zweck der Bildnisveröffentlichung rechtfertigt es nicht, C in ihrer Privatsphäre zu stören. Folglich überwiegt das Interesse der C am Schutz ihrer Privatsphäre.

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Die Verbreitung der Fotos verletzt also ein berechtigtes Interesse der C. Die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung ist daher rechtswidrig. 3. Begehungsgefahr Außerdem muss die auf Tatsachen gegründete ernstliche Gefahr einer alsbaldigen Rechtsbeeinträchtigung bestehen (Wiederholungsgefahr oder Erstbegehungsgefahr). Mit der Erstveröffentlichung erfolgte bereits ein rechtswidriger Angriff auf das Persönlichkeitsrecht der C. In diesem Fall spricht eine Vermutung dafür, dass sich die Persönlichkeitsrechtsverletzung wiederholt. Eine Wiederholungsgefahr ist also gegeben. 4. Anspruchsberechtigte und -verpflichteter C ist auf den Fotos abgebildet und damit unmittelbar und individuell betroffen. Sie ist also anspruchsberechtigt. V verbreitete die Fotos und es besteht die Gefahr, dass er sie nochmals verbreiten wird. Er ist Störer und somit anspruchsverpflichtet. 5. Ergebnis C hat gegen V einen Anspruch auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung der Fotos gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG.

Fall 4: Verfilmung einer tatsächlich begangenen Straftat

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Fall 4: Verfilmung einer tatsächlich begangenen Straftat (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. 6. 1973, – 1 BvR 536/72 –, NJW 1973, 1226; OLG Koblenz, Urteil vom 5. 10. 1972, – 9 U 552/72 –, NJW 1973, 251; BVerfG, Beschluss vom 25. 11. 1999, – 1 BvR 348/98 –, NJW 2000, 1859; OLG Saarbrücken, Urteil vom 14. 1. 1998, – 1 U 785-97-155 –, NJWRR 1998, 745; OLG Koblenz, Urteil vom 24. 3. 1998, – 4 U 1992/97 –, AfP 1998, 328) Fall 4: Verfilmung einer tatsächlich begangenen Straftat

I.

Sachverhalt

Fall 4: Verfilmung einer tatsächlich begangenen Straftat

1969 überfallen die jungen Männer B und C ein Munitionsdepot der Bundeswehr in Lebach. B und C töten vier schlafende Soldaten, verletzen einen weiteren schwer und entwenden Waffen. Die Waffen benötigen sie für weitere Straftaten, mit denen sie sich die finanziellen Mittel verschaffen wollen, um gemeinsam mit ihrem Freund A eine Lebensgemeinschaft fernab der von ihnen abgelehnten Gesellschaft auf einer Hochseejacht in der Südsee zu gründen. A wirkt an dem Überfall selbst nicht mit; er hat sich allerdings an der Planung und Vorbereitung beteiligt. Ein Schwurgericht verurteilt B und C zu lebenslangen Freiheitsstrafen und A wegen Beihilfe zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren. Dieses Verbrechen erregt ein großes öffentliches Interesse. Presse, Hörfunk und Fernsehen berichten eingehend über den sog. „Soldatenmord von Lebach“. 1972 produziert das ZDF das zweiteilige Dokumentar-Fernsehspiel „Der Soldatenmord von Lebach“, das sich mit den Beziehungen innerhalb der Freundesgruppe, den Hintergründen der Tat, der Planung und Ausführung des Überfalls sowie der Fahndung nach den Tätern befasst. Eingangs des Dokumentarspielfilms werden A, B und C im Bilde vorgeführt, sodann aber von Schauspielern dargestellt. Die Namen von A, B und C werden wiederholt genannt. Die Ausstrahlung des Films kündigt das ZDF für Anfang 1973 an. A, der bereits kurze Zeit nach dem geplanten Ausstrahlungszeitpunkt vorzeitig entlassen werden soll, verlangt vom ZDF, den Dokumentarspielfilm

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nicht auszustrahlen, soweit er seine Person darstellt oder namentlich erwähnt. Zu Recht? Abwandlung: 1996 produziert Sat 1 eine neunteilige Sendereihe mit dem Titel „Verbrechen, die Geschichte machten“. Pilotfilm der Reihe soll das Fernsehspiel „Der Fall Lebach (1969)“ sein, das die Planung und Durchführung des Überfalls, die Ermittlungen der Polizei sowie die Hintergründe des „Soldatenmords von Lebach“ darstellt. Zu Beginn des Films erfährt der Zuschauer, dass dem Film eine wahre Begebenheit zugrunde liegt, einzelne Namen zum Schutz der Betroffenen aber geändert sind. Die Schauspieler tragen fiktive Namen. Bilder von A, B und C zeigt das Fernsehspiel nicht. Ist die Ausstrahlung des Fernsehspiels zulässig?

II. Schwerpunkte des Falles Wie real darf ein Spielfilm sein? Dieser Frage, mit der sich Gerichte in letzter Zeit vermehrt beschäftigen (vgl. OLG Frankfurt a. M., ZUM 2006, 407 – Der Kannibale von Rohtenburg; OLG Hamburg, AfP 2007, 143 und BVerfG, NJW 2007, 3197 – Eine einzige Tablette/Contergan-Fall), geht Fall 4 nach. Er beleuchtet das Verhältnis der Rundfunkfreiheit zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, insbesondere zu dem Schutz des Lebensbildes. Der Ausgangsfall wiederholt zudem den Unterlassungsanspruch (vgl. Fall 3). 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Im Fall 4 sind neben dem Recht am eigenen Bild (vgl. Fall 3) folgende Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeutend: a) Schutz des Lebensbildes

Unter Lebensbild ist ein „Bild vom Werden, Wirken und Wesen des Menschen (zu verstehen), wie es sich in seinen Handlungen, in der durch ihn gestalteten Umgebung (…), in seinen Worten, Gedanken und in den äußeren Ereignissen und Zufällen des Lebens widerspiegelt“ (Ramelow, Der Lebensbildschutz [1963], S. 33). Die h. M. erkennt den Lebensbildschutz als eine eigenständige Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an. Gut vertretbar ist es allerdings auch, die Darstellung des Lebensbildes als besonders intensive Form der Beeinträchtigung anderer persönlich-

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keitsrechtlicher Ausprägungen (z. B. Privat- und Sozialsphäre, Individualität) anzusehen; die Intensität des Eingriffs kann dann im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden. Wie gravierend eine Berichterstattung über Privates und Persönliches ist, wenn sie nicht nur Einzelaspekte, sondern die Gesamtpersönlichkeit, d. h. die Biografie eines Menschen betrifft, verdeutlicht der „Lebach-Fall“ ebenso anschaulich wie der Roman „Mephisto“ von Klaus Mann (dazu BVerfGE 30, 173). Beide Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass eine filmische bzw. literarische Darstellung nicht nur persönliche Details an die Öffentlichkeit zieht oder unwahr wiedergibt, sondern eine für die Biografie wesentliche Etappe in einem Lebenszyklus betrifft. Der Lebensbildschutz wahrt nach der herrschenden Auffassung zwei Interessen – das Interesse an der Anonymität und das Interesse an der Wahrheit. Zum einen schützt er den Einzelnen vor Darstellungen, die sein Lebensbild ohne oder gegen seinen Willen öffentlich vorführen, indem sie seine Biografie insgesamt bzw. wesentliche Ausschnitte aus seinem Leben (wahrheitsgemäß) schildern. Jeder darf grundsätzlich selbst darüber entscheiden, inwiefern Dritte bestimmte Bereiche seines Lebens öffentlich machen dürfen (BVerfG, NJW 1973, 1226, 1227 f.). Zum anderen behütet der Lebensbildschutz den Einzelnen vor einer unwahren Darstellung seines Lebensbildes (so BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860; BGH, ZUM 2005, 735, 739; a. A.: Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, 1997, S. 374, die das Interesse an einer wahrheitsgemäßen Darstellung des Lebensbildes separat unter dem Gesichtspunkt „Schutz vor Unwahrheit“ behandelt). Auch der Lebensbildschutz ist nicht schrankenlos. „Wenn der Einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen tritt, durch sein Verhalten auf andere einwirkt oder auf sonstige Weise Belange anderer oder des Gemeinschaftslebens berührt, können Informationsinteressen vorhanden sein, denen gegenüber den persönlichen Belangen Vorrang eingeräumt werden muss“ (BVerfG, NJW 1973, 1226, 1228). Welches Interesse überwiegt, ist im Wege einer umfassenden Abwägung zu ermitteln; dabei sind die Rechtsgedanken der §§ 22 f. KUG heranzuziehen (KG Berlin, Ufita 54 [1969], 291, 294). b) Namensrecht

Das Namensrecht ist als „besonderes Persönlichkeitsrecht“ in § 12 BGB geregelt. Es betrifft den Schutz der Namen natürlicher Personen, ein-

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schließlich Künstlernamen, sowie die Namen juristischer Personen und nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen. Namensgebrauch ist auch die Verwendung eines Namens als Internetadresse (domain; dazu OLG München, NJW 2002, 611; OLG Köln, CR 2000, 696). Betroffen ist hier die klassische Unterscheidungsfunktion des Namens. Beispielsweise darf ein privates Softwareunternehmen nach dem LG Mannheim (ZUM 1996, 705 mit Anmerkung von Flechsig, S. 707 f.) nicht die Internetadresse „heidelberg.de“ verwenden, weil es dadurch die Interessen der Stadt Heidelberg verletze. Denn unter dieser Adresse erwarte der Benutzer nicht nur Informationen über die Stadt Heidelberg, sondern auch Informationen von der Stadt Heidelberg. Die Stadt Heidelberg als Namensträgerin müsse davor geschützt werden, dass der Verkehr die Internetseite eines Dritten mit ihr in Verbindung bringe. Gemäß § 12 S. 1 BGB schützt das Namensrecht den Namensträger davor, dass ein Dritter die Befugnis des Betroffenen zur Führung seines Namens leugnet (Alt. 1) oder unbefugt den gleichen Namen gebraucht (Alt. 2). § 12 S. 1 Alt. 2 BGB setzt voraus, dass durch den Gebrauch des gleichen Namens eine Zuordnungsverwirrung entsteht. Abzugrenzen von dem Namensgebrauch ist die bloße Namensnennung, die § 12 S. 1 BGB selbst dann nicht erfasst, wenn sie im Zusammenhang mit unwahren Tatsachenbehauptungen erfolgt (BGH, NJW 1959, 1269). Wer den Namen eines anderen richtig nennt, verletzt nicht das Namensrecht. Möglicherweise beeinträchtigt er aber andere Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. So verletzt derjenige, der unberechtigt über intime oder private Ereignisse berichtet und den Namen des Betroffenen nennt, die Intim- oder Privatsphäre des Namensträgers. Die Namensnennung stellt hier das Mittel für die Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. 2. Mediengrundrechte a) Rundfunkfreiheit

Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG schützt die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk. Grundsätzlich gehört es zur Aufgabe von Rundfunkunternehmen, über Ereignisse, die die Öffentlichkeit bewegen (z. B. schwere Straftaten), in Wort und Bild, ggf. auch in Filmen, zu berichten.

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aa) Schutzbereich (1) Sachlicher Schutzbereich

Unter Rundfunk ist die „planvolle redaktionelle Gestaltung, Zusammenstellung, Produktion und fernmeldetechnische Verbreitung hörbarer oder auch sichtbarer (Hörfunk und Fernsehen) Aussagen (…) periodisch veranstalteter, publizistisch relevanter Programme für die Allgemeinheit über rundfunktechnische Medien und ihr zeitgleicher Empfang durch beliebig viele Empfänger“ zu verstehen (Herrmann/Lausen, Rundfunkrecht, 2. A., § 2, Rn. 11). Die Rundfunkfreiheit bezieht sich nicht nur auf den drahtlosen Rundfunk, abgestrahlt über terrestrische Sender oder Satelliten, sondern passt sich den veränderten technischen Möglichkeiten an (BVerfG, NJW 1987, 2987, 2993); erfasst sind z. B. auch die über Breitbandkabel verteilten Rundfunksendungen. Umstritten ist, ob Online-Dienste als Rundfunk zu qualifizieren sind (ausführlich hierzu Degenhart, ZUM 1998, 333, 343; Pieper/Wiechmann, ZUM 1995, 82, 91). Einige Literaturstimmen bejahen dies, sofern das Internetangebot die Definitionsmerkmale des Begriffs „Rundfunk“ erfüllt (so Jarass, AfP 1998, 133, 135; Herrmann/Lausen, Rundfunkrecht, 2. A., § 2, Rn. 22). Andere verweisen darauf, dass jedenfalls eine umfassendere Medienfreiheit betroffen ist. Sie sprechen sich mit dem Argument des Zusammenwachsens der Medien für ein „einheitliches Mediengrundrecht“ aus, das auch die Angebote in den Neuen Medien erfasst (so Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 1113). Der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit erfasst alle mit der Rundfunkveranstaltung verbundenen Tätigkeiten – die Informationsbeschaffung, die Produktion und Verbreitung der Sendung sowie die erforderlichen Hilfstätigkeiten. Unbeachtlich ist der Sendungsinhalt. Geschützt sind alle Darbietungen in Wort, Ton und Bild. Hierzu zählen Nachrichtensendungen ebenso wie Sendungen mit rein unterhaltendem Charakter. Als Abwehrrecht schützt die Rundfunkfreiheit vor staatlichen Eingriffen in die Programmautonomie. Nach h. M. ist die Rundfunkfreiheit eine „dienende Freiheit“ (Begriff heute sehr umstritten). Ihre Ausübung dient dem Zweck, eine freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten. Der Gesetzgeber hat daher gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein vielfältiges Programm sicherstellen und damit die kommunikative Persönlichkeitsentfaltung der Bürger fördern (BVerfGE 74, 297, 323 f.).

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Umstritten ist, ob die Rundfunkfreiheit Privatpersonen einen Anspruch auf die Gründung von Rundfunksendern gewährt (so Jarass/Pieroth-Jarass, GG, 9. A., Art. 5, Rn. 40; Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 885; a. A. BVerwGE 39, 159, 163). Zu bedenken ist jedenfalls, dass der früher vom BVerfG geäußerte Einwand, die verfügbaren Sendefrequenzen seien zu knapp (BVerfGE 12, 205, 261), mittlerweile entkräftet ist, weil sich die technischen Voraussetzungen gewandelt haben (Einführung der Breitbandkabel- und Satellitentechnik, IPTV). Gleichwohl lehnt die h. M. weiterhin einen Anspruch von Privatpersonen auf die Gründung eines Senders ab, da der Rundfunk aufgrund seiner besonders suggestiven und daher massenkommunikativ intensiven Art der Darstellung und Vermittlung von Inhalten besonders stark auf die Meinungsbildung einwirkt. Aus diesem Grund wird es nach wie vor für zulässig gehalten, den Betrieb von Rundfunksendungen an eine Zulassung zu knüpfen (§ 20 RStV), besondere Vielfaltsanforderungen (§§ 25 ff. RStV) und inhaltliche Programmanforderungen (§§ 3, 5, 6, 41 RStV) zu stellen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk binnenplural zu organisieren und mit einem festen Programmauftrag zu versehen (§ 11 RStV) sowie den privaten Rundfunk mit einer Außenaufsicht durch die Medienanstalten kontrollieren zu lassen (§§ 35, 38 RStV). Die Ausübung der Rundfunktätigkeit ist also besonders intensiv reguliert. Bei Angeboten, die nicht massensuggestiv wirken (z. B. Internetangebote, die keine Livestreamingangebote sind), ist die Regelungsdichte wesentlich geringer (vgl. § 4 TMG – Zulassungsfreiheit, § 59 RStV – Aufsicht). (2) Persönlicher Schutzbereich

Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit sind jedenfalls die privaten Rundfunkunternehmen, welche über eine Rundfunklizenz verfügen (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG). Grundrechtsfähig sind außerdem die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Der Grundsatz, dass sich der Staat oder Teile des Staates nicht auf die Grundrechte berufen können, ist in diesem Bereich gelockert. Denn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die der Meinungsbildung der Bürger dienen, befinden sich in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage, wenn in ihren Tätigkeitsbereich regulierend eingegriffen wird. Ob auch die Landesmedienanstalten (vgl. Fall 8) Grundrechtsträger sind, ist umstritten (hierzu Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 886 f.). Darüber hinaus schützt die Rundfunkfreiheit alle natürlichen Personen, die an der Programmgestaltung mitwirken.

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bb) Schranken und Schranken-Schranken (vgl. Fall 1 zur Meinungs-

freiheit) b) Filmfreiheit

Abzugrenzen ist die Rundfunkfreiheit von der Freiheit filmischer Berichterstattung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 3 GG . Die Filmfreiheit zählt nicht zu den „dienenden Freiheiten“. Sie ist weniger institutionalisiert als die Rundfunk- und Pressefreiheit. aa) Schutzbereich (1) Sachlicher Schutzbereich

Unter einem Film im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 3 GG ist die für die Allgemeinheit geeignete und bestimmte Produktion und Verbreitung von Informationen in Form von Darbietungen aller Art mit Hilfe von Bewegtbildern zu verstehen. Im Gegensatz zur Rundfunktätigkeit werden Filme nicht notwendig gesendet, sondern an bestimmten Orten, insbesondere in Kinos, vorgeführt. Das nimmt der Vorführung einiges von ihrer Suggestivwirkung. Die Filmfreiheit erfasst alle Tätigkeiten, die mit der Herstellung und Verbreitung des Films zusammenhängen. Sie schützt den Film ungeachtet seines Inhalts und seiner Qualität. Handelt es sich um einen künstlerischen Film, so ist überdies die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG ; vgl. Fall 5) relevant (hierzu OLG Frankfurt a. M., AfP 2006, 185 – Der Kannibale von Rohtenburg). (2) Persönlicher Schutzbereich

Grundrechtsträger sind die Personen, die eine der gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 3 GG geschützten Tätigkeiten ausüben. bb) Schranken und Schranken-Schranken (vgl. Fall 1 zur Meinungs-

freiheit) 3. Berichterstattung über Straftäter Vielfach verletzt die identifizierende Berichterstattung über einen Straftäter den Dargestellten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, indem sie sein Fehlverhalten bekannt macht und ihn in der Öffentlichkeit negativ darstellt. Betroffen kann vor allem der Lebensbild-, Ehren-, Bildnis- und

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Sozialsphärenschutz sein. Ob die Verletzung rechtswidrig ist, muss im Wege einer Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Straftäters und den Kommunikationsgrundrechten des Berichtenden ermittelt werden. Dabei ist in die Gewichtung einzubeziehen, dass der Bericht über eine Straftat besonders intensiv in das Persönlichkeitsrecht des Straftäters eingreifen kann. Insbesondere die Resozialisierung des Täters kann behindert werden, wenn „die Tat ihn nicht loslässt“, weil die Medien deren Hintergründe und Ablauf immer wieder hervorziehen. Anerkannt ist allerdings, dass eine Berichterstattung über die Tätigkeit staatlicher Gerichte und Ermittlungsbehörden zulässig ist (Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 19.24; Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 10, Rn. 189) und darüber hinaus zu den zentralen Aufgaben von Presse und Rundfunk gehört. Denn die Öffentlichkeit ist an der Rechtspflege besonders interessiert. Außerdem zeigt das Prinzip der Verhandlungsöffentlichkeit (§ 169 S. 1 GVG; Ausnahme: § 48 Abs. 1 JGG), dass jedenfalls die Verurteilung wegen begangener Straftaten niemals ausschließlich Privatsache ist. Fraglich ist jedoch, wie umfassend die Berichterstattung erfolgen darf; insbesondere ist interessant, ob der Straftäter namentlich genannt oder sonst erkennbar dargestellt werden darf. Dies hängt davon ab, über welches Stadium des Strafverfahrens berichtet wird. Außerdem ist zwischen einer aktuellen Berichterstattung und einer Berichterstattung zu differenzieren, die erst einige Zeit nach der Verurteilung des Straftäters – z. B. im Rahmen eines Dokumentarfilms – erfolgt. a) Verdachtsberichterstattung

Da die Medien u. a. die Aufgabe haben, Missstände in der Gesellschaft aufzudecken, dürfen sie auch über Vorgänge berichten, wenn lediglich der Verdacht einer Straftat besteht. Die Verdachtsberichterstattung spielt auch außerhalb des strafrechtlichen Bereichs eine Rolle. Wichtig ist sie, um auf das Fehlverhalten von Politikern, kirchlicher oder sonstiger öffentlicher Aufgabenträger hinzuweisen. Aufgrund der Prangerwirkung eines Verdachtsberichts, der den Betroffenen – oftmals selbst bei einem späteren Unschuldsbeweis – mit einem Makel behaftet, ist in diesem Bereich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen stark zu gewichten. Daher ist die Verdachtsberichterstattung nur zulässig, sofern ein Mindestmaß an Beweistatsachen vorliegt, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen.

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Namentlich genannt oder sonst identifiziert werden darf der Verdächtige nur, wenn – der Vorgang von einem erheblichen öffentlichen Interesse ist (z. B. Verdacht einer schweren Straftat) oder – die Person des Verdächtigen die Öffentlichkeit besonders interessiert (z. B. Amtsträger) und zusätzlich der Bericht eine Vorverurteilung ausschließt, indem er verdeutlicht, dass es sich lediglich um einen Verdacht und nicht um eine bewiesene Straftat handelt. b) Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren

Eine identifizierende Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren ist in der Regel unzulässig. In diesem Stadium überwiegt zumeist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, dessen Unschuld vermutet wird (vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK) und der daher vor einer Vorverurteilung zu schützen ist. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Voraussetzungen für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung vorliegen. Ferner ist zu berücksichtigen, ob die Veröffentlichung von Personalien zur Sachverhaltsaufklärung beitragen kann. c) Berichterstattung über rechtskräftig verurteilte Straftäter aa) Aktuelle Berichterstattung

Nach einer strafrechtlichen Verurteilung ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer aktuellen identifizierenden Berichterstattung stärker zu gewichten. Oftmals überwiegt es das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Straftäters, der durch seine Tat zu einer „relativen Person der Zeitgeschichte“ werden kann (hierzu LG Koblenz, AfP 2006, 576, 579 – Jakob von Metzler). Zugunsten des Straftäters ist allerdings der Resozialisierungsgedanke zu berücksichtigen. Daher ist vor allem in Fällen der Kleinkriminalität auf die namentliche Nennung zu verzichten, es sei denn die Öffentlichkeit ist an der Person des Täters besonders interessiert. Ein besonderes öffentliches Interesse erregen vor allem Prominente sowie Personen, die sich bereits in der Vergangenheit auffällig in der Öffentlichkeit verhalten haben. So erklärte der BGH, die Presse dürfe über ein Verkehrsdelikt von Prinz Ernst August von Hannover berichten und den Prinzen namentlich nennen, weil er „wegen seines bisherigen Verhaltens in der Öffentlichkeit selbst ein erhebliches Interesse an seiner Person auf sich gezo-

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gen hat“ (NJW 2006, 599, 600; zustimmend BVerfG, NJW 2006, 2835). Hingegen entschied das OLG Hamburg (AfP 2006, 257), es sei unzulässig, identifizierend darüber zu berichten, dass ein Fernsehkommissar Kokain konsumiert. Bei jugendlichen Straftätern ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Resozialisierungsgründen grundsätzlich vorrangig gegenüber den Mediengrundrechten. Auch die Hauptverhandlung in Strafverfahren gegen Jugendliche ist nicht öffentlich (§ 48 Abs. 1 JGG). bb) Rückschauende Berichterstattung

Liegt die Verurteilung bereits längere Zeit zurück, so ergeben sich Besonderheiten: Zunächst ist der Straftäter „relative Person der Zeitgeschichte“ nur, solange die Straftat aktuell bedeutend ist. Nach dieser zeitlichen Grenze, die einzelfallbezogen zu bestimmen ist, hat er grundsätzlich wieder das Recht, „allein gelassen zu werden“ bzw. „vergessen zu werden“ (frz.: „droit à l’oubli“). Ferner wird der Resozialisierungsgedanke gewichtiger, je länger die Verurteilung der Straftat zurückliegt und je näher die Haftentlassung rückt. Die Resozialisierung des Straftäters darf durch die rückschauende Berichterstattung nicht unmöglich gemacht werden (OLG Nürnberg, ZUM-RD 2007, 133 – identifizierende Berichterstattung über den Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr). Diese Aspekte stärken das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Straftäters erheblich, sodass eine rückschauende identifizierende Berichterstattung unzulässig ist, sofern kein anerkennenswerter Anlass hierfür besteht. Allerdings begründen sie keinen Anspruch des Straftäters darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden (BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860). Regelmäßig zulässig ist z. B. eine rückschauende Berichterstattung, welche die Resozialisierungsinteressen des Straftäters wahrt, indem sie ihn nicht identifiziert.

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III. Lösungsskizze Ausgangsfall Anspruchsziel: Untersagung der Ausstrahlung des Dokumentar-Fernsehspiels Anspruchsgrundlage: § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG1 A könnte gegen das ZDF einen Anspruch auf Unterlassung der Ausstrahlung des Dokumentar-Fernsehspiels gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG haben. 1. Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung Dann müsste das Dokumentar-Fernsehspiel „Der Soldatenmord von Lebach“ A in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen. a) Lebensbildschutz

Möglicherweise berührt der Film das Lebensbild des A. Der Lebensbildschutz bewahrt den Einzelnen vor Darstellungen, die sein Lebensbild ohne oder gegen seinen Willen öffentlich vorführen, indem sie seine Biografie insgesamt oder wesentliche Ausschnitte aus seinem Leben schildern. Der Film „Der Soldatenmord von Lebach“ berichtet eingehend über die Straftat des A. Darüber hinaus beleuchtet er die Beziehungen zwischen A, B und C und legt die „Hintergründe der Tat“ sowie die persönlichen Motive für die Tat offen. Er beschäftigt sich also nicht bloß punktuell mit einem Ereignis, sondern erörtert die Straftat im Zusammenhang mit weiteren Bereichen aus dem Leben des A. Damit schildert er einen wesentli-

1 Zum Prüfungsaufbau: Im Fall 4 können die Ansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG gemeinsam geprüft werden, da der Bildnisschutz hier keine speziellen Probleme aufwirft. Der einheitliche Prüfungsaufbau vermeidet Wiederholungen. Wenn das Recht am eigenen Bild – anders als im Fall 4 – den Schwerpunkt des Falls bildet, empfiehlt sich hingegen eine gesonderte Prüfung des Anspruchs gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 22 f. KUG.

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chen Ausschnitt aus dem Leben des A. Mithin beeinträchtigt er das Lebensbild des A. b) Recht am eigenen Bild

Zudem ist das Recht des A am eigenen Bild dadurch betroffen, dass er eingangs des Fernsehspiels im Bilde vorgeführt wird. c) Namensrecht

Außerdem könnte das Namensrecht des A beeinträchtigt sein. Ein Schauspieler trägt den Namen des A. Darin könnte eine Namensanmaßung gemäß § 12 S. 1 Alt. 2 BGB liegen. Eine Namensanmaßung setzt voraus, dass durch den Gebrauch des gleichen Namens eine Zuordnungsverwirrung entsteht. Der Film bezeichnet aber den berechtigten Namensträger A mit seinem eigenen Namen, sodass eine Zuordnungsverwirrung ausgeschlossen ist. Der Film beeinträchtigt also nicht das Namensrecht des A. 2. Rechtswidrigkeit Die Beeinträchtigung des Rechts am Lebensbild und des Bildnisrechts müsste rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Abwägung des Persönlichkeitsrechts des A mit entgegenstehenden Rechten des ZDF festzustellen. a) Entgegenstehende Rechte des ZDF aa) Rundfunkfreiheit

Das ZDF könnte sich auf die Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG berufen. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG schützt die Rundfunkberichterstattung über Straftäter. Obwohl das ZDF eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ist, kann es sich auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit berufen. Denn das ZDF, das mit seinem Programm der Meinungsbildung der Bürger dient, befindet sich in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage. Es ist also sowohl der sachliche als auch der persönliche Schutzbereich der Rundfunkfreiheit eröffnet. bb) Kunstfreiheit

Daneben könnte die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG (vgl. Fall 5) einschlägig sein.

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Allerdings ist zweifelhaft, ob das Dokumentar-Fernsehspiel Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG ist2. Dagegen spricht, dass der Film im Wesentlichen die Tat des A sowie weitere Ausschnitte aus seinem Leben als reale Geschehnisse nacherzählt. Ihn kennzeichnet sein vorwiegend berichtender Charakter; sein Dokumentationscharakter überwiegt seinen Charakter als Neuschöpfung. b) Abwägung

Die Rundfunkfreiheit (und die Kunstfreiheit) sind mit dem Persönlichkeitsrecht des A abzuwägen. Einerseits besteht ein anerkennenswertes Interesse der Allgemeinheit daran, über schwere Straftaten – auch unter namentlicher Nennung des Täters – informiert zu werden. Die Allgemeinheit fühlt mit den Opfern und Angehörigen mit. Vor allem aber fürchtet sie Wiederholungen der Tat. Sie ist bestrebt, möglichst viel über die Tat zu erfahren, um Wiederholungen vorbeugen zu können. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Ausstrahlung des Films das Persönlichkeitsrecht des A besonders intensiv beeinträchtigt. Fernsehberichterstattungen wirken durch die Kombination von Bild und Ton sehr nachhaltig. Insbesondere ein Dokumentarfilm ist gefährlich, da er eine „Illusion des Authentischen“ vermittelt, tatsächlich aber ein negativ verkürztes Persönlichkeitsbild des Betroffenen zeichnet (BVerfG, NJW 1973, 1226, 1230). Überdies ist die Berichterstattung nicht aktuell. Die Zeitspanne zwischen der Straftat und der Ausstrahlung des Films beträgt ca. vier Jahre. Nachdem das aktuelle Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigt ist, hat aber auch der Straftäter wieder ein Recht, „allein gelassen zu werden“. Eine wichtige Rolle in der Abwägung spielt das Resozialisierungsinteresse des A. A soll kurze Zeit nach der geplanten Ausstrahlung entlassen werden. Der Film würde der Öffentlichkeit die Straftat wieder ins Gedächtnis rufen und damit die Resozialisierung des A gefährden. Insgesamt ist das Interesse des A, nicht kurz vor seiner Entlassung im Fernsehen mit seiner Straftat konfrontiert zu werden, schutzwürdiger. Sein Persönlichkeitsrecht überwiegt in der Abwägung. 2 Das BVerfG ließ diese Frage offen (BVerfG, NJW 1973, 1226, 1233; ebenso OLG Frankfurt a. M., AfP 2006, 185, 188 – Der Kannibale von Rohtenburg). In der Klausur sind beide Auffassungen mit guter Begründung vertretbar.

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Die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung ist daher rechtswidrig. 3. Begehungsgefahr Ferner muss die auf Tatsachen gegründete ernstliche Gefahr einer alsbaldigen Rechtsbeeinträchtigung bestehen (Wiederholungsgefahr oder Erstbegehungsgefahr). Da das ZDF den Film bislang nicht ausgestrahlt hat, kommt eine Erstbegehungsgefahr in Betracht. Sie liegt vor, wenn der Betroffene aus konkret darzulegenden Umständen darauf schließen darf, dass eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung droht. Das ZDF hat die Ausstrahlung des Films bereits angekündigt. Damit sind konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung gegeben. Eine Erstbegehungsgefahr ist daher anzunehmen. 4. Anspruchsberechtigter und -verpflichteter Der Film beschreibt einen wesentlichen Ausschnitt aus dem Leben des A. A ist also unmittelbar und individuell betroffen. Mithin ist er anspruchsberechtigt. Das ZDF hat den Film produziert und beabsichtigt, ihn auszustrahlen. Es ist Störer und damit anspruchsverpflichtet. 5. Ergebnis A hat gegen das ZDF einen Anspruch auf Unterlassung der Ausstrahlung des Films gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 22 f. KUG. Abwandlung Zulässigkeit der Ausstrahlung des Fernsehspiels Die Ausstrahlung des Films ist unzulässig, sofern er das allgemeine Persönlichkeitsrecht des A rechtswidrig beeinträchtigt. 1. Beeinträchtigung des Lebensbildes Wie bereits im Ausgangsfall dargelegt, beeinträchtigt ein Film, der die Straftat des A sowie die „Hintergründe der Tat“ darstellt und dabei erkennbar an A anknüpft, das Lebensbild des Dargestellten.

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2. Rechtswidrigkeit Rechtswidrig ist die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht des A im Rahmen einer Abwägung entgegenstehende Rechte von Sat 1 überwiegt. a) Entgegenstehende Rechte von Sat 1: Rundfunkfreiheit und ggf. Kunstfreiheit

Sat 1 kann sich auf die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG ) berufen. Vertretbar ist es, den Film „Der Fall Lebach (1969)“ als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG einzuordnen; denn dieser Film schildert nicht bloß die Realität, sondern weist darüber hinaus zahlreiche fiktive Elemente auf (zu einem ähnlichen Fall LG Koblenz, AfP 2006, 576, 579 – Fernsehfilm über den Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzler). b) Abwägung

Im Rahmen der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die Zeitspanne zwischen der Straftat und der Ausstrahlung des Films fast dreißig Jahre beträgt. „Mit dem zeitlichen Abstand zu einer Tat verblasst in aller Regel die Empörung (der Öffentlichkeit) über das Handeln der Täter“ (BVerfG, NJW 2000, 1859, 1861). Zudem ist das Fernsehspiel „Der Fall Lebach (1969)“ kein Dokumentarfilm, sondern ein fiktionaler Film mit einer realen Anknüpfung. Dieses Filmgenre erweckt eine deutlich schwächere „Illusion des Authentischen“ beim Zuschauer als eine Dokumentation. Ferner nennt der Film A nicht namentlich noch wird A abgebildet. Die Resozialisierung des A hindert der Film also nicht. „Zwar ist es nicht ausgeschlossen, mittels entsprechender Recherchen die Namen der Täter herauszufinden. Angesichts des Zeitabstands der Tat von nunmehr 30 Jahren liegt diese Gefahr aber fern. Auch mit Blick auf Personen, die den Kläger kennen und ihn deshalb als Täter der Lebach-Morde identifizieren können, gehen für die Resozialisierung keine beeinträchtigenden Wirkungen aus. Diese Personen mögen zwar in ihren (Vor-) Urteilen über den Kläger bestärkt werden. Dass der Film aber eine bisher nicht vorhandene Ablehnung gegenüber dem Kläger hervorrufen könnte, ist auf Grund der Darstellungsweise nicht ersichtlich“ (BVerfG, NJW 2000, 1859, 1861). Insgesamt überwiegt daher das Interesse von Sat 1, den Film auszustrahlen.

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Mithin ist die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung nicht rechtswidrig. 3. Ergebnis Die Ausstrahlung des Fernsehspiels ist zulässig.

Fall 5: Satirischer Beitrag in einer Zeitschrift

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Fall 5: Satirischer Beitrag in einer Zeitschrift (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. 6. 1987, – 1 BvR 313/85 –, NJW 1987, 2661) Fall 5: Satirischer Beitrag in einer Zeitschrift

I.

Sachverhalt

Fall 5: Satirischer Beitrag in einer Zeitschrift

Der Verleger V gibt eine auflagenstarke monatliche Satirezeitschrift heraus, welche die Öffentlichkeit aktuell bewegende Themen aufnimmt und hinterfragt; insbesondere beleuchtet sie das Verhalten von Politikern kritisch und stellt es in überspitzter Form dar. Die aktuelle Ausgabe enthält u. a. folgenden Beitrag: Eine Karikatur zeichnet den Politiker A als ein Schwein mit den Gesichtszügen des A. Dieses Schwein kopuliert mit einem anderen Schwein, das eine richterliche Amtstracht trägt. Seine Gesichtszüge sind dabei lustverzerrt. A ärgert sich sehr über diesen Beitrag, auf den ihn sein privates und berufliches Umfeld häufig anspricht. Er verlangt von V die Zahlung einer Geldentschädigung. Zu Recht? Abwandlung: Die Karikatur erscheint erst, kurz nachdem A verstorben ist. Kann E, der Sohn und einzige Angehörige des A, von V beanspruchen, dass die Karikatur nicht erneut veröffentlicht wird?

II. Schwerpunkte des Falles Fall 5 erörtert, was die Satire darf. Vor allem behandelt er folgende wichtige Fragen: Unter welchen Voraussetzungen ist eine satirische Äußerung, die typischerweise übertreibt und verzerrt, ehrenrührig? Handelt es sich bei einer satirischen Darstellung um Kunst? Die Fallabwandlung betrifft das postmortale Persönlichkeitsrecht. Überdies vertieft Fall 5 den Geldentschädigungsanspruch (vgl. Fall 1) und den Unterlassungsanspruch (vgl. Fall 3). 1. Postmortaler Persönlichkeitsschutz Die Persönlichkeit des Menschen wird über den Tod hinaus geschützt. Das verblüfft, fehlt Toten doch die Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein. Doch

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folgt der postmortale Persönlichkeitsschutz nach h. M. nicht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, da das auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtete allgemeine Persönlichkeitsrecht die Existenz einer wenigstens potenziell oder zukünftig handlungsfähigen Person voraussetzt. Die Grundlage des postmortalen Persönlichkeitsrechts bildet die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG (BVerfG, ZUM 2007, 380, 381; NJW 1971, 1645, 1647; BGH, NJW 2006, 605, 606). Die Rechtfertigung für einen solchen Schutz wird allerdings auch darauf gestützt, dass die Menschenwürde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebzeiten nur hinreichend gewährleistet sind, wenn die Person auf einen Schutz ihres Lebensbildes wenigstens gegen grobe ehrverletzende Entstellungen nach ihrem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben kann. Der postmortale Persönlichkeitsschutz ist enger als der Schutz der Persönlichkeit Lebender. Insbesondere bewahrt er die Ehre und das Lebensbild des Verstorbenen nur vor schwerwiegenden Eingriffen. Beispielsweise verletzt eine erheblich negativ verzerrte Darstellung des Lebensbilds in einem Roman (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1648 – Mephisto) oder eine missbräuchliche Verwendung der Signatur eines berühmten Malers (BGH, NJW 1990, 1986, 1988 – Emil Nolde) das postmortale Persönlichkeitsrecht. Überdies ist die Persönlichkeit des Verstorbenen vor einer eigenmächtigen Verwendung zu Zwecken der Werbung und Vermarktung geschützt (BGH, NJW 2000, 2195, 2200 – Marlene Dietrich). Welche Ansprüche aus der rechtswidrigen Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts resultieren und von wem sie geltend gemacht werden können, richtet sich danach, ob ideelle oder vermögenswerte Persönlichkeitsinteressen betroffen sind (BGH NJW 2000, 2195, 2197 f.; gegen die Aufspaltung der Persönlichkeit in ideelle und vermögenswerte Interessen Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 3. A., Rn. 51: Es ist „keineswegs Aufgabe der Rechtsordnung, die maximale Kommerzialisierung der Persönlichkeit rechtlich dadurch abzusichern, dass man ein neues marktgängiges Immaterialgüterrecht schafft, das sich in letzter Konsequenz gegen das Individuum richtet und seine Persönlichkeit für Dritte verfügbar macht“.). Ideelle Interessen sind nicht vererblich; sie bleiben unauflöslich an die Person des Verstorbenen geknüpft. Personen, die der Verstorbene zu Lebzeiten ermächtigte, hilfsweise seine Angehörigen (vgl. § 22 S. 4 KUG), nehmen ideelle Interessen nicht als eigene, sondern als Interessen des Verstorbenen wahr. Daher begründet ihre Verletzung zwar Abwehransprüche (v. a. Unterlassungs- und Widerrufsansprüche), nicht aber Schadenser-

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satzansprüche. Denn ein Verstorbener kann keinen materiellen Schaden erleiden. Ferner scheidet ein Geldentschädigungsanspruch aus. Der Geldentschädigungsanspruch soll dem Verletzten in erster Linie Genugtuung verschaffen. Ein Toter kann aber keine Genugtuung empfinden. Auch ein Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung kommt dem Verstorbenen nicht mehr zugute (BVerfG, ZUM 2007, 380, 381; BGH, NJW 2006, 605, 606; kritisch Seifert, NJW 1999, 1889, 1896, der darauf hinweist, dass die Geldentschädigung auch der Prävention dient). Hingegen sind vermögenswerte Interessen nach h. M. vererblich (BVerfG, WRP 2006, 1361, 1364; BGH, NJW 2000, 2195, 2197). Dadurch soll vermieden werden, dass beliebige Dritte auf den Vermögenswert frei zugreifen können, der in dem Bildnis, dem Namen oder den sonstigen Persönlichkeitsmerkmalen des Verstorbenen verkörpert ist (BGH, NJW 2000, 2195, 2198). Dies hat zur Folge, dass sich der Erbe des Verstorbenen, der nicht zwingend mit der Person identisch ist, die berechtigt ist, die ideellen Interessen des Verstorbenen wahrzunehmen (zu dem Problem des Auseinanderfallens der Anspruchsberechtigung: Jung, AfP 2005, 317, 318 ff.), gegen Verletzungen der vermögenswerten Interessen mit eigenen Ansprüchen wenden kann. U. a. kann er Ersatz des materiellen Schadens verlangen, der ihm aus der Verletzung, insbesondere der ungenehmigten Vermarktung, entstanden ist. Allerdings muss der Erbe im Rahmen des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen handeln (BGH, NJW 2000, 2195, 2199; kritisch Jung, AfP 2005, 317, 320). Der postmortale Schutz ideeller Persönlichkeitsinteressen wird nur begrenzte Zeit gewährt. Das Schutzbedürfnis schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst. Die zeitliche Schutzgrenze richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Bekanntheit des Verstorbenen (BGH, NJW 1990, 1986, 1988: postmortaler Persönlichkeitsschutz eines berühmten Malers auch noch 33 Jahre nach seinem Tod). Eine ausdrückliche zeitliche Grenze bestimmt § 22 S. 3 KUG für den Bildnisschutz. Danach bedürfen Bildnisveröffentlichungen bis zu zehn Jahre nach dem Tod des Abgebildeten der Einwilligung seiner Angehörigen. Entsprechend begrenzt die Rechtsprechung nunmehr den Schutz der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts auf zehn Jahre (BGH, JZ 2007, 364, 365 – Klaus Kinski mit Anmerkung von Schack, S. 366, 367; a. A. Jung, AfP 2005, 317, 322 f.: 35 Jahre [Dauer einer Generation]).

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2. Kunstfreiheit Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG schützt die Kunstfreiheit. a) Schutzbereich aa) Sachlicher Schutzbereich

Eine Definition von Kunst, die für alle künstlerischen Ausdrucksformen gleichermaßen gilt, gibt es nicht; sie ist wohl auch nicht zu finden (vgl. BVerfG, NJW 1985, 261, 262). Um dennoch den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG bestimmen zu können, entwickelten Rechtsprechung und Literatur verschiedene Definitionsansätze, die einander ergänzen (BVerfG, NJW 1985, 261, 262). Für die Falllösung wichtig ist, dass es sich nicht um einander widerstreitende Konzepte, etwa im Sinne von Theorien handelt. Von Kunst kann jedenfalls gesprochen werden, wenn sämtliche Kunstbegriffe auf die zu untersuchende Gestaltung anwendbar sind. – Nach dem materialen Kunstbegriff ist wesentlich an der Kunst „die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“ (BVerfG, NJW 1971, 1645). Dieser Kunstbegriff ist juristisch kaum abgrenzbar und deckt letztlich jede Form der Schöpfung, auch den Fleck an der Wand, den der Künstler signiert und zu seinem Werk erklärt. Entscheidend für den materialen Kunstbegriff ist daher die vom Künstler gewollte Schöpfung, nicht ihre Wirkung oder Deutung in bzw. durch die Außenwelt. Im Fallgutachten ist mithin danach zu suchen, ob die als Kunst zu beurteilende Äußerung zweckfreie, kreative Schöpfung ihres Veranlassers ist. – Der formale Kunstbegriff ist enger und formaler. Er fordert, dass bei formaler Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind (Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967, S. 219). Allein die formale Kategorie entscheidet darüber, ob Kunst vorliegt. Hierdurch fällt die reine Dokumentation, die Gebrauchsanweisung für ein technisches Gerät, aber auch das Sachbuch heraus aus der Einordnung als Kunst. Etwas problematisch ist dabei, dass für neue Kunstformen zunächst kein Raum verbleibt. Im Fallgutachten führt dieser Ansatz zu einer schnellen Subsumierbarkeit, sofern die Gestaltung unter eine anerkannte literarische oder sonstige künstlerische Gattung fällt (Gedicht, Roman, Theaterstück, Gemälde).

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– Nach dem offenen Kunstbegriff kennzeichnet die künstlerische Darstellung „die Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts, die es ermöglicht, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen“ (von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz [Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG] und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen [§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB], 1969, S. 87). Dieser Kunstbegriff nimmt neue Kunstformen ohne weiteres auf, setzt aber ein Minimalkriterium, nämlich das der Kommunikationswirkung. Ein Beitrag, der keine kommunikative Botschaft übermittelt, ist keine Kunst. Die Gestaltung muss also mehreren Deutungen (Interpretationen) zugänglich sein. Der reine dokumentarische Bericht fällt daher nicht unter den Begriff der Kunst. In Zweifelsfällen ist für die juristische Betrachtung in jedem Fall die Einschätzung eines künstlerisch kompetenten Dritten hilfreich (Pieroth/ Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 22. A., Rn. 613). Die Kunstfreiheit schützt sowohl das künstlerische Schaffen (Werkbereich) als auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, z. B. durch Ausstellungen (Wirkbereich) (BVerfG, NJW 1971, 1645). Nicht erfasst ist hingegen die Kunstkritik (BVerfG, NJW 1993, 1462). Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG schützt ein Kunstwerk unabhängig von seiner Qualität. Es ist also nicht zwischen „höherer“ und „niederer“, „guter“ und „schlechter“ Kunst zu differenzieren (BVerfG, NJW 1987, 2661). Eine Niveaukontrolle durch den Juristen soll auf diese Weise verhindert werden. bb) Persönlicher Schutzbereich

Grundrechtsträger sind – entsprechend dem sachlichen Schutzbereich – die Künstler sowie diejenigen, die als Kunstmittler zwischen den Künstler und das Publikum treten (z. B. Verleger, Galeristen). Neben natürlichen Personen können sich juristische Personen unter den Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG auf die Kunstfreiheit berufen. b) Schranken

Die Kunstfreiheit ist gemäß Art. 5 Abs. 3 GG vorbehaltlos gewährleistet. Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG oder des Art. 2 Abs. 1 GG sind nicht auf sie zu übertragen (BVerfG, NJW 1971, 1645, 1646). Kunst ist also nicht bereits dann beschränkt, wenn sie beleidigt oder die Sittenoder Schamgrenzen verletzt. Sittenwidrig kann pornografische oder ge-

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schmacklose Kunst sein (z. B. Gunther von Hagens’ plastifizierte Skulpturen Verstorbener), den Schutz der Kunstfreiheit verliert sie deshalb noch nicht. Begrenzen können die Kunstfreiheit allenfalls Verfassungsbestimmungen, die ebenfalls ein wesentliches Rechtsgut schützen, wie z. B. das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (verfassungsimmanente Schranken). c) Schranken-Schranken

Allerdings sind diese Verfassungsbestimmungen ihrerseits im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen und mit ihr in einen gerechten Ausgleich zu bringen (praktische Konkordanz). Das Prinzip der praktischen Konkordanz erfordert eine umfassende Abwägung zwischen den geschützten Rechtspositionen. Im Rahmen der Abwägung der Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sind u. a. folgende Gesichtspunkte zu beachten: – Intensität des Eingriffs: Verletzt das Kunstwerk das allgemeine Persönlichkeitsrecht bloß leicht, überwiegt regelmäßig die Kunstfreiheit (BVerfGE 67, 213, 228; BGH, ZUM 2005, 735, 737). Berührt das Kunstwerk die Menschenwürde, so tritt die Kunstfreiheit stets zurück. – Vorverhalten und gesellschaftliche Stellung des Betroffenen: Beschäftigt sich das Kunstwerk mit einem extrovertierten Prominenten oder zieht es eine allgemein unbekannte und unauffällige Person in die Öffentlichkeit? – Ausmaß künstlerischer Verfremdung: Porträtiert der Künstler eine bestimmte Person oder kreiert er einen generellen Typus (ausführlich hierzu BVerfG, NJW 1971, 1645; BGH, ZUM 2005, 735)? – Sonstige kunstspezifische Besonderheiten: Der Satire ist z. B. die übertriebene, verzerrende Darstellung eigen. Den Schlüsselroman (z. B. „Mephisto“) kennzeichnet sein starker Realitätsbezug. d) Verhältnis zu den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 GG

Nach h. M. geht die vorbehaltlos gewährleistete und damit besonders geschützte Kunstfreiheit den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 GG als lex specialis vor (BVerfG, NJW 1987, 2661; NJW 1971, 1645, 1648; Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 20.13; a. A. Sachs-Bethge, 3. A., Art. 5, Rn. 194: Idealkonkurrenz bei satirischen Äußerungen).

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3. Satire Die Satire zeichnet aus, dass sie durch Übertreibung, Ironie und Spott Personen, Anschauungen oder gesellschaftliche Zustände kritisiert. Treffend charakterisiert Brummack sie als „ästhetisch sozialisierte Aggression“ (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Sonderheft 1971, S. 275, 282). Eine Satire kann zwar Kunst sein, nicht jede Satire ist aber Kunst (OLG Hamm, NJW-RR, 2004, 919). Maßgeblich für die Einordnung als Kunst ist, ob die satirische Darstellung die Kriterien erfüllt, die ein Kunstwerk kennzeichnen, denn auch allgemeine Kritik kann verzerren und übertreiben (BVerfG, NJW 1990, 1982, 1983: Die satirische Fotocollage eines Mannes, der auf die Nationalflagge uriniert, ist Kunst.). Handelt es sich bei der satirischen Darstellung nicht um ein Kunstwerk, so unterliegt sie zwar nicht der Kunst-, wohl aber noch der Meinungsfreiheit (BVerfG, NJW 1998, 1386: Bezeichnung einer Person, die in den Hochadel eingeheiratet hat, in einer satirischen Talk-Show als „Münzen-Erna“). Ob eine Satire rechtlich zulässig ist, ist in zwei Schritten zu überprüfen: In einem 1. Schritt ist zu klären, ob die satirische Darstellung persönlichkeitsrechtliche Interessen der kritisierten Person verletzt. Um diese Frage beantworten zu können, muss zunächst der Inhalt der Satire ermittelt werden. Hierbei sind folgende Besonderheiten zu beachten: – Bei der Deutung einer Satire sind „werkgerechte Maßstäbe“ anzulegen. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass die Herabsetzung ein typisches Stilmittel der Satire ist. Um den Aussagegehalt zu ermitteln, ist der inhaltliche Aussagekern von der äußeren satirischen Einkleidung zu trennen. Aussagekern und Einkleidung sind gesondert daraufhin zu untersuchen, ob sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere die Ehre, des Betroffenen beeinträchtigen. Die Bewertung des Aussagekerns ist regelmäßig strenger als die Bewertung der Einkleidung. Denn dem satirischen Gewand ist die übertriebene, verzerrte Darstellungsweise wesensimmanent (BVerfG, NJW 1987, 2661). – Fraglich ist, wie eine (satirische) Äußerung zu behandeln ist, die mehrere – persönlichkeitsrechtsverletzende wie nicht persönlichkeitsrechtsverletzende – Interpretationen zulässt. Die bisherige Rechtsprechung ging im Rahmen aller Ansprüche davon aus, dass der rechtlichen Beurteilung im Zweifel die Deutung zugrundezulegen ist, die dem Äußernden günstiger ist; die persönlichkeitsrechtsverletzende Deutung sei nur maßgeblich, wenn die übrigen Auslegungsalternativen mit überzeu-

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genden Gründen ausgeschlossen werden können (sog. „Variantenlehre“; BVerfG, NJW 2002, 3767, 3768; BGH, NJW 1998, 3047, 3048; NJW 1983, 1194, 1195). Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass eine verfassungsrechtlich privilegierte Deutungsform (Satire) schon deswegen verboten wird, weil ihr Inhalt nach nur einer möglichen Deutung persönlichkeitsrechtsverletzend ist. Man kann sagen, dass hier im Zweifel für die Freiheit der Äußerung zu entscheiden ist. – Die aktuelle Rechtsprechung hat diese kunstfreundliche Linie zum Teil eingeschränkt. Sie betont, dass ein Unterlassungsanspruch nicht daran scheitern darf, dass eine mehrdeutige Äußerung auch eine Deutungsvariante erlaubt, die nicht persönlichkeitsrechtsverletzend ist. Es genügt vielmehr, dass eine der Auslegungsmöglichkeiten persönlichkeitsrechtsverletzend ist (BVerfG, NJW 2006, 3769, 3773 – „Babycaust“, AfP 2005, 544, 545 f. – Stolpe; hierzu Helle, AfP 2006, 110; Seelmann-Eggebert, AfP 2007, 86). Im Zweifel setzt sich danach das Verbot durch. Wichtig ist allerdings, dass die neue Rechtsprechung sich ausschließlich auf den Unterlassungsanspruch bezieht. Ansprüche, die an eine in der Vergangenheit erfolgte Äußerung anknüpfen (z. B. Widerrufs-, Schadensersatz-, Geldentschädigungsanspruch), sind weiterhin nach den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen zu beurteilen. Dies gebiete die Meinungsfreiheit, „insbesondere zum Schutz vor Einschüchterungseffekten“ (BVerfG, NJW 2006, 3769, 3773). Der Unterlassungsanspruch soll abweichend zu behandeln sein, da es dem Äußernden zumutbar sei, den Inhalt seiner mehrdeutigen Aussage künftig klarzustellen (BVerfG, NJW 2006, 3769, 3773). 2. Schritt: Wenn feststeht, dass die satirische Darstellung – nach den vorstehenden Zweifelsregeln – persönlichkeitsrechtsverletzend ist, ist weiter zu untersuchen, ob sie rechtswidrig ist. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Kunst- bzw. Meinungsfreiheit festzustellen. Hierfür gelten die bisher schon erörterten Grundsätze.

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III. Lösungsskizze Ausgangsfall Anspruchsziel: Zahlung einer Geldentschädigung Anspruchsgrundlage: § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG A könnte gegen V einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG haben. 1. Schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung Dann müsste die Karikatur das allgemeine Persönlichkeitsrecht des A schwerwiegend verletzt haben. Sie könnte die Ehre des A berührt haben. Eine Ehrverletzung liegt vor, wenn die Karikatur als ehrenrührige unwahre Tatsachenbehauptung oder als ehrenrühriges Werturteil einzustufen ist. Ehrenrührig ist eine Äußerung, die geeignet ist, die innere oder äußere Ehre einer Person zu verletzen, sie insbesondere verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Um feststellen zu können, ob die Karikatur des A ehrenrührig ist, ist vorab ihr genauer Inhalt zu klären. Bei der Deutung einer Karikatur sind „werkgerechte Maßstäbe“ anzulegen: Um ihren Aussagegehalt ermitteln zu können, ist der inhaltliche Aussagekern von der satirischen äußeren Einkleidung zu trennen. Aussagekern und Einkleidung sind gesondert daraufhin zu untersuchen, ob sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen. Ein unbefangener Betrachter erblickt den Aussagekern der Zeichnung darin, dass A sich „die Justiz in anstößiger Weise seinen Zwecken zunutze“ macht und er „an einer ihm willfährigen Justiz ein tierisches Vergnügen“ empfindet (BVerfG, NJW 1987, 2661, 2662). Es ist gesellschaftlich missbilligt, die Justiz zu manipulieren. Vor allem Politiker sind verpflichtet, die staatlichen Organe zu achten. Daher ist die Aussage, A empfinde Freude und Lust dabei, die Justiz in anstößiger Weise auszunutzen, geeignet, ihn in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Mithin verletzt der Aussagekern jedenfalls die äußere Ehre des A. Die satirische Einkleidung ist typischerweise übertrieben und verzerrend. Auch tierische Darstellungen eines Menschen sind nicht von vorn-

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herein ehrenrührig. Sie können genutzt werden, um das Verhalten oder besondere Charaktereigenschaften des Dargestellten tierisch zu symbolisieren. Allerdings handelt es sich bei der Darstellung des A als ein kopulierendes Schwein nicht um ein harmloses tierisches Symbol. Sie dient (in erster Linie) dazu, A zu demütigen und lächerlich zu machen. Auch die satirische Einkleidung ist daher ehrenrührig. Die Karikatur stellt ein ehrenrühriges Werturteil dar. Eine Ehrverletzung liegt also vor. Ob die Ehrverletzung schwer wiegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Inhaltlich wirft die Karikatur A ein gesellschaftlich stark missbilligtes Verhalten vor, das mit seiner Position als Politiker unvereinbar ist. Äußerlich ist sie sexualisierend und betrifft damit den innersten Bereich der Persönlichkeit. Es handelt sich um eine besonders tief greifende Ehrverletzung. 2. Rechtswidrigkeit Die Ehrverletzung müsste zudem rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des A mit entgegenstehenden Rechten des V festzustellen. a) Entgegenstehende Rechte des V aa) Kunstfreiheit

Möglicherweise steht die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des A entgegen. Dann müsste die Karikatur als Kunst einzuordnen sein. Eine satirische Darstellung kann Kunst sein, nicht jede Satire ist aber Kunst. Maßgeblich ist, ob die Karikatur die Kriterien erfüllt, die ein Kunstwerk auszeichnen. Es haben sich verschiedene Ansätze herausgebildet, um zu bestimmen, ob ein Kunstwerk im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG vorliegt. Nach dem materialen Kunstbegriff ist wesentlich an der Kunst die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Der Zeichner hat in der Karikatur fantasievoll und originell seine Eindrücke von dem Politiker und der Privatperson A ausgedrückt. Die Karikatur stellt eine Schöpfung dar. Der formale Kunstbegriff erfordert, dass bei formaler Betrachtung die Gat-

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tungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sein müssen. A wendet sich gegen eine Zeichnung. Zeichnungen dieser Art stellen eine anerkannte Kunstgattung dar. Nach dem offenen Kunstbegriff ist kennzeichnend für die künstlerische Äußerung, dass ihr im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen entnommen werden können. Auf den ersten Blick ist die Zeichnung amüsant. Erst im Wege der Interpretation offenbart sich ihre ernsthafte Botschaft. Sie kann als Kritik an dem Verhalten des Politikers A und/oder als Kritik an dem Charakter und dem Verhalten der Privatperson A gedeutet werden. Folglich ordnen alle Ansätze die Karikatur als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG ein. Unerheblich ist, ob die Zeichnung als anstößig empfunden wird, weil sie zwei kopulierende Schweine zeigt. Die Kunstfreiheit erfasst auch sittenwidrige oder geschmacklose Kunstwerke. Fraglich ist, ob sich neben dem Künstler auch der Verleger V auf die Kunstfreiheit berufen kann. Die Kunstfreiheit schützt neben dem Künstler auch den Kunstmittler, der das Kunstwerk verbreitet. Damit kann sich auch V auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG stützen. bb) Meinungsfreiheit

Daneben könnte die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) die Karikatur erfassen. Zwar äußert die Karikatur eine Meinung, indem sie A kritisiert. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist also eröffnet. Künstlerische Meinungsäußerungen erfasst jedoch allein die Kunstfreiheit. Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG ist insoweit lex specialis gegenüber Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG. b) Abwägung

Im Rahmen der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die Karikatur provoziert und schockiert, um die Rezipienten und Wähler auf politische Missstände aufmerksam zu machen. Sie berührt insoweit eine Frage von allgemeinem Interesse. Außerdem muss A, der als Politiker im öffentlichen Leben steht, Kritik, vor allem an seinem Verhalten im Amt, verstärkt hinnehmen. Allerdings greift die Karikatur in den Kernbereich der Persönlichkeit, die Würde des A, ein. Die Karikatur nutzt die Tiergestalten nicht, um dem Betrachter die persönlichen Eigenarten des A nahe zu bringen. Vielmehr sollte gezeigt werden, dass A „schweinische“ Wesenszüge habe und sich

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entsprechend benehme. Gerade die Darstellung sexuellen Verhaltens, das auch heute noch zum schutzwürdigen Kern des Intimlebens gehört, sollte A als Person entwerten und ihn seiner Würde als Mensch entkleiden (so BVerfG, NJW 1987, 2661, 2662). Diesen gravierenden Eingriff in die menschliche Würde rechtfertigt die Kunstfreiheit nicht. Mithin ist eine rechtswidrige Ehrverletzung gegeben. 3. Verschulden V, der die Karikatur bewusst und gewollt veröffentlicht und verbreitet hat, hat vorsätzlich und damit schuldhaft gehandelt. 4. Subsidiarität Es kommen keine anderweitigen Ausgleichsmöglichkeiten in Betracht. Insbesondere ein Berichtigungsanspruch ist A nicht zumutbar, da dieser Anspruch die Demütigung des A aufgreifen müsste und sie damit erneut publik machte. 5. Immaterieller Schaden Schließlich müsste aus der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung ein immaterieller Schaden des A resultieren. Die Öffentlichkeit amüsiert sich über A. A wird von seinem privaten und beruflichen Umfeld auf die Karikatur angesprochen. Er fühlt sich gedemütigt und verliert bei den Wählern an Glaubwürdigkeit. A ist also in seinen immateriellen Interessen geschädigt. 6. Ergebnis A hat gegen V einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG1.

Ausführungen zur Höhe der Geldentschädigung sind nur erforderlich, wenn der Klausursachverhalt einen bestimmten Geldbetrag nennt (vgl. Fall 1).

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Abwandlung Anspruchsziel: Untersagung der erneuten Veröffentlichung der Karikatur Anspruchsgrundlage: § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB E könnte gegen V einen Anspruch auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung der Karikatur gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB haben. 1. Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung Dann müsste die Karikatur das Persönlichkeitsrecht des E oder des A beeinträchtigen. a) Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des E

Fraglich ist, ob der satirische Beitrag das allgemeine Persönlichkeitsrecht des E betrifft. Für eine Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung genügt es nicht, dass ein Angehöriger sich persönlich berührt fühlt, weil er dem Dargestellten besonders verbunden ist. Er muss vielmehr unmittelbar in seinem Persönlichkeitsrecht betroffenen sein (BGH, NJW 2006, 605, 608). Die Karikatur befasst sich nicht mit E. Daher verletzt sie sein Persönlichkeitsrecht nicht. b) Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts des A

Die Karikatur könnte aber das postmortale Persönlichkeitsrecht des A beeinträchtigen. Der postmortale Persönlichkeitsschutz ist enger als der Schutz der Persönlichkeit Lebender. Doch schützt er die Ehre des Verstorbenen vor schwerwiegenden Eingriffen (postmortaler Ehrenschutz). Wie bereits im Ausgangsfall dargelegt, verletzt die Karikatur den Wert- und Achtungsanspruch des A schwerwiegend. Zwar ist der postmortale Ehrenschutz nicht zeitlich unbegrenzt, sondern schwindet in dem Maß, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst. A ist aber erst kurz vor der Veröffentlichung der Karikatur gestorben. Die Erinnerung an ihn als Politiker und Privatperson ist daher noch nicht verblasst. Somit besteht noch ein Schutz gegen schwerwiegende Beeinträchtigungen. Eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts liegt vor.

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2. Rechtswidrigkeit Die Beeinträchtigung ist zudem rechtswidrig (vgl. Ausgangsfall). 3. Begehungsgefahr Der Anspruch auf Unterlassung einer nochmaligen Veröffentlichung setzt voraus, dass die auf Tatsachen gegründete ernstliche Gefahr einer alsbaldigen Rechtsbeeinträchtigung besteht (Wiederholungsgefahr oder Erstbegehungsgefahr). Mit der Erstveröffentlichung erfolgte bereits ein rechtswidriger Angriff auf das Persönlichkeitsrecht des A. In diesem Fall spricht eine Vermutung dafür, dass sich die Persönlichkeitsrechtsverletzung wiederholt. Eine Wiederholungsgefahr ist also gegeben, solange der Verleger diese Gefahr nicht ernstlich ausräumt. 4. Wahrnehmungsberechtigung E müsste berechtigt sein, den Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Berechtigt zur Wahrnehmung des postmortalen Ehrenschutzes sind Personen, die der Verstorbene zu Lebzeiten ermächtigte, hilfsweise seine Angehörigen (vgl. § 22 S. 4 KUG). A hat keine Person ermächtigt, seine ideellen Persönlichkeitsinteressen nach seinem Tod auszuüben. Damit ist sein Sohn E als einziger Angehöriger wahrnehmungsberechtigt. 5. Ergebnis E hat gegen V einen Anspruch auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung der Karikatur gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB.

Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

I.

Sachverhalt

Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

Die Tageszeitung „Schöntaler Nachrichten“ veröffentlicht in der Ausgabe vom 27. August 2007 einen Leserbrief des A. In diesem Brief wirft A dem Finanzbeamten B vor, B habe auf den Lohnsteueranträgen verschiedener Steuerzahler Daten verändert mit dem Ziel, es den Antragstellern zu ermöglichen, Steuern zu hinterziehen. Diesem Vorwurf hat B sich bereits im Rahmen eines Strafverfahrens stellen müssen. Er ist allerdings im Mai 2007 freigesprochen worden, weil er erwiesenermaßen keine Daten verändert hat. Redakteur R, der bei den „Schöntaler Nachrichten“ u. a. die Leserbriefe betreut, hat entschieden, den Brief des A in die Rubrik „Schreiben an die Schöntaler Nachrichten“ aufzunehmen, ohne zuvor überprüft zu haben, ob der Brief an wahre Tatsachen anknüpft. Als B den Brief des A in der Zeitung liest, ist er sehr verärgert, weil er trotz seines Freispruchs öffentlich mit dem Vorwurf konfrontiert wird, Steuerhinterziehungen ermöglicht zu haben. Vor allem befürchtet er, dass der Leserbrief erneut Gerüchte in seinem privaten und beruflichen Umfeld entfacht. Daher beschwert er sich umgehend bei der Redaktion der „Schöntaler Nachrichten“. Diese antwortet ihm, dass sie für den Inhalt von Leserbriefen nicht verantwortlich sei; in der Rubrik „Schreiben an die Schöntaler Nachrichten“ würden ausschließlich fremde Ansichten dargestellt. Daraufhin entschließt B sich, eine Beschwerde bei dem Deutschen Presserat einzureichen. In seinem Schreiben an den Deutschen Presserat vom 27. September 2007 erklärt er, die Zeitung „Schöntaler Nachrichten“ habe gegen den Pressekodex verstoßen, weil sie den Leserbrief des A nicht hinreichend sorgfältig geprüft habe. Ist die Beschwerde des B zulässig und begründet? Welche Folgen hat sie? Hinweis: Die Beschwerdeordnung des Deutschen Presserats und der Pressekodex sind veröffentlicht unter www.presserat.de.

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

II. Schwerpunkte des Falles Fall 6 behandelt die Sorgfaltspflichten, die bei der Veröffentlichung von Leserbriefen in einer Zeitung zu beachten sind. Außerdem erörtert er das Beschwerdeverfahren vor dem Deutschen Presserat. 1. Landespressegesetze Das Presserecht ist primär in den Landespressegesetzen geregelt. Im Zuge der Föderalismusreform (2006) entfiel selbst Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG, der dem Bund bisher die Kompetenz einräumte, „die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse“ in einem Rahmengesetz zu regeln. Diese Befugnis hatte der Bund bis dahin nicht genutzt. Die Pressegesetze der einzelnen Länder gleichen einander allerdings im Wesentlichen (vgl. das Musterpressegesetz [Muster-PG] in der Textsammlung Fechner, Medienrecht, 3. A., Nr. 19). Eine einfachgesetzliche Definition der Presse enthalten die Landespressegesetze nicht, weil die Landesgesetzgeber eine mögliche Kollision mit dem verfassungsrechtlichen Pressebegriff vermeiden und eine Weiterentwicklung des Pressebegriffs durch Wissenschaft und Praxis ermöglichen wollen. Die Pressegesetze präzisieren lediglich einzelne Begriffe, wie den des (periodischen) Druckwerks (§ 7 Abs. 1, 4 LPG NW, § 6 Abs. 1, 4 Muster-PG). An diesen Begriff knüpfen wichtige Vorschriften an (z. B. § 11 LPG NW, § 10 Muster-PG – Gegendarstellungsanspruch). Gemäß § 7 Abs. 1 LPG NW (§ 6 Abs. 1 Muster-PG) sind Druckwerke alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen Vervielfältigungsverfahrens hergestellte und zur Verbreitung bestimmte Schriften und bildliche Darstellungen, aber auch – etwas überraschend – besprochene Tonträger, wie Schallplatten und Tonbänder, Filmstreifen und Kassetten, sowie Musikalien mit Text oder Erläuterungen. Aus dem Definitionsmerkmal „zur Verbreitung bestimmt“ ergibt sich, dass Druckwerke darauf angelegt sind, einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht zu werden. Seit einiger Zeit, genauer seit Aufkommen der Neuen Medien (z. B. Internet), wird diskutiert, ob die presserechtlichen Spezialregelungen noch zeitgemäß sind oder die Spezialgesetze in Mediengesetzen aufgehen sollten. Einen Vorstoß in diese Richtung haben die Bundesländer RheinlandPfalz und Saarland unternommen. Dort gelten seit 2005 (Rheinland-Pfalz) bzw. 2002 (Saarland) Mediengesetze, die auch elektronische Kommunikationsvermittler erfassen und lediglich besondere Regelungen für die „kör-

Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

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perhafte“ Presse beinhalten. Umstritten ist, ob damit auch jedes elektronische Medium eine „öffentliche Aufgabe“ (vgl. § 3 LPG NW, § 3 MusterPG) erfüllt. Für die Presse ist diese Aufgabe anerkannt (Löffler-Bullinger, Presserecht, 5. A., Einl., Rn. 60). Da die „öffentliche Aufgabe“ dem Kommunikationsmittler Sonderrechte einräumt (z. B. Auskunftsrecht, § 4 LPG NW, § 4 Muster-PG; Zeugnisverweigerungsrecht, § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO; Beschlagnahmeverbot, § 97 Abs. 5 StPO, §§ 111 m, n StPO), aber auch besondere Pflichten auferlegt (z. B. Sorgfaltspflicht, § 6 LPG NW, § 5 Muster-PG; Gegendarstellungspflicht, § 11 LPG NW, § 10 Muster-PG), ist die Antwort auf diese Frage von hoher praktischer Relevanz für die Entwicklungen im sog. „Web 2.0“ („Youtube“ und ähnliche Plattformen, die sog. user-generated-content anbieten). 2. Pflichten der Presse a) Wahrheitsgemäße Berichterstattung

Die Presse erfüllt ihre „öffentliche Aufgabe“, an der Meinungsbildung mitzuwirken (vgl. § 3 LPG NW, § 3 Muster-PG), indem sie wahre Informationen veröffentlicht und verbreitet. Unwahre Berichte tragen nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei; sie leiten die Rezipienten irre. Daraus folgt, dass die Berichterstatter zu einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet sind. Allerdings dürfen die Anforderungen an diese Pflicht nicht überspannt werden, da sonst keine aktuelle Berichterstattung möglich wäre. Wenn für die Presse der gleiche Wahrheitsmaßstab gelten würde wie für Strafbehörden, könnte sie nicht die Fülle der täglich eintreffenden Nachrichten zeitnah verarbeiten und aufbereiten. Die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung meint daher nicht die Pflicht zu absoluter Wahrheit, sondern die Pflicht zu einer sorgfältigen Ermittlung des richtigen Sachverhalts (Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 2.10 f.). Die der Presse obliegende (publizistische) Sorgfaltspflicht ist in den Landespressegesetzen normiert. Gemäß § 6 S. 1 LPG NW (§ 5 S. 1 MusterPG) muss die Presse alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft überprüfen. Dieser Maßstab entspricht der Rechtsprechung des BVerfG (NJW 1961, 819). Welche Anforderungen an die „gebotene Sorgfalt“ zu stellen sind, ist einzelfallabhängig zu bestimmen. Maßgeblich sind vor allem folgende Kriterien:

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

– Wie stark gefährdet die Nachricht welches Rechtsgut? Je intensiver ein Eingriff wirken kann, desto strenger ist der Sorgfaltsmaßstab (BVerfG, ZUM 2007, 468, 469). Besonders gründlich müssen Berichte recherchiert werden, welche die Intim- oder Privatsphäre einer Person berühren (BGH, NJW-RR 1988, 733). – Wie aktuell ist die Nachricht? Je geringer die Aktualität des Themas ist, desto umfassender muss der Bericht nachgeprüft werden. Die Prüfungspflicht entfällt auch dann nicht, wenn bereits ein anderes Medium die Meldung publiziert hat. Lediglich auf Informationen, die Nachrichtenagenturen, Staatsanwaltschaften oder Gerichte verbreiten, darf die Presse vertrauen. Diese Informationen müssen nicht nochmals recherchiert werden. Eine Anhörung der Person, die durch die Meldung betroffenen ist, ist nicht zwingend. Nur wenn die Berichterstattung offensichtlich schwerwiegende Folgen hat oder gerade durch die Anhörung eine spezielle Aufklärung zu erwarten ist, besteht eine solche Pflicht (ausführlich hierzu Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 2.8 ff.). Der Sorgfaltsmaßstab ist im Hinblick auf Leserbriefe herabgesetzt. Eine generelle Pflicht, den Inhalt eines Leserbriefs zu überprüfen, besteht nicht. Jedoch ist eine genaue Überprüfung notwendig, wenn der Leserbrief die Rechte Dritter schwer beeinträchtigen kann. b) Impressum

Das Impressum offenbart dem Leser, wer für den Inhalt des Druckwerks verantwortlich ist. In erster Linie stellt es sicher, dass diejenigen, deren Rechte das Druckwerk beeinträchtigt, wissen, wen sie in Anspruch nehmen können. In vielen Landespressegesetzen ist daher eine Impressumspflicht kodifiziert (vgl. § 8 LPG NW, § 7 Muster-PG). Gemäß § 8 Abs. 1 LPG NW (§ 7 Abs. 1 Muster-PG) müssen auf jedem Druckwerk der Name oder die Firma sowie die Anschrift des Druckers und des Verlegers genannt sein. Auf periodischen Druckwerken sind zusätzlich der Name und die Anschrift des verantwortlichen Redakteurs anzugeben (§ 8 Abs. 2 LPG NW). c) Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen

Der Leser geht davon aus, dass der redaktionelle Teil eines Pressewerks objektiv und unabhängig gestaltet ist. Damit dieses Vertrauen geschützt und die Neutralität der Berichterstattung gewährleistet ist, müssen entgeltliche Veröffentlichungen als Anzeige gekennzeichnet werden (§ 10 LPG NW, § 9

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Muster-PG). Überdies sind Anzeigen und sonstige entgeltliche Veröffentlichungen deutlich von dem redaktionellen Teil zu trennen. Das Trennungsgebot verfolgt den Zweck, dass der Leser Werbung erkennt. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Rezipient der Werbeaussage vertraut, weil er sie einem unabhängigen Journalisten zuschreibt. Die Vermengung des werbenden mit dem redaktionellen Teil verstößt zudem gegen die Lauterkeit im Wettbewerb gemäß §§ 3, 4 Nr. 3 UWG (BGH, NJW 1997, 2681). Besondere Probleme im Hinblick auf das Trennungsgebot bereiten die Fälle der Produktplatzierung bzw. Schleichwerbung in den Printmedien. 3. Deutscher Presserat Die Kontrolle der Presse erfolgt – soweit es um Rechtsverletzungen geht – durch die Gerichte. Gerichtliche Verbote beeinträchtigen die Pressearbeit bereits im Vorfeld. Wer als Journalist in Sekundenschnelle entscheiden muss, ob eine Berichterstattung zulässig ist oder nicht, benutzt die berühmte „Schere im Kopf“ allzu häufig, wenn er gerichtliche Konsequenzen seines Handelns fürchten muss. Die Presse ist daher seit langem bemüht, gerichtliche Verfahren zu vermeiden und stattdessen durch Maßnahmen der Selbstdisziplin persönlichkeitsrechtsverträgliche Standards zu wahren. Eine wichtige Einrichtung für diese Selbstkontrolle der Presse ist der Deutsche Presserat. Der Presserat ist ein eingetragener Verein, dem Zeitungs- und Zeitschriftenverleger (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger – BDZV, Verband Deutscher Zeitschriftenverleger – VDZ) sowie Journalistengewerkschaften (Deutscher Journalisten-Verband – DJV, ver.di Fachbereich Medien) angehören. Seine Aufgabe ist die interne Kontrolle seiner Mitglieder. Der Deutsche Presserat übt selbst keine staatliche oder öffentliche Gewalt aus. Seine Mitglieder unterwerfen sich freiwillig seiner Regulierung. Die freiwillige Selbstkontrolle gilt als Instrument des „soft law“, das weniger intensiv in die Freiheiten der Presse eingreift als staatliche Maßnahmen. Das inhaltliche Kernstück der Selbstkontrolle bildet der Pressekodex des Deutschen Presserats. Der Pressekodex regelt presseethische Pflichten, die sich zum Teil bereits aus der Verfassung (v. a. Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG) ergeben. In einem Erläuterungsteil werden die Pflichten konkretisiert. Das Verfahren der Selbstkontrolleinrichtung richtet sich nach der Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates. Es ist gerichtsförmig ausgestaltet. Die Beschwerdeordnung enthält Vorschriften über den Zugang

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

und die Form der Beschwerde, ihre Behandlung durch Vor- und Hauptprüfungsorgane und die Möglichkeit zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen, welche die Beschwerde als unzulässig verwerfen oder als unbegründet zurückweisen. Ein Instanzenzug im gerichtsverfahrensrechtlichen Sinne ist nicht vorgesehen; es gibt keinen Pressegerichtshof der Verbände. Allerdings sieht die Beschwerdeordnung Entscheidungen durch Vorprüfungsgremien, den Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses, des Beschwerdeausschusses selbst und ein Plenum des Presserates vor (vgl. § 3 Abs. 1, 2, § 4 Abs. 1–3, § 5 Abs. 1, § 7 Abs. 2 BeschwO). Jede Person, aber auch Vereine und Verbände können sich über Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften sowie über redaktionelle Inhalte von Online-Diensten der Verlage beim Deutschen Presserat beschweren (§ 1 Abs. 1 BeschwO). Es ist nicht erforderlich, dass die Berichterstattung den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt. Die Beschwerde muss schriftlich eingelegt und begründet werden (§ 2 Abs. 1 S. 1, 2 BeschwO). Regelmäßig nimmt der Deutsche Presserat keine Beschwerde über einen Vorgang an, der als Geschehnis oder dessen Erstveröffentlichung länger als ein Jahr zurückliegt (§ 2 Abs. 2 S. 1 BeschwO). Der Beschwerdeführer soll auch die angegriffene Veröffentlichung (im Original oder in Kopie) beifügen (§ 2 Abs. 1 S. 3 BeschwO). Mögliche Rechtsfolgen einer Beschwerde sind gemäß § 12 Abs. 5 BeschwO (1) der Hinweis (Mitteilung, dass ein Beschwerdeverfahren stattgefunden hat), (2) die offizielle Missbilligung (Werturteil über das angegriffene Verhalten; hierzu LG Bonn, AfP 2006, 198), (3) die nicht-öffentliche Rüge (Werturteil wie vor; von einem Abdruck wird zum Schutz des Betroffenen abgesehen, § 15 S. 2 BeschwO) oder (4) die öffentliche Rüge (wie vor, jedoch mit Abdruckverpflichtung, § 15 S. 1 BeschwO, Ziffer 16 Pressekodex). Weil der Deutsche Presserat ausschließlich auf freiwilliger, privatrechtlicher Basis agiert, tritt seine Autorität hinter der staatlichen Autorität zurück. Der Presserat behandelt eine Beschwerde nicht, sofern konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass seine Entscheidung ein Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren beeinflussen könnte (§ 12 Abs. 6 Nr. 1 BeschwO). In diesen Fällen wird das Beschwerdeverfahren ausgesetzt. Ähnliche Selbstkontrolleinrichtungen gibt es im Bereich der Filmwirtschaft (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft – FSK), im Bereich des Fernsehens (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen – FSF), ferner im Bereich der Unterhaltungssoftware (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle –

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USK) und im Bereich multimedialer Dienste (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter – FSM). Grundsätzlich ist eine vorhergehende Prüfung durch staatsferne Kontrolleinrichtungen verfassungsrechtlich wünschenswert; denn eine staatliche Kontrolle, die sich zu weit in die inhaltliche Gestaltung von Angeboten einmischt, rückt gefährlich nahe an die Grenze zur Zensur (Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG). Vor diesem Hintergrund sind Selbstkontrolleinrichtungen oft pluralistisch durch gesellschaftliche Interessenvertreter besetzt, wie vor allem die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM, früher: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – BPjS). Ihre Entscheidungen sind nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Im Falle der Indizierung des (aus heutiger Sicht erotischen, aus früherer Sicht pornografischen) Romans „Josefine Mutzenbacher“ hat das BVerfG hierzu ausgeführt: „Zum anderen ist die Beteiligung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen hier unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass Entscheidungen, die die Presse- und Kunstfreiheit betreffen, möglichst in einer gewissen Staatsferne und auf Grund einer pluralistischen Meinungsbildung ergehen sollten“ (BVerfGE 83, 130, 152). Instrumente der Selbstkontrolle haben den Vorteil, dass die Presse hierüber eine Art Selbstreinigung auch in publizistisch-ethischer Hinsicht durchführen kann. Nachteilig ist, dass die Selbstkontrolleinrichtungen oftmals nicht über hinreichende Sanktionsmechanismen verfügen, um ihre Richtlinien durchsetzen zu können. Eine Rüge des Presserates mag die Reputation des Presseunternehmens in der Öffentlichkeit etwas ramponieren, zu weiteren Einbußen führt sie jedoch nicht. Vor dem Hintergrund der beschränkten Wirkung von Selbstkontrolleinrichtungen hat die Verwaltungslehre ein neues Instrument entwickelt, das bereits im Bereich des Jugendschutzes eingesetzt wird: die „regulierte Selbstregulierung“ (hierzu Hoffmann-Riem, in: Rundfunk und Fernsehen, 1995, S. 125 sowie Fall 12). Zu ihrem Konzept gehört es, dass freiwillige Selbstkontrolleinrichtungen nach Kriterien entscheiden, die von einer staatlich autorisierten und mit Durchsetzungsbefugnissen ausgestatteten Einrichtung überwacht werden. Im Bereich des Jugendschutzes ist diese Überwachungsbehörde die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Sie „akkreditiert“ (= erkennt an) Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle im Bereich des Jugendschutzes. Überdies überprüft sie, ob sich die Selbstkontrolle im Rahmen ihres rechtlich zugestandenen Beurteilungsspielraums hält. Gegen zu nachlässige Selbstkontrollmaßnahmen kann die KJM im Wege der Rechtsaufsicht eingreifen. Zudem formuliert die KJM Satzungen und Richtlinien, welche die Selbstkontrolleinrichtungen zu be-

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

folgen haben. Der Deutsche Presserat ist dagegen eine reine Selbstkontrolleinrichtung der Presseunternehmen.

III. Lösungsskizze 1. Erfolgsaussichten der Beschwerde Die Beschwerde des B hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. a) Zulässigkeit aa) Beschwerdebefugnis

Zunächst müsste B beschwerdebefugt sein. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 BeschwO ist „jeder“ berechtigt, sich beim Deutschen Presserat allgemein über Presseberichterstattungen zu beschweren, also auch B. bb) Form

Des Weiteren müsste die Beschwerde des B die formalen Vorgaben der Beschwerdeordnung beachten. B hat seine Beschwerde schriftlich eingelegt (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 BeschwO). Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 BeschwO muss der Beschwerdeführer einen Beschwerdegrund angeben, d. h. er muss darlegen, warum das Presseorgan gegen die Presseethik verstoßen hat. B begründet seine Beschwerde damit, dass die Zeitung „Schöntaler Nachrichten“ den Leserbrief des A nicht hinreichend sorgfältig geprüft habe. Möglicherweise hat die Zeitung damit gegen Ziffer 2 Pressekodex verstoßen. Unschädlich ist, dass B diese Regelung nicht ausdrücklich erwähnt. Unklar ist, ob B seiner Beschwerde die „Schöntaler Nachrichten“ vom 27. 8. 2007 beigefügt hat (vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 BeschwO). Allerdings handelt es sich bei § 2 Abs. 1 S. 3 BeschwO um eine „Soll-Vorschrift“, d. h. die Veröffentlichung muss nicht zwingend mit eingereicht werden. cc) Frist

Überdies hat B seine Beschwerde fristgerecht innerhalb der „RegelJahresfrist“ des § 2 Abs. 2 S. 1 BeschwO eingereicht. dd) Zwischenergebnis

Die Beschwerde des B ist somit zulässig.

Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

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b) Begründetheit

Begründet ist sie, wenn die „Schöntaler Nachrichten“ gegen den Pressekodex verstoßen haben. In Betracht kommt ein Verstoß gegen Ziffer 2 Pressekodex. Gemäß Ziffer 2 S. 2 Pressekodex sind zur Veröffentlichung bestimmte Informationen mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die Sorgfaltspflicht gilt grundsätzlich auch für die Veröffentlichung von Leserbriefen (Richtlinie 2.6 Abs. 1 zu Ziffer 2 Pressekodex). Anerkannt ist allerdings, dass der Sorgfaltsmaßstab bei Leserbriefen niedriger ist. Der Inhalt eines Leserbriefs muss nur recherchiert werden, wenn er Rechte Dritter schwer verletzen kann. A bezichtigt in seinem Leserbrief den Finanzbeamten B, Steuerhinterziehungen gefördert, also eine Straftat im Amt begangen zu haben. Dieser unwahre Vorwurf verletzt das Ansehen des B erheblich. Der Leserbrief löst möglicherweise Gerüchte aus, die vor allem das berufliche Fortkommen des B gefährden können. Mithin liegt eine schwere Beeinträchtigung vor. R hätte also jedenfalls überprüfen müssen, ob bereits ein Strafverfahren gegen B stattgefunden hat und wie dieses ausgegangen ist. Stattdessen ist er völlig untätig geblieben und hat damit gegen Ziffer 2 S. 2 Pressekodex verstoßen. Außerdem verletzt die Veröffentlichung des Leserbriefs Ziffer 9 Pressekodex (Schutz der Ehre). c) Ergebnis

Die zulässige Beschwerde des B ist auch begründet. 2. Folgen der Beschwerde Der Beschwerdeausschuss kann einen Hinweis, eine Missbilligung, eine öffentliche oder eine nicht-öffentliche Rüge erteilen (§§ 12 Abs. 5, 15 BeschwO). Ein bloßer Hinweis kommt als schwächste Form der Entscheidung nur bei leichten Verstößen in Betracht. Die Missbilligung bringt zwar zum Ausdruck, dass der Beschwerdeausschuss die Verletzung als schwerwiegend einstuft, sie führt aber nicht zu einer Wiedergutmachung mit Außenwirkung. Wegen der starken Beeinträchtigung des B erscheint die schärfste Form – die öffentliche Rüge mit Abdruckverpflichtung – angemessen. Der Schutz des Betroffenen spricht hier nicht gegen den Abdruck (vgl. § 15 S. 2 BeschwO). Im Gegenteil ist B besonders daran inte-

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Fall 6: Sorgfaltspflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen

ressiert, dass die Leser der Erstmitteilung über seine Unschuld informiert werden. Daher müssen die „Schöntaler Nachrichten“ die Rüge „in angemessener Form“ (§ 15 S. 1 BeschwO, Ziffer 16 Pressekodex) abdrucken.

Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

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Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten (vgl. BGH, Urteil vom 10. 2. 2005, – III ZR 294/04 –, NJW 2005, 1720; VGH München, Beschluss vom 13. 8. 2004, – 7 CE 04.1601 –, AfP 2004, 473; OVG NRW, Beschluss vom 19. 2. 2004, – 5 A 640/02 –, AfP 2004, 475; BVerwG, Urteil vom 3. 12. 1974, – I C 30.71 –, BVerwGE 47, 247) Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

I.

Sachverhalt

Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

J ist als Journalist für eine Wochenzeitschrift tätig. Privat engagiert er sich stark für den Umweltschutz; insbesondere unterstützt er den Einsatz erneuerbarer Energien. Empört ist J, als ihm Kollegen folgende Gerüchte über die in seinem Wohnort K ansässige E-GmbH (E) berichten, deren alleinige Gesellschafterin die Stadt K ist und die Aufgaben der kommunalen Energieversorgung wahrnimmt: Die Sitzungsgelder für die Mitglieder des Aufsichtsrats seien vervierfacht worden. Überdies sei eine Führungsposition in der Gesellschaft neu mit A besetzt worden, obwohl der Mitbewerber B besser für die Stelle qualifiziert sei. Schließlich habe E von G ein überteuertes Gutachten über die Perspektiven herkömmlicher Energien erstellen lassen. Diesen Gerüchten möchte J nachgehen und ggf. darüber berichten. Daher begehrt er von E Auskunft zu folgenden Fragen: – Ist es zutreffend, dass die Sitzungsgelder für die Aufsichtsratsmitglieder angehoben wurden? Wenn ja, auf welche Höhe? – Warum haben Sie sich dafür entschieden, A statt B einzustellen? – Wie hoch waren die Kosten für das von G erstellte Gutachten? E weigert sich, diese Fragen zu beantworten. Hat J gegen E einen Anspruch auf Auskunftserteilung? Vorschriften des GmbHG sind nicht zu prüfen. Abwandlung: Jährlich veranstaltet E einen „Pressetag“, an dem sie fünfzig ausgewählte Pressevertreter durch ihr Elektrizitätswerk führt und über Fragen der Energiegewinnung informiert. Sie lädt Vertreter der Lokalpresse sowie Vertreter

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Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

überregionaler Zeitschriften ein, die sich thematisch mit Energiefragen befassen. Vertreter des Lifestyle-Magazins, für das J tätig ist, sind nicht auf der Gästeliste vermerkt. J möchte an der Veranstaltung dieses Jahr aber unbedingt teilnehmen. Hat J gegen E einen Anspruch auf Teilnahme an dem „Pressetag“?

II. Schwerpunkte des Falles Fall 7 befasst sich mit einer bedeutenden Frage für Journalisten und sonstige Medienschaffende: In welchem Umfang kann die Presse Auskunfts- und Zugangsansprüche geltend machen, wenn sie über aktuelle Entwicklungen berichten möchte? Auskunfts- und Zugangsansprüche sind wichtige Instrumente, die es der Presse ermöglichen, ihrer Berichtspflicht angemessen nachzukommen. Über die Presse erfolgt auf diese Weise auch eine Kontrolle öffentlicher Tätigkeit („Wachhund“-Funktion). Die Informationsrechte gegenüber dem Staat regeln die Landespressegesetze (vgl. §§ 41, 26 LPG NW). In jüngerer Zeit sind sie durch das Informationsfreiheitsgesetz (IFG, Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes vom 5. 9. 2005; hierzu im Überblick Kloepfer/ von Lewinski, DVBl. 2005, 1277; kommentierend Rossi, Kommentar zum Informationsfreiheitsgesetz, 2006) weiter gestärkt worden. Dieses Bundesgesetz wird durch verschiedene Informationsfreiheitsgesetze auf Länderebene ergänzt (zum IFG NW: OVG Münster, NJW 2005, 2028; Axler, CR 2002, 847). 1. Presserechtlicher, medienrechtlicher und allgemeiner Auskunftsanspruch a) Rechtsgrundlage

Auf der Ebene des Verfassungsrechts gewährleistet die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Allerdings folgt aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG kein unmittelbarer Anspruch des Einzelnen gegen den Staat darauf, Informationen zu erhalten, die nicht bereits frei zugänglich sind. Einen allgemeinen verfassungsrechtlichen Informationszugangsanspruch gibt es nicht (BVerfGE 103, 44, 60 – n-TV; zur Diskussion: Heintschel von 1

Vgl. § 4 Muster-PG.

Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

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Heinegg, AfP 2003, 295; Thum, AfP 2005, 30). Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG verbietet dem Staat nur, den Zugang zu allgemein zugänglichen Informationen zu versperren; z. B. wäre eine generelle staatlich verordnete Filterfunktion für Internet-Angebote verfassungswidrig. Auch die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG) verschafft keine weitergehenden Ansprüche gegenüber dem Staat. Zwar schützt dieses Grundrecht die Informationstätigkeit der Presse von der Beschaffung bis zur Verbreitung. Jedoch folgt hieraus kein Anspruch der Presse, mit (nicht allgemein zugänglichen) Informationen auf Anfrage versorgt zu werden (BVerfGE 103, 44, 60; a. A. Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 1.8 ff., 4.3 f. mit dem Argument, die Presse könne nur so ihre öffentliche Aufgabe erfüllen). Das BVerwG führt hierzu aus: „Die Frage, wann und wo es zur Verwirklichung der Pressefreiheit im Bereich der Beschaffung publizistischer Informationen einer rechtlichen Verpflichtung öffentlicher Stellen zur Auskunft bedarf, kann weder mit einem einfachen Ja noch auf Grund einer allein am Einzelfall orientierten Betrachtung beantwortet werden. Das Grundgesetz hat es vielmehr den Gesetzgebern von Bund und Ländern überlassen, in Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen mit dem publizistischen Informationsinteresse zu regeln, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Informationsrecht der Presse in der Form des Anspruchs auf Auskunft behördlicher Stellen besteht“ (NJW 1991, 118; vgl. auch Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 19, Rn. 7, die auf den Charakter der Pressefreiheit als klassisches Abwehrrecht hinweisen). Informationsansprüche können daher nur auf eine einfachgesetzliche Grundlage gestützt werden. Pressevertreter, die regelmäßig darauf angewiesen sind, sich auch aus nicht allgemein zugänglichen Quellen zu informieren, können sich auf den sog. presserechtlichen Auskunftsanspruch berufen, der in den Landespressegesetzen geregelt ist (z. B. § 4 Abs. 1 LPG NW). Danach sind Behörden grundsätzlich verpflichtet, Pressevertretern diejenigen Auskünfte zu erteilen, die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienen. Von einem medienrechtlichen Auskunftsanspruch spricht man, wenn nicht die Presse, sondern der Rundfunk und sonstige Mediendienste (z. B. Onlineberichterstatter) Auskunft begehren. Dieser Auskunftsanspruch ist in manchen Landesmediengesetzen geregelt (z. B. § 6 Abs. 2 LMG Baden-Württemberg); gelegentlich werden die presserechtlichen Normen für analog anwendbar erklärt (so § 26 Abs. 1 LPG NW). Manche Länder haben die Regelungen für Presse, Rundfunk und Mediendienste in den Landesmediengesetzen zusammengefasst (z. B. § 6 LMG Rheinland-Pfalz, § 5 LMG Saarland). Ein einheitlicher medienrechtlicher

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Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

Auskunftsanspruch für Rundfunk und Telemedien ist nunmehr in § 9 a RStV (i. V. m. § 55 Abs. 3 RStV) normiert. Einen allgemeinen Informationsanspruch enthält § 4 Abs. 1 IFG NW. Danach hat jede natürliche Person ein Informationsrecht gegenüber Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1 IFG NW. Dieser Anspruch ist allerdings gegenüber § 4 Abs. 1 LPG NW subsidiär (§ 4 Abs. 2 S. 1 IFG NW; a. A. Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 18, Rn. 5 a). Das ist aus Sicht der Presse insofern nachteilig, als der allgemeine Informationsanspruch es dem Pressevertreter erlauben würde, eine Anfrage anonym und ohne Hinweis auf seinen Arbeitgeber bzw. das Organ, für das er publiziert, zu stellen. Da die öffentliche Hand gegenüber Pressevertretern zunehmend vorsichtiger wird, könnte ein anonymes Vorgehen die Informationsbeschaffung erleichtern. Jedoch ist ein verdecktes Ermitteln presseethisch nicht zweifelsfrei. So verbietet Ziffer 4 Pressekodex unlautere Recherchemethoden. In den hierzu formulierten Richtlinien heißt es, dass verdeckte Ermittlungen nur ausnahmsweise gerechtfertigt sind, um Informationen von besonderem öffentlichen Interesse zu erhalten, die auf andere Weise nicht zu beschaffen wären (Richtlinie 4.1 S. 3). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den für die Falllösung relevanten presserechtlichen Auskunftsanspruch. b) Auskunftsberechtigter

Auskunftsberechtigt sind „Vertreter der Presse“ (§ 4 Abs. 1 LPG NW; zu dem Begriff: Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 19, Rn. 4). Hierzu zählen Verleger, Herausgeber, Redakteure und (freie) Journalisten. Zur Legitimation gegenüber der öffentlichen Stelle muss der Berechtigte einen Presseausweis oder ein spezielles Legitimationsschreiben vorlegen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist die freizügige Versorgung von sog. „Leserreportern“ mit Presseausweisen. Auf diese Weise kann eine Gruppe von „Journalisten“ instrumentalisiert werden, die presseethisch nicht gebunden ist. Zwar unterliegt die Informationsverbreitung durch das entsendende Unternehmen wieder strengeren ethischen und rechtlichen Pflichten, die Informationsbeschaffung wird jedoch aus diesem Bereich herausgelöst. c) Auskunftsverpflichteter

Auskunftsverpflichtet sind gemäß § 4 Abs. 1 LPG NW Behörden. Nach h. M. sind neben Behörden der Kommunen und Länder auch Bundesbe-

Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

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hörden gemäß § 4 Abs. 1 LPG NW bzw. entsprechenden landespresserechtlichen Regelungen auskunftsverpflichtet, obwohl die Bundesbehörden nicht der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen (hierzu VG Berlin, AfP 1994, 175, 176 f.). Behördenintern ist nicht jeder Angestellte oder Beamte zur Auskunft verpflichtet, sondern lediglich der Behördenleiter oder die Person, auf die er die Auskunftspflicht delegiert (z. B. Pressestellen; vgl. § 63 BBG, § 66 LBG NW). Ferner kann Auskunft gegenüber staatlichen Adressaten begehrt werden, die in privatrechtlicher Form (z. B. GmbH, AG) organisiert sind (vgl. § 108 GO NW), sofern die Gesellschaftsanteile vollständig oder überwiegend von der öffentlichen Hand gehalten werden und die Gesellschaft für die Behörden öffentliche Aufgaben erfüllt (BGH, NJW 2005, 1720; LG München I, JZ 2007, 307, 308 mit zustimmender Anmerkung von Zieglmeier, S. 309). Denn der Staat soll sich nicht durch die „Flucht ins Privatrecht“ seiner öffentlich-rechtlichen Bindungen entledigen können. In Zeiten, in denen zunehmend staatliche Aufgaben ausgegliedert und an Private übertragen werden, gilt dies umso mehr (vgl. Püschel, AfP 2006, 401, 403). An dieser Stelle zeigt sich allerdings auch, dass private Rechtsverhältnisse durch die vollständige oder teilweise Privatisierung öffentlicher Aufgaben zunehmend öffentlich-rechtlich „aufgeladen“ werden. Keinen gesetzlichen Auskunftsanspruch hat die Presse gegenüber Privaten, die keine öffentlichen Aufgaben erfüllen (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 19, Rn. 11; Groß, DÖV 1997, 133, 142; abweichend OLG Köln AfP 2001, 218, 219: Anspruch der Presse gegen Sportverein). Privatpersonen können vielmehr selbst entscheiden, ob und inwieweit sie sich mit der Presse einlassen. Ansprüche gemäß § 826 BGB, § 20 GWB kommen allenfalls in besonders krassen Fällen der Behinderung oder Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Pressevertretern in Betracht (hierzu Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 4.80). d) Inhalt

Der Auskunftsanspruch bezieht sich auf Informationen, die der Erfüllung der „öffentlichen Aufgabe“ (zu dem Begriff: § 3 LPG NW2) des Pressevertreters dienen (§ 4 Abs. 1 LPG NW). Die Behörde muss die Auskunft vollständig und wahrheitsgemäß erteilen. Sie ist jedoch nicht verpflichtet, Ereignisse zu kommentieren. Die 2

Vgl. § 3 Muster-PG.

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Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

Form der Auskunftserteilung steht im Ermessen der Behörde (z. B. schriftlicher Bericht, mündliche Einzelauskunft, Pressekonferenz). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Auskunftserteilung ist einzelfallbezogen zu bestimmen. Maßgeblich ist die Dringlichkeit der Angelegenheit. Die Behörde darf die Auskunftserteilung nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig machen (VG Arnsberg, ZUM-RD 2007, 223, 225). e) Schranken

Schranken des Auskunftsanspruchs normiert § 4 Abs. 2 LPG NW. In diesen Fällen ist die Behörde zur Auskunftsverweigerung berechtigt, unter Umständen – zur Wahrnehmung ihrer Schutzpflichten – sogar verpflichtet. aa) § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG NW

Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG NW besteht kein Auskunftsanspruch, wenn durch die Auskunft die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte. Ob unter Verfahren im Sinne dieser Vorschrift lediglich Strafverfahren zu verstehen sind oder auch sonstige Verfahren (z. B. Verwaltungsverfahren), ist umstritten (hierzu Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. A., Kap. 20, Rn. 5 a f.). bb) § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW

Ferner können einem Auskunftsanspruch Geheimhaltungsvorschriften entgegenstehen (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW). Geheimhaltungsvorschriften sind formelle Gesetze bzw. auf Grund eines formellen Gesetzes erlassene Rechtsvorschriften, die öffentliche Geheimnisse schützen und sich zumindest auch an die Behörde richten, von der Auskunft begehrt wird (z. B. §§ 93 ff., 353 b StGB – Verletzung von Staats- und Dienstgeheimnissen). Im Hinblick auf Unternehmen der öffentlichen Hand sind zudem die Geheimhaltungspflichten für Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der GmbH (§ 85 GmbHG) und der AG (§ 404 AktG) relevant (hierzu Köhler, NJW 2005, 2337, 2339 f.; Zieglmeier, JZ 2007, 309, 310 f.). Keine Geheimhaltungsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW ist § 203 Abs. 2 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen). Die Verletzung privater Interessen ist nach dem spezielleren § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG NW zu beurteilen (OVG NRW, AfP 2004, 475, 476).

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cc) § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG NW

§ 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG NW schließt einen Auskunftsanspruch aus, wenn die Auskunft ein überwiegendes öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzen würde. Ob ein öffentliches Interesse überwiegt bzw. ein privates Interesse schutzwürdig ist, muss im Wege einer umfassenden Interessenabwägung ermittelt werden. Die Schutzwürdigkeit privater Interessen richtet sich nach den Kriterien, die zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt wurden (vgl. Fälle 1–5). dd) § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG NW3

Außerdem ist die Behörde nicht zur Auskunft verpflichtet, wenn der Umfang der Auskunft das zumutbare Maß überschreitet (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG NW). Dieser Ausnahmetatbestand ist restriktiv auszulegen. In diesen Fällen darf die Behörde die Auskunft nicht vollständig verweigern, sondern nur, soweit das „zumutbare Maß“ überschritten würde. 2. Akteneinsichtsanspruch Ein spezieller presserechtlicher Anspruch auf Akteneinsicht oder Herausgabe bestimmter Unterlagen besteht nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen können Pressevertreter in das Handelsregister oder Grundbuch einsehen sowie Abschriften hieraus erhalten (§§ 9 Abs. 1, 2 HGB, 12 Abs. 1, 2 GBO). Dagegen sehen die Informationsfreiheitsgesetze als Teil eines generellen Informationszugangs auch ein Akteneinsichtsrecht vor. Jedenfalls wird die Akteneinsicht in § 1 Abs. 2 S. 1 IFG als eine Möglichkeit genannt, wie die Behörde ihre Informationspflicht erfüllen kann (ähnlich § 4 Abs. 2 S. 1 IFG NW). 3. Zugangsanspruch Verschiedene Vorschriften gewährleisten das Recht der Presse, öffentlichen Veranstaltungen als Zuhörer bzw. Zuschauer beizuwohnen. Teilnehmen dürfen Pressevertreter z. B. grundsätzlich an Sitzungen des Bundestags (Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG), der Landtage (z. B. Art. 42 Abs. 1 S. 1 LV NW) und der Gemeinderäte (z. B. § 48 Abs. 2 S. 1 GO NW). Gleiches gilt für Gerichtsverhandlungen (§ 169 S. 1 GVG). 3

Das Musterpressegesetz sieht keine entsprechende Regelung vor.

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Behörden müssen den Pressevertretern grundsätzlich auch Zutritt zu Pressekonferenzen gewähren (VGH Baden-Württemberg, AfP 1989, 587, 589). Die Teilnahme ist für Pressevertreter bedeutsam, damit sie ihre öffentliche Aufgabe, an der Meinungsbildung mitzuwirken (§ 3 LPG NW), erfüllen können, ohne gegenüber anderen Medienvertretern benachteiligt zu sein. Etwas anderes gilt allerdings für Sonderveranstaltungen der Behörden, die einen individuelleren Charakter aufweisen als übliche Pressekonferenzen (BVerwGE 47, 247, 253 zu einer „Presseinformationsfahrt“ der damals noch öffentlich-rechtlich organisierten Deutschen Bundesbahn). Die Teilnehmerzahl liegt bei diesen Veranstaltungen im Ermessen der Behörde (BVerwGE 47, 247, 253). Bei der Auswahl der Pressevertreter hat die Behörde allerdings Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten, d. h. ihre Entscheidung für bestimmte Journalisten und gegen andere muss auf sachgerechten Kriterien basieren. Keinesfalls darf die Auswahl eine Reglementierung oder Steuerung der Presse bewirken; insbesondere dürfen Journalisten, die der Behörde kritisch gesinnt sind, nicht benachteiligt werden (VGH Baden-Württemberg, AfP 1989, 587, 589). Problematisch ist es z. B., nur bestimmte ausgewählte Journalisten als „embedded journalists“ zuzulassen, um drastische Kriegsschilderungen bei Auslandseinsätzen zu unterdrücken. Das BVerwG erachtete es für sachgerecht, die Pressevertreter danach auszuwählen, ob sie sich bereits früher mit dem Thema der Veranstaltung fachjournalistisch beschäftigt haben (BVerwGE 47, 247, 254). Einen Anspruch auf Zutritt zu privaten Veranstaltungen haben Pressevertreter grundsätzlich nicht. Allerdings dürfen sie gemäß § 6 Abs. 2 VersG an privaten öffentlichen Versammlungen teilnehmen. Öffentliche Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes sind für jedermann zugängliche Veranstaltungen, die der gemeinschaftlichen Äußerung, Diskussion oder Bildung einer Meinung dienen (z. B. Demonstrationen, Wahlkundgebungen). In Ausnahmefällen kann ein Zutrittsanspruch zudem aus § 826 BGB folgen. Stark diskutiert wird der Anspruch auf Zutritt zu Privatveranstaltungen im Bereich der Rundfunk-Sportberichterstattung. Die Rechtsprechung hat jüngst einen Anspruch auf Zugang zu einem Sportstadion zum Zweck der Hörfunkberichterstattung verneint (BGH GRUR 2006, 249 – Hörfunkrechte). Die frühere Praxis, Rundfunkvertreter gegen eine Gebühr für die Nutzung von technischen Einrichtungen, im Übrigen aber lizenzfrei zuzulassen, ist damit beendet. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass der Stadionbetreiber in Ausübung seines

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Hausrechts die Einwilligung zur Hörfunkberichterstattung auch an die Zahlung einer gesonderten Hörfunklizenz knüpfen dürfe.

III. Lösungsskizze Ausgangsfall Anspruchsziel: Auskunftserteilung Anspruchsgrundlage: § 4 Abs. 1 LPG NW4 J könnte gegen E einen Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 4 Abs. 1 LPG NW haben. 1. Auskunftsberechtigter Der Journalist J ist ein „Vertreter der Presse“ im Sinne des § 4 Abs. 1 LPG NW und damit auskunftsberechtigt. 2. Auskunftsverpflichteter Außerdem müsste E auskunftsverpflichtet sein. Gemäß § 4 Abs. 1 LPG NW sind „Behörden“ auskunftsverpflichtet. Fraglich ist, ob die privatrechtlich als GmbH organisierte E eine „Behörde“ in diesem Sinne ist. „Der Behördenbegriff des Presserechts ist nicht organisatorisch-verwaltungstechnisch (vgl. §§ 1 Abs. 4 VwVfG, 1 Abs. 2 VwVfG NW), sondern funktionell-teleologisch zu begreifen“ (BGH, NJW 2005, 1720), d. h. er ist unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des § 4 Abs. 1 LPG NW auszulegen. Der Informationsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 LPG NW will der Presse ermöglichen, dass sie ihre öffentliche Aufgabe gemäß § 3 LPG NW5 im staatlichen Bereich wahrnehmen kann. Gemäß § 3 LPG NW soll die Presse zu Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Informationen beschaffen, um dadurch an der Meinungsbildung mitzuwirken. Die Öffentlichkeit ist daran interessiert, wie der Staat welche Aufgaben wahrnimmt. Um ihre öffentliche Aufgabe zu erfüllen, kann die Presse daher auch Auskunft gegenüber einer GmbH begehren, wenn die Anteile der Gesellschaft vollständig oder überwiegend von der öffentlichen Hand gehalten werden und die Gesellschaft für die Behörde öffentliche 4 5

Vgl. § 4 Muster-PG. Vgl. § 3 Muster-PG.

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Aufgaben erfüllt (BGH, NJW 2005, 1720). Andernfalls könnte sich der Staat durch die „Flucht ins Privatrecht“ seiner öffentlich-rechtlichen Bindungen entledigen. Alleinige Gesellschafterin der E ist die Stadt K. E nimmt Aufgaben der kommunalen Energieversorgung, also der klassischen Daseinsvorsorge wahr. Mithin ist E auskunftsverpflichtet. 3. Schützenswerter Zweck der Auskunft Die Auskunft muss J dazu dienen, seine öffentliche Aufgabe zu erfüllen (§ 4 Abs. 1 LPG NW). Gemäß § 3 LPG NW erfüllt J seine öffentliche Aufgabe dadurch, dass er an der Meinungsbildung mitwirkt. J begehrt die Auskunft, um die Allgemeinheit über die Tätigkeit der Stadt K im Bereich der Energieversorgung informieren zu können. Damit dient die Auskunft J zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe. 4. Keine Ausnahme gemäß § 4 Abs. 2 LPG NW Allerdings ist E zur Auskunftsverweigerung berechtigt, wenn ein Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 2 LPG NW erfüllt ist. a) Fragen zu den Sitzungsgeldern

Möglicherweise kann E die Auskunft zu den Fragen „Ist es zutreffend, dass die Sitzungsgelder für die Aufsichtsratsmitglieder angehoben wurden? Wenn ja, auf welche Höhe?“ gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW6 verweigern. Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW ist ein Auskunftsanspruch ausgeschlossen, wenn die Auskunft ein schutzwürdiges privates Interesse verletzen würde. Ob die Offenlegung der Sitzungsgelder in schützenswerte Interessen der Aufsichtsratsmitglieder der E eingreift, ist im Wege einer Abwägung zwischen den Geheimhaltungsinteressen der Aufsichtsratsmitglieder einerseits und den Informationsinteressen des J und der Allgemeinheit andererseits zu ermitteln. 6 In Betracht kommt außerdem § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW i. V. m. § 85 GmbHG. Das GmbHG ist nach dem Bearbeitervermerk aber nicht zu prüfen. Im Ergebnis scheidet § 85 GmbHG aus, da die Fragen des J nicht die Geschäftstätigkeit der GmbH, sondern bloß die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder betreffen. E hat kein berechtigtes wirtschaftliches Interesse daran, die Vergütung ihrer Aufsichtsratsmitglieder geheim zu halten (Köhler, NJW 2005, 2337, 2340).

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Die Auskunftserteilung belastete die Aufsichtsratsmitglieder nicht gravierend. Die Sitzungsgelder honorieren ihre berufliche Tätigkeit. Die Bekanntgabe berührte daher allenfalls die Sozialsphäre der Aufsichtsratsmitglieder. Andererseits hat die Bevölkerung ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, wofür öffentliche Mittel in welcher Höhe eingesetzt werden. Die Finanzpolitik ist ein wichtiger Aspekt, an dem die Bürger ihre Wahlentscheidung ausrichten. J begehrt also Auskunft zu einer Frage von allgemeinem Interesse. Mit seinen Nachforschungen erfüllt er seine „Wachhund“-Funktion. Insgesamt überwiegt das Informationsinteresse des J und der Allgemeinheit. Folglich würde die Auskunft kein schutzwürdiges privates Interesse der Aufsichtsratsmitglieder verletzen. Der Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW ist also nicht erfüllt. b) Frage zur Einstellung von A

Die Auskunft zu der Frage „Warum haben Sie sich dafür entschieden, A statt B einzustellen?“ kann E möglicherweise gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW verweigern. Entscheidend ist, ob die Offenbarung der Gründe, die zu einer Einstellung des A bzw. zu einer Nichteinstellung des B geführt haben, schutzwürdige private Interessen des A und B verletzen würde. Diese Frage ist wiederum im Wege einer Interessenabwägung zu klären. Zwar interessieren sich die Einwohner der Stadt K dafür, ob die Energieversorgung ihrer Stadt kompetent betreut wird. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine gehaltvolle Begründung der Auswahlentscheidung persönliche Merkmale der Bewerber preisgeben müsste, wie z. B. ihre Ausbildung, ihre Abschlüsse und ihre beruflichen und sozialen Kompetenzen. Diese Kriterien sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Der Bewerber offenbart sie nur ausgewählten Personen. Überdies kann eine Mitteilung über die Nichteinstellung eines Bewerbers für seine künftige berufliche Laufbahn nachteilig sein. Daher überwiegen die Geheimhaltungsinteressen des A und B. Die Auskunft würde also schutzwürdige private Interessen verletzen. Folglich greift der Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW.

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c) Frage zur Höhe der Gutachtenkosten aa) § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW

Eine Auskunft zu der Frage „Wie hoch waren die Kosten für das von G erstellte Gutachten?“ kann E möglicherweise gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW verweigern. Das setzt voraus, dass der Auskunft eine Geheimhaltungsvorschrift entgegensteht. Hier kommt § 203 Abs. 2 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) als Geheimhaltungsvorschrift in Betracht. Gegen die Qualifizierung des § 203 Abs. 2 StGB als Geheimhaltungsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW spricht jedoch Folgendes (OVG NRW, AfP 2004, 475, 476): Da § 203 Abs. 2 StGB, ebenso wie § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW, private Interessen schützt, führte eine Subsumtion des § 203 Abs. 2 StGB unter § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW dazu, dass § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW weitgehend verdrängt würde. Dies hätte zur Folge, dass ein Auskunftsanspruch stets ausgeschlossen wäre, wenn ein privates Interesse im Sinne des § 203 Abs. 2 StGB berührt wäre und nicht – wie in § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW vorgesehen – erst dann, wenn das private Interesse schutzwürdig ist, also das öffentliche Informationsinteresse überwiegt. Eine solche Abwägung gebietet aber die in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG gewährleistete Pressefreiheit. Daher ist § 203 Abs. 2 StGB keine Geheimhaltungsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NW liegen also nicht vor. bb) § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW

Möglicherweise steht einer Auskunft zu der Frage „Wie hoch waren die Kosten für das von G erstellte Gutachten?“ aber § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW entgegen. Der Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW wäre einschlägig, wenn die Offenlegung der Kosten für das Gutachten ein schutzwürdiges privates Interesse des G verletzen würde. Dies ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Die Offenlegung der Kosten betrifft eine Tätigkeit des G im wirtschaftlichen Verkehr, also seine Sozialsphäre. Die Mitteilung der Honorarhöhe erlaubt weder Rückschlüsse auf die Preiskalkulation des G noch auf seine wirtschaftliche Situation. Folglich würde die Auskunft kein schutzwürdiges privates Interesse des G verletzen. § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LPG NW greift somit nicht.

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5. Ergebnis J hat gegen E einen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft zu seiner ersten und dritten Frage gemäß § 4 Abs. 1 LPG NW. Jedoch ist E nicht verpflichtet, die zweite Frage des J zu beantworten. § 4 Abs. 1 LPG NW verdrängt als spezialgesetzliche Regelung § 4 Abs. 1 IFG NW (vgl. § 4 Abs. 2 S. 1 IFG NW). Abwandlung Anspruchsziel: Teilnahme an dem „Pressetag“ 1. Anspruch aus § 4 Abs. 1 LPG NW Ein Anspruch des J auf Teilnahme an dem „Pressetag“ der E könnte aus § 4 Abs. 1 LPG NW folgen. Dagegen spricht, dass § 4 Abs. 1 LPG NW Behörden lediglich dazu verpflichtet, Anfragen von Pressevertretern zu beantworten, die diese aus eigener Initiative stellen; diese Vorschrift schreibt den Behörden aber nicht vor, Pressevertreter von sich aus zu informieren und mit Informationen zu versehen (BVerwGE 47, 247, 251). § 4 Abs. 1 LPG NW kann E daher nicht verpflichten, J zu ihrer Informationsveranstaltung einzuladen. 2. „Anspruch“ aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG Möglicherweise kann J seinen Zugangsanspruch auf die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) stützen. Gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Allgemein zugänglich im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG ist eine Informationsquelle, die „technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen“ (BVerfG, NJW 1970, 235, 237). Der „Pressetag“ der E ist weder geeignet noch bestimmt dazu, einen unbestimmten Personenkreis zu informieren. Er ist also keine allgemein zugängliche Quelle. Daher folgt ein Zugangsanspruch des J nicht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG. 3. „Anspruch“ aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG Zudem scheidet ein Anspruch des J gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG aus. Die Pressefreiheit schützt zwar die Pressetätigkeit von der Beschaffung bis zur Verbreitung der Information. Jedoch gewährt sie der Presse keinen Anspruch darauf, mit Informationen versorgt zu werden.

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Fall 7: Auskunfts- und Zugangsanspruch eines Journalisten

4. „Anspruch“ aus Art. 3 Abs. 1 GG In Betracht kommt schließlich ein Anspruch des J gegen E auf Teilnahme an dem „Pressetag“ gemäß Art. 3 Abs. 1 GG (so BVerwGE 47, 247, 253, das in Anführungszeichen von einem „Recht“ des Klägers auf Teilnahme aus Art. 3 Abs. 1 GG spricht)7. Dann müsste J ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden. a) Ungleichbehandlung

J darf, anders als fünfzig seiner Kollegen, nicht an dem „Pressetag“ der E teilnehmen. Eine Ungleichbehandlung liegt also vor. b) Keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

Möglicherweise ist diese Ungleichbehandlung aber gerechtfertigt. Aus der Wertung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG folgt, dass die Behörde Informationen grundsätzlich allen Pressevertretern zugänglich machen muss. Vor allem die Teilnahme an Pressekonferenzen ist für Pressevertreter bedeutend, damit sie ihre öffentliche Aufgabe, an der Meinungsbildung mitzuwirken (§ 3 LPG NW), erfüllen können, ohne gegenüber anderen Medienvertretern benachteiligt zu sein. Allerdings gebietet der individuelle Charakter bestimmter Presseinformationsveranstaltungen eine Beschränkung der Teilnehmeranzahl. Kleinere Veranstaltungen dieser Art sind auch zur Ergänzung der allgemeinen Pressekonferenzen unentbehrlich, da es sonst nur noch eine uniforme Massenunterrichtung der Presse gäbe (BVerwGE 47, 247, 254).

7 Eine besondere Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes stellt § 4 Abs. 4 LPG NW dar. Gemäß § 4 Abs. 4 LPG NW kann der Verleger von der Behörde verlangen, dass sie ihm ihre amtlichen Bekanntmachungen nicht später als seinen Mitbewerbern zuleitet (sog. Gleichbegünstigungsgrundsatz). Im Fall 7 ist diese Vorschrift allerdings aus folgenden Gründen nicht einschlägig: J ist kein Verleger. Unter Zuleitung im Sinne des § 4 Abs. 4 LPG NW ist die schriftliche Informationsübermittlung zu verstehen (Löffler-Wenzel, Presserecht, 5. A., § 4 LPG, Rn. 134). Zweifelhaft ist außerdem, ob an dem Pressetag eine amtliche Bekanntmachung stattfindet. Eine amtliche Bekanntmachung ist die an die Öffentlichkeit gerichtete Kundgabe einer Behörde mit einem amtlich bestimmten Inhalt (LöfflerWenzel, Presserecht, 5. A., § 4, Rn. 130); hierzu zählen z. B. Einladungen zu Ausschusssitzungen (OVG Münster, NJW 1996, 2882). Eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 4 LPG NW erübrigt sich, da J sein Teilnahmebegehren unmittelbar auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz stützen kann.

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Bei diesen speziellen Informationsveranstaltungen wird Art. 3 Abs. 1 GG nur verletzt, wenn die Auswahl bestimmter Teilnehmer bzw. die Vernachlässigung anderer nicht auf einem sachlichen Grund beruht; insbesondere darf die Auswahl nicht auf eine Reglementierung oder Steuerung der Presse hinauslaufen, die dazu führt, dass bestimmte Pressevertreter nicht eingeladen werden, weil sie der Behörde kritisch gegenüberstehen (VGH Baden-Württemberg, AfP 1989, 587, 590). Der „Pressetag“ der E ist keine Pressekonferenz, sondern eine besondere Informationsveranstaltung in einem kleineren Rahmen. E wählte die Pressevertreter unter zwei Aspekten aus: Sie stellte auf den räumlichen Bezug zu ihrem Unternehmen (Vertreter der Lokalpresse) sowie auf den fachlichen Bezug (Pressevertreter, die sich mit Energiefragen beschäftigen) ab. Diese Auswahlkriterien sind nachvollziehbar und sachlich begründet. J arbeitet für ein Lifestyle-Magazin, das typischerweise weder über Lokalpolitik noch über Energiefragen berichtet. Sein rein privates umweltpolitisches Interesse ist unerheblich. Damit liegt ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vor. Die Ungleichbehandlung ist also gerechtfertigt. Mithin scheidet ein Anspruch gemäß Art. 3 Abs. 1 GG aus. 5. Ergebnis J hat gegen E keinen Anspruch auf Teilnahme an dem „Pressetag“.

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Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

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Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. 1. 1986, – 1 BvQ 12/85 –, BVerfGE 71, 350; BVerfG, Beschluss vom 24. 3. 1987, – 1 BvR 147, 478/86 –, BVerfGE 74, 297) Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

I.

Sachverhalt

Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der Landtag des Landes B beschließt formell rechtmäßig ein Landesmediengesetz (LMG B). § 13 LMG B bestimmt, dass die öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten künftig nur die lokalen und regionalen Programme veranstalten dürfen, die sie bereits vor Inkrafttreten des LMG B ausgestrahlt haben. Zweck dieser Regelung ist es, die privaten Anbieter lokaler und regionaler Programme vor der Konkurrenz der Landesrundfunkanstalten zu schützen. Die Landesrundfunkanstalt Rundfunk B (RB) entwickelt ein neues Sendeformat: In der Zeit von 5.30 bis 8.00 Uhr will sie künftig ein Frühstücksprogramm ausstrahlen, das speziell auf eine bestimmte Region in B ausgerichtet ist. Der Justiziar der RB stellt fest, dass § 13 LMG B der Einführung des Frühstückprogramms entgegensteht. Er meint allerdings, die Regelung des § 13 LMG B sei materiell rechtswidrig. Teilen Sie diese Ansicht?

II. Schwerpunkte des Falles Eine der wichtigsten Fragen des deutschen dualen Rundfunksystems betrifft die Ausgestaltung und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Als in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die ersten Privatrundfunkanstalten zugelassen wurden, fanden die Privatsender ein programmlich breit aufgestelltes Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender vor. Die Privaten, die ihre Finanzierung allein auf Werbeeinnahmen stützen können, an der Rundfunkgebühr hingegen nicht partizipieren, mussten sich ihr Publikum erst erkämpfen. Schon damals stellte sich die Frage, ob der öffentlichrechtliche Rundfunk auf einem bestimmten Niveau „einzufrieren“ ist oder ob er in gleichem Maße und auch durch Rückgriff auf Rundfunkgebühren

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Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

an neuen Programm- und Plattformentwicklungen teilnehmen darf; aktuell ist diese Frage angesichts der zunehmenden technischen Möglichkeiten zur Übertragung von Fernsehsignalen besonders bedeutend. Ob es neben der Bestands- auch eine Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, ist bis heute eines der zentralen rundfunkpolitischen Streitthemen. Diese Frage steht im Mittelpunkt von Fall 8. Überblick über das duale Rundfunksystem Die Parallelität von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk kennzeichnet das Rundfunksystem in Deutschland. Das sog. duale Rundfunksystem wurde maßgeblich durch die Rundfunkentscheidungen des BVerfG geprägt. Rundfunkverfassungsrecht ist daher in Deutschland in erster Linie Verfassungsrechtsprechung. Die Rundfunkentscheidungen des BVerfG werden bis heute durchgezählt. Sie sind zu Eckpfeilern dieses Rechtsgebiets geworden. 1. Die Rundfunkentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Folgende Rundfunkentscheidungen sind besonders bedeutend für die Entwicklung des Rundfunkverfassungsrechts: – BVerfG, Urteil vom 28. 2. 1961, – 2 BvG 1, 2/60 –, BVerfGE 12, 205 – Deutschland-Fernsehen-GmbH (1. Rundfunkurteil/1. Fernsehurteil; keine grundgesetzliche Zuständigkeit des Bundes für ein „Bundesfernsehgesetz“); – BVerfG, Urteil vom 27. 7. 1971, – 2 BvF 1/68 und 2 BvR 702/68 –, BVerfGE 31, 314 – Mehrwertsteuer-Urteil (2. Rundfunkurteil; zur Frage, ob § 2 Abs. 3 S. 2 Umsatzsteuergesetz vom 29. 5. 1967 [BGBl. I 545], nach dem die Tätigkeit der Rundfunkanstalten als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes gilt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist); – BVerfG, Urteil vom 16. 6. 1981, – 1 BvL 89/78 –, BVerfGE 57, 295 – FRAG-Urteil (3. Rundfunkurteil; zur grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der Zulassung privater Rundfunkanbieter unter der Voraussetzung, dass die Zulassung an umfassende gesetzliche Vorkehrungen zur binnen- oder außenpluralistischen Gewährleistung der Freiheit und Vielfalt geknüpft wird); – BVerfG, Urteil vom 4. 11. 1986, – 1 BvF 1/84 –, BVerfGE 73, 118 – Niedersachsen-Urteil (4. Rundfunkurteil; Grundlinien der dualen Rund-

Fall 8: Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

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funkordnung, Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, verminderte Vielfaltsanforderungen an den privaten Rundfunk in einem dualen System; Werbefinanzierung des Privatrundfunks); – BVerfG, Beschluss vom 24. 3. 1987, – 1 BvR 147, 478/86 –, BVerfGE 74, 297 – Baden-Württembergisches Landesmediengesetz (5. Rundfunkentscheidung; keine Verengung der Grundversorgung auf Mindestversorgung; Beteiligung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an neuen Kommunikationswegen, wie Regional- und Spartenprogrammen); – BVerfG, Urteil vom 5. 2. 1991, – 1 BvF 1/85, 1/88 –, BVerfGE 83, 238 – WDR-Gesetz (6. Rundfunkurteil; Grundversorgung durch Angebot neuer rundfunkähnlicher Dienste mittels neuer Techniken als Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer dualen Rundfunkordnung, Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk); – BVerfG, Beschluss vom 6. 10. 1992, – 1 BvR 1586/89 und 1 BvR 487/92 –, BVerfGE 87, 181 – hr 4 (7. Rundfunkentscheidung; Verfassungsmäßigkeit der Werbeverbote in den Dritten Fernsehprogrammen der öffentlich-rechtlichen Sender); – BVerfG, Urteil vom 22. 2. 1994, – 1 BvL 30/88 –, BVerfGE 90, 60 – Rundfunkgebühren-Urteil (8. Rundfunkurteil; Verfahren zur Festsetzung der Rundfunkgebühr); ergänzt durch das Gebührenurteil des BVerfG vom 11. 9. 2007, – 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06 –, ZUM 2007, 712 (s. u.). Es gibt noch weitere Urteile, in denen sich das BVerfG zu Grundfragen der Rundfunkordnung äußert. Diese Urteile nehmen allerdings nur eingeschränkt zu Fragen der dualen Rundfunkordnung Stellung. Daher werden sie hier nur referiert; es handelt sich um folgende Urteile: – BVerfG, Beschluss vom 13. 1. 1982, – 1 BvR 848, 1047/77 u. a. –, BVerfGE 59, 231: Zur Frage, ob die Möglichkeit, freie Mitarbeiter mit mehrfach befristeten Verträgen zur Programmgestaltung heranzuziehen, arbeitsrechtlich legitim ist: „Die Verpflichtung der Rundfunkanstalten, die personellen Voraussetzungen eines vielfältigen Programms zu schaffen und zu erhalten, verbindet sich – nach außen – mit dem Recht, frei von fremdem, insbesondere staatlichem Einfluss über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung der Rundfunkmitarbeiter zu bestimmen. Dieses Recht wird von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Rundfunkfreiheit umfasst.“ Damit ist es Rundfunkveranstaltern nicht verwehrt, im Bereich der inhaltlichen Programmarbeit (nicht bei technischen und organisatorischen Arbeiten) freie Mitarbei-

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ter nur befristet zu beschäftigen. Ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf unbefristete Beschäftigung besteht für solche Mitarbeiter also nicht ohne Weiteres. – BVerfG, Beschluss vom 26. 2. 1997, – 1 BvR 2172/96 –, BVerfGE 95, 220 (Zulässigkeit einer mediengesetzlichen Verpflichtung privater Rundfunkveranstalter zur Herausgabe von Sendezeitmitschnitten [Mitschnitte des Senders „Radio Dreyeckland“ mit Aufruf zur Teilnahme an einer verbotenen Demonstration] an die Landesmedienanstalt [§ 38 Abs. 1 LMG Baden-Württemberg]); – BVerfG, Urteil vom 17. 2. 1998, – 1 BvF 1/91 –, BVerfGE 97, 228 (Leitsatz: „Das Recht auf nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung im Fernsehen nach § 3 a des Gesetzes über den Westdeutschen Rundfunk Köln und des Rundfunkgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es verstößt aber gegen Art. 12 Abs. 1 GG, dieses Recht bei berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen unentgeltlich auszugestalten. Bei der Regelung des Entgelts muß der Gesetzgeber sicherstellen, daß die Kurzberichterstattung grundsätzlich allen Fernsehveranstaltern zugänglich bleibt“ [vgl. jetzt § 5 a Abs. 1 WDR-G; § 5 RStV].). Die Genese der Rundfunkentscheidungen lässt eine klare Linie erkennen, die in den ersten Jahren der Bundesrepublik noch von alliierten Vorstellungen einer demokratischen Erziehung durch unabhängige Medien geprägt war. Der Betrieb von Rundfunkprogrammen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst verboten. Alle Besatzungsmächte waren sich darin einig, dass das Goebbels’sche Propagandaministerium als Herrscher über die Rundfunktätigkeit ein abschreckendes Beispiel für die Rundfunkorganisation war. Die britischen (und französischen) Besatzer bevorzugten in ihren Zonen eine zentrale, staatsferne Organisation als Selbstverwaltungskörperschaft nach dem Vorbild der BBC1. Die US-Amerikaner, die 1 So kam es etwa dazu, dass in Norddeutschland zunächst der „Nordwestdeutsche Rundfunk“ als sehr große, in Hamburg lokalisierte Anstalt mit einem Sendegebiet entstand, das Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen und sogar Berlin mit einschloss. Ausgenommen war nur Bremen, das zur US-amerikanischen Besatzungshoheit gehörte. Erst Anfang der 1950er Jahre setzte sich (auf Druck Nordrhein-Westfalens) die Überzeugung durch, dass Westdeutschland (d. h. NRW) eine eigene Anstalt mit Sitz in Köln erhalten sollte. Beeinflusst war dies vor allem dadurch, dass NRW die meisten Rundfunkhörer stellte, das Funkhaus Köln war daher potentiell wesentlich finanzstärker als die Zentrale Hamburg. 1955/1956 kam es zur Aufspaltung des NWDR in die zwei Anstalten NDR und WDR. Die spannende Geschichte der Rundfunkorganisation im Nach-

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aus ihrem Heimatland private Rundfunkunternehmen bereits kannten, wollten in Deutschland keine privatrechtliche Organisation fördern, weil sie dem Rundfunk auch eine erzieherische Funktion für das demokratisch unerfahrene Nachkriegsdeutschland zubilligten. Die USA ließen es aber zu, dass in ihrer Besatzungszone mehrere Anstalten entstanden, deren territoriale Tätigkeit sich zum Teil auf die Gebiete der entstehenden Bundesländer erstreckte (so z. B. der Bayerische Rundfunk). Zunächst wurden durch Militärregierungsverordnungen und Kontrollratsregelungen, später auch durch Landesgesetze in den westlichen Besatzungszonen Rundfunkanstalten gebildet, die das Recht der Selbstverwaltung erhielten, aber einer sehr begrenzten Staatsaufsicht unterstellt wurden (vgl. etwa heute § 1 ZDF-Staatsvertrag). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner besonderen deutschen Ausprägung war geboren. (Bundes-)Staatsfreiheit und „föderale“ (bzw. besatzungszonale) Reichweite waren zentrale Organisationsprinzipien. Es bestand Einigkeit darüber, dass staatliche Stellen weder Eigentümer noch Betreiber von Rundfunkanstalten sein sollten. Dem Staat oblag nicht der Betrieb, sondern allenfalls die Aufsicht über Rundfunkanstalten. Und auch diese Aufsicht war eng umrissen (reine Rechtsaufsicht, vgl. § 31 ZDF-Staatsvertrag). 1950 wurde aus den in den Besatzungszonen entstandenen Länderanstalten zunächst in rechtlich sehr lockerer Form die Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) gebildet. Unter deren Dach kooperierten die Sendeanstalten in den Ländern. Als Arbeitsgemeinschaft besitzt die ARD bis heute keine eigene Rechtspersönlichkeit. Man wird sie wohl als (teilrechtsfähige) Gesellschaft bürgerlichen Rechts ansehen müssen. Das Prinzip der (Bundes-)Staatsfreiheit und das der föderalen Rundfunkordnung machen sich im 1. Rundfunkurteil (BVerfGE 12, 205) bemerkbar. Dort ging es um die Zulässigkeit des Betriebs einer „Deutschland-Fernsehen-GmbH“ durch den Bund. Im Jahre 1959 wollte die Bundesregierung der ARD ein vom Bund finanziertes Rundfunkangebot gegenüberstellen. Die Länder reklamierten dagegen die Zuständigkeit zum Betrieb eines zweiten Fernsehprogramms für sich. Parallel zu den Plänen des Bundes entwickelten sie einen Staatsvertrag über die Organisation eines gemeinsamen Fernsehkanals. Der Bund plante hingegen, drei Bundeskriegsdeutschland kann man nachlesen bei Hans Bausch, Rundfunkpolitik nach 1945, 1980 (Band 3 des von Bausch herausgegebenen mehrbändigen Werkes „Rundfunk in Deutschland“).

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rundfunkanstalten zu errichten: die Deutsche Welle mit Sitz in Köln2 für den Auslandsfunk (Kurzwelle), den Deutschlandfunk mit Sitz in Berlin3 (Hörfunk auf der „langen Welle“ für das Bundesgebiet mit besonderer Bedeutung auch für die Erreichbarkeit der ostdeutschen Länder) und ein Bundesfernsehen mit Sitz in Frankfurt4. Die Pläne blieben vor allem in dem letzten Punkt selbst im Bundestag umstritten und zogen erhebliche Kritik des Bundesrates und der Länder auf sich. Daher wurde das Bundesfernsehen aus dem Gesetzesentwurf ausgegliedert; später wurde das Vorhaben wieder aufgegriffen durch den Versuch, einen Bundessender auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage durch die Gründung einer „Deutschland-Fernsehen-GmbH“ betreiben zu lassen. Verhandlungen mit den Ländern scheiterten auch hierüber. Die Länder klagten gegen den Plan. Das BVerfG kam zu der Einschätzung, dass für ein Bundesfernsehen keine grundgesetzliche Kompetenz bestehe, seine Errichtung durch den Bund mithin unzulässig sei. Für die beiden Radiosender wurde eine solche Kompetenz dagegen über Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 (Art. 32 Abs. 1) und Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG auch von den Ländern für möglich gehalten (Fernmeldehoheit des Bundes über die „lange Welle“, Kompetenz des Bundes für

2 Heute hat die Deutsche Welle ihren Hauptsitz in Bonn und einen weiteren Sitz in Berlin. 3 Gegen Berlin als Sitz der Anstalt signalisierten allerdings die westlichen Alliierten Widerspruch. Hierauf kam es dazu, dass der Deutschlandfunk zunächst in Köln seinen Sitz hatte und erst nach der Wiedervereinigung als DeutschlandRadio in Berlin seinen Hauptsitz bezog. 4 Von diesen Plänen ist nur die Deutsche Welle als Bundesanstalt übrig geblieben. Die Bundeszuständigkeit für ihren Betrieb wird noch heute auf die Kompetenz in Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG (auswärtige Angelegenheiten; außerdem Art. 32 Abs. 1 GG) gestützt. Denn die Deutsche Welle betreibt vorwiegend Programme für die im Ausland lebenden Deutschen. Ihre Rechtsverhältnisse regelt das DeutscheWelle-Gesetz (DWG) i. d. F. vom 11. 1. 2005 (BGBl. I 91). Der Deutschlandfunk dagegen konnte wegen seiner auf Deutschland bezogenen Programme nur in Zeiten der deutschen Teilung unter der Führung des Bundes betrieben werden. Dementsprechend wurde der Deutschlandfunk (heute: Deutschlandradio) nach der Wiedervereinigung in die Kompetenz sämtlicher, auch der neuen Länder überführt, vgl. das Rundfunkneuordnungsgesetz vom 20. 12. 1993 (BGBl. I 2246). Die Länder haben über den Betrieb dieser Anstalt einen „Staatsvertrag über die Körperschaft des öffentlichen Rechts Deutschlandradio“ vom 17. 6. 1993 geschlossen. Mit dem „Hörfunk-Überleitungsstaatsvertrag“ vom 17. 6. 1993 wurde der vormalige „Deutschlandfunk“ mit Wirkung vom 1. 1. 1994 aus der Bundeskompetenz entlassen.

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auswärtige und innerdeutsche Beziehungen)5. Damit war die Rundfunkkompetenz zwischen Bund und Ländern im Wesentlichen geklärt. Das Zweite Deutsche Fernsehen konnte nunmehr durch einen bereits seit 1959 im Entwurf vorliegenden Staatsvertrag der Länder, also unter Wahrung der föderalen Zuständigkeit gegründet werden (Programmaufnahme am 1. 4. 1963, hierzu BVerwGE 22, 299). Ohne private Konkurrenten war der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer privilegierten Position. Das wirft die Frage auf, ob Rundfunk besondere Aufgaben zu erfüllen hat, also auch in besonderer Weise pflichtgebunden ist. In der Entscheidung „Mehrwertsteuer“ (BVerfGE 31, 314 – 2. Rundfunkurteil) untersuchte das BVerfG, ob die Rundfunkanstalten für ihre Leistungen Mehrwertsteuer entrichten müssen. Entscheidend war, ob die Rundfunktätigkeit als gewerbliche bzw. berufliche Tätigkeit „gilt“ (so § 2 Abs. 3 S. 2 Umsatzsteuergesetz 1967). Hierzu entschied das BVerfG, dass die Rundfunkanstalten öffentliche Aufgaben wahrnehmen (vgl. heute § 11 Abs. 1 S. 1 RStV); daher sei es jedenfalls nicht verfassungsgemäß, eine gewerbliche/berufliche Tätigkeit zu fingieren. In diesem Zusammenhang erwähnte das BVerfG auch bereits die „weitreichenden Wirkungen und Möglichkeiten sowie (die) Gefahr des Mißbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflußnahme auf die öffentliche Meinung“ (BVerfGE 31, 314, 325). Das Urteil lässt sich also als Basis eines funktionalen Verständnisses der Rundfunkfreiheit begreifen. Überdies wurde erstmals geklärt, dass Rundfunkanstalten grundrechtsfähig sind, wenn es um die Abwehr von Eingriffen in ihren originären und institutionellen Tätigkeitsbereich geht. Die Frage der Mehrwertsteuerpflicht wurde nicht einheitlich entschieden. Drei abweichende Richtervoten existieren. Sie weisen darauf hin, dass die Rundfunktätigkeit gerade keine hoheitlich-staatliche, sondern nur eine im Allgemeininteresse liegende öffentliche Aufgabe sei; eine solche Tätigkeit könne auch mit einer Umsatzsteuerpflicht belegt werden. Ganz überzeugend ist die abweichende Meinung nicht; denn was im Allgemeininteresse liegt, muss nicht automatisch beruflicher oder gewerblicher Natur sein, und nur um die Bekämpfung dieser Fiktion ging es in der Verfassungsbeschwerde. Außerordentlich bedeutsam für die europarechtlich brisante Frage, ob die Rundfunkgebühr eine staatliche Beihilfe ist, ist die Unterscheidung zwi5 Umstritten war hier nur, ob die Bundessender aus der den Länderanstalten zustehenden Rundfunkgebühr zu finanzieren waren. Die Länder lehnten das für die Deutsche Welle ab, beim Deutschlandfunk lenkten sie später ein. Zunächst jedoch mussten beide Anstalten aus dem Bundesetat finanziert werden.

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schen öffentlichen und staatlichen Aufgaben. Das BVerfG stellt nämlich klar, dass beide Begriffe nicht deckungsgleich sind. Öffentliche Aufgaben sind solche der Allgemeinheit, auch dann, wenn staatliche Stellen nicht beteiligt sind. Man kann darin sehen, dass Rundfunk eine „Bürgerangelegenheit“ ist, also eine gesellschaftliche, nicht notwendig auch staatliche Aufgabe. Der Begriff der „Bürgergesellschaft“ wird hier erstmals für das Rundfunkrecht angedeutet. Im „FRAG-Urteil“ (BVerfGE 57, 295 – 3. Rundfunkurteil) befasste sich das BVerfG mit der Zulässigkeit der Einführung privater Rundfunkunternehmen. Der Saarländische Landtag hatte durch sein Rundfunkgesetz vom 2. 12. 1964 private Rundfunkanstalten zugelassen (§§ 38–46 e). Das BVerfG erklärte die Zulassung der Veranstaltung privaten Rundfunks nicht für verfassungswidrig, verlangte aber wirksame gesetzliche Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass in dem massenkommunikativ bedeutsamen Medium Rundfunk alle gesellschaftlich relevanten Kreise angemessen zu Wort kommen (BVerfGE 57, 295, 323, vgl. heute § 20 RStV). Wegen der hohen Bedeutung des Rundfunks für die öffentliche Meinungsbildung dürfe er nicht den Kräften des Marktes überlassen werden. Vor diesem Urteil war die Konstruktion der Rundfunkfreiheit als eine „dienende Freiheit“ noch mit der Knappheit der Frequenzen gerechtfertigt worden. In der „FRAG-Entscheidung“ stellte das BVerfG klar, dass der Gesetzgeber auch bei einem Wegfall der Frequenzknappheit verpflichtet bleibe, „durch gesetzliche Vorkehrungen für die Gewährleistung der Freiheit des Rundfunks … Sorge zu tragen“. Diese Pflicht beruht darauf, dass der Rundfunk aufgrund seiner technischen und redaktionellen Besonderheit ein für die Meinungsbildung besonders intensiv wirkendes Gut darstellt. Das BVerfG nennt in einem späteren Urteil drei Besonderheiten des Rundfunks, die bis heute eine wichtige Rolle spielen: „Unter den Medien kommt dem Rundfunk wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft besondere Bedeutung zu“ (BVerfGE 90, 60, 87). Die Klarstellung, dass nicht die Frequenzknappheit, sondern die Besonderheit des Rundfunks die entscheidende Legitimation für die Regulierung war, erwies sich als wichtig, weil sich bereits zeigte, dass durch Satelliten- und Kabelsendetechnik die Knappheit der terrestrischen Frequenzen zu schwinden begann. Zudem hat der EGMR mittlerweile festgestellt, dass eine Lizenzpflicht für Rundfunkdienstleistungen in die Meinungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 1 EMRK eingreift und ein solcher Eingriff nicht allein mit Frequenzknappheit, wohl aber mit einem Vielfaltsgebot gerechtfertigt werden könne (EGMR, EuGRZ 1990, 255 – Groppera; EuGRZ, 1990, 201 – Autronic). Das

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BVerfG urteilte zudem klar, dass die alleinige Gewährleistung der Meinungsvielfalt durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht ausreichend sei. Auch im privaten Rundfunk müssten die verschiedenen Meinungsrichtungen hinreichend zu Wort kommen. Eine Rechtsordnung, die den privaten Rundfunk zulässt, dürfe daher keine völlige Gestaltungsfreiheit zulassen. Vielmehr sei im privaten Rundfunk durch innen- oder außenpluralistische Elemente programmliche Vielfalt zu gewährleisten. Dazu gehört, dass der Gesetzgeber verbindliche Leitgrundsätze für das Programm aufstellt, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten, und dass die privaten Rundfunkveranstalter und ihre Programme einer präventiven sowie einer nachträglichen staatlichen Aufsicht unterstehen (vgl. heute §§ 3, 6, 41 RStV mit §§ 35 ff. RStV). Zur Wahrung des Gleichheitssatzes in Art 3 Abs. 1 GG müssten außerdem Regelungen zum Verfahren bei mangelnden Übertragungskapazitäten geschaffen werden (vgl. heute §§ 50 ff. RStV). Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG maßgebliche Vorgaben für die Ausgestaltung des dualen Rundfunksystems gemacht, die in den einfachgesetzlichen Regelungen wiederzufinden sind. Mit dem „FRAG-Urteil“ begann die Diskussion über die künftige Ausgestaltung einer „dualen Rundfunkordnung“, die ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk erlaubt. Diese Vorgaben ergänzte das BVerfG in seinem „Niedersachsen-Urteil“ (BVerfGE 73, 118 – 4. Rundfunkurteil). Darin betonte es, dass privat finanzierte Rundfunkveranstaltungen nicht die volle Breite der Meinungen und kulturellen Strömungen vermitteln könnten, wenn sie wirtschaftlich lohnenswert sein wollten (vgl. heute §§ 3, 6, 41 RStV einerseits und § 11 RStV andererseits). Das BVerfG hielt daran fest, dass das Grundgesetz die Veranstaltung privaten Rundfunks grundsätzlich zulasse. Die Gewährleistung der Meinungsvielfalt und die Vielfaltssicherung oblägen in erster Linie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als „Grundversorgung“ der Bevölkerung (zum Begriff: G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 346). Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen diese Vielfalt in ihrem jeweiligen Programm abbilden; eine programmliche Tendenz, wie sie bei der Presse möglich ist (sog. „Tendenzschutz“, BVerfGE 52, 283, 296), ist dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwehrt (so BVerfGE 59, 231: „Die Rundfunkanstalten dürfen in ihrem Gesamtprogramm nicht eine Tendenz verfolgen, sondern sie müssen im Prinzip allen Tendenzen Raum geben.“). Aber auch im privaten Rundfunk darf auf eine Regulierung zur Sicherung

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der programmlichen Vielfalt nicht gänzlich verzichtet werden. Auch der private Rundfunk darf nicht „den Kräften des Marktes“ überlassen werden. Allerdings seien in diesem Bereich nicht die gleichen hohen Anforderungen wie an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stellen. Es komme nur darauf an, dass ein möglichst hohes Maß an Meinungsvielfalt durch alle privaten Sender insgesamt gewährleistet werde. Der Gesetzgeber müsse daher die Durchsetzung dieses Grundstandards durch materielle, organisatorische und verfahrensrechtliche Regelungen sicherstellen; insbesondere müsse er Tendenzen zur Konzentration rechtzeitig und so wirksam wie möglich entgegentreten (BVerfGE 73, 118, vgl. heute § 26 RStV). Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe der Gesetzgeber dagegen durch organisatorische und finanzielle Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass dieser die Grundversorgung effektiv wahrnehmen kann. Was genau zur Grundversorgung gehört, ob es nur um eine Basis, eine Voll- oder gar eine Nischenversorgung geht, stellte das BVerfG in diesem Urteil noch nicht klar. Erst in späteren Entscheidungen erklärte das BVerfG, dass der Funktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht auf die Grundversorgung begrenzt (BVerfGE 74, 297 – 5. Rundfunkentscheidung) und die Grundversorgung ein dynamischer, nicht auf traditionelle Übertragungsformen beschränkter Begriff sei (BVerfGE, 83, 238 – 6. Rundfunkurteil, vgl. heute §§ 11, 19 RStV). Daher gehört zur Grundversorgung nicht nur die Sicherung des Rundfunks in seinem gewachsenen Bestand, sondern auch die Sicherung seiner Entwicklungsfähigkeit, etwa durch den Betrieb neuer rundfunkähnlicher Dienste und die Bereitstellung programmbezogener Druckschriften („Rezeptversand zur Kochsendung“, vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 RStV). Zudem stellte das BVerfG klar, dass die Funktionserfüllung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziell zu sichern ist. Die Grundversorgung setzt danach angemessene, funktionsgerechte Finanzierungsmöglichkeiten voraus (vgl. heute § 12 RStV). Mit der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Werbung befasst sich die 7. Rundfunkentscheidung (BVerfGE 87, 181). Mit dem privaten Rundfunk wurde das Problem der Werbefinanzierung von Programmen virulent. Die Privaten wandten sich – aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar – dagegen, dass ein gebührenfinanzierter Rundfunk zusätzlich Werbung betreibt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinerseits sah durch das Aufkommen der privaten Konkurrenz gerade auf dem Werbemarkt Einbußen. Mit der 7. Rundfunkentscheidung musste das BVerfG die Frage klären, ob eine

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Werbefinanzierung der (bislang werbefreien) Dritten Programme Bestandteil der verfassungsrechtlichen Entwicklungsgarantie ist. Der Rundfunkstaatsvertrag verbot im damaligen § 15 RStV (heute § 16 Abs. 2 RStV) Werbung in den Dritten Fernsehprogrammen. Das BVerfG erachtete dieses Verbot als zulässig. Zwar sei eine „funktionsgerechte Finanzierung“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherzustellen. Die „dem öffentlichrechtlichen Rundfunk gemäße Finanzierung“ sei jedoch die Rundfunkgebühr; sie dürfte gegenüber der Werbefinanzierung nicht in den Hintergrund treten (vgl. §§ 12–16 RStV). Das 8. Rundfunkurteil (BVerfGE 90, 60) befasste sich mit der Gebührenfinanzierung. Das BVerfG bestätigte diese Form der Finanzierung, wies aber darauf hin, dass die Gebührenfinanzierung nicht zu politischer Einflussnahme auf das Programm genutzt werden dürfe. Daher dürfe die Gebühr nicht durch die Parlamente, d. h. durch Gesetz festgelegt werden. Auch dürften die Rundfunkanstalten nicht selbst die Höhe der Gebühr bestimmen. Hieraus erklärt sich die Notwendigkeit zur Einrichtung einer Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF, vgl. § 14 RStV; s. u.). 2. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk a) Aufbau

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind nicht staatlich. Um die Meinungsfreiheit zu gewährleisten, muss der Staat darauf beschränkt werden, einen organisatorischen Rahmen zur Sicherung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit im Programm zu schaffen. Die Landesgesetzgeber haben diese Staatsferne verwirklicht, indem sie die Rundfunkanstalten mit einem Selbstverwaltungsrecht ausgestattet haben. Das Selbstverwaltungsrecht umfasst insbesondere die Programmhoheit, die lediglich der Programmauftrag der Rundfunkanstalten begrenzt. Weitere Elemente der Selbstverwaltung bilden die Personal- und Organisationshoheit sowie die Haushalts- und Satzungsautonomie (vgl. § 11 Abs. 4 RStV). Die Rundfunkanstalten handeln durch ihre Organe und verfolgen nahezu alle als Leitlinien das Intendantenprinzip (vgl. § 24 WDR-Gesetz, §§ 26 f. ZDF-Staatsvertrag) und den Binnenpluralismus. Der Intendant ist der Vertreter der Rundfunkanstalt im Rechtsverkehr. Ihm obliegen die Leitung der Rundfunkanstalt und die Programmverantwortung. In seinem Namen nehmen meist verschiedene Direktoren die Aufgaben aus den ihnen zugeordneten Bereichen wahr. Den Intendanten wählt und berät ein

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Kontrollgremium der Rundfunkanstalten, der Rundfunkrat (§ 15 WDRGesetz; im ZDF: „Fernsehrat“, § 20 ZDF-Staatsvertrag). Der Rundfunkrat vertritt die Interessen der Allgemeinheit. Seine Zusammensetzung orientiert sich an dem Ziel, die Meinungsvielfalt zu sichern. Er ist daher aus Vertretern von gesellschaftlich relevanten Gruppen aus Wirtschaft, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Sport besetzt (§ 15 WDR-Gesetz, § 21 ZDFStaatsvertrag). Seine Mitglieder sind nur dem Gesetz und dem Gewissen verpflichtet. Das dritte Gremium der Rundfunkanstalten ist der Verwaltungsrat (§ 20 WDR-Gesetz, § 23 ZDF-Staatsvertrag). Ihm obliegt die Kontrolle außerhalb der Programmgestaltung; insbesondere prüft er den Haushalt der Rundfunkanstalten. Der Verwaltungsrat wird zum Teil vom Rundfunkrat gewählt. b) Finanzierung (insbesondere Rundfunkgebühr)

Der Gesetzgeber hat eine funktionsgerechte Finanzierung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten zu gewährleisten (§ 12 Abs. 1 RStV). Die Finanzierung dient dazu, die Grundversorgung der Bevölkerung mit „Meinungsvielfalt“ sicherzustellen. Sie darf nicht in einer Weise ausgestaltet sein, die es einem privaten Financier (insbesondere Werbekunden) oder dem Staat erlaubt, die Rundfunkanstalten finanziell unter Druck zu setzen und ihre Tätigkeit inhaltlich zu beeinflussen. Die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „gemäße Art der Finanzierung“ ist nach Ansicht des BVerfG die Rundfunkgebühr (BVerfGE 90, 60, 90; 87, 181, 199; 73, 118, 158), weil sie den Sendebetrieb unabhängig von kommerziellen Notwendigkeiten macht, die Programmqualität hebt und die Unabhängigkeit der Redaktionen schützt6. Die Rundfunkgebühr ist im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (RFinStV), im Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RFGebStV) und in §§ 12 ff. RStV geregelt. Zusätzlich steht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Finanzierung über Werbeeinnahmen offen, damit sie gegenüber den privaten Rundfunkveranstaltern konkurrenzfähig bleiben können (zur Werbung: Fall 9). Die Höhe der Werbeeinnahmen darf jedoch die Einnahmen aus der Rundfunkgebühr nicht übersteigen (BVerfGE 87, 181, 198; § 13 Abs. 1 S. 1, HS. 2 RStV).

6 Im Gegensatz dazu wird die Auslandsrundfunkanstalt Deutsche Welle, die einen anderen Programmauftrag verfolgt (vgl. § 3 Abs. 1 DWG), aus Haushaltsmitteln finanziert.

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aa) Rechtsnatur der Rundfunkgebühr

Die Rechtsnatur der Rundfunkgebühr ist immer noch umstritten (zum Problem: Bethge, DÖV 1990, 631). Nicht mehr vertreten wird, dass die Gebühr hoheitlichen Charakter im Sinne einer Gebühr für die Erlaubnis zum Betrieb eines Rundfunkgerätes hat7. Heute tendiert man dazu, die Gebühr als Anstaltsgebühr oder Bürgerabgabe zur Finanzierung des Gesamtunternehmens Rundfunk und damit als eine Abgabe sui generis mit Beitragscharakter anzusehen (BVerfGE 73, 118, 157; 31, 314, 329). Gegenleistung dafür, ein gutes Programm geboten zu bekommen, also Nutzungsentgelt, ist sie jedoch nicht (vgl. allerdings BVerfGE 114, 371, 389: zur Verfassungswidrigkeit eines Teilnehmerentgelts nach dem bayerischen Mediengesetz). Daher schuldet die Rundfunkgebühr auch, wer selten oder nie konsumiert, aber empfangsbereite Geräte aufstellt (§ 2 Abs. 2 S. 1 RGebStV). bb) Gebührenhöhe und -verteilung

Die Höhe der Rundfunkgebühr ist in § 8 RFinStV geregelt. Danach beträgt die Grundgebühr 5,52 Euro und die Fernsehgebühr 11,51 Euro monatlich (insgesamt 17,03 Euro). Die Gebührenhöhe für „neuartige Rundfunkempfangsgeräte“ (insbesondere PCs, die Radio- und Fernsehprogramme ausschließlich über das Internet empfangen, nicht aber z. B. PCs mit Karte zum DVB-T-Empfang) beträgt lediglich 5,52 Euro monatlich und wird nur fällig, wenn keine herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräte angemeldet sind (§ 5 Abs. 1 RGebStV; vgl. auch § 5 Abs. 3 RGebStV). Derzeit in der Diskussion ist es, die Rundfunkgebühr nicht mehr geräte-, sondern haushaltsabhängig zu berechnen. Die Rundfunkgebühr zieht die von ARD und ZDF gemeinsam errichtete Gebühreneinzugszentrale (GEZ) mit Sitz in Köln ein. Die Verteilung der Rundfunkgebühren ist in §§ 9–11 RFinStV geregelt. Danach erhalten die öffentlich-rechtlichen Sender feste Anteile an der Gebühr. Aus der Gebühr werden zudem die Landesmedienanstalten finanziert. cc) Gebührenfestsetzungsverfahren

Die Grundzüge des Verfahrens zur Festsetzung der Rundfunkgebühr zeigte das BVerfG in seinem 8. Rundfunkurteil auf (BVerfGE 90, 60, 102 ff.). 7 So wurde noch zu Weimarer Zeiten argumentiert, vgl. Bausch, Rundfunk in Deutschland, Band 3, S. 24.

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§§ 14 RStV, 1–7 RFinStV gestalten dieses Verfahren näher aus: Gemäß §§ 1 Abs. 1 RFinStV, 14 Abs. 1 RStV melden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Abstand von zwei Jahren ihren Finanzbedarf der externen, unabhängigen und sachkundigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Die Bedarfsmeldungen prüft die KEF insbesondere darauf hin, ob sie dem Programmauftrag und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen (§§ 3 Abs. 1 RFinStV, 14 Abs. 2 RStV). Sodann schlägt die KEF den Landesregierungen und Landesparlamenten vor, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt eine Änderung der Rundfunkgebühr notwendig ist (§ 3 Abs. 5 RFinStV). Der Gebührenvorschlag der KEF bildet die Grundlage für eine abschließende Entscheidung der Landesregierungen und der Landesparlamente (§ 7 Abs. 2 S. 1 RFinStV). Zumeist sind die Länder den Empfehlungen der KEF gefolgt. Anlässlich der Gebührenerhöhung um 0,88 Euro zum 1. 4. 2005 haben die Landesparlamente allerdings den von der KEF vorgeschlagenen Gebührensatz nicht übernommen, sondern herabgesetzt. Die KEF hatte eine Gebührenerhöhung um 1,09 Euro auf 17,24 Euro vorgeschlagen. Die Länder beschlossen hingegen 17,03 Euro zum 1. 4. 2005. Sie begründeten ihre Entscheidung u. a. mit nicht ausgeschöpften Einsparpotentialen der Sender, die durch die kostengünstige Digitalisierung und den Verkauf von Sportrechten realisierbar seien. Die Mindereinnahmen sollen sich bis zum Ende der Gebührenrunde im Jahr 2008 auf 440 Mio. Euro belaufen. Ob dieses Vorgehen mit der Unabhängigkeit der KEF vereinbar ist, wird angezweifelt; immerhin deutet § 7 Abs. 2 S. 2, 3 RFinStV die Möglichkeit einer abweichenden Länderentscheidung an. Eine Abweichung soll allerdings nach dem 8. Rundfunkurteil des BVerfG nur aus Gründen des freien Informationszugangs und zu Zwecken der angemessenen Belastung der Gebührenzahler zulässig sein (BVerfGE 90, 60, 104). Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vermuteten, dass die Weigerung der Länder, den KEF-Vorschlag zu übernehmen, politisch motiviert sei. Sie riefen das BVerfG an, um sich der Länderentscheidung zu erwehren. Mit Urteil vom 11. 9. 2007 (Az. 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, ZUM 2007, 712) entschied das BVerfG, dass die Gebührenfestsetzung der Länder die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verletze. Das BVerfG stellt in seiner Entscheidung klar, dass die Landesgesetzgeber von dem Gebührenvorschlag der KEF abweichen dürften. Sie müssten eine Abweichung allerdings nachvollziehbar begründen. Die Abweichungsgründe müssten vor der Rundfunkfreiheit Bestand haben; programmliche und medienpoliti-

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sche Zwecke schieden aus. Die Länder begründeten ihre abweichende Entscheidung u. a. mit nicht hinreichend erschlossenen Einsparpotentialen. Dieser pauschale Hinweis stellt nach dem BVerfG keinen nachvollziehbaren Abweichungsgrund dar. Als nicht tragfähig erachtet das BVerfG zudem das Argument der Länder, es müsse die aktuelle Gesamtentwicklung der Aufgaben im dualen Rundfunksystem und im Wettbewerb der Medien berücksichtigt werden. Hierbei handele es sich um eine medienpolitische Zwecksetzung, die im Rahmen der Gebührenentscheidung unzulässig sei. Da die neue Gebührenperiode bereits am 1. 1. 2009 beginnt, ist es nach dem BVerfG aber verfassungsrechtlich hinnehmbar, bis dahin von einer Gebührenneufestsetzung abzusehen. Auch führten die verfassungsrechtlichen Mängel der Gebührenfestsetzung nicht zur Nichtigkeit, da dadurch die Rechtsgrundlage für die Höhe der Rundfunkgebühr entfiele. dd) Exkurs: Rundfunkgebühr als zu rechtfertigende staatliche Beihilfe?

Die Rundfunkgebühr ist seit einiger Zeit in die Kritiklinie der Europäischen Kommission geraten. Noch ungeklärt ist, ob die Rundfunkgebühr eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG darstellt. Wäre dies der Fall, so müsste die Gebührenerhebung und ihre Erhöhung der Kommission angezeigt (vgl. Art. 2 der EG-Beihilfen-Verfahrens-Verordnung Nr. 659/1999, Abl. L 83, S. 1) und von ihr legitimiert werden. In einem Vorprüfverfahren würde die Kommission untersuchen, ob eine Beihilfe vorliegt und die Voraussetzungen für ihre Rechtmäßigkeit erfüllt sind. Dieses Prüfverfahren würde den Mitgliedstaat zur umfassenden Aufklärung über die Berechnung und Erhebung der Gebühr verpflichten. Eine solche Prüfung würde nicht nur die Rundfunkanstalten mittelbar zu umfassender Aufklärung ihrer Finanzverhältnisse gegenüber der Kommission verpflichten, sondern auch das aufwändige KEF-Verfahren einer europarechtlichen Kontrolle unterziehen. Das Kommissions-Verfahren ist in Gang gekommen, nachdem private Fernsehveranstalter behauptet hatten, die Rundfunkgebühr verzerre den Wettbewerb auf den auch öffentlichrechtlichen Veranstaltern offen stehenden Werbemärkten (vgl. epd medien 2004, Nr. 32, S. 19, 25; Doetz, MMR 2003, 430; Hess, AfP 2003, 250, 253). Vorgeworfen wird den Rundfunkanstalten, dass sie Internetangebote über Gebühren quersubventionierten. Die Hauptfrage ist zunächst, ob eine Beihilfe vorliegt. Dafür müssen die Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 1 EG erfüllt sein, die der EuGH wie folgt

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konkretisiert hat (Urteil vom 24. 7. 2003, – Rs. C-280/00 –, NJW 2003, 2515 – Altmark Trans: Unterstützung des öffentlichen Nahverkehrs durch die staatliche Finanzierung einer Buslinie): (1) Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Unterstützung: Die zugewandten Mittel müssen aus dem Staatshaushalt stammen (so erstmals EuGH, Slg. I-2001, 2099, 2181 – Preußen-Elektra). Bereits hier müsste man für die Rundfunkgebühr einwenden, dass sie nicht aus dem Staatshaushalt gezahlt, sondern von den Rundfunknutzern aufgebracht wird. Allerdings wird die Gebühr von einer unabhängigen Kommission auf staatsvertraglicher Grundlage ermittelt, durch die Länder festgesetzt und anschließend aufgrund staatsvertraglicher Grundlage eingezogen; sie ist also jedenfalls staatlich verantwortet und nicht durch Marktmechanismen in Bewegung gesetzt (Degenhart, AfP 2005, 493, 496). (2) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten: Eine Bagatellschwelle gibt es hierbei nicht. Bereits die Möglichkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels reicht aus. Der EuGH ist großzügig bei der Annahme einer solchen Beeinträchtigung (vgl. EuGH, MMR 2004, 86, Tz. 28 – Enirisorse/Ministero delle Finanze: Die Erhebung einer Abgabe in italienischen Häfen, aus der öffentliche Hafenunternehmen finanziert werden, genügt für eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels, auch wenn ausländische konkurrierende Hafenunternehmen nicht benachteiligt sind.). (3) Begünstigung des empfangenden Unternehmens durch die Unterstützung: Dem Leistungsempfänger müssen Vorteile zukommen, die er am Markt nicht erhalten hätte. Daran fehlt es, wenn die Leistung an das Unternehmen lediglich Nachteile ausgleicht, die dadurch entstehen, dass es Verpflichtungen erfüllt, die im Gemeinwohl liegen (EuGH, NJW 2003, 2515, 2518, Tz. 87 f.; anders das EuG 1. Instanz, MMR 2001, 103 für staatliche Nachteilsausgleichszahlungen an einen öffentlichen Rundfunksender; hierzu Dörr/Cloß, ZUM 1996, 105, 111; Eberle, AfP 2001, 477, 479). Sofern die staatliche Zuwendung solcherart im öffentlichen Interesse liegt, müssen nach der EuGH-Rechtsprechung weitere Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich: (a) Die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, die das begünstigte Unternehmen erfüllt, müssen klar definiert sein (EuGH, NJW 2003, 2515, 2518, Tz. 89). (b) Die Parameter, anhand derer der Ausgleich für die Gemeinwohlverpflichtung berechnet wird, müssen zuvor in objektiver und transparenter Weise festgelegt worden sein (EuGH, NJW 2003, 2515, 2518, Tz. 90).

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Vertritt man die Auffassung, dass die Rundfunkgebühr eine staatliche Beihilfe darstellt (so Engel, Europarechtliche Grenzen für öffentlich-rechtliche Spartenprogramme – Beihilfeaufsicht, Wettbewerbsregeln, Grundfreiheiten, 1996; Selmer/Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EG-Beihilferegimes, 1994; Thum, NVwZ 2007, 521), so bedarf die Rundfunkgebühr einer besonderen Rechtfertigung gemäß Art. 87 Abs. 2, 3 EG. Als Rechtfertigungsgrund kommt Art. 87 Abs. 3 lit. d) EG in Betracht. Dann müsste es sich bei der Rundfunkgebühr um eine Abgabe zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes handeln, welche die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Die Kommission behandelte die Rundfunkgebührenfrage wegen der brisanten politischen Auswirkungen auf die Rundfunkpolitik der Mitgliedstaaten einige Zeit hinhaltend. Obwohl sich in den Jahren 1992 und 1993 ein spanischer und ein französischer Privatsender über staatliche Zuwendungen an Rundfunkanstalten beschwerten, blieb die Kommission zunächst abwartend. Daraufhin wurden mit Erfolg Untätigkeitsklagen angestrengt (EuG, Slg. 1998 II-3407 – Gestevisiòn Telecinco Sa/Kommission; Slg. 1999, II-1757 – TF1/Kommission). In einem portugiesischen Fall wurde die Kommission erneut verklagt. Dort hatte man es versäumt, das förmliche Prüfverfahren wegen einer behaupteten rechtswidrigen Beihilfe einzuleiten (EuG, Slg. 2000, II-2125 – SIS/Kommission). Seither steht die Kommission unter Druck. Am 15. 11. 2001 veröffentlichte sie eine Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Abl. EG C 2001, 320/5), in der die Kommission feststellte, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über Gebühren staatliche Beihilfen seien. Auch die staatliche Finanzierung eines 24-stündigen werbefreien Nachrichtensenders durch einen Lizenznehmer der BBC wurde als Beihilfe eingeordnet (ABl. EG C 2000, 78/6). In der Sache geht es der Kommission um eine klare Definition der öffentlichen Aufgabe des Rundfunks durch die Mitgliedstaaten, ferner um eine transparente Berechnung der Gebühren für die Leistungen des Rundfunks (vgl. den 25. Wettbewerbsbericht der Kommission, 1995, Rn. 200). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hält diese Forderungen für eine Kompetenzüberschreitung. In einem Protokoll zu der Amsterdamer Fassung des EG-Vertrages ist nämlich festgelegt, dass die Mitgliedstaaten über die Finanzierung ihrer öffentlich-rechtlichen Rundfunkunterneh-

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men selbst entscheiden dürfen, sofern hierdurch die Wettbewerbsverhältnisse in der Union nicht beeinträchtigt werden. Zudem fehle der Europäischen Union die Kompetenz, über kulturelle Fragen, wie die Ausgestaltung des Programmauftrags der Rundfunkanstalten (vgl. § 11 RStV), zu entscheiden. Im März 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren gegen Deutschland wegen des Verdachts auf unzulässige Beihilfen für den öffentlichrechtlichen Rundfunk. Nach zähen Verhandlungen einigten sich die Kommission und die Bundesländer im April 2007 darauf, das Verfahren unter bestimmten Auflagen einzustellen; insbesondere fordert die Kommission, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihren Programmauftrag klar definieren und ihre Geschäftstätigkeit transparent gestalten. Die Auflagen sollen innerhalb von zwei Jahren durch eine Neufassung des Rundfunkstaatsvertrags umgesetzt werden. c) Grundversorgung, Funktions- und Programmauftrag

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten obliegt die Grundversorgung der Bevölkerung (4. Rundfunkurteil, BVerfGE 73, 118). Die Grundversorgung kennzeichnen drei Elemente: – eine Übertragungstechnik, bei der der Empfang für alle sichergestellt ist, – der inhaltliche Standard der Programme und – die Vielfalt der Programme. Mit der Grundversorgung unvereinbar wäre die Sendung über Plattformen mit geringer Reichweite. Der inhaltliche Standard ist gefährdet, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kein umfassendes Programm mehr anbieten. Zu ihm gehören Sendungen für Minderheiten ebenso wie massenattraktive Programmbestandteile (z. B. Unterhaltungssendungen). „Grundversorgung“ umschreibt schließlich kein Sparten- oder „Intellektuellenfernsehen“; entscheidend ist vielmehr, dass ein umfassendes Programmangebot gegeben ist. Die Grundversorgung ist dynamisch zu verstehen (6. Rundfunkurteil, BVerfGE 83, 238). Sie erfasst auch die Nutzung neuer Übertragungstechniken. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind jedoch nicht auf eine Basisversorgung reduziert; ihr Funktionsauftrag reicht weiter (5. Rundfunkentscheidung, BVerfGE 74, 297). Es findet keine Aufgabenteilung zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Rundfunk in dem Sinne statt, dass alle Programme, die über die Grundversorgung hinaus-

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gehen, den privaten Rundfunkveranstaltern vorbehalten bleiben. Ein Verbot von Programmen, die über die Grundversorgung hinausgehen, verstieße gegen Art. 5 Abs. 1 GG. Dem dualen Rundfunksystem liegt gerade der Gedanke des publizistischen Wettbewerbs zugrunde, der sich belebend auf das Gesamtangebot auswirkt. Einfachgesetzlich ist der Funktionsauftrag als Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in § 11 RStV normiert. Diese Vorschrift wurde durch den 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag eingeführt. Sie war eine Reaktion auf die Diskussion um die Einordnung der Rundfunkgebühr als Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG. § 11 Abs. 1 S. 1 RStV beschreibt den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer Generalklausel allgemein. Wichtig ist die Einschränkung der OnlineAktivitäten („Telemedien“, z. B. Portal der „Tagesschau“); öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten dürfen lediglich programmbegleitend einen programmbezogenen Inhalt anbieten (§ 11 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 RStV). Druckwerke mit programmbezogenem Inhalt dürfen Rundfunkanstalten ebenfalls programmbegleitend herausgeben (§ 11 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 RStV). Voraussetzung ist jedoch, dass dieser „Randnutzung“ keine wirtschaftliche Zielsetzung zugrunde liegt (BVerfGE 83, 238). Umstritten sind daher Merchandisingaktivitäten. Die geltende Praxis ist, dass solche Aktivitäten nicht über Gebühren finanziert, sondern von einer eigenständigen GmbH betrieben werden. § 11 Abs. 2 und Abs. 3 RStV erläutern die Generalklausel des § 11 Abs. 1 S. 1 RStV. § 11 Abs. 2 S. 3 RStV hebt hervor, dass das Programm der Rundfunkanstalten nicht auf Information, Bildung und Beratung begrenzt ist, sondern den Zuschauer daneben unterhalten soll. Insbesondere sollen die Anstalten Beiträge zur Kultur anbieten. Gemäß § 11 Abs. 3 RStV hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei der Erfüllung seines Programmauftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit zu beachten sowie Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit in seinen Angeboten sicherzustellen. d) Aufsicht

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unterliegen lediglich der Rechts-, nicht der (inhaltlichen) Fachaufsicht der Landesregierungen. Die Aufsichtsmittel des Staates sind wegen der Staatsfreiheit des Rundfunks reduziert. Der Staat selbst darf nicht tätig werden. Als Aufsichtsmittel in Betracht kommen daher nur das Informationsrecht, das Beratungsrecht und die rechtsaufsichtliche Weisung; die Ersatzvornahme oder die Ernen-

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nung einer Staatskommission scheiden hingegen aus (Hesse, Rundfunkrecht, 3. A., Kap. 4, Rn. 117). Im Einzelnen ist die Aufsicht in den einschlägigen Landesgesetzen geregelt (z. B. § 54 WDR-Gesetz, § 31 ZDFStaatsvertrag). 3. Privater Rundfunk Private Rundfunkveranstaltungen bedürfen der Zulassung durch die Landesmedienanstalt, die auch die spätere Aufsicht über die Tätigkeit der Rundfunkanstalt führt (§§ 20 RStV, 4 LMG NW). Die einzelnen Landesmedien- und -rundfunkgesetze gestalten die Zulassungsvoraussetzungen aus (z. B. § 5 LMG NW). Liegen die Voraussetzungen vor, so ist die Genehmigung zur Veranstaltung von Rundfunk zu erteilen. Um die Staatsfreiheit des Privatrundfunks sicherzustellen, können juristische Personen des öffentlichen Rechts und Parteien nicht zugelassen werden (§ 6 LMG NW). Gegen den Zulassungsausschluss von Parteien in § 6 Abs. 2 Nr. 4 Hessisches Privatrundfunkgesetz (HPRG) wandten sich jüngst 232 Abgeordnete des Deutschen Bundestages mit einem Normenkontrollantrag an das BVerfG. Anlass hierfür war, dass die Deutsche Druckerei und Verlagsgesellschaft (DDVG), die im Eigentum des SPD-Schatzmeisters steht, ihre Beteiligung in Höhe von 2,3% an dem Radiosender Funk und Fernsehen Hessen (FFH) aufgeben musste. Die Landesmedienanstalten sind Anstalten des öffentlichen Rechts. Ihre Aufgabe ist es, die Einhaltung der Landesmedien- bzw. -rundfunkgesetze zu überwachen. Sie sind außerdem für die Verteilung der Übertragungskapazitäten zuständig. Nach welchen Kriterien die Kapazitäten zu verteilen sind, geben die einzelnen Landesmedien- bzw. -rundfunkgesetze vor (z. B. §§ 10 ff. LMG NW). Entscheidend ist dabei die Sicherung der Meinungsvielfalt. Zur Wahrung der Chancengleichheit werden frei werdende Kapazitäten ausgeschrieben.

III. Lösungsskizze Prüfung der materiellen Rechtswidrigkeit des § 13 LMG B Die Regelung des § 13 LMG B ist materiell rechtswidrig, wenn sie gegen höherrangiges Recht verstößt. In Betracht kommt ein Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG).

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1. Schutzbereich Zunächst müsste der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG eröffnet sein. a) Sachlicher Schutzbereich

Die Rundfunkfreiheit erfasst alle mit der Rundfunkveranstaltung verbundenen Tätigkeiten. § 13 LMG B betrifft die Ausstrahlung lokaler und regionaler Rundfunkprogramme, wie das geplante Frühstücksprogramm der RB. Die Verbreitung von Rundfunksendungen ist die typische und wesentliche Tätigkeit des Rundfunks. Somit ist sie gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG geschützt. b) Persönlicher Schutzbereich

Zwar richtet sich § 13 LMG B an öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Jedoch können auch sie sich auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit berufen, weil sie sich in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage befinden. 2. Eingriff Zweifelhaft ist, ob § 13 LMG B in die Rundfunkfreiheit eingreift. Die Rundfunkfreiheit ist nach h. M. eine „dienende Freiheit“. Ihre Ausübung dient dem Zweck, eine freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten. Daher fordert die Rundfunkfreiheit gesetzliche Rahmenbedingungen, die ein vielfältiges Programm sicherstellen und damit die kommunikative Persönlichkeitsentfaltung der Bürger fördern (BVerfGE 74, 297, 323 f.). Falls § 13 LMG B eine gesetzliche Rahmenbedingung in diesem Sinne ist, mit der der Gesetzgeber des Landes B seiner Aufgabe nachgekommen ist, die Rundfunkfreiheit auszugestalten, scheidet ein Eingriff aus. Dann müsste § 13 LMG B der Sicherung der Programmvielfalt dienen. Diese Vorschrift untersagt öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten, neue lokale und regionale Programme einzuführen, um private Anbieter lokaler und regionaler Programme vor der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz zu schützen. Damit fördert sie zwar die Marktchancen der privaten Anbieter, jedoch nicht die Meinungsvielfalt. Indem sie den publizistischen Wettbewerb unterdrückt, kann sie die Vielfalt sogar verkürzen. § 13 LMG B enthält der Allgemeinheit die Informationen der öffentlich-

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rechtlichen Rundfunkanstalten vor, die möglicherweise umfangreicher und vielseitiger sind als die Beiträge privater Veranstalter. Diese Regelung ersetzt das „Monopol“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten durch das „Monopol“ privater Rundfunksender (BVerfGE 74, 297, 334 f.). Mithin stellt § 13 LMG B keine zulässige vielfaltsichernde Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit dar; vielmehr greift das Verbot für öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten, neue lokale und regionale Programme einzuführen, in ihre Rundfunkfreiheit ein. 3. Schranken § 13 LMG B könnte die Rundfunkfreiheit aber wirksam beschränken, wenn es sich bei dieser Vorschrift um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG handelte. Allgemeine Gesetze sind nach h. M. alle formellen sowie materiellen Gesetze, „die nicht eine Meinung als solche verbieten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen“ (BVerfGE 7, 198, 209). Es ist zweifelhaft, ob § 13 LMG B ein allgemeines Gesetz ist; „denn das Verbot richtet sich ausschließlich und gezielt gegen die Landesrundfunkanstalten, so daß ihm die persönliche Allgemeinheit fehlt“ (BVerfGE 74, 297, 336). Allerdings untersagt § 13 LMG B nicht eine bestimmte Meinung. Es will weder zu bestimmten Meinungsinhalten bekehren noch von bestimmten Meinungsinhalten abbringen. Daher erscheint es vertretbar, § 13 LMG B als allgemeines Gesetz einzuordnen. § 13 LMG B kann also die Rundfunkfreiheit einschränken. 4. Schranken-Schranken Jedoch ist die Schrankenregelung ihrerseits im Lichte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG auszulegen, um eine angemessene Verwirklichung der Rundfunkfreiheit zu sichern (sog. Wechselwirkungslehre). Erforderlich ist eine Abwägung zwischen der Rundfunkfreiheit und dem durch § 13 LMG B geschützten Interesse privater Rundfunkanbieter daran, sich im Rundfunkmarkt entfalten zu können. § 13 LMG B ist vorteilhaft für die privaten Anbieter, weil sie ihre Tätigkeit ohne öffentlich-rechtliche Konkurrenz ungestört ausüben können. Das Verbot ermöglicht ihnen, mit ihrem Programm auch Rezipienten zu erreichen, die gewöhnlich die öffentlich-rechtlichen Sender bevorzugen. Andererseits benachteiligt die Regelung die öffentlich-rechtlichen Anbieter, aber auch die Rezipienten erheblich. Sie unterdrückt den publizisti-

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schen Wettbewerb zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den privaten Rundfunkanbietern, der sich anregend und belebend auf das Gesamtangebot des Rundfunks auswirkt und die Meinungsvielfalt stärkt (BVerfGE 74, 297, 332: „publizistische Konkurrenz als Lebenselement der Meinungsfreiheit“). Der Wettbewerb siebt lediglich die Privaten aus, die zu keinem Angebot imstande sind, das qualitativ mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk konkurrieren kann (BVerfGE 74, 297, 335). Die einseitige Bevorzugung privater Anbieter erscheint daher nicht sinnvoll. Im Rahmen der Abwägung überwiegt die Rundfunkfreiheit. Folglich schränkt § 13 LMG B die Rundfunkfreiheit nicht wirksam ein. 5. Ergebnis § 13 LMG B ist materiell rechtswidrig.

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Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk

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Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk

I.

Sachverhalt

Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk

Die R-GmbH (R) veranstaltet ein bundesweit verbreitetes privates Rundfunkprogramm. Sie hat ihren Sitz in Hessen. Die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (LPR Hessen) hat sie zugelassen. Am 11. 6. 2005 strahlt R die Sendung „Alletun – Die Geburtstagsshow“ in ihrem Hauptabendprogramm aus. In der zweistündigen Sendung geht es um die Nuss-Nougat-Creme „Alletun“ des Herstellers F, die seit vierzig Jahren auf dem Markt ist. Prominente erzählen in dieser Sendung von ihren Erfahrungen mit und ihren Vorlieben für Nuss-Nougat-Cremes und „Alletun“. Zwischendurch preisen kurze Beiträge die Vorzüge von „Alletun“, auch im Vergleich zu anderen Nuss-Nougat-Cremes, an. Das Produkt wird in der Sendung mehrfach eingeblendet und sehr positiv dargestellt. Dafür zahlt F der R eine Million Euro. R hat „Alletun – Die Geburtstagsshow“ als reine Informationssendung über die Historie von „Alletun“ angekündigt. Die Forderung anderer NussNougat-Creme-Hersteller, die Sendung als „Dauerwerbesendung“ zu kennzeichnen, hat R ignoriert. Die LPR Hessen meint, die Sendung verstoße gegen das Schleichwerbungsverbot. Sie legt R daher am 14. 10. 2005 ein Bußgeld in Höhe von 45.000 € auf. Den Bußgeldbescheid stellt sie R formell ordnungsgemäß zu. R ist der Ansicht, der Bußgeldbescheid sei nicht rechtmäßig. Stimmen Sie dieser Auffassung zu?

II. Schwerpunkte des Falles Fall 9 betrifft die werberechtlichen Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags. Er verdeutlicht die Grenzen, welche die Werbung im Rundfunk nicht überschreiten darf. 1. Nationale und europäische Regelungen des Rundfunks Die Länder sind zuständig für die Gesetzgebung im Bereich des Rundfunks (Art. 30, 70 Abs. 1 GG). Für eine vereinheitlichte Regelung des Rundfunks sorgt der Abschluss des Rundfunkstaatsvertrags als Vereinbarung unter den Ländern. Der Rundfunkstaatsvertrag stellt eine Rahmenregelung für die Medien- und Rundfunkgesetze bzw. Staatsverträge der

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einzelnen Länder dar. Jedes Bundesland verfügt über ein Rundfunkgesetz oder einen Staatsvertrag für die im Land tätige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt (z. B. WDR-Gesetz in Nordrhein-Westfalen, SWR-Staatsvertrag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz). Zusätzlich regeln die Länder den privaten Rundfunk in Landesmedien- bzw. -rundfunkgesetzen. Das Regulierungsbedürfnis für den Privatrundfunk stellte das BVerfG in seinem 3. Rundfunkurteil (BVerfGE 57, 295; vgl. Fall 8) fest. Eine Besonderheit gilt in Bayern. Dort gibt das Landesverfassungsrecht vor, dass Rundfunk nur in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft möglich ist; Art. 111 a Abs. 2 S. 1 der Bayerischen Verfassung lautet: „Rundfunk wird in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben“. Daher sind die in Bayern zugelassenen Rundfunkveranstalter (z. B. DSF und 9Live) Lizenznehmer der Bayerischen Landesmedienanstalt (BLM). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat diese Organisationsform für mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG vereinbar gehalten (BayVerfGHE 54, 165; 43, 170, 176; 39, 96; kritisch im Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 EMRK: EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550; Degenhart in BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 651; Klein, DÖV 1999, 758, 762 f.). Der Rundfunkstaatsvertrag nimmt als staatsvertragliche Rahmenregelung in der Normenkonkurrenzfrage eine Ausnahmestellung ein. § 1 Abs. 2 RStV stellt das Verhältnis der verschiedenen Regelungen zueinander klar: Die einzelnen Landesgesetze werden bei länderübergreifenden Rundfunkveranstaltungen ergänzend herangezogen, wenn der Rundfunkstaatsvertrag keine Regelung enthält oder abweichende Regelungen zulässt. Die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrags sind wesentlich beeinflusst durch die Bestimmungen der EU-Fernsehrichtlinie (in der Fassung der Richtlinie 97/36/EG vom 19. 6. 1997, „Fernsehen ohne Grenzen“) und das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. 5. 1989. Beide Regelungswerke gelten allerdings nur für Fernsehsendungen. Hörfunkprogramme werden nicht erfasst. Doch hat das Europäische Parlament am 29. 11. 2007 eine Novellierung der Fernsehrichtlinie beschlossen, die für „audio-visuelle Mediendienste“ gelten soll. Das Parlament folgte damit dem „Gemeinsamen Standpunkt“ des EU-Rates zur neuen Richtlinie für audio-visuelle Mediendienste vom Oktober 2007. Die Mitteilung über den „Gemeinsamen Standpunkt“ ist niedergelegt in dem Kommissionsdokument mit der Ordnungsnummer KOM (2007) 639 endg. Der Richtlinienentwurf vom März 2007 findet sich im Kommissionsdokument mit der Ordnungsnummer KOM (2007) 170 endg., eine überarbeitete Fassung datiert vom Mai 2007. Wichtige Regelungen der

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derzeitigen Fernsehrichtlinie sind Art. 2, 2 a (Sendestaatsprinzip), Art. 10– 15 (Werbung), Art. 10, 18 (Teleshopping), Art. 17 (Sponsoring), Art. 16, 22 (Jugendschutz), Art. 5, 6 (Quotenregelung über den Anteil europäischer Produktionen) und Art. 3 a (Zugang zu Großereignissen). 2. Wichtige Regelungen des Rundfunkstaatsvertrags Die Rundfunkfreiheit unterliegt einigen Vorgaben und Beschränkungen, die der Wahrung der öffentlichen Aufgabe des Rundfunks sowie dem Schutz der Rechte Dritter dienen. Wichtige Vorgaben und Beschränkungen nennt der Rundfunkstaatsvertrag. Sie betreffen vor allem den Inhalt der Programme (Vielfalt und Programmintegrität). Zu den Inhaltsregelungen gehört die Reglementierung der Werbung. Werbung ist ihrerseits Ausübung von Meinungsfreiheit, zudem Voraussetzung für die Senderfinanzierung und somit Ausübung unternehmerischer Freiheit. Eine Reglementierung der Freiheit zur Schaltung von Werbung im Programm bedarf daher ihrerseits der Rechtfertigung. Die Hauptrechtfertigung liegt im Schutz von Redaktions-, Zuschauer- und Urheberinteressen. Werbung soll das Programm nicht zerfasern, aber auch nicht das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Programmgestaltung, d. h. die Freiheit von äußeren wirtschaftlichen Einflüssen, zerstören. Die Integrität von Programmen ist ein Schutzgut, das aus urheberrechtlichen Gründen besonderen Schutz genießt (§ 14 UrhG). a) Rundfunkbegriff im Rundfunkstaatsvertrag

Die Programminhalte und die Werbung im Rundfunk sind stark reguliert. Diese Regulierung ist nach deutscher verfassungsrechtlicher Überzeugung nur gerechtfertigt, weil das Medium Rundfunk eine außergewöhnlich hohe Bedeutung für die Prozesse der Meinungsbildung hat. Zu erinnern ist insbesondere daran, dass die Besonderheit des Mediums aus seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft resultiert (BVerfGE 90, 60, 87; vgl. Fall 8). Die weitgehende Regulierung knüpft mithin an den Rundfunkbegriff an. Einfachgesetzlich ist der Rundfunk in § 2 Abs. 1 S. 1 RStV legal definiert. Danach ist Rundfunk die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benutzung elektronischer Schwingungen ohne Verbindungsleiter oder längs oder mittels eines Leiters. Entscheidend sind damit drei Kriterien: (1) Bestimmung für die Allgemeinheit: Die Sendung erfolgt unabhängig von der Frage, ob und wie viele Zuschauer/Hörer die Sendung aktuell

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empfangen. Gesendet wird von einem Punkt an viele Empfangsstationen („point-to-multipoint“). (2) Darbietung: Eine Darbietung erfordert eine redaktionelle Aufbereitung, d. h. die Betreuung durch eine gestaltende Hand, die die Inhalte sammelt, ordnet und ggf. mit einem eigenen Kommentar versieht. (3) Veranstaltung: Veranstaltung meint die programmliche Anordnung der Inhalte in einer Weise, die vom verantwortlichen Sendeunternehmer und nicht vom Rezipienten bestimmt wird. Die Anordnung der Inhalte erfolgt einseitig und nach einem festen Programmschema („linear“), nicht aber interaktiv und nach zeitlicher und örtlicher Wahl des Benutzers. Als vierte Voraussetzung nennt das Gesetz die Verbreitung mittels elektronischer Schwingungen auf drahtgebundenem (Kabelfunk) oder drahtlosem (herkömmliche Antennen- oder Satellitenabstrahlung) Wege. Da sich das Rundfunkrecht im Ergebnis als weitgehend technologieneutrale Materie empfindet, kommt diesem Kriterium jedoch keine allzu große abgrenzende Bedeutung mehr zu. So wird die Frage, ob IP-Radio oder IP-Fernsehen wegen der teilweise vom herkömmlichen Rundfunk abweichenden Übertragungstechnologie (Aussendung von Datenpaketen anstelle des Abstrahlens von nieder- oder hochfrequenten Signalen) Rundfunk oder nur rundfunkähnlich ist, kaum noch gestellt. Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung des Rundfunks zu den Telemedien gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 TMG (ausführlich zu den Telemedien Fall 11). Die Abgrenzung ist bedeutsam, weil Telemedien einer geringeren Regulierung unterliegen. Telemedien sind nicht zulassungspflichtig; sie müssen auch nicht angemeldet werden (§§ 4 TMG, 54 Abs. 1 S. 1 RStV). Für manche Diensteanbieter (insbesondere Access-Provider) gibt es sogar Haftungserleichterungen (§§ 7–10 TMG). Anbieter von Telemedien müssen sich lediglich eindeutig identifizieren (§§ 5 TMG, 55 RStV). Werbung muss gekennzeichnet und getrennt sein; Werbedauerbegrenzungen gibt es hingegen nicht (vgl. § 58 RStV). Vertritt man die Auffassung, dass Mediendienste von dem grundgesetzlichen Rundfunkbegriff mit umfasst werden (so etwa Umbach/Clemens, Mitarbeiterkommentar Grundgesetz, Band I, 2002, Art. 5 Rn. 69 b), so wäre der einfachgesetzliche Rundfunkbegriff des RStV enger. Der wohl entscheidende Unterschied liegt in der bei Telemedien fehlenden programmlichen Gestaltung (vgl. die Definition in § 1 Abs. 1 S. 1 TMG). Der Zuschauer empfängt diese Dienste (in der Regel) nicht linear, d. h. nach einem festen und vom Sendeunternehmer vorgegebenen Programmschema, sondern er ruft sie nach seinen zeitlichen Wünschen und von Orten seiner

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Wahl ab. Überwiegend kann dieser Abruf jederzeit erfolgen, weil die Dienste im Netz für eine bestimmte Dauer zugänglich gemacht werden. Telemedien sind weniger suggestiv, weil sie nicht gleichzeitig empfangen werden. Zudem hat der Nutzer die Möglichkeit, den Abruf durch Browsing und Scrollen oder das Weitersteuern über Hyperlinks selbst zu einem individuellen Programm mitzugestalten. Sie sind weniger (brand)-aktuell, weil sie vielfach auch dann noch bereitstehen, wenn ihre Aktualität abnimmt. Sie haben geringere Breitenwirkung; denn viele Meinungsforen werden nur von wenigen Rezipienten zur Kenntnis genommen. Problematisch wird die Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien aufgrund des sog. Konvergenzproblems. Von Konvergenz (Verschmelzung) spricht man in mehrfacher Hinsicht. (1) Konvergenz der Übermittlungsträger: Print (Buch, Zeitung, Zeitschrift), Rundfunkdienste und Telefonie (individuelle Kommunikation) verschmelzen zu einem Medium (digitales Internetangebot). (2) Konvergenz der Endgeräte, über die die Nutzer bislang unterschiedliche Inhalte (Telefon und e-mail einerseits, Tagesschau andererseits) empfangen konnten: Technisch denkbar ist es, über V-DSL-Anschlüsse jede Form digitaler Datenpakete über den Fernseher als Endgerät zu empfangen. (3) Konvergenz der Übermittlungswege: Das sog. „Triple-Play“ ermöglicht es Anbietern, über breitbandige Kabelnetze Telefonie, Internetdatenpakete und digitalisierte Rundfunkprogramme anzubieten. Die Möglichkeit der Digitalisierung von Daten und die erheblich gesunkenen Kosten bei der Aufnahme- und Übermittlungstechnik erlauben es auch wenig finanzstarken Veranstaltern, Live-Sendungen („Streams“) und Podcasts (Hörfunkdateien) zur Verfügung zu stellen. Die Konvergenz der Übertragungswege bewirkt, dass sich neue Geschäftsmodelle herausbilden, bei denen Programme mit downloads und interaktiven Rückkanälen kombinierbar werden. Mancher kleine Anbieter fragt sich nunmehr, ob er eine Rundfunklizenz (§ 20 RStV) benötigt; mancher Großanbieter überlegt, warum er eine solche Lizenz mit verschärfter Aufsicht und Kontrolle noch benötigt. Für den Rundfunk- und Mediengesetzgeber stellt sich die Frage, in welchem Umfang die dichte Regulierung des Rundfunkrechts nun doch auf Telemedien übertragen werden muss, wenn diese Dienste mit klassischen Rundfunkdiensten konvergieren. Schließlich wird gefragt, ob das Konvergenzproblem die starke Regulierung des Rundfunkrechts überflüssig macht. Ein besonderes Regelungsproblem wirft die gesteigerte Interaktivität auf. Sie ermöglicht es den bisherigen Rezipienten, selbst mediale Inhalte zu übermitteln (web 2.0, youtube.com, blogger-Szene).

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b) (Allgemeine) Programmgrundsätze

Die allgemeinen Programmgrundsätze des § 3 RStV gelten für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie sonstige Veranstalter bundesweit verbreiteter Fernsehprogramme. § 41 RStV ergänzt diese Regelung für den bundesweit verbreiteten Privatrundfunk. Weitere Programmgrundsätze enthalten die Gesetze und Staatsverträge der einzelnen Länder (z. B. § 5 WDR-Gesetz). Bei den allgemeinen Programmgrundsätzen handelt es sich um Vorgaben zum Inhalt der Sendungen und zur Gestaltung des Gesamtprogramms. Sie dienen dazu, einen Grundstandard für Programme abzusichern, der sich an dem Schutz individueller Rechte und objektiver Wertgrundlagen der Verfassung orientiert. Gemäß § 3 S. 1, 3 RStV haben die Rundfunkveranstalter die Menschenwürde sowie die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung zu achten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollen zudem ein vielfältiges und ausgewogenes Programm ausstrahlen (z. B. § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 1–3 WDR-Gesetz). Für private Rundfunksender gilt dieser Grundsatz nur, sofern sie ein Vollprogramm anbieten (§ 41 Abs. 2, HS. 1 RStV). Ein Vollprogramm ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen Inhalten, in dem Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des Gesamtprogramms bilden1. Hingegen kennzeichnet Spartenprogramme gerade die Gleichartigkeit der Programminhalte (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 RStV). Verstößt eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt gegen Programmgrundsätze, so kann der Zuschauer eine sog. Programmbeschwerde erheben, die dazu führt, dass die interne Programmkontrolle in Gang gesetzt wird (z. B. § 15 ZDF-Staatsvertrag, § 10 WDR-Gesetz). Einige Landesmediengesetze sehen das Mittel der Programmbeschwerde auch bei Verstößen privater Rundfunkveranstalter gegen die Programmgrundsätze vor (z. B. § 42 LMG NW, § 17 BayMG, § 21 BremLG). In NordrheinWestfalen kann die Programmbeschwerde eine Kontrolle durch die Landesmedienanstalt auslösen. 1 Stark diskutiert wurde, ob Sat.1 nach der Einstellung verschiedener Nachrichtenformate weiterhin als ein Vollprogramm einzustufen ist. Die zuständige Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz (LMK) bejahte diese Frage; anderer Ansicht war die Landesmedienanstalt Saarland (LMS). Die LMK begründete ihre Auffassung damit, dass bei der Auslegung des Begriffs „Information“ im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV nicht der hohe Maßstab zugrunde gelegt werden dürfe, der für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gilt.

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c) Jugendschutz

Der Jugendschutz ist seit der Neuordnung des Jugendschutzes im Jahr 2003 nicht mehr im Rundfunkstaatsvertrag, sondern im Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) geregelt. Der Jugendmedienschutzstaatsvertrag schränkt die Verbreitung jugendbeeinträchtigender Rundfunksendungen und Werbung erheblich ein (ausführlich hierzu Fall 12 sowie Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849). d) Werbung, Teleshopping und Sponsoring

An verschiedenen Stellen im Rundfunkstaatsvertrag finden sich Regelungen zu Werbung und Sponsoring; dabei gelten die meisten Werberegelungen auch für das Teleshopping. Werbung, Teleshopping und Sponsoring werden in § 2 Abs. 2 Nr. 5, 7, 8 RStV legal definiert. Werbung als Mittel der Programmfinanzierung ist grundsätzlich nur zulässig in Form von Wirtschaftswerbung (Umkehrschluss aus § 7 Abs. 8 S. 1 RStV). Werbung in diesem Sinne ist auch die Eigenwerbung (arg. ex § 16 Abs. 4 RStV). Einen Grenzfall stellt es dar, wenn im Rahmen einer Nachrichtensendung ein Thema platziert wird und noch während des Nachrichtentextes darauf hingewiesen wird, dass es hierzu einen spannenden Spielfilm gibt (so etwa im Falle der „Tagesschauberichterstattung“ vom 6. 12. 2006: Der Nachrichtensprecher informierte über den Abschlussbericht des Bundesinnenministeriums zur Fußball-WM 2006 und meldete zugleich, dass es anschließend den Sönke-Wortmann-Film „Deutschland – ein Sommermärchen“ im Ersten zu sehen gebe.). aa) Allgemeine Regelungen für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk

§ 7 RStV regelt allgemein den Inhalt und die Gestaltung von Werbung und Teleshopping-Angeboten. Ergänzt werden die Regelungen des § 7 RStV durch die besonderen Vorschriften für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in §§ 15 ff. RStV und für den privaten Rundfunk in §§ 43 ff. RStV. Unzulässig ist Werbung politischer, weltanschaulicher und religiöser Art (§ 7 Abs. 8 S. 1 RStV). Zulässig sind gemäß § 7 Abs. 8 S. 3 RStV allein unentgeltliche Beiträge im Dienste der Öffentlichkeit – das sog. „socialadvertising“ (z. B. Drogen- und AIDS-Aufklärung). Von politischer Werbung unterscheidet sich das „social-advertising“ dadurch, dass über die

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Ziele, für die geworben wird, ein gesellschaftlicher Konsens besteht. Die Grenzziehung ist teilweise schwierig, wie die Kampagne „Du bist Deutschland“ verdeutlicht, die für ein „neues deutsches Nationalgefühl“ warb. Ausgenommen von dem Werbeverbot in § 7 Abs. 8 RStV sind Gottesdienste der Evangelischen und Katholischen Kirche sowie der Jüdischen Gemeinden, ferner die Wahlwerbung der Parteien (§ 7 Abs. 8 S. 4 i. V. m. § 42 RStV). § 7 Abs. 1 RStV normiert allgemeine qualitative Verbote, nämlich das Verbot der Irreführung, der Schädigung von Verbraucherinteressen und der Gefährdung von Gesundheit oder Sicherheit der Verbraucher. Gemäß § 7 Abs. 3 S. 1, 2 RStV müssen Werbung und Teleshopping klar erkennbar und deutlich von anderen Programmteilen getrennt sein (Kennzeichnungs- und Trennungsgebot). Verboten sind unterschwellige Techniken (z. B. kurzzeitiges Einblenden von Produktwerbebotschaften, § 7 Abs. 3 S. 3 RStV). Übertragungen von Gottesdiensten, Kinder- und Nachrichtensendungen dürfen nicht durch Werbung unterbrochen werden (§§ 15 Abs. 1, 44 Abs. 1, Abs. 5 RStV). Das Trennungsgebot dient der Unabhängigkeit der Programmgestaltung. Es soll die Redaktion vor wirtschaftlicher Einflussnahme und den Fernsehzuschauer davor bewahren, über die Objektivität des ausgestrahlten Programms getäuscht zu werden (BGHZ 110, 278, 286). Unzulässig ist daher Schleichwerbung (§ 7 Abs. 6 S. 1 RStV). Schleichwerbung ist objektiv das Platzieren (Erwähnung oder Darstellung) von Produkten (product placement). Zur unzulässigen Schleichwerbung wird diese Produktplatzierung unter zwei Voraussetzungen, die § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 RStV nennt und die kumulativ vorliegen müssen: (1) Der Programmveranstalter platziert das Produkt absichtlich zu Werbezwecken. Dies wird gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 2 RStV vermutet, wenn ein Unternehmen für die Platzierung bezahlt (Entgelt oder ähnliche Gegenleistung). (2) Es besteht die Möglichkeit der Irreführung der Allgemeinheit über den eigentlichen Zweck dieser Erwähnung oder Darstellung. Keine Schleichwerbung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 6 RStV, aber oftmals trotzdem problematisch sind folgende Fälle: – Die Irreführung ist ausgeschlossen, weil der Programmveranstalter auf die Platzierung und ihren Werbezweck hinweist. – Die Produkte werden kostenfrei für eine Produktion zur Verfügung gestellt (sog. „Produktionsbeihilfen“). Unbedenklich ist, dass überhaupt Produkte und Dienstleistungen in Produktionen zu sehen sind. Da die Programmveranstalter zu einer realis-

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tischen Darstellung der Wirklichkeit sogar angereizt werden (vgl. § 6 RStV: Wirklichkeit als Kulturdarstellung; ferner § 11 Abs. 2 RStV: umfassender Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen; etwas schwächer, aber in der Tendenz ähnlich § 41 Abs. 2 RStV), dürfen sie nicht gezwungen werden, auf existierende Produkte zu verzichten. Gezeigt werden darf also alles, was aus redaktionellen, dramaturgischen und journalistischen Gründen gerechtfertigt ist (BGHZ 110, 278, 287). Die Grenze ist erst überschritten, wenn das Produkt übermäßig und unnötig intensiv ins Bild gerückt wird. Die Debatte über den Schleichwerbeskandal in der ARD („Marienhof“) und Sendeformate, wie „Die kultige Handy Show – O2 can do“ oder „Nutella – Die Geburtstagsshow“ (sog. „Titelpatronat“, vgl. Fall 9), haben die Diskussion über zulässige Produktplatzierung wieder neu entfacht. Die EU-Kommission schlägt in der anstehenden Reform der EU-Fernsehrichtlinie vor, die bloße Produktplatzierung (nicht den Kaufappell) in Kinofilmen, Fernsehfilmen und -serien, Programmen der leichten Unterhaltung und Sportsendungen, allerdings nicht in Kinderprogrammen zu erlauben, sofern am Anfang der Sendung hierauf hingewiesen und kein inhaltlicher Einfluss auf die Programmentscheidung ausgeübt wird (Art. 3 f. RL-Entwurf; zum Problem: von Danwitz, AfP 2005, 417; Pießkalla/Leitgeb, K&R 2005, 433). Im Ergebnis hofft man dadurch, die Irreführungsmöglichkeit zu beseitigen. Höchst fraglich ist natürlich, ob ein Hinweis am Sendebeginn diese Gefahr bereits ausschließt. Hinweise während der Sendung sind hingegen aus Gründen der Programmintegrität unzumutbar. Die EU-Bestrebungen sind aus Deutschland mit erheblicher Kritik überzogen worden. Der Schleichwerbung und Produktplatzierung weitläufig verwandt ist das in § 7 Abs. 7 RStV geregelte Verbot. Danach dürfen Nachrichtensprecher und Moderatoren von Sendungen zum politischen Zeitgeschehen weder in der Fernsehwerbung noch beim Teleshopping auftreten. Das besondere Vertrauen, das diese Personen in der Öffentlichkeit genießen, soll nicht für werbliche Zwecke eingespannt werden. Nicht geregelt ist jedoch der Auftritt dieser Personen in der sonstigen Werbung. Die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten sind neuerdings dazu übergegangen, ihre Moderatoren zu entsprechenden Abstinenzen zu verpflichten. Nicht als Verletzung des Trennungsgebotes gelten: (1) Split-Screen-Werbung (§ 7 Abs. 4 RStV): Hier ist der Bildschirm geteilt; er ist mit redaktionellem Programm und räumlich abgeteilten

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Werbebotschaften belegt (z. B. bei MTV, gelegentlich auch bei n-TV). Die Frage, ob Split-Screen-Werbung zulässig ist, war umstritten. Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass das Trennungsprinzip eine zeitliche Trennung von Werbung und Programm voraussetze, nicht aber durch eine räumliche Aufteilung des Bildschirms verletzt werde. Auf Basis dieser Annahme wurde § 7 Abs. 4 RStV eingefügt. (2) Virtuelle Werbung (§ 7 Abs. 6 S. 2 RStV): Virtuelle Werbung ist zulässig, wenn – auf diese Form der Werbung zu Beginn und am Ende der Sendung hingewiesen wird (Nr. 1) und zusätzlich – die Werbung nur eine am Ort der Übertragung bestehende Werbung ersetzt (Nr. 2). So darf etwa bei Fußballspielen die Bandenwerbung überblendet werden. Ein Bedürfnis dafür mag es geben, wenn die Originalbandenwerbung für örtliche Anbieter wirbt (z. B. für polnisches Bier bei einem Fußballspiel in Warschau); im Fernsehen können die heimischen Anbieter ihre Werbebanden (Werbung für deutsches Bier) über die Originale „legen“. (3) Zulässig ist der Hinweis auf Begleitmaterial zu einer Sendung gemäß §§ 16 Abs. 4, 45 Abs. 3 RStV. Problematisch ist jedoch die Feststellung, ob es sich tatsächlich um Begleitmaterial zu der Fernsehsendung handelt (vgl. die Empfehlung der Gemeinsamen Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz [GSPWM] vom 30. 3. 2005, MMR 2005, Heft 7, S. XXI zur Kategorisierung von Klingeltönen als Begleitmaterial). Das Sponsoring (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 RStV) eröffnet den Rundfunkveranstaltern eine dritte Finanzierungsquelle. Im Gegensatz zur Werbung enthält das Sponsoring keinen direkten Kaufappell. Da das Sponsoring jedoch auch die Freiheit der Programmgestaltung gefährdet, bedurfte es einer gesetzlichen Regelung, die mit § 8 RStV geschaffen wurde. Um den Fernsehzuschauer zu warnen (Trennungsgebot), muss zu Beginn oder am Ende der gesponserten Sendung deutlich darauf hingewiesen werden, wer die Sendung sponsert (§ 8 Abs. 1 S. 1 RStV). Der Sponsor darf gemäß § 8 Abs. 2 RStV das Programm nicht beeinflussen. Das Tabakwerbeverbot aus § 22 Abs. 1 Vorläufiges Tabakgesetz wird in § 8 Abs. 4 RStV auf ein Sponsoringverbot erweitert. Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen dürfen gemäß § 8 Abs. 6 RStV nicht gesponsert werden. Dieses Verbot hat in der Praxis dazu geführt, dass die Wettervorhersage als eine eigene Sendung ausgestaltet ist, die gesponsert wird. Schärfere inhaltliche Werbebeschränkungen finden sich in § 6 JMStV für Kinder- und Jugendsendungen (hierzu Fall 12).

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Die bisher vorgestellten Regelungen bezeichnet man als qualitative Werbebeschränkungen. Davon abzugrenzen sind quantitative Beschränkungsregeln. Sie existieren in schärferer Form für den öffentlich-rechtlichen, in schwächerer Form für den privaten Rundfunk. bb) Quantitative Werbebeschränkungen für den öffentlichrechtlichen und den privaten Rundfunk

Die quantitativen Werberegelungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlauben ARD und ZDF im Jahresdurchschnitt werktäglich nicht mehr als 20 Minuten Werbung im Programm (§ 16 Abs. 1 S. 1 RStV). Innerhalb einer Stunde darf die Dauer der Spotwerbung nicht mehr als 20% (12 Minuten) ausmachen (§ 16 Abs. 3 RStV). Nach 20 Uhr, an Sonn- und bundeseinheitlichen Feiertagen sowie in den Dritten Fernsehprogrammen und den bundesweit verbreiteten Programmen (z. B. 3sat und ARTE) darf keine Werbung ausgestrahlt werden (§ 16 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 RStV). Auf der Ebene des europäischen Rechts sind quantitative Werbebeschränkungen auf dem Rückzug. Die Richtlinie über audiovisuelle Medien beabsichtigt, sie zurückzudrängen und durch qualitative Beschränkungen zu ersetzen. Im Privatrundfunk darf der Anteil der Sendezeit für TeleshoppingSpots, Werbespots und andere Formen der Werbung 20% der täglichen Sendezeit nicht überschreiten (§ 45 Abs. 1 S. 1 RStV). Ausnahmen bilden nur die Teleshopping-Fenster gemäß § 45 a RStV. Die Sendezeit für Werbespots darf 15% der täglichen Sendezeit nicht überschreiten (§ 45 Abs. 1 S. 2 RStV). Doch nicht nur die tägliche Werbezeit ist für den privaten Rundfunk limitiert, sondern auch der Umfang innerhalb einer Stunde und der Abstand der Werbeblöcke zueinander sind geregelt. Innerhalb einer Stunde darf der Anteil der Werbespots und Teleshoppingspots gemäß § 45 Abs. 2 RStV nicht mehr als 20% ausmachen. Wie dieser Anteil innerhalb der Stunde verteilt werden darf, richtet sich nach der Art der Fernsehsendung. Für alle Fernsehsendungen gilt gemäß § 44 Abs. 2 S. 3 RStV, dass Fernsehwerbung und Teleshopping-Spots nur in die Sendungen eingefügt werden dürfen, wenn der Zusammenhang und Charakter der Fernsehsendung nicht beeinträchtigt wird. Einzelspots müssen die Ausnahme bleiben. Bei Fernsehsendungen, die aus einzelnen Teilen bestehen, oder bei Sportsendungen oder Sendungen über ähnlich gegliederte Ereignisse und Darbietungen mit Pausen dürfen Werbeunterbrechungen nur zwischen den eigenständigen Teilen oder in den Pausen erfolgen (§ 44 Abs. 3 S. 1

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RStV). Audiovisuelle Werke, wie Kino- und Fernsehfilme, dürfen für jeden Zeitraum von 45 Minuten nur einmal unterbrochen werden, wenn die Sendezeit mehr als 45 Minuten beträgt; eine weitere Unterbrechung ist möglich, wenn die Sendezeit mindestens 20 Minuten über zwei oder mehrere 45 Minutenzeiträume hinausgeht (§ 44 Abs. 4 RStV). Diese Regelung gilt jedoch nicht für Serien, Reihen, leichte Unterhaltungssendungen und Dokumentarfilme. Für sie gilt die allgemeine Regelung des § 44 Abs. 3 S. 2 RStV, nach der der Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Unterbrechungen 20 Minuten betragen soll. Bsp. EuGH, Urteil vom 23. 10. 2003, – C 245/01 –, GRUR Int. 2004, 242 – RTL ./. Niedersächsische Landesmedienanstalt: 1993 strahlte RTL den Spielfilm „Die Rache der Amy Fisher“ aus. Der Film hatte eine Länge von 86 Minuten und wurde viermal durch Werbung unterbrochen. Er war Teil der Spielfilmreihe „Gefährliche Leidenschaften“. Die für den in Niedersachsen registrierten Sender zuständige Landesmedienanstalt beanstandete die Ausstrahlung und rügte einen Verstoß gegen § 44 Abs. 4 S. 1 RStV, der bei Spielfilmen nur maximal eine Unterbrechung pro 45-Minuten-Sendezeitabschnitt zulässt, also nur eine zweifache Unterbrechung erlaubt hätte. Diese Regelung gilt allerdings nicht für Serien und Reihen. Für sie bleibt es bei § 44 Abs. 3 S. 2 RStV. Danach darf alle 20 Minuten einmal unterbrochen werden, bei 86 Minuten Gesamtdauer also tatsächlich viermal. RTL klagte gegen den Bescheid der Landesmedienanstalt vor dem VG und erklärte, der beanstandete Film sei Teil einer „Reihe“ im Sinne des § 44 Abs. 4 S. 1 RStV. Der Begriff „Reihe“ erfordere lediglich thematische Übereinstimmungen als verbindende Elemente, d. h. die Zusammenfassung in sich abgeschlossener Spielfilme unter einem Gesamtthema, wie „Der große TV-Roman“. Die Landesmedienanstalt verlangte mehr: Über eine formale Verbindung hinaus müssten die Teile inhaltlich und handlungsbezogen zusammenhängen. Das VG folgte dieser Argumentation. RTL legte Berufung ein und behauptete insbesondere, Fernsehfilme seien anders zu behandeln als Kinofilme, weil bei ihnen von vornherein die Absicht der Unterbrecherwerbung bestehe. Das OVG legte die Frage dem EuGH vor. Denn § 44 RStV beruht auf Art. 11 Abs. 3 der Fernsehrichtlinie 89/552/EWG. Der EuGH stimmte RTL nicht zu. Fernsehfilme seien wie Spielfilme zu behandeln (Tz. 74). Der Begriff „Reihe“ sei nach Sinn und Zweck der Richtlinie auszulegen. Diese beabsichtige einen ausgewogenen Schutz der finanziellen Interessen der Sender an der Finanzierung ihres Betriebs unter Berücksichtigung der Rechte der Autoren und der Rechte des Zuschauers, qualitätvolle Programme sehen zu können und vor übermäßiger Werbung geschützt zu werden (Tz. 62, 100). Eine bloß formale Verbindung von Filmen in einer Reihe, um mehr Werbung platzieren zu können, genüge daher nicht (Tz. 103 f.). e) Medienkonzentrationskontrolle

Das BVerfG bestimmte in seinem 3. Rundfunkurteil (BVerfGE 57, 295), dass die Vielfalt der Rundfunksendungen gesichert sein müsse, wobei eine

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außenpluralistische Rundfunkordnung im Bereich des privaten Rundfunks ausreichend sei. Die einfachgesetzliche Rundfunkordnung sieht ein Mischsystem vor. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind binnenpluralistisch organisiert. Ansonsten versucht der Rundfunkstaatsvertrag, Außenpluralismus zu gewährleisten. Eine wichtige Rolle spielt dabei die in §§ 26 ff. RStV geregelte Konzentrationskontrolle durch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK, vgl. § 35 RStV). Die KEK ist eine im Auftrag der Landesmedienanstalten handelnde, mit einer beschränkten Unabhängigkeit ausgestattete Verwaltungseinrichtung ohne rechtliche Selbständigkeit (dazu Kuch, ZUM 1997, 12, 13). Sie überprüft, ob Medienunternehmen die Bestimmungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt einhalten. Die medienrechtliche Konzentrationskontrolle ist von der wettbewerbs(kartell)rechtlichen Konzentrationskontrolle zu unterscheiden. Während es bei der Fusionskontrolle im GWB um die Vermeidung wirtschaftlicher Machtstellungen durch Zusammenschluss geht, versucht die medienrechtliche Konzentrationskontrolle publizistische Machtzusammenballungen zu verhindern. Ein Unternehmen darf nur so lange eine unbegrenzte Anzahl von Programmen im Fernsehen veranstalten, wie es keine vorherrschende Meinungsmacht erlangt (§ 26 Abs. 1 RStV). Vorherrschende Meinungsmacht wird gemäß § 26 Abs. 2 S. 1 RStV ab einem Zuschaueranteil von 30% im Jahresdurchschnitt vermutet; unter den Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 S. 2 RStV genügen 25% (marktbeherrschende Stellung auf einem medienrelevanten verwandten Markt bzw. „Gesamtbeurteilung“). Ist dieser Anteil erreicht, so darf dem Unternehmen für weitere Programme keine Zulassung erteilt und der Erwerb weiterer Beteiligungen an Veranstaltern nicht als unbedenklich bestätigt werden (§ 26 Abs. 3 RStV). In diesem Fall schlägt die KEK dem Rundfunkveranstalter u. a. vor, Sendezeit an Dritte abzugeben oder einen Programmbeirat einzurichten, dem ähnliche Funktionen wie dem Rundfunkrat bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zukommen (§ 26 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 30–32 RStV). Die Rundfunkveranstalter vermeiden das Erreichen der 30%-Schwelle meistens mit der Einrichtung von Fensterprogrammen (vgl. § 25 Abs. 4 RStV). Die Aufnahme solch eines Programms bedeutet, dass das Unternehmen unabhängigen Dritten Teile der Sendezeit einräumt; ein Fensterprogramm ist z. B. die Sendung „Stern-TV“ des Veranstalters DCTP. Die Einrichtung von Fensterprogrammen führt zum Abzug von Zuschaueranteilen (§ 26 Abs. 2 S. 3 RStV).

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Problematisch im Falle der geplanten Fusion Springer/Sat1ProSieben war die Frage, in welchem Umfang die Reichweitenanteile auf Nichtrundfunkmärkten zu den Zuschaueranteilen nach § 26 Abs. 2 S. 2 RStV hinzuzurechnen sind. Das Gesetz spricht hier ganz allgemein von einer „Gesamtbeurteilung der Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten“, die ergibt, dass der Meinungseinfluss dem eines Unternehmens mit einem 30%-Anteil auf dem Fernsehzuschauermarkt entspricht. Wie genau der Meinungseinfluss auf medienrelevanten Märkten zu berechnen ist, ist unklar. Unklar ist auch, ob die KEK eine solche Untersuchung erst vornehmen darf, wenn mindestens 25% Zuschaueranteil überschritten sind, oder ob die KEK nach § 26 Abs. 1 RStV freihändig den Meinungseinfluss schätzen darf (zum Problem und zum Fall ausführlich Peifer, Vielfaltssicherung im bundesweiten Fernsehen, 2005). f) Europäische Produktionen

§ 6 RStV, der auf Art. 5 der EG-Fernsehrichtlinie beruht, bestimmt für Fernsehveranstalter, dass der Hauptteil der Sendungen (§ 6 Abs. 2 RStV) und ein wesentlicher Anteil an Eigen-, Auftrags- und Gemeinschaftsproduktionen (§ 6 Abs. 3 S. 1 RStV) aus dem deutschsprachigen und europäischen Raum stammen soll. § 6 Abs. 3 S. 1 RStV gilt für Spartenprogramme nur, soweit ihr inhaltlicher Schwerpunkt seine Berücksichtigung erlaubt. g) Kurzberichterstattung im Fernsehen

Für Fernsehveranstalter ist es wirtschaftlich interessant, sich Exklusivrechte für Ereignisse von besonderem Publikumsinteresse (z. B. Fußball) einräumen zu lassen. Gleiches gilt für den Ereignisveranstalter; bei großen Sportveranstaltungen bildet die Vergabe der Übertragungsrechte sogar regelmäßig die Haupteinnahmequelle des Ereignisveranstalters. Allerdings schränken Exklusivrechte die Zuschauerinteressen ein, wenn die Exklusivrechteinhaber ihre Programme nicht flächendeckend verbreiten oder diese Programme nicht frei empfangbar sind. Vor allem sind sie bedenklich, weil sie Informationsmonopole fördern und die „Pluralität von Sichtweisen und Darbietungen“ hindern (BVerfGE 97, 228, 256). Um eine vielfältige und qualitativ hochwertige Information der Fernsehzuschauer zu gewährleisten, ist es notwendig, grundsätzlich allen in Europa zugelassenen Fernsehveranstaltern ein Recht auf unentgeltliche Kurzberichterstattung über Veranstaltungen und Ereignisse einzuräumen, die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind (§ 5 Abs. 1 S. 1

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RStV; § 7 ZDF-Staatsvertrag). Dieses Recht schließt u. a. die Befugnis zum Zugang zu der Veranstaltung ein (§ 5 Abs. 1 S. 2 RStV). Das Recht auf Kurzberichterstattung beeinträchtigt die Interessen der Exklusivrechteinhaber und stellt zudem einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Ereignisveranstalters dar; insbesondere führt es dazu, dass der wirtschaftliche Wert der Fernsehübertragungsrechte sinkt (BVerfGE 97, 228, 254). Daher unterliegt das Recht auf Kurzberichterstattung einigen Einschränkungen: – Es ist auf eine „nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung“ begrenzt (§ 5 Abs. 4 S. 1 RStV). Der genaue Umfang richtet sich nach der jeweiligen Veranstaltung. Bei regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen beträgt die Regelobergrenze 90 Sekunden (§ 5 Abs. 4 S. 3 RStV). – Es gilt nicht gegenüber Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften (§ 5 Abs. 3 RStV). – Es ist ausgeschlossen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist (§ 5 Abs. 5 S. 3 RStV) oder der Ereignisveranstalter die Berichterstattung überhaupt nicht zulässt (§ 5 Abs. 5 S. 4 RStV). – Um eine Entwertung der vertraglich vereinbarten Übertragungsrechte zu verhindern, müssen die Kurzberichterstatter eine Karenzzeit zwischen dem Veranstaltungsende und der Ausstrahlung einhalten (BVerfGE 97, 228, 261). – Nach dem BVerfG verstößt es gegen Art. 12 Abs. 1 GG, das Recht auf Kurzberichterstattung jedenfalls bei „berufsmäßig durchgeführten“ Veranstaltungen unentgeltlich auszugestalten (BVerfGE 97, 228, 252, 262 f.). Daher sieht § 5 Abs. 7 S. 1 RStV nunmehr vor, dass der Ereignisveranstalter bei berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen „ein dem Charakter der Kurzberichterstattung entsprechendes billiges Entgelt“ verlangen kann. Offen ließ das BVerfG, ob die Möglichkeit, die Fernsehübertragungsrechte an einer Veranstaltung zu veräußern, eine Eigentumsposition darstellt, die Art. 14 Abs. 1 GG schützt (vgl. BVerfGE 97, 228, 265). Dies stärkte die Position des Ereignisveranstalters und des Exklusivrechteinhabers. Denn auch das Kartellrecht kann mit seiner Missbrauchskontrolle nur schwer ansetzen, wenn zum Inhalt eines subjektiven Rechts die Ausschließungsbefugnis gehört (vgl. aber EuGH, JZ 1996, 304 mit Anmerkung von Götting S. 307–310 – „Magill TV Guide“: Anspruch des Herausgebers einer Fernsehzeitschrift auf Programmauskünfte gegen einen Rundfunkprogrammveranstalter).

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h) Übertragung von Großereignissen

Nur stark eingeschränkt möglich sind Exklusivvereinbarungen bei Ereignissen von „erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ (Großereignisse im Sinne des § 4 RStV [§ 5 a RStV a. F.]), zu denen z. B. die Olympischen Spiele und das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft zählen. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an diesen Großereignissen ist so intensiv, dass eine Kurzberichterstattung gemäß § 5 RStV es nicht befriedigen kann; es besteht ein schützenswertes Interesse der Allgemeinheit daran, Großereignisse insgesamt im Free-TV sehen zu können. Daher ist gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 RStV die verschlüsselte, entgeltliche Ausstrahlung von Großereignissen im Fernsehen nur zulässig, wenn der Fernsehveranstalter selbst oder ein Dritter zu angemessenen Bedingungen ermöglicht, dass das Ereignis zumindest in einem frei empfangbaren und allgemein zugänglichen Fernsehprogramm zeitgleich bzw. geringfügig zeitversetzt ausgestrahlt werden kann. Art. 3 a Abs. 1 S. 2 der EG-Fernsehrichtlinie sieht vor, dass jedes Land eine Liste von Ereignissen aufstellen kann, die unverschlüsselt übertragen werden müssen. Die für Deutschland geltende Liste gibt § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 RStV wieder. Höchst aufschlussreich ist, dass diese Liste Sportereignisse, insbesondere Fußballspiele, in einigem Detailreichtum nennt; der Besuch des Papstes in Köln oder in Bayern hätte jedoch nicht hierunter subsumiert werden können, wenn dieses Ereignis exklusiv von einem Pay-TV-Sender vermarktet worden wäre. i) Sanktionen

Verstöße gegen die vorgestellten Werbe-, Inhalts- und Zugangsregelungen können im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der Programmbeschwerde (z. B. § 15 ZDF-Staatsvertrag, § 10 WDR-Gesetz) angegriffen werden. Der Schutz ist verhältnismäßig schwach, doch zeigte der Schleichwerbeskandal in der ARD („Marienhof“), dass die öffentliche Empörung jedenfalls zu einem schnellen Handeln der Rundfunkräte führt. Im privaten Rundfunk ist die Kontrolle aus juristischer Sicht schärfer. Hier sorgt der Bußgeldkatalog in § 49 RStV dafür, dass Verstöße finanziell geahndet werden können.

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III. Lösungsskizze Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids Der Bußgeldbescheid ist rechtmäßig, wenn er auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht und die formellen sowie materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Bußgeldbescheids erfüllt sind. 1. Ermächtigungsgrundlage Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 49 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 RStV in Betracht. 2. Formelle Rechtmäßigkeit Der Bußgeldbescheid müsste formell rechtmäßig sein. a) Zuständigkeit

Die LPR Hessen müsste zuständig für den Erlass des Bußgeldbescheids gewesen sein. Zuständig ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i. V. m. § 49 Abs. 3 S. 1 RStV die Landesmedienanstalt des Landes, in dem die Zulassung erteilt oder beantragt wurde. Die LPR Hessen hat R zugelassen; damit war sie auch für den Bußgeldbescheid zuständig. b) Verfahren, Form

Auch die übrigen formellen Voraussetzungen sind erfüllt. Die LPR Hessen hat R den Bußgeldbescheid „formell ordnungsgemäß“ zugestellt. Der Bußgeldbescheid ist daher formell rechtmäßig. 3. Materielle Rechtmäßigkeit Zudem müsste der Bescheid dem Grunde sowie der Höhe nach materiell rechtmäßig sein. a) Rechtmäßigkeit dem Grunde nach

Der Bußgeldbescheid ist dem Grunde nach rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 RStV vorliegen.

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aa) Veranstalter eines bundesweit verbreiteten privaten Rundfunkprogramms

R veranstaltet ein bundesweit verbreitetes privates Rundfunkprogramm (vgl. § 49 Abs. 1 S. 1 RStV). bb) Verbreitung von Schleichwerbung entgegen § 7 Abs. 6 S. 1 RStV

Überdies müsste R mit der Sendung „Alletun – Die Geburtstagsshow“ entgegen § 7 Abs. 6 S. 1 RStV Schleichwerbung verbreitet haben. Schleichwerbung ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 RStV die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. (1) Erwähnung oder Darstellung des Produkts

Die Sendung „Alletun – Die Geburtstagsshow“ erwähnt die Nuss-Nougat Creme „Alletun“ vielfach. Sogar der Titel der Sendung nennt den Namen des Produkts. Überdies wird „Alletun“ in der Sendung wiederholt eingeblendet. (2) Absichtliche Produktplatzierung zu Werbezwecken

R hat erklärt, mit „Alletun – Die Geburtstagsshow“ ausschließlich über die Historie von „Alletun“ informieren zu wollen. Allerdings spricht die Finanzierung der Sendung dafür, dass R mit ihr (auch) Werbezwecke verfolgt hat. Der Hersteller von „Alletun“ hat R eine Million Euro dafür gezahlt, dass die Nuss-Nougat-Creme in der Sendung angepriesen und eingeblendet wird. Gemäß § 2 Abs. 6 S. 2 RStV gilt eine Produktplatzierung dann als zu Werbezwecken beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt erfolgt. (3) Möglichkeit der Irreführung der Allgemeinheit

Die Öffentlichkeit geht nach der Beschreibung der R davon aus, dass es sich bei „Alletun – Die Geburtstagsshow“ um eine reine Informationssendung handelt, obwohl die Sendung tatsächlich (auch) eine Werbesendung ist. Insbesondere hat R die Fernsehzuschauer nicht dadurch aufgeklärt, dass sie den Hinweis „Dauerwerbesendung“ eingeblendet hat (vgl. § 7

Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk

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Abs. 5 RStV). Daher ist die Sendung geeignet, die Allgemeinheit irrezuführen. Indem R die Sendung „Alletun – Die Geburtstagsshow“ ausgestrahlt hat, hat sie somit entgegen § 7 Abs. 6 S. 1 RStV Schleichwerbung verbreitet. cc) Vorsatz oder Fahrlässigkeit

Überdies müsste R vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Wie bereits dargelegt, hat R die Nuss-Nougat-Creme „Alletun“ absichtlich zu Werbezwecken in ihrer Sendung platziert. Außerdem hat sie die Fernsehzuschauer bewusst irregeführt, indem sie die Show als reine Informationssendung angekündigt und nicht als Dauerwerbesendung gekennzeichnet hat. Mithin hat R vorsätzlich gehandelt. Der Bußgeldbescheid ist daher dem Grunde nach rechtmäßig. b)

Rechtmäßigkeit der Höhe nach

Weiterhin müsste der Bescheid der Höhe nach rechtmäßig sein. Gemäß § 49 Abs. 2 RStV kann die Landesmedienanstalt ein Bußgeld bis zu 500.000 € festsetzen. Das Bußgeld in Höhe von 45.000 €, das die LPR Hessen der R auferlegt hat, hält den gesetzlichen Rahmen ein. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die LPR Hessen ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. 4. Ergebnis Der Bußgeldbescheid ist formell und materiell rechtmäßig.

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Fall 9: (Schleich-)Werbung im Rundfunk

Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion

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Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion (vgl. AG Peine, Urteil vom 15. 9. 2004, – 18 C 234/04 –, NJW-RR 2005, 275; AG HamburgWandsbek, Urteil vom 22. 12. 2005, – 712 C 465/05 –, CR 2006, 424) Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion

I.

Sachverhalt

Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion

A bietet regelmäßig über das Internet-Auktionshaus E-AG (E) Fahrzeugteile zum Verkauf an. Am 1. 9. 2007 stellt er auf der Website der E einen Blinker zur Versteigerung ein, den er wie folgt beschreibt: „Blinker ist in gutem Zustand. (...) 2 kleine Ecken fehlen an dem Teil. Funktion aber nicht eingeschränkt.“ B liest diese Beschreibung und ersteigert daraufhin den Blinker. Nachdem A dem B die Ware zugesandt hat, schreibt B in dem Bewertungsforum der E über das Geschäft mit A: „Artikel war defekt, davon stand nichts in der Beschreibung.“ Außerdem bietet A einen Scheinwerfer über E zum Verkauf an, den C – ein erfahrener Bieter und regelmäßiger Anbieter bei E – ersteigert. Bereits kurz nach der Auktion bereut C das Geschäft, weil ihm ein Bekannter einen Scheinwerfer schenkt. In zwei E-Mails fragt er A, ob er von seinem Gebot zurücktreten könne. A beantwortet die E-Mails nicht. Er versendet den Scheinwerfer, der im ordnungsgemäßen Zustand bei C eintrifft. C kommentiert dieses Geschäft mit: „Ware okay, reagiert aber nicht auf Mails.“ Darauf erwidert A in dem Bewertungsforum der E: „Auf solche ‚Käufer‘ kann man getrost verzichten, bitte nie wieder, danke.“ 1. Hat A gegen B einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung? 2. Hat C gegen A einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung? Prüfen Sie bei Frage 2 nur vertragliche Ansprüche. § 6 Nr. 2 der AGB von E lautet: „Mitglieder sind verpflichtet, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Mitgliedern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein.“ Mitglied bei E kann nur werden, wer ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmt. Zu dem Bewertungssystem der E: Eine Bewertung setzt sich zusammen aus einer standardisierten Beurteilung (positiv, negativ oder neutral) und einem

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Fall 10: Negative Bewertung im Rahmen einer Internet-Auktion

auf 80 Zeichen begrenzten Bewertungskommentar. Alle Bewertungen einer Person erscheinen in ihrem Bewertungsprofil, das die anderen Mitglieder einsehen können. Die Mitglieder können die Bewertungen, die sie abgegeben haben, jederzeit korrigieren bzw. löschen.

II. Schwerpunkte des Falles Internet-Auktionen gewinnen sowohl im privaten als auch im unternehmerischen Bereich kontinuierlich an Bedeutung. Das bekannteste InternetAuktionshaus eBay hat derzeit in Deutschland ca. 20 Millionen und weltweit ca. 200 Millionen Mitglieder. Internet-Versteigerungen sind beliebt, weil sie den Anbietern einen großen potentiellen Kundenkreis und den Bietern ein umfassendes Angebot vermitteln. Zudem können sie bequem von zu Hause aus durchgeführt werden. Neben diesen Vorteilen weisen OnlineVersteigerungen allerdings einen erheblichen Nachteil gegenüber OfflineGeschäften auf: Sie sind anonym. Alle Teilnehmer handeln unter einem Pseudonym. Daher können sie sich keinen Eindruck von ihrem künftigen Vertragspartner, insbesondere von seiner Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit und Bonität, bilden. Diesen Nachteil versuchen die Internet-Auktionshäuser mit einem Bewertungssystem auszugleichen, in dem der Anbieter und der Bieter ihr Geschäft kommentieren. Die Bewertungen informieren andere Mitglieder über das Geschäftsgebaren des Bewerteten. eBay bezeichnet die Bewertungen als „das Vertrauensfundament“ (so die Erläuterungen zu dem eBay-Grundsatz zur einvernehmlichen Rücknahme und Entfernung von Bewertungen). Negative Bewertungen bergen für den Bewerteten die Gefahr, dass andere Mitglieder davon absehen, mit ihm einen Vertrag zu schließen. Außerdem behalten sich die Internet-Auktionshäuser in der Regel vor, negative Bewertungen zu ahnden (z. B. § 4 Nr. 2 S. 1, 1. Spiegelstrich der eBay-AGB: Sperrung bei wiederholter Negativbewertung). Fall 10 befasst sich mit der Frage, wie ein Auktionsteilnehmer gegen eine negative Bewertung vorgehen kann. Diese Frage ist für das Recht der Neuen Medien interessant, weil durch Nutzerbedingungen Selbstkontrollmechanismen der Wirtschaft bereitgestellt werden können, die eine Regulierung durch gesetzliche Haftungsregelung entbehrlich machen können. Je stärker die Bedeutung des Internet wird, desto wichtiger werden solche Selbstregulierungen.

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Rechtlicher Schutz gegen negative Bewertungen im Rahmen einer Internet-Auktion 1. Schutzmaßnahmen des Internet-Auktionshauses Das Internet-Auktionshaus eBay räumt seinen Mitgliedern verschiedene Möglichkeiten ein, negative Bewertungen zu entkräften bzw. zu entfernen (hierzu Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30, 32). Praxisrelevant sind der Ergänzungskommentar sowie die einvernehmliche Rücknahme der Bewertung. Selten entfernt eBay von sich aus die Bewertung. a) Ergänzungskommentar

Der Bewertete darf die Bewertung, die er erhalten hat, kommentieren. Dieser Kommentar erscheint im räumlichen Zusammenhang mit der Bewertung. Da die negative Bewertung im Bewertungsprofil sichtbar bleibt, wirkt solch ein Ergänzungskommentar allerdings nur schwach (vgl. AG Erlangen, NJW 2004, 3720, 3721; a. A. LG Düsseldorf, MMR 2004, 496, 497 mit kritischer Anmerkung von Herrmann, MMR 2004, 497). b) Einvernehmliche Rücknahme der Bewertung

Die standardisierte Beurteilung des Geschäfts(-partners) als negativ, positiv oder neutral (vgl. Bearbeitervermerk) bestimmt die Bewertungspunkte eines Mitglieds. Eine positive Bewertung erhöht das Punktekonto des Bewerteten um einen Punkt, eine negative Bewertung verringert den Punktestand um einen Punkt und eine neutrale Bewertung verändert das Punktekonto nicht. Die Geschäftspartner können den Bewertungspunkt einvernehmlich entfernen. Der Bewertungskommentar bleibt jedoch erhalten; er wird lediglich um einen Hinweis auf die Rücknahme ergänzt. c) Rücknahme der Bewertung durch das Internet-Auktionshaus

Nur ausnahmsweise entfernt eBay von sich aus bzw. auf die Aufforderung des Bewerteten hin den Bewertungspunkt und den Bewertungskommentar. Zum Beispiel schreitet eBay ein, wenn der Bewertungskommentar rassistische, nicht jugendfreie Bemerkungen enthält. Das Internet-Auktionshaus löscht die Bewertung zudem, wenn eine vollstreckbare gerichtliche Entscheidung gegen den Bewertenden anordnet, dass die Bewertung entfernt werden muss.

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2. Ansprüche des Bewerteten gegen den Bewertenden Daneben kann der Bewertete einen vertraglichen Anspruch und/oder deliktische Ansprüche auf Löschung der Bewertung gegen den Bewertenden geltend machen. a) Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB aa) Schuldverhältnis

Die sorgfältige Bewertung kann Teil einer aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB resultierenden Pflicht des Bewertenden sein. Zwischen dem Bewerteten und dem Bewertenden besteht regelmäßig als Hauptgeschäft ein Kaufvertrag, den die Auktionsteilnehmer miteinander schließen. Problematisch und mittlerweile zu einem Examensproblem gewachsen ist die Frage des Vertragsschlusses bei Internet-Auktionen. Fraglich ist zunächst, ob sich der Vertragsschluss im Rahmen einer Internet-Auktion nur nach §§ 145 ff. BGB oder ebenfalls nach § 156 BGB richtet. Auch hinter dieser Fragestellung verbirgt sich ein Regulierungsproblem. § 156 BGB beinhaltet ein zusätzliches Vertragsschlusserfordernis, den Zuschlag. Die Norm berücksichtigt versteigerungstypische Gefährdungen für Anbieter, Auktionator und Bieter. Durch den Zuschlag ist ein klares Ereignis fixiert, das den Zweifel darüber, ob vorher irrtumsfreie Willenserklärungen vorlagen, beendet. Auch bei Versteigerungen im Netz mag ein solches Signal erwünscht sein. § 156 BGB auf diese Konstellationen anzuwenden, bedeutet jedoch, eine Regulierung vorzunehmen, die möglicherweise nicht sachgerecht ist, weil sie die Besonderheiten der Netzversteigerung zu Unrecht mit den Besonderheiten der klassischen Versteigerung gleichsetzt. Relevant ist die Frage, ob § 156 BGB Internet-Versteigerungen erfasst, im Hinblick auf § 312 d Abs. 4 Nr. 5 BGB; danach ist das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen ausgeschlossen, die in der Form von Versteigerungen (§ 156 BGB) geschlossen werden. Bei ordentlichen Versteigerungen soll der Zuschlag Rechtssicherheit schaffen, ein Reurecht durch Rücktritt ist unerwünscht. (1) Vertragsschluss gemäß § 156 BGB

Gemäß § 156 BGB kommt bei Versteigerungen der Vertrag durch Gebot des Bieters und Zuschlag des Auktionators zustande. Diese Regelung passt auf die (seltenen) Internet-Versteigerungen, bei denen der Vertragsschluss unmittelbar nach Abgabe der Gebote durch einen virtuellen Zuschlag er-

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folgt. Regelmäßig enden Internet-Auktionen allerdings nicht mit Zuschlag, sondern durch Zeitablauf (Bsp.: eBay). Gleichwohl wenden einige Stimmen in der Literatur § 156 BGB mit der Begründung an, dass InternetVersteigerungen klassischen Versteigerungen ähnelten, weil beide durch das gegenseitige Überbieten geprägt seien (so Spindler/Wiebe-Wiebe, Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze, 2. A., Kap. 4, Rn. 24). Hier stellt sich das Regulierungsproblem. Internet-Auktionen, die durch Zeitablauf enden, unterscheiden sich von klassischen Versteigerungen mehrfach: – Sie enden nicht mit einem Zuschlag. – Die klassische Versteigerung ist gewerberechtlich anzumelden (§ 34 b Abs. 1 S. 1 GewO). – Die Rolle des „Auktionators“ unterscheidet sich erheblich: Während der klassische Auktionator den Ablauf der Versteigerung kontrolliert, sogar berechtigt ist, den Zuschlag zu verweigern (vgl. § 156 S. 2 Alt. 2 BGB), haben und beanspruchen die Betreiber von Internetplattformen, wie eBay, keinen Einfluss auf den Versteigerungsablauf, sondern stellen lediglich die technischen Mittel bereit, um die Versteigerung durchzuführen; eine moderierende Funktion kommt ihnen gerade nicht zu. Der „Zuschlag“ durch Zeitablauf darf daher auch nicht für sich in Anspruch nehmen, konfliktentscheidende Bedeutung zu haben und Zweifel über die Wirksamkeit der Erklärung auszuräumen (hierzu Hoeren/Müller, NJW 2005, 948, 949). Daher ist es im Ergebnis nicht sachgerecht, § 156 BGB auf die typischen Internet-Auktionen anzuwenden. (2) Vertragsschluss gemäß §§ 145 ff. BGB

Stattdessen kommt der Vertrag zwischen dem Anbieter und dem Bieter bei einer Internet-Auktion, die durch Zeitablauf endet, nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 145 ff. BGB durch Angebot und Annahme zustande. Nach h. M. gibt der Anbieter dadurch, dass er die Ware auf seiner für die Versteigerung freigeschalteten Angebotsseite einstellt, ein Vertragsangebot ab. Das Angebot ist aber aufschiebend bedingt (§ 158 Abs. 1 BGB) dadurch, dass erst das höchste Gebot, das innerhalb der Versteigerungsdauer abgegeben wird, den Vertragsschluss herbeiführt. Die Einstellung der Ware ist nicht bloß eine invitatio ad offerendum. Für den Rechtsbindungswillen des Anbieters spricht, dass regelmäßig nur

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Einzelstücke, und diese auch nur ein einziges Mal pro Versteigerung eingestellt werden. Daher besteht nicht das Risiko, dass zu wenige erfüllungstaugliche Stücke vorhanden sind und der Anbieter Schadensersatzansprüchen ausgesetzt ist, weil er Verträge nicht erfüllen kann. Überdies ist die Willenserklärung hinreichend bestimmt. Zwar richtet sie sich an eine nicht konkret bezeichnete Person (ad incertam personam). Jedoch ist zweifelsfrei erkennbar, mit wem der Anbieter einen Vertrag abschließen will, nämlich mit dem Höchstbietenden. Das Angebot nimmt der Meistbietende mit seinem Gebot an. Die wechselseitigen Erklärungen gehen über den Plattformbetreiber als Empfangsvertreter (§ 164 Abs. 3 BGB) zu. Ebenfalls vertretbar ist es, das Gebot des Bieters als Angebot zu qualifizieren. Die Annahme des Anbieters könnte man in der Warenpräsentation auf der Website sehen. Diese Präsentation stellte eine vorweg erklärte Annahme des höchsten Gebots dar, das nach den Regeln der Plattform und innerhalb der Versteigerungszeit abgegeben wird. bb) Verletzung einer Nebenpflicht

Problematisch ist, ob der Bewertende aus dem Schuldverhältnis Nebenpflichten zur maßvollen und sachlichen Bewertung im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB hat. Zum Teil schreiben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Internet-Auktionshäuser den Auktionsteilnehmern Verhaltenspflichten vor. Ein Beispiel bildet § 6 Nr. 2 der eBay-AGB, der den äußeren Rahmen für die Bewertungen der eBay-Mitglieder festlegt. Fraglich ist aber, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des InternetAuktionshauses auch im Verhältnis der Auktionsteilnehmer zueinander Wirkungen entfalten (ausführlich hierzu Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30, 36 f.). § 6 Nr. 2 der eBay-AGB beeinflusst das Verhältnis der Handelspartner unmittelbar, wenn die Klausel wirksam gemäß § 305 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BGB in den Vertrag zwischen dem Anbieter und dem Bieter einbezogen worden ist. Gemäß § 305 Abs. 1 S. 1 BGB müsste eine Vertragspartei § 6 Nr. 2 der eBay-AGB der anderen bei Abschluss des Vertrags gestellt haben. In der Regel beziehen sich aber weder der Anbieter noch der Bieter auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Internet-Auktionshauses. Mithin gilt § 6 Nr. 2 der eBay-AGB nicht unmittelbar in dem Verhältnis zwischen Anbieter und Bieter. Unmittelbar wirkt diese Klausel lediglich im Verhältnis zwischen eBay und seinen Kunden.

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§ 6 Nr. 2 der eBay-AGB kann allerdings im Verhältnis zwischen dem Anbieter und dem Bieter als Auslegungsgrundlage zur Bestimmung der Nebenpflichten dienen. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind die Erklärungen der Auktionsteilnehmer so auszulegen, wie sie der jeweilige Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen muss. An einer eBay-Auktion können nur Personen teilnehmen, die zuvor einen Nutzungsvertrag mit eBay abgeschlossen und den eBayAGB zugestimmt haben. Jeder Auktionsteilnehmer kann also davon ausgehen, dass auch sein Vertragspartner den Inhalt der eBay-AGB kennt und damit einverstanden ist. Der Erklärungsempfänger kann daher annehmen, dass sein Vertragspartner den Vertrag nach Maßgabe der eBay-AGB schließen will. Mithin ist § 6 Nr. 2 der eBay-AGB im Wege der Auslegung zu berücksichtigen (Rüfner, MMR 2000, 597, 598). § 6 Nr. 2 der eBay-AGB fordert, dass die Bewertungen – ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben enthalten, – die gesetzlichen Bestimmungen (z. B. §§ 823, 824, 826 BGB, §§ 185 ff. StGB) einhalten, – sachlich gehalten sind und – keine Schmähkritik (Äußerungen, die nicht auf die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein darauf abzielen, eine Person zu diffamieren, BVerfG, NJW 1995, 3303, 3304) enthalten. Besonders relevant ist das „Gebot der Sachlichkeit“. Was „sachlich gehalten“ im Sinne des § 6 Nr. 2 der eBay-AGB bedeutet, ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Wortlaut legt nahe, dass sich die Bewertung auf Tatsachenbehauptungen beschränken muss; denn „sachlich“ bedeutet wertneutral. Zudem kann der Zweck des Bewertungsportals, andere Mitglieder über den Bewerteten zu informieren, nur erfüllt werden, sofern sich die Bewertung auf Tatsachen bezieht (AG Erlangen, NJW 2004, 3720, 3721). Andererseits fordert das Bewertungsportal von den Auktionsteilnehmern, ihre Vertragspartner nicht nur mit einer standardisierten Beurteilung (positiv, negativ oder neutral), sondern auch mit einem Bewertungskommentar zu bewerten, also eine subjektive Einschätzung mitzuteilen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Raum, der für eine Bewertung zur Verfügung steht, für umfassende Sachverhaltsangaben zu klein ist (80 Zeichen; dazu AG Koblenz, MMR 2004, 638, 639). Um den Besonderheiten des Bewertungsportals eines Internet-Auktionshauses Rechnung zu tragen, darf das „Gebot der Sachlichkeit“ daher nicht zu strikt in dem Sinne interpretiert werden, dass ausschließlich aussagekräftige Tatsachenbehauptungen zulässig sind. Sachgerecht erscheint

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es vielmehr, Bewertungen erst dann als unsachlich einzustufen, wenn sie ohne erkennbaren Tatsachenbezug erfolgen (Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30, 37). cc) Vertretenmüssen

Gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB muss der Bewertende die Pflichtverletzung zudem zu vertreten haben im Sinne der §§ 276, 278 BGB. Er trägt die Beweislast dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Da es sich bei Bewertungen regelmäßig um Alltagsbeurteilungen handelt, wird sich der Bewertende nicht darauf zurückziehen können, dass er die Substanzlosigkeit einer bloßen Herabsetzung nicht gekannt hat. Ein Irrtum über die Grenzen der Sachlichkeit wäre ein unbeachtlicher Rechtsirrtum, der das Verschulden regelmäßig nicht ausschließt. Der in der Frühzeit des Internets gelegentlich in der Community geäußerte Wunsch, das Internet als rechtsfreien Raum einer liberalen und durchaus auch anarchischen Struktur zu überlassen, hat sich rechtlich niemals durchsetzen können. Wer als Bewertender dieser Meinung anhängt, befindet sich daher gleichfalls in einem unbeachtlichen Rechtsirrtum. dd) Schaden

Ein materieller Schaden liegt grundsätzlich nur vor, wenn eine negative Bewertung Einfluss auf den Vermögensstand des Bewerteten vor und nach der Bewertung hat (Differenzhypothese). Grundsätzlich müsste der Bewertete darlegen und beweisen, dass ihm durch die negative Bewertung konkrete Geschäfte und damit ein potentieller Gewinn entgangen sind. Dieser Nachweis ist nicht ganz einfach. Die unterinstanzlichen Gerichte haben dieses Beweisproblem gesehen und argumentiert, dass der negativ Bewertete bereits dadurch geschädigt ist, dass sich die Bewertung nachteilig auf sein Bewertungsprofil auswirkt, das die Kaufentscheidung der Bieter wesentlich beeinflusst (AG Erlangen NJW 2004, 3720, 3721 f.; ähnlich AG Hamburg-Wandsbek, CR 2006, 424, 425 f.). Die Einbuße besteht insoweit in einem Verlust an Kredit, ein Fall, der deliktsrechtlich auch durch § 824 BGB erfasst wird (dazu sogleich). b) Deliktische Ansprüche

Ferner kommen deliktische Ansprüche des Bewerteten gegen den Bewertenden in Betracht.

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aa) Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB

Negative Bewertungen können das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das ein „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellt, verletzen; insbesondere können sie die Ehre des Bewerteten beeinträchtigen. Selten verletzen Bewertungen das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls ein „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist. Dieses Recht ist nur bei einem betriebsbezogenen Eingriff in die betriebliche Organisation als solche betroffen. Eine einzelne Bewertung berührt die Betriebsorganisation in der Regel nicht. Kritik über Gewerbetreibende muss in der Regel geduldet werden, es sei denn, sie verwendet unwahre Tatsachenbehauptungen, dann jedoch ist § 823 Abs. 1 subsidiär gegenüber § 824 BGB. Ob die Bewertung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rechtswidrig verletzt, ist im Wege einer einzelfallbezogenen Abwägung zu ermitteln. Zugunsten des Bewerters ist die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) zu berücksichtigen (zu den Abwägungskriterien vgl. insbesondere Fall 1). bb) Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB

Relevante Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB sind §§ 185 ff. StGB. §§ 186 f. StGB richten sich gegen nicht erweislich wahre (§ 186 StGB) bzw. unwahre (§ 187 StGB) Tatsachenbehauptungen, die geeignet sind, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. § 185 StGB erfasst zudem beleidigende Werturteile. Im Rahmen der Rechtswidrigkeit ist zu klären, ob der Bewertende in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gehandelt hat. Hierzu bedarf es wiederum einer Interessenabwägung. cc) Anspruch gemäß § 824 Abs. 1 BGB

§ 824 Abs. 1 BGB bezieht sich auf unwahre Tatsachenbehauptungen, die geeignet sind, den Kredit des Betroffenen zu gefährden oder sonstige Nachteile für seinen Erwerb oder sein Fortkommen herbeizuführen. Ausreichend ist eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Wertschätzung, insbesondere des geschäftlichen Rufs des Betroffenen (BGH, GRUR 1975, 89, 91). Erforderlich ist, dass der Bewertende die Unwahrheit seiner Äußerung kannte oder kennen musste. Ferner darf kein berechtigtes Interesse an der Bewertung bestehen (§ 824 Abs. 2 BGB). Dieses berechtigte Interesse eröffnet wiederum die Möglichkeit einer Abwägung zwi-

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schen wirtschaftlichen Interessen und der Äußerungsfreiheit des Bewertenden. c) Rechtsfolgen

Die Ansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und §§ 823 f. BGB können verschiedene Rechtsfolgen herbeiführen: aa) Beseitigung

Eine wichtige Rolle spielt der Anspruch auf Beseitigung, der dazu dient, die negative Bewertung insgesamt zu entfernen. Zwar ist es in der Praxis – anders als in Fall 10 – nicht üblich, dass die Auktionsteilnehmer die Bewertungen, die sie abgegeben haben, korrigieren bzw. löschen können. Allerdings löscht eBay den Kommentar im Bewertungssystem, wenn eine vollstreckbare gerichtliche Entscheidung vorliegt, die den Bewertenden verpflichtet, seinen Bewertungskommentar zu entfernen (so die Erläuterungen zu dem eBay-Grundsatz zur einvernehmlichen Rücknahme und Entfernung von Bewertungen). Die Beseitigung kann der Bewertete sowohl mit dem verschuldensunabhängigen Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB/§§ 823 Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB/ § 824 BGB als auch mit den verschuldensabhängigen Ansprüchen gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB und §§ 823 f. i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB erreichen. bb) Unterlassung

Gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB/§§ 823 Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB/§ 824 BGB kann der Bewertete von dem Bewertenden verlangen, die negative Bewertung künftig zu unterlassen. Relevant ist diese Rechtsfolge, wenn ein Auktionsteilnehmer während der Geschäftsabwicklung droht, er werde seinen Vertragspartner negativ bewerten. Außerdem kann die Unterlassung verhindern, dass der Bewertende seine Äußerung künftig wiederholt. Allerdings ist in diesen Fällen die Begehungsgefahr oftmals zweifelhaft. cc) Ersatz des materiellen Schadens

Des Weiteren kann der Bewertete gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 i. V. m. §§ 249 ff. BGB sowie gemäß §§ 823 f. i. V. m. §§ 249 ff. BGB Ersatz für den

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materiellen Schaden verlangen, den er infolge der negativen Bewertung erleidet. Ersatzfähig ist auch der Gewinn, der dem Bewerteten dadurch entgeht (§ 252 BGB), dass die negative Bewertung sein Bewertungsprofil in einer Weise verändert, die potentielle Vertragspartner abschreckt. Es ist jedoch schwierig, den entgangenen Gewinn festzulegen. Das Gericht kann den Gewinn nach freier Überzeugung schätzen (§ 287 Abs. 1 S. 1 ZPO), sofern greifbare Anhaltspunkte für die Berechnung vorliegen. Einen Anhaltspunkt bilden die Gewinne der letzten Jahre, einen weiteren könnte die Studie von Gürtler/Grund (The Effect of Reputation on Selling Prices in Auctions, http://www.gesy.uni-mannheim.de/dipa/114.pdf) aus dem Jahr 2006 darstellen, nach der ein Ansteigen negativer Bewertungen um einen Prozentpunkt den erzielbaren Verkaufspreis um insgesamt vier Prozent verringert. dd) Geldentschädigung

Kaum relevant in Bewertungsfällen ist die Geldentschädigung (§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG). Bewertungen verletzen den Betroffenen selten schwerwiegend in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Internet-Auktionshäuser entfernen vulgäre, obszöne, rassistische und im strafrechtlichen Sinn beleidigende Bemerkungen bereits von sich aus (so die Erläuterungen zu dem eBay-Grundsatz zur einvernehmlichen Rücknahme und Entfernung von Bewertungen). 3. Ansprüche des Bewerteten gegen den Portalbetreiber Sofern es gelingt, einen Anspruch auf Beseitigung der Bewertung gegen den Bewertenden zu erwirken, hilft dies dem Bewerteten nur teilweise. Der Bewertende mag einwenden, er habe dem Portalbetreiber mitgeteilt, dass die Bewertung gelöscht werden soll, dieser habe aber nicht reagiert. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Bewertete auch gegen den Portalbetreiber vorgehen kann. Der Portalbetreiber fungiert hier als Störer, da er die Meldung verbreitet. Insofern kann er im Wege der Unterlassung gleichfalls in Anspruch genommen werden. Doch gibt es für Portalbetreiber einige Besonderheiten im Telemedienrecht, auf die in Fall 11 eingegangen wird. Im Ergebnis führen diese Besonderheiten dazu, dass der Portalbetreiber den Kommentar erst entfernen muss, wenn er Kenntnis von dem persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt hat.

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III. Lösungsskizze Frage 1 Anspruchsziel: Entfernung der Bewertung 1. Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB A könnte gegen B einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB haben. a) Schuldverhältnis

Dieser Anspruch setzt ein Schuldverhältnis zwischen A und B voraus. Indem A den Blinker auf der Website der E eingestellt hat, hat er ein Angebot im Sinne des § 145 BGB zum Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) abgegeben, das B mit seinem Gebot angenommen hat. Mithin verbindet A und B ein Kaufvertrag. b) Verletzung einer Nebenpflicht

B müsste mit seiner Bewertung eine Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) aus dem Kaufvertrag verletzt haben. Nebenpflichten des B könnten aus § 6 Nr. 2 der E-AGB folgen. Diese Klausel formuliert in Eckpunkten, wie die Auktionsteilnehmer ihre Bewertungen verfassen müssen. Fraglich ist allerdings, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der E auch im Verhältnis der Auktionsteilnehmer zueinander Wirkungen entfalten. § 6 Nr. 2 der E-AGB beeinflusst den Kaufvertrag zwischen A und B unmittelbar, wenn die Klausel gemäß § 305 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BGB Bestandteil dieses Vertrags geworden ist. Gemäß § 305 Abs. 1 S. 1 BGB müsste eine Vertragspartei § 6 Nr. 2 der E-AGB der anderen bei Vertragsabschluss gestellt haben. Weder A noch B haben auf § 6 Nr. 2 der E-AGB hingewiesen. Daher gilt diese Klausel nicht unmittelbar in ihrem Schuldverhältnis. Allerdings könnte § 6 Nr. 2 der E-AGB im Wege der Auslegung zu berücksichtigen sein. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind die Erklärungen der Auktionsteilnehmer so auszulegen, wie sie der jeweilige Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen muss. Mitglied der E kann nur werden, wer ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmt. Jeder Auktionsteilnehmer kann also da-

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von ausgehen, dass auch sein Vertragspartner den Inhalt der E-AGB kennt und damit einverstanden ist. Der Erklärungsempfänger kann daher annehmen, dass sein Vertragspartner den Vertrag nach Maßgabe der E-AGB schließen will. Mithin dient § 6 Nr. 2 der E-AGB als Auslegungsgrundlage zur Bestimmung der Nebenpflichten. Gemäß § 6 Nr. 2 S. 1 der E-AGB sind die Mitglieder der E verpflichtet, ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die Formulierung des B „Artikel war defekt, davon stand nichts in der Beschreibung.“ erweckt den Eindruck, dass A die Kaufsache als unbeschädigt angeboten hat. Tatsächlich hat A aber in der Produktbeschreibung darauf hingewiesen, dass zwei kleine Ecken an dem Blinker fehlen. Folglich ist die Bewertung des B unwahr (vgl. AG Peine, NJW-RR 2005, 275, 276). Somit hat B seine Nebenpflicht zur wahrheitsgemäßen Bewertung verletzt. c) Vertretenmüssen

Außerdem müsste B die Pflichtverletzung zu vertreten haben (§ 280 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 276 BGB). Obwohl B die Produktbeschreibung des A gelesen hat, hat er erklärt, A habe nicht auf die Mängel des Blinkers hingewiesen. Es ist davon auszugehen, dass B gewusst hat, was er äußert und wie seine Äußerung wirkt. B hat also vorsätzlich im Sinne des § 276 Abs. 1 S. 1 BGB gehandelt. d) Schaden

Die Nebenpflichtverletzung des B müsste zu einem Schaden des A geführt haben. Die negative Bewertung des B wirkt sich nachteilig auf das Bewertungsprofil des A aus. Das Bewertungsprofil entscheidet (mit) darüber, ob andere Auktionsteilnehmer den Bewerteten künftig als Vertragspartner wählen. Negative Bewertungen schrecken potentielle Bieter ab. Die nachteilige Veränderung des Bewertungsprofils bewirkt für A einen Kreditverlust, stellt also einen wirtschaftlichen Schaden dar. e) Ergebnis

Gemäß § 249 Abs. 1 BGB muss der Bewertende den Zustand herstellen, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (Naturalrestitution). B muss also das negativ veränderte Bewertungsprofil des A bereinigen. Daher hat A gegen B einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

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2. Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB Außerdem könnte A gegen B einen Anspruch auf Entfernung (Beseitigung) der Bewertung gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB haben. a) Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Dann müsste die Bewertung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des A beeinträchtigen. In Betracht kommt eine Ehrbeeinträchtigung. Ehrenrührig ist eine Äußerung, die geeignet ist, die innere oder äußere Ehre einer Person zu verletzen, sie insbesondere verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Mit der Bewertung „Artikel war defekt, davon stand nichts in der Beschreibung.“ behauptet B eine unwahre Tatsache, die A als unseriösen Anbieter darstellt, der Mängel seiner Ware verschweigt. Diese Äußerung ist geeignet, A in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Eine Ehrbeeinträchtigung liegt also vor. b) Rechtswidrigkeit

Überdies müsste die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit ist im Wege einer umfassenden Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des A mit entgegenstehenden Rechten des B festzustellen. aa) Entgegenstehendes Recht des B (1) Meinungsfreiheit

Zugunsten des B könnte die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) zu berücksichtigen sein. Dann müsste der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG die unwahre Tatsachenbehauptung des B erfassen. Entgegen seinem Wortlaut („Meinung“) schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG im Interesse eines möglichst effektiven Grundrechtsschutzes auch Tatsachenbehauptungen, sofern sie Voraussetzung für die Bildung einer Meinung sind. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen tragen allerdings nicht zur Meinungsbildung bei.

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Wie bereits dargelegt, äußerte B sich bewusst unwahr über die Produktbeschreibung des A. B kann sich daher nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. (2) Allgemeine Handlungsfreiheit

Er kann sich aber auf die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) stützen. Dieses Auffanggrundrecht schützt das Interesse, äußern und verbreiten zu können, was man will, also auch das Interesse, unwahre Tatsachen zu behaupten. bb) Abwägung

Im Rahmen der Abwägung überwiegt das Interesse des A, nicht öffentlich als unseriöser Anbieter dargestellt zu werden, das Interesse des B, bewusst eine unwahre Bewertung über A abzugeben. Solch eine Bewertung dient auch nicht dem Zweck des Bewertungssystems, Mitglieder der E über die Zuverlässigkeit des Anbieters zu informieren, sondern führt die Auktionsteilnehmer irre. Mithin ist die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung rechtswidrig. c) Fortwirkung der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung

Die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung wirkt fort, solange die Bewertung des B in dem Bewertungsprofil des A erscheint und für alle Auktionsteilnehmer einsehbar ist. d) Ergebnis

A hat gegen B einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB. 3. Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. §§ 823 Abs. 2 BGB, 187 StGB Außerdem hat A gegen B einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. §§ 823 Abs. 2 BGB, 187 StGB. Die Bewertung des B stellt eine unwahre Tatsachenbehauptung dar, die geeignet ist, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. B kann sich nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) berufen.

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4. Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 824 Abs. 1 BGB Gleichfalls besteht ein Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 824 Abs. 1 BGB. Die unwahre Tatsachenbehauptung des B beeinträchtigt die wirtschaftliche Wertschätzung des A. Dies stellt einen „sonstigen Nachteil“ im Sinne des § 824 BGB dar. Frage 2 Anspruchsziel: Entfernung der Bewertung Anspruchsgrundlage: §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB C könnte gegen A einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB haben. 1. Schuldverhältnis Zwischen C und A besteht ein Kaufvertrag (§ 433 BGB). 2. Verletzung einer Nebenpflicht A müsste mit seiner Bewertung eine Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) aus dem Kaufvertrag verletzt haben. § 6 Nr. 2 der E-AGB hilft als Auslegungsgrundlage dabei, die Nebenpflichten der Auktionsteilnehmer zu bestimmen. Gemäß § 6 Nr. 2 S. 2 E-AGB müssen die Bewertungen sachlich gehalten sein. Fraglich ist, was unter „sachlich gehalten“ im Sinne dieser Klausel zu verstehen ist. Der Wortlaut legt nahe, dass die Bewertungen sich auf Tatsachen beziehen müssen. Dafür spricht auch der Zweck des Bewertungsportals, andere Mitglieder über den Bewerteten zu informieren. Andererseits fordert das Bewertungsportal von den Auktionsteilnehmern, ihre Vertragspartner nicht nur mit einer standardisierten Beurteilung (positiv, negativ oder neutral), sondern auch mit einem Bewertungskommentar zu bewerten, also eine subjektive Einschätzung mitzuteilen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Raum, der für eine Bewertung zur Verfügung steht, zu klein ist (80 Zeichen) für umfassende Sachverhaltsangaben. Daher darf das „Gebot der Sachlichkeit“ nicht zu strikt in dem Sinne interpretiert werden, dass ausschließlich aussagekräftige Tatsachenbehauptungen zulässig sind. Sachgerecht erscheint es vielmehr, Bewertungen erst

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dann als unsachlich einzustufen, wenn sie ohne erkennbaren Tatsachenbezug erfolgen. Die Äußerung des A „Auf solche ‚Käufer‘ kann man getrost verzichten, bitte nie wieder, danke.“ weist keinen sachlichen Bezug zu dem Geschäft mit C auf. Es handelt sich um eine pauschale Herabsetzung ohne sachlichen Gehalt (so auch AG Hamburg-Wandsbek, CR 2006, 424, 425: „vollkommen inhaltsleere Pauschalbeurteilung“). Sie hilft anderen Auktionsteilnehmern auch nicht dabei, sich über C zu informieren. Indem A das „Gebot der Sachlichkeit“ missachtet hat, hat er eine Nebenpflicht verletzt. 3. Vertretenmüssen Es ist davon auszugehen, dass A gewusst hat, was er äußert und wie seine Äußerung wirkt. Er hat also vorsätzlich (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB) gehandelt und damit seine Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten. 4. Schaden Des Weiteren müsste die Pflichtverletzung C geschädigt haben. Wie bereits erörtert, stellt die nachteilige Veränderung des Bewertungsprofils mit einer negativen Bewertung einen Schaden dar, da sie potentielle Bieter abschreckt. Ein Schaden ist nicht ausgeschlossen, weil C die Bewertung in seiner Rolle als Bieter erhalten hat (dazu AG Hamburg-Wandsbek, CR 2006, 424, 425 f.). Denn C agiert regelmäßig auch als Anbieter. Seine potentiellen Kunden können auch die Bewertungen einsehen, die seine Bieterrolle betreffen. 5. Ergebnis C hat gegen A einen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB.

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Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses

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Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses für Markenrechtsverstöße der Auktionsteilnehmer (vgl. BGH, Urteil vom 19. 4. 2007, – I ZR 35/04 –, K & R 2007, 387; BGH, Urteil vom 11. 3. 2004, – I ZR 304/01 –, BGHZ 158, 236; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. 2. 2004, – I-20 U 204/02 –, MMR 2004, 315) Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses

I.

Sachverhalt

Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses

Die R-AG (R) stellt hochwertige Uhren her, die weltweit unter der Bezeichnung „R“ bekannt sind und in mehr als einhundert Ländern vertrieben werden. Die Marke „R“, die aus dem Wortbestandteil „R“ sowie der Abbildung einer stilisierten fünfzackigen Krone besteht, ist für R eingetragen. Die E-AG (E) veranstaltet Internet-Auktionen; auf der Website der E können ihre Mitglieder Waren anbieten und ersteigern. Die Angebote werden ungeprüft in einem automatischen Verfahren ins Internet gestellt. E beeinflusst die Versteigerungen nicht, sondern stellt lediglich die technische Plattform dafür zur Verfügung. Sog. Powerseller (Verkäufer, die kontinuierlich besonders viele Artikel bei E verkaufen) bieten über E gefälschte Uhren zum Verkauf an, die sie als „R“Replika bezeichnen. In ihrer Produktbeschreibung bilden sie zudem das Symbol der R, die stilisierte fünfzackige Krone, ab. Auf diese Angebote hat R die E bereits mehrfach hingewiesen. R verlangt von E, dass sie auf ihrer Website künftig Angebote von Powersellern über gefälschte Uhren verhindert, die als „R“-Replika bezeichnet und mit der stilisierten fünfzackigen Krone bebildert sind. Zu Recht?

II. Schwerpunkte des Falles Fall 11 betrifft das abgestufte Haftungssystem der §§ 7–10 TMG sowie die Störerhaftung. Im Vordergrund steht die Frage, ob die Haftungsprivilegierungen für Anbieter von Telemedien auf Unterlassungsansprüche anwendbar sind. Die Fallgestaltung ist wichtig für die Durchsetzung von

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Fall 11: Haftung des Internet-Auktionshauses

Unterlassungsansprüchen gegen diejenigen Anbieter, die fremde Inhalte verfügbar machen oder den Zugang zu ihnen eröffnen, also sämtliche Dienstleister (Provider) im Internet. 1. Gesetzliche Regelungen für Informations- und Kommunikationsdienste Die gesetzlichen Regelungen für Informations- und Kommunikationsdienste begleitete zunächst ein Streit zwischen dem Bund und den Ländern über die Kompetenzverteilung auf dem Multimediamarkt. Der Bund begründete seine Regelungskompetenz mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG (Gewerblicher Rechtsschutz), Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Strafrecht) sowie Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG (Post- und Telekommunikation). Die Länder wandten ein, dass das Grundgesetz dem Bund keine ausdrückliche Kompetenz für die Medien einräume; daher seien sie nach der allgemeinen Regelung des Art. 70 Abs. 1 GG zuständig für die Informations- und Kommunikationsdienste. Letztlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Danach dürfen die Länder die an die Allgemeinheit gerichteten Informations- und Kommunikationsdienste („rundfunkähnliche Dienste“) regeln, während der Bund für die Dienste der Individualkommunikation („telekommunikationsähnliche Dienste“) zuständig blieb. Dieser Kompromiss hielt bis zu dem im Jahr 2007 in Kraft getretenen Telemediengesetz (TMG). Dessen Regelungen versteht man nur vollständig durch einen Blick auf die beiden Vorgängerregelungen, das TDG und den MDStV. a) TDG und MDStV

Die Zweiteilung der Kompetenzen führte zu zwei Regelungswerken – dem Teledienstegesetz (TDG) des Bundes und dem Mediendienstestaatsvertrag (MDStV), den die Länder schlossen. Das TDG regelte die Teledienste, also alle Informations- und Kommunikationsdienste, die für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten, wie Zeichen, Bildern oder Tönen, bestimmt sind und denen eine Übermittlung mittels Telekommunikation zugrunde liegt (§ 2 Abs. 1 TDG). Im Grunde geht es dabei um eine Annexmaterie zum elektronischen Handel (e-commerce), also zum Recht der Wirtschaft. Für an die Allgemeinheit gerichtete, also meinungs- und damit kulturrelevante Informations- und Kommunikationsdienste in Text, Ton oder Bild, die unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters verbreitet werden

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(Mediendienste im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 MDStV), galt der MDStV. Typische Teledienste sind z. B. das Telebanking oder Verkehrs- und Wetterdienste (vgl. § 2 Abs. 2 TDG). Zu den Mediendiensten zählen vor allem die redaktionell gestalteten Verteildienste (z. B. Fernsehtext, vgl. § 2 Abs. 2 MDStV). Die Abgrenzung zwischen Telediensten und Mediendiensten bereitet in einigen Fällen Schwierigkeiten. Beispielsweise stellten Teleshopping-Angebote im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 MDStV Mediendienste dar. Denkbar ist aber auch, dass Teleshopping in elektronischen Datenbanken mit einem interaktiven, individualisierten Zugang angeboten wird. Solche Teleshopping-Angebote waren Teledienste (hierzu Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner, § 2 RStV, Rn. 37; Rossnagel-Meier, § 2 MDStV, Rn. 54 ff). b) TMG

Diese Abgrenzungsschwierigkeiten löst das Telemediengesetz (TMG) des Bundes, das am 1. 3. 2007 in Kraft getreten ist. Es hat das TDG sowie das Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) ersetzt und führte zur Aufhebung des MDStV. Das TMG unterscheidet nicht mehr zwischen Tele- und Mediendiensten, sondern gilt einheitlich für alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 TKG, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 TKG (Telefonmehrwertdienste) oder Rundfunk nach § 2 RStV sind. Es gilt mithin für alle Telemedien im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 TMG. Das TMG regelt aber nur die wirtschafts- und datenschutzrechtlichen Fragen im Bereich der Telemedien, funktional entspricht es dem TDG. Ergänzt wird das TMG durch den neu eingefügten sechsten Abschnitt des RStV (nunmehr: Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien), der die besonderen Anforderungen regelt, die an die Inhalte von Telemedien zu richten sind (vgl. § 1 Abs. 4 TMG); relevant sind §§ 54 ff. RStV für Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten. Diese Vorschriften entsprechen funktional dem bisherigen MDStV (Übersichten über die Neuregelungen: Rössel, ITRB 2007, 158; Roßnagel, NVwZ 2007, 743; Spindler, CR 2007, 239). 2. Einzelne Regelungen des TMG und der §§ 54 ff. RStV Zwar unterscheiden sich das TMG und §§ 54 ff. RStV begrifflich von dem TDG und dem MDStV. Inhaltlich verändern sie die bisherige Rechtslage nicht wesentlich, vermeiden allerdings unnötige (und häufig inhaltsgleiche) Doppelregelungen.

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a) Herkunftslandprinzip

Europäische Ursprünge hat das Herkunftslandprinzip gemäß § 3 TMG. Es wurde erstmals in Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) europarechtlich vorgegeben. Sein Zweck aus Sicht des Europarechts liegt darin, immaterielle Leistungen grenzüberschreitend frei fließen zu lassen. Mediendienste sind nach europarechtlichem Verständnis ebenso wie Rundfunkdienste jedenfalls auch Dienstleistungen. Dienstleistungen sollen wie Waren frei innerhalb der Gemeinschaft zirkulieren können. Damit dies möglich ist, sollen sie nach ursprünglicher Vorstellung der Kommission nur noch den Regelungen im Ursprungs- bzw. Herkunftsstaat unterliegen. Im Ergebnis führt dies zu einem Verlust der Kontrollkompetenz derjenigen Mitgliedstaaten, die nicht Herkunftsstaaten sind, gleichwohl aber die Dienste auf ihrem Territorium empfangbar machen sollen. Das Herkunftslandprinzip ist vor diesem Hintergrund außerordentlich umstritten. Durchgesetzt hat es sich nur im begrenzten Bereich des elektronischen Handels. Aber auch dort gibt es Ausnahmen. Das zeigt die nationale Einkleidung durch das TMG: 1. In Deutschland niedergelassene Anbieter von Telemedien unterliegen den Anforderungen des deutschen Rechts auch, wenn die Telemedien in einem anderen EU-Mitgliedsstaat geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden (§ 3 Abs. 1 TMG). 2. Telemedien-Angebote von Anbietern, die in einem anderen EUMitgliedsstaat niedergelassen sind, dürfen in Deutschland nicht eingeschränkt werden (§ 3 Abs. 2 S. 1 TMG), es sei denn es liegt eine Ausnahme des § 3 Abs. 5 TMG vor (z. B. Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Verbraucherinteressen). b) Zulassungs- und Anmeldefreiheit

Telemedien sind gemäß §§ 4 TMG, 54 Abs. 1 S. 1 RStV zulassungs- und anmeldefrei. Hingegen bedürfen elektronische Informations- und Kommunikationsdienste, die dem Rundfunk zuzuordnen sind, gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 RStV der Zulassung. Diese Regelungen verdeutlichen, dass sich die Einordnung eines Angebots als Telemedium oder Rundfunk in der Praxis erheblich auswirken kann (vgl. Fall 9). c) Informationspflichten der Diensteanbieter

Diensteanbieter müssen Informationspflichten erfüllen, die sich nach der Art des Angebots unterscheiden:

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Diensteanbieter, die Telemedien geschäftsmäßig, in der Regel gegen Entgelt anbieten, müssen ihren Namen und ihre Anschrift sowie zahlreiche weitere Informationen, die § 5 Abs. 1 TMG auflistet, leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar halten. Der Begriff „geschäftsmäßig“ wird weit verstanden; er erfasst auch einzelne Warenangebote, die auf einer privaten Homepage zur Verfügung gestellt werden (Fechner, Medienrecht, 8. A., Rn. 1229; vgl. auch § 3 Nr. 10 TKG). Noch weiter reichen die Informationspflichten bei kommerziellen Kommunikationen im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 5 TMG (vgl. § 6 TMG). § 6 Abs. 2 TMG dient der Spam-Abwehr. Diese Vorschrift ergänzt § 7 Abs. 1, 2 Nr. 3 UWG. Sie legt fest, wie Spam-Mails zu gestalten sind; insbesondere verhindert sie die Verschleierung der Identität des Absenders (hierzu Spindler, CR 2007, 239, 243 f.). Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten müssen zusätzlich zu den Angaben nach §§ 5, 6 TMG einen Verantwortlichen benennen (§ 55 Abs. 2 RStV). Anbieter von Telemedien, die keinen wirtschaftlichen Hintergrund haben und damit nicht § 5 TMG unterliegen, sind nur eingeschränkt informationspflichtig. Sie müssen gemäß § 55 Abs. 1 RStV nur ihren Namen und ihre Anschrift sowie den Namen und die Anschrift ihres Vertretungsberechtigten nennen. Das betrifft die Angebote von Vereinen und sonstigen ideellen Organisationen, wie z. B. die Homepages von Universitäten und Fakultäten. Keine Informationspflichten treffen Anbieter von Telemedien, die ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen (vgl. § 55 Abs. 1 RStV). Davon profitieren private Homepages. d) Verantwortlichkeit der Diensteanbieter

§§ 7–10 TMG regeln die Verantwortlichkeit der verschiedenen Diensteanbieter. Diese Bestimmungen begründen keine Haftung; sie können aber die Haftung der Diensteanbieter aus den allgemeinen Haftungsnormen (z. B. §§ 823 BGB, 97 UrhG, 14 MarkenG) ausschließen. Dogmatisch werden §§ 7–10 TMG als „(Vor-)Filter“ oder negatives Tatbestandsmerkmal eingeordnet. Es gibt keinen zwingenden Prüfungsstandort für die Haftungsprivilegierungen. Sie können zu Beginn der Prüfung, aber auch erst nach den Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsnorm untersucht werden. Empfehlenswert für Klausurzwecke ist es, die Voraussetzungen nach

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der Prüfung der Haftungsnorm zu diskutieren, weil sonst das Risiko besteht, klausurwichtige Probleme unbehandelt zu lassen. aa) Haftungsregelungen

Die Voraussetzungen für eine Haftungsprivilegierung nach dem TMG richten sich nach der konkreten Tätigkeit des Diensteanbieters. Je näher der Provider dem rechtsverletzenden Inhalt steht, desto weiter reicht seine Haftung. (1) Bereithalten von eigenen Informationen

Ein Diensteanbieter, der eigene Informationen online bereithält (sog. Content-Provider) haftet nach den allgemeinen Gesetzen, wie § 7 Abs. 1 TMG (bisher § 8 Abs. 1 TDG, § 6 Abs. 1 MDStV) klarstellt. Das TMG räumt diesen Anbietern keine Haftungsprivilegierung ein. Als „eigene Informationen“ gelten auch Informationen eines Dritten, die sich der Diensteanbieter „zu eigen“ macht. Ob der Anbieter sich Informationen „zu eigen“ macht, ist aus der Perspektive eines objektiven Nutzers zu bestimmen. Im Medienrecht empfiehlt man zur Vermeidung der Haftung eine klare und eindeutige Distanzierung („disclaimer“) von der bloß übermittelten Nachricht. Formulierungen, wie „Wie der Nachrichtendienst X übermittelt, …“, „wir konnten die Meldung nicht überprüfen“ oder „die Meldung gibt nicht die Ansicht der Redaktion wieder“, können helfen. Ein „disclaimer“, mit dem der Anbieter sich pauschal von allen rechtswidrigen Informationen auf seiner Website distanziert, kann ein „Zueigenmachen“ allerdings nicht zuverlässig ausschließen (LG Köln, MMR 2002, 254, 255). (2) Durchleiten von Informationen bzw. Zugangsvermittlung

§ 8 TMG privilegiert den Anbieter, der lediglich fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz übermittelt oder den technischen Zugang zu den Informationen für den Nutzer vermittelt. Zu den Zugangsvermittlern (sog. Access-Provider) gehören die reinen Netzbetreiber. Auch Internet-Cafés fallen hierunter. Die Privilegierung erfasst neben der Informationsübermittlung und der Zugangsvermittlung auch die automatische kurzzeitige Zwischenspeicherung der Informationen, soweit sie nur zur Durchführung der Informationsübermittlung geschieht (§ 8 Abs. 2 TMG; z. B. E-Mail-Zwischenspeicherung); diese Form der Zwischenspeicherung

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ist von der Speicherung gemäß § 9 TMG zu unterscheiden, die länger dauert und anderen Zwecken dient. Solche technischen Dienstleistungen sollen haftungsrechtlich weitgehend von Risiken befreit werden, weil die Informationsgesellschaft auf eine reibungslose technische Infrastruktur angewiesen ist. Konsequenterweise sind die Anbieter für rechtswidrige Inhalte, die sie weiterleiten oder zu denen sie den Zugang vermitteln, nicht verantwortlich (Ausnahmen: § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3, S. 2 TMG). Dies gilt selbst dann, wenn sie Kenntnis davon erhalten, dass über ihren Service rechtswidrige Inhalte erreichbar sind (Spindler/Schmitz/Geis-Spindler, § 9 TDG, Rn. 6). Das Privileg des § 8 TMG ist allerdings sehr eng ausgestaltet (zu den Anwendungsfällen Spindler/Schmitz/Geis-Spindler, § 9 TDG, Rn. 14 ff.). (3) Zwischenspeicherung

§ 9 TMG betrifft die Zwischenspeicherung von häufig genutzten Inhalten auf anderen Servern als dem eigentlichen Content-Server (sog. Caching). Anbieter sind für eine automatische, zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung, die allein dem Zweck dient, die Übermittlung fremder Informationen an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten, nicht verantwortlich, wenn die in § 9 S. 1 Nr. 1–5 TMG aufgezählten Bedingungen kumulativ erfüllt sind. Insbesondere darf der Anbieter solcher Zwischenspeicherungen die Informationen inhaltlich nicht verändern (Nr. 1). Wichtig ist zudem § 9 S. 1 Nr. 5 TMG. Danach muss der Diensteanbieter die zwischengespeicherten Informationen entfernen oder den Zugang zu ihnen sperren, sobald er Kenntnis davon erhält, dass die Informationen am ursprünglichen Übertragungsort entfernt bzw. gesperrt wurden oder ein Gericht oder eine Behörde die Entfernung bzw. Sperrung angeordnet hat. Die Bedingungen in § 9 S. 1 Nr. 1–5 TMG wahren das Interesse des Content-Providers und des Nutzers daran, dass die zwischengespeicherte Kopie dem Original entspricht. (4) Speicherung

Haftungsprivilegiert sind überdies Diensteanbieter, die fremde Informationen für einen Nutzer auf eigenen Servern speichern (sog. HostProvider). Host-Provider sind z. B. Bloggerforen sowie Dienste, wie „MySpace“ und „Youtube“. Außerdem zählen dazu Internet-Auktionshäuser, wie eBay, über die Dritte Waren und sonstige Leistungen anbieten. Nach § 10 TMG sind die Anbieter dieser Dienste nicht verantwortlich, so-

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fern sie keine Kenntnis von dem rechtswidrigen Inhalt haben (§ 10 S. 1 Nr. 1 TMG = § 11 TDG bzw. § 9 MDStV) oder sie nach Kenntniserlangung unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen bzw. den Zugang zu ihr zu sperren (§ 10 S. 1 Nr. 2 TMG). Erforderlich ist positive Kenntnis. Im Rahmen von Schadensersatzansprüchen genügt die Kenntnis der Tatsachen oder Umstände, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird (§ 10 S. 1 Nr. 1 TMG). Da die Anbieter nicht zur Überwachung oder Nachforschung verpflichtet sind (§ 7 Abs. 2 S. 1 TMG), müssen sie sich die Kenntnis nicht selbst verschaffen. Der Anbieter erlangt aber Kenntnis wenn er konkret – z. B. im Wege einer Abmahnung oder Klageschrift – auf den rechtswidrigen Inhalt hingewiesen wird. § 10 S. 2 TMG schließt die Haftungsprivilegierung aus, wenn der Nutzer dem Host-Provider untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird; denn in diesen Fällen stammen die rechtswidrigen Inhalte aus der Sphäre des Diensteanbieters. bb) Anwendbarkeit der §§ 8–10 TMG auf Unterlassungsansprüche

Bereits seit einiger Zeit wird die Frage stark diskutiert, ob die Haftungsprivilegierungen der §§ 8–10 TMG (§§ 9–11 TDG, §§ 7–9 MDStV) auch auf Unterlassungsansprüche anwendbar sind. Für eine Anwendung der §§ 8–10 TMG auf Unterlassungsansprüche führen einige die Intention des Gesetzgebers an, die Diensteanbieter umfassend zu privilegieren (so OLG Düsseldorf, MMR 2004, 315, 316 f.; Ehret, CR 2003, 754, 760; Hoeren, MMR 2004, 672). Überdies weisen sie auf § 7 Abs. 2 S. 1 TMG hin, der die Diensteanbieter von Überwachungs- und Kontrollpflichten entbindet; diese Vorschrift stehe jedenfalls einem vorbeugenden Unterlassungsanspruch entgegen (Hoeren, MMR 2004, 672; beachte allerdings Spindler/Wiebe-Spindler, Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze, 2. A., Kap. 6, Rn. 37 f.). Nach h. M. sind die Haftungsprivilegierungen nicht auf (vorbeugende) Unterlassungsansprüche anwendbar (so BGH, K&R 2007, 387, 388; BGHZ 158, 236, 246 ff.; Spindler/Wiebe-Spindler, Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze, 2. A., Kap. 6, Rn. 36). Ihre Vertreter stützen sich auf den Wortlaut des § 7 Abs. 2 S. 2 TMG; danach bleiben Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach §§ 8– 10 TMG unberührt. Auch Art. 12–15 der E-Commerce-Richtlinie, auf denen §§ 7–10 TMG beruhen, erfassen die Störerhaftung nicht ausdrücklich.

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Gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie kann ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten von dem Diensteanbieter verlangen, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern. Außerdem führte die Anwendung des § 10 S. 1 Nr. 1 TMG auf Unterlassungsansprüche zu dem schwer verständlichen Ergebnis, dass an Unterlassungsansprüche strengere Voraussetzungen als an Schadensersatzansprüche geknüpft wären. e) Datenschutz

Das TMG vereinheitlicht zudem den Datenschutz, den bislang für Teledienste das TDDSG und für Mediendienste der MDStV regelte. § 57 RStV ergänzt die Regelungen des TMG für Daten, die ausschließlich zu eigenen journalistisch-redaktionellen oder literarischen Zwecken erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Gemäß § 12 Abs. 1 TMG darf der Diensteanbieter personenbezogene Daten nur erheben und verwenden, soweit der Nutzer (§ 11 Abs. 2 TMG) zuvor eingewilligt hat oder die Handlung gesetzlich erlaubt ist (Grundsatz des Erlaubnisvorbehalts). Gleiches gilt gemäß § 12 Abs. 2 TMG, sofern der Diensteanbieter bereits erhobene Daten zweckfremd verwenden will. Personenbezogene Daten sind gemäß § 12 Abs. 4 TMG i. V. m. § 3 Abs. 1 BDSG Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. aa) Einwilligung

Gemäß § 12 Abs. 4 TMG i. V. m. § 4 a Abs. 1 S. 3 BDSG bedarf die Einwilligung grundsätzlich der Schriftform (§ 126 BGB). Zur Vereinfachung des Geschäftsverkehrs sieht § 13 Abs. 2 TMG allerdings vor, dass der Nutzer die Einwilligung unter bestimmten Voraussetzungen auch elektronisch erklären kann (z. B. E-Mail, Web-Formular). Des Weiteren hat der Diensteanbieter den Nutzer gemäß § 13 Abs. 1 S. 1, 2 TMG über Art, Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 TMG über sein Recht auf jederzeitigen Widerruf zu unterrichten. Die Hinweise müssen gemäß (§ 13 Abs. 3 S. 2 TMG i. V. m.) § 13 Abs. 1 S. 3 TMG für den Nutzer jederzeit abrufbar sein. Dieses Verfahren dient dazu, dass der Betroffene eine „informierte Einwilligung“ abgeben kann, also weiß, was er tut, wenn er in die Verwendung seiner Daten einwilligt.

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Ferner gilt das Koppelungsverbot gemäß § 12 Abs. 3 TMG. Danach darf der Diensteanbieter die Bereitstellung von Telemedien nicht von der Einwilligung des Nutzers in eine Verwendung seiner Daten für andere Zwecke abhängig machen, wenn dem Nutzer ein anderer Zugang zu diesen Telemedien nicht oder in nicht zumutbarer Weise möglich ist (ausführlich hierzu Spindler/Wiebe-Schmitz, Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze, 2. A., Kap. 13, Rn. 91 ff.). Das Koppelungsverbot schützt die freie und eigenständige Willensbetätigung des Nutzers. bb) Gesetzliche Erlaubnistatbestände

Liegt keine Einwilligung des Nutzers vor, so hängt die Zulässigkeit der Datenerhebung und -verwendung davon ab, ob ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand erfüllt ist. Gesetzliche Erlaubnistatbestände ergeben sich in erster Linie aus §§ 14 f. TMG. Gemäß § 14 Abs. 1 TMG darf der Diensteanbieter personenbezogene Daten eines Nutzers erheben und verwenden, soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses mit ihm über die Nutzung von Telemedien erforderlich sind (sog. Bestandsdaten). Bestandsdaten sind z. B. der Name, die Anschrift, die E-Mail-Adresse oder die Bankverbindung des Nutzers. § 14 Abs. 2 TMG normiert weitgehende Auskunftsansprüche. Während § 5 S. 2 TDDSG eine Weitergabe der Bestandsdaten nur an Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zum Zwecke der Strafverfolgung erlaubte, erklärt § 14 Abs. 2 TMG nunmehr, dass der Diensteanbieter im Einzelfall der zuständigen Stelle Auskunft über Bestandsdaten erteilen darf, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes, des Militärischen Dienstes oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum (!) erforderlich ist (kritisch hierzu Spindler, CR 2007, 239, 243). Über die Verweisung in § 15 Abs. 5 S. 4 TMG gilt das Auskunftsrecht auch für Nutzungs- und Abrechnungsdaten. Diese Änderung betrifft vor allem die Nutzer von Peer-toPeer-Foren zum Austausch von Musikdateien im Internet. Solche Foren beinhalten regelmäßig eine Rechtsverletzung nach § 19 a UrhG, denn wer seine Festplatte für den Zugriff von außen öffnet, stellt die dort gespeicherten Daten zum Abruf bereit, eine Handlung, die lizenzpflichtig ist. Private Onlineüberwachungen können dazu führen, dass die IP-Identifikation des Nutzers ermittelt wird. Damit allein ist die Identität des Nut-

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zers allerdings noch nicht aufgedeckt. Um sie zu erhalten, benötigt man die Mithilfe des Zugangsproviders, der dem Nutzer den Zugang zum Internet verschafft (z. B. AOL, freenet). Die Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs stieß aber bisher auf datenschutzrechtliche Grenzen. Private Rechtsinhaber waren also darauf angewiesen, gegen eine Gruppe von Nutzern unter Angabe ihrer IP-Nummer Strafanzeige zu erstatten und bei Eröffnung des Ermittlungsverfahrens über einen Rechtsanwalt Akteneinsicht zu begehren (§§ 406 e, 475 StPO). Dieser Weg, der voraussetzt, dass bereits Ermittlungsergebnisse vorliegen und ein Ermittlungsverfahren überhaupt begonnen hat, wird nunmehr durch §§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 5 S. 4 TMG abgekürzt. Außerdem darf der Diensteanbieter personenbezogene Daten erheben und verwenden, soweit es erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und für Vergütungszwecke zu erfassen (sog. Nutzungsdaten, § 15 Abs. 1 S. 1 TMG). Nutzungsdaten sind gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 TMG insbesondere Identifikationsmerkmale des Nutzers (z. B. IP-Adresse), Angaben über den Beginn und das Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung sowie Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien. Allerdings sind Nutzungsdaten unverzüglich zu löschen, sobald sie nicht mehr zur Diensteerbringung erforderlich sind, es sei denn, ein weiterer erlaubter Verarbeitungszweck liegt vor (z. B. Erstellung anonymisierter Nutzungsprofile für Zwecke der Werbung oder Marktforschung, § 15 Abs. 3 TMG). Über das Ende des Nutzungsvorgangs hinaus darf der Diensteanbieter Nutzungsdaten verwenden, soweit sie für Zwecke der Abrechnung mit dem Nutzer erforderlich sind (sog. Abrechnungsdaten, § 15 Abs. 4 S. 1 TMG). Die Erforderlichkeit richtet sich nach den vereinbarten Abrechnungsmodalitäten (hierzu Spindler/Schmitz/Geis-Schmitz, § 3 TDDSG, Rn. 7). Eine Aufschlüsselung der Abrechnung nach Anbieter, Zeitpunkt, Dauer, Inhalt und Häufigkeit bestimmter von einem Nutzer in Anspruch genommener Telemedien ist nur zulässig, wenn der Nutzer einen Einzelnachweis verlangt. f) Sonderregelungen für Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten

Neben der besonderen Informationspflicht gemäß § 55 Abs. 2 RStV gelten für Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten Sonderregelungen. Diese Telemedien müssen den „anerkannten journalistischen Grundsätzen“ entsprechen (§ 54 Abs. 2 S. 1 RStV); insbesondere

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muss der Anbieter gemäß § 54 Abs. 2 S. 2 RStV Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der „nach den Umständen gebotenen Sorgfalt“ auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit prüfen (zur Sorgfaltspflicht: Fall 6). Gemäß § 55 Abs. 3 i. V. m. § 9 a RStV haben Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionellen Angeboten einen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden (zum Auskunftsanspruch: Fall 7). Außerdem sind sie gemäß § 56 RStV zur Gegendarstellung verpflichtet (zur Gegendarstellung: Fall 2). § 58 Abs. 1 S. 1 RStV normiert das Trennungsgebot für Werbung (zum Trennungsgebot: Fall 9). g) Aufsicht

Ob die Vorschriften über die Telemedien im RStV und im TMG eingehalten werden, kontrollieren verschiedene Behörden: Die Einhaltung der §§ 11– 15 TMG sowie des § 57 RStV überwachen die nach den allgemeinen Datenschutzgesetzen zuständigen Kontrollbehörden (§ 59 Abs. 1 S. 1 RStV). Im Übrigen ist eine nach Landesrecht bestimmte Aufsichtsbehörde zuständig (§ 59 Abs. 2 RStV; in Nordrhein-Westfalen: Bezirksregierung Düsseldorf). Die Aufsichtsbehörde trifft bei einem Verstoß „die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen“ gegenüber dem Content-Provider (§ 59 Abs. 3 RStV) oder subsidiär gegenüber dem Diensteanbieter von fremden Inhalten (§ 59 Abs. 4 RStV). 3. Störerhaftung eines Internet-Auktionshauses Eine wichtige Rolle in der Praxis spielt die Frage, ob ein InternetAuktionshaus dafür haftet, dass seine Auktionsteilnehmer mit ihren Angeboten Marken- oder Urheberrechte verletzen1. In Betracht kommt eine Haftung des Internet-Auktionshauses als Störer. Störer ist jeder, der willentlich und adäquat kausal zur Rechtsverletzung beiträgt (BGH, GRUR 2004, 693, 695 – Schöner Wetten; BGHZ 148, 13, 17 – ambiente). Indem das Internet-Auktionshaus die Auktionsseiten für seine Mitglieder bereithält, trägt es dazu bei, dass rechtsverletzende Angebote verbreitet werden können. Ebenfalls relevant ist die Frage, ob der Betreiber eines Meinungsforums für rechtsverletzende Beiträge Dritter haftet (hierzu BGH, ZUM 2007, 533: „Ein Unterlassungsanspruch wegen eines in ein Meinungsforum im Internet eingestellten ehrverletzenden Beitrags kann auch dann gegen den Betreiber des Forums gegeben sein, wenn dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist.“ sowie OLG Hamburg, MMR 2006, 744 – heise).

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Um den Störer nicht unangemessen zu belasten, begrenzt die Rechtsprechung seine Haftung allerdings (BGH, GRUR 2004, 693, 695; BGHZ 148, 13, 17): Er haftet nur, soweit er Prüfungspflichten verletzt. Der Umfang der Prüfungspflichten richtet sich danach, ob und inwiefern dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung nach den Einzelfallumständen zuzumuten ist. Das Geschäftsmodell eines Internet-Auktionshauses zeichnet aus, dass der Plattformbetreiber die Angebote der Auktionsteilnehmer in der Regel nicht beeinflusst. Auch ist es dem Internet-Auktionshaus nicht zumutbar, jedes der zahlreichen Angebote vorsorglich auf Rechtsverletzungen hin zu untersuchen. Andererseits schafft das Internet-Auktionshaus mit seiner Plattform eine erhebliche Gefahrenquelle für Urheber- und Markenrechtsinhaber. Zudem profitiert es finanziell davon, dass (rechtsverletzende) Angebote versteigert werden. Daraus folgert der BGH (K&R 2007, 387, 391; BGHZ 158, 236, 252): Das Internet-Auktionshaus muss das konkrete Angebot unverzüglich sperren und darüber hinaus dafür sorgen, dass es nicht zu weiteren Rechtsverletzungen dieser Art kommt, wenn es auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist. Zum Beispiel muss es geeignete Filterprogramme einsetzen, die nach bestimmten Begriffen in bestimmten Zusammenhängen suchen können.

III. Lösungsskizze Anspruchsziel: Verhinderung künftiger Angebote von Powersellern über gefälschte Uhren, die als „R“-Replika bezeichnet und mit einer stilisierten fünfzackigen Krone bebildert sind, auf der Website der E Anspruchsgrundlage: § 14 Abs. 5 MarkenG R könnte gegen E gemäß § 14 Abs. 5 MarkenG einen Anspruch darauf haben, dass sie auf ihrer Website künftig Angebote von Powersellern über gefälschte Uhren verhindert, die als „R“-Replika bezeichnet und mit einer stilisierten fünfzackigen Krone bebildert sind. 1. Markenverletzung Dann müssten die Angebote über gefälschte „R“-Uhren auf der Website der E eine Marke verletzen.

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a) Geschützte Marke

Der Wortbestandteil „R“ sowie die Abbildung einer stilisierten fünfzackigen Krone sind schutzfähige Zeichen im Sinne des § 3 Abs. 1 MarkenG, die gemäß § 4 Nr. 1 MarkenG als Marke für R eingetragen sind. b) Verletzung

Diese Zeichen müssten entgegen § 14 Abs. 2–4 MarkenG benutzt werden. aa) Benutzung der Zeichen entgegen § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG

Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist es Dritten untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie Schutz genießt. (1) Benutzung eines Zeichens, das mit der Marke des Markeninhabers identisch ist (Markenidentität), für identische Waren (Produktidentität)

Mitglieder der E kennzeichnen ihre Angebote mit „R“ und dem Symbol einer stilisierten fünfzackigen Krone. Diese Zeichen sind identisch mit der Marke der R. Die Zeichen beziehen sich, ebenso wie die Marke der R, auf Uhren. Damit liegt auch Produktidentität vor. Unbeachtlich ist, dass die Auktionsteilnehmer die Uhren zusätzlich als Replika bezeichnen. Auf eine Verwechslungsgefahr kommt es im Rahmen des § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, also bei Doppelidentität von Zeichen und markierter Produktklasse, nicht an (BGHZ 158, 236, 249 f.; Fezer, 2. A., § 14 MarkenG, Rn. 72, 74)2.

2 Vertretbar ist es, die Produktidentität abzulehnen und lediglich eine Ähnlichkeit im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zwischen den gefälschten Uhren und den Original-„R“-Uhren anzunehmen. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG müsste die Gefahr einer Verwechslung bestehen. Der BGH (BGHZ 158, 236, 250) stellt klar, dass die Bezeichnung „Replika“ die Verwechslungsgefahr nicht ausschließt. „Denn (...) nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG kommt es grundsätzlich nicht auf eine konkrete Verkaufssituation an, in der eine an sich vorhandene Verwechslungsgefahr durch aufklärende Hinweise (...) ausgeräumt werden kann, sondern auf die abstrakte Gefahr der Verwechslung (...).“

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(2) Ohne Zustimmung des Markeninhabers

Der Markeninhaber R gestattet die streitgegenständlichen Angebote nicht. (3) Handeln im geschäftlichen Verkehr

Des Weiteren müssten die Mitglieder der E die mit der Marke „R“ identischen Zeichen im geschäftlichen Verkehr benutzt haben. Der Begriff des „geschäftlichen Verkehrs“ ist weit zu verstehen: Er erfasst jede wirtschaftliche Tätigkeit, mit der in Wahrnehmung oder Förderung eigener oder fremder Erwerbsinteressen am Erwerbsleben teilgenommen wird (Ströbele/Hacker-Hacker, 7. A., § 14, Rn. 29). Für eine geschäftliche Tätigkeit der Anbieter spricht, dass sie Powerseller, also Verkäufer sind, die kontinuierlich besonders viele Artikel über E versteigern (BGHZ 158, 236, 249). Es werden also Zeichen entgegen § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG benutzt. bb) Benutzung der Zeichen entgegen § 14 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 MarkenG

Überdies ist der Verletzungstatbestand des § 14 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 MarkenG dadurch erfüllt, dass Mitglieder der E unter dem Zeichen „R“ und dem Symbol einer stilisierten fünfzackigen Krone gefälschte Uhren anbieten. Mithin liegt eine Markenverletzung vor. 2. Haftung der E Fraglich ist, ob E für die Markenverletzung haftet. a)

Haftung als Täter oder Teilnehmer

Zwar stellt E ihren Mitgliedern eine Plattform zur Verfügung, auf der sie (markenverletzende) Angebote veröffentlichen können. Damit erfüllt sie aber nicht selbst den Tatbestand einer Markenverletzung. Sie selbst benutzt keine mit der Marke „R“ identischen Zeichen, um gefälschte Uhren anzubieten (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 MarkenG) noch wirbt sie mit diesen Zeichen (vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 5 Alt. 2 MarkenG). Möglicherweise haftet E aber als Teilnehmer (Gehilfe). Die Gehilfenhaftung setzt neben der Beihilfehandlung Vorsatz voraus. Die Angebote werden in einem automatischen Verfahren auf die Website der E gestellt,

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ohne dass E Kenntnis von ihnen nimmt. E ist die Haupttat also nicht bewusst. Daher handelt sie nicht vorsätzlich. b) Störerhaftung

In Betracht kommt jedoch eine Haftung der E als Störer. Störer ist jeder, der willentlich und adäquat kausal zur Rechtsverletzung beiträgt. Indem E die Auktionsseiten für ihre Mitglieder bereithält, trägt sie dazu bei, dass Angebote verbreitet werden können, die das Markenrecht der R verletzen. Um Internet-Auktionshäuser nicht unangemessen zu belasten, begrenzt die Rechtsprechung ihre Haftung als Störer. Sie haften nur, soweit sie Prüfungspflichten verletzen. Der Umfang ihrer Prüfungspflichten richtet sich danach, ob und inwiefern ihnen eine Prüfung nach den Einzelfallumständen zuzumuten ist. Das Geschäftsmodell eines Internet-Auktionshauses zeichnet aus, dass der Plattformbetreiber die Angebote der Auktionsteilnehmer in der Regel nicht beeinflusst. Auch ist es dem Internet-Auktionshaus nicht zumutbar, jedes der zahlreichen Angebote vorsorglich auf Rechtsverletzungen hin zu untersuchen. Andererseits schafft das Internet-Auktionshaus mit seiner Plattform eine erhebliche Gefahrenquelle für Urheber- und Markenrechtsinhaber. Zudem profitiert es finanziell davon, dass (markenverletzende) Angebote versteigert werden. Eine Abwägung dieser Aspekte ergibt, dass es einem Internet-Auktionshaus zuzumuten ist, das konkrete Angebot unverzüglich zu sperren und darüber hinaus dafür zu sorgen, dass es nicht zu weiteren Rechtsverletzungen dieser Art kommt, wenn es auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist. R hat E bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Powerseller über E gefälschte Uhren anbieten, die sie als „R“-Replika und mit dem Symbol der stilisierten fünfzackigen Krone kennzeichnen. E ist es zumutbar, die Angebote ihrer Powerseller mithilfe einer Filtersoftware jedenfalls nach dem Begriff „R“-Replika zu durchmustern. Diesen Prüfungspflichten kommt E nicht nach. Somit haftet sie als Störer. c) Ausschluss der Haftung gemäß § 10 S. 1 TMG

Die Haftung der E könnte allerdings gemäß § 10 S. 1 TMG ausgeschlossen sein. Umstritten ist, ob diese Haftungsprivilegierung auf Unterlassungsansprüche anwendbar ist.

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Für eine Anwendung des § 10 S. 1 TMG auch auf Unterlassungsansprüche führen einige die Intention des Gesetzgebers an, die Diensteanbieter umfassend zu privilegieren. Überdies weisen sie auf § 7 Abs. 2 S. 1 TMG hin, der die Diensteanbieter von Überwachungs- und Kontrollpflichten entbindet. Nach h. M. sind die Haftungsprivilegierungen nicht auf Unterlassungsansprüche anwendbar. Überzeugend stützen sich ihre Vertreter auf den Wortlaut des § 7 Abs. 2 S. 2 TMG; danach bleiben Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach §§ 8– 10 TMG unberührt. Außerdem führte die Anwendung des § 10 S. 1 Nr. 1 TMG auf Unterlassungsansprüche zu dem schwer verständlichen Ergebnis, dass an Unterlassungsansprüche strengere Voraussetzungen als an Schadensersatzansprüche geknüpft wären. Daher ist die Störerhaftung der E nicht gemäß § 10 S. 1 TMG ausgeschlossen (a. A. vertretbar). 3. Ergebnis Gemäß § 14 Abs. 5 MarkenG kann R von E verlangen, dass sie auf ihrer Website künftig Angebote von Powersellern über gefälschte Uhren verhindert, die als „R“-Replika bezeichnet und mit einer stilisierten fünfzackigen Krone bebildert sind.

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Fall 12: Sperrung des Zugangs zu Internetseiten

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Fall 12: Sperrung des Zugangs zu Internetseiten (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 19. 3. 2003, – 8 B 2567/02 –, MMR 2003, 348; VG Düsseldorf, Urteil vom 10. 5. 2005, – 27 K 5968/02 –, CR 2005, 885; VG Köln, Urteil vom 3. 3. 2005, – 6 K 7151/02 –, MMR 2005, 399) Fall 12: Sperrung des Zugangs zu Internetseiten

I.

Sachverhalt

Fall 12: Sperrung des Zugangs zu Internetseiten

Der in Köln ansässige Internet-Provider A bietet seinen Kunden den Zugang zum Internet an. Es ist möglich, über diesen Zugang die Homepage www. xy.org zu erreichen, die auf einem US-amerikanischen Server gespeichert ist. Auf dieser Website wird nationalsozialistisches Gedankengut laienhaft propagiert. Dort ist zum Beispiel der Artikel „Schafft freie Zonen“ veröffentlicht, der dazu aufruft, Juden sowie andere „Volksfeinde“ zu hassen und zu vernichten. Andere Artikel leugnen, dass es während des Zweiten Weltkriegs Massenvernichtungslager gab. Die Website zeigt nationalsozialistische Symbole (Hakenkreuze, SS-Runen). Verschiedene Symbole werden auch zum Kauf angeboten. Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), vertreten durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), erlässt gegen A eine Sperrungsverfügung. Darin gibt sie ihm auf, den Zugang zu der Homepage www.xy.org für seine Kunden zu sperren, indem er einen Proxy-Server einsetzt, der Aufrufe der unzulässigen Angebote filtert oder auf eine andere vordefinierte Seite im Browser umleitet. Vor Erlass der Sperrungsverfügung hat sich die KJM vergeblich bemüht, gegen den Anbieter der Inhalte vorzugehen. US-amerikanische Stellen haben ihr dabei nicht geholfen, weil die Freiheit der Rede („freedom of speech“) ihrer Ansicht nach auch Hasstiraden schützen könne. Die KJM hat A ordnungsgemäß angehört. Ist die Sperrungsverfügung rechtmäßig? Berücksichtigen Sie bei der Falllösung Folgendes: Zwar erschwert die angeordnete Sperrmaßnahme dem durchschnittlichen Internetnutzer den Zugang zu dem Angebot www.xy.org. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass technisch versierte Nutzer die Sperre umgehen können. Überdies kann sie bewirken,

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dass auch legale Angebote nicht mehr abgerufen werden können. Unterstellen Sie, dass keine andere gleichwertige oder wirkungsvollere Sperrmaßnahme in Betracht kommt, die A weniger belastete.

II. Schwerpunkte des Falles Fall 12 beschäftigt sich mit den Jugendschutzvorschriften des Jugendmedienschutzstaatsvertrags und verdeutlicht, wie diese Normen mit den Regelungen des Rundfunkstaatsvertrags und des Telemediengesetzes zusammenspielen. Insbesondere untersucht er die Fragen, wie Aufsichtsbehörden Verstöße gegen Jugendschutzvorschriften ahnden und wer Adressat einer Aufsichtsmaßnahme sein kann. Seit April 2003 ist der Jugendschutz konzentriert im Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutzstaatsvertrag – JMStV) der Länder und dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) des Bundes geregelt (Überblick über den JMStV: Bornemann, NJW 2003, 787). Der JMStV gilt für elektronische Informations- und Kommunikationsmedien (Rundfunk und Telemedien, § 2 Abs. 1 JMStV). Das JuSchG erfasst alle Angebote, die an Träger gebunden sind, wie Bücher, Videos, CDs und DVDs (Trägermedien; vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 JuSchG). Diesen Regelungswerken ging eine Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern im Bereich des Jugendschutzes voraus. Der Bund, der bislang auch im Bereich des Jugendschutzes die Gesetzgebungskompetenz für Teledienste beanspruchte (vgl. Fall 11), verzichtete zugunsten einer einheitlichen Regelung der Tele- und Mediendienste im JMStV darauf, materielle Jugendschutzregelungen in diesem Bereich zu erlassen. Diese Regelungen sind dem Landesrecht vorbehalten (vgl. § 16 JuSchG). Allerdings ist die vom Bund errichtete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) gemäß §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 S. 1 JuSchG für die Indizierung von Träger- und (!) Telemedien zuständig. Der JMStV unterscheidet nicht zwischen Medien- und Telediensten, sondern fasst diese Dienste unter den einheitlichen Begriff „Telemedien“. Damit hat der JMStV die Entwicklung der Gesamtmaterie geprägt. Ihm folgend knüpfen seit März 2007 das Telemediengesetz sowie der Rundfunkstaatsvertrag an den Begriff „Telemedien“ an (vgl. Fall 11). Das JuSchG fasst das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) zusammen. Für das Medienrecht

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bedeutsam sind insbesondere §§ 11 ff. JuSchG, die an das GjSM anknüpfen und dieses Gesetz fortschreiben. 1. Regelungen im Jugendmedienschutzstaatsvertrag Der JMStV regelt in §§ 4, 5 ein abgestuftes Verbotssystem, das zwischen (absolut) unzulässigen und entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten differenziert. Einige Bestimmungen sind nicht speziell dem Jugendschutz gewidmet, sondern sperren auch den Zugang für Erwachsene. Sie verdeutlichen, dass der JMStV nicht nur dem Jugendschutz, sondern auch dem Menschenwürdeschutz dient (vgl. § 1 JMStV). Manche Angebote, insbesondere solche im Gewaltbereich, gelten als so drastisch, dass sie vollständig gesperrt bleiben sollen. Dabei spielt neben dem Schutz des Zuschauers (Rezipientenschutz) der Schutz der dargestellten Menschen (Teilnehmerschutz) eine wichtige Rolle. So sollen Unfallopfer oder Sterbende davor bewahrt werden, voyeuristisch in den Medien zur Schau gestellt zu werden. a) Absolut unzulässige Angebote im Rundfunk und in Telemedien (§ 4 Abs. 1 JMStV)

§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–11 JMStV behandelt absolut unzulässige Angebote, die weder im Rundfunk noch in Telemedien verbreitet werden dürfen. Dazu gehören z. B. volksverhetzende Angebote (Nr. 3), Angebote mit einem rechtsradikalen Inhalt (Nr. 1, 2, 4), Angebote „harter“ Pornografie (Nr. 10, z. B. Sodomie, Kinderpornografie) sowie gewalt- und kriegsverherrlichende Angebote (Nr. 5, 7). Zudem ist die Verbreitung von Angeboten unzulässig, die gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 JMStV die Menschenwürde verletzen. Die KJM beurteilt anhand folgender Kriterien, ob die Menschenwürde verletzt ist (www.kjm-online.de): – Degradierung einer Person oder Personengruppe zum bloßen Objekt, – Darstellung einer Person in einem Zustand, in dem sie ihre Handlungen nicht mehr steuern kann (Betrunkene, Berauschte), – Herabwürdigung einer Person in der Art und Weise der Darstellung (Nacktheit, Leiden, Hilflosigkeit), – Verunglimpfung und Diskriminierung von Minderheiten durch die Art der Darstellung.

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b) Angebote, die im Rundfunk absolut unzulässig sind, in Telemedien aber zulässig sein können (§ 4 Abs. 2 JMStV) aa) Absolut unzulässige Angebote im Rundfunk

Es ist absolut unzulässig, im Rundfunk Angebote im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 JMStV zu verbreiten. Dazu zählen z. B. Angebote mit pornografischen Inhalten, die nicht unter § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 JMStV fallen (§ 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV). Die Generalklausel des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JMStV verbietet Angebote, die offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit unter Berücksichtigung der besonderen Wirkungsform des Verbreitungsmediums schwer zu gefährden. Ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JMStV erfüllt sind, ist einzelfallbezogen festzustellen. Das VG München erklärt in seinem Urteil zur „Freak-Show“ („Jackass“) auf MTV vom 4. 11. 2004 (ZUM 2005, 252 mit Anmerkung von Liesching, ZUM 2005, 224), eine Fernsehshow sei offensichtlich geeignet, Kinder und Jugendliche schwer zu gefährden, wenn die Darsteller ihre Gesundheit oder die Gesundheit Dritter riskieren und die Gefahr der Nachahmung gefährlicher Szenen besteht. So wirke es dem Ziel der Erziehung zur Gemeinschaftsfähigkeit entgegen, wenn Darsteller Alltagsgegenstände als Waffe gegen unbeteiligte Dritte einsetzen (In der streitgegenständlichen Szene verfolgten die Teilnehmer der Sendung Besucher eines voll besetzten Biergartens mit einer Kettensäge.). Neben Angeboten, welche die körperliche Unversehrtheit der Teilnehmer und Rezipienten gefährden, können Angebote jugendgefährdend sein, die zweifelhafte Werte vermitteln und unerwünschte Verhaltensweisen fördern. So stuft die KJM auch Sendungen über Schönheitsoperationen als bedenklich ein. Denn diese Sendungen suggerierten, dass die äußerliche Makellosigkeit der Erscheinung beliebig formbar ist und einen besonderen gesellschaftlichen Wert darstellt; dadurch würden gesellschaftlich zweifelhafte Werte vermittelt, die vor allem jüngere Menschen, die in ihrem Selbstverständnis noch unsicher sind, nachteilig prägen können. bb) Eingeschränkt zulässige Angebote in Telemedien

Hingegen sind gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV in Telemedien Angebote im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 JMStV zulässig, sofern der Anbieter sicherstellt, dass sie nur Erwachsenen zugänglich sind (geschlossene Benut-

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zergruppe). Die unterschiedliche Behandlung von Rundfunk und Telemedien beruht darauf, dass das Medium Fernsehen in technischer Hinsicht nicht komplett gegen den Zugang Minderjähriger absicherbar ist. Es gibt kein abschließbares Fernsehgerät, das die Verantwortung in die Hand der Eltern legt. Im Bereich der PC-Nutzung lässt sich – jedenfalls theoretisch – eine persönliche Nutzersperre errichten und kontrollieren. Der Anbieter kann eine geschlossene Benutzergruppe im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV mithilfe eines „verlässlichen Altersverifikationssystems“ sicherstellen. Um verlässlich zu sein, muss das Altersverifikationssystem nach der KJM folgende Voraussetzungen erfüllen (vgl. www.kjm-online. de): – Die Volljährigkeitsprüfung erfolgt im Rahmen eines persönlichen Kontakts (Face-to Face-Kontrolle; z. B. „Post-Ident-Verfahren“). – Die Identifizierung wird bei jedem Benutzungsvorgang wiederholt. Eine Identifizierung allein über die Personalausweisnummer genügt nicht (Döring/Günter, MMR 2004, 231, 236 f.; a. A. Berger, MMR 2003, 773, 777). Diese Methode ist zu unsicher. Leicht könnten über eine Suchmaschine Personalausweisnummern ermittelt werden, die den Berechnungssystemen der Altersverifikationssysteme entsprächen. Außerdem könnten Jugendliche die Personalausweisnummer ihrer Eltern oder erwachsener Freunde verwenden. c) Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote (§ 5 JMStV)

Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, unterliegen Verbreitungsbeschränkungen. Gemäß § 5 Abs. 1 JMStV dürfen Anbieter sie nur verbreiten oder zugänglich machen, wenn sie dafür sorgen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Ob ein Angebot geeignet ist, die Entwicklung Minderjähriger jeder oder nur bestimmter Altersstufen zu beeinträchtigen, ist einzelfallbezogen zu beurteilen. Allerdings wird gemäß § 5 Abs. 2 JMStV die Eignung zur Entwicklungsbeeinträchtigung vermutet, wenn das Angebot bzw. ein wesentlich inhaltsgleiches Angebot nach dem JuSchG für Kinder oder Jugendliche der jeweiligen Altersgruppe nicht freigegeben ist (Ausnahme: § 9 Abs. 1 JMStV). § 5 Abs. 3 JMStV räumt dem Anbieter zwei Möglichkeiten ein, dafür Sorge zu tragen, dass die Rezipienten der entsprechenden Altersstufen die entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote nicht wahrnehmen: Er kann

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– technische oder sonstige Mittel einsetzen, die verhindern bzw. wesentlich erschweren, dass Kinder oder Jugendliche die Angebote wahrnehmen (Nr. 1) oder – die Angebote zu einer Zeit verbreiten bzw. zugänglich machen, in der sie Kinder oder Jugendliche der jeweiligen Altersstufe üblicherweise nicht wahrnehmen (Nr. 2). Die zweite Alternative eignet sich insbesondere für die Verbreitung von Rundfunksendungen. § 5 Abs. 4 JMStV legt die zeitlichen Grenzen für die Altersstufen „unter 18“ und „unter 16“ fest. Für Fernsehfilme, Serien und sonstige Fernsehformate, auf die das JuSchG nicht anwendbar ist, können die ARD, das ZDF, die KJM oder anerkannte Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle gemäß § 8 Abs. 1 JMStV zeitliche Beschränkungen festlegen. Der Einsatz technischer Mittel im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV ist im Bereich des digitalen Rundfunks und der Telemedien relevant. Für digital verbreitete Programme des privaten Fernsehens legt § 9 Abs. 2 S. 2 JMStV das Mindesterfordernis fest, dass eine Freischaltung nur für die Dauer der jeweiligen Sendung bzw. des jeweiligen Films möglich ist. Der Nutzer muss für die Einzelfreischaltung einen von dem allgemeinen Zugangscode abweichenden Jugendschutzcode aktivieren, der ihm zuvor auf verschlüsseltem Weg zugestellt wurde. Anbieter von Telemedien können den Anforderungen des § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV dadurch genügen, dass sie ein von der KJM anerkanntes Jugendschutzprogramm einsetzen (§ 11 JMStV). d) Jugendschutz in der Werbung

§ 6 JMStV dient dazu, Kinder und Jugendliche vor schädigender Werbung zu bewahren. Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 JMStV dürfen indizierte Angebote nur beworben werden, wenn sie auch verbreitet werden dürfen. Die Liste der jugendgefährdenden Medien gemäß § 18 JuSchG darf nicht zu Werbezwecken verbreitet oder zugänglich gemacht werden (§ 6 Abs. 1 S. 2 JMStV); außerdem darf in der Werbung nicht auf ein Indizierungsverfahren hingewiesen werden (§ 6 Abs. 1 S. 3 JMStV). Diese Werbeverbote sollen vermeiden, dass die Indizierung der Medien insofern kontraproduktiv wirkt, als sie die Bekanntheit und Beliebtheit der indizierten Angebote steigert. Die Werbung darf nicht so gestaltet sein, dass sie Kindern und Jugendlichen schadet oder ihre Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzt. So dürfen weder direkte Kaufappelle an Kinder und Jugendliche gerichtet noch Vertrauensverhältnisse zu ihren Eltern und Lehrern aus-

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genutzt werden (§ 6 Abs. 2 Nr. 1–3 JMStV; vgl. Art. 16 Abs. 1 lit. a–c der EG-Fernsehrichtlinie). Allerdings ist es grundsätzlich nicht verboten, Werbung direkt an Kinder und Jugendliche zu richten (vgl. § 6 Abs. 3 JMStV). Etwas anderes gilt gemäß § 6 Abs. 5 JMStV (vgl. außerdem § 22 Abs. 1 Vorläufiges Tabakgesetz) für Alkohol- und Tabakwerbung; diese Werbung darf sich weder unmittelbar an Kinder und Jugendliche richten (Bsp.: „Alko-Pop-Werbung“ in der BRAVO oder auf MTV) noch so gestaltet sein, dass Kinder und Jugendliche durch die Art der Darstellung besonders beeinflusst werden (Bsp.: rauchende Jugendliche in der Disko mit einem „Bacardi-Cola“ in der Hand auf einem Werbeplakat). e) Aufsicht aa) System der regulierten Selbstregulierung

Die Landesmedienanstalten kontrollieren, ob die privaten Rundfunkveranstalter und Anbieter von Telemedien die Jugendschutzvorschriften einhalten. Zuständig ist gemäß § 20 Abs. 6 S. 1 JMStV grundsätzlich die Medienanstalt des Landes, in dem die Zulassung des Rundfunkveranstalters erteilt wurde oder der Anbieter von Telemedien seinen Sitz hat. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedient sich die zuständige Landesmedienanstalt bei länderübergreifenden Angeboten (§ 13 JMStV) der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM, §§ 14 Abs. 2 S. 1, 2, 20 Abs. 2, 4 JMStV). Das neue Aufsichtsmodell des JMStV – die sog. regulierte Selbstregulierung (vgl. Fall 6) – überlässt die Überwachung der privaten Rundfunkveranstalter und Diensteanbieter allerdings nicht allein der KJM. Daneben räumt es gesellschaftlichen Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle Kontrollbefugnisse ein (§ 19 Abs. 1, 2 JMStV). Das System der regulierten Selbstregulierung beschneidet die öffentlich-rechtlich strukturierte Aufsicht erheblich: Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV kann die KJM gegenüber einem Rundfunkveranstalter Aufsichtsmaßnahmen wegen einer Sendung, die er vor ihrer Ausstrahlung von einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle hat prüfen lassen, nur treffen, wenn die Selbstkontrolleinrichtung ihren Beurteilungsspielraum überschritten oder der Rundfunkveranstalter ihre Vorgaben nicht beachtet hat. Auch mit nichtvorlagefähigen1 Rundfunksendungen sowie Angeboten in Telemedien, die 1 Der JMStV lässt offen, wie zwischen vorlagefähigen und nichtvorlagefähigen Sendungen zu unterscheiden ist. Nicht vorlagefähig sind jedenfalls Live-Sendungen sowie Sendungen, die erst kurz vor der Ausstrahlung fertig gestellt werden.

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nach Auffassung der KJM gegen den JMStV verstoßen, hat sich zunächst die Selbstkontrolleinrichtung zu befassen, der der Rundfunkveranstalter oder Diensteanbieter angehört, es sei denn, es handelt sich um einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 JMStV; wiederum darf die KJM erst einschreiten, wenn die Selbstkontrolleinrichtung ihren Beurteilungsspielraum überschreitet (§ 20 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 JMStV). Mithin kann die KJM allein in drei Fällen direkt gegen den Rundfunkveranstalter oder Diensteanbieter vorgehen: 1. Der Rundfunkveranstalter oder Diensteanbieter ist keiner Selbstkontrolleinrichtung angeschlossen. 2. Der Rundfunkveranstalter hat eine vorlagefähige Sendung nicht bei der Selbstkontrolleinrichtung vorgelegt oder er beachtet die Vorgaben der Selbstkontrolleinrichtung nicht. 3. Die Selbstkontrolleinrichtung überschreitet die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums. Die Funktionstüchtigkeit des Systems setzt also in erheblichem Maße voraus, dass die Selbstkontrolle effektiv funktioniert. Tut sie es nicht, so ist häufig das Angebot bereits so lange auf dem Markt, dass die ergänzende staatliche Aufsicht zu spät kommt. Selbstkontrolleinrichtungen bedürfen – auch vor dem geschilderten Hintergrund – der Anerkennung. Dafür zuständig ist gemäß §§ 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 19 Abs. 4, S. 1 JMStV die KJM. Eine Selbstkontrolleinrichtung muss anerkannt werden (subjektives Recht), wenn sie die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 JMStV erfüllt. Als erste Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle erkannte die KJM die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) an, der nahezu alle privaten Anbieter eines länderübergreifenden Fernsehprogramms angehören. Erst später erkannte die KJM die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) an. Die Anerkennung ist jeweils auf vier Jahre befristet (§ 19 Abs. 4 S. 5 JMStV), eine Verlängerung ist aber möglich. Gemäß §§ 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 19 Abs. 5 S. 1 JMStV kann die KJM die Anerkennung auch widerrufen. bb) Aufsichtsmaßnahmen (1) Allgemeines

Verstößt ein privater Rundfunkveranstalter oder Anbieter von Telemedien gegen den JMStV, so trifft die KJM für die zuständige Landesmedienanstalt die „erforderlichen Maßnahmen“ (§§ 20 Abs. 1, 2, 4 JMStV). Welche Maßnahmen gegenüber Anbietern von Telemedien erforderlich sind, kon-

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kretisiert § 20 Abs. 4 JMStV. Danach trifft die KJM ihre Entscheidung entsprechend § 59 Abs. 2–4 RStV unter Beachtung der §§ 7–10 TMG. Insbesondere kann sie Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen (§ 59 Abs. 3 S. 2 RStV). Die Maßnahmen müssen allerdings verhältnismäßig sein (§ 59 Abs. 3 S. 3–5 RStV). Eine Sperrung journalistisch-redaktioneller Angebote, die ausschließlich (!) Inhalte periodischer Druckerzeugnisse wiedergeben, ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 97 Abs. 5 S. 2, 98 StPO (Grundsätze zur Beschlagnahme) zulässig (§ 59 Abs. 3 S. 6 RStV). Die Aufsichtsmaßnahmen sind in erster Linie gegen den ContentProvider zu richten (§ 59 Abs. 3 S. 1 RStV). Sofern die Maßnahmen gegen den Inhalteanbieter nicht durchführbar oder nicht Erfolg versprechend erscheinen, kann die KJM den Diensteanbieter von fremden Inhalten nach §§ 8–10 TMG zu einer – technisch möglichen und zumutbaren – Sperrung verpflichten (§ 59 Abs. 4 S. 1 RStV). Ein besonderes Problem im Rahmen des § 59 Abs. 4 S. 1 RStV bilden Sperrungsverfügungen gegen Access-Provider im Sinne des § 8 TMG. (2) Sperrungsverfügungen gegen Access-Provider

Bevor der JMStV in Kraft trat, erließ die seinerzeit zuständige Bezirksregierung Düsseldorf zahlreiche Sperrungsverfügungen gegen Access-Provider in Nordrhein-Westfalen, die den Zugang zu Internetseiten vermittelten, die auf ausländischen Servern gespeichert waren. Diese Sperrungsverfügungen sorgten für eine Widerspruchs- und Klagewelle sowie eine rege Diskussion in der juristischen Literatur. Der JMStV regelte die Zuständigkeit neu: Verstöße privater Anbieter gegen den JMStV verfolgt nunmehr die KJM für die zuständige Landesmedienanstalt. Die grundsätzliche Problematik besteht jedoch fort. Zweifelhaft ist lediglich, ob die Landesmedienanstalten ähnlich rigoros gegen die Access-Provider vorgehen werden wie es die Bezirksregierung tat. Bisher jedenfalls ist ein massives Eingreifen nicht zu beobachten. Bedenken bestehen gegen die Verhältnismäßigkeit der Sperrungsverfügungen gegen Access-Provider. Ein Access-Provider kann den Zugang zu einer Website auf verschiedenen Wegen sperren: Er kann – die IP-Adresse blockieren und dadurch verhindern, dass die Anfrage des Nutzers an den Zielrechner geleitet wird, – die streitgegenständliche Domain im Domain-Name-Server sperren und damit die Umwandlung der Klartext-Adressen in die IP-Nummer

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unterbinden mit der Folge, dass eine leere Internetseite bzw. eine Fehlermeldung erscheint, oder – einen Proxy-Server zwischenschalten, der Aufrufe der unzulässigen Angebote filtert oder auf eine andere vordefinierte Seite im Browser umleitet. Einige Literaturvertreter bezeichnen diese Sperrmaßnahmen als ungeeignet. Die Nutzer, die gezielt nach den streitgegenständlichen Angeboten suchen, könnten trotz der „Sperre“ auf sie zugreifen. Das Internet biete mannigfaltige Umgehungsmöglichkeiten (so Kazemi, MMR 2005, 404, 405; Stadler, MMR 2003, 209; MMR 2002, 343, 345). Überdies seien jedenfalls die Blockade der IP-Adresse sowie die Zwischenschaltung eines Proxy-Servers unangemessen, weil sie auch legale Inhalte sperren könnten (Spindler/Volkmann, K&R 2002, 398, 408; Stadler, MMR 2003, 209, 210; MMR 2002, 343, 345 f.); z. B. ist es möglich, dass auch wissenschaftliche Artikel über den Nationalsozialismus nicht mehr erreicht werden können. Die Rechtsprechung beeindruckt diese Kritik kaum. Überzeugend weist sie darauf hin, dass eine Maßnahme nicht bloß dann effektiv ist, wenn sie die Gefahr vollkommen beseitigt, sondern es ausreicht, dass sie einen wirksamen Beitrag dazu leistet, die Gefahr zu minimieren (OVG Münster, MMR 2003, 348, 351; VG Düsseldorf, CR 2005, 885, 889: „Schritt in die richtige Richtung“). Überdies erfordern die Umgehungsmöglichkeiten in der Regel technische Vorkenntnisse, die ein „Normal-Nutzer“ nicht hat. Vor allem eignen sich die Sperrmaßnahmen dazu, den zufälligen Zugriff auf die gesperrten Internetseiten zu verhindern. Ob eine Sperrungsverfügung angemessen ist, muss im Wege einer Interessenabwägung ermittelt werden. Einerseits kann eine Sperrungsverfügung den Access-Provider in seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit (Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) einschränken, indem sie ihm auferlegt, bestimmte technische Vorkehrungen zu treffen2. Außerdem berührt sie die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) der Internetnutzer, denen sie den Zugang zu Informationsangeboten verschließt. Andererseits verhindert die Sperrungsverfügung Internetseiten, die Straftatbestände erfüllen, jugendgefährdend sind, die Menschenwürde verletzen und/oder den öffentlichen Frieden stören. Nachvollziehbar stellt die Rechtsprechung (z. B. OVG Münster, MMR 2003, 348, 352) fest, dass die erheblichen Gefahren für Einzelne und die Allgemeinheit, die ohne eine Sperrungsverfügung 2 Umstritten ist, ob sich ein Access-Provider außerdem auf die Presse- oder Meinungsfreiheit berufen kann (hierzu Spindler/Volkmann, K&R 2002, 398, 406 f.).

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drohen, schwerer wiegen als die Folgen einer Sperrungsverfügung für den Access-Provider (überschaubarer technischer Aufwand) und die Nutzer (geringe Informationseinbuße). 2. Regelungen im Jugendschutzgesetz Das Jugendschutzgesetz regelt ein abgestuftes Verbotssystem für Trägermedien im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 JuSchG. Es bezieht sich sowohl auf das gegenständliche als auch auf das elektronische Verbreiten von Büchern, Videos, CDs, DVDs und sonstigen Trägermedien, soweit es sich nicht um Rundfunk handelt (§ 1 Abs. 2 S. 2 JuSchG). a) Jugendbeeinträchtigende und (schwer) jugendgefährdende Trägermedien

Das JuSchG stellt darauf ab, ob ein Trägermedium geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (schwer) zu gefährden bzw. zu beeinträchtigen. Jugendgefährdende Trägermedien (und Telemedien) werden gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 JuSchG indiziert, d. h. sie werden in eine Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen. Die Indizierung jugendgefährdender Trägermedien bewirkt, dass sie den Verbreitungsbeschränkungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1–7 JuSchG unterliegen; z. B. dürfen sie Kindern und Jugendlichen nicht angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden (Nr. 1). Diese Verbreitungsbeschränkungen gelten auch für nicht indizierte Trägermedien, sofern sie schwer jugendgefährdend sind im Sinne des § 15 Abs. 2 Nr. 1–5 JuSchG. Die Aufzählung in § 15 Abs. 2 JuSchG nennt wesentliche Punkte der Listen in § 4 JMStV. § 14 JuSchG sieht, ähnlich wie § 5 JMStV, für entwicklungsbeeinträchtigende Filme sowie Film- und Spielprogramme eine eingeschränkte Freigabe nach Altersstufen vor. b) Aufsicht

Das JuSchG verbindet verschiedene Aufsichtsformen miteinander. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) ist zuständig für die Indizierung von Träger- und Telemedien (§§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 S. 1 JuSchG). Die BPjM ist eine Bundesbehörde (§ 17 Abs. 1 S. 1 JuSchG), deren Entscheidungen ein pluralistisch besetztes Kollegialorgan trifft (§ 19 JuSchG).

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Die Alterskennzeichnung von Filmen sowie von Film- und Spielprogrammen kann gemäß § 14 Abs. 2 JuSchG entweder die oberste Landesbehörde oder eine Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle vornehmen. Derzeit übernehmen diese Aufgabe im Rahmen des § 14 Abs. 6 JuSchG die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für Filme, Videokassetten und sonstige Bildträger (z. B. DVDs) sowie die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) für Computer- und Videospiele.

III. Lösungsskizze Prüfung der Rechtmäßigkeit der Sperrungsverfügung Die Sperrungsverfügung ist rechtmäßig, wenn sie auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht und die formellen sowie materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer Sperrungsverfügung gegen A erfüllt sind. 1. Ermächtigungsgrundlage Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 20 Abs. 1, 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3, 4 RStV in Betracht. 2. Formelle Rechtmäßigkeit Die Sperrungsverfügung müsste formell rechtmäßig sein. a) Zuständigkeit

Zuständig für den Erlass der Sperrungsverfügung ist gemäß § 20 Abs. 6 S. 1 JMStV die Landesmedienanstalt des Landes, in dem der Anbieter von Telemedien seinen Sitz hat. A ist in Köln ansässig. Damit war die LfM zuständig für die Sperrungsverfügung. Für die LfM handelt die KJM (§§ 20 Abs. 4, 14 Abs. 2 S. 1, 2 JMStV). b) Verfahren, Form

Auch die übrigen formellen Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere hörte die KJM den A ordnungsgemäß an gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NW. Die Sperrungsverfügung ist daher formell rechtmäßig.

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3. Materielle Rechtmäßigkeit Weiterhin müsste die Verfügung mit dem materiellen Recht, insbesondere mit den Vorschriften des JMStV, in Einklang stehen. a) Anwendbarkeit des JMStV

Zunächst müsste der JMStV anwendbar sein. Gemäß § 2 Abs. 1 JMStV gilt er für elektronische Informations- und Kommunikationsmedien (Rundfunk und Telemedien). Das Internetangebot www.xy.org, zu dem A den Zugang vermittelt, ist ein elektronisches Informationsmedium, bei dem es sich weder um Rundfunk im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 RStV noch um einen Telekommunikationsdienst (vgl. § 3 Nr. 24 f. TKG) handelt. Es ist somit ein Telemedium, auf das der JMStV anwendbar ist. b) Verstoß gegen Vorschriften des JMStV

Überdies müssten die Inhalte auf der Website www.xy.org gegen Vorschriften des JMStV verstoßen (§ 20 Abs. 1 JMStV). In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 JMStV. Der Artikel „Schafft freie Zonen“, der dazu aufruft, Juden sowie andere „Volksfeinde“ zu hassen und zu vernichten, stellt ein Propagandamittel im Sinne des § 86 StGB dar, dessen Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Zudem fordert er zum Hass und zu Gewaltmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung (Juden, „Volksfeinde“) auf. Damit verstößt dieser Inhalt gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 JMStV. Entgegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 JMStV stellt die Website Hakenkreuze und SS-Runen (Kennzeichen im Sinne des § 86 a StGB) dar, die teilweise auch zum Kauf angeboten werden. Außerdem bestreiten Artikel auf der Homepage, dass es während des Zweiten Weltkriegs Massenvernichtungslager gab. Sie leugnen also nationalsozialistische Straftaten im Sinne der §§ 6, 7 Völkerstrafgesetzbuch, was gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 JMStV unzulässig ist. Mithin verstößt das Internetangebot www.xy.org, zu dem A den Zugang vermittelt, gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4 JMStV. c) Verhältnismäßigkeit der Sperrungsverfügung

Des Weiteren müsste die gegen A erlassene Sperrungsverfügung verhältnismäßig sein.

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aa) Geeignetheit

Die Sperrungsverfügung müsste ein geeignetes Mittel sein, um zu verhindern, dass Internetnutzer das Internetangebot www.xy.org aufrufen. Zwar können technisch versierte Nutzer die angeordnete Sperrmaßnahme umgehen. Allerdings hindert die Sperre „Normal-Nutzer“, die nicht über die notwendigen technischen Kenntnisse verfügen, auf die Homepage zuzugreifen. Damit leistet sie einen wirkungsvollen Beitrag dazu, die Gefahr zu minimieren. Dieser Beitrag genügt, um die angeordnete Sperrmaßnahme als geeignet einzustufen. bb) Erforderlichkeit

Die Sperrmaßnahme müsste zudem erforderlich sein (§§ 20 Abs. 1 JMStV, 59 Abs. 3 S. 1 RStV). Eine alternative gleichwertige oder wirkungsvollere Maßnahme, die A weniger belastete, kommt laut Bearbeitervermerk nicht in Betracht. Weiterhin müssten sich gemäß § 59 Abs. 4 S. 1 RStV Maßnahmen gegenüber dem Content-Provider als nicht durchführbar oder nicht Erfolg versprechend erweisen. Die KJM hat sich vergeblich bemüht, gegen den Content-Provider vorzugehen. Sie hat sich an US-amerikanische Stellen gewandt, die ihr jedoch nicht geholfen haben, weil die Angebote nach ihrer Ansicht durch die Freiheit der Rede („freedom of speech“) geschützt seien. Dies zeigt, dass Maßnahmen gegenüber dem Inhalteanbieter nicht durchführbar sind und keinen Erfolg versprechen. Die angeordnete Sperrmaßnahme ist somit erforderlich. cc) Angemessenheit

Ob die Sperrmaßnahme angemessen bzw. zumutbar im Sinne des § 59 Abs. 4 S. 1 RStV ist, muss im Wege einer Interessenabwägung ermittelt werden. Indem die KJM dem A auferlegt, einen Proxy-Server einzusetzen, schränkt sie ihn in seiner gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen Tätigkeit ein. Außerdem berührt die Sperrmaßnahme die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) der Internetnutzer, denen sie den Zugang zu Informationsangeboten verschließt. Sie kann sogar bewirken, dass auch legale Angebote (z. B. wissenschaftliche Artikel über den Nationalsozialismus) nicht mehr abgerufen werden können. Andererseits

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unterbindet die Sperrmaßnahme, dass „Normal-Nutzer“ die Internetseite aufrufen können. Damit verhindert sie, dass Inhalte, die jugendgefährdend sind, die Menschenwürde verletzen und den öffentlichen Frieden stören können, ungehindert öffentlich zugänglich sind. Die erheblichen Gefahren für Einzelne und die Allgemeinheit, die ohne eine Sperrungsverfügung drohen, wiegen schwerer als die Folgen einer Sperrungsverfügung für den Access-Provider (überschaubarer technischer Aufwand) und die Nutzer (geringe Informationseinbuße). Folglich ist die Sperrmaßnahme angemessen (a. A. vertretbar). Die Sperrungsverfügung ist also verhältnismäßig. 4. Haftungsprivilegierung nach § 8 TMG Gegen die Inanspruchnahme des A könnte sprechen, dass er als AccessProvider, der Zugang zu Medieninhalten gewährt, gemäß § 8 TMG privilegiert ist. Danach dürfte an sich auch eine Sperrungsverfügung verwehrt sein. Allerdings ist gemäß § 59 Abs. 4 S. 2 RStV i. V. m. § 7 Abs. 2 S. 2 TMG eine Verpflichtung zur Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen trotz der Privilegierung möglich. Die Sperrungsverfügung kann also gegen den Access-Provider A gerichtet werden. 5. Ergebnis Die Sperrungsverfügung ist formell und materiell rechtmäßig.

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Sachregister

Sachregister Sachregister Sachregister Die fettgedruckten Zahlen bezeichnen die Übungsfälle. Dahinter folgen die Seitenzahlen. Abrechnungsdaten 11 191 Absolute Person der Zeitgeschichte siehe Person der Zeitgeschichte Access-Provider 11 186 f., 12 207 f., 210 ff. Akteneinsichtsanspruch 7 109 Allgemeine Gesetze 1 8, 8 140 Allgemeine Handlungsfreiheit 2 35, 10 177 Allgemeines Persönlichkeitsrecht siehe Persönlichkeitsrecht Altersverifikationssystem 12 202 f. Aufsicht – Jugendschutz 12 205 ff. – Rundfunk 8 121 f., 127, 137 f. – Telemedien 11 191 f. Auskunftsanspruch 7 104 ff., 111 ff. Außenpluralismus 8 120, 127, 9 154 f. Beleidigung siehe Ehre Berichterstattung über Straftäter 4 69 ff. Berichtigung 2 26 ff., 33 ff. Beseitigung 10 172 Bestandsdaten 11 190 Bewertung 10 165 ff. Bildnisschutz 3 42 ff., 4 73 Binnenpluralismus 8 120, 129, 9 155 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 6 98 f., 12 200 Bußgeldbescheid 9 159 ff. Caching siehe Zwischenspeicherung Content-Provider 11 186 Datenschutz 11 189 ff. Deutscher Presserat 6 97 ff. Ehre 1 2, 4 ff., 17 f., 5 87, 6 101, 10 176 Einwilligung – Datenschutz 11 189 f.

– Persönlichkeits-, insbesondere Bildnisschutz 1 10 f., 3 41 ff. Entwicklungsgarantie 8 121, 129 Erkennbarkeit 1 13, 3 43 f. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 2 25, 3 49 ff. Fensterprogramm 9 155 Fernsehrat siehe Rundfunkrat Filmfreiheit 4 69 Formalbeleidigung 1 6, 9 Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen 6 98, 12 205 Funktionsauftrag 8 128, 136 f. Gebot der Sachlichkeit 10 169 f., 179 Gebühreneinzugszentrale 8 131 Gegendarstellung 2 29 ff., 37 ff. Geheimsphäre 1 4, 2 24 f. Geldentschädigung 1 14 ff., 5 87 ff., 10 173 Gleichheitsgrundsatz 7 116 f. Großereignisse 9 158 Grundversorgung 8 127 f., 136 f. Haftungsprivilegierungen siehe Verantwortlichkeit der Diensteanbieter Herkunftslandprinzip 11 184 Host-Provider 11 187 Identität siehe Individualität Impressum 6 96 Individualität 1 6 Indizierung 12 209 Informations- und Kommunikationsdienste 11 182 f. Informationsanspruch siehe Auskunftsanspruch Informationsfreiheit 7 104, 115, 12 208, 212 Informationspflichten 11 184 f.

216 Intendant 8 129 Intimsphäre 2 24, 34 Jugendschutz 9 149, 12 200 ff. Karikatur siehe Satire Kommission für Jugendmedienschutz 6 99, 12 200 ff. Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich 9 154 ff. Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten 8 131 ff. Kreditgefährdung 10 171 Kunstfreiheit 4 74 f., 5 82 ff., 88 f. Kurzberichterstattung 8 122, 9 156 f. Landesmedienanstalt 8 138, 12 205 Lebensbild 4 64 f., 73 Lehre vom Verhaltensunrecht 1 11, 3 55 Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten 1 7

Sachregister

– Verfassungsrechtliches Persönlichkeitsrecht 1 4 – Zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht 1 5 f. Person der Zeitgeschichte 3 46 f., 49 ff., 58 Postmortaler Persönlichkeitsschutz 5 79 ff., 91 f. Presse – Begriff 3 52 f., 6 95 – Elektronische Presse 3 53 – Pressegesetze 6 94 f. Pressefreiheit 2 34 f., 3 53 f., 59 Pressekodex 6 97, 100 f. Privatsphäre 2 25 f., 34 ff., 3 59 ff. Produktplatzierung 9 150 f., 160 Programmauftrag 8 136 f. Programmgrundsätze 9 148 Publizistische Sorgfaltspflicht siehe Sorgfaltspflicht

Öffentlichkeitssphäre 2 26 Örtliche Abgeschiedenheit 2 25, 3 49 f., 60 Organisationsverschulden 1 13

Recht am eigenen Bild siehe Bildnisschutz Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 10 171 Recht an der Stimme 1 5 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 1 4, 6 Recht auf Personwerden 2 25, 3 60 Relative Person der Zeitgeschichte siehe Person der Zeitgeschichte Resozialisierung 4 69 ff., 75, 77 Richtigstellung 2 26 ff., 33 ff. Rundfunk – Begriff 4 67, 9 145 ff. – Öffentlich-rechtlicher Rundfunk 8 129 ff. – Privater Rundfunk 8 138 Rundfunkentscheidungen 8 120 ff. Rundfunkfreiheit 4, 66 ff., 74 Rundfunkgebühr 8 130 ff. Rundfunkrat 8 130

Persönlichkeitsrecht – Besondere Persönlichkeitsrechte 1 5 – Postmortales Persönlichkeitsrecht siehe postmortaler Persönlichkeitsschutz

Satire 5 85 f., 88 Schaden – Immaterieller Schaden 1 16, 21, 5 90

Markenrecht 11 193 ff. Mediendienst 11 182 Medienkonzentrationskontrolle 9 154 ff. Mehrdeutige Äußerungen 5 85 f. Meinungsäußerung 1 7 f. Meinungsfreiheit 1 7 ff., 2 35, 3 54 f., 59, 5 89, 10 176 Menschenwürde 1 9, 5 80, 84 Mittelbare Drittwirkung 1 7 Namensrecht 4 65 f. Nutzungsdaten 11 191

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Sachregister

– Materieller Schaden 1 11 f., 10 170 Schadensersatz 1 10, 10 173 Schleichwerbung 9 150 f., 160 f. Schmähkritik 1 9, 10 169 Selbstkontrolle 6 97 f., 12 205 ff. Sendestaatsprinzip 9 144 Sorgfaltspflichten 6 95 f., 101 Sozialsphäre 2 26 Spam-Mails 11 185 Spartenprogramm 9 148 Sperrungsverfügung 12 207 ff., 210 ff. Split-Screen-Werbung 9 151 Sponsoring 9 149, 152 Staatliche Beihilfe 8 133 ff. Störerhaftung 11 192 f., 196 Tatsachenbehauptung 1 7 f., 2 33, 35 Teledienst 11 182 Telemedien 11 183, 12 201 Teleshopping 9 149 Tendenzschutz 3 53 f., 8 127 Trägermedien 12 200 Trennungsgebot 6 97, 9 150 Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle 6 98, 12 210 Unterlassung 3 55 ff., 4 73 ff., 5 91 f., 10 172 f., 11 193 ff.

Unterlassungserklärung 3 56 Urheberpersönlichkeitsrecht 1 5 Verantwortlichkeit der Diensteanbieter 11 185 ff., 195 f. Verdachtsberichterstattung 4 70 f. Verwaltungsrat 8 130 Vielfaltssicherung 8 127 f., 139 f. Virtuelle Werbung 9 152 Vollprogramm 9 148 Wahrnehmung berechtigter Interessen 1 2 Wechselwirkungslehre 1 5, 8 140 Werbung 9 149 ff. Werturteil siehe Meinungsäußerung Widerruf 2 26 ff., 36 ff. Zensurverbot 1 10 Zugangsanspruch 7 109 f., 115 ff. Zulassung privater Rundfunkveranstalter 8 138 Zwangskommerzialisierung 1 15 Zweckübertragungslehre 3 45 Zwischenspeicherung 11 187

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