Briefe an Bertolt Brecht im Exil (1933–1949) 9783110237948, 9783110195460

This multi-volume edition collects and comments on the letters that Bertolt Brecht received during his period of exile.

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German Pages 2096 [2088] Year 2014

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Briefe an Bertolt Brecht im Exil (1933–1949)
 9783110237948, 9783110195460

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Band 1
„Dear Bertie!“ – Briefe an Bertolt Brecht im Exil, 1933–1949
Einleitung
Briefe an Bertolt Brecht, 1933–1936
Briefe an Bertolt Brecht, 1933
Briefe an Bertolt Brecht, 1934
Briefe an Bertolt Brecht, 1935
Briefe an Bertolt Brecht, 1936
Band 2
Briefe an Bertolt Brecht, 1937
Briefe an Bertolt Brecht, 1938
Briefe an Bertolt Brecht, 1939
Briefe an Bertolt Brecht, 1940
Briefe an Bertolt Brecht, 1941
Briefe an Bertolt Brecht, 1942
Briefe an Bertolt Brecht, 1943
Briefe an Bertolt Brecht, 1944
Briefe an Bertolt Brecht, 1945
Band 3
Briefe an Bertolt Brecht, 1946
Briefe an Bertolt Brecht, 1947
Briefe an Bertolt Brecht, 1948
Briefe an Bertolt Brecht, 1949
Anhang
Zur Editionsgeschichte
Editorische Notiz
Danksagung
Copyrighthinweise
Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen
Kurztitel für zitierte Literatur zu Brecht
Kurztitel für sonstige zitierte Literatur
Chronologie der Briefe an Brecht
Namenregister
Register der Werke Bertolt Brechts

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Briefe an Bertolt Brecht im Exil (1933–1949)

Hermann Haarmann, Christoph Hesse (Hrsg.)

Briefe an Bertolt Brecht im Exil (1933–1949) Band 1: 1933–1936

De Gruyter

Eine Publikation des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften (IKK) der Freien Universität Berlin und des Archivs der Akademie der Künste, Berlin.

ISBN 978-3-11-019546-0 e-ISBN [PDF] 978-3-11-023794-8 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-037796-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bildnachweis: Bertolt Brecht, ca. 1939/40, Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 02/113, Foto: Curt Trepte © Giselher Trepte © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: IKK, Christoph Rosenthal Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Band 1 Hermann Haarmann: „Dear Bertie!“ – Briefe an Bertolt Brecht im Exil, 1933–1949 Einleitung .................................................................................................................... VII Briefe an Bertolt Brecht, 1933–1936 Briefe an Bertolt Brecht, 1933 .......................................................................................... 3 Briefe an Bertolt Brecht, 1934 ...................................................................................... 123 Briefe an Bertolt Brecht, 1935 ...................................................................................... 339 Briefe an Bertolt Brecht, 1936 ...................................................................................... 523

Band 2 Briefe an Bertolt Brecht, 1937 ...................................................................................... 627 Briefe an Bertolt Brecht, 1938 ....................................................................................... 731 Briefe an Bertolt Brecht, 1939 .......................................................................................871 Briefe an Bertolt Brecht, 1940 .....................................................................................1009 Briefe an Bertolt Brecht, 1941 ..................................................................................... 1029 Briefe an Bertolt Brecht, 1942 ..................................................................................... 1059 Briefe an Bertolt Brecht, 1943 ..................................................................................... 1081 Briefe an Bertolt Brecht, 1944 ......................................................................................1117 Briefe an Bertolt Brecht, 1945 ..................................................................................... 1139

Band 3 Briefe an Bertolt Brecht, 1946 .................................................................................... Briefe an Bertolt Brecht, 1947 .................................................................................... Briefe an Bertolt Brecht, 1948 .................................................................................... Briefe an Bertolt Brecht, 1949 ....................................................................................

1219 1375 1541 1845

Anhang Zur Editionsgeschichte............................................................................................... 1939 Editorische Notiz......................................................................................................... 1940 Danksagung............................................................................................................... 1942 Copyrighthinweise....................................................................................................... 1943 Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen.................................................................... 1946 Kurztitel für zitierte Literatur zu Brecht...................................................................... 1948 Kurztitel für sonstige zitierte Literatur........................................................................ 1948 Chronologie der Briefe an Brecht................................................................................. 1951 Namenregister ............................................................................................................ 1993 Register der Werke Bertolt Brechts ............................................................................. 2021

Hermann Haarmann

„Dear Bertie!“ – Briefe an Bertolt Brecht im Exil, 1933–1949 Einleitung „Briefe sind die Schutzräume, die Spaziergänge, die Gesprä­che der Ge­­trennten.“ Louise de Vilmorin

I. Briefe haben nicht nur Geschichte, sondern sie bezeugen Geschichte. Im Falle des großen Bertolt Brecht geben sie Kunde von einem literarischen wie persönlichen Leben, das exemplarisch für eine Generation gelten kann. In einer Zeit des Umbruchs nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg sucht sie künstlerische Neuorientierung und findet sie insofern, als sie tatkräftig mitarbeitet an einem ästhetischen Projekt, das sich in seiner Fundierung auf Politik zu legitimieren trachtet. Die große Zäsur mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 und dem ihr geschuldeten Exil ist für derart ambitionierte, der Avantgarde verschriebene Kunstschaffende durch das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Rückkehr aus dem Exil durchaus nicht außer Kraft gesetzt: Biographie und ästhetische Pro­duktion sind weiterhin geprägt – wie selbstredend Nachkriegsdeutschland in Ost und West – durch die Spätfolgen von Exil und Krieg, von Krieg und Exil. Brecht scheut vor einer radikalen Diagnose beim politischen wie kulturellen Wiederaufbau nach 1945 nicht zurück: „Es ist ja nicht so, daß da lediglich ein Nazikrebs zu entfernen ist, damit das Gesunde, Wertvolle, ‚Eigentliche‘ wieder auflebt (ein Mensch ist auch nicht ‚gesund, außer daß er einen Krebs hat‘).“1 Gerade sein Sinn für materialistische Analyse, ein über die Jahre des Exils bewahrter und immer wieder, u.a. durch Karl Korsch, aufgefrischter Schatz früher Berliner Theoriesozialisation, macht nicht halt vor der vermeintlich völlig neuen Ausgangslage. „­[A]uch wenn es Mühe macht, muß man in dieser Zeit im Kopf behalten, daß D[eutschland] 1

Bertolt Brecht, Brief an Berthold Viertel, Februar/März 1945, in: B. B., Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei und Klaus-Detlef Müller, Berlin, Weimar u. Frankfurt/M. 1998, (= GBA), Bd. 29, Briefe 2, bearb. von Günter Glaeser, Frankfurt/M. 1998, S. 345.

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eben ein völlig zu Boden geworfener kapitalistischer Staat ist.“2 Unter dieser Vorgabe teilzunehmen an einer Neubestimmung der Kultur fordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern Hartnäckigkeit bei der Wiederaufnahme und Durchsetzung jener Ideen und Projekte, die zwar als Folge des Nationalsozialismus an ihrer kontinuierlichen Erprobung gehindert, nicht jedoch übers Exil hinweg in ihrer Bedeutsamkeit geschmälert worden sind. Anfang der 1920er Jahre träumt die künstlerische Avantgarde noch den Traum unbeschwerter Jugend und Aufmüpfigkeit. Wer rebelliert, gegen ästhetische Normen und Konventionen verstößt, kann sich der öffentlichen Aufmerksamkeit gewiß sein. Wenn der 1898 in Augsburg geborene Eugen Berthold Friedrich Brecht sich auch mit seiner endgültigen Übersiedlung nach Berlin 1924 ins Zentrum einer dezidiert politischen Kunstpraxis begibt, so sind seine Anfänge in der heimlichen Hauptstadt München doch schon durch künstlerische Versuche gekennzeichnet, die ein vielversprechendes schriftstellerisches Talent erkennen lassen. Die eigentliche Bewährungsprobe für seine frühen Geniestreiche aus der Provinz ist natürlich Berlin, das Berlin der späten 1920er und Anfang der 1930er Jahre. Die Brecht-Aufführun­gen in den Münch­ner Kammerspielen oder im Residenztheater liefern gleichsam nur die Steilvorlage für den längst fälligen Einzug in die wirkliche Metropole: In Berlin tummelt sich die Avantgarde aus Kunst, Literatur und Wissenschaft. Das Mit- und Gegeneinander unterschiedlichster Begabungen schafft ein überaus explosives Gemisch, dem Brecht sich nicht entziehen kann und will. Über Mangel an Selbstbewußtsein dürfte er nicht klagen. „Was den Stoff betrifft, so habe ich genug, um die vierzig zulässigen und nötigen Stücke zu schreiben, die den Spielplan eines Theaters für eine Generation bestreiten […]. Als heroische Landschaft habe ich die Stadt, als Gesichtspunkt die Relativität, als Situation den Einzug der Menschheit in die großen Städte zu Beginn des dritten Jahrtausends, als Inhalt die Appetite (zu groß oder zu klein), als Training des Publikums die sozialen Riesenkämpfe.“3 Brecht wird bis Frühjahr 1933, bis zu seinem Abschied von Deutschland, in Berlin leben und arbeiten; sein größter Theatererfolg, die Uraufführung der Dreigroschenoper am 31. August 1928, ist bis heute mit der Theatergeschichte Berlins unauslöschbar verbunden. Daran haben auch die zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur nichts geändert. Immer noch gelten Brecht und Die Dreigroschenoper als synonym. Und wenn die kleine Episode stimmt, die Maxim Vallentin, Gründer und Leiter des Roten Sprachrohrs Berlin, aus seinem sowjetischen Exil überliefert hat, so hat Die Dreigroschenoper Brecht das Leben gerettet, als er auf der Flucht von Finnland über die Sowjetunion in die USA im Mai 1941 in Moskau Station macht, machen muß. Dort nämlich sei Brecht sogleich von der Geheimpolizei vorgeladen worden.4 Der verhörende Offizier habe wegen des Namens allerdings kurz gestutzt und dann gefragt: „Sind Sie der Brecht, der die Drei2 3 4

Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, Eintrag vom 3.8.1945, GBA 27, S. 228. Bertolt Brecht, Autobiographische Notiz, [Ende Juli] 1925, GBA 26, S. 282f. Im Lichte der jüngst von Jan Knopf vorgelegten Brecht-Biographie (Jan Knopf, Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten. Biografie, München 2012, S. 384ff.) erfährt Vallentins Äußerung mir gegenüber (s. folgende Fußnote) zusätzliche Bestätigung.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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groschenoper ge­schrieben hat?“ Als Brecht bejahte, habe ihn der offensichtlich kunstbeflissene Offizier zur Hintertür hinausgebeten, denn vornheraus, vor der Eingangstür, hätte Brecht verhaftet werden sollen.5 Diese Erzählung, so abstrus sie klingen mag, ist trotz der inzwischen umfänglichen Forschungen zum Stalinismus in ihrem Wahrheitsgehalt bislang nicht belegt, aber durchaus ernst zu nehmen, zumal im Falle Brechts dadurch ein gewisser Erklärungsnotstand aufgelöst werden könnte. Denn sicherlich besteht Erläuterungsbedarf angesichts der Frage, warum Brecht seine Geliebte und enge Mitarbeiterin Margarete Steffin (seinen „kleine[n] Soldat[en] der Revolution“) in einem Sanatorium bei Moskau sterbend zurückläßt und die Eisenbahn nach dem eisfreien Hafen Wladiwostok nimmt!6 Im Lichte der Vallentinschen Anekdote wird nachvollziehbar, wie dringlich er das Schiff ins rettende amerikanische Exil erreichen muß, um dem furchtbaren Schicksal vieler deutscher Exulanten in der Sowjetunion zu entgehen.7 Im Berlin der sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre durchläuft Brecht die Schule der marxistischen Bildung. In seiner Wohnung ‚Am Knie‘ in der Charlottenburger Hardenbergstraße 19 geben ihm Diskussionsrunden mit Karl Korsch, dem Philosophen eines subjektbestimmten Marxismus, und Fritz Sternberg, marxistisch orientierter Ökonom, Einblicke in die materialistische Geschichtsphilosophie. Gleichsam fachspezifische Anregungen und Unterstützung für die Ausbildung und Erprobung seines Theaters erfährt 5

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Maxim Vallentin, Gespräch mit dem Verfasser im Februar 1974 in 1157 Berlin/DDR, Gundelfinger­ straße 27. Dort zeigte Vallentin mir auch seine auf kleine Papierfetzen niedergeschriebene Verteidigungsrede, nachdem er des Trotzkismus bezichtigt worden war. Mit diesen Zetteln ging er zu Dimitrow, der dann seine schützende Hand über ihn hielt. Auch Herbert Wehner intervenierte zu seinen Gunsten. Nach dem Tod von Vallentin ging dessen Nachlaß in den Bestand der Akademie der Künste der DDR über. Besagte Dokumente sind bislang nicht (wieder) aufgetaucht. Der Briefwechsel mit seiner Ehefrau Edith Vallentin, der von dem Sohn versteckt gehalten wurde, liegt inzwischen ediert vor: Peter Diezel (Hrsg.), „hier brauchen sie uns nicht“. Maxim Vallentin und das deutschsprachige Exiltheater in der Sowjetunion 1935–1937. Briefe und Dokumente, Berlin 2000 (akte exil, Bd. 1). Vgl. zum Komplex ‚Brecht und der Stalinismus‘: Wladimir Koljazin, „Bertolt Brecht im Visier der Stalinschen Geheimpolizei“, in: Marc Silberman (Hrsg.), Theater der Zeit, Arbeitsbuch (The Brecht Yearbook 23), Berlin o.J. [1998], S. 118–122; dort wird diese Episode nicht erwähnt, weil dazu bislang keine Dokumente aufgetaucht sind. Sicher aber ist Koljazin zuzustimmen: „Wäre Brecht (oder Becht, wie ihn ein Sonderbevollmächtiger in einem Ermittlungsbericht zum Fall Osten nannte) im Sommer 1941 noch länger in Moskau geblieben, so wäre der bittere Kelch auch an ihm nicht vorübergegangen. So wie er an Maria Osten und Herwarth Walden, die umgebracht wurden, an Bernhard Reich, der wie durch ein Wunder gerettet wurde, und an Georg Lukács, der 3 Monate in der Ljubjanka verbrachte, nicht vorüberging“ (S. 122). „Am 4.6.41 früh 9 Uhr stirbt sie. Sie hat um 8 Uhr noch mein Telegramm erhalten und war sehr ruhig danach. Ich erfahre es um 10 Uhr abends, jenseits des Baikalsees“, in: Journal Finnland, Eintrag vom 13.7.1941, GBA 26, S. 485. Vgl. dazu Georg Lukács/Johannes R. Becher/Friedrich Wolf u.a., Die Säu­berung, Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung, hrsg. von Reinhard Müller, Reinbek b. Hamburg 1991, oder auch Reinhard Müller, Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung, Hamburg 2001.

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er durch die „Mannschaft“, wie Werner Mittenzwei8 jene Freunde und Zuarbeiter nennt, die vor ihm (wie Erwin Piscator) und nun gemeinsam mit ihm an einer materialistischen Ästhetik arbeiten. Die Namen stehen für unterschiedliche Experimente in unterschiedlichsten Gattungen: der Monteur John Heartfield, der Zeichner George Grosz, der Komponist Hanns Eisler, die Regisseure Ernst Ottwalt und Piscator, aber auch der Literaturwissenschaftler Walter Benjamin. Sie alle kommen zusammen in ihrer Ernsthaftigkeit, mit der sie um Theorie und Praxis einer politisch fundierten Kunst streiten. Brecht bewahrt sich jedoch immer Unabhängigkeit, eine radikale Eigenständigkeit. Selbst verbale Übergriffe wehrt er sogleich ab. Als er öffentlich als Mitglied des Piscatorschen Kollektivs genannt wird, widerspricht er vehement. Brechts anarchische Produktivität enträt jeder ästhetischen wie auch parteilichen Bevormundung. Seine schriftstellerische Kreativität speist sich aus einem kühl kalkulierten Furor, der Politik und Kunst zu einer neuen Poetik zu verbinden weiß. Trotz aller proletarischen Kostümierung9 bleibt er der sensible Ästhet. Die Beschäftigung mit dem Marxismus, das Interesse an sozialen Fragen des modernen Kapitalismus10 macht aus Brecht keinen Asketen. Er gönnt sich die durch die Schriftstellerei und die zahlreichen Aufführungen seiner Dramen finanziell möglichen Annehmlichkeiten einer fast großbürgerlichen Existenz mit all ihren traditionellen Ingredienzien: Familiengründungen, Liebschaften, Reisen, Autos11 und ein Ferienhaus in Utting am Ammersee. Kämpft er gerade deshalb um so entschiedener gegen überkommene Konventionen im vorherrschenden Literatur- und Theaterbetrieb? Das epische Theater zielt auf die Überwindung des bürgerlichen Theaters, so wie die Zusammenarbeit mit Kurt Weill und Paul Hindemith auf die der kulina­ri­sch-luxurierenden Oper. Brecht versteht es, das klassische Medium Theater wie das Massenmedium Radio zu nutzen zur Erprobung und Propagierung des epischen Theaters. Auch das neue Medium Film überprüft er auf Möglichkeiten einer zusätzlichen Beweisführung für die Triftigkeit seines Theatermodells. Mit dem Spielfilm Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt von 1932 liefert er, gemeinsam mit Ernst Ott­walt und Hanns Eisler, ein höchst ambitioniertes Beispiel episch-revolutionärer Kinokunst ab. Kompromissen ästhetischen Belangen gegenüber ist Brecht resistent, sehr zum Leidwesen seines Hausverlags Felix Bloch Erben und dessen Eigentümers Fritz Wreede. Dieser renommierte Verlag, der Brecht spätestens seit dem Welterfolg der Dreigroschenoper groß8

Werner Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, 2. Bde., Berlin u. Weimar 1986, Bd. 1, S. 381ff. 9 Vgl. dazu die Photos in Michael Koetzle (Hrsg.), Bertolt Brecht beim Photographen, München 1996. 10 Vgl. dazu Hansjürgen Rosenbauer, Brecht und der Behaviorismus, Bad Homburg 1970. 11 Im Juni schreibt Brechts Ehefrau Helene Weigel an die Agrippina-Autoversicherung, daß „die ‚Polizei‘ den Wagen aus der Garage entfernt hat unter der Angabe, die Steuerangelegenheiten seien nicht in Ordnung“ (siehe vorl. Bd. I, S. 43, Fußn. 124). In einem Schreiben der Geheimen Staatspolizei wird dieser „Diebstahl“ (Helene Weigel) des Wagens Brechts Vater gegenüber erklärt mit der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933 und dem § 1 des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26.5.1933, weil „er zu kommunistischen Umtrieben benutzt worden ist“ (ebd., S. 43f., Fußn. 125).

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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zügig alimentiert,12 gerät zu­nehmend in Schwierigkeiten, und das schon vor dem Ende der Weimarer Republik. Nicht nur, daß Brecht seinen vertraglichen Verpflichtungen eher nachlässig nachkommt, er läßt auch fest verabredete Abgabetermine für versprochene Stücke ohne große Skrupel verstreichen. Und wenn er denn dann doch schreibt, schreibe er sehr zum Leidwesen des Verlags „tendenziöse Lehrstücke“13, Stücke, die „unverwertbar“14 seien, wie die gescheiterten Verhandlungen um die Uraufführung Der heiligen Johanna der Schlachthöfe hinlänglich belegten. Um wie vieles vertrackter muß sich nach Be­­stellung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 und Brechts dadurch überlebensnotwendig gewordenem Gang ins Exil nun das Verhältnis zwischen Verlag und Autor gestalten! Am Tag nach dem Reichstagsbrand verläßt Brecht mit seiner Ehefrau Helene Weigel Berlin in Richtung Prag. Beider Kinder reisen später aus; der Sohn Stefan kommt mit dem Flugzeug nach, während die Tochter Barbara zunächst Unterschlupf findet bei Elisabeth Hauptmann, ehe sie illegal über die Grenze nach Österreich gebracht wird. Die Tochter Hanne aus der Verbindung mit Marianne Zoff bleibt dagegen in Deutschland zurück. Verwandte oder Freunde helfen bei der zeitweisen Unterbringung der Brecht-Familie. Abstecher führen Brecht nach Wien, Zürich und Paris. Eine Entscheidung für eine längerfristige Wohnungsnahme im Exil zieht sich hin, obwohl er zwischendurch das schweizerische Lugano zu präferieren scheint. Auf die Einladung von Karin Michaelis hin übersiedeln die Brechts schließlich nach Dänemark, Ende des Jahres 1933 wohnt die Familie im eigenen Haus in Svendborg, Skovsbostrand 8. Mit der Flucht aus Deutschland ist Brecht von heute auf morgen von seinem angestammten Publikum abgeschnitten. Natürlich muß er jetzt verstärkt versuchen, die vertraglichen Verbindungen nicht abbrechen zu lassen, wiewohl der Verlagsinhaber Wreede „[s]eine Zweifel und [s]eine Sorge“15 darob nicht verhehlen kann. Denn trotz eindringlicher Aufforderungen will Brecht sich nicht dazu verhalten, wie er „sich die Grundlage [seines] weiteren in Deutschland zu verwertenden künstlerischen Schaffens“16 vorstelle. Zu diesem Zeitpunkt noch von „Grundlage“ zu schreiben, grenzt fast an Zynismus, denn längst ist den Theatern in Deutschland „behördlich“ untersagt, seine Stücke aufzuführen. Die Versuche des exilierten Brecht, trotzdem Geld-Zuwendungen zu erhalten, gehen allerdings weiter, so daß Wreede seitens des Verlags merklich entnervt klarstellt: „Reden wir doch ganz of­fen mit einander, lieber Herr Brecht, Sie haben sich auf unsere Kosten ein sehr luxuriöses literarisches Eigenleben gestattet.“17 Jetzt verlangt er von Brecht Rückzahlungen auf bislang 12 Siehe dazu Fritz Wreede, Brief an Brecht, 27.2.1933, vorl. Bd. I, S. 4, Fn. 4: Der im Mai 1929 abgeschlossene Generalvertrag sichert Brecht eine monatliche Zahlung von 1000 Goldmark zu für die Dauer von sieben Jahren mit der Verpflichtung, drei „abendfüllende[] Bühnenwerke“ zu liefern. 13 Fritz Wreede, Brief an Brecht, 17.5.1933, vorl. Bd. I, S. 27. 14 Fritz Wreede, Brief an Brecht, 27.2.1933, vorl. Bd. I, S. 5. 15 Fritz Wreede, Brief an Brecht, 17.5.1933, vorl. Bd. I, S. 27. 16 Ebd. 17 Fritz Wreede, Brief an Brecht, 16.6.1933, vorl. Bd. I, S. 40.

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gezahlte Vorschüsse. Das spricht natürlich dessen pekuniärer Lage im Exil Hohn, muß er doch sehen, wie er den Lebensunterhalt für sich und die Familie zusammenbekommt. Ein Fluch des Exils, daß „Geld ein so dringender Artikel für uns alle ist und altes Kapital zu Geld zu machen, ja nicht immer so leicht ist.“18 Denn trotz einiger Vertragsabschlüsse mit Exilverlagen gestaltet sich die Veröffentlichung literarischer Arbeiten schwierig. So teilt beispielsweise der Allert de Lange Verlag, Amsterdam, Brecht unumwunden mit, „dass wir prinzipiell keine Romane oder Bücher verlegen, worin gegen das heutige Regime in Deutschland agiert wird, oder wovon selbst die Rede über die heutige Lage in Deutschland ist“19. Zwar sind die Verhandlungen über den Dreigroschenroman, dessen Thematik sich schwerlich als direkter Kommentar zum faschistischen Deutschland interpretieren läßt, für Brecht erfolgreich, aber „[d]er Vertrieb ist jetzt ausserordentlich kompliziert geworden“20. Die Unbilden des Exils scheinen in der Anfangsphase von Flucht und Vertreibung noch handhabbar. Es ist der alte Bekannte Wieland Herzfelde, der, wie der Briefwechsel zwischen den beiden belegt, auch im Exil als Brechts Verleger großen Ehrgeiz an den Tag legt, um ihn am literarischen Markt zu halten. Gleichwohl heißt es nun generell, die Möglichkeiten zur Veröffentlichung deutschsprachiger Texte sorgfältiger als bisher zu prüfen und etwaige Angebote zur Übersetzung genau unter die Lupe zu nehmen. Selten kann Brecht wie bei seinem Dreigroschenroman auf die Hilfestellung eines Karl Korsch zählen, der im Londoner Exil gleichsam Feldforschungen unternimmt („Ich habe auch Proben mit gebildeten, aber einfachen englischen Männern u. Frauen gemacht“21), um sprachliche Nuancen im Englischen herauszufinden, die der Doppelsinnigkeit des Brechtschen Originals sehr nahekom­men. Generell gilt jedoch die Warnung, „die Leute in pol. Beziehung nicht allzu sehr auf den Kopf hauen und sich bestimmte Beschränkungen auferlegen“, so der Schauspieler Fritz Kortner aus London an Brecht, denn „[e]indeutig darf man hier nämlich nicht sein, ‚Massnahmen‘ sind für hier unmöglich“.22 Immer, so zeigen es die Briefe von Freunden und Bekannten, wird Brecht auf Chancen und Risiken aufmerksam gemacht, was Publikationen und Inszenierungen im nun angebrochenen Exil angeht.23 Kein Blatt vor den Mund nimmt natürlich das Enfant terrible und der verlorene Sohn der Weltrevolution24 George Grosz, als er sich kurz über den Mißerfolg der Dreigroschenoper in New York ausläßt: „[S]chade, dasz die Dreigroschenoper hier nicht recht durch konnte … dieser Mendelsohnmensch [der Regisseur Francesco von Mendelssohn – H. H.] war auch dem 18 19 20 21 22

Elisabeth Hauptmann, Brief an Margarete Steffin, 12.6.1939, vorl. Bd. II, S. 951. Allert de Lange, Brief an Brecht, 25.8.1933, vorl. Bd. I, S. 104. Walter Landauer, Brief an Brecht, 11.12.1933, vorl. Bd. I, S. 117. Karl Korsch, Brief an Brecht, 14.3.1934, vorl. Bd. I, S. 162. Kortner, zit. in dem Brief Margaret Mynottis an Brecht, 16.8.1934, vorl. Bd. I, S. 247. – „Massnahmen“ spielt natürlich auf das Lehrstück Die Maßnahme an. 23 Vgl. dazu z.B. die Briefe von Elisabeth Hauptmann aus New York. 24 George Grosz distanziert sich im amerikanischen Exil mehr und mehr vom Marxismus, woraufhin ihm z.T. harsche Kritik seiner ehemaligen Freunde entgegenschlägt.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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rauheren broadway nicht gewachsen (zu highbrow) … solche Herren passten besser auf den alten Kurfürstendamm.“25 Später wird Kurt Weill die Richtigkeit dieser Einschätzung Brecht gegenüber, der inzwischen selbst im amerikanischen Exil ist, bestätigen: „Nach der ganzen Struktur des amerikanischen Theaters ist es sehr schwierig, ein Stück, das einmal durchgefallen ist, wieder herauszubringen, selbst wenn es eine so gute Reputation hat wie die Dreigroschenoper.“26 Weill warnt sehr eindringlich vor Experimenten: Brechts Überlegungen für eine weitere Aufführung wehrt er vehement ab. Eine Durchsetzung der Dreigroschenoper „würde wahrscheinlich für immer, mindestens aber für die nächsten 10 Jahre“ zunichte gemacht, „wenn wir die Dreigroschenoper von einer Negertruppe in Californien aufführen liessen. Ich habe […] schon vor Jahren mit einem amerikanischen Autor an einer Negerfassung der Dreigroschenoper gearbeitet.“27 Er, Weill, habe davon abgelassen, weil sich herausstellte, „dass die Idee, eine deutsche Bearbeitung einer englischen ballad opera des 17. Jahrhunderts von amerikanischen Negern darstellen zu lassen, so ‚sophisticated‘ war, dass es das Publikum vollständig verwirrt hätte“28. Es sollte übrigens bis zum Jahr 1954 dauern, daß die Dreigroschenoper in New York wiederaufgelegt wird, um dann wegen ihres Erfolgs für sieben Jahre en suite auf dem Spielplan zu stehen. II. Für die Nachgeborenen ist verwunderlich, wie hilflos gerade die vermeintlich politisch Geschulten auf den sich formierenden Faschismus während der Weimarer Republik reagieren. Brecht, wie viele selbst hoch angesiedelte Parteifunktionäre, unterliegt einer Täuschung über den raschen Aufstieg der nationalsozialistischen Partei und die Konsolidierung des deutschen Faschismus nach der Machtübernahme Hitlers. Nicht nur, daß er noch 1932 das Sommerhaus in Utting am Ammersee erwirbt, ganz offensichtlich ist er auch von der Kürze des Exils überzeugt. Daran erinnert sich noch 1939 Arnold Zweig im entfernten Palästina: „Hatten Sie mich nicht gewarnt, allzu weit zu emigrieren, weil wir in fünf Jahren 25 George Grosz, Brief an Brecht, 1.6.1934, vorl. Bd. I, S. 215. 26 Kurt Weill, Brief an Brecht, 9.3.1942, BBA 1183/4–5. Trotz intensiver Bemühungen seitens der Herausgeber und des Verlags sah sich die Kurt Weill Foundation in New York nicht in der Lage, die Abdruckerlaubnis zu erteilen. Sie begründete dies mit dem Wunsch, die Erstveröffentlichung selbst vorzunehmen. Diese Weigerung ist besonders bedauerlich, da Lotte Lenya, die Witwe Kurt Weills, auf einer Konferenz zum Exiltheater in der (West-)Berliner Akademie der Künste im Herbst 1973 dem Verfasser gegenüber eindringlich verlangte, alles zu unternehmen, um zu widerlegen, daß Brecht und Weill im amerikanischen Exil sich entzweit und keinen Kontakt miteinander gehabt hätten. 27 Ebd., im Brecht-Archiv befinden sich mehrere Briefe, die sich mit der Angelegenheit Dreigroschenoper beschäftigen; es geht um Übersetzungsfragen, aber auch um „financial agreement“, sollte das Stück in Kalifornien herauskommen (Weill scheint hier seine ablehnende Haltung aufgeben zu wollen, weiteren Stationen wie z.B. New York stimmt er aber ausdrücklich nicht zu). 28 Ebd.

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alle wieder in Deutschland sein würden?“29 Nur wenige vergegenwärtigen die reale Gefahr eines kommenden Krieges nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten. Die sogenannte Appeasement-Politik 30 Hitler gegenüber soll doch für Beruhigung bei den europäischen Nachbarn sorgen, so jedenfalls die allgemeine Hoffnung. Weit gefehlt bei analytisch geschulten Köpfen! „Einer der besten hiesigen bürgerlichen Journalisten sagte mir dieser Tage, er rechne auf Grund einwandfreier Informationen noch in diesem Jahr mit einem deutsch-französischen Krieg. Trotzdem er mir seine Quellen nannte, habe ich damals den Kopf geschüttelt. Heute aber bin ich sehr besorgt.“31 Derartige Befürchtungen Bernard von Brentanos resultieren aus einem Politikverständnis, das von einem grundlegenden Konflikt in Europa als Folge des Ersten Weltkriegs ausgeht und in den polternden Auftritten der Nationalsozialisten auf internationaler Bühne Bestätigung findet.32 „Sie wissen, dass ich mich davor hüte, die Nazis als schlechthin dumm zu bezeichnen; aber ihre Aussenpolitik ist tatsächlich jammervoll, würdelos, aufdringlich, nervös, durchsichtig hinterhältig.“33 Die Lage wird von den unmittelbar Betroffenen, den Exilierten, natürlich besonders genau und sorgenvoll registriert. Hinzu kommt eine um sich greifende Isoliertheit, da jene, die Deutschland Hals über Kopf verlassen müssen, von authentischen Informationen aus der Heimat weitestgehend abgeschnitten sind. Sie sind ab sofort verwiesen auf Nachrichten aus zweiter Hand. Besonders begierig fiebern sie deshalb solchen Erzählungen und Berichten entgegen, die erst kürzlich Geflüchtete mitzuteilen wissen. Der Informationsnotstand verschärft sich im Laufe des Exils und mit der Entfernung, die dem immer weiter von Europa fort führenden Weg geschuldet ist. Hier können Briefe helfen, wenngleich Max Liebermann anmerkt, daß Briefe „doch überhaupt nur ein trauriges Surrogat für die mündliche Unterhaltung“34 seien. Trotz alledem: Briefe sind und bleiben Boten, zumal in Zeiten des Exils, über die Kontinente hinweg. Sie tragen Botschaften in die Welt. Sie sind Datenträger der besonderen Art. „Es ist das Eigentümliche der brieflichen Äußerung, auf Sachliches nie anders als in engster Bindung an Persönliches hinzuweisen.“35 Diese Verschränkung von Sachlichem und Persönlichem las­sen Briefe zu Dokumenten aufsteigen, die neben Information immer, wenn auch manchmal in­direkt, einen sehr subjektiven Blick auf das Mit29 Arnold Zweig, Brief an Brecht, 26.3.1939, vorl. Bd. II, S. 901. 30 Die erfährt ihren Höhepunkt mit dem Münchner Abkommen von 1938; bereits 1932 jedoch drängt der damalige englische Premierminister Ramsay MacDonald die Franzosen, dem Wunsch der Deutschen nach Revision des Versailler Vertrages nachzugeben. 31 Bernard von Brentano, Brief an Brecht, April/Mai 1934, vorl. Bd. I, S. 185. 32 Vgl. dazu u.a. den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund im Oktober 1933. 33 Bernard von Brentano, Brief an Brecht, April/Mai 1934, vorl. Bd. I, S. 185. 34 Max Liebermann, Brief an Carl Steffeck, August 1885, zit. nach Hans Ostwald, Das LiebermannBuch, Berlin 1930, S. 156. 35 Walter Benjamin, [Kommentar zum Brief von Karl Friedrich Zelter an Kanzler von Müller], in: W. B., Gesammelte Werke, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser (= GW), Bd. IV.2, hrsg. von Tillmann Rexroth, Frankfurt/M. 1972, S. 955.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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geteilte und den Mitteiler mitliefern. Damit reklamieren Briefe beim Leser im Falle einer gelungenen Mitteilung die Bereitschaft, das Persönliche als Widerbild der harten Realität zu verbuchen. Im Verhältnis zwischen Briefschreiber und ‑empfänger spielen Briefe, zumal mit Blick aufs erzwungene Exil, eine zusätzliche, kommunikativ bedeutende Rolle: „Seit wir aber auseinandergesprengt worden sind, und zwar durch unsere Schuld, müssen wir die Verbindung zueinander bei jeder Gelegenheit aufrecht erhalten, auch die gefühlsmäßige.“36 Zusammenzuhalten, in Kontakt zu bleiben, sich auszutauschen, mit- und untereinander zu kommunizieren ist das Gebot der Stunde. Der Philosoph und Kommunikationstheoretiker Vilém Flusser, aus Prag nach Lateinamerika vertrieben, nennt sehr zugespitzt, aber treffend die menschliche Kommunikation einen „Kunstgriff, dessen Absicht es ist, uns die brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen zu lassen. Von ‚Natur‘ aus ist der Mensch ein einsames Tier, denn er weiß, daß er sterben wird und daß in der Stunde des Todes keine wie immer geartete Gemeinschaft gilt: Jeder muß für sich allein sterben.“37 Um wie vieles mehr bestätigt sich diese Tatsache von der Entität des Lebens mit dem Nationalsozialismus, der vertreibt, verfolgt und mordet? Unstimmigkeiten oder konträre Auffassungen von der Lage der Welt nach dem Sieg des deutschen Faschismus dürften eigentlich unter den Exulanten nicht ins Gewicht fallen, da Exilkommunikation an sich schon erschwert genug ist. Man sollte sich eigentlich verständigen müssen. In den unterschiedlichen politischen Lagern ist das leichter gesagt als getan. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Widersprüche aus der Zeit der Weimarer Republik, die politischen Kämpfe gleichsam im Gepäck mitgenommen werden, um ausgerechnet im Exil mit um so schärferer Klinge ausgefochten zu werden. Die fatale Politik der sogenannten Sozialfaschismusthese38, nach der die Sozialdemokratie der Zwillingsbruder des Nationalsozialismus sei, feiert weiter Urständ, ehe auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 durch die Verkündigung der Volksfrontpolitik endlich ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit zwischen der reformistischen (SPD) und der kommunistischen (KPD) Arbeiterbewegung aufgeschlagen werden soll. Angesichts der sich abzeichnenden Konsolidierung der Nationalsozialisten in Deutschland kommt diese Initiative zu spät; sie erscheint eher als das Eingeständnis einer inzwischen allgemein defensiven weltpolitischen Situation. Für die Geschichte des Exils 1933–1945 wird nicht nur diese von der KPD verschuldete Lähmung der beiden großen Arbeiterparteien, sondern sehr viel einschneidender noch der brutale Stalinismus prägend sein. Von Erwin Piscator, dem Be­gründer des Politischen Theaters und Brecht-Antipoden im alten Berlin, der von 1932 bis zu seiner Abreise nach Paris 1936 in der UdSSR lebt und arbeitet, stammt der treffen36 Arnold Zweig, Brief an Brecht, 18.8.1935, vorl. Bd. I, S. 468. 37 Vilém Flusser, Kommunikologie, hrsg. von Stefan Bollmann und Edith Flusser, Frankfurt/M. 1998, S. 10. 38 Schon 1924 von Josef Stalin verkündet, wiederholt noch 1932 der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann: „SPD und NSDAP sind Zwillinge“, in: Hermann Weber (Hrsg.), Völker hört die Signale. Der deutsche Kommunismus 1916–1966. Dokumente, München 1967, S. 129.

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de und bitter-böse Kommentar zu den Moskauhörigen, den Handlangern des Stalinismus und auch Agenten Stalins, die er im Pariser Exil wiedertrifft. Sie seien, so Piscator in einer rückblickenden Notiz, die eigentlichen Feinde, denn sie „sind die Termiten im Grundbau der Bewegung, der Schwamm im Hause, die nagende Ratte“39. Natürlich wird Geschichte in und durch Briefe anders tradiert als durch klassische Historiographie. Der Briefschreiber kann wählen zwischen zwei Haltungen, der des Historikers und der des Schriftstellers. Nicht ausgemacht ist und bleibt, wer näher an der Wirklichkeit ist. Doch schon Aristoteles weiß um das Verdienst des Dichters, wenn es um die Realitätsdurchdringung mittels Literatur geht. Beide, Historiker wie Dichter, unterscheiden sich nur „dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung.“40 Philosophischer, weil die Tendenz-Latenz geschichtlicher Prozesse („was geschehen könnte“) Geschichte nachhaltiger beeinflußt, als der gemeine Empiriker vermutet. Diese Auszeichnung eines durch und durch subjektiven Textes vor dem empirisch vermeintlich beglaubigten wird vielleicht erklärlich dadurch, daß er natürlich immer zugleich objektiv ist insofern, als er aus der Feder eines die Welt real durchlebenden und ‑fühlenden Zeitgenossen auf den Leser kommt. Und noch eine Besonderheit ist festzuhalten. Was heute bei der Generation der elektronischen SMS-„Briefwechsel“ kaum nachvollziehbar sein dürfte: Das auf Papier geschriebene Wort und der gedruckte Satz können eine Autorität beanspruchen, die im Gefolge der millionenfach herumstreunenden E-Mails ver­loren zu gehen droht. „Für den einfachen [Leser – H.H.] hat das gedruckte Wort noch immer eine Verwandtschaft mit der Bibel oder dem Katechismus.“41 Ein derart autorisiertes Wort erweist seine Exklusivität gerade unter den Bedingungen des Exils, denn im besten Fall beflügelt es den Lebenswillen aller, „die wir in Einzelhaft und zum Tode verurteilt sitzen“42. Trotz aller Beschädigungen durchs Exil vermag Kommunikation dem Verfall von Kommunikation zu trotzen. So paradox es scheinen mag, das Geschehene und Erlebte prägen die Exilierten, doch das, was geschehen wird, wird sie im Laufe des Exils noch entscheidender prägen. Es ist die ungewisse Zukunft, die gleichsam auf die Gegenwart zurückschlägt, die schlimm genug ist. Unter diesem Aspekt wächst Briefen eine überlebenswichtige Funktion zu. Sie bieten sozusagen einen Schutzraum, sie sind ein Sicherungsverfahren, das trotz der Tatsache des Verstoßenseins aus der alten und des Fremdseins in der neuen Heimat Halt verspricht. Das heißt aber nicht, man dürfe sich sogleich aufgehoben fühlen durch die Postsendungen, die einen in der Fremde erreichen. In diesem Fall sind Briefe wirklich Surrogate, wie Liebermann meint. Aber darüber hinaus sind sie Kuriere, die Kunde geben über Menschen und 39 Erwin Piscator, Tagebuch Nr. 15, S. 25, Erwin Piscator Center der Akademie der Künste. 40 Aristoteles, Poetik, übers. u. hrsg. von Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 29. 41 Arnold Zweig, Brief an Brecht, 18.8.1935, vorl. Bd. I, S. 469. 42 Flusser, Kommunikologie, S. 10.

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ihre Lebensumstände. Natürlich fallen die unterschiedlichen Briefformate sofort ins Auge, denn schon die ersten Zeilen entdecken sogleich den spezifischen Gestus der Briefe: der sachliche Geschäftsbrief, die amtliche Mitteilung, der Freundschaftsbeweis, der Liebesbrief, die Benachrichtigung, die dringliche Anfrage, die Bittschrift, das Angebot, die Anklage, die Absage. Alle Formate entbehren nie des Verweises auf den jeweiligen Verfasser. Es sind die unterschiedlichen Temperamente, die eigentümlichen, eigenwilligen, eigensinnigen Schreibstile, die den Adressaten in einen Diskurs hineinziehen, der auf Antwort drängt. In der Buchstäblichkeit der Worte geben sich nicht nur der Autor und dessen Befindlichkeit zu erkennen, sondern ebenso die Weltläufe, die, zumal im Exil, ursächlich des Schreibers Schreibimpuls bestimmen. Diesen Briefen wohnt in besonderem Maße eine Kraft, eine Wahrhaftigkeit vor der Geschichte inne, die sie zu einem Beglaubigungsschreiben werden läßt, das Zeugnis ablegen kann von der Geschichte. III. Exil! Die Welt ist aus den Fugen. Alles ist nicht mehr so, wie es einmal war. Also wird man bescheiden und verhält sich strategisch. „Ich habe ihnen gesagt, wenn es keine guten Rat­ schläge gibt, sollen sie die relativ besten schlechten geben und dazu sagen, dass und warum sie schlecht sind.“43 Das ist die Weisheit des Exils. Allein, sie dringt nicht überall durch. Sie wird nicht selten überlagert durch Projektionen, die sich speisen aus Vorschußlorbeeren besonders dem gelobten Land des Kommunismus gegenüber, die aber zerstieben, als die Realität des Stalinismus auch vor den Exulanten nicht haltmacht. Noch schlägt die Euphorie über die glückhafte Tatsache, in der Sowjetunion angekommen und gerettet zu sein, hohe Wellen. Erst einmal dort angesiedelt, lädt man Freunde und Bekannte ein „i nasad – ins gemeinsame Vaterland“44. Man ist sich so sicher, eine gute Wahl getroffen zu haben. „Überhaupt haben meine Kinder es hier besser als in Berlin; spielen den ganzen Tag im Freien, in staubfreier Luft vor unserem Hause, das auf einem Hügel und nicht an der Straße liegt.“45 Damit ist Hermann Borchardt nicht allein. Piscator, für sein antifaschistisches Vorbildtheater46 auf Werbetour (übrigens auch bei Brecht und Helene Weigel), schreibt an den Schauspieler Otto Wallburg, den er zur Übersiedelung nach Engels, Hauptstadt der Autonomen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen, ans Deutsche Akademische Theater überreden will: „Wenn ich einen Jungen hätte[,] würde ich ihn nur in der Sowjetunion [auf-

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Karl Korsch, Brief an Brecht, 14.3.1934, vorl. Bd. I, S. 163. Erwin Piscator, Brief an Brecht, 16.3.1934, vorl. Bd. I, S. 165. Hermann Borchardt, Brief an Brecht, 25.9.1934, vorl. Bd. I, S. 271. Vgl. dazu Hermann Haarmann/Lothar Schirmer/Dagmar Walach, Das Engels-Projekt. Ein antifaschistisches Theater deutscher Emigranten in der UdSSR (1936–1941), Worms 1975.

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ziehen], weil damit seine Zukunft gesichert ist.“47 Die Geschichte des sowjetischen Exils belegt das Gegenteil. Man ist gut beraten, solchen Einladungen nicht Folge zu leisten. Erschütternd genug, daß Hermann Borchardt erst mit der Ausweisung ins nationalsozialistische Deutschland 1936 seiner Naivität gewahr wird. Nach kurzer Überstellung in das KZ Dachau kann er 1937 – auch Brecht verwendet sich für ihn – in die USA ausreisen.48 George Grosz gewährt ihm in den ersten Monaten Unterkunft in seinem Haus in Douglaston. Borchardts bange Frage „Wir leben so gut, daß ich oft denke: wie lange noch?“49, die er sich während des sowjetischen Exils immer wieder stellt, ist damit sehr eindeutig beantwortet. Als einer der ersten Korrespondenzpartner meldet Bernard von Brentano sein Unverständnis an ob der ambivalenten Haltung, die Brecht mit Blick auf die sowjetische Innenpolitik einnimmt. Er hält sich mit offener Kritik nicht zurück, als er auf Brechts Taktieren eingeht: „[A]lle gegenwärtigen Machthaber, Stalin, Hitler und Mussol[ini] hassen den nachdenklichen Menschen, den Intellektuellen! Man wird in Moskau ebenso eingesperrt wie in Rom oder in Berlin, wenn man versäumt, während eines Semesters den Studenten die Werke Stalins zu empfehlen.“50 Die allenthalben aus dem Boden sprießenden Diktaturen, insbesondere in Stalins Land der Verheißung, und die damit einhergehenden Repressalien werden also von Beginn an im Ausland verfolgt. Damit nicht genug, sie werden als solche benannt. Brentano verschließt davor die Augen nicht. Brechts sarkastisch-ironischer Kommentar, Stalin sei „kein besonders glänzender Schriftsteller“51, womit er offensichtlich seine Geringschätzung Stalins als Theoretiker und damit als Politiker zum Ausdruck bringen will, bleibt nicht lange unbeantwortet. „Wenn Sie aus Moskau schrieben, und Ihr Brief wäre aufgemacht worden, könnten Sie heute in einem Konzentrationslager darüber nachdenken, ob Stalin ein mittelmässiger Schriftsteller ist!“52 Brentano weiß sehr genau um die Konflikte, die drohen, wenn vom Exil aus gerade jene politische Macht, von der zuerst ein offener Widerstand gegen den Nationalsozialismus erwartet wird, durch left-wing Kritik angegangen wird. Der Preis, angesichts der sich anbahnenden stalinistischen Ver­ brechen zu schweigen, ist hoch! Die Opfer bleiben ungeschützt. Eine Grundvoraussetzung, in dieser Situation überhaupt seine Stimme zu erheben, ist, einen klaren Kopf zu bewahren und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. „Darum nenne ich auch nicht, wie Sie irrtümlich annehmen, die Bolsch[ewiki] Fascisten sondern die Stalinisten. Die B[ol­sche­wi­k i] sind tot,

47 Erwin Piscator, Brief an Otto Wallburg, 3.10.1936, in: Erwin Piscator, Briefe, hrsg. von Peter Diezel, Bd. 1: Berlin-Moskau (1909–1936), Berlin 2005, S. 469f. 48 Brecht bemüht sich in diesem Fall sehr intensiv um eine schnelle Ausreise Borchardts aus Nazideutschland, s. dazu die Briefe von Max Warburg und Minna Specht im vorl. Bd. II, S. 639 und S. 646 bzw. S. 648. 49 Hermann Borchardt, Brief an Brecht, 25.9.1934, vorl. Bd. I, S. 271. 50 Bernard von Brentano, Brief an Brecht, Januar 1935, vorl. Bd. I, S. 364. 51 Bertolt Brecht, Brief an Bernard von Brentano, Mitte/Ende Januar 1935, GBA 28, S. 481. 52 Bernard von Brentano, Brief an Brecht, Januar 1935, vorl. Bd. I, S. 365.

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eingesperrt, hingerichtet, ohne Prozess gemordet.“53 Die Stalinistischen Prozesse werden zu einer Feuerprobe für jene Exu­lanten werden, die mit der Sowjetunion und dem Sozialismus sympathisieren. Selbst Parteimitglieder sind vor Zweifeln nicht mehr sicher. Es kommt zu schmerzhaften Verwerfungen, bis hin zu Austritt oder Ausschluß aus der Partei. Aus der Schweiz signalisiert Brentano darob Verständnis, denn „die Vereine“, d.h. die Parteien, seien „wie dressierte Hunde, welche jede fremde Gewalt anbellen, aber vor der eigenen winseln. Das ist weder politisch noch re­v[o­lutionär].“54 Das ist gut gebellt, bleibt aber ohne Folgen beim Freund Brecht. Nur im internen Kreis äußert er seine Skepsis. Seit Feuchtwangers Sowjetunionreise weiß Brecht mit Sicherheit, daß die Neher „eingesperrt [ist]. sie soll in ein verräterisches komplott ihres mannes mitverwickelt sein.“55 Zwei überlieferte Briefe an Feuchtwanger zeigen Brechts Beunruhigung; er bittet den alten, von Stalin in einer Privataudienz empfangenen Freund um Hilfe: „[S]e­hen Sie irgendeine Möglichkeit, sich beim Sekretariat Stalins nach der Neher zu erkundigen? Bei den sehr berechtigten Aktionen, die man den Goebbelsschen Organisationen in der UdSSR entgegensetzt, kann natürlich auch einmal ein Fehlgriff passieren. […] Wenn die N[eher] sich tatsächlich an hochverräterischen Umtrieben beteiligt hat, kann man ihr nicht helfen.“56 Und „[k]önnten Sie etwas für die Neher tun, die in M[oskau] sitzen soll, ich weiß allerdings nicht weswegen, aber ich halte sie nicht für eine den Bestand der Union entscheidend gefährdende Person.“57 Carola Neher stirbt 1942 in einem Lager in der Nähe von Orjol. Als Brecht in einem offenen Brief direkt und provokant nach dem Schicksal der Neher gefragt wird, verweigert er jede öffentliche Stellungnahme. „Sie, Herr Brecht, haben Carola Neher gekannt. Sie wissen, daß sie weder eine Terroristin noch eine Spionin, sondern ein tapferer Mensch und eine große Künstlerin war. Weshalb schweigen Sie?“58 Dieser Anwurf erscheint im Oktober 1938 in der trotzkistischen Zeitschrift der Internationalen Kommunisten Deutschlands, Unser Wort, 53 Ebd. 54 Ebd., S. 366. 55 Lion Feuchtwanger, Brief an Brecht, 30.5.[1937], vorl. Bd. II, S. 674. 56 Bertolt Brecht, Brief an Lion Feuchtwanger, [Februar/März 1937], GBA 29, S. 13f. 57 Bertolt Brecht, Brief an Lion Feuchtwanger, [Mitte/Ende Mai 1937], GBA 29, S. 30. Übrigens findet sich in diesem Brief der interessante Satz: „Vielleicht ist sie durch irgendeine Frauenaffäre in was hineingeschlittert.“ Spielt Brecht hiermit darauf an, daß in der Sowjetunion seit 1934 (auch weibliche) Homosexualität unter Strafe steht und zur Anklage und Verurteilung führen kann? Der Schauspieler Peter Holm (d.i. Georg Kaufmann), der seit 1931 in der Sowjetunion als Filmschauspieler arbeitet (u.a. in dem Piscator-Film Der Aufstand der Fischer), wird 1935 verhaftet und 1938 erschossen. Vgl. dazu: Reinhard Müller, Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung, Hamburg 2001, S. 216ff. 58 Walter Held, in: Unser Wort, VI. Jg., Nr. 4-5, Oktober 1938, S. 7, zit. nach Helmut Dahmer, „Bertolt Brecht und der Stalinismus“, in: Jahrbuch Arbeiterbewegung 1, Frankfurt/M. 1973, S. 353. Held (d.i. Heinz Epe, unter diesem Namen als Herausgeber im Impressum genannt) nimmt wie Brecht den Fluchtweg von Skandinavien über die Sowjetunion in die USA. „Er wurde bei der Einreise [in die SU – H.H.] zusammen mit seiner Frau vom NKWD verhaftet und am 28. Oktober 1942 erschossen“ (vgl. Müller, Menschenfalle Moskau, S. 264, Fußn. 42).

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Paris. Kann man bei Brecht im Falle der stalinistischen Verbrechen durchaus von einer gewissen, offensichtlich auch gewollten Blindheit spre­chen, so muß man ihm mit Blick auf die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch den deutschen Faschismus beschämende Ignoranz bescheinigen.59 Es ist ja nicht so, daß Zeitgenossen die Augen verschließen vor den epidemisch um sich greifenden nationalsozialistischen Greueln. Allerdings läßt sich feststellen, daß insbesondere die politische Linke sich schwertut, sich dem sehr sichtbaren Antisemitismus und Völkermord an den Juden zu stellen. Es mag damit zusammenhängen, daß auch in der Sowjetunion mit dem sich verschärfenden Stalinismus antisemitische Töne in der Politik immer lauter werden. Leo Trotzki, mit Geburtsnamen Lew Dawidowitsch Bronstein, wird auf Plakaten als Jude karikiert und so öffentlich vermeintlich diffamiert. Diesen latenten, im Gegensatz zum offen nationalsozialistischen, Antisemitismus anzuprangern, kommt den Linken nicht in den Sinn. Zu sehr sind sie fixiert auf das Schicksal der Genossen im faschistischen Deutschland. Allein vor der Geschichte gibt es keine Frei­stellung von einer Stellungnahme, wenn diese durch Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichnet ist. Es bleibt neben anderen Theodor W. Adorno, dem Mitglied des exilierten Instituts für Sozialforschung, das Brecht als Anschauungsmaterial60 für seine Intellektuellenschelte, die sogenannte Tui-Kritik61, dient, vorbehalten, in der Dialektik der Aufklärung grundsätzliche Elemente des Antisemitismus herauszuarbeiten. Brecht dagegen schweigt. Es ist wieder einmal der renitente Bernard von Brentano, der schon Anfang 1937 nicht locker läßt: Mit eindringlichen Worten wendet er sich an Brecht und bittet um Intervention in Moskau. Er sei entsetzt über die Verhaftung des alten gemeinsamen Freunds Ernst Ottwalt, weil er „an mich prohitlerische Briefe gerichtet [habe], aber diese Briefe seien von mir der russischen Regierung ausgeliefert worden.“ Eine „infame Lüge“: „Ottwalt hat mir nie eine Zeile dieser Art geschrieben, und damit zerfällt auch die Behauptung, ich hätte der Bande korrupter Staatsanwälte in Moskau auch noch Material für ihr Treiben geliefert.“62 Diese Worte lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Und wie reagiert Brecht? „Lieber Brentano, ich habe Ihren Brief erhalten, aber nicht verstanden. […] Wenn Sie erlauben, werde ich zunächst die Entwicklung der Ottwalt-Angelegenheit so weit abwarten, bis es Authentisches gibt.“63 Seit November 1936 ist Ottwalt in Haft, Anfang 1937 wird er 59 Da nützt auch die Ehrenrettung wenig, die Jan Knopf in seiner jüngst erschienenen Brecht-Biographie versucht, in der er auf dessen rare Prosatexte und besonders die zwei Szenen Die jüdische Frau und Rechtsfindung aus Furcht und Elend des III. Reiches hinweist (Knopf, Bertolt Brecht, S. 265ff.). 60 „Adorno hier. Dieses Frankfurter Institut ist eine Fundgrube für den ‚Tuiroman‘.“ Journal Amerika, 10.10.1943, GBA 27, S. 177. 61 „Tui“ ist ein von Brecht geschaffenes Kunstwort, „nach den Anfangsbuchstaben von Tellekt-Uell-In“ (Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher, GBA 9, S. 135). Vgl. dazu den Fragment gebliebenen Tui-Roman, GBA 17, S. 9–161. 62 Bernard von Brentano, Brief an Brecht, 23.1.1937, vorl. Bd. II, S. 627. 63 Bertolt Brecht, Brief an Bernard von Brentano, 10.2.1937, GBA 29, S. 8.

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aus der KPD ausgeschlossen und im August 1943 stirbt er in einem sibirischen Lager. Authentisches! Ob und daß Brecht um ähnliche Schicksale weiß, ist zu vermuten, weil sich im Arbeitsjournal immer wieder Einträge finden, die auf seine Kenntnis von Verhaftungen guter Freunde und Bekannter schließen lassen. Walter Benjamin, vor der Übersiedelung der Brechts nach Schweden 1938 noch in Dänemark zu Besuch, hält nach Gesprächen mit Brecht in seinen Tagebuchnotizen fest: „Sehr skeptische Antworten erfolgen, so oft ich russische Verhältnisse berühre. Als ich mich neulich erkundigte, ob Ottwal[t] noch sitzt, kam die Antwort ‚wenn der noch sitzen kann, sitzt er‘. Gestern meinte die Steffin, Tretjakoff sei wohl nicht mehr am Leben.“64 Der Generalverdacht gegen die russische Intelligenzija macht auch vor großen Namen nicht halt: Ins Visier des NKWD geraten Isaak Babel, Wsewolod Meyerhold, Boris Pasternak und Ossip Brik, um nur die bekanntesten Opfer zu nennen. Trotz aller Sachlichkeit im Ton fragt Brecht nochmals sehr besorgt und eindringlich wegen Michail Kolzow bei dessen Lebensgefährtin Maria Osten nach: „Ihre Zeilen über Kolzow haben mich sehr erschreckt. Ich hatte gar nichts gehört. Jetzt sagt man mir, daß auch in Kopenhagener Zeitungen Gerüchte, er sei verhaftet, wiedergegeben worden sind. Ich hoffe so sehr, daß sich die Gerüchte nicht bestätigen. Bitte teilen Sie mir sogleich mit, wenn Sie Genaueres erfahren oder überhaupt etwas. Ich kann mir gar nicht denken, was er getan haben könnte, ich habe ihn wirklich nur immer unermüdlich für die Sowjetunion arbeiten sehen.“65 Natürlich ist in Exilkreisen längst bekannt, daß der stalinistische Terror auch vor im Ausland bekannten Politfunktionären, Schriftstellern und Künstlern nicht haltmacht. Im Arbeitsjournal führt Brecht eine offene Sprache. „I. [Januar] 39[.] Auch Kolzow [S. Fußnote 66 – H.H.] verhaftet in Moskau. Meine letzte russische Ver­bindung mit drüben. Niemand weiß etwas von Tretjakow, der ‚japanischer Spion‘ sein soll. Niemand etwas von der Neher, die in Prag im Auftrag ihres Mannes trotzkistische Geschäfte abgewickelt haben soll. Reich und Asja Lacis schreiben mir nie mehr, Grete bekommt keine Antwort mehr von ihren Bekannten im Kaukasus und in Leningrad. Auch Béla Kun ist verhaftet, der einzige, den ich von den Politikern gesehen habe. Meyerhold hat sein Theater verloren, soll aber Opernregie machen dürfen. Literatur und Kunst scheinen beschissen, die politische Theorie auf dem Hund, es gibt so etwas wie einen beamtenmäßig propagierten dünnen blutlosen proletarischen Humanismus.“66 Die Entwicklungen in der Sowjetunion werden besonders bei KPD-Mitgliedern und Sympathisanten mitverfolgt. Es ist nur zu verständlich, daß Brecht jede Möglichkeit nutzt, um auf dem laufenden zu sein über die „internationale Lage und die Aussenpolitik der

64 Walter Benjamin, Tagebuchnotizen 1938, GW VI, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1985, S. 353. 65 Bertolt Brecht, Brief an Maria Osten, [Ende 1938/Anfang 1939], GBA 29, S. 125f. 66 Bertolt Brecht, Journal Dänemark, [Januar] 1939, GBA 26, S. 326f. Kolzow wurde bereits im Dezember 1938 verhaftet; Kolzow ist ein Günstling des NKWD-Chefs Nikolai Jeschows, der im November 1938 von Beria abgelöst und später erschossen wird.

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UdSSR“67. Helmut Dahmer hat auf der Grundlage der Gesammelten Werke und besonders des Arbeitsjournals rekonstruiert, welche Quellen und Informationen Brecht aufgrund seiner Notate und Kommentare gekannt (gelesen) haben muß, ganz abgesehen davon, daß er von seiner Moskau-Reise im Frühjahr 1935 selbst sicherlich nachhaltige Eindrücke mitgebracht haben dürfte. Über den sozialen Charakter des durch Stalin proklamierten ‚Sozialismus in einem Lande‘ scheint sich der durch Karl Korsch in der Kritik der Politischen Ökonomie geschulte Brecht68 im klaren zu sein. Gleichwohl hält er sich mit Kommentaren öffentlich immer bedeckt, zumal wenn es um den zum Staatsfeind Nummer Eins der Sowjetunion erklärten Trotzki und den Trotzkismus geht. Sogar aus Amerika erhält er dabei Schützenhilfe. Der Bühnenbildner Mordecai Gorelik nämlich berichtet, Hedda Korsch „seems to be very friendly with Sidney Hook, the chairman of the Trotzky Defense Committee, and she tells us that there is really no great difference between the Fascist government of Germany and the government of the Soviet Union – that the Soviet regime consists of ‘state capitalism’ and that Fascism may also go in the direction of ‘state capitalism’. […] The Trotzky Defense Committee is doing a good deal to encourage persecution of the USSR and TROTZKYISTS are helping to sabotage every progressive movement in this country. As far as I know, she does not endorse the Committee, but her strange position on USSR really plays into the hands of people like Hook.“69 Eine solche Befürchtung verbietet jede Aburteilung der Sowjetunion. Diesen Konsens innerhalb des linken Exillagers bestätigt auch Piscators Sekretär aus Paris: „Als Emigrant kann man sich nicht mit Weltmächten verfeinden, und man sollte die Prinzipien der Nicht-Inter­ventions­politik auch für uns selber streng und gehorsam befolgen.“70 Sein Chef Erwin Piscator hält sich daran, selbst wenn er im Nachfolgebrief dessen apodiktischen Appell zurücknimmt: „[I]ch bin gar nicht der Meinung von dem ‚strengen und gehorsamen Befolgen‘.“71 Über die Erlebnisse in der UdSSR läßt er sich nur in seinen späten, nach dem Exil angelegten Tagebüchern aus. Dort allerdings walten dann eine gehörige Portion Enttäuschung über die vermeintlichen Emigrantenfreunde und Verbitterung ob des mörderischen Stalinismus. Wie weit die in stillem Einvernehmen verabredete Rücksichtnahme auf die Sowjetunion geht, belegt die folgende Notiz: Der Verleger Wieland Herzfelde, mit der ersten Werkausgabe Brechts im Exil beschäftigt, teilt Margarete Steffin unumwunden mit: „Liste der Mitarbeiter: Ich habe in

67 Michail Apletin, Brief an Brecht, 4.6.1939, vorl. Bd. II, S. 940. 68 Brecht steht mit Korsch im Exil in regem Meinungsaustausch zu Fragen des Marxismus, auch u.a. im Zusammenhang mit dem sogenannten Kiepenheuer-Marx (Karl Marx, Das Kapital – mit einer Einleitung von Korsch), vgl. dazu die Briefe von Korsch an Brecht, 14.10.1941, vorl. Bd. II, S. 1051ff., 18.11.1942, S. 1068ff., 3.12.1942, S. 1072ff. bzw. 23.2.1943, S. 1082f. 69 Mordecai Gorelik, Brief an Brecht, 15.4.1937, vorl. Bd. II, S. 662. 70 Ferenç Oliver-Brachfeld, Brief an Brecht, 8.5.1937, vorl. Bd. II, S. 666. 71 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 10.5.1937, vorl. Bd. II, S. 667.

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einigen Fällen diese Liste gestrichen, weil sich darunter unangenehme Namen fanden. Z.B. Borchardt, der aus der SU ausgewiesen, jetzt in USA gehässige Gegenpropaganda macht.“72 Der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt, der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt, vom August 1939 trägt zu politischen und ideologischen Unsicherheiten im dezidiert politischen Exil – und nicht nur dort – bei. „[G]roße Ver­wirrung richtete natürlich der deutsch-russische Pakt an bei allen Proletariern. Die Kommunisten behaupteten sofort, es sei ein Respekt verlangender Beitrag der Union zum Frieden. allerdings brach kurz darauf – einige Stunden darauf – der Krieg aus, und Hitler begründete die Möglichkeit seiner Führung in großen Aufrufen mit diesem Pakt. […] die Union trägt vor dem Weltproletariat das fürchterliche Stigma einer Hilfeleistung an den Faschismus, den wildesten und arbeiterfeindlichsten Teil des Kapitalismus“73, lautet Brechts Eintrag vom 9. September 1939. Es herrscht nicht nur „Verwirrung“: Für diejenigen, die im sowjetischen Exil leben, kann die neue Entwicklung der sowjetischen Außenpolitik bedrohlicher nicht sein. Ihnen wird die Grundlage für einen gelebten Antifaschismus von heute auf morgen entzogen. „Wer gegen die Freundschaft des deutschen und des Sowjetvolkes intrigiert, ist ein Feind des deutschen Volkes und wird als Helfershelfer des englischen Imperialismus gebrandmarkt“74, verkündet Walter Ulbricht unumwunden. Der junge Wolfgang Leonhard, mit seiner Mutter Susanne seit 1935 im sowjetischen Exil, erinnert sich, daß noch am Abend der Vertragsunterzeichnung am 23. August 1939 die Filme Professor Mamlock (nach dem gleichnamigen Drama von Friedrich Wolf) und Familie Oppenheim (nach Lion Feuchtwangers Roman Die Geschwister Oppermann) aus den Moskauer Kinos zurückgezogen werden.75 Interessanterweise ist von den politisch arrivierten Marxisten nur Leo Trotzki derjenige, der eine streng materialistische Sicht auf die nun eingetretene neue Lage anmahnt: Durch besagten Pakt werde die soziale Grundlage der Sowjetunion mitnichten in Frage gestellt, was bedeute, auch weiterhin deren sozialistische Errungenschaften zu verteidigen bei gleich­zeitigem Kampf gegen die stalinistische Bürokratie.76 Hier argumentiert Trotzki auf der Grundlage seiner ‚Theorie‘ von der Stalinschen Diktatur als einer Diktatur über das Proletariat (anstelle der Diktatur des Proletariats), die in der Sowjetunion inzwischen mit der innenpolitisch desaströsen Verselbständigung der Bürokratie ohne jede Rücksichtnahme durchgesetzt worden sei und die es zu bekämpfen gelte.

72 Wieland Herzfelde, Brief an Steffin, 20.11.37, vorl. Bd. II, S. 716. 73 Bertolt Brecht, Journal Schweden, 9.9.1939, GBA 26, S. 343f. 74 Walter Ulbricht, „Hilferding über den Sinn des Krieges“, in: Die Welt, Nr. 6, 9. Februar 1940, zit. nach Gert Schäfer, Die Kommunistische Internationale und der Faschismus, Offenbach o. J., S. 129, Fußn. 260, vgl. auch Margarete Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1919–1943, Frankfurt/M., Berlin und Wien 1972, S. 241ff. 75 Vgl. dazu Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln u. Berlin 1955, S. 64. 76 Vgl. dazu Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Berlin 1973.

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IV. Durchs gesamte Exil Brechts hindurch zieht sich als roter Faden die Schwierigkeit, das richtige Personal zu finden, das sich auf das epische Theater einläßt. Die Ausnahme: die Mitglieder des Zürcher Schauspielhauses, das für Brecht die wichtigste Exilbühne ist – u.a. auch deshalb, weil dort so bedeutende und intelligente Schauspieler engagiert sind wie Therese Giehse, Heinrich Greif, Erwin Kalser, Leonard Steckel oder Wolfgang Heinz, die zudem unterstützt werden durch Regisseure wie Leopold Lindtberg und Bühnenbildner wie Teo Otto. Ein Glücksfall für das deutsche Exiltheater, ein Glücksfall für Bertolt Brecht, der mit wichtigen Uraufführungen auf dem Spielplan steht. Die Exilbedingungen, unter denen Theater überhaupt noch realisiert werden kann, sind so unterschiedlich im Vergleich zu den Goldenen Zwanziger Jahren in Berlin, daß man bescheiden wird. Gleichwohl versucht Brecht, das von ihm entwickelte epische Theater und die daraus resultierende Schauspielkunst wenigstens im Ansatz zu erproben. Zu den schlimmsten Verdrehungen kommt es jedoch 1935 bei der New Yorker Mutter-Inszenierung, obwohl Brecht und Eisler bei ihrem Besuch vergeblich zu intervenieren versuchen. Piscator gegenüber läßt Brecht seinem Ärger freien Lauf: „Die ‚Mutter‘ ist uns hier sehr verhunzt worden (dumme Verstümmelungen, politische Ahnungslosigkeit, Rückständigkeit aller Art usw.). Der Verein[77] hat sich ganz auf unsere Seite gestellt, konnte aber nicht durchdringen. Das schwierigste hier für mich ist, anständige Übersetzungen zu bekommen.“78 Unter großen Mühen und mit Hartnäckigkeit unternimmt Brecht auch weiterhin Reisen zu den verabredeten Aufführungen seiner Werke in der Absicht, dramaturgisch Einfluß zu nehmen und theatralische Katastrophen zu verhindern. Daß ehemalige Mitstreiter sehr genau hinschauen, wenn sie denn eine Inszenierung eines Brecht-Stücks sehen können, ist verständlich. Die Pariser Dreigroschenoper (im September 1937 in der Regie von Francesco von Mendelssohn aufgeführt) zieht auf Seiten Piscators, der 1936 aus Moskau nach Paris exiliert ist, Unmut auf sich. Nicht nur ärgert ihn, daß Brecht nicht an ihn als Regisseur gedacht hat, sondern „dass mit einer solchen Art von Aufführung weder Dir persönlich noch uns allen geholfen wird. Mit dem gewöhnlichen Abklatsch, der von dem Original durch Talentlosigkeit, Hilflosigkeit, Langweiligkeit noch besonders abstach, wurde nichts erreicht. […] Man kann auch nicht ganz einfach die Berliner Schauspielerart auf die französische übertragen, weil diese ja lange nicht in unserem Stil vorgebildet sind und der Mischmasch zwischen ihrem Stil und einigen angelernten Bewegungen ist grauenhaft.“79

77 Mit „Verein“ ist die amerikanische Kommunistische Partei gemeint, an die Brecht und Eisler sich in New York wenden mit der Bitte um Unterstützung – ohne Erfolg: „Ganz im allgemeinen eine Erfahrung: nur nichts zu tun haben mit den sogenannten linken Theatern. Die sind durch kleine Cliquen beherrscht“ (Bertolt Brecht, Brief an Erwin Piscator, 8.12.1935, GBA 28, S. 535). 78 Ebd. 79 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 26.10.1937, vorl. Bd. II, S. 707.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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In ästhetischen Fragen unter den Bedingungen des Exils die Berliner Erfolge fortzusetzen oder auch nur auf dem damals im Deutschland der 1930er Jahre erreichten Niveau zu halten, fällt schwer. Zu groß ist das Unverständnis Brechts epischem Theater gegenüber. „[E]s entspann sich eine wilde Diskussion über die Spitz- und Rundköpfe. Davidsen war ganz gegen das Stück und begründete seinen Widerstand damit, dass er viel vom ‚epischen Theater‘ und dessen Unnotwendigkeit sagte. Ich hatte den Eindruck, dass ihn der Begriff ‚Epik‘ sehr verwirrte.“ Der dänische Schauspieler Davidsen, so berichtet Nena Andersen, wolle nicht „für das Publikum […] spielen, man spielte nur für sich selbst“80. Obwohl Brecht bei den Endproben in Kopenhagen dabei ist, scheint seine Beratung bei einigen Schauspielern wenig gefruchtet zu haben. Auch öffentlich werden Debatten angestoßen. Der Kritiker Neergaard faßt seine Eindrücke von einer studentischen Gesprächsrunde über Rundköpfe und Spitzköpfe zusammen: Die Figuren seien „so dialektisch aufgefasst, dass man glauben sollte, sie würden nicht einseitig und trocken wirken – und sie wirken doch trocken und einseitig. Wie ist dieser knoten zu lösen?“81 Das Publikum sei doch Anhänger des „altmodischen gefühlstheaters“82. Und er scheut sich nicht zu generalisieren: „es ist überhaupt eine frage, ob die teorie vom ‚demonstrierenden drama‘ nicht mit grösster vorsicht in praxis angewandt werden sollte. (Ich nenne lieber Ihre form ‚das demonstrierende drama‘ als ‚das epische drama‘, weil es ja jedenfalls seit Strindberg oder den expressionismus sehr viele andere beispiele eines epischen dramas gibt, während die eigenart Ihrer form, oder eher: Ihrer teorie [sic!] vom drama, klarer durch ‚demonstrierend‘ ausgedrückt wird).“83 Brecht antwortet höflich, aber bestimmt auf diese Auslassungen: „Wie Sie bemerkt haben werden, halte ich unseren Gefühlsapparat für weitgehend desorganisiert.“84 Brecht bleibt angewiesen auf Künstlerkollegen und Freunde, die seiner Konzeption eines neuen, modernen Theaters zuarbeiten – theoretisch wie Walter Benjamin oder praktisch wie nur ganz wenige. Aber tradierte, eingefahrene Wirkungsabsichten des Regisseurs und der Schauspieler sowie die gängige Rezeptionshaltung des Publikums sind schwer zu überwinden. Der Briefwechsel zwischen Brecht und Slatan Dudow über die Pariser Inszenierung einiger Einakter aus der Szenenfolge Furcht und Elend des III. Reiches belegt nicht nur die üblichen Differenzen zwischen Autor und Regisseur, sondern die inzwischen gängige Rücksichtnahme aufs Klima im Jahr 1938: „Die Titel, die Sie vorgeschlagen haben sind (die guten) meist so gehalten, daß wir sie nicht nehmen können. Sie sind zu politisch und das würde den Abend gefährden. Das Wort Deutschland oder Hackenkreuz [sic] darf nicht vorkommen, sonst kriegen wir es mit den höheren Gewalten zu tun. Die Lage hier wechselt so rasch, daß man nicht weiss ob wir nach ein paar Wochen noch so einen Abend veranstal-

80 Nena Asbjörn Andersen, Brief an Brecht, 19.11.1936, vorl. Bd. I, S. 601. 81 Ebbe Neergaard, Brief an Brecht, 24.11.1936, vorl. Bd. I, S. 608. 82 Ebd. 83 Ebd., S. 610f. 84 Bertolt Brecht, Brief an Ebbe Neergaard, November 1936, GBA 28, S. 364.

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ten können.“85 (Immerhin zeitigt die Korrespondenz schließlich einen neuen Titel, unter dem die Uraufführung stattfindet: 99%. Bilder aus dem Dritten Reich.) Selbst die Geschichte des schon erwähnten Zürcher Schauspielhauses 1933–1945 ist gekennzeichnet durch ständiges Taktieren zwischen ästhetischem Vorpreschen und politischem Zurückweichen der Intendanz, wenn Werke exilierter Schriftsteller wie Brecht, Ferdinand Bruckner oder Friedrich Wolf auf dem Programm stehen.86 Denn die Schweiz fürchtet Konflikte – nach innen gegenüber einer erstarkten eidgenössischen faschistischen Bewegung und nach außen dem Großdeutschen Reich gegenüber. Mithin ein immer wieder zu beob­achtendes Problem in den Zufluchtsländern: sich nicht zu sehr zu exponieren. „Aus Zensurgründen darf der Film[87] auch nicht zu politisch wirken.“88 Ideologische Zurückhaltung scheint auf der Tagesordnung zu stehen, obwohl der deutsche Faschismus immer aggressiver sich geriert. Wenn denn Inszenierungen in die Nähe ihrer Realisierung rücken, sehen sich die aus Deutschland geflohenen Theaterleute zusätzlich konfrontiert mit den so unterschiedlichen Theatertraditionen im westlichen Europa, in der UdSSR und in Amerika. Es ist dem Gang ins Exil geschuldet, daß noch in Deutschland begonnene Experimente in der Fremde nicht bruchlos fortgesetzt werden können. Gerade Piscator weiß ein Lied davon zu singen. Sein erster und einziger Spielfilm Der Aufstand der Fischer, den er auf Einladung aus Moskau in der Sowjetunion in den Jahren 1932 bis 1933/34 dreht, leidet gerade darunter, daß er als Regisseur die divergierenden russischen Schauspielschulen kaum unter einen Hut bringen kann. Schon früh zeichnet sich also ab, daß eine besondere Begabung nottut, um noch in Berlin erreichte Positionen einer neuen Theaterästhetik über die Zeit des Exils hinwegzuretten. Hierbei beweist Brecht enormes Talent, nicht nur unter Mithilfe von Zuarbeiterinnen wie Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau und Margarete Steffin, das epische Theater weiterzuentwickeln. Er versteht es darüber hinaus, die wenigen Gelegenheiten für eine gemeinsame Theaterarbeit so produktiv wie nur möglich zu nutzen. Bei der Inszenierung des Galileo mit Joseph Losey, dem Regisseur, und Charles Laughton, dem arrivierten Hollywood-Schau­spieler, zusammenzuarbeiten, um unter den schwierigen US-Verhältnissen sein Theater einem interessierten Publikum vorzustellen, ist sicherlich für Brecht ein absoluter Höhepunkt seines amerikanischen Exils. Aber selbst fehlgeschlagene Aufführungen wie die schon erwähnte der Mutter am New Yorker Union Theatre s­ chrecken ihn nicht, sondern festigen noch in der Abwehr die Überzeugung, daß um das ästhetische Projekt des epischen Theaters zu kämpfen sich lohnt. Auch die Schwierigkeiten bei der von Piscator begonnenen und von Berthold Viertel zu Ende gebrachten Arbeit an Private Life of the 85 Slatan Dudow, Brief an Brecht, 17.4.1938, vorl. Bd. II, S. 785. 86 Vgl. dazu Werner Mittenzwei, Das Zürcher Schauspielhaus 1933–1945, Berlin/DDR 1979. 87 Gemeint ist das nicht realisierte Schwejk-Filmprojekt, das Piscator, eingedenk des großen Erfolgs mit dem Hašekschen Schwejk an der Berliner Piscator-Bühne, Brecht immer wieder andient. Brecht schreibt dann später, im amerikanischen Exil und ohne Piscators Sekundanz, seinen Schweyk – für Piscator ein Affront, den er ihm zeit seines Lebens nicht verzeiht. 88 Ferenç Oliver-Brachfeld, Brief an Brecht, 21.5.1937, vorl. Bd. II, S. 671.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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Master Race mindern nicht Brechts Elan, in Amerika die praktische Theaterarbeit voranzutreiben. Die Begegnung mit Charles Laughton ist da der Silberstreif am Horizont. Der erfolgreichen Premiere am 30. Juli 1947 im Beverly Hills Theatre gehen intensive Gespräche mit Laughton und ein ständiges Feilen an der Übersetzung vo­raus, wenngleich der erprobte Übersetzer Ferdinand Reyher Brecht gegenüber mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg hält: „I think you and Laughton have gone mad with overwork and the California climate. […] I should be less than a friend, or have less than a right to my original opinion that the Galileo was a great work, if I did not say that almost every change made in this version has weakened the play.“89 Brecht versteht die eigene Arbeit immer als work in progress, nimmt Anregungen auf, schreibt und baut um. Nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 verschärft Brecht ganz bewußt den Konflikt um die Figur des Galilei und pointiert sie auf die Verantwortlichkeit des Wissenschaftlers vor der Geschichte – sehr zum Leidwesen Laughtons. Immer ist Laughton, der große Mime und exzellente Sprecher, ein ebenbürtiger, weil fordernder Partner für Brecht. Übrigens nicht weniger der Sohn Stefan, der auf Bitten des Vaters den Galileo gegenliest und immer wieder Kommentare abliefert.90 Slatan Dudow verlangt, standhaft das Positive, für das man in Berlin gekämpft habe, hochzuhalten. Nichts davon sei leichtfertig preiszugeben trotz der Schwierigkeiten und angesichts der ernüchternden Situation im Exil. Aber „[n]atürlich darf das keineswegs in einen grenzenlosen Optimismus ausarten, der mit der Wirklichkeit aber auch nicht das geringste gemein hat“91. Das betrifft nicht nur die Ästhetik, das betrifft insonderheit die Politik. Es ist Kurt Tucholsky, der unbestechliche, scharfzüngige Journalist der Weimarer Republik, der jeder Form von Schönfärberei auf das heftigste widerspricht. Die Arbeiterbewegung und die mit ihr sympathisierenden Intellektuellen hätten nämlich mit dem Sieg des Nationalsozialismus eine Niederlage erlitten, man sei „so ver­prügelt worden, wie seit langer Zeit keine Partei, die alle Trümpfe in der Hand hatte. Was ist nun zu tun?“ Für Tucholsky eine rhetorische Frage, denn für ihn „ist mit eiserner Energie Selbsteinkehr am Platz. Nun muß, auf die lächerliche Gefahr hin, daß das ausgebeutet wird, eine Selbstkritik vorgenommen werden, gegen die Schwefellauge Seifenwasser ist.“92 Er ist ein Rufer in der Wüste. Das politische Exil 1933–1945 kennt dieses offene Eingeständnis nicht; nur indirekt, d.h. mit der Kurskorrektur der Einheitsfront- zur Volksfrontpolitik 1935 durch den Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale Georgi Dimitrow, wird der Bankrott der bis zum Ende der Weimarer Republik praktizierten Politik der KPD offenbar. Eine Einheitsfront zwischen der reformistischen und der kommunistischen deutschen Arbeiterbewegung hätte unter Umständen den Sieg des Nationalsozialismus verhindern können, allein – dazu hätte 89 90 91 92

Ferdinand Reyher, Brief an Brecht, 15.8.1946, vorl. Bd. III, S. 1295. Vgl. dazu z.B. Stefan Brecht, Brief an Brecht, 10.9.1946, vorl. Bd. III, S. 1303ff. Slatan Dudow, Brief an Brecht, 12.1.1938, vorl. Bd. II, S. 737. Kurt Tucholsky, Brief an Arnold Zweig, 15.12.1935, in: K.T., Briefe. Auswahl 1913 bis 1935, hrsg. von Roland Links, Berlin/DDR 1983, S. 574.

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es einer direkten Offerte von Parteivorstand zu Parteivorstand bedurft, um ein Bündnis gegen den Faschismus zu schmieden. Wie aber soll und kann man den „Zwillingsbruder des Nationalsozialismus“93 ansprechen? Die objektiv gespaltene deutsche Arbeiterschaft überläßt dem deutschen Faschismus das Feld – ohne jeden Widerstand. Jetzt, nach dem Scheitern der Einheitsfront, die Volksfront, das Bündnis aller Hitler-Gegner, auszurufen, kommt einer Notbremsung gleich. Verbrämt als Strategie, der neuen Lage ideologisch und politisch adäquat zu begegnen, könne man nun den Anforderungen des internationalen Klassenkampfes endlich gerecht werden. Kritik, Voraussetzung für eine aufrichtige Analyse und Politik, steht nicht auf der Agenda der Linken. Bertolt Brecht scheint sich dieser Doktrin zu beugen. Äußerst vorsichtig und verdeckt läßt er sich mit einem kritischen Kommentar zur Politik der Exil-KPD und besonders der Sowjetunion vernehmen. Nicht nur post festum ist eine solche Haltung als zumindest ambivalent zu bezeichnen, denn als zutiefst menschenverachtend ist die Praxis des Stalinismus dem wissenwollenden, beobachtenden Zeitgenossen schnell gegenwärtig. Die Auseinandersetzungen in den Reihen der Exulanten legen beredtes Zeugnis ab von den Verwerfungen, die gerade der um sich greifende, durchaus nicht auf die Sowjetunion sich beschränkende Stalinismus evoziert. Ob in der Pariser Exilenklave oder in den Reihen der Internationalen Brigaden während des Spanischen Bürgerkriegs94 – der lange Arm Stalins reicht bis in die entlegensten Regionen und Länder hinein, wie der Mord an Leo Trotzki in Mexiko beweist. Brecht weiß um Stalins Politik; Aufzeichnungen in seinem eigentlich nicht zur Veröffentlichung bestimmten Arbeitsjournal95 belegen das hinlänglich. Allerdings ist Brecht zeit seines Lebens davon überzeugt, „daß eine Kritik an Stalin oder der Sowjetunion eine Parteiangelegenheit zu bleiben habe und objektive Kritik nur von innen statthaft sei. Einer Kritik von außen zuzustimmen oder sie gar selber zu praktizieren, bedeutete nach Brecht, Wasser auf die Mühlen der Parteifeinde zu gießen.“96 V. Auf dem 1935er Pariser Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur ergeht als ein konkretes Ergebnis an Moskau der Auftrag Das Wort aufzulegen, ein Literaturmagazin, 93 Siehe dazu die Fußnote 38. 94 Vgl. dazu die Berichte von Spanienkämpfern wie George Orwell, Homage to Catalonia, London 1938 (dt. Mein Katalonien, Zürich 1975), oder Paul Thalmann, Wo die Freiheit stirbt. Stationen eines politischen Kampfes, Freiburg i. Br. 1974. 95 Aus dem schon zitierten Aufsatz von Helmut Dahmer (s. Fußnote 58) geht hervor, wie gut informiert Brecht über den Stalinismus gewesen sein muß durch die Lektüre auch parteiferner Monographien und Presseerzeugnisse. 96 James K. Lyon, „Brecht und Stalin – des Dichters ‚letztes Wort‘“, in: Exilforschung. Ein Internationales Jahrbuch, Bd. 1/1983, S. 121.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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das ganz bewußt der nun inzwischen ausgerufenen Volksfrontpolitik eine Plattform bieten soll. Schon das Herausgebergremium mit Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi Bredel will die Pluralität der möglichen Beiträger und Haltungen deutlich machen; es sollen nämlich bewußt sehr unterschiedliche Texte veröffentlicht werden. Die Einladung an den nach Paris angereisten Brecht zur Herausgeberschaft ist um so erstaunlicher, als er durch seinen Auftritt und seine Rede auf besagtem Kongreß gegen ein heimliches Gebot verstößt und dadurch bei den sich bedeckt haltenden Organisatoren für großen Unmut sorgt. Sein Appell „Kameraden, sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen“97, den er spontan, abweichend von seinem Redemanuskript, vorträgt, geht den Verantwortlichen in seiner eindeutig marxistischen Diktion viel zu weit! Denn damit könnte einer breiteren Öffentlichkeit entdeckt werden, wer die Pariser Zusammenkunft ideologisch majorisiert: die Moskauer Kommunisten. Brecht mischt sich trotz der Entfernung von Moskau kräftig ein. David Pike98 hat darauf hingewiesen, daß Brecht nach seiner Bestellung zu einem der drei Herausgeber des Worts Einfluß nimmt auf alles, was an Lyrik erscheinen soll. Die Briefe des Schriftführers Fritz Erpenbeck bestätigen sehr eindrücklich, welche Aufmerksamkeit dem Brechtschen Urteil gezollt wird. Es stößt, wie die Antworten aus der Redaktion belegen, allerdings nicht immer auf Verständnis. Zwar versichert Erpenbeck, „wenn Sie im ganzen oder in Einzelheiten Einwaende haben, teilen Sie es bitte ganz offen mit“99. Aber Brechts Einspruch birgt auch Probleme, denn wenn er verlangt, „nichts zum Druck an[zu]nehmen“, was er, Brecht, nicht gesehen habe, so sei das „praktisch einfach unmoeglich“, denn „wir wuerden alle Autoren verlieren, die wertvoll sind“100. Brechts ästhetisch fundierte Widerrede gegen schlechte Literatur mit guter Gesinnung stößt also aus parteiinternen Gründen auf wenig positive Resonanz. Um so unerträglicher für Brecht, daß seiner und seiner Mitstreiter Produktion starker Gegenwind entgegenweht. Denn unumwunden teilt Erpenbeck ihm mit, er sei „ganz der Meinung Lukacs’ und anderer Freunde: der Standpunkt Eislers in der W[elt] B[ühne] war falsch, schädlich, unmarxistisch“101. Hier wird auf die von Bernhard Ziegler, d.i. Alfred Kurella, losgetretene Expressionismusdebatte102 angespielt, in der der marxistische Chefästhetiker Georg Lukács das Primat des Realismus rigoros vertritt, so rigoros, daß aufgeklärte Geister vehement dagegen protestieren. Ernst Bloch und Eisler bestehen darauf, daß gerade der vom Nationalsozialismus verfemte Expressionismus auch und besonders für marxistisch geschulte Künstler ein lohnendes Erbe bereithalte, das man keineswegs aus97 Bertolt Brecht, [Rede, 23. Juni 1935, nachmittags], in: Wolfgang Klein (Hrsg.), Paris 1935. Erster Internationaler Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, Berlin/DDR 1982, S. 141. 98 Vgl. David Pike, Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933–1945, Frankfurt/M. 1981. 99 Fritz Erpenbeck, Brief an Brecht, 19.2.1938, vorl. Bd. II, S. 756. 100 Ebd. 101 Fritz Erpenbeck, Brief an Brecht, 7.7.1938, vorl. Bd. II, S. 821. 102 Vgl. dazu Hans-Jürgen Schmitt (Hrsg.), Die Expressionismusdebatte. Materialien zu einer marxistischen Realismuskonzeption, Frankfurt/M. 1973.

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schlagen dürfe. Die Expressionisten zehrten von den Zersetzungen der spätbürgerlichen, d.i. kapitalistischen Gesellschaft; sie gäben ihnen einen adäquaten, wenn auch übersteigerten Ausdruck. Doch hüte man sich davor, wie Lukács deren „Experiment des Zerfällens mit dem Zustand des Zerfalls“103 in eins zu setzen. In dem Essayband Erbschaft dieser Zeit drängt Bloch schon 1935 darauf, die von marxistisch simplifizierender Seite mit den Etiketten „bourgeoise Dekadenz“104 und purer Subjektivismus belegte Kunst und Kultur nicht einfach beiseite zu lassen, sondern sie auf ihren Wert für die eigene, revolutionäre Sache hin zu überprüfen und gegebenenfalls um- bzw. fortzuschreiben. Genau darin nämlich bestehe die „Kunst zu erben“, die Bloch und Eisler in der von Erpenbeck beanstandeten Nummer der Neuen Weltbühne einfordern, um dem „Mißbrauch der Nazis“105 Einhalt zu gebieten. Dieses durchaus taktische Verfahren ist den orthodoxen, weil in der Regel der Avantgarde gegenüber feindlichen, Marxisten in Moskau äußerst suspekt. Sie sind Traditionalisten, die weder Auge noch Ohr haben für ästhetische Experimente, für radikale schon gar nicht! Brechts Entscheidung, dieser auch seinem eigenen Theaterexperiment zuwiderlaufenden Position öffentlich nicht zu begegnen, spricht – wieder einmal – für die Rücksichtnahme der großen Sache des Sozialismus gegenüber, wenngleich die Briefe zwischen Brecht und der Wort-Redaktion dessen Reserve gegen Lukács sehr eindringlich dokumentieren.106 Seine klugen Repliken und Vorschläge in dieser Auseinandersetzung gibt Brecht zur Veröffentlichung nicht frei, wiewohl doch sehr hartnäckig und letztlich ohne Erfolg Johannes R. Becher seinen Starautor davon überzeugen will, hier klein beizugeben, denn „[s]ind die Anschauungen von Lukács falsch, so müssen sie theoretisch widerlegt werden, und ich wiederhole, dass ich jeden Artikel, der das Niveau der I[nternationalen] L[iteratur] erreicht, stets mit der größten Bereitwilligkeit veröffentlichen werde“107. Brecht bleibt konsequent; seine Texte erscheinen posthum. Derweil formuliert er seine Anwürfe gegen Erpenbeck in den Briefen weiterhin so offen und direkt, daß dieser sich gleichsam aus Notwehr gedrängt fühlt, die ihm unterstellte Selbstherrlichkeit und gar Sabotage entschieden zurückzuweisen (was Brechts Meinung im übrigen nicht ändert). Angesichts dieser frühen Kontroverse „um den Realismus“108 allerdings bekommt Brecht einen Vorgeschmack auf jene Reserve, die ihm nach Beendigung seines amerikanischen Exils von Fritz Erpenbeck, der inzwischen zum Herausgeber und ersten Kritiker der Ostberliner Zeitschrift Theater der Zeit avanciert 103 Ernst Bloch, „Diskussionen über Expressionismus“, in: Schmitt (Hrsg.), Die Expressionismusdebatte, S. 186. 104 Brecht zit. in dem Brief von Johannes R. Becher an Brecht, 1.10.1938, vorl. Bd. II, S. 849. 105 Ernst Bloch/Hanns Eisler, „Die Kunst zu erben“, in: Schmitt (Hrsg.), Die Expressionismusdebatte, S. 259. 106 Es ist eine bitterböse Volte der Geschichte, daß ausgerechnet Lukács die offizielle Trauerrede zu Brechts Tod halten wird. 107 Johannes R. Becher, Brief an Brecht, 1.10.1938, vorl. Bd. II, S. 850. 108 Vgl. Georg Lukács, „Es geht um den Realismus“ (1938), in: Schmitt (Hrsg.), Die Expressionismusdebatte, S. 192–230.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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ist, anläßlich der Berliner Premiere von Mutter Courage und ihre Kinder 1949 entgegengebracht werden wird.109 Während des gesamten Exils hat Brecht andere, drängendere Probleme. Wovon leben? Arbeitsstipendien helfen, wenngleich diese zu erhalten sich auch nicht immer leicht gestaltet: „Mr. Moe, the secretary of the Guggenheim Foundation, tells me that the Foundation cannot do anything special for refugee German intellectuals.”110 Er muß ständig versuchen, entgegen den äußerst unwirtlichen Verhältnissen nach seiner Flucht sich und sein Werk in der, wenn auch nun eingeschränkten, Öffentlichkeit außerhalb Deutschlands unterzubringen. Deutschsprachige (Exil-)Verlage wie die Amsterdamer Allert de Lange und Querido, Les Associés, Editeurs in Brüssel oder der Malik-Verlag Prag sind zwar um ihn bemüht, wie auch der Emil Oprecht-Verlag und der Europa Verlag in der Schweiz. Brecht kann fest auf alte und neue Freunde zählen, was die Schwierigkeiten aber nicht entscheidend mindert. Im Exil ist nicht daran zu denken, Bücher – thematisch-inhaltlich wie von der Aufmachung her – zu machen, die in der Weimarer Republik Standard gewesen sind. So teilt Herzfelde Brecht mit, daß die Werkausgabe qualitätsvoll zu realisieren, wie es angesichts der Bedeutung des Autors nötig sei, nur mit großer Anstrengung zu bewerkstelligen sei: „Schwierigkeiten hat mir das Leinen für den Einband gemacht, das Material, das man hier bekommt, (auch das reichsdeutsche), ist ziemlich miserabel.“111 Nicht auszudenken das Paradoxon der Geschichte, wenn Herzfelde in der Tschechoslowakei Brecht mit nazideutschem Leinen hätte auf den Markt bringen können. Herzfeldes Engagement bleibt ungebrochen; selbst in New York wird er nicht müde, die Gründung eines deutschen Verlags mit und für Brecht zu betreiben. Obwohl sich diese Unternehmung über Jahre hinzieht, wird am Ende mit Unterstützung weiterer dorthin exilierter Schriftsteller der Aurora Verlag aus der Taufe gehoben. Nur nebenbei bemerkt, wird dann die Aurora Bücherei nach 1945 die ersten Beispiele der deutschen Exilliteratur ins befreite Deutschland liefern. Wann immer im Exil ein Buch von ihm erscheint, achtet Brecht darauf, daß von den wenigen Belegexemplaren Freunde auf jeden Fall mit einer Sendung bedacht werden. Die so Versorgten sind dankbar und rühmen die sprachliche Sachlichkeit und Klarheit. „Ich danke Ihnen herzlich für die Sendung der Svendborger Gedichte, von denen ich viele gleich meiner Familie vorgelesen habe.“112 Daß Brecht trotz der allgemein desolaten Situation mit dem sich täglich verlängernden Exil von seiner politisch-auf­k lä­re­ri­schen, der marxistischen Gesellschaftstheorie sich verdankenden Geschichtsauffassung nicht abläßt, irritiert einige dann doch: „Nein, ich glaube das alles 109 Vgl. dazu Theater in der Zeitenwende. Zur Geschichte des Dramas und des Schauspieltheaters in der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1968, erarbeitet von einer Forschergruppe unter Leitung v. Werner Mittenzwei, 2 Bde., Berlin/DDR 1972, und Jürgen Baumgarten, Volksfrontpolitik auf dem Theater. Zur kulturpolitischen Strategie in der antifaschistisch-demokratischen Ordnung in Berlin 1945– 1949, Gaiganz 1975. 110 Mordecai Gorelik, Brief an Brecht, 9.2.1937, vorl. Bd. II, S. 633. 111 Wieland Herzfelde, Brief an Brecht, 6.3.1938, vorl. Bd. II, S. 762. 112 Hermann Borchardt, Brief an Brecht, 8.7.1939, vorl. Bd. II, S. 965.

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nicht mehr; die Verse sind tadellos (‚davon ab‘ sagt der Berliner); aber was drin steht in den Versen, ich kann es nicht mehr glauben, lieber Brecht.“113 Damit nicht genug. Brecht sieht sich immer wieder mit einer Rezeptionshaltung konfrontiert, gegen die er zeitlebens ankämpft – selbst bei jenen, die es eigentlich besser wissen müßten: Korsch, eingedenk der Wirkungsintention der Brechtschen Äs­thetik, schreibt nicht ohne eine gehörige Prise Ironie: „Vor ein paar Wochen las ich vor einem meist aus älteren Damen der besten Gesellschaft bestehenden literarischen Klub einiges von Ihnen – die von Hedda übersetzten Gedichte einschließlich der Kinder in Polen [d.i. die Ballade Kinderkreuzzug – H.H.]. Die Wirkung war groß, leider natürlich meistens nur ‚gerührt‘, ‚bewegt‘ und etwas erschrocken. Ich selbst auch ‚gerührt‘ u. ‚bewegt‘, konnte mich aber grade noch kontrollieren.“114 VI. Schon Ovids Briefe aus der Verbannung 115 geben einen tiefen Einblick in die Befindlichkeit des Briefschreibers. Der Brief ist die exemplarische Gattung – darin der Lyrik nicht unähnlich –, in der das Subjekt (das lyrische Ich) als liebendes, leidendes, empfindendes zumeist ohne Einschränkung sich erproben und darstellen kann: Der Mensch in seiner Allseitigkeit des Fühlens, Denkens und Handelns erfährt sich hier als Schöpfer der inneren und äußeren Welt. Das gilt trotz aller Widrigkeiten fürs Exil gleichermaßen, wenn nicht gar im besonderen Maße. Der Mensch erlebt sich hier in seiner Authentizität als Mensch. Deshalb ist dem Literatursoziologen Leo Löwenthal, deutscher Jude und Mitglied des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung, zuzustimmen, wenn er den Brief „die persönlichste Art der schriftlichen Kommunikation“116 nennt. Diese Zuschreibung erfährt ihre Radikalisierung mit dem Gang ins Exil. Es ist Erwin Piscator, der alte Mitstreiter und doch auch Konkurrent aus Berliner Tagen, der in seinem ersten Brief nach der Ankunft in Amerika an den noch in Skandinavien sitzenden Brecht einen sehr emotionalen, in gewisser Weise einen Liebesbrief schreibt. Dieser sein Brief „kommt nicht aus M[oskau] und nicht aus P[aris] – er kommt aus NEW Y. […] Ich habe Sehnsucht – glaube mir – nach Dir – Was wir getan haben, gesprochen und gewollt – das gibt’s nicht mehr.“117 Es ist nicht die wehmütige Rückschau aufs Berlin der großen Erfolge; es ist die künstlerische Einsamkeit in der Neuen Welt, die sich in diesem Brief Bahn bricht. Piscator ist in Amerika ein Nobody. Obwohl um ihn herum alte Bekannte sind – Grosz, Eisler, Kurt Weill, Fritz Kortner, Ernst Toller –, ist 113 Ebd. 114 Karl Korsch, Brief an Brecht, 25.2.1945, vorl. Bd., S. 1154. 115 Publius Ovidius Naso, Briefe aus der Verbannung (lateinisch und deutsch), eingel. u. erläutert von Georg Luck, Zürich u. Stuttgart 1963. 116 Leo Löwenthal, „Humanität und Kommunikation“, in: L. L., Schriften 1: Literatur und Massenkultur, hrsg. von Helmut Dubiel, Frankfurt/M. 1980, S. 370. 117 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 3.3.1939, vorl. Bd. II, S. 892.

„Dear Bertie!“ – Briefe an Brecht

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jeder zuerst sich selbst der Nächste. Die Ausnahme: Fritz Kortner, „er benimmt sich übrigens gegen uns Alle phantastisch anständig“118. Das neue Exil verlangt Kompromisse über Kompromisse. Politisch, künstlerisch, sprachlich. „[D]ie Probleme sind ungeheuer! Welche Erfahrungen hat Jeder von uns allein mit der Übersetzung gemacht! Dann die pol[itische] Situation, die, an sich dauernd verschlechternd, uns überhaupt keine Luft mehr lässt. Die Sprache! Mein Gott, Bert, die Sprache – nicht Deine und meine – eine andere, fremde – wie unverschämt das Verlangen, dass wir uns darin ausdrücken sollen – wie unverschämt von uns, darin – damit – mit diesem Gestammel – Gehör zu verlangen!!!“119 Um wieviel komplizierter, als deutscher Dramatiker in den USA zu reüssieren, denn nicht nur das ganz andere, privatwirtschaftliche Theatersystem steht einem geräuschlosen Transfer entgegen, sondern zunächst und vor allem auch die amerikanische Sprache und Mentalität. Vielleicht hätte Brecht doch die frühe Warnung von Elisabeth Hauptmann ernster nehmen sollen: „Je laenger ich hier bin, je mehr wird mir der Unterschied zwischen Europa und hier klar, und wieso hier alles so viel schwerer ist. Europaer koennen hier nur durchkommen auf Grund europaeischer Erfolge, besonders der englischen.“120 Englische Erfolge? Damit kann Brecht nicht aufwarten. Keine guten Aussichten für ein künstlerisch befriedigendes amerikanisches Exil. Trotz alledem: Das Moskauer dem US-Exil vorzuziehen, ist keine Option. Wiewohl Brecht mit Familie und Anhang seit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs objektiv in immer größere Gefahr gerät und deshalb die Flucht aus Europa drängender und drängender wird, wartet er auf eine Einreisemöglichkeit in die USA. Und er weiß warum! Denn obwohl durchaus loyal der Sowjetunion gegenüber, kann er dort nicht auf ein Willkommen rechnen. Freunde und Bekannte sind entweder rechtzeitig weitergeflüchtet oder kaltgestellt oder verhaftet oder gar umgebracht worden. Die, die in der deutschen Emigrantenclique inzwischen in Moskau das Sagen haben, sind nicht vertrauenswürdig, weil angepaßt – ästhetisch, ideologisch, politisch. Zudem hat Brecht mit seinem Theater keine Chance. Es herrscht der von Shdanow, dem Chefideologen Stalins, 1934 auf dem Ersten Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller verkündete Sozialistische Realismus121, und auf den Theatern hat das Stanislawski-System inzwischen die Oberhand gewonnen. Der, der Brecht hätte unterstützen und, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, sein episches Theater durchsetzen können, ist längst in einem sibirischen Lager gestorben: Sergej Tretjakow. An­gesichts der Erfahrungen im sowjetischen Exil ist für Piscator klar, daß Brecht und seine Familie nach Amerika nachkommen müssen, weil in der Sowjetunion nur Ungemach droht. „Wir haben über Dich nachgedacht: Kortner, Eisler – die Thompson – Letztere hat evtl. 1000

118 Ebd., S. 894. 119 Ebd. 120 Elisabeth Hauptmann, Brief an Brecht, 28.9.1934, vorl. Bd. I, S. 273. 121 Vgl. dazu Andrej Ždanov, „Die Sowjetliteratur, die ideenreichste und fortschrittlichste Literatur der Welt“, in: Hans-Jürgen Schmitt/Godehard Schramm (Hrsg.), Sozialistische Realismuskonzeptionen. Dokumente zum 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller, Frankfurt/M. 1974, S. 43ff.

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Dollar für Dich.“122 Dorothy Thompson, amerikanische Journalistin und spätere Politikberaterin der amerikanischen Regierung, die den Aufstieg der Nationalsozialisten in Berlin hautnah erlebt und 1934 aus Deutschland ausgewiesen wird, ist einer der engagiertesten Lobbyisten der deutschen Flüchtlinge in den USA. Durch ihre Freundschaft zu Kortner ist sie zusätzlich sensibilisiert, was sich für viele Exulanten sehr positiv auswirkt. Unermüdlich appelliert sie an die Hilfsbereitschaft der Amerikaner (nicht einmal die Präsidentengattin Eleanor Roosevelt ist vor ihr sicher) und wirbt Gelder ein, um die Amerika-Passage für diejenigen zu ermöglichen, die Europa schnellstens verlassen müssen. Selbst Walter Benjamin, existentiell in seinem Denken und Schreiben an Europa gebunden, denkt in seinem Pariser Exil natürlich auch „an eine Uebersiedlung nach Amerika, da Europa ja unbewohnbar geworden ist“123. Als alle Versuche, ihn herüberzubringen, scheitern, nimmt sich Benjamin 1940 in den Pyrenäen das Leben. Brechts weitere Flucht von Dänemark nach Schweden ist der drohenden Kriegsgefahr geschuldet. Seit März 1939 steht er auf der Warteliste für ein amerikanisches Immigrationsvisum. Es bedarf schneller Antworten auf dringende Fragen: „habt ihr schon affidavits, Quotanummer, wieviel Geld braucht Ihr?“124 Denn das ist sicher: Antwortet man nicht, „desto schwieriger und langsamer ist es durchzuführen, ich habe ein bißchen das Gefühl, als ob uns hier mehr daran liegt, dass Ihr nach Amerika kommt, als Euch“125. Mit dem Überfall der deutschen Armee auf Polen beginnt der Zweite Weltkrieg. Brechts Lage verschärft sich dramatisch. Inzwischen hat er sich in Lidingö, einer kleinen Insel vor Stockholm, niedergelassen, um schon im Oktober 1940 nach Helsinki weiterzuziehen. Brechts Eintrittsbillett in die Neue Welt ist und bleibt sein dramatisches Werk. Die erste, schon vor der Ankunft in Amerika zuvörderst zu bewältigende Hürde ist die der gelungenen Übertragung aus dem Deutschen ins Englische beziehungsweise ins amerikanische Englisch. Denn nicht nur die sprachliche Präsenz in der US-Theater­land­schaft ist wichtig; sondern treffend übersetzt und damit für jedermann lesbar zu sein, scheint die Initiative der amerikanischen Brecht-Anhänger in Sachen der Brechtschen Visaanfrage und Übersiedelung sehr zu befördern. Einen (wovon ein jeder literarisch interessierte Amerikaner sich dann selbst überzeugen könne) bedeutenden Schriftsteller aus Übersee zu retten, ist um einiges leichter, als aus reiner Menschenliebe zu Hilfe zu kommen. Viele Türen öffnen sich für VIPs, wie der Fall des Nobelpreisträgers Thomas Mann nachgerade belegt. Da werden Brecht und seine überaus begabte ‚Laien‘-Übersetzerin Steffin doch erleichtert gewesen sein, als ihnen mitgeteilt wird, daß sie „keinen besseren Vertreter für [ihre] Angelegenheiten finden“ könnten als den in Aussicht genommenen Übersetzer und Agenten Ferdinand Reyher: „[E]r versucht alle Wege, (um Euch schnell herüberzubringen) hat die 122 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 3.3.1939, vorl. Bd. II, S. 893. 123 Walter Benjamin, Brief an Steffin, 20.3.1939, vorl. Bd. II, S. 899. 124 Gerda Goedhardt, Brief an Margarete Steffin und Brecht, 24.4.1939, vorl. Bd. II, S. 915. 125 Ebd.

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besten Verbindungen, und vor allem scheint er das Stück ‚Furcht und Elend‘ so umzuarbeiten, dass es alle Chancen hat, ein ‚hit‘ am Broadway zu werden. Die Szene, die er mir vorgelesen hat, ist so amerikanisch[,] der Plan zu dem Stück so ausgearbeitet, dass auch der sentimentalste Zuschauer zuhört und gepackt wird.“126 Wenngleich Brecht doch ein wenig erschrocken über die intendierte Wirkung des so sehr auf Amerika zugeschnittenen Stücks reagiert haben dürfte, denn sein Zuschauer soll ja nun gerade nicht „gepackt“, sondern auf kritische Distanz gehalten werden, um den Figuren und dem Plot auf der Bühne mit kühlem Kopf zu folgen. Ästhetik und Sprache, der Gestus des Brechtschen Theaters zielen eben nicht auf das Katharsiserlebnis durchs Mitleiden mit dem Helden; sie appellieren zuerst an die menschliche Ratio. Das birgt ein nicht zu unterschätzendes Übersetzungsproblem, denn die Auskältung der Brechtschen Sprache und die Versachlichung der theatralischen Handlung verlangen nach strenger sprachlicher Durchdringung. Hierfür ein amerikanisches Äquivalent zu fin­den, wächst sich zu einer sehr anspruchsvollen Anstrengung aus. Der Abschied von Europa ist der endgültige Abschied vom deutschen Sprachraum. Ist man, wenngleich aus Deutschland vertrieben, auf dem alten Kontinent immer noch in der Nähe der deutschen Kultur und kann in deutschen Sprachinseln (Österreich, Schweiz) oder ‑enklaven (Prag, Moskau, Paris) Exil nehmen, so kappt die Fahrt über den Großen Teich die letzten, immer brüchiger gewordenen Beziehungen zur alten Sprachheimat endgültig. Die Flucht bedeutet zuerst die Rettung des Lebens und dann mit viel Glück gegebenenfalls die Errettung der Sprache. Allen Ratschlägen zum Trotz, die ihn drängen, möglichst umgehend in die USA zu gehen, harrt Brecht also noch in Finnland aus, obwohl die faschistischen Truppen immer näher rücken und die Sowjetarmee Finnland bereits besetzt hält. Deshalb dürfte Brecht Piscators endgültige Bestätigung zur Einreise vom 12. Juni 1940 mit Freude gelesen haben, nachdem er schon kurz zuvor die offizielle Einladung durch den Direktor der New School For Social Research, in der Piscator seit Januar 1940 mit seinem Dramatic Workshop untergekommen ist, in den Händen hat: „We shall be most happy to welcome you as a colleague.“127 Nun könnte Brecht sich von Helsinki aus sogleich auf den Weg ins amerikanische Exil machen, denn „[d]ie Einladung ist gültig und kann von Dir zur Einreise benutzt werden.“128 Allein: Sie bezieht sich nur auf Brecht, seine Frau Helene Weigel und die Kinder; sie gilt nicht für die Geliebte Steffin. Die Versicherung, dem amerikanischen Steuerzahler mit der Übersiedelung nicht auf der Tasche zu liegen, sondern selbst oder über Freunde in Brot und Lohn zu kommen, ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Erteilung eines Visums. Als was und wie soll Piscator dem Lehrkörper in der New School Steffin verkaufen? Problemlos scheint schon die Bürgschaft für die Brecht-Fa­milie nicht zu sein. „Die Beschaffung der Kaution stösst tatsächlich auf Schwierigkeiten. Ich wandte mich 126 Ebd., vorl. Bd. II, S. 914. 127 Alvin S. Johnson, Brief an Brecht, 2.5.1940, vorl. Bd. II, S. 1017. 128 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 12.6.1940, vorl. Bd. II, S. 1018.

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an sehr viele Leute, aber alle die bisher sich anständig gezeigt haben sind gerade diejenigen, die kaum noch helfen können. Davon hängt aber, soviel ich weiss, Deine Einladung nicht ab.“129 Viele helfende Hände bemühen sich um Beschleunigung der Einreise in die USA, selbst wenn zumeist keine Erfolge vermeldet werden können. „Was Ihre Einwanderung betrifft“, so heißt es in einem Schreiben der American Guild For German Culture, „so fuerchte ich, dass die Wartezeit noch einige Monate dauern kann. […] Die Spezialvisen, die jetzt von der Regierung fuer Gefaehrdete in Frankreich, Schweden und in der Schweiz erteilt werden, scheinen ausgerechnet nicht fuer Finnland anwendbar zu sein. Ich werde jedoch noch einmal bei den betreffenden Stellen Erkundigungen deswegen einziehen.“130 Auch Feuchtwanger verwendet sich für Brecht: „Wir tun hier, was wir können, um Sie herüber zu bekommen.“131 Ein mexikanisches Visum sei erteilt, das dringend benötigte amerikanische stehe noch aus. „Ich rate Ihnen aber dringlich, es nicht abzuwarten, sondern so rasch wie möglich abzufahren.“132 Um wie vieles schwieriger, das Visum für Margarete Steffin zu erhalten! „Eisler und ich versuchten uns auch für Grete einzusetzen. Wir wissen, was sie leistet und Dir bedeutet, aber wir stiessen vollkommen auf Widerstand.“133 Brecht wartet also weiterhin. Als Steffin dann im Mai 1941 überraschend ein Besuchervisum für Amerika als Sekretärin von Brechts Ehefrau bekommt, mag sich Brecht des Briefes von Gerda Goedhardt vom 24. April 1939 erinnert haben, die Hilfestellung anbietet und darüber hinaus einen Plan erläutert, wie man aus einem Besuchs- später ein „Einwanderungsvisum“ machen könne.134 Am 15. Mai 1941 bricht die Brecht-Familie gemeinsam mit Margarete Steffin und Ruth Berlau nach Leningrad auf. Von dort geht es mit der Eisenbahn über Moskau nach Wladiwostok und dann mit dem Schiff in die USA. Margarete Steffin wird Amerika nicht erreichen; sie erliegt in einer Moskauer Klinik am 4. Juni 1941 ihrem Lungenleiden, das sie seit Jahren gesundheitlich so stark beeinträchtigt, daß immer wieder, auch im Exil, ärztliche Intensivbehandlungen und Aufenthalte in Sanatorien angezeigt sind. Ihre letzten Stunden hat Maria Osten festgehalten. Die Todesnachricht erreicht Brecht im Zug Nr. 2 auf der Bahnfahrt zum russischen Hafen am Japanischen Meer. „Um fünf Minuten vor neun ist Grete gestorben. Sie hatte kaum Puls. Die Leiterin hielt die ganze Zeit Gretes Hand. Grete sagt: ‚schlecht, sehr schlecht‘. Hält sich an der Hand fest. Leiterin sagt ihr: ‚In ein paar Minuten wird es Ihnen besser gehen.‘ Grete nickt zustimmend. ‚Doktor, Doktor, Doktor‘, waren ihre letzten Worte.“135 Damit ist eine persönliche Beziehung tragisch beendet, die Brecht seit der Berliner Premiere der Mutter als Liebes- und Arbeitsverhältnis unterhält, was verständlicherweise nicht ohne Komplikationen verläuft, besonders von Sei­ten der jungen 129 Ebd. 130 Markus Wolf und Volkmar von Zühlsdorff, Brief an Brecht, 6.9.1940, vorl. Bd. II, S. 1020. 131 Lion Feuchtwanger, Brief an Brecht, 2.12. 1940, vorl. Bd. II, S. 1021. 132 Ebd. 133 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 12.6.1940, vorl. Bd., S. 1018. 134 Vgl. Gerda Goedhardt, Brief an Margarete Steffin und Brecht, 24.4.1939, vorl. Bd. II, S. 914. 135 Maria Osten, Brief an Brecht, 3./4.6.1941, vorl. Bd. II, S. 1038.

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Steffin. Steffins Briefe durchzieht ein tiefes Verlangen nach gelebter Zweisamkeit: „[M] orgen sind es 3 Wochen, daß ich wieder keine Post von Dir habe.“136 – „ich habe schon so lange solche sehnsucht nach Dir“137 – „Ich halte es nicht aus, wenn Du nicht bei mir bist, mir nicht schreibst, das ist sehr schlimm, aber was soll ich da machen.“138 – „Wann bist du endlich da? Es ist schon so sehr lange her, bidi“139 – „lieber bidi, am 21. märz hatte ich einen einsamen geburtstag. ich bin nun schon 28 jahre alt. das ist ja furchtbar.“140 VII. Endlich angelandet in den USA, gestalten sich Aufführungsversuche, die schon im europäischen Exil problematisch waren, noch um einiges problematischer. Wenngleich Brecht, seine Komponisten Kurt Weill und Hanns Eisler oder Koautoren immer wieder Anfragen erreichen, so türmen sich doch amerikaspezifische Probleme auf, als da sind: eine – wie schon erwähnt – gute Übersetzung, das geringe Produktionskapital und, damit verbunden, das große finanzielle Risiko.141 Brecht ist spätestens seit dem schon erwähnten New Yorker Debakel mit der Mutter ein gebranntes Kind. Aber Brecht braucht Geld! Mit Fritz Lang, der als Regisseur in Hollywood seit seiner Ankunft 1934 längst arriviert ist, schreibt er das Drehbuch zu dem Spielfilm Hangmen Also Die. Brecht hofft natürlich auf weitere Aufträge, Brotarbeit aus Hollywood. Die Produktionsfirma bootet Brecht aufs schändlichste aus, als sie seinen Namen als Drehbuchautor im Vorspann des Films löscht. Der vor Gericht erstrittene Kompromiß verflüchtigt sich in die Annoncierung: „Nach einer Idee von Fritz Lang und Bertolt Brecht“. Allein: Das Brecht ausgezahlte Honorar lindert nicht nur die gröbsten finanziellen Sorgen. Er kann damit seine Lebensumstände entscheidend verbessern. Endlich wie­der ein eigenes Auto und ein neues Haus zur Miete. Gleichwohl bleiben nach diesem Teilerfolg von 1942 die „Filmmöglichkeiten […] scheußlich schwankend, oft in Greifweite, dann wieder ganz schlecht, nie völlig verschwindend. […] Geld habe ich fast keines mehr im Augenblick (jedoch ist die Miete bis Frühjahr [1944 – H.H.] bezahlt), ich muß mir Geld ausborgen, für eine sehr kleine Basis.“142 Da ist Lion Feuchtwanger Retter in der Not, als er den erfolgten Vertragsabschluß mit Metro-Goldwyn-Mayer in Hollywood – es geht um die Filmrechte an dem Roman Simone, den Feuchtwanger auf der Grundlage der gemeinsamen Arbeit mit Brecht an Simone Marchard schreibt – vermelden kann: „Die ganzen Verhandlungen waren endlos und aufreibend. Ich blieb im Hintergrund […]. Das 136 Margarete Steffin, Brief an Brecht, 13.2.1936, vorl. Bd. I, S. 530. 137 Margarete Steffin, Brief an Brecht, 17.2.1936, vorl. Bd. I, S. 531. 138 Margarete Steffin, Brief an Brecht, 22.2.1936, vorl. Bd. I, S. 536. 139 Margarete Steffin, Brief an Brecht, 26.2.1936, vorl. Bd. I, S. 541. 140 Margarete Steffin, Brief an Brecht, 24.3.1936, vorl. Bd. I, S. 549. 141 Vgl. dazu Elisabeth Hauptmann, Brief an Brecht, 26.2.1945, vorl. Bd. II, S. 1155f. 142 Bertolt Brecht, Brief an Ruth Berlau, 6.10.1943, GBA 29, S. 312.

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Geld, das Sie zu kriegen haben – es sind etwas über zweiundzwanzigtausend Dollar – steht zu Ihrer Verfügung. Ich denke, in Ihrem Sinne gehandelt zu haben, wenn ich Helly, die Geld dringlich benötigte, davon zweitausend gab.“143 Brecht wohnt, wie immer, wenn er nach New York reist und dort länger bleibt, so auch jetzt ab Mitte November 1943 bis Mitte März 1944 bei der Geliebten Ruth Berlau, während seine Ehefrau Helene Weigel in Santa Monica mit den Kindern zurückbleibt (womit die Eigenmächtigkeit von Feuchtwanger verständlich wird). In New York wartet Piscator, um endlich eine gültige Brecht-Inszenierung auf die Beine stellen zu können. Er will sich an der Szenenfolge Private Life of the Master Race beweisen. Er scheitert, denn Brecht interveniert. Piscator zieht sich zurück, nicht aber die Schauspieler, die aus seinem Theater kommen. „[W]hen I direct I need the time for myself without your co-directing – and when you direct you need the time without me. For my part, I have conceived a different physical performance from yours, and I have greater difficulties in following your version – enough so that I suggest that you take over the directing, and I withdraw.“144 Brecht reagiert ausgesprochen diplomatisch, nimmt dem Düpierten sozusagen den Wind aus den Segeln. „Ich bin Dir sehr dankbar, daß Du uns durch Überlassung Deiner Leute und andere Arbeitserleichterungen hilfst. Schon dadurch kann nicht der (eventuell andern willkommene) Eindruck entstehen, wir seien in tiefe Feindschaft gefallen. Danke. Herzlichst Dein alter brecht.“145 Nicht Brecht führt zu Ende, sondern Berthold Viertel. Diese für Piscator bittere Erfahrung präludiert Brechts und Piscators unterschiedliche Auffassung und Stellung beim Wiederaufbau des deutschen Theaters nach 1945. „Es waren zwei Königskinder, die konnten zusammen nicht kommen!“ Dieses Volkslied könnte gemünzt sein auf Piscator und Brecht, umschreibt die Zeile doch beider Verbundenheit mit Blick auf die neuerliche Legitimierung des politisch fundierten Theaters. Für die konkrete Theaterarbeit gibt es allerdings keine Zukunft miteinander. Wiewohl eine wechselseitige Affektion untereinander besteht, wird es in Nachkriegsdeutschland zu keiner Zusammenarbeit kommen. Nicht nur, daß die gesellschaftlich-historischen Entwicklungen in Ost und West mehr und mehr, zumal mit Beginn des Kalten Kriegs, einer unbekümmerten Wiederbelebung und Überprüfung der Theaterexperimente aus alten Berliner Zeiten entgegenstehen, Brecht und Piscator sind auch ästhetisch inzwischen zu weit auseinander, als daß sie noch einmal gemeinsam hät­ten starten können. Dessen ist Brecht sich immer bewußt, trotz allen verbalen Zuspruchs, den Piscator durch Brecht völlig überraschend erfährt. „Lieber Pis, laß mich Dir, der Ordnung halber, mitteilen, daß von den Leuten, die in den letzten 20 Jahren Theater gemacht haben, mir niemand so nahegestanden hat wie Du. Es steht nicht in Widerspruch dazu, wenn ich denke, daß wir zwei Theater brauchen. Der Grund ist nicht nur, daß wir zumindest zwei Punkte besetzen müssen, um unsere gemeinsamen Ideen zu etablieren; für einen Teil meiner Arbeiten für das Theater muß ich auch einen ganz 143 Lion Feuchtwanger, Brief an Brecht, 25.02.1944, vorl. Bd. II, S. 1126. 144 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 29.5.1945, vorl. Bd. II, S. 1171. 145 Bertolt Brecht, Brief an Erwin Piscator, 2.6.1945, GBA 29, S. 355f.

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bestimmten Darstellungsstil entwickeln, der sich von dem Deinen unterscheidet. Das ist der ganze Vorbehalt und es scheint mir ein produktiver.“146 Brechts sehr kluge und weitsichtige Einschätzung bestätigt ein Blick in die Berliner Theatergeschichte nach 1945. Während Brecht 1949 nach seiner Rückkehr nach Berlin sogleich mit der Arbeit am Projekt der Berliner Dramaturgie mit der Maßgabe eines wirklichen Neuanfangs beginnt, wartet Piscator noch ab. Und er wartet zu lange. Denn als er 1956 endlich nach Berlin (West) zurückkehrt, sind die Würfel längst gefallen: Niemand will ihn mehr. „Diese Methode des ‚technischepischen Theaters‘ ist ein sehr alter Hut geworden. Noch als sie neu war, überzeugte sie nicht völlig. Piscator – und darin liegt für ihn eine eigene Tragik – tritt immer noch auf der alten Stelle. Der revolutionäre Impetus, der seine aufsehenerregenden Anfänge hier vor mehr als 20 Jahren immerhin trug, ist hin. Bleibt die entleerte Methode.“147 Brechts Berliner Ensemble führt derweil längst die deutschsprachige Theateravantgarde an. Die Jahre des amerikanischen Exils hätten Piscator zeigen müssen, daß Brecht der klügere, gewieftere Agent seines Theaters ist, der stets darauf bedacht ist, für sich und zugunsten seines Theatermodells zu handeln. Der Wunsch, am Berliner Schwejk aus dem Jahr 1927 weiterzuschreiben, bleibt ein frommer. Alle Versuche, Brecht für eine Mitarbeit zu gewinnen, laufen ins Leere, obwohl Piscator seit seinem Pariser Exil Brecht das Projekt wieder und wieder andient. Als er dann erfährt, daß Brecht ohne ihn, den Ideengeber, am Schweyk im zweiten Weltkrieg sitzt, läuft das Faß über. Tief verletzt nennt er dessen Verhalten eine typisch Brechtsche „Schweinerei“. Mit Bitterkeit hält er fest: „Das Positive in Deiner Arbeit wird durch Dein Handeln zu einer Lüge. Bedauerlicher Mensch, der so weit im persönlichen Leben von den Prinzipien abzugehen hat, die er predigt. Das ist kein Klassen- und kein Rassenkampf – das ist Brudermord, Diebstahl am Gastgeber und Freund au[s] der offene[n] Tasche.“148 Den am 24. September 1943 dann an Brecht abgeschickten Brief, sicherlich nicht zufällig auf englisch verfaßt, grundiert Enttäuschung, er befleißigt sich allerdings eines unüberhörbar spöttischen Tonfalls: „I was amazed to read in the newspapers an item that you, in collaboration with Kurt Weill, Mr. Alfred Kreymborg and Mr. Aufricht, were contemplating the production in the United States of ‘the good soldier schweik’. As you know I own rights in ‘the good soldier schweik’ and many months ago discussed with you a contemplated production of this in the United States.“149 Mit der Kapitulation des faschistischen Deutschland am 8. Mai 1945 steht der Rückkehr in die alte Heimat objektiv nichts mehr im Wege. Die Situation nach zwölfeinhalb Jahren politischer und kultureller Verwahrlosung wirkt allerdings wenig einladend. Die 146 Bertolt Brecht, Brief an Erwin Piscator, Mitte/Ende März 1947, GBA 29, S. 413. 147 Friedrich Luft, „Tolstoi/Piscator/Neumann/Prüfer ‚Krieg und Frieden‘, Schiller Theater (23. März 1955)“, in: F. L., Berliner Theater 1945–1961, Hannover 1961, S. 232. Man kann Friedrich Luft durchaus eine gewisse Piscator-Reserve vorhalten; sehr klarsichtig beschreibt er allerdings den Unterschied zwischen Piscators technisch(-epischer) und Brechts genuin epischer Theaterkonzeption. 148 Erwin Piscator, Brief[entwurf] an Brecht, Mitte August 1943, vorl. Bd. II, S. 1103. 149 Erwin Piscator, Brief an Brecht, 24.9.1943, vorl. Bd. II, S. 1105.

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Zerstörung der Häuser und die fortdauernde Verunsicherung des Denkens und Fühlens sind groß. Erste Reiseberichte von Freunden versprechen nichts Gutes: „Dieterle hat mir die Ruinen gut ausgemalt und einige besonders üblen Gestänke hat er vermutlich nicht zu riechen bekommen. Ich habe den Nazismus nie für einen Auswuchs gehalten, immer für ein Ergebnis normalen Wachstums. Der Eiter stinkt natürlich, aber solange die Beule geschlossen ist, sieht das Fleisch darüber besonders blühend aus.“150 Jetzt kommt endlich das ganze Ausmaß der Katastrophe ans Licht. Brecht besteht, faschismustheoretisch gesprochen, da­ rauf, daß der deutsche Faschismus kein Ausrutscher, kein Unglücksfall in der Geschichte gewesen sei, sondern nur eine Entwicklung auf die Spitze gerieben habe, die lange vorbereitet worden, weil im kapitalistischen System angelegt sei. Wer so in Kontinuitäten denkt, für den ist der Nationalsozialismus auch nicht beendet mit dem Sieg der Alliierten. „Die Seele des deutschen Menschen hat sich kaum aus den Fesseln, die ihr angelegt wurden, befreit, so bemächtigen sich schon wieder viele Kräfte der Reaktion und des blinden Autoritätszwangs die noch unsicher taumelnden Gemüter, sodass mir ihr Werk gerade jetzt von innerster Notwendigkeit für uns zu sein scheint.“151 Das Gros der Deutschen wirkt lethargisch und desorientiert, bedarf dringend der politischen wie kulturellen Neu-Orientierung. Was die Exulanten dann doch um so mehr wundert, ist das hohe Maß der Verdrängung, das ihnen allenthalben aus und in Deutschland entgegenschlägt. Von Einsicht, Demut und Schuld kaum eine Spur. Diejenigen, die mehr recht als schlecht und einigermaßen unbeschädigt überlebt haben und sich nun der alten, aus Deutschland vertriebenen Freunde erinnern, nehmen Kontakt auf. Als einer der ersten meldet sich aus Berlin Herbert Ihering, der Theaterkritiker und Fürsprecher Brechts aus Weimarer Zeiten. „Lieber Brecht, wir haben große Sehnsucht nach Ihnen und nach Gesprächen mit Ihnen.“152 Natürlich hat der während des Nationalsozialismus von Berlin nach Wien ans Burgtheater ausgewichene Ihering andere, weiterreichende Beweggründe. Als Dramaturg ans Deutsche Theater verpflichtet, plant dieser Wanderer zwischen den Welten (Ihering wohnt im Westen, in Zehlendorf, arbeitet in Ostberlin) den Wiederaufbau des deutschen Theaters in Berlin. „Gestern las ich ‚Mutter Courage‘. Es war eine Erfrischung. Wir wollen es am Deutschen Theater spielen. Ebenso ‚Galileo Galilei‘, leider haben wir noch kein Buch. Können Sie nicht veranlassen, daß ich alle Ihre neuen Arbeiten bekomme?“153 Die Neuausrichtung des Theaters nach den Jahren ästhetischer Ödnis braucht, was Brechts episches Theater betrifft, profunde Kenntnis der Brechtschen Ästhetik und äußerste Professionalität. Das Beispiel der ersten Nachkriegsinszenierung der Dreigroschenoper durch Karl Heinz Martin im Berliner Hebbeltheater verstört Brecht dann doch. Obwohl ihm die Ohren hätten klingen müssen ob der Nachrichten über den Erfolg, belegen seine Aufzeichnungen im Arbeitsjournal eine 150 Bertolt Brecht, Brief an Caspar Neher, Dezember 1946, GBA 29, S. 406. 151 Wolfgang Engels, Brief an Brecht, 29.8.1947, vorl. Bd. III, S. 1459. 152 Herbert Ihering, Brief an Brecht, 24.10.1945, vorl. Bd. II, S. 1202. 153 Ebd.

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wohlbegründete Skepsis. „In Abwesenheit einer revolutionären Bewegung wird die ‚message‘ purer Anarchismus.“154 Welche Message? Es geht um die Zeile „Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, eine Zeile, die für einigen Wirbel sorgt. Damit nicht genug. Ein Unterzeichner des KPD-Aufrufs Schaffendes Volk in Stadt und Land! Männer und Frauen! Deutsche Jugend! schreibt in kommunistischem Auftrag an den Intendanten, auch der Satz „Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr“ sei für jeden überlebenden Antifaschisten und Widerstandskämpfer unerträglich. Derartige Pauschalentschuldigungen konterkarierten, was „wir heute beim Wiederaufbau unserer Stadt Berlin und der Enttrümmerung unsres geistigen Lebens brauchen“155. Die trotz alledem ersehnte Wiederbegegnung mit der Brechtschen Exildramatik ist die eine Sache, die andere ist die Frage nach der Vertretung seiner Rechte durch einen Theaterverlag. Die Schweizerische Kurt Reiss A.G. hält die Theaterrechte an Brecht in Europa seit der Zusammenarbeit mit dem Zürcher Schauspielhaus, und natürlich will sie weiterhin Brechts Agentin sein. Brecht wird hellhörig, als sich auch Felix Bloch Erben wieder ins Zeug legt, wie der amerikanische Kulturoffizier Brecht aus Berlin mitteilt. „Royalties are being paid for this production to the Felix Bloch people (Frau Wreede).“156 Brecht ist damit nicht einverstanden. Unmißverständlich stellt er klar, daß „diese Firma für mich nicht mehr Verträge abschließen“ kann, habe sie doch seinen Vertrag „schon vor Hitlers Machtantritt gebrochen und sogar Tantiemen aus Dänemark und Schweden gegen [seinen] Protest nach Hitlerdeutschland einzahlen lassen“157. Brecht setzt alles daran, aus dem Vertrag mit Bloch Erben herauszukommen – trotz der vertraglich komplizierten Sachlage. Unterstützung wird ihm dabei von der American Play Company zugesagt: „[W]e are quite ready to help Mr. Brecht in every possible way. On the other hand we are obliged to draw attention to the fact that – according to the last information received from Felix Bloch Erben – Mr. Brecht owned a considerable amount to this firm, and this might make matters somewhat complicated.“158 Mit Ende des Zweiten Weltkriegs und der über lang oder kurz absehbaren Heimkehr des Brechtschen Œuvre an die deutschsprachigen und europäischen Bühnen treten also mehrere Interessenten an Brecht heran, um sich die Rechte zu sichern. Brecht hält sich 154 Brecht, Journal Amerika, 25.9.1945, GBA 27, S. 232. 155 Hans Jendretzky, „Offener Brief an Karl Heinz Martin“, in: Deutsche Volkszeitung, 18.8.1945. 156 Edward Hogan, Brief an Brecht, 1.11.1945, vorl. Bd. II, S. 1205. 157 Bertolt Brecht, Brief an Edward F. Hogan [14.9.1945], BBA 2881-82 (nicht in GBA 29 aufgenommen). Am 22.1.1946 schreibt Margarethe Kaiser, die Witwe des Dramatikers Georg Kaiser, an Brecht: „[I]ch bin seit 14 Tagen in der Schweiz, um den Nachlass meines verstorbenen Mannes zu ordnen. Wie Sie wissen erhielt mein Mann von Bloch Erben (die Drehbühne) einen grösseren Vorschuss, und es stellt sich nun die Frage, wie man es hinsichtlich der Rückzahlung dieses Betrages halten soll. Sie wissen ja, dass Bloch Erben sich den Nazis verschrieben hatte und daher nicht in der Lage war in den letzten 12 Jahren die vertraglichen Verpflichtungen den emigrierten Autoren gegenüber zu erfüllen“ (vorl. Bd. III, S. 1233). 158 Carl Strakosch A/S, Brief an John W. Rumsey, Anlage zum Brief von John W. Rumsey an Berlau, 22.11.1946, vorl. Bd. III, S. 1352. Vgl. dazu auch die Sicht des Nachfolgers von Peter Suhrkamp als

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weiter bedeckt, wenngleich er besagten Kulturoffizier John W. Rumsey in Berlin bittet, sich in seinem Namen an Peter Suhrkamp zu wenden. Brecht hat inzwischen Suhrkamp zum neuen Verleger für Deutschland auserkoren, obwohl er seinem Schweizer Verleger gegenüber noch 1946 erklärt: „Über die deutschen Vertriebsrechte möchte ich mich noch nicht entscheiden. Die Verhältnisse sind noch viel zu unklar. Jedoch wäre ich dankbar, wenn Sie mich auf dem laufenden hielten über die deutschen Theaterverhältnisse, so­wie Ihre eigenen Erfahrungen.“159 In künstlerischen Dingen Nachrichten aus Deutschland zu erhalten, ist für Brecht fast wichtiger. „Unfähigkeit hat sich breit gemacht, hinter den Schreibtischen sitzen infernalische Dussels und halten sich daran fest, sie glotzen wie die abgestochenen Kälber und haben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Was übrig geblieben ist, ist eine reichlich trübe Brühe und Sie würden garnichts ändern, wenn Sie kämen, dazu gehören Jahre, wir sind Eintagsfliegen dagegen.“160 Das, was Heinz Kuckhahn, der junge Schauspieler aus der Schüler-Aufführung der Oper Der Jasager von 1930, an Brecht schreibt, klingt wenig verheißungsvoll. Um für einen Neuanfang gerüstet zu sein, bedarf es der ge­nauen Kenntnis aller ästhetischen Bedingungen, unter denen der Wiederaufbau des deutschen Theaters in Angriff genommen werden kann. Der wiedergefundene Caspar Neher warnt Brecht nach einer ersten Lektüre zweier seiner Exildramen: „Ich las Mutter C. und Der gute Mensch v. S. beides grossartige Stücke über die man reden müsste, da die Aufführungsformen nicht leicht gefunden werden können, leider bekam ich Galilei nicht in die Hand.“161 Eine ehrliche Einschätzung, denn es bedarf wirklich der sehr gezielten Neufindung eines einzigartigen Darstellungsstils, des epischen, wenn Brechts Theatermodell nicht schon mit den ersten Nachkriegsproduktionen fehlschlagen soll. Brecht ist sich dessen bewußt, deshalb traut er auch solch abwiegelnden Beteuerungen wie denen von Ihering nicht: „Die Aufführungen von ‚Mutter Courage‘ und ‚Galileo Galilei‘ sind heute in Berlin keine Experimente mehr, sondern würden mit Jubel aufgenommen werden.“162 Wolfgang Langhoff, der im August 1946 die Leitung des Deutschen Theaters in Berlin übernimmt, bringt noch einen anderen wichtigen, weil politisch begründeten Gesichtspunkt aufs Tapet: „Nachdem im ersten Jahr nach dem Zusammenbruch das Theaterleben Berlins und Deutschlands einen kräftigen und hoffnungsvollen Anlauf genommen hatte, ist nunmehr unter dem Druck der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse eine Stagnation, richtiger Depression eingetreten, die alle faschistischen Elemente ermutigt, aus ihren Mauselöchern hervorzukriechen und unter dem Deckmantel der Demokratie eifrig an der Restauration faschistischer Gedankengänge zu arbeiten.“163 Diese doch sehr einseitige Interpretation der allgemein defensiven

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Verleger, Siegfried Unseld, „Seine Verleger hatten es nicht leicht mit ihm“, in: Brecht-Jahrbuch 1974, hrsg. von John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 92ff. Bertolt Brecht, Brief an Kurt Reiss, 18.1.1946, GBA 29, S. 374. Heinz Kuckhahn, Brief an Brecht, 1.7.1947, vorl. Bd. III, S. 1447. Caspar Neher, Brief an Brecht, 25.3.1946, vorl. Bd. III, S. 1246. Herbert Ihering, Brief an Brecht, 31.3.1946, vorl. Bd. III, S. 1248. Wolfgang Langhoff, Brief an Brecht, 10.12.1946, vorl. Bd. III, S. 1359.

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Lage in den Jahren 1945 und 1946 geht zurück auf eine politische wie ästhetisch-ideologische Sichtweise, die kaum Verständnis aufzubringen vermag für die aktuellen historischen wie kulturellen Probleme beim Wiederaufbau. Überall faschistische Umtriebe zu wittern, enthebt die engagierten Zeitgenossen mitnichten einer tiefergehenden Analyse. Noch sehen einige Genossen reale Chancen für den Sozialismus, gleichsam als spiegelbildlichen Reflex und Gegenpart auf die niedergeworfene faschistische Diktatur. Umso größer die „Enttäuschungen, die durch die Zoneneinteilung und durch verschiedene, psychologisch nicht geschickte Massnahmen der Besatzungsmächte in der Bevölkerung Platz gegriffen haben, Hunger, Kälte und Verkehrsschwierigkeiten[,] haben es mit sich gebracht, dass die Deutschen bei den zu früh erfolgten Wahlen den Vertretern des Sozialismus, die von allem Anfang an bereit waren, die Verantwortung auf sich zu nehmen und das Chaos zu verhüten, das Vertrauen versagt haben, eben weil die Erfolge im Aufbau und in der Wiederherstellung normaler Verhältnisse sich nur sehr langsam einstellten.“164 Brecht wundert sich darob natürlich nicht, wie seine zahlreichen Arbeitsjournaleinträge belegen. Ihm ist bewußt, daß Reeducation und „Neu Beginnen“165 nicht ohne eine überzeugende, beispielgebende Politik der Besatzungsmächte, besonders natürlich der sowjetischen, zu erzielen sein dürften. Ob allerdings von dem aus Moskau zurückgekommenen Exil-KPD-Kader mit Walter Ulbricht an der Spitze derartige Anstrengungen erwartet werden können, ist mehr als fraglich. Zu sehr in die Köpfe eingebrannt und noch virulent scheinen die während des sowjetischen Exils üblichen stalinistischen Strategien. Kriegsbedingt zunächst vorübergehend gelockert, werden sie nach dem Sieg über den Faschismus und der damit verbundenen Vorherrschaft in Mittel- und Osteuropa aufs neue verstärkt praktiziert. Dazu gehören selbstverständlich die wiederaufgelegten stalinistischen Schauprozesse wie der Slánský-Prozeß166 in der Tschechoslowakei 1951. Auch auf dem ästhetisch durch Georg Lukács fest eingezäunten Feld des Realismus gibt es kaum Entfaltungsmöglichkeiten für den künstlerischen Neustart. Zu starr sind die Grenzen zur vermeintlich dekadent-ästhetischen Moderne markiert, als daß wechselseitige Befruchtungen möglich wären. „Von den ausländischen Stücken, mit denen die deutsche Bevölkerung bis jetzt bekannt gemacht wurde, sind die meisten für die deutsche Situation unbrauchbar, weil der ausgesprochen tiefe Pessimismus der Existenzialisten [sic! – H.H.] von Anouilh bis Sartre und Camus und der neue Romantizismus der Amerikaner die Depression nur noch steigern helfen. Es mehren sich deshalb 164 Ebd. 165 Anspielung auf die Widerstandsgruppe Neu Beginnen, die im Exil (zuerst Paris, dann London) innerhalb der Sozialdemokratie, die sich z.B. 1936 mit einem „Zehn Punkte Programm“ in die Debatte um die Erreichtung einer Volksfront einschaltete. „Dieses Programm hat einen gewissen Einfluß auf die spätere Entwicklung in der deutschen Sozialdemorkratie nach 1945“, so Richard Löwenthal in seinem Vortrag „Die Widerstandsgruppe ‚Neu Beginnen‘“, deren Mitglied er war, in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand am 28.1.1981. 166 Im Zusammenhang mit dem Slánský-Prozeß wurde auch Otto Katz, in den 1920er Jahren bei der Piscatorbühne tätig, zum Tode verurteilt.

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die Stimmen der einsichtigen Kritiker, die nach dem deutschen Autor fragen, der zu den Zeitproblemen Stellung nehmen kann. Nun befinden sich hier unter den einlaufenden Stücken deutscher Autoren noch keine aufführbaren Werke. Unsere Dramatiker aus der Vorhitlerzeit, Friedrich Wolf und Günther Weisenborn[,] sind die einzigen, die mit einigem Erfolg aufgeführt werden können. Der Schrei nach dem deutschen Dichter aber verhallt in der Wüste und Bert Brecht schweigt in Deutschland.“167 Was der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte Alfred Kantorowicz als dringliche Aufgabe aller für Kultur und Politik zu­ständigen Intellektuellen und Künstler vehement einklagt, nämlich die fundamentale Entscheidungs­notwendigkeit zwischen den gegenläufigen Gesellschaftssystemen (Restitution des Kapitalismus in den Westzonen und Aufbau des Sozialismus in der SBZ) aufzuzeigen, verlangt nach einer offenen Diskussion, damit unter Abwägung der systemischen Unterschiedlichkeiten das sozial überzeugendere Gesellschaftsmodell als reale Perspektive für Gesamtnachkriegsdeutschland sich erweisen möge. Dessen Monatsschrift Ost und West erfüllt dieses Programm, indem kritische Stimmen aus dem östlichen wie westlichen Lager in einem Heft zusammen gedruckt werden mit der Maßgabe, dem Leser Entscheidungshilfe zu geben. Möge sich, so hoffen viele, die Stimmung zugunsten eines gerechten Sozialismus drehen. Mit dem sich anbahnenden Kalten Krieg erübrigt sich allerdings jeder ideologische Brückenschlag zwischen Ost und West.168 Langhoff als Intendant und Falk Harnack als Regisseur haben übrigens mit der Inszenierung von Konstantin Simonows Die russische Frage am 3. Mai 1947 keinen geringen Anteil an dessen Eröffnung auf dem Theater, indem das derart schematisch-kolpor­tage­artig angelegte Stück über einen plakativen Antiamerikanismus nicht hinauskommt. „Rücksicht nach Ost und West hat hier mit dem Tage aufgehört, als die ungeschickte Rus­sische Frage so katastrophal über die Bühne des Deutschen Theaters sich schleppte.“169 Der erste überlieferte Brief von Peter Suhrkamp setzt Brecht in Kenntnis von den Schwierigkeiten bei seiner Vertretung den anfragenden Theatern gegenüber. Alte Verträge, so die Lesart der Militärregierung, hätten weiterhin Gültigkeit, was nicht nur – wie bereits erwähnt – den Berliner Verlag Felix Bloch Erben (inzwischen und für kurze Zeit unter dem Firmennamen Die Drehbühne) und Kurt Desch170 vom Zinnen Verlag in München, sondern auch den Kurt Reiss Verlag in Basel auf den Plan ruft. Suhrkamp hält sich vor167 Wolfgang Langhoff, Brief an Brecht, 10.12.1946, vorl. Bd. III, S. 1360. 168 Nach nur zwei Jahren wird Kantorowicz 1949 durch die Sowjets die Lizenz entzogen, Ost und West muß eingestellt werden. 169 Friedrich Luft zit. nach Baumgarten, Volksfrontpolitik auf dem Theater, S. 8, vgl. auch ebd., S. 42ff. Als dezidierte Gegenschrift zu Baumgarten sei noch hingewiesen auf den Westberliner Autor Henning Müller, Theater der Restauration. Westberliner Bühnen, Kultur und Politik im Kalten Krieg, Berlin/DDR 1981. 170 Am 22.7.1948 will Kurt Desch Brecht, der inzwischen in Feldmeilen bei Zürich untergekommen ist, die Vertragsunterzeichnung erleichtern, indem er neben „Zahlungen in österreichischer und schweizer Währung“ anbietet, „dass ich Ihnen gern einen Wagen kaufe. Entweder einen neuen Wagen von Opel oder Mercedes, die in der Preisklasse zwischen DM 7.000-8.000 liegen. […] Mit dem Kauf-

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erst zurück, nimmt aber sein ihm von Brecht übertragenes Mitspracherecht bei der „Zustimmung zur Textfassung, zu Regisseur und zu den Hauptdarstellern“171 sehr gewissenhaft wahr. Dessen dezidierte Meinung in künstlerischen Fragen bewahrt Brecht vor eklatanten Fehlversuchen bei der Realisierung seiner Theaterstücke – ein Glücksfall für ihn, zumal „[d]ie Nachfrage nach [seinen] Stücken ausserordentlich lebhaft [ist]. Es kommen Anfragen selbst aus kleinen Städten in der Provinz.“172 Um so interessanter Suhrkamps Selbsteinschätzung, aus der zugleich eine Bitte an Brecht spricht, ihn nämlich schnellstens mit autorisierten Texten zu versorgen: „Meine Situation gegenüber den Theatern ist nicht gut, solange ich Ihnen die genehmigten Texte nicht zur Kenntnis geben kann.“173 Brecht bleibt zögerlich – mit gutem Grund. Schon in einem der frühen Briefe an Peter Suhrkamp, dem er eine Vollmacht beilegt, hält Brecht unmißverständlich fest: „Der Wiederaufbau des deutschen Theaters kann nicht improvisiert werden. Sie wissen außerdem, daß ich auch schon vor der Hitlerzeit es nötig fand, angesichts des experimentellen Charakters meiner Stücke mich sehr in Uraufführungen einzumischen.“174 Sich „einzumischen“ geht soweit, daß Brecht den sich nun häufenden Bitten, seine Stücke, die alten wie die neuen im Exil entstandenen, aufführen zu dürfen, die Zustimmung vorerst – mit wenigen Ausnahmen – ver­weigert. Das ist und bleibt seine Haltung, auch nach der Rückkehr nach Europa. Die teilweise geglückten Versuche am Zürcher Schauspielhaus in den Jahren des Exils lassen sich nicht so ohne weiteres prolongieren oder gar exportieren. Brecht weiß nur zu genau, wie wichtig die eigene theatralische Erprobung in Deutschland ist, zumal er sein Theatermodell während des Exils poetologisch weiter abgesichert hat.175 Seine Doppelbegabung als Theaterpraktiker wie -theoretiker garantiert authentisches Brecht-Theater. Später in Berlin wird er mit den sogenannten Modellinszenierungen des Berliner Ensembles die Triftigkeit seines epischen Theaters für die Nachwelt dokumentieren.176 Daß Brecht für Ansinnen wie das von Kurt Horwitz, Schauspieler am Stadttheater Basel, offene Ohren haben könnte, wundert dann doch, weil dieser von dem Dramatiker eine neue Schlußszene zu Furcht und Elend des III. Reiches fordert: „Ich halte die Aufführung Ihres Stückes für sehr wichtig; und ich frage mich nur, ob nicht die Rückschau[177] preis würde ich Ihr Konto vorläufig belasten und später mit den eingehenden Tantiemen verrechnen“ (vorl. Bd. III, S. 1741). 171 Peter Suhrkamp, Brief an Brecht, 3.4.1946, vorl. Bd. III, S. 1250. 172 Ebd. 173 Ebd., vorl. Bd. III, S. 1252. 174 Bertolt Brecht, Brief an Peter Suhrkamp, Ende 1945/Anfang 1946, GBA 29, S. 372. 175 Vgl. dazu z.B. Der Messingkauf, an dem Brecht schon 1937 zu arbeiten beginnt, GBA 22, S. 695–869. 176 Vgl. dazu Theaterarbeit. 6 Aufführungen des Berliner Ensembles, hrsg. vom Berliner Ensemble, Helene Weigel, Berlin/DDR (3. Aufl.) 1967. 177 In dem Brief vom 2.12.1946 an Brecht erläutert Ernst Ginsberg: „Sie haben die Szenenfolge 1938 geschrieben. Inzwischen ist die Leidensgeschichte des deutschen Volkes in eine neue Phase getreten, und wir alle, auch Sie, haben über die Kreise, aus denen sich der Widerstand rekrutierte, genauere Informationen als damals. Wie in Frankreich, Holland, Norwegen usw., so waren es auch in

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alleine bei gewissen Leuten den Einwand des heute bereits Historischen erwecken könnte. Sie verstehen mich gewiss.“178 Brechts Antwort ist nicht überliefert. Aus Ernst Ginsbergs Schreiben vom Oktober 1946 läßt sich schließen, daß man, sollte Brecht überhaupt willens sein, umzuschreiben, mit einer zu späten Fertigstellung rechne. Statt dessen überlege man, das Gedicht O Deutschland, bleiche Mutter sprechen zu lassen, um dann letztendlich Brecht gegenüber einzugestehen, man fände „nun doch die ursprüngliche Fassung stärker“179. Wichtiger für Brecht, daß bei diesem Durcheinander der Freund und Bühnenbildner Caspar Neher mitmacht. Wenigstens dadurch ist gesichert, daß die Brechtschen Intentionen im Ansatz realisiert werden. „Die Zeichnungen sind fertig etwa 25 an der Zahl und sollten am 18. Nov. in Basel auf der Projektionsleinwand ausprobiert werden. Ich freue mich darauf, wenn ich mich auch über das Stück weniger freue, da es mir noch dazu im Magen liegt und man die Frische der Aggressivität nicht mehr in diesem Masse besitzt, wie vor Zeiten.“180 Eine derartige Einschätzung kommt doch überraschend daher, denn welches andere Drama, wenn nicht diese Szenenfolge, wäre geeigneter zur Vergangenheitsbewältigung? Ganz sicher nicht Carl Zuckmayers Nachkriegsstück Des Teufels General wegen der ideologischen Entschuldigungsdramaturgie oder Friedrich Wolfs bedeutendes Exildrama Professor Mamlock aufgrund der, in den Augen Brechts, überkommenen aristotelischen Einfühlungsästhetik. Gleichwohl äußert der alte Freund Jacob Geis schon im Juli 1948, er fürchte, „dass dieses Stück [Furcht und Elend des III. Reiches – H.H.] kaum Absatz finden wird, nicht nur deswegen weil die Herrn Theaterdirektoren Angst vor dem fünften Reich haben, sondern weil das breiteste Publikum von einem Verdrängungskomplex befallen ist: sie wollen es einfach nich[t] mehr wissen. Zuckmayer ist kein Beweis dagegen, denn sein General des Teufels zeigt doch vorwiegend den Glanz des dritten Reichs. Mit Deinem Stück wird auf dem Schuldnerv herumgetreten und darauf reagieren sie recht sauer.“181 Brechts Theatermodell erzwingt in der Tat vom Zuschauer eine weiterreichende Aufmerksamkeit, da seine Stücke eine über die unmittelbare Affektion, über die theatrale Interaktion hinausgehende Reflexion intendieren. Brecht besteht darauf, das Publikum nicht zu entlassen, ohne daß in ihm ein Erkenntnisprozeß angestoßen werde, der in den gesellschaftlichen Alltag hineinwirken solle. Derart neue Dramatik vertraut nicht mehr dem emotional aufwühlenden Appell, sondern der aufklärenden Ansprache an die Ratio des Menschen im 20. Jahrhundert. Welches Theater eignet sich da besser als das Brechtsche angesichts der unbestrittenen Tatsache, daß die Deutschen ganz offensichtlich den Ver­stand verloren haben, als sie Hitler

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Deutschland sehr viele Kommunisten, aber es waren nicht nur Kommunisten. […] Wäre es nicht um dieser Wahrheit und um der zahllosen Opfer willen, die auch ausserhalb der K.P. gefallen sind, richtig, ja fast verpflichtend, Ihre Szenenfolge am Schluss nicht zu einer ausschliesslichen Verherrlichung der K.P.-Kämpfer zu vereinseitigen?“, vorl. Bd. III, S. 1355. Kurt Horwitz, Brief an Brecht, 21.9.1946, vorl. Bd. III, S. 1323. Ernst Ginsberg, Brief an Brecht, 2.12.1946, vorl. Bd. III, S. 1355. Caspar Neher, Brief an Brecht, 26.10.[1946], vorl. Bd. III, S.1343. Jacob Geis, Brief an Brecht, 30.7.1948, vorl. Bd. III, S. 1754.

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an die Macht hieven und zum absehbaren Ende des Zweiten Weltkriegs der Ausrufung des „totalen Kriegs“ durch Goebbels zustimmen? Für Brecht steht angesichts derart schlim­mer Verwüstungen durch die Jahre fa­schi­stischer Indoktrination in den Köpfen und Seelen der Überlebenden „Ideologiezertrümmerung“182 auf der Tagesordnung. Diese erachtet er als den dringlichsten Auftrag an ein po­litisch verantwortliches Theater. Wie recht Brecht damit hat, zeigt eine Umfrage des amerikanischen Informationsdienstes in der amerikanischen Zone von 1947: „Auf die Frage ‚Meinen Sie, daß der Nationalsozialismus eine schlechte Idee war oder ein guter Gedanke, der schlecht ausgeführt wurde‘ äußern 47 Prozent die Ansicht, er sei ein guter Gedanke gewesen, 41 Prozent lehnen ihn als Idee ab, 12 Prozent haben keine Meinung. Bei der Frage ‚Kommunismus oder Nationalsozialismus‘ lehnen 66 Prozent beides ab.“183 Wie dringlich da Aufklärungsarbeit vonnöten ist, steht selbst für heutige Zeitgenossen außer Zweifel. Damals spiegelt sich „[a]uf der Bühne […] dieser Vorgang dadurch, dass die anfänglich häufig gegebenen Stücke mit antifaschistischer Tendenz immer weniger Widerhall fanden und eine Rückkehr zur ‚reinen Kunst‘ und zum Unterhaltungsstück gefordert wurde“184. Antifaschismus speist sich historisch aus einer dezidiert wissenschaftlich begründeten Ablehnung des Nationalsozialismus bei gleichzeitiger prokommunistischer Gesinnung. In der politisch unübersichtlichen Gemengelage im Gefolge der mit dem Sieg über Hitler-Deutschland derweil zerbrochenen Anti-Hitler-Koalition zwischen der Sowjet­union und den USA besteht wenig Hoffnung auf eine radikale Neubestimmung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Oder wie Karl Korsch festhält: „Inzwischen ist mir ganz klar geworden, dass wir uns im Weltmas­­stabe in einer Epoche der Regression befinden. Der Rückschritt im Geistigen und Kulturellen lässt sich fast von Tag zu Tag verfolgen.“185 Daß dennoch ansatzweise und durchaus radikal selbst in den Westzonen Nachkriegsdeutschlands über die ökonomisch-gesellschaft­liche Zukunft nachgedacht wird, beweist sogar das Ahlener Programm der CDU, wo es im Vorspruch heißt: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und so­zialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen.“186 Die Revision dieser dezidiert antikapitalistischen Stoßrichtung folgt auf dem Fuße – im nächsten CDU-Programm – und wird durch den Aufbau der sozialen Marktwirtschaft im Westen praktisch beglaubigt mit amerikanischer 182 Brecht bezeichnet „Ideologiezertrümmerung“ 1948 als die wichtigste Aufgabe des Theaters (Ernst Schumacher, „Er wird bleiben“, in: Erinnerungen an Brecht, zusammengest. von H. Witt, Leipzig o.J., S. 330). 183 Zit. nach Der Tagesspiegel, 30.7.1972. Ähnliche Umfragen sind für SBZ nicht überliefert bzw. doku­ mentiert. 184 Wolfgang Langhoff, Brief an Brecht, 10.12.1946, vorl. Bd. III, S. 1359. 185 Karl Korsch, Brief an Brecht, 18.4.1947, vorl. Bd. III, S. 1419. 186 Christlich-Demokratische Union Deutschlands: „Das Programm von Ahlen“ (1947), in: dies., Die Programme der CDU, Dokumentation, Bonn 1978, S. 9–18.

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Unterstützung mittels des sogenannten Marshallplans, während in Ostdeutschland unter dem Schutz der Roten Armee der Versuch einer sozialistischen Planwirtschaft angegangen wird. Aber selbst im Aufruf des ZK der KPD vom 11. Juni 1945 heißt es noch taktisch zurückhaltend: „Mit der Vernichtung des Hitlerismus gilt es gleichzeitig, die Sache der bürgerlichdemokrati­schen Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen. […] Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre.“187 Genau das Gegenteil aber markiert die Politik der Sowjets und der aus dem Moskauer Exil heimgekehrten ehemaligen KPD-Funk­tio­näre. An sie fällt die Regierungsverantwortlichkeit in der SBZ bzw. DDR. „Es ist dabei nicht nur so, daß die deutschen Arbeiter im Augenblick nicht erkennen, daß ihre eigene Diktatur ‚drinnen ist‘, sondern daß sie wirklich nicht bereit scheinen, sie zu übernehmen.“188 Brechts Meinung in allen Ehren, aber zu dieser Selbstbestimmung des Proletariats hätte es einer ganz anderen Politik bedurft, um das Selbstbewußtsein der Arbeiter zu stärken. Statt dessen werden die AntiFa-Komitees, die sich spontan und basisdemokratisch in der sogenannten antifaschistisch-de­mokrati­schen Grundordnung der SBZ/DDR gebildet haben, wieder aufgelöst. Damit nicht genug. Die Betriebe, von den Arbeitern in Eigenregie übernommen und wieder in die Produktion gebracht, werden als Reparationsleistung, als Wiedergutmachung demontiert und in die UdSSR verbracht. „[D]ie Übernahme der Produktion durch das Proletariat erfolgt zu einem Zeitpunkt (und scheint vielen also zu erfolgen zu dem Zweck) der Auslieferung der Produkte an den Sieger.“189 Die Beschädigung des sich nur langsam regenerierenden Klassenbewußtseins190 der Arbeiter durch derartige Maßnahmen ist groß, ein wirklicher sozialistischer Neubeginn damit vertan. Brechts entschuldigender Kommentar: „[D]ie Arbeiter bedenken nicht eben, daß der Zerstörungskrieg gegen die Sowjetunion zwar ohne ihre Billigung, aber nicht ohne ihre Mit­hilfe gemacht wurde.“191 Allein die daraus resultierende Verunsicherung ist nicht zu unterschätzen. Denn so eindeutig gegenläufig die Gesellschaftsentwürfe, so ungeschickt, weil wenig transparent die Durchsetzung der Alternative, des Aufbaus des Sozialismus im Osten. Schnell wird deutlich, was die Ostberliner Machtelite 187 Aufruf des ZK der KPD, 11.6.1945, in: Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, hrsg. u. eingel. von Lothar Berthold u. Ernst Diehl, Berlin/DDR 1967, S. 196. 188 Bertolt Brecht, Journal Berlin, Eintrag vom 9.12.1948, GBA 27, S. 286. 189 Ebd., S. 285. 190 Hans-Jürgen Krahl hat im Zusammenhang mit der Restituierung des Kapitalismus in der Bundesrepublik darauf hingewiesen, daß nach zwölfeinhalb Jahren Nationalsozialismus durch die Zerstörung genuiner Formen zur Bildung und Stärkung von Klassenbewußtsein (Parteien, Gewerkschaften oder auch Arbeiterbildungsvereine) gleichsam als Langzeitwirkung nicht mit einer Wiederbelebung einer bewußten Arbeiterklasse zu rechnen sei (vgl. dazu: H.-J.K., Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt/M. 1971). Ähnliches ließe sich für die SBZ/DDR weiterführen – dort allerdings unter anderen Vorzeichen: Die durchlebte Diktatur ist derselbe historische Ausgangspunkt; der importierte Stalinismus sorgt dann dafür, daß eher defensiv nicht von ‚Klasse‘, sondern von ‚Volk‘ gesprochen wird. 191 Bertolt Brecht, Journal Berlin, Eintrag vom 9.12.1948, GBA 27, S. 285.

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eigentlich nur will: an der Macht bleiben. Erster Unmut regt sich. „Ich möchte mal raus, ich würde sogar dauernd rausgehen, ich muss mal raus. Ich halte einfach den deutschen Kasernengeist nicht mehr aus, nicht rechts nicht links. Wer sagt, es habe sich darin garnicht viel verändert, der hat recht. In Dresden haben sie Bronzebüsten von Pieck hergestellt, bei einer Kulturtagung hier in Berlin sass Pieck vor seinem eigenen bunten Bild im Riesenformat.“192 So oder so. Für den politisch sensiblen Zeitgenossen ist klar: Auf deutschem Boden wird sich in Bälde ein neuer Entscheidungskampf der Systeme austoben. Die Fronten stehen gegeneinander. Noch glauben die, die Deutschland 1933 verlassen mußten, und die, die nun von den Exulanten Zuarbeit beim Wiederaufbau reklamieren, an ein produktives Miteinander – allerdings unter der Maxime, einen unverfälschten, weil dem Humanismus verpflichteten Antifaschismus zum Fundament für ein neues Gesamtdeutschland verbindlich zu machen. Dazu braucht es die aus dem Exil zurückgekehrten oder die Rückkehr vorbereitenden Schriftsteller und Künstler mit Brecht an vorderster Front um so dringlicher. 1946 schreibt Wolfgang Langhoff an Brecht, es sei „von allergrösster Wichtigkeit, dass wir noch in diesem Theaterwinter ein Stück von Ihnen, lie­ber Bert Brecht, zur Aufführung bringen. Wir besitzen nun eine Fotokopie des ,Schweyk‘ und beabsichtigen, dieses Stück spätestens Ende März herauszubringen.“193 Brecht wehrt standhaft ab. Erst am 11. Januar 1949 wird er als Gast am Deutschen Theater mit einer Inszenierung der Mutter Courage und ihre Kinder seinen Einstand in Berlin geben. Der Abschied von Amerika, wiewohl mit der Beendigung des Kriegs in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands in unmittelbare Nähe gerückt, verzögert sich. Derweil schicken die Brechts an die Familie und alten Freunde im daniederliegenden Deutschland Care-Pakete. Diese Wundertüten aus Amerika lindern Not und erfreuen ihre Adressaten ob der ihnen entgegengebrachten Menschlichkeit. Zahlreiche Dankesbriefe erreichen Brecht daraufhin noch im amerikanischen Exil. Mit dem 29. März 1947 sind Brecht, die Weigel und die Tochter Barbara endlich im Besitz eines „Exit- And ReenterPermit“ für die Schweiz. Brecht intensiviert daraufhin seine persönlichen wie künstlerischen Verbindungen nach Europa, eruiert Chancen „über Theatermachen in Berlin“ unter den Mit-Emigranten vor Ort.194 Um weiterhin in der amerikanischen Theaterszene präsent zu bleiben, erlaubt er Heinrich Schnitzler die Aufführung des Verhörs des Lukullus in Berkeley. Eine von Schnitzler ins Gespräch gebrachte Vor-Aufführung des Galileo mit Laughton an der Stanford University hingegen scheitert. Die schon erwähnte Galileo-Premiere geht dann endlich im Juli 1947 in Beverly Hills über die Bühne. Brecht nutzt die Zeit, um weiter Möglichkeiten für amerikanische Aufführungen auszuloten. Vorschlägen von Beobachtern der amerikanischen Szene für Inszenierungen begegnet er sehr offen. Mit Peter Lorre und Charles Laughton stehen ihm zudem erfahrene Schauspieler zur Seite, die nicht nur in den 192 Heinz Kuckhahn, Brief an Brecht, 1.7.1947, vorl. Bd. III, S. 1447. 193 Wolfgang Langhoff, Brief an Brecht, 10.12.1946, vorl. Bd. III, S. 1360. 194 Bertolt Brecht, Brief an Erwin Piscator, Februar 1947, GBA 29, S. 411.

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USA einen klangvollen Namen haben. (Lorre, wiewohl schwer morphiumabhängig, will Brecht für Gastspiele in Berlin.) Darüber hinaus ist Brecht sehr an kritischen Lesern gelegen, an sorgfältig lesenden Kritikern. Daß Brecht mit Freunden und Bekannten philosophische, ästhetische und darstellerische Fragen durchspricht, zeigen die überlieferten Briefe und Notate. Ein Kritiker der besonderen Art ist der Sohn Stefan. Es ist erstaunlich genug, mit welcher Schärfe und Inbrunst dieser zum Beispiel des Vaters Lyrik ‚zerreißt‘. Selten direkt und unverblümt, fast bösartig liest der junge Stefan dem alten Brecht die Leviten über die „offenbaren Fehler“195 nach Übersendung des Gedichts Freiheit und Democracy, so daß man noch heute Brechts Zorn darob sogleich verstehen kann. Doch Stefan holt sich Schützenhilfe bei der verstorbenen Margarete Steffin: „Ich erinnere mich an die Grete; nemlich [sic!] ihre Rede ueber die Schlampigkeit der Verse in Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui; ich hoffe Du entschuldigst das Wort: Schlampigkeit ist auch fuer diese Fehler richtig.“196 Der Junge riskiert eine dicke Lippe, und Vater Brecht antwortet zwar diplomatisch, aber doch erbost. „Von Deinem Brief […] war ich etwas enttäuscht, einmal weil Dir das Gedicht nicht gefällt, und dann, weil er etwas Doktorenhaftes hat; Du verstehst, er drückt nicht das Mißbehagen eines guten Essers, sondern eines Fleischbeschauers aus.“197 Dies eine Replik, die es in sich hat und Brecht als Meister einer hinterhältigen Ironie zeigt: „Das Gedicht mag verfehlt haben, Dich zu amüsieren, aber Deine Kritik zeigte leider nicht einmal den Versuch, amüsant zu sein; so ärgerte der Brief mich.“198 Das sitzt! Brecht reklamiert statt Verbiesterung eine gewisse, gleichsam fröhliche Leichtigkeit bei der Lektüre, mit der die Gestaltungskraft seiner Sprache erst nachvollziehbar wird. So unumstritten Brecht als her­ ausragender Dramatiker, so anerkannt ist er inzwischen auch in Fachkreisen als außerordentlicher Lyriker, wiewohl die Lyrik immer noch für ein breiteres Publikum zu entdecken ist. Den kulturellen Wiederaufbau nach 1945 prägt Brecht vor allem mit seinem Theater, und das weit über Berlin hinaus. Das geistige Nachkriegsberlin droht schon früh mit den Moskau-Rückkehrern in eine ästhetische Sackgasse zu geraten. Wolfgang Harich, ein junger marxistisch gebildeter Berliner Student der Philosophie und Literatur und zudem Kritiker bei der Täglichen Rundschau, wirft Ihering unumwunden vor, daß er dem drohenden Abstieg des Deutschen Theaters nichts entgegensetze. „Unbegreiflich, daß ein Theaterkritiker von Ihrem Rang als Dramaturg an einem Theater bleibt, an dem Aufführungen wie Gerichtstag, der Kinkerlitzchen-Hamlet, Beaumarchais, Wir heißen euch hoffen und Stürmischer Lebensabend möglich waren. (…)199 Wenn Sie wirklich identisch sind mit dem verehrten und bewunderten Herbert Ihering, der vor 1933 der Antipode Alfred Kerrs war und das Buch Regie geschrieben hat, so hätten Sie dem Deutschen Theater Ihren Stilwillen aufprä-

195 Stefan Brecht, Brief an Brecht, 10./11.4.1947, vorl. Bd. III, S. 1413. 196 Ebd. 197 Bertolt Brecht, Brief an Stefan Brecht, April 1947, GBA 29, S. 416. 198 Ebd. 199 Auslassung im Zitat.

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gen oder aber die weitere Mitarbeit demonstrativ ablehnen müssen.“200 Nur böser Anwurf? Ist er überhaupt berechtigt angesichts der intensiven Bemühungen Iherings, Brecht endlich nach Berlin zurückzuholen? Ihering, der Brecht immer wieder einlädt? Der Brecht Kost und Logis in seinem Haus in Zehlendorf anbietet? Ihering weiß warum: „Denn, vertraulich gesagt, Theater und Publikum waren der Aestheten auf der einen Seite und der Friedrich Wolfe auf der anderen reichlich müde geworden.“201 Brecht kommt vorerst nicht. Was läßt ihn so zögerlich sein, selbst als er Amerika fluchtartig in Richtung Schweiz verläßt und überlegt, in Österreich anzusiedeln? Die Angst, in Deutschland nicht das vorzufinden, was er vorzufinden wünscht? Die Versicherung, daß „für die Mehrzahl der heute geistig majorennen Deutschen […] die Wiederkehr Thomas Manns oder Zuckmayers weniger entscheidend und ersehnt [ist] als die Bert Brechts“202, bewirkt keinen Umschwung. So blauäugig ist Brecht nämlich nicht, trotz aller Sehnsüchte, er möge „drüben von dem Lande, zu dem Sie zurückkehren, noch einiges finden“203. Noch scheint Brecht den USA nicht den Rücken kehren zu wollen. Erst als er vors House Committee on Un-American Activities vorgeladen und am 30. Oktober 1947 in Washington verhört wird, verläßt er tags darauf Amerika. T. Edward Hambleton, der Produzent des amerikanischen Galileo, hat vorsorglich nicht auf Brechts, sondern auf seinen Namen einen Flug nach Paris gebucht. Brechts Auftritt vor dem Ausschuß des amerikanischen Kongresses, der eine breit angelegte Hatz auf Kommunisten und Sympathisanten besonders in Intellektuellen- und Künstlerkreisen startet, beweist einmal mehr seine rhetorische Begabung, die in politisch kniffliger Situation zum Tragen kommt. „Ihre Aussage vor dem Committee scheint mir besonders geschickt und wirksam. Sie wurde oft im Radio wiederholt, und so ziemlich alle Welt hat sie gehoert. Ihre gesamten Werke haben Ihnen nicht so viel publicity gebracht und so viel Erfolg wie diese geschickt pfiffigen Saetze. Alle Welt von Thomas Mann bis zu meinem Gaertner anerkannten das Schoe­pferische.“204 Welch seltsame Allianz von Brecht-Bewunderern! Es gibt unter Freunden offensichtlich auch ganz andere Einschätzungen: „Hans [Eisler] und vor allem seine Frau waren verstimmt ueber [Ihre] Aussage und zwar ueber die Antwort auf die Fragen: Did G [Gerhart Eisler, Bruder von Hanns] ever ask you to… und Did H.E. ever ask you. Auf letztere Frage antworteten Sie: No, he did not. I think they considered etc. Nun, dieses ‚they‘ wird auf G. und H. bezogen, und damit deuten Sie an, nein, geben Sie zu, das[s] H natuerlich ein – composer ist. Die Diskussionen nahmen fantastische Formen an.“205 Daß direkt Betroffene und noch in den USA ansässige Exulanten natürlich beson200 Wolfgang Harich, Brief an Herbert Ihering, 18.7.1946 (Nachlaß Ihering, Archiv Akademie der Künste/DDR, Rep.09II.ib), zit. bei Wolfgang Schivelbusch, Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945– 1948, München u. Wien 1995, S. 103. 201 Herbert Ihering, Brief an Brecht, 21.4.1947, vorl. Bd. III, S. 1427. 202 Harry Buckwitz, Brief an Brecht, 21.6.1948, vorl. Bd. III, S. 1728. 203 Karl Korsch, Brief an Brecht, [September 1947], vorl. Bd. III, S. 1466. 204 Lion Feuchtwanger, Brief an Brecht, 20.11.1947, vorl. Bd. III, S. 1495. 205 Elisabeth Hauptmann, Brief an Brecht, 6.1.1948, vorl. Bd. III, S. 1549.

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ders sensibel reagieren, reagieren müssen, weil jede Verdächtigung, Vermutung oder Unterstellung die Existenz gefährden, lassen Brechts Befragung und Antworten in einem anderen, gefährlicheren Licht erscheinen. Hanns Eisler wird gleichsam in Sippenhaft genommen, als sein Bruder Gerhart von der gemeinsamen Schwester Ruth Fischer bezichtigt wird, sowjetischer Agent zu sein. Kommunisten seien sie sowieso beide nach Fischers Aussage als Hauptbelastungszeugin gegen Gerhart Eis­ler. In einem Klima der Hysterie gegen vermeintlich dem Kommunismus verschriebene Feinde Amerikas ist eine Vorladung vor den McCarthy-Ausschuß natürlich von besonderer politischer und persönlicher Brisanz. „I spoke a few days ago with Hanns, whose case has been indefinitely postponed – – leaving him in a horrible personal and professional situation.“206 Brecht bleiben derartige Belastungen erspart: Am 31. Oktober 1947 besteigt er das Flugzeug, das ihn zurückbringt ins befreite Europa. Die für New York verabredete und vielbeachtete Inszenierung des Galileo, wiederum mit Laughton in der Titelrolle, kann Brecht nicht mehr besuchen. Von der glanzvollen, vom Publikum gefeierten, bei der Kritik allerdings umstrittenen Premiere erfährt er durch Briefe und ihnen beigelegte Zeitungsausschnitte. Besonders interessant sicherlich der ausführliche Bericht des Regisseurs Joseph Losey, der über Änderungen im Text sowie konzeptionelle Modifikationen schreibt.207 Was als Erfolgsstory beginnt, verläuft dann jedoch im Sande – so die geplante Neuauflage des Galileo auf dem Utah State Festival in Salt Lake City 1948 durch die Absage von Charles Laughton.208 Leider scheitert eine Wiederaufnahme für London.209 Wartet Brecht seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit besonderem Interesse auf Post aus Deutschland, um Informationen, Eindrücke und Beschreibungen von der sich dort langsam formierenden (Kultur-)Politik zu erhalten, so geben ihm andererseits mit seinem Abschied von den USA die Briefe von den noch nicht zurückgegangenen Freunden und Bekannten nun Einblicke in die politische wie künstlerische Situation in Amerika.

206 Joseph Losey, Brief an Brecht, 28.1.1948, vorl. Bd. III, S. 1560. 207 Vgl. Joseph Losey, Brief an Brecht, 10.12.[1947], vorl. Bd. III, S. 1515ff. 208 Vgl. dazu den Brief von Joseph Losey an Brecht, 14.4.1948, vorl. Bd. III, S. 1651f. 209 Vgl. dazu Joseph Losey, Brief an Brecht, 19.5.1948: „Meanwhile Charles [Laughton – H.H.] is back from New York and again in pretty good form and again waiting my help. I get the impression that there is almost no chance of getting him to do the play GALILEO again either here or in London“ (vorl. Bd. III, S. 1689).

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VIII. „Flug ruhig. auf dem Flugplatz Le Bourget treffe ich Ella Winter und Donald Ogden Stewart. Wir ziehen in benachbarte Hotels. Ich beschließe auf Anna Seghers zu warten, die Montag nacht erwartet wird. Paris schäbig, verarmt, ein einziger schwarzer Markt.“210 Die inzwischen weißhaarige Seghers, seit April 1947 aus Mexiko zurück und inzwischen in Ostberlin ansässig, besucht ihre Kinder in Paris und schildert Brecht ihre Berliner Eindrücke, die er folgendermaßen resümiert: „Berlin ein Hexensabbat, wo es auch noch an Besenstielen fehlt. […] Sie scheint verängstigt durch die Intrigen, Verdächte, Bespitzelungen.“211 Brecht macht sich am Morgen des 5. November 1947 auf den Weg nach Zürich, denn ihm ist klar, „man muß eine Residence außerhalb Deutschlands haben.“212 Zürich verspricht in gewisser Weise eine Rückkehr auf (wenn schon nicht heimischen, so doch) ästhetisch wohl vorbereiteten Boden dank des dortigen Schauspielhauses, das ja als Exilheimstatt der Brechtschen Dramatik gelten darf. Auch was die Einreisemodalität anbetrifft, scheint der Umweg über die Schweiz ins besetzte Deutschland gangbarer als der direkte. Brecht, nach seinen Schweizer Erfahrungen und den ersten Monaten in Berlin, schreibt deshalb an den noch in New York verbliebenen Piscator: „Du müßtest am besten in die Schweiz fahren, wohin ich Dir ans Zürcher Schauspielhaus eine formelle Einladung verschaffen kann. Von da kannst Du leicht nach Berlin gelangen auf mehr als einem Weg.“213 Brecht gelangt allerdings nicht „leicht nach Berlin“: „Mein Reenter-Permit ist nicht verändert worden und durch die Westzone scheint für mich kein Transport gegeben zu sein.“214 Neben der Vorladung vors Komitee für Unamerikanische Aktivitäten nach Washington wird Brechts Unterschrift unter dem Auf ­ruf an die Schriftsteller aller Nationen mit der Bitte um Mitzeichnung seine Wirkung auf die Westalliierten nicht verfehlt haben, heißt es dort doch explizit: „Die unterzeichneten Schriftsteller, die sich in Zürich begegnet sind [darunter Carl Zuckmayer, Erich Kästner, Werner Bergengruen und Max Frisch – H.H.], stellen fest, daß die Existenz zweier verschiedener ökonomischer Systeme in Europa für eine neue Kriegspropaganda ausgenutzt wird.“215 Brecht überbrückt die Wartezeit in der Schweiz durch Rückübersetzung des amerikanischen Galileo, Umarbeitung der Antigone des Sophokles, deren praktische Umsetzung am Stadttheater Chur216 Brecht als Vorlauf für seine 210 211 212 213 214 215

Bertolt Brecht, Journal Amerika, Eintrag vom 1.11.1947, GBA 27, S. 250. Bertolt Brecht, Journal Amerika, Eintrag vom 4.11.1947, GBA 27, S. 250f. Bertolt Brecht, Brief an Ruth Berlau, 4.11.1947, GBA 29, S. 425. Bertolt Brecht, Brief an Erwin Piscator, 9.2.1949, GBA 29, S. 497. Bertolt Brecht, Brief an Elisabeth Hauptmann, November 1947, GBA 29, S. 435. Bertolt Brecht et al., Aufruf, GBA 23, S. 62. Lion Feuchtwanger hält mit seiner und Heinrich Manns Kritik nicht zurück, siehe L. F., Brief an Brecht, 20.11.1947, vorl. Bd. III, S. 1498f. Auch die sowjetischen Schriftsteller sind nicht einverstanden, siehe Alexander Dymschitz, Brief an Brecht, 23.11.1947, vorl. Bd. III, S. 1597f. 216 Brecht darf in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nachgehen (vgl. dazu Fremdenpolizei des Kantons Zürich, Brief an Brecht, 1.4.1948, vorl. Bd. III, S. 1639, weshalb er offiziell auch nicht als Regis-

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Berliner Mutter Courage217 versteht, und durch weitere Ausarbeitung seiner Theatertheorie mit Messingkauf sowie Kleines Organon für das Theater. „In Zürich wartet Bert Brecht, wie er sich ausdrückt, sehnsüchtig auf die Einreiseerlaubnis nach Deutschland. […] Aber er wartet nach mehr als einem halben Jahr noch immer vergebens, während in Zürcher Literaturkreisen, die mit dem historischen Materialismus Berthold Brechts nicht einig gehen, gemunkelt wird, daß er trotz aller Schwierigkeiten der Fremdenpolizei einen gewissen Heroismus des Wartens in der demokratisch behaglichen und freiheitsgewohnten Schweiz entwickele.“218 Der Darmstädter Kritiker Vietta kann sich eines spitzen Untertons nicht ent­halten, der die Schweizer Demokratie gegen Brechts sozialistische Haltung auszuspielen trachtet. In der Schweiz harrt Brecht also „heroisch“ aus und bereitet dabei seinen Auftritt in Berlin sehr professionell vor. Deshalb nimmt er Stichproben: Er geht ins Theater, um sich von jeder Illusion über Entwicklungsmöglichkeiten hin zu einer epischen Schauspieltechnik zu verabschieden. „Schon bevor ich die Trümmer der Theaterhäuser sehe, bekomme ich die der Schauspielkunst zu sehen“219, notiert er anläßlich eines Besuchs der Aufführung von Georg Büchners Woyzeck mit dem in Zürich gastierenden be­kannten Berliner Schauspieler Walter Richter. Am 22. Oktober 1948 treffen Brecht und Helene Weigel, da ihnen die Durchreise durch die amerikanisch besetzte Zone weiterhin verweigert wird, über Prag mit dem Auto in Ostberlin ein. Vorübergehenden Unterschlupf finden sie in dem von der Bombardierung verschont gebliebenen Flügel des Hotels Adlon. Brechts erster Eindruck: „Berlin, eine Radierung Churchills nach einer Idee Hitlers. Berlin, der Schutthaufen bei Potsdam.“220 Berlin hat inzwischen längst Erfahrungen mit der internationalen Dramatik gemacht. Nach den Jahren der theatralischen Abschottung ist das Publikum begierig zu erfahren, was außerhalb des faschistischen Deutschlands an Theaterliteratur sich entwickelt hat. Besonders der so­genannte Existentialismus, in erster Linie vermittelt über die Dramatik Jean-Paul Sartres, provoziert kontroverse Diskussionen. Gestandene Vertreter einer politisch-revolutionären Dramaturgie wie Friedrich Wolf, in den ersten Wochen nach der Niederringung des Nationalsozialismus aus der Sowjetunion zurück und mit großem Einsatz für den kulturellen Wiederaufbau an vielen Fronten kämpfend, sehen nur „szenischen Bluff aus Mangel an Substanz“221. Fritz Erpenbeck setzt noch eins drauf mit der Verurteilung der „Exiseur bzw. Mitarbeiter firmieren darf. 217 Vgl. dazu Werner Hecht (Hrsg.), Brechts Antigone des Sophokles, Frankfurt/M. 1988, und neuerdings Falko Schmieder, „‚Als der Krieg zu Ende war‘: Brechts Antigone-Vorspiel“, in: Hermann Haarmann (Hrsg.), Berlin im Kopf. Arbeit am Berlin-Mythos, Berlin 2008, S. 137–151. 218 Egon Vietta, „Gespräch mit Berthold Brecht“, 29.10.1948, Zeitungsausschnitt ohne bi­blio­graphische Angabe (eventuell in Die Zeit), Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin: Kritikensammlung. 219 Bertolt Brecht, Journal Schweiz, Eintrag vom 15.4.1948, GBA 27, S. 268. 220 Bertolt Brecht, Journal Berlin, Eintrag vom 27.10.1948, GBA 27, S. 281. 221 Friedrich Wolf, „Grundelemente des Dramas“, in: Theaterstadt Berlin. Ein Almanach, hrsg. von Herbert Ihering, Berlin 1948, S. 55.

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stentialphilosophie – nicht nur seiner Prägung – als dekadent, als Gipfelpunkt des idealistischen Subjektivismus“222. Schon früh zeichnet sich auch hier eine ideologische Verengung ab, die Brecht bereits während des Exils bei orthodoxen Marxisten ausgemacht hat. Sie werden auch ihm nach der Rückkehr das Leben schwermachen, wie die Kommentare Erpenbecks u.a. in der Fachzeitschrift Theater der Zeit zur Berliner Premiere der Mutter Courage zeigen. Sartre ist keine schriftstellerische Eintagsfliege, denn er gibt einer gesellschaftlichen Stimmung im Gefolge des Zweiten Weltkriegs seine prägnante Stimme. Es ist Elisabeth Langgässer, die die Erwartung Berlins an Sartre und sein Theater unvoreingenommen anspricht. Sartres Werk durchzögen nämlich „zwei Grundbegriffe menschlichen Denkens und Fühlens […], die Worte Freiheit und Existenz. Daß diese Worte, aller fachlichen Bedeutung entkleidet, gerade in Berlin solch einen riesigen Widerhall gefunden haben, ist verständlich, denn gründlicher als irgend eine andere Stadtpolis in Deutschland ist gerade Berlin zurückgeführt worden zu den letzten Grundlagen seiner Existenz; zurückgeführt auf das harte, nackte Urgestein.“223 Das liest sich anders als Erpenbecks gemeinplätzige Invektive. Aber selbst Ihering scheint vom anti-existentiali­sti­schen Bazillus befallen, spricht er doch Brecht gegenüber schlicht und einfach vom „Sartre-Rum­mel“224. Eine gewisse Borniertheit gegenüber neuester Dramenentwicklung ist nicht zu übersehen. Nicht nur Sartre und der schon erwähnte Anouilh stehen auf der Liste derart diffamierter Schriftsteller, man findet dort auch Thornton Wilder. „Solche Werke erregen im heutigen Deutschland zweideutige Gefühle, vielleicht weil man in ihnen eine Freiheit der Behandlung spürt, die hierzulande verloren gegangen ist: die, so fühlt man, verscherzt wurde.“225 Brecht reiht sich erstaunlicherweise noch von Übersee ein in den Chor derart voreingenommener Kritiker, gibt seiner Analyse jedoch zusätzlich eine gehörige Prise an Schärfe bei. „Die Nazis hatten ihre Schicksalstragödie mit sich; jetzt fischen die Pariser sie als Existenzialmus [sic!] aus ihren Kloaken. Hier machen Sie ein wenig Surrealismus, bevor Realismus war, also als Ersatz.“226 Brecht setzt dagegen sein inzwischen wohlbegründetes Theaterkonzept, das zum Fundament in erster Linie die eigene Dra­matik hat. Das ist nicht eigentlich nur selbstver222 Fritz Erpenbeck, „Jean Paul Sartre: ‚Die Fliegen‘“ [7.1.1948], in: F.E., Lebendiges Theater. Aufsätze und Kritiken, Berlin/DDR 1949, S. 277. 223 Elisabeth Langgässer, „Der Schutzverband Deutscher Autoren empfing Jean Paul Sartre“, in: Der Autor. Zeitschrift des SDA, H. 10/11, Jg. 1948, S. 6. 224 Herbert Ihering, Brief an Brecht, 4.2.1948, vorl. Bd. III, S. 1566. 225 Berthold Viertel, „Wiedersehen mit dem Berliner Theater“, in: B.V., Schriften zum Theater, hrsg. von Gert Heidenreich, Berlin/DDR 1970, S. 263. 226 Bertolt Brecht, Brief an Caspar Neher, Dezember 1946, GBA 29, S. 406. Interessanterweise wird Brechts Antigone-Bearbei­tung, wiewohl in Chur 1948 mit Helene Weigel in der Titelrolle mit Erfolg aufgeführt und mit Photographien von Ruth Berlau im ersten Brechtschen Modellbuch dokumentiert, vom Kurt Desch Verlag mit wenig Sympathie begegnet, was Geis in dem schon zitierten Brief an Brecht durchaus verständlich findet: „Dazu muss ich leider sagen, dass der Bedarf nach modernisierter Antike hier durch die Herren Anouilh und Sartre sowie auch Camus ziemlich gedeckt ist“ (30.7.1948, vorl. Bd. III, S. 1754).

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liebt, sondern zeugt von ästhetischer Durchsetzungskraft. Dem alten Mitstreiter Caspar Neher erläutert er, welche Perspektive für einen Spielplan er sieht: „Die aristophanische Revueform könnten wir beide zusammen vielleicht ganz gut ausbauen, mit Lyrik usw. Dann gibt es die kleinen Formen, die wir in der Maßnahme, der kleinen Revue (mit Busch und Weigel) versuchten. In den Parabeln (wie Kreidekreis, Sezuan-Stück, Spitzköpfe und Rundköpfe) möchte ich im Artistischen sehr weit gehen, die Dessausche Musik zur Mutter Courage ist wirklich kunstvoll, solch ein Stück muß man in der edelsten asiatischen Form aufführen, dünn und wie auf Goldplatten graviert.“227 Es ist kennzeichnend für Brecht, mit welcher Delikatesse, mit welch hohem Maß an Schönheit er das neue Theater, sein Theater ausgestattet sehen will. In Berlin bietet sich ihm und Erich Engel mit der Gastregie von Mutter Courage und ihre Kinder im Deutschen Theater eine erste Möglichkeit, eine Probe von seiner Kunst zu geben. Das Berliner Nachkriegspublikum begegnet einer in den Bann ziehenden Brecht-Ästhetik, alle Sinne derart erregend in ihrer kunstvollen Einzigartigkeit und Fremdartigkeit, daß man „vorerst sichtbar Mühe [hatte], die Brechtsche Darstellung zu fassen, in die bewußt wie Fremdteile die Songs mit der Musik von Paul Dessau eingelassen waren. Schon vor der Pause aber war die erste Befremdung überwunden, und der positive Pessimismus des Vorgangs, die geschnittene Klarheit der Darstellung hatten gesiegt.“228 Bei aller generellen Wertschätzung Brechtschen Theaters zeigt sich doch auf der offiziösen Ostberliner Seite ein Ressentiment, das Brecht indirekt Formalismus vorwirft. Erpenbeck, der ja schon während des Moskauer Exils mit Kritik an Brecht nicht hinter dem Berg hält, stellt nach der Mutter Courage-Premiere die rhetorische Frage, „ob nicht Brechts wahrhaft große, erschütternde Wirkungen sich stets nur da einstellen, wo sich der epische, lehrhaft erzählende Ablauf der Fabel zu Komplexen verdichtet, die – gegen Brechts Theorie – echte, herrliche Dramatik im ursprünglichen Sinne sind“229. Hier wird der Stückeschreiber Brecht gegen den Theoretiker Brecht ausgespielt. Und der Theaterpraktiker Brecht? „Einem Dichter, der auch das Dramaturgisch-Handwerkliche so meisterhaft beherrscht, wie Brecht, wäre es zweifellos nicht schwer, diese Komplexe seiner ‚Chronik‘ zu entnehmen, die Fäden zu einer dichten dramatischen Fabel zu verknüpfen. Das klingt jetzt vielleicht wie der anmaßlich-naive Vorschlag eines ‚Besserwissers‘.“230 Mitnichten: Es ist ein Vorschlag, der von 227 Brecht, Brief an Caspar Neher, Dezember 1946, GBA 29, S. 406. 228 Friedrich Luft, „Bertolt Brechts ‚Mutter Courage und ihre Kinder‘, Deutsches Theater“ [Kritik vom 15.1. 1949] in: F. L, Berliner Theater 1945–1961, S. 91. 229 Fritz Erpenbeck, „Mutter Courage und ihre Kinder. Deutsche Erstaufführung in Max Reinhardts Deutschem Theater Berlin“, in: Theater der Zeit, 4. Jg. (1949), H. 2, S. 36. 230 Fritz Erpenbeck, „Einige Bemerkungen zu Brechts ‚Mutter Courage‘“, in: Die Weltbühne, Nr. 3, 1949, S. 103. Erpenbecks Brecht-Schelte gipfelt in dem Vorwurf „volksfremder Dekadenz“ (ebd.), „zu dieser Zeit das Äußerste an Verteuflung“, wie Werner Held zurecht festhält (W. H., Brecht und die DDR. Die Mühen der Ebenen, Berlin 2013, S. 27), womit Erpenbeck „einen Kritikerstreit vom Zaun bricht, in dem er seine prinzipiellen Bedenken gegen die Art, wie Brecht Theater spielen lässt, deutlich zum Ausdruck bringt“ (ebd.). Zu den Schwierigkeiten Brechts, in Ostberlin künstlerisch Fuß zu fassen, vgl. Hecht, Brecht und die DDR, S. 26ff.

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völligem Unverständnis des epischen Theaters zeugt. Selbst die Schauspielerin Helene Weigel231 wird in Haftung genommen für den „Sieg des ‚dramatischen‘ Theaters über das ‚epische‘“232. Brecht und seine Ehefrau sind sicherlich wenig erfreut über ein derartiges Lob der Schauspielkunst, die die vermeintlich störenden „epischen Elemente einschließlich der Song[s]“ noch einzuebnen wisse. Daß sie „nicht ganz abfielen und zumindest interessierten, war nicht das Verdienst des Dramatikers, sondern des Dichters Brecht“233. Selten verweigert sich eine Kritik derart konsequent der Zurkenntnisnahme einer theoretischen wie praktischen Neuausrichtung des Theaters wie die Erpenbecks. „Wer möchte nicht manches Kapitel der ‚Chronik‘, wer möchte nicht die meisten, wenn nicht alle (an sich oft sehr schönen) Songs missen?“234 Der Kern des Brechtschen Theaters bleibt, wie gesagt, unbegriffen. Erpenbeck führt besonders „aufrührende Szenen“ (z.B. die Schlußszene mit der stummen Kattrin) auf, die seine Ablehnung des Epischen vermeintlich für jedermann nachvollziehbar machen sollen. Sie hat ihren Vorlauf im Exil, als Lukács seine Doktrin von Realismus formuliert und in Brecht einen formalistischen Abweichler sieht. Brechts episches Theater will stets „Vorkehrungen gegen die Illusionen des schönen Scheins“235. Deshalb wirke es in der Struktur gebrochen, zerlegt und fremdartig. Erpenbeck hält demonstrativ-öffentlich dagegen.236 Er ist damit durchaus nicht allein. Hans Wilfert in Die Neue Zeit sekundiert: „Wenn man heute plötzlich in einem Theater, in dem alles an technischen Möglichkeiten vorhanden ist, um z.B. Nacht zu machen, wenn im Dialog von Nacht gesprochen wird, so tut, als sei das alles nicht da, so ist das Snobismus, aber kein neuer Stil. Dann soll man lieber konsequent sein, in eine leere Werkhalle oder auf die Straße gehen und à la Shakespeare Theater spielen. Diesen Brechtschen ‚Stil‘ haben wir schon vor 1933 in mancherlei Variation erprobt, wir brauchen das Experiment nicht zu wiederholen. Brecht ist bei ihm stehengeblieben, wir nicht.“237 Das ist bösartig. Alle von Brecht in Anschlag gebrachten Mittel der Verfremdung (wie das Einfügen der Songs oder von Kommentaren) zielen gerade darauf, den „echt und tief dramatischen“ Fluß zu unterbrechen, um gegen die vernebelnde Erregung von Mitleid oder gar Erschütterung im Publikum gewappnet zu sein. Diese dem Publikum abzuverlangende Rezeptionshaltung ist wirklich neu. Die Berliner bedanken sich 231 Brecht über die epische Darstellungsweise Weigels in seinem Arbeitsjournal unter dem Datum vom 11.1.1949: „Die Couragefigur Hellis jetzt herrlich, von großer Kühnheit“, GBA 27, S. 296. 232 Erpenbeck, „Einige Bemerkungen“, S. 103. 233 Ebd. 234 Erpenbeck, „Mutter Courage und ihre Kinder“, S. 36. 235 Paul Rilla, „Episch oder dramatisch?“, in: Wer war Brecht. Wandlung und Entwicklung der Ansichten über Brecht im Spiegel von „Sinn und Form“, hrsg. von Werner Mittenzwei, Berlin/DDR 1977, S. 126. 236 Mit allen Konsequenzen für den sich anschließende Kritikerstreit. Vgl. etwa den überdeutlichen Titel „Wo beginnt die Dekadenz? Bemerkungen zur Polemik um Brechts ‚Mutter Courage‘“ von S. Alterman (vermutlich Pseudonym für einen sowjetischen Kulturfunktionär), in: Tägliche Rundschau, 17.3.1949. 237 Hans Wilfert, „Das Leiden am Krieg. Bert Brecht ‚Mutter Courage und ihre Kinder‘ im Deutschen Theater“, in: Neue Zeit, 13.1.1949.

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bei Brecht mit einem großen Theatererfolg, der durch ein zweitägiges Gastspiel auf der Leipziger Messe schon im März 1949 sozusagen in der Provinz bestätigt wird (Gastspiele in Hannover und Köln folgen wenig später). „Ein widerspruchsvoll zusammengesetztes, zu einem Teil wahrscheinlich sogar auf Sensation erpichtes Publikum, das vielleicht etwas ganz anderes erwartet hatte als diese Schlichtheit, wurde durch eben diese Schlichtheit überwunden. […] Neunundvierzig Vorhänge an beiden Abenden. Es kann keinen stärkeren Beweis für die Wirksamkeit des sogenannten Brecht-Stils geben.“238 Interessant an diesem Streiflicht aus der „Kulturstadt“ Leipzig, daß auch Ihering hier Konzessionen macht gegenüber der offiziellen Lesart der Brechtschen Theatertheorie und ‑praxis. So muß man in besagtem Artikel eine ähnliche Einschränkung lesen wie die von Erpenbeck zuvor gemachte. Wenn Ihering fortfährt, daß es nämlich keinen stärkeren Beweis geben könne für die Wirksamkeit des sogenannten Brecht-Stils „als die Erschütterung, die ein im Anfang bestimmt widerstrebendes Publikum an diesem Abend erfuhr“, dann verkehrt er Brechts Intention in ihr Gegenteil: Das Publikum „erkannte die geheime Dramatik des epischen Theaters“239. Derartig verdeckte Strategien hat Brecht nicht nötig. Harich hat ganz offensichtlich mit seiner harschen Kritik an Ihering in seiner Funktion als Dramaturg am Deutschen Theater den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihering exponiert sich öffentlich nicht über die Maßen für Brecht und das Brecht-Theater – trotz seiner flehentlichen Appelle an Brecht, mit seinem Werk zurückzukehren, als dieser noch im amerikanischen Exil ist. Und doch bleibt Ihering letztendlich ein Verfechter des epischen Theaters. Wie schwierig die Situation aufgrund der unterschiedlichen theaterästhetischen Konzepte ist, belegt das höfliche, wenngleich eher reserviert zu nennende Gespräch zwischen Brecht und Friedrich Wolf. Wolf, bekennender Vertreter einer der aristotelischen Katharsistheorie verpflichteten Dramatik, lädt Brecht mit einer großen rhetorischen Umarmung zur Debatte ein. „Wir beide marschieren seit langem in der Welt des Theaters von verschiedenen dramaturgischen Standorten auf das gleiche Ziel.“240 Wolf weiß sich durch Erpenbeck auf der richtigen Seite, zitiert Erpenbeck ihn doch fast wortwörtlich in besagtem Aufsatz über die epische Form der Mutter Courage. „In diese ‚Chronik‘ ist nämlich ein ganz unepisches, sehr ‚dramatisches‘ Drama eingebaut“, so Erpenbeck, „ein Drama mit Spieler und Gegenspieler, mit allem, was dazugehört.“241 Wie heißt es doch gleich bei Wolf? „Das innerste Wesen der Dramaturgie ist und bleibt der Kampf, die Tatsache des Spielers und Gegenspielers, der These und Antithese.“242 Und der Treibriemen dieses Spiels sei und bleibe die Einfühlung des Publi238 Herbert Jhering [sic!], „‚Mutter Courage‘ auf der Messe“ [9.3.1949], in: H. J., Theater der produktiven Widersprüche 1945–1949, Berlin u. Weimar 1967, S. 208. 239 Ebd. 240 Friedrich Wolf/Bertolt Brecht, „Formprobleme des Theaters aus neuem Inhalt“, in: Theaterarbeit, S. 253. 241 Erpenbeck, „Einige Bemerkungen“, S. 101. 242 Friedrich Wolf, „Das zeitgenössische Theater in Deutschland“, in: F. W., Gesammelte Werke, hrsg. von Else Wolf u. Walther Pollatschek, Berlin u. Weimar 1960, Bd. 15, S. 349. Zum Begriff „Dra-

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kums in die auf der Bühne gezeigten Figuren. Dagegen bezieht Brechts „Wendung gegen die Einfühlung“243 im vollen Bewußtsein einer radikalen poetologischen Kehrtwende immer und immer wieder Stellung durch seine Theorie und Praxis des epischen Theaters. Mit der Ankunft in Berlin bleiben Brecht bis zu seinem Tod am 14. August 1956 überaus produktive Jahre; das Berliner Ensemble erarbeitet sich europäische Aufmerksamkeit (besonders durch das Gastspiel in Paris) und gilt so für lange Zeit als die führende Avantgardebühne. Neben ästhetischen Herausforderungen hat Brecht allerdings auch po­litische Prüfungen zu bestehen. An erster Stelle ist hier sicher der Aufstand vom 17. Juni 1953 zu nennen. Der diplomatisch abwägende, vielleicht sogar strategisch kalkulierende Brief an Walter Ulbricht wird öffentlich als Solidaritätserklärung wahrgenommen, da nur die letzte Passage im Neuen Deutschland gedruckt wird: „Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken.“244 Um Brechts tiefe Verunsicherung und die ihn langsam übermächtigende Resignation zu erahnen, sei ein Blick in die Buckower Elegien anempfohlen. Dort artikuliert sich angesichts der politischen Geschichte ebenso wie der Lebensgeschichte Brechts im lyrischen Ich seine zunehmende Desillusionierung – in sprachlich-ästhetisch höchster Meisterschaft. Die Flucht vor dem deutschen Faschismus und der letztlich doch sehr mühsame Versuch, im Exil zu überleben, scheinen die Heimkehr nach Deutschland nicht eigentlich zu erleichtern: „Die Aufregungen der Gebirge liegen hinter uns, vor uns liegen die Aufregungen der Ebenen.“245 Es ist keine Absolution, sondern nur das Anerkennen einer von Brecht durchlebten Gefährdung durch das ihm auferlegte Exil, wenn er den Nachgeborenen zuruft: „Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut / In der wir untergegangen sind / Gedenkt / Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht / Auch der finsteren Zeit / Der ihr entronnen seid.“246

maturgie“ noch ein klärendes Wort: Ganz offensichtlich wirkt hier noch die Erfahrung aus dem sowjetischen Exil nach, denn im Russischen bedeutet Dramaturgie (dramaturgija) Dramatik. 243 Bertolt Brecht, Journal Berlin, Eintrag vom 28.1.1949, GBA 27, S. 299. 244 Bertolt Brecht, Brief an Walter Ulbricht, 17.6.1953, GBA 29, S. 178. 245 Bertolt Brecht, Journal Berlin, Eintrag vom 10.2.1949, GBA 27, S. 300. 246 Bertolt Brecht, An die Nachgeborenen, GBA 12, S. 87.

Briefe an Bertolt Brecht, 1933

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Rudolf Voth1 an Bertolt Brecht Berlin, 27.2.1933 Herrn Bert Brecht Berlin-Charlottenburg 2 Hardenbergstrasse 1a. SpS 27.2.1933. Sehr geehrter Herr Brecht! Im Anschluss an unsere jüngste telefonische Unterredung senden wir Ihnen anbei ein Buch des Werkes „Giroflé-Girofla“2 von Vanloo und Leterrier, Musik von Lecocq zur gefl. Lektüre. Wir haben uns das Buch leihweise aus einer Leihbibliothek beschafft und bitten deshalb, es sorgfältig zu behandeln und unbedingt an uns zurückzugeben. Da wir wöchentlich eine Leihgebühr zahlen müssen, ist es vielleicht ratsam, das Buch nicht allzu lange zu behalten. Mit besten Grüssen Ihre sehr ergebenen p.pa. Felix Bloch Erben Voth (Rudolf Voth) Anlage d. Boten Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/21.

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Rudolf Voth war ein Mitarbeiter des Verlags Felix Bloch Erben, ein 1849 in Berlin gegründeter Bühnenverlag. Brecht hatte mit FBE im Mai 1929 einen Vertrag über die Verwertungsrechte an seinen Werken abgeschlossen. Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933. Giroflé-Girofla (1874), Operette des französischen Komponisten Charles Lecocq (1832–1918). Text: Albert Vanloo (1846–1920) und Eugène Leterrier (1843–1884). Brechts Interesse an leichtem Musiktheater, das er kritisch umzufunktionieren gedachte, ist hinlänglich belegt. „Die Oper“, schrieb er, „scheint mir bei weitem dümmer, wirklichkeitsferner und in der Gesinnung niedriger als die Operette“ (GBA 24, S. 57).

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Jahrgang 1933

Fritz Wreede3 an Bertolt Brecht Berlin, 27.2.1933 Herrn Bert Brecht Berlin-Charlottenburg Hardenbergstr. 1a 9H 27.2.1933. Sehr verehrter Herr Brecht! Schon seit dem Tage, an dem Sie damals nicht innerhalb der in unserem Vertrage vorgesehenen Frist von 18 Monaten das erste Bühnenwerk unter unserem Vertrage4 ablieferten, habe ich Ihnen meine Bedenken wegen unseres Vertragsverhältnisses und die möglichen Schwierigkeiten in der Zukunft dargelegt. Damals schon brachten Sie mir zum Ausdruck, dass Sie ja niemals an eine unbillige Ausnützung des Verlages dächten, dass Sie vielmehr überzeugt seien, schon das erste Werk, das Sie dem Verlag zu übergeben gedächten, würde die Erwartungen auch in materieller Hinsicht erfüllen. So kam es, dass ich den damaligen Ablieferungstermin nicht so genau nahm, und Sie lieferten verspätet Ihr Werk „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ ab.5 Nachdem dies geschehen war und die begrenzten Möglichkeiten einer Verwertung dieses eigenartigen Bühnenwerkes vom Verlag erkannt wurden, setzten wieder von mir die Erörterungen ein, wie sich unser Vertragsverhältnis in der Folge gestalten sollte, und Sie selbst waren es, der mit mir darüber beriet, ob nicht irgendwelche schriftstellerischen Nebenarbeiten, wie Uebertragungen fremdländischer Werke, die materiellen Leistungen des Verlages rechtfertigen könnten. Zu solchen Bearbeitungen fehlte aber ein Ihrer Bedeutung würdiger Anlass. Am 1.6. des vergangenen Jahres kam es dann auch zu Ihrer Anfrage bei mir, ob ich damit einverstanden wäre, wenn Sie nach grundle3 4

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Nach dem Tod des Bühnenverlegers Ernst Bloch heiratete der vormalige Musikverleger Fritz Wreede 1924 dessen Frau und leitete fortan auch die Geschäfte des Verlags FBE. 1934 nahm er sich das Leben. Wreede bezieht sich auf den am 17.5.1929 zwischen seinem Verlag und Brecht abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag (BBA 576/6–7). Brecht übertrug jenem damit seine Autorenrechte für die Werke, die er in der Zeit vom 17.5.1929 bis zum 1.7.1936 verfassen, übersetzen und bearbeiten würde; ausgenommen hiervon waren Buch- und Rundfunkrechte. Im Anhang zu § 5 des Vertrags heißt es: „Herr Bert Brecht hat sich verpflichtet, innerhalb der Vertragsdauer mindestens drei abendfüllende Bühnenwerke zur Verfügung zu stellen, von denen eines innerhalb von achtzehn Monaten, vom heutigen Tage an gerechnet, spätestens abzuliefern ist“ (BBA 784/11). Brecht wurde von seiten des Verlags eine Vorschußzahlung von monatlich 1000 Goldmark für die Dauer von sieben Jahren zugesichert. Das erste Bühnenwerk, das er vertragsgemäß ablieferte, war Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Eine erste Fassung des Stücks wurde im Dezember 1931, ein Jahr später als ursprünglich vereinbart, im Verlag FBE veröffentlicht. Spätere Fassungen erschienen in Heft 5 der Versuche (Berlin: Kiepenheuer 1932) und in Band 1 der Gesammelten Werke (London: Malik 1938). In GBA 3 wurde der Text aus den Versuchen zugrundegelegt, Abweichungen von früheren und späteren Versionen wurden im Anhang dokumentiert.

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genden Besprechungen, die Sie mit dem Regisseur Ludwig Berger6 hatten, eine „Mass für Mass“-Bearbeitung7 herstellten, zu deren Inszenierung sich Berger, der als Urheber still mitwirken sollte, verpflichten würde. Zu dieser Anfrage fühlten Sie sich nach Ihrer Angabe verpflichtet, weil Ihre Einnahmen bei diesem Werk durch den Berger’schen Anteil reduziert wären und Ihnen die monatlichen Vorschüsse auf hundertprozentige Einnahmen doch gegeben würden. Dazu gab ich freudig meine Zustimmung, weil mir für den Verlag mehr an einer verminderten Einnahme aus einem der Uraufführung sicheren Stück – die „Volksbühne“8 sprach blind die Annahme eines solchen Stückes von Ihnen in der Inszenierung von Ludwig Berger aus – von Ihnen gelegen war, als etwa an Ihrem vollen Urheberanteil eines neuen Stückes, dessen Aufführungsmöglichkeiten nach den Erfahrungen der „Johanna“ zweifelhaft waren. Diese Zweifel haben sich nach Ablieferung des Werkes „Reich und reich gesellt sich gern“9 nur bestätigt, denn Sie haben unter Beiseiteschiebung all dessen, was Sie mit Ludwig Berger besprochen haben, nach Ihrer eigenen Auskunft gegen die Vereinbarung ein völlig eigenes Stück geschrieben und dem Verlag abgeliefert. Dass die Aufführungsmöglichkeiten dieses Stückes schlechthin schwierig sind, ist unbestreitbar, dass sie jetzt ganz geschwunden sind, steht ausser Zweifel. In der abgelaufenen Vertragszeit haben Sie eine sehr umfangreiche schriftstellerische (auch filmisch-schriftstellerische) Tätigkeit entwickelt und der von Ihnen dem Verlag für seine bisherigen Leistungen übergebene Gegenwert erscheint unverwertbar. 6

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Ludwig Berger, eigentl. Bamberger (1892–1969), arbeitete bereits seit den 1910er Jahren als Regisseur für Theater und Film. Nach vorübergehender Beschäftigung in Hollywood kam er zu Beginn der 1930er Jahre wieder nach Berlin. 1936 ging er ins Exil nach Frankreich, in die Niederlande und nach Großbritannien, kehrte 1947 zurück nach Deutschland (West). Brecht hatte im November 1931 zusammen mit Ludwig Berger eine Bearbeitung von Shakespeares Maß für Maß (Measure for Measure, 1604) für eine Aufführung der Gruppe Junger Schauspieler (die 1928 aus Teilen des Piscator-Ensembles hervorgegangen war) an der Berliner Volksbühne begonnen. Die für Januar 1932 vorgesehene Premiere kam jedoch nicht zustande, da die Gruppe sich unterdessen mehr für Brechts soeben abgeschlossenes Stück Die Mutter interessierte, das statt dessen am 17.1.1932 im Komödienhaus am Schiffbauerdamm uraufgeführt wurde (Regie: Emil Burri; mit Helene Weigel als Pelagea Wlassowa, Ernst Busch als Sohn Pawel und Theo Lingen als Polizeikommissar). Im Juni 1932 setzte Brecht die Arbeit mit Berger fort und ließ dem Verlag FBE im September ein Manuskript mit dem Titel Maß für Maß oder die Salzsteuer (BBA 253/1–133) zukommen. Auch an diesem Text nahm er in Anbetracht der politischen Lage weitere Revisionen vor, so daß aus der Shakespeare-Bearbeitung bald eine Parabel über die Rassenideologie der Nazis mit dem Titel Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (frühere Fassungen: Die Spitzköpfe und die Rundköpfe) oder Reich und reich gesellt sich gern hervorging. Das Bühnenmanuskript erschien Ende 1932 bei FBE. Eine korrigierte Fassung (GBA 4, S. 7–145) sollte in Heft 8 der Versuche publiziert werden, das aber 1933 bereits nicht mehr erscheinen konnte; die Korrekturfahnen nahm Brecht mit ins Exil. Danach folgten weitere Umarbeitungen. Die letzte Fassung wurde 1938 in Band 2 der Gesammelten Werke im MalikVerlag veröffentlicht (GBA 4, S, 147–263). Freie Volksbühne Berlin. 1890 gegründet mit dem Ziel, vor allem Arbeitern Zugang zum Theater zu verschaffen. Die Rundköpfe und die Spitzköpfe.

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Direktor Hilpert10 teilt eben mit, er könne an die Aufführung der „Johanna“ auch nicht denken, weil eine Vereitelung der Vorstellungen nahezu sicher sei.11 Als wir im Juni vorigen Jahres anlässlich des von mir an Sie entworfenen, Ihnen aber nur im Wortlaut bekanntgegebenen Briefes vom 31.5.1932 über all’ diese Dinge schon sprachen, war das Stück mit Ludwig Berger akut und wir kamen auf Ihren Wunsch überein, im Herbst 1932 erneut zu dem ganzen Vertragskomplex Stellung zu nehmen. Seither warte ich vergeblich jeweils nach den Unterhaltungen mit Ihnen auf bestimmte Vorschläge, die Sie mir machen wollten, zuletzt sagten Sie mir solche in unserer letzten Unterredung Ende Januar dieses Jahres zu. Es kommt nun wieder ein Monatsende; Sie sollen am Ersten wieder 1000.- RM bekommen, und ich muss Ihnen erklären, dass unter diesen veränderten Umständen es für den Verlag einfach untragbar erscheint, die monatlichen Zahlungen in Höhe von 1000.- RM aufrecht zu erhalten.12 Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass Sie bisher aus Ihrem Vertrag seit dem 1. Juli 1929 von uns 44 000.- RM erhielten. Darüber hinaus haben Sie innerhalb von 42 Monaten seit dem 1. Juli 1929 aus der von uns verwalteten „Dreigroschenoper“ Einnahmen in Höhe von 74 000.- RM gehabt, denen seit dem 31. Oktober 1928 (Bühnentantiemen und Filmeinnahmen) ca. 80 000.- RM vorangegangen sind.13 Ich muss füglich bei meiner wirtschaftlichen Betrachtung der Sachlage von der Erwägung ausgehen, dass Ihnen Ihre Einnahmen seit Oktober 1928 auch gewisse Rücklagen gestattet haben, die es Ihnen ermöglichen müssten, auch Ihrerseits diesen veränderten Umständen Rechnung zu tragen. Habe ich also bisher mich mit Ihren Versprechungen auf gewisse Vorschläge zufrieden gegeben, muss ich heute doch – es ist wirklich ein zwingendes 10 Heinz Hilpert (1890–1967) war von 1932 bis 1934 Intendant der Berliner Volksbühne. Danach wurde er, als Nachfolger von Max Reinhardt (der über Österreich in die USA geflüchtet war), Oberspielleiter am Deutschen Theater Berlin. Erst ob der kriegsbedingten Schließung des Hauses 1944 legte er sein Amt nieder. 11 Einer von Kurt Hirschfeld geplanten Inszenierung der Heiligen Johanna der Schlachthöfe am Hessischen Landestheater Darmstadt versagten die örtlichen Behörden im Januar 1933 ihre Zustimmung. Der Stadtrat, mit Ausnahme der sozialdemokratischen Fraktion, folgte dem Antrag der Nationalsozialisten und verbot – so der Wortlaut – die „Aufführung übelster Schmutz- und Schundstücke“ (zit. nach BC, S. 343). In der Berliner Funkstunde wurde am 11.4.1932 lediglich eine gekürzte Hörspielfassung gesendet, mit Carola Neher als Johanna Dark und Fritz Kortner als Pierpont Mauler. Brechts Versuche, das Stück im Exil zur Aufführung zu bringen, blieben ohne Erfolg. Die heilige Johanna der Schlachthöfe wurde erst 1959 unter der Regie von Gustaf Gründgens am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt. 12 Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933. 13 Nach ihrer Uraufführung am Berliner Theater am Schiffbauerdamm am 31.8.1928 wurde Die Dreigroschenoper „innerhalb eines Jahres an etwa 120 Bühnen inszeniert und bis 1933 in 18 Sprachen übersetzt“ (BH 1, S. 213). Bis Januar 1933 erreichte sie „mehr als 10 000 Aufführungen an Theatern in ganz Europa“ (Anm. in GBA 2, S. 442). In einem fingierten Interview notierte Brecht 1933: „Was, meinen Sie, macht den Erfolg der Dreigroschenoper aus? / Ich fürchte, all das, worauf es mir nicht ankam: die romantische Handlung, die Liebesgeschichte, das Musikalische“ (GBA 26, S. 299). Nachdem das Stück von den Nazis verboten worden war, erhielt Brecht – ebenso wie der Komponist Kurt Weill – auch für Aufführungen im Ausland keine Tantiemen mehr aus Deutschland.

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Gebot der allgemeinen Verhältnisse am Theater (denken Sie doch an die verminderten Einnahmemöglichkeiten eines selbst erfolgreichen Stückes!) – Sie bitten, konkret nun zu der Sachlage sofort Stellung zu nehmen, damit bereits über die nächste Zahlung an Sie – der 1. März steht vor der Tür – hoffentlich ein volles Einvernehmen erzielt werden wird.14 Ich grüsse Sie, lieber Herr Brecht, wie immer Ihr Wreede d. Boten. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/22–25.

Sergej Tretjakow15 an Bertolt Brecht [Moskau] 27.2.1933

27 II 1933.

Lieber Genosse Brecht. Die letzte zeit war ich sehr beschäftigt mit der Kolchosniki-Konferenz16, die ausserordentlich interessant war und mir unmenge von eindrücke und material für die Literaturarbeit gegeben hat. Darum habe ich aber ihnen die Antwort verzögert.

14 Brecht nahm dazu Stellung in einem Brief aus Paris vom 15.4.1933 (GBA 28, S. 355; vgl. dazu die Anm. zum Brief der Rechtsabteilung des Verlags, 26.4.1933). Als Wreede diesen Brief schrieb, war Brecht bereits auf der Flucht. Noch am Abend des 27.2., als der Berliner Reichstag brannte, ging er zusammen mit Helene Weigel zu Peter Suhrkamp, der die beiden für eine Nacht unterbrachte. Am Morgen des 28.2. fuhren sie über Prag nach Wien. Weigel blieb dort zunächst bei ihren Eltern, während Brecht in der Schweiz unterzukommen suchte. Im April trafen sie sich wieder in Carona, im Juni übersiedelte Weigel mit den Kindern nach Dänemark, wohin Brecht ihnen noch im selben Monat folgte. Das Frühjahr 1933 verbrachte er hauptsächlich in Carona, Lugano und Paris. 15 Sergej Michailowitsch Tretjakow (Sergej Michajlovič Tret’jakov, 1892–1939), russischer Schriftsteller und Theoretiker der Avantgarde. Seit Anfang der 1930er Jahre befreundet mit Brecht, von dem er mehrere Werke ins Russische übersetzte. Unter dem Titel Ėpičeskie dramy (Moskau und Leningrad 1934) publizierte er drei Stücke Brechts (Die Maßnahme, Die Mutter, Die heilige Johanna der Schlachthöfe) sowie ein Portrait seines Freundes (vgl. Tretjakow, Avantgarde, S. 153–185). Wurde 1937 als „Spion“ verhaftet und kam 1939 in einem sibirischen Lager ums Leben. 16 Russisch kolchoznik: Kolchosbauer. Tretjakow bezog sich auf den 1. Allunionskongreß der KolchosStoßarbeiter im Februar 1933.

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Kaum ist es möglich ihren Ratschlägen zu folgen. Auf unseren bühnen ist unmöglich ein Stück der nur historischen Sinn hat – keiner wird es ansehen, wenn es nicht tiefstens mit heutigen fluiden und Stromen durchdrungen ist. „Der Sumpf“17 und auch mehrere übrige werke werden von uns benutzt aber immer nur um zu verstehen, was für ein gesicht die heutigen Klassenverhältnisse in Amerika haben. Darum soll in den arbeiterszenen obwohl in einer Kernform der komm. führer entstehen – sonst bei der ende versteht man die dialektik der Verhältnisse nicht. Die Massnamen von Mauler18 – am Ende – sind endlich keine Massnamen, weil wie sie wissen in der krise ausser dem Hoower-bumm19 ist kein spur von hebung. Und auch der bumm war nur ein dopping. Es giebt auch keine „südliche grenzen“20 von die zu ihrem Stück steht. Darum ist es so wichtig zu zeigen wie das alles zu agressiven auswegen gerichtet. Ich arbeite viel mit den arbeiterszenen, den 3 III bin ich im Entwurf fertig, aber zufrieden bin ich nicht. Es ist sehr schwer die schematische Masse zu differenzieren. Das Ende ist noch nicht bearbeitet. Ich wollte am Ende den zerfall des bumm’s geben, die weitere baisse und einen Kreugerschus21 von Mauler. Oder – Kriegserklärung als die Möglichkeit für die Packherrn wider die Betriebe in lauf zu bringen.

17 Deutscher Titel von Upton Sinclairs Roman The Jungle. Der Text wurde zuerst 1906 in mehreren Folgen in der sozialistischen Zeitung Appeal to Reason veröffentlicht. Er ist eines der bekanntesten Beispiele der sogenannten muckraking novels, in denen die der raschen kapitalistischen Industrialisierung geschuldeten Zustände in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschildert werden. Am Beispiel einer litauischen Einwandererfamilie beschreibt Sinclair die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen Chicagos. Brecht hatte den Roman bereits 1920 gelesen (vgl. Anm. in GBA 3, S. 450) und ihm die Idee zur Heiligen Johanna der Schlachthöfe entlehnt. 18 Der Fleischkönig Pierpont Mauler ist eine Figur aus Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Die von ihm ergriffenen Maßnahmen führen zu einer Neuordnung des kapitalistischen Marktes durch Monopolbildung. 19 „Hoover boom“ nannte man damals spöttisch die Weltwirtschaftskrise. Der Republikaner Herbert Clark Hoover (1874–1964), von 1929 bis 1933 Präsident der USA, wurde in der öffentlichen Meinung bald zum Inbegriff für die Große Depression. Ihm folgte der Demokrat Franklin D. Roosevelt, dessen New Deal eine neue wirtschaftspolitische Ära einleitete. 20 In der ersten Szene des Stücks liest Pierpont Mauler aus einem Brief seiner Freunde von der New Yorker Börse vor, in dem es heißt: „Auch widerstehen die Zollgrenzen im Süden allen unseren Angriffen“ (GBA 3, S. 129). Später, nachdem Mauler sämtliches Vieh seiner Konkurrenten aufgekauft hat, berichten die Freunde aus New York, daß „heut das Zollgesetz im Süden / Gefallen ist“ (S. 186). 21 Gemeint ist der schwedische Fabrikant Ivar Krøger (1880–1932), der auch als „Zündholzkönig“ bezeichnet wurde, weil er rund drei Viertel der weltweiten Produktion und Distribution von Zündhölzern kontrollierte.

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Zwischen 5 und 10 III gebe ich in druck den N 3 IVRS22 heftes (auf Russisch) die der deutschen literatur gewidmet ist. Ich möchte von ihnen Brentano23 und Ottwald 24 aussprechungen über die heutige lage der deutschen Literatur haben und ihre Perspektiven. Auch von Ottwald oder Brentano brauche ich einen Brief über die heutige lage des ReportageRomans. Ich schreibe ihnen besonders auch, aber bitte ihnen meine Bitte übermitteln. Ich habe gehört, die „Johanna“ lief irgendwo in Deutschland aber wär abgebrochen nach der ersten szene.25 Bitte um erklärungen und details das ist sehr interessant und wichtig. Wie sind ihre weitere perspektiven. Wann sehen wir uns. Der Malik 26 macht mit mir eine Spielerei – ich sehe keine abrechnungen und keine Pfennige. Bitte schreiben Sie. Olga 27 lässt Sie sehr grüßen. Ihr STretiakow. Überlieferung: Ms, BBA 477/141–142. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 402f. 22 Sergej Tretjakow war von 1933 bis 1935 Redakteur der Internazionalnaja Literatura, des Zentralorgans der MORP, und bis 1937 zugleich Mitglied des Redaktionskomitees der Internationalen Literatur (es gab außerdem noch eine englische und eine französische Ausgabe). Die Exilzeitschrift Internationale Literatur erschien von 1931 bis 1945 im Moskauer Staatsverlag für schöne Literatur, im ersten Jahrgang noch unter dem Titel Literatur der Weltrevolution. 23 Bernard von Brentano (1901–1964), Journalist und Schriftsteller, Mitglied des BPRS, Mitarbeit an der Linkskurve und seit 1925 Mitglied der Berlin-Redaktion der Frankfurter Zeitung, seit Anfang der 1930er Jahre beim Berliner Tageblatt. Wie Brecht, mit dem er seit Ende der 1920er Jahre befreundet war, ging er Anfang April 1933 ins Exil in die Schweiz. Dort schrieb er den größten Teil seines literarischen Lebenswerks und distanzierte sich bald von der Politik der Komintern. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück und lebte fortan in Wiesbaden. Er war eines der frühesten Mitglieder der 1950 gegründeten Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 24 Ernst Ottwalt, d.i. Ernst Gottwaldt Nicolas (1901–1943), Schriftsteller und Drehbuchautor. Verfaßte zusammen mit Brecht und Slatan Dudow das Szenarium zu dem Film Kuhle Wampe. Ging 1933 ins Exil nach Dänemark, über Moskau nach Prag, 1934 wieder nach Moskau. Dort Mitarbeiter der Internationalen Literatur und der VEGAAR. 1936 wurde er zusammen mit seiner Frau Waltraut Nicolas verhaftet und nach drei Jahren Untersuchungshaft wegen „Agitation gegen den Staat“ zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Seine Frau kehrte im Rahmen eines Gefangenenaustauschs 1941 nach Deutschland zurück, er selbst kam 1943 in einem Lager bei Archangelsk ums Leben. 25 Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933. 26 Der Malik-Verlag wurde 1917 von Wieland Herzfelde in Berlin gegründet und publizierte vor allem kommunistische Literatur sowie Texte zur avantgardistischen Kunst. 1933 flüchtete Herzfelde mit dem Verlag nach Prag, während die Nazis die in Berlin zurückgelassenen Bestände vernichteten. Vor den einmarschierenden Deutschen floh er 1938 weiter nach London, wo er die ersten zwei Bände der Gesammelten Werke Brechts veröffentlichte. 1939 übersiedelte er nach New York, der Verlag wurde aufgelöst. 1944 gründete er dort zusammen mit anderen deutschen und österreichischen Schriftstellern den Aurora-Verlag. Im Malik-Verlag erschienen von Tretjakow die Bücher Feld-Herren (1931) und Den Shi-Chua (1932). 27 Die Filmschauspielerin Olga Wiktorowna Tretjakowa (Ol’ga Viktorovna Tret’jakova), geb. Gomolizkaja (Gomolickaja), war die Frau Sergej Tretjakows. Sie begleitete ihn nach seiner Verhaftung 1937 in ein Straflager nach Sibirien (wo er zwei Jahre später starb) und erreichte 1956 schließlich seine offizielle Rehabilitierung.

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Fritz Wreede an Bertolt Brecht Berlin, 7.3.1933 Herrn Bert Brecht Berlin-Charlottenburg 2 Hardenbergstrasse 1a. 9BS 7.3.1933. Sehr verehrter Herr Brecht! Unsere Unterhaltung vom letzten Dienstag28 bestätigend, erwarte ich nunmehr mit tunlichster Beschleunigung Ihre Vorschläge wegen Abänderung des zwischen uns derzeit bestehenden Vertragsverhältnisses. Wir waren uns darüber einig, dass die weiteren Einnahmen aus Ihrem Werk „Die Dreigroschenoper“ auch unter diesen Vertrag fallen, eine Abmachung, die zwischen uns ja schon im Juni vorigen Jahres gemäss meinem Bestätigungsschreiben vom 14. Juni 1932 getroffen wurde und waren uns weiterhin einig, dass die Aufrechterhaltung der bisherigen Leistungen des Verlages und in der noch vorgesehenen Dauer und Höhe nicht zumutbar sind. In diesem Sinne erwarte ich also Ihren Vorschlag, wie Sie sich die Gestaltung unserer Beziehungen denken, wobei Sie davon ausgehen wollen, dass Sie Ihre Forderungen auf ein zeitgemässes Mindestmass beschränken.29 Besonders würde ich mich freuen, wenn alle materiellen Erörterungen dadurch illusorisch würden, dass Sie auf Grund der von uns gemeinsam angestellten Erwägungen bald in der Lage sind, ein eigenes Theaterstück oder eine Bearbeitung dem Verlag zu übergeben, gegen deren Aufführungen Einwendungen von keiner Seite erhoben werden können. Damit würden Sie nicht nur sich selbst und dem Verlag, sondern auch dem Theater in seiner Allgemeinheit dienen. Ich grüsse Sie in gewohnter Wertschätzung Ihr Wreede P.S. Den vorliegenden Brief sende ich sowohl an Ihre Berliner als auch an Ihre Augsburger Adresse, und hoffe, dass er Sie auf einem dieser Wege erreicht. d.O.

28 Die erwähnte Unterhaltung bezieht sich vermutlich auf ein Telephonat, das Wreede und Brecht am Dienstag, den 5.3.1933, geführt haben könnten. Brecht hatte Deutschland bereits am 28.2. verlassen. 29 Brecht nahm dazu Stellung in einem Brief aus Paris vom 15.4.1933 (GBA 28, S. 355). Vgl. Anm. zum Brief der Rechtsabteilung des Verlags, 26.4.1933.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/28–29.

Hugo Winter und Hans W. Heinsheimer 30 an Bertolt Brecht Wien, 18.3.1933 Hei/Fi.

Wien, am 18. März 1933.

Sehr geehrter Herr Brecht! Sie sagen uns, dass Ihre Reise nach Russland vom Frühjahr 1932 Missdeutungen ausgesetzt sein könnte.31 Wir bestätigen Ihnen hiermit, dass Sie die Reise angetreten haben, um bei der Aufführung der „Dreigroschenoper“, die ja in der ganzen Welt mit Erfolg aufgeführt wurde, im Tairoff-Theater anwesend zu sein.32 Ihre Anwesenheit in Russland war damals auch vom Verlag aus im Interesse der Aufführung als wünschenswert bezeichnet worden. 30 Hugo Winter (1885–1952) und Hans W. Heinsheimer (1900–1993) bildeten zusammen mit Alfred A. Kalmus seit 1932 das Direktorium des Musikverlags Universal-Edition. In einem undatierten Vertrag, vermutlich aus den Jahren 1928/29, hatte Brecht der Universal-Edition das unbeschränkte Urheberrecht an den Songs aus der Dreigroschenoper übertragen (BBA 576/12–13), von denen damals auch Schallplattenaufnahmen angefertigt worden waren. Später wurden diese Rechte vom Verlag FBE wahrgenommen, in dessen Auftrag fortan die Universal-Edition für Brecht tätig war (vgl. Heinsheimer, 17.6.1935). 31 Die Einladung des sowjetischen Jourgaz-Verlags zur Premiere des Films Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt führte Brecht vom 9. bis 21.5.1932 erstmals in die UdSSR. Er reiste nach Moskau zusammen mit dem ebenfalls zur Premiere geladenen Slatan Dudow und mit Sergej Eisenstein, der sich auf seiner Rückreise von Mexiko für kurze Zeit in Berlin aufgehalten hatte. Kuhle Wampe, so urteilte später Siegfried Kracauer, „war der erste und letzte deutsche Film, der offen einen kommunistischen Standpunkt einnahm“ (Von Caligari zu Hitler, Frankfurt/M. 1979, S. 256). Ursprünglich von Prometheus produziert und nach deren Konkurs von der Schweizer Praesens Film AG 1932 herausgebracht, wurde der Film in Deutschland sogleich von der Zensur beanstandet, angeblich „weil er den Reichspräsidenten als den Schöpfer der Notverordnungen, die Justiz und die Kirche verächtlich mache“ (Von Caligari zu Hitler, S. 539). Die Moskauer Premiere am 14.5.1932 war somit, aufgrund der hinausgeschobenen Freigabe in Deutschland, zugleich die Uraufführung des Films, der dort allerdings nicht sehr wohlwollend aufgenommen wurde: „Kuhle Wampe kommt in Moskau weder in der Presse noch beim Publikum an. Auf völliges Unverständnis stößt der Umstand, daß Arbeitslose im Besitz von Armbanduhren, Fahrrädern und Motorrädern sind“ (BC, S. 328). Die auf den 30.5.1932 aufgeschobene Premiere in Deutschland, die im Berliner Filmtheater Atrium stattfand, verlief hingegen erfolgreich, zumindest in kommerzieller Hinsicht: allein in der ersten Woche sollen 14.000 Zuschauer den Film gesehen haben (vgl. BC, S. 329). 32 Brecht besuchte, dem Zeugnis Bernhard Reichs zufolge, am 16.5.1932 zusammen mit Asja Lacis die Dreigroschenoper-Inszenierung von Alexander Tairow im Moskauer Kammertheater (vgl. BC, S. 328).

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Mit vorzüglicher Hochachtung Universal-Edition Aktiengesellschaft Winter Heinsheimer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Universal-Edition, A.-G. Leipzig Karl­strasse 10 Wien I Karlsplatz 6. Musikvereinsgebäude Jos • Aibl Verlag G.m.b.H. TelegrAdr.: Musikedition Wien ABC.Code 5th Ed. Mosse Code. Telefon U-47-5-85 Serie.Bank-Konto: Zentral-Europäische Länderbank Wien. Postsparkassen-Kto. 57557; BBA 783/31.

Richter (Agrippina-Konzern) an Helene Weigel33 Berlin, 23.3.1933

Buchhaltung. Frau

23. März 1933

Helene Weigel-Brecht, Bln.-Charlottenburg Leibnitzstrasse 108

Betr.: Pol. E 820 550 Zu Ihrer bei uns bestehenden Versicherung möchten wir Sie bitten, uns die Prämie für die Zeit vom 22.3./22.6.1933 in Höhe von M 157.35 unter Benutzung anliegender Zahlkarte freundlichst zu überweisen. Inzwischen empfehlen wir uns ihnen hochachtungsvoll AGRIPPINA - Düsseldorfer Lloyd See-, Fluß- u. Landtransport-Vers.-Ges. Vers.-Aktien-Gesellschaft Direktions-Verwaltungsstelle Berlin 33 Die Schauspielerin Helene Weigel (1900–1971), ab 1919 zunächst am Neuen Theater in Frankfurt am Main und in den 1920er Jahren an Berliner Theatern beschäftigt, war mit Brecht seit 1923 bekannt. Die beiden heirateten 1929 (zwei Kinder: Stefan Sebastian, genannt Steff, geb. 1924; Barbara, geb. 1930). Gemeinsam mit ihrer Familie flüchtete sie 1933 über Prag zunächst nach Wien, dann in die Schweiz. Im Juni desselben Jahres besorgte sie der Familie ein Haus in Dänemark. Weitere Exilstationen ab 1939: Schweden, Finnland, USA. 1949 kehrte sie zurück nach Berlin. Titelrollen u.a. in Die Mutter, Die Gewehre der Frau Carrar, Mutter Courage. Von 1949 bis 1971 Intendantin des Berliner Ensembles.

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Schlösser & Richter Richter 1 Zahlkarte Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Agrippina Versicherungen seit 1844 Agrippina-Konzern Agrippina / Kölner Lloyd / Mitteleuropäische / Düsseldorfer Lloyd, Agrippina Lebens.-Vers.-Bank Berlin Schlösser & Richter, Leiter: Otto Schlösser, Paul Richter, Ernst Angerer, Berlin W 15, den_____ Schaperstraße 18, im Agrippinahaus Fernruf Oliva J 2 2949-2954, Telegramm-Adresse: Agrippinagruppe Berlin - Konten unter: Schlösser & Richter 1. Deutsche Bank u. Disc.-Ges. Dep.-Kasse K, 2. Postscheck-Konto: Berlin 136 49; BBA 722/28.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht 4.4.1933 Dienstag, den 4.4.33. Lieber Brecht, heute bin ich nun hier angekommen. ich war noch zwei tage in paris, wo ich Benjamin34, Eisler35, Wangenheim36 traf. alle lassen grüssen. der zweck war Aussprache mit Willi37. 34 Walter Benjamin (1892–1940), Philosoph, Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer. Mit Brecht, den er 1924 kennengelernt hatte, verband ihn seit Ende der 1920er Jahre eine enge Freundschaft. Ging 1933 ins Exil nach Paris. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich versuchte er, nach Amerika zu entkommen. Auf der Flucht nahm er sich in dem spanischen Grenzort Portbou 1940 das Leben. Von Benjamin stammen die bedeutendsten zeitgenössischen Interpretationen des Brechtschen Werks, insbesondere der Konzeption des epischen Theaters. Vgl. W.B., Versuche über Brecht, hrsg. v. Rolf Tiedemann (erw. Neuausgabe), Frankfurt/M. 1992, sowie BGS II, S. 506–572, S. 660–676; BGS III, S. 440–449; BGS VII, S. 347–349. 35 Der österreichische Komponist Hanns Eisler, d.i. Johannes Eisler (1898–1962), Schüler von Arnold Schönberg, war seit 1929 einer der engsten Freunde und Mitarbeiter Brechts. Ging 1933 ins Exil u.a. nach Frankreich, Großbritannien, USA und kehrte 1948 zurück nach Europa; ab 1949 in Berlin. Komponierte Musik u.a. zu den Stücken Die Maßnahme und Die Mutter, zum Film Kuhle Wampe sowie zu den bis heute bekanntesten Agitationsliedern Brechts, dem Solidaritätslied und dem Einheitsfrontlied. 36 Gustav von Wangenheim (1895–1975), Schauspieler und Regisseur, Schüler Max Reinhardts. Spielte seit Mitte der 1910er Jahre in zahlreichen Stücken und Filmen (u.a. Murnaus Nosferatu) und engagierte sich seit Ende der 20er Jahre im Agitproptheater. Nach der Auflösung der von ihm geleiteten Truppe 1931 ging er 1933 ins Exil in die UdSSR, wo er 1936 den deutschsprachigen Film Kämpfer drehte. Kehrte 1945 zurück nach Berlin, leitete dort vorübergehend das Deutsche Theater und arbeitete später als Filmregisseur für die DEFA. 37 Willi Münzenberg (1889–1940), Verleger, Filmproduzent und KPD-Politiker, Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale, der Internationalen Arbeiterhilfe sowie der Filmproduktionsfirmen Meshrabpomfilm (Moskau) und Prometheus (Berlin). 1933 ging er ins Exil nach Pa-

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(streng vertraulich. es darf niemand wissen, dass er dort ist!!) er arbeitet dort. Seine Zeitschrift38 erscheint. ich werde dort ebenso mitarbeiten wie hier und Sie sind auch aufgefordert. man wird neue Qualität schaffen müssen. politisch ist alles ganz dunkel. Die Komint39 will ihre politik nicht ändern.40 in Deutschld. geht der Kampf Gruppe Teddy41 gegen Krieg weiter (!!) immerhin sprach ich 5 stunden mit Willi. er sieht alle fehler klar ein. nun kommt es darauf an, Analysen über Vergangenheit, Gegenwart u. Zukunft anzufertigen. aber es gibt so wenig Köpfe. Sehr schlimm ist unsere Trennung. aus Ihrem Schweigen schliesse ich, dass Sie immer noch böse sind. Aber wollen Sie denn da unten bleiben? Ich kann es nicht glauben. Ich nun bin momentan durch den Zustand meiner Frau ganz meiner Kraft gebunden […]42 Paris ist auch nicht billiger, es ist für längere Dauer vielleicht etwas billiger als Schweiz, auf kurze Frist nicht. Ausserdem ist es z.Zt. nicht gut dort zu sein, weil die frz. Regierung die Emigration so offen und mit allen Kräften unterstützt, dass man vorläufig gut tut, diese „Gastfeindschaft“ nicht in Anspruch zu nehmen. was hören sie aus Deutschland? ich höre so wenig, dass ich ganz ausser mir bin. Seit 10 tagen haben wir keine einzige nachricht aus Berlin. Es ist schlimm.

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ris, gründete dort den Verlag Éditions du Carrefour, in dem u.a. die Braunbücher erschienen. Zur Komintern hielt er ab Mitte der 1930er Jahre zunehmend Distanz. Einer Vorladung nach Moskau, wo 1937 ein Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, kam er nicht nach. 1940, nach seiner Entlassung aus einem französischen Internierungslager, wurde er tot im Wald von Le Caugnet gefunden. Gemeint ist die Zeitschrift Unsere Zeit, die Münzenberg im gleichnamigen Verlag seit 1933 zunächst in Berlin, dann in Basel herausgab. Sie war als Fortsetzung der Zeitschrift Der rote Aufbau (1922/23, 1929–32) konzipiert. Später erschien sie in Münzenbergs Exilverlag Éditions du Carrefour in Paris. Komintern. Die 1919 in Moskau gegründete Kommunistische Internationale wird auch als Dritte Internationale bezeichnet, mit Bezug auf die von Marx mitgegründete Internationale Arbeiterassoziation (1864–1876) und die Sozialistische Internationale (1889–1914). Als Weltpartei konzipiert, gab sie den in ihr organisierten nationalen Sektionen eine gemeinsame politische Linie vor. Nachdem die realistische Erwartung einer Weltrevolution schon in den frühen 1920er Jahren geschwunden war, standen im Mittelpunkt nunmehr die außenpolitischen Interessen der UdSSR. Unter Stalin fungierte die Komintern vor allem als internationaler Kontrollapparat der ihr unterstellten Parteien. Mit Rücksicht auf die westlichen Alliierten im Zweiten Weltkrieg wurde sie 1943 aufgelöst. Anspielung auf den Kampf gegen den „Sozialfaschismus“, der auf dem VI. Weltkongreß 1928 zur Generallinie der Komintern erklärt wurde. Demnach sei die Sozialdemokratie, wie Stalin in seinem Bericht „Zur internationalen Lage“ bereits 1924 behauptet hatte, „objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus“. Erst auf dem VII. Weltkongreß 1935 wurde diese Einschätzung offiziell revidiert und statt dessen eine Politik der „Volksfront“ propagiert, die sämtliche antifaschistischen Kräfte, einschließlich der bürgerlichen, bündeln sollte. Spitzname Ernst Thälmanns (1886–1944). Thälmann war seit 1925 Vorsitzender der KPD. Im März 1933 wurde er verhaftet und ohne Gerichtsverfahren in Gefängnissen in Berlin, Hannover und Bautzen festgehalten, bevor er 1944 ins KZ Buchenwald überführt und dort ermordet wurde. Die folgenden Worte konnten nicht entziffert werden. Die Seite endet mit der Silbe „ver-“, die nächste beginnt mit „Paris…“.

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nun schreiben Sie mir bitte a) was Sie wissen b) Ihre pläne Th. Mann43 ist in Genf und soll abwechselnd weinen und lachen. Glauben Sie nicht, dass man ein Verlagskollektiv von Th. Mann, Döblin44, Feuchtwanger45, Brecht, Seghers46, Brentano bilden könnte, das mit einem hiesigen Verlag in Verhandlungen träte? ich träume von so etwas.47 herzlich Ihr

Brentano.

Pension Fortuna Mühlebachstr 55 Überlieferung: Ms, BBA 481/61–62.

43 Thomas Mann (1875–1955) ging 1933 ins Exil nach Frankreich und in die Schweiz, 1938 in die USA. 1952 übersiedelte er nach Erlenbach bei Zürich. Brecht hatte für den Schriftsteller Thomas Mann, den er als „Typ des bourgeoisen Herstellers künstlicher, eitler und unnützlicher Bücher“ (GBA 21, 164) verspottete, nicht viel übrig. Gleichwohl respektierte er ihn als Verbündeten im Kampf gegen den Faschismus. In einem Brief vom März 1933 (GBA 28, S. 350f.) beglückwünschte er Mann zu einer Botschaft, die dieser auf dem Berliner Kongreß „Das freie Wort“ im Februar hatte verlesen lassen. Brechts Brief blieb unbeantwortet. 44 Der Schriftsteller Alfred Döblin (1978–1957), im bürgerlichen Beruf Arzt, ging 1933 ins Exil zunächst in die Schweiz und nach Frankreich, später in die USA. 1945 kehrte er zurück nach Deutschland, übersiedelte jedoch 1953 nach Frankreich. 45 Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884–1958), Pseudonym: J.L. Wetscheek, war mit Brecht, den er 1919 kennengelernt hatte, seit den 1920er Jahren eng befreundet. Er kehrte von einer Vortragsreise in die USA 1933 nicht mehr nach Deutschland zurück. Bis 1939 lebte er in Sanary-sur-Mer in Südfrankreich, übersiedelte dann in die USA. Von 1936 bis 1939 gab er gemeinsam mit Brecht und Willi Bredel die in Moskau erscheinende deutschsprachige Exilzeitschrift Das Wort heraus. 46 Die Schriftstellerin Anna Seghers, d.i. Netty Radvanyi, geb. Reiling (1900–1983), wurde nach dem Reichstagsbrand verhaftet, jedoch nach einigen Stunden Verhör wieder freigelassen, da sie durch ihre Heirat ungarische Staatsbürgerin geworden war. Sie floh zunächst nach Zürich, bald nach Paris. Dort war sie 1933 an der Neugründung des (ursprünglich seit 1908 bestehenden) SDS beteiligt. 1941 ging sie über New York nach Mexiko. 1947 kehrte sie zurück nach Berlin (Ost). 47 Brentano träumte außer von einem Verlagskollektiv auch von einer „Sommerkolonie“, die er im Tessin gründen wollte (vgl. seinen Brief vom 18.7.1933). Keines dieser Projekte wurde verwirklicht. „Thomas Manns, aber auch Döblins Vorstellungen verliefen in eine ganz andere Richtung“, schreibt Mittenzwei: „Vor allem aber hatten die Schweizer Behörden kein Interesse daran, daß es in ihrem Lande zu einer Konzentration antifaschistischer Schriftsteller kam. Man fürchtete diplomatische Verwicklungen und tat alles, um solche Treffpunkte des antifaschistischen Widerstands gar nicht erst entstehen zu lassen“ (Brecht I, S. 475).

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Margarete Steffin48 an Bertolt Brecht Agra, 11.4.1933 ich lieg allein im bett. dem auge einer kuh gleich, glotzt der mond mich an. die milde abendluft durch die ein kater schon seit stunden jaulend ruft will auch mich jaulen machen. doch ich gebe ruh. das heisst, die ruhe ist mir gar nicht recht. ich wäre lieber hier zu zweit gelegen und liesse mit mir vieles machen. doch deswegen bin ich doch nicht unsittlich gleich und schlecht? die leute sagen, seinen garten soll dass er von Blüten, die süss duften, voll werd, man ausgiebig und gern begiessen. die Leute sagen viel. und selten wahr. doch diesmal, fürchte ich, stimmt es sogar. dass ich allein hier lieg, will mich verdriessen. agra, 11.4.1933 Überlieferung: Ts, hs. Erg.; BBA 534/15. – E: Steffin, Briefe, S. 59f.

48 Die Schauspielerin und Schriftstellerin Margarete Steffin (1908–1941) lernte Brecht 1931 kennen und wurde bald eine seiner engsten Freundinnen und wichtigsten Mitarbeiterinnen. Nach einer Ausbildung zur Buchhalterin war sie in den 1920er Jahren u.a. in der IAH tätig und trat als Schauspielerin in der Roten Revue auf. Aufgrund einer schweren Tuberkulose-Erkrankung mußte sie sich seit 1932 regelmäßigen medizinischen Behandlungen unterziehen (Operationen in der Berliner Charité, Kuraufenthalte u.a. auf der Krim und im Tessin). Nachdem sie im Februar 1933 verhaftet und wieder freigelassen worden war, ging sie ins Exil, zunächst in die Schweiz und nach Frankreich, nach längeren Aufenthalten in der UdSSR lebte sie ab 1936 in Dänemark. 1939 begleitete sie Brecht und seine Familie nach Schweden, ein Jahr darauf nach Finnland. 1941 wollte sie mit ihnen über die UdSSR in die USA emigrieren, die sie allerdings nie erreichte. Steffin starb im Juni 1941 in einem Sanatorium in Moskau.­­

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Berger49(Verlag Felix Bloch Erben) an Bertolt Brecht Berlin, 26.4.1933 26.4.1933 Herrn Bert Brecht Carona b./ Lugano (Schweiz) Casa Casella Sehr verehrter Herr Brecht! Zu Ihrem Schreiben vom 15.d.M. an Herrn Wreede,50 der heute geschäftlich abgereist ist und deshalb nicht persönlich antworten konnte, äussern wir uns erst heute, da die interne Beratung durch die Abwesenheit des Unterzeichneten erst heute möglich war. Die Verhältnisse haben sich seit unseren Verhandlungen und seit unserem Brief an Sie vom 7.3.1933 noch wesentlicher verändert und vor allem die Klarheit gebracht, dass Ihr bisher geschaffenes Bühnenwerk vom Spielplan der deutschen Bühnen nicht aufgenommen werden wird. Nun haben wir für unsere sehr erheblichen Leistungen in der abgelaufenen Vertragszeit keine verwertbare Gegenleistung in Händen, und eine Fortsetzung unserer materiellen Leistungen ist daher unter den obwaltenden Verhältnissen wirtschaftlich und auch in sonstiger Hinsicht nicht zumutbar. Die Hoffnungen im Zusammenhang mit der Verwertung der „Dreigroschenoper“ in Amerika haben sich nun gleichfalls nicht erfüllt,51 sodass Sie mit weiteren materiellen Ausschüttungen durch uns nicht rechnen können. Die exorbitant hohen Summen, die Sie seit der Uraufführung des Werkes „Die Dreigroschenoper“ von uns ausbezahlt erhielten, haben Ihnen aber sicherlich solche Rücklagen möglich gemacht, die Ihnen eine Ueberbrückung der gewiss misslichen Sachlage für Sie ermöglichen werden. 49 Rechtsanwalt des Verlags FBE. 50 Brecht hatte Wreede hinsichtlich seines Vertrags vorgeschlagen: „Wir kürzen die noch verbleibende Zeit von drei Jahren auf ein und ein halbes Jahr ab und meine Rente von 1000 Mark auf 600 Mark. […] Die Einnahmen der ‚Dreigroschenoper‘ behalten Sie für diese Zeit von einundeinhalb Jahren zurück. Sollten sie mehr als 600 Mark im Monat ausmachen, bekomme ich davon bis zu 400 Mark, so daß ich dann wieder 1000 Mark im Monat hätte […].“ Alternativ dazu könne der Verlag auch sämtliche Einnahmen aus der Dreigroschenoper zurückhalten, „bis 12 000 Mark erreicht sind, und mir alles darüber hinaus zukommen lassen.“ Brecht beurteilte die Lage zu diesem Zeitpunkt noch sehr zuversichtlich; er „glaube keineswegs, daß meine Arbeiten in Deutschland für allzu lange Zeit unverwertbar sein können, und auch im Ausland gibt es allerhand Möglichkeiten. Gleichwohl ist jetzt eine schlimme Zeit“ (GBA 28, S. 355). 51 Die amerikanische Erstaufführung der Dreigroschenoper, in einer Übersetzung von John Krimsky und Gifford Cochran, fand am 13.4.1933 im New Yorker Empire Theatre statt. Regie führte Francesco von Mendelssohn. Das Stück wurde dort jedoch zunächst nur zwölfmal gespielt, womöglich auch wegen der „mangelhaften Übersetzung“ (BC, S. 354). Die Einnahmen wurden vom Verlag zur Deckung von Außenständen einbehalten.

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Wir empfehlen uns Ihnen

ergebenst FELIX BLOCH ERBEN Rechtsabteilung i.V.: Berger

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Felix Bloch Erben Rechtsabteilung Berlin-Wilmersdorf 1 Nikolsburger Platz 3; BBA 783/34.

Finanzamt Berlin-Charlottenburg an Bertolt Brecht Berlin, 29.4.1933 29. April 1933. Auf Ihr Schreiben vom 26. April 193352 teile ich Ihnen mit, dass ich die Angaben über Ihr Einkommen 1932 nicht als Steuererklärung ansehen kann, da die vorgeschriebene Versicherung fehlt. In der Anlage erhalten Sie ein Formular zur Einkommensteuer-Erklärung 1932, das ich bis zum 15. Mai 1933 ausgefüllt zurückerwarte. Auf Ihren Antrag vom 10. Februar 193353 ist Ihnen am 17. Februar 193354 folgender Bescheid ergangen: „Auf den Antrag vom 15.II.1933. gestatte ich Ihnen unter dem Vorbehalte jederzeitigen Widerrufs, die Einkommensteuer für IV. Vierteljahr 1932 in Höhe v. 128.- RM, „ „ „ Krisensteuer 1931 + 1932 87.90 RM, gegen eine jährliche Verzinsung von 5 v.H. in folgenden Teilbeträgen abzutragen: am 28. Februar 1933 ................. 25.-- RM, „ 31. März 1933 ................. 21.70... „ . Die gezahlte Umsatzsteuer 1932 in Höhe von 169,20 RM lasse ich auf die Einkommensteuer 1932 und Krisensteuer verbuchen, so dass ein Rest von 46,70 RM verbleibt. Die Stundung hat Wirkung vom Fälligkeitstage. Wird eine Teilzahlung nicht rechtzeitig bewirkt, so wird der gesamte Steuerreste nach näherer Bestimmung des § 106 Reichsabgabenordnung fällig, auch sind Verzugszuschläge verwirkt. Ist vor dieser Stundung schon einmal gemahnt, so haben Sie sofortige Zwangsvollstreckung zu gewärtigen. (§ 17 Abs. 2 der Beitreibungsordnung vom 23. Juni 1923, Reichsministerialblatt vom 4. Juli 1923, S. 595). 52 Nicht überliefert. 53 Vgl. GBA 28, S. 347. 54 Hs. ausgefüllter Vordruck des Finanzamts Berlin-Charlottenburg (BBA 722/3–4). Brechts Bitte um Ratenzahlung seiner Steuerschuld wurde weitgehend entsprochen.

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Mit jeder Teilzahlung sind die Stundungszinsen vom jeweiligen Restbetrag zu entrichten. Im Auftrage: gez.: Hammerschmidt. Beglaubigt: Görges Steuerinspektor. FINANZAMT CHARLOTTENBURG-OST Überlieferung: Ts, hs. Us., hs. U., Bv.: Finanzamt, Charlottenburg-Ost, 3.113 Steuer Nr. 44/948 Reichsbank-Girokonto Charlottenburg Postscheckkonto: Berlin Nr. 4732 Bln.-Charlottenburg 2, den _______193_ Berliner Str. 18 Fernruf: C1 Steinplatz 5001-Hausanschluß Nr._____; BBA 722/10–11.

Kurt Weill55 an Bertolt Brecht Paris [April/Mai 1933] Der englische Mäzen Edward James (1907–1984), teilt Weill mit, werde Brecht das Geld schicken für Die sieben Todsünden der Kleinbürger. James hatte Weill mit der Komposition eines Balletts für die Truppe „Les ballets 1933“ beauftragt, um damit seiner Frau, der aus Deutschland emigrierten Tänzerin Tilly Losch (1903–1975), eine Auftrittsmöglichkeit in Paris zu verschaffen. Der Schweizer Dirigent Maurice Abravanel (1903–1993), der die Aufführung leiten sollte, halte Losch für durchaus begabt. Von Brechts Libretto (für das zunächst Jean Cocteau vorgesehen war) zeige sich James jedenfalls sehr angetan. Weill versichert Brecht, es werde alles so laufen, wie sie beide es sich wünschen. Überlieferung: Ms, Bv.: 11, Place des Etats Unis. (XVIE.) Passy 45-88; BBA 911/46.

55 Der Komponist Kurt Weill (1900–1950) arbeitete mit Brecht bereits seit 1927 zusammen: an der Dreigroschenoper (1928), an Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1930) sowie an einigen Lehrstücken, an deren Gestaltung er maßgeblichen Anteil hatte. 1933 ging er ins Exil nach Frankreich und von dort 1935 in die USA, wo er – im Gegensatz zu Brecht – überaus erfolgreich war. Ein Ballett, an dem er 1933 in Paris arbeitete, blieb die letzte Co-Produktion, zu der Brecht das Libretto schrieb: Die sieben Todsünden der Kleinbürger. Eine geplante Schweyk-Aufführung, über die beide sich 1943 in New York berieten, kam nicht zustande. Werner Mittenzwei zufolge habe Brecht zu Weill eine zwar freundschaftliche, doch stets instrumentelle Beziehung unterhalten und ihn, anders als Eisler, „nicht zu dem engeren Kreis der Künstler gezählt […], die mit einer neuen Kunst auch eine neue Welt wollten“ (Brecht II, S. 88).

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Hermann Borchardt56 an Bertolt Brecht Paris, 3.5.1933 Herrn Bertold Brecht Carona bei Lugano Beauchamp (Banlieue) (Seine et Oise) 1 Avenue Jules Ferry Lieber Brecht! Das ist meine neue Adresse. Leider ist die Comtesse de Neuilles57 gestorben. Ich habe den Besitzer der Straßburger Neuste Nachrichten58 kennen gelernt und dort eine kleine Aussicht auf Verdienst. Würden Sie so freundlich sein, mich in einem Brief direkt an den Redacteur en chef zu empfehlen? Seien Sie bitte etwas ausführlich: das wird dem Mann schmeicheln. Seine Adresse ist: Monsieur Knittel Redacteur en chef Imprimerie des Dernières Nouvelles Strasbourg 17 et 19 Rue de la Nuée-Bleue Wenn Sie herkommen, ist hoffentlich meine Frau59 schon hier. Sie wird für die Wirtin mitkochen und den Garten etwas mitbesorgen. Dafür wohnen wir (3 Zimmer etc.) umsonst. Mit herzlichem Gruße an Sie, Weib und Kindern Ihr alter H. Borchardt Überlieferung: Ms, Postkarte mit Poststempel: „Paris 3.V.1933“ und „Carona 4.V.33“, hs. Notiz von Hanns Eisler: „Vaugires 6465 Eisler“; BBA 482/33–34.

56 Der Schriftsteller Hermann Borchardt, d.i. Hermann Joelsohn (1888–1951), hatte seinen jüdischen Namen bereits 1925 abgelegt und den seiner Mutter angenommen. Befreundet mit Brecht seit 1927, Mitarbeit an der Heiligen Johanna der Schlachthöfe. Ging 1933 ins Exil nach Paris, 1934 nach Minsk, wo er bis 1936 unterrichtete. Wenige Monate nach seiner Ausweisung aus der UdSSR (vgl. Grosz, 12.2.1936) wurde er in Deutschland verhaftet. Im KZ Dachau verlor er durch Mißhandlungen sein Gehör und den Mittelfinger seiner rechten Hand. Nach seiner Freilassung 1937 gelang ihm die Flucht in die USA. 57 Die französische Dichterin Anna de Noailles (1876–1933). 58 Straßburger Neueste Nachrichten, elsässische Tageszeitung, 1877 von Heinrich Ludwig Kayser gegründet. Erscheint heute unter dem Namen Dernières Nouvelles d’Alsace. 59 Dorothea Borchardt, geb. Redmer.

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Rudolf Voth an Bertolt Brecht Berlin, 5.5.1933 Herrn Bert Brecht, Carona b/Lugano (Schweiz), Casa Casella. VA 5.5.1933. Sehr geehrter Herr Brecht! Wie wir hören, interessiert sich der Rundfunksender Hilversum in Holland für eine Sendung der „Dreigroschenoper“ und wünscht von uns die Lieferung des Ansichtsmaterials.60 Nachdem in unserem Vertrage die Rundfunkrechte nicht an uns übertragen worden sind,61 können wir natürlich auch nicht ohne weiteres dem Wunsche der Sendegesellschaft entsprechen. Wir bitten Sie um Verständigung darüber, ob Sie wünschen, dass wir die Verhandlungen im vorliegenden Fall aufnehmen, oder ob Sie selbst mit der Sendegesellschaft verhandeln wollen. Einstweilen haben wir jedenfalls den Rundfunksender Hilversum dahin verständigt, dass auf die Angelegenheit in Kürze noch zurückgekommen wird. Mit vorzüglicher Hochachtung p.pa. Felix Bloch Erben Voth (Rudolf Voth) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/39.

60 Dieses Vorhaben kam nicht zustande. Die Vereeniging van Arbeiders Radio Amateurs (VARA), eine damals noch dezidiert sozialistische Rundfunkgesellschaft in den Niederlanden, die über Radio Hilversum ausstrahlte, mußte die geplante Sendung im September 1933 aus dem Programm nehmen. 61 Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Bandol (Var), 16.5.1933 Dr. Lion Feuchtwanger

Bandol (Var), 16.5.33 Hotel La Réserve

Lieber Brecht, ich habe mich hier jetzt gewissermassen festgesetzt. Ich habe nämlich ein sehr nett gelegenes Häuslein zwischen Bandol und Sanary62 gekauft gemietet, und Marta63 ist bereits intensiv damit beschäftigt, es wohnlich einzurichten. Es wird freilich noch etwa 3 Wochen dauern, bis ich einziehen kann, und es ist möglich, dass ich in der Zwischenzeit einmal 8 Tage nach London gehe. Auf alle Fälle wäre es nett, wenn Sie, bevor Sie nach Paris fahren, herunterkämen.64 Sie sind herzlichst eingeladen, bei uns zu wohnen, sodass Ihr Besuch unter keinen Umständen an der Geldfrage scheitern soll. Wenn ich nach London gehen sollte, dann etwa vom 25. Mai bis 4. oder 5. Juni; aber es wäre sehr anstrengend, und die Filmgesellschaft, die einen (mässigen) Film von mir drehen will,65 hat sich bereit erklärt, mir Regisseur, Szenarioschreiber usw. hierher zu schicken. Uebrigens ist auch Thomas Mann hier, er wohnt in einem Hotel 5 Minuten von hier entfernt, und er kommt jeden Nachmittag mit seiner ganzen Familie herüber zu einem Trauertee. Wir schauen dann sehnsüchtig nach einem weissen Haus, in dem Herr Huxley66 wohnt, ganz unverfolgt und sicher. Ueber den Sommer hinaus habe ich noch keine Pläne; aber halten Sie mich bestimmt über Ihre jeweilige Adresse auf dem Laufenden, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass ich 62 Gemeint ist Sanary-sur-Mer in Südfrankreich, das damals als die „Hauptstadt der deutschen Literatur im Exil“ (Ludwig Marcuse) galt. Bis 1939. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen ordnete die französische Regierung die Internierung der deutschen Exilanten an, die nun als „feindliche Ausländer“ galten. Feuchtwanger wurde in das Lager Les Milles gesperrt, nach seiner Freilassung flüchtete er in die USA. 63 Die Schriftstellerin Marta Feuchtwanger (1891–1987) war die Ehefrau von Lion Feuchtwanger. Auf ihren Vorschlag hin änderte Brecht 1922 den Titel seines Stücks Spartakus in Trommeln in der Nacht. 64 Brecht fuhr am 1.6.1933 nach Paris und reiste am 20. weiter nach Dänemark. Sanary-sur-Mer besuchte er erst im September. 65 Feuchtwangers Roman Die Geschwister Oppermann sollte in England verfilmt werden. Der Plan wurde bald darauf fallengelassen. Unter seinem früheren Titel Die Geschwister Oppenheim 1933 in Amsterdam erschienen, bildet der Roman – neben Erfolg (1930) und Exil (1940) – den zweiten Teil der Wartesaal-Trilogie, in der Feuchtwanger sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt. 66 Der englische Schriftsteller Aldous Huxley (1894–1963) emigrierte 1937 in die USA. Brecht lernte ihn 1935 auf dem Pariser Schriftstellerkongreß kennen. Für Huxleys Kulturpessimismus hatte er indes nicht viel übrig. Zu einer Diskussion über dessen Roman Brave New World (1932), die 1942 bei Adorno in Kalifornien stattfand, notierte er: „Den Huxley beunruhigen einige Phänomene der Neuzeit. Er stellt ein Absinken der kulturellen Bedürfnisse fest. Je mehr iceboxes, desto weniger Huxley“ (GBA 27, S. 119f.).

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über Paris komme. Uebrigens machen mir holländische Verleger67 dringliche Verlagsangebote über deutsche Ausgaben meiner Bücher. Sie wollen alle herunterkommenm, aber es ist möglich, dass ich auch einmal nach Amsterdam fahre, und dann werde ich Ihnen zuliebe vielleicht acht Tage Frost in Ihrem Thule auf mich nehmen. Herzliche Grüsse auch an Helly68. Auch Marta lädt Sie dringend ein, doch herunterzukommen. Sie wird Ihnen besonders viel Reis und Kalbfleisch vorsetzen und nur sehr wenig Fische. Ihr Lion Feuchtwanger P.S. Auch Huebsch69 von der Viking Press wird mich hier aufsuchen. Er weiss, trotz dem débâcle der „Dreigroschenoper“,70 Ihre short stories zu schätzen, und ich will ihm hier vorschlagen, allenfalls meine short stories und die Ihren in einem Bande vereint zu bringen. Schreiben Sie recht bald. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/97. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 17f.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Beauchamp, 16.5.1933 Herrn Bertolt Brecht Carona bei Lugano Beauchamp d. 16. Mai 33 Lieber Brecht, Ich danke Ihnen sehr für die lettre de recommandation,71 der Herr aus Straßburg hat sich allerdings noch nicht gemeldet: ich muß einmal seinen Chef aufsuchen. Hier in Beauchamp (sehr waldig, schön, still) gibt es in großen Gärten verwunschene Villen zu vermieten (möbliert) für ein paar Cents. Sie sollten sich das, wenn Sie durchfahren, einmal ansehn. In Paris zu wohnen ist nicht angenehm, nicht einmal in Eislers Hotel am Rond Point gibts eine Dusche. Ein bißchen antik ist ja ganz schön. Ich habe Wangenheim getroffen und ihn ermahnt, nicht so links zu sein. Ich glaube, daß es ihm auch selber leid tut; ein 67 Feuchtwangers Romane erschienen in den 1930er Jahren bei Querido in Amsterdam. 68 Helene Weigel. 69 Der amerikanische Verleger Benjamin Huebsch (1876–1964) publizierte u.a. eine englische Übersetzung von Feuchtwangers Roman Jud Süß in den USA (1926). 70 Die amerikanische Erstaufführung der Dreigroschenoper am 13.4.1933 in New York war kein großer Erfolg. Vgl. Anm. zum Brief des Verlags FBE, 26.4.1933. 71 Nicht überliefert. Vgl. Borchardt, 3.5.1933.

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bißchen schadet ja nicht, alle Pariser Bankiertöchter sind ein bißchen, aber irgendwo muß man doch Maß halten. Ich erwarte Frau und Kinder. Mit herzlichen Grüßen an die Ihrigen und Sie selber Ihr alter H. Borchardt Borchardt Beauchamp (Seine et Oise) Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 482/35–36.

European Books an Elisabeth Hauptmann72 [London] 17.5.1933 COPY FOR MR. BRECHT. 17th May, 1933. Frau Elisabeth Hauptmann, BERLIN-CHARLOTTENBURG, Berliner Str. 45. Dear Madam, Our Mr. Alexander73 has been asked by Mr. Brecht to negotiate with English and American publishers regarding the proposed novel to be based on DREI GROSCHEN OPER74, 72 Die Schriftstellerin Elisabeth Hauptmann (1897–1973), Pseudonyme: Dorothy Lane, Catherine Ux, lernte Brecht 1924 kennen und war bald seine ständige Mitarbeiterin, unterstützte ihn auch als Sekretärin und Übersetzerin. Sie emigrierte nach kurzzeitiger Verhaftung im Dezember 1933 über Paris in die USA, zunächst zu ihrer Schwester Irma Warmber nach St. Louis, später nach New York und Kalifornien. 1948 kehrte sie zurück nach Europa, ab 1949 war sie wieder in Berlin. 73 Der Londoner Literaturagent Elias Alexander leitete die Agentur European Books Ltd. Brecht ließ sich von ihm bei der Suche nach einem Publikationsort für den Dreigroschenroman beraten. 74 Der Dreigroschenroman, 1934 bei Allert de Lange in Amsterdam erschienen, ist Brechts einziger vollendeter Roman. Erst der Umstand, daß er nun im Exil von allen Bühnenarbeiten abgeschnitten war, gab ihm Gelegenheit, ein umfangreiches Prosawerk binnen kurzer Zeit fertigzustellen. Unterstützt wurde er dabei v.a. von Margarete Steffin. Im Dreigroschenroman werden Vorgänge aus dem Wirtschaftsleben dargestellt, der Gegensatz von Verbrechen und bürgerlicher Rechtsordnung, anders als im Kriminalroman üblich, jedoch aufgehoben; die politischen Bezüge sind offenkundig. Der Handlung liegt die Figurenkonstellation der Dreigroschenoper zugrunde, von deren Erfolg nicht zuletzt auch der Roman profitieren sollte. „Das neue Werk hat sich aus dem alten entwickelt“, urteilte Walter Benjamin: „Aber das geschah nicht in der versponnenen Weise, in der man sich das Reifen eines Kunstwerks gewöhnlich vorstellt. Denn diese Jahre waren politisch entscheidende. Ihre Lektion hat der Verfasser sich zu eigen gemacht, ihre Untaten hat er beim Namen genannt, ihren Opfern

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and Mr. Brecht suggested that we should ask you for certain information which we need for our efforts. Would you kindly let me have the information you possess regarding the success of the play in Germany and other Continental countries, such as the actual length of the run, and so forth? Could you also tell me whether it will be possible to arrange for the German film of DREI GROSCHEN OPER to be exhibited in German in this country. We have already made arrangements for a number of outstanding German films to be exhibited here with considerable profit and success. Looking forward to the pleasure of hearing from you, Yours very truly, for EUROPEAN BOOKS LTD. CHB/ESR. Überlieferung: TsD, hs. Korr.; BBA 785/1.

Fritz Wreede an Bertolt Brecht Berlin, 17.5.1933 Abschrift Felix Bloch Erben 17.5.1933 Lieber Herr Brecht! Glauben Sie mir, dass ich in vollstem menschlichen Mitgefühl für Ihre Lage die Entschliessungen unserer Rechtsabteilung,75 wie sie für mich in den heutigen Zeiten – wie Sie hat er ein Licht aufgesteckt. Er hat einen satirischen Roman großen Formats geschrieben“ (BGS III, S. 440). Einen satirischen Roman zudem, in welchem die literarische Form durch die Adaption filmischer Darstellungsmittel „technifiziert“ wird (vgl. BH 3, S. 207–209). 75 Vgl. Brief der Rechtsabteilung des Verlags, 26.4.1933. Dieser Brief, erklärte Brecht gegenüber Wreede am 2.5., habe ihn „entsetzt […]. Ich bin von Ihnen weggegangen mit Ihrem herzlich gegebenen Versprechen, Sie dächten nicht daran, mich fallen zu lassen; ich solle, lediglich um unser weiteres Zusammenarbeiten so loyal und freundschaftlich wie bisher zu erhalten, meine bisherigen Bezüge in der Höhe zurücksetzen“ (GBA 28, S. 358). Einen dahingehenden Vorschlag hatte Brecht am 15.4. unterbreitet (ebd., S. 355). Der Verlag seinerseits stellte jedoch im Mai die Zahlungen vollständig ein, da er, entgegen Brechts Hoffnung, keine weiteren Einnahmen aus Aufführungen in Deutschland erwartete und sich somit von seinen vertraglichen Verpflichtungen Brecht gegenüber entbunden wähnte.

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verstehen müssen – mehr denn je bestimmend sind, sehr bedaure. Allerdings vermag ich in diesem Zusammenhang Ihren Appell an meine Ihnen oft ausgedrückte Loyalität, zuletzt noch bei unserer letzten Begegnung, nicht anzuerkennen. Sie vergessen, dass unsere letzte Begegnung vor unserer Zahlung am 1. März, nämlich am letzten Februar stattfand, und dass seit dem 5. März d. J. die Grundlagen für eine Beziehung zwischen Ihnen und unserem Verlag sich ganz einschneidend verändert haben. Ausserdem stand im Zeitpunkt unserer damaligen Unterhaltung die Aufführung der „Dreigroschenoper“ in Amerika bevor,76 und wenn ich Ihnen damals die Hoffnung machte, Sie in materieller Hinsicht nicht fallen zu lassen, so konnte dies natürlich nur in dem festen Vertrauen geschehen, dass sich Einnahmen aus den Aufführungen im Ausland für Sie bei uns ergeben werden. Diese Hoffnung ist ja nun leider völlig zerronnen. Wegen Ihrer Zumutung, wir sollen lediglich als Fortsetzung unserer Vertragsbeziehungen an Sie laufend wenn auch verminderte Beträge weiter zahlen, muss ich Ihnen doch kurz vor Augen führen, dass gerade Sie es waren, der das Verhältnis zu uns lediglich kaufmännisch bisher betrachtet hat. Als nach dem Erfolg der „Dreigroschenoper“ Ihr nächstes Werk („Happy End“77) zwischen uns zur Diskussion stand, haben Sie Ihrerseits jede Gewinnmöglichkeit durch eine Provision für den Berliner Abschluss an derselben Bühne, an der durch unsere Vermittlung die „Dreigroschenoper“ zustande kam, ausgeschlossen und die Verlagsübernahme des nach der Berliner Aufführung unverwertbaren Werkes von der sehr erheblichen Vorschuss-Zahlung von 8000.- Rm, die wir auch bis heute nicht herein haben, abhängig gemacht. Als dann die Uebernahme der zukünftig von Ihnen zu schreibenden Werke im Jahre 1929 aktuell wurde,78 haben Sie Ihrerseits sich eine sichere und sehr hohe Rente für die Dauer von 7 Jahren ausbedungen; Sie haben aber streng verhindert, dass die sicheren Einnahmen für Sie aus der „Dreigroschenoper“ etwa zur Abdeckung der Ihnen zu gebenden Vorschüsse herangezogen werden konnten. Darüber hinaus haben Sie sogar trotz Ihrer Kenntnis, dass ein kaufmännisches Unternehmen seiner eigenen Bank ja auch für entliehene Gelder Zinsen bezahlen muss, jede Zinsenberechnung ausgeschlossen. Als Sie nach 18 Monaten das vertraglich vorgesehene Werk noch nicht abgeliefert hatten, verstanden Sie es, mich von dem Beharren auf diesem vertraglichen Termin durch wiederholte Rücksprachen abzubringen und Sie lieferten mir sehr verspätet das Werk „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ ab, von dem ich Ihnen gleich sagte, dass ich es kaum bei den Bühnen für verwertbar halte, ja, dass ich es sogar in gewissem Sinne für eine Umgestaltung des schon in unserem Verlag befindlichen Werkes „Happy End“ ansähe. Von dem Tag des Abschlusses unseres Generalvertrages an haben Sie eine umfangreiche, den Interessen 76 Vgl. Anm. zum Brief der Rechtsabteilung des Verlags, 26.4.1933. 77 Gemeint ist der Filmentwurf In ein berüchtigtes Lokal (GBA 19, S. 322–329), den Brecht 1930 zusammen mit Hauptmann auf der Grundlage ihres Stücks Happy End schrieb. Das Exposé blieb unvollendet. Happy End wurde, zu einer Musik von Weill, unter der Regie von Brecht und Erich Engel am 31.8.1929 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführt. 78 Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933.

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unseres Verlages nicht dienende schriftstellerische Tätigkeit entwickelt. Sie schrieben tendenziöse Lehrstücke, auch Filme, und es gingen 4 Jahre ins Land, ohne dass Sie dem Verlag für die erhebliche materielle Leistung einen Gegenwert übergeben hätten. Meine Zweifel und meine Sorge in dieser Hinsicht habe ich Ihnen immer wieder in Unterredungen zum Ausdruck gebracht und immer wieder haben Sie es verstanden, mein Vertrauen zu Ihnen so auszunutzen, dass ich mich zu dem materiellen Opfer jedesmal wieder bestimmen liess. Auch heute sprechen Sie von einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen uns, tun aber ganz und gar nichts, um auf Ihrer Seite dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Sie sprechen nämlich ausschliesslich von der juristischen Betrachtung des Falles durch meine Firma, sprechen ausschliesslich von dem, was wir weiter materiell leisten sollen, sagen aber kein Wort darüber, wie Sie sich die Grundlage Ihres weiteren in Deutschland zu verwertenden künstlerischen Schaffens denken. Ich muss Sie sehr ernsthaft bitten, gerade wegen meines Vertrauens, das ich in unserem Verhältnis ununterbrochen bewiesen habe, Ihrerseits jetzt die Dinge gerecht zu beurteilen. Mit allen guten Wünschen Ihr ergebener gez. Unterschrift Überlieferung: Ts (Abschrift), BBA 576/28.

Berger (Verlag Felix Bloch Erben) an Bertolt Brecht Berlin, 17.5.1933 den 17.5.1933 B/B Herrn

Bert B r e c h t , Carona b/Lugano (Schweiz) Casa Casella. Sehr verehrter Herr Brecht! Wir bestätigen den Eingang Ihres Schreibens vom 2. ds. Mts.,79 sehen uns aber zu unserm Bedauern genötigt, auf dem Standpunkt unserer Ausführungen vom 26. April cr.80 zu verharren. Das was wir in diesem Schreiben ausgeführt haben, wird beispielsweise noch

79 Vgl. Anm. zu Wreede, 17.5.1933. 80 Lateinisch currentis: des laufenden Jahres.

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bestätigt durch das abschriftlich beigefügte Schreiben des Hessischen Landestheaters in Darmstadt.81 Wir brauchen wohl kein weiteres Wort hinzuzufügen. Wir versichern nochmals, dass nicht hemmungslose kaufmännische Erwägungen, die Sie betonen, für unsere Entschliessungen massgebend sind und dass wir nicht im entferntesten daran gedacht haben, dass Sie sich zu scheuen hätten, ein Recht zu suchen, wenn Sie solches haben. Scheint Ihnen also eine Bestätigung unseres Standpunktes durch gerichtliches Urteil notwendig, dann wird dies kein Anlass zur Trübung der bisherigen Beziehungen sein. Ergebenst FELIX B L O C H ERBEN: i.V. Berger Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Felix Bloch Erben Rechtsabteilung Berlin-Wilmersdorf 1 Nikolsburger Platz 3; BBA 783/40.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 18.5.1933 18th May, 1933. Herrn Bertold Brecht, Carona, Near Lugano, SWITZERLAND. Dear Mr. Brecht, I am just on the point of leaving for Holland, so I hope you will forgive me that I wrote to you in English. I thank you for your letter and await definite reply with regard to the foreign rights of your play “SPITZKÖPFE”.82 With regard to the Roman der DREI GROSCHEN OPER, I have written as per attached copy to Mrs. Hauptmann, and I hope to receive information which will enable me to sell the American rights of this novel. I have also already interested

81 Eine geplante Inszenierung der Heiligen Johanna am Hessischen Landestheater wurde im Januar 1933 behördlich untersagt. Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933. 82 Brecht teilte Alexander am 31.3.1934 mit: „Übrigens habe ich dieser Tage eine völlige Neuformung meines Stückes ‚Die Rundköpfe und die Spitzköpfe‘ fertiggestellt. Es enthält Balladen und Songs mit einer Musik von Hanns Eisler, und ich glaube, es hätte im englischen Theater eine große Chance“ (GBA 28, S. 413).

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a Dutch publisher83 and I hope you will see your way to write this book soon. Anyhow let me know your decision in the matter. As it would give me great personal pleasure to be of use to you in these difficult times, I put before you a suggestion that should be of interest to you. I have persuaded the official English Radio Company to bring a series of radio plays by prominent German authors that are in the same position as yourself, and I hasten to ask you whether you have a radio play or material for a radio play that I can offer. If not please let me know whether you are prepared to write something for that purpose. Of course I need not point out to you that apart from the material advantages this is a wonderful opportunity to bring your name home to the many millions of listeners, and create an interest for any of your works that have appeared or may appear in English. If you write something new please bear in mind the multitude of listeners, and the consequent necessity of avoiding anything that may give rise to objections in either sexual or party propaganda reasons. Further, the reading of the radio play should not take longer than an hour or an hour and a quarter at the utmost. I recommend that you take the trouble of writing a synopsis of the radio play that you intend to write, giving details of lenght etc. The British Broadcasting Company would then tell you, on hand of this synopsis, whether this proposed subject is likely to interest or not. If they encourage you to write the radio play according to your synopsis, they may either buy the British broadcasting rights and would pay £100 for that, or they would pay £20 – – in some cases even £25 for each reading. They never produce a play less than twice, very often three or four times, so the minimum fee would be £40 - £50 if they do not buy the subject outright. We would overcome the difficulties as far as English translation etc. is concerned, and expect a commission of 20%. It is important for you to note that if you succeed in offering a very successful radio play, the Company would very likely commission, that is, order from you, another play or two, and you would be paid at the rate of £100 for each play they ordered definitely from you. I hope you see the importance of this possibility, and will give this your attention, that is, let me know by return whether I may expect something from you or not. I am writing the same letter with regard to radio plays to Dr. Feuchtwanger, and ask you to kindly hand this letter to him as I have not got his address. Could you also give me the address of Arnold Zweig84, as I want to give him the same chance. With kind regards, Yours sincerely, p.p. E. ALEXANDER

83 Allert de Lange, Amsterdam. Der Dreigroschenroman erschien dort im November 1934. 84 Der Schriftsteller Arnold Zweig (1887–1968), in den 1920er Jahren Redakteur der Jüdischen Rundschau in Berlin, emigrierte 1933 über die Tschechoslowakei und die Schweiz nach Südfrankreich, wo er sich mit Brecht anfreundete, und ging 1934 nach Palästina. 1948 kehrte er zurück nach Berlin.

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P.S. Please forgive my dictating this letter in English as on the point of leaving for Holland I have nobody to whom I can dictate a German letter. Enc:

copy of letter to Mrs. Hauptmann. letter for Dr. Feuchtwanger.

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited International Literary Agents 188 Piccadilly, London, W. I Head Continental Office: Berlin-Lankwitz, Waldmannstr. I Cables: Script London Telegrams: Script Piccy London Directors: E. Alexander C.H. Brooks Telephone: Regent 1347 & 1348, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/2–3.

Elias Alexander an Bertolt Brecht Amsterdam, 23.5.1933 23. Mai 1933. Verehrter Herr Brecht / Für den „Roman der Dreigroschenoper“ freue ich mich, Ihnen folgendes Angebot unterbreiten zu können. Für die deutschen und die holländischen Rechte würde ein holl. Verleger einen Vorschuss von 6000 M. zahlen, à conto eines Honorars von 15% des broschierten Ladenpreises; nach 5000 Exemplaren erhöht sich das Honorar auf 20%. – Die Hälfte des Vorschusses, also M. 3000 ist zahlbar bei Zeichnung des Vertrages, die zweite Hälfte bei Ablieferung des Manuskriptes. Das druckreife Manuskript müsste im Laufe von 6 Monaten – möglichst früher geliefert werden und einen Umfang von 300 Seiten (evtl. 280 S.) mindestens haben. Diese Möglichkeit, eine deutsche Ausgabe im Ausland zu bringen, ist doch sehr aussichtsreich, und nach wie vor glaube ich, Ihnen auch ein Angebot für die englischen und amerikanischen Rechte bald senden zu können, und die anderen Auslandsrechte ebenfalls zu verkaufen. – Das kann ein Welterfolg werden! Die deutschen Steuerabzüge von 25% fallen weg, und es käme nur unsere Provision von 15% von Ihren Eingängen in Abzug. Wenn Sie dies fordern, will ich auch versuchen, statt M. 6000 einen Vorschuss von 8000 M. für die deutschen + holländischen Rechte zu bekommen. Es wäre gut, wenn Sie hier persönlich abschliessen könnten; jedenfalls erwarte ich Ihren umgehenden Bescheid und Ihre Bestätigung, dass Sie uns den alleinigen Vertrieb der Rechte des – ja auf meine Anregung zurückzuführenden – Romans überlassen. Leider habe ich noch nicht Ihre Pariser Adresse, um während meines Hierseins Ihre Antwort sichern zu können. Für alle Fälle wäre ich telegraphisch Damrak 62-Amsterdam erreichbar. Dann wieder 188 Piccadilly, London W.1.

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Haben Sie meinen Brief wegen eines Hörspiels für den englischen Sender erhalten? Mit freundlichen Grüssen Ihr E. Alexander Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel Schiller Amsterdam; BBA 580/1–3.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Agra, 27.5.1933] zum entwerfen von bildnissen. lieber bidi, sicher besinnst Du Dich darauf, mir diese worte einmal geschrieben zu haben: … so leicht wird ein weniges ein alles. es ist, wie wenn 2 soldaten zusammen marschieren, hungern usw. und am abend durch einen zufall entdeckt der eine im beutel des andern noch ein paar zigaretten, oder eine einzige: er hat sie nicht geteilt. also ist nicht etwas nicht in Ordnung, sondern nichts. also war das teilen am vormittag falsch, das essen am mittag, das gespräch und der kampf, also war der tag ein unglück und der marsch eine dummheit. ja der entdecker muss zweifeln an seiner fähigkeit, eine lüge von einer wahrheit unterscheiden zu können, an seinem urteil über einen menschen, an dem wert, [den] er er [sic] für einen andern hat usw. usw. wie es ihm heute erging, wird es ihm morgen gehen. der kamerad von morgen büsst für den von heute usw. usw. d. .… als ich durch zufall die erste zigarette fand, habe ich sie Dir böse vorgeworfen. ich bin aber nichtraucher und es war Du hast mir bewiesen, dass es keine zigarette war. fand ich später eine, war ich böse und traurig, aber still. ob unklug oder nicht: einmal habe ich wieder von der zigarette angefangen, da sagtest Du, ich hätte kein recht, in Deinem beutel nach zigaretten zu suchen. ich tat es nicht mehr. aber niemand und nichts konnte verhindern, dass ich den – vielleicht manchmal ganz leeren – beutel voll von zigaretten wähnte. es ist bei Dir besonders schwer, ein bild sich zu machen, obwohl (meiner ansicht nach die als erste wünschbare verhaltungsart) es gerade bei Dir leicht sein sollte. ich will es versuchen, einiges aufzuschreiben, aber ich schicke ich es Dir nicht, gebe sondern gebe es Dir, wenn ich Dich sehe. soweit ich das verhältnis mit zwischen Dir und Deinen freunden beobachtet habe, (alle freunde gerechnet, die ich kenne mir bekannt sind) glauben sie viell mögen sie annehmen, Dich zu kennen (oder auch mögen sie Dich kennen) oder nicht: jeder rechnet bei Dir mit einer zigarette. [Hs.: Das will ich nicht.]

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das sollte nicht sein. aber ich unterstelle: vielleicht ist es wirklich nicht so? sondern ich spreche wieder einmal [Hs.] Welches Bild hast Du von mir? Lieber Bidi, schreibe mir. Es wäre nötig, daß Du mir jetzt öfter schreibst. Glaube mir, ich schätze jeden Brief von Dir sehr, aber meine was er mir ist, kann man vielleicht doch messen an dem, was ein Brief von „Brecht“ bedeutet. Bidi, ich habe solche Sehnsucht. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; BBA 654/35–36. – E: Steffin, Briefe, S. 60f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Mai 1933] Lieber Bidi, vorhin schrieb ich das Beigelegte. Jetzt eben bekam ich Dein berechtigtes „?“. Ich hab immerzu gesagt „lieber Bidi“ als ich mit dem Brief auf mein Zimmer lief. Dann stand nichts drin. Oder ja doch. Aber nicht mehr Also es war so: Erst war ich traurig, weil Du so lange nicht geschrieben hattest, dann aber hatte ich bloß noch ganz wenig Geld u. wollte Porto sparen. Ich hatte für Dir schon mal geschrieben, ich hatte soviel ausgegeben, dann war ich beim Zahnarzt u. muß bald wieder hin, habe das Geld nach Agra85 geschickt usw., naja. Lieber Bidi, inzwischen hast Du ja meinen Brief sicher bekommen. Er ist dafür sehr lang. Zerreiß diesen Zettel bestimmt gleich. Ich hab solche große Sehnsucht nach Dir u. kann deswegen schlecht schlafen. Alle erzählen von Dir. Ich sehe immer Deine Bilder an, alle, u. lese Deine Briefe immer wieder, u. die Gedichte. Jede Stunde bist Du da. Ich Es ist so schlimm, daß ich so „treu“ bin. Werden wir im Herbst u. im Winter zusammen sein? Was ich hier mache, ist jede Minute so, daß Du hinzukommen könntest. Alles mache ich wirklich so, als ob Deine gestrengen Augen darauf ruhen. ich habe auch jedes „Flirten“ in Paris abgelehnt. Besonders mühe ich mich mit dem Franz. ab, was besonders schwer ist, weil ich es ganz allein machen muß, Borch86. hat weder Zeit noch Lust. Und wenn ich nach Paris komme, habe ich immer sehr viel anderes zu tun.

85 Steffin hatte sich dort im Frühjahr in einem Sanatorium behandeln lassen. 86 Hermann Borchardt.

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Morgen sehe ich wieder Lania87, Katz88 , vielleicht Mehring89, Kurella90, Balk91, Plivier92, Kisch93, Freund Eisler kaum. Er hat nie Zeit. Schade, ich war die ganze Zeit nie im Kino. Hier muß man l Std. laufen. „Leonhard“94 (der Dein Feind ist, höre ich?) fragt, ob er in seinem Blättchen eine Notiz von der Dad95 bringen soll.

87 Leo Lania, d.i. Lazar Herman (1896–1961), Schriftsteller, Publizist und Drehbuchautor. Arbeitete mit am Drehbuch zum Dreigroschenoper-Film (vgl. Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933). Flüchtete 1933 über die Tschechoslowakei, Österreich und Frankreich nach Großbritannien, 1941 in die USA. 1959 kehrte er zurück nach Deutschland (West). 88 Otto Katz (1895–1952), tschechischer Schriftsteller und Publizist, Pseudonyme: André Simone, Rudolf Breda, O.K. Simon, Franz Spielhagen. Funktionär der Internationalen Arbeiterhilfe und ihrer Filmgesellschaft Meshrabpomfilm. Ging 1933 ins Exil nach Paris, arbeitete dort für Willi Münzenbergs Exilverlag Éditions du Carrefour. 1939 emigrierte er in die USA und 1941 nach Mexiko, 1945 kehrte er zurück in die Tschechoslowakei. Im Slánský-Prozeß 1952 wurde er als „zionistischer Agent“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. 89 Der Schriftsteller Walter Mehring (1896–1981) publizierte vor allem Satiren, u.a. für Die Weltbühne. Ging 1933 ins Exil nach Frankreich, wurde dort 1939 als „feindlicher Ausländer“ interniert und floh 1941 in die USA. 1953 kehrte er zurück nach Deutschland (West). 90 Der Schriftsteller und Publizist Alfred Kurella (1895–1975), Pseudonyme: Bernhard Ziegler, Viktor Röbig, A. Bernhard, seit 1919 in zahlreichen Funktionen in kommunistischen Parteien und Verbänden tätig. Ging 1933 ins Exil nach Frankreich, 1935 in die UdSSR. In Moskau arbeitete er u.a. als Sekretär Georgi Dimitroffs und als Übersetzer für deutschsprachige Exilzeitschriften, später auch für das Nationalkomitee Freies Deutschland. 1954 kehrte er zurück in die DDR und trat als Kulturfunktionär in den Dienst der SED. 91 Theodor Balk, d.i. Fjodor Dragutin (1900–1974), war ein aus Jugoslawien stammender Arzt, Schriftsteller und Publizist. Seit 1920 in Berlin, Redakteur der Linkskurve. Emigrierte über Spanien nach Mexiko. 1948 übersiedelte er nach Prag. 92 Der Schriftsteller Theodor Plievier, eigentl. Plivier (1892–1955), ging 1933 ins Exil in die UdSSR (im selben Jahr änderte er die Schreibweise seines Namens), dort später Mitglied im Nationalkomitee Freies Deutschland. 1945 kehrte er als Soldat der Roten Armee zurück nach Deutschland, wo er sich bald von der UdSSR distanzierte und deren Politik publizistisch bekämpfte. 1948 übersiedelte er nach Westdeutschland, 1953 in die Schweiz. 93 Der Schriftsteller und Journalist Egon Erwin Kisch (1885–1948) unternahm in den 20er Jahren Reportagereisen u.a. in die UdSSR, nach China und in die USA. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wurde er in Berlin verhaftet und als tschechoslowakischer Staatsbürger ausgewiesen. Nach seiner Teilnahme am Kampf der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg ging er 1939 in die USA, 1940 nach Mexiko. 1946 kehrte er zurück nach Prag. 94 Rudolf Leonhard (1889–1953), Schriftsteller, Gründer der Gruppe 1925, der auch Brecht angehörte. Seit 1928 in Paris, dort maßgeblich an der Neugründung des SDS 1933 beteiligt. Kämpfte auf seiten der Internationalen Brigaden Spanischen Bürgerkrieg, wurde 1939 in Frankreich interniert. 1950 kehrte er zurück nach Deutschland (DDR). 95 Deutscher Autoren-Dienst, von Brecht und Steffin im Juni 1933 gegründete Agentur, die Texte emigrierter Schriftsteller an Zeitschriften und Zeitungen zu vermitteln suchte. Brecht wollte nach seiner Übersiedlung nach Dänemark seiner enttäuschten Mitarbeiterin damit zugleich „eine angemessene Aufgabe“ (BC, S. 363) verschaffen.

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Soll ich denn so oft schreiben? Ich hab irgendwann mal bei Dir einen ungeöffneten Brief von mir gesehen (u. wieder mitgenommen). Weil die andere Post geöffnet war, war ich ganz „geklatscht“. Lieber Bidi, bi li Ich warte sehr auf Dich. Jeder unserer Dad-Leute ist noch an 2 oder 3 anderen Korr.96 beteiligt. Man muß dauernd schreiben u. telefonieren. Jetzt bekam ich noch ein paar Anschriften. – Hoffentlich kommst Du bald. Manchmal fange ich auf der Straße oder bei anderen leuten an, zu sagen „lieber Bidi“, komm zu mir. Schreibe bitte [Am Seitenrand:] Aber jetzt habe ich auf diese Weise wieder einen handschriftlichen Brief bekommen. Überlieferung: Ms, BBA 654/37–38. – E: Steffin, Briefe, S. 99ff.

Rudolf Voth an Bertolt Brecht Berlin, 29.5.1933 Herrn Bert Brecht, Carona b/Lugano (Schweiz) Casa Casella 9H 29.5.1933 Sehr geehrter Herr Brecht! Wir bestätigen den Eingang Ihres Telegramms97 und auch Ihres an Herrn Wreede gerichteten Briefes vom 26.d.M., in welchem Sie Ihre Wünsche zu der angeblich geplanten Aufführung der „Dreigroschenoper“ durch Herrn Aufricht98 in Paris äussern.99 Wir können 96 Korrespondenzen. 97 Nicht überliefert. 98 Ernst Josef Aufricht (1898–1971), Schauspieler und Theaterproduzent, ab 1928 Direktor des Theaters am Schiffbauerdamm in Berlin (wo im selben Jahr die Dreigroschenoper uraufgeführt wurde). Produzierte u.a. auch die überarbeitete Fassung von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny unter der Regie von Caspar Neher (Premiere am 21.12.1931 am Theater am Kurfürstendamm). Ging 1933 ins Exil nach Paris, wo er 1937 eine Aufführung der Dreigroschenoper in französischer Sprache produzierte, 1939 in die USA. 1953 kehrte er zurück nach Berlin (West). 99 Am 26.5.1933 schrieb Brecht an Wreede: „Wie ich höre, will Aufricht in Paris für das Komitee der aus Deutschland vertriebenen Juden die ‚Dreigroschenoper’ herausbringen. Ich muss Sie energisch

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den Nachdruck nicht verstehen, mit welchem Sie bitten, Aufführungen solcher Art von Ihrer Zustimmung abhängig zu machen, da wir in der Vergangenheit auch immer dort, wo wir vertraglich nicht dazu verpflichtet waren, in wichtigen Fragen Ihre Intentionen festzustellen suchten. Im vorliegenden Fall aber ist uns bis heute überhaupt noch nichts von dem Plan des Herrn Aufricht bekannt geworden, und es ist nur selbstverständlich, dass wir vor Erteilung einer Zustimmung zur Aufführung unter so delikaten Umständen und zu so delikatem Zweck auch Ihre Meinung gehört hätten; ganz abgesehen davon, dass wir uns aus eigenem Recht vorbehalten müssen, eine solche Aufführung zu verhindern, wenn wir sie jetzt im Ausland nicht vertreten können. Wie Ihnen ja allein schon durch die erfolgte Aufführung bekannt ist, haben wir das Aufführungsrecht für die französische Sprache vergeben, und wir sind eben bei der Nachprüfung, ob nicht etwa auf Grund der alten Verträge die betreffende Direktion eine Aufführung veranstalten kann, zu der sie sich in irgendeiner Weise mit Aufricht vereinigt. In deutscher Sprache würde dies nach unserem Ermessen wohl kaum möglich sein, und ob man gegen eine Aufführung in französischer Sprache etwas ernstlich einwenden müsste, bleibt noch dahingestellt.100 Wir werden Sie auf dem laufenden halten. Mit vorzüglicher Hochachtung p.pa. Felix Bloch Erben Voth (Rudolf Voth) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/47–48.

Kurt Weill an Bertolt Brecht Paris [Juni 1933] Weill berichtet von den Proben zu dem Ballett Die sieben Todsünden der Kleinbürger, bei denen es in den vergangenen Tagen einige Streitereien gegeben habe. Der verantwortliche Choreograph George Balanchine (1904–1983) leiste jedenfalls ausgezeichnete Arbeit und habe einen zu dem Stück passenden Darstellungsstil gefunden. Im Hinblick auf die Leistung der Darsteller bitten, Aufführungen solcher Art von meiner Zustimmung abhängig zu machen und Aufricht mitzuteilen, dass Sie nicht in der Lage sind, ihm das Aufführungsrecht ohne meine Zustimmung zu erteilen“ (BBA 783/42). Tatsächlich produzierte Aufricht 1937 eine Aufführung der Dreigroschenoper in französischer Sprache in Paris (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937). 100 Vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937.

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und das Bühnenbild Caspar Nehers gibt sich Weill zuversichtlich. Man würde sich natürlich freuen, wenn Brecht zur bevorstehenden Premiere (am 10.6.1933) oder schon zur Generalprobe nach Paris käme; für die Reisekosten würde der Mäzen Edward James sicherlich aufkommen. Von der geplanten Aufführung der Dreigroschenoper in Paris (vgl. Voth, 29.5.1933) habe er nichts mehr gehört. Er selbst erwäge gerade eine Bearbeitung des Stücks Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, aus dem er gern eine Operette machen würde, wolle Brechts eigenen Plänen damit jedoch nicht in die Quere kommen. Tatsächlich fertigt Brecht im Frühjahr 1934 zusammen mit Steffin und Eisler eine neue (inzwischen die dritte) Fassung des Stücks an, das am Kopenhagener Dagmar-Theater gespielt werden soll. Aufgeführt wird es in Kopenhagen jedoch erst am 4. November 1936 am Theater Riddersalen unter der Regie von Per Knutzon. Weill kündigt an, zunächst einmal zwei Monate Ferien zu machen. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 911/47.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 2.6.1933 2. Juni 1933. Sehr verehrter Herr Bert Brecht / Dank für Ihr Telegramm.101 – Es ist mir erfreulicherweise gelungen, den Verleger (De Lange-Amsterdam)102 zur Annahme Ihres Vorschlages zu bewegen. Nur will der Verleger M. 4000 (Viertausend Mark) bei Zeichnung des Vertrages, M. 2000 (Zweitausend Mark) ein halbes Jahr später und die restlichen 2000 M bei Lieferung des Manuskriptes zahlen. Auf diese fairen Bedingungen werden Sie wohl sicherlich eingehen, und ich hoffe auf einen grossen Erfolg für Ihr Werk. Bitte schreiben Sie mir sofort Express oder telegraphieren Sie mir nach 178 Zuider Amstellaan - Amsterdam, da ich heute dorthin reise. Ich bleibe wohl bis Dienstag oder Mittwoch dort, dann fahre ich nach London. Wäre es nicht angebracht, dass Sie zur Zeichnung des Vertrags nach Amsterdam kommen, alles prompt regeln und Ihren – sehr charmanten Verleger kennen lernen? Sie wollten doch ohnehin nach Paris fahren. Herzliche Grüsse ergebenst E. Alexander Der Verleger fordert den Vertrieb der Auslandsrechte, die gemeinsam mit meiner Gesellschaft vertrieben werden. Das ist ja eine berechtigte Forderung. E.A. 101 Nicht überliefert. 102 Die Rede ist vom Dreigroschenroman (vgl. Anm. zu Alexander, 18.5.1933).

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Verzeihen Sie die Schrift: Eile. Überlieferung: Ms, Bv.: European Books Limited International Literary Agents 188 Piccadilly, London, W. I Head Continental Office: Berlin-Lankwitz, Waldmannstr. I Cables: Script London Telegrams: Script Piccy London Directors: E. Alexander C.H. Brooks Telephone: Regent 1347 & 1348, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/6.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Zürich] 3.6.1933 3.6.33 L.B. ich mische mich sehr ungern in Ihre privaten Dinge, aber ich glaube, es wäre gut, wenn Sie an Frau Oprecht103, Zürich schrieben. sie wollten mir ja, als ich abfuhr, einen Brief mitgeben. – sonst vielen dank für Ihren Brief.104 die skizze, die Sie schickten, ist sehr brauchbar. lassen Sie mir bitte immer Ihre adresse. ich werde Ihnen auch in absehbarer zeit die grössere sache von den drei prinzipien schicken, an der ich noch arbeite.105 nur das buch fehlt mir noch.106 kläber107 hat es noch nicht geschickt. ich fürchte, er rechnet dass wir kommen, aber es wird aus mehreren gründen nicht gehen. dafür komme ich so gegen den 10. Juni ziemlich sicher nach paris. ich habe dort eine menge zu tun. werden Sie dort sein?

103 Emmie Oprecht, Ehefrau des Schweizer Verlegers Emil Oprecht (1895–1952), Gründer der Buchhandlung Oprecht und Helbling (1925) und des Europa Verlags (1933), der damals vor allem Bücher antifaschistischer Emigranten publizierte. Emil Oprecht vertrieb u.a. auch Brechts Versuche in der Schweiz. 104 Nicht überliefert. Gleiches gilt für die erwähnte Skizze und den Brief an Frau Oprecht. 105 Diese Broschüre schickte er Brecht am 20.8.1933. Am 4.10. teilte er Brecht mit, daß er sie wieder zurückgezogen habe. 106 Gemeint ist vermutlich das Buch von Otto Neurath; vgl. Anm. zu Brentano, 10.6.1933. 107 Der Schriftsteller Kurt Kläber (1897–1959), Pseudonym: Kurt Held, war seit 1933 mit Brecht befreundet. Mitbegründer des BPRS und Redakteur der Linkskurve. Nachdem er 1933 verhaftet und wieder freigelassen worden war, flüchtete er über Österreich in die Schweiz, wo er später vor allem als Autor von Kinderbüchern in Erscheinung trat.

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Becher108 schrieb mir aus M.109 und der einzige inhalt seines briefes ist die mitteilung, er habe sich seiner zeit in wien in allen wesentlichen punkten geirrt. mir waren aber gar keine wesentlichen punkte in erinnerung. Herzlichen Gruß Ihr Brentano Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Us., hs. U.; BBA 481/59.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Zürich, 10.6.1933 Zürich am 10.6. l.b.

ich denke am 17. juni nach Paris zu kommen. schreiben Sie mir doch bitte noch vorher Ihre Adresse, falls Sie um diese zeit noch in Paris sind. Dann wollte ich Sie noch nach dem buch von neurath110 fragen. haben Sie es bei sich? Und nun habe ich noch eine grosse Bitte: haben Sie beziehungen zu Verlegern in Paris? mein Buch (die geschichte der arbeiterfamilie)111 macht gute fortschritte. ich glaube, es würde auch in Frankreich interessieren. wenn Sie also zufällig dort etwas hören, denken Sie doch an mich. herzlich Ihr Brentano. Mühlebachstrasse 55 Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/60. 108 Der Schriftsteller Johannes R. Becher (1891–1958), Mitbegründer des BPRS und Redakteur der Linkskurve, kannte Brecht seit Anfang der 1920er Jahre. Ging 1933 über Prag ins Exil nach Paris, 1935 nach Moskau, dort Chefredakteur der Internationalen Literatur. 1945 kehrte er zurück nach Berlin (Ost), wo er u.a. an der Gründung des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und der Zeitschrift Sinn und Form beteiligt war. 109 Moskau. 110 Otto Neurath (1882–1945), österreichischer Philosoph, Ökonom und Soziologe, ab 1934 im Exil in den Niederlanden, später in Großbritannien. Brentano hatte Brecht sein Buch Empirische Soziologie. Der wissenschaftliche Gehalt der Geschichte und Nationalökonomie, Wien 1931. im April zur Lektüre übergeben, auf daß dieser dem Autor einige Bemerkungen darüber zukommen lasse. Vgl. Brechts Brief an Neurath, Mitte 1933, GBA 28, S. 366f. 111 Möglicherweise meinte Brentano seinen Roman Theodor Chindler. Roman einer deutschen Familie, der 1936 in Zürich erschien. Die Chindlers selbst werden darin als eine bürgerlich-konservative Familie während des Ersten Weltkriegs beschrieben. Tochter Margarethe allerdings unterhält Kontakte zu Sozialdemokraten, schließt sich dem Spartakusbund an und findet Unterschlupf in einer Arbeiterfamilie.

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Agrippina-Konzern an Helene Weigel Berlin, 12.6.1933 12. Juni 1933 Frau

Abt Fahrzeug Betr Pol. 820550

Helene Weigel Brecht z.Zt. Carona bei Lugano Villa Casella Ihr Zeichen

Unser Zeichen: Sch.

Von Ihren Zeilen vom 19.v.Mts.112 nahmen wir Kenntnis. Sie wollen uns zunächst einmal mitteilen, wo sich das Fahrzeug zur Zeit befindet, ob Sie dieses von der Steuer abgemeldet haben, bezw. uns die diesbezügl. Bescheinung der Steuer herreichen. Sobald wir Ihren entsprechenden Bescheid in Händen haben, kommen wir Ihnen wegen Auflösung der Police wieder näher. Inzwischen empfehlen wir uns Ihnen hochachtungsvoll AGRIPPINA - Düsseldorfer Lloyd See-, Fluß- u. Landtransport-Vers.-Ges. Vers.-Aktien-Gesellschaft Direktions-Verwaltungsstelle Berlin Schlösser & Richter Paul Richter Otto Schlösser Ernst Angerer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Agrippina Versicherungen seit 1844 Agrippina-Konzern Agrippina / Kölner Lloyd / Mitteleuropäische / Düsseldorfer Lloyd, Köln, Agrippina Lebens-Ver¬siche¬rungsbank, Berlin Agrippina See-, Fluß- u. Landtransport-Versich-Ges. Köln a. Rh Düsseldorfer Lloyd Versicherungs-Aktien-Gesellschaft in Köln a. Rh. Direktions-Verwaltungsstelle Berlin / Schlösser & Richter, Leiter: Otto Schlösser, Paul Richter, Ernst Angerer, Berlin W 15, den_____ Schaperstraße 18, im Agrippinahaus, Fernruf Oliva 3 2, 2949-54, Telegramm-Adresse Agrippinagruppe Berlin, Konten unter Schlösser & Richter 1. Deutsche Bank u. Disc.-Ges. Dep.-Kasse K, 2. Postscheck-Amt Berlin 13649; BBA 722/30.

112 Gemeint ist vermutlich ein undatierter Brief (BBA 722/31), in dem Weigel auf ein Schreiben des Agrippina-Konzerns vom 15.5.1933 Bezug nimmt und ihren Antrag auf Auflösung ihrer Kraftfahrzeugversicherung begründet.

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Fritz Wreede an Bertolt Brecht Berlin, 16.6.1933 Herrn Bertold Brecht Carona b/Lugano Casa Casella Schweiz. 9S 16.6.1933. Sehr geehrter Herr Brecht! Mit Ihrem letzten Schreiben113 stellen Sie mich vor eine juristische Doktor-Arbeit, die ich noch unserer Rechtsabteilung zur Prüfung übergeben werde. Sie fragen mich, wie nunmehr nach meiner Ansicht das zwischen uns bestehende Verhältnis aufzufassen ist. Einseitig stellen Sie die Selbstverständlichkeit fest, dass „nach Einstellung der an Sie kontraktlich fälligen Zahlungen auf weitere Arbeiten von Ihnen wir keinen Anspruch mehr erheben könnten“. Sie geben ferner eine Darstellung über die Verwendung der Einnahmen aus der „Dreigroschenoper“, die nicht den zwischen uns getroffenen Abmachungen entspricht. Sie vergessen nämlich, dass das Einbehalten der Einnahmen der „Dreigroschenoper“ zumindest aus dem Ausland schon im Spätsommer 1932 zwischen uns abgesprochen war, als ich Ihnen in München auseinandersetzte, dass eine Aufrechterhaltung der Zahlungen an Sie kaum mehr möglich wäre. Diese Unmöglichkeit leitete ich aus der Tatsache her, dass Sie in der damals abgelaufenen Frist des Vertrages nur das eine, auf den Bühnen damals schon kaum verwertbare Werk „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ abgeliefert haben und dass Sie entgegen dem mit Ludwig Berger festgelegten Plan, eine für sämtliche Bühnen allgemein brauchbare Fassung von Shakespeare’s „Mass für Mass“114 nach den Regie-Absichten des Herrn Ludwig Berger zu machen, mit einem aus diesem Plan geborenen eigenen Stück hervortraten, über dessen allgemeine Verwertungsmöglichkeiten damals schon ernste Zweifel von mir geäussert werden mussten. Das abgelieferte Werk hat dann auch meine Zweifel vollauf bestätigt. Immer wieder muss ich betonen, dass seit den ersten abgelaufenen 18 Monaten von mir darauf hingewiesen wurde, wie viel zu sehr Sie sich mit allen möglichen anderen literarischen Arbeiten befasst haben und wie ganz und gar nicht Sie die Erwartungen des Verlages erfüllt haben, die allein zu einer so grossen Verpflichtung Ihnen gegenüber durch die monatlichen Zahlungen Veranlassung waren. Reden wir doch ganz offen mit einander, lieber Herr Brecht, Sie haben sich auf unsere Kosten ein sehr luxuriöses literarisches Eigenleben gestattet. Die Belastung, die dies für uns bedeutete, als Monat um Monat verstrich, ohne dass Ihr dramatisches Werk auch nur eine Mark ins Verdienen bringen konnte, habe ich immer als Druck empfunden und Ihnen das auch in vielleicht zu 113 Vgl. B. an Wreede, Ende Mai 1933, GBA 28, S. 360f. 114 Measure for Measure (1604), Komödie von William Shakespeare. Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933.

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taktvoller Weise zu erkennen gegeben. Jetzt sprechen Sie auch wieder nur und ausschliesslich davon, wie sich die Dinge von Ihnen aus ansehen. Sie bestreiten vorsorglich unser Recht an den Stücken „Heilige Johanna“ und „Spitzköpfe“, wissen dabei sehr gut, dass die Verwertung nach wie vor auch im Ausland höchst problematisch bleibt, und Sie bestreiten ferner unser Recht eines Anspruches auf Ihre zukünftigen Werke, wenn wir die Zahlungen nicht mehr leisten. Ich habe Ihnen übrigens eine Bestätigung, wie Sie sie unterstellen, dass wir keinerlei Anspruch mehr auf Ihr ferneres Werk haben, wenn wir die monatlichen Zahlungen nicht mehr leisten, nicht gegeben. In erster Linie müsste doch die Frage geklärt werden, wie Sie sich, wenn Sie alle diese Rechte uns bestreiten und für sich jede freie Verfügung in Anspruch nehmen, die Abdeckung der rund MK. 44.000.-, die Sie auf Ihre zukünftigen Tantiemen aus Ihrem dramatischen Schaffen von uns als Vorschuss erhielten, denken. Denn auch uns geht es finanziell nicht zum besten – wundert Sie das, wenn neben den vielen anderen Autoren Sie allein Mk. 44.000.- von uns zinslos in der Tasche haben? – und wir sind sicher nicht in der Lage, Ihnen eine so exorbitant hohe Summe einfach zu schenken. An sich bin ich auch für klare Verhältnisse und wäre einverstanden damit, dass Sie Ihre Verfügungsfreiheit über „Heilige Johanna“ und „Spitzköpfe“, wie auch über Ihre gesamte zukünftige in unserem Vertrag verankerte Produktion wieder übernehmen, nur müsste gleichzeitig eine Regelung Ihrer Rückzahlungsverpflichtung erfolgen. Wenn Sie heute an die Verwertung solcher Rechte gehen, die uns unzweideutig gehören und die wir mit Mk. 44.000.- Vorschuss zunächst reichlich überzahlt haben, dann müssten Sie selbstverständlich aus der Verwertung in erster Linie für die Abdeckung Ihrer Schuld bei uns sorgen. Ich bitte also, bevor ich nun endgültig und juristisch zu dem komplizierten Fragen-Komplex Stellung nehmen lasse, um Ihre Vorschläge, wobei Sie einmal wenigstens auch unserem Standpunkt Rechnung tragen. Zur Einbehaltung Ihrer Einnahmen aus der „Dreigroschenoper“ sind wir nach dem Vorhergesagten zweifellos berechtigt, wir sind es aber auch, weil Sie ja schliesslich irgendwie für die Abdeckung des seinerzeit auf „Happy End“115 gegebenen Vorschusses an Frau Hauptmann mit verantwortlich sind. Oder haben Sie von dieser erheblichen Summe damals gar nichts bekommen? Ergebenst Wreede Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/49–51.

115 Vgl. Anm. zu Wreede, 17.5.1933.

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Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 17.6.1933 London, 17. Juni 33 Herrn Bert Brecht116 Lavona b. Lugano Lieber Herr Bert Brecht! Ich bedaure sehr, dass Sie meinen Brief in Beantwortung Ihres Telegramms noch nicht beantworteten. Man sagt mir, Sie waren in Paris; hätten Sie mir Ihre Adresse dort mitgeteilt, wäre ich zu Ihnen gekommen. Ich darf doch annehmen, dass Ihre Zusage verbindlich ist und dass Sie keinesfalls mit dem konkurrierenden holländischen Verleger Querito117 auf Veranlassung Ihrer Freunde in Verbindung traten. Für meinen Vorschlag übergaben Sie mir ja den Vertrieb und ich weiss, dass ich auf Sie rechnen kann. Trotzdem bitte ich Sie dringlichst um sofortigen Bescheid – am besten telegraphisch (Alexander 188 Piccadilly London W), damit ich Ihnen den Vertrag senden kann. Für eine Gruppe erster englischer und amerikanischer Verleger kann ich – zu sehr nennenswerten Bedingungen und hohen Vorschüssen118 – einige Aufträge für Biographien an geeignete gute deutsche Autoren vergeben. Natürlich möchte ich auch Sie berücksichtigen, weiss aber nicht, ob Sie neben Ihrem neuen Roman119 und anderen neuen Arbeiten Interesse für eine solche Aufgabe haben und Zeit dafür.120 – Ich würde wohl einen Vorschuss von 750 Pfund, vielleicht sogar 1000 Pfund Vorschuss sichern können bei einem Honorar, das von 10% des gebundenen Ladenpreises bis auf 25% bei Auflagen über 10000 steigt, also ein englisch-amerikanisches Rekordangebot. – [Hs.: Dazu wohl Vorschüsse für deutsche holländische Ausgaben.121] Ausser Ihnen hatte ich an Arnold Zweig und Feuchtwanger gedacht. Wie schon einmal – leider vergeblich – bitte ich Sie, Ihre Freunde vertraulich zu unterrichten und mir ihre derzeitigen Adressen mitzuteilen. Ich habe sehr bedauert, dass Herr Dr. Feuchtwanger, den ich zugleich im Namen meiner Frau bestens zu grüssen bitte, auf meine Angebote garnicht reagierte.122 Ich könnte ihm, ebenso wie Zweig und Ihnen, nennenswerte Dienste erweisen,

116 „Wegen falscher Ortsangabe“ schickte Alexander am selben Tag eine „Copie des heutigen Briefs“ (BBA 785/10–11). Bei dieser „Copie“ handelt es sich um eine Abschrift, die vom Original an einigen Stellen abweicht. Relevant erscheinende Abweichungen werden im folgenden dokumentiert. 117 Querido Verlag, Amsterdam. 118 Dieser Einschub wurde in der Abschrift gestrichen. 119 Dreigroschenroman. 120 Erg. in der Abschrift: „bitte schreiben Sie mir auch darüber.“ 121 Diese Erg. fehlt in der Abschrift. 122 Feuchtwanger hatte von Alexander keine sehr hohe Meinung. Vgl. seinen Brief vom 31.7.1933.

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wohl weitaus grössere als die Möglichkeiten, die Landshoff 123-Querito bieten. Dies ist keine geschäftliche Aufdringlichkeit, sondern der Wunsch, diesen mir menschlich und politisch so nahestehenden Autoren nützen zu können. Mit herzlichen Grüssen Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: European Books Limited International Literary Agents 188 Piccadilly, London, W. I Head Continental Office: Berlin-Lankwitz, Waldmannstr. I Cables: Script London Telegrams: Script Piccy London Directors: E. Alexander C.H. Brooks Telephone: Regent 1347 & 1348, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/8–9.

Agrippina-Konzern an Helene Weigel Berlin, 23.6.1933 23.6.1933 Per Einschreiben! Frau

Abt. Autoschd. Betr. FES 817 827/33

Helene Weigel-Brecht, z.Zt. Thurö per Svendborg Dänemark

Ihr Zeichen

Unser Zeichen: Ri/Bl.

Ihre Zuschrift vom 20.6.124 haben wir erhalten und uns daraus auch vorgemerkt, dass Ihr Wagen durch die Polizei aus der Garage entfernt worden ist.125 123 Fritz Helmut Landshoff (1901–1988) war ab 1926 Co-Direktor des Gustav Kiepenheuer Verlags (der 1928 von Potsdam nach Berlin übersiedelte). Ab 1933 im Exil in Amsterdam, ab 1940 in London, später in New York. Gründete 1933 die deutsche Abteilung des Querido Verlags. 124 Weigel hatte dem Agrippina-Konzern am 20.6.1933 mitgeteilt: „Es ist mir lediglich bekannt geworden, dass die ‚Polizei‘ den Wagen aus der Garage entfernt hat unter der Angabe, die Steuerangelegenheiten seien nicht in Ordnung. Da diese Angabe aber offensichtlich und beweisbar unrichtig ist, und da weiter auch kein irgendwie anders gearteter Grund zu einer polizeilichen Beschlagnahme des Wagens vorliegt, muss ich annehmen, dass es sich hier um einen Diebstahl unverantwortlicher und zu solchen Massnahmen nicht autorisierter Persönlichkeiten handelt“ (BBA 722/32). 125 Das Geheime Staatspolizeiamt begründete die Einziehung des Fahrzeugs in einem Brief an Brechts Vater vom 24.7.1933 mit der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Febr. 1933 (RGBl. I S. 83) in Verbindung mit § 1 des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom

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Ihre Ansicht, dass Sie aufgrund dieses Vorganges einen Ersatzanspruch gegen unsere Gesellschaft unter Bezugnahme auf den abgeschlossenen Kaskoversicherungsvertrag 820 550 haben, ist irrig. Es liegt hier kein Diebstahl in dem Sinne vor, den die Versicherungsbedingungen bezüglich der Vorlage eines erstattungpflichtigen Ereignisses zur Voraussetzung machen, sondern hier handelt es sich um einen Fall, der nach § 3, III a von dem Versicherungsschutz ausdrücklich ausgenommen ist. In diesem Absatz heisst es, dass von der Versicherung die Schäden ausgeschlossen sind, die mittel- oder unmittelbar durch Aufruhr, bürgerliche Unruhen, Kriegesereignisse, Verfügungen von hoher Hand und Erdbeben eingetreten sind. Wir bedauern daher, den von Ihnen erhobenen Anspruch unverzüglich zurückweisen zu müssen. Sollten Sie sich mit unserem Bescheide nicht einverstanden erklären können, so steht Ihnen, worauf wir Sie einer gesetzlichen Bestimmung folgend, aufmerksam machen, das Recht zu, Ihren vermeintlichen Versicherungsanspruch im Wege der Klage innerhalb einer Frist von sechs Monaten gegen uns geltend zu machen. Die Frist beginnt mit dem Tage der Zustellung dieses Schreibens. Versäumnis der Frist hat zur Folge, dass wir von der Verpflichtung zur Leistung frei sind. Wir stellen Ihnen anheim, mit der hiesigen Polizei zu verhandeln, damit Sie Ihren Wagen wieder bekommen. Hochachtungsvoll AGRIPPINA See-, Fluß- u. Landtransport-Vers.-Ges. Direktions-Verwaltungsstelle Berlin Schlösser & Richter Richter Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Agrippina Versicherungen seit 1844 Agrippina-Konzern Agrippina / Kölner Lloyd / Mitteleuropäische / Düsseldorfer Lloyd, Köln, Agrippina Lebens-Versicherungsbank, Berlin Agrippina See-, Fluß- u. Landtransport-Versich-Ges. Köln a. Rh Düsseldorfer Lloyd VersicherungsAktien-Gesellschaft in Köln a. Rh. Direktions-Verwaltungsstelle Berlin / Schlösser & Richter, Leiter: Otto Schlösser, Paul Richter, Ernst Angerer, Berlin W 15, den_____ Schaperstraße 18, im Agrippinahaus, Fernruf Oliva 3 2, 2949-54, Telegramm-Adresse Agrippinagruppe Berlin, Konten unter Schlösser & Richter 1. Deutsche Bank u. Disc.-Ges. Dep.-Kasse K, 2. Postscheck-Amt Berlin 13649; BBA 722/33–34.

26. Mai 1933 (RGBl. I S. 293) […], weil er zu kommunistischen Umtrieben benutzt worden ist“ (BBA 722/41).

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Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 26.6.1933 Herrn Bert Brecht

London, 26. 6. 33

Lieber Herr Brecht! Es ist mir sehr peinlich, dass Sie mir auf meine Briefe nicht antworten. Ihr Telegramm126 ist doch nur als Annahme meines Angebots aufzufassen, aber in jedem Fall verdienen doch meine intensiven Bemühungen Berücksichtigung. Haben Sie denn meinen nach Carona gerichteten Brief, von dem ich Ihnen noch separat Abschrift sandte, nicht erhalten? – Ich erfahre, dass Sie statt des Dreigroschenoper-Romans einen anderen Romanstoff berücksichtigen;127 sicherlich würden Sie mich doch aber benachrichtigen, wenn Sie den Dreigroschenoper-Plan aufgeben X und weiterhin würden Sie mir doch sicher auch Gelegenheit geben, wegen des neues Stoffes zu verhandeln, nachdem Sie mir doch Ihre Vertretung anvertrauten. Selbst wenn Sie trotz dieser Bindungen mit der Gruppe Landshoff-Querido wirklich in Verbindung traten, würden Sie doch sicherlich nicht wünschen, dass ich meine Zeit vergeude und meine Verlegerbeziehungen gefährde. In dieser Erwartung erbitte ich nochmals Ihren umgehenden Bescheid. Freundlich grüssend Ihr i.A. E. Alexander KA x Für Ihren ersten Roman sollten Sie doch aber unbedingt den Dreigroschen-Oper-Stoff wählen. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: European Books Limited International Literary Agents 188 Piccadilly, London, W. I Head Continental Office: Berlin-Lankwitz, Waldmannstr. I Cables: Script London Telegrams: Script Piccy London Directors: E. Alexander C.H. Brooks Telephone: Regent 1347 & 1348, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/7.

126 Nicht überliefert. 127 Vgl. Anm. zu Praag-Sanders, 26.6.1933.

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Hilda van Praag-Sanders128 an Bertolt Brecht Amsterdam, 26.6.1933 den 26. Juni 1933. Herrn Bert Brecht p.a. Frau Karin Michaelis129 Thurö bei Svendborg (Esbjerg) Dänemark Sehr geehrter Herr Brecht, Am 30 Mai drahteten Sie Herrn Alexander der damals in Amsterdam war, betreffend unser Angebot für Ihren Roman aus der Dreigroschen-Oper: „Sofort einverstanden wenn einjährige Lieferzeit und Vorschuss 8000“130 Als Ihnen Herr Alexander daraufhin schrieb dass wir mit Ihren Bedingungen einverstanden waren, hörten wir nichts mehr von Ihnen. – Nach holländischen Begriffen, wäre doch hiermit die Sache in Ordnung und wir sehen Ihrer umgehenden Bestätigung jetzt gern entgegen. Ich hörte auch dass Sie an einem Chinesischen Roman arbeiten.131 Es wäre uns angenehm von Ihren literarischen Plänen Näheres zu erfahren. – Ihren baldigen Nachrichten gern entgegensehend, verbleibe ich mit bestem Gruss und mit vorzüglicher Hochachtung Hilda van Praag-Sanders

128 Mitarbeiterin des Verlags Allert de Lange. 129 Die Schriftstellerin Karen Michaelis, geb. Bech-Brondum (1872–1950), war eine Freundin Helene Weigels. Seit 1922 lebte sie auf der Insel Thurø, wo sie 1933 auch der Familie Brecht eine Unterkunft vermittelte, bevor diese nach Skovsbostrand übersiedelte. 1939 bis 1946 lebte sie im Exil in den USA. 130 Vgl. Alexander, 23.5.1933. 131 Gemeint ist der Tui-Roman, an dem Brecht seit 1933 arbeitete. Das Wort „Tui“ – „nach den Anfangsbuchstaben von Tellekt-Uell-In“ (GBA 9, S. 135) – bezeichnet den Intellektuellen, im engeren Sinn denjenigen, der seinen Verstand vermietet und sich gegen Bezahlung als Schönredner der herrschenden Verhältnisse betätigt. Mit dem „Mißbrauch des Intellekts“ (GBA 24, S. 411) befaßte sich Brecht fortan auf vielfältige Weise. Der fragmentarisch gebliebene Roman, an dem er bis in die 1940er Jahre hinein arbeitete, bildet zusammen mit Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher, Brechts letztem fertiggestellten Stück aus dem Jahr 1954, einen „umfangreichen literarischen Komplex, der zum größten Teil noch in Plänen und Skizzen besteht“ (GBA 24, S. 411). Geplant war eine große Parabel auf die deutsche Geschichte vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Nationalsozialismus; die hinterlassenen Skizzen und Entwürfe sind abgedruckt in GBA 17, S. 9–161.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Afdeeling Uitgeverij Amsterdam (C.) Damrak 62. Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeeategiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 580/4.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Paris, 27.6.1933 paris, am 27. Lieber freund. morgen fahre ich wieder nach Zürich zurück. meine Reise hat sich gelohnt. ich habe viele Leute gesprochen. aus Z. werde ich Ihnen ausführlicher schreiben. heute nur dies: die ernsten Männer im Verein132 (wenige, gute) sind von dem Plan der Schule133 unterrichtet und absolut dafür. Ich bitte Sie, geben Sie sich doch alle Mühe, diese Schule auf die Beine zu bringen. Sie sind der einzige, der dies machen kann, aus mehreren Gründen. Uns z.B. würde die Partei Schwierigkeiten machen. Bei Ihnen geht das nicht. Aber Sie werden Unterstützung finden. Sauerland134 wird Ihnen schreiben. antworten Sie ihm. Er wird es auch organisieren, um Deutsche Schüler, zu bestimmten Kursen nach paris und wieder nach Dtschld. zurückzuschaffen. Er wird auch seinerseits Geld sammeln. Mit allem was ich ihm – vertraulich von Ihren Plänen über die Schule erzählte, ist er sehr einverstanden. Sie haben da eine grosse Möglichkeit und eine grosse Aufgabe. ich werde in der Schweiz alles tun, was ich kann. Die Lage ist ernst. Die innerparteiliche Situation verschlechtert sich. ernste Leute sagen hier, der Krieg gegen die SU sei in unmittelbarer Nähe. Aus sich selbst, aus diesen „Theorien“ heraus, kann die partei nicht wieder aktionsfähig werden. Die Schule ist ein Grundstein. Dies sehen alle Leute ein, die nachdenken. Seien Sie aber vorsichtig in der Auswahl der Leute, mit denen Sie über die Sache sprechen. Katz ist so nützlich wie gefährlich. Ausserdem können z.B. nur Sie mit Katz sprechen, weil er Ihnen ergeben ist. Mit Typen wie Kurella u.s.w. habe ich kein Wort darüber gesprochen! Schreiben Sie mir bitte bald, was Sie von Dän. aus tun können, was ich in der Schweiz tun soll u.s.w. 132 Die Kommunistische Partei. 133 Brentano plante in der Schweiz die Gründung eines Verlagskollektivs (vgl. seinen Brief vom 4.4.1933) und einer Sommerkolonie (18.7.1933). Keines der beiden Vorhaben wurde verwirklicht. 134 Der KPD-Politiker und Theoretiker Kurt Sauerland (1905–1938), der 1932 in Berlin das Buch Der dialektische Materialismus veröffentlicht hat, ging 1933 ins Exil in die UdSSR. 1937 wurde er verhaftet und im März 1938 wegen „konterrevolutionärer terroristischer Tätigkeit“ erschossen. Ein Brief Sauerlands an Brecht ist nicht überliefert.

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Ein Haus der Art, wie Sie es dachten, ist hier in der Umgebung leicht & billig für die Schule zu mieten. Noch etwas: sagen Sie doch bitte Ottwalt, ich hätte seinen kleinen Artikel im Gegenangriff gelesen.135 er soll mir doch nach Zürich schreiben und mir von Berlin erzählen. ich glaube, er kann mir diesen Wunsch erfüllen, es ist wichtig viel zu wissen, aber auch wichtig, zu erfahren, wie man in Berlin, in Vereinskreisen, über uns spricht. herzlichen Gruss an alle Ihr BB. Zürich Mühlebachstr 55 P.S.

Schreiben Sie mir bitte selbst auch, was Ottw. erzählte. es ist wichtig. wir sind ja nur ganz wenig Leute noch, die sich aufeinander verlassen können. ferner: Schreiben Sie doch bitte an Eisler einen ernsten Brief, und sagen Sie ihm, er solle mit Sauerland wegen der Schule sprechen, und mithelfen. Eisler könnte, wenn er wollte, auch Geld auftreiben! meine Nachrichten aus Dtschl. sind ernst. Immer noch strömen die Leute zu den Nazis; sie erfahren immer weniger. Bei dem Versuch die Ekki resolution136 zur Annahme zu bringen, sind ganze Zellen geschlossen ausgetreten. Überlieferung: Ms, BBA 481/63–65, 69.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Anfang Juli 1933] lieber bidi. 135 Die antifaschistische Wochenschrift Der Gegen-Angriff erschien seit April 1933 in Prag und Paris. Gemeint ist hier Ernst Ottwalt, „Landesverräter“, in: Der Gegen-Angriff, Nr. 4 (1933.) Ottwalt hielt sich von Juni bis August 1933 in Dänemark auf. 136 EKKI: Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale. Das höchste beschlußfassende Organ der Komintern war formell der Weltkongreß, die maßgeblichen Entscheidungen aber traf das Exekutivkomitee in Moskau. Vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933. – Die Resolution zur „Lage in Deutschland“, die am 1.4.1933 angenommen wurde (jetzt in: Utopie und Mythos der Weltrevolution. Zur Geschichte der Komintern 1920–1940, hrsg. v. Theo Pirker, München 1964, S. 173–181), dokumentiert die Ratlosigkeit der Komintern angesichts der Machtübernahme der Nazis. Die gescheiterte Politik der KPD wird als „vollständig richtig“ beurteilt und dem Nationalsozialismus, der nichts anderes sei als eine besonders brachiale Diktatur der Bourgeoisie, ein baldiges Ende vorausgesagt: „Der revolutionäre Aufschwung in Deutschland wird trotz des faschistischen Terrors unvermeidlich ansteigen. Die Abwehr der Massen gegen den Faschismus wird zwangsläufig zunehmen.“

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eisler hat eine ganz amüsante melodie für den „anstreicher hitler“137 gefunden. die mutterlieder138 habe ich geübt, leider ist mir das 2. zu hoch. der schluss vom 4. ist ein bisschen billig, oder nein? (melodie, meine ich) lieber bidi, hier lege ich Dir eine geschichte bei, ich möchte allerhand solche aufschreiben, wenn ich langeweile habe. findest Du sie nicht spassig? schreibe mir bestimmt deswegen. ich habe auch einen netten titel dafür gefunden: „wie das dritte reich wurde“. oder, wenn ich nicht so böse sein soll (ich hätte dabei auch mich und uns, uns = die partei, nicht geschont): oder geschichten aus dem Spree-athen (sowie „g’schichten aus dem wiener wald“139). [Hs.: oder aus der Revolution] ich will auch etwas für Deine bildung tun: wenn Du (da Du so unerhörte kenntnisse im franz. hast) mal sonette auf franz. schreibst, darfst Du darüber setzen: S on ne t à …; aber vorläufig sollte es noch schlicht und einfach heissen: Sonett.140 das fünfte, sechste und siebente lese ich oft durch, weil ich ja das nicht so ohne weiteres hinnehmen kann? Du musst nur geduld haben. lieber bidi, Du sagst, ich schreibe selten, das stimmt doch nicht, dauernd schreibe ich. allerdings stimmt, dass ich nichts schreibe, wenn ich schreibe. hier ist noch ein gedicht141, mindestens 3 briefe habe ich schon umgeschrieben, weil ich erst es immer beilegen wollte, und mich dann nicht traute, jetzt gebe ich es Dir doch. wenn es Dir nicht gefällt, zerreiss es gleich. mir gefiel bloss die letzte strophe, darum habe ich wenn sie auch etwas unappetitlich ist, darum habe ich acht andere davor gesetzt. auf wiedersehen. natürlich hab ich als kind am liebsten mit puppen gespielt. natürlich hab ich mit siebzehn die erste liebe gefühlt. erst die mutter und dann der geliebte142 die sagten: ja, mein kind, einmal sollst du Zwillinge haben.143 (denn wissen Sie, liebe macht blind.) 137 Das Lied vom Anstreicher Hitler (GBA 11, S. 215), zuerst in der Sammlung Lieder Gedichte Chöre veröffentlicht. Die Bezeichnung „Anstreicher“ wurde bald zu einem geflügelten Wort. In diesem Gedicht bezieht sie sich direkt auf Hitlers Programm der Häuserrenovierung vom 1.5.1933 138 Gemeint sind Lieder aus dem Stück Die Mutter, zu denen Eisler die Musik komponiert hat. 139 Geschichten aus dem Wiener Wald (1931), Drama des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth (1901–1938). 140 Brecht hatte Schwierigkeiten mit der Schreibweise des Wortes. 141 Unter dem Titel „Natürlich hab ich als Kind“ abgedruckt in: Steffin, Konfutse, S. 189. 142 Herbert Dymke, ein früherer Freund Steffins, von dem sie 1927 ein Kind erwartete. Die Schwangerschaft wurde abgebrochen. 143 In der späteren Fassung (siehe oben): „du sollst zwillinge haben“.

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wäre es nach uns gegangen hätte es glänzend geklappt. aber er wurde entlassen und grad da hatte es geschnappt. auch die größte liebe weiß uns bei der sorge um brot keinen rat. wer keine Stellung hat, muß sorgen daß er keine kinder hat. ich sah alle kleinen kinder mit wirklichem Jammer144 an. meins durfte ich nicht behalten. das suchen nach hilfe begann. ich behielt es doch dreizehn wochen dann wurde es fast zu spät. (es heißt, daß es im dritten monat am besten geht.) ein arzt war viel zu teuer145 für mein geld hätt’s keiner gemacht. dann hörte ich: ein apotheker hat es tausenden146 weggebracht. er half mir. zwanzig stunden lag ich in gräßlichen wehen dann spürte ich ein etwas und noch ein etwas weggehen. da schwammen meine zwillinge stille im dunklen blut. und wer sie so schwimmen sah, wußte wie die liebe tut. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 654/17. – E: Steffin, Briefe, S. 62ff.

144 Hs. Erg.: „kummer“. 145 In der späteren Fassung: „ein arzt kam nicht in frage“. 146 Hs. Erg.: „vielen“.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Anfang Juli 1933] Ich höre das erste Mal von Brecht Eine Bekannte von mir hatte zu Hause große Differenzen, weil sie mit mir, einer „Kommunistin“ und einer „Gottlosen“, verkehrte. Aber kein Schelten half, sie unterstützte uns sogar in unserer Arbeit, nicht nur finanziell, sondern sie übte auch alle neuen Sachen für die Agitprop-Truppe mit mir ein. Da sie eine gute Klavierspielerin war, war ihre Hilfe sehr viel für uns. Einmal hörten wir im Radio durch Zufall ein Lied von Brecht. (Wir saßen in einem Café und besprachen mal wieder, wie wir die Welt grundlegend ändern könnten.) „Die Musik kann ich, kannst du den Text?“ fragte sie mich. Nein, ich konnte ihn nicht, denn Brecht-Texte waren nichts für unsere Agitprop-Truppen. Es hieß, er habe die Mitarbeit abgelehnt, da er keine Zeit hätte. Na, ich schreibe ihm einfach mal, vielleicht bekomme ich den Text, sagte sie. Aber da Brecht als Kommunist verschrien war und als Kommunist nicht mal Zeit für Agitprop-Truppen hatte, hielt ich es doch für nutzlos. Ihre Kollegin, der sie das erzählte, lachte darüber und schrieb hin. Und ich bekam vier Tage danach einen Anruf, diese Kollegin habe eben mit Brecht Tee getrunken und könne mir den Text geben. (Sie hatte um den Text gebeten, und er hatte sie gleich zu sich zum Tee eingeladen.) Für uns stand fest, Brecht „fiel aus“ (wie damals der Ausdruck ging), wenn wir die Welt ändern würden. Ich lese das erste Mal über Brecht Es war nach der Drei-Groschen-Oper, die uns allen sehr gut gefallen hatte, wir waren sogar viermal im Theater gewesen, was für uns ungeheuer war, denn wir hatten selten Zeit und noch seltener Geld für ein Theaterstück. „Mensch, der kann aber was“, sagte jeder bewundernd. „Quatsch, kann was!! Der verdient aber was, müßt ihr sagen“; kam die erste Kritikerstimme. Und irgend jemand hielt uns eine Zeitung hin, in der stand ganz klar und deutlich, daß Brecht die Drei-Groschen-Oper von A bis Z gestohlen habe (irgendeinem Engländer oder Amerikaner oder sonst jemandem, der weit vom Schuß war, vielleicht schon lange tot, das stand nicht so genau drinnen).147 Und weiter stand darin, daß Brecht erst für eine Riesensumme den Stoff an eine Filmfirma verkauft habe, und nun wolle er

147 Die Dreigroschenoper basiert auf der Beggar’s Opera von John Gay, die 1728 in London uraufgeführt wurde. Elisabeth Hauptmann übersetzte sie 1927 ins Deutsche.

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ihr nicht erlauben, den Film rauszubringen, weil ihm die Fassung nicht passe.148 Aber es war ersichtlich: der eigentliche Grund war, er wollte den Stoff eben noch mal einer anderen Filmfirma für eine Unsumme verkaufen! Wieder stand für uns fest: Brecht „fiel aus“. Denn wenn einer schon so viel auf eine nicht sehr saubere Weise verdient hatte und nun nochmals so viel verdienen wollte, der mußte ja einer sein, der nur auf Geld Zusammenraffen aus war und der nie einverstanden wäre, etwas zu opfern für „unsere Sache“, die nie die seine sein konnte. Ich sehe zum ersten Male: Brecht ist „bei uns“ „Mensch, schade, daß du bloß immer in deinen Sprechchor149 gerannt bist! Unser Chor (ein Gesangschor) übt jetzt was Fabelhaftes: ‚Die Maßnahme‘ von Eisler und Brecht! Du, det is’ ne Sache!“150 Alle meine Freunde sagten mir das, und da jeder behauptete, das würde gerade mich ungeheuer interessieren, sagten sie, sie wollten mich wenigstens mal auf eine Probe mitnehmen, niemand würde merken, daß ich nicht dazugehöre. Aber ich hatte wirklich keine Zeit, und als die Aufführung kam, hatte ich auch kein Geld. Daher lernte ich leider „Die Maßnahme“ nicht kennen. Aber dann bekam ich eine Einladung zu einer Silvesterfeier, die hieß „Die Maßnahme“. Und dort wurden zwar wirklich einige Lieder gesungen, aber sonst war es nur eine Parodie auf die Maßnahme. Alle amüsierten sich ungeheuer, denn jeder kannte sie sehr gut. Ich hatte leider wenig davon. Aber daß man in der Art sich mit der „Maßnahme“ beschäftigte, war ein Zeichen, daß sie überall ein ganz seltenes Interesse fand. Unsere Riesenveranstaltungen im Großen Schauspielhaus usw. hatten die Gemüter in der Art bewegt. Die Kritik lautete bei unseren Leuten: Schade, daß Brecht durchaus nichts von der KPD wissen will.151 In seiner Unkenntnis der Arbeiterschaft sind die Unklarheiten seiner „Maßnahme“ begründet. So kann er nie wirklich für uns etwas schaffen. Wenn er den Eisler nicht dabei gehabt hätte, wäre er von vornherein erledigt gewesen. 148 Die Nero-Film AG hatte 1930 mit dem Verlag FBE einen Vertrag über die Verfilmung der Dreigroschenoper abgeschlossen. Brecht sollte ein Exposé liefern (vgl. Die Beule. Ein Dreigroschenfilm, GBA 19, S. 307–321) und zusammen mit Leo Lania das Drehbuch fertigstellen. Dieser wurde jedoch bald durch Béla Balázs ersetzt, alsdann auch Brecht von der weiteren Mitarbeit ausgeschlossen. Der aussichtslose Prozeß, den er daraufhin gegen die Nero führte, sorgte in der Öffentlichkeit für großes Aufsehen (vgl. Der Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment, GBA 21, S. 448–514). Der Film Die Dreigroschenoper (Regie: Georg Wilhelm Pabst) kam 1931 in die Kinos. 149 Steffin war Mitglied im Sprechchor der Fichte-Wandersparte gewesen, einer proletarischen Jugendorganisation in Berlin, die politische Arbeit mit Sport- und Freizeitaktivitäten verband. 150 Bei der Uraufführung der Maßnahme am 13.12.1930 in der Berliner Philharmonie trat u.a. auch der Fichte-Chor auf. Die Musik hatte Hanns Eisler komponiert. 151 Brecht war Sympathisant, nie Mitglied der KPD (oder später der SED).

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Ich sehe Brecht das erste Mal Ein bißchen hatten wir immer alle für Busch152, den netten, blonden Jungen geschwärmt, der die Eisler-Lieder so gut vortrug. Jetzt war ich zu einer Probe bei der Weigel geladen,153 an der auch Busch teilnehmen sollte. Ich mußte etwas früher da sein, weil Ottwalt mir einen Text schrieb, die andern hatten ihre Texte schon. Bei jedem Klingeln dachte ich, das wird der Busch sein. Aber das Luder kam mal wieder nicht. Als wir mitten in der Probe waren, kam jemand herein, der einen schäbigen Anzug trug, die Haare, die er, was sofort auffiel, ganz kurz verschnitten trug, hatten es nötig, mal wieder geschnitten zu werden. Er nahm nicht mal die Mütze ab, sondern berührte sie nur leicht, und alle sagten: strahlend: Guten Tag, Brecht. So, dachte ich, das ist also Brecht? Na, dem scheint es ja nicht gut zu gehen, hat wohl nichts mehr übrig von seiner Drei-Groschen-Oper. Er sah sehr müde und abgespannt aus und war es wahrscheinlich auch, denn obwohl die Probe für ihn angesetzt war, sagte er kaum ab und zu leise etwas, unterhielt sich nur mit irgend jemandem. Er schien mir sehr schüchtern und bescheiden, jemand anders würde man unhöflich genannt haben, der sich so benahm, aber bei ihm wirkte es nur als Unsicherheit. Als er dann mitten in der Probe davonlief, fiel es mir eigentlich kaum auf. Überlieferung: E: Steffin, Briefe, S. 79ff.

152 Der Schauspieler und Sänger Ernst Busch (1900–1980), bis heute einer der bekanntesten Sänger der (zumeist von Eisler vertonten) Lieder Brechts, war in den 1920er Jahren u.a. an der Berliner Volksbühne und an der Piscator-Bühne tätig, trat in mehreren Stücken Brechts sowie in dem Film Kuhle Wampe auf. Floh 1933 in die Niederlande, von dort über Belgien, die Schweiz und Frankreich in die UdSSR. 1937 schloß er sich den Internationalen Brigaden in Spanien an. 1940 in Frankreich interniert und nach seiner Flucht in die Schweiz 1943 an die Gestapo ausgeliefert; die drohende Todesstrafe wurde durch Intervention Gustaf Gründgens’ zu einer Zuchthausstrafe gemildert. Nach seiner Befreiung durch die Rote Armee 1945 lebte und arbeitete er in Berlin (Ost). „Von allen mir bekannten Schauspielern“, soll Brecht gelegentlich der Proben zum Galilei über seinen Hauptdarsteller 1956 gesagt haben, „ist Busch der einzige, dem man Genie glaubt“ (zit. nach Hans Mayer, Brecht, Frankfurt/M. 1996, S. 91). 153 Probe zu der Roten Revue „Wir sind ja sooo zufrieden“, die am 18.11.1931 im Berliner Bachsaal uraufgeführt wurde.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht Paris, Juli 1933 Dir zugeeignet und dir ganz gewogen Bin ich, seit ich den Mut zum Du gefunden. Was immer mir auch fehlt, ich muß gesunden Solang mir deine Liebe nicht entzogen. Das kleine Wort, das damals wir ernannten154 Das unauffällig machte das Berühren (Unwiderstehlich machte das Verführen) Durch Monde ist es Hort deiner Verbannten. Das Wort ist mir Umarmung, ist mir Kuß. Die ich so lange auf dich warten muß Ich küsse es in jedem deiner Briefe. Und weine ich, wenn ich es lese, ist Es nur, weil du dann wieder bei mir bist Und ich bin ohne Wunsch. Als ob ich bei dir schliefe. juli 1933 paris Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; BBA 534/10. – E: Steffin, Briefe, S. 83f.

Agrippina-Konzern an Helene Weigel Berlin, 7.7.1933 7.7.1933 Frau

Abt Autoschd. Betr. FKS 817 827/33

Helene Weigel-Brecht, Thurö per Svendborg Dänemark

Ihr Zeichen

Unser Zeichen: Ri/Bl.

154 Gemeint ist die Grußformel „Grüß Gott!“ (Abk. „G.G.“), die zwischen Steffin und Brecht soviel bedeutete wie: „Ich liebe dich“.

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Sehr geehrte gnädige Frau! Sie dürfen versichert sein, dass Ihre Ausführungen vom 1.7.155 unser vollstes Interesse hatten. Wenn wir uns aber trotz Ihrer Darlegungen nicht Ihrem Standpunkt anschliessen können, so liegt dieses daran, dass für die Ablehnung Gründe massgebend waren, die Sie anscheinend in ihrer vollen Reichweite trotz unserer Ausführungen vom 23.6. nicht voll erfasst haben. Selbstverständlich ist die hiesige Polizei bei ihrem Vorgehen an bestimmte Normen gebunden, denn gerade im neuen Deutschland wird besonderer Wert auf ein korrektes und zweifelsfreies Verhalten des Beamtentums gelegt und deswegen dürfte die Beschlagnahme Ihres Fahrzeuges auch keinesfalls ohne Grund erfolgt sein. Dass Ihr Wagen ordnungsmässig sicher gestellt worden ist, mussten wir in der Zwischenzeit durch eingezogene Erkundigungen feststellen. Der Wagen wird unseres Wissens z.Zt. von der Feldpolizei (SA-Polizei) in Gewahrsam gehalten. Nachdem die Verhältnisse in Deutschland jetzt vollkommen klar und übersichtlich geworden sind und Uebergriffe einzelner Personen nicht vorkommen, können wir uns die Beschlagnahme Ihres Fahrzeuges nur so erklären, dass die Polizei Ihre Ausreise aus Deutschland mit politischen Gründen in Zusammenhang bringt. Jedenfalls steht die Tatsache fest, dass Ihr Fahrzeug durch Verfügung von hoher Hand Ihnen entzogen wurde und somit trifft uns nach den Ihnen bereits bekannt gegebenen Bedingungen eine Ersatzverpflichtung nicht. Wir müssen es im übrigen richtigstellen, dass wir Ihren Anspruch nie mit der Begründung von bürgerlichen Unruhen abgelehnt haben, sondern in unserem Schreiben vom 23.6. ist der ganze § 3, IIIa wörtlich angeführt, in dem nur im Zusammenhang mit den anderen Fällen der Begriff bürgerliche Unruhen vorkommt. Es dürfte Ihnen ja selbst nicht unbekannt sein, dass die politischen Verhältnisse in Deutschland so gefestigt sind, dass es tatsächlich absurd wäre, von bürgerlichen Unruhen zu sprechen. Unsere Ablehnung ist auch nie mit dieser Begründung erfolgt, sondern deswegen, weil eben eine Verfügung von hoher Hand vorlag. Wir brauchen uns wohl auf Grund der eben gemachten Ausführungen nur noch darauf zu beschränken, erneut darauf hinzuweisen, dass Ihr Anspruch tatsächlich unberechtigt ist. Sollten Sie trotzdem anderer Meinung sein, so stellen wir Ihnen selbstverständlich anheim, Ihren Anspruch vor dem deutschen zuständigen Gericht geltend zu machen. Hochachtungsvoll

155 Weigel hatte wegen ihres Wagens einen Entschädigungsanspruch gegenüber der Agrippina geltend gemacht und erklärt, „es handele sich hier nicht um eine polizeiliche Beschlagnahme, sondern um einen Diebstahl unverantwortlicher Personen, die sich vielleicht unbefugter Weise als Polizeiorgane ausgegeben haben mögen“ (BBA 722/35).

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AGRIPPINA See-, Fluß- u. Landtransport-Vers.-Ges. Direktions-Verwaltungsstelle Berlin Schlösser & Richter Barth Richter Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Agrippina Versicherungen seit 1844 Agrippina-Konzern Agrippina / Kölner Lloyd / Mitteleuropäische / Düsseldorfer Lloyd, Köln, Agrippina Lebens-Versicherungsbank, Berlin Agrippina See-, Fluß- u. Landtransport-Versich-Ges. Köln a. Rh Düsseldorfer Lloyd Versicherungs-Aktien-Gesellschaft in Köln a. Rh. Direktions-Verwaltungsstelle Berlin / Schlösser & Richter, Leiter: Otto Schlösser, Paul Richter, Ernst Angerer, Berlin W 15, den_____ Schaperstraße 18, im Agrippinahaus, Fernruf Oliva 3 2, 2949-54, Telegramm-Adresse Agrippinagruppe Berlin, Konten unter Schlösser & Richter 1. Deutsche Bank u. Disc.-Ges. Dep.-Kasse K, 2. Postscheck-Amt Berlin 13649; BBA 722/36–37.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp] 8.7.1933 stell dir vor: es kommen alle frauen die du einmal hattest, an dein bett. ach, die wenigsten sind jetzt noch nett. keine, denkst du, ist mehr anzuschauen. aber alle stehen streng und schweigend. eine jede will von dir heut nacht ihren spaß. und wenn du ihr’s gemacht tritt sie seitwärts, auf die nächste zeigend. gierig langen sie dich an. Verloren bist du. die du einst zum spaß erkoren treiben mit dir einen bösen spaß. selbst seh ich mich in der reihe stehen sehe mich ganz schamlos zu dir gehen. und du liegst armselig, krank und blaß. 8.7.1933 Überlieferung: E: Steffin, Briefe, S. 65.

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Rudolf Voth an Bertolt Brecht Berlin, 10.7.1933 Herrn Bert Brecht, Thur[ö] per Svendborg Dänemark SpH 10.7.1933 Sehr geehrter Herr Brecht! Der Ordnung halber bestätigen wir dankend den Eingang Ihres w. Schreibens vom 4.d.M. an Herrn Wreede.156 Herr Wreede befindet sich im Augenblick auf einer Auslandsreise und wird erst Mitte oder Ende dieser Woche nach Berlin zurückkehren. Wir legen ihm Ihr Schreiben dann gleich vor und bitten Sie, sich mit der Beantwortung durch Herrn Wreede freundlichst noch zu gedulden. Mit vorzüglicher Hochachtung p.pa. Felix Bloch Erben Voth (Rudolf Voth) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/55.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 10.7.1933 Herrn Bert Brecht Thurö bei Svendberg [sic] Denmark

London, 10.7.33.

Sehr geehrter Herr Brecht! 156 Brecht hatte Wreede seiner Hoffnung versichert, „daß wir doch noch zu einer besseren Einigung kommen könnten als der rein juridischen“ (GBA 28, S. 367), und ihm „eine mündliche Aussprache“ (S. 367f.) vorgeschlagen: „Dänemark ist von Deutschland aus ja verhältnismäßig bequem zu erreichen“ (S. 368).

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Trotzdem ich Ihnen den Vertrag157 wohl erst in einigen Tagen senden kann, möchte ich doch Ihre zwei Briefe158 bestätigen. Ich freue mich, dass der Plan nun zu seiner Realisierung gelangt und bitte Sie, mich doch in Verlags- und besonders Auslandsangelegenheiten nicht nur als Ihren Vertreter, sondern als persönlich interessierten Berater zu betrachten. Ich möchte nun gern sofort die Möglichkeiten des interessanten Verlagsprojektes S e l b s t b i o g r a p h i e fördern.159 Sie wissen ja von unserer ersten langen Verhandlung in Wien, welche Wichtigkeit ich derartigen internationalen Plänen beimesse. In einer Reihe von Selbstbiographien – etwa betitelt „Ein Schriftsteller und das Neue Deutschland“ oder ähnliche, glücklichere Titel – könnten die markantesten deutschen Autoren ein subjektives Bild des Umsturzes, der Gegenwart und der Zukunftsaussichten geben. Wenige wertvolle Bücher dieser Art würden das Ausland, ebenso die Deutschen im In- und Ausland stark interessieren und … beeinflussen. Ich möchte diesen schönen Plan in der nötigen Beschränkung und geschlossen realisieren und bitte um Ihre Unterstützung und vertrauliche Behandlung. – Ausser Ihnen möchte ich Feuchtwanger, Thomas Mann, Einstein160, Oskar Maria Graf 161 und Arnold Zweig – evtl. noch Hegemann162 und Remarque163 gewinnen. Auch ein oder zwei Frauen gehören in die Liste. Wollen Sie mir schnell über Ihr eigenes Werk schreiben und mir Ihr Urteil über den ganzen Plan und meine Autorenauswahl geben. Falls Sie sich gleich an einige Autoren wenden, bitte ich Sie, auch diese um strengste Diskretion zu ersuchen.

157 Vertrag mit dem Amsterdamer Verlag Allert de Lange über die Publikationsrechte am Dreigroschenroman. 158 Nicht überliefert. 159 Ein solches Projekt kam, was Brecht betrifft, nicht zustande. Vgl. jedoch seine Tagebücher und autobiographischen Notizen in GBA 26. 160 Gemeint ist der Schriftsteller und Kunsttheoretiker Carl Einstein (1885–1940), der 1919/20 zusammen mit George Grosz und John Heartfield die Zeitschrift Der blutige Ernst herausgab. Ab 1928 in Paris, ging 1936 nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs nach Barcelona. 1940 zurück in Paris, wurde er als „feindlicher Ausländer“ interniert. Nach seiner Freilassung nahm er sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben. 161 Der Schriftsteller Oskar Maria Graf (1894–1967) ging 1933 ins Exil nach Wien, ein Jahr später nach Prag, gehörte dort neben Anna Seghers und Wieland Herzfelde zur Redaktion der Monatszeitschrift Neue Deutsche Blätter. 1938 flüchtete er über die Niederlande in die USA, wo er mit Herzfelde u.a. den Aurora-Verlag gründete. Bis 1940 Präsident der German American Writers Association. 162 Werner Hegemann (1881–1936) war Stadtplaner, Architekturkritiker und Schriftsteller. Ging 1933 ins Exil in die Schweiz, kurze Zeit später nach New York, um dort an der New School for Social Research Stadtplanung zu lehren. 163 Der Schriftsteller Erich Maria Remarque, d.i. Erich Paul Remark (1898–1970), ging 1933 ins Exil in die Schweiz, 1939 in die USA. 1958 kehrte er zurück in die Schweiz.

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Ich hoffe, Sie finden Zeit, mir gleich zu antworten. Freundlich grüssend Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. Us., hs. U., Bv.: European Books Limited International Literary Agents 188 Piccadilly, London, W. I Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telephone: Regent 1347 & 1348, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/12–13.

Käte Alexander 164 an Bertolt Brecht London, 10.7.1933 Herrn Bert Brecht Thurö bei Svendberg

London, 10.7.33.

Sehr geehrter Herr Brecht! In Abwesenheit meines Mannes übersende ich Ihnen einliegend den Vertrag, der soeben vom Verlag de Lange hier einging.165 Ich bitte um umgehende Prüfung und Rücksendung.166 Mit verbindlichen Empfehlungen Frau Käte Alexander. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited International Literary Agents 188 Piccadilly, London, W. I Head Continental Office: Berlin-Lankwitz, Waldmannstr. I Cables: Script London Telegrams: Script Piccy London Directors: E. Alexander C.H. Brooks Telephone: Regent 1347 & 1348, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/14.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp] 13.7.1933 13.7.33 lieber bidi, 164 Mitarbeiterin der Agentur European Books und Ehefrau von Elias Alexander. 165 Der Vertragsentwurf mit hs. Korrekturen Brechts ist überliefert in BBA 580/6–7. 166 Brecht schlug einige Änderungen vor, seine Bezahlung und die Rechte des Verlags betreffend. Vgl. B. an Alexander, Mitte/Ende Juli 1933 (GBA 28, S. 372); dazu BC, S. 371.

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ich bin vormittags, nachmittags, abends und nachts allein hier in meinem jetzigen zuhause.167 borch.168 sehe ich sehr selten. auch sonst treffe ich kaum jemanden von bekannten, eisler hat, wenn ich nach paris komme, immer am nachmittag eine stunde zeit, aber da trinkt man einen kaffee und hört sonst nichts. [Hs.: 14. Juli alle in den Cafés getroffen!] es war schrecklich heiss hier, darum sind auch viele von paris weg. zum glück ist es jetzt kühler, denn zu baden gibt es hier doch nichts, das wussten wir ja doch auch vorher. leider sind die leute so sparsam, dass sie nicht mal das bad bis heute angezündet haben!! immer vertrösten sie von einem tag auf den andern. es ist in der küche, und macht wohl arbeit und kostet viel. nimm aber nicht schaudernd an, dass ich 3 wochen lang, nein, es ist ja länger, wie ein dreckspatz rumlaufe. ich bade in paris. alexander169 hat mir geschrieben, hat sehr gewarnt vor der gegend, in die die seghers hin ist, wegen nähe der nordsee. er schrieb weiter, wenn ich es nicht sehr gut habe, so sei es besser, ich liesse mich schnellstens operieren, ehe ich in der weltgeschichte herumfahre. dass mich eisler zum arzt schicken will, [hs.: wird aber nichts draus werden] schrieb ich Dir ja schon. es ging mir ein paar tage nicht besonders. komischerweise finde ich immer irgendwo eine frau, die sehr gut zu mir ist, helli170, marianne171, die hartsteins, einige, die Du nicht kennst, jetzt diese holländerin. Deine „jeanne“172 (sie betonte, sie sei Deine freundin, was ich ihr selbstverständlich unbesehen glaube) habe ich nur einmal getroffen, sie kam, um zu sagen, dass sie keine zeit hat. es fehlt da Deine anziehungskraft. ich kann schlecht mit ihr etwas anfangen. (ich wollte erst etwas anderes schreiben, das weisst Du ja sicher) aus moskau bekam ich post, warum ich nicht endlich käme. wirst Du im herbst hinfahren? ich wäre sehr froh, mit Dir und eisler hinfahren zu können. alle fragen, warum ich nicht schreibe, anscheinend sind meine briefe nicht durchgelassen worden. (ich fragte an, ob wirklich die hungersnot so gross sei,173 ob die kollektivver-

167 Steffin war Ende Juni nach Beauchamp, einem Vorort von Paris, umgezogen. 168 Hermann Borchardt. 169 Professor Hanns Alexander (1881–1955) war Steffins behandelnder Arzt im Sanatorium in Agra (Tessin), wo sie sich von Februar bis Mai 1933 aufgehalten hatte. 170 Helene Weigel. 171 Möglicherweise Marianne Zoff (1893–1984), österreichische Schauspielerin und Sängerin, die von 1922 bis 1928 mit Brecht, seit 1928 mit Theo Lingen verheiratet war. 172 Jeanne Stern, geb. Bedous (1908–1998), französische Schriftstellerin, studierte in Berlin und kehrte 1932 zurück nach Frankreich. Emigrierte mit ihrem Mann Kurt Stern später nach Mexiko, ging 1946 zurück nach Frankreich, 1947 nach Berlin. 173 Die seit 1929 mit Gewalt vorangetriebene Kollektivierung der Landwirtschaft, mit der Stalin die von ihm später so deklarierte „Revolution von oben“ einleitete, hatte zu Beginn der 1930er Jahre vor allem in der Ukraine, im Nordkaukasus und an der mittleren Wolga eine Hungersnot zur Folge, der mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen.

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waltung der betriebe aufgehoben sei, schrieb wegen der verweigerung der aufnahme von emigranten usw.) ich habe immer etwas angst vor der nacht. seit viel mehr als 10 jahren bin ich gewöhnt, jede nacht zu träumen. aber jetzt träume ich nacht für nacht das gleiche: ich sehe Dich mit irgendwelchen frauen, rege mich sehr auf, wache dauernd auf, heulend sogar, und immer solches blödes theater. da aber der gute morgenstern174 gesagt hat, wenn man von den dingen spricht, vergehen sie, erwarte ich, dass auch dieses zeuges vergeh, weil ich Dir davon sprach. manchmal allerdings frage ich mich, wenn ich dann einfach nicht schlafen kann, wann Deine diversen freunde (wie in diesen wochen mir) einem anderen mädchen erzählen werden: „ja, und dann hatte er 1932/33 öfter ein mädchen bei sich, die hiess grete steffin, danach die ....“ und immer höre ich dann, was helli zuletzt in berlin zu mir sagte: du tust mir leid, mein liebes kind. dann tue ich mir selbst auch leid. aber einschlafen kann ich trotzdem nicht. sonst gehts aber gut. [Hs.: zum guten beispiel habe ich wieder – wie immer – alle fragen beantwortet] [Hs. auf der Rückseite:] Ich versuche auch noch immer, mich kurz zu fassen, schlimmstenfalls lies nur das Angestrichene, das hätte ich gerne beantwortet. Auf Wiedersehen. Hast Du den Brief mit dem kleinen Bild u. Eislers Einlage bekommen? eben bekomme ich von kläber ein schreiben wegen der DAD175. er hat natürlich recht, dass man anfangen, sofort anfangen und aktuelle sachen bringen muss. aber ich renne mir ja d leuten die häuser ein, den einen tag, an dem ich in paris bin, und erreiche nichts. niemand schickt was, ebenso wenig wie kläber, Du und jeder andere. aktuelle sachen überhaupt nicht, nur sachen, die schlecht sind, und die vielleicht vor 90 jahren irgendwo gedruckt wurden. ich will jetzt mal an die einzelnen leute schreiben, und sehen, dass es besser wird, wenn ich nach paris ziehe, ist ja auch alles viel einfacher. bitte, ich frage vielleicht zum ? male an, schickt ottwalt was? macht er mit? kommt er her? hast Du graf, hast Du feuchtwanger geschrieben? wenn nicht, so schreibe ich noch einmal, vielleicht auch in Deinem namen?

174 Vermutlich der Dichter Christian Morgenstern (1871–1914), möglicherweise auch der österreichische Schriftsteller Soma Morgenstern (1890–1976). 175 Vgl. Anm. zu Steffin, Mai 1933.

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kl.176 schreibt, er hat Dir vorschläge übermittelt, bitte schicke sie doch gleich an mich weiter. kommen die dortigen adr. Überlieferung: Ts (Fragment), hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 654/45–47. – E: Steffin, Briefe, S. 66ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Mitte Juli 1933] betr. DAD177 die sachen habe ich schon zum drucker178 gegeben. welche farbe soll man nehmen? ungefähr dieses blau scheint fast das einzige, aber gefällt Dir das? alle andern farben, diese ebenfalls, sind ja viel in gebrauch. schreib sofort wegen der farbe. von ottwalt, (hast Du ihm bescheid gesagt, oder willst Du, dass ich ihm direkt schreibe?) [von] brentano, döblin, kisch, lania, graf, mehring, plivier habe ich noch nichts. die Sachen von seghers und kläber sind ganz alte kamellen, und nicht bezw. kaum anzubieten. auch Deine sachen kann man nur wenigen zeitungen schicken. mehring hat den roth179, seghers den plivier, anschein[en]d brent. auch den döbl. noch nicht verständigt. ich habe sehr grosse ausgaben gehabt, mit der dad vor allem, das geld ist fast dafür alle geworden, das Du dafür mir gegeben hast. nächste woche könnte man beginnen, bloss man hat keine beiträge. mann180, graf, döblin, hesse181, frank182 haben noch nicht geantwortet. hast Du eigentlich dem graf nochmals geschrieben? feuchtwanger fragte, welche art sachen wir von ihm brauchen, was soll ich ihm da antworten? ich sagte, (auch das schrieb ich Dir schon mal) was er eben den blättern fürs feuilleton anbieten will. hast Du vielleicht die adr. von döblin?

176 177 178 179

Kurt Kläber. Hs. Erg. am Rand: „betr.: DAD erbitte umgehende antwort“. Hs. Erg.: „(beilage vom drucker offeriertes muster)“. Vermutlich Joseph Roth (1894–1939), österreichischer Schriftsteller. Arbeitete in den 1920er Jahren u.a. für das Feuilleton der Frankfurter Zeitung in Berlin und ging 1933 ins Exil nach Frankreich. 180 Der Schriftsteller Heinrich Mann (1871–1950), ging 1933 ins Exil nach Südfrankreich, 1940 in die USA, wo er kurz vor der geplanten Rückkehr nach Deutschland starb. 181 Brecht hatte Hermann Hesse (1877–1962), den er sehr schätzte, im März und im April 1933 in Montagnola in der Schweiz besucht. 182 Vermutlich der Schriftsteller Leonhard Frank (1882–1961), vormals Mitglied der Gruppe 1925, der auch Brecht angehört hatte. Er ging 1933 ins Exil nach Zürich und von dort weiter nach Paris. Wurde 1939 interniert und flüchtete 1940 in die USA. 1950 kehrte er nach Deutschland (West) zurück.

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lieber bidi, bitte wegen dieser dad-sache nimm Dir einmal zeit und beantworte mir alles genau, ja? ich frage manches ein paar mal an, aber es ist hier niemand von Euch allen, den man etwas fragen könnte. und ehe man im anfang unsinn macht, dann lässt mans vielleicht lieber? katz ist dauernd fort, er schrieb mir heute, er käme vielleicht nächste woche auf länger her. vielleicht kann er mir bezüglich des abzugapparates helfen. ich habe leider niemanden, der mich mit den leuten von ARR 183 in verbindung bringt, die haben einen apparat, den sie sicher einmal in 3 wochen ausleihen. im übrigen ist doch die Stimmung anscheinend stark dafür, auch den franz. blättern etwas anzubieten. wie kommt man ran? richtiger: welche? SOLL M A N KUR ELL A NOCH HINZUNEHMEN? DER K A NN V ERSCHIEDENTLICH SEHR BEHILFLICH SEIN!

von koch184 habe ich die spitzköpfe185 jetzt bekommen. was wird damit? er fragt, ob ich Dir die sachen, die von Dir noch bei ihm sind, nachschicken werde? ist die hauptmann schon dort? wenn sie noch in bln. ist,186 schreibe ihr doch bitte, sie möchte mir meinen hitler („mein kampf“), der bei Dir oben liegt, schicken. ich will sehen, ob ich noch ein exemplar der ersten auflage bekomme, dann kann man vielleicht etwas anfangen mit den stellen, die bei der zweiten auflage wegblieben.187 hast Du eigentlich die beiden bücher bekommen? schick mir den koffer, wenn es geht, auch 1793. freund eisler rufe ich nicht mehr an. er hat doch nicht zeit für mich, in den zwei tagen, die ich in paris war, sollte ich bloss immerfort anrufen. dafür habe ich mit bartoschs188 freundschaft geschlossen. ich vertrete Dich würdig bei Deinen freunden, bewunderern, feinden, genossen, bloss nicht bei den frauen. (dabei fällt mir ein: ich bekam direkt eine se in misskredit bei mir selbst, als ich hörte, dass Du sogar irgendwann frau borchardt189 zu Dir zum tee geladen hast und sie mit ihren lieblingssachen

183 Gemeint ist vermutlich die sowjetische Filmorganisation ARRK: Associacija Revoljucionnych Rabočich Kinematografii, (Vereband der revolutionären Filmarbeiter). 184 Der Drehbuchautor und Regisseur Carl Koch (1892–1963), der 1927 mit Brecht und Kurt Weill die Opernrevue Ruhrepos (GBA 21, S. 205) entworfen hatte, emigrierte 1936 mit seiner Frau Lotte Reiniger nach Frankreich, wo er als Assistent von Jean Renoir arbeitete. Von dort ging er in den 1940er Jahren weiter nach Italien, in die Schweiz und Deutschland, nach dem Krieg übersiedelte er nach Großbritannien. 185 Carl Koch plante eine Verfilmung des Stücks, die jedoch nicht zustande kam. 186 Hauptmann wohnte noch bis Dezember 1933 in Berlin-Charlottenburg. Mitte August besuchte sie Brecht in Svendborg und überbrachte ihm zurückgelassene Manuskripte aus Deutschland. 187 Den Text der ersten, 1925/26 in zwei Bänden erschienenen Auflage von Mein Kampf hat Adolf Hitler für nachfolgende Ausgaben mehrfach überarbeitet. 188 Der tschechische Zeichner und Trickfilmmacher Berthold Bartosch (1893–1968) arbeitete in den 1920er Jahren mit Lotte Reiniger in Berlin zusammen und ging 1930 nach Paris. 189 Dorothea Borchardt, Ehefrau von Hermann Borchardt.

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füttertest. diesmal war keine eifersucht dabei, sondern im gegenteil, das hat mich direkt beleidigt. (beleidigt ist nicht der rechte ausdruck, aber ich habe keinen passenden) gekränkt? es geht mir dadurch ganz gut hier, weil Du mich den leuten vorgestellt hast, etwas glanz fällt auf jeden. hoffentlich kommst Du bald? die holländerin hat mich nach meudon gefahren, bartoschs habe „ich“ mitgenommen, meudon ist der teuerste vorort von paris, aber da gehört Ihr ja hin. Du musst mir nun recht bald schreiben, was Du ungefähr haben willst, wann ihr kommt usw.190 in meudon kosten die häuser, die für Euch in frage kommen, zwischen 9000 (so billig selten) und 14000 im jahre. eines ist da mit warmluftheizung. man hört gutes und schlechtes von dieser heizung. bartoschs behaupten, sie sei nicht ungesünder als warmwasserheizung. dieses haus konnten wir nur von aussen sehen, die leute waren nicht da. von aussen sieht es sehr gut aus, ein schöner garten vor allem (600 qm), liegt fabelhaft, am eck und für sich, in alle häuser kann man sonst von nebenan reinschauen. es hat von den 9 zimmern 2 kleine dachkammern, kostet aber nur 8000! dafür ist aber auch ein 3 jähriger vertrag, von dem jetzt laufenden sind noch l ½ jahre zu erfüllen, kündigen muss man ein halbes jahr vor ablauf, sonst erneuert sich der vertrag automatisch. ich weiss nicht, ob helli für warmluftheizung ist oder davon gehört hat, wenn Ihr nichts dagegen hättet, wäre das haus ideal. wir waren alle ganz begeistert. donnerstag fahren wir nochmals hin, es innen anzuschauen und auch weiter zu sehen. die lage ist glänzend, 2 bahnhöfe in der nähe, einer höchstens 10, der andere 7 minuten entfernt. und der garten für die kinder! das haus schaut von aussen sehr gut aus. wieso es so billig ist, konnten wir uns nicht erklären und haben noch immer den pferdefuss gesucht. vielleicht ist es doch die heizung? ein haus wollten wir von 12000 auf 9000 herunterhandeln. man muss abwarten. schreibe doch möglichst bald, was Ihr haben und ausgeben wollt. bartosch fängt so langsam an, für mich in paris etwas zu suchen. er hat da eine frau bei der hand, die so etwas alles versteht und weiss. werde ich im herbst usw. mit Dir arbeiten können? was meinst, Du, dass ich nehmen soll? hier erscheint (nach bartosch) eine neue filmzeitung.191 leute, die hinter weill stehen, finanzieren sie. in der nächsten nummer (erst die zweite) soll euer prozess abgedruckt werden, aber nur, soweit er weill und seine musik angeht.

190 Steffin erwartete den Besuch der Familie Brecht und wollte sich nach einem geeigneten Domizil für sie umsehen. Brecht kam jedoch allein; er traf am 10.9.1933 in Paris ein und reiste eine Woche später zusammen mit Steffin weiter nach Sanary-sur-Mer. 191 Möglicherweise die Pariser Filmzeitschrift Arts et Cinéma, von der 1933 allerdings nur zwei Nummern erschienen.

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pitojeff 192 (wie sich der schreibt, weiss ich nicht) steht mit bartosch in verbindung, b. meint, wenn Du Deine neueren sachen schicktest, könnte dieser vielleicht etwas herausbringen. der soll sich für Dich interessieren. irgendein wiener verlag hat bei mehring angefragt wegen der „todsünden“.193 näheres höre ich donnerstag. ich schreibe Dir dann sofort. willst Du das weitergeben? wann kommen die möbel? hierher? dann wäre es doch gut, schon ein haus zu haben, denn unterstellen ist ziemlich teuer, das ist ja auch doppeltes möbelwagen bezahlen. bekommst Du den wagen zurück?194 zu koch gehe ich nächste woche, der hat glück gehabt, von einem bekannten in meudon ein bauernhaus (das diesem zu simpel war, weil unmodern) für 5000 [zu] bekommen! das ist natürlich ein glücksfall. aber wir fuhren unter einem regenbogen in dem fabelhaften meudon ein, das wird ein zeichen sein, dass unser suchen unter einem glücksstern steht. lieber bidi, es ist mir selbst unangenehm, dass dies so ein scheusslich langer brief wurde, aber Du hast viel gefragt, und ich habe viel zu fragen. nun musst Du diesmal wirklich so gut sein und auf alle fragen antworten! bitte tue es, und tue es bald, denn manches ist doch eilig! das drucken der sachen soll ca. 400 fr. kosten. den apparat werde ich vielleicht durch kurella bekommen, was ist mit ottw.195? wenn Du bald antwortest, fährt mich die holländerin vielleicht noch ein- oder zweimal raus, wohnung zu suchen. ängstlich schaut man immer nach dem himmel, ob sich auch nicht etwa die wolken verziehen. und wenn sich ein zipfel blauen himmels zeigt, ist man sehr ängstlich, diese irrsinnige hitze könnte wieder kommen. zum glück ist jetzt keine gefahr, denn jetzt regnet es (was auch wieder beanstandet wird) schon den 4. tag. grüsse vom kisch. dito vom regler196, der gern wissen möchte, was Du arbeitest und lächelte, als er ungläubig sagte, man habe ihm erzählt, Du schriebst einen roman. er selbst hätte ganz gern mit Dir seinen neuen plan durchgesprochen, einen ruhrgebietsroman, der im Frühjahr erscheinen soll. 192 Vermutlich Georges Pitoeff (1884–1939), ein russischer Theaterregisseur, der in den 1930er Jahren in Paris arbeitete. 193 Die sieben Todsünden der Kleinbürger. Die Drucklegung, über die nichts Genaueres bekannt ist (vgl. Anm. in GBA 4, S. 496), kam nicht zustande. Der Text wurde vollständig erst 1959 in Frankfurt am Main publiziert. 194 Das Auto, das Brecht und Weigel in Deutschland zurückgelassen hatten, war von der „Feldpolizei“ beschlagnahmt worden. Vgl. oben die Briefe des Agrippina-Konzerns an Helene Weigel. 195 Ernst Ottwalt. 196 Der Schriftsteller Gustav Regler (1898–1963) ging 1933 ins Exil nach Paris, engagierte sich bis 1935 auch im damals noch unabhängigen Saarland. Nach Aufenthalten in der UdSSR schloß er sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an und kehrte als Verwundeter zurück nach Frankreich. 1940 flüchtete er nach Mexiko.

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zufällig hörte ich, dass er ein exemplar der „3 Soldaten“197 hat (er hat es mal bei kiepenheuer198 geklaut). ich sagte, er müsse es Dir schicken. sowie er es aus deutschland bekommt, will er es tun. hier fährt in kürze ein holländer nach berlin!!!! kann er etwas für Dich erledigen? ich habe ihn durch die holländerin, er soll ziemlich zuverlässig sein. auch darauf bitte ich um umgehende antwort. Du musst Dir also schon mal meinen brief ganz durchlesen und alles beantworten. je viens bien de passer le 14 juillet. j’ai dansé mais très peu. une nuit je suis restée chez l’hollandaise à paris. les deux jours elle m’a promené dans sa voiture dans tout paris. son mari est parfois importun. je n’ai pas rencontré hanns eisler. revien, bidi. au revoir. Aus allen Grüßen, die ich noch ausrichten soll, machst Du Dir doch kaum etwas. Von mir soll ich Dich auch grüßen u. verschiedenes bestellen, dafür hat aber dieser Brief keinen Platz. Ich bin jetzt böse u. traurig: nicht böse mit irgendjemand, sondern von Natur aus. Überlieferung: Ts, hs. Erg., Bv.: Les Bibliophiles Franco-Suisses J. Exbrayat President 59, Boulevard des Invalides; BBA 654/20–23. – E: Steffin, Briefe, S. 69ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Mitte Juli 1933] lieber bidi, ich habe so auf diesen brief 199 gewartet. und ich war froh, dass Du wieder nicht mehr „so“ geschrieben hast. hier hast Du einen stundenplan. soweit sich in einem privathaushalt pünktlichkeit durchführen lässt, versuche ich es. ein einziges mal habe ich ihn durchbrochen, indem ich meinem „vergnügen“ nachging. da bin ich mit dem mädchen hier (die kranke tochter200) zum kursaal gefahren, richtung paris. wir sassen in einem schönen auto, aber ich war so traurig, weil ich immer an unsere fahrten nach und von münchen dachte.201 197 Die drei Soldaten. Ein Kinderbuch (GBA 14, S. 68–90), zuerst 1932 in Heft 6 der Versuche erschienen. 198 Gustav Kiepenheuer (1880–1949) publizierte in seinem 1909 gegründeten Verlag u.a. Brechts Versuche. 199 Konnte nicht ermittelt werden; der hier genannte Brief ist möglicherweise nicht erhalten. Vgl. jedoch die zahlreichen, von Steffin selbst auf August 1933 datierten Briefe Brechts in GBA 28, S. 374–384. 200 Die Tochter des Vermieters in Beauchamp. 201 Im Spätsommer 1932 hatte Steffin bei Brecht in Utting am Ammersee gewohnt (vgl. Anm. zu Walter

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[Hs.: 14. Juli wurde nämlich mit Arbeit verbunden!] habe keine angst: ich mache keine fehler. alex 202 hat auch immer betont, die luft sei viel weniger wichtig als viel liegen (wenn sie hinzu kommt, natürlich umso besser), und das halte ich mehr durch als in agra. weil ich ja eben ganz allein bin und keinerlei versuchung da ist. ausser den besuchen in paris. da ich dort übernachten kann, und mich an einem tage nicht so überanstrengen muss, ist auch das annehmbar. ich würde auch in paris viel liegen, verlass Dich darauf. bitte schreibe mir wegen der vielen fragen, die ich Dir geschrieben habe, vor allem wegen der DAD und des hauses für Euch. sonst muss ich sie immer wieder stellen. ich fragte wohl schon, ob Du was dagegen hast, dass Ehrenstein203 mitmacht. und wie steht es mit kurella? schreibe bald. Kurella (auch katz und regler, aber kurella mit mehr erfolg) war sehr nett. eisler habe ich sehr lange nicht gesehen. er wollte mir den arzt besorgen, hatte aber dann nie zeit und liess auch nichts von sich hören. ich habe manchen tag 3 mal oder öfter angerufen. ich habe ihm nochmals geschrieben, er möchte mir doch die adr. von dem arzt besorgen. ein mann namens paul eduard204 empfiehlt mir einen arzt. er lässt sich von diesem derselben krankheit wegen seit jahren behandeln. vielleicht gehe ich dorthin. ach, es ist so heiss, und man kann nicht baden, nicht mal brausen, und es ist entsetzlich heiss und immer dasselbe. (übrigens: vielleicht schreibst Du dem eisler nochmals? 4, place de vaugirard) ich habe folgendes gemacht: ich höre das erste mal von brecht / ich sehe brecht das erste mal bei uns / vorher: ich lese das erste mal über brecht / usw. wenn ich davon mehr habe, dann mache ich erst ein bildnis. falsch? richtig? ich mache es so! die „alte“ Grete bloß ein neues „r“205 [Rückseite:] die sonette finde ich sehr schön. aber mit dem sechsten bin ich nicht einverstanden. lieber bidi; diese 7 sonette (ich bin für besitz!) gehören zu dem schönsten und mir liebsten, was ich habe. danke. Brecht, 3.8.1946) und war mit ihm in seinem Steyr-Wagen des öfteren nach München gefahren. 202 Hanns Alexander, Steffins Arzt aus dem Sanatorium in Agra. 203 Albert Ehrenstein (1886–1950), österreichischer Schriftsteller. Emigrierte 1932 in die Schweiz, 1941 in die USA. 204 Paul Éluard (1895–1952), französischer Schriftsteller, gehörte der Gruppe der Surrealisten um André Breton an. Éluard litt ebenfalls an Tuberkulose und war deswegen schon in seiner Jugend in einem Schweizer Sanatorium behandelt worden. 205 Bezieht sich auf ihre Handschrift.

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Du solltest mir noch schicken, was Du für mich in agra geschrieben hast.206 bitte. auch wenn es nicht mehr agra ist. stundenplan 9 aufstehen (wie im sanatorium) ½ 10 frühstück dto. spazieren dto. (wird aber nicht immer eingehalten, bis 10 weil a) entsetzlich heiss b) allein zu langweilig div. schreibereien bis 12 ½ 13 mittagessen danach manchmal ein wenig spazieren gehen, aber selten, heiss und kein wasser! schlafen (wie im sanatorium) von 14-16 franz., zwar immer allein, aber s e h r fleissig 16 bis 18 russisch oder lesen oder dösen 18-19 abendbrot 19 ½ liegen (wie im sanatorium) 20-21 ein bisschen irgendetwas danach, immer pünktlich um 10 (spätestens) ins bett. einmal nach paris (neuerdings dauert das immer 2 tage!) in der woche. zu bemängeln ist nur: zu wenig spazieren gehen. die gegend ist fad, man kennt dieses fälschlich gepriesene „wunderwäldchen“ (auf deutsch müllhaufen mit allerdings netten bäumen drumrum) bald sehr, naja. erst heute eine zeitung bestellt, ziehharmonika angefragt, nicht gekommen. mit borchardt verkracht. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 654/31+27. – E: Steffin, Briefe, S. 76ff.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht Moskau, 15.7.1933

15 VII 1933. Moskau 1 Spiridonjewsky pereulok N 13 Wohn 25

206 Brecht und Steffin schrieben sich anstelle von Briefen mitunter auch Sonette. Vgl. die dreizehn Sonette in GBA 11, S. 183–191.

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Lieber Genosse Brecht. Es ist von meiner Seite eine grosse Schweinerei so lange schweigen.207 Aber ich bin nur eben nach Moskau zurückgekommen aus einer reise in die Krimsche Staatsgüter. Hier muss ich in 3-4 Tage mein Buch über Deutschland208 zu ende bringen und dann fahre ich wieder in den gebiet der Feld-herren209 zum Nordkaukasus, wo bleibe bis September die ganze Erntezeit. Von dem Staatsgut (es ist ein glänzendes Hühnerzuchtgut mit 300 000 weiße hühner) habe ich etwa 250 Photos gebracht und mache jetzt photoartikeln. Der Staatsgut wird gerade von dem Genossen geleitet, von dem ich den „Direktor“ mache.210 Sie erinnern sich an dieses Thema, das ich auch dem Ottwald [sic] angeboten habe. Das ist ein Mensch eines besonderen Talentes, Organisatortalentes. Man giebt ihm ein betrieb in sehr schwerem zustand und er kuriert es leicht und graziös, wo andere Leute sich die Zähne abbrechen. Er wirtschaftet so wie der Karuso211 singt. Methodik dieser handlung zu klären – das ist die aufgabe. In den Kolchosen werde ich erstens bei der ernte helfen – die in diesem jahre sehr reich ist. Zweitens will ich über allen Leute, die in meinen Kolchosbüchern seit 5 Jahre genannt sind feststellen – was mit ihnen seit dieser Zeit geschehen ist. Da wird es sich um die Schiksal von etwa 50-70 Menschen handeln. Wenn auch 10-15 beobachtungen gelingen – ist es schon interessant.212 Drittens werde ich im Kolchos die arbeit mit dem Drama 213 fortsetzen. Dieser Sommer hat sehr viel Material gegeben zum Schreiben. Mit der Musik-Komoedie bleibt es stecken – Eisler antwortet nichts.214 Ich wollte schon zwei mal ihn verraten und einen anderen komponisten suchen. Aber es kam nicht zur arbeit. Und darum nur verware ich meine Treue an ihn. Wie lange weis ich nicht. 207 Tretjakow antwortete hier auf Brechts Brief vom April 1933 (GBA 28, S. 357). Dessen Brief vom 11.7.1933 (ebd., S. 370f.) hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht erhalten. 208 Ljudi odnogo kostra (Menschen eines Scheiterhaufens), Moskau 1936. 209 Unter dem Titel Feld-Herren. Der Kampf um eine Kollektivwirtschaft erschien 1931 eine Sammlung von Texten Tretjakows im Malik-Verlag in Berlin. 210 Tretjakow plante zusammen mit Ernst Ottwalt eiin Buch mit dem Titel Der Direktor: ein „DoppelBio-Interview, dessen eine Hälfte in der Sowjetunion und dessen andere Hälfte in Deutschland geschrieben wird. Die Helden sind beide gleich alt, und die Ähnlichkeit ihrer sozialen Stellung wird besonders kraß die Verschiedenheit und polare Gegensätzlichkeit“ der beiden Gesellschaftsordnungen zeigen („Autobiographien der Sowjetschriftsteller: Sergej Tretjakow“, in: Internationale Literatur, 4–5/1932, zit. nach Tretjakow, Avantgarde, S. 482). Das Buchprojekt kam nicht zustande. 211 Enrico Caruso (1873–1921), italienischer Opernsänger. 212 Vgl. Sergej Tretjakow, Tysjača i odin trudoden’, Moskau 1934. Deutsche Ausgabe: Tausendundein Arbeitstag, Moskau und Leningrad 1935. 213 Das Stück Nakormim šar zemnoj (Wir machen die Erde satt) blieb unvollendet. Die Entwürfe gingen bei Tretjakows Verhaftung 1937 verloren. 214 Tretjakow hatte in der Literaturnaja Gaseta vom 7.11.1931 erklärt, zwei Arbeiten zusammen mit Eisler in Angriff nehmen zu wollen: „Drei Fünfjahrespläne (Revue zum 15. Jahrestag)“ und „Arbeitslose

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Es scheint mir es ist in bewegung gekommen die idee ihren Band 215 herausgeben. Mit der Massname, Mutter und Johanna. Und meinem Einleitungsartickel. Johanna wird von September an geprobt.216 Aber das Ende ist immer noch nicht fertig. Das schlimmste ist, es fehlt in den Dramen der Faschismus, auch seine wurzeln sieht man nicht. Das einzubauen ist die Schwierigkeit. Sie haben sich sicher mit Becher getroffen und er hat ihnen mehrere interessante Sachen erzählt. Ich will hoffen das wir noch in diesem Jahre uns treffen und die gesamte arbeit machen – die Dramen. Bald erscheint mein Den Schi Hua in Amerika,217 wollen wir sehn wie es dort aufgenommen wird. Vielleicht schicken sie her Stücke aus ihrem Roman218? Ich wäre sehr froh mich mit dieser Sache bekannt zu machen und wenn möglich es zu drucken. Nehmen sie keinen Beispiel von mir und schreiben sie mir sofort. Besten Gruss an sie und an die Freunde. Ihr alter STretiakow. 16 VII 33 Glücklicher Weise hat Olga 219 den Brief an sie nicht abgeschickt, sonst hätte er nach Schweiz gefahren, und heute habe ich ihren Brief aus Dänemark erhalten – so können sie einen doppelten Brief kriegen. Es freut mich sehr mit Ottwalt in Kontakt zu kommen und die Pläne der zusammenarbeit fortsetzen. Auch freue ich mich sehr das Slatan220 bald frei wird. Ich fange von heute an die Sache seiner möglichen herkunft und arbeit untersuchen. Hände, arbeitslose Hirne“. Am 1.6.1932 meldete die Welt am Abend, Eisler plane eine Oper mit dem Titel „Der Aufbau des neuen Menschen“, für die Tretjakow und Brecht das Libretto schreiben sollten. Keines der Projekte kam zustande. Vgl. dazu die Briefe an Eisler in: Tretjakow, Avantgarde, S. 395–401. 215 Ėpičeskie dramy. Vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933. 216 Die Aufführung kam nicht zustande. 217 Têng Hsi-hua. A Chinese Treatment, New York 1934 (russische Ausgabe 1930). In diesem „Bio-Interview“ wird das Leben der chinesischen Studenten geschildert. Tretjakow hatte in den 1920er Jahren als Professor für russische Literatur und als China-Korrespondent der Prawda in Peking gearbeitet. 218 Dreigroschenroman. 219 Olga Tretjakowa. 220 Der bulgarische Film- und Theaterregisseur Slátan Dudow (1903–1963), seit den 1920er Jahren im proletarischen Agitationstheater in Berlin tätig, lernte Brecht 1929 kennen. Er führte Regie bei der Uraufführung der Maßnahme in der Berliner Philharmonie am 13.12.1930 und bei dem Film Kuhle Wampe. Ging 1933 ins Exil nach Paris, wo er 1937 Die Gewehre der Frau Carrar und 1938 acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches inszenierte. Nach seiner Ausweisung 1940 flüchtete er in die

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Von Eisler nichts zu hören. Hoffe aber das zum September – die Zeit wenn meine Kolchosarbeit zu ende kommt – die Stimme erhebt und imstande ist etwas zusammenzuarbeiten. Es freut mich sehr die Perspektive unseren dramaturgischen Zusammenarbeit. Gestern ist Piskator221 aus Leningrad gekommen und mich angerufen. Von ihm habe ich erfahren das Neher222 in Moskau ist. In den Nächsten Tage kommen wir zusammen mit Ochlopkoff 223 Piskator und Neher um die Theaterfragen, und insbesondere die Johanna Perspektive, zu besprechen. Sie können ganz ruhig sein das ihre Sendung der Lieder in die Zeitschrift kommen wird. Aber für die Zukunft hätte ich ihnen geraten die sache nach unsere adresse zu senden – Olga ist ja ein Chronometer in der Frage der Verbindung – dann kann man sicher sein das nichts verloren geht oder verspätet. Ob man in der Zeitschrift auch die Noten drucken wird habe ich zweifel. Ich interessiere mich auch an den Lieder von dem Standpunkt der Übersetzung: Lange schon habe ich nichts ihres übersetzt. Aber ich habe die übersetzung gemacht von Bechers gedicht224 zum Tode Klara Zetkin225. Nicht schlecht aber etwas zu Bibläisch. Schweiz. 1946 kehrte er zurück nach Berlin, arbeitete ab 1949 als Drehbuchautor und Regisseur für die DEFA. 221 Erwin Piscator (1893–1966), Theaterregisseur, -intendant und Schauspiellehrer. U.a. an der Berliner Volksbühne tätig, bevor er 1927 die Piscator-Bühne am Nollendorfplatz eröffnete, an der auch Brecht mitarbeitete. Ging 1931 zu Dreharbeiten in die UdSSR und kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück; sein Film Der Aufstand der Fischer wurde erst 1934 fertiggestellt. Neben seiner Filmarbeit übernahm Piscator in Moskau auch die Leitung der MORT. Ende 1936 nutzte er die Gelegenheit einer Reise nach Frankreich, sich in Paris niederzulassen und damit den Ermittlungen gegen ihn in der UdSSR zu entkommen. 1939 ging er nach New York, wo er den Dramatic Workshop an der New School for Social Research leitete. 1951 kehrte er zurück nach Deutschland, 1962 wurde er Intendant der Freien Volksbühne in West-Berlin. 222 Carola Neher (1900–1942), Schauspielerin. Seit 1926 arbeitete sie mit Brecht in Berlin zusammen, trat u.a. in der Dreigroschenoper und in der Hörspielfassung der Heiligen Johanna auf. Ging 1933 mit ihrem zweiten Ehemann Anatol Bekker (zuvor war sie mit dem 1928 verstorbenen Schriftsteller Klabund verheiratet) über Prag ins Exil nach Moskau. Dort wurde sie 1936 verhaftet und 1937 als „trotzkistische Agentin“ zu zehn Jahren Arbeitslagerhaft verurteilt, ihr Mann im selben Jahr hingerichtet. Brecht erkundigte sich bei Feuchtwanger, der sich von November 1936 bis Januar 1937 in Moskau aufhielt, mehrmals nach ihr; öffentlich sagte er dazu nichts. Nach einem Suizidversuch im Moskauer Gefängnis Lubjanka wurde Neher zunächst nach Kasan deportiert. Sie starb im Juni 1942 an Typhus in einem Lager bei Orenburg im Ural. 223 Nikolai Pawlowitsch Ochlopkow (Nikolaj Pavlovič Ochlopkov, 1900–1967), russischer Schauspieler und Regisseur. In den 1920er Jahren am Meyerhold-Theater tätig, 1930–37 Leiter des Moskauer Realistischen Theaters. 224 Vgl. dazu das Gespräch mit Johannes R. Becher in: Tretjakow, Avantgarde, S. 341–358. 225 Clara Zetkin, geb. Eißner (1857–1933), seit 1878 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei (ab 1890: SPD), Mitbegründerin des Spartakusbundes und der USPD, trat 1919 zur KPD über, die sie von 1920 bis 1933 als Abgeordnete im Reichstag vertrat. Herausgeberin der Zeitschriften Die Gleichheit und Die Kommunistische Fraueninternationale. Ging 1933 ins Exil nach Moskau, wo sie im selben Jahr verstarb.

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Wegen dem Manuscript von Mann ist Mann226 muss ich sagen das ich es ihnen abgegeben habe als sie in Moskau waren. Aber haben sie es mitgenommen oder jemandem abgegeben, z.b. Lazis227, weis ich nicht. Allerdings bei mir ist es nicht. Bei Lazis werde ich fragen. Freue mich dem Kontakt und vielleichtigen Zusammenkunft. Noch mal beste grüsse an sie und Ottwalt’s, dessen Brief ich warte mit neugier ab. S. Tretiakow. Überlieferung: Ms, BBA 477/145–147. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 403ff.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 17.7.1933 Herrn Bert Brecht Thurö bei Svendborg Danmark 2 Abbey Court London N W 8

17.7.33

Sehr geehrter Herr Brecht! Am 10.7. sandte ich Ihnen zwei Briefe, einen davon mit Vertrag. Haben Sie diese erhalten? Ich wäre sehr dankbar für einen sofortigen Bescheid, um Vertrag und Vorschuss erledigen zu können. Freundlich grüssend Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts (Postkarte), hs. U.; BBA 785/15–16.

226 Erste Fassung 1926 (GBA 2, S. 93–168), zweite Fassung 1938 (S. 169–227). Das Stück wurde zwischen 1926 und 1931 mehrfach in Deutschland gespielt, danach erst 1956 am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart wieder aufgeführt. 227 Die lettische Schauspielerin Asja Lacis (Lazis), d.i. Anna Ernestovna Lacis, geb. Liepina (1891–1979), machte Brechts Bekanntschaft 1924 in München, wo sie bei den Proben zum Leben Eduards des Zweiten von England assistierte. Sie stellte Brecht ihrem Freund Walter Benjamin vor. Zusammen mit Bernhard Reich, den sie 1922 in Berlin kennengelernt hatte, ging sie 1926 in die UdSSR. Dort wurde sie 1938 verhaftet und bis 1948 in Arbeitslagern in Kasachstan interniert. Nach ihrer Freilassung kehrte sie zurück nach Lettland, wo sie ihre Arbeit als Theaterregisseurin wieder aufnahm.

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Fritz Wreede an Bertolt Brecht Berlin, 18.7.1933 Herrn Bert Brecht Thur[ö] per Svendborg Dänemark 9H 18.7.1933 Lieber Herr Brecht! Zu gern würde ich Ihrer Aufforderung nachkommen und Sie an Ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort besuchen oder ein Zusammentreffen mit Ihnen vereinbaren. Leider bin ich aber so mit Arbeit überlastet und fortwährend unterwegs – ich komme eben aus London und Paris zurück und fahre heute abend zu wichtigen Besprechungen nach Salzburg, dass ich kaum glaube, dass ich in nächster Zeit eine Begegnung mit Ihnen werde möglich machen können. Weiterhin aber fürchte ich, dass Sie sich die Beilegung der Schwierigkeiten durch eine Aussprache nur deshalb leicht denken, weil Sie sich an die früheren Aussprachen erinnern, wo auch schwerwiegende Bedenken meinerseits in rein wirtschaftlicher Beziehung durch Ihre mich immer wieder bezwingende Persönlichkeit, niemals ernstlich durch Ihre Argumente, widerlegt wurden. Sie kennen meine verehrungsvolle Zuneigung für Sie und werden mir glauben, dass ich in unserem Verhältnis niemals kaufmännische oder juridische Gesichtspunkte allein habe gelten lassen. Heute aber sind die Verhältnisse doch so, dass ich mich in jeder Hinsicht höheren Geboten zu fügen habe. Deshalb bitte ich Sie, lieber Herr Brecht, mir vielleicht doch das kurz schriftlich zu skizzieren, was Ihnen als Lösung durch den Kopf gegangen ist. Ich kann nur immer wieder darauf zurückkommen, dass ich eine Lösung eigentlich nur in der Vollendung eines Theaterstückes durch Sie sehe, das wir in Zukunft vertreiben können. Die Aeusserungen über Ihr künstlerisches Können sind so überwiegend, dass man Ihnen, wenn ein neutrales Werk vorliegen würde, auch unvoreingenommen begegnen würde. Immer mehr kommt eindeutig der Wille der jetzigen Führer zum Ausdruck, vorhandene Werte zu erhalten und einzugliedern. Ihr zukünftiges Werk sollte eigentlich alle Möglichkeiten bieten. Diese Zeilen möchte ich nicht schließen ohne den Ausdruck meiner Freude darüber, dass Sie über das Sachliche hinweg persönlich einen so warmen Ton gefunden haben. Meine besten Wünsche sind mit Ihnen. Ihr Wreede Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3

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Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/56–57.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Lugano, 18.7.1933 18.7.33. L. Brecht. gestern sah ich Kläber. Er ist etwas erstaunt, dass man ihn hinter seinem Rücken abgesetzt hat. Ferner sind wir beide etwas erstaunt, dass der gute Ab-Schrecker228 neuerdings Mitgl. des ZK ist. Da wird der Adolf aber grosse Angst bekommen. Ich schreibe Ihnen diesen Brief aus 2 Gründen 1) es war bei mir eine Gen., Mitglied der B-L.229 in Frankfurt, welche mir erzählte, die dortige B-L. (und verschiedene andere im Reich auch) hätten beschlossen, (offiz. Beschluss) Trotzkisten, SA.P.230 u.s.w. der polizei anzuzeigen, wenn man sie bei der Arbeit erwischt. Sternberg231 hatte mir dies schon gesagt, aber ich wollte es nicht glauben. So ist nun also in Frkft. verfahren und gleich die erste Denunziation soll 4 guten tüchtigen Arbeitern – welche allerdings Trotzk. waren, das Leben gekostet haben. Können Sie da etwas tun? Eine partei, welche polizeispitzelarbeit leistet, ist sehr ungeeignet zum Kampf. Aber schlimmer noch: diese verbrecherische Art des „kampfes“ zerfrisst die Klasse. Über der partei muss die Klasse stehen, die Klassensolidarität, das gemeinsame Bewusstsein. Diese zu verletzen, ist ein Frevel. Ich weiß nicht, was ich tun soll – die Genossin bekam einen fürchterlichen Weinkrampf, als sie mir dies erzählte – ich habe ihr versprochen, alles zu tun, was ich kann, um die partei von diesem elenden Weg abzubringen. Ich teile es Ihnen also mit! 228 Hans Schrecker (1899–1983), vormals Mitarbeiter in der Abteilung Agitation beim ZK der KPD, ging 1933 ins Exil in die Schweiz. Später in der DDR wurde er Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, 1954 im Zuge der „Säuberungen“ nach dem Prager Slánský-Prozeß aufgrund seiner jüdischen Herkunft und wegen Kontakten zu angeblichen „Zionisten“ verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, 1956 begnadigt. 229 Bezirksleitung. 230 Die 1931 gegründete SAPD, der sich neben linken Sozialdemokraten auch Kommunisten anschlossen, wurde von der Komintern als trotzkistisch diffamiert. 231 Fritz Sternberg (1895–1963), Soziologe, Ökonom und Politiker der SAPD. Brecht hatte ihn im Winter 1926/27 kennengelernt und betrachtete ihn, neben Karl Korsch, als einen seiner marxistischen Lehrer. Öffentlich traten beide 1929, zusammen mit dem Theaterkritiker Herbert Ihering, in einem Kölner Rundfunkgespräch über neue Dramatik auf (vgl. GBA 21, S. 270–277). Sternberg ging 1933 über die Tschechoslowakei in die Schweiz, 1936 nach Frankreich, 1939 in die USA.

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Das andere: meine Nachrichten aus Frankreich sind nicht gut, und ich zögere, dorthin zu übersiedeln. ich halte es für weit besser in der Schweiz zu bleiben. D.h. hier in der Schweiz aufs Land zu ziehen, billig zu leben und im Winter jeweils 3-4 Monate in paris zu sein. Das genügt auch voll auf. Und so wollte ich Sie nocheinmal fragen: wollen wir nicht im Tessin eine Sommerkolonie gründen?232 Ich könnte z.B. das schöne Haus, das in Carona ist, nur für 1000.- im Jahr mieten. Das ist kein Geld (2 Fremdenzimmer, die ich mir immer besetzt halten würde). Von Dezember bis März geht man nach Paris von März bis Dezember nach Carona. Carona – ich war eben dort; ist auch nie heiss, weil es so hoch liegt. Ich war eben dort. Von Paris – als Wohnort, raten viele ernste Leute ab. Schreiben Sie mir doch bitte, was Sie darüber denken, überhaupt Ihre Pläne. In Deutschland ist die Lage obj. nicht ganz ungünstig – momentan – aber subjektiv sehe ich keine Möglichkeit, weil keine Partei, keine Theorie – nichts da ist. Ausserdem gehen wieder zahllose Leute von uns fort, sogar Schrecker hat mir gesagt, der Menschenverbrauch sei entsetzlich. Aber darüber dürfen sich die Leute nicht wundern, die mit der S-A zusammenarbeiten, nur um eine andere Theorie zu bekämpfen. Was arbeiten Sie? Kl.233 sagte mir, sie hätten ihm den Neurath234 nicht gegeben! Becher kommt am 20. nach Zürich. Ich bin gespannt, was er bringt. Herzlichen Gruss an alle Ihr Brentano Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel Garni Walter Lugano J. Cereda-Camenisch, Besitzer u. Leiter Telegramm-Adresse: Walterotel Telephon No. 22, 27 u. 22, 28 Lugano: _________; BBA 481/38–41.

Franz Leschnitzer 235 an Bertolt Brecht Moskau, 22.7.1933 1. Redaktion der Int. Literatur Moskau-HauptpostamtPostfach 850 232 233 234 235

Moskau, den 22. Juli 1933.

Vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933. Kurt Kläber. Vgl. Anm. zu Bretano, 10.6.1933. Franz Leschnitzer (1905–1967), Schriftsteller und Publizist, vormals Mitarbeiter der Weltbühne, ging 1933 über Österreich und die Tschechoslowakei ins Exil nach Moskau und war dort als Redakteur der Internationalen Literatur tätig. 1959 übersiedelte er in die DDR.

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Gen. Bertolt Brecht, durch Margarete Steffin Beauchamp (Paris Seine et Oise) 36, Avenue morère. France. Lieber Genosse Brecht, Mit dem besten Dank fuer Deine Sendung vom 13. Juli bestaetige ich Dir den Empfang der fuer unsere Zeitschrift bestimmten Lieder236 und der dazugehoerigen Kompositionen Hanns Eislers. Ich bin mit Dir der Meinung, dass Eislers Kompositionen im Interesse des Gebrauchswerts der Gedichte mitgedruckt werden muessten; ob das aber bei den hiesigen drucktechnischen Schwierigkeiten gluecken wird, weiss ich noch nicht. Jedenfalls werde ich alles daransetzen, die Lieder u n d die Musik in unserer drittnaechsten Nummer (die beiden naechsten sind schon ueberfuellt), die im Oktober erscheinen wird, unterzubringen. Das Honorar, das Du mit Hans (B)237 vereinbart hast, werden wir gemaess Deinem Wunsch an die gleiche Adresse senden, wie diesen Brief. Mit den herzlichsten Gruessen und den besten Wuenschen fuer Deine weitere Arbeit Dein Franz Leschnitzer Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 654/29.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Ende Juli 1933]238 Heute war ich das erste Mal seit langem wieder mit Eisler zusammen. Er hatte eine Magen- u. Darmgrippe u. ist auch so ziemlich verstimmt, weil die Tschechen ihm noch immer nicht geschrieben haben u. er deshalb hier unnütz in Paris herumsitzt. Außerdem hat er wieder mal kein Geld, ist ganz pleite, hat noch ausgeliehen u. etwas zu erwarten. – Er hat mir nachm. „Wien, wie es weint u. lacht“ vorgeführt, außerdem haben wir alle alten Lieder gesungen, auch die Mutter-Lieder, die mir doch wieder besser gefielen als seine „musikali-

236 Das sind die Wiegenlieder (GBA 11, S. 206–209), die später in die Sammlung Lieder Gedichte Chöre (Paris 1934) aufgenommen wurden (vgl. B. an IVRS, 13.7.1933, GBA 28, S. 371). Unter dem Titel Kinderlieder für proletarische Mütter erschienen sie zuerst in Internationale Literatur, Heft 4/1933. Die Noten Eislers wurden nicht abgedruckt. 237 Johannes R. Becher. 238 Hs. auf der Rückseite des Briefs von Franz Leschnitzer, 22.7.1933.

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schen Witze“. Abends waren wir mit Ruth239 + Maslow240 in einem schlechten Film, da ist er wieder schlechter Laune geworden. In Prag ist eine Monatsschrift „Der Monat“ gegründet worden, Eisler wurde zur Mitarbeit aufgefordert. Man schrieb: „Niveau wie (u.a. natürlich) Die Dame241“. Masloff will einen Artikel liefern „Kamelia“ Überlieferung: Ms (Fragment), BBA 654/30. – E: Steffin, Briefe, S. 86f.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Zürich, 23.7.1933 Zürich Apollostr. 9 am 23.7.33 L.B. dieser Brief ist für Sie und EO242 bestimmt; zeigen Sie ihm ihn also bitte. gleichzeitig bitte ich ihn als vertraulich zu behandeln, also von seinem Inhalt niemand gegenüber Gebrauch zu machen. Hans B aus drüben243 war nun einige Tage hier, offiziell, und wir haben ausführlich miteinander gesprochen, die anwandlung von Vernunft, die ihn in Wien befallen hatte, nennt er eine schmähliche Epoche, an die er nicht erinnert sein will. Er steht völlig auf der Linie, findet mit Heck 244 dass „die Politik der P245 vor und nach 246 H richtig war, dass jeder ein P-feind ist, der dies bezweifelt“. er lässt sich auf keine Dis-

239 Ruth Fischer, eigentl. Eisler (1895–1961), KPD-Politikerin und Publizistin, Schwester von Hanns Eisler. Ab 1924 Vorsitzende des Politischen Büros des ZK, 1926 wegen „ultralinker Abweichungen“ aus der KPD ausgeschlossen. Ging 1933 über die Tschechoslowakei nach Frankreich. 1936 in Moskau als „Trotzkistin“ in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Erreichte nach zahlreichen weiteren Exilstationen 1941 New York. 1955 übersiedelte sie nach Paris. 240 Der ukrainische Politiker Arkadij Maslow, d.i. Isaak Jefimowitsch Tschemerinski (Isaak Efimovič Čemerinskij, 1891–1941), war der Lebensgefährte Ruth Fischers, wurde ebenso wie sie 1926 aus der KPD ausgeschlossen. Ging mit ihr gemeinsam ins Exil und wurde in Moskau als „Trotzkist“ in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 1941 fand man ihn tot in Havanna. 241 Wohl eine Anspielung auf die Illustrierte Die Dame, die von 1911 bis 1943 im Berliner Ullstein-Verlag erschien. 242 Ernst Ottwalt. 243 Johannes R. Becher aus Moskau. 244 Fritz Heckert (1884–1936), Mitglied des Politbüros der KPD und des Exekutivkomitees der Komintern. Ab 1933 in Moskau, wo er 1936 einem Schlaganfall erlag. 245 Partei (KPD). 246 Hitler. Gemeint ist die Machtübergabe an die NSDAP im Januar 1933.

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kussion ein, gibt aber zu, dass „die deutsche Bewegung eben momentan hinter Russl 247 zurücktreten muss, egal was daraus für D248 folgt.“ ich habe ihm offen gesagt, dass ich die heck resolution249 ablehne, dass ich aber diese Meinung einstweilen nur innervereinlich zur Kenntnis bringe. man wird mir – vorläufig nichts tun. ich würde aber auch dies in kauf nehmen, da ich es vor meinem Gewissen nicht verantworten kann, diese Politik zu unterstützen. Ich lege Euch ein Dokument bei – für den Fall dass ihr es nicht gesehen habt. [Hs.: aus der Baseler Rundschau.250] Eine führung, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine solche Politik macht, ist eben keine Führung. Zur Sache selber: westeuropäisches Sekretariat251 kommt nicht in Frage. der ebenfalls beiliegende Entwurf ist von Hans als kindisch bezeichnet worden, und er hat mir gesagt, ich würde damit in Moskau heitere Stunden bereiten, wenn ich ihn hinschickte. das gleiche habe EO mit seinen Briefen nach drüben fertig gebracht. in einem ernsten Brief leute wie Radek 252 und Tretjk.253 überhaupt in einem Atem zu nennen, verrate eine solche Ahnungslosigkeit, dass man darüber wirklich nicht einmal reden könne. da könne man auch gleich Josef und T254 in einem Atem nennen. überhaupt werde strenger als je darauf gesehen, dass wir alle uns nur um Literatur kümmern; da seien grosse Fragen zu lösen, die Frage der Erbmasse, die Frage grosse oder kleine Form usw.255 Ueber diese Dinge habe ich nicht weiter gesprochen, dies hat keinen Wert.

247 Rußland. 248 Deutschland. 249 Vgl. Anm. zu Brentano, 27.6.1933. 250 Die Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, ein Organ der Komintern, erschien von 1932 bis 1940 in Basel. 251 D.i. ein von Moskau unabhängiges Sekretariat der westeuropäischen kommunistischen Parteien. 252 Karl Radek, d.i. Karol Sobelsohn (1885–1939), in Galizien geborener kommunistischer Politiker. Zunächst in der polnischen und deutschen Sozialdemokratie tätig, später Funktionär der Komintern und Mitglied des ZK der KPdSU. Nach vorübergehendem Parteiausschluß wegen „Trotzkismus“ wurde er Anfang der 1930er Jahre Chefredakteur der Iswestija. Erregte auf dem 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller 1934 Aufsehen durch seine richtungsweisende Verurteilung der avantgardistischen Literatur. Im zweiten Moskauer Schauprozeß 1937 (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937) wurde er zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, später im Lager ermordet. 253 Sergej Tretjakow. 254 Stalin und Trotzki. Josef Stalin, als Jossif Wissarionowitsch Dshugaschwili (Iosif Vissarionovič Džugašvili, 1878–1953) in Georgien geboren, seit 1922 Generalsekretär der KPdSU, hatte sich bald nach Lenins Tod (1924) in der Parteiführung behauptet. Sein Rivale Leo Trotzki (Lev Trockij), d.i. Lew Dawidowitsch Bronstein (Lev Davidovič Bronštejn, 1879–1940), wurde 1927 aus der KPdSU ausgeschlossen und 1929 des Landes verwiesen. Er lebte fortan im Exil in der Türkei, in Frankreich, Norwegen und schließlich in Mexiko, wo er 1940 von einem Agenten des NKWD ermordet wurde. 255 Diese Fragen wurden in der 1937/38 geführten „Expressionismusdebatte“ diskutiert – in der es, wie Georg Lukács feststellte, eigentlich um den Realismus ging (vgl. G.L., „Es geht um den Realismus“, in: Das Wort, Heft 6/1938, jetzt in: Expressionismusdebatte, S. 192–230).

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Andererseits wird Herzfelde256 in Prag 3 Verlage machen und diese sollen die offiziellen sein. ebenfalls macht er mit finanzieller Unterstützung von drüben eine Zeitschrift257, deren Redakteur er selber (W H) sein werden und als Mann der P ein gewisser Günther258, der bislang die InternLit als deutscher Redakteur geleitet hat. dies seien aber alles nur Beamte, die wirkliche Redaktion soll ein Kollektiv sein: BB Sie259 in Kopenhagen, Anna S Prs260, Ernst Bloch261 Zch.262 Auch darüber rede ich nicht, weil dies Spucke verschwenden heisst. Ich habe lange und ernst auf Be. eingeredet, und er ist schliesslich umgefallen, hat mir zugegeben, dass die Politik natürlich nicht ganz richtig sei, aber Thäl263 sei nun einmal unser Führer und nun im Gefäng. erst recht – kurz und gut es war ziemlich scheusslich. Kläb264 hat mich unterstützt, er hat sich gut benommen und noch viel von dem behalten, was Sie ihm gesagt haben, aber er muss natürlich vorsichtiger sein als wir – zumal nachdem er eben so brüsk abgesetzt worden ist. So ist also die Lage. ich glaube dass B nach Kopenhagen kommen wird.265 Bleibt hart. macht diese unverantwortliche Politik nicht mit. ich kenne Remmele266 und weiss dass er kein grosser Mann ist. Nun aber soll er aus der Partei geworfen und nach Sibi. geschickt werden – sagt B – weil er in M267 einen Parteitag verlangt hat. was soll das? ich hatte heute Besuch aus Berlin, und alles was man mir berichtet, deckt sich hundertprozentig mit dem, was mir EO geschrieben hat. dagegen erklärt Hans es kämen bis zu 300 256 Wieland Herzfelde, eigentl. Herzfeld (1896–1988), Schriftsteller und Verleger, Bruder von John Heartfield. Gründer des Malik-Verlags und Mitinitiator des Berliner Dadaismus, befreundet mit Brecht seit den 20er Jahren. Ging 1933 ins Exil nach Prag, 1938 nach London, 1939 in die USA. Nach seiner Rückkehr nahm er 1949 eine Professur in Leipzig an. 257 Die in Prag von Wieland Herzfelde und Anna Seghers herausgegebenen Neuen deutschen Blätter erschienen von 1933 bis 1935 im Malik-Verlag. Brecht lehnte eine redaktionelle Mitarbeit ab, „schon wegen der 3000 Kilometer zwischen uns“ (B. an Becher, August 1933, GBA 28, S. 373). 258 Hans Günther (1899–1938), seit 1930 Mitglied der KPD, seit 1931 auch des BPRS. Ab 1932 in Moskau Redakteur der Internationalen Literatur. 1936 verhaftet, 1937 wegen „konterrevolutionärer trotzkistischer Tätigkeit“ zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. 259 Hs. eingefügt. 260 Anna Seghers, Paris. 261 Der Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) war mit Brecht seit Ende der 1920er Jahre bekannt. Ging 1933 ins Exil nach Zürich, 1936 nach Prag, 1938 in die USA. Ab 1948 Professor für Philosophie in Leipzig, nach Publikationsverbot und Denunziation seitens der SED übersiedelte er 1961 nach Tübingen. 262 Zürich. 263 Ernst Thälmann. 264 Kurt Kläber. 265 An Bechers Stelle kam Béla Illés, der Generalsekretär der MORP, zu Besuch. Vgl. B. an Becher, Anfang August 1933, GBA 28, S. 373f. 266 Hermann Remmele (1880–1939), Mitbegründer der USPD, seit 1920 Mitglied des ZK der KPD, seit 1926 auch des Exekutivkomitees der Komintern. Bildete ab 1928 zusammen mit Ernst Thälmann und Heinz Neumann die Führung der KPD. 1932 wurde er als „Ultralinker“ nach Moskau beordert, wo man ihn bald aller Ämter enthob. 1937 wurde er verhaftet und zwei Jahre später erschossen. 267 Moskau.

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Briefe am Tag nach M in denen die Arbeiter begeistert die Politik der Komintern loben. soll man dies glauben? Was mir neu war, ist, dass die SPD aussergewöhnlich gut und ernst in Berlin arbeiten soll. die Fahne268 soll ganz regelmässig herauskommen, aber entsetzlich schlecht sein. Ich habe eine Nummer gesehen, in der so gut wie kein Satz richtig war. welcher Heroismus wird hier aufgebracht und wie gross ist das Verbrechen derjenigen, welche hier – oft wider besseres Wissen – jenen Unsinn schreiben, der dort gedruckt wird! Es ist ja schliesslich ein Irrtum zu glauben, man sei nur dann ein rev.269 wenn man angesehenes Mitglied des Bundes270 ist. ich habe eine Menge zu tun und schreibe meine sache, schreibe nach Deutschland so gut ich kann, informiere die Gen271 dort ebenfalls so gut ich kann usw. Also. Aber ich wäre froh, wenn Ihr hart bliebet und auf dem westeuropäischen Sekretariat bestündet – ich meine natürlich nicht in der Form, die ich vorgeschlagen habe – ich meine die Sache. Schreiben Sie mir also bitte und O soll es auch tun. Ich habe nun eine kleine Wohnung gemietet, was das Leben doch sehr verbilligt. Leben Sie wohl, herzliche Grüsse an die ganze Insel, welche wohl in der Hauptsache aus Euch bestehen wird. Ihr alter B.B. [Hs.] An die Steffin habe ich nun eine portion Sachen geschickt. Es dauerte, aber als ich aus Paris zurückkam, hatte meine Frau272 alle zu unterst in einen Koffer verpackt, der erst jetzt geöffnet werden konnte. PS ich lasse den Brief in Paris in den Kasten stecken, da man in unserem Vaterland Transitpost öffnen soll – wenigstens hat dies der Manchester Guardian gemeldet. wenn Sie mir schreiben, nennen Sie bitte keine Namen – oder noch besser lassen Sie den Brief mit Innenkouvert: für B. an meine hiesige Deckadresse gehen: frl Alice Keller Basel Rebgasse 52 auch diese vertraulich.

268 Die Rote Fahne, 1918 von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg als Zeitung des Spartakusbundes gegründet. 1919 bis 1945 Zentralorgan der KPD. 269 Revolutionär. 270 D.h. der Kommunistischen Partei. 271 Genossen. 272 Margot von Brentano, geb. Gerlach.

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Eben schreibt man mir aus Japan – ich habe Verbindung zu einer dortigen Studentengruppe – dass in der japan. Pt273 eine grosse Krise ausgebrochen ist. Eine Anzahl führender Gen. sollen sich mit scharfen Erklärungen öffentl. gegen die Komintern gewendet haben, welche sie als eine russische Staatsorganisation bezeichnen, die gegen die Interessen des Sozialismus in den übrigen Ländern gerichtet sei. Dasselbe ist – wenn auch noch nicht so scharf – hier zu beobachten, wo sich besonders die Intellektuellen in grosser Anzahl von Russland und der Partei abwenden. Be. selber hat mir gesagt, dass unsere Sache in der Tschechei zurückgehe. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 481/50–53.

Hilda van Praag-Sanders an Bertolt Brecht Amsterdam, 23.7.1933 AMSTERDAM (C.) den 23. Juli 1933. DAMRAK 62. Herrn Bert B r e c h t p.a. Frau Karin Michaelis Thurö bei Svendborg (ESBJERG) Dänemark Sehr geehrter Herr Brecht, Anlässlich Ihrer w. Zeilen vom 1. Juli274 haben wir Ihnen durch Herrn Alexander einen Vertrag fuer den Dreigroschenroman zugehen lassen, und zwar schon am 6. Juli. Bis auf heute haben wir noch immer nicht den Vertrag von Herrn Alexander bekommen. – Ich moechte Sie jetzt bitten uns gefl. mitteilen zu wollen ob Sie den Vertrag gezeichnet und verschickt haben. – Sollte dies unverhofft nicht der Fall sein, so bitte ich Sie uns den Vertrag direkt zukommen zu lassen.–275 Ich wuensche Ihnen recht viel Erfolg bei der Arbeit – Natürlich interessiert uns auch Ihr Chinesischer Roman276 und es würde uns freuen einige Kapitel zu lesen. – Oder wollen Sie diese an unseren Lektor, Herrn Hermann Kesten277, senden? Seine Adresse ist: 19 Rue de Varsovie, Ostende. 273 Die 1922 gegründete japanische KP. 274 Nicht überliefert. 275 Vgl. Anm. zu Käte Alexander, 10.7.1933. 276 Der Tui-Roman. 277 Der Schriftsteller Hermann Kesten (1900–1996) war seit 1927 Lektor beim Kiepenheuer Verlag. Ab

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Ferner sollte ich Ihnen Grüsse bestellen von Herrn Walther Landauer278 der unser Mitarbeiter geworden ist, und Ihnen einen kleinen Auswahlband aus Ihren Balladen vorschlägt,279 event. noch in diesem Jahre zu bringen. Es wird mich sehr interessieren Ihre Meinung ueber diesen Vorschlag zu erfahren. Hoffentlich schreiben Sie mir recht bald. Mit den besten Grüssen und vorzüglicher Hochachtung Hilda van Praag-Sanders Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Afdeeling Uitgeverij Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeeategiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 730/1.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Paris] 24.7.1933

den 24.7.33.

lieber bidi, inzwischen hast Du sicher schon meinen brief bekommen, in dem ich Dir schrieb, dass nichts weiter los war, als dass es mir gerade ein paar tage nicht gut ging, in dreifacher beziehung. das habe ich Dir ja alles geschrieben. ich bin jetzt wieder in Ordnung, auch das schrieb ich Dir ja schon letztes mal. bitte, bidi, sei wieder gut zu mir. ich warte auch immer sehr auf Deine briefe, und ich würde Dir am liebsten jeden tag schreiben. dänemark ist so entsetzlich weit, aber Du solltest trotzdem wissen, ich bin dieselbe. es kann mir aber gar nicht gut gehen, wenn ich nicht weiss, dass Du mir gut bist. lass mich darüber nicht in unruhe hier in meinem sehralleinsein. ich will doch nicht die reichliche gelegenheit zum grübeln und sichgedankenmachen ausnutzen. Du schriebst, Du würdest mich gern mit Dir beschäftigen. ach, bidi, das tue ich doch IMMER.

1933 Exil u.a. in Frankreich, Belgien und in den Niederlanden, dort in der Leitung der deutschen Abteilung des Verlags Allert de Lange tätig. Nach Internierung in Frankreich flüchtete er 1940 in die USA. 278 Walter Landauer (1902–1944) gehörte seit 1927 der Leitung des Kiepenheuer Verlags an. Ging 1933 ins Exil in die Niederlande, dort Leiter der deutschen Abteilung des Verlags Allert de Lange. Nach gescheiterter Flucht wurde er von den Nazis verhaftet und starb in Bergen-Belsen. 279 Brecht hatte in dieser Angelegenheit bereits am 20.7.1933 an Kesten geschrieben (GBA 28, S. 371f.). Die Publikation der Gedichte bei Allert de Lange kam nicht zustande. Die Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 197–254) erschien 1934 bei Éditions du Carrefour in Paris.

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ich es wäre gut, wenn Du mir bald auf die entsetzlich vielen fragen antworten würdest, die ich Dir geschrieben habe. aus zürich habe ich bekommen. Überlieferung: Ts, BBA 654/48. – E: Steffin, Briefe, S. 86f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, 26.7.1933] ist das nicht ein wunderbar diplomatischer brief? auf so einer kurzen seiten [sic], schlecht geschrieben, erzählt sie mir alles mögliche, mein altes „hannchen“.280 das schwarze buch ist das parteibuch. und heini ist die ortsgruppe. und vaters arbeit ist der illegale „verein“ usw.281 hat sie nicht eine ganz elegante schrift? lottes mutter ist der polleiter, und ein ausflug ist die nächste zellentagung. ich finde das fabelhaft, wie meine mutter es so rausfindet. es ist doch schwer für sie, sie hat in der schule wenig gelernt, und schreibt sehr ungern, aber für mich macht sies eben. der „grosse besuch“ ist die haussuchung. es wird hier immer heisser, wie fliegen am fliegenfänger (die dinger, die in bauernstuben hängen) kleben die leute hier rum. paris hat eben den grossen nachteil (besonders gegen berlin) das kein wasser in der nähe ist. denn die seine konkurriert sehr gut mit der Spree, was dreck betrifft. gestern sind in berlin innerhalb 40 minuten alle autos untersucht worden, aber das hast Du vielleicht gelesen? auch auf den bahnhöfen die gepäcke usw. sind (man schreibt mit erfolg) untersucht worden. könnt Ihr dort schwimmen? geht es Euch gut? und ist das haus nett? warum beraubst Du mich immer des glückes, von dem guten ottwalt zu hören? und hast Du an graf und feuchtwanger wegen der dad geschrieben? hast Du adr. bekommen von der mich282? [Rückseite des Briefbogens: Johanna Steffin an ihre Tochter Margarete] II

Vieleicht ist es für dich besser wenn Du dort bleiben kannst. Dein schwarzes Buch was ich Dir besorgt geschenkt habe ist auch wieder vom Verborgen zurück. Weißt du so großer Besuch kommt bei uns nicht kann man auch garnicht brauchen da sind die Zeiten 280 Steffins Mutter Johanna (1882–?), verheiratet mit dem im selben Jahr geborenen Fabrik- und Bauarbeiter August Steffin. Sie selbst verdiente sich bisweilen etwas Geld als Näherin. 281 Tarnbezeichnungen aus der illegalen kommunistischen Parteiarbeit in Deutschland. 282 Karin Michaelis.

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zu schlecht u. darum auch besser für dich wenn du nicht jetzt hir bist? … ich kann mich da nicht so ausdrücken du wirst mirs auch so verstehen von wegen Vaters Arbeit. Ist doch ein Blödsinn was ich geschrieben habe nun du willst ja immer einen langen Brief haben. Lottes Mutter war wieder bei mir nun wird der Heini uns alle mal besuchen kommen und zu einem Spaziergang abholen (ach so Heini ist Lottes Bruder mit gemeint) – nach Berlin oder sonstwo weiß noch nicht wann. vielleicht im August. Das Wetter ist jetzt schön mal etwas kühl dann wieder Viele herzliche Grüße Dein Muttchen Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 654/42–43. – E: Steffin, Briefe, S. 89f.

Herbert Zweig283 an Bertolt Brecht Skagen, 27.7.1933 27. Juli 1933 Lieber Brecht, wir sind am Diensta Montag Abend in Svendborg. Eine genaue Zeit weiss ich nicht, weil ich hier den Anschlusszug von Odense nicht feststellen kann. Ich weiss nur, daß man Zug 1819 Uhr in Odense ankommt. Wir werden in Svendborg in Wandels Hotel wohnen. Zimmerbestellung aber ist nicht notwendig. Auf Wiedersehen Ihr Herbert Zweig Überlieferung: Ms, Bv.: Badehotellet Royal Statstelefon 114, Skagen, den __________; BBA 654/44.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Ende Juli 1933] lieber bidi, gestern war ich sehr froh, weil ich schon wieder einen brief von Dir hatte und weil es ein guter brief war. es gibt hier nichts neues weiter. ausser dass die mittlere tochter284 mit ihrem kleinen, frisch operierten kind ankam, dass [sic] nun die nächte hindurch schreit und uns alle nicht schlafen lässt. es ist aber sonst nett. zu mir sagt es immer „madame baby“. es ist zwei jahre, und wie es auf solchen ausdruck kommt, wissen wir alle nicht.

283 Schwager Helene Weigels. 284 Vermutlich eine Tochter ihres Vermieters.

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ich glaube, es ist unklug, zu warten, bis Du herkommst (DAD), das wird doch sicher sehr spät sein? und bis dahin muss man wirklich angefangen haben. Du weisst doch selbst, wie die zeitungen überlaufen werden. das wäre nicht schlimm. schlimm ist nur, dass alle die leute, die wir für uns hatten, langsam anfangen, andere korrespondenzen zu beliefern. man kann ihnen das auch nicht verdenken. [Hs.: Nicht nach, sondern vor dem 14. Juli habe ich nicht geschrieben.] ich habe in einem buch stehen: brief bekommen, geschickt dann und dann. und das stimmt nicht, dass ich mir am 14. was geholt habe. im gegenteil, eine woche vorher war mir’s sehr mies, da habe ich auch nicht geschrieben, als ich vom 14. nach haus kam, habe ich Dir sofort geschrieben. ich will es nicht wieder tun, Dich solange warten lassen. koch285 ist nicht mehr anzurufen, er wohnt schon draussen. ich will ihm aber schreiben. eigentlich wollte ich nicht mehr hingehen. als ich letzthin mit bartosch bei ihm war, war er so sehr komisch, dass auch bartosch sagte, (also nicht nur meine überempfindlichkeit) der will uns nicht sehen. übrigens: sollen die sachen von Dir noch bei ihm bleiben?286 ich ginge gern ans meer. ich habe immer gehört, dort soll es zwar auch so heiss, aber immer luftig gewesen sein und frisch. aber jetzt ist es schon spät. wenn mir nicht alex 287 auch schriftlich wieder die nordsee streng verboten hätte, wäre ich zur seghers.288 ich will sehen, ob ich die zimmer so spät noch bekomme. ich möchte am 15. august in die stadt ziehen. hier ist nur die frische luft gut, das ist wenig. die leute sind sehr nett, aber für mich zu nett. und zu sparsam in dingen, die einfach nötig sind. Du hast den vertrag289 noch nicht? ich dachte, das lag nur an Dir? wenn Du noch sachen zum abschreiben hast, schicke sie. Überlieferung: Ts, hs. Erg.; BBA 654/28. – E: Steffin, Briefe, S. 84f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Ende Juli 1933] lieber bidi. einen tag, bevor Du mir das achte sonett290 abgeschickt hast, habe ich zufällig genau das versucht, aber ich habe es weggeworfen, und mich geschämt, als ich das Deine sah.

285 Carl Koch. 286 Gemeint ist möglicherweise ein Manuskript der Rundköpfe und Spitzköpfe. Koch plante, das Stück in Paris zu verfilmen. Vgl. Anm. zu Steffin, Mitte Juli 1933. 287 Hanns Alexander, Steffins behandelnder Arzt im Sanatorium in Agra. 288 Anna Seghers befand sich gerade an der Nordsee. 289 Vgl. Käte Alexander, 10.7.1933. 290 Siehe GBA 11, S. 191.

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eines hast Du aber vergessen: den wagen.291 es war jetzt eine schöne woche. weil ich von Dir so oft post bekam. da geht es mir gleich gut. auf wiedersehen. mehr als 2mal schreibt man an mann292 doch nicht? er antwortet nicht. feuchtwanger fragte, ob wir auch arnold zweig nehmen? schreibe doch deswegen. bitte sei so gut, und beantworte die fragen wegen der DAD, wenn es auch so unverschämt viele sind. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 654/16. – E: Steffin, Briefe, S. 86.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 27.7.1933 AMSTERDAM (C.) den 27. Juli 1933. DAMRAK 62. Herrn B. Brecht, Thurö bei Svendborg. Dänemark Sehr geehrter Herr Brecht, In Antwort auf Ihr wertes Schreiben von Mitte Juli293 d.J., teile ich Ihnen folgendes mit: 1e Vom ersten Augenblick ab, dasz ich mit Herrn Alexander über Ihr Buch294 verhandelt habe, habe ich ihm mitgeteilt, dasz ich nur bereit wäre um 6000 Mk Vorschuss zu geben, wenn nicht nur die deutschen Rechte aber auch die holländischen Rechte darin einbegriffen wären. Wenn Sie später nicht 6000 Mk, aber 8000 Mk Vorschusz wünschten, habe ich zugestimmt, aber von selbstredend mit Einbegriff der holl. Rechte. 291 In seinem Achten Sonett zählt Brecht Orte auf, die in ihrer Beziehung eine besondere Rolle spielen. Dabei habe er den Steyr-Wagen vergessen, in dem Steffin und er häufig gefahren waren. Brecht gestand sein Versäumnis ein: „[…] den Wagen hätte ich noch hineinnehmen sollen“ (B. an Steffin, 3.8.1933, GBA 28, S. 374). 292 Vermutlich Heinrich Mann. 293 Im Ts: „Juni“. Brecht hatte nicht nur seinem Agenten gegenüber kritische Bemerkungen zum Vertragsentwurf gemacht (vgl. B. an Alexander, Mitte/Ende Juli 1933, GBA 28, S. 372), sondern auch dem Verlag selbst seine Änderungswünsche mitgeteilt (B. an Allert de Lange, Mitte Juli 1933, BBA 580/8-9), worüber Alexander sich am 7.8.1933 bei Brecht beklagte. 294 Dreigroschenroman.

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2e Mit Ihrer Bemerkung über Paragraph 3 bin ich einverstanden. 3e Mit Streichung Paragraph 5 bin ich einverstanden. 4e Die Anzahl der Freiexemplare stellen wir fest auf das doppelte, also 40 Freiexemplare. 5e Statt 30. Mai nehmen wir 30. Juni. 6e Mit Ihrer Bemerkung über Paragraph 12 auch einverstanden. 7e Was den Auslandsvertrieb anbelangt möchte ich bemerken, dasz, weil wir schon lange ein Abkommen haben mit Herrn Alexander, wobei er beteiligt ist an den Auslandsrechten aller Bücher, wovon er uns die deutschen Verlagsrechte besorgt, ich unbedingt daran festhalten musz, dasz diese Rechte durch uns vertrieben werden. Ich glaube, dasz es auch in Ihrem Interesse ist, dasz alle Zahlungen über uns laufen. 8e Die Zahlungen werden wir direkt mit Ihnen verrechnen. Überlieferung: Ts, Bv.: Allert de Lange Afdeeling Uitgeverij Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeeategiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak - Amsterdam, 3302707; BBA 580/10.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 27.7.1933 AMSTERDAM (C.) den 27. Juli 1933.

DAMRAK 62.

Herrn B. Brecht. Hierbei schliesze ich zwei Exemplare des Vertrages295 ein und bitte Sie, weil ich Ihr Schreiben von London mit mehr als zwei Wochen Verspätung bekommen habe, von jetzt ab alles direkt nach Amsterdam zu senden. Es würde mich freuen, die zwei Exemplare unterzeichnet zurück zu empfangen, wonach ich unmittelbar die ersten 4000 Mk zahlen werde. Mit meinen besten Grüssen und vorzüglicher Hochachtung, Allert de Lange Beilage Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Afdeeling Uitgeverij Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeeategiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak - Amsterdam, 3302707; BBA 780/2.

295 Überliefert in BBA 580/11-14.

88 Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 31.7.1933

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SANARY (Var) VILLA LAZARE La Plage, La Gorguette 31. Juli 33

Lieber Brecht, ich freue mich, einmal wieder etwas von Ihnen gehört zu haben. ich arbeite hier scharf. Was ich mache, ist in der Konzeption fast so mager wie Ihr Brief296, aber wahrscheinlich ist es nützliche Arbeit.297 Wichtig ist nur, dass das Buch noch heuer erscheinen kann. Das zwingt mich, bis zu zehn Stunden am Tag zu produzieren. Davon abgesehen ist es hier sehr angenehm, das Klima könnte nicht erfreulicher sein, vor allem hier heraussen in unserem einsamen Haus sind Luft und Meer herrlich. Schade, dass Sie nicht da sind. Die Pläne des Herrn Alexander haben sich bis jetzt immer als recht luftig, man kann schon sagen windig erwiesen. Er hat in London eine Hindenburg-Biographie von mir ausgeboten, offenbar Hindenburg mit Baco298 und mir selber verwechselnd. Ich würde auf ihn keine grossen Hoffnungen bauen. wird Frau M., sowie er in Berlin zurück ist, in meinem Auftrag eine Kleinigkeit geben. Alles Gute Ihr L F Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/91–-92. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 20f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 1.8.1933 Moskau 1.8.1933. Hotel Novo Moskovskaja –

296 Nicht überliefert. 297 Feuchtwanger war mit der Arbeit an einem Drehbuch zu seinem Roman Die Geschwister Oppermann (vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933) befaßt, der in England verfilmt werden sollte. Das Projekt kam nicht zustande. 298 Francis Bacon, latinisiert Baco von Verulam (1561–1626), englischer Philosoph und Staatsmann. Vgl. dazu Korsch, 14.10.1941. – Der Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (1847–1934) wurde in der Weimarer Republik zweimal zum Reichspräsidenten gewählt.

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Lieber Bert, natürlich hättest Du mir ruhig einmal schreiben dürfen – Schreibfaulheit ist nicht immer und am wenigsten in diesen Zeiten eine Entschuldigung 2 Fragen – die aber natürlich einen ganzen komplex umfassen, da sie sicher nicht für sich allein bestehen – I. Schwejk.299 Ich will ihn hier verfilmen (hörte von Deiner Absicht, dies in Paris zu tun)300 (und wenn ich Dich auch zu gut kenne, und trotzdem schätze – so missfällt mir die Art mich zu übergehen doch ein wenig!) (Und nicht um Deine Absicht zu konterkarieren oder mich ins Geschäft zu drängen – ich glaube, dass ich dies niemals tat – ) machte ich Meschrabpom301 den Vorschlag Dich einzuladen – um das Scenarium … u.s.w. u.s.f. – Antworte darauf sofort – ob Du unter günstigen Bedingungen bereit bist etc. II. Fällig wird der Film über das Eigentum302 (privat- und Gemein- oder kollektiv-) Beispiel eine deutsche Kolchose im Wolgagebiet (Faschistenpropaganda kann man widerlegen!) Eine grosse dichterische Arbeit mit guter praktischer Vorarbeit – Ottwalt sollte auch kommen – für beide Sachen evtl. III. Noch andere wichtige Dinge sind im Werden. Darüber berichte ich später. Schreibe mir doch auf jeden Fall. (Das ist wohl selbstverständlich!) Mein Film303 nähert sich dem Ende – trotzdem glaube ich – war die Lehre für den nächste[n] nicht schlecht (zu teuer natürlich!) 299 Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války (1920–23), Fortsetzungsroman von Jaroslav Hašek. Deutsche Ausgabe: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkriegs (1926/27). Eine Bühnenbearbeitung, an der neben Felix Gasbarra und Leo Lania auch Brecht beteiligt war, hatte Piscator bereits 1928 in Berlin inszeniert. Die geplante Verfilmung kam nicht zustande. 300 Es war Piscator selbst, der später eine Schwejk-Verfilmung in Paris plante, an der Brecht sich beteiligen sollte; auch dieses Projekt kam nicht zustande (vgl. Anm. in GBA 7, S. 418). Nach einem Treffen mit Piscator in New York im Frühjahr 1943 nahm Brecht seinerseits die Arbeit an einer Bühnenfassung (Schweyk, GBA 7, S. 181–257) wieder auf, diesmal allerdings nicht mit Piscator, sondern mit Kurt Weill, worauf jener sehr erbost reagierte (vgl. Piscator, Mitte August 1943 und 24.9.1943). 301 Auf Initiative Willi Münzenbergs gegründete deutsch-sowjetische Filmproduktionsgesellschaft, bis 1928: Meshrabpom-Rus. 1924 aus einem Zusammenschluß des vormals privatwirtschaftlich betriebenen Moskauer Filmstudios Rus und der Internationalen Arbeiterhilfe (Meždunarodnaja rabočaja pomošč’) hervorgegangen. Meshrabpomfilm engagierte insbesondere auch Künstler aus dem Ausland und produzierte Filme für ein internationales Publikum. 1936 mußte der Betrieb eingestellt werden, aus den vorhandenen Kapazitäten ging das Studio Sojusdetfilm hervor (ab 1948: Gorki-Studio). 302 Dieser Film kam nicht zustande. 303 Vosstanie rybakov (Der Aufstand der Fischer, UdSSR 1934), nach der Erzählung Aufstand der Fischer

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Dein letztes Stück (Spitz- und Rundköpfe) gefiel mir sehr gut. Schreibe. Grüsse alle. Bes. Ottwalt, der wohl in Deiner Nähe ist. Dein P. Überlieferung: Ms, BBA 477/115-116. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 262f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Anfang August 1933] lieber bidi. „bébé a bobo“. (baby hat wehweh). immer wenn das kleine mich sieht, bricht es in diesen jammerruf aus. und „bébé a“ tatsächlich „bobo“. ich bin da vor einer woche hingeschlagen, und [mein] knie war ganz entzündet, nun muss ich bissel humpeln, es wird aber sicher gut werden jetzt schon besser. lieber bidi, an koch habe ich geschrieben, noch keine antwort. sonst gibt es hier nichts, Du darfst auch nicht vergessen, dass ich doch hier mit niemandem spreche und vollkommen allein bin bis auf den tag, wo ich nach paris fahre und immer versuche, möglichst viele leute zu treffen. aber man hört dann auch nichts besonderes. ich bin so neugierig auf Deinen 3 groschen roman.304 wie weit ist er? und der andere? Dir diesen brief zu schicken, in dem nichts steht, ist mir wirklich unangenehm. besonders nachdem frau borchardt, die sich gestern für ihren mann bei mir entschuldigen kam, mir sagte, Du habest ihm geklagt, Du hörst nichts aus paris. und ich habe doch mein bestes versucht, und mehr gibt es eben nicht zu hören, als ich Dir erzähle, wenn man den leuten, den zeitungen, den versammlungen usw. glauben kann. was man, zugegeben, nie soll. ich habe mit der ruth fischer gesprochen. sie sagt, ich soll zum 15. reinziehen. hier kümmert sich doch niemand um mich ausser den wirtsleuten, und in paris kann man schnell mal jemanden kommen lassen usw. weinert305 ist hier, dem geht es ja ganz schlecht. eisler lässt grüßen. brentano, der mir viele Sachen für die DAD schickte, ebenfalls, letzterer bittet Dich, ihm mal zu schreiben.

von St. Barbara von Anna Seghers. Piscator war seit 1932 mit den Dreharbeiten für Meshrabpomfilm in der UdSSR beschäftigt. Die Premiere fand am 5.10.1934 in Moskau statt. Dieser Film blieb der einzige, den Piscator realisieren konnte. 304 Brecht legte Steffin regelmäßig neue Textstücke des Dreigroschenromans zur Begutachtung vor. 305 Erich Weinert (1890–1953), Schriftsteller und Journalist, Mitbegründer des BPRS. Ging 1933 über die Schweiz ins Exil nach Frankreich, 1935 in die UdSSR, kämpfte 1937 bis 1939 im Spanischen Bürgerkrieg. 1946 übersiedelte er nach Ostberlin.

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kisch scheint vollkommen durchgedreht. so wie chaplin306 in besonders tragischen Situationen hilflos und gequält gelacht hat, macht er mal einen witz, dann stiert er wieder wie ein halb verdrehter. seinen lieben bert lässt er auch sehr grüssen. swienty307 ist auch hier. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 654/15. – E: Steffin, Briefe, S. 90f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Anfang August 1933] lieber bidi, ich will Dir rasch einen kurzen gruss schreiben, um Dir zu sagen: wenn Dir der borchardt schreibt, es ginge mir nicht gut (was er wohl tun wird), musst Du da keinen schreck bekommen. erstens kann er das gar nicht wissen, weil wir uns lange nicht gesehen haben, und gestern bei der „versöhnung“ – er kam mit seiner familie und zwei blumensträussen bewaffnet – habe ich ihnen gesagt, es ginge mir nicht gut, weil ich nicht zu ihnen hingehen mag. das ist alles. tragisch ist nur, dass mein knie immer noch eitert, aber das muss ja die längste zeit gedauert haben, dann hat das „bébé“ nicht mehr „bobo“308 und fährt nach paris, sich eine wohnung zu suchen, gekündigt habe ich hier schon. sonst gibt es nichts neues. dass für den prozess gegen die reichstags-brandstifter309 sich ein weltgericht gegen das reichsgericht gebildet hat, wirst Du in den zeitungen ja gelesen haben. in Deinem mantel war noch ein unvollständiges exemplar der „Spitzköpfe“. (es fehlen nur die seiten bis 23) soll ich Dir die vielleicht abschreiben? (ausserdem fehlen noch die Seiten 27-32) warum ist übrigens bei Dir immer die anrede „Sie“ und „Ihr“ gross geschrieben, die anrede „du“ aber klein? ist das absicht? es ist mir schon oft aufgefallen.

306 Charles Chaplin (1889–1977), englischer Filmschauspieler, -regisseur, -produzent, seit 1913 in den USA, übersiedelte 1952 in die Schweiz. Chaplin, meinte Brecht 1926 gelegentlich der Vorführung des Films The Gold Rush, sei „ein Dokument, das heute schon durch die Kraft historischer Ereignisse wirkt“ (GBA 21, S. 135); er würde „in manchem mehr den Ansprüchen des epischen Theaters entsprechen als denen des dramatischen“ (GBA 24, S. 51). 307 Wilhelm Swienty, Berliner Arzt, von dem Steffin sich untersuchen ließ. 308 Vgl. Steffins vorangegangenen Brief. 309 Gegen die angeblichen Reichtstagsbrandstifter wurde von September bis Dezember 1933 vor dem Reichsgericht in Leipzig prozessiert.

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jetzt haben wir schönes wetter, so wie herbst, wind und kühl und blätter fallen, so recht zum melancholisch werden, jedenfalls besser als die 38 grad im schatten, die vorher waren, und ohne wasser. ich fange an, meine gesellschaft als ausreichend zu empfinden. vielleicht ist das ein fortschritt? eben rief die kleine wieder „bébé, bébé“. ich habe ich bin traurig. auf wiedersehen, lieber bidi. Überlieferung: Ts, BBA 654/18–19. – E: Steffin, Briefe, S. 92f.

Lulu Ziegler 310 an Bertolt Brecht Kopenhagen, 5.8.1933 Kopenhagen, den 5.8.33. Gl. Kongevej 64. Lieber Genosse B r e c h t ! Vielen Dank für die Nachricht, die in dem Brief von Ottwalt stand. Der Abend, an dem ich Deine Sachen bringen wollte,311 sollte eine vorwiegend dänischer sein. Siehst du – wir kennen hier in K.312 beinah nicht die Art, die Du repräsentierst, (eigentlich nur von der Dreigroschenoper). Man hatte bisher fast kein Interesse dafür. Diese ganze Kabarettform, die in Deutschland seit dem Krieg existiert, ist uns fremd. Ich bin eigentlich die einzige, die das überhaupt bisher gebracht hat, erstens natürlich unter Genossen, und zweitens ab und zu bei offiziellen Mitternachtsvorstellungen und unter Intellektuellen, wo ich natürlich ein sehr dankbares Publikum habe. Ein Kabarett existiert in K. nicht, besonders kein politisches. Ich habe jetzt das Gefühl, dass man bei der Bourgeoisie vorstossen kann. Ich bin ganz bekannt. Man erwartet von mir, dass ich solche für sie sonderbare Sachen bringen werde. Wir wollen versuchen, einen neuen Ton hier zum Klingen zu bringen, und wir haben natürlich auch gute Sachen auf dänisch (2 hervorragende revolutionäre Komponisten). Der Abend soll für die Bourgeoisie gemacht werden, also darf er kein kommunistischer sein. Wir bringen vielleicht 2 oder 3 Sachen von Eisler mit Text von Dir oder anderen, z.B.

310 Lulu Ziegler (1903–1973), dänische Kabarettistin und Schauspielerin, Ehefrau von Per Knutzon. Brecht lernte sie im dänischen Exil kennen. 311 Ziegler wollte u.a. Gedichte Brechts vortragen. 312 Kopenhagen.

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Kästner313, Ringelnatz314 u.ä. und dann dänische Sachen. Die deutschen Lieder sollen aber deutsch gesungen werden. Dies ist das politisch Gebotene, denn wir müssen gerade in der heutigen Zeit die internationale Solidarität auch in der Kunst- und Kulturfront betonen, die durch den Umsturz in Deutschland nicht zerbrochen ist. Dass ihr mir helfen werdet, halte ich für das Gegebene, persönlich wird das natürlich meine Stellung befestigen und dadurch noch mehr der Sache dienlich sein. Ich habe das Gefühl, dass du etwas Genaueres von mir und meinem Mann wissen willst. Wir sammeln aber unsere Rezensionen nicht und deshalb will Karl Motesicki315 jetzt zu den Redaktionen gehen, sie heraussuchen und Euch zuschicken. Wenn Helene Weigel hier einen Abend für sich geben will, würden wir uns sehr freuen und dies nach allen Kräften unterstützen. Allerdings ist sie ja hier leider ganz unbekannt. Es wäre darum das Beste, wenn Du mit ihr zusammen einen solchen Abend geben würdest, da Du hier gut bekannt bist. In dem Fall wird es sich vielleicht machen lassen und ein materieller und künstlerischer Erfolg wäre gesichert. Ueberhaupt wäre es sehr schön, wenn Ihr persönlich herkommen könntet, um uns zu besuchen. Sage bitte Ottwalt, dass er – wenn er nach K. kommt – bei uns wohnen kann, bis er sich ein gutes Logis findet. Mit revolutionärem Gruss Lulu Ziegler Knutzon. Überlieferung: Ms, BBA 476/39. – E: Günther Schwarberg, Sommertage bei Bertolt Brecht: Tagebuchskizzen unter dem dänischen Strohdach, Hamburg 1997, 28 (dort irrtümlich datiert: 8.8.1933).

Elias Alexander an Bertolt Brecht Amsterdam, 7.8.1933 E. Alexander

z.Zt. AMSTERDAM-Z., den 7. August 1933 ZUIDER AMSTELLAN 178

313 Der Schriftsteller Erich Kästner (1899–1974) blieb während des Nationalsozialismus in Deutschland, war sogar selbst bei der zeremoniellen Verbrennung seiner Bücher im Mai 1933 zugegen. 314 Joachim Ringelnatz, d.i. Hans Gustav Bötticher (1883–1934), Schriftsteller, Maler und Kabarettist. Schrieb u.a. für den Simplicissimus und trat im Berliner Kabarett Schall und Rauch auf. Wurde 1933 mit Auftrittsverbot belegt. 315 Der österreichische Psychoanalytiker Karl Motesiczky (1904–1943) folgte seinem Kollegen Wilhelm Reich 1933 nach Dänemark gefolgt. 1938 kehrte er zurück nach Wien, wo er später verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde.

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Herrn Gert [sic] Brecht Thurö per Svendborg Dänemark Sehr geehrter Herr Brecht ! Um die schwebenden Vertragsangelegenheiten mit dem Verlag de Lange zu regeln, bin ich gestern nach Amsterdam gefahren. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich dann, dass Sie aufgrund direkter Verhandlungen mit dem Verleger bereits abgeschlossen haben.316 Ich bedaure dies, teils aus Prestigegründen, teils weil ich mich verpflichtet fühle, als Ihr Vertreter den Vertrag in Ihrem Interesse genau zu überprüfen. Im wesentlichen sind ja die Abänderungen nur gering, nur verstehe ich nicht, warum sie mich in dem Vertrag ausschalteten. Dies liegt wohl kaum in ihrem Interesse, da uns ja die Kontrolle und Wahrung Ihrer Interessen obliegt. Da der Vertrag, ohne dass Sie oder der Verlag de Lange mich informierten, gezeichnet wurde, kann ich leider nichts tun, als Sie bitten, mir zu bestätigen, dass die zwischen uns getroffenen Vertretungs- und Provisionsabmachungen zurecht bestehen. Der Verlag de Lange sagte mir, dass Sie die direkte Ueberweisung unserer Provision veranlasst hätten, im Gegensatz dazu wollte mir aber der Verlag den Provisionsanteil an der ersten Hälfte des Vorschusses nicht aushändigen, „da er nochmals darüber Ihre Instruktionen einzuholen hätte“. Ich bemühe mich nun weiter um den Verkauf der englisch-amerikanischen und anderssprachigen Uebersetzungsrechte, denn ich habe mit dem Verlag, wie von Ihnen gewünscht, den Vertrieb der Uebersetzungsrechte uns vorbehalten. Allerdings muss ich von unserer Provision dem Verlag einen Teil abgeben, um den Vertrag zu sichern. Wie müssen nun beide bemüht sein, dass der Abschluss ohne jede weitere Verzögerung erfolgt, und ich muss die dringende Bitte an Sie richten, mich von allen Mitteilungen oder Abmachungen zwischen Verlag und Ihnen sofort zu unterrichten. Ich halte es für unerläss­ lich, dass ich alle Dinge in Ihrem Interesse kontrolliere. Darf ich Sie bitten, mir sofort an unsere neue Büroadresse European Books Ltd. - Morley House, 314-324 Regent Street, London W 1. eine Bestätigung dieses Briefes und eine Antwort zu senden? Verbindlich grüssend Ihr sehr ergebener E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 580/16.

316 Vgl. Anm. zu Allert de Lange, 27.7.1933.

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Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 8.8.1933 AMSTERDAM (C.) den 8. August 1933. DAMRAK 62. Einschreiben Herrn Bert Brecht Thurö per Svendborg Sehr geehrter Herr Brecht, Hierbei eingeschlossen haben wir das Vergnügen Ihnen ein Exemplar des von uns unterzeichneten Vertrages zu zusenden. Gleichzeitig senden wir laut dieses Vertrages einen Scheck von Mk. 3400.- (4.000.- Mk. weniger 15% Kommission für Herrn Alexander, wie Sie in Ihrem wt. Brief vom 2.8.33 uns mitteilten.) Gerne sehen wir Ihrer Nachricht entgegen ob Sie damit einverstanden sind, dass wir Herrn Alexander diese Mk. 600,- zusenden. Wir bitten Sie höflichst in Ihrem Schreiben auch den Empfang des Schecks bestätigen zu wollen. Mit besten Grüssen und vorzüglicher Hochachtung, Allert de Lange In der Anlage: 1 Verlagsvertrag 1 Scheck No. 5808 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Afdeeling Uitgeverij Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeeategiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak - Amsterdam, 330808; BBA 780/3.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht Paris, 10.8.1933

Paris 10 August 1933

Lieber Brecht! Es ist von mir sehr gemein erst jetzt zu schreiben. Aber eine abscheuliche Magen u. Darm Grippe hat mich ca 3 Wochen völlig erledigt. Bis auf mein scheußliches Aussehen, das meine Umgebung zu fortwährenden Ausrufen anspornt, geht es mir wieder besser. Nach dieser allgemeinen Einleitung folgt: Konkretes: 1.) Furchtbarer Jammer das aus der „quatre vent treize Sache“317 nichts wurde! Man hat eine Reihe von Idioten engagiert. Ich selbst habe auch noch keinen Vertrag, obwohl ich schon bereits durch unflätiges Schimpfen mich als Mitarbeiter legitimiert habe. Meine Firma liebt mich nicht; sie findet ich wäre nicht sehr aufrichtig in der Verfolgung ihrer Geschäftsinteressen. Seitdem aber einige Schwindler behaupten, daß ich in „Dans les rues“ revolutionäre Lieder eingeschmuggelt hätte, findet die Firma auch mein Aussehen und meine Manieren nicht mehr so hinreißend. 2.) „Dans les Rues“ war bei der Presse-Première für Trivas318 ein recht starker Mißerfolg. Der gute Onkel Eisler hat sich aber wieder einmal aus der Sache gezogen, da die Musik als das beste bezeichnet wurde. (Unter uns gesagt: sie scheint leider eine meiner besten Arbeiten zu sein. Es ist ein Jammer!) 3.) Ich synchronisiere jetzt den fabelhaften Zuider-See von Ivens.319 Das wird ganz große Klasse. Gegen die polit. Schlagkraft dieses Films ist „Potemkin“320 ein schwächliches, rechtsreformistisches, ja fast schon kleinbürgerliches Machwerk. Selbstverständlich hat Onkel Eisler, im guten alten Brecht-Stil den ganzen Schluß auch textlich besorgt.321 317 Victor Trivas plante, den Roman Quatre-vingt-treize (Das Jahr 1793, 1874) von Victor Hugo zu verfilmen. Eisler sollte dazu die Musik komponieren. Das Projekt kam nicht zustande. 318 Victor Trivas (1896–1970), russischer Filmregisseur, Szenenbildner und Drehbuchautor. Ab 1925 in Berlin, ging 1932 nach Paris und 1941 in die USA. Zu seinem Film Dans les Rues (1933) hatte Eisler die Musik komponiert. 319 Der niederländische Dokumentarfilmer Joris Ivens (1898–1989) lebte in den frühen 1930er Jahren hauptsächlich in Moskau und Paris, von 1936 bis 1945 in den USA, arbeitete als Filmemacher 1937 auch im Spanischen Bürgerkrieg. 1956 übersiedelte er nach Paris. Seit seinem Film Pesn‘ o gerojach (Heldenlied, UdSSR 1932) arbeitete er regelmäßig mit Eisler zusammen, der Musik zu insgesamt vier Filmen von Ivens komponierte. In seinem Stummfilm Zuiderzeewerken (NL 1930) hatte Ivens die Arbeiten zur Trockenlegung der Zuidersee dokumentiert. Später entstand daraus, wiederum zur Musik von Eisler, der Tonfilm Nieuwe Gronden (Neue Erde, NL 1934). 320 Das ist der Film Bronenosec Potemkin (Panzerkreuzer Potjomkin, UdSSR 1925) von Sergej Eisenstein. 321 Zu der aus Wochenschaumaterial montierten Schlußsequenz des Films (Nieuwe Gronden), die zeigt, wie zur Hochhaltung der Preise massenweise Getreide und Kaffee vernichtet werden, ließ Eisler die 1930 entstandene Ballade von den Säckeschmeißern (Text: Julian Arendt/Ernst Busch) einsingen.

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(Ich kann Sie jetzt schon recht gut imitieren! Selbstverständlich einen Kenner wie Sie, kann ich nicht täuschen!) 4.) Meine Č.S.R. Filmsache322 ist in Ordnung aber sehr dumm und langweilig. 5.) Ich habe eine Menge Pläne u. Chancen für Herbst. Aber alles sehr unsicher. 6.) Es ist ein Jammer daß ich nicht zu Ihnen kommen kann. Eine Arbeit mit Ihnen wäre jetzt großartig. Sind Sie fleißig? Das Gedicht über den Anstreicher Hitler323 habe ich recht lustig komponiert. 7.) Anbei sende ich Ihnen einen kleinen Entwurf „Requiem über den Tod der unbekannten Proleten“. Können Sie es a. verbessern b. länger machen? Vergessen Sie nicht ganz an den alten Onkel Eisler! Beste Grüße an die Familie (Spezialgrüße an Helli) und den Ottwalds324! (Ebenfalls Spezialgrüße) Sehr herzlichst Ihr Hanns Eisler Kleines Requiem über die unbekannten Proleten I Chor:

Wir bitten Euch jetzt zu denken An die unbekannten Genossen Die, uns unbekannt, gekämpft haben Und, uns unbekannt, gestorben sind, Und die zu wenig und schlecht gerühmt werden.

II Wer kennt Ihre Namen? Niemand. Wer rühmt Ihre Taten? Niemand. Wer kennt Ihre Grabstätte? Niemand. Und nicht einmal die Abbildung Ihres Gesichts ist uns bekannt.

322 Georg Höllering, Produktionsleiter u.a bei Kuhle Wampe, bereitete einen Spielfilm (Arbeitstitel: Dolina) über das Leben in Transkarpatien vor, zu dem Jacques Prévert das Drehbuch geschrieben hatte. Die Musik sollte Eisler beisteuern. Das Projekt kam jedoch nicht zustande. 323 Vgl. Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933. 324 Ernst Ottwalt und seine Frau Waltraut Nicolas.

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III Deswegen rühmen wir jetzt die Unbekannten Proleten Die uns unbekannt, gekämpft haben und, uns unbekannt, ermordet wurden Und die noch immer nicht furchtbar gerächt sind von uns. Überlieferung: Ms, BBA 479/53–56. – E: Eisler, Briefe, S. 74f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Mitte August 1933] lieber bidi, sei nicht böse auf mich, dass ich nicht geschrieben habe. inzwischen wirst Du ja auch die beiden briefe bekommen haben. mir war es gar nicht gut. jetzt geht es wieder besser. ich hatte heute war ein teuerer tag. bartoschs geht es doch gar nicht gut. und wenn sie mitkommen, für Dich ein haus zu suchen, zahle ich ihnen das fahrgeld. in dieser blödsinnigen hitze auch einen café – darf ich das? sie kommen so gern mit, und fr. bartosch spricht ja auch gut französisch. (mit dem wagen klappt leider nicht immer alles so.) wir werden schon was finden. jetzt warten wir erst mal Deine antwort ab. die leute sind sehr nett zu mir (manche vielleicht zu nett), sodass ich in paris auskomme. jetzt ist da eine wohnung frei: im sommer auch kalt und warmes wasser, im winter zentralheizung, 2 zimmer, küche, bad, alles zusammen 350 !! lift, es ist im 6. stock. ist das nicht glänzend? wenn ich da jemanden fände, ich zöge sofort hinein! was meinst Du? es ist unerhört billig, weil ja jedes bad sonst 3 - 5 fr. kostet! (z.b.!) und warm wasser usw. hier lege ich Dir einen ausschnitt aus „monde“325 bei. Du solltest nicht dulden, dass weill alles für sich proklamiert, in zeitungen (und auf veranstaltungen), auch dann nicht, wenn die kritiken abfällig sind wie diese z.b.326

325 Gemeint ist wohl Le Front Mondiale, das Organ des Internationalen Komitees zum Kampf gegen Krieg und Faschismus. 326 Die beigefügte Kritik bezieht sich auf die Aufführung des Balletts Die sieben Todsünden der Kleinbürger, das letzte Stück, das Brecht zusammen mit Kurt Weill fertiggestellt hat. Die Uraufführung fand am 7.6.1933 im Théâtre de Champs-Elysées in Paris statt.

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in amsterdam ist eine „freie presse, wochenblatt für geistige und politische freiheit“ gegründet worden, mitmachen nexö327, thomas mann, a. zweig, gumbel328, wassermann329, roth330 (von dem mehring behauptet, er sei dauernd besoffen und mache bei uns nicht mit), plivier, heller331, kisch, döblin, feuchtwanger, h. mann (der auch nicht geantwortet hat), usw. in prag ist eine feuilletonkorrespondenz von unseren leuten gegründet. seghers, luschnat332 und leonhard – vielleicht auch die kantorowicz333-leute – sollen angeblich auch sowas aufmachen. ! kurtchen k.334 fragt an, ob Du einverstanden bist, wenn ehrenstein mitmacht, der grosse lust dazu hat. heute bin ich mal „schiffchen“ gefahren, von meudon zum louvre. es war sehr schön, wasser zu riechen, man hat doch nie was, und ich schwimme so gern. ich war ganz neidig [sic] auf die leute, die in der dreckigen seine schwimmen konnten. die hitze ist ganz verrückt jetzt. sehr warm lässt katz grüssen, fragt wie alle, wann Du kommst. Dein freund lion f.335 war in paris soir.336 ein langer aufsatz stand über ihn drinnen, sein bild lege ich Dir bei, weil es so schön gross ist. aus deutschland höre ich, dass ich jetzt vielleicht doch rüberkommen könnte, viele Sachen seien nun niedergeschlagen und den einzelnen terrorgruppen bei strengster strafe verboten, privatgerichtsakte auszuüben. ein genosse, der seit anfang märz spurlos verschwunden war, kam wieder zu meiner schwester. er war im konzentrationslager, sieht am ganzen 327 Der mit Brecht befreundete dänische Schriftsteller Martin Andersen-Nexø, auch: Nexö (1869–1954), wurde nach dem Einmarsch der Deutschen als Kommunist verhaftet, floh 1943 über Schweden in die UdSSR. Kehrte 1945 nach Dänemark zurück und übersiedelte 1952 in die DDR. 328 Emil Julius Gumbel (1891–1966), Mathematiker und Publizist. Arbeitete in den 1920er Jahren u.a. für Die Weltbühne. Ging 1933 ins Exil nach Frankreich, 1940 in die USA. 329 Jakob Wassermann (1873–1934), Schriftsteller. Seine bis dahin überaus erfolgreichen Werke wurden nach der Bücherverbrennung in Deutschland verboten. 330 Joseph Roth. 331 Der österreichische Schriftsteller und Journalist Otto Heller (1897–1945) lebte seit 1926 in Berlin, dort u.a. für die Welt am Abend und Die Rote Fahne tätig. Ging 1933 über die Tschechoslowakei und die Schweiz in die UdSSR, wo er bis 1936 als Redakteur der Deutschen Zentral-Zeitung arbeitete, dann nach Paris. 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Er starb im KZ Ebensee. 332 David Luschnat (1895–1984), Schriftsteller. Ging 1933 über die Schweiz ins Exil nach Paris, arbeitete dort als Sekretär des Pariser SDS. 333 Alfred Kantorowicz (1899–1979), Schriftsteller, Publizist und Literaturwissenschaftler. Ging 1933 ins Exil nach Paris, dort Generalsekretär des SDS und Leiter des Internationalen Antifaschistischen Archivs. Kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und floh 1940 in die USA. 1946 Rückkehr nach Berlin, Herausgeber der Zeitschrift Ost und West. 1957 flüchtete er in die Bundesrepublik. 334 Kläber. 335 Feuchtwanger. 336 Paris-Soir, von 1923 bis 1944 erscheinende französische Tageszeitung.

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körper entsetzlich aus, ausserdem ist er fast erblindet, soviel schläge an den schädel hat man ihm gegeben. meine mutter schreibt, dass es mit der partei schlecht aussieht, schlechter als vor wenigen wochen, weil das geld immer knapper wird. ein vorschlag: ist die hauptmann noch in bln? bartoschs schwester arbeitet in der buchhandlung gegenüber Deiner garage. er lässt sich bücher schicken und meint, man könnte auf diesem wege auch von Dir sachen mitschicken lassen, wenn sie rumgebracht werden.337 ausserdem könnte alle 14 tage ein einschreibebrief an ihn geschickt werden, (nicht öfter, weil er durch entsetzlich viele post, die die seghers dauernd an ihn schicken liess, auch, solange sie noch in paris war, unannehmlichkeiten hatte.) ferner meint er, wenn Dir soviel daran liegt, die sachen zu bekommen, würde er hinfahren, sie Dir zu holen. (also die bücher usw.) das gleiche bot mir vor kurzem eine genossin an, man müsste dann natürlich das fahrgeld zahlen. die genossin ist sehr tüchtig, bartosch ist ein bisschen zu sehr idealist und reichlich weltenfremd, hat aber den ungeheuren vorteil, tscheche zu sein. schreibe doch mal deswegen. auch ich würde gern rüberfahren und Dir das alles erledigen. aber vielleicht ist inzwischen alles zum besten erledigt? schreibe deswegen. nochmals mit der wohnung: in meudon kaum unter 12000 (was sich vielleicht auf 10000 herabhandeln lässt), dann aber sehr schön. in beauchamp sehr gut für 4 ½ bis 6000 fr. aber eben sehr weit. wagen sind billig zu haben. die mann-er338 waren auch alle in paris soir. komm her, damit auch Du hinein- und im ganzen paris gut herauskommst. in beauchamp haben die emigranten keinen guten namen, d.h. alle emigranten derjenigen wegen, die hier wohnen, nicht, weil b.339 einen pavillon umsonst haben, immer stöhnen, sich jetzt umzug zahlen und möbel leimen liessen, und trotzdem jeden monat mehr geld geschickt bekommt, als gut gestellte franzosen verdienen. es ist im grund nebensächlich, aber in diesem falle gerade unangenehm. er sollte nicht mehr das komité in anspruch nehmen.

337 Nachdem Brechts Berliner Wohnung polizeilich durchsucht und dabei nur wenige Manuskripte beschlagnahmt worden waren, gelang es Hauptmann, die noch bis Dezember 1933 in Berlin wohnte, Material sicherzustellen und im August nach Dänemark zu befördern. Daß sie jedoch im November, kurz vor ihrer Flucht nach Paris, aus Furcht vor der Gestapo einen Koffer mit Manuskripten in einer Berliner Pension zurückließ, machte ihr Brecht später zum Vorwurf (vgl. BC, S. 383f., 385; dazu auch die Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934). 338 Die Rede ist von den Brüdern Heinrich und Thomas Mann sowie dessen Sohn Klaus Mann (1906– 1949). Dieser ging 1933 über Paris ins Exil nach Sanary-sur-Mer, später nach Amsterdam und Zürich, 1938 in die USA. 1949 übersiedelte er nach Südfrankreich, wo er sich im Mai 1949 das Leben nahm. 339 Möglicherweise Hermann Borchardt.

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langsam komme ich mir wie ein hochstapler vor, wenn die leute mich immer nach Dir ausfragen und fragen, wie lange ich mit Dir gearbeitet habe, was usw. und wenn sie mir sagen, dass sie mich deswegen alle einladen, weil ich mit Dir gearbeitet habe. als ich gestern einen genossen traf, der Mich (nicht „Deine sekretärin“) einlud, war ich so froh, wie seit langem nicht. alle fragen, was Du machst. wenn Du willst, dass ich es ihnen sage, schreibe es mir. von allen seiten grüsse. jeder will sich ja immer jedem in erinnerung bringen. hast Du den vertrag mit dem über den 3groschenroman abgeschlossen? durch wen und mit welchem verlag? wenn es kein geheimnis sein soll, teile mir doch auch das mit. hier ist der sekretär von plivier, ein gewisser harri wilde340, mit dem ich vor einigen jahren grossen krach hatte, weil bei ihm einige unsauberkeiten vorkamen. er sagte regler, er verhandele hier für einen holländischen verlag, und soweit sich regler besinnt, hat er ihm u.a. einen gemachten vertrag mit Dir erwähnt. stimmt das?341 sonst ist noch einiges unwichtiges, das ich mir für den nächsten brief aufbewahre. auf wiedersehen. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 654/13–14. – E: Steffin, Briefe, S. 93ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Beauchamp, Mitte August 1933] lieber bidi, wann willst Du denn kommen? ich will jetzt am 15. nach paris ziehen, ich halte es hier wirklich nicht mehr aus, ich bin schon ganz trübsinnig und mag auch nichts mehr arbeiten, weder französisch, noch schreiben, noch sonst etwas. ganz allein ist auch nicht gut. Du bist anspruchsvoll: für 350,- - kriegst Du kaum ein möbliertes zimmer mit heizung, viel weniger: zwei und bad und lift. aber möbel sind wirklich nicht teuer, und Du hast dann Deine wohnung für Dich, bist nicht abhängig von den vermietern, hast nicht den lärm des hotels, kannst Dir einladen wen und wann Du willst, es hat schon sehr grosse vorteile. allerdings behauptet eisler boshafterweise, ein elefant koste nur 200 fr, während die wohnung immerhin 350 im monat kostet, und hinzu kommt und der nützlichkeitswert sei derselbe.342 340 Harry Wilde, auch: Schulze-Wilde (1899–1978), Journalist und Verleger. Nach kurzzeitiger Verhaftung flüchtete er 1933 in die Tschechoslowakei. Nach weiteren Exilstationen u.a. in den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz kehrte er 1947 zurück nach Deutschland, gründete in München mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsbehörden die Zeitschrift Echo der Woche. 341 Brecht hatte einen Vertrag mit dem Verlag Allert de Lange, Amsterdam, abgeschlossen, wo 1934 der Dreigroschenroman erschien. 342 Anspielung auf Brechts Vorliebe, Steffin Elefanten aus Porzellan, Glas oder Holz als Glücksbringer zu schenken.

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da die DAD nun leider nicht so weit ist, dass man ein bürozimmer dafür unbedingt einrichten muss, habe ich eislers gegenargumente eingesehen und nehme mir, wenn auch schweren herzens, ein zimmer. (die wasch- und toilettenfrage ist immer schauderhaft, da ist hotel vielleicht doch am besten, bloss so laut.) ich suche noch ein bisschen. vielleicht nehme ich auch für 2 monate ein atelier. viele leute geben es billig ab, die jetzt an die see gehen, für die zeit ihres urlaubs. koch hat noch nicht geschrieben. ich war noch nicht beim arzt. ich weiss nicht, wovon brentano sprach „bücherfreunde, zürich?“343. mir hat er nichts gesagt. jetzt hat er geschrieben, er möchte die sachen, die er für die DAD schickte, zurückhaben, da in zürich eine möglichkeit sei. es sind aber auch alles so lange sachen (nie unter 8 schreibmaschinenseiten) dass ich sie ihm gern zurückgebe. hast Du an feuchtwanger geschrieben? ich habe auch an graf geschrieben, bekam aber keine antwort, ebenso wenig wie von mehring, lania, kisch, die ja auch alle an mindestens 3 oder 4 anderen, ähnlichen sachen beteiligt sind. sonst weiss ich nichts neues. ausser, dass es leider wieder so heiss geworden ist, dass man heulen möchte, wenn man nicht so viel schwitzen würde, und abends feucht. was ist nun eigentlich mit O T T WA LT ? 344 Soll ich ihm direkt schreiben? unser kleiner beauchamper zeitungskiosk ignoriert meine wünsche, ich habe mir leichtsinnigerweise die zeitung bestellt, aber da sie anscheinend wussten, dass eine zeitung über meine Verhältnisse geht, liefern sie sie nicht. auf den 3groschenroman freue ich mich schon, was macht der andere? hast Du nun den vertrag fest? was sagst Du zu Deinem partner weill? ich hatte schon angst, ich habe da einen primäraffekt (sowas gibt’s doch?) von syphilis, aber man soll von sorgen „nesselfieber“ kriegen, na und das ist es nun bloss. borchardt hat’s auch. [Hs.: Was nicht heissen soll, daß es dadurch hoffähig ist.] auf wiedersehen. [Hs. auf der Rückseite:] Lieber Bidi, dieser Brief sollte gestern in Paris eingesteckt werden, leider hat ihn das Mädchen vergessen einzustecken u. nun hab ich wieder lange nicht geschrieben. Aber Dir sollten dauernd die Ohren klingen. Weil ich immer zu mir von Dir spreche. 343 Möglicherweise die Zeitschrift der Büchergilde, die Brentano erwähnt. Vgl. dessen Brief vom 4.10.1933. 344 Ernst Ottwalt hielt sich von Juni bis August 1933 bei Brechts Nachbarin Karen Michaelis in Dänemark auf.

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Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; BBA 654/39–41. – E: Steffin, Briefe, S. 97ff.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Zürich] 20.8.1933 20/8 Lieber Freund. hier haben Sie also die Broschüre.345 Lesen Sie sie bitte genau sagen Sie mir Ihre Ansichten, und vor allen Dingen – !! – machen Sie soviele Verbesserungs und verdeutlichungsvorschläge als Ihnen nur möglich sind. Nun aber noch dies: Die Br ist zunächst als streng vertraulich zu behandeln. Ottwalt können Sie sie zeigen, sein Brief war ausgezeichnet. Aber auch ihn bitte ich um Diskretion. Die Arbeit soll – ob sie gleich gedruckt wird oder nicht – z u n ä c h s t nur einigen Leuten gezeigt werden. Man muss da vieles prüfen, ob die Part346 schon kräftig genug ist für Diskussionen, ob die Dinge schon genügend in Fluss und vieles andere mehr. Schreiben Sie mir bitte doch gleich eine Karte: BR angekommen. Damit ich weiss, dass sie angekommen ist. es gehen nämlich viele Briefe verloren. Ich baue in dieser Sache sehr auf Ihre Kameradschaftlichkeit. Mein Buch347 geht weiter. Sie haben recht. Aber ich denke, es wird, denn der Stoff ist zu kräftig. Es kommt ja nur darauf an, vorzuzeigen was ich habe. ich schreibe es ganz auf Vorlesbarkeit, man soll es kapitelweise vortragen können. herzlich Ihr BB War Bela bei Euch?348 Wenn ja, berichten Sie doch bitte! – Ich komme auch nach paris; aber nicht vor Januar. ich will erst mit dem Buch fertig sein. Haben Sie den Artikel von Louis Fischer349, Moskau, in No 33 der Weltbühne gelesen über Moskau und die politik der kom. Parteien! Da Fischer doch offiziös ist, scheint es mir wichtig.

345 Gemeint ist die Broschüre Von den drei Prinzipien, die Brentano in seinem Brief vom 3.6.1933 angekündigt hatte. Brecht teilte ihm Anfang Oktober mit, daß er sie nicht erhalten habe (GBA 28, S. 387). 346 Partei (KPD). 347 Vgl. Anm. zu Brentano, 10.6.1933. 348 Der ungarische Schriftsteller Béla Illés (1895–1974), damals Generalsekretär der MORP, der Brecht Anfang August in Thurø aufgesucht hatte, um ihn „zu einer Konferenz Ende September in M.[oskau] einzuladen“ (B. an Steffin, 11.8.1933, GBA 28, S. 375). 349 Louis Fischer (1896–1970), amerikanischer Journalist, seit den 1920er Jahren als Korrespondent in der UdSSR tätig. Sein Artikel „Moskaus neue Außenpolitik“ erschien in Die neue Weltbühne, Nr. 33, Juli 1933.

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Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 481/58.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 25.8.1933 AMSTERDAM (C.) den 25. August 1933 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, p/a Frau Karin Michaelis T h u r ö per Svendborg Sehr geehrter Herr Brecht, Sicher wird Herr Alexander Ihnen schon mitgeteilt haben, dass wir prinzipiell keine Romane oder Bücher verlegen, worin gegen das heutige Regime in Deutschland agiert wird, oder wovon selbst die Rede über die heutige Lage in Deutschland ist. Ich hoffe, dass Sie meine Ansicht vollkommen billigen werden, um in dieser neuen Abteilung meines Verlages das Literaire zu bringen, was man heutzutage in Deutschland von der Kultur ausschlieszt und meine Auffassung nicht als eine Einmischung in die Arbeit der Autoren betrachten werden. Mit besten Grüssen und vorzüglicher Hochachtung, Allert de Lange Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Afdeeling Uitgeverij Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeeategiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak - Amsterdam, 3302508; BBA 580/17.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 27.8.1933 P/Hs350 Erwin Piscator Moskau Hotel Nowo Moskowskaja

den 27. August 1933

Lieber Bert! 350 Piscator/Harms. Gertrud Harms war Piscators persönliche Sekretärin.

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Tretjakow fuhr auf Kolchose, ich konnte ihm also selbst nichts sagen. Seine Frau macht eine Abschrift von Deinem Brief und wird auf Deine Bedenken aufmerksam machen, ausserdem wollte sie Dir schreiben wegen Fotos.351 Was die „Heilige Johanna“ betrifft, glaube ich, solltest Du mit Tretjakow doch zusammen das ganze Stück lesen, sie haben sehr viel verändert.352 Allerdings ist es hier auch nötig, es ist sehr schwer von aussen her zu beurteilen. Tretjakow kommt in circa drei bis vier Wochen zurück. Für Deine Einladung danke ich Dir herzlich.353 Ich würde sie sehr gern annehmen, muss aber unbedingt den Film354 beenden und bevor er beendet ist, bist Du hier. – Der grosse Schriftstellerkongress355 findet nicht statt jetzt im September, sondern erst im nächsten Frühjahr. Gorki356 wurde Vorsitzender. [Hs.: Kommst Du trotzdem?] Ich nahm Kenntnis (!) davon, dass Du prinzipiell bereit bist beim „Schwejk“357 und auch sonst mitzuarbeiten. Da Du aber kommst, können wir alles mündlich besprechen. – Deine Andeutungen über die spezielle Form des Internationalen Theaters und Films interessieren mich riesig. Selbstverständlich müssen wir alle Arbeiten mit dem Gesicht nach innen und dem Gesicht nach aussen machen. Aber gerade diese Vergleichsform finde ich ausgezeichnet. In ihr liegt der Zwang zur grossen Form, zum Endgültigen (wenn auch schwer Erreichbaren). Das Theaterprojekt358 steht günstig, ist aber noch nicht endgültig. Schicke mir einen Brief, dass Du ein solches Projekt begrüsst und dass Du in dieser Zeit der Dekonzentration aller künstlerischen Kräfte es für unbedingt notwendig hältst, und dass Du mitarbeiten willst. Hast Du von Grosz359 etwas gehört? Ich höre, er sei ziemlich abgeschwommen, vermutlich aber wieder mal nur seine Worte, aber schade ist auch, dass man so spricht. 351 Vgl. B. an Olga Tretjakowa, August/September 1933, GBA 28, S. 384. 352 Es war geplant, Die heilige Johanna (in der Übersetzung Tretjakows) unter der Regie Nikolai Ochlopkows am Realistischen Theater in Moskau aufzuführen. Die Inszenierung kam nicht zustande. 353 Der Brief Brechts, auf den Piscator sich hier offensichtlich bezieht, ist nicht überliefert. Piscator reiste im Frühjahr 1934 nach Westeuropa, nach Skovsbostrand fuhr er nicht. 354 Der Aufstand der Fischer (vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933). 355 Der 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller fand vom 17.8. bis 11.9.1934 in Moskau statt. Brecht nahm daran nicht teil. 356 Der russische Schriftsteller Maxim Gorki (Maksim Gor’kij), d.i. Alexej Maximowitsch Peschkow (Aleksej Maksimovič Peškov, 1868–1936), der sein Land nach Auseinandersetzungen mit Lenin 1921 verlassen hatte, kehrte 1928 in die UdSSR zurück. Übernahm den Vorsitz des nach der Auflösung der RAPP 1932 gegründeten sowjetischen Schriftstellerverbands. 357 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 358 Piscator wollte ein repräsentatives deutsches Exiltheater in Moskau gründen. 359 Der Maler und Graphiker George Grosz, d.i. Georg Ehrenfried Groß (1893–1959), war seit den 20er Jahren mit Brecht befreundet. Als Künstler dem Berliner Dadaismus nahestehend, trat Grosz 1919 der KPD bei und besuchte 1922 die Sowjetunion. Das autoritäre Gebaren der kommunistischen Politik stieß ihn jedoch bald ab. 1932 wurde er als Gastdozent nach New York eingeladen, wohin er 1933 emigrierte. Er starb kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1959 in West-Berlin.

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Grüsse die Weigel und alle anderen herzlich und schreibe bald! Dein P. Schwejk können wir sofort anfangen – Aber ich habe doch gewisse Bedenken – in dieser Zeit – Aber was ist aktuell – und bleibt es – bis zur Beendigung eines Films360 hier? Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 477/101. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 265f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Ca. September 1933] diesen verfetteten zettel361 mit adresse bekam ich von borchardt. er sagte, auf keinen fall könnte er Dir einen empfehlungsbrief geben, und Du dürftest seinen namen auch nicht nennen, da ihm das sehr schaden würde. er sässe sowieso auf dem pulverfass.362 er wird Dir noch selbst schreiben. Du könntest höchstens an den mann363 schreiben: Frau dorothea borchardt hat Sie mir empfohlen, da sie mit dem umzug vom mai sehr zufrieden war. (im übrigen zieht bor. in den nächsten tagen um, zahlt 500 fr. insgesamt für 3 zimmer und küche und gas und licht bis zum 15. okt. er ist noch nicht gekündigt bis jetzt und erhält noch volles gehalt!!) er hält den mann aber gar nicht für so gut, weil er nicht mal fr. borch. die versicherung der sachen angeraten hat und meint, Du solltest alles lieber durch Deinen vater machen lassen. [hs. auf der Rückseite:] Alfred Jakob G.m.b.H. Spezialhaus für Möbeltransporte Berlin C 25 Kaiserstr. 44/45 Beziehg. auf Frau Dorothea Borchardt Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 654/33–34. – E: Steffin, Briefe, S. 101f.

360 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 361 Der Brief befindet sich auf der Rückseite eines Zettels mit Fettspuren. 362 Borchardt fürchtete, daß die Zahlung seines Gehalts, das er immer noch aus Deutschland bekam, bald eingestellt würde. Ab März 1934 lehrte er deutsche Sprache und Literatur in Minsk, zwei Jahre später wurde er aus der UdSSR ausgewiesen und nach Deutschland abgeschoben. 363 Alfred Jakob, der den Transport der in Berlin zurückgelassenen Möbel Brechts besorgen sollte.

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European Books Ltd. an Elisabeth Hauptmann London, 5.9.1933 5th September 1933 Herrn Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark. Dear Mr. Brecht, I am very sorry that you have not yet replied to my letter of August 24th, nor to the letter which I wrote you from Amsterdam on August 7th. Please do let me have a line in reply, as I want to make use of the international possibilities now existing for „DIE DREI GROSCHEN OPER-NOVELLE“.364 When may I expect part of the manuscript? I am also waiting for one or two copies of the Play365. I hope you do not mind my writing in English. With kind regards. Yours sincerely, 6. H. for E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Head Continental Office: Berlin W 15, Fasanenstr. 68 Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: Langham 2140; BBA 785/17.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 21.9.1933 London, 21.9.33. Herrn Bert Brecht Thurö per Svendborg Denmark Verehrter Herr Bert Brecht! 364 Dreigroschenroman. 365 Die Dreigroschenoper.

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Darf ich dringlich um eine Antwort auf meine Schreiben bitten und – falls möglich – um Einsendung eines Teilmanuskriptes und eines Exemplars der „Dreigroschen-Oper“. Es widerstrebt mir, Sie zu drängen, aber ich tue es doch nur in Ihrem Interesse – damit ich für Ihr Werk hier endlich an Hand dieser Unterlagen etwas erreichen kann. Bitte schreiben Sie gleich Ihrem sehr ergebenen E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Head Continental Office: Berlin W 15, Fasanenstr. 68 Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: Langham 2140, No responsibility is taken for accidental loss of or damage to MSS. or printed books while in our charge; BBA 785/18.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Zürich, 4.10.1933

Zürich. Apollostr 9 am 4.10.33.

Lieber Brecht, beifall! Beifall! Das ist ein ausserordentliches Gedicht!366 Aber die Zeitschrift der Büchergilde ist momentan gerade unter den Einfluss des Wilhelm Herzog367 geraten. Lange wird das nicht mehr gehen. Aber das Blatt ist dadurch so mager geworden. einen halben Bogen nur noch stark. Ich schicke Ihnen die nächste Nummer der Information, Sie können mir dann sagen, ob Sie es dort veröffentlichen wollen. Sie werden sehen, dass wir dort einen kleinen Vorstoss für die Johanna gemacht haben. Mit Hartung368 spreche ich. aber er hat seine Spielzeit mit Mass für Mass eröffnet. Das wird Schwierigkeiten geben.

366 Brecht hatte seinem Brief an Brentano von Anfang Oktober 1933 (GBA 28, S. 387) ein Gedicht zum Abdruck in der Zeitschrift der Züricher Büchergilde beigelegt. 367 Wilhelm Herzog (1884–1960), Schriftsteller und Publizist. Ab 1933 im Exil in der Schweiz, Frankreich, Trinidad und den USA. 1947 Rückkehr nach Deutschland (West). 368 Der Schauspieler und Regisseur Gustav Hartung (1887–1946), vormals Intendant des Berliner Renaissance-Theaters und des Hessischen Landestheaters in Darmstadt, ging 1933 ins Exil in die Schweiz, 1945 übersiedelte er nach Heidelberg. Brecht hatte sich bei Brentano erkundigt (GBA 28, S. 387), ob Hartung Interesse an einer Inszenierung seiner Maß fürMaß-Bearbeitung habe (vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933). Mit Shakespeares Maß für Maß hatte Hartung zuvor die Spielzeit am Zürcher Schauspielhaus eröffnet.

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Wie lange bleiben Sie in Paris?369 Ich wollte eigentlich im Januar hinkommen, aber ich habe so wenig Verlangen nach dieser Stadt, dass ich überhaupt nicht komme, wenn Sie nicht da sind. Vielleicht liesse sich nun etwas für Dezember arrangieren. Schreiben Sie mir doch darüber näheres, damit man sich einrichten kann. Wegen Korsch370 will ich sprechen. Aber da kommt natürlich die tief begründete Abneigung aller Sozialdemokraten371 gegen jede Art von Theorie in die Quere. Trotzdem will ich es versuchen. Es wäre ja nur zu gut, wenn K ein solches Buch schreiben und publizieren könnte. Was hält denn K von der Lage in Deutschland? Hat er Ihnen etwas geschrieben? Hier ist Thomas Mann angekommen. er macht einen reduzierten Eindruck. Von Döblins Sohn hörte ich, der Alte wolle auch wieder zurück kommen.372 An Dänemark denke ich für den kommenden Sommer.373 Einstweilen will ich noch hier bleiben. Ich habe einen kleinen Band Erzählungen da, den ich vielleicht hier oder in Holland herausgeben will.374 Für den Fall, dass es hier aus polizei Gründen nicht geht, würde ich Sie unter Umständen um eine kleine Intervention in Amsterdamm [sic] bitten. Dann arbeite ich an meinem Buch,375 das fertig werden soll. Die Broschüre376 habe ich zunächst zurückgezogen. Dafür schicke ich Ihnen aber mehrere Abhandlungen, die ich in einer hiesigen Gewerkschaftszeitung veröffentlicht habe. Die Sache hat eine Bewegung unter den Arbeitern gemacht, und Sie werden sehen, dass der ganze Vorstand der hiesigen SP377 (der natürlich nicht weiss, wer der Verfasser ist,) auf den Plan rückte. Diese Sache geht weiter. Behandeln Sie die Sache bitte vertraulich. vielleicht aber schreiben Sie mir mal Ihre Meinung! Die Artikel kommen, so wie ich Ihre Pariser Adresse habe. Ich muss die Exemplare bestellen, bis dahin sind Sie nicht mehr an der Küste. Schreiben Sie mir bitte die Adresse. ich weiss ja nicht, wo Sie in Paris wohnen.

369 Brecht hielt sich vom 10.9. bis zum 19.12.1933 in Frankreich auf. 370 Karl Korsch (1886–1961), Jurist und Philosoph, Funktionär der USPD und KPD, aus der er 1926 ausgeschlossen wurde. Seit 1928 befreundet mit Brecht, der ihn seinen Lehrer nannte (GBA 22, S. 45f.); im Buch der Wendungen ist von Korsch als Ko (GBA 18, S. 57) und Ka-osch (S. 94) die Rede. Ging 1933 über Dänemark ins Exil nach Großbritannien, 1936 in die USA. Brecht hatte Brentano gefragt, ob „die Büchergilde ein Werk über den unbekannten Marxismus in Auftrag geben, d.h. drucken würde“ (GBA 28, S. 387). Gemeint ist vermutlich Korschs Karl Marx, London 1938. 371 Die Büchergilde stand der SPD nahe. 372 Alfred Döblin war von Zürich nach Paris gegangen, wo er sich bis zu seiner Flucht in die USA 1940 aufhielt. 373 Brecht hatte geschrieben: „Bei der Wahl Ihres ständigen Wohnsitzes müssen Sie unbedingt Dänemark im Auge behalten“ (GBA 28, S. 387). Brentano blieb jedoch in der Schweiz. 374 Bernard von Brentano, Berliner Novellen, Zürich 1934. 375 Vgl. Anm. zu Brentano, 20.8.1933. 376 Vgl. Brentano, 3.6.1933. 377 Sozialdemokratische Partei der Schweiz.

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Was macht Ottwalt?378 Wo ist er? Wird er auch nach Paris kommen? Es geht mir wie Ihnen, ich möchte Ihnen immer lang schreiben, wo es eine Menge zu sagen gäbe, auch fehlt mir ein Stück Leben, wenn keine Briefe von Ihnen kommen. Aber es ist zu viel. Ich verschiebe es immer wieder auf unsere nächste Unterhaltung. Alles ist anders geworden. Nur die Emigranten benehmen sich wie die Könige von Frankreich. ils n’ont rien appris et rien oubliés [sic]. Dabei sind es Bettler. Ich höre auch viel aus Deutschland, aber fast nie etwas Gutes. Ganz unabhängig von einander berichten alle, die KP arbeite immer noch, stellenweise mit grossem Mut, aber ihre Politik sei so töricht, dass kein Mensch was damit anfangen könne. Ich lese ja auch ständig die Baseler Rundschau, aber ich gestehe, dass ich kein Wort verstehe. Hier fanden jetzt Wahlen statt. Alle bürgerlichen Parteien machten zusammen mit den Fronten (den hiesigen Fascisten) Einheitsfront gegen die sozialdem. Mehrheit. Die KP – machte mit und stellte eine eigene Liste auf. Die Empörung der Arbeiter über diesen „roten Volksentscheid“ war sichtbar und so stiegen denn die Reformisten von 63 auf 64379 und die KP sank von 6 auf 2 Sitze. Und dies alles geschieht, ohne dass ein Mensch es wagt, die Erfahrungen, die man in D machte auch nur von Ferne zu betrachten. Die Krise, in die die Arbeiterbewegung gekommen ist, ist sehr tief. Hätten die Leute nur ein ein ze[h]ntel von Ihrer Haltung (der Ihres Gedichtes) diese stolze spottende Betrachtung des Kapitalismus, wäre alles zu machen. Haben Sie gehört, was man über Becher sagt? Er sei aus M völlig gleichgeschaltet zurückgekommen. Ich bin – was die Parteipolitik angeht hier von Typen wie Schrecker sozusagen kaltgestellt worden (Wissen Sie, der mit dem schiefen Maul, Sie kennen ihn auch – und ich will Ihnen bei der Gelegenheit sagen, dass meine Vermutung ganz richtig war, und Kläber seine Kaltstellung tatsächlich Ihrem Aufenthalt in C380 zu verdanken hat. Diese Bürschleins haben ihm das „übel genommen“.) Aber ich habe hier allein drei Zeitungen, und viele Arbeiter kommen zu mir. Da verzichte ich ohne jeden Kummer auf die Bonzen. Wissen Sie übrigens etwas von einer Broschüre Ottwalts?381 Man schimpft (dieselbe Sorte) deswegen sehr auf O. Leben Sie wohl. Schreiben Sie bitte Ihre Adresse, und machen Sie doch Vorschläge wegen Paris. Das Geld an die H382 geht morgen weg. Ihr 378 Ottwalt war im September von Dänemark nach Moskau gereist und wurde von dort im November in die Redaktion der Neuen Deutschen Blätter nach Prag delegiert. 379 Hs. Erg. am Rand: „ihr Maß gut erhaltend“. 380 Carona in der Schweiz. Brecht hatte sich, unterbrochen durch Aufenthalte in Paris, von März bis Juni 1933 dort aufgehalten. 381 Möglicherweise das 1933 in Moskau erschienene Bändchen Put’ Gitlera k vlasti (Hitlers Weg zur Macht) von Ernst Ottwalt. 382 Elisabeth Hauptmann.

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Brentano Der Schweizer Penclub hat Th. Mann & mich zu hiesigen Mitgliedern gewählt, was der Behörden wegen sehr angenehm ist; aber die dtsche Regierung protestiert schon. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 481/48–49, 54.

Rudolf Voth an Bertolt Brecht Berlin, 17.10.1933 Herrn Bert Brecht, Thur per Svendborg [sic] Dänemark VA 17.10.1933. Sehr geehrter Herr Brecht, wir teilen Ihnen der guten Ordnung halber ergebenst mit, dass die Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques, vertreten durch ihren Generalagenten, Herrn S. Bianchini, Paris (9e), 9 et 11, Rue Ballu, uns davon verständigt hat, dass bei der Société Fr. 1237,85 aus Tantiemeneingängen für das Ballett „Die sieben Todsünden“ hinterlegt sind. Nachdem die Société bei uns anfragte, ob der Betrag an uns verrechnet werden könne, haben wir dies abgelehnt und die Société gebeten, sich unmittelbar mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Sollten Sie also von Herrn Bianchini in absehbarer Zeit noch nichts gehört haben, geben wir anheim, ihm bezüglich der Tantiemenverrechnung die entsprechenden Anweisungen zu erteilen. Mit vorzüglicher Hochachtung p.pa. Felix Bloch Erben Voth (Rudolf Voth) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/58.

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Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Zürich, 18.10.1933 Zürich Apollostrasse 9 am 18.10.33 Lieber Brecht, meine Frau lässt Ihnen sagen, dass das Geld an die Hauptmann bereits von ihr dankend bestätigt worden ist. Nun habe ich folgende Bitte: In etwa 14 Tagen erscheint hier ein kleines Buch von mir: Berliner Novellen. Könnten Sie mir eine oder zwei Adressen in Kopenhagen sagen, an die man es schicken könnte? Wegen Besprechung und vielleicht auch wegen Uebersetzung? Ferner Ottwalts Adresse. Und Tretiakows Adresse. Wie lange bleiben Sie in Paris?383 Ich schrieb Ihnen ja, dass ich im Dezember hinkommen will, um Sie zu sehen. Wegen Korsch verhandle ich noch.384 Aber es ist sehr schwer. Diese Typen a la Wilhelm Herzog, die hier wieder die Macht haben, genau wie in Berlin, haben sich nicht geändert. Schreiben Sie bald, herzlich Ihr Brentano. Ich höre, dass Sie mit A. de Lange abgeschlossen haben;385 die Leute hatten mir auch geschrieben, aber ich halte auch diese Sache hier für besser. – Und noch eine Frage: ist Lania in Paris und wissen Sie, wo er wohnt? Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/47.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Zürich, 6.12.1933 zürich apollostrasse 9 am 6.12.33 lieber Brecht,

383 Brecht kehrte am 19.12.1933 nach Dänemark zurück. Ob es zu einem Treffen mit Brentano kam, konnte nicht ermittelt werden. 384 Vgl. Anm. zu Brentano, 4.10.1933. 385 Vgl. Allert de Lange, 8.8.1933.

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nun halte ich den Augenblick für eine – wenn auch aussichtslose Demonstration gekommen. Der Reichsverband der deutschen Schriftsteller386 verschickt einen Fragebogen, in dem man angeben muss, ob man arier ist oder nicht, der zwei Bürgen verlangt, die über die politische und schriftstellerische Tätigkeit des befragten e r s c h ö p f e n d e auskunft geben können, und in dem man sich schliesslich ehrenwörtlich verpflichten muss „jederzeit vorbehaltlos für das deutsche schrifttum im sinn der nationalen regierung einzutreten und den anordnungen des reichsführers des rsd in allen angelegenheiten folge zu leisten.“ ich meine, nun sollte man eine erklärung, unterschrieben von allen emigrierten schriftstellern veröffentlichen und den Text so abfassen, dass ihn grössere ausländische zeitungen abdrucken können.387 was meinen Sie? rowohlt388, der mir das zeug schickt schreibt dazu, dass, wer nicht mitglied dieses rsd ist, künftighin in deutschland keinen satz mehr drucken lassen kann. die sache ist also kein privater scherz sondern eine regierungsmassnahme. was meinen Sie? herzlich Ihr Brentano. PS. heute sind die Nummern389 mit den wichtigsten Artikeln an Sie abgegangen. in einer Nummer finden Sie die Antworten von reinhard und grimm, den chefs der hiesigen sp.390 auf Ihre Meinung bin ich sehr neugierig. zur lage selber müssen Sie mehreres bedenken a) die Zeitung: Der ö. D., die linke Gruppe einer hiesigen sehr mäßigen Gewerkschaft, hat mich um rat gefragt, und ich glaubte mich dieser aufforderung, die so ernsthaft gestellt war, nicht entziehen zu können. b) es gibt hier so gut wie keine kp und dass die derzeitige komintern im stande sein sollte, eine zu schaffen halte ich für undiskutabel c) die arbeiter halten bereits grosse machtpositionen in der hand mit denen sie allerdings nichts anfangen können, da sie einmal von sozialdemokraten geführt werden, zum andern

386 Mit der Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1.11.1933 wurde der erst im Sommer desselben Jahres gegründete Reichsverband der deutschen Schriftsteller e.V. zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärt. Die fortan so genannte Reichsschrifttumskammer war der Reichskulturkammer untergeordnet. 387 Die Veröffentlichung einer solchen Erklärung konnte nicht ermittelt werden. 388 Ernst Rowohlt (1887–1960), Verleger, gründete 1908 in Leipzig den Rowohlt Verlag. 389 Gemeint sind Ausgaben der Schweizer Gewerkschaftszeitschrift Der öffentliche Dienst, die sich mit aktuellen tarifpolitischen Auseinandersetzungen beschäftigten. Brecht antwortete darauf Ende Dezember 1933, an den dort bezogenen Positionen kritisierte er vor allem die politische Orientierung auf die Mittelschichten: „Die Arbeiter sollen wohl ideologisch Stehkragen anziehen zu einer Zeit, wo die Mittelschichten ihre Stehkragen nicht mehr finden und darum Uniformkragen verlangen!“ Weiterhin riet er Brentano, „einmal darüber nachzudenken, ob Sie nicht doch eine längere Arbeit über Die Unfähigkeit der Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie, den Staat ordentlich zu verwalten, schreiben könnten. Darin könnten Sie die Hauptfrage, nämlich daß der Sozialismus eine Sache der Produktion ist, klären!“ (GBA 28, S. 397.) 390 Sozialdemokratische Partei der Schweiz.

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aber die kommunisten die tatsache dieser positionen schlichtweg leugnen (hier passt dieses katholische wort ausgezeichnet.) die deutsche arbeiterklasse hat niemals den grundsatz lenins befolgt: s’engager et puis voir – ein grosses wort.391 hier die gleiche methode wie in Deutschland anwenden heisst zu den gleichen ergebnissen kommen. aber genug davon; ich denke, Sie werden mir über die artikel schreiben. aber noch ein wort zu Ihnen. niemand wird Ihre eindeutige revolutionäre kommunistische haltung nicht bewundern können. aber die zeiten sind von besonderer art, und man muss sich fragen, ob diese haltung auf die dauer einzunehmen der sache nützt – oder aber vielleicht nur einem apparat, den am leben zu halten, in seiner heutigen personellen und theoretischen zusammensetzung der sache [hs: nicht] nützt. kaum aus paris zurück hatte ich den besuch eines genossen, der bis dezember in der bewegung gearbeitet hat. der mann war merkwürdig zu betrachten. er kam optimistisch an, um nach 2 tagen hier in einem sumpf von verzweiflung beinahe zu ersticken. woher kam dies? Nun eben davon, dass er in deutschland vollständig wie ein sektierer gelebt hatte. er wusste nur – dass alles schwindel, betrug, unfug usw ist, was die nazis machen, und seine tätigkeit hatte im wesentlichen darin bestanden, unter einigen kommunisten ein kommunist zu bleiben. dabei war er nach aussen als nazi aufgetreten, erzählte mir ganz naiv scheussliche Dinge, wie sie jetzt alle immer nazifahnen zum fenster heraushängen, wie sie alle den hitlergruss grüssen, ja dass sie sogar in ihrem bezirk die losung herausgegeben hatten, mit ja zu stimmen – um niemanden zu gefährden. ich weiss nicht, für wen diese kämpfer sich eigentlich aufheben. aber ich sah etwas, was dieser mann nicht sah, dass der freiwillig oder sogar auch nur gleichmütig geleistete hitlergruss ein riesiges mittel zur umwandlung ist, dass dies eben macht: mann gleich mann. ich glaube nicht, dass es gottes wille ist, hitler durch schrecker zu ersetzen. aber ich würde diesen personellen Dingen nicht den wert beilegen, den man ihnen an sich beilegen muss, wenn ich nicht sähe, dass die Partei jeden theoretischen Boden unter den Füssen verloren hat. schon vor dem 30. januar war die Partei – wie man intern sagte, ein propagandaverein, eine sache um ihrer selbst willen geworden. heute ist sie nur noch dies, und die arbeiter die sehr verwundert vieles betrachten, was in deutschland geschieht erhalten nur noch die antwort: die kp weiss dass dies alles schwindel ist. Sie wissen, dass ich der ansicht bin, dass die KpD im Grunde ein linker Flügel der SPD war, dass die Kommunisten niemals Bolschewiken waren, sondern eben unzufriedene Sozialdemokraten, Hyperreformisten. Diesen Reformismus haben wir heute in der Potenz. Ich bin nach wie vor mehr für als gegen willi392, und ich glaube, dass es einfach Pflicht ist, seinen Kampf für das Leben Di-

391 Wo Wladimir Iljitsch Lenin, eigentl. Uljanow (Vladimir Il’ič Ul‘janov, 1870–1924), dieses „große Wort“ gesprochen oder geschrieben haben soll, konnte nicht ermittelt werden. 392 Willi Münzenberg.

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mitrows393 und der anderen zu unterstützen. aber, wenn ich seine tätigkeit in P394 politisch betrachte, so erweist sie sich als – reformismus. man verbündet sich mit Lords395 und ich weiss nicht was, um einen Mann zu retten – eine sache, die lenin unbegreiflich gewesen wäre, aber man kämpft um einen Mann, und nicht gegen den Nationalsozialismus. ich habe nachgesehen, wie sich Lenin im Prozess gegen die bolschewistischen Dumaabgeordneten benahm. er hat sich um diese sache überhaupt nicht gekümmert.396 ich schreibe Ihnen dies in verkürzter form, weil Sie mich schon verstehen. anderen leuten müsste man darüber ein buch schreiben, um nicht grob missverstanden zu werden. aber wenn ich Sie auf die gefahr aufmerksam mache, die darin liegt, heute d i e s e n apparat zu unterstützen, könnten Sie mir antworten: was sollen wir tun? ich weiss: trotzki, sap397 usw das ist alles nicht besser, eher schlechter. ich dachte daran – aber Sie gehen ja bald von Paris weg – Sie sollten sich von Korsch die Adresse von Souvarine398 geben lassen, der um seine Critique sociale eine menge guter marxisten versammelt. es müsste gelingen – oder mindestens versucht werden – die heute ausserhalb der partei stehenden guten kräfte ein wenig zu sammeln. wenn es dann gelänge, mit einer so grossen, so vielerfahrenen gruppe jene arbeit kurzer broschüren, die Ihnen vorschwebt, zu beginnen, könnte man sich viel davon versprechen.

393 Georgi Dimitrow (auch: Dimitroff) Michajlow (1882–1949), bulgarischer Politiker, seit der Niederschlagung des bulgarischen Aufstands 1923 vor allem in der KPÖ aktiv. Im März 1933 in Berlin verhaftet und in einem Schauprozeß gegen die angeblichen Reichstagsbrandstifter vor dem Reichsgericht Leipzig angeklagt, mangels Beweisen jedoch freigesprochen und im Februar 1934 in die UdSSR entlassen. Dort ab 1935 Generalsekretär der Komintern. 394 Paris. Münzenberg stellte von dort aus eine Untersuchungskommission zusammen, um die Wahrheit über den Reichstagsbrandprozeß an die internationale Öffentlichkeit zu tragen 395 Womöglich eine Anspielung auf den englischen Anwalt Denis Nowell Pritt, der die Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes in London leitete. 396 Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ die russische Regierung die bolschewistischen Dumaabgeordneten vor Gericht stellen, da sie mit ihrer defätistischen Haltung vaterländische Pflichten verletzt hätten. Im Prozeß wurden ihnen die deutschen Sozialdemokraten, die dem Kaiser die Kriegskredite bewilligt hatten, als Vorbilder entgegengestellt. Lenin berichtete darüber 1915 in der Broschüre Sozialismus und Krieg. Daß er sich um die Sache „überhaupt nicht gekümmert“ habe, soll wohl heißen, daß ihm der Kampf gegen den Krieg und dessen Förderer wichtiger erschienen sei als der Freispruch seiner Genossen vor Gericht. 397 SAPD. 398 Der in Kiew geborene Boris Souvarine, d.i. Boris Konstantinowitsch Lifschiz (Boris Konstantinovič Lifšic, 1895–1984), gehörte 1921 zu den Gründern der Französischen Kommunistischen Partei, aus der er bereits 1924 ausgeschlossen wurde. Herausgeber der Zeitschrift La Critique sociale, die als Organ des 1930 von ihm gegründeten Cercle communiste démocratique fungierte. Ging 1940 in die USA und kehrte 1948 zurück nach Paris. Sein Buch Staline. Aperçu historique du bolchévisme (Paris 1935, deutsche Ausgabe: Stalin. Anmerkungen zur Geschichte des Bolschewismus, München 1980) hat auch Brecht gelesen. Vgl. den Journaleintrag vom 19.7.1943, GBA 27, S. 158.

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wie ich aus einer besprechung im übrigen bereits bemerkt habe, wird es schwer sein, sehr schwer, den hiesigen Verleger auf korsch allein hin zu gewinnen.399 könnten Sie nicht versuchen, wenigstens noch mit Duret zu sprechen? er hat bei der nrf400 ein gutes buch über die Krise veröffentlicht, war lange jahre mitglied der polnischen partei. mit dem vorhandenen material innerhalb der partei ist nichts anzufangen. gestern waren die hiesigen maschleute401 bei mir; oder lieber gott. mehr kann man da nicht sagen. schreiben Sie mir. diese gedanken sind mir so durch den kopf gegangen. herzlich Ihr alter Brentano. ich habe Ihre dänische adresse nicht. haben Sie noch was über mein Buch402 gehört? Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 481/42–46.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Paris, 11.12.1933 AMSTERDAM-C den 11. Dezember 1933 DAMRAK 62. Lieber Herr Brecht, ich möchte noch einmal aufschreiben, was wir neulich besprochen haben, damit nichts vergessen wird.403 1. Wenn es möglich ist, beauftragen wir Herrn Neher404 für den Schutzumschlag Ihres Romanes und mit den Illustrationen. Sollte es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, entweder weil der de Lange Verlag es nicht will, oder weil Herr Neher Deutschland nicht verlässt, verzichten wir auf Illustrationen und wir lassen durch Herrn Urban den 399 Vgl. Anm. zu Brentano, 4.10.1933. 400 Gemeint ist der Pariser Verlag Éditions de la Nouvelle Revue Française (später Gallimard), der 1911 aus der Nouvelle Revue Française, einer 1909 von André Gide u.a. gegründeten Literaturzeitschrift, hervorgegangen war. Von Jean Duret erschien dort 1933 das Buch Le Marxisme et les crises. 401 Masch: Marxistische Arbeiterschule, 1927 in Berlin gegründete überparteiliche Bildungseinrichtung. 402 Vgl. Brentano, 18.10.1933. 403 Landauer hatte sich am 11.12.1933 mit Brecht in Paris getroffen, um sich über die Herausgabe des Dreigroschenromans zu besprechen. 404 Caspar Neher (1897–1962), Bühnenbildner und Maler, seit seiner Schulzeit ein enger Freund Brechts, der ihn Cas (Caskopf) nannte. Ging 1933 zusammen mit Kurt Weill nach Paris, kehrte bald darauf jedoch nach Deutschland zurück. 1948 übersiedelte er nach Österreich, arbeitete an Theatern in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz.

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Schutzumschlag machen. Zu diesem Zweck wollten wir ein Bild von der Carola Neher nehmen. Ich bitte Sie so freundlich zu sein, und schon jetzt dafür zu sorgen, dass man dieses Bild heraussucht und mir zuschickt, damit keine Zeit verloren geht. 2. Besonders bitte ich Sie, mir doch möglichst bald die ersten zwanzig bis dreissig Seiten Ihres Romanes zuzusenden, damit man rechtzeitig Reisemuster herstellen kann. Der Vertrieb ist jetzt ausserordentlich kompliziert geworden, alles dauert lange Zeit. Wenn wir nicht bald damit anfangen, wird der Verkauf nicht klappen, und der Erfolg sehr erschwert. Ich würde überhaupt raten, immer die Teile des Manuskriptes, die Sie schon durchgesehen haben, zuzusenden, damit gleich gedruckt werden kann. Wir müssen damit rechnen, dass die Herstellung durch die Zusendung der Korrekturen von Amsterdam nach Dänemark recht lange dauert. Auch für den Verkauf der Auslandsrechte ist ja das Erscheinen der deutschen Ausgabe sehr wichtig. 3. Sie wollten mir den Vertrieb der Auslandsrechte in allen Ländern, bis auf England und Amerika, zur Verfügung stellen. Für diesen Vertrieb wollten Sie mir bezw. dem de Lange Verlag 15% zur Verfügung stellen. Ich könnte schon jetzt anfangen, die Verleger auf Ihren Roman aufmerksam zu machen, aber ich muss genau wissen, dass in diesen Ländern kein Agent für Sie arbeitet, da sonst nur Komplikationen entstehen. Ich hoffe jedenfalls, noch mit Ihnen sprechen zu können. Mit besten Grüssen Ihr W.L. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung Walter Landauer Hotel Foyot Rue de Tournon Paris, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 BankKonto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/7.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht Paris, 23.12.1933 Lieber Brecht, Sie sind hoffentlich gut und ohne Seekrankheit herübergekommen.405 Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören. Sehr angenehm wäre mir ein dänischer Wirtschaftsbericht, den vielleicht die Steffin mir schicken kann.406 Gerne hätte ich ihre Adresse.

405 Brecht war zusammen mit Steffin am 19.12.1933 von Paris nach Dünkirchen gefahren und von dort mit dem Schiff weiter nach Dänemark gereist. 406 Brecht hatte Benjamin am 22.12.1933 geraten, sich statt in Paris in Dänemark niederzulassen (GBA 28, S. 395). Ob Benjamin das ernsthaft in Betracht gezogen hat, bleibt zweifelhaft. Steffin unterrichtete ihn jedenfalls, wie gewünscht, im Januar 1934 über die Lebenshaltungskosten in Kopenhagen. Vgl. Steffin, Briefe, S. 107f.

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Ein Rendezvous, das ich mit Kasper407 wegen des Kriminalromans hatte, wurde leider von ihm verpaßt. Ich sehe ihn aber in den nächsten Tagen. Dagegen habe ich mir gestern den Film von Bartocz408 angesehen. Die einliegenden Rechnungen gab mir der Hotelportier. Mit herzlichem Gruß 23 Dezember 1933 Ihr Paris VI Walter Benjamin 1 Rue Du Four Überlieferung: Ms, hs. Notiz Brechts: „prüf das!“; BBA 478/18. – E: Zur Aktualität Walter Benjamins, hrsg. v. S. Unseld, Frankfurt/M. 1972, S. 32 (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 322f.).

Rudolf Voth an Bertolt Brecht Berlin, 30.12.1933 Herrn Bert Brecht SpH 30.12.1933

Skovsbostrand per Svendborg Dänemark

Sehr geehrter Herr Brecht! Ihr Schreiben vom 26.d.M.409 traf heute bei uns ein und erreichte so noch Herrn Wreede, der im Begriffe ist, eine kurze Reise nach Paris anzutreten. Wir bitten Sie daher, sich mit einer ausführlichen Beantwortung bis zur Rückkehr von Herrn Wreede nach Berlin, etwa am 5. Januar, zu gedulden. Mit besten persönlichen Grüssen von Herrn Wreede und seinen guten Wünschen für das Neue Jahr sind wir Ihre sehr ergebenen p.pa. Felix Bloch Erben Voth (Rudolf Voth) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 407 Der hier genannte Kasper, dessen Name in Benjamins Adreßbuch zu finden ist, war möglicherweise als Mitarbeiter für die von Benjamin und Brecht geplante Reihe von Kriminalromanen vorgesehen. Vgl. die Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 312 u. 323; dazu Brechts Entwurf Tatsachenreihe (GBA 17, S. 414–455). 408 Vermutlich der Zeichentrickfilm L’ idée (1932) von Berthold Bartosch. 409 Nicht überliefert.

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Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/61.

Briefe an Bertolt Brecht, 1934

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Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 3.1.1934 3.1.34 Lieber Freund. Dank für Ihren Brief 1, der ganz glatt ankam, man muss dies, denke ich genau kontrollieren. Ein Exemplar des Buches2 geht Ihnen noch zu. Dank im voraus, wenn Sie was dafür tun können. Ferner folgt ein neuer Artikel des Schwerdt.3 Ihren Formulierungen über Diktatur4 stimme ich nicht ganz zu. Dieses Wort ist gegenwärtig völlig sinnleer und muss neu hergestellt werden. Für die Diktatur der Klasse bin ich auch, aber nicht für die der Clique. Dass gegenwärtig die von gott und der welt verratenen und verlassenen Arbeiter nach Diktatur rufen, um es den gegenwärtigen Herren mit gleicher Münze heimzuzahlen, ist sehr verständlich, aber ob es politisch ist, bezweifle ich sehr. „Die Demokratie, schrieb der alte Illitsch 1916 wird erst dann verschwinden können, wenn der siegreiche Sozialismus dem vollständigen Kommunismus weichen wird!“5 man muss dies alles wieder lesen. Dabei kann man wenig davon benutzen, aber es klärt den Kopf. Obendrein haben wir Zeit! Das Bündnis zwischen Hitler und dem gegenwärtigen ZK ist zu nützlich für H. Mir liegt ein deutsches Flugblatt vor (dessen Text übrigens auch in der Rundschau6 erschien). Dort proklamiert kein geringerer als das Politbüro des ZK der KP dass, wenn die Arbeiter an die Macht kommen, man folgendes tun wird: man wird die – Eisenbahnen enteignen! (wem eigentlich?) man wird die Verschuldung der Arbeiter (!) an – die Banken aufheben. man wird die staatlichen Niederlagen von Lebensmitteln gratis den Erwerbslosen übereignen (da es staatliche Niederlagen von L nur in Russland gibt wird

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Vgl. B. an Brentano, Ende Dezember 1933, GBA 28, S. 397f. Berliner Novellen, Zürich 1934. Vgl. Brentano, 18.10.1933. Möglicherweise der KPD-Politiker Paul Schwerdt (1899–1959). Brecht antwortete Brentano Ende Januar 1934, er habe den „in Aussicht gestellten Beitrag von Schwerdt […] noch nicht bekommen“ (GBA 28, S. 410). Genaueres konnte nicht ermittelt werden. „Durchsetzen“, meinte Brecht, „kann man den Sozialismus nur durch Diktatur; das Wort wollen die Bonzen nicht hören, seit alters, wie alle Diktatoren! In Wirklichkeit ist schon die wirklich angreifende, sich in die Produktion (nicht nur die Konsumtion) mischende Anwendung der Demokratie eine Diktatur, wenn die arbeitende Bevölkerung aus Arbeitern und Bauern besteht!“ (GBA 28, S. 397.) In seinem Aufsatz „Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ (1916) schrieb Wladimir Iljitsch Lenin: „Der siegreiche Sozialismus muß die volle Demokratie verwirklichen […]. Allerdings ist die Demokratie eine Staatsform, die mit dem Absterben des Staates überhaupt ebenfalls verschwinden muß. Das aber wird erst dann eintreten, wenn der siegreiche Sozialismus dem vollständigen Kommunismus weichen wird.“ (W.I. Lenin, Werke, Bd. 22, Berlin 1960, S. 144f.) Vgl. Anm. zu Brentano, 23.7.1933.

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man also die russischen… oder was sonst?) man wird den Werktätigen alle Papiervorräte zur Verfügung stellen. und so weiter! Um aber noch einmal auf die Frage Diktatur zurückzukommen: ich habe sehr lange über diesen Punkt nachgedacht, und in einem Artikel den ich für ein italienisches Blatt geschrieben habe, bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: D ist ein politischer Begriff, der erst n a c h der Machtergreifung respektive im Augenblick dieser Tage sinnvoll wird. Vergleichen Sie Lenin. Bis Ende September 17 werden Sie in keinem einzigen seiner zahllosen Artikel, Broschüren usw das Wort D finden;7 immer spricht er ausschließlich von Demokratie und schreit in einem fort, der Fehler sei, dass es zu wenig Demokratie gäbe. Erst als er die Macht nahe sieht und gleichzeitig erkennt, dass es mit der Rätedemokratie und ihrem Gerede nicht gehen wird, weil die Interessen der darin vertretenen Klassen und Schichten zu sehr einander widersprechende sind – schreibt er seine Schrift und tritt – auf jene bekannte etwas sonderbare Sammlung von Zitaten aus Marx und Engels gestützt für die Diktatur ein.8 Wenn ich das deutsche Manuscript jener Arbeit zurückbekomme, werde ich es Ihnen schicken. Mit meiner Vorraussage [sic] für Leipzig9 habe ich ja gottlob recht behalten. Haben Sie den törichten Th Mann Artikel des Ottwalt10 gelesen? Was ist nur in diesen Burschen gefahren? Aus Dänemark schrieb er mir noch nette und vernünftige Briefe und nun gehört er zu den allerdümmsten Hetzern gegen mich.11 Für die wenigen Rubel, die er bekommen hat, macht er so grosse Schweinereien. Sehr interessant ist das neue Buch der Seghers.12 ein rein fascistischer Roman. Vollgestopft mit schollendampf und Erdgeruch mit altem Schema reicher Grossbauer, armer Kleinbauer und roter Arbeiter, was bekanntlich in Deutschland nie gestimmt hat. 7

Tatsächlich hat Lenin auch früher schon von Diktatur gesprochen, etwa in der Broschüre Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution (1905), in der er für Rußland die Forderung einer „revolutionär-demokratische[n] Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ (Werke, Bd. 9, S. 44) erhob. Seit ihrer Machtübernahme im Oktober 1917 gewann allerdings der vordem nur theoretisch formulierte Begriff der Diktatur für die Bolschewiki eine ganz neue Bedeutung. 8 Gemeint ist die Schrift Staat und Revolution, die Lenin im Spätsommer 1917 verfaßt hat (vgl. Werke, Bd. 25, S. 393–507). Darin wird einerseits, mit Rekurs auf Zitate von Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895), das Wesen des Staates enthüllt, der nichts anderes sei als ein Instrument der Klassenherrschaft, andererseits die Rolle der von Marx und Engels nur vage konzipierten Diktatur des Proletariats erörtert, welche im Laufe der Revolution einem Absterben des Staates – damit auch der Aufhebung der proletarischen Diktatur selbst – Vorschub leisten sollte. 9 Vgl. Brentanos Bemerkungen zum Leipziger Reichstagsbrandprozeß in seinem Brief vom 6.12.1933. 10 Gemeint ist Ernst Ottwalts Besprechung von Thomas Manns Roman Die Geschichten Jaakobs (Berlin 1933, erster Teil der Romantetralogie Joseph und seine Brüder), erschienen unter dem Titel „Der Turm zu Babel“ in: Neue Deutsche Blätter, Dezember 1933. 11 Ottwalt denunzierte Brentano später als „Renegaten“ und „Trotzkisten“ (vgl. Säuberung, S. 247 u. S. 432). 12 Anna Seghers, Der Kopflohn. Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932, Amsterdam 1933.

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Platt beschreibend. Vergleichen Sie mit diesem Zeug Silones13 glasklaren Fontamara und seine politische Darstellung von Bauern oder auch mit dem Naturgeschwätz der Seghers’schen „Bauern“ den Dialog in meinem Rudi.14 Wie alles in Deutschland rascher gegangen ist, wird auch die d Emigration rascher langweilig. Hinter der Zeitschrift15, die Ihnen gefallen hat, steht eine der grössten hiesigen Gewerkschaften. Wollen Sie mal ein Gedicht dort veröffentlichen? Weinert ist auch Mitarbeiter. Ist Dudow bei Ihnen angekommen?16 Was erzählt er? In der Sylvesternacht wollte ich Sie anrufen, und erhielt auch in einer lustigen Unterhaltung mit dem Hamburger Telefonamt Ihre Nummer (Sve 303 – stimmt das?) Als man mir aber sagte, Sie müssten an den Apparat erst gerufen werden, zog ich zurück, weil ich nicht wusste, ob sie nicht vielleicht einen weiten Weg machen müssen. An sich ist es nachts nicht sehr teuer. Noch was: Das Börsenblatt des Buchhandels in Leipzig hat ein grosses Inserat meines Buches gebracht! Die Leute verlangten Aushängebogen, worauf ich einfach andere einsandte. Nun kommen täglich Bestellungen und grossartige Briefe aus Deutschland! Schreiben Sie bald wieder. Grüssen Sie alles, was ich in Ihrer Gegend kenne – Ihr Brentano. [Hs.] Wegen der Sommerpläne schreibe ich Ihnen noch. Auch eine sehr interessante belgische Broschüre geht Ihnen zu. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/22–24.

13 Der italienische Schriftsteller Ignazio Silone, d.i. Secondino Tranquilli (1900–1978), Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale, ging ab 1927 auf Distanz zur kommunistischen Partei, die er 1931 verließ; unklar, ob er aus Enttäuschung austrat oder wegen Abweichung von der Stalinschen Generallinie ausgeschlossen wurde. Im Schweizer Exil Anfang der 1930er Jahre schrieb er seinen ersten Roman Fontamara, in dem Ereignisse aus einem gleichnamigen Dorf unter dem Eindruck des faschistischen Terrors beschrieben werden. Eine deutsche Übersetzung erschien 1933 in Zürich. Silone wandte sich im August 1936 mit einem in der Basler Arbeiter-Zeitung erschienenen Offenen Brief an die Zeitschrift Das Wort, in welchem er den Prozeß gegen Sinowjew u.a., der soeben in Moskau stattgefunden hatte (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937), als Farce demaskierte (vgl. Säuberung, S. 28f.). 14 Rudi ist der Titel einer Novelle aus Brentanos Berliner Novellen (Zürich 1934). 15 Der öffentliche Dienst. Vgl. Brentano, 6.12.1933. 16 Brecht erkundigte sich Ende Januar seinerseits bei Brentano: „Und von Slatan hören Sie wohl auch nichts?“ (GBA S. 28, S. 410) In Dänemark hielt sich Dudow zu jener Zeit nicht auf.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 10.1.1934 Telegram fra amsterdam Nr. ak 68 24/23 Ord. indl d. 10/1 1934 Kl 1410 BERT BRECHT Sko[vs]bostrand per Svendborg Bitte sendet sofort reklametext dreigroschenroman fotographie neher und moeglichst bald teil des manuscriptes vorverkauf sonst unmoeglich Delangeverlag Überlieferung: Ms (Telegramm), Tv.: Post-Og Telegrafvæsenet, auf der Rückseite hs. Notizen Brechts; BBA 780/5–6.

Fritz Wreede an Bertolt Brecht Berlin, 10.1.1934 Herrn Bert Brecht

9H 10.1.1934

Skovsbostrand per Svendborg Dänemark

Lieber Herr Brecht! Ihrem mit Schreiben vom 26. Dezember 193317 ausgedrückten Wunsch, die Vertragssache zwischen uns zu klären, würde ich nur zu gern nachkommen. Die Auffassung aber, die Sie vertreten, scheint mir so abweichend von unserer rechtlichen Beurteilung, dass ich fürchte, wir werden zu einer einheitlichen Lösung der Frage nicht kommen. Zunächst ist Ihre auf die Ansicht mehrerer Juristen gestützte Meinung, ich hätte den zwischen uns bestehenden Vertrag in seinen Hauptpunkten verletzt und aufgehoben, falsch, weil Sie völlig ausser Acht lassen das Moment der höheren Gewalt, unter der ich gehandelt habe. Es war mir doch nicht zuzumuten, Ihnen, der Sie Deutschland verlassen haben und dessen Werk unter den gegenwärtigen Verhältnissen hier nicht verwertbar ist, weiterhin einen Vorschuss zu zahlen auf Einnahmen aus zukünftigen Werken, wo schon in der abgelaufenen Vertragsfrist das Werk, das Sie mir ablieferten, auch in der Vergangenheit als unverwertbar sich erwies. Diese Beurteilung meinerseits ist nicht neu. Sie wissen, dass ich Ihnen sowohl bei „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ als auch bei „Die Spitzköpfe und die Rundköpfe“ 17 Nicht überliefert.

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meine ernsten Bedenken in dieser Richtung äusserte. Leider habe ich Recht behalten. Ich nehme deshalb keinen Anstand, Ihnen für alle Fälle die Vertriebsrechte an den beiden letztgenannten Stücken frei zu geben, allerdings dergestalt, dass Sie uns aus der Verwertung ein Drittel zur teilweisen Deckung Ihrer Schuld bei uns jeweils nach Eingang übermitteln. Sie sollen verpflichtet sein, wenn Sie die Verwertung durch einen Dritten, also einen Verleger besorgen lassen, uns hiervon Kenntnis zu geben und gleichzeitig diesen Verleger von Ihrer Verpflichtung, ein Drittel Ihrer Einnahmen an uns zu zahlen, zu verständigen. Mit dieser Massgabe sind Ihnen die Rechte an diesen beiden Stücken frei gegeben. Sie gehen weiterhin nämlich von der falschen Voraussetzung aus, dass die Ihnen unter unserem Generalvertrag gegebenen Beträge nicht rückzahlbar sind. Es ist allerdings zwischen uns vereinbart, dass die Vorschüsse nicht verzinst werden sollen, es steht aber in unserem Vertrag nichts darüber, dass sie nicht rückzahlbar sind, weshalb nach ständiger Rechtssprechung der zuständigen Schiedsgerichte es keinem Zweifel unterliegen kann, dass die Ihnen gegebenen Summen ein Darlehen darstellen, das wir zurückzufordern nunmehr, wo Sie auch Ihrerseits den Vertrag nicht erfüllen, indem Sie uns keine weiteren Stücke, die verwertbar sind, übergeben, berechtigt sind. Vorsorglich muss ich Ihnen namens meiner Firma dieses Darlehen zum 15. April 1934 aufkündigen. Völlig unerfüllbar aber ist Ihre Forderung, Ihnen die Rechte an dem Werk „Die Dreigroschenoper“ zurückzugeben. Es ist dieses Werk nicht Gegenstand unseres Generalvertrages, vielmehr ist es in einem Vertragsverhältnis verankert, das nicht nur Sie mit unserer Firma haben, sondern auch der Komponist Kurt Weill, Fräulein Elisabeth Hauptmann, als Bezugsberechtigte, und vor allem der Musikverlag Universal Edition, der die Drucklegung des Werkes besorgt hat und auch das Copyright eintrug.18 Die Rechte, soweit Sie sie uns übergeben haben, bilden den Teil einer Gesellschaft, die sich durch Vertrag gegenseitig gebunden hat und die wir nicht auf Wunsch eines Gesellschafters auflösen können und auch nicht wollen. Denn es ist doch selbstverständlich, dass dieses einzige Verlagsobjekt, das eine Verwertung in der Vergangenheit gefunden hat und dessen Entstehung Sie in unseren Verlag führte, auch in unserem Verlag verbleibt. Gerade wenn Sie annehmen, dass sich aus der „Dreigroschenoper“ noch Einnahmen ergeben könnten, würden wir ja dann das einzige Aktivum aus der Hand geben, das uns Hoffnung auf teilweise Abdeckung Ihrer Schuld lässt. Leider, lieber Herr Brecht, beurteilen Sie die Verlagsgewinne zu hoch, wenn Sie annehmen, dass wir an der „Dreigroschenoper“ so viel verdient haben, dass wir den Verlust in materieller Hinsicht, den wir durch den Generalvertrag mit Ihnen erleiden, leicht verschmerzen können. Sie vergessen, dass Sie in Ihren Bedingungen bei der „Dreigroschenoper“ nicht so grosszügig waren, dass uns neben der notwendig gewordenen Abgabe an den Musikverlag, der sonst die Einbringung der Rechte des Herrn Kurt Weill nicht gestattet

18 Vgl. Anm. zu Winter und Heinsheimer, 18.3.1933.

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hätte, noch allzu viel verblieben ist. Schliesslich müssen Sie auch die geleistete Vertriebstätigkeit als Gegenwert für das, was uns an der „Dreigroschenoper“ verblieben ist, einsetzen. Ich hoffe, dass Sie den Ausweg, wie er sich aus diesem Schreiben ergibt, annehmbar finden, und ich begrüsse Sie, indem ich Ihre Neujahrswünsche wärmstens erwidere, als Ihr Wreede EINSCHREIBEN. P.S. zum Schreiben vom 10.1.1934 an Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand, Die Bühnen-Exemplare der „Heiligen Johanna“ und der „Spitzköpfe“ stehen Ihnen zur Abholung zur Verfügung. Es wird sich aber dringend empfehlen, bei der Behörde festzustellen, ob dieselben nach dem Ausland ausgeführt werden dürfen. d.O. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Nr. 10918; BBA 783/64–67.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht [Paris, ca. 13.1.1934] Lieber Brecht, hier schicke ich Ihnen eine Bauvorlage, um Ihr Training, an dem ich als Meister wohlwollend interessiert bin, zu unterstützen.19 Gestern sah ich den Umschlag, den man für Ihren Gedichtband 20 entworfen hat. Er ist von einem ebenso mißverständlichen wie ungefälligen Braun. Hoffentlich kann man da noch eingreifen. Die Hauptmann spricht Montag noch einmal mit Katz; vielleicht gehe ich mit ihr. Kurella hat die Leitung von Monde21 – mindestens zeitweilig – abgeben müssen und ist zur Berichterstattung nach Moskau gefahren. Es ist mir aber gelungen, meine Beziehungen zur Redaktion von diesen internen Verschiebungen unberührt zu erhalten. Mein Aufsatz 19 Mit der „Bauvorlage“ ist offenbar das umseitige Postkartenmotiv gemeint, Le Château de cartes von Chardin. Vermutlich wollte Benjamin Brecht an die nächste gemeinsame Partie Schach erinnern. 20 Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 197–254), Paris: Éditions du Carrefour 1934. 21 Gemeint ist Le Front Mondiale, das Organ des Internationalen Komitees zum Kampf gegen Krieg und Faschismus, dessen Sekretär Kurella 1932 bis 1934 war. (Die französische Tageszeitung Le Monde wurde erst 1944 gegründet.)

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über Haußmann22 wird also dort erscheinen. In diesen Tagen las die Hauptmann den Essay über „Die gegenwärtige gesellschaftliche Lage des französischen Schriftstellers“. Sie meint, die Arbeit hätte für „Littérature et Revolution“23 – die offizielle Zeitschrift, die ja auch in französischer Sprache erscheint – großes Interesse. Sie bestand drauf, daß ich Sie anfrage, ob Sie Kolzoff 24 nicht auf diese Arbeit hinweisen wollten, damit der sie der Redaktion vorlege. Unser Freund Chesnow25 hat auf der ganzen Linie versagt. Mir tut das sehr leid wegen der Steffin. Lisa Tetzner26 scheint bisher auch nichts bewirkt zu haben, wenigstens wußte Kläber, den ich dieser Tage nach seiner Rückkunft aus der Schweiz sprach, nichts davon zu berichten. Er sucht weiter Geld für sein Institut.27 Ich meinerseits suche solches zu weniger öffentlichen Zwecken und bin zur Zeit beim Großrabbiner von Frankreich28 gelandet, auf den Sie ja schon von jeher in dieser Sache viel zu geben schienen. Ich weiß nur nicht, wie man ihn anredet. Bitte schreiben Sie mir doch möglichst bald Ihre Auffassung zur Frage der Mitgliedschaft im Schriftstellerverband.29 Auffallend ist, daß deutsche Zeitungen zwar seit länge22 Georges-Eugène Haussmann (1809–1891), Politiker und Stadtplaner, 1853 bis 1870 Präfekt von Paris. Nach seinen Plänen wurde das Erscheinungsbild der Stadt tiefgreifend verändert. Benjamin hat sich damit intensiv befaßt; im postum publizierten Passagen-Werk findet sich z.B. ein mit „Hausmannisierung, Barrikadenkämpfe“ überschriebenes Konvolut (BGS V, S. 179–210). Der erwähnte Aufsatz kam nicht zustande; vgl. Benjamin, 5.3.1934. 23 Gemeint ist, wie Benjamin selbst im Postskriptum korrigiert, die französische Ausgabe der Internationalen Literatur. Der genannte Aufsatz wurde dort nicht publiziert, er erschien unter dem Titel „Zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Standort des französischen Schriftstellers“ in der Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1/1934. 24 Michail Jefimowitsch Kolzow (Michail Efimovič Kol‘cov, 1898–1940), Lebensgefährte von Maria Osten, Vorsitzender der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands und Leiter des Jourgaz-Verlags, mit Brecht seit dessen Moskau-Reise 1932 befreundet. Er wurde im Dezember 1938 als „Agent“ verhaftet und 1940 zu zehn Jahren Haft verurteilt, jedoch sehr wahrscheinlich sogleich erschossen. 25 Unklar, auf wen Benjamin sich hier bezieht. In seiner Pariser Adressenliste (vgl. Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 338) sind die Namen „Mischa Tschesno“, wahrscheinlich der litauische Publizist, Filmautor und Verleger Michael Tschesno-Hell (1902–1980), im Pariser Exil Sprecher des SDS, sowie „Alexander Chesnow“ verzeichnet, bei dem es sich möglicherweise um dessen Bruder handelt. Die Rede ist hier wohl von letzterem, der sich, ebenso wie Lisa Tetzner und Kurt Kläber, um einen Aufenthaltsort für Steffin in der Schweiz bemühen sollte. 26 Lisa Tetzner (1894–1963), Autorin von Kinder- und Jugendbüchern, war die Ehefrau von Kurt Kläber. Ab 1933 im Exil in der Schweiz. 27 Kläber und Brentano hatten im Frühjahr 1933 die Gründung einer Sommerkolonie im Tessin erwogen (vgl. Brentano, 4.4.1933 und 18.7.1933). Ein Institut zur Erforschung des Faschismus kam nicht zustande. 28 Israel Lévi (1856–1939), Großrabbiner von Frankreich. Entsprechende Äußerungen Brechts sind nicht überliefert. 29 Brecht riet Benjamin, er solle „immer wieder darauf bestehen, daß Sie Bibliograph, das ist Wissenschaftler, sind, und sich erkundigen, ob es dafür einen Verband gibt, dem Sie beitreten können.

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rem nichts von mir bringen, aber immer noch – und ohne Vorbehalt – Manuscripte von mir erbitten. Wissing30 scheint den Auftrag zur Absendung meiner Bibliothek nicht gegeben zu haben. Jedenfalls schreibt er mir nicht. Meine letzte Hoffnung wäre ein berliner Aufenthalt der Steffin. Im Grunde handelt es sich bei der Sache um eine einzige Besprechung mit einem mir empfohlnen Spediteur in Berlin. Über meine dänischen Pläne31 hören Sie näheres sowie der Großrabbiner sich zu mir geäußert hat. Mit den herzlichsten Grüßen Ihr Walter Benjamin PS Da ich den Lania nicht kenne, so bat ich die Hauptmann, ihn anzurufen. PS Eben kommt Nachricht aus Berlin, derzufolge doch Aussicht besteht, daß ein erheblicher Teil meiner Bücher demnächst zu Ihnen abgeht. Die Zeitschrift, für die mein Artikel in Betracht kommen könnte, heißt nicht „Littérature et Revolution“ sondern „Litterature Internationale“ Paris VI 24 Rue Racine. Kolzoff dürfte bei der Redaktion eine entscheidende Stimme haben. PPS Ihren Brief32 erhielt ich eben von der Hauptmann. Vielen Dank! Ich bin Ihrer Meinung: je später man sich anmeldet, umso besser. Ob es mir glückt, die Verbindung aufrecht zu erhalten, werden wir sehen. Wahrscheinlich interessiert es Sie, daß Münzenberg neulich in hochoffizieller Weise, unter Assistenz des hiesigen Unterrichtsministers und anderer Prominenter ein Archiv zum Studium des Faschismus eröffnet hat.33 K. K.34 ist darüber sehr traurig und weiß sich anscheinend kaum zu helfen. Überlieferung: Ms (Kunstpostkarte: Musée du Louvre. Chardin – Le Château de cartes), BBA 478/19– 20, 22. – E: Zur Aktualität Walter Benjamins, hrsg. v. S. Unseld, Frankfurt/M. 1972, S. 32ff. (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 335ff.).

Damit gewinnen Sie mindestens Zeit“ (B. an Benjamin, Mitte Januar 1934, GBA 28, S. 404). 30 Egon Wissing (1900–1984), von Beruf Arzt, war ein Cousin mütterlicherseits von Benjamin. Emigrierte später in die USA. Benjamin hatte, als er Berlin am 17.3.1933 verließ, seine Bibliothek dort zurückgelassen. 31 Seine geplante Reise zu Brecht nach Skovsbostrand verschob Benjamin auf den Sommer. Vgl. Benjamin, 21.5.1934. 32 Gemeint ist der oben zitierte, auf Mitte Januar datierte Brief. 33 Das Institut zum Studium des Faschismus, das sich an den politischen Weisungen der Komintern orientierte, bestand bis 1935. 34 Kurt Kläber. Vgl. Anm. oben.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 15.1.1934 AMSTERDAM-C, den 15. Januar 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skobostrand per Svendborg,

Dänemark.

Lieber Herr Brecht, Ich depeschierte Ihnen vor 3 Tagen vom Verlag aus. Die Sachen sind tatsächlich eilig, wenn man den Verkauf gut organisieren will. Da all die Länder in denen Ihr Buch35 verkauft werden soll, sehr weit von einander entfernt liegen, muss man rechtzeitig Unterlagen haben, selbst wenn das Buch erst in einigen Monaten erscheint. Ich bitte Sie deshalb nochmals recht herzlich mir einige Zeilen über Ihr Buch zu schicken. Wenn ich Ihren Roman schon ungefähr kennen würde, hätte ich Ihnen die Arbeit gern abgenommen, aber so habe ich Angst, vollkommen sinnlose Sachen zu schreiben. Ebenfalls bitte ich Sie das Bild von der Neher36 zu schicken, damit der Schutzumschlag vorbereitet werden kann. Schliesslich, wenn Sie etwas von dem Manuskript fertig haben, so bitte ich Sie es ebenfalls hierher zu schicken. Auch bitte ich Sie um eine Auskunft ob wir die Übersetzungsrechte bekommen können. Ich glaube ich könnte sehr bald einige Abschlüsse vorbereiten. Ich selbst fahre in den nächsten Tagen wieder nach Paris, Hotel Foyot. Ich bitte Sie aber die Unterlagen hierher zu senden. Ich hoffe es geht Ihnen in Dänemark recht gut. Mit besten Grüssen, Ihr sehr ergebener W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/9.

35 Dreigroschenroman. Vgl. Anm. zu European Books Ltd. an Hauptmann, 17.5.1933. 36 Vgl. Landauer, 11.12.1933.

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Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Beauchamp, 16.1.1934

16. Januar 1934 Beauchamp (Seine et Oise), 23 Avenue des sapins

Lieber Brecht, über mein Schrifttum könnte ich Ihnen noch allerhand suppléments geben, aber meine Frau fährt nun doch nach Berlin und bleibt nun eine Weile in Deutschland, weil ihr Vater Th[…]37 krank liegt und sie zwei Igolta-Bitter Pfeifen mit Zubehör besorgen muß bei Louis Krafft im Hause des Romanischen Cafés, die besten Pfeifen der Welt. Frau Konrad Maril ((S. Fischer-Verlag) geschieden; lebt in Paris) hat mir dringend geraten, was von meinem Roman fertig ist, an Herrn Heinz Landshoff 38 (Kiepenheuer-Verlag), jetzt Querido-Verlag, Amsterdam, zu schicken: mit einer Empfehlung von Brecht! Ich habe nur noch ein Exemplar: würden Sie so freundlich sein, das Manuskript, das Ihnen meine Frau gegeben hat, an Herrn Landshoff, Querido Verlag, zu senden, mit dem Hinweis, daß ich ihm meine Minsker Adresse (wegen in punkto Vorschuß) noch mitteilen, da fast alles schon auf Zetteln vorhanden ist? Über Ihren Roman (Dreigroschen) hätte ich wirklich gern mit Ihnen gesprochen; schreiben kann ich das nicht: es ist zu viel, und was ich Ihnen schon geschrieben habe, oberflächlich. Nicht gefallen hat mir das Schiffsgeschöpf39 und wie sie die Hochzeit40 hineingebaut haben. Wunderbar das erste Kapitel. Die Beziehungen des Macky Messer zur Polizei sind nicht recht analysiert, beinahe nur nebenher behauptet, also nicht „dargestellt“: infolgedessen haben sie etwas Romantisches. Natürlich ist das schwer, das Siechwerden des Staates (am Beispiel der Polizei) in unseren Zeitläuften – „darzustellen“: das ist schwer, aber Sie müßten es versuchen: Oder wollen Sie es garnicht? Ich bin mir nicht klar; über so was muß man sprechen. – Ich habe noch zwei Kapitel fertiggemacht, die nicht getippt sind. Hat Ihnen das Kapitel von der Ehe des Anton Maria Mews gefallen? Ich habe es mir eben durchgelesen: es ist sehr schlecht und fehlerhaft getippt – aber nicht so schlecht, daß ein Lektor es nicht lesen kann. Ich schreibe noch einmal vor unserer Abreise. Schreiben Sie auch, hierher! Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr alter H. Borchardt Überlieferung: Ms; BBA 482/37–39. 37 Im Ms unleserlich. 38 D.i. Fritz Landshoff. 39 Gemeint sind die Geschäfte des Maklers William Coax, der der britischen Regierung kriegsuntüchtige Schiffe verkauft. Zu dieser Episode hat sich Brecht durch Gustavus Myers’ History of Great American Fortunes (1907, deutsche Ausgabe: Geschichte der großen amerikanischen Vermögen, 2 Bde., Berlin 1916) inspirieren lassen. Vgl. die Anm. in GBA 16, S. 409ff. 40 Die Hochzeit von Macheath und Polly, der Tochter des „Bettlerkönigs“ Peachum, hat Brecht aus der Dreigroschenoper übernommen.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht 17.1.[1934] le 17.1.193[4] L.B. ganz schnell, eh das Ding41 losgeht: Bei Katz war ich mit Benjamin (würde Ihnen raten, Korrekturen nur durch ihn an Katz weiterzuleiten) Einband soll grau-glänzend werden. Titel wie angegeben.42 Adresse an […] in „[…]“ soll Ihnen längst geschickt sein, es wird Ihnen nochmal zugehen. Hausjoppe: ich kann jetzt so schwer wa[r]ten. Können Sie wirklich niemand schicken? Vielleicht gibt es eine Verständigung über „W.“ Koch? Verstehe nicht, warum Fotos zurückgelassen. Schreiben Sie deswegen an „W.“ Man soll auch bei meinen Fotos nachsehen (eines von den hl. Manuskript[…] dort bei Merg43 stehen), ich glaube es war auch eines von Neher drin. Hatte keine guten Berichte aus Berlin. Ich bin mehr tot als lebend, musste mir gestern noch Kiefer aufmachen lassen. Vielen Dank f. den Brief + den Ratschlägen. Va[…] habe ich schon genommen. Wenn mir noch was einfällt, schreibe ich noch mal von Plymouth, obwohl es nicht so klar ist, dass wir wegen Sturm dort anlegen. Herzlichst B. Überlieferung: Ms, Bv.: Compagnie Générale Transatlantique; BBA 480/116–119.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 18.1.1934 Telegram fra amsterdam Nr. ak 41 19 Ord. indl. 18/1 1934 Kl. 13.34 Bert Brecht Skobostrand per Svendborg Einleitung erhalten schickt sofort aquarelle und moeglichst bald photo und kurze inhaltsangabe roman Lange Überlieferung: Ms, Tv.: Post-Og Telegrafvæsenet; BBA 780/4. 41 Das Schiff nach New York. 42 Die Rede ist von der Sammlung Lieder Gedichte Chöre. 43 Fritz und Paula Merg, ehemalige Nachbarn Brechts aus der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg. Er selbst nannte sie die „Merkers“ (vgl. B. an Hauptmann, September 1948, GBA 29, S. 468).

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 18.1.1934 AMSTERDAM den 18. Januar 1934 Herrn Bert Brecht,

Skobostrand

DAMRAK 62.

Svendborg,

Dänemark.

Lieber Herr Brecht, Ich danke Ihnen sehr für die Übersendung des Einleitungskapitels.44 Wir depeschierten Ihnen heute sofort noch einmal. Ich bat Sie auf jedenfall uns sofort ein Aquarell von Neher zuzusenden. Gleichzeitig bitte ich Sie sich doch weiter um eine möglichst schnelle Beschaffung der Photographie von der Carola Neher zu bemühen. Wenn das Aquarell von Neher uns sehr brauchbar erscheint, werden wir es nehmen, sonst werden wir auf die Photographie warten. Wir werden selbstverständlich eine sehr schöne und klare Schrift aussuchen, ebenso ein besonders gutes Format. Wir haben Sie nicht gedrängt, damit der Ablieferungstermin eingehalten wird, der ja erst viel später liegt, sondern weil wir sehr gerne das Buch im Ende April Anfang Mai herausgebracht hätten. Unter den heutigen Verhältnissen halte ich gerade die Reisezeit für einen nicht schlechten Termin, da man damit rechnen muss dass sehr viele Deutsche auf der Reise kaufen werden. Um aber zu diesem Termin herauszukommen, müssten wir ab Mitte Februar fortlaufend Manuskript erhalten, sodass man den Rest ungefähr Ende März in Händen hat. Bitte schreiben Sie doch ob das möglich ist. Ich glaube es wäre für beide von uns vorteilhaft, wenn wir diesen Erscheinungstermin durchsetzen könnten. Ich bitte Sie nicht zu vergessen einige Zeilen über Ihr Buch aufzuschreiben. Es genügen notfalls 2 Sätze, in denen Sie ungefähr Ihre Absichten andeuten. Alles Andere wird dann von uns vorbereitet werden. Mit besten Grüssen Ihr sehr ergebener W. Landauer. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/10.

44 Die Rede ist vom Dreigroschenroman, der im November 1934 bei Allert de Lange erschien.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 20.1.1934 AMSTERDAM-C, den 20. Januar 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht,

Skobostrand per Svendborg,

Dänemark.

Sehr verehrter Herr Brecht, Wir erhielten soeben die Zeichnung von Neher.45 Wir lassen sofort ein Photo herstellen das entsprechend verkleinert ist, und werden sehen, ob es für den Schutzumschlag geeignet ist. Jedenfalls bitten wir Sie so freundlich zu sein und sich zu bemühen das Photo von der Neher46, das Sie in Berlin haben, so schnell es geht zu besorgen, da wir ausprobieren wollen, was für den Schutzumschlag geeigneter ist. Mit besten Grüssen Ihr sehr ergebener W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/11.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Wengen, 23.1.1934 am 23.1.34 Lieber Freund. ich höre wieder lange nichts von Ihnen. Meine Frau wurde ziemlich krank und ich musste sie hier herauf bringen (sie hat Drüsensachen, die gefährlich sind, weil die Aerzte so gut wie nichts darüber wissen.) Haben Sie mein Buch47 – ein neues Exemplar bekommen? Die Presse ist wirklich erstaunlich, natürlich nur die ausländische, in Holland und England habe ich Leitartikel darüber. 45 Die Rede ist von Caspar Neher. Vgl. Landauer, 11.12.1933. 46 Carola Neher. 47 Vgl. Brentano, 3.1.1934.

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In der Weltbühne No 3 empfehle ich Ihnen einen Artikel von Bergner über die Lage der Arbeiter in Berlin,48 einen ganz vorzüglichen Artikel, der sich nicht nur ganz mit meinen Erfahrungen deckt, sondern auch von Gen. die mich aus B kommend besuchten, bestätigt wurde. Toller49, der auch hier war, zeigte mir einen Brief aus Moskau, eine Umfrage an die d Schriftsteller, die mich sehr verwunderte. Man fragt uns, in unserer jetzigen Lage, was uns die Tatsache, dass es eine SU gibt, gegeben habe und dergleichen Zeug mehr. Ich muss sagen, das geht weit. Nach wie vor gibt es für diese Leute nichts anderes auf der ganzen Welt als ihre eigenen „Erfolge“. Ist Kläber bei Ihnen?50 Und was sagen Sie zu Renn?51 Man hat also auch da einfach geschwindelt, aber die ganze Partei erzählte sich doch, er sei in England. Jedes Wort, das da erzählt wird, stimmt halt nicht. Man muss dies als Axiom nehmen. Ich ärgere mich besonders, weil ich es d Gen., die wieder zurück gingen erzählt hatte, nachdem es so von allen Seiten als verbürgte Wahrheit mitgeteilt worden war. Nun werden die mich ja für einen rechten Schwindel halten! Ihre Briefe – ich sagte Ihnen das schon einmal – fehlen mir sehr, aber wenn sie kommen, sind sie so vorsichtig und überformuliert, zurückhaltend, und zwar manches sagend, aber nichts erzählend, nichts berichtend, dass es wirklich schwer ist, sie zu beantworten. Ich denke manchmal, unsere Beziehungen wären nicht mehr die alten. Auf die Nachricht hin, dass die Gestapo mein Buch beschlagnahmt hat – sie stand zum Teil mit grotesken Kommentaren in mehreren D Zeitungen – hat sich meine Familie, und zwar meine Mutter52 als Wortführern in einem feierlichen Brief von mir losgesagt. Um meine Brüder53 ist es mir nicht leid, aber mit meiner Mutter ist es bitter. Es scheint allerdings wieder toll in D zuzugehen.

48 Max Bergner, „Die verlorene Arbeitsschlacht“, in: Die neue Weltbühne, Heft 37 (1933). Bei dem Autor handelt es sich vermutlich um den KPD- und SED-Politiker Max Bergner. 49 Ernst Toller (1893–1939), Politiker und Schriftsteller, war zusammen mit Kurt Eisner u.a. führend an der Errichtung der Münchner Räterepublik 1919 beteiligt. Ging 1933 ins Exil in die Schweiz, 1935 nach Frankreich, 1936 nach Großbritannien, von dort in die USA. Nahm sich in Depression das Leben. 50 Brecht lud Kläber im Januar 1934 zu sich nach „Dänisch-Sibirien“ ein (GBA 28, S. 407–409); aus dem geplanten Besuch wurde jedoch nichts. 51 Der Schriftsteller Ludwig Renn, d.i. Arnold Vieth von Golßenau (1889–1979), war als KPD-Mitglied nach dem Reichstagsbrand verhaftet worden. Nach seiner Entlassung 1936 ging er in die Schweiz, von dort weiter nach Spanien, wo er auf seiten der Internationalen Brigaden im Bürgerkrieg kämpfte. 1939 emigrierte er über die USA nach Mexiko. Kehrte 1947 zurück nach Deutschland, Professor für Anthropologie in Dresden. 52 Lilla Beata von Brentano, geb. Schwerdt (1863–1948) 53 Brentano hatte vier Brüder, der jüngste von ihnen, Heinrich von Brentano (1904–1964), war unter Konrad Adenauer Außenminister der Bundesrepublik Deutschland (1955–1961).

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Der kleine K54 war drei Wochen in Berlin und hat sehr viel erzählt. Er sah auch Herbert55, der im festen Glauben gewesen sein soll, Sie kämen zurück. Er ist ohne Stellung, aber wie K sagt, verhältnismässig munter und von der neuen Dramatik sehr begeistert. Ich ließ Ihnen auch die de Man Broschüre schicken.56 Ist sie angekommen. Leben Sie wohl. Ihr alter BB. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Grand Hotel Belvédère Villa Belvédère, Wengen; BBA 481/36– 37.

A.P.J. Kroonenburg57 an Bertolt Brecht Amsterdam, 25.1.1934 AMSTERDAM-C, den 25. Januar 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht,

Kobostrand [sic] per Svendborg,

Dänemark.

Hochverehrter Herr Bert Brecht, Wir bitten Sie höflich uns zu benachrichtigen, ob die Photographie der Neher schon aus Berlin an unsere Adresse abgesandt ist, oder wann wir dieser entgegensehen können. Wenn es zu lange dauert, müssen wir uns entschliessen das Aquerall [sic] für den Umschlagentwurf zu verwenden. 54 Armin Kesser (1906–1965), Schriftsteller, Journalist und Theaterkritiker, Sohn von Hermann Kesser. Mit Brecht seit Ende der 1920er Jahre bekannt. Emigrierte 1933 in die Schweiz. 55 Herbert Ihering (1888–1977), Publizist, Theaterkritiker und Dramaturg. Im Unterschied zu Alfred Kerr, dem er aufgrund seines sehr sachlichen Stils häufig gegenübergestellt wird, war Ihering seit den frühen 1920er Jahren bereits auch ein Förderer Brechts. Trotz der Machtübernahme der Nazis arbeitete er weiter in Deutschland, zunächst als Journalist, dann als Besetzungschef der Tobis Filmgesellschaft und ab 1942 als Dramaturg am Wiener Burgtheater. 1945 wurde er Chefdramaturg am Deutschen Theater Berlin. In Klaus Manns Roman Mephisto (1936) wurde er – zu Unrecht – als Opportunist karikiert. 56 Die Broschüre Entwurf zu einem „sozialistischen Sofortprogramm“ des belgischen Sozialpsychologen Hendrik de Man (1885–1953), erschienen als Beilage des Vorwärts vom 17.12.1933. Brecht schrieb Brentano dazu Ende Januar: „De Man ist interessant, d.h. langweilig, d.h., man muß ihn lesen“ (GBA 28, S. 410). 57 Antonie Pieter Johannes Kroonenburg (1902–1977), niederländischer Jurist, Leiter der deutschsprachigen Abteilung des Verlags Allert de Lange.

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Gerne Ihren umgehenden Nachrichten entgegensehend und Ihnen im Voraus bestens dankend, verbleiben wir Mit ausgezeichneter Hochachtung Allert de Lange A. P. J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/12.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Bandol (Var), 27.1.1934 Badol Bandol (Var), 27. Jan. Lieber Brecht, ich sitze nackt in der Sonne, es ist sehr warm, und ich bin grässlich faul. Als ob die müdigkeit des ganzen jahres auf einmal herauskäme, aber es ist nicht unangenehm. in paris und london hatte ich einen ziemlich wilden betrieb, aber ich habe jetzt meine angelegenheiten auf einige zeit in ordnung gebracht und kann im sommer in ruhe an den zweiten josephus58 herangehen. die oppermanns59 sind kein ganz grosser, aber ein recht ansehnlicher erfolg und tun zweifellos ihre wirkung. es wäre fein, wenn sie herunterkämen. der februar gilt hier als besonders angenehmer monat, im märz allerdings setzt dann die regenzeit ein. marta hat sich einer zweiten operation unterziehen müssen.60 sie ist gut verlaufen, und ihre völlige wiederherstellung ist jetzt so gut wie sicher. nur wird es schrecklich lange dau-

58 Gemeint ist der Roman Die Söhne, der zweite Teil der Josephus-Trilogie, der 1935 im Querido Verlag in Amsterdam erschien. Der erste Teil, Der jüdische Krieg, erschien 1932 bei Propyläen in Berlin, der dritte, Der Tag wird kommen (Das gelobte Land), 1945 im Bermann-Fischer Verlag in Stockholm. 59 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933. 60 Marta Feuchtwanger hatte bei dem Versuch, ihren sich fahrerlos in Bewegung setzenden Wagen zum Halten zu bringen, einen Knöchel- und Beinbruch erlitten (und dadurch zugleich Brecht, Lion Feuchtwanger und Arnold Zweig, die sich in der Fahrbahn aufhielten, vor einem schweren Unfall bewahrt). Sie schilderte dieses Ereignis später in ihrer Autobiographie Nur eine Frau. Jahre, Tage, Stunden, Berlin 1984, S. 246.

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ern, bis sie wieder ihre ganze bewegungsfreiheit hat und an pläne auf weitere sicht können wir vorläufig nicht denken. sicher ist nur, dass marta den märz in aix les bains verbringen wird. was ich dann tun werde, steht noch dahin. ich würde mich freuen, wenn sie sich dazu aufraffen könnten, den februar über hier herunterzukommen. apropos eldorado: es ist ein proletarisches vorurteil, dass sorgfältig zubereitetes essen, luftige räume und eine gut besonnte landschaft der erkenntnis der wirklichkeit abträglich seien. herzliche grüsse an alle, die sie verdienen. Immer Ihr Lion feuchtwanger meine adresse bleibt bis auf weiteres: Bandol (Var) grand hotel Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/93–94. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 21f.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 28.1.1934 Brooklyn, Kenmore Place 27.

28.1.34

Lieber Brecht, es ist doch sehr viel Wasser zwischen hier und dort, man merkt es erst, wenn man acht Tage hindurch fährt, selbst wenn man diese acht Tage fast ausschliesslich in seiner Kabine verbringt, wie ich es getan habe. Aber man hört das Wasser andauernd und andauernd hat man die Schiffsschraube unter sich im Rücken zittern und rubbeln und man merkt, wie man immer weiter weg kommt. Und besonders merkt man es, wie weit draussen man ist, wenn man an einem Tage kaum 1 km vorwärtskommt vor Sturm und das Schiff bald in den Himmel gehoben und bald tief untergetaucht wird, wie es uns an einem Tage ging, sodass wir am nächsten Tag den Kurs ändern mussten, genau nach Süden, um überhaupt durchzukommen, wodurch wir dann anderthalb Tage überfällig waren. Aber es war ein nettes helles stabiles Schiff (25000) und ich hatte infolge von Krach eine erster Klasse Kabine ganz allein für mich, grösser und luftiger als mein Hotelzimmer in Paris. Fast die ganze Zeit waren 80% seekrank, erst die letzten paar Tage wurde es besser. Ich selbst war weniger seekrank als durch die Krankheit in Paris so geschwächt, dass ich eigentlich immer wie erschossen im Bett lag und vor Schwäche und Müdigkeit auch nichts essen konnte, obwohl man mir die wunderbarsten Sachen anschleppte. Damit ich nicht zu schwach wurde, hat man mich zweimal auf Deck getragen und einmal im Schiff auf und ab geführt. Die Stewards und Stewardessen sind wirklich wie in den Büchern steht richtige Kinderpflege-

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rinnen, aber alles war nichts gegen meinen Chief Steward, der mir das Essen in den Mund gegeben hat und wenn ich dabei eingeschlafen bin, deckte er mich zu, aber nicht ohne mir vorher wie einem Baby das Gesicht und die Hände mit einem feuchten Handtuch abzuwischen, aber so, dass ich garnicht davon aufwachte. dann kam er nach einer Weile wieder und fütterte weiter. Er stellte sich auch beim Einwanderungsoffizier neben mich, sodass es nur eine Minute dauerte. Zugleich war der New Yorker Vertreter der French Line (von Paris aus) angewiesen, mich schon auf dem Schiff zu begrüssen und mir behilflich zu sein. So hatte ich auch nur zwei Minuten mit dem Gepäck. Wir gingen nachts um zwei Uhr vor Anker und debarkierten morgens um 9 Uhr. Es kam auch ein Vertreter der Central Railroad bereits aufs Schiff, um mir eine Fahrkarte nach Saint Louis zu überreichen (von meinem Schwager aus)61 und ein anderer Mann der French Line überbrachte mir das nötige Landungsgeld. Unten unter dem „M“, wo mein Gepäck bereits war, wartete Ihre junge verheiratete Kusine Rosel.62 Ich hatte Ihren Brief voraus geschickt. (Von Ihrem Vater ist nie ein Brief mich betreffend eingetroffen.) Jetzt wohne ich bei Ihren Verwandten, da die Eltern in Florida sind und das Zimmer frei. Es sind dann nur noch Rosels Mann und Bruder und ein kleiner Junge da. Sie sind sehr nett und ich bekomme durch sie einen ganz starken Eindruck von jungen Leuten hier: Rosel macht alles allein, ihr Mann ist seit Nov. arbeitslos und versucht durch alle möglichen Sachen wieder hereinzukommen. Ihr Bruder ist bei der Bank. Sie sind sehr einfach und unförmlich und geben mir in allen Sachen sehr gut Bescheid. Ich werfe schon sämtliche drei Sprachen durcheinander, ausser Rosel sprechen sie alle englisch, aber ich komme gut mit. Dadurch dass ich so von einem Privathaus starte, hat Amerika jeden Schrecken verloren, den ich erwartete. Vielleicht kommt er noch, aber obwohl ich mich gesundheitlich noch sehr schlecht fühle, denke ich, dass irgendetwas sehr Befreiendes, Wohltuendes um mich herum ist, man hat direkt Lust, sich einzureihen unter die, denen was einfällt und die was tun wollen. Die Leute in der Untergrund63 sehen noch viel besser genährt aus als in Berlin und Paris und sind auch besser angezogen. Ich war mit Rosel einkaufen und gestern mit ihrem Bruder die ganze Fifth Avenue entlang und habe mir viele Geschäfte und Preise angesehen. Alles ist im Vergleich zu Berlin und Paris sehr billig, bei wirklich guter Qualität und besonders Nahrungsmittel sind einfach lächerlich im Preis. Man ist an das Rechnen in Cents gewöhnt und spart auch in Cents. Leute habe ich fast noch nicht gesehen. Eine alte Schulfreundin meiner Mutter (das Haus meines Grossvaters stand fast hier um die Ecke herum) besuchte mich und dann war

61 Hauptmann reiste bald nach ihrer Ankunft weiter zu ihrer Schwester Irma Warmber nach St. Louis, bevor sie nach einem Streit vorübergehend wieder nach New York zurückkehrte. Für acht Tage kam sie zunächst bei Verwandten Brechts in New York unter. 62 Rosalie Marie Fränkel (1902–?), Tochter von Fanny Johanne Fränkel, geb. Brecht, der in die USA emigrierten Schwester von Brechts Vater. 63 Untergrundbahn.

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ich bei zwei Frauen, die Kleber64 mir abgegeben hatte, beide sehr gescheit, handfest, aktive „comrades“. Mit ihnen hatte ich eine lange anstrengende Besprechung über Kommittees [sic] Geldbeschaffung Tarnung und mit wem ich zusammen komme. Ich glaube, sie waren ganz mit mir zufrieden und ich werde sie noch ein paarmal sehen. Acht Tage werde ich schon hier sein müssen. An Literatur wird hier enorm produziert. Feuchtwanger nannte mir schon viele Sachen, die ich unbedingt lesen müsste. Vieles davon hat Ihr Onkel hier, er ist sehr interessiert an Lesen und sehr fortschrittlich. Einen der grössten Erfolge hat eine Frau Pearl Bucks65, sie war in China oder ist sogar noch dort, sie schreibt breite ruhige Sachen über menschliche Beziehungen, Erziehungsthemen, Politik – ihr Stil ist ein mir nicht unbekannter, die chinesischen und japanischen Stücke haben es ihr im wesentlichen vorgemacht. Nach solchen Sachen zu urteilen halte ich Ihre Chancen für wirklich gross hier. Und damit komme ich zu einem Hauptpunkt. Auf meinem Schiff war auch Ferdinand Bruckner (Tagger)66, der zur Aufführung der „Rassen“67 (Theatre Guild68) eingeladen war. Als ich mich so entsetzlich schwach fühlte, sodass ich glaubte, ich müsse sofort vom Schiff in den Zug und weiter, schrieb ich ihm ein paar Zeilen, um ihn zu bitten zu mir zu kommen, um ihm evtl. einige Aufträge aufzuhängen. Er fühlte sich auch nicht gut und wir sahen uns erst die letzten beiden Tage, auch dann nur kurz, weil ich noch im Bett war. Er war besonders nett. Er hat sich alles angehört und sich dann für zwei Sachen entschieden, für die er was tun will und evtl. tun kann, da er die Theatre Guild Leute von früher her gut kennt: das eine ist Kaiser69 (worum mich Wreede bat), das andere sind Sie. Die Art wie so jemand über Sie sprach, war mir ganz überraschend und hinterliess sogar einen wirklichen Eindruck. Erstens kennt er alles von Ihnen, er hat es förmlich studiert (ohne allerdings selbst etwas in der Art Ihrer Sachen machen zu können, 64 Möglicherweise Kurt Kläber. 65 Pearl Sydenstricker Buck (1892–1973), amerikanische Schriftstellerin, bekannt geworden vor allem durch ihre Schilderungen des chinesischen Landlebens (Nobelpreis für Literatur 1938). 66 Ferdinand Bruckner, d.i. Theodor Tagger (1891–1958), Schriftsteller, Gründer und Leiter des Renaissance-Theaters in Berlin. Ging 1933 ins Exil nach Frankreich, 1936 in die USA. 67 Das Drama Die Rassen, das Ferdinand Bruckner wenige Wochen nach der Machtübernahme Hitlers im Pariser Exil schrieb, setzte sich als erstes deutschsprachiges Bühnenstück explizit mit dem antisemitischen Rassenwahn der Nazis auseinander. Nach der Uraufführung im Zürcher Schauspielhaus am 30.11.1933 (Regie: Gustav Hartung) wurde es mit Unterstützung der Theatre Guild 1934 in New York und Philadelphia gespielt. 68 1918 in New York gegründete Theatergesellschaft, die Stücke amerikanischer sowohl wie ausländischer Autoren förderte und ihnen zur Aufführung auf den Bühnen am Broadway verhalf. Abweichend von der üblichen Praxis wurde die Theatre Guild von Regisseuren geleitet, die gemeinsam die Verantwortung für Auswahl und Produktion der Stücke trugen. 69 Der Schriftsteller Georg Kaiser (1878–1945), dessen expressionistische Dramen der junge Brecht sehr schätzte, ging 1938 ins Exil in die Schweiz. Seine Dramen wurden bereits seit den 1920er Jahren ins Englische übersetzt. Von morgens bis mitternachts (1912) wurde auf Initiative der Theatre Guild 1922 am Garrick Theatre in New York aufgeführt.

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er ist politisch schlecht dran usw.), er stösst sich wie so viele an „Exotismen“, aber das was er an Positivem und wirklich Professionellem sagen kann, ist so, und ausserdem derart intensiv und erklärend, dass man sich fast keinen Besseren wünschen kann, der die Sache mit in die Hand nimmt. Sie wissen, ich bin bei den meisten, die Sie propagieren wollen, sehr eingeschränkt mit meinem Urteil. Ich schicke Ihnen morgen ein Kabel, dass Sie ihm möglichst alle Versuche auf dem schnellsten Wege beschaffen müssen. (c/o Theatre Guild, 52nd Str.) Er bat mich darum. Er meinte dann von selbst, dass es doch möglich sein müsse, die Reihe der Versuche hier anzubringen. (Leider weiss ich wie schwer die Versuche zu beschaffen sind, aber in Wien sind sie zu kaufen, seit langem, kann Ihre Schwägerin70 es nicht tun, der Minotti71 kann ich es nicht zumuten bzw. ihrer Mutter nicht, da die doch gar kein Geld haben.) Nur bleibt Bruckner nicht lange hier. Er will sich einen Abend mit der Hauptmacherin Anita Bloch72 zusammen setzen und ihr alles erklären. Wegen seiner „Rassen“ traute ich mich erst nicht von den „Spitzköpfen und den Rundköpfen“ zu sprechen, er meinte aber, gerade das sei besonders wichtig, ein Stück stütze immer das andere mit ähnlichem Inhalt und man wisse nicht, wie das mit seinem ausginge. Ausserdem habe ihm Martin73 so sehr viel Grossartiges davon erzählt. Vielleicht geht es wirklich so. Er ist sonst furchtbar kurz angebunden, will keinen Menschen sehen, betrachtet es als sein Glück, dass er kein englisch kann, er will sich einen Uebersetzer nehmen und sich nach Washington setzen, um die Dokumente über Lafayette74 zu studieren. (Historische Stücke werden (wie auch heute in einem langen Aufsatz in der Zeitung stand) hier noch lange Trumpf sein.) Bitte, bitte, versuchen Sie, sofort die Versuche zu beschaffen, ich habe nichts dabei, ich hatte an Lanyi75, Wien, geschrieben, aber keine Antwort bekommen, vielleicht wollte er erst Geld sehen. Bruckener [sic] sagte mir übrigens auch, Sie könnten, wenn Wreede propagandistisch nichts mehr für Sie täte, ohne weiteres weg, er mache jetzt dasselbe bei Fischer76. Auf Wreede hatte er gerade in Bezug auf Sie eine grosse Wut, weil er ihnen mit der Dreigroschenoper hier und mit Mendelsohn77 alles verdorben habe. Er habe sich damals, 70 Helene Weigels in Wien lebende Schwester Stella. 71 Vermutlich die Literaturagentin Margaret Mynotti alias Bianca Mynatt (geb. 1907). Sie war eine Freundin von Elisabeth Hauptmann und arbeitete zusammen mit ihr an .. Sie floh als KPD-Mitglied im Zuge der antikommunistischen Verfolgung nach dem Reichstagsbrand nach Prag und später nach London. 72 Vermutlich Lore Anita Bloch (1911–1985), Tochter von Eugen Bloch, die 1933 ins Exil in die USA ging. 73 Möglicherweise der Regisseur und Schauspieler Karl-Heinz Martin (1888–1948) (vgl. Hogan, 1.11.1945). 74 Marquis de La Fayette, d.i. Marie-Joseph du Motier (1757–1834), war während der Französischen Revolution 1789 Kommandant der Nationalgarde. Gegner Napoleons und später Führer der liberalen Opposition gegen die restaurierte Bourbonen-Monarchie. Bruckner befaßte sich mit La Fayette womöglich im Hinblick auf seine Komödie Napoleon der Erste (1937). 75 Richard Lanyi, Wiener Verlagsbuchhändler. Befreundet mit Karl Kraus. 76 Samuel Fischer (1859–1934), Gründer des S. Fischer Verlags, Berlin 1886. 77 Francesco von Mendelssohn (1901–1972), Musiker und Kunstsammler, hielt sich ab 1933 im Exil vor

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als er es gehört habe, einfach an den Kopf gefasst, wieso das zugelassen wurde. Auch für die Dreigroschenoper will er bei der Theatre Guild noch mal sprechen. (Feuchtwanger ist ein schlechter Anwalt für Sie im Ausland, das habe ich gemerkt.) Ich selber werde ihn wohl kaum noch sehen, wenn sein Stück gegeben würde in den nächsten Tagen, würde ich es mir ohne ihn darum zu bitten anschauen, man kann sehr billige Theaterplätze hier haben. Diese Woche ist auch im Seldwyn Theatre die Premiere von dem Speyer Stück „A Hat, a Coat, a Glove“78 – der arme Benjamin, dass er garnichts davon hat. Sehr dumm für mich ist, dass Vicki Baum79 gerade in Calif. ist, sie haette mir so gut wegen Ihrer Gedichte Bescheid sagen können, jetzt muss ich mir was anderes ausdenken, so irgendwo hinzugehen, ist hier nämlich wirklich schwierig. Ich habe der Baum mit Luftpost geschrieben, vielleicht, wenn sie nett ist, gibt sie mir schriftlich ein Ja, dann habe ich auch nichts von Ihren Gedichten da, nicht mal den von dem Ruhm New Yorks80 in deutsch, ich kann das nicht nur englisch zeigen, denn so genau weiss man doch nicht, wie es ist mit der Uebersetzung. Ich habe den Eindruck, dass man hier wirklich noch was machen kann und wenn man erst einmal drin ist, setzt sofort eine ungeheure Nachfrage ein und das Geriss der Verleger geht los. Es ist schade, dass Sie nicht im Frühjahr herkommen können, es würde Ihnen kolossal gefallen, es würde alles sehr leicht und angenehm für Sie sein. Wenn Sie hier draussen bei Ihren Verwandten wohnen, ist es wie in Augsburg, das Haus ist sehr gross und Sie brauchten sich garnicht um sie zu kümmern, sie sind gegen „Guten Morgen“ sagen und jede unnütze Ansprache, aber sehr lustig und mit viel Humor. Besonders die Rosel, die Ihrem Vater schrecklich ähnlich sieht. Sie kennen sie ja. Sie würden einen ziemlichen Eindruck auf die Leute hier machen, aber man würde sie nicht von Pontius nach Pilatus hetzen. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: ich würde nicht mit der Massnahme starten, damit allem in Frankreich und Italien auf, ehe er 1935 in die USA emigrierte. Am 13.4.1933 inszenierte er am New Yorker Empire Theatre die Dreigroschenoper, der dort allerdings kein großer Erfolg beschieden war (vgl. Anm. zu FBE, 26.4.1933). Am 28.9.1937 führte er wiederum Regie bei einer von Aufricht produzierten Aufführung der Dreigroschenoper in Paris (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937). 78 Ein Mantel, ein Hut, ein Handschuh (1933), Drama von Wilhelm Speyer (1887–1952). Speyer ging 1933 ins Exil nach Österreich, später nach Großbritannien und 1941 in die USA, wo er als Drehbuchautor für MGM arbeitete. William A. Drake inszenierte A Hat, a Coat, a Glove 1934 in New York. Unter dem Titel Hat, Coat, and Glove wurde das Stück im selben Jahr von RKO Pictures unter der Regie von Worthington Miner in Hollywood verfilmt. Speyer ging 1933 ins Exil nach Österreich, 1938 nach Frankreich, 1941 in die USA. Kehrte 1949 nach Europa zurück und lebte in der Schweiz. 79 Das ist die Schriftstellerin Hedwig Baum (1888–1960). Nachdem ihr Roman Menschen im Hotel von MGM in Hollywood 1932 unter der Regie von Edmund Golding erfolgreich verfilmt worden war (Grand Hotel, in der Hauptrolle Greta Garbo), wurde sie als Autorin von Paramount Pictures unter Vertrag genommen. Ab 1932 lebte sie in den USA, nahm 1938 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 80 Das 1929 entstandene Gedicht Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York (GBA 11, S. 243–250) erschien zuerst in Die Sammlung, Heft 7/1934 (Amsterdam). Von „verschollenem Ruhm“ sprach Brecht angesichts der Weltwirtschaftskrise. Vgl. dazu die Kritik von Grosz, 13.8.1934.

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schneiden sie sich eine ganze Schicht von Interessenten weg, die hinterher, auch die Masnahme annimmt [sic]. Ich sehe morgen den Mann, mit dem ich von Eisler aus wegen der Massnahme sprechen sollte.81 Aber ich werde da nicht sehr tief hineingehen und von mir aus eher eine grosse Veranstaltung mit Liedern und Chören (in denen nicht unbedingt das Wort kommunistisch vorkommt) vorschlagen. Selbst die beiden Comrades gestern rieten mir dazu, mich erst bei liberalen Individuala [sic] einzuführen. In eines ihrer Häuser und Büros darf ich schon garnicht, die werden auch überwacht. Wirklich, überlegen Sie es sich, ob Sie nicht herkommen wollen, im Frühjahr ist es auf dem Schiff wunderbar, und zwei Monate würden vollauf genügen vollauf genügen, evtl. nur einen Monat. In Paris ist sowieso jetzt grosse Pleite und es wird dort immer verrotteter. Ich würde Ihnen nicht zuraten, wenn ich nicht wirklich das Gefühl haette, dass Sie sich wohl fühlen würden. Es schlägt alles so in Ihre Art hier. So ekelerregend Paris ist und die Leute da, so nett sind sie hier. In Paris sparen sie bloss und sind geizig und egoistisch, hier sparen sie auch in erster Linie, aber nur um es wieder auszugeben und im Grunde sollen sie hier, wie man mir lang erzählt hat, ganz unegoistisch sein. Bedenken Sie es wirklich. Ich selber kann nicht so sehr viel für Sie hier tun [hs.: ohne Sie + Ihre Sachen +], wenn ich in St. Louis sitze, ich kann aber wieder herkommen. Ich fühle mich auch wirklich bis auf die Knochen ermüdet. Dieser Brief ist eine grosse Leistung und ich werde mich dafür gleich ins Bett legen. Denn morgen muss ich allein ein paar wirklich weite Reisen machen. Es grüsst Sie alle herzlich Ihre Bess Hauptmann Der Weigel würde es übrigens auch gut gefallen hier, ganz abgesehen davon, dass Ihre Tante und Rosel ebenso unermüdlich im Kochen und Backen sind. [Hs.] Alle lassen grüssen Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 480/107–112.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 1.2.1934 27 Kenmore Place, Brooklyn 1.2.34 81 Die Rede ist von dem amerikanischen Komponisten und Dirigenten Elie Siegmeister (1909–1991), (vgl. Hauptmann, 1.2.1934). Die geplante Aufführung der Maßnahme in New York kam nicht zustande. Vgl. Anm. zu Eisler, 1.6.1935.

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Lieber Brecht, ich habe Ihnen doch nicht, wie ich zuerst vorhatte, wegen Ihrer Sachen gekabelt, aber trotzdem sollten Sie alles in Bewegung setzen, um uns Exemplare Ihrer Sachen zu verschaffen. So viel Leute haben die Sachen wirklich unnötig und wo sie nötig sind, fehlen sie dringend. (Auch die Ausnahme und Regel82 und alles bräuchte ich.) Zu Huebsch, Feuchtwangers Verleger (F. gab mir einen Brief) gehe ich jetzt nicht hin, es haette nur einen Sinn gehabt, wenn ich Ihre Sachen alle da haette. Was werden Sie betr. der Beschaffung des Koffers unternommen haben?83 Ich hoerte gerade, dass man in Paris auch seit Wochen nichts von dem angegebenen Mann „W“84 gehört hat. Möglich, dass da auch schon wieder was passiert ist. Voight ist seit diesen Tagen wieder in Paris, 7 Villa Brune (Rue des Plantes), es wird ihm aber auch alles von London nachgeschickt. Was macht das Liederbuch85? Es ist s o o o schade, dass ich nichts da habe. Bitte an Eisler weitergeben. Ich sprach Eislers Bekannten Dr. Siegmeister86 (er lehrt Musik hier am Brooklyn College – vom Komponieren allein können hier im Lande nur 1, 2 Leute leben, alle anderen müssen immer einen soliden Beruf daneben haben). Eislers Idee, anstatt des Konzertes die Massnahme oder sowas zu machen, konnte er nicht unterstützen, jetzt auch nicht mal mehr das Konzert. Die Arb. Musik. Vereinig.87 haben sozusagen überhaupt kein Geld. Er war auch der Ansicht, dass man woanders hier anfangen muss. Mit Musik ist es eine schwierige Sache, die meisten Einführungen von Musik geschehen zunächst fast immer durch Protektoren. Ich bin überzeugt, dass man aber eines der grossen Kommittees [sic] dafür gewinnen kann, die auch Anschluss an reichere Leute haben. Es gibt ganz grosse antifa. Organisationen, mit denen man das machen müsste. (Ella Winter88, die Verfasserin von „Red Virtue“ steht an der Spitze einer solchen Organisation). Die 82 Das Lehrstück Die Ausnahme und die Regel (GBA 3, S. 235–260) wurde 1930 begonnen und erschien nach mehreren Umarbeitungen in Heft 9/1937 der Internationalen Literatur. 83 Die Rede ist von dem Koffer mit Manuskripten, den Hauptmann in Berlin zurückgelassen hatte (vgl. Anm. zu Steffin, Mitte August 1933), was zu einem schweren Konflikt zwischen ihr und Brecht führte. Ob der Koffer jemals wieder aufgefunden wurde, ist ungewiß. Zu der Auseinandersetzung mit Brecht vgl. Hauptmanns undatierten Brief unten, vermutlich aus dem Jahr 1934; dazu auch Kebir, Hauptmann, S. 169ff. 84 Vgl. Hauptmann, 17.1.1934. 85 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 17.1.1934. 86 Hs. Fußnote: „ungeheuer nett + klug“. – Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934. 87 Workers’ Music League, 1931 gegründeter Zusammenschluß von musikalischen Bewegungen bzw. Organisationen aus 15 Ländern. Die League veranstaltete am 21.5.1933 die I. Arbeitermusik-Olympiade in New York und am 4.3.1934, einem Aufruf des IMB folgend, eine Konzert-Demonstration gegen Faschismus und Krieg. 88 Ella (Leonore Sophie) Winter (1898–1980), Journalistin und Übersetzerin (u.a. Der gute Mensch von Sezuan), Autorin von Red Virtue: Human Relationships in the New Russia, New York 1933. Nach dem Tod ihres Ehemanns Lincoln Steffens (1936), eines sozialistischen Journalisten, der in den 1920er Jahren die UdSSR bereist hatte, heiratete sie den Hollywood-Drehbuchautor Donald Ogden Ste-

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Arbeit. M. Ver. könnten auch insbesondere nichts für dieses Frühjahr mehr tun, sie haben da mit einer Olympiade zu schaffen, sagte mir Siegm. Alles was man in der Richtung tun könnte, müsste man für den Herbst ins Auge fassen. Ganz was anderes ist es mit Ihren eigenen Sachen, besonders den buchverlegerischen etc. Es ist eine bittere Kälte, wie ich sie drüben noch nie erlebt habe und sie beisst entsetzlich an den Schienbeinen. Heute musste ich in eine Provinzstadt etwa 1 1/2 Stde von hier. Gehen Sie nie an einen solchen Ort, besonders wenn er so stehen geblieben ist: der Menschheit ganzer Jammer überfällt sie. Es ist alles wie Sie es sich in Bezug auf die Pionierzeit gedacht haben: alte graue verblichene Holzhaeuser, die im Sturm hinundherschwanken, Stücke Grasland mit Tonröhren, die wild herumliegen, Schuppen, altes Gerümpel, niederige Lädenreihen, Haufen von parkenden Autos, viel herumliegendes Papier usw. und wenn man von dort nach New York wieder herein kommt und die alten Mietskasernen der Aermsten sieht, dann fällt man in einen neuen Jammer, da ist der Dreck und die Schwärze noch grösser und alles ist wahllos durcheinander – es ist romantischer und wilder alles [sic] Ihre Fantasie es sich mitunter vorgestellt hat und romantischer und in den Elementen viel toller zusammengestellt als in den Filmen (in ihnen ist alles viel ordentlicher, selbst wenn man Schuttplätze zeigt) – kurz, es sieht sehr vieles absolut scheusslich und ekelhaft aus. Ich bin bis zum 7.2. hier. Ich bin noch sehr langsam mit dem Telefon und der Untergrund. Für Kleber89 habe ich bisher 50 Doll. mobil gemacht, sie sind schon unterwegs. Ich habe noch ein paar Adressen von Leuten, würde aber lieber zu ihnen gehen, wenn ich etwas hier vorstelle. Ich fand übrigens gestern in einem Prospekt für eine grosse Art Volkshochschule (for social research) viele bekannte Namen) Feiler90 von der Frankfurter, der bekannte Ministerialrat Brecht91 und solche Leute. Aus den Zeitungen sehe ich, dass in Berlin unter allen möglichen Vorwänden (monarchistisch oder kirchlich) der Terror immer weiter geht, meine letzte Nachricht von dort war sehr schlecht, damals stand gerade Charlottenburg und Wilmersdorf sehr unter Druck. Schreiben Sie mir doch mal was Sie erfahren. Ich konnte selber noch nichts arbeiten. Ihr Vorschlag betr. Karl den Kühnen92 ist sehr kühn, um ihn mit irgendeinem grossen businessman zu identifizieren, müsste [Fortsetzung wart. 89 Vermutlich Kurt Kläber, der Geld für die Gründung eines Instituts sammelte. Vgl. Anm. zu Benjamin, 13.1.1934. 90 Arthur Feiler (1879–1942), Ökonom und Journalist, vormals Redakteur der Frankfurter Zeitung, seit 1933 Professor an der New School for Social Research in New York. 91 Arnold Brecht (1884–1977), Jurist und Politikwissenschaftler, Regierungsbeamter in der Weimarer Republik, lehrte seit 1933 an der New School for Social Research in New York. 92 Karl der Kühne (1433–1477), Herzog von Burgund. Bezieht sich vermutlich auf einen nicht erhaltenen Brief, in dem Brecht ihr vorschlug, das Thema weiter zu bearbeiten. Brecht hatte 1924 Skizzen für einen Roman mit dem Titel Flucht Karls des Kühnen nach der Schlacht bei Murten angefertigt

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hs.] man das Geschäft sehr gut kennen, darin zuhause sein, es ist ein grosser Hafen. Ob es nicht besser ist, ich mache zuerst Geschichten? Dafür gibt es einen grossen Markt! Den Karl lasse ich nicht aus dem Kopf, aber er geht nur viel mehr nach einer Liebesgeschichte hin. Herzlichst Ihre Bess. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 480/105–106.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 3.2.1934 am 3.2.34 Lieber brecht. dank für Ihren brief. silone: fascismus93 könnte ich Ihnen für 3½ fr. besorgen. kesser habe ich gesagt, er solle Ihnen schreiben. von herberten94 hatte ich nach alter gewohnheit nur die wahrheit berichtet nichts verschwiegen, aber auch nichts hinzugefügt. k95 meint, er suche einen regisseurposten, einen kleineren. wie ist eigentlich nun Ihre stellung zu den pragern96? mein verleger97 war dort, und nachdem sich ottwalt mit der nötigen dummheit98 über mein Buch geäussert hatte, geriet er auch noch an herzf99, der ihm erklärte, in den NDB sei er Herr im Hause und auf seinen auftrag hin werde man mein buch nicht erwähnen. der biedere schweizer war über diese (ursprünglich als Stück geplant), Hauptmann hierzu 1925 einen Entwurf aufgezeichnet (vgl. GBA 17, S. 409–419). Spätere Bearbeitungen Hauptmanns sind nicht überliefert. 93 Brentano hatte Silones Roman Fontamara erwähnt (3.1.1934), woraufhin Brecht ihn in einem Brief Ende Januar fragt: „wie könnte man ‚Fascismus‘ von Silone bekommen, ohne ein Vermögen zu bezahlen?“ (GBA 28, S. 410.) Die Rede ist von Der Faschismus: seine Entstehung und seine Entwicklung, Zürich 1934. 94 Herbert Ihering. Brecht hatte sich Ende Januar bei Brentano erkundigt: „Wovon lebt eigentlich Herbert? Hoffentlich nicht nur von der Zuversicht, daß ich bald zurückkomme. Daß er die neueste Dramatik schön findet, das läßt er mir sicher nur sagen, damit ich mich beeile, es scheint eine Erpressung zu sein. Oder haben Sie das erfunden, um mir Schmerz zu bereiten? Das wäre aber recht häßlich“ (GBA 28, S. 410). 95 Armin Kesser. 96 Gemeint ist die Redaktion der von Herzfelde herausgegebenen Neuen Deutschen Blätter. Vgl. Anm. zu Brentano, 23.7.1933. 97 Der Schweizer Verleger Emil Oprecht (1895–1952) war Gründer der Buchhandlung Oprecht und Helbling (1925) und des Europa Verlags (1933), der damals vor allem Bücher antifaschistischer Emigranten publizierte. Emil Oprecht vertrieb u.a. auch Brechts Versuche in der Schweiz. 98 Hs. Erg. am Rand: „jene, für die er gerade bezahlt wird“. – Zur Kontroverse mit Ottwalt vgl. Brentano, 3.1.1934. 99 Wieland Herzfelde.

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art eines verlegers zu einem anderen verleger über einen autor zu sprechen, nicht wenig erstaunt. könnten Sie mir nicht näheres sagen, was Sie bei josef und seinen brüdern vorhaben?100 es würde mich nicht nur interessieren, ich glaube, es wäre auch ganz wichtig. haben Sie die erklärung gelesen, die remmele veröffentlichen musste? so öffentlich beichten das wird den papst neidisch machen. bei dieser gelegenheit empfehle ich eine broschüre, die der SPDabgeordnete Seeger101 eben herausgegeben hat. er war in Oranienburg, und floh. auch alf braun102 ist hier aufgetaucht. es muss allmählich ziemlich leer in Berlin werden. Schwdt103 hat Ihnen einen neuen packen geschickt. auch von klauschen104 habe ich zu berichten. Kesser schickte ihm eine kritik über BN105, er brachte sie auch, nachdem er munter alle positiven Sätze herausgestrichen hatte. die sitten der antifasc. savonarolas106 lassen immer noch zu wünschen übrig. meine frau ist noch in w. und erholt sich sehr langsam. die aerzte sind nicht zufrieden. vielleicht werde ich mit ihr im frühjahr nach südfrankreich gehen müssen. jetzt dauert die scheisse schon ein volles Jahr. Der mann107 hat nicht geringe schwierigkeiten im augenblick, aber wenn man die lage objektiv analysiert, und die wenigen wirkliche brauchbaren berichte dazu nimmt, die man aus d hat, muss man feststellen, dass er sich 100 Anspielung auf den Titel der Romantetralogie Joseph und seine Brüder von Thomas Mann (den ersten Teil, Die Geschichten Jaakobs, hatte Ottwalt für die Neuen Deutschen Blätter besprochen; vgl. Anm. zu Brentano, 3.1.1934). Die Rede ist hier von Josef Stalin. Brecht hatte Brentano geschrieben: „Im Mai, zur Zeit der Baumblüte, fahre ich hinüber, um mit Josef ein ernstes Wort unter 150 000 000 Augen zu sprechen.“ (GBA 28, S. 410). Die geplante Reise in die Sowjetunion – die Wladimir Majakowski in seinem Poem 150 000 000 (1921) besungen hat – kam nicht zustande. Brecht hielt sich erst im Frühjahr 1935 zu Besuch dort auf. 101 Gerhart Seger (1896–1967) war als Reichstagsabgeordneter der SPD im März 1933 verhaftet und seit Juni im KZ Oranienburg interniert worden, von wo ihm im Dezember die Flucht nach Prag gelang. Sein Bericht Oranienburg erschien, mit einem Geleitwort von Heinrich Mann, 1934 in Karlsbad. Im Oktober desselben Jahres emigrierte er in die USA. 102 Der Schauspieler und Hörspielregisseur Alfred Braun (1888–1978), vormals Leiter der Sendespielabteilung bei der Funkstunde Berlin, wurde 1933 im KZ Oranienburg inhaftiert. Ging nach seiner Entlassung 1934 in die Schweiz. Bereits 1941 zurück in Deutschland, verfaßte er Drehbücher zu Veit Harlans Filmen Die goldene Stadt (1942) und Kolberg (1945). 103 Vermutlich Paul Schwerdt (vgl. GBA 28, S. 397 u. S. 410), vgl. Brentano, 3.1.1934. 104 Vermutlich Klaus Mann, der von 1933 bis 1935 in Amsterdam die Exilzeitschrift Die Sammlung herausgab. 105 Berliner Novellen (vgl. Brentano, 18.10.1933). Eine solche Rezension Armin Kessers konnte nicht ermittelt werden; im Armin-Kesser-Archiv der Berliner Akademie der Künste ist lediglich eine spätere Rezension von Brentanos Roman Theodor Chindler (vgl. Anm. zu Brentano, 10.6.1933) aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 4.5.1936 zu finden. In der Sammlung allerdings (Heft 1/1934) erschien eine Besprechung der Berliner Novellen von G[eorg] Z[elter]. 106 Anspielung auf den Dominikanermönch Girolamo Savonarola (1452–1498), der den Lebenswandel des Klerus, des Adels und der reichen Bürger anprangerte und in Florenz nach der Vertreibung der Medici für einige Jahre ein auf asketische Ideale gegründetes Regiment führte. 107 Hitler.

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in seinen auseinandersetzungen mit pfarrern, kirchen, und der grossen gruppe unzufriedener bürger aller sorten momentan auf die AK 108 stützt, welche gegenwärtig die faktische stütze seines systems ist. das wollen manche leute nicht hören, aber es ist wohl so, und wenn es auch nicht schön ist, es braucht auch dies nicht ewig zu dauern. immerhin stimmen theorie und wirklichkeit noch nicht überein. ich habe einen kleinen roman geschrieben, der Ihnen wahrscheinlich gefallen wird, die geschichte dreier alter männer in berlin. was macht ko109? ich könnte ein artikel über die lage zwischen arbeitern und bauern in Dänemark gebrauchen. kann er sowas schreiben? Herzlichen Gruss an alle Bekannten. Ihr B. 110 Slatan wurde von hesses freundin gesehen, als er gerade aus einer kaserne heimfuhr. er soll da in einem bejammernswerten zustand gewesen sein. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 481/56–57.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 8.2.1934 EA/H

8. Februar 1934

Herrn Bert Brecht c/o Malik Verlag Praha I Konviktská 5 Lieber Herr Bert Brecht, ich habe gehofft, von Ihnen zu hören oder Sie in Paris noch vorzutreffen. Ich habe mehrere englische und zur Zeit in London sich aufhaltende amerikanische Verleger für Ihren Roman interessiert und warte nun auf den Eingang Ihres Manuskriptes resp. Teilmanuskriptes.111 Bitte machen Sie sich die kleine Mühe, mir umgehend zu schreiben, wann dies Manuskript zu erwarten ist und vor allem, dass Sie im Sinne unserer letzten Aussprache in Paris den Vertrieb der deutschen und auch der anderssprachlichen Uebersetzungsrechte mir zu übergeben bereit sind. 108 Arbeiterklasse. 109 Karl Korsch. Als „Ko“ bezeichnete ihn auch Brecht in seinem Buch der Wendungen (GBA 18, S. 57). 110 Slatan Dudow. Vgl. Anm. zu Brentano, 3.1.1934. 111 Brecht teilte Alexander am 31.3.1934 mit, er hoffe, den Dreigroschenroman „in etwa zwei Monaten endgültig fertig zu haben“ (GBA 28, S. 412). Die einzelnen Teile des Romans übergab er nach und nach in den folgenden Monaten dem Verlag.

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Am 27. Januar war ja auch die Vorauszahlung von de Lange fällig! Hat Ihnen dieser gezahlt?112 Da ich den vereinbarungsgemäss von de Lange mir direkt zuzusendenden Vertragsanteil bis heute noch nicht erhalten habe, bitte ich um Mitteilung, ob Ihnen der Verlag etwa den vollen Betrag überwiesen hat, in welchem Falle ich von Ihnen meinen Provisionsanteil erbitte. Hoffentlich erreicht Sie dieser Brief über den Malik Verlag; bitte unterrichten Sie mich doch in jedem Falle von Ihrer Adresse und ebenso über Ihre literarischen Pläne: Nach unserer Aussprache in Paris hoffe ich ja, in geschäftlichen Dingen Ihnen weitergehend behilflich sein zu dürfen.113 [Hs.] Freundlich grüssend Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Head Continental Office: Berlin W 15, FASANENSTR. 68 [im Briefkopf gestrichen] Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: LANGHAM 2140; BBA 785/19.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen, Mitte Februar 1934] Bitte sofort zurück! Lieber Bidi, heute war ich bei Gelsted.114 Er wird die Spitzköpfe erst mal durchlesen u. ich hab versprochen, daß er in Kürze Bescheid bekommt, welche Szenen unverändert bleiben. Bitte schreibe mir das gleich. Er hätte, wenn ich nicht heute mit ihm gesprochen hätte, eine Islandreise angenommen, will aber viel lieber an den Spitzköpfen arbeiten. Was jetzt kommt, kannst Du leicht als „Miststückerei“ bezeichnen, was mich immer noch etwas kränkt, denn nicht ich bin das Miststück. Aber Gelsted bat mich, es Dir zu schreiben, ich tue es u. nehme, so weit ich kann, seine Worte: Er hat Ruth115 sehr gern u. will ihr in allem gern helfen, aber er muß in Zukunft ablehnen, irgendwie Geschäftliches mit ihm ihr zu besprechen. Er nimmt an, daß sie alles 112 Vgl. B. an Allert de Lange, 31.3.1934, GBA 28, S. 413. 113 Die geschäftliche Beziehung war beeinträchtigt worden dadurch, daß Brecht direkte Verhandlungen mit dem Verlag aufgenommen hatte. Vgl. Alexander, 7.8.1933. 114 Der dänische Schriftsteller und Übersetzer Einar Otto Gelsted (1888–1968), den Brecht im dänischen Exil kennengelernt hatte, übersetzte u.a. Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 115 Die dänische Schauspielerin, Schriftstellerin, Übersetzerin und Regisseurin Ruth Berlau (1906– 1974), Pseudonym: Maria Sten, lernte Brecht im August 1933 kennen. Ab 1935 seine Freundin und Mitarbeiterin, begleitete sie ihn über Schweden, Finnland und die UdSSR in die USA. Dort brachte

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unbewußt macht, aber jedenfalls ist sei ein Hintertreiben u. Verfälschen u. Herumerzählen unausbleiblich, wenn sie etwas in die Finger nimmt, sie habe zu wenig „juristisches“ u. zu viel falsch angewandtes diplomatisches Talent. Sie sei unbedingt für Johanna116, weil sie die Johanna spielen sollte u. hätte das andere jetzt fast zerschlagen deswegen. Lieber Bidi, ich werde mich schwer hüten, alles zu wiederholen bezw. zu schreiben, was mir Gelsted u. Knudson117 gesagt bezw. aufgetragen haben. Du faßt es ja doch anders auf. Jedenfalls: Geschäftlich wünscht Gelsted nicht noch einmal über Ruth zu verhandeln. Es waren jetzt sehr häßliche Dinge, sie scheinen in Ordnung gebracht, also Schwamm drüber. Du kannst leicht an meiner Schrift sehen, mit welchem physischen Zittern u. psychischem Beben ich das schreibe. Ich wagte bisher noch nie [Erg.: werde nie wagen], Dir gegenüber mich ganz gehen zu lassen wie zu vielen Leuten. Es ist so komisch, richtig lachen u. mich benehmen wie jemand, der sehr völlig unbekümmert ist, das wage ich nie in Deiner Gegenwart. Ich passe immer auf mich auf. Diese Tage ging es mir wirklich scheußlich. Als ich gestern das erste Mal wieder singend in mein Bett stieg (jedesmal tut es mir leid, daß ich nie so ins Bett steigen kann, wenn Du da bist) war es gut. (Weißt Du, ich steige richtig hinein u. da lasse ich mich so runterfallen) Verse vorlesen, Theater machen, sich ganz, aber ganz zeigen, das alles kann ich nicht Dir gegenüber. Irgendwo sitzt eine Scheu, andern gegenüber habe ich sie nicht, andere haben sie Dir gegenüber nicht. Ich habe einen ungeheuren Respekt vor Dir bei einer Liebe, die so groß ist, geliebter, lieber lieber bidi, daß es nicht gut sein kann. Oder glaubst Du, ja? Durch einige Vorkommnisse in diesen Tagen u. durch Erzählungen Ruths über einige Männer + sie, die ca. 5 Stunden dauerten (scheußlich) habe ich jede Eifersucht verloren – hier –. Und auch keine Lust mehr, freundschaftlich (es war in ganz ehrlicher Freundschaft gesagt) zu „warnen“. Wenn Dich mal ein schönes Mädchen anruft, mußt Du von Klatsch bis Kinderkriegen selbst die Folgen überlegen. Geht mich alles nichts mehr an. Du sitzt im Nebel. Jetzt [Transkription nicht eindeutig] ja. Auch, wenn Du hier sein wirst u. ich verbannt sein werde.

sie, an einem Tumor erkrankt, 1944 vorzeitig einen gemeinsamen Sohn zur Welt, der kurz nach der Geburt verstarb. Noch bevor sie mit Brecht nach Berlin zurückkehrte, hatte sich ihre Beziehung zu ihm empfindlich verschlechtert. Ihre Erinnerungen an Brecht hat Hans Bunge unter dem Titel Brechts Lai-tu (Hamburg und Zürich 1987) herausgegeben. Vgl. auch die von Sabine Kebir vorgelegte Biographie: Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine. Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006. 116 Die heilige Johanna der Schlachthöfe sollte am Königlichen Theater in Kopenhagen aufgeführt werden. Die Inszenierung kam nicht zustande. 117 Per Knutzon (1897–1948), dänischer Schauspieler und Regisseur, Ehemann von Lulu Ziegler, 1935–37 und 1941–43 Leiter des Teatret Riddersalen in Kopenhagen.

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Einmal sagtest Du, Ruth sei keine groß besondere Schauspielerin könne wahrscheinlich wohl als Schauspielerin nicht sehr viel. Auch da glaubte ich nicht, daß Du mir das so meinst. Na, jedenfalls wird sie Ende des Monats einen Vortragsabend machen. Du wirst ja dann sehen. Ich glaube, sie kann außer gut aussehen noch mehr. Außerdem ist sie vor allem ehrgeizig. Es wir Sie will etwas singen an dem Abend. Weißt Du etwas, das ich mit ihr dafür üben kann? Das ist ein furchtbar langer Brief geworden. Ich bitte Dich dringend, ihn nur einmal zu lesen u. sofort zurückzuschicken. Aber bestimmt. Sonst Vorher schreibe ich Dir nicht mehr. Es wäre dies endgültig Schluß über „diesen Komplex“. Außer nachhaltigen unangenehmen Zwischenfällen habe ich eine gute Erinnerung an die eine Zeit (diese Tage in Kopenhagen) in der Du ungeheuer nett u. rücksichtsvoll gegen mich warst. Daß Du es sein konntest, macht könnte mich zur Schuldnerin machen, aber ich bin „eh“ schon versklavt. Aber diese Haltung sollst Du nicht wieder nötig haben, obwohl es sehr sehr sehr gut von Dir war. Danke! Du hast mir auch vieles gesagt, was man gern hört u. was Du noch nie gesagt hattest. Ich hab Dich lieb, bidi, ich gehöre ganz Dir, Brecht, ich bin froh, wenn Du mich gern hast u. es mir manchmal sagst. Ich möchte gern, daß Du erst kommst, wenn ich etwas geschrieben habe. Jetzt ging es mir wirklich bissel sehr schlecht u. keine Zeile konnte ich schreiben, heute das erste Mal wieder! Schicke diesen Brief sofort zurück, sonst schreibe ich Dir nicht. Bidi, grüß Gott. jeg elsker dig /ja ljublju teba /je t’aime / I love you Ich liebe Dich Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/166–169. – E: Steffin, Briefe, S. 113ff.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Paris, 24.2.1934 Paris (6), den 24.2.1934 Herrn Bert Brecht Lieber Herr Brecht!

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Ich habe leider lange von Ihnen nichts gehört. Der Verlag möchte nun gerne wissen, ob Ihr Buch noch in diesem Frühjahr erscheinen kann.118 Wir lassen es vorläufig schon mitverkaufen. Es ist ein besonders schöner Umschlagentwurf hergestellt nach der Zeichnung, die Sie uns zugeschickt haben. Wir würden grossen Wert darauf legen, das Buch noch im Mai-Juni herauszubringen. Ich bitte Sie also, jedenfalls eine Nachricht zu geben. Ebenfalls wäre ich Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie mir mitteilten, ob Sie die Übersetzungsrechte dem de Lange Verlag zur Verfügung stellen können. Nach den Besprechungen, die ich mit auswärtigen Verlegern habe, würde es mir aller Wahrscheinlichkeit nach gelingen, den Roman innerhalb sehr kurzer Zeit in den meisten Sprachen unterzubringen. Ich kann aber nichts ernsthaftes tun, bevor ich weiss, ob Sie die Übersetzungsrechte dem de Lange Verlag zur Verfügung stellen. Ich bitte Sie also, wenn es irgend möglich ist, schon jetzt dem de Lange Verlag den Teil des Manuskriptes, den Sie schon bearbeitet haben, zuzuschicken, damit wir fortlaufend drucken können. Mit den besten Grüssen Ihr sehr ergebener W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung Walter Landauer Hotel Foyot 33, Rue de Tournon, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 BankKonto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/13.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis] 26.2.1934 Febr. 26.2.34. Lieber Brecht, heute morgen fand ich in einem Radiostück Ihre Geschichte „Der Arbeitsplatz“.119 – Ich schrieb sie der Vorsicht halber ab. Die letzte(n) Seite(n) habe ich nicht. Aber haben Sie 118 Der Dreigroschenroman, vom dem hier die Rede ist, erschien erst im November 1934. Im Bücherverzeichnis des Verlags wurde er jedoch bereits im März als „literarisches Ereignis“ (BC, S. 396) angekündigt. 119 Der spätere Titel der Geschichte lautet Der Arbeitsplatz oder Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du kein Brot essen (GBA 19, S. 345–349; ein erster Entwurf, vermutlich von 1933, ist ebd. im Anhang dokumentiert: S. 668f.). Brecht nahm dabei Bezug auf eine authentische Begebenheit, über die 1932 in der Presse berichtet worden war: Maria Einsmann aus Mainz hatte zwölf Jahre lang die Rolle eines Mannes gespielt, um in unterschiedlichen Berufen ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Als ihre Identität bekannt wurde, mußte sie sich wegen Urkundenfälschung vor Gericht verantworten. Ihren Beteuerungen zum Trotz, sie habe aus materieller Not gehandelt und nur als Mann eine Ar-

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meine Geschichte über Frau Einsmann? Jetzt fange ich auch an zu verzweifeln, da ich so vieles vermisse. Hat sich bei Ihnen das „Polly-bild“120 und die „Ballade von der Billigung der Welt“121 eingefunden? Ich muss sagen, ich bin ganz verstört, als ich jetzt merke, dass ich so viel nicht bekommen habe. Bitte, bitte, wenn Sie meine Geschichte über die Frau E. haben, schicken Sie sie. (Die Einzelheiten zu der Geschichte, wie ich sie aufschrieb, hatte ich übrigens aus dem Ullstein archiv herausgeschrieben.) In Ihrer Geschichte122 ist so gut, dass die Frau selber 2 Kinder hat, dass der Mann tot ist, und die Geschichte mit dem erpresserischen Portier. – Aber so wie sie ist, könnte man die Geschichte schlecht hier verkaufen – wie gesagt kurze Geschichten erst, wenn etwas Grosses vorausgegangen ist. Stimmt es, dass Ihr Roman unter dem Titel „A Poor Man’s Pound“ in England herauskommt?123 Ich versuche jetzt mit zwei jungen Leuten zusammenzuarbeiten, die Rundfunk-Anzeigen machen. Der ganze Rundfunk ist eine sehr lustige Sache hier – die Industrie finanziert die Kunst + die Künstler – die großen Sonnabend nachmittags Aufführungen der Metropolitan Oper (die ein wahnsinniges Geld kosten) z.B. werden von den „Lucky-Strike“-Zigaretten-Fabriken „gesponsert“ – in den Pausen und hinterher wird der Text der Oper erzählt oder die Hauptdarsteller interviewt + vor allem kurz auf die milde zarte Lucky Strike hingewiesen. Musikliebende Raucher rauchen Lucky Strike, um diese Zigarettenfirma instand zu setzen, die Opernaufführungen regelmässig fortzusetzen. Die regelmässigen Konzerte von Toscanini124 + Stokovski125 bis hinab zu den Komikern Amos und Andy126 – alle werden von irgend einer Firma angeheuert – es geht den ganzen Tag – irgend eine Milch, Mehl, Benzin, Cafe, Zahnpasta wird so durch irgendeine Darbietung

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beit finden können, wurde sie zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Auch Hauptmann verarbeitete diesen Stoff zu einer Geschichte, die allerdings nicht überliefert ist. Gemeint ist vermutlich das Gedicht Maria, Fürsprecherin der Frauen, das Brecht 1928 auf Grundlage einer Rohübersetzung schrieb, die Hauptmann von Rudyard Kiplings Mary, Pity Women! (1894) angefertigt hatte (GBA 14, S. 9f.). Die ursprünglich für die Dreigroschenoper vorgesehenen, auf Gedichten von Kipling basierenden Songs wurden im Bühnenmanuskript von 1928 gestrichen, ein Auszug aus dem genannten Gedicht jedoch in spätere Inszenierungen wiederaufgenommen unter dem Titel Pollys Lied. Gedicht aus dem Jahr 1932, GBA 11, S. 239–243. Der Arbeitsplatz, vgl. Anm. oben. Eine englische Übersetzung des Dreigroschenromans von Desmond I. Vesey und Christopher Isherwood erschien 1937 bei Hale & Co. in London unter dem Titel A Penny for the Poor. Brecht selbst hatte seinem Agenten drei andere englische Titel vorgeschlagen: „‚Poor Man’s Talent‘ oder ‚Threepence-Novel‘ (ich glaube, so ist die Schreibweise) oder ‚Poor Man’s Threepence-Novel‘“ (B. an Alexander, 31.3.1934, GBA 28, S. 413). Arturo Toscanini (1867–1957), italienischer Dirigent. Emigrierte 1937 in die USA. Leopold Stokowski (1882–1977), englischer Dirigent. „Amos’n’Andy“ war der Name einer beliebten Radiosendung, benannt nach den Charakteren Amos Jones und Andy Brown – gespielt von Freeman Gosden (1899–1982) und Charles Corell (1890–1972) –, die zwei afroamerikanische Archetypen darstellen sollten. Die erstmals 1928 ausgestrahlte Sendung wurde, auf Initiative des Zahnpasta-Fabrikanten Pepsodent, seit 1929 von NBC ausgestrahlt und Amos und Andy im Zuge dessen von Chicago nach New York versetzt.

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beliebt gemacht. Es interessiert mich kolossal + noch nie hat mich die grosse Nähe von Konzert + Geschäft so wenig gestört. Am Sonnabend treffe ich Verwandte von Helcia T. Sie haben große Ähnlichkeit mit ihr im Wesen + gehören zu den reichsten Familien der Stadt. Sie fabrizieren + verkaufen Linoleum + Teppiche + Vorhängen über die ganzen Staaten + ich hoffe, dass mich Helcia zum mindestens einladen. Es würde mich wahnsinnig freuen, Sie hier zu haben. Bitte, vergessen Sie nicht, nach meiner Frau Einsmann zu suchen – wenn ich auch vorderhand nichts damit anfangen kann – ich möchte sie gern haben für später. Ich dachte immer, ich würde mehr von Ihnen hören. Wenn man Ihnen übrigens den Handkoffer zuschickt, wie er127 in dem Koffer128 lag (Pension) so sind Sachen von mir darinnen. Schicken Sie mir, was Sie von meinen Sachen bekommen – es ist so schwierig für mich; etwas von meinen Sachen zu retten oder zu bekommen, die paar Leute sind so beschäftigt, die ich noch drüben habe. Schreiben Sie nur doch bald Herzlich B. Überlieferung: Ms, Bv.: „Banner Blue Limited“ St. Louis – Chicago; BBA 480/99–104.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 1.3.1934 1. EA/H

1. Maerz 1934

Herrn Bert Brecht Svendborg Skovsbostrand Lieber Herr Brecht, Ich sende Ihnen Abschrift meines letzten Briefes129, den ich nach Prag sandte. Dieser Brief hat sie anscheinend nicht erreicht. Ich waere Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir gleich einen Bescheid geben wollten und eine Uebersendung der mir zustehenden Provision von der zweiten Zahlung veranlassten. Da ich gegen die Firma gerade gerichtlich vorgehe, muss ich wissen, ob ich die Provision, die DE LANGE mir verweigert, einklagen muss oder ob Sie bereit sind, sie mir zu zahlen. 127 Im Ms: „sie“. 128 Vgl. Hauptmann, 1.2.1934. 129 Vgl. Alexander, 8.2.1934.

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Jedenfalls hoffe ich bestimmt, eine Zeile von Ihnen sofort zu erhalten, damit ich Ihre Angelegenheit nicht unnoetig in den Prozess hineinziehe.130 Mit freundlichen Gruessen Ihr E. Alexander

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: LANGHAM 2140; BBA 785/20.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Minsk, 3.3.1934 Minsk, d. 3. März 1934 Weißrussische Sowjetrepublik Galanterejni pereulok No 9 Quartier 1. Lieber Brecht, Ich schreibe Ihnen erst heute, weil ich vorher noch nichts bestimmtes sagen konnte. Heute habe ich einen Vertrag bis 1. IX. 1935 abgeschlossen;131 und länger werde ich – wegen der Zweisprachigkeit hier (russisch und weißrussisch) kaum bleiben, bewerbe mich in der Zwischenzeit nach Moskau und Saratow-Pokrowsk, jetzt „Engels“ genannt, denke in letztere Stadt zu gehen, wo hauptsächlich deutsch gesprochen wird und deutsch die Landessprache ist (Deutsche Wolga Republik). Ich unterrichte Deutsch, ab 1. Septbr. 34 werde ich auch Vorlesungen halten (Grammatik, Methodik, Stilistik, Semiologie, Phonetik, Literaturgeschichte). Ihre Ballade vom Reichstagsbrand132 wird jetzt ins Weißrussische übersetzt. Meine Schülerinnen können sie schon auf deutsch vortragen. Das Russische fällt mir irrsinnig schwer zu lernen. Zu essen gibts hier genug und Wohnung, ausreichend auch für die Familie, bekomme ich, sogar das Badezimmer ist im Vertrag erwähnt: man hat etwas gelächelt und, als ich die kleinen Kinder ins Treffen führte, eingewilligt. Ich habe es also nicht schlecht 130 Brecht antwortete am 31.3.1934, er „habe die zweite Rate noch immer nicht empfangen“, Alexander erhalte aber seine „Provision natürlich sofort nach Eingang des Geldes“ (GBA 28, S. 412). 131 Nachdem Borchardt in Paris zunächst noch sein Gehalt aus Deutschland weiter bezogen hatte, war er im März 1934 nach Minsk übergesiedelt, um dort Sprache und Literatur zu lehren. 132 Die Ballade vom Reichstagsbrand (GBA 14, S. 173–176) hatte Brecht 1933 nach der Melodie der Moritat von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper geschrieben.

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getroffen, zumal mir das dunkle Brot keine Schwierigkeiten macht: (manche Westeuropäer vertragen es zuerst schlecht). Sie haben ganz recht mit Varus und der römischen Truppe im Teutoburger Wald. Diese Nitschewo133-Leute heute würden es ohne die Partei wirklich nicht weit bringen, davon kann man sich bald überzeugen. (Glauben Sie, ich kriege das Badezimmer nicht? Ich kriege es – denn es steht im Vertrag, der keine leichte Geburt war. Man zahlt den Ausländern heute nicht mehr so freigiebig wie noch vor vier Jahren.) Die Post kann mich verrückt machen, bis heute habe ich noch keine Nachricht von meiner Familie. Habe jetzt schon drei Briefe geschickt. Schreiben Sie doch bitte einige Zeilen an meine Frau, nach Beauchamp (Seine et Oise). Sie wird erst den Transport unserer Sachen nach hier erledigen, dann zu ihren Eltern nach Ostseebad Ahlbeck Schülstraße 25 fahren und Mitte Mai hier eintreffen. Inzwischen ist die Wohnung eingerichtet. Minsk ist eine ziemlich große Stadt, aber das Klima wird wohl von den Minsker Sümpfen ungünstig beeinflußt. Mein Roman? Wird in den Ferien, von Ende Mai bis Mitte August (Universitätsferien) wieder vorgenommen. Ich will auch die Bluttat in Germersheim134 für hiesige Verhältnisse bearbeiten. – Gibt es ein Weiterleben? Ja; im Gedächtnis. Also spielt das Stück: im Gedächtnis der Menschen. Und der Gerichtshof besteht aus toten Führern der Revolution. Vorläufig leide ich unter Lauferei und Hast; das wird bald aufhören. Können Sie mir nicht Ihre grauen Hefte schicken. Sie eignen sich wegen der einfachen Sprache gut für den Unterricht der Vorgeschrittenen. Wenn Ihr Roman Manuskript noch bis Mai Zeit hat, will ich es gern einmal durchsehen. Vor meiner Abreise hatte ich mir in Paris noch Ledermantel und Lederhose gekauft: für hier die praktischste Bekleidung. Grüßen Sie Frau und Kinder, und auch Fr. Steffin herzlich von mir und vor allem, schreiben Sie bald einmal Ihrem alten H. Borchardt Überlieferung: Ts, BBA 482/40–43.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht Paris, 5.3.1934 Lieber Brecht, die Hauptmann hat mir einen Brief geschrieben, in dem außer Grüßen für Sie auch einige Sie betreffende Zeilen stehen. Vor allem was den Gedichtband135 angeht: „Ist der Band schon heraus? Ich brauchte ihn so sehr. Aus lauter Verzweiflung macht man hier immer noch Kuhle Wampe. Brecht könnte eine große Sache hier sein, aber ich 133 Russisch ničego: nichts. Bedeutet in der russischen Umgangssprache etwa: „Nichts zu machen.“ 134 Die Bluttat von Germersheim war 1928 zusammen mit zwei weiteren Dramen Borchardts im S. Fischer Verlag in Berlin erschienen. Die Texte gelten als verschollen, zu einer Aufführung kam es nicht. Vgl. dazu die Anm. in GBA 21, S. 683. 135 Lieder Gedichte Chöre.

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habe nichts von ihm dabei. Wenn er herüberkäme, würde er keinerlei Schwierigkeiten haben, sich schnell und ziemlich breit durchzusetzen.“ Wissing ist aus Berlin zurück; sehr ramponiert. Ich habe ihn kaum 20 min gesprochen; am Morgen nach seiner Ankunft hat er sofort eine Entziehungskur begonnen. Immerhin steht soviel fest, daß meine Bücher expediert worden sind – es handelt sich ungefähr um die Hälfte – aber die wichtigere Hälfte – der Bibliothek. Hoffentlich sind sie um diese Zeit schon auf See. Bitte lassen Sie mich doch die Ankunft des Transports in Svendborg gleich wissen.136 Der ganze Transport ist bezahlt; es könnten wohl höchstens Abrollgebühren in Svendborg noch zu erledigen sein. Wenn Sie die gegebnenfalls auslegen wollten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Daß die Bücher sogleich zu Ihrer Verfügung stehen, brauche ich wohl kaum zu bemerken. Mit der Arbeit über Haußmann137 steht es so, daß ich mich nicht entschließen konnte, für Monde sie zu schreiben. Die Leute machten mir bei der zweiten Besprechung einen allzu unzuverlässigen Eindruck. Dagegen ist mein Material zu dieser Arbeit völlig komplett, so daß ich sie an jedem beliebigen Ort schreiben kann, ohne irgendein Buch einzusehen. Um mir aber einige Mittel zu beschaffen, bin ich auf einen andern Gedanken gekommen. Ich kündige in den mir zugänglichen, und einigen andern französischen Kreisen eine Vortragsfolge „L’avantgarde allemande“ an. Ein Zyklus von fünf Vorträgen – die Karten müssen für die ganze Folge subscribiert werden. Aus den verschiednen Arbeitsgebieten greife ich nur je eine Figur heraus, in der sich die gegenwärtige Situation maßgebend ausprägt. 1) le roman (Kafka) 2) l’essay (Bloch) 3) théâtre (Brecht) 4) journalisme (Kraus) Vorangeht ein einleitender Vortrag „Le public allemand“.138 Soviel zu meinen derzeitigen Projekten. Haben Sie das Weill-Interview, das ich Ihnen schickte, bekommen? Alles Gute für Ihre Arbeit mit Eisler139 und herzliche Grüße 136 Steffin bestätigte Benjamin den Eingang der Bücher am 15.3.1934. Vgl. Steffin, Briefe, S. 118. 137 Vgl. Benjamin, 13.1.1934. 138 Die Veranstaltung kam nicht zustande, keiner der hier genannten Vorträge wurde geschrieben (vgl. Anm. in BGS II, S. 1158). Über Franz Kafka (1883–1924) verfaßte Benjamin noch im selben Jahr einen Essay (vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 2.6.1934). Über Karl Kraus (1874–1936), Herausgeber der von 1899 bis 1936 erscheinenden Zeitschrift Die Fackel, hatte er bereits 1931 einen Essay in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht (jetzt BGS II, 334–367). Im Auftrag derselben Zeitung hatte er, vermutlich ebenfalls im Jahr 1931, auch die Studie „Was ist das epische Theater?“ verfaßt (ebd., S. 519–531; vgl. dazu auch die Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 17). Im Frühjahr 1939 schrieb er eine zweite Studie gleichen Titels, die in Maß und Wert, Heft 6/1939, erschien (jetzt BGS II, S. 532–539). 139 Brecht, Eisler und Steffin bearbeiteten im Februar/März 1934 das Stück von den Spitzköpfen und Rundköpfen (das fortan Die Rundköpfe und die Spitzköpfe hieß) für eine Kopenhagener Aufführung,

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5 März 1934 Paris VI 1 Rue Du Four

Walter Benjamin

Ihr

Überlieferung: Ms, BBA 478/15-16. – E: Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 361f.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 5.3.1934 [Hs.: 5.3.34] l.b.

vielleicht interessiert Sie die beiliegende information über diese religiösen dinge.140 wann fahren Sie denn nach m141? ich höre da verschiedene Dinge von drüben, manches was darauf schliessen lässt, dass man, der albernen informationen der offiziellen halb und ganzschwindler leid zu sein scheint und verbürgten berichten zugänglicher. dies wäre natürlich sehr wichtig. oder haben Sie nur theater und wangenheimpläne142? was machen denn die hamlets? die hiesigen telle werden immer fascistischer und ich glaube, wenn es so weiter geht, wird es nicht mehr lange dauern. aber es gibt hier leute, die von dänemark dasselbe erzählen. wie ist da Ihre Ansicht? und wie sind Ihre sommerpläne? werden Sie wieder nach frankreich kommen? ich möchte noch ein wenig herumfahren, solange mein pass noch gilt, dachte auch immer wieder mal an dä143. aber die reise ist einfach zu teuer. das kostet von hier aus mehr als eine stange gold. das geht im moment noch nicht. letzte woche hatte ich besuch aus lichtenberg. ich brauchte rund drei tage ruhe und erholung danach. was da für fehler in deutschland gemacht werden. was hören Sie? ich kann nicht viel schreiben, weil meine hand immer noch kaputt ist. wird noch drei wochen dauern und mit einem finger tippen ist mühsam. herzlich Ihr alter b.b.

die jedoch nicht zustande kam. Das Stück wurde erst im November 1936 am Teatret Riddersalen in Kopenhagen uraufgeführt. 140 Nicht überliefert. 141 Moskau. Vgl. Anm. zu Brentano, 3.2.1934. 142 Anspielung auf den in die UdSSR exilierten Regisseur Gustav von Wangenheim. 143 Dänemark. Brecht teilte Brentano im Juli 1934 mit, daß er nach Paris „kaum so bald kommen“ werde und lud ihn ein, seinerseits nach Svendborg zu kommen: „Es ist hübsch und billig“ (GBA 28, S. 426). Brentano konnte jedoch die Einladung nicht annehmen.

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in einem trobris verlag in kopenhagen ist ein buch: untermenschen von einem gewissen kolbenhof 144 erschienen, das zwar dillettantisch [sic] ist aber nicht uninteressant in einigen stellen. kennen Sie den mann und den verlag? da wäre ich Ihnen für eine nachricht sehr dankbar. [Hs.] Wann kommt Ihr Buch145? Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/35.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Minsk, 8.3.1934 Minsk. USSR, d. 8. März 1934 Weißrussische Sowjetrepublik Galanterejni pereulok No 9 Quartier 1. Lieber Brecht! Ich habe mich hier bis zum nächsten Jahre verpflichtet und lebe ganz gut. Habe eine große Bitte: Können Sie mir Ihre „Versuche“ schicken, die grauen Hefte mit „Jasager“, „Neinsager“, „Maßnahme“, „Geschichte des Herrn Keuner“, „Heilige Johanna“ etc.? Ich möchte mit den Studenten bis Mai eines Ihrer kleinen Stücke einüben und aufführen. Bitte senden Sie mir die Hefte, sie sind hier nicht zu bekommen und über Moskau dauert es zu lange. Ich kann nicht gut schreiben, habe mir beim Ausgleiten die Hand verletzt. Ihnen, Frau und Kindern die herzlichsten Grüße Ihres alten H. Borchardt Adresse: Petzold, Galanterejni pereulok No 9, Minsk. Überlieferung: Ms, BBA 482/46–47.

144 Das ist der Schriftsteller und Journalist Walter Kolbenhoff, eigentl. Hoffmann (1908–1993), vormals Mitarbeiter der KPD-Zeitung Die Rote Fahne, seit 1933 im Exil in Kopenhagen. Sein Roman Untermenschen erschien dort 1933 in dem von Wilhelm Reich gegründeten Tobris Verlag. Kolbenhoff schloß sich später der Wehrmacht an, um dort politischen Widerstand zu organisieren, und geriet daraufhin in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland (West) einer der Mitbegründer der Gruppe 47. 145 Dreigroschenroman.

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Karl Korsch an Bertolt Brecht [London] 14.3.1934 72 Gover Street WC1

14.3.34

LGB 1) ich hab mich nach qualvoller Unentschlossenheit bis zum letzten Moment gestern abend dafür entschieden, vorläufig hierzubleiben. Ich will wirklich versuchen, ein „Gastgeschenk“ mitzubringen, wenn ich zurückkomme. Inzwischen geht hier vielleicht die entscheidende Schlacht zwischen Faschismus u. Sozialismus für ganz Europa in Scene – und zwar früher, als ich es vorher gedacht hatte. Daran könnte man also evtl. auch ganz gut teilnehmen. 2) ich habe hier in eine alte offiziell für die hiesige Kirche gültige Bibel hineingesehen u. gefunden, dass es nicht „pound“ heisst, sondern „talent“. Das ist auch viel schöner. Ihr Titel muss also unbedingt heissen man is man’s talent (und: the poor man’s talent).146 Der Doppelsinn ist im heutigen Englisch ebenso vorhanden wie im Deutschen, aber das schadet in Ihrem Fall nach meiner Meinung gar nichts! Ich habe auch Proben mit gebildeten, aber einfachen englischen Männern u. Frauen gemacht und gefunden, dass sie 1) bei „pound“ nur verkehrte Dinge dachten; 2) bei „talent“ zwar a) auch nicht direkt an die Bibelstelle dachten, aber doch b) durch die Überschrift hinreichend und in der gewünschten Richtung angereizt und interessiert wurden. Der etwas dunkel bleibende Titel ist also nicht schlecht! Damit will ich gar nichts über die Frage entscheiden, ob nicht als Gesamttitel am Ende doch „The Threepence Novel“ oder etwas ähnliches vorzuziehen wäre. Ich will Ihnen nur das Ergebnis meiner Experimente mitteilen! Ich erwähne noch die tiefsinnige Übereinstimmung zwischen Bibel u. „Kapital“, dass der Kapitalcharakter einer Geldsumme auch in der Bibel von der Grösse der Summe (von der Zahl der Talente!) abhängig ist. 5 Talente u. 2 Talente wuchern, 1 Talent wuchert nicht. Die Stelle, wo Marx darüber spricht, finden Sie in meiner Einführung zum

146 Der Vorschlag war bestimmt für eine englische Ausgabe des Dreigroschenromans (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934), den Brecht im Laufe des Jahres noch mehrmals überarbeitete. Das Schlußkapitel „Das Pfund der Armen“, das anspielt auf die biblischen Gleichnisse von den Pfunden (Lk 19, 11–27) und von den Talenten (Mt 25, 14–30), setzte er erst im März 1934 auf Anregung Korschs hinzu. Die von diesem angesprochene Doppelbedeutung des Wortes „Talent“ macht Brecht kenntlich, wenn er den Soldaten Fewkoombey zu Mary Swayer sagen läßt: „Du hast kein Talent […] du hast nichts zu verkaufen“ (GBA 16, S. 203).

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Kapital I zitiert an der Stelle, wo ich am Ende der Erörterung über die „Dialektik im Kapital“ den Begriff des „Umschlagens“ erwähne.147 Die Ladenbesitzerin bei Ihnen148 hat es u.a. darum gar nicht erst richtig mit den Nähmädchen versucht, weil es sich mit dem wenigen Geld, das auch anderweit gebraucht wurde, gar nicht lohnte. 3) ich schicke Ihnen voraussichtlich morgen ein den hiesigen Verhältnissen angepasstes Exposé über relativ beste u. billigste Abtreibungsmittel.149 Ich habe versucht die Leute, die es niederschreiben, so zu beeinflussen, dass sie es in der richtigen Weise tun; medizinisch werde ich es vor der Absendung noch von Herbert Levy150 prüfen lassen. Die Leute selbst waren mehr für Verhütungsmittel. Ich habe ihnen gesagt, das sollen sie auch hineinschreiben. Und ich bin der Meinung, Sie könnten das auch mit hineinbringen, weil es einerseits auch nützlich ist für die Praxis, andrerseits könnten Sie witzige Sachen dazu sagen, insofern als Polly mit diesen Ratschlägen zu dieser Zeit nicht mehr gedient ist! Das ist ja sehr typisch, dass man sie und grade sie dann nachher kriegt, wenn einem nur noch andere helfen können. Die Leute meinen auch, dass keins der Mittel (ausser dem hier sehr schwer erreichbaren ärztlichen Eingriff!) sicher und keins ohne Nachteile u. Gefahren für die Mutter ist. Ich habe ihnen gesagt, wenn es keine guten Ratschläge gibt, sollen sie die relativ besten schlechten geben und dazu sagen, dass und warum sie schlecht sind. – Ich hoffe, dass etwas Brauchbares dabei herauskommt. 4) Ich denke oft mit Freude an Sie, an Helli, die Kinder, das ganze Haus u. seine nächste u. nähere Umgebung. Grüssen Sie alle alle! Ihr K PS.

Sollten Sie die Stelle einfügen, so müssen Sie noch gewisse Verschleierungen, konkreten Einbau in die Handlung usw. hinzufügen. Sonst riskieren Sie bei der Strenge der hiesigen Gesetze nicht nur eine Strafverfolgung (die könnte, wenn sie nicht zu früh einsetzte, als Reklame mehr nützen, als sie Sachschaden bringt!), sondern auch schon die Zensur Ihres Verlegers.

147 Der Begriff des Umschlagens (und zwar einer bestimmten Quantität in eine neue Qualität) bezieht sich hier darauf, daß eine Summe Geld ab einer bestimmten Größe als Kapital fungiert. Vgl. das Geleitwort von Korsch in: Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, Berlin 1932, S. 27 (jetzt auf S. 535 in Bd. 5 der Korsch-Gesamtausgabe). Die von Korsch genannten Stellen im Kapital finden sich in MEW 23, S. 326f., S. 514, S. 609–614. 148 Die Figur Mary Swayer aus dem Dreigroschenroman. 149 Das Exposé ist nicht überliefert. Anlaß dazu gab das Kapitel, in dem Polly Peachum einen Arzt aufsucht, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, jedoch, da sie die nötigen 15 Pfund nicht aufbringen kann, auf weniger kostspielige Methoden zurückgreifen muß (vgl. GBA 16, S. 67–79). 150 Herbert Levi, von Beruf Arzt, war ein Freund Korschs, lebte seit 1933 im Exil in London.

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Es scheint mir nicht ganz ausgeschlossen, dass schon der Ratschlag mit der Zwiebel151 solche Folgen hat! Ich bin sehr dafür, dass Sie Ihre Absicht, zugleich als praktischer Ratgeber zu fungieren, unbedingt doch ausführen. 5) Ich habe alles Juristische noch mal nachgesehen. Es bleibt also dabei: Erste Phase Coroner’s Inquisition (mit Geschworenen, u. zwar 7-11), kann in ziemlich gerichtlichen Formen vor sich gehen: Coroner vernimmt eidlich alle Personen, die freiwillig ihre Aussagen über mit dem Todesfall zusammenhängende Tatsachen anbieten, und auch alle andern, die etwas darüber wissen können, nach seinem freien Ermessen. Er kann die Zeugen auch zwingen, zu erscheinen u. auszusagen. Danach geben die Geschworenen ihren Wahrspruch (verdict) ab darüber wer der Tote war, wie, wann u. wo er gestorben ist, und ob durch Mord oder Totschlag, und die etwa von den Geschworenen als schuldig oder mitschuldig an diesem Mord oder Totschlag erfundenen Personen. An sich kann der Coroner dann die betreffenden Personen gleich selbst 1) verhaften lassen bzw. ihre Verhaftung anordnen, (dies muss er im Falle eines Mordes tun, sofern es nicht schon geschehen ist) 2) mit den Protokollen über Zeugenaussagen u. Wahrspruch dem für die Hauptverhandlung zuständigen Gericht überantworten. Dann fiele also scheinbar die zweite Phase weg, weil die coroner’s inquisition schon den Charakter einer Anklage (indictment) hat. Ich habe aber genau festgestellt, dass es bei Mord (auch bei Totschlag und bei Kindesmord) nicht nur möglich, sondern üblich ist, dass ehe die Sache vor die Assisen (d.h. praktisch den Central Criminal Court, also die „Old Bailey“!) kommt, sie dann vorher noch vor die Anklagebank (Grand Jury) kommt, obwohl schon eine coroner’s inquisition stattgefunden hat, die an sich ausreichen würde. Also: Zweite Phase: Verfahren vor der Grand Jury (mindestens 12, es können mehr sein, z.B. 30, aber wichtig ist, dass 12 für die Anklage sein müssen!). Die Grand Jury tritt, ebenso wie nachher die Geschworenenbank bei der Hauptverhandlung (trial) bei den Assisen (d.h. praktisch auch schon in der Old Bailey, wie ich nach den Büchern vermute, Sie brauchen ja darüber nichts Bestimmtes zu sagen!) zusammen. Das Verfahren ist aber insofern anders, als bei der Hauptverhandlung, als

151 Vgl. GBA 16, S. 76.

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1) die Grand Jury sich, nachdem sie in öffentlicher Gerichtssitzung aufgerufen, geschworen u. vom Richter mit der Prüfung bestimmter Anklagen beauftragt ist, nun in einen andern Raum zurückzieht, wo sie in nicht öffentlicher Sitzung die Beweise erhebt u. sich darüber entscheidet, ob sie die Anklage für eine gute erklärt oder ablehnt. Ein Anwalt (solicitor) für die Anklagebehörde (prosecution) wird in schwierigen Fällen zugelassen. 2) in erster Linie nur das Material für die Begründung der Anklage (Zeugen) in gerichtlicher Form (ähnlich wie in der Hauptverhandlung) durchgenommen wird. Die Grand Jury prüft also nur, ob eine plausible Begründung der Anklage vorliegt. Wenn dies bejaht wird, so kehrt sie in die öffentliche Gerichtssitzung zurück, und dort wird der Angeklagte vom Richter gefragt, ob er sich für schuldig bekennt, oder nicht. Dann wird, manchmal noch in derselben Sitzung, öfter aber erst später, jedoch noch in derselben Sitzungsperiode (bei Ihnen: etwa 8 Tage später). Dritte Phase: die ganze Sache in der Hauptverhandlung vor 1 Richter u. 12 Geschworenen entschieden. Der Gang ist folgender: 1) Der Vertreter der Anklage (counsel for the prosecution) hält eine Ansprache an die Geschworenen, erklärt die erhobene Beschuldigung und die vorzubringenden Beweismittel. Dann ruft er (nicht der Richter) die Belastungszeugen auf u. verhört sie unter Eid. Auf jede Zeugenvernehmung durch ihn folgt sofort das Kreuzverhör desselben Zeugen durch den Vertreter der Verteidigung, und ein nochmaliges Verhör durch d. Vertr. d. Anklage. 2) Dasselbe umgekehrt, unter Führung des Vertreters der Verteidigung (counsel for the defence) 3) zusammenfassende Ansprache des Richters an die jury 4) Wahrspruch (einstimmig!) 5) Urteil gemäss dem Wahrspruch. So, ich glaube, das war genug, und mehr als ich wollte und Sie wollten. Sollte trotzdem noch etwas unklar sein, so bin ich jetzt in der Lage, hier alles genau zu klären. Nochmals herzliche Grüsse Ihres KK

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PPS ich habe den Namen des Mannes152 vergessen, bei dem ich, nachdem er sein Versprechen gegenüber Maria L.153 nicht gehalten hatte, darauf dringen sollte, dass er Ihnen das Ms. über die Spitz- u. Rundköpfe zurückschickt! Wieweit sind Sie und Gen Eisler damit?154 Ist Ihr Gedichtbuch155 schon heraus? Was arbeiten Sie jetzt? Ich studiere vorläufig noch etwas Literatur über Revolution im allgemeinen, u. suche zugleich die wirkliche Bedeutung des Marxismus in der gegenwärtigen englischen Arbeiterbewegung theoretisch u. praktisch herauszubekommen. Es gäbe darüber viel zu sagen, aber ich habe keinen type-writer und Sie können keine Stenographie. Also später mündlich! Überlieferung: Ms, BBA 294/66–73. – E: Jahrbuch Arbeiterbewegung. Theorie und Geschichte, hrsg. v. C. Pozzoli, Frankfurt/M. 1974, Bd. 2, S. 123ff., dort irrtümlich datiert: 17.3.34 (jetzt in: Korsch, Briefe, S. 452ff.).

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 16.3.1934 Erwin Piscator Moskau Hotel Nowo Moskowskaja

den 16. März 1934

Lieber Bert, Noch immer läppert sich das so hin156 und doch wollte ich schon einen Monat wo anders sein. – Ich dachte mir so rundherum über Prag, Wien, Paris, Kopenhagen – i nasad157 – ins gemeinsame Vaterland. Bei dem Pech, das wir beide haben miteinand[er], wirst Du wohl gerade hier sein, wenn ich draussen bin und doch wäre so viel Wichtiges zu besprechen. Bevor ich hier abfahre, schreibe ich noch genau meine Reiseroute.

152 Vermutlich Elias Alexander. 153 Maria Lazar (1895–1948), österreichische Schriftstellerin und Jugendfreundin Helene Weigels, wohnte im Nachbarhaus Brechts in Skovsbostrand. 1939 emigrierte sie nach Stockholm. 154 Vgl. Anm. zu Benjamin, 5.3.1934. 155 Lieder Gedichte Chöre. 156 Die Rede ist von einer geplanten Reise nach Westeuropa. Von April bis Juni 1934 hielt sich Piscator in Prag und Paris auf. 157 Russisch i nazad: und zurück.

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Herzliche Grüsse für Euch! Dein Erwin. [Hs.] Ausführlicher Brief kommt noch. Unbedingt muss ich Deine künstl Pläne wissen – m. nächster Film soll anti F.158 sein – was schlägst Du vor? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 477/117. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 289.

Per Knutzon an Bertolt Brecht Kopenhagen, 28.3.1934 per knutzon gl kongevej 64

kbhvn

28/3 34

lieber brecht & co. leider müssen wir altso bis 3 april warten, erst dann kønnen wir mit arne weel159 reden (dass habe ich ja schon die grethe geschrieben) – ich habe heute mit svend borgberg160 gesprochen, und er teilte mich volgendes mitt (unter uns gesagt) das kønigliche teater hat gefragt ob er (s.b.) die heilige johanna161 überzetsen wollte, weil man dachte das stück næchste jahr zu spielen. was sagst du dazu? wer soll aber die regi führen? und wer soll die hauptrolle spielen? der borberg sprach von bodil ipsen162, sie ist eine sehr grosse schauspielerinn deckt aber nicht die type. der s.b. schreibt dir selber, glaube ich.

158 Piscator plante einen antifaschistischen Film, der am Beispiel Japans die aktuellen Kriegsvorbereitungen der Achsenmächte und den sich dagegen formierenden Widerstand zeigen sollte. Ernst Ottwalt, den er als Drehbuchautor zu Rate zog, konnte ihm jedoch kein produktionsreifes Manuskript vorlegen. 159 Arne Weel (1891–1975), dänischer Schauspieler und Regisseur. 160 Der dänische Journalist Svend Borberg (1888–1947) schrieb Kritiken u.a. für die linke dänische Tageszeitung Politiken. Veröffentlichte dort 1935 eine Rezension der dänischen Ausgabe des Dreigroschenromans. 161 Die heilige Johanna der Schlachthöfe wurde erst 1959 uraufgeführt; vgl. Anm. zu Voth, 23.2.1933. Auch die hier angesprochene Übersetzung von Borberg kam nicht zustande. Nachdem der Versuch, das Stück in Kopenhagen aufzuführen, gescheitert war, nahm Brecht 1937 eine weitere Umarbeitung vor. 162 Zu einer Zusammenarbeit mit der dänischen Schauspielerin Bodil Ipsen (1889–1964) kam es erst im Februar 1938, als diese im Vorprogramm der deutschsprachigen Premiere der Gewehre der Frau Carrar in Kopenhagen (Regie: Ruth Berlau) aus literarischen Werken über den Spanischen Bürgerkrieg vorlas (vgl. BC, S. 531).

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auser dem habe ich mit dem direktor für dagmar theater163 (das literære teater) gesprochen, vielleicht kann ich den mann für die mutter164 interessieren – wenn ich nur ein expl davon hættest. es scheint augenblicklich als ob ich für næchste jahr als regissør beim dagmar theater engagirt wird. die helli und ich waren gestern in der bar um lulu165 zu høren – helli war sehr begeistert. wir fahren morgen nach nord seeland um etwas ruhe zu haben in der ooste – jetst ist es schlus mit mein referat – wegen sprach swierigkeite, kann ich nur referat geben. gruss [hs.: AN ALLE.] Per Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 476/40.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen, Frühjahr 1934] lieber brecht ich habe eben mit r.b.166 gesprochen und høre dass du nicht besser geworden ist,167 es thuet mir leid fur dich und auch fur uns, weil es meiner meinung nach wære sehr gut wenn du hier sein konntest. die verhandlungen sind jetzt zu einem sehr wichtigen punkt gekommen. ich habe heute mit rassow gesprochen, er konnte nicht antworten, will aber168 sonnaben antworten und meint dass er wirchlich das stuck spielen will als erster vorstellung. nur verlangt er – er sagt ehrlich dass das stuck 169 zu beschwerlich ist fur ihn zu verstehen ohne die verkurtzungen – dass otto geldsted170 und ich sofort eine verkurtzung machen so dass er ganz deutlich sehen kann wie die linie ist u.s.w. das machen wir! er hat einen kleinen kampf gefurt um den naturalistischen alten regisseur rostrup171 (der ubrigens meint dass das stuck sehr unklar und nicht kunstæ rrich verantwortlich ist – das habe ich durch rassow 163 Knud Rassow (1881–1952), dänischer Schauspieler und Drehbuchautor, war 1934–1937 Direktor des Dagmar Teatret in Kopenhagen. 164 Die Mutter wurde im Herbst 1935 in Kopenhagen gespielt. Vgl. Anm. zu Steffin, Okt./Nov. 1935. 165 Lulu Ziegler. 166 Ruth Berlau. 167 Brecht litt an Nierenkoliken, derentwegen er sich von Mitte Juni bis zum 5.7.1934 im Krankenhaus in Svendborg behandeln ließ. 168 Typ. Fußnote: „er hat eisler telegraphiert‚ kann nicht heute antworten, erst sonnabend. wenn ich dann antworte ja, gibts premiere ende august“. 169 Die geplante Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe am Dagmar Teatret kam nicht zustande (vgl. BC, S. 401). Das Stück wurde erst am 4.11.1936 unter Knutzons Regie am Teatret Riddersalen in Kopenhagen uraufgeführt. 170 Gemeint ist Einar Otto Gelsted. 171 Egill Rostrup (1876–1940), Dramaturg und Regisseur am Dagmar Teatret in Kopenhagen.

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gehørt oder verstanden) die regi zu geben – jetzt aber glaube ich dass er versteht dass die combination brecht und ich ist die richtige. bis sonnabend muss ich auch die 15000 kronen machen. ich habe genug zu tuen!! die rut b und ich begegnen uns ubermorgen um ein paar reiche sweine zu tøten. kannst du oder helli mich nicht anrufen? dienstag um 6 uhr (Tlf nerum 56) wenn wir am sonnaben ein vertragen haben, kommen wir, lulu und ich sehr schnell zu skovsbostrand und bleiben dort ein monat, und arbeiten mit dir alles durch (gibts es ein zimmer im gegenwart von euch?) grusse und macht es gut Per [Hs.] Grüss Helli und Grete. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 476/37.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich, Februar/März 1934] lieber freund. der brief blieb liegen. die zeiten nicht. ob Sie im mai noch nach m172 fahren können, möchte ich im augenblick bezweifeln. ich glaube nicht, dass die japaner länger warten.173 es wird alles so gehen, wie jetzt in österreich174 – eines tages gehen wo ein paar gewehre los. die ganze weltlage ist ja unentwirrbar geworden – allerdings die politische, denn dass die krise ihren tiefpunkt überschritten hat, gibt man ja jetzt auch in moskau zu!! vor einem jahr hat man es mir nicht glauben wollen, und ich bin gespannt, wie sie es ihren kindern in der komintern sagen werden – ich habe pech – meiner frau geht es nicht besser, sie wird lange in die höhe gehen müssen, um sich auszukurieren – und ich habe mir die hand gebrochen, die linke zwar, aber da ich linkser bin, ist dies nur ein schwacher trost.

172 Moskau. Vgl. Anm. zu Brentano, 3.2.1934. 173 Die Guondang-Armee besetzte im Februar 1932 die nordostchinesische Mandschurei und gründete dort einen Vasallenstaat des japanischen Kaiserreichs, der bis zur Intervention der Roten Armee 1945 bestand. Zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Japan und der UdSSR, mit denen Brentano offenbar rechnete, kam es vorerst nicht. Erst der Versuch, den Mandschukuo-Staat in nördlicher Richtung zu erweitern, führte 1938 zu einem Grenzkonflikt mit der UdSSR. 174 In Österreich hatte Kanzler Engelbert Dollfuß 1933 ein autoritäres Regime etabliert, das sich an ständestaatlichen sowohl wie faschistischen Ideen orientierte und bis zum „Anschluß“ des Landes ans Deutsche Reich 1938 bestand.

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mit einem finger tippen ist mühsam, darum höre ich auf. schreiben Sie bald wieder. der Ihre B Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/55.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Zürich, 30.3.1934 am 30.3.34 apollostrasse 9 lieber freund, endlich ist meine hand wieder einigermassen hergestellt. inzwischen schrieb ich Ihnen zwo briefe und schickte 2 sendungen zeitungen an Sie. Sind die sachen angekommen? ich frage, weil man doch mit den heutigen postverhältnissen rechnen muss. ferner war kurt k175 hier, aber das wissen Sie ja wohl. auch kam der dicke kurt von der web hier an, der bis letzte woche in berlin und umgegend hauste. arminius176 ist wieder unter die cherusker gegangen, sodass wir ganz leidlich auf dem laufenden sind. das heisst auf dem laufenden über das stehende. was für Sie? ich grübele über Ihre fahrt zu Joseph177. wollen Sie mir nicht sagen, was Sie zu sagen beabsichtigen? dann könnte ich unter umständen noch einiges dazu bemerken, um eine so seltene und wahrscheinlich wichtige Situation möglichst gut auszunutzen. hier wäre sehr viel zu machen, wenn nur die geringsten aussichten auf ein ost­europäisches büro178 auftauchen wollten. aber auf die bekannte Entfernung ist nichts zu machen. nur die schwindsucht macht fortschritte. bei den wahlen in der grössten, sozusagen nur von arbeitern bewohnten stadt des landes, winterthur, gingen der verein von 1 auf 0 Sitze, die sp von 28 auf 29. ich erhebe meine alte klage über nicht geschriebene Briefe hoch und laut und grüsse Sie herzlich. Ihr B. 175 Kläber. 176 Vermutlich Armin Kesser. Anspielung auf den Cheruskerfürsten Arminius (17 v.d.Z.–21 n.d.Z.), der in der Varusschlacht im Jahr 9 drei römische Legionen besiegte. 177 Stalin. Vgl. Anm. zu Brentano, 3.2.1934. 178 Die Hoffnung auf ein westeuropäisches Sekretariat der kommunistischen Parteien hatte ihm Johannes R. Becher bereits genommen. Vgl. Brentano, 23.7.1933.

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hier kann man jetzt in der umgebung schöne häuser mit garten für 12 und 1300 mark mieten. Ich werde aufs land ziehen. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/34.

A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 3.4.1934 AMSTERDAM-C, den 3. April 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Hochverehrter Herr Brecht! In Beantwortung Ihres Schreibens vom 31. März179 benachrichtigen wir Sie dass wir die zweite Rate Ihres Vorschusses für den „Dreigroschenroman“ heute an die „Danske Landmansbank“, Svendborg, übermittelt haben. Gerne sehen wir Ihrer Bestätigung nach Empfang des Betrages entgegen. Wir haben gute Notiz davon genommen das Aquarell von Caspar Neher für den Umschlag zu verwenden. Nach Gebrauch werden wir das Aquarell an Ihre werte Adresse zurücksenden. Es freut uns sehr zu vernehmen dass Ihre Arbeit gute Fortschritte macht und Ihrem Manuskript sehen wir mit Interesse entgegen. Mit ergebensten Grüssen und vorzüglicher Hochachtung Allert de Lange. A. P. J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/14.

179 GBA 28, S. 413.

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Rudolf Voth an Bertolt Brecht Berlin, 3.4.1934 Herrn Bert Brecht Skovsbostrand per Svendborg Dänemark 3.4.34 Sehr geehrter Herr Brecht! Wir empfingen dankend Ihr gefl. Schreiben vom 31.v.M.180 und teilen Ihnen höflich mit, dass wir nicht im Besitz des gewünschten Einakter-Materials sind. Wir nehmen beinahe an, dass Sie die Anfrage irrtümlich an uns gerichtet haben. Mit vorzüglicher Hochachtung p.pa. Felix Bloch Erben (Rudolf Voth) Überlieferung: Ts, hs. U., Postkarten-Vordr.: FBE Felix Bloch Erben (Inhaber: Fritz Wreede) BerlinWilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3, Telegramm-Adresse: „Charivari Berlin”, Fernsprecher: J 2 Oliva 4990-4992; BBA 783/72–73.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 6.4.1934 EA/RR

6. April 1934.

Herrn Bertold Brecht, Skovsbostrand per Svendborg Lieber Herr Brecht, Haben Sie Dank fuer Ihre freundlichen Zeilen. Ihre zweite Rate von de Lange ist doch laengst ueberfaellig? Ich danke Ihnen fuer Ihre Zusicherung, mir den Provisionsanteil zu uebersenden,181 falls de Lange entgegen seiner Abmachung dies nicht erledigt. Ich freue mich sehr zu hoeren, dass der Roman182 nun in etwa zwei Monaten fertig sein wird und ich bin sehr begierig darauf, ihn zu lesen. Unsere Position hier ist durch die 180 Nicht überliefert. 181 Vgl. Anm. zu Alexander, 1.3.1934. 182 Dreigroschenroman.

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Arbeit des letzten Jahres eine so starke geworden, dass ich – wie Ihnen alle meine Autoren gern bestaetigen werden – die wirklich letzten Moeglichkeiten fuer gute deutsche Autoren erfassen kann. Es wuerde mich sehr interessieren, die neue Fassung Ihres Stueckes „Die Spitzkoepfe und die Rundkoepfe“ zu lesen.183 Ich bitte Sie aber sehr, mir nicht nur das Manuskript, sondern auch die Musik oder wenigstens einen Teil derselben mit zu uebersenden. Der Zufall will, dass ich gerade mit dem wohl einzigen Theaterleiter Londons, der fuer ein so gewichtiges Werk mit Musik in Frage kommt, in Verhandlungen stehe. Ich bitte Sie daher sehr, mir die Unterlagen schnellstens zu senden. Es bestehen jetzt auch wieder neue Moeglichkeiten, einige wenige Biographien anzubringen.184 Haetten Sie Lust, einen solchen Auftrag zu uebernehmen, wenn es mir gelingt, einen Ihrer Vorschlaege durchzudruecken? Vielleicht schreiben Sie mir auch darueber gleich und bringen gegebenenfalls einen Stoff in Vorschlag. Freundlichst gruessend Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: LANGHAM 2140; BBA 785/22.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Bandol (Var), 9.4.1934 9. April Lieber Brecht, es ist wieder einmal betrüblich lange her, dass Sie nichts von sich haben hören lassen. Was mich anlangt, so habe ich für den sommer wiederum hier unten gemietet. nicht das gleiche haus wie das letzte mal, das hat man leider in ein nachtlokal verwandelt, und in dem zimmer, in dem ich die oppermanns185 schrieb, wird jetzt gesoffen und gehurt. aber das haus, das wir jetzt haben, ist riesig gross, wir haben mehrere leere zimmer, und wenn Sie ein paar wochen bei uns wohnen wollen, sind Sie sehr herzlich willkommen.186

183 184 185 186

Vgl. Anm. zu Alexander, 18.5.1933. Vgl. Anm. zu Alexander, 10.7.1933. Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933. Brecht hatte Feuchtwanger im September 1933 in Sanary-sur-Mer besucht. Der hier unterbreiteten Einladung kam er nicht nach.

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ich will so um den 20. herum auf ein oder zwei wochen nach paris und london, dann, mitte mai gehe ich für den ganzen sommer nach sanary, um am zweiten josephus187 zu schreiben. ich werde aber nicht so gehetzt arbeiten wie das letzte jahr, da ich das buch erst im nächsten herbst erscheinen lassen will. falls sie also kommen sollten, werde ich sehr viel zeit für Sie haben. äusserlich geht es mir sehr gut. das frühjahr hier war herrlich, marta geht schon ganz leidlich,188 auch auto kann sie bereits fahren – ich habe einen schönen grossen talbot – ich bin ausgehungert auf arbeit, die oppermanns waren vor allem in amerika ein sehr grosser erfolg. meine adresse ist bis 1. mai bandol (var) grand hotel, (ich bin aber wie gesagt ab 20. wahrscheinlich in london und paris, ab 1. Mai: villa valmer, sanary (Var), tel. sanary 83. bitte, notieren Sie sich diese letzte adresse, sie bleibt für den ganzen sommer. also schreiben Sie, und, wenn irgend möglich, kommen Sie. herzlichst Ihr Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Grand Hotel et Hôtel des Bains Bandol-S-Mer (Var) – Téléphone 7 – R.C.Toulon 11.211, Bandol, le _________193; BBA 478/100–101. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 22f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Paris, [9.4.1934]189 Montag. Lieber Brecht eben angekommen. Meine Adresse ist ab morgen. Rue d’Amsterdam 47 Appartement 41. Ich habe vor allem das Buch190 gesehen, das eben ausgegeben wurde. Das Gedicht Deutschl. ist drinnen, aber die P. ist in Gefahr ist weder im Text noch in der Notenbeilage enthalten.191 Ich finde, das ist reichlich stark. Da ich erst morgen früh jemanden sprechen kann, werde ich Ihnen den Kommentar zu diesem unqualifizierbaren 187 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.1.1934. 188 Vgl. Feuchtwanger, 27.1.1934. 189 Datierung nach Inhalt und Kalendertag (Montag). 190 Lieder Gedichte Chöre. 191 In dem Gedichtband war neben den Texten von Brecht auch eine 32seitige Notenbeilage enthalten. Die Eingangsverse des Gedichts Deutschland („O Deutschland, bleiche Mutter!“, GBA 11, S. 253) integrierte Eisler später in den Eröffnungsteil seiner Deutschen Symphonie. Von den in den Band aufgenommenen Liedern und Chören aus den Stücken Die Maßnahme und Die Mutter fehlte der Chor „Steh auf, die Partei ist in Gefahr!“ (Die Mutter, Fassung von 1933, 13. Szene, GBA 3, S. 318.)

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Vorgehen erst nachliefern. Ich rate Ihnen sehr nichts übereiltes zu machen, sondern weitere Nachrichten abzuwarten. (An sich halte ich, da das Deutschlandgedicht gebracht wurde, den Schaden für geringer. Dies sage ich aber nur Ihnen.) Ausstattung ganz gut. Aber: Am Titel heißt es richtig B.B. Lieder Chöre Balladen H.E. – Verlag – Am Vorsatzblatt heißt es aber: B.B. ! H.E. Lieder, Ged., Chöre Mit 32 Seiten Notenbeil. Das ist gegen die Abmachung. Es ist an sich belanglos, aber auch gegen die Verabredung gemacht. Ich werde jedenfalls Krach machen. Ein Exemplar geht Ihnen auf alle Fälle zu. Schreiben Sie sofort, was es neues gibt. Sehr herzlichst Ihr Eisler (Wegen Gretes Urlaub192 spreche ich gleich morgen.) Anbei die 100 frsc. Es sind hoffe ich 25 Kr. Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel ST-ROMAIN (TUILERIES) 5 ET 7, RUE SAINT-ROCH PARISIER ________ TÉL.: OPÉRA 68-23 ADR. TÉLÉGR.: SAINROMOTEL R. C. SEINE 498.778; BBA 481/66–68. – E: Eisler, Briefe, S. 78f.

192 Eisler bemühte sich, durch Vermittlung Willi Münzenbergs, der damals noch über gute Kontakte nach Moskau verfügte, für die erkrankte Steffin einen Sanatoriumsaufenthalt in der UdSSR zu ermöglichen. Damit hatte er schließlich auch Erfolg. Ab Oktober 1934 war Steffin zur Kur in Abastumani im Kaukasus.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Paris, 11.4.1934]193 Lieber Brecht! Ich warte sehr auf Nachricht von Ihnen und versuch praecis zu berrichtigen.194 1.) Balladenbuch.195 Ich habe sehr geschimpft und warte jetzt auf Ihre Nachricht. Mein Rat ist die Sache laufen zu lassen, wenn Sie in der einen Weglassung keinen wesentlichen Schaden wesentlicherer Art erblicken! (Ich erblicke kaum einen) Sollten [Sie] sich sehr geschädigt sehen bitte ich Sie mir das zu schreiben und mir Vorschläge zu machen. Die I. Ausgabe wird bereits hergestellt. Es sind bereits vor dem Erscheinen 700 Exemplare vorausbestellt. Das Buch wird allgemein sehr günstig aufgenommen. 2.) Otto196 und Co. sind bereits nach einer Schilderung oberflächlichster Art der Spitzköpfe sehr begeistert. Otto will in London sich energisch bemühen und kennt angeblich die besten Theaterleute.197 (Auch Kortner198 wird er bereden). In Paris wird eine Art Empfang informativen Charakters (Nur Theaterleute) von Otto organisiert. Dringstens brauche ich ein Exemplar. Die „Stimmung“ für das Stück und die vorhandenen Verbindungen und Kanäle nach London und Paris scheinen mir genügend, solide und äußerst chancenreich. Man besprach (das nicht mit Otto) auch das Erscheinen des Pis.199 damit zu verbinden. Was denken Sie darüber. (Pis. allerdings scheint noch nicht zu kommen.) 3.) Gretes Angelegenheiten hoffe ich praecise regeln zu können.200 Darüber genaues in kürzester Zeit. Bis eine Verschlampung wieder liquidiert würde. 4.) Ivens fährt morgen nach M201. Er schlägt uns 10 Mai vor. Bitte schreiben Sie gleich wie die Kopenhagener Sachen stehen. Ich halte mich auf dem Sprung, wäre aber sehr zufrieden erst Ende April in die Angelegenheiten einzugreifen.

193 Zur Datierung vgl. Anm. zu Eisler, 9.4.1934. 194 So im Original. Die Schreibweise „berrichtigen“ war kein Versehen, sondern offenbar eine Angewohnheit Eislers. 195 Vgl. Eisler, 9.4.1934. 196 Otto Katz war seit kurzem bei Éditions du Carrefour beschäftigt, dem Pariser Verlag Willi Münzenbergs, in dem die Lieder Gedichte Chöre soeben erschienen waren. Katz (alias André Simone) war auch an der Redaktion des 1933 im selben Verlag publizierten Braunbuchs über Reichstagsbrand und Hitlerterror beteiligt. 197 Eine Aufführung der Rundköpfe und Spitzköpfe in London kam nicht zustande. 198 Der Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner, d.i. Fritz Nathan Kohn (1892–1970), den Brecht seit 1924 kannte, hatte u.a. an der Hörspielfassung der Heiligen Johanna 1932 mitgearbeitet (vgl. Anm. zu Voth, 27.2.1933). Ging 1933 ins Exil nach Großbritannien, 1937 in die USA. 1947 kehrte er zurück nach Deutschland (West). 199 Vgl. Anm. zu Piscator, 16.3.1934. 200 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.4.1934. 201 Moskau. Unklar, worauf genau Eisler hier anspricht. Vgl. seinen Brief vom 10.8.1933.

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Meine Filmangelegenheit202 steht glänzend. Mein Herfahrt, war eine sehr nützliche Sache. Abzuschließen hoffe ich Ende der Woche. Schreiben Sie rasch. Sehr herzlichst Ihr alter Eisler Überlieferung: Ms, BBA 479/49–52. – E: Eisler, Briefe, S. 79f.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 16.4.1934 am 16.4.34 Lieber Freund ich glaube ohne Manuscript wird der spitzköpfe wegen hier nichts zu machen sein. mit manuscript vielleicht etwas, da Curjel203, den Sie ja kennen, hier ein theater machen wird. wann erscheint Ihr Gedichtbuch204? Ich bin sehr neugierig. wie haben nun in Küsnacht (Zürich) einem kleinen Ort am See ein haus mit Garten gemietet. sehr hübsch und sogar billig. wenn Sie mal kommen können Sie gut bei mir wohnen. es ist platz genug dort. aus prag kam die myn205 und erzählte, ott206 erzähle da mordsgeschichten herum aus briefen von mir an Sie! kommen Sie mal wieder nach paris? herzlichen Gruss Ihr alter Brentano. mit meinem verleger sprach ich auch, aber auch da ist ohne manuscript nichts zu machen; überhaupt zieht er nicht sehr – es sei denn, Sie gäben ihm einen Roman. halt immer die alte sache, die ob ihrer menschlichkeit mit den jahren auch nicht gescheiter und nicht besser wird Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 481/21. 202 Gemeint ist möglicherweise die Arbeit an dem Film Abdul the Damned (GB 1935). Der Regisseur Karl Grune, den Eisler aus Berlin kannte, hatte bei ihm eine Komposition für diesen Film in Auftrag gegeben. Die Figur des despotischen Sultans Abdul II., gespielt von Fritz Kortner, war offenbar als Hitler-Persiflage gedacht. Vgl. Eisler, 22.8.1934. 203 Hans Curjel (1896–1974), Dramaturg und Opernregisseur, vormals an der Berliner Kroll-Oper tätig. Ging 1933 ins Exil in die Schweiz. Brecht hatte mit ihm bei der Uraufführung des Mahagonny-Songspiels 1927 in Baden-Baden zusammengearbeitet, 1948 inszenierte er unter Curjels Theaterleitung Die Antigone des Sophokles in Chur. 204 Lieder Gedichte Chöre. 205 Die Literaturagentin Margaret Mynotti alias Bianca Mynatt. 206 Ernst Ottwalt. Vgl. Brentano, 3.1.1934.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Paris] 16.4.1934 16. April 1934

In Eile; morgen mehr! Lieber Brecht! Besten Dank für die Übersendung des Exemplars der R. u. S.207 Morgen führe ich es einigen Leuten vor. Hier geht alles recht gut, aber Film Vertrag208 zieht sich in die Länge. (Allerdings tauchte noch ein zweiter Vertrag auf.) Was ist bei Ihnen los? Was ist mit Johanna in Kopenhagen?209 Ich bin sehr fleißig, Ratz210 arbeitet bereits an den ersten Klaviersätzen. Sobald (als wie es technisch möglich) haben Sie ein Musikexemplar für London. (An Fleiß und Eile fehlt es gewiß nicht, nur ist doch etwas Zeit nötig.) Mit gleicher Post sende ich meine eben erschiene[ne] paedagogische Musik.211 Schreiben Sie rasch, wann mein Kommen notwendig ist. Nach dem ersten Vorspielen berichte ich. Die Chancen stehen gut für Paris. Herzlich Ihr alter Eisler Überlieferung: Ms, BBA 479/72–73. – E: Eisler, Briefe, S. 80.

207 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 208 Vgl. Anm. zu Eisler, 11.4.1934. 209 Vgl. Anm. zu Steffin, Mitte Februar 1934. 210 Erwin Ratz (1898–1973), zusammen mit Eisler einst Schüler bei Arnold Schönberg, fertigte in Wien die Klavierauszüge für die Bühnenmusik zu den Rundköpfen und Spitzköpfen an. 211 Gemeint sind Eislers Klavierstücke für Kinder (op. 31) und Sieben Klavierstücke (op. 32).

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Paris, 17.4.1934 212] Lieber Brecht! Ich höre gar nichts von Ihnen und bin sehr unruhig. Schreiben Sie doch gleich, ob Sie mit dem Gedichtband213 zufrieden sind etz. Was ist in Kopenhagen los? Wann wäre meine Anwesenheit notwendig? Ich verhandle hier mit zwei Theatern (Champ Elysees und Montparnasse Direktoren Jouvet und Batty214) Morgen nimmt Otto215 das Exemplar216 nach London mit. (Er bleibt ca 6 Tage dort.) Ich brauche dringend ein zweites Exemplar!!! Können Sie es per Flugpost schicken? Sehr notwendig. Ich glaube, daß in Paris seriöse Chancen bestehen. Alle, denen ich das Stück zeigte waren sehr begeistert. Das Gedichtbuch geht ausgezeichnet bald 2. te Auflage!!!!!217 Gretes Angelegenheit218 hoffe ich bereits morgen praeciser zu regeln. Sie bekommen dann direkte Nachricht. Schreiben Sie sofort. In Unruhe und Sorge Ihr alter Eisler Grand Jeu219 sehr großer Erfolg. Große Presse! „Kunst“ Überlieferung: Ms, BBA 479/70–71. – E: Eisler, Briefe, S. 81f.

212 Datierung nach Brief vom 16.4.1934 („morgen mehr!“). 213 Lieder Gedichte Chöre. Vgl. dazu auch Eisler, 9.4.1934. 214 Die Rede ist von der Comédie des Champs-Élysées und dem Théâtre Montparnasse. Die Direktoren waren die französischen Theaterregisseure Louis Jouvet (1887–1951) und Gaston Baty (1885–1952). 215 Otto Katz. 216 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Vgl. Eisler, 11.4.1934. 217 Zu einer zweiten Auflage der Lieder Gedichte Chöre kam es nicht. 218 Vgl. Anm zu Eisler, 9.4.1934. 219 Zu Jacques Feyders Film Le Grand Jeu (Die letzte Etappe, F 1934) hatte Eisler die Musik komponiert.

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Gustav Regler an Bertolt Brecht Paris, 19.4.[1934] Paris, 19/IV Lieber Brecht, der „Gegenangriff“220 bittet mich eben, Sie aufzufordern zu seinem ein-jährigen Bestehen ihm einen persönlichen Gruss zukommen zu lassen. Die Jahresnummer wird am nächsten Montag, den 23. April umbrochen, vielleicht ist es am besten, wenn Sie ein Telegramm schicken. Ich selbst möchte Sie bei dieser Gelegenheit herzlich grüssen, wir wurden vorgestern von Hanns Eisler in der angenehmsten Weise an Sie erinnert, er hat uns aus den „Rundund Spitzköpfen“ vorgespielt, ich kann kein endgültiges politisches Urteil abgeben, möchte aber doch sagen, dass mir einige Balladen/Erbhofsumpf [hs.] Angelos-Hymne/Knopfwurf/ Vielleichtlied221 besonders gut gefallen haben. Ich wünsche Ihnen von Herzen die baldige Annahme des Stückes. Mit besten Grüssen Ihr Gustav Regler. [Hs.] Ich schicke Ihnen in vierzehn Tagen meinen Saarroman.222 [Hs. von Hanns Eisler] Beste Grüße Ihr Eisler Regler Paris Hotel Helvetia rue de Tournon Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 479/65. – E: Eisler, Briefe, S. 81.

220 Von Brecht wurden in der Prager Ausgabe des Gegen-Angriff u.a. das Lob des Kommunismus (Dezember 1933, jetzt GBA 11, S. 234) und – in der satirischen Beilage Roter Pfeffer aus demselben Jahr – Die Ballade vom Reichstagsbrand (GBA 14, S. 173–177) gedruckt. Ein „persönlicher Gruß“ Brechts in der Jubiläumsausgabe vom 28.4.1934 ist nicht erschienen. 221 Gemeint sind die Hymne des erwachenden Jahoo (GBA 4, S. 167), Die Ballade vom Knopfwurf (S. 193f.) und der Rundgesang der Pachtherren (S. 262). Mit Ausnahme des letzteren, des „Vielleicht-Lieds“, das sich bereits in der Versuche-Fassung der Spitzköpfe von 1933 findet (vgl. GBA 4, S. 145), sind diese Lieder und Balladen erst in der Neubearbeitung des Stücks mit Eisler 1934 hinzugefügt worden. 222 Gustav Regler, Im Kreuzfeuer. Ein Saar-Roman, Paris 1934.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Bandol (Var), 22.4.[1934] 22. April Lieber brecht, schönen dank für ihren brief.223 aus meiner reise nach london wird nichts. alle leute, mit denen ich dort zu sprechen hätte, kommen herunter. tun Sie es doch auch. Sie sind nochmals herzlich eingeladen, hier unser gast zu sein. das haus ist gross genug, dass einer den andern nicht behelligt, und es ist offenbar mehr ratsam, in einer hellen, warmen, gesundheitfördernden landschaft zu sein als in einer kalten, trüben. rheumatismuserzeugenden. meine frau – sie wird ihnen nächstens schreiben – ist für den titel three pence novel.224 ich auch. döblin erreichen Sie über querido. (querido verlag, keizersgracht 333, amsterdam). kommen Sie. Herzlichst Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Grand Hotel et Hôtel des Bains Bandol-S-Mer (Var) – Téléphone 7 – R.C.Toulon 11.211, Bandol, le _________193; BBA 478/99. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 23f.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 27.4.1934 EA/RR

27. April 1934

Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand per Svendborg Danemark Sehr verehrter Herr Brecht, Ich danke Ihnen fuer die Einsendung der neuen Fassung Ihres Werkes „Die Spitzkoepfe und die Rundkoepfe“, weiss aber nicht, ob ich die Musik von Eisler direkt erwarten darf. 223 Nicht überliefert. 224 Vgl. Anm zu Hauptmann, 26.2.1934.

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Bevor ich mich fuer Ihr schoenes, aber schwer anzubringendes Stueck einsetze, wuerde ich gern die Musik hier haben. Haben Sie von de LANGE noch immer nicht die Zahlung der ueberfaelligen Rate erzielen koennen und sind Sie damit einverstanden, dass de Lange diese Zahlung vernachlaessigt? Ich waere Ihnen dankbar fuer eine Nachricht hierueber. Mit freundlichen Gruessen Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Directors: E. Alexander Charles N. Spencer Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: LANGHAM 2140; BBA 785/24.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 27.4.1934 27/4 lieber brecht ich habe mit rassow gesprochen und er ist bereit in næchster woche uns zu begegnen ABER mit sein freund dr. rostrup, ein guter, naturalistischer regissør der auch dort (ins dagmar theater) engagirt ist, der man ist ein gegner von modernes theater, aber hoffentlich kann man ihn überzeugen. rothenburg225 hat das manuskript bekommen und montag früh ruefe ich ihn an. die rut berlau hat leider gesagt dass du persønlich nicht glaubte dass der eisler zurückkommen wollte????226 stimmt das ist es ein bischen umsonst das alles zu thuen, bitte schicke mir ein sontagsbrief über diese frage. von einem genosse sollte ich dir mitteilen folgendes „filmsstudio in lund“ (lund ist eine kleine stadt in sweden). manni b. ist am 7 april im hamburg arrestiert geworden und wird wegen hochverrat angeklagt. -----

225 Der Anwalt Jørgen Rothenburg fungierte als Geldgeber für die geplante Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe. 226 Vgl. Anm. zu Eisler, 28.4.1934.

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der borberg hat ein expl. von spitskøpfe bekommen, ich spreche morgen mit ihm und hoffentlich schreibt er ein guter kronik darüber, das bedeutet natürlich vieles für rassow. ich erwarte sonntags ein brief grüsse alle Per. die frau hjuler hat die pakette abgeholt Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 476/36.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Paris, 28.4.[1934] Hanns Eisler

47 rue d’Amsterdam

28/IV Lieber Brecht, eben erhielt ich Ihren Luftpostbrief.227 Ich halte die Abreise228 von Dienstag für ungünstig, da Otto229 seit 6 Tagen in London scheinbar mit nicht ungünstigen Aussichten verhandelt (er hat das Exemplar mitgenommen). Ich habe mit ihm ausgemacht, dass ich auf ein Telegramm nach London komme. Auf jedenfall muss ich seine Rückkehr abwarten, die ungefähr Dienstag-Mittwoch ist. Vielleicht ist es notwendig, dass wir uns beide in London treffen um dort die Verhandlung weiterzuführen. Selbstverständlich nur, wenn Otto uns eine konkrete Basis geschaffen hat, die den Vertragsabschluss ermöglicht. Die französischen Verhandlungen, sind durch das Fehlen eines zweiten Exemplars gehandicapt. Ich habe mich mit dem Dir. Jouvet vom Th. Champs-Elysee230 in Verbindung setzen lassen, der dringend ein Stück sucht. Es wäre notwendig ein franz. Exposé anzufertigen, deswegen müssen Sie dringend mit Luftpost ein Exemplar an meine Adresse schicken lassen. Was nun die Kopenhagener Verhandlungen231 anbelangt, schlage ich folgendes vor: ich fahre Dienstag nicht, sondern warte die Ankunft von Otto ab (denn vielleicht müssen 227 Nicht überliefert. 228 Eisler hatte sich zur gemeinsamen Arbeit an den Rundköpfen und Spitzköpfen in Svendborg aufgehalten. Da er sich jedoch von Brecht „zu stark in die Arbeit am Text einbezogen und vom Komponieren abgehalten“ (BC, S. 395) fühlte, reiste er Mitte März zurück nach Paris und versprach, bald wieder nach Dänemark zu kommen. Auf Eislers Absage reagierte Brecht sehr verstimmt; vgl. seinen Brief vom 30.4.1934, GBA 28, S. 415. 229 Otto Katz. Vgl. Eisler, 11. u. 17.4.1934. 230 Vgl. Eisler, 17.4.1934. 231 Gemeint sind Brechts Bemühungen, Die heilige Johanna und Die Rundköpfe und die Spitzköpfe in

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wir zuerst nach London). Inzwischen soll der Anwalt232 dem Per und womöglich Ihnen berichten, ob er so ein Stück finanzieren will, zeigt er ein konkretes Interesse, so würde ich Dienstag in einer Woche fahren, wenn mir der Per telegrafiert, dass ich kommen soll. Da ich mit dem Geld sehr knapp bin, müssen Sie das richtig einschätzen können, indem Sie die Verbindung halten, denn der Per ist mir zu wenig real denkend. Wenn Otto es für richtig hält, fahre ich jedenfalls über London und bin dann vom Schiff unabhängig. Sollte der Th. Anwalt233 die Annahme von der Musik abhängig machen, dann muss ich trotzdem vorher London mitnehmen, ausser in dem dringendsten Fall, bei fast sicherem Vertragsabschluss, das können aber nur Sie entscheiden. Es dürfte aber Versuchen Sie also die Angelegenheiten in Kopenhagen so zu ordnen, dass ich Zeit habe die Angelegenheiten in London zu führen. Darüber werde ich spätestens Mittwoch informiert sein und Ihnen dann gleich darüber berichten. Wenn aus London nichts wird und der TH. Anwalt Interesse zeigt, können wir uns frühestens Mittwoch in einer Woche abends in Kopenhagen treffen, wenn es notwendig ist, sonst würde ich warten bis ich mein Billet nach Moskau habe, um mir das Reisegeld zu ersparen. Ich wünsche Ihnen sehr den Vertragsabschluss der „Johanna“. das wäre grossartig. Mit Willi habe ich wegen der Grete gesprochen,234 er hat mir versichert, dass er einen Brief geschrieben hat, meint aber, dass Sie wenn Sie drüben235 sind auf Grund seines Briefes, die Sache sofort regeln können. Leider scheint er nicht in der Lage zu sein, einen solchen Sanatoriumsplatz ins Ausland schicken zu können. Praktisch würde ich also vorschlagen, dass Grete als Turristin [sic] reist und Sie mit einem neuerlichen Brief vom Willi bewaffnet, den ich Ihnen verschaffen kann die Sache persönlich durchzusetzen. Mehr konnte ich leider nicht erreichen, aber ich halte die Sache für nicht allzuschwer durchführbar. Bitte berichten Sie mir doch möglichst rasch die Stimmung des Anwalts nach Lesung des Stückes und über Vertragsabschluss „Johanna“. Sie erhalten meinerseits sofortigen Berricht236 über London. Bitte schreiben Sie mir per Luftpost die Adresse Ihres Agenten Alexander. Herzliche Grüsse an Alle Ihr alter Hanns Eisler Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/60–62. – E: Eisler, Briefe, S. 82f.

232 233 234 235 236

Kopenhagen zur Aufführung zu bringen. Jørgen Rothenburg. Der Thurøer Anwalt, d.i. Jørgen Rothenburg. Vgl. Anm. zu Eisler, 9.4.1934. Brechts geplante Reise nach Moskau (vgl. Anm. zu Brentano, 3.2.1934) kam nicht zustande. So im Original. Vgl. Anm. zu Eisler, 11.4.1934.

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Per Knutzon an Bertolt Brecht 30.4.1934 30/4 34 lieber brecht. „jetst stehen wir øxen wieder am berge“ das beteutet, dass herr rotenburg237 meint, dass die censur oder die deutsche bootschaft eventuel das stück verbieten wollen. er fand das stück sehr interessant u.s.w., fand aber dass es zu deutlisch der hitler und co persiflierte.238 er glaubte nicht dass einige juden geld in so ein risikables geschæft stecken wollten. – morgen spreche ich wieder mit dem man[n] – ich habe eisler abbestellt. mit rassow habe ich telefoniert, er møchte gern das stuck, jedenfalls in ende der woche, lesen, – gelsted meint dass er fertig rechtzeitig ist. gruss Per

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; 1 S., BBA 476/35.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Paris, 30.4.[1934] Hanns Eisler 30/IV lieber Brecht, knapp nachdem ich Ihre Depesche239 bekam, telegrafierte mir der Per ab. Es ist ein grosser Jammer, dass dieser Theateranwalt240 scheinbar doch kein Interesse zeigt. Bitte informieren Sie mich doch, was man noch für die „Spitzköpfe“ noch in Kopenhagen macht oder ob das jetzt ruht. Haben Sie schon einen Vertrag über die „Johanna“? 237 Jørgen Rothenburg. 238 Brecht entgegnete darauf, „daß das ‚Jüdische‘ bei der politischen Verwendung der Rassenfrage durch den Nationalsozialismus […] gar keine Rolle spielt. Das Publikum wird keineswegs sagen: Die Spitzköpfe sind gut oder sie sind schlecht, es geschieht ihnen recht oder es geschieht ihnen unrecht, sondern: es gibt gar keine wirklichen Unterschiede“ (B. an Knutzon, Ende April 1934, GBA 28, S. 414). 239 Ein solches Telegramm ist nicht überliefert. Möglicherweise meint Eisler den – ebenfalls nicht überlieferten – „Luftpostbrief“ (Brief vom 28.4.1934). Vgl. aber Brechts Brief vom 30.4.1934, GBA 28, S. 415. 240 Vgl. Eisler, 28.4.1934.

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Ich brauche dringend ein zweites Exemplar. Otto241 telefonierte aus London dass ein enormes Interesse für das Stück bereits da wäre. Da das Exemplar in London bleiben muss, brauche ich für die Pariser Verhandlungen unbedingt das zweite. Genaues werde ich Ihnen sofort berichten, wenn ich Otto persönlich gesprochen habe. Halten Sie sich bitte doch bereit, für einige Tage nach London zu fahren, selbstverständlich nur wenn das unbedingt notwendig ist. Nach den Berichten aller, ist in London eine Art Prosperität und da man eine Labour-Party Regierung im Herbst erwartet242 blüht die linke Bourgeoisie auf, so dass die politischen Voraussetzungen für so ein Stück gegeben wären. Selbstverständlich mache ich mir aber gar keine übertriebenen Hoffnungen. Sie erhalten noch genauen Bericht von mir. Von Joris243 habe ich noch keine Nachricht. „Le grand jeu“244 ist ein riesiger Erfolg geworden, obwohl es ein Scheissdreck ist, und sogar ich habe endlich hier auch eine glänzende Presse. Schreiben Sie mir bitte rasch. Mit herzlichen Grüssen an alle Ihr alter Eisler Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/61. – E: Eisler, Briefe, S. 84f.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnach bei Zürich, ca. April/Mai 1934] L.B. Dank für Ihren Brief.245 Ihre Fragen sind gut. Ich will aber heute nur eine beantworten. Einer der besten hiesigen bürgerlichen Journalisten sagte mir dieser Tage, er rechne auf Grund einwandfreier Informationen noch in diesem Jahr mit einem deutschfranzösischen Krieg. Trotzdem er mir seine Quellen nannte, habe ich damals den Kopf geschüttelt. Heute aber bin ich sehr besorgt. Sie wissen, dass ich mich davor hüte, die Nazis als schlechthin dumm zu bezeichnen; aber ihre Aussenpolitik ist tatsächlich jammervoll, würdelos, aufdringlich, nervös, durchsichtig hinterhältig.

241 Otto Katz. Vgl. Eisler, 28.4.1934. 242 In Großbritannien war 1931 bis 1935 eine sogenannte Nationale Regierung unter Führung des Labour-Politikers James Ramsay MacDonald im Amt. Zu der von Eisler erwarteten Regierungsumbildung kam es vorerst nicht. 243 Joris Ivens. Vgl. Anm. zu Eisler, 10.8.1933. 244 Vgl. Eisler, 17.4.1934. 245 Nicht überliefert.

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Auch im Osten sieht es sehr böse aus, und heute ging hier das Gerücht es sei bereits zwischen Russen und Japan zu Schiessereien gekommen.246 Zu der deutsch französischen Frage muss ich noch bemerken, dass man hier den Zwischenfällen von Kehl247 und neuerdings vom Saargebiet248 ernste Bedeutung zuschreibt. Die Sache sieht bös aus. Ihre übrigen Fragen will ich auch beantworten, aber ich möchte vorher eine Gegenfrage stellen, um besser antworten zu können: Halten Sie es für gleichgültig oder von nur untergeordneter Bedeutung, dass 1) das Niveau unserer Leute in jeder Hinsicht (moralisch, intellektuell usw.) so niedrig ist. 2) das Niveau alles dessen, was die Genannten fabrizieren nahezu wertlos ist? Dass, um ein Beispiel zu nennen, die Artikel der Rundschau249 politisch kindisch sind? Oder halten Sie diese Artikel für gut? Ihren Brief gab ich an G.250 Ihr Manuscript liegt noch bei Curjel. Ich habe ihn aber schon angerufen und gebe es dann an G weiter. Ich sandte Ihnen eine neue Erzählung. ist sie angekommen?251 Hat sie Ihnen gefallen? Endlich schrieb ich Ihnen wegen einer Ottwaltsache252, in der O mit Ihrem Namen und (angeblichen) Briefen von mir an Sie hausieren geht. Schreiben Sie mir bald. Und halten Sie meine Frage nicht für eine Retourkutsche. Sie beschäftigt mich in letzter Zeit fast völlig. Denn sehen Sie: In D ging ich in den Verein und sah auch wie schlecht die Fahne war, wie dumm die Artikel die für Teddy253 geschrieben wurden, aber ich glaubte 246 Vgl. Anm. zu Brentano, Februar/März 1934. 247 Die Stadt Kehl am Rhein in Baden-Württemberg, in der Nähe von Straßburg gelegen, war bereits häufig Ort kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Deutschland. 248 Das Saargebiet war gemäß dem Versailler Vertrag (1919) aus ehemals preußischen und bayerischen Landkreisen gebildet und vorläufig unter Völkerbundmandat gestellt worden; die unmittelbare Kontrolle über das Gebiet hatten französische Truppen. Die parteiübergreifende „Heim ins Reich“Politik wurde erst mit der Machtübernahme der Nazis aufgegeben. SPD und KPD forderten nun, bis zum Sturz Hitlers am Status quo festzuhalten. Doch vergeblich: infolge der vertragsgemäß durchgeführten Volksabstimmung, die die Deutschnationalen mit überwältigender Mehrheit für sich entschieden, wurde das Saargebiet im März 1935 dem Deutschen Reich eingegliedert. Als Stellungnahme zu der bevorstehenden Abstimmung schrieb Brecht im Herbst 1934 zusammen mit Eisler Das Saarlied, GBA 14, S. 219f. 249 Vgl. Anm. zu Brentano, 23.7.1933. 250 Vermutlich der Schauspieler und Regisseur Ernst Ginsberg (1904–1964), der seit 1933 am Zürcher Schauspielhaus arbeitete. 251 „Ihre Erzählung, die Sie mir annoncieren“, antwortete Brecht im Juni 1934, „habe ich nicht erhalten bisher.“ (GBA 28, S. 419.) 252 Vgl. Brentano, 16.4.1934; dazu die Antwort Brechts, der Brentano zu beschwichtigen versuchte, indem er ihm mitteilte, daß man nur streiten sollte, „wenn man Macht hinter sich hat, so daß man es ausnutzen kann für die Sache, wenn man recht behalten hat“ (GBA 28, S. 420). 253 Der Vorsitzende der KPD (des „Vereins“), Ernst Thälmann, war seit März 1933 in Deutschland in Haft. Die Rote Fahne, das Zentralorgan der Partei, wurde seit ihrem Verbot im Februar 1933 illegal weiter publiziert.

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halt wie alle anderen an die Sache, an das Prol. usw. Nun aber kommt eine Niederlage nach der anderen. Ich beobachte das hiesige und sehe, dass alle Fehler mit einer unheimlichen Präzision wiederholt werden. Und da frage ich eben: sollte es wirklich gleichgiltig [sic] sein, von was für Leuten eine politische Partei geführt wird? Sollte es egal sein, wenn die Artikel miserabel sind? Oder sollte vielleicht doch jene „Qualität“ und die Quantität der Niederlagen in einem Verhältnis stehen? Und ich frage weiter: Hat sich der Völkerbund geändert? 15 Jahre lang predigte man, er und niemand sonst bereite den Krieg gegen die SU vor; jetzt tritt Josef 254 ein. Das ist zwar eine sehr opportunistische Politik, die man in Mekka 255 macht, aber eine Politik.256 Warum aber dürfen denn die Sektionen nicht jene wahnsinnige Einheitsfrontpolitik 257 ändern die an allem schuld ist? Warum schliesst man Doriot 258 aus, den anerkannt besten Mann der franz. Partei? Und wieviel Schuld haben wir Intellektuellen! In Frankreich spricht sowohl Rolland259 wie Malraux 260 heute für Leo261 und morgen für den Verein. Und kein Mensch wagt ein 254 Stalin. Die UdSSR trat 1934 dem Völkerbund bei, den sie vordem als Instrument imperialistischer Politik attackiert hatte. 255 Moskau. 256 Brecht verteidigte, zumindest negativ, die Politik der KPD: „[V]on allen Anti-KP-Richungen und -Maßnahmen“, antwortete er Brentano im Juni 1934, „hätten wohl wenige revolutionär gewirkt, wenn sie durchgekommen wären; als sie nicht durchkamen, wirkten sie konterrevolutionär“ (GBA 28, S. 420). 257 Gemäß der „Sozialfaschismus“-These der Komintern (vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933) wurde die SPD offiziell als Feind betrachtet. Die KPD strebte daher eine Einheitsfront aus Kommunisten und abtrünnigen Sozialdemokraten an, die sich durch Abkehr von ihrer Parteiführung für ein solches Bündnis qualifizieren sollten. Auch Brecht war, wenngleich aus anderen Gründen, skeptisch: „Brauchte man die Arbeiter wirklich nur von der SPD-Führung zu trennen, um sie zum Kampf zu bekommen?“ erwiderte er Brentano (GBA 28, S. 420). Gleichwohl dichtete er Ende 1934 auf Piscators Wunsch für das Internationale Musik-Büro in Moskau das Einheitsfrontlied. Die Musik dazu komponierte Eisler. 258 Jacques Doriot (1898–1945), Bürgermeister von Saint-Denis bei Paris, trat entgegen den Richtlinien der Komintern für eine Zusammenarbeit mit Sozialisten und Sozialdemokraten ein. 1934 wurde er aus der KP ausgeschlossen. Trat bald darauf, 1936, als Gründer des faschistischen Parti Populaire Français sowie als Kollaborateur im Zweiten Weltkrieg in Erscheinung. 1945 kam er bei einem Fliegerangriff ums Leben. 259 Der französische Schriftsteller Romain Rolland (1866–1944) war seit der Oktoberrevolution 1917 Sympathisant der kommunistischen Bewegung. 1935 wurde er von Stalin persönlich in Moskau empfangen. Bald darauf jedoch ging er, in Anbetracht der „Säuberungen“ und des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts 1939, auf Distanz. 260 Ebenso wie Rolland brach auch André Malraux (1901–1976), Redner beim 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller 1934, infolge des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts mit den kommunistischen Parteien. Im Zweiten Weltkrieg in der Résistance aktiv, schloß er sich später den Gaullisten an, für die er ab 1958 verschiedene Ministerämter bekleidete. 261 Vermutlich Léon Blum (1872–1950), einer der führenden Politiker der 1905 gegründeten Section française de l’Internationale ouvrière. 1936 wurde er Ministerpräsident einer sogenannten Volksfrontre-

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Wort dagegen. Wie aber werden wir behandelt und wie lassen wir uns behandeln? Oder sollten Sie nicht wissen wie die Becherei262 öffentlich über Sie redet, von mir ganz zu schweigen? Schreiben Sie mir bald. Meine Fragen brennen mich! Herzlich Ihr alter Brentano. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 481/26–27.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis] 3.5.1934 May 3rd, 34. L.B. vielen Dank für die Sachen, besonders die Versuche. Auf diese Weise kann ich sie bei jemanden in NY deponieren, der geeignet ist, sie zu studieren + etwas herumzusprechen, was dringend nötig ist. – Meinen Sie mit chin. Kriegslyrik die paar Sachen, die ich damals in dem von Waley263 herausgegebenen Band übersetzte. (Wer zerschmetterte […] – Tartaren in Ketten usw.) Ich habe ja nichts von Büchern hier + drüben sind sie wohl in Kisten, auf denen „Bücher“ steht, aber diese sind, etwas kopflos, wie wild durcheinander gepackt. Aber vielleicht kann ich den Band in der Public Library auftreiben, wenn es sich um diesen handelt und Ihnen dann gern die paar sozial. Gedichte daraus schicken. Ich haette Ihnen schon geschrieben, wenn sich irgend etwas Nennenswertes geeignet hätte. Es ist alles sehr erstaunlich + eindringlich, aber wie Sie selber sagen, der Schnee ist nicht nur schön, sondern auch kalt. Ich musste nach NY, um eine Visumsschwierigkeit in Ordnung zu bringen (hier erfahre ich dann, dass es nur an den Washingtoner zu erledigen geht.) Auch dachte ich, es würde vielleicht eine kleine Arbeitsmöglichkeit geben, aber es ergab sich in der kurzen Zeit nichts, obwohl ich in viele Offices hinaufgefahren bin, um meine Dienste anzubieten. Man muss schon einen besonderen Ausweis haben, und eben Zeit zum abwarten: ich dachte an Übergierung, die aus Sozialisten unterschiedlicher Parteien gebildet und von Kommunisten unterstützt wurde. Als Résistance-Kämpfer wurde er von der Vichy-Regierung an die Deutschen ausgeliefert und 1943 im KZ Buchenwald interniert. Nach der Befreiung nahm er seine Tätigkeit als Journalist für die sozialistische Zeitschrift Le Populaire wieder auf und wurde 1946 zum Ministerpräsidenten einer provisorischen Regierung gewählt. 262 Anspielung auf Johannes R. Becher, von dem es hieß, daß er unter den exilierten Schriftstellern stets am eifrigsten die Linie der Komintern vertrat. 263 Arthur David Waley (1889–1966), englischer Übersetzer chinesischer und japanischer Literatur. Nach seinen Übersetzungen entstanden die Chinesischen Gedichte (GBA 11, S. 255–266).

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setzen + Redir264 (die Stücke sind nicht besser als unsere + ich hätte wirklich ein paar gute Vorschläge), aber ich hätte mich gerade so gut als Hochbauingenieur anbieten können und die Briefe von Feuchtwanger, Vicki Baum265 (die ja beide schrecklich gehen bei Verlegern + Agenturen) hielt man anscheinend für gefälscht. Es ist etwas dumm und mein Schwager kann das heraus geschmissene Geld nur schwer verwinden. Ich sah Gustav266 2 x kurz, er musste sich fast immer ganz gross zwischen seinen Brotgebern + deren Anhang bewegen – Waldorf Astoria und so. H.E.267 ist dagegen bei seinen Freunden kolossal bekannt + geachtet. Er bekommt direkt von ihnen nach dorthin Bescheid wegen der Bedingungen, die er wegen des Herkommens stellte. Sie wollten ihn u. all. Umstaenden hier haben. Es gibt einen H. E.-Club seit 14 Tagen. „Onward + not forgotten“268 wird viel gesungen, aber der Autor ist den Singenden unbekannt. So ist das mit den Composern, die die authors an die Wand drücken. Was macht ihr Roman?269 Und das Stück?270 Bruck’s271 ist ein Durchfall gewesen + er ist gleich abgefahren. Er vertreibt ihr Stück? Kann ich nicht Uebersetzung helfenlassen Sie sich durch meine Schilderung die Vorstellung von diesem Lande nicht verdüstert, es ist wirklich allerhand Überlieferung: Ms (Fragment), BBA 480/83–88.

Fritz Wreede an Bertolt Brecht Baden, 4.5.1934 Baden, den 4. Mai 1934. Sehr verehrter Herr Brecht! Nur kurz will ich Ihnen sagen, dass Ihre Worte der Anteilnahme272 mich erfreuten. Ich bin auf dem Wege der Besserung, fahre zunächst noch nach Berlin und dann nach Campen zur hoffentlich vollständigen Erholung meiner ziemlich kaputten Nerven.

264 Entzifferung unsicher. Vermutlich: redigieren. 265 Hedwig Baum. 266 Möglicherweise Gustav Glück. 267 Hanns Eisler. 268 „Vorwärts, nicht vergessen“: Zeile aus dem Solidaritätslied (GBA 14, S. 119f.). 269 Der Dreigroschenroman. 270 Vermutlich Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 271 Gemeint ist Ferdinand Bruckners Stück Die Rassen (vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934). 272 Nicht überliefert.

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Mit allen guten Wünschen für Ihr und der Ihren Wohlergehen und meinen besten Grüssen, Ihr Wreede Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: FBE Felix Bloch Erben Inhaber: Fritz Wreede Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Redaktion des „Charivari“ Berlin-Wilmersdorf 1, Nikolsburger Platz 3 Fernsprecher: J 2, Oliva 4990-4992 Telegramm-Adresse (Cable Address): „Charivari Berlin“ Bankkonto: S. Bleichröder, Stadtkasse Berlin W 8, Behrenstraße 63 Postscheckkonto: Berlin NW 7, Na 109 18; BBA 783/74.

Lulu Ziegler und Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 6.5.1934 6 Mai 34. Lieber Brecht. Per liegt jetzt seit 3 Tagen so richtig sehr krank – (Angina) – hofft aber im Laufe 4-5 Tage wieder gesund zu sein – aber es sieht nicht gut aus – man wird furchtbar ermüdet vom hohen Fieber. er wartet immer von dir zu hören! Gelsted ist in Mitte der Woche mit der Übersetzung fertig273 – und Per geht dann zu Rassow mit dem Stück – Rassow ist sehr nett gewesen immer – hoffentlich geht das alles – Per schreit von dem Bett – „so langes Leben – so lange Hoffnung“ – er fühlt sich wie alle gute kranke Männer todeskrank und tiefenttäuscht – mit dem Geld ist es ja zur Hölle – ich ohne Arbeit – und Per verliert in diesen Tage 2-3 Rollen im Rundfunk – ganz dann freun wir uns aber über unser junges Glück (wirklich) und leben davon. Grüss die Helli, Grethe – das hat mir sehr erfreut, Brecht, dass du mich gut fandest – in der Bar. Grüsse. Per und Lulu. Überlieferung: Ms, BBA 476/34.

273 Vgl. Anm. zu Steffin, Mitte Februar 1934.

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A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 9.5.1934 AMSTERDAM-C, den 9. Mai 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand, Svendborg, Dänemark. Sehr geehrter Herr Brecht! Am 15. Januar haben wir Sie in unserem Schreiben um eine Auskunft gebeten, ob wir die Übersetzungsrechte des Dreigroschenromans bekommen könnten. Hierüber haben wir niemals etwas von Ihnen vernommen. Wir bitten Sie jetzt nochmals dringend die Erwerbung der Übersetzungsrechte in unsere Hände zu stellen. Erstens können wir sehr bald einige Abschlüsse vorbereiten und zweitens brauchen wir das absolut um einigermassen den grossen Verlust zu decken von dem furchtbar hohen Vorschusshonorar welches wir für Ihren Roman zahlen mussten, wobei ein enttäuschender Vorverkauf Ihres Buches hiergegenüber steht. Wir hoffen recht gerne dass Sie uns umgehend Ihre Zustimmung geben wollen, da wir hierdurch unseren Verlust vielleicht noch etwas verringern können und es Ihnen nichts als Vorteil bringen kann.274 Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Allert de Lange. A. P. J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 – 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/15.

274 Am 24.5.1934 entschuldigte sich Brecht für seine verspätete Antwort: „Ich stecke mitten in der Arbeit und werde Ihnen in den nächsten Tagen schreiben“ (GBA 28, S. 419). Auf die Übersetzungsrechte kam er in der darauffolgenden Korrespondenz mit dem Verlag jedoch nicht mehr zu sprechen.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 14.5.1934

St. L. den 14.5.34

L.B. ich komme eben (nach 43stuendiger Autobusfahrt) nach hierher zurueck und finde das Stueck und obendrein den Gedichtband,275 und obwohl ich seit vier Naechten nicht im Bett, sondern sitzend im schaukelnden Bus war, habe ich beides doch gleich gelesen, das Stueck sogar zweimal. Zuerst, schnell hintereinander, um einen kompletten Eindruck zu haben und aus Spannung, dann noch mal, um mit der alten Fassung zu vergleichen, die ich nicht hier, aber umso besser im Kopf haben. Das Stueck ist so sehr geschlossen und dass die wuesten Knaeul (vor allem die Gefaengnissachen einschl. der Gerichtsszenen – Verurteilung des Richters, Rede des Herzogs usw., dann das andere Engagement des Vizekoenigs, die unangenehme Sache Isabella-Angeler) weg sind und vieles andere, ist nur ein ganz grobes und en gros-compliment. Verloren gegangen ist etwas von der Grobheit und Turbulenz, die ich an der alten Fassung mochte; dass das Ma[h]l am Ende ein Eintg276 ist, ist eine sehr lustige Loesung, nur, warum avisieren Sie diesen neuen Einfall nicht groesser, wie ueberhaupt das von „Einfaellen-leben“ eine[r] der wichtigsten Punkte dieses ganzen Problems Phänomens ist. Sie deuten es einmal an, als von Eskahlers immer neuen „Punkten“ gesprochen wird. Dass es sich jetzt um ein Triumvirat handelt Ib.-Es.-Za.277 ist sehr gut und dass Sie die eingreifende Wirkung revolutionaerer Songs (Callas oeffentliches Absingen eines gefaehrlichen Liedes) hineinverflechten und zwar so glaubwuerdig, ist wirklich alles ein grosser Vorteil. Vor allem kann man wirklich lachen beim Lesen. Was soll ich Ihnen sagen, dass mir ein paar Vorschlaege auf der Zunge liegen, die sich auf ein paar prinzipielle Einrichtungen eines solchen Staats beziehen. Abgesehen von Kleinigkeiten, dass sich sowas z.B. nur durch Einfaelle halten kann und der einfallsreichste Kopf neben dem instinktiven genialen Iberin in das rechte Licht gerueckt wird. Ich haette zum Schluss, als der Vizekoenig dankt, den Iberin wie einen beifallueberschuetteten Kapellmeister auf seine Mitarbeiter hinweisen lassen in demuetiger Haltung, auf Esk. und Zaza, dabei beide unvorsichtigerweise charakterisierend [hs.: und auf die Huas + auf den (…)]. Dem Vizekoenig, als wirkli-

275 Das Stück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe und der Band Lieder Gedichte Chöre. 276 Die Rede ist von der letzten Szene der Rundköpfe und Spitzköpfe, die im Palais der Vizekönigs spielt. Aus dem Braten in der alten Fassung (GBA 4, S. 142) wurde in der neuen eine Suppe (S. 259). Mit dem „Eintopfgericht“ spielte Hauptmann auf den von den Nazis im September 1933 etablierten „Eintopfsonntag“ an, der zugunsten des Winterhilfswerks – und zur ideologischen Stärkung der deutschen „Volksgemeinschaft“ – an jedem ersten Sonntag eines Monats stattfand. Auch Hitler selbst zeigte sich bisweilen zum Eintopfessen in der Öffentlichkeit. 277 Vermutlich Angelo Iberin, Fernando Eskahler und Affonso Saz, Figuren aus Die Rundköpfe und die Spitzköpfe.

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chem Monarchen und Profitier, macht das alles garnichts aus, er gebraucht charmant alles, was ihm zum Besten dient. Ich bereue es nie, nach neun Monaten Barbarei hier in die Wildnis gegangen zu sein, zusammen mit etwas Theorie, die dringendst nachzuholen war, wird man nicht duemmer davon und wenn mir auch z.B. das Stueck vorkommt wie ein Glanz aus einer besseren Welt, so weit von hier wie der Mond, so kann ich doch heute Vernu[e]nftigeres dazu sagen, als ich je zu einer Sache sagen konnte. Da es aber auf der anderen Seite keinen Wert hat, private Ansichten ueber den Mond zu aeussern, will ich Sie lieber etwas uebe[r] die praktische Seite fragen, ueber die Verwertbarkeit dieses Stueckes hier in diesem Land. Als ich jetzt in NY war und schon am Abreisen, und ueberhaupt gar kein Geld hatte, auch nicht mal mehr zum Rueckfahren, hat mir jemand, der vor einem Jahr hergekommen ist und eine ziemlich grosse Stellung hier bekleidet an einer Universitaet, mir noch drei weitere Tage finanziert und gerade diese drei Tage verhalfen mir dazu, noch ein paar nuetzliche Leute aus dem liter. Geschaeftsbetrieb kennen zu lernen. Sie interessierten sich auch fuer mich und gaben mir sehr vernuenftige Ratschlaege (negative). Die eine Stelle ist die literarische Agentur, die den Gelben Jack 278 vertreibt. Sie wissen, hier geht das nicht durch Verleger, sondern durch sogenannte Agencies. Der Gelbe Jack gegen [sic] hintereinander, fuer NEW YORK enorm, acht Monate. Der Theatermann, der ihn machte, Max Gordon279, ein ziemlich grosser Mann, ist gescheit: man kann mit ihm reden, das heisst, man muss sich mehr als drueben darauf konzentrieren, dass man moeglichst vor der Generalprobe alles in Ordnung hat und dann keine Umaenderungen mehr bestellt. (Kenne ihn nicht persoenl.) Mit dieser Agency wuerde ich gern betr. des Stueckes zusammen arbeiten, nur muss ich dazu wissen: Ich das Stueck ueberhaupt frei? Dann wuerde ich es dieser Agency (wegen Ver­rech­n[un]g) ueberhaupt geben. (Sie kontrollieren auch die europaeisch. Rechte des Gelben Jack) Wollen Sie das Stueck in einem liberal.-fortschrittlichen Theater oder kaprizieren Sie sich auf ein Theater, das enger mit unseren Freunden liiert ist? (Die Theatre Union, die jetzt Stevedor[e]280 herausbrachte.) Das heisst: Wollen Sie Geld verdienen (bei groesster Wahrung Ihrer Grundhaltung, was man hier im Augenblick kann) oder wollen Sie den Beifall Ihrer „Freunde“? Es ist moeglich, dass auch andere Besucher angezogen werden, wie bei Stevedore, aber es ist immer sehr ungewiss. Fuer ein Theater wie die Theatre Union schaltet natuerlich diese Agency aus. Dann muss man es ueber die Freunde machen. Dort versuchten Gustl281 und ich gleichzeitig etwas den Boden zu ebnen. Gustl steht ja, wie alle 278 Yellow Jack, Drama von Sidney Howard. Uraufgeführt am Martin Beck Theatre in New York am 6.3.1934 (Regie: Guthrie McClintic). 279 Max Gordon (1892–1978), amerikanischer Theater- und Filmproduzent. Die Inszenierung des Yellow Jack hat allerdings der Regisseur Guthrie McClintic selbst produziert. 280 Stevedore, Stück von Paul Peters und George Sklar, am 30.4.1934 von der Theatre Union in New York uraufgeführt. 281 Möglicherweise der österreichische Kunsthistoriker Gustav Glück (1871–1952), den Brecht noch aus Berlin kannte (vgl. BC, S. 296f.). Er ging 1938 ins Exil nach London, 1942 nach Santa Monica.

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diese sympathis. Leute, auf einen immer radikaleren Standpunkt wie man selber und ich habe mit ihm auch nicht deswegen argumentiert, weil es doch keinen Sinn hat. Ich muss aber Ihren Standpunkt genau wissen, wenn ich etwas fuer das Stueck tun soll. Arbeite ich mit der lit. Agentur zusammen (die mich nach Stuecken fragte und denen ich von dem Stueck erzaehlte), so ist die Provision der Agency, damit Sie es wissen, zwanzig Prozent. wie Wreede282 Dies ist angemessen, wenn man bedenkt, dass alles Geschaeftliche und ueberhaupt Aufziehen viel mehr erfordert als drueben. Um das Stueck anzubieten, ich meine der Agency, muss die deutsche Fassung nochmal ganz abgeschrieben werden. Uebersichtlicher, deutlicher und in mindestens fuenf weiteren Exemplaren. Abgesehen von einem geschickten Exemplar, in dem gezeigt wird, worum es sich bei dem Stueck handelt. Es ist so wie es ist, fuer die Leute zu schwer zu lesen, zu unübersichtlich.283 Vielleicht ist es auch notwendig, das Stueck vorher uebersetzen zu lassen. Ich selbst habe noch keinen guten Uebersetzer fuer derlei getroffen, aber ich bin ueberzeugt, dass ich mithilfe der Ag. einen finde, mit dem zusammen ich es machen koennte. Waere es gewoehnlicher Dialog, waere es einfacher, aber alle diese Dichtung, noch dazu klassische, erfordert im Grunde einen Schlegel-Tieck. Das ist eine Riesenschwierigkeit, an der man hart arbeiten muss. Ist es Ihnen aber wirklich ernst mit einer Auffuehrung hier, so wuerde ich Ihnen raten, z.B. dass Sie einen Brief an Sinclair Lewis284 schreiben und an die Tomson285 (Mrs. Lewis) (Sie ist die aktive und in allen moeglichen Sachen drin) und ihm auseinandersetzen, dass Sie dieses Stueck gemacht haben und ihn um Rat fragen wegen Uebersetzter und vor allem nach seiner Meinung ueber das Stueck. Ich habe in Erinnerung, dass Sie beide kennen. Diesen Brief wuerde ich den beiden von hier schicken mit einer der neuhergestellten Abschriften (deutsch). Ich selber kann nicht ohne Weiteres mich an die Lewis’ wenden. Wenn ich wieder nach New York gehen kann, koennte ich es dem Einstein286 zeigen, der grossen Einfluss hat und wirklich sehr verehrt wird. Ich kenne jemanden, der, was eine Ausnahme ist, bei ihm ein- und ausgeht. In New York kann ich es auch Michael Gold287 zeigen, das heisst diesem kann ich es auch schicken. Es ist auch moeglich, dass er fuer die Uebersetzung in Frage kommt. (Er arbeitet staendig fuer die New Masses288, einer Part.-Weekly.) Es gibt 282 Hs. am Rand: „wie Wreede“ 283 Hs. Erg.: „Abgesehen von einem geschickten Exemplar, in dem gezeigt wird, worum es sich bei dem Stück handelt. Es ist so wie es ist, für die Leute zu schwer zu lesen, zu unübersichtlich.“ 284 Sinclair Lewis (1885–1951), amerikanischer Schriftsteller. 285 Dorothy Thompson (1894–1961), amerikanische Schriftstellerin und Publizistin, stellvertretende Vorsitzende des Council for a Democratic Germany. Sie unterstützte Brecht 1941 bei seiner Einreise in die USA. Ehefrau von Sinclair Lewis. 286 Vermutlich der 1933 in die USA emigrierte Physiker Albert Einstein (1879–1955). 287 Michael Gold, d.i. Itzok Isaac Granich (1893–1967), amerikanischer Schriftsteller und Literaturkritiker. 288 The New Masses war eine marxistische Zeitschrift, die von Michael Gold (kurzzeitig von Whittaker Chambers) 1926 bis 1948 in New York herausgegeben wurde.

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noch viele zu bedenken und das Erste, was Sie tun muessen, ist, den ganzen Status btr. der Verwertung klarlegen. Auch wie Eisler beteiligt ist. Wenn Ihr Roman289 inzwischen engl. herauskommt, wird das, vor allem, wenn er ein paar ernsthafte Kritiken haette, sehr nuetzen. Dumm ist, dass im Sommer fast niemand in New York ist wegen der Hitze. Alles ist am Wasser und im Gebi[r]ge, die Stadt ist leerer als je eine Stadt auf dem Kontinent, weil es vier Monate lang unertraeglich heiss ist. Eine Agency kann natuerlich immer mit den wichtigen Leuten in Verbindung sein, da sie Telegramme usw. finanzieren kann. Ich selber kann so ohne Weiteres nicht nach NY zurueck. Ich moechte unter allen Umstaenden nach dort, denn hier ist es auf die Dauer falsch zu sein, es ist ein Unterschied groesser als zwischen Berlin und Koetschenbroda. Man kann in New York relativ sehr billig leben, weil die Nahrungsmittel so billig sind und auch Kleidung, aber etwas muss man schon verdienen. Ich habe vage Aussicht auf etwas Sekretaerinsarbeit, ein Professor braucht jemand, aber es sitzen ihm vorerst noch Leute naeher als ich, die alles gegen mich dirigieren koennen. Wenn mit dem Stueck alles so klar liegt, dass ich es z.B. mit der lit. Agency in Angriff nehmen koennte, waere das auch eine Moeglichkeit, auf die hin ich mir vielleicht Geld ausleihen koennte, um in NY zu sein. Auf der anderen Seite besteht die Moeglichkeit, dass ich den Gelben Jack zur Uebersetzung bekomme, natuerlich muesste ich etwas mit guten Beziehungen auf dem Kontinent prahlen. Ich dachte, dass Maria Laz.290 meine Uebersetzung fuer die nordischen Laender verwenden koennte, in der Schweiz und Oesterr. wuerde ich es auf eigene Faust versuchen und in Paris muesste mir vielleicht Ka.291 helfen. Vielleicht waere es sogar nicht uninteressant fuer Sie, es sich anzusehen, obwohl man garnicht an den alten Plan dabei denken darf. Aber ich weiss nicht, wer noch was fuer einen zu tun bereit ist und dazu in der Lage ist. Wenn man Hilfe entbehren kann, muss man sie bei solchen Sachen unbedingt entbehren, denn nichts verdirbt einen hier mehr als Unsicherheit und wankende Beziehungen. In dieser Beziehung ist dies ein ehrliches Land: man gewoehnt sich daran, nicht mehr zu versprechen als man halten kann. Die Leute werden zu Rasenden, wenn man sie enttaeuscht. Natuerlich kann man auch das ertragen, aber es geh[t] nicht mehr als dreimal. Es ist so schwer, in einem Brief alles auch nur annaehernd praezise anzudeuten, was hier eben anders ist als drueben und selbst anders ist unter Gleichgesinnten und innerhalb der gleichen Branche. Ich ueberlege mir, was ich Ihnen ueber meine finanziellen Bedingungen ueber das Stueck sagen soll. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, waren es vier schreckliche Monate, in denen ich darum kaempfte, die Anfangskeime des Stueckes zu sichern, indem ich mit zu Berger rannte, aufschrieb, heulte, wieder davon anfing, wieder was aufschrieb, wieder darin herumstocherte, waehrend ich auf der anderen Seite auch die Mutter fuer ein gutes 289 Dreigroschenroman. 290 Maria Lazar. 291 Vermutlich Otto Katz.

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Stueck hielt, das heisst im Anfang nicht so sehr, kurz und gut, wenn ich dann auch im weiteren Verlauf unwichtig war bis auf einen Grundeinfall im Treatment, die Pferde, was aufzuschreiben ich mich wirklich schaeme, so moechte ich gern beteiligt sein mit dem Dreigroschensatz.292 Sie koennen es rubrizieren als Mitarbeiterbeteiligung oder als Vertriebsprovision. Ich waere mit der letzten Rubrizierung einverstanden, da ohne dass nicht irgendwo hinten steht: im Anfang mitgeholfen hat E.H. die erste Klassifizierung keinen fuer mich nuetzlichen Sinn hat. Schon ein eigener kleiner Vertragspassus darueber wuerde das allerdings aendern. Es wuerde auch eine ganz andere Verhandlungsbasis bedeuten. Ich selber ueberschaetze jede kleine Hilfeleistun[g] sicher immer ungeheuer, weil ich immer gleich so sehr fuer die Sache bin und alles das mit bewerte, was, so drum und dran haengt, obwohl ich auf der anderen Seite schon gut im Arbeitsverlauf unterscheiden kann, was eine wirklich nuetzliche Mitarbeit ist oder nicht. Mir erschien es immer ungeheuer wichtig, einen guten Gedanken mit aller Kraft zu verteidigen und schnell, wenn auch zunaechst in falscher Form, (Massnahme-Augsburg), zu verankern. Diese verschiedenen Fruehstadien haben mich immer viel leiden gemacht und es war von Mal zu Mal aerger. Dass ich in diesem Zusammenhang nur von meinen damaligen Anstrengungen spreche und nicht von den schoenen Seiten und andere Leute Leiden, werden Sie begreifen, weil ich diese Leiden ja nachtraeglich an Sie verkaufen muss. Der Gedichtband sieht wunderschoen aus. Wie gut, dass Sie die Mutter- und Massnahmegedichte mit hinein genommen haben und die anderen neuen. Mehr kann ich im Augenblick nicht darueber sagen, da ich zuerst das Stueck gruendlich gelesen habe. Sowohl Stueck als Gedichtband haben mich etwas aus meiner starken Konzentration auf dieses Land herausgebracht, sonst haette ich Ihnen nicht diesen langen Brief geschrieben. Das Stueck kann eine eindringliche Sache werden, nur erfordert eine Auffuehrung eine Riesenvorarbeit. Vielleicht wissen Sie auch noch Mittel und Wege, um diese zu erleichtern. Ich kann den Weg hier nur Stueck um Stueck gehen und das benutzen, was ich inzwischen gut kenne. Das ist nicht so wenig, aber noch nicht ganz ausreichend. Sollten Sie mit Agency (Brandt u. Brandt, die beste in NY) einverstanden sein und mit den Bedingungen, telegrafieren Sie doch lieber. Haben Sie uebrigens damals die Schachtel mit Kritiken mitbekommen? Es waere so wichtig. Natuerlich kann ich den Leuten alles Moegliche sagen, aber wie soll ich es beweisen. (Wenn es so grossartig ist, muesste es doch in unseren Zeitungen gestanden haben!) Ich nehme an, dass Sie Ihre vorgenommene Arbeit, den Roman, auch inzwischen beendet haben. Ich selber musste meine Arbeit an dem Karl-Buch 293 einstellen, weil ich nicht beides bewaeltigen konnte: Arbeit suchen und schreiben. Ausserdem hat es fuer hier gar keine Aussichten. Ich muesste zuerst fuer einen Verlag drueben schreibe[n,] dann erst, sozusagen akkreditiert, koennte ich hier verlegt werden. Unbekannte Auslaender nimmt man nicht. Man hat ja auch recht und ich habe ja auch wirklich nichts aufzuweisen. Das Beste 292 Hs. am Rand: „12%, später 9%“. 293 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934.

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ist noch, man sagt, man hat nie was getan, dann wird man nach nichts gefragt, aber das wusste ich im Anfang nicht. Kurzgeschichten von unbekannten Auslaendern haben auch keine Chance. Es sei denn, dass Lewis oder so einer einen ungeheuren Druck ausuebt. Aber ich kenne keinen. Wenn man dies alles weiss und die Hauptverzweiflung herum ist, ist es wieder ertraeglicher. Es gibt auf der anderen Seite sehr nette Leute, die einem zwar nich[t] helfen koennen und auch garnicht fuer Hilfe in Frage kommen, und wenn die Leute hier einmal nett sind, sind sie es in einer Weise, wie man es drueben nicht kennt, wenigstens ich habe es so nicht gekannt. So eine Autobusfahrt, 37 Stunden hin, 43 Stunden her, ist eine einzige Kette von Freundlichkeit, Lustigkeit und Versuchen, sich und seinem Nachbarn angenehm die Zeit zu verscheuchen und die Rueckenschmerzen und Knieschmerzen und was Sie sonst f[u]er Gebrechen bekommen durch das lange eingepferchte Sitzen. So weite Strecken werden selten von einer Person gefahren oder man uebernachtet ab und zu. Ausser den ueblichen 10 minutes comfort-stops oder lunch-stops bin ich immerzu gefahren und ich haette es nicht annaehernd so ueberstanden, wenn die Leute nicht ueberall so ungeheuer nett gewesen waeren. Aber auch abgesehen davon ist eine Busfahrt durch so viele Staaten etwas Ungeheures. EH. Herzlichst Ihre Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 480/89–96.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Paris] 14.5.1934 Montag 14. Mai Lieber Brecht von Ihnen höre ich leider gar nichts. Das ist sehr unangenehm, denn es bedeutet, daß in Kopenhagen nichts los. Neues in Kürze: 1.) Man hat Ihnen neuerlich 5 Exemplare der Gedichte294 geschickt. Das ist eine grauenvolle Schlamperei. Man hat mir unzählige Male versichert, daß diese bereits schon lange abgesandt worden sind. 2.) Gretes Sanatoriumsplatz kommt in Ordnung.295 Dienstag fährt Otto296 hinüber, der die Leute noch persönlich bewerben kann. 3.) Ivens297 erkrankt. Von ihm habe ich noch keine Nachricht.

294 Lieder Gedichte Chöre. 295 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.4.1934. 296 Otto Katz. 297 Vgl. Anm. zu Eisler, 10.8.1933.

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4.) In London für Spitzköpfe sehr großes Interesse. Man macht bereits Rohübersetzung und hofft es an ein normales Theater gut anzubringen. Der Schauspieler Laugthon298 (aus dem Film Privatleben Heinrichs des VIII Ihnen bekannt) interessiert sich sehr dafür. Sobald Konkretes schreibe ich 5.) Pis.299 ist in Paris. Sieht glänzend aus und ist in guter Form. 6.) Ich verhandle mit Zürich, wo sehr große Chancen bestehen.300 Vielleicht kommt der Direktor extra hierher um sich das Stück zu besehen. 7.) Sind Sie mit Pis. als Regisseur in Zürich einverstanden? Man hat ihm nämlich dort eine Regie angeboten und er ist frenetisch begeistert vom Stück, so daß er lieber das, als das vom Theater ihm vorgeschlagene, machen will. Man könnte eine riesige Besetzung machen. (Lorre, Lenja, Weig[e]l, Steckel, Ginsberg, Horwitz301) Pis. hält die Chancen für 80%. (Ich nicht.) 8.) Ich arbeite neben Spitzköpfe Partituren am 3. Heft paedagogischer Musik.302 Könnten Sie einige Texte (Verse ohne Reim) vorbereiten? 9.) Könnte die Karin eventuell ein Häuschen für Ruth, Max, Lou und mich zu Verfügung stellen (Juni, Juli, August).303 Schreiben Sie doch! Herzlich Ihr Eisler Überlieferung: Ms, BBA 479/63–64. – E: Eisler, Briefe, S. 85f.

298 So im Ms. Zu einer Zusammenarbeit mit dem englischen Schauspieler und Regisseur Charles Laughton (1899–1962), der die Titelrolle in dem Film The Private Life of Henry VIII (GB 1933, Regie: Alexander Korda) gespielt hatte, sollte es erst einige Jahre später kommen. Im kalifornischen Exil produzierte Brecht gemeinsam mit Laughton, der selbst seit 1939 in den USA lebte, eine englische Fassung des Galilei. 299 Erwin Piscator weilte von April bis Juni 1934 in Prag und Paris. 300 Vgl. Eisler, 24.5.1934. 301 Die Schauspieler Peter Lorre (1904–1964), Lotte Lenja (1898–1981), Leonard Steckel (1901–1971), Ernst Ginsberg und Kurt Horwitz (1897–1974) waren schon zuvor in Brechts Stücken aufgetreten oder hatten unter dessen Regie gespielt. Steckel, Ginsberg und Horwitz arbeiteten inzwischen am Schauspielhaus Zürich. Lenja (ab 1935: Lenya), d.i. Karoline Blamauer, ging 1935 zusammen mit ihrem Ehemann Kurt Weill in die USA. Lorre, seit 1933 im Exil in Wien und Paris, war gerade mit Dreharbeiten zu Alfred Hitchcocks The Man Who Knew Too Much (Der Mann, der zuviel wußte, 1934) in London beschäftigt und emigrierte wenige Wochen später nach Hollywood, wo er mit Columbia Pictures bereits einen Vertrag abgeschlossen hatte. In den 1940er Jahren arbeitete er in Kalifornien an mehreren Projekten auch mit Brecht zusammen. 302 Die Rede ist von der Sonatine (gradus ad parnassum) für Klavier (op. 44). Die Idee, Vokalkompositionen zu Texten von Brecht zu integrieren, wurde nicht realisiert. 303 Karin Michaelis, die Eisler Anfang des Jahres in Svendborg kennengelernt hatte, besaß dort mehrere kleine Häuser. Eisler plante einen längeren Sommeraufenthalt in Svendborg zusammen mit seiner Frau Louise Anna Jolesch, geb. Gosztoniyi (1906–1998), genannt Lou, seiner Schwester Ruth Fischer und ihrem Lebensgefährten Arkadij Maslow, genannt Max. Das Vorhaben scheiterte bald.

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Karl Korsch an Maria Lazar und Bertolt Brecht [London] 14.5.1934 Montag, etwa 14.V.34 Liebe Maria, Dieser Brief ist eigentlich nicht für Sie, obwohl ich Ihnen bestimmmt in einigen Tagen auch ausführlich schreibe. Aber zunächst bitte ich Sie, meine Grüsse Ihren Freundinnen Helli und Berta304 zu bestellen. Ich habe oft geschrieben, und auch meine Mitarbeiterin305 hat wegen der Handarbeiten geschrieben. Es scheint nun, dass da etwas dazwischengekommen ist, denn Berta schrieb schon kürzlich an mich so uninformiert über alles, was ich ihr inzwischen geschrieben hatte, und jetzt hat sie am selben Tage zweimal an Herbert geschrieben und sich nach mir erkundigt.306 Ich neige ja nun mit meinem skeptischen Gemüt dazu, dass eher in der Unordnung auf Bertas Arbeitstisch etwas verloren gegangen ist, als unterwegs. Grade so wie der von Paul307 kurz nach meiner Abreise an mich geschriebene Brief dort Monate lang auf Bertas Arbeitstisch liegen geblieben ist,308 bis ihn auf meine spezielle Anfrage Helli dort suchte und fand! So zahlreich waren ja auch meine Briefe und Karten in der letzten Zeit nicht gewesen. Immerhin habe ich zwischen dem langen Brief vor 4-6 Wochen, wo ich die für die 3 Groschen Novelle bestimmte Einlage über das Problem Ihrer Barbara im letzten Akt309 beigefügt hatte, und dessen Ankunft ich bis heute auch noch nicht bestätigt bekommen habe, und dem letzten ausführlichen Brief, den ich etwa vor einer Woche schrieb, und worin ich einige für mich sehr wichtige Anfragen stellte, mehrfach Karten oder kurze Briefe geschrieben. Gekriegt habe ich seit Monaten nie etwas als einmal ein kleines Zettelchen von Helli mit einer beigefügten nochmaligen Formulierung einiger Fragen von Berta 310 und einmal kürzlich einen direkten Brief von Berta, der das Barbaraproblem von Neuem anschnitt.311 Nun möchte ich erst einmal wissen, was angekommen ist und ob dieser Brief ankommt, da ich Früheres wiederhole.

304 Weigel und Brecht. 305 Vermutlich Dora Fabian, die für Korsch in London Schreibarbeiten erledigte. 306 Vgl. B. an Herbert Levi, 10.5.1934, GBA 28, S. 416f. 307 Paul Partos (1911–1964), ungarischer Soziologe. Korsch hatte ihn in den 1920er Jahren in Berlin kennengelernt und war seither mit ihm eng befreundet. Partos ging 1933 ins Exil nach Paris, kämpfte auf seiten der Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg und emigrierte 1939 nach London. 308 Vgl. B. an Korsch, Mai 1934, GBA 28, S. 418. 309 Anspielung auf Lazars Stück Der Nebel von Dybern (1933), in dem die Hauptperson Barbara, da sie keine Möglichkeit hat, ihre ungewollte Schwangerschaft abzubrechen, schließlich das geborene Kind tötet. Vgl. dazu Korsch, 14.3.1934. 310 Vgl. B. an Korsch, Mitte/Ende März 1934, GBA 28, S. 412. 311 Nicht überliefert.

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Ich wohne noch bei Kellys312, seitdem aber hier vor einigen Tagen endlich auch der Frühling ausgebrochen ist, zieht es mich sehr ins Freie, sowohl was Gegend als was persönliche Verhältnisse betifft. Ich habe in den letzten Tagen schon sehr in verschiedenen Stadtteilen gesucht; leider erwies sich mein Traum von einem studio (Atelier) bei den hiesigen Preisen als unerfüllbar. Ich denke aber, bis Ende der Woche werde ich irgendwo ein schönes grosses, sonniges, freies Dachzimmer haben und kann Sie dann auch von Ihrem neu meinetwillen unterhaltenen Kellykomplex befreien! Gesundheitlich geht es mir wieder gut, ich habe nur noch etwas Husten u. etwas mehr Zahnschmerzen. Ich habe in den letzten 2-3 Wochen tüchtig gearbeitet, eine Art Denkschrift über die jetzige deutsche Arbeitsverfassung nach dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, nicht unmittelbar für den Druck bestimmt,313 vielleicht schicke ich Berta demnächst einen Durchschlag, wenn sie ihn mir wiederschickt! Zentrales Interesse hat ja dieses Thema für sie, Sie und Euch alle nicht. Dagegen empfehle ich (mit einigen kritischen Vorbehalten) die Lektüre des Artikels zur Wirtschaftskrise, den Hedda aus Vm314 in meinem Auftrag an Berta geschickt hat; auch diesen Sonderdruck möchte ich dann gern zurückhaben, weil ich ihn zum Zweck der Diskussion weiter zirkulieren lassen will.315 In meinem letzten Brief stand u.a. noch eine bescheidene Anfrage, zu der evt Sie persönlich eben so gut wie Berta sich äussern könnten. Ob es vielleicht möglich wäre, dass Karin316 mir für ein Zusammentreffen meiner Familie eins ihrer kleinen Häuschen im Juli zur Verfügung stellt? … Das wäre sehr schön. Inzwischen hoffe ich, sobald ich umgezogen bin, mein Buch in einer etwas vereinfachten und „anglisierten“ Form neu in Angriff zu nehmen, mit der Perspektive, dass es noch diesen Herbst erscheinen sollte!317 Finanziell geht es mir nun schon etwas stabilisierter! Nun will ich aber schliessen, sonst komme ich doch in die Wiederholung meiner früheren Briefe hinein. Grüssen Sie beide Häuser samt allen grossen und kleinen Bewohnern, jeden einzeln und extra, und seien Sie selbst zuerst herzlich gegrüsst von Ihrem KK 312 Die Londoner Pension, in der Korsch mit seiner Tochter wohnte, wurde von einer Familie Kelly geführt. 313 Korschs Aufsatz „Zur Neuordnung der deutschen Arbeitsverfassung“ erschien in Räte-Korrespondenz, Heft 6/1934. 314 Hedda Korsch, geb. Gagliardi (1890–1982) Pädagogin, hielt sich damals in Viggbyholm (bei Stockholm) auf. 315 Gemeint sind die „Bemerkungen zur Wirtschaftkrise“ von Friedrich Pollock (erschienen in der Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 3/1933). Der Sonderdruck befindet sich in Brechts Nachlaß. 316 Karin Michaelis besaß auf der Insel Thurø mehrere Häuser. Korsch verbrachte dort im August 1934 seine Ferien. 317 Den Plan, ein Buch über Revolution und Gegenrevolution zu schreiben, ließ Korsch bald fallen. Vgl. den Brief an seinen Verleger S. vom September 1934 in Korsch, Briefe, S. 489ff.

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für Berta „Die ständige Organisierung der deutschen Wirtschaft ist aus zweierlei Gründen ganz besonders wichtig: Erstens beseitigt die Zusammenfassung aller in den Wirtschaftszweigen tätigen Unternehmungen den wüsten und sinnlosen Konkurrenzkampf und verhütet die sinnlose Uebersteigerung der Kapazität. Zweitens ist diese Organisierung der Wirtschaft notwendig, damit der Wirtschaftsführer selbst – wie ein Feldherr seine Regimenter – die Instrumente zur Wirtschaftsführung erhält, mit denen er zu wirken vermag. Der Wirtschaftsführer bedarf dieser Zusammenfassungen, denn so sehr das Reich als Wirtschaftsführer die grosse Gesamtlinie der Wirtschaftspolitik festzulegen hat, so wenig kann und soll es sich selbst in die einzelnen Wirtschaftszweige einmischen oder gar selbst Wirtschaft treiben.“ Gottfried Feder318 „Nationalsozialistische Wirtschaftsgestaltung“ (in: „Die nationale Wirtschaft“ IV, 2 vom 5.4.1934, p.118) „Der nationalsozialistische Staat und seine Staatsführung verschliessen sich nicht gegenüber den zahllosen Interessengegensätzen, die sich aus dem praktischen Leben für die Menschen ergeben.“ Adolf Hitler, am 1. Mai 1934. Überlieferung: Ms, BBA 295/44–47. – E: Alternative, Nr. 105, Dezember 1975, S. 245f. (jetzt Korsch, Briefe, S. 457ff.).

Walter Benjamin an Bertolt Brecht Paris, 21.5.1934 Lieber Brecht, es hat sehr lange gedauert, bis die Dinge hier übersehbar geworden sind. Ich wollte Ihnen etwas Endgültiges mitteilen und habe die Mitteilung darum immer wieder hinausgeschoben, Ihnen nicht einmal über die „Rundköpfe“ geschrieben, die ich ungemein wichtig und vollkommen geglückt finde. Endlich steht fest, daß ich im Laufe des Juni bei Ihnen eintreffe. Das Datum bleibt allerdings noch zu fixieren. Der früheste Termin ist der 6te oder 7te – wenn ich das Schiff vom ersten Juni-Dienstag nehme – der späteste der 27te oder 28te, wenn ich das letzte Juni-Schiff nehme.319 Meine genaue Ankunft schreibe ich Ihnen natürlich noch rechtzeitig.

318 Gottfried Feder (1883–1941), nationalsozialistischer Wirtschaftstheoretiker. 319 Benjamin traf am 20. Juni 1934 bei Brecht in Svendborg ein.

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Ich komme mit einer winzigen Rente von 500 französischen Franken im Monat.320 Vor ein paar Tagen sah ich Hanns. Er meinte, daß ich Ihnen ausdrücklich schreiben müsse, von welcher Wichtigkeit mir eine Aufführung des Stücks in London schiene.321 Ich denke, diese Wichtigkeit versteht sich angesichts des Umstands von selbst, daß man dem Publikum keine einleuchtendere, interessantere und faßlichere Darstellung des Gegenstands geben kann als Sie es tun. Damit übergehe ich alle andern Qualitäten des Stücks, die allerdings in diesem Tatbestand eingeschlossen sind. Kennen Sie Go? Ein sehr altes chinesisches Brettspiel. Es ist mindestens so interessant wie Schach – wir müßten es in Svendborg einführen. Beim Go werden Steine nie bewegt, nur auf das, anfänglich leere, Brett gesetzt. Diese Bewandtnis scheint es mir mit Ihrem Stück zu haben. Sie setzen jede Ihrer Figuren und Formulierungen an die richtige Stelle, von der aus sie von selber und ohne sich gebärden zu müssen die richtige strategische Funktion ausüben. Ich glaube, daß die äußerst leichte und sichere Hand, die Sie bei diesem Verfahren beweisen, auf das Publikum – und besonders ein englisches – viel größeren Eindruck machen wird als die Prozeduren, mit denen das Theater sonst ähnliche Zwecke verfolgt. Einige von den neuen Liedern322 bekam ich zu hören, die mir sehr gut gefallen haben. Unter dem Titel „Der Autor als Produzent“ habe ich versucht, nach Gegenstand und Umfang ein Pendant zu meiner alten Arbeit über das epische Theater zu machen.323 Ich bringe sie es Ihnen mit. Auf sehr bald und mit herzlichen Grüßen 21 Mai 1934 Paris XIV 28 place Denfert- Rochereau Hotel Floridor

Ihr Walter Benjamin

320 Das 1933 zunächst nach Genf, im Frühjahr 1934 nach New York verlegte Frankfurter Institut für Sozialforschung hatte Benjamin kurz zuvor ein Forschungsstipendium in Höhe von monatlich 100 Schweizer Franken gewährt. Gemeint ist hier möglicherweise auch die Unterstützung durch Else Herzberger (vgl. Brief von Benjamin an Theodor Wiesengrund-Adorno, 9.3.1934, in: Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 365). 321 Vgl. Eisler, 11.4.1934. 322 Gemeint sind die Lieder und Balladen, die durch die mit Eisler und Steffin vorgenommene Neubearbeitung der Rundköpfe und Spitzköpfe im Februar/März 1934 hinzugefügt wurden. 323 Zur „Arbeit über das epische Theater“ vgl. Anm. zu Benjamin, 5.3.1934. „Der Autor als Produzent“ ist der Titel eines Vortrags, den Benjamin im Frühjahr 1934 (nicht, wie im Manuskript angegeben, am 27.2.1934) an Münzenbergs Institut zum Studium des Faschismus in Paris gehalten hat (BGS II, S. 683–701). In Svendborg führte er darüber im Juli ein Gespräch mit Brecht; vgl. die Notizen in BGS VI, S. 523f.

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Überlieferung: Ms, BBA 478/13–14. – E: Walter Benjamin, Versuche über Brecht, hrsg. v. R. Tiedemann, Frankfurt/M. 1971, S. 128f. (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 426ff.).

Hanns Eisler an Bertolt Brecht 24.5.1934 24 Mai 1934 Lieber Brecht! Ich habe einige Tage abgewartet bis ich mehr konkretes zu berichten habe. 1.) Gestern kam die Direktion aus Zürich (Rieser324 u. Frau, welche die Schwester Werfels ist) zu mir und ich habe ihnen das Stück vorgeführt. Sie waren sehr begeistert, haben aber vor einigen Dingen Angst. Resultat: Ich habe für die Uraufführung eine Option bis spätestens 10 Juni gegeben. Bis zu dieser Zeit hat mir Rieser einen Vertrag vorzulegen. Er sagte gleich, daß er einige Abmilderungen, Abschwächungen brauche. Selbstverständlich können wir das nur zusammen besprechen. Also: Wenn Rieser einen Vertrag bis 10 Juni vorlegt ist es notwendig, das Sie, Pis325 und ich mit der Züricher Direktion konkret die Aufführung nebst einigen für Zürich eventuell notwendigen Abschwächungen besprechen. Wenn also Zürich Vertrag anbietet, nebst einer Reihe von Vorschlägen, die das Stück für Zürich tragbarer machen, müßten Sie schon entweder nach Paris oder Zürich kommen um das alles festzulegen. Sie fahren ja dann auf Grund eines vorliegenden Vertrages über die Uraufführung!!!!! Die Chance steht sehr gut. Hoffentlich gelingt es. Bekomme ich Vertrag telegraphiere ich Ihnen. 2.) Über die Dänische Verhandlung326: Ich muß bis 10 Juni hier bleiben, bis sich Zürich entschieden hat. (Zürich will nur Uraufführung. Plant Gastspiele, Weltpresse etc. Es sind Snobs.) Vielleicht fahre ich dann. Aber: ich habe noch immer keinen neuen Film Vertrag und so wenig Geld, daß ich es mir momentan kaum leisten könnte. Schließe ich aber bis 10 Juni auch für einen Film ab, so komme ich auf jeden Falle, denn man muß der kleinsten Chance nachjagen. 324 Vgl. Eisler, 14.5.1934. Der Weingroßhändler Ferdinand Rieser (1886–1947), verheiratet mit Marianne Werfel, der jüngeren Schwester des Dichters Franz Werfel, war von 1927 bis 1938 Direktor des Zürcher Schauspielhauses. Sein Nachfolger wurde Oskar Wälterlin. Mit dem Engagement zahlreicher aus Deutschland emigrierter Schauspieler und der Uraufführung neuer, in der Emigration entstandener Stücke avancierte das Schauspielhaus Zürich zu einem der wichtigsten Orte des deutschen Exiltheaters. Das gilt insbesondere auch für Brecht. Uraufgeführt wurden dort Mutter Courage und ihre Kinder (1941), Der gute Mensch von Sezuan (1943), Leben des Galilei (unter dem Titel Galileo Galilei, 1943), Herr Puntila und sein Knecht Matti (1948), postum Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher (1969). Die geplante Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe kam nicht zustande. 325 Erwin Piscator. 326 Vgl. Anm. zu Eisler, 28.4.1934.

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3.) Die englischen Verhandlungen327 stehen ausgezeichnet. Konkretes berichte ich in den nächsten Tagen. 4.) Amerika hat sich bei mir wieder gemeldet und zwar eine ganz andere Gruppe, die mir eine Konzerttournee vorschlägt (mit bezahlter Hin und Zurück Reise)328 5.) Es ist ein Jammer daß die Häuser der Karin vergeben sind.329 Meine Finanzlage ist derartig dürftig, daß der Plan ins Wasser fallen wird. Denn: 8 Reisen (tour – Retour) kosten 3200 Frc. Dazu muß noch die Miete der Ruth330 weiter gezahlt werden. Dieses Geld habe ich einfach nicht und muß mich eben nach der Decke strecken. 6.) Zusammenfassend: Zuerst einmal Zürich abwarten. Bekommen wir bis 10ten Juni einen Vertrag, sieht alles viel besser aus. Dann können wir neu disponieren. Inzwischen laufen meine anderen Verhandlungen weiter. Ich bin sehr „fest auf Zürich“. Schreiben Sie ein paar Zeilen. Beste Grüße Ihr Eisler (Das Duett Isabella-Judith331 ist recht gut geworden. Ratz arbeitet leider sehr langsam.332 Mit dem 3.ten Heft der Musik Paedagogik 333 komme ich vorwärts. Texte!!) Überlieferung: Ms, BBA 479/66–69. – E: Eisler, Briefe, S. 86f.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 25.5.1934 25/5 34 lieber brecht mit rothenburg habe ich heute gesprochen und – nach eine halbe stunde rede – meinte er dass es moglisch war geld als garanti sum zu haben, wenn rassow dein stuck spielen 327 Vgl. Eisler, 11.4.1934. 328 Vgl. Eisler, 10.2.1935. 329 Vgl. Eisler, 14.5.1934. 330 Eisler hat seine Schwester Ruth Fischer und ihren Lebensgefährten Arkadij Maslow, die seit März 1933 in bescheidenen Verhältnissen in Paris lebten, in den folgenden Jahren finanziell unterstützt. 331 Vgl. Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, GBA 4, S. 241f. In der hier wiedergegebenen vierten Fassung des Stücks von 1938 wurde die Judith zur Nanna. 332 Vgl. Eisler, 16.4.1934. 333 Vgl. Anm. zu Eisler, 14.5.1934.

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wollte. mit rassow habe ich morgen um 4 uhr eine besprechung, und wenn alles geht gut telegrafiere ich montag nach eisler, – meinst du dass es nicht geht, und dass du erst mit mir sprechen will, muss du ein brief sofort schreiben, das kann ich jedenfalls montag frü haben. montag frü kommt die kronik von borberg (wenn es kommt) und wenn es gut ist glaube ich dass wir sofort an die arbeit gehen sollen, das heist dass du und eisler und gelsted und ich ein grosses theater für rassow machen müssen. grusse Per Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 476/33.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht Moskau, 27.5.1934

27.V. 1934 Moskau Malaja Bronnaja. 21/13 wohn 25 S. Tretiakow

Lieber Brecht. Danke sehr für das Buch.334 Ich habe sie zwei erhalten aber das eine ist schon geklaut. Zum Glück ist das geblieben wo die Schriften stehen. Ich habe einen Brief von Mildner335 erhalten: er schreibt wir warten auf regen, aber der benimmt sich wie Eisler. Ich habe schon aufgehört auf ihre herkunft zu warten. Lieber eines guten Tages kommt ihr wie eine „unerwartete freude“ – das ist der Name des Sammelbandes unseren berühmten Lyriker-Symbolisten – Alexander Block 336 Karin Michaelis337 ist sehr nett. Sie ist lebendig und klug. Sie gefällt uns sehr – ihre rede beim Empfang bei den Schriftstellern war energisch witzig und intim. Sie ist „hausig“ – wenn man vom worte „Haus“ einen adjektiv machen kann. Sie hat ihre rede gut beendet: – danke für ihren Empfang. Ich möchte auch sie alle bei mir sehen. Das ist nicht schwer. Platz wird für alle reichen. Nur vielleicht reicht es nicht für alle mit den Handtüchern, aber das ist ’ne Kleinigkeit.

334 Möglicherweise hatte Tretjakow ein Exemplar der Sammlung Lieder Gedichte Chöre erhalten. 335 Die Rede ist von dem Komponisten Herbert B. Mildner (vgl. Anm. von Fritz Mierau in: Tretjakow, Avantgarde, S. 486). 336 Gemeint ist der russische Dichter Alexander Alexandrowitsch Blok (Aleksandr Aleksandrovič Blok, 1880–1921). 337 Michaelis, die Gastgeberin der Familie Brecht in Thurø (vgl. Anm. zu Steffin, 26.7.1933), hielt sich von Mai bis Juli 1934 zu Besuch in der Sowjetunion auf.

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Sie schaut tüchtig herum, planiert interessante reisen und ironisiert über ihre mitläuferin, die scheint bis jetzt noch nicht ruhig ist, wo sie sich befindet – bei den kannibalen, oder nicht, und wird sie von denen aufgefressen oder nicht. Ich warte auf das Buch „B. Brecht Epische Dramen“ Übersetzung von S. Tretiakow338 Mit kolossalen Geduld. In den nächsten Tagen feiere ich schon das einjährige Jubiläum dieses Geduldes. Vorbereite ein bändchen von übersetzten Gedichte: Brecht, Becher, Weinert, Weber (Krüppelgarde)339 Von ihnen habe ich – Lenin, Ins dritte Reich, § 218, Wiegenlieder (2) und ein Gedicht, ich erinnere mich nicht an den titel – leitmotiv „… erlösche die Spuren“.340 In der Kolonne links denkt Wangenheim an ihre Maß für Maß oder 3groschenoper341 – aber das letzte haben wir hier nicht – jemand hat mein Exemplar gestolen. Wenn Sie es mir verschaffen können – bringen sie oder schicken Sie es her. Ich arbeite viel im bezug auf Konferenz der Reportage-Schriftsteller (Tatsachenliteratur) es findet 5. V.-9. V. statt.342 Den 25 Juni ist der Schriftsteller kongress und … ihre herkunft (?).343 Beste Grüße an Helli und Steff. Olga lässt sie alle herzlich grüssen. Ihr Treuer S. Tretiakof. Überlieferung: Ms, BBA 477/137–138. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 405f.

338 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933. 339 Die Ballade von der Krüppelgarde schrieb der Komponist, Dichter und Sänger Robert Gilbert (1899– 1978) unter dem Pseudonym David Weber nach einer Vorlage des Pariser Kommunarden Jean-Baptiste Clément (1836–1903). Eisler hat die Ballade 1930 vertont. 340 Ein Gedicht mit dem Titel „Lenin“ ist nicht überliefert. Die Kantate zu Lenins Todestag (GBA 12, S. 57–59) schrieb Brecht erst 1935. Gemeint sind möglicherweise die Geschichten aus der Revolution (Versuche, Heft 7/1933, jetzt GBA 11, S. 177–182). Des weiteren ist hier die Rede von Der Führer hat gesagt, auch: Der Marsch ins Dritte Reich (GBA 14, S. 151–153), Wiegenlieder, Nr. 2 (GBA 11, S. 206f.) und dem ersten Stück Aus dem Lesebuch für Städtebewohner („Verwisch die Spuren!“, GBA 11, S. 157). 341 Das aus der „Kolonne Links“, einer deutschen Agitpropgruppe der 1920er Jahre, hervorgegangene Deutsche Theater Kolonne Links hatte unter der Leitung von Gustav von Wangenheim am 25.2.1934 im Moskauer Club ausländischer Arbeiter seine Eröffnungsvorstellung gegeben. Aufführungen der Rundköpfe und Spitzköpfe (das Stück war aus einer Bearbeitung von Shakespeares Maß für Maß entstanden; vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933) und der Dreigroschenoper kamen nicht zustande. 342 Die Konferenz der Reportage-Schriftsteller fand vom 5. bis 8.6.1934 in Moskau statt. 343 Vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 28.5.1934 AMSTERDAM-C, den 28. Mai 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir empfingen eben Ihren Brief344, für den wir bestens danken. Es wäre für uns jetzt schon sehr wichtig zu erfahren, ob wir bald mit Ihrem Manuskript oder einem Teil Ihres Manuskripts rechnen können. Wir haben jetzt die Möglichkeit alles in Ruhe für den Herbst vorzubereiten, sodass das Buch im September, was zweifellos der günstigste Erscheinungstermin wäre, herauskommen könnte. Es wäre uns auch schon sehr geholfen, wenn Sie uns das Manuskript in Teilen zuschicken könnten. Betreffs der Übersetzungsrechte erwarten wir also auch Ihren Bescheid. Wir glauben in der Lage zu sein, Ihnen schon einige Wochen nach Empfang des Manuskriptes günstige Abschlüsse zu vermitteln. Mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. Landauer Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/16.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 28.5.1934 28/5 34 lieber brecht. der rassow (mit dem ich heute gesprochen habe) møchte gern mit eisler und b.b. sprechen – er kann naturlisch nicht ein standpunkt nehmen wenn er nicht dass stuck kennt und auch nicht das musik, sonst meinte er das alles praktisch gut fur das stuck lag. – ich hætte ein brief von dir erwartet heute – ??? 344 Vgl. GBA 28, S. 419.

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wie du wohl schon weisst gab es heute in politiken keine spur von kronik uber dein stuck.345 ich sende dir eine übersetzung aus ekstrabladet346 – meiner meinung nach nicht gut! sonst gehe ich jetzt ins bed und erwarte brief, telegram oder dir persønlich – die welt und die einwohner behandlen mir augenblicklisch sehr schlecht, kannst du oder grete oder helli nicht ein optimistisches brief zu uns schreiben? SCHLUSS! grusse Per, Lulu [Hs.] Es regnet!! Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 476/31.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 28.5.1934 [Hs.: Ein Exemplar des Liederbuches347 schickte ich nach N. York.] ST.L. 28.5.34 L.B. damit Sie sich nicht wieder beklagen muessen, wenn ich eine Sendung nicht bestaetige: heute frueh bekam ich das Liederbuch, ich schrieb Ihnen aber schon, dass der Verlag mir auch eins geschickt hat. und dass ich es sehr schoen finde. Ich schrieb Ihnen, glaube ich auch, dass mir das Gedicht von den Lyrikern348 am besten gefiele. Ich muss das korrigieren, insofern mir die Billigung der Welt349 an Deutschland jetzt ebenso sehr gefaellt. Ueber den anderen Teil, die Gebrauchsgedichte fuer den KIK 350, so schrieb ich Ihnen auch, dass er mir gefaellt. Doch habe ich hierzu jetzt einen besonderen Standpunkt, der, vielleicht garnicht richtig, so doch ungeheuer damit zusammen haengt, dass ich eben bis Nov. drinnen351 war,

345 Svend Borberg wollte in der linken Tageszeitung Politiken über Die Rundköpfe und die Spitzköpfe berichten. Vgl. Knutzon, 25.5.1934. 346 Nicht überliefert. 347 Lieder Gedichte Chöre. 348 Gemeint ist das Lied der Lyriker im Anhang der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 250– 253). 349 Ballade von der Billigung der Welt (ebd., S. 239–243). 350 An die Kämpfer in den Konzentrationslagern (ebd., S. 227). 351 Hauptmann war im November verhaftet und kurze Zeit später wieder freigelassen worden. Sie hatte Deutschland erst am 10.12.1933 verlassen.

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und dann dass ich einen Aufsatz las in dem Programmheft zu der New Yorker ArbeiterOlympiade352, der mit dem Satz schloss: Vorwaerts mit Musik zur Weltrevolution. Ich hatte vor einiger Zeit versucht, zu ermitteln, wo Frau Scheffauer353 ist, die seinerzeit Teile von Lindberghflug so hervorragend uebersetzt hat, ich habe jetzt ihre Adresse bekommen und warte auf Antwort von ihr selber, denn ich weiss nicht, welche Ansichten sie heute vertritt. Sie wohnt jetzt in London und so bald ich von ihr hoere, lasse ich es Sie wissen. Ich weiss ja nicht, wie seinerzeit die amerikanische Uebersetzung der G C war – ich habe nie eine Zeile davon gesehen und konnte sie auch hier nicht ermitteln – , auf jeden Fall dachte ich, waere es gut, evtl Frau Scheffauer fuer Uebersetzungen Ihrer Sachen zu interessieren. Ich sammele ab und zu Zeitungsausschnitte ueber Streiks usw. Aber auch richtige Mordsgeschichten. Eine war die von Clyde und Bonnie, Bonnie hat sich und Clyde selbst besungen in einem Gedicht, dessen Roh-Uebersetzung ich beilege.354 Clyde war 36 und Bonnie 21, sie wurden beide wegen verschiedener Sachen gejagt und schliesslich in einem Auto erschossen.355 Das Auto war wie ein Sieb und die Leichen wurden ebenfalls zwei Siebe, herausgezogen. Clyde war duenn und gross und Bonny sehr zart und wie ein Maedchen in Uniform. Irgendjemand schrieb mir, sie fuehren nach Russland.356 Alles Gute und wenn Sie L. Brik 357 sehen, gruessen Sie sie und sie soll doch mal an mich denken, ich habe ihr vor 2 Monaten geschrieben und sie um was gebeten, aber ich bin bis heute ohne Nachricht. Sie sehen, jeder Brief nach „draussen“ (wie man hier allgemein sagt) verleitet mich dazu, ein ganzes Tagebuch zu schreiben Herzlich Ihre Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 480/81-82.

352 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934. 353 Ethel Talbot Scheffauer (1888–1976), englische Schriftstellerin. Ihre Übersetzung „Lindbergh’s Flight. A Fragment“ ist überliefert in BBA 396/23–26. 354 Nicht überliefert. Das kurze Leben von Bonnie Parker (1910–1934) und Clyde Barrow (1909–1934) erregte in den USA damals großes Aufsehen und lieferte eine Vorlage für zahlreiche Gangsterfilme. 355 Als die beiden am 23.5.1934 in ihrem Ford Deluxe von Polizisten in Louisiana erschossen wurden, war Bonnie Parker 23, Clyde Barrow 25 Jahre alt. 356 Vgl. Anm. zu Brentano, 3.2.1934. 357 Lilja Jurjewna Brik (Lilja Jur’evna Brik), geb. Kagan (1891–1978), russische Regisseurin und Bildhauerin. Ehefrau des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Ossip Brik und Geliebte des Dichters Wladimir Majakowski.

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Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 31.5.1934 Lieber Freund. Curjel gab mir Ihr Manuscript zurück; er meint, er könne es nicht machen.358 auch ginsberg schickte es mir gestern ohne begleitbrief zurück. ich weiss nicht ob das schauspielermanieren sind, oder ob er Ihnen direkt schreibt. hoffen wir letzteres. nun warte ich sehr auf einen Brief von Ihnen mit antwort auf meine Fragen. die broschüre von doriot habe ich bestellt; wenn sie kommt schicke ich Ihnen ein exemplar. schreiben Sie bald Ihrem Brentano. am 31.5.34 Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 481/25.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis, ca. Mitte 1934] Man ist auch in der Nachbarschaft ein so unnormales Leben mit Warten, Planen, Umstürzen von Plänen, Lesen, Briefeschreiben nicht gewohnt, zumindestens muss was dabei herauskommen. Aber was soll ich Ihnen alle Schwierigkeiten aufzählen, wo ich sie nicht ändern kann, d.h. ich versuche einiges besser zu regeln, aber damit und einigem andern vergeht sich dann auch der Tag und das bisschen Kraft. Ihr Stück 359 habe ich noch mal gelesen, ich halte es durchaus voller Chancen für hier. Ich bewundere, wie radikal Sie sich (zum Besten des Stückes) von manchem getrennt haben. Wollen Sie nicht eine kl. Vorrede dazu schreiben, in der „Maas f. Maas“360 vorkommt. Mit Hinweisen, ich würde sogar soweit gehen, und schreiben. Was den Darstellungsstil, das Singen der Balladen angeht, so verweise ich auf Heft 3 – Heft 2 und was Sie ernst noch wollen. Genug doktrinär. Ich kann Ihnen hier nicht lang + breit erklären, wieso ich einen solchen Versuch hier für wichtig halte. Sie können auch schreiben, die Versuche müssen am besten auf den Vorhang; Beginn der Aufführung projiziert werden. Auch die Personen, wenn Sie wollen.

358 Vgl. Brentano, April/Mai 1934. 359 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 360 Shakespeares Komödie Maß für Maß, aus deren Bearbeitung das Stück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe hervorgegangen ist. Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933.

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Auch die Johanna361 halte ich hier f. erfolgreich, d.h. wenn sie als europäische[s] Stück, z.B. in Berlin spielend, aufgezogen wuerde. Oder mehr von hier aus gesehen, auch in Chicago, Kansas oder hier spielend, aber dann etwas genauer. Die Wirklichkeit hier liefert grosse Hilfsmittel f. Stuecke. Z.b.: man betrachtet alles selbst hier im Lande distanziert. Die Leute empfinden dieses Land selbst immer auch exotisch + als Phänomen, dessen Entwicklung sie beobachten. (Die meisten sind ja hingewanderte.) Diesen Beobachtungsstandpunkt haben auch die Arbeiter, denn der kleine aktive + kämpfende Teil ist zahlenmaessig verschwindend. Was immer Sie von Streiks hoeren, muessen Sie mit Vorsicht aufnehmen, es sind meistens Union-Streiks + hinter den Unions steht jetzt die Regierung und bei allem heisst es: Helf ich dir, dann wählst Du mich, denn im Herbst sind Neuwahlen zu Senat + Kongress. Ja, wie eine Karte für Sie bekommen. Es ist bestimmt mit die Zeit zu erreichen, aber man muss dazu in New York sein. Haben Sie den Karton mit Zeitungsausschnitten bekommen? Waere für Sie sehr wichtig. Ich selber moechte u. allen Umstaenden nach N. York. Ich schrieb Ihnen wohl von einer Sekretärinstellung, auf die ich spekuliere.362 Es ist wohl nicht „Sibirien“ hier, aber es ist anstrengend und […], dass der kleinste Gedanke, Buchlesen, Nachdenken, minütlich bedroht sind. Ich kann mir denken, dass der Roman eine harte + ungewohnte Arbeit darstellt. Ich wuensche Ihnen, dass er gut geraet, dass Sie nichts dabei …, nichts übersehen, beim 25. lesen ihn Richtich [sic] lesen wie Brecht einen Wallace363, die … Stellen finden + auch überhaupt selber damit zufrieden sind. Sie wissen dann, was Sie das letzte Jahr gearbeitet haben + können sich etwas Erholung goennen. Ich habe auch öfter daran gedacht, die Verhandlungen mit Ihnen wieder aufzunehmen, wegen irgendeines Stückes, Bücher, wenn es hier garnicht gehen sollte. Aber vielleicht bin ich schon zu weit vom Schreiben weg. Ich haette gern den Karl-Roman364 gemacht, ich hatte ein grossartiges Buch darüber gefunden, aber es ist hier unmöglich. Aber ich habe Ihnen das wohl alles genügend beschrieben. Es ist auch nicht so interessant. Interessanter waere es meine Sommerkleider abzu, denn die benötigte Hilfe der Mississippi … + jeder wechselt die Kleider + Wäsche, so oft er kann. Es wird Tag + Nacht nicht kühl. Seit Wochen sind alle Fenster und Skreens…, und auch alle Porches (Veranden) sind vergittert + dahinter sitzen am Abend d. Menschen + schwatzen + lesen. Restaurants mit Tischen im Freien haben diese Tische in kleinen Drahtkäfigen stehen. Alles wegen der Mücken, die garnicht so zahlreich sind, aber der Amerikaner wünscht auch nicht eine Mücke oder eine Fliege. Es ist alles sehr grün, […], + es gibt viele Blumen. Missouri erinnert sehr an Bayern. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nur so ein schwacher Strohhalm bin was Ihr Herkommen betrifft. Ich hoffe, dass ich wirklich im Sommer nach New York kann, dann will ich weiter 361 Die heilige Johanna der Schlachthöfe. 362 Im Ms folgt ein gestrichener Satz. 363 Edgar Wallace (1875–1932), englischer Kriminalschriftsteller und Dramatiker. 364 Der geplante Roman Flucht Karls des Kühnen nach der Schlacht bei Murten. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934.

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suchen. Inzwischen hoffe ich auf Bescheid von der Agency, ob ich ihr das Stueck schicken soll. Wenn Sie aber kommen, koennen Sie keinen Besseren als mich finden, der Sie führt + Ihnen Sachen zugänglich macht. Und ich würde mich auch ganz privat sehr über Ihr Kommen freuen. Ich halte ein paar Monate hier für wichtig für Sie, … als Schriftsteller, man stellt sich hier aber alles so pauschal-amerikanisch vor, die typischsten + sonderbarsten + häufigsten Erscheinungen fand ich bisher aber in keinem Buch über Amerika. Aber wie gesagt, ich würde mich auch privat sehr freuen. Aber ich kann im Moment wenig dafür tun. Ich muss mich für die Handschrift entschuldigen, aber ich schreibe im Heft. Überhaupt ist der Brief so lang geworden, dass er wohl bis Weihnachten ausreicht. Alles Gute wünscht Ihnen Ihre Bess. P.S. Ich bekam 2 Exemplare des Gedichtbandes.365 Er ist sehr schoen geworden. Mir gefaellt am besten das Gedicht von den Lyrikern, das dem Bande ein eigenartiges Gewicht + Gesicht verleiht. Das soll nicht sagen, dass ich die anderen Gedichte, vor allem die Kindergedichte für nicht sehr schön finde. Wenn ich bloss schon jemand haette, der zunächst aus Spass + auf Risiko gut übersetzte. Überlieferung: Ms (Fragment), BBA 480/69–74.

George Grosz an Bertolt Brecht New York, 1.6.1934 I June

….. 40-41

22I Street, Bayside, Long Island New York

…dear Bertie, Chas. brachte mir vorgestern deinen netten Brief366….boy thats swell…..ich meine, das ist ja grossartig, der Nacht der langen Messer367 entronnen, sitzt Du nun da oben bei der gemütlichen Karin368….well, Mehring hatte schon furchtbare Greuellegenden um Dich gewoben.....sollte man Dir doch in Oranienburg369 deine spitze Zunge buchstäblich angesengt haben mit einem Fidibus, gedreht aus den Seiten der drei Soldaten370……….. 365 Lieder Gedichte Chöre. 366 Vgl. B. an Grosz, Mitte/Ende Mai 1934, GBA 28, S. 417f. 367 Mit diesem v.a. im Englischen gebräuchlichen Ausdruck ist hier offenbar die Machtübernahme der Nazis gemeint, der sogleich Massenverhaftungen politischer Gegner folgten. Die ebenfalls als „Nacht der langen Messer“ bezeichnete Ermordung der SA-Führung (vgl. Anm. zu Brentano, 14.7.1934) fand erst Anfang Juli 1934 statt. 368 Karin Michaelis. 369 Gemeint ist das KZ Oranienburg, das von März 1933 bis Juli 1934 in Oranienburg bei Berlin betrieben wurde. 370 Vgl. Anm. zu Steffin, Mitte Juli 1933.

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ich habe mich sehr über deinen Brief gefreut….massen er sehr verschieden von anderen Emigrantenbriefen sichtbarlich Humor zeigt…..zänks a lot….habe mächtig gelacht über Hitlermann und seine 30000 Jahre.371 Die reinen Megalomanen sinds…..nichts ist gross genug. Na schön. Ein reiner Wolkenkratzerbewohner bin ich ja nun nicht, Bertie, habe da in so einem nur meine office und school for the visual arts372……ja da leben wir wie die Termiten jeder schleppt so ein Blatt, eine Laus oder irgend einen Cadaver geschwind vor sich her……es würde Dir besonders gut zusagen……Du bist ja kein pariser Plüschsofafritze, siehmal Bertie: three minutes a meal, purely american (drei Minuten eine Mahlzeit, ganz amerikanisch), das steht hierzulande an vielen Restaurants…….also für Dich fränkischen Puritaner und Moralisten anheimelnd. I, me like it anyway. Ja um beim Wolkenkratzer zu bleiben…….bin ein reiner businessman geworden aber in Bayside bin ich Privatmann….. da haben wir ein schönes Framehouse mit acht Zimmern und drei Badezimmern und einem grossen alten Garten… Vor 200 Jahren waren hier noch Lederstrümpfe und red­ skins……….. hinten schimmert ein Stückchen Oceansound. Wir machen das hier alle so.... unsere office ist in der city und wohnen tun wir auf dem Lande. Wir haben Blumenbeete und schneiden den Rasen selbst mit der Grassmaschine.....selbst die Centralheizung besorgen wir allein. Alles ist praktisch amerikanisch darauf eingerichtet. Über dem Camin hängt eine Winchester Flinte, und wer uns zu nahe heran kommt, kriegt eine hinten drauf gebrannt. No, Bertie…nach dem lausigen=beschissenen Europa ziehts mich nicht……aber trotzdem nett deine Einladung373.....okay, nächstes Jahr komme ich mit vorbei, aber einen Ford bringe ich selbst mit....(kosten ja hier nichts).....selbst die Unterdrückten der Burrschuhassie fahren hier ihre Fords.....woraus Du lernst, das Unterdrücktsein nichts mit schnellem Fortbewegen zu tun hat. Die streikenden Miner fahren hierzulande sogar in einer Protestdemonstration in ihren cars. Interessantes Land anyway und doch ein bischen anders, als gewisse Marxisten es analysieren. Es gibt hier zwei Sorten Amerikaner (grob gesagt)... solche, die schon mit der Mayflower und eventuell noch früher hierher kamen.......und die, die launige Bücher darüber schreiben meistens in Paris leben und hier nicht „produzieren“ können......weil „weesste, eehm die Atmosphäre nich die Bohne so künstlerisch ist wie in Paris“......wir anderen sind allesamt entweder businessmen, Romantiker, oder neunjährige Jungen.....oyees Söhr. Nebenbei bemerkt, Upton Sinclär374 ist Demokrat geworden..... 371 „Unsere Feinde berechnen die Dauer ihrer Herrschaft, wie ich gelesen habe, auf etwa 30 000 Jahre (dreißigtauend), einige Vorsichtigere nur auf 20 000 Jahre. Bis dahin werden unsere Werke also in den Schubladen bleiben müssen, deren Dauer die Optimistischen auf etwa fünf Jahre berechnen“ (GBA 28, S. 417f.). 372 Grosz hatte bereits 1932 als Gastdozent an der Art Students League of New York unterrichtet. Sein Lehrauftrag wurde verlängert, so daß er, kurz nach seiner Rückkehr nach Berlin, im Januar 1933 in die USA emigrieren konnte. 373 „Der Sommer naht, das Wasser wird warm. Die Zeit Deiner jährlichen Europareise naht heran, Freund. Auf, betritt das Schiff! Die Pension hier kostet vier Kronen (zwei Mark vierzig). Ein kleiner Ford aus der Urzeit verschafft Bequemlichkeit“ (GBA 28, S. 418). 374 Der amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair (1878–1968) war Anfang des 20. Jahrhunderts durch

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woraus Du hinwiederum lernst, dasz die californische Luft sehr dünn sein muss..........die hiesige Hetzzeitschrift „the new masses“375 griff ihn neulich scharf an.........(jedoch ohne Erfolg) Upton erfand ein 12 Punkte Programm EPIC......hier ein Werbesong von ihm: The Epic men, the epic men This is the song of the Epic men. Epic men and women too Here’s the job we mean to do: Put an end to poverty And set the worried people free. We tell the world, we have a plan We tell them more, we have a man; And like our California beer – We roar for Roosevelt376 and Sinclair. The Epic men, The Epic men, This is the song of the Epic men. Habe dieses Liedchen aus einem Werbeflugblatt für Upton für Dich abgetippt. Weiss dasz Dich solche Collegen interessieren. Dies an den Rand. Die Sache ist, Upton hat ehrgeizig wie er nun mal ist...sich da so einen allgemeinen Reformplan zurechtgelegt das ganze nennt er the Epicplan. Aber die Art wie die Leute so einen song machen ist ganz nett. Es ist überhaupt viel mehr Humor im Lande hier drüben, als im mostrichbestrichenen Europa. Wir Ameisen haben eben einen grossen Sinn für die Comik der Sinnlosigkeit................hoffentlich hört bald der gesamte Culturimport von Europa auf und wir bekommen wieder unsere alten slapstickcomödien zurück. Augenblicklich ist der gezügelte Bruder vom Mannheinrich, Thomas, hier……wird zurzeit auf luncheons und cocktailpartys gezeigt als gezügelter gebildeter Europäer. Dein geliebter H.G. Wells377 war auch ein seine muckraking novels bekannt geworden (vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933). Damals hatte er für die Socialist Party of America für den Kongreß kandidiert. 1934 trat er mit der Wahlplattform EPIC („End Poverty in California“) für die Demokraten bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien an, die jedoch sein republikanischer Kontrahent gewann. 375 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 14.5.1934. 376 Franklin D. Roosevelt (1882–1945), amerikanischer Politiker (Demokrat), 1933 bis 1945 Präsident der USA. 377 Der englische Schriftsteller Herbert George Wells (1866–1946), von 1933 bis 1936 Vorsitzender des Internationalen PEN-Clubs, stand im Ruf eines engagierten Sozialisten. „Wirklich, was für ein Gebirg von einem Spießer!“ (GBA 26, S. 346), spottete Brecht gelegentlich einer Rede Wells’ vor dem

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paar Tage da……zur Erholung wie ers nannte.....aber da er sichs leisten kann, verbat er sich jede publicity und interviews. IItsch, Dschii, (englische Aussprache von H.G.) verdiente hier mächtig mit den movies. Ebenso Hemingway378.....dem man nur 30000 Dollare für farewell to arms zahlte.....eben weil jetzt depression. Du siehst jeder denkt hier an money..... eine wirklich gute ausgesprochene amerikanische Eigenschaft. Wusstest Du übrigens, dasz man hier offiziell an der Columbia Universität shortstories (Novellen) schreiben lernen kann?....will demnächst einen solchen Curs belegen. Hitlermann hat hier viele Anhänger, alle Deutschen sind Hitlermänner. Seine Tatkraft, sein Ordnungssinn und seine Unduldsamkeit gegen die Communisten werden sehr geschätzt. Aber im allgemeinen ist es ja so, dasz die „richtigen“ Amerikaner....die hageren englischen, weisshaarigen....auf ihren Golflinks besser Bescheid wissen, wie auf dem Feld europäischer Politik. Roosevelt denkt für uns, Bertie....er und sein braintrust werden es schon schaffen. Stalin, der gusseiserne, hat sich ja auch neuerdings dazu bekannt. Und nachdem die russische Botschaft ihren ersten grossen Empfang gab und man Original blutige Bolschewisten im Zylinder und Frack gesehen hat....hat sich der Schreck verkrümelt. Du weisst doch, wieviel wir Amerikaner auf sauberes rasiertes Äussere geben................ ein russischer Genosse führte die bessere Construktion der amerikanischen Autos auf das weisse Hemd und die tägliche Rasur der Fordarbeiter zurück........neulich in einem Interview. Er meinte es pupernst....nicht etwa satirisch (beim Fordmann ist alles ganz überraschend weiss, die Arbeiter arbeiten in weissen Kitteln und alles blitzsauber) na schön........was arbeitest Du..... schade, dasz die Dreigroschenoper hier nicht recht durch konnte379.....dieser Mendelsohnmensch380 war auch dem rauheren broadway nicht gewachsen (zu highbrow)...solche Herren passten besser auf den alten Kurfürstendamm. Schade, Du hättest einen tüchtigeren deiner Emissäre schicken sollen. Mit mehr Pfeffer und pep. Na vielleicht das nächste Mal. Schreib mir bald einmal...sende Dir auch gerne Zeitschriften oder Bücher.........wenn Du willst. alles Gute, und erfolgreiche Arbeit stets Dein alter george Was ist eigentlich aus dem Bronnen381 geworden? PEN-Kongreß 1939. 378 Ernest Hemingway (1899–1961), amerikanischer Schriftsteller, als Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg und im Zweiten Weltkrieg. 379 Vgl. Anm. zu Verlag FBE, 26.4.1933. 380 Gemeint ist Francesco von Mendelssohn, der im Frühjahr 1933 am Broadway die Dreigroschenoper inszeniert hatte (vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934). 381 Mit dem Schriftsteller Arnolt Bronnen (1895–1959) war Brecht in den frühen 1920er Jahren eng befreundet. Seit Ende der 1920er Jahre verkehrte Bronnen in völkischen Kreisen. Seine Zuneigung wurde jedoch von den Nazis, die ihn als unzuverlässigen „Halbjuden“ verdächtigten, kaum erwidert. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs schloß sich der zur Wehrmacht eingezogene Bronnen einer Widerstandsgruppe an.

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[Hs.] Piscatorowitsch soll in Paris gewesen sein Siehst Du ihn einmal, hat ja für hiesige Begriffe enorm lange an seinem Film herumgeschuftet.382 Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 482/80–81. – T: Grosz, Briefe, S. 196ff.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 2.6.1934

Paris, den 2. Juni 1934

Liebe Grete Steffin, es ist folgender glückliche oder betrübliche Umstand – wie man es nehmen will – eingetroffen: Ich habe den Auftrag bekommen, aus Anlass des zehnten Todestages von Kafka eine Arbeit über ihn zu machen.383 Die beschäftigt mich ausserordentlich und wird ziemlich lang. Sie verzögert mein Kommen etwas. Soviel steht jetzt fest: ich nehme entweder das Schiff vom 12. oder, spätestens, das vom 19. Juni. Nach den Auskünften des hiesigen Reisebüros trifft man am Mittwoch um 1/4 11 Uhr abends in Svendborg ein. Aber erreicht man die Anschlüsse? Jedenfalls nehme ich an, dass, wenn Sie keine Nachricht von hier mehr bekommen, der Nachbar Mittwoch, den 13. abends mal nach dem Schiff schaut. – Komme ich am 13. Juni nicht, so erhalten Sie rechtzeitig Nachricht. Zu Ihren Fragen: Ich denke mir, dass ich ungefähr vier Monate bleiben werde; vor Ende Oktober gedenke ich kaum nach Paris zurückzugehen.384 Was den Weg von fünfzehn Minuten angeht, so ist das sehr zu bedenken. Ich weiss aus Ibiza, was Rückwege in mondlosen Nächten sein können; von Haus aus habe ich nicht viel Sympathie für sie. Natürlich spielen dabei mancherlei Fragen mit, die ich von hier aus garnicht übersehen kann; insbesondere ob das 15 Minuten entfernte Quartier seinerseits ganz isoliert oder aber ausschliesslich von Bauernhütten umzingelt ist. Kurz ich bitte Sie, diese Entscheidung möglichst vorsichtig und so zu treffen, dass man die endgültige Gestaltung in der Hand behält.

382 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 383 Auftraggeber war die Berliner Jüdische Rundschau, die im Dezember 1934 jedoch nur zwei Teilabdrucke publizierte. Über den Kafka-Essay (vollständig in BGS II, S. 409–438) kam es während Benjamins Aufenthalt in Svendborg zu Kontroversen mit Brecht (vgl. BGS VI, S. 526 ff.). 384 Benjamin traf am 20. Juni in Svendborg ein und hielt sich dort bis Anfang Oktober auf.

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Auf den Roman385 freue ich mich natürlich sehr. Hoffentlich ist der Romancier wieder ganz gesund. Ich bringe, von Poulaille386 einige sehr schöne Bilder von ihm mit. Jetzt hoffe ich, dass Sie nicht den ersten besten windigen Erholungsvorwand geltend machen, um zu verschwinden, wenn ich komme. Grüssen Sie den Nachbarn, empfehlen Sie mich dem Ford.387 Herzlichst Ihr Walter Benjamin Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/23–24. – E: Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 437f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Paris [17.6.1934]388 Hanns Eisler

Paris 9 e

47 rue d’Amsterdam

Sonntag, lieber Brecht, bitte lassen Sie mir sofort ein Exemplar der „Rund- und Spitzköpfe“ schicken, ich brauche es raschestens für einen Agenten. Es ist sehr wichtig und muss sehr rasch sein. Ich war über Pers Brief389 schrecklich erschrocken, in dem er mir schrieb, dass Sie im Krankenhaus liegen,390 schreiben Sie mir doch sofort mit Luftpost wie es Ihnen geht und ob ich jetzt nach Dänemark kommen soll. Ich fahre Donnerstag nach London zu Verhandlungen und möchte noch Ihre Antwort hier bekommen. Herzliche Grüsse und hoffentlich geht es Ihnen schon sehr gut. Ihr Eisler Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/59. – E: Eisler, Briefe, S. 88.

385 Dreigroschenroman. 386 Henry Poulaille (1896–1980), französischer Schriftsteller und Verleger, leitete seit 1923 den Pressedienst des Pariser Verlagshauses Grasset. 387 Steffins „Nachbar“ Brecht fuhr damals einen Ford. Seinen Steyr-Wagen hatte die Gestapo in Berlin beschlagnahmt. 388 Datierung nach Inhalt und Kalender. 389 Knutzons Briefe an Eisler sind nicht überliefert. 390 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934.

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Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 17.6.1934 17/6 lieber brecht. ich bin jetzt ein wenig müde von der ganze sache.391 ich habe wie ein løwe gekæmpft fur dein stuck, jeden tag geld und arbeit und jetzt geht es shief. ich habe gestern mit rassow gesprochen (er ist idiot aber schlau) und er wiederholte dass er konnte nicht das stuck begreiffen, um sich selber zu unterstutzen citierte er folgendes von ein brief von dem dr. phil rostrup der der hauptregissør und literarrischer ratgeber fur rassow ist „ich finde das stuck vøllig unverstændlich, ohne satire, ein experiment (gefæhrlich??) und das politiche verstehe ich garr nicht“ – und – sagte der rassow – dr. rostrup ist doch nicht idiot!! das ist er auch nicht, er ist aber reaktionær und altmodisch. ich habe die verkurzungen gemacht und der r.392 lese es heute und dann will er das stuck nach dem censur senden „der muss entscheiden ob das stuck gefærlich ist fur unsere verbindung mit hitler“ wie viel schweine gehen auf einen antifascist? 200 ungefær! und auf dein stuck die ganze expert! PUNKTUM. der rassow, der dr. rostrup und der censor sie sind alle socialdemokraten!!! man tøtet nicht leute und ideen hier in daenmark, nein, die socialdemokraten haben bessere methoden, man macht es so dass wir uns zum tode laufen und dann nimt man jeder tag ein stuck bretweg, und am ende sind wir nette burgere geworden wenn wir nicht emigration vorziehen. die hoffnung für eine gute, schøne ende ist nicht gross, morgen spreche ich wieder mit rassow. [Hs.]

Grüsse ♥-ich (viel leichter als buchstabieren) Per

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 476/30.

391 Vgl. Knutzon, Frühjahr 1934. 392 Möglicherweise Egill Rostrup.

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Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 17.6.1934 L. Brecht. ich hatte G393 doch Unrecht getan. Hier ist ein Brief von ihm,394 der heute kam. Ihr Schuldkonto bei mir ist ganz beträchtlich aufgelaufen: ca. 6 Fragen - darunter wichtige. 1 Erzählung 1 Broschüre geschickt! 1 Zeitschrift Ist alles angekommen? Kommen Sie im Sommer nach Frankreich? Herzlich Ihr B. Haben Sie die Sache in der Internationalen Literatur gesehen?395 Hübsch! Der Verfasser hatte bei der Weltbühne das Ressort gegen die K.P.396 am 17.6.34. PS. Schreiben Sie doch mal richtig. Es wäre so gut, über die fragen Ihres letzten Briefes zu sprechen. Überlieferung: Ms, BBA 481/28.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Paris, 18.6.1934 Hanns Eisler

Paris 8 e

47 rue d’Amsterdam

Paris, 18/VI.1934 Lieber Brecht, 393 Ernst Ginsberg. 394 Nicht überliefert. 395 Gemeint ist die Besprechung seiner Berliner Novellen von Franz Leschnitzer („Herr Bernard von Brentano“, in: Internationale Literatur, Heft 2/1934). „Das törichte Feuilletongewäsch in der ‚Internationalen Literatur‘ über Sie“, schrieb ihm Brecht im Juni 1934, „erbost Sie hoffentlich nicht allzu sehr, es ist ja substanzlos. Übler Wille ohne Kraft“ (GBA 28, S. 420). 396 Leschnitzer war von 1925 bis 1928 Mitarbeiter der Weltbühne.

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ich hoffe vor allem, dass es mit Ihrer Gesundheit besser geht, denn ich bin doch etwas erschrocken.397 Meine Freunde sagen hier, dass Sie eine gründliche Kur machen müssen, am besten im geeigneten Heilbad. Ich erinnere mich, dass Sie ja schon vor Jahren mit den Nieren zu tun hatten und dass soetwas je älter Sie werden immer unangenehmer wird. Die moderne Therapie kennt bereits grossartige Heilmethoden, aber an die Tätigkeit der Provinzärzte von Svendborg denke ich mit Misstrauen. Die Kopenhagener Sache scheint ja sehr schlecht zu stehen, ich habe gar keine Nachricht bis auf ein sehr dummes Telegramm von Rassow, von welchem Per Ihnen bereits berichtet haben dürfte. Die Züricher Angelegenheit398 scheint ausgezeichnet zu stehen, trotzdem habe ich noch keinen Vertrag. Selbstverständlich kann das auch noch kaputt gehen, was ich aber nicht glaube. Was die gemeinsame Arbeit betrifft: ich fahre am 3. Juli zu Ihnen, dies ganz sicher, ich bitte Sie daher für die Lou und mich ein geeignetes Quartier zu suchen, möglichst billig und sehr nah von Ihnen. Sie können das fix mieten, da ich bestimmt komme.399 Bis dahin werden sich ja auch die Theaterangelegenheiten geklärt haben, so dass wir in Ruhe arbeiten können. Schreiben Sie also bald wie es Ihnen geht und was sonst los ist. Auf Wiedersehen in 14 Tagen. Sehr herzlich Ihr Eisler Ich habe einen Teil meiner Post bereits an Sie schicken lassen. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/58. – E: Eisler, Briefe, S. 88f.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 19.6.1934 19/6 lieber brecht. der rassow hat heute antwortet, dass er vorleufig andere plæne hat, aber innerhalb 8 tage usw– es freut mich dass du ein anderes stuck schreibst, ob es weniger gefæhrlicher ist als das andere ist wohl eine frage? schreibst du mir ein brief?

397 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 398 Vgl. Eisler, 24.5.1934. 399 Eisler traf zusammen mit Louise Jolesch am 3. Juli in Svendborg ein und blieb dort etwa sechs Wochen. Währenddessen entstanden weitere Teile der Bühnenmusik zu Die Rundköpfe und die Spitzköpfe.

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ich habe ein sketz von steffan400 bekommen und die pioniere sind glucklische. grusse Per Überlieferung: Ts, U.; BBA 476/29.

René Rethé401 an Bertolt Brecht London, 21.6.1934 R/R

21. Juni 1934

Herrn Bertold Brecht, Skovsbostrand per Svendborg Danemark Sehr geehrter Herr Brecht, Zu unserm Bedauern haben wir von Ihnen keine Antwort auf unsere Briefe v. 6. und 27. April, die wir beide nach Skovsbostrand richteten, von Ihnen erhalten. Auch die gewuenschte Musik zu „Die Spitzkoepfe und die Rundkoepfe“ ist uns bisher von Herrn Eisler nicht zugestellt worden. Wir bitten Sie nun, uns gefl. mitteilen zu wollen, ob Sie damit einverstanden sind, dass wir uns hier fuer dieses Stueck einsetzen. In diesem Fall bitten wir Sie, Herrn Eisler zu umgehender Einsendung der Partitur zu veranlassen. Ausserdem waeren wir Ihnen fuer baldige Mitteilung verbunden, ob de LANGE unterdessen die ueberfaellige Rate gezahlt hat und wie es mit dem Provisionsanteil steht. Ihrer gefl. Rueckaeusserung baldigst entgegensehend in vorzueglicher Hochachtung René Rethé. Fuer European Books Limited. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Directors: E. Alexander (German) Chales N. Spencer (British) Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: LANGHAM 2140; BBA 785/25.

400 Vermutlich Brechts Sohn Stefan Sebastian, genannt Steff (1924–2009). Studierte in den USA Chemie und Philosophie und lehrte später u.a. an der Universität von Miami. Zusammen mit Robert Wilson arbeitete er auch für das Theater. Ab 1966 lebte er in New York. 401 Vgl. GBA 28, S. 421.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 29.6.1934 AMSTERDAM-C, den 29. Juni 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr geehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank Ihren Brief vom 23.6. und den Empfang eines Teils des Manuskriptes des Dreigroschenromans. Wir werden das Manuskript sofort in Satz geben, damit keine Verzögerungen entstehen und wir Ihnen in ungefähr 10 Tagen schon die ersten Korrekturen senden können. Wir bitten Sie, uns fortlaufend Manuskript zu senden, damit das Buch rechtzeitig im September erscheinen kann. Die Frage der Illustrierung scheint uns etwas schwierig. Naturgemäss wäre wohl Herr Neher am besten geeignet dazu, aber wir halten es für zu kompliziert die Verbindung mit Herrn Neher aufzunehmen. Ob Th.Th. Heine402 so geeignet wäre, wissen wir nicht. Ausserdem glauben wir dass Heine ziemlich hohe Preise dafür fordern wird und auf diese Weise der Herstellungspreis sich zu sehr erhöht. Wir bitten Sie um eine Mitteilung ob wir die Übersetzungsrechte für Sie vertreiben könnten. Wir sind gerne bereit, das für alle Sprachen zu tun, oder wenn Sie wünschen nur für einzelne Sprachen. Wir glauben dass uns einige Abschlüsse sehr schnell gelingen könnten. Wir würden mit einer Provision von 15% für jeden Abschluss zufrieden sein. Es wäre aber vorteilhaft, wenn wir darüber bald eine Auskunft hätten, da wir mit allen grossen ausländischen Verlegern in Verbindung sind und wir jetzt schon Ihr Buch empfehlen könnten. Wir hoffen dass es Ihnen wieder besser geht. Mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. Walter Landauer

402 Den Maler und Illustrator Thomas Theodor Heine (1867–1948) hatte Brecht als Alternative zu Caspar Neher ins Gespräch gebracht (vgl. GBA 28, S. 421).

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P.S. Wir bitten Sie nochmals um die Liebenswürdigkeit uns einen Text für den Dreigroschenroman zuzusenden, den wir für unseren Prospekt verwenden können. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/22.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 30.6.1934 AMSTERDAM-C, den 30. Juni 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir beabsichtigen im Herbst einen Verlagsalmanach herauszugeben, der in die Hände von grossen Buchhandlungen und auswärtigen Verlegern gelangen wird. Wir möchten auf jeden Fall in diesem Almanach das Einführungskapitel Ihres Dreigroschenromans hereinnehmen. Wir nehmen an dass, falls wir nichts von Ihnen hören, Sie damit einverstanden sind. Gleichzeitig bitten wir Sie um eine möglichst umgehende Zusendung Ihrer Photographie und einiger bibliographischen Angaben, die wir in den Almanach aufnehmen werden. Mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. WLandauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/18.

Margaret Mynotti an Bertolt Brecht London, 2.7.1934 85, Prince of Wales Mansions, Prince of Wales Road, London S.W.11.

2. Juli 1934.

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Lieber Brecht, auf Veranlassung von Hptm. habe ich mich mit Frau Scheffauer in Verbindung gesetzt wegen Uebersetzung der Spitzköpfe und des Romans.403 Sie interessiert sich sehr dafür, auch für die anderen Sachen. Sie meint z.B., dass auch die Dreigroperx [sic] unter Umständen hier ein grosser Erfolg werden kann. Hauptsache ist nun, dass Sie mir die verschiedenen Sachen schicken und mir schreiben, was Sie denken. Ich spreche in den nächsten Tagen auch mit Kortner deshalb. Wie geht es Ihnen und Weigel und Kindern? Schreiben Sie gleich und schicken Sie die Sachen. Herzliche Grüsse Ihre Mynotti Wann sind Sie wieder mal in Paris? Ich habe öfter da zu tun, evtl. könnte man mal verschiedenes besprechen, was hier zu tun wäre. [Hs.] Bitte grüssen Sie Benjamin von mir und geben Sie ihm meine Adresse. Hat er meinen letzten Brief noch bekommen? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., v. fremder Hand: „beantwortet“; BBA 480/8.

[Johannes R. Becher]404 an Bertolt Brecht [Moskau] 3.7.1934 3. Juli 1934 Lieber Bert Brecht, ich habe schon lange nichts mehr von Dir gehört. Ich wollte eigentlich von Paris aus über Kopenhagen fahren, aber im letzten Moment ging es leider nicht. Zufällig hörte ich von Illes405, dass Du krank bist und nicht zum Kongress406 hierherkommen kannst. Das ist sehr schade besonders auch für unsere deutsche Arbeit, da wir hier viel zu besprechen gehabt hätten. Könntest Du uns nicht einen Beitrag für die „I.L.“ schicken?407 Sie kommt 403 Dreigroschenroman. Vgl. Hauptmann, 28.5.1934. 404 Der TsD ist nicht namentlich gezeichnet. Nach dem Fundort sowohl wie dem Inhalt und der Diktion des Briefs zu urteilen, stammt er höchstwahrscheinlich von Johannes R. Becher, der sich zur angegebenen Zeit in Moskau aufhielt. 405 Béla Illés, Generalsekretär der MORP. 406 Vermutlich der 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller. Vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933. 407 Der nächste Beitrag Brechts für die Internationale Literatur war ein Brief an Egon Erwin Kisch (zu dessen 50. Geburtstag), erschienen in Heft 4/1935, jetzt GBA 28, S. 493.

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jetzt in veränderter äusserlicher Aufmachung und auch inhaltlich verbessert heraus. Dann wäre es sehr gut, wenn Du aufgrund der Ereignisse in Deutschland408 uns einige Vorschläge für unsere Bewegung machen könntest. Wie siehst Du die Möglichkeiten einer Kooperation mit dem PEN-Klub zu bestimmten Anlässen usw. usw. Auf jeden Fall lass bald etwas von Dir hören und erhole Dich recht schnell. Mit herzlichen Grüssen Dir und Helly Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 24.2/2.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Minsk, 4.7.1934 Minsk U.d.S.S.R., Swerdlowskaja 49 tupik, Quartier 24 auf russisch: Минск Б.С.С.Р., Свердловская тупик Квартира 24 den 4.Juli 1934 Lieber Brecht, Ich denke, Sie bewohnen noch Ihr Häuschen am Meer. Seit Mitte Juni ist meine Familie hier und wir haben eine Wohnung, ein Wunder von einer Wohnung: 3 schöne Zimmer, Küche, Closet, Badezimmer (zementiert) mit Dusche, und herrlichen Rundblick (das Haus liegt auf einer Anhöhe) ins Grüne, viele Kilometer weit. Die Stadt sieht von oben sehr hübsch aus, wie ja überhaupt der Blick von oben her (auf Menschen und Sachen) ein angenehmer ist. Ich hätte schon längst eines Ihrer kleinen Lehrstücke hier mit Studenten aufgeführt, wenn ich die betreffenden Hefte der „Versuche“ besäße, aber leider haben Sie mir nie eines gegeben. Können Sie die Hefte – auch das mit der heiligen Johanna wegen der Zusammenbruchszene409 mir wirklich nicht hierher schicken gegen Bezahlung en roubles […]410 peut-etre? Adresse dann: Pädagogisches Institut Б.П.И. für Dr. Borchardt, Minsk, Б.С.С.Р. oder U.d.S.S.R. Was arbeiten Sie? Ich habe soeben den Roman411 wieder vorgenommen und schreibe die Schlußkapitel. Dann klafft in der Mitte noch eine breite Lücke. Was ist in Deutschland? Wie man liest, werden viele Verlustlisten herausgegeben, 408 Vermutlich ist hiermit der Röhm-Putsch gemeint. Vgl. Anm. zu Brentano, 14.7.1934. 409 Gemeint ist die Szene „Der Zusammenbruch der großen Fleischfabriken“ in Die heilige Johanna der Schlachthöfe, GBA 3, S. 130–139. 410 Unleserliches Wort. 411 Hermann Borchardts Roman Die Verschwörung der Zimmerleute erschein in einer beträchtlich gekürzten Fassung erstmals 1943 in den USA. Vgl. dazu Brechts Journaleintrag vom 30.9.1943, GBA 27, S. 176. Vollständig wurde der Roman 2005 von Uta Beiküfner ediert.

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und hinterher kommt dann die fieberhafte Tätigkeit der Diplomaten, Abreise des Kaisers zur Nordlandfahrt und schließlich Führermord in Sarajewo?412 Rückwärts, rückwärts Don Amigo. Schreiben Sie mir Wachschuft [?]. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir (außer den „Versuchen“) einige Photos und Ansichtskarten schickten von dem Ort, wo sie leben. Ich schicke dann auch einige. Was berichtet denn Ihr Vater aus Deutschland? Ich wäre jetzt nicht ungern in Berlin, zuzuhören, was in Kolonialwarenkellern und auf den Höfen erzählt wird. Ich weiß nicht, ob dieser Brief über Deutschland geht, sonst würde ich Ihnen einige Kuriosa erzählen, die meine Frau aus Pommern mitgebracht hat. Von Grosz habe ich lange keine Nachricht. Das letzte Mal schrieb er mir, daß Rudolf Schlichter413 mit einer Ausstellung Fiasko gemacht hätte. So geht es, wenn man „zuviel will.“ Das Russische ist entsetzlich schwer: daher lese ich nur selten eine Zeitung (die D.Z.Z. aus Moskau)414 und weiß fast nichts von der Aussenwelt. Lassen Sie bald von sich hören. Meine Frau und Kinder grüßen Sie jedenfalls; wir leben ungefähr so wie s-zt. in Berlin, auch mit flämischen Mahlzeiten! es gibt hier viel Gemüse jetzt und Waldbeeren aller Art. Also vergessen Sie nicht, daß ich mich sehr freuen würde, mit Ihnen in Moskau zusammenzutreffen! Ihr H. Borchardt Wir haben alle unsere Möbel hier und sind so eingerichtet wie in Berlin. Wenn Sie uns einmal besuchten! Grüßen Sie herzl. Frau und Kinder! Überlieferung: Ms, BBA 482/48–49.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 6.7.1934 STL. 6.7.34

412 Der deutsche Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) unternahm zwischen 1889 und 1914 zahlreiche Nordlandfahrten nach Schweden, Norwegen und Rußland. Nach dem Attentat auf den österreichischungarischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand am 28.7.1914 in Sarajewo gewährte er seinem Verbündeten Österreich-Ungarn eine Blankovollmacht für einen Krieg gegen Serbien. 413 Der Maler Rudolf Schlichter (1890–1955), vormals Berliner Dadaist, war einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Im Nationalsozialismus wurden seine Werke aus den Museen entfernt, einige davon bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München präsentiert. Schlichter selbst wurde 1938 vorübergehend verhaftet. 414 Die Deutsche Zentral-Zeitung, die von 1927 bis 1939 in Moskau erschien, war das Organ der deutschen Sektion der Komintern.

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Lieber Brecht, ich hoffe, es geht Ihnen gesundheitlich besser seit Sie mir das letzte Mal schrieben,415 Sie fuehlten sich nicht gut. Sind Sie mit dem Roman416 fertig? Hat Ihnen die Mynotti geschrieben wegen dem Stueck417? Ich weiss ja nicht, wieweit Sie an diesem allem noch interessiert sind, ich habe jedenfalls die Mynotti zu Kortner geschickt und zu Frau Scheffauer. Ich will auch nicht in irgendwelche Plaene von Ihnen eingreifen, was auch schon deshalb nicht geht, weil wir so weit auseinander sind und so weiter. Was mich nicht daran hindert, manchmal mit wirklicher Wehmut an fruehere Zeiten zu denken, so falsch ich auch vieles gemacht habe. Ich wollte Ihnen aber was anderes schreiben: auf der Reise von New York nach Hollywood war Mr. Krimsky – von Krimsky und Cochran, die damals den grossen Erfolg mit Maedchen in Uniform in New York hatten und auch die Dreigroschenoper machten usw.418 –, er rief mich an und fragte nach dem neuen Stueck und bat, es ihm zu überlassen für ein paar Wochen. Er nimmt es mit nach Hollywood, wo er es verschiedenen Leuten ebenfalls zu lesen geben will. Leider musste ich ihm das einzige Exemplar geben, was erreichbar war, naemlich meines, da ich mit dem Abschreiben nicht fertig geworden bin. Ich habe einige Extra-Anmerkungen beigefuegt. Was herauskommt, weiss ich nicht, aber vielleicht koennen Sie zusehen, dass Sie sich moeglichst viele Exemplare machen lassen. Es ist dumm, da die Einstein-Klique419 in New York es auch gern sehen will. (Ich glaube, Sie verstehen mich recht, wenn ich der Ansicht bin, dass dieses Stück hier am besten von einem liberalen Theater aufgefuehrt wird und nicht von einem naeherstehenden.) Ich haette das Stück gern zu Ende abgeschrieben, aber ich hatte einen Unfall, als ich eine Treppe hinabstuerzte, musste erst liegen, dann an Kruecken gehen, die ich jetzt noch nicht ganz entbehren kann. Das ist auch der Grund, weshalb ich Benjamin seine Aufsaetze, um die er bat, noch nicht zurueckgeschickt habe. Grussen Sie ihn bitte herzlich. Er bekommt sie, sobald ich besser vorwaerts kann, sie sind er einem anderen Stockwerk. Haben Sie meinen Brief wegen Merg420 bekommen und die 5 Doll.? Glauben Sie, dass etwas zu machen ist? Bei den jetzigen Zustaenden? wenn Sie mal Zeit haben, wollen Sie mir ein paar Zeilen schreiben? Herzlichst Ihre Bess

415 Nicht überliefert. 416 Dreigroschenroman. 417 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Vgl. Mynotti, 2.7.1934. 418 Zur Inszenierung der Dreigroschenoper in New York vgl. Anm. zu Verlag FBE, 26.4.1933. John Krimsky (1906–1980) und Gifford Cochran (1906–1978) hatten 1933 den Film Mädchen in Uniform (D 1931, Regie: Leontine Sagan) mit großem Erfolg in den USA vertrieben. 419 Vgl. Hauptmann, 14.5.1934. 420 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 17.1.1934.

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[Hs.] Vor ein paar Tagen war Dr. Kurt Rosenfeld421 hier zu einem Vortrag, ich konnte nicht hin, aber er war bisher der beste, der hier eine analytische Beschreibung der Lage drüben gab, nicht so neu für mich, aber er hat einen grossen Eindruck auf die Zuhörer gemacht. Sie wissen, der Bullerjahn-Torgler-Rosenfeld.422 – Das Interesse an den Vorgängen drüben ist gewaltig, jeder x beliebige Zeitungsleser ist selbst mit den Namen kleinerer Leute vertraut. Aber nach 6 Monaten haben sie auch die verrotteten Seiten der U.S. ausgefunden. (U.S. = universal Sucker = allgemeiner Geldausteiler) Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 480/79–80.

S. B.423 an Bertolt Brecht Bolzano, 7.7.1934 Dem Schriftsteller Bert Brecht Skovsbostrand p. Svendborg Danimarea - Dänemark Lieber Bert Brecht Ich möchte, dass Sie für immer dies Bild von wahrer und treuer Freundschaft aufheben. Ihr M/S. von den Kopfformen424 habe ich einen grossen schwedischen Regissör lesen lassen: Per Lindberg.425 Unkorrekt war es, aber ich wollte ihn gern interessieren! Nu fragt er mich, ob er öffentlich darüber schreiben darf. Und ich frage Sie: darf er? Ihr SB.

421 Der Rechtsanwalt Kurt Rosenfeld (1877–1943), Mitbegründer der USPD, später auch der SAPD, emigrierte 1933 nach Frankreich und in die USA, wo er die Exilzeitschrift The German-American herausgab. 422 Der Zusammenhang konnte nicht ermittelt werden. Bullerjahn war eine nach dem Musiker Rudolf Bullerjahn (1856–1911) benannte Studentenveranstaltung in Göttingen. Der KPD-Politiker Ernst Torgler (1893–1963) stellte sich nach dem Reichstagsbrand freiwillig der Polizei, um seine Unschuld zu beweisen, und wurde im Reichstagsbrandprozeß vor Gericht gestellt. 1935 wegen „Fehlverhaltens gegenüber den Faschisten“ aus der KPD ausgeschlossen. Später arbeitete er für mehrere NS-Dienststellen. 423 Möglicherweise Svend Borberg. Ort und Datum nach Poststempel. 424 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 425 Der schwedische Regisseur Per Lindberg (1890–1944) inszenierte später die Dreigroschenoper für das Svenska Riksteatern, ein Stockholmer Tournee-Ensemble. Die Premiere fand am 24.9.1938 in Gävle (Schweden) statt.

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Hoffentlich gehts ihnen schon wieder besser. Herzliche Grüsse an Frau B. & Frl. Steffin. Überlieferung: Ms, Bildpostkarte: „Der Führer im Gespräch mit General von Epp u. Stabschef Röhm“; BBA 387/52-53.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 10.7.1934 AMSTERDAM-C, den 10. Juli 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank Ihren Brief vom 3.7.426 Wir werden Ihnen also in den nächsten Tagen ein kapitel zusenden. Wir bitten Sie aber so liebenswürdig zu sein, uns eine umgehende Antwort zu geben, damit die Herstellung nicht weiter verzögert wird. Für einen Waschzettel genügen ungefähr 90 bis 100 Worte. Aber auch diesen müssten wir sofort haben, da unser Prospekt bereits im Druck ist. Ebenfalls bitten wir Sie um eine Antwort betreffs der Auslandsrechte. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. WLandauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/23.

426 Vgl. GBA 28, S. 425.

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Armin Kesser an Bertolt Brecht Zürich, 10.7.1934 Zürich Zeltweg 64 am 10. Juli 34 Lieber Herr Brecht, erlauben Sie mir eine kleine Lebensanzeige. Die Ihre schickte mir vor etwa zwei Monaten der Buchhändler ins Haus, es waren Ihre Gedichte427, die nach dem Auftreten Dimitroffs428 das zweite grosse antifaschistische Ereignis sind. Wir müssen hier schon sehr verkommen sein, denn solche grosse Form, solche Weiterbildung des lyrischen Textes habe ich nicht mehr für möglich gehalten. Wenn es zu machen ist, werde ich darüber schreiben. Zu der einstmals unsrigen Presse unterhalte ich zwar die alten feindschaftlichen Beziehungen, dafür gibt es ein paar Schweizer Blättchen, in denen ich als „neutrales Ausland“ gelegentliche Betrachtungen anstelle. – Wie Sie wissen werden, war ich inzwischen ein paar mal in Teufels Küche und habe Ihering gesprochen. Er hat seine alte Anhänglichkeit bewahrt und freute sich besonders darüber, dass Sie sein Verbleiben in B.429 – entgegen den blöden Angriffen der Prager Bühne & Co.430 – für richtig und begründbar halten. Sein einziger Kummer (damals vor 6 Monaten) war, dass man sich für die geplanten grossen Festspiele zum „Tag der Arbeit“,431 „Tag des Pommerschen Frischeis“ u.s.w. nicht an Ihren „Versuchen“ orientierte, dass Johst432 nicht Brecht ist und Cremer433 nicht Aeschylus. Seither habe ich nichts von ihm gehört (glücklicherweise auch nichts gelesen); möglicherweise haben Sie ihn inzwischen gesehen? Was sagen Sie zu den Angriffen der Lukazsschisten auf unseren Freund B.434? Da Sie in dem gleichen Artikel gelobt werden, B. hingegen „zertrampelt“, könnten Sie 427 Lieder Gedichte Chöre. 428 Vgl. Anm. zu Brentano, 6.12.1933. 429 Berlin. 430 Die Weltbühne erschien inzwischen unter dem Titel Die neue Weltbühne in Prag. Gemeint sind vielleicht auch die ebendort erscheinenden Neuen Deutschen Blätter und Der Gegen-Angriff. 431 Der 1. Mai, der traditionelle Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung, wurde von den Nazis 1933 zum „Tag der nationalen Arbeit“ deklariert. In Schauveranstaltungen sollte an diesem Tag der klassenübergreifende Zusammenhalt der Volksgemeinschaft demonstriert werden. 432 Der anfangs dem Expressionismus nahestehende Schriftsteller Hanns Johst (1890–1978) wandte sich schon in den 1920er Jahren dem völkischen Nationalismus zu, bevor er im Nationalsozialismus Karriere machte. Ab 1935 war er Präsident der Akademie für Deutsche Dichtung und der Reichsschrifttumskammer. 433 Vermutlich der Schriftsteller Hans Martin Cremer (1890–1953), Mitglied der NSDAP und des von Alfred Rosenberg gegründeten Kampfbunds für deutsche Kultur. 434 Brentano. Vgl. Anm. zu dessen Brief vom 17.6.1934. Mit „Lukazsschisten“ ist die Gruppe der in Moskau lebenden Exilanten gemeint, die als linientreu galten – was auf Georg Lukács selbst nur mit Einschränkungen zutrifft. Der als György Szegedy von Lukács, eigentl. Löwinger (1885–1971), in Budapest geborene Philosoph und Literaturwissenschaftler lebte seit der Niederschlagung der unga-

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da nicht das Gewicht Ihres Namens benutzen und ein paar Zeilen nach M. schicken? Denn die Dreckigkeit dieser Horde ist schon unüberbietbar. Vollkommen undurchsichtig, weil mündlich ständig widerlegt, ist mir das Verhalten Bechers. Was heisst das, auf Lukazs und Leschnitzer schimpfen und zugleich diese hornblöden Artikel verantwortlich abzudrucken? Entschuldigen Sie diesen Klatsch, es ist offenbar die Rache der Verführten. Von mir ist zu sagen, dass ich an meiner Doktorarbeit über Behaviorismus schreibe, in der Sie auch vorkommen werden. B. sitzt ziemlich missvergnügt auf seinem Küsnachter Erbhof und wartet auf blutrünstige Extrablätter. Es wäre sehr schön, wenn ich Sie wieder einmal sprechen könnte. Aber wann und wo[Hs.] Mit herzlichen Grüßen Ihr Armin Kesser Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/10.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 11.7.1934 EA/RR

11. Juli 1934

Herrn Bertold Brecht, Svendborg/Danemark

rischen Räterepublik zunächst in Wien. Mit Geschichte und Klassenbewußtsein (1923) trat er als linker Kritiker des Parteimarxismus hervor, wurde dann aber 1928 wegen seiner unter dem Pseudonym Robert Blum formulierten Kritik der programmatischen Diktatur des Proletariats als „Rechtsabweichler“ diffamiert, woraufhin er sich vorübergehend aus der Politik zurückzog. Nach obligatorischer „Selbstkritik“ durfte er 1930 am Marx-Engels-Institut in Moskau arbeiten, das jedoch binnen kurzem von nahezu allen Mitarbeitern „gesäubert“ wurde. Lukács ging nach Berlin, wo er mit Beiträgen für die Linkskurve gegen die modernen Techniken in der Literatur (Montage, Reportage usw.) polemisierte. Ab 1933 erneut in Moskau, setzte er diese literaturtheoretisch sowohl wie kulturpolitisch richtungsweisende Arbeit fort (vgl. G.L., Moskauer Schriften, hrsg. v. Frank Benseler, Frankfurt/M. 1981). Mit seinem Konzept eines an bürgerlichen Vorbildern des 19. Jahrhunderts orientierten Realismus spielte er in der sogenannten Expressionismusdebatte 1937/38 eine entscheidende Rolle. Und er lieferte damit der sowjetischen Kunst- und Literaturdoktrin eine autoritative Vorlage; was allerdings nicht verhinderte, daß er selbst 1941 als „Revisionist“ verhaftet und erst dank einer Intervention Georgi Dimitroffs entlassen wurde. 1944 kehrte er zurück nach Ungarn, wo er nach der Niederschlagung des Aufstands von 1956 abermals als „Revisionist“ denunziert wurde. Zur Auseinandersetzung mit Lukács vgl. die damals unveröffentlichten Aufzeichnungen Brechts zur Frage des Realismus (GBA 22, S. 405–449) sowie die polemischen Journaleinträge vom Sommer 1938 (GBA 26, S. 312–323).

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Lieber Herr Brecht, Ich hoffe, dass Sie bei Erhalt dieser Zeilen sich schon auf dem Wege der Besserung befinden435 und sende Ihnen meine besten Gruesse. Gleichzeitig bestaetige ich dankend den Eingang des Provisionsanteils und erneuere meine Anfrage wegen eines MS. des Romans436, falls Sie wuenschen, dass ich mich um den Verkauf der englisch-amerikanischen Rechte bemuehe. Ein hiesiges literarisches Theater, das als geschlossene Gesellschaft dem Censor nicht untersteht, und das unter neuer Leitung im September wieder beginnt, hat Interesse fuer Ihre „Dreigroschenoper“. Sie verhandeln zwar gleichfalls – dies streng vertraulich – mit Herrn Weill wegen Erwerb seines neuen Werkes.437 Falls Sie glauben, trotzdem (oder aus diesem Grunde?) besonders die Moeglichkeiten einer Auffuehrung der „Dreigroschenoper“ durch mich weiter verfolgen zu muessen, so bitte ich um Ihre vertrauliche Mitteilung. Hoffentlich sendet nun Eisler die Musik zu „Rundkoepfe“. Herzlich gruessend Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Directors: E. Alexander (German) Chales N. Spencer (British) Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: LANGHAM 2140, Rückseite: hs. Adressennotiz Brechts; BBA 785/26–27.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 13.7.[1934] Sanary, 13. Juli Villa Valmer lieber brecht, es tut mir sehr leid, dass sie zurzeit auf der nase liegen.438 das kommt davon, dass sie eigensinnig die landstriche der hyperboreer439 unserm zivilisierten mittelmeerklima vorziehen. aber wollen sie nicht ernstlich bald im interesse ihrer gesundheit hier herunterkommen? glauben sie einem alten erfahrenen mann: es ist schon das rechte. auch würden mit den nördlichen nebeln in der klaren luft hier viele ihrer ideen sicherlich verschwinden. 435 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 436 Dreigroschenroman. 437 Möglicherweise die 1934 entstandene Operette Der Kuhhandel (Text: Robert Vambery), die unter dem Titel A Kingdom for a Cow im Januar 1935 in London uraufgeführt wurde. 438 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 439 In der griechischen Antike galten die Hyperboreer als ein sagenhaftes Volk aus dem hohen Norden, das jenseits des Boreas, des Nordwinds, lebte.

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im übrigen ist es betrüblich, dass es eines so ernsten ereignisses wie meines eintritts ins greisenalter440 bedarf, bis sie einmal schreiben. marta wird in ein paar wochen auf einige zeit nach aix les bains gehen, um ihr bein auszukurieren. ich bleibe sicher bis tief in den herbst hinein hier. ich arbeite am zweiten josephus, der leider drei teile haben wird.441 eigentlich müsste er zehn haben. wir juden, die wir in jahrmyriaden denken, – auch hierin hat hitler versucht uns zu imitieren – tuns nicht billiger. (da ich sowieso schon 30.000 jahre alt bin, bin ich, wie sie sehen, in meinem 30.001. nicht klüger geworden.) schauen sie, dass sie bald gesund werden und herunterkommen. Herzlichst Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/98. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 26f.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich] 14.7.1934 am 14.7. L.B. nierensachen sind schmerzhaft und nicht ungefährlich. haben Sie gute ärzte? ein gutes krankenhaus?442 ich war auch krank, eine darmsache, die mich sehr heruntergebracht hat, die diät, die ich immer noch halten muss, gleicht einer hungerkur. ausserdem hat mein magen die eigenschaft angenommen, siebenmal mehr säfte abzugeben, als üblich. Na, dass einem heute mehr galle hochkommt als in gewöhnlichen zeiten, könnte verständlich sein. Ihr vorschlag wegen des vereins deckt sich mit meinen wünschen.443 aber von mir aus kann ich da, besonders hier, wo niemand rechtes dafür da ist, wenig machen. Sie haben

440 Feuchtwanger war am 7. Juli 50 Jahre alt geworden. Brecht hatte ihm in einem Brief Anfang Juli 1934 (GBA 28, S. 424) gratuliert und zudem eine Glückwunschadresse in Die Sammlung, Heft 11/1934 (GBA 22, S. 36f.), publiziert. 441 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.1.1934. 442 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. Brecht hatte Brentano von seiner Krankheit Anfang/Mitte Juli unterrichtet (vgl. GBA 28, S. 425). 443 „Sie müßten sich wirklich überlegen“, hatte ihm Brecht geraten, „ob es nicht gut wäre, dem Verein“ – d.h. der kommunistischen Partei – „wieder näherzutreten, um solche Quatschköpfe zur Ruhe zu bringen!“ (GBA 28, S. 426.) Mit dem „Quatschkopf“ ist Franz Leschnitzer gemeint. Vgl. Anm. zu Brentano, 17.6.1934.

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doch grossen einfluss. könnten Sie nicht mal in Mekka444 sondieren, eventuell etwas einleiten? aber nur für den schriftsteller b. politik will ich keine machen, das heisst solange nicht, wie ich keine stelle habe. wenn man mir einen posten gibt, gut, aber ohne posten, will ich nur bücher schreiben. übrigens erleichtert dies alles für alle. was meinen Sie? werden Sie etwas machen können? unterrichten Sie mich doch bitte gelegentlich darüber. hier ging übrigens das gerücht, es gefiele Ihnen nicht mehr in D.445 und sie trügen sich mit dem gedanken, hierherzuziehen. stimmt es nicht? ich bin ja nun auch aufs land gezogen, habe ein kleines haus mit garten (miete 160 mark monatlich). wenn Sie mal lust haben herzukommen, vielleicht, um sich die hiesige theatersituation anzuschauen, könnten Sie gut und gern bei mir wohnen. [Hs.] über hitler bin ich immer noch fassungslos. Wie in aller Welt kommt dieser Irrsinnige dazu, seine besten freunde zu ermorden?446 Ich meine, uns kann es recht sein, wenn sie sich vorher umbringen. Aber wie konnte ein so wahnsinniger Mensch so weit kommen? über den Verein hört man gutes. Es soll besser kassiert werden als früher. Auch mutiger: in Berlin stellten mehrere UB447 die Zahlungen ein, und verlangten anderes Personal und besseres Material. Sie kamen durch. Sehr bewegt mich die Einheitsfront. Ich gehe nächste Woche nach Saarbrücken.448 Nur fürchte ich die Gefahr, dass man vom ultralinken fehler E449 von unten – glatt in den ultrarechten gefallen ist, E von oben, ohne neue Politik, ganz ohne jede Theorie, ohne jede Analyse. Es kann in D auch zu rasch für uns gehen. Bei einem heutigen Sturz Hitlers würden alle alten Parteien wieder aufleben; das gäbe böse Kämpfe für uns. Warum sind Sie eigentlich seiner Zeit – im Frühjahr – nicht nach Moskau gegangen, wie Sie vorhatten?450 Sternberg451 macht immer weiter sap in basel, eine ziemlich hoffnungslose Sache. Ich sehe ihn nicht, weil ich nie nach B. komme! Kläber besuche ich im August.

444 Moskau. 445 Dänemark. 446 Ende Juni 1934 wurden Ernst Röhm und weitere SA-Führer auf Befehl Hitlers verhaftet und kurz darauf ermordet. 447 Unterbezirke. 448 Vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 449 Einheitsfront. Vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 450 Vgl. Anm. zu Brentano, 3.2.1934. 451 „Was macht eigentlich Sternberg?“ hatte Brecht gefragt (GBA 28, S. 426). Vgl. Brentano, 18.7.1933.

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Haben Sie eine Ahnung, wo Kippenberger452 ist? Dem könnte ich wegen meiner Vereinslage schreiben. Die Sache mit Leschnitzer hat mich nicht so sehr an sich bekümmert, sondern der Umstände wegen. Von allen Seiten liefen bei mir schriftliche, mündliche, telefonische Beileidskundgebungen ein. Aber dass es niemand wagt, in diesem Blatt einen Artikel zu schreiben, meinetwegen einen rein literarischen, der sagt, ne, man kann dieses Buch auch anders beurteilen, erfüllt mich mit Kummer. Ich glaube, wenn einmal erst von uns allen mit hingabe und begeisterung die Diktatur der Lukacs und Becher aufgerichtet ist sein wird, wird sich mancher seufzend wundern! Ich habe Ihnen ja über Malraux geschrieben. Aber könnten Sie sich – auf ganz andere Leistungen gestützt – nur ein zehntel von dem erlauben, was sich M. ohne weiteres erlauben kann: heute eine Versammlung für Leo T453 machen, und morgen in der Humanité454 schreiben? Ich schicke Ihnen ein Bild von Vater und Sohn mit. Wie geht es bei Ihnen zu hause? Sprecht Ihr alle dänisch? Der Frontismus455 hat hier übrigens einen Schlag durch Adolf bekommen, von dem er sich so rasch nicht erholen wird. Es lebt sich seither wieder freier. Schreiben Sie mir bitte, ob Sie beim Verein etwas machen können! Herzlich Ihr alter B. Gruß an G St.456 Überlieferung: Ts, hs. Erg.; BBA 481/19–20, 29.

452 Der ehemalige Reichstagsabgeordnete Hans Kippenberger (1898–1937) war für die illegale KPD im Untergrund tätig. Aufgrund seiner Kontakte zu deutschen Behörden wurde er 1935 von seinen Funktionen entbunden und nach Moskau bestellt, dort 1936 als „deutscher Agent“ zum Tode verurteilt und ein Jahr darauf erschossen. Seine Frau Thea Kippenberger, die nach dem in der UdSSR damals üblichen Prinzip der Sippenhaft ebenfalls festgenommen wurde, starb 1939 in einem Lager. 1957 wurden beide offiziell rehabilitiert. 453 Leo Trotzki. 454 L’Humanité, von Jean Jaurès 1904 gegründete Tageszeitung, zunächst das Organ der Section française de l’Internationale ouvrière, später der französischen KP. 455 Die von der KPD in den frühen 1920er Jahren verfolgte Politik der Einheitsfront, d.h. der gemeinsamen Aktion mit Sozialisten und Sozialdemokraten, war spätestens mit Verkündung der „Sozialfaschismus“-These (vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933) gescheitert. 456 Margarete Steffin.

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[Johannes R. Becher] (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht [Moskau] 15.7.[1934] [Hs.:] 15./VII. 3[…]457 Lieber Brecht, Bitte schicke uns doch gleich Dein Buch.458 Wir können hier mit dem besten Willen keins auftreiben. Brauchen es dringend für eine Besprechung in der „I.L.“ Herzlichst Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 242/1

George Grosz an Bertolt Brecht New York, 16.7.1934 Danemark Mr. Bert Brecht Skovsbostrand per Svendborg S.S. Drottningholm GROSZ – TRURO – CAPE COD MASSACHOSETS Lieber Bert! Zänks a lot für Dein schönes poembook459 – es sind sehr gute 16/7/34 Gedichte dabei – I like it anyway – gut, dasz Du der Alte geblieben – still going strong und ohne Nachsicht mit den Montagmännern. Die Anstreichergedichte460 sind wunderbar. Die Montagmänner müssen ja laufen. Anbei eine Ansicht aus N.Y. downtown. Aber ganz so ausgestorben – wie Du es als Europäer vom Hörensagen fahrender Marxisten beeinflußt – beweinst461 – ist es ja nun doch nicht – auch haben wir Yankees keine gepolsterten Schultern mehr – das wäre auch bei 100 Grad viel zu heiss – In Liebe stets Dein alter Böff I. Überlieferung: Ms (Postkarte: Wall Street, N.Y.C.); BBA 482/76–77. 457 Datum unvollständig. Auf der Mappe ist das Jahr 1934 angegeben. 458 Vermutlich der im April 1934 bei Éditions du Carrefour in Paris erschienene Band Lieder Gedichte Chöre. Eine Besprechung erschien in der Internationalen Literatur allerdings nicht. 459 Lieder Gedichte Chöre. 460 Vgl. Das Lied vom Anstreicher Hitler und die Hitler-Choräle in GBA 11, 215–224. 461 Die Rede ist von dem Gedicht Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 19.7.1934 AMSTERDAM-C, den 19. Juli 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir senden Ihnen heute eine Korrektur von den ersten beiden Bogen. Wie Sie schon daraus ersehen können, haben wir für den Roman462 ein ganz besonderes Format gewählt, das viel breiter ist als das übliche Romanformat. Wir bitten Sie, falls Sie Veränderungen für den Druck der Verse oder für die gesperrt gedruckten Zeilen haben wollen, uns das umgehend mitzuteilen. Wir müssen jetzt sehr schnell anfangen weiterzusetzen. Wir bitten Sie auch uns möglichst bis zum 1. August das noch fehlende Manuskript zu senden, sonst besteht kaum eine Chance, das Buch rechtzeitig noch im Herbst herauszubringen.mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. WLandauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/24.

Per Knutzon und Lulu Ziegler an Bertolt Brecht Jystrup, 22.7.1934 p.t. ebbe neersand463 den gamle skole jystrup.

22/7 34

lieber brecht & co. ich habe ein brief von betty nansen464 bekommen und sie schreibt dass „meine økonomiche verhæltnisse sind so schlechte dass sie mich nicht erlaubt andere eine chance zu 462 Dreigroschenroman. 463 Vermutlich der dänische Kunstkritiker Ebbe Neergaard (1901–1957). 464 Knutzon hatte sich offenbar bemüht, die dänische Film- und Theaterschauspielerin Betty Nansen

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geben“, das beteuted naturlisch dass sie nicht interessiert ist, ich habe aber doch ein brief geschrieben wo[r]in ich versuche die dame zu uberzeugen dass es von ein stuck ohne økonomisch risiko sich handelt. wir møchten sehr gern euch besuchen aber nur wenn es arbeit gilt, weil wir gar kein geld haben, wenn brecht oder eisler meint dass es nutslich ist dort zu kommen dann kommen wir. grusse, und schreibe bald Per [Hs.] Lieber Brecht. Hast du bitte nicht die Texte zu „Seeräuber-Jenny“465 – „Bilbaosong“ – und „was die Herren Matrosen sagten“.466 Ich habe die Noten jetzt bekommen. Möchte sie gern für den Winter einstudieren (Rundfunk) aber es steht nur eine Strophe da. Also bitte – und bald, wenn Ihr könnt – viele Grüsse – Ziegler. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 476/28.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 26.7.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 26. Juli 1934

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark.

(1873–1943) für eine Aufführung der Rundköpfe und Spitzköpfe zu interessieren. 465 Song aus der Dreigroschenoper (vgl. GBA 2, S. 248–250). 466 Der Bilbao-Song (GBA 14, S. 23–25) und der Das Meer ist blau-Song (ebd., S. 21–23), der 1929 von Kurt Weill unter dem Titel Was die Herren Matrosen sagen (nicht: sagten) publiziert wurde, gehören zu dem Stück Happy End (vgl. Anm. zu Wreede, 17.5.1933).

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Lieber Herr Brecht, Ich danke Ihnen für Ihre verschiedenen Briefe.467 Ihre Ansicht über den Druck können wir alle nicht teilen. Wir haben den Druck hier verschiedenen Buchhändlern gezeigt und man ist im allgemeinen sehr entzückt davon und findet ihn sehr gut leserlich. Evtl. werden wir aber den Durchschuss etwas vergrössern, sodass das Satzbild noch klarer wird. Das können wir immer noch später machen. Ein Satzbild zu wählen, das dem Bande von Rilke468 entsprechen würde ist nicht möglich, da Ihr Roman zu umfangreich ist und ein so dicker Band doch sehr ungeschickt wirken würde. Die Änderungen die Sie zu machen haben, können Sie ruhig auf den umbrochenen Seiten vornehmen, das spielt keine Rolle. Eine Änderung des Formates ist schon aus dem Grunde nicht mehr möglich, weil wir schon Schutzumschlag und alles Andere nach diesem Format vorbereitet haben. Der Band wird bestimmt gut aussehen und nicht, wie Sie fürchten, zu ernsthaft. Dafür ist insbesondere durch den wirklich sehr hübschen Schutzumschlag und Einband gesorgt. Die Änderungen die Sie in Ihrem Brief vom 23.7. angegeben haben, werden wir so bald wie möglich berücksichtigen. Wir lassen also weitersetzen und werden Ihnen regelmässig Korrekturen zusenden. Ich bitte Sie aber mir möglichst bald weiteres Manuskript zu schicken. Es ist von entscheidender Wichtigkeit für den Erfolg des Buches, dass es rechtzeitig vor Weihnachten erscheint. Ich bitte Sie ebenfalls um Zusendung eines geeigneten Textes für den Katalog. Ich bitte Sie so liebenswürdig zu sein mir möglichst umgehend Ihre Photographie zu schicken und einige biographische und bibliographische Angaben, die ich für unseren Verlagsalmanach brauche. Der Roman von Kesten geht mit gleicher Post an Sie ab.469 mit herzlichen Grüssen Ihr WLandauer Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/29.

467 Vgl. GBA 28, S. 427–429. Über den Schriftsatz der Druckfahnen des Dreigroschenromans urteilte Brecht, daß er „doch recht unpassend das Ernsthafte des Romans“ unterstreiche. „Der Leser wird sozusagen vor der Lektüre gewarnt. Es ist ein so feierlicher, langbärtiger, würdevoll wandelnder Satz.“ (B. an Landauer, 23.7.1934, GBA 28, S. 427) Als Muster fügte er Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) aus dem Leipziger Insel-Verlag bei. 468 Rainer Maria Rilke (1875–1926), österreichischer Dichter und Übersetzer. 469 Brecht hatte um Zusendung des 1934 bei Allert de Lange erschienenen Romans Der Gerechte von Hermann Kesten gebeten (GBA 28, S. 428).

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Per Knutzon an Bertolt Brecht Kopenhagen, 30.7.1934 gl kongevej 64

30/7 34

lieber brecht, scheinbar ist es unmøglich (ursache kein geld) zu dir zu kommen. – als mitglied des studentersamfunds470 leitung møchte ich gern wissen ob du als einleiter in einer discussion uber „modernes teater“ mitwirken will. wir denken uns herrn borberg und 3 regissøren vom kønigliche teater und dr. rostrup und mich einzuladen. die grosse sache sollte gern einmal im herbst statfinden. fur das studentersamfund wære es sehr wichtig dir zu haben und du konntest vieleicht selber irgen eine chance in einer auftreten unter diese umstænde finden?? ich habe fruer ein brief an helli geschrieben und gefragt ob sie bei einer matinee (arrangiert von dem dænichen schauspielerverband und gesegnet vom justitzminister zahle) auftreten will, ich habe aber kein antwort bekommen, wenn du antwortest, willst du bitte die antwort von helli geben? bei uns nichts neues, viele grusse Per [Hs.] Der Rassow teilt mit, dass er interessiert ist, „wenn es nur möglich wäre, das Stück so zu umändern, dass er das Stück verstehen koenntest“471 – du musst evt. ein Roman über das Stück schreiben, und dann herausgeben, und er muss es lesen, dann vieleicht versteht er es. Ich habe ein brief auf 10 Seiten geschrieben zu ihm gesend. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 476/26–27.

Walter Landaueran Bertolt Brecht Amsterdam, 31.7.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 31. Juli 1934

DAMRAK 62.

470 Vermutlich der Osloer Verlag Studentersamfunds. 471 Vgl. Knutzon, Frühjahr 1934.

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Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Ich liess Ihnen die Korrekturen des ersten Buches senden. Das zweite Buch das wir erhalten haben, habe ich sofort im Satz gegeben. Die Änderungen die Sie wünschen, (d.h. das Einräumen von Abschnitten und die Vergrösserung des hervorgehobenen Drucks) werden bei der zweiten Korrektur berücksichtigt. Für den Almanach habe ich bereits das Einleitungskapitel setzen lassen. Ich hoffe es ist Ihnen recht. mit herzlichen Grüssen Ihr WLandauer P.S. Sehr erwünscht wäre mir ein kleiner Text für den Dreigroschenroman. Ich halte es für wichtig, dass der Roman in der richtigen Form angekündigt wird. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/30.

Arnold Zweig an Bertolt Brecht Haifa, 2.8.1934 Arnold Zweig, Haifa, Mount Carmel, Beth Moses,

2. August, 34.

Lieber Brecht, mit Besorgnis hörte ich durch eine kleine, in Prag erscheinende Korrespondenz472, daß Sie sich körperlich mit der Galle plagen.473 Das ist nun sehr schlimm, da ja erstens A.W. Meyer474 mittels Jagdgewehrs ins Jenseits gegangen ist und andererseits die

472 Vermutlich hatte Zweig eine Nummer der SDS-Zeitschrift Der Schriftsteller, die seit 1934 in verschiedenen Verlagen in Paris, Berlin und Prag erschien, in die Hände bekommen. Das fragliche Exemplar ist nicht erhalten. Die einzige vorhandene Sammlung der Zeitschrift in der Deutschen Bücherei in Frankfurt am Main ist unvollständig. 473 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 474 Arthur Waldemar Meyer (1885–1933), Leiter der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Charlottenburg-Westend, erschoß im November 1933 seine Frau und sich selbst mit einem Jagdgewehr. Es wird vermutet, daß es etwas mit der „nichtarischen“ Herkunft seiner Frau zu tun hatte.

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deutschen Blätter die Nachricht verbreiten, Sie hätten früher Baruch geheißen.475 Brecht, habe ich gelacht! Es nutzt Ihnen also nichts, ein alpiner Kelte zu sein: Sie werden hiermit feierlich zum Juden ernannt. Ihren Glückwunsch für unseren Freund Feuchtwanger476 habe ich mit tiefem Vergnügen geschlürft (meine Sekretärin sträubt sich, diesen kulinarischen Ausdruck aus der Maschine zu lassen). Aber Sie haben damit die besten Erinnerungen an unsere Sanary-Zeit und die Eisenbahnfahrt nach Paris477 aufgefrischt, und es ist jammerschade, daß man von Ihnen keine Briefe bekommt, in denen Sie Ihre Einfälle spielen lassen, außer wenn man 50 Jahre alt wird. – Daß ich mir aus Wien alle erhältlichen „Versuche“ habe beschaffen lassen können, schrieb ich Ihnen vielleicht schon. Kann es aber sein, daß Ihre freundliche Schwägerin478, die sie mir beschaffte, inzwischen schwer erkrankt ist? Das täte mir besonders leid. Allerdings gibt es jetzt aus Wien so viel Schauriges und Groteskes,479 daß dies Operettenland nur von unserem teuren Vaterlande übertroffen wird, welches das Land der Hintertreppendramatik größten Stils geworden ist. Niemals haben Schurken von so schoflem Format so grauenhaft großzügige Morde en masse produzieren können; in früheren Zeiten mußte man wenigstens König sein, um aus einer popligen kleinen Natur heraus welthistorische Verbrechen begehen zu können; heutzutage machen das die Anstreicher, und die Kräfte, die hinter ihnen stehen, sind gesichtslos und heißen Thyssen oder Krupp.480 – Eigentlich sollte dieser Brief ja nur von Ihrem Gedichtbuch481 handeln. Aber ich glaube, ich werde es mir aufsparen, bis ich einen großen Aufsatz in den Neuen Deutschen Blättern publiziere.482 Sie haben hier eine kleine, aber gewichtige Anhängerschar, Brecht, und dies Gedichtbuch, die „Versuche“ würdig fortsetzend, wird von ernsthaften Menschen mit tiefer Freude und Dankbarkeit gelesen, laut gelesen. Ich vermißte nur die beiden Gedichte über

475 Brecht wurde, ähnlich wie Chaplin, nicht selten für einen Juden gehalten, d.h. als solcher denunziert, wie z.B. die antisemitischen Kundgebungen anläßlich der Aufführung der Dreigroschenoper in Zürich zeigen (vgl. Anm. zu Kesser, 24.6.1935). Behauptet wurde das wohl erstmals von Adolf Bartels in Jüdische Herkunft und Literaturwissenschaft. Eine gründliche Erörterung, Leipzig 1926; vgl. dazu Stephan D. Bock, „Brecht (der eigentlich Baruch heißen soll)“, in Neue Deutsche Literatur, Heft 495, 1994. In welchen „deutschen Blättern“ Zweig die Nachricht damals gelesen hat, konnte nicht ermittelt werden. 476 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 13.7.1934. 477 Brecht und Steffin hatten sich von September bis Dezember 1934 in Sanary-sur-Mer aufgehalten und Zweig dort mehrmals getroffen. Am 19.10.1934 waren die drei gemeinsam mit dem Zug von Avignon nach Paris gereist. 478 Stella Weigel, die Schwester Helene Weigels. 479 Vgl. Anm. zu Brentano, Februar/März 1934. 480 Fritz Thyssen (1873–1951) und Alfred Krupp von Bohlen und Halbach (1907–1967) hatten die ­NSDAP schon vor deren Machtübernahme finanziell unterstützt. Krupp war seit 1931 förderndes Mitglied der SS. Thyssen hingegen distanzierte sich 1938 vom Nationalsozialismus und emigrierte ein Jahr darauf zusammen mit seiner Familie über die Schweiz nach Argentinien. Der zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannte Krupp wurde 1945 von den Alliierten verhaftet und bereits 1951 begnadigt. 481 Lieder Gedichte Chöre. 482 Arnold Zweig, „Brecht-Abriß“, in: Neue Deutsche Blätter, Heft 2, Dezember 1934.

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den Empedokles483 darin, an denen Sie hoffentlich weitergearbeitet haben. Gehen Sie mit Ihrer Gesundheit sorgfältig um, Brecht; ich möchte gern mit Ihnen in den nächsten Jahren wieder lange vergnügte Unterhaltungen haben, will noch sehr viele Gedichte von Ihnen teils vorgelesen kriegen, teils selber lesen, und in Summa: (was Sie ja schon wissen) Sie sind der wichtigste Mann, der nach dem Kriege angefangen hat, zu schreiben. Ihr Tonfall, und was Sie in ihm vorbringen, ist so unersätzlich wie der Georg Büchners484, und den haben Sie zum Glück schon überlebt und müssen zunächst einmal mich und dann Feuchtwanger einholen, ehe Sie ernsthaft an Gallensteine denken dürfen. Mit besten Grüßen für Sie, Frau Weigel und die brave Grete, auch von Dita und den Kindern485, Ihr Zweig. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 478/31–32. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 359f.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 8.8.1934 AMSTERDAM-C, den 8. August 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank den Empfang des dritten Buches des Manuskriptes.486 Wir werden Ihnen in den nächsten Tagen die Korrekturen des zweiten Teiles senden und Ihnen gleichzeitig eine Probeseite der kursivgesetzten Stellen zusenden, damit Sie sich ein Bild machen können. 483 Gemeint sind die beiden Teile des Gedichts Der Schuh des Empedokles (GBA 12, S. 30–32), das demnach nicht 1935, wie im Zeilenkommentar in GBA 12 angegeben, sondern vermutlich schon 1933 entstanden ist. Anzunehmen ist, daß Zweig es bereits in Sanary-sur-Mer zu lesen bekommen hat. Brecht nahm es später in die Svendborger Gedichte auf. 484 Der Schriftsteller Georg Büchner (1813–1837), im heimischen Hessen aufgrund seiner Flugschrift „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ als Revolutionär berüchtigt, emigrierte 1835 nach Straßburg, ein Jahr später nach Zürich. 485 Das sind Margarete Beatrice Zweig (1892–1971), Malerin und Zeichnerin, sowie die Söhne Michael (*1920) und Adam (*1924). 486 Die Rede ist vom Dreigroschenroman. Vgl. B. an Allert de Lange, 3.8.1934, GBA 28, S. 429f.

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Wie bitten Sie jetzt vor allem um die Liebenswürdigkeit, uns möglichst schnell die Korrekturen zurückzusenden. Jedenfalls werden wir Ihnen noch eine zweite Korrektur zusenden, aber es ist wichtig alles zu tun, um den Erscheinungstermin zu beschleunigen. Wir hoffen, dass wir es spätestens am 1. Oktober herausbringen können. Sowie wir einen guten Abzug von dem Schutzumschlag haben, werden wir uns erlauben Ihnen einen zuzusenden. Wir bestätigen Ihnen dankend den Erhalt des Bildes. mit sehr ergebenen Grüssen Allert de Lange. W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/32.

George Grosz an Bertolt Brecht New York, 13.8.1934 I3 August Monday 34 Dear Bertie, ich möchte Dir nochmals herzlich danken für deinen schönen Gedichtband487....da wir eben bei Gedichten sind wollte ich einmal fragen, ob es möglich ist noch einige Exemplare von den drei Soldaten488 zu bekommen oder was ich tun muss, hinschreiben und so, um welche zu erhalten????? Brauche ein paar Exemplare dringend.....ich selbst besass ja nur zawo....und die sind mir von Freunden deiner Lyrik und meiner Zeichnungen weggeluxt. Schreibe mir bitte sofort. Ich könnte so auch etwas Propaganda für Dich mit heranfügen. Deine Anstreicherchoräle489 sind sehr gut und nützlich.....glänzend, wie er da das wacklige Haus anstreicht und die Ritzen mit seiner Mostrichtunke verkleistert....populär zum rezitieren....gut als Propaganda. Mit dem Gedicht New=York hast Du begreiflicherweise....weil Du es ja nur vom Hörensagen kennst ein bischen daneben gehauen490...... im Vergleich zum angsterfüllten Europa herrscht hier ein tolles Leben...wie vor dem Kriege.. Du müsstest einmal hier an einem Sonntage die Autoschlange sehen den Northern Boulevard herunter......von wegen ausge487 Lieder Gedichte Chöre. 488 Die drei Soldaten. Vgl. Anm. zu Steffin, Mitte Juli 1933. 489 Vgl. Anm. zu Grosz, 16.7.1934. 490 Das Gedicht Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York. Vgl. Postkarte von Grosz, 16.7.1934.

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storben oder gar tot........Du müsstest eines der riesigen Stauwerke sehen, das sie da oben in der Nähe von Denver jetzt fast fertig haben.....oder einmal im automatisch gekühlten Pullmanwagen nach Philadelphia fahren.....Junge da ist von verschollenem Leben nichts zu merken......das platzt vor Leben....rein äusserlich hinsehend gesagt...........no Bert, das musst Du erst mal selbst gesehen haben...........so merkt man nur ein marxistisches Wunschbild in deinem Gesang. Werde Dir ab und zu amerikanische Zeitschriften senden, damit Du erfährst was hier vor sich geht. Wirklich, dies hier ist wirklich ohne abgedroschene Phrase ein junges Land........in einer vollen Entwicklung. Grosse Ahnlichkeiten mit Rußland...... sozialistisch im Vergleich zu den feudalen europäischen Ländchen und Provinzen. Obwohl Keyserlingk491 sonst ein intuitiver Schwatzbalken ist......damit hat er nicht so unrecht. Du solltest Dir dies lausige vermostrichte Europa auch einmal von aussen ansehen Bert, von einem englisch sprechenden Lande aus.....ein paar Jahre Amerika würden Dir sehr gut tun. Heimweh setze ich bei Dir ja nicht voraus.....Geld hast Du auch soweit ich beurteilen kann...also warum dort in der Sommerfrische jahrelang......warte lieber hier ab bis der Spuk vorüber. Was sagst Du nun zu Hitlermann....las ein sehr treffliches Buch Hitler over Europe...von einem gewissen Ernst Henri492...(Henri ist ein Pseudonym natürlich)..... schade, dasz Du nicht selbst englisch liest, sonst würde ich Dirs senden. Es gibt darin überraschende Informationen und gute Aufklärung........der Autor weiss vieles über die Organisationen und Zusammenhänge.........Gottseidank keinerlei sentimentales Gewitzel wie in Emigrantenblättern üblich....nebst Greuelromantik....sondern anständige versteckte marxistische Analyse....kalt, angenehm und treffend. Von Borchardt bekam ich einen Brief aus Minsk...scheint ihm ganz gut zu gehen....er bekommt spezielle Beamtenration. Epic, meint: end poverty in california.....Du erinnerst Dich an Sinclairs Wahlsong?493 Sandte Dir Zeitungen mit Bildern von dem grossen kalifornischen Streik. Viele herzlichste Grüße, stets Dein alter George Grosz [Hs.] 40-41 221 Street Bayside Long Island N.Y. [Hs.] Herzliche Grüsse an Helene Weigel 491 Vermutlich Eduard von Keyserling (1855–1918), der in seinen impressionistischen Erzählungen und Romanen das Leben des ländlichen Adels in Brandenburg und Ostpreußen beschrieben hat. 492 Hitler over Europe erschien 1934 bei Simon and Schuster in New York. In Hitler over Russia? The Coming Fight between the Fascist and Socialist Armies (1936) setzte Ernst Henri seine Überlegungen zum bevorstehenden Krieg in Europa fort. Hinter dem Pseudonym Ernst Henri (auch: Henry) verbirgt sich der sowjetische Agent Semjon Nikolajewitsch Rostowski (Semën Nikolaevič Rostovskij), eigentl. Leonid Arkadjewitsch Chentow (Leonid Arkad’evič Chentov, 1904–1990). Im Auftrag der Komintern war er seit den 1920er Jahren u.a. auch in Deutschland tätig. 493 Vgl. Grosz, 1.6.1934.

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NB. ausgepolsterte Anzüge trägt man hier schon lange nicht mehr, war vor 25 Jahren Mode, die Schneiderfleischschultern usw. heute ist der amerikanische Confectionsanzug 20 Dollar der bequemste der Welt...kein Aass lässt hier nach Mass arbeiten...nur ein paar Filmlieblinge und Europasnobs. muss man wissen, sonst lachen die Amerikaner Dich aus. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 482/79. – T: Grosz, Briefe, S. 200.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 14.8.1934 Telegram fra amsterdam Nr. ak 66 Ord. indl. d. 14/8 1934 Kl 1424 Brecht Skobostrand per Svendborg Erbitten dringend weitere korrekturen da sonst rechtzeitige erscheibn494 [sic] unmöglich Lange Überlieferung: Ms, Tv.: Den Danske Statstelegraf; BBA 780/34.

Margaret Mynotti an Bertolt Brecht London, 16.8.1934 85, Prince of Wales Mansions, Prince of Wales Road, London S W 11.

16.8.34.

Lieber Brecht, danke für das Stück.495 Ich habe die ganze Zeit gewartet, dass Sie mir schreiben werden, was für Vorschläge ich der Uebersetzerin496 machen soll, deshalb schrieb ich nicht schon früher. Bitte schreiben Sie mir doch gleich, wie Sie sich das mit dem Honorar denken, denn vorher kann ich doch nichts machen, bevor ich das weiss.

494 Das rechtzeitige Erscheinen des Dreigroschenromans. 495 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 496 Vgl. Mynotti, 2.7.1934; dazu Hauptmann, 28.5.1934.

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Das Manuskript hat Kortner, der es unbedingt lesen wollte. Aber schon ehe er es gelesen hatte, bat er mich, Ihnen folgendes zu schreiben: Er hält Ihre Chancen hier für ganz gross, wenn Sie die Leute in pol. Beziehung nicht allzu sehr auf den Kopf hauen und sich bestimmte Beschränkungen auferlegen. Eindeutig darf man hier nämlich nicht werden, „Massnahmen“ sind für hier unmöglich, aber wenn man sich etwas tarnt und es nicht zu direkt macht, kann man hier sehr viel machen. Er sei überzeugt, dass Sie hier ganz grosse Erfolge haben könnten. (Ich auch.) Und was er von sich aus tun könnte, würde er tun. Er hat zwei grosse Filme hier gemacht und beginnt nächsten Monat den dritten. Er hat ausserordentlich gute Beziehungen zur Filmindustrie, die er natürlich für sie ausnützen würde. Wie er sagt, nicht nur aus Freundschaft, sondern auch aus egoistischen Gründen, vom Schauspieler-Standpunkt aus. Er würde Ihnen raten, mal für ein paar Wochen herzukommen, sobald Sie wieder hergestellt sind und es finanziell können. Wie geht es Ihnen? Von Benj. hörte ich, dass Sie krank waren.497 Was sagen die Aerzte? Haben Sie dort gute? Bitte schreiben Sie mir unbedingt sofort, 1.) was ich Frau Scheffauer sagen soll, 2.) was ich Kortner von Ihnen bestellen kann. Wie es Ihnen geht, woran Sie arbeiten und wie Sie darüber denken, herzukommen, unter welchen Voraussetzungen Sie es könnten und was Sie überhaupt davon halten. Grüssen Sie die Weigel und Benjamin recht herzlich von mir. Alles Gute! [Hs.] Herzlichst Ihre Mynotti Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 480/9.

Leo Lania an Bertolt Brecht London, 19.8.[1934] Leo Lania 4, Oknan Road NW 3 London

497 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934.

19/august

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Lieber Brecht, wie Sie sehen sitze ich statt in M. nun einmal hier. Gerade als ich das Visum erhielt, wurde mir ein Film angeboten (für Ozep498) und ich nahm an, das Manuskript zu schreiben. Ich benutze diesen Aufenthalt, um […]499 und mit Homolka500, der hier einen grossen Erfolg mit einem Jahresvertrag bei der Gaumont British hat, unseren Semmelweiss-Hof501 doch noch anzubringen. Vielleicht geht es jetzt leichter. In 3-4 Wochen bin ich hier fertig und reise dann nach drüben, wenn möglich via Dänemark. Lassen Sie bald von sich hören! Ist Eisler bei Ihnen? Und Piscator? Herzlichste Grüsse, auch von Kortner und Homolka, Ihr l lania Überlieferung: Ms, BBA 479/74.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 21.8.1934 AMSTERDAM-C, den 21. August 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank Ihren Brief vom 15.8.502 Ihre Wünsche werden wir gerne berücksichtigen. Inzwischen haben wir nochmals eine andere Kursiv gewählt, die uns schöner erscheint. Sie ist etwas kleiner, aber auch etwas fetter. Sie ist mindestens so deutlich wie die grössere und fügt sich auch schöner in das Satzbild. 498 Entzifferung unsicher. Möglicherweise der russische Drehbuchautor und Regisseur Fjodor Alexandrowitsch Ozep (Fëdor Aleksandrovič Ocep, 1895–1949). Ozep war schon 1931 nach Frankreich emigriert, ging von dort später in die USA. 499 Unleserliches Wort. 500 Der österreichische Schauspieler Oskar Homolka (1898–1978) emigrierte 1933 nach Großbritannien, 1937 in die USA, wo er in zahlreichen Hollywood-Filmen spielte. 501 Brecht traf im Oktober/November 1934 mit Lania in London zusammen, um an dem Filmstoff Semmelweis zu arbeiten (vgl. Gersch, Film bei Brecht, S. 181f.). Die Verhandlungen über eine mögliche Verfilmung scheiterten jedoch bald, das Exposé (GBA 19, S. 376f.) blieb unvollendet. 502 Vgl. GBA 28, S. 430f.

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Wir bitten Sie, uns die Korrekturen immer rechtzeitig zu schicken. Wir senden Ihnen in diesen Tagen die erste Korrektur des letzten Teils. Es ist jetzt das wichtigste, dass das Buch am 1. Oktober herauskommt, weil wir auch dann erst damit rechnen können, dass das Buch im Osten erst Ende Oktober lieferbar ist. mit ergebenen Grüssen Allert de Lange. W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/37.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht London [22.8.1934]503 Mittwoch abend Schreiben Sie mir an: H.E. per Adresse Film Alliance London W.1 Wardourstr 199 Lieber Brecht der Film504 ist politisch „anständig“ aber leider doch ein Dreck. Drehbuch (vom Rehfisch505 überarbeitet) ist fertig. Scheußlich!! Der einzige Trost: Sehr viele Witze u. Anspielungen gegen Hitler. (Abdul Hamid Adolf Hitler) Leider konnte ich (des stinkigen Rehfisches halber) für Sie nichts erreichen.506 (Ich habe nach Kenntnis der Sachlage und da Kortner nicht hier ist, Sie nicht erwähnt).

503 Datierung nach Inhalt und Kalender. 504 Vgl. Anm. zu Eisler, 11.4.1934. 505 Der nach Großbritannien emigrierte Schriftsteller Hans José Rehfisch (1891–1960) war damals bei einem anderen Regisseur und Produzenten, nämlich Alexander Korda, als Script Supervisor angestellt. In dieser Funktion hat er offenbar auch am Drehbuch zu Grunes Film Abdul the Damned mitgewirkt. Im Vorspann wird Rehfisch allerdings nicht erwähnt. 506 Die Rede ist von Film-Arbeitsmöglichkeiten für Brecht in London.

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Kortner scheint hier nicht angeben zu können. Selbstverständlich wird er sich einem Reg. wie Grune507 gegenüber mühelos durchsetzen. Mr. Mycroft508, der Direktor der B.I.P. ist der Obergott nach kaufmännischen Gesichtspunkten. Mein Honorar beträgt leider nur 500 Pfund. Jetzt aber kommt das Traurige: Ich muß sofort hier bleiben und zu arbeiten anfangen. (Es ist sehr viel zu tun. Eine ganze Opernszene im Film auf einer Oper in Konstantinopel spielend, muß komponiert werden.) Nachdem ich einen ganzen Tag gerauft habe mußte ich (schandenhalber!) nachgeben. Noch nie habe ich so bedauert kein Geld zu haben. Am liebsten würde ich den ganzen Dreck den Saububen vor die Füße hauen. Skovsbostrand, das vielgeschmähte, erscheint mir nach einen Tag Filmmilieu als ein herrliches Paradies, auf das ich voll Trauer blicke. Es ist mehr abscheulich als lächerlich, auch das ist das verzwickte. __________________________________________________ London an sich ist wirklich enorm. Das kann sogar ich als eine Stadt bezeichnen. Die Umgebung ist herrlich. __________________________________________________ Was ist also jetzt zu tun. Ich glaube, daß es gut wäre wenn Sie Ihre geplante Londoner Reise möglichst rasch machen. Vorteile: 1). Hier ist bereits alles im Schwung. 2). Ich kann am Stück mit arbeiten. Ich werde Alexander morgen anrufen und Sie dann gleich verständigen wie die Sache steht. Würden Sie (statt am 15 Sept. wie geplant war) schon am 1. Sept. kommen. Das wäre großartig!! Es tut mir äußerst leid hier bleiben zu müssen. Schreiben Sie mir ein paar Trostzeilen. Sehr herzlichst Ihr alter Hanns Eisler Überlieferung: Ms, Bv.: Piccadilly Hotel, Piccadilly & Regent Street, London, W. 1.; BBA 479/42–45. – E: Eisler, Briefe, S. 89f.

507 Der österreichische Regisseur Karl Grune (1890–1962), bekannt vor allem wegen seines expressionistischen Films Die Straße (D 1923), ging 1933 ins Exil nach Großbritannien. Dort drehte er u.a. auch den Film Pagliacci, dessen Szenarium Brecht auf Wunsch Kortners und Eislers überarbeitete (vgl. Anm. zu Steffin, März 1936). 508 Der ehemalige Filmkritiker Walter Mycroft (1890–1959) war seit 1933 Produktionsleiter von British International Pictures, zu deren Produktionen auch Abdul the Damned gehörte.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 28.8.1934 AMSTERDAM-C, den 28. August 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr geehrter Herr Brecht, Für die holländische Ausgabe hatten wir uns schon mit Herrn Nico Rost509 in Verbindung gesetzt, der die Übersetzung auch übernehmen wird. Wegen der Kursiv wollen wir uns noch einmal überlegen. Wir finden aber diese fette Kursiv viel schöner und auch, trotzdem sie kleiner ist, deutlicher. Wir haben uns sehr ausführlich gerade damit beschäftigt. Wir sind zu dem Resultat gekommen, dass diese Kursiv viele Vorteile hat. Wir werden Ihnen gerne die zweite Korrektur in mehreren Exemplaren schicken. Wir werden Ihnen schon in den nächsten Tagen die erste Hälfte der zweiten Korrektur übersenden. mit ergebenen Grüssen Allert de Lange. WLandauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/40.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 30.8.1934 Hanns Eisler London, N.W.6/

West Hampstead 147 Abbey road.

London, 30 August 1934

509 Der niederländische Schriftsteller Nico Rost (1896–1967) war als Übersetzer für den Dreigroschenroman im Gespräch. Vgl. B. an Allert de Lange, 26.8.1934, GBA 28, S. 432f.

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Lieber Brecht, hier ist meine neue ständige Adresse, mein Telefon ist: Maidwale 8413. Alexander ist noch auf Urlaub und wird die ersten Septembertage zurückerwartet. Was ist mit Ihnen und Ihrer Arbeit, und vor allem wann kommen Sie her? Es wäre fein, wenn Sie möglichst bald kommen würden, denn mir tut es um die Arbeit furchtbar leid. Hat Ratz die Klavierauszüge schon geschickt?510 Schreiben Sie bald und rechtzeitig damit ich Ihnen eine Wohnung besorgen kann. Kortner habe ich immer noch nicht gesehen. Ich möchte möglichst rasch den Stoff des neuen Stückes511 als Film vorschlagen, es besteht Interesse dafür. Also auf hoffentlich baldiges Wiedersehen in Eile sehr herzlich Eisler Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/48. – E: Eisler, Briefe, S. 90f.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 1.9.1934 4610 Westminster Place c/o Mrs. M.F. Flarsheim St. Louis. Mo. 1.9.34 Lieber Brecht, obwohl ich eigentlich schon die Hoffnung aufgegeben habe, von Ihnen zu hoeren, moechte ich Sie noch dieses fragen, weil es wichtig fuer mich ist. Haben Sie jemals Ihre Geschichte von der Frau Einsmann512 verwendet? Wenn nicht, moechte ich es versuchen, meine Version noch einmal fuer hier umzuarbeiten, ich habe (fast das einzige, was ich dabei habe) die Notizen ueber den wirklichen Fall und das von der Nichtewigkeit der Geschlechtsunterschiede dabei. Dann: haben Sie was mit den noerdlichen und suedlichen Provinzen vor?513 Ich halte dieses Stueck fuer eines der wichtigsten zum mindesten fuer hier und gerade hierfuer habe ich allerlei Sachen gesammelt, vor allem, weil ich in verschiedenen Unternehmen war, die eine Mischung aus modernem Geschaeftsbetrieb und Handwerk (wegen Schauplatz) wie Waescherei, Kerzenfabrik usw. waren. Und ueberhaupt Verschiede510 511 512 513

Vgl. Anm. zu Eisler, 16.4.1934. Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Der Arbeitsplatz. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934. Womöglich eine Anspielung auf das Fragment gebliebene Stück Jae Fleischhacker in Chikago (GBA 10, 271–318), an dem Hauptmann zusammen mit Brecht in den 1920er Jahren gearbeitet hatte.

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nes dazu gesammelt habe. Wenn Sie damit einverstanden sind, moechte ich gerne, was ich mir ueberlegt habe, an dem Stueck weitermachen, und den Rest dann wieder Ihnen ueberlassen. Nur habe ich nicht mal meine Uebersetzung des chines. Stueckes dabei. Ich glaube aber, ich schickte Ihnen das ganze Material. Wenn Sie es mir schicken koennten, werde ich es Ihnen in zwei Monaten zurueckschicken, wenn Sie es wollen. Es ist nur so schlecht, neue Sachen anzufangen, so lange man das bessere Alte noch im System hat. Hatten Sie Ihre Sachen (Dan Drew514 usw.) bekommen? alles, was man von Schwierigkeiten hergerichtet hat, stimmt leider. Gruesse Ihre B. [Hs.] 2 Ich habe abends etwas Zeit zum arbeiten, denke wenigstens, dass ich es kann. wenn Sie mir schreiben sollten, aber vielleicht doch an meine alte Adresse, weil ich nicht weiss, wie lange ich es aushalte, da Mrs. Fl[arsheim] etwas verrueckt ist. Von Mr. Krimsky habe ich noch nichts wegen dem Stueck gehoert,515 dagegen erzaehlt Viertel516 ueberall begeistert davon, er ist in Kuerze wieder in London, was Sie vielleicht interessieren kann. Dann war hier eine internationale Ausstellung von Buehnenbildern, sehr reichhaltig und wunderbar in der Uebersicht und den einzelnen Sachen, die haben ein paar Leute in New York, z.B. Mielziner, der den Yellow Yack gemacht hat,517 das ist bester Neher. Es waren uebrigens auch zwei kleine Bilder von Mann ist Mann dabei, was eine grosse Ueberraschung fuer mich war. Fuer Sie vielleicht auch. Dies ist ein schweres Land, es geht viel Interessantes vor, man kann garnicht alles bewaeltigen, wann [sic] Sie diesen Brief haben, wird Upton Sinclair mit seinem epic plan518 wohl totsicher Governor von California sein und ein Riesentextilstreik, zu dem gestern der chairman der Vereinigten Textilarbeiter aufgerufen hat, im Gange sein. Es werden etwa 514 Das Ende 1925 begonnene Stück Dan Drew (GBA 10, S. 334–381) blieb unvollendet. Es befaßt sich, ebenso wie das etwa zur gleichen Zeit entstandene Stückfragment Jae Fleischhacker in Chikago, mit Börsenspekulationen als typischem Vorgang in der fortgeschrittenen kapitalistischen Produktion. In der Heiligen Johanna der Schlachthöfe nahm Brecht das Thema wieder auf. 515 Vgl. Hauptmann, 6.7.1934. 516 Der österreichische Schriftsteller und Regisseur Berthold Viertel (1885–1953) war nach dem Ersten Weltkrieg in Dresden und Berlin tätig und mit Brecht bereits seit den frühen 1920er Jahren bekannt. Emigrierte 1928 in die USA und floh nach kurzzeitiger Rückkehr 1933 erneut. 1934 und 1936 arbeitete er in Großbritannien, danach wieder in den USA (wo er u.a. 1942 einige Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches inszenierte). 1947 Rückkehr nach Europa, Regiearbeiten u.a. in Zürich, Wien und Berlin. 517 Gemeint ist das Stück Yellow Jack von Sidney Howard und Paul de Kruif. Zur Uraufführung am Martin Beck Theatre in New York im Frühjahr 1934 entwarf Jo Mielziner (1901–1976) das Bühnenbild. 518 Vgl. Anm. zu Grosz, 1.6.1934.

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eine halbe Million in Streik gehen. Die Opposition gegen Roosevelt waechst, besonders von Chicago aus. Schrieb ich Ihnen eigentlich, dass Schmitt519 seit April schwer erkrankt ist und ich nicht weiss, ob er noch lebt? Ich weiss es von jemand der mit ihm zusammen erkrankt war und von dem ich vor drei Wochen einen Brief hatte. Aber Sie wissen das sicher. Bis jetzt konnte ich keine offizielle Stelle bewegen (Krankenhaus oder Universitaet – wir haben hier zwei grosse medizinische), ihm einen offiziellen Brief pro forma zu schreiben. Hoffentlich geht es Ihnen gut. Hatten Sie Ihre alten Freunde dort, wie Sie schrieben? Es ist alles so viel einfacher in Europa,520 Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 480/63–64.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 3.9.1934 Hanns Eisler, London, N.W.6. West Hampstead, 147 Abbey-road. 3. September, Lieber Brecht, ich habe leider noch immer keine Nachricht von Ihnen. Heute nur eine Bitte: Könnten Sie veranlassen, dass meine und Lous Post mir hierher nachgeschickt wird, auch haben wir einige Sachen in Skovbostrand [sic] gelassen,521 die nicht mehr in die Koffer gingen, u.a. auch die Gramophonplatten. Könnten Sie die nachsenden lassen? Selbstverständlich erhalten Sie alle Spesen. Soll ich die 2 Bücher die ich von Ihnen habe gleich schicken, oder wollen Sie sie dann von hier mitnehmen? Hier ist noch nichts besonderes los. Ich bin sehr fleissig, aber noch nicht für den Film. Schreiben Sie ein paar Zeilen, sehr herzlich Ihr alter Eisler Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/46. – E: Eisler, Briefe, S. 91.

519 Möglicherweise der von Brecht sehr geschätzte Münchner Arzt Johann Ludwig Schmitt (1896–1963). 520 Hier bricht das Ts ab. 521 Vgl. Anm. zu Eisler, 18.6.1934.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 4.9.1934 AMSTERDAM-C, den 4. September 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir senden Ihnen mit gleicher Post die zweite Korrektur Seite 145-304 in 5 Exemplaren.522 Wir bitten Sie, auch die zweite Korrektur möglichst bald zu machen. Teilen Sie uns bitte auch mit, ob eine dritte Korrektur notwendig sein wird, oder ob es genügt wenn wir eine sorgfältige Hauskorrektur machen. Die von Ihnen gewünschten Änderungen (grössere Abschnitte etc.) werden wir in der dritten Korrektur, so weit es jetzt noch nicht berücksichtigt ist, vornehmen. Dass Ihnen die Fettschrift nicht gefällt,523 tut uns besonders leid. Wir werden versuchen eine Änderung zu treffen, falls die Druckerrei keinen zu hohen Preis verlangt. Falls Sie auch die zweite Korrektur umgehend zurücksenden, könnte Ihr Buch, was sehr wichtig wäre, Anfang Oktober erscheinen. Wir bitten Sie, auch daran zu denken, eine Rezensentenliste rechtzeitig vorzubereiten. mit ergebenen Grüssen Allert de Lange. WLandauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/42.

Per Knutzon an Bertolt Brecht Kopenhagen, 4.9.1934 per knutzon gl kongevej 64

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522 Brecht hatte um Zusendung von fünf Exemplaren der Korrekturfahnen des Dreigroschenromans gebeten (vgl. B. an Allert de Lange, 26.8.1934, GBA 28, S. 433). 523 Vgl. B. an Allert de Lange, 1.9.1934, GBA 28, S. 435f.

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lieber brecht. vom inter. rev. theater bund in moskau524 habe ich volgendes bekommen: „wir haben schon verschiedentlich versucht, das stuck „spits und rundkøpfe“ von bert brecht zu erhalten. leider bisher ohne resultat. vielleicht kannst du, der du mit brecht haufig zusammen kommst525 ihm vorschlagen, dass er uns nicht nur seine stuck in einem exemplar, sondern wenn møglich auch neuerscheinungen uber das theater und die dramaturgie in den kapitalistischen lændern senden soll. wir unsererseits sind gern bereit, ihm gegenwerte dafur in buchern, die er vielleicht dort nicht bekommt, zu ubersenden. er soll uns seine wunsche mitteilen, wir werden alles tun, um sie zu erfullen. uberhaupt wære es uns sehr lieb, mit brecht in persønlichen kontakt zu kommen und wir wæren dir sehr dankbar, wenn du das vermitteln kønntest.“ !!!!! ich habe ein expl von „s und r“ in deutsch. wenn du das willst kann ich es weitersenden? wir haben gestern die grethe526 erwartet, mit kuchen und wein! die kuchen sind noch hier, das wein aber nicht. wann kommst du, grethe? grusse Per Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 476/25.

Bernard Rosner an Bertolt Brecht Paris, 4.9.1934 Herrn Bertold Brecht

Paris, den 4. IX. 34.

Lieber Genosse Brecht, Ich erhielt soeben Ihr Manuskript527 und habe ausserdem die Verhandlungen mit Kiepenheuer über die „Versuche“528 einem Anwalt, der jetzt nach Berlin fährt, übergeben. Hoffentlich erreichen wir etwas. Ich habe selbstverständlich dazugesagt, dass Sie mir die gesamten Rechte dafür übergeben haben. Die Hefte der „Versuche“ werde ich hier auftreiben; da ich aber nicht weiss, ob ich alle Hefte hier bekomme, würde ich Sie bitten, mir mit524 Der Internationale Revolutionäre Theaterbund (MORT) war 1932 aus dem 1929 gegründeten Internationalen Arbeitertheaterbund hervorgegangen. 525 Hs. Anm.: „Das stimmt leider nicht!“ 526 Margarete Steffin. 527 Der Verleger Bernard Rosner plante eine französische Ausgabe der Rundköpfe und Spitzköpfe, die jedoch nicht zustande kam. 528 Brecht teilte Rosner am 20.9.1934 mit, daß er die Neuausgabe der Versuche bereits dem Malik-Verlag überantwortet habe (vgl. GBA 28, S. 440f.).

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zuteilen, bis zu welchem Heft die „Versuche“ erschienen sind, damit man die „Rundköpfe“ als folgendes Heft herausgeben kann. Teilen Sie mir bitte auch mit, sobald Ihre Verhandlungen mit Zürich wegen der Aufführungen abgeschlossen sind. Dass Sie Ihre, bei mir erscheinenden Bücher, sowie auch sämtliche Erscheinungen des Verlags zum Herstellungspreis beziehen können, ist selbstverständlich. Mit herzlichen Grüssen Ihr Rosner ÉDITIONS BERNARD ROSNER (Stempel) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Éditions Bernard Rosner 36, Rue Du Colisée – Paris-8e Tèlèphone: Balzac 58-00 R. C. Seine 614.445; BBA 774/29.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 8.9.1934 AMSTERDAM-C, den 8. September 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank den Erhalt Ihrer zweiten Korrektur Seite 1-144. Bitte haben Sie die Liebenswürdigkeit uns mitzuteilen, ob Sie noch eine dritte Korrektur brauchen, oder ob die Korrektur, unter der Voraussetzung dass hier noch eine Hauskorrektur vorgenommen wird, als druckfertig gelten kann. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/43.

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Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht Moskau, 8.9.1934

Moskau 1 Malaja Bronnaja 13 wohn 25 S. Tretiakow 8. IX 34.

Lieber Genosse Brecht. Sie haben recht. Unsere Korrespondenz ist zu selten.529 Ich habe doch ihnen einen Vorwurf zu machen – warum geben sie an Illes530 eine äusserung, die sicher in seiner Tasche bis zum heutigen Tage steckt, wenn es in Moskau einen Tretiakow giebt. Die neue ihre Sachen schicken sie mir nicht. Ihre Dimitrofflied531 habe ich zufällich in einer französischen Zeitschrift gefunden. Der Kongress532 war bedeutungsvoll und giebt einen ungeheuer grossen und frischen Stoff für die literarische Prognose. Die Frage des Soz. Realismus hat Gorky533 gut angefasst als er sagte [sic]. Viele haben nach allerlei arten diesen begriff erklärt und bewiesen, aber der grösste und wirklichste beweis werden ihre nächste bücher. Das giebt diesem ausdruck eine bedeutung mehr in die Perspektive gerichtet. Tut leid – es ist schwer alle Sachen brieflich zu befassen – da sollte man zusammenkommen. Aber sie wollen das nicht tun. Oder können nicht. Besonders jetzt wurde es so wichtig theoretisch mehrere fragen zu bearbeiten. Momentan sind wir an einem Wendepunkt: das extensive thema übergiebt seinen Vorrang an das intensive. Die reportage literatur sucht grosse formen und lyrik dringt sich ins epos hinein. Der einseitige Intellektualismus (technizismus) wird vom emotionellen prinzip schärfst an529 Den bis dahin letzten überlieferten Brief an Tretjakow schrieb Brecht im Dezember 1933 / Januar 1934 (vgl. GBA 28, S. 398f.). 530 Vgl. Anm. zu Brentano, 20.8.1933. 531 Adresse an den Genossen Dimitroff, als er in Leipzig vor dem faschistischen Gerichtshof kämpfte (GBA 11, S. 229f.), zuerst in Lieder Gedichte Chöre, Paris 1934. Vgl. dazu auch das nach der Veröffentlichung des zweiten Braunbuchs (1934) entstandene Gedicht Als der Genosse Dimitroff vor Gericht stand (GBA 14, S. 234–236). 532 Der 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller. Vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933. 533 Nach der richtungsweisenden Begrüßung durch den ZK-Gesandten Andrej Shdanow hielt Gorki das erste Referat auf dem Kongreß (vgl. Sozialistische Realismuskonzeptionen. Dokumente zum 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller, hrsg. v. H.-J. Schmitt u. G. Schramm, Frankfurt/M. 1974, S. 51–84). Er sprach über die Ohnmacht der modernen Literatur und über eine notwendige „Selbstkritik“ der linken Schriftsteller, die sich von jener als bürgerlich-dekadent disqualifizierten Literatur zu sehr hätten beeindrucken lassen. „Der sozialistische Realismus“, so stellte er im Sinne der neuen Parteilinie fest, „bejaht das Dasein als Handeln, als schöpferische Tätigkeit […]“ (a.a.O., S. 81).

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gegriffen. Emotionelle kompliziertheit wird gefordert. Nicht nur den querschnit des lebensstromes (reportage naturalismus, bürg. realismus) sondern der schnitt entlang der Zeit (d.h. in die Zukunft – historisch dialektisch) braucht die literatur. Ich habe angst das meine deutsche Sprache erlaubt mir nicht sich klar genug auszudrücken. Aber ich will nur betonen – es giebt eine reie prinzipiell neuen lagen die man besprechen und studieren muss. Und gerade mit ihnen möchte ich besonders das tun. Das Geld nach Leningrad habe ich sofort nach ihrem briefe534 abgeschickt, aber gen. Steffin ist bisher nach Moskau nicht gekommen. In den „Iswestia“535 war eine Kritik auf ihre Epische dramen. Viel komplimente an sie und ihre bedeutung in der deutschen dichtung und am ende ist eine Hoffnung ausgesagt das der didaktismus wird doch in ihren Werke nicht den richtigen dichter unterdrücken. Beste unsere Grüsse an Helli – sie wird hier unauslöschbar geliebt. Ich drücke ihre hand, Monsieur! und begrüsse sie herzlichst. STretiakow. also schreibt! Überlieferung: Ms, BBA 477/139–140. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 407f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 11.9.1934 Hanns Eisler

London NW6 West-Hampstead 147 Abbey road

London, II. September. Lieber Brecht, ich war beim Alexander536 oben, der ein recht solider Mann zu sein scheint und den „Rundköpfen“ gar keine Chance in London gibt. Durch eine private Beziehung verhandle ich jetzt mit einem sehr guten Theater. Freitag spiele ich dem Regisseur das Stück die Musik vor und erkläre ihm mittels Dolmetsch das Stück. Kortner habe ich endlich gesprochen, er ist zwar enorm begeistert vom Stück, gibt ihm sieht aber ebenfalls keine Chance in London, glaubt aber, dass Sie im allgemeinen grosse 534 Nicht überliefert. Steffin kam erst im Herbst 1934 in die UdSSR. Vgl. Anm. zu Eisler, 9.4.1934. 535 Iswestija, 1917 als Organ des Petrograder Sowjets gegründet, war die regierungsamtliche Tageszeitung der UdSSR (im Unterschied zur Parteizeitung Prawda). 536 Elias Alexander.

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Chancen hier hätten, auch beim Film. Haben Sie etwas aus Zürich gehört?537 Wenn das nicht der Fall ist, so hat sich G.538 schamlos benommen. Bei mir gibt es nichts besonderes Neues, ausser dass sich meine amerikanischen Chancen539 so verbessert haben, dass es diesmal vielleicht wirklich klappen könnte. Schreiben Sie ein paar Zeilen, wie es Ihnen geht und was die Arbeit macht, es wäre sehr wichtig, wenn Sie Ende September wirklich herkommen würden. Sehr herzlich Ihr Eisler Bitte schicken Sie auf keinen Fall die Klavierauszüge Alexander, das wäre vollständig überflüssig, aber bringen Sie sie unbedingt nach London mit. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/47. – E: Eisler, Briefe, S. 92f.

Leo Lania an Bertolt Brecht London, 12.9.1934 Leo Lania, London, NW. 11 22 St. Johns Road. Telephon: Speedwell 3629

London, 12. September 1934.

Lieber Brecht, was ist denn mit Ihnen los? Meine letzten zwei Briefe liessen Sie unbeantwortet und ich hoerte zu meinem Bedauern, dass Sie ernstlich krank waren.540 Hoffentlich geht es Ihnen jetzt schon gut. Wie Sie sehen, habe ich mich nun doch in London niedergelassen. Ich glaube, dass hier viel zu machen ist und wenn Sie wie mir Eisler sagt – die Absicht haben, herzukommen, werden Sie es gewiss nicht bedauern. Ein Freund von mir, Charles Duff541, der in der Presseabteilung des Foreign Office arbeitet, und dessen „Handbuch des Haengens“ ich seinerzeit in Berlin mit einem Vorwort von mir herausbrachte, ist ein grosser Verehrer von Ihnen. Er ist ein sehr begabter Kerl, ein Ire, hat grosse Beziehungen und wie er mir sagte, wird er in Kuerze in der Lage sein, durch eine Erbschaft auch grosse Mittel fuer ein Theater zur Ver537 Vgl. Eisler, 14. und 24.5.1934. 538 Vermutlich Ernst Ginsberg, der damals am Zürcher Schauspielhaus arbeitete. 539 Vgl. Eisler, 10.2.1935. 540 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 541 Charles Duff (1894–1966), seit dem Ersten Weltkrieg für das britische Auswärtige Amt tätig, trat ansonsten v.a. mit Übersetzungen und Büchern zum Erlernen von Fremdsprachen hervor. Bei dem erwähnten Handbook on Hanging (1928) handelt es sich um eine satirische Anleitung zum Suizid.

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fuegung zu stellen. Soweit ich mich erinnere, haben Sie sein „Haengebuch“ mit Interesse bei mir gelesen. Duff ist so sehr fuer Ihre Sachen, die er alle kennt, eingenommen, dass er ohne jede finanzielle Kompensation Arbeiten von Ihnen uebersetzen wuerde. Ich glaube, auch nach Ruecksprache mit Eisler, dass Sie hier eine grosse Chance haben. Mein Roman542 erscheint hier Ende des Monats. Lassen Sie mich doch sofort wissen, wann Sie herkommen und was Sie machen. Mit herzlichem Gruss Ihr Lania Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Us., hs. U.; BBA 479/80.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 12.9.1934 Küsnacht b. Zürich, am 12.9.34 Lieber Brecht, Sie schweigen mal wieder vollständig. Haben Sie den Brief mit den Fotos erhalten? Sie haben mich so oft nach Dänemark eingeladen, wie wäre es aber, Sie gingen einmal ein bischen von Ihrer Insel herunter? Sie könnten 14 Tage, auch drei Wochen bequem bei mir wohnen – meine Frau würde sich auch freuen – und könnten in Zürich manche Sachen mit erledigen. Was meinen Sie zu diesem Vorschlag? Warum gingen Sie nicht zum Schriftstellertag nach M543? Es wäre sicher ganz gut, wenn man sich mal wieder sehen könnte. Die völlige Zersplitterung ist sehr schädlich. Gibt es [bei] Euch in D544 Einheitsfront? Was halten Sie von dieser Politik? – Ich verschweige nicht, dass ich pessimistisch bin – aber die Gründe dafür sind mehr, als in diesen Brief gehen! Dass unser Briefwechsel auch nicht mehr richtig über die Rampe kommt!! Machen Sie doch mal einen gänzlichen Anfang! Herzlichen Gruß Ihr alter Brentano. Gestern sprach ich Ginsberg. Man scheint ja hier an eine Aufführung Ihrer Spitzköpfe zu denken.545 542 Leo Lania, Land of Promise, London 1934 (Land im Zwielicht, Wien 1950). 543 Vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933. 544 Dänemark. Zur Einheitsfrontpolitik vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 545 Vgl. Eisler, 14. und 24.5.1934.

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Sternberg hat ein Buch geschrieben.546 Hat er Ihnen die Subskriptionsliste geschickt? Das Inhaltsverzeichnis sieht ganz gut aus! Haben Sie sonst etwas brauchbares gelesen? Kesser war in Prag auf dem Philosophenkongress547 mit Neurath, Carnap, Reichenbach548 u.s.w. Die Nazis scheinen sehr verprügelt worden zu sein. Überlieferung: Ms, BBA 481/30–31.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 14.9.1934 AMSTERDAM-C, den 14. September 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Badehôtel, Dragoer, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir empfingen heute Ihre Depesche.549 Wir haben Ihnen nach Vertrag noch R.M. 2000.- zu zahlen. Der Vertrag sieht ebenfalls vor, dass 25 % der Auslandseinnahmen verrechnet werden mit dem Vorschuss, den wir Ihnen gezahlt haben. Wir bitten Sie daher um die Liebenswürdigkeit, uns eine Aufstellung zu schicken der Auslandseinnahmen die Sie bereits empfangen haben, damit wir 25 % dieser Einnahmen verrechnen können mit dem Vorschuss den wir Ihnen noch zu zahlen haben. So bald wir die Liste in den Händen haben, werden wir Ihnen die R.M. 2000.-, abzüglich der evtl. Auslandseinnahmen, zusenden. Wir haben bis jetzt nur den ersten Teil der zweiten Korrektur von Ihnen zurückerhalten. Wir bitten Sie um die Liebenswürdigkeit, uns möglichst bald Teil 2 und 3 zuzusenden.

546 Der Faschismus an der Macht, 1935 im Contact-Verlag in Amsterdam erschienen. Das Buch befindet sich in Brechts Nachlaßbibliothek. Vgl. B. an Sternberg, September/Oktober 1935, GBA 28, S. 526. 547 Vom 2. bis 7. September 1934 fand in Prag der VIII. Internationale Philosophenkongreß statt. 548 Zu Neurath vgl. Brentano, 10.6.1933; Rudolf Carnap (1891–1970), Philosoph, vormals Professor in Prag, ab 1935 im Exil in den USA; Hans Reichenbach (1891–1953), Physiker und Philosoph, auf Empfehlung Albert Einsteins seit 1926 Professor in Berlin, ging 1933 zunächst in die Türkei, 1936 in die USA. Brecht notierte am 26.10.1941 in seinem Journal Reichenbachs „Komplimente über den physikalischen Teil des ‚Galilei’ und das Historische daran“ (GBA 27, S. 18f.). 549 Vgl. B. an Allert de Lange, 13.9.1934, GBA 28, S. 438.

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Fräulein Steffin schreibt uns, dass Sie noch eine dritte Korrektur wünschen. Umsomehr bitten wir Sie, uns die zweite Korrektur möglichst umgehend zurückzusenden, damit keine neuen Verzögerungen entstehen. In dem Brief von Frl. Steffin steht noch: „Für den dritten Teil noch beiliegende kleine Zufügung.“ Diese Zufügung haben wir aber nicht erhalten. mit ergebenen Grüssen Allert de Lange. Landauer P.S. Teil 2 haben wir soeben erhalten. Wir bitten Sie also um Zusendung von Teil 3 und um Benachrichtigung, ob die dritte Korrektur noch notwendig ist. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/44.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht [Amsterdam, Mitte September 1934] DEN HEERE de Lange Brecht Badehotel, Dragoer. Kopenhagen Erbitten Rücksendung Rest 2 Korrektur Lange Überlieferung: Ms, Bv.: N.V. Drukkerij V/H L. E. Bosch & Z [Blatt beschädigt] Drukproef en Kopij; BBA Z 29/68.

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Walter Benjamin an Bertolt Brecht [Skovsbostrand, ca. 16.9.1934]550 Lieber Brecht, vielen Dank für Ihre Zeilen.551 Von Mary552 höre ich, daß Sie auch nächste Woche noch in Kopenhagen sein werden; auch legt das der Umstand nahe, daß die Krankheit553 in Svendborg auftaucht. Für mich wird es auf diese Weise möglich, meine Kopenhagener Reise mit der nach Gedser zu verbinden. Ich werde am Dienstag um 1140 von Svendborg abfahren; bin dann bis Freitag nachmittag, wo ich nach Gedser fahre, bei Ihnen. Da ich keine Vorstellung habe, wie ich zu Ihnen herauskomme, würde ich mich sehr freuen, ein bekanntes Gesicht an der Bahn auftauchen zu sehen. Vielleicht läßt sich das einrichten. Sonst erwarte ich noch Ihre Nachricht. Die „Geschichte von Florenz“554 geht gleichzeitig ab. Mit herzlichem Gruß in die Runde Ihr Benjamin Überlieferung: Ms, BBA 478/17. – E: Zur Aktualität Walter Benjamins, hrsg. v. S. Unseld, Frankfurt/M. 1972, S. 35 (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 501f.).

550 Zur Datierung vgl. Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 502. 551 Brecht war am 8.9.1934 zu Weigel und den Kindern nach Dragør (bei Kopenhagen) gefahren und versprach Benjamin, der seit dem 20.6. in Skovsbostrand zu Besuch weilte, „etwa Ende der Woche heimzukommen“ (B. an Benjamin, Mitte September 1934, GBA 28, S. 439). Tatsächlich blieb Brecht noch bis Ende des Monats in Dragør. Benjamin reiste seinerseits am 18.9. dorthin. 552 Maria Hold (1909–1980), vormals Haushälterin bei Brechts Eltern. Sie hatte bereits Brechts Haushalt in Berlin geführt und tat das zunächst auch noch in Skovsbostrand. Im Oktober quittierte sie ihren Dienst, um zu heiraten. Vgl. Brechts Dankgedicht an Mari Hold zum 5. Oktober 1934 (GBA 14, S. 217–219). 553 Brecht teilte Steffin am 11.9.1934 mit, er sei „mit einem ganz großen Schnupfen“ (GBA 28, S. 437) in Dragør angekommen. 554 Brecht hatte Benjamin gebeten, ihm die Geschichte von Florenz (1525) von Niccolò Machiavelli zu schicken (vgl. GBA 28, S. 439). Er wollte sie, wie Benjamin später notierte, für eine „Satire auf Hitler im Stile der Historiographen der Renaissance“ (BGS VI, S. 530) benutzen. Gemeint ist die Fragment gebliebene Geschichte des Giacomo Ui Wenige wissen heute (GBA 19, S. 367–375). Bereits Ende 1935, während seines ersten Aufenthalts in New York, kam Brecht die Idee, den Stoff zu einem Gangsterstück umzuarbeiten (vgl. Journaleintrag vom 10.3.1941, GBA 26, S. 468). Im selben Monat fertigte er die erste Niederschrift des Stücks Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui an.

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Hans Richter555 an Bertolt Brecht Wien, 18.9.1934 Hans Richter, Wien VI. Mariahilferstrasse 15. den 18. September 1934. Herrn Bert B r e c h t , Skovbostrand, Svendborg. Dänemark. Lieber G. Brecht! Ich werde im Laufe des Winters hier in Wien zwei oder drei kleine Filme machen, für die ich die notwendigen Kredite habe.556 Die Wahl der Themen steht mir vollkommen frei, im Rahmen der Zensurzulässigkeit. In diesen Filmen möchte ich die Melzer557 als Schauspielerin verwenden. Caspar558, sowie Eisler erzählten mir von Ihren „Fabeln“.559 Am liebsten würde ich drei Fabeln, also drei kleine Filme machen, die im Zusammenhang gezeigt werden können. Ein Pariser Freund hat die Idee von Henri aufgegriffen, der einen Mord in drei verschiedenen Versionen darstellt: erstens, wie es sich abgespielt hat, zweitens, wie ihn der Journalist gesehen hat, drittens, wie ihn der Mörder erlebt hat. Ich habe mit dem Pariser Freund Jaschek dieses Schema besprochen, ohne dass es zu irgendeinem praktischen Vorschlag gekommen ist. Wenn man eine solche Dreiteilung für einen Stoff hätte, so hätte ich vorgeschlagen, es mit zwei anderen Regisseuren zu machen, so dass jeder einen Teil dieses Ereignisses behandelt, Ivens z.B. den dokumentarischen.

555 Hans Richter (1888–1976), Maler, bildender Künstler und Filmemacher, vormals der Dada-Bewegung in Zürich nahestehend, in den 1920er Jahren einer der bedeutendsten Vertreter des abstrakten Films. Brecht hatte ihn vermutlich durch Vermittlung Eislers kennengelernt. Von einer Reise in die UdSSR kehrte Richter 1933 nicht mehr nach Deutschland zurück. Er ging über die Niederlande und Frankreich in die Schweiz, 1941 nach New York. Ab 1958 lebte er in Connecticut und im Tessin. 556 Realisiert hat Richter 1934 jedoch nur einen einzigen Film: Keine Zeit für Tränen. Das Skript entstand in Zusammenarbeit mit Anna Seghers und Frederic Kohner. 557 Die Malerin und Schauspielerin Margarete Melzer (1901–1959) hatte Richter zuvor in Berlin kennengelernt. Er lebte mit ihr bis 1941 zusammen in der Schweiz. 558 Caspar Neher. 559 Von welchen „Fabeln“ – das soll wohl heißen: Filmentwürfen – hier die Rede ist, konnte nicht genau ermittelt werden. Von Brechts Entwürfen (etwa Die Denkaufgabe; vgl. Dudow, 26.8.1936) hat Richter keinen verwendet (vgl. Gersch, Film bei Brecht, S. 183). Eine mögliche Verbindung ließe sich herstellen über Anna Seghers, die, ebenso wie Brecht, den Fall der Maria Einsmann (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934) literarisch verarbeitete, u.a. in oben erwähntem Filmskript; vgl. dazu BH 3, S. 222f., sowie die Anm. in GBA 19, S. 667f.

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Der Kurzfilm ist heute eher geeignet, als der grosse, unsere Ideen aufzunehmen, weil er von der Zensur eher verschont wird und geringeres Risiko mit sich bringt. Ich kann die Filme nur machen – wie ich auch den letzten Kurzfilm560 gemacht habe – als Aussenseiterproduktion und ich würde gerne von Ihnen hören, ob ich dabei auf Ihre Mitarbeit rechnen kann. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir sehr bald schreiben würden. Auch wo Sie im Herbst und Winter sind. (Uebrigens ist in nächster Zeit wahrscheinlich unser Haus in Carbietta frei, wenn Sie davon Gebrauch machen wollen.) Mit besten Grüssen an Sie und die Weig[e]l von der Melzer und mir Ihr Hans Richter. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Österreichischer Werkbund IX. Türkenstrasse 3 Telephon A 17-1-73 Postsparkassen-Konto A-134-058, Wien; BBA 479/86.

Margaret Mynotti an Bertolt Brecht London, 19.9.1934 85, Prince of Wales Mansions, Prince of Wales Road, London S.W.11.

19. September 1934.

Lieber Brecht, ich sprach gestern den producer des Gate-Theater561, in dem die Dreigroschenoper herauskommen soll. Der Mann sagt, die Verhandlungen mit der Copyright-Agency (die hiesige Repraesentantin von Wreede. Hat der noch die Rechte?) ziehen sich hin. Er fragte mich, ob das stimme, dass Sie sich mit Weill verkracht haetten562 und der Auffuehrung Hindernisse in den Weg legen wuerden. Er wird aber jetzt auf meine Veranlassung hin die Sache beschleunigen, damit das Stueck womoeglich bald heraus kommt, waehrend Sie da sind, d.h. Sie mussen mir auf alle Faelle gleich schreiben, wie Sie dazu stehen, und was ich den Leuten sagen soll. Die Spitzkoepfe wird er in den naechsten Tagen lesen und mir Bescheid geben. (Dies laeuft unabhaengig von den Verhandlungen mit dem Embassy.)

560 Hallo Everybody (NL 1933). 561 Das Gate Theatre Studio war ein kleines unabhängiges Theater in London, das von 1927 bis 1941 bestand. Die Dreigroschenoper wurde dort nicht aufgeführt. 562 Das Verhältnis zwischen Brecht und Weill wurde erst in Amerika, vor allem infolge der gescheiterten Schweyk-Zusammenarbeit, empfindlich gestört. Vgl. B. an Weill, 23.6.1943, GBA 29, S. 270f.

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Ich erwarte also sofort Ihre Nachricht, da ich sonst nichts mehr machen kann. Herzl. Gruesse Mynotti Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 480/7.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 19.9.1934 AMSTERDAM-C, den 19. September 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, p / a Badehotel, Dragoer (Kopenhagen).
Sehr verehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank Ihren Brief.563 Wir werden Ihnen die fälligen R.M. 2000.- überweisen. Betreffend der Auslandsrechte möchten wir Sie noch einmal darauf hinweisen, dass es durchaus auch in Ihrem Vorteil wäre, wenn Sie uns die Auslandsrechte wenigstens für einige Länder geben würden. Wir hätten sicherlich schon einige Auslandsabschlüsse erreichen können. Wir sehen nicht ein, aus welchem Grunde Sie sich nicht dazu entschliessen können, zumal wir doch bei der deutschen Ausgabe unser Interesse für Sie bewiesen haben. Leider haben wir noch immer nicht den dritten Teil der zweiten Korrektur von Ihnen zurückerhalten. Dadurch entsteht eine weitere Verzögerung. Es besteht die Gefahr dass das Buch564 auf diese Weise nicht vor November herauskommt, was eine grosse Schädigung wäre. Sie erhalten noch in dieser Woche die ersten beiden Teile der dritten Korrektur. Falls bei dem dritten Teil der zweiten Korrektur wenig Druckfehler vorhanden sind, so bitten wir Sie sehr, uns für diesen Teil schon das Imprimatur zu geben, damit keine weitere Verzögerung eintritt. Es wird bei uns ohnehin noch einmal Korrektur gelesen, sodass kaum Druckfehler zu befürchten sind. Wir bitten Sie uns freundlichst mitzuteilen, ob Sie damit einverstanden sind. mit sehr ergebenen Grüssen Allert de Lange. Landauer

563 Vgl. B. an Allert de Lange, 18.9.1934, GBA 28, S. 439. 564 Dreigroschenroman.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/45–46.

Leo Lania und Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 21.9.1934 London, 21. September Lieber Brecht, diesen Brief schreiben Ihnen Lania und Eisler zusammen. Lanias „Oelfeld“565 wurde in der letzten von Ihnen gekannten Fassung Mitte August dem Gild Theater New-York566 eingereicht. Gestern erhielt L. ein Kabel von Th. Gilde folgenden Inhaltes: „Sehr interessiert an Oelfeld von L. kabelt ob englische Fassung vorliegt, falls ja, sendet mit nächstem Schiff.“ Es wäre nun ein leichtes, eine englische Uebersetzung anfertigen zu lassen und das Stück so zur endgültigen Annahme vorzulegen. E. und L. sind beide der Auffassung, dass das Stück und die Chance zu wichtig sind, als dass man nach der Richtung des geringsten Widerstandes vorgeht. Der Stoff hat gerade durch die letzte Entwicklung in Amerika eine erhöhte Aktualität gewonnen und wird unabhängig vom Th. Gilde von englischen TheaterFilmfirmen favorisiert. Auch haben wir einen sehr guten englischen Mann, über den L. Ihnen schon geschrieben hat, für die englische Fassung gewonnen. (Charles Duff.) Die englische Fassung bietet die Gelegenheit, die Sache auf den höchsten Standard zu bringen, der aber ohne Sie schwer durchführbar ist, ist aber ausserdem eine sehr dringende Angelegenheit, die bei kollektiver Arbeit nicht allzu viel Zeit erfordert. (Wir schätzen 14 Tage bis 3 Wochen.) Auch kann man das Interesse des Theaters nicht einschlafen lassen, da es ja sonst das Stück in dieser Saison nicht mehr herausbringen kann. Aus allen diesen und noch vielen anderen Gründen schlagen wir Ihnen vor: Sie beschleunigen Ihre ohnehin beabsichtigte Reise und zwar so, dass Sie möglichst rasch eintreffen. (Der erste Akt, den wir alle – Sie eingeschlossen – für gut halten, kann inzwischen schon übersetzt und zur Festmachung des Theaters abgeschickt werden.) Wir setzen uns alle drei mit dem Engländer für 565 Erwin Piscator hatte im April 1928 Lanias Stück Konjunktur. Die Komödie der Wirtschaft, in dem der Konkurrenzkampf der Ölkonzerne dargestellt wird, in Berlin aufgeführt. Eine Neubearbeitung des Stücks hatte Lania im Frühjahr 1934 unter dem Titel Das Ölfeld an Brecht geschickt (darauf bezieht sich die Bemerkung von „der letzten Ihnen gekannten Fassung“). Zum ersten Akt dieses Stücks, das Lania und Eisler im Laufe des Jahres erneut bearbeiteten, steuerte Brecht einen Chortext bei (vgl. GBA 14, S. 222). 566 Gemeint ist die New Yorker Theatre Guild. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934.

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kurze Zeit zusammen und werden dann bestimmt bis Mitte Oktober etwas sehr Gutes und Abgerundetes zusammenbringen. Ueber die Frage des Tantiemenanteils für Ihre Mitarbeit und der Form der Mitzeichnung wird L. ohne Schwierigkeiten zu einem Arangement [sic] mit Ihnen geraten. Kommen Sie also möglichst rasch und telegrafieren Sie Ihre Ankunft. Sehr herzliche Grüsse Ihr l lania Hanns Eisler Überlieferung: Ts, hs. Us. u. Korr., hs. U.; BBA 479/78–79. – E: Eisler, Briefe, S. 93f.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 25.9.1934 AMSTERDAM-C, den 25. September 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, p/A Badehôtel, Dragoer (Kopenhagen). Sehr verehrter Herr Brecht, Wir empfingen mit bestem Dank den dritten Teil der zweiten Korrektur.567 Den ersten und zweiten Teil der dritten Korrektur haben wir Ihnen jetzt zugesandt. Wir bitten Sie um möglichst umgehende Zurücksendung und um das Imprimatur; ebenfalls um eine Mitteilung, ob Sie noch den dritten Teil in der dritten Korrektur haben müssen, oder ob das nicht mehr nötig ist. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/47.

567 Die Korrekturfahnen des Dreigroschenromans.

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Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Minsk, 25.9.1934 Minsk U.d.S.S.R., Swerdlowskaja 49 tupik, Quartier 24 Минск Б.С.С.Р., Свердловская 49 тупик Кварт. 24.

d. 25.IX.1934

Lieber Brecht, Grete Steffin schreibt mir aus Moskau, daß Sie eine scheußliche Sache hinter sich haben.568 Kennen Sie unseren elektrischen Heizkasten, mit 8 Glühbirnen, verstellbar, so daß man einen Arm, ein Stück Bein oder den ganzen Rumpf anheizen kann auf über 100°. Diesen gibt es überall, in Kopenhagen sicher besonders gut, wegen der Fresserei der Hamlets (oder: gegen die Folgen, Gicht, Rheuma, Ischias etc.). Empfehle Ihnen denselben: die trockne Hitze vertreibt den Schmerz ziemlich sicher und schnell (wenn man nicht Pantopon nehmen will). Ich habe im Mai und Anfang Juni 4 Wochen in der hiesigen Hautklinik gelegen, an Furunkeln, in der Udarna-Palata d.i. das „Zimmer der Stoßbrigadler“, und mich sehr gut befunden, bin auch gut behandelt worden mit allen neumodischen Sachen. Zwei Ärzte, der Direktor und der mich behandelnde Arzt sprechen französisch; letzterer besucht uns jede Woche und ist ein Stück Hausfreund geworden. Die Frankophilie (meine) hat hier nichts Anstößiges, übrigens ist jeder Russe (auch Parteimitglieder) von ihr befallen, der mal in Paris war. In der Klinik habe ich ein Roman-Kapitel geschrieben; es ist totaler Blödsinn geworden: ich war hier noch zu neu und mußte erst eine Inkubationsperiode durchmachen. Gott sei Dank sind es nur wenige Seiten. Ich hatte bis dahin mit dem „Europäer-Chok“ zu tun, der ja Intourist-Leute569 und Kongreßmitglieder nicht zu befallen braucht. Nicht daß es mir persönlich schlecht gegangen wäre, aber ich sah alles unter der George Grosz-Brille, und war vorher in meinem Leben zu wenig gereist – und noch nie nach dem Osten. Ich hätte ein Buch schreiben können, nicht so klug und so gut, aber ungefähr in dem Tonfall des dicken Chesterton570, und wäre ungefähr (hinsichtlich der Zahl der Kommunisten) zu demselben Resultat gekommen wie der Dicke in „Der Mann, der Donnerstag war.“ Inzwischen habe ich etwas mehr gesehen und bin überzeugt, daß die Leute hier ihre Sache schaffen werden, soweit unsere Gebrechlichkeit überhaupt etwas „Ganzes“ (metaphysisch?) zuwege bringt. Zum Beispiel dieses Papier, auf dem ich hier schreibe, und der Briefumschlag sind Sowjetwaren: vor einem Jahr gab es das noch nicht. Die Partei treibt das Land in einem unwahrscheinlichen Tempo vorwärts; daran ist kein Zweifel. Ich habe Steffin eingeladen, uns zu besuchen, damit sie sich überzeugen kann, wie hübsch unsere Wohnung ist: hübscher – durch die Aussicht ins Grüne – als 568 Die Rede ist vermutlich von Brechts Nierenkoliken. Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 569 Bezieht sich auf die 1929 gegründete staatliche Reiseagentur Inturist, über die Reisen ausländischer Touristen in die UdSSR abgewickelt wurden. 570 Gilbert Keith Chesterton (1874–1936), englischer Schriftsteller. Sein satirischer Roman The Man Who Was Thursday erschien 1907.

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unsere letzte Berliner. Überhaupt haben meine Kinder es hier besser als in Berlin; spielen den ganzen Tag im Freien, in staubfreier Luft vor unserem Hause, das auf einem Hügel und nicht an der Straße liegt. Wir leben so gut, daß ich oft denke: wie lange noch? (Eingeborenes Mißtrauen, von dem auch hier viele Menschen befallen sind, sogar sehr viele, die die überflüssigsten Sachen kaufen, aus Mißtrauen. Ein Russe fragte mich: Wie groß ist Ihr Pajak571? Ich sagte wahrheitsgemäß: Wir können ihn nicht aufessen. Wir haben ihn noch niemals verbrauchen können, unsere Aufwärterin und deren Kinder eingeschlossen. Der Russe sagte: Wir würden ihn aufessen. Wir würden solange essen, bis er alle ist. Ganz egal.“ Das ist dasselbe Mißtrauen, dasselbe ganz unberechtigte, widersinnige und unausrottbare.) Anfang Oktober werde ich auf 6 Tage nach Moskau geschickt – „Kommandirowska“572 = Kommandierung heißt das hier – um mich auf Vorlesungen über westeuropäische Literatur vorzubereiten, die ich von Weihnachten ab d.h. von Januar ab halten soll. Es ist nur gerade Zeit, um Material zu besorgen und einige Vorlesungen zu hören – wegen der Methode. Leider ist Steffin dann schon weg, sie fährt am 25. September nach dem Süden ab, und ich werde in Moskau niemand Bekanntes sehen. Drolligerweise ist der jetzige Gesandte Bulgariens in Moskau ein alter Studienkamerad, aber ich werde nicht hingehen. Die Arbeit am Pädagogischen Institut hier ist schwer. Schwer und zeitraubend; ich komme kaum dazu, einen Brief zu schreiben. Russisch können meine Kinder – weil sie den ganzen Tag mit russischen Kindern spielen, Susanne geht in die Schule – schon besser als ich. Bitte geben Sie mir gelegentlich eine Empfehlung an jemand in Moskau. Ich gehe später vielleicht nach Saratow573, wegen der Sprache. Augenblicklich arbeite ich auf den „Udarnik“574, d.h. die Anerkennung als „Stoßbrigadler“ hin. Ich bin schon etwas sowjetisiert. Herzliche Grüße an Sie und Ihre l[iebe] Familie Ihr alter Borchardt Überlieferung: Ms, BBA 482/44–45.

571 Alte russische Maßeinheit (1 Pajak = 52,5 Liter), hier auf den Lebensmittelvorrat bezogen. 572 Russisch komandirovka: Dienstreise. 573 Saratow ist die Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsbezirks an der Wolga im Südwesten Rußlands. Bis zu ihrer Auflösung 1941 befand sich dort die Wolgadeutsche Republik. 574 Abgeleitet von dem russischen Wort udar: Schlag, Stoß. Sogenannte Stoßbrigaden wurden in der UdSSR im Zuge der forcierten Industrialisierung zur Steigerung der Produktivität und zur Propagierung des „sozialistischen Aufbaus“ eingesetzt.

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Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht [Amsterdam] 27.9.1934 27. September 1934 Herrn Bert Brecht, Badehôtel, Dragoer (Kopenhagen). Sehr verehrter Herr Brecht, Wir erhielten heute den ersten und zweiten Teil der dritten Korrektur575, die also nun in Druck gehen können. Falls wir nichts anderes von Ihnen hören, senden wir Ihnen in den nächsten Tagen noch einmal den dritten Teil der zweiten Korrektur. Wir bitten Sie um die Liebenswürdigkeit, ihn dann möglichst schnell zurückzusenden. Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie damit einverstanden sind, dass wir am Schluss des Buches ein Inhaltsverzeichnis, in dem die einzelnen Teile, Kapitel, aufgeführt werden, abdrucken. mit ergebenen Grüssen Allert de Lange. Überlieferung: TsD, BBA Z 29/70.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis] 28.9.1934 28.9.34 Lieber Brecht, vielen Dank fuer Ihren Brief und das kleine Bild.576 Komischerweise pokerte ich gerade zwischen einigen alten Sachen herum, als die Post kam und ich hatte gerade das Blatt in der Hand „Ach, diese babylonische Verwirrung der Woerter“,577 aus einer verwirrten Zeit, dann konnte ich Ihren Brief zunaechst nicht lesen und jetzt nachdem ich Brief und Bild betrachtet habe, wuerde ich gern jener chinesische Dichter POCHUEI578 sein, der jede 575 Die Korrekturfahnen des Dreigroschenromans. 576 Nicht überliefert. 577 Anspielung auf das um 1926 im Kontext der Arbeit an dem Stück Jae Fleischhacker entstandene Gedicht Diese babilonische Verwirrung der Wörter (GBA 13, S. 356–358). 578 Auf das Werk des chinesischen Lyrikers Po Chü-i (772–846), das ihm selbst nur in englischen Nachdichtungen bekannt war, hat Brecht vielfach zurückgegriffen, in polemischer Absicht z.B. in der literaturpolitischen Auseinandersetzung um das Erbe, das die sozialistischen Schriftsteller anzutreten

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Stimmung und Seelenregung fuer wert hielt in Worte gebracht zu werden und ich zitiere so gut ich kann folgende Strofen [hs.: zum Beweis:] An Bord des Schiffes: das Lesen von Y.C’s Gedichten. Ich habe deine Gedichte vor mir und lese sie neben der Kerze. Ich bin damit fertig. Die Kerze brennt tief. Die Morgendaemmerung ist noch weit. Meine Augen schmerzen. Ich sitze neben der tropfenden Kerze im Dunkel Und hoere wie die Wellen vom Wind getrieben gegen meine Seite des Schiffes schlagen. (Chines. und japan. Sachen sind leider immer noch meinen Steckenpferd. Aber man bekommt hier, anscheinend weil man naeher ist, ein viel realeres und wissenschaftlicheres Verhaeltnis dazu.) – Ihr Bild ist noch philosophischer und asketischer als das war, was Sie mir vor etwa einem Jahr schickten und was im „Magazin des Dames“ in Toulon gemacht war. Wenn ich nicht wuesste, dass Sie hin und wieder auch anders sein koennen, wuerde es mich wegen seiner Traurigkeit noch mehr geruehrt haben als es mich allein wegen der Idee, es mir zu schicken, bereits geruehrt hat. Aber wegen meiner Sachen: mit Ihrer Mitteilung kombiniere ich eine Mitteilung von Benj.579, wonach die Rey. sich in Berlin drum kuemmern wollte, inzwischen aber krank geworden ist. Ich denke nun, dass die Taeub.580 sich kuemmert. Wenigstens was die Sicherheit angeht. Wie herauskriegen, weiss ich allerdings nicht. Aber vielen Dank und wenn Ihnen noch was einfaellt, denken Sie an die Sachen. Ich bin ziemlich aufgeschmissen ohne die kleinen Manuskriptschraenkchen. Sehr gern haette ich Nachricht, ob Sie mir das Material von dem Stueck ueber den Arbeitslosen581 und der Familie fuer einige Zeit ueberlassen koennen, worum ich Sie vor einiger Zeit bat. [Hs.: Ich habe dringende Gruende dazu. Ich kann es Ihnen nach ein paar Monaten zurueckgeben. Aber ich habe nicht mal die Übertragung der chinesischen Originale. Ich schickte es ihnen + sah es auch in Thurø.] Je laenger ich hier bin, je mehr wird mir der Unterschied zwischen Europa und hier klar, und wieso hier alles so viel schwerer ist. Europaer koennen hier nur durchkommen auf Grund europaeischer Erfolge, besonders der englischen, der Amerikaner ist besonders in Sachen von Kunst (Buecher, Theater) Europaeern gegenueber zu unsicher, als dass er selber das Machen von Erfolgen, ueberhaupt das Einraeumen von Chancen bei nicht akkreditierten Europaern in die Hand naehme. Die britische Londoner Autoritaet spielt immer noch eine grosse Rolle. Riesenerfolg der Bergner in „Katharina“.582 Sollte ich mich ueber hätten. Vgl. seine Chinesischen Gedichte (GBA 11, S. 255–266; sechs davon erschienen in Das Wort, Heft 8/1938). 579 Benjamins Briefe an Hauptmann gelten als verschollen (vgl. Anm. in: Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 227). Der Name „Rey.“ konnte nicht ermittelt werden. 580 Vermutlich Helena Täubler (vgl. GBA 26, S. 593). 581 Der Arbeitsplatz. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934. 582 Die österreichische Schauspielerin Elisabeth Bergner (1897–1986) emigrierte 1933 nach Großbritannien, 1940 in die USA. Unter der Regie ihres Mannes Paul Czinner spielte sie die Titelrolle in dem

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kurz oder lang entscheiden – und es ist dann eine ziemliche Entscheidung – dass ich nicht hier bleiben kann, so moechte ich meine Rueckfahrkarte benutzen, um nach Mosk. zu gehen, wo man mir Arbeit angeboten hat. Ich moechte aber vorher etwas in London sein und wenn Sie dann gerade da waeren, wuerde ich Sie gern sehen, wenn es einzurichten und nicht zu kompliziert ist. Sie fragen nach Ihering. Nach Neher. Ich weiss von keinem was, ausser dass Ihering irgendwie verbreitet hat, ich haette seinerzeit doch mehr Leute hereingezogen.583 (Was nicht stimmt und ihm auch keiner glauben wird, und wenn, wenn schon.) Von einer Sekret. von Schmi.584 hatte ich Mitte Juli einen Brief. Damals war er noch eingesperrt, seitdem weiss ich nichts. Was ich erfahre, erfahre ich durch Paris und London. Durch einen Zufall traf ich neulich hier eine aeltere Frau, in deren Familie mein Vater Hausarzt war. Ich traf sie als ich zufaellig in eine mir fremde Gesellschaft kam und ich hoerte wie diese Frau, die mir selber unbekannt war, einen Arzt ruehmte. Diese Frau besuchte auf zwei Monate ihren hierher emigrierten Schwiegersohn plus Tochter, deren kleines Kind infolge der Hitze gestorben ist. Sie erzaehlte fast nichts und uns noch mehr als anderen, es ist das einzige, was ich seit langem direkt aus D. gehoert habe und es zeigte, dass dort alle Leute bis auf wenige Eingeweihte nichts wissen. Ab und zu bekomme ich die Frankfurter585 in die Hand, sehe dass Benj. noch drin schreibt. Ich glaube, es war die Taeubl., die in Zuerich oder Luzern gehoert hatte, Ihr Vater586 habe Sie besucht. In Emigrantenstaedten haelt man immer noch Familiengeschichten fuer kolossal wichtig, wobei ich zugebe, dass private Dinge in der Emigration eine groessere Bedeutung haben fuer das Zustandebringen einer anstaendigen Emigration. Ob ich selber was arbeite? Fast nichts. Ich habe viel gesammelt und habe die fehlenden Geschichten fuer einen Band roh fertig. Ich habe einige Einzelkapitel fuer Karl den Kuehnen587, aber es ist alles noch gaenzlich unzusammenhaengend. Ich dachte ich wuerde durch die einzige Stellung, die mir angeboten wurde (und die ich ohne Quotavisum annehmen konnte) etwas Isoliertheit bekommen abends, aber der Umgang mit einer Halbverrueckten, bei der diese Stellung war, war ziemlich aufreibend, vielleicht bekomme ich von Lorre doch das Geld zurueck, jetzt, wo er einen Vertrag hat und dann nehme ich mir sofort ein kleines

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Film The Rise of Catherine the Great (Katharina die Große, GB 1934). In den 1940er Jahren arbeitete sie auch mit Brecht zusammen. Bezieht sich offenbar auf Aussagen, die Hauptmann angeblich gegenüber der Polizei gemacht habe. Sie war im November 1933, kurz vor ihrer Flucht nach Paris, in Berlin verhaftet und von der Gestapo verhört worden. Möglicherweise der Arzt Johann Ludwig Schmitt. Vgl. Hauptmann, 1.9.1934. Frankfurter Zeitung, seit 1866 erscheinende liberale Tageszeitung, 1943 von den Nazis verboten. Auch nach deren Machtübernahme, als jüdische Redakteure wie Siegfried Kracauer die Zeitung verlassen mußten, publizierte Walter Benjamin (unter dem Pseudonym Detlef Holz) dort weiterhin einige Beiträge. Berthold Friedrich Brecht (1869–1939). Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934.

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Zimmer. Ich wuerde mich dann einkapseln, obwohl ich so grosse Lust habe, ueber New Orleans nach Mexiko zu fahren. Herzlichst Ihre Bess. P.S. Ihr Plan, eine Geschichte von H’[s] Aufstieg zu schreiben, im Mittelalter in Oberitalien spielend588 und durchaus positiv halte ich fuer sehr ausgedacht und gross. Vergessen Sie aber nicht, ihn dann mit Isabella d’Este589 zusammenkommen zu lassen, eine von den Frauen aus alten Muenchener Familien, die ihm sozusagen den ersten festen Stamm von Bewundern lieferten. (Jene Familien, die die Erzberger und Rathenaumoerder590 beherbergten), Frauen von denen jede eine Mutter Mosley591 in sich hatte, oder eine Mutter Stahremberg592. Beziehen Sie das Gerippe zu ein paar wirklichen historischen Angaben aus bestimmten Buechern? Ich glaube, es ist ein guter Plan, mein Interesse daran ist groesser als ich Ihnen hier klar machen kann. Benj. schrieb, Sie machten mit Eisler ein Stueck593, das er fuer gut in der Anlage und fuer chancenreich auf dem buergerl. Theater haelt. Worum geht das? Lassen Sie es nur nicht mit Musik ueberschwemmen, was immer es sei. Ich habe hier niemanden, der sich fuer meine Sachen interessiert, ausser einem jungen Batikmacher aus Jugoslawien, wenn Sie mich gelegentlich fragen, ob ich was tue, ist das schon eine grosse Ermutigung. Hier ist man gezwungen, sich nur fuer Amerika zu interessieren, Amerika interessiert sich nicht fuer einen. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 480/58–62.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Brüssel, 29.9.1934 Lieber Brecht, Bruxelles 29.IX.34. Wie Sie sehen, sitze ich immer noch in Bruxelles und zwar fest, weil ich vorläufig für kein 588 Gemeint ist die Fragment gebliebene Geschichte Wenige wissen heute. Vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 16.9.1934. 589 Isabella d’Este (1474–1539), mantuanische Kunstmäzenin der Renaissance. 590 Matthias Erzberger (1875–1921), vormals Reichstagsabgeordneter der SPD/USPD und ein Gegner der deutschen Kriegspolitik, war Leiter der Waffenstillstandskommission und seit 1919 Finanzminister. 1921 wurde er von sogenannten Freikorps ermordet, ebenso wie der der liberalen Deutschen Demokratischen Partei angehörende Wiederaufbau- und Außenminister Walther Rathenau (1867– 1922), der 1922 in Rapallo einen Vertrag mit Sowjetrußland geschlossen hatte. 591 Oswald Mosley (1896–1980), englischer Politiker, gründete 1932 die British Union of Fascists. 592 Ernst Rüdiger Starhemberg (1899–1956), ein österreichischer Faschist, Anhänger von Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg. 593 Das erwähnte Schreiben Benjamins ist nicht überliefert. Möglicherweise ist Das Ölfeld gemeint (vgl. Anm. zu Lania und Eisler, 21.9.1934).

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Land die Einreiseerlaubnis bekomme. Ich habe meinen Film „Der Seifenbläser“594 in Berlin fertig gedreht und als ich mit der Montage ziemlich fertig war, wollte die Geheime Staatspolizei das Positiv sowohl wie das Negativ beschlagnahmen. Da aber das ganze Material auf einen anderen Namen und an einem, der Gestapo unbekanten Ort lagerte, konnte sie nichts erreichen. Einigen Tage später unternahm sie einen zweiten Versuch, diesmal auf Grund einer Anzeige des Stellvertreters des Dr. Goeb[b]els, Ministerialrat Retter. Ausserdem hat er freundlicher Weise einen Lebenslauf von mir beigefügt. Diesmal hat die Gestapo genau ausgekundschaftet, wo alles liegt und wo ich wohne. Ich habe in diesem Falle der Gestapo bewiesen, daß ich rascher gehandelt habe als sie und habe die Arbeitskopie innerhalb von 4 Stunden über die Grenze gebracht. Nach dem ich das erreicht habe, schlug ich vor, man solle sich erst mal ansehen, was sie beschlagnahmen wollen. Das haben sie auch eingesehen. Und so habe ich ein Woche später, d.h. nach dem Nürnberger Parteitag595 im Polizeipräsidium eine Vorführung meines Films angesetzt. Während dessen habe ich angeordnet, daß das Negativ entlich nach Paris geschickt wird. So konnte ich in gröster Ruhe nach Bruxelles fahren und Sie werden sicher auch meine Meinung sein, daß ich die Vorführung, die im Polizeipräsidium zu Berlin ohne jegliche Kopie stattfindet, aus Bruxelles objektiver beurteilen kann als in Berlin. Inzwischen hat, auf Anweisungen der Geheimen Staatspolizei und des Propagandaministeriums, Kriminal Komissar von Schendel die Sache in die Hand genommen. Von Schendel ist einer der Obersten Leiter der Abteilung zur bekämpfung des Kommunismus. Er soll mein Drehbuch ziemlich lange und fast wörtlich (?) studiert haben. Ob er zum Schluss erraten hat, wer der Seifenbläser ist? Ich bitte Sie diesen Fall möglichst vertraulich zu behandeln, weil meine Frau noch in Berlin ist. Meine Pläne sind, meinen Film zu Ende zu montieren und ihn dann sofort noch synkroniziere. Ich warte in Bruxelles auf die Einreiseerlaubnis entweder nach Holland oder Frankreich. Sowie ich irgendwo gelandet bin, melde ich mich bei Ihnen. Mit Richter596 habe ich keine Lust zusammen zu arbeiten, weil er sehr unzuverlässig ist, ausserdem schwindelt viel. Grüssen Sie bitte nur die guten Freunde von mir und Sie werden bald von mir hören. Ihr Dudow Bruxelles Post restante Überlieferung: Ms, BBA 478/59–61.

594 Gemeint ist die 1933 noch in Deutschland gedrehte Kleinbürgersatire Seifenblasen. Dudow war dank seinem ausländischen Paß dort zunächst noch in Sicherheit. Den Film konnte er jedoch erst in Paris fertigstellen, nachdem er das Material illegal über die Grenze geschafft hatte. 595 Reichsparteitage der NSDAP fanden zwischen 1933 und 1938 alljährlich im September in Nürnberg statt. Der Parteitag von 1933 wurde als „Reichsparteitag des Sieges“, der von 1934 in Anlehnung an Leni Riefenstahls Film Triumph des Willens später als „Reichsparteitag des Willens“ bezeichnet. 596 Vermutlich Hans Richter.

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Bernard Rosner an Bertolt Brecht Paris, 1.10.1934 Herrn Bertold Brecht Badehotel Dragoer Kopenhagen

Paris, den 1. X. 34.

Lieber Genosse Brecht, ich erhielt Ihr Schreiben vom 20. September.597 Den darin erwähnten vorigen Brief habe ich nicht erhalten. Ich bin, offen gestanden, etwas bestürzt über den Inhalt und zwar aus verschiedenen Gründen. 1. habe ich meinen Auslieferungen und auch sonst überall bereits mitgeteilt, dass die RUNDKÖPFE bei mir erscheinen 2. ich habe einen Anwalt in Deutschland beauftragt, mit dem Verlag in Deutschland wegen der anderen Versuche zu verhandeln; abgesehen davon brauche ich Ihnen wohl nicht besonders zu betonen, dass ich persönlich das grösste Interesse habe, etwas Neues von Ihnen zu verlegen. Neben allem ist es auch wichtig, gerade für den neuen Verlag, der es sehr schwer hat sich durchzusetzen, einigermassen die Programme einzuhalten, die er bekannt gibt. Ich verstehe natürlich, dass Sie Herzfelde gegenüber nicht unfreundlich sein wollen, aber ich muss Ihnen sagen, dass ich Herzfelde hier nicht verstehe. Ich würde einem hiesigen Autor, der mir sagt, er hat Herzfelde schon ein bestimmtes Werk versprochen nicht zureden, es ihm wegzunehmen und bei mir herauszubringen. Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, dass es sich hier nicht etwa um sentimentale Gründe handelt. Ich möchte Ihnen jetzt zu Ihrem Schreiben folgenden Vorschlag machen: Geben Sie Herzfelde die Stücke ausser den RUNDKÖPFEN, die man ohnehin auch ausserhalb der Reihe der Versuche herausbringen kann. Ich glaube, dieser Vorschlag ist wirklich nicht zuviel verlangt, nachdem ich ja bereits Ihre Zusage hatte und hoffe sehr, dass Sie – wenn Sie wollen –, Herzfelde klarmachen können, dass Sie die Vereinbarung mit mir nicht gänzlich zurücknehmen können. Bitte, geben Sie mir umgehend Bescheid und verstehen Sie, dass ich wirklich alles tun muss, um meinen jungen Verlag durchzusetzen. Mit den besten Grüssen Ihr bernardrosner [Hs.] Mit gleicher Post erhalten Sie 1 Exemplar Erckner Exerzierplatz Deutschland598 597 Vgl. GBA 28, S. 440f., dazu die Anm. zu Rosner, 4.9.1934. Weitere Briefe Brechts an Rosner sind nicht überliefert. 598 S. Erckner, Exerzierplatz Deutschland, 1934 in der Schriftenreihe des Instituts zum Studium des

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Éditions Bernard Rosner 36, Rue Du Colisée – Paris-8e Tèlèphone: Balzac 58-00 R. C. Seine 614.445; BBA 774/30.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 2.10.1934 Küsnacht b. Zürich am 2. X. 34 L.B., warum schreiben Sie eigentlich nicht? Soll dieser verdammte Zustand auch unsere Beziehungen noch kaputt machen? Ich war einige Zeit an der Saar;599 es war in jeder Hinsicht schrecklich, plötzlich wieder in Deutschland zu sein. Von Frankreich – wo ich auch kurz war – hatte ich einen trüben Eindruck. Haben Sie den Moskauer Kongress600 verfolgt? Das scheint mir die neue Form der Int601 zu sein; man veranstaltet russische Kongresse und lässt die Repräsentanten der Verbündeten als Gäste auftreten. Auch der Sieg der Ex-Emigranten über die Komm602 ist sehr bemerkenswert. Wenn ich irgendeine finanzielle Möglichkeit sähe, käme ich zu Ihnen für ein paar Wochen. Aber wollen Sie denn wirklich auch den ganzen Winter auf Ihrer Insel bleiben? Leben Sie wohl. Ihr alter Brentano. Man hat mich in der IL schon wieder begehrt.603 Aber die Nazis schreiben über die Schriftsteller in Dld nicht anders. Ihering’s Sprünge kommen mir so bekannt vor!604

Faschismus bei Rosner in Paris erschienen. Hinter dem Pseudonym S. Erckner verbirgt sich der österreichische Kommunist Staschek Scymoncyk, der später auf seiten der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte. 599 Vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 600 Vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933. 601 Kommunistische Internationale. 602 Kommunisten. 603 Vgl. Anm. zu Brentano, 17.6.1934. 604 Möglicherweise eine Anspielung darauf, daß Herbert Ihering seit kurzem als Nachfolger Alfred Kerrs beim 1933 gleichgeschalteten Berliner Tageblatt arbeitete.

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Sie als Dramatiker müssen eigentlich wissen, dass ein einseitiger Briefwechsel so wenig geht wie ein Stück aus Monologen! Ist Ihre Gesundheit wieder die alte?605 Überlieferung: Ms, BBA 481/32–33.

Gustav Kiepenheuer an Bertolt Brecht Berlin, 3.10.1934 -/E.

Berlin, den 3.10.34. Herrn

Bert Brecht,

Skovsbostrand, Svendborg Dänemark

Mein lieber Herr Brecht, in umgehender Beantwortung Ihrer Zuschrift vom 26.9.606 teile ich Ihnen ergebenst mit, dass ich mit Ihrem Vorschlag im Namen der Gustav Kiepenheuer Verlag A.-G. i.L. einverstanden bin. Sie haben also diesem Abkommen gemäss keine Forderung mehr an uns und wir auch keine Forderung mehr an Sie. Die Rechte der bei uns veröffentlichten Bücher fallen an Sie zurück, da wir nicht mehr in der Lage sind, dieselben zu vertreiben Mit den besten Grüssen Ihr Überlieferung: Ts, Bv.: Gustav Kiepenheuer Verlag Berlin-Charlottenburg º Kantstrasse 10; BBA 589/9.

605 Vgl. Anm. zu Knutzon, Frühjahr 1934. 606 Vgl. GBA 28, S. 443.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 5.10.1934 Paris le 5.X.34. Lieber Brecht, endlich konnte ich nach Paris fahren. Hier wartet sehr viel Arbeit auf mich. Erstens muß ich meinen Film607 fertig machen und wenn das gut klappt, muß ich einen anderen nachsynkronizieren, so daß ich einigen Wochen zu tun haben werde. Können Sie ev. über Paris nach Dänemark zurück fahren? Hier würden wir einiges besprechen können. Herzliche Grüsse Ihr Dudow Das Hotel ist meine vorläufige Adresse. Überlieferung: Ms, Bv.: A. Terrail, Prop.Re Hotel San Regis Aux Champs Elysées 12, Rue Jean Goujon – Paris (8.E) Même Maison Restaurant De La Tour D’argent Frederic 15, Quai de la Tournelle Tél. Elysées 25-76-30-37 53-45-59-41 Ad. Télég. SANREGITEL-PARIS; BBA 478/58.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht608 [Skovsbostrand] 6.10.1934 Lieber Brecht, soeben erfahre ich auf der Bank, daß auf Helis Konto – auf das ich mein Geld, 601 Kr, eingezahlt hatte – nur noch 40 Kr liegen. Da ich am 19ten von hier fort muß, weil ich sonst meinen Sohn609 nicht mehr erreiche, bitte ich Sie dringend, mir das Geld sogleich hierher überweisen zu lassen. Heli ist noch in Dragør und kommt, wie sie Mari610 telefonisch mitteilte, vorläufig noch nicht zurück.

607 Vgl. Dudow, 29.9.1934. 608 Brecht war am 3. Oktober auf Einladung Eislers und Lanias nach London gereist, um dort u.a. an dem Filmstoff Semmelweis zu arbeiten (vgl. Anm. zu Lania, 19.8.1934). 609 Stefan Rafael Benjamin (1918–1972), Benjamins Sohn aus der Ehe mit Dora Kellner. Lebte nach dem Zweiten Weltkrieg als Buchhändler in London. 610 Maria Hold.

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Bitte geben Sie mir gleich Bescheid. Herzlichen Gruß! Ihr 6 Oktober 1934 Walter Benjamin Überlieferung: Ms, BBA 478/21. – E: Zur Aktualität Walter Benjamins, hrsg. v. S. Unseld, Frankfurt/M. 1972, S. 35f. (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. IV, S. 512).

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Paris, 10.10.1934 Dr. Lion Feuchtwanger.

Paris, den 10. Oktober 1934. Hotel Raphael Avenue Kléber.

Herrn Berthold BRECHT Parma House 24 Colthorpe Street LONDON Lieber Brecht, ich habe mit Secker611 ausführlich über den ‚Dreigroschenroman‘ gesprochen und ihn, glaube ich, gut präpariert. Er will den Roman Eric Sutton612 zu lesen geben, der übrigens ein verständiger Mensch ist, und Sutton veranlassen, sich dann direkt mit Ihnen ins Benehmen zu setzen. Vielleicht schreiben Sie noch einmal direkt an Secker in etwa 14 Tagen, erinnern ihn an das Buch und bitten ihn nochmals, Sutton zu veranlassen, sich direkt mit Ihnen ins Benehmen zu setzen. Was Wieland Herzfelde anlangt, so habe ich mit Mrs. Anthony de Rothschild613 gesprochen. Ich habe ihr gesagt, dass da eine Zeitschrift614 existiert, die Förderung verdiene, und sie ersucht, eine kleine Sammlung unter ihren Bekannten für eine Ehrengabe zu veranlassen. Ich legte ihr dar, dass man der Zeitschrift nicht ohne weiteres Geld anbieten könne, sondern dieses Angebot in Form einer Ehrengabe kleiden müsse. Ich halte es nicht für aus611 Martin Secker (1882–1978) war Feuchtwangers Verleger in England. Sein Verlag ging 1936 in Secker and Warburg auf. 612 Eric Sutton arbeitete als Übersetzer für Martin Secker. 613 Yvonne Cahen d’Anvers (1899–1977), Frau des englischen Bankiers Anthony Gustav de Rothschild (1887–1961). 614 Neue Deutsche Blätter.

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sichtslos, dass die Geschichte etwas wird. Frau von Rothschild bat um Literatur. Vielleicht schickt ihr Herzfelde unter Bezugnahme auf mich ein kleines Exposé über seine Zeitschrift und seine Bestrebungen. Selbstverständlich muss peinlich alles vermieden werden, was an kommunistische Tendenzen erinnern könnte. Die Adresse Frau von Rothschilds ist: Mrs. Anthony de Rothschild, 42, Hill Street London. Ich habe bedauert, dass wir in dem Londoner Gehetz nicht in Ruhe sprechen konnten.615 Vielleicht entschliessen Sie sich doch, einmal herunter nach Sanary zu kommen. Herzlichst immer Ihr Lion Feuchtwanger im Auftrage: H. Haerle Sekretärin. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/90. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 27f.

George Grosz an Bertolt Brecht New York, 10.10.1934 40-41 221 Street Bayside Long Island New York, I0 Oct. 34 Lieber Bertie, OKAY, nice to hear from you616.....ja Bert habe grosse Lust die Dramen zu illustrieren617 .....ich bin auch wohl der Einzige, der deine Werke heute gut illustrieren kann (und dem es ausserdem noch Freude macht).......... nun zum Geldpunkt: da ihr ja wie Du witzig schreibst, kleine „Kaufleute“ seid, so will ich euch sehr entgegenkommen.....zudem die ganze Sache ja in höchst beschränkter Auflage erscheinen soll.....meine Forderung ist sehr niedrig kalkuliert mit 300 - 400 Dollar pro Drama. Dies ist ein reiner Freundschaftspreis, ich erhalte hier das drei und vierfache für Illustrationen. Dieser Preis gilt nur für diese eine Auflage, wird übersetzt und die Zeichnun615 Feuchtwanger hatte sich ebenfalls kurz in London aufgehalten und Brecht dort getroffen. 616 Vgl. Brechts unvollständig überlieferten Brief an Grosz vom 2.9.1934, GBA 28, S. 436f. 617 Bezieht sich auf die von Wieland Herzfelde geplante Neuausgabe der Versuche im Malik-Verlag. Brechts Stücke erschienen dort als Gesammelte Werke. Veröffentlicht wurden jedoch 1938 nur die ersten beiden Bände; zwei weitere, die im Satz bereits vorlagen, konnten infolge des Einmarschs der deutschen Truppen in die Tschechoslowakei nicht mehr fertiggestellt werden.

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gen in die Ubersetzung mit übernommen, so muss eine dementsprechende Nachzahlung gemacht werden (was sich ja von selbst versteht). Als Anzahlung müsste ich 100 Dollar im voraus haben....(wie üblich) Also antworte mir bald. Wo sollen die Dramen erscheinen? In derselben Form wie 3 Soldaten?...... auch wenn Du spezielle Wünsche hast...oder besondere Ideen, welche Stellen Du illustriert haben willst usw. usw. eventuelle Ideen für begleitende Zeichnungen, die im Ton der Dramen den Text gewissermaßen synkopieren......lege beschriebene Zettel bei und mache Anmerkungen.........Du weisst ich folge da ebenso gerne deinen Wünschen. Also schreibe umgehend. Dank für deinen letzten Brief....sehe daraus dasz Du mit Erfolg die grossen chinesischen Tuschmeister betrachtest. Ich male zurzeit ein aktuelles Bild: (mehrere) 1. Attentat auf einen Diktatorkönig 2. Untergang des Dampfers der Wardline Morrow castle 3. Ende und Enthauptung eines Freiheitshelden (drei Bilder nebeneinander) 1. Abschied von Weib und Kind 2. Enthauptung 3. Wiedersehen mit den Parteifreunden und Schwur. Viele Grüße...zu meinen Bildern schreibe ich auch erklärenden Text selbst. herzlichst Dein alter george Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/78. – E: Grosz, Briefe, S. 202.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 13.10.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 13. Oktober 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Calthorpe Street, Parma House, London W.C.1.

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Lieber Herr Brecht, Das Geld ist tatsächlich infolge eines Versehens hier liegen geblieben.618 Es ist Ihrem Wunsch entsprechend, gestern die eine Hälfte telegraphisch und die andere Hälfte auf gewöhnlichem Wege übersandt worden. Ihr Buch619 erscheint also in der folgenden Woche. Ich hoffe, dass wir einen guten Erfolg damit haben. Im Ausland werde ich also jetzt verhandeln, mit Ausnahme von England, Frankreich und Schweden. Hätte ich das früher gewusst, so hätten wir sicherlich schon einige Abschlüsse. Ich würde Sie aber bitten, in den anderen Ländern nichts zu unternehmen, wenigstens die nächsten 2 Monate nicht, da das Ansehen eines Buches nur leidet, wenn es von mehreren Seiten angeboten wird, es sei denn dass Sie eine direkte Anfrage erhalten. In diesem Falle bitte ich Sie aber, mich zu benachrichtigen, damit ich nicht unnötig verhandle. Ich glaube, auf diese Weise kommen wir am besten weiter. Ich werde also vorläufig in erster Linie in Polen, Dänemark, Norwegen und der Tschecho-Slowakei verhandeln. Teilen Sie mir auf jeden Fall Ihre jeweilige Adresse mit. Herzliche Grüsse Ihr W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/49.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis] 14.10.1934 14.10.34 Lieber Brecht, vielen Dank fuer Ihren Brief620, hoffentlich geht es Ihnen besser und vielleicht muss Ihnen dieser Brief von dort nach London nachgeschickt werden. Zu Ihrer Unterhaltung das beiliegende Foto, es war das erste Mal, dass ich ueber Sonntag draussen war, und eine Frankfurter Emmigrantin [sic] (die aber als Juedin und im Besitz von Geldmitteln besser dran ist – sie eroeffnet heute bereits ein Office downtown mit viel Nickel und rotem Leder und ist ganz und gar unpol.) mich knipste. Der Packen Zeitungen sind „Frankfurter“, ich

618 Vgl. B. an Allert de Lange, 2.10.1934, GBA 28, S. 444. 619 Dreigroschenroman. 620 Nicht überliefert.

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stosse dabei immer wieder auf Herrn Holz.621 Der Herbst hier ist fabelhaft, er ist aber auch fast das Einzige, was mir fabelhaft erscheint. Meinen letzten Brief haben Sie sicher inzwischen bekommen, Neues habe ich kaum hinzuzufuegen, da sich nichts veraendert hat. Ja, ich hoerte, dass Malik die Versuche herausbringt, Wieland preist Sie laut in allen Laendern und bei seinen guten Beziehungen zu diesem Lande erscheint es mir, als dass Sie doch innerhalb der naechsten 5 Jahre auch hier einziehen. Es ist ein weiser Standpunkt, ohne Einladung und Auftrag nicht herzukommen. Ich freue mich natuerlich sehr, dass ich aus den Sachen nicht ganz verschwunden bin. Es ist einem leider nicht immer vergoennt, direkt nuetzlich zu sein, und verwendet zu werden. Augenblicklich suche ich mal wieder nach einem ruhigem Platz zum Sitzen, sitze im Basement neben der Oelheizung. Es ist ganz huebsch, aber der Motor, der die Heizung betreibt, laeuft so unheimlich, dass ich meine, jeden Moment muss der Kessel auseinanderfliegen. Ja, ein paar Briefe an die Leute in USSR waeren mir sehr wertvoll. Vielleicht koennen Sie sie bei der Bianca622 deponieren, hier muss ich derlei Post einfach verstecken. Ich hatte seinerzeit einen von Tretj.623, habe ihm aber noch nicht geantwortet, will es aber jetzt tun, es ist immer so dumm zu schreiben, wenn die Plaene so unklar sind, aber allmaehlich lichtet es sich hier fuer mich und ich sehe, dass es nur zwei Moeglichkeiten gibt entweder mich wo laenger hinsetzen und was zu Ende machen oder nach USSR gehen. Ich wuerde gern als Steno oder als irgendwas arbeiten, aber offen gestanden habe ich keine Lust mehr, mir die Hacken abzulaufen und den Mund fusselig zu reden, um sowas zu ergattern. Wir haben hier drei Radiostationen (KSD, KWK, KMOX), die zum Teil selbstaendig arbeiten, zum Teil dem grossen „hookup“ (Anhaengersystem oder Einhaksystem) from coast to coast der Columbia oder National Co. angeschlossen sind. Selbst grosse Leute arbeiten bis vor kurzer Zeit umsonst rein wegen publicity. Man fragt mich immer wieso ich bezahlt werden wolle und ausserdem haetten sie genug Leute. Also dies alles geht nicht. Dabei ist es hoch interessant, das Radio hier zu beobachten, die grossen Industrieprogramme, die im Sommer ruhten, haben mit aller Macht eingesetzt und die grossen Konzerne ueberschlagen sich, wie sie sich gegenseitig an Attraktion uebertrumpfen koennen. Ford, der bis vor zwei Jahren etwa ueberhaupt keine Reklame machte, sendet jetzt jeden Sonntag abend ein Programm (die Fordstunde), gestern im Sinfoniekonzert spielte Sascha Heifez624, er spielte sogar hinreissend. General Motors aber haben die gleiche Sendezeit (7 bis 8 abends – mit die teuerste Zeit) gekauft, nur bei einer anderen Gesellschaft und mit einem anderen hookup. General Motors also brachten die Bostoner Sinfoniker und als Solistin Grace Moore625 von der 621 Detlef Holz war ein Pseudonym Walter Benjamins, vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.9.1934. 622 Vermutlich Margaret Mynotti alias Bianca Mynatt. 623 Sergej Tretjakow. 624 Vermutlich Jascha Heifetz, d.i. Jossif Ruwimowitsch Heifetz (Iosif Ruvimovič Chejfec, 1901–1987), als „Wunderkind“ gefeierter Violinist aus Litauen, der seit 1917 in den USA lebte. 625 Grace Moore (1898–1947), amerikanische Sopranistin, die seit den 1930er Jahren auch in HollywoodFilmmusicals auftrat. Ihr Operndebüt gab sie 1928 in der Metropolitan Opera in New York.

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Metropolitan, die ungeheuer schoen singt und ganz besonders geliebt wird. Sie koennen sich also denken, wie das Sonntagabendessen verlaeuft, wenn ein Teil der Familie fuer Ford ist bzw. fuer Heifez und ein anderer fuer General Motors bwz. fuer die Moore, ein dritter aber ueberhaupt fuer die Komiker Amos und Andy626, die etwas spaeter Pepsodent-Stunde machen. Dieses System ist so sehr Ausdruck des Systems hier, dass die Radioprogramme meiner Ansicht nach den groessten dokumentarischen Wert haben. Ich schreibe Ihnen dies nur, weil es Ihnen vielleicht Spass macht. Uebrigens: gestern begann auch das New Yorker Sinfonieorchester sein Winterprogramm (jeden Sonntag 2–4). Es war diesen Sonntag (und auch naechsten) unter der Leitung von Klemperer627, die Leute haben ihn beklatscht wie bei seiner Abschiedsvorstellung bei Kroll. Der Schlaue eroeffnet mit Bruckners Neunten628, es ist ja nicht umsonst gerade der Eucharistische Kongress629 im Gange und es hatte nicht umsonst ein paar Stunden vorher der Papbst630 uebers Radio gesprochen. Hinterher kam freilich Beethovens Fuenfte, die er ganz wunderbar darstellte. Es kam ueberdeutlich heraus, dass es ein einziges Schlachten-Tongemaelde ist mit ab- und zunehmden Geschuetzlaerm, sich entfernden Truppen, Fanfaren, duestere Abendstimmung auf dem Schlachtfeld usw. usw. bis dann das Ganze in einen Sieg hineinmarschiert, der an allen moeglichen verschiedenen Plaetzen musikalisch einsetzt und dann in ein einziges Viktoria ausklingt. (Herstellungsjahr 1808631) Zwischen Dokument und sogenannten Ewigkeitswerten scheint also eine grosse Verbindung zu sein. Auf das ganze System passt kein Wort besser als das Marxsche: sie wissen nicht was sie tun, aber sie tun es doch.632 (Dud633: ist er mit dem Filmplan von Ernst Busch in Bruessel verwickelt?)

626 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934. 627 Der in Breslau geborene Dirigent und Komponist Otto Klemperer (1885–1973), von 1927 bis 1931 an der Berliner Kroll-Oper tätig, hatte ebendort 1929 eine Konzertaufführung des Flugs der Lindberghs dirigiert. Er emigrierte 1933 in die USA, wo er u.a. das Los Angeles Philharmonic Orchestra leitete. 628 Die 9. Symphonie des österreichischen Komponisten und Organisten Anton Bruckner (1824–1896) blieb unvollendet. Bruckner, darauf wollte Hauptmann hier offensichtlich anspielen, war gläubiger Katholik. Von den Nazis wurde er, ähnlich wie Beethoven, als „arischer“ Komponist reklamiert. 629 Der Eucharistische Weltkongreß ist eine seit 1881 regelmäßig veranstaltete religiöse Kundgebung der katholischen Kirche. Der 32. Kongreß dieser Art fand vom 10. bis 14.10.1934 in Buenos Aires statt. 630 So im Ts. Gemeint ist offenbar Pius XI., d.i. Achille Ambrogio Damiano Ratti (1857–1939), von 1922 bis 1939 Papst der katholischen Kirche. 631 Die 5. Symphonie Ludwig van Beethovens (1770–1827), auch als „Schicksalssymphonie“ bezeichnet, wurde 1808 in Wien uraufgeführt. 632 Im ersten Band des Marxschen Kapital heißt es: „Sie wissen das nicht, aber sie tun es“ (MEW 23, S. 88). Dieses abgewandelte Christus-Zitat (vgl. Lk 23, 34) bezieht Marx darauf, daß die Menschen, ohne es zu wissen, durch ihr bloßes Tun ihre Arbeitsprodukte in Waren verwandeln und dadurch zugleich einen gesellschaftlichen Zusammenhang stiften, dessen sie sich nicht bewußt sind. An späterer Stelle schreibt er: „Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eignen Hand beherrscht“ (a.a.O., S. 649). 633 Slatan Dudow. Der erwähnte Filmplan von Ernst Busch konnte nicht ermittelt werden.

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So, das ist schon viel mehr, als ich schreiben wollte, lieber Brecht. Vergessen Sie mich auch weiter nicht. Sie werden ja sehen, wie es in L. ist, wie teuer es dort ist und ob es gut waere, dort ein paar Monate vor R. zu sein. Wenn mich jemand pro forma oder richtig in irgendwas gebrauchen koennte, waere das fuer ein einfacheres Wegkommen hier nuetzlich. Aber nicht unbedingt noetig. Herzlichst Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 480/75–78.

D. Zenker (Franz Deuticke Verlag)634 an Bertolt Brecht Wien, 18.10.1934 Wien, 18. Oktober 1934. Herrn Bert B r e c h t Skovsbocstrand [sic] Sehr verehrter Herr! Wie Ihnen bekannt ist, habe ich vom Verlag Kiepenheuer die Bestände Ihrer „Versuche“ zur ramschmässigen Verwendung übernommen. Nun ist das Heft 3 seit einiger Zeit vergriffen, wird aber immer wieder verlangt. Ich habe nun daran gedacht, einen photomechanischen Nachdruck des Heftes herstellen zu lassen, um es zusammen mit den übrigen Versuchen liefern zu können. Ich frage daher bei Ihnen an, ob Sie zu einem solchen Nachdruck die Erlaubnis geben und wie hoch sich Ihr Honoraranspruch dafür beläuft. Erwähnen möchte ich aber, dass dieser Nachdruck (es würde sich um eine Auflage von höchstens 1.000 Ex. handeln) natürlich ziemlich hoch kommt; ich möchte Sie daher bitten, Ihren Anspruch so niedrig als möglich zu halten, damit die Durchführung nicht daran scheitert. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir Ihre Antwort möglichst umgehend zukommen liessen. Mit verbindlichster Hochachtung FRANZ DEUTICKE Antiquariat WIEN I., HELFERSTORFERSTRASSE 4 D. Zenker

634 Zenker scheint ein Mitarbeiter des Wiener Buchantiquariats Franz Deuticke gewesen zu sein, welches nebenher einen eigenen Verlag betrieb. Vgl. B. an Kiepenheuer, 26.9.1934, GBA 28, S. 443.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Franz Deuticke Abteilung Antiquariat Wien I., Helferstorferstrasse Nr. 4 (Schottenhof); BBA 589/6.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 19.10.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 19. Oktober 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Calthorpe Street, Parma House, London W.C.1. Lieber Herr Brecht, Unglückseligerweise ist Ihre Rezensentenliste hier verloren gegangen. Ich bitte Sie so freundlich zu sein und mir sofort eine neue zu schicken.635 Das Buch636 wird am Montag schon versandt. Eben erhielt ich Ihren Brief. Ich werde Ihnen schon in den nächsten Tagen ausführlich darauf antworten. Ich bitte Sie nur so liebenswürdig zu sein, sich noch bis dahin zu gedulden. mit herzlichen Grüssen Ihr W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/50.

635 Vgl. B. an Landauer, Ende Oktober 1934, GBA 28, S. 451. 636 Der soeben erschienene Dreigroschenroman.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Paris, 20.10.1934 Dr. Lion Feuchtwanger

Paris, den 20. Oktober 1934. Hotel Raphael Avenue Kléber.

Lieber Brecht, bitte vergessen Sie nicht, den Verlag de Lange zu veranlassen, mir den ‚DreigroschenRoman‘ zu schicken, und zwar an meine Adresse nach Sanary. Ich habe, wie Sie wissen, mein Exemplar an Secker weitergegeben. Ich werde Mittwoch in Sanary zurück sein und möchte natürlich das Buch gern lesen. Alles Gute. Immer Ihr Lion Feuchtwanger im Auftrage: H. Haerle Sekretärin. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/89.

Steen Hasselbalch637 an Bertolt Brecht Kopenhagen, 20.10.1934 20. Oktober 1934. Herrn Bert Brecht 24, Cantharpe Str. Parmahouse, London W.C.I Herr Johannes Weltzer638 hat mir Ihre Adresse in London gegeben darum dass ich über die geschäftsmässigen Bedingungen fragen kann, auf welche ich das dänische Ausgaberecht zu „Dreigroschen Roman“ erwerben kann. Herr Weltzer hat mir heute einen Brief gezeigt, die Sie Frau Berlau gesandt haben, in welchem Sie mitteilen, dass Sie bereit sind, mir das Buch zu überlassen. Sie nennen aber 637 Steen Hasselbalch (1881–1952), dänischer Verleger. 638 Johannes Weltzer (1900–1951) besorgte eine dänische Übersetzung des Dreigroschenromans, die unter dem Titel Kun i velstand har man det rart 1935 bei Steen Hasselbalch in Kopenhagen erschien. Die Gedichte übertrug Einar Otto Gelsted.

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überhaupt nicht Bedingungen und die Summe, und ich bitte Sie deshalb so freundlich zu sein, mir bei erster Gelegenheit ein Paar Worte darüber zu senden, welche Prozentsatz Sie wünschen per verkaufter Exemplar und welche Summe Sie bei Unterschrift des Vertrages àuf Konto ausbezahlt haben möchten. Ich reise Morgen auf eine acht Tage lang Provinz-Tournee und werde Sonntag Nachmittag Thurö passieren, und ich habe die Verabredung mit Ihrer Frau im Telephon gemacht, dass das Exemplar des Romanes, welches in ihrer Besitz ist, an die Leute heraufgebracht wird, die ich in Svendborg besuchen werde, Konsul Ribers. Es ist dann meine Absicht, das Buch auf die Reise zu lesen gleichzeitig damit, dass Herr Weltzer mit der Uebersetzung anfangt. Mit Rücksicht auf einer Bemerkung in Ihrem erstgenannten Briefe639, teile ich Ihnen mit, dass ich selbstverständlich nichts dagegen habe, Ihre Dramen auszugeben, ich muss mir aber vorbehalten, dieselben zu lesen und eventuel über die Bedingungen näher zu verhandeln, ich kann Ihnen aber nur sagen, dass wir hier im Verlage ziemlich treu sind – wenn wir einmal A gesagt haben, pflegen wir auch B zu sagen. Ihr ergebener Steen Hasselbalch. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Steen Hasselbalchs Forlag Telefon: 12240 Telegram-Adresse: Steeneditor Postgiro: 444 Boldhusgade 2 København K.; BBA 774/8–9.

Steen Hasselbalch an Bertolt Brecht Kopenhagen [Oktober 1934] 93 CC 1746 29 Kobenhavn h 21/20 Bert Brecht 24 Cantharpe Str Parmahouse LDN WC 1 = Please answer letter from 20 inst conditions Danish rights for Dreigroschenroman = Hasselbalch Überlieferung: Ts (Telegramm), Tv.: Post Office Telegraphs; BBA 774/7.

639 Nicht überliefert.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 22.10.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange AMSTERDAM-C, den 22. Oktober 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Calthorpe Street, Parma House, London W.C.1. Lieber Herr Brecht, Soeben erhalte ich Nachricht, dass der Verlag Hasselbalch in Kopenhagen sich sehr ernsthaft für die Übersetzung des Dreigroschenromans interessiert. Der Verlag ist an sich sehr zu empfehlen. Ich bitte Sie mir umgehend mitzuteilen, ob Sie damit einverstanden sind, dass ich den Dreigroschenroman dort für eine Vorauszahlung von fl. 400.- anbiete.640 Herzliche Grüsse Ihr W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/51.

Igor Kamieniecki641 an Bertolt Brecht Warschau, 25.10.1934 IGOR KAMIENIECKI Warszawa Nowolipie 62/6

25/X 34

Werther Genosse Brecht vor einigen Wochen schrieb ich auf Ihre Pariseradresse aber mein Brief blieb unbeantwortet.

640 Vgl. B. an Landauer, 22.10.1934, GBA 28, S. 451f. 641 Igor Kamieniecki, polnischer Schriftsteller und Übersetzer. Vgl. Herzfelde, 6.6.1935.

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Ich möchte den „Drei Groscheroman“ uebersetzen.642 Franz Weisskopf643, Friedrich Wolf644 oder der Verlag du Carrefour kann ihnen uber meine Uebersetzertätigkeit näheres mitteilen. (Letztens habe ich zwei Braunbucher uebersetzt). Es wird doch Ihnen möglich sein bei den Verlag Allert de Langen für mich die Uebersetzung vorbehalten. Es wird Sie vielleicht interessieren, dass ich den 13 Versuch645 der „Heiligen Johanna“ gelesen habe und mit dem hiessigen Regisseur Leon Schiller646 (er hat glänzend die Drei Groschenoper aufgeführt aber wie Sie es wahrscheinlich wissen – ging das Stuck nur dreimal – wurde verboten usw.) die Sache der event. Auffuhrung besprochen – leider in unsere Verhaltnisse kommt dies nicht in Frage. Letztens wurden 5 Theater gleichgeschaltet und der Kontrolle der fascistischen Schriffstelers Kaden Bandrowski647 unterstellt. Ich ersuche Sie mir umgehend antworten zu wollen mit besten Grusse Igor Kamieniecki. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 722/43.

642 Der Dreigroschenroman erschien 1935 in dänischer, 1937 in englischer und russischer Sprache. 1938 wurde in New York, auf der Grundlage der vorliegenden englischen Übersetzung, eine amerikanische Ausgabe veröffentlicht. Weitere Übersetzungen, wie sie für die Tschechoslowakei, Ungarn und weitere Länder geplant waren, kamen vorerst nicht zustande. 643 Der Schriftsteller Franz Carl Weiskopf (1900–1955), vormals Mitglied des BPRS, emigrierte 1933 in die Tschechoslowakei, wo er die antifaschistische Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) redigierte, 1938 in die USA. Ging 1953 in die DDR. 644 Der Schriftsteller Friedrich Wolf (1888–1953), im bürgerlichen Beruf Arzt, ging 1933 ins Exil in die Schweiz, später nach Frankreich und in die UdSSR. Ab 1938 wieder in Frankreich – und damit in sicherer Distanz zu den gerade stattfindenden „Säuberungen“ in Moskau –, wurde er nach Kriegsbeginn im Lager Vernet interniert und ging dann erneut in die UdSSR. Kehrte 1945 zurück nach Berlin (Ost). Brecht zufolge war der einstige Expressionist Wolf ein Traditionalist, der an einer Einfühlungs- und Wandlungsdramatik im Sinne der aristotelischen Poetik (und ihrer klassischen Interpretation in Deutschland seit Lessing) festhielt und sich bisweilen bemühte, auch Brechts Stücke – zumal die Mutter Courage – solcherart mißzuverstehen. Vgl. das Zwiegespräch über Formprobleme des Theaters in GBA 23, S. 109–113. 645 Gemeint ist Heft 5 der Versuche (= Versuche 13), darin erschien 1932 Die heilige Johanna der Schlachthöfe. 646 Der polnische Theaterregisseur Leon Schiller de Schildenfeld (1887–1954) hatte 1929 in Warschau die Dreigroschenoper inszeniert. Im März 1941 wurde er nach Auschwitz deportiert, konnte jedoch noch im Mai desselben Jahres von seiner Schwester freigekauft werden. 647 Der polnische Schriftsteller Juliusz Kaden-Bandrowski (1885–1944) war ein Anhänger des autoritären Marschalls Józef Piłsudski, ein Faschist im Sinne des Nationalsozialismus war er sicherlich nicht. Er arbeitete während der deutschen Besatzung im Untergrund und kam 1944 beim Warschauer Aufstand ums Leben.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 26.10.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 26. Oktober 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24 Calthorpe Street, Parma House, London W.C.1. Lieber Herr Brecht, Ich hoffe, Sie werden inzwischen die Exemplare „Dreigroschenroman“ erhalten haben. Hoffentlich sind Sie zufrieden mit der Ausstattung. Ich komme nochmals auf Ihren letzten Brief zurück, in dem Sie so liebenswürdig waren, uns einen zweiten Roman anzubieten.648 Sie haben mich seinerzeit missverstanden. Ich konnte keinen Abschluss mit Ihnen machen, bevor Ihr Roman abgeliefert war. Wir haben das mit keinem Autor gemacht. Sie werden das bei einem Verlag, der gerade erst angefangen hatte deutsche Bücher herauszugeben und noch keinerlei Eindruck über die Erfolgsmöglichkeiten gewinnen konnte, verstehen. Ich glaube aber der Verlag hat das Interesse, das er für Sie hat, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in der besonders sorgfältigen Ausstattung Ihres Buches durchaus bewiesen. Dazu kommt dass ich, ich glaube ich habe es Ihnen schon am Telephon gesagt, Ihren Roman ganz ausserordentlich finde und überzeugt bin dass er eine ungewöhnliche Stellung in der zeitgenössischen Literatur einnehmen wird. Ich konnte nur in diesen Tagen nicht mit Herrn de Lange649 sprechen und morgen muss ich auf ungefähr 3 Wochen verreisen. Ich würde Sie sehr bitten die Sache so lange zu vertagen. Ich bin auch davon überzeugt, dass Sie dadurch nichts verlieren. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass sich schon in wenigen Wochen ein Widerhall, den Ihr Roman finden wird, bemerkbar machen wird. Ich werde jedenfalls, so bald ich wieder zurück bin, mit Herrn de Lange sprechen und Ihnen dann gleich Bescheid geben. Falls Sie zufällig in der nächsten Woche nach Paris kommen sollten, so bitte ich Sie dem Verlag Ihre Adresse anzugeben. Da ich selbst in der nächsten Woche in Paris bin, würde ich Sie dann gleich aufsuchen.

648 Vgl. B. an Landauer, 19.10.1934, GBA 28, S. 448f. Brecht brachte insbesondere seine Geschichte über Giacomo Ui, Wenige wissen heute (vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 16.9.1934), ins Gespräch. 649 Gerard de Lange (1896–1935), niederländischer Verleger, leitete seit 1927 den von seinem Vater Allert de Lange gegründeten gleichnamigen Verlag in Amsterdam.

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Jedenfalls bitte ich um Ihren Bescheid ob Sie damit einverstanden sind. Briefe werden mir stets nachgesandt. Ich grüsse Sie sehr herzlich. Ihr W. Landauer P.S. Es besteht scheinbar die Möglichkeit zu einem Abschluss in der Tschecho-Slowakei650 zu recht günstigen Bedingungen, und zwar gegen einen Vorschuss von fl. 350.- für die ersten 3000 Exemplare, von denen fl. 200.- sofort zu zahlen sind und fl. 150.- 6 Monate nach Abschluss des Vertrages. Unsere Provision dabei beträgt 20 %, da wir selber gezwungen sind, unserem dortigen Vertreter 10 % zu geben. Wir bitten Sie um die Liebenswürdigkeit uns mitzuteilen, ob Sie damit einverstanden sind. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass die Summe für die Tschecho-Slowakei verhältnismässig sehr hoch ist. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/52–53.

D. Zenker (Verlag Franz Deuticke) an Bertolt Brecht Wien, 29.10.1934 Wien, 29. Oktober 1934. Herrn Bert B r e c h t London. Sehr verehrter Herr! Leider ist es also nichts mit dem Nachdruck von Heft 3, was mir, wie Sie sich denken können, sehr leid tut. Ich möchte aber doch loyalerweise Ihnen mitteilen, wieviel ich von den anderen Heften der „Versuche“ noch vorrätig habe, da dies auf Ihre Entschliessungen bezügl. einer Neuausgabe ja sicherlich von Einfluss ist. Es sind derzeit noch vorhanden: Versuche I Versuche II

850 Ex. 600 „

650 Zu den damals erschienenen Übersetzungen des Dreigroschenromans vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934.

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Versuche IV Versuche V Versuche VI Versuche VII

1300 „ 1200 „ 2300 „ 1800 „

Für Ihren persönlichen Gebrauch können Sie natürlich Exemplare zum Nettopreis beziehen: 1.80 no. Heft 5 für ÖS 6 „ 1.10 7 „ 1.80 Mit ausgezeichneter Hochachtung FRANZ DEUTICKE Antiquariat WIEN I., HELFERSTORFERSTRASSE 4 D. Zenker 7000 Versuche [Hs.] 2000 Jasager 300 Maßnahme 2000 Songs 350 Eduard Dreigroschenoper: ____ zu Ende

Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: Franz Deuticke Abteilung Antiquariat Wien I., Helferstorferstrasse Nr. 4 (Schottenhof); BBA 589/7–8.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 1.11.1934 1. November 1934 Herrn Bertolt Brecht, Parma House, 24, Calthorpe Street, Gray’s Inn Road W.C.1

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Lieber Herr Brecht, Dank fuer die Uebermittlung Ihres Romanes.651 Ich habe vor meiner bevorstehenden Kontinentreise nur einen Teil des Buches lesen koennen – und druecke Ihnen meine Bewunderung aus! Teilen Sie mir nun bitte mit, ob ich mich jetzt in England und Amerika wegen des Verkaufs der Uebersetzungsrechte bemuehen soll, natuerlich mit ausschliesslicher Option. Ihre Nachricht erwartend bin ich mit freundlichem Gruss Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. 1 Directors E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone Langham 2140; BBA 785/28.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 1.11.1934 82 C 0843 1/11 AMSTERDAM 18 BRECHT 24 CALTHORPESTREET PARMAHOUSE LND = HABEN ANGEBOT VON VIERHUNDERT GULDEN FUER TSCHECHISCHE UEBERSETZUNG DRAHTET OB EINVERSTANDEN = LANGE + Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 780/17.

Bernhard Reich652 an Bertolt Brecht Moskau, 2.11.1934 Bernhard Reich Meschrabpom-Film Uliza Gorkowo 79/81

den 2. November 1934

651 Dreigroschenroman. 652 Der österreichische Schriftsteller und Regisseur Bernhard Reich (1894–1972), im bürgerlichen Beruf Jurist, war zunächst an Wiener Theatern und seit 1920 unter Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin tätig. Lernte Brecht 1923 in München kennen. 1925 ging er in die UdSSR, dort in leitenden Funktionen 1931 bis 1934 an der Staalichen Theater-Universität und 1935 bis 1937 bei der MORT. Wurde 1938 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Asja Lacis verhaftet, nach baldiger Freilassung 1943 erneut verhaftet und in ein Lager deportiert. Nach seiner Entlassung 1951 lebte er in Lettland. Arbeitete später mit Brecht am Berliner Ensemble zusammen.

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Lieber Brecht, Es ist wirklich schlimm, dass ich nicht nach Dänemark kommen konnte, aber ich hoffe, doch in nächster Zeit zu Dir zu kommen. Die Arbeit, die wir jetzt leisten, ist sehr interessant. Ich arbeite mit P.653 zusammen – eine Kinogruppe mit einem ungeheuer vielseitigem Repertoir [sic]. 1.) einen Film über den zukünftigen Krieg mit Ernst Ottwalt654 2.) einen Zyklus von Dokumentarfilmen (dramatisierte Chroniken – einige Fälle, Ideologien und Tatsachen aus dem dritten Reich.) Als erstes soll der Fall Klausner655 steigen. Gustav R.656 arbeitet daran und wahrscheinlich dürfte die N.657 die Frau Kl. spielen. 3.) Dimitroff 658 – nicht nur von der Lubbe659, sondern auch ein dokumentarisches Auftreten eines besonderen Mitspielers 4.) Ein Wolgafilm – Anfangssituation der Kohlhaas-Prozess660 Grund zur Auswanderung – Prozess, der sich 150 Jahre hinzieht durch viele Geschlechter, Variierungen – nach 150 Jahren wird der Prozess durch die Sowjetunion beendet, die Wegschranken vernichtet. P. denkt hierbei Plivier heranzuziehen. Ausserdem übernahm P. die Leitung von Mort. Die Organisation wird grundsätzlich umgebaut – sie soll lebendiger, aktueller werden. Grundstock eine Zeitschrift661, die man lesen kann. Wirkliche Verbindung mit antifaschistischen Künstlern. (Euch!) Also – wie Du siehst – vieles und viel. Deine Kraft und Mitarbeit wäre aufs höchste wichtig. Was arbeitest Du? Dein Liederbuch662 und Dreigroschenroman haben wir noch nicht erhalten. Trotz des Versprechens! Schreibe uns doch nicht nur über persönliche Dinge, sondern schicke uns Material, Aufsätze, Bruchstücke aus Deinen Arbeiten. (Besseres als Dein Saarlied.)663 653 Erwin Piscator. Von den im folgenden genannten Filmprojekten wurde jedoch keines realisiert. Der Aufstand der Fischer blieb der einzige Film, den Piscator in der UdSSR fertigstellte (vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933). 654 Vgl. Anm. zu Piscator, 16.3.1934. 655 Vermutlich der „Fall“ Erich Klausener (1885–1934). Auf dem Berliner Katholikentag am 24.6.1934 bezog Klausener, bis 1933 Vorsitzender der Katholischen Aktion im Bistum Berlin, Stellung gegen die nationalsozialistische „Rassenpolitik“. Im Zuge der Niederschlagung des sogenannten RöhmPutsches wurde er erschossen. 656 Vermutlich Gustav Regler. 657 Carola Neher. 658 Im Ts folgen mehrere hs. gestrichene Worte. 659 Der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe (1909–1934) war nach der Machtübernahme der Nazis nach Berlin gekommen, um sich am antifaschistischen Widerstand zu beteiligen. Er wurde am 27.2.1933 im brennenden Reichstag festgenommen, in Leipzig wegen Hochverrats und Brandstiftung verurteilt und hingerichtet. 660 Bezieht sich auf Heinrich von Kleists Erzählung Michael Kohlhaas (1810). 661 Die geplante Zeitschrift der MORT kam nicht zustande. 662 Lieder Gedichte Chöre. 663 Zum Saarlied vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. Auf Reichs Kritik reagierte Brecht sehr empfindlich. „Warum rempelst Du das ‚Saarlied‘ an?“ fragte er ihn in einem Brief von November/De-

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P. hat durchgesetzt, dass in der nächsten Nummer der Zeitschrift von Mort Teile von Spitz- und Rundköpfe abgedruckt werden. Die Steffin schreibt hie und da – sie erholt sich langweilend. Die Geschichte mit dem deutschen Theater664 hat eine absurde Wendung genommen. Vorschlag: Gründung eines deutschen Theaters mit zwei künstlerischen Leitern: Wangenheim und Piscator. (P. denkt nicht daran – was haltet Ihr davon?) Herzliche Grüsse von Asja und mir! Ich erwarte Deinen Brief. Reich Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/86.

Alexander M. Frey665 an Bertolt Brecht Salzburg, 3.11.1934 Salzburg, 3. Nov. 34 Auersbergstraße666 34 II Lieber Herr Brecht, man hat mir den Dreigroschenroman zugeschickt, ich weiß nicht, ob es auf Ihre Veranlassung geschehen ist, jedenfalls bin ich sehr froh, das Buch zu haben und zu kennen. Ich bin mit Mißtrauen ans Lesen herangegangen, ich habe mir gesagt: vielleicht ist dieser Roman nicht viel mehr als ein Ergebnis des großen Erfolges der Oper. Er ist viel mehr! Er hat mit der Oper insofern garnichts zu tun, als er eine große, weitgreifende, tiefgreifende epische Leistung geworden ist. Wenn ich das feststelle, so wird Ihnen daran vielleicht wenig gelegen sein. Ihnen geht es um den infernalischen Inhalt; das Kunstwerk ist nebenbei entstanden. Ihre unerbittliche, starke, klare, die Dinge zu Ende denkende Art hat einen Roman geschaffen, der mir einzig dazustehen scheint. Seien Sie bedankt für diese Tat, es wäre wichtig, daß ebenso viel[e] Menschen das Buch lesen, wie die Oper gehört haben. – Ein Mann, mit dem ich über das Buch sprach, sagte: So sind die Engländer. Er meinte damit, Sie schilderten zu Recht britische Heuchelei und soziale Mißstände in London. – In solche Albernheiten flüchten sich die Menschen, nur um der Wahrheit ausweichen zu können. Als zember 1934. „Es ist in 10 000 Exemplaren im Saargebiet verbreitet […] und hat mehr Wichtigkeit als ein halbes Dutzend Dramen.“ (GBA 28, S. 463) 664 Reich arbeitete mit Erwin Piscator am Aufbau eines deutschsprachigen Exiltheaters in der Stadt Engels (vormals Pokrowsk) in der Wolgadeutschen Republik. Nachdem Piscator die UdSSR 1936 verlassen hatte, übernahm Maxim Vallentin die Leitung des Theaters, das dort noch bis 1941 bestand. 665 Der Schriftsteller Alexander Moritz Frey (1881–1957), Pseudonym: Alexander Funk, emigrierte 1933 nach Österreich, 1938 in die Schweiz. Vgl. Brechts Antwort vom 8.11.1934, GBA 28, S. 456. 666 Richtig: Auerspergstraße.

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ich ihm sagte: So ist die Welt! wollte er’s verzweifelt nicht gelten lassen. Erlauben Sie mir, diesen Zeilen als – ja, als was denn? als Ausdruck meiner Freude und Genugtuung über Ihr Buch eine Radierung beizulegen, die von der Hand eines Freundes stammt. Einmal stößt man in Ihrem Roman auf den Namen Jack the Ripper,667 – da fiel mir das Blatt ein. Der Künstler, Otto Nückel668 heißt er, hat vieles gemacht, was sich mit Ihnen berührt; bekannt ist er wenig, er lebt einsam, arm und verbissen in Deutschland, er hat keine andere Möglichkeit. Ein Bilderroman von 200 Metallschnitten, „Schicksal“669, Untergang eines Proletariermädchens, kein Text, ist in Amerika besser gewürdigt und gekauft worden als in Deutschland. Mit herzlichen Grüßen Ihr A. M. Frey Überlieferung: Ms, BBA 722/45–47.

A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 5.11.1934 AMSTERDAM-C, den 5. November 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24, Calthorpe Street, Parma House, London W.C.1. Sehr geehrter Herr Brecht, Wir müssen leider bei der Provision von 20 % bleiben,670 da wir selber 10 % unserer Vertretung geben müssen. Es bleiben uns also nur 10 %. Ohne die Vertretung, die für die sichere Erfüllung des Vertrages garantiert, ist ein Verlagsvertrag in der Tschechoslowakei 667 Mit dem mutmaßlichen Serienmörder „Jack the Ripper“, der im Herbst 1888 im Londoner East End mehrere Prostituierte ermordete und verstümmelte, vergleicht Brecht im Dreigroschenroman Mackie Messer. Vgl. GBA 16, S. 127. 668 Der Maler, Graphiker und Illustrator Otto Nückel (1888–1955), Mitglied der Künstlervereinigung Münchner Secession, fertigte auch Holzschnitte zu Freys Roman Solneman der Unsichtbare (1914) und zu dessen Erzählungen Spuk des Alltags (1920) an. 669 Otto Nückel, Schicksal. Eine Geschichte in Bildern, München 1930. 670 Bezieht sich auf die Publikation des Dreigroschenromans. Brecht hatte 15 Prozent gefordert (vgl. Telegramm an Allert de Lange, 2.11.1934, GBA 28, S. 454) und bekräftigte diese Forderung abermals am 6.11. (GBA 28, S. 455).

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eine unsichere Sache. Falls wir von Ihnen nichts hören, nehmen wir an dass Sie damit einverstanden sind. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. A. P. J. Kroonenburg P.S. Soeben erhielten wir einliegendes Schreiben,671 mit der Bitte es an Sie weiterzuleiten. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/54.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Paris, 6.11.1934 Paris, 6. November 1934 Lieber Brecht: Hier war bis jetzt ebenso wenig zu erreichen, wie in London. Immerhin habe ich ganz guenstige Nachrichten aus Kopenhagen; wenn man die Aufenthaltsbewilligung bekommt, steht einer Gruendung nichts im Wege.672 Von drueben bekam ich Nachricht, dass Frau STEFFIN 500 bekam.673 Ich richtete ihr ein entsprechendes Konto ein und belaste es damit. An Gross674 habe ich geschrieben. Sei so gut und vergiss nicht, das Manuskript recht bald nach Prag zu schicken. Vielleicht ist das doch noch vor Deiner Rueckkehr moeglich. Ich hoerte, Du kommst auch hierher, ist das richtig? Dann bemuehe Dich rechtzeitig um das Visum.

671 Nicht überliefert. 672 Herzfeldes Plan, eine Niederlassung seines Verlags in Kopenhagen zu gründen, wurde nicht realisiert. 673 Margarete Steffin war seit Anfang Oktober 1934 zur Kur in Abastumani im Kaukasus und befand sich dort in finanziellen Schwierigkeiten. 674 George Grosz sollte Illustrationen zu den Gesammelten Werken anfertigen. Vgl. seinen Brief vom 10.10.1934.

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Von der Expatriierung (Quittung fuer den Saar-Aufruf675) hast Du wohl gelesen. Post bitte nach Prag. – Hier hoffe ich noch im Laufe der Woche wegzukommen. Herzlichen Gruss, auch den Freunden Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/62.

A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 9.11.1934 AMSTERDAM-C, den 9. November 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24, Calthorpe Street, Parma House, L o n d o n . W.C.1 Sehr geehrter Herr Brecht! Wir nehmen an, dass es uns möglich sein wird, die polnischen Rechte Ihres Romans ungefähr für einen Vorschuss von 300 Gulden zu verkaufen. Wir können Ihnen nur sagen, dass diese Summe ausserordentlich hoch ist. Wir bitten Sie, uns eine prinzipielle Erlaubnis zu geben, in Polen für Sie abzuschliessen. Wir erwarten Ihre Nachrichten mit ergebener Hochachtung, Allert de Lange A. P. J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/55.

675 Heinz Liepmann u.a., „Deutsche sprechen zu Euch. Saaraufruf der deutschen Intellektuellen“, in: Der Gegen-Angriff, Nr. 39, September 1934.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 16.11.1934 AMSTERDAM-C, den 16. November 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24, Calthorpe Street, Parma House, L o n d o n . W.C.1 Lieber Herr Brecht, Ich bin gerade wieder zurückgekommen und habe Ihre Korrespondenz durchgelesen. Ich schicke Ihnen anbei einen Vertrag, wie Sie wünschen für die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn. Wir wollen selbstverständlich gerne jedes andere Land dazunehmen. Da wir mit allen grossen Verlegern in Verbindung sind, glaube ich überall mehr erreichen zu können, als Sie es vermögen. Ich kann die Abschlüsse sehr beschleunigen, aber bis Ende des Jahres muss ich freie Hand haben. Praktisch kann ich es so machen, dass ich immer vorher Sie anfrage, Sie mir Ihre prinzipielle Zustimmung geben und ich Ihnen dann den Vertrag, den Sie unterschreiben müssen, zusenden lasse. Es ist selbstverständlich, dass ich die besten Bedingungen zu erreichen versuche. In Ländern, wie Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, lege ich den grössten Wert darauf, einen möglichst hohen Vorschuss bei Unterzeichnung des Vertrages zu erhalten, weil die Abrechnungen dort nicht ohne Schwierigkeiten sind. Ich nehme an, dass Ihnen das recht ist. 1./ Aus der Tschechoslowakei ist soeben ein gezeichneter Vertrag angekommen. Ich schicke den Vertrag nochmals zurück und lasse ihn auf Ihren Namen ausstellen. Das Geld soll in diesen Tagen schon überwiesen werden. 2./ Polen. In Polen habe ich verschiedene Verhandlungen. Ich will versuchen den verhältnismässig sehr grossen Vorschuss von fl. 300.- zu erreichen, aber Sie müssen mir bitte gleich Ihre prinzipielle Zustimmung geben, da ich sonst nicht weiter verhandeln kann. 3./ Ungarn werde ich versuchen, bald ein Angebot zu erhalten, worüber ich Sie dann informiere. Schliesslich glaube ich sehr rasch in Dänemark und Frankreich etwas erreichen zu können, (die englischen Rechte werden Sie doch selbst verkaufen), wenn ich mich dafür interessieren würde. Das fehlende Geld676 wird Ihnen noch in diesen Tagen überwiesen werden. Es handelt sich um ein Missverständnis, das ich Sie zu entschuldigen bitte. 676 Vgl. B. an Allert de Lange, 6.11.1934, GBA 28, S. 455.

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mit herzlichen Grüssen Ihr Walter Landauer 1 Vertrag. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/56.

Suzanne Czech (International Copyright Bureau) an Bertolt Brecht London, 16.11.1934 16. November 1934. Herrn Bert Brecht 24, Calthorpe Street, W.C.1. Sehr geehrter Herr Brecht, Wir erhielten nunmehr die englische Uebersetzung der „DREIGROSCHENOPER“ und senden Ihnen dieselbe wunschgemaess hiermit ein. Die gewuenschten englischen Songs dazu zu erhalten, ist uns leider bis jetzt nicht gelungen, obwohl wir darum ebenfalls angesucht hatten. Mit den besten Empfehlungen fuer das INTERNATIONAL COPYRIGHT BUREAU LTD.: Dr. Suzanne Czech Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The International Copyright Bureau Ltd (founded by Ernest Mayer) Representing Dramatists Composers Stage & Film Producers Music Publishers Dewar House Haymarket London S W 1, Telegrams Volscius London, Telephones Whitehall 0175, 0176; BBA 722/44.

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Bernard Rosner an Bertolt Brecht Paris, 17.11.1934 Herrn Bertold Brecht Badehotel Dragoer Kopenhagen.

Paris, den 17.11.1934.

Lieber Genosse Brecht, leider haben Sie mir immer noch nicht auf mein Schreiben vom 1. Oktober 1934 geantwortet. Lassen Sie mich bitte Bescheid wissen, wie die Sache steht. Mit den besten Grüssen Ihr Rosner Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Éditions Bernard Rosner 36, Rue Du Colisée – Paris-8e Tèlèphone: Balzac 58-00 R. C. Seine 614.445; BBA 774/31

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 20.11.1934 AMSTERDAM-C, den 20. November 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24, Calthorpe Street, Parma House, London. W.C.1 Lieber Herr Brecht, das Geld aus der Tschechoslowakei ist inzwischen angekommen und auch schon an Sie weitergesandt worden, nach den Abzügen, die wir gleich für uns gemacht haben. Den Vertrag lasse ich auf Ihren Namen umschreiben; Sie werden ihn bald erhalten. Bitte schreiben Sie mir bald, ob ich in Polen auch abschliessen soll. Mich würde auch interessieren, wie die Situation in den anderen Ländern ist. In England müssten Sie doch einen sehr günstigen Vertrag erreichen können. Mit herzlichen Grüssen Ihr Walter Landauer

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/57.

A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 22.11.1934 AMSTERDAM-C, den 22. November 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24, Calthorpe Street, Parma House, L o n d o n . W.C.1 Sehr verehrter Herr Brecht, Hierdurch benachrichtigen wir Sie, dass wir ausser der letzten Rate von RM. 1000.- für den Dreigroschenroman, auch einen Betrag von fl. 225.- auf die DANSKE LANDMANSBANK, Svendborg, übermittelt haben.677 Wir haben nämlich fl. 400.- bekommen von dem CENTRUM.678 Davon geht ab eine Provision von fl. 60.- und fl 85.- zur Verrechnung auf Ihr Vorschusshonorar. Bleibt also fl. 255.mit ergebener Hochachtung Allert de Lange A. P. J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., , Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/58.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 23.11.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 23. November 1934 677 Vgl. B. an Allert de Lange, 12.11.1934, GBA 28, S. 457. 678 Hs. Erg.: „für die […] ihrer Rechte“.

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DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Calthorpe Street 24, Parma House, London. W.C.1. Lieber Herr Brecht, Anbei sende ich Ihnen den Vertrag mit dem tschechoslowakischen Verleger. Ich bitte Sie umgehend zu unterschreiben und ihn uns zurückzuschicken. Sie bekommen dann einen entsprechenden Vertrag, der von dem Verleger und unserem tschechischen Agenten gegengezeichnet ist. Ich habe ferner die Möglichkeit die jugoslavische Ausgabe für ungefähr Hfl. 150.- (es ist möglich dass ich etwas mehr bekomme) zu verkaufen.679 Ferner glaube ich auch, dass ich Ihnen einen sehr ernsthaften englischen Verleger verschaffen könnte. Ich bitte Sie mir mitzuteilen, ob Sie überhaupt ein Interesse daran haben, dass wir uns um die Auslandsrechte kümmern, da wir uns sonst natürlich nicht damit beschäftigen werden. Ich kann es nur tun, wenn ich immer postwendend eine Antwort auf meine Anfragen erhalte. mit besten Grüssen Ihr Walter Landauer 1 Beilage. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/59.

Steen Hasselbalch an Bertolt Brecht Kopenhagen, 23.11.1934 KØBENHAVN K. 23/11-34. Herrn Schriftsteller Bert Brecht, Skov[s]bostrand, Svendborg 679 Vgl. B. an Landauer, Ende November 1934, GBA 28, S. 462.

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Frau Ruth Berlau hat mir gebeten Ihnen einen Vertrag zu schicken; es folgt hiermit. Falls Sie einen kurzgefasster Vertrag in deutscher Sprache vorziehen, bitte ich Sie den mitfolgenden zu retournieren, und ein neuer wird Ihnen sofort zugesandt. Sind Sie aber mit den beigelegten zufrieden, bitte ich Sie das Exemplar mit meine Unterschrift zu behalten und das andere, mit Ihre Unterschrift versehen, zu retournieren. Hochachtungsvoll – Steen Hasselbalch Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Steen Hasselbalchs Forlag Telefon: 12240 Telegram-Adresse: Steeneditor Postgiro: 444 Boldhusgade 2.; BBA 774/11.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 29.11.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 29. November 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, 24 Calthorpe Street, Parma House, London. W.C.1. Lieber Herr Brecht, Mir fehlt immer noch Ihre Entscheidung wegen der polnischen Rechte.680 Ich habe 2 Angebote. Nach dem einen kann ich die polnischen Buchrechte für fl. 300.- pauschal verkaufen, nach dem andern kann ich von einem Verlage, der sehr angesehen ist, für die ersten 2000 Exemplare fl. 200.- bekommen und für jedes weitere Tausend weitere fl. 100.Ich erwarte also Ihre Nachrichten. mit besten Grüssen Ihr Walter Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/60.

680 Vgl. B. an Allert de Lange, 24.12.1934, GBA 28, S. 467.

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Bernard Rosner an Bertolt Brecht Paris, 29.11.1934 Herrn BERT BRECHT Bade-Hotel Dragoer KOPENHAGEN Daenemark.

Paris, den 29.11.34.

Lieber Genosse Brecht, ich bin sehr verwundert, auf meine beiden letzten Briefe von Ihnen keine Antwort erhalten zu haben. Ich bin jetzt im Begriff, eine Serie junger Dramatiker vorzubereiten, (ganz einfache Ausstattung, sehr billig). Ich frage Sie hiermit an, ob Sie daran interessiert sind, mir fuer diese Serie etwas Neues von Ihnen zur Verfuegung zu stellen und bitte ausserdem noch einmal um Mitteilung, wie es mit den „Rotkoepfen“681 steht. Mit freundlichem Gruss Rosner ÉDITIONS BERNARD ROSNER (Stempel) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Éditions Bernard Rosner 36, Rue Du Colisée – Paris-8e Tèlèphone: Balzac 58-00 R. C. Seine 614.445; BBA 774/32.

Charles Wolff682 an Bertolt Brecht Paris, 30.11.[1934] Paris den 30ten November Lieber Brecht Ich habe vor drei Wochen Ihren Roman bekommen und habe ihn mit grosser Freude gelesen. Ich habe mich sofort unterwegs gemacht und ihn den Verlegern die für ein solches Werk in Betracht kommen vorgeschlagen. Da die Lage hier ungemein schwer ist, habe ich ziemlich laufen müssen bis ich etwas annehmbares fand. Endlich, nach langen Zögerungen, habe ich etwas Konkretes bei Grasset erreichen können. Ich teile Ihnen sofort die Bedingungen mit, da sie bei weitem das Beste sind das wir hier hoffen konnten. Der Verlag Grasset wird mir zwei Abzüge eines Vertrages für Sie ge681 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 682 Charles Wolff (1905–1944), Übersetzer, Bekannter Benjamins. Wolff sollte den Dreigroschenroman ins Französische übertragen, als Publikationsort war der Pariser Verlag Grasset vorgesehen. Die Ausgabe kam nicht zustande.

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ben. Dieser Vertrag schlägt Ihnen 5% des Verkaufspreises des Werkes (ungefähr 18 francs), und einen Vorschuss von 3000 francs beim Abschluss des Vertrages [vor]. Ich habe diese Bedingungen denen der anderen Verleger vergleichen können: Sie sind bei weitem die besten. Dieser Vorschuss wird Ihnen, soweit Sie damit einverstanden sind, per cheque oder Postanweisung sofort zugeschickt werden. Schreiben Sie mir bitte sofort damit ich das Nötige hier tun kann – Ihr sehr ergebener Ch. Wolff Charles Wolff 29, rue Bonhard, 29 XIVe Paris Überlieferung: Ms, v. fremder Hand: „beantwortet aus London“; BBA 589/2–4.

Margot von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 1.12.1934 Küsnacht, den 1. Dez. 34.

Glärnischstr. 4683

Lieber Brecht, leider meinte Ihre Frau684 es gäbe keinen Grund, Sie nach Zürich zu locken, doch B685 meinte und wie mir scheint mit Recht, dass es heute keinen besseren Grund zum Reisen gäbe, als seine Freunde zu besuchen. Es wäre schön, wenn Sie das auch fänden, es ist schon lange her, dass Sie hier waren. Herzfelde erzählte, dass Sie ein Gedicht für die Einheitsfront bei uns gemacht haben, das ist prächtig, ebenso wie Ihr Lied an die Saarkumpels.686 H. erzählte leider auch, dass Minotti687 so Pech hatte, wären Sie so freundlich mir ihre Adresse zu geben oder ihr zu sagen, dass sie mir schreiben soll.688 Einliegend sende ich eine Kritik der Basler National Ztg. über Ihr Buch689 mit, die Sie vielleicht noch nicht kennen. Wenn ich jetzt ein Ei esse muss ich immer an Ihre Eierscene denken.

683 Im Ts unleserlich. 684 Helene Weigel war im November zu Besuch u.a. in der Schweiz. 685 Bernard von Brentano, ihr Mann. 686 Das Saarlied. Vgl. Anm. zu B. v. Brentano, April/Mai 1934. 687 Vermutlich die Literaturagentin Margaret Mynotti alias Bianca Mynatt. 688 Vgl. B. an M. Brentano, Dezember 1934, GBA 28, S. 466. 689 Alexander Moritz Frey, „Bertolt Brecht: Dreigroschenroman“, in: National-Zeitung, 25.11.1934.

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Herzlichen Gruss

Ihre Margot Brentano.

Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 722/49.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht Detroit, 3.12.1934 3. Dezember 1934. Lieber Brecht, ich haette Ihnen gern einen maschinengeschriebenen Weihnachtsbrief geschickt, aber eine Schreibmaschine aus dem Büro bekomme ich immer nur spät abends geliehen und ich denke, es ist höchste Zeit für Weihnachtspost nach Europa. Ich versuche also, sehr deutlich zu schreiben. Ich bin hier, weil ich Schwierigkeiten mit meinem Visum habe. Es kann im amerikanischen Konsul auf der kanadischen Seite in Ordnung gebracht werden, der Konsul ist auch ziemlich zu allem bereit, nachdem ich über 50 Dokumente + Briefe durch einen Amerikaner hier in Detroit habe vorlegen lassen. Aber die kanadischen Grenzbestimmungen sind so ekelhaft, dass ich selber mit meinem Besuchsvisum nicht herüber konnte. Wir versuchen es auf alle mögliche Art, aber ich sehe immer nur das dortige Ufer mit der kleinen Stadt Windsor von irgend einem Fenster im 36. Stock des Nachbargebäudes, in dem sich das Büro der Leute befindet, die mir helfen. Sie können sich garnicht vorstellen, wie hilflos man sich vorkommt, wenn man so ein Ufer, nur durch einen mittleren Fluss getrennt, so wie der Rhein bei Köln, von ferne liegen sieht.690 Ich bin mal abends hinuntergegangen an die niedrige Ufermauer. Hinter mir stieg die Stadt in die Höhe, vor mir das schwarze Wasser, das ganz wie Meer, verfault, algig und feucht riecht und drüben ein Haufen von Lichtern: Windsor; unerreichbar. 2 ganz grosse Brücken führen hinüber und ein sehr komfortabler Tunnel hindurch, aber ich kann und kann nicht hinkommen. In derselben Nacht war ich dann noch 40 Stock hoch in einem Bürogebäude, dort wo sich das Gebäude schon zu einem Turm verschmälert. So hat das Büro 2 Eckzimmer, von denen aus man auf die Stadt hinuntersehen kann. Die Strassen sind leuchtende Bänder, die schnugerade und unendlich lang durch dunkle Hausmassen gehen. Nebenan war ein viel höherer Turm und auf ihm ist eine rote Leuchtkugel als Orientierungszeichen für Flugzeuge angebracht. Und garnicht viel höher waren dann schon die Sterne. 690 Elisabeth Hauptmann illustrierte dies durch eine Zeichnung links unten auf der Seite. Sie zeigt den Detroit River, der die Stadt Detroit vom kanadischen Windsor (Ontario) trennt. Ein Pfeil deutet die Richtung des Flusses an, der in den Erie-See (Notiz von Hauptmann: „grösser als die Ostsee“) mündet.

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Bei Tage und bei hellem Wetter ist die Stadt grau [...] grauweiss, aber meistens ist schlechtes Wetter mit Regen und einem scharfen Wind, der vom Wasser schneidend in die Stadt hineinweht. Dann ist sie schwärzlich. Dies ist downtown, wo ich wohne, genau dasselbe etwas heruntergekommene dreckige und nur durch einige (zahlreiche) Wolkenkratzer wieder etwas in die Höhe gebrachte downtown, wie ich es auch in New York + St. Louis fand und auch in Chicago. Nur ist in St. Louis z.B. das downtown, soweit es ständige Bewohner angeht und nicht die Leute, die nur vorübergehend in Büros und Geschäften und Fabriken sind, von unglaublich armen Negern besiedelt, während ich hier in der Nachbarschaft vor allem Assyrerrmenier, Türken + Griechen finde, natürlich auch viel Neger. Aber ein kleiner schmieriger Kaffe[…] ist am andern, […] mit […] Scheiben: „Parthenon“, „Akropolis“, „Atheneum“ usw. Dazwischen eben so schmierige Revolverkinos, wo sie sich bestimmt jedesmal auf ausgespuckten Kaugummi setzen. Ich möchte Ihnen gerne etwas schreiben, was Sie sicherlich interessiert, denn das muss mein Weihnachtsgeschenk sein. Ich habe Norman Thomas691, den Führer der Sozialisten reden hören innerhalb einer Vortragsfolge, die von einer intellektuellen Gruppe (der Gesellschaft) hier in einem der grossen jüdischen Tempel veranstaltet wird. Er sprach abwechselnd mit einem Prof. der Ökonomie aus Chicago, der sehr katholisch aussah, aber Jude war. Norman Thomas ist dagegen ein lichter Angelsachse mit langen Armen und Beinen. Ich dachte, er sähe mehr aus wie Macdonald692, sieht aber besser aus, ist ein hervorragender ex tempore-Redner. Der Chicagoer sprach für den Kapitalismus, ein richtiger Jesuit, nur in kapitalistischen Termen, ich war sprachlos: Kapitalismus als etwas Ewiges, wenn auch im Moment etwas kränklich. Um das Ewig-Wahre des Kapitalismus zu beweisen, brachte er z.B. Folgendes vor: als an einem kleinen Ort innerhalb des grossen Bankkraches die Lokalbank krachte, standen alle Einwohner des Ortes hinter dieser Bank mit ihren Besitzern und sie wandten sich geschlossen an die Regierung um Hilfe für ihre Bank. Also: sind die Leute gegen Banken? Nein. Aber er machte noch ganz andere Bluffs mit Zitaten und Vergleichen (Russld). Er hatte viele Klatscher auf seiner Seite. Jeder sprach 3 x, den anderen angreifend + sich verteidigend. Chairman war der smarte Rabbiner und das Ganze war vor über 2000 Leuten. Nirgends könnten Sie besser die Brüderschaft zwischen Geld und Kirche sehen + und ihre gemeinsame Bestrebung, noch möglichst lange dran zu bleiben. Nor. Th., der 32 als Präsident aufgestellt war, ist sehr witzig und sehr gut angezogen, aber er hat auch den Rubikon schon überschritten und praktisch ist er nicht besser als der Professor, nur merken das die Leute hier nicht so sehr, weil erstens diese sozialist. Sachen (bis auf die Unternehmungen, die wirklich nur von Arbeitern ausgehen) zu sehr „gesellschaftlich“ geworden sind und dann

691 Norman Mattoon Thomas (1884–1968) war einer der führenden Vertreter der Socialist Party of America, die von 1901 bis 1973 bestand. 692 James Ramsay MacDonald (1866–1937), englischer Politiker der Labour Party, zwischen 1924 und 1935 mehrmals Premierminister.

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geht es ihnen zu gut. Am gleichen Abend las ich eine Äusserung von Claudel693: „Sie sagen Amerika ist eine prosaische handeltreibende Welt. Es gibt kein solches Wort wie prosaisch im Handel. Handel ist faszinierend. Ich war nie so glücklich als zu der Zeit, wo ich bei der Botschaft in Brasilien war während des Krieges und Vorräte für unsere Truppen einkaufte. Ich hatte mit Bohnen, Fetten und Schweinen zu tun. Was ist Prosaisches an einer Bohne? Sie ist faszinierend.“ (It is fascinating.) Dies ist der Industrie […], sie sehen schrecklich reiche Leute + tolle Wagen, einen verhärmten Mittelstand und die Strassen angefüllt mit Arbeitslosen. Ich sah das berühmte Dorf Dearborn, wo der Hauptteil der Fordschen Fabriken + Arbeitersiedlungen ist. Ich sah mir die Augen aus nach schmucken Häuschen mit schmucken Gärtchen, in denen die berühmten Fordschen Arbeiter leben. Ja, die höheren Angestellten, die wohnen etwas besser. Aber die Arbeiter, sie wohnen eben in ihren „schmucken Häuschen“ wie Sie sie in der Johanna beschrieben haben. Und wenn Sie meinen, vor jeder Tür hätte ein alter Ford gestanden, dann täuschen Sie sich auch. Ford694 selber ist durchaus gehaßt in dieser Stadt. Die besseren Detroiter halten es für eine Schande, dass er sich nicht an der ‚private charity‘ beteiligt, die ja ganz gross hier betrieben wird. Er stiftet kein Blindenheim, keine Kinderfürsorge, beteiligt sich nicht an der Tuberkulosebekämpfung695 – kurz und gut, er ist ein grosses Schwein. Aber so drückt man sich nicht aus, denn Schwein oder ähnliche Ausdrücke habe ich noch niemanden gebrauchen hören. Ich habe einmal ‚merde‘ gesagt + es wurde zufällig verstanden, darauf kam ein Mann auf mich zu und sagte, ich hätte doch etwa nicht vor, so vulgär zu werden wie Mr. M. (der einen üblen Ruf wegen vulgärer Ausdrücke hat.) – Ich sprach kurz mit dem Stadtarchitekten, dem City planner, einem netten Mann zwischen 30 + 40, der fast die ganze Zeit entweder auf einem Ozeandampfer ist oder im Flugzeug von Stadt zu Stadt fliegt. Er ist ein couragierter ‚planner‘ und hat hier + […] einen grossen Namen. Er ist Spezialist für das neue housing-programme und Säuberung der slums. Was ausserhalb seiner Arbeit liegt, ist ihm ziemlich egal, er liest gern klass. Romane + und geht [unleserlich] ins Kino. Abgesehen von Wohnproblemen hat er als stärkste Erinnerung an Berlin die „Femina“ im Gedächtnis, und aus München, das er sehr mag, […] er mir einen Pappbieruntersatz von Löwenbräu vor. Er ist ein Nachfahre der alten Blücher696 und heisst auch so, d.h. er heisst „Blutscher“. Aus Chicago, nach dem mich Leute herüber nahmen, lege ich Ihnen den Plan der Produktenbörse bei. Ich will garnicht anfangen, Ihnen hiervon zu schreiben; es ist zu ungeheuer. Ich war nu einen Tag in Chicago, ging am Michigansee entlang, der sehr schwarz

693 Vermutlich der französische Schriftsteller Paul Claudel (1868–1955), dessen Stück L’Échange (1894) der junge Brecht sehr schätzte. Das Zitat wurde nicht ermittelt. 694 Henry Ford (1863–1947), amerikanischer Automobilfabrikant, der sich zugleich auch als antikommunistischer und antisemitischer Publizist betätigte. 695 Hs. Erg.: „Und die Arbeiter hassen ihn sowieso.“ 696 Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819), preußischer Generalfeldmarschall.

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und unheimlich im Regen aussah, und war 3 Stunden in der Börse. Leider konnte ich nicht mehr auf die Viehbörse, denn ich hatte den Rest der Zeit mit meinem Visum zu tun. Ich hoffe, dass ich noch in dieser Woche zu Rande komme. Ich haette es nie unternommen, wenn ich nicht in Schwierigkeiten gekommen wäre. Ich hätte es mir auch nicht leisten koennen, aber äusserste Besorgnis hat meinen Schwager in den Kauf einer Bahnkarte getrieben. Als ich dann hörte, dass die ganze Angelegenheit, die einen Anwalt erfordert, noch viel mehr Geld kostet + vor allem einen 2wöchigen Aufenthalt erfordert, wollte ich gleich wieder umfahren. Und man hat sich wirklich den Mund lahm reden müssen, um mich zum Hierblieben zu bewegen. Aber dann passierte etwas sehr Nettes: als ich gerade sehr verzweifelt war, zeigte mir der Anwalt einen Brief, von einem grossen Anwalt aus St. Louis, den ich flüchtig durch eine andere […] kenne. In diesem Brief bat er den hiesigen Anwalt, mir nichts von Geld zu sagen, sich selber um Wohnung für mich zu kümmern, er käme für alles auf. Dieses ist so ungeheuer in diesem Lande, so unverstaendlich, wie ich es garnicht sagen kann. Dabei darf ich mich nicht bedanken, da ich nichts wissen soll. Natürlich macht mich aber selbst dies nicht ganz glücklich. Ich warte sehnsüchtig auf Nachricht aus Mosk. Sie baten um Lebenslauf, Angabe der Kenntnisse, das habe ich ihnen geschickt. Wenn ich wirklich dorthin kann, würde ich nebenbei gern Vorträge halten über das, was ich hier beobachtet habe soweit ich von einer bestimmten Ebene beobachten konnte. Anfang Januar spreche [ich] in St. Louis über Dschld. Leider sind die Arbeiten, die [ich] angefangen habe, in einem schrecklichen Stadium. Ich habe einen guten Plan für die Karl-Geschichte, eine Konstruktion, in der ich viel zitieren kann (alles Mögliche), von den geschichtlichen Vorgängen, die ab und zu auftauchen (als Anlass der ‚jetzigen‘ Sachen) bin ich ganz weg, das heisst, nicht nur Karl der Kühne697, sondern vor allem Louis XI698 ist eine Fundgrube an „Verhalten“. (Sonst haetten Sie sicher nicht den Karl-Plan gehabt.) (Ihr Ähnlichkeiten mit Louis XI, der von nord. [?] Historikern als einen der grössten + erfolgreichsten europäischen Herrscher gehalten wird, ist manchmal umwerfend.) Sein Einverständnis mit Villon699, seine ‚Armut‘, seine Bosheit, seine Sittlichkeit, seine Todesfurcht, seine Pläne (direkte „Planungen“) haben etwas Gigantisches. „Er war nicht wie Karl durch Stolz gehandicapt und es war sehr schwer, ja unmöglich, ihn zu demütigen“, sagt ein Amerikaner über ihn. „Er frass Beleidigungen nur so und zu jeder Stunde bereit, mit jedem jeden Vertrag zu schliessen. Er kannte nur eine Wollust: alte Institutionen zu zerschlagen und seine Ruhe zu haben, wenn er sie brauchte.“ Ich bräuchte wirklich seine grosse Konzentration, um die einzelnen Szenen gross genug fertigzukriegen. Aber die meiste Zeit bin ich entmutigt und wäre froh, wenn mich irgendjemand einfach was übersetzen liesse. Ich habe keine übergrosse Lust am Formulieren und sehe Szenen sicher nicht komplex genug. Es wäre eine solche Erleichterung, wenn ich jetzt nicht zu schreiben brauchte + überhaupt 697 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934. 698 Ludwig XI. (1423–1483), ab 1461 König von Frankreich. 699 François Villon (etwa 1431–1463), französischer Dichter, dessen Balladen insbesondere den jungen Brecht sehr beeindruckt haben.

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den Gedanken daran fallen lassen koennte. Eine grosse Sache wäre hier ein Buch, das die Lebensbeschreibung von Revolutionärinnen enthält: P[…]skaja, Sassulitsch700, Krupskaja701, aber auch ganz kleine Artikel über Frauen, die sich während Streiks z.B. hervorgetan haben. Mit grossem Druck kann man solch ein Buch bestimmt anbringen + es würde sogar, hier wenigstens, ein Geschäft. Oder nur eine Sammlung von Aufsätzen über Frauen. Ein besonderes Kapitel sind die Frauen, die um die Gangster hier herum sind. Wenn Sie die Gesichter dieser z.Tl. sehr jungen Mädchen und Frauen sehen, – es muss mehr hinter diesen […] Beziehungen sein als nur Sexuelles. Vor ein paar Wochen hat man den grössten Gangster nach Dillinger702, Baby Face Nelson703, erschossen. Seine Frau hatte ihn versteckt. Sie ist 23 Jahre und hat ein ungeheuer angenehmes Gesicht. Sämtliche Zeitungen brachten als headline: Baby Face Nelson’s Witwe zu erschiessen, wo sie gefunden wird. Sie ist bis heute nicht gefunden, aber eines Tages wird man sie finden + eben auf der Stelle erschiessen. Die ganzen wirtschaft. + Familienhintergründe dieser Outlaws haben etwas Ergreifendes und Unheimliches. Mutter, Schwestern, Frauen halten alle zu ihnen. Natürlich gibt es auch ganz glatte „Verbrecherinnen“ unter den Gangsterfreundinnen, aber die Mehrzahl sieht anders aus. Ich habe hier einen Auftrag, einen Artikel (engl.) zu schreiben über ein […] Gebiet Deutschl. betreffend. Sie koennen sich denken, wie schwer es mir faellt, je laenger ich […], je langweiliger wird es. Ich habe das ganze Material zusammen. ([…] Geschichten aus dem 3.R. und ihre richtige Bewertung. Ich glaube, ich habe die kompletteste Sammlung aus ganz […] zusammengekriegt, die man zusammenkriegen kann.) Aber es ist ein so schwerer Schreibauftrag für mich + ich weiss nicht, ob ich den Mut habe, mich zu blamieren. Ich würde sogerne irgendetwas verkaufen oder bestellt bekommen, es ist so schrecklich, ohne Anfrage zu leben. Was nützt alles Material sammeln. Die Myn.704 schrieb mir, Ihr Roman705 sei so außergewöhnlich + alle Leute, die sie darüber gehört hätte, seien sehr beeindruckt davon. Wenn Sie ein Exemplar entbehren koennen, kann ich eines haben?

700 Wera Iwanowna Sassulitsch (Vera Ivanovna Zasulič, 1849–1919), russische Revolutionärin. Bis heute bekannt vor allem aufgrund ihrer Korrespondenz mit Karl Marx aus dem Jahr 1881. Ihre Erkundigung nach den Bedingungen und Möglichkeiten des Sozialismus in Rußland entlockte Marx außer einem knappen Antwortbrief noch drei umfangreichere Entwürfe (vgl. MEW 19, S. 242f., S. 384–406). 701 Nadeshda Konstantinowna Krupskaja (Nadežda Konstantinovna Krupskaja, 1869–1939), russische Revolutionärin, Ehefrau Lenins. Nach der Russischen Revolution arbeitete sie vor allem am Aufbau des Bildungs- und Erziehungswesens. Als Kritikerin Stalins wurde sie, ihrer persönlichen Autorität zum Trotz, in den 1930er Jahren politisch isoliert. 702 John Dillinger (1903–1934) war nach Al Capone einer der berühmtesten Gangster der USA. Er wurde im Juli 1934 von einem FBI-Beamten erschossen. 703 Baby Face Nelson, auch bekannt als George Nelson, d.i. Lester Joseph Gillis (1908–1934), gehörte zur Dillinger-Bande. Er wurde in einer Schießerei mit dem FBI im November 1934 getötet. 704 Margaret Mynotti. 705 Dreigroschenroman.

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Was macht das Stück706? Elmer Rice707 (Autor von „Die Strasse“ – Sie erinnern sich mit Bassermann708 + Moskvin709) hat ein ganz gutes Stück über den Reichstagsbrand (Prozess) geschrieben710, das bereits seit Wochen in N.Y. läuft. Ein anderes Stück, das gut geht, spielt in den 50er Jahren, am Erie-Kanal + an der Erie-Bahn. (Titel: Der Bauer nimmt sich eine Frau).711 Langweilig, dumm. Das Dan Drew-Stück712 haette grosse Chancen, bessere. Nur müsste es ebenso stimmend [?] wie klassisch. Von drueben hoere ich wenig. Aus Deutsch. direkt seit einem halben Jahre nichts. Doch, gestern bekam meine Schwester ein Telegramm, dass mein Vater im Sterben liegt, sie verstaendigte mich hierher, aber wir koennen beide im Moment nicht helfen, er wird es hoffentlich nicht merken, dass er allein stirbt. Er soll […] sein u sehr erschoepft. Ich haette ihn gerne noch gesprochen, er war unglücklicher, als man ahnen konnte. Selber aus Veranlagung eher herzlos, war er in den letzten Jahren für jede Spur von Wärme dankbar, und zeigte das auch. Ja, so ist das. Ich sehe, das ist ein schlechter Moment, meinen Brief zu beendigen, aber ich kann es nicht helfen [sic]. Ich denke, Sie sind Weihnachten in Svendborg. Gruessen Sie die Weigel, ich danke ihr für ihren Brief aus Zürich,713 um Gottes willen, sie soll sich bloss nicht die Arbeit machen + an die Kisten rangehen, um zu sehen, an was mein Herz hängt. Ich hätte es gern gewusst, aber so dringend ist es wieder nicht. Ich wusste nicht, dass es so viel Kisten waren. Ich wollte, es wäre etwas Brauchbares darunter, was Sie verwenden koennten. Tun Sie es […], wenn Sie was finden. Ja, noch dies. Ich war inzwischen in der Stadt mit der Freundin eines Bekannten. Wir haben zusammen für Barbara714 ein Shirley Temple-Kleid erstanden. Es ist ganz billig und für den Sommer, hoffentlich kommt es zur Zeit an. Ich meine, sie müsste sehr gewachsen sein, aber als ich es eben ansehe, kommt es mir doch sehr gross vor. Ich spekuliere sehr damit, im Februar/März hier wegzukommen, dann kann sie es mir vorführen. Ich wünsche Ihnen allen alles Gute für 1935. Herzlichst Ihre

706 Nicht genau zu ermitteln. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.9.1934. 707 Elmer Rice, eigentl. Reizenstein (1892–1967), amerikanischer Schriftsteller. Sein Stück Street Scene (1929) wurde 1931 unter der Regie von King Vidor in Hollywood verfilmt und 1947 zu einer Musik von Kurt Weill als Oper am Broadway gespielt. 708 Der Schauspieler Albert Bassermann (1867–1952), der u.a. am Deutschen Theater Berlin sowie in mehreren Filmen gespielt hatte, ging 1934 ins Exil in die Schweiz, 1939 in die USA. 709 Iwan Michailowitsch Moskwin (Ivan Michajlovič Moskvin, 1874–1946), russischer Schaupieler. 710 Elmer Rice, Judgement Day (1934). 711 The Farmer Takes a Wife (1934), Schauspiel von Frank B. Elser und Marc Connelly. 712 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.9.1934. 713 Nicht überliefert. 714 Brechts Tochter Barbara. Die Schauspielerin Barbara Brecht-Schall (*1930) trat selbst unter dem Namen Barbara Berg am Berliner Ensemble auf. 1961 heiratete sie den Schauspieler Ekkehard Schall.

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Schreiben Sie doch mal, man ist hier nämlich wirklich sehr allein. Überlieferung: Ms, Bv.: Barlum Hotel, Cadillac Square and Bates Street, Detroit; BBA 480/45–57.

Hermann Borchardt an Helene Weigel und Bertolt Brecht Minsk, 5.12.1934 Minsk U.d.S.S.R., Swerdlowskaja 49 tupik, Quartier 24 Минск Б.С.С.Р., Свердловская туник Кварт. 24. den 5. Dezember 1934 Liebe Frau Weigel, lieber Brecht! Ich hoffe, dieser Brief erreicht Sie und Sie schreiben mir noch einmal Ihre genaue Adresse. Herzlichen Dank für das stattliche Buch „Dreigroschenroman“; ich bedaure nur, daß ich es wegen zuviel Arbeit nicht in einem Zuge lesen kann. Ich lese es abwechselnd mit meiner Frau. Erstens ist es wirklich spannend aufgebaut, ein Roman comme il faut, zweitens ist es tief amüsant, Ihr humoristisches Meisterstück; ich gratuliere. Man wird lange nicht dergleichen sehn, es sei denn in Amerika vielleicht. Aber die Quelle des Humors, der Pessimismus, ist daran zu vertrocknen: Sie haben einen Damm aufgerichtet gegen die Staatsreligion der Zukunft, den materialistischen Optimismus, dafür muß Ihnen, wer immer noch lesen und schreiben kann, dankbar sein. Ich sage – mit meinem alten […] Goldschmied – Ecce! und begrüße Sie herzlichst Ihr alter H. Borchardt Überlieferung: Ms, BBA 482/28.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 8.12.1934 Walter Landauer, i/ Verlag A. de Lange. AMSTERDAM-C, den 8. Dezember 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Parma House, Calthorpe Street 24, London. W.C.1.

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Lieber Herr Brecht, Ich erhalte von Ihnen auf keinen Brief eine Antwort.715 Ich könnte jetzt wahrscheinlich auch für die ungarische Ausgabe abschliessen und überhaupt, wie ich Ihnen schon oft schrieb, mehrere Abschlüsse vorbereiten. Falls Sie nun keinen Wert darauf legen, so bitte ich Sie mir doch einmal mitzuteilen, dass Sie nicht wollen, dass wir uns damit beschäftigen. Es ist aber ganz unmöglich zu verhandeln und nicht zu wissen, ob diese Verhandlungen überhaupt einen Sinn haben. Ausserdem ist das doch peinlich für den Verlag. Wenn ich also im Laufe der nächsten Tage von Ihnen keinen Bescheid bekomme, so sage ich diesen Verleger mit denen wir in Verhandlungen stehen ab (in erster Linie Polen und Ungarn) und es bleibt dann nur noch der jugoslavische Abschluss, zu dem Sie die Einwilligung gegeben haben. mit besten Grüssen Ihr Walter Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/61.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 9.12.1934 9. Dezember 1934 Herrn Bertold Brecht, Thurö per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, seit acht Tagen bin ich wieder hier. Der Erfolg der weiteren Reise war mässig, Hilfe fand ich überhaupt keine, aber ich konnte ganz gut kassieren und auch Bücher verkaufen, sodass wir wenigstens für die nächsten Wochen die nötigen Mittel in Händen haben.

715 Vgl. B. an Allert de Lange, 24.12.1934, GBA 28, S. 467. Brecht entschuldigte sich, seine Post sei seit seiner Abreise nach Dänemark „etwas durcheinander“ geraten. Er war am 20.12.1934 wieder in Svendborg eingetroffen.

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In Brünn habe ich mit Graf abgeschlossen. Der Roman, den er für Querido schrieb, wird bei uns herauskommen,716 im Januar wird das Buch von Bredel717 fertig, im Februar die Bücher von Jilemnitzki718, Awdejenko719 und Scholochow720. In Züricher Warenhäusern findet man Deine „Versuche“ ganz billig als Ramsch, das ist insofern ganz gut, als man annehmen darf, sie werden bis zum Erscheinen unserer Bände721 ausverkauft sein. Deine Frau722 traf ich in Zürich bei den Unruhen wegen Aufführung von „Prof. Mannheim“723 und auch in Wien traf ich sie wieder. Mit Gasbarra724 sprach ich. Da der Chef des Theaters Jude ist, wird er mit Deiner Charakterisierung der „Spitzköpfe“ nicht einverstanden sein. Im übrigen macht Gasbarra einen vernünftigen Eindruck, manches, was man über ihn hörte, scheint nicht zu stimmen. Das Stück von Wolff [sic] sah ich; kennst Du das Volksstück „Krone und Fessel“725, das vor dem Krieg auf Jahrmärkten einen ausserordentlichen Erfolg bei den antimonarchistischen Massen hatte? Aehnlich wirkt Wolff’s Stück, stimmen tut darin so gut wie nichts; nur ein berliner Arbeiter tritt auf, gespielt von dem Schauspieler Langhoff 726, der lange im Konzentrationslager war, und so wirkt, als ob er grade von dort käme. 716 Oskar Maria Grafs Roman Der harte Handel (1935) erschien bei Querido in Amsterdam, erst Der Abgrund (1936) wurde im Malik-Verlag veröffentlicht. 717 Der gelernte Metallarbeiter Willi Bredel (1901–1964), seit 1919 Mitglied der KPD und in den 1920er Jahren Redakteur der Hamburger Volkszeitung, schrieb seine ersten Romane im Gefängnis: 1930 war er wegen Hochverrats verurteilt worden. 1933 erneut verhaftet, wurde er im KZ Fuhlsbüttel interniert. 1934 floh er über die Tschechoslowakei in die UdSSR. Gab zusammen mit Brecht und Feuchtwanger die Moskauer Exilzeitschrift Das Wort heraus und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg. 1945 kehrte er zurück nach Deutschland (Ost). In seinem Roman Die Prüfung, der 1935 im Malik-Verlag erschien, beschrieb er die Erlebnisse seiner Haftzeit in Fuhlsbüttel. 718 Peter Jilemnický (1901–1949), tschechischer Schriftsteller. Sein Roman Brachland. Ein slowakischer Roman erschien 1935 im Malik-Verlag. 719 Alexander Ostapowitsch Awdejenko (Aleksandr Ostapovič Avdeenko, 1908–1996), russischer Schriftsteller. Sein Roman Ich liebe erschien 1935 im Malik-Verlag 720 Michail Alexandrowitsch Scholochow (Michail Aleksandrovič Šolochov, 1905–1984), russischer Schriftsteller. Der dritte Teil seines Romans Der stille Don (Tichij Don, übersetzt von Olga Halpern) erschien 1935 im Malik-Verlag. 721 Vgl. Anm. zu Grosz, 10.10.1934. 722 Helene Weigel war im November in die Schweiz und nach Österreich gereist. 723 Friedrich Wolfs Professor Mamlock (1933) wurde unter dem Titel Professor Mannheim am 8.11.1934 im Schaupielhaus Zürich aufgeführt (Regie: Leopold Lindtberg). Die Rezeption des Stücks war zwiespältig, v.a. seiner unverhohlenen kommunistischen Tendenz wegen. 724 Felix Gasbarra (1895–1985), Schriftsteller und Journalist, arbeitete in den 1920er mit Brecht und Piscator zusammen. Ab 1935 im Exil in Italien. 725 Der Autor des Stücks konnte nicht ermittelt werden. Krone und Fessel ist auch der Titel eines Films aus dem Jahr 1912 (Regie: Friedrich Müller). 726 Der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff (1901–1966), vormals an Theatern u.a. in Hamburg und Düsseldorf tätig, wurde 1933 als Kommunist verhaftet und ins KZ Börgermoor, später nach Lichtenburg verschleppt. Nach seiner Entlassung infolge der „Osteramnestie“ 1934 floh er in die Schweiz. Ab 1946 Leiter des Deutschen Theaters Berlin, wo von 1949 bis 1954 auch das Berliner

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Wien macht einen etwas lebhafteren Eindruck als vor einem Jahr. Ich habe niemanden getroffen, der für dieses System727 ist, es wird auch nicht viele geben. Aber es ist vollkommen klar. Ohne Organisation kann man nicht dagegen angehen. Grosse Teile der Bevölkerung, auch der Arbeiterschaft, die für illegale Arbeit nicht reif sind, versinken sozusagen ins Privatdasein, weil sie sich als Individuum sagen und sagen müssen, man kann ja doch nichts machen. Die Freunde arbeiten natürlich, vorläufig handelt es sich aber nur um einige Zehntausend. Wenn die Situation danach ist, mögen die aber allerhand schaffen, weil sie sicher mit dem Wohlwollen einer viel grösseren Menge rechnen können. Hier haben sich, übrigens ganz ähnlich wie in Paris, die Verhältnisse sehr zugespitzt. Zur Ablehnung von Juden und Emigranten kommt hier noch hinzu eine traditionelle (und nicht immer unverständliche) Abneigung gegen die Deutschen. Meine Kopenhagener Pläne728 sind also durchaus aktuell geblieben, nur sehe ich im Augenblick keine rechten Möglichkeiten sie durchzuführen, weil dazu doch gewisse Mittel da sein müssen. Mit John729 sprach ich über Deinen Gedanken, eine Gruppe zu bilden.730 Ich nannte es die „Union der Zwölf“ (U.d.Z.). Diese Bezeichnung viel [sic] mir unterwegs ein, man kann natürlich statt zwölf genau so gut sieben oder sonst eine Zahl einsetzen. Zwölf erschiene mir als ein Maximum. Ich möchte wissen, wie Du jetzt darüber denkst. Falls positiv, würde ich Dir Vorschläge machen, wie wir das weiter verfolgen können. Ganz vorläufig nenne ich einmal zwölf Namen, über die dann selbstverständlich noch Verständigung herbeizuführen wäre. Grosz Brecht Heartfield Eisler Piscator Kisch H Herzfelde Becher Weiskopf Graf Arnold Zweig (?) Der Zwölfte sollte wohl ein Bildhauer sein. Mir fällt keiner ein. Ensemble gastierte, bevor es ins Theater am Schiffbauerdamm einziehen durfte. 727 Vgl. Anm. zu Brentano, Februar/März 1934. 728 Vgl. Herzfelde, 6.11.1934. 729 John Heartfield, d.i. Helmut Herzfeld (1891–1968), Graphiker, Photomonteur und Bühnenbildner, Bruder von Wieland Herzfelde. Ging 1933 ins Exil nach Prag, 1938 nach London. 1950 übersiedelte er in die DDR. 730 Der Plan, eine Gruppe kooperierender Künstler und Schriftsteller im Exil zu bilden, wurde nicht verwirklicht.

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In etwa drei Wochen gedenke ich noch einmal hinüberzufahren. Gern hätte ich bis dahin das Manuskript des ersten Bandes, um Satz etc. an Ort und Stelle zu regeln. Hoffentlich ist es Dir möglich, es vor Weihnachten zu schicken. Auch bitte ich um Uebersendung von „Die Ausnahme und die Regel“, und zwar korrigiert, falls Du Korrekturen vornehmen willst. Falls es Dir keine Schwierigkeiten macht, empfiehlt es sich vielleicht auch gleich die Texte für den zweiten Band mitzuschicken, dann könnte man auch den gleich mitsetzen lassen. Von Grosz habe ich leider noch keine Antwort.731 Ich werde heute noch einmal anfragen. Das Einheitsfront-Lied hat Eisler auch an die AIZ geschickt, ich spreche heute noch Weiskopf und wir werden beraten, wo es erscheinen soll.732 Eine Kopie des Briefes geht nach London, weil ich nicht weiss, ob Du schon nach Schweden [sic] zurückgekehrt bist. Konntest Du in London etwas erreichen? Hier spielt Burian733 z.Zt. die Drei-Groschen-Oper. Ich sah die Aufführung noch nicht, man sagt allgemein, sie sei gut. Allerdings wird im letzten Akt gehängt, weil der reitende Bote des Königs nicht kommt. Ich will mich mit Burian in Verbindung setzen, vielleicht könnte er die „Spitzköpfe“ aufführen. Lass bald von Dir hören. Herzliche Grüsse Dein Wieland [Hs.] Ich höre, im Februar soll Johanna hier gespielt werden: vielleicht sollte man Bd. II: Johanna + Dreigroper [sic] sein lassen? PS: Ich höre eben, dass Burian mehrfach hier anrief, um Deine Adresse zu erfahren, die er auch erhielt. Er wollte Dich zur Uraufführung einladen. Wahrscheinlich liegt der Brief in Schweden. Er bekam allerdings auch die Londoner Adresse. Er wollte übrigens auch Deine Einwilligung zu dieser Aenderung des letzten Aktes einholen, wie ich eben höre. Noch eins wird Dich interessieren: vor ein paar Tagen war hier im Bert Brecht-Klub ein Brecht-Abend, wo Stefan Heym734 aus Deinen Gedichten und Lehrstücken vorlas und 731 Hs. Erg.: „Eben kommt Antwort: positiv; also auch dorthin Copie, falls Du genug hast.“ Vgl. Grosz, 10.10.1934. 732 Das Einheitsfrontlied erschien im Druck zuerst in der Moskauer Zeitung Večernjaja Moskva, 28.6.1935, später in Canciones de Guerra de las Brigadas Internacionales, hrsg. v. Ernst Busch, Madrid 1937. Brecht nahm es in die Svendborger Gedichte auf (GBA 12, S. 26). 733 Der tschechische Komponist und Regisseur Emil František Burian (1904–1959) war Gründer und Leiter des Prager Theaters D 34. Von 1940 bis 1945 in KZ-Haft in Theresienstadt, Dachau und Neuengamme. Nach seiner Entlassung gründete er das Theater neu unter dem Namen D 46. Noch im selben Jahr inszenierte er abermals Die Dreigroschenoper. 734 Der Schriftsteller Stefan Heym, d.i. Helmut Flieg (1913–2001), ging 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei, 1935 in die USA. Nahm als Soldat der US-Army 1944 an der Invasion in der Normandie

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ich über Dich sprach. Zum Schluss wurden noch Platten der Drei-Groschen-Oper gespielt. Der Besuch war sehr gut, nur die Diskussion dürftig. Dein Roman735 gefällt den Meisten, die ihn lasen, ausserordentlich. A.M. Frey schrieb mir darüber und ich forderte ihn auf, eine Kritik zu schreiben.736 Aber allenthalben beklagt man das Format und die auch sonst unglückliche Ausstattung, vor allen Dingen die Buchhändler sagen mir, wenn der Band ungefähr 40% billiger wäre, könnte es ein Schlager werden. So verzichten die meisten Leute wegen des hohen Preises. Das gilt für Oesterreich und Tschechoslowakei, sicher auch für andere valutaschwache Länder. In der Schweiz liegen die Dinge etwas günstiger, weil dort alles viel teurer ist. Wahrscheinlich auch in Holland. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U., Bv.: Faust Verlag Neue Deutsche Blätter Praha I. Betlemská 6 TELEFON 36896 Prag, den ______________ Postsparkassenkonto: Böhmische Eskompte-Bank und Credit-Anstalt Prag No. 51041 (für „Neue deutsche Blätter“); BBA 477/60–61.

Otto Bork737 an Bertolt Brecht Moskau, 10.12.1934 Verlagsgenossenschaft Auslaendischer Arbeiter in der UdSSR Bert Brecht London W C 1 Calthorpe Street 24

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Auf Wunsch von M. Steffin teilen wir Ihnen mit, dass wir zur Zeit mit dem Malik-Verlag ueber gemeinsame Herausgabe eines oder mehrerer Baende Ihrer Werke738 in Verhandlungen stehen. Ueber die Anregung von M. Steffin, bei uns noch ein Balladen-baendchen von Ihnen herauszugeben, koennen wir erst dann entscheiden, wenn die Verhandlungen mit dem Malik-Verlag zu Ende gefuehrt worden sind.

teil. 1952 kehrte er zurück in die Tschechoslowakei, 1953 übersiedelte er in die DDR. – Der Prager Bert-Brecht-Klub wurde 1934 gegründet. 735 Dreigroschenroman. 736 Vgl. Anm. zu M. v. Brentano, 1.12.1934. 737 Der Publizist Otto Bork, d.i. Otto Unger (1893–1938), leitete seit 1931 die deutsche Sektion der Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR (VEGAAR). Er wurde 1937 verhaftet, zum Tode verurteilt und erschossen. 738 Die später im Malik-Verlag erschienenen Gesammelten Werke.

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Wir bitten Sie, sich bis dahin zu gedulden und versprechen Ihnen, dass wir sofort nach Abschluss dieser Verhandlungen mit Ihnen in Verbindung treten werden. Mit Gruss! Deutsche Sektion Moskau. Nikolskaja No. 7 Bork Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 722/51.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht Windsor, Ontario, 14.12.1934 Windsor, 14. Dec. 1934 nachts 2 Uhr. Lieber Brecht, ich weiss, Sie werden nicht begeistert sein, einen sehr schlimmen handgeschriebenen Brief zu bekommen, aber ich kann es nicht ändern. Nicht nur meine Augen tun schrecklich weh (Ihr Roman739), sondern noch mehr meine Hände (es ist kalt). Aber wie dem auch sei. Ich habe Ihren Roman auf einen Zug durchgelesen. Was soll ich Ihnen gross darüber schreiben, er gefällt mir sehr. Auch das Äussere. Schade, dass ich so weit von jedem Schuss bin. Und wer bin ich, dass ich ihn meinem Verleger empfehlen koennte! Ich bin niemand. Wollen Sie ihn nicht mit der Billi [unleserlich] an Sinclair L.740 schicken + seiner Frau Do. Thompson741? Das einzige, was ich heut getan habe: ich habe an Grosz geschrieben, er kennt sicher Knopf oder Simon + Schuster oder Covici Friede742 etc. Ich habe ihn gebeten, mir zu schreiben, ob er was tun will. Ich habe etwas aufgeschmiert über Ihr Buch743 + dass ich es Ihnen mitschicke hat folgenden Grund: Ich möchte, wann immer ich gefragt + um Meinung gebeten werde, ein ganz bestimmtes Urteil über das Buch haben. Ich kann noch mehr sagen, aber es faellt mir schwer, es jetzt zu formulieren. Lassen Sie mich wissen, ob ich die aufgeschriebene Ansicht über das Buch verbreiten kann + komplettieren Sie sie. Ich bin geistig etwas herunterge-

739 Dreigroschenroman. 740 Sinclair Lewis. 741 Dorothy Thompson. 742 New Yorker Verlage: Alfred A. Knopf, gegründet 1915 von dem gleichnamigen Verleger; Simon & Schuster, gegründet 1924 von Richard L. Simon und M. Lincoln Schuster; Covici-Friede, gegründet 1928 von Pascal Covici und Donald Friede, ging 1938 in Konkurs. 743 Dreigroschenroman.

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kommen und weiss es. Seien Sie nicht böse wegen der Krakelei, setzen Sie die Brille auf. Schicken Sie mir dann die Blätter mit Ihrer eigenen Ansicht zurück. Inzwischen wird das Buch schon in die Routine-Anfragen der vielen VermittlungsAgencies gekommen sein, wer ist der offizielle Vermittler? Wenn es Fiedler [?] ist, soll er an Knopf, Covici Friede (der das dicke Rivierabuch744 herausbrachte), Simon + Schuster, Huebsch denken. An letzteren zuletzt. Ich fahre heute abend zurück. Ich habe hier in Canada meine Aufenthaltserlaubnis f. d. Staaten bekommen. Es ist sehr kalt + es schneit. Windsor ist eine kleine Provinzstadt, ganz britisch, ich bin froh, dass ich drüben überm Fluss Detroit sehe. Hier ist eine graessliche Verlassenheit und ein grosses amerikanisches Konsulat. Schreiben Sie gelegentlich. Bald werde ich auch wieder […] schreiben. Herzlichst Ihre Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel Norton-Palmer Cor. Park and Pelissier Windsor Ont. [hs.] Canada; BBA 480/36–37.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 15.12.1934745 [Hs.:] Der Dreigroschenroman. Wenn einige wenige Brechts Dreigroschenroman gelesen haben, dann wird den meisten von diesen wenigen der Kopf rauchen und das, was sie gelesen haben wird ihnen vielleicht so schwer erscheinen + weitläufig wie die Stadt London, aber auch ebenso undeutlich und […] wie die Stadt London selber, wenn sie der Londoner Nebel einhüllt. Es ist möglich, dass für manche dieser Nebel ewig dauert, der von nichts weiterem herrührt als einer überwältigenden und eindeutigen Klarheit, in dem Brecht alle Dinge, Zusammenhänge + Vorkommnisse und Prozesse unter sich, oder wenn Sie wollen, neben sich oder um sich liegen und abspielen sieht. Es wird ihnen schwer fallen sich auf die selbe Stufe der Seite zu stellen, neben Brecht, und alle Zusammenhänge so klar und deutlich, bis ins tausendste Glied, zu sehen wie er, selbst dort, wo sie noch nicht zu sehen sind. Um mit einem einfachen Einwand anzufangen: das ist ein komisches London, das den Schauplatz für diese Handlungen abgibt, das ist ein komisches England: was für eine komische Zeit in der Geschichte Englands, in der das Ganze spielt. Freilich, Brecht ist kein 744 Diego Rivera, Portrait of America, New York 1934. Der mexikanische Maler Diego Rivera (1886– 1957) war bereits 1929 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden. Später unterstützte er Trotzki bei dessen Einreise nach Mexiko. 745 Vermutlich ein Anhang des Briefs vom 14.12.1934.

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Geographielehrer + kein Geschi[chts]lehrer, aber er hat viel über London gelesen (Wallace, Kipling, Dickens746 etc.) und seine Belesenheit, sein Gedaechtnis und seine kolossale Vorstellungskraft dazu verschaffen ihm die Vision London, von der das, was sie real als Stadt + Komplex London bezeichnen, nur ein Bestandteil ist. Ja, das Brechtsche London ist die Realität und das was wir sehen, wenn wir selber ein paar Jahre in London leben, nur ein schwaches trügerisches Bild. Und es ist auch nicht London, sondern eine der grössten Staedte des 20. Jahrhunderts. Genau so ist es mit der Handlung. Viele Einige werden sich nach den Vorlagen für die […] komplizierten, […] Vorgänge, besonders der geschäftlichen, umschauen. Sie werden Beziehungen finden (Kettenläden747, Optimist etc.) aber das Gesamtbild der „Handlung“ ist wiederum eine Brechtsche Vision, ein Brechtischer Querschnitt durch die Struktur der gesellschaftl. ökonomischen Schichten zwischen 1880–1930. Deshalb spielt es keine Rolle, ob es zeitlich stimmt, dass es Gaslicht gibt oder elektr. Licht, Pferdedroschke oder Kino, Federhalter oder Stenotypistin: Das Grundsystem zwischen 8030 ist überall das gleiche, der Kampf um Besitz der gleiche, die Rolle der Ideale die gleiche, die Rolle der Menschen die gleiche. Man kann an den Roman nicht mit der Grammwa[a]ge herangehen, sondern als historischer Materialist, der Sinn für Humor hat und nicht für Verewigung der beschriebenen Zustaende ist. Wie bei allen Brecht-Sachen fällt die Kraft und Logik der Vorstellungskraft auf, die das nur Wahrnehmbare bis zur Unheimlichkeit komplettiert. Die Handlung ist bewusst so konstruiert, dass typische Vorgänge, die sich in dem zwischen 80–30 beschriebenen System abspielen, gezeigt werden. Brecht fasst die jeweils herrschende Meinung der Herrschenden oder Beherrschten oder auch seine eigene in zitablen Reden zusammen, die durch Schrägdruck gleich aus dem übrigen Text herausfallen + wohl für die Lesebücher kommender Jahrzehnte bestimmt sind + wohl von Brecht auch für die wesentlichen Teile des Romans gehalten wurden. Sie sind das Wesentliche des Romans. Man merkt deutlich, dass Brecht die reiche, mit Fleiss herbeigezogene Handlung nur benutzt, um einen Querschnitt durch die letzten 70 Jahre zu geben. Wie weit ihm dies gelingt, hängt von der Bildung und Fortschrittlichkeit der Leser ab. Vielleicht gelingt es ihm auch nicht, ein Bild dieser Zeit zu malen, wie qualvoll er sich auch müht, aber es ist noch keiner da, der es besser könnte als Brecht und wie sehr muss Br. sich schon abmühen, um gewisse Haltungen, Vorgänge + […] begreiflich zu machen. Brecht selber hat einmal beschrieben, wie schwer es ist und fast unmöglich, ein Bild dieses am Ende stehenden + total verwaisten Systems zu geben; die Beschreibung stammt aus der Zeit, als er sich bemühte, ein Stück über Weizengeschäfte zu schreiben.748 Er konnte das Stück bisher nicht zustande bringen. 746 Die englischen Schriftsteller Edgar Wallace, Rudyard Kipling (1865–1936) und Charles Dickens (1812–1870). 747 Zu den „B.-Läden“ aus dem Dreigroschenroman vgl. GBA 16, S. 50. 748 Jae Fleischhacker aus Chikago (GBA 10, S. 271–318). An diesem Fragment gebliebenen Stück arbeitete Brecht 1924 bis 1926. Unter dem Titel Weizen wurde die Uraufführung des Stücks, die allerdings

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„neulich wollte ich euch erzählen mit arglist die geschichte eines Weizenhändlers in der stadt chicago. Mitten im Vortrag verliess mich meine Stimme in Eile denn ich hatte plötzlich erkannt: welche mühe es mich kosten würde, die Geschichte jenen zu erzählen, die noch nicht geboren sind die aber geboren werden und die in ganz anderen zeitläuften leben werden und, die glücklichen!, gar nicht mehr verstehen koennen, was ein Weizenhändler ist von der art wie sie bei uns sind. Da fing ich an es ihnen zu erklären nur im geist hörte [?] ich mich […] sieben Jahren als ich begegnete nur stummem Kopfschütteln bei allen meinen ungeborenen Zuhörern Da erkannte ich, dass ich etwas erzählte was ein Mensch nicht verstehen kann.“ In dem Dreigroschenroman hat Brecht dieses unternommen: zu erzählen, was ein Mensch nicht verstehen kann. Überlieferung: Ms, Bv.:Barlum Hotel, Cadillac Square and Bates Street, Detroit; BBA 480/38–42.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 15.12.1934 St. Louis. 15. Dez. 1934 4515 Maryland Avenue

nicht zustande kam, an der Piscator-Bühne am Nollendorfplatz angezeigt. Die Gründe für den Abbruch der Arbeit erläuterte Brecht in einem Textentwurf von 1935 (GBA 22, S. 138f.).

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Lieber Brecht, ich schreibe Ihnen mit Fleiss auf, was mir zu Ihrem Roman749 einfaellt, natuerlich kann ich nicht alles aufschreiben, was mir einfaellt, ein grosser Teil haengt damit zusammen, dass ich Sie kenne. Mich wuerde interessieren, ob ich diese Sachen noch verstehe und Sie koennen mich dabei als irgendeine x Leserin betrachten. Sie haben keine Ahnung, wie schwer es manchmal ist, so ohne Leute auszukommen, mit denen man wie frueher reden kann. Ich wuerde gern Ihr Gedicht ueber die Groesse haben, wenn Sie es haben.750 Ich haette gern irgendwo ueber Ihren Roman geschrieben, meinen Sie dass ich das koennte und wo, Herzfelde? Soll ich eine Besprechung schreiben, kann ich was von dem Aufgeschriebenen verwenden? Vor Jahren gaben Sie mir mal als Titel fuer einen Buster Keaton-Aufsatz „Guter Spass – Harte Arbeit“, das trifft auf einen satirischen Roman auch zu: er erfordert kolossales Training. Gerade ich wuerde gern irgendwo was zu Ihrem Roman sagen, das muessen Sie doch begreifen. Eine Kritik ueber das Buch kann auch heissen: So weit ist es gekommen. Interessant waere auch festzustellen, was Ihnen beim Romanschreiben unwichtig erscheint. Mit Moskau scheints nichts zu werden. Sie haben mich an eine Stelle in New York verwiesen. Aber da habe ich auch keine grosse Hoffnung, was sollen die mit jemand anfangen, der nur ins Deutsche uebersetzen kann. Was machen Sie jetzt? Ich habe zur Abwechslung eine Gelenksentzuendung am Arm-Ellbogen, die sehr schmerzhaft ist, ich kann nur sehr langsam schreiben. Schrieb ich Ihn[en], dass ich in Detroit mal nach Literatur ueber Dan Drew751 nachgesehen habe? Es sind ein paar gute Sachen da, ein wichtig[es] Buch ist auch in London zu haben, da es auch dort verlegt wurde. Dazu kommt, dass gerade eben ein grosser Schwindel innerhalb der Missouri-Pacific aufgedeckt wurde, das Material darueber werde ich aufheben, die Sachen ueber Dan Drew musste ich in Detroit lassen. Mehr Material gibt es ueber den Eric-Kanal, der auch ein Kapitel fuer sich ist. (Ich schrieb Ihnen, dass ein Stueck, das zur Zeit des Kanalbaus spielt, jetzt seit Wochen in New York laeuft.) Wenn man hier schnell arbeitet, kann man viel machen. Herzlichst Ihre Florin. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 480/27.

749 Dreigroschenroman. 750 Gemeint ist vermutlich die 1934 entstandene Ballade vom Wasserrad, die mit den Worten: „Von den Großen dieser Erde“ (GBA 14, S. 207) beginnt. 751 Das Stück Dan Drew, an dem Brecht Mitte der 1920er Jahre gearbeitet hat, blieb Fragment (vgl. GBA 10, S. 334–381). Thema des Stücks sind der Bau der Eisenbahn in Nordamerika Mitte des 19. Jahrhunderts sowie die sich in diesem Zusammenhanh entfaltenden Aktivitäten der Aktiengesellschaften.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 17.12.1934 Der Dreigroschen Roman Lieber Brecht Ich habe Ihnen vorgestern nacht in der ersten Hitze etwas ueber Ihr Buch aufgeschrieben, es erscheint mir, nachdem ich verschiedentlich darin nachgelesen habe, sehr unzulaenglich, was ich Ihnen aufgeschrieben habe. Es ist wirklich ein Nachschlagebuch, zuerst habe ich eigentlich nur von Rede zu Rede propellert und das Dazwischenliegende ueberflogen. Die Schlussgeschichte „Das Pfund der Armen“752 ist wunderbar und sie verdient, ueberall abgedruckt zu werden, gesondert. Mir faellt auf, dass man noch bei dem von Ihnen geschaetzten Spielhagen753 und bei dem von Ihnen nicht geschaetzten Mann (der sich ja auch schon aus Unsicherheit auf biblische Geschichten verlaesst,754 von Handlungen in einem Roman sprechen konnte, bei Ihnen kann man leider nur von Machenschaften reden. Konnte man bei Spielhagen und Mann fragen: wie leben die Hauptpersonen? so bei Ihnen nur: wie ziehen sie sich heraus? Herrn ‚Aigihns‘ Angstschrei: was hat ihr vor? ist durch Welten von Frau Xsens Erstaunen: ach, haette ich aber nicht gedacht! – getrennt. Bei Brecht hat jeder was vor und jeder tut gut, dem anderen zu misstrauen. Dieses Buch, eingesetzt in den Kampf um die Beseitigung bestehender unmenschlicher Zustaende, uebernimmt die Aufgabe der wie man sagt Intelligenztruppen (Pioniere, Telegrafisten usw.) verglichen mit anderen Erzeugnissen der Literatur kann es nur etwa mit Gullivers Travels755 oder mit Voltaires Schriften verglichen werden. Der Gestus der Sprache wird nur von wenigen begriffenen werden: von Augsburgern, Aussen und einigen Amerikanern. Der Gestus ist besonders stark in den Gedichten, die den einzelnen Kapiteln vorangesetzt sind, und in den zusammenfassenden Reden. Brechts Hang zu Zitablen und Praktikablen kommt besonders stark in diesen Reden zum Ausdruck. Er kann sich darauf verlassen: er wird zitiert werden. Wie leider fast alles in diesem Roman stimmt, so stimmt es auch, dass die Menschen weniger Menschen als vielseitige und vielfarbige Typen sind mit mehr oder weniger Innenleben, in der Hauptsache Handelnde und Gehandelte. Gelingt es Brecht, die Menschen, Verhaeltnisse und Machenschaften, die er beschreibt, so zu beschreiben, dass man sich angeekelt bessere Zustaende wuenscht? Nein, Brecht ar752 Vgl. GBA 16, 375–391. 753 Der Schriftsteller Friedrich Spielhagen (1829–1911) sei Brecht zufolge ein literarischer Vorfahr Thomas Manns und im Unterschied zu diesem gar ein Revolutionär gewesen (vgl. GBA 21, S. 158–162). 754 Anspielung auf Thomas Manns Romantetralogie Joseph und seine Brüder, deren zweiter Teil, Der junge Joseph, soeben bei S. Fischer in Berlin erschienen war. 755 Gulliver’s Travels (Gullivers Reisen, 1728), Roman von Jonathan Swift.

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beitet nicht mit solchen Mitteln wie Ekel und Abscheu. Er arbeitet mit Humor und Verstand. Er verlaesst sich darauf, dass die Menschen, die ueber bestimmte Dinge gelacht haben, diese Dinge nicht mehr ernst nehmen, also im Ernstfall nicht zur Verteidigung dieser Dinge verwendet werden koennen. Er verlaesst sich und darauf, dass der Humor Querverbindungen bei den […] schafft, waehrend eine Tragoedie mehr in Reih und Glied empfunden wird. Genau so wie im Kino bei einer Komoedie: der Mann der in der letzten Reihe schallend lacht, hoert ploetzlich ein Gelaechter im Balkon. Aber bei einem Ruehrstück stecken sich nur die Nebeneinandersitzenden mit Schluchzen und Drucksen an. Pathos ist ein Mittel der Faschisten, Humor ist nur bei denen zu finden, bei denen die Grunddinge stimmen. Deshalb sind Witze in Russland erlaubt. Humor ist eine Intelligenzfrage Überlieferung: Ms, BBA 480/43–44.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 18.12.1934 AMSTERDAM-C, den 18. Dezember 1934 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Parma House, 24, Calthorpe Street, London. W.C.1. Sehr verehrter Herr Brecht, In Jugoslavien kann der Dreigroschenroman zu folgenden Bedingungen verkauft werden: 6000 Dianare für die ersten 3000 Exemplare, zahlbar am 1.10. 2000 für die zweite Auflage. Nachdem wir diese Verhandlungen für Sie eingeleitet haben, erscheint es uns selbstverständlich, dass wir zum mindestens eine Antwort auf unsere Briefe erhalten.756 Wir haben jetzt all Ihre Wünsche erfüllt und die Zahlungen geleistet. Wir dürfen doch wohl erwarten, dass Sie unsere Briefe beantworten. Wir haben, wie wir Ihnen schon geschrieben haben, in verschiedenen Ländern Verhandlungen wegen der Übersetzungsrechte angefangen. Wir sind sofort bereit, diese Ver-

756 Vgl. B. an Allert de Lange, 24.12.1934, GBA 28, S. 467.

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handlungen wieder zu unterbrechen, falls Sie direkt mit den Leuten verhandeln wollen. Aber wir bitten mindestens um eine Auskunft. Gleichfalls müssen wir Sie bitten uns mitzuteilen, welche Übersetzungsrechte Sie bisher verkauft haben. Wir haben darauf einen vertraglichen Anspruch. Wir rechnen diesmal unbedingt mit klaren Auskünften. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange Landauer P.S. Weiter bemerken wir, dass wir sowohl in Frankreich, Norwegen, Ungarn und Polen sehr ernsthafte Verhandlungen über den „Dreigroschenroman“ haben, die wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit zu Abschlüssen führen könnten. Wir erwarten daher auch wegen dieser Abschlüsse Ihre umgehende Stellungnahme. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/62.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 21.12.1934 Moskau, den 21.12.34. Lieber Bert Brecht! Unser Musik-Bureau757 wendet sich an Dich mit der Bitte um ein gutes EinheitsfrontLied.758 Wenn dasselbe Eisler nicht vertont, so werden wir es einem unserer Genossen zur Vertonung übergeben. Gerade jetzt ist es selbstverständlich sehr notwendig, unsere Sängerchöre mit diesem Material zu beliefern. Abgesehen von der politischen Situation bereiten sie sich auf eine grosse Olympiade vor, die im Frühjahr des nächsten Jahres voraussichtlich in Elsass-Lothringen stattfinden soll.759 Wir rechnen damit, dass Du uns auf keinen Fall im Stiche lässt. 757 Das Internationale Musikbüro wurde 1932 in Moskau als eine Sektion der MORT gegründet. Eisler übernahm 1935 den Vorsitz. 758 Vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 759 Vom 1. bis 8.6.1935 fand auf Einladung des Internationalen Musikbüros in Strasbourg die I. Internationale Arbeitermusik- und Gesangsolympiade statt, zu der insgesamt 70 Chöre aus verschiedenen europäischen Ländern zusammenkamen. Das Einheitsfrontlied wurde dort im Eröffnungskonzert

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Mit proletarischem Gruss Piscator [Hs.] in meiner „neuen Funktion“760 Wann kommst Du? Man sagt im Januar? Vielleicht bin ich dann nicht hier. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 477/118–119. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 323.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Paris, 21.12.1934 Johannes R. Becher

Paris VI, den 21. Dezember 34. 23, Rue de Tournon.

Lieber Brecht, soeben las ich im „Pariser Tageblatt“ Deinen Aufsatz über die Wahrheit,761 und ich muss Dir darüber sofort schreiben. Dieser Aufsatz ist meiner Ansicht nach eine der besten „theoretischen Arbeiten“, die ich in der letzten Zeit gelesen habe und man müsste eigentlich annehmen, dass ihn jeder versteht und davon überzeugt wird. Ich habe den Aufsatz sofort nach drüben762 geschickt und hoffe dringend, dass sie ihn gebrauchen können. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Dir sagen, dass ich es nicht für gut halte, so verbindungslos nebeneinander herzuleben. Ich habe Dir von drüben mehrere Briefe geschrieben, leider bekam ich nie eine Antwort; vielleicht sind die Briefe verlorengegangen. Aber jetzt, wo ich in Paris bin, ist die Verbindungsmöglichkeit doch sicher besser. Ich möchte in einer für uns alle sehr wichtigen Sache Deine Meinung hören.763 Auf der letzten Versammlung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, die überdies ausserordentlich gut besucht war (ca. 400 Leute, davon gut ein Drittel Franzosen) sprachen

von Ernst Busch gemeinsam mit einem Arbeiterchor gesungen. 760 Piscator war seit kurzem Vorsitzender der MORT. 761 Dichter sollen die Wahrheit schreiben, in: Pariser Tageblatt, 12.12.1934 (GBA 22, S. 71–74). Brecht schrieb daraufhin eine erweiterte Neufassung: Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, die im August 1935 in Unsere Zeit, Heft 8/1935 erschien (GBA 22, S. 74–89). 762 Moskau. 763 Vgl. B. an Becher, Ende Dezember 1934, GBA 28, S. 470f.

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Ehrenburg764 und Malraux über den Sowjetkongress.765 Bei dieser Gelegenheit erfolgte aus der Mitte der Versammlung heraus der Vorschlag, vielleicht am 10. Mai, dem Tag des verbrannten Buches766, hier in Paris eine internationale Konferenz767 zu veranstalten, auf der die wichtigsten Themen der Literatur in den kapitalistischen Ländern diskutiert werden müssten. Es ist ganz klar, dass diese Konferenz sehr breit organisiert werden muss, man denkt sogar daran, einige Leute aus Deutschland dazu ganz offiziell aufzufordern, sie sollen nur ruhig ihren Standpunkt dort vertreten. Was hältst Du davon, und welches sind Deiner Meinung nach die Themen, die im Mittelpunkt solch einer Konferenz stehen müssten und die auch geeignet sind, eine wirkliche Debatte zu entfachen. Ich bitte Dich, mir bald darüber zu schreiben. Wir wollen in dieser Angelegenheit nichts unternehmen ohne uns vorher bei den Freunden zu orientieren, auf deren Teilnahme an der Konferenz wir den grössten Wert legen. Und dann bitte ich Dich noch, mir doch ein Exemplar Deines „Dreigroschenroman“ vom Verlag zusenden zu lassen; ich habe hier keine Möglichkeit, ihn mir zu beschaffen. Mit den herzlichsten Grüssen Dein Hs. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs.U.; BBA 477/78. – E: Becher, Briefe, S. 194f.

764 Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg (Ilja Grigor’evič Ėrenburg, 1891–1967), russischer Schriftsteller und Publizist. 1908 bis 1917 im Exil in Paris, später sowjetischer Auslandskorrespondent in Frankreich. Als Frontberichterstatter der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg verfaßte er zusammen mit Wassili Grossman das Schwarzbuch über die Ermordung der sowjetischen Juden, das in der UdSSR jedoch nicht erscheinen durfte. 765 Vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933. 766 In Erinnerung an den 10. Mai 1933, den Tag, an dem in Deutschland unter dem Namen „Aktion wider den undeutschen Geist“ in zahlreichen Universitätsstädten rituelle Bücherverbrennungen stattfanden. 767 Gemeint ist der I. Internationale Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, an dem auch Brecht teilnahm. Er fand vom 21. bis 25.6.1935 im Palais de la Mutualité in Paris statt.

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A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 21.12.[1934] AMSTERDAM-C, den 21. Dezember DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Parma House, 24 Calthorpe Street, London W.C.1. Sehr geehrter Herr Brecht! Einliegender Brief 768 wird uns zugesandt von der Europäischen Hefte, Prag, mit der Bitte ihn an Sie weiterzuleiten. Mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. A. P. J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/63.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht [Sanary (Var)] 28.12.1934 28. Dez 34 Lieber brecht, ich will das jahr nicht zu ende gehen lassen, ohne Ihnen noch einmal guten tag zu sagen. ich habe lange nichts von Ihnen gehört und weiss nicht einmal, wo sie sind, ob in england oder in dänemark. ich sitze still hier unten und arbeite am 2. Josephus.769 es ist erfreulich einsam hier. ich schreibe, lese und gehe spazieren. was ich lese, sind lauter „bücheln“, wie Sie zu sagen pflegen, klassiker also, franzosen und engländer des 19. jahrhunderts zumeist, viel geschichte und philosophie. den dreigroschenroman habe ich zweimal gelesen. ich finde das buch eine ausgezeichnete karikatur auf das weltbild des extremen marxistischen doktrinärs. wir müssen einmal 768 Nicht überliefert. 769 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.1.1934.

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ausführlich darüber sprechen. ich würde mich wirklich herzlich freuen, wenn Sie einmal herunterkämen, und lade Sie auch im namen marthas nochmals herzlich ein. mit vergnügen habe ich den kleinen artikel zweigs770 über Sie gelesen; ich finde, er ist ungefähr das treffendste, was über Sie geschrieben wurde. haben Sie ein gutes neues jahr. ich wünsche Ihnen, dass Sie sich in ruhe an den chinesischen Roman771 machen. grüssen Sie helly herzlich. wir sprechen oft von den weihnachtsabenden, die wir bei Ihnen verbracht haben. um Ihnen einen kleinen silvesterspass zu machen, setze ich Ihnen ein (ernstgemeintes) gedicht hierher, das ich in dem soeben erschienenen almanach der französischen postbeamten gefunden habe, der von zwei mitgliedern der akademie bevorwortet ist: Ma femme tricote Sous le lustre, près du feu. Moi je lis un peu Et ma fille pianote. Gardez-nous ainsi, mon Dieu. Adieu, brecht. lassen Sie sich bald einmal sehen. oder zumindest ausführlich von sich hören. Sehr herzlich immer Ihr Feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 478/86–87. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 28f.

Bernhard Reich an Bertolt Brecht [Moskau, Ende 1934] Lieber Brecht, Die Zeitschrift fuer das deutsche Theaterwesen772 wird bald. Orientierungsweise, 5. Februar – Bereitstellung des Materials fuer die 1. Nummer. Die Zeitschrift duerfte nur einen Umfang von etwa 30 Seiten haben, wie „die neue deutsche Weltbühne“,773 ebenfalls wie diese muss sie schmissige und kurze Artikel bringen.774 Zum Unterschiede von der Welt770 Vgl. Anm. zu Zweig, 2.8.1934. 771 Der Tui-Roman. Vgl. Anm. zu Praag-Sanders, 26.6.1933. 772 Die geplante Zeitschrift der MORT kam nicht zustande. 773 Die neue Weltbühne, aus der kurzlebigen Wiener Weltbühne (einem Ableger des Berliner Originals) hervorgegangen, erschien 1933 bis 1939, zunächst in Prag, ab 1938 in Paris. Anders als die in Deutschland 1933 verbotene Weltbühne verfolgte Die neue Weltbühne eine dezidiert kommunistische Politik im Sinne der Komintern. 774 „Allzu viel Schmiß wäre übrigens schlecht“, antwortete Brecht darauf am 18.1.1935: „Theaterzeit-

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buehne soll sie nur einmal im Monate erscheinen. Mitarbeiter, Piscator, Brecht, Wolf, Hartung, Gasbarra, Wangenheim, und so fort, eventuell Rehfisch, ich soll sie redigieren. Klar, dass die erste Nummer der Zeitschrift einen Beitrag von Dir haben muss,775 ich denke mir, einige grundsätzliche Gedanken ueber das nationale Theater, wie es gegenwaertig vegetiert, und ueber ein wirkliches Theater wie Du es Dir vorstellst, wie Du fuer dieses kaempfst und zu kaempfen vorschlaegst. Eine programmatische Erklaerung von Dir ist umso wichtiger, weil, wie Du vielleicht weisst, in Prag ein Brecht Bert-Klub gegruendet wurde. Die Form braucht weniger auffallend zu sein, etwa die einer Selbstanzeige deiner „Spitzkoepfe und Rundkoepfe“ oder vielleicht eine Anrede an die Mitglieder des Brecht Klubes. Ferner erwarte bitte ich Dich, um die Vermittlung folgender Beitraege, Rezensionen ueber faschistische Stuecke, die eben geschrieben wurden, ueber Auffuehrungen in Deutschland, vielleicht hat Karin M.776 oder einer Deiner Bekannten etwas in Deutschland gesehen, ferner brauchen wir Nachrichten ueber die Stimmung von Schauspielern, von Dramatikern und Regisseuren, die dort noch arbeiten und schliesslich hast Du vielleicht Skizzen zu neuen Arbeiten, die in sich geschlossen, publiziert werden koennten. Am besten, Du kaemst hierher, Piscator erzaehlt davon. Wenn es sich aber hinauszoegern sollte, so schicke, so schnell Du kannst, aber wirklich und antworte, trotz Deiner Unlust zu korrespondieren. Herzlichst Dein Reich Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/82.

Erna Sternberg777 und Fritz Sternberg an Helene Weigel und Bertolt Brecht [Basel, Dezember 1934] Liebe Helli, Hoffentlich bist Du gut angekommen und hat alles geklappt. Es war wunderschön, dass Du hier warst,778 wenn ich es auch mehr als ja traurig empfinde, dass wir so weit weg von einander sitzen. Ich hab mich hier ja persönlich niemandem angeschlossen und es war daher ganz besonders schön, dass man mal wieder einen Mensch hatte, wo man reden kann, wie einem der Schnabel gewachsen. Nun sitzt Du schon wieder an der See und ich hätte eine Mordslust, wieder mal gemeinsam zu weihnachten. Das Leben ist doch wirklich eine Hühnerleiter!!

schriften, wenn sie nicht Klatsch und Nuditäten bringen, gehören nicht auf den Boulevard. Sechs gute Nummern mit Material drinnen – darauf kommt es an“ (GBA 28, S. 479). 775 Vgl. Reich, 31.1.1935. 776 Michaelis. 777 Ehefrau von Fritz Sternberg 778 Weigel war im November zu Besuch u.a. in der Schweiz.

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Ich sende Dir einen Ausschnitt, den Du anscheinend hier verloren hattest. Das Buch geht via Amsterdam direkt an Euch, es kann sich jedoch um einige Tage verzögern, da die Auslieferung unserer Exemplare etwas später erfolgt. Mir geht es noch immer mies. Ich war 3 Tage aufgestanden, aber dann ging es wieder so toll los, dass ich mich wieder hinlegen musste. Na, aber ich denke, in einigen Tagen ist es wieder in Ordnung. Hilde, jenes Mägden [?], hat uns nun verlassen, was wahrscheinlich auch zu meiner raschen Wiederinstandsetzung beitragen wird. L[iebe] Helli, da Briefschreiben eine meiner vielen schwachen Seiten, mache ich jetzt Schluss. Der ganzen heiligen Familie viel Grüsse, besonders aber Dir. Erna. [Hs. von Fritz Sternberg:] Recht herzlichen Gruss auch an Brecht werd bald einmal schreiben! F. St. Überlieferung: Ms, BBA 479/89–90.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [ca. 1934] Ich schreibe Ihnen, weil ich am Telefon so laut schreie + und es ist ein offnes B[…] Montag Lieber Brecht, vielen Dank für Ihren Brief 779 + für die Zeit, die er Ihnen genommen hat. Er ist z.Tl. einleuchtend, manches verstehe ich nicht und das mit dem „etwas Glück“ überhaupt gar nicht. Ausserdem ist er wie an einen Strafgefangenen. Auf meine Frage haben Sie nicht geantwortet. Ich fragte ganz etwas anderes. Dass Sie dies gesagt haben, glaube ich Ihnen, dass Sie all das andere, alle diese fürchterlichen Details über den endültigen Zusammenbruch unserer Beziehung, mit dieser Endgiltigkeit [sic], die ja schon lange zurückläge, man mich tröstete, nicht gesagt hatten, wollte ich nicht glauben. Heute habe ich leider noch mehr darüber erfahren. Ich hatte einen langen Brief an Sie fertig, ich habe ihn zerrissen. Nach den Berliner Lügereien Komplotten + […] Beschimpfungen will ich keine Pariser Ränkespiele und seien es noch so feine. Ich weiss, Sie bewundern sowas. Alles, was ich noch in der Manuskriptsache tun konnte + anbahnen konnte, habe ich 779 Nicht überliefert. Anlaß des Konflikts mit Brecht war ein Koffer mit Manuskripten, den Hauptmann in Berlin zurückgelassen hatte (vgl. Anm. zu Steffin, Mitte August 1933). Vgl. dazu Kebir, Hauptmann, S. 169ff.

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getan. Anbei die Unterlagen für Ihren Vater und den franz. Herrn. Lassen Sie uns diese Art von Beziehung gänzlich abbrechen, Brecht. Sie sind anscheinend glücklich. Auch ich, das glauben Sie mir, werde von gänzlicher Trennung von Ihnen eine grosse selbstverständliche und sehr zärtliche Beziehung zu einem Menschen und in der Arbeit, was ich mir wünsche!, finden. Unsere Beziehung war etwas karg und unzärtlich und ungeschickt, aber es war die grösste Arbeitsfreundschaft, die Sie je haben werden + und die ich je haben werde. Ich werde wieder ein gutes Herz haben + vielleicht sehen wir uns dann später mal wieder. Ihre Bess Hauptmann. Überlieferung: Ms, BBA 480/133–134.

Briefe an Bertolt Brecht, 1935

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 3.1.1935 Prag, den 3. Januar 1935 An Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark Lieber Brecht, herzlichen Dank für den Brief vom 30. vor. Mts.1 Falls es noch nicht abging, schicke das Manuskript Rundköpfe bitte gleich. Ich muss die Februar-Nummer bald fertig haben, ehe ich hinüberfahre. Und vorher möchte ich möglichst schon ein Stück für die NDB haben.2 Die Dezember und die Januar-Nummer wirst Du erhalten haben und die Besprechung von A.M. Frey über Deinen Dreigroschenroman3, sowie die Kritik der Burian-Dreigroschenoper-Aufführung4 gelesen haben. Mir selbst gefällt die Aufführung nicht in solchem Ausmass. Auf alle Fälle ist Burian nicht ängstlich. Und das ist heute schon viel wert. Amerikanische Beiträge sind mir natürlich sehr lieb. Ich habe an Hauptmann geschrieben. Hoffentlich kann sie auch die Uebersetzungen herstellen. Andererseits könnte es auch Mattick5, dessen ‚Streikwelle‘ Du ja gelesen hast. „Die Fünf Schwierigkeiten“6 interessieren mich sehr. Ich kann mir nicht denken, dass Der Schriftsteller sie ganz bringen kann. Soeben kommen sie an. Ich las noch nicht, setze mich aber sofort mit dem Schriftsteller7 in Verbindung, da ich mir nicht denken kann, dass sie den Aufsatz ganz bringen. Für die NDB ist er nicht zu lang. Dagegen kann man ihn nicht als Blatt einlegen, weil das postalische Schwierigkeiten macht. Aber vom Stehsatz lassen sich Sonderabzüge herstellen und ich werde sie voraussichtlich auch nach Deutschland bringen können. Wir bringen übrigens

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Nicht überliefert. In den Neuen Deutschen Blättern (Heft 4, Februar 1935) erschien, nach einem Ts der dritten Fassung, die zehnte Szene der Rundköpfe und Spitzköpfe. A.M. Frey, „Brechts Hauptwerk“, in Neue Deutsche Blätter, Heft 3, Januar 1935. F.C. Weiskopf, „Dreigroschenoper in Prag“, ebd. Zur Burian-Inszenierung der Dreigroschenoper vgl. Herzfelde, 9.12.1934. Der rätekommunistische Politiker und Theoretiker Paul Mattick (1904–1981), vormals Mitglied der KPD-Abspaltung KAPD, war bereits 1926 in die USA emigriert. Er arbeitete dort für die Gewerkschaft Industrial Workers of the World, später auch für das exilierte Frankfurter Institut für Sozialforschung. Sein Aufsatz „Die Streikwelle“ erschien in Heft 1 und 2 (1934) der Neuen Deutschen Blätter. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. Der deutsche Schriftsteller war das Organ des SDS. Brecht hatte, wie er in dem genannten Brief an Becher berichtete, seine Fünf Schwierigkeiten dort eingereicht; sie erschienen, nach der Veröffentlichung in Unsere Zeit, in einem Sonderdruck des SDS.

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auch NDB hinüber, die erste Sendung ist allerdings nicht angekommen. Aber das soll uns nicht entmutigen. Ottwalt versprach den Roman jetzt bis 15. Februar8 und schreibt im übrigen recht dämliche Briefe. Nun, er ist immer aggressiv, wenn er sich im Unrecht weiss. Finanziell sieht es im Augenblick düster aus. Aber es läuft eine Offerte bei der Büchergilde, wenn die akzeptiert wird, ist für die nächsten Monate Luft geschaffen. Auch sonst bestehen noch einige Aussichten, aber eben auch nicht mehr. Es wäre grossartig, wenn Du in Kopenhagen Positives erzielen könntest. Da meine Schulden nicht sehr erheblich sind, insgesamt höchstens RM. 15.000--, denen alle Vorräte, Forderungen und Rechte gegenüberstehen, wäre die Gründung einer Gesellschaft mit verhältnismässig geringen Mitteln möglich. Ich füge mein Produktionsprogramm bei, damit Du auf diesbezgl. Fragen leichter Auskunft geben kannst. Gib, wenn Du Details brauchst, Nachricht. Grosz schrieb übrigens sehr herzlich, er will auch mehr Zeichnungen machen als ich vorschlug.9 Philosophisch hat er gegen uns alle möglichen Bedenken, umso wichtiger erscheint es mir, auf dem Gebiet, wo er mehr leistet als als Philosoph, dem seiner Produktion, die Verbindungen mit ihm wieder herzustellen. Etwas Groteskes: Grosz sah Graf in Lederhosen im Moskauer Kulturpark, und zwar in einem New Yorker Tonfilm.10 Falls Du Rundköpfe und Dreigroschenoper direkt an ihn schicken kannst, tu es bitte der Zeitersparnis wegen, und lasse es mich wissen, damit ich den Vorschuss auf den Weg bringe. Grüsse Deine Familie, ebenso Maria Lazar und Tochter11, auch Benjamin falls Du ihn siehst. Ich erwarte noch seinen Ehrenburg-Aufsatz.12 Er schickte mir eine andere Arbeit, die ich aber leider nicht bringen kann. Ein gutes Neujahr und herzl. Grüsse Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr, hs. U., Bv.: Malik-Verlag Aktiengesellschaft Berlin W 50 Direktion nur: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 257-42; BBA 477/47–48. 8

Ernst Ottwalt publizierte 1933/34 mehrere Beiträge in den Neuen Deutschen Blättern, einen fertigen Roman jedoch brachte er seither offenbar nicht mehr zustande. 9 Vgl. Anm. zu Grosz, 10.10.1934. 10 Der Film wurde nicht ermittelt. Daß Oskar Maria Graf sich in Moskau, wo er 1934 den 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller besuchte, in Krachlederhosen zeigte und damit großes Aufsehen erregte, ist belegt. In Seltsame Abenteuer eines Dichters (Paris 1935) berichtet Balder Olden: „Ihn kannte nach wenigen Tagen ganz Rußland, so viel wie er sind kaum die Tscheljuskin-Helden photographiert, kinematographiert, gezeichnet und karikiert worden“ (Hier zitiert nach B.O., Paradiese des Teufels, Berlin/DDR 1977, S. 247). 11 Judith Lazar. 12 Gemeint ist vermutlich ein Aufsatz über den russischen Schriftsteller Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg. Auf einen solchen Text gibt es in Benjamins Briefwechsel keinen Hinweis. Eine Korrespondenz mit Herzfelde aus jener Zeit ist nicht überliefert.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 4.1.1935 London, den 4.I.193513

Hanns Eisler, London NW6 147 Abbey road

Lieber Brecht, Das Einheitsfrontlied ist schon lange in M.14 und erscheint im Staatsverlag.15 Piscator soll sich eine Abschrift vom internationalen Musikburreau [sic] geben lassen. Ich werde wahrscheinlich erst nach Amerika fahren und erst von dort nach M. da es so mit der Einteilung besser ausgeht. Ich kann ja die Angelegenheit inzwischen schriftlich betreiben. Von Wieland bekam ich heute eine Karte, in der er mich bittet, ihm die Musik für den Druck zu schicken.16 Halten Sie es für richtig das zu tun? Ich werde versuchen aus der Scheffauer möglichst viel heraus zu pressen. Mit mir wird es so werden: Februar-Anfang März Amerika, Ende März-Anfang April M und im Frühjahr treffen wir uns zu einer anständigen Arbeit, nach der ich schon äusserst begierig bin. Hoffentlich verschiebt sich das nicht wieder. Was macht Ihre Chronik17? Beste Wünsche und Grüsse von Ihrem alten Hanns Eisler Diesem Brief lege ich das ausserordentlich dumme Geschmiere von Kantorowitsche bei, der überigens [sic] der Sekretär von Becher ist.18 Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/41. – E: Eisler, Briefe, S. 95.

13 Im Ts. irrtümlich: 1934. 14 Moskau. 15 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 9.12.1934. 16 Brecht hatte soeben „die ‚Rundköpfe‘ für Wieland hergerichtet“ (Brief an Steffin, 28.12.1934, GBA 28, S. 469). Noten wurden jedoch – im Einvernehmen mit Brecht und Eisler (vgl. Herzfelde an Steffin, 27.2.1937) – in Band 2 der Gesammelten Werke, in dem Die Rundköpfe und die Spitzköpfe 1938 erschienen, nicht abgedruckt. 17 Brecht dachte an „die Herausgabe einer neuen Enzyklopädie […], eine Art Nachschlagewerk der Ansichten der Antifaschisten“ (B. an Becher, Ende Dezember 1934, GBA 28, S. 470f.). Das Projekt kam nicht zustande. 18 Gemeint ist Alfred Kantorowicz’ Besprechung des Dreigroschenromans in Unsere Zeit, Heft 12/1934. Brechts Roman, urteilte Kantorowicz, entspreche nicht den „Forderungen des Realismus“: „Man darf, ohne zu schematisieren, sagen, daß es ein idealistisches Buch ist.“ – Kantorowicz war Generalsekretär des SDS und Bechers engster Mitarbeiter in Paris.

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 4.1.1935 AMSTERDAM-C, den 4. Januar 1935 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir bestätigen Ihnen mit bestem Dank Ihren Brief vom 24.12.19 Aber auf diese Weise kommen wir nicht weiter. Wie wir Ihnen schon wiederholt schrieben, sind sehr viele Chancen da, Ihren Roman20 im Ausland zu verkaufen, und zwar gut zu verkaufen; Chancen die bis jetzt unausgenutzt geblieben sind.21 Sie werden wissen dass die Verleger die das Buch erwerben wollen, selbstverständlich nach den Bedingungen fragen. Wir können diese Bedingungen nicht angeben, wenn wir nicht von vornherein Ihre Genehmigung haben, zu diesen Bedingungen abzuschliessen. Nur dann sehen wir eine Möglichkeit für Sie zu verhandeln und zwar müssen wir die Bedingungen wissen für folgende Länder: a. Amerika. b. Frankreich c. Polen. d. Schweden. e. Norwegen. f. Ungarn. und ev. noch für England. In all diesen Ländern liegen sehr konkrete Möglichkeiten vor, einen Abschluss zustandezubringen. Falls Sie selber in einigen dieser Länder Verhandlungen haben, so würde das nicht stören, unter der Voraussetzung dass Sie uns genau über diese Verhandlungen auf dem Laufenden halten und uns die Namen der Verleger nennen, damit wir uns nicht gleichzeitig an sie wenden. Für Ungarn könnten wir wahrscheinlich auf folgender Basis abschliessen: Einen Vorschuss von fl. 200.-, der wahrscheinlich sofort zahlbar ist und eine Beteiligung von ungefähr 8 %.

19 Vgl. GBA 28, S. 467. 20 Dreigroschenroman. 21 Vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934.

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Wir glauben nicht, dass für Polen viel bessere Bedingungen zu erreichen sind, als wir Ihnen geschrieben haben. Jedenfalls schreiben Sie uns, was Sie für Polen haben wollen. Für Jugoslavien haben wir Ihnen schon geschrieben. Wir könnten 6000 Dinare für die ersten 3000 Exemplare haben, zahlbar am 1.10., und 1000 Dinare für die zweite Auflage. Auch hier glauben wir nicht, dass andere Bedingungen zu erreichen sind. Ungarn, Polen und Jugoslavien sind ja, wie Sie wissen werden, nur Nebensachen. In allen anderen Ländern, besonders Frankreich und Amerika, wo wir ganz erstklassige Verleger interessiert haben, müssen wir von Ihnen hören, welche Bedingungen Ihnen angenehm erscheinen. Wir glauben jedoch in Frankreich einen Vorschuss für ungefähr 4 - 5000 frs. erzielen zu können, zahlbar in 2 Raten, mit einer Beteiligung von 10 %, die sich nach dem Absatz steigert. Wir bitten Sie nur um die Liebenswürdigkeit, uns konkrete Auskünfte zu geben, die uns die Verhandlungen möglich machen. Es sind einige sehr grosse und gute Kritiken erschienen. Wir werden sie Ihnen in den nächsten Tagen zusenden. Ebenfalls erlauben wir uns, Ihnen die Metallplatte von Ihrem Bild zurückzusenden. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/64–65.

Leo Lania an Bertolt Brecht London, 5.1.1935 Leo Lania, London NW 11 22 St. Johns Road.

London, 5. Januar 1935.

Lieber Brecht, von der Filmfront nichts Neues. Korda 22 werde ich gegen Mitte des Monats sprechen und dann die Semmelweis-Verhandlungen23 aufnehmen. Kortner ist in Wien, ueber seine 22 Der aus Österreich-Ungarn stammende Regisseur und Filmproduzent Alexander Korda, d.i. Sándor László Kellner (1893–1956), war seit Ende der 1920er Jahre in Großbritannien tätig, wo er sich bald als einer der erfolgreichsten Filmproduzenten etablierte. 23 Vgl. Anm. zu Lania, 19.8.1934.

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Verhandlungen wegen der Saengerin24 werde ich in etwa 8 bis 10 Tagen Bescheid erhalten. Inzwischen habe ich das Exposé Granowsky25 geschickt, dem Rathaus26 den Stoff sehr empfohlen hat. Wegen des „IRRen“ verhandelt Wilhelm27 mit Amerika. Toeplitz28 kommt Ende des Monats, dann werde ich auch wieder mit ihm in Verhandlungen treten. In der Beilage schicke ich Ihnen die Notizen zu Semmelweis und zum „Feigling“.29 Waren Sie so liebenswuerdig, mit Hassel Balch30 in Verbindung zu treten? Haben Sie von dort etwas wegen meines Romanes31 gehoert? Von hier nichts Neues: Verhandlungen und Zores.32 Wann denken Sie wieder hier zu sein? Lassen Sie doch bald etwas von sich hoeren. Mit herzlichen Gruessen Ihr Lania NB. Das „Oelfeld“33, entsprechend eingerichtet und von Duff uebersetzt ist soeben nach Amerika abgegangen. Hoffentlich haben wir bald guenstigen Bescheid. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 467/1.

24 Möglicherweise Gitta Alpar, von der in Lanias Brief vom 5.2.1935 die Rede ist. 25 Alexej Michailowitsch Granowski (Aleksej Michajlovič Granovskij, 1890–1937), russischer Theaterund Filmregisseur. Zusammenarbeit mit Max Reinhardt in München und Berlin, seit den 1930er Jahren in Paris. 26 Vermutlich Karol Rathaus (1895–1954), tschechischer Komponist, vormals in Wien und Berlin tätig. Ging 1933 nach Paris, 1934 nach London und später nach New York. 27 Vermutlich der Drehbuchautor Hans Wilhelm (1904–1980), der seit 1933 an Filmproduktionen u.a. in Frankreich und Großbritannien mitarbeitete. Das genannte Filmvorhaben konnte nicht ermittelt werden; möglicherweise ging es um eine Adaption der postum publizierten Novelle Der Irre (1913) von Georg Heym Vgl. Lania, 5.2.1935. 28 Vermutlich Ludovico Toeplitz (1893–1973), italienischer Filmproduzent, der in den 1930er Jahren in Großbritannien arbeitete. 29 Ursprünglicher Titel des Film-Exposés Safety First (GBA 19, S. 350–361), an dem Brecht zusammen mit Lania im Oktober/November 1934 in London gearbeitet hatte. 30 Steen Hasselbalch 31 Vgl. Anm. zu Lania, 12.9.1934. 32 Jiddisch für Ärger, Sorgen. 33 Vgl. Anm. zu Lania und Eisler, 21.9.1934.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 8.1.1935 Moskau, den 8. I. 35. An Bert Brecht/Weigel, Skovsbostrand S v e n d e n b o r g . Dänemark. Lieber Bert! 1. Kannst Du Reise bis Leningrad selbst bezahlen?34 2. Sollen wir Deinen Aufenthalt hier bestreiten, oder wirst Du das selbst tun? 3. Wir sind prinzipiell bereit Dich einzuladen.35 Wir haben heute bereits den Antrag gestellt. Dann können wir über alles sprechen. Die Zeitschriftenfrage36 ist sehr wichtig, die Z soll international werden mit Redaktionen in verschiedenen Ländern. „Nationales Theater!“ Einheitsfrontlied haben wir noch nicht bekommen. Schicke es bald. Stefin [sic] hatte ich das Geld nicht geschickt,37 da mir alle erzählten, dass Sie es getan hätten. Ich habe ihr aber ein Telegramm geschickt, ob sie noch welches braucht. Wenn ja, schicke ich. Ich freue mich auf Dein Kommen. Herzliche Grüsse E Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/83. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 325.

34 Brecht reiste im März 1935 über Stockholm und Helsinki nach Leningrad und von dort weiter nach Moskau. 35 Brecht schrieb am 28.12.1934 an Steffin, er „habe Piscator geschrieben, daß er mich einladen soll. Er will es auch tun“ (GBA 28, S. 469). Der Brief an Piscator ist nicht überliefert. 36 Vgl. Anm. zu Reich, 2.11.1934. 37 Vermutlich Honorarzahlungen an Brecht, die über die MORT weitergeleitet werden sollten. Steffin hielt sich seit Oktober 1934 in der UdSSR auf.

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Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 8.1.1935 8. Januar 1935 Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg Sehr geehrter Herr Brecht, Bei unserm letzten Gespraech in London sagten Sie mir die Ueberweisung unserer Provision an der letzten Rate de Lange’s zu und ich waere Ihnen dankbar, wenn Sie diese Angelegenheit jetzt erledigen wuerden. Ich stehe Ihnen nach wie vor mit Rat und Tat in England zur Verfuegung und sende Ihnen verspaetet gute Neujahrswuensche. Mit besten Gruessen Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. I Directors E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone Langham 2140; BBA 785/29.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht San Remo, 9.1.1935 Lieber Brecht, wie es mit Dänemark steht, ist noch nicht ganz klar. Horkheimer38 hat mir geschrieben, daß er in Amerika ein Stipendium für mich auftreiben will, mit dem ich auf ein Jahr hinüber kommen kann.39 Die Sache ist ganz unbestimmt. Aber ich habe natürlich geschrieben, daß ich annehmen würde. Es ist sehr gut möglich, daß garnichts daraus wird, und dann käme ich sehr gerne. – Hier ist es im übrigen recht passabel was die äußeren Umstände angeht. Dagegen übersteigt

38 Max Horkheimer (1895–1973), vormals Professor für Philosophie in Frankfurt am Main und seit 1931 Direktor des dortigen Instituts für Sozialforschung. Ging 1933 über Genf nach Paris, 1934 nach New York und später nach Los Angeles. Das Institut wurde ebenfalls über Genf und Paris nach New York verlegt, ehe es nach Horkheimers Rückkehr 1949 in Frankfurt wiedereröffnet wurde. Benjamin war seit 1934 freier Mitarbeiter des Instituts und erhielt ein bescheidenes monatliches Stipendium. 39 Dieses Vorhaben wurde nicht realisiert.

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die Isolierung – von Menschen, von Informationen, von Arbeitsmitteln – oft das Erträgliche. Da haben Sie es in England anders gehabt. Gern wüßte ich näher, wie? Auch was über die Stücke und den Roman dort entschieden wurde?40 Den Roman habe ich nun im Druck gelesen, und zwar mit immer wieder erneutem Vergnügen an vielen Stellen. Diesmal habe ich Walley41 besonders ins Herz geschlossen. – Das Buch scheint mir sehr dauerhaft. Ich hörte auch von G.42, daß es ihm vollkommen gelungen erscheint. Klaus Mann hatte ich gebeten, mir für die Anzeige43 die bisherigen Pressestimmen zu schicken. Es kann nützlich sein zu wissen, welchen Vers die Leute sich auf das Buch gemacht haben. Er schrieb, Landauer habe alles an Sie geschickt. Könnten Sie mir vielleicht die Ausschnitte auf acht Tage überlassen?44 Sie würden sie eingeschrieben zurückerhalten. Das Buch über die Photographie45 ist noch Manuscript. Ob ein Abzug verfügbar ist, weiß ich nicht. Es geht von den Anfängen bis an das Jahrhundertende. Wenn Sie wollen könnte ich der Verfasserin schreiben. Bis Ostern werde ich sicher hierbleiben; dann wird Stefan46 auf die hiesige Schule kommen. Haben Sie „Erbschaft dieser Zeit“ von Bloch gesehen? Sie sind darin behandelt.47

40 Benjamin hatte (lt. Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 20) von Bianca Mynatt alias Margaret Mynotti erfahren, daß Die heilige Johanna der Schlachthöfe ins Englische übersetzt und mit einer Übersetzung der Rundköpfe und Spitzköpfe begonnen worden sei (vgl. Mynotti, 13.2.1935). Eine englische Übersetzung des Dreigroschenromans erschien 1937 (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934). 41 Figur aus dem Dreigroschenroman: Anwalt des „Bettlerkönigs“ Peachum. 42 Nicht genau zu ermitteln. Lt. Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 20, ist wahrscheinlich Gustav Glück gemeint, der Benjamin Ende 1934 schrieb, daß er Brechts Roman „mit großem Vergnügen gelesen“ habe. Dabei handelt es sich jedoch womöglich nicht um den gleichnamigen Bekannten Benjamins, der als Bankier in Berlin tätig war, bevor er 1937 über London nach Argentinien emigrierte (vgl. Anm. in Benjamin, Briefe, Bd. III, S. 449), sondern um den österreichischen Kunsthistoriker Gustav Glück (1871–1952), den Benjamin und Brecht aus Berlin kannten (vgl. BC, S. 296f.). 43 Gemeint ist die Besprechung des Dreigroschenromans, die Benjamin für die von Klaus Mann herausgegebene Zeitschrift Die Sammlung schrieb. Die Publikation kam nicht zustande (vgl. Benjamin, 20.5.1935); der Text erschien zuerst 1966 in Heft 12 der Weimarer Beiträge (jetzt BGS III, S. 440–449). 44 Statt der gewünschten Ausschnitte erhielt Benjamin eine Abschrift der Rezensionen (vgl. Benjamin, 5.3.1935). Um welche Rezensionen es sich dabei handelte, konnte nicht ermittelt werden. 45 Gisèle Freund, La photographie en France en dix-neuvième siècle. Essai de sociologie et d’esthétique, Paris 1935. 46 Benjamins Sohn aus der Ehe mit Dora Kellner. 47 Blochs Erbschaft dieser Zeit erschien 1935 bei Oprecht und Helbling in Zürich. Um Brecht ging es darin hauptsächlich in den Abschnitten „Zur Dreigroschenoper“ und „Romane der Wunderlichkeit und montiertes Theater“. In die Neuauflage (Frankfurt/M. 1962) wurden später der Abschnitt „Ein Leninist der Schaubühne“ (1938) sowie ein Epitaph zu Brechts Tod vom 14.8.1956 eingefügt.

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Das nächste Heft der Zeitschrift für Sozialforschung wird ein sprachwissenschaftliches Referat von mir enthalten.48 Im übrigen bin ich dabei, meinen ersten größeren französischen Aufsatz – „Bachofen“ – abzuschließen.49 Eine Besprechung mit dem Redakteur der Nouvelle Revue Française50 war das einzige Ergebnis meiner pariser Tage. Die Emigranten sind niedergeschlagen; Kracauer51 war es besonders. Einige, wie Heinrich Mann und Kesten, haben eine Binnenemigration nach Nizza veranstaltet. Wie geht es dem Auto? Gegebenenfalls legen Sie wohl in meinem Namen eine Blumenspende auf seinem erkalteten Motor nieder. Die herzlichsten Grüße, bitte auch an Heli und die Kinder 9 Januar 1935 San Remo Villa Verde

Ihr Walter Benjamin

Überlieferung: Ms, BBA 478/10–12. – E: Walter Benjamin, Briefe, hrsg. v. G. Scholem u. T.W. Adorno, Frankfurt/M. 1978 (2. Aufl.), S. 641ff. (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 18f.).

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Paris, 9.1.1935 Johannes R. Becher 23, rue de Tournon, Hotel Helvetia P a r i s VIº

Paris, am 9. Januar 1935.

Lieber Brecht, Deinen Aufsatz52 habe ich bekommen, ihn gleich weitergeleitet. Ich moechte Dir dazu folgenden Vorschlag machen: Bist Du damit einverstanden, dass er als Sonderdruck, herausgegeben vom Schutzverband Deutscher Schriftsteller, erscheint und zwar in einer Form, die geeignet ist, ihn dort zu verbreiten, worauf Du besonderen Wert legst. Bitte schreib mir gleich darueber, da die Sache bald gemacht werden soll. Gleichzeitig wuerde es nichts 48 Die Zeitschrift für Sozialforschung wurde von Horkheimer im Auftrag des Instituts für Sozialforschung herausgegeben, sie erschien von 1932 bis 1941 (zunächst in Leipzig, ab 1933 in Paris, ab 1939 in New York unter dem Titel Studies in Philosophy and Social Science). Das erwähnte Referat, „Probleme der Sprachsoziologie“, wurde in Heft 4/1935 veröffentlicht. 49 Der Essay über Bachofen wurde damals nicht veröffentlicht (jetzt BGS II, S. 219–233). 50 Der Redakteur hieß Jean Paulhan. Zur Nouvelle Revue Française vgl. Anm. zu Brentano, 6.12.1933. 51 Der Schriftsteller und Publizist Siegfried Kracauer (1889–1966), vormals Feuilletonredakteur der Frankfurter Zeitung in Berlin, war seit seiner Entlassung 1933 im Exil in Paris, 1940 flüchtete er in die USA. 52 Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934.

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schaden, wenn man ihn in einer unserer Zeitschriften zum Abdruck bringen koennte, ich wuerde vorschlagen „Unsere Zeit“, da hier die Moeglichkeit besteht, ihn als Ganzen zu bringen. Bitte teile mir auch mit, ob Du bereit bist, in den Hauptvorstand des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller einzutreten; Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger haben sich dazu bereit erklaert. Waere es nicht auch moeglich, dass Du mir den Dreigroschenroman noch einmal schicken laesst, von drueben bekomme ich ihn natuerlich nie nachgeschickt. Mit den herzlichsten Gruessen Dein Hs. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/75.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht b. Zürich, 9.1.1935 [Hs.] Küsnacht, am 9.I.35 Lieber Brecht, aber wo denken Sie hin? Natürlich bezog sich mein Spott nur auf die Kritik des Kant.53 Ja, ja mit dem Nichthinsehen!54 Einmal schaute der Theddy55 nicht hin, und schon war der Hitler da. Und in M.56 einmal nicht hingeschaut und schon sind so hundert und mehr Leute totgeschossen. Oder sollte man da hingesehen haben? Man kennt sich ja nicht mehr aus mit der Aufsicht. Wie soll man sie in so elenden Staaten richtig verstärken, wo man die Leute nicht hinrichten kann? Das ist doch das miserable, oder wie Gorki bemerkt, diese widerliche Humanitätsduselei. (Ich lese übrigens gerade die Artikel, die er 1917/18 in seiner Zeitung veröffentlichte.)57 Wenn man derartigen Kritikern einen richtigen Prozess 53 Gemeint ist Kantorowicz’ Kritik des Dreigroschenromans (vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935). Brecht hatte Brentano Anfang Januar geschrieben, er sei „einen Augenblick lang sogar Ihre kleine Beschimpfung auch als auf den Roman ausdehnbar aufzufassen geneigt“ gewesen (GBA 28, S. 477). Die Postkarte Brentanos, auf die er sich damit bezog, ist nicht überliefert. 54 Es sei schade, schrieb Brecht, „daß sich der Verein mit solchen Kräften begnügen muß“, d.h., daß sich die kommunistische Partei mit Leuten wie Kantorowicz begnügen müsse, „– ein wenig nicht hingesehn und schon ist der Schlamassel fertig!“ (GBA 28, S. 477.) 55 Teddy war der Spitzname Ernst Thälmanns. 56 Moskau. 57 In der 1905 von ihm mitgegründeten Zeitung Novaja Žizn‘ (Neues Leben) veröffentlichte Gorki von April 1917 bis Juni 1918 „Unzeitgemäße Gedanken über Kultur und Revolution“, eine Artikelreihe, in der er u.a. die terroristischen Maßnahmen der Bolschewiki, insbesondere der Tscheka, der im Dezember 1917 gegründeten politischen Polizei, kritisierte. Im Juli 1918 wurden diese Publikationen von der Zensur verboten, Gorki ging 1921 ins Exil nach Sorrent. Nach seiner Rückkehr in die UdSSR

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machen könnte, würden sie sicher zugeben, dass sie ihr Geschreibsel gegen Sie auf Befehl des Trotzki und des japanischen Generalstabs geschmiert haben, dann weg mit sowas und wie stünde man da! Aber so ist es halt wenig. Sehen Sie so ein Mensch wie dieser Tschatski58 in M., der immer noch an Lenin dachte. Da hat so ein Bursche mal die Jugendorganisationen begründet, und jetzt versteht er garnichts mehr. – Wieland war hier. Er hat ja auch nicht zu lachen, und so war ich nett zu ihm. Sie schreiben mir, Sie passten bald garnicht mehr in diese Welt. Da kann ich Ihnen nur zurufen: verhärten Sie Ihr Herz nicht. Herzlichen Gruss Ihr alter Brentano. [Hs.] Warum nannten Sie eigentlich meinen Unmut darüber, dass man meinem Freund Brecht so dumm kommt, eine Beschimpfung? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 481/46.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 9.1.1935 z. Zt. Praha I., Konviktska 5.

9. Jan. 1935.

Lieber Brecht, dieses neue Briefpapier benutze ich zum ersten Mal mit einem gewissen Recht. Ich bekam aus London die Nachricht, dass die Gründung der Londoner Firma genehmigt worden ist. Daraufhin habe ich sogleich Bianca Mynotti59 zur Privatsekretärin ernannt, wie es einem Geschäftsmann in England ziemt. Ich hoffe, es wird jetzt leichter sein, in Kopenhagen eine Filiale zu gründen, die praktisch natürlich der eigentliche Sitz werden soll. Wenn Du für mich Besprechungen wegen Finanzierung, etc. herbeiführst, verweise bitte

1931 schloß er sich jedoch bald der Parteilinie an, ungeachtet seiner persönlichen Vorbehalte gegen Stalin. 1934 wurde er Vorsitzender des sowjetischen Schriftstellerverbands und in dieser Funktion zugleich ein Fürsprecher des „sozialistischen Realismus“. 58 Vermutlich Lasar Abramowitsch Schazkin (Lazar’ Abramovič Šackin, 1902–1937), Leiter des Komsomol. Er wurde 1935 verhaftet und 1937 nach einem geheimen Militärgerichtsverfahren erschossen. 59 Margaret Mynotti alias Bianca Mynatt.

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auf diese Tatsache. Es hat sich ein Journalist namens Ostermoor60, der früher bei der BAM61 mitgearbeitet hat und den ich in Kopenhagen traf, mit einem Bekannten gemeldet, Sohn eines Rechtsanwalts und vermögend. Ostermoor glaubt, mit dessen Hilfe sei alles andere zu erreichen. Du sollst den betreffenden übrigens kennen. Ich bat Ostermoor heute schriftlich, sich über Ruth B.62 mit Dir in Verbindung zu setzen. Hoffentlich kannst Du mir bald von einem positiven Ergebnis berichten. Finanziell hänge ich momentan gänzlich in der Luft. Die beiden letzten Nummern63 haben meine Reserven völlig aufgebraucht und die verschiedenen Bemühungen haben alle noch kein Ergebnis gehabt. Ich rechne zwar damit, dass jeden Tag diesbezüglich positive Nachrichten eintreffen, aber erfahrungsgemäss kann das auch Wochen und Monate dauern. In acht Tagen müsste die neue Nummer gedruckt werden, wenn kein Geld eintrifft, ist das aber nicht möglich. Ich schreibe Dir das alles nur, damit Du siehst, wie eilig die Verhandlungen sind, natürlich weiss ich, dass man sie nicht immer eilig führen kann. Immerhin wäre das eine grosse Hilfe, wenn wenigstens zur Ueberbrückung der Schwierigkeiten ein paar tausend Kronen flott gemacht würden. Die Noten zu den Rundköpfen kamen.64 Deine Texte noch nicht. Da die Freunde drüben nicht so rasch arbeiten, wie es mir lieb ist, möchte ich wenigstens den ersten Band recht bald in Satz geben können. Die Illustrierung wird ja auch noch Zeit beanspruchen, schick also die Texte bald, wenn sie nicht schon abgegangen sind. Schreib mir bitte gleich, welche Lieder aus den Rundköpfen schon irgendwo veröffentlicht worden sind, damit ich bei einem Vorabduck in den NDB kein veröffentlichtes nehme. Wie gefiel Dir die Kritik von Frey?65 und die von Zweig?66 Ich war besonders von der Frey’schen sehr befriedigt. Anbei unser Produktionsprogramm. Du wirst es vielleicht bei den Besprechungen brauchen können. Herzliche Grüsse Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Malik-Verlag Publishing Company Wieland Herzfelde (German) 9, Galen Place Bury Street, London, W.C. 1; BBA 477/38–39.

60 Alfred Ostermoor, Schriftsteller und Journalist, seit 1933 im Exil in Dänemark, wo er sich 1941 das Leben nahm. 61 B.Z. am Mittag. Berliner Boulevardzeitung aus dem Ullstein Verlag, erschien seit 1878 zunächst als B.Z. (Berliner Zeitung), ab 1904 als B.Z. am Mittag. 62 Ruth Berlau. 63 Der Neuen Deutschen Blätter. 64 Vgl. Eisler, 4.1.1935. 65 Vgl. Herzfelde, 3.1.1935. 66 Vgl. Anm. zu Zweig, 2.8.1934.

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Michael Tschesno-Hell an Bertolt Brecht Paris, 9.1.1935

Paris, den 9. Janvier 1935

Lieber Brecht, Ihr Manuskript ist wirklich ganz hervorragend.67 Wir werden es in Form einer Broschuere im Lande herausbringen und einen Auszug daraus als Leitartikel im „Schriftsteller“68 bringen. Die Geschichte der ersten Nummer des „Schriftstellers“ wird Ihnen wohl mit allen Einzelheiten bekannt sein. Auch duerften Sie die Kopien der Zuschriften, die wir aus dem Lande bekamen, erhalten haben. Wir sind ueberzeugt, dass die naechste Nummer ein noch groesserer Erfolg sein wird. Wir hoffen, dass Sie uns auch fernerhin als treuer Mitarbeiter mit Rat und Tat beistehen werden. Die, gelinde gesagt, unmoegliche Kritik von A. Kantorowicz ueber den Dreigroschenroman69 ist, wie Ihnen wohl bekannt sein wird, ein Privatvergnuegen von ihm gewesen und wird von keinem der Mitglieder der Pariser Schriftstellerorganisation auch nur im entferntesten geteilt. Es sind schon einige Kritiken in Vorbereitung, die versuchen werden diese Dummheit so weit es geht wieder gutzumachen. In einigen Wochen wird im Rahmen des Schutzverbandes ein grosser „Brechtabend“ stattfinden, auf dem ein Querschnitt durch ihre Werke gegeben wird. Schade, dass Sie aus London nicht fuer ein paar Tage nach Paris kommen konnten. Es waere Vieles und Wichtiges zu besprechen gewesen. Eine dieser Fragen ist der Jugendverlag, der jetzt gegruendet wird. Als Autoren fuer diesen Verlag sind bzw. werden Selma Lagerloef 70, Malraux, Karin Michaelis, Lisa Tetzner, Anna Seghers, Iljin, Marschak, Kassil71 und andere gewonnen. Wie Sie sehen, soll der Verlag Werke nahmhafter Schriftsteller verschiedener Laender vereinen und den Mangel an guter Jugendliteratur endlich abhelfen. Es ist unerlaesslich, dass Sie, lieber Brecht, in der Reihe der Autoren des Verlages den Ihnen gebuehrenden Platz einnehmen. Ich will hoffen, dass Ihr Interesse, das sie in Berlin und Paris so oft zum Ausdruck gebracht haben, nicht erloschen ist, und dass sie tatkraeftig den Verlag unterstuetzen werden.

67 Tschesno-Hell war Sprecher des SDS in Paris. Brecht hatte die Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit dort eingereicht. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 68 Zeitschrift des SDS. 69 Vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935. Brecht äußerte sich zu diesem „Angriff […] in einer repräsentativen Zeitschrift“ ausführlich in einem Brief an Becher, Anfang/Mitte Januar 1935, GBA 28, S. 478. 70 Selma Lagerlöf (1858–1940), schwedische Schriftstellerin. 71 Michail Iljin (Il’jin), d.i. Ilja Jakowlewitsch Marschak (Ilja Jakovlevič Maršak, 1896–1953), und Lew Abramowitsch Kassil (Lev Abramovič Kassil’, 1905–1970), russische Schriftsteller.

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Ich fahre in den naechsten Wochen nach der Schweiz, um mit Lisa Tetzner verschiedene Fragen zu besprechen. Sie will uns ihr neues Buch sowie Manuskripte von Karin Michaelis, Erika Mann72 usw. zur Verfuegung stellen. Haben Sie vor, in naechster Zeit nach Paris zu kommen? Es waere ganz ausgezeichnet. Wir koennten dann ueber alles ausfuehrlich sprechen. Beste Gruesse, auch von meiner Frau Michael Tschesno. Michael Tschesno 6, rue de L’Espérance Paris XIII Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/77.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 12.1.1935 St. Louis. Mo, Jan. 12., 35. [Hs.] 4515 Maryland Ave. Lieber Brecht, vielen Dank fuer Ihre Briefe,73 der letzte kam anscheinend mit der „Bremen“, denn, am 2. abgestempelt, war er bereits am 11. hier. Aus Berlin hatte ich einen vom 3., der auch zur gleichen Zeit ankam. (Von Frau Radtk.74, der erste, den ich hier von ihr hatte.) – Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich Ihnen nicht fuer das Kabel gedankt haben sollte, denn es riss mich sehr aus dem hier herrschenden Weihnachtsgehabe heraus, es kam schon einen Tag vorher und ich freue mich heute noch darueber. [Hs.: Ich habe Ihnen aber sicher in der ersten Freude geschrieben, jetzt klingt es sehr nett, ist es aber nicht.] Es ist gut, dass Sie nunmehr Schriftsteller sind und fuer voll genommen werden, besonders gut ist es aber, dass Ihre Sachen doch jetzt alle ganz gut in Schwung kommen. Das ist doch eine ungeheure Ermunterung. Dass Feuchtw. Sie damals nicht in Ihrem Roman75 ermutigt hat, ist doch klar. Meinen Sie, dass er Ihnen zuraten wuerde, sich in den angel72 Erika Mann (1905–1969), Tochter von Thomas Mann, Schauspielerin, Schriftstellerin und Publizistin, Gründerin des politischen Kabaretts Die Pfeffermühle. Ging 1933 ins Exil in die Schweiz, 1936 in die USA, 1952 zurück in die Schweiz. 73 Erhalten ist davon nur ein einziger von Ende Dezember 1934/Anfang Januar 1935, GBA 28, S. 472f. 74 Emma Radtke war Brechts „Zugehfrau“, wie Hauptmann sie später nannte, aus der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg (vgl. Kebir, Hauptmann, S. 165). 75 Dreigroschenroman.

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saechsischen Verlagen einzunisten? Ich habe das sehr deutlich gemerkt, als ich mit ihm ueber Ihren Roman sprach und dann mit Huebsch, der ja ein alter Trottel ist. Im Uebrigen spielt Feuchtw. hier keine Rolle oder sie ist inzwischen so winzig geworden wie sie ist. Ich bin ueberzeugt, dass mit den ersten Kritiken über ihr Buch die Nachfrage bei New Yorker Verlegern losgehen wird, diese Buecher kommen ja gleich in die Routine und Maschine der vielen Agenten. Ein tuechtiger Agent wird da auch groesseren Einfluss haben als ich. Ich habe aber noch mal auf alle Faelle an Knopf geschrieben. Wenn Knopf sich diesmal nicht fuer Sie interessiert, dann denke ich an ein paar andere Verleger. Schliessen Sie nicht mit einem xbeliebigen ab! Hervorragend waere Covici Friede. Das will ich aber auch noch von hier aus oder durch jemanden in New York versuchen. (Covici Friede hat u.a. ein Buch ueber russ. Literatur76 herausgegeben, dann ein hervorragendes Buch von und ueber den Maler Diego Rivera.77 Er druckt auch revol. Stuecke.) Theoretisches ist sofort herauszubringen, wenn das Buch erscheint. Aber ich will mir ueberlegen, ob es vorher geht. Sie duerfen nicht vergessen, dass ich hier sitze wie in Gotha.78 Wenn Ihr Buch z.B. erscheint kann ich hier z.B. in der groessten Zeitung alles ueber Sie unterbringen was ich will. Die Post Dispatch79 hier wird ueber die ganzen Staaten gelesen, besonders die Sonntagsnummer mit ½ Mill. Auflage. (Die wird uebrigens auch in London, Paris verkauft.) Ein paar Mitarbeiter dieser Zeitung haben heute schon einen Heidenrespekt vor Ihnen, Sie wissen: Ehrfurcht gemischt mit Brausen. Das Schlimme ist nur, dass hier im Ort niemand richtig uebersetzen kann und ich selber auch nicht ins Englische. Ganz wichtig ist, dass ich ein paar Kritiken bekomme! Ueberwinden Sie sich und sorgen Sie dafuer. Benj. soll sich mit der Sammlung beeilen. Ihre Anfragen werde ich zu beantworten versuchen. Was Essen z.B. angeht, so wird hier weniger gestreckt als in Europa, weil food stuff im Grund sehr billig ist. Was mir aber auffiel, ist, dass alles Einfache ungeheuer aufgemacht wird, damit es nach Gottweisswas aussieht und zwar mit Hilfe von chemical research und statistics, dann mit Namen, mit Originalrezepten (aus der ganzen Welt) und ich glaube in keinem Land der Welt finden Sie so dekorative Salate wie hier. Das haengt weniger mit dem Kapitalismus als Ganzem als mit einer gewissen Fruehperiode des Kapitalismus zusammen, wo die gesellschaftliche competition ja noch ganz anders im Gange ist als in Europa. Wie sich dies auswirkt in allem, das ist ein weites Kapitel. Sie duerfen hier nie vergessen, dass die Pioniere alle Haende voll zu tun hatten, um durchzukommen und dass jetzt erst die dritte und vierte Generation sich um Schliff bemueht, aber das mit allen zur Verfuegung stehenden Mitteln in einer Weise, wie Sie es sich nicht vorstelen koennen. In diesem Fahrwasser schwimmen auch noch grosse Teile der Arbeiterschaft. Ich kenne aber einen Chemiker hier, der frueher Nahrungsmittel76 Soviet Literature. An Anthology, hrsg. v. George Reavey u. Marc Slonim, New York 1934. 77 Diego Rivera, Portrait of America, New York 1934. 78 Im ausgehenden 18. Jahrhundert galt die Stadt Gotha als eines der Zentren des Verlagswesens in Deutschland. 79 St. Louis Post Dispatch, 1878 gegründete Tageszeitung.

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chemiker war und ausserdem marx. vorgebildet ist, der kann mir sicher auch einiges dazu sagen. Ich will mich wirklich gern drum kuemmern, obwohl ich ganz vage jetzt schon den Eindruck habe, dass im Grunde nicht so viel verschlechtert wird. Dass verbessert wird, weiss ich. Der Schwindel geschieht auf andere Weise, ueberhaupt dieser ganze Betrug. Es gibt ja noch andere Methoden, das Leben zu verschlechtern. Methoden, sich fit zu erhalten, liegen alle klarer auf der Hand, weil daran zu viele vital interessiert sind, darueber wird also auch mehr gesprochen und Meinungen ausgetauscht, Methoden angepriesen, Artikel geschrieben usw. Dabei ist der Grundgedanke immer: fitter als der Nebenmann! Kaum ein Gespraech (Trambahn, Bridgepartie usw.), das nicht bis hierher vordringt. Ich will Sie aber nicht mit diesen allgemeinen und unbelegten Sachen aufhalten, sondern mir mal Unterlagen verschaffen, m. Ansicht muessten Sie gut Zeitungs- und Radioanzeigen gebrauchen koennen. Damit ichs nicht vergesse: In einer Pariser Zeitungsnotiz las ich, dass Dieterle80 in Hollywood die amerikanische Version des Films L’Opera des Quatre Sous81 vorbereitet. Ich weiss nicht, ob es stimmt. Ich will sehen, dass ich mich bei wem erkundige, obwohl ich mich in Paris eher erkundigen kann als von hier aus in Hollywood. Lorre hat, seitdem er mir schrieb, er koenne mir jetzt das Geld nicht zahlen, sowas wie eine Mauer um sich gezogen. Vielleicht ist er im Recht damit. Viele Leute werden auch dort engagiert, die nach Marktwert riechen und dann weiss man nicht wie man sie beschaeftigen soll und die Leute haben eine Hoelle, selbst fuer sich einen Stoff zu finden. (Krimsky, der Theaterproducer, der seinerzeit das Stueck mitnahm, ist auch in diese bezahlte Falle gegangen. Er war von der MGM82 als irgendein Manager oder sonstwas engagiert und ist jetzt veraergert nach New York zurueckgegangen. In diesem Falle trifft es keinen Unbemittelten.) Was den Film angeht, so spricht dafuer, dass der Plan einer amerik. Version besteht: Pabst83 ist in Hollywood, Vayda, Ernest84 (wenn es Ihrer ist) auch und dass in Hollyw. ein unglaublicher Stoffmangel herrscht. Caspar85 sagte mir mal, auch die amerik. und engl. Fassung seien im Vertrag zeitlich limitert. Bitte, schreiben Sie mir sofort hierueber. Und 80 Der Filmregisseur William (Wilhelm) Dieterle (1893–1972) arbeitete seit 1930 in Hollywood. 1957 kehrte er zurück nach Deutschland (West). Brecht unterhielt zu Dieterle im kalifornischen Exil gute Beziehungen. Er entwarf für ihn ein Filmexposé (Caesars letzte Tage, GBA 20, S. 62–88), das er jedoch bald fallen ließ, da er nicht an eine Realisierung glaubte. 81 L’Opéra de quat’sous (F 1931, Regie: Georg Wilhelm Pabst). Es handelt sich dabei um eine französischsprachige Parallelversion des Films Die Dreigroschenoper. Wenige Jahre nach der Einführung des Tons waren solche – ansonsten Szene für Szene nahezu identischen – Mehrsprachenversionen von Filmen durchaus üblich. Eine Hollywood-Version wurde nicht gedreht. 82 Die 1924 aus einem Zusammenschluß hervorgegangene Filmproduktionsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer war in den 1930er und 1940er Jahren das finanziell mächtigste Studio Hollywoods. 83 Georg Wilhelm Pabst (1887–1965), österreichischer Filmregisseur, verfilmte u.a. Die Dreigroschenoper. 84 Ernest Vajda (1886–1954), aus Ungarn stammender Hollywood-Drehbuchautor. 85 Caspar Neher.

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geben Sie mir irgendetwas in die Hand. In Hollywood kann noch was ganz anderes von Pabst und Vayda (der das Lustige Witwe-Szenario schrieb)86 herauskommen als in Berlin. Sollte es sich wirklich um ein ernsthaftes Projekt handeln, kann man, glaube ich, verlangen, dass ich quasi als supervisor fuer Sie hineingenommen werde, sowas wird alle Augenblicke gemacht und es kommt den Leuten wirklich nicht auf das bisschen Geld an. Es waere eine Moeglichkeit, den Fuss zwischen die Tuere zu setzen oder Geld zu verdienen oder einen Krach zu kriegen oder sonst was. Bis jetzt sind alle, die von drueben importiert und zu zahm sind, glatt abgefallen: Lillian Harvey, Dorothea Wieck;87 Reinhardt88 wird schon sehr verlacht, Dieterle wurde an nichts herangelassen, Pabsts ‚Don Quichote‘89 war eine Pleite. Da sind die Einheimischen wirklich besser. Und aus allen diesen Gruenden entbehrt die Zeitungsnotiz nicht einer gewissen Glaubwuerdigkeit. So bald ich etwas Genaues weiss, lasse ich es sie wissen, bitte, verschaffen Sie sich aber unterdessen genau Kenntnis des Vertrages, evtl. ueber Weill (beglueckwuenschen Sie ihn zu seinem Melo à la Jenny 90), ich wuerde ihm aber nicht schreiben, dass Sie es von mir wissen, er glaubt dann sofort, ich werde hier evtl. fuer Sie eine Lanze brechen, aber fuer ihn nicht nur keine. Fuer mich wuerde ein Einkommen, wenn auch ein voruebergehendes, nach Hollywood ungeheuer viel bedeuten. Ich moechte es mir gern genauer ansehen, sehe aber ueberhaupt keine Moeglichkeit hinzukommen. Ganz im Gegenteil, gerade im Moment sind gerade wieder schreckliche Schwierigkeiten aufgetaucht. Dass Mosk. mir abgeschrieben hat, sagte ich Ihnen.91 Sie haben mich an die korrespondierende Stelle in New York verwiesen. Diese hat nun auch genaue Angabe der Kenntnisse besonders der Uebersetzerfaehigkeiten verlangt. Natuerlich muss ich, wenn sie mir angeboten wird, jede Stellung dort annehmen. Wie ungern, das darf ich natuerlich bei meiner jetzigen Lage nicht in Betracht ziehen. Ich war zweimal in dem Hause, als ich im Sommer in New York war, und der Eindruck war verheerend. Mit den organis. Leuten an solchen Plaetzen geraet man sofort aneinander: sie sind voll derselben Fehler wie frueher diese Leute 86 Vajda war Co-Autor des Drehbuchs zu dem Film The Merry Widow (Die lustige Witwe, USA 1934; Regie: Ernst Lubitsch). 87 Die englisch-deutsche Schauspielerin Lilian Harvey, d.i. Lilian Pape (1906–1968), war Anfang der 1930er Jahre ohne großen Erfolg in Hollywood tätig. Ähnlich ging es Dorothea Wieck (1908–1986), die ihre bekannteste Rolle in Mädchen in Uniform (1931) gespielt hatte und nach einem kurzen Engagement in Hollywood wieder in Deutschland arbeitete. 88 Der österreichische Regisseur Max Reinhardt, d.i. Max Goldmann (1873–1943), vormals Leiter des Deutschen Theaters Berlin (wo Brecht 1924 als Dramaturg mit ihm arbeitete), hatte auch in Deutschland bereits einige Stummfilme gedreht. Er ging 1933 über Österreich ins Exil in die USA. In Hollywood gelang ihm jedoch nur ein einziger, nicht sehr erfolgreicher Film, bei dem er zusammen mit Dieterle Regie führte: die Shakespeare-Adaption A Midsummer Night’s Dream (Ein Sommernachtstraum, 1935). 89 Don Quichotte wurde 1933 in Frankreich in drei Versionen gedreht: deutsch, englisch, französisch. Die englische Version wurde in den USA erst Ende 1934 gezeigt. 90 Offenbar eine Anspielung auf Die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper (GBA 2, S. 248–250). 91 Vgl. Anm. zu Borchardt, 21.8.1935.

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in B.92, schlimmer und schlimmer fuer uns, da wir ja inzwischen einiges erlebt haben. Es bemueht sich jetzt jemand, um mir eine Stellung fuer deutsch und franz. Stunden an einer Schule hier zu verschaffen, aber ich sehe das auch noch nicht und dieses ganze Herum­ suchen hat mein Geld aufgebraucht. Wenn ich innerhalb des naechsten Monats keine und wenn auch noch so geringe laufende Erwerbschance gefunden habe, fahre ich ab. Man kann das nicht auf die Dauer durchhalten, rein finanziell nicht. Ich habe dann von naechsten Monat ab noch gerade so viel Geld, um zu fahren und nach Mosk. zu kommen, wo ich es dann aufs Geratewohl versuchen muss, obwohl ich von dem ‚aufs Geratewohl’ so die Nase voll habe. Ich habe vor Frauen geredet und vor Schuelern, aber das macht mehr Spass als es Geld einbringt. Wer alles abwarten kann, ist fein dran. Am meisten bekuemmert mich, dass dadurch mein Aufenthalt sich auch immer unergiebiger gestaltet. Oder dass man manches nicht machen kann. Ein alter Bekannter z.B., der jetzt in der USSR ist, schrieb mir, ich solle doch hier verschiedene Institutionen, die Weltruf haetten und zufaellig gerade hier in Mo93 sind, aufsuchen und darueber berichten. Leider ist Mo groesser als Bayern, Wuerttemberg und Baden zusammen und so sehr mich auch der Auftrag gefreut hat, so sehe ich noch nicht, wie ich die Inspektion zusammenbringe. Vergessen Sie bitte nicht die Besprechungen und sich wegen der Filmrechte zu erkundigen! Noch dies: Durch meines Vaters Tod habe ich eine kuendbare Hypothek (Anteil) von 1500 M an erster Stelle (auf gutem Hause auf d. Lande). Wissen Sie was ueber Hypotheken? Was man damit machen soll? Wie man es bekommen kann? Es wuerde mir z.B. ermoeglichen, mich dort auf mindestens sechs Monate festzusetzen wenn nicht laenger, und was zu arbeiten. Die Verwaltung liegt in den Haenden zuverlaessiger Leute, mit denen ich aber nur kurz ueber die Verwaltung korrespondieren kann. Vielleicht wissen Sie einen Rat oder wissen jemand anderes, der einen weiss. Wenn ich wuesste, dass da was zu machen ist, wuerde ich noch zwei weitere Monate bleiben und bestimmtes Material fuer eine bestimmte Zusammenstellung suchen. Ich schicke diesen Brief mit der Washington-United States Lines, sonst haette ich Ihnen nicht so ausfuehrlich geschrieben. Lassen Sie bald von sich hoeren. Alles Gute Ihre An Ihrem ‚So long’ sehe ich, dass Sie das Englische schon ganz gut beherrschen. Ich habe Benjamin auf Ihren derzeitigen Aufsatz ueber Kriminalromane aufmerksam gemacht in Bezug auf Leute, die Spuren hinterlassen,94 also ist er bei den Sachen? Er waere gut fuer ihn. 92 Berlin. 93 Der US-Bundesstaat Missouri. 94 Benjamin teilte mit Brecht eine Leidenschaft für Kriminalromane. An welchem Aufsatz Brecht „der-

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[Hs.] Wenn Emil95 noch bei der Ufa ist, würde ich sehr überlegen, ob ich s. Namen lassen würde. […] Aber ich würde eine Notiz anbringen, daß […] zum 1. Male ein Name wegfällt, etwa so: Die Namen einiger Mitarbeiter habe ich fortgelassen, obwohl ihre Mitarbeit sehr nützlich war. x)96 Sachen, die […] können, teilweise sehr gut. Herbert97 wird einen Schrecken bekommen, wenn er den Roman kriegt. Grosz hat mir einen Mann genannt, der Verleger in N.Y. kennt. G. selber, der furchtbar nett schrieb, tat, als ob er ein schweres Durchkommen habe. Er erwähnte nichts von Zeichnungen zu den Stücken. Turandot98 ist eine gute Sache, ich denke immer mehr an die ‚Prrrinzen!‘99 Ist was von den Happy end-Sachen dabei?? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 480/28–33.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 12.1.1935 Paris le 12.I.35. Lieber Brecht, Ich habe gedacht, daß Sie über Paris nach Dänemark fahren würden, weil für Sie kein grosser Umweg ist und wir hätten hier einiges besprochen. „Der Seifenbläser“100 ist in einigen Tagen fertig. Es war eine schwere Arbeit, weil ich die hiesige Verhältnisse nicht kenne und die Sprache nicht beherrsche. Vorläufig muß ich noch in Paris bleiben und mich um zeitig“ geschrieben haben mag, konnte nicht ermittelt werden. Er hatte bereits in den 1920er Jahren darüber geschrieben (vgl. GBA 21, S. 128–132). Möglicherweise wußte Hauptmann von Plänen Brechts, einen weiteren Text zum Thema zu verfassen. Wann der Aufsatz Über die Popularität des Kriminalromans (GBA 22, S. 504–510) entstanden ist, gilt als unsicher; vermutlich 1938. 95 Emil Burri, auch: Hesse-Burri (1902–1966), Schriftsteller, Dramaturg und Regisseur. Arbeitete seit 1928 mit Brecht zusammen und führte bei der Uraufführung der Mutter 1932 Regie. Seit 1933 verfaßte er zahlreiche Drehbücher für die Ufa, was sein gutes Verhältnis zu Brecht allerdings nicht beeinträchtigte. Nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin als Autor für westdeutsche Filmproduktionen tätig. 96 Bezug nicht zu ermitteln. 97 Vermutlich Herbert Ihering. 98 An dem erst 1954 fertiggestellten Stück Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher, das zum „umfangreichen literarischen Komplex“ (GBA 24, S. 411) des Tui-Romans gehört, arbeitete Brecht bereits seit 1930. 99 Entzifferung unsicher. 100 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.9.1934.

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den Verkauf meines Filmes kümmern. Ausserdem werde ich höchstwahrscheinlich 1 bis 2 Kurztonfilme (Kulturgrotesken) für die Engländerin, die meinen Film finanziert hat,101 machen. Das ist aber leider noch nicht ganz sicher. Wie sieht es in London aus? Haben Sie dort etwas erreicht? Über Ihren Roman102 habe ich sehr viel gutes gehört. Könnten Sie mir, wenn Sie über ein freihes [sic] Exemplar verfügen, den zuschicken. Ich möchte ihn bald lesen. Grüssen Sie bitte Frau Weigel. Herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ts, hs. Korr., 1 S., BBA 478/57.

Willi Münzenberg an Bertolt Brecht Paris, 14.1.35 Paris, d. 14.1.35 Lieber Freund, es tut uns ausserordentlich leid, dass Sie auf Grund eines zufaelligen Zusammentreffens den Eindruck bekommen haben, dass hier irgendjemand „etwas gegen Sie hat“, oder dass irgendwelche „Privatressentiments“ gegen Sie vorliegen.103 Wie koennen Ihnen versichern, dass das in keiner Weise zutrifft. Wenn Sie im Inhaltsverzeichnis von „UNSERE ZEIT“ Ihre beiden Gedichte umsonst gesucht haben, so ist das nur darauf zurueckzufuehren, dass wir aus technischen Gruenden beim Umbruch gezwungen waren, den Rest des Inhaltsverzeichnisses bis zur Januarnummer zurueckzustellen;104 Sie werden am Schluss der Dezembernummer den Hinweis auf die Fortsetzung des Inhaltsverzeichnisses gelesen haben. Ihre beiden Gedichte fallen unter die Rubrik „Literarische Beitraege“, die in dieser Nummer in der Fortsetzung des Inhaltsverzeichnisses zu finden sein wird. Natuerlich koennte man 101 Marion Davis, für die Dudow einige Filme montierte, hatte ihn dabei unterstützt, seinen Film Seifenblasen fertigzustellen. 102 Dreigroschenroman. 103 Bezieht sich vermutlich auf Kantorowicz’ harsche Kritik des Dreigroschenromans (vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935), die in der von Münzenberg herausgegebenen Zeitschrift Unsere Zeit erschienen war. 104 In Heft 12/1934 der Zeitschrift Unsere Zeit wurde ein in Themenbereiche untergliedertes Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1933/1934 veröffentlicht; die Sparte „Literarische Beiträge“ erschien erst in der darauffolgenden Ausgabe im Januar 1935. Darin werden jedoch nicht zwei, sondern drei Gedichte Brechts sowie zwei weitere von Eisler vertonte Lieder aufgeführt: Adresse an den Genossen Dimitroff (Heft 12/1933; GBA 11, S. 229f.), Die Ballade vom Baum und den Ästen (1/1934; GBA 11, S. 224f.), Erwartung des zweiten Plans (7/1934; GBA 14, S. 189), Die Ballade vom Wasserrad (5/1934; GBA S. 14, S. 207), Das Saarlied (11/1934; GBA 14, S. 219f.).

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darueber diskutieren, ob der Hersteller des Inhaltsverzeichnisses bei der Rubrizierung der Beitraege richtig vorgegangen ist. – Wir hoffen, dass damit das Missverstaendnis aufgeklaert ist und Sie selbst an die boesen Gedanken, die Sie uns Ihnen gegenueber zugetraut hatten, nicht mehr glauben. Mit herzlichen Gruessen Willi Münzenberg Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/79.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 14.1.1935 Lieber Brecht, ich möchte Ihren Brief nocheinmal beantworten, nachdem ich lange über diesen Brief und über Sie nachgedacht habe. Streifen wir das persönliche nur kurz: Dass meine Karte nur meinen Aerger darüber ausdrückte, dass ein Schwieferl wie jener 105 K. Ihr Buch in einer derart frechen Weise bespricht, war doch deutlich. Und selbst wenn dies nicht gewesen wäre, so mussten Sie sich doch sagen, dass ich zu den Leuten gehöre, die sowohl Ihnen persönlich als auch dem Schriftsteller B. ein äusserst herzliches Gefühl entgegen bringen, und dass Sie in unseren Beziehungen auf meiner Seite vergeblich nach dem geringsten Zeichen einer Schwankung in meiner Zuneigung zu Ihnen suchen würden. Ich verhehle Ihnen nicht, dass Sie gelegentlich durch Aeusserungen, in der Erregung getan, unsere Beziehungen auf die Probe gestellt haben; aber ich habe nie einen Groll gegen Sie behalten, und heute die gleiche alte Zuneigung zu Ihnen wie ehedem. Darum ist mir Ihr Brief 106 unverständlich. Was wollten Sie damit sagen, wenn sie mir Dänemark als klüngelfrei anpreisen? In Küsnacht gibt es keinen Klüngel, und was sich in Zürich herumtreibt, genies[s]t noch lange nicht den Vorzug in meinem Hause verkehren zu dürfen. Aber genug davon. Warum haben Sie diesen unverständlichen Passus von der Aufsicht geschrieben?107 Ist dies Ihre wirkliche Meinung oder wollten Sie mich ärgern? Was hat uns denn jene Aufsicht gebracht? Ja, ehe wir so fragen, muss ich fragen: Wer ist denn jene Aufsicht?

105 Kantorowicz. Vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935. 106 B. an Brentano, Anfang Januar 1935, GBA 28, S. 477. 107 In bezug auf Kantorowicz schrieb Brecht: „Wie gut, daß die Leute wenigstens nur infolge von Fehlern der Aufsicht ihre freie Meinung äußern können und nicht etwa prinzipiell. Sie sehen aus dem Vorfall deutlich, wie streng die Aufsicht sein muß“ (GBA 28, S. 477).

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Sie wissen so gut wie ich, dass diejenigen, welche sich erdreisten, die Aufsicht zu spielen, russische Beamte sind. Selbst Herzfelde macht in seinem Blatt108 einfach russische Politik. Ist es noch irgendwie zu verantworten, dass rev. Schriftsteller wie Sie und ich, die so viel für die Sache des deutschen Proletariats getan haben, und so viel für die Russen, heute von diesen schmutzigen Stalinisten a la Radek in einer derartigen Weise beleidigt werden dürfen, ohne dass es einer von uns wagen kann, in diesen angeblichen deutschen Blättern diesem Dummkopf zu antworten? Ein Bekannter, der aus M.109 zurückkam, erzählte mir, dass man dort wieder Häuser baut mit Separataufgängen für Dienstboten? Mir ist es ganz gleichgültig, was die Russen machen, und ich glaube, dass die derzeitige russische Regierung abtreten muss, weil sie dumm und fascistisch ist. Aber wollen Sie, lieber Brecht, wirklich Ihrem alten Freunde Brentano zumuten, sich der Aufsicht des Gorki zu fügen, dieses Menschen, der in einem Schloss wohnt und nach Blut schreit, weit niederträchtiger als jene englischen Damen, die Sie geschildert haben.110 Denn jene Damen hatten nie etwas anderes gelernt, Gorki aber war mal ein Sozialist, und ein Mensch, der solange gegen das Erschiessen war, wie er noch nicht in einem Schloss wohnte, und nicht für die Rente zittern musste, die ihm eine korrupte Regierung bezahlt. Ein bürgerliches Blatt wie die Times schreibt Leitartikel, um einen Berufskommunisten wie Dimitrov zu befreien, und Sie empfehlen Ihrem alten Freunde B. eine Aufsicht zu verstärken, welche Männer wie Tschatski111 in dieser Weise ohne Prozess hinrichtet. Niemals hat es eine zaristische Regierung gewagt, so ruchlos gegen politische Gegner vorzugehen, wie dies dieser elende Georgier112 tut. Wie kommen wir dazu, zu alledem zu schweigen? Und mehr noch, wie kommen wir dazu, uns Kreaturen dieser Dummköpfe als „Unserer“ Aufsicht zu unterwerfen! Können Sie noch eine Zeitung aufmachen, ohne zu lesen, dass man wieder in dieser Pseudorepublik einen Bahnbeamten oder einen Postbeamten erschossen hat für ein Vergehen, dass die von uns bekämpften Bourgeoisieregierungen mit 2 Monaten Gefängnis abtun? Gut, Sie können antworten, Sie hätten Willi113 gemeint, nicht diese Asiaten. Aber verlangen Sie im Ernst von mir, ich sollte Willi als Aufsicht anerkennen, der epileptische Anfälle bekommt, wenn man das Wort Russland ausspricht, u n d g l e i c h z e i t i g diese Zeitschriften herausgibt? Vor einer Woche war ein Russe bei mir – es war ihm gelungen, sich unter verlogenen Vorspiegelungen in mein Haus einzuschmuggeln. Als er Ihr Buch liegen sah, meinte er, 108 Neue Deutsche Blätter. 109 Moskau. 110 In der Dreigroschenoper (II. Akt, 5. Szene) verraten die Huren von Turnbridge Mackie Messer. 111 Vermutlich Schazkin. Vgl. Anm. zu Brentano, 9.1.1935. 112 Stalin. 113 Münzenberg.

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solche Leute wie Sie würde man in der russischen Literatur schon garnicht mehr zählen, soviele hätte man davon. Der Knabe war verblüfft, als er daraufhin mein Haus verlassen musste. Diese Schweine, die Filme machen [wie]: Die Nächte von St Petersburg114 wollen auch noch in einem freien Land wie es die Schweiz ist, frech werden. Warum mussten die Franzosen kommen, Leute wie Malraux, um uns ein Beispiel zu geben, wie man diese Moskauer behandelt?115 Und warum befolgen wir dieses Beispiel nicht, wo es nun einmal gegeben ist? Aber gut, reden wir nicht davon. Reden wir nur von Ihrem Brief. Hatten Sie meine Karte116 wirklich missverstanden? Oder wollten Sie sich dafür rächen? Oder war es Ihr Ernst, was Sie mir schrieben? Sollten Sie sich so geändert haben, dass Sie dazu schweigen, wenn ein Becher (wie er zu mir tat) als neue Linie verkündet: Einheitsfront mit Max Brod117 und herauswurf aller Proleten aus den Schriftstellervereinigungen? Soll ich, der ich lange genug, zu der Einheitsfront von Stalin und der Reichswehr geschwiegen habe, nun auch noch statt gegen Hitler für die EF zwischen St. und dem französischen Generalstab eintreten? Wollen Sie wirklich dafür kämpfen? Genug. Ich möchte wissen, ob Ihnen an unseren alten Beziehungen nichts mehr liegt. Eben lese ich neue Gedichte des Becher in der Sammlung.118 Jetzt schreibt er in Form und Inhalt wie Geibel119; gestern noch war „unser Vaterland“ die SU, heute macht man in Patriotismus. Da nun dieser Mann, und sonst niemand die Aufsicht darstellt, die Sie verstärkt haben wollen, fragte ich, ob dies nun wirklich Ihre Ansicht ist.

114 Möglicherweise meinte Brentano den Film Konec Sankt-Peterburga (Das Ende von St. Petersburg, UdSSR 1927) von Wsewolod Pudowkin. 115 Bezieht sich vermutlich auf André Malraux’ Auftritt beim 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller (vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933). 116 Nicht überliefert. Vgl. Anm. zu Brentano, 9.1.1935. 117 Max Brod (1884–1968), deutschsprachiger Prager Schriftsteller, Übersetzer und Komponist, Herausgeber der Werke seines 1924 verstorbenen Freundes Franz Kafka. Floh 1939 vor den Deutschen nach Palästina. Warum Brentano hier ausgerechnet Brod erwähnte, erscheint rätselhaft. Offensichtlich wollte er auf die seit kurzem offiziell verordnete Wertschätzung des bürgerlichen Erbes anspielen – wozu allerdings ein Autor wie Brod nach Meinung der sowjetischen Literaturpolitiker sicher nicht zu zählen war. 118 Die Sammlung. Literarische Monatsschrift, herausgegeben von Klaus Mann, erschien von 1933 bis 1935 bei Querido in Amsterdam. Im Heft 5, Januar 1935, wurden dort von Johannes R. Becher die Gedichte Der wissende Kampf, Rechenschaft und Das Wort veröffentlicht. 119 Emanuel Geibel (1815–1884), spätromantischer Lyriker, dessen Gedichte einem klassizistischen Schönheitsideal verpflichtet sind.

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Schreiben Sie mir bald, denn Sie sehen, dass mir dieser Vorfall grossen Kummer macht. Herzlich Ihr alter Brentano [Hs.] Küsnacht am 14.I.35 Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 1386/47–48.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht [Küsnacht bei Zürich, Januar 1935] Lieber Brecht, es kann sein, dass Sie recht haben, es kann aber auch sein, dass ich es habe. In Paris sagten Sie mir einmal, wenn der Augenblick kommt, wo die P objektiv gegen die Interessen der d Arbeiter arbeitet, werden sie mich gegen die p stehen sehen. Dieser Augenblick ist längst da. Noch immer benehmen sich die alten Parteien wie unsere Alldeutschen im Kriege; denn ebenso wie diese jede neue Kriegserklärung an D mit frenetischem Beifall begrüssten, jubeln jene sich von Niederlage zu Niederlage. Ich war an der Saar. Ich weiss wie gross der Terror war. Aber, wenn die Sache auch nicht zu gewinnen war, so waren 40 % glatt zu holen. Dass Hitler 90% bekam,120 beweist nicht nur, dass die alten Parteien tot sind, sondern auch dass diese kümmerlichen Apparatmenschen nicht mehr das Ohr des Volkes haben. Bedenken Sie dabei, dass die Saar die einzige deutsche Provinz ist, in der das Proletariat mit 60% die Mehrheit der Bevölkerung bildet. Aber darum handelt es sich nicht. Ich werde in dem Augenblick mit Russland einverstanden sein, wo wir frei kommen, und selber über unsere Politik bestimmen. Aber folgt daraus, dass ich gegen R. bin? kein Gedanke!! War etwa Lenin gegen den Sozialismus, weil er die II. I121 bekämpfte? Ich war immer gegen das Lügen. Was soll man sich noch von einem Apparat erhoffen, dessen Zentralorgan (Rundschau122) frech und dreist behauptet, die KPS123 habe als erste an der Saar die Parole status quo ausgegeben? Jedes Kind weiss dass die KP noch viele Monate nach Hitler die Versammlungen der SPS und M Brauns124, der als erster und ganz allein diese Parole ausgegeben hatte, stürmte, und die anwesenden Arbeiter mit dem Ruf 120 Die Rede ist von der Abstimmung über das Saargebiet im Januar 1935 (vgl. Anm. zu Brentano, April/ Mai 1934). Über 90 Prozent der Wähler votierten für eine Angliederung ans Deutsche Reich. 121 Die Zweite Internationale. Vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933. 122 Vgl. Anm. zu Brentano, 23.7.1933. 123 Die saarländische KPD. 124 Max Braun (1892–1945), 1929 bis 1935 Vorsitzender der saarländischen SPD. Ging 1935 ins Exil nach Frankreich, 1940 nach Großbritannien.

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Landesverräter auseinander prügelte! Jeder weiss, dass Moskau die Haltung der KPS erst in Paris, dann in Berlin ausbot, und die Parole sq erst dann ausgab, als Berlin ablehnte! Das ist sogar vom bürgerlichen Standpunkt aus keine Politik mehr sondern jene Art von ruchlosem Opportunismus, der heute in M Trumpf ist. Dazu passt dass Litwinow125 heute in Moskau tschechische bürgerliche Journalisten empfängt, und mit einer Rede begrüsst, in der er auf die tiefe seelische und r a s s i s c h e Verbundenheit aller slawischen Völker hinweist! Und der Gipfel dürfte wohl die Rede dieses Burschen in Genf sein, in der [er] vorgestern Deutschland zu der Rückkehr seiner Söhne von der Saar beglückwünschte!126 Ich kenne den genfer Betrieb, und weiss, dass er, wenn er gewollt hätte, eine kleine Angina hätte haben können! Aber er wollte garnicht! Warum schreit Moskau, dessen erstes Prinzip einmal das Selbstbestimmungsrecht der Völker war, heute gegen Ungarns Wunsch auf Abstimmungen? Ach lassen wir das! Oder noch ein letztes Beispiel: Die gleiche Nummer 8 der Rundschau zetert, dass die Hitleragenten zu den polnischen Imperialisten reisen. Als aber die polnischen I in Moskau gefüttert wurden, und Stalin persönlich ein Geschenk an Pilsudski127 sandte... Jetzt aber genug. Sie sehen, dass man diese russische Politik nicht billigen kann. Sie ist sehr schädlich für das gesamte Proletariat, auch des russisch[en] denn ich habe einige Kenntnisse der Geschichte, aber es fehlt dort an Beispielen, dass es gut war, elementare Prinzipien als Ballast über Bord zu werfen, wie dies die Russen neuerdings tun! Dies berührt jenen Satz Ihres letzten Briefes, der mich am meisten verwundert hatte, nämlich ihr Bedauern darüber, dass der Verein sich mit kümmerlichen Leuten behelfen muss.128 Ebenso wenig wie Sie wird künftighin ein anderer nachdenklicher Mensch dem V beitreten, um bereits in der Garderobe seinen Verstand abzugeben. Die ist in der Natur der Dinge begründet; denn alle gegenwärtigen Machthaber, Stalin, Hitler und Mussol.129 hassen den nachdenklichen Menschen, den Intellektuellen! Man wird in Moskau ebenso eingesperrt wie in Rom oder in Berlin, wenn man es versäumt, während eines Semesters den Studenten die Werke Stalins zu empfehlen (Prawda130). Wenn Sie aus Moskau schrieben, 125 Maxim Maximowitsch Litwinow (Maksim Maksimovič Litvinov, 1876–1951), sowjetischer Politiker, seit 1930 Außenminister der UdSSR. Stalin verlor allerdings bald die Geduld über dessen erfolglose Bemühungen, ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien zuwege zu bringen. Im Mai 1939 wurde er durch Wjatscheslaw Molotow ersetzt. 126 Gemeint ist vermutlich die Rede, die Litwinow am 17.1.1935 vor dem Völkerbund in Genf gehalten hat. Dem Völkerbund, jener imperialistischen „Räuberhöhle“, wie Lenin ihn genannt hatte, war die UdSSR erst im September 1934 beigetreten. 127 Józef Klemens Piłsudski (1867–1935), polnischer Politiker, Marschall der Zweiten Polnischen Republik. 128 Vgl. Anm. zu Brentano, 9.1.1935. 129 Benito Mussolini (1883–1945), ehemals sozialistischer Politiker, seit Ende des Ersten Weltkriegs Führer der faschistischen Bewegung Italiens. Von 1922 bis 1943 regierte er das Land mit diktatorischer Gewalt. 1945 wurde er von Partisanen hingerichtet. 130 Die sowjetische Tageszeitung Prawda war das offizielle Verlautbarungsorgan der Bolschewiki und

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und Ihr Brief wäre aufgemacht worden, könnten Sie heute in einem Konzentrationslager darüber nachdenken, ob Stalin ein mittelmässiger Schriftsteller ist!131 Dafür kämpfen Sie?? Politik machen und falsche Haltungen starr durchhalten ist nicht dasselbe. Ludendorff 132 war ein grosser Feldherr aber in der Politik ein sturer Durchhalter und ein Mensch, der glaubte, man könne die Menschen zwingen! Die Folgen sind bekannt. Der Marxist will nicht die Menschen ändern, sondern die Verhältnisse; der Fascist will die Menschen „erziehen“. Darum nenne ich auch nicht, wie Sie irrtümlich annehmen, die Bolsch. Fascisten sondern die Stalinisten. Die B sind tot, eingesperrt, hingerichtet, ohne Prozess gemordet. Damit sind wir bei dem privaten Teil Ihres Briefes. Wieso glauben Sie ich sei gelähmt? Ich bin so frisch wie je. Oder wollen Sie im Ernst annehmen, diejenigen, die nicht die gerade im Augenblick geltenden Ansichten irgendeiner Regierung teilen, seien gelähmt? Und von welchem Kampf sprechen Sie? Ich kämpfe ja garnicht, sondern ich schweige. Wenn ich Ihnen in einem privaten Brief einige Ansichten vortrage, ist das doch kein Kampf! Ich gestehe, dass ich einen Augenblick lang die Absicht hatte, einen offenen Brief an Gorki zu richten, um diesem Menschen ins Gedächtnis rufen, was er 17/18 über Terror geschrieben hat.133 Ich habe auch dies gelassen und schweige weiter. Sie versichern mir ferner, dass Sie mir freundschaftlich gesinnt sind, aber in einem Ton, der ungewohnt rauh ist.134 Wie unbegreiflich ist dieser ganze Vorgang. Weil ich Ihnen schrieb, dass ich sogar die Art, wie man sie in UZ lobte,135 ungenügend und unerlaubt fand, Ihnen also in einem Moment beisprang, wo man Sie nach meiner Ansicht beleidigte, erhielt ich zwei Briefe, die so gereizt und wütend klingen, als hätte ich die Kritik in UZ geschrieben. Ihre politische Haltung ist dagegen durchaus nicht unverständlich. Sie sagen sich, wie mancher meint, es ist alles kaputt. Was noch steht ist die SU. Wenn aber mit oder ohne unser Zutun dort etwas passiert, ist alles aus. Möglicherweise sagen Sie sich noch dazu, dass es bisher noch niemandem gelungen ist, ausserhalb der beiden Internat., besonders ausserhalb oder gegen die 3. etwas zu gründen, das Bestand oder Wert gehabt hätte. Was

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schließlich der KPdSU, im Unterschied zur regierungsamtlichen Tageszeitung Izvestija. Gegründet wurde sie ursprünglich 1912 von Leo Trotzki in Wien, wo sie ihr Erscheinen noch im selben Jahr einstellen mußte, wiedergegründet 1917 in Petrograd. Stalin, urteilte Brecht, sei „kein besonders glänzender Schriftsteller“ (B. an Brentano, Mitte/Ende Januar 1935, GBA 28, S. 481). Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (1865–1937), General und Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg. Beteiligte sich am Kapp-Putsch 1920 und unternahm gemeinsam mit Adolf Hitler 1923 einen weiteren Putschversuch. Vgl. Anm. zu Brentano, 9.1.1935. „Ich denke, Sie wissen, daß ich Ihnen, keinesfalls nur wegen Ihrer schönen Augen, aber doch trotz einiger Ihrer Lieblingsansichten, sehr freundschaftlich gesinnt bin“ (B. an Brentano, Mitte/Ende Januar 1935, GBA 28, S. 480). UZ – Unsere Zeit. Becher gegenüber meinte Brecht Anfang/Mitte Januar 1935, „die schleimige Freundlichkeit drum rum ist ganz uninteressant angesichts des zentralen Vorwurfs, der Roman sei nicht realistisch und er sei idealistisch“ (GBA 28, S. 478).

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einem LT136 nicht gelang, wird weniger erfahrenen Leuten erst recht nicht gelingen. Ich habe diese Erwägungen auch angestellt, und bin zu einem anderen Resultat gekommen. Die Splitterparteien sind m. E. darum alle gescheitert, weil sie alle bereits eine in sich abgeschlossene Politik zu verbessern trachteten, oder, anders ausgedrückt, die Stalinisten zwingen wollten, sich wieder in Bolschewiki zurückzuverwandeln. Aber diese ganze Epoche ist abgeschlossen. Alle diese Brandlerianer137, Trotzk, Sapisten138 usw wollen im Grunde eine bessere Komintern, jene von 1918. Aber wir schreiben 35 und was war, kommt nie wieder. Die Vereine dagegen sind wie dressierte Hunde, welche jede fremde Gewalt anbellen, aber vor der eigenen winseln. Das ist weder politisch noch rev. Wenn man einmal die Archive dieser Zeit aufmachen wird, wird man erkennen, welche Narren wir waren, als wir die Politik einer Regierung unterstützten, die ihrerseits die Reichswehr stützte, die heute in D die Macht hat. In Frankreich beginnt das gleiche Spiel. Ein Reformist wie Blum sieht sich gezwungen, die Verhandlungen mit dem Verein abzubrechen, weil dieser – auf Befehl – derartig bürgerlich demokratische Parolen herausgibt, dass die sparbeiter nicht mehr mitmachen wollen. Was soll man also tun? Jeder der aus D kommt, erzählt, dass die Intellektuellen die Gegner des H139 sind. Ueberall sind die I140 tapfer und oppositionell. Können aber die I ein Regime stürzen? Nein aber sie können leisten, was man von ihnen erwartet, Bücher und andere Publikationen schreiben, die den neuen Zustand zeigen, indem wir uns befinden. X Zur Zeit der franz. Revolution spottete ein schwedischer Schriftsteller über die deutschen Revolutionäre, die er die „glücklichsten und unerschütterlichsten Bewunderer alles dessen nannte, was f ü r oder g e g e n die Freiheit geschieht, wenn nur der Befehl dazu auf republikanischem Stempelpapier gedruckt wird.“141 Ersetzen Sie das Wort republikanisch durch das Wort russisch, dann haben sie das Trauerspiel der deutschen Opposition. Diese Opposition hat aber obendrein noch seit den Tagen Luthers142 die Besonderheit, dass sie 136 Leo Trotzki. 137 Heinrich Brandler (1881–1967) war gemeinsam mit August Thalheimer von 1921 bis 1923 Vorsitzender der KPD. Ruth Fischer und Arkadij Maslow machten die beiden für das Scheitern der Revolution in Deutschland verantwortlich, woraufhin Brandler und Thalheimer von der Komintern abberufen wurden. Die Jahre 1924 bis 1928 verbrachten sie unfreiwillig im Exil in Moskau. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland gründete Brandler die KPD-Opposition. Er ging 1933 ins Exil nach Frankreich und flüchtete von dort 1941 nach Kuba. 1949 kehrte er nach Deutschland (West) zurück. 138 Mitglieder der SAPD. 139 Hitler. 140 Vermutlich Internationalisten. 141 Das Zitat entstammt einem Brief des schwedischen Diplomaten und deutschsprachigen Schriftstellers Karl Gustav von Brinckmann (1764–1847) an Friedrich Gottlieb Klopstock vom 18.5.1799. Vgl. Klopstock, Werke und Briefe: Historisch-kritische Ausgabe, Abt. Briefe, Bd. 10: Briefe 1799–1803, Berlin u. New York 2003, S. 40. 142 In bezug auf Martin Luther (1483–1546), der das Papsttum und die Korruptheit der katholischen Kirche kritisiert, getreu den Weisungen des Apostels Paulus jedoch die Autorität weltlicher Obrigkeit nicht in Frage gestellt hat, sprach Brecht von der „Jämmerlichkeit der frühbürgerlichen Op-

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zwar ab und zu in die Geschichte anderer Völker hineinschaut, die eigene aber niemals betrachtet! Leider ist auch unser Volk das einzige, in der es einer Opposition noch nie gelang, zu siegen. Der Brief ist lang geworden. Leben Sie wohl. Kommen Sie doch mal ein bischen nach Zürich, in eine der hübschesten Städte, die es gibt. Sie können ohne weiteres wohnen bei Ihrem alten Brentano. X

Darüber könnte man noch mehr sagen!

Mein Brief an Sie ist liegen geblieben, weil ich über den Ihren immer wieder nachgedacht habe. Ich will Ihnen was vorschlagen: lassen wir die Russen aus dem Spiel. Sagen Sie mir, wo das kleine Häuflein der unseren ist, und vor allem, welche Politik es macht. Ich lese doch alles, was da erscheint, aber ich finde nicht einen einzigen Artikel, der als ein politischer bezeichnet werden könnte. Für meine gegenwärtige Arbeit lese ich sehr viel, besonders habe ich die Geschichte der Jahre 12-20 genau durchgenommen. Was sehe ich: die Rechte hat gearbeitet, und arbeitet weiter. über den Krieg, über die bürgerliche Politik, Reichstag, über fast jeden bürgerlichen Politiker dieser Zeit finden Sie Material in Hülle und Fülle. Wo aber sind die Bücher über die Arbeiterbewegung? über Rosa? Karl?143 über die verschiedenen Politiker im Krieg? nach dem Krieg? Es ist einfach nichts vorhanden. Aus zwei Gründen: 1. warf der V 144 ja alles was lesen und schreiben konnte hinaus; 2. war die Angst vor Russl. viel zu gross, sodass man nicht wagen konnte, etwas über Rosa zu schreiben. Wo Sie auch immer antippen, sehen Sie, dass die deutsche Bewegung seit 18 nurmehr ein Fortwursteln von Apparaten ist, aber keine Bewegung mehr. Unsere Schuld ist dabei nicht gering. Männer wie wir, Sie, ich und andere hätten niemals zu den Büchern der LT145, Rosenberg146, Korsch etc schweigen dürfen, wie wir das getan haben. Aber was nicht ist, kann jeden Tag werden. Fangen wir an zu schreiben, zu untersuchen, ich bin dabei. Ich allein kann nichts machen, als meine Bücher schreiben;

position“ (B. an Stefan Brecht, September/Oktober 1946, GBA 29, S. 400; vgl. dazu Stefan Brecht, 10.9.1946). 143 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (beide 1871 geboren), die Gründer der KPD, wurden im Januar 1919 von Freikorps ermordet. In der Komintern erachtete man den „Luxemburgismus“ indessen als schädlich. Tatsächlich ist Luxemburg als Kritikerin nicht nur des bürgerlichen Parlamentarismus und der Gewerkschaften, sondern auch der bolschewistischen Diktatur in Rußland hervorgetreten. 144 Der Verein, d.i. die kommunistische Partei. 145 Leo Trotzki. 146 Der marxistische Historiker und vormalige KPD-Reichstagsabgeordete Arthur Rosenberg (1889– 1943), der sich bereits 1927 von der Partei abgewandt hatte, ging 1933 ins Exil in die Schweiz, 1934 nach Großbritannien und 1937 in die USA.

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aber schaffen Sie eine Gruppe, verwirklichen Sie Ihre alten Pläne, Arbeiten gemeinsam zu vergeben – ich bin dabei. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/14–18.

Babette Gross147 an Bertolt Brecht [Paris] 15.1.1935 15.1.35 Bert Brecht Lieber Freund, ich möchte noch einige Ergänzungen zu Mischas Brief 148 machen. Wir haben verschiedene Freunde gefunden, die sich für die Gründung eines Verlages interessieren, der Jugendliteratur herausbringt. Wir können damit nur insoweit zu tun haben, dass wir alle unsere Freunde dafür zu gewinnen versuchen, überall Mittel auftreiben und später unseren Vertriebsapparat mit einspannen. Was halten Sie von einem solchen Plan? Wir hatten Ihnen deswegen einige Zeilen nach London geschrieben, Sie waren aber schon abgereist. Kommen Sie nicht in absehbarer Zeit hierher? Wir moechten nicht eher darüber etwas veröffentlichen, als sowohl ein Verlagsplan für mindestens 10 Bücher und das nötige Geld vorliegt. Eine Freundin unseres Verlages fährt in diesen Tagen nach Schweden, sie ist seit Jahren sehr eng mit der Lagerlöf befreundet, wir hoffen, dass wir als erstes Buch Lagerlöf anzeigen können. Zur fachlichen Leitung des Verlages hat sich Robitschek 149 (früher Universitas Berlin150) bereit erklärt, als Lektorat dachten wir an eine Gruppe unserer Freunde, wobei wir hoffen, dass auch Sie uns helfen werden. Bitte lassen Sie uns bald Ihre grundsätzliche Meinung dazu wissen! Gerade kommt Ihr Brief an Otto oder Willi.151 Ich gab ihn an W. Ihre Reklamation152 beruht auf einem Irrtum, in Nr. 12 von UZ wurde mit dem Abdruck des Inhaltsverzeichnis 147 Babette Gross, geb. Thüring (1898–1990), vormals verheiratet mit dem Schriftsteller Fritz Gross, war die Lebensgefährtin Willi Münzenbergs und in den 1920er Jahren Geschäftsführerin des Neuen Deutschen Verlags. Ab 1933 im Exil in Paris leitete sie den Verlag Éditions du Carrefour. 1940 floh sie nach Mexiko und kehrte 1947 nach Deutschland zurück. 1949 bis 1951 Geschäftsführerin der neugegründeten Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 148 Vgl. Tschesno-Hell, 9.1.1935. 149 Vermutlich der Theaterleiter und Literatur- und Musikkritiker Kurt Robitschek (1890–1950), der sich ab 1933 im Exil u.a. in Paris aufhielt, ehe er in die USA emigrierte. 150 1920 gegründeter Berliner Verlag. 151 Otto Katz und Willi Münzenberg. Der Brief ist nicht überliefert. 152 Nicht überliefert. Vgl. Münzenberg, 14.1.1935.

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begonnen, wir mussten es aus Platzmangel auf 2 Nr. verteilen, alle Ihre Beiträge werden aufgeführt unter der Rubrik: Literarische Beiträge, die bereits gesetzt vorliegt, also ganz so schlimm ists noch nicht. Wegen Kantos Kritik,153 die wir leider infolge Saartrubel nicht vor Drucklegung lasen, ist ein männermordender Kampf entbrannt, soviel ich weiss, will Ihnen die UZ Redaktion ausführlich dazu schreiben. Beste Grüsse Ihre Babettfrou Überlieferung: Ts, hs. Korr, hs. U.; BBA 477/64.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Paris, 16.1.1935

Paris, den 16.1.35.

Lieber Brecht, mit Deiner Kritik an der Kritik von Kanto. bin ich einverstanden.154 Auch ich bin der Ansicht – und das müsste Dir eigentlich bekannt sein – dass Behauptungen nicht aufgestellt werden dürfen, ohne dass nicht eingehendst dafür der Beweis erbracht wird und dass vor allem Etikettierungen meiner Ansicht nach sehr schädlich sind. In „Unsere Zeit“ erscheint eine Gegenkritik;155 ausserdem wird Dir Kanto persönlich schreiben.156 Entschieden ablehnen muss ich es, dass durch die Tatsache, dass Kanto mein Sekretär ist, diese Kritik eine offizielle Note bekommt. Es ist selbstverständlich nicht meine Aufgabe, die Produktion Kanto’s, die er ausserhalb seiner Arbeit für mich macht, zu überwachen und ihn hier bis auf seine letzte private Aeusserung hin zu administrieren – abgesehen davon, dass die Tatsache, dass er mein Sekretär ist, nur einem allerengsten Kreis bekannt ist und auch bekannt sein darf. Ueber die Frage Deines Eintritts in den Hauptvorstand des SDS und über die Verwendung Deines Aufsatzes157 hast Du mir leider noch keine Antwort gegeben. Ebenso bitte ich Dich, doch nochmals zu veranlassen, dass man mir Dein Buch158 schickt.

153 154 155 156 157 158

Vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935. Vgl. Brief an Becher, Anfang/Mitte Januar 1935, GBA 28, S. 478; dazu die Anm. zu Eisler, 4.1.1935. Gegenkritiken von Paul Haland und Bodo Uhse erschienen in Unsere Zeit, Heft 2/3, April 1935. Ein solches Schreiben ist nicht überliefert. Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. Dreigroschenroman

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Mit den herzlichsten Grüssen Dein Hs. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/76.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis] 18.1.1935 [Hs.] 18.I.35 Lieber Brecht, dies ist nur, um Sie noch mal an die Kritik159 zu erinnern. Das Buch wird jetzt von Knopf gelesen, wie mir Mrs. Blanche Knopf 160 versichert – er selber ist auf Einkaufstour in Europa. Jetzt habe ich Grosz noch darauf gehetzt, dass er sich mit ihr in Verbindung setzt und auch andere Leute bewegt, mit Mrs. Knopf zu reden (oder Covice Fride161). Recommendation means so much here if the people that recommend are pretty big. Danke fuer Empfehlung an Wieland wegen Kurzgeschichten, ich will sehen, was ich tun kann, einige Autoren zur Hergabe der Uebersetzungsrechte herumzukriegen. Muss es aber auf ein paar Wochen verschieben, da meine Portospesen diese Woche schon zu hoch sind. Ich will auch sehen, dass ich selber etwas fuer ihn schreibe aus vorhandenem Material. Ich bin im Moment ueberhaupt etwas gehandicapt. Dieser Ort hier hat, medizinischstatistisch nachgewiesen, den Rekord an „sinus-troubles“ – Erkrankungen der Nasen- und Stirnhoehle, hervorgerufen durch die Mississippifeuchtigkeit und den staendigen Kohlendunst.162 Jetzt hats mich auch nicht schlecht erwischt. Das Material ueber schlechtes Leben kann ich, denke ich, Mitte naechster Woche abschicken. Herzlichst Ihre Bess Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 480/34–35.

159 160 161 162

Gemeint sind Kritiken des Dreigroschenromans. Die Frau des New Yorker Verlegers Alfred A. Knopf. Der New Yorker Verlag Covici-Friede. Hs. Erg.: „Durch das Heizen weicher Kohle in der ganzen Stadt. Seit 30 Jahren besteht hier eine Anti-Smoke-League, die aber bisher nichts erreicht hat. Nur in den besseren Wohngegenden wird viel mit Oel geheizt.“

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 20.1.1935 Prag, den 20. Januar 35 Herrn Bertholt B r e c h t Svendborg per Skoosbostrand [sic] Lieber Brecht! Dank für Deinen Brief, also scheint jetzt nur noch Geld zu fehlen.163 Sobald ichs habe, werde ich kommen und mit Euch die verschiedenen Fragen besprechen; dass sich in Dänemark nicht leicht jemand findet, kann ich mir denken, aber ich suche ja überall und bleibe sogar noch nach dieser Abstimmung optimistisch; schon aus Zweckmässigkeit. Ostermoor, von dem ich Dir schrieb, hat Dich nicht mehr erreicht, er berichtet von zwei Männern, die angeblich solche Interessen haben. Nun, man wird sehen. Der Gedanke der Enziklopädie164 ist unzweifelhaft richtig, nur setzt er schon eine gewisse Basis voraus, die es einem gestattet, sich wenigstens einmal acht Tage ganz auf einen solchen Plan zu konzentrieren und die wichtigsten Freunde, die Herausgeber sozusagen, zusammen zu bringen, damit der Plan festgelegt wird; auch gewisse Mittel zur Ankurbelung sind notwendig. Ich hoffe in nächster Zeit mit Besitzern solcher Mittel zusammenzukommen, vielleicht findet sich jemand, der wenigstens diese Vorbereitungen finanziert. Das Aergerliche ist, dass meine dringenden Briefe nach drüben165 bis heute unbeantwortet blieben, es scheint da mancherlei Konflikte zu geben, die lähmen. Das Saarergebnis166 verschärft natürlich alle vorhandenen Differenzen. Im Augenblick kann ich die Februarnummer167 noch nicht zum Satz geben, weil mir ein Betrag von ca. 800,- Mark dazu fehlt. Aus der Schweiz bekam ich von der Büchergilde eine Absage: eine Hoffnung weniger. Die Noten zu den Rundköpfen erhielt ich vor einiger Zeit und gab sie bereits nach drüben weiter, leider noch immer nicht Dein Manuskript; bedenke, dass Gross168 eine nette Zeit beanspruchen wird und schicke den Text recht bald in möglichst vielen Kopien. Bredel und Schlochow169 Band III sind ausgedruckt, Papier und Druck überraschend gut, von hiesiger Arbeit kaum zu unterscheiden. Wenn erst mehrere neue Bücher vorliegen, werden sich die Schwierigkeiten, hoffe ich, doch merklich verringern. 163 Die Rede ist offenbar von der Kopenhagener Dependance des Malik-Verlags, die Herzfelde zu gründen beabsichtigte. Der Brief ist nicht überliefert. 164 Vgl. Anmerkung zu Eisler, 4.1.1935. 165 D.h. nach Moskau. 166 Vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 167 Der Neuen Deutschen Blätter. 168 George Grosz. 169 Michail Scholochow.

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Morgen abend referiere ich über das Thema „Ehre und Wahrheit bei Heinrich Mann und Bertholt [sic] Brecht“ eine Arbeit von Mann aus dem „Schriftsteller“170 und Deine „Fünf Schwierigkeiten“ lege ich dabei zugrunde. Aus Paris bekam ich leider noch keine Antwort, ob und in welchem Umfang Deine Arbeit dort erscheinen wird.171 Weisst Du darüber näheres? Herzliche Grüsse auch Deiner Frau und den Kindern Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Malik-Verlag Aktiengesellschaft Berlin W 50 Direktion nur: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 257-42; BBA 477/49.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 24.1.1935 24. Januar 1935 Herrn Bertold Brecht, Svendborg Dänemark Verehrter Herr Brecht, Ich schätze Sie im Besitz meines Briefes v. 8.1. und richte hiermit erneut die Bitte an Sie, mir doch umgehend die mir zukommende Provision – wie zugesagt – überweisen zu wollen. In der Hoffnung, dass mein wiederholtes Ersuchen nunmehr Erledigung finden wird, bin ich mit besten Grüssen Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. 1 Direktors: E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone: Langham 2140; BBA 785/30.

170 Heinrich Manns Artikel „Das weiß eigentlich jeder“ erschien in Der Schriftsteller, Heft 3/1934. Darin heißt es u.a.: „Literatur kann es nur geben, wo der Geist selbst eine Macht ist, anstatt daß er abdankt und sich beugt unter geistwidrige Gewalten. Literatur kann es nur geben, wo sie frei heranwächst. Sie ist eine Funktion der menschlichen Freiheit. […] Warum sie in Deutschland jetzt langweilig ist? Langeweile wäre noch das Wenigste, wenn dieser Literatur sonst nichts fehlte. Nicht vorhanden ist sie.“ 171 Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 27.1.1935 27. Januar 1935. Lieber Bert! Das Einheitsfrontlied ist tatsächlich hier.172 Wir wollen Dich alle hier haben, aber die Sache steht so: die ganze Reise zu bestreiten wird natürlich auch für unsere Organisation zu teuer, wenigstens im gegenwärtigen Moment.173 Wir müssten also schon die Kosten gut verteilen. Dabei kommt es darauf an, wie lange Du hier bleiben willst. Die Reise im Ausland solltest Du selbst bezahlen, die hiesige können wir übernehmen. Im übrigen musst Du doch hier genug Geld haben von der „Dreigroschenoper“ und auch von Deinem Roman.174 Es ist doch unmöglich, dass St175 alles verbraucht hat, denn die Grundspesen sind doch in derartigen Anstalten hier sehr niedrig. Eisler schrieb, er möchte nicht jetzt kommen, sondern erst später, nach seiner Amerikareise. Ich habe ihm telegrafiert, dass ich es für nützlich fände, vorher nach hier zu kommen. Ich dachte, dass Du auch Deine Reise entsprechend der seinen einrichten wolltest, um mit ihm zugleich hier zu sein. Sollte die Eislersche Reise sich verschieben, so wäre es vielleicht auch besser, Du würdest auch die Deine auf später verlegen. Sowieso wollten wir Dich ausserdem noch einladen für einen geplanten Regie-Kongress im April, wo wir einige wenige gute Leute sammeln wollten zur produktiven Aussprache. Die Zeitschriftenfrage nimmt guten Verlauf, darüber kann Dir aber noch Reich berichten.176 Leider habe ich bisher einen Roman von Dir nicht bekommen, den ich gern lesen möchte. Viele sind begeistert. Als Erstes ist es uns gelungen, bei dem Verlag für ausl. Arbeiter zu erreichen, dass er unbedingt im Laufe d.J. einen Band mit Deinen Stücken herausbringt[, der]177 voraussichtlich mit „Rundköpfen und Spitzköpfen“ und der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ beginnt.178 172 In einem undatierten Brief an Piscator schrieb Brecht: „das einheitsfrontlied liegt, wie eisler mir schreibt, schon in moskau, im büro für musik (?)“ – gemeint ist das Internationale Musikbüro – „wo eisler alle seine noten hinschickt. Ich schicke die noten nocheinmal, sobald ich sie habe“ (RGASPI, zit. nach Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 326). 173 Ebd.: „ich glaube, dass ich meinen aufenthalt nicht gut selber bestreiten kann, da steffins aufenthalt viel gekostet hat. wenn ihr irgendwie das geld für die reise bekommen könnt, würde das die reise sehr erleichtern und beschleunigen.“ Brecht reiste Mitte März nach Moskau. 174 Dreigroschenroman. 175 Steffin. 176 Vgl. Reich, 2.11.1934. 177 Im Ts: „und zwar“. 178 Bereits 1934 war im Staatsverlag für künstlerische Literatur in Moskau und Leningrad der Band Ėpičeskie dramy erschienen. Darin enthalten: Die Maßnahme, Die Mutter und Die heilige Johanna der Schlachthöfe in der Übersetzung Tretjakows. Der Band befindet sich in Brechts Nachlaßbibliothek

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Gruss Dein Alter P. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/114. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 326f.

Alfred Döblin an Bertolt Brecht Paris, 28.1.1935 28/I.35 (Neue Adresse!) Paris 14e

5, square Delormel

Lieber Brecht, es ist keine so einfache Sache, von Paris nach Dänemark zu kommen, und ich muß es leider bis auf Weiteres durchaus ins Gebiet der Emigrationsphantasie rechnen verweisen. Sicher lebt man da billiger, gesünder, aber ich habe 4 Jungs179 und liege stark, aus materiellen Gründen, in ihrem Schlepptau, denn das werden (wenigstens 3) bestimmt Franzosen, der Kleine spricht schon kläglich deutsch, die anderen sind auf französ. Carrieren (Mathematik der eine, der andere allerdings freier im Handel) eingestellt und da nützt einem Dänemark nichts (obwohl das Ganze für mich mit meiner Abneigung gegen andere Sprachen ein ganz saurer Apfel ist). – Ja Ihr Buch180 hat mir größten Spaß gemacht, sowohl ich wie zwei meiner Jungs haben vergnügt drin gelesen, ich habe auch einen deutschen jungen Mann gesprochen, der mich entschieden mit meiner gesamten Produktion abwies und besonders für Ihr Buch optierte, – das sind unsere Stimmen, was sagt nun der Verleger? Das ist ja jetzt die allerdringlichste Frage. Meiner, wenigstens mein Buch betreffend,181 schüttelt sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Köpfe; er hofft jetzt (der eitle Träumer) auf mein neues kleines Buch („Pardon wird nicht gegeben“), das sicher (sicher!) reüssieren wird, es geht nichts über die religiöse Überzeugung bei Geldgebern (wir müssen den Verlegern die Religion bewahren). Jedenfalls hat er schon erheblich weniger vorausbezahlt als das erste Mal, und geht es so weiter, so wird ihn die Depression übermannen und er wird mich anpumpen. Ja, lieber Brecht, wir gehen herrlichen Zeiten entgegen, und da Hitler immer neue Trümpfe hat und kriegt, so werden wir in absehbarer Zeit wohl einen Berufswechsel mit einer Widmung Tretjakows: „Dem großen Ketzer / Der lange Übersetzer“. Eine russische Ausgabe der Rundköpfe und Spitzköpfe erschien 1936 unter dem Titel Čichi i Čuchi (vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935). 179 Döblins Söhne Peter (*1912), Klaus (*1917), Stephan (*1926) und Wolfgang (1915–1940). Letzterer wurde 1936 französischer Staatsbürger und kämpfte unter dem Namen Vincent Döblin im französischen Militär gegen die Wehrmacht. Um sich der Gefangennahme durch die Deutschen zu entziehen, nahm er sich 1940 das Leben. 180 Dreigroschenroman. 181 Vermutlich der Roman Babylonische Wanderung oder Hochmut kommt vor dem Fall, der 1934 bei Querido in Amsterdam erschienen war.

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vornehmen müssen, etwa vom Lebenden zum Toten, (was Andres fällt mir zunächst nicht ein, wissen Sie was? verraten Sie es mir, Gott lohn es Ihnen!) – Im Übrigen sieht und hört man hier nichts von der Welt, aus den Briefmarken und Straßenausrufen ersehe ich, daß hier Frankreich ist, Gott weiß, was ich, ausgerechnet ich hier zu suchen habe, aber wer kann alle Geheimnisse enthüllen? – Lieber Brecht, alles Gute Ihnen und Ihrer Familie! (grüßen Sie Korsch!) Ihr Dr. Döblin Überlieferung: Ms, BBA 478/63–66. – E: Alfred Döblin, Ausgewählte Werke in Einzelbänden. Briefe, hrsg. v. W. Muschg u. H. Graber, Olten 1970, S. 200f.

Hans Richter an Bertolt Brecht Wien, 29.1.1935 Wien IV den 29 I 35 Wiedner-Hauptstr. 64 Lieber Brecht, vor etwa 4 Monaten schrieb ich Ihnen. Da ich keine Antwort bekommen habe, nehme ich an, dass Sie den Brief garnicht bekommen haben!? Ich schreibe Ihnen heute nocheinmal aus dem gleichen Grunde: ich bin an einer frz. Produktionsges. „beteiligt“182, d.h. ich habe jedes Jahr für eine bestimmte Zeit Pro­ duktionsmittel zur Verfügung. Diese Möglichkeit muss irgend wie benutzt werden. Wegen dieses „wie“ schreibe ich Ihnen jetzt zum zweiten mal in derselben Sache. Eisler erzählte mir im Sommer von Ihrer Absicht „Fabeln“ zu bearbeiten!183 – Die Aufführungsmöglichkeiten für Filme mit Inhalt schrumpfen monatlich ein. Wenn es Sie interessiert in dieser Richtung etwas zu unternehmen, schreiben Sie mir bitte bald, – und wenn nicht, auch, damit ich weiss ob Sie meinen Brief erhalten haben. Mit besten Grüssen an die Weigel und Sie Richter P.S. Ich schreibe die Briefe so kurz wie möglich, weil ich glaube, die Chance, dass sie ankommen dadurch, zu erhöhen. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/85. 182 Der Film Candide (nach der satirischen Novelle Voltaires), den Richter seit 1934 mit anderen einstigen Dadaisten aus Zürich vorbereitete, kam nicht zustande. 183 Vgl. Anm. zu Richter, 18.9.1934.

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Bernhard Reich an Bertolt Brecht Moskau, 31.1.1935

Moskau, den 31. Januar 35 [Hs.] Skovsbostrande per Svedenborg - Dansmark

Lieber Brecht, ich habe Deinen Artikel „Offener Brief an George“184 erhalten, werde ihn in der ersten Nummer bringen. Geplant ist in dieser sind Aufsätze wie: Piscator über das epische Theater, Aufsätze über Gerhard Hauptmann185, über Pogodin186 usw. Ich will einen Aufsatz über Göthe und Schiller schreiben, wie sie das Poetische behandelt haben. Du verstehst’. warum. Viele kleine Anregungen Deinerseits über die Art der Zeitschrift sind sehr richtig. Besonders das, dass die Sammlung von Materialien wichtig ist (aber nicht im Gegensatz zur Anhäufung von Wertungen). Vor einigen Tagen habe ich die Lektüre des „Dreigroschen Romans“ beendet. Grossartig. Trifft ins Ziel. Besonders bewundere ich die Anlage. Erster Teil tastend, sucherisch; zweiter Teil zusammenfassend, scharf und kalt; dritter Teil „dichterisch“ – erinnerst Du Dich, wie wir und was wir darüber in der Spichernstr.187 sprachen. Das Irren im Nebel, der Traum des Soldaten188 und was der grösste dichterische Fund ist, der Soldat, der Proletariar bezahlt die Zeche. In den letzten Seiten hast Du meiner Meinung nach nicht das erreicht was Du wolltest. Die Vision der Exploitation kommt etwas zufällig heraus. Sie ist im Traum nicht genügend vorbereitet. Die Stephin [sic] kommt am 5. Februar her. Herzlichst Dein Reich Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/87.

184 Offener Brief an den Schauspieler Heinrich George (GBA 22, S. 21–25). Der Text sollte in der geplanten Zeitschrift der MORT veröffentlicht werden, die nicht zustande kam. 185 Gerhart Hauptmann (1862–1946) zählte neben Wedekind zu den Lieblingsdichtern des jungen Brecht. 1950 fügte Brecht zwei Hauptmann-Stücke in einer Bearbeitung für das Berliner Ensemble zusammen: Biberpelz und roter Hahn (GBA 8, S. 373–446). 186 Nikolai Pogodin, d.i. Nikolai Fjodorowitsch Stugalow (Nikolaj Fëdorovič Stugalov, 1900–1962), russischer Dramatiker. 187 Brecht wohnte von 1924 bis 1928 in der Spichernstraße 16 in Berlin-Charlottenburg. 188 „Der Traum des Soldaten Fewkoombey“ ist das letzte Unterkapitel des Dreigroschenromans (GBA 16, S. 379–391).

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Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 1.2.1935 AMSTERDAM-C, den 1. Februar 1935 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr geehrter Herr Brecht, Wir könnten die französischen Rechte des Dreigroschenromans vergeben.189 Das Angebot das uns gemacht wird ist allerdings sehr niedrig: frs. 1000.- bei Unterschrift des Vertrages und frs. 1000.- bei Erscheinen. Wir schätzen aber, dass dieser Vorschuss sich erhöhen lassen könnte auf frs. 3500.- bis frs. 4000.Falls wir verhandeln sollten, so bitten wir Sie uns Ihr äusserstes Angebot für Frankreich mitzuteilen. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/66.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Paris, 2.2.1935

Paris, den 2. Februar 1935.

Lieber Brecht, inzwischen wirst Du die kurze Notiz in „Unsere Zeit“ gelesen haben, in der eine neue Kritik über Dein Buch angekündigt wird.

189 Vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934.

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Dein Aufsatz190 wird so bald wie möglich gebracht; ganz besonderer Wert wird darauf gelegt, ihn drinnen191 zu verbreiten. Wie Du von anderer Seite gehört hast, soll diese Arbeit ausserordentlich verstärkt werden. Es wäre sehr gut, wir würden uns wieder einmal sehen. Vielleicht teilst Du mir Deine Pläne für die nächste Zeit mit; ob Du einmal nach Paris kommst, usw. Mit den herzlichsten Grüssen Dein Hs. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/80.

Walter Benjamin an Helene Weigel San Remo, 3.2.1935 Liebe Heli, ich habe mich über Ihren Brief sehr gefreut.192 Natürlich hätte ich gern erfahren, wie es Ihnen und Brecht in London ergangen ist. Aber da bleibe ich wohl auf die sehr spärlichen Nachrichten meiner dortigen Korrespondenten193 angewiesen. Haben Sie Schoen194 gesehen? Um das Wichtigste voranzuschicken; zum 66 habe ich niemanden. Die Leute sind hier viel zu gebildet zum Kartenspielen. Es ist mir eine Lehre: man soll nicht über seine Kreise hinausstreben! Nun bin ich freilich von unserm Stammtisch weit abgetrieben und es wird bestimmt einige Zeit dauern bis ich wieder an seinem Rande auftauche. Wenn mich das Genfer Institut195 nicht nach Amerika holt, so komme ich wohl im Laufe des Sommers. Leider hat Brecht mir keinerlei Ausschnitte über den Roman geschickt.196 Ich hätte sehr gern bei meiner Anzeige, an der ich eben bin, gewußt, was die Leute sich für einen Vers auf das Buch gemacht haben. Mir ist keine einzige Kritik zu Gesicht gekommen, weil ich nur französische und italienische Blätter sehe. Vielleicht könnten Sie mir noch ein, zwei wichtige Stücke senden? Das Buch, nach dem Sie fragen, heißt

190 191 192 193 194

Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. In Deutschland. Ein Brief Helene Weigels an Benjamin vom 20.1.1935 ist dokumentiert in BBA 2171/21. Vermutlich Margaret Mynotti (alias Bianca Mynatt) und Ernst Schoen. Ernst Schoen (1894–1960), Komponist, Schriftsteller und Übersetzer, war seit der Schulzeit mit Benjamin befreundet. Emigrierte 1933 nach Großbritannien, kehrte 1952 zurück nach Berlin (West). 195 Gemeint ist das Frankfurter Institut für Sozialforschung, das zunächst nach Genf und unterdessen nach New York verlegt worden war. 196 Vgl. Benjamin, 9.1.1935.

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Henri Damaye: Psychiatrie et civilisation197 Paris 1934 (Alcan) Es handelt sich aber da nicht um Massenpsychosen, sondern um Bakterien als Erreger von Individualpsychosen. Insbesondere behauptet der Verfasser, daß bestimmte Formen des Kochschen198 Bazillus nicht Tuberkulose sondern Psychosen hervorrufen. Lesen Sie Ilf und Petrow: Ein Millionär bei den Sowjets199 – wenn es deutsch zu haben ist. Ich lese es eben in der französischen Ausgabe und finde sehr lustige Sachen darin. Recht herzliche Grüße! 3 Februar 1935 San Remo Villa Verde

Ihr Walter Benjamin

Überlieferung: Ms, BBA 478/8–9. – E: Walter Benjamin, Briefe, hrsg. v. G. Scholem u. T.W. Adorno, Frankfurt/M. 1978 (2. Aufl.), S. 644f. (jetzt in: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 32f.)

Hans Richter an Bertolt Brecht Wien, 4.2.1935 Wien den 4.2.35. Wiedner-Hauptstr. 64. Lieber Brecht, ein kleiner Film wäre mit den mir zur Verfügung stehenden Produktionsmitteln relativ sofort realisierbar; praktisch hiesse das: wenn ich nach Paris fahre, und das hängt ausser von meinen Verhandlungen hier nur von mir ab. Mit einem grossen Film ist es principiell anders. Es werden augenblicklich hier beinahe haufenweise Filme in deutsch hergestellt, die auf Deutschland verzichten, aber nach einem Produzenten von „Niveau“, das heisst einem solchen der mal was anderes machen möchte, bin ich noch nicht gestossen. In Holland ja. Da ich Ihr Thema nicht kenne, kann ich auch nicht sagen, ob ich jemanden dafür fände. Ich sitze momentan noch hier aus materiellen Gründen, da es scheint als sollte ich noch eine gewinnreiche Arbeit, die mich auch nach Paris führen würde, bekommen. 197 Brecht schrieb dazu eine kleine Polemik, die am 14.3.1935 in der National-Zeitung in Basel erschien: Eine Befürchtung (GBA 22, S. 103–105). Zu Damayes Buch vgl. auch Benjamins Notizen in BGS VI, S. 89. 198 Robert Koch (1843–1910), Arzt und Mikrobiologe, entdeckte u.a. den Erreger der Tuberkulose. 199 Der Roman Ein Millionär bei den Sowjets (Zolotoj telënok, 1931) von Ilja Ilf und Eugen (Jewgeni) Petrow erschien deutsch zuerst 1932 in Wien, eine französische Ausgabe 1934 in Paris. Spätere Neuübersetzung im Fischer Verlag unter dem Titel Das goldene Kalb oder Die Jagd nach der Million.

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Ich bin natürlich sehr begierig Ihre Grossfilm Idee zu erfahren, aber da ich Ihnen für den Moment nichts Konkretes sagen kann lassen wir es einstweilen bei der „Fabel“. Wenn ich wieder eine etwas breitere Plattform habe, oder wenn ich nach Holland zurück gehe,200 wird auch der grosse Stoff actuell. Mit besten Grüssen an die Weigel und Sie Ihr Richter. Ich erwarte also so bald es geht Nachricht von Ihnen, ja?! Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/84.

Leo Lania an Bertolt Brecht London, 5.2.[1935] Leo Lania 22 St. Johns Road NW 11

London, 5/II

Lieber Brecht, Ich warte mit Spannung auf Nachrichten von Ihnen. Haben Sie meinen Brief mit Beilagen erhalten? Hatten Sie Gelegenheit mit Hassel Balch201 zu sprechen? Soll ich direkt an den Verlag schreiben oder noch abwarten? Ich bin nämlich in sehr mieser Situation, da ich keine Aufenthaltsbewilligung hier erhalte. (Kämpfe augenblicklich darum, aber mit zweifelhaften Aussichten.) Falls ich weg muß, würde mir jeder Abschluß mit Verlagen von größter Wichtigkeit sein, also auch die dänische Ausgabe, selbst wenn sie nicht viel einbringt. Sonst hier nichts Neues. Wegen des Sängerinnenstoffes schweben aussichtsreiche Verhandlungen für einen Gitta Alpar-Film.202 Korda sehe ich wegen des Semmelweißfilms diese Woche. Toeplitz hat sich am Ende für – einen Kean-Film entschlossen.203 Wegen des „Irrsinnigen“-Films ist noch keine Antwort aus Amerika da.

200 In den Niederlanden hatte Richter zuvor bereits Dokumentarfilme für den Philips-Konzern gedreht: Europa-Radio (1931) und Hallo Everybody (1933). 201 Steen Hasselbalch. 202 Gitta Alpar, d.i. Regina Alpár (1903–1991), ungarische Sängerin und Schauspielerin. Seit 1935 arbeitete sie in Großbritannien, später in den USA. Die erwähnten Verhandlungen blieben offenbar ohne Erfolg. 203 Möglicherweise der amerikanische Schauspieler Edward Keane, auch: Kean (1884–1959). Toeplitz hat allerdings keinen Film mit Keane produziert.

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Was „Ölfeld“204 betrifft, so soll jetzt in der nächsten Woche die definitive Entscheidung von der Theatre Guild kommen. Da Eisler morgen hinreist, wird er persönlich noch drücken können. Wie ich meine hiesige Situation klar überblicken kann, werde ich disponieren: ob ich nach „drüben“ oder nach Amerika gehe, in beiden Fällen hoffe ich Sie vorher zu besuchen. Bitte schreiben Sie mir bald ein paar Zeilen wegen Hassel Balch und was Sie machen. Herzlichste Grüße an Sie, Frau u. Kinder Ihr l lania Überlieferung: Ms, BBA 479/76–77.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 5.2.1935 Prag, den 5.2.35 Bert Brecht, Thurö bei Svendborg, Danmark Lieber Brecht; das Manuskript der „Rundköpfe“ kam gerade noch rechtzeitig an. Ich konnte eine Szene, und zwar die, wo das Lied eines Grossen gesungen wird, noch in die Februar-Nummer hineinnehmen.205 Leider reichte die Zeit nicht, um Korrekturen zu schicken. Das ist schade, denn es gab da zwei Stellen, wo ich nicht wusste, ob ein Tippfehler vorliegt. Während in allen Strophen die Zeile des Refrains lautet „Der das machte, was Sie nötig haben“, steht in der ersten Strophe „Der da machte, was Sie nötig haben“.206 Ich habe auch in der ersten Strophe aus „da“ „das“ gemacht. Dann sagt De Guzman gegen Ende der Szene „Na, wird das nun mit diesem Hängen“. Hier scheint mir, dass das Wörtchen „wie“ vergessen ist. Daher setzten wir „Na, wie wird das nun mit diesem Hängen“.207 Sollte ich mich geirrt haben, so ist das Unglück ja nicht gross, denn in der Buchausgabe lässt es sich ändern und Du warst ja Korrektur lesen. Ich habe das Stück noch einmal durchgelesen und es gefällt mir wieder ausserordentlich. Auch die Aenderungen, die Du vorgenommen hast, finde ich alle richtig. Nun zur Frage der Illustration208: wenn ich kein zweites Expl. bekomme, müsste ich das hier vorliegende an Grosz schicken und es könnte dann, bis die Illustrationen eintreffen, 204 Vgl. Anm. zu Lania und Eisler, 21.9.1934. 205 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 3.1.1935. 206 So in GBA 4, S. 246f. 207 In GBA 4, S. 247, heißt es: „Ja, wie wird das jetzt mit diesem Hängen?“ 208 Vgl. Grosz, 10.10.1934.

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nicht am Satz gearbeitet werden. Das gilt auch für die Dreigroschenoper, die gleichfalls ankam. Bitte, lass mich recht bald wissen, ob Du in der Lage bist, ein zweites Expl. der beiden Stücke an Grosz zu schicken. In diesem Fall würde ich meine Expl. gleich zur Druckerei schicken. Eine weitere Frage: das Honorar für den Vorabdruck in der Zeitschrift.209 Es wäre mir eine Erleichterung, wenn ich ihn nicht honorieren müsste, denn dass ich die Februar-Nummer in Satz gab, ist schon eine Art bewusster Selbstmord. Bis auf einen Betrag von Kc.210 1500.-- von befreundeter Seite konnte ich nirgends die geringste Hilfe finden und da ich bei der Nummer ca. Kc. 4000.-- zulegen werde und die alten Schulden auf mir lasten, kannst Du Dir die Situation vorstellen. Andererseits kenne ich die Deine nicht und möchte nicht zuviel verlangen, umsomehr, als Du beim Vertragsabschluss auf meine Situation schon Rücksicht genommen hast. Meine Reise hinüber wird sich noch um einige Wochen verschieben, weil ich unbedingt vorher den Bredel herausgebracht haben muss.211 Der Druck ist übrigens sehr schön geworden. Ich hoffe, Dir bald ein Expl. schicken zu können. Wir haben den Bredel schon nach London verkauft, Mynotti, die dort als meine Vertreterin arbeitet, ist sehr aktiv. Wie wurde es mit Deinem Roman? Erscheint er in London?212 Bezgl. meiner kopenhagener Pläne wirst Du wieder von mir hören nach der Reise. Es ist ja alles nur eine Geldfrage. Herzliche Grüsse Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Faust Verlag Neue Deutsche Blätter Praha I. Betlemská 6 Telefon 36896 Postsparkassenkonto: Böhmische Eskompte-Bank und Credit-Anstalt Prag No. 51041 (für „Neue deutsche Blätter“); BBA 477/57–58.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 5.2.1935 Paris le 5.II.35. Lieber Brecht,

209 Aus einem Typoskript der dritten Fassung des Stücks veröffentlichte Herzfelde die zehnte Szene unter dem Titel Der Stellvertreter in den Neuen Deutschen Blättern, Heft 4, Februar 1935. 210 Tschechische Kronen. 211 Willi Bredels Roman Die Prüfung, 1935 im Malik-Verlag erschienen. 212 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934.

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Heute bin ich plötzlich ausgewiesen worden und ich muß Frankreich innerhalb von 24 Stunden verlassen.213 Ich würde Sie bitten, durch die betreffenden dänisch. Behörden möglichst bald ein Einreise visum zu erwirken und es an die dänisch. Konsulat in Paris durch drahten. Da ich nicht weiß, wo ich sonst hinkommen soll, ist hier meine letzte Rettung. Wenn Sie nur können, tun Sie bitte dieses bald, weil jede Stunde zählt und es kann zu spät sein. Der Film ist ganz fertig und ich war im Begriff es verschieden Leuten vorzuführen. Herzlichst Ihr Dudow Antworten Sie bitte an die folgende Adresse: Hotel San Regies 12 rue Jean Goujon Paris (8e) Überlieferung: Ms, v. fremder Hand: „beantwort[et]“; BBA 478/47.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 6.2.1935 L.B. das ist nicht einfach. Wen[n] ich nachfrage, niemand weiss etwas von der von Ihnen erbetenen Publikation.214 Kurt215 ist nicht mehr in Z216, und ich weiss nicht, wohin er gefahren ist. Trotzdem sind alle Stellen, die in Frage kommen, von mir angegangen worden, man muss nun sehen, ob sie helfen können. Auf alle Fälle gebe ich Ihnen noch eine Adresse, an die [Sie] sich direkt wenden können. Der Mann ist mir bekannt, und ich glaube, dass er Ihnen noch am ehesten das Gewünschte beschaffen kann. Ich telefoniere weiter – Schreiben Sie bald Ihrem BB. Küsnacht, 6/II/35 213 Dudow wurde indessen noch eine „Ruhepause“ gewährt; vgl. seinen Brief vom 18.2.1935. 214 Konnte nicht ermittelt werden. Brechts Brief an Brentano von Ende Januar/Anfang Februar 1935 (GBA 28, S. 486–488) ist unvollständig überliefert. 215 Kurt Kläber. 216 Zürich.

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Die Adresse lautet: Editions Sociales Internationales217, rue Racine 24, Paris. Und ein Innenkouvert mit der Anschrift beider Leiter des Ring-Verlages.218 – Das ist die beste, wahrscheinlich die einzige Stelle, die in Frage kommt. – Ich habe auch eine Bitte. Könnten Sie nicht den de L-Verlag219 wissen lassen, dass ich dabei bin, einen Roman zu beenden,220 damit er sich mal an mich wendet? Oder welchen Weg gibt es sonst zu diesen Leuten? Ich würde – aus bestimmten Gründen – aber gern mit de L verhandeln! Sie täten mir einen grossen Gefallen! Überlieferung: Ms, Notiz von fremder Hand: „beantwortet“; BBA 481/13.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 6.2.1935 6. Februar 1935 Herrn Bertold [sic] Brecht, Svendborg Dänemark Lieber Herr Brecht, Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich der unangenehmen Verpflichtung enthöben, Sie wegen der Zahlung unserer Provision zu mahnen. Darf ich hoffen, dass Sie nunmehr auf Grund dieser Zuschrift im Sinne Ihrer persönlichen Zusage, die Sie bereits vor Monaten gaben, den Betrag von Rm 300.- uns überweisen? Mit ergebenem Gruss Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. 1 Direktors: E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone: Langham 2140; BBA 785/31.

217 Verlag der französischen KP. 218 Kommunistischer Verlag in Zürich. 219 Allert de Lange. 220 Vgl. Anm. zu Brentano, 25.7.1935.

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Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 9.2.1935 den 9. Februar 1935. Herrn Bert Brecht, Skovabosstrand, Svendborg, Daenmark. Sehr geehrter Herr Brecht, Ich erhielt Ihren Brief v. 3. Februar.221 Nach unserer Vereinbarung erhalte ich 15 % Provision an Ihren Eingaengen aus den deutschen und den hollaendischen Rechten. Sie haben einen nicht rueckzahlbaren Vorschuss von 8000 Mark erhalten aus denen mir noch 300 Mark Provision zusteht. Diese Verpflichtung wird doch nicht beruehrt von dem ZahlungsModus Ihres Vertrages mit De Lange. Nach Paragraphen 8 und 9 Ihres Vertrages werden 25 % aus Verkaeufen von Uebersetzungs-Rechten und von Zeitungs-Rechten verrechnet gegen etwaige Honorar Ansprueche, die Sie ueber 8000 Mark hinaus zu fordern haetten. Sie schreiben selbst in Ihrem Briefe, dass solche Honorar-Zahlungen ueber die als Vorschuss gezahlten 8000 Mark liegen, nicht zu erwarten sind. Ausserdem aber betraefen solche Abzuege nur Abschluesse an denen Sie uns eine Provision nicht zahlen, infolgedessen gehen uns diese etwaigen Abzuege auch nichts an. Aber selbst wenn Sie sich auf den Standpunkt stellen dass wir solche Abzuege, entgegen jede Abmachung und entgegen den Sinn unseres Vertrages mitzutragen haetten, so koennten diese Abzuege doch nur in Frage kommen bei der Verrechnung unserer Provision an Honoraren, die Ihren Vorschuss von 8000 Mark ueberschreiten. Sie werden sicherlich diesen Ausfuehrungen zustimmen und keinesfalls die Sache zum Grund machen, fuer die Hinaus-Zoegerung unserer Provision, deren Ueberweisung ich hiermit nochmals dringlich erbitte. Mit besten Gruessen Ihr E. Alexander. m.St. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: European Books Limited Literary, Play and Film Agents Morley House, 314-324 Regent Street, London W. I Direktors: E. Alexander (German) Charles N. Spencer (British) Telegrams & Cables: Eurobooks, London Telephone: Langham 2140; BBA 580/23–24.

221 Nicht überliefert.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht An Bord der „Berengaria“, 10.2.1935 10.II.1935 Lieber Brecht, ich schreibe Dir auf der Ueberfahrt nach New-York.222 Es ist sehr schade, dass Du meinen Brief nicht beantwortet hast, in dem ich Dich bat, mir einiges von Deinen Sachen zu schicken. So komme ich jetzt in New-York an und habe nicht einmal ein Exemplar der „Rundkoepfe“. Ich habe in Amerika 15 grosse Meetings in fast allen bedeutenden Staedten. Am 17. Maerz duerfte ich ungefaehr fertig sein. Man hat die Sache sehr gross aufgezogen und das macht mich etwas nervoes. Es ist sehr schade, dass Du gar nichts von Dir hoeren liessest, so bin ich sehr besorgt vor allem wegen Deiner Gesundheit. Hoffentlich ist es nur schlechte Laune. Schreibe mir bitte gleich nach New-York, wie es Dir geht und sende mir womoeglich per Luftpost die „Heilige Johanna“, die „Rundkoepfe“ und die „Mutter“. Bitte schreibe unbedingt, damit die Verbindung nicht abreisst. Sehr herzlich Dein alter etwas unruhiger Hanns Eisler [Hs.] Hast Du meinen längeren Brief ca 14 Tage vor meiner Abfahrt nicht erhalten?223 Es wäre wichtig festzustellen ob Briefe verloren gehen!!! Bitte bestätige auch diesen Brief! Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: On board Cunard White Star „Berengaria“, hs. v. fremder Hand: „Manuscripte geschickt“; BBA 479/29–30. – E: Eisler, Briefe, S. 95f.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 12.2.1935 Brecht Svendborg Skovsbostrand Danemark

222 Eisler reiste im Auftrag des Internationalen Hilfskomitees für die Opfer des Hitlerfaschismus zu einer mehrwöchigen Benefiz-Konzerttournee in die USA. 223 Dieser Brief ist nicht überliefert.

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Komme später Dudow Überlieferung: Ms (Telegramm), BBA 478/56.

Margaret Mynotti an Bertolt Brecht London, 13.2.1935 16, Doughty Street, W.C.1.

13.2.35.

Lieber Brecht, besten Dank fuer Ihre beiden Briefe224 und das Buch. Die Geschichte ist leider fuer hier anscheinend nichts. Mit gleicher Post sende ich die Rohuebersetzung der Johanna und der Clownszene.225 Frau Scheffauer erkundigte sich wiederholt bei mir, warum Sie ihr nicht die Gerichtsszene geschickt haben, wie vereinbart.226 Sie kann nicht weiterarbeiten. Was sie fertig hatte, hat sie Eisler mitgegeben. Lania hatte natuerlich das Geld nicht gezahlt, was fuer Eisler sehr aergerlich war, denn er brauchte es dringend. Der Dreigroschenroman ist vom Verlag zurueckgeschickt worden.227 Die Leute hatten ihn von verschiedenen Lektoren lesen lassen, und als es gerade beim letzten Lektor war (einem der allerteuersten) erfuhren sie, dass Sie an mehrere Leute Optionen gegeben haben, (z.B. an Preston). Unter diesen Umstaenden war der Fall fuer sie erledigt und sie waren wuetend. Es ist mir vollkommen unbegreiflich, wie Sie das tun konnten, nachdem Ihnen doch gesagt wurde, wie das hier ist. Und Sie haetten sich doch eigentlich denken koennen, dass Verleger und Verlagsleute sich hier untereinander kennen und es herauskommt. Es ist schade, denn es ist einer der wenigen Verlage, die fuer solche Sachen ueberhaupt in Frage kommen. Ich habe ihnen z.B. gerade jetzt ein anderes Buch verkauft, das in einem derartigen Eiltempo uebersetzt und herausgebracht wird, wie man es bei uns kaum kennt. (Es handelt sich um das Bredel-Buch.228) 224 Nicht überliefert. 225 Aus dem Badener Lehrstück vom Einverständnis (GBA 3, S. 31–35). 226 Ethel Talbot Scheffauer war wegen einer Übersetzung der Rundköpfe und Spitzköpfe konsultiert worden (vgl. Mynotti, 2.7.1934). Gerichtsszenen gibt es in der letzten Fassung von 1938 allerdings zwei: vgl. GBA 4, S. 179–195 u. S. 211–225. 227 Margaret Mynotti bemühte sich, den 1934 in Amsterdam erschienenen Dreigroschenroman einem englischen Verlag anzubieten. Zunächst ohne Erfolg. 228 Bredels Roman Die Prüfung (vgl. Anm. zu Herzfelde und Heartfield, 14.2.1935) erschien englisch

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Bitte schreiben Sie, was mit der Gerichtsszene ist und was es sonst gibt. Wissen Sie was Neues von der Hptm.229? Wann kommen Sie? Haben Sie wie ich Ihnen schrieb, an Sinclair Lewis und die Thompson wegen des Romanes geschrieben? Herzlichst Ihre Mynotti Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 480/6.

Wieland Herzfelde und John Heartfield an Bertolt Brecht 14.2.1935 Herrn Bert Brecht Thüro per Skovsbostrand Svendborg Danmark Lieber Brecht! Dank für die Zeilen vom 9.2.230 Ich bin froh, dass das mit den Korrekturen stimmte und dass die Expl. schon an Böff 231 gingen. Ich schreibe ihm gleich heute. Burian konnte ich die „Rundköpfe“ nicht geben, weil ich das einzige Expl. in Satz geben muss. Sobald die Fahnen vorliegen, erhält er sie. Auch sonst werde ich mich bemühen, Aufführungen herbeizuführen. Herzl. Dank für die Ueberlassung des Honorars. In den nächsten Tagen wird Dir das Buch von Bredel232 zugehen. Falls es Dir liegt, versuche doch, in der Presse dazu Stellung zu nehmen. Herzliche Grüsse W. [Hs. Erg. von John Heartfield:] Lieber Bert, ich nehme mit Freude die Gelegenheit wahr, Dir die allerbesten Grüsse hier anzuhängen. Habe in der neuesten No der NDB die Szene

unter dem Titel The Ordeal. 229 Elisabeth Hauptmann. 230 Nicht überliefert. 231 George Grosz. 232 Die Prüfung, 1935 im Malik-Verlag erschienen. In diesem Roman schildert der nach Prag geflüchtete Willi Bredel Erlebnisse aus dem KZ Fuhlsbüttel.

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aus Deinem Stück „Rundköpfe“ mit Begeisterung gelesen!233 Zu Deinen in AIZ seinerzeit gedruckten Versen234 wollte ich Montage [?] schon lange machen, doch gelang es mir noch nicht. Leider! Gruss Dein John Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 477/40–41.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 16.2.[1935] sanary, 16. febr. lieber brecht, ich habe meinen russlandplan nicht aufgegeben.235 aber vorläufig hält mich der zweite josephus236 noch bis mindestens mitte juli hier fest. mich für den herbst festzulegen zögere ich. ich habe mit schrecken aus meinen notizen ersehen, dass ich noch 1233 romane, 413 dramen und 12.748 essais zu schreiben haben, und wenn ich das in den 24 jahren erledigen will, die mir noch bleiben, heisst es organisieren. es ist warm hier und angenehm, und wenn ich auch nicht wie marta täglich im meer bade, so kann man doch ohne jeglichen heroismus die mahlzeiten im freien einnehmen. das ist der gesundheit förderlich und verhilft einem zu einsichten, die im norden viel langsamer wachsen. ich habe erlebt, dass leuten, die mit orthodoxer Querköpfigkeit darauf beharrten, eine nationalökonomische doktrin sei der einzige des dichters würdige gegenstand, hier trotz allem langsam die kruste wegschmolz. hermann den cherusker zu machen ist auch ein alter plan von mir.237 wollen wir es zusammen machen? sie steuern das marxistische und das rassische bei, ich das menschliche, piscator macht einen film daraus, weill schreibt die musik, und wir teilen die tantièmen. den text für das jüdisch-amerikanische oberammergau sollte übrigens ursprünglich ich schreiben. ich habe aber abgelehnt. werfel238 und reinhardt haben dafür sicherlich mehr die innere sendung. 233 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 3.1.1935. 234 Heartfield selbst veröffentlichte in der Arbeiter Illustrierte Zeitung zahlreiche Photomontagen. Die hier genannten Verse Brechts konnten nicht ermittelt werden. 235 Seine Reise in die UdSSR trat Feuchtwanger im November 1936 an. 236 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.1.1934. 237 Der Cheruskerfürst Arminius (vgl. Anm. zu Brentano, 30.3.1934) spielt bereits in Feuchtwangers Roman Die Geschwister Oppermann eine Rolle. Die Episode erschien unter dem Titel „Hermann, der Cherusker“ in Die Sammlung, Heft 3, November 1933. 238 Der aus Prag stammende expressionistische Schriftsteller Franz Werfel (1890–1945), der bis zum „Anschluß“ Österreichs ans Deutsche Reich in Wien lebte, ging 1938 ins Exil zunächst nach Frankreich, 1941 in die USA. Sein in Zusammenarbeit mit Kurt Weill entstandenes Oratorium Der Weg

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lassen Sie bald von sich hören. oder tauchen Sie, das wäre uns wirklich eine grosse freude, selber bald hier auf. Herzlichst Ihr alter idealistischer feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/84–85. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 30f.

Leo Lania an Bertolt Brecht London, 17.2.[1935] Leo Lania 22 St Johns Road NW 11 London

London, 17/II.

Lieber Brecht, Ich hatte in den letzten zwei Tagen lange Verhandlungen mit Korda persönlich über den Semmelweißstoff. Er scheint sehr interessiert und will prinzipiell an die Sache herangehen, weiß nur noch nicht, ob er diesen Film in das Arbeitsprogramm dieses Jahres einschieben kann. Darüber soll nächste Woche Klarheit geschaffen werden. Also: Toitoitoi! Wie geht es Ihnen? Schreiben Sie doch ein paar Zeilen. Der Schriftsteller, der sich für die polnische Übersetzung Ihres Romans bemüht hat,239 ist gegenwärtig in Warschau und versprach mir, dort in Ihrer Sache selbst nachzustoßen. Hoffentlich kann ich Ihnen da bald günstiges mitteilen. Haben Sie was von Hassel Balch240 gehört? Ein skandinavischer Journalist bat mir betreffs dänischen und schwedischen Verlages seine Dienste an, da wüsste ich vorher gerne, wie die Chancen bei Hassel Balch sind. Ich wäre Ihnen für eine kurze Nachricht dankbar. Mit herzlichstem Gruß Ihr l lania Überlieferung: Ms, BBA 479/75.

der Verheißung wurde zuerst in englischer Sprache unter dem Titel The Eternal Road am 7.1.1937 in New York gespielt. Regie führte Max Reinhardt. 239 Vermutlich Igor Kamieniecki; vgl. dessen Brief vom 25.10.1934. 240 Steen Hasselbalch.

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Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 18.2.1935 18. Februar 1935 Herrn Bertold Brecht, Skovsbostrand per Svendborg Dänemark Sehr geehrter Herr Brecht, In Beantwortung Ihres Briefes241 weise ich Sie darauf hin, dass Sie uns 10% Beteiligung an den Eingängen aus den Verkäufen der deutschen und holländischen Rechte zusagten. Mangels einer weitergehenden Abmachung fordern wir ja keine Beteiligung an den Verkäufen weiterer Rechte. Nun erfolgt eine eventuelle Verrechnung seitens Ihres Verlegers nur gegen weitere Eingänge, und an diesen weiteren Eingängen sind wir ja nicht beteiligt. Eine Rückzahlung vom Vorschuss der deutsch-holländischen Rechte ist ausgeschlossen. Höchstens kann eine Verrechnung gegen weitere Verkäufe und Eingänge erfolgen, an denen wir aber nicht beteiligt sind. Ich habe Gelegenheit genommen, einem deutschen Anwalt hier den Sachverhalt vorzulegen und dieser ist geht restlos mit meinen Ausführungen konform. Ihre Abmachung ist die ungünstigste, die ich je mit einem Autor traf. Ich habe Ihnen die Idee für das Buch gebracht und dann ein selten günstiges Angebot. Trotzdem beschränken Sie unsere Provision auf diesen einen Abschluss und entziehen uns den Vertrieb aller anderssprachigen Rechte. Unter solchen Umständen können Sie doch von mir nicht erwarten, dass ich jetzt plötzlich auf eine neue Auslegung Ihrer klaren Verpflichtung uns gegenüber eingehe. Aber ich kann auch nicht glauben, dass Sie die letzte Rate des einzigen Abschlusses, an dem wir beteiligt sind, noch kürzen wollen und ich bitte Sie erneut, mir doch ohne Verzögerung die uns zustehende Provision von Rm 300.- einzusenden. In dieser Erwartung begrüsse ich Sie als Ihr E. Alexander Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: European Books Limited Literary Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. 1 Direktors: E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone: Langham 2140; BBA 785/32.

241 Nicht überliefert.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 18.2.1935 Paris le 18.II.35. Lieber Brecht, ich danke Ihnen für Ihre Mühe, denn die Ausweisung kam so plötzlich, daß ich nicht mehr in der Lage war, mir irgendwo ein Visum zu besorgen. Inzwischen habe ich eine Ruhepause bekommen und ich beeile mich den Film242 so rasch wie möglich zu verkaufen, bevor die entgültige [sic] Ausweisung da ist. Heute war ich wieder in dem dänischen Konsulat, doch sie haben keine Anweisung aus Kopenhagen erhalten. Wie steht es damit? Schreiben Sie mir bitte, wie Sie meine Einreiseerlaubnis begründet haben und an wen ich mich wenden soll, damit ich auf jeden Fall das Visum in der Tasche habe und Sprung bereit bin. Schade, daß Sie mir Ihren Roman243 nicht zuschicken konnten, denn am nächsten Montag ist vom Schriftstellerverband ein Diskussionsabend über ihn angesetzt und ich wäre gern dabei gewesen. Es werden sicher viele dabei sein, die den Roman nicht gelesen haben und doch darüber sprechen, und um diese Leute zu verstehen, so denke ich, muß man erst recht den Roman gelesen haben. Ich erwarte Ihre baldige Nachricht herzlichst Ihr Dudow Adresse wie vorher: Hotel Kensington 79 avenue de La Bourdonnais Paris (7e) Überlieferung: Ms ; 1 S., BBA 478/55.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht New York, 19.2.1935 Hanns Eisler – c/o Ellie Siegmeister244 – Brooklyn N.Y. 5420-15 Avenue 19.II.2451935 242 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.9.1934. 243 Dreigroschenroman. 244 D.i. Elie Siegmeister, bei dem Eisler sich zu Beginn seiner Konzerttournee in New York einquartierte. 245 Im Ts: „I.“

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Lieber Brecht, in einem sehr grossen Wirbel um mich, schreibe ich Dir einen sehr besorgten Brief: was ist mit Dir los? Ich habe auf drei Briefe keine Antwort mehr bekommen und bin ernstlich besorgt wie es Dir geht. In aller Eile, (auch bin ich sehr erkaeltet) dieses Land ist wirklich grossartig, weil hier ein grosser Mangel an buergerlichem Ueberbau ist.246 Hier stehen sich sehr nackt Klasse gegen Klasse gegenueber und der Kampf nimmt hier die aeussersten Formen der Brutalitaet an. Das ist ein erfrischender Zug. Und dazu noch dieser grossartige Praktizismus, bei nicht gaenzlichem Fehlen der Theorie. Ich fuehle mich hier trotz vieler Muehe sehr wohl. Der Kontinent247 kommt einem wie ein voelliger Sumpf dagegen vor. Ich schreibe in den naechsten Tagen etwas konkreter, bis ich wieder zum Luft schnappen komme. Vorlaeufig nur in aller Eile sehr herzlich Dein alter Hanns Eisler Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/40. – E: Eisler, Briefe, S. 96f.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 19.2.1935 Prag, den 19.2.35 Bert Brecht, Thurö per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, ich bekomme eben einen Brief von Goetz Mayer, den ich der Einfachheit halber beilege mit der Bitte, ihm direkt zu antworten in Bezug auf die Pläne der Frau Malraux.248 Herzliche Grüsse Wieland

246 Mit der häufig zitierten Marxschen Bestimmung von Basis und Überbau aus dem Vorwort von Zur Kritik der politischen Ökonomie (vgl. MEW 13, S. 8f.) geht diese Bemerkung schwerlich konform. Mit „Überbau“ meinte Eisler hier anscheinend nur solche Institutionen oder Ideologien, die das Klassenverhältnis verschleiern helfen. 247 Europa. 248 Vgl. dazu Brechts Brief an Götz Mayer, Ende Februar 1935, GBA 28, S. 491. Genaueres über diesen Mann, der offenbar im Auftrag Malraux’ handelte, konnte nicht ermittelt werden. Die ansonsten u.a. als Übersetzerin tätige Clara Malraux, geb. Goldschmidt (1897–1982), Ehefrau von André Malraux, plante die Herausgabe einer sozialistischen Kinderzeitschrift, in die auch Brechts Drei Soldaten aufgenommen werden sollten.

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Überlieferung: Ts, hs. U., v. fremder Hand: „beantw. ??“, Bv.: Malik-Verlag Aktiengesellschaft Berlin W 50 Direktion nur: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 257-42; BBA 477/44.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 19.2.1935249 Herrn Berthold Brecht T h ü r o per Svendborg Danmark Lieber Brecht, bei der Dreigroschen-Oper, die Du sandtest, fehlt die Titulatur mit Personenverzeichnis. Kannst Du dies nachsenden? Oder soll ich diese Seiten nach Erhalt der Korrekturen zusammenstellen? Ich hoffe, das wird nicht nötig sein. An Grosz habe ich die notwendige Zahlung geleistet, denke also, wir werden bald die Zeichnungen bekommen – Herzliche Grüsse Wiela. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/42–43.

N.N. an Bertolt Brecht [Moskau] 19.2.1935 Lieber Freund Brecht,

d.19. Februar 1935

wir erfahren soeben durch Ottwald 250, dass Sie die Absicht haben, in nächster Zeit in die Sowjet-Union zu kommen.251 Bitte teilen Sie uns doch umgehend mit, wann Sie zu reisen gedenken. Es ist selbstverständlich, dass wir für Sie das Visum beschaffen, und Sie können darüber hinaus damit rechnen, dass wir Sie bei Ihrem Aufenthalt hier in jeder Weise unterstützen werden. Wir haben festgestellt, dass für Sie noch ein Honorar von etwa 3 500 Rubeln beim

249 Datierung nach Poststempel. 250 Ernst Ottwalt. 251 Vgl. Anm. zu Piscator, 8.1.1935.

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Staatsverlag bereit liegt.252 Ausserdem dürfte für Sie die finanzielle Seite Ihres Aufenthalts kein Problem sein. Allein das Ihnen zustehende Honorar ermöglicht Ihnen einen Moskauer Aufenthalt von vier bis sechs Wochen, wobei Sie dann allerdings erstklassig leben können. Wir rechnen damit, bald von Ihnen zu hören und sind bis dahin mit den freundschaftlichsten Grüssen Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/5.

Hans Richter an Bertolt Brecht Wien, 20.2.1935 Wien den 20.2.35. Wiedner-Hauptstr. 64 Lieber Brecht, ich habe inzwischen von einem jungen Schweizer die freie Lieferung, der für Ihr Kurzfilm Projekt253 notwendigen Kühe zugesagt erhalten. Einen Ochsen, der mir den Rohfilm zur Verfügung stellt, habe ich auch gefunden. Damit sind die allgemeinen Vorbereitungen beendet, soweit ich sie vor Erhalt des Manuskripts in Angriff nehmen konnte. Jetzt warte ich also auf ein Lebenszeichen von Ihnen! Mit herzlichen Grüssen an die Weigel und Sie Ihr Hans Richter Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/83.

George Grosz an Bertolt Brecht New York, 22.2.1935 22, febr. 35 Bertold, was ich diesmal brauche, sind einige Informationen, bitte antworte mir umgehend und ausführlich. Sehr nett von Dir wenn Du Dir die Mühe machen würdest.

252 Das Honorar resultierte vermutlich aus dem von Sergej Tretjakow herausgegebenen Band Ėpičeskie dramy, der 1934 im Staatsverlag für künstlerische Literatur in Moskau und Leningrad erschienen war (vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933). 253 Was für ein Filmprojekt Brecht und Richter planten, konnte nicht ermittelt werden. Vgl. Anm. zu Richter, 18.9.1934.

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Pass auf, ich will diesen Sommer nach Denmark kommen. Da ich höchstwahrscheinlich 4-5 amerikanische Schüler mitbringe, muss ich genaue Kosten der Lebenshaltung dort haben......einfaches Leben, nicht zu teuer. 1. kann man dort kleines Haus mieten auf 3-4 Monate? was kostet das, im Monat....eventuell Preisermäßigung wenn man 3-4 Monate mietet. 2. was kostet Essen....täglich.... 3. was kostet tägliche volle Pension in mittlerem Hotel oder bei Leuten, die volle Pension für Familie und 2 Kinder übernehmen........Einzelperson? 3. wieviel bezahlt man dort für den Dollar? 4. welche netten Orte nicht zu überlaufen kannst du angeben.......soll nicht „fashionable“ sein ...eher einfach ....bischen wild rustical....möglichst an der See wo man gleich nahe ins Wasser baden gehen kann....ev. naher Wald dabei.......... nicht Heringsdorf oder Ahlbeck charakter,254 Du verstehst. 5. sonstiges allgemeines Wissenswertes...genaue Informationen mit Preisen....naturalistisch precis wie Zola 255! Hier kam Eisler an...sehe ihn dieser Tage..brachte Grüsse von Dir...zänks a lot....erhielt Deine Stücke. Wir könnten uns dort oft sehen und gemeinsam an den Illustrationen arbeiten....das wäre grossartig. Möchte etwas sehr Gutes machen. Könnte Dir auch eine Menge Naturalistisches erzählen über USA. allerlei, Ungefärbtes. Elis. Hauptmann schrieb mir....aus St. Louis. Es kostet ein wenig Zeit etwas von Dir hier unterzubringen..aber wird schon kommen. Heute kurz....also schreibe sofort, da ich meine Pläne vorbereiten muss....und dazu die Informationen dringend brauche. Magazine bekommst Du wieder nächste Woche....ein neues sehr interessantes nur über bild. Kunst „Art Front“ dabei. alles Gute stets Dein alter Böff what the hell is Wieland doing?....hav’nt heard a word since three months…… [Hs.] Hier ist ein stabiles Leben, ganz erstaunlich, gerade in letzter Zeit, was da so vorgeht – Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., v. fremder Hand: „beantwortet 5 III“; BBA 482/75.

254 Ortschaften auf der Insel Usedom in Mecklenburg-Vorpommern. 255 Émile Zola (1840–1902), französischer Schriftsteller und Publizist. Sein Name wurde bald zum Inbegriff einer naturalistisch genau beschreibenden Literatur.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 22.2.1935 Paris le 22.II.35. Lieber Brecht, vor einigen Tagen schrieb ich Ihnen, wie es mit meiner Angelegenheit steht. Sie werden sicher inzwischen meinen Brief bekommen haben. Ich bin von hier mit der Begründung ausgewiesen, daß ich nicht das Recht habe, länger in Frankreich zu bleiben. Das ist alles. (!) Nun habe ich inzwischen alles unternommen, daß die Ausweisung zurück genommen wird. Heute habe ich wieder eine neue Ausweisung bekommen, innerhalb 48 Stunden das franz. Gebiet zu verlassen. Wie es mit einem Aufschub steht, weiß ich noch nicht. Selbstverständlich versuche ich, solange es geht in Paris zu bleiben. Erstens meinen Film zu verkaufen, zweitens und das ist das wichtigste, den Film so zu verkaufen, daß das investierte Kapital gerettet wird. Das muß ich deswegen versuchen, weil ich höchstwahrscheinlich dasselbe Kapital zu weiteren Produktionen zu Verfügung haben könnte. Es handelt sich um ca 250,000 franz. Franken. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen nicht näher zu beschreiben. Sicher ist sehr unwahrscheinlich, die genannte Summe zusammen zu bekommen, da Deutschland allein mit ca 120,000 franz. Franken ausbleibt. Das ist die Hälfte des Kapitals. Jedenfalls ich führe einen bitteren Kampf um mir die letzte Möglichkeit zu produzieren, so lange zu erhalten, so lange es geht. Beim dänischen Konsulat habe ich nichts genaues unternommen, weil ich nicht wusste, mit welcher Begründung ich das Visum leichter kriegen kann. Wenn es geht, würde ich von der Ausweisung nichts erwähnen, da die Gesand[t]schaft in Paris davon auch nicht weiß. Ginge das nicht als eine private Besuchseinladung auf 2-3 monaten? Das wäre, glaube ich am besten. Schreiben Sie mir bitte nähres darüber, was ich bei der Gesan[dt]schaft unternehmen soll. Herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ms, BBA 478/53–54.

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Kurt Kläber an Bertolt Brecht 26.2.1935 26. Februar 35. Lieber Bert! Ich wollte Dir gleich nach dem Lesen des Dreigroschenromans schreiben, aber ich bin danach so gut in meine Arbeit gekommen, dass ich es ganz vergessen habe. Ich schreibe jetzt wahrscheinlich in einer schweizer Gewerkschaftszeitung256 darüber und schicke Dir die Sache dann zu. Nur soviel, ich bin, bis auf einige zu grosse Vereinfachungen, sehr erfreut über ihn, und denke augenblicklich viel darüber nach, wie man ihn an Massen bringen kann, denn für die Masse ist er nötiger, als für die besseren Leute. Vielleicht gibt es einen Weg ueber die hiesige Büchergilde. Ich schreibe Dir noch darüber. Sonst, kommen tun wir dieses Jahr. Ich nehme an, dass sich meine Selbstmörder257 bis Anfang Juli umgebracht haben, und dann will ich sowieso wieder einmal ein paar Wochen auf eine Insel. Allerdings nicht zum Radiohören, oder Kino besuchen, einzig und allein zum Krebse fangen. herzlichst Dein Kurt Kläber. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/2.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Paris, 26.2.1935 Johannes R. Becher

Paris, den 26. Februar 1935 23, Rue de Tournon, Paris VI.

Lieber Brecht, wie ich höre, findet am 20. Mai die Tagung des PEN-Klubs258 in Barcelona statt. Es wäre sicher wünschenswert, wenn auf dieser Tagung die deutsche Literatur nicht nur ausschliesslich von Toller repräsentiert würde und dass wir diesmal dorthin eine stärkere Delegation senden könnten. Da diese Tagung in Spanien stattfindet, wäre eine solche Delegation von besonderer Bedeutung. Willst Du Dich nicht zu diesem Zweck als Mitglied im PEN-Klub wieder anmelden; die Adresse ist: 256 Vermutlich die Schweizer Gewerkschaftszeitschrift Der öffentliche Dienst, vgl. Anm. zu Brentano, 6.12.1933 257 Vermutlich Die Toten von Pabjanice, ein Band mit Erzählungen von Kurt Kläber, 1936 in Moskau erschienen. 258 Der XIII. Internationale PEN-Kongreß.

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Dr. Rudolf Olden259, 13 Manson Place, London S.W. 7; oder willst Du lieber mich beauftragen, diese Anmeldung für Dich zu besorgen? Mit den besten Grüssen Dein Hs. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., v. fremder Hand: „beantwortet mit ja 8.III 35“; BBA 477/74. – E: Becher, Briefe, S. 197.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Paris [Anfang 1935] L B! Ich bitte Dich nochmals, doch zu versuchen, zu diesem Kongress260 zu kommen. Ich glaube, dass sehr viel künftige Dinge davon abhängen werden. Bloch ist augenblicklich auch hier … Mit den besten Grüssen dein Hs. Überlieferung: Ms, Bv.: Congrès International Des Écrivains Pour La Défense De La Culture, Secrétariat, 1, Cité Paradis, Paris. Téléphone Prov. 96-13. (auf der Rückseite hs. Notizen Brechts); BBA 477/72–73.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 27.2.1935261 Herrn Bert Brecht T h ü r o per Svendborg Danmark [Hs.] Skovsbostrand Lieber Brecht, 259 Der Schriftsteller Rudolf Olden (1885–1940), im bürgerlichen Beruf Jurist, ging 1933 ins Exil nach Prag, später nach Paris und London. Olden war, zusammen mit Heinrich Mann, Sekretär einer eigenen Sektion der deutschen Exilschriftsteller im Internationalen PEN. Brecht wurde erst 1939 aufgenommen (vgl. B. an Olden, Juli 1939, GBA 29, S. 147). 260 Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 261 Datierung nach Poststempel.

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Dank für Deine Zeilen.262 Ich schicke die Korrekturen gleich weiter. Ein Zettel bezgl. der Titelseiten lag nicht bei. Mir ist auch nicht ganz klar, wie Du das mit dem Einfügen eines Wortes beim Auftreten der Personen meinst. Aber das alles können wir auch erledigen, wenn die Korrekturen vorliegen. Den Druck „Versuche No. soundsoviel“ links vom Titelblatt werde ich vornehmen. Dem Eingang des „Jasagers“, „Der Massnahme“, der „Johanna“ und der „Ausnahme und die Regel“, sowie der „Mutter“ sehe ich noch entgegen. Ebenso Deiner Entscheidung, wie die Stücke in den einzelnen Bänden aufzunehmen sind. Vielleicht schiebt man dies aber auch hinaus, bis man die Korrekturen vorliegend hat, damit die Bände möglichst gleich stark werden. Vergiss nicht, an Grosz Duplikate aller Stücke zwecks Illustration zu schicken. Herzliche Grüsse Wieland PS: Die Häkchen über den tschichischen263 Namen lasse ich setzen. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 477/45–46.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis, 1.3.] 1935 13.35264 Lieber Brecht, ich weiss nicht, ob Sie heute noch die Angaben, die Sie damals wollten, haben wollen. Ich konnte mir nur zwei Buecher beschaffen, einen Auszug lege ich bei. (Es gibt unzaehlige Artikel ueber diese Dinge.) Ich konnte die Bücher auch nicht detaillierter ausziehen. Von den Dingen, die wirklich immer verbessert werden, nenne ich nur Milch. Milch ist so viel besser als drüben, wie ich nicht beschreiben kann. Milch hier ist wie Sahne drueben. Und gesundheitlich absolut zuverlaessig. Ich habe verschiedene Aerzte gefragt, die von drueben kommen, sie meinen, dass der allgemeine bessere Gesundheitszustand der Kinder, auch in armen Familien, hauptsaechlich auf die bessere Milch zurueckzufuehren ist. Jede Kuh ist „getested“ und die Sterilisationsverfahren sind nicht nur viel besser, sondern werden dauernd verbessert. Bolle265 ist wirklicher Dreck gegen Pevely266. Tuberkulose 262 Nicht überliefert. 263 Bezieht sich auf die Tschichen, das sind die Spitzköpfe in Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 264 Sollte vermutlich heißen: 1.3.1935. 265 Bolle ist der Name einer Berliner Lebensmittelkette, die aus einer 1881 von Carl Bolle gegründeten Meierei hervorging. 266 Gemeint ist die Pevely Dairy Company, ein Molkereibetrieb in St. Louis

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ist relativ sehr selten hier, was viele Aerzte auch auf die besseren Milchverhaeltnisse zurueckfuehren. Dass die einzelnen Meiereien unter sich einen wuetenden Konkurrenzkampf fuehren, davon bleibt die Milch soviel ich weiss unberuehrt. Pevely z.B. soll andere Milchautos umstuerzen lassen, die Angestellten bedrohen lassen usw. Dafuer lässt er aber auch begabten, aber unbemittelten musikalischen Kindern freien Musikunterricht erteilen und die Kinder veranstalten jeden Sonntag mittag eine Stunde lang ein Konzert übers Radio. Aber ich weiss nicht, ob Sie sowas brauchen. Seit Wochen unterrichte ich an der Missouri University deutsch, und zwar die ersten College-Jahrgaenge (17–22 Jahre).267 Da kein Lehrplan vorlag und ich ihn erst ausarbeiten muss, das Ganze ueberhaupt in einem grossen Muddel ist, macht es mir viel Arbeit. Es sind etwa 60 Schueler, darunter riesenlange Kerls, teils nett, teils Lausejungens, die Maedchen sind schon alle sehr damenhaft, aber auch nett. Ich fahre um ½ 8 mit der Elektrischen herunter und wenn ich Glueck habe, komme ich schon um zwei zurueck. Meistens dauert es laenger. Es ist alles so anders als drueben. Ich verdiene – da es eine sogenannte FeraStellung ist, im Rahmen der Arbeitslosenbekaempfung268 – 45 Dollar im Monat. Davon gehen totsicher 5 Dollar Fahrgeld ab. Dabei darf ich keine an den Beinen gestopfte Struempfe tragen und mein Haar muss gepflegt sein. Ich darf nicht muede aussehen und muss nett angezogen sein. Der Grammatikunterricht muss interessant gemacht werden wie eine Theatervorstellung, obwohl die Schueler die schlechteste Grundlage haben, Goethe ist der groesste deutsche Dichter soll ich lehren, usw. Freitags habe ich Klassenarbeiten und somit ueber den Sonntag ca. 60 Arbeiten zu korrigieren. Es ist nur eine Frage des „Ueberlebens“ (nicht des Lebens); viele Sachen sind mir hochinteressant. Man will wie ueberall hier auch das College dem breiten demokratisch-faschistischen Strom oeffnen. Man muss sich sehr in acht nehmen. Trotzdem fand ich schon am zweiten Tage einen Lehrer, der mir die AIZ269 brachte usw. Er sagte mir heute, dass Eisler am 14. Maerz herkommt. – Mit meinen Verwandten habe ich mich so ziemlich ganz entzweit, sie haben mich absolut zwingen wollen, bei ihnen zu wohnen, wo ich kein Zimmer fuer mich habe und allem Besuch, allen Privatsachen ausgesetzt bin. Es tut mir leid, denn sie sind nett, aber diese Sachen verstehen sie nicht. – Frau Knopf schrieb mir, dass sie diesen Roman nicht nehmen wollten, aber gern Ihre weiteren sehen wollen.270 Ich will versuchen, heute abend noch an Covice zu schreiben, auch dazu kam ich nicht. Wegen der Notiz ueber die Dreigroschenoper habe ich an Lorre 267 Anfang Januar hatte Hauptmann eine Stellung als Lehrerin am College der Universität Missouri angetreten (vgl. Kebir, Hauptmann, S. 180). 268 FERA (= Federal Emergency Relief Administration) war der Name eines Programms zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den USA, das im Rahmen des soeben beschlossenen New Deal 1933 in Kraft trat. 269 Arbeiter Illustrierte Zeitung, von Willi Münzenberg herausgegebene kommunistische Wochenzeitschrift, die seit 1921 in Berlin, ab 1933 in Prag erschien. 1938 wurde sie eingestellt. 270 Vgl. Hauptmann, 12.1.1935.

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geschrieben, aber noch nichts gehoert. Ich habe mit einer Frau einen langen Artikel geschrieben, hoffentlich kriegen wir ihn an. Herzfelde schrieb mir, er wolle gern Kurzgeschichten sehen. Ich hatte bis jetzt keine Moeglichkeit mich danach umzusehen. Dieser Lehrer will mir aber was beschaffen. Herzfelde schrieb mir auch, dass er nochmal wegen einer Stellung in Moskau fragen will. Ja, der Hauptgrund, weswegen ich mich mit meinen Verwandten verzankt habe, waren Briefe aus Rußland, die neuen deutschen Blaetter usw. Dabei bin ich so vorsichtig, wie es nur geht. Aber seitdem es dem Mittelstand etwas besser geht, geht die Faschisierung ungeheuer schnell hier. Und wenn der F. erst mal einsetzt, dann ist der europaeische ein Waisenkind dagegen. Vielleicht versuche ich morgen mal mit den Fortgeschrittenen als kleinen Abstecher „die Geschichten vom Herrn Keuner“. Ich komme wenig zum Lesen und wenn, so finde ich kaum Ausdruecke, die an die guten aus „Herrn Fettwanst“271 herankoennen. – Was machen Sie? Sind die Tage dort auch so dunkel und nebelig wie hier? Genau vor einem Jahr kam ich her und es ist mir wie eine Ewigkeit. Schreiben Sie mal wieder. Herzlich Ihre Bess. [Hs.] Ich möchte schon wissen, wie lange ich hier noch sitzen muss. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 480/21–22.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 2.3.1935 Paris le 2.III.35. Lieber Brecht, Seit kurzer Zeit bin ich von der aussen Welt wie abgeschnitten. Ich kriege aus keinem Land einen Brief. Es soll, bei solchen Gästen, wie ich es bin, öfters vorkommen, daß der Gastgeber meine Rolle übernimmt und eine Zeitlang selber die Briefe in empfang nimmt. Ich nehme deswegen an, da ich von Ihnen baldige Nachricht erwarte, daß Sie mir auch schon geschrieben haben, aber ich den Brief nicht bekamm. 271 Samuel Ornitz, Herr Fettwanst. Eine amerikanische Autobiographie, München 1924. Original unter dem Titel Haunch, Paunch, and Jowl 1923 anonym in New York erschienen.

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Übrigens Ihren Brief vom 11 März272 habe ich ca 15 Tage später erhalten. Ich würde Sie bitten nicht nachzugeben, öfter und so zu schreiben, daß ich Ihren Briefe kriegen müsste. Haben Sie meine letzten Briefe (2) schon bekommen? Schreiben Sie mir bitte bald, was ich hier unternehmen soll, denn es kann mir jeden Tag passieren, daß ich von hier endgültig hinaus muß. Hotel Kensington Herzlichst Ihr Dudow 79 av. de La Bourdonnais Paris (7e) Überlieferung: Ms; 1 S., BBA 478/52.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht Monaco-Condamine, 5.3.1935 Lieber Brecht, Mann hat das Manuscript meiner Besprechung273 schon in der ersten Februarhälfte bekommen, bringt sie aber erst im April. – Ihnen und Heli danke ich vielmals für die Abschrift der Rezensionen. Wäre das hier nicht ein so verlorner Winkel, so hätte ich die Überlegungen über den Dreigroschenroman zum Anlaß genommen, einmal Swift274 zu studieren. Nun werde ich das in Paris nachholen. Dorthin werde ich, allen Schwierigkeiten zum Trotz, in einiger Zeit gehen. Von San Remo aus läßt sich nicht allein nichts betreiben – dies macht nicht unbedingt einen Unterschied gegen Paris – sondern es hat auch eine Atmosphäre, die nicht unbegrenzt lange zuträglich ist. Und im Mai ist mir Paris ohnehin vorgezeichnet. Schreiben Sie mir nach San Remo – Post wird mich so immer erreichen. Mit herzlichen Grüßen 5 März 1935 San Remo Villa Verde

Ihr Walter Benjamin

272 Nicht überliefert. 273 Vgl. Anm. zu Benjamin, 9.1.1935. 274 Jonathan Swift (1667–1745), irischer Schriftsteller. Armin Kesser schrieb im Luzerner Tageblatt vom 1.6.1935, der Dreigroschenroman setze „die Linie der sozialkritischen Gleichnisromane der Swift, Diderot, Samuel Butler fort.“ Brecht gebe „nicht eine reportagehafte nachprüfbare Schilderung der modernen Gesellschaft, sondern ihre Abstraktion“ (zitiert nach GBA 16, S. 426).

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Überlieferung: Ms, BBA 478/7. – E: Walter Benjamin, Versuche über Brecht, hrsg. v. R. Tiedemann (erw. Neuausgabe), Frankfurt/M. 1992, S. 131f. (jetzt in Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 58f.).

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Im Zug der „Overland Route“, 16.3.1935 16 März 1935 (auf der Reise von Denver nach St. Francisco) Lieber Brecht! Immer noch grosse Sorge, weil keine Antwort von Dir zu erhalten ist. Ich habe 6 Briefe und ein Kabel an Dich geschickt. Aber Du schweigst. Hoffentlich bist Du nicht krank. Schlechte Laune wäre weniger arg. Aber auch diese ist in solchen Zeiten überflüssig. Meine Reise durch dieses, sehr eigenartige Land, beginnt großartige Formen anzunehmen und zwar in Bezug auf die politische Wirkung. Es ist mir gelungen zum erstenmal in diesem Land die Frage Musik neu zu stellen und die Wirkung ist kaum beschreibbar. Als ein kleines Zeichen schicke ich Dir einen von den vielen Zeitungsausschnitten.275 Der Zug rüttelt sehr, ich kann kaum schreiben. Aber immerhin: Ich freue mich sehr auf die nächste Arbeit mit Dir und wünsche Dir alles Gute!! Sehr herzlichst Dein alter Eisler P.S: Meine Symphonie wird am 12 April (abends) im Londoner Runfunk uraufgeführt. (Ausgezeichneter Dirigent: Ansermet)276 Versuche sie zu hören und schreibe einige Zeilen darüber. [Hs. auf der Rückseite:] Deine Lieder sind hier ein riesiger Erfolg! Überlieferung: Ms, Bv.: The Overland Route Chicago & North Western Ry. Union Pacific System; BBA 479/31–34. – E: Eisler, Briefe, S. 98.

275 Nicht überliefert. 276 Eislers Kleine Sinfonie (op. 29) gelangte am 12.4.1935 in einem Rundfunkkonzert der BBC unter der Leitung des Schweizer Dirigenten Ernest Ansermet (1883–1969) zur Uraufführung.

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E.F. Burian-Theaterkollektiv „D 35“ an Bertolt Brecht Prag, 5.4.1935 Prag, den 5. April 1935. Herrn Bert Brecht, Moskau. Wir haben Ihr Telegramm bekommen und haben sofort die Zahlungen nach Oesterreich (von dort gehen sie nach Deutschland) eingestellt.277 Wir legen diesem Briefe einen Durchschlag unseres heutigen Briefes an Universal-Edition A.G. Wien bei,278 aus dem Sie das nötige erfahren. Falls unsere Annahme, dass Ihnen die Berliner Firma keine Abrechnung und kein Geld schickt, richtig ist, so tragen Sie daran die einzige Schuld, bis jetzt um Kč 5.000.- zu kommen, denn wir haben Sie längst vor der Premiere ersucht entweder persönlich nach Prag zu kommen (haben Ihnen sogar die Fahrten ersetzen wollen) oder [sich] mit uns in Verbindung [zu] setzen, denn wir haben die Befürchtungen schon damals gehabt. Wir schrieben Ihnen nach London und Dänemark und einen dieser Briefe haben Sie bestimmt erhalten. Sie haben sich nicht der Mühe unterzogen einem Theater, dessen Inszenierung der Dreigroschenoper von der Presse als die beste der Welt bezeichnet wurde und von unserem Standpunkt als die, Ihrer jetzigen Weltanschauung am allernächsten­stehende Inszenierung der Dreigroschenoper, zu antworten. Wie Sie sehen trägt diese Ihre Erhabenheit entsprechende Früchte. Trotz ähnlichem Verhalten auch der hiesigen Intel[l]ektuellen ist es uns in zwei Jahren gelungen, ein Theater aufzubauen, das zu den wenigen fortschrittlichen professionellen Bühnen der bürgerlichen Staaten gezählt wird. Wir schrieben nach Wien absichtlich, dass Sie in Dänemark leben, weil die Firma dann, nach dem internationalem Recht, nicht in Prag klagen kann, um die Auszahlung der zurück­gehaltenen Tantiemen zu beschleunigen. Schreiben Sie uns, wer das Autorenrecht über „Spitzköpfe“ hat. Mit freundschaftlichen Grüssen i.V. […] Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U. (unleserlich), Bv.: D35 IVADLO E. F. Buriana Kolektivu kancelář: praha 2, biskupská 6 telefon 615-97; BBA 783/80–81.

277 Die Rede ist von Tantiemen für die Burian-Inszenierung der Dreigroschenoper in Prag (vgl. Herzfelde, 9.12.1934). In dem nicht überlieferten Telegramm hatte Brecht das Prager Theater offenbar gebeten, die ihm zustehenden Tantiemen nicht an die Universal-Edition nach Wien zu überweisen. 278 Dokumentiert in BBA 783/82–83. In diesem Schreiben distanzierte sich das Prager Theater von den Rechtsprinzipien Nazideutschlands. Brechts Tantiemen, hieß es, würden an ein Prager Gericht überwiesen.

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Hans Walter Heinsheimer an Bertolt Brecht Wien, 10.4.1935 Hei/Fi.

Wien, am 10. April 1935.

Herrn Bert B r e c h t , p. Adr. Verlag Albert [sic] de Lange Amsterdam Sehr geehrter Herr Brecht! wir haben Ihnen aus verschiedenen Verlagsverkäufen einen kleinen Tantiemenbetrag zu erweisen und bitten um Mitteilung, wohin sie denselben zu erhalten wünschen. Bei dieser Gelegenheit möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir die Tantiemen der DREIGROSCHENOPER beim Theater D 35 bisher einkassiert haben, da wir den Vertrieb des Werkes für die Tschecholowakei haben. Das Theater teilt uns nun mit, dass Sie die weitere Auszahlung der Tantiemen inhibiert haben, worauf das Theater die Tantiemen bei Gericht deponieren will. Wir bitten um Aufklärung in dieser uns unverständlichen Sache. Mit besten Empfehlungen und Grüssen „Universal-Edition Aktiengesellschaft“ Überlieferung: Ts, hs. U. (unleserlich), Bv.: Universal-Edition A.G. • Wien I • Karlsplatz 6. Musikvereinsgebäude Telefon U-47-5-85 Leipzig • Karlstrasse 10, Notiz von fremder Hand: „an Danske Landmandbank Svendborg“; BBA 783/84.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht An Bord der „Britannic“, 9.5.1935 Auf der Rückfahrt nach London 9. Mai 1935 Lieber Brecht! Schon seit Januar habe ich keinen Brief mehr von Dir bekommen. Hoffentlich geht es Dir halbwegs passabel. Über Amerika werde ich Dir mündlich berichten, denn es ist zu viel um darüber zu schreiben. Jedenfalls: ich bin äußerst zufrieden, denn ich konnte vielen und vielerlei nützlich sein. Das für mich angenehmste: Ich bin „visiting professor for musik“ an einer New Yorker Universität geworden. (new school for social research)279 Das ist ein sehr feine Sache; meine 279 Die 1919 gegründete New School for Social Research vergab seit 1933 zahlreiche Lehraufträge an emi-

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Gage ist sehr gut. Nur 2 Vorlesungen (Kurse) im Semester. Sehr viel Zeit zum Arbeiten. (Die 2 Semester dauern vom 1. Oktober bis 15 Mai, das übrige bezahlter Urlaub.) Vorläufig habe ich für ein Jahr abgeschlossen. Selbstverständlich kann ich, wenn ich als Lehrer Erfolg habe, bleiben solange ich will. Jedenfalls haben sich jetzt schon (!!!) Schüler von anderen Universitäten mit Musikanstalten bei mir angemeldet. (Sogar aufs Schiff kamen noch Tele­ gramme u. Briefe.) Ich unterrichte: 1.). Kompositionsklasse (nur für Absolventen höherer Musiklehranstalten. Eintrittsexamen.) 2.). Allgemeine zugängliche Vorlesung: „Die Krise der modernen Musik.“ (Eine Einführung in die Soziologie der Musik.) Für Dich wichtiges: Guild theatre280 lehnt „Spitzköpfe“ und „Ölfeld“281 ab. Zeigt noch (geringes) Interesse für „Johanna“. „Die Mutter“ höchst wahrscheinlich an der Theatre Union, das ist ein Berufstheater mit eigenem Haus.282 Da ich im September bereits in New York sein werde, kann ich Deine Angelegenheit noch energisch weiter treiben. Hat die „Mutter“ Erfolg, dann sehe ich keine Schwierigkeiten für „Johanna“ oder „Spitzköpfe“. Vielleicht beim „Group theatre“283 durch zu setzen. Im Sommer komme ich bestimmt nach Dänemark Ende Juni oder Anfang Juli. Bitte reserviere mir die Wohnung die Ratz284 hatte im vorigen Jahr. Schreibe mir einige Zeilen nach London N.W.6 148 Abbey road. p.A. Singer Sehr herzlichst Eisler Überlieferung: Ms, Bv.: On board Cunard White Star „Britannic“; BBA 479/18–21. – E: Eisler, Briefe, S. 98f.

grierte Wissenschaftler und Künstler aus Europa. Eislers zunächst für ein Jahr geschlossener Vertrag als Gastprofessor für Musik wurde in der Folgezeit bis 1942 verlängert. 280 Gemeint ist die New Yorker Theatre Guild. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934. 281 Vgl. Anm. zu Lania und Eisler, 21.9.1934. 282 Die 1933 gegründete Theatre Union besaß darüber hinaus auch ein eigenes Haus. Sie war das bedeutendste Arbeitertheater in New York, das zu niedrigen Eintrittspreisen für ein hauptsächlich gewerkschaftlich organisiertes Publikum spielte. 283 Das 1931 von Lee Strasberg u.a. gegründete Group Theatre war, ähnlich wie die Theatre Guild, ein künstlerisch anspruchsvolles, dem kommerziellen Spielbetrieb am Broadway entgegengesetztes – oder ihn auf raffinierte Weise ergänzendes – Theaterkollektiv. 284 Erwin Ratz hatte sich zur gemeinsamen Arbeit an den Rundköpfen (vgl. Anm. zu Eisler, 16.4.1934) im Sommer 1934 ebenfalls für einige Zeit in Svendborg aufgehalten.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht An Bord der „Britannic“ [19.5.1935] Extra Brief betreffend Pis.285 und George Grosz. 1.). Pis: Ein schwindelhafter ungarischer Jude, der weder englisch noch deutsch kann, auch über keinerlei Beziehung zu ernsteren Theatern verfügt, versucht mit Pis. Namen Geschäfte zu machen. (er heißt: Kertesz286) Selbstverständlich ist es möglich für Pis. nach N.Y. zu kommen. Aber keinenfalls mit einer Schweyk Inszenierung.287 (Auch mit einem Wolf Stück nicht, der in New York als Idiot entlarvt wurde.288) Aber Pis. hat mir depeschiert, daß er Schweyk und Wolf machen will und daß ich (betreffs Bühnenmusik) meine Bedingungen stellen soll. Ich war sehr verdutzt über dieses Kabel von Pis. Denn es gibt noch gar kein Theater, das eine Pis. Inszenierung machen will. Er wurde von Kertesz belogen. Aber vielleicht geht doch noch irgend etwas, aber dann auf keinen Fall Schweyk oder irgend ein Mist von diesem Idioten Wolf. 2.). Grosz: Dieser Mann ist anti-sozialist geworden. Er hat für sich den Kapitalismus als höchst bequeme Lebensform entdeckt. Den Sozialismus kennt er nur in der Form des Cafe des Westens289, oder a la Wieland Herzfelde, Toller etc. Daß ein solcher für einen Realisten wie Grosz (der sich übrigens stolz als Schüler von Franz Jung290 bezeichnet!!) untragbar ist kann man verstehen. Aber er hat bis jetzt noch nicht Notiz genommen von der Tatsache, daß es seit ca 80 Jahren einen wissenschaftlichen Sozialismus gibt. Er hat sich ein bischen anarchistischen Schmutz aufgelegt. Kratzt man den ab, so kommt ein ganz abscheulicher, platter Spießbürger zum Vorschein. Leider spürt man das auch in seiner Produktion; obwohl er technisch großartige Fortschritte gemacht hat. Da er im Sommer in Dänemark sein wird, mußt Du versuchen ihn von seinen Blödheiten zu kurieren. Er hat keine faktischen Differenzen mit uns, wie etwa die Trotzkisten, 285 Piscator. 286 Der Broadway-Produzent Leo Kertész. 287 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 288 Die Theatre Union hatte 1934 Friedrich Wolfs Stück Die Matrosen von Cattaro (1930) mit großem Erfolg aufgeführt. Wolf war daraufhin 1935 zu einem amerikanischen Schriftstellerkongreß und anschließend zu einer Vortragsreise in die USA eingeladen worden. Gemeinsam mit Eisler trat er Ende April 1935 bei einer Abendveranstaltung in New York auf. Darauf bezieht sich vermutlich dessen Aussage, Wolf sei „als Idiot entlarvt“ worden. Aufgefordert, über die Lage in Deutschland zu sprechen, gab Wolf seine bereits zwei Jahre zuvor gegenüber der Theatre Union schriftlich geäußerte Ansicht wieder, daß der Widerstand gegen Hitler zunehme und er, Wolf, zuversichtlich sei, bald nach Deutschland zurückkehren zu können (vgl. F.W., Briefwechsel. Eine Auswahl, hrsg. v. E. Wolf u. W. Pollatschek, Berlin/DDR 1968, S. 255). 289 Künstlerlokal am Berliner Kurfürstendamm vor dem Ersten Weltkrieg. Zum einschlägigen Treffpunkt der Weimarer Zeit wurde später das Romanische Café (ebenfalls am Kurfürstendamm). 290 Der Schriftsteller Franz Jung (1888–1963), 1920 bereits als „Linksabweichler“ aus der KPD ausgeschlossen, gab in den 1920er Jahren die Zeitschrift Der Gegner heraus.

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sondern „weltanschauliche“, dieser Plattkopf!!! Schade um ihn; vielleicht kann man das reparieren. Ironisiere ihn, denn er ist enorm stolz darauf, daß er ein „Ketzer“ ist. Führe den Beweis daß solche „Ketzerei“ einfache Unwissenheit und Spießbürgerei ist, dann kannst Du ihn beeinflussen. Das ist sehr notwendig. Nimm alle seine Schilderung von Amerika mit tiefem Misstrauen auf. Nach ihm gibt es z.B.: Keine amerikanischen rev. Arbeiter. (Den Generalstrike in Frisco haben eben „Geister“ gemacht.) Er verachtet die „Masse“. Sein zweiter Satz ist immer: „Unter uns Gebildeten kann man ja sagen“ „Die blöde Masse braucht das“ etz. Ein ganz abscheulicher Spießbürger, den man schleunigst ändern muß, sonst wird er zum Feind werden und das wäre tragisch, denn er ist ein ganz großer Maler, wie es auch seine letzten Arbeiten beweisen. Also: Alarm!, der Grosz will unter die Hunde gehen!! Herzlichst Eisler Überlieferung: Ms, Bv.: On board Cunard White Star „Britannic“; BBA 479/22–28. – E: Eisler, Briefe, S. 99f.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht Paris, 20.5.1935 Lieber Brecht, über Asja 291 habe ich vor sechs Wochen der Steffin von dem elenden Vorfall mit Klaus Mann berichtet, der mich um die Publikation meiner Anzeige Ihres Romans gebracht hat.292 Ich habe ihr gleichzeitig mein Manuscript in der Hoffnung geschickt, daß es, bei Ihrem russischen Aufenthalt, Ihnen zukommen würde.293 Nun habe ich weder von Ihnen noch von ihr etwas gehört, so daß ich ungewiß bin, ob die Verbindung über Asja funktioniert hat. Das kurze und lange von der Sache ist, daß ich – ohne die mindeste Neigung den Marktwert meiner Produktion zu überschätzen – den Honorarvorschlag von 150 fr frs für ein zwölf Seiten umfassendes und von der Redaktion bestelltes Manuscript, als eine Frechheit betrachte. Ich habe in einem kurzen Brief 250 fr frs verlangt und es abgelehnt, unter diesem Entgelt das Manuscript ihm zu überlassen. Darauf habe ich es, obwohl es bereits gesetzt war, zurückbekommen.

291 Asja Lacis. 292 Vgl. Anm. zu Benjamin, 9.1.1935. 293 Den Erhalt des Textes bestätigte sie in einem Brief an Benjamin vom 13.5.1935 (vgl. Steffin, Briefe, S. 136).

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Selbstverständlich hätte ich die Zumutung von Mann eingesteckt, wenn ich das Ergebnis vorausgesehen hätte. Ich habe mich für dieses Leben nicht klug genug erwiesen und das an einem Punkt, an welchem Klugheit mir viel wert gewesen wäre.294 Das Manuscript der Rezension erhalten Sie mit gleicher Post. Auch an die „Neuen Deutschen Blätter“ geht eines ab.295 Mir ist es allerdings unwahrscheinlich, daß es jetzt noch dort erscheinen kann. Dagegen habe ich mich gefragt, ob jetzt – da das Buch auf tschechisch erscheint296 – nicht vielleicht eine Möglichkeit bestehen würde, meinen Artikel ins Tschechische übersetzen zu lassen. Stehen Sie in persönlicher Verbindung mit Ihrem Übersetzer? Wie es in diesem Jahr mit Dänemark wird, davon habe ich überhaupt noch kein Bild. Vor allem müßte ich Ihre Dispositionen wissen. Werden Sie im Sommer in Svendborg sein? – Aber dazu kommt ein anderes: ich habe, nach meinen ersten pariser Wochen, festgestellt, daß mein Buch297 – das große, über das ich Ihnen einmal berichtete – so sehr weit es auch noch von Textgestaltung entfernt sein mag, ihr immerhin viel näher ist als ich geglaubt hatte. Und ich habe ein ausführliches Exposé298 darüber geschrieben. Auf dessen Grundlage habe ich mich über eine Reihe von Dingen zu informieren, und diese Informationen kann ich nur auf der Bibliothèque Nationale erhalten. Ich muß also um jeden Preis – und es ist verteufelt schwierig – versuchen, mich noch in Paris zu halten. Schreiben Sie mir doch in jedem Fall Ihre Pläne von Ende Juli ab, falls Sie schon welche haben. Die „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ haben die Trockenzeit und daher die unbegrenzte Konservierbarkeit durchaus klassischer Schriften. Sie sind in einer Prosa geschrieben, die es im Deutschen noch nicht gegeben hat. Domke299 hatte vor, Ihnen darüber zu schreiben. Grüßen Sie bitte Heli und die herzlichsten Grüße für Sie. 20 Mai 1935 Paris XIV 28 place Denfert-Rochereau Hotel Floridor

Ihr Walter Benjamin

Überlieferung: Ms, BBA 478/5–6. – E: Walter Benjamin, Briefe, hrsg. v. G. Scholem u. T.W. Adorno, Frankfurt/M. 1978 (2. Aufl.), S. 656ff. (jetzt in: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 80f.). 294 Anspielung auf das Lied Von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens aus der Dreigroschenoper: „Denn für dieses Leben / Ist der Mensch nicht schlau genug“ (GBA 2, S. 291). 295 In den Neuen Deutschen Blättern war bereits im Januar 1935 eine Besprechung des Dreigroschenromans von A.M. Frey erschienen. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 3.1.1935. 296 Die geplante tschechische Ausgabe kam nicht zustande. Vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934. 297 Das unvollendet gebliebene Passagen-Werk (jetzt BGS V). 298 Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts (BGS V, S. 45–59). 299 Martin Domke (1897–1980), Rechtsanwalt, seit 1933 im Exil in Frankreich, ab 1941 in den USA. Er beriet Brecht in juristischen, aber auch in literarischen Angelegenheiten (vgl. B. an Domke, 19.11.1937, GBA 29, S. 61–64). Das angekündigte Schreiben ist nicht überliefert.

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George Grosz an Bertolt Brecht [New York] 22.5.1935 [Hs.] 22 May 35 Lieber Bertie, schreibe mir bitte einige Worte nach Paris an die American Express Companie, Blvd. des Italien[s] ......Bin im Begriff eine Informationsreise durch Europa anzutreten.......und werde so um den 28 Juni herum in Paris sein. Durch einen meiner Agenten erfuhr ich, dasz Du ins heilige Land gepilgert und dorten deine Gedichte vortrugst usw.300 Gutso. Hier traf ich einen gut verkleideten Idealisten, Eisler mit Namen, seiner Zunft nach Musiker, gab vor, Dich gut zu kennen und auch für Dich komponiert zu haben. An vielen Wortspielen erkannte ich auch des öfteren die Brechtschule. Wir unterhielten uns hauptsächlich chinesisch301.....eine Sprache die Herr Eisler leidlich beherrschte. Der Gewicht­ unterschied war aber doch zu gross.....so verblieben viele Welträtsel ungelöst......und ich ging (hol mich der Deubler302!) ja ich ging als „Ödipusmensch“ nach Hause. Herr Eisler, der sich scheints in der Welt auskennt, und ein weitgereister Mann zu sein scheint, machte viele scharfe und zutreffende Bemerkungen....z.B. dasz die Häuser hier bei uns höher wären als drüben. Im übrigen wandte er eine mir bisher gänzlich unbekannte Methode an.......bei welcher zum Schluss immer alles auf dasselbe herauskommt......er bezeichnete diese Methode als eine chinesische........Er bediente sich bei seinen Gesten, wie alle Taschenspieler, der Vielrednerei, Argumente verschwanden im Handumdrehen. Holte einem etwas aus den Ohren, fraß es auf und zauberte es beim Rockkragen oder hinten beim Zopf wieder hervor. Da mein Großvater Korbmacher gewesen, war ich ja an Exactheit und Fingerfertigkeit gewöhnt, (ererbt gewissermassen) aber das ging doch über die Hutschnur. Naschön. Herr Eisler.....der dabei wirklich wie ein kleiner fetter Caligari303 aussah......so ein klein wenig heimatlich möchte ich sagen, so ein bischen nach Eisbein & Sauerkohl....sprach leidenschaftlich von Dir. Wobei er oft...so etwas kommt von zu naher Verehrung....exact deine Art zu sprechen hatte......nun, wir besprachen, wie es wohl möglich wäre Dich einmal die Wunder der neuen Welt schauen zu lassen. Er meinte dann aber hinwiederum, für jene Weisheitsschüler und für jenen Cultus dem er ergeben, für jene, na eben, da sehe die grosse Welt entsetzlich klein aus und überall gleich. Er erklärte, dasz jene Methode gleich einer Art Fernseher sei, wenn man sie benutzt wird plötzlich alles so angenehm flach...wie’n Teller.. Ja das sagte er............Rätsel gäbe es dann keine mehr. Ja meinte er weiter......diese chinesische Methodik wäre der beste Nussknacker, symbolisch Bertie....symbolisch. Von Amerika, 300 Brecht war im März für zwei Monate nach Moskau gereist. Ende April hielt er dort einen Radiovortrag über die Entwicklung des revolutionären deutschen Theaters nach dem Ersten Weltkrieg (GBA 22, S. 119–121). 301 Gemeint ist wohl „Parteichinesisch“, der Jargon der Komintern. 302 Vermutlich der Schriftsteller und Kunstkritiker Theodor Däubler (1876–1934). 303 Anspielung auf die Figur des Dr. Caligari, gespielt von Werner Krauß, aus dem Film Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1920) von Robert Wiene.

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welcher er kraft dieser Patentmethode in drei Wochen ganz genau kennen gelernt......sagte er.....hielte er nicht viel. Auch die Kenntnis der sogenannten Landessprache oder gar sogenannter persönlicher Contact mit gewöhnlichen Menschen wäre nicht nötig. Wundervoll. Ganz wundervoll. Natürlich versetzte er meiner Romantik einen Todesstoss......nachdem alles weggezaubert.......ging ich betrübt als unheilbarer Ödipusmensch zur Pennsylvaniastation und fuhr heim nach Bayside. Er glaubte hinwiederum an die Vergänglichkeit alles Irdischen....in lustig=listiger Musikantenweise...........manchmal dachte ich er müsse nun auf einmal Klavier spielen. Naschön. Ja Bertie hier ist nun eine Menge „los“.....es erinnert mich; obwohl dennoch ganz anders, ein wenig an jene Zeiten eines gewissen Peskatschor oder Biskäter304 oder wie jener geschäftige Mann gleich geheissen, damals 1827 in Berlin. Hier ist jetzt genau wie zu alter Zeit....Propaganda Trumpf. Man hätschelt und [w]ärmt den „linken“ Schriftsteller, soweit er Kassenerfolg hat. Die feine Gesellschaft Centralpark West und Park Avenue sind crazy about. Es sind da einige kleinere Theatergruppen, die spielen rührselige Scenen mit viel Dramatik aus dem Leben der Ameisen. Ich gehe nie ins Theater......aber kraft dieser chinesischen Zaubermethode brauch ich das nun ja nicht mehr......ich kann nun ganz einfach von bestimmten Luftgeräuschen leben. Es ist herzerquickend wenn auf einmal alles so und aufs Haar stimmt. Schön ist das. Ein flacher Teller ist eben schön und nützlich zugleich. Hier war auch ein sogenannter Schriftsteller­kongress....da waren auch viele Chinesen........viele aber hatten den Zopf hinten versteckt eingebunden. Da sind auch wieder eine Menge fälliger Rätsel gelöst worden. Nun gehen sie alle nach Paris, dann wieder nach Moskau, so gehts immer im Kreise rum...... bis alles klargestellt. Wenn nicht, wie vor Jahren mit einer Vereinigung der Rapp305 es passierte, der heilige Vater306 plötzlich eine Enzyclika niederdonnern lässt. Die Schriftsteller wollen nun in Paris endgültig feststellen, dasz es in den faszistischen Ländern keine Kunst & ­Litteratur mehr gäbe307.......Wie schön wenn das wirklich so wäre. Aber es ist nicht ganz so.......in Italien und in Deutschland gibt es eine ganze Menge kräftig verlegender Schriftsteller. Herr Döblin, dein lieber Freund, verlegt jetzt eben ein neues Buch bei Fischer. Und Prof. Otto Dix308 ein mittelalterlich tuender Malersknecht....früher von mir beeinflußt, hielt eine Ausstellung mit Erfolg bei Nierendorf.309 Im neuen Catalog des Kronprinzen304 Piscator. 305 Die 1928 gegründete RAPP, die Russische Vereinigung Proletarischer Schriftsteller, wurde auf Beschluß der KPdSU 1932 aufgelöst. An ihre Stelle trat die Union der Sowjetschriftsteller (Sojuz Pisatelej SSSR). Die Auflösung der für ihr selbstherrliches Gebaren berüchtigten RAPP wurde damals zunächst als ein Akt der Liberalisierung wahrgenommen. 306 Stalin. 307 Die Rede ist vom Pariser Schriftstellerkongreß. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 308 Der Maler und Graphiker Otto Dix (1891–1969), in der Weimarer Zeit einer der bekanntesten Vertreter des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, blieb auch nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland. Seine Professur an der Kunstakademie in Dresden wurde ihm allerdings 1933 entzogen. 309 Von Karl (1889–1947) und Josef Nierendorf (1898–1949) gegründete Kunstgalerie in Berlin.

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palais310 hängen fast alle die sogenannten Culturbolschewisten.....selbst die weinerlichen Bildwerke von Frau Prof. Kollwitz311 sind dort geblieben. Propaganda hat eigentlich wenig mit „Kunst“ zu tun. Propaganda soll wirken, soll diejenigen, die bis jetzt noch nicht hinter den Schreibtischen mit den Klingelknöpfen sitzen, soll diesen nutzen.........ja und sowas macht ein schicker Reklamefritze ja viel besser als ein sich um die „Form“ bemühender Kunstmensch. Raemakers312 der holländische Carrikaturist wirkte mehr wie alle Sänger auf Haus Nyland313. Propaganda soll flach sein, süßlichheroisch und auch ein bischen Blut mit drin. Für die Massen, die angebeteten, ist das Dümmste und Flachste das Beste. Die Weinerte und Demian Bjednis314 waren absolut genügend. Vom altertümlichen Kunsturteilsstandpunkt natürlich gerührte Scheisse. Täusche Dich janicht lieber Bertie....deine Sachen sind den Massen .....(ein paar Gedichte vielleicht ausgenommen) Hekuba.....Natürlich in einer dünnen intellektuellen Oberschicht versteht man das. Und dann auch eigentlich nur so ein bisschen in Deutschland. Hier in Amerika hat man dafür sowieso kein Verständnis. Hier sind alle optimistisch wie in Rußland. Die Movies versorgen uns ausgezeichnet mit jenem alten auf neu getünchten Rafaelschen315 märchenhaften Schönheitsideal....das erfunden wurde, und in Wirklichkeit garnicht existiert....also doch existiert. Nur zwei von 1000000 liegen entzückt auf dem Bauche vor der bekannten demolierten Visage mit dem fehlenden Zahn. Was die Chinesen so grosspurig proletarischen Realismus nennen, entpuppte sich als „Felix Dahn“316 geblendet mit Magnetigorsk 317 oder so. Was haben wir schon gelacht über jene Byzantiner, die von tuten und blasen kaum eine Ahnung.... nun uns da etwas vorerzählten. (so z.B. betteln ja alle Professoren in Deutschland usw.) na wunderbar. Man staunt immer wieder, dasz die Russen trotz ihrer saudämlichen Reklame noch solche Anziehungskraft haben. Na unsere Herrn sind ja Papageien, die sprechen automatisch nach. Ich besinne mich noch wie ein Wieland den gerade bevorstehenden Zusam310 Im Kronprinzenpalais Unter den Linden befand sich seit 1919 die Neue Abteilung der Berliner Nationalgalerie, das weltweit erste Museum zeitgenössischer Kunst. Das Palais wurde bei einem Luftangriff 1945 zerstört. 311 Die Graphikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867–1945), die 1932 zu den Unterzeichnern des „Dringenden Appells“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes gehört hatte, blieb ebenfalls in Deutschland. Ihre Stellung bei der Preußischen Akademie der Künste jedoch verlor sie bereits 1933. 312 De niederländische Maler und Cartoonist Louis Raemakers (1869–1956). 313 „Die Werkleute auf Haus Nyland“ (bei Steinfurt in Westfalen) nannte sich eine avantgardistische Künstlervereinigung, die von 1912 bis 1925 bestand. 314 Erich Weinert und Demjan Bedny (deutsch: Demjan, der Arme), d.i. Jefim Alexejewitsch Pridworow (Efim Alekseevič Pridvorov, 1883–1945), russischer Schriftsteller, der seine Literatur explizit in den Dienst der Kommunistischen Partei stellte. 315 Raffael (1483–1520), Maler der florentinischen Renaissance. 316 Felix Dahn (1834–1912), Professor für Rechtswissenschaften und Verfasser biederer kulturhistorischer Romane. 317 Magnitogorsk, eine Industriestadt im Ural, wurde während des ersten Fünfjahrplans aufgebaut.

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menbruch von Ford felsenfest voraussagte...........na die hatten vielleicht die Patentmethode. Mittlere Köpfe, reif für Ruhe und Ordnung. Stubenälteste allenfalls.......Bilder konnte man nicht gerade rausstecken. Genug Bertie, mische mich da nicht hinein in etwas was mich nichts angeht.....also lass von Dir hören.....grüsse alle schön stets Dein Dieser Brief mit tödlichem Erschrecken fiels mir wie Schuppen von den Augen zeigt alle die Fehler des Kleinbürgers: keine vorschriftsmässige Haltung, bürjaliche Unjeistichkeit, anarcho-fascistische Tendenzen.....Betragen sehr minderwertig. Noch nicht reif für Ruhe & Ordnung, Respectlosigkeit dem Tabu gegenüber. Verkehrt sicherlich (das Allerschlimmste) mit Conterrevolutionären vielleicht Trotzki persönlich. Kannte 1922 den Conterrevolutionär Sinoview318....sehr verdächtig!! Orden keine. Bestraft dreimal...wegen unvorschriftsmässiger Gesinnung. Darf nicht mehr publizieren – Concentrationslager Kom.319 Zeichen­ papier nur einmal im Monat.....bei guter Führung. Darf sich selbst bekleiden. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., hs. Notiz: „Brecht abgeschickt“; BBA 482/ 73–74.

George Grosz an Bertolt Brecht [New York] 23.5.1935 [Hs.] 23 May 35 Lieber Bert, bin auf dem Wege nach drüben. Hier traf ich den dicken, sehr redegewandten Musiker Eisler........der höchst interessante Beobachtungen machte, z.B. dasz hier die Häuser ohne Frage höher wären wie drüben.......fehlende Kenntnis der Landessprache ersetzt er durchs musikalische Gehör....bleibt noch ein Rest unaufgelöst-unanalysiert, ist die nie fehlende historische Dialektik zur Stelle. Fabelhaft. So solls auch sein. Wenn wir den Namen des Gesetzes erwähnten, das ja im Baum sitzt, und unbekannte Verse verkündet, verbeugten wir uns ganz chinesisch gegenseitig......die Zöpfe hatten wir hinten dran, aber unterm Jackett. Han[n]s versteht ganz meisterhaft zu analysieren........erkannte sofort in 318 Grigori Jewsejewitsch Sinowjew (Grigorij Evseevič Zinov‘ev), eigentl. Radomyschelski-Apfelbaum (1883–1936), russischer Revolutionär und Politiker. Nach Lenins Tod bildete er gemeinsam mit Kamenew und Stalin das „Triumvirat“ der KPdSU, versuchte sich jedoch bald darauf bereits mit Leo Trotzki über eine gemeinsame Opposition gegen den zusehends mächtiger werdenden Stalin zu verständigen. Nach Parteiausschluß, Verbannung, wiederholter „Selbstkritik“ und demütigenden Rehabilitationen wurde er 1936 im ersten Moskauer Schauprozeß einer antisowjetischen Verschwörung bezichtigt, zum Tod verurteilt und erschossen (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937). 319 Tatsächlich hießen die schon seit den frühen 1920er Jahren errichteten sowjetischen Lager für politische Häftlinge, die durch Arbeit „gebessert“ werden sollten, zunächst ganz offiziell Konzentrationslager. Diese Bezeichnung kam in der Lagerverwaltung der UdSSR jedoch in den 1930er Jahren außer Gebrauch.

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mir den Ödipusmenschen............mit geradezu colossalem Scharfsinn erkannte er das. Wir stritten uns nämlich, echt deutsch, über das Berge versetzen. Na gut. Ein gewisser Gewichtsunterschied liess sich nicht ausgleichen......zumal ich außerdem noch von zu Hause weg bin....und Vatern, Vaters Rute entlaufen. No....danke schön ..lieber Herr......bleiben sie man ruhig hinter ihrem schönen Diplomatenschreibtisch mit den diversen Klingeln. Ja lieber Bertie mir fehlt eben halt etwas was ich verehren...oder..hach....gar anbeten könnte. Blicke ich ins Gesicht, ins leicht dicke runde blanke, Gesicht, so hellerstrahlender „Uffklärung“ gegenüber.......werde ich gleich ganz böse = melancholisch (ödipus, weesste).......Nichts überzeugt mich weniger, wie sogenannter felsenfester Glaube, oder jene bekannte moderne stupide flache Dialektik.......mit der man alles so nützlich für- und gegenbeweisen kann. Direkt fröhlich und sogar tänzerisch leicht machen mich Sinnlosigkeit (so to speak) und Unordnung. Für die dime-savingsbank 320 kommt die Offerte bißchen früh. (solange man noch einigermassen schwimmen kann) Wills erstmal ohne Vatern & Muttern in der grossen-grausslichen Welt versuchen. Und wenns notwendig die Bogymänner321 und Fetische und Medizinen fertige ich halt selbst. Als Ameise sehe ich ja leider wenig nach OBEN........meistens nach unten auf den Boden. Es gibt ja auch andere Sorten...z.B. die arrogante Gottesanbeterin.......das Lausevieh verharrt doch stundenlang ja tagelang in ehrfürchtiger Stellung...ohne sich den Deibel um uns kleine hurtige Materialisten zu kümmern......oder die Termiten gar......die frassen hier neulich in Great Neck 322 so einem Amerikaner das ganze Haus direktemang unter den Füssen weg..........selbst die gemauerten Grundmauern waren nachher löcheriger Staub..............(ganz unterirdisch, keiner hatte was gemorken) Naschön Bertie....Schluss mit solchen Blutwurstgedanken..... schliesslich bin ich kein Brehm.323 Piskator möchte gerne hierher. Und Eisler möchte Dich gerne auch hier haben. Also lerne schon immer englisch......vielleicht kommst Du auch ohne aus. „Hörensagen“ bedeuten für deinen findigen Kopf ja mehr als für kleinere Realisten ........und „Neugeburt durch Natur Fritzen“......Aber es ist damn’d schwer Dich rein zu kriegen.....denn Du willst ja auch etwas Geld machen. Ich wundere mich ja immer, dasz Marxisten überhaupt reisen mögen........sie haben jadoch in ihrer Dialektik eine Art patent Fernseher....... die Welt sieht ja sowieso für einen tüchtigen Marxschüler allüberall egal aus......nämlich flach.....wie’n Teller. Ganz einfach! Hörte durch meine Agenten, dasz Du zurzeit im gelobten Lande weilst und mit grosser Begeisterung dort aufgenommen.....auch vorgelesen hast. Gut das. Als unbewusster Moralist bleibst Du ja Vaters Sohn. Hier ist eine Menge „loos“, aber ich gehe ja nie, oder wenn, nur mit „muss“ in Schaustellungen. Alles rechter, mittlerer oder linker Quatsch....Bertie. Wahnsinnig überschätzt all der Zauber. Richtige zündende Propaganda muss flach, süss, dumm auf die Masse zugeschnitten sein. Dann zieht sie. All 320 Dime Savings Bank of Williamsburgh, 1864 gegründetes New Yorker Kreditinstitut. 321 Englisch bogyman: Butzemann. 322 Ein Dorf auf Long Island im US-Bundesstaat New York. 323 Alfred Brehm (1829–1884), Zoologe und Schriftsteller.

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das Kunst- und Propagandageschwafel wahnwitzig überschätzt. Mit Musik und bildender Kunst dasselbe. Übermorgen mieten wir einen jener süssen gängigen Reklamekünstler, der schmeisst die ganze Sache propagandistisch l000mal besser als all die vertrottelten Kunstdussel. Sieh Dir einmal unvoreingenommen all das Propagandagequake an......sofern es wirkungsvoll....enthält es zu 100 Prozent obige Mischung, Ohyees. Mir kommen ja diese gesamten Eislers, Wollffs und Piskators und Tollerernste324 wie ehrenwerte Baissespekulanten vor.....ganz 1895....so sohozialistische Culturzelle. Die Masse wird ja in Hollywood..ich meine von Hollywood, ganz richtig mit jenem neuaufgelebten Raffaelschen süssen Ideal...das sie so begehrt, bedient. (weesste, det is eehm dea Kapptalismus.....dea den Proleten det Hirn vakleistan tut......würde Arno Holz325 sagen)......Old man Lämmle326 als alpdruckhafter kapptalistischer Teufel!........ Mann, Bert, für die dämlichen vergötterten Massen braucht man weder Brecht noch Grosz noch Heartfield........der süssliche, nett blutige Raemakers machte das ja viel viel besser......und das Kreuz der Ehrenlegion erhielt er ganz zurecht. (R., berühmter holländischer Karrikaturist...von dem man hier mit Recht sagte er war der stärkste Verbündete der Alliierten, damals vor 200 Jahren im glorreichen Weltkriege.) Na vom propagandistischen Standpunkt war er absolut erste Klasse.......von unserem veraltertem künstlerisch-ästhetischen gesehen. (Form, und wies gemacht ist, konstruktiv und so Phrasen mehr) einfach glatt und rund Scheisse. Dasselbe mit jenem längst verschollenen Großverdiener Blasko Ibanez mit seinem antideutschen Schreibezeug „die vier apokalyptischen Reiter“327.......Was Du schreiben könntest, wäre: eine Art Don Quichote von Heutzutage......hätte ich genügend Geld, würde ich Dich hier drüben einladen, unter komfortablen Bedingungen einsperren lassen, und ihn durch Dich schreiben lassen. Wo bleibt der Satiriker grossen Formats der endlich einmal all diese linken Phrasen usw. heilsam zerpflückt?.....schade, dasz sich nur so kleine Schmeissfliegen des Themas bedienen. Eine heilsame Dusche, kräftig übers Rückgrat. Was da so in den mehr oder weniger von Aussenpolitikern bezahlten Emigrantenblättern verzapft wird.....na, Bertie, Du kennst ja den Laden......rundweg das Dreiviertel von alldem = Bockmist. Naschön Piskator nennt mich Schnelläufer; Han[n]s, Odipusmensch......aber, „wessen das Herz voll ist, dem läuft das Maul über“, entschuldige also alter Brecht.......so gehts mir halt. Wann bist Du zu Hause? Schreibe mir nach Paris: American express compagnie Bld. des italiens..........gib sofort Wort. Will Dich nämlich besu­chen. Wie geht es ansonsten. Nett Dich wiederzusehen...... 324 Friedrich Wolf, Erwin Piscator und Ernst Toller. 325 Arno Holz (1863–1929), Schriftsteller und Journalist. 326 Carl Laemmle, eigentl. Karl Lämmle (1867–1939), aus Württemberg stammender Filmproduzent, Gründer der Universal Studios in Hollywood. 327 Vicente Blasco Ibáñez (1867–1928), spanischer Schriftsteller und Politiker. Los cuatro jinetes del Apocalipsis (1916) erschien auf deutsch unter dem Titel Die apokalyptischen Reiter 1922 in Berlin.

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viele herzliche Grüsse stets Dein alter Böffel Was sagst Du zu der Autoren Sedanfeier in Paris328? Da weisen sie dann wiedermal nach, dasz in faszischtischen Ländern gar keine Bücher mehr gedruckt werden. Allet vabrannt, weeste. Süsse liebliche Gegenvorstellungen umschmeicheln das Herzchen das vor Furcht Angst & Hoffnung zittert (geliebter Fetisch! Süss-schauriges Tabu!) Erst neulich erhielt ich die neuen Nationalgalerie-Kronprinzenpalaiscatalog.....siehe da…alle die alten Marken an den Wänden. Und kiekma....Döblin verlegt sogar wieder bei Fischer....nanu!......Dix (der ängstliche Scheisser) stellte sogar erfolgreich beim Nierendorf329 aus. Na und Rieger330 Fallada331 usw. usw. No, den Massen muss eben vorgeredet werden, was ihnen so süss eingeht. Nur in Russland darf man endlich wieder wie immer, nämlich schön positiv uffbauend, weesste.........und der heilige Fetischanbeter darf auch wieder ein Privatleben haben......... weesste der „Mensch“....................nich die Maschine. Colossaler Quatsch. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., hs. Notiz: „nicht abgeschickt. Bert Brecht“ (The Houghton Library of the Harvard College Library); Dv: Kopie, BBA E17/1–2. – T: Grosz, Briefe, S. 216f.

A. P. J. Kroonenburg (Verlag Allert de Lange) an Bertolt Brecht Amsterdam, 24.5.1935 AMSTERDAM-C, den 24. Mai 1935

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Hotel Nowomoskowskaja, Moskau. Sehr geehrter Herr Brecht, Anbei übersenden wir Ihnen die polnische Uebersetzung eines Ihrer Gedichte, welche uns durch Herrn Berman332, Lwow, zugesandt worden ist. (Adresse von diesem Herrn ist: Bajki 18, Lwow) 328 Gemeint ist der Pariser Schriftstellerkongreß. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 329 Galerie Nierendorf in Berlin. 330 Jonny Gerhard Rieger (1908–1985), Pseudonym: Wolf Harten, Maler und Schriftsteller, gehörte zur Vagabundenbewegung um Gregor Gog und Hans Tombrock. 331 Hans Fallada, d.i. Rudolf F.W. Ditzen (1893–1947), Schriftsteller der Neuen Sachlichkeit. Blieb während des Nationalsozialismus in Deutschland und beschränkte sich unterdessen auf die Produktion politisch unverfänglicher Literatur. 332 Izydor Berman, polnischer Schriftsteller und Übersetzer, kam vermutlich 1942 im Janowski-Lager bei Lwów (Lemberg) ums Leben.

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Weiter vermissen wir noch immer Ihre Antwort auf unser Schreiben vom 14. Januar und 1. Februar, betr. Auslandsrechte. Wir haben noch verschiedene Anfragen bekommen und wir können viele Abschlüsse zustande bringen. Bitte geben Sie uns doch Bescheid. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange. A. P. J. Kroonenburg 1 Beilage Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/67.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht Moskau, 28.5.1935

Moskau, 28. V. 1935.

Lieber Brecht. Hoffentlich hat alles dir geklappt und du bist ohne Geschehnisse bis zu Hause gereist.333 Hast du gen. Asmus334 getroffen? Wir haben deine Marken erhalten – muss man sie dir schicken? Ich warte auf deine Vollmacht in bezug auf die „Rund­köpfe“. Das Exemplar der „Mutter“ hast du doch mitgeschleppt, obwohl du es mir gegeben hast. Auch den Manuscript von „Lehr- oder Unterhaltungstheater“335, was ich hier in der Zeitschrift drucken wollte. Wenn du es nicht irgendwo hier gelassen hast – schicke es mir sofort. Oder schreibe wo es ist. Mache auch ein Stück über deine Reiseeindrücke,336 das kann ich in der Literaturztg oder noch wo veröffentlichen.

333 Brecht reiste nach zweimonatigem Aufenthalt in Moskau am 21.5.1935 (in Begleitung von Steffin) zurück nach Svendborg. 334 Walentin Ferdinandowitsch Asmus (Valentin Ferdinandovič Asmus, 1894–1975), russischer Philosoph, der sich vornehmlich mit Fragen der Logik befaßte. Wurde 1942 Professor an der Staatlichen Universität Moskau. 335 Vergnügungstheater oder Lehrtheater? (GBA 22, S. 106–116). Brecht hatte Tretjakow das Manuskript zur Veröffentlichung (vermutlich in der russischen Ausgabe der Internationalen Literatur) angeboten. Die Publikation kam nicht zustande. 336 Eindrücke seiner Moskau-Reise hat Brecht nicht notiert.

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Elefantchen ist gekauft abgeschraubt und wartet dich ab. Eben habe ich einen Brief von Busch erhalten, wo er schreibt über seine mit Eisler herkunft in Juni. Das freut mich. Den Busch setze ich sicher sofort in mein Buch hinein. Ich arbeite am Buche337 wie toll. Den 1 VI mus es fertig sein. Wetter ist gut gesundheit auch. Assia 338 hat angerufen und gefragt ob ich von dir einen Exempl. „Rundköpfe“ mitgebracht habe. Was konnte ich ihr antworten? Hoffentlich isst du schon die schöne dänische margarine und kriegst schon lust mit einem modernen füllfeder mir einen brief zu schreiben. Ich habe nichts dagegen. Umarme bitte Helli von uns drei und sage Steff er soll nicht lassen so lange auf sein brief warten. Sage ihm das Goethe nie die antwort auf Schillers brief länger als eine 6tagewoche verzögerte.339 Noch habe ich Ochlopkoff nicht gesehen, aber es kommt in der nächsten Zukunft. Dein Metrogedicht340 wird von mehreren lesern gelobt. Also auf baldige antwort. An Helli wird es geschrieben besonders. Drücke dir die Hand S Tretiakow Gruss an gen. Steffin. Lass sie die russische Sprache nicht vergessen. Die Zeitungen werde ich dir einrichten. P.S. Habe einen Film von dir gegebenen entwickelt, aber er war leer. Vielleicht habe ich falsch verstanden, das diese filme mir gegeben sind zum entwickeln. Oder waren das ungebrauchte? Überlieferung: Ms, BBA 477/135–136. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 408f.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 28.5.1935 4515 Maryland Ave. St. Louis. Mo. 5/28/35.

337 Vermutlich das „Chinabuch“, vgl. Anm. zu Tretjakow, 24.6.1935. 338 Asja Lacis. 339 Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller standen seit 1794 in engem, bald freundschaftlichem Kontakt. Ihr Briefwechsel wurde erstmals von Goethe selbst 1828/29 publiziert. 340 Inbesitznahme der großen Metro durch die Moskauer Arbeiterschaft am 27. April 1935 (GBA 12, S. 43– 45), erschienen am 16.5.1935 in der Deutschen Zentral-Zeitung, Moskau.

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Lieber Brecht, Ihren letzten Brief hatte ich, ehe Sie nach Moskau fuhren, jetzt, nehme ich an, sind Sie wieder in Sk. Ich hatte verschiedene Male angefangen, Ihnen zu schreiben, aber mal kam was dazwischen, dann wurde ich darüber zu müde, und dann weiss man manchmal nicht, was man schreiben soll. Es ist so schwer, irgendwo anzufangen, wo an und für sich immer ziemlich viel „Interessantes“ passiert. Vielleicht haben Sie inzwischen von Eisler gehört. Er war ungeheuer nett. Es ging mir gerade nicht besonders. Aber seitdem hat dann die Wärme eingesetzt und so geht es überhaupt niemandem besonders gut. Die Fenster und Porches sind schon wieder seit Wochen verskreent, wenn man hinaussieht, sieht alles wie eine Gobelin-Landschaft aus. Man isst schon wieder frisches Korn und manche Leute stellen schon die Windfächer an. Im übrigen ist der Mai, überhaupt die Zeit, nicht so romantisch. Ich fürchte, Eisler wird Ihnen manches mit europäischer Romantizierung schildern, mit Über- und Untertreibungen. Es ist nichts romantisch, es sei denn, dass man diese geisterhafte Realität und Mentalität der Amerikaner als romantisch bezeichnet. Vielleicht kann auch nur ein Europäer ein wirklich „pittoreskes“ Bild der Amerikaner geben. Hätte ich mir nicht gleich im Anfang vieles aufgeschrieben – vieles würde mir heute schon gar nicht mehr auffallen. Für mich ist das Unterrichten am College noch immer hochinteressant. Ich habe einen ganzen Stab, der mit mir durch dick und dünn geht. Was ich da so an Geschichten erfahre, das würde ich sonst nie erfahren. Mit der vorgeschrittenen Klasse muss ich jetzt Mommsen lesen,341 aber ich habe mir ein Kapitel ausgewählt, in dem M. Vergleiche zieht zwischen dem kap. Sklavenstaat Italien im 9. Jahrhundert und den Vereinigt-Staaten. Da dieser letzte Band der röm. Geschichte erst 85 geschrieben wurde, nehme ich an, dass M. vorher ¸das Kapital‘ gelesen hat.342 Dies nachzuprüfen, vor allem wegen dem Vokabular, macht den Studenten grossen Spass. Natürlich, wenn jemand Fremdes herein kommt, diskutieren wir das Thema „Tafelsitten“. Aber mit dem College ist es Ende Juni aus. Ich kann mich dann auch nicht von hier wegrühren, da ich mir keine Reise leisten kann. Ich kriege vielleicht ein paar Privatschüler, aber das ist immer ein unzuverlässiges Geschäft. An nacktem Besitz habe ich die Fahrkarte New York – Le Havre; die kann ich nun zu Geld machen mit 20% Verlust oder benützen, aber dann sitze ich in Le Havre. Am liebsten würde ich nach wie vor nach Russland. Nur hat man mir dort eben eine Stellung abgelehnt. Und wie soll ich dort die ersten Wochen ohne Geld durchkommen? Man hat hier Berichte über mich eingeholt, besonders über das letzte Jahr in D. und man hat einen ganz heroischen Bericht gegeben. Das hilft mir aber nur bei den paar Leuten von der P.343 hier, mit denen ich zusammenarbeite. 341 Theodor Mommsen (1817–1903), Historiker. Die ersten drei Bände (= Bücher 1–5) seiner Römischen Geschichte erschienen 1854/55, der fünfte Band (Buch 8) 1885. Den vierten Band hat Mommsen nie verfaßt. 342 Das Kapital (1. Band) von Karl Marx erschien 1867 im Verlag Otto Meissner in Hamburg. 343 Der kommunistischen Partei.

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Ich habe jetzt ein paar Kurzgeschichten übersetzt, die ich Ihnen separat schicke. Es sind vielleicht nicht die besten, aber diese konnte ich ohne weiteres übersetzen, weil die meisten Leute (= Autoren) hier aus Missouri stammen, obwohl die Zeitschrift (aus der ich sie habe) mit der Part. verbunden ist und auch vom Internat. Verlag (Trachtenberg344), New York, vertrieben wird. Einige Zeit war meine Maschine kaputt, so konnte ich nicht ans Übersetzen gehen. 1.) Die Geschichte „G. G[…]“ [Erg.: von Mass] ist von einem hier aus der Stadt, er ist gerade wegen Kollision mit 2 Negerpriestern zu 30 Tagen Arbeitshaus verurteilt. 2.) Lewis ist ein Farmer aus Cape Girardeau, Süd-Missouri, er ist scheu und spricht kaum ein Wort, er war in seinem Leben nur 2 x in St. Louis. 3.) Zara kommt aus dem Osten. Der interessanteste ist Jack Conroy.345 Von ihm habe ich nichts dabei, aber ich bekomme nächste Woche seinen neuen Roman. Sein voriger, „Die Enterbten“, ist auch in russisch, deutsch usw. erschienen.346 Conroy lebt auf dem Lande in einem kleinen Kaff u. ist schrecklich ulkig. Er ist der Sohn eines Kohlenarbeiters – flachshaarig wie ein Farmer – und korrespondiert mit der ganzen Welt. In seiner Hütte in Moberley347 finden Sie Zeitschriften aus allen Ländern und er kennt jeden Autor, der mal wohl gedruckt wurde, am besten natürlich die proletarischen. Seine Frau arbeitet in einer Schuhfabrik und bis er jetzt kürzlich ein Stipendium von 2000 Doll. bekam, verdiente sie zur Hauptsache den Lebensunterhalt für die 5köpfige Familie. Wie gesagt, diese Kurzgeschichten sind nicht so umwerfend, die Leute haben hier veröffentlichen können, und es geht ihnen allen sehr dreckig. Es wäre gut, wenn Wieland oder sonst jemand was drucken könnte. Ich selber kann natürlich von diesen Sachen, die nichts einbringen, nicht leben. Haben Sie noch was in Moskau erfahren? Eisler wollte mir über London Bescheid geben. Ist er schon bei Ihnen? Ich hatte auch bei Mildner, […], angefragt, ob ich da nicht ankommen kann. Ich habe ein paar gute gartenbautechnische Dinge für ihn hier in Erfahrung gebracht. Nur – allzu viel Zeit würde ich nicht mehr gern warten. – Wenn es was würde und ich käme […] dort, könnte ich Ihnen sicher viel Material geben, was Sie interessieren würde. Ausserdem hätte ich Sie gern wiedergesehen. Entschuldigen Sie die Schrift, ich muss im Bett schreiben. Ich habe mir wieder den Fuss zerknackst und habe obendrein eine […]handlähmung von einer Erkältung her. Da ich aber jeden Morgen ins College muss (jede versäumte Stunde wird abgezogen), wo ich am Stock humpele und in den Stunden 344 Alexander Trachtenberg (1884–1966), amerikanischer Verleger, Gründer des marxistischen Verlags International Publishers in New York. 345 Jack Conroy (1898–1990), amerikanischer Schriftsteller, schilderte in seinen Romanen vor allem das Leben der Arbeiter. 346 The Disinherited (1933), Roman von Jack Conroy. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1936 bei der VEGAAR in Moskau. 347 Moberly, Stadt im US-Bundesstaat Missouri.

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flüstere, lege ich mich den Rest des Tages hin. Es ist nur zu machen, weil wirklich die meisten Schüler in meinen Klassen so für mich sind. – Was machen Sie? Sind schon die üblichen Sommerbesucher eingetroffen? Arbeiten Sie? Neulich hörte ich, Sie hätten was in der Basl. Nat. Ztg gehabt,348 aber die Zeitung selber konnte ich nicht bekommen. Es ist ein grosser Jammer, dass ich gar keinen Bescheid bekommen kann, was man ich mit meinem Geld in D. machen kann. Es würde mir ein Jahr mindestens gestatten, mich wohin zu setzen + meine Notizen aufzuarbeiten. Ich schrieb der Mynotti, Benjam., auch Ihnen, denke ich, aber ich kann nichts erfahren. – Die Ratdke schrieb mir neulich einen langen, schrecklich netten, sehr offenherzigen Brief. Ich hatte sie um etwas gebeten. Sie schrieb, dass von meinen Sachen überhaupt nichts mehr da sei. Ob ich wohl je was davon wiedersehe. Ich denke nicht oft daran, aber wenn, nicht ohne eine gewisse Trauer + und manchmal nicht ohne Bitterkeit, und das Beste ist schon, man streicht es aus. Ist der eiserne Kasten bei Ihnen? Es ist wirklich wie ein Verhängnis: ich selber habe 3 Leuten zu ihrem Schmuck z.B. verholfen, nur mir haben die […] meinen geklaut, wenigstens alles, was wertvoll + verkaufbar war. Aber Schwamm drüber. Wenn Sie mal können, schreiben Sie mir doch ein paar Zeilen, besonders wegen Moskau. Ich habe einen ziemlichen Horror vor der wieder bevorstehenden Stellungssuche. Grüssen Sie, wenr da isst. (Manchmal kann ich schon kein deutsch mehr.) Übrigens: Lorre arbeitet jetzt an seinem ersten Film,349 man ist bisher sehr begeistert von ihm. Wenn der Film ein Erfolg wird, fängt er […]350 auch an, mir seine Schulden abzubezahlen – 10 Dollar – […]. Bisher konnte ich nichts aus ihm herauskriegen. Dann: Simon + Schuster schickten mir den Roman zurück.351 Ihr Lektor sei sehr begeistert gewesen, hätte aber abgeraten, ihn als ersten Roman hier zu bringen. Jetzt muss ich alle Versuche unterlassen. Es grüsst Sie herzlich Ihre B. Ich habe hier neulich einen eigenen Artikel für 40 Doll. angebracht, aber ich glaube kaum, dass ich das wiederholen kann. Überlieferung: Ms, BBA 480/10–20.

348 Vgl. Anm. zu Benjamin an Weigel, 3.2.1935. 349 Peter Lorre spielte die Hauptfigur Dr. Gogol in dem Horrorfilm Mad Love (USA 1935, Regie: Karl Freund), einem Remake des Films Orlacs Hände (A 1924, Regie: Robert Wiene) nach dem Roman Les Mains d’Orlac (1920) von Maurice Renard. 350 Zwei Wörter unleserlich. 351 Vgl. Hauptmann, 14.12.1934.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht Strasbourg, 1.6.1935 1 Juni 1935 Lieber Brecht! Endlich ein Brief von Dir.352 Daß der Baron eine Sau ist und Ivens ein dreckiger Konjunktur-Mann nimmt mich nicht Wunder.353 Ich habe seinerzeit wegen der Helly gekabelt, das hat eine Menge Geld gekostet und ich bin tief verletzt. (auch seelisch.) Dieses Gesindel wird mir langsam zum Kotzen. A propos Kotzen, der Pis. hat mir mit dieser Olympiade etwas ganz abscheuliches angetan.354 Das wird eine ganz abscheuliche Sache, musikalisch genommen. Politisch versuche ich heraus zu holen, was eben heraus zu holen ist. Aber aus einem Dreckloch ist eben nur bestimmtes (auch quantitativ) heraus zu holen. Nach diesem Vergnügen, winkt mir schon Reichenberg, wo ich am 15.ten Juni sprechen muß. Ebenfalls ein Musikfest, das niemand kontrolliert hat.355 Diese Leichtfertigkeit, Vereinsmeierei und metaphysische Konzeptionen des guten alten Pis. stimmen mich sehr düster. Ich wünsche schon sehr bei Dir zu sitzen und zu arbeiten. Leider ist ein Brief an Dich scheinbar verloren gegangen. Jedenfalls komme ich so schnell wie möglich, denn das hängt mir hier zum Halse heraus. (Wenn Pis. bei Dir ist, fahr ich nicht nach M.356) Seit Januar habe ich ca. 16.000 Meilen zurück gelegt und weiß gar nicht mehr, wie Notenpapier aussieht. Ich glaube da gibt es 5 Linien und da muß man Punkte machen, die auf Striche aufgesetzt werden. Die gute alte Musik; ich habe sie noch gekannt wie sie sehr groß war. (Dies alles wegen der Olympiade)

Sehr herzlichst Dein alter Eisler

Schöne Grüsse an die Helly, die überhaupt nicht jüdisch aussieht von einem Halbjuden.357

352 Nicht überliefert. 353 Joris Ivens sollte für Meshrabpomfilm einen Dokumentarfilm über den Reichstagsbrandprozeß drehen und schrieb dafür in Moskau ein erstes Szenarium. Indessen wurde beschlossen, einen Spielfilm zu produzieren. Gustav von Wangenheim, der „Baron“, schrieb daraufhin im Januar 1935 ein neues Drehbuch, Regie sollten nun Ivens und Wangenheim gemeinsam führen. Eisler, der Ivens bereits gut kannte, bat ihn, Helene Weigel bei der Rollenbesetzung zu berücksichtigen; Brecht seinerseits stellte Ivens zu diesem Zweck ein Photo von ihr zur Verfügung (vgl. B. an Ivens, 19.5.1935, GBA 28, S. 501f.) – jedoch ohne Erfolg. Ivens verließ Moskau im Mai 1935, und Wangenheim drehte den Film Kämpfer (UdSSR 1936, in deutscher Sprache) schließlich allein. 354 Erwin Piscator hatte Eisler mit der künstlerischen Koordinierung der I. Arbeitermusik- und Gesangsolympiade in Strasbourg beauftragt. Vgl. Anm. zu Piscator, 21.12.1934. 355 In Reichenberg (Liberec) fand am 14./15.5.1935 das Nordböhmische Arbeitermusikfest statt. 356 Moskau. 357 Gustav von Wangenheim hatte offenbar Weigels „jüdisches Aussehen“ beanstandet. Vgl. Brechts Brief an Ivens, 19.5.1935, GBA 28, S. 501f.

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Kleiner Nachtrag betreffs Amerika. (da Brief scheinbar verloren gegangen) Aufgeführt wird die Maßnahme.358 Das ist fix. (Jetzt müssen wir sie umarbeiten!) Ferner die Mutter.359 (90 % Wahrscheinlichkeit.) Ich habe ferner eine Professur für Komposition an einer New Yorker Universität: (New School for sozial research) Und zwar bin ich Gast-Professor für 2 Semester.360 Gage: 2000 Dollar für das Schuljahr. Hin und Rückreise für Lou361 und mich. Dauer: vom 1. Oktober bis Ende Mai. Selbstverständlich kann ich prolongieren, wenn ich Erfolg als Lehrer habe, was wieder von den Schülern abhängt. Qualität der Schüler nämlich entscheidend für den Lehrer. Aber es haben sich jetzt schon bei dem Institut und bei mir (mittels Kabel auf das Schiff!!) Hörer der Columbia Universität u. des besten Konservatoriums von New York (Juillard School) angemeldet, so daß ich wenig Sorge habe. Der amerikanische Verein362 u. der deutsche strahlt, da ich offiziell drüben war, ist es große Ehrung für die Vereine u. zeigt das das Institut Courage hat. Ich gehe also Mitte Sept. nach New York für 8 Monate. Aber nächsten Juni (1936) kann ich wieder in Europa sein, da ja die Rückreise ebenfalls bezahlt wird Nochmals herzlich Dein Eisler Überlieferung: Ms, Bv.: Hôtel du Raisin Propr. G. Hessloehl Strasbourg 7, Boulevard du Président Wilson – Tèlèphone 72.07 – R.C. Strasbourg A 10860 – Bonne Maison Bourgeoise Eau Courante, Strasbourg, Le ____________, Bonne Maison Bourgeoise Eau Courante; BBA 479/36–39. – E: Eisler, Briefe, S. 101f.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 1.6.1935 1. Juni 1935 Lieber Herr Brecht,

358 Die mit dem New Yorker Group Theatre geplante Aufführung kam über einige Proben nicht hinaus. Brecht teilte Lee Strasberg am 27.1.1936 mit: „unfortunately we had to cease rehearsals on the ‚Maßnahme’ for political reasons.“ (GBA 28, S. 544) 359 Die Mutter wurde im November 1935 in New York aufgeführt. Vgl. dazu unten die Briefe von Paul Peters und der Theatre Union. 360 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935. 361 Eislers Lebensgefährtin Louise Jolesch. 362 Die kommunistische Partei.

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Darf ich Sie noch einmal dringlich bitten, mir die Provision von Mark 300.-. sofort oder noetigenfalls in Raten zu Ueberweisen? – Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Sie sich dieser Verpflichtung entziehen wollen, nachdem ich durch die Anregung zu dem Roman und dem guten Vertrag mir doch wirklich die Provision ehrlich verdient habe. Ich bin – wie Sie – Emigrant und muss mit dem Eingang meiner Provision rechnen. – Ich bitte Sie nochmals deshalb sehr, diese Zeilen nicht zu ignorieren. – Wenn Sie aber auch diesen Brief unbeantwortet lassen, wuerden Sie mich zwingen mir ein gerichtliches Urteil zu beschaffen, um mich an irgendwelchen Aussenstaenden schadlos zu halten. – Bitte ersparen Sie mir doch diese Massnahme. Ihr sehr ergebener E. Alexander Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, DAENEMARK. Überlieferung: Ts, hs. Us., hs. U., Bv.: European Books Limited Literary Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. 1 Direktors: E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone: Langham 2140; BBA 785/33.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 6.6.1935 Prag, den 6.6.35 Lieber Brecht, eben schreibt mir die Vegaar363 folgendes: „Betrifft Brecht, Versuche Wir bitten Sie, uns postwendend die noch fehlenden Manuskripte zu diesen beiden Bänden zugehen zu lassen, damit wir das Manuskript in Satz geben können. Es handelt sich um Mann ist Mann/Die Ausnahme und die Regel/Die Massnahme.

363 Bis zu ihrer Auflösung 1938 bot die Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR (VEGAAR) deutschsprachigen Autoren ein wichtiges publizistisches Forum. Herzfelde hatte sie damit betraut, die Neuausgabe der Versuche, der späteren Gesammelten Werke Brechts, zu drucken.

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Das erste Stück ist besonders dringend, da wir wenigstens einen Band geschlossen abgeben wollen. Schreiben Sie uns auch umgehend, ob Sie das Format (Bibliothek des Marxismus-Leninismus) endgültig beibehalten wollen. Betrifft Sammelband Sowjetdramen364 Wir sind entschieden der Meinung, dass die von Ihnen gemeinsam mit Herr Brecht getroffene Auswahl nur ein einseitiges Bild der Sowjetdramaturgie gibt. Man kann, wenn man schon einen Querschnitt geben will, ganz unmöglich zwei so charakteristische Sowjetdramaturgen übergehen wie Kirschon und Afinogenow.365 Ausserdem kann man unmöglich einen solchen Band thematisch überwiegend unter dem Gesichtspunkt Kriegskommunismus zusammenstellen. Wir bitten Sie, sich das noch einmal zu überlegen. Jedenfalls können wir dem bisherigen Plan nicht zustimmen.“ Sei so freundlich, und schicke mir vor allem „Mann ist Mann“ recht schnell und schreib mir, was Du zu der Kritik Deines Vorschlages „Sowjetdramen“ (ich kenne den Vorschlag gar nicht), sagen willst. Die Stücke von Kirschon und Afinogenow kenne ich auch nicht. Dass man den Kriegskommunismus nicht überwiegend berücksichtigen soll, erscheint mir vernünftig. Mit herzlichen Grüssen Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/34.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 6.6.1935 Prag, den 6.6.35 Herrn Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht,

364 Über dieses Vorhaben konnte nichts Genaueres ermittelt werden. Der von Brecht und Herzfelde geplante Band kam offenbar nicht zustande. 365 Wladimir Michailowitsch Kirschon (Vladimir Michajlovič Kiršon, 1902–1938) und Alexander Nikolajewitsch Afinogenow (Aleksandr Nikolaevič Afinogenov, 1904–1941), russische Dramatiker. Kirschon, vormals Sekretär der RAPP, wurde 1937 als „Trotzkist“ verhaftet und vermutlich 1938 erschossen. Afinogenow, Redakteur der Zeitschrift Teatr i dramaturgija, kam bei einem Luftangriff auf Moskau ums Leben.

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den beiliegenden Brief habe ich vor drei Wochen auf der Rückfahrt in Warschau geschrieben, wo ich nachts Kamieniecki traf. Ich schickte ihn dann nicht ab, weil es unsicher war, ob Dich der Brief noch erreichen wird. Mittlerweile war ich in Paris, daher die verspätete Absendung. Dem Brief ist weiter nichts hinzuzufügen, als dass Kamieniecki einen guten Eindruck machte und soviel ich weiss, ein anständiger Uebersetzer, überdies auch ein anständiger Genosse ist.366 In finanziellen Dingen hat er sich uns gegenüber auffällig korrekt verhalten, was in Polen selten vorkommt. Von Grete Steffin bekam ich gerade einen Brief, in dem sie schreibt, dass die fehlenden Stücke bald ankommen werden. Ich hoffe, es ist so. Dort scheint man sich jetzt mit der Arbeit mehr zu beeilen, jedenfalls sind die Korrekturen Graf schon komplett angekommen.367 Von Grosz habe ich wegen der Zeichnungen nichts mehr gehört,368 ich schreibe ihm gleichzeitig. Das Juni-Heft der NDB wird in diesen Tagen geliefert, die Kisch-Beiträge sind natürlich viel zu spät, aber Du kennst ja die Umstände, die daran Schuld sind. Schön wäre es, wenn Du mir für die nächste Nummer einen Beitrag schicken könntest.369 Schade, dass man so weit auseinander ist. Selbstverständlich wäre es viel besser, wenn sich die Zusammenarbeit nicht auf das magere Wort „einen Beitrag“ beschränken würde. Ob ich nach dem Juli-Heft noch weitere werde herausbringen können, ist ungewiß, ich zweifle etwas daran. Selbstverständlich bemühe ich mich, die notwendigen Mittel aufzubringen. In Paris hatte ich einigen Erfolg, aber nur im Hinblick auf den Verlag, und nicht auf die Zeitschrift. Bredel und Awdejenko gehen schlecht,370 ich hoffe aber, durch intensive Arbeit doch noch einiges nachholen zu können. Unsere moskauer Frühstücke sind mir angenehm in Erinnerung. Da mein Vaterland da ist, wo meine Schulden sind, wird es mit der geplanten Uebersiedlung nach Dänemark vorläufig wohl noch nichts. Im übrigen weiss man ja noch nicht, wie die Geschichte weitergeht. Die Zustände in Frankreich und Amerika deuten auf allerhand Umwälzungen hin. Aus der Roten Zeitung371, Leningrad, sah ich, dass Du dort vorgelesen hast und ein besonders rührendes Wiedersehen mit Plivier hattest.372 Schreib mir, wie es dort war. Uebrigens: kam bei den Besprechungen wegen der Anti-Terror-Broschüre irgend etwas heraus? Ich habe seitdem nichts Konkretes mehr gehört. 366 Vgl. Kamieniecki, 25.10.1934. 367 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 9.12.1934. 368 Vgl. Grosz, 10.10.1934. 369 Der nächste Beitrag Brechts, der dort veröffentlicht wurde, war ein Abdruck der Rede, die er auf dem Internationalen Schriftstellerkongreß im Juni 1935 in Paris gehalten hat: Eine notwendige Feststellung zum Kampf gegen die Barbarei (GBA 22, S. 141–146), in Neue Deutsche Blätter, Heft 6, August 1935. 370 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 9.12.1934. 371 Krasnaja Gaseta, sowjetische Tageszeitung, Organ des Leningrader Sowjets. 372 Brecht war anläßlich einer Lesung zusammen mit Plievier u.a. im Mai 1935 im Haus der Sowjetschriftsteller in Leningrad aufgetreten (BC, S. 443).

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In Paris sprach ich Benjamin. Es war eine sehr interessante, ziemlich lange Unterhaltung über kunstkritische und theoretische Fragen. Wir stimmen in hohem Mass überein. Von Ottwalt habe ich nichts mehr gehört. Hast Du ihn nach meiner Abfahrt gesprochen? Nächstens gehen Dir die neuen Bände von Scholochow und Jilemnitzki zu.373 Schreib mir! Herzlichen Gruss Dir, der Frau und den Kindern, sowie Grete Steffin, Dein Wieland [Anlage] 14.V.[1935] nachts. Lieber Brecht eben sitze ich mit unserm Vertreter für Polen, Igor Kamieniecki beisammen u. er bittet mich, Dir folgendes mitzuteilen: Er braucht Deine Vollmacht, um wegen des Dreigroschenromans abschließen zu können (oder die des Verlages, falls der die Rechte hat.) Der Verlag will 500 Fl für eine Auflage von 1000 Expl. zahlen. (Das ist ungewöhnlich viel = ca 850 RM) Bitte schreib in Deiner Vollmacht wohin die Zahlung zu leisten ist, an Dich oder de Lange. Außerdem, daß Kamieniecki die Übersetzung zu besorgen hat. Schließlich, daß das Recht zur Herausgabe in poln. Sprache erst im Augenblick der Zahlung wirksam wird. K. hat Deine „5 Schwierigkeiten“ übersetzt für Organe, die nicht zahlen können, auch er bekam nichts. Belege schickt er mir, ich sende sie nach Svendborg. K. hat Dir übrigens sehr ausführlich über das Schicksal Deiner Stücke geschrieben – bekamst Du den Brief? Wenn nicht, laß michs wissen, dann gebe ich ihm Nachricht, nochmal darüber zu schreiben. Alle Post für ihn, solange Du in M. bist, bitte über meine Adresse, von Svendborg aus schreibe direkt: I.K. Warschau, Nowolipie 62/6. Was anderes: Schreib doch bitte was für das Tuch, das ich doch nun mithabe, von Trude374 besorgt werden soll. Ich weiß nur Blusen etc. für 10 RM. Aber das ist so unpräzis. Welche Größe, Art etc? K. sagt mir, er habe an de Lange zweimal geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Sollte de Lange die Rechte woanders hingegeben haben, so bittet K. Dich, die Übersetzg durch ihn zu befürworten. (Er ist qualifiziert!) Die Songs will der Dichter Broniewski375 übersetzen, der in M. gut bekannt sein soll.

373 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 9.12.1934. 374 Gertrud Herzfelde, geb. Bernheim (1902–1970), Wieland Herzfeldes Frau. 375 Władysław Broniewski (1897–1962) übersetzte Stücke und Gedichte Brechts ins Polnische.

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Dank Dir u. Steffin für die Gastfreundschaft und viele Grüße! Dein Herzfelde Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/32-33. – Anlage: Ms, Notiz von fremder Hand: „Igor Kamieniecki Warszawa Nowo Lipie 62/6.“; BBA 477/35–37.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht [Moskau] 7.6.1935

7. VI. 35.

Lieber Brecht. Ich habe wahrscheinlich Jasager gelesen in die Zeiten, wo ich viel schwächer die deutsche Sprache verstand als jetzt. Und doch ist das ein zweischwanziges Theaterstück. Weil bis zum gewissen Punkt gleicht die handlung in beiden, d.h. bis der krankheit des knaben. Aber wenn das „dazulassen“ in erster fassung endlich das Synonym des herunterwerfen ist – wo ist dann der Unterschied zwischen diesem grund und dem grossen Brauch.376 Ich habe das Portraitbuch377 beendet. Ich musste in deinem Portrait378 sehr weniges umändern: die deutsche Übersetzung war von einer sehr alten russischen fassung gemacht, die von mir längst umgeendert war und gerade in den Stellen die du gestrichen hast. Z.B. im Vorwort zu den Übersetzungen (dasselbe erweiterte Portrait) giebt es keine reptilen und ratten, und auch die absatz von Isar und Schornstein ist nicht da. Ich habe hinausgeworfen über Jasager, weil jetzt muss ich es vorher gut untersuchen. Aber mich interessiert Jasager, als Modell und Vorbereitungsstufe zu der „Massname“. Sehr interessant ist jetzt der Teil, wo von deiner dichtungsart gesprochen wird. Es endet sich jetzt mit dem Metrovers.

376 Von der Schuloper Der Jasager (ursprünglich Lehrstück vom Jasager) produzierte Brecht 1930/31 zwei Fassungen, die zweite wurde mit dem antithetischen Stück Der Neinsager kombiniert (zuerst in Versuche, Heft 4, 1931). In der zweiten Fassung des Jasagers ist an der fraglichen Stelle vom Zurücklassen des Jungen (vgl. GBA 3, S. 63) statt vom Hinabschleudern ins Tal (ebd., S. 53) die Rede. 377 Ljudi odnogo kostra (Menschen eines Scheiterhaufens), Moskau 1936. 378 Tretjakow hatte in Heft 2/1933 der Internacionalnaja Literatura ein Portrait Brechts publiziert, das in Das Internationale Theater, Heft 3–4/1934, auch auf deutsch erschien (jetzt in: Sergej Tretjakov, Die Arbeit des Schriftstellers. Aufsätze, Reportagen, Porträts, hrsg. v. H. Boehncke, Reinbek 1972, S. 146–158). Zusammen mit „Bert Brecht“ (Literaturnaja Gazeta, 12.5.1932) bildete dieser Text die Vorarbeit zu dem Vorwort, das Tretjakow der Sammlung Ėpičeskie dramy (vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933) voranstellte. Eine überarbeitete Fassung dieses Textes wiederum fand schließlich Eingang in das erwähnte Portraitbuch (vgl. Tretjakow, Avantgarde, S. 153–185).

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Ochlopkoff ist momentan nicht in Moskau. Wie ich erfahre – plant die Staatsverlag die herausgabe deiner Rundköpfe.379 Von Graf kam ein Brief wo er schreibt: ich las auch Brechts aufsatz über die Kunst die Wahrheit zu sagen.380 „Glänzend! Paskal ist derartig originell kopiert und Brecht ging darüber hinaus ins heutige aktuelle.“ Rev-theater381 fängt wieder an mich anzuspornen wegen meinem Kolchosstück.382 Siehst du, du hast schon Verbündete. In meinem Plan ist aber zuerst das grosse Buch.383 Danke dir schön für die Einladung. Das schwierigste ist – diese 3 Wochen zu finden. Wir umarmen Helli und dich. Steff nicht – weil er schweigt hochmütig. Gruss an Gen. Steffin. dein STretiakow Überlieferung: Ms, BBA 477/133–134. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 409f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Strasbourg, 8.6.1935] Lieber Brecht ich bin entzückt und begeistert von Deiner Broschüre „Fünf Schwierigkeiten die Wahrheit zu sagen.“384 Eben von der Polizei entlassen in der „jungen Freiheit“385 Sehr herzlichst Dein alter Eisler Überlieferung: Ms, Text vom Verfasser unleserlich gestrichen; BBA 479/35. – E: Eisler, Briefe, S. 102.

379 Eine russische Übersetzung von Walentin Stenitsch und Semjon Kirsanow erschien unter dem Titel Čichi i Čuchi 1936 in Moskau, und zwar als Einzeldruck im Staatsverlag für künstlerische Literatur sowohl wie in Heft 8 der Internacionalnaja Literatura. 380 Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 381 Das Moskauer Theater der Revolution. 382 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 15.7.1933. 383 Vermutlich das „Chinabuch“, vgl. Anm. zu Tretjakow, 24.6.1935. 384 Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 385 Hanns Eisler wurde am 8.6.1935, als es bei einem Festumzug im Rahmen der Arbeitermusik-Olympiade in Strasbourg (vgl. Anm. zu Piscator, 21.12.1934) zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, vorübergehend festgenommen.

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Frank Banholzer an Helene Weigel Wien, [1935] Liebe Tante Heli, Wie geht es Papa und Dir? Mama hat Dir sicher geschrieben, daß sie mich mit nach Augsburg nimmt. Ich freue mich schon sehr das kannst Du Dir ja vorstellen. Weißt Du, daß Marian[n]e386 in Wien war, ich glaube nein. Jedenfalls war sie äußerst nett zu mir. Herzlichen Gruß Frank. Überlieferung: Ms, BBA 654/139.

Paula Banholzer 387 an Bertolt Brecht Augsburg, 11.6.1935 Augsburg, den 11.6.35 Lieber Bert, ich habe Deinen Brief388 erhalten u. danke Dir für Dein Entgegenkommen, mir in der Aufgabe für Frank 389 weiterhin beizustehen. Doch bitte ich Dich inständig, mir pünktlich das Geld zuzuweisen, denn ich habe ohnehin schon so viel Sorgen wegen des Jungens, daß ich oft nächtelang nicht schlafen kann. Deshalb sei so gut und nimm mir wenigstens diesen Kummer ab, es ist ja so das Einzige was Du für Frank tun kannst. Wenn Du einmal nicht in der Lage sein solltest, das Geld zu schicken, dann bitte ich Dich, mich zu verständigen, denn das lange Warten reibt mich auf u. ohne Ordnung in diesen Dingen geht es nicht, da ja auch von mir pünktliche Zahlung verlangt wird. Zudem ist doch die Anregung, Frank 386 Die Opernsängerin Marianne Zoff (1893–1984), mit der Brecht von 1922 bis 1927 verheiratet war. 1923 wurde die gemeinsame Tochter Hanne Brecht (ab 1948: Hiob) geboren. Zoff heiratete 1928 den Schauspieler Theo Lingen. 387 Paula Banholzer (1901–1989) war eine frühere Geliebte Brechts, die er im April 1917 kennengelernt hatte. Die Beziehung endete 1921, nachdem er sich in Marianne Zoff verliebt hatte, die er 1922 heiratete. Banholzer ihrerseits heiratete 1924 den Kaufmann Hermann Groß. Brecht widmete ihr sein Stück Trommeln in der Nacht (1922, ursprünglicher Titel: Spartakus, 1919). 388 Vgl. Brief an Paula Groß, geb. Banholzer, 29.5.1935, GBA 28, S. 502. 389 Ihr gemeinsamer Sohn Frank Banholzer (1919–1943). Wuchs bei Pflegeeltern auf und lebte später bei einer Schwester Helene Weigels in der Nähe von Wien. 1935 holte ihn Paula Banholzer zurück nach Augsburg, wo er den Beruf eines Kaufmanns erlernte. 1943 kam er als Soldat an der Ostfront ums Leben.

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nach Augsb. zu nehmen von Deiner Frau ausgegangen, was ich auch sehr schön von ihr fand und ich habe mich genügend vorher versichert, ob sie auch weiterhin bereit ist für Franks Unterhalt aufzukommen u. sie hat doch vor Monaten schon sich auf 50 M bereit erklärt. – Außerdem stehe ich in der Sorge um Frank ganz allein da u. ich habe nicht einen Menschen, der mir bei steht. Es bleibt nichts anderes übrig, als Frank Kaufmann werden zu lassen, denn zu einem Handwerk taugt er absolut nicht. Er hat die Eignungsprüfung unter allen Jungens am schlechtesten bestanden. Eigentlich gibt es gar keinen Beruf, zu dem er taugt, denn er ist furchtbar unpraktisch, langweilig, faul u. dazu noch leidend. Bei dieser Hitze jetzt kann er das Haus überhaupt nicht verlassen. er kann keine Sonne vertragen u. bekommt sofort Kopfschmerzen. – Von morgen ab geht er in die Berufsschule, muß aber ein ganzes Jahr (eventuell mit Nachhilfestunden) nachholen, weil er in Wien ein ganzes Jahr vertrödelt hat. Zugleich muss er einen Handelskurs mit Maschinenschreiben u. Stenogr. mitmachen. Es sind noch soviel Kleinigkeiten, die alle zu schreiben zu weit führen würden. Ich grüße Dich u. Deine Frau herzlich Deine Bi. Überlieferung: Ms, BBA 654/136–138.

Hans W. Heinsheimer (Universal-Edition) an Bertolt Brecht Wien, 17.6.1935 Hei/Fi.

Wien, am 17. Juni 1935.

Herrn Bert B r e c h t , Svendborg Skovsbostrand Sehr geehrter Herr Brecht! vielen Dank für Ihre Zeilen vom 2. Juni390, aus denen wir eine Erklärung ihrer Differenzen mit Bloch Erben entnehmen. Hier steht die Sache mit Bloch Erben leider so, dass wir selbst lediglich Beauftragte von Bloch sind, welcher ausschliesslicher Inhaber der Urheber- und Aufführungsrechte ist und infolgedessen über die von uns lediglich im Auftrage von Bloch in der Tschechoslovakei inkassierten Tantiemen ganz und gar nicht verfügen dürfen, da wir sonst einen Prozess riskieren würden, den wir unter allen Umständen, wie die Rechtslage ist, verlieren würden. Sie müssen das verstehen. Es handelt sich ja nur um 390 Nicht überliefert. Vgl. Brief des Burian-Theaterkollektivs, 5.4.1935.

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Österreich und die Tschechoslovakei, in allen anderen Ländern inkassiert Bloch Erben direkt, also auch Schweiz, England etc., und wir können, so wie die Sache liegt, nichts anderes tun, als unseren Vertrag mit Bloch erfüllen und die für ihn inkassierten Tantiemen an ihn abführen. In dieser Sache sind Sie ja nicht unser Partner, sondern nur die Firma Felix Bloch Erben, so dass wir juristisch nicht von Ihnen, sondern nur von Bloch Erben Aufträge, Änderungen und Dispositionen empfangen dürfen. Sie werden dies sicher begreifen und wenn es uns auch persönlich sehr leid tut, so müssen wir hier doch rein geschäftlich und juristisch vorgehen und können unsere Verträge mit Bloch Erben unmöglich verletzen. Das Ballett „Die 7 Todsünden“ von Weill und Ihnen haben wir leider nicht. Wir nehmen an, dass Sie es durch Weill bekommen können. Mit vielen Empfehlungen und Grüssen ergebenst Universal Edition Aktiengesellschaft W. Heinsheimer Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Universal-Edition A.G. • Wien I • Karlsplatz 6. Musikvereinsgebäude Telefon U-47-5-85 Leipzig • Karlstrasse 10: BBA 783/87-88.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen, Juni 1935] lieber brecht. du bist erstaunt uber die antwort von rose391 und møchte gern ein brief haben, sagt die grethe. also, rose sagte folgendes „bite sagen sie brecht das wir eigentlich „die johanna“ als dritte vorstellung bringen wollten aber bei durchlesen! finde ich dass grøssere teile davon nur skitzenmæssig gemacht sind (die chøre von arbeiteren und direktoren) und das stuck muss mit 1/3 verkurtst werden, und jetzt wollen wir ferie haben und nicht arbeiten, deshalb hat es gar kein zweck mit brecht zu sprechen das kønnen wir im anfang der saison machen“ – ich habe alles wiederholt und gefragt ob ich es die grethe mitteilen sollte, und „ja“ sagte der rose, der meint das „grøssere teile“ von die johanna nur „skitzenmæssig gemacht sind!“ die grethe hat dir wohl erzæhlt dass wir in herbst gern „laser og pjalter“392 bringen wollten in „riddersalen“ glaubt du dass es geht? ich møchte dir gern besuchen ende dieser monat 391 Thorkild Roose (1874–1961), Chefregisseur am Königlichen Theater Kopenhagen. Knutzon arbeitete dort an einer Inszenierung der Heiligen Johanna, die jedoch nicht zustande kam. Vgl. Brief an Roose, 12.6.1935, GBA 28, S. 507f.; dazu die Anmerkungen zur „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“, GBA 24, S. 106–108. 392 „Lumpen und Fetzen“, dänischer Titel der Dreigroschenoper. Knutzon inszenierte sie in Kopenhagen jedoch erst im September 1937. Diese Aufführung und die sie begleitenden Umstände führten schließlich zum Zerwürfnis mit Brecht. Vgl. B. an Knutzon, Ende 1937, GBA 29, S. 69–71.

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um uber unsere plæne zu sprechen. kannst und willst du mir haben, dann schreibe bitte ein paar linien an folgende adresse „p k c/o ebbe neergaard, den gamle skole, jystrup, sjælland“. mange hilsner Lulu Per Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 476/24.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 18.6.1935

18/6. 35

Lieber Brecht – Hast Du mein Brief bekommen? Ich möchte gern wissen ob du Zeit und Lust hast mir Ende dieser Monat zu haben für einige Stunden. Wir arbeiten schon mit unser Theater und haben viele Schwierigkeiten zu überwinden. Das richtige Stof, die richtige Personale und alles für das richtige geld!! aber langsam versteht man doch die kapitalistischen Methoden zu anwenden. Ich möchte gern alle meine Pläne mit dir besprechen! Bitte sende mir ein Brief – Adresse c/o Ebbe Neersand393, Jystrup. Viele Grüsse an alle – dein Per Grethe fragt wie es geht mit Aufenthalts Erlaubnis für Dudow!! Rothenburg ist auf Ferie!! Überlieferung: Ms, BBA 476/23.

Elias Alexander an Bertolt Brecht London, 19.6.1935 19th June 1935

393 Vermutlich Ebbe Neergard.

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Sehr geehrter Herr Brecht, Ich kann Ihr Schweigen nur so auslegen, dass Sie das Geld nicht haben, und will nicht glauben, dass Sie mir meinen Provisions-Anteil einfach unterschlagen wollen. – Ich kann aber ohne eine Zeile von Ihnen die Sache nicht weiter ruhen lassen, und werde gerichtliche Schritte einleiten, falls ich bis Ende der Woche nicht von Ihnen hoere. Dass ein Mensch Ihrer Bedeutung und mit Ihren Anschauungen, sich derartig unfair und schaebig benimmt, haette ich doch nicht fuer moeglich gehalten, und ich muss dies in diesem Schreiben einmal klar zum Ausdruck bringen. Hochachtungsvoll E. Alexander Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, DA ENE M A R K . Überlieferung: Ts. hs. U., Bv.: European Books Limited Literary Play & Film Agents Morley House 314-324 Regent Street London W. 1 Direktors: E. Alexander (German) C. N. Spencer (British) Telegrams & Cables Eurobooks London Telephone: Langham 2140; BBA 785/34.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht [Moskau] 24.6.1935

24. VI. 35

Lieber Brecht. Das abgeschickte exemplar von „Rundköpfe“ habe ich erhalten. Jetzt warte ich auf Ochlopkoff der eben für ein neues Theaterraum für sich sorgt. Du bist ein alter Komiker, wenn du dich wunders wie so habe ich nicht 3 Wochen für den Kongress.394 Das ist ja gar nicht meine private angelegenheit. Von kolchosstück 395 denke ich viel und werde ihn machen aber nicht sofort, weil zuerst muss ich mit dem Chinabuch396 fertig sein. 394 Der Brief Brechts, auf den Tretjakow sich hier offenbar bezog, ist nicht erhalten. Zum Kongreß vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 395 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 15.7.1933. 396 Tretjakow plante nach Den Shi-Chua (1932, deutsche Ausgabe bei Malik im selben Jahr) einen weiteren Bio-Interviewband, und zwar mit einem Teilnehmer des Langen Marschs in China 1934/35. Das Vorhaben wurde nicht realisiert.

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Aber es geht nicht so schnell wie ich gewollt möchte. Das Portraitbuch397 ist Gott sei dank fertig. Aber danach kommt eine Reihe von Kleinigkeiten und besonders von Manuskriptenlesen. Besonders langsam geht es bei mir mit dem lesen des neuen Plivierbuches.398 Ich bin ja in gewissem Sinne ein Initiator dieses buches! Und darum ist mein interesse gross. Aber es scheint mir zu lang und raisonneurmässig geschrieben. Ich habe schon 2/3 gelesen und weis noch nicht wie es zu Ende geht. Bei uns ist afrikanische Hitze. Es ist nicht leicht zu arbeiten. Olga war in Leningrad, sie kommt morgen. Vielleicht reisen wir im Juli zur Narzanquelle – da macht man den Kur für das ermüdete Herz. Ich warte mit neugier auf deinen Brief mit den Eindrücke aus Paris – heute in der Zeitung stand, das du geredet hast.399 Also besten Gruss an dir und Helli. An Steff werde ich rechtzeitig schreiben. Dein alter Sergei. Überlieferung: Ms, BBA 477/131–132. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 410f.

Armin Kesser an Bertolt Brecht [Zürich] 24.6.1935 24.6.35

Mit herzlichem Gruß! Sie werden unzufrieden sein. Leider bin ich hier noch nicht fertig, sonst hätte ich geschrieben, wann ich komme. Hier gab es einen 3 Groschen-Krawall aus denselben Gründen, weswegen die Züricher Ztg. meine Kritik abgelehnt hat.400 Ihr Armin Kesser Überlieferung: Ms, BBA 481/7.

397 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935. 398 Theodor Plievier, Das große Abenteuer, Amsterdam 1936. Tretjakow bezog sich hier offenbar auf das noch unveröffentlichte Manuskript. 399 Brecht hielt seine Rede auf dem Pariser Schriftstellerkongreß am 23.6.1935. Vgl. Eine notwendige Feststellung zum Kampf gegen die Barbarei, GBA 22, S. 141–146. 400 Anläßlich eines Gastspiels des Prager Burian-Theaterkollektivs, das am 20.6.1935 die Dreigroschenoper am Zürcher Schauspielhaus aufführte, kam es zu antisemitischen Demonstrationen der Schweizer Frontisten gegen Brecht und Weill, denen vorgeworfen wurde, „nichtarischen Geblüts“ zu sein (vgl. BC, S. 449). Kessers Richtigstellung, Brechts „Abstammung“ betreffend, erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 28.6.1935, vgl. Kesser, 7.7.1935.

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Bernhard Reich an Bertolt Brecht [Moskau] 26.6.1935

26. Juni 1935

An

Bert Brecht, Skovsbostrande Dansmark. Lieber Bert Brecht, Ich habe „Die Spitzkoepfe und die Rundkoepfe“ erhalten, habe sie aber zur Vervielfaeltigung weitergegeben; habe sie deshalb noch nicht gelesen. Weiters arbeite ich sehr intensiv an dem Artikel ueber Dich, habe ungefaehr 23 Seiten schon geschrieben, denke ihn in den naechsten Tagen zu beenden. Ich werde ihn Dir einsenden.401 Hast Du meinen Aufsatz ueber Stanislawski402 erhalten? Hanns Eisler ist angekommen.403 Ob ich nach Daenemark komme, ist sehr fraglich. Vorlaeufig beste Gruesse Reich Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/81.

401 Ein solcher Artikel ist anscheinend nicht überliefert. Etliche Jahre später aber publizierte Bernhard Reich seine Erinnerungen an Brecht (Beilage zu Theater der Zeit, Berlin/DDR 1966). 402 Der russische Schauspieler, Regisseur, Pädagoge und Theaterwissenschaftler Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, eigentl. Alexejew (Konstantin Sergeevič Stanislavskij bzw. Alekseev, 1863–1938), Mitinitiator des Moskauer Künstlertheaters (1898), gilt als Begründer einer individuellen, vom traditionellen Rollenfach emanzipierten Spielweise. Sein Buch My Life in Art (zuerst 1924 auf englisch erschienen) habe Brecht, wie er schrieb, „mit Neid und Unruhe“ gelesen (B. an Piscator, Juli 1936, GBA 28, S. 558). Mit dem sogenannten Stanislawski-System hat er sich fortan intensiv befaßt und nicht zuletzt in Abgrenzung von dieser auf der Einfühlung des Schauspielers in die Figur basierenden Schauspieltechnik sein Konzept einer epischen Spielweise entwickelt. 403 Hanns Eisler war von Liberec (vgl. Anm. zu Eisler, 1.6.1935) weiter nach Moskau gereist, wo gerade der VII. Weltkongreß der Komintern (25.7.–20.8.1935) vorbereitet wurde. Er arbeitete dort im IMB, dessen Vorsitz er Anfang Juli 1935 übernahm.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 27.6.1935 Prag, den 27.6.35 Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, (oder falls noch nicht aus Paris zurück, liebe Helene!) Der Verlag schreibt mir sehr heftige Briefe, weil er noch immer nicht die Manuskripte bekommen hat.404 Wenn er sie nicht umgehend bekommt, können die Bücher nicht mehr dieses Jahr erscheinen. Das wäre doch sehr bedauerlich, umsomehr, als ich sie schon angekündigt habe. Bitte daher umgehend die fehlenden Einakter zu schicken, insbesondere „Mann ist Mann“, aber auch die andern. Schreib mir, wie es in Paris war und ob Böff405, der mir leider auf meinen Brief nicht antwortete, noch dort ist, oder schon bei Dir, und wielange er bleibt. Wenn es irgend geht, werde ich hinkommen. Vorläufig sehe ich leider keine Möglichkeit. Hast Du das letzte Heft der NDB bekommen und bist Du halbwegs befriedigt trotz solcher Mitarbeiter wie Roda-Roda406 und Roeld407? Ich schrieb Dir nach Paris eine Karte, von der ich nicht weiss, ob sie ankam, und teilte Dir darauf mit, dass Eisler sehr auf den Druck der Noten wartet.408 Ich habe ihm die Einwände gesagt und er wird einige Stellen in dem Klavierauszug vereinfachen lassen, ausserdem aber sind die Ueberschriften der einzelnen Lieder oder Songs noch provisorisch (sie stammen gar nicht von Dir, sondern von dem Hersteller des Klavierauszuges), und es muss darüber auch möglichst schnell Beschluss gefasst werden. Hast Du die Noten wieder an den Verlag zurückgegeben? Eisler ist gerade drüben,409 bleibt aber nicht allzulange, es wäre gut, wenn Du sofort an ihn, c/o Vegaar, schreiben wolltest. Bitte, schicke gleich die fehlenden Stücke. Herzlichen Gruss, auch an Helene und die Kinder Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/31.

404 Vgl. den ersten der beiden Briefe von Herzfelde, 6.6.1935. 405 D.i. George Grosz, der sich von Juni bis September 1935 zu Besuch in Europa aufhielt. 406 Alexander Roda Roda, d.i. Sándor Friedrich Rosenfeld (1872–1945), ungarisch-österreichischer Schriftsteller. Emigrierte kurz vor dem „Anschluß“ Österreichs über die Schweiz in die USA. 407 Otto Roeld, d.i. Otto Rosenfeld, deutschsprachiger Prager Schriftsteller. 408 Vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935. 409 Vgl. Anm. zu Reich, 26.6.1935.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 27.6.1935 27.6.35. Lieber Brecht, vielen Dank für Ihren Brief 410, Brief der Weigel, Karte von Borchardt und freundschaftliches Gedenken und Anerbieten. Ich habe Borch. gleich meine Adr. geschickt. Ja, ich habe ziemlich genug von hier, d.h. insbesondere von der reakt. Stadt. Zu anderen Staedten fehlt mir der […] (ich hoffe, der Artikel stimmt), dagegen bekomme ich, falls ich nicht genug habe, den [unleserlich], um meine Reise nach Minsk zu bewerkstelligen. Der […]411 in D. besteht aus einer 1. Hypothek auf ein gutes Haus (unser altes), die halbjährlich kündbar ist und von der noch regelmässig Zinsen bezahlt werden an den Verwalter für mich und meine Schwester. (M. 15.000.- (jede die Hälfte)). Ferner M. 2000.- Goldpfandbriefe (bringen 4%, stehen schlecht). Letztere können wohl am leichtesten verkauft werden + und an diese dachte ich am meisten. – Wir befürchten nun, dass inzwischen alles auf Sperrkonto gekommen ist, haben noch keine Nachricht darüber, da der Briefwechsel so schwierig, wenngleich der Verwalter ein zuverlässiger, vielleicht etwas zu pedentischer Mann ist. (Münster in Westf.) Vielleicht fällt Ihnen was ein. Bitte an die Weigel: Wollsachen, Decken, Kissen reinmotten! Vielen Dank. Ich bin etwas erleichtert durch Ihren Brief. Wegen der Novellen, glaube ich, kommt wirklich nur Wieland in Frage. Übrigens: haben Sie noch die Frau Einsmann-Geschichte412? Könnten Sie jetzt vielleicht anbringen. Sie müssten allerdings das Gerichtsurteil wenigstens inhaltlich dabei haben. Ich sprach mit jemandem hier darüber. Ich bin manchmal etwas kaputt und schreibe dann entsprechende Briefe, man gewöhnt sich hier leicht daran, heftig zu werden, zarte Mittel ziehen hier nicht. Und das färbt dann leicht auf alles ab. Herzlichst inzwischen Ihre B. Wegen der restl. Möbel muss ich mal abwarten, bis jemand Zuverlässiges rüberfährt. Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel Statler St. Louis; BBA 480/2–5.

410 Nicht überliefert. 411 Anscheinend handelt es sich um das gleiche unleserliche Wort wie im ersten Absatz. 412 Der Arbeitsplatz. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht Moskau, 28.6.1935 Moskau, den 28. Juni Lieber Brecht, ich komme jetzt möglichst rasch zu Dir. Ich hoffe, dass wir bestimmt am 15. Juli bei Euch eintreffen, vielleicht geht es aber auch schon paar Tage früher. Bitte noch etwas orgartiges: veranlasse doch, dass wir die Wohnung bekommen, die Ratz voriges Jahr gehabt hat,413 sie ist wegen Bad und Restaurant bequemer. Es wäre fein, wenn das noch gehen würde, ich möchte nicht gerne bei der Enke wohnen, es ist zu unbequem. Ich bin hier in angestrengter Arbeit und höre überall zu meiner grossen Freude, dass Du sehr gut abgeschnitten hast.414 In Eile herzliche Grüsse von Deinem alten Eisler Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/17. – E: Eisler, Briefe, S. 102ff.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis] 29.6.1935 29.6.35 Lieber Brecht, ich möchte Sie noch um etwas bitten: es war vor einigen Tagen ein Bekannter aus New York hier auf der Durchreise. Dieser hat mir etwas Geld gegeben, damit ich mich die naechsten beiden Monate, wo ich ja gar keine Aussicht auf Arbeit habe – zumindestens die Schulen sind bis Mitte September geschlossen –, etwas ueber Wasser halten kann. Er ist selber ein Emmigrant [sic] und wahnsinnig anstaendig, und ich moechte ihm schon das Geld wiedergeben. Er kennt nur Goldschmidt415 und sagt, dass fuer diesen ungeheuer viel Sachen in Szene gesetzt worden seien und er auch festes Gehalt bekommen haette bzw noch 413 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935. 414 Das könnte sich auf Brechts Aufenthalt in Moskau im Frühjahr 1935, aber auch auf seine Rede beim Pariser Schriftstellerkongreß wenige Tage zuvor beziehen. Fraglich allerdings, bei wem er mit der Forderung: „sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!“ (GBA 22, S. 146) in Moskau, wo man unterdessen lieber vom bürgerlichen Kulturerbe sprach, das es gegen den Faschismus zu verteidigen gelte, gut abgeschnitten haben könnte. 415 Möglicherweise der österreichische Filmproduzent Isidor Goldschmidt (1893–1964), der in den 1930er Jahren ins Exil ging und als Isadore Goldsmith für die Britische Filmindustrie arbeitete.

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bekaeme, er koenne Ihnen also wenigstens etwas abzahlen, ohne dass Sie unanstaendig oder unangenehm dastuenden. Nun hatten Sie mir mal in Berlin die Summe (400) zediert und ich hatte wiederholt an G. geschrieben, ohne dass er reagiert hätte. Koennten Sie mir nicht nochmal eine Zession schicken, gleich? Natuerlich, nur wenn Sie wollen. Mir wuerde es meine Lage ungeheuer erleichtern. Denn fuer die naechsten drei usw. Monate sehe ich schwarz, da sich auch ein Angebot auf freies Wohnen zerschlagen hat. Dieser Mann, der hier war, war so entsetzt ueber die Verhaeltnisse hier, dass er mir fest versprochen hat, falls sich das mit Minna416 hinaus schiebt, mir was in New York im Herbst zu verschaffen, er selbst ist dann als Professor dort. Trotzdem so viel mehr Emmigranten in NY sind, ist es so viel besser dort. Aber das gilt alles erst fuer Ende September. Da Lorre auch nicht zahlt (er hat mir zwar schriftlich bestaetigt, dass ich 500 M von ihm bekomme) und nur ein Anwalt helfen wuerde, den ich aber nicht zahlen kann, taeten Sie mir mit der Goldschmidtzession einen riesengrossen Gefallen. Nehmen Sie die vielen Auftraege nicht uebel. Herzlichst Ihre B. [Hs.] Das mit dem letzten Brief klappte sehr gut. Am 17. gehen die ‚Champlain‘ und die ‚Washington‘ zurück. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 480/1.

Willi Münzenberg an Bertolt Brecht Paris [Ende Juni 1935]417 Lieber Freund, ich habe ausserordentlich bedauert, dass ich Dich nicht treffen konnte.418 Gern wollte ich von Dir eine Kritik und Meinung ueber den Schriftstellerkongress haben und zwar fuer Freunde, die mich gebeten haben und denen viel daran liegt, von Dir eine Meinungsaeusserung zu haben. Bitte schreibe mir Deine Meinung offen und ehrlich, wie unter Freunden.419 Weiter bitte ich Dich sehr, wenn irgend moeglich fuer das naechste Heft von Unsere Zeit einen neuen Beitrag zu schreiben, wobei Du das Thema frei waehlen kannst.420 416 Vermutlich ein Codewort für Moskau. 417 Datierung nach Brief von Münzenberg vom 5.7.1935. 418 Brecht war als Redner zum I. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur geladen und hielt sich zu diesem Zweck vom 16. bis zum 26.6.1935 in Paris auf. 419 Was Brecht sich von Kongressen zur Verteidigung der Kultur versprach, äußerte er in einem Brief an Grosz Ende Juni/Anfang Juli 1935, GBA 28, S. 510f. 420 Dieser Bitte entsprach Brecht nicht.

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Ausserdem wollte ich mit Dir sprechen, ob nicht eine Verstaendigung in der Frage des Filmmanuskriptes „Spitzkoepfe und Rundkoepfe“ moeglich ist.421 Ich habe mit verschiedenen Freunden darueber gesprochen und alle legen grossen Wert darauf, dass Du diesen Film schreibst. Kannst Du mir die Bedingungen nennen (ein Minimum an Valuta) und besonders die Zeit sagen, die Du brauchst? – Ich moechte gern alles tun, damit dieser Film wirklich geschrieben und hergestellt wird. Mit den besten Grüssen Willi Münzenberg Adr. Editions du Carrefour, Paris 83 Boulevard Montparnasse. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/70.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht [Moskau] 2.7.1935

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Lieber Brecht. Ich glaube – zu deiner Rückkehr422 hast du eine ganze Menge meiner Briefe erhalten. Danke dir sehr für deinen Brief über den Kongress.423 Unsere leute sind noch nicht zurück und darum sind für uns die Zeitungen und briefe – die einzige kenntnisquellen. Am erstens danke ich sehr dir und Karin424 für die grosse freundlichkeit, die mich sehr gerührt hat. Ich war ganz erstaunt als ich unter dem Telegramm namen sah die mich kaum kennen wie Gide425 oder Feuchtwanger, Tzara426. Besonders rührend war Panferow427. Das 421 Der Plan, das Stück zu verfilmen, wurde bald konkretisiert. Im November 1935 schloß Brecht mit Meshrabpomfilm einen Vertrag, in dem er sich zur Mitarbeit am Szenarium verpflichtete, und setzte ein Exposé auf (GBA 19, S. 378–380). Regie sollte Erwin Piscator führen (vgl. B. an Piscator, 8.12.1935, GBA 28, S. 537). Das Vorhaben wurde jedoch nicht realisiert. 422 Vgl. Anm. zu Münzenberg, Ende Juni 1935. 423 Nicht überliefert. 424 Karin Michaelis. 425 Der französische Schriftsteller André Gide (1869–1951) stand seit Anfang der 1930er Jahre der kommunistischen Partei nahe. Nach einer Reise in die UdSSR, deren Eindrücke er in dem Buch Retour de l’U.R.S.S. (1936) schilderte, ging er allerdings auf Distanz. 426 Tristan Tzara, d.i. Samuel Rosenstock (1896–1963), rumänischer Schriftsteller, Mitbegründer der Züricher Gruppe der Dadaisten, seit 1919 in Paris. Das Telegramm, das Tretjakow von Brecht aus Paris erhalten hatte, ist nicht überliefert. 427 Fjodor Iwanowitsch Panfjorow (Fëdor Ivanovič Panfërov, 1896–1960), russischer Schriftsteller, Autor sogenannter Produktionsromane im Stil des „sozialistischen Realismus“.

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war für mich ein gutes Geschenk – es wurde eingekommen gerade am Tage meines Geburtstags. Karin war ein guter Santa Klaus. Jetzt muss es zur Arbeit kommen. Die Reihenfolge der Deutschen mitglieder des Büro’s428 ist scheinbar noch nicht vollendet. Interessant wer wird da drin. Meinetmeinung [sic] ist es jetzt wichtig eine planmäßige arbeit zu unternehmen so das die Schriftsteller eine gewisse produktion darstellen, und nicht nur für ihre eigene Länder sondern auch kreuzend: z.b. es entsteht eine kampagne in Amerika – wir alle vorbereiten material dafür. Oder. Es kommt ein fest bei uns – und nicht nur wir, sondern auch du, Eisler usw. arbeiten für diesen fest. Ich sprach schon mit E.429 wie wichtig es wäre hier lieder zu komponieren. Man braucht sie sehr. Man nimmt und singt jede die etwas passt. Wir sprachen wieder mit E. über die lustspiel „Mu“430 (ich glaube du weist das Thema) aber weiter als gespräche geht es nicht weil E. fährt in wenigen Tagen weg. Immer bin ich von Kleinigkeiten zerrissen und komme nicht zu dem Chinabuch.431 Ochlopkoff habe ich aus dem Sicht verloren – er hatte viel zu tun mit dem Theaterraum und jetzt ist nach süden abgereist um sich zu erhohlen. Was ich möchte (als Traum) Eine Reise, der vorigen jahre ähnliche mit dir und noch paar gute Freunde durch die USSR zu machen.432 Tania433 ist schon am Schwarzen Meere. Olga fühlt sich gut. Sie lässt dich und Helli herzlichst grüssen. Mein Portraitbuch434 ist im Satz. Wenn ich von ihm denke so wünsche ich es wieder auf den Tisch legen und es von anfang schreiben. Ich bin nicht zufrieden. Auf wiederschreiben. Dein sehr alter STretiakow. Überlieferung: Ms, BBA 477/129–130. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 411f.

428 Gemeint ist das Büro des Sekretariats der Internationalen Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur in Paris, die im Dezember 1935 die MORP ablöste. 429 Hanns Eisler, der sich im Juni/Juli 1935 in Moskau aufhielt. 430 Ob ein solches Lustspiel jemals zustande kam, konnte nicht ermittelt werden. Entwürfe sind anscheinend nicht überliefert. 431 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 24.6.1935. 432 Tretjakow hatte im Anschluß an den Moskauer Schriftstellerkongreß (vgl. Anm. zu Piscator, 27.8.1933) Oskar Maria Graf, Ernst Toller, Theodor Plievier u.a. auf einer Reise durch den Süden der UdSSR begleitet. 433 Tatjana Sergejewna Gomolizkaja (Tat‘jana Sergeevna Gomolickaja), die Tochter von Olga Tretjakowa. 434 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 2.7.1935 Paris den 2 Juli 35 Lieber Brecht, Leider bekam ich Ihren neuen Text von dem Vortrag435 zu spät. Am Donnerstag den 27 waren schon die Abzüge fertig. Mit gleicher Post schicke ich Ihnen einen Exemplar davon. Darin sind einige kleine Veränderungen, die ich mit Parthos436 [?] gemacht habe. Die Stellen wo wir etwas verändert haben, sind mit Bleistift unterstrichen. z.B.: „Wenn die Verbrechen sich häufen, werden sie unsichtbar“, haben wir in „...... werden sie nicht mehr gezählt“ verändert, denn die Verbrechen sind keineswegs unsichtbar, sondern sie werden nicht mehr von den Menschen als Ereignis registriert. Hofentlich sind Sie damit einverstanden. Schreiben Sie mir bitte, ob ich diese Veränderungen auch in die neue Fassung eintragen soll. Übrigens ich finde Ihre neue Fassung des Vortrags viel besser und deutlicher. Ich habe sofort es dem Becher und Kantorowicz gezeigt. Es soll bald eine neue Auflage dieser Abzüge kommen. Man hat mir versprochen, dann die neue Fassung abzuziehen. Ebenfalls sagte man mir, Ihrer Vortrag soll in „Unsere Zeit“ abgedruckt werden.437 John Hartfield [sic] bat mich Ihnen zu schreiben, einen Durchschlag vom Vortrag sofort an W. Herzfelde zu schicken, für die „Neuen Deutschen Blätter“. Schicken Sie mir bitte noch einen Durchschlag, damit ich eins da habe, falls der erste Durchschlag aus irgend einem Grund verloren ginge. Hier hat man mich gewarnt in dem Pass meinen Beruf zu verändern, weil ich dann noch grösseren Schwierigkeit haben würde. Wie steht es jetzt mit dem Visum? Grüssen Sie bitte Frau Weigel, Michaelis und Stephin [sic]. Herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ms, BBA 478/50–51.

435 Brechts Rede auf dem Pariser Schriftstellerkongreß vom 23.6.1935 (Eine notwendige Feststellung zum Kampf gegen die Barbarei, GBA 22, S. 141–146). Dudow war an der Redaktion des Textes für die Veröffentlichung in einer Sonderausgabe der Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek beteiligt. Die Änderungen, die er dabei vorgenommen hatte, waren in der Druckfassung jedoch wieder rückgängig gemacht worden (vgl. Anm. in GBA 22, S. 930f.). 436 Möglicherweise Paul Partos, vgl. Anm. zu Korsch, 14.5.1935. 437 Die Rede wurde nicht in Unsere Zeit, sondern in den Neuen Deutschen Blättern gedruckt. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.

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Willi Münzenberg an Bertolt Brecht Paris, 5.7.1935 Paris, den 5.7.35 Lieber Freund, Ich schrieb Dir vor ueber einer Woche einen Brief, auf den ich bis heute noch keine Antwort von Dir erhielt. Da die Angelegenheit, in der ich Dir schrieb, sehr dringend und wichtig ist, waere ich Dir dankbar, wenn Du moeglichst umgehend von Dir hoeren liessest. Mit bestem Gruss W.M. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/66.

Armin Kesser an Bertolt Brecht Zürich, 7.7.1935 Herrn Bert Brecht Skobostrand per Svendborg Dänemark Lieber Bert Brecht, darf ich Ihnen für alle Unfälle meine neue Adresse mitteilen: Kreuzstr. 47, Zürich. Ich habe weitere Schuld auf mich geladen, indem ich in der N. Züricher Ztg., die Sie des Nichtariertums verdächtigte, erklären liess, dass Sie keineswegs aus „rassischen“ Gründen der Schrifttumskammer ferngeblieben sind.438 Es gab da auch Gelegenheit, einen Vers aus der Ballade vom Baum und den Ästen439 anzubringen. („Sie dachten, da springen wir gleich ..“) Mit herzlichem Gruss Ihr Armin Kesser 7.7.35 Überlieferung: Ts, hs. U., Postkarte: Klosters – Pratigau (Poststempel: Zürich 7.VII.1935); BBA 481/7.

438 Vgl. Anm. zu Kesser, 24.6.1935. 439 Die Ballade vom Baum und den Ästen erschien am 20.1.1934 in Unsere Zeit, jetzt in GBA 11, S. 224f.

446

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Kurt Kläber an Bertolt Brecht [Zürich] 8.7.1935 8. Juli 35. Lieber Bert! Dank für den Gruss.440 Lies441 hat Deine Sachen weitergegeben, weil wir hier eine Kampagne für den Kongress442 machen wollten, aber Paris klappt in Material so schlecht, dass sie sich wahrscheinlich wieder totläuft. Nun vorläufig besteht noch Hoffnung. Das Sechstagerennen ist sonst so ausgegangen, wie es angefangen hat. Am Dienstag war nebenbei der ganze Nachmittag von Trotzkisten attakiert. Sie hatten das recht gut organisiert. Rückwirkend hat man aber doch das Gefühl, es war etwas, und es kommt nun nur noch darauf an, was macht man daraus. Schade, dass wir bei allem so wenig über Arbeitsdinge gesprochen haben. Es wäre vielleicht recht förderlich gewesen. Aber vielleicht sehen wir uns, wenn es nichts mit unsrer Herbstreise in den Norden wird im Winter in Paris. Ich glaube, dass ich mich Mitte November dort wieder für einige Zeit niederlasse. Anbei ein paar Sachen über die 3 groschenoper in Zue.443

herzlichst Dein Kurt Kläber

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 481/3.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 8.7.1935 Prag, den 8.7.35 Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, schön wärs, auf die Briefe Antwort zu bekommen. Aus einer Karte von Grosz sehe ich, dass Du wieder oben bist444 und wiederhole daher meine verschiedenen Bitten. 440 Nicht überliefert. Möglicherweise hatte Brecht den Gruß von einem Dritten ausrichten lassen. 441 Lisa Tetzner. 442 Der 1. Pariser Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 443 Vgl. Anm. zu Kesser, 24.6.1935. 444 Brecht reiste am 26.6.1935 von Paris zurück nach Svendborg.

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1/ die Dramen, insbesondere „Mann ist Mann“ umgehend zu schicken. 2/ mit Eisler die Angelegenheit des Notendruckes zu klären.445 3/ Kamienietzki446 Nachricht zu geben, wie es wegen der polnischen Ausgabe des Dreigroschen-Romans steht. Er wurde inzwischen operiert und seine Adresse lautet: Dr. B. Endelmann, Warszawa I, Zielna 35, Kanieniecki [sic]. Lass mich bitte nicht mehr lange warten, herzlichen Gruss, Dir, Frau und Kindern, Dein Wieland [Hs.] PS. Anbei vier Probesachen. Welche Art gefällt Dir am besten? mir S. 3 oder 1. PS. Ich will Deine Rede (Entwurf) im Juliheft drucken.447 Falls am Text, wie er im Bulletin […] steht, Korrekturen vorzunehmen sind, bitte sofort schicken. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/30.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 12.7.1935 Prag, den 12.7.35 Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danako Lieber Brecht, eben kommt Dein Brief448 und ich antworte schnell. Nach Mitteilungen des Verlags449 hat er die Rundköpfe und die Spitzköpfe schon. Ich nehme an, das Expl., das Du schickst, enthält noch Aenderungen und sende es mit der Weisung weiter, danach zu setzen. „Mann ist Mann“ noch dazu, und der 1. Band wäre komplett. „Mahagonny“ hat der Verlag offenbar, denn er hat es nicht nochmals gefordert. Schick bitte auch recht bald bitte [sic] das Material für den zweiten Band. Ich wiederhole den Inhalt: „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“, „Die Mutter“, „Die Ausnahme und die Regel“, „Die Massnahme“.

445 Vgl. Anm. zu Eisler, 4.1.1935. 446 Igor Kamieniecki. 447 Vgl. Anm. zu Dudow, 2.7.1935. 448 Nicht überliefert. 449 VEGAAR. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.

448

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Was das Format angeht, so habe ich den Unterschied zwischen der grossen und der kleinen Lenin-Ausgabe450 nicht im Kopf. Ich sandte Dir gerade Probeabzüge, aus denen der Spiegel ungefähr ersichtlich ist. Mir erscheint er zu quadratisch. Ich würde ihn gern höher machen. Die Frage ist nur, in welchem Format Böff451 die Zeichnungen herstellt. Da Du jetzt nicht weit von ihm entfernt bist, sprich doch bitte mit ihm. Ich lass ihn fragen, welches Format das Zeichenpapier hat, auf dem er die Illustrationen herstellt. Wenn er ein etwas längliches nehmen würde, könnte man ein viel hübscheres Format des Buches erzielen. Umgekehrt sieht es aber schrecklich aus, wenn man ein schlankes Buch macht und darin Zeichnungen auf quadratischem Papier. Diesbezgl. Nachricht ist sehr eilig wegen der Papieranschaffung. Was Du von Böff schreibst, entspricht ganz meiner Erwartung und übrigens auch dem Standpunkt, den wir beide kürzlich drüben vertreten haben. Korrekturen kommen natürlich. Von meiner Tolstoi-Ausgabe habe ich nichts mehr übrig. Dagegen von anderen Tolstoi-Ausgaben. Ich denke, das ist Dir egal und schicke dieser Tage verschiedenes.452 Ostermoor schreibe ich gleichzeitig. Es hat sehr lange gedauert, bis ich Auskunft bekam, welche Verleger schon das Buch geprüft haben. Vorher wollte ich aber nicht antworten, denn doppelte Angebote kann man nur machen, wenn man darauf hinweist, dass das Buch schon einmal dort war. Wegen Deiner Rede schrieb ich Dir schon. Hoffentlich stimmt der Text im Bullet Herzlichst Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/29.

450 Neben der auf 24 Bände angelegten großen Lenin-Ausgabe (Sämtliche Werke), die seit Ende der 1920er Jahre im Verlag für Fremdsprachige Literatur in Moskau sowie im Verlag für Literatur und Politik in Wien und Berlin erschien, wurden ab 1932 von der VEGAAR in Moskau auch Ausgewählte Werke in zwölf Bänden herausgebracht. 451 George Grosz, der sich gerade zu Besuch in Europa aufhielt. 452 Eine entsprechende Anfrage Brechts ist nicht überliefert. Der Kontext legt nahe, daß es dabei allein um satztechnische Fragen ging. Das Werk Lew Nikolajewitsch Tolstois (Lev Nikolaevič Tolstoj, 1828–1910) erfuhr in der Sowjetunion, angeregt durch Georg Lukács’ Aufsatz „Erzählen oder beschreiben?“ (Internationale Literatur, Heft 11/1936), jedoch bald besondere Aufmerksamkeit. In der literaturpolitischen Debatte um den strategisch richtigen Umgang mit dem bürgerlichen Erbe wurde es, neben den Romanen Balzacs, zum klassen- und epochenübergreifend gültigen Modell einer realistischen Schreibweise stilisiert. Brecht hat sich damit intensiv auseinandergesetzt; vgl. seine (damals unveröffentlichten) Beiträge zur Frage des Realismus in GBA 22, S. 405–449.

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Frank Banholzer an Bertolt Brecht und Helene Weigel Stadtbergen, 12.7.1935 Stadtbergen, 12.VII.1935 Lieber Papa – liebe Tante Heli! Zuerst einmal vielen Dank für die 50 Mk. die Ihr Mama für mich geschickt habt. Sie hat mir von dem einen Anzug gekauft, den ich dringend gebraucht habe. Wie geht es Euch eigentlich? Hörte von dem Unglück, daß Ihr aus Deutschland verbannt wurdet und hoffe, daß es hier bald anders wird und Ihr zurückkommen könnt. Vom Arbeitsamte in Augsburg bekam ich bereits zwei Stellen angewiesen, die ich aber nicht bekommen konnte, da sie es mir zu spät mitteilten und bereits besetzt waren. Hoffentlich wird wieder eine frei. Wie geht es Steff und Barbara? Möchte Euch alle sehr gern wiedereinmal sehen, das hoffentlich bald sein wird. Bitte schreibt mir auch wiedereinmal! Meine Adresse: F.B. Stadtbergen, Oberer Stadtweg 66. Und nun viele Grüße und Dank Frank Überlieferung: Ms, BBA 654/145.

Willi Münzenberg an Bertolt Brecht 13.7.1935 13.7.35 Lieber Freund: 1. Ich habe Deinen Brief453 bekommen. In der Filmsache454 werde ich alles machen, was moeglich ist, damit dieser Film hergestellt und Deine Wuensche beruecksichtigt werden koennen. 2. Die „Fuenf Schwierigkeiten“ hatten wir an Gide, Malraux, an Heinrich und Thomas Mann und an Feuchtwanger bereits gesandt.

453 Nicht überliefert. 454 Vgl. Anm. zu Münzenberg, Ende Juni 1935.

450

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3. Ich finde Deinen Vorschlag, Propaganda mit kleinen Materialien zu machen, absolut richtig. Was von uns aus getan werden kann, um in dieser Richtung taetig zu sein, wird getan. Mit herzlichem Gruss h. Willi Hlm Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/69.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 15.7.1935 AMSTERDAM-C, den 15. Juli 1935

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg. Lieber Herr Brecht, Ich war sehr froh von Ihnen wieder zu hören.455 Ich habe Ihnen mehrmals vor Monaten geschrieben, aber da ich nie eine Antwort erhielt, nahm ich an, dass Sie die Briefe nicht erhalten haben. Ich habe mich infolgedessen auch nicht mehr mit der Vergebung der Auslandsrechte456 beschäftigt, denn um Verhandlungen zu führen und einen Abschluss zu effektuieren muss ich in Kontakt mit Ihnen stehen. Die Angebote für eine polnische Uebersetzung waren ± auf einer Basis von fl. 300.-, die ungarische auf einer Basis von fl. 200.Wenn Sie mir eine klare Zusicherung geben, dass ich die Abschlüsse für Sie vorbereiten kann und Sie unterschreiben werden, so könnte ich sicherlich noch mehrere Abschlüsse zustande bringen. Aber ich kann nicht verhandeln, wenn ich im entscheidenden Moment von Ihnen keine Antwort erhalte. Da ich von Ihnen nichts hörte und wir auch nicht einmal erfahren haben, mit welchen Ländern Sie abgeschlossen haben, obwohl wir vertragsgemäss das Recht haben 25 % der Einnahmen zu erhalten, war es für mich ausserordentlich schwierig, den Verlag zu neuen Vorschlägen zu bestimmen. 455 Vgl. Brief an Landauer, 10.7.1935, GBA 28, S. 513f. 456 Vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934.

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Es sind bis jetzt ungefähr 2000 Exemplare vom Dreigroschenroman verkauft. Ich werde Ihnen in den nächsten Monaten noch eine genaue Abrechnung zugehen lassen. Jedenfalls ist nur (verhältnismässig) ein geringer Teil des Vorschusses abgedeckt. Ich bitte Sie daher uns die Bedingungen Ihrer Verträge, die Sie in Dänemark und Frankreich geschlossen haben, bekanntzugeben und uns 1/4 der Einnahmen, die Sie bis jetzt erhalten haben, zu überweisen. Was Ihre neuen Pläne betrifft, so bin ich für alles ausserordentlich interessiert, was Sie vorhaben. Der Dreigroschenroman war nur ein Verlustgeschäft, in Anbetracht des sehr grossen Vorschusses, der dafür gegeben wurde. An sich war der Verkauf, der immer noch nicht aufgehört hat, keineswegs schlecht. Sie werden erfahren haben, dass vor einiger Zeit Herr de Lange gestorben ist.457 Obwohl der Verlag genau so weitergeführt wird wie bisher kann ich Ihnen unter diesen ganzen Umständen im Moment noch keine Vorschläge machen. Ich bitte Sie aber um die Liebenswürdigkeit, mir zu schreiben, was für einen Roman Sie vorhaben und wann Sie ihn schreiben wollen. Ich hoffe, dass ich Ihnen dann bald was näheres sagen kann. mit herzlichen Grüssen Ihr W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 580/26–27.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 15.7.1935 Prag, den 15.7.35 Bert Brecht, Thuro per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, Dank für Deinen Brief vom 13.458 Die Manuskripte gingen sofort weiter. Einige Fragen dazu:

457 Nach dem frühen Tod Gerard de Langes übernahm Antoine P.J. Kroonenburg die Leitung des Verlags Allert de Lange. 458 Nicht überliefert.

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Die in Klammern eingefügten Erklärungen und Beschreibungen sind z.T. mit kleinen, z.T. mit grossen Anfangsbuchstaben begonnen. Soll das so bleiben? Ich meine, entweder soll alles gross beginnen, oder klein nur dann, wenn der davor stehende Personennamen mit in den Satz gehört, also etwa: „Nana459 (betritt den Raum) ...“ usw. Gib umgehend Anweisung, weil man diese Frage an mich vom Verlag460 gerichtet hat. Manchmal steht in den „Rundköpfen“: „Herr de Guzman“, manchmal nur „de Guzman“ bei den Personenbezeichnungen. Das sollte man wohl durchgehend gleich machen, also wohl immer „de Guzman“ (natürlich nicht, wenn von ihm die Rede ist, etc.). Schliesslich noch eins: Du setzt die „Rundköpfe“ an das Ende des ersten Bandes. Aus zwei Gründen plädiere ich dafür, die Reihenfolge umzudrehen; also: Rundköpfe Dreigroschen-Oper Mahagonny Mann ist Mann 1) wird das Publikum leichter nach dem Buche greifen, wenn das erste Stück ein neues Stück ist. 2) wird Grosz voraussichtlich für die anderen Stücke nicht soviel Zeichnungen liefern wie für die Rundköpfe. Es wäre aber unschön, wenn die meisten Zeichnungen am Ende des Buches kämen. Gib also auch hierüber bitte umgehend Bescheid. Die Jamben werden also nicht kursiv gesetzt und selbstverständlich heisst es immer Bertolt. Die Regiebemerkungen werden immer eingeklammert [hs.: Punkt fällt weg]. Hoffentlich zeichnet Böff461 bald und viel. Tu das Deine! Melde schnell Format der Zeichnungen! Die Sonderabzüge bekommst Du natürlich. Euch allen herzlichste Grüsse Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U., hs. Notiz: „Haken für Spitzköpfe“, Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/28.

459 Richtig: Nanna, Figur aus Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. 460 VEGAAR. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935. 461 George Grosz.

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Per Knutzon an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 15.7.1935

15/7. 35

Lieber Brecht! Ich muss leider nach Martins fahren am 16 – und dann habe ich kein Geld für die Reise nach dir. Ich muss erst was verdienen am Rundfunk, dann komme ich. Es tut mir sehr leid, weil es doch sehr wichtig ist alles mit dir „zu besprechen“ – nicht nur „Dreigroschen Oper“,462 sondern auch alle die andere Pläne – Kann ich damit rechnen dass ich bekomme ein Vertrag von dir auf „Dreigroschen Oper“? Du weist doch dass Herr Strakosch463 meint dass er alle die Rechte hat (auch BlochErben) – – Sonst geht alles sehr gut – die […] ist so schön dich geworden (der liebe Got hat doch übrigens diese Sache sehr unbequem gemacht) – ich freue mich sehr mit dir über das ganze Repertoire u.s.w. zu sprechen. Also – Anfang August oder Ende July bekomme ich was Geld und dann komme ich – Viele Grüsse – Per. Überlieferung: Ms, BBA 476/21–22.

Ernst Bloch an Bertolt Brecht Paris, 16.7.1935 16.7.1935 6.8.35 [hs.: leider liegen geblieben]

Montrouge /Deine)-près Paris/ 42, Place Jules Ferry

Lieber Bert Brecht, es halten sich Spass und Ernst in Ihren freundschaftlichen Zeilen464 ununterscheidbar die Waage. Unterscheidender antworte ich: wenn ein bedeutender Dichter sich heutzutage, aus guten Gründen, „literarisiert“ oder „theoretisiert“, vielleicht hat es dann auch seinen

462 Vgl. Anm. zu Knutzon, Juni 1935. 463 Carl Strakosch (1871–1947), Kopenhagener Theaterverleger, der für Brechts früheren Berliner Verlag Felix Bloch Erben in Skandinavien zuständig war. 464 Vgl. Brief an Bloch, Anfang/Mitte Juli 1935, GBA 28, S. 511f. Brecht hatte Bloch kurz zuvor beim Pariser Schriftstellerkongreß wiedergetroffen.

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überlegten Sinn, wenn umgekehrt Philosophen den Bratenrock465 ausziehen, gelegentlich, und das treiben, was leicht wie Allotria (allerdings niemals wie Eulenspiegelei) aussieht. Es wachsen dadurch der Erkenntnis neue Formen zum Zweck der Durchdringung oder auch nur Beachtung kleiner, abseitiger, irritierender Gegenstände zu, deren Gewicht bei durchgehends [sic] würdiger Methode gar nicht wägbar ist. Aber vielleicht meinen wir etwas ganz Verschiedenes, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir numerieren würden, was denn Ihnen (der Behandlung, dem Stoff nach?) dem Guten im Weg steht. Das wäre zugleich eine Fortsetzung unseres Gesprächs, das Problem der nicht ausgekreisten, sondern endlich fachkundig besetzten und besiegten „Wärme“ („Irratio“) betreffend. (Jetzt schon macht sich, weil man gar nichts davon versteht und gar nichts hierin getan hat, in der Partei eine Art Vulgärmystizismus breit). Mein nächstes Buch466 rückt dem „Dunkel“ spezifisch auf den Leib und lehrt, zu sprechen, das heisst, denen, die munkeln, aufs faschistische Maul zu schlagen (Vulgärmystizisten bei uns putzt es die Zähne). Aber mit den alten Anschlägen, mit den Stil- und Denkmitteln unserer Oberlehrer auf den Universitäten geht das eben nicht. Zum (höchst erwünschten) Lehrbuch mit Paragraphen ist noch nicht die Zeit und auch noch nicht der Stoff. Auch Experiment im Vielen, mit einheitlich festgehaltenem Ziel, bereitet ihn vor. Kurz, ein kleiner Briefwechsel wäre hier nützlich. Herzlich Ihr Ernst Bloch. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 654/158.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht [Paris] 16.7.1935 16.7.35 Lieber Freund:

465 Brecht hatte Bloch, auf den Aufsatz „Zur Dreigroschenoper“ in dessen Erbschaft dieser Zeit (vgl. Anm. zu Benjamin, 9.1.1935) anspielend, geschrieben: „Ich muß Ihnen unbedingt meine Indignation ausdrücken über Ihr, ich muß schon sagen, regelwidriges Benehmen als Philosoph. Ich verlange keinen Bratenrock, wenigstens nicht unbedingt, d.h. warum eigentlich nicht einen Bratenrock verlangen?“ (GBA 28, S. 511). 466 Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz. Bloch schrieb dieses Buch bereits 1936/38; veröffentlicht wurde es, nach späterer Überarbeitung, jedoch erst 1972 als Band 7 der Werkausgabe im Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M.

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Vielen Dank fuer die Ballade.467 Wir hoffen, dass wir sie gut verwenden koennen und werden Dir noch schreiben. Willi und Babette468 sind fuer einige Tage nicht hier. Ich habe ihnen Deinen Brief469 nachgesandt. Die gewuenschten Exemplare von den „Fuenf Schwierigkeiten“470 findest Du anliegend. Mit freundlichen Gruessen Hans Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/68.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht [Juli 1935] Lieber Brecht, Deine Rede471 wird jetzt abgeschrieben, habe sie erst vor einigen Tagen von Dudow erhalten. Werde mich auch sofort darum kümmern, dass sie französisch noch einmal durchgesehen wird. Es gibt noch viel zu tun, schreibe mir doch einmal ganz offen Deine Ansicht über den Kongress. Herzlichst Dein HS Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/71.

Willi Münzenberg an Bertolt Brecht 17.7.1935 17. Juli 1935. Lieber Freund, Ich glaube, dass ein Freund, den wir beide sehr gut kennen, Dich in kuerze aufsuchen und Dir verschiedene Botschaften uebermitteln wird.

467 Vgl. B. an Becher, Juli 1935, GBA 28, S. 514f. Möglicherweise handelte es sich um das Gedicht Über den Satz die Barbarei kommt von der Barbarei, das Brecht nach dem Pariser Schriftstellerkongreß schrieb. Es bezieht sich unmittelbar auf seine dort gehaltene Rede (vgl. Anm. zu Tretjakow, 24.6.1935). Veröffentlicht wurde es jedoch nicht. Siehe jetzt GBA 14, S. 289. 468 Willi Münzenberg und Babette Gross. 469 Nicht überliefert. 470 Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. 471 Eine notwendige Feststellung zum Kampf gegen die Barbarei. Vgl. Anm. zu Dudow, 2.7.1935.

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Mit herzlichem Gruss h. Willi M. Hl. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/67.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht [Moskau] 19.7.1935

19. VII. 35

Lieber Bertolt. Das Olt wird sofort in das Bericht eingetragen.472 Ich hoffe – diesmal wird der Stück dich befriedigen. Schon die fassung die als Vorwort zu der Übersetzung deiner Dramen473 – gefällt den lesern sehr gut, zu dir grosse Ehre gebährend. Wie du siehst, versuche ich deinen hohen Stil gebrauchen, aber scheinbar gelingt es mir nicht. Leider komme ich immer nicht zum richtigen Schreiben – d.h. zum China-buche474 und dem Stück. Immer noch habe ich mit dem Überbleibsel von den Portraits475 zu tun. Die Zeitung hat mir 7 Porträts bestellt, aber ich fürchte – das ist für mich zu viel, und auch bin ich vom „deutschtum“ etwas müde. Ich möchte nur den Kisch erledigen – dann wäre alles gut. Er ist mir wichtig – dieser bericht wird für die anfänger ein reportagestudium. Unsere Pariser sind zurückgekommen und jetzt werden die abrisse der zukünftigen arbeit klar. Den 31 reise ich mit Olga nach Kislowodsk.476 Ich sende dir rechtzeitig dortige adresse. Ochlopkoff ist immer noch ausserhalb Moskau und darum kriegen die Rundköpfe keine bewegung. Ich fühle meine Schuld vor dir, das ich dir bis jetzt die Zeitungen nicht geschickt habe. Aber bis meiner abreise tue ich das. Eisler liegt immer noch zusammen mit Lu in einer scharfen furunkulose.477 Vor 25 denke ich hebt er sich nicht. Übrigens sind seine geschäfte mit den verlägern hier sehr gut, minimum 4 mal besser als deine. 472 Brecht hatte Tretjakow anscheinend gebeten – ein entsprechender Brief ist nicht erhalten –, in Übersetzungen und sonstigen Publikationen nicht „Bert“, sondern „Bertolt“ zu schreiben. 473 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935. 474 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 24.6.1935. 475 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935. 476 Als Kurort bekannte Stadt im Südwesten Rußlands, im Vorland des Kaukasus. 477 Vgl. Eisler, 20.7.1935. „Lu“ ist Louise Jolesch.

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Olga hat alte negative gefunden und sendet dir die abzüge. Du hast mir nicht geantwortet, ob der rollfilm den mir Grete gegeben hat in Leningrad eine unaufgenommene ist. Heute ist ein trauriger Tag. Sarchi478 ist gestorben – du musst ihn kennen – das ist der Szenarist der die Mutter und Ende St. Petersburg für Pudovkin479 geschrieben hat, und auch das Drama „Strasse der Freunde“480 in Rev-Theater. Beide wir grüssen und umarmen dich und Helli. Dem hoch-wohlgeborenen Steff einen hochachtungsvollen Gruss. Dein alter S. Überlieferung: Ms, BBA 477/127–128. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 412f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Moskau, 20.7.[1935] 20. Juli,

Moskau

Lieber Brecht, nachdem ich gewissermassen um die halbe Welt gefahren bin, ich habe 25000 Km hinter mir, bin ich jetzt leider durchaus bösartig erkrankt. Ich habe mich in Amer.481 infisziert, mit einer Hautkrankheit, die leider bei mir ziemlich schwere Formen angenommen hat. Es ist eine Milbenerkrankung (eine höhere Form der Krätze), die leider langwierig sein kann. Ich habe den besten Spez. von Moskau, einen Kreml Prof. nebst einer Pflegerin. Ich befinde mich in einem schaudervollen Zustand und bin mit den Nerven etwas herunter. Da man sich aber hier gegen mich grossartig benimmt und es mir an nichts mangelt, wird es mir doch auch leicht gemacht durchzuhalten. Es ist auch für meinen Arzt schwer eine Prognose zu stellen, aber ich habe doch Hoffnung, dass keine weiteren Komplikationen eintreten. Nach schaudervollen 8 Tagen befinde ich mich heute etwas besser. Wenn das so weiter geht, kann ich vielleicht in 10-14 Tagen fahren. Aber es kann auch passieren, dass ich überhaupt nicht fahren kann, dass mir die Aerzte die Reise nicht erlauben. Ich muss selbstverständlich völlig gesund werden. Das ist eine Katastrophe für mich, denn d.h. meinen Urlaub statt mit 478 Nathan Abramowitsch Sarchi (Natan Abramovič Zarchi, 1900–1935), russischer Schriftsteller und Drehbuchautor. 479 Wsewolod Illarionowitsch Pudowkin (Vsevolod Illarionovič Pudovkin, 1893–1953), russischer Filmregisseur, -schauspieler und -theoretiker. Mat’ (Die Mutter, UdSSR 1926, nach dem gleichnamigen Roman von Gorki) und Konec Sankt-Peterburga (Das Ende von St. Petersburg, UdSSR 1927) zählen zu seinen bedeutendsten Filmen. 480 Richtig: „Straße der Freude“. Das Drama Ulica radosti von Nathan Sarchi wurde 1932 im Revolutionstheater in Moskau uraufgeführt. 481 Amerika. Vgl. Eisler, 10.2.1935.

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Dir zu arbeiten, krank im Bett zu verbringen. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie mich diese Aussicht niederdrückt, denn ich lege den allergrössten Wert darauf, besonders da ich für ein Jahr nach Amerika gehe,482 nicht nur mit Dir in engstem Kontakt zu bleiben, sondern vor allem mit Dir etwas praktisches zu arbeiten. Also, um die Frage konkret zu stellen: entweder treffe ich Anfang August doch noch bei Dir ein, dann erhältst Du in 5 Tagen ein Telegramm von mir. Oder ich bin wie man in Wien sagt „geliefert“, d.h. werde den August im Bett verbringen und zwar in Moskau, da ich mir eine solche Pflege nur hier leisten kann. Aber auch dann würde ich Dich noch in Kopenhagen treffen können, vielleicht sogar noch ein paar Tage bei Dir bleiben können. Alles das wirst Du aus dem nächsten Telegramm ersehen. Praktisches: Bitte: schicke mir sofort per Luftpost e x p r e s s alles was an Post für uns eingelaufen ist bis auf telegrafischen Wiederruf. Nur Geldsendungen für Lou und für mich, bitte ich Dich aufzuheben, aber mir doch genau mitzuteilen wie viel gekommen ist. Mein Empfang hier, ist wirklich zum erstenmal schlechtweg grossartig. Alle Zeitungen bringen grosse Artikel über mich. Das ist sehr erfreulich. Ein Symthom [sic] dafür ist, dass der Staatsverlag mir cirka 20 000 R.483 auf den Tisch des Hauses legt. Besonders hübsch ist, dass der grösste Musikbonze der U.d.S.S.R., Miaskowsky484 von dem hier alles abhängt enthusiasmiert ist, vor allem von meiner Symphonie485 die selbstverständlich jetzt hier erscheint, und überall herumerzählt, dass es das grossartigste Stück ist, das er je gehört hat. Diese Mundreklame durch den offiziellen Vertreter der Sowjetmusik, den ich immer als Reaktionär bekämpfte und mit dem ich die allergrössten Differenzen hatte, ist für mich ungeheuer günstig. Ich werde jetzt nicht nur als rev. Komponist, sondern als grosser ausländischer Spez gewertet. Uebrigens zeigt das auch, was für falsche Taktik ich hier hatte, man muss diesen alten Bonzen mit technischen Leistungen den Mund stopfen. Da ich also zu meiner internat. Popularität, jetzt als symphonischer Techniker geschätzt werde, hat sich meine Position ungeheuer gebessert. (ich bin nicht mehr bloss „Agitka“486-Mann.) Das ist ja hocherfreulich. Ich habe übrigens einen sehr interessanten Kompositionsplan und zwar will ich eine grosse Symphonie schreiben, die den Untertitel „Konzentrationslagersymphonie“ haben wird.487 Es wird auch an einigen Stellen Chor verwendet, obwohl es durchaus ein Orchester­ werk ist. Und zwar werde ich Deine beiden Gedichte: Begräbnis des Hetzers im Zinksarg 482 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935. 483 Rubel. Das Geld erhielt Eisler als Honorar für die seit 1932 in der UdSSR in hohen Auflagen erschienenen zwölf Einzelausgaben seiner Lieder und Chöre. 484 Nikolai Jakowlewitsch Mjaskowski (Nikolaj Jakovlevič Mjaskovskij, 1881–1950), russischer Komponist, Mitglied im Vorstand des sowjetischen Komponistenverbands. 485 Eislers Kleine Sinfonie (op. 29); vgl. Anm. zu Eisler, 16.3.1935. 486 Russisch agitka: Agitationsschrift, -plakat. Hier ist offenbar Agitationskunst im allgemeinen gemeint. 487 Die 1947 vollendete Deutsche Symphonie (Epilog: 1959).

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(das wird der Mittelteil eines gross angelegten Trauermarsches) und an die Gefangenen in den Konzentrationslagern verwenden.488 Die ersten Skizzen die ich dazu gemacht habe (in Detroit) sind äusserst vielversprechend. Ich hoffe, dass das etwas grossartiges wird. Allerdings brauche ich ein halbes Jahr intensiver Arbeit dazu. Das schliesst selbstverständlich in keiner Weise eine neue Arbeit mit Dir aus. Einen so langen Brief an Dich zu schreiben, ohne daran zu denken, dass Du mir seit Februar entweder überhaupt nicht, oder nur sehr Weniges über Dich mitteilst ist schwer. Ich bitte Dich sehr, das nicht mehr zu machen, denn durch ein so langes Schweigen wird alles so unprezise489. Jetzt da ich krank bin, würden mich einige Deiner bewährten Formulierungen über das menschliche Leben und dessen Hinfälligkeit sehr erfrischen. Uebrigens wenn Du Zeit hast, bitte ich Dich einige kleinere Sachen, ev. Kantate für mich vorzubereiten. Also in 5 Tagen ein Telegramm. Die herzlichsten Wünsche und Grüsse von Deinem sehr beschädigten alten Eisler Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/15–16. – E: Eisler, Briefe, S. 105ff.

Babette Gross an Bertolt Brecht [Paris] 22.7.1935 22.7.35 Lieber Freund, ich schreibe Ihnen heute wegen folgender Angelegenheit: Unser gemeinsamer Freund490 möchte Sie gern auf der Durchreise durch Dänemark sprechen. Er ist am 3.8. in Kopenhagen und würde sich freuen, wenn er Sie nachmittags ab 230 am Bahnhof Klampenborg491 sehen könnte. Direkt neben dem Bahnhof ist ein Kaffee, wo man bis 530 Uhr auf Sie warten wird. Klampenborg erreicht man durch Vorortzug, ca. 15 Minuten vom Kopenhagener Hauptbahnhof. Ich weiss zwar nicht, ob es Ihnen möglich sein wird, die Reise aus der Provinz nach Kopenhagen zu machen; jedenfalls würde es ihn ausserordentlich freuen, Sie zu sehen. Mit bestem Gruss Babettfrou Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/65. 488 Das Gedicht Begräbnis des Hetzers im Zinksarg (GBA 11, S. 227f.) wurde in Teil IV der Symphonie verwendet, An die Kämpfer in den Konzentrationslagern (ebd., S. 227) in Teil II. 489 Eine typisch Eislersche Schreibweise. 490 Vgl. Münzenberg, 17.7.1935. 491 Vorort von Kopenhagen im Øresund.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 24.7.1935 Prag, den 24.7.35 Lieber Brecht, Du findest anbei ein Schauspiel „Platz der Wahrheit und dem Licht“492 nebst Begleitbrief. So abstrus und dilletantisch [sic] dieser Mann ist, ich finde, dass trotzdem Begabung und Originalität in ihm steckt. Ich bin aber sehr verlegen, wie man ihm antworten soll. Könnest Du mir das vielleicht abnehmen? Auf jeden Fall wird Dich die Lektüre vermutlich etwas interessieren. Bei der Gelegenheit erinnere ich Dich noch einmal daran, dass das Format der Zeichnungen von Böff493 zu erfahren für mich ausserordentlich wichtig ist, da Papier angeschafft werden muss und meine diesbezgl. Angaben dann zu spät kommen. Auch wäre es gut, wenn Du bald die Stücke für den zweiten Band schicken könntest. Die Sonderabzüge Deiner Rede494 gehen Dir bald zu. Herzliche Grüsse auch an Böff, wenn Du ihn siehst. Ich lass ihn bitten, mir zu antworten. Dein Wieland Anlage: [Hs.] Manuscr. geht als Drucksache Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/27.

492 Es handelt sich um das Stück eines polnischen Autors, dessen Name nicht ermittelt wurde. Brecht nannte ihn „H.K.“; vgl. B. an Herzfelde, Ende Juli/Anfang August 1935, GBA 28, S. 517f. 493 Gemeint sind die Illustrationen von George Grosz für die geplante Neuausgabe der Versuche, der späteren Gesammelten Werke Brechts. 494 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.

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Hermann Budzislawski495 an Bertolt Brecht [Prag] 24.7.1935 24.7.1935 Sehr geehrter Herr Brecht, seit sehr langer Zeit bemühe ich mich, mit Ihnen Konnex zu erhalten. Ich habe mich seinerzeit mehrfach um Vermittlung an Herrn Ottwalt gewandt, der mir zusagte, dass er meine Wünsche an Sie weiterleiten würde, und ich habe auch Freunde in Moskau gebeten, mit Ihnen in Verbindung zu treten. Aber die Einschaltung von Verbindungsleuten scheint nicht das geeignete Mittel zu sein, um von Ihnen ein Gedicht zu erhalten. Denn darum handelte es sich. Ich nehme an, dass Sie die Weltbühne lesen und dass Sie auch in den gelegentlichen Kulturkritiken gefunden haben, wie ausserordentlich wir Ihre Gedichte schätzen. Natürlich kommen für unsere Zeitschrift nicht gerade diejenigen Gedichte in Betracht, die besonders stark parteigebunden sind, obwohl wir vor dem Wort Partei ja nicht gerade Angst haben. Aber wir würden uns doch sehr freuen, wenn Sie uns gelegentlich einmal etwas Allgemeineres zur Veröffentlichung übergeben würden, und wir denken noch immer mit Schmerz an die herrliche Ballade vom Baum und den Aesten, die wir gerade aus Ihrem Sammelband abdrucken wollten, als wir entdeckten, dass die Zeitschrift ‚Unsere Zeit‘ uns dieses schöne Gedicht schon weggeschnappt hatte.496 Es handelt sich nicht nur um Gedichte. Auch ein Prosastück würden wir gern einmal besitzen. Entweder ein Essai oder auch ein Stück aus einer grösseren literarischen Arbeit, in der Form der Vorabdrucke, die wir gelegentlich aus Romanmanuskripten vornehmen. Jedenfalls legen wir den allergrössten Wert darauf, Sie endlich zu unseren Mitarbeitern zählen zu dürfen und bitten Sie sehr, uns nicht zu lange auf ein Manuskript warten zu lassen. Mit sozialistischem Gruss Überlieferung: Ts, Privatarchiv Eckert.

495 Der Journalist Hermann Budzislawski (1901–1978), vormals freier Mitarbeiter der Weltbühne in Berlin, emigrierte 1933 über Zürich nach Prag und gab dort von 1934 bis 1939 die Neue Weltbühne heraus. Nach Internierung in Frankreich floh er 1940 über Portugal in die USA. Ab 1948 Professor für Journalistik in Leipzig. 496 Vgl. Anm. zu Kesser, 7.7.1935.

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Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 25.7.1935 Küsnacht bei Zürich, 25.7.35 Lieber Brecht, Arnold Zweig legt einem Brief an mich den beiliegenden Zettel ein, den ich Ihnen schicke, da ich keine Adresse der Gen. Steffin besitze. Warum schweigen Sie so hartnäckig? Ich meine, wenn zwei Leute wie wir in diesen Zeiten einer obendrein nur taktischen Frage der Politik nicht ganz einer Meinung sind, braucht dies kein Grund zu sein, sich gar nichts mehr zu sagen. Neulich besuchte mich ein Rechtsanwalt aus einer süddeutschen Mittelstadt und erzählte uns, an seinem Gericht seien in den letzten 4 Monaten 800! politische Prozesse verhandelt worden. Davon etwa die Hälfte gegen die Komm.497, die andere Hälfte gegen SP, Strasser498 Leute u.s.w. Allerdings seien die neuen Komm. nicht mehr mit den alten zu vergleichen, es handele sich um eine fast neue Bewegung, die mit der alten nicht mehr was gemein habe. Wenn Abessinien nicht den Weltkrieg bringt,499 wird es in Dtschld nicht mehr lange so gehen, wie es eben geht. Vom pariser Kongress hörte ich nur trübes,500 und bin nachträglich froh, dass ich nicht hinging. ich wollte anfangs reisen, aber der […] der Organisatoren unserer Gruppe war so gross, dass ich es unterließ. Sonst ist von hier wenig zu melden. [Ich beende]501 gerad meinen Roman502 und hoffe in 3 Wochen fertig zu sein. Schreiben Sie also wieder Ihrem alten Brentano. Überlieferung: Ms, BBA 481/11–12. 497 Kommunisten. 498 Gregor Strasser (1892–1934), einer der führenden Politiker der frühen nationalsozialistischen Bewegung, vertrat einen betont antikapitalistischen, sozialrevolutionären Kurs, um auch Arbeiter für die völkischen Ideale der NSDAP zu gewinnen. Er wurde noch vor der Regierungsübernahme der Partei von Hitler entmachtet, in der sogenannten Röhm-Affäre (vgl. Anm. zu Brentano, 14.7.1934) verhaftet und erschossen. 499 Italien versuchte, das Kaiserreich Abessinien (Äthiopien) schon seit dem späten 19. Jahrhundert zu unterwerfen. Am 3.10.1935 marschierten Truppen des faschistischen Italien erneut in Äthiopien ein. Der Krieg endete im Mai 1936 mit der Annexion des einstigen Kaiserreiches, das nun zur Kolonie Italienisch-Ostafrika erklärt wurde. 500 Zu seiner Einschätzung des Pariser Schriftstellerkongresses vgl. B. an Grosz, Ende Juni/Anfang Juli 1935, GBA 28, S. 510f. 501 Im Ms unleserlich. 502 Theodor Chindler. Roman einer deutschen Familie, Zürich 1936.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 25.7.1935 Prag, den 25.7.35 Lieber Brecht, Dank für Grete Steffins Brief.503 Ich habe sofort alle notwendigen Angaben weitergeleitet, auch die mit den Häkchen über den Buchstaben. Hoffentlich ist das technisch möglich. Das Manuskript des zweiten Bandes möchte ich auch recht bald. Vor allem aber das Format der Zeichnungen. Mir wäre der Band schlanker viel lieber, aber wie gesagt nur dann, wenn Grosz sich danach richtet. Verschiedene Tolstoi-Bände gehen Dir zu, leider gerade Anna Karenina504 nicht. Davon habe ich zweimal den ersten Band und der zweite fehlt mir. Hoffentlich kann ich ihn noch wo bekommen. Die Abzüge der Rede gehen auch in den nächsten Tagen ab. Euch allen die herzlichsten Grüsse Wieland PS: Natürlich will ich die Jahreszahlen bringen. Ich bitte sie mir gleich zu schreiben. [Hs.:] […] keinen Briefen beilegen Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/26.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 30.7.1935 AMSTERDAM-C, den 30. Juli 1935

DAMRAK 62.

Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg.

503 Nicht überliefert. 504 Anna Karenina, Roman von Lew Tolstoi, zuerst 1875–77 in Russkij westnik (Petersburg) publiziert, dann 1878 in Moskau erschienen.

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Sehr verehrter Herr Brecht, Anbei eine Abrechnung über die bisher verkauften Exemplare von dem DREIGROSCHENROMAN. Laut unserem Abkommen bitten wir Sie, uns eine Aufstellung Ihrer bisherigen Auslandseinnahmen zuzusenden. Gleichzeitig bitten wir Sie uns 25 % von diesen Einnahmen zu übersenden. mit ergebener Hochachtung Allert de Lange Landauer 1 Beilage Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/68.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 8.8.1935 AMSTERDAM-C, den 8. August 1935 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir sind sehr erstaunt, dass wir auf unseren letzten Brief vom 30.7. keine Antwort erhalten haben. Da der Verlag Allert de Lange sich gegen Sie vollkommen korrekt gehalten hat, darf ich Sie bitten, diese Angelegenheit doch zu erledigen. Ich habe vielleicht die Möglichkeit, einem sehr grossen amerikanischen Verlag die englisch-amerikanischen Rechte von dem Dreigroschenroman zu verkaufen, falls der Vorschuss mässig ist. Falls ich überhaupt in dieser Angelegenheit weiterkommen sollte, müsste ich Sie bitten, mir die Mindestbedingungen zu schreiben, die Sie für England und Amerika verlangen würden.505

505 Vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934.

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Ich würde es für ratsam halten für die englisch-amerikanischen Rechte $ 1000.- zu erlangen und eine Beteiligung von 10-15% vom gebundenen Ladenpreis. Ich glaube jedoch, dass wir wahrscheinlich mit dem Vorschuss auf $ 700.- heruntergehen müssen. Falls Ihnen daran liegt, so bitte ich Sie es mir mitzuteilen. mit besten Grüssen Ihr W. Landauer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 – 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/69.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 9.8.1935 Prag, den 9.8.35 Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, als der Brief von Grete St. (die ich herzlich grüssen lasse) vom 29.7. eintraf,506 hatte ich schon Papier bestellt, weil ich fürchtete, es wird zu spät. Erfreulicherweise entsprechen die Formate, die Du vorschlägst ziemlich genau denen, die ich wählte. Du siehst aus beiliegender Zeichnung, wie das Format unbeschnitten, beschnitten und im Spiegel ausfällt. Evtl. wird der Spiegel noch um einige mm schmaler, das habe ich den Freunden anheimgestellt. Ich glaube, das Format ist gut. Von dem Papier findest Du anbei ein Muster, ich hoffe, Du wirst auch damit zufrieden sein. Ich gebe mir Mühe, die Ausstattung so zu machen, wie es einer Gesamtausgabe ziemt. Sorge Du bitte jetzt, dass Böff uns mit den Zeichnungen nicht aufsitzen lässt. Er schrieb mir wieder eine nette Karte, aber noch nichts von den Zeichnungen. Da ich das Papier mit Wechseln bezahlen muss, möchte ich, dass bis zur Einlösung auch schon Bücher da sind. Das wirst Du begreifen. Dem Mann aus Polen schrieb ich, Deinem Rat gemäss.507 Natürlich ist er ein völliger Dilettant, trotzdem kann ich mir denken, dass das nicht immer so bleiben muss. Unter den gegebenen Umständen wird es aber so bleiben. Von der „Heiligen Johanna“ habe ich 1. Expl. Ungern schicke ich es, aber ich tu es, weil ich nicht sicher bin, ob Du es von anderer Seite so rasch erhältst. Es geht mit einigen Tolstoi-Bänden.

506 Vgl. Herzfelde, 25.7.1935. 507 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 24.7.1935.

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Die Sonderabzüge hast Du hoffentlich inzwischen erhalten. Ebenso das Heft. Ich gebe mir alle Mühe, Mittel zur Fortsetzung aufzutreiben, bisher allerdings ohne allen Erfolg. 900 Privatabonnenten mehr und das Blatt wäre balanziert [sic]. Bis jetzt habe ich aber keine Erfolge in dieser Richtung. Was Du über Langhoff und Bredel schreibst, entspricht meiner Ansicht. Kisch will dem Bredel-Buch508 den Heine-Preis verschaffen. Hoffentlich gelingt es. Fast 20 dänische Verleger haben das Buch abgelehnt. Jetzt wird es der Mondes-Forlag machen, was leider einem Nicht-Erscheinen beinah gleichkommt. Bitte, melde recht bald die Jahreszahlen der Stücke. Herzliche Grüsse Euch allen Wieland Anlagen. Überlieferung: Ts, hs. U., auf der Rückseite: hs. Zahlennotiz, Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/24–25.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 10.8.[1935] Sanary (Var) 10. August Villa Valmer Lieber Brecht, ich bin gerade mit dem zweiten ‚Josephus‘509 fertig, und dies ist seit wochen der erste privatbrief, den ich schreibe. ich hatte neben dem ‚Josephus‘ noch eine reihe ziemlich anstrengender kämpfe mit verlegern und dergleichen geschäfte, und ich fühle mich jetzt ziemlich erschöpft. ich habe deshalb meine reise nach russland auf den frühsommer verschoben.510 ich denke, dass ich mitte april nach palästina fahre, und dass ich dann entweder auf dem landweg über mesopotamien und den kaukasus nach moskau reise – mesopotamien möchte ich gerne sehen, weil dort mein neuer roman spielt – oder auf dem seeweg über odessa. den rest des sommers werde ich abgesehen von einigen kleinen abstechern nach italien und spanien hier bleiben. wollen Sie nicht herunterkommen? sie können bequem bei uns wohnen, und marta wird sie sachgemäss verpflegen. zurzeit ist heinrich mann hier, toller,

508 Die Prüfung, 1935 im Malik-Verlag erschienen. 509 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.1.1934. 510 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.2.1935.

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kantorowicz, marcuse511, huxley und sonst allerhand. und Sie wissen, brecht, wie sehr ich daran anteil nehme, in welcher form sich jeweils Ihr marxismus präsentiert. lassen Sie bitte bald von sich hören. marta lässt Sie sehr grüssen. Herzlichst und immer Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/82–83. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 31f.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 14.8.1935 AMSTERDAM-C, den 14. August 1935 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg, Dänemark. Sehr verehrter Herr Brecht, Ich glaube, dass Sie den tschechischen Vertrag schon längst erhalten hätten. Jedenfalls habe ich mich noch einmal mit dem tschechischen Verleger in Verbindung gesetzt und auch nach der Adresse des Übersetzers gefragt. Wir sind aber hier, ich muss Ihnen das aufrichtig sagen, ausserordentlich befremdet, von Ihnen nie eine Antwort auf unsere Briefe und Anfragen zu erhalten, und zwar geht das schon seit ungefähr einem Jahre. Ich habe Ihnen am 15.7., 30.7 und 8.8 geschrieben. Ich weiss nicht einmal, ob Sie die Briefe erhalten haben. Sie werden verstehen, dass das für eine Zusammenarbeit ausserordentlich erschwerend ist und wahrscheinlich für beide Teile auch eine Schädigung. mit besten Grüssen Ihr W. Landauer

511 Ludwig Marcuse (1894–1971), Pseudonym: Heinz Raabe, Schriftsteller und Literaturkritiker. Ab 1933 im Exil in Sanary-sur-Mer, ab 1938 in den USA. Kehrte Anfang der 1960er Jahre zurück nach Deutschland (West).

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 – 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/70.

Arnold Zweig an Bertolt Brecht Haifa, 18.8.1935 Arnold Zweig Haifa, Mount Carmel House Dr. Moses.

18.8.35.

Lieber Brecht, Früher war ich der Meinung, und sachlicherweise bin ich es noch heute, man brauche niemandem zu danken, der die Tugenden und Schwächen von etwas erkennt, das ich geleistet hatte, und das öffentlich sagt. Sie sind mir also für meinen Aufsatz keinen Dank schuldig,512 denn er ist nur ein Zeugnis von vielen Freuden und inneren Bewegungen, die ich Ihren Arbeiten verdanke. Seit wir aber auseinandergesprengt worden sind, und zwar durch unsere Schuld, müssen wir die Verbindung zueinander bei jeder Gelegenheit aufrecht erhalten, auch die gefühlsmäßige, und daher freue ich mich über Ihre Freude, und daß Sie sie mir sagen. Denn es verändern sich unter den veränderten Lagen auch die Bewertungen, ja die sachlichen Eigenschaften aller Leistungen, und wir sollten ein Relativitätsgesetz der geistigen Werte und der menschlichen Verhaltungsweisen auszuarbeiten beginnen, wie die Physiker behaupten, daß ein fliegender Zeppelin um eine winzige, aber meßbare Größe größer sei als derselbe Zeppelin am Ankermast. Ihr schönes Gedicht513 habe ich mir nach mehrmaligen Vorlesungen in den Band der „Lieder“514 gelegt. Als mein linkes Auge noch funktionierte, habe ich übrigens mehrmals die Gedichte aus dem „Lied „Lesebuch für Städtebewohner“515 mit veränderten Ueberschriften vorgelesen, nämlich mit solchen, die die Erfahrungen der Menschen in der Emigration bezeichnen. Ich versichere Ihnen, daß der Eindruck auf die bürgerlichen Zuhörer betäubend war. Sie hatten niemals geahnt, daß ein Dichter die Wirklichkeit des bürgerlichen Lebens gestalten könnte, bevor sie selber diese erfahren hatten. Sie sollten, lieber Brecht, unseren Freund Herzfelde veranlassen, unter dem Titel „Bertolt Brecht gestaltet die Erlebnisse der Emigration vor der Emigration“ diese Gedichte in den NDB wieder abzudrucken; die 512 Vgl. B. an Zweig, Juli 1935, GBA 28, S. 515; zu dem erwähnten Aufsatz vgl. Anm. zu Zweig, 2.8.1934. 513 Brecht hatte dem Brief an Zweig ein Typoskript seines Gedichts Inbesitznahme der großen Metro durch die Moskauer Arbeiterschaft am 27. April 1935 (vgl. Anm. zu Tretjakow, 28.5.1935) beigelegt. 514 Vermutlich die Sammlung Lieder Gedichte Chöre. 515 Die Gedichtsammlung Aus dem Lesebuch für Städtebewohner erschien zuerst 1930 in Heft 2 der Versuche, jetzt GBA 11, S. 155–176.

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neuen Titel sollten Sie selber erfinden und das Erscheinungsjahr von Heft 2 der „Versuche“ immer mit anführen. Die grauen Hefte werden jetzt in Palästina von den Buchhandlungen verramscht und könnten, auf diese Weise unterstrichen, Ihnen und der Sache eine Menge Freunde gewinnen. – – Ihre Abhandlung über die „5 Schwierigkeiten“516 ist wohl das Verwendbarste für die Aufklärung einfacher Leser, was ich trotz vieler Zeitschriftenhefte mir habe vorlesen lassen. Selbst die gebildeten Leser werden sich Ihren Argumenten nicht entziehen können, und Sie wissen ja, um wieviel schwerer es ist, einen sogenannten Gebildeten zu beeinflussen, als einen einfachen. Für den einfachen hat das gedruckte Wort noch immer eine Verwandtschaft mit der Bibel oder dem Katechismus; an der Bildung des Gebildeten, an seinem Hochmut also, läuft das meiste ab. Ich sehe mich versucht, selbst eine solche Schrift zur Verbreitung in Deutschland zu verfassen, und zwar über die Taktik, Bundesgenossen zu finden und die brauchbaren von den unbrauchbaren zu unterscheiden. – Da Sie sich unseres Gespräches auf dem Hügel in Sanary so freundschaftlich erinnern, möchte ich gern, daß Sie das wichtigste dessen lesen, was ich über Politik geschrieben habe. Es erschien zwei Jahre vor dem „Sergeant“517, heißt „Caliban oder Politik und Leidenschaft“518 und wurde von der gesamten Linken ignoriert, weil es sich mit etwas so Albernem befaßte wie dem Antisemitismus. Der Grundstock der Arbeiten war aber schon im Jahre 20 und 21 in Bubers Zeitschrift „Der Jude“ veröffentlicht worden.519 Das Buch war ein Erfolg, aber ich konnte ihn nicht vorwärtstreiben, weil das Buch zu schwierig geschrieben war und meine Augen mir schon damals eine vereinfachende Neuauflage nicht gestatteten. Schreiben Sie mir bitte ein paar Zeilen, ob es Ihnen Kiepenheuer damals geschickt hat, und ob Sie es mit in Svendborg haben.520 Wenn nicht, schicke ich es Ihnen leihweise, denn es ist mir gelungen, hier ein Exemplar aufzutreiben. Den Verdun-Band521 bekommen Sie Anfang September; heute geht eine Liste der Erst-Empfänger an Landshoff. Ich möchte Ihnen gern 516 Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. Zweig hatte den Aufsatz von Steffin erhalten (vgl. ihren Brief an Zweig vom 31.7.1935 in: Steffin, Briefe, S. 140–142). 517 Der Roman Der Streit um den Sergeanten Grischa, 1928 bei Kiepenheuer in Potsdam erschienen (1927 vorabgedruckt in der Frankfurter Zeitung). 518 Caliban oder Politik und Leidenschaft. Versuch über die menschlichen Gruppenleidenschaften dargetan am Antisemitismus, Potsdam 1927. In diesem Essay, an dem er bereits seit 1920 gearbeitet hatte, unternahm Zweig eine an der Freudschen Psychoanalyse orientierte Untersuchung des Antisemitismus als Gruppenphänomen. Darüber hinaus legte er darin erstmals seine Auffassung des Sozialismus dar. 519 Der österreichische Philosoph und Publizist Martin Buber (1878–1965) gab von 1915 bis 1924 die von ihm gegründete Monatszeitschrift Der Jude heraus. Seine Honorarprofessur für Religionswissenschaft in Frankfurt am Main legte er 1933 nieder, noch bevor sie ihm von Amts wegen entzogen werden konnte. 1938 emigrierte er mit seiner Familie nach Jerusalem. Arnold Zweig hatte in Der Jude 1920 den mehrteiligen Beitrag „Der heutige Antisemitismus“ veröffentlicht. 520 In Brechts Nachlaßbibliothek ist es nicht vorhanden, von ihm selbst sind keine Äußerung zu diesem Buch überliefert. Eine Neuausgabe (mit einem Vorwort Zweigs von 1960) erschien erst 1993 im Aufbau-Verlag, Berlin. 521 Der Roman Erziehung vor Verdun, 1935 bei Querido in Amsterdam erschienen. Zweig hatte selbst im Ersten Weltkrieg bei Verdun gekämpft.

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viel mehr von unserem Leben erzählen, aber das mache ich in der Antwort an die Genossin Steffin.522 Wir denken alle oft an unsere guten Tage von Sanary;523 und wenn Sie in den Basler Neuesten Nachrichten zufällig einen Aufsatz „Meine Nachbarn“524 finden sollten, werden Sie auch an die berliner Zeiten erinnert werden. Durchaus überzeugt davon, daß die jetzige Trennung nur eine Epoche in unserem Leben darstellt, grüßt mein Haus das Ihre und ich Sie herzlich: Ihr Zweig. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/29–30. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 363f.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Minsk, 21.8.1935 Минск Б.С.С.Р., Свердловская 49 Кварт. 24. Дом Асветник Коммунар. Minsk, den 21.VIII.1935. Telefon: Minsk 22600 Telegramm-Adresse: Päd. Institut, Minsk. Weißrußland. Lieber Brecht, Ihre „Fünf Schwierigkeiten“ schreibt meine Frau auf der Maschine ab und die Studenten lesen sie wegen schöner Sprache und nützlicher Gedanken. Für Elisabeth Hauptmann (Saint Louis, Teasdale Avenue 7454 ℅ Warmber) ist außer Ihrer Rekommandation noch eine zweite Rekommandation eines Kommunisten nötig, damit sie das Einreisevisum telegraphisch bekommt.525 Sie kann ab 15. September hier arbeiten und schönes Geld verdienen. Sie hat mir geschrieben, daß sie gut englisch spricht. Sie 522 Nicht überliefert. 523 Vgl. Anm. zu Zweig, 2.8.1934. 524 Dieser Aufsatz blieb damals ungedruckt. Er ist nur in einer überarbeiteten Fassung überliefert, die zusammen mit anderen Beiträgen erst 1950 in der Weltbühne erschien. Thema des Textes ist die Nachbarschaft von Brecht, Feuchtwanger und Zweig vor 1933 in Berlin. 525 Elisabeth Hauptmann plante bereits seit längerem, in die UdSSR überzusiedeln. Noch im Januar 1935 hatte sie Benjamin berichtet: „Mit Mosk. sieht es schlecht aus“ (zitiert nach Kebir, Hauptmann, S. 179). Unterdessen hatte sie neue Hoffnung auf eine Anstellung als Englisch- und Französischlehrerin am Pädagogischen Institut in Minsk gefaßt. Brecht stellte ihr zu diesem Zweck ein Zeugnis aus (GBA 22, S. 149). Den Plan gab sie jedoch auf, nachdem Borchardt von den sowjetischen Behörden nach Deutschland ausgewiesen worden war. Vgl. Grosz, 12.2.1936 und 6.3.1936.

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soll englische und französische Lektionen geben am „Hohen Pädagogischen Institut“ – und sie soll ganz schnell kommen, damit nicht inzwischen ein Moskauer Kandidat die Stelle besetzt. Wenn wir zwei Rekommandationen hier haben, können wir „Narkomindel“526 (Das Auswärtige Amt) veranlassen, das Einreisevisum telegraphisch nach Washington oder St. Louis zu geben. Wenn sie lange zögert, muß die Direktion einen Moskauer Candidaten rufen. Bitte telegraphieren Sie auch an Hauptmann! Als zweite Rekommandation kommen viele Leute in Frage: Hanns Eisler, Piscator, Ernst Ottwald, Joh. R. Becher, Tretjakov, Durus527 – aber Sie werden am besten die richtigen Namen wissen! Also telegraphieren Sie doch an diese Genossen. Vielleicht können sie eine Collektiv-Rekommandation schicken, telegraphisch etwa mit den Worten (auf russisch oder deutsch): „Wir empfehlen Elisabeth Hauptmann dem Päd-Institut als Lehrerin.“ Unterschriften. Augenblicklich unterrichtet Hauptmann an der Universität in St. Louis Deutsch in englischer Sprache. Ich halte sie für sehr brauchbar und habe ihr Ende Mai einen langen Brief geschrieben und bin über alles informiert. Bitte veranlassen Sie doch einen oder zwei Ihrer Moskauer Bekannten (aber es könnte auch ein ausländischer Kommunist sein!) recht schnell, die Rekommandation für El. Hauptmann hierher an das Päd-Institut beschleunigt zu senden. Sie bekommt dann sofort das Visum. Was zur Befestigung ihrer Stellung hier noch weiter dienen kann, werde ich ein anderes Mal schreiben wegen Zeitmangel, und weil dieser Brief sofort weg soll. Eine Gefahr, daß sie hier ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben muß, scheint vorderhand nicht zu bestehn und ist – nach dem neuen Kurse der Komintern – auch vorläufig nicht zu besorgen.528 In Eile Ihr alter H. Borchardt. Beste Grüße von mir und den Meinigen auch an Frau und Kinder. Überlieferung: Ms, BBA 482/25–26.

526 Narodnyj kommissariat inostrannych del: Volkskommissariat für fremde Angelegenheiten. 527 Pseudonym des ungarischen Kunst- und Literaturwissenschaftlers Alfréd Kemény (1895–1945). Durus, seit 1923 Mitglied der KPD, war einer der bedeutendsten Kritiker des revolutionären Agitproptheaters der Weimarer Republik. Siehe z.B. seinen Beitrag „Hat die ‚Maßnahme‘ einen Lehrwert?“ in: Die Rote Fahne, 24.12.1930. Ergriff später auch in der sogenannten Expressionismusdebatte Partei: vgl. „Abstrakt, abstrakter, am abstraktesten“ in: Das Wort, Heft 6, 1936, jetzt Expressionismusdebatte, 142–156. 528 Das Verb „besorgen“ ist hier anscheinend in seiner mittelhochdeutschen Bedeutung (= befürchten) aufzufassen.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 22.8.1935 Prag, den 22.8.35 Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht anbei eine Besprechung aus Luxemburg, die Dich vielleicht interessiert. Das Papier für Deine Bände529 ist inzwischen schon an Ort und Stelle eingetroffen. Hast Du das Paket mit den Tolstoi-Bänden und der Johanna erhalten? Und die Sonderabzüge? Wie steht’s mit den Zeichnungen? Böff schreibt zwar, aber nichts darüber. Das Schicksal der NDB ist noch ungewiß, ich bin aber zuversichtlich. Herzliche Grüsse Wieland Anlage! Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/23.

Hermann Budzislawski an Bertolt Brecht [Prag] 23.8.1935 23.8.1935 Lieber Genosse Brecht, meine tschechischen Freunde teilen mir jetzt zu dem Gedicht über die Ossegger Witwen530 mit, dass für diese Witwen Geld gesammelt worden war, und zwar etwas über eine Million Kronen von den verschiedenen Arbeiterorganisationen, und eine weitere Million

529 Die Neuausgabe der Versuche, der späteren Gesammelten Werke Brechts. Vgl. die vorausgegangenen Briefe von Herzfelde. 530 Die 1934 entstandene Ballade von den Osseger Witwen (GBA 12, S. 17f.) erschien 1939 in den Svendborger Gedichten im Malik-Verlag. Budzislawski hatte sie möglicherweise zur Publikation in der Neuen Weltbühne von Brecht erhalten. Das Gedicht bezieht sich auf die Folgen eines Grubenunglücks in der böhmischen Stadt Osseg im Januar 1934, bei dem 142 Bergleute ums Leben kamen. Die hinterbliebenen Frauen und Kinder zogen daraufhin vor das Parlament nach Prag, um ihre Forderungen geltend zu machen.

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war von hiesigen Koh­lenbaronen und von Masaryk531 gestiftet worden. Die Auszahlung dieses Geldes verzögerte sich, und die Frauen fuhren daraufhin in Lastautos nach Prag, um sich zu beschweren. Sie kamen zum Parlament, und da sie nicht empfangen wurden, setzten sie sich auf die Strasse vor dem Par­lament, auch auf den Treppenaufgang. Die Polizei verjagte die Frauen. Kommunistische Abgeordnete mischten sich ein und hielten Reden. Die Kommunisten kauften ihnen auch etwas zum essen. Daraufhin fuhren die Frauen noch am gleichen Tage wieder in ihre Heimat zurück. Kurze Zeit darauf erhielten Sie die Beträge in folgender Form ausgezahlt: 7.000 Kc bar und für jede Waise 11.000 Kc auf ein Sparkassenbuch, auszuzahlen bei der Grossjährigkeit inkl. Zinsen. Nicht sehr viel, aber man muss einräumen, dass der Marsch auf Prag nicht ganz vergeblich gewesen ist. Ich sende Ihnen nun Ihre Ballade zurück und bitte Sie recht sehr, mir bald wieder ein Gedicht zu schicken. Mit sozialistischem Gruss P.S. Beigeschlossen Copie meines letzten Schreibens an Sie, falls Sie es infolge anderer Adressenangabe nicht erhalten haben sollten. Überlieferung: Ts, Privatarchiv Eckert.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht Minsk, 24.8.1935 Минск, Свердловская 49, Кварт. 24. Minsk, Swerdlowskaja 49, Quartier 24.

Б.С.С.Р. den 21.VIII.1935.

Lieber Brecht, Meinerseits habe ich nun so ziemlich alles getan, was ich tun konnte, um Elisabeth Hauptmann hier Arbeit zu verschaffen.532 Ich habe mich vergewissert, daß sie ausreichend Geld verdient und auch für ein gutes Zimmer gesorgt. Dann habe ich ihr depeschiert: „Telegraphiert, wann schnellstens hier sein könnt. Visum telegraphisch.“ Also das Einreisevisum wird telegraphisch nach (Saint Louis oder) Washington gegeben. Gestern, am 23.VIII. kam ein Telegramm von Hauptmann: „Kann aus Geldgründen frühestens Ende September reisen. Habe Billett New-York bis Plymouth. Erbitte weitere Nachricht.“ Das ist sehr unangenehm. Es handelt sich also um das Fahrgeld Saint-Louis bis NewYork, und von Plymouth zu Schiff bis Leningrad. Denn von Leningrad ab bis hierher werden wir natürlich Fahrgeld und Lebensunterhalt bezahlen. Was soll man machen? Ich 531 Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937), Begründer des tschechoslowakischen Staates, dessen Präsident er von 1918 bis 1935 war. 532 Vgl. Borchardt, 21.8.1935.

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verdiene ja keine Valuta, kann ihr also kein Geld vorschießen für die Reise Saint-Louis – New-York; und von Plymouth bis Leningrad? Man spricht da immer von Sowjet-Dampfer: aber das sind ja Intourist533-Dampfer, auf denen auch Valuta gezahlt werden muß. Ob Frachtdampfer, danach werde ich heute fragen: aber es wird einige Tage dauern, ehe ich Bescheid bekomme. Ich werde dann zu dem mir bekannten Kommissar des Auswärtigen Amtes gehen und fragen, wie man die Reise von Plymouth aus erleichtern kann. Sind Sie nicht in der Lage, für Hauptmann aus einem schwedischen oder dänischen oder amerikanischen Emigrantenfond soviel zu erhalten, wie sie dringend nötig hat? Für das hiesige Kommissariat des Auswärtigen, welches das Visum gerne geben wird, sind die Rekommandationen für Hauptmann eine notwendige Deckung. Bitte besorgen Sie 2-3 gute Rekommandationen! Möglichst schnell. Gut ist jede Rekommandation eines bekannten Kommunisten, z.B. die Ihrige, aber es muß mindestens noch eine Rekommandation dazukommen, weil Minsk Grenzgebiet ist und nur besonders empfohlene Personen hier arbeiten dürfen. Ich meine: besonders empfohlene Ausländer. Die letztere Auskunft habe ich nicht „aus dem hohlen Bauch“, sondern aus dem Zentralkomitée. Übrigens brauche ich nicht zu sagen, daß die Rekommandationen auch von Einfluß sind auf die Position, die Hauptmann hier einnehmen wird. Die Wichtigkeit dieser Rekommandationen kann man garnicht überschätzen! Nun will Hauptmann Nachricht haben! Ich werde mich zunächst nach der Route Plymouth – Leningrad erkundigen und ihr dann mit Flugpost schreiben. Aber bitte seien Sie so freundlich, ihr erstens die Rekommandationen zu besorgen und zweitens einiges Geld von den Comités für Hauptmann aufzutreiben, daß sie reisen kann. Sie ist nämlich nicht der einzige Bewerber. Inzwischen sind 4 Bewerbungen aus dem Auslande eingetroffen. Und dazu kommen noch die mir unbekannten Kandidaten der hier schon vorhandenen, alten und schlechten Lehrerinnen, die natürlich jedem ausländischen Bewerber spinnefeind sind und lieber ihre Moskauer (und anderweitigen Bekannten) lancieren würden. Denn ein Ausländer mit neuen Methoden ist für sie gefährlich. Über diese unterirdischen Kämpfe könnte man viel schreiben. Ich habe die Bewerbung natürlich geheim gehalten, habe aber die Telegrammquittungen (über das Telegramm an Hauptmann u. Sie) der Direktion geben müssen, und habe nachher gesehen, wie diese Telegrammquittungen mit russischer Erläuterung in die Buchhalterei wanderten wegen der Kostenabrechnung. Und die Buchhalter kann man ja nicht zur Geheimhaltung solcher Sachen verpflichten. Kurz: es ist Konkurrenz vorhanden, die sich bemühen wird, den allerkümmerlichsten (und daher ungefährlichsten) Kandidaten hierher zu bringen, wenn Hauptmann gezwungen ist, sehr lange zu zögern. Auch diese neuen Befürchtungen sind real. Ich kenne Hauptmann genug und weiß, daß sie jede Rekommandation rechtfertigen wird. Keiner der hiesigen Lehrer hat im entferntesten ihre Bildung, ihre Findigkeit und 533 Vgl. Anm. zu Borchardt, 25.9.1934.

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ihre Intelligenz. Und was ihr an Routine fehlt, das lernt sie in acht Tagen bei mir: denn ihr werde ich natürlich das Lehrmaterial geben, das ich sonst niemandem gebe. Ich habe der Direktion gesagt, daß ich für die hohe Qualifikation der Hauptmann garantiere. In Moskau hat nämlich im März dieses Jahres die moderne methodische Richtung gesiegt, wodurch überhaupt erst der „Weg“ für qualifizierte Lehrer frei geworden ist. Die alten Lehrer können nichts weiter als übersetzen, den freien Gebrauch der Fremdsprache (mündlich u. schriftlich) zu lehren verstehn sie nicht: und sie wollen es auch nicht mehr lernen. Ich habe Hauptmann schon ausführliche methodische Winke gegeben, und sie versteht alles, wie ich aus ihrem Brief534 merke, den sie am 7.[?] Juli abgesandt hat. Ihre neue Adresse ist: Saint Louis. Mo. 7454 Teasdale Avenue c/o Warmber. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nur bald schrieben, was Sie für Hauptmann unternommen haben. Dann werde ich sie wieder in einem Telegramm benachrichtigen. Wenn der Frieden erhalten bleibt, wird hier alles schnell besser, auch die Kulturangelegenheiten, Schulen u.s.w. Die Leute verstehen hier schließlich doch, wer es ehrlich meint und fleißig ist und sich mit dem „nitschewo“535 nicht zufrieden gibt. Nervenkraft habe ich freilich schon viel zugesetzt. Bitte schreiben Sie bald: es würde mir sehr leid tun, wenn Hauptmann aus Mangel an Ressourcen nicht kommen kann. Mit herzlichen Grüßen Ihr alter H. Borchardt Überlieferung: Ms, BBA 482/19–24.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht Kislowodsk, 25.8.1935 Kislovodsk536

25 VIII 35

Lieber Brecht. Unsere Aufenthalt im Kurort kommt zu ende. In 10 tagen reisen wir wieder ab nach Moskau. Ich habe mir versprochen vom 10 VIII an zu arbeiten, und habe bis jetzt keine zeile diktiert. Ist das nicht schweinerei. Olga aber sagt, das sei gut und ratet mir bis zu ende des Monats nicht zu schreiben um nachher mit doppelten Kräfte die arbeit [zu] erledigen. 534 Nicht überliefert. 535 Russisch ničego: nichts. Bedeutet in der russischen Umgangssprache etwa: „Nichts zu machen“. 536 Als Kurort bekannte Stadt im Südwesten Rußlands, im Vorland des Kaukasus.

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Seit 12 Tage habe ich den „Erfolg“ von Feuchtwanger durchgelesen und bin gleich unter dem einflus dieses buches.537 Das ist das erste was ich von ihm gelesen habe. Gut gezeichnete gestalten, wenig Sujet – d.h. Veränderungsgefühl. Das bleibt alles stehen, die leute verändern sich nicht. Die bezeichnungen der personagen bleiben immer dieselbe, als ob die leute nummeriert waren: z.b. Johanna mit 3 runzeln, die tante mit dem männerkopf, Tuverlaine538 – nobles gesicht usw. Der Bauprinzip ist – montage etwas maskiert in einer romanhandlung. Form Montage ist ja aber das, was sehr gut die statischen Momente zeichnet und womit schwer die Bewegung darzustellen ist (in der Literatur). Final – ganz idealistisch. Die Wirklichkeit des geschehens beginnt nur in der Kunst (Krüger-film und das Buch Tuverlains). Das Buch etwas zu lang und für die kenntnis der Deutschland ungeheuer wichtig. Er hat viel von Brecht in Prekl539 übergetragen? Ich möchte mit ihm die Bekanntschaft machen und sein Portrait schreiben. Bist du mit ihm nicht befreundet? Kommt er nach USSR? Und du? Es wäre schön zusammen. Hier in Kislovodsk habe ich den Genossen getroffen zu den ich im Mai mit dir zusammen nach Krim gehen wollte. Er ist sehr traurig das wir nicht gekommen sind – die telegramme hat ihn nicht erreicht. Wenn ich nach Moskau komme setze ich mich in Verbindung mit Ochlopkoff und anderen. Assia540 habe ich hier gesehen – sie zeigte mir die 2 Szenen aus den „Tschichen“541 die du ihr geschickt hast, und wir besprachen noch, was zu tun mit der aufführung. Noch werde ich mit dem Revolutionstheater sprechen. Wie geht es dir? Was arbeitest du? War Eisler bei dir? Schreibe mir bitte deine Meinung über Feuchtwanger, wenn das dir nicht langweilig ist. Grüsse bitte Helli und den Steff den Epischen. Dein alter Sergei Überlieferung: Ms, BBA 477/123–126. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 413f.

537 Der Roman Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz (Berlin 1930) ist der erste Teil von Feuchtwangers Wartesaal-Trilogie. Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933. 538 Johanna Krain und Jacques Tüverlin sind Figuren aus Feuchtwangers Roman Erfolg. 539 Der revolutionär gesinnte Ingenieur und Dichter Kaspar Pröckl, eine weitere Figur aus Feuchtwangers Roman. 540 Asja Lacis. 541 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Russische Ausgabe: Čichi i Čuchi (vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935).

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Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 28.8.1935 Prag, den 28.8.35 Frau Grete Steffin, c/o Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Liebe Grete Steffin, Dank für die Zeilen vom 19.8.542 Da Hanns Eisler gerade dort ist,543 bitte ich um Nachricht, was er in Bezug auf die Noten etc. drüben ausgerichtet hat. Ich bin ganz und gar nicht im Bilde. Bork schreibt mir, er bittet sehr um eine Einleitung von Brecht zum 1. Band. Ich antwortete, dass eine Einleitung für uns unnötig544 ist, dass sie für ihre Ausgabe evtl. eine besondere drucken sollen, dass ich Brecht aber sofort schrieb zwecks Stellungnahme.545 Bork schlug auch vor, evtl. die Einleitung von Tretjakow schreiben zu lassen. Auch dafür bin ich nicht, falls aber Brecht es gut findet, ist es mir recht. Ich bitte, dazu gleich Stellung zu nehmen. Solltet Ihr noch eine entbehrliche Kopie von „Mann ist Mann“ besitzen, so bitte ich sie mir gleich zu schicken, die szt. geschickte scheint man drüben verschlampt zu haben. Jedenfalls bat man telegrafisch um nochmalige Sendung des Manuskriptes. Die Ballade546 gefällt mir sehr gut. Weniger die Illustrationen, sie haben aber den Vorzug, ziemlich volkstümlich zu sein. Für den gedachten Zweck sind sie also auch gut. – Das Format der Ausgabe scheint mir eher zu gross als zu klein. Man ist drüben heftig bei der Herstellung, gerade hat man die Angaben für die Titelseiten von mir verlangt, ich schicke anbei eine Kopie und bitte um Nachricht, falls etwas anders werden soll. Gib auf diesen Brief bitte gleich Antwort. Herzliche Grüsse Euch Allen Wieland PS: Falls die Ballade noch nicht „regulär“ erschienen ist, möchte ich sie gerne in der nächsten Nummer der NDB (falls sie erscheinen, was noch ungewiss ist). Frag bitte Brecht, ob er einverstanden ist. Überlieferung: Ts, hs. U., Notiz von fremder Hand: „Hedi”, Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/22. 542 Nicht überliefert. 543 Hanns Eisler war Mitte August 1935 von Moskau nach Svendborg gereist, um gemeinsam mit Brecht die Arbeit an dem Lehrstück Die Horatier und die Kuratier aufzunehmen. Vgl. Anm. zu Eisler, Ende August 1935. 544 Hs. Erg. am Rand: „nicht erwünscht“. 545 Hs. Erg. am Seitenende: „mit Bemerkungen, die ich besonders zu beachten bitte“. 546 Nicht ermittelt.

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The Theatre Union an Bertolt Brecht [New York] 29.8.1935 August 29, 1935 Dear Comrade Brecht: We have just received your letter and are very happy that you will allow us to do your play.547 However, on the matter of your directing with us here in America, there are certain problems which we are anxious for you to understand fully. We have our own company, our own method of work, and we have already engaged our director.548 It is very important for you to understand that we have a different theatre tradition from that in Europe. Our audiences are much simpler and the theatre to them is a new experience. It is important for our director to know our particular political problems as well as our theatrical ones. Also Mrs. Standen549 tells us that your knowledge of the English language is limited and that would create tremendous difficulties with our actors. However, we would very much like you to be here in an advisory capacity because you will be able to give us invaluable aid in the production. Unfortunately the Theatre Union is terrifically handicapped by its financial condition. For instance, you suggest you would direct for nothing if we pay your passage to America, – but our director receives much less than the cost of the trip. Every penny is budgeted very carefully on the production and even now we must raise money before we go into rehearsal. Therefore, it is impossible for us to send you money to come to America much as we should like to have you here. If you can manage to come at your own expense, we should be very happy. We certainly hope that in view of the importance of this play at this time to our working class audience you will not stop production of „Mother“ over this matter.550 Warmest greetings. Executive Board Theatre Union 547 Der erwähnte Brief ist nicht überliefert. Daß die New Yorker Theatre Union Die Mutter auf den Spielplan setzte, war durch Vermittlung Hanns Eislers zustande gekommen (vgl. dessen Brief vom 9.5.1935). 548 Vgl. Peters, 4.9.1935. 549 Standen gehörte ebenfalls der Theatre Union an (vgl. ihr Telegramm vom 23.9.1935). 550 Tatsächlich wollte Brecht die Produktion im vorhinein verhindern, nicht jedoch der Reisekosten wegen, sondern weil ihm die Übersetzung von Paul Peters als zu naturalistisch mißfiel (vgl. B. an Peters, Ende August 1935, GBA 28, S. 520f.; dazu auch B. an Victor Jerry Jerome, Leiter der Agitpropabteilung der KP der USA, Anfang September 1935, ebd., S. 522f.). Die Aufführung kam schließlich doch zustande, und Brecht nahm zusammen mit Eisler und Hauptmann persönlich an den Proben in New York teil (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 6–20). Seine Bedenken gegen die Inszenierung hat er vorab in dem Gedicht Brief an das Arbeitertheater „Theatre Union“ in New York, das Stück „Die Mutter“ betreffend (GBA 14, S. 290–293) zum Ausdruck gebracht.

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Überlieferung: Ts, BBA Z4/43. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 138.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Svendborg, Ende August 1935] Lieber Brecht, ich möchte über diesen Streit, nach der mündlichen, nicht noch eine lange schriftliche Debatte führen, denn ich verspreche mir davon keinen Nutzen.551 Ich hoffe sehr, dass Du das Stück doch noch schreiben wirst, trotzdem ich daran verhindert bin, an der Arbeit teilzunehmen. Ich fahre morgen früh weg und würde mich freuen, Dich noch sehen zu können. Komm entweder nach Deiner Arbeit heute her oder wenn Dir das zu grosse Mühe macht, dann bin ich um 10.15 morgen im Kafe Casino, so dass wir uns noch verabschieden können. Bitte vergiss nicht, an das kleine Büchlein für den Willy552 [sic]. Bis jetzt hat es folgenden Inhalt: E i n h e i t s f r o n t l i e d , K e i n e r o d e r A l l e , A n t i k r i e g s l i e d , d i e W i t w e n v o n O . , H a m m e r u n d S i c h e l und i n E r w ä g u n g . Für letzteres schlage ich den Titel R e s o l u t i o n vor.553 Zu diesem Land müssten noch einige 551 Hanns Eisler war Mitte August von Moskau nach Svendborg gereist, um gemeinsam mit Brecht an dem Lehrstück Die Horatier und die Kuratier zu arbeiten, mußte jedoch anderer Verpflichtungen wegen (in seiner Funktion als Vorsitzender des IMB) schon zwei Wochen später nach Prag weiterfahren. Brecht war darüber sehr verärgert, zumal die Arbeit auf Eislers Initiative begonnen worden sei und er im Augenblick Wichtigeres zu erledigen habe (vgl. B. an Eisler, 29.8.1935, GBA 28, S. 518–520). Er bat ihn, alles zu tun, „um Dich an der Herstellung des Lehrstücks mit dem Rest der Dir verbleibenden Zeit beteiligen zu können.“ Das Stück wurde schließlich in Zusammenarbeit mit Margarete Steffin, die Brecht bei seiner Rückreise aus der UdSSR nach Dänemark begleitet hatte, im September 1935 fertiggestellt. 552 Willi Münzenberg plante, nach Lieder Gedichte Chöre (Paris 1934) einen weiteren Band mit Liedern von Brecht und Eisler herauszubringen. Das Vorhaben kam nicht zustande. 553 Zum Einheitsfrontlied vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934, und Herzfelde, 9.12.1934. Keiner oder alle (GBA 12, S. 23f.), von Eisler vertont vermutlich zwischen Oktober und Dezember 1934, erschien in den Canciones de Guerra de las Brigadas Intenacionales, hrsg. v. Ernst Busch, Madrid 1937, und wurde 1939 in die Svendborger Gedichte aufgenommen. Das „Antikriegslied“ Krieg eurem Krieg (GBA 14, S. 220f.), vertont vermutlich im Frühjahr 1935, erschien in Kampflieder des deutschen Proletariats, hrsg. v. Hanns Eisler und Ernst Busch, Moskau 1937. Zur Ballade von den Osseger Witwen, vertont vermutlich im Sommer 1935 in Svendborg, vgl. Anm. zu Budzislawski, 23.8.1935. Das Hammer- und Sichel-Lied (GBA 14, S. 227f.), vermutlich ebenfalls im Sommer 1935 vertont, erschien am 1.1.1935 in der Deutschen Zentral-Zeitung, Moskau. Die Resolution (ursprünglich: In Erwägung, Brecht übernahm jedoch Eislers Vorschlag zur Titeländerung), vertont im September 1935 in Prag, erschien 1937 in Canciones de Guerra (vgl. oben); sie wurde 1939 in die Svendborger Gedichte (GBA 12, S. 27f.) und später auch in das Stück Die Tage der Kommune aufgenommen (GBA 8, S. 269f.).

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Strophen mehr sein. Ich glaube, diesem neuen Büchlein fehlen noch 2 Lieder, damit es nicht zu mager ist. Das wichtigste aber ist, dass es zweisprachig erscheint, nämlich deutsch und französisch. Das muss dem Willy als Bedingung gestellt werden. Vielleicht kann Benjamin einen Uebersetzer vorschlagen und die Uebersetzung kontrollieren. Ich hoffe Dich also heute oder morgen noch zu sehen. Mit den besten Grüssen Eisler Überlieferung: Ts, hs. U., Notiz von fremder Hand: „1. Absatz betrifft: Die Horatier u. d. Kuriatier“; BBA 479/14. – E: Eisler, Briefe, S. 107f.

Paul Peters554 an Bertolt Brecht New York, 4.9.1935 Theatre Union, 103 West 14th Street, New York City, September 4, 1935. Dear Comrade Brecht: Yesterday we received your letter about the adaptation of „Mother“; and together with Mrs. Standen’s report,555 we were able to understand what you felt about it. We are all sorry if the cablegrams556 seemed harsh. I am sure you will understand that, cablegrams being very expensive, and the theatre very poor, we wanted to be as brief as possible. As for the script, you are naturally most concerned about the style in which the play is conceived and written, the „Grundidee des Stückes“. This, you say, must not be changed; and we all agree that about this there can be no argument. Then you proceed: „Soweit wir sie (die Adaption) beurteilen können, ist es eine völlig naturalistische Version.“557 After going over the script thoroughly, scene for scene, last night, I do not feel that it is at all a „completely naturalistic“ version. I ask you to look through it carefully, or have some one with an intimate knowledge of English compare it with the German line for line. I beg you not to judge by the appearance of the script: not to be disturbed by the fact that 554 Der amerikanische Schriftsteller Paul Peters, d.i. Allen Harbor (1905–?), gehörte zum Executive Board der Theatre Union. Er hatte soeben eine Übersetzung der Mutter für eine Aufführung in New York angefertigt, die Brecht jedoch kritisierte (vgl. B. an Peters, Ende August 1935, GBA 28, S. 520f.). 555 Brecht hatte Peters berichtet, einen „Brief der Genossin Standen“ (GBA 28, S. 520) erhalten zu haben. 556 Telegramme sind nicht überliefert. 557 Der zitierte Satz ist in dem oben erwähnten Brief Brechts nicht zu finden, ebensowenig die vorweg zitierte „Grundidee des Stücks“. Das Schreiben, auf das Peters sich hier bezog, ist nicht überliefert.

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as I went along I divided the play into acts (which simply means that here, after this scene, we may have a pause); that sometimes I used stage directions which helped me visualise the play, but need not be followed; that the English language, especially as spoken in America, is a clipped language, and sentences are inevitably shorter than in the German. In a few instances I made changes in action. The script you have is, as I believe you were informed by Margaret Larkin558, a first version, meant to give the theatre board a concept of the play. For the past month I have been cleaning it up and polishing it. In going over the play recently with Comrade Wolfson559, who was to direct, we kept referring to the original German. Comrade Wolfson felt that some of these changes were not in the spirit of the play; I agreed with him; and we restored the original. These changes I discuss in detail later in this letter. But in general, page for page, the English script follows your „Mother“. It would have been simple to translate it literally; but from this you would have nothing, of course: no style whatever. As far as the literary style goes, its rhythms and intonations cannot be translated directly from German into English. What I can do is catch in the English, with the peculiar inflections and quality of English as we speak it in this country, the spirit of the scenes, the characters, and the speeches of „Mother“. Sometimes to make English of the translation, the original must be changed even in concept. With a good degree of success, however, I think I have caught the spirit of „Mother“ and its style. Recently, as is our custom, we called together other comrades in the New York theatres and leaders of the trade unions who compose our audience, and read them the play. They did not feel any strain or violation of spirit within the script I read to them. And they were likewise perfectly aware that this was not a naturalistic play. It was transparent to them that this play had a style of its own, and had to be done in a stylized manner. In all our plans: in our discussions with Kiessler560, who was to do our sets, in discussions with actors, in discussions between the production board, the director, and myself, we all recognize that this was not a naturalistic play. We saw that there were elements of realism in it – as you yourself stated in an earlier letter561 on the need of direction to get the right „mixture of realism and stylization“. These changes were made: In the first scene I introduced some dialogue between Pavel and his mother to aid our workers, who do not know Gorki, to grasp the background of the play. Upon reading it over, especially upon the conviction of Comrade Wolfson, the director, we threw this dia558 Margaret Larkin (1899–1967), amerikanische Schriftstellerin und Theaterleiterin. 1937 heiratete sie den Schriftsteller Albert Maltz, mit dem sie 1951 nach Mexiko emigrierte. 559 Victor Wolfson (1909–1990), amerikanischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Führte Regie bei der Aufführung der Mutter in New York (Uraufführung am 9.11.1935). 560 Vermutlich der aus Österreich-Ungarn stammende Architekt und Bühnenbildner Friedrich (auch: Frederick) Kiesler (1890–1965), der seit den 1920er Jahren in New York arbeitete. 561 Nicht überliefert.

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logue out and reverted to the original monologue and chorus. In the second scene, I began with the entrance of the workers, again to aid the audience in introducing what to us are foreign names and a completely foreign situation. We did not decide to eliminate this, but with a stroke of the pencil – and no great loss – it can be done. FROM HERE ON, until the end of scene nine, except for alight changes in speech, often absolutely necessary, the play stands – page for page – as it was originally written. One alight change occurred at the beginning of the Smirnov Out scene; but this too, at the suggestion of Comrade Wolfson, was abandoned as out of keeping with the tone of the play. I divided the play roughly into three stages of growth. In the first five scenes the mother is drawn, always resisting, into the movement – mainly to protect her son. Here the growth is logical and straight, one scene leading to the next, and all building to the first direct voluntary action of the mother when she lifts the flag from Smilgin’s hand. In the second group of scenes, from scene 6 through scene 9, the mother begins to learn and to prepare herself for active party work; she ends by doing so. This group, somewhat less logical in development, has the constant tie of the relationship between the mother and the son – and „die dritte Sache“562: their common work for the party. The third group of scenes follows the death of Pavel, scene 10 to the end. Here we all felt – others outside the theatre felt, too – a lack of clear and logical development. The political situation develops chronologically, it is true: but this is reflected in a series of scenes which do not grow one from the other; and in which the mother continues doing agitational work, such as distributing leaflets, which she has done before. Disregarding all question of style of drama, there is no growth here as in the first or second series of scenes. That is why we felt the play stopped and became somewhat lost in this section. And that is why I drew on Gorki in the attempt to construct a new growth based on a further political development and relationship between Pavel, his mother, and their common agitational work in the war. Out of this attempt came the railroad scene (using the agitational material of the copper kettle scene); the informer scene (using the anti-religious dialogue of the bible scene); and the third scene on the death of Pavel, which ties up to the early part of the play. This third scene we all felt immediately upon reading it aloud is bad – bad because it is too naturalistic, too violent, and out of keeping with the style of the play. It is to be completely rewritten. The end is the demonstration scene of the original version: the son is dead, but the mother now stands completely on her own political feet and continues more energetically than before. The Theatre Union meets tonight to decide on the next step, since it is late. We have our audience and our actors: we have our obligations to them; and we must go ahead. We feel that the play is important for what it tells our workers and should be, by all means, done at once. We will not, of course, continue production without your permission; but we should like you earnestly to reconsider your decision. I especially ask that you go through the script 562 Vgl. Das Lob der dritten Sache in Die Mutter (GBA 3, S. 307). Die übrigen hier angesprochenen Szenen beziehen sich ebenfalls auf die erste Fassung des Stücks.

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thoroughly, and write me fully about it. There is no reason why further changes cannot be made in the adaptation; and I am still hoping we can reach agreement in time to go ahead with production.563 With comradely greetings, Paul Peters Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 341/57–59. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 139ff.

Walter Landauer an Bertolt Brecht Amsterdam, 6.9.1935 AMSTERDAM-C, den 6. September 1935 DAMRAK 62. Herrn Bert Brecht, Skovsbostrand per Svendborg. Lieber Herr Brecht, Ich danke Ihnen für Ihren Brief.564 Ich schicke Ihnen heute anbei den Vertrag mit dem Sfinx-verlag über die tschechische Ausgabe.565 Eine holländische Ausgabe haben wir nicht gemacht. Es hat sich herausgestellt, dass eine Herausgabe von Büchern, die in Holland bereits in deutscher Sprache erscheinen, in einer holländischen Uebersetzung überhaupt keine Interessenten mehr findet. Das Publikum das für diese Art von Büchern in Frage kommt, liest im allgemeinen deutsch. Die Einnahmen, die also aus einer holländischen Ausgabe hereinkommen könnten, sind so unwesentlich, dass von Ihrem Vorschuss kaum etwas davon abgedeckt werden kann. Wir sind immer gerne bereit Ihnen die holländische Ausgabe freizugeben, aber ich halte es für ausgeschlossen, dass Sie hier einen holländischen Verleger finden werden.

563 Zu einem Einvernehmen kam es, als Manuel Gomez, einer der Leiter der Theatre Union, sich mit Brecht Ende September 1935 in Svendborg besprach. Vgl. B. an Peters, 3.10.1935, GBA 28, S. 527f. 564 Nicht überliefert. 565 Diese Ausgabe kam nicht zustande (vgl. Anm. zu Kamieniecki, 25.10.1934).

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Ich bitte Sie jetzt auf jeden Fall mit uns die bisherigen Auslandseinnahmen zu verrechnen, damit diese Sache geregelt ist. Ich grüsse Sie sehr herzlich Ihr W. Landauer 1 Beilage Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allert de Lange Deutsche Verlagsabteilung, Fernsprecher 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Giro Amsterdam L 606 Bank-Konto: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 780/71.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [Moskau] 9.9.1935 [Hs.] 25./9. 9. September 1935. Lieber Bert! Ich erhielt Deine beiden Briefe.566 Deinem Wunsche gemäss werde ich wegen der Hauptmann nach Minsk schreiben.567 Sonst sind die Dinge wie immer, ich werde Dir nächstens mehr berichten können, hoffe ich. Gestern wurde mir aber folgendes gesagt und das ist der eigentliche Zweck meines heutigen Schreibens. Béla K.568 hat im Februar Geburtstag. Es scheint sein ganz spezieller Wunsch zu sein, dass Du etwas über ihn schreiben möchtest, d.h. mir wurde es durch Zwischenleute „gesagt“, aber es ist ja auch wirklich eine sehr gute und wichtige Sache. Du wirst Material erhalten und genügend Anregung darin finden. Es ist ja auch noch viel Zeit. Denke darüber nach.569

566 Nicht überliefert. 567 Vgl. Borchardt, 21.8.1935. 568 Béla Kun, eigentl. Kohn (1886–1939), ungarischer Politiker. Im März 1919 proklamierte er in Budapest eine Räterepublik, die jedoch nur bis August desselben Jahres bestand. Er floh über Österreich in die UdSSR und lebte seit 1920 in Moskau, dort u.a. als Funktionär der Komintern tätig. 1937 wurde er als „Konterrevolutionär“ verurteilt und 1939 erschossen. Brecht hatte ihn bei einem von der VEGAAR veranstalteten Brecht-Abend im Mai 1935 in Moskau kennengelernt. 569 Brecht teilte Piscator am 25.9.1935 mit: „BK will ich gern etwas schreiben, nur nicht gerade eine Broschüre, da ich, wie Du weißt, an einer schweren Broschürophobie leide“ (GBA 28, S. 525). Geschrieben hat er allerdings nichts.

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Das in aller Eile. Wir haben gerade Festival570, d.h. es sind einige ganz wichtige Leute hier, mit denen man jetzt einiges zu tun hat. Danach möchte ich etwas in Urlaub fahren. Ich muss mich unbedingt erholen. Mit Amerika ist immer noch nichts. Vielleicht mache ich „Rundköpfe“ bei Michoels571. Er möchte erst ein anderes Stück von mir haben, aber ich habe mich geweigert, nur Rundköpfe, habe ich gesagt. Ausserdem gefällt Dein Stück sehr vielen Leuten sehr gut, aber Du bekommst noch Nachricht. Herzlichst Dein Alter E. [Hs.] Grosz? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 477/100. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 383f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Prag, 11.9.1935 11. Sept. 1935 Prag Lieber Brecht besonders Herzlichen Dank für Deinen Brief. Die „Resolution“572 ist ganz ausgezeichnet geworden. Ich freue mich sehr darüber. Sehr gespannt bin ich auf das Lehrstück.573 Ich würde gerne noch einen Sprung zu Dir kommen aber: 15. und 16. sind Einheitsfrontverhandlungen mit der I.D.A.S. (Internat. Arb. Sänger, Reformistische [sic])574 und dann muß ich noch mindestens ein bis zwei Tage den Bericht darüber fertigmachen. Ich muß spätestens die „Lafayette“ am 25 in Le Havre erreichen.575 Wenn ich am 18.ten 570 Gemeint ist das seit 1933 jährlich stattfindende Moskauer Theaterfestival. 571 Solomon Michailowitsch Michoels (Solomon Michajlovič Michoėls, 1890–1948), jiddischsprachiger russischer Schauspieler und Regisseur. Als Vorsitzender des Jüdischen Antifaschistischen Komitees wurde er im Zuge der als antizionistisch deklarierten „Säuberung“ in der UdSSR der Nachkriegszeit von Mitarbeitern des NKWD ermordet. Offiziell hieß es, er sei er bei einem Autounfall gestorben. 572 Vgl. Anm. zu Eisler, Ende August 1935. 573 Die Horatier und die Kuriatier. Vgl. Anm. zu Eisler, Ende August 1935. 574 Hanns Eisler hatte Anfang September in Prag an einer Delegiertenkonferenz der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik teilgenommen und dort, gemäß dem auf dem VII. Weltkongreß soeben beschlossenen neuen Kurs der Komintern (vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933), Gespräche über die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit dem IMB geführt. Ähnliches sollte auch Mitte des Monats bei einer Konferenz der sozialdemokratisch orientierten Internationale der Arbeitersänger (IDAS) geschehen, deren Delegierte das Angebot jedoch zurückwiesen und den Vertretern des IMB die Teilnahme verweigerten. 575 Ende September 1935 reiste Eisler erneut nach New York, um seinen dortigen Lehrverpflichtungen nachzukommen (vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935).

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loskomme bin ich am 20.ten in Paris und erst am 22. bei Dir. Außerdem werde ich mit dem Geld knapp. Der Spesenersatz war sehr klein und ich muß 50 Dollar haben um U.S.A. betreten zu können. Es ist sehr schade. Bitte gib eine Kopie der Lou576 mit; es erreicht mich aber am schnellsten, wenn Du mir per Luftpost auch hierher eine Kopie schickst. Ich werde dann gleich schreiben u. Vorschläge machen. Was Theatre Union betrifft: Ich kann Dir als Freund nicht zuraten Deine Arbeiten kaputt machen zu lassen.577 So leid mir die Theatre Union auch tut, aber ich kann nicht vermitteln, da ich Deinen Standpunkt für berechtigt halte. So habe ich unsern Freunden in U.S.A. die Sache dargestellt. Die Vorschläge die Grete mir schickte scheinen nicht unvernünftig.578 Das kann ich Dir raten. Bitte also teile das den Leuten mit, vielleicht geht das. Ich bin sehr gerne bereit auch die Hälfte meiner Tantiemen als Garantiesumme für Deine Reise579 zur Verfügung zu stellen. Bitte erweitere also den Vorschlag in diesem Sinne. Ein neues deutsches Theater wird hier gegründet.580 Sie haben mit mir verhandelt. Nette junge Leute und ein sympathischer Geldgeber. Ich schlug vor Helli und Busch zu engagieren. Sie wollen es und werden der Helli gleich schreiben.581 Ferner waren sie einverstanden die Spitzköpfe als Eröffnung zu geben.582 Regie Piscator. Aber Dir werden alle Spesen gegeben, damit Du bei den Proben anwesend sein kannst. (Spitzköpfe mit: Neher, Gretler583, Weigel, Busch, Langhoff, eventuell Homolka) Auch ist eventuell die Mutter unter Deiner Regie geplant mit Weigel, Busch, Langhoff.584 (Hätte die Grete wieder einmal Lust?)

576 Louise Jolesch. 577 Vgl. Anm. zu Theatre Union, 29.8.1935, dazu Peters, 4.9.1935. 578 In einem Brief vom 8.9.1935 hatte Margarete Steffin ihm Brechts Forderungen an die New Yorker Theatre Union mitgeteilt: Aufführung der Originalfassung der Mutter, Übertragung der Regie an den Autor, Vorschußzahlung zur Deckung der Fahrtkosten (dokumentiert in BBA 479/7). 579 Brecht reiste am 7.10.1935 nach New York. 580 Ende August 1935 war auf Initiative von Gerda Kohlmey, vormals Schauspielerin der Berliner Agitproptruppe Das Rote Sprachrohr, in Prag die Freie Deutsche Spielgemeinschaft zusammengetreten. Das fünfzehnköpfige Ensemble, ab 1937 von Erwin Geschonneck geleitet, trat hauptsächlich vor deutschen Emigranten auf, bis der Einmarsch der Wehrmacht dessen Aktivitäten im März 1939 ein Ende setzte. 581 Ein Engagement von Helene Weigel und Ernst Busch kam nicht zustande. 582 Statt der Rundköpfe und Spitzköpfe wurde zur Eröffnung der Freien Deutschen Spielgemeinschaft eine Emigranten-Revue gespielt. 583 Heinrich Gretler (1897–1977), Schweizer Schauspieler und Sänger, bis 1933 am Deutschen Theater in Berlin tätig. 584 Auch dieses Vorhaben wurde nicht realisiert.

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Hoffentlich wird was daraus. Die Sache scheint mir sehr sicher. (Helli muß gute Gage verlangen.) Bitte schicke gleich Kopie Lehrstück. Herzliche Grüsse Eisler Nach Spitzköpfe Musik hatte Geldgeber Tränen im Auge.585 Überlieferung: Ms, BBA 479/12–13. – E: Eisler, Briefe, S. 109f.

George Grosz an Bertolt Brecht Laren586, 12.9.1935 Danemarken Den heer Bert Brecht Skovsbostrand per Svendborg 12/Sept/35 Lieber Bert, ich konnte nicht mehr kommen – bin zu sehr Europamüde. Bin auf dem Wege schon nach US.A. Am 17. fahre ich von dannen. Bin jetzt hier bei meinem alten Freunde H.F.587 in Harem zu Besuch. Ich denke gern zurück an unsere gemeinsamen Tage & Gespräche. Grüsse Helli & Steff und die Tochter – stets dein alter george Überlieferung: Ms, Postkarte (Direkt by de Rienekkoesche Gose), hs. Notiz: „Die besten Grüsse Ihr HFiedler.“; BBA 482/71–72.

585 Vermutlich wegen der erforderlichen Anzahl von Musikern. Um welchen potentiellen Geldgeber es sich hierbei handelte, wurde nicht ermittelt. 586 Gemeinde in Nordholland. 587 Herbert Fiedler (1891–1962), Maler und Graphiker, Studienkollege und langjähriger Freund von George Grosz. Seit 1934 in den Niederlanden.

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Hanns Eisler an Bertolt Brecht Prag, 16.9.1935 16. Sept. 1935 Prag Lieber Brecht ich erfahre zu meiner größten Freude, daß man Dir doch von New York das Reisegeld schickt.588 Hoffentlich sind daran keine Bedingungen geknüpft. Aber ich glaube jedenfalls: fahren ist richtig, da Du Dich dort persönlich so durchsetzen kannst, wie das Rasiermesser in der Butter. Bitte schreibe mir noch ein paar Zeilen nach Wien: Erwin Ratz IX Favoritenstr. 46; da ich ca. 19ten oder 20 in Wien auf der Durchreise bin, könnte ich noch Nachricht vorfinden, falls Du Flugpost schreibst. Anbei ein großartiger Zeitungsausschnitt589, der die Unterlage zu einer wahren Tragödie bieten könnte. Ganz ungeheuerlich ist, wie ein Vater einen Sohn, wegen erblicher Belastung entmündigen will!! Auf Wiedersehen in New York aber hoffentlich noch Brief in Wien vorfindend Sehr herzlich Eisler Überlieferung: Ms, BBA 479/11. – E: Eisler, Briefe, S. 110.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 17.9.1935 Prag, den 17.9.35 Bertolt Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, anbei ein Brief aus Ungarn.590

588 Brecht hatte der Theatre Union (in einem nicht erhaltenen Brief) vorgeschlagen, man möge ihm statt eines Honorars die Reise nach New York bezahlen (vgl. Theatre Union, 29.8.1935). Anfang Oktober, nachdem ein Vertreter der Theatre Union zu Gesprächen mit Brecht nach Svendborg gekommen war, wurde im Rahmen des abgeschlossenen Vertrags über die Aufführung der Mutter in New York auch diesbezüglich eine Einigung erzielt (vgl. BC, S. 460f.). Was davon Eisler in Prag bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erfahren hatte, konnte nicht ermittelt werden. 589 Nicht überliefert. 590 Nicht überliefert.

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Dieser Tage war Eisler hier und er sagte, dass noch im Winter angeblich Dein Stück „Rundköpfe und Spitzköpfe“ hier (voraussichtlich unter der Regie von Piscator) aufgeführt werden soll.591 Das erscheint mir zwar noch keineswegs sicher, immerhin aber sollte man unbedingt die Herstellung mindestens des ersten Bandes592 beschleunigen und ich bitte Dich daher festzustellen, was mit Böff ist, der auf meine letzten Briefe nicht geantwortet hat, und bezgl. der Illustrationen überhaupt nichts hören liess. Ich bin darüber sehr beunruhigt. Gleichzeitig erinnere ich an die Manuskripte, die Du noch für den zweiten Band schicken wolltest. Da ich für beide Bände schon das Papier gekauft habe, möchte ich sie natürlich auch bald herstellen. Zudem ist die politische Lage so, dass man alles Geplante mit einiger Beschleunigung durchführen sollte. Lass bald von Dir hören. Herzliche Grüsse Wieland Anlage! Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/21.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht [Moskau] 17.9.1935

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Lieber Bert. Eben sind wir aus dem Urlaub nach Moskau zurück. Es war sehr schön besonders in dem geliebten Land Kabarda.593 Ich war da Teilnehmer einer Wildschwein Jagd, das ist herrlich. Bin sehr viel durch das Land und auch in den wildesten Schluchten herumgefahren, war auch bei dem Feier wo sich die rotarmee alpinisten mit den Kollektivdörferalpinisten zusammentrafen. Es war ja eine ungewöhnliche Bergsteigung – 638 bauern und arbeiter des landes bestiegen auf einmal Elbrus gipfel (5 1/2 Kilometer hoch). Sie haben auch bis zur Gipfel eine telephonlinie eingerichtet und von dem endpunkt wurde es an gen. Stalin gesprochen. Wo jemand sich schwach fühlte, namen ihn die anderen auf die schulter und trugen bis zu ende. Und wo jemand (das kam einmal mit einem Flächebewohner 591 Vgl. Eisler, 11.9.1935. 592 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.8.1935. 593 Die Kabardino-Balkarische ASSR (= Autonome Sozialistische Sowjetrepublik, bis 1936: Autonomes Gebiet) im Südwesten Rußlands, an der Nordseite des Kaukasus.

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vor) anfing zu rutschen warfen sich die bergleiter unter die füsse des rutschenden um ihn aufzuhalten, er schlug sie ab die rollten beide weiter, aber sofort warfen sich neue auf dem wege und endlich hielten diese lebendige lawine ab. Mir scheint – das alles war in dem Stil der Themata die du gerne für Gedichte ausnützst. Auch ich der schon seit 8 Jahren keine Gedichte schreibt, habe eins geschrieben zu ehren von diesen alpinisten, die alle das berg zum ersten mal bestiegen. Dein Vorschlag von den Protokolle ist interessant und ich werde mich bemühen aufzusuchen wo man zu diesen Protokollen kommen kann. Im Urlaub habe ich nichts gearbeitet, desto tüchtiger fange ich jetzt an. Ich habe gehört – Feuchtwanger möchte in November Moskau besuchen. Ich hörte, du seist mit ihm befreundet. Wirst du nicht zu dieser Zeit auch in Moskau. Wir könnten eine interessante reise nach Süden (Kabarda) vielleicht unternehmen. Ochlopkoff ist gekommen. Er hat mit Stenitsch594 einen Vertrag geschlossen für die Übersetzung von Tschuchen595 und bittet mich ich möchte nach dem übersetzen es auszuredaktieren. Gut. Dein Rat über die Tagebücher ist richtig. Es fehlt nur die Zeit. Schon 3 Tage bin ich in Moskau und halte mich im Schatten, weil ich weis – eine bewegung und ich werde wieder von nebenliterarischen arbeiten vollgestopft. Malraux habe ich nicht gelesen,596 aber diese altdeutsche (anfang XIX) „Philoso-psycholo“ ist mir in seinen Werken unangenehm. Olga sucht dir Turandot.597 Gruss an Helli. Ich schreibe ihr besonders. Dein alter Sergei Überlieferung: Ms, BBA 477/121–122. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 414f.

594 Walentin Jossifowitsch Stenitsch, eigentl. Smetanitsch (Valentin Iosifovič Stenič bzw. Smetanič, 1897–1938), russischer Schriftsteller und Übersetzer. Übertrug u.a. den Dreigroschenroman und Die Rundköpfe und die Spitzköpfe ins Russische. 595 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Russischer Titel: Čichi i Čuchi. 596 André Malraux‘ Roman Le Temps du mépris (Paris 1935) erschien im selben Jahr in einer Übersetzung von Ilja Ehrenburg auch auf russisch. 597 Was genau Olga Tretjakowa für Brecht gesucht hat, wurde nicht ermittelt. Der Turandot von Carlo Gozzi, uraufgeführt 1762 in Venedig, war Brecht bereits seit den 1920er Jahren bekannt. Ein Exemplar der Übersetzung von Karl Vollmoeller (Berlin 1911) befindet sich in seiner Nachlaßbibliothek. Die Entwürfe zu einem Turandot-Stück, an dem er seit etwa 1930 arbeitete, hat Brecht ab 1935 in sein Tui-Projekt integriert.

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Standen (The Theatre Union) an Bertolt Brecht New York, 23.9.1935 = Brecht skovsbostrand bei svendborg = gomez theatre union ankommt freitag svendborg598 = standen Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 342/60.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 30.9.1935 Paris den 30.IX.35. Lieber Brecht, Es freut mich sehr, daß die Einreiseerlaubnis Angelegenheit fortschritte macht. Damit auch mein Aufenthalt in Paris geregelt werden kann, haben wir hier eine französische Film firma gegründet, dessen Leiter ich oficiel bin. Somit bin ich in meinem Pass nicht mehr der Regisseur, sondern der Geschäftsführer der „Dudafilm“, Sitz Paris. Mein Rechtsanwalt hat mir gesagt, die franz. Perfektur würde mir nun mehr die Carte d’identité ausstellen. Vielleicht nützt dieser Umstand auch Ihrem Rechtsanwalt, um alles zu beschleunigen. Die Gründung der neuen Firma hatte auch einen anderen Zweck, nämlich die Produktion des neuen Films zu erleichtern. Es ist mir gelungen für den Feigling599 ca 200,000 fcs. zu sameln. Das genügt keineswegs. Ich muß alle Mitteln anwenden um noch ca. 200,000 fcs. aufzutreiben, was sicher nicht leicht sein wird. Natürlich habe ich inzwischen an den Feigling vieles verändert und verbessert, aber ich komme wenig zum arbeiten. Damit ich das eine ermögliche, muß ich viel andere Arbeit verrichten. Ich habe bis jetzt 4 Kurzkulturfilme montiert, von einen anderen eine französische Version gemacht usw. Diese Filme gehören der neuen Geselschaft und bilden mit die Bausteine von der Feigling Produktion. Eisler hat mir erzählt, daß verschiedene Werke von Ihnen in der nächsten Saison zur Aufführung kommen. Das ist grossartig. Sie wissen, daß ich nebenbei theoretische Studien über den Film mache. Ich bin zu dem Resultat gekommen, daß das Theater in der allgemeine geselschaftliche Funktion dem Film Platz machen muß. Dem Theater bleibt nur ein spezieles Gebiet übrig, das von dem Film niemals erobert 598 Manuel Gomez, d.i. Charles Philips (1895–1989), amerikanischer Journalist, auch Gründungsmitglied der mexikanischen KP. Als einer der Leiter der Theatre Union traf er Ende September 1935 in Svendborg ein, um sich mit Brecht über die geplante Aufführung der Mutter in New York zu verständigen und einen entsprechenden Vertrag abzuschließen. 599 Vgl. Anm. zu Lania, 5.1.1935.

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werden kann. Um den Kind einen Namen zu geben, würde ich dieses Theater das Philosophische nennen. Dazu rechne ich einen Teil ihrer Werke. Schade, daß man nicht darüber persönlich diskutieren kann. Ich würde gern wissen, was Sie darüber denken. Was macht Ihr neuer Roman? Grüssen Sie bitte Frau Weigel und Stephan herzlichst Ihr S. Dudow Übrigens Benjamin hat mir erzählt, Sie hätten einen Aufsatz über den grossen chinesischen Schauspieler geschrieben.600 Wenn Sie eine Abschrift haben, schicken Sie es mir bitte, es interessiert mich sehr. Ich versuche dem Benjamin zu helfen, seinen Aufsatz über Sie in irgend eine französische Zeitschrift zu veröfentlichen, bevor der Roman erscheint.601 S.D. Überlieferung: Ms, BBA 478/48–49.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 30.9.1935 Grete Steffin Thurø per Svendborg „Torelore“ 30.9.35 Liebe Grete Steffin, am 15.9. schriebst Du,602 dass 4 Manuskripte abgegangen sind. Bis jetzt trafen sie noch nicht ein. Ich hoffe, sie sind nicht verloren gegangen, sondern die Absendung hat sich verzögert. Was „Die Mutter“ angeht, so ist das korrigierte Expl. meines Wissens bei der Druckerei. Es genügt also, wenn die Ergänzungen geschickt werden.

600 Vgl. Benjamin an Steffin, Anfang Oktober 1935. 601 Mit dem Aufsatz ist vermutlich Walter Benjamins Studie über das epische Theater gemeint (vgl. Anm. zu Benjamin, 5.3.1934). Eine französische Ausgabe des Dreigroschenromans erschien vorerst nicht. 602 Nicht überliefert, ebenso wie der nachfolgend erwähnte Brief Steffins vom 25.9.1935.

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Die Ballade603 werde ich wohl nicht veröffentlichen können, weil das Weitererscheinen höchst fraglich geworden ist. Von Grosz habe ich auch nichts mehr gehört. Ich werde hinüberschreiben. Solltet Ihr von ihm hören, gebt mir bitte Nachricht. Wegen der Einleitung werde ich nochmals mit dem Verlag korrespondieren. Herzliche Grüsse Wieland PS. Eben trifft Dein Brief vom 25. ein. Dank für die Absendung. Von den Horatiern hat mir schon Eisler erzählt. Ich freue mich, dass das Stück hineinkommt. Zu den zwei Fassungen schreibe ich sogleich nach Eingang Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1 W. Herzfelde z. Zt. Prag I., Konviktská 5; BBA 477/20

Erna Sternberg an Helene Weigel [Basel, September/Oktober 1935]604 [Hs.] Gundeldingerstr. 463 Liebe Helli, Es ist wirklich eine Viecherei, dass ich Dir nicht schon eher geschrieben habe. Meine einzige Entschuldigung: ich bin noch immer nicht so recht auf dem Damm wieder. Kaum war das Nesselfieber weg, bekam ich eine Nervenentzündung am rechten Arm, und konnte nur mit Ach und Krach das Notwendigste machen. Und nun läbbert es an allen Ecken und Enden mit Kleinigkeiten. Aber Brief und Paket sind richtig angekommen. Recht herzlichen Dank. Die Lieder605 haben wir mit grosser Freude gelesen. Der Krimi tat mir sehr wohl mal wieder und das Kleid kam zur rechten Zeit als ein anderes gerade ganz in die Brüche ging. Wir haben nun dem Verlag geschrieben, dass er euch ein Buch vom Fa606 sendet. Wir wollten es nicht von hier aus senden von wegen der Reiseroute. Und von wegen Dänemark! Ich wäre mit Feuer und Flamme dabei, zumal die See ja meine ewige Sehnsucht ist als „Wasserkantlerin“. Aber es wird wohl kaum zu machen sein. Die Freizügigkeit ist zwar eine Gottesgabe, aber sie wird ja eben nicht nur in unserem geliebten Heimatland durch Arbeitspässe verkürzt, sondern draussen ja jetzt auch durch die elenden Papierchen, die einem dafür fehlen.

603 Nicht ermittelt. Vgl. Herzfelde an Steffin, 28.8.1935. 604 Zur Datierung vgl. B. an Sternberg, September/Anfang Oktober 1935, GBA 28, S. 526. 605 Möglicherweise die Sammlung Lieder Gedichte Chöre. 606 Fritz Sternberg, Der Faschismus an der Macht. Vgl. Anm. zu Brentano, 12.9.1934.

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Schreibt, was ihr zum Fa meint. Wir sind sehr gespannt darauf. Und schreibt gleich, wenn ihr es nicht bekommen habt, weil wir dann den Verlag wieder mahnen müssen. Der klappt nämlich nicht gerade prompt. Es ist sein erstes deutschsprachliches Buch überhaupt und ausserdem ist der Verlag man mehr ein Verlägchen. Aber man muss ja überhaupt froh sein, dass sich noch einer bereit erklärt hat dazu. Ich fürchte, es wird in absehbarer Zeit der letzte sein. Die Saarabstimmung607 wirkt hier verheerend und ich habe den Bauch voll Wut. Die Rechten sagen, da seht ihr, was bei einer Einheitsfront herauskommt und gehen damit hausieren. Auf dem hiesigen Parteitag haben sie das doch wirklich als Argument gegen uns gebraucht!! Und die guten Proleten, dies gut meinen, schimpfen auf das deutsche Proletariat, mit dem man eben nicht kämpfen könne. Und das sagen diese satten wohlgenährten „Proletarier“ hier, die überhaupt noch keine Ahnung von wirklichen Klassenkämpfen haben. Hier kann man wirklich das Problem der Verbürgerlichung der Leute in Praxis sehen. Wenn die mal wirklich kämpfen sollen, steckt keiner seine Nase aus seinem eigenen Häuschen raus. Na, aber ich denke, in eurem gelobten Land wo Milch und Käse fliesst, wird es auch nicht viel besser aussehen. Im übrigen fehlt im Grossen und Ganzen die Zeit um allzu pessimistisch zu sein. Hilde ist jetzt fort, so dass ich den Haushalt wieder allein hab und was noch ausser dem Tippen an freier Zeit bleibt, wird mit Lesen ausgefüllt. Ich hab in letzter Zeit wieder viel gelesen. Auch die Marx-Biografie von Mehring,608 die mich etwas getröstet hat über die Misere des Emi609-Tratsches. Da wars weiss Gott auch nicht viel besser, und der Satz von Engels, dass diejenigen, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als zu tratschen, immer denjenigen überlegen sind darin, die zu arbeiten haben,610 hat mich über vieles getröstet. Wenn man es bei Licht betrachtet, ist es ja auch kein Wunder, dass alle Emi so ist. Im übrigen habe ich auch Reich gelesen über die Massenpsychologie des Faschis[mus.]611 Er sitzt noch anscheinend in Dänemark. Solltest Du ihn zufällig kennen, so frag ihn mal, ob und wo

607 Vgl. Anm. zu Brentano, April/Mai 1934. 608 Franz Mehring (1846–1919), Historiker und Publizist. Seine Marx-Biographie Karl Marx. Geschichte seines Lebens erschien 1918 in Leipzig. 609 Emigranten. 610 „Die Teilung der Arbeit“, heißt es bei Marx und Engels, „wird erst wirklich Teilung von dem Augenblicke an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit einsetzt“ (Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 31). Mit der Höherentwicklung der „Produktionskraft der menschlichen Arbeit“ indessen, so Engels später, „verschwindet jeder Vorwand für den Bestand einer herrschenden Klasse. War doch der letzte Grund, womit der Klassenunterschied verteidigt wurde, stets: Es muß eine Klasse geben, die sich nicht mit der Produktion ihres täglichen Lebensunterhalts abzuplacken hat, damit sie Zeit behält, die geistige Arbeit der Gesellschaft zu besorgen“ (Zur Wohnungsfrage, MEW 18, S. 221). 611 Wilhelm Reich, Massenpsychologie des Faschismus, Kopenhagen 1933. Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897–1957), der sich an einer Synthese aus Marxscher und Freudscher Theorie versuchte, war 1930 von Wien nach Berlin übergesiedelt. 1933 ging er ins Exil nach Dänemark, 1939 in die USA. Brecht unterhielt mit ihm keinen Kontakt.

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man das Buch Kinderbuch: Das Kreidedreieck612, bekommen kann, von dem er sprach. Fr. steckt den halben Tag seine Nase nicht aus den Marx- und Leninbänden und saugt sich voll. Aber ich fürchte, er geht doch schon wieder mit einem neuen Kind schwanger, und dann geht die alte Arbeit wieder los. Na, mir soll es schon recht sein. Wie steht es mit Zür. Kommst Du? Ich hoffe sehr, dass es klappt, denn wenn schon der Berg nicht zum Prophet kommt, so wäre es doch wenigstens ein Trost, wenn der Prophet zum Berg [käme]. Der Satz hinkt zwar reichlich, aber nichts für ungut. Viele herzliche Grüsse, und hoffentlich kommst Du. Erna [Hs. von Fritz Sternberg:] Recht herzlichen Gruss Fritz Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 479/91.

Walter Benjamin an Margarete Steffin [Paris, ca. Anfang Oktober 1935] Liebe Grete, diesmal hat es mit meiner Antwort etwas lange gedauert – aber was lag auch alles zwischen dem Empfang Ihres ersten Briefes613 und heute. Vor allem wieder einmal ein Umzug – die neue Adresse finden Sie am Ende –, dazu besondere Schwierigkeiten, wenn auch der gebräuchlichsten Art und in solcher ihn begünstigenden Lage ein Aufstand der Objekte im ganzen Umkreis: beginnend, da ich im siebenten Stock wohne, mit einem Streik des Fahrstuhls, fortgesetzt durch eine Massenabwanderung der paar Habseligkeiten, auf die ich halte, gipfelnd in dem Verschwinden eines sehr schönen, für mich unersetzlichen Füllfederhalters. Es war eine ansehnliche Misere. Jetzt, da ich Ihnen schreibe, ist – ohne daß sich an der Lage etwas geändert hätte – meine Verstörung abgezogen, vielleicht fortgefegt von den tollen Herbststürmen, die tagaus tagein meine Höhe umpfeifen. Ein Trost wäre es gewesen, wenn die Ankunft Ihres Tabaks614 in diese Tage gefallen wäre. Aber auf die dürfen wir nicht mehr rechnen und auch 612 Annie Reich, Das Kreidedreieck, Berlin 1932. Annie Reich, geb. Pink (1902–1972), war die Frau von Wilhelm Reich. 613 Margarete Steffin hatte Walter Benjamin am 15. und 25.9.1935 geschrieben (vgl. Steffin, Briefe, S. 143– 146). 614 Am 15.9. berichtete ihm Steffin aus Svendborg: „brecht behauptet, sooo sicher sei ein tabak auch hier nicht, nicht mal in blechbüchsen. […] könnten Sie solche anspielungen verstehen?“ (Steffin, Briefe, S. 144).

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keinen Versuch mehr machen, sonst kommen die Zollbeamten garnicht aus dem Rauchen heraus. Aber sehr vielen Dank für Ihre Ausdauer! Und nun weiß ich nicht einmal, ob ich Ihnen schon für Ihre ausgezeichnete Abschrift des „Epischen Theaters“615 gedankt habe. Ich bin sehr froh, daß Sie mir dieses wichtige Manuscript derart gesichert haben. Nun zu den Brechtschen. Zuerst bekam ich die „Bemerkungen über die chinesische Schauspielkunst“.616 Es liegt auf der Hand, daß das ein ganz ausgezeichnetes Stück ist. Unübertreffliche Formulierungen sind darin, wie die vom Gesicht als dem leeren Blatt, das durch den Gestus beschrieben wird, die vom Nachbar, nicht dem Beschauer, der dargestellt wird – und andern. Jetzt ist das Unglück, daß ich hier persönliche Beziehungen nicht zu einem einzigen Übersetzer habe. Auf der andern Seite kann Adrienne Monnier, Herausgeberin von Mesures,617 an die ich diesen Text sehr gern bringen würde, keine Silbe deutsch. Und am bedenklichsten ist die bedenkliche Art ihres Gewährsmannes für die deutschen Sachen.618 Mit alledem will ich nur sagen, daß ich genötigt sein werde, auf verschlungnen Wegen voranzugehen und daß es nicht sicher ist, ob ich ankomme. Der Versuch jedenfalls lohnt unbedingt und ich werde ihn bei nächster Gelegenheit unternehmen. Es war sehr schön im Lehrstück vor Augen zu haben, wie Brecht die Erfahrungen mit der chinesischen Bühne seiner eignen Sache zunutze macht.619 In der Tat scheint mir das letzte Stück unter allen der Art das vollkommenste. Ohne Zögern äußere ich mich zu der Frage, die Sie mir mit Bezug auf die beiden Fassungen der Szene von dem […]

615 Die erste Fassung von Benjamins Aufsatz über das epische Theater (vgl. Anm. zu Benjamin, 5.3.1934). 616 Die Bemerkungen über die chinesische Schauspielkunst (GBA 22, S. 151–155), die Benjamin am 15.9. von Steffin erhalten hatte, gehen zurück auf ein Gastspiel des chinesischen Schauspielers Mei Lan-fang und daran anschließende Diskussionen im Frühjahr 1935 in Moskau. Brecht und Steffin waren dort mit Mei Lan-fang mehrmals zusammengetroffen (vgl. BC, S. 438). Der Text erschien in Theater der Welt, hrsg. v. H. Jhering, Berlin 1949. Eine französische Übersetzung kam nicht zustande. 617 Adrienne Monnier (1892–1955), Pariser Buchhändlerin und Verlegerin, Herausgeberin der Literaturzeitschriften Le Navire d’argent und La Gazette des amis des livres. Sie gehörte auch der Redaktion der insbesondere mit englischer Literatur befaßten Zeitschrift Mesures an, deren erste Nummer im Januar 1935 erschien. 618 Vermutlich Bernard Groethuysen (1888–1946), der dem Comité de lecture der Nouvelle Revue Française und auch der Redaktion der Zeitschrift Mesures angehörte. 619 Die Rede ist von dem Lehrstück Die Horatier und die Kuriatier (zuerst in: Internationale Literatur, Heft 1/1936), das Benjamin von Steffin am 25.9.1935 erhalten hatte mit der weitergegebenen Bitte Brechts, „es durchzulesen“ (Steffin, Briefe, S. 146). An einer Stelle im Typoskript, so Steffin, bestehe Unsicherheit über zwei mögliche Fassungen – eine von Brecht, eine von ihr selbst vorgeschlagene –, die sie Benjamin zur Beurteilung vorlegte. Dieser entschied sich, wie schließlich auch Brecht, für die Lösung Steffins (vgl. die fragliche Stelle in GBA 4, S. 292f., dazu die Anm. auf S. 505). Daß Benjamin sich mit dieser Frage in dem nicht erhaltenen Teil des Briefes ausführlich befaßt hat, geht aus Steffins Antwort vom 16.10. hervor (Steffin, Briefe, S. 148f.).

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Überlieferung: Ms (Fragment), hs. Notiz von Steffin: „Paris XIV (neue Adresse) 23 rue Bérnard“; BBA 478/3–4. – E: Walter Benjamin, Briefe, hrsg. v. G. Scholem u. T.W. Adorno, Frankfurt/M. 1978 (2. Aufl.), S. 692f. (jetzt: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 174f.).

Margarete Steffin an Bertolt Brecht Thurø, ca. 8.10.1935 geliebter! hast du es denn nicht gelesen? rund tausend jahre hielt es sich versteckt. um fünfzehnhundert wurd’s jedoch entdeckt. es ist entdeckt! kolumbus ist’s gewesen! sieh seinen ruhm wie einen staub verwehen! schon lang ist’s nur das ei, von dem man spricht. gern steht das allerneuste dort im licht ob sie jedoch das lehrstück620 schon verstehen? traust du denn denen, dass sie dich erkennen? trotz deiner grösse einen grossen nennen? bald fährt das schiff. heisst Aquitania.621 ich werde sehr allein sein und dich lieben. du musst mir schreiben: es ist so geblieben ich bin der alte, und bald bin ich da. Überlieferung: E: Steffin, Briefe, S. 147.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 28.10.[1935] sehr verehrter bertolt brecht! geliebter bidi! es ist der 28. oktober und trübsinnig stelle ich fest, dass wieder kein brief ankam, obwohl ich ihn für heute ganz gewiss erwartete. Geht es Dir gut? lieber bidi, schreibe mir. lieber bidi. 620 Die Mutter, die bald in New York aufgeführt werden sollte. 621 Mit der Aquitania fuhr Brecht am 9.10.1935 von Southampton nach New York. Er hatte Dänemark bereits am 7.10. verlassen.

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ich bin äusserst unzufrieden mit dem letzten bild des „schutzengels“ (prozess)622 und habe mir eine umarbeitung vorgenommen: der knabe karl werner wird nun nicht gerettet (nur die andern, die auf dem untergehenden schiff waren, er war zu klein und unerfahren und wurde von einer welle runtergespült). die szene im hafen von odess[a] fällt weg (das ist wirklich einfachstes agitprop) und statt dessen kommt im schlussbild karl werner, der ersoffene, in den himmel. ein prozess um ihn herum findet statt (mit staatsanwalt, verteidiger, presse usw. unter den zeugen ist so nebenbei der kleine engel, (der ja eine nette figur ist, wenn man ihm nicht die grosse dumme antikriegsrede der bisherigen fassung gibt) der auch „nebenbei“ feststellt, dass die sowjetunion kommt nur vor, wenn bei zeugenaussagen irgendwann erwähnt wird, dass die russische sektion 1922 endgültig geschlossen wurde. der knabe karl werner kriegt zum schluss eine grosse rede gegen schutzengel, himmel und „sogar“ den lieben gott, der angeblich allgültig, allweise, allwissend ....... und alle fragen: wo ist der liebe gott?? damit schliesst das stück. vor den vorhang tritt der kleine engel und erzählt ganz nebenbei leicht davon, von seinen messungen. (evtl. kann er das auch als zeuge mitten im prozess machen. der kleine engel ist ja eine nette figur, glaube ich, wenn man ihm nicht die grosse dumme antikriegsrede gibt, nur wenn ers im prozess macht, fehlt mir der schluss mit „wo ist der liebe gott“ und ein anderer schluss ist mir noch nicht eingefallen[.] bitte, lieber bidi, schreib mir deswegen, wenn Du mal ein bissche[n] zeit hast. Überlieferung: Ts, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/158. – E: Steffin, Briefe, S. 151f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Oktober/November 1935] Eben telefonierten wir. Heute abend gehe ich in die „Mutter“-Aufführung.623 Ich schreibe Dir dann davon. Überlieferung: Ms, Rückseite: Übersetzung Steffins von Michail Soschtschenkos Satire Die Beichte; BBA 917/25–26. – E: Steffin, Briefe, 153.

622 Die Rede ist von ihrem 1934 begonnenen Kinderstück Wenn er einen Engel hätte, das Steffin im Herbst 1935 in Kopenhagen nochmals überarbeitete (jetzt in Steffin, Konfutse, S. 207–301). Brecht teilte ihr am 14.11. mit, die hier erwähnte letzte Szene sei „ein wenig zu politisch im Weltmaßstab. Es erinnert an ‚Faust‘, zweiter Teil, wenn es auch amüsanter ist“ (GBA 28, S. 533). 623 Die Mutter wurde im Herbst 1935 vom Revolutionären Theater, einer Laiengruppe, in Kopenhagen in dänischer Sprache gespielt. Regie führte Ruth Berlau, mit Unterstützung Helene Weigels.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 1.11.1935 1.11.1935 l b, korsch erzählte zwar, Du habest lächerlich viel geld mitgenommen, aber es kann doch unmöglich soviel sein, dass sich’s bei den herren gangstern rumsprach? – ich weiss nicht mehr, was ich machen soll, damit wenigstens die zeit vergeht. ich traue mich nicht weg, weil vielleicht die nächste post einen brief bringen kann, aber sie bringt ja keinen. ob Du böse bist? dann könnte es nur deswegen sein, dass ich mich in meinem brief beschwerte darüber, dass ich so ganz selbstverständlich an Deinem letzten montag624 nicht auf wiedersehen sagen durfte bezw. gesagt bekam. aber wenn Du es auch selbstverständlich findest und ich sehr traurig (weil ich ja alles als symbol nehme, verdammt) bin, so kannst Du doch nicht so mich strafen wollen. ich kann nichts machen, bin ganz zerfahren und habe auch an hanna kosterlitz625 geschrieben, ob sie von Dir was hörten. w e n n Dir etwas geschähe, würde ich denn davon hören? es ist scheusslich. heute steht in der zeitung von einem erdbeben in new york. was ist mit Dir? bidi, warum schreibst Du denn nicht? ich möchte telegrafieren, aber vielleicht magst Du dort so ein telegramm nicht bekommen. – „gott gebe“, dass Dir wenigstens nichts fehlt, sondern dass Du mit einer frau zusammen gezogen bist, die so eifersüchtig ist wie ich, d.h. noch mehr und nicht mal die briefe einsteckt, die Du geschrieben hast, Du musst mir doch geschrieben haben.626 heute wäre ein brief vom 23. hier gewesen, Du kannst doch nicht vom 15.–23. mich ohne jeden gruss lassen. es ist scheusslich. vergiss nicht, da ist niemand, weder kind noch magd, der guten morgen sagt, der fragt, nagehtsheutebesser, gute nacht wünscht, der mich anlächelt und ein bisschen gern hat. und ich brauche das sehr. ich brauche sehr briefe von Dir. „madame, die haut wird schlecht von zuviel tränen. verwaiste nächte machen alt. traurige gefühle erschlaffen den leib, schafft euch, milady befriedigung. das rohe fleisch gewöhnlich, will benetzt sein.“ (Bertolt Brecht: Das Leben König Eduard II.)627 BIDI SCHR EIBE !!!!! 624 Montag, der 7. Oktober 1935. An diesem Tag war Brecht abgereist. 625 Hanna Kosterlitz war eine Schülerin von Karl Korsch. 626 Der erste erhaltene Brief Brechts an Steffin aus New York datiert vom 14.11.1935. Vgl. GBA 28, S. 532f. 627 Leben Eduards des Zweiten von England (GBA 2, S. 7–91), eine Auftragsarbeit für die Münchner Kammerspiele auf der Grundlage von Christopher Marlowes Tragödie The Troublesome and Lamentable Death of Edward the Second (1592). Bei der Uraufführung am 18.3.1924 in München führte Brecht selber Regie. Das Stück erschien 1924 bei Kiepenheuer in Potsdam, in die Gesammelten Werke nahm er es nicht auf.

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[Hs.] Wiedersehen lieber bidi, schreibe etwas Gutes. Ich bin so unglücklich. Überlieferung: Ts, hs. Erg., RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/155. – E: Steffin, Briefe, S. 153f.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 4.11.[1935] Sanary (Var), 4. Nov. Villa Valmer Lieber brecht, eine Erkältung hat mich gehindert, meine russische reise anzutreten, und ich habe sie aufs späte frühjahr verschoben.628 Arbeitsfähig bin ich vorläufig auch noch nicht recht. ich denke also, ich werde, sowie ich wieder reisen kann, zunächst auf etwa zwei wochen nach paris und vielleicht nach london gehen, und anfang dez. hier in sanary wieder zu schreiben beginnen. was sind Ihre pläne? besteht aussicht, dass man Sie in der zweiten hälfte november in paris zu sehen kriegt? bitte, lassen Sie einmal wieder von sich hören. wenn man Ihnen nach dem norden schreibt, scheint alles im nebel zu verhallen. Herzlich und immer Ihr Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. Grußzeile u. U.; BBA 478/81. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 32f.

628 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.2.1935.

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Kurt Kläber an Bertolt Brecht Carona, 4.11.1935 Carona, den 4.11.35. Lieber Bert! Du kannst Dich wohl noch an den seeligen Goetz629 erinnern, der 33. im Mai zu uns heraufkam und mit Dir ein grosses, geschichtliches Werk schreiben wollte. Er fuhr dann zurück, schaltete sich lieber gleich und gestern brachte mir die Kloepferin630 das Resultat der Gleichschaltung. Ich schicke es Dir.631 Vielleicht kannst Du aus der Rückerinnerung etwas zu oder über die Sache schreiben. Es ist ja wirklich eine Schweinerei. Man koennte es dann vielleicht im Pariser Tageblatt oder sonstwo veröffentlichen, denn gegen solche Schweinehunde muss man wohl vorgehen. Dann schickte ich Dir ein Schreiben632, betreffs Oslo. Hast Du damals an Gerda GreppMascarin633 geschrieben? Ich hatte Dir die Adresse angegeben. Die Arbeiterpartei634 ist, wenigstens in Oslo, wo ihr linker Fluegel steckt, ganz tuechtig. Sie haben vor allen Dingen die Kommandohoehen im Theater besetzt. Das Osloer Nationaltheater bringt erst Mamlock von Wolf, dann von Hay: Kaiser, Pabst und Bauer.635 Solltest Du damals nicht geschrieben haben, so schreibe jetzt noch. die Leute wollen auch Vortraege ueber Theater usw, sprechen fast alle deutsch, na usw. Sonst ist wenig zu melden. Ich schreibe, hoffe bis Weihnachten mit dem ersten Band der Selbstmoerder fertig zu werden, und gehe Januar Februar nach Paris. Dann wahrscheinlich 629 Der Schriftsteller Wolfgang Goetz (1885–1955) war vor allem seiner historischen Dramen wegen bekannt. Brecht schrieb ihm am 17.5.1933: „Wir könnten uns gut unterhalten, denke ich. Und ich würde etwas Geschichte profitieren“ (GBA 28, S. 360). Was es mit dem „geschichtlichen Werk“ auf sich hat, konnte nicht ermittelt werden. 630 Das zitierte Schreiben Brechts an Goetz war adressiert an „bei Kloepfer, Caslano“ (vgl. Anm. in GBA 28, S. 693). 631 In Brechts Nachlaßbibliothek konnte nichts dergleichen ermittelt werden. 632 Nicht überliefert. 633 Gerda Grepp (1907–1940), norwegische Journalistin und Übersetzerin, verheiratet mit dem nach Norwegen emigrierten italienischen Journalisten Mario Mascarin. 634 Det Norske Arbeiderparti (auch: Arbeiderpartiet), 1887 gegründete norwegische Arbeiterpartei, die 1921 bis 1923 der Komintern angehörte. 1923 wurde die norwegische KP gegründet. 635 Gott, Kaiser und Bauer, Drama von Julius Hay, uraufgeführt in Breslau 1932, 1935 in Zürich im Druck erschienen. Der ungarische Schriftsteller Julius Hay, d.i. Gyula Háy (1900–1975), ging nach der Niederschlagung der ungarischen Räterepublik nach Berlin, wo er seine ersten Erfolge als Bühnenautor feierte. 1933 floh er nach Wien, kam über Prag und Zürich 1935 nach Moskau. Dem „Brechtkreis“ warf er in einer denunziatorischen Versammlung von Schriftstellern „Defaitismus und Liquidatorentum“ (Säuberung, S. 431f.) vor, hielt selbst jedoch zum stalinistischen Kultus fortan Distanz. 1945 kehrte er zurück nach Ungarn. Als einer der intellektuellen Wegbereiter des Aufstands von 1956 wurde er bis 1960 inhaftiert, nach seiner Freilassung emigrierte er in die Schweiz.

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England und von England Daenemark, Schweden, Norwegen. Das heisst: wenn ich bis dahin jemand habe der mir etwas auf die Selbstmoerder anzahlt, oder wenigstens die Russen etwas auf das Büchlein, was sie jetzt herausbringen wollen,636 anbezahlen. Alles Gute herzlich Der Artikel kommt als Drucksache. Dein Kurt Kläber Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 481/1.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 6.11.[1935] „sonntag ists“.637 lieber bidi, über mir spielt jemand klavier, und ich werde ganz verrückt davon. gestern war ich das zweite mal bei meinem arzt, er hat wieder röntgenfotos machen lassen. die grosse stelle rechts ist besser, aber links sind schärfere stellen. er meint, das könne von der letzten erkältung kommen und müsse beobachtet werden. mit dem röntgenbild ist er ganz zufrieden, aber nicht mit dem gewicht, dem blutdruck (35!) und dem aussehen. jetzt muss ich ausser der hustenmedizin auch lebertran schlucken. der arzt ist gegen leningrad. wegen des klimas. klimatisch besser scheint ihm schon natürlich moskau, aber auch dafür ist er nicht, denn er hat ein generelles misstrauen gegen drüben.638 er fürchtet, die ernährung ist nicht gut genug. nun stimmt zwar, dass ich, solange wir zusammen dort waren, viel besser lebte und ass als vorher allein, aber vielleicht kommst Du erst sehr spät? dann wäre eben doch am besten: erst sanatorium, dann holst Du mich.639 ich freue mich so sehr darauf, dass wir zusammen drüben sein werden. ob ich aber schon mit dem visum anfange? die stiche sind vorbei, bloss schrecklich nervös bin ich. [Hs.] 6./Nov. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/159. – E: Steffin, Briefe, S. 155.

636 Die Toten von Pabjanice, ein Band mit Erzählungen von Kurt Kläber, 1936 in Moskau erschienen. 637 Möglicherweise eine Anspielung auf das 1935 entstandene Gedicht Neue Zeit, das mit der Zeile beginnt: „Vor einer Kirche, es ist Sonntag“ (GBA 14, S. 305). 638 Margarete Steffin reiste am 21.12.1935 von Kopenhagen nach Leningrad, von dort weiter nach Moskau. 639 Von Januar bis März 1936 hielt sich Steffin erneut in einem Sanatorium, diesmal in Moskau-Sokolniki, auf. Im Mai besuchte sie Brecht in London, gemeinsam reisten sie im Juli nach Dänemark.

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Frank Banholzer an Helene Weigel Augsburg, 9.11.1935 Augsburg, 9.XI.1935. Liebe Tante Heli! Ich habe Dir nun sehr lange nicht mehr geschrieben, hole es aber jetzt nach. Zuerst einmal, weißt Du, daß ich jetzt bei Mama640 wohne. Großmama641 konnte mich leider nicht mehr haben, da ihre Gesundheit nicht ganz einwandfrei ist. Doch da [ist] noch etwas. Ich habe endlich eine Lehrstelle gefunden.642 Sie ist zwar ziemlich weit von Augsburg entfernt, aber mit dem Rad ist es schon zu machen. Außerdem, besuche ich noch am Abend einige Kurse, darunter auch Englisch, da ich das im Geschäft dringend brauche. Leider kostet das alles ziemlich viel Geld und Mama ist schon ganz verzweifelt. Wie geht es Euch überhaupt. Was macht Steff und Barbara. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mal etwas zu hören bekäme. Von Großpapa643, mit dem ich sehr gut auskomme, erzählte mir, daß Papa nach Amerika reiste. Stimmt das? Also bitte, gebe mir bald Nachricht Dein Frank. Überlieferung: Ms, BBA 654/144.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 12.11.1935 Fragment 12.11.35 lieber bidi, endlich kam wieder post von Dir.644 – schreib einmal ein bisschen von new york, ja? wegen des visums kriege ich in ca. 12 tagen bis 3 wochen bescheid. vor einem monat werde ich kaum fahren können. es wäre ja schade, wenn ich wenige tage bevor Du kommst, 640 Paula Banholzer. 641 Maria Banholzer (1870–1946), Mutter von Paula Banholzer. 642 Frank Banholzer erlernte, auf Wunsch seiner Mutter, den Beruf eines Kaufmanns. 643 Brechts Vater lebte noch in Augsburg. Die Mutter war bereits verstorben. 644 Nicht überliefert. Vgl. Anm. zu Steffin, 1.11.1935.

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fahren soll. wirst Du weihnachten in dänemark sein? oder wann kommst Du? und wann sehe ich Dich wieder?645 in dänemark gibt es augenblicklich zwei regisseure (die andern zählen nicht), der eine von ihnen ist per knutzon. ich habe mir „die melodie, die wegblieb“646 angesehen. nichts besonderes. er hat mit einem neuen stück „nieder mit dem krieg“647 grossen, sogar riesenerfolg. [Hs.: D.h. 3 Erfolge diesen Herbst.] hier in kopenhagen ist ein mauler auferstanden.648 der grosskonfektionär „möller“ erklärt, er wolle sein geschäft aufgeben (das grösste in Kop), da handel jetzt nicht mehr sport sei. und nur des sports und spasses wegen habe er die dänische damen- und herren- und kinderwelt mit allerhand sachen soundsoviele jahrzehnte beliefert. die zeitungen sind traurig und bringen grossaufnahmen. von mir ist nichts neues zu sagen. es geht mir ganz gut. ich freue mich sehr, wenn Du schreibst. bloss das papier, auf dem Du schreibst, ist so dünn und scheusslich, dass es sich gar nicht für die ewigkeit eignet. ich fürchte bloss, ich habe drüben nicht viel rubel? [Hs. am Rand:] Wiedersehen. Laß es Dir gut gehen u. denke manchmal bißchen an mich. Überlieferung: Ts (Fragment, die untere Hälfte des Blattes wurde abgerissen), hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/153. – E: Steffin, Briefe, S. 156f.

Arnold Zweig an Bertolt Brecht Haifa, 15.11.1935 Arnold Zweig, House Dr. Moses, Mount Carmel, Haifa,

15.11.35.

Lieber Brecht, Ich bereite mich auf eine große Rezension Ihrer VERSUCHE vor, nachdem mir Herzfelde ein Erscheinen der Neuauflage, also der ersten öffentlichen Auflage, für das Frühjahr als verhältnismäßig sicher angekündigt hat.649 Bei meinen besonderen Arbeitsbedingungen brauche ich, das wissen Sie, für die theoretischen Teile besonders viel Zeit. Nach der Lektüre der MUTTER und der Anmerkungen dazu scheint es mir wich645 Vgl. Anm. zu Steffin, 6.11.1935. 646 Melodien der blev væk (1935), revueähnliches Schauspiel des dänischen Dramatikers Kjeld Abel. Die Inszenierung Per Knutzons, zugleich die Uraufführung des Stücks, war ein großer Publikumserfolg. 647 Peace on Earth (1933), Antikriegsdrama von Albert Maltz und George Sklar. Maltz, der auch als Drehbuchautor arbeitete, gehörte zu den „Hollywood Ten“, die 1947 vor dem House Committee on Un-American Activities verurteilt wurden. 648 Anspielung auf den Fleischkönig Pierpont Mauler aus Die heilige Johanna der Schlachthöfe. 649 Aus der geplanten Neuauflage der Versuche entstanden schließlich die Gesammelten Werke Brechts, die 1938 im Malik-Verlag erschienen.

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tig, die nichtaristotelische Dramatik besonders gründlich erwägen zu können. Sie haben in die Anmerkungen eine Menge Gedankenstoff hineingetan; Sie befolgen Ihren eigenen Grundsatz schlecht, der Verachtung des Lernens entgegenzutreten, wenn Sie diese theoretischen Teile durch kleineren Druck und engeren Durchschuß bagatellisieren. Falls Sie also, dies ist meine Bitte, für Herzfelde Abschriften herstellen lassen, bitte machen Sie einen Durchschlag mehr und schicken Sie mir ihn, so, daß er Deutschland nicht passiert. (Ich habe gerade wieder von meinem dänischen Uebersetzer Warnungen vor dem direkten Weg erhalten.) Es liegt mir, um deutlich zu sein, an den Anmerkungen zur DREIGROSCHENOPER und zu den SPITZKÖPFEN. – Haben Sie übrigens meinen Roman bekommen und den Brief, den ich längere Zeit vorher an Sie richtete?650 Falls das Buch nicht eingetroffen sein sollte, obwohl ich Ihren Namen auf meiner Liste hatte: bequemen Sie sich bitte zu einer Postkarte an Landshoff. Ich gehe jetzt an „Einsetzung eines Königs“651, den Roman des Jahres 1918, mit dem Kampf um den litauischen Königsthron. Erinnern Sie sich noch eines Nachmittags, es ist fast zehn Jahre her, an dem ich Ihnen und Feuchtwanger in unserer Kellerwohnung in Schlachtensee die Fabel zu diesem Roman erzählte?652 Damals haben wir so wunderbar gelacht, wie man nur in jenen Jahren lachen konnte. Etwas von diesem Lachen muß in diesem Roman wieder aufblitzen, dazu aber das ganze Jahr 1918 und alles, was seither geschehen ist, mit hineinspielen, das Ganze breit untermalen und durchfärben. Daneben werde ich also nicht viel Zeit haben, und Sie müssen sich diesmal schon aufraffen und mir Ihre Durchschläge schicken, denn sonst wird die Rezension über VERSUCHE erst ein Jahr nach Erscheinen diktiert werden. Und wer wird sie mir dann drucken? – – – Michi653 ist inzwischen Lehrling in einer Autogarage geworden und sehr glücklich darüber. Seit ein paar Tagen beginnt in ihm das Verlangen deutlich zu werden, noch etwas zu lernen. Er bekommt Anschauungsunterricht, wie Leute versagen, die bloß tüchtige Arbeiter sind, aber nicht Sprachen beherrschen. Er hat im übrigen einen prachtvoll arbeitenden ordnenden Verstand. – Im Frühling oder Frühsommer möchte ich nach Europa kommen und Sie

650 Arnold Zweig hatte Brecht am 18.8.1935 angekündigt, er werde ihm seinen neuen Roman Erziehung vor Verdun zukommen lassen. Brecht hat die Erstausgabe des Romans damals erhalten und gelesen. In seiner Nachlaßbibliothek befindet sich jedoch nur eine spätere Ausgabe (Berlin: Aufbau-Verlag 1951). 651 Der vierte Roman des Zyklus-Fragments Der Große Krieg der weißen Männer, 1937 bei Querido in Amsterdam erschienen. 652 In einer Nachbemerkung zur Erstausgabe des Romans Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927) hatte Zweig die zur geplanten Trilogie gehörenden Romane Erziehung vor Verdun und Einsetzung des Königs bereits angekündigt. 653 Michael, Arnold Zweigs Sohn, geb. 1920.

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treffen. Schreiben Sie mir also bitte Ihre Pläne, falls Sie selber sie kennen, und grüßen Sie in Ihrer Umgebung alles, was sich unserer gern erinnert. Arnold Zweig. Ihr [Hs. Notiz von Steffin:] „Habe geschrieben: Du habest ihm geschrieben über Buch. – Sind jetzt da. – Für ‚Rundköpfe‘ keine Anmerkungen.“654 Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 478/27–28. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 364f.

The Theatre Union an Bertolt Brecht [New York] 18.11.1935 November 18, 1935 Dear Comrade Brecht: We wish to repeat our previous invitation to you that you return to the theatre in order to give us the benefit of your advice on the production of „Mother“.655 We have always felt that your presence in the theatre was highly desirable. As Comrade Gomez told Comrade Hauptmann656 over the telephone this evening, we have arranged for a consultation which we believe should clear up any misunderstandings that may exist with regard to the work on the production. Comradely yours, Überlieferung: Ts, BBA Z4/55. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 149.

654 Weder Steffins noch Brechts Brief ist überliefert. 655 Bei den Proben zur Aufführung der Mutter war es vor Ort zu weiteren Schwierigkeiten gekommen, nicht zuletzt Textänderungen bzw. -auslassungen und die Musik betreffend (vgl. BC, S. 463f.). Brecht, der ebenso wie Hanns Eisler gegen die Eingriffe protestierte, wurde von Mitarbeitern beleidigt, woraufhin er die Proben verließ und sich schriftlich an die Theatre Union wandte. Vgl. seine Briefe vom 9.11. und 15.11.1935, GBA 28, S. 531f. u. 533f.; dazu auch die Notizen in GBA 24, S. 135–143. 656 Elisabeth Hauptmann war unterdessen von St. Louis nach New York gereist, um mit Brecht an den Proben teilzunehmen. Sie war ihm darüber hinaus auch als Übersetzerin und persönliche Managerin behilflich und besorgte ihm ein Apartment gegenüber ihrem eigenen.

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The Theatre Union an Bertolt Brecht und Hanns Eisler [New York] 19.11.1935 November 19th, 1935 Dear Comrades Eisler and Brecht The Executive Board of the Theatre Union has given serious and careful thought to your letters.657 We are unanimous in our reply, which is formulated in the light of your common appreciation, yours and ours, of the importance of the best possible staging of a great play on whose production we have all been working for so long. Apparently the essence of your present dissatisfaction involves the question of the musicians. We regret exceedingly that an incident should have occurred in our theatre in which Comrade Brecht regards himself as having been offended by a musician. We feel sure that Comrade Brecht will realize that our regret is deep-going and sincere. On the other hand, we find ourselves unable to take action against the worker musician to whom Comrade Brecht had adressed himself in a manner that is not customary in the American theatre. The worker in question, Comrade Meress, who with Comrade North658 is an outstanding contributor to working class music, has worked closely with the Theatre Union over a long period of time. He has made many sacrifices for the present production and has worked earnestly throughout the rehearsal period. In any event, we have been informed by the union delegate that union regulations prohibit dismissals after one day of rehearsal, and that such action would entail a strike. It is unfortunate that this question should require so much attention since we know you will agree that personal problems are of decidedly secondary importance at a time like the present. As to the music itself, we are in complete agreement with you as to the necessity of seeing to it that the fine quality of Comrade Eisler’s music remains intact. We agree that on Friday night the music was not given the treatment it deserved. However, we would like to point out that there are several reasons why this was so: 1.- the two pianos had only rehearsed together for two days, which gave no time for their integration with the voices; 2.- certain of the songs were rehearsed by the singers only twice. We have since so arranged the singing that the three specially trained singers in the chorus have taken over the parts which were sung badly in solo on Friday. As a result of this change, and with the addition of intensive rehearsals, considerable improvement is already apparent. We have every reason to expect 657 Brecht teilte der Theatre Union mit, daß einem ihm vorliegenden Bericht zufolge die Probeaufführung der Mutter vor Arbeitern am 9.11 „eine üble, technisch unzulängliche, ja, in vielen Teilen dilettantische“ (GBA 28, S. 533) gewesen sei. Er beklagte insbesondere die Unerfahrenheit des Regisseurs Victor Wolfson, dessen Anordnungen „eine grobe Unkenntnis des Stils und des politischen Inhalts meines Stückes zeigen.“ In einem Brief vom 17.11., den er gemeinsam mit Hanns Eisler unterzeichnete (GBA 28, S. 534), wies er nochmals auf die von ihnen beiden unterbreiteten Vorschläge hin. Die ausgelassenen Textstellen sollten wiederaufgenommen und die Pianisten ausgetauscht werden. 658 Alex North, eigentl. Isadore Soifer (1910–1991), amerikanischer Komponist.

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that this will continue and that Eisler’s music will be given a competent performance. We find that we are unable to call in Adomian for special choral supervision. He is not a union musician and under union regulations we are prohibited from using him. As regards the cuts in the third act, it was mutually understood in our talk on Saturday that these cuts were to be tried on Monday night Comrade Brecht should appreciate that our attitude is not arbitrary inusmuch as we were willing to experiment with the restored material although the version accepted in lieu of the railroad version was one dentaining these cuts. In conclusion, we are deeply conscious of the great contribution which Comrades Brecht and Eisler have to maske to our theatre. We have in mind also the existence of the only working class theatre in America, and the 50,000 workers who have already bought tickets for „Mother.“ We believe that it is possible for cooperation which will bring the best possible production of „Mother“ before our first audience next Thursday. In this light we have considered your letters and make our reply, and in this light we sincerely hope you will read this. Comradely yours Theatre Union Executive Board P.S. We tried unsuccessfully to reach you by telephone this evening. Überlieferung: Ts, BBA Z4/56–57. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 150f.

Margaret Larkin (The Theatre Union) an Bertolt Brecht und Hanns Eisler New York, 22.11.1935 November 22, 1935 Dear Comrades Brecht und Eisler: Your request to hold additional rehearsals and re-stage „Mother“ is impossible to grant.659 The regulations of Actors Equity Association allow only one rehearsal each week after the opening of the play. Obviously there can be no re-staging done in this time, which must be used to keep the play at its political and artistic level. Yours sincerely, Margaret Larkin 659 Da die gemachten Vorschläge „nicht oder nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt wurden“, forderten Brecht und Eisler in einem Brief vom 21.11.1935 weitere Proben, um „unser Stück in die politisch und artistisch würdige Form zu bringen“ (GBA 28, S. 535).

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Executive Secretary Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Theatre Union at The Civic Repertory Theatre 103 West Fourteenth Street • New York „Peace On Earth“ „Stevedore“ „Sailors of Cattaro“ „Black Pit“ „Mother“; BBA 365/15. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 152f.

Zelda Dorfman660 an Bertolt Brecht New York, 25.11.1935 Nov. 25, 1935 Dear Mr. Brecht: I am enclosing the box office statements for the week ending Saturday, November 23, showing a total of $2506.02. Your royalty as figured at 40% of the royalty figure which is 5% on the box office receipts. If there is any doubt in your mind about this, please communicate with me. Yours sincerely, Zelda Dorfman Company Manager Mr. Berthold Brecht 225 West 69th St. New York City Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Theatre Union at The Civic Repertory Theatre 103 West Fourteenth Street • New York „Peace On Earth“ „Stevedore“ „Sailors of Cattaro“ „Black Pit“ „Mother“, Zelda Dorfman, Company Manager Martha Dreiblatt, Publicity, Executive Board ……; BBA 2093/3.

660 Zelda Dorfman, amerikanische Bühnenmanagerin, damals noch für die Theatre Union tätig. 1955 produzierte sie eine Inszenierung der Dreigroschenoper unter der Regie von Carmen Capalbo am Theatre de Lys (heute Lucille Lortel Theatre) in New York.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen, November 1935] .11.35661 lieber, geliebter bidi, wann wird denn bei Dir premiere sein?662 und was gibt es sonst noch neues? siehst Du viel von new york? ist es sp angenehm, dort zu sein? hast Du appartement hört sich so vornehm und verdächtig an. mir geht es ganz gut. Pisc. u. koltz.663 haben nicht geantwortet. ich habe noch keinen bescheid wegen visum. asja, hedi und maria664 haben viele bestellungen aufgegeben, aber ich kann nichts erledigen, weil es zu teuer ist. und es nutzt mir ja nichts, wenn ich drüben das geld in torgsin665 vergütet kriege. ich will doch dort gerade in rubeln leben. ich war nochmals in diesem hiesigen „schriftsteller“-verband. stelle Dir vor, dass die grössten schriftsteller daraus ostermoor und die olla666 sind! Überlieferung: Ts (Fragment), RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/154. – E: Steffin, Briefe, S. 157.

Erwin Piscator an Margarete Steffin Moskau, 28.11.1935 Margarete Steffin, Kopenhagen, Vendersgade 31, III, c/o Kahr.

28. November 1935

Liebe Steffin, 661 Linke Ecke des Briefbogens abgerissen. 662 Die Premiere der Mutter in New York fand am 19.11.1935 statt. 663 Erwin Piscator und Michail Kolzow. 664 Das sind Asja Lacis, Hedi Gutmann und Maria Osten. Hedi Gutmann (1898–1973), eine frühere Lebensgefährtin Hanns Eislers, emigrierte 1933 nach Moskau, wo sie als Hochschullehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Marx-Engels-Institut arbeitete. 1938 wurde sie als „feindliche Agentin“ festgenommen und nach zehn Jahren Lagerhaft in die Verbannung geschickt. 1957 erst konnte sie, auch dank dem Einsatz von Brecht und Eisler, in die DDR übersiedeln. Maria Osten, d.i. Maria Greßhörner (1908–1942), Schriftstellerin und Journalistin, vormals Mitarbeiterin des MalikVerlags in Berlin, lebte seit 1932 in Moskau. Ab 1937 leitete sie das Pariser Büro der Zeitschrift Das Wort. Nach der Verhaftung ihres Lebensgefährten Michail Kolzow 1938 reiste sie nach Moskau, wo unterdessen auch gegen sie ermittelt wurde. Im Juni 1941, kurz nach dem Tod Steffins, die sie zuvor betreut hatte, wurde sie verhaftet, im August 1942 erschossen. 665 Torgovlja s inostrancami (Handel mit Ausländern). Torgsin war eine staatliche Handelsgesellschaft in der UdSSR, die mit einer gleichnamigen konvertierbaren Währung handelte. 666 Olla Ewert war u.a. als Übersetzerin aus dem Dänischen und Spanischen tätig.

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Deinem Wunsche entsprechend667 habe ich die gewünschten Schritte eingeleitet und hoffe, dass sie zum Erfolg führen. Schreibe bald, wie die Angelegenheit steht. Wann kommt Brecht von Amerika. Bin sehr begierig zu hören, wie der Erfolg von „Mutter“ war. Herzlichen Gruss, auch an Helly (Erwin Piscator) Überlieferung: Ts, RGASPI. – Dv/E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 398.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 30.11.1935 [Hs.] 30/XI 35 lb ? ____________________________________ ____________________________________ ich habe schon die zweite woche keine post von Dir. Auch das konsulat schweigt sich aus, heute war ich wieder mal dort, „aberr leiderrr trraf noch keine nachrricht von moskau ein“. hast Du nochmal an koltzow geschrieben668? vielleicht genügt auch sogar ein luftpostbrief (oder telegramm) an pisc.669, er möchte für mich eine schriftliche einladung an das russische konsulat, kopenhagen, frydendalsvej 27 schicken. es zieht sich ja sehr in die länge. – vielleicht schreiben koltzow (und pisc) eher an das konsulat, wenn man sie dahingehend beruhigt, dass ich in leningrad vom schriftstellerverband ein zimmer bekomme. sonst geht es mir gut. ich esse gut und möchte bald fahren. die dänen können nicht mit den georgischen grossfürsten und den moskauer netten leuten konkurrieren, und wenn Du

667 Steffin hatte Piscator in einem undatierten Brief geschrieben: „[…] brecht wollte Dir meinetwegen von new york aus schreiben, aber ich fürchte, dass er es doch wieder vergessen hat. ich bat Dich um mitteilung, ob es der mort möglich ist, mir eine einladung (jetzt am liebsten schon telegrafisch) an das hiesige russische konsulat, kopenhagen, frydendalsvej 27 zu schicken, es handelt sich für mich nur um das visum, in leningrad habe ich durch den russischen schriftstellerverband bereits ein zimmer bekommen“ (RGASPI, zit. nach Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 398). 668 Brecht hatte Michail Kolzow in einer anderen Angelegenheit Ende Mai/Anfang Juni 1935 geschrieben (GBA 28, S. 503f.). Weitere Briefe aus dieser Zeit sind nicht überliefert. 669 Erwin Piscator.

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mir nicht schreibst, freuen mich auch die grossfürsten nicht, aber sie helfen doch, dass die zeit schneller vergeht. – durch zufall hörte ich, dass seit dem 12. schon die mutter läuft und am 20. die offizielle premiere ist war.670 ich kann mir denken, dass es langweilig ist, immer ein paar mal dasselbe zu schreiben, aber es ist so schlimm ohne Dich und Deine briefe. und zufälle sind selten. kopenhagen fängt an, scheusslich auszusehen: über die strassen werden die tannengirlanden gespannt und alles ist schon weihnachtlich-festlich. ich habe in den letzten wochen mindestens 40 dramen aller art gelesen und mir den magen verdorben daran. Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/171. – E: Steffin, Briefe, S. 158.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen, November/Dezember 1935] ich habe, wie Du bereits weisst, ruth berlaus buch671 aus dem dänischen ins deutsche übersetzt als ausschliessliche gegenleistung für erwiesene gefälligkeiten. sie hat mir natürlich nichts dafür gezahlt. aus verschiedenen gründen (nicht privaten) möchte ich bloss nicht als übersetzer genannt werden. ich bin viel müde. und träume schlecht. Du bist schuld. ich habe Dich immer sehr gern. ich denke, ich bin Deine getreueste. wirklich! ich sage es Dir in moskau, warum. ich bin froh, wenn ich Dich, Deine schrift, Deine stimme, Deine bücher habe. und wenn Du nett zu mir bist. bitte. und ich denke, dass Du die (nach der premiere) versprochenen sonette mir schicken wirst. wiedersehen. [Hs.] l b Mittelohrentzündung

[Hs.] Vielleicht schreibst du auch an Maria wegen meines Visums? Maria Osten, Jourgaz, Moskau, Strasstnoj Bld. 11

670 Vgl. Anm. zum vorhergehenden Brief von Steffin, November 1935. 671 Ruth Berlaus Roman Videre, 1935 im Hasselbalch Forlag in Kopenhagen erschienen.

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meine sämtlichen füllfederhalter, Du kennst sie, sind dahin! [Hs.] An Pisc. schrieb ich schon wegen Visum 2x, keine Antwort! Hast Du kein Foto von Dir? Und von der „Mutter“672? Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/170. – E: Steffin, Briefe, S. 159f.

Eva Goldbeck673 an Elisabeth Hauptmann New York, 3.12.1935

7½ Jane Street, NYC, Chelsee [sic] 3-9220, Dec. 3, 1935.

Dear Elisabeth Hauptmann, I am very sorry to hear that you are ill – – when I phoned Saturday I thought it was just momentary – – and I sincerely hope you will make Brecht tell me tomorrow if there is anything I can do, or if I should only be in the way. I am enclosing a copy of the poem674, for approval of the translation by you and of the last few lines by Brecht. As I told him over the phone, Morris Colman (Feature Editor of the Daily Worker) would like to use a shortened version. He wrote me: „I would like very much to use the Brecht poem, but unfortunately it is so long that it would take up practically the whole space on the feature page, excepting the columns. Since the Daily Worker goes to 1800 cities and towns, and we devoted the whole page to “Mother” once already, I do not feel justified in asking so many people who can never see the play, to take this one 672 Gemeint ist die Inszenierung der Mutter in New York, die dort am 19.11.1935 uraufgeführt wurde. 673 Eva Goldbeck (1901–1936), Schriftstellerin und Journalistin, verheiratet mit dem amerikanischen Komponisten Marc Blitzstein, mit dem sie seit Anfang der 1930er Jahre in den USA lebte. Brecht und Hauptmann hatten sie im November 1935 in New York kennengelernt. Sie übersetzte einige Texte Brechts ins Englische, u.a. den Aufsatz Das deutsche Drama vor Hitler (GBA 22, S. 164–168), der unter dem Titel „The German Drama: Pre-Hitler“ am 24.11.1935 in der New York Times erschien, sowie das Gedicht Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin (GBA 12, S. 37–39), das am 24.1.1936, zum zwölften Todestag Lenins, unter dem Titel „How the Carpet Weavers of Kujan-Bulak Honored Lenin“ in der KP-Zeitung The Daily Worker veröffentlicht wurde (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 14–19). 1936 erlag sie einem Krebsleiden. 674 Das Gedicht Brief an das Arbeitertheater „Theatre Union“ in New York, das Stück „Die Mutter“ betreffend (GBA 14, S. 290–293). Goldbecks Übersetzung, „Letter to a (New Yorker) Worker’s Theatre”, ist dokumentiert in BBA 444/30–33.

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piece as their whole „feature“ fare for the day. I am really sorry, because I think the poem is very fine, and has some important truths in it.“ – – My suggestion is to use sections 1 and 2 exactly as they are. Then four dots (….), meaning that a passage has been cut. Then end with: what we want to offer, comrades, is knowledge and experience. The rare chance of seeing these everyday happenings Without immediate danger, with leisure To study them and come to understand Our own behaviour…. what is at stake is truth or lies, going forward or staying behind – – remember that, comrades. These lines are: section 4, line 15 from the end, changing „what you are to offer“ to „What we want to offer“; then section 3, last four lines, just as Brecht wrote them, except „our“ instead of „your“ behavior” (probably „your“ could stand); then parts of the last four lines of section 4. I think it’s a logical and simple solution, and I hope you and Brecht will agree. As Colman is waiting for the poem, will you have Brecht phone me tomorrow? And I’d like the manuscript back, please, as it’s my only copy. – – I am also sending you a copy of the final version of the article for the Masses675, which I’d also like back; now you won’t have to read 28 pages, anyway! [Hs.: Please show the article to Eisler also.] Gute Besserung! Eva Goldbeck Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Notizen Elisabeth Hauptmanns; BBA 341/68.

Margaret Larkin (The Theatre Union) an Bertolt Brecht New York, 6.12.1935 December 6, 1935 Dear Comrade Brecht: As you will note in the Sunday press, we are planning a symposium on „Poetry and Music in the Labor Theatre“ as a stimulus to publicity discussion about „Mother“. 675 The New Masses. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 14.5.1934. Goldbecks Aufsatz über das nicht-aristotelische Theater, „Principles of ‚Educational’ Theatre“, erschien dort Ende Dezember 1935.

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The speakers will be Archibald MacLeish676, on „Poetry and Realism in the Theatre”; Aaron Copland677 on „Eisler and Music in the Theatre“; John Gassner678 on „Dramatic Style in the Theatre“; and Fannia M. Cohn679 on „Social Drama as Workers’ Education“. The symposium will be hold at Youth House, 159 West 49 Street on Wednesday evening, December 11th at 8:30 P.M. We would be very pleased to have you and Mrs. Hauptmann attend.680 This letter will be your ticket of admission. Michael Blankfort681 will be chairman of the meeting and we hope you can be our guests. Cordially yours, Margaret Larkin for the Theatre Union Brecht 225 West 69 Street New York City Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Theatre Union at The Civic Repertory Theatre 103 West Fourteenth Street • New York Watkins 9-2050 „Peace On Earth“ „Stevedore“ „Sailors of Cattaro“ „Black Pit“ „Mother“; BBA 341/69. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 154.

676 Archibald MacLeish (1892–1982), amerikanischer Dichter, ab 1939 Leiter der Library of Congress in Washington. Seinen Vorstellungen eines realistischen Theaters stand Brecht ablehnend gegenüber (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 15). 677 Aaron Copland (1900–1990), amerikanischer Komponist. 678 John Gassner (1903–1967), amerikanischer Theaterwissenschaftler. Lyon zufolge ein Bewunderer Brechts (vgl. Brecht in America, S. 16), der allerdings die New Yorker Inszenierung der Mutter in einer Besprechung (in New Theatre and Film, November/Dezember 1935) äußerst negativ beurteilte. 679 Fannia Mary Cohn (1885–1962), in Minsk geborene amerikanische Gewerkschafterin. Sie war die für Bildung zuständige Sekretärin der Gewerkschaft International Ladies’ Garments Workers’ Union. 680 Ob Brecht und Hauptmann daran teilgenommen haben, ist nicht überliefert (vgl. BC, S. 467). 681 Michael Blankfort (1907–1982), amerikanischer Schriftsteller, später vor allem als Drehbuchautor tätig.

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Zelda Dorfman (The Theatre Union) an Bertolt Brecht New York, 7.12.1935 December 7, 1935 Mr. Berthold Brecht 235 West 69 St. New York City Dear Mr. Brecht: I am enclosing a check for $35.70 to cover the 40% royalty due you, covering the four preview performances on November 14, 15, 16 and 17. I shall send you a check for royalties covering the week ending December 7th, on Monday. Very sincerely yours, Zelda Dorfman for the Theatre Union Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Theatre Union at The Civic Repertory Theatre 103 West Fourteenth Street • New York „Peace On Earth“ „Stevedore“ „Sailors of Cattaro“ „Black Pit“ „Mother“; BBA 341/70.

Margaret Larkin (The Theatre Union) an Bertolt Brecht New York, 9.12.1935 December 9, 1935 Brecht 225 West 69 Street New York City Dear Comrade Brecht: We are very sorry to have to inform you that „Mother“ must close on the 15th.682 Although the benefits that we booked in advance have brought audiences to the theatre and these audiences have liked the play for the most part, there has been very little box office sale to the general public. We have expended publicity and promotion effort, but our losses are increasing. Therefore, there is nothing to do but terminate the run of „Mother“.

682 Die Mutter wurde in New York insgesamt 36mal aufgeführt (vgl. BC, S. 465).

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Cordially yours, Margaret Larkin for the Theatre Union Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Theatre Union at The Civic Repertory Theatre 103 West Fourteenth Street • New York Watkins 9-2050 „Peace On Earth“ „Stevedore“ „Sailors of Cattaro“ „Black Pit“ „Mother“; BBA 341/71. – E: „Der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und der New Yorker Theatre Union von 1935“ (hrsg. v. James K. Lyon), in: Brecht-Jahrbuch 1975, hrsg. v. John Fuegi, Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt/M. 1975, S. 154f.

Byron H. Uhl683 an Bertolt Brecht New York, 20.12.1935 U. S. DEPARTMENT OF LABOR IMMIGRATION AND NATURALIZATION SERVICE ELLIS ISLAND, NEW YORK HARBOR, N.Y. 99351/93 December 20, 1935 Mr. Bertolt Brecht 225 West 69th Street New York City It gives me pleasure to grant your request for an extension of your temporary admission to the United States until January 31, 1936.684 If during the period of your authorized stay you visit Canada, Mexico, or adjacent islands, be certain in seeking reentry to the United States that your foreign passport and the visa of the American Consul thereon are both valid. For your own protection, please advise us five days in advance of your departure as to the name of the steamer, the date, and the number of your stateroom. This letter should be kept with your passport.

683 Byron H. Uhl (1873–1944), Leiter der Einwanderungsbehörde der USA. 684 Brecht hatte eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung bis Ende Januar 1936 beantragt (dokumentiert in BBA Z 12/156).

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Very truly yours, Byron H Uhl BYRON H. UHL District Director New York District

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 341/72.

George Grosz an Bertolt Brecht New York [Ende 1935] Lieber Bertie, Ich musste leider heute fort – – – hätte gerne mit dir & sch. zusammen Lunch gehabt. Möchte Doch noch sehen, bevor Du fährst – da sind zwei kleine Kleidchen für deine Tochter, die sollst Du mitnehmen und etwas auch für Steff – herzlich dein george Überlieferung: Ms, Bv.: George Grosz Art School 745 Fifth Avenue New York City Plaza 3-7242; BBA 482/68.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [St. Louis, 1935] Was die Anfrage angeht (Verschlechterung des Lebens usw.) – koennen Sie Englisch genug, um ein Buch ueber Nahrungsmittelpantscherei, Patentmedizinen usw. lesen zu koennen? Es heisst 100 000 Meerschweinchen. Inzwischen ist ein sehr strenges „food and drug law“ herausgekommen, seit einem Jahr etwa, das dem685 letzteren Teil der Medical Association untersteht und wirklich ein[en] Schutz des Publikums darstellt, sowie ja auch in Washington ein Konsumenten-board seit der Zeit besteht. Man kann also wohl mit Recht darauf schliessen, dass vorher die Zustaende grausig gewesen sein muessen, jetzt (seit ich also hier bin) ist es viel besser. Ich werde mir moeglichst viel Gedrucktes verschaffen, aber es wird seine Zeit nehmen, da ich mich nur schwerfaellig bewegen kann. Auf der anderen Seite moechte ich, dass Sie mir die Kritiken und Tatbestand des Dreigroschenoperfilms moeglichst postwendend beschaffen, da ich ja jede wenn noch so vage Gelegenheit ergreifen 685 Im Ts: „fuer den“.

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muss, wenn ich noch versuchen will, noch ein paar Monate zu bleiben. Und Sie wissen ja, wie die Zeit verrinnt, wenn man so herumsucht nach Moeglichkeiten. Vielen Dank fuer das Bild. Es ist ein komisches Bild, Sie sehen aus wie ein Volkskommissar. Nicht einer fuer Literatur, eher fuer Bergbau und Huettenwesen. Sehr vereinfacht. Die leichte Schwellung der rechten Backe sei Ihnen verziehen. Ich habe jetzt drei Fotos aus anderthalb Jahren von Ihnen, hier sehen Sie am gesuendesten aus – ich hoffe das ganze Bild entspricht der Wirklichkeit. Überlieferung: Ts (Fragment), hs. Korr.; BBA 480/24–26.

Briefe an Bertolt Brecht, 1936

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Erwin Piscator und Maria Osten an Margarete Steffin [Moskau, Anfang 1936] Liebe Steffin, lies den Herren Genossen das mal vor. Brecht soll nicht schimpfen – die Sache wird richtig gestellt. Aber er kann trotzdem schon anfangen, das Lied für die Rote Armee1 zu schreiben u. Eisler darf ruhig auf gute alte Weise komponieren. Mit komm. Gruß an alle. x Wieso Becher? Solidaritäts u. Einheitsfrontlied sind doch von Brecht.2 Was ist mit dem „Linken Marsch“ von Majakowsky3? Eisler soll mir die Partitur schicken – vom S.A. Mann4 u.s.w. Liebe Grete, war drei Tage an der Wolga mit Flugzeug – überall wird Einheitsfrontlied gesungen. Herzlichst Maria Überlieferung: Ms, geschrieben auf einem Ausschnitt aus der Zeitung Krasnoarmeec (Der Rotarmist) ohne Datum, darin der Artikel „Ernst Busch – Sänger der Freiheit“ („Ėrnst Buš – Pevec svobody“) sowie ein an Busch gerichteter „Offener Brief an die Redaktionen der Zeitungen ‚Der Rotarmist‘ und ‚DZZ‘“ („Otkrytoe pis’mo v redakcii gazet ‚Krasnoarmeec‘ i ‚DCC‘“); BBA 474/16–19.

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Eine Gruppe von Rotarmisten berichtet in dem nebenstehenden „Offenen Brief“ (siehe Überlieferung) von der Popularität des Einheitsfrontlieds in ihrer Armee. Ein Lied eigens für die Rote Armee hat Brecht nicht gedichtet. Der bereits 1919 verfaßte, später in die Hauspostille aufgenommene Gesang des Soldaten der roten Armee bezieht sich nach Brechts Auskunft nicht auf die sowjetische Armee, sondern auf die „rote Armee“ der gescheiterten Münchner Räterepublik (vgl. Anm. in GBA 11, S. 314). Bezieht sich auf eine Fehlinformation in dem „Offenen Brief“, in dem Erich Weinert und Johannes R. Becher als Dichter des Einheitsfrontlieds und des Stempellieds (das Piscator mit dem Solidaritätslied hier offenbar verwechselt) genannt werden. Dichter der Stempellieds („Lied der Arbeitslosen“) war David Weber alias Robert Gilbert. Wladimir Wladimirowitsch Majakowski (Vladimir Vladimirovič Majakovskij, 1893–1930), russischer Dichter des Futurismus. 1930 nahm er sich das Leben. Den später von Hanns Eisler vertonten und von Ernst Busch gesungenen Linken Marsch (Levy Marš) schrieb er 1918. Das Lied vom SA-Mann aus der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 209f.).

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Arnold Zweig an Margarete Steffin Haifa, 6.1.1936 Arnold Zweig / Haifa - Mt. Carmel / House Dr. Moses

6. Januar 1936.

Liebe Grete Steffin, dass Brechts Brief über meinen Roman5 verloren ist, tut mir richtig weh, denn öffentlich habe ich fast nur Dummheiten zu hören bekommen. Um so wohler tut mir aber, was Sie schreiben.6 Mittelohrentzündung brauchen Sie zur Lektüre meiner Bücher aber nicht mehr zu haben, liebe Grete, und wenn ich nach Dänemark komme oder in Europa bin, lasse ich Ihnen für Ihre Freunde, die ja wohl auch die meinen sind, ein Verleihexemplar schicken. Es ist nur immer mit den Adressen ungewiss, und wenn Brecht seinen Brief über Deutschland hat gehen lassen, ist es kein Wunder, dass ich ihn nicht gekriegt habe. – Ich bin schon tief in meinem neuen Roman „Einsetzung eines Königs“, der von Brest Litowsk bis zum 11. November geht, samt einem Nachspiel im Kapp-Putsch.7 Es wird eine tolle Sache werden, wenn ich den Riesenstoff kompositorisch bewältigen kann. Ich möchte gerne einen Band haben, höchstens so stark wie „Erziehung“. Die Arbeit macht mir unendlichen Spass, die Eindrücke von Ober Ost müssen genau so frisch werden wie die von Verdun. – Nun zu Brechts Arbeiten. Auf die Horatier und die Kuriatier freue ich mich sehr, die „Internationale Literatur“ habe ich noch nie gesehen.8 Aus der SU. habe ich übrigens noch nie Antworten auf Briefe bekommen; ob sie verloren gehen oder nicht geschrieben werden, weiss ich nicht. Von Brechts Arbeiten habe ich hier die „Versuche“ 1-3, 4-7, 11-12, 13, 14 und 15-16, also nicht Dreigroschenoper und „Spitzköpfe und Rundköpfe“. Von den letzteren und von den Anmerkungen zu „Mann ist Mann“ würde ich gern Fahnen bekommen, auch von der Dreigroschenoper; der Rest ist nicht nötig. Dass Brecht in New-York ist, freut mich sehr; nachdem er Amerika doch schon vielfältig bedichtet hat, wird ihm die persönliche Bekanntschaft doppelten Spass machen. Ich schreibe ihm vielleicht ein paar Zeilen, wenn ich ohnehin nach Amerika Post wegschicke. Ueber den Erfolg der „Mutter“ möchte ich gern Näheres hören. Vielleicht könnte man das Stück hier hebräisch herausbringen. Aber da in diesem Lande die vereinigten Gewerkschaften genau dieselbe Haltung einnehmen wie einst im deutschen Reich, nämlich voller Hass gegen alles was links ist, fürchte ich, dass das Arbeitertheater das sonst wunderbar geeignete Stück nicht wird spielen können. In den [sic] SU. könnte Brecht vielleicht etwas für mich erreichen. Aber ich fürchte, man kennt dort nur den Schriftsteller Steffkusch Zweig.9 Jedenfalls hat weder Herzfelde noch sonst5 6 7 8 9

Erziehung vor Verdun, Amsterdam 1935. Vgl. Anm. zu Zweig, 18.8.1935. Nicht überliefert. Vgl. Zweig, 15.11.1935. In Heft 1/1936 der Internationalen Literatur erschien das Lehrstück erstmals im Druck. Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) emigrierte 1934 nach Großbritannien und ging 1940 über die USA nach Brasilien.

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wer erreicht, dass für „Erziehung“ eine Uebersetzung zustande kam. [Hs.] Und nun gute Gesundheit im Neuen Jahr! Wir erinnern uns alle gern an Sanary, besonders Ihr Zweig. Meine Augen werden etwas besser, sonst gehts uns gesund und munter. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 478/25–26. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 366f.

Fritz Sternberg an Bertolt Brecht Basel, 6.1.1936 6. I 6 Dr. F. Sternberg Basel Gundeldingerstr. 463

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Lieber Bert Brecht, Ich fühle mich in Ihrer Schuld. Ein Brief von Ihnen10 über gewisse Fragen in meinem letzten Buch11 ist noch unbeantwortet. Ich hatte die Absicht, Ihnen länger darüber zu schreiben, weiss aber nicht, ob Sie zur Zeit in Dänemark sind oder wo sonst. Lassen Sie doch einmal von sich hören, dann schreibe ich Ihnen sehr ausführlich. Recht herzl. Grüsse von Haus zu Haus und alles Gute Ihr Fritz Sternberg Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 479/87.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 4.2.1936 Prag, den 4.2.36 Bertolt Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Brecht, 10 Vgl. B. an Sternberg, September/Oktober 1935, GBA 28, S. 526. 11 Der Faschismus an der Macht, Amsterdam 1935. Vgl. Anm. zu Brentano, 12.9.1934.

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durch einige Zeilen von Grete St. erfahre ich, dasz Du aus New York abgefahren bist.12 Hoffentlich erreichen Dich diese Zeilen also. Bitte, schreib mir, was mit Böffs Illustrationen13 ist. Er antwortet seit Sommer vergangenen Jahres nicht. Geld geschickt habe ich im voraus, es war recht bitter. Noch bitterer ist, dass ich jetzt schon das Papier für die beiden Bände bezahlen muss, von den Bänden aber noch nichts zu sehen ist. Die Manuskripte sind alle beisammen bis auf „Die Massnahme“. Grete St. glaubte, sie geschickt zu haben, e s ist aber nicht so. Bitte, schick sie mir doch gleich, damit wenigstens der Satz und Textdruck durchgeführt werden können. Die Illustration will ich sowieso auf besonderem Papier hier drucken. Ueber den Verlag und manches andere will ich Dir schreiben, sobald ich weiss, dass Dich die Briefe wirklich erreichen. Karola [sic] Neher ist hier, in etwa acht Tagen will sie zurückfahren. Schreib mir bald. Herzliche Grüsse, Dir, Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/19.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 7.2.1936 7./II.1936 l b, da Du aus NY anscheinend nur an Sonntagen schreibst, an denen Du Dich langweiltest, scheinst Du Dich an Deinen beiden letzten Sonntagen nicht gelangweilt zu haben, denn Post bekommen hab ich keine mehr. Natürlich weiß ich ja wirklich, daß Du viel zu tun hast u. schreiben nicht magst, aber ich hatte seit November alles sehr scheußlich u. da war es schlimm, daß Du so selten schriebst. Ich würde Dir jetzt nicht schon wieder nach Svendborg schreiben – erstens weil ich nicht weiß, bist Du schon dort? Und zweitens weil Du wirklich sehr wenig geschrieben hast. Aber heute ist eine geschäftliche Sache: Gestern abend kam zu mir ein Vertreter der „Len-Film“14 Gesellschaft aus Leningrad u. fragte, ob Du einverstanden wärst, für sie einen

12 Brecht reiste am 5.2.1936 von New York zurück nach Dänemark, am 16.2. traf er in Svendborg ein. 13 Vgl. Grosz, 10.10.1934. 14 Aus einer Petersburger Filmfabrik hervorgegangenes sowjetisches Filmstudio, gegründet 1918 unter dem Namen Sewsapkino. 1924 umbenannt in Leningradkino, ab 1934 Lenfilm.

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Film zu schreiben „Schwejk“.15 Gedacht ist an eine russische Fassung. Ich sagte ihm, Du seiest an einem deutschen Film wahrscheinlich mehr interessiert. Sie bieten Dir dasselbe, was Dir Meshrabpom geboten hätte. Außerdem ist es jetzt leichter, Valuta ins Ausland zu zahlen für Leute, die dort arbeiten – man wäre einverstanden, daß Du, soweit es die Arbeit zuläßt, dort arbeitest, würde aber andernfalls hier in Leningrad für Wohnung sorgen, auch für Deine Familie. Die Leute sind sehr interessiert, Dich zu kriegen. Es ist die Gesellschaft, die u.a. „Tschapajew“16, „Maxims Jugend“17, „Bauern“18, „Gewitter“19 gemacht hat. (Sie habe einen Lenin-Orden bekommen, soll ich Dir sagen.) Die Regisseure wären Lardy u. Heifitz.20 Ich werde mich hier inzwischen nach ihnen erkundigen. Falls Du mich für Verhandlungen ?? Ich denke mir, daß Du nicht gleich zusagen wirst, wie die Leute hoffen. Ich hörte, daß Du an Piscator eine, wie alle sagen, merkwürdige u. unverständliche Absage geschickt hast. Pisc. hat mit Hay zusammen sein Drehbuch in Bearbeitung. Er sagte mir, er habe Dir den Wolga-Vorschlag gemacht (dort eine Siedlung aufbauen, Künstlerkolonie, Theater, Kino usw.)21 Aber das ist, wie Reich richtig sagt, eine verrückte Idee. Denn alle Deutschen zusammengeschlossen in so einer Kleinstadt? Lieber arbeite da [in] Moskau oder Leningrad. Ich habe u.a. auch die Leningrader gesagt erraten lassen, daß ein Film, in dem Deine Frau mitspielen könne, interessanter für Dich sei, u. daß die Genossin Weigel eine der besten Schauspielerinnen usw. Besonders groß wäre in einem russischen Film die Chance für sie natürlich nicht, aber säße sie erst in Leningrad, hätte sie soviel wie hier Busch zu tun: Radio, einige Schallplatten u. danach bestimmt bald einen guten Filmvertrag. Pisc. macht ja seinen Film, wie ich höre, mit Granach22, Neher, Busch. 15 16

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Ein solches Angebot hatte zuvor bereits Piscator unterbreitet (vgl. seinen Brief vom 1.8.1933). Der Plan wurde nicht realisiert. Čapaev (UdSSR 1934, Regie: Georgi Wassiljew, Sergej Wassiljew). Dieser in der UdSSR sehr erfolgreiche Film gilt als ein Gründungsdokument des „sozialistischen Realismus“ im sowjetischen Kino. Mit dem im Bürgerkrieg gefallenen Kommandeur der Roten Armee Wassili Iwanowitsch Tschapajew erschien ein positiver Held der neuen Zeit auf der Leinwand, dessen Willensstärke und Opferbereitschaft wegweisend sein sollten für den in Angriff genommenen Aufbau des Sozialismus. Junost’ Maksima (UdSSR 1935, Regie: Grigori Kosinzew, Leonid Trauberg). Krest’ jane (UdSSR 1935, Regie: Friedrich Ermler). Groza (UdSSR 1934, Regie: Wladimir Petrow). Josef Heifitz, d.i. Jossif Jefimowitsch Cheifiz (Iosif Efimovič Chejfic, 1905–1995), russischer Drehbuchautor und Filmregisseur. – Der Name Lardy konnte nicht ermittelt werden. Gemeint ist möglicherweise Alexander Grigorjewitsch Sarchi (Aleksandr Grigor‘evič Zarchi, 1908–1997), der viele Filme zusammen mit Cheifiz gemacht hat. Piscator plante den Aufbau eines deutschsprachigen Exiltheaters in der Stadt Engels in der Wolgadeutschen Republik. Der Plan wurde nicht realisiert. Alexander Granach, d.i. Jessaja Szajko Gronach (1890–1945), österreichischer Schauspieler. Spielte seit den 1920er Jahren in Brecht-Inszenierungen. Ging 1933 über die Schweiz ins Exil nach Polen

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Die Leute bitten Dich, ihnen sobald wie möglich Bescheid zu geben. Sie wollen am 14. von mir Antwort haben, hoffentlich ist sie bis dahin hier. Ich hatte vor, Dir aufs Schiff zu telegrafieren, leider usw. Hat sich Amerika ein bißchen gelohnt? Wie war die Aufführung? Die Presse? Hast Du Dein Buch23 verkaufen können? Ich frage das alles immer wieder, Du kannst mir eine gewisse Größe in meinem Glauben, Du würdest evtl. doch mal auf Fragen antworten, nicht absprechen. Ich möchte Dir einen kleinen Kuß auf den Hals geben. Aber ich trau mich nicht. Wiedersehen. Und hab einen guten Geburtstag. Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/106–109. – E: Steffin, Briefe, S. 162ff.

George Grosz an Bertolt Brecht [New York] 12.2.1936 12 Februar 36 Lieber Bertie, heute bekam ich überraschenderweise einen Brief von unserem alten Ketzer Borchardthans......und staune so wie ich staunte direkt aus Berlin. In seinem Brief teilte er ganz kurz lakonisch mit, dasz er Knall auf Fall die Sowjetunion hat verlassen müssen......binnen 24 Stunden wie er schrieb, hat alles zurücklassen müssen. Richtig ausgemiesen [sic] ist er, ohne Angabe von Gründen, ohne viel Federlesen (wie es im Volksmund heisst) Und so ironisch wie das „Leben“ nun einmal ist, sitzt er jetzt tief deprimiert in Berlin....wo er vor zwei Jahren wegging. Wie das alles zusammenhing oder hängt geht aus seinem Brief nicht hervor. Er gehört wahrscheinlich zu den dort im Lande des befreiten Proletariats zu den, wie es hier im „unfreien“ Amerika heisst unerwünschten Fremdlingen. Nun weiss ich selbst, dasz unser Hans zwar eine messerscharfe Zunge hat und einen ganz netten Verstand dazu, aber ihn als gefährlichen Feind der heiligen Sowjetunion zu sehen, womöglich als Organisator lebensgefährlicher Umtriebe......no Bertie, das kann ich nicht sehen. Hat vielleicht in Verkennung der erreichten russischen „Freiheiten“ hier und da zu viel geredet, oder zu wenig zum Munde geredet. Wie dem auch sei nun sitzt er ein wirklicher Hiob abermals gebrochen vollkommen verloren in Berlin. Kein schöner Zustand das. Wir müssen ihm helfen! Wir schickten ihm zuerst einmal Geld.....das ist das Notwendigste........denn man jagte ihn mit echt proletarischer Gemütlichkeit ohne alles davon. Proletarisches Bewusstsein, weesste Jeund dann in die UdSSR, wo er für Film und Theater arbeitete. Nach kurzzeitiger Verhaftung 1937 emigrierte er zunächst in die Schweiz, 1938 in die USA. 23 Dreigroschenroman. Eine amerikanische Ausgabe erschien 1938 in New York.

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nosse, lässt eehm nicht nich mit sich spaas’n......de proletarsche Ehre hatta beleidicht, hatta jawoll.......sone anachistisch’n Kleen-bürja kenn’ wa nich jebrauch’n,....na nun kann er mit gutem Gewissen der herrlichen Einheizfront des Herrn Idealisten Mann24 beitreten, und aus vollen Herzen für die grosse Freiheit im Vaterlande des Proletariats wirken. Aber Spass beiseite Bertie, ich denke dasz in seinem Falle andere Drahtzieher dahinter stehen....nämlich kleine Köpfe voller Neid und Missgunst, eben Bürokratie. Denn politisch gesprochen ist und war Hans absolut „harmlos“. In jenen Ländern, wo der Maulkorb eine staatlich unantastbare Institution geworden ist, hätte er natürlich wie alle Anderen sich „fügen“ sollen. Parieren, ausrichten, stramm stehen......Augen geradeaus.......weder Rechts noch Links sehen. Hin und wieder eine tiefe Verbeugung vor den Päpsten. Nun das konnte er wohl nicht. Doch ich will und darf hier nicht wieder einen meiner berüchtigten Ketzerbriefe loslassen, obwohl ich gelinde gesagt empört bin! Also zur Sache Schorsch. Wir müssen sorgen, dasz Hans so schnell wie möglich Deutschland verlässt. Könntest Du ihn vorderhand nach Dänemark einladen? Du musst ihm natürlich unter einem falschen Namen schreiben (nicht Brecht natürlich) er könnte dort in deiner Nähe wohnen und sich erstmal ein bisschen erholen. Wir können ihm dorthin auch besser Geld schicken, weil man ja in Deutschland nie genau weiss, woran man ist. Ob nicht gesandtes Geld beschlagnahmt wird undso. Verstehst!....Wir werden dann versuchen hier etwas, eine Lehrerstellung zu finden. Aber begreiflicherweise kostet das Zeit. Es wäre gut, wenn Du ihn wie gesagt unter Deckadresse nach Dänemark einladen könntest. Man kann dann weiter sehen. Für Hans ist ja Deutschland unerträglich, und die Behörden werden dem ehemaligen Flüchtling, wenn sie den Pass sehen auch nicht gerade zart behandeln. Vor allem erstmal raus. Sein Brief war verzweifelt. Und Thea seine Frau ebenso.......wollte sogar Selbstmord begehen. Es ist ja auch, ohne sentimental die Sache unzusehen [sic], ein verteufeltes Pech für Hans, der ja überhaupt in keiner Weise für ein Emigrantenschicksal gemacht ist. Dieser Mann, der sein Deutschland liebte, und im Grunde eine gänzlich unabenteuerliche seßhafte Natur ist. Nun Du kennst ihn ja, was soll ich Dir da weiter erzählen. Berichte mir sofort was und ob Du etwas im obigen Sinne für ihn tun willst und kannst? Oder ob Du von Dir aus noch jemanden weisst,...und ob Du jemanden für Hans dort interessieren kannst? Karin25 z.B.???? Inzwischen versuche ich hier mein Bestes. Werde zu old man Warburg26 gehen, persönlich; er ist hier einer der jetzt viel für die Juden tut. Die gewöhnlichen Hilfskomitees sind viel zu bürokratisch, wir müssen das selbst in die Hand nehmen. Wir schicken zuerst mal 50 dollar ab. Hoffentlich war deine Überfahrt okay und Du ein guter Seemann, bitte grüsse Helli den Stef und die nette kleine Barbara und schreibe mir umgehend Deinem altenr SchorschG 24 Heinrich Mann. 25 Karin Michaelis. 26 Max Warburg (1867–1946), Hamburger Bankier, Vorsitzender des Hilfsvereins deutscher Juden. Emgrierte 1933 nach Großbritannien, 1938 in die USA. Vgl. B. an Warburg, 3.3.1937, GBA 29, S. 16; dazu Warburg, 27.2. u. 13.3.1937.

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Wanderer kommst Du aber nach Russland, so gib ihnen Kunde von mir, und sage ihnen dasz ich sie geziemend ehrerbietigst hochachte, ja auch wenn befohlen die Hände an die rote Hosennaht lege.....doch möchten sie immerhin bedenken dasz wir hierzulande in .... naja....(welch gehasstes Wort heute) naja in relativer „Freiheit“ leben.....und noch vorläufig allerhand sagen dürfen. Dies möchten sie doch allerehrerbietigst untertänigst bringe ichs vor....bei ihrer meistens saudummen Propaganda berücksichtigen. Sage doch den genialen Vorkämpfern und glasklaren Denkern dort, sie möchten sich nicht immer gleich durch eine scharfe Zunge unsicher fühlen. Es macht einen schlechten Eindruck.........besonders wo sie alle Mann hoch so unbesiegbar gläubig, erhaben, genial, frei und beherrscht dastehen. Wenn der kleine Zweifel eines ironischen skeptischen Schulmeisters sie schon so erhitzt? In diesem Sinne beuge ich mein amerikanisches Haupt, und lausche auf der Stimme die über mir aus dem Baume kommt und das „Gesetz“ aufsagt (auswendig)...... Heiliger Stalin, zu Dir flehe ich in meinem Zweifel Gib mir armen Burrschuhass die reine Kraft des Glaubens Und wenn der Teufel mich heimsucht......please..... Please....sende mir den erwünschten Fußtritt...right away Lass mich nicht links abweichen vom Pfade Vom Pfade proletarscher Tugend.....please..... Denn dein ist die Macht, die Kraft und die Weisheit Amen!!!! Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/66–67. – T: Grosz, Briefe, S. 232ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 13.2.1936 13./II.1936 lb

morgen sind es 3 Wochen, daß ich wieder keine Post von Dir habe. Es ist sehr schlimm für mich, 20 Stunden vom Tage – 4 schlafe ich, nicht mehr – warte ich auf Post oder denke nach, warum Du nicht schreibst u. ob all das stimmt, was „die Leute“ sagen. In der Zeitung steht, daß in Amerika u. England des großen Frostes wegen SOS-Rufe von Zügen kamen. Bist Du in Dänemark? Hier ist es kalt. Ich friere sehr. Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/110. – E: Steffin, Briefe, S. 164.

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George Grosz an Bertolt Brecht New York, 14.2.1936 Danemark Mr. Bertold Brecht Skovsbostrand per Svendborg Dear Bertie, mittlerweile musst Du meinen Brief haben über das seltsame 14,2,36 Schicksal unseres alten chinesischen Weisheitsuchers Borchardthans, den die Indianer „razortongue“ nannten. In meiner jüdischen Hast vergass ich seine berliner Adresse beizufügen, hier ist sie: Hans Borchardt, Berlin W 30 Schöneberg, Freisingerstr. 18 Gths. bei Bierbaum. 50 dollar sind gestern telegrafisch als erste Hilfe abgegangen. Sprach gestern mit Schön. und von deiner verspäteten Liebe zu N.Y. herzlichst dein alter Schorsch Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/69–70.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 17.2.1936 17.2.1936 lieber bidi, ich hatte fieber und die ganze nacht kam die Schwester zu mir und alle waren sehr besorgt. aber dann habe ich heute mittag schlafen können, ich bekam ein wunderschönes mittel, und da träumte ich, dass Du kommst und sagst: „Du bist ein komiker. Du weisst doch, wenn was ist, schreibe ich Dir. ich habe einfach keine zeit gehabt zu schreiben und 2 briefe sind verloren gegangen.“ das war ein schöner träum, und ich habe schon so lange solche sehnsucht nach Dir, aber ich konnte Dir doch nie schreiben, ich wusste nie, wo Du bist, schon abgereist. bloss telegramme schickte ich jeden dritten tag. von meinem eigenen geld!! denn ich habe an kolzows redaktion eine novelle verkauft und bekam dafür 250 rubel. da habe ich Dir die telegramme und ein geburtstagsgeschenk gekauft. das kriegst Du, wenn Du mich holen kommst. – geliebter bidi, schreibe mir doch. diesen brief schicke ich nach svendborg und nach newyork, vielleicht bist Du noch dort? schicke mir ein telegramm. für telegramme genügt, sagt der arzt, „Moskau, Sokolniki, Sanatorium Alekcina“. aber für briefe muss noch hinzu: Moskau, 14; Sakolniki [sic], ug. Poper, und 1. Lutschewowo Pros. 3, Sanatorium Alekcina. ich habe Dir nach svendborg viele kouverts mit adresse geschickt. bekommst Du sie?

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[Hs.: Meine schönen Decken darf ich hier nicht nehmen. Nur die vom Haus. Natürlich hat man immer so ein kleines schlechtes Gewissen. Aber meines besteht nur darin, daß ich so krumm da sitze u. nicht gerade gehen (kann). Weil Du mich nicht nimmst.] im innern habe ich angst, dass so ein missverständnis ist wie voriges jahr, wo mich wer bei Dir zu unrecht verklatscht hat. aber das wirst Du, wenn Du liest, dass alles in ordnung und unverändert ist, mir ja gleich schreiben. wie immer von den liebsten menschen kriege ich keine post, auch meine Schwester27 schreibt mir nicht. und mutter28 auch nicht. kannst Du an meine Schwester (die adresse ist in deinem schwarzen buch) diesen brief schicken, den ich beilege? aber ich lege ihn nur an den dänischen brief bei. ich rechne mir aus, diesen brief hast Du am 19. oder 20. (in nY nach 11 tagen) und aus svendborg habe ich dann am 20. antwort, Du wirst mir ein telegramm schicken? mit dem ohr29 ist es ein bisschen schlimmer geworden, durch die aufregung, und dicker bin ich auch nicht geworden, schreibe mir, damit ich dann dick werde. aber nicht zu sehr. ich schicke den brief rasch weg, solange meine zuversicht, dass alles postschlamperei war, anhält. [Hs.] Wann kommst Du zu mir? Ich brauche Dich sehr. Die Haut wird schlecht. bidi lieber bidi Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/111–112. – E: Steffin, Briefe, S. 165f.

Lilian Broadwin30 an Bertolt Brecht New York, 18.2.1936

February 18th, 1936 New Rochelle, N.Y.

Dear Brecht, Having recently dispatched your belongings, all but the two tablecloths which turned up in this week’s wash. I now feel free to write to you. I sent in all, four packages, three bulky ones and one small flat one, which causes me concern, simply because you stressed its importance. q1 – Did you get them? q2 – Is there anything else I can send you?

27 Herta Hanisch, geb. Steffin (1909–1989), Schwester Margarete Steffins, die sie des öfteren in Dänemark besuchte. 28 Johanna Steffin. 29 Steffin litt an einer Mittelohrentzündung. 30 Brecht hatte Lilian Broadwin offenbar während seines Aufenthalts in New York kennengelernt. John Willett zufolge (The Theatre of Bertolt Brecht, London 1959) hat sie eine (unveröffentlichte) englische Übersetzung der Maßnahme angefertigt.

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In the stress and fever of leaving you forgot to leave behind you, in my care or Jerome’s31, a list of your writings and the manner of their disposal. q3 – Jerome asks you to send such a list. Jerome has received from Eva Goldbeck a letter in which she states that she understands herself to be under consideration as the translator of the “Drei Groschen Oper”, but, she writes that after reading it she doesn’t think she would care to translate it because of her unfamiliarity with the translation of rhymed verse. She further asks, q4 – for a signed agreement from you in reference to her translations. Also, she wants to know q5 – what she is to do with the “Massnahme”. (Do I understand her correctly to mean the songs and choruses?) I have been kept very busy helping Jerome. It has been interesting and instructive work for me, and according to Jerome invaluable to him. He got up an article for the Daily Worker, a severe attack on Norman Thomas, which ought soon to have reverberations. It is strange to watch this mild-mannered man fight so nobly with the only weapon he can handle, but so well. This week he is simply eaten up by work, getting out the ‘Communist’, and I know that he goes about faint with hunger, and hungry because he couldn’t find time to eat. Soon, I’ll start reading your novel to him, and soon I’ll get after him to write his play. Am I not a little ray of sunshine??? q6 – What happened in London with the Massnahme?32 The Atlantic Ocean seems to have swallowed you up. You have left behind you a host of friends who will long be interested in you and your welfare. You must soon let us know if the eagerness with which your friends over there greeted you matched the sorrow with which we over here saw you go. The coming production of “an entirely new” adaptation of Dreiser’s “American Tragedy”33 was recently announced, to be produced by Shubert and the Group. Does this mean that Piscator will be coming over? If he does, perhaps he can further coach Jerome along those lines to which you opened his eyes? The Eislers leave Friday for London. The Good and the Great leave us to our weaknesses. I suddenly remembered the poem you once asked me to get for you. I hope its not too late. It goes for daughters too! With fond regards, Lilian Broadwin Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 341/76. 31 Victor Jerry Jerome (1896–1965), amerikanischer Schriftsteller und Politiker, Leiter der Agitpropabteilung der KP der USA. Brecht hatte ihn gelegentlich der Aufführung der Mutter im November 1935 in New York kennengerlernt. 32 Das Stück wurde in London damals nicht aufgeführt. 33 An American Tragedy (Eine amerikanische Tragödie, 1925), Roman des amerikanischen Schriftstellers Theodore Dreiser (1871–1945). Piscator nahm in den 1920er Jahren zusammen mit Felix Gasbarra eine Dramatisierung des Romans vor, die erstmals 1932 in Wien gespielt wurde. Er verhandelte in dieser Angelegenheit unterdessen mit dem Theaterproduzenten Milton Shubert (1901–1967) wegen eines Regiegastspiels in New York. Da man zu keiner Einigung kam, wurde schließlich Lee Strasberg mit einer englischen Bühnenbearbeitung betraut, die das Group Theatre im Frühjahr 1936 unter dem Titel The Case of Clyde Griffith aufführte. Piscator selbst war dabei nicht anwesend.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 20.2.1936 20. febr. 1936 lieber bidi, gestern bekam ich endlich von Dir post: einen brief, den Du am 3. febr. in NY abgeschickt hast,34 anscheinend vor Deiner reise, und ein telegramm aus esbjerg35 und eines aus svendborg. ich war sehr unglücklich, es ging mir tatsächlich schlecht. die ärzte bekamen richtig angst, ich wollte mich zusammen nehmen, aber dann kam noch eine böse erkältung hinzu, bei dieser scheusslichen kälte kein wunder. – von meiner Schwester habe ich auch noch immer nichts gehört. am 6. februar spätestens sollte sie das kind bekommen, hoffentlich ist nichts passiert, meine mutter schreibt auch nicht. – bitte schicke doch beiliegenden brief an die lütz.36, die adresse hast Du in Deinem schwarzen buch. lieber bidi, schreib mir recht bald, wie es Dir geht und was Du für pläne hast und wann wir uns sehen und wo. wenn Du nämlich nicht so bald herkommst, so möchte ich am liebsten gleich in den kaukasus fahren, es gefällt mir hier nicht. warum ich hier bin? das schrieb ich Dir doch von kopenhagen aus, hast Du die briefe nicht bekommen? ich hatte doch diese idiotische ohrensache, jetzt habe ich tag und nacht ohrensausen, und ich höre auch rechts schlechter, allerdings ist es nicht zu merken, weil ich ja an und für sich ein sehr gutes gehör habe, aber mich stört es mächtig. ich war sehr unglücklich, und Du schwiegst und schwiegst. – lund37 war gegen den kaukasus, weil da keine guten ohrspezialisten sind. deswegen bin ich hier. wäre ich lieber gefahren. ich werde jetzt jedes mal, wenn Du mir schreibst, zunehmen, denn so geht es ja nicht. es wird schon alles gut werden. schreibe mir bitte gleich. und oft. ja? bitte. meine zärtlichkeit lasse ich an einer alten, grauen, hässlichen, hochschwangeren katze aus, ich kraule ihr den kopf. sie knurrt dabei wohlgefällig. also gefällt kopfkraulen nicht nur papageien. immer noch sind hier über 20 grad kälte. ich friere sehr, aber nicht mehr so wie am anfang. alle unsere bekannten sind verreist, ausgenommen tretjakows, die ich nicht sprach und von denen ich nichts weiss. es wäre zu wunderbar, wenn wir nach london führen.38 aber mir ist es schon gleich, wo wir sind, wenn Du nur bei mir bist. bloss nicht gern kopenhagen. 34 Nicht überliefert. 35 Stadt an der Nordseeküste im Südwesten Dänemarks. 36 Hilde Lützenhoff, eine Freundin Steffins aus der Berliner Wandersparte, die sie mehrmals in Dänemark besuchte. 37 Robert Lund (1886–?), dänischer Hals-Nasen-Ohren-Arzt, von 1928 bis 1936 mit Ruth Berlau verheiratet. 38 Vgl. Anm. zu Steffin, 6.11.1935.

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ich schicke Dir einen langweiligen gorki39 und ausserdem eine nummer der DZZ (die lenin-nummer), in der an der besten stelle ein gedicht von Dir steht.40 ich habe es der zeitung gegeben. schreib, wie Dir der platz gefällt. hast Du keine neuen gedichte? wenn ja, schick mir doch bitte. die „horatier“ sind gedruckt,41 Du kriegst bald ein exemplar. sie erscheinen ca. in 2 wochen,42 ebenfalls der roman. auf dem umschlag des romans ist ein fisch und 3 wellenlinien. ich wusste nicht gleich, was das heisst, aber .. „und der haifisch ...“ [Hs.: Das vorige Jahr habe ich so wenig gearbeitet, daß ich sehr betrübt bin, wenn es dieses Jahr nicht eingeholt wird. Übrigens gefallen hier – vor allem Reich – die „Horatier“ gar nicht. Was sagte Eisler?] was gegen mein länger-dort-bleiben sprach, sage ich Dir, wenn Du bei mir bist. ich war dort sehr verzweifelt. es hielt hier an und hörte erst auf, als ich die grippe bekam. übrigens hatte ich auch schwierigkeiten mit der dortigen aufenthaltsverlängerung,43 denen konnte ich bei sofortigem abreisen schluss machen, hatte die fahrkarte schon und wollte weihnachten nicht dort sein. hier ists dann besser, da merkt man nichts, weil „drumrum“ nichts ist. übrigens ist ja zum ersten male wieder der weihnachtsbaum für die kinder hier eingeführt worden, allerdings zu neujahr.44 ich warte auf Deinen brief, nein, Deine briefe. maschine schreiben darf ich nun doch ein bisschen. erst seit 3 tagen hat es der arzt erlaubt, um mich zu „zerstreuen“. wiedersehen, lieber bidi. Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/113–116. – E: Steffin, Briefe, S. 170ff.

39 In Brechts Nachlaßbibliothek sind mehrere Titel Gorkis überliefert, darunter auch einige mit Besitzvermerk Steffins. 40 Auf Seite 1 der Deutschen Zentral-Zeitung vom 21.1.1936 findet sich unter der Überschrift „Das Werk Lenins vollenden wir zum Triumph des Sozialismus unter der Führung Stalins“ auch Brechts Gedicht Die unbesiegliche Inschrift (GBA 12, 39f.), dort unter dem Titel „Hoch Lenin!“ veröffentlicht. 41 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, Anfang Oktober 1935. 42 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935. 43 Steffin war ihrer politischen Betätigung wegen im Dezember 1935 in Kopenhagen erneut von der Staatspolizei verhört worden (vgl. BC, S. 466f. u. S. 396). 44 Aufgrund des vormals geltenden julianischen Kalenders wird Weihnachten in Rußland am Neujahrstag gefeiert. Nachdem die Bolschewiki diesen Brauch zunächst als Ausdruck christlichen Aberglaubens und altrussischer Rückständigkeit verächtlich gemacht und den Verkauf von Weihnachtsbäumen nach der Revolution verboten hatten, wurde er nun wieder zugelassen. Stalins Sekretär Alexander Poskrjobyschew stellte im Dezember 1935 in einem Artikel in der Prawda die Frage, warum man den Arbeiterkindern die Freude des Tannenbaums geraubt habe.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 22.2.1936 22.II.36 lieber bidi, ich war sehr froh, gestern Deine Stimme wieder zu hören. Es war ja schon spät, wir müssen um 10 schlafen gehen und nach unserer Zeit kam das Gespräch um 11 Uhr, mit 3 Stunden Verspätung. Ich war sehr krank. Es war sehr scheusslich. Am meisten, weil Du nicht schriebst. Ich halte es nicht aus, wenn Du nicht bei mir bist, mir nicht schreibst, das ist sehr schlimm, aber was soll ich da machen. es war schlimmer als nach der operation.45 warum kriegst Du keine post von mir?46 ich habe Dir nach svendborg ausser diesem 7 mal geschrieben, weil ich ja dachte, Du bist schon lange dort. es gefällt mir überhaupt nicht sehr hier, ich möchte fort. nun ist die sache, wann Du kommst? wenn Du in 4 wochen kommst, bleibe ich in moskau und warte auf Dich. wenn sich’s aber verspätet, ist es ungünstig, weil März-April in moskau ein sauklima ist. dann führe ich lieber in krim oder kaukasus. london ist natürlich so herrlich, wie ich es lieber noch nicht ganz ausmalen will.47 was hier den film betrifft: die leute wollen ihn dann machen, wann es Dir passt.48 ich sagte, evtl. würdest Du erst im herbst können (weil ich ja gar nicht wusste, wie lange Du dort bleibst usw. usw.), sie waren einverstanden. überhaupt lieben Dich ja die leningrader sehr. ich bin sehr dafür, dass Du mit ihnen arbeitest, sie kommen Dir so weit es nur geht entgegen. was wohnung betrifft, was dort in dänemark arbeiten betrifft, zeitpunkt usw. ich schreibe ihnen heute, dass Du näheres wissen willst. wenn [es] also london wird, tust Du vielleicht besser, erst london und im herbst sowjet-union? [Hs.: Asja macht in Smolensk lettisches Kolchostheater. Borchardt lud mich ein zu sich, ich wollte aber gern mit Dir zusammenfahren.49 Wann ist Ballett-Premiere in Kopenhagen?50

45 Steffin hatte sich 1935 einer Oberkieferoperation unterzogen. 46 „Und warum kriegst Du keine Briefe von mir? […] Und von Dir kommt auch nichts“ (B. an Steffin, 7.1.1936, GBA 28, S. 542). 47 Vgl. Anm. zu Steffin, 6.11.1935. 48 Hs. Erg.:: „am liebsten bald: im frühjahr“. Zu dem Filmprojekt vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936. 49 Steffin wußte offenbar noch nicht, daß Borchardt, der seit 1934 in Minsk an der Universität gelehrt hatte, von den sowjetischen Behörden inzwischen nach Deutschland abgeschoben worden war. Vgl. Grosz, 12.2.1936. 50 Die Kopenhagener Premiere der Sieben Todsünden der Kleinbürger fand am 12.11.1936 statt. Harald Landner inszenierte das Ballett unter dem Titel De syv Dødssynder am Königlichen Theater.

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Schreibe bitte sofort, damit ich wegen März mich so bald, d.h. in diesem Falle so wenig verspätet wie möglich verfrachten kann. Laß uns bald zusammensein, bald ist es wieder Herbst.] l b51 Was ist mit 7 Todsünden für Leningrad?52 Wenn Karin53 „Torelore“ vermietet, kann man dann meine Sachen aus Torelore wieder ins Sommerhaus geben? Leiht sie mir’s noch mal? Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/117–118. – E: Steffin, Briefe, S. 172ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 24.2.1936 24.II.1936 lieber bidi, von dort geht luftpost kaum schneller als einfache post nach hier, heute bekam ich deinen zweiten brief vom 20. bereits.54 zu schwejk: aus irgendwelchen gründen, zusammenhängend mit der prager schriftstellerreise55, habe ich von Pisc. gehört, soll ein „schwejk-film“56 unmöglich sein. über diese gründe ist mir nichts bekannt, ich habe heute an tretjakow geschrieben, dass er Dir deswegen nachricht geben soll. zu film an sich mit piscator telefonierte ich heute. er lässt sagen, dass er nicht verschnupft sei, er habe sich nur gewundert, dass Du vorschlägst, einen wolgafilm in dänemark zu machen.57 er rät Dir sehr ab, mit „lenfilm“ zu arbeiten, da man dutzende male gehört habe, die leute lassen sich manuskripte schreiben, zahlen sie auch, aber filmen dann nicht. ob diese auskunft ganz objektiv ist, wage ich nicht zu beurteilen. ich schreibe Dir nur noch, dass er Dich herzlich 51 52 53 54 55 56 57

D.h.: „lieber bidi“. In Leningrad wurde das Ballett damals nicht aufgeführt. Karin Michaelis. Nicht überliefert. Erhalten ist ein Brief vom 21.2.1936, den Steffin selbst datiert hat (GBA 28, S. 546). Vgl. Steffin, 26.2.1936. Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936; dazu Piscator, 1.8.1933. Bezieht sich auf eine telegraphische Mitteilung Brechts. Der von Piscator geplante, jedoch nicht realisierte Wolgafilm war konzipiert als ein Gegenentwurf zu dem NS-Film Friesennot. Ein deutsches Schicksal auf russischer Erde (1935, Regie: Peter Hagen).

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grüssen und Dir folgendes mitteilen lässt: von seinem filmaktiv ist hay ausgeschieden. dafür ist Lania eingetreten, falls scharrer58 kommen kann, wird der auch mitmachen. auf jeden fall aber, wenn Du gleich kommen könntest, würde er Dich noch, falls Du interessiert bist, mit hineinnehmen können. ausserdem würde er, während an der Wolga an diesem film gearbeitet wird, mit Dir ein weiteres filmbuch schreiben. da bin ich ja misstrauisch. seinen wunsch die „künstlerkolonie“ betreffend, habe er Dir ausführlich geschildert, antwort stehe aus. tretjakow habe ich nie gesehen. der „dreigroschenroman“ kommt deutsch und russisch bald heraus.59 die dramenausgabe, die wieland gleichzeitig mit der verlagsgen. Ausl. Arb. macht60, ist vorige woche in druck gegangen. ein manuskript ist verloren gegangen, die „massnahme“, ich habe heute das dritte mal an wieland geschrieben, ob er es noch dort hat und ihn gebeten, Dir oder mir gleich zu antworten. die „rundköpfe“ bei ochkloppkow.61 stenitsch hat vor 10 tagen die übersetzung abgeliefert62, aber noch keine antwort. vor einiger zeit hat piscator von ochkloppkow eine andeutung gehört, ob er sie inszenieren wolle, aber nie weiteres gehört. wera63 sagt, es hängt davon ab, wie „othello“64, den ochkloppkow erst machen will, geht, wie die proben dazu fertig werden, ob das stück überhaupt geht usw. ich schreibe an ochkloppkow auch, wenn ich nicht von tretjakow oder stenitsch, denen ich geschrieben habe deswegen, antwort bekomme. [Hs.: Wenn Du wegen Zeit- oder Porto-ersparnis immer mir schreiben willst, was zu erledigen ist, so ist das von hier aus einfach.] pisc. wird diesen sommer an der wolga sitzen und drehen. sonst ist wohl nichts neues hier.

58 Der Schriftsteller Adam Scharrer (1889–1948) ging 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei, 1934 in die UdSSR. Mitarbeiter der Internationalen Literatur und der Deutschen Zentral-Zeitung. Er übersiedelte 1945 nach Schwerin. 59 Eine deutsche Ausgabe erschien in der UdSSR im März 1936 bei der VEGAAR, eine russische Ausgabe in der Übersetzung von Stenitsch 1937 im Moskauer Staatsverlag. 60 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935. 61 Nikolaj Ochlopkow. 62 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935; zu der geplanten Aufführung vgl. Steffin, 5.3.1936. 63 Möglicherweise die russische Schauspielerin Wera Janukowa, die damals an dem von Ochlopkow geleiteten Realistischen Theater in Moskau arbeitete. 64 The Tragedy of Othello, the Moor of Venice (1603), Tragödie von William Shakespeare.

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der schmückle65 lässt Dich grüssen. die „intern-literatur“ geht im april ein, mai schon kommt dafür eine neue zeitung.66 schmückle wird nichts mehr damit zu tun haben, ich möchte aber gern, dass von Dir schon etwas drinnen steht. hast Du irgendwelche neue arbeiten? hast Du die DZZ mit Deinem lenin-gedicht bekommen?67 es sieht schön aus, nicht? sonst gibt es nichts neues. ich fühle mich wieder sehr wohl. „geredet“ wurde weiter nichts, als dass Du eben mit der hauptmann in newyork zusammenlebtest. warum hast Du nicht die briefe reklamiert? wenn sie eingeschrieben waren (ich schrieb Dir, dass ich nur 2 bekommen habe) hättest Du vielleicht ein reicher mann werden können? ach, bidi. [Hs.: Ist der eine aus Leningrad zurückgeschickt worden? Ich bekam ihn jedenfalls trotz mehrfacher Nachfrage nicht ausgehändigt.] dass von lou68 briefe verloren gingen, glaube ich nicht, ich glaube überhaupt nicht sehr an briefe, die ihn nicht erreichten. einen habe ich bekommen und beantwortet. ich kann das wort jetzt nicht schreiben, lieber bidi, ich muss erst mit Dir sprechen und wieder bei Dir sein. ich muss soviel erst vorher sagen. aber ich habe immer sehr freundlich an Dich gedacht, auch wenn ich geschimpft habe, weil – nochmals – Du nicht schriebst, und ich brauche Dich sehr, mehr, als ich je dachte und als recht und billig ist. [Hs.] Nun geht es mir gut. Ich habe schon 2 Briefe von Dir aus Dänemark u. warte gierig auf weitere. Und der chinesische Elefant fehlt direkt, weil es müssen 7 sein, wenn sie Glück bringen sollen. Und das Weihnachtspaket hat sich auch gemeldet. Und meine Schwester69 auch. Und ich habe Dich sehr gern. Deine Grete lieber bidi Ich bin freundlich Schreibe, ob Du die 400 Goldrubel vom Staatsverlag bekommen hast, sonst muß ich sie gleich reklamieren. Jouof versprach, sie am 15. Februar zu schicken.

65 Der vormals als Redakteur verschiedener KPD-Zeitungen tätige Karl Schmückle (1898–1938) lebte bereits seit 1925 in Moskau und arbeitete dort am Marx-Engels-Institut bis zu dessen „Säuberung“ 1931. Danach Redakteur der Deutschen Zentral-Zeitung, 1934 bis 1936 der Internationalen Literatur. Im August 1936 wurde er in der Literaturnaja Gaseta als „Parteifeind“ denunziert und kurz darauf aus der KPdSU ausgeschlossen, im Herbst 1937 verhaftet, im Januar 1938 wegen „Spionage“ zum Tod verurteilt und hingerichtet. Vgl. Säuberung, S. 76ff. 66 Mit der neuen Zeitung ist offenbar Das Wort gemeint (vgl. Bredel, 9.5.1936). Die Internationale Literatur erschien, anders als Steffin vermutete, noch bis 1945. Seit 1936 wurde sie, unter der Redaktion Johannes R. Bechers, von der deutschen Sektion des sowjetischen Schriftstellerverbands herausgegeben (Herausgeber der Jahrgänge 1931 bis 1935 war die MORP). 67 Vgl. Anm. zu Steffin, 20.2.1936. 68 Louise Jolesch. 69 Herta Hanisch.

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Kannst Du nicht auf jeden Fall schon wegen Visum anfangen?70 D.h. am besten ginge es vielleicht über Kolzow? Willst Du Dich einladen lassen? Du bist nicht so sehr reich hier. Wiedersehen bidi lb lb lb lb lb lb lb lb lb lieber Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/119–122. – E: Steffin, Briefe, S. 174ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 26.2.1936 26./II.36 Lieber bidi, ich habe Dir einen ganzen Tag nicht geschrieben, darum muß ich wieder schreiben. Ich hörte ausführlich von Pisc.: Die Sowjet-Schriftsteller waren in Prag. Ihnen zu Ehren wurde „Schwejk“ aufgeführt u. wegen einer Verfilmung angefragt. Die Schriftsteller lehnten das ab, da „Schwejk“ jetzt nicht tragbar sei. Pisc. glaubt aus diesem Grunde nicht, daß man ihn hier machen wird.71 Die Leute werden ja bald antworten. Ich hatte ihnen Bescheid bis zum 14. versprochen, konnte aber erst am 23. nach Erhalt Deines Briefes antworten. Jedenfalls telegrafiere ich Dir dann sofort. Wieland schrieb jetzt, daß er die „Maßnahme“ auch nicht hat. Ich besinne mich, daß wir sie damals nicht schickten, weil Wieland glaubte, die Veegar72 hat sie schon. Bitte schicke so schnell wie möglich ein Exemplar. Hoffentlich sind Deine Änderungen damals angekommen, danach habe ich mich noch einmal erkundigt. Man muß eilen, weil der Verlag den Satz beginnen läßt. Hast Du eigentlich mein Weihnachtsgeschenk (einige Fotos von Stühlen u. einer alten Frau) bekommen? Sie sollten in Sk.73 sein, im großen Koffer, den ich von Kopenhagen aus schickte.

70 Brecht schrieb: „Ich denke, daß es Mitte, bis Ende April wird, bis ich hinüberkommen kann“ (B. an Steffin, 26.2.1936, GBA 28, S. 548). Diesen Plan ließ er jedoch bald fallen. Statt dessen fuhr er im März 1936 auf Einladung Kortners zur Filmarbeit nach London, wo ihn Steffin im Mai besuchte (vgl. Anm. zu Steffin, März 1936). 71 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936; dazu Piscator, 1.8.1933. 72 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935. 73 Skovsbostrand.

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Annenkova74 läßt Dich grüßen u. sehr bitten, den Wolgadeutschen Bauern ein Lied zu schreiben.75 Sie würde es gern in der DZZ veröffentlichen. Busch hat Deine Lieder an der Wolga gesungen u. sie sollen einen Riesenerfolg gehabt haben. Material über die Wolgarepublik geht Dir zu. In Moskau u. Leningrad ist eine böse Grippe-Epidemie. Auch hier steckt immer einer den andern an. Hoffentlich macht mich die alte, die noch nicht ganz überwunden ist, immun. Sonst geht es mir gut. Ich habe etwas zugenommen. Maria76 ist zurück von der Wolga u. brachte mir Obst, Butter, Käse u. andere gute Sachen. Sie ist besonders nett zu mir. Tretjakow schreibt mir aber, daß ihm nicht klar sei (er war doch mit in Prag) warum „Schwejk“ untragbar sei. Sendet Grüße u. bittet, ihm zu schreiben. Alte Adresse. Ich lege Kouvert bei. Ich schrieb ihm, aus NY seien Deine Briefe verloren gegangen, sicher auch an ihn. Schreib ihm, er ist sonst verstimmt. Wann bist Du endlich da? Es ist schon so sehr lange her, bidi Hast Du kein Sonett mehr geschrieben? Wiedersehen sehr lieber bidi Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/123–125. – E: Steffin, Briefe, S. 178f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 4.3.1936 4.III.1936 lieber bidi, eben bekomme ich deinen brief mit bild.77 vielen dank dafür. das bild ist aber nicht ganz richtig. oder bist Du das jetzt? ich habe einen langen brief an Dich angefangen, über „schwejk“ nochmals usw. ich schicke ihn aber erst morgen ab, da heute nachmittag zu mir stenitsch kommt, wie er sagt, mit neuigkeiten, die auch alles in dem brief erwähnte betreffen. von mir habe ich leider kein bild, nur ein ganz grosses, was ich meiner schwester schicken wollte. aber vielleicht schicke ich es doch Dir. bloss es ist so gross und auch nicht gut.

74 Julia Iljinitschna Annenkowa (Julija Il’inična Annenkova) war von 1934 bis zu ihrer Verhaftung 1937 Chefredakteurin der Deutschen Zentral-Zeitung in Moskau. Sie erhängte sich in einem Straflager in Magadan. 75 Ein solches Lied hat Brecht anscheinend nicht geschrieben. 76 Maria Osten. 77 Nicht genau zu ermitteln. Vgl. B. an Steffin, 26.2. und Anfang März 1936, GBA 28, S. 548f.

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der „dreigroschenroman“ ist also fertig. in den nächsten tagen ist er im handel (die deutsche ausgabe, auch die russische hat stenitsch abgeliefert)78 ein exemplar kostet 7,75 rubel, ziemlich teuer. der verlag gibt Dir 10 freiexemplare, aber ich werde noch zukaufen. jetzt schreibe mir bitte: wieviel exemplare willst Du nach sv.79 haben, wem soll ich von hier aus direkt als drucksache eines schicken? (von hier ist es ja billiger und für Dich bequemer?) genaues über alles geschäftliche also morgen!! wiedersehen. [Hs. auf der Rückseite:] l.b. kannst Du nicht das Wort schreiben, auch wenn es mir schwer fällt? Es fehlt mir sonst sehr. Schreib es immer, ja? Deine Grete. Ich schicke Dir das Bild. Aber ich bin jetzt viel dicker im Gesicht als darauf. Es ist auch verwackelt, die Augen sind schlecht, b Lieber finde ein Wort für ich habe Dich sehr lieb das muß ich von der Reise telegrafieren, da gehen ja Briefe wieder so lange. Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/126–127. – E: Steffin, Briefe, S. 178f.

78 Vgl. Anm. zu Steffin, 24.2.1936. 79 Svendborg.

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Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 4.3.1936 Dr. Walter Benjamin

Paris, den 4. März 1936 23, Rue Bénard

Liebe Grete Steffin, Ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass diesmal eine ausführliche Nachricht von Ihnen gekommen ist,80 nach der ich mir über Vieles was mich interessiert ein besseres Bild machen kann als bisher – oder richtiger gesagt: ein genaueres. Denn ein b e s s e r e s erwarte ich, jedenfalls was Ihr Befinden angeht, von Ihrer nächsten Nachricht. Vor allem wünsche ich Ihnen, dass Sie recht bald in den Kaukasus kommen. Als ich damals in Moskau war stand das Thermometer auch immer um 30 Grad unter Null; und ich weiss heute noch wie ich manchmal vor Schwäche auf den vereisten Strassen nicht wusste wie ich den nächsten Torweg erreichen sollte, um mich da gegen die Wand zu lehnen. Etwas komfortabler werden die Strassen von Moskau inzwischen, denke ich, wohl geworden sein. Also darf ich vielleicht ohne schlechtes Gewissen auf Ihre Bereitwilligkeit zurückkommen, wenn Sie nach Moskau hereinkommen, sich meines bei Reich befindlichen Manuskripts anzunehmen. Der französische Text der Arbeit, deren deutscher bei Reich ist befindet sich augenblicklich im Druck und wird in der „Zeitschrift für Sozialforschung“ erscheinen.81 Stuart Gilbert82, der Übersetzer von Joyce, bemüht sich zur Zeit in London um einen englischen Übersetzer. Natürlich wäre mir ausserordentlich viel daran gelegen die Arbeit in Russland erscheinen zu sehen. Und warum das natürlich ist werden Sie verstehen wenn Sie sie gelesen haben. Ich bitte Sie sehr darum das zu tun. Sie werden danach besser als ich sehen können ob die Arbeit in Russland Publikationschancen hat. Ich denke mir darüber, unmassgeblich, das Folgende: Die Fragestellung von der ich ausgehe müsste in Russland auf das grösste Interesse stossen. Gegen meine Methode sehe ich vom Standpunkt der materialistischen Dialektik keine Einwände. Dagegen lasse ich dahingestellt, wie weit man in den Schlussfolgerungen mit mir übereinstimmen wird.

80 Vgl. Brief an Benjamin vom 18.2.1936 in: Steffin, Briefe, S. 167ff. 81 Eine gekürzte französische Fassung des Aufsatzes „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ erschien 1936 unter dem Titel „L’œuvre d’art à l’époque de sa reproduction mécanisée“ in der Zeitschrift für Sozialforschung (deutsche Fassungen in BGS I, S. 431–508, und BGS VII, S. 350–384). 82 Der englische Schriftsteller und Übersetzer Stuart Gilbert (1885–1978) hatte gemeinsam mit Auguste Morel und Valery Larbaud das dritte Kapitel des Romans Ulysses (1921) von James Joyce ins Französische übertragen. Der Text war im August 1928 in der Nouvelle Revue Française erschienen.

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Einen Brief, den mir Reich am 19. Februar schrieb, möchte ich zur Beurteilung dieser letzten Frage nur sehr bedingt heranziehen. Ich glaube ich tue gut, Sie zu bitten ihm gegenüber über diesen Brief garnicht oder nur ganz oberflächlich informiert zu sein. Er ist ablehnend; und zwar auf unfruchtbare Art. Methodische Einwände erhebt Reich nirgends. Und aus dem Brief geht nur hervor, dass ihm die Sache ‚zu weit‘ geht; dass es sich wohl ‚nicht ganz so‘ verhalten dürfte, usw. Sein Brief ist keine Grundlage für die Diskussion und ich weiss noch nicht recht was ich ihm antworten werde. Aber die Antwort eilt wohl nicht. Sie eilt umso weniger als Reich wahrscheinlich, selbst wenn er es wollte, nicht allzuviel für die Veröffentlichung der Arbeit würde tun können. Mir wäre daran gelegen, dass Tretjakow die Arbeit zu lesen bekommt. Das war von vornherein Dudows Vorschlag der von der Sache sehr viel hält und mir gleich voraus sagte, dass Reich nicht auf sie eingehen würde. Ich vermute, dass Sie Tretjakow gut kennen und ihm das Manuskript geben könnten. Bei alledem wäre mir sehr daran gelegen, dass sich das Manuskript nicht verliert. Vielleicht ist sein Erscheinen in Russland nur eine Zeitfrage. Was den deutschen Text betrifft so würde ich ihn gern in der „Internationalen Literatur“ gedruckt haben. Zu diesem Zweck werde ich ihn mehreren Genossen vorlesen, mit denen ich darüber diskutieren werde. Auf der Grundlage dieser Diskussion wird dann eine öffentliche Verhandlung im hiesigen Schriftstellerschutzverband anberaumt werden. Ich freue mich sehr, dass der Dreigroschenroman in Russland Erfolg hat. Die französische Übersetzung ist leider noch nicht erschienen. Wenn Sie Brecht sprechen, so sagen Sie ihm bitte, dass ich gern von ihm eine Vollmacht hätte wegen des Erscheinens einzelner kleiner Sachen – vor allem der Keuner-Stücke – in französischen Zeitschriften zu verhandeln. Ich werde in der nächsten Zeit ohnehin mit mehreren Leuten zu tun haben, die bei hiesigen Redaktionen massgebend sind und gewisse Sachen von Brecht vielleicht verhältnismässig leicht unterbringen können. Es wäre schön, wenn wir uns im Sommer zu Dritt sähen. Wenn ich dieses Jahr wohl kaum so lang wie vor zwei Jahren von Paris werde fortbleiben können (schon weil ich meine gegenwärtige Behausung nicht aufgeben möchte) so hoffe ich doch sehr auf mehrere Wochen herüberzukönnen. Inzwischen steht es dann hoffentlich mit Ihrem Ohr so, dass man gegebenenfalls auch etwas hineinflüstern könnte. Schreiben Sie mir recht bald! Vergessen Sie nicht, wieder ein Kuvert beizulegen. Grüssen Sie Asja83 und sagen Sie ihr, dass ich auf einen Brief von ihr ungeduldig bin. Erzählen Sie ihr auch, dass ich ein grosses Paket Lebensmittel von Kirschon (im Rahmen der Spende Sowjetrussischer Schriftsteller für deutsche Kollegen) bekommen habe, dass ich Kirschon persönlich dafür danken will; und dass ich zu diesem von ihr ein oder zwei Stücke von Kirschon oder – wenn nichts von ihm deutsch zu haben ist – wenigstens ein

83 Asja Lacis.

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paar Informationen über ihn erbitte. Vielleicht kann sie ihm auch meinen Dank persönlich sagen; das wäre das Beste. Sehr herzliche Grüsse Überlieferung: TsD, BBA 2169/3–4. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 253ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 5.3.1936 5./III. 36 lieber bidi gestern habe ich also sehr lange mit Stenitsch gesprochen. Die Lage der „Rundköpfe“ schildert er so: In Leningrad wollte die „Musik-Hall“ u. in Moskau Ochkloppkow sie aufführen. Nach dem Beginn der großen Diskussion über Formalismus84 hat Musik-Hall abgesagt. Ochkloppkow hat zwar mal im Scherz gesagt: „Stellen Sie sich vor: Brecht – Ochkloppkow u. dazu noch Eisler! Untragbar.“ Aber sich noch nicht fest geäußert. Überhaupt soll, wie Stenitsch – auch andere – behaupten, zur Zeit die Erwähnung „Musik von Eisler“ Schrecken hervorrufen. (In Moskau kommt die Geschichte mit der Filmmusik hinzu, die man ihm mächtig übel nimmt. Hast Du gehört davon? Er hatte für den Wangenheim-Film Musik versprochen, Kontrakt gemacht u. 3000 Vorschuß erhalten. Dann meldete er sich lange nicht. Endlich schickte er eine Partitur. Auf dem Kopf der ersten Seite war etwas – wie es schien, ein Titel – abgerissen. Später habe man es als die Abdull-Hamned Musik85 erkannt. Ob es stimmt, weiß ich nicht, jedenfalls nehmen es alle hier an u. schimpfen sehr auf ihn. – Übrigens ist auch das Musikbüro geschlossen.86 – Ich schrieb ihm, Lou87 antwortete etwas verschnupft, er wisse, was er tue, u. das sei aus der neuen Symphonie usw.)

84 Die erste Kampagne gegen den in der UdSSR bereits seit den 1920er Jahren beanstandeten „Formalismus“ begann im Januar 1936, als der Oper Lady Macbeth von Mzensk (Ledi Makbet Mcenskogo uezda, 1934) von Dmitri Schostakowitsch in einem namentlich nicht gekennzeichnetenn Artikel in der Pravda vom 30.1.1936 vorgeworfen wurde, sie sei „nur für Ästheten und Formalisten, die den gesunden Geschmack verloren haben, genießbar“; dergleichen Vorwürfe wurden fortan gegen zahlreiche avantgardistische und im weitesten Sinn moderne Künstler und Schriftsteller erhoben. 85 Vgl. Anm. zu Eisler, 11.4.1934. Steffin verwechselte hier offenbar den Filmtitel Abdul the Damned mit Abdul Hamid, dem Namen des Protagonisten. 86 Hs. Erg.: „wegen Liquidierung der Mort“. Im Zuge des Umbaus weiterer Komintern-Organisationen sollte das Moskauer Büro der MORT nach Prag, später nach Paris verlegt werden. Steffin hatte davon vermutlich durch Piscator erfahren, offiziell wurde dieser Beschluß erst im Mai 1936 gefaßt. 87 Louise Jolesch.

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Also weiter mit Stenitsch: Er erzählt, daß die Moskauer Musik-Hall in ein Volkstheater umgewandelt wurde, u. Ochkloppkow ist zum künstl. Direktor ernannt. Natürlich würde er dort (u. nirgends) die Rundköpfe nicht machen. Jetzt lässt er sich mal verleugnen, so oft Stenitsch anruft. Also an eine Aufführung glaubt niemand. (Pisc. soll einen Auftrag von Scharkow88, die Rundköpfe dort zu inszenieren, vor einiger Zeit abgelehnt haben. Ich werde ihn fragen, wenn ich ihn spreche.) Beim Verlag: Roman-Übersetzung ist abgeliefert. Er wird „bald“ kommen.89 „Rundköpfe“ bringen sie, aber die andern beiden Dramen nicht. Für die Übersetzung der „R. u. Sp.“ hatte man mit Kirssanow90 Vertrag abgeschlossen u. ihm 5000 Vorschuß gezahlt. Er lieferte keine Zeile u. man ist jetzt an Stenitsch herangetreten, der natürlich heilfroh ist, wenigstens etwas zu verdienen mit der Arbeit. Um die 5000 mit Kirssanow verrechnen zu können, wird Kirs die 12 Lieder aus den „R+Sp“ machen, die, wie er später eingestand, Stenitsch sowieso nicht fertig hat. Ich weiß nicht, wie Du dazu stehst, schreibe mir gleich an Asjas91 Adresse: Stenitsch u. ich sind der Meinung, daß man von Ochkloppkow unbedingt das Honorar fordern soll, er hat ja schließlich die Arbeit abgenommen. Im übrigen sagte „mir privat“ Stenitsch, daß er meint, es habe nicht viel Zweck, wenn Du jetzt kommst. An den „Schwejk“ glaubt er deshalb nicht, weil die Jungens angeblich nur mit Deinem Namen renommieren wollen. – ? – Jedenfalls kommt der „Lenfilm“-Vertreter übermorgen nochmals her u. ich werde mit ihm sprechen.92 Pisc. möchte gern, daß Du bald kommst. Hättest Du Lust zu dem Wolgabauern Film?93 Allerdings soll er bis zum 7. Nov. 1936 fertig sein, was Pisc. ja nie schaffen wird. Das 2. Künstlertheater ist aufgelöst u. das Gebäude dem Kindertheater übergeben worden.94 Ich hoffe zwar, daß ich schon weg bin, bis Antwort von Dir hier sein kann, aber auf alle Fälle schreibe doch gleich, vielleicht krieg ich sie noch u. sonst schickt sie ja Asja sofort nach. Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/128–131. – E: Steffin, Briefe, S. 181ff. 88 Charkow. Stadt im Nordosten der Ukraine, seinerzeit mir einem großen deutschsprachigen Bevölkerungsanteil. 89 Vgl. Anm. zu Steffin, 24.2.1936. 90 Semjon Isaakowitsch Kirsanow (Semën Isaakovič Kirsanov, 1906–1972), russischer Schriftsteller. Vgl. Anm. zu Tretjakow, 7.6.1935. 91 Asja Lacis. 92 Vgl. Steffin 7.2.1936. 93 Vgl. Anm. zu Steffin 24.2.1936. 94 Das Zweite Moskauer Künstlertheater war 1913 von Konstantin Stanislawski unter dem Namen Erstes Studio des Moskauer Künstlertheaters initiiert worden. Letzteres, auch Tschechow-Künstlertheater genannt, hatte Stanislawski gemeinsam mit Wladimir Nemirowitsch-Dantschenko bereits 1897 gegründet. Das Gebäude befindet sich in der Nähe der Twerskaja-Straße im Zentrum Moskaus.

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George Grosz an Elisabeth Hauptmann New York, 6.3.1936 6 March 36

40 – 41 221 Street Bayside Lg. Island

Liebes Frl. Hauptmann, Ich soll Ihnen im Auftrage von Bertie folgendes mitteilen: unser Freund Borchardthans musste vor ungefähr anderthalb Monaten die Sowjetunion verlassen,95 wie er mir sofort aus Berlin schrieb, schob man ihn innerhalb 24 Stunden ab......Geld für Billette undso musste er sich beim polnischen Consulat besorgen.......alles ging überraschend und mit gelinder Gewalt. Was er „verbrochen“ hat, weiss er selbst nicht, ein dortiger Commissar der diesen Fall behandelte verweigerte jede weitere Auskunft, nur meinte dieser, es müssen schon „bestimmte“ Gründe vorliegen, weil man dem Ausgewiesenen nur 24 Stunden Zeit gab..... nichts weiter wurde ihm gesagt...... (so schrieb er mir) Ich nehme an, dasz unser lieber Hansemann seine scharfe Zunge nicht recht im Zaum gehalten hat.....und wahrscheinlich die dort sonst hochgepriesene Freiheit der Rede gar arg überschätzt hat. Jedenfalls schob man ihn ohne weiteres nach Deutschland zurück! Nun sitzt er in Berlin und ernährt sich durch die Hilfe eines jüdischen Comitées......thats all.......vorläufig. Da er sehr in Not ist, sandte ich zuerst einmal Geld telegrafisch an seine dortige Adresse, das hat er auch bekommen. Versuche weiterhin ihm hier eine Lehrerstellung zu verschaffen. Als Lehrer ist er über den Durchschnitt und tüchtig. Ich nehme an, dasz somit auch ihre Verbindung nach Minsk und eine dortige Stellung wohl kaum noch in Frage kommen wird....... denn da ja im Vaterlande des Proletariats eine gewisse Beschränkung besteht, so dürfte es empfehlenswert sein für Sie liebes Frl. sich überhaupt nicht mehr auf einen solchen „gefährlichen“ Sünder.....ja (um Himmelswillen wohl gar) Conterrevolutionär zu berufen.96 Nehme selbstverständlich an, dasz derlei Dinge niemals „aufgeklärt“ werden..... wer hätte auch, wo der Vordergrund so enorme gewaltige Grösse hat, ja wer hätte da noch Interesse einen Fall eines jüdischen Schulmeisterleins „aufzuklären“.......... Ich gebe Ihnen jedenfalls den freundschaftlichen Rat, sollten Sie jemals nach Russland kommen, ja recht aufzupassen, loben sie nur fleissig auch wenn sie hie und da erstaunt sein werden.......... halten Sie ihre Zunge schön in Zaum, ansonsten trifft sie noch womöglich dasselbe Schicksal. Sie sehen das „Schicksal“ trifft nicht nur ganz Grosse es trifft auch gelegentlich den ganz Kleinen. Womit ich schliesse, Ihnen fernerhin alles gute Gelingen wünschend, und schreiben Sie einmal, kommen Sie hier durch, geben Sie bitte einen ring...... stets Ihr

95 Vgl. Grosz, 12.2.1936. 96 Vgl. Anm. zu Borchardt, 21.8.1935.

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[Hs. Erg. von Brecht:] in diesem fall wäre es nicht schlecht, wenn du vielleicht katz anriefest, der unter dem namen braun in NY Susquehanna 7/7819 zu erreichen ist (morgens und abends). teil ihm den fall mit und sprich von der notwendigkeit, daß er aufgeklärt wird. Überlieferung: Ts, The Houghton Library of the Harvard College Library. – Dv: TsD (mit hs. Notiz Brechts), BBA E17/3. – T: Grosz, Briefe, S. 238f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 10.3.[1936] 10./III. lb

jetzt bin ich wieder 6 Tage ohne Post. Das kommt mir schrecklich lange vor. Vielleicht bist Du in Kopenhagen? Von da pflegst du mir ja nie zu schreiben. Warum nicht? Die beigelegten Kuverts nach Abastuman97 gelten erst, wenn ich Dir die Abfahrt nach dort telegrafiere. Es ist noch nicht fest. Geht es Dir gut? Immer noch wünsche ich, daß es Dir sehr gut geht u. wünsche ich mir eine gute Zeit mit Dir. Aber ich kann nicht noch einmal so lange warten. Es ist neblig u. ich habe einen Schnupfen. Sonst geht es wie immer. Wiedersehen. Der Kalender von Dir ist nicht eingetroffen. Hat Dir die L.98 nicht geantwortet? Ich höre nichts von meiner Mutter u. meiner Schwester. Maria fragt nochmals, ob Du in ihre Redaktion eintreten willst.99 Sie wird Dir heute schreiben. Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/132–133. – E: Steffin, Briefe, S. 183f.

97 Abastumani. Kurort im Kleinen Kaukasus in Georgien, in dem sich Steffin bereits 1934 aufhielt. 98 Hilde Lützenhoff. 99 Maria Osten hatte sich nach Brechts Mitarbeit in der Redaktion der Zeitschrift Das Wort erkundigt. Vgl. Anm. zu Bredel, 9.5.1936.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau] 24.3.1936 24.III.1936 lieber bidi, am 21. märz hatte ich einen einsamen geburtstag. ich bin nun schon 28 jahre alt, das ist ja furchtbar – piscator ist schwer beleidigt, dass er Dich gestern nicht sprechen konnte. er will Dich unbedingt auch anrufen. wenn ich bloss wüsste, wie es so mit Dir ist? lieber bidi, ein halbes jahr ist eine schrecklich lange zeit. und es ist sehr schön und sehr schrecklich, wenn Deine stimme so nah ist und Du bist so weit. jetzt will ich der reihe nach und doch wahrscheinlich durcheinander alles erzählen. jetzt gestern wollten alle mit Dir sprechen, sie warteten am telefon und ich war nervös. hoffentlich geht es heute besser. lenfilm. die leute schätzen Dich sehr. Sie wollen mit Dir entweder den schwejk oder einen horst-w. film100 machen. (von dem letzteren projekt weiss hier niemand.) überhaupt kennen sie Deine arbeit sehr genau, haben vieles von Dir gelesen und wollen Dich nur für filme mit ausserrussischen sujets. das wäre ja doch sehr schön? am liebsten wollen sie eine reihe von filmen mit Dir machen. pisc. behauptet, dass von höchster stelle nur noch meschrabpom101 erlaubt wird, ausserrussische sujets zu verfilmen, aber auch er sagt, dass Du unbedingt annehmen sollst, wenn sich alles ver- und besprochene alles als wahr herausstellt. – das honorar wird 25000 rubel sein, wie bei meschrabpom, eher höher, die zahlen nicht mehr so viel. mir ist es bei den verhandlungen so gegangen: sie schickten erst reichlich geld, telegrafierten, sandten maschine an den wagen usw. und dann aber hat irgendein buchhalter (warum hängen buchhalter in aller herren länder so an dem geld, das nicht ihnen gehört, und versuchen auch hier, lieber nach 2 wochen auszuzahlen, wenn sie doch sowieso zahlen müssen?) mit mir blöd verrechnet. ich bekam zimmer und fahrkarte und 20 rubel spesen pro tag und das ist wieder sehr wenig, denn ein frühstück in dem hotel kostet mindestens 8 rubel. das sah schäbig aus und war natürlich auch zu wenig, aber ich hatte keine zeit mehr, krach zu machen, weil mein zug wieder ging, wenn ich zurückkomme, soll ich dann (da ich die leute sowieso sehe) sagen, dass diese art der verrechnung die befürchtung nahelegt, dass auch später nicht alles „so“ wunderbar ist? am liebsten wollen sie, dass Du bereits im mai herkommst und mit ihnen arbeitest, sie warten aber auch, bis Du zeit hast. es würde mit Dir eine art studio gebildet werden. sie sehen aus wie lernbegierige schüler, wenn sie von Dir sprechen, und betonten, dass ihnen vor allem gefallen hat, dass Du so ganz kamerad seist nach allem, was man von Dir sieht und wie Du Dich unter leuten gibst.

100 Vgl. Die Horst-Wessel-Legende (GBA 19, S. 381–389). Steffin hatte eine Abschrift der dritten Fassung angefertigt. Verfilmt wurde der Stoff allerdings nicht. Zum Schwejk-Projekt vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936; dazu Piscator, 1.8.1933. 101 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933.

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wolgafilm:102 pisc. hat pech gehabt: auch lania wird das drehbuch nicht schreiben, aus gründen, die verschleiert sind. nun will man doch wieder den scharrer holen. ausserdem möchte er gern Dich haben. er hatte sich fest verpflichtet, am 15. märz das fertige drehbuch und am 9. nov. den fertigen film abzuliefern. es geht natürlich nicht. nach wie vor will er ausserdem mit Dir an die wolga gehen, um dann die andern anzulocken. aber da sehen alle noch schwarz. und nun wird er mal wieland103 auf 5 tage hinschicken (der ist grad hier), dann will er Dich sollst Du von der wolga eingeladen auf dauernd lassen, das gebiet und die arbeitsmöglichkeiten zu besichtigen. das wäre vielleicht interessant, aber bequemer und unverbindlicher ist, annenkovas einladung anzunehmen: die schickt wieder im mai ungefähr eine DZZ-brigade an die wolga, da möchte sie Dich gern dabei haben. dann fährt man nämlich im eigenen waggon, das ist angenehm. schreibe ihm doch mal zu seinem grossen projekt. maria104 nennt Dich also dann in der redaktion der neuen zeitschrift, die leider „das wort“ heissen wird, („leider“ von mir) tretjakow nimmt mir übel, dass Du ihm nicht schreibst. er hat sich in 3 wochen nicht einmal am telefon sprechen lassen. dabei habe ich ihm sagen lassen, er möchte mir nur mitteilen, ob er die leute kennt, die mit Dir arbeiten wollen. wolga: die leute, die unten waren (heller, maria, busch105 usw.) erzählen folgendes: engels, wo Ihr wohnen sollt, ist ein städtchen von 60000 einwohnern. mit langen, schmutzigen strassen ohne asphalt zum grössten teil. das theater alt und unheimlich primitiv. so einstöckige häuser (weniger mehrstöckige) natürlich ohne wc. im sommer kollossal staubig. für einige zeit wollen sich einige verpflichten, aber natürlich nicht für die dauer. – man befürchtet natürlich, was reich schon sagte, bei so engem zusammensein kräche, riesenintriguen usw. aber pisc ist das eine herzensangelegenheit, man kann nicht geradeaus mit ihm sprechen, schreibe auch Du „teilnahmsvoll“. diese kurzen notizen diktiert eben pisc am telefon: lieber brecht, ich will das ganze nur kurz rekonstruieren. damals telegrafierte ich um Deine mitarbeit, Du telegrafiertest zurück, Du könntest erst ab 15. januar, und in dänemark. das ging nicht, Du musstest ja natürlich für so einen film die verhältnisse an ort und stelle kennen lernen. ich habe also leider auf Dich verzichten und hay heranziehen müssen. aber da hay ganz auf selbständige arbeit bestand, ohne was davon zu verstehen, zankten wir uns. ich bekam den befehl, es trotzdem weiter mit ihm zu versuchen, aber ich verlor dadurch nur weitere 3 4 wochen. scharrer traf nicht ein, da er verlangte, dass wir ihm von moskau aus sein gepäck von wiesenthal (irgendwo da unten) nach odessa schaffen sollten. scharrer ist prinzipiell vorgesehen

102 103 104 105

Vgl. Anm. zu Steffin 24.2.1936 Wieland Herzfelde. Maria Osten. Vgl. Steffin, 10.3.1936, dazu Anm. zu Steffin, 24.2.1936 Otto Heller, Maria Osten, Ernst Busch. Die Rede ist von der deutschen Künstlerkolonie in der Stadt Engels. Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936.

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worden. dann kam lania. wir arbeiteten etwas zusammen, aber 1) muss er jetzt wegfahren und 2) kann er äusserer umstände wegen nicht weiter mitarbeiten. mein neuer vorschlag ist: unbedingt mit scharrer arbeiten. ich dachte, dass Du so mitte april hier sein und mit mir runterfahren könntest. was wir uns damals alles träumten, ist bei der meschrabpom nicht möglich, aber dort unten kann es vielleicht verwirklicht werden. wir könnten dort das theater und eine filmproduktion aufbauen. hast Du meinen langen brief bekommen? antworte endlich mal. das kombinat, das mir vorschwebt, ist in diesem jahre natürlich nur z. t. erfüllbar. zugesagt haben granach, neher, busch (busch sagt, es stimme nicht ganz, nur prinzipiell sei zugesagt, ausserdem seien sie alle hier fest engagiert, wollen aber auf einige monate runter. in klammern füge ich alles zu) ich denke auch an die leute von zürich. wie ist es mit weigel? aber von vornherein muss man sich klar sein: es geht nur, wenn man den dauersitz in engels aufschlägt!! sonst mache ich nicht mit. man muss ganz hinziehen und dort fest wohnen. (dann muss man evtl. nach 6 monaten die russ. staatsbürgerschaft annehmen) die basis dort ist ganz gut. z.b. ist eine neue druckerei da, die nur zu 50 prozent ausgenutzt wird, wir können da bücher und eine zeitschrift von internationalem ruf herausgeben. die wolgarepublik lädt Dich jedenfalls ein, Deinen dauersitz dort aufzuschlagen. man wird evtl. später datschen bauen, jetzt würdest Du ein zimmer kriegen. was leningrad betrifft: prinzipiell ist das natürlich sehr gut, aber ich würde bedauern, wenn Deine arbeitskraft zersplittern würde und bin für engels. zu meschrabpom sind eigenartige leute gekommen (z.b. goldberg106 usw.) aber sie machen eine sinnlose produktion. jetzt 2 difficile fragen. 1) internationale produktion. wie wir damals besprochen haben, wäre es natürlich wunderbar, wenn wir hier filme machen, deren engl. und franz. version von den dortigen filmgesellschaft[en] finanziert würde. kannst Du nicht bei kortner vorfühlen, wie er dazu steht? überhaupt sollen wir doch mehr miteinander als nebeneinander herarbeiten. was machst Du denn dort eigentlich? und eisler? ich habe z.b. mit lania besprochen, dass man sehr gut einen oelfilm107 machen könnte, aufnehmen an der wolga, die engl. oder franz. firma zahlt die ausl. Schauspieler. das wäre doch eine ganz grosse möglichkeit. 2) natürlich wäre es sehr erfrischend, wenn ich mal eine zeit draussen arbeiten könnte. ich höre, dass das groupe-theatre mit der regie straffbergs108 jetzt die amerikanische tragö106 Heinz Goldberg (1891–1969), Filmregisseur und Drehbuchautor. Ging 1933 ins Exil nach Wien, 1935 in die UdSSR, wo er ein Drehbuch zu einem Film über Heinrich Heine schrieb (das unverfilmt blieb). Nach drohender Verhaftung emigrierte er 1937 über Österreich und Italien nach Großbritannien. 1956 kehrte er zurück nach West-Berlin. 107 Bezieht sich vermutlich auf Lanias Stück Das Ölfeld. Vgl. Anm. zu Lania und Eisler, 21.9.1934. 108 Gemeint ist der in Österreich-Ungarn geborene und mit seiner Familie bereits 1909 in die USA emigrierte Schauspieler und Schauspiellehrer Lee Strasberg (1901–1982), der 1931 in New York das Group Theatre gegründet hat.

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die109 bringt. wenn das eine reise nach dort finanzierte, käme ich sehr gern. vielleicht ist auch so da eine arbeitsmöglichkeit. soweit der phantast und der träumer pisc. die andern sind nüchtern, sprechen von staubigen strassen, jahrelangem um- und aufbau, fehlenden verweichlichenden errungenschaften der kultur usw. aber ansehen kostet wirklich nur wenig. schreibe doch einmal. – da in dnjeprpetrowsk ist es nicht sonnig. ein anstrengendes arbeiten. viel auf schlechten lastwagen und schlechten strassen unterwegs. alles primitiv usw. usw. umso wichtiger natürlich, dort aufzubauen. [Hs.] Das letztere teile ich wegen Weigel mit. So, das ist ein langer Brief. Schreibe mir bald Antwort, schreibe auch an Pisc. u. Tretjakow. Lou Eisler will von mir Pelzfutter für einen Mantel haben, das geht doch [zu] weit? Ich hab ja nicht soviel Geld. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/134–137. – E: Steffin, Briefe, S. 185ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau, März 1936] geliebter bidi, es ist natürlich alles in ordnung und ich bin freundlich. aber es ist sehr schlimm für mich, allein zu sein so furchtbar lange. und wenn ich denke, du bist nicht allein, bin ich wütend und will nicht allein sein. ich schlafe auch schlecht. und meine haut wird schlecht. und meine stimmung auch. Du sagst, ich kann jederzeit kommen. es war ja wirklich so, wie ich schon aus kopenhagen und immer wieder schrieb, dass ich dieses jahr was gesundheitsgründe sind, besser dort geblieben wäre. Du antwortetest nie darauf. und wenn ich auch verstehe, dass Du „zu hause“ sein willst einige zeit, so stösst mir natürlich mächtig auf, dass ich kein „zu hause“ habe. nirgends. ich muss immer für mich und meine koffer um einen platz bitten. und kann mir nicht mal bücher kaufen, weil wo soll ich sie hinstellen? dann natürlich sehe ich immer ganz klar, es geht doch nicht. wenn Du dann auch so selten schreibst, was auch die gründe sind, so wird es in einem masse schlimm, wie ich es nicht sagen kann. ich kann ja im grunde doch nicht jederzeit kommen. damals wusstest Du nicht, ob Du geld verdienst usw. usw. aber was ist das wiederum für eine mitarbeit, wenn ich die grösste zeit weg bin? und dazu ist die zeit ohne Dich zu schlecht, als dass man von „aushalten“ sprechen kann. auch was wohnen usw. betrifft. aber was ist es denn?

109 Zur Aufführung der Amerikanischen Tragödie vgl. Anm. zu Broadwin, 18.2.1936.

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vielleicht sollte ich, wenn Du den vertrag mit lenfilm110 machst und besser verdienst, hier ein zimmer für mich mieten, das wäre ein kleines „zuhause“, und für Dich praktisch, Du wüsstest, wo Du wohnst, wenn Du mal kommst. so nett maria111 und kolzow auch sind, ich bin doch quasi nur – na, geduldet ist zuviel gesagt, aber such ein anderes wort. mit einem male macht mir tanzen spass!! als ich mich dabei ertappte, war ich selbst entsetzt und hörte auf. das ist doch schlecht. und unnötig. und ungesund. und was weiss ich. ich brauche wirklich dringend [hs.] Liebe. Deine Liebe. Es ist vielleicht doch so wie es ist zu schwer für mich. Ich möchte Dich unbedingt in London sehen.112 Nicht wegen London. Nur wo anders u. sehr viel u. endlich bei Dir sein. Eine Fahrkarte von hier nach dort kostet 360 Papierrubel (erster Klasse!!) Und wenn Du den Vertrag mit Lenfilm unterschreibst, schicken sie Dir dann auch 2 Karten zurück nach hier! (Nach Kopenhagen muß ich die Fahrt in Valuta zahlen, ab Grenze zumindest, das wäre teurer als über London.) Ich habe gar keine Valuta, nur so 2 Rubel Kronen. Lieber geliebter bidi Du bist mir viel Zeit schuldig, ja? Ja! Bitte, hole mich zu Dir. Bleib wieder bei mir, dann ist alles wieder gut. Ich bin ganz verrückt. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/138–139. – E: Steffin, Briefe, S. 194f.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Moskau, Ende März 1936] lieber bidi, ich bin schrecklich müde. Die ganze Nacht habe ich mit der Telefonzentrale gekämpft, daß sie mir nochmals London gab. Es war sehr schwer: Linie besetzt, arbeitet nicht usw. Ich selbst habe von der Keto gehört, daß sie eine Datscha (Landhaus) genommen hat, daß dort 1 Zimmer für mich ist u. daß ihre Mutter für uns wäscht, kocht usw. u. das Sanatorium untersucht u. behandelt, als ob wir dort wohnten. Gestern kommt zu meinem Erstaunen ein Telegramm: „Abhole Dich Tiflis, wir nehmen andere Datscha.“ Wo diese liegt, 110 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936. 111 Maria Osten. 112 Steffin fuhr im Mai nach London, wo Brecht auf Wunsch Kortners und Eislers das Drehbuch zu dem Filmprojekt Der Bajazzo (nach Ruggiero Leoncavallos Oper Pagliacci) überarbeitete. Nach eigener Auskunft stellte er dort, um etwas Geld zu verdienen, „einige Pfund Abendunterhaltung her“ (B. an Piscator, Mitte/Ende Juni 1936, GBA 28, S. 555; vgl. dazu Gersch, Film bei Brecht, S. 184–186, sowie Eisler/Bunge, Brecht, S. 106ff.). Die von Brecht vorgenommenen Umarbeitungen des Szenariums, die den Vorstellungen der Produzenten offenbar keineswegs entsprachen, sind nicht überliefert. Gedreht wurde der Film schließlich unter der Regie von Karl Grune. Er erschien 1936 unter dem Titel Pagliacci, als Autoren zeichneten Roger Burford und John Drinkwater.

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habe ich keine Ahnung. Ich versuchte anzurufen, aber wir konnten nichts verstehen. Ich versichere und verspreche Dir, daß ich nur dorthin fahre, weil es die beste Erholungsmöglichkeit ist. Du hast keine Vorstellung davon, wie schwer alles zu besorgen ist: Putjowka113, Fahrkarte usw. Ich arbeite doch hier nicht. Mit allem Kolzow zu belästigen, ist unmöglich, u. schon Pisc. könnte, wenn er wollte, nichts machen, daß es schneller geht, Reich schon gar nicht u. damit sind doch meine Bekanntschaften hier erschöpft. Ich bin glücklich, daß Keto das macht u. alle beneiden mich darum, selbst Annenkova. Lieber bidi, Du darfst nicht so fremd sprechen, ich werde ganz verrückt davon. Ich kann einfach nicht schlafen, wenn ich nicht weiß, Du bist mir gut. Was den Wolgafilm betrifft: Vertraulich warnt Maria114, die viel erfährt. Sie sagt, den Wolgaleuten gefalle Pisc. Idee nicht, ob es klappt, sei fraglich, Du sollest mit der Zusage warten. Nun ist es ja leider so, daß niemand was schreibt, wie sich’s entscheidet, wenn ich weg bin. Aber daß alles für den Wolgafilm abzubrechen, lohnt nicht. Erinnere Dich, daß der 15. Januar zu spät war, dann der 15. III., u. bis jetzt ist Pisc. nicht einen Schritt weiter. Die Rod115 sagt außerdem, dort sei viel Malaria, auf die Dauer hinzuziehen, sei Wahnsinn. (Keine Konzentration, Trinkwasser von der Wolga. Große Überschwemmungen dauernd usw.) Natürlich wenn alle hingehen, solltest Du auch zur Arbeit hingehen. Aber doch nicht als erster, als Pionier! Da kannst Du unter Umständen lange warten, bis mehr als 2, 3 kommen. Warte, Du hast doch Zeit. Wieland fragt, was mit Grosz ist (die Zeichnungen), er soll endlich mal antworten. Kolzow (der die Ausl. Einladg. macht) sagt: „naja, jetzt können wir Grosz irgendwann einladen, es gibt schon Tomatensaft.“ Es läuft jedenfalls langsam an. Und ist nicht sicher. Was Hauptmann betrifft, ist eine Einladung so gut wie ausgeschlossen.116 Jedenfalls soll sie jetzt nichts machen, ich komme u. wir werden alles besprechen. Vorher geht es sowieso nicht. Hast Du das große Foto von mir bekommen? Gefällt es Dir? Schreibe. Schreibe mir viel, bidi. Mit den Honoraren bist Du hier reingelegt, finde ich, besonders was die gemeinsame Ausgabe von Wieland und Vegaar117 angeht. Hast Du von Wieland Geld bekommen (Valuta)? Wie ist Euer Vertrag? Es ist schade, daß ich ihn nicht kenne, dadurch kann ich mit der Vegaar nicht richtig verhandeln. Ich schreibe von unterwegs ausführlicher. 113 Russ. putëvka: Einweisungsschein, Bescheinigung über Reise und Einweisung. 114 Maria Osten. Zum Wolgafilmprojekt vgl. Anm. zu Steffin, 24.2.1936. 115 Vermutlich die Schauspielerin und Sängerin Hanni Rodenberg, geb. Schmitz (1910–1944). Sie war zusammen mit ihrem Mann Hans Rodenberg 1932 in die UdSSR emigriert. 116 Vgl. Anm. zu Borchardt, 21.8.1935. 117 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 6.6.1935.

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Ich habe ein Grauen vor der Reise, der Zug hält dauernd u. es ist so lang, so lang. Ich wäre gern mit Stammreichs [?] runter gefahren, aber sie brauchen immer nochmals 3 Tage u. so warte ich nicht, da ich endlich eine gute Fahrkarte habe. Hier haben mich Maria118 u. Kolzow wirklich sehr nett aufgenommen. Ich war dauernd nur mit Maria zusammen, habe sonst kaum Leute gesehen, auch Asja119 u. Reich wenig. Los zur großen Reise! Hoffentlich bald zu Dir, lieber bidi, jetzt bin ich schon zu lange allein gelassen. Wiedersehen gg.120 Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der SSSR 1 Maßnahme Moscou Zentr Schlußchor Nikolskaja 7 Ausnahme Deutsche Sektion, Bork 121 Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z23/160–163. – E: Steffin, Briefe, S. 191ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Schwarzes Meer] 25.4.1936 25.4.36. lieber bidi, ich sitze auf einem sowjet-schiff und fahre die krim-küste lang. aus vielen gründen: erstens muss ich in tiflis zu lange auf das billet warten und das wird teuer, da keto in abastuman ist. – ausserdem hat tiflis jetzt ein schlechtes klima. ausserdem ist die reise so sauberer, angenehmer. es geht mir gut, bloss das ohr tut sehr weh. ich werde in sewastopol, von wo ich direkt mit dem zug fahre, gleich zum arzt gehen. – hier auf dem schiff lernte ich eine amerikanerin kennen, die eine begeisterte anhängerin von brecht-eisler-songs ist. das macht sie doch von vornherein sympathisch, nein? sie schreibt in hollywood filmmanuskripte (bei ihren freunden hat eisler gewohnt, als er unten war zu konzerten) und ist jetzt bei ihrem mann, der hier arbeitet, zu besuch.

118 119 120 121

Maria Osten. Asja Lacis. Vgl. Anm. zu Steffin, Juli 1933. Otto Bork.

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wie geht es Dir? hoffentlich kriege ich in moskau endlich wieder post von Dir. wiedersehen. [Hs.] l b Überlieferung: Ts, hs. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/140. – E: Steffin, Briefe, S. 195f.

W. Hartmann an Bertolt Brecht New York, 27.4.1936 27. April 1936 Lieber B.B. ich bin sehr froh, dass du doch geschrieben hast, denn du hast einen ganz furchtbaren Ruf, nicht zu antworten. Nehme also meine[n] ganzen Dank entgegen und erinnere dich daran, wie ich dir den Kragen richtig umgebunden habe you crazy fellow! Ich bin garnicht undankbar, aber du hast schon ein bisschen wenig geschrieben: Mensch, du musst dir doch vorgekommen sein, als wenn du fuenf Jahre unter der Brause gestanden haettest. Du musst doch allerhoechstens mit dem Kapitaen der Berengaria gesprochen haben, Du musst ja den Leuten gezeigt haben, wie ein Gentlemen isst, wie er sich Zigarren anzuendet, wie er laechelt, sich die Kravatten bindet und ins Bette steigt. Ich bin so selten stolz, aber nun weiss ich, dass ich stolz bin, dass wir gerade dich so anstaendig hinrueckten. Ich brauch W. II122 garnicht zu spielen. Denn es war nichts, es ist nichts, ich brauche Backobst nicht, wenn es doch dauernd frisches Obst gibt. So was muedes schadet doch nur. Aber haette ich doch bloß gewusst, wäre es mir doch bloss aufgefallen, ich Ochse! Gegruesst habe ich trotzdem und hoerte ein sehr muedes Danke sehr. Du scheinst mich ja fuer ziemlich gaengig zu halten... Unser Bernhard v.B. hat eine Sache geschrieben, die mich ganz gross imponiert hat.123 Sie stellt etwas dar, sie ist so sauber und angelegt, so spannend und wichtig, dass man doch jetzt wieder einmal versuchen sollte, den Herrn nicht unter sich mit seiner Familie zu lassen. Es gibt soviel Sau in der Welt und so wenig Talente und so wenig Leute die Stil haben, dass man nicht immer einfach die Achseln zucken muss bei einem, der ulkige Hoerner zeigt, die man leicht abnehmen kann. Na, du weisst ja und warum sage ich dir das ueberhaupt. Ich wollte dir eben nur mitteilen, dass mir die Sache gefaellt und dass du sie unbedingt lesen musst.

122 Der ehemalige deutsche Kaiser Wilhelm II. 123 Vermutlich Bernard von Brentanos Theodor Chindler. Roman einer deutschen Familie, Zürich 1936.

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Hier wird es Fruehling. Die Judenmaedchen schlagen aus, sie kriegen Pickel und beginnen zu riechen. Der ganze Unionsquare124 ist voll und ich sehne mich nach dem deutschen Sporttyp, mit dem man schwimmen gehen und im harten Zelt liegen kann. Auch im Theater ist Fruehling und der groesste Mist ist Kunst. Silones herrliches Buch125 haben sie dabei aber fein versaut, dass man die Wut kriegen kann. Getohkt wird immer noch und Partiehs finden auch noch statt, mit viel reden, schlechten Schnaps saufen und feigen Schweinerein. Die Cafeterias machen immer noch Geschaefte, wobei sie fuer Klopse dieselbe Sosse gebrauchen wie fuer Steak oder Hammelpfoten. Du siehst, dein Auftreten hat nichts geaendert, aber wenn du wieder kommst, werden wir aufraeumen und mangschlahrn, det se lumpn kotzn. Wann kommst du? Trotz allemdem ist es doch ein grosses Land, man findet Platz zum atmen und arbeiten. Ich hoffe flehentlichst, von dir mal wieder zu hoeren. Besten Dank fuer die Buchtitel. Benutze diese Adresse: W. Hartmann, 3002-47 Street Sunnyside, N.Y. Mit Handschlag dein W. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 722/54.

Willi Bredel an Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht [Moskau] 9.5.1936 9.5.1936 Lieber Feuchtwanger, lieber Brecht, mit Lust und Eifer bin ich dabei, die ersten Hefte des „Worts“126 vorzubereiten. Bald hoffe ich genauen Bericht über den Inhalt der ersten Hefte, wie ich sie auf Grund der einge124 Platz in Midtown Manhattan in New York. 125 Vermutlich der Roman Fontamara (vgl. Anm. zu Brentano, 3.1.1934). Die Theateraufführung konnte nicht ermittelt werden. 126 Die auf Initiative Johannes R. Bechers gegründete Exilzeitschrift Das Wort erschien von Juli 1936 bis März 1939 in Moskau, zunächst unter der Patenschaft von Michail Kolzow im Jourgaz-Verlag, ab Juli 1938 bei Meshdunarodnaja Kniga. Es werde, schrieb Maria Osten im April 1936 an Ernst Bloch, „eine Zeitschrift auf breiter Basis sein, die möglichst die ganze antifaschistische Literatur vereinigen soll“ (zit. nach BC, S. 476). Im Unterschied zur Internationalen Literatur verstand sich Das Wort primär als Organ deutschsprachiger Autoren. Brecht fungierte als Mitherausgeber neben Lion Feuchtwanger und Willi Bredel, der die Redaktion vor Ort leitete, während Feuchtwanger und insbesondere Brecht sich zunächst auf Anweisungen aus der Ferne beschränkten. Ab 1937, nachdem Bredel sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen hatte, übernahm Fritz Erpenbeck dessen Aufgabe in der Redaktion.

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gangenen Beiträge vorstelle, machen zu können. Heute schon möchte ich mich mit Ihnen verständigen über die Frage der Einleitung sowohl des ersten Heftes wie der weiteren. Maria hat Ihnen bereits einen Entwurf der Hefteinteilung geschickt, aus dem ersichtlich ist, daß am Anfang jedes Heftes eine Rubrik – das Vorwort – stehen soll. Nun meine ich, man sollte diesen Einleitungsartikel, auch den des ersten Heftes, nicht in der üblichen Form eines würdigen literarischen Einleitungsartikels bringen. Vielmehr stelle ich mir vor, wir sollten kurze, in drei bis maximal dreißig Zeilen gefaßte Gedanken und Anmerkungen zu aktuellen Ereignissen auf dem deutschen Literatur- und Kulturgebiet, eventuell zu Beiträgen in dem betreffenden Heft, aneinanderreihen; nur durch eine Zeile Abstand voneinander getrennt und jeweils mit Versalien beginnend. Diese Lösung ermöglicht eine kollektive Herstellung des Vorworts. Ich denke mir das so, daß Sie, jedesmal wenn Sie zu bestimmten Vorkommnissen und Daten etwas sagen wollen, dies konzentriert formulieren und herschicken. Ich werde selbstverständlich auch in dieser Art am Vorwort mitarbeiten und dann, kurz vor Drucklegung jeder Nummer, die vorliegenden Stücke möglichst passend aneinanderreihen. Das Ganze, denke ich, wird dann gar nicht gezeichnet oder, wenigstens beim ersten Heft, mit: Die Redaktion. Geben Sie, bitte, per Flugpost Bescheid, ob Sie einverstanden sind, und vor allem: schicken Sie recht bald recht viel für Vorwort. In der ersten Nummer wird das Vorwort wohl besonders generellen Charakter haben müssen, die zweite Nummer ist, weil sie auf den August fällt, als Antikriegsheft gedacht. Überlieferung: E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 365f.

James B. Pinker 127 an Bertolt Brecht London, 11.5.1936 Encl. May 11sh 1936, Herrn Berthold Brecht, 148, Abbey Road, N.W. Dear Herr Brecht, 127 Londoner Literaturagent und Mitarbeiter des Verlags Hale & Co., wo im März 1937 eine englische Ausgabe des Dreigroschenromans in der Übersetzung von Desmond I. Vesey und Christopher Isherwood unter dem Titel A Penny for the Poor erschien.

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I am sending you, herewith, the agreement with Messrs Hale & Co, for Drei Groschen Roman and if you find it in order I shall be glad if you will sign and return it to me at your convenience. Will you, please, also initial each page as well as each alteration? You will notice that there are several alterations in the contract as originally drafted by me and these are the result or some argument. I think the compromises are fair and I hope you will agree. Sincerely yours, JMPinker Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.:James B. Pinker & Son J. Ralph Pinker Literary Dramatic & Film Agents Talbot House Arundel Street Strand London W.C.2 Telegrams & Cables BOOKISHLY, London Telephone: Temple Bar 7384; BBA 722/55.

Barthold Fles128 an Bertolt Brecht [USA] 17.5.1936 May 17, 1936 Sehr geehrter Herr Brecht: Herr Liepmann129 schrieb mir dass Sie eventuell einen Vertreter in Amerika brauchen koennten; und wie er schrieb hat er mich empfohlen. Ich habe in letzter Zeit verschiedene auslandsdeutsche Autoren zu placieren das Vergnuegen gehabt – – ausser Plivier und Olden auch Marcuse, Speyer, weiter den Emigranten Silone, dessen FONTAMARA, REISE NACH PARIS und jetzt auch BROT UND WEIN ich hier angebracht habe. Ich kenne Ihre Dreigroschenoper, und interessiere mich sehr fuer Ihren DREIGROSCHENROMAN; drahtete Liepmann mir ein Leseexemplar zu besorgen, weil ich hier keins auftreiben konnte. Ich arbeite wie hier usus ist, berechne eine Provision von 15% auf auslaendische Buecher, und habe vorzuegliche Beziehungen. Darf ich hoffen dass Sie mir eine kurze Option auf Ihren Roman geben wollen? In der Hoffnung recht bald von Ihnen zu hoeren, Hochachtungsvoll Überlieferung: Ts, Teilnachlaß Barthold Fles im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Bibliothek. 128 Barthold Fles (1902–1989), niederländischer Literaturagent und Übersetzer, lebte im Exil in den USA. Brecht übertrug ihm das Recht, den Dreigroschenroman in der vorliegenden englischen Übersetzung in den USA zu publizieren. Vgl. B. an Fles, 25.7.1936, GBA 28, S. 561f. 129 Heinz Liepmann, ab 1933: Liepman (1905–1966), Schriftsteller und Regisseur. Ab 1934 im Exil in den Niederlanden, 1935 in Frankreich, 1936 in Großbritannien, 1937 bis 1947 in den USA.

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Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 28.5.1936 Walter Benjamin

Paris, 28. Mai 1936 23, Rue Bénard

Liebe Grete Steffin, In grosser Eile will ich Sie nur eben zu Ihrer glücklichen Ankunft in London130 beglückwünschen und Ihnen den Empfang der Vollmacht bestätigen. Es scheint, dass kaum eine einzige der zahlreichen Nachrichten, die ich Ihnen in die Union geschickt habe, Sie erreicht hat. In meiner letzten, die Ihnen ebenfalls entgangen sein wird, bat ich Sie schliesslich, das Manuskript meiner Arbeit131 statt es an Tretjakoff zu leiten lieber Brecht mitzubringen. Das Schlimme ist, dass ich im Augenblick kein Exemplar des deutschen Textes besitze; mit dem französischen, der jetzt erschienen ist, kann Brecht nichts anfangen. Sowie ich ein deutsches Exemplar habe, sende ich Ihnen eins. Ich brauche nicht zu sagen wie viel mir daran läge, den deutschen Text im „Wort“ erscheinen zu sehen. Zunächst müsste man freilich feststellen, ob die Zeitschrift überhaupt die räumliche Möglichkeit hat, einen 50-60 Schreibmaschinenseiten umfassenden Beitrag zu veröffentlichen. Dies muss ja jetzt schon feststellbar sein. Bitte schreiben Sie mir eine Zeile darüber. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass diesen Sommer aus Dänemark etwas wird. Im Augenblick kann ich noch nicht mit Bestimmtheit Daten ins Auge fassen. Aber gerade weil meine Dispositionen nicht ganz übersichtlich sind, wäre mir doppelt daran gelegen, die von Brecht möglichst umgehend nach ihrer Fixierung kennen zu lernen. Grüssen Sie Brecht herzlichst von mir. Sagen Sie ihm, dass ich mich um den Band der „Versuche“ bei Wolf[f] kümmern werde.132 Ihnen wie immer alles Herzliche Überlieferung: TsD, BBA 2169/5+6. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 293.

130 Steffin war soeben über Moskau und Leningrad zu Brecht nach London gereist. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936. 131 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936. 132 Vgl. B. an Charles Wolff, 26.5.1936, GBA 28, S. 553.

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Marianne Zoff an Bertolt Brecht Wien [Mai/Juni 1936] Lieber Bert, Dein Brief 133 hat mich sehr gefreut – ich wusste schon, dass Du in London bist und arbeitest. Aber wie soll ich mit Hanne zu Dir kommen, wenn ich Angst habe, man nimmt mir Hanne weg, wenn ich wiederkomme. Es ist furchtbar – dabei wollen Hanne und ich Dich sehen. Du glaubst nicht, wie sehr wir uns danach sehnen. Hanne ist ein merkwürdiges Mädchen – sie hängt absolut an Dir – und ist so wunderbar gescheit – und empfindet alles ganz von selbst richtig – man muss nicht viel reden. Oft sitzen wir zusammen und überlegen, wie wir es machen sollen, Dich zu sehn – Es gibt überhaupt nur eine Rettung für uns alle – wenn Theo134 endlich in London einen Film machen könnte – er spricht sehr schön englisch und hätte dort bestimmt Erfolg. Bange wäre mir nicht um ihn, und man könnte endlich weg. Für die Kinder wäre es das Beste. Mit der Kleinen kann ich nicht über alles reden – sie kann noch nicht schweigen und das ist ein Unglück. Hier in Wien ist es immer sehr schön für mich – aber auch hier ist es traurig – aber es ist meine Heimat und die Eltern sind da, sie lassen Dich sehr grüssen. Man wird langsam alt und man kann Dich nie sehn. Und Hanne gleicht vollkommen Dir und wie Otto135 sagt, besonders Deiner Mutter136 – Wir fahren heute wieder nach Berlin – Ich bin so froh, dass du weisst, wenn ich nicht mit Hanne komme – so kann ich wirklich nicht – Auch mit Otto habe ich schon viel hin und her überlegt – Ob wir alle einfach nach London übersiedeln sollen? Wenn ich bloß wüsste, was man tun soll – Lieber Bert viele viele Grüsse und Küsse von mir und Hanne. Wir haben dich sehr lieb. Deine Marianne Überlieferung: Ms, Bv.: Graben Hotel Brüder Kremslehner Wien, I., Dorotheerg. 3/5 Telephon A 34–5–30; BBA E66/151–153. – E: Bertolt Brecht, Briefe an Marianne Zoff und Hanne Hiob, hrsg. v. Hanne Hiob, Frankfurt/M. 1990, S. 163f.

133 Nicht überliefert. 134 Der Schauspieler Theo Lingen, d.i. Franz Theodor Schmitz (1903–1978), seit 1928 mit Marianne Zoff verheiratet, war auch in Brecht-Inszenierungen aufgetreten (vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933). Trotz seiner jüdischen Frau durfte er als Filmschauspieler und -regisseur weiter in Deutschland arbeiten. 1944 übersiedelte er nach Wien. In bundesdeutschen und österreichischen Filmproduktionen trat er später vor allem als Komiker auf. 135 Otto Friedländer-Zoff (1890–1963), österreichischer Publizist, Dramaturg, Regisseur. Bruder von Marianne Zoff. 136 Sophie Wilhelmine Friederike Brecht, geb. Breizing (1871–1920).

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Mordecai Gorelik 137 an Bertolt Brecht Stockholm, 1.6.1936 Stockholm, June 1, 1936 Dear Bert, We were very happy to get your letter. I sent your enclosed letter138 to Piscator. Following your advice, I wrote him again, telling him who I am and so on. I wrote the letter in German, in the hope that it might save some time. We should both like very much to see you, but it doesn’t look as if that will be easy to accomplish. The journey to Denmark would be expensive, and according to the travel bureaus here, we would have to come back to Stockholm on the way to the Soviet Union. However, our greatest difficulty is the baby. He has been moved around a great deal, and it has kept him from gaining as much weight as he should; we are considerably afraid of moving him again for some time. We must admit that we have been feeling quite discouraged. Frances139 has been kept tied down to the baby, and it has also taken a lot of my time. Except for one or two designers, the Swedish theatre is very dull and life in the pensionats is worse. We don’t know any of our own people, and the others we have met have not been particularly cordial: they don’t mind being interviewed, but they show no interest in the stages of other countries, and have no stage theories. Since we do not speak Swedish and have no Swedish friends, we feel cut off from everything. Some of the Swedish theatre people admit having been influenced by the work of Piscator. We recently saw a musical comedy called “Melodien”, imported from Denmark.140 It was the only thing we saw that had any social approach; it seems to be fairly successful. I felt that it used a certain amount of the Brecht technique. The Swedish producer is a certain Dr. Per Lindberg, who is pretty muddled in his ideas, but admires the Soviet theatre. The other

137 Mordecai (Max) Gorelik (1899–1990), amerikanischer Bühnenbildner, Schriftsteller, Übersetzer und Theaterwissenschaftler, später Professor an der Southern Illinois University. Brecht hatte ihn bei der Aufführung der Mutter im November 1935 in New York kennengelernt. Gorelik, urteilte er im Mai 1936 in einem Brief an Piscator, „ist sowohl der technisch am weitesten fortgeschrittene als auch der politisch uns am nächsten stehende Bühnenmaler“ (GBA 28, S. 552). Von dessen Ideen profitierte auch das Bühnenbild zur Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe in Kopenhagen. Zur gegebenen Zeit wartete Gorelik in Stockholm auf ein Einreisevisum der UdSSR, das er dank Piscators Fürsprache im August 1936 bekam. Er hatte ein Guggenheim-Stipendium für einen Studienaufenthalt in Leningrad und Moskau erhalten, um dort Material zu sammeln für sein Buch New Theatres for Old, New York 1940; vgl. dazu Gorelik, 20.6.1944. 138 Vermutlich B. an Piscator, Mitte/Ende Mai 1936, GBA 28, S. 552. Ein entsprechender Brief an Gorelik ist nicht überliefert. 139 Frances Gorelik, Mordecai Goreliks Frau. 140 Vgl. Anm. zu Steffin, 12.11.1935.

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day we saw an English movie, “I WAS A SPY”141, which we thought would interest you a great deal because it had (I suppose unconsciously) something of a “lehrstück” technique: the love-interest was actually definitely subordinated to the exposition of the war episodes. I am getting a chance to catch up with my reading and to write some articles. I wrote an article on the Soviet Theatres before I left New York, for the New Masses.142 They were to print it at once, but instead they send it on to me with a note saying that they admired it very much and wished to print it, but that they are now informed that there have been new developments in the last two months and that “certain people whose performances I praise in the article, have now repudiated these same performances as being unworthy of a socialist society.” What this cryptic statement means, I don’t know. The New Masses asked me to bring the article up to date. I sent a copy of the article at once to the International Theatre Bureau143, asking for their comments, but I don’t suppose I will ever hear from them. What on earth is it all about? I also wrote an article on the Group Theatre before I left New York. This article, which was distinctly controversial and pointed out some bad mistakes in the Group’s production of the Piscator play144, was well received by the New Theatre League.145 I was asked to make some further changes in it. I have now rewritten it and sent it to New York. If it is ever used, it will cause a great stir, as it will inaugurate a new official attitude toward the Group Theatre and Theatre Union. Strasberg told me that you were glad to have come to know the Group Theatre after your experience with the Theatre Union. Maybe it’s a good thing you didn’t stay to see their production. The articles which you wrote I am now reading with very great interest. I hope very soon to write an article about your work and your theories. It should be of special value for the American theatre. About Moscow – we are beginning to be quite desperate over the state of affairs. It is obvious that we are only wasting time outside the Soviet Union, but it seems impossible for us to go there. Frankly, we are at our wit’s end about what to do. If I sent Frances and the baby home now, the journey would be very hard for them, and we would be separated for over half a year. If I left them in Stockholm, she would probably go crazy with boredom. My last hope is that when I go to the Soviet Union by myself for a month or so, I may be able to make some kind of arrangement so I can go back to Stockholm in September and bring Frances and the kid to Moscow. If that doesn’t work out, we will be just about finished. 141 I Was a Spy (GB 1933, Regie: Victor Saville). Der Film spielt im besetzten Belgien während des Ersten Weltkriegs, der exilierte Conrad Veidt ist in der Rolle eines deutschen Offiziers zu sehen. In Deutschland wurde der Film nicht gezeigt. 142 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 14.5.1934. 143 Das Büro der MORT in Moskau. 144 Vgl. Anm. zu Broadwin, 18.2.1936. 145 New Theatre League, ursprünglich League of Workers’ Theatres: 1932 bis 1942 Dachverband der amerikanischen Arbeitertheater mit Sitz in New York. 1936 bis 1938 gab die League die Zeitschrift Theatre Workshop heraus, deren Redaktionsbeirat Gorelik angehörte.

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Do you think it would work out better if we made our headquarters at Svendborg in case we could not all go to the Soviet Union? Is it more expensive to live there than here? How would it be for the baby? We are paying 350 kronen (about $96) per month for full pension in Stockholm. Frances feels that in Svendborg she would at least be seeing you and some of our people. And advice you can give us would be most welcome. I did not accept the offer of the Group Theatre to design the Piscator version of the “American Tragedy”, on official advice. It was felt that the Group Theatre must learn to put a proper valuation on my services and must stop attacking the wage standards of theatre workers. Please give our kind regards to Hanns Eisler and Mrs. Eisler, if they are with you. With our best greetings, Max Gorelik. c/o American Express Co. Stockholm Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/60–61.

Mordecai Gorelik an Helene Weigel Stockholm, 25.6.1936 bei American Express Company Stockholm, d. 25 juni, 1936. Liebe Frau Brecht! Wir telefonierten Ihre Freundin, Frau Korsch, und gingen nach Vigbyholm146, sie und Herrn Korsch zu besuchen. Herr Korsch erzählte uns alles über Svendborg, da sind wir desto mehr eifrig, einmal Svendborg anzusehen. Leider fürchten wir, es ist momentan nicht praktisch. Das Kind ist unwohl, und Frances und ich sind beide erschöpft. Frances ist noch Genesende, und kann nichts mehr als das Kind pflegen. Sie kann nicht kochen, und zweimal im Tage draussen gehen für Mahlzeiten ist ihr noch zu schwer. Auch möchten wir für wenigst kurze Zeit von Pensionen entrinnen. Frau Korsch sagte uns, wir können beim Vigbyskolan eine Weile bleiben; das haben wir entschlossen zu tun. Da Herr Korsch erwartet, bei Ihnen kürzlich zu besuchen, wird er Ihnen weiter erklären, was wir zur Not haben. Wir hoffen, es wird uns möglich werden, später im Sommer nach Svendborg zu fahren; vielleicht wird dann auch möglich sein, jemand zu finden, die mit der Haushaltung helfen kann. Das Baby wird die Reise besser aushalten 146 Viggbyholm ist ein Stadtteil von Täby, nördlich von Stockholm.

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und wir werden auch hoffentlich frischer sein. Das Kind ist ein Knabe, fünf Monate alt, er heisst Eugene. Wir bleiben Ihnen höchst dankbar für die Einzelheiten, die Sie geschickt, und hoffen ernst, wir werden Sie und Bert und Ihre Kinder diesen Sommer sehen können. Mit freundlichen Grüssen, Ihr Mordecai Gorelik Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/58.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 25.6.1936 Prag, den 25.6.36 Bert Brecht, London West Hampstead, 148 Abbey Road Lieber Brecht, Grete Steffin schrieb mir am 6. ds. [Monats] Deine Adresse. Dank für die Uebersetzung der beiden letzten Manuskriptstücke an die Vegaar. Ich habe angefragt, ob sie richtig eingetroffen sind. Was nun die Korrekturen anbetrifft, so habe ich keine. Ich bekam ein einziges Expl. kurz vor meiner Abreise. Ich wollte es nicht in der Eisenbahn mitnehmen. Ich hinterliess es bei Bredel, dessen Frau147 die Fahnen auf Druckfehler hin durchlesen wollte, und bat, sie dann gleich an Dich weiterzuschicken. Das scheint nicht, oder jedenfalls nicht rechtzeitig geschehen zu sein. Inzwischen habe ich längst die Vegaar gebeten, die Fahnen nochmals an Dich abzusenden. In grösster Verlegenheit bin ich wegen Grosz, der einfach nichts von sich hören lässt. Ich schreibe ihm heute und gebe als letzten Termin für den Eingang der Zeichnungen148 den 10. August an. Wenn sie bis dahin nicht eintreffen, muss ich leider von der Illustration Abstand nehmen. Das wirst Du einsehen. Vielleicht schreibst auch Du noch an ihn.

147 Lisa Bredel, geb. Elise Wilhelmine Calliees. 148 Vgl. Grosz, 10.10.1934.

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Der Name Borchardt wird, wie Du schreibst, wegfallen.149 Streiche ihn am besten selbst in den Korrekturfahnen. Ich habe übrigens die Vermutung, dass Borchardt es ist, welcher Grosz in ein ausgesprochen antibolschewistisches Fahrwasser lenkt. Jedenfalls las ich einen Brief von Grosz an Piscator, der wohl das Unsachlichste und Dümmste ist, was ich seit langem gelesen habe.150 Bei der Korrespondenz der Vegaar scheint Dir ein Irrtum unterlaufen zu sein, weil Du den Vertrag nicht zur Hand hattest. Der § 6 des Vertrages lautet: „Der Verlag ist berechtigt, der Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in Moskau das Recht einer deutschen Sonderausgabe zu geben, oder von Teilen daraus, und zwar nur zur Verbreitung in der UdSSR. In diesem Fall beträgt das Mindesthonorar pro „Autorenbogen“ 200 Rubel, zahlbar in Moskau, davon stehen dem Verlag 25% als Vermittlungsanteil zu“. Uebrigens ersiehst Du daraus, dass dieser Paragraph keineswegs nachteilig für Dich ist, denn die Vegaar hat doch wirklich versucht, ein viel niedrigeres Honorar, ich glaube 100 Rb. pro Bogen anzubieten. Meine Arbeit hat sich lange Zeit nur wenig vom Fleck gerührt, jetzt aber sieht alles wieder optimistischer aus, in den nächsten Tagen kommen neue Bücher heraus und vielerlei ist in Arbeit. Schreibe mir, ob Deine Adresse noch gültig ist oder an welche andere Adresse ich Dir evtl. die Bücher schicken soll (Smedley151, Graf 152, Hinrichs153, Bredel154, etc.). Ich freue mich, von Dir wieder zu hören. Herzliche Grüsse Wieland [Stempel:] MALIK-VERLAG Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/18.

149 Borchardt war Anfang des Jahres aus der UdSSR nach Deutschland ausgewiesen worden (vgl. Grosz, 12.2.1936). Offenbar wollte Brecht sich nun mit dessen Namen – Borchardt hatte an der Heiligen Johanna der Schlachthöfe mitgearbeitet – nicht seinerseits in Gefahr bringen. Das erwähnte Schreiben ist nicht überliefert. 150 Vermutlich der Brief vom 13.4.1936. Vgl. Grosz, Briefe, S. 240f. 151 Agnes Smedley (1892–1950), amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Ihr Buch China kämpft. Vom Werden des neuen China (deutsche Ausgabe von China’s Red Army Marches, New York 1934) erschien 1936 parallel im Malik-Verlag in London und bei der VEGAAR in Moskau. 152 Oskar Maria Graf, Der Abgrund, London 1936. 153 Klaus Hinrichs, Staatliches Konzentrationslager VII. Eine „Erziehungsanstalt“ im Dritten Reich, London 1936. Hinter dem Pseudonym Hinrichs verbirgt sich Karl August Wittfogel (1896–1988), der seit den 1920er Jahren als Soziologe und Sinologe für das Frankfurter Institut für Sozialforschung arbeitete. 1933 wurde er verhaftet und in einem KZ im Emsland interniert. 1934 floh er über Großbritannien in die USA. 154 Willi Bredel, Die Prüfung, London 1935.

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Erwin Piscator an Helene Weigel Moskau, 3.7.1936 Erwin Piscator Moskau, Nowoslobodskaja Dom 67, Quartier 150. Moskau, den 3. Juli 1936. Liebe Helly! Die Sache mit Engels155 macht sich. Brecht schrieb damals, Du wolltest Dir die Wolga ansehen, um Euren Daueraufenthalt dort nachzuprüfen. Es ist also Zeit, sich zur Reise fertig zu machen. Du könntest ungefähr Anfang September eintreffen, um zunächst in einigen Stücken aufzutreten, die zwar von anderen Regisseuren inszeniert wurden, nun aber doch von uns „werkgerecht“ gestaltet werden müssen. Damit verbringen wir die Vorsaison bis Dezember etwa. Dann soll das neue Programm beginnen. Im Augenblick ist natürlich alles noch etwas chaotisch, da wir, wie Du siehst, sehr spät, zur vorgerückten Jahreszeit, mit der Organisation beginnen müssen. Granach, Busch etc. werden Anfang Januar beginnen.156 Andere sind noch im Rodenbergfilm157 festgehalten, andere in Dnjepropetrowsk 158. Immerhin hoffen wir – wir, das sind Reich und ich – Reich sagt, das bin ich – (da ich auf einige Monate zu ungelegener Zeit nach einer anderen Richtung fahren muss), das Kind zu schaukeln. Was wir also von Dir wissen wollen: 1. kannst Du überhaupt? 2. Wann? 3. Kommst Du allein oder mit der Familie? 4. Wer ist die Familie, Du und die Kinder? 5. - ? – 6. Gehört Brecht auch dazu? 7. Kommt er also auch? 9.159 Kommt er allein? Vorher oder nachher? 10. Hat er ein neues Stück? Herzlichst Erwin. 155 Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936. 156 Alexander Granach hatte bereits einen Vertrag mit dem Jüdischen Staatstheater Kiew abgeschlossen. Auch Ernst Busch, der die deutsche Wolgarepublik bei einem Konzertgastspiel im Februar 1936 bereits kennengelernt hatte, sagte ab und ging bald darauf nach Spanien, um sich den Internationalen Brigaden anzuschließen. 157 Der Schauspieler und Regisseur Hans Rodenberg, eigentl. Rosenberg (1895–1978), seit 1932 stellvertretender Direktor von Meshrabpomfilm in Moskau, bereitete dort einen Film mit dem Titel Illegal vor (vgl. Anm. zu Steffin, Ende März 1936). Aufgrund der Auflösung des Studios im Juni 1936 mußten die Dreharbeiten nach nur wenigen Tagen abgebrochen werden. Die für die Besetzung vorgesehenen Schauspieler Hanni Rodenberg, Josef Almas und Rolf Schreiber kamen nicht nach Engels. Hans Rodenberg leitete später in der DDR die DEFA-Studios in Potsdam-Babelsberg. 158 Vom aufgelösten Deutschen Gebietstheater Dnjepropetrowsk gingen lediglich Friedrich Richter, seine Frau Emmy Frank sowie Curt Trepte nach Engels; Maxim Vallentin sagte zunächst ab. 159 „8.“ fehlt im Ts.

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Briefadresse: MORT, Reich, Moskau 9, Potschtowij Jaschtschik 1278. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/111. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 432f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Moskau, 3.7.1936 Moskau, 3. Juli 1936. Lieber Bert! Aus Brief an Weigel siehst Du alles. Ich muss leider jetzt wegfahren. Bernhard Reich vertritt mich aber, sodass Ihr alles mit ihm ausmachen könnt. Ich bin in P.160 Ich liess Dir doch schon nach London sagen und fragen, ob Du nicht auch dort sein würdest. Heute höre ich, dass Eisler Busch eingeladen habe zu einer Amerika-Tournee, das kommt uns sehr in die Quere. Wir brauchen Busch ganz unbedingt. Eisler wird doch auf jeden Fall, so hoffe ich, nach P. kommen. Ende August findet doch dort eine wichtige Beratung statt, an der er teilnehmen soll. (Wenn Du könntest, Du natürlich auch). Engels. Wir beginnen 1. Oktober. Der bisherige Ensemble-Stamm (Einheimische) hat im Sommer hier in Moskau „Was Ihr wollt“161 und ein russisches Stück 162 einstudiert. Ist Theaterschule. Um nun von vornherein einen anderen Wind ins Theater zu bekommen, wollen wir zunächst einige Rollen umbesetzen. Malvolio, Almas163 z.B. usw. Ab Januar, wo dem Theater neue Mittel zufliessen, sollen noch einige Schauspieler wie Granach, Busch etc. hinzukommen. Wir denken an ein Programm etwa: „Nathan der Weise“164, „Dreigroschenoper“ (Hast Du schon an eine Umarbeitung im Sinne Deines Romans gedacht oder irgend wie eine Veränderung), Wolf schreibt ein neues Stück: „Die Deutschen 1918 in der Ukraine“165, „Das Leben ruft“ von Bill-Bjelozerkowskij166; auch denken wir an „Die Hose“ 160 Paris. 161 Twelfth Night or What You Will (1601), Komödie von William Shakespeare. 162 Familie Wolkow von D.I. Dawurin. 163 Der Schauspieler Josef Almas (1883–1948) war für die Besetzung vorgesehen, kam aber nicht nach Engels (vgl. Anm. zu Piscator an Weigel, 3.7.1936). Er ging nach Großbritannien, später in die USA, kehrte nach Kriegsende nach Deutschland zurück. Die Rolle des Malvolio wurde von Friedrich Richter übernommen. 164 Nathan der Weise (1779), Schauspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 165 Das Stück von Friedrich Wolf wurde erst am 29.10.1937, nachdem auch die wenigen nach Engels gekommenen deutschen Schauspieler als „bourgeoise Nationalisten“ verleumdet und entlassen worden waren, unter dem Titel Peter kehrt heim uraufgeführt. 166 Žizn’ zovët (1934), Drama des ukrainischen Schriftstellers Wladimir Naumowitsch Bill-Bjelozerkow-

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von Sternheim.167 Das Programm hat für sich, dass es kleine Besetzung hat, das Ensemble untereinander verbindet. Ist natürlich nicht aufregend. An „Rundköpfe und Spitzköpfe“ möchten wir uns in dieser Saison noch nicht heranwagen. Nebenbei zu wenig Sowjetstücke. Vielleicht müsste man an Dramatisierungen denken von Scholochow „Neuland unterm Pflug“168 (es gibt schon eine, aber die ist schlecht). Welche Vorschläge hast Du? Du musst sofort schreiben, wann Du kommen willst, welche Arbeit Du Dir vorstellst usw. Reich wird Dir ausführlich schreiben können, nachdem er dort gewesen ist, er fährt in den nächsten Tagen. Ich werde Dir meine Adresse von P. aus mitteilen. Mache von dem Brief an Reich gleich einen Durchschlag. Für heute herzliche Grüsse. [Hs.] Dein Erwin. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/112–113. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 431f.

Babette Gross an Bertolt Brecht Paris, 8.7.1936 Paris, den 8. Juli 1936 Herrn Bert BRECHT Soovsbostrand [sic] per Svendborg Lieber Genosse Brecht, wir übersenden Ihnen mit gleicher Post das eben erschienene Buch „DAS DEUTSCHE VOLK KLAGT AN“169 und bitten Sie, es recht bald durchzulesen. Er wird hier zum ersten Mal der Versuch gemacht, zusammenfassend die Geschichte des Dritten Reiches zu geben, und wir glauben, dass dieses Buch besondere Beachtung verdient.

ski (Vladimir Naumovič Bill’-Belocerkovskij, 1885–1970). 167 Die Hose. Ein bürgerliches Lustspiel von Carl Sternheim (1878–1942) aus dem Jahr 1911. Sternheim lebte seit 1912 in Belgien und der Schweiz. 168 Der erste Teil des Romans Podnjataja celina von Michail Scholochow erschien 1932 in Moskau (deutsche Ausgabe: Neuland unterm Pflug, Zürich 1934). Eine Dramatisierung des Romans von W.M. Zurkin erschien 1933 in Moskau. 169 Vollständiger Titel: Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland: ein Tatsachenbuch, Paris 1936. Die Autoren dieses Gemeinschaftswerks blieben anonym, das Vorwort verfaßte Romain Rolland.

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Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns helfen könnten, diesem Buch eine starke Resonanz zu verschaffen. Vielleicht ist es Ihnen möglich, an irgend einer geeigneten Stelle darauf hinzuweisen. Vor allem würden wir uns aber freuen, wenn Sie uns in ein paar Zeilen Ihren Eindruck und Ihre Meinung mitteilen würden. Mit den besten Grüssen ÉDITIONS DU CARREFOUR Babettefrou Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: ÉDITIONS DU CARREFOUR Société à responsabilité limitée au capital de 500.000 frs. R.C. Seine 260.816 B. Chèque Postal: Paris 875-92 83, Boulevard du Montparnasse PARIS VIe ; BBA 477/63.

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht Viggbyholm, 18.7.1936

Viggbyholmskolan Viggbyholm, Sweden July 18, 1936.

Dear Bert, We have been at the Viggbyholm School ever since July 1st. Before leaving Stockholm we wrote to Mrs. Brecht for information on Svendborg, and she had the kindness to write us in detail. She also suggested that we talk with Mrs. Korsch, who was then teaching at Viggbyholm. We decided not to go to Svendborg for the time being, as the child was not well and we were both exhausted.I am leaving for the Soviet Union on August 17, by steamer from Stockholm to Leningrad. I have a month’s Intourist service. The New York Intourist has arranged for a reduced rate for the family ($50 per week), which is still very bad; it means that we will be spending about $600 or more of our own money (not Mr. Guggenheim’s170), and will be broke when we return to New York. However, there seems to be no choice about the matter: we have received no news to speak of from the Soviet Union. Piscator sent a note to us saying that the circumstances at present were unfavorable, but that something might possibly be arranged if I were in Moscow personally. I must confess that I feel bitter over the state of affairs. All kinds of doubtful people and even enemies are admitted and given an opportunity to work; whereas after years of self-sacrificing and useful work in the American theatre, I am given no opportunity to make some very necessary studies. I am fairly certain that even the $50 per week proposition will not do, as it would mean living 170 Gorelik hatte von der Guggenheim Memorial Foundation ein Stipendium erhalten (vgl. Anm. zu Gorelik, 1.6.1936).

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in a crowded Moscow hotel with the baby, with no way to do laundering or to prepare food for the infant. We have already been told that we will not be able to put the child in a nursery. While I am in Moscow I will look over the possibilities, and if it seems at all workable to bring the family there, I will do so. Otherwise we will forget all about our Soviet trip. Half of the time which I badly needed for my studies has gone into the struggle to get into the Soviet Union; if we finally give up the struggle, at least it will be off our minds. The article which I wrote on the Group Theatre171 was, in the end, completely rewritten by the New Theatre MAGAZINE, practically nothing but the title remains the same. At least I woke the New Theatre to the necessity for doing something about the matter. I think the version of the article is quite bad, and the secretary of the New Theatre League writes me that he thinks so too. My article on the Soviet Theatre is finally being printed by the New Masses; they sent me a letter saying they were sorry they had not printed it before. We certainly have a lot of blundering people, and not only in the Soviet Union! I wish to say that as regards you personally, your reception in America and the way the Theatre Union treated you and your play172 was an outrage. During our stay here I have had the opportunity to study, in addition to your articles, also your plays and essays (“Versuchungen”173, of which Mrs. Korsch had a copy). I have also done some reading on the subject of the Piscator-Brecht theatre, at the Stadsbiblioteket, in Stockholm. I am convinced now of the tremendous value of your work and essays. We in America know practically nothing about it; we still have a pig-stay of a theatre. These new theatrical conceptions will have to be fought for in America (and in the Soviet Union, too, I imagine). In case we do not manage to get to the Soviet Union at this time, I am very anxious to know if you will be at Svendborg after September, as I wish to talk over a number of matters with you. The article which I wish to write on your work and theories should be as solid as possible, as I intend it to be the opening wedge in the task of cleaning up the American theatre. I promise you that after I get through, you will have a different standing in America from the one that the Theatre Union gave you. We must have some more talks, in any case. By September, if I cannot take my family to Moscow, I want to take them to Svendborg; we are feeling better and will be able to do our own cooking and so on, and the baby will be able to stand the trip now. I have the idea of starting a school in New York, possibly in connection with a new producing company (in a small experimental way); this is one of the things I should like to discuss with you. I shall apply to the Guggenheims for a renewal of my fellowship. There may be a possibility of this, in which case we would not have to return to America until next spring. Please be kind enough to let me know what your plans are this fall. If I do not remain in the Soviet Union, and do not see you either, I will feel that most of my trip to Europe 171 Vgl. Gorelik, 1.6.1936. 172 Die Mutter. Vgl. Theatre Union, 29.8.1935 (und folgende). 173 Gemeint sind offenbar die Versuche.

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has been wasted. Our plans now depend on whether we can stay in Moscow or, failing that, whether I can spend some time with you. If neither should be possible, I will come back to Stockholm from Leningrad and we will then probably go to Vienna, Paris, and home. I hope things will not be as bad as that, but we have to be prepared in advance; with an infant every move is difficult. We are happy to say that the baby is well and strong. The New Theatre League is preparing to issue a quarterly magazine “of the theory, history and practice of the theatre arts.” They write me that it is to have the highest possible standard, and have empowered me to ask for articles. I therefore ask if I may have your permission to translate some of your essays, or to have them translated for this purpose. If there as anything special you should care to write. I will look after the matter for you. Frances and Eugene174 send you their kind regards and hope to hear from you as soon as you can write us. Please excuse the length of this letter. With all best wishes Max Gorelik. Could you please let us know where we can buy a set of your plays and essays, and about how much it would cost? Bert Brecht 148 Abbey Road Westhampstead, London. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/62–63.

Lola Sernau175 an Bertolt Brecht Sanary (Var), 24.7.1936 Dr. Lion Feuchtwanger

Sanary/Var, 24. Juli 1936 Villa Valmer

174 Sohn von Frances und Mordecai Gorelik. 175 Lola Humm-Sernau (1895–1990), Sekretärin Feuchtwangers.

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Lieber Herr Brecht, wir haben nur zwei Exemplare vom „Leben Eduard“176, die wir nicht gern ins Unsichere schicken wollen. Ich sende Ihnen daher das Schreiben des Herrn Kürti in der Annahme, dass Sie vielleicht mehr Exemplare besitzen. Mit besten Grüssen Lola Sernau [Anlage:] den 16. Juli 1936. Herrn Dr. Lion Feuchtwanger Sanary Sehr geehrter Herr Doktor, mein Freund Otto Zarek177 sagt mir, dass Sie uns sicher ein Buch von „LEBEN EDWARD II.“ abgeben können. Aus Deutschland erhalten wir nämlich den Bescheid, dass das Werk „vergriffen“ und „verboten“ sei. Da wir die Absicht haben dieses Stück im Laufe der nächsten Spielzeit vielleicht herauszubringen178, würden Sie uns einen grossen Gefallen tun, wenn Sie uns ein Exemplar schickten. Indem ich noch einen schönen Gruss von Herrn Zarek vermittle, zeichne ich mit Dank und vorzüglicher Hochachtung Paul Kürti Dramaturg des Innerstädter Theaters Überlieferung: Ts, m. hs. U.; BBA 478/78. Anlage: Ts, hs. Korr., hs. U., , Bv.: Belvárosi Szinház Igazgatóság – Budapest, Telefon: 1–880–24; BBA 478/79.

Grete Weiskopf179 an Bertolt Brecht Prag, 25.7.1936 Prag, den 25.7.36 176 Vgl. Anm. zu Steffin, 1.11.1935. 177 Otto Zarek (1898–1958), Schriftsteller, Literaturkritiker, Dramaturg und Regisseur. Floh 1933 nach Budapest, 1938 nach London. 1954 kehrte er zurück nach Berlin. 178 Eine Aufführung des Stücks am Innerstädter Theater in Budapest kam nicht zustande. 179 Grete Weiskopf, d.i. Margarete Bernheim (1905–1966), Pseudonym: Alex Wedding, österreichische

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Bert Brecht, Thurø per Svendborg, Danmark Lieber Herr Brecht, Herzfelde erhielt aus London einen Brief von G. Steffin. Er lässt darauf folgendes antworten: 1) Selbstverständlich müssen Sie Korrekturfahnen erhalten. Es wird von hier aus sofort in diesem Sinne an die Vegaar geschrieben. Herzfelde hat im Mai den fertigen Satz des ersten Bandes bereits in Händen gehabt. Wenn keine Korrekturen gesandt wurden, so ist das unverständlich und unbegründet. Selbstverständlich ist rasche Herstellung besonders erwünscht, daher lässt H. Sie bitten, die Korrekturen recht schnell auszuführen und zurückzusenden. 2) In bezug auf das Honorar der Vegaar-Ausgabe könne es Differenzen nicht geben, denn der § 10 des Vertrages zwischen Herzfelde und Ihnen sei ja vollkommen klar. Der Vertrag sieht übrigens ausdrücklich vor, dass Rbl. 200.-- à Bogen das Mindesthonorar sind. Tatsächlich pflegt die Vegaar vielfach schlechtere Honorare zu zahlen mit dem Hinweis darauf, dass sie ja nur kleine Auflagen drucke. In bezug auf Ihre Bände hat sie sogar eine Ermässigung des Honorars zu erreichen versucht, was Herzfelde selbstverständlich abgelehnt hat. Wenn Sie eine Erhöhung erreichen können, so wäre das nur erfreulich. 3) Grosz hat am 14. Juli geschrieben, er „klemme sich jetzt energisch hinter die Illustrationen“. 4) Eine Kopie dieses Briefes geht nach London an G. Steffin. Mit den besten Grüssen Ihre Grete Weiskopf Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/11.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Prag, 28.7.1936 Prag, 28.VII.36.

Schriftstellerin. Arbeitete in den 1920er Jahren in Berlin. Seit 1928 verheiratet mit dem Schriftsteller Franz Carl Weiskopf, mit dem sie 1933 nach Prag flüchtete. Dort arbeitete sie für den Malik-Verlag. Ging später über Paris nach New York. Nach Aufenthalten in Schweden und China übersiedelte sie 1953 in die DDR.

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Lieber Bert, heute fahre nach Paris. Nehme – wenns geht – in Lania’s Hotel – Royal-Madeleine, 26. rue Pasquier Wohnung. Bleibe dort bis zum 20.VIII. etwa. Komme dann zurück nach hier – bleibe bis zum 1. Sept. und fahre dann über Brüssel (3.-6.) nach Dänemark zu BB (Auf Deine Einladung hin – ) 1. Frage. Hatte hier wieder Angina. Ein Arzt will mir nun die Mandeln herausnehmen. Wahrsch. kostenlos. Das sollte ca. am 8.VIII. geschehen – damit ich bis zu der hier stattfindenden Besprechung (am 25.VIII.) wieder auf dem Damm sei. Nun erinnere ich mich, dass entweder Du oder Ottwalt mir von einem Euch bekannten Spezialisten180 in Kopenhagen (?) sprachen, bei dem man sehr gut aufgehoben wäre – der die Operation machen könnte. (Kostenlos?) In diesem Fall könnte ich das dann bei Euch machen lassen und nicht hier. (??) Gut – mir nach Paris mitzuteilen!! Dann: hast Du meinen Brief über Engels nicht bekommen? Ich sandte ihn nach Dänem., weil man mir sagte, Du seist schon dort?? Hier erzählte Anton Kuh181, Eure Pläne in L.182 seien wegen Geldmangel unterbrochen?? Du musst mir unbedingt auf diese Briefe umgehend antworten. Dein Brief war sehr nett: Du hast in Allem recht: tatsächlich kann Engels für uns ausschlaggebend wichtig werden.183 Wenn wir nicht eine Produktionsbasis erhalten, können sich auch unsere Theorien nicht entwickeln. Ich meinerseits habe keine mehr – Dein Träumer184 Erwin P. Überlieferung: Ms, BBA 477/107–110. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 435f.

180 Vermutlich Robert Lund. 181 Anton Kuh (1890–1941), Pseudonym: Yorick, österreichischer Schriftsteller und Journalist. Seit 1928 in Berlin, ging 1933 zurück nach Österreich, 1938 in die USA. 182 London. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936. 183 „Den Gedanken, ein großes Experimentaltheater zu machen, in dem wir unsere theatralischen Untersuchungen wieder aufnehmen und weiterführen können, finde ich großartig. Ich habe in New York gesehen, mit welcher Gier eine ganze Menge Menschen alles über die neue Technik aufnehmen. Diese Leute merken immer deutlicher, daß sie mit den alten Mitteln und dem kümmerlichen ideologischen Rüstzeug, das sie haben, die neuen Aufgaben nicht mehr lösen können“ (B. an Piscator, Anfang/Mitte Juli 1936, GBA 28, S. 557f.). 184 „Es ist ja grundfalsch“, schrieb Brecht in dem zitierten Brief, „daß wir für unsere Art, Theater und Film aufzufassen, keine Propaganda machen. […] Ich habe Stanislawskis ‚My Life in Art‘ mit Neid und Unruhe gelesen. Der Mann hat sein System in Ordnung gebracht und die Folge ist, daß sie in Paris und New York Stanislawski-Schüler werden. Muß das sein? Wir sind wirklich weltfremde Träumer“ (GBA 28, S. 558).

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen, August 1936] l.b., ich habe Dir von hier aus mindestens 5 oder 6 mal geschrieben, wieso findest Du dann, dass ich Dir nicht schreibe? und dass Du ja schreibst, obwohl Du einen einzigen brief schicktest? ich bin immer ungern in kopenhagen. die ersten tage, wo ich relativ viel zu tun hatte mit ärzten und der papiersache usw., ging es ja, aber jetzt fühle ich mich überflüssig und verlassen wie nie. muss es auch regnen? – der permin185 hat mir nochmals günstigen bescheid gegeben: blutsenkung, die damals, als ich in die SU ging, 38 war, ist auf 25 zurückgegangen.186 ich freue mich wirklich darüber. meine mutter187 über ihre ehe: warst Du eigentlich glücklich in Deiner ehe? ach gott, kind, ich habe doch regelmässig mein geld bekommen, wenn er verdient. wieviel verdient vater188 dann? das sagt er doch nicht. er gibt mir immer 25 mark, wenn er voll verdient. aber er muß ja auch richtig dafür was zu essen haben, er arbeitet doch so schwer. ohne fleisch kann er ja nicht auskommen. ..... ich meine, ist er denn nett zu Dir? ach, Du weisst doch, er kann ja nicht so richtig lachen. wie ich weggefahren bin, hat er mir nicht mal die hand gegeben, das ist bürgerlich sagt er. früher, ja, da hat er mich mit ins kino genommen. warst Du zuviel allein? wie mans nimmt. siehst Du, uns hat ja wirklich die partei auseinandergebracht. wir waren immer beide dabei, und abend für abend und sonntag für sonntag musste jeder seinen weg gehen. er sieht nicht gern, wenn ich lustig bin. mit den genossen wars aber lustig. dann sollte ich ja auch immer das abendbrot zur richtigen zeit fertighaben, wo doch die versammlungen manchmal so lange dauern. von deutschland erzählt sie mir nur, dass der ganze osten durch die olympiade schwer enttäuscht wurde.189 jeder der konnte (sie nicht, sie hat ja den schwamm), meldete platz 185 Behandelnder Arzt in Kopenhagen. 186 Die Gradangaben beziehen sich auf die Bestimmung der Blutsenkungsreaktion nach der Westergren-Methode. 187 Johanna Steffin. 188 August Steffin (1882–?). 189 Mit dem Osten sind vermutlich die östlichen Arbeiterbezirke Berlins gemeint. Die Olympischen Sommerspiele fanden vom 1. bis 16.8.1936 in Berlin statt. Boykottaufrufe etwa aus den USA und Frankreich blieben ohne Erfolg. Mit 49 teilnehmenden Nationen, darunter auch sämtliche westlichen Demokratien mit Ausnahme des republikanischen Spanien, markierten die Spiele einen neuen

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für einen oder 2 gäste an, das kostete 25 pfennig. und niemand hat einen gast bekommen, obwohl man sich auf die versprochenen verdienste hin ausgaben gemacht hatte. bloss die feinen gegenden und die bonzen haben leute bekommen. schön verdient hätte man ja, war[en] alles anständige preise. wenige unserer freunde melden sich noch. das letzte mal bekam sie eine unserer zeitungen zu weihnachten! niemand will den andern kennen und grüssen. es ist grau. [Hs.] Wirst Du mir schreiben. Denkst Du manchmal an mich? Deine Grete Überlieferung: Ts, hs. U., auf der Rückseite hs. Notizen; BBA 911/127–129. – E: Steffin, Briefe, S. 204f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 9.8.1936 Paris, 9.8.36. Lieber Bert, heute fahre ich zunächst nach Prag zurück – Denke Anfang September wieder hier zu sein – dann einen Kongress in Brüssel190 mitzumachen und Mitte September etwa bei Euch einzutreffen. Prag, Hotel Axa. Hier ist eine phant. pol. Hochspannung und eine ungeheure Stimmung – Aber – Von Helli ist sehr nett, dass sie mir meine Leibspeisen kochen will191 – Hoffentlich komme ich dazu sie zu essen – mit Euch gemeinsam – eh der Weltkrieg ausbricht192 – Herzlich Erwin. Überlieferung: Ms, BBA 477/106. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 437.

Rekord. Die Sowjetunion nahm nicht teil. Sozialistische und kommunistische Sportler aus 22 Ländern fuhren unterdessen zur „Volksolympiade“, die aus Protest gegen die Spiele in Berlin im Juli 1936 in Barcelona stattfand, aufgrund des beginnenden Bürgerkriegs jedoch nach wenigen Tagen bereits abgebrochen werden mußte. 190 Brüsseler Weltfriedenskongreß vom 3. bis 6.9.1936. 191 In einem undatierten Brief an Piscator hatte Weigel geschrieben: „B. freut sich sehr, dass Du kommen wirst, ich auch. […] Ich koch Dir dann Deine Lieblingsessen“ (ML/SIU, zit. nach Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 437). Piscator kam jedoch nicht nach Svendborg. 192 Anspielung auf den Schwejk (vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933), den er in Paris verfilmen wollte.

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Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht Stockholm, 18.8.1936 c/o American Express Co. Stockholm August 18, 1936. Dear Bert, Your reply193 to my letter of July 18th arrived a few days ago, along with a valuable letter from Fräulein Steffin. I should have answered her directly except that we have been very occupied with finding a place in Stockholm and moving in from the country. I understand that she is at Svendborg by this time; will you therefore give her our thanks for the information she sent? Frances and I were both very sorry to hear your illness, which sounds like a most troublesome one. We hope, now that you are at home, you will be feeling very much better. Eugene is feeling fine, and Frances is better, but I have been sick the past few weeks. I intended originally to leave for the Soviet Union on August 17th, but received a letter from Ben Blake, the American representative of the IURT194, who wrote that there would be no theatre people in Moscow until September. This gave me a chance to get a much-needed rest. I am leaving now on the 25th. Blake writes that the IURT no longer exists officially and that I cannot even get paid for an article I wrote for International Theatre. I originally bought a month’s Intourist service in New York. However, if things continue to look bad, I may not even stay beyond the period of the Theatre Festival. Frances and I both feel that the idea of staying in the Soviet Union on an Intourist basis is very unsatisfactory from every point of view, particularly in view of what Fräulein Steffin has written us. We are exhausted by the struggle to make arrangements to stay in the Soviet Union; unless I can make such arrangement while I am in Moscow (which seems quite improbable), we will give up this attempt. The chances are therefore that I will return to Stockholm before October 1st, and will then wish to take the family to visit you at Svendborg. In the meantime I have applied for an extension of the Guggenheim fellowship. If the extension is granted, we will stay on in Europe until the spring: if not, we will start for home about November 1st. The New Masses, after keeping my article on the Soviet Theatre195 from April until August, and notifying me twice that it would be printed, has not printed it after all. Just why, I have no idea. It seems to me unscrupulous, and I must admit I am not a politician and do not know how to deal with these matters.

193 Nicht überliefert. 194 International Union of Revolutionary Theatre: engl. Bezeichnung der MORT. 195 Vgl. Gorelik, 1.6.1936.

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The New Theatre League, somewhat to my surprise, notified me that I have been elected editor of the scenic department of its new magazine, Theatre Workshop, about which I wrote you last time.196 In replying to the NTL, I mentioned the fact that you were not properly received in New York. Theatre Arts Monthly is printing my review of the Danish play Melodien197, in which I point out that the play uses elements of the Brecht-Piscator technique, and that this technique is demonstrably a practical stage form, and not a theory. (You will perhaps remember that the technique of Mother was ridiculed in this same magazine). Kindly give our regards to Mrs. Brecht. By this time she knows just what kind of accommodations we need; it will help us very much indeed if within the next few weeks she can learn of a good place for us to stay. With best wishes, Max Gorelik Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/59.

Grete Weiskopf an Margarete Steffin Prag, 21.8.1936 Prag, den 21.8.36 Grete Steffin, c/o Per Knutzon, Kopenhagen, Nyelandsvej 82 Liebe Grete Steffin, Herzfelde hat auf Grund Ihres Briefes vom 18.8. sogleich an drei verschiedene Stellen in M.198 geschrieben, damit die Korrekturen endlich geschickt werden.199 Dass es nicht längst geschehen ist, begreift er nicht, denn er hatte sie schon im April in Händen, als er noch drüben war. Hoffentlich sind sie nicht infolge des mehrfachen Adressenwechsels von Brecht verloren gegangen. Sobald eine Antwort auf die Briefe nach M. eintrifft, erhalten Sie Nachricht. Zur Honorarfrage für die Vegaar-Ausgabe: es ist ein Irrtum, wenn Sie annehmen, Herzfelde wünsche, dass Brecht mit der Vegaar nicht direkt abschliesse. Im Gegenteil. Seine Vereinbarungen mit der Vegaar stellen lediglich einen Schutz der Autoren dar, die szt. von der Vegaar sehr oft nachgedruckt wurden, ohne dass überhaupt ein Vertrag abgeschlossen wurde, oder Honorar bezahlt wurde. Auf Grund dessen sieht der Vertrag zwischen Herz196 Vgl. Anm. zu Gorelik, 1.6.1936. 197 Vgl. Anm. zu Steffin, 12.11.1935. 198 Moskau. 199 Vgl. B. an Bork, 20.7.1936, GBA 28, S. 559f.

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felde und Vegaar ein Mindesthonorar vor, das den Autoren zusteht; wenn es den Autoren gelingt, die Vegaar zur Zahlung eines höheren Honorars zu bewegen, umso besser. Nicht unerwähnt darf aber bleiben, dass die Vegaar gerade in Fragen des vorliegenden Buches an Herzfelde sich gewandt hat, um hier ein niedrigeres Honorar als generell festgesetzt, zu erreichen mit Hinweis darauf, dass die Auflage der Theaterstücke sehe niedrig sei. Das hat Herzfelde selbstverständlich abgelehnt. Mit bestem Gruss Grete Weiskopf PS: Eine Kopie des Briefes sende ich gleichzeitig an Bert Brecht. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/16.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht 24.8.[1936] 24.VIII. lieber brecht, leider hast du mir auf meinen letzten brief nicht geantwortet und auch nichts geschickt. vergiss nicht an die sachen für edwards. ich lege dir einen Brief bei, den ich heute von knutzon bekam. was die musik anbelangt200 steht die sache sehr schlecht. ein arrangement für 4 instrumente ist unmöglich, hingegen ist eines für 2 klaviere eher möglich. ich selbst bin nur so beschäftigt, dass ich es unmöglich machen kann. ich schlage einen kompromiss vor, ich bitte dich ihn zu unterstützen. man soll wenigstens 8 tage die musik in der originalbesetzung spielen. das ist für eine uraufführung wohl unerlässlich. ich muss die möglichkeit haben die musik für kurze zeit im original vorführen zu können. inzwischen kann mortensen201 eine bearbeitung für 2 klaviere machen, die ich kontrollieren und verbessern werde, eine andere möglichkeit sehe ich nicht. mit 4 instrumenten kann ich nicht einmal meine overtüre aufführen, geschweige denn lieder wie „lob des geldes“ oder „tünchnerchor“.202 wie du aus dem brief siehst, habe ich noch keinen vertrag bekommen, vielleicht kannst du mir die bedingungen mitteilen. 200 Die Musik zur Uraufführung der Rundköpfe und Spitzköpfe im Teatret Riddersalen in Kopenhagen. 201 Otto Mortensen (1907–1986), dänischer Komponist. Die angesprochene Klavierfassung wurde schließlich von Borge Roger-Henrichsen angefertigt. 202 Gemeint sind das Lied von der belebenden Wirkung des Geldes und Das Lied von der Tünche aus den Rundköpfen und Spitzköpfen (GBA 4, S. 211–213 u. 172f.).

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ich hoffe du fühlst dich wohl, nach dieser scheusslichen londoner zeit203 und bist schon fest bei der arbeit. ich habe im atelier sehr viel zu tun, trotzdem bin ich schon tief im dritten satz meiner symphonie204, mit der ich sehr zufrieden bin. bitte lasse doch bald von dir hören. mit den herzlichsten grüssen dein alter [Hs.] Schreib mir bitte Adresse von Herzfelde, wegen Noten zu „Rundköpfen“ ist es wichtig. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; BBA 479/9. – E: Eisler, Briefe, S. 119.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht [24.8.1936] lieber Brecht, das ist der zweite brief den ich heute schreibe und das zweite lied 205 das ich heute wegschicke. ich glaube dass es gelungen ist. die wirkung daran liegt, dass die musik furchtbar gemein und ordinär ist. das muss eine dicke versoffene vettel singen mit resten von tizian206 schönheit. musikalisch leicht zu singen aber schwer vorzutragen. sehr frei im tempo. diese beiden lieder habe ich jetzt nur für ein klavier gemacht. der bearbeiter soll das für 2 klaviere ganz kabarettmässig aussetzen. wobei beim ersten lied der blues charakter und beim zweiten lied der bänkel charakter herauskommen soll. diese beiden stücke die sich sehr von der anderen musik unterscheiden, bringen sicher etwas spass in diese düstere angelegenheit. hoffentlich werden die texte so übersetzt dass ein gewisser spass auch in den worten heraus kommt. zu erwähnen bleibt noch, dass in diesem lied, das ich beilege, das hauptmotiv von „Tristan und Isolde“ von richard wagner als begleitung verwendet wurde, denn man soll die meister immer dort ehren wo es notwendig ist. herzliche grüsse Eisler Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 479/1. – E: Eisler, Briefe, S. 119f.

203 Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936. 204 Seit 1935 arbeitete Eisler an seiner Deutschen Symphonie. 205 Für die Kopenhagener Aufführung hatte Eisler seine Bühnenmusik um zwei Stücke erweitert: Nannas Lied und das Kuppellied (GBA 4, S. 168f. u. S. 239f.). 206 Tizian (ca. 1490–1576), Maler der venezianischen Renaissance.

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Per Knutzon an Bertolt Brecht Kopenhagen, 26.8.1936

København F., d. 26.8.1936

Lieber Brecht, warum hast Du nicht an Eisler geschrieben? Alle Raeder stehen still. Wir koennen nicht mit Probe anfangen, weil wir keinen Klavierauszug haben, wir wissen nicht, ob er einverstanden mit Kontrakt ist usw. usw. (bitte sieh Dir die Einlagen an – schicke sie uns zurueck.) Ausserdem hat der Otto Gelsted lange gewartet, um die 2 Szenen (die beiden Advokaten und das Lied der Judith207) gleich einzusetzen. Wir sind in Verbindung mit einem Mann, der faehig ist, Koepfe in einem dazu geeigneten Material zu bauen. Ich habe schon eine Probe, und ich kann sagen, das gefaellt mir. – Der Svend Johannsen208 hat schon ein paar Dekorationen gemacht und es sieht sehr gut aus. Ich glaube, dass die Aufgabe geloest werden kann, dekorationsmaessig, nur ist es schwer, die Strasse auf so einer kleinen Buehne aufzubauen. Aber das geht. Ich fange am dienstag. 1. Sept. mit Leseprobe an, und dann die ersten 3, 4 Tage Gesangsproben, weil ich leider zu gleicher Zeit Doublierunsproben fuer Melodien habe.209 Wann kommst Du? Die Grete wohnt bei Lulu 210 draussen auf dem Lande. Sie ist dicker und braun geworden. Du musst mir versprechen, sofort an Eisler zu schreiben, mir gleich zu schreiben, wegen Lied, Szene und wie die Verstaendigung zwischen Dir und Eisler gedeiht. (Vertrag, 4 Musiker, Klavierauszug.) Herzliche Gruesse auch an Helli, Dein Per. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/18.

207 Gemeint ist Nannas Lied (GBA 4, S. 168f.). Die Figur der Nanna hieß in früheren Fassungen Judith. 208 Der dänische Maler und Bühnenbildner Svend Johansen (1890–1970) entwarf, unterstützt durch Ideen von Mordecai Gorelik, der einigen Proben beiwohnte, das Bühnenbild zur Kopenhagener Aufführung der Rundköpfe und Spitzköpfe. 209 Vgl. Steffin, 12.11.1935. 210 Lulu Ziegler.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 26.8.1936 Paris den 26 Aug. 36. Lieber Brecht, Ich danke Ihnen für den Brief.211 Das Expose „Die Denkaufgabe“212 finde ich ausgezeichnet. Filmisch ist es sicher nicht so leicht darzustellen, vor allem wird es schwierig sein, die Zuschauer in den Denkprozess zu verwickeln. Das finde ich an der Geschichte das Wichtige und das Interessante, daß der Zuschauer zum Denken gezwungen wird. Man kann es auch einfach spannend machen, nur fürchte ich, daß es dann langweilig wird. Das Manuskript müsste man mit Ihnen genau ausarbeiten, denn man muß manches noch überlegen. Es wäre sicher sehr interessant einen solchen Film zu machen, deswegen werde ich mich bei Richter, der diese Kurzfilm Produktion finanzieren will, sehr stark dafür einsetzen. Sicher wird es Ihnen mit der Denkaufgabe so ergehen, wie mir mit den „Seifenblasen“.213 Ich habe den Film überall als einen lustigen Film angeboten, so wie ihn gedacht habe. Alle fanden aber meine Ansicht über den Film lustig und nicht den Film selbst. Nur der französische Verleiher, ein Prolet, sagte mir neulich, er werde einen grossen ernsten Film mit meinen lustigen Film koppeln, um das Program für ein Kino komplet zu bekommen. Es ist bis jetzt der erste und der einzige Mensch, der meiner Meinung ist und meinen Film wirklich lustig findet. Richter sehe ich später als beabsichtigt war, weil ich mich vorbereite nach Spanien zu fahren.214 Ich hoffe sogar schon nächste Woche zu fahren, wenn nur bis dahin die Geld und Passangelegenheit geregelt sind. Ich melde mich bei Ihnen noch, wenn ich abfahre. Wegen den „Feigling“215 und den anderen Plänen schreibe ich Ihnen nach der Rückreise. Schade daß Sie so weit wohnen und ausserdem ist die Fahrt ziemlich teuer. Ich würde gern zu Ih-

211 Nicht überliefert. 212 Dieser vermutlich 1933/34 entstandene Entwurf (GBA 19, S. 361f.), der sich thematisch deckt mit der Geschichte Freundschaftsdienste aus den Geschichten vom Herrn Keuner (GBA 18, S. 437), war offenbar für ein gemeinsames Filmprojekt mit Hans Richter gedacht. Vgl. Richter, 18.9.1934. 213 Vgl. Dudow, 29.9.1934. 214 Mit der Militärrevolte in Marokko am 17.7.1936 begann der Bürgerkrieg in Spanien, in dem die klerikalfaschistische Falange unter der Führung des Generals Francisco Franco gemeinsam mit Verbündeten aus Deutschland und Italien die republikanische Regierung zu stürzen versuchte, die ihrerseits von Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten, zudem von den Internationalen Brigaden, einer von der Komintern zusammengestellten Freiwilligenarmee, unterstützt wurde. Wie Dudow fuhren damals zahlreiche Exilanten nach Spanien, um sich den republikanischen Kampfverbänden anzuschließen. 215 Vgl. Anm. zu Lania, 5.1.1935.

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nen kommen auf einigen Wochen, um all die Sachen persönlich zu besprechen. Hoffentlich liesse sich nach meiner Reise aus Spanien realisieren. Bitte schicken Sie mir 2 Exemplare von „5 Schwierigkeiten die Wahrheit zu schreiben“, weil ich sie für eine Zeitschrift brauche, wo sie ev. abgedruckt werden.216 Sollten Sie jemand in Barcelona und Madrid kennen, der mir behilflich sein kann, schreiben Sie mir bitte deren Adressen und ev. paar Zeilen dazu. Grüssen Sie bitte Benjamin. Herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ms, BBA 478/45–46.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 4.9.1936 Paris den 4 Sept. 36. Lieber Brecht, ich bin mit meine Sache mit Richter noch nicht mal soweit gekommen, wie Sie mit Kortner.217 Leider. Er ist zu Zt. in der Schweiz und bereitet verschiedene Manuskripte für seine Produktion vor. Gelegentlich hatte ich ihm einen Stoff von mir erzählt. Jetzt bekomme ich einen Brief von ihm, ich soll ein Manuskript von diesen Stoff an Hans Richter Film Zurich ... schicken, jedoch liege die Entscheidung bei anderen Leuten, die ich nicht kenne, irgend welche Geschäftsleute. Meiner Meinung nach sind diese Geschäftsleute, die angeblich die Entscheidung treffen nur der vorgeschobene Riegel, hinter dem sich Richter versteckt. Da ich mir von so einem Spiel nicht viel verspreche, habe ich Richter beim Wort genommen und mich an den Plan desintere desinteressiert, weil ich nicht bereit bin unter dieser Bedinung mitzumachen. Dazu kommt, daß Richter auch zu den Freunden gehört, mit dem man nur mit zugeknöpften Hosentaschen verkehren kann. Unvorsichtiger weise habe ich ihm etwas von meinen Plänen erzählt. Inzwischen versucht er in veränderter Form davon Gebrauch zu machen. Was soll ich mit Ihrer „Denkaufgabe“218 machen? Soll ich sie an Richter schicken oder nicht? Ich habe ihm bis jetzt noch nicht geschrieben, weil er ev. nach Paris kommen wollte,

216 Die Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit waren, nach der Publikation in Unsere Zeit im August 1935, auch als Sonderdruck des SDS erschienen. 217 Anspielung auf Brechts Filmarbeiten in London. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936. 218 Vgl. Anm. zu Dudow, 26.8.1936.

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so daß ich persönlich mit ihm die Produktions Pläne besprechen wollte, darunter auch über Ihre „Denkaufgabe“. Vor kurzer Zeit ist „Kuhle Wampe“ in Zurich, wie man mir geschrieben hat, mit grossem Erfolg gelaufen. In Paris läuft er ab und zu in kleinen Kinos, sehr oft in die arbeiter Veranstaltungen. Eine private Geselschaft wertet den Film ohne die genügende Rechte zu haben, aus. Haben Sie die Verträge mit Prometheus219 wo wir uns noch verschiedene Rechte vorbehalten haben? Auch andere Abmachungen, die Casper220 später mit Höllering221 gemacht hatte? Meine sind alle z.Zt. in Berlin von der Gestapo mit beschlagnahmt. Schicken Sie mir bitte p. Eingeschriebenen Brief, alle diese Verträge, weil ich etwas unternehmen will um uns an der weiteren Auswertung des Films zu beteiligen. Neulich sah ich ein Reportagefilm über den 1 Mai in New York. Neben die Internationale dominierte das Solidaritätslied. Mit meiner Reise nach Spanien ist es nicht sehr leicht. Es ist mir noch nicht gelungen die finanzielle Seite zu sichern. Vorläufig mache ich in dieser Hinsicht die letzten Versuche, damit ich möglichst bald abfahren kann. Die spanischen Ereignisse haben ganz Frankreich aufgewühlt. Ungeheuer wichtig ist dabei die Feststellung, daß die Arbeiter wenigstens in Frankreich, die Bedeutung der Waffen verstanden haben. Die Verzweiflungskämpfe der fast waffenlosen Bergarbeiter in Badajoz war das Warnungsbeispiel.222 Sie können schon jetzt auf den Strassen von Paris beobachten, welche gierige Blicke die Arbeiter auf die Waffen der vorbeimarschierenden Soldaten werfen. Dieser Blick ist der wichtigste und der wird nicht ohne Folgen bleiben. Schade, daß Sie so weit sind, sonst hätte ich vorgeschlagen, wenn Sie Zeit haben, eine Sache über dieses Thema zu machen.223 Es ist ungeheuer wichtig und sehr lehrreich. Ich hoffe bald von Ihnen zu hören herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ms, von fremder Hand: „geantwortet“; BBA 478/43–44.

219 Die von Münzenberg im Namen der IAH 1926 in Berlin gegründete Prometheus Film-Verleih und Vertriebs-GmbH hatte u.a. den Film Kuhle Wampe produziert. 220 Der Rechtsanwalt Paul Casper hatte Brecht im Prozeß gegen die Nero-Film AG verteidigt (vgl. Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933). 221 Der Jurist Georg Höllering (1896–1968) war Produktionsleiter der „kleine[n] Gesellschaft“ (GBA 21, S. 545), die den Film Kuhle Wampe produzieren sollte. 1937 ging er ins Exil nach Großbritannien. 222 In Bardajoz in der südwestspanischen Provinz Extremadura hatten die Franco-Truppen am 14.8.1936 nach ihrem Sieg in der Schlacht ein Massaker an republikanischen Kämpfern und Zivilisten verübt. 223 Brecht griff diesen Vorschlag später auf: Im Frühjahr 1937 entwarf er, ausgehend von einer nicht realisierten Filmidee (vgl. Anm. zu Oliver-Brachfeld, 8.5.1937), zusammen mit Steffin ein Stück über den Spanischen Bürgerkrieg; ein erster Entwurf unter dem Titel Gewehre über Bilbao lag Anfang Juni vor. Nach weiteren Umarbeitungen im August wurde das Stück umbenannt in Die Gewehre der Frau Carrar. Unter Dudows Regie wurde es im Oktober 1937 in Paris uraufgeführt.

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Frances Gorelik an Bertolt Brecht Stockholm, 10.9.1936 Rödmansgatan 9 Pensionat Unman Stockholm, Sweden Sept. 10, 1936. Lieber Brecht: I hoffe dass sie sind sehr gesund jetzt. Haben sie erholten die briefe von Max letzte monat? Entschuldig mir weil ich schreibe slecht deutsch. Max is jetzt in Moscau. Er schreibt das die leute sind sehr freundlich zu ihm. Friedrich Wolf ist sehr interessant zu helfen Max arbeit zu bekommen und ein arbeit-visa damit. Er geht mit Max zu organizationen und leute, man soll es tun. Bis heute abend spielt die theatre festival.224 Als das ist geendet, hat Max mehr zeit zu besuchen organizationen. Er hat gar nicht zu mir geschrieben von Piscator und ich weiss nicht ob Piscator is dort. Ich hoffe sehr viel dass es ist möglich für uns nach Moscau zu gehen bald. Es ist schwer in ein fremdes land, wenn man nicht hat freundin. Ich Moscau haben wir vielen freund von America und ich wird es mehr interessant finden als hier. Max fragte mich in seinem briefen ob sie haben noch geantwortet. Bitte schrieben sie uns wie schnell sie können. Weil wann es ist nicht möglich nach Moscau zu gehen, dann wollen wir nach Denmark kommen, mit ihen zu begegnen, bevor wir fahren züruck nach America. Max hatte dass zu ihnen geschrieben in seinem brief. Eugene ist ein sehr süsses kind. Es wird mich freuen wann sie ihm können sehen. Mit grüssen to ihr frau, Fraulein Steffin, und auch Herr Korsch, wenn er ist noch dort, Frances Gorelik Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/56.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht [San Remo, ca. 27.9.1936] Lieber Brecht, unverzüglich, wenn auch in Kürze, sollen Sie erfahren, daß der Stand der Übersetzungsangelegenheit unverändert ist. Charles Wolf hat auch in den Sommermonaten nichts von sich hören lassen.225 224 Das IV. Moskauer Theaterfestival (1. bis 10.9.1936). 225 Betrifft die geplante französische Ausgabe des Dreigroschenromans. Als Übersetzer war ursprünglich

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Soviel habe ich bei meinem pariser Aufenthalt, der nur ein paar Stunden dauerte, auf den ESI feststellen können. Gleichzeitig habe ich mir dort einige Bücher mitgeben lassen, um hier den zweiten pariser Brief zu beginnen.226 Im Mittelpunkt wird der Sammelband A la lumière du marxisme227 stehen, der, wie Sie mit Recht vermuteten, einiges Interessante enthält. Vielleicht werde ich noch einen zweiten Sammelband, der kürzlich in demselben Verlag unter dem Titel La querelle du réalisme228 herauskam, dazu nehmen. Ich habe Bredel davon verständigt. Wenn ich anfang Oktober nach Paris zurückkomme, werde ich mit meinem Übersetzer, Klossowski229, über den Dreigroschenroman sprechen. Wie steht es mit den Spitzköpfen? Es muß nun bald die Premiere sein.230 Hoffentlich sind Sie mit der Aufführung zufrieden. Es wäre ausgezeichnet, wenn Sie das Stück in Kopenhagen durchsetzen, dann ist ihm der weitere Weg und allem andern sein Platz in Kopenhagen sicher. Berichten Sie mir doch bitte mit einem Wort, wenn es soweit ist. Hier war es in der ersten Woche so heiß, daß man nur bei geschlossenen Fensterläden sich in den Zimmern aufhalten konnte. Seit es erträglicher ist, hat nichts mich abhalten können, einige „Aussichtspunkte“ zu erklimmen. Freilich würde diese Manifestation in meinen Augen ihr volles Pathos erst dann haben, wenn ich bis Skovsbostrand gucken könnte. Dorthin eine Korsch angehende Bitte: er möchte mir das Manuscript von SohnRethel231, das ich ihm zum Geburtstag „geschenkt“ habe und mitzunehmen vergaß, nach Charles Wolff vorgesehen (vgl. dessen Brief vom 30.11.1934). Brecht hatte nun der Éditions Socialistes Internationales in einem Brief vom 20.7.1936 vorgeschlagen, die Angelegenheit mit Benjamin zu besprechen (GBA 28, S. 561). 226 Mit seinen Richtlinien für die Literaturbriefe der Zeitschrift „Das Wort“ (GBA 22, S. 188) hatte Brecht eine Diskussion über die Literatur verschiedener Länder anzuregen versucht. Benjamin sollte über Literatur und Kunst in Frankreich berichten. Der erste Pariser Brief, „André Gide und sein neuer Gegner“, erschien in Das Wort, Heft 5/1936. Der zweite, „Malerei und Photographie“, blieb unveröffentlicht (beide jetzt in BGS III, S. 482–507). Außer Benjamins erstem Pariser Brief wurden keine weiteren Literaturbriefe in der Zeitschrift publiziert. 227 Der von einem Autorenkollektiv herausgegebene Sammelband (mit einem Vorwort von Henri Wallon) erschien 1935 bei Éditions Socialistes Internationales in Paris. 228 Der 1936 erschienene Sammelband dokumentiert die französische Auseinandersetzung um den Realismus in Literatur und Kunst; daran beteiligt waren u.a. Louis Aragon, André Malraux und Fernand Léger. 229 Pierre Klossowski (1905–2001), französischer Schriftsteller, Maler und Übersetzer. Den Dreigroschenroman übersetzte er nicht. 230 Vgl. Benjamin, 4.11.1936. 231 Der Nationalökonom und Philosoph Alfred Sohn-Rethel (1899–1990), den Benjamin bereits seit den 1920er Jahren kannte, war damals um eine Stellung am exilierten Frankfurter Institut für Sozialforschung bemüht. Der zu diesem Zweck vorgelegte Entwurf zu der später ausgearbeiteten Theorie über den Zusammenhang von Warenform und Denkform, das sogenannte Luzerner Exposé (jetzt in: A.S.R., Soziologische Theorie der Erkenntnis, Frankfurt/M. 1985), wurde von Horkheimer, Adorno und Benjamin kontrovers diskutiert – jedoch ohne Erfolg für Sohn-Rethel. Von der Schweiz, wohin

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Paris XIV 23 rue Bénard zurückschicken. Sehr dankbar wäre ich ihm, wenn er ein kurzes begutachtendes Wort damit verbinden würde. Das Manuscript liegt augenblicklich dem Institut für Sozialforschung vor. (Ich bitte um die Absendung nicht vor dem 7ten Oktober.) Ich sende Ihnen und Heli herzliche Grüße Ihr Benjamin Überlieferung: Ms, BBA 478/1–2. – E: Zur Aktualität Walter Benjamins, hrsg. v. S. Unseld, Frankfurt/M. 1972, S. 39f. (jetzt in: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 387f.).

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 29.9.1936

Paris 29. Sept. 1936. rue Pasquier 20. Hotel Royal Madeleine.

Lieber Bert, noch immer ist meine Abreise ungewiss, sodass ich nichts von mir hören lassen konnte. Ich habe aber die feste Absicht Euch zu besuchen. Es kann aber spät, vielleicht sogar November werden. Leider steht die Sache in E.232 nicht gut. Einen Teil der Schuld scheint dabei auch Reich zu haben. Er wurde zwar krank – das ist entschuldbar – aber er spielte selbst mit dem Gedanken wegzugehen, wenn ich zurückkäme – und das aus sehr nebensächlichen Gründen (drüben sehr nebens. Gr. – ) Es wäre gut, wenn Du ihm einige aufmunternde Zeilen über die Wichtigkeit dieser Arbeit zugehen lassen würdest – Du hättest gehört, er wolle weg ... etc. ... Hier gibt es natürlich eine Menge Dinge – die auch für Dich hoffentlich interessant zu werden versprechen – Aber Du weisst ja – die Leute brauchen Zeit. – Und die Zeit selbst und noch weniger die Ereignisse bleiben keine Minute stehen ... Und Viele sagen, ich soll auf jeden Fall hier und in Amerika arbeiten. Natürlich, wenns geht – nicht nur „nicht schlecht“ – sondern notwendig – Aber sehr ungern würde ich auf Engels verzichten. Stec-

er im Februar 1936 geflüchtet war, nachdem er noch bis 1936 für den Mitteleuropäischen Wirtschaftstag in Deutschland gearbeitet hatte, ging er über Frankreich nach Großbritannien. Durch Vermittlung Oskar Negts erhielt er 1972 eine Gastprofessur in Bremen. 232 Engels. Vgl. Piscator an Weigel, 3.7.1936.

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kel, Kalser233, Otto234, der Bühnenbildner – alle wollen kommen. Sogar Wallburg235 – was hältst Du davon?236 Dudoff 237 traf ich. Schreib mir doch, old fellow-Freunde gibt’s nicht viel – was Du meinst? Erwin. Überlieferung: Ms, von fremder Hand: „geschr. 7/8.“; BBA 477/104–105. – E: Piscator, Briefe, Bd. 1, S. 458.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 14.10.1936 14. Ok. 36 Lieber Brecht entschuldige, wenn ich erst jetzt antworte, aber Piscator war hier u. viel im Film zu tun etz. Vor allem: Es freut mich sehr, daß Euch das eine Lied gefällt. Das andere, das sehr komisch u. grotesk gemeint war, scheint mir nicht schlecht.238 Selbstverständlich bin ich bereit es noch einmal zu machen, aber ich glaube daß Dir auf den Proben der Spaß vielleicht verständlicher sein wird, als beim ersten mal. (Vielleicht schreibst Du noch ein paar Zeilen darüber.) Wie geht es sonst mit dem Stück? Und mit der Musik? Ich bin etwas nervös ob es klappen wird. Auch da würden mich einige Zeilen sehr beruhigen. (Wie singen denn die Männer? Hoffentlich laßt Ihr die „Missetat“ u. „Was man hat, hat man“ nicht aus.239) 233 Der Schauspieler und Regisseur Erwin Kalser (1883–1958) hatte mit Piscator schon am Theater am Nollendorfplatz in Berlin zusammengearbeitet. Seit 1933 im Exil in der Schweiz, ab 1939 als Filmschauspieler in Hollywood. 1946 wieder in Schweiz, ab 1952 in Westberlin. 234 Teo Otto (1904–1968), Maler und Bühnenbildner, vormals an der Berliner Kroll-Oper tätig, seit 1933 im Exil in der Schweiz. Entwarf auch das Bühnenbild zur Mutter Courage 1941 in Zürich. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er für zahlreiche Theater weltweit, u.a. für das Berliner Ensemble. 235 Der Schauspieler Otto Wallburg (1889–1944) arbeitete in den 1920er Jahren u.a. für Max Reinhardt am Deutschen Theater Berlin, seit 1926 auch als Filmschauspieler für die Ufa. 1934 floh er nach Österreich, 1938 über Frankreich in die Niederlande. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde er verhaftet und nach Theresienstadt, von dort weiter nach Auschwitz deportiert, wo er 1944 ermordet wurde. 236 Vgl. B. an Piscator, 12.10.1936: „Ich denke, Du weißt, daß Du auf mich rechnen kannst, und ich rechne mit Dir“ (GBA 28, S. S. 562). 237 Slatan Dudow. 238 Gemeint sind Nannas Lied und das Kuppellied (vgl. Anm. zu Eisler, 24.8.1936). 239 Das Chorlied von der nützlichen Missetat und Das Was-man-hat-hat-man-Lied (GBA 4, S. 201f.) aus den Rundköpfen und Spitzköpfen. Das Chorlied (GBA 14, S. 204f.) wurde im Stück später ersetzt

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Ich muß noch bis Mitte November hier bleiben. Das ist scheußlich, da der Film 240 mir sehr auf die Nerven geht u. ich wegen der „Spitzköpfe“ sehr nervös bin. Nach London habe ich folgendes: Vortrag in Paris; 3 Vorträge in Belgien. Auch dirigiere ich ein Konzert im Brüsseler Rundfunk u. zwei Konzerte am Hölländischen Sender. Könntest Du mir ein oder zwei Konzerte am Kopenhagener Rundfunk verschaffen? (Ende Dezember) Ich könnte dort die „Spitzköpfe“ mit Orchester machen u. eine meiner Orchester Suiten. Das wäre mir sehr wichtig. Ich weiß sonst noch nicht wie lange ich mich in Belgien, Holland u. Paris, (schließlich auch Zürich, von dort habe ich auch ein Angebot) mich herum treiben werde. Schreibe, wenn es Dir nicht zu schwer fällt! Sehr herzliche Grüße an Grete, Lulu, Per241 Dein Eisler N.B. Laß die Schauspieler nicht zu viel sprechen bei den Liedern. Das Singen bringt die Gesten mit sich u. erleichtert sie. Überlieferung: Ms, BBA 479/2–5, 8. – E: Eisler, Briefe, S. 121f.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht London, 15.10.1936 london, den 15. oktober lieber brecht, heute ein sogenannter geschäftsbrief. Es rief mich in london ein kopenhagner verleger an. er bietet mir 20 % vom ladenpreis. in diese summe muss ich aber auch dich einbeziehen, während er den dänischen übersetzer übernimmt.242 ich schlage dir vor, von meinen tantiemen das übliche bei musikausgabe abzugeben, das ist ein drittel also 6 1/2 prozent cirka. (so haben wir es auch bei der universaledition gemacht.) bitte schreibe mir s o f o r t ob du einverstanden bist, denn ich möchte mit dem verleger nicht abschliessen, bevor ich mich mit dir geeinigt habe.

durch Das neue Iberinlied (GBA 4, S. 202f.). 240 Pagliacci. Vgl. Anm. zu Steffin, März 1936. 241 Margarete Steffin, Lulu Ziegler und Per Knutzon. 242 Der Kopenhagener Verleger wurde nicht ermittelt. Eine dänische Ausgabe der Rundköpfe und Spitzköpfe ist damals nicht erschienen.

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schliesslich müssen wir uns auch jetzt über die theatertantiemenfrage auseinandersetzen. ich kann dir keinen vorschlag machen, weil ich nicht weiss was der übersetzer bekommt. kannst du es nicht so staffeln, dass du am meisten, ich aber mehr als der übersetzer bekomme. ich wäre dir dankbar, für einen konkreten vorschlag. ich hoffe sehr rasch von dir darauf jetzt antwort zu bekommen, besonders da die sache mit dem musikverlag sehr eilig ist. inzwischen sehr herzlich dein Eisler [Hs.] Ich habe eben den dritten Satz der Symphonie243 in Partitur fertig. Es werden jetzt 5 Sätze. Der eben fertig gewordene ist „Sonnenburg“ (nach Deinem Gedicht, an dem nichts geändert wurde).244 Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 479/10. – E: Eisler, Briefe, S. 122.

Mordecai Gorelik an Margarete Steffin Stockholm, 17.10.1936 Stockholm Pensionat Unman Radmansgatan 9 October 17, 1936. Dear Comrade Stefin, Happy to get your letter of Oct. 16th and to learn that Bert’s play245 is going well. We246 are going to arrange today to take the Stockholm-Copenhagan [sic] train Tuesday night, which I believe arrives in Copenhagan Wednesday October 21, at 9:56 A.M. Could you find time to meet us at the train? If in the meantime you can find a place for us to stay, it will help a great deal; we should like to go straight there from the train. As you can imagine, it is quite difficult to move around much with the baby.247 With kind regards to Brecht and yourself, Mordecai Gorelik. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/57. 243 Die Deutsche Symphonie. 244 Das Gedicht Sonnenburg aus der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 225f.). 245 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, die gerade in Kopenhagen geprobt wurden. 246 Mordecai und Frances Gorelik. 247 Eugene Gorelik.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 19.10.1936 Paris den 19 Okt. 36. Lieber Brecht, Über die bevorstehende Aufführung von „Spitz und Rundk.“ habe ich schon verschiedentlich gehört. Ich wäre sehr gern auf kurze Zeit nach Kopenhagen gekommen um den Proben beizuwohnen, da mich diese sehr interessieren. Leider ist Kopenhagen sehr weit und was weit ist kostet Geld, und das habe ich leider nicht. Hoffentlich gelingt es Ihnen das Stuck so herauszubringen, um endlich den Anstoss für die weiteren Aufführungen im Ausland zu ermöglichen. Wenn man kein Dialektiker wäre, hätte man kaum begreifen können, warum gerade dieses Stuck, das ausserdem sehr aktuell ist, bis jetzt nicht aufgeführt wurde. Meiner Meinung nach wäre dieses Stück für Amerika besser gewesen als die Mutter.248 Haben Sie schon daran gedacht, sei es über Kopenhagen oder sonstwie einige Besprechungen in den Auslandszeitungen zu ermöglichen? Das wäre sehr wichtig. Ich bin dabei meinen Plänen eine microskopische Grösse zu geben um sie so zu realisieren zu können. Je kleiner der Plan – desto grösser die Chance. Ich wollte Sie bitten, für den ersten, den ich hochstwahrscheinlich realisieren werde, den Dialog zu schreiben. Doch darüber nach der Premiere, wozu ich Ihnen in alter Weise Hals und Beinbruch wünsche herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ms, BBA 478/42.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 24.10.1936 Sanary/Var, 24. Oktober 1936 Villa Valmer

248 Vgl. Theatre Union, 29.8.1935 (und folgende).

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Lieber Brecht, ich habe Ihre und des Theaters Ankündigung249 von Anfang Oktober deshalb nicht gleich beantwortet, weil ich Ihnen etwas Endgültiges sagen wollte. Ich hoffte sehr, ich würde meine geplante Reise nach Russland250 mit einem Besuch bei Ihnen verbinden können. Ich war fest entschlossen, das zu tun, wenn es irgend möglich sein sollte. Leider stellt sich jetzt heraus, dass zuviel Dringliches dagegen spricht. Das dümmste und ärgerlichste ist die Passache. Ich muss, um reisen zu können, mir einen titre d’identité verschaffen, den ich auch sicher kriege, aber die Behörden sind umständlich, und ich kriege ihn nicht so rechtzeitig, dass ich noch nach Kopenhagen könnte. Mit dem „Falschen Nero“251 bin ich fertig, und ich könnte also an sich nach Kopenhagen und nach Russland kommen. Jetzt hängt alles davon ab, wann diese alberne Geschichte mit dem Identitätspapier fertig ist. Ich werde dann, falls Ihre Premiere nicht bis Ende November verschoben werden sollte, direkt nach Russland fahren. Mit aller Bestimmtheit rechne ich damit, vom 20./25. November an in Moskau zu sein. Wenn die Geschichte mit dem Legitimationspapier glatt läuft und wenn Ihre Premiere nicht verschoben wird, dann gehe ich wohl vorher noch auf einige Tage nach Wien und Prag. In Moskau und Leningrad will ich bis Mitte Januar bleiben, und ich rechne mit Sicherheit darauf, Sie dort zu sehen. Wenn ich „Die Rundköpfe“ nicht also doch in Kopenhagen zu sehen bekomme, dann rechne ich damit, dass ich sie in Moskau sehen werde. Ich nehme an, dass Sie mir Einiges zu erzählen haben werden, und ich habe in der Zwischenzeit auch Einiges erlebt. Ihnen und Hely sehr viele Herzliches und viele Grüsse, auch von Marta, immer Ihr alter Lion feuchtwanger P.S. Als Herausgeber sind wir beide wirklich weniger bedeutend. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 478/80. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 33f.

249 Eine Mitteilung Brechts über die bevorstehende Premiere der Rundköpfe und Spitzköpfe ist nicht überliefert. 250 Vgl. Feuchtwanger. 27.3.1937. 251 Feuchtwangers Roman Der falsche Nero erschien 1936 bei Querido in Amsterdam.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 26.10.1936 Erwin PISCATOR Hotel Royal-Madeleine 26, Rue Pasquier P A R I S . 8°

PARIS, den 26. Oktober 1936

Lieber Bert, Danke für Euren Brief vom 12. ds. [Monats.] Bedaure sehr, dass ich bei Eurer Première252 nicht dabei sein kann. Ich war inzwischen in London bei EISLER. Wir haben natürlich viel von Dir gesprochen. Ich bin sehr neugierig auf die Wirkung der „Rundköpfe“. Du musst mir ausführlich darüber schreiben (Grete!!). Vielleicht aber kann ich im November kommen. Meine Absichten sind, mich doch etwas länger im Westen aufzuhalten und – wenn möglich auch etwas zu arbeiten. Hier sind zum Beispiel Leute am Werk, die ein jüdisches Theater machen wollen, an dem ich Direktor werden soll. Auch gehen verschiedene Filmprojekte – in den letzten Tagen hat man mir den Vorschlag gemacht nach Barcelona zu kommen. Dort stehen zwei grosse Theater leer. Ich habe gesagt, dass ich Dich und Eisler und eventuell auch Lania mitbrächte, denn man müsste doch schnell ein Repertoire aus dem Boden stampfen. Wenn Du nach dem 30. einen freien Kopf hast, werde ich Dir noch genauer über die verschiedenen Pläne berichten. Du spielst bei allen eine Rolle und keine schlechte oder geringe. Kann ich nicht zu Dir kommen, musst Du hierher kommen, damit wir alles besprechen können. „Das Wort“ ist allerdings schlecht,253 ein bisschen schimmelig mit Patina bevor es noch das Jünglingsalter erreicht hat. Aber Du weisst, zum Schreiben gehört nicht nur Zeit, sondern auch Abstand von den Dingen, über die man schreiben muss, und den habe ich nicht, oder richtiger, zuviel, denn ich muss endlich wieder praktisch arbeiten usw. Ich habe keine Einladung bekommen, ich danke Euch aber für den guten Willen. Das Stück „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ kenne ich gar nicht. Den Artikel, den Dir Harms254 geschickt hat, sende doch bitte zurück, denn ich habe kein Exemplar mehr hier. Auch Knutzon danke ich für die Einladung sehr, wenn ich hätte kommen können, wäre ich gerne am 29. dagewesen, um das Stück „Eine Melodie die verloren ging“255 von dem ich soviel gutes gehört und das ich auch neulich gelesen habe, noch zu sehen. Ich wünsche Euch für die „Rundköpfe“ denselben Publikumserfolg. 252 Premiere der Rundköpfe und Spitzköpfe am 4.11.1936 in Kopenhagen. 253 Brecht erkundigte sich am 12.10.1936 bei Piscator, ob er „nicht für das ‚Wort‘ etwas schreiben [könne], daß es ein wenig besser wird? Es ist zum Kotzen“ (GBA 28, S. 562). Vgl. auch Brechts Selbstkritik, GBA 22, S. 224f. 254 Gertrud Harms, Piscators Sekretärin. 255 Vgl. Anm. zu Steffin, 12.11.1935.

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Meine Mandeln sind noch immer nicht herausgeschnitten. Ich heb sie für Dänemark auf! Ich danke und grüsse Euch recht, recht herzlich Euer Erwin. [Hs.] Toi, Toi, Toi – Gib Knutzon den Brief – er soll mir auch schreiben was unsere Theatersektion macht. Hat er meine übrige Korrespondenz nicht bekommen? Trete ihn ein wenig. „Erfolge steigen leicht zu Kopf!!!“ Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; BBA 477/102–103. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 9ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 2.11.1936 2.XI.36 lieber bidi, ich bin so glücklich heute. erstens, weil gestern so ein schöner tag war. er wird immer schöner in gedanken. u. zweitens sind die füsse wunderbar warm in Deinen socken. wie ich heute wieder 7 ¼ in der dunkelheit raus musste zur halsklinik, war es zum ersten male weniger schlimm. immer wenn Du kommst, ist alles da. lieber bidi, ich war sehr froh über Deinen brief. ich habe, weil alle gedanken aus dem kopf rausgingen, gleich den aufsatz mitgeschickt, habe ihn doch erst lesen wollen. danke für gestern u. für den brief. der oberarzt fragt eben, ob es eine schöne tour war, u. blegvard256 fragt, warum ich so strahle? lieber bidi, frage noch otto257, was er über diese quarzbehandlung denkt (für lunge + allgemeinbefinden, für ohr kann ers wohl nicht wissen) u. ob ich auf der rechten seite schlafen soll. (auf dem rücken schlafe ich nicht ein) wenn ich auf d. linken s. liege, höre ich weniger – meeresrauschen, nebelhörner, zuggeratter oder grammophon. kannst Du meine schrift schlecht lesen? soll ich lieber auf der maschine schreiben? 256 Steffins Arzt im Øresundhospital, wo sie seit dem 10.10.1936 zur Behandlung war. 257 Vermutlich Otto Müllereisert (1900–1967), ein Jugendfreund Brechts, Trauzeuge bei der Heirat mit Marianne Zoff 1922 und Pate von Frank Banholzer. Er arbeitete als Arzt in Berlin und war 1932 für Steffins Lungenoperation in der Charité mitverantwortlich. Auch Brecht selbst behandelte er später in dessen letzten Lebensjahren als Arzt in Berlin.

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wiedersehen gg. kannst Du mir nicht ein paar worte schreiben, die ich immer erinnere, dass ich mich grade halten soll? es sagt mir niemand so etwas. der brief an bork ging noch gestern abend weg, um ½ 8, auch einer an otto.258 soll ich an „das wort“ schreiben, oder machst Du es? lieber bidi ich habe gestern in der freizeit doch vergessen, briefmarken zu kaufen. bitte kannst Du noch schicken? (à 15) Überlieferung: Ms, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z13/141–144. – E: Steffin, Briefe, S. 211f.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 4.11.1936

Paris, den 4. November 1936

Liebe Grete, Heute ist also Première259 (wenn sie nicht nochmal verschoben ist!) und da will ich rechtzeitig Brecht und Ihnen die herzlichsten Glückwünsche sagen. Ihnen noch ganz besonders zu der „Première“ des Aufstehens.260 Dass es mit dem Ohr so viel besser geht, hat mich ausserordentlich gefreut. Im übrigen ist es vielleicht ein guter Gedanke, ein dänisches Sanatorium aufzusuchen. Die ärztlichen Einrichtungen sind dort vielleicht doch besser als man sie im Durchschnitt in Russland antrifft. Ich freue mich, dass ich gerade eben als Autor zur Vermehrung Ihrer kleinen Bücherei beitragen kann. Mit gleicher Post sende ich Ihnen mein Briefbuch, das nun endlich gedruckt ist.261

258 Vermutlich Otto Katz. 259 Premiere der Rundköpfe und Spitzköpfe (Rundhoder og Spidshoder) im Teatret Riddersalen in Kopenhagen. Regie führte Per Knutzon, die Übersetzung hatten Otto Gelsted und Børge Houmann besorgt. 260 Steffin hatte zur Premiere Krankenhausurlaub bekommen. 261 Die Briefsammlung Deutsche Menschen, die Benjamin unter dem Pseudonym Detlef Holz publizierte, war soeben in Luzern erschienen.

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Sie erinnern sich gewiss noch, wie sie vor zwei Jahren im Palace Hotel an dem Manuskript gearbeitet haben. Wenn Sie darum auch vielleicht wenig Neues in seinen Blättern finden, so soll es doch gut bei Ihnen aufgehoben sein. Ich bereite meinen zweiten „Pariser Brief“262 für Bredel vor, der sich auf zwei Sammelwerke stützt, deren eines bei den ESI, deren anderes beim Völkerbundsinstitut für Internationale intellektuelle Zusammenarbeit erschienen ist; beide haben es mit der derzeitigen Situation der Malerei in der Ge­sellschaft zu tun. Ich berücksichtige in diesem zweiten Brief ferner das Sammelwerk „A la lumière du marxisme“. Was die Übersetzung des „Dreigroschenromans“ betrifft, so habe ich nun sowohl mit Klossowski wie mit dem Direktor Moussignac263 von den ESI gesprochen. Wenn es eine Schwierigkeit gibt, so liegt sie darin, dass Klossowski bis Anfang Februar mit laufenden Arbeiten beschäftigt ist. Ich glaube aber, dass der Verlag, um an einen zuverlässigen Übersetzer zu kommen, das in Kauf nehmen wird. Ich würde die Verhandlungen selbst weiter durchführen, wenn ich Paris nicht für eine Weile verlassen müsste. Klossowski wird aber in Kürze selbst mit Moussignac sprechen und Brecht durch mich auf dem Laufenden halten. Was mich betrifft, so muss ich mich augenblicklich vor allem um meinen Sohn264 kümmern. Es sind in seinem Entwicklungsgang Komplikationen aufgetreten, von denen ich mir aus der Entfernung kein deutliches Bild machen kann. Es ist die Möglichkeit nicht ganz auszuschliessen, dass sie ernsterer Natur sind. Meine Frau 265 ist durch gewisse Umstände verhindert, meinen Sohn in Wien aufzusuchen. Ich fahre morgen dorthin. Meine dortige Adresse ist: c/o Dr. Franz Glück 266, Wien III, Landstrasser Hauptstrasse 140. Schreiben Sie mir doch bitte dorthin. Geben Sie mir bitte, wenn irgend möglich auch Nachricht wie es denn um „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ beim „Wort“ bestellt ist.267 Mittlerweile sollte man Bredel wohl zu einer Stellungnahme bewegen können. Sprechen Sie doch noch einmal mit Brecht darüber. Recht herzliche Wünsche für den Abschluss Ihres Theaterstücks und vor allem Ihrer Zimmerhaft. Wie immer Überlieferung: TsD, BBA 2169/7–8. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 413f.

262 Vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 27.9.1936. 263 Léon Moussinac (1890–1964), französischer Schriftsteller und Filmkritiker. 264 Stefan Benjamin. 265 Die Schriftstellerin und Übersetzerin Dora Sophie Kellner (1890–1964), mit der Benjamin von 1917 bis 1930 verheiratet war. Ab 1934 lebte sie im Exil in San Remo, ab 1939 in London. 266 Der Literatur- und Kunstwissenschaftler Franz Glück (1899–1981), der später Direktor der Historischen Museen der Stadt Wien wurde, war der Bruder des mit Benjamin befreundeten Gustav Glück. 267 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 13.11.1936 Erwin PISCATOR Hotel Royal-Madeleine 26, Rue Pasquier

Paris, den 13. November 1936

Pa ris. 8° Lieber Bert,

Leider habe ich keine Nachricht von Dir bekommen auf meinen letzten Brief. Ich las in der Pariser Tageszeitung folgende Notiz: „Eine Brecht-Premiere in Kopenhagen: Kopenhagen 10.XI. In Kopenhagen fand im Theater Ridersalen die Welt-Auffuehrung des neuen Dramas von Bertold Brecht: „Rundkoepfe und Spitzkoepfe“ statt. Die Auffuehrung des Stueckes, das in seiner epischen Form, von Songs und Musik belebt, ein erbittertes Lehrstueck gegen den Rassenschwindel darstellt, fand einen ausgesprochenen Theater-Erfolg. Schon am Tag der Première waren die ersten zehn Vorstellungen ausverkauft.“ Ich gratuliere Dir recht herzlich zu Deinem Erfolg.268 Jetzt habe ich Folgendes Dir mitzuteilen: Ich habe hier mit einer Dame269 gesprochen, die eine Taenzerin ist. Wir haben einen Plan, eine neue Form dramatischen Tanzes zu finden, um kurz zu skizzieren: ich dachte mir aus wie bei Micky-Maus Filmen den taenzerischen Vorgang von einem Chor zu begleiten – wie Ernst Busch etwa – und Taenzer nach der Art der Lotte GOSLAR 270 etwa aber scharf satyrisch, dramatisch etc. Ich schrieb Dir schon, dass ich gerne moechte dass Du hierher kommst. Du kannst im Hause von Frau Deutsch271 wohnen, das ist draussen im Bois de Boulogne, still und ruhig, wo wir an vielen anderen Plaenen auch arbeiten koennen. Ausserdem habe ich eine Einladung nach Barcelona bekommen. Ich hatte aber schon vorher mit einem Vertreter gesprochen, wobei ich den Wunsch ausdrueckte, dass Du, Eisler, eventuell Lania mitfahren sollten, um praktisch zu arbeiten. Man baut (ein wenig laecherlich und heroisch zugleich) mitten in den schwersten Tagen dort die Theater auf. Diese sind sozialisiert worden und man will nun einen neuen Geist einfuehren. Ich fahre 268 Finanziell war die Aufführung allerdings ein Mißerfolg (vgl. Knutzon, 21.11.1936). Auch die Kritiker vor Ort äußerten sich sehr reserviert (vgl. BC, S. 492). 269 Die Tänzerin und spätere Tanzlehrerin Maria Ley, d.i. Friedrike von Czada (1898–1999), vormals mit Gerhart Deutsch verheiratet, der 1936 verstarb. 1937 in Paris heiratete sie Erwin Piscator. Gemeinsam gründeten sie 1940 den Dramatic Workshop in New York. 270 Lotte Goslar (1907–1997), Tänzerin und Choreographin, trat in Erika Manns Kabarett Die Pfeffermühle auf. Nach verschiedenen Exilstationen in Europa ging sie 1936 in die USA. 271 Möglicherweise Maria Deutsch, geb. Herzmansky (1884–1973), die mit einem Funktionär der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbands verheiratet war.

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wahrscheinlich schon in 1-2 Tagen, um mich zu informieren und zu sehen was man machen kann. Sei so gut und antworte mir gleich, auch auf meinen frueheren Brief. Hat Knutzon meinen Brief nicht rechtzeitig zu seiner Premiere bekommen? Inzwischen gruesst Dich herzlichst Dein N.B. Ausserdem moechte ich eine Dramatiker-Konferenz272 der besten Leute auf Weihnachten einberufen, ungefaehr 10-12 Persoenlichkeiten (B. Shaw273, R. Rolland etc.) als Gegenkonferenz der Nazi-Kriegsdichterkonferenz274 der letzten Wochen. Darueber werde ich Dir noch ausfuehrlicher schreiben. Vielleicht hast Du aber gute Vorschlaege die ich Dich bitte mir ebenfalls mitzuteilen. D.O. Überlieferung: TsD, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z2/83–84. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 17ff.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Paris, 13.11.1936 z. Zt. Paris, den 13. November 1936 Hotel le Bristol rue Faubourg St. Honoré Lieber Brecht, es hat mir schrecklich leid getan, dass ich nichts von Ihrer Premiere hörte. Schreiben Sie mir doch ein Wort, wie es war. Es steht jetzt endgültig fest, dass ich auf etwa zwei Monate nach Russland fahre.275 Und zwar bin ich bis Freitag, den 20. hier in Paris im Hotel Bristol, dann fahre ich zusammen mit Maria Osten, einem ein einhalbjährigen spanischen Kind, das sie adoptiert hat, Eva Herrmann276 und Marcuses277 über Wien nach Moskau. Meine Adresse in Wien ist vom 20. 272 Belegt ist, daß Piscator zur gleichen Zeit die Gründung eines jüdischen Theaters in Paris plante. Auf die hier angekündigte Konferenz konnte kein Hinweis gefunden werden. 273 George Bernard Shaw (1856–1950), irischer Schriftsteller. Zu dessen 70. Geburtstag verfaßte Brecht 1926 eine Ovation für Shaw (GBA 21, S. 149–153). Ein Jahr darauf mußte er lachen, „als ich hörte, daß Shaw ein Sozialist sei“ (ebd., S. 207). 274 Vermutlich der am 27.9.1936 in Berlin eröffnete XI. Internationale Autorenkongreß. 275 Vgl. Feuchtwanger. 27.3.1937. 276 Eva Herrmann (1901–1978), Malerin und Karikaturistin, fertigte Portätkarikaturen u.a. von Brecht, Feuchtwanger und Albert Einstein an. 277 Erna und Ludwig Marcuse.

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bis 24. November: c/o van Hoboken, Schreiberweg 47, Wien 29. Ab 26. November bin ich in Moskau, Hotel Metropol.278 Ich hoffe mit Sicherheit, dass Sie es möglich machen werden in der Zeit, in der ich in Moskau bin, hinzukommen. Sehr herzlich Ihr Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/77. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 34f.

Nena Asbjörn Andersen279 an Bertolt Brecht Kopenhagen, 19.11.1936 Nena Asbjörn Andersen

Prins Constantinsvej 7 Kopenhagen F. 19.11.36.

Meine lieben Svendborger! Am Dienstag rief ich in Pension Thune an, um den „Klassiker“ zum Abend zum Entenbraten einzuladen, da war er aber schon von hinnen – schade. Ich hatte eigentlich mich so richtig darauf gefreut, ihm etwas Schönes servieren zu können. Ich hoffe aber, es ein ander Mal nachzuholen – und dann gleich für Beide. Was hier so vorgeht – werdet Ihr ja wohl wissen, und ich will Euch nicht damit belästigen – in der Anlage sende ich nur einige Aussprüche von Publikümern sowie den Zeitungsausschnitt aus dem 12 Uhr Blatt – mit gleichzeitiger Abschrift desselben, sodass ich bitten darf, mir den Ausschnitt selbst bald wieder zurückzusenden. Vorigen Sonnabend hatten wir Per, Lulu, Langbergs und Bing-Bang280 bei uns – es wurde aber nur unwesentlich über das Stück diskutiert – man darf vielleicht die Unterhaltung überhaupt keine Diskussion nennen – dagegen war vor ca. acht Tagen Brandts (Mogens) und Davidsens (Mogens)281 bei uns – und es entspann sich eine wilde Diskussion über die Spitz- und Rundköpfe. Davidsen war ganz gegen das Stück und begründete seinen Widerstand damit, dass er viel vom „epischen Theater“ und dessen Unnotwendigkeit sagte. Ich hatte den Eindruck, dass ihn der Begriff „Epik“ sehr verwirrte – denn sobald ich ihn bat, doch einmal von der „Epik“ oder dem Begriff abzusehen, ging es nicht recht 278 Im Ts: „Metropole“. 279 Frau des Schauspielers Hans Asbjørn Andersen (1903–1978), der in Knutzons Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe den Angelo Iberin gespielt hat. 280 Per Knutzon (führte Regie und spielte den Vizekönig) und Lulu Ziegler (spielte die Nanna) sowie die Schauspieler Sigurd Langberg (1897–1954; Callas), Niels Bing (1907–1985; Emmanuele de Guzman) und Tove Bang (1904–1977; Frau Cornamontis). 281 Mogens Brandt (1909–1970) und Mogens Davidsen (1915–1956), dänische Schauspieler.

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weiter. Er ist dagegen, für das Publikum zu spielen, man spielte nur für sich selbst – und er könnte nie überzeugend wirken, wenn er zwei so lächerliche Masken vor sich hätte wie die beiden Grossen in der Bordellscene – in der er kommt und um Geld bittet. Mit zwei solchen Masken könnte man nicht ernst reden – drum könnte er auch das Publikum nicht überzeugen – ergo ist das Stück kein Stück – denn Publikum darf man nicht überzeugen, indem man für sie spielt – sondern in dem man so echt ist und selbst daran glaubt was man sagt – sodass die Echtheit das Publikum mit – und hinreisst. Mogens Brandt war dagegen – fand das Stück großartig – und hatte es vollauf verstanden – ist für das epische Theater und sprach im übrigen auch davon, dass man sich neben sich stellen müsste, wenn man spielt. Gestern waren einige Schauspieler vom Betty Nansentheater282 bei uns, die das Stück nicht gesehen haben, sondern nur darüber in der Zeitung gelesen haben – nachdem zu urteilen meinen sie, dass das Stück keine Berechtigung in Dänemark hätte, selbst wenn es vielleicht ausgezeichnet sei (über die Güte des Stückes war ja nicht zu diskutieren, da keiner es kannte – ausser dem Inhalt) da das Problem „Rasse“ in Dänemark beim allgemeinen Publikum gar keine Interesse hätte – da das Problem Rasse nicht existierte. Dass dieser Konflikt „Rasse“ vielleicht einmal kommen könnte, sei ja nicht ausgeschlossen – aber mit Zukunftsproblemen hat sich ja das Volk bekanntlich noch nie abgegeben – und auch warum?! Geklatscht wird viel – gelacht wird wenig – alle spielen jetzt ausgezeichnet. Ganz privat ist dann heute nur noch zu erzählen, dass es plötzlich schrecklich kalt geworden ist – dass Asbjörn und ich uns am Dienstag ein Jahr kannten – und wir diesen Tag damit feierten, dass wir in der Nacht ein Smörbröd essen gingen – und dann in dem kleinen Absteigehotel in der Nacht wohnten, in dem wir uns unverheiratet immer trafen. Als wir um zwei Uhr nachts dort hinkamen – und klingelten – mit etwas Bauchschmerzen – wie stets – wir hatten uns wieder so ganz in die Situation hineingelebt – begrüsste uns der Wirt mit freudigem „Welcome – nä, hvad det gläder mig at se Dem igen“283 oh was sind die Dänen liebenswürdig und reizende Menschen – und er wusste noch, dass wir Henry und Poul Andersen hiessen, aber dann fanden wir es doch hübsch, ihm jetzt die richtigen Namen zu geben – und ihm zwei Karten zu Rund- und Spitzköpfen anzubieten. Und dann war alles sehr romantisch – so eine richtige herrliche Romantik, wie es nur solch Absteigenhotel an sich haben, die alle gleich aussehen – und die Betten knarren mächtig und die Bettdecken sind geblümt und viel Spiegel blinken rund herum; und man hat keine Nachthemden – und kommt sich am Morgen so wunderbar unmoralisch vor – so angenehm unmoralisch, weil man so ungewaschen und unausgeschlafen ist. – Wir fanden es wunderbar und suchen eine Gelegenheit – dies Fest zu wiederholen – vielleicht den einjährigen Hochzeitstag.

282 Betty Nansen Teatret. 1869 gegründetes Kopenhagener Theater, später nach der Schauspielerin Betty Nansen benannt. 283 Dänisch: „Wie es mich freut, Sie wiederzusehen.“

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Für heute Schluß – wenn’s geht, schreibt Eurer Euch sehr innig grüssenden Nena A. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 265/32.

Per Knutzon an Bertolt Brecht Kopenhagen, 21.11.1936

København F., d. 21/11 36

Kære Brecht! Trods Uddeling af 3ooo Brochurer og Anstrengelser i alle Retninger bliver Kasserne mere og mere katastrofale, saaledes har vi i Aften – Lørdag – kun 221 Kr. i Kassen, og deraf skyldes langt den største Del – Fribilletterne. Jeg ser derfor ingen anden Udvej end at tage ”Rundho[ve]der og Spidsho[ve]der”, af Plakaten. Det gaar sidste Gang Tirsdag – og paa Onsdag tager vi ”Melodien” op igen. Jeg gaar ud fra, at du ved hvordan Tingene ligger rent praktisk, og jeg maa bøje mig for Kendsgerningerne, dersom jeg overhovedet skal gøre mig Haab om at leve Resten af Sæsonen. Som du ved har vi Diskussion Mandag Aften. Vi vilde gerne have haft dig herover, men om du vil komme nu – under disse Omstændigheder – maa du selvfølgelig selv afgøre. Det er selvfølgelig forfærdelig trist og kedeligt – og Personalet er mere end ked af det, men som Forholdene ligger kan jeg ikke forsvare at gøre andet. Jeg haaber du kommer ud og ser til os, naar du kommer til København, saa kan vi jo græde sammen – evt. med Resterne af Personalet. Med kammeratlig Hilsen, Dein Per

Kopenhagen F.284, d. 21/11 36 Lieber Brecht! Trotz der Verteilung von 3000 Broschüren und Bemühungen in jeder Hinsicht werden die Kassen immer katastrophaler, so haben wir z.B. heute abend – Samstag – nur 221 Kronen in der Kasse, und davon ist der bei weitem größte Teil – den Freikarten geschuldet. Ich

284 Frederiksberg, eine Stadt im Großraum Kopenhagen.

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sehe daher keinen anderen Ausweg, als „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ abzusetzen.285 Es läuft Dienstag zum letzten Mal – und Mittwoch nehmen wir „Die Melodie“ wieder auf.286 Ich gehe davon aus, daß Du weißt, wie die Dinge ganz praktisch stehen, und ich muß mich den Tatsachen beugen, falls ich mir überhaupt Hoffnung machen soll, den Rest der Saison zu leben. Wie Du weißt, haben wir Montag abend Diskussion. Wir hätten dich gerne hier gehabt, aber ob du jetzt kommen willst – unter diesen Umständen – mußt du natürlich selbst entscheiden. Es ist natürlich schrecklich traurig und bedauerlich – und das Personal ist mehr als traurig darüber, aber wie die Dinge stehen, kann ich nicht verantworten, etwas anderes zu tun. Ich hoffe, Du kommst her und besuchst uns, wenn du nach Kopenhagen kommst, dann können wir ja zusammen weinen – evtl. mit den Überresten des Personals. Mit kameradschaftlichem Gruß, Dein Per Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/4.

Per Knutzon an Bertolt Brecht Kopenhagen, 24.11.1936

København F., d. 24/11 36

Kære Brecht – Grethe har skrevet og bedt os oplyse dig om Udgifterne til Hoveder og Dekorationer. De er: Hoveder 249,00 Kr. Dekorationer (excl. Honorar til Svend Johansen) 1328,27. (Heri er ikke medregnet Udgift til Maskinpersonale, Lysbilleder og elektriske Installationer, som er foretaget i Fordbindelse med Opsætningen af R og S). Et Tal, som muligt vil interessere dig: Gennemsnitsindtægten pr. Aften har været (beregnet for samtlige 21 Spilleaftner) 243,84. De samlede Udgifter har været 23 334,35 Kr. – saa kan du selv regne Underskudet ud! Nok om det – i Aftes havde vi altsaa Studenterne herude og se Forestillingen, og bagefter var der arrangeret en ”Diskussion” – dermed vil jeg antyde, at der blev ikke meget ud af Diskussionen – det var ikke fordi de genereda sig for at tale, men fordi de rimeligvis ikke kunde udtrykke sig om et for dem fremmed Emne, som Teatret jo er. Skulda jeg sige noget om mine Erfaringer, bygget dels paa denne Diskussionsaften, dels paa de 20 Aftner, der er gaaet, da bliver det dette: Vi har haft tre Kategorier af Mennesker herude a) 285 Das Stück lief seit dem 4.11.1936 unter der Regie Per Knutzons am Kopenhagener Teatret Riddersalen. 286 Vgl. Steffin, 12.11.1935.

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politisk orienterede Arbejdere. De forstod Stykkets dybere Hensigt, men blev distrahorede og aldeles ikke fangede af den for dem nye Form de Teaterforestilling. b) intellektuelle (ikke politisk set) Her interesserede Formen, men Stykkets Inhold var dem fuldkommen fremmed (som Professor Jørgensen meget rigtigt sagde i Aftes under Diskussionen: ”Takket være en ualminde lig slet informerende Presse, tror et dansk Publikum ikke at Forholdene er saadan, som i Stykket fremstillet, trods det at jeg kan forsikre [...] for, at de er i nøjeste Overensstemmelse med Virkeligheden”) c) almindeligt borgerligt Publikum: Af samme Grund, som Professor Jørgensen nævnede, og af Skræk overfor Stykkets Form forstod de tilsyneladende ikke en Døjt af det hele. Er, Ting, der maaske vil more dig at høre, er, at Kunstmalere over hele Linjen var vildt hegejstrede over Formen. Dette er bare ment som en rent foreløbig Opgørelse af de Erfaringer, som jeg mener at have indvundet. Naar du engang faar overstaaet din Forkølelse og kommer til København, bliver derfforhaabentlig Anleding til yderligere at diskutere Stykkets Skæbne. Desværre ser det jo ud, som om Reaktionen – om ikke paa G und af saa dog samtidig – har faaet lovlig meget Vind i Sejlene, og den Smule Pust, der har været i de mere borgerlig-frisindede Aviser, er vist desværre løjet af – naa, i Aften gaar hele Personalet ud og drikker Gravøl, jeg hilser den fra dig og jeg vad, jeg kan sige paa alles Vegne, at vi har været vældig glade ved at have faaet Anledning til at spille dit Stykke. Daa Gensyn og Hilsen fra os alle, og til Alle. Lieber Brecht – Grethe287 hat geschrieben und uns gebeten, Dich über die Ausgaben für Köpfe und Dekorationen zu informieren. Es sind: Köpfe 149,00 Kronen. Dekorationen (exkl. Honorar für Svend Johansen) 1328,27. (Hier sind Ausgaben für Maschinenpersonal, Lichtbilder und elektrische Installationen, die in Verbindung mit der Inszenierung von R und S288 vorgenommen worden sind, nicht mit eingerechnet). Eine Zahl, die Dich möglicherweise interessieren wird: die durchschnittlichen Einnahmen pro Abend waren (berechnet für sämtliche 21 Spielabende) 243,84. Die gesamten Ausgaben waren 23 334,35 Kronen – da kannst Du selbst das Defizit ausrechnen! Genug davon – gestern abend hatten wir also die Studenten hier, um die Vorstellung anzusehen, und anschließend war eine „Diskussion“ arrangiert – damit will ich andeuten, daß nicht viel aus der Diskussion wurde – nicht weil sie sich zu sprechen scheuten, sondern weil sie sich vermutlich nicht über ein für sie fremdes Thema, wie es das Theater ja ist, ausdrücken konnten. Sollte ich etwas über meine Erfahrungen sagen, teils basierend auf diesem Diskussionsabend, teils auf den 20 Abenden, die vergangen sind, dann ist es dies: Wir haben drei Kategorien von Menschen hier gehabt a) politisch orientierte Arbeiter. Sie verstanden die tiefere Absicht des Stücks, 287 Margarete Steffin. 288 Die Rundköpfe und die Spitzköpfe.

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aber wurden von der für sie neuen Form [von] Theatervorstellung abgelenkt und ganz und gar nicht ergriffen. b) intellektuelle (nicht politisch gesehen) Hier interessierte die Form, aber der Inhalt des Stücks war ihnen vollkommen fremd (wie Professor Jørgensen289 gestern Abend während der Diskussion sehr richtig sagte: „Dank einer ungewöhnlich schlecht informierenden Presse glaubt ein dänisches Publikum nicht, daß die Verhältnisse so sind, wie im Stück dargestellt, obwohl ich [...] versichern kann, daß sie in genauester Übereinstimmung mit der Wirklichkeit sind.“) c) gewöhnliches bürgerliches Publikum: Aus demselben Grund, den Professor Jørgensen nannte, und vor lauter Schreck über die Form des Stücks verstanden sie anscheinend keinen Deut von allem. Eine Sache, die zu hören Dich vielleicht amüsieren wird, ist, daß die Kunstmaler durchweg ganz begeistert von der Form waren. Dies soll nur eine rein vorläufige Feststellung der Erfahrungen sein, die ich gewonnen zu haben meine. Wenn Du denn Deine Erkältung überstanden haben wirst und nach Kopenhagen kommst, gibt es hoffentlich Anlaß, das Schicksal des Stücks weiter zu diskutieren. Leider sieht es ja so aus, als ob die Reaktion – wenn auch nicht deswegen, so doch zur gleichen Zeit – ziemlich viel Wind in die Segel bekommen hat, und das bißchen Lüftchen, das in den eher bürgerlich-liberalen Zeitungen gewesen ist, ist wohl leider abgeflaut – nun ja, heute abend geht das ganze Personal aus und nimmt den Leichenschmaus ein,290 ich grüße sie von Dir, und ich weiß, ich kann im Namen aller sagen, daß wir mächtig froh gewesen sind, Gelegenheit gehabt zu haben, Dein Stück zu spielen. Auf Wiedersehen und Gruß von uns allen, und an alle. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/5.

Per Knutzon an Bertolt Brecht und Helene Weigel [November 1936]

København F., d.

kære helli og Brecht. først tak for de dejlige arbejdsdage!! desværre gaar det ikke godt eller rettere sagt der gaar ad helvede til. de to foreningsforestillinger var sørgelige, medlemmerne vilde ikke en gang købe billetter til de nedsatte priser – saaledes fremkom der et smukt underskud paa 150 kr, kassen idag gir 200 kr i under skud (saa regner jeg altsaa stadig ikke med at de 6000 kr jo er tabt) vi har nu sendt 4000 broschure ud (vedlagt et expl) og har sadt kuponner paa – de 289 Jørgen Jørgensen (1894–1969), dänischer Professor für Philosoophie, Vorsitzender der antifaschistischen Vereinigung Frisindet kulturkamp. 290 Im Dänischen wörtlich: „trinkt das Grabbier“ (anläßlich der Absetzung des Stücks).

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saakaldte rundskuekuponner, om det hjœlper maa herren vide, hvis det ikke gar det saa forsvinder det kœre stykke af plakaten den sidste i denne maanad. det er sørgeligt at københavn ikke vil se forestillingen, men det ser unnœtelig ud til at vœre en kendsgerning. paa mandag har forskellige socialistike faggrupper købt forestillingen, men det er desvœrre – foreløbig – osse den eneste forestillig vi har solgt. Efter Forestillingen har foreningen planlagt en diskussion, hvortil er inbudt en Rœkke Teatermedararbejdere ved Bladene, samt nogle Politikere. Man venter at Brecht kommer tilstede. Dersom det iøvrigt passer med Brechts Dispositioner, vil gerne vide Besked for at kunne sige det videre til de unge Menne sker. Mange Hilsner fra Lulu og Per



Kopenhagen F., d.

liebe Helli und Brecht. zunächst danke für die schönen Arbeitstage!! Leider geht es nicht gut, oder besser gesagt, es geht beschissen. Die zwei Vereinsvorstellungen waren kläglich, die Mitglieder wollten nicht mal Karten zu den ermäßigten Preisen kaufen – auf diese Weise ergab sich ein schönes Defizit von 150 Kronen, die Kasse heute ergibt 200 Kronen minus (dann rechne ich also noch nicht mit ein, daß die 6000 Kronen ja verloren sind) Wir haben nun 4000 Broschüren versendet (beiliegend ein Expl.) und Coupons darauf abgedruckt – die sogenannten Besichtigungscoupons, ob es hilft, weiß Gott, falls es das nicht tut, verschwindet das liebe Stück am Letzten dieses Monats vom Spielplan. Es ist kümmerlich, daß Kopenhagen die Vorstellung nicht sehen will, aber es sieht unweigerlich nach einer Tatsache aus. Für Montag haben sozialistische Gruppen aus verschiedenen Fachbereichen die Vorstellung gekauft, aber das ist leider – vorläufig – auch die einzige Vorstellung, die wir verkauft haben. Nach der Vorstellung hat der Verein eine Diskussion geplant, wozu eine Reihe Theatermitarbeiter der Zeitungen eingeladen sind, nebst einigen Politikern. Man rechnet damit, daß Brecht herkommt. Sollte es mit Brechts Plänen übereinstimmen, wüßte ich gerne Bescheid, um es den jungen Menschen weitersagen zu können. Viele Grüße von Lulu und Per

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Teatret Riddersalen; BBA 476/9.

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Ebbe Neergaard an Bertolt Brecht Jystrup, 24.11.1936 Ebbe Neergaard DEN GL. SKOLE J YS T RU P

Jystrup Midtsjælland, den 24. Novbr 1936.

Lieber Bert Brecht, es war für mich eine grosse enttäuschung, dass Sie nicht gestern bei der diskussion der sozialistischen studenten über „rundköpfe und spitzköpfe“ anwesend waren – ich hatte nur die einladung angenommen, weil man mir gesagt hatte, dass Sie kommen würden. Jetzt verlief die diskussion etwas träge und war recht unwesentlich.291 Es war eigentlich meine absicht, verschiedene fragen an Sie zu richten, aber das hatte ja keinen sinn, wenn Sie auf Fünen sassen. So habe ich mich darauf beschränken müssen, die diskussion damit einzuleiten, dass ich für wage und gemischte gefühle ausdruck gab, die in mir während der vorstellung aufgetaucht waren. Ich möchte jetzt Ihnen gegenüber jetzt eine art referat davon geben, und nachher möchte ich versuchen, noch etwas mehr über meine gedanken betreffs Ihre teorien und praxis zu sagen – etwas, welches für mich schwierig war, vor einer versammlung zu sagen, die kaum genug von ihrer arbeit wusste, um voraussetzungen für eine stellungnahme zu haben. Ich möchte es Ihnen lieber alles selbst schreiben als dass Sie meine gedanken durch irgend ein unvollständiges referat kennenlernen sollten. Ich habe zuerst ganz kurz anerkannt, dass in der vorstellung sehr viel wertvolles war, habe dann aber gesagt, dass ich doch während der aufführung mit sehr gemischten gefühlen da sass, und nun werde ich versuchen, das zu beschreiben – vielleicht würde dann die weitere debatte die sache etwas klarer machen für mich. Die erste einwendung war, dass man ja eigentlich da sass und meinte, dass die zentralfigur des stücks, rein handlungsmässig, der pächter Callas, ja eigentlich recht hat, wenn er pferde verlangt und keine abgaben zahlen will – dass aber diese Figur gleichzeitig als lächerlich geschildert wird, und das nicht durch misverständnis von seiten des darstellers Langberg, der sehr gut war, sondern weil das von Ihrer hand in der rolle liegt; aber dass Sie es nicht durch das stück wirklich klar gemacht haben, warum er lächerlich ist, dass er nämlich ein kleinbürgerlicher typ ist usw. Damit hängt es zusammen, dass der einzige positive typus, der pächter Peres, nur in zwei oder drei ganz kurze szenen auftritt und nur wenig zur klärung beiträgt. Überhaupt – so lautete der zweite einwand – gibt es ja in diesem stück alles andere als „hero-worship“. Dagegen könnte man sehr gut von „huren-worship“ darin sprechen. Da hat Brecht es wie gewisse unsrer dramatiker hier in Dänemark, besonders die priester unter 291 Vgl. B. an Neergaard, Ende November 1936, GBA 28, S. 564f.; dazu auch die Bemerkungen zur Kopenhagener Aufführung, GBA 24, S. 204f.

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ihnen, dass er kaum ein stück schreiben kann, wo es nicht mit huren wimmelt, die sehr stark in den vordergrund treten und dazu verwendet werden, die zynische „wahrheit“ zu sagen – dann und wann eine proletarische wahrheit (wie im lied vom wasserrad292), dann und wann aber auch ausdruck geben für die zynische kapitalistische lebenseinstellung, also vor allem erst und letzt zynisch sind. Eine figur wie die von Lulu gespielte die pächtertochterhure, ist nicht klar, weil von seiten des verfassers kein deutliches kommentar gegeben wird. Wo bleibt denn das belehrende, wo bleibt die demonstration der wahrheit, die das ziel des brechtschen „epischen dramas“ ist? Werden die zuschauer da aktivisiert, so wie Brecht es meint, im gegensatz zur gefühlsmässigen hingabe und mitgerissen-werden beim aristotelischen drama? Man hat viel eher das gefühl, dass eben dies zynische an sich Brecht besonders anzieht, dass er sich ganz besonders wohl fühlt, wenn er sich über den kapitalistischen zynismen breiten kann. Nun, auch er ist, wie wir alle, von der gesellschaft beeinflusst, in der er lebt – dagegen ist nicht[s] zu sagen. Es fehlt aber einem in hohem grade, dass er klar, belehrend zu dieser zynischen lebenshaltung stellung nimmt und klar dazu beiträgt, dass der zuschauer dazu stellung nimmt (dazu und dagegen), so wie es das ziel sein sollte, wenn man seine teorien über das epische drama recht verstanden hat. Das ist so ungefähr was ich gestern abend gesagt habe. Ich bin selbst nicht sehr zufrieden damit – ich meine natürlich, was ich sagte, aber ich finde nicht, dass meine einwände sehr wesentlich formuliert sind. Es fällt mir sehr schwer zu sagen, genau was bei Ihrem stück unbefriedigend wirkt. Einerseits scheinen mir, wie aus dem obigen referat hervorgeht, die figuren unklar in ihrer wirkung – andererseits habe ich auch das gefühl, dass sie allzu einseitig und trocken sind. Das klingt ganz unsinnig und selbstwidersprechend, aber mein eindruck ist tatsächlich so. Figuren wie Callas und Nana enthalten ja an sich so viele dialektische widersprüche, dass sie lebendig sein sollten – und sie sind es doch nicht. Sie sind so dialektisch aufgefasst, dass man glauben sollte, sie würden nicht einseitig und trocken wirken – und sie wirken doch trocken und einseitig. Wie ist dieser knoten zu lösen? ich glaube, man muss da die ganze art Ihrer teaterauffassung ein wenig untersuchen. Sie sagen: die schriftsteller und schauspieler des aristotelischen dramas glauben, dass wenn das publikum erst im teater sitzt, ist es nicht mehr eine anzahl einzelpersonen, sondern muss als masse betrachtet werden, an die man durch ihre gefühle sprechen kann und muss. Dagegen behauptet „das epische teater“, das das publikum eine sammlung von einzelpersonen ist, von denen jeder die fähigkeit bewahrt hat, zu denken, resonnieren und urteilen, auch im teater...Daher wird das epische teater pädagogisch. Ihre charakteristik des altmodischen gefühlsteaters ist vollständig korrekt – Ihre schlussfolgerung auf das publikum und damit das ziel des neuen teaters ist es aber meines erachtens nicht. Das aristotelische teater will nur auf die gefühle einwirken, und das publikum dieses teaters ist zum grossen teil darauf eingegangen. Aber das publikum an 292 Die Ballade vom Wasserrad, GBA 4, S. 234f.

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sich – wenn man so sagen darf – ist eigentlich nicht so. Ein gewisser, gewiss grosser, teil des publikum ist auf dieser bestimmten art und weise verdorben, so das es nur als gefühlsmasse auffassen will. Aber hinter diesem willen liegt die natur des publikums als publikum, und diese natur ist bei grossen teilen unverdorben oder sie kommt unter günstigen umständen wieder zu tage. Aber diese natur ist nicht so, wie Sie sie schildern – Sie sind ebenso einseitig wie die aristoteliker: Die natur des publikums ist ein dialektisches spiel zwischen dem massengefühl und dem kritisch resonnierenden sinn, genau wie der einzelne mensch unter den zuschauern eine zusammensetzung von gefühlsmässigen und kritisch rationalem. Das beisammensein als publikum, masse, wirkt in der regel verstärkend auf die überbetonung der gefühle, aber diese wirkung kann auch überschlagen, so dass die masse des publikum plötzlich unison als kritisches wesen auftritt, wobei der so zu sagen kritisch rationale kern des einzelnen zuschauers vom massenwesen (das an sich293 gefühlsmässigen charakter hat) umgeben oder umnebelt wird und durch diesen prozess seinen an sich vielleicht überwiegend passiven charakter verändern kann und in aktion umgesetzt wird. Im aristotelischen teater wird diese kritisch-gefühlsmässige massenaktivität sich wohl in der regel gegen „das kunstwerk“, gegen die schauspieler als handelnde personen, richten, weil die sozial-ideologische grundlage selten klar ist. Aber notwendig ist das gar nicht. Ibsen294 hat ohne zweifel mit seinen dramen, die gewöhnlich als technisch gesehen „aristotelische“ werke aufgefasst werden, auch eine soziale aktivität ausgelöst. Nun aber zum „epischen drama“, oder eher dem konkreten beispiel „rundköpfe und spitzköpfe“. Ich glaube, dass die versagende wirkung des stücks davon kommt, dass Sie wegen Ihrer einseitigen auffassung von der natur des publikums – vielleicht darf man sagen: Ihres publikums – die figuren und den ganzen ton des spiels einseitig betont haben. Und zwar einseitig nicht nur auf das intellektuel-kritische hin, sondern auch, teilweise aus gründen, die nicht zentral mit Ihrer teorie des epischen, sondern mit Ihrer lebensauffassung in ganzen zusammenhängen, ins zynisch-brutale hinaus. Vielleicht kommt es von Ihrer angst vor das gefühlsbetonte im aristotelischen teater, dass Sie keinen helden haben im stück, aber die gefühlsmässige seite der publikumsnatur verlangt, dass es auf der bühne eine figur gibt, mit der sie sympathisieren kann. Die einzig sympathisch gezeichnete figur im stück, Perez, lernt das publikum so wenig kennen, dass es, wenn er gehenkt wird, nicht vor allem sagt: pfui, eine schande, muss gerecht werden oder ähnl., sondern spontan sagt: was für einen sinn hatte das denn auch, da wird er also hingerichtet, natürlich ist’s ungerecht gewissermassen, aber ich will mich nicht hinrichten lassen; besser sind die menschen nu mal nicht, und nur pervertierte leute haben märtyrergelüste. Und man muss mit dem publikum wie es ist rechnen. Das heisst: auch durch eine noch so gründliche umformung der gesellschaftlichen grundlage, auch durch noch so viele demonstrierende teatervorstellungen wird sich niemals die zusammengesetzte natur der menschen und des publikums in ihrer fundamentalen struktur ändern, wenn sich auch der geschmack, der formensinn und die 293 Im Ts: „die ansicht“. 294 Henrik Ibsen (1828–1906), norwegischer Schriftsteller.

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aktualitätswerte ändern. Auch in der zeichnung von figuren wie Nana und Callas zeigt sich Ihre einseitigkeit in der menschenauffassung und erklärt das rätselhaft unbefriedigende bei ihnen. Sie verstehen das widerspruchsvolle im aufbau dieser charaktere, Sie wissen vom kleinbürgerlichen menschen, und Sie demonstrieren diese widersprüche witzig und eigentümlich, so wie man puppen auseinander nimmt und vorzeigt. Es sind keine menschen, sondern wissen von menschen, sie sind abstrakt. Ihre handlungen sind – trotz der widersprüche – nie rätselhaft, nie überraschend, man merkt nie, dass nun geschieht oder wird gesagt etwas, welches aus spontanen gefühlen hervorgerufen wird und uns zuschauern das heimliche gefühl gibt: ja, das ist ein mensch, so verwirrt, so wenig maschine, so wenig – – gedanke. Ich will nicht damit sagen, dass Sie romantischer mystiker oder psychoanalytiker werden sollen, das wissen Sie wohl auch ganz genau. Aber ich möchte sagen, dass sie mehr künstler und weniger teoretiker sein sollten,295 und weniger bewusst pädagoge. Denn ich glaube, dass Sie dann nicht nur die gefühle, sondern auch die gedanken, die kritik, des publikums besser wecken würden, ich glaube, dass dann die trocknen marionetten lebendig werden würden und daher auch klarer. Dreigroschenoper und Die heilige Johanna sind viel weniger belehrend und demonstrativ, aber ich glaube, dass die beiden Stücke doch – oder eher: deshalb – viel mehr fruchtbare gedanken wecken, weil sie auch gefühle wecken, weil sie viel mehr künstlerisch sind – also so zu sagen: durch den „genuss“ zur kritik! In ihrer teorie überschätzen Sie gewissermassen das publikum in so fern das Sie ihm ein klares kritisches ratio zuschreiben (obwohl ich persönlich das keine überschätzung nennen würde, weil ich gefühle nicht als charakterfehler betrachte). In Ihrer praktischen tätigkeit aber haben sie doch tatsächlich eine neigung, das intellekt des publikums zu unterschätzen, indem Sie oft allzu überdeutlich auf die „morale“ oder lehre des stücks oder einzelner szenen deuten – das kann leicht etwas verstimmend wirken. Und nun werden Sie vielleicht ärgerlich den brief wegschmeissen und sagen, das ist ja alles blöder quatsch – am anfang des briefes sagt er, dass es ein fehler ist, dass die kommentare, die demonstration, nicht deutlich genug ist, und nun sagt er am ende des briefes, dass die demonstration zu überdeutlich ist. Ganz so unsinnig ists aber auch nicht. 1): vom gesichtspunkt des demonstrierenden dramas ist Rundköpfe und spitzköpfe unbefriedigend, erstens weil es an eine positive demonstration des morals, eine „anwendbare politische psychologie“ wie z.b. in der Mutter, fehlt, zweitens weil es in vielen ideologischen einzelheiten, besonders in der schilderung der einzelnen personen, unklarheiten und widersprüche gibt, die nicht so zu sagen ausgelöst werden in klarer künstlerischer form (dieser einwand trifft nicht die fabel, die ja so einfach und leichtverständlich ist, dass deren moral und bedeutung schon in der allerersten szene völlig klar gemacht worden ist). 2): aber es ist überhaupt eine frage, ob die teorie vom „demonstrierenden drama“ nicht mit grösster vorsicht in praxis angewandt werden sollte. (Ich nenne lieber Ihre form „das demonstrierende drama“ als „das epische drama“, weil es ja jedenfalls seit Strindberg296 oder den expressionismus sehr 295 Unterstreichung von Brecht. 296 August Strindberg (1849–1912), schwedischer Schriftsteller. Neben den hier angesprochenen expres-

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viele andere beispiele eines epischen dramas gibt, während die eigenart Ihrer form, oder eher: Ihrer teorie vom drama, klarer durch „demonstrierend“ ausgedrückt wird). Tendenz im drama? selbstverständlich! Ein teater, dass dazu beitragen will, die welt umzuformen? auch darüber sind wir durch und durch einig! Aber ein teater, das immer da mit dem zeigefinger ist, das die menschen in formeln auflöst, das ist meines erachtens eine gefahr. Pädagogisieren kann man und muss man, belehren und klarmachen. Aber im teater muss das durch die künstlerischen mittel geschehen, das pädagogische muss in 100%iges teater, volles szenisches leben umgeformt werden, oder es wird nicht auf das publikum voll wirken. Ich habe mich gewissermassen allzu scharf ausgedrückt, es könnte aussehen, als ob ich mit Ihnen durch und durch uneinig wäre. Aber Sie werden doch wissen, dass ich Ihre arbeiten sehr tief bewundere (was auch aus den artikeln, die ich über Dreigroschenoper und Mahagonny geschrieben habe, hervorgeht). Wenn es hier alles so scharf geworden ist, so kommt es ausschliesslich daher, dass ich kämpfe um meine wirre gedanken klarzumachen und die meinungsdifferenzen möglichst klar auszudrücken. Ihr immer ergebener Ebbe Neergaard Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Ebbe Neergaard Den Gl Skole Jystrup; BBA 476/12–16.

Lulu Ziegler u.a. an Bertolt Brecht Frederiksberg, 24.11.1936 Frederiksberg, 24/11 1936 Lieber Brecht! Nach der letzten Aufführung von „Spitz- und Rundköpfe“ sitzen wir hier bei einem Glase Bier und senden Ihnen und Ihrer Gattin unsere besten Grüsse und unseren Dank für Ihr Stück, das wir spielen durften! Lieber Brecht, das war ein schöner Kampf jeden Abend in einem Stück zu spielen. Deine Nana-Lulu297 Die Kasse war er leider nicht so gut Auf wiedersehen Überlieferung: Ms, Bv.: Allégado 10 Telefon Central 1492; BBA 476/2–3.

sionistischen hat er auch realistische und naturalistische Werke verfaßt. 297 Lulu Ziegler hat in der Kopenhagener Inszenierung der Rundköpfe und Spitzköpfe die Nanna gespielt.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 28.11.1936 28.11.1936 lieber bidi, dies ist schon eine etwas unheimliche abteilung298, muss ich sagen. es kommt mir vor wie ein todesbataillon. in der kurzen zeit (hast Du gelesen? k-u-r-z- schrieb ich) die ich hier bin, sind schon 5 gestorben. das grosse zimmer nebenan ist zum sterbezimmer avanziert. sonst liegen noch mit mir 8 leute hier, bestimmt werden von ihnen sterben eine alte frau, ein junges mädchen und ein kleiner junge. bilde ich mir nicht ein. das sagt die schwester. es ist so aufmunternd. ich muss etwas gestehen, ich möchte es nur sehr ungern schreiben, aber es ist mir so schwer, etwas, was mich wirklich beschäftigt hat, nicht Dir zu sagen. und wenn ich es nicht sagen kann, muss ich es schreiben. vorgestern nacht zu gestern früh hörte ich gerücke und geschiebe und dachte, aha, da ists schlimm mit jemandem. aber ich war so spät eingeschlafen und zu müde, um zu „horchen“. und eine stunde später wurde die tote frau abgeholt. dann war das zimmer leer. dann nachdem es gescheuert war, schoben sie einen alten mann hinein. die tür stand den ganzen tag offen. gestern abend, wie ich mir die Hände waschen will, stehen auf dem flur 10, 12 leute, manche in schwarz, manche in strassenkleidung. als sie mich sahen, machten sie rasch die tür zu. aha, dachte ich, der alte soll sterben. ab und zu gingen die leute ins nebenzimmer. licht wurde ausgemacht. ich konnte nicht schlafen. da machte ich von dem pappvorhang einen reissnagel los und sah durch das kleine fenster ins nebenzimmer. und da lag der alte im sterben und sie standen um ihn herum, schweigend. er kannte sie schon lange nicht mehr, ich sah nichts mehr. ich sah nur noch einen jungen, vielleicht 15 jahre alt, der ernst aber sonst teilnahmslos von einem auf den andern sah, mal auch prüfend auf den grossvater, ob der noch nicht tot ist. vielleicht irre ich mich, aber eigentlich sah es aus, als ob der junge fand, der alte brauche lange zum sterben. vielleicht wäre er gern ins kino gegangen? ich hätte ihn gern gefragt, was er denkt. – dann legte ich mich wieder hin. es dauerte so lange. aber eigentlich wollte ich nichts versäumen. (lieber bidi, schmeiss den brief weg, ich schreibe alles ganz genau, darf ich. vielleicht kann ich es dann vergessen.) und endlich, es war schon nach 9 uhr oder ½ 10, fingen die frauen, die drinnen standen und sassen, zu weinen an. ich dachte, jetzt ist er tot. ich stand wieder auf, aber ich konnte nichts sehen, sie standen alle um das bett herum. und der kleine drehte mir jetzt auch den rücken zu, lehnte aber noch immer an der zentralheizung, es war auch reichlich ungemütlich draussen. dann gingen alle, auch die schwestern, die 298 Die Øresund-Klinik in Kopenhagen, wo Steffin sich zur Behandlung aufhielt.

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feierlich und wütend (sonst essen sie 10 minuten nach 8 abendbrot, und nun war alles kalt geworden) dabei gestanden hatten. sie knipsten das licht aus. sicher stürzten sie sich auf ihr abendbrot. butter kriegen sie nicht, die will grade johanne christiansen für sie erkämpfen, für uns hat sie sie schon erreicht. ich lag lange wach. plötzlich sah ich einen lichtstreif an dem fensterchen. was, lebte er noch? ich sah wieder durch den spalt. nein, rechts und links stand je eine schwester und wischte dem toten hastig die brust ab. warum? totenschweiss? warum nur die brust? dann wurde es sofort wieder dunkel. und nun wollte ich schlafen. aber ich konnte nicht. ich hörte geräusche, als ob einer stöhnt, natürlich das ist im hafen, ein nebelhorn oder sowas. mein herz klopfte schrecklich. es war schon 11 uhr. jetzt lag der tote schon 2 stunden nebenan. und plötzlich war wieder der lichtstreif da. ich stand rasch auf und nahm meine brille, die hatte ich schon vorher aus der tasche genommen, und wie ich hineinsah, standen die schwestern wieder rechts und links, diesmal in langen kitteln, weissen, mit langen ärmeln. sie zogen den toten aus, wuschen ihn. warfen die kissen auf den boden. schlossen geschickt die augen. pappten, ja sie pappten ihm feuchte wattestückchen auf die augen. legten ein sehr weisses tuch zusammen. banden ihm den kiefer hoch. und einen kleinen beinahe freundlichen klaps gab die jüngere Schwester dem toten an das bewickelte kinn, vielleicht weil der kiefer so hübsch fest sass? aber da rutschte der kopf zur seite. er lag ganz nackt da, der arme alte mann, mit schiefem kopf, einen verband wie bei zahnweh um. die arme legten sie ihm am körper lang, aber dann entschlossen sie sich, sie auf der brust zu kreuzen. dann drehte ihn eine schwester um, indem sie fest seinen sicher sehr kalten hintern (sagt man auch bei toten hintern? es sah aber aus wie hintern, nicht anders) packte, sie tupfte irgendwie rum. und dann legten sie ihn wieder auf den rücken. er sah erstaunt aus, der alte mann. nun legten sie ihm die arme wieder am körper lang, sie schienen fest entschlossen, es dabei bleiben zu lassen. noch einmal rutschte der kopf auf die seite und noch einmal stopften sie, und alles machten sie zu zweit, das kopfkissen so, dass er hübsch ordentlich und simmetrisch [sic] da lag. dann schlugen sie ein laken um ihn. aus. ich hatte furchtbares herzklopfen und sah lange aus dem fenster, auf das gaswerk hin. dahinter ist die eisenbahnschiene. ein paar hundert meter weiter der hafen. dann legte ich mich hin und zog die decke über den kopf, aber da bekam ich keine luft. und wie ich die nase vorsteckte, roch ich totenluft. ich weiss, einbildung, mir fiel dann ein, wie wir uns als kinder unsere arme immer so lange gerieben hatten, bis sie stanken, und sie uns dann gegenseitig unter die nase hielten: „riech ma, totenjeruch, nich?“ das hatte er nun nicht mehr nötig. es war bald zwölf. eigentlich hätte ich gern ein schlafpulver gehabt, aber obwohl sie sich sicher schon die hände desinfiziert hatten und die kittel weggeworfen, wollte ich keine schwester bei mir haben. und dann schlief ich doch ein. und hatte einen guten traum, kein bisschen unheimlich. als ich sehr früh aufwachte, war er schon weg, sie mussten ihn grade geholt haben. und nun kommt grossmutter ran, sagte eine nachtschwester.

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findest Du es schlimm, lieber bidi? aber ich konnte so nicht liegen, wo es sowieso drinnen geschah. ich hätte es mir viel schlimmer eingebildet. schreibe mir, ja? Überlieferung: Ts, BBA 654/87–88. – E: Steffin, Briefe, S. 214ff.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen, November/Dezember 1936] lieber bidi, auf solche distanz hin wage ich kaum, irgendeine kritik zu üben.299 das steht dann so anmassend schwarz auf weiss da und kein rückzug ist bei einem falschen zungenschlag möglich. wenn ich dort wäre, wärs leichter. aber auf j e d e gefahr hin dies: die parabelform.300 eben hat der leser etwas vom epischen theater gelesen (die anmerkungen nach den ersten stücken des bandes) jetzt kommt die parabelform. ist dann der inhalt diesem titel entsprechend? zwei titel: und

aufbau der rollen (induktive methode) einflussnahme auf den zuschauer (bei induktivem rollenaufbau)

von dem zweiten hätte ich manches unter dem ersteren abschnitt zu finden erwartet. der erste teil (des zweiteren) ist am einleuchtendsten von allem, was an theoretischen sachen gesagt wird in dem band. soll er verlängert (erschwert?) werden? da der verfremdungseffekt bis zu dieser seite nicht als solcher vorkam (?), ein neues wort für den leser ist, genügt nicht, zu sagen, d a s s und w e l c h e stellen entfremdet wurden, sondern der neugierige fragt w i e wurde entfremdet? unter beispiele für entfremdung 301 scheint mir das erste nicht stark, beim dritten ist mir der erste satz (zu den ausstellungen historischer szenenformen gehört auch) zu gewichtig gegen den schlusssatz. das letzte beispiel leuchtet auch einem einfachen krankenhäusler ein, am ehesten von allen; aber da gehobene sprache und prosa in einem stück dem leser am wahrschein­li[ch]sten bekannt und nie als verfremdend vorgekommen sein dürfte usw. … (NB: vergisst Du nicht, dass man die 299 Brecht hatte nach der Kopenhagener Aufführung eine Anmerkung zu „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ (GBA 22, S. 207–219) geschrieben und sie Steffin zur Begutachtung vorgelegt. Der Text erschien 1938 zusammen mit dem Stück in Band 2 der Gesammelten Werke. 300 Kursiv gesetzte Wörter im Ts mit rotem Farbband hervorgehoben. 301 Hs. Erg. am Rand: „Steht auch nicht unter ‚verfremdet wurde‘“.

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andern aufsätze im gleichen band hat?) nein, ich trau mich nicht, noch was zu schreiben. und wenn morgen wirklich dieser fragebogen zurückkommt von Dir, gehen also die „rundköpfe“ ab. auf alle fälle: adresse der vegaar (lateinische buchstaben genügen) ist: verlagsgenossenschaft ausländischer arbeiter in der USSR deutsche sektion, Bork, Moskau; B. Nikolskaja 7. sehr von mir geehrter und geliebter herr, sooo unverständlich finde ich es nicht, dass mariannes302 brief nicht ankommt. ich meine, da liegt noch manch anderer brief, den Du vergisst mir zu schicken, sowas denk ich von Dir, aber den möchte ich gern haben. warum dachtest Du, ich sei unfreundlich? reich redest Du mit „Du“ an. bei manchen leuten vergisst Du das ja nicht. er würde, glaube ich, gekränkt sein? diese anfrage rechts oben303 meint, dass man also dem leser ruhig zumuten kann, auch alles durchgelesen zu haben bisher und dass man ihn also nicht etwa zu zart behandeln muss. wiedersehen, g.g. schreib [Hs. Rückseite:] für dringend: telefon ist Central 9463

isolation fru juul

Hast Du den krim. roman bekommen? wie bin ich? lieber bidi, ich bin noch immer freundlich von letztem Dienstag, aber jetzt ebbt es langsam ab. lulu305 fragt, wann du kommst. ich sagte, Du hast heute angerufen, weil Du eben besuch bekamst u. lulu nicht morgen kommen kann? 304

Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg.; RGALI. – Dv: Kopie BBA Z23/156–157. – E: Steffin, Briefe, S. 217ff.

302 Möglicherweise Marianne Zoff. 303 Hs. mit „x“ markiert. Bezieht sich auf die ebenso markierte Frage in Klammern oben („NB“). 304 Soll wohl heißen: Kriminalroman. Genaueres konnte nicht ermittelt werden. 305 Lulu Ziegler.

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Johannes R. Becher 306 an Bertolt Brecht Moskau, 5.12.1936 Moskau, den 5. Dezember 1936 Postfach 850 Lieber Brecht, wir bestätigen Dir den Eingang Deines Beitrags, den wir in Nummer 2 der IL bringen werden.307 Wir haben uns sehr gefreut, von Dir eine Arbeit zu erhalten, und wir bitten Dich auch weiterhin regelmässig bei uns mitzuarbeiten. Mache uns auch Vorschläge und schreibe uns, wenn es Dir nicht zuviel Zeit kostet, wie Dir jede Nummer gefällt. Sage bitte auch St. dass wir ihre Sache bald bringen werden,308 sie liegt ja wirklich schon lange genug bei uns, aber es war auf Grund des Redaktionswechsels eine Menge aufzuarbeiten. Mit den besten Grüssen Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/134.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 12.12.1936 Liebe Grete, Sie hätten von mir schon vor einer Weile gehört – und meinen Dank für Ihren Novemberbrief309 erhalten – wenn die letzten Wochen mich nicht so sehr an das Unmittelbarste fixiert hätten. Es erwarteten mich auf meiner Reise310 erhebliche Schwierigkeiten. Sie sind noch durchaus nicht bereinigt; ich kann nur hoffen, in einiger Zeit klarer zu sehen. Inzwi­ schen mußte ich Arbeit und Mitteilung bis auf meine Rück­kehr verschieben.

306 Auf dem TsD fehlen Name und Unterschrift. Es kann jedoch kaum Zweifel bestehen, daß der Verfasser dieses Briefs (sowie der folgenden Briefe der Redaktion der Internationalen Literatur) Johannes R. Becher war, der soeben die redaktionelle Leitung der Zeitschrift übernommen hatte und der von den verbliebenen Moskauer Exilanten wohl der einzige war, der Brecht duzte. Zur Internationalen Literatur vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933. 307 Das ist die Geschichte Der Soldat von La Ciotat (GBA 18, S. 407f.), erschienen unter dem Titel L’ homme statue in Internationale Literatur, Heft 2/1937. Ein entsprechender Brief Brechts ist nicht überliefert. 308 Von Steffin erschien in Heft 7/1937 „Herr Fischer, wie tief ist das Wasser?“, das zweite Bild aus ihrem Stück Wenn er einen Engel hätte (jetzt in: Steffin, Konfutse, S. 235–242). 309 Vgl. Brief an Benjamin vom 7.11.1936 in: Steffin, Briefe, S. 212ff. 310 Benjamin war, nachdem er Brecht im August/September 1936 in Svendborg besucht hatte, nach San Remo gereist und im Oktober nach Paris zurückgekehrt.

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Mein Erstes ist, Sie um Nachricht über Ihre Gesundheit zu bitten. Hoffentlich haben Sie ein paar freundliche Dänen in der Nähe, die sich mit Obst und Kuchen garniert bei Ihnen einfinden. Dudow, den ich nur erst am Telefon sprach, erzählte mir von Ihrem Bericht und aus ihm entnehme ich, daß die Dänen eine Rehabilitierung bei Ihnen sehr nötig haben. Womit können Banausen den Künstler kränken, wenn nicht mit Würsten? Im übrigen ist das Verhalten der Leute ja wohl nur solange nachsichtig zu beurteilen, als sie bei ihrem provinziellen Stil bleiben. Dudow sagte mir, daß sie dem Ballet gegenüber Sabotage getrieben hätten.311 Das klingt sehr widerwärtig – zumal wenn ich mich erinnere, wie sehr sie im Sommer dahinter her waren. Ich habe mich in Paris noch kaum umsehen können. Soviel ist klar, daß es auch hier besser bestellt sein könnte. Während meiner Abwesenheit ist das Buch von Gide „Re­tour de Urss“312 erschienen. Erschienen nicht nur in Buchform, sondern in zahllosen Auszügen in der Presse der Faschisten verbreitet. Gelesen habe ich es noch nicht. Sowie ich es mir verschafft habe, sende ich es an Brecht, der mich in einem Brief313, der gestern kam, darum gebeten hat. Die Empörung bei den Parteileuten kennt keine Grenzen. (Was mich be­trifft, so mißbillige ich das Buch ohne es noch zu kennen. Ohne auch zu wissen, ob was darinnen steht, zutrifft und ob es entscheidend ist. Indem ich das letztere unterstelle, kann ich doch keineswegs davon absehen, daß die Haltung des Mannes, der sich, zu diesem Zeitpunkt, auf den Weg macht, um nun mal nachzusehen, wie die Sache da eigentlich aus­sieht, eine Düpierung darstellt. Eine politische Position kann nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt in unbeschränkter Öffentlichkeit nachgeprüft werden. Der Anspruch darauf ist reiner Dilettantismus; das Ergebnis ist grober Unfug. Dies unter der Voraussetzung, daß von Gide kein exakter politischer Zweck sondern eine „Besserung“ beabsichtigt ist. Im übrigen könnte der exakte politische Zweck ja nur in der trotzkistischen Linie liegen. Das müßte einbekannt sein und es ist, soviel ich weiß, keineswegs der Fall.) Ich habe den zweiten pariser Brief314 geschrieben; er behan­delt einige Debatten, die in der letzten Zeit über das Verhält­nis von Malerei und Photographie hier geführt wurden. Im übrigen haben die Leute noch immer keinen Bescheid über meine Reproduktionsarbeit kundgegeben.315 Nun muß das wohl ruhen, bis Brecht selbst hinkommt. Oder glauben Sie, es sei zweckmäßig, Maria Osten, die wieder zurück ist, davon zu schreiben? Ich halte das nicht für gewiß. 311 Bezieht sich auf die Kopenhagener Premiere der Sieben Todsünden der Kleinbürger am 12.11.1936 (vgl. Anm. zu Steffin, 22.2.1936). Steffin hatte Benjamin am 7.11.1936 berichtet, daß „kritiker u. konsorten […] das Ballett […] im voraus durch gehässige anmerkungen kaputt machen“ (Steffin, Briefe, S. 213). 312 André Gide, Retour de l’U.R.S.S., Paris 1936 (Zurück aus Sowjet-Russland, Zürich 1937). Vgl. Brechts Polemik gegen Gide in den damals unveröffentlichten Aufzeichnungen Kraft und Schwäche der Utopie (GBA 22, S. 286–289) und Die ungleichen Einkommen (ebd., S. 290–294). 313 Vgl. B. an Benjamin, Anfang Dezember 1936, GBA 28, S. 568. 314 Vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 27.9.1936. 315 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936.

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Ich habe die Notiz über Ihering in Heft V des „Wort“316 gelesen. Ist seitdem Neues über ihn bekannt geworden? Nun habe ich Ihnen so ungefähr erzählt, was ich zu be­richten habe. Wollte ich mehr schreiben, müßte der Brief tagelang liegenbleiben und darum folgen für heute nur die besten Wünsche für einen baldigen Wechsel Ihres Logis. Schreiben Sie, bitte, sehr bald und Ausführliches. Herzliche Grüße für Sie und Brecht. 12 Dezember 1936 Paris XIV 23 rue Bénard

Ihr

Walter Benjamin

Überlieferung: Ms, BBA 2046/60–62. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 438f.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 14.12.1936 Prag, den 14.12.36 Grete Steffin, Svendborg, Skovsbostrand, Danmark Liebe Grete Steffin, Dein Brief vom 10.12.317 setzt mich in Erstaunen. Ich habe von Brecht seit fast zwei Jahren keinen Brief mehr bekommen.318 Und Dein letzter Brief ist vom 18.8. datiert, und wurde sogleich nach Eingang beantwortet. Eine Kopie dieser Antwort ist an Brecht gegangen. Eine Antwort auf dieses Schreiben kam weder von Dir noch von Brecht. Am 23.9. habe ich Brecht die Bände Smedley „China kämpft“ und Hinrichs „Staatliches Konzentrationslager“ geschickt, am 6.11. Graf „Der Abgrund“.319 Ausserdem unseren Prospekt mit der Frage, ob ihn sonst noch was von meiner Neuproduktion interessiert. Auch darauf bekam ich keinerlei Antwort. 316 Der mit „M.“ gezeichnete Beitrag „Iherings Berufstod“ schließt mit den Sätzen: „Nun kommt aus Berlin die Nachricht, daß dieser Mann zum Berufstod verurteilt ist. Auf Grund der alten Sünden? Auf Grund neuer Konflikte? Jedenfalls ist es vom nationalsozialistischen Staat nicht gescheit, auf einen Mann zu verzichten, der soviel Hang zum Theater besitzt, soviel Theater-Erfahrung, soviel Rebellentum und akrobatische Gelenkigkeit, noch das antiquierteste Zeug unter seine Bewegungskategorien zu zwingen“ (Das Wort, Heft 5/1936, S. 107f.). 317 Nicht überliefert, ebenso wie der nachfolgend erwähnte Brief Steffins vom 18.8.1936. 318 Der bis dahin letzte überlieferte Brief Brechts an Herzfelde datiert von Juli/August 1935, GBA 28, S. 517f. 319 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 25.6.1936.

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Alles war adressiert Bertold Brecht, Adresse wie oben. Ich würde gerne wissen, ob die Sendungen angekommen sind. Sollte ein Brief an mich verloren gegangen sein, so erbitte ich Kopie. Was nun die Sonderabzüge „Rundköpfe“ angeht, so kann ich, da ich gar keinen Abzug hier habe, nicht feststellen, ob solche Abzüge technisch möglich sind. Wenn ich aber nicht sehr irre, wird die Vegaar ihre Ausgabe sowieso in einzelne Stücke aufteilen. Jedenfalls werde ich Brechts Wunsch weiterleiten. Ich möchte die Stücke nicht einzeln auf den Markt bringen, denn es ist sonnenklar, dass dann die Sammelbände kaum abzusetzen sein werden. Wir hatten damals ja gerade das besprochen. Auch sollte der Preis für den Gesamtband möglichst niedrig eingesetzt werden, damit die Käufer sich an der Notwendigkeit, mehrere Stücke auf einmal zu kaufen, nicht stossen. Dank für die Bilder; von welcher Aufführung rühren sie her? Ich habe von keiner etwas erfahren. Die letzte Nachricht der Vegaar besagt, dass Revisionsabzüge an Brecht gegangen sind. Hat er diese Abzüge imprimiert und zurückgeschickt? Ich hoffe zuversichtlich, dass die Bände endlich im Frühjahr herauskommen. Dank für die nette Frankierung, natürlich sammelt George320 Marken, falls der kleine Brecht es auch noch tut, schick ihm das Kuvert dieses Briefes. Herzlichen Gruss Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., von fremder Hand: „geschr. ende januar“, Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1; BBA 477/50.

Walter Benjamin an Bertolt Brecht Paris, 20.12.1936

Paris (14e), den 20. Dez. 1936 23, Rue Bénard

Lieber Brecht, Vielen Dank für Ihren letzten Brief.

320 George Wyland-Herzfelde (1925–2011), Sohn von Wieland Herzfelde. Blieb 1949 nach der Rückkehr seiner Eltern in den USA, wo er eine Karriere als Eiskunstläufer begann und u.a. auch als Schauspieler tätig war. Lebte ab 1968 in der Schweiz.

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Ich würde Ihnen gern etwas Vernünftiges über den Stand der französischen Ausgabe des „Dreigroschenromans“ berichten.321 Aber es sieht ziemlich betrüblich aus. Klossowski hat mit Moussignac gesprochen; aber man ist zu keinem Ergebnis gekommen. Die ESI wollen für die Uebertragung Frs 2500,-- aussetzen. Klossowski seinerseits glaubt, unter dreieinhalb Monaten die Arbeit nicht bewältigen zu können und, auf dieser Grundlage errechnet, ist die Bezahlung dürftig. Es gibt sicher in Frankreich nur ganz wenige Leute, die dieser Uebersetzung gewachsen sind. (Ich selbst kenne persönlich außer K. niemanden.) Ob man von den wenigen in Betracht kommenden zu diesen Bedingungen Jemanden wird haben können, ist leider ganz zweifelhaft. Ehe ich bei Moussignac vorbeigehe, wüßte ich gern wie Sie über die Sache denken. Ich meine, es wäre das chancenreichste, einen anderen Verlag zu suchen, der mit etwas mehr Mitteln und vor allem mit mehr Initiative an die Sache heranginge. Schreiben Sie mir bitte ein Wort darüber. Mit der gleichen Post schicke ich Ihnen den zweiten „Pariser Brief“.322 Ich denke, es stehen einige interessante Sachen darin, und sie kollidieren nirgends mit derzeitigen Parolen. Hoffentlich kann der Brief recht bald erscheinen. Dem Manuskript lege ich Ausschnitte aus der „Humanité“ bei, die einen Artikel reproduzieren, der gegen Gide in der „Pravda“ erschienen ist.323 Gides Buch sende ich Ihnen, sobald ich es selber habe. Ich denke, wir sehen uns nächstes Jahr spätestens im Sommer. Wie wäre es, wenn Sie vorher einmal hier vorbeikämen? man könnte dann die Uebersetzungsfrage ins richtige Geleise bringen. Sagen Sie bitte Heli und Steff schönen Dank für ihre Briefe und leben Sie herzlich wohl. Überlieferung: TsD, BBA 2169/1–2. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 444f.

Frank Banholzer an Bertolt Brecht Friedberg, 28.12.1936 Friedberg, den 28.12.1936

321 Vgl. Benjamin, ca. 27.9.1936. 322 Vgl. Anm. ebd. 323 Eine am 3.12.1936 in der Prawda anonym publizierte Kritik des Buches von Gide (vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 12.12.1936) wurde unter dem Titel „Ris et larmes d’André Gide“ am 18./19.12. in der französischen KP-Zeitung L’Humanité nachgedruckt. Brecht kannte bereits die deutsche Übersetzung des Textes, die am 4.12. in der Deutschen Zentral-Zeitung erschienen war. André Gide reagierte seinerseits darauf mit der Ergänzung Retouches à mon Retour de l’U.R.S.S., Paris 1937 (Retuschen zu meinem Russlandbuch, Zürich 1937).

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Lieber Papa! Recht vielen Dank für Dein reizendes Weihnachtsgeschenk. Es hat mir sehr viel Freude gemacht. Aber am meisten hat es mir Freude gemacht, daß ich von Dir einen Brief324 erhalten habe. Zeigt es mir doch, daß Du auch zuweilen an mich denkst! Wie geht es eigentlich Dir, Tante Helli, Steff und Barbara? Von Großpapa hörte ich, daß von Dir Theaterstücke in aller Welt aufgeführt würden. Hoffentlich hast Du recht viel Erfolg! Mir geht es z.Zt. sehr gut. Im Geschäft wie auch gesundheitlich. Ich bin jetzt gerade in Behandlung bei Dr. L. Schmid aus Berlin. Großpapa sagt, dass Du ihn sehr gut kennst. Er habe ja sogar als Du noch in Berlin warst bei Dir seine Sprechstunde abgehalten. Seine Praxis übt Dr. Schmid ganz geheim aus. Eigentlich dürfte er gar nicht. Vor zwei Jahren wurde er wegen Landesverrat verhaftet, mußte aber wieder freigelassen werden, da sich seine Unschuld herausstellte. Aber seine Praxis wurde ihm genommen. Mama hat voriges Jahr ein Kleines bekommen. Es war ein Mädchen! Leider ist es aber sofort nach der Geburt gestorben und meine Mutter sehr schwer krank geworden. Wochenlang ist sie zwischen Leben und Tot [sic] geschwebt. Ihre zähe Natur hat aber schließlich gesiegt. Jetzt ist sie wieder frisch und munter. Und nun wünsche ich Dir noch ein recht frohes und erfolgreiches neues Jahr. Auch Tante Helli Steff und Barbara wünsche ich recht viel Glück im kommenden Jahre! Von Deinem Frank Meine Adresse: F.B. Friedberg b/ Augsburg Stadtgraben 10. Überlieferung: Ms, BBA 654/141–142.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Kopenhagen, Ende 1936] 325 die rundköpfe lieber bidi, ich finde es ein wunderbares stück und sehr gut gestrichen und geändert. ich habe es heute nochmals gelesen. – nicht etwa, weil mir Deine antwort so grossen spass ge-

324 Nicht überliefert. 325 Die undatierten Notizen zu Die Rundköpfe und die Spitzköpfe sind vermutlich nach der Kopenhagener Aufführung entstanden. Hs. Erg. Brechts sind kursiv gesetzt.

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macht hat, sondern weil ich noch einige fragen habe, bitte ich Dich, sie mir gleich wieder (auf diesem zettel) zu beantworten: es kam noch wenige male „iberinsoldat“ vor (bei X), das habe ich in hua geändert dann sollte man (in II) den Iberinsoldaten wohl nur „Iberinanhänger“ nennen und mit einer Armbinde ausstaffieren (ohne Waffe)? * einen unheimlichen eindruck macht es im anfang (sehr gut) dass in I und II der krieg die hauptrolle spielt. das geht dann weg – was auch richtig ist, glaube ich – aber in XI muss man auf I mehr zurückkommen? (es ist schade um die kleine szene, wo missena den vizekönig erwartet, im gegensatz zu I, wo Iberin so lange wartet) siehe anlage! * II nicht vom plakat „tschichisches geschäft« die rede gib es hinein! * miliz hast Du manchmal kampfstaffeln, manchmal legion stehen, ich denke, beides kann bleiben und legion Miliz326 weg. ja. * frau cornamontiz nennt zum ersten mal das „holzschuhvolk“ (wenn sie die ausziehenden truppen ansehen will) das geht. * III schade, dass wegfällt, „3 tage, callas“ und seine antwort. es war sehr gut, wie er auf sich eben entschloss, nachdem er bis zum äussersten auf die hilfe wartete. Wenn der 3. P.327 ab ist, kann Lopez sagen: Du wolltest noch warten, Callas, ob nicht eine günstige nachricht für dich aus der stadt von deiner tochter eintreffen würde. Callas: die hilfe ist nicht eingetroffen und ich bin einverstanden, mit euch zu kämpfen. / Lopez: Gib mir die Hand, … * VI „ich trinke nicht auf die gesundheit eines pferdediebs“ sollte nicht der satz kommen, dass es dann besser ist, sofort wegzugehen? ja. übrigens in VI Nana: ich habe keine bestellt. * 326 Hs. Korr. von Steffin. 327 Pächter.

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VI hier im druck heisst es: (wo du haben willst, „könnte man sofort über die gäule einig werden“): könnte man sofort über eine schenkung sprechen.328 ist wirklich besser! das ist gut (so angenehm vorsichtig, weil man nicht weiss, ob der mann billig ist) kurz darauf: also klipp und klar: Sie können jetzt die 2 Gäule …, * was „gäule“ oder pferde angeht, habe ich bei den Pächtern immer Gäule geschrieben, die feinen leute sagen meist pferde, manchmal gäule. (du bist aber schlau, alter muck!) * callamassi: in 2 und 8 „der hauswirt callamassi“, in VI und VII: nur „callamassi“. sieht richtig aus. shure329 * VII wenn sich iberin nach dem stand der schlacht erkundigt: mirasonnore wird wohl den ausschlag geben. um das kraftwerk tobt der entscheidungskampf. das vor 3 Tagen an die Sichel fiel (fehlt da nicht eine zeile? weil es gestern von der sichel eingenommen war?) * VIII gestern hätte isabella noch gehen müssen, heute ists nicht mehr nötig. soll es nicht auch heissen: ist er nicht spitz? seit heute nicht mehr spitz? nämlich: war er es gestern, wo ich hätte gehen müssen und heut nicht mehr, wo der sieg da ist? * 339/IX die kellnerin bringt die suppe (oder fr. corn. gibt sie?) * ich habe mir ein paar mal in XI die freigabe die verse spricht nicht Nanna sondern die Spielerin die einkleidung und der Nanna: 328 Streichung und Unterstreichung von Brecht. 329 Gemeint ist vermutlich das englische Wort sure.

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missenanas friedensrede angesehen. da finde ich es nicht so … jetzt finde ich kein wort dafür. kannst du es nochmal durchlesen? ja. gg 330 würdest Du die Einkleidung streichen? soll Callas (nach „… ich schick dir von der suppe“) sagen (zu Nanna) Hast Du gehört, sie wollen einen Krieg machen? und soll der Vizekönig statt nur „Erst kommt der Pächter, wie, Herr Iberin?“ noch sagen: Man muß ihn füttern nun: er ist Soldat. Zwei teller her! und dann fehlen: eine liste über die jahreszahlen (wann die einzelnen stücke des ersten bandes geschrieben wurden) die mitarbeiterliste die angefügt werden soll. that’s all. lieber bidi, es ist ein sehr schönes stück. bloss lies nochmal die 3 sachen in XI durch? Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. Erg. von Brecht, BBA 347/27–28. – E: Steffin, Briefe, S. 223ff.

330 Vgl. Anm. zu Steffin, Juli 1933.

Briefe an Bertolt Brecht, 1937

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Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 23.1.1937 am 23.1.37 Lieber Brecht, wie mir aus Prag und Wien berichtet wird, verbreitet dort eine anscheinend russische Stelle in gewissen Blättern die Nachricht, in Moskau sei Ernst Ottwalt verhaftet worden, da er Nazispion sei.1 Er habe an mich prohitlerische Briefe gerichtet, aber diese Briefe seien von mir der russischen Regierung ausgeliefert worden. Diese infame Lüge reiht sich ebenbürtig den Behauptungen über Trotzki, Radek usw an, mit denen die russische Regierung neuerdings ihren Kampf gegen die alten Kommunisten ausficht.2 Ottwalt hat mir n i e eine Zeile dieser Art geschrieben, und damit zerfällt auch die Behauptung, ich hätte der Bande korrupter Staatsanwälte in Moskau auch noch Material für ihr Treiben geliefert.

1

2

Ernst Ottwalt wurde zusammen mit seiner Frau Waltraut Nicolas im November 1936 auf dem Roten Platz verhaftet und blieb fortan verschollen. Nicolas, die später nach Deutschland ausgewiesen wurde, berichtete, er sei zunächst drei Jahre in den Moskauer Gefängnissen Lubjanka und Butyrka in Untersuchungshaft festgehalten und 1939 schließlich wegen „Agitation gegen den Staat“ zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Im Dezember 1943 kam Ottwalt in einem Lager bei Archangelsk ums Leben. Der 1929 aus der UdSSR ausgewiesene Leo Trotzki, der sich inzwischen in Norwegen aufhielt, galt als Drahtzieher der behaupteten antisowjetischen Verschwörung, deren die Angeklagten in den Moskauer Prozessen bezichtigt wurden. Der erste Schauprozeß gegen das „trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum“ (gegen Grigori Sinowjew, Lew Kamenew und 14 weitere Angeklagte) fand vom 19. bis 24.8.1936 statt. Unter den 17 Angeklagten im zweiten Prozeß gegen das „sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum“ (23.–30.1.1937) war auch Karl Radek, der allerdings nicht zum Tod, sondern zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt (und 1939 in einem Lager ermordet) wurde. Der dritte und vorerst letzte öffentliche Prozeß, gegen den „Block der Rechten und Trotzkisten“ (gegen Nikolaj Bucharin, den ehemaligen Geheimpolizeichef Genrich Jagoda und 19 weitere Angeklagte), fand vom 2. bis 13.3.1938 statt. Brecht hat zu diesen Prozessen nie öffentlich Stellung bezogen. Neben Aufzeichnungen „zur Selbstverständigung“ (GBA 22, S. 365–369; vgl. dazu auch den Briefentwurf in GBA 29, S. 72f.) und den beiden apologetischen Geschichten Die Prozesse des Ni-en (aus dem postum publizierten Buch der Wendungen, GBA 18, S. 169) sind indes auch kritische Äußerungen überliefert, etwa die Bemerkung: „the more innocent they are, the more they deserve to die.“ Nach Aussage Sidney Hooks, der es wie die meisten späteren Kommentatoren als zynische Rechtfertigung auffaßte, hat Brecht dies bereits im Winter 1935/36 in New York über die sowjetische Justiz gesagt (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 303). Deutlichere Worte über die Vorgänge in der UdSSR fand er in einem Gespräch mit Walter Benjamin 1938, das dieser anschließend notierte (vgl. BGS VI, S. 534–539). Das wirkliche Ausmaß des Terrors, der weit über die berüchtigten Moskauer Prozesse hinaus die gesamte sowjetische Gesellschaft und nicht zuletzt auch die dort lebenden Exilanten erfaßte, konnte selbst der äußerst hellsichtige Brentano nur von ferne erahnen.

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Da ich in Moskau keine vertrauenswürdige Person kenne, wende ich mich an Sie als den Freund Ottwalts und den Herausgeber einer russischen Zeitschrift mit der Bitte, Sie möchten jene Nachricht in Ihrem Blatt auf das entschiedenste dementieren. Ich selber werde die Meldung in den betreffenden Wiener und Prager Blättern dementieren, und nötigenfalls nicht davor zurückschrecken, mich an Zeitungen wie Temps und Times3 zu wenden. Aber das genügt nicht. Ottwalt ist Emigrant; folglich muss die Behauptung an Ort und Stelle und das heisst in der Moskauer Zeitschrift das Wort, deren Mitarbeiter er war, dementiert werden.4 Wegen der unsicheren Postverhältnisse schicke ich Ihnen diesen Brief eingeschrieben, und bitte Sie, ihn mir doch zu bestätigen. Mit herzlichem Gruss bin ich Ihr alter Brentano. Überlieferung: Ts, hs. U., von fremder Hand: „antwort auf rückseite br. w. ge[a]ntw. 10. II. 37“ (Brechts Antwort auf der Rückseite des Briefbogens), Bv.: Bernard von Brentano • Küsnacht bei Zürich • Telephon 911182; BBA 481/4.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin und Bertolt Brecht [Prag] 29.1.1937

29.1.37

Liebe Grete Steffin, Dank für Deinen Brief, hoffentlich bist Du wieder hergestellt. Sicherheitshalber schicke ich eine Kopie dieses Briefes gleichzeitig an Brecht direkt. Die Vegaar schrieb mir, dass die Herstellung infolge sehr umfangreicher Korrekturen verzögert worden sei. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass ich die Bände hier drucken will und dass sie das vor anderthalb Jahren von mir gelieferte Papier (es wird inzwischen nicht besser geworden sein) selbst verbrauchen möchte. Ich gedenke dann gleich beide Bände auf einmal zu drucken, den I. Band evtl., falls damit keine Verzögerung verbunden ist, von Matrizzen des dortigen Satzes. Ich möchte unbedingt im Frühjahr damit fertig werden. Dagegen dass Querido die „Hauspostille“ neu auflegt,5 kann ich natürlich nichts sagen. Ich setze voraus, sie zahlen einen anständigen Vorschuss. Andernfalls fände ich es vernünf3 4 5

Die bis 1942 in Paris erscheinende Tageszeitung Le Temps und die Londoner Times. Brecht antwortete Brentano am 10.2.1937, daß er der Bitte nachkommen werde (GBA 29, S. 8f.). Eine entsprechende Notiz ist im Wort allerdings nie erschienen. Eine Neuausgabe bei Querido kam nicht zustande. Die zuerst 1927 bei Propyläen in Berlin erschienene und inzwischen überarbeitete Hauspostille (GBA 11, S. 37–120) sollte aufgenommen werden in

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tiger, den Neudruck im Rahmen unserer „Gesammelten Werke“ vorzunehmen. Wenn es möglich ist, sollte Brecht vielleicht in den Vertrag mit Querido einen Paragraphen aufnehmen, der ihm gestattet, nach einer bestimmten Zeit die „Hauspostille“ oder Teile daraus im Rahmen der Gesamtausgabe seiner Werke drucken zu lassen. Gerne hätte ich etwas mehr über die Aufführungen gehört, wie oft ging das Stück über die Bühnen, was sagen die Kritiker, hätte man nicht die deutsche Presse intensiver bearbeiten können. Solche Kritiken werde ich auch zur Propagierung der Bücher benötigen. Herzliche Grüsse Wieland Lieber Brecht, hier die Kopie meines Briefes an Grete, damit Du sie schnell erhältst. Du siehst, ich tue alles, damit die Verzögerung endlich ein Ende findet. Wie haben Dir die verschiedenen Bücher gefallen?6 Mit dem Verlag geht’s wieder, wenn auch nicht gerade stürmisch, aufwärts. Was sich an Sonderdrucken machen lässt, ist eine technische Frage, auf die ich sogleich zurückkomme, wenn ich den Umbruch in Händen habe. Herzlichen Gruss Dir und den Deinen Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 368 96 Vertreter der Malik-Verlag Publishing Company London, W.C. 1, Notiz von fremder Hand: „geschr. 13./II.“; BBA 477/51.

Slatan Dudow an Margarete Steffin [Paris, Januar/Februar 1937] Liebe Grete, Aus Deinem Brief klingt ja ein Verdacht, als wenn ich kommen könnte, aber nicht will, da ich fürchte es würde langweilig sein. Ich bin darüber sehr erstaunt daß über Du kommst Dir Darüber bin ich sehr erstaunt.7 Du kannst Dir kaum vorstellen, welche Mühe ich mir gebe meine finanzielle Sache zu regeln, damit ich endlich abfahren kann. Das ist der einzige Grund warum ich bis jetzt noch nicht kommen konnte. Und es ist leider ein wichtiger Grund, denn an der Bahnsperre

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Band 4 der Gesammelten Werke, der jedoch nicht mehr erscheinen konnte. Vgl. Herzfelde, 25.6.1936, und Herzfelde an Steffin, 14.12.1936. In ihrem Brief an Dudow vom 27.1.1937 (BBA 2547/1) äußerste sich Steffin enttäuscht über dessen aufgeschobenen Besuch.

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läßt man keinen ohne Fahrkarte und an der Grenze nicht ohne regulären Paß durch. (Mein Paß ist abgelaufen und der neue kostet 400 Fr.) Ich erwarte jeden Tag daß die Sache soweit ist um endlich abfahren zu können. Sage bitte dem Meister er soll mir nicht böse sein, wenn meine Abfahrt sich etwas verspätet hat. Und von einer langen Weile kann gar keine Rede sein und wenn ich offen sein soll eher fürchte ich daß 2-3 Wochen zu kurz sein werden. Bevor ich nach Svendborg komme muß ich auf 1-2 Tage nach Amsterdam. Du oder Brecht werdet sicher wissen wie man von dort aus zu Euch fährt. Natürlich nur mit einem Schiff, das nicht am Deutschen Hafen anlegt. Schreib mir das bitte umgehend, da ich jeden Tag erwarte daß meine Sache soweit ist und ich dann den ersten besten Zug nach Amsterdam nehmen werde und dann sofort von dort aus zu Euch [fahren werde.] Eisler hat mir erzählt er fährt am Dienstag zu Brecht. Ich wäre sicher schon jetzt gern mit gefahren. Leider. Vor einiger Zeit schrieb ich an Brecht wegen den Verträgen von K.W.8 Ich brauche mindestens einen dieser Kollektiv Verträge um die Möglichkeit zu haben die weitere Auswertung von K.W. in die Hand zu nehmen. Das hat moralische wie finanzielle Vorteile für uns. In vergangener Saison lief K.W. mit Erfolg im Züricher Studio. Z. Zt. verhandele ich mit einem Kino von London das K.W. aufführen würde falls es die Zensur erlaubt. In Frankreich bereitet man ein langes Tourne[e] vor. Und in Amerika habe ich die weitere Auswertung des Films verboten falls die Rechte nicht mit uns d.h. mit dem Künstler Kollektiv von K.W. einen neuen Vertrag abschließen. Auch mit Moskau hat jemand in meinem Auftrage verhandelt und die betreffende Stelle erwartet eine Kopie um sich den Film nochmal anzusehen. Außerdem verhandle ich mit verschiedenen Ländern wegen Schmalfilm. Wie Du siehst ist mit dem alten Film allerhand los. Die Berliner K.W. erlebt eine kleine Renaissance. Bis jetzt habe ich dies alles ohne jegliche Unterlagen ins rollen gebracht, mit einer Pariser Firma stehe ich sogar kurz vor einem Prozess und ich brauche wenigstens ein Stück Papier worauf schwarz auf weiß steht das unsere Honorare von den späteren Auswertungen bezahlt werden sollen. Schau bitte nach Oktober ob Du bei Brecht den Vertrag finden könntest und schicke ihn mir dann bitte sofort zu. Weil alle meine Papiere von der Gestapo beschlagnahmt wurden. Es ist schade, wenn der Film weiter läuft ohne ein uns gedacht zu werden, die ja schließlich den Film gemacht haben. Es freut mich sehr daß Du fleißig warst und einen Vortrag gehalten und die Lehren unseres Meisters weiter getragen hast. In Paris ginge solche Sache nicht mit Harmonie. Bei einer Diskussion musste ich sogar Krach machen, weil sich ein Lauselümmel einige unerlaubte Bemerkungen geleistet hat.

8

Kuhle Wampe. Vgl. Dudow, 4.9.1936.

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Schreibe mir bald bitte gleich und ich hoffe daß wir uns bald in Svendborg wieder sehen werden. Herzl. Grüße noch an Brecht Margarethe Juul has FR. Lie Thompson. Svendborg Valdemarsgade 9A. Überlieferung: Ms, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2597/1–2.

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht New York, 9.2.1937

MORDECAI GORELIK 214 East 18th Street New York City February 9, 1937.

Dear Bert, I had hoped to write you before this, but there has been no particular news before. I decided not to try to visit London, and arrived in New York a couple of days before Christmas. I found Frances und Eugene9 well; my parents are very fond of the baby but not of Frances, and it was a good thing I did not stay away longer, because my parents were getting tired of having Frances and the baby around the house. We have now moved to New York, where Frances and I got attacks of influenza, of which there has been an epidemic around here. Frances is better, but I am still sick; however, I am no longer having any stomach complaint. Since getting home I have been working very hard at getting up a report to the Guggenheim, in the hope of getting them to give me some more money so I can write the book.10 Aside from this possibility things look quite bad, with no possibility of any kind of income for the immediate future. Contrary to the reports I heard in Europe, the Broadway theatre is not enjoying prosperity, but worse crisis than ever, and the quality of the plays, also, is low. Before I left Paris I talked with Leon Moussinac and Ferdinand Lèger11 about our proposed Society for Inductive Theatre.12 Moussinac was very interested. Léger told me that 9 10 11 12

Goreliks Frau Frances und ihr gemeinsamer Sohn Eugene. Vgl. Anm. zu Gorelik, 1.6.1936. Fernand Léger (1881–1955), französischer Maler und Graphiker, 1939 bis 1945 in den USA. Über die Gründung einer internationalen Theatergesellschaft, die Diderot-Gesellschaft heißen sollte, hatten Brecht und Gorelik sich vermutlich während dessen Aufenthalt in Dänemark im Herbst

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after seeing the production of “Mother” in New York, which was the first time he had heard of you, he was13 very much impressed, so the Society appealed to him too. Moussinac would be a great asset to the Society. Lèger however, seems to be a very Bohemian type; but he would be very good as a sponsor. Since getting home I have written a note to Norman Bel Geddes14, who replied cordially; but as he and I have both been having influenza, I have not yet seen him. Lawson15 is also very busy, so I have had no talk with him. I sent a note to MacLeish telling him about the Society, and received a cordial reply; he is busy just now, but in about ten days we will meet to discuss the Society. The Soviet magazine “Theatre and Dramaturgy”16 acknowledged receipt of my article on the Three-Penny Opera, but I have not heard anything further, except that I received copies of their November and December numbers containing two of my previous articles. Theatre Arts Monthly, I regret to say, returned the THREE-PENNY Article without comment, I thereupon took it to Theatre Workshop. They said they considered it an important article – although they did not necessarily agree with it – and announced it for publication. This means that the fight for the epic theatre has really started here. Mark Marvin, secretary of the New Theatre League and editor of Theatre Workshop, is still trying to be critical of the epic theatre, but it is evident that every day he is being affected more and more by what he learns about it. Yesterday he paid me a visit and showed me your article, “The Fourth Wall of China” in the English magazine “Life and Letters Today”.17 He asked me if I thought it would be a good idea to print the article in “Theatre Workshop”, so I encouraged him to do so. I have noticed in this magazine that the translator, Eric Walter White18, has written an article on your work, so I shall ask Marvin to get a copy of that article with a view to printing it also. As to the enclosed clipping – two weeks ago Ernst Toller (who is going to work in Hollywood) had a long article in the Sunday Times on social theatre. It was a good article 1936 beraten (vgl. die Entwürfe in GBA 22, S. 273–277). Das Projekt kam nicht zustande. 13 Im Ts: „has“. 14 Norman Bel Geddes (1893–1958), amerikanischer Bühnenbildner und Art-Déco-Designer. 15 John Howard Lawson (1895–1977), amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Gehörte zu den „Hollywood Ten“, die 1947 vor dem House Committee on Un-American Activities verurteilt wurden. 16 Teatr i dramaturgija, sowjetische Theaterzeitschrift (vormals Sowjetskij teatr), 1933 bis 1936 in Moskau erschienen unter der Redaktion von Afinogenow. Ab 1937: Teatr. Zu dem erwähnten Artikel vgl. Gorelik 15.4.1937. 17 „The Forth Wall of China. An essay on the effect of disillusion in the Chinese Theatre“, erschienen in Heft 6/1936 der Londoner Zeitschrift Life and Letters To-Day, ist die englische Übersetzung des Aufsatzes Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst (GBA 22, S. 200–210). Den Begriff Verfremdungseffekt hat Brecht hier zum erstenmal gebraucht. Eine Vorstufe dieses Textes bilden die auf seine Moskau-Reise im Frühjahr 1935 zurückgehenden Bemerkungen über die chinesische Schauspielkunst (vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, Anfang Oktober 1935). 18 Eric Walter White (1905–1985), englischer Komponist, Schriftsteller und Übersetzer.

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(although to my mind the question of social plays is no longer a live issue), but at the end of the article he suddenly made an entirely unexpected and uncalled for attack on the epic theatre. I sent this letter to Atkinson19, who printed it. There has been a certain amount of reorganization of the New Theatre League – although not at all adequate for the existing situation. But there seems to be a really great interest in form and production now. The Group Theatre spent about $50,000 (so I am told) in putting on a play called “Johnny Johnson” by Paul Green.20 They did not have the knowledge or technique to clarify either the play or their production, so they lost all that money and had to suspend activities for the rest of this season. They say they are going to reopen in the Fall. I certainly regretted their closing up, as they wanted me to do their next play. The Theatre Union has reorganized, and after a great deal of difficulty in collecting money for their first play this season, are opening on Broadway with Lawson’s “Marching Song.”21 The Federal Theatre Project22 has discharged a great many people, but continues to play, for the time being. I am now hard at work on the outline of my book, and am glad to say that the outline is going very well. Since I have thoroughly digested the contents, I have changed the form considerably from what it was when I discussed it with you. Am still looking forward to getting more photos of epic productions from you or Piscator. Have you finished the manifesto of the Society? I am anxious to have that as soon as possible, also your notes on scenery for the epic theatre, which I need rather urgently. Herbert Kline23 is no longer editor of New Theatre. He has just sailed for Spain. The new editor is George Redfield. After suspending publication for two or three months, the magazine resumes publication this month as “New Theatre and Film.” The first issue will contain my article on Soviet Scene Design; my review of a new book by one of the Broadway designers; and my notes on the production of “Round Heads and Peaked Heads.”24 That sounds as if they are beginning to take me seriously once more. Mr. Moe25, the secretary of the Guggenheim Foundation, tells me that the Foundation cannot do anything special for refugee German intellectuals; but I know that he is person19 Brooks Atkinson (1894–1984), amerikanischer Theaterkritiker, schrieb u.a. für die New York Times. 20 Paul Green (1894–1981), amerikanischer Dramatiker. Sein pazifistisches Musikstück Johnny Johnson (mit Kompositionen von Kurt Weill) wurde vom New Yorker Group Theatre unter der Regie von Lee Strasberg im November 1936 uraufgeführt. 21 Marching Song (1937), Theaterstück von John Howard Lawson. Die erwähnte Aufführung der Theatre Union vom Februar 1937 war zugleich die Premiere (Regie: Anthony Brown). 22 Das Federal Theatre Project wurde im Rahmen des New Deal 1935 gegründet, um Theateraufführungen und andere künstlerische Darbietungen zu fördern. 23 Herbert Kline (1909–1999), amerikanischer Publizist und Dokumentarfilmer. Verließ die Redaktion der (seit 1934 erscheinenden) Zeitschrift New Theatre und ging nach Spanien, um dort seinen ersten Film, Heart of Spain (Spaniens Herz/Vaterland, USA 1937) zu drehen. 24 In der Zeitschrift New Theatre and Film konnten lediglich zwei Beiträge Mordecai Goreliks ermittelt werden. Im Heft 2/1937 erschienen dort „The Living Theatre“ und „Month of Bounties“. 25 Henry Allen Moe (1894–1975), Leiter der Guggenheim Foundation.

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ally anxious to help, and takes an active part in getting them supported by other agencies. He told me that a certain fund called, I think, the Oberlander Fund26, or something like that, is available for that work, and he has been cooperating with them. When I learn something more about it, I will let you know. A couple of weeks ago I had a talk with Kurt Weill, who said somebody had approached him with the idea of getting together a University in Exile in America; but he did not have time to bother with the idea. I urged him to see what could be done about getting you on the staff of such a school, and Weill said it was a good idea and he would see what he could do. I haven’t seen him since; he may have left for Hollywood, as he has also gotten a job there. Do let me know what you are working on, and what your plans are. Frances and I send you and Helen our best regards. Max. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/52–53.

Lola Sernau an Bertolt Brecht Paris, 9.2.1937

Paris 17 9.2.37 46, rue ’Guersant «Les Palmiers»

Sehr geehrter Herr Brecht, Dr. Feuchtwanger drahtet mir dauernd, ich solle Ihre Adresse in Paris ausfindig machen. Nachdem mir aber alle Leute inclusive Piscator versichern, Sie seien nicht hier, hoffe ich, daß diese Zeilen Sie erreichen. F. ist vom 14. bis etwa 17 Februar in Paris und möchte Sie besonders gern sprechen. Sollte es Ihnen möglich sein, in dieser Zeit nach hier zu kommen wäre es nett von Ihnen, wollten Sie mir an meine obige Adresse ein genaues Datum mitteilen. Viele Grüße Ihre Lola Sernau Überlieferung: Ms, BBA 478/75.

26 Vermutlich The Paul and Sally Oberlander Fund, Chicago.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 17.2.1937 Lieber Bert, ich habe Deinen Brief bekommen und danke Dir herzlichst für das Filmexposé27. Ich habe es mit grossem Interesse gelesen, und finde es ausgezeichnet. Leider sind hier aber die Sachen noch lange nicht so weit gediehen, so daß es augenblicklich nicht in Frage kommt. Auch in der Mexiko-Angelegenheit hat28 sich noch nichts Endgültiges ergeben. Mit Leuten wie Hay, müssten wir trotz des Volksfronts [sic] in der Emigration ganz ruhig ein bis[s]chen barsch verfahren.29 Sie haben es ja nicht besser verdient. Herzlichst Dein alter 17/II/37, Paris. Überlieferung: TsD, SIU/ML. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 54f.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 19.2.1937 Prag, den 19.2.37 Grete Steffin, Svendborg, Valdemarsgade 9 A, II Liebe Grete, Dank für den Brief vom 13.2.30 Brecht richte bitte folgendes aus: 27 „Mehr um meine Anteilnahme zu zeigen“, schrieb Brecht im Februar 1937 an Piscator, „lege ich Dir ein Blatt bei mit einem (in Frankreich spielenden) kleinen Filmstoff, der nicht mein allerbestes Œuvre ist, aber wenigstens eine (1) Chance für ein paar Bilderchen in sich hat (die Rettung von Paris 1914)“ (GBA 29, 13). Das erwähnte Blatt ist nicht überliefert. Bei dem Filmstoff handelt es sich vermutlich um Die Judith von Saint-Denis (GBA 19, S. 395f.). 28 Im TsD: „hat es“. Piscator hatte Brecht in einem nicht erhaltenen Brief von einer Unterredung mit dem mexikanischen Botschafter in Paris sowie von seinen Plänen zur Reorganisierung von Film, Theater und Propaganda unterrichtet. „Mexiko wäre hübsch“, antwortete Brecht. „Wir könnten Professoren werden, das ist gar nicht so schlimm“ (GBA 29, S. 13). 29 „Das ‚Wort‘ schickte mir einen netten kleinen dreckigen Aufsatz von Hay über antifaschistisches Theater mit klotzigen Attacken auf Reich, mich und, getarnt, Dich […]. Ich hoffe, ich kann das Geschmier inhibieren“ (ebd.). Der Beitrag von Hay (vgl. dessen Brief vom 7.3.1937) wurde im Wort nicht gedruckt. 30 Nicht überliefert.

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1) Ein Liederbuch mit Noten zu drucken möchte ich nicht riskieren. Die Absatzverhältnisse erscheinen mir zu ungünstig. Besonders dann, wenn Querido auch noch einen Band mit Gedichten herausbringt und ich überdies zwei Bände mit Dramen.31 Es wird ja dann die reinste Brechtüberschwemmung. 2) Das obige gilt für die „Deutsche Kriegsfibel 1937“32 nur bedingt. Man müsste das Manuskript sehen, um beurteilen zu können, was man sich davon versprechen kann. Insbesondere müsste ich den Umfang kennen. Gar zu dünne Sachen sind praktisch nicht absetzbar, aber wie gesagt, ohne Manuskript kann ich bindendes nicht sagen; selbstverständlich ist, dass ich prinzipiell daran interessiert bin und alles tun will, was mir möglich erscheint. Nun zur „Mutter“. Nach dem Vertrag sollte die „Mutter“ in den dritten Band, der ja noch keinesfalls gesetzt ist. Ich habe aber das Manuskript von Band II selbst noch nie gesehen und möglicherweise hat Brecht „Die Mutter“ in den II. Band genommen.33 In diesem Fall wüßte ich nicht, ob noch Aenderungen möglich sind. Meines Wissens ja, denn ich habe noch gar keine Korrekturen des II. Bandes gesehen und ausserdem von der Vegaar verlangt, dass sie das Manuskript zuschickt, damit ich es hier setzen lassen kann. Ich habe keine Lust mehr, länger zu warten. Das schrieb ich ja kürzlich schon. Leider habe ich auf den diesbezgl. Brief an die Vegaar noch keine Antwort bekommen und schreibe daher heute nochmals. Korrekturen der „Mutter“ erbitte ich hierher, ich werde es selbstverständlich berücksichtigen. Sie noch an die Vegaar zu schicken, erscheint mir ziemlich zwecklos. Schliesslich lasse ich Eisler und Brecht bitten, mich aus dem Vertrag betreffend die Musik zu den Rundköpfen und Spitzköpfen zu entlassen. Er wurde abgeschlossen unter der Voraussetzung, dass die Vegaar den Druck übernimmt, was sie ja auch zugesagt hatte.34 Andererseits sehe ich mich finanziell nicht in der Lage, den kostspieligen Notendruck ohne die Vegaar herzustellen. Schon der Entschluss, die Textausgabe hier zu drucken, fällt mir ja aus finanziellen Gründen nicht leicht. Immerhin ist hier das Missverhältnis zwischen Produktionskosten und Absatzchancen nicht so ungünstig wie bei den Noten. Dies ist jedenfalls meine Ansicht. Zur Aufführung der Rundköpfe: Es wundert mich nicht, dass die Presse die Aufführung kaputtgemacht hat. Sie macht es ja mit unseren Büchern ähnlich. Dzt. sind wir halt nicht en vogue. Es wird auch wieder einmal anders kommen. Herzlichen Gruss Eisler, Brecht und Dir, Dein Wieland 31 Das sind die ersten beiden Bände der Gesammelten Werke. Die geplante Neuauflage der Hauspostille bei Querido kam nicht zustande (vgl. Herzfelde, 29.1.1937). 32 Die im Februar 1937 fertiggestellte Deutsche Kriegsfibel (GBA 12, S. 9–15) erschien zuerst in Das Wort, Heft 4/5, April 1937. Sie wurde später in die Svendborger Gedichte (1939) aufgenommen. 33 Die Mutter erschien, in einer überarbeiteten Fassung, in Band 2 der Gesammelten Werke. 34 Im Ts folgt eine unlesbare Streichung.

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Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., unleserliche Notiz von fremder Hand, Bv.: Malik-Verlag W. Herzfelde Praha I, Konviktská 5 ČSR. Telefon: Prag 257–42; BBA 477/1–2.

Slatan Dudow an Margarete Steffin Prag, 26.2.1937 Paris den 26 Feb. 37. Liebe Grete, Danke Dir herzlichst für die vielen Briefe, auch für die Mühe, die Du Dir um die Auskunft gemacht hast. Benjamin habe ich sofort an[ge]rufen. Er sagte mir, er hätte Dir Tag darauf schon geschrieben. Den Brief mußt Du bekommen haben. Früher konnte er sich nicht melden, weil er viel zu tun hat, sicher hat er auch sehr viel Sorgen um seinen Sohn35, der an einer bedrohliche gefährlichen Krankheit leidet. Über einen komm. Kindertheater habe ich nichts gehört. Ich habe mich an eine zuständige Adresse gewandt, auch dort sagte man mir, sie hätten auch nichts davon „gehört“. Das besagt in Paris gar nicht[s], deswegen werde ich mich noch wo anders erkundigen. Es existiert ein Kindertheater genannt „Seramondie“ [?], 28 rue Godot-de-Mauroy, Paris 9e, dessen Leiterin Mademoiselle Sainteny ist. Dieses Theater spielt sehr viel russ. Kindertheaterstücke, so hat man mir gesagt. Ich kenne es nicht. Vielleicht meinst Du das? Den Vorschlag von Brecht36 finde ich ausgezeichnet, vor allem praktisch. Über den französischen Film ist schwer etwas positives zu schreiben, auch über Renoir in der letzten Zeit wenig.37 Seine nächsten zwei Filme, die er jetzt macht, sind interessant aber noch nicht heraus. Vor einiger Zeit habe ich eine Skizze für einen Artikel entworfen, der die Frage Theater – Film – Television behandelt.38 Ein theoretischer Artikel, ca. 10-12 Seiten. Wenn Brecht glaubt, das Thema würde interessieren, werde ich dann den Artikel rasch beenden und ihm vorher […] schicken, ihn bitten, den Artikel erst durchzulesen und zu redigieren bevor er an die Redaktion geht. Einen anderen Artikel über das Thema ‚Film und Literaten‘ habe ich ebenfalls entworfen, aber ich möchte ihn jetzt noch nicht beenden, weil ich über dasselbe Thema hier bei den Schriftstellern sprechen soll. Deshalb wäre es besser, die Diskussion ab35 Stefan Benjamin. 36 Konnte nicht ermittelt werden. 37 Im Ms folgen mehrere gestrichene Wörter. Mit den beiden noch in Arbeit befindlichen Werken des französischen Filmregisseurs Jean Renoir (1894–1979) sind vermutlich La Grande Illusion (Die große Illusion, F 1937) und La Marseillaise (Die Marseillaise, F 1937/38) gemeint. Renoir emigrierte 1940 über Portugal in die USA und kehrte 1952 nach Frankreich zurück. 1970 übersiedelte er nach Kalifornien. 38 Vermutlich der Aufsatz „Grenzbestimmungen“, den er Brecht zur Beurteilung vorlegte. Vgl. Anm. zu Dudow, Juli/August 1937.

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zuwarten. Inzwischen werde ich an dem Artikel Theater – Film – Television weiter arbeiten, damit ich ihn bald abschicken kann, falls er sich eignet. Mit meiner Sache steht es etwas besser. Bis[s]chen Geld soll schon unterwegs sein. Und wenn die Sache mit dem Artikel klappt, könnte ich gegen Ende März (24.) in Svendborg sein. Bis dahin muß ich leider auf jeden Fall in Paris sein, weil ich für England verschiedene Filme mit eng. Untertiteln abliefern muß. Das hat sich ohne mein Verschulden auch um verschiedene Wochen verzögert. Inzwischen sind aus verschiedenen einigen Ländern Anfragen gekommen, ob mein neuer Film schon fertig ist. Du kannst Dir vorstellen, wie eilig ich es habe, loszufahren, um dann endlich den neuen Film zu drehen. Ich hoffe aber, daß es diesmal klappt. Grüsse bitte Eisler vor allem Brecht und Dich aller herzlichst Dein Dudow Überlieferung: Ms, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2548/1-3.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 27.2.1937 Prag, den 27.2.37 Grete Steffin, Svendborg, Danmark, Valdemarsgade 9 A, II Liebe Grete, Dank für die Zeilen vom 24.2.39 Inzwischen habe ich von drüben40 Nachricht bekommen. Man schrieb mir, die Korrekturen von Brecht waren so umfangreich, dass sie den alten Satz nicht mehr benutzen könnten. Demgemäss muss auch Band I neu gesetzt werden. Meiner Aufforderung gemäss schickt man mir beide Manuskripte und ich werde sie hier setzen. Worum ich nun bitte ist folgendes: mir mitzuteilen, ob noch irgend welche Korrekturen geplant sind. Ich möchte auf keinen Fall in die Lage kommen, den Satz hergestellt zu haben, und dann noch umfangreiche Korrekturen vornehmen zu müssen, weil das wirklich über meine finanziellen Kräfte ginge. Ich bitte daher gleich um Nachricht, ob das Manuskript, das ich erhalten werde, in Satz gehen kann, oder ob noch irgend welche Korrekturen abgewartet werden sollen. 39 Nicht überliefert. 40 Das heißt: aus Deuschland. Wieland Herzfelde hatte vermutlich mit dem Kiepenheuer Verlag gesprochen, in dem vormals Brechts Versuche erschienen waren, und sich erkundigt, ob der dort seinerzeit angefertigte Satz auch für die Gesammelten Werke noch zu verwenden sei.

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Sobald das Manuskript eintrifft, werde ich es durchsehen und Nachricht geben. Dank an Brecht und Eisler für das Einverständnis, dass die Noten nicht gedruckt werden. Was nun das Buch angeht, so vermute ich, dass Brecht an den Band „Im Namen der Sowjets“ von Liebermann41 denkt, den ich vor vielen Jahren herausgebracht habe. Leider besitze ich den Band selbst nicht mehr. Wenn Du aber an folgende Adresse schreibst, scheint es mir möglich, dass dort noch ein Band aufzutreiben wäre: Arbeiterbuchhandlung, Zürich, Gerbergasse 7. – Buchhandlung Pegasus, Amsterdam, Hemonystraat 5. – DreieckBuchhandlung, Basel, Webergasse 40. Herzliche Grüsse W.H. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. v. Steffin: „3.III. keine änderungen mehr ausser an ‚Mutter‘, die er bald schicken möchte“, Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/52.

Max Warburg an Bertolt Brecht London, 27.2.1937 London, 27.II.37. Sehr geehrter Herr Brecht, in Berlin hörte ich zufällig im „Hilfsverein Deutscher Juden“42 von der Dr. Borchardt43, und lernte auch seine Frau44 kennen. Natürlich möchte man so schnell wie möglich helfen. Es scheint nicht ganz aussichtslos, da die Behörden jetzt Leute, die eine Lebensmöglichkeit im Ausland (eigentlich ausserhalb Europas) nachweisen können, und gegen die sonst sich im Lager „gut geführt“ haben, vielfach entlassen. Sie versprechen dies auch im Falle Borchardt. Frau Borchardt verhandelt deswegen mit Frau Eva Groß45 in U.S.A., aber die Ergeb41 Matwej Liebermann, Im Namen der Sowjets. Aus Moskauer Gerichtsakten (aus dem Russischen von Rudolf Selke), Berlin 1930. 42 Der 1901 gegründete Hilfsverein der deutschen Juden hatte vormals sozial und wirtschaftlich in Not geratene Juden unterstützt. Seit 1933 war er vor allem bei der Auswanderung aus Deutschland behilflich. Nach der Zwangseingliederung in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland im Juli 1939 mußte der Hilfsverein seine Arbeit 1942 einstellen. 43 Hermann Borchardt war Anfang des Jahres 1936 aus der UdSSR nach Deutschland ausgewiesen und dort nach seiner Verhaftung ins Konzentrationslager Dachau überführt worden (vgl. Brief an unbekannte Adressaten, Februar/März 1937, GBA 29, S. 15). Brecht antwortete Warburg am 3.3.1937 (GBA 29, S. 16). 44 Dorothea Borchardt, geb. Redmer. 45 Eva Louise Grosz, geb. Peter (1895–1960). Zusammen mit ihrem Mann George Grosz war sie Her-

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nisse das wird offenbar zu keiner sofortigen Lösung führen. Falls es aber gelingt, einen Zwischenaufen vorläufigen Aufenthalt ausserhalb Deutschlands zu finden, mit der weiteren Aussicht auf Einreise in U.S.A., so würde das voraussichtlich zur Entlassung aus dem Lager genügen. In diesem Zusammenhang erwähnte Frau Dr. Borchardt Sie, bemerkte aber, dass Sie seit einiger Zeit keine Post von Ihnen bekäme, nach dem Sie sich vor einiger Zeit bereit erklärt hätten, Herrn Dr. B. im Falle seiner Entlassung zu helfen; sie erklärte sich Ihr Schweigen den Mangel an Nachricht durch Zensur. Ich weiss nicht, ob das zu trifft. Da ich gerade ins Ausland fahr, so möchte ich auf jeden Fall die Verbindung zu Ihnen herstellen. Folgendes wäre jetzt nötig: ein dänischer Staatsbürger müsste sich bereit erklären, Herrn Dr. Borchardt, womöglich bis zur Einreiseerlaubnis nach U.S.A., bei sich aufzunehmen, wenigstens formal; da denn man meinte in Berlin, dass eine Einladung von Ihnen wegen ihrer bürgerrechtlichen Lage nicht die richtige Wirkung haben würde. Wie weit man dazu die Erlaubnis der dänischen Behörden braucht, ob sie schwer zu erlangen ist, und unter welcher Formel (Arbeit oder Erholung), werden Sie besser erfahren können, als ich. Würde einer Ihrer Bekannten es übernehmen, dieses Erklaru eine Erklärung dieser Art zu schreiben u. vielleicht besser in 2 Exemplaren, und eins an Fr. Dr. B., Berlin-Schöneberg, das zweite an den „Hilfsverein deutscher Juden“, Berlin, Ludendorffstraße, zu schicken? Hoffentlich hat es die nötige Wirkung. Soeben schrieb mir Frau Dr. B., dass ihr Mann nun in ein anderes Lager bei München46 gebracht sei. Was das bedeutet, weiss ich nicht. Tatsache ist, dass Herr Dr. B. nicht als politisch verdächtig von den Behörden angesehen wird und dass für den Fall der nötigen Nachweise die Entlassung in Aussicht gestellt wurde. Es ist schön, dass Sie so freundlich Ihre Hilfe versprachen, die sehr nötig sein wird. Mit ergebenen Gruß, unbekannterweise, M. Warburg z.Zt. London SW SE 22, 162 East Dulwich Grove. NB. Bitte würden Sie den Empfang des Briefes kurz bestätigen. Überlieferung: Ms, hs. v. Brecht: „geschr. 3/III.37“; BBA 482/2–5.

Minna Specht47 an Bertolt Brecht Østrupgaard, 27.2.1937 Østrupgaard. d. 27.II.37. mann Borchardt bei der Beschaffung eines Visums für die Einreise in die USA behilflich. Die ersten Monate nach seiner Ankunft lebte Borchardt bei Grosz in New York. 46 Das Konzentrationslager Dachau. 47 Minna Specht (1879–1961) war eine Bekannte der Familie Brecht. Sie arbeitete in Dänemark als

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Lieber Brecht, Die Einheitsfront der sozialistischen Verbände, deren Aufruf ich in den Brief lege, wendet sich mit einer großen Bitte an Sie. Es soll im März in Paris eine große öffentliche Veranstaltung stattfinden, die das Interesse an der so notwendigen Hilfsaktion stärken soll u. der Ausschuss fragt bei Ihnen an, ob Sie in dieser Versammlung mitwirken würden.48 Gestern ist ein Lehrer aus Paris zu uns gekommen, der beauftragt worden ist, bei Ihnen zu fragen, ob Sie Ihre Hilfe zusagen können. Einzelheiten über die Veranstaltung kenne ich nicht; natürlich werden eine Reihe von Menschen mitwirken. Entschuldigen Sie diese, wie mir scheint, noch etwas inoffiziöse Anfrage. Aber die Form ist ja nicht so wichtig. Würden Sie schreiben an Dr. Erich Lewinski49 Paris 28 Boulevard de Poissonnières. Er ist im Komité und seine Adresse wurde mir angegeben. Es grüßt Sie Ihre Minna Specht. Nun noch der private Teil: Unser Landarzt ist ein Greuel. Erst in der nächsten Woche will er wiederkommen u. nachsehen, ob jemand noch Bazillen trägt. So lange sind wir interniert. Und das bei der wahrhaftig hinreichenden Internierung, die der Winter besorgt. Noch immer bricht man sich ein Bein auf den glatten Stufen u. keucht in die Hände, um Leben in die Fäuste zu kriegen. Barbara50 besucht uns oft „oben“, sitzt eine Stunde beim Unterricht der Großen dabei; ohne sich zu rühren. Sie hat auch einen Brief angefangen, aber der scheiterte an Wörtern u. Buchstaben, die sie nicht schreiben konnte. Sie wußte z B nicht mehr „S“ oder „  “; als ich meinte, das könne Helli wohl lesen so oder so, war sie entsetzt über diesen Mangel an Ernst u. gab mit einem Seufzen das Rennen auf. Sie sehnt sich ein bischen nach Kuchen, […], nach dem, was man bei Helli noch dazu kriegt. „Aber du warst doch erst auf Ferien?, sagt Renate.51 „Ich mach es mit Ferien doch, wie ich will“, sagt sie. Bäng! Wenn nur der Frühling käme. Viele herzliche Grüße Ihre Minna Specht Überlieferung: Ms, BBA 482/10–11. Schulleiterin. 48 Der beigelegte Aufruf ist nicht überliefert. Die Rede ist vermutlich vom II. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur (4.–17.7.1937), der, um Solidarität mit den Kämpfern für die spanische Republik zu bekunden, nicht in Paris, sondern in Valencia und Madrid stattfand. Lediglich die Abschlußkonferenzen am 16./17.7., an denen auch Brecht teilnahm, wurden in Paris abgehalten. 49 Erich Lewinski (1899–1956), Rechtsanwalt. Ging 1933 ins Exil nach Paris, arbeitete ab 1940 für das Emergeny Rescue Committee in Frankreich. 1947 kehrte er zurück nach Deutschland (West). 50 Brechts Tochter Barbara. 51 Wahrscheinlich Minna Spechts Tochter.

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Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Moskau, 3.3.1937 Redaktion „Internationale Literatur Deutsche Blätter“52 Moskau, Postfach 850 3.III. 7 Lieber Brecht, entschuldige, dass ich erst heute schreibe, ich war im Urlaub und daher ist die Sache etwas liegen geblieben. Prinzipiell wäre ich ja nicht gegen eine Diskussion, aber Du hast recht, es muss unbedingt vermieden werden, dass sie die schwersten Formen annimmt. Dazu ist eine Diskussionsgrundlage notwendig. Den Hay-Artikel53 habe ich nun gelesen und Hay müsste nun einige gründliche Korrekturen daran vornehmen, damit sein Artikel diese Forderungen erfüllt. Ich weiss noch nicht, da er verreist ist, ob Hay sich endlich dazu entschliessen kann. Ferner müsste der Artikel zugleich zu Deiner Antwort gebracht werden, ich würde ihn Dir also auf jeden Fall vorher zuschicken. Bitte sage der Genossin Steffin, dass wir ihren Beitrag erhalten haben. Sie bekommt in der nächsten Zeit Nachricht. Auch bitte ich Dich, uns wieder etwas zu schicken. Dein Beitrag ist in Nr. 2, die Du ja inzwischen erhalten haben wirst, erschienen.54 Mit den herzlichsten Grüssen Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/13.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 6.3.1937 Prag, den 6.3.37 Grete Steffin, Svendborg, Valdemarsgade 9 A, II Liebe Grete, Dank für die Zeilen vom 3.3.55 52 Die Internationale Literatur trug ab Januar 1937 den Untertitel Deutsche Blätter. 53 Vgl. Hay, 7.3.1937. 54 Vgl. Anm. zu Becher, 5.12.1936. 55 Nicht überliefert.

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Leider sind die Manuskripte noch nicht eingetroffen. Sobald sie kommen, schicke ich die „Mutter“ wegen der Korrekturen. Ob ich dieses Jahr hinüber fahre, weiss ich nicht, ich habe keinen Pass. Aber vielleicht ist es doch möglich. Ich habe gleich hinübergeschrieben, um mir ein Expl. der illustrierten „Rundköpfe“ zu besorgen. Uebrigens finde ich den russischen Titel gar nicht schlecht. Die theoretische Arbeit in den 2. Band56 hineinzunehmen, das lässt sich wohl machen. Ich nehme an, es handelt sich um keine umfangreiche Sache. Bitte, mir den Text sobald wie möglich zu schicken. Mit dem Satz der Bände beginne ich, sobald mir Brecht bestätigt, dass er keinen Anspruch auf weitere Korrekturen mehr erhebt. Herzliche Grüsse Wieland PS: Dank für die Marken. Sammelt der kleine Brecht57 noch? Georgie58 hat genug doppelte, um ihm welche zu schicken. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/53.

Julius Hay an Bertolt Brecht Moskau, 7.3.1937 Julius Hay

Moskau, Ul. Baumana 13 Kb. 6 den 7. März 1937

Werter Genosse Brecht, ich war verreist und so kann ich Ihren Brief v. 11. Febr.59 erst heute beantworten. Ich bedaure sehr, dass Sie in der Frage meines Artikels60 eine solche Entscheidung getroffen haben. Obwohl ich wegen der Veröffentlichung meines Artikels in verschiedenen Zeitschriften, in verschiedenen Sprachen, nicht in Verlegenheit bin, möchte ich Ihnen doch 56 57 58 59

Der zweite Band der Gesammelten Werke. Brechts Sohn Stefan. Herzfeldes Sohn George. Überliefert ist lediglich Brechts Antwort von Mitte März 1937 (GBA 29, S. 21f.). Zur weiteren Auseinandersetzung mit Julius Hay vgl. GBA 22, S. 305–308. 60 Die Rede ist von dem „netten kleinen dreckigen Aufsatz […] über antifaschistisches Theater“ (B. an Piscator, Februar/März 1937, GBA 29, S. 13), in dem Julius Hay vor allem Bernhard Reich, en passant aber auch Brecht attackierte. Auf dessen Intervention hin wurde der Beitrag im Wort nicht veröffentlicht.

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den freundschaftlichen Vorschlag machen, auf Ihre[r] Stellungnahme nicht zu beharren und den Abdruck des Artikels in „Das Wort“ telegrafisch zu veranlassen. Ich mache dieses Angebot im Interesse 1.) der Zeitschrift „Das Wort“, deren geistiges Niveau unter solchen Artikeln wie dem von Reich sehr leidet,61 wenn kein Gegengewicht kommt und die ihre Nützlichkeit in grossem Masse einbüssen wird, wenn sie in den Dienst einer einzigen, die ganze antifaschistische Literaturfront nicht umfassenden literarischen Richtung gestellt wird, 2.) Ihres eigenen Rufes als Redakteur, 3.) der Sache, der wir gemeinsam dienen wollen und der man nur durch weitestgehende Objektivität in den Fragen der antifaschistischen Literatur und durch rücksichtsloses Opfern kleiner persönlicher Augenblicksinteressen dienen kann. Die Argumente, die Sie in Ihrem Brief anführen, begründen Ihren Schritt nicht. Sie haben ohne weiteres zugelassen, dass Gen. Reich über eine ganze Reihe nicht veröffentlichter Werke Werturteile fällt, Sie schützen sogar diese Urteile vor Widerlegung. – Es besteht kein Grund, anzunehmen, dass das Leserpublikum sachliche Kritik mit persönlicher Verstimmung verwechseln wird, wenn wir es nur selbst nicht tun und unsere Objektivität als Kritiker und als Redakteur bewahren und bekunden. – Es ist unmöglich, eine nützliche kritische Tätigkeit auszuüben, ohne dabei die Aufführung einzelner Werke zu fördern oder zu hindern. Ich muss „Rundköpfe und Spitzköpfe“ ablehnen und zwar nicht aus formalen Gründen, wie Sie meinen, sondern, wie ich schrieb, aus tiefsten politischen Gründen. Trotz Ihrer guten Absicht treibt dieses Stück mit seiner falschen Rassentheorie und seiner schiefen Darstellung des Faschismus (die von der Form natürlich nicht unabhängig sind) das Wasser auf die Mühle der Faschisten. Ich glaube, das ist Grund genug, Ihnen und jedem Antifaschisten abzuraten, sich für das Stück einzusetzen. Eine Diskussion über prinzipielle Fragen, zu welchen die Frage des epischen Theaters auch gehört, würde ich sehr begrüssen. Wie ich mit Willi Bredel verabredete, sollte mein Artikel gerade eine solche Diskussion auslösen. Den brieflichen Weg halte ich für unzweckmäßig, weil ich die Veröffentlichung von Privatbriefen, auch wenn sie Prinzipielles enthalten, in den heutigen Zeiten als ein ungebührliches Hervorkehren unserer Person empfinde. Und ausserdem: woher soll ich den Glauben nehmen, dass meine Briefe, die sicher keinen anderen Geist enthalten würden, als mein Artikel, von Ihnen als Redakteur bereitwilliger abgedruckt werden würden, als mein Artikel? Es hat mich sehr gewundert, dass Sie Ihre Redakteurtätigkeit so auffassen, dass Sie sich mit allen in „Das Wort“ veröffentlichten Gedankengängen identifizieren. Ich glaube nicht, dass auch ein einziger Ihrer Leser, der die Vielartigkeit und die Niveaudifferenzen sieht, die die Beiträge in „Das Wort“ aufweisen, diesen Eindruck hat. Wenn Sie aber einmal – und 61 Bernhard Reich, „Zur Methode der antifaschistischen deutschen Dramatik“, in Das Wort, Heft 1/1937. Reich setzt sich darin u.a. mit Brechts Rundköpfen und Hays Stück Der Damm an der Theiß (1933) auseinander.

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gerade in einem Fall, wo die Kritik eins Ihrer Werke und Ihre Theorie antastet – solche Befürchtungen haben, so können Sie das befürchtete Missverständnis durch eine redaktionelle Bemerkung, die Ihren Standpunkt andeutet und durch einen bald darauf folgenden Artikel, der Ihren Standpunkt ausführt, beseitigen. Kurz: nach meiner Meinung, die von allen Genossen, mit welchen ich bis jetzt über diese Frage sprach, geteilt wird, stehen Ihnen verschiedene Wege offen, sich vor – Ihrer Meinung nach falscher – Kritik zu schützen, nur einer nicht: Ihre Machtstellung als Redakteur zur Unterdrückung der Kritik ausnützen. – Und gerade diesen Weg wollen Sie gehen? Aus all diesen Gründen wiederhole ich mein Angebot an „Das Wort“ und reserviere den Artikel solange, bis auf diesen Brief von Ihnen eine telegrafische Antwort kommen kann. Mit besten Grüssen Ihr Julius Hay Eine Abschrift dieses Briefes übersende ich der Redaktion „Das Wort“. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 1386/13–14.

Desmond Vesey62 an Bertolt Brecht London, 12.3.1937

12th March 1937

Dear Mr Brecht Since the publication of A PENNY FOR THE POOR on the 1st March, it has come to our notice from several sources independent of one another that certain important political passages in the book are supposed to have been suppressed in the English edition.63 As you will have seen from your copy, this is certainly not the case, as the only passages removed were those sentences whose removal you approved. It seems to us that these rumours can only have been spread by persons with malicious intentions. As it is vital to the success of the book that such statements should be instantly refuted, we are proposing to insert the enclosed announcement in the leading newspapers.

62 Der englische Übersetzer Desmond I. Vesey hat zusammen mit Christopher Isherwood den Dreigroschenroman ins Englische übertragen. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934. 63 Brecht bestätigte, allerdings nicht gegenüber dem Übersetzer Vesey, sondern gegenüber dem Verleger Robert Hale, im März 1937, daß „nichts verändert und nichts politisch Wichtiges in der englischen Ausgabe ausgelassen worden“ sei (GBA 29, S. 25).

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At the present moment, advertisement of the book has been suspended until we receive your own confirmation that nothing of importance has been omitted from the English edition. On hearing from you we shall be able to proceed on the lines indicated above. It is, therefore, essential that we should hear from you on the matter as soon as possible, and we trust we may expect a reply to this letter by return of post. Yours very truly ROBERT HALE & COMPANY D.I. Vesey Bertolt Brecht Esq. ₤100 REWARD The rumour has been spread that certain passages in A PENNY FOR THE POOR* by Bertolt Brecht have been suppressed in the English Edition. The Publishers will pay the above sum to any person who can prove that politically important passages appearing in the standard Russian and Dutch editions of the novel have been omitted from the English Edition * A PENNY FOR THE POOR 7/6 by Bertolt Brecht Published March 1st 1937 Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: H. Robert Hale, James Eric Heriot, Theodore Macdonald, Desmond I. Vesey, Robert Hale and Company Publishers 102 Great Russell Street, London, W.C.1 Telephone: Museum 2242–2243 Telegrams: Barabbas Westcent London Cahlegrams: Barabbas London; BBA 1396/38–39.

Max Warburg an Bertolt Brecht London, 13.3.1937

London, 13.III.37.

Sehr geehrter Herr Brecht, besten Dank für Ihren Brief64, den ich infolge kurzer Abwesenheit erst spät erhielt; daher die Verzögerung. Ich selbst kenne Herrn Dr. B.65 nicht, und ich kann die Richtigkeit der Angaben, die direkt und indirekt von Frau Dr. B. stammen, nicht nachprüfen. Sie war natürlich sehr herunter und daher manchmal schwer zu klaren Angaben zu bekommen. Nach ihren Aussagen verliess Dr. B. Russland, weil sein Deutsch-Unterricht der Schule (oder Schulbehörde) nicht 64 Vgl. B. an Warburg, 3.3.1937, GBA 29, S. 16. 65 Hermann Borchardt. Vgl. Grosz, 12.2.1936; Warburg, 27.2.1937.

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gefiel: z.B. habe es Anstoß erregt, dass er wirklich Grimms Märchen66 herangezogen habe, was offenbar ein Zeichen für eine antiquiert-romantische und nicht genügend parteigetreue Einstellung war. Ob die Schule ihn kündigte oder er selbst vorzog zu gehen, weiss ich nicht. Über den zweiten Punkt: warum Dr. B. nach Berlin zurückging, konnte ich keinerlei Klarheit bekommen. Es ist mir schwer verständlich, und Sie werden sich eher ein Bild machen können als ich, der ich Dr. B. überhaupt nicht kenne. Zu Ihrer dritten Frage: der jüdische Hilfsverein bemüht sich offenbar ernstlich um Dr. B. und war ist auch bereit, die Fahrkarte nach Amerika zu bezahlen. Zu der Frage des Aufenthalts in an Deutschland angrenzenden Ländern behauptete Dr. Rosenberg67, ein Mitarbeiter des Hilfsvereins, dass eine Entla die Entlassung erfolgen würde, wenn 1) eine baldige Arbeitsaussicht für Amerika ein aussereuropäisches Land (in diesem Fall U.S.A.), und 2) die Möglichkeit eines Interimsaufenthaltes in einem europäischen Land nachgewiesen würde. Das Letzte könnte demnach auch von Dänemark aus erfolgen. Ist es denn wirklich unmöglich, in Dänemark eine vorübergehende Hauslehrerstelle oder dergleichen, wenn auch nur gegen Kost u. Wohnung, für eine begrenzte Zeit zu finden? Ist es richtig, dass Sie sich bereit erklärt hätten, Dr. B., wenn er erst einige Z in Dänemark sei, nach Möglichkeit behilflich zu sein? Frau Dr. B. behauptete es. Ich will ihre Aussagen nicht anzweifeln, aber man könnte es einer Frau in ihrer Situation ja nicht verdenken, wenn sie die wenigen Aussichten, die da sind, zu sehr als Gewissheit ansieht. Wenn sich eine Stelle für Herrn Dr. B. in Dänemark finden sollte, bei einem Mann der auch zu den etwaigen Bürgschaften bereit wäre, könnte dieser Mann ja sein Angebot auf Bitten des „Hilfsvereins deutscher Juden“ zurückführen – dann würde ja die angeblich gefährliche Nennung Ihres Namens wegfallen können. Leider fürchte ich, für Herrn Dr. Borchardt nichts weiter tun zu können, da alle meine Erkundigungen die Zensur passieren u. es fast unmöglich ist, sich über die Grenze weg zu verständigen. Auch stand bei allen bisherigen Versuchen für ihn mir immer im Wege, dass ich ihn gar nicht kenne und alle Angaben über ihn aus zweiter Hand stammen. Sollte ich, was möglich ist, Ende April nach Deutschland zurückfahren u. die Entlassung immer noch nicht erfolgt sein, so werde ich versuchen, mich besser zu orientieren u. hoffentlich dann besser zu helfen. Für eine Mitteilung, ob Ihre Bemühungen trotz der ungenügenden Basis Erfolg haben, wäre ich natürlich sehr dankbar. Es tut mir sehr leid, von hier aus zur Aufklärung nichts beitragen z. können. Mit ergebenen Gruß M. Warburg. Überlieferung: Ms, BBA 482/15–18. 66 Die von Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) gesammelten Kinder- und Hausmärchen erschienen erstmals 1812 (Bd. 1) bzw. 1815 (Bd. 2) in Berlin. 67 Der Rechtsanwalt Werner Rosenberg (1903–1957) war einer der Direktoren des Hilfsvereins der Juden in Deutschland. 1938 emigrierte er in die USA.

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Minna Specht an Bertolt Brecht Østrupgaard, 18.3.1937 Østrupgaard, den 18. III. 37 Lieber Brecht, Ich habe mich an zwei Stellen nach England gewandt und gebeten, wenn sie etwas dort tun können, gleich an Frau B.68 zu schreiben. Etwas schwieriger ist die Sache, wenn, wie Frau B. schreibt, die ganze Familie aufgenommen werden soll. Dazu weiss ich schlecht Rat. Wie gross mag die Familie sein? Ich habe es dabei bewenden lassen, daß erstmal er einen Anstellungsvertrag bekommt. Recht? So bald ich Nachricht habe, schreib ich. Gruss! M. Sp. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/12.

Erwin Piscator an Margarete Steffin Paris, 20.3.1937 Hotel Royal Madeleine, 26, rue Pasquier Paris, den 20.III. 1937 grete steffin – – und frage ich mich, warum Ihr nichts von Euch hören lasst, denn Brecht ist dran. Ich denke sehr viel an Euch, und möchte dringend gerne die Einladung zum Besuch annehmen. Sehe aber zunächst noch keine möglichkeit. was die pläne angeht, so habe ich im augenblick die option für den schwejk erworben, um ihn hier in frankreich zu drehen. ob aber die finanzierung glücken wird, steht noch nicht fest. auch wird noch über das theater pigalle69 verhandelt. sobald ich mehr weiß, teile ich Euch alles mit. die adresse von rühle70 ist, wie ich höre: 68 Dorothea Borchardt, die Frau von Hermann Borchardt. 69 Le Théâtre Pigalle in der Rue Pigalle in Paris. Vgl. Piscator, 25.3.1937. 70 Karl Heinrich Otto Rühle (1874–1943), Schriftsteller und Politiker, zunächst der SPD, später der KPD und KAPD, suchte eine Synthese aus Rätekommunismus und Anarchosyndikalismus. 1933 ging er über die Tschechoslowakei ins Exil nach Mexiko, wo er unterdessen eine Stellung im Ministerium bekleidete. Brecht machte Grosz im Februar 1937 auf Rühle aufmerksam; jener solle sich bei

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ministerio de educación nacional, méxico d.f. viele herzlichen grüsse von eurem

Erwin.

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 482/82. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 65f.

Hilda Schuster an Bertolt Brecht London, 24.3.[1937]

24 March

33 Albert County London W7

Lieber Freund Ich habe Ihren Brief 71 erhalten, und mit grosser Teilnahme gelesen und an Fräulein Peterson72 in Ommen weiter geschickt. Ich habe auch einige Zeilen von mir selbst zugefügt. Ich kann Ihnen aber gar keine Hoffnung geben die Sache ist für Ihren armen Freund ganz hoffnungslos allerdings geht es der Schule gut aber aber [sic] die Holländische Regierung erlaubt sehr wenige Deutsche Lehrer. Sie können sich denken wie viele dort angestellt werden möchten. Es nützt nichts der Schule wurde nicht erlaubt werden sein zu existieren wenn gegen den Willen der Holländischen Regierung gehandelt wurde Bei uns in England ist es dieselbe Sache. Jede deutsche Schule ist gezwungen englische Lehrer zu haben, und nur wenige Deutsche können angebracht werden Ich habe heute von allen Seiten Bitten erhalten die ich nicht erfüllen kann und fühle mich beinahe am Ende meiner Kräfte wenn wir nur einmal wieder glücklich sein könnten es sind ist nur die Men Gesinnung der Menschen die uns daran verhindert. Hoffentlich geht es Ihnen und Ihrer Familie gut Ihre Hilda Schuster

diesem erkundigen, ob er „vielleicht dem Borchardt eine Stelle anbieten“ könne (GBA 29, S. 11). 71 Vermutlich der Brief, den Brecht im Februar/März 1937 an zahlreiche Adressaten geschickt hatte, um Hermann Borchardt zur Flucht aus Deutschland zu verhelfen (GBA 29, S. 15). Hilda Schuster stand wahrscheinlich mit dem Hilfsverein der Juden in Deutschland (vgl. Warburg, 27.2.1937) in Verbindung. 72 Katharina Petersen (1889–1970) gründete in der Emigratiion in den Niederlanden eine Reformschule in Ommen, einer Kleinstadt in der Provinz Overijssel.

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Ich habe Ihr Buch a Penny for the Poor kürzlich gekauft. Überlieferung: Ms, BBA 482/13–14.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [Paris] 25.3.1937 Lieber Bert, Dank für Deine Zusendung die Diderot-Ges. betreffend.73 Heute kurz zunächst nur Folgendes: I. Schweyk74 will ich verfilmen – und zwar in diesem Sommer. Es gibt aber noch Schwierigkeiten bestimmter Art – So sind die Filmrechte für die nordischen Länder von einem Kopenhagener Verlag voriges Jahr erworben worden – Nun können wir zwar den Film franz. nach Dänem. u. Schweden verkaufen – aber evtl. kann es auch ein grosser Ausfall werden. Es fährt nun in diesen Tagen ein Mann m. Ges.75 hin um zu verhandeln. Falls Du in der Sache etwas tun kannst, wäre Deine Hilfe natürlich ausgezeichnet. Greife aber auf keinen Fall vor Eintreffen d. Mannes in die Verhandlungen ein, denn ich darf keine Verantwortung für ein evtl. Misslingen tragen. Wenn er Dich braucht, soll er Dich nur heranziehen76 dürfen. Herr Jacobi77 wird sich an Dich wenden. Am 15. April muss das erste Exposé, das für den Verleih bestimmt ist, fertig sein (davon hängt, wie Du weisst, die Finanzierung ab)

73 Vgl. B. an Piscator, 16.3.1937, GBA 29, S. 22f.; zur Diderot-Gesellschaft vgl. auch Anm. zu Gorelik, 9.2.1937. – Denis Diderot (1713–1784), Schriftsteller und Philosoph der französischen Aufklärung, gab zusammen mit Jean Baptiste d’Alembert ab 1751 die Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers heraus. Entwarf auch eine Theorie des Dramas (vgl. Anm. zu Gorelik, 15.4.1937). 74 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 75 Das heißt: „meiner Gesellschaft“. Erwin Piscator hatte in Paris, zusammen mit Max Jacoby (vermutlich der Mann, von dem hier die Rede ist), soeben eine Gesellschaft zur Verfilmung des Schwejk gegründet. 76 Im Ms: „heranzuziehen“. 77 Max Jacoby (1919–2009), Photograph und Mitarbeiter Piscators in Paris. Emigrierte 1937 nach Buenos Aires.

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II. Verhandle ich über das Theater Pigalle, das die Rothschilds78 zu geben bereit sind. Nun hat sich eine sehr interessante Kombination ergeben: 1. traten an mich heran die Spanier – ihnen Lope de Vega’s „Schafsquelle“79 (franz. Spr.) zu inscenieren. Termin Mitte Mai. Dafür wollen sie 150.-200.000 frcs. zur Verfügung stellen. 2. die Barcelonaer – ihnen 2 Stücke zu insc. a) Tiefland – nicht die Oper, sondern das Stück80 – umgearbeitet. b) ein modernes – Arrangierproben in Barcelona in der 2. Hälfte des April – Termin in Paris nach Lope de Vega. Auf katalanisch (will aber ausl. Aufführungen synchronisieren auf franz. durch am Platz angebrachte Radiohörer – u. franz. Truppe, die von Anfang an mitprobiert. Summe 200.000 – 3. Čapek’s Verleger in Prag. Er hat ein Stück geschrieben, Die weisse Krankheit81 – gegen den Krieg – Ein Arzt weigert sich die Reichen von der Epidemie zu heilen, bevor sie nicht ihre Kriegsgelüste aufgeben. Beteiligung an der Aufführung mit 200.000 frcs. 4. wollen Woskovec und Verich82 aus Prag kommen. 5. habe ich schon lange gedacht mit Bassermann, Kortner etc. eine „Nathan der Weise“-Aufführung zu machen, für deren Finanzierung und Administration sich Hellmer83, der jetzt in Wien ist, interessiert. 6. wollte ich im Anschluss daran – und um in den Winter und das reguläre Theaterspielen überzugehen – den Schweyk auf der Bühne machen.

78 Die Pariser Niederlassung des Bankhauses Rothschild wurde 1817 von James de Rothschild, eigentl. Jakob Mayer Rothschild (1792­–1868), dem jüngsten der fünf Söhne von Mayer Amschel Rothschild, gegründet. 79 Fuente Ovejuna (ca. 1614), Drama des spanischen Dichters Lope de Vega (1562–1635). Das Stück stellt einen Bauernaufstand in dem gleichnamigen Ort bei Córdoba in Andalusien aus dem Jahr 1476 dar. 80 Das Stück Terra biaxa (1896) des katalanischen Dichters Angel Guimerá diente als Vorlage zu der Oper Tiefland (1903) von Eugen d’Albert, zu der Rudolf Lothar das Libretto verfaßte. 81 Bílá nemoc (Die weiße Krankheit, 1937), Drama des tschechischen Schriftstellers Karel Čapek (1890– 1938). Er starb kurz nach dem Einmarsch der Deutschen, die ihn zum Staatsfeind erklärt hatten, an einer Lungenentzündung. 82 Jiři Voskovec, eigentl. Wachsmann (1905–1981), und Jan Werich (1905–1980), tschechische Schauspieler und Schriftsteller. Gründeten 1927 das Osvobozené divadlo (Das befreite Theater) in Prag. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1938 flohen sie nach New York. Werich kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Prag. 83 Arthur Hellmer (1880–1961), Schauspieler und Regisseur, vormals Intendant und Besitzer des Neuen Theaters in Frankfurt am Main, das 1935 „arisiert“ wurde. Ging 1936 nach Österreich und leitete dort das Theater an der Wien, 1938 nach Großbritannien. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war er von 1946 bis 1949 Intendant des Deutschen Schauspielhauses Hamburg.

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Bisher stehen alle diese Dinge wirklich gut – sehen jedenfalls nicht schlecht aus. Das Wichtigste ist jetzt die Zeit und die dramaturgische Arbeit. Darum möchte ich Dich fragen, ob ich mit Dir rechnen kann. Eisler meint: natürlich. Mit Mexiko84 ist noch nichts. Herzlichst Dein Erwin. Frohe Ostern. 25.III.37 Überlieferung: Ms, BBA 477/90–92. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 71f.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 27.3.[1937]

Sanary (Var), 27. März Villa Valmer Tel. Sanary 83

lieber brecht, es war wirklich ein jammer, dass wir nicht zusammen in moskau waren.85 es war eine wüste zeit, anstrengender als meine militärzeit und meine amerika-reise,86 aber es war der mühe wert. übrigens haben mir die 100 zeilen, die ich über moskau schrieb – 80 über gide und 20 über den prozess87 – mehr angriffe eingebracht als „erfolg“ oder die oppermanns.88 es gab dort mancherlei, was Ihnen spass gemacht hätte, etwa eine diskussion mit arbeitern und ingenieuren über den kommunismus pröckls89, auch tretjakow griff ein. dann war ich tag und nacht umlagert von theater- und filmleuten, die szenarios, stücke, bearbeitungen meiner romane oder meiner alten stücke haben wollten, und es hätte mir freude gemacht, einmal wieder zusammen mit Ihnen etwas zu unternehmen. so hab ich etwa 40 verträge nachhause gebracht, die mir mehr arbeit machen als spass. 84 Vgl. Anm. zu Piscator, 17.2.1937. 85 Auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbands hielt sich Lion Feuchtwanger von November 1936 bis Januar 1937 in der UdSSR auf. 86 Feuchtwanger diente im Ersten Weltkrieg 1914/15 sechs Monate beim Militär. Von November 1932 bis März 1933 war er auf Vortragsreise in den USA. 87 In seinem Aufsatz „Der Ästhet in der Sowjetunion“ (Das Wort, Heft 2/1937), ausführlicher dann in seinem Buch Moskau 1937. Eine Reisebericht für meine Freunde (Amsterdam 1937), wies Feuchtwanger die Kritik André Gides (vgl. Benjamin an Steffin, 12.12.1936) zurück und beurteilte seinerseits die Verhältnisse in der UdSSR äußerst positiv. Berüchtigt sind vor allem seine Ausführungen zum zweiten Moskauer Schauprozeß vom Januar 1937 (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937), den er selbst als Zuhörer vor Ort verfolgte. 88 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933. 89 Kaspar Pröckl, eine Figur aus Feuchtwangers Roman Erfolg (Berlin 1930).

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ich wäre gern über dänemark nachhause gefahren. aber es ging das gerücht, Sie seien in paris, und genaues war nicht zu erfahren. so zog ich es vor, über prag zurückzukehren, ich hatte den pragern seit jahren einen vortrag versprochen. als ich dann hinkam, wurde mein vortrag verboten, und ich selber von den zeitungen wüst angepöbelt und von regierungsleuten und publikum sehr gefeiert. was sind Ihre pläne, brecht? ich bleibe den sommer über in sanary und bemühe mich, moskau zu verdauen. lassen Sie doch, bitte, einmal ein bisschen ausführlicher von sich hören. [Hs.] Herzlich und unverändert Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 478/73–74. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 35f.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 29.3.1937

Paris XIVe, den 29. März 1937 23, rue Bénard

Liebe Grete, dass das kein Geburtstagsbrief 90 wird, liegt an Ihnen. Es wird ein Osterbrief, was Sie alsbald daran erkennen werden, dass Neuigkeiten in ihm so schwer wie Ostereier zu entdecken sein werden. Im anmutigen Nest der ESI habe ich umsonst herumgestöbert. Die Leute verhandeln mit einem gewissen Herrn Reymont91, der gewillt sein soll, die Übersetzung zu übernehmen. Er hat eben für den Verlag ein Buch von Weisskopf ins Französische übersetzt. Vielleicht kann ich bevor der Brief abgeht noch erfahren, ob die Verhandlungen perfekt geworden sind. In diesem Falle würde man das Weitere abwarten müssen; bisher ist mir über diesen Übersetzer nichts bekannt. Renoir’s Adresse werde ich auftreiben; Moussignac be­kommt seinen Brief morgen.92 Die Thesen scheinen mir aus­gezeichnet. Aber wie steht es mit ihren hiesigen Lesern? ob ein Mann wie Moussignac Zugang zu ihnen hat, erscheint mir recht fraglich. 90 Steffin hatte sich von Benjamin am 14.3.1937 „einen Geburtstagsbrief“ erbeten (Steffin, Briefe, S. 231). Am 21.3. wurde sie 29 Jahre alt. 91 D.i. Maurice Rémon (1861–1945), der soeben Die Versuchung. Roman einer jungen Deutschen (Zürich 1937) von Franz C. Weiskopf ins Französische übertragen hatte (La Tentation, roman d’une jeune allemande, Paris 1938). Als Übersetzer des Dreigroschenromans (vgl. Benjamin, ca. 27.9.1936) wurde er nicht engagiert. 92 Steffin hatte Benjamin am 14.3.1937 einen Brief Brechts an Jean Renoir (GBA 29, S. 23) beigelegt

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Auf das Erscheinen der „Kriegsfibel“93 freue ich mich ausserordentlich. Wenn das „Wort“ wieder einmal einen raisonablen Text bringt, so ist das wohl nicht zu früh. Zugeben will ich, dass mir Blochs Aufsatz im letzten Heft94 ganz vernünftig schien. Wie es mit der „Marie Sanders“95 steht, habe ich noch nicht genau her­ausgefunden. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Refrain „Gott im Himmel … heute Nacht“. Ist da an einen nächtlichen Aufstand gedacht?96 Eine andre Auslegung find ich nicht recht – und diese scheint mir bedenklich. Schreiben Sie mir bitte ein Wort darüber. Ich möchte sehr gerne die beiden Stücke von Ihnen lesen.97 Und ich kann es auch schnell tun; denn – das ist nun eine schäbige Neuigkeit – der „Fuchs“98 ist nach dreieinhalb Jahren fertig geworden. Ich habe ihn noch nicht zu dem guten Mann, der hier lebt, heraufgebracht, weil ich Angst habe, dass er, nach der Lektüre, mich auf seine alten Tage vergiften lässt. Bredel hat nach glücklicher Beendigung eines Sanatoriumsaufenthalts, der scheinbar ein Vielfaches seiner Amtszeit betrug, mich von der Aufnahme des zweiten „Pariser Briefs“99 unterrichtet. Ich glaube, dass ich vor die richtige Schmiede komme, wenn ich I h n e n und B r e c h t dafür danke. Über Erscheinungstermin und Honorarzahlung lässt sich aus Bredels Mitteilungen leider nicht das geringste entnehmen, und im Augenblick, wo Sie die Sache aus den Augen verlieren sollten, würde ich trübe sehen. Ich habe einen der grössten revolutionären Schriftsteller Deutschlands entdeckt – einen Mann, der zwischen der Aufklärung und dem jungen Marx an einer Stelle steht, die bisher nicht zu fixieren war. Er heisst Carl Gustav Jochmann100, war ein Balte, starb mit vierzig

mit der Bitte um Weiterleitung. Brecht wollte Renoir, ebenso wie vermutlich Léon Moussinac (dieser Brief ist nicht erhalten), einladen, der geplanten Diderot-Gesellschaft beizutreten. Die hierzu formulierten Thesen (GBA 22, S. 274–277; vgl. auch Gorelik, 9.2.1937, und Dudow, 10.5.1937) waren dem Brief beigefügt. Ob der Brief Renoir jemals erreicht hat, ist ungewiß; eine Antwort ist nicht überliefert. 93 Vgl. Anm. zu Herzfelde an Steffin, 19.2.1937. Zur Deutschen Kriegsfibel vgl. auch Benjamins Kommentar in BGS II, S. 562–564. 94 Ernst Bloch, „Deutsches Verbot der Kunstkritik“, in Das Wort, Heft 3/1937. 95 Ballade von der Judenhure Marie Sanders (GBA 12, S. 16f.), zuerst in Das Wort, Heft 8/1937. 96 Das Gedicht spielt an auf die im September 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze „zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Im Refrain heißt es: „Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten / Wäre es heute nacht.“ Steffin antwortete Benjamin am 9.4.1937: „es ‚handelt sich um‘ ein pogrom“ (Steffin, Briefe, S. 235). 97 Steffin hatte Benjamin am 14.3.1937 gebeten, ihre beiden Kinderstücke Wenn er einen Engel hätte (in: Steffin, Konfutse, S. 207–301) und Die Geisteranna (in: Focus: Margarete Steffin. The Brecht Yearbook 19, hrsg. v. Marc Silberman u.a., Madison/Wisconsin 1994, S. 1–34) zu lesen. 98 Den Aufsatz „Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker“ schrieb Benjamin im Auftrag der Zeitschrift für Sozialforschung; dort erschienen in Heft 6/1937. 99 Vgl. Anm. zu Benjamin, ca. 27.9.1936. 100 Carl Gustav Jochmann (1790–1830), aus Estland stammender deutschsprachiger Schriftsteller und Publizist, dessen Werke zu Lebzeiten großteils anonym veröffentlicht wurden. „Sein Dasein“, urteilte

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Jahren und lebte kränklich. Er hat einen Aufsatz „Die Rückschritte der Poesie“101 geschrieben, dem was die sprachliche Gestalt anbetrifft in seiner Zeit weniges, was seinen Gehalt angeht im 19. Jahrhundert nichts an die Seite zu stellen ist. Ich bringe ihn mit, wenn ich nach Svendborg komme; vielleicht kann ich ihn auch schon vorher herausgeben. Leider kann ich vom Termin meines Kommens noch nichts sagen. Die Nachrichten, die ich über meinen Sohn102 habe, sind so unbefriedigend, dass ich damit rechnen muss, in absehbarer Zeit eine Begegnung mit ihm herbeizuführen. Einen so schön geschriebenen Brief haben Sie noch nie von mir bekommen; belohnen Sie mich mit einem ausführlichen.103 Herzliche Grüsse für Sie und Brecht Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 2169/11–12. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 502f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 31.3.[1937]

Paris, den 31 März Hotel Royal Madeleine 26, rue Pasquier

Lieber Bert, um zu Deinem Brief vom 16. ds. Ms.104 und zum Vorschlag der DIDEROT-GESELLSCHAFT105 Stellung zu nehmen: natürlich kann man eine solche kleine produzierende Gesellschaft nur begrüssen und an ihr mitarbeiten. Das wird noch besser gehen, wenn wir eine Zeit lang hier zusammenarbeiten können, wozu, wie Du aus meinem letzten Brief ersehen hast, Gelegenheit geboten wird. Heute schicke ich Dir eine nur fahrig geschriebene Skizze106, da ich nur dazu Zeit habe, den Gegenstand festzulegen. Ich denke, bevor wir eine thesenhafte Stellungnahme vornehmen, müssten wir sie gründlich besprechen, um sie als eine von der ganzen Gesellschaft bearbeitete These herauszugeben.

Benjamin am 28.3.1937 gegenüber Max Horkheimer, „verlief in völliger Einsamkeit“ (Briefe, Bd. V, S. 491). 101 Benjamin publizierte diesen Aufsatz zusammen mit einer Einleitung in der Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 8/1939. 102 Stefan Benjamin. 103 Vgl. Brief an Benjamin, 9.4.1937, in: Steffin, Briefe, S. 235. 104 Vgl. GBA 29, S. 22f. 105 Vgl. Gorelik, 9.2.1937; Dudow, 10.5.1937. 106 Die Skizze („Filmlänge. Entwurf zu einem noch zu schreibenden Aufsatz von Erwin Piscator“) befindet sich in Brechts Nachlaß. Veröffentlicht wurde sie in: Erwin Piscator, Theater. Film. Politik. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Ludwig Hoffmann, Berlin 1980, S. 228ff. Vgl. B. an Piscator, 21.4.1937, GBA 29, S. 28f.

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Das würde schon den Wert erhöhen, und für die Gesellschaft sofort ein Thema abgeben. Wenn schon alle Meinungen der Gesellschafter über diesen einen Punkt eingeholt sind, so könnte dann die These veröffentlicht werden, eventuell mit den Namen der einzelnen zustimmenden oder kritischen Stellungnehmern. Beantworte bitte mal bald meinen Brief wegen Deiner Mitarbeit. Den Brief habe ich an Eisler weitergegeben. Leider dachte mein Sekretär 107 nicht daran, diesen Brief an Dich E. mitzugeben. Hoffentlich geht es Dir wieder gut. Mit herzlichem Gruß. Erwin Piscator [Hs.] Heute kam Deine kurze aber inhaltsreiche Antwort.108 Hanns hat Dir auch Alles erzählt. Also haltet den Daumen. Herzlichst Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/89. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 77f.

Ferenç Oliver-Brachfeld an Bertolt Brecht Paris, 31.3.[1937]

Paris, den 31 März

Sehr geehrter Herr BRECHT, Gestatten Sie mir, daß ich mich als derzeitiger Sekretär von Erwin PISCATOR vorstelle; ich habe seine Spanienreise organisiert, und arbeite seit beinahe zwei Monaten hier in Paris an seiner Seite. Ich möchte Sie um Folgendes bitten: es wäre Ihnen vielleicht möglich, irgendeinen Artikel über Piscator zu schreiben, ungefähr im Sinne des Interviews in New York.109 Piscator ist dabei, den SCHWEJK zu verfilmen, worüber Sie ja bereits gehört haben. Er braucht ein möglichst ausgedehntes Propagandamaterial über seine Tätigkeit, und hat sein ganzes Material leider in Moskau liegen.

107 Das ist der ungarische Psychologe Ferenç (Franz) Oliver-Brachfeld (1908–1967), der während seines Aufenthalts in Paris in den 1930er Jahren vorübergehend auch als Sekretär Piscators arbeitete. 108 Brecht antwortete Ende März, er „finde den Filmplan eine großartige Idee! Selbstverständlich bin ich zu jeder Zeit zur Mitarbeit bereit“ (GBA 29, S. 27). 109 Brecht erkundigte sich am 21.4.1937 bei Piscator, „wodurch sich der Aufsatz, den er [Brachfeld] über Dich haben will, von dem in der ‚New York Times‘ unterscheiden soll und wofür er bestimmt ist“ (GBA 29, S. 28; vgl. Oliver-Brachfeld, 8.5.1937). Die Rede ist von „The German Drama: Pre-Hitler“ (vgl. Anm. zu Goldbeck, 3.12.1935). Die deutsche Fassung wurde damals nicht veröffentlicht.

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Vielleicht können Sie von sich aus auch in einem anderen Sinne über Piscator schreiben, oder aber haben Sie andere Vorschläge zu machen. In Erwartung Ihrer Rückäusserung, begrüsse ich Sie mit dem Zeichen besonderer Hochachtung als Ihr ergebener F. Oliver-Brachfeld Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 477/88.

Rudolf Schröder 110 an Bertolt Brecht Paris, 7.4.1937 Verehrter Bert Brecht, Ich bin sehr zufrieden, dass sich durch einen glücklichen Zufall vermeiden lässt, Sie vor eine vollendete Tatsache zu stellen. Am letzten Sonntag traf ich Herrn Walter Benjamin, der mir Ihre Adresse angab, sodass ich Ihnen nun die Mitteilung machen kann, die ich Ihnen – wenn auch nicht ich allein – schuldig bin. Herr Benjamin hatte auf einem Wege, über den er mir gegenüber Schweigen zu wahren wünschte, erfahren, dass in der nächsten Nummer von „Mesures“111 drei Ihrer Gedichte in französischer Übersetzung erscheinen werden. Er äussert sein Erstaunen, dass Sie offenbar ebensowenig darüber unterrichtet seien, wie er es – beinahe – geblieben wäre. Wie der Plan dieser Übersetzung entstand, und wie er ausgeführt wurde, ist rasch gesagt. Ich lernte im vergangenen Sommer hier in Paris Herrn Jean Prévot112 kennen, Verfasser eines Essaibandes, dessen Titel und Inhalt mir unbekannt sind, und Übersetzer einiger Gedichte Stefan Georges ins Französische. – Die Art unserer Bekanntschaft brachte mit sich, dass wir auf die Übersetzungen einiger Ihrer Gedichte zu sprechen kamen, die ich seit Jahren immer wieder versucht hatte. Herr Prévot sprach – in etwas unbestimmter Weise – davon, diese Entwürfe zu bearbeiten und vielleicht zu veröffentlichen. Ich liess meine Übersetzungen bei ihm. Es handelt sich um die drei: „Gegen Verführung“, „Grosser Dankchoral“ und „Vom armen B.B.“113 Fast ein Jahr lang hörte ich nichts mehr von Jean Prévot und von der Übersetzung. Vor etwa zwei Wochen bat er mich plötzlich um den deutschen Text der Gedichte, da er „Mesures“ der französischen Übersetzung den Originaltext gegenüberstellen will. 110 Rudolf (Rudy) Schröder, ein Bekannter Benjamins, arbeitete für das Pariser Büro des Instituts für Sozialforschung. 111 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, Anfang Oktober 1935. 112 D.i. Jean Prévost (1901–1944), französischer Schriftsteller und Essayist. 113 Prévosts Übersetzungen erschienen im April 1937 unter der Überschrift „Trois poèmes par Bertolt Brecht“ in Mesures, Heft 2/1937.

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Es bleibt nur mehr wenig hinzuzufügen. Zunächst die Frage der Autor-Abdruck- und Übersetzungsrechte. Ich wiederholte Herrn Prévot, als ich ihn kürzlich wiedersah diese Frage, auf die ich ihn schon letztes Jahr aufmerksam gemacht hatte. Es sei erlaubt, antwortete er, ohne weitere Ermächtigung etwa 50 Verse eines zeitgenössischen Dichters zu übersetzen und zu veröffentlichen. – Ich hoffe, dass Herr Prévot hierin nicht so krasser Ignorant ist, wie er es mit Bezug auf Ihre Gedichte gewesen zu sein zugibt. Sie müssen wissen, dass die karge einführende Bemerkung, in der allein übrigens auch meine Mitarbeit Erwähnung getan ist, beginnt: „J’ignorais tout des poèmes de Bert Brecht...“ Ich füge diesem Briefe die Abschriften der Übersetzungen bei. Ich glaube, dass die Übersetzungen gelungen sind. Wieweit ich mit dieser Annahme recht habe, werden Sie selbst entscheiden. Es wäre lächerlich, Ihnen von den Schwierigkeiten zu sprechen, die der Text bot. – Unter den Umständen, in denen die Übersetzung zustande gekommen ist, ist es ausserordentlich schwer, die Leistung des einen gegen die des andern abzugrenzen. Ich bin nicht geneigt, meine Teilnahme zu überschätzen, wie Ihnen die Art der Veröffentlichung zeigen wird. Aber wenn meine Rolle bei der Ausführung auch nur gering war, so bleibt mir der [sic] Verdienst der Anregung ganz und die grosse Befriedigung dieses Wunsches, den ich seit Jahren hatte: einige jener Verse in diese Sprache übersetzt und diesem Publikum vorgelegt zu sehen. Ich denke, dass ich die Schwierigkeiten, die Reize und die Bedeutung dessen, was ich unternommen habe aus einem langen Umgang gut genug begriffen und Jean Prévot hinlänglich erklärt habe, um keine Entstellung befürchten zu müssen. Mir scheint, dass aus dem allem Jean Prévot französische Gedichte gemacht hat. Ich hoffe, dass meine Bemühungen sich – in der Zukunft – nicht auf diese drei Ihrer Gedichte beschränken. Aber dazu wird Ihnen wohl Herr Benjamin schon geschrieben haben oder bald schreiben. Vorläufig bleibt abzuwarten, was Sie von diesem ersten Versuch denken. Ich wünsche, dass er Ihnen Freude mache. Rudy Schröder Paris, le 7-4-1937 37 rue [de] Croulebarbe Paris, XIII Arr. Überlieferung: Ms, BBA 398/18–19.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht Paris, 14.4.1937

Paris, den 14.IV.37

Lieber Brecht, bitte, teilt mir die Adresse von George GROSZ mit, die ich in M.114 gelassen habe. Wie steht es mit der DIDEROT-GESELLSCHAFT? Aufsatz115 und Brief hast Du wohl erhalten? Mit herzlichem Gruss Dein Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 82.

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht New York, 15.4.1937

MORDECAI GORELIK 214 East 18th Street New York City April 15, 1937.

Dear Bert, Both your letters116 received. Hedda Korsch117 was staying at our house at the time your letters arrived, and she helped to translate them. I have translated (rather freely) the prospectus for the Society, and am enclosing copy of my translation. Can you give me some more definite reasons why you would like the Society named after Diderot118? I have lately read some of his writings on the theatre, and they seemed to me to be very uninteresting; furthermore they considered only plays and not production. Some of the people I have talked with here feel that the name Diderot Society is too pedantic and does not bring to mind the theatre at all. However, I shall be glad to be convinced of your proposal for a name if you will write me just why Diderot deserves to be our guiding

114 Moskau. 115 Vgl. Anm. zu Piscator, 31.3.1937; dazu B. an Piscator, 21.4.1937, GBA 29, S. 28f. 116 Vgl. B. an Gorelik, Anfang März 1937, GBA 29, S. 17f., und 19.3.1937, ebd., S. 24. 117 Ehefrau von Karl Korsch. 118 Diderot verfaßte auch einige Theaterstücke, einflußreicher aber war seine Theorie des Dramas (Fils naturel, 1757; De la poésie dramatique, 1758), die Lessing dem deutschen Publikum nahebrachte (Das Theater des Herrn Diderot, 1760). Brecht schrieb Gorelik am 19.3.1937: „Dieser große Enzyklopädist hat über Theater sehr philosophisch und materialistisch-philosophisch geschrieben. Natürlich vom bürgerlichen Standpunkt aus, aber doch von revolutionär-bürgerlichem“ (GBA 29, S. 24).

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spirit. What do you think of calling it the Society for Theatrical Research? Such a little is modelled closely on the names used by scientific societies. Received a letter from Haskelson in Moscow, who writes that the magazine Theatre and Dramaturgy is discontinued and is being replaced by a new magazine called Theatre.119 “Naturally the new magazine has a new policy. It will devote more space to the actual problems of the people in the theatre. We are afraid that an article on Brecht’s epic theatre or a detailed article on anyone’s own creative methods of work will be out of place in the new magazine.” Apparently that settles the fate of the copy I sent them. I admit that the new policy is unclear to me. On the other hand the epic theatre is making headway in New York. The same article, considerably, IS NOW IN THE PRESS AND will appear soon in the next issue of Theatre Workshop.120 I am glad to say that a very real interest is being shown in epic drama by all the people I know, especially the younger people. It will especially interest you to learn that the people connected with the Living Newspaper project of the Federal Theatre121 (the nearest thing we have to epic production in New York) have shown unusual interest in epic. I took the liberty of showing your criticism of Theatre Workshop to the editors, and they received the criticism very well, although it was very sharp; several of them even thought it would be a good idea to print it; I was against the idea, because I was sure that you had not intended it for that purpose, as it was informal and unguarded criticism. At any rate, you need not feel bitter about the people in New York: they are seriously anxious to learn from you and are anxious also to print any articles which you care to send. We wanted to print your article on Chinese acting which appeared in an English magazine; we wrote to the magazine, but they refused to give us permission to reprint the article. Have not yet been able to see MacLeish, as he has been extremely busy (he just wrote a play for radio). After seeing Lawson’s new play, Marching Song, I decided against asking him to join the Society, as I and many other people feel that it is an awful play, the opposite of everything epic stands for. Also, for the present Lawson shows no sign of wanting to learn anything more. The Theatre Union is closing down, the Theatre of Action and the Theatre Collective122 are gone, and the Group Theatre, after only one (very bad) play, suspended activity for this season and has just split into two factions. So you see that things are not going well with the American social theatre; only our viewpoint can help the situation. 119 Vgl. Anm. zu Gorelik, 9.2.1937. 120 Goreliks Aufsatz über die Dreigroschenoper erschien unter dem Titel „Epic Realism“ in Theatre Workshop, April/Juli 1937. 121 Living Newspaper bezeichnet eine ursprünglich aus Sowjetrußland stammende Form des AgitpropTheaters, das aktuelle politische und gesellschaftliche Probleme thematisiert. Die 1935 gegründete New York Living Newspaper Unit wurde unterstützt durch das Federal Theatre Project (vgl. Anm. zu Gorelik, 9.2.1937). Vergleichbare Ensembles spielten damals auch in anderen Städten der USA. Mit der Einstellung des FTP 1939 kam diese Theaterbewegung, ihrer Popularität zum Trotz, jedoch ebenso rasch zum Stillstand. 122 Linke New Yorker Theaterensembles der 1930er Jahre, für die Gorelik als Bühnenbildner arbeitete.

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Did you decide not to invite Anton Heythum123, the designer, of Prague, to join the Society? I thought he was more talented than Burian and more interested in new technique. His address, in case you wish to communicate with him, is Praha XIX Naviničnich Horách 44. Did I write you about the new magazine called Theater der Welt which is being published by Dr. Joseph Gregor124 of the Nationalbibliothek, Vienna? I know you’ll be glad to hear that the Guggenheim Foundation granted me a six month’s renewal to write the book.125 The committee seemed very pleased at the work I had accomplished, and thought the book would be a real contribution. This takes care of the family for a while. We expect the new baby any day now. Eugene has gotten very fat and healthy and runs around all day. Thanks very much for offering to look at whatever I have finished of the book. So far I have only been assembling the material; as soon as I have something to send you, I shall be happy to do so and will greatly appreciate your criticisms. I intend to have a chapter on the epic theatre. Hedda gave me the address of Dr. Lewin126, the psychologist, who is now in America, and I have written him in the hope of getting a copy of his essay on the psychology of the battlefield. I am eagerly awaiting the books which you have promised to send me. By the way, Frances and I wonder what point of view Hedda Korsch has adopted lately. She seems to be very friendly with Sidney Hook127, the chairman of the Trotzky Defense Committee, and she tells us that there is really no great difference between the Fascist government of Germany and the government of the Soviet Union – that the Soviet regime consists of “state capitalism”128 and that Fascism may also go in the direction of state capitalism. Of course we enjoyed having her as our guest, but this point of view disturbed us. The Trotzky Defense Committee is doing a good deal to encourage persecution of the 123 Antonín Heythum (1901–1954), tschechischer Graphiker und Bühnenbildner. Entwarf den tschechoslowakischen Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1935. 124 Joseph Gregor (1888–1960), österreichischer Theaterwissenschaftler, vormals Regieassistent bei Max Reinhardt. Herausgeber von Theater der Welt. Zeitschrift für die gesamte Theaterkultur. 125 Vgl. Anm. zu Gorelik, 1.6.1936. 126 Der seit 1933 in den USA lebende Sozialpsychologe Kurt Lewin (1890–1947) lehrte an der Cornell University in Ithaca/New York. Sein – auch Brecht bekannter – Aufsatz „Kriegslandschaft“ war erschienen in der Zeitschrift für angewandte Psychologie, Heft 5/6 (1917). 127 Sidney Hook (1902–1989), australisch-amerikanischer Philosoph des Pragmatismus, vormals der Socialist Party nahestehend. Brecht hatte ihn im Winter 1935/36 in New York kennengelernt (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937). Hook ging unterdessen auf Distanz zur UdSSR und unterstützte das American Committee for the Defense of Leon Trotsky, aus dem 1937 die Dewey-Kommission hervorging, eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Philosophen John Dewey, die Trotzki von den in Moskau erhobenen Anschuldigungen freisprach. 128 Diesen Begriff hat, im Hinblick jedoch vor allem auf den Nationalsozialismus, später Friedrich Pollock vom exilierten Frankfurter Institut für Sozialforschung theoretisch zu fassen versucht in seinem Aufsatz „State Capitalism“, erschienen in Heft 9/1941 der vom Institut herausgegebenen Studies in Philosophy and Social Science.

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USSR and TROTZKYISTS are helping to sabotage every progressive movement in this country. As far as I know, she does not endorse the Committee, but her strange position on the USSR really plays into the hands of people like Hook. Does anyone in New York have a copy of Die heilige Johanna? A man named Francesco von Mendelssohn, who directed the New York production of the Three-Penny Opera129 is anxious to read Johanna. As soon as a name for the Society is finally decided, and we have six or seven names of well-know people as members, I shall send out press releases to the theatrical magazines. With cordial greetings to Helli and yourself, Max Gorelik. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 482/54–55.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 26.4.1937 Paris XIV, den 26. April 1937 23 rue Bénard Liebe Grete Steffin, mit diesem Dank für Ihren Brief vom 9.130 habe ich warten wollen, bis genaueres über den Stand der Übersetzungsfrage131 herauszubringen war. Leider ist sie noch nicht entscheidend vorwärts gekommen. Es tauchte zunächst, wie ich Ihnen berichtete, ein Herr Reymont132 auf, von dem nichts zu halten war. Er hat seine Tätigkeit darauf beschränkt, dem Verlag ein unmassgebliches Urteil über das Buch abzugeben. Sodann wurde von mir ein Vorschlag gemacht; es handelte sich dabei um zwei Freunde; ein Deutscher und ein Franzose, die schon miteinander gearbeitet haben; den Deutschen kannte ich gut. Das scheiterte an der Honorarfrage. Vorgestern nun erfuhr ich vom Verlag, dass René de Jouvenel133, der die Sammlung herausgibt, in der der Dreigroschenroman erscheinen soll, einen Übersetzer gefunden habe. Ich erwarte demnächst genauere Information.

129 130 131 132 133

Vgl. Anm. zu FBE, 26.4.1933. Vgl. Steffin, Briefe, S. 235ff. Vgl. Benjamin an Steffin, 29.3.1937. Maurice Rémon. René de Jouvenel (1907–1982), französischer Schriftsteller und Journalist, der der Kommunistischen Partei nahestand. Leitete die Reihe Ciment der ESI.

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Ich nehme an, dass Brecht das neue Heft von „Mesures“ bekommen hat, in de[m] der deutsche Text und die Übersetzung von drei Gedichten der Hauspostille steht.134 Jean Prévost ist meines Wissens ein unsicherer Kantonist. Dass aber deutsche Texte von Brecht gerade in „Mesures“ erschienen sind, ist unter allen Umständen erfreulich. Nun habe ich Ihr Stück vom Engel135 täglich erwartet; ich muss Ihnen sagen, dass mir der Titel davon ganz besonders gefällt. Bitte schicken Sie es doch gleich ab. Sie werden dann im Sommer von mir den „Fuchs“136 bekommen. Ich denke, dass er in drei Monaten erscheinen wird. Meine grosse Entdeckung, der Jochmann137, wird auch erscheinen; freilich im „Wort“ nicht. Der Aufsatz würde, mit meiner Einleitung, viel zu umfangreich ausfallen. Bredel hat mir gerade des Umfangs wegen ablehnenden Bescheid über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“138 zukommen lassen. Unverdrossen habe ich ihm, wie Sie aus dem beiliegenden Brief 139 sehen, gleich neue Vorschläge gemacht; dazu einen Gesang angestimmt, wie ihn wohl die Sirenen hätten erschallen lassen, wenn sie Geld von Odysseus hätten bekommen wollen. Es wäre sehr schön und höchst wahrscheinlich erfolgreich, wenn Sie ihn zart würden begleiten wollen. Die Seghers hat vorige Woche zu Büchners Gedächtnis gesprochen.140 Es fiel mir wieder auf, wie viel besser ihr Gesprochnes als ihr Geschriebnes ist. Zum Gesprochenen gehört auch ihr Vorschlag, von dem ich im letzten Brief Brecht schrieb.141 Ich würde gern etwas darüber hören. Beim Zahnarzt bin ich auch. Ich entschädige mich dafür durch eine Lektüre, die ich Brecht unter gleichen Umständen anrate: das Buch von Chesterton über Dickens.142 Ich habe darin einen Abschnitt gefunden, mit dem das beste über den Dreigroschenroman gesagt ist, was man nur sagen kann. Ich habe ihn meiner Kritik des Romans einverleibt; bleibt die Frage, ob die Kritik nicht erscheinen kann.143 Besteht keine Möglichkeit, sie ins Englische zu übersetzen, da nun in Eng­land doch grosses Interesse für dieses Buch sich zeigt?

134 Vgl. Anm. zu Schröder, 7.4.1937. 135 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 29.3.1937. 136 Vgl. ebd. 137 Vgl. ebd. 138 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936. 139 Vgl. Benjamins Brief an Bredel vom 26.4.1937 in: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 515ff. 140 Zum 100. Todestag Georg Büchners hatte Anna Seghers in der Deutschen Freiheitsbibliothek in Paris gesprochen. 141 Ein solcher Brief ist nicht überliefert. 142 Gilbert K. Chesterton, Charles Dickens, London 1906. 143 Zur Kritik des Dreigroschenromans vgl. Anm. zu Benjamin, 9.1.1935. Einen Abschnitt von Chesterton hat Benjamin in den fertigen Text offenbar nicht übernommen.

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Ich hoffe, Sie sind recht munter, und ich denke, mit Ihrem Svendborger Zimmer verglichen mag Karins144 Villa sich verödet ausnehmen. Ich werde in der Masse untergehen, wenn ich komme, hoffe dennoch darauf. Sehr freundliches Adieu, pfeilschnelle Antwort erbittend. Ihr Walter Benjamin [Hs.] PS Diesen Augenblick – ich wollte den Brief eben aufgeben – kommt der Ihre vom 22ten.145 Es freut mich nicht, daß meine Phantasie mir Ihr Zimmer mit so falscher Staffage vorgespiegelt hat. Mit dem Sommer wird es gewiß lustiger werden. Dagegen bin ich sehr zufrieden, daß Ihr Stück146 angekommen ist und ich werde mich gleich daranmachen. Meine derzeitige Arbeit ist sehr interessant; sie behandelt die Geschichte der französischen Sprache im Zeitalter der großen Revolution.147 Und was arbeiten Sie? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 2046/64–66. – E: Benjamin, Briefe, Bd. V, S. 520ff.

Sergej Tretjakow an Bertolt Brecht [Moskau] 3.5.1937

3. V. 1937.

Lieber Brecht. Lange dir nicht geschrieben. War krank – zwei Monate un­unterbrochen im Sanatorium.148 Sehr schlecht mit dem Schlaf und besonders mit der arbeitsfähigkeit. Aerzte sagten verschiedenes – Nervenerschöpfung, sklerose. Endlich sagte einer – komplizierungen der tropischen malaria und fing mich an zu chinisieren. Das hat geholfen – die wütenden kopfschmerzen wichen auch, allmählig kehrte die arbeitskraft. Jetzt bin ich schon bei der arbeit und suche sich solch eine tageseinteilung auf, die die beste arbeitsresultate geben kann. Habe lange schon keine neue Werk von dir gehört. Möchte gern.

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Karin Michaelis. Vgl. Steffin, Briefe, S. 237f. Wenn er einen Engel hätte. Vgl. Anm. zu Steffin, 28.10.1935. Benjamin arbeitete an einer Rezension von Bd. 9/II der Histoire de la langue française des origines à 1900 von Ferdinand Brunot (Paris 1937), die in Heft 8/1939 der Zeitschrift für Sozialforschung erschien. 148 Das Gedicht Rat an Tretjakow, gesund zu werden (GBA 14, S. 66) schrieb Brecht allerdings nicht erst aus diesem Anlaß, wie Fritz Mierau vermutet (vgl. dessen Anm. in Tretjakow, Avantgarde, S. 488), sondern bereits 1930.

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Ich arbeite jetzt mein Chinabuch149 und denke vom rückkehr zum theaterstück über die kollektivierung „Wir machen die erdkugel satt“150 – ich habe schon vor jahre viel geschrieben aber nachher gestoppt. Jetzt aber sehe ich wieder – es gibt im geschriebenen vieles was wert hat. Und du hattest recht – wichtig ist einen Stück über die kollektivierung zu machen in einfachen aber umfangreichen und sehr realen Zügen. Wie planierst du deine arbeit und zeit? Besten Gruss an Helli und kinder – Drücke dir die hand. Dein STretiakow. Schreibe mir. Überlieferung: Ms, BBA 477/120. – E: Tretjakow, Avantgarde, S. 416.

Ferenç Oliver-Brachfeld an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 8.5.1937 Neuilly-s-Seine, 8.5.37 10, rue de la Ferme Werter Genosse Brecht, Erwin Piscator bestätigt erst jetzt, nach seiner Rückkehr von seiner belgisch-holländischen Vortragsreise151 Ihr 1. Schreiben, und ist selbstverständlich ganz einverstanden, daß Sie seinen Namen in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise verwenden. Er arbeitet jetzt an dem SCHWEJK-Exposé, daß Sie mit gleicher Post erhalten sollen, oder aber in den nächsten Tagen. Es handelt sich besser gesagt nur noch um eine Skizze, die Lania seinerseits ebenfalls umgearbeitet hat. Die Fassung ist also längst nicht endgültig. Man hat versucht, dem Stoffe ein neues, aktuelles Interesse abzugewinnen. Piscator zweifelt garnicht daran, daß Ihnen die Skizze gefallen wird. Er möchte unbedingt mit Ihrer Mitarbeit rechnen können, und wird Ihnen noch mitteilen lassen, wann Sie herkommen sollen. Selbstverständlich brauchte man auch einen erstklassigen französischen Mitarbeiter dazu, vielleicht Janson; sonst käme man hier nicht durch. Ueber die Bedingungen Ihrer Mitarbeit würde man sich später einig werden.

149 Vgl. Anm. zu Tretjakow, 24.6.1935. 150 Den Plan zu einem solchen Stück hatte Tretjakow schon 1932 gefaßt, jedoch nie ausgeführt. Im Juli 1937 wurde er im Kreml-Krankenhaus verhaftet und der Spionage bezichtigt. Vgl. dazu Brechts Journaleintrag vom Januar 1939, GBA 26, S. 326f. 151 Piscator hielt sich am 25./26.4.1937 zu Vorträgen in Brüssel und Amsterdam auf.

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Nun wäre es wichtig, daß Sie bereits jetzt Piscator über den Schwejk Vorschläge machen, und er erwartet Ihre diesbezüglichen Mitteilungen. Mit BARTOSCH wird er demnächst versuchen, zusammenzukommen.152 Was nun den zu schreibenden Aufsatz anbelangt153, so ist dazu zu sagen, daß P. die New York Times in Moskau gelassen hat. Sie sollten also jenen Artikel wie einen Aufsatz noch einmal schreiben, und eventuell in der WELTBUEHNE veröffentlichen. P. ist mit dem Artikel von Klaus Mann über das Züricher Theater154 recht unzufrieden, und würde es für wichtig halten, daß auch von unserer Seite etwas Prinzipielles, nach dem ganz unprinzipiellen Geschreibsel des K. Mann, erscheint. Dies würden Sie ja dann auch für P. tun, da doch schon das Thema, und Ihre Person als Verfasser, eine Verbindung mit dem Namen P. ganz von sich ergeben würden. Den KARTOFFEL-JONES155 hält P. für eine ganz ausgezeichnete Idee, sieht nur augenblicklich keine Möglichkeit, sie auch durchzuführen. Als Emigrant kann man sich nicht mit Weltmächten verfeinden, und man sollte die Prinzipien der Nicht-Interventionspolitik auch für uns selber streng und gehorsam befolgen. Ohne mehr für heute, und besonders Ihren SCHWEJK-Nachrichten erwartungsvoll entgegensehend, begrüsst Sie mit den ergebensten Grüssen Ihr Überlieferung: TsD, BBA Z 2/89.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 10.5.1937 Erwin PISCATOR 10, Rue de la Ferme N EU I L LY S/S ei ne .

Neuilly-sur-Seine, den 10. Mai 1937

Lieber Bert, Ich lese soeben den Brief den Dir Brachfeld in meinem Auftrag geschrieben hat. 152 153 154 155

Vgl. B. an Piscator, 21.4.1937, GBA 29, S. 28. Im Ts: „angelangt“. Zu dem erwähnten Aufsatz vgl. Oliver-Brachfeld, 31.3.1937. Klaus Mann, „Zürichs Schauspielhaus“, in: Die neue Weltbühne, Heft 15/1937. Brecht hatte Piscator am 21.4.1937 ein Filmprojekt mit dem Titel „Kartoffel-Jones“ vorgeschlagen, das sich mit dem Spanischen Bürgerkrieg und insbesondere mit der Nichteinmischungspolitik der Westmächte befassen sollte (GBA 29, S. 28f.). Es wurde jedoch nicht realisiert. Aus der Idee enstand schließlich der Plan zu dem Stück Die Gewehre der Frau Carrar.

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Du wirst ein etwas erstauntes Gesicht gemacht haben beim Passus über den KartoffelJones, ich auch! Ich habe dem guten Jungen gesagt, er soll Dir witzig etwa in dem Stil antworten: „Wie fein das wäre, wenn wir uns, Du und ich, mit den Weltmächten anlegten!!“ Brachfeld aber, der Herr Doktor, hat das riesig ernst genommen. Schau also von dem erhobenen Zeigefinger weg, ich bin gar nicht der Meinung von dem „strengen und gehorsamen Befolgen.“ Es stimmt auch gar nicht, dass ich nicht daran zweifle, dass die Skizze gefallen wird. Du wirst Vieles daran aussetzen, aber ich glaube doch, es ist die einzige Linie, wenn der Film schon in dieser Form zu politisch wird. Ich schicke Dir nun meine vorläufige Skizze (nicht die von Lania); Lania sollte quasi eine Propagandabroschüre machen, aber sie ist bis jetzt keineswegs fertig. Meine ist herunter diktiert und versucht die Linie festzustellen, in welcher Form heute der Schwejk und der Film möglich ist. Das, und nicht mehr, geht aus der Skizze hervor. Nimm also an dem Stil keinen Anstoss, er ist vollständig unkorrigiert; in dieser Art der erste Entwurf.156 Die ganze Form ist so aus langem Überlegen entstanden, und ich glaube darin wirst Du mir recht geben, dass der Schwejk nur auf diese Weise heute von Nutzen sein kann, und obwohl er politisch aktueller ist als der tschech. Schwejk157, doch leichter durchzusetzen sein wird als der alte. Die Tschechen meinen zwar, sie würden nichts gegen den alten haben (Du hast doch den Fall Burian-Schwejk in Prag158 gehört?), die Österreicher aber meinen, man dürfe nicht einmal den Titel „Schwejk“ nehmen, weil sie sonst intervenieren würden. Ich habe darum die beiliegende Vornotiz gemacht. Wenn die Verkaufsbroschüre fertig ist, werde ich die Meinung der Verleiher hören. Wenn wir diese Meinung haben, will ich mit der Ausarbeitung des Exposé’s beginnen. Dann brauchte ich Dich. Das kann also in ungefähr 14 Tagen sein (auch früher oder später). Bis dahin denke ich können wir auf dem Korrespondenzweg einige grundsätzliche Fragen erledigen, wie also Deine Meinung über die Grundlinie des Exposés; ob Du glaubst dass der Stoff so richtig angepackt ist, ob die politische Linie fest liegt, welche Anekdoten heraus genommen werden müssen, oder welche Du rätst hinein zu nehmen. Bitte teile mir gleich den Empfang mit, damit ich weiss, dass das Manuskript in Deiner Hand ist. Neulich ging übrigens die Rede hier herum, dass AUFRICHT dabei ist, die „3 Groschen Oper“ unterzubringen.159 Hast Du davon gehört? Er rief mich einmal an, liess aber 156 Die Skizze für die geplante Schwejk-Verfilmung erhielt Brecht erst am 21.5.1937 von Oliver-Brachfeld. Vgl. B. an Piscator, Mitte Juni 1937, GBA 29, S. 33f. 157 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 158 František Burian hatte eine dramatisierte Fassung des Schwejk am Theater D 35 in Prag inszeniert (Premiere: 14.5.1935). Bei dem „Fall“ handelte es sich offenbar um Rechtsstreitigkeiten. 159 Ernst Josef Aufricht produzierte die Dreigroschenoper in französischer Sprache am Pariser Théâtre de l’Étoile. Die Premiere fand am 28.9.1937 statt unter dem Titel L’Opéra de quat’sous. Regie führte Francesco von Mendelssohn. Brecht selbst war bei den Proben anwesend.

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nichts mehr von sich hören. Wie geht [es] Euch allen und Eisler? Schreibt mir! Ich grüsse Euch bestens Euer Überlieferung: TsD, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z 2/90–91. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 89ff.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht [Paris] 10.5.1937160 Lieber Brecht, Danke Ihnen für das Exposé Gründungsprotokol über die Diderot Geselschaft und die Einladung daran mitzuarbeiten. Das ich dazu bereit bin, ist selbstverständlich. Und ich will gleich damit beginen, nämlich mit der Kritik. Warum Diderot Geselschaft? Denken Sie an den Enzyklopedisten oder auch an den Theaterschriftsteller und Theatertheoretiker?161 Für mich wäre der Name gleichgültig, da es sich um ein Schild handelt, für den vorbeigehenden Kunden ist es aber nicht, denn er möchte ungern in einem Geschäft hineingehen wo draussen das Schild Heringe anbietet offeriert und drinnen dann Äpfel angeboten findet. Für eine Leiche kann man nicht viel tun ausser sie begraben, verbrennen oder auf eine andere Weise versenken.162 Das muß man sicher mit der sogenanten Avantgarde in der Kunst tun, da wir an einem neuen Punkt der Entwicklung angelangt sind, wo das Tote begraben werden muß. Damit schaft sich die Möglichkeit für die Bildung von eine Neue Avantgarde die notwendig werden kann. Vorläufig ist sie nicht notwendig, ich möchte eher sagen daß sie ungelegen kommt. Auch die Aufgabe der Diderot Geselschaft sieht hauptsächlich wie sie künstlerischen Metoden ermöglicht oder weiterentwickelt oder auch propagiert die unsere Umwelt handhabbarer, (macht und ihre Erneuerung ermöglicht?) ---------------------------------------------- ------------------------Braucht man das? Ich glaube nicht jetzt, und zwar mit Recht. – Es handelt sich doch [darum,] Kunstwerke zu schaffen die obwohl sie künstlerisch gut und fortschrittlich sind, wärmen können. Obwohl oder auch trotzdem, aber nicht auf aber nicht weil sie künstlerisch. 160 Dieser möglicherweise unvollständige Entwurf (zu Dudows Brief vom 10.5.1937) findet sich auf der Rückseite eines mit Notizen beschriebenen Blattes. Vgl. Anm. zu Dudows nachfolgendem Brief. 161 Vgl. Anm. zu Gorelik, 15.4.1937. 162 Erg. am Rand: „Das Begräbnis braucht nicht feierlich zu sein, es könnte still und ruhig sein.“

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Obwohl sie eine künstlerische richtigere Metode angewandt haben, obwohl es künstlerisch besser ist als ein anderes Kunstwerk doch zur seiner Wirkung gelang. Obwohl, oder trotzdem aber nicht weil, nicht durch. Dies ist der entscheidende Gesichtspunkt und hier ist die Rolle der Avantgarde zu Ende. Es gehört auch zu der Realität, daß man zu gewissen Momenten die Realität nicht erkennen will, aber auch nicht braucht. Überlieferung: Ms (Fragment), Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2598/1–2.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht [Paris] 10.5.1937 10 mai 1937 Lieber Brecht, Ich danke Ihnen für den Brief und das beigelegte Gründungsprotokol der „Diderot Geselschaft“.163 Natürlich bin ich bereit beizutreten und mitzuarbeiten. Das letzte will ich gleich tun und zwar mit einer Kritik. Meiner Meinung nach ist die Avantgarde bereits Deriergarde164 geworden. Mit Recht, denn die Avantgarde muß zwangsläufig zu einer Deriergarde werden, wenn sie nur eine Avantgarde bleiben will oder muß. Die verschiedenen Avantgarden, die sich vor, während und insbesondere nach dem Kriege entwickelt haben, mußten aus den genannten Gründen in die Sackgasse geraten. Um ev. Missverständnisse zu vermeiden, würde ich den Begriff Avantgarde nicht gebrauchen.165 Man soll die Toten ruhen lassen. Mir scheint das Protokol betont zu sehr die rein künstlerischen Fragen. Das ist ein Fehler. Die Aufgabe der Diderot Geselschaft muß größer, breiter werden und die Rolle des rein Künstlerischen einschränken, sonst besteht die Gefahr den Fehler der alten Avantgarden zu wiederholen. Die Einschränkung halte ich auch aus dem Grunde [für] notwendig, weil die künstlerischen Prinzipien in den verschiedenen Ländern, die uns hauptsächlich interessieren, z.Zt. nicht eine grosse Rolle spielen. Denn die Werke gelangen zu den Adressaten nicht durch ihre künstlerischen Mitteln (gemeint sind die fortschrittlichen), sondern trotz dieser. Man könnte auch sagen, ein modernes Kunstwerk gelangt zu seiner Wirkung nicht weil, sondern obwohl es fortschrittliche künstlerische Darstellungsmetoden anwendet. 163 Der Brief ist nicht überliefert. Mit dem von Dudow so genannten Gründungsprotokoll ist vermutlich der Entwurf zur Gründung einer Diderot-Gesellschaft gemeint, den Brecht im Frühjahr 1937 an zahlreiche Personen geschickt hat (GBA 22, S. 274–277). 164 Französisch arrière-garde (Nachhut), nicht derrière-garde. 165 Der Begriff Avantgarde taucht in dem genannten Text nicht auf. Brecht schlägt darin allerdings vor, an die im weitesten Sinn avantgardistischen Neuerungen des Theaters anzuknüpfen.

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Praktisch sehe ich die Diderot Geselschaft in Funktion treten, wenn sie sich gleich am Anfang eine direkte Aufgabe stellt. Man muß versuchen verschiedene Fragen, die mehr oder weniger einen Zusammenhang haben, aufzustellen. Meinerseits würde ich vorschlagen die Rolle des „trotzdem“ und „obwohl“ zu untersuchen. Damit aber das gedachte auch aufs Papier gebracht wird, muß man den Denkenden die verlockende Möglichkeit einer baldigen Veröfentlichung bieten. Ohne diese Verlockungen sehe ich kaum einen Bericht einlaufen. Könnten Sie nicht erreichen Deswegen wäre das allerwichtigste wenigstens das Erscheinen von einer kleinen Broschüre sicherzustellen. Wenn das erreicht worden ist, dann sehe ich ein paar Berichte nach Svendborg strömen. Zu dem Protokol möchte ich noch folgendes bemerken:166 Soweit es sich in der Kunst um überindividuelle Aufgaben handelte, erfolgte auch früher z.B. die Übernahme der künstlerischen Darstellungsmethoden. Ich denke hier an den Naturalismus, Realismus, Expressionismus und die viele andere ismen. Gerade die Schaffung dieser ismen ermöglichte die Übernahme von bestimten künstlerischen Darstellungsmitteln, ohne den Künstler in Misskredit zu bringen „sich mit fremden Federn geschmückt zu haben“. Der betreffende Künstler war zuerst ein Naturalist, oder Realist usw., und dann die Persönlichkeit X-Y. Für ihre Zeit haben diese verschiedenen „-ismen“ den Austausch unter den Künstlern ermöglicht, welchen sich für heute die Diderot Geselschaft als Aufgabe gestellt hat. Dies sei nur erwähnt, damit man dieser Tatsache im Gründungsprotokol Rechnung trägt. Moussinac ist ein ehemaliger Avantgardist und schrieb einige theoretische Bücher über den Film.167 In Frankreich die bedeutendsten.168 Bevor er ein Deriergardist wurde, widmete er sich kulturpolitischen Arbeiten. Vor kurzem war er noch Direktor vom E.S.I. Verlag, jetzt ist er Redakteur der Filmabteilung der „Ce soir“169 (der Pariser Welt am Abend).170 Es wäre noch einiges über den Plan von „D.G.“ zu sagen, das meiste [sollte] man aber persönlich besprechen. Auf jeden Fall bleibt das Wichtigste die Sicherstellung einer kleinen Broschüre, damit der Plan, den ich für sehr wichtig und nützlich halte sich nicht wie die Oase verflüchtigt. Paris den 10 Mai 1937 Herzlich Überlieferung: Ms, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2551/1–2. 166 Im Ms gestrichen: „Es stimmt nicht, daß man in der Kunst hauptsächlich die seelenlose Maschinerie von einem anderen Künstler übernehmen könnte ohne gebrandtmarkt zu sein,“ 167 Léon Moussinac, La Naissance du cinéma, Paris 1925; Le Cinéma soviétique, Paris 1928; Panoramique du cinéma, Paris 1929. 168 Erg.: „1932 gründete er das Internationale Theater in Paris. Unter dem anderen wollte er auch ‚die Massnahme‘ herausbringen. Das Theater schien seiner Zeit dem Pariser zu politisch und man hat nach 2–3 Monaten schliessen müssen.“ 169 Ce soir, von der französischen KP gegründete Tageszeitung, die von 1937 bis 1953 erschien. 170 Erg. am Rand: „[…] erzählte mir, er hätte die englische Ausgabe von 3. Groschen Roman in Londoner Buchhandlungen ausgestellt gesehen. Der Umschlag soll sehr hoffnungsvoll sein.“

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Ferenç Oliver-Brachfeld an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 21.5.1937 Neuilly, den 21. Mai 1937. Sehr geehrter Herr Brecht, Auf Veranlassung von Herrn Piscator geht Ihnen heute der erste Schwejk-Entwurf zu.171 Dieses Exposé ist noch nicht als Film-Synopsis zu werten, – sondern als Festlegung der Gedankengänge. So kommt es, dass viele Komplexe nicht filmisch geschrieben sind. Nach den Auskünften, die wir von den zuständigen Stellen erhalten haben, ist es unmöglich den Film tschechisch-österreichisch zu drehen, da dann mit Interventionen der österreichischen Regierung zu rechnen ist, was zahlreiche Verbote durch die Zensur in einer ganzen Anzahl von Ländern nach sich ziehen würde. Aus Zensurgründen darf der Film auch nicht zu politisch wirken. Was in dem vorliegenden Exposé auch fast noch ganz fehlt, ist die Liebeshandlung, um die man aus Vorverkaufsgründen nicht herumkommt. Bezüglich dieser Handlung sind dem Exposé Anmerkungen beigefügt. Eine grosse Schwierigkeit, die überwunden werden musste, war, dass heutzutage das Militär nicht lächerlich gemacht werden darf. Aber da wollen wir den Unterschied zwischen demokratischen Defensivarmeen und faschistischen Offensivarmeen machen. Ich begrüsse Sie hochachtungsvoll Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 309/2.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 29.5.1937 Lieber Brecht, Das Kabarett spielte bis jetzt nur Sonnabend und Sonntags im Saal Dunkau, 31 rue de Seine, in der Nähe vom Palace Hotel, wo Sie 1935 gewohnt haben. Die Bühne sowohl wie der Saal sind natürlich klein.172

171 Vgl. Piscator, 10.5.1937. 172 Gemeint ist das 1934 von deutschen Schauspielern in Paris gegründete Kabarett Die Laterne. Brecht hatte sich, da Weigel im Juni nach Paris fahren wollte, Mitte/Ende Mai 1937 bei Benjamin danach erkundigt (vgl. GBA 29, S. 31f.).

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Das zahlende Publikum besteht hauptsächlich aus Verzweifelte, die von Politik nichts wissen wollen. Diese Tatsache veranlasste vor einiger Zeit die Kabarettleitung einen Vorschlag von mir für eine groteske Scene aus der Illegalität als „zu politisch“ abzulehnen. Es gibt in Paris noch ein anderes deutsches emig. Publikum, das nur zu politischen Veranstaltungen geht. Dieses kann man natürlich auch für das Kabarett gewinnen, wenn etwas gespielt wird, was sie interessiert und wenig Eintritt kostet. Das Bedürfnis für einen guten Kabarettabend ist bestimmt sehr gross. Nun kommt eine andere Frage, die von unseren Leuten kaum berücksichtigt wird, nähmlich, daß während der Ausstellungszeit auf einer offenen Bühne, wie das Kabarett sie darstellt, wenig um nicht zu sagen garnichts gegen den italien. oder den deutschen Faschismus vorgebracht werden darf. Nach dem Thema zu urteilen, bleibt zu befürchten, daß Ihr Stück’chen173 die Kauflust der Ausstellungsgäste wenig fördern kann und erst es besteht die Gefahr von einem Flüsterer gebeten zu werden, von einer Aufführung vorläufig Abstand zu nehmen. Das wäre die höflichste Form. Etwas später, gegen Ende der Ausstellung, Sept - Oktober, kann ich mir einen solchen Abend mit dem Stückchen von Ihnen leichter vorstellen, weil da die politische Überwachung etwas nachlässt. Wohl gemerkt, das sind Bedenken nur von mir, die fast von niemanden sonst geteilt werden. Im Kabarett treten auf: Ruschin, Stephi Spira, Altman, Zach und ein paar andere.174 Bei dem Renoir Film „Die Marseillaise“175 wird die Niederlage der Preussen in der Schlacht bei Valmy (1793) zum grösten Teil von deutschen Emigration wahrheits getreu dargestellt. Einigen der Kabarettisten werden auch dabei sein und dadurch verhindert Abends aufzutreten. Es ist auf jeden Fall zu empfehlen, sich mit der Kabarettleitung vorher in Verbindung zu setzten, damit man gewisse Unannehmlichkeiten vermeiden kann. Die Hotels sind jetzt sehr teuer. Es ist kaum ein nicht verwanztes Zimmer unter 20 fcs. zu bekommen. Das Kabarett spielte wie gesagt nur Sonnabend und Sonntags und endete gegen 12h Nachts. Ich glaube, man kann knapp noch den letzten Zug zu Anna Segehrs erreichen. Wenn ich von einer anderen Wohngelegenheit, ev. bei Bekanten höre, schreibe ich Ihnen. Soweit ich der Sache helfen kann, stehe ich Ihnen selbstverständlich zu Verfügung. Uns ist das Hotel schliesslich zu teuer geworden, deswegen werden wir am Montag umziehen. 173 Die Gewehre der Frau Carrar (vgl. Anm. zu Dudow, 4.9.1936). Uraufgeführt vom Ensemble des Kabaretts Die Laterne unter der Regie von Slatan Dudow am 16.10.1937 im Salle Adyar in Paris. Helene Weigel spielte die Carrar. 174 Die exilierten Schauspieler Günter Ruschin (1904–1963), Steffanie Spira (1908–1995), Hans Altmann (1901–1953) und Florian Zach traten auch in der Aufführung der Gewehre der Frau Carrar im Oktober 1937 auf. 175 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 26.2.1937.

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Neue Adresse: 7 rue du Dragon Paris (6e) Telf. Litré 65-74. Mit meiner Fahrt zu Ihnen ist es leider immer noch nicht so weit. Ich muß das heiss gewordene Asphaltpflaster für die Ausstellung noch weich treten. Wie ist es Ihrerseits mit einer Reise nach Paris? Hartnäckige Gerüchte behaupten, Sie kämmen bald. Ich würde mich freuen, wenn das wahr wäre. herzlichst Ihr Dudow Paris den 29.V.37. Überlieferung: Ms, BBA 478/40–41.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 30.5.[1937] sanary, 30. mai lieber brecht, ich habe mich wirklich sehr gefreut, endlich einmal wieder von Ihnen zu hören.176 in moskau177 hab ich nichts von Ihnen gekriegt. ich habe versprochen, zum penclubkongress nach paris zu kommen.178 ich werde also bestimmt vom 19. juni bis zum 29. dort sein. marta179 kommt mit. es wäre wirklich fein, wenn Sie dort auftauchten. das hotel bristol, in dem ich zimmer bestellt habe, ist zwar ein feines hotel, wenig geeignet zu erfrischenden debatten über den marxismus; immerhin wird sich bei einigem guten willen ein geeigneter rahmen finden lassen.

176 177 178 179

Vgl. B. an Feuchtwanger, Mitte/Ende Mai 1937, GBA 29, S. 30f. Vgl. Feuchtwanger, 27.3.1937. Der XV. Internationale PEN-Kongreß fand vom 21. bis 24.6.1937 in Paris statt. Marta Feuchtwanger.

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carola neher war, während ich in m war, eingesperrt. sie soll in ein verräterisches komplott ihres mannes mitverwickelt sein. details weiss ich nicht.180 haben Sie den „falschen nero“181 gelesen. ich habe mich bemüht, hitler so trocken und leidenschaftslos wie möglich darzustellen, d h zu zeigen, wieso ein kleiner fisch sosehr stinken kann. das ist kein sympathisches thema, und das buch wurde denn auch von den rezensenten nicht verstanden und sehr geliebt, vom publikum verstanden und gar nicht geliebt. jetzt habe ich ein kleines buch über moskau geschrieben,182 es erscheint anfang juli, ist so, dass es der professor und die köchin verstehen müssen, und ich bin neugierig, was Sie dazu sagen werden. kolzow war hier unten bei mir, auf zwei tage. er möchte, dass ich anfang juli nach spanien gehe.183 ich habe nicht glatt nein gesagt. ich hab ungeheuer viel kleinzeug für russland zu machen, die redaktion eines ungewöhnlich schwachen stückes, das zwei handwerker aus den oppermanns zurechtgeflickt haben,184 dann hab ich dem wachtangow-theater185 versprochen, ein stück zu schreiben.186 richtige arbeit werde ich wohl kaum vor dem nächsten jahr wieder anfangen können. suchen Sie es möglich zu machen, nach paris zu kommen. wir würden uns beide sehr freuen. und grüssen Sie helli sehr, die wir also sicherlich in paris treffen werden. Sehr herzlich Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 478/68 u. 71. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 38f.

180 Carola Neher war im Juli 1936 in Moskau verhaftet worden. Ihr Mann, Anatol Bekker, wurde 1937 als „trotzkistischer Agent“ erschossen, sie zu zehn Jahren Haft verurteilt und nach einem Suizidversuch in der Moskauer Lubjanka in ein Lager bei Orenburg deportiert, wo sie 1942 starb. Brecht hatte sich im Mai 1937 (vgl. GBA 29, S. 31) nach ihr erkundigt in der Hoffnung, daß Feuchtwanger, der in Moskau mit Stalin persönlich gesprochen hatte, ihm Genaueres sagen könne. 181 Vgl. Feuchtwanger, 24.10.1936. 182 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.3.1937. 183 Vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937. 184 Das Stück kam nicht zustande. Der Oppermann-Roman (vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933) wurde jedoch unter dem Titel Sem’ ja Oppengejm 1939 unter der Regie von Grigori Roschal in der UdSSR verfilmt. 185 Das in der Moskauer Altstadt gelegene Theater ist benannt nach dem russischen Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Jewgeni Bagrationowitsch Wachtangow (Evgenij Bagrationovič Vachtangov, 1883–1922). 186 Auch dieses Stück kam nicht zustande.

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Erwin Piscator an An Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 7.6.1937 Erwin PISCATOR 10, Rue de la Ferme Neuilly S/Seine

Neuilly, den 7 JUIN 1937

Bert BRECHT Skovsbostrand SVENDBORG (Dänemark) Lieber Bert, Mit Erstaunen muss ich feststellen, dass Du nichts von Dir hören lässt. Ich hätte Deine Ratschläge so gerne gehabt, weiss aber nicht einmal ob Du überhaupt das Exposé erhalten hast. Schreibe bitte sofort, erstens ob Du im Besitze des Exposé gekommen bist,187 und zweitens was Du davon hältst und wie Du Dich dazu stellst. Beste Grüsse auch an Helly Dein Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 100.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 23.6.1937 Erwin Piscator

Neuilly-sur-Seine, den 23.6. 1937 10 Rue de la Ferme

Lieber Bert, Wir arbeiten noch immer an dem Exposé herum, von dessen Annahme die ganze Sache abhaengt. Deine Ratschlaege188 sind, wie immer, sehr schoen und richtig .... aber .... aber ... Wenn man doch nur mit dem Kriterium an die Arbeit herangehen duerfte, mit dem Du sie beurteilst! Die einfache „Wahrheit“, die einfache Gesinnung wird doch garnicht verlangt. Ein Verleiher sagt, „euer Exposé ist zu politisch und zu burlesk“, ein anderer: „mir fehlen die und die Szenen aus dem Original-Schwejk“. Dabei wissen sie selbst nicht, was sie wollen 187 Vgl. Oliver-Brachfeld 21.5.1937. 188 Vgl. B. an Piscator, Mitte Juni 1937, GBA 29, S. 33f.

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und vor allen Dingen nicht, was ihr Publikum will. Sie behaupten immer, die Meinung ihres Publikums zu vertreten, haben aber Furcht vor der eigenen Courage und auch davor, dass ihr Geschmack doch nicht der Geschmack des Publikums sein kann. (Die Amerikaner scheinen irgendwo im Himmel zu wohnen und der Dollarregen daraus faellt nicht auf unsere „armen Verleiher“.) Der Krieg soll nicht vorkommen und doch vorkommen. Der Schwejk soll gefaehrlich sein und nicht gefaehrlich sein. Wie weit sind die Berliner Zeiten entschwunden, wo uns das alles ganz schnuppe war? Aber wenn wir darnach gehen wollen, warum denn ueberhaupt machen? Wollen wir uns denn in einen Sarg legen und beerdigen lassen? Nicht wahr, das wollen wir doch wohl nicht? Jedenfalls wollen wir eines Tages unsere Auferstehung feiern. Ich kann Dir noch nicht sagen, wann Du kommen sollst; das kann erst geschehen, wenn die Stimmen aus dem Verleih mit einem hoerbaren „Ja“ antworten. Bis dahin musst Du Dich also gedulden. Inzwischen traf ich hier Feuchtwanger und war einige Male auf dem Penclubkongress.189 Du weisst ja, eine gewisse Arbeit gibt es fuer uns ueberall. Ich lasse dort eine Erklaerung ueber die Friedensspiele190 verlesen, ueber die ich ja noch ausfuehrlich mit Dir sprechen muss. Am meisten Fuss gefasst hat die Idee bis jetzt in Belgien. Auf dem Marktplatz in Ypern kann man bestimmt ein grosses Spiel ueber Krieg und Frieden veranstalten. Es muesste so den Stil von „Jedermann“191 haben, aber die Idee muesste sein, dass man fuer den Frieden kaempfen muss. Ich glaube, ich habe Dir bereits ausfuehrlich darueber geschrieben und auch ein Exposé geschickt; ich sende Dir noch ein franzoesisches Exposé. Hast Du irgendwelche Vorstellungen, wie solch ein Stueck aussehen muesste und haettest Du Lust, an die Sache heranzugehen? Wenn ich ein Stueck haette, wuerde die Realisierung in Belgien nicht schwer sein. Aber mir fehlt das Stueck. Alle die Stuecke, die in einem geschlossenen Raum gespielt werden, passen nicht, wie das „Wunder von Verdun“192, auch die „Wandlung“193 von Toller geht nicht. Was aber kommt in Frage? Heute wurde auf dem Penclub bekannt gegeben, dass eine deutsche Akademie fuer Kunst und Wissenschaft errichtet wird. Eigenartigerweise begrenzen sich die Herren „grossen Schriftsteller“ immer mehr und machen einen eigenen Verein auf. Ich moechte nur wissen, ob zur Kunst nicht auch das Drama und das Theater gehoert. Wenn die Herren behaupten, dass sie die deutsche Kunst in der Emigration beschuetzen muessen, so weiss ich nicht, warum wir nicht auch dazu gehoeren sollen, zu den Beschuetzern ... oder sollen wir vielleicht beschuetzt werden? Ich glaube, wir sollten uns das nicht so ohne Weiteres gefallen lassen. Schliesslich sinkt unsere Reputation 189 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 30.5.1937. 190 Nicht genau ermittelt. Belegt ist lediglich, daß Erwin Piscator als Gegenveranstaltung zur Weltausstellung in Paris 1937 ein Festival de Versailles plante. 191 Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes (1911), Tragödie von Hugo von Hofmannsthal. 192 Wunder um Verdun (1932), Drama von Hans Chlumberg. 193 Die Wandlung. Das Ringen eines Menschen (1919), expressionistisches Drama von Ernst Toller.

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doch nur aus dem Grunde, weil uns das Podium fehlt, die Buehne, das Theater. Wenn Du auch unter die Schriftsteller gegangen bist und einen Roman veroeffentlicht hast, so bist Du doch eben unser Dramatiker und wenn Toller drin ist, warum nicht auch Du?? (den Namen Friedrich Wolf habe ich uebrigens auch nicht gehoert). Oder sind wir alle zu l.194?? Ich glaube, das waere eine Sache, von der man ein kleines Aufheben machen duerfte und als praktische Theaterleute sollte man mindestens Reinhardt und mich vorschlagen. Meinst Du nicht auch? Warum laesst Eisler nichts von sich hoeren? Ich war hier mit Bush195 und Professor Clark196 zusammen und werde morgen hingehen, um Eislers Symphonie zu hoeren. Herzlichen Gruss an alle Dein Überlieferung: TsD, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z 2/92–93. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 106ff.

Slatan Dudow an Margarete Steffin [Paris] 24.6.1937

24.6.37

Liebe Grete, Auf Deinen ersten Brief wollte ich gerade antworten als Dein zweiter Brief an kam.197 Mit der Beantwortung der beiden Briefe habe ich gewartet bis ich das Stück 198 gelesen habe. Katz ist in Paris, ich habe mit ihm gesprochen und er wollte sofort an Brecht schreiben. Ich hoffe er hat es inzwischen getan. Die Truppe ist zwar keine Leuchte, aber sie nennt sich trotzdem die Laterne.199 Sie plant einen neuen Saal mit ca 300 Plätzen und einer kleinen Bühne zu mieten, dort wollen sie all-

194 Vermutlich „links“. 195 Alan Dudley Bush (1900–1995), englischer Komponist. Mitglied der britischen KP und Gründer der Workers’ Music Association. 196 Vermutlich Edward Clark (1888–1962), englischer Dirigent, Schüler von Arnold Schönberg. 197 In einem Brief vom 10.6.1937 (BBA 2552) bat Margarete Steffin, Dudow solle Brecht Informationen über die Lebensweise baskischer Fischer einholen für ein neues Stück, in dem auch der „KartoffelJones“ (vgl. Anm. zu Oliver-Brachfeld, 8.5.1937) eine Rolle spiele. Am 17.6.1937 (BBA 2553) erkundigte sie sich abermals nach der Lage in Spanien und schickte ihm das Stück Gewehre über Bilbao (vgl. Anm. zu Dudow, 4.9.1936). 198 Die Gewehre der Frau Carrar. Der Dudow vorliegende Entwurf, den Brecht zusammen mit Steffin soeben fertiggestellt hatte, trug den Titel Gewehre über Bilbao (GBA 4, S. 305–337). Erst nach weiteren Änderungen im Juli und August wurde der Titel des Stücks geändert. Im Druck erschien es zuerst im Dezember 1937 im Malik-Verlag, 1938 auch in Band 2 der Gesammelten Werke. 199 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.5.1937.

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abendlich spielen. Dieser Saal soll grösser und praktischer sein als der erste, wo sie bis jetzt gespielt haben. Wenn sie das realisiert haben ist die praktische räumliche Frage geregelt. Bis jetzt hat die Truppe nur Kabarett gemacht und dasselbe wollen sie weiterführen. Zuerst kommt ein Kabarettprogramm, und dann, nachdem das Publikum aufgeheitert ist, soll getanzt werden. Auch allabendlich. Das weitere erübrigt sich. Technisch könnte man das Stück mit den Schauspielern herausbringen, nur künstlerisch ist es sehr, sehr schwer. Auf jeden Fall muß man die Ansprüche auf ein Minimum herunter schrauben. Nun zu dem Stück selbst. Im allgemeinen finde ich eine erdrückende schwere Atmosphäre. Alles scheint so hoffnungslos. Wenn auch die Mutter zum Schluss eine Kämpferin wird, so bleibt der Eindruck, nicht eine Kämpferin, sondern ein Opfer [unleserlich]. Dasselbe betrifft die Gespräche über die Kämpfe an der Front. Es wäre zu raten, dieses zu verändern. Einige Vorschläge habe ich nur notiert, auf die ich später zurückkomme. Einige Detaills. Auf Seite […]. Der Dialog über die Verteidigung der Regierung ist sehr gut nur zu kurz. Er muß […] sein, mehr eine kleine Scene und nicht eine Pointe. Weiter unten Mutter: Halten Sie den Mund, ich habe nicht meinem Mann geholfen… ist auch sehr gut. Das junge Mädchen handelt wie eine leichtsinnige Gans. Da das Stück wenig Figuren hat, muß man das Verhalten des Mädchens verändern. Auf Seite 9. Das Misstrauen der Mutter gegen ihre Brüder muß früher kommen und dann noch deutlicher. Auch bei dem Arbeiter muß man schon eher merken, daß er was anderes im Schilde hat. Die Rolle des Padre200 ist falsch. Auf die komme ich auch noch zurück. Auf Seite 12. Der Mensch ist mit blossen Armen geboren… sehr gut. Da aber die Rolle des Padre (meiner Meinung nach) falsch ist, wird der Dialog dann bedeutungslos. Auf Seite 13 ist nur noch eine […]. Auf Seite 15 wird der Arbeiter ein Erpresser in dem er von der Mutter die Gewehre verlangt oder er nimmt ihr den Jungen. Diese Gemeinheit ist kaum am Platze und ausserdem kann der Arbeiter beides nehmen, sowohl die Gewehre als auch den Jungen, ohne gemein zu handeln, wenn er sich in dieser Situation anders verhält.201 Auf Seite 21, der Dialog über die Mütze ist sehr gut.202 200 Im Ms: „Parde“. 201 Im Ms gestrichen: „Die Schilderung wie der Mann von der Mutter gestorben ist, macht nicht“. 202 Im Ms gestrichen: „Die Erschiessung von dem Sohn der zum fischen gegangen ist, wirkt stark aber in falscher Richtung. Der Faschismus hat es nicht auf die Unschuldigen abgesehen, sondern auf die Schuldigen, nämlich alle die, die verhindern wollen, daß er an der Macht kommt. [Absatz] Wie Du in dem ersten Brief richtig erwähnst, ging der Angrif Francos gegen die Bodenreform hauptsächlich. Obwohl es so ist, es waren doch nicht die Bauern die zuerst den Gegenangrif eröfneten, sondern die Industriestädten, und Provinzen, d.h. vorwiegend das Proletariat. Das Proletariat verstand es, ich meine nicht nur die Organisationen, die bis dahin nicht allzu gross waren, sondern wirklich die Massen, die dieses Organisationen folgten, daß ein Trennung zwischen das arme Bauerntum und die Industrieproletariat nicht gibt, deswegen greifen sie sofort zu den Waffen. Es kommt für die verschie-

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Man muß noch folgende Tatsache berücksichtigen: Es kämpfen auf unserer Seite nicht nur der kleine Bauer und der Arbeiter, sondern auch der Bürger. In Katalanien und Bilbao sogar national gesinnte Bürger. Die Gründe sind verschieden und es würde zu weit führen darauf einzugehen. Hier treffen sich zwei Feinde, der Prolet und der Bürger um gemeinsam gegen den Faschismus zu kämpfen. So liegen die Verhältnisse in Katalanien, Valencia, Bilbao, seiner Zeit St. Sebastian usw. Daher würde ich vorschlagen aus diesen Widersprüchen das Stück aufzubauen, weil es erstens wahrer ist und zweitens uns mehr interessiert. Wie aus der Mutter wieder eine Kämpferin wird kann wohl bleiben, nur muß man andere Ursachen dazu geben anstatt die Erschiessung von dem unschuldigen Sohn. Ich denke mir dabei eine Scene wo tatsächlich die Waffen anstatt an der Front im Heimatland verwendet wurden um sich gegenseitig abzuschiessen, während der Feind marschierte. So war es seiner Zeit in St. Sebastian, vor langer Zeit in Bilbao, und vor kurzem noch in Barcelona usw. Sofern das Stück im Baskenland spielt darf der Pfaffe nicht gegen den Verteidigungskampf sein. Auch in Wirklichkeit haben ca […] Pfaffen mehr oder weniger mit der Waffe in der Hand gegen Franco203 gekämpft. In Deutschland sieht es auch so aus, wo die Pfaffen gegen Hitler starke Propaganda und Kämpfe führen, daher ist so eine Scene um so wichtiger. Ich würde vorschlagen eine solche Scene einzulegen, wo der Arbeiter am liebsten den Pfaffen niederstrecken möchte um am Schluss doch zu begreifen, daß es falsch ist. Bei dieser Auseinandersetzung könnte z.B. der Sohn erschossen worden sein. Wenn man das Stück ohne allzu grosse Arbeit so umändern könnte, wäre ich sehr dafür. Es war sehr schwer diese Zeilen in der jetzige Situation zu schreiben, wo man nicht weiß was morgen sein wird. In Paris ist man sehr stark beunruhigt. Auch gewisse Tatsachen, auf die ich […] nicht eingehen möchte, schliessen auf akute Kriegsgefahr. Meine Lage ist momentan sehr schlecht. Da man das schlimmste befürchten muß und man ohne Geld in solcher Situation verloren ist, wollte ich Dich oder Brecht bitten mir etwas Geld zu schicken leihen damit ich etwas als Reserve hier habe falls der Krieg ausbricht und ich irgend wohin muß. Wie gesagt nur als Reserve für den schlimmsten Fall, sonst mache ich von dem Geld keinen Gebrauch. Ich hoffe daß sich so etwas arangieren lässt und danke Dir und Brecht im voraus. Herzlichst Überlieferung: Ms, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2554/1–3.

denen Provinzen, auch für die wo das Stück spielt, noch die Rolle des Bürgertum dazu, die nicht für Franco sondern gegen Franco ist. Das trift besonders für die reicheren Provinzen wie Katalanien, Basken u.a. wo das Bürgertum“ [hier bricht der Satz ab]. 203 Der spanische General Francisco Franco (1892–1975) griff 1936, unterstützt von Deutschland und Italien, mit seinen Truppen das republikanische Spanien an. Nach seinem Sieg im Bürgerkrieg 1939 regierte er das Land mit diktatorischer Gewalt.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 30.6.1937 Dr. Lion Feuchtwanger

Sanary/Var, 30. Juni 1937 Villa Valmer

Lieber Brecht, wir freuen uns beide herzlich, dass Sie Anfang September herunterkommen wollen und rechnen also bestimmt darauf.204 Selbstverständlich sind Sie mein Gast; nur bitte, schreiben Sie mir möglichst rechtzeitig, an welchem genauen Tag ich mit Ihrer Ankunft rechnen darf. Die Gedichte205 sind gestern gekommen, ich habe gleich hineingeschaut, einen grossen Teil kenne ich ja bereits. Sie wissen, wie sehr ich Ihre Gedichte liebe, und vieles von dem, was in dem kleinen Band steht, gehört zum Besten, was Sie gemacht haben. Bitte, teilen Sie mir etwas genauer mit, worum es sich bei dem Preisausschreiben handelt,206 sodass ich allenfalls bei den Leuten etwas nachdrücken kann. An Querido habe ich gleich geschrieben. Ich finde es mit Ihnen skandalös, dass Sie nicht längst im Besitz des „Falschen Nero“207 und des Russlandbuches208 sind. Alles Herzliche und auf bald Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/72. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 41.

204 Brecht fuhr am 12.9.1937 nach Paris, um an den Proben zur Dreigroschenoper (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937) mitzuarbeiten. Ende September reiste er von dort zusammen mit Maria Osten nach Sanary-sur-Mer. 205 Brecht hatte Feuchtwanger vermutlich ein Typoskript der Svendborger Gedichte geschickt, die 1939 im Druck erschienen. 206 Hubertus Prinz zu Löwenstein gründete 1935 in New York die American Guild for German Cultural Freedom und im Juni 1937 die Deutsche Akademie der Künste und Wissenschaft im Exil in Amerika. Nach dem soeben erfolgten Zusammenschluß der beiden Organisationen wurde ein Preis für exilierte Schriftsteller ausgeschrieben. Brecht reichte am 30.9.1938 (vgl. GBA 29, S. 113) seinen noch unfertigen Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar ein, der zum Wettbewerb jedoch nicht zugelassen wurde (vgl. Löwenstein, 3.11.1938). Den Preis erhielt Arnold Bender für seinen Roman Es ist später denn ihr wißt. 207 Vgl. Feuchtwanger, 24.10.1936. 208 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.3.1937.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 5.7.1937 Lieber Brecht, Heute traf ich Stephi Spira von der Laterne.209 Sie verlangte Ihr Stück von mir. Sie berief sich auf einen Brief von Weigel. Da Sie mir aber schrieben ich soll es vorläufig niemandem zeigen, gab ich es erst nachdem ich mir den Brief von Weigel zeigen liess. Sie wollen es durchlesen und Ihnen dann Bescheid geben. Ich würde Regie sehr gern übernehmen und mein möglichstes tun um das Stück gut herauszubringen. Wie ich Ihnen schon schrieb, wird es mit den vorhandenen Mitteln nicht leicht sein. An Stephin schickte ich einen Brief mit verschiedenen kritischen Bemerkungen und einigen Vorschlägen.210 Sollten Sie sich doch zu einer solchen Änderung entschliessen, würde ich es ratsahm halten dann die neue Fassung spielen zu lassen. An Sternberg gab ich den Brief und Ihre Adresse.211 Paris den 5.7.37

herzlichst

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2555/1.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 9.7.1937 Prag, den 9.7.37 Bert Brecht Skovbostrand per Svendborg Danmark Lieber Brecht, wenn Du Wert darauf legst, dass die Publikation212 noch in diesem Jahr erfolgt, so muss ich Dich bitten, mir das druckfertige Manuskript bestimmt noch im Juli zu senden. Sonst würde es zu spät.

209 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.5.1937. 210 Vgl. Dudow an Steffin, 24.6.1937. 211 Der Brief ist nicht überliefert. Fritz Sternberg besuchte Brecht in Svendborg im September 1938 (vgl. BC, S. 552). 212 Die Gesammelten Werke. Die Bände 1 und 2 erschienen 1938 im Malik-Verlag.

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Meinen Brief mit dem Vertrag213 hast Du hoffentlich erhalten. Nun eine Bitte: Du findest beigelegt in dänischer Sprache das Vorwort von Peter Freuchen214 zu einem Buche von Wodopjanow215 „Traum eines Fliegers“, sowie eine deutsche Uebersetzung davon. Die ist aber so schlecht, dass ich sie nicht verwenden kann und da ich nicht Dänisch kann, wage ich mich auch nicht, die zu korrigieren. Sei doch so freundlich, und vermittle mir eine anständige Verdeutschung dieses Vorwortes. Ich bin gern bereit, dafür 1 Expl. des schönen Buches, das insbesondere Deinem Sohn gefallen wird, zu schicken. Das Protokoll unserer Diskussion über das „Wort“ liegt leider noch nicht vor, sobald ich es habe, bekommst Du es.216 Ich sende gleichzeitig den neuesten Sinclair „Drei Freiwillige“217 für Stefan. Herzlichen Gruss Dein Wieland Anlage! [Hs.] Es wird Dich interessieren, daß de Lange den „3 Gr-Rom“218 für 2 sfr. an die Universumbücherei, Basel liefert! Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/15.

213 Nicht überliefert. 214 Peter Freuchen (1886–1957), dänischer Schriftsteller und Ethnologe, verfaßte v.a. Berichte über Forschungsreisen nach Grönland, Alaska und in die Arktis. 215 Michail Wassiljewitsch Wodopjanow (Michail Vasil’evič Vodop’janov, 1899–1980), russischer Pilot und Schriftsteller, landete im Mai 1937 als erster Mensch mit einem Flugzeug am Nordpol. Der Traum des Piloten (Mečta pilota) ist der erste Teil seines Buches Die Eroberung des Nordpols (Poljus; deutscher Titel des zweiten Teils: Die Verwirklichung des Traums), 1938 mit einem Vorwort von Peter Freuchen im Malik-Verlag erschienen. 216 Ein entsprechender Brief Herzfeldes ist nicht überliefert. 217 Upton Sinclairs Roman über den Spanischen Bürgerkrieg No pasaran! A Story of the Battle of Madrid (1937) war unter dem Titel Drei Freiwillige soeben auf deutsch im Malik-Verlag erschienen. 218 Dreigroschenroman.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 15.7.1937 Dr. Lion Feuchtwanger

Sanary/Var, 15. Juli 1937 Villa Valmer

Herrn Bert Brecht Hotel Paris Dinard Paris Lieber Brecht, Leider habe ich nach so vielen Kongressen und Nebendingen es nicht möglich machen können, jetzt nochmals nach Paris zu kommen. Haben Sie übrigens meinen ausführlichen Brief nach Svendborg nicht gekriegt? Beantwortet jedenfalls haben Sie ihn nicht. Wenn Sie es ermöglichen könnten, nach Paris auf ein paar Tage herunterzukommen,219 würden wir uns natürlich besonders freuen. Selbstverständlich wären Sie dann unser Gast. Teilen Sie es uns aber rechtzeitig mit, da Sanary wahnsinnig überfüllt ist. Alles Gute. Grüssen Sie alle Grüssenswerten. Immer Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 478/70. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 41f.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 22.7.1937 Lieber Brecht, z.Zt, ist in Paris ein Bekannter von mir, der an einer Zeitschrift mitarbeitet und sich für meinen Artikel220 interessiert. Da ich nur einen Exemplar bei mir habe, das ich nicht aus der Hand geben möchte, würde ich Sie bitten mir Ihres zu Verfügung zu stellen. Wenn es geht, schicken Sie es mir bitte bald ein. Nach der nächtlichen Unterredung über den Artikel, hatte ich den Eindruck, daß Ihre Einwände sehr weitgehend sind, die man nur bei einer ausführlichen Diskussion berücksichtigen kann. Da diese aus technischen Gründe leider vorläufig nicht stattfinden wird, ist auch der Abdruck in „das Wort“ auf unbestimmte Zeit zurückgestellt. Wie steht es aber mit 219 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 30.6.1937. 220 „Grenzbestimmungen“. Vgl. Anm. zu Dudow, Juli/August 1937.

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einer Veröffentlichung in deutscher Sprache, falls sich wo anders dazu Gelegenheit bietet? Vor einiger Zeit hatte ich die Möglichkeit wenigstens Teile aus dem Artikel auch in deutscher Sprache zu veröffentlichen, ich habe sie aber wegen das Wort nicht benützt. Wie Sie wissen, es ist sehr schwer einen Film zu realisieren, daher ist es für mich um so schwieriger auf diese Veröffentlichung zu verzichten. Ausserdem halte ich den Artikel prinzipiel für richtig und wichtig. Wie ich Ihnen schon sagte, bereite ich noch einigen Artikeln vor. Der nächste behandelt das Thema „Literatur und Film“.221 Wäre es nicht ratsahmer, wenn ich vorläufig allein auf eine Veröffentlichung in „das Wort“ verzichte, um ev. Schwirigkeit zu vermeiden auch Sie von der Verantwortung zu entbinden? Dass ich nicht gern verzichte versteht sich von selbst, denn man hat sich gerade darüber gefreut eine Zeitschrift zu haben, wo solche Arbeiten gedruckt werden könnten. Haben Sie Ihre Rede für Bruno Frei222 schon abgeschickt? Paris den 22.7.37

Herzlichste Grüsse

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2557/1.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht [Moskau] 27.7.1937

27.7. [193]7

Bertold [sic] Brecht, Skovsbostrand paa Svendborg Dänemark

Lieber Brecht! Also wie ich Dir schon im Telegramm223 mitteilte, Dein Drama 224 kommt in ­Nummer 9 221 Ein solcher Text ist nicht überliefert. 222 Bruno Frei, d.i. Benedikt Freistadt (1897–1988), österreichischer Publizist, vormals Chefredakteur von Münzenbergs Berlin am Morgen. Ging 1933 ins Exil nach Prag, wo er den Gegen-Angriff herausgab. Ab 1936 in Paris, dort Redakteur der Deutschen Informationen. 1941 floh er nach Mexiko und kehrte 1947 nach Wien zurück. Gemeint ist vermutlich die Rede, die Brecht Mitte Juli auf dem II. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur (vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937) gehalten hat. Sie erschien in Das Wort, Heft 10/1937 (GBA 22, S. 323–325). 223 Nicht überliefert. 224 Das ist das bereits 1930 begonnene und nach mehreren Überarbeitungen 1936 vorläufig fertiggestellte Lehrstück Die Ausnahme und die Regel, erschienen in Internationale Literatur, Heft 9/1937. Eine nochmals revidierte Fassung wurde in Band 2 der Gesammelten Werke aufgenommen (jetzt GBA 3, S. 235–260). Uraufgeführt wurde das Stück in hebräischer Sprache von einer Laientheatergruppe am 1.5.1938 in Givat Chaim, Palästina.

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unserer Zeitschrift. Wir hoffen auch, dass Du uns weitere Beiträge schickst und uns auch gelegentlich einmal Deine Meinung über die Zeitschrift mitteilst.225 In Nummer 10 werden wir eine kleine lyrische Anthologie bringen,226 die wir dann auch international fortsetzen werden, russische, französische und englische Dichter, damit die Oeffentlichkeit einmal erfährt – was bekanntlich durch die Verlage nicht geschieht – dass es eine ziemlich starke und lebendige Dichtung gibt. Viele Grüsse an die Genossin Steffin und hoffentlich sieht man Dich wieder einmal. Mit den herzlichsten Grüssen Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/11.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 28.7.1937 Erwin Piscator

Neuilly s/Seine, den 28. Juli 37 10 Rue de la Ferme

Herrn Bert Brecht Svendborg Lieber Bert, Wie Du richtig vorausgesehen hast,227 hat sich soviel ereignet, dass unsere Plaene alle umgestuerzt worden sind. Da aber Maria 228 wegen ihres Gesundheitszustandes nicht warten kann, begleite ich sie morgen in die Alpen. Das Wichtigste ist: die Einladung aus Mexico229 ist eingetrudelt, allerdings ohne feste Abmachungen. Zunaechst soll ich nur hinfahren, Reise und Aufenthalt werden bezahlt. Ich denke dies vielleicht Mitte August zu tun; das haengt von den Plaenen hier ab.

225 Vgl. B. an Becher, 3.8.1937, GBA 29, S. 41: „Ich finde übrigens die ‚IL‘ ausgezeichnet redigiert. Sie verschafft einen sehr guten Überblick über die literarische Situation, und die einzelnen Hefte besitzen eine erstaunliche Geschlossenheit. Das Einzige, was ich ein wenig vermisse, sind Übersichten über den Stand der Wissenschaften, besonders der Sowjet-Wissenschaften.“ 226 Vgl. Red. IL, 22.9.1937. 227 Bezieht sich vermutlich auf Gespräche in Paris, wo Brecht sich anläßlich des II. Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur (vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937) Mitte Juli für einige Tage aufgehalten hatte. 228 Maria Ley-Piscator. 229 Vgl. Anm. zu Piscator, 17.2.1937. Genaueres über die fragliche Einladung konnte nicht ermittelt werden. Der Plan wurde jedenfalls nicht weiterverfolgt.

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Inzwischen realisiert sich die „Rasputin“-Auffuehrung; den „Schwejk“ habe ich ja schon beim Théâtre du Peuple angebracht.230 Ploetzlich tauchen auch neue Geldleute auf fuer die Schwejkverfilmung und „Krieg und Frieden“.231 In Mexico wuerde ich sehen, dass ich auch Dich und Eisler herueberbekaeme. Ich danke Dir recht herzlich fuer Deine Einladung; ich lege ein Schreiben fuer Karin232 bei, das ich Dich bitte, ihr zu uebersenden. Ich hoffe, dass es uns bald gelingen wird, zusammen zu arbeiten. Gruesse alle herzlichst. Dein alter Überlieferung: TsD, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z 2/95. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 117.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht [Paris, Juli/August 1937] Lieber Brecht, Entschuldigen Sie bitte die Verspätung meiner Antwort.233 Ich war sehr beschäftigt, d.h. ich habe sehr viel verhandelt. Den Brief an N. Grieg234 habe ich sofort weiter geleitet. Auch das Telegram an Kolzow235 habe ich sofort abgeschickt, nur mit „maison de la cultur“ wegen Ihre Drucksachen hat es noch nicht geklappt. Diese Woche bin ich sowieso da, werde wieder mal nachfragen.

230 Rasputin, die Romanows, der Krieg und das Volk, das gegen sie aufstand (nach Alexei Tolstoi und Pawel Schtschjogolew) ebenso wie Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk hatte Erwin Piscator bereits 1927 bzw. 1928 in Berlin inszeniert. Seine immer wieder unternommenen Versuche, die Stücke im Exil wiederaufzuführen, blieben jedoch erfolglos. 231 Die geplante Schwejk-Verfilmung (vgl. oben Piscators Briefe von 1937, dazu Anm. zu Piscator, 1.8.1933) kam nicht zustande. An einer Dramatisierung von Lew Tolstois Roman Vojna i mir (Krieg und Frieden, 1868) arbeitete Piscator später in den USA zusammen mit Alfred Neumann. Aufgeführt wurde das Stück im Mai 1942 am Studio Theatre des Dramatic Workshop in New York. 232 Karin Michaelis. 233 Ein dieser Antwort zugrundeliegender Brief Brechts ist nicht überliefert. Möglicherweise bezieht sich Slatan Dudow auf Gespräche in Paris, wo Brecht sich vom 12. bis 20.7.1937 anläßlich der Abschlußkonferenzen des II. Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur (vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937) aufgehalten hatte. 234 Johan Nordahl Grieg (1902–1943), norwegischer Schriftsteller. Dessen 1937 erschienenes Stück Nederlaget. Et skuespill om Pariser Kommunen (Die Niederlage. Schauspiel über die Pariser Kommune), das Margarete Steffin noch im selben Jahr für Das Wort übersetzte, diente Brecht später als Vorlage zu Die Tage der Commune (1949). Der erwähnte Brief ist nicht überliefert. 235 Nicht überliefert. Möglicherweise hatte Brecht sich bei Michail Kolzow nach Carola Neher erkundigen wollen (vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 30.5.1937).

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Ihre Rede ist schon in der „Volkszeitung“236 N31 abgedruckt und mit einer sehr gute Redaktionsbemerkung versehen worden. Was meinen Aufsatz anbetrift stimme ich Ihnen bezüglich der Vorsichtigkeit ohne weiteres zu und habe mich ja bereits erklärt einiges in dieser Richtung zu verbessern.237 Worauf es mir jetzt hauptsächlich ankommt, ist das erscheinen des Artikels nach Möglichkeit zu beschleunigen. Die Gründe hierzu habe ich Ihnen in den letzten Brief angegeben.238 Sicherlich wäre es nicht richtig, wenn die Hays und Wolfs durch den Aufsatz als die Fortgeschritteneren auftreten können, (übrigens das stimmt nicht denn sie sind die Hauptangegriffenen) aber noch unrichtiger scheint es mir, da die Hays und Wolfs in allen Zeitschriften, einschliesslich das WORT die Möglichkeit haben fast alles abzudrucken, wenn meine Tätigkeit unterbunden wird und praktisch lief es darauf hinaus. Sie werden mir da zustimmen müssen, daß man diese Tatsache nicht mit allzu grosse Freude zur Kenntnis nehmen konnte. Es besteht sowieso die Gefahr unsere Haltung mit die der demokratischen Ländern in Spanien Konflikt (nicht Interventionspolitik) zu vergleichen. Zu punkt Diskussion; meiner Meinung nach wäre es falsch die Mimik des Theaters ohne weiteres mit der des Films gleichzusetzen. Ich behaupte in meinem Artikel, daß alle übernommenen Mittel des Theaters weiterentwickelt sind, wodurch ihre ursprüngliche Funktion ebenfalls verändert wurde. Beim Film hat man die Möglichkeit die jeweilige Mimik jede Zeit zu entlarven, zu kritisieren in dem bestimte Ursachen neben ihr gezeigt werden. In Kuhle Wampe z.B., wurde in der Matha Hari Scene239 die Beschreibung der nackten Tänzerin mit den Sorgen der Hausfrau (Margarin Heringe, usw.) gegenübergestellt. Bei den Wettkämpfen wurden die Arbeitersportler vom Autor in zweiter Person angesprochen. In „Seifenblasen“240 am Anfang, die Treppenscene, wird nicht nur die Haltung des hinabsteigen den Angestellten gezeigt, sondern durch die Mitverwandlung der Treppe auch erklärt. Das ist keine Guckkastenbühne mehr, obwohl das Spiel der Schauspieler meist aristothelisch war. Ich sage meist, denn in Film gibt es keine reine aristothelische Schauspielkunst, selbst dann nicht, wo man diese bewust erreichen will. Darüber müssen 236 Die seit April 1936 in Paris, Prag und Kopenhagen erscheinende Deutsche Volkszeitung. La Voix du Peuple Allemand. Gemeint ist möglicherweise die Rede, die Brecht im Juli auf dem II. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur (vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937) in Paris gehalten hat. 237 Die Rede ist von dem bisher unveröffentlichten Aufsatz „Grenzbestimmungen“, einem kunsttheoretischen Traktat, den Dudow Brecht zur Begutachtung vorgelegt hatte und der vermutlich für die geplante Diderot-Gesellschaft bestimmt war. Brecht hat sich dazu Ende Juli ausführlich in einem Brief an Dudow geäußert (vgl. GBA 29, S. 37f.). 238 Nicht genau zu ermitteln. Vgl. Dudow, 10.5.1937. 239 Vgl. Weekend – Kuhle Wampe, GBA 19, S. 485. Die in einer an die frühen Filme Eisensteins erinnernden Montagesequenz dargestellte niederländische Tänzerin Mata Hari, d.i. Margaretha Geertruida Zelle (1876–1917), hatte nicht nur mit ihren Auftritten als Nackttänzerin vor dem Ersten Weltkrieg für Aufsehen gesorgt. 1917 wurde sie von einem französischen Militärgericht wegen Spionage für Deutschland zum Tod verurteilt und hingerichtet. 240 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.9.1934.

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wir ausführlicher diskutieren. Auf jeden Fall wäre es falsch Ihre Theorien allzuweit von dem modernsten künstlerischen Produktionsmittel, wie der Film sie darstellt, zu entfernen. Man soll die Gegensätze zwischen Film und Theater weiter suchen, jedoch dürfen Sie nicht Ihre Theorie nur an das Theater binden, denn wir brauchen sie ebensogut für den Film. Ausserdem haben Sie beim Film soviel Fortschrittliches das für Sie nur vom Nützen sein kann und als Beweiss für die Richtigkeit Ihrer Behauptung herangezogen werden müsste. Mit der Laterne241 habe ich wegen „Generäle über Bilbao“ einige Besprächungen gehabt. Man beabsichtigt die Auführung am 17 September zu starten.242 Das Stück soll kurz nach der deutschen Woche in Paris herauskommen. Wir haben versucht Ernst Busch aus Madrid für den Arbeiter zu holen. Er hat es leider abgelehnt. Wissen Sie jemanden in Zürich, der in Frage kommt? Die hisige Besetzung ist wirklich sehr schwach. Die Änderungen habe ich heute bekommen. Sie sind sehr mager ausgefallen. Ich hoffe sie werden genügend sein. Da wir keine Mitteln haben, wird das Kanonen Donner sehr dürftig kommen. Ich möchte, wenn es sich einrichten lässt, Tonfilm Kanonengeräusche zu verwenden. Was meinen Sie dazu?243 In diesem Fall würde ich folgenden Schluss vorschlagen; nachdem die Bühne leer wird alles verdunkeln, man hört nur den akustischen Krieg (Kanonen, Maschinengewehre, Flugzeuggereusche, usw.), während dessen soll von Ihnen einigen Kriegerischen Verse im Sinne der Rede von einem der Schauspieler, am besten von Weigel laut, über das Kanonengeräusch gesprochen werden. Das soll der eigentliche Schluss sein. Ich verspräche mir sehr viel von diesem Schluss und plediere 100% dafür. Gleichzeitig bitte ich Sie mir noch folgenden Fragen möglichst sofort zu beantworten. 1) wie steht es mit Ihrer Reise nach Paris?244 Soll ich versuchen die Auführung hinauszuschieben? 2) Können Sie mir einige Bemekungen über die Art wie Sie sich das Stück gedacht haben, schicken? Wie steht es mit Weigels Zeit? Wann kann sie frühestens hier sein? Es wurde besprochen die Fahrtspesen ihr zu ersätzen, nur man kann das Geld kaum früher schicken, weil das Grundkapital für die Anschaffung, Dekoration, Saalmiete, usw. gebraucht wird.

241 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.5.1937. 242 Das Stück Die Gewehre der Frau Carrar (früherer Titel: Gewehre über Bilbao) wurde erst im Oktober aufgeführt (vgl. Anm. zu Dudow, 29.5.1937). 243 „Es gibt (deutsche) Schallplatten mit Kanonendonner. An solche haben Sie wohl auch gedacht?“ (B. an Dudow, Ende Juli 1937, GBA 29, S. 35). 244 Brecht reiste am 12.9.1937 nach Paris, um dort jedoch zunächst an den Proben zur Dreigroschenoper (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937) teilzunehmen.

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Beim schreiben fällt mir ein, man könnte das Stück mit der Mutter für den Frieden anfangen und zwar ähnlich wie der Schluss, von Weigel vor den Vorhang gesprochen. herzlichst Ihr Dudow Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 654/153–154.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [Paris, August 1937]245 Lieber Bert, ich kann nicht annehmen, dass Dein Schweigen bedeutet, dass Du etwa beleidigt bist, weil ich Dich jetzt nicht besuchen konnte. Feuchtwanger erzählte mir vor einigen Tagen dass Du ihn in einigen Tagen besuchen willst – in Zanary246 – was ist also? Bin wegen des Schweyk hier – weiss nicht wie lange – Hat Karin Michaelis meinen Brief nicht bekommen, da auch sie nicht von sich hören lässt. Das Radium-Buch ist bisher nicht eingetroffen.247 Herzlichst Dein Erwin. Überlieferung: Ms, BBA 477/98. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 128.

245 Datierung unsicher. Vermutlich im August zwischen Brechts Paris-Reisen im Juli und im September 1937 geschrieben. 246 Sanary-sur-Mer. 247 Brecht hatte sich Rudolf Brunngrabers Radium. Roman eines Elements (Berlin 1936) von Piscator ausgeliehen.

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Hermann Borchardt und George Grosz an Bertolt Brecht New York, 12.8.[1937] Danemark Mr. B. Brecht Skovsbosstrand per Svendborg 12 Aug Lieber Brecht, Besten Dank für Ihren Brief.248 An Elisabeth249 habe ich geschrieben. Meine Frau muß mit den Kindern250 bis 10.IX. aus Deutschland heraus.251 Mir geht’s ganz gut: ich suche Arbeit. Nächstens ausführlicher. Ihr alter H Borchardt [Hs. Erg. von Grosz auf der Vorderseite:] Lieber Bert, how are you – I’m fine – are you going to Russia this year? I prefer to Day where I am your George. Dieser See ist wie mein Herz: „Winnetou Bd. I“ 31. Hieressenwirimmer […] Überlieferung: Ms, Postkarte: The St Moritz On The Park 50 Central Park South New York; Poststempel: AUG 14 New York, N.Y. 7; BBA 482/7–8.

248 Vgl. B. an Borchardt, Mitte 1937, GBA 29, S. 34. 249 Elisabeth Hauptmann. 250 Hans und Susanne Borchardt. 251 Hermann Borchardt war selbst kurz zuvor aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen worden und in die USA emigriert.

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Johannes R. Becher an Bertolt Brecht [Moskau] 14.8.1937 Bertolt Brecht, Svendborg, Skovsbostrand14.8. 7 Lieber Brecht! Bestätigen dankend den Empfang Deiner Gedichte, von denen wir alle bis auf 3 in Nr. 10 bringen können.252 Inzwischen wirst Du auch die „Literaturnaja Gazeta“253 erhalten haben, jedenfalls wurde sie an demselben Tag, an dem wir Deinen Brief erhielten, weggeschickt.254 Hoffentlich hört man bald wieder etwas von Dir. Mit den besten Grüssen Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/10.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 21.8.1937 Prag, den 21.8.37 Herrn Bertolt Brecht Svendborg Skovsbostrand Lieber Brecht Mittlerweile habe ich die Manuscripte genau durchgesehen. Es ist mir alles klar, und ich habe Offerte eingeholt. Die Sache wird infolge des etwas komplizierten Satzes ziemlich

252 Vgl. B. an Becher, 3.8.1937, GBA 29, S. 41. In Heft 10/1937 der Internationalen Literatur erschienen unter der Überschrift „Deutsche Dichtung der Gegenwart“ auch folgende Gedichte Brechts aus den Deutschen Satiren (aufgenommen in die Svendborger Gedichte, GBA 12): Was der Führer nicht weiß; Schwierigkeit des Regierens; Wörter, die der Führer nicht hören kann; Die Sorgen des Kanzlers; Von der Notwendigkeit der Propaganda im Dritten Reich. 253 Ursprünglich von Alexander Puschkin 1830 gegründete literarische Wochenzeitung, die unter diesem Namen in der UdSSR seit 1929 wieder erschien, inzwischen als Zentralorgan des sowjetischen Schriftstellerverbands. Brecht hatte Becher in dem genannten Brief mitgeteilt, daß er die Literaturnaja Gaseta seit Juli nicht mehr erhalten habe. 254 Im Ts hs. gestrichen: „Die von Dir geforderte englische Ausgabe schicken wir heute ab.“

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teuer. Du hast ja aus den ursprünglich vorgesehenen 3 Bänden 2 gemacht.255 Das scheint mir ganz gut, aber es hat den Nachteil, dass die Bände ziemlich dick und teuer werden. Die vorläufige Kalkulation ergibt einen Preis von mindestens kart. 7.- sfr Leinen 10.- sfr wobei ich voraussetze, dass keine erheblichen Korrekturkosten entstehen. Wenn, wie vorgesehen Vegaar eine Auflage mitgenommen hätte, so wäre ein viel günstigerer Preis zu erzielen gewesen. Schade ... Es fehlt noch der Text von der Massnahme. Bitte lass ihn schleunigst folgen. Wenn er rechtzeitig eintrifft, werde ich noch den zweiten Band in Satz geben können, wofür ich durchaus bin, weil man für 2 Bände gleichzeitig mehr für Propaganda ausgeben kann. Ich möchte die Bände gern gleich teuer machen. Bei der sehr knappen Kalkulation ist das aber nur möglich, wenn beide Bände ungefähr gleichen Umfang haben. Ich weiss nicht genau, wieviel Seiten „Die Massnahme“ hat, schätze ca. 32 Druckseiten. Dann würde der 2. Band etwa 310 Seiten, der 1. dagegen ca. 370 Seiten Umfang haben. Könnte man nicht die „Horatier“ oder „Jasager und Neinsager“ oder „Ausnahme und Regel“ in Band 1 und dafür „Mahagonny“ in Band 2 nehmen? Dann würden die Bände etwa gleich stark. Ich kenne nicht Deine Gesichtspunkte bei Festsetzung der Reihenfolge, – vielleicht gehts. Wichtig zu wissen wäre mir, ob auch die Reihenfolge innerhalb der Bände starr ist. Gern hätte ich Band 1 mit den Spitzköpfen begonnen, weil das Stück noch nicht veröffentlicht war und auch div. Bestellungen darauf vorliegen. Ausserdem könnte ich es dann bequemer so einrichten, dass von mehreren Stücken auch Einzelausgaben geliefert werden könnnen – wenn nämlich die Stücke mit neuen Bogen anfangen und enden. Ich würde mir Mühe geben, es möglichst oft so einzurichten. Schreib mir zunächst prinzipiell in bezug auf die Reihenfolge, ob starr oder nicht, und von welchen Stücken Du mehr haben möchtest und wieviel. Ich würde dann, wo es geht, mehr drucken, denn es geht natürlich nicht, dass man später aus kompl. Bänden einzelne herausnimmt, der Rest des Bandes würde dann ja nicht mehr verwendbar sein. Sonderabzüge vom Stehsatz kann man natürlich immer drucken, das ist aber erheblich teurer. Da es uns noch immer ziemlich kläglich geht, kann ich auf so kleinliche Ueberlegungen leider nicht verzichten. Etwas anderes: Ich höre, dass die Universum-Bücherei mit de Lange darüber verhandelt, einen Neudruck des Dreigroschenromans in ca. 500 Auflage für ihre Mitglieder zu machen.256 Woraus hervorgeht, dass de Lange nichts oder nicht mehr viel hat, was ich verstehen kann, denn er hat ziemlich viel Expl. zu 2.- sfr bereits an die Universum-Bücherei verkauft. Nun wirst Du Dich erinnern, dass wir vorhatten, Deine Werke fortzusetzen und auch den Roman hineinzunehmen, sobald er von de Lange zu haben sein würde. Wie verhält es sich damit? Es ist ja eigentlich Unfug, nur 500 Expl. zu drucken, ganz davon abgesehen, 255 Die Rede ist von den Gesammelten Werken. 256 Der Dreigroschenroman erschien 1937 als Sonderband der schweizerischen Universum-Buchgemeinschaft. Zum Zustandekommen dieser Ausgabe vgl. Anm. in GBA 29, S. 594f.

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dass das nur rentabel sein kann, wenn Du kein oder nur ein lächerliches Honorar erhältst. Bitte gib mir recht bald Bescheid, wie Du über die Sache denkst. Herzl. Gruss Dir und den Deinen. Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/12–13.

Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht Amsterdam, 26.8.1937

26. August [193]7

Herrn Bert Brecht, SKOVSBOSTRAND per Svendborg. Sehr geehrter Herr Brecht! Wir bestätigen Ihnen Ihren Brief 257 und erlauben uns Ihnen anbei eine Abrechnung über den „Dreigroschenroman“ zuzusenden. Danach besteht noch ein Vorschuss von Hfl. 3.153.28. Eine holländische Ausgabe ist von uns nicht gemacht worden. Auch konnten wir keinen anderen Verlag dafür interessieren. Finanziell spielt es keine Rolle, da Ihr Vorschuss dadurch höchstens um Hfl. 300.- bis Hfl. 400.- vermindert würde. Im Par. 9 des Vertrages den wir geschlossen haben, steht ganz deutlich dass wir berechtigt sind, 25% der Einnahmen aus den Auslandsrechten zu verrechnen. Wir haben uns erlaubt Sie bereits früher häufig auf diesen Passus aufmerksam zu machen ohne eine Antwort von Ihnen zu erhalten. Infolgedessen sehen wir uns jetzt veranlasst, uns direkt an ihren ausländischen Verleger zu wenden. Wir bitten Sie, damit keine unnötigen Differenzen und Kosten entstehen, Ihren Verleger auch entsprechend zu benachrichtigen. mit ergebener Hochachtung ALLERT DE LANGE.

257 Nicht überliefert.

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Beilage. Abrechnung per 1.7.’37. BERT BRECHT „DREIGROSCHENROMAN“. Vorschuss Hfl. 4.729.78 Verrechnet auf den Vorschuss 25% der Einnahmen aus den tschechischen Rechten

105.____________

Hfl. 4.624.78 Verkauf 1934 " 1935 " 1936 " 1937

1616 Expl. 712 " . 219 " . 178 " . ___________ 2725 Expl.

Honorar 15% vom brosch. Ladenpreis = Hfl. 3.60 = 54 cents = 1.471.50 Saldo zu unseren Gunsten

Hfl. 3.153.28 ____________

Überlieferung: TsD, BBA Z 29/98–99.

Hermann Budzislawski an Bertolt Brecht [Prag] 9.9.1937 9.9.1937 Lieber Herr Brecht! Haben Sie gelesen, was Schwarzschild258 über Feuchtwangers aufrichtiges, wirkungsvolles und empfehlenswertes Buch ‚Moskau 1937‘259 geschrieben hat? Die 258 Leopold Schwarzschild (1891–1950), Pseudonym: Argus, Schriftsteller und Publizist. Ab 1933 im Exil in Paris, wo er die Zeitschrift Das Neue Tage-Buch herausgab; ab 1940 in den USA. Aufgrund seiner kritischen Berichterstattung über die Vorgänge in der UdSSR wurde er seitens des Pariser SDS als Agent von Joseph Goebbels denunziert. Die Rede ist hier von dem Artikel „Feuchtwangers Botschaft“, in: Das Neue Tage-Buch, Heft 5/1937. 259 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.3.1937.

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Weltbühne hat aus diesem Buch drei Kapitel vorher abgedruckt, Ernst Bloch hat eine sehr lobenswerte Kritik geschrieben260, und nun, nach dieser Artikelserie von Schwarzschild möchte ich, dass in der Weltbühne Feuchtwanger verteidigt wird. Aber es ist schwer, einen richtigen Autor dafür zu finden. Diejenigen, die am besten über die Sowjetunion Bescheid wissen, verstehen es schlecht, den Ton zu finden, der die Leser des Neuen Tagebuch überzeugen würde. Es kommt auch nicht nur darauf an, die einzelnen Fakten zu widerlegen, die Schwarzschild aus dem Buch von Suvarin261 herausgeklaubt hat. Noch wichtiger ist es zu zeigen, aus welcher Gesinnung dieser plötzliche Hass gegen die Sowjetunion fliesst, und zu welchen Konse­quenzen dies für die deutsche Opposition führt. Ich habe Feuchtwanger aufgefordert, selbst eine Antwort zu schreiben. Das wollte er nicht. Ich habe mit ihm darüber korrespondiert, wer wohl am geeignetsten sei, noch einmal über sein Buch und über Schwarz­schilds Kritik zu schreiben. Er meinte, ich solle mein Glück einmal bei Ihnen versuchen. So versuche ich es denn. Ich würde mich sehr freuen und würde es für sehr nützlich halten, wenn Sie Stellung nähmen und mir zu diesem Streit Schwarzschild: Feuchtwanger etwas schrieben. Ich bin mit herzlichem Gruss, Ihr Überlieferung: Ts, Privatarchiv Eckert.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 11.9.1937

Prag, den 11.9.37

Bert Brecht Svendborg Skovbostrand, Danmark Lieber Brecht, was Du über die Reihenfolge der Stücke schreibst,262 leuchtet mir ein. Ich werde mich danach richten, wenn alles gesetzt ist, werde ich den Umfang genau beurteilen können und dann sehen, was sich machen lässt. Die Massnahme ist inzwischen eingegangen. Das kleine Stück über Spanien263 schicke mir bitte, wenn möglich, werde ich es noch hineinnehmen. Ist es Dir gleichgültig, in welchem Band? Schön wär’s, wenn die Roman-

260 Ernst Bloch, „Feuchtwangers ‚Moskau 1937‘“, in Die neue Weltbühne, Heft 30/1937. 261 Gemeint ist die 1935 in Paris erschienene Stalin-Biographie von Boris Souvarine (vgl. Anm. zu Brentano, 6.12.1933). 262 Vgl. B. an Herzfelde, 24.8.1937, GBA 29, S. 44f. 263 Die Gewehre der Frau Carrar, aufgenommen in Band 2 der Gesammelten Werke.

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sache264 eine Lösung fände, die uns die Fortsetzung der gesammelten Werke im nächsten Jahr ermöglicht. Ich habe übrigens gerade Pressenotizen betreffend das Erscheinen der Gesammelten Werke verschickt. Grosz hat mir vor einiger Zeit das Honorar für die Illustrationen zurückgeschickt.265 Es gelang ihm nichts, wie er schrieb. Ich höre sehr wenig von ihm. Der „Fox“266 geht Dir zu, zusammen mit den neuen Büchern von Bredel und Graf.267 Kritiken schreibst Du ja nicht, aber vielleicht gelangen an Dich wie das vor Weihnachten so üblich ist, Rundfragen betreffend das beste Buch des Jahres... Nach Dänemark käme ich gern, passlos wie ich bin, sehe ich keine Möglichkeit. Raus könnte man […], aber wieder zurück, das ist hier die Frage. Deine Meinung über die tschechischen Gedichte teile ich, dieser David ist ein ausgesprochener Eklektiker.268 Aber er hat hier viel Aufsehen hervorgerufen. Bist Du wegen des Tui-Romanes festgelegt? Es wär natürlich schön, wenn wir auch mit den neuen Büchern was machen könnten, aber Du brauchst natürlich Geld, und damit haperts bei mir noch immer. Anbei ein paar Marken für Stefan, herzliche Grüsse Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/10.

Per Knutzon an Bertolt Brecht [September 1937]269 + + + + København 23297 24/23 5 1238 = XP = Brecht Skovsbostrand Svendborg = 264 Vgl. Herzfelde, 21.8.1937. 265 Vgl. Grosz, 10.10.1934. 266 Upton Sinclairs Roman William Fox (1933). Die deutsche Ausgabe erschien 1936 im Malik-Verlag. 267 Willi Bredel, Dein unbekannter Bruder; Oskar Maria Graf, Anton Sittinger. Beide Romane erschienen 1937 im Malik-Verlag. 268 Im Mai 1937 war im Malik-Verlag der von F.C. Weiskopf herausgegebene Band Das Herz – ein Schild. Lyrik der Tschechen und Slowaken erschienen. Darin sind auch zwei Gedichte unter dem Namen Robert David veröffentlicht worden (d.i. das „Pseudonym eines Unbekannten“, S. 13). Vgl. dazu Brechts Bemerkung in GBA 29, S. 45. 269 Vgl. B. an Knutzon, 9.9.1937, GBA 29, S. 46f.

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Fuer uns sehr gefaehrlich und unklug mit Strakosch270 zu brechen Stop Ein Zusammentreffen mit Strakosch sofort in Kopenhagen unbedingt noetig = Knutzon + Überlieferung: Ts (Telegramm: Den Danske Statstelegraf), BBA 476/17.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht Val d’Esquières (Var), 17.9.37 Erwin Piscator

Val d’Esquières (Var) den 17.9.37 Villa Casa Romana

Lieber Bert, Dein Pneumatique271 erreichte mich erst gestern hier sowohl wie Dein Brief aus Svendborg272 und das Buch Radium.273 Ich bedauere sehr, jetzt nicht in Paris zu sein, vor allem wäre ich natürlich gern zur Premiere dort gewesen. Wann ist sie denn? Wie bist Du mit dem Fortgang der Proben zufrieden? Ich nehme an, dass Du – nach Feuchtwangers Bericht – vorhast, hier herunter zu kommen. Sollte dies der Fall sein, so bist Du von uns eingeladen. Wir haben hier ein Häuschen nahe am Strand und wir könnten gut unsere Arbeiten besprechen. Der Wagen ist auch hier, so dass wir Feuchtwanger besuchen können, der auch ev. herüber kommen kann. Schreibe mir umgehend und beantworte alle Fragen. Herzlichst Dein Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 138.

270 Per Knutzon war – entgegen Brechts Ratschlag – entschlossen, für die Aufführungsrechte der Dreigroschenoper, die er in Kopenhagen inszenierte (Premiere am 17.9.1937), Geld an den für Brechts früheren Verlag FBE in Skandinavien zuständigen Verleger Carl Strakosch abzuführen. Von dem nach Deutschland überwiesenen Geld würde der exilierte Autor jedoch keinen Teil abbekommen, da der Verlag FBE sich berechtigt wähnte, aufgrund versäumter Verpflichtungen Brechts solche Tantiemen bis auf weiteres einzubehalten. Überdies war Brecht verärgert darüber, daß Knutzon ihn selbst weder als Berater noch als Gast eingeladen hatte. Vgl. B. an Knutzon, Ende 1937, GBA 29, S. 69–71. 271 Brecht schrieb am 14.9.1937: „lieber pis, wir treffen uns doch? bin schon tief in proben versunken“ (ML/SIU, zit. nach Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. S. 138). Gemeint sind die Proben zur Dreigroschenoper (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937). 272 Nicht überliefert. 273 Vgl. Anm. zu Piscator, August 1937.

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Margarete Steffin an Bertolt Brecht Svendborg, 18.9.1937 svendborg 40 13 18 1017 northern = glueckwunsch dreigroschenoper kopenhagen erfolg2 74 g ru e s s g o t t 2 75

+

bertolt brecht c/o aufricht 25 avenue lamballe, prs Überlieferung: Ts (Telegramm), Poststempel auf dem Umschlag: Paris XVI 18-9 1937; BBA 475/92–93. – E: Steffin, Briefe, S. 256.

Red. „Internationale Literatur“ an Bertolt Brecht Moskau, 22.9.1937 Internationale Literatur 22.9.1937 (Deutsche Blätter) Moskau, Hauptpostfach 850 Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand paa Svendborg Lieber Freund Brecht! Ihren dichterischen Beitrag für die Jubiläumsnummer (Heft 11): „Der Grosse Oktober“ haben wir bestimmungsgemäss verwendet.276 Die Nummer ist bereits in Satz gegangen. Ihr Wunsch bezüglich der Ueberschrift und dem Untertitel zu den Satiren277 hat uns 274 Unter dem Titel Laser og Pjalter (Lumpen und Fetzen) wurde am 17.9.1937 unter der Regie von Per Knutzon die Dreigroschenoper am Teatret Riddersalen in Kopenhagen aufgeführt. Vgl. Anm. zu Knutzon, September 1937. 275 Vgl. Anm. zu Steffin, Juli 1933. 276 Vgl. B. an Becher, 1.9.1937, GBA 29, S. 45. Das zum 20. Jubiläum der Oktoberrevolution verfaßte Gedicht Der große Oktober erschien als Erstdruck in Internationale Literatur, Heft 11/1937, später aufgenommen in die Svendborger Gedichte (GBA 12, S. 45f.). 277 Die später in die Svendborger Gedichte aufgenommenen Deutschen Satiren; vgl. Anm. zu Becher, 14.8.1937.

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leider zu spät erreicht. Der Umbruch unserer Lyriknummer (Heft 10) war bereits korrigiert und an die Druckerei zurückgegangen. Ich werde alles daransetzen, um vielleicht in den Revisionsbogen die gewünschte Aenderung – falls technisch möglich – noch durchführen zu lassen. Von den Satiren sind folgende in die genannte Anthologie aufgenommen worden: „Was der Führer nicht weiss“, „Schwierigkeit des Regierens“, „Wörter, die der Führer nicht hören kann“, „Sorgen des Kanzlers“, „Von der Notwendigkeit der Propaganda“. Dass in Heft 9 – das nächste Woche herauskommt – an erster Stelle „Die Ausnahme und die Regel“ abgedruckt ist, dürfte Ihnen schon mitgeteilt worden sein. Unser Freund Becher ist gerade in Urlaub. Er wird Ihnen wohl nach seiner Rückkehr noch besonders schreiben. Mit bestem Gruss! Redaktion Internationale Literatur (Deutsche Blätter) Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/12.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 5.10.1937 Prag, den 5.10.37 Grete Steffin Svendborg, Valdemarsgade 9 A, II Liebe Grete, „Die Massnahme“ ist noch nicht gesetzt, die Aenderungen können also bequem durchgeführt werden. Die Herstellung hat sich leider infolge eines Maschinendefekts verzögert, aber jetzt ist die Ersatzmaschine zum Glück da und ich tue alles, damit die Bände rechtzeitig für den Weihnachtsmarkt herauskommen. Die Vorbestellungen verraten ein ganz lebhaftes Interesse, nur selten begegnet man dem Hinweis, dass von Wien aus noch Kiepenheuer-Ausgaben verramscht werden. Ich bin also halbwegs optimistisch. Fahnen sende ich baldmöglichst, hoffentlich kommen sie schnell zurück und mit einem Minimum an Korrekturen. Was die Einzelabzüge der Stücke anbetrifft, so ist das eine Frage, die mit dem Umbruch zusammenhängt, voraussichtlich wird es so sein, dass bei manchen Stücken die Herstellung von Sonderabzügen wenig kostet, bei anderen dagegen, wenn der Umbruch nämlich eine

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Neuzurichtung verlangt, wesentlich mehr. Ich werde im Detail darüber berichten, sobald die Herstellung soweit gediehen ist. Sobald das Spanien-Stück 278 von Brecht druckreif erklärt ist, schicke es bitte her, ich will die Herstellung deswegen nicht verzögern, aber vielleicht kommt es noch rechtzeitig an. Die Erfolge der Dreigroschen-Oper in Paris und Kopenhagen279 freuen mich sehr, ich nehme an, sie werden auch dem Absatz förderlich sein. Umso trauriger ist, was Du vom Dreigroschen-Roman schreibst, es wäre doch schön, wenn man die Ankündigung Gesammelter Werke im Laufe des Jahrs auch wahr machen würde. Vielleicht sollte man für 1938 einen Band Gesammelte Gedichte in Aussicht nehmen. Hier sollte ein tschechischer Verlag gegründet werden, der Deutsche in tschechischer Uebersetzung so in halbbibliophiler Aufmachung herausbringen will. Geplant ist als erster Band „Der Ackermann aus Böhmen“280, als zweiter Band eine Auswahl aus Brechts Gedichten,281 wobei man es begrüssen würde, wenn Brecht selbst die Auswahl vorschlägt, bezw. bestimmt. Es soll sich nur um einige Bogen, also ca. 80 Seiten, handeln. Als dritter Band sind Gedichte von Karl Kraus vorgesehen. Finanziell dürfte dabei nicht allzu viel herausspringen, ich weiss nicht wieweit Brecht tschechisch schon vorliegt, auf jeden Fall empfehle ich sehr, diese Angelegenheit positiv zu behandeln, Herausgeber der Serie ist Dr. Paul Eisner282 von der Prager Presse, ein recht einflussreicher Mann. Ich bitte Brecht, möglichst bald prinzipiell dazu Stellung zu nehmen. Näheres würde ich dann vermitteln. Herzliche Grüsse Wieland PS: Steff hat sich für Marken bedankt. Er soll dem Georg zum 14. Oktober ein paar schicken, da wird er nämlich 12 Jahre alt.283 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/7–8.

278 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 11.9.1937. 279 Vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937, und Steffin, 18.9.1937. 280 Johannes von Tepl, Der Ackermann aus Böhmen (um 1400, Erstdruck 1460), Streitgespräch zwischen einem Ackermann und dem Tod. 281 Diese Edition kam anscheinend nicht zustande. 282 Paul Eisner (1889–1958), deutschsprachiger Prager Schriftsteller, Übersetzer und Literaturwissenschaftler. 283 Die Rede ist von Brechts Sohn Stefan und Wielandes Sohn Georg.

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Martin Domke an Bertolt Brecht [Paris] 15.10.1937 15.10.37 Lieber Herr Brecht, Eben erhalte ich durch Frau Gora 284 die Blanquette für die Uebertragung. Ich fahre sofort zu einem huissier in der Nähe der Börse, um die Notifikation noch heute abend ausführen zu lassen.285 Wollen Sie die Freundlichkeit haben, mir durch Frau Gora, die morgen früh zu mir kommt, die freundlichst in Aussicht gestellten zwei Karten für die Sonnabend-Aufführung286 zu übersenden? Ich darf Sie dann am Sonntag um 5 Uhr bei mir erwarten, wo wir zuerst die Vertragssache besprechen wollen. Dann zeige ich Ihnen die erwähnte Schrift von Carcopino287, die ein ungeheures Material zu enthalten scheint. Sie ist jüngstens Datums, im Jahre 1936 erschienen. Mit bestem Gruss Ihr Domke. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 579/8.

284 Möglicherweise Martin Domkes Sekretärin. 285 Der Rechtsanwalt Domke war damit betraut, die Rechtslage hinsichtlich der Aufführung der Dreigroschenoper in Paris zu klären (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937). Auch in diesem Fall war der Verlag FBE bestrebt, die Auszahlung von Tantiemen an Brecht zu verhindern (vgl. Anm. zu Knutzon, September 1937). 286 Uraufführung der Gewehre der Frau Carrar unter der Regie von Dudow am 16.10.1937 im Salle Adyar in Paris. Helene Weigel spielte die Titelrolle. 287 Die Histoire Romaine. Tome 2: La République Romaine de 133 à 44 avant J.-C. (Paris 1936) des französischen Historikers Jérôme Carcopino (1881–1970) befindet sich in Brechts Nachlaß (vgl. B. an Domke, April 1938, GBA 29, S. 93). Brecht benötigte das Buch zur Arbeit an seinem – damals noch als Stück geplanten – Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar, worüber er Domke am 19.11.1937 ausführlich berichtete (GBA 29, S. 61–64).

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Michail Apletin288 an Bertolt Brecht Moskau, 15.10.1937 Moskau, den 15. Oktober 1937 Lieber Freund Brecht, Da ich auf Urlaub war habe ich Ihren Brief289 mit grosser Verspätung erhalten. Einen Platz für M. Steffin in Sanatorium kann man zu beliebiger Zeit bekommen und ich glaube es ist deswegen viel bequemer ein Sanatorium auszuwählen wenn M. Steffin selbst hier sein wird.290 Mit herzlichen Grüssen Stellvertretender Vorsitzender der Ausländischen Kommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: TsD, RGALI 631/12, 67/39.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 19.10.1937

19.10.1937

Lieber Herr Brecht, In Sachen Felix Bloch Erben erhalten Sie:

288 Der russische Schriftsteller Michail Jakowlewitsch Apletin (Michail Jakovlevič Apletin, 1885–1981) war seit 1936 Stellvertretender Vorsitzender und Sekretär der Ausländischen Kommission des sowjetischen Schriftstellerverbands. Wie Julius Hay sich später erinnerte, habe Apletin sich unter den Schriftstellern in Moskau wie ein Mitarbeiter der Geheimpolizei verhalten (vgl. die biographische Notiz in Säuberung, S. 46f.). Brecht jedenfalls konnte auf seinem Weg durch die UdSSR ins amerikanische Exil 1941 auf Apletins Unterstützung rechnen. 289 Nicht überliefert. 290 Einen weiteren Sanatoriumsaufenthalt in der UdSSR nahm Steffin nicht in Anspruch. Erst auf der geplanten Durchreise in die USA wurde sie im Mai 1941 in ein Moskauer Sanatorium eingeliefert, wo sie kurz darauf verstarb.

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1) Abschrift Ihres Briefes an den Verlag291 2) Abschrift meines Briefes an Herrn Vohtz292 3) Abschrift Ihres Vertrages nebst Anlage293 4) Original der Notiz, die die Société kürzlich behändigte.294 Sonst nichts für heute. Ich erinnere mich mit grosser Freude an die wenigen Stunden, die wir hier in Paris gemeinsam verbringen konnten, und verbleibe mit besten Grüssen Ihr sehr ergebener Domke. [Anlage:] 19.10.1937 Herrn Landretssagfører Gustav Vohtz Gl. Toro 10 København K. Sehr geehrter Herr Kollege, Herr Bert Brecht, mit dem ich seit Jahren befreundet bin, hat mir anlässlich der Pariser Aufführung der „Dreigroschenoper“ von den Schwierigkeiten berichtet, die auch in Skandinavien der Einkassierung der Tantiemen entgegenstehen. Hier war die Frage leichter zu behandeln. Es hatte nämlich Herr Brecht, im Einverständnis mit dem Verlag, einen Franzosen zum Inkasso berechtigt. Dieser Franzose ist aber inzwischen verstorben, sodass Herr Brecht dem hiesigen Vertrieb gegenüber nunmehr als Alleinberechtigter auftreten konnte. Das wurde hier anerkannt. Inzwischen habe ich die Abtretung der aus der Pariser Aufführung entstehenden Ansprüche durch Herrn Brecht an einen gemeinsamen schweizer Bekannten veranlasst. Immerhin, die Wahrnehmung der Interessen des Herrn Brecht, die Sie liebenswürdigerweise für Skandinavien zu betreuen übernahmen, erfordert weitere Massnahmen. Es ist 291 In einem Brief an den Verlag FBE vom 19.10.1937 (BBA 783/95–96) forderte Brecht die Aufhebung des im April 1928 über die Dreigroschenoper geschlossenen Vertrags. 292 Gustav Vøhtz, dänischer Rechtsanwalt. Brecht selbst hatte ihn bereits wegen der Aufführungsrechte für die Kopenhagener Inszenierung der Dreigroschenoper (vgl. Anm. zu Knutzon, September 1937) zu Rate gezogen. Vgl. B. an Vøhtz, 9.9.1937. 293 Vermutlich der Vertrag, den Brecht im April 1928 mit dem Verlag FBE über die Dreigroschenoper geschlossen hatte (BBA 783/3–4). 294 Brecht hatte der Société des Auteurs et Compositeurs eine Vollmacht bezüglich der Auszahlung von Tantiemen aus Aufführungen in Frankreich erteilt (vgl. B. an Domke, 19.11.1937, GBA 29, S. 61–64). Die erwähnte Notiz ist nicht überliefert.

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deshalb, im Einvernehmen mit Herrn und Frau Brecht, an den Verlag der aus der Anlage ersichtliche Brief gerichtet worden, der die formelle Aufhebung des Vertrages enthält. Auf Grund dieses Briefes, wonach Herr Brecht sein Aufhebungsrecht ausgeübt hat, dürfte es für Sie auch in Skandinavien leichter sein, die Arrestierung der Guthaben, die sich beim Vertreter der Felix Bloch Erben ansammeln, zu bewerkstelligen. Ich übersende Ihnen in der Anlage den Vertrag in Abschrift nebst Anlage sowie zwei Abschriften dieser Urkunden. Weiter füge ich den Wortlaut von §§30 und 32 des deutschen Gesetzes über das Verlagsrecht vom 19. Juni 1901, Reichsgesetzblatt p.217 zu Ihrer gefl. Orientierung bei. Ich stehe Ihnen für jedwede weitere Erörterung gern zur Verfügung, da ich bestrebt bin, hier für meinen Freund Brecht die weitgehendste Sicherstellung auch seiner künftigen Ansprüche mit zu fördern. In kollegialer Hochachtung Ihr sehr ergebener gez. Dr Martin Domke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: S. Avenue Charles Floquet Paris - 7e. Tél. Suffren 02-50 ; BBA 783/92 (Anlage: Ts, hs. U. ; BBA 783/93–94).

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Moskau, 21.10.1937 Internationale Literatur 21.10.1937 Deutsche Blätter Moskau, Hauptpostfach 850 Lieber Brecht! Es ist schade, dass wir über die Aufführung „Die Gewehre der Frau Karrer“295 so spät erfahren haben und nichts in der Zeitschrift bringen konnten. Wir werden aber jetzt die Verbindung mit Paris besser organisieren und hoffen, dass auch Du uns, was dänische Sachen anbetrifft, auf dem Laufenden hältst. Ich habe gleichzeitig, auf Deinen Vorschlag hin, an Grete Steffin geschrieben, um ein Stück aus dem Roman von Hans Kirk zu bekommen.296 Mit den herzlichsten Grüssen! Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/9. 295 Uraufführung der Gewehre der Frau Carrar am 16.10.1937 in Paris (vgl. Anm. zu Domke, 15.10.1937). 296 Ein Auszug aus dem Roman Daglejeme (Die Tagelöhner) des mit Ruth Berlau befreundeten dänischen Schriftstellers Hans Rudolf Kirk (1898–1962) erschien in einer Übersetzung Margarete Steffins in Internationale Literatur, Heft 3/1938. Vgl. B. an Becher, 14.10.1937, GBA 29, S. 50.

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Verlag Felix Bloch Erben an Bertolt Brecht Berlin, 22.10.1937

Abschrift

Felix Bloch Erben 22.10.1937 Herrn Bertolt Brecht, Svendborg (Fyn) / Dänemark. Ihr heute eingegangenes Schreiben vom 19.10.297 kann keinesfalls unbeantwortet gelassen werden; erfordert doch sein Inhalt eine energische und strikte Zurückweisung Ihrer Ausführungen. Allerdings würde es im wesentlichen genügen, wenn wir Sie darauf aufmerksam machten, dass der Inhalt Ihres Briefes ja schon in den hauptsächlichen Punkten anlässlich unserer früheren Korrespondenz beantwortet wurde, nämlich insbesondere Abschrift der Teile übermitteln, die sich auf den Vertrag über die „Dreigroschenoper“ beziehen. Dass wir seitdem unsere Verpflichtungen aus dem Vertrage nicht erfüllt haben, ist eine Behauptung, die ohne weiteres durch die Tatsachen zurückgewiesen werden kann. Unsere Verpflichtungen sind vielmehr da, wo nicht höhere Gewalt vorlag, erfüllt, wie die noch kürzlich stattgefundenen Aufführungen in Skandinavien, Paris und der Tschechoslowakei beweisen. Ueber diese Aufführungen sind Sie bezw. werden Sie von uns regelmäßig durch unsere, bei Eingang der Tantiemen erfolgenden Abrechnungen unterrichtet. Dass Sie im übrigen auch ohne unsere besondere Mitteilung von den Aufführungen wissen oder gewusst haben, beweist ja der Umstand, dass Sie völlig unberechtigterweise den Versuch machen, die Auszahlung der Tantiemen an uns zu verhindern. Wenn wir sagen „völlig unberechtigterweise“, so geschieht das in voller Ueberlegung und mit absoluter Berechtigung. Denn anscheinend möchten Sie sich nicht mehr des Ihnen auf Grund unseres Generalvertrages vom 17.5.1929298 gezahlten Vorschusses erinnern. Auch über diesen Vorschuss besagt unser Brief vom 10.1.1934 bereits genug, ganz abgesehen davon, dass Ihnen das Darlehn durch uns mittels des vorstehend erwähnten, Ihnen eingeschrieben zugegangenen Briefes zum 15.4.1934 aufgekündigt wurde, ohne dass Sie in der Zwischenzeit irgend etwas veranlasst haben. Auch unsere Ausführungen vom 10.1.1934 haben Sie ja unerwidert gelassen. Solange Sie nun Ihrer Rückzahlungsverpflichtung uns gegenüber aus dem Ihnen gezahlten Vorschuss in keiner Weise nachkommen, können Sie doch auch von uns nicht gut die Auszahlung des auf Sie entfallenen Tantiemensaldos „Dreigroschenoper“ erwarten.

297 Vgl. Anm. zu Domke, 19.10.1937. 298 Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933.

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Auch auf die Tatsache, dass Sie keinesfalls allein zur Aufkündigung des Vertrages „Dreigroschenoper“ berechtigt sind, wies bereits unser Brief vom 10.1.1934 hin. Einer Lösung dieses Vertrages, der im übrigen für etwaige Streitigkeiten eine ausschliessliche Regelung gemäss 9 vorsieht, könnte unsererseits nur im Zusammenhang mit unserem Generalvertrag zugestimmt werden, d.h. also im Zusammenhang Ihrer in unseren Büchern geführten Schuldsumme. Mit Rücksicht auf Ihren erheblichen Debetsaldo bei uns müsste ferner die Genehmigung der Devisenstelle zur Aufgabe der uns auf die Dauer des Schutzrechts übertragenen Rechte eingeholt werden, ehe wir überhaupt die Möglichkeit hätten, über die Lösung des Vertrages „Dreigroschenoper“ zu entscheiden. Wenn Sie am Schluss Ihres Briefes von der Möglichkeit erheblicher Ersatzansprüche gegen uns sprechen, so erscheint diese Erklärung doch sicherlich Ihnen selbst etwas gewagt gegenüber der Tatsache, dass Sie uns zur Zeit noch den in unserer Abrechnung vom 28.2.1936 ausgewiesenen Saldo von RM. 42.508,36 verschulden. Im übrigen berücksichtigen Sie bei diesem Hinweis wohl auch nicht die jederzeit nachweisbare Tatsache, dass die Eingänge aus Ihrem Werk „Dreigroschenoper“ schon lange vor 1933 wesentlich zurückgegangen sind, und beispielsweise im Jahre 1931 nur noch ein Viertel der Eingänge des Vorjahres zu verzeichnen waren, während 1932 diese Eingänge schon nur noch ein Fünftel der Summe von 1931 betrugen. Trotzdem wollen wir Ihrem Wunsch um Lösung des Vertrages „Dreigroschenoper“ grundsätzlich gern nähertreten, wenn Sie uns geeignete Vorschläge machen, die insbesondere den Ausgleich des Ihnen gewährten Darlehns sicherstellen, und wenn Sie vor allem Ihren Einspruch gegen die Verrechnung der Auslandstantiemen an uns bei den beteiligten Stellen zurückziehen, gegen den wir uns, wie eingangs erwähnt, aufs nachdrücklichste verwahren, weil er jeder Berechtigung entbehrt. Hochachtungsvoll gez. Unterschrift Stempel Überlieferung: Ts (Abschrift), BBA 576/30–31.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 26.10.1937

Neuilly sur Seine, den 26.10.37 10 Rue de la Ferme

Lieber Bert, Du versprachst, mir umgehend den Roman der Dreigroschenoper299 zu senden; ich möchte gern, dass Maria ihn liest und bitte Dich daher, es gleich zu tun. Als ich vor zwei 299 Gemeint ist der Dreigroschenroman.

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Tagen ankam, fragte ich gleich, ob Du noch da seist; leider warst Du schon fort. Gestern sah ich die Dreigroschenoper.300 Ich muss Dir ehrlich sagen, dass ich finde, dass mit einer solchen Art von Aufführung weder Dir persönlich noch uns allen geholfen wird. Mit dem gewöhnlichen Abklatsch, der von dem Original durch Talentlosigkeit, Hilflosigkeit, Langweiligkeit noch besonders abstach, wurde nichts erreicht. Ich kann verstehen, dass Du nicht mehr viel in den letzten Tagen ändern konntest. Die beste Darstellerin ist Renée Saint Cyr301, ich bin ganz Deiner Meinung. Ihr folgte Brown Cordy.302 Sehr sympathisch und lebendig, wenn auch nicht der repräsentative Vertreter, wie es Leibelt303 war. Rouleau304 ist anständig, aber einseitig, ganz nur von der äusseren Figur her gesehen. Ich dränge mich wirklich nicht vor (eher das Gegenteil) aber ich finde es doch eine Schande, dass eine so wichtige Angelegenheit deren Ausgang unser aller Schicksal mit betrifft, sozusagen privat pour la maison Aufricht gemacht wird, der ja nicht einmal Dich heranziehen wollte, wie ich Dir damals schon sagte. Ich habe natürlich nichts im Theater gesagt, aber nachdem ich das Resultat gesehen habe, fühle ich mich doch verpflichtet, es Dir zu sagen. Es hat keinen Zweck, ausführlich zu werden, aber ich glaube, man muss bei künftigen Aufführungen auch in anderen Ländern unbedingt sich genau überlegen, wie die entsprechende nationale Bearbeitung auszusehen hat. Es ist nicht damit getan, einfach sogenannte inhaltliche Schärfen zu streichen, ohne etwas Anderes an die Stelle zu setzen. Die Musik von Weill fand ich zum Teil langweilig und störend, zum Teil dehnt sie das Orchester derart, dass der Rhythmus verloren geht. Darunter litt vor allem der erste Teil, besonders der Anfang, der zum Einschlafen war. Man kann auch nicht ganz einfach die Berliner Schauspielerart auf die französische übertragen, weil diese ja lange nicht in unserem Stil vorgebildet sind und der Mischmasch zwischen ihrem Stil und einigen angelernten Bewegungen ist grauenhaft. Ich weiss natürlich alles, was Du mir darauf antworten wirst und wie schwer es war, etc. Aber soviel wirst Du mir doch zugeben, dass Mendelssohn nicht der geeignete Mann ist, ein solches Stück in Szene zu setzen, und bestimmt auch keine Ahnung hat, einen Schauspieler auf der Bühne richtig gehen zu lassen, geschweige denn zu einem Zusammenspiel zu kommen, das umso schwerer ist, je weniger dabei die frühere Routine in Anwendung kommen kann. Das alles ist lächerlich leichtfertig und zeugt von völliger Unkenntnis der (in diesem Falle hiesigen) Bedingungen. Ich freue mich, alle sehr schön von Deinem spanischen Stück 305 sprechen zu hören, wobei auch die Leistung der Weigel besonders hervorgehoben wird. Du wolltest mir doch 300 Vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937. 301 Renée Saint-Cyr, d.i. Marie-Louise Eugénie Vittore (1904–2004), spielte die Polly. 302 Raymond Cordy (1898–1956) spielte den Tiger Brown. 303 Hans Leibelt (1885–1974) hatte 1922 bereits in Trommeln in der Nacht und 1928 in Mann ist Mann gespielt. Später, in der Dreigroschenoper-Inszenierung von Karl Heinz Martin am Berliner HebbelTheater im August 1945, trat er in der Rolle des Tiger Brown auf. 304 Raymond Rouleau (1904–1981) spielte Macheath. 305 Die Gewehre der Frau Carrar. Vgl. Anm. zu Domke, 15.10.1937.

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den Cyclus306 senden, ich erwarte ihn sehr. (Wäre es nicht auch nett gewesen, mich etwas von euren Bestrebungen, ein internationales Theater oder Truppe zu gründen, zu unterrichten??) Die Amerikareise steht noch nicht fest; jedenfalls möchte ich Deinen Vorschlag, Dich zu besuchen, gern annehmen, wenn es irgendwie geht. Schreibe mir alle Deine Absichten und Wünsche, falls ich hier etwas für Dich tun soll. Herzlichst Dein P.S. Arthur P.307 beschwert sich, dass Du ihn nach der Rückkehr aus Sanary, nicht gesprochen und ihm nichts über unser Gespräch mitgeteilt hast. Überlieferung: TsD, hs. Vermerk: „nicht abgesandt“, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 151f.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 27.10.1937 Prag, den 27.10.37 Bert Brecht Svendborg Skovbostrand Danmark Lieber Brecht, Helene ist grade hier.308 Ich bat sie, für den zweiten Band noch das Spanien-Stück 309 zu geben. Sie sagte, ich soll es von Dir schicken lassen, weil Du noch Regie-Bemerkungen hinzufügen willst. Da ich im November die beiden Bände drucken will, damit sie noch rechtzeitig vor Weihnachten hinausgehen, käme eine Aufnahme nur dann in Frage, wenn Du das Manuskript sogleich schickst. Ich würde es natürlich begrüssen. Man könnte natürlich von diesem Stück für Massenorganisationen und dergleichen auch eine Extraausgabe machen, aber nur, wenn man es auch in den Gesamtband hineinnimmt. Andernfalls würde es zu teuer. 306 Furcht und Elend des III. Reiches. 27 Szenen (GBA 4, S. 339–455), 1938 im Malik-Verlag erschienen. Material sammelte Brecht bereits seit 1934, an der Niederschrift arbeitete er seit Juli 1937. 307 Arthur Pieck (1899–1970), KPD-Politiker, Sohn von Wilhelm Pieck. Seit 1933 im Exil in Paris, ab 1938 in Moskau für die Komintern tätig. 308 Während Brecht Mitte Oktober nach Svendborg zurückkehrte, fuhr Weigel am 20.10.1937 von Paris nach Wien und von dort weiter nach Prag. 309 Die Gewehre der Frau Carrar, aufgenommen in Band 2 der Gesammelten Werke.

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Heute gehen an Dich endlich Korrekturen und in schneller Folge wirst Du die Abzüge von beiden Bänden erhalten. Sei so gut und schicke sie mit grösster Beschleunigung zurück. Auf Druckfehler etc. wird hier natürlich genau Korrektur gelesen. Ist es notwendig, dass Du auch noch umbrochene Expl. erhältst? Das würde immerhin einen Zeitverlust bedeuten. Eins ist mir nicht ganz klar. Hast Du bei den meisten Stücken absichtlich kein Personenverzeichnis?310 Dann fällt natürlich die dafür vorgesehene Seite weg. Andernfalls bitte ich Dich, das Manuskript der fehlenden Personenverzeichnisse möglichst schnell zu schicken. Herzliche Grüsse Dein Wieland [Hs.] Helene wird Dir die neuen Bücher von Bredel u. Graf etc.311 mitbringen Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/6.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Moskau, 28.10.1937 Internationale Literatur 28.10.1937 Deutsche Blätter Moskau, Hauptpostfach 850 Herrn Bertolt Brecht, Svendborg Lieber Brecht! Dank für Deinen Brief vom 22.10. Die 10 Exemplare312 haben wir heute an Dich abgeschickt. Die andere Angelegenheit313 habe ich gleich der Genossin Lydia gegeben, die sie 310 Erg. von fremder Hand: „rundköpfe nur“. 311 Vgl. Herzfelde, 11.9.1937. 312 Brecht hatte Becher am 22.10.1937 (GBA 29, S. 51) um zehn Exemplare „von Heft 9 (also mit der ‚Ausnahme und Regel‘)“ gebeten. Vgl. Red. IL, 22.9.1937. 313 Gemeint ist offenbar „ein russisches Exemplar des Stückes über Kopernikus, das im Moskauer Planetarium gespielt wurde“ (GBA 29, S. 51). Genaueres konnte nicht ermittelt werden. Brecht interessierte sich für das fragliche Stück wohl im Hinblick auf den Galilei, mit dessen Ausarbeitung er im Frühjahr 1938 begann.

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Dir wahrscheinlich besorgen kann. Mich hindern die Sprachschwierigkeiten zu sehr, um selbst die Suche zu übernehmen. Auch ich hoffe, dass wir in ständigem Briefwechsel bleiben. Mit den herzlichsten Grüssen Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/8.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 30.10.1937 Prag, den 30.10.37 Grete Steffin Svendborg Valdemarsgade 9a/II Liebe Grete, Dein Brief314 mit der Sendung des Spanien-Stückes hat sich mit meinem Brief an Brecht gekreuzt. Ich freue mich, dass das Stück so schnell gekommen ist und gebe es sofort in Satz. Da Ende des Monats eine Aufführung hier gemacht werden soll,315 will ich es beschleunigt als Extradruck machen und bitte um Brechts Zustimmung unter den Bedingungen des Vertrages für die Gesamtausgabe. Selbstverständlich wird das Stück auch in die Gesamtausgabe hineingenommen und zwar an das Ende des zweiten Bandes. Ich könnte es auch ans Ende des ersten Bandes nehmen, das mag Brecht entscheiden. Die beiden Bände Bredel und Graf bringt Helene mit.316 Wegen der tschechischen Gedichtausgabe informiere ich Paul Eisner und gebe Bescheid, sobald eine Antwort vorliegt. Weitere Korrekturen kommen in Kürze. Die eingetroffenen Teil[e] bitte ich immer möglichst schnell zu prüfen. Herzliche Grüsse Wieland

314 Nicht überliefert. 315 Vgl. B. an Herzfelde, 30.10.1937, GBA 29, S. 53f. Die geplante Prager Aufführung der Gewehre der Frau Carrar mit Helene Weigel kam nicht zustande. Das Stück wurde in Prag jedoch im Mai 1938 mit Charlotte Küter und Erwin Geschonneck, im Februar 1938 bereits in tschechischer Sprache von der Laiengruppe Svítání gespielt. 316 Vgl. Herzfelde, 11.9.1937.

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Mit Stefans Vorschlag, seine Doubletten zur Auswahl zu schicken, ist Georgie natürlich sehr einverstanden,317 anbei eine Liste für Stefan, aus der ersichtlich ist, was ihm z.B. an Russland-Marken noch fehlt und was für doppelte er anzubieten hat. Natürlich hat er viel mehr, aber es wurde ihm zu dumm, die ganzen Nummern herauszusuchen. [Hs.] Eben sah ich, daß der Brief an Brecht noch nicht abging – er liegt bei Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/5.

Fritz Erpenbeck 318 und L. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger [Moskau] 2.11.1937 2. November 1937 E/L. 1. Herrn Bertolt Brecht 2. Herrn Dr. L. Feuchtwanger Werte Freunde, wir haben Ihren Brief319 mit den sehr anregenden Vorschlaegen erhalten. Aehnliche Gedanken, besonders, was einen Redakteur im Ausstande betrifft,320 haben wir uns auch schon durch den Kopf gehen lassen; ebenso ob wir nicht die Moeglichkeit schaffen koennen, laengere Beitraege zu bringen. 317 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 5.10.1937. 318 Der Schriftsteller und Publizist Fritz Erpenbeck (1897–1975), der in den 1920er Jahren zunächst als Schauspieler arbeitete – in einer Nebenrolle tritt er auch in dem Film Kuhle Wampe auf –, ging 1933 ins Exil nach Prag, 1935 nach Moskau. Arbeitete dort für die Internationale Literatur und übernahm 1937 die redaktionelle Leitung der Zeitschrift Das Wort (vgl. Anm. zu Bredel, 9.5.1936). Nach seiner Rückkehr nach Berlin ab 1946 wurde er Chefredakteur von Theater der Zeit, ab 1950 Vorsitzender der Staalichen Spielplankommission der DDR. Brechts Auffassung von Theater und Literatur stand er äußerst skeptisch gegenüber, trat seit der Gründung des Berliner Ensembles verschiedentlich als Kritiker der epischen Spielweise hervor, zumal anläßlich der Aufführung der Mutter Courage 1949 (vgl. Anm. in GBA 6, S. 396) und des Hofmeisters von Lenz 1950 (vgl. Anm. in GBA 8, S. 574). Auf dem Ts (Mikrofilm) fehlen Namen und Unterschriften. An Erpenbecks Co-Autorschaft – für die nicht zuletzt auch das Kürzel „E“ spricht, das er üblicherweise verwendete – kann jedoch kaum Zweifel bestehen. 319 Nicht überliefert. 320 Gemeint ist Willi Bredel, der sich unterdessen den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen hatte.

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Ihre Fragen werden in diesen Tagen durchberaten, und Sie werden sofort nach den Feiertagen Naeheres hoeren. Mit herzlichen Gruessen Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/13, 65.1/134.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 5.11.1937

5.11.1937

Herrn Bertolt Brecht Svendborg Skovsbostrand Lieber Herr Brecht, In der Angelegenheit Felix Bloch Erben erhielt ich Ihre Zuschrift.321 Ich möchte erst die Auszahlung des Betrages am 14.d.M. abgewartet wissen, ehe man zu den Rechtsfragen Stellung nimmt. Diese Stellungnahme scheint mir um deswillen nicht so eilig zu sein, weil ja der dänische Anwalt322 ohnedies kein Vorgehen in dem zwischen uns erörterten Umfang beabsichtigt. Wie ich von Herrn Benjamin höre, wird Ihre Gattin zum angegebenen Zeitpunkt in Paris sein.323 Ich werde ihr dann das Geld behändigen. Ich komme ohnehin von meiner Schweizer Reise erst am 14.d.M. früh zurück. Dank für die beiden Sonette. Zur Cäsar-Sache324 machte ich schon weitere Notizen, komme aber bedauerlich nicht zu einer Zusammenfassung, so gern ich solche Ihnen schleunigst übermitteln möchte. Ich habe gerade ungewöhnlich viel beruflich zu tun. Mit besten Grüssen Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: S. Avenue Charles Floquet Paris – 7e. Tél. Suffren 02–50 ; BBA 722/56.

321 Nicht überliefert. Vgl. Anm. zu Knutzon, September 1937, und Domke, 15.10.1937. 322 Gustav Vøhtz. 323 Helene Weigel hatte Walter Benjamin aus Wien ihre Ankunft in Paris am 12.11.1937 annonciert (vgl. BC, S. 526). 324 Der Fragment gebliebene Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar. Vgl. Anm. zu Domke, 15.10.1937; dazu B. an Domke, 19.11.1937, GBA 29, S. 61–64.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Prag, 7.11.1937 Prag, den 7. Nov. 1937 An Bertolt Brecht

Svendborg

Lieber Brecht gleichzeitig gehen an Dich restliche Korrekturen Mahagonny und Korrektur „Die Gewehre...“ In die Sonderausgabe kommt das Gedicht325, auf den Umschlag das Photo326, ganz wie Du vorschlägst. Schick recht bald das Photo Deiner Plastik, es wird hohe Zeit, dass der Umschlag entworfen wird. Noch eins: ich vergass Dir zu melden, dass die Anmerkungen zur Massnahme fehlen, d.h. es liegt nur Seite 361 der Berliner Ausgabe vor, die vorangehenden fehlen, sind vermutlich drüben verschlampt worden. Bitte sende mir umgehend den Text, S. 361 lege ich bei. Ich freu mich schon sehr auf die Ausgabe und gebe mir alle Mühe, sie schön zu machen. In der letzten VI. ist ein Stück aus den „Gewehren“ abgedruckt und Bilder der Pariser Aufführung. Auch ein Hinweis, dass das Stück bei uns herauskommt. Ich bin mit Arbeit mehr als überlastet. Hab jetzt grade noch ein 500 Seiten starkes Manuscript Seydewitz „Stalin oder Trotzky“327 in Satz gegeben. Auch das soll bis Mitte Dezember fertig werden. Und dazu die permanenten Geldsorgen. Ich erwähne das nicht um zu klagen (romantisches Laster) sondern damit Du Dir die Situation ein wenig vorstellen kannst. Herzlichst Anlage PS. In der Dreigr. Oper fehlt am Schluß der Song: 325 Dem Erstdruck der Gewehre der Frau Carrar, der im Dezember 1937 im Malik-Verlag erschien, wurde das kurz nach der Pariser Premiere des Stücks entstandene, Helene Weigel gewidmete Gedicht Die Schauspielerin im Exil (GBA 14, S. 355) vorangestellt. 326 Brecht schrieb, er habe „ein sehr gutes Foto von meiner Bronzemaske, wie wäre es damit?“ (B. an Herzfelde, 30.10.1937, GBA 29, S. 54.) Die Maske ist erhalten, sie befindet sich im Brecht-Haus in der Berliner Chausseestraße. 327 Der vormalige SPD-Politiker Max Seydewitz (1892–1987), seit 1933 im Exil in der Tschechoslowakei, später in den Niederlanden, Norwegen und Schweden, betätigte sich inzwischen im Auftrag der KPD in sozialdemokratischen Exilgruppen. 1945 kehrte er zurück nach Berlin, 1947 wurde er Ministerpräsident von Sachsen. Sein Buch Stalin oder Trotzki? Die UdSSR und der Trotzkismus erschien 1938 im Malik-Verlag.

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Und der eine lebt im Schatten Und der andre lebt im Licht doch man sieht nur die im Lichte die im Schatten sieht man nicht.328 ich zitiere aus dem Gedächtnis. Absichtlich weggelassen? 4 Abg. der 3-Gr-Oper erhältst Du! Gratuliere Steff, anbei ein paar Marken für ihn. Ob ich Rede vom Kongr.329 bringen kann prüfe ich noch! Wurde sie auch in die GesAusgabe aufgenommen? Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/4.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 20.11.1937

Prag, den 20.11.37

Grete Steffin Svendborg Voldemarsgatan 9/II Liebe Grete, eine ganze Anzahl Deiner letzten Briefe habe ich im einzelnen nicht beantwortet, weil ich sehr mit Arbeit überlastet bin und zum Teil auch die Korrekturen ansehen musste, um sie beantworten zu können. Nun zu den einzelnen Fragen: 1) Die Anmer[k]ungen zu „Mann ist Mann“ waren gesetzt und sind nur versehentlich nicht abgezogen worden. Gestern abend habe ich die Abzüge zusammen mit weiterer Korrektur „Johanna“ geschickt. Ausserdem sandte ich gestern überflüssige Fahnen und in mehreren Abzügen Umbruch des Spanien-Stückes.330 Da ich dieses Stück in diesen Tagen drucken will, bitte ich um Luftpostnachricht, falls noch daran etwas 328 Die letzte der drei Schlußstrophen der Moritat von Mackie Messer lautet: „Und die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht“ (GBA 19, S. 320). Brecht ergänzte diese Verse 1930 für den Dreigroschenfilm (vgl. Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933). In den Text der Dreigroschenoper selbst wurden sie nicht aufgenommen. 329 Brechts Rede zum II. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur (vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937) erschien in Das Wort, Heft 10/1937 (GBA 22, S. 323–325). 330 Die Gewehre der Frau Carrar.

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zu ändern wäre. Unklar ist mir, ob der Titel irgend einen Untertitel bekommt, etwa „Einakter“ oder etwas auf Spanien Bezügliches. In diesem Fall bitte ich um schnellste Nachricht. 2) Du fragst, ob zu den Anmerkungen „Mann ist Mann“ noch der Aufsatz über den V-Effekt331 hinzukommen kann. Ich besitze kein diesbezgl. Manuskript und kann daher nicht antworten. All solche Hinzufügungen bedeuten, von den Kosten abgesehen, natürlich Zeitverlust. Im Prinzip will ich natürlich alles machen, was ohne zu grosse Schwierigkeiten geht. Die Rede auf dem Kulturkongress332 konnte ich in die „Gewehre“ nicht hineinnehmen, denn das hätte bedeutet, dass deswegen noch ein Extrabogen gedruckt werden müsste. So geht das Stück grade auf 32 Seiten = 1 Papierbogen. Durch den Aufsatz wäre alles viel teurer geworden und zudem ein rechtzeitiges Erscheinen zur hiesigen Aufführung unmöglich geworden. 3) Du fragst, ob „Mann ist Mann“ das letzte Stück des I. Bandes sei. Aus dem gesandten Katalog ist ersichtlich, dass die „Heilige Johanna“ noch in den I. Band hineinkommt. Damit Klarheit besteht, zähle ich hier auf, was in den II. Band kommt: Rundköpfe Ausnahme Horatier Ja-Sager Nein-Sager Gewehre Massnahme Mutter. Möglicherweise werde ich noch Umstellungen vornehmen müssen, damit die von Brecht gewünschten Sonderabzüge sich einigermassen preiswert herstellen lassen. 4) Sonderabzüge: Wie schon geschrieben, werden solche Abzüge, wenn sie mit der Hand gemacht werden, unverhältnismässig teuer. Ebenso, wenn man neue Zurichtung und Seitenzahl setzen muss. Dagegen lassen sie sich recht leicht machen, wenn die Stücke genau mit einem Bogen ausgehen. In diesem Fall braucht man nur weiter zu drucken. Z.B. bei der Dreigroschenoper ergibt es sich, dass das Stück genau auf 96 Seiten, d. s. 4 Bogen, geht. Ich könnte das Stück Brecht in beliebiger Zahl für Kč. 11.-- kart. für Kč. 13.-- extra anfertigen lassen. Wenn es Brecht recht ist, würde ich 2-300 Stück für den Verkauf als Sonderausgabe drucken, und zwar einen Verkaufspreis von Kč. 32.-- dafür ansetzen. Bitte um baldige diesbezgl. Antwort. In bezug auf die weiteren Stücke werde ich das sobald der Umbruch festliegt, noch berichten.

331 Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst (GBA 22, S. 200–210). Vgl. Anm. zu Gorelik, 9.2.1937. 332 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 7.11.1937.

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5)

Einband: Das Foto333 habe ich Dir eingeschrieben zurückgeschickt. Meiner und Heartfields Ansicht nach eignet es sich doch nicht recht für den Umschlag. Wir wollen einen guten Schriftumschlag machen. 6) Du hast mir rechtzeitig geschrieben, dass die „Gewehre“ nicht nach der „Mutter“, sondern zwischen den kleinen Stücken stehen soll, ich richte mich danach. 7) Diverse Korrekturen: Ich werde die verschiedenen Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigen, der Drucker hat genau nach der Vorlage gearbeitet. Da schon längst alles gesetzt ist, können Aenderungen natürlich nur noch als Korrektur vorgenommen werden. Wenn noch nicht alle Korrekturen abgegangen sind, so liegt das daran, dass nach dem Setzen das Giessen erfolgt, dann die Hauskorrektur des Druckers und dann erst das Abziehen der Fahnen, drei Vorgänge, die verhältnismässig viel Zeit erfordern. Trotzdem hoffe ich, dass es gelingt, die beiden Bände noch vor Weihnachten herauszubringen. 8) Gedicht bei den „Gewehren“, Sonderausgabe.334 Das Gedicht auf die zweite Umschlagseite zu bringen, wäre teurer als bei der jetzigen Anordnung. Ich hoffe, dass Brecht einverstanden ist. In der Gesamtausgabe fällt das Gedicht weg, dafür wird Anmerkung hinzugefügt. Ich werde versuchen, anlässlich der Aufführung sowohl das Gedicht, wie auch vielleicht kurze Szenen in der Presse unterzubringen. 9) Mehrere Umbruchabzüge „Dreigroschenoper“ gehen nächster Tage ab. 10) Anbei ein Brief aus Sarajewo.335 Ich informierte den Absender, dass ich den Brief weiterleite, da der Autor selbst über die Rechte verfügt. Den zweiten Absatz des Briefes habe ich direkt beantwortet. 11) Liste der Mitarbeiter: Ich habe in einigen Fällen diese Liste gestrichen, weil sich darunter unangenehme Namen fanden. Z.B. Borchardt, der aus der SU ausgewiesen, jetzt in USA gehässige Gegenpropaganda macht, oder Prof. Dubislaw, der kürzlich durch einen Lustmord hier unangenehm bekannt geworden ist.336 Soweit Brecht die Hinzufügung von Namen für notwendig hält, bitte ich, sie in der Korrektur einzusetzen, aber möglichst nur solche, die mir keine Unannehmlichkeiten bereiten. Das wäre für heute alles. Herzliche Grüsse Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/55–56.

333 334 335 336

Das Photo mit der Bronzemaske (vgl. ebd.). Die Schauspielerin im Exil (vgl. ebd.). Nicht überliefert. Walter Dubislav (1895–1937), Naturwissenschaftler, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker, Mitbegründer der Berliner Gesellschaft für empirische Philosophie. Emigrierte 1936 nach Prag. Dubislav tötete seine Geliebte und bald darauf sich selbst. In welchem Zusammenhang sein Name in der erwähnten Liste der Mitarbeiter auftauchte, konnte nicht ermittelt werden.

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Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 23.11.1937 Prag, den 23.11.37 Grete Steffin Svendborg, Danmark Liebe Grete, Dank für Deinen letzten Brief. Ich wusste natürlich nicht, dass der Satz von Kiepenheuer nicht Brechts Wünschen entspricht. Schade, dass man das nicht früher festgestellt und geklärt hat. Was Du von den S. 99 und 101 schreibst, will ich natürlich berichtigen. Es ist Unfug, was der Setzer da macht. Vielleicht wars auch in der Vorlage so. Leider fehlt mir die Zeit, das alles zu kontrollieren. Aber es macht verhältnismässig wenig Arbeit, derlei zu korrigieren, streiche es in Zukunft stets an. Wie ich Dir schon schrieb, sind alle zwei Bände schon gesetzt, sodass jetzt nur noch an den Korrekturen das Notwendigste geändert werden kann. Die Frage nach den Kosten kurz der Drucksachen lässt sich generell leider nicht beantworten. Ich kann Dir nur schreiben, was der Satz und 1000 Druck von 32 Seiten in der Art, wie wir sie jetzt setzen, ohne Papier kostet. Er kostet 860.-- Kč. Weniger als 1000 Druck kosten nahezu dasselbe. Denn 800 Kč sind der Preis für Satz und Zurichtung. Wenn man aber einfachere Prosatexte setzt, so kommt es etwas billiger. Umgekehrt wird der Druck wieder wesentlich teurer, wenn nicht volle Papierbogen ausgedruckt werden. Das Papier hängt von der Qualität ab, spielt aber bei kleineren Auflagen kaum eine Rolle. Nun etwas anderes: Die Universum-Bücherei, Basel, schreibt mir, dass sie die „Fünf Punkte“ druckt, was nur zu begrüssen ist und dass sie mit De Lange zusammen den Dreigroschen-Roman druckt.337 Das begrüsse ich natürlich nicht. Viel lieber hätte ich es gesehen, wenn der Band in die Gesamtausgabe käme. Ihr schriebt bereits einmal, dass Lange nicht daran denkt, den Band abzugeben, sollten sich aber bei den Verhandlungen Möglichkeiten zeigen, so bitte ich (etwa durch geringe Nachgiebigkeit) eine Lösung herbeizuführen. Immerhin glaube ich, dass sich im Rahmen der Gesamtausgabe mehr wird absetzen lassen. Druckt aber De Lange jetzt nochmals und gibt die Bände billig an die Buchgemeinschaft, so wird es für lange Zeit recht unrentabel, ihn in die Gesamtausgabe zu übernehmen. Herzlichen Gruss Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 477/54. 337 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 21.8.1937. Mit den „Fünf Punkten“ ist der Aufsatz Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit (GBA 22, S. 74–89) gemeint.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 23.11.1937 Lieber Brecht, Ich habe mit Weigel ziemlich alles besprochen. Auch wegen meiner Reise nach dem kleinen grünen Inselländechen haben wir manches in Erwägung gezogen. Wenn man alles zusammen rechnet und das muss man ja schliesslich tun, so kommt eine zu hohe Summe heraus, deswegen möchte ich meinen ersten Vorschlag erneuern und nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten suchen. In dieser Richtung sehe ich die Lösung. Da sich das Gastspiel von der Weigel338 verzögert hat und sie noch eine Reise nach ­Europa (Svendborg rechne ich natürlich nicht zu Europa) machen muss, wäre ich dafür in Paris mit ihr noch ein Stück herauszubringen. Ist unter Ihren vielen Einaktern339 eine gute Rolle für die Weigel da? Sollten Sie so ein Stück haben, würde ich Sie bitten es so rasch als möglich fertig zu schreiben, damit es inzwischen den Kanossa Gang eintreten kann. Haben Sie etwas schon ganz fertig? Wir warten darauf. Ich möchte den „Spitzel“340 noch zurückstellen um ev. einen Brecht-Abend mit verschiedenen Einaktern zu starten. Hat Ihnen Weigel von meinem Vorschlag, ein Stück für Bressart341 zu schreiben, erzählt? Glauben Sie, dass man so etwas organisieren kann? Das wäre sicher grossartig! Sie kennen doch Bressart ganz gut. Können Sie ihm nicht schreiben und anfragen ob er so etwas machen würde. Da ich mir die ganze Sache ohne Gastspiel bedeutender Kräfte nicht vorstellen kann, müssen wir rechtzeitig überlegen wen wir noch einladen können. An welche Leute soll man zuerst denken? Vergessen Sie bitte nicht mir die Adresse von den französischen Übersetzer Grünberg342 zu schicken. Tristan Zara343 hat sich bei dem Schutzverband nach dem Stück für die französischen Spieltruppen, erkundigt. Wie steht es mit dem PROZESSTHEATER?

338 Möglicherweise das geplante Gastspiel in Prag, das jedoch nicht zustande kam (vgl. Herzfelde an Steffin, 30.10.1937). Helene Weigel reiste Mitte November von Wien zunächst noch einmal nach Paris und kehrte am 17.11.1937 nach Svendborg zurück. 339 Szenen aus dem Zyklus Furcht und Elend des III. Reiches. 340 Der Spitzel ist eine Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches (GBA 4, S. 391–400), vorabgedruckt in Das Wort, Heft 3/1938. Unter dem Titel 99%. Bilder aus dem Dritten Reich wurden acht der insgesamt 27 Szenen des Stücks am 21.5.1938 in der Salle d’léna in Paris unter Dudows Regie uraufgeführt. Weigel spielte in den Szenen Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung. 341 Der Schauspieler Felix Bressart (1893–1949) war seit 1933 im Exil u.a. in Wien, Budapest und Paris. Im Frühjahr 1938 emigrierte er in die USA. Für eine Rolle in Furcht und Elend stand er nicht mehr zur Verfügung (vgl. Dudow, 17.4.1938). 342 Dem in Paris lebenden österreichischen Übersetzer Isaak Grünberg (1847–1953) hatte Brecht Die Gewehre der Frau Carrar geschickt (vgl. B. an Weigel, 28./29.10.1937, GBA 29, S. 52f.). 343 Tristan Tzara. Mit dem Stück ist vermutlich Die Gewehre der Frau Carrar gemeint.

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Von grösserer politischer Wichtigkeit sind die kleinen Hörspiele für den Sender.344 Die Hörspiele sollen nicht länger als 6–8 Minuten sein, die wir dann auf Wachsplatten aufnehmen und in verschiedenen Sendern spielen lassen. Ich habe bereits mit dem massgebenden Mann gesprochen und er fand den Vorschlag sehr gut und erwartet von uns praktische Schritte, d.h. ein Programentwurf. Wir sind dabei die Kostenfrage zu klären. Gestern wurde mir von jemand gesagt, er könne für den Zweck etwas Geld auftreiben. Was meinen Sie dazu? Ich rechne natürlich auf Ihre aktivsten Mitarbeit. Mit herzlichen Grüssen auch an Weigel Ihr Dudow Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 478/33 (hs. Datierung von Dudow auf einem Durchschlag des Briefbogens: „Paris 23.11.1937“; BBA 2560/1).

Joseph Breitenbach345 an Ruth Berlau [Paris, Ende November 1937] Ich danke für Ihren lieben Brief.346 Die Bilder kamen gestern zurück, ich hab sie gleich wieder ohne Nachname an Sie abgeschickt. Ich habe 3 Bilder vom Stück und ein Porträt von Brecht beigefügt, entsprechend Ihrem Vorschlag für den ich Ihnen danke. Bitte halten Sie mich auf dem laufenden wo die Bilder erscheinen und sagen Sie den Redaktionen, daß sie mir eine Belegexemplar schicken sollen. Der Preis für die Bilder, den ich Euch gemacht hätte ist schon ½ des normalen für Euch als Parteitruppe. Ich will alles tun, was ich kann, um Euch behilflich zu sein und habe es deshalb entsprechend Ihrem Vorschlag geregelt. Aber die Bilder sind viel Arbeit und ich bitte sie nach der Aufführung wieder gut verpackt an mich zurückzusenden, damit ich sie für eine Aufführung anderswo wieder hergeben kann. Unter diesen Umständen braucht Euere Truppe überhaupt nichts zahlen außer meinem Porto (14 frs) und der Rücksendung. Die Pressebilder sind eine andere Sache und wenn Sie dazu Artikel schreiben halbieren Sie das Honorar Hälfte für Sie, Hälfte für mich. (Normaler Bildpreis ist 75 frs.) Mit herzlichen Grüßen B. Überlieferung: Ms (auf Vorder- und Rückseite des Briefes von Ruth Berlau an Breitenbach vom 23.11.1937); Center for Creative Photography. University of Arizona, Tucson. – Dv: Kopie, BBA Z 46/144– 145. 344 Genaueres konnte nicht ermittelt werden. Wahrscheinlich wurden diese Hörspiele nie produziert. 345 Der seit 1933 in Paris lebende Photograph Joseph Breitenbach (1896–1984) hatte Portraitbilder von Brecht und Helene Weigel sowie einige Szenenphotos der Gewehre der Frau Carrar angefertigt. Vgl. B. an Breitenbach, November 1937, GBA Registerband, S. 743. 346 Vgl. ebd.

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Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 16.12.1937 Liebe Grete, Entschuldige bitte die Verspätung meiner Antwort. Ich wollte Dir etwas ausführlicher über Dein Stück 347 schreiben, dazu müsste ich noch einiges nachschauen und ich schaffe es leider im Moment nicht. Im grossen und ganzen finde ich es sehr gut und sehr reich an Humor, was mich angenehm überraschte. Ich denke Dir Anfang nächster Woche ausführlicher schreiben zu können. DAS BANKKONTO DES FÜHRERS 348 von Brecht finde ich einfach grossartig. Auch die Idee die Figuren immer wieder vorkommen zu lassen ist wunderbar. Wenn noch etwas fertig ist, schick mir bitte das sofort zu. Wie steht es mit den Einaktern?349 Kann man schon was bekommen? Ich warte sehr darauf. Für die Platten habe ich folgenden Plan vorgeschlagen: Eine Figur zu schaffen die immer wieder vorkommt und stets mit ein und den selben Schluss endet. Dieser Figur habe ich den Namen FLÜSTERMAXE 350 gegeben und man hat den Vorschlag begeistert aufgenommen. Ich denke dabei die einzelnen Texte, nachdem man sie auf Platten aufgenommen hat, auch in verschiedenen Zeitungen mit Illustrationen zu veröffentlichen und zum Schluss noch als kleines Büchlein herauszubringen. Diesen Plan habe ich unterbreitet bevor ich die Sache DAS BANKKONTO DES FÜHRERS bekommen habe, daher freut es mich noch mehr, weil die Ideen etwas gemeinsames haben ohne sich dabei gegenseitig auszuschliessen. Ich hoffe sehr stark, daß Brecht bereit ist an meinem Plan mitzuarbeiten, den FLÜSTERMAXE auf die Beine zu bringen. Wie gesagt, MIES, MECK und DER FLÜSTERMAXE werden sich sehr gut vertragen und man kann sie ev. in einem Buch zusammen herausbringen. Was meinst Du dazu? Und Brecht?

347 Das Kinderstück Wenn er einen Engel hätte (in: Steffin, Konfutse, S. 207–301). Ein Vorabdruck des zweiten Bildes („Herr Fischer, wie tief ist das Wasser?“) erschien in Internationale Literatur, Heft 7/1937 (vgl. Anm. zu Becher, 5.12.1936). 348 Das ist eine Episode aus dem fragmentarisch gebliebenen Text Mies und Meck, die mit der Zeile beginnt: „Ham Se jehört: det der Führer ausjerufen hat, det er keen Rittergut und keen Bankkonto nich besitzt?“ (GBA 18, S. 335.) Entgegen der Angabe in GBA 18, S. 619, muß demnach ein erstes Manuskript dieses Textes früher als 1939 entstanden sein. Slatan Dudow hatte es vermutlich von Margarete Steffin erhalten, die davon später ein Typoskript anfertigte. 349 Vgl. Anm. zu Dudow, 23.11.1937. 350 Ein solcher Entwurf ist nicht überliefert. Ob Dudow das Vorhaben realisiert hat, konnte nicht ermittelt werden. Es existiert ein gleichnamiges kleines Gedicht von Brecht (GBA 14, S. 283), das möglicherweise auf Dudows Anregung hin geschrieben wurde. Sollte der dort angegebene Entstehungszeitraum 1934/35 zutreffen, wäre es ebenso denkbar, daß Dudow den Titel von Brecht übernommen hat.

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Anbei lege ich Dir eine Liste der Themen351 die ich mir für den FLÜSTERMAXE gedacht habe und würde Brecht und Dich bitten einiges daraus Euch auszusuchen und für die Platten fertig zu machen. Ihr könnt mir ruhig nur die Entwürfe schicken, das andere mache ich schon. Vor einigen Tagen habe ich an Brecht ein Buch von Priacel352 geschickt, der verschiedene Prozesse in Deutschland beigewohnt hat. Ich lasse sowieso von verschiedenen Prozessen, besonders den Dialog des Verhörs zusammenstellen und wenn ich das habe, schicke ich eine Abschrift an Brecht. Hat Seghers was geschickt? Ich habe sie daran erinnert. Ich bereite einen Artikel über Renoir und seinen Film die Marseillaise353 vor. Frage bitte Brecht ob er ihn im WORT unterbringen kann. Paris den 16.12.37

Herzliche Grüsse auch an den Meister

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2561/1.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin Prag, 17.12.1937 Prag, den 17.12.37 Grete Steffin Svendborg, Danmark Woldemarsgatan [sic] 9 II Liebe Grete, da ich so lange nichts hörte, glaubte ich, sei alles in Ordnung und gab Druckauftrag.354 Zum Glück kam dann doch noch Dein Brief mit den Korrekturen und ich konnte alles noch berücksichtigen, bis auf zwei Kleinigkeiten: S. 59 und S. 70 waren schon gedruckt, dadurch blieb „Sehen“ statt „sehn“ stehen. Und auf S. 70 „Lied der Unzulänglichkeit“355 statt „Lied von der Unzulänglichkeit“. Letzteres ist ja etwas ärgerlich, aber nun nicht mehr zu ändern. Die übrigen Korrekturen hatten wir übrigens nahezu alle schon selbst gefunden.

351 Nicht überliefert. 352 Stefan Priacel, Au Nom de la loi! Les grands procès politiques de notre temps, Paris 1936. 353 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 26.2.1937. Ob Dudow den angekündigten Text fertiggestellt hat, konnte nicht ermittelt werden. Im Wort ist er nicht erschienen. 354 Für die Bände 1 und 2 der Gesammelten Werke. 355 Ds ist das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens (eigentl. Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens) aus der Dreigroschenoper.

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Die Liste der Mitarbeiter konnte ich noch in die Bände hineinnehmen und zwar derart, dass jeweils bei dem betreffenden Stück die Mitarbeiter genant werden. Inzwischen sind viel neue Korrekturen weggegangen und ich bitte, sie recht bald zu schicken. Leider ists ja nun mit dem Erscheinen vor Weihnachten doch Essig geworden. Es ärgert mich, aber ändern lässt sichs nicht. Was nun den III. Band angeht, so wäre mir auch sympathischer, die Gedichte zu bringen. Ich glaube allerdings, man sollte diesen Band dann als Band IV bezeichnen, und Band III einem Sammelband weiterer Bühnenwerke vorbehalten. Ich weiss nicht, welchen Umfang die 4 Stücke, die Du erwähnst, insgesamt haben, vielleicht machen sie einen Band aus. Gut wäre es allerdings, wenn ein neues Stück dazu käme, sonst fürchte ich, wird man nicht genügend Käufer finden. Binden möchte ich mich in dieser Frage erst eine Weile nach Erscheinen der zwei Bände, weil ich dann eher sehe, wie es mit der Nachfrage steht. Ich hoffe aber, wir können die Produktion gemäss Deinem Brief vom 13.12. vornehmen. Zu den Korrekturen noch folgendes: die Unkonsequenz bei der Ueberschrift zu den Anmerkungen habe ich selbst bemerkt und daher Deine Korrektur nicht durchgeführt. Es ist also alles in Ordnung. Noch etwas war unkonsequent: an jenen Stellen, wo es heisst ... auf der Tafel steht:) usw. hast Du manchmal den Doppelpunkt gestrichen. Ich habe ihn überall gelassen. Man hätte ihn auch überall streichen können, es scheint mir ziemlich gleich zu sein. Mit Neid lese ich, dass Ihr da oben so viel Schnee habt, hier ist dauernd eine trübe Atmosphäre, so als wüsste die Welt, dass sie untergehen soll. Die Stimmung ist entsprechend, besonders, da von einem Weihnachtsgeschäft nichts zu merken ist. Herzliche Grüsse Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 211/1.

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Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 22.12.1937 [Hs.] 22 décembre 1937 Liebe Grete, Inzwischen habe ich die Sache mit dem Radio weiter gebracht. Wir sollen bald 5 Probeplatten fertig machen, um zu sehen wie es geht. Dazu werde ich ca. 10 kurze Hörspiele brauchen die je 5 Minuten dauern oder auch 10 Minuten, nur muss das letztere in zwei Teile von je 5 Minuten zerfallen, die voneinander ziemlich unabhängig sind. Ich hoffe Du verstehst was und warum ich das brauche. Der FLÜSTERMAXE356 hat grosse Zustimmung gefunden und man möchte allein von dieser Figur drei Platten. Die eine soll irgendwie mit Spanien zu tun haben. Die zweite Platte soll die Kriegsfrage zum Thema haben, wie etwa DER FLÜSTERMAXE WIRD MITGLIED DES LUFTSCHUTZES oder DER FLÜSTERMAXE ALS REKRUT usw. Die dritte Platte muss das Thema der Freiheit behandeln. Die vierte – soll mit einer Sache von Anna ausprobiert werden und die fünfte – mit einem Prozess Hörspiel. Wie ich Dir schon im vorigen Brief schrieb, rechne ich sehr stark auf die Unterstützung von Brecht und ebenfalls von Dir und zwar mö[g]lichst bald. Schreibe mir bitte auf welche Sachen ich von Brecht und Dir rechnen kann. Ich hoffe auf möglichst viele. DAS BANKKONTO DES FÜHRERS habe ich natürlich vorgelegt und es hat sehr gut gefalen, nur die Figuren MIES und MECK findet man zu negativ. Man soll ev. andere Namen wählen. Da dieser Vorschlag von Brechts Freunde kommt, die Brecht richtig zu schätzen wissen, würde ich Brecht auch raten, er soll es tun, zumindestens für das Radio. Diese Freunde haben noch eine andere Bitte an Brecht gerichtet; er soll noch einfacher in der Formulierungen sein und die technischen Schwierigkeiten unter denen der Hörer es aufnehmen muss, besonders stark berücksichtigen. Du verstehst was ich meine. Wie du weisst, die Zeit, die man uns im Radio zur Verfügung stellt ist so kostbar, daß die Arbeits­ bedin[g]ungen einem zu hart erscheinen können, aber dafür sind nicht unsere Freunde, sondern die Zeiten daran schuld. Ausserdem solle man möglichst wenig Dialekt verwenden, das will nicht heissen gar keinen. Im BANKKONTO DES FÜHRERS geht das noch, aber mehr darf es auf keinen Fall sein. Noch einige Bemerkungen zum FLÜSTERMAXE. Die Serie soll mit einem Prolog beginnen, wo sich der Flüstermaxe vorstellt. Er ist ein Kind des Dritten Reiches, hat zwar keine genaue Adresse, aber man kann ihn überall finden. Er ist sowohl in Hamburg als auch in Berlin, an der Ruhr, in Schlesien usw., zu Hause. Er ist überall da, wo es etwas zu flüstern gibt. 356 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937.

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Er bringt die Kohle ans Licht, er verwandelt die Milch in Butter usw... Ihm kann keiner was, denn er ist in der Arbeitsfront, in Kraft durch Freude, im Luftschutz usw..... Er begrüsst jeden den er nicht kennt stehts mit erhobener Hand und mit Heil Hitler, denn bei ihm hat es seit Jahren keinen guten Tag gegeben........ Er hat den feinen Griff und den rechten Ton, ihm kann keiner was, denn er ist nach aussen brauen und nach ihnen rot. Der Schluss Vers soll mit folgendem Innhalt enden; man muss solange und sooft flüstern, bis man alle Flüstermaxe vereint hat und der Tag kommt wo man nicht mehr zu flüstern braucht. Es wäre sehr schön, wenn Brecht Zeit und Lust hätte und daraus etwas ähnliches wie das Solidaritäts-Lied, ebenso einfach und gut, macht, damit es populär werden kann. Denn man findet auch j[e]tzt noch in illegallen Zeitungen Verse aus dem Solidaritäts-Lied als Moto usw. Alle anderen Geschichten vom FLÜSTERMAXE sollen stereotyp mit dem Schlussvers von dem Prolog enden, daher muss der Schlussvers dementsprechend abgefasst werden. Für Februar sind viele Sachen vorgesehen, die das Thema haben: FÜNF JAHRE HITLERHERSCHAFT.357 Kann man die Einakter schon haben um sie ev. im Rahmen dieser Veranstalltungen heraus[zu]bringen. Ich hoffe es ist eine grosse Rolle für Weigel dabei und sie kann wieder einen Sprung nach Paris machen. Wie Du siehst, verlange ich ziemlich viel und es wäre sicherlich sehr gut und sehr nützlich, wenn ich auch viel bekäme. Paris den 22.12.37

Mit den besten Wünschen für die Feiertage und herzliche Grüsse, auch an den Meister

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2562/1–2.

Slatan Dudow an Helene Weigel Paris, 22.12.1937 Liebe Weigel, Ich danke Ihnen sehr für das Paket und die beigelegten Sache[n]. Das Photo ist doch eine gute Erfindung. Mir hat es grossen Spass gemacht die Photos von einer der herrlichsten Aufführung, die ich je auf der Bühne sah, wieder in der Hand zu haben. Hat Brecht noch den Film? Das wäre wirklich ein erstklassiges historisches Dokument. Ich meine die Auf-

357 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 13.2.1938.

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führung von MANN IST MANN im Staatstheater.358 Die Büchse von Haeberlein Metzger A.G. ist ein schöner Grüss aus Streichers Heimat. Was machen die Einakter von Brecht?359 Für Februar soll eine Reihe von Veranstalltungen unter dem Moto FÜNF JAHRE HITLERHERSCHAFT organisiert werden. Ich möchte, wenn es geht natürlich, einen BRECHT-ABEND im Ramen dieser Veranstalltungen mit den Einaktern machen und natürlich rechne ich, daß Brecht eine gute Rolle für Sie geschrieben hat und Sie bereit wären wieder mal nach Paris zu kommen. Sollte der Meister noch nicht so weit sein, so bitten Sie ihn, er soll sich beeilen. Die Sache mit dem Radio ist auch schon in Ordnung und wir sollen, möglichst bald, fünf Platten fertig machen um zu sehen wie es technisch geht. Wenn Sie in Paris sind, wollen wir auch von Ihnen einiges aufnehmen. Die Sachen müssen sehr, sehr einfach sein und nicht länger als fünf oder zehn Minuten sein. Einiges aus dem Lied für proletarische Mütter möchte ich natürlich machen. Was haben Sie sonst noch da? Vielleicht kann man noch eine Scene aus einem Prozess, z.B. wie sich eine proletarische Mutter vorm Gericht verteidigt, bis dahin fertig machen. Ich versuche inzwischen Material aus verschiedene Prozesse zu sammeln um ebenfalls es für das Radio zu verwenden. Paris den 22.12.37 besten Wünschen für die Feiertagen ebenfalls an den Meister und Steff

Mit den herzlichsten Grüsse und

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2563/1.

Red. Internationale Literatur an Bertolt Brecht Moskau, 29.12.1937 Moskau, 29. Dezember 1937 Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand paa Svendborg

358 Vermutlich die Aufführung der überarbeiteten Fassung am 6.2.1931 im Staatlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin mit Helene Weigel und Peter Lorre (Regie: Brecht und Ernst Legal). 359 Vgl. Anm. zu Dudow, 23.11.1937.

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Lieber Freund! Anbei übersenden wir Ihnen die Nummer 11 der „Internationalen Literatur/Deutsche Blätter“, von der wir hoffen, daß Sie Ihren Beifall findet. Zugleich erlauben wir uns, Ihnen die besten Wünsche für das neue Jahr zu übermitteln. Mit den besten Grüssen Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/7.

Alfred Dreyfuss360 an Bertolt Brecht Shanghai [Ende 1937] Dr. phil. Alfred Dreyfuss. Route des Soeurs 118/26 Herrn Bert Brecht, Moskau. Redaktion „Das Wort“. Lieber Bert Brecht, wenn Sie sich an die Auffuehrungen der „Mutter“ in Berlin erinnern, so wird ganz dunkel vielleicht auch die Erinnerung an mich, der ich vom Jahre 1931 bis 1933 Dramaturg der Jungen Volksbuehne war, in Ihnen wach werden. Besser als Ihnen, bin ich jedoch Frau Weigel, Hans Rodenberg, Gustav v. Wangenheim und nicht zuletzt meinem alten Stuttgarter Freund Friedrich Wolf bekannt. – Im Maerz 1935 wurde ich bei der illegalen Arbeit verhaftet, nach 9 Monaten Untersuchungshaft, die ich z. Tl. im beruechtigten Columbiahaus verbrachte, wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 2 Jahren Gefaengnis verurteilt und nach Verbuessung der Strafe in die Konzentrationslagerlager Dachau und Buchenwald gebracht, wo ich wiederum 2 Jahre in den Haenden der SS. verbrachte. Im April ds. J. wurde ich entlassen und landete, gleich 16000 anderen juedischen Emigranten hier in Shanghai. Hier bin ich nun im Einverstaendnis mit den fuer mich zustaendigen Stellen dem Artist Club beigetreten, und bin heute dessen erster Regisseur. Der A.C. ist die Organisation der hiesigen juedischen Kunstschaffenden und betreut ca. 200 Saenger, Schauspieler, Musiker, bildende Kuenstler usw. Er hat sowohl kulturelle, wie auch gewerkschaftliche Interessen und auf beiden Gebieten, soweit 360 Das ist der Sänger Max Kuttner (1883–1953), der im Exil in Shanghai unter dem Pseudonym Alfred Dreyfuß auftrat.

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dies in dieser anarchischen Stadt ueberhaupt moeglich ist, Erfolge erzielt. U.a. veranstaltete ich vor kurzer Zeit einen Literarischen Abend, zu dem ich in erster Linie die Beitraege aus „Das Wort“ herangezog. Sie koennen sich denken, mit welcher Freude dieses Organ von mir und den anderen Freunden gelesen wird. Ich habe nun vor, so bald wie moeglich „Die Dreigroschenoper“ herauszubringen. Dazu veranlassen mich 2 Gruende. Der erste ist der, dass ich ein Werk spielen will, dessen ideologische Basis uns nahesteht und zu dem wir Beziehung haben, und zweitens habe ich fuer das Stueck eine ausgezeichnete Besetzung zur Verfuegung. Besonders den „Mackie Messer“ und das Ehepaar Peachum kann ich mit ganz erstklassigen Schauspielern besetzen. Ich bitte Sie nun, mir so rasch wie moeglich, – vielleicht auf dem gleichen Wege, wie Sie dieser Brief erreicht – mir das Material zu schicken. Klavierauszuege, eine Partitur, Rollen, Songs usw. Deutsch oder Englisch. Wenn ich das Material bis Ausgang November z.B. in Haenden haette, so koennte ich bis Anfang Januar mit der Auffuehrung herauskommen und Sie koennen sich denken, dass eine Auffuehrung dieses Werkes en suite hier in dieser kulturlosen Stadt ein Ereignis sein wird. Nun bitte ich Sie, die oben angefuehrten Leute herzlichst von mir zu gruessen, ich selbst gruesse Sie in alter Verbundenheit. Ihr Dreyfuss Bitte senden Sie uns doch auch noch andere zur Aufführung hier geeignete Stücke, sowie die bis jetzt erschienen[en] Ausgaben „Das Wort“. Hier ist alles dies sehr schwer zu beschaffen. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Artist Club. Shanghai Office: 81 Jinkee Road Room 202 P.O.B. 994 Office-Hours: Monday to Friday 2-3 P.M. Tel. 11929; BBA 3085.

Briefe an Bertolt Brecht, 1938

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 4.1.1938 E

4. Jan. 38

Lieber Brecht, erhielt eben Ihren Brief vom 23. Dez. 371 und will ihn gleich beantworten, da diesmal wirklich einige prinzipielle Punkte zu klaeren sind. Beginnen wir mit dem einfachsten. Das Gedicht von Hedda Zinner.2 Ich sehe davon ab, in diesem Falle ueber konventionell oder nicht-konventionell zu diskutieren. Da bin ich vielleicht Partei. Und selbstverstaendlich lasse ich es aus der Nummer. Das Prinzipielle bei dieser Sache (die so gut die Sache von Hinz oder Kunz sein kann das naechstemal) ist folgendes: Sie schreiben: ‚So private Gedichte gehoeren nicht ins Wort.‘ Unsere Freunde hier sind der Ansicht, dass unsere Lyrik es bisher sektiererisch versaeumt habe, sich auch privat zu aeussern, und Sie koennen z.B. in der Becherschen Lyrik beobachten, dass er dieses Versaeumnis nachzuholen versucht. Selbstverstaendlich soll das nicht heissen, dass wir uns jetzt aufs Private zurueckziehen. Und zwischen privat und privat ist auch noch ein gewaltiger Unterschied. Es kommt zum Beispiel durchaus darauf an, wo etwa ein Liebesgedicht geschrieben wird. Standen wir Antifaschisten nicht bei den breiten Massen (mit Recht) in dem Ruf, bei uns gaebe es so etwas wie Liebe, Freude an der Natur etc. gar nicht? Und wirkt es nicht – umgekehrt – ueberzeugend, dass der Dichter (ich spreche jetzt nicht von einem bestimmten) in der Sowjetunion die innere Ruhe und Ausgeglichenheit zu einem Naturgedicht hat; draussen wuerde er gerade den Gegensatz zwischen dem Gesellschaftlichen und der Natur gestalten muessen, um die gleiche politische Wirkung durch das ‚private‘ Gedicht zu erzielen. Diese Ausfuehrungen – wohlbemerkt [sic] – nicht zu dem vorliegenden Gedicht von Hedda Zinner, sondern grundsaetzlich. Ich glaube es ist im Sinne einer guten Zusammenarbeit notwendig, dass wir uns darueber aussprechen, und ich bitte Sie um Rueckaeusserung. Nun etwas anderes. Es hat einfach keinen Zweck, Idealforderungen zu erheben, ohne die Realitaet zu beruecksichtigen. So ist es eine Realitaet, dass wir bestimmte Termine, einen bestimmten Honorarsatz und eine bestimmte literaturpolitische Aufgabe haben. Es hat also keinen Zweck, zu verlangen, dass Arbeiten, die terminmaessig zu spaet ankommen, noch in ein bestimmtes Heft sollen. Wenn Sie z.B. schreiben, man solle den zweiten Akt

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Nicht überliefert. Hedda Zinner (1905–1994), Schauspielerin und Schriftstellerin. Zusammen mit ihrem Mann Fritz Erpenbeck ging sie 1933 ins Exil nach Prag, 1935 nach Moskau. Dort arbeitete sie u.a. als Hörspielautorin für den Rundfunk. 1945 kehrte sie zurück nach Berlin (Ost). Von welchem ihrer Gedichte hier die Rede ist, konnte nicht ermittelt werden. Auszüge aus Zinners Gedichtband Das ist geschehen (1939) erschienen in Das Wort, Heft 5/1938.

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von Grieg in Heft 2 nehmen3 (oder Ihren Einakter4) und Sie haben schon das Manuskriptmaterial dort – so handelt es sich bei dieser Forderung um etwas Unmoegliches. Sie wissen doch, dass wir die Manuskripte am gleichen Tag absenden, wenn sie in die Druckerei gehen. Alles, was dann noch nachtraeglich gesetzt werden muss, kostet nicht nur Geld (was ich verantworten muss), sondern, was weit schlimmer ist: es haelt die Nummer unter Umstaenden tage-, ja wochenlang auf. Noch mehr ist das der Fall, wenn der fertige Umbruch geaendert werden muss. Das sind einfache Tatsachen, mit denen zu rechnen ist. Sie sind aber wohlbegruendet: draussen kann man sich einfach nicht vorstellen, wie sehr unsere Druckereien ueberlastet sind! Sie arbeiten unaufhoerlich in drei Schichten. Jede Arbeit ist genau planmaessig eingesetzt, jede hinzukommende, die in einem bis an die Grenze auskalkulierten Plan eingefuegt wird, wuerde die Zeit (und vor allem die Maschinen) die fuer andere Arbeiten vorgesehen sind, beanspruchen. Deshalb werden solche Manuskripte – wenn es ganz unvermeidlich ist – nur in die sozusagen ‚Luecken‘ des Gesamtplans eingeschoben. Das bedeutet aber, wie Sie sich denken koennen, oft tagelanges Warten. Bei der ungeheuren Produktion sind wir natuerlich nur ein Staubkorn. Das duerfen wir so lange nicht vergessen, bis wir hier eben mehr Maschinen haben. Es ist schon ein gewaltiger Fortschritt da, und er wird zusehends groesser. Was glauben Sie, was fuer eine Aktivitaet es mich gekostet hat, den seinerzeit entstandenen Tempoverlust (nach Heft 10) aufzuholen. Nun gut – das ist meine Aufgabe, aber man darf sie mir nicht durch allzu unbedachte Wuensche erschweren. Ich tue, davon duerfen Sie ueberzeugt sein, was ich kann. Das erfordert aber auch, dass Sie meine Briefe zumindest aufmerksam lesen, wenn Sie auch nicht jeden Punkt beantworten. So schrieb ich z.B., dass ich im Maerzheft (Kommune!5) die beiden Akte von Grieg bringen wollte. Sie widersprachen nicht, ich nahm also an, Sie seien einverstanden. Jetzt wuenschen Sie ploetzlich den 2. Akt in Heft 2. Dabei ist er, obwohl wir schon umbrochen haben, noch immer nicht hier. Und wenn er nicht, zusammen mit dem dritten, bis zum 15. hier ist, koennen wir ihn nicht einmal in Heft 3 bringen – denn aus den oben angefuehrten Gruenden kann man ein so langes Stueck nicht nachsetzen lassen. Das werden Sie einsehen. Und es war wirklich monatelang Zeit fuer die Uebersetzung. Weiter fragen Sie, wann der zweite Teil Ihrer Satiren komme.6 Auch das 3 4 5

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Margarete Steffin hatte Nordahl Griegs Stück Die Niederlage für eine Veröffentlichung im Wort übersetzt (vgl. Anm. zu Dudow, Juli/August 1937). Der redaktionell bearbeitete Text erschien 1938 in den Heften 1, 3 und 4. Der Spitzel (GBA 4, S. 391–400) aus Furcht und Elend des III. Reiches, vorabgedruckt in Das Wort, Heft 3/1938. Die Pariser Kommune, die von März bis Mai 1871 bestand. Von ihrer Niederlage handelt Griegs Stück. „Das war die Diktatur des Proletariats“, urteilte Friedrich Engels 1891 in einem Vorwort zu Marx’ Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich (MEW 17, S. 625). Im sowjetischen Marxismus-Leninismus wurde die Pariser Kommune als ein geschichtlicher Vorläufer der russischen Oktoberrevolution von 1917 reklamiert. Einige der (in die Svendborger Gedichte aufgenommenen) Deutschen Satiren waren bereits in der Internationalen Literatur (vgl. Anm. zu Becher, 14.8.1937), die Gedichte Dauer des Dritten Reichs,

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schrieb ich Ihnen laengst: in Heft 2. Ich habe sie ueberhaupt nur geteilt, um Ihren Namen in 2 Heften zu haben. Im gleichen Brief schrieb ich Ihnen, dass sich die ‚8 Akrosticha‘7, von denen Sie schrieben, Sie faenden Sie thematisch zu aehnlich, erst im folgenden Heft unter ‚An den Rand geschrieben‘ bringen wuerde. (Feuchtwanger fand sie – woertlich – ‚formal meisterhaft‘) Auch hierueber erhielt ich keine Antwort, nahm also an, Sie seien einverstanden. Weiter. Sie schreiben: es sei schade, dass wir nicht mehr Material senden. Zur Auswahl. Ja, das ist schade. Aber praktisch bedeutete das: mehr Artikel annehmen und bezahlen. Fuer mich speziell heisst das: die Verantwortung fuer eine ziemlich bedeutende Summe Valuta und Rubel uebernehmen, von denen ein Teil umsonst ausgegeben wird. Ganz zu schweigen von der Veraergerung aller derer, deren Arbeiten angenommen sind und dann nicht gedruckt werden. Dennoch bemuehe ich mich ja schon in den letzten Monaten mehr zu senden. Nur bei Heft 1 und 2 war es doch so, dass ich ploetzlich 10 Bogen zu liefern hatte, d . h. dass ich auf alles angewiesen war, was nur greifbar lag. In Zukunft wird das besser. Und im Zusammenhang mit dem eben Gesagten bin ich wieder bei einem Punkt Ihres Briefes, ueber den wir uns in aller Ruhe und Kameradschaft aussprechen muessen. Das von Ihnen beanstandete Drama ‚Mozart‘ ist von Bela Balacs.8 (Es koennte aber ebensogut von einem Manne der Peripherie sein, der auch einen Namen hat und den es zu gewinnen und nicht zu veraergern gilt.) Sehen wir davon ab, dass man auch unsern Freund Balacs nicht durch eine Ablehnung (eines angenommenen) Beitrags veraergern muss – viel wichtiger ist hier wieder das Prinzipielle. Gewiss waere es ideal, eine Zeitschrift zu machen, in der nur das gedruckt wuerde, was man […]9 und zwar einer kontinuierlichen, kameradschaftlichen Kritik unterziehen und so unsere nahen und ferneren Freunde ueberzeugen. Uebringens bringt die ‚IL‘ die andern Teile des Stueckes. Und zwar aus dem gleichen Grunde wie wir: (nachdem sie bereits das Filmexposee ‚mozart‘ ganz gebracht hat): in Wien und Berlin wird zur Zeit wieder ein gewaltiger Mozart-Rummel veranstaltet. Bekanntlich gibt es in Wien sogar eine Schikanedergasse10 und Denkmaeler der ‚Foerderer‘ Mozarts. Sein Lebensbild wird total entstellt. Deshalb ist es wichtig, mal mit diesen Maerchen der Faschisten aufzuVerbot der Theaterkritik und Die Jugend und das Dritte Reich im Wort (Heft 12/1937) erschienen. Der hier erwähnte zweite Teil, das sind die Gedichte Die Regierung als Künstler, Kanonen nötiger als Butter und Trost vom Kanzler, wurde in Heft 5/1938 veröffentlicht. 7 Franz Leschnitzer, „Acht Akrosticha“, in Das Wort, Heft 2/1938. 8 Béla Balázs, d.i. Herbert Bauer (1884–1949), ungarischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur und Filmtheoretiker. Floh nach der Niederschlagung der ungarischen Räterepublik 1919 nach Wien und ging 1926 nach Berlin, war dort am Drehbuch zum Dreigroschenoper-Film beteiligt (vgl. Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933). Seit 1932 in Moskau, lehrte dort ab 1933 Ästhetik am Staatlichen Filminstitut. 1945 kehrte er zurück nach Budapest. Der II. und III. Akt seines Dramas Mozart (vollständig erst 1941 in Moskau veröffentlicht) erschienen in Das Wort, Heft 2/1938. 9 Durch die Bindung der Seite verdeckt. 10 Benannt nach dem Schauspieler, Sänger und Dichter Emanuel Schikaneder (1751–1812), der 1791 in Wien in der Uraufführung von Mozarts Zauberflöte auftrat, zu der er auch das Libretto verfaßt hatte.

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raeumen. Selbstverstaendlich taete ich das auch lieber mit einer Arbeit, zu der ich vorbehaltlos ja sagen kann. Aber wo ist sie? Ueberhaupt wo soll man die Grenze ziehen? Auch bei Grieg gibt es stark naturalistische Elemente, bei Nexoe11 noch mehr (nicht polemisch, sondern nur als Beispiel gesagt). Der Grad der Gestaltung, wenigstens in naturalistischer Richtung? Vielleicht sind wir beide uns da in diesem Falle einig und stehen dennoch mit unserer Ansicht ziemlich allein. Ich meine: wir koennen uns da, wenn wir breite Volksfrontpolitik in der Literatur machen wollen, nur so verhalten, dass wir 1.) solche Arbeiten nur sehr wenig bringen, 2.) wie im Falle Kerr12 etwa, von dem Standpunkt ausgehen, dass Autoren, die einen bekannten Namen – cum grano salis – haben, mit diesem Namen zu ihrem Werk stehen. Keiner wird uns da die Verantwortung aufbuerden, 3.) gibt es manchmal auch gewisse andere Ruecksichtnahmen kulturpolitischer Natur. Eine solche liegt meines Erachtens im Falle des Olden-Artikels13 vor. Er hat ihn zum Jubilaeumsheft geschrieben und geschickt, er ging aber beim Avion verloren. (Die Arbeit war von Bredel fest bestellt.) Sollen wir einen Sympathisierenden nun zurueckstossen, indem wir diese Arbeit ablehnen? Zumal, was Sie allerdings nicht wissen koennen, hier schon seit Monaten eine von Bredel angenommene Erzaehlung liegt, die einfach nicht zu bringen ist. Wir haben sie bezahlt – aber das ist (und ich stehe mit dieser Ansicht nicht allein) fuer einen Autor, der einen Namen zu haben glaubt, fast noch kraenkender, zumal es bestimmte Faelle gibt, wo man den wirklichen Grund der Ablehnung nicht deutlich aussprechen kann. Sie sehen: es gibt da heikle Dinge, ueber die ich heute einmal spreche, damit Sie sich ein ganz klein wenig in meine ‚beneidenswerte‘ Lage versetzen. Aber bei Oldens Artikel ist noch etwas anderes zu bedenken: in der augenblicklichen Situation (besonders in Anbetracht der pariser SDS-Ereignisse14) ist mir jedes Wort ueber die Sowjetunion, das von einem Schriftsteller draussen kommt, wichtiger als ein noch so tiefschuerfender Artikel, der hier (sehr leicht) zu bekommen waere. Sie verstehen, was ich damit sagen will: man kann eine Literaturzeitschrift der Volksfront nicht lediglich nach nur-literarischen Gesichtspunkten redigieren, das waere buergerliches Aestetentum [sic] mit umgekehrten Vorzeichen, also genau so sektiererisch. Februar von Barlud15 ist schon zum vorigen Februar von Bredel fest angenommen worden. Hinter dem (noch sehr jungen und, wie ich finde, recht untalentierten) Autor stehen 11 In Das Wort, Heft 2/1938, erschien unter dem Titel „Der Ochse Amor“ ein von Steffin übersetzter Auszug aus dem zweiten Band von Andersen-Nexös Erinnerungen (Erindringer, 4 Bände, 1932–38). 12 Der Schriftsteller und Theaterkritiker Alfred Kerr (1867–1948), der seit Trommeln in der Nacht (1922) auch als Kritiker Brechts hervorgetreten war, ging 1933 ins Exil nach Paris, 1936 nach London. Im Wort erschienen von ihm, neben einer Autobiographie (Heft 4–5/1937), insgesamt drei Beiträge: vgl. Heft 3/1936, Heft 8/1937, Heft 9/1938. 13 Gemeint ist die in Heft 2/1938 veröffentlichte Reportage „Anno vierunddreißig in der UdSSR“ von Balder Olden (1882–1949). Olden, Journalist und Übersetzer, ging 1933 ins Exil nach Prag, 1935 nach Paris. 1941 floh er nach Buenos Aires und übersiedelte zwei Jahre später nach Montevideo. 14 Vgl. Anm. zu Budzislawski, 9.9.1937; dazu B. an den SDS, Mitte Oktober 1937, GBA 29, S. 50f. 15 Unter dem Titel „Februar“ erschien in Heft 2/1938 ein Ausschnitt aus dem gleichnamigen Roman

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viele oesterreichische Freunde, es liegt ueber dieses Manuskript – das ich auf etwa ein Zehntel (!) seiner Laenge zusammengestrichen habe, – ein recht unerquicklicher Briefwechsel vor. Das ist so ein Fall, wo der Autor lieber aufs Geld verzichten wuerde als auf den Druck. Ich sehe in diesem konkreten Fall keinen andern Ausweg, als in den sauern Apfel zu beißen und das Erbe unseres Freundes Bredel zu schlucken. Dass ich die ‚gespitzten Ohren‘ und die ‚zerfliessende Materie‘ (was mir beim Zusammenstreichen entgangen war) schon vor Eingang Ihres Briefes herauskorrigiert hatte, will ich nur nebenbei erwaehnen. Wenn Sie nur einmal hierherkommen koennten, um zu sehen, welche unvorstellbare Menge solcher bloeder Kleinarbeit auch noch – bei 300 Seiten Manus16! – an mir haengt, ganz zu schweigen von den ‚freundschaftlichen‘ und freundschaftlichen Ratschlaegen und Kritiken! (Meist an Dingen, mit denen ich nichts […]17 Heft 3 wird, hoffe ich, sehr anstaendig werden. Jetzt habe ich bereits: Ihren Einakter, ein Film-Exposee von Ferdinand Bruckner,18 zwei einander scharf widersprechende Essays zum Film.19 Hinzukommen wird (hoffentlich!!) Griegs Stueck. Vielleicht auch noch, da ich wegen der Geldgeschichten telegraphiert habe und das Honorar mittlerweile angelangt sein muss, der Essay von Benjamin ueber Ihre Dramen.20 Wenn ich auch, was ich bei dieser Gelegenheit einmal offen aussprechen moechte, von Benjamin weder inhaltlich noch sprachlich angeruehrt werde. – Sodann bekommen wir von Marcuse eine Besprechung von fuenf oder sechs Buechern (historische Romane, Geschichtsschreibung).21 Oder wir koennen, wenn dieser Beitrag nicht mehr rechtzeitig eingeht, einen andern Essay von ihm bringen, den ich schon hierhabe.22 Auch Feuchtwanger hat versprochen, etwas zu schicken, ebenso Arnold Zweig – aber da ist die Frage, ob die Sachen noch rechtzeitig eingehen.23 Zum Schluss noch ein Gegenvorschlag zu der von Ihnen gewuenschten ‚Auswahlsen

(Prag 1938) von Erich Barlud, d.i. Lajos Barta (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bildhauer). 16 Manuskript. 17 Die Fortsetzung des Satzes ist am Ende der Seite verdeckt. 18 „Geßler. Entwurf zu einem Film“. Die Rede ist von Hermann Geßler, dem legendären Landvogt von Schwyz und Uri. Historisch nachgewiesen ist eine solche Person aus dem 13./14. Jahrhundert nicht, bekannt ist sie vor allem aus Schillers Drama Wilhelm Tell (1804). 19 „Das kinematographische Zeitalter“ von Willy Haas und „Zur Kunstphilosophie des Films“ von Béla Balázs. 20 Fritz Erpenbeck hatte Walter Benjamin, wohl auf Anregung Brechts, vorgeschlagen, einen Essay über dessen Dramen zu schreiben aus Anlaß der im Malik-Verlag erscheinenden Gesammelten Werke. Benjamin wies den Vorschlag in einem Brief an Erpenbeck vom 22.12.1937 (Briefe, Bd. V, S. 635f.) wegen noch ausstehender Honorare zunächst zurück. Der Aufsatz wurde wahrscheinlich nie geschrieben. 21 Die Sammelrezension von Ludwig Marcuse erschien erst in Heft 5/1938. 22 Nicht ermittelt. Von Marcuse wurde seither im Wort kein Essay mehr gedruckt. 23 Von Zweig erschien in Heft 3/1938 „Bloß Pferde“, ein Text, der ursprünglich als Teil seines Romans Einsetzung eines Königs (Amsterdam 1937) geplant war. Von Feuchtwanger wurde in diesem Heft nichts veröffentlicht.

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dung‘: versuchen doch auch Sie, Manuskripte von guten (in jeder Beziehung guten) Autoren zu bekommen, und zwar Belletristik. Daran fehlt es uns! Viel weniger an Kritischem und Theoretischem. (Es ist ja kein Zufall, dass alle ernsthaften Kritiker und Theoretiker gerade bei uns sind.) Bei belletristischen Arbeiten – moeglichst nicht Uebersetzungen, sondern deutsche – koennen Sie doch, wenn Sie sie gut finden, unbedenklich annehmen. Da wird es doch kaum Missverständnisse und Schwierigkeiten geben. Nur an einen einzigen Punkt muessen wir denken: keine antireligioesen und proreligioes aufzufassenden Arbeiten – denn das eine stoert die Volksfront, das andere stoert unsere hiesigen Leser. Sonst aber auf dem Gebiete der Prosadichtung und Lyrik alles! Antworten Sie bitte, vor allem auf die prinzipiellen Dinge. Ich moechte unbedingt, dass wir zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten. Dazu habe ich weder Talent noch die Nerven noch die Lust. Viele herzliche Gruesse! Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/110.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht Moskau, 8.1.1938 8. Januar 1938 Herrn Bertolt Brecht, Svendsborg [sic]/Dänemark Svensdborg [sic] Dänemark Valdemarsgaten 9 A Bertolt Brecht Svendborg Daenemark

Valdemarsgaten 9 A Bertolt Brecht

manuskript grieg24 eben eingegangen dank

Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/137. 24 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 12.1.1938 Lieber Brecht, Die kritischen Bemerkungen zu dem FLÜSTERMAXE25 finde ich natürlich richtig und doch scheint es mir, man darf nicht allzu grossen Akzent auf das Kümmerliche legen. An der Kulturfront hat sich manches verändert und ich möchte an dieser Stelle die Befürchtungen wiederholen, die ich Ihnen s.Zt. in Paris anlässlich des Schriftstellerkongreses26 vorgebracht habe. Es besteht gewisse Gefahr, das Positive und im Augenblick sehr nützliche Theorie für die wir in Berlin gekämpft haben, jetzt preiszugeben. Wenn sich ein Arbeiter, in diese Falle eine künstlerische Darbietung anhört, so tut er es nicht um zu sehen, wie schlecht oder wie kümmerliche es ihm geht, sondern um praktisch handelnde Personen zu sehen, w i e sie kämpfen. In Ihrer Terminologie gesprochen, würde es heissen; dem Zuhörer bestimmte Griffe zeigen, beibringen die seinem Kampf nützlich sind. Das dürfen wir nicht vergessen und zwar in einem Moment wo diese Art von künstlerischen Darbietungen notwendiger geworden sind denn je. Natürlich darf das keineswegs in einen grenzenlosen Optimismus ausarten, der mit der Wirklichkeit aber auch nicht das geringste gemein hat. In diesem Sinne verstehe ich Ihre kritischen Bemerkungen und bin damit wie ich schon oben sagte, einverstanden. Maria 27 hat mir folgende Geschichte aus Madrid erzählt; Dort hat man den Film Tschapaew28 aufgeführt. Sie kennen den Film. Man kann ihm bestimmt nicht zu wenig Heroismus vorwerfen und doch musste man den Film in Madrid absetzen, weil der Held am Schluss erschossen wird und d a s haben die Madrider Zuschauer m e h r auf sich bezogen als sein heroisches Verhalten. Und wenn wir die Figur FLÜSTERMAXE aufbauen wollen, müssen wir schauen möglichst viele nachahmenswerte Schläue, Pfifigkeit, List ..... die dem Zuhörer nützlich ist und auf die er warten, darzustellen. Es ist sehr schade, daß ich nicht damit rechnen kann einige Hörspiele29 von Ihnen zu bekommen. Sollte es an Materialmangel liegen, würde ich versuchen Ihnen das nötige zu besorgen und ich hoffe, Sie werden doch einige Hörspiele schreiben. Es wäre sicherlich sehr schade, wenn Sie nicht direkt mitarbeiten. Wie steht es mit anderen Hörspielen? Haben Sie an etwas bestimmtes gedacht? Ev. einen kleinen Prozess? 25 26 27 28

Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937. Die Bemerkungen Brechts sind nicht überliefert. Zum Schriftstellerkongreß vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937. Maria Osten. Vgl. Anm. zu Steffin, 7.2.1936. „Tschapajew“ war auch der Name eines Bataillons der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Alfred Kantorowicz gab 1938 in Madrid den Band „Tschapajew“. Das Bataillon der einundzwanzig Nationen heraus. Auszüge daraus erschienen in Das Wort, Heft 3/1938. 29 Mit Hörspielen meinte Dudow vermutlich Dialoge wie die zwischen Mies und Meck (vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937).

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Die Einakter30 habe ich noch nicht erhalten. Haben Sie sie schon abgeschickt? Ich warte sehr darauf, weil ich sie im Ramen der grossen Kun[d]gebung und Ausstellung31 herausbringen möchte. Das eilt sehr! Ich habe versucht den Roman von Willi Bredel DIE PRÜFUNG32 für die Bühne um zu arbeiten. Ein Exemplar dieser Bearbeitung geht an Sie ab und ich würde Sie bitten reinzuschauen und wenn Sie Zeit haben dies oder jenes sprachlich zu verbessern. Schade, daß Sie nicht in der Nähe von Paris wohnen, sonst hätte man die Prüfung gemeinsam umarbeiten können. Ich glaube besteht eine Chance es in Amerika herauszubringen. Schreiben Sie mir bitte ein paar Zeilen, was Sie dazu meinen. Schicken Sie mir bitte den Prolog zu den Flüstermaxe möglichst bald ein. Was machen die Geschäfte des HERRN CESAR?33 Herzlichst [Hs.] Paris den 12.1.38. Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2564/1.

Henry Jul Andersen34 an Bertolt Brecht Kopenhagen, 12.1.1938 København d. 12-1-38; kamerad bert brecht, hir schreiben henry zum dich wan das haben interessen für diich? Ersten vile danke für deine praschtwollen spaniensstüchs; „die frau carra’rs gewehren“. Meinne genossen im der Arbeiter Teatern (früher im R.T –) finden deinen stüchs nicht alz interessantes, aber für die arbeiterzuchtschaueren (– publikum – ist das richtisch?) –

30 31 32 33

Vgl. Anm. zu Dudow, 23.11.1937. Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 13.2.1938. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 5.2.1935. Die Bearbeitung ist nicht überliefert. Die Arbeit an seinem (im Oktober 1937 zunächst als Stück begonnenen) Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar nahm Brecht im Januar 1938 auf. Sie wurde indessen immer wieder unterbrochen und nie beendet. Zu Brechts Lebzeiten erschien lediglich das zweite Buch in einem Sonderheft der Zeitschrift Sinn und Form (1949). Die vorhandenen Fragmente des Romans (GBA 17, S. 163–390) wurden vollständig erst 1957 veröffentlicht. 34 Henry Jul Andersen (1905–1938), ein arbeitsloser dänischer Maurer, gehörte zu Ruth Berlaus Theatergruppe Røde Teatern und wirkte mit bei der Kopenhagener Aufführung der Gewehre der Frau Carrar (Premiere am 14.2.1938 in der Borups Højskole; Regie: Ruth Berlau; Helene Weigel in der Rolle der Carrar). Er fiel als Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien. Vgl. Brechts Gedichtfragment Eines Tages, wenn der Sieg erstritten ist, GBA 14, S. 409f.

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zehre gut geschreiben, deinen replikken und ganzen form ist so deutchlischen wie alle kønnen das verstehen. nur, ich willst über die das Arbeiter Teatern geschreiben; die Frau Carrars gewehren, publikum auf dem premiere ist ganzen imponiert über dissen gutes Stüchen, und auch über unsere spiel. Mann sagen; Frau Carrar, genossin dagmar andreasen35 (wie alle erindren von „die mutter“ –) ist gut das ist eine „muttern“. Weissen du dagmar haben eine bruder dar bei jamarrafront36 ist gefallen für eine jahre? Sie alten muttern ist darum in der partei einzutreten. Ideeologisch wird dagmar, else alfelt37 (– manuela ) – Groth (die fiscke) die besten kräften in er arbeiterteatern. Else ist Malerinnen – (surrealisten), und seine mand ist arbeitsmand er ist lange arbeitslos, und maler jest auch.38 Sie haben eine 3 jahrie mädschen. Sie „leben“ auf socialhilfen. Else ist sere interessiert für arbeiterkulturschaffendes. Groth ist arbeitsmand und haben ganze gut arbeite für diesen zeit! Der übrischen genossen und Genossin werden haupsachlishen arbeitslosen. Ich „lebe“ – nicht weidern! – 12,25 Kr. der woche, „socialhilfen.“ unsere socialdemokratisch vorsitsende vür die teatern, wird eine kleinburscherlichen person. Er hat in 1920 streichbrescher warren. Er ist von kleinen kasseuhnordnung degradiert und arbeiten jetz auf die giftgassfabrikken als mithilfer überall. Er ist mit die Obersttochter jørdis (frau peroz), vereinisch. Sie hat eine kleinen geld mitgeberauscht, darum hat sie eine villa mit diverse angehøricht – das haben du gesehen. Sie ist – schauspiellern – darum ist sie mit in unzeren Teatern. Sie wollen noch extrageld verdienen. ! Weitern der spaniensstüch; Dagmar, else und ich, haben auf die proben, erst nicht dich verstanden[.] alz in der gespielen verstanden wir das warren ganzen richlich.39 Die scene swieschem frau carrar und pedro wan er wollen sie hilfen mit die das fischengarn. dagmar hat mich gesagt; hat helen weiken mich gesagt hat ich das verstanden augenblichlisch. 35 Die dänische Laienschauspielerin Dagmar Andreasen (1910–1991) spielte die Frau Carrar in Ruth Berlaus Inszenierung des Stücks in Kopenhagen im Dezember 1937. 36 Gemeint ist offenbar die Front am Jarama, einem Fluß in Zentralspanien. 37 Else Alfelt (1910–1974), dänische Malerin. 38 Die Rede ist von Carl-Henning Pedersen (1913–2007), Else Alfelts Ehemann. 39 Hs. Korr. von „risect“.

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Eine kleinen kontrawerts in der teatern; die socialdemokraten wollten jetzt nicht so traurichs spielen sie wollen auch „revü“ gespielen. Die revü müssen doch nicht politischen werden! Nur, auf der letzten gruppenversamlung40 hat die vorzitssnde poul secher durchgefürt else nicht kunstnerischen leiter, und ich sechretäir, nicht weiter erbleiben. Die leitung sind jetz; vorzitsende paul secher. Sechretäir, aage fredelund (paulo) og, og Kassieren luth Carlsen. (schauspillerin und socialdemokrat, ) Surlør. Das ist also 2 socialdemokraten und einen parteilos. (sehre pol. unklar) Die verdienstgeld werden von der premiere 35 kronen. Das haben wir von materialen und probenlokalen u.s.w. bezahlen. Die premiere, über diese geschreibt pressen (bilanz hier). Einen freiwillich, harry Jensen antwortet auf meinen frage; Ich finden das stüch gut und irh müssen alles kräften hineinssitzen so alles menschen diesen stüch gesehen kønnen, danke. Wilst du noch mehr weiten? Ich wilst beim dich schreiben. Personlisch, ruth berlau hat mich gesagt ich solten auf deucht schreiben – ! ich bitten undschülden ich hat nicht deucht gelernt – ja das ist einn fehler ich müste verandern, ich vill probiern. Hat ruth dich meine „dichte“41 versenden? was meinst du? Ich bin ein 31 jahre Maurer, ich bin alein. Kinderkoplekzer, Arbeitslossigkeit, økonomi und so wieder, jetzt ich liebe und schreiben – schreiben mit pozitiven erfolgen, wan ich das konnen. für meinen kamraden, else und dagmar herzlischen grüss bei bert brecht h. jul. andersen. frd. 7. gade 19 a.l. kbhv, n. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 477/154–155.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 13.1.1938 Erwin Piscator 9, Bd. Richard Wallace Neuilly s/S.

Neuilly s/S., den 13.I.38.

40 Vermutlich eine Versammlung der obengenannten Theatergruppe. 41 Gemeint ist wohl das Gedicht „Den døde Murer“ (Der tote Maurer). Vgl. dazu Brechts Bemerkung in Volkstümlichkeit und Realismus, GBA 22, S. 415.

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Herrn Bert Brecht Skovsbostrand Svendborg Lieber Bert, Man beschäftig[t] sich hier damit eine Wiederholung der Hitler Münchener Ausstellung der „entarteten“ Kunst zustande zu bringen.42 Vorher will man eine Rundfrage an die besten Maler, Zeichner, Skulpturisten, auch Architekten der einzelnen Länder verschicken, um ihre Meinung über eine solche Stellungnahme der „Regierung“ zu erfahren. Du kennst bestimmt die dänischen Künstler um uns dadurch zu unterstützen, indem Du mir die Namen und Adressen der Einzelnen, an die man sich wenden kann, mitteilen lässt. Falls Du es nicht kannst, wende Dich doch an Ohlsen oder an dessen Freund, Kunstkritiker Nergard43 so hiess er wohl, um sie mir mitteilen zu lassen. Natürlich nicht nur Linke, sondern möglichst auch Rechte, das ist nur selbstverständlich. Ganz gut wäre es auch, wenn Du auf die in Vorbereitung befindliche Ausstellung hinweisen würdest, damit man für die beabsichtigte Kunstausstellung privates Material im Lande findet. Die Liste die Herr Hitler herausgegeben hat umfasst ja sämtliche guten Namen, von Corinth und Liebermann44 angefangen bis George Grosz und Käthe Kollwitz. Erfahre ich also bald darüber etwas von Dir? Eisler besuchte mich vor einigen Tagen, er ist nach Amerika abgefahren.45 Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 179f.

Hermann Budzislawski an Bertolt Brecht [Prag, 14.1.1938] 14.1. Lieber Herr Brecht! 42 Am 19.7.1937 war in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ (mit 650 aus deutschen Museen beschlagnahmten modernen Kunstwerken) eröffnet worden, die in den folgenden Jahren als Wanderausstellung in mehreren Städten des Reichsgebiets gezeigt wurde. Zu der von Piscator erwähnten Pariser Ausstellung vgl. Anm. zu Dudow, 13.2.1938. 43 Ebbe Neergaard. 44 Lovis Corinth (1858–1925) und Max Liebermann (1847–1935) gehörten zu den bedeutendsten Malern des Impressionismus in Deutschland. Ihre Werke wurden auch bei der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. 45 Hanns Eisler reiste gemeinsam mit Lou Jolesch im Januar 1938 nach New York.

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Entschuldigen Sie, dass ich infolge einiger Erkrankungen in unserm Betrieb Ihnen auf den Brief vom 3.1.46 erst jetzt antworte. Das Gedicht47 hat mir Hans Eisler gegeben und zwar in einem Durchschlag, der kaum zu entziffern war Infolgedessen ist aus einem u ein ü geworden. Ich habe mich sehr gefreut, endlich einmal etwas von Ihnen publizieren zu dürfen, und ich fürchte, dass sie durch den kleinen Druckfehler verärgert sind. Eisler meinte, Sie würden bestimmt nichts dagegen haben, wenn er mir das Gedicht zum Abdruck übergäbe. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich etwas direkt von Ihnen erhielte. Sie waren ja einmal grundsätzlich dazu bereit. Die Berichtigung habe ich gebracht. Ich bin mit bestem Gruss Ihr Überlieferung: TsD, Privatarchiv Eckert.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 15.1.1938

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Lieber Brecht, so vielseitig und, wie ich glaube, zum groessten Teil gut das Material fuer Heft 3 ist – so dunkel sieht es (wie gewoehnlich) mit der Lyrik aus. Ich habe mal alles, was einging (mit Ausnahme des sofort zurueckgesandten grob dilettantischen Materials) zusammengelegt und sende es Ihnen anbei. Aus zwei Gruenden: einmal wollte ich Sie bitten, festzustellen, ob Sie etwas Brauchbares darunter erblicken; zweitens aber um Ihnen ein ungefaehres Bild davon zu geben, welchen Eiertanz an Hoeflichkeit ich in jedem Monat auffuehren muss, wenn ich die Manuskripte zuruecksenden muss, und wir leider ihrem Wunsche nicht nachkommen koennen. Nun ist natuerlich eines erforderlich: dass Sie mir nach Kenntnisnahme das gesamte Material (vielleicht mit angehefteten kleinen Notizen in Stichworten) bald zuruecksenden, damit ich den Autoren antworten kann. Legen Sie dann auch bitte das noch dort befindliche Manuskript von Ahrend48 bei, der Mann hat schon aus Spanien reklamiert. 46 Nicht überliefert. 47 Die Rede ist offenbar von dem Gedicht Über die Bezeichnung Emigranten, in dem Brecht diese Bezeichnung zurückweist; es handle sich bei den aus Deutschland Verstoßenen nicht um Auswanderer, die aus freiem Entschluß ein anderes Land gewählt hätten: „kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm“ (GBA 12, S. 81). In der Neuen Weltbühne erschien das Gedicht am 30.12.1937 mit einem Druckfehler, den Brecht richtigzustellen bat: In der Zeile „Ach, die Stille der Sunde täuscht uns nicht“ hieß es dort „Sünde“ statt „Sunde“. 48 Vermutlich der Lyriker und Übersetzer Erich Arendt (1903–1984). Ging 1933 über die Schweiz nach Mallorca und kämpfte ab 1937 auf seiten der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg.

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Das eine handgeschriebene Manus aus Polen49 bitte ich Sie hoeflichst von dort zurueckzusenden – der Autor hat wohl nicht ganz bedacht, was es in Polen heisst, Post von hier zu bekommen. Wollen wir es künftig nicht ueberhaupt so halten, dass ich Ihnen das Lyrik-Material vorher sende? Dann brauche ich nichts fest anzunehmen, was nachher ausfaellt und bezahlt werden muss. Mit herzlichen Gruessen Ihr Grieg-Manus ist eingegangen.50 Ich lasse alles absetzen, weiss aber noch nicht sicher, ob ich alles schon in Heft 3 unterbringen kann. Eventuell nehme ich den Rest in Heft 4. (Unsere Freunde draussen baten naemlich schon oefter, dass wir, wenn wir Platz haben, nicht nur Auszuege, sondern recht vollstaendige Arbeiten bringen sollen.) Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/24.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 21.1.1938 E

21. Jan. 38

Lieber Brecht, gestern ging das Material fuer Heft 3 an Sie ab. Diesmal wird es, glaube ich, kaum Schwierigkeiten geben, da keinerlei „Fueller“ dabei sind. Wenigstens habe ich dies Gefuehl. (Schade ist, dass der Essay ueber Ihr Werk51 noch nicht da war, er haette thematisch gut in diese Nummer gepasst.) Die von Ihnen gewuenschten Stichworte ueber die Gruende der Annahme von Beitraegen52 koennen also diesmal wegfallen. Aber Sie haben recht: kuenftig werde ich das machen. Sie fragen: wieso muessen Arbeiten definitiv angenommen werden? Das verhaelt sich so: viele (und gerade solche, bei denen es Anstaende gab) habe ich von Willi53 „geerbt“. Dann

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Nach Internierung in Frankreich floh er 1941 nach Kolumbien, übersiedelte 1950 in die DDR. Von Arendt erschienen in Das Wort, Heft 6/1938, die beiden Sonette „Eines Bergmanns Hände“ und „Ein Bauer schreibt aus dem Schützengraben“. Möglicherweise der in Heft 4/1938 publizierte Brief eines polnischen Lesers an Feuchtwanger, dessen Reisebricht Moskau 1937 betreffend. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. Der Essay von Benjamin; vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. Bezieht sich wohl auf den (nicht erhaltenen) Brief Brechts vom 23.12.1937. Bredel, von dem Erpenbeck die Leitung der Moskauer Redaktion übernommen hatte.

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aber auch folgendes: es kommt ein Bandwurm. Bis man ihn verdaut hat (au!) vergeht eine ziemliche Zeit. Dann muesste von so etwas, wenn man schon meint, ein Stueck davon oder gar das Ganze bringen zu koennen, erst je ein Durchschlag fuer Sie und Feuchtwanger gemacht werden. Unsere Stenotypistin macht aber schon reichlich Ueberstunden, um mit dem fuer jede Nummer notwendigen Material (ca 300 Seiten jetzt) fertig zu werden. (Sie erledigt ueberdies noch alle technischen Arbeiten, Briefwechsel etc.) Wir muessten also fuer solche Manuskripte extra eine Schreibkraft ausserhalb suchen – das aber ist bei der hier herrschenden „Arbeitslosigkeit“ fast eine Utopie. Deshalb haben wir bisher lieber die bittere Pille geschluckt, von Ihnen abgelehnte Artikel zu honorieren, und nicht zu bringen, wenn nicht eben „hoehere Gewalt“ uns zwang, solche Arbeiten – mit Vornotizen oder dergl. – dennoch zu veroeffentlichen. Die von Ihnen vorgeschlagene Methode braechte uebrigens, ausser den technischen, noch eine andere Schwierigkeit: bei dem jetzigen Verfahren koennen wir dem Autor das Honorar wenigstens schon beim In-Satz-geben anweisen – und da wartet er schon lange genug. Gute Autoren (die hie und da auch mal Schlechtes schreiben) wuerden uns, wenn die Annahme der Artikel noch laenger dauern wuerde, bald nichts mehr senden, weil sie die Sachen anderswo schneller loswuerden. Ich teile Ihnen solche technischen Dinge – unsere Arbeits- und Druckbedingungen – so ausfuehrlich mit, weil ich gern moechte, dass Sie einen recht genauen Einblick in unsere Moeglichkeiten und Schwierigkeiten bekommen. Sonst aus keinem Grunde. Nun, ich bin Optimist: ich hoffe, dass die abgelehnten Beitraege immer weniger werden. Aus zwei Gruenden: einmal werden wir, wovon sich jetzt Anfaenge zeigen, intensiver zusammen arbeiten, d.h. Sie werden haeufiger Beitraege schicken und Vorschlaege machen etc., dann aber auch werden tatsaechlich die Einsendungen (wie Heft 3 m. E. schon zeigt) zahlreicher und besser. Oder haben Sie nicht den Eindruck? Sie fragen mich nach Niederlage (in Ihrem Briefe vom -?,54 der gestern einging). Ja, auch ich finde das Stueck sehr interessant, an vielen, sehr vielen Stellen sogar aussergewoehnlich stark. Ich hoffe ein wenig, dass unsere Veroeffentlichung auf das Werk aufmerksam machen wird. Von russicher Seite habe ich schon die erste, allerdings noch ganz unverbindliche, Anfrage erhalten. Man will die Fortsetzungen abwarten. Ein Wort zur Dialekt-Fassung. Da bin ich nicht Ihrer Ansicht. Und zwar aus folgendem Grunde: es liegt, meiner Ansicht nach, ein grundsaetzlicher Fehler vor. Der Dialekt ist naemlich eine Konstruktion aus berliner Dialekt, in den hie und da eine sueddeutsche Wendung oder Endung eingestreut ist, oft aber nichts anderes als verballhorntes Deutsch. („Mir“ anstelle von „mich“, wo es in keiner Gegend Deutschlands – auch in Berlin nicht – gebraeuchlich ist… um ein Beispiel zu nennen.)55 Nun ist ja ueberhaupt die Frage des Dialekts – und noch mehr der Dialekte – in der Uebersetzung eine vielumstrittene, oft diskutierte Frage. Und ich meine: es hat sich allmaehlich eine Art „abgeschliffenes“ Deutsch 54 Der Brief ist nicht überliefert. Zu Griegs Stück Die Niederlage (an der Übersetzung Steffins war auch Brecht beteiligt) vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938, und Dudow, Juli/August 1937. 55 Die Verwendung des Dativs anstelle des Akkusativs ist im Berlinerischen durchaus gebräuchlich.

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fuer diesen Zweck in der Literatur herausgebildet, etwa mit weggelassenen (und nicht apostrophierten) Endungen usw., und zwar dort, wo56 fuer alle Dialekte gleich gilt. So, meine ich, koennte man in der Uebersetzung (und nur von Uebersetzungen spreche ich) fremde Dialekte wiedergeben. So bald ich „Berlinerisch“ oder „Sächsisch“ oder „Bayerisch“ von einem franzoesischen, russischen oder englischen Arbeiter hoere, gibt’s mir einen kleinen Schlag. Ich behaupte daher: man muss unbedingt jeden landschaftlich charakteristischen Ton vermeiden. Ja, bei sehr sprachgewandten Autoren habe ich schon oft (allerdings nicht bei Uebersetzungen) gefunden, dass sie mit – scheinbarem – Hochdeutsch ganz typische Dialekte zu charakterisieren vermoegen. Zusammenfassend: ich rate bei Grieg dringend von der Dialektfassung ab. Vielleicht sehen Sie sich das Manus daraufhin noch einmal durch – auch die kleinen Korrekturen, die ich gemacht habe, halte ich noch nicht fuer besonders gluecklich. Diskutieren Sie die Sache einmal mit Frau Steffin – es geht ja nicht nur um diesen einen Grieg, sondern wir werden noch oft vor diesem Problem stehen. (Nun bin ich vielleicht in diesem Fall ein besonders empfindlicher Leser, weil ich drei oder vier deutsche Dialekte, sehr verschiedenartige sogar, vollkommen echt sprechen kann und fast jedem Menschen mit ziemlicher Sicherheit anhoere, woher er – trotz guten Hochdeutschs – stammt.) Weiter zu Ihrem Brief: es steht nichts im Wege, dass auch Dudow sich noch aeussert – mit den beiden Artikeln, die wir bringen, ist das Thema ja keineswegs erschoepft, ja kaum angeritzt. (Kuhle Wampe kenne ich – hab doch selbst mitgespielt. Im Waggon.) Ueber konventionelle Phrasen in Gedichten werden wir in Heft 4 in einer Rezension zweier Gedichtbaende (die Kurella schreibt)57 einiges lesen. (Die Sache mit dem Gedicht Hedda Zinners ist ja erledigt58 – sie wird mal spaeter was anderes geben, deshalb schneide ich das Thema nicht an.) Ich habe vielmehr folgendes in die Wege geleitet: es wird von einem gutem Kenner der modernen russischen Lyrik ein Gedicht ausgewaehlt, das besondere Schwierigkeiten bei der Uebersetzung, bezw. Nachdichtung bietet (formal und inhaltlich). Dieses Gedicht geben wir ca sechs unserer Lyrik-Uebersetzer mit der Bitte, in einem kleinen Essay – oder sagen wir lieber: Einleitungstext – zu schreiben, wie sie an die Arbeit herangegangen sind, was sie zu vermeiden gesucht und was sie betont haben, etc. Wenn vier davon oder auch nur drei die Sache machen, kann das ein interessanter Beitrag zum Thema Lyrikuebersetzung werden. Die paar Freunde, mit denen ich darueber sprach, sind von der Idee sehr eingenommen. Was meinen Sie? (Wenn es nichts wird, schadet es nicht viel – ich brauche dazu ja keine oder fast keine Valuta.)59

56 Hs. gestrichen: „was“. Korr.: „und zwar dort, wo“. 57 Alfred Kurella, „Vom Nutzen der Beschränkung“, in Das Wort, Heft 4/1938. Rezension der Gedichtbände Tag und Traum von August Stüssi und Zwischen Traum und Zeit von Paul Adolf Brenner (beide Zürich 1938). 58 Vgl. Erpenbeck, 4.1.1938. 59 Das Vorhaben kam nicht zustande.

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Von „Grieg“60 bekommen Sie mehrere Exemplare. Auf die weiteren Einakter freue ich mich.61 Die Adresse von Maria O.62 habe ich noch nicht. Ich werde sie in diesen Tagen erhalten und Ihnen dann auch mitteilen. Bis jetzt haben wir ihr auf Umwegen geschrieben. Wegen Nexoe-Honorar63 ist an Frau Steffin geschrieben worden, hoere ich eben. Was mit dem Prozessbericht64 los ist, weiss ich nicht. Werde mich erkundigen. (Ich habe uebringens auch vorgestern an Frau Steffin gesondert – als Antwort auf einen frueheren Brief von ihr – geschrieben. Hoffentlich ist sie wieder ganz gesund?) Antworten Sie mir bitte auch bald auf die Gedicht-Manuskriptsendung, die kuerzlich an Sie abging. Mit Heft 1 hatten wir leider eine Verspaetung aus technischen Gruenden (die nichts mit uns zu tun haben), aber Nr. 2 kommt wieder puenktlich. Dennoch waere es mir sehr lieb, ja es waere sogar eine Hilfe fuer mich, wenn Sie bei solchen Verspaetungen, bei schlechter Reklame, bei schlechtem Vertrieb (falsche Buchhandlungen etc) so energisch wie moeglich und so konkret wie moeglich schreiben wuerden – so habe ich Unterlagen bei meinen Kaempfen um Verbesserung dieser Dinge. Dieser letzte Punkt ist so wichtig, dass man vielleicht auch einige Freunde animieren sollte, uns diesbezuegliche Mitteilungen zukommen zu lassen – nur so kann ich von hier aus Unzulaenglichkeiten wirksam abstellen lassen. Mit vielen herzl. Gruessen auch an Frau Steffin Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/21–23.

Slatan Dudow an Helene Weigel Paris, 21.1.1938

60 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938, und Dudow, Juli/August 1937. 61 Nach Der Spitzel (Heft 3/1938) erschienen im Wort weitere Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches: in Heft 6/1938 Rechtsfindung 1934; in Heft 7/1938, unter dem Titel Deutschland – ein Greuelmärchen, die Szenen Arbeitsdienst, Die Stunde des Arbeiters und Die Kiste; in Heft 3/1939 Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung. 62 Maria Osten leitete seit September 1937 eine Pariser Außenstelle der Redaktion. 63 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. 64 Nicht ermittelt. Tatsächlich ging es in dem in Heft 4/1938 anonym erschienenen Beitrag „In memoriam Maxim Gorki“ um den dritten Moskauer Prozeß, in dem die Angeklagten u.a. beschuldigt wurden, Gorki getötet zu haben. Der allerdings fand erst im März 1938 statt (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937).

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Liebe Weigel, Ich danke Ihnen für Ihren Brief. Ob Sie etwas vergessen haben, weiss ich nicht, auf jeden Fall habe ich noch einen Wunsch. Können Sie ev. noch N 3 der Versuche (Dreigroschenoper, Film, Prozess)65 schicken? Dann habe ich wenigstens die Versuche komplett. Es wäre sehr nett, wenn Sie mir das als ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk schicken könnten. Im übrigen habe [ich] am 30 Januar Geburtstag, dann wäre es also ein Geburtstagsgeschenk. In Bulgarien feiert man ausserdem den Namenstag, der kommt auch bald ran und für den wünsche ich mir das Liederbuch, das im Carrfpur Verlag66 erschienen ist. Sie sehen, ich rufe alle Heiligen an um meine Sammlung endlich wieder zu vervollständigen. Von der Schweiz bekam ich endlich wegen der „Gew[e]hre der Frau Carrar“67 eine Antwort. Die Bildungszentrale in Bern68 glaubt nicht, daß die Schweiz. Regierung eine Einraseerlaubnis der ganzen Truppe geben wird (aus den bekannt. politischen Gründen), daher käme nur eine Aufführung mit einer schweizerischen Truppe in Frage, wo Sie dann gastieren können. Wir sollen der Zentrale einige Vorschläge machen. Sehen Sie da eine Möglichkeit die Truppe zu organisieren? Würde Gretler sich dazu bereit erklären den Arbeiter zu spielen und wer könnte so was dort in die Hand nehemen?69 Die Lieder für prol. Mütter70 gebe ich an Lenormand71 und mit Schidlof 72 setzte ich mich in Verbindung. Die LATERNE von Zach [habe] ich gesehen. Das Program ist schlecht und hat Erfolg. Die Truppe73 wartet auf Stücke. Sie kann nichts eher machen, bevor sie nicht einen konkreten Plan ins Auge fasst. Brecht schrieb mir,74 die Einakter gehen an mich ab, ich habe bis jetzt aber noch nichts bekommen. Können Sie da nicht bischen nachhelfen? Wie lang ist das Stück DIE JÜDISCHE FRAU?75 Hoffentlich nicht allzu kurz. 65 Heft 3 der Versuche (= Versuche 8–10), im Januar 1932 erschienen, enthält Die Dreigroschenoper, das Skript zum Dreigroschenfilm Die Beule sowie den Dreigroschenprozeß. 66 Éditions du Carrefour. Dort erschien 1934 der Band Lieder Gedichte Chöre. 67 Vgl. Anm. zu Dudow, 4.9.1936 und 29.5.1937. Die hier in Aussicht gestellte Aufführung in der Schweiz kam nicht zustande. 68 Vermutlich die Schweizerische Arbeiter-Bildungszentrale in Bern. 69 Brecht hatte Dudow im Juli 1937 geraten (GBA 29, S. 36), sich wegen eines Gastspiels in der Schweiz an den Schweizer Schauspieler Heinrich Gretler zu wenden. 70 Das sind die Wiegenlieder (GBA 11, S. 206–209) aus Lieder Gedichte Chöre, als Kinderlieder für proletarische Mütter erschienen in Internationale Literatur, Heft 4/1933. 71 Möglicherweise der Pariser Dramaturg Henri-René Lenormand (1882–1951). 72 Vermutlich S. Schidloff, der in der Pariser Aufführung der Gewehre der Frau Carrar im Oktober 1937 mitgespielt hat. 73 Die Pariser Kabarettgruppe Die Laterne, mit der Dudow Die Gewehre der Frau Carrar inszeniert hatte. 74 Nicht überliefert. 75 Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches, einer der Einakter, von denen hier die Rede ist. Unter dem Titel 99%. Bilder aus dem Dritten Reich wurden acht der insgesamt 27 Szenen des Stücks – nämlich Das Kreidekreuz, Winterhilfe, Die jüdische Frau, Zwei Bäcker, Der Bauer füttert die Sau, Der Spitzel, Rechtsfindung und Arbeitsbeschaffung – am 21.5.1938 in der Salle d’léna in Paris unter Dudows Regie

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Wir sind dabei eine Art DEITSCHE VOLKSBÜHNE – Paris zu gründen, die zum Ziele hat, die Zuschauer zusammen zu fassen, damit auch die wirtschaftliche Grundlage für das weiter Spielen da ist. Die Volksbühne hat mit der Truppe nicht direkt zu tun, sie soll eine Dachorganisation werden...usw... Wenn etwas konkretes da ist, schreibe ich ausführlicher darüber.76 Mit den Hörspielen77 ist wenigstens die wirtschaftliche Frage geklärt. Wir haben das Geld für 5 Probeplatten. Das weitere hängt nunmehr von uns ab. Wenn Sie herkommen, was ich sehr stark hoffe, möchte ich eine Platte mit Ihnen machen, doch man muss rechtzeitig daran denken und nicht wenn Sie schon in Paris sind. Erinnern Sie bitte Brecht daran. Ich habe ihm einiges geschrieben, welcher Art die Sujets sein sollen. Paris den 21.1.38 Mit viele Grüsse auch von meiner Frau Überlieferung: TsD, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2565/1.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht [Moskau] 24.1.1938

113,--

Herrn Bertolt Brecht, Svenborg/Daenemark, Valdemarsgade ø9a, II

Heft 1 Für den deutschen Freiheitssender78 78,-35,-" 12 dto. Nachzahlung Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/25.

uraufgeführt. Weigel spielte in Winterhilfe, Die jüdische Frau, Rechtsfindung und Arbeitsbeschaffung. 76 Dieses Vorhaben kam nicht zustande. 77 Vgl. Dudow, 23.11.1937. 78 Das sind die Deutschen Satiren (vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938).

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 24.1.1938 24. Jan. 38 Lieber Brecht,

E

anbei ein schwacher Hoffnungsschimmer, dass wir in Heft 4 doch Lyrik haben werden. (Vielleicht geht auch noch mehr ein in den naechsten Tagen.) Kurz: ich meine, aus dem KUBA spricht wirklich etwas – wenn auch Fuernbergs Vorwort nicht zutrifft.79 Die andern Gedichte (STUEBS)80 vertont Eisler zur Zeit, wie Stuebs schreibt. Ich kann mit den meisten nicht viel anfangen. Wenn Sie dieses oder jenes fuer geeignet halten, senden Sie die Manuskripte mit einer kurzen Notiz moeglichst bald her (bis zum 10, 12, spätestens 13. Februar muessen sie hier sein), damit ich abschreiben und setzen lassen kann. Auch die nichtverwendbaren Arbeiten bitte ich bald zurueck – moeglichst auch mit ein paar Stichworten – damit wir die Autoren nicht allzu lange warten lassen muessen. Beste Gruesse Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/26.

79 Von Kuba, d.i. Kurt Barthel (1914–1967), erschienen – jedoch erst in Heft 5/1938 – die Gedichte „Bergarbeiter“ und „Mäuseballade“, mit einer biographischen Mitteilung von Louis Fürnberg. Barthel, seit 1933 im Exil in Prag, floh 1939 nach Großbritannien. Nach seiner Rückkehr nach Berlin 1946 Redakteur des Dietz Verlags und ab 1952 Sekretär des Schriftstellerverbands der DDR. Der Schriftsteller Louis Fürnberg (1909–1957) lebte bereits seit 1927 in Prag, wo er die Agitpropgruppe Echo von links gründete. Flüchtete 1939 nach Polen, wurde dort von der Gestapo verhaftet und konnte schließlich über Italien und Jugoslawien nach Palästina entkommen. Ab 1946 zurück in Prag, 1949 bis 1952 Kulturattaché der tschechischen Botschaft in Berlin (DDR), übersiedelte 1954 nach Weimar. 80 Der Schriftsteller Albin Stübs (1900–1977), seit 1933 im Exil in Prag, flüchtete 1938 nach Großbritannien, wurde dort 1940 vorübergehend interniert und nach Australien gebracht. Ab 1941 war er für die BBC tätig. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1947 arbeitete er für den Nordwestdeutschen Rundfunk. Von Stübs erschien in Das Wort, Heft 10/1938, ein Auszug aus seinem Drama Die Rattenfänger bei den Schildbürgern. Von welchen Gedichten hier die Rede ist, konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise hatte Stübs Eisler Ende 1937 in Prag getroffen und ihm eine solche Zusage entlockt. Daß Eisler Gedichte von Stübs vertont hätte, ist nicht belegt.

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Verlag Allert de Lange an Bertolt Brecht [Amsterdam] 4.2.1938

4. Februar

8

Herrn Bert Brecht, SKOVSBOSTRAND per Svendborg. Sehr geehrter Herr Brecht! Wir erlauben uns Ihnen auf Ihren Brief vom 31.1.81 mitzuteilen, dass wir vorläufig keinerlei Einigung betr. weiterer Übernahme des „Dreigroschenroman“ mit der UniversumBücherei getroffen haben. Wir können auf Grund der verhältnismässig geringen Bestellungen und schlechten Preise die die Universum zahlt, keine neue Auflage drucken. Andererseits haben wir vorläufig noch reichlich Exemplare da, um die Nachfrage des regulären Buchhandels zu befriedigen. Wir haben bis heute leider noch keine Bestätigung von Pinker, dass wir 25% Ihrer englisch-amerikanischen Einnahmen bekommen.82 Wir nehmen an, dass Sie vorläufig den englischen Agenten noch nicht darauf aufmerksam gemacht haben, dass uns diese Einnahmen vertraglich zustehen. Wir bitten Sie diesen Brief nunmehr zu schreiben. mit ergebener Hochachtung ALLERT DE LANGE. Überlieferung: TsD, BBA Z 29/101.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht [Moskau] 5.2.1938 L.

100,-Der Spitzel,83

5.II.1938.

3

Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/27.

81 Vgl. GBA 29, S. 74; dazu Anm. zu Herzfelde, 21.8.1937. 82 Vgl. Anm. zu Pinker, 11.5.1936. 83 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938.

Herrn Bertolt Brecht, Svendborg/Daenemark, Valdemarsgate 9A, II.

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Red. „Internationale Literatur“ an Bertolt Brecht Moskau, 7.2.1938 Moskau, den 7. Februar 1938 Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand/Dänemark Lieber Freund! Wir haben Ihnen für Ihren Beitrag84 heute einen Valutahonorar angewiesen. Mit bestem Gruss Redaktion Internationale Literatur Deutsche Blätter Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/28.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 8.2.1938 E

8. Febr. 38

Lieber Brecht, ich danke Ihnen fuer Ihre aktive Mitarbeit: die Gedichte habe ich zurueckerhalten, werde an die Autoren im Sinne Ihrer Notizen (betr. Aenderungen etc.)85 schreiben. In den naechsten Tagen werde ich eine weitere Serie – diesmal bessere – senden. Die Antwort auf meinen letzten langen Brief steht noch aus. Heute nur noch die Adresse von Maria86: Hotel Paris Dinard – 29 Rue Cassette – Paris. Beste Gruesse Ihr

84 Die Deutschen Satiren. Vgl. Anm. zu Becher, 14.8.1937. 85 Nicht überliefert. 86 Maria Osten.

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Schicken Sie doch recht bald Beitraege: Vor allem wuerde ich mich ueber einen neuen Einakter freuen.87 Und dann: was macht der Essay ueber Ihr Werk, den Benjamin schreiben sollte?88 Vielleicht forcieren Sie diese Angelegenheit. Gruesse auch an Frau Steffin. Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/29.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 8.2.1938 E

8. Febr. 38

Lieber Brecht, eben sehe ich, dass ich vergessen habe, einige Fragen in Ihrem Brief zu beantworten. Deshalb in Kuerze: „Tag der Welt“89 wird neu gedruckt, dann bekommen Sie bestimmt ein Exemplar. Ich werde aufpassen, dass es an Sie abgeht, ehe die Auflage wieder vergriffen ist. Ein Manuskript des Tolstoi-Stueckes90 wird nicht zu haben sein, weil Stuecke hier erst nach der Premiere gedruckt werden, vorher kriegt man kein Manus zu sehen. Es ist naemlich so: jedes Theater hat prinzipiell das Recht, Stuecke, die gedruckt sind, zu inszenieren (es muss nur die Tantieme zahlen). Deshalb gibt man vor der Urauffuehrung kein Exemplar aus der Hand. (Es sei denn der Autor, der weiss, was mit dem Manus geschieht.) Adresse des Schriftstellerverbandes, Moskau lautet: Sojus sowjetskich pissatelej Worowskaja 50 Sie schreiben, dass Sie den Dialekt in „Niederlage“ beibehalten sehen moechten. Inzwischen haben Sie sicher meinen laengeren Brief erhalten.91 Ich versuche darin Sie vom Gegenteil zu ueberzeugen. Unterdes habe ich den Dialekt abgemildert. Wenn ich bis zum Umbruch keine billigende Antwort von Ihnen erhalte, stelle ich den urspruenglichen Zustand wieder her. (Nochmals: das Stueck ist wirklich stark – ich habs beim Korrekturlesen wieder empfunden.)

87 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1938. 88 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. 89 Der von Maxim Gorki und Michail Kolzow herausgegebene Band Den mira (Moskau 1937) enthält auch Brechts Geschichte Der Soldat von La Ciotat (GBA 18, S. 407f., zuvor unter dem Titel L’ homme statue in Internationale Literatur, Heft 2/1937, erschienen). 90 Die Rede ist hier offenbar von dem russischen Schriftsteller Alexej Nikolajewitsch Tolstoi (Aleksej Nikolaevič Tolstoj, 1883–1945). Brechts Anfrage ist nicht überliefert. 91 Vgl. Erpenbeck, 21.1.1938.

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Nexoe bestaetigte heute den Empfang des Honorars.92 Er hat selbstverstaendlich den (wie wir glauben, anstaendigen) Normalsatz bekommen. Gruss! Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/30.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 10.2.1938 E

10. Febr. 38

Lieber Brecht, anbei einige Abschnitte aus einer laengeren Arbeit Hedda Zinners, die hier in Kuerze in einem Bande erscheinen wird.93 Ich enthalte mich natuerlich jeder Stellungnahme, moech­ te nur (damit Sie sich nicht irgendwie behindert fuehlen) erwaehnen, dass Sie selbstverstaendlich Striche oder Aenderungen vorschlagen oder auch alles ablehnen koennen, ohne dass die Genossin Zinner dadurch beleidigt waere. Sie ist empfaenglich fuer (begruendete) Kritik und hat durchaus eingesehen, dass das „unpolitische“ Gedicht, das Sie neulich ablehnten, wirklich zu exponiert gestanden haette,94 zumal sie bei uns vorher ja kaum mit andern Arbeiten gedruckt wurde. Herzliche Gruesse Ihr Eben erhalte ich auch beifolgende Becher-Gedichte.95 Ich habe sie schon abschreiben lassen. Eigentlich sollten wir bekannte Lyriker (wenn die Sache nicht direkt politisch falsch oder bedenklich ist) ohne Diskussion in der Redaktion bringen. Sie stehen ja mit ihrem Namen fuer die Arbeit ein – keiner wird der Redaktion Vorwuerfe machen, wenn mal etwas nicht ganz erstklassig ist. Meinen Sie nicht auch? Die Strophe „Glaubenshueter“ muessen wir aus Volksfrontgruenden streichen. Ich werds Becher dann sagen. E Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/31.

92 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. 93 Vermutlich aus dem Gedichtband Das ist geschehen (Moskau 1939). Auszüge aus dieser „Erzählung in Versen“ wurden vorabgedruckt in Das Wort, Heft 5/1938. 94 Vgl. Erpenbeck, 4.1.1938. 95 In Heft 5/1938 erschienen von Johannes R. Becher die Gedichte „Die große Menagerie“ und „Das Gastmahl der Fünftausend“.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 11.2.1938 Lieber Brecht, Ich höre leider seit langem nichts mehr von Ihnen. Es ist sehr schade, daß die Post unter uns jetzt nicht rascher funktioniert. Die Einakter habe ich immer noch nicht bekommen. Wir müssen uns beeilen denn ich hoffe sie noch in dieser Saison hier herauszubringen.96 Die Ausstellung97 ist ein über alle Erwartungen grosser Erfolg. Haben Sie meinen Brief, wo ich Sie um Photos bat, bekommen? Ich habe auf jeden Fall keine Photos erhalten. Haben Sie Gelegenheit gehabt in mein Manuskript98 rein zu schauen? Glauben Sie, daß die Bearbeitung so geht? Das war der erste Versuch und ausserdem eine noch rohe Bearbeitung. Wenn Sie mir da noch etwas helfen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Was macht der FLÜSTERMAXE?99 Hoffentlich hat er über Herrn Julius Caesar100 triumphiert, natürlich nur vorübergehend bis Sie den Prolog fertig gemacht haben. Wenn sie auch nur einen Entwurf hätten würde ich Sie bitten ihn mir zu schicken, vieleicht kann ich Ihnen noch einige Vorschläge dazu machen. Mit dem Gerichtsmaterial ist es nicht so leicht, vor allem ist schwierig die Frage des Abschreibens zu lösen, aber ich bin dabei es zu organisieren und schicke es Ihnen, so wie ich es habe. Einen Brief für Fritz101 habe ich nicht erhalten, wenn etwas ankommt geht [es] selbstverständlich sofort an Sie ab. Meine Filmverhandlungen gehen schrittweise vorwärts. Von einer schweizer Firma bekam ich eine Zusage, die sich an der Herstellung des Waffenfilms beteiligen will.102 Mit anderen Ländern stehe ich noch in Verhandlungen. Ich hoffe sehr bald von Ihnen zu hören Paris den 11.2.38

herzlichst

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2566/1.

96 Vgl. Anm. zu Dudow, 23.11.1937. 97 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 13.2.1938. 98 Vermutlich die Bearbeitung von Willi Bredels Roman Die Prüfung. Vgl. Dudow, 12.1.1938. 99 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937. 100 Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar. Vgl. Anm. zu Dudow, 12.1.1938. 101 Vermutlich Fritz Erpenbeck. 102 Dieses Vorhaben kam anscheinend nicht zustande.

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Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 13.2.1938 Liebe Grete, Brecht schrieb mir vor langer Zeit, daß Du bald wieder in Svendborg sein wirst, daher schreibe ich Dir an Deine sven[d]borger Adresse. Im übrigen hatte ich die Adresse von Kopenhagen gar nicht und konnte Dir darum dort nicht schreiben. Wie geht es Dir? Darfst Du schon arbeiten, wenn ja denke bitte an den FLÜSTERMAXE.103 Ich hoffe Du wirst Dich daran beteiligen Von den mir so oft versprochenen Einaktern104 habe ich leider bis jetzt noch nichts bekommen. Sorge bitte dafür, daß sie bald abgehen. Die Ausstellung FÜNF JAHRE HITLER, die wir in Paris gemacht haben, hat sehr grossen Erfolg.105 Am vergangenen Sonntag mussten ca. 500 Menschen nach Hause gehen, weil sie nicht mehr rein kommen konnten. Endlich hat Goeb[b]els sich auch für uns als guter Propagandist bewährt. Sämtliche deutschen Zeitungen haben grosse Artikel gegen die Ausstellung gebracht, der Botschafter hat bei dem Aussenminister protestiert und so wurde die Ausstellung ein Erfolg. Ich habe Brecht rechtzeitig gebeten, er soll mir einige Photos von der Kopenhagener Aufführung der RUND UND SPITZKÖPFE106 auch von der MUTTER 107 usw., schicken, damit ich sie in der Theaterabteilung ausstellen kann, leider habe ich bis jetzt von dem Meister nichts gehört. Ich hoffe bald von Dir zu hören Paris den 13.2.38

herzlichst

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2567/1.

103 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937. 104 Vgl. Anm. zu Dudow, 23.11.1937. 105 Im Februar 1938 wurde in Paris die von Joseph Breitenbach u.a. im Auftrag der Thälmann-Brigade (die als Teil der Internationalen Brigden in Spanien kämpfte) und mit Unterstützung Léon Blums organisierte Ausstellung „Fünf Jahre Hitler“ gezeigt, die auf die von Deutschland ausgehende Bedrohung Europas aufmerksam machte. Die französische Regierung unter Premierminister Édouard Daladier ließ nach Beschwerden aus Berlin sogleich einige Exponate durch die Polizei entfernen. 106 Vgl. Anm. zu Benjamin, 4.11.1936. 107 Vgl. Anm. zu Steffin, Oktober/November 1935.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 19.2.1938 19. Febr. 38

E Lieber Brecht, anbei das Material fuer Heft 4. Ihrem Wunsch gemaess einige Stichworte. Scharrer108 und Lask 109 werden aus bestimmten Gruenden sehr gewuenscht. Lask ist ja auch ganz gut, meine ich. Zu meiner Arbeit110 wieder die gleiche Bemerkung wie damals: wenn Sie im ganzen oder in Einzelheiten Einwaende haben, teilen Sie es bitte ganz offen mit. Genommen habe ich diese (fuer IL geschriebene) Arbeit eigentlich nur, um zu der – sehr historischen und draussen111 deshalb leicht missverstaendlichen – Arbeit von Lask ein Gegengewicht zu geben. Ausserdem kommt ins Heft: Schluss von Grieg und E.E. Kisch, (Stehsatz).112 Warum schicken Sie nicht noch Einakter,113 wie versprochen? Wann kommt der versprochene Aufsatz ueber freie Rhythmen?114 Auf beides warte ich sehr. Sie machen es, muss ich feststellen, aehnlich wie Feuchtwanger, der auch schon seit 2 Monaten ein neues Romankapitel verspricht und nicht schickt. Und ich armer Hund sitze hier und warte. Auf die verschiedenen Punkte Ihres Briefes und des Briefes von Frau Steffin115 gehe ich morgen oder uebermorgen ein. Heute geht 4 in die Setzerei und morgen ist Umbruchkontrolle Heft 3. Nur eine Bemerkung. Sie schreiben wieder: nichts zum Druck annehmen, was Sie nicht gesehen haben. Ich teilte Ihnen schon einmal mit, dass das praktisch einfach unmoeglich ist – wir wuerden alle Autoren verlieren, die wertvoll sind. Sie wuerden doch auch nicht einen Monat oder laenger auf Zusage warten, sondern ihre Arbeiten jemand anderem geben. Mit Gedichten mache ich es ja schon nach Moeglichkeit so.

108 Von Adam Scharrer erschien in Das Wort, Heft 4/1938, „Ehekrise“, ein Abschnitt aus seinem Roman Familie Schuhmann (Moskau 1939). 109 Berta Lask (1878–1967), Pseudonym: Gerhard Wieland, Schriftstellerin und Journalistin, Mitbegründerin des BPRS. Ging 1933 über Prag nach Moskau, übersiedelte später nach Sewastopol. In Das Wort, Heft 5/1938, erschien von ihr die Erzählung „Die schwarze Fahne von Kolbenau“. 110 Von Fritz Erpenbeck erschien in Heft 4/1938 unter dem Pseudonym Fr. Lambert „Difficile est…“, eine Glosse auf das Parteiprogramm der NSDAP. 111 Außerhalb der UdSSR. 112 Von Egon Erwin Kisch erschien in Heft 4/1938 „Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien“. Zu Grieg vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. 113 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1938. 114 Der Aufsatz Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen (GBA 22, S. 357–364), den Brecht im März 1938 im Hinblick auf die seit längerem andauernde Debatte über Formalismus schrieb, erschien in Das Wort, Heft 3/1939. 115 Beide nicht überliefert.

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Herzliche Gruesse Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/32.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 20.2.1938 E

20. II. 38

Lieber Brecht, erschrecken Sie nicht, dass schon wieder eine Sendung Gedichte kommt. (Das allergroebste habe ich bereits ausgesiebt und zurueckgesandt.) Uebrigens, damit wir uns nicht missverstehen: ich denke nicht etwa, dass alles, was ich Ihnen so sende, nun zum Druck gut sei. Mir gefaellt an unserer augenblicklich praktizierten Methode, dass ich jetzt immer beim Zusammenstellen der Nummer eine gewisse Auswahl habe. Die Arbeiten, die Sie neulich zuruecksandten gehen jetzt mit entsprechenden Briefen (z. Tl. Aenderungsvorschlaegen) an die Autoren. Nur wenn Sie, wozu Sie sich bereit er­k laer­ ten, ein paar Zeilen fuer Stuebs schreiben wuerden, waere das sehr gut: Sie sind fuer ihn eine Autoritaet und der Mann ist schrecklich empfindlich (leidet an Verfolgungs- bezw. Unterdrueckungswahn.) Ich verlasse mich auf Sie.116 Auf die Antwort bezgl. der Gedichte von Becher und Zinner117 warte ich. Vielleicht koennen Sie diese beschleunigen? Gerade solche antifaschistische Autoren, die einen bestimmten Namen – mehr oder weniger – haben, duerfen wir nicht lange warten lassen. Ihren Brief an Kuba118 leite ich weiter. Ich danke Ihnen. In der Sache des verspaeteten Erscheinens von 1 und 2 habe ich etwas unternommen. (Wir haben fuer die Wahlen sehr viel Papier verbraucht.) Heft 3 kommt wieder ganz puenktlich. 2 muss uebringens schon dort sein. Zu Ihrer Nachschrift:119 Wenn ich bis Ende der Woche den „Tag der Arbeit“120 noch nicht vom Verlag bekommen habe, sende ich Ihnen mein Exemplar. Nur bitte ich Sie dann um ein paar Zeilen, dass man mir dann spaeter das fuer Sie bestimmte aushaendigt. (Ich habe es mir bei Erscheinen schnell gekauft, weil ich ahnte, dass es so schnell vergriffen sein wuerde.)

116 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 24.1.1938. Ob Brecht die gewünschten Zeilen geschrieben hat, konnte nicht ermittelt werden. 117 Vgl. Erpenbeck, 10.2.1938. 118 Der Brief an Kurt Bartel ist nicht überliefert. 119 Nicht überliefert. 120 Gemeint ist wohl das Buch Tag der Welt. Vgl. Erpenbeck, 8.2.1938.

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Wegen „Galilei“ haben wir ans Planetarium geschrieben.121 Sobald ich Antwort habe, teile ich Ihnen mit, was los ist. Adresse von Tolstoi teilte ich Ihnen im letzten Brief mit.122 (Selbstverstaendlich kann ich auch einen Brief von Ihnen weiterleiten, wenn es Ihnen lieber ist, als selbst zu schreiben.) Zum Brief von Frau Steffin: Die Honorarangelegenheit kann ich erst aufklaeren, wenn unsere Redaktionssekretaerin, die krank ist, wieder arbeitet. Obwohl ich mir nur denken kann, dass da irgendein Irrtum vorliegt, wenn sie tatsaechlich Ihre Gedichte niedriger honoriert haben sollte, als andere. Leider sind wir hier abwechselnd grippekrank. Auch ich habe auch wieder ein paar Tage gelegen, so dass ich den Umbruch 3 nur ziemlich oberflaechlich lesen konnte. Aber ich hoffe, dass alles in Ordnung gekommen ist, da ich Ihre diesbezueglichen Wuensche (Dialektfassung) dem Korrektor uebergeben habe. Sie fragen nach Honorierung der Redaktionstaetigkeit. Darueber bin ich leider (da ich ja erst 8 Monate hier arbeite) ueberhaupt nicht im Bilde. Ebenso Ersatz der Portospesen. Aber auch das werde ich sofort besprechen, wenn unsere Sekretaerin wieder gesund ist (3-4 Tage noch, vermute ich). Beste Gruesse, auch an Frau Steffin Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/33.

Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 26.2.1938

[Hs.] 26 février 1938

Liebe Grete, Die 6 Einakter123 und die 2 Aufsätze124 habe ich bekommen. Ich möchte mit der unangenehmeren Sache anfangen. Du erinnerst Dich ja noch an meinen Aufsatz THEATER, FILM und TELEVISION.125 Es ist ziemlich ein Jahr her, wo Brecht es abgelehnt hatte ihn im Wort abzudrucken. Nun hat aber inzwischen die Redaktion die zwei Aufsätze angenommen. Der eine behandelt sogar die Frage die ich 121 Vgl. Anm. zu Becher, 28.10.1937. 122 Die Rede ist von Alexej Tolstoi. Der genannte Brief ist nicht überliefert. 123 Vermutlich sechs der acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches, die im Mai 1938 unter Dudows Regie in Paris aufgeführt wurden. Vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938. 124 „Das kinematographische Zeitalter“ von Willy Haas und „Zur Kunstphilosophie des Films“ von Béla Balázs, beide erschienen in Das Wort, Heft 3/1938. 125 Das ist vermutlich der Aufsatz „Grenzbestimmungen“. Vgl. Dudow an Steffin, 26.2.1937, und Anm. zu Dudow, Juli/August 1937.

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auch in meinem Aufsatz stelle. Brecht wollte seiner Zeit nicht mit dem Aufsatz Öl auf die Diskussion über Formalismus giessen. Nun sind aber die zwei Aufsätze wirklich formalistisch, auch der von Balasz [sic], trotz vielfacher Verklauselierung. Man könnte sicherlich sehr viel entgegnen und es wäre mir leicht gewesen die Einladung von Brecht anzunehmen, wenn mein Aufsatz seiner Zeit erschienen wäre. Jetzt ist es schwieriger. Um an Balasz zu antworten muss ich meinen Aufsatz, der ein Jahr früher geschrieben ist zerstückeln und da ich aber selten schreibe, wäre das für mich ein grosser Verlust. Ausserdem kann ich den Vorschlag von Brecht auch aus anderen Gründen nicht annehmen. Der Aufsatz von Balasz steht durch die Bemerkung die den zwei Aufsätze vorausgeht [unter redaktionellem]126 Schutz und meine Diskussion gegen Balasz ist einer solchen gegen die Redaktion gleichzusetzen. Und allein gegen den W. Haas127 zu polemisieren, hiesse den Aufsatz von Balasz verteidigen und das kann ich beim besten Willen nicht tun. Was soll aber geschehen? Meinerseits sehe ich nur die eine Möglichkeit wenn Brecht jetzt meinen Aufsatz der Redaktion vorschlägt und zwar als dritten Artikel in der Reihenfolge. Ich glaube das könnte Brecht ohne Schwierigkeit tun, da die anderen Aufsätze wirklich furchtbar sind. Das wäre sicherlich eine gute Lösung. Ich hoffe Brecht wird meiner Meinung sein und er möchte so freundlich sein und mir sofort die Änderungsvorschläge von früher einschicken, damit ich noch die paar Korrekturen eintragen kann. Einige Änderungen nehme ich sowieso vor. Nun zu den Einaktern. Ich habe sie rasch einmal gelesen. DIE JÜDISCHE FRAU finde ich ganz ausgezeichnet und vor allem sehr wirkungsvoll. Eine grossartige Rolle für Weigel, für die allein eine Reise nach Paris sich lohnen würde. Ich glaube Weigel könnte darin einen noch grösseren Erfolg haben als Frau CARRAR. Ebenso großar[t]ig finde ich die ZWEI BÄCKER. Ich habe so gelacht, daß mir die Tränen kamen. So etwas ist a u c h für die Platten sehr geeignet. Auf jeden Fall aus den 6 neuen Einaktern und den zwei anderen die ich hier habe, wird man einen sehr schönen Abend machen können. Ich will jetzt alle 8 genau lesen und schreibe in ein paar Tage ausführlicher, wie ich mir den Abend denke. Wir müssen uns ja beeilen, denn es ist die höchste Eisenbahn. Was ist mit der Prüfung?128 Ich habe von Brecht nichts gehört. Denkt bitte an den FLÜSTERMAXE!129 Die Freunde finden es grossartig und erwarten es mit grosser Ungeduld. Alle paar Tage werde ich danach gefragt. Ernst Busch kommt bald nach Paris. Es wäre sehr schön, wenn wir bis dahin etwas hätten um ein paar Platten mit ihm machen [zu können]130. 126 Im Ts: „und Redaktionellen“. 127 Willy Haas (1891–1973), Filmkritiker und Drehbuchautor. Ging 1933 ins Exil nach Prag, 1939 nach Indien. 1948 kehrte er nach Deutschland (West) zurück. 128 Vgl. Dudow, 12.1.1938. 129 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937. 130 Im Ts: „könnten“.

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Willst Du nicht etwas dafür versuchen? In dem nächsten Briefe will ich auch auf Dein Stück zurückkommen.131 Die zwei Aufsätze gehen an Dich zurück. Paris den 26.2.38

Herzlichste Grüsse

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2568/1–2.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 27.2.1938 E

27. II. 38

Lieber Brecht, in Nummer 5 moechte ich gern etwas Betonung auf die Lyrik legen. Nicht etwa gleich eine Sondernummer. Dazu wäre ja kein Material zu beschaffen. Aber wir haben ziemlich viel. Abgesehen von dem, was Sie schon ausgesucht haben, haben wir noch: Becher, Zinner132 und vielleicht finden Sie auch noch unter den anderen zuletzt gesandten Arbeiten etwas Brauchbares oder gar Gutes. (Wann bekomme ich übrigens Antwort auf die letzten Einsendungen?) Hinzu käme Ihr versprochener Aufsatz über Reim und Rhythmus,133 und wahrscheinlich könnten sie noch eigene Gedichte beisteuern. Fuchs hat einen Essay ueber die Kunst der Lyrik-Uebersetzung angekuendigt, der vielleicht auch noch rechtzeitig kommt.134 Und sicher gehen auch noch brauchbare Beitraege in dieser Richtung ein. Anbei finden Sie den Beitrag, den ich unter „Uebersetzung“ zu bringen denke (Ihr Einverstaendnis vorausgesetzt). Es handelt sich um einen an der spanischen Front gedruckten Gedichtband „Romancero“ (dessen Titelblatt und Illustrationen – Vignetten – reproduzierbar sind). Vorwort von Regler. Die Gedichtübersetzungen von Alfred Kurella.135 Meine Bitte (immer unter der Voraussetzung, dass sie im ganzen einverstanden sind): wählen Sie aus dem vorhandenen Material aus jeder Sprache e i n Gedicht aus. Und machen Sie eventuelle textliche Änderungsvorschläge, die ich dann Kurella übermittle. Ich meine, wir sollten die 131 132 133 134

Vgl. Dudow an Steffin, 18.3.1938. Vgl. Erpenbeck, 10.2.1938. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 19.2.1938. Der deutsch-tschechische Dichter und Übersetzer Rudolf Fuchs (1890–1942) kam später im britischen Exil bei einem Luftangriff auf London ums Leben. Sein Aufsatz „Übersetzen als Kunst und Schicksal“ erschien erst in Das Wort, Heft 12/1938. 135 Unter dem Titel „Romanzero“ erschienen in Heft 5/1938 neben dem Vorwort von Gustav Regler die von Alfred Kurella übersetzten Gedichte „Nächte Spaniens…“ von Braccialarghe (aus dem Italienischen), „Auf der Durchreise“ von Olek Nus (aus dem Polnischen), „Salud!“ von E.E. und J.K. (aus dem Spanischen; Namen der Autoren unbekannt) und „Der Tag des Siegs“ von Marcel Tourmente (aus dem Französischen).

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Sache – die ja, selbst bei Schwächen, ein Kulturdokument ist – unbedingt bringen. Ihre Antwort, auch auf die noch schwebenden Fragen, muss aber sehr bald kommen. Ich kann sonst unmoeglich disponieren! Und ich muss streng nach Produktionsplan arbeiten. Ganz abgesehen davon, dass wir die Autoren nicht so lange warten lassen koennen. (Ueber das Material zu Heft 3, das wirklich puenktlich geschickt wurde, habe ich z.B. kein Wort von Ihnen gehört – aber heute beginnt man mit dem Druck. Jede spätere Reklamation Ihrerseits ärgert mich, jeden verspäteten Wunsch, den ich Ihnen nicht erfüllen kann, ärgert Sie. Muss das sein?) Also schreiben Sie bald, antworten Sie schneller. Wann bekomme ich weitere Einakter??136 [Hs.: (Alle antifasch. Spiel- […]137 einschließlich der hiesigen Kolchos- + Fabrikbücher, bringen [wir] danach!)] Herzliche Gruesse Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/34.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht [Moskau] 28.2.1938 L. 28.II.1938. Herrn Bertolt Brecht, Svenborg/Valdemarsgate 9a, II Daenemark. Lieber Genosse Brecht! Bei unserem gestrigen Schreiben haben wir vergessen, Ihnen die folgenden Gedichte mit einzuschicken: E.E. und J.K. (Britisches Bataillon) Salud! Marcel Tourmente (10. Bataillon) Der Tag des Sieges. Mit den besten Grüssen Anlagen! Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/36.

136 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1938. 137 Wort am Innenrand durch Klebung verdeckt.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 6.3.1938 Bert Brecht Svendborg, Danmark Skovsbostrand

6.3.38

Lieber Brecht, ich beeile mich, Deinen Brief vom 2.3.138 zu beantworten. Bd. I ist seit einiger Zeit fertig gedruckt, Bd. II wird in ca. 8 Tagen fertiggedruckt sein.139 Schwierigkeiten hat mir das Leinen für den Einband gemacht, das Material, das man hier bekommt, (auch das reichsdeutsche), ist ziemlich miserabel, andererseits wollte ich eine Gesamtausgabe doch nicht in diesem allzuviel benutzten Sackleinen, wie etwa Seydewitz oder Scholochow gebunden sind,140 verwenden. Jetzt habe ich aber doch ein hübsches Leinen auftreiben können (auch Rohleinen, aber bessere Qualität) und Du wirst in Kürze wenigstens den I. Band erhalten und der II. folgt sogleich. An Walter Benjamin sende ich den I. Band auch vorweg.141 Nun zum Vorschuss für Deinen Roman142: meine Finanzlage ist im Augenblick gar nicht schön. Nicht zuletzt aus dem Grunde, dass ich die Bücher, die ich vor Weihnachten fertigzustellen gehofft hatte, erst jetzt im März fertigbekomme. Inzwischen sind nämlich die Papierrechnungen schon fällig geworden. Aber ich möchte natürlich alles tun, was möglich ist, damit Du das Buch nicht woanders hingeben musst, es wäre ja ärgerlich, wenn neben dem Dreigroschenroman nun auch dieser nicht in die Gesamtausgabe käme oder erst irgendwann in unbestimmter Zukunft. Schreibe mir bitte, an welchen Betrag Du denkst. Ich will dann sehen, was ich machen kann. Wenn es mir allein zuviel ist, was ich fürchte, möchte ich versuchen, gleichzeitig einen tschechischen Verleger dafür zu finden, falls Dir das recht ist. Da der Roman nicht so dick wird, kann man ihn zu niedrigem Preis verkaufen und das ist für den Absatz günstig. Die Absatzverhältnisse haben sich in letzter Zeit allerdings verschlechtert, Rumänien ist ganz ausgefallen, mit Oesterreich kann das bald der Fall sein, und in der ČSR üben die sudetendeutschen Faschisten einen solchen Druck aus, dass die deutschen Buchhändler mit wenigen Ausnahmen nur noch reichsdeutsche Bücher verkaufen.

138 Vgl. GBA 29, S. 77f. 139 Das sind die 1938 im Malik-Verlag erschienenen Bände 1 und 2 der Gesammelten Werke. 140 Max Seydewitz, Stalin oder Trotzki? Die UdSSR und der Trotzkismus, London 1938; Michail Scholochow, Der stille Don (Teil III), London 1935. 141 Brecht hatte Herzfelde gebeten, Benjamin Rezensionsexemplare für eine Besprechung im Wort zu übersenden. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. 142 Auch um seine finanzielle Lage zu bessern, wollte Brecht den Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar, an dem er gerade arbeitete, noch im Herbst des Jahres im Malik-Verlag herausbringen (vgl. B. an Herzfelde, 2.3.1938, GBA 29, S. 78).

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Es bestünde die Möglichkeit, mit einer Buchgemeinschaft eine Gemeinschaftsauflage herauszubringen, aber das wird wohl kaum realisierbar sein, ehe das fertige Manuskript vorliegt. Dasselbe gilt für evtl. Lieferung in die SU. Ich habe von verschiedenen meiner Neuerscheinungen etwas hinüber liefern können, aber wie Du Dir denken kannst, ist das jedesmal eine ziemlich umständliche Prozedur, überdies muss ich dann noch lange aufs Geld warten. (Auch eine Ursache meiner augenblicklich prekären Lage.) Dank für das Manuskript der Gedichte. Es ist eben angekommen, ich habe es noch gar nicht ausgepackt. „Mahagonny“ besitze ich nicht, bitte mir also das Lesebuch für Städtebewohner noch zu schicken. 15 Expl. „Carrar“143 sende ich gleichzeitig. Den Umbruch der „Massnahme“ kann ich nicht ganz abändern, von den Kosten abgesehen, die zu ertragen wären, entstünden auf die Weise am Ende des Bandes 7 leere Seiten. Die kann man nicht wegschneiden und soviel Anzeigen sähe hässlich aus. Ich ändere es aber soweit, dass nur 2 Seiten eingespart werden und die lasse ich dann einfach als weisses Blatt vor dem nächstfolgenden Stück stehen. Ich habe mich über den Erfolg der „Carrar“ sehr gefreut und gratuliere Dir und Helene zu dem Erfolg.144 Herzliche Grüsse Wieland Herzfelde Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA Z 47/11–12.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 10.3.1938 [Hs.] 10 mars 1938 Lieber Brecht, Die Aufsätze von W. Haas und B. Balasz habe ich nochmals gelesen und nach langem überlegen fand ich nichts interessantes darin, was man widerlegen soll, denn man kann gegen einen Irrtum polemisieren, aber nicht gegen den Unsinn.145 Diese Aufsätze liessen sich nur bagatelisieren und nicht ernst nehmen. Da ich fast gar nichts theoretisches veröffentlicht habe kann ich diese Bagatelisierung nicht vornehmen, obwohl ich es gern täte.

143 Das Stück Die Gewehre der Frau Carrar war im Dezember 1937 als Einzeldruck im Malik-Verlag erschienen. 144 Vgl. Anm. zu Dudow, 29.5.1937. 145 Vgl. Dudow an Steffin, 26.2.1938.

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Sicherlich finde ich Ihre Haltung im allgemeinen richtig, ich habe ja selbst oft genug dafür gesprochen, nur fürchte ich, daß man nicht allzu weit gehen darf, denn sonst übernehmen wir einfach die Haltung der Demokratien gegenüber dem Faschismus und die ist bestimmt nicht die richtige. An den Einakter Abend möchte ich alle, auch DAS KREIDEKREUZ, gegen den ich früher bedenken hatte, aufführen.146 Die Reihenfolge denke ich mir folgendermassen: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Das Kreidekreuz Gefühlsersatz Der Spitzel Rechtsfindung Der Entlassene147 Die Judische [sic] Frau Zwei Bäcker Der Bauer …..148

Wie Sie sehen ist leider kein Stück da das für den Schluss geeignet wäre. Auch „der Bauer“ ist nicht gerade der beste Schluss. Ich glaube da muss noch etwas gefunden werden, denn ein Schluss ist sowohl vom Publikums als auch vom politischen Gesichtspunkt aus wichtig. Grete schrib mir glaube ich von zwei Conferenciers, die vor dem Vorhang zwischen den einzelnen Einaktern auftreten sollen. Das wäre sehr wichtig damit die Einakter für den Zuschauer nicht zu stark zerfallen. Im übrigen genügen auch nur vier Auftritte dieser Figuren, einmal am Anfang, das zweite mal vorm Gefühlsersatz, das dritte mal nach der Pause und das vierte mal vor der Judischen Frau oder vor den Bäcker. Den MIES UND MECK wollte ich auch dazu verwenden, aber das wäre nicht genügend. Haben Sie schon daran gedacht? Schreiben Sie mir bitte bald darüber, weil die Art der Aufführung davon stark beeinflusst wird. Wenn Sie so etwas machen könnten, das wäre wirklich grossartig. Uber die JUDISCHE FRAU habe ich an Grete einiges geschrieben. Es ist eine wunderbare Rolle für Weigel, das ihr bestimmt einen grossen Erfolg bringen wird. Leider fand ich unter den Einaktern keine andere geeignete Rolle für Weigel. Das ist deswegen wichtig, weil ich den Abend auch als Gastspiel von ihr ankündigen möchte. Haben Sie noch eine Scene für sie da? Oder können Sie doch noch versuchen eine zu schreiben? Ich will sehen ob ich Ihnen etwas Material besorgen kann.

146 Gemeint ist die Aufführung von acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches in Paris (vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938). Die von Dudow hier vorgeschlagene Auswahl wurde in Absprache mit Brecht korrigiert, die Szenen Gefühlsersatz und Der Entlassene durch Winterhilfe und Arbeitsbeschaffung ersetzt. 147 Im Ts ohne Numerierung. 148 Das ist Der Bauer füttert die Sau.

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Es ist selbstverständlich, daß ich versuchen werde wenigstens die Fahrt für Weigel herauszuholen. Ich hoffe das wird mir gelingen, weil ich es mit der Radio-Sache verbinden will. Von den anderen Einaktern hat mir ZWEI BÄCKER aussergewöhnlich gefalle. In meiner Begeisterung habe ich es an einige Freunde erzählt, darunter auch den Redakteur R.149 mit dem Sie seiner Zeit ihre Radio Sachen besprochen haben. Er hat mich gebeten ihm die ZWEI BÄCKER für seine Zeitung zu geben. Ich tat es ungern, weil ich nicht weiss ob Sie einverstanden sind. Hoffentlich geben Sie mir nachträglich Ihre Zustimmung. Auch das Bauernstück finde ich gut, nur es geht mir dabei vieles verloren, weil ich den Dialekt schwer verstehe. Über den Spitzel habe ich Ihnen meine Meinung in Paris schon erzählt. Wenn ich das KREIDEKREUZ am Anfang stelle, dann würden glaube ich meine damaligen Einwände wegfallen. Für die RECHTSFINDUNG habe ich ein paar Änderungsvorschläge. Es muss eine grössere Einlagescene kommen, wo die Verwirrung bei dem Richter stärker aber auch Bühnenwirksamer herauskommt. Ich denke mir etwa so: der Richter verwechsselt nicht nur die Hintergründe des Prozesses, sondern bereits auch die Namen der Parteien. Damit aber die Verwirrung vollkommener wird, muss der Konkurrenzkampf unter den Richtern selbst eine Rolle spielen. Diesen verwickelten Prozess könnte der Richter einem jungen Refrendar verdanken, der über gute Beziehungen verfügt und auf seinen Platz ein Auge geworfen hat. Er hat ihm auch die Kontrolle im Gerichtssaal geschickt. – Der Freund, der alte Landegerichtsrat muss am Schluss mit dem Richter nur per Sie sprechen und sich vor den zum Untergang geweihten distanzieren. Der Richter gibt die Hoffnung auf. Er ruft seine Frau an und deutet ihr an, daß er ev. heute Abend aber möglicherweise auch morgen Abend nicht zum Essen kommt....Sie soll doch heute keine TIMPS150 kaufen...Ja, die von gestern soll sie wegschmeissen....Und hier kann, glaube ich, die epische Einlage kommen wo er sich überhaupt nicht mehr auskennt.... Mit dem Aktenstück in dem nur ein einziges Blatt liegt, geht er seinem Untergang entgegen..... Mit den anderen zwei Einaktern, GEFÜHLSERSATZ und der ENTLASSENE kann ich mich sehr schwer befreunden. Bei dem ersten, weil nichts über das heutige Deutschland ausgesagt wird, trotzdem der Mann ein S.A. Mann ist. Man müsste noch etwas finden, glaube ich. Der Schluss dieser Scene scheint mir auch sehr unpassend. Bei den ENTLASSENEN muss das Misstrauen berechtigt sein oder die Prüfung klarer kommen. Ein Änderungsvorschlag ist mir leider auch nicht eingefallen. Falls Sie die paar Änderungen noch machen, schicken Sie sie mir bitte bald ein. Ich würde noch je ein Exemplar von Einaktern brauchen um es an die Freunde zum lesen zu geben. 149 Vermutlich der später erwähnte Ernst R. (vgl. Dudow, 28.3.1938). Genaueres konnte nicht ermittelt werden. 150 Vermutlich die französische Tageszeitung Le Temps, die von 1861 bis 1942 in Paris erschien.

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Dem Grünberg151, der Übersetzer von Carrar, habe ich von der JUDISCHE FRAU erzählt, er glaubt daß Mariane Osswald152 es machen kann. Auf jeden Fall schicken Sie mir bitte für ihm auch ein Exemplar. Der Streit zwischen Zach und Ruschin153 ist leider noch nicht zu Ende. Das letzte Program der Laterne hatte grossen Misserfolg. Neulich war eine Sitzung in der die Frage angeschnitten wurde, wie es kommt, daß man Sie bis jetzt ausgeschaltet hat. Zach erklärte, er will an Sie schreiben und Sie um einzelne Scene oder Songs bitten. Ich bin der Meinung ihm solange keine Sachen zu geben, solange er unsere Theaterarbeit sabotiert. Denn das tut er wirklich in dem er die Mitwirkenden der Laterne davon abhält sich an ev. Theateraufführungen zu beteiligen. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen alles beschreiben soll, was sich in der letzten Zeit in Paris abspielte. Als z.B. Piscator von einer ev. Aufführung der PRÜFUNG154 hörte, beteiligte er sich als bewehrter [sic] Intrigant die Sache zu vereiteln. Damit hatte er wenigstens bis jetzt keinen Erfolg. Piscator scheint sich mit dem Gedanken nicht befreunden zu wollen, daß ausser ihm auch noch eine politische Theaterbetätigung möglich ist. Marias Adresse ist; Hotel Paris-Dinar, rue Casset-Paris (6) An Grete hoffe ich in ein paar Tagen zu schreiben. Auf verschiedenes komme etwas später zurück. Grüssen Sie bitte Weigel. Paris den 10.3.38

Herzlichste Grüsse

Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2569/1–3.

Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 11.3.1938 Moskau, 11. März 1938 Lieber Brecht! Vielen Dank für Deinen Brief.155 Deine Wünsche, was die Zeitungen etc. anbelangt, hoffe ich erfüllen zu können. Was nun die beiden Sonette anbelangt, würde ich Dich doch 151 Isak Grünberg sollte Die Gewehre der Frau Carrar ins Französische übertragen (vgl. B. an Weigel, 28./29.10.1937, GBA 29, S. 52f.). Von der fertigen Übersetzung berichtete Pierre Abraham in seinem Brief vom 12./14.5.1939. 152 Marianne Oswald (1903–1985), französische Schauspielerin. 153 Schauspieler des Kabaretts Die Laterne (vgl. Dudow, 29.5.1937). Zach trat in der Pariser Aufführung der acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches nicht auf. 154 Vgl. Dudow, 12.1.1938. 155 Nicht überliefert.

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sehr bitten, davon Abstand zu nehmen, sie bei uns zu veröffentlichen. Ich glaube nicht, daß das sehr nützlich wäre. Du weißt, daß unsere Zeitschrift selbstverständlich stets von Dir alle Beiträge bringt und sie Dir sozusagen zur Verfügung steht. In diesem Falle aber, wo Du doch die Auffassung über das Erbe hier kennst, wäre es vielleicht doch zweckmäßig, die Gedichte besonders jetzt nicht zu bringen.156 Bitte schreibe mir ganz offen darüber. Ich möchte auf keinen Fall, daß da auch nur irgend eine Art von Mißverstimmung zurückbleibt. Du hast sicher andere Beiträge, die Du uns gleich schicken kannst. Wenn Du Material über den Prozeß157 benötigst, oder in dieser Richtung irgend welche Fragen hast, bitten wir Dich uns zu schreiben. Wir werden Dir alles Nötige zuschicken. Mit den besten Grüßen Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/37.

Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 18.3.1938 Liebe Grete, Vielen Dank für Deinen Brief.158 Diesmal möchte [ich] endlich auf Dein Stück 159 kommen. Ich habe sehr lange überlegt, was man daraus nehmen kann um wenigstens ein paar Scenen aufzuführen. Daß das ganze Stück nicht geht, wirst Du ja selber einsehen und zwar nicht aus künstlerischen Gründen sondern aus politischen. Das Stück ist trotz mancher Ungleichheit, sehr, sehr gut. Grossartige Einfälle die plastisch gesehen und auch da[r]gestellt sind. Der Schluss, daß ER und IHM es nie gegeben hatte ist gut gelöst und vorallem nicht allzu ernst, sondern mit viel Humor, was mir ausser156 Vermutlich geht es um zwei Sonette aus den Studien, die Brecht 1938 anläßlich der im Wort geführten Debatte über das Erbe des Expressionismus verfaßte und erst 1951 in Heft 11 der Versuche publizierte (jetzt GBA 11, S. 267–273). Bei einem der beiden Gedichte könnte es sich auch um das wohl zur gleichen Zeit entstandene, zu Brechts Lebzeiten unveröffentlicht gebliebene Sonett vom Erbe (GBA 14, S. 424) handeln, das Einspruch erhebt gegen eine historisch kurzsichtige und allzu selbstgefällige Verurteilung des Expressionismus. Unter seinem Pseudonym Bernhard Ziegler hatte Alfred Kurella in Das Wort, Heft 9/1937, verlautbart: „Nun ist dies Erbe zuende…“ (vgl. Expressionismusdebatte, S. 50–60). Die maßgeblichen Beiträge der von Brecht so genannten „Moskauer Clique“ (GBA 26, S. 316) stammen jedoch von Georg Lukács: siehe v.a. „‚Größe und Verfall‘ des Expressionismus“, Internationale Literatur, Heft 1/1934; „Erzählen oder beschreiben?“, Heft 11/1936; „Marx und das Problem des ideologischen Verfalls“, Heft 7/1938; „Es geht um den Realismus“, Das Wort, Heft 6/1938. 157 Gemeint ist vermutlich der dritte Moskauer Schauprozeß, der vom 2. bis 13. März 1938 stattfand (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937). 158 Nicht überliefert. 159 Vgl. Anm. zu Dudow, 16.12.1937.

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ordentlich gefiel. Ich hätte Dir verschiedene Vorschläge gemacht, aber es ist nutzlos, weil ich kaum eine Aufführungsmöglichkeit sehe, ausser die Scene WIE TIEF IST DAS WASSER HERR FISCHER? Diese Scene will ich versuchen bei der ersten besten Möglichkeit herauszubringen. Machst Du etwas anderes? Versuche Dich an einer irdischen Komödie. So etwas muss Dir gelingen. Ich habe nach langem probieren es wenigstens zu einem FLÜSTERMAXE gebracht, den ich Dir beilege.160 Hier sind unsere Freunde begeistert. Ich habe auch den Eindruck als wenn es mir gelungen ist. Was meint Ihr, Du und der Meister dazu? Schreibt mir bitte bald und wenn Euch noch etwas einfällt, macht ruhig ein paar Verbesserungen. Bitte den Brecht, er soll sich wenigstens mit dem Prolog von dem FLÜSTERMAXE beeilen, damit wir bald die Aufnahmen machen können. Ich hoffe ausserdem noch eine Scene von dem FLÜSTERMAXE von Euch zu bekommen. Wenn ich mit dem zweiten FLÜSTERMAXE fertig bin, an dem ich jetzt arbeite, schicke ich ihn Euch ein. Wie steht es mit Amerika?161 Habt Ihr die Adressen bekommen? Ich habe einiges an der PRÜFUNG162 geändert und möchte Dich bitten mir das Exemplar einzuschicken, damit ich die Verbesserungen eintragen kann. Durch die Österreichischen Ereignisse163 ist die Frage der Konzentrationslager etwas aktueller geworden, deswegen müsste man sich beeilen das Stück nach Amerika zu schicken. Soll ich selber schicken oder ist es ratsamer das über Brecht zu tun? Wenn ich es selber schicken kann, soll Brecht so freundlich sein und mir ein paar Zeilen mitschicken, die ich dem Stück beilegen kann. Die GEWEHRE DER FRAU CARRAR sollen am Sonnabend den 26.3.38 in jiddisch in Paris herauskommen.164 Gestern war Frau Blumenthal bei mir und bat mich ihr zu helfen, weil sie Angst hat, daß es nicht so geht wie sie es gemacht haben. Ursprünglich war vereinbart, ich soll die Regie führen, wenigstens am Anfang und gegen den Schluss der Proben. Die Blumenthal fand aber unsere Aufführung zu kalt und zu wenig spanisch, deswegen wollte sie ein wenig spanisches Temperament hineinbringen. Heute Abend sehe ich mir eine Probe zum ersten mal an. Ich mache mich auf alles gefasst. Vielleicht hat man ein paar Stierkämpfe und ein paar Castaniettentänze eingelegt. Anbei lege ich Dir ein Exemplar von dem FLÜSTERMAXE und einen Brief von meiner Frau bei. Den Brief bitte ich Dich dort mit einer Marke zu versehen und es sofort nach Deutschland zu schicken. Es ist ein geschäftlicher Brief und die Leute, die den Brief kriegen, möchten wissen wo der feste Wohnsitz meiner Frau ist. Damit die es bischen schwerer 160 Zu „Flüstermaxe“ vgl. ebd. Die Beilage ist nicht überliefert. 161 Brecht erkundigte sich am 26.3.1938 bei der amerikanischen Literaturagentin Ernestine Evans nach Aufführungsmöglichkeiten für Die Gewehre der Frau Carrar in den USA (GBA 29, S. 82). Das Stück wurde dort erstmals im April 1938 im People’s Theatre in New York gespielt. Eine englische Übersetzung erschien in Theatre Workshop, Heft 1/1938-39. 162 Vgl. Dudow, 12.1.1938. 163 Am 12.3.1938 wurde die Wehrmacht unter großem Jubel in Österreich empfangen, tags darauf der „Anschluß“ ans Deutsche Reich vollzogen. 164 Über diese Aufführung konnte nichts ermittelt werden.

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haben sollen, schicken wir die Briefe aus verschiedenen Ländern, als wenn meine Frau auf Reisen wäre, was sie behauptet. Ich hoffe bald von Dir und Brecht zu hören. Paris den 18.3.38 Mit herzlichen Grüssen auch an den Meister Dein Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2570/1.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 28.3.1938 Lieber Brecht, Anbei einen Zettel von der Aufführung der Frau CARRAR in jid[d]isch. Ich habe versucht manches zu ändern, aber die kürze der Zeit genügte nicht und für Dilet[t]anten erst recht nicht, deswegen glaube ich das die Aufführung schwach gewesen sein muss. Auf jeden Fall sind für Sie ca. 140 f[r]cs kassiert worden und Sie müssen Frau Weigel autorisieren, damit sie das Geld bei der Société des Auteurs kassieren kann.165 Die Änderungen von DER RECHTSFINDUNG166 habe ich bekommen und finde sie sehr gut. Ich glaube es ist eine Bereicherung. Lomar167 und Ruschin haben kein grosses Bedenken gegen den GEFÜHLSERSATZ168 und ich hätte es ausgeführt, aber wenn Sie bessere Sachen, besonders für den Schluss haben, wäre [das] sicherlich grossartig. Eine gemeinverständliche Darstellung der Relativitätstheorie von Einstein habe ich Ihnen mit gleicher Post geschickt.169 Die ist genug unverständlich. Es gibt sehr interessante Vorträge von Plank 170, die in einem Buch veröf[f]entlicht sind, nur ich besitze sie leider nicht mehr. 165 Die Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique nimmt, ähnlich wie die GEMA in Deutschland, die Urheberrechte von Künstlern wahr. 166 Ein solcher Brief Brechts an Dudow ist nicht überliefert. 167 Der Bühnenbildner Heinz Lohmar (1900–1976) ging 1933 ins Exil in die Schweiz und nach Frankreich, kämpfte dort ab 1940 in der Résistance. 1949 wurde er Professor an der Kunsthochschule Dresden. Er entwarf die Bühnenbilder zu Dudows Pariser Inszenierungen Die Gewehre der Frau Carrar und 99%. Bilder aus dem Dritten Reich. 168 Vgl. Anm. zu Dudow, 10.3.1938. 169 Möglicherweise der von Albert Einstein selbst als gemeinverständlich annoncierte Essay Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie (1916). Eine entsprechende Anfrage ist nicht überliefert. In einem Brief an Dudow von Mitte April 1938 jedoch kommt Brecht kurz auf die Szene Die Physiker aus Furcht und Elend des III. Reiches zu sprechen (GBA 29, S. 84). 170 Der Physiker Max Planck (1858–1947). Sein Vortrag Das Weltbild der neuen Physik erschien 1929 als Broschüre in Leipzig.

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Wir arbeiten schon mit Lohmar an den Bühnenbildern, damit die Aufführung auch vom dekorativen her etwas besonderes wird. Einige Einfälle sind grossartig. Die Arbeit ist bestimmt nicht leicht, aber wir wollen sie schaffen. Ein Vorhang ist vorgesehen, worauf einige Zeichnungen (Deutschland ein Greuelmärchen) kommen sollen. Ich stelle mir sehr gut eine Ballade DEUTSCH. EIN GREUELMÄRCHEN vor,171 wobei zwischen den Einakter je eine Strofe gesungen werden soll. Die Ballade muss natürlich Bezug nehmen auf die einzelnen Einakter und so würde ein sehr wirkungsvoller Ra[h]men für den Abend entstehen. Wir wollen dazu entweder die Margot Lion172 oder Mariane Osswald nehmen. Was meinen Sie dazu? Ich wäre sehr dafür und verspreche mir grosse Wirkung. Bressart ist z.Zt. in Paris. Schicken Sie mir bitte ein paar Zeilen für ihn, denn ich will versuchen ihn für die Aufführung zu gewinnen, und zwar für den Richter.173 Manfred Fürst174 hat bereits zugesagt mitzumachen. Der Redakteur ist der kleine Blonde mit einer Brille, heisst mit dem Vornahmen Ernst und ist kein Redakteur von einer Zeitung die etwas bezahlt, denn an eine solche Redaktion hätte ich es bestimmt nicht abgegeben. Man sieht diese Zeitung sonst nicht, weil sie auf zu dünnes Papier und mit allzu kleinen Buchstaben gedruckt wird. Wenn ich den Redakteur sehe, werde ich fragen, ob er das Stück noch zurückziehen kann. herzlichst Paris den 28.3.38 Ihr Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2573/1.

171 Unter dem Titel Deutschland – Ein Greuelmärchen sollte das Stück Furcht und Elend des III. Reiches in Band 3 der Gesammelten Werke erscheinen (vgl. Anm. in GBA 4, S. 525). Die von Dudow angesprochene Ballade, von der einzelne Strophen zwischen den Szenen vorzutragen seien, verfaßte Brecht im Frühjahr 1938: Die deutsche Heerschau (GBA 4, S. 341; GBA 14, S. 395–401). Das Gedicht wurde später auch in die Druckfassung des Stücks übernommen. 172 D.i. die französische Schauspielerin und Sängerin Margo Lion (1899–1989). Den vorgesehenen Part übernahm schließlich Fritz Seiffert, der in Dudows Pariser Inszenierung die Ballade Die deutsche Heerschau sang. 173 Felix Bressart lehnte das Angebot ab (vgl. Dudow, 17.4.1938 und 22.4.1938). Den Richter in der Szene Rechtsfindung spielte Erich Schönlank. Brecht selbst hatte Bressart für die Rolle des Bruders (d.h. des „Arbeiters“) in der Szene Das Kreidekreuz vorgeschlagen (vgl. B. an Dudow, 19.4.1938, GBA 29, S. 86–88). 174 Im Ts: „Manfreg“. Der Schauspieler Manfred Fürst (1895–1973), seit 1933 im Exil in Frankreich, trat in Dudows Inszenierung allerdings nicht auf. Vgl. Dudow, 17.4.1938 und 22.4.1938

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Martin Andersen-Nexö an Bertolt Brecht Stenlöse, 28.3.1938 S t e n l ö s e , Den 28. Marts 1938 Käre Bertolt Brecht. Naturligvis kann du og Grete Steffin ikke sidde og arbejde for at rage Kassanierne af Ilden for mig og endnu mindre for Bruno Dresler, der trods sit Anträk som Arbejder-Forlägger er en haardkogt Kapitalist. Men hör nu her: Da I nu oversätter tredje Del og forhaabenlig ogsaa vil oversätte fjerde, naar den foreligger saa var det alligevel rart, om hele Värket blev en Stöbning – og om dit Navn stod paa det hele. Jeg tillägger det sidste stor Värdi; og da Oversättelsen er saa slet, er der ingen Grund til at släbe de to foregaaende Oversättere med over i den tidsbegränsede Evighed, vi har Lov at regne med. Det skul da da väre, at Värket skulde tjene som Skamstötte. Meddal mig nu, hvad I kan väre tjent med at göre Arbejdet for; saa udreder jeg Honoraret – og pröver naturligvis at träkke det ud af Büchergilde – eller et andet Forlag – igen. Min Betingelse er, at Du sätter dit Navn paa – hvad der udentvivl vil lette Anbringseln betydeligt – og at jeg faar Manuskr et tilsendt naar det er färdigt. Dresler har nemlig, Forretningsmand som han ikke väret til at formaa til at sende mig sine Betingelser, end sige lägge de fast i en Kontrakt. Og Manuskriptet har han ligget med i lang Tid, for förste Vedkommende i flere Aar. Jeg kan bedre forhandle med ham, naar jeg har Manusk et og altsaa er i Stand til at tilbyde et andet Forlag det. Lad mig höre et Par Ord – helst positive – fra Jer snarest! Med kameratlig Hilsen Din hengivne

S t e n l ö s e , Den 28. März 1938 Lieber Bertolt Brecht. Natürlich könnt Ihr, Du und Grete Steffin, mit Eurer Arbeit nicht für mich die Kastanien aus dem Feuer holen und noch viel weniger für Bruno Dresler175, der ungeachtet seines Anscheins als Arbeiter-Verleger ein hartgesottener Kapitalist ist. Doch hör zu: Da Ihr jetzt den dritten Teil übersetzt und hoffentlich auch den vierten übersetzen werdet, wenn er vor175 Bruno Dressler (1879–1952), Gewerkschaftsfunktionär und Verleger, Leiter der Büchergilde Gutenberg in Zürich. Dort sollte eine deutsche Übersetzung von Martin Andersen-Nexös Autobiographie Erindringer (4 Bände, 1932–38) erscheinen. Die Publikation kam nicht zustande (vgl. B. an Andersen-Nexö, 25.3.1938, GBA 29, S. 80f.; dazu B. an Dressler, 23.4.1939, GBA 29, S. 139–141). Die ersten beiden Bände wurden in einer Übersetzung von Steffin und Brecht unter dem Titel Die Kindheit. Erinnerungen 1940 bei Meshdunarodnaja Kniga in Moskau veröffentlicht.

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liegt, wäre es dennoch schön, wenn das ganze Werk wie aus einem Guß wird – und wenn Dein Name auf dem Ganzen stehen würde. Auf das letztgenannte lege ich großen Wert; da die Übersetzung so schlecht ist, gibt es keinen Grund, die zwei vorherigen Übersetzer mit in die befristete Ewigkeit zu schleppen, mit der wir rechnen dürfen. Es sei denn, das Werk soll als Schandsäule dienen. Teile mir nun mit, mit welcher Summe Euch in bezug auf die Arbeit gedient ist; dann entrichte ich das Honorar – und versuche natürlich, es von der Büchergilde – oder einem anderen Verlag – wieder zu bekommen. Meine Bedingung ist, daß Du Deinen Namen darauf setzt – was es ohne Zweifel bedeutend erleichtert, es unterzubringen – und daß ich das Manuskript zugeschickt bekomme, wenn es fertig ist. Dresler war nämlich, Geschäftsmann wie er ist, nicht in der Lage, mir seine Bedingungen zu schicken beziehungsweise sie vertraglich festzulegen. Er hat das Manuskript lange gehabt, das erste Mal mehrere Jahre. Ich kann besser mit ihm verhandeln, wenn ich das Manuskript habe und somit in der Lage bin, es einem anderen Verlag anzubieten. Lasst bald ein paar Worte von Euch hören – am besten positive! Mit kameradschaftlichem Gruss Dein ergebener Überlieferung: Ts, BBA E 12/204 (deutsche Übersetzung: BBA Z 956).

Slatan Dudow an Helene Weigel [Paris, Ende März/Anfang April 1938] Liebe Weigel, Wir sind dabei die Aufführung von Brechts Einaktern vorzubereiten.176 Wenn es geht, wollen wir Ende April mit der Uhraufführung starten. Wie ist es mit Ihrer Zeit? Können wir rechnen, daß Sie bald, sagen wir gegen 12 oder 18 April hier sein können? Das Fahrgeld werden wir Ihnen zuerst für die eine Fahrt schicken, die Rückfahrt erledigen wir nachher, die wir Ihnen aber garantieren. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir versuchen irgendwo eine Unterkunft bei Freunden zu besorgen. Weiter werden sie an den ev. grossen Einnahmen, wie wir alle, beteiligt. Sicherlich ist auch da etwas zu erwarten, es kommt nur darauf an wie uns die Organisierung gelingt. Bitte geben Sie mir s o f o r t Bescheid, ob Sie kommen können, weil wir den Saal rechtzeitig mieten müssen. Bedauerlich ist nur, daß unter den Einaktern nur eine richtige Rolle für Sie da ist. Wenn Brecht an einen neuen Einakter herangeht, soll er doch bitte daran denken. Vielleicht ge176 Furcht und Elend des III. Reiches. Vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938.

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lingt ihm noch etwas. Es muss sich der grosse Weg lohnen. Ausserdem fühlt sich der Zuschauer betrogen wenn wir Sie gross ankündigen und Sie treten richtig nur in der JU[E] DISC[HEN] FRAU auf. Meinen Sie nicht auch. Schicken Sie mir bitte die WIEGENLIEDER FÜR PROL. Mütter. Das eine Exem. das ich bekam, gab ich an Frau Kalf 177 ab. Hat Brecht noch etwas für die Platten?178 Anna wird noch zwei Sachen für Sie machen. Hoffentlich wird sie bis dahin fertig sein, damit wir das gleich aufnehmen können. Wie Sie sehen, habe ich allerhand in Paris vor und ich hoffe, Sie werden bald kommen können damit wir mit der Arbeit beginnen. Den einzigen Wunsch, den ich noch dabei hätte, wäre ein zweiter Einakter für Sie. Vielleicht gelingt er dem Meister doch noch. Ich hoffe wir sehen uns bald in Paris und grüsse Sie bis dahin herzlichst Ihr Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2619/1.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 7.4.1938 [Hs.] 7 avril 1938 Lieber Brecht, In aller Eile ein paar Zeilen über die Aufführung und das was Sie mir geschickt haben.179 Den Abend den Titel ANGST zu geben, halte ich für sehr gefährlich. Ich habe davon an Lohmar erzählt, auch er meint wir dürfen es auf keinen Fall machen, auch den Abend nicht in dieser Richtung steuern. Es kann sehr defaitistisch wirken und das können wir uns auf keinen Fall erlauben, sowohl von politischen als auch vom publikums Gesichtspunkt aus. Schiss haben ja die die am Abend kommen sowieso und ihnen das auch noch unter die Nase halten, wäre sicherlich falsch und vorallem nicht nützlich. Ich glaube wir müssen mehr in der entgegengesetzten Richtung steuern. In diesem Sinne möchte ich Sie bitten die Einakter, die Sie noch in Arbeit haben, zu schreiben. Denken Sie bitte an den Schluss von den GEWEHREN DER FRAU CARRAR. Das selbe oder ein ähnliches Ergebnis muss auch hier erreicht werden. Das muss. Wir sollen alles unternehmen um auch in einigen anderen Einaktern durch die Inscenierung das defaitistische zu beseitigen, wobei ich dann natürlich die Möglichkeit habe bei den einzelnen Einaktern, wie den SPITZEL 177 D.i. die französische Schauspielerin Marie Kalff (1874–1959), Ehefrau von Henri-René Lenormand. 178 Vgl. Dudow, 23.11.1937, und Dudow an Steffin, 16.12.1937. 179 Nicht überliefert. Zur bevorstehenden Aufführung vgl. Brechts Briefe an Dudow vom April 1938, GBA 29, S. 84–90.

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oder etwa bei RECHTSFINDUNG die Angst oder das tuscheln stärker herauszuarbeiten. Die Bemerkung die Sie dazu gemacht haben sind sehr richtig und ich habe mir die Inscenierung in einer ähnlichen Art gedacht. Aber auch bei den anderen Einaktern werde ich nach Möglichkeit das epische gut herausholen. Übrigens Lohmar hat einige Bühnenbilder gemacht die Grossartig sind. Ihnen darüber zu schreiben ist sehr schwer, ich lasse Ihnen die Entwürfe später einschicken. Das Sie an ein Stück über den Krieg arbeiten180 ist wirklich grossartig und lassen Sie mich bitte einige Wünsche anmelden. Denken Sie bitte dabei an Ihre Rede auf dem Schriftstellerkongress.181 Man muss mehr die kriegerischen Gedanken, wenn auch vorsichtig doch klar betonen. Wir müssen w e n i g s t e n s ideologisch zum Krieg rüsten. Das würden auch unsere Freunde jetzt begrüssen, was sie seiner Zeit nur geduldet haben. Aus allen diesen Gründen möchte ich Sie bitten den FEHLENDEN MANN umzuändern.182 Wenn Österreich dabei vorkommt ist nur vom Vorteil, nur muss man dabei denken, daß das Deutsche Reich nicht nur in einer Hinsicht gewachsen ist, sondern auch im Antifaschistischen Sinne. Auch das Reich der Feinde hat sich umsoviel mehr vermehrt als das Reich seiner Freunde. Können Sie ev. den letzten Einakter etwa in dem Sinne schreiben, wie das Gedicht über den General der die besten Flugzeugen baut aber die haben nur einen Fehler, sie brauchen einen Mann. Sicherlich wächst das dritte Reich, aber das wachsen hat einen Fehler, den auch die Feinde wachsen und sogar stärker. Diesen Einakter kann man ev. damit schliessen, in dem die deutschen Antifaschisten die österreichischen zu[m] gemeinsamen Kampf auffordern...usw.....Ich hoffe Sie verstehen, was ich meine. Auf jeden Fall müssen wir zu einem positiven, starken Schluss kommen. Damit aber dieser Schluss nicht abrupt wird, wäre es besser, wen Sie dabei an die noch zu schreibenden Stücke denken. (ARBEITSBESCHAF[F]UN[G])183 Kann man nicht die letzte Scene in der Herschaftsküche von dem KREIDEKREUZ, mit dem ich den Abend anfangen will, verl[e]gen und dieselben Leute auftreten lassen? Die Szene kann um 8 h. abends, kurz vor Beginn einer LUFTSCHUTZÜBUNG anfangen. Einer erklärt die Handgriffe der Gasmaske, zweiter zieht die Flugblätter ab und mit den Gasmasken auf den Fressen und die Flugblätter in den Taschen ziehen sie ab.

180 Vermutlich die Szene In den Kasernen wird die Beschießung von Almeria bekannt (GBA 4, S. 432f.; vgl. B. an Dudow, Mitte April 1938, GBA 29, S. 85). In Dudows Inszenierung wurde sie nicht berücksichtigt. 181 Brechts Rede zum II. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur (vgl. Anm. zu Specht, 27.2.1937) erschien in Das Wort, Heft 10/1937. 182 Die Szene wurde schließlich umbenannt in Volksbefragung (GBA 4, S. 441f.). Der Titel bezieht sich auf die Abstimmung in Österreich vom 10.4.1938, mit welcher der bereits am 13.3. vollzogene „Anschluß“ des Landes ans Deutsche Reich offiziell legitimiert wurde. Aufgeführt wurde diese Szene in Paris allerdings nicht (vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938). 183 Vgl. B. an Dudow, Mitte April 1938, GBA 29, S. 85.

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Ich wäre auf jeden Fall für eine Ballade, die das oben Beschriebene noch unterstreicht.184 Auch die gerufenen Verse kann ich auf Musik setzen ich glaube dagegen würde nichts sprechen? Ich hoffe Sie nehmen diese Bemerkungen als notwendige Anregungen und bitte Sie so früh als möglich mir das Material zu schicken, damit wir die Aufführung, die am 8 und 9 Mai stattfinden soll, nicht verschieben müssen. Den Brief schickte ich Ihnen per EXPRESS und bitte Sie mir gleich zu schreiben ob Sie mit meinen Vorschlägen einverstanden sind. Auf das andere komme ich noch zurück. Herzlichst Paris den 7.4.38 Ihr Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2574/1–2.

Aksel Larsen185 an Bertolt Brecht 7.4.1938

7. April 1938.

Genosse Bertolt Brecht! Ich weiss, dass ich seit lange auf euren Beschwerden haette antworten sollen, auch weil wir eine Entscheidung in der Sache laengst gefaellt haben. Dass ich dennoch so lange schwieg, hat zweierlei Ursachen: erstens sind wir alle und ich besonders in dieser schweren Zeit mit Arbeit mehr als ueberhaeuft, zweitens bin ich ueberzeugt, dass diese ganze „Sache“ aus Klatschgeschichten und persoenliche Reibereien entstanden ist und zu einer keineswegs zu rechtfertigende Bedeutung aufgebauscht wurde; ich habe sie deshalb liegen lassen, bis wichtigere Arbeiten getan waren. In grossen Zuegen stimmt deiner Bericht mit den Erklaerungen Pers ueberein. Es gibt auch Unstimmigkeiten, doch sekundaerer Natur und betreffs der Details (ob ein feierlicher „Ehrenwort“ gegeben wurde usw.), die aber das Gesamtbild nicht aendern. Es ist offenbar, dass Dummheiten gemacht worden sind, dass aber die Folgen solcher Dummheiten haetten 184 Vgl. Anm. zu Dudow, 28.3.1938. 185 Aksel Larsen (1897–1972), Vorsitzender der dänischen KP. Brecht hatte sich am 25.3.1938 an ihn gewandt, um sich über das Verhalten Per Knutzons und Lulu Zieglers zu beschweren (GBA 29, S. 80; vgl. auch B. an Larsen, 13.5.1938, GBA 29, S. 94). Anlaß war zum einen Knutzons Inszenierung der Dreigroschenoper, zumal seine Loyalität gegenüber dem Theaterverleger Carl Strakosch in dieser Angelegenheit (vgl. Anm. zu Knutzon, September 1937), zum andern eine in der dänischen Zeitung Arbej​derbladet annoncierte Aufführung der Gewehre der Frau Carrar, in der auch Ziegler auftreten sollte. Ob diese Aufführung tatsächlich stattgefunden hat, konnte nicht ermittelt werden.

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vermieden werden koennen, wenn Ihr kameradschaftlich mit einander gesprochen haetten, oder wenn ihr Euch frueher ans ZK um Rat gewendet haetten. Persoenlich halte ich es fuer eine Dummheit von Per ueberhaupt „Dreigroschenoper“ auffuehren zu wollen. Seine Wahl von Repertoire zeigt, dass mag er ein guter Schauspieler und Instruktor sein – ein guter Theaterleiter wird er nie. Er ist – oder war – aber Theaterleiter. Dazu ein armer. Er kann sich nicht als solcher mit dem Monopolist Strakosch verkrachen, und es duerfte keinerlei Zweifel bestehen, dass Strakosch die formalen juristischen Rechte der Dreigroschenoper besass. Es ist unzweifelhaft, dass waere es zum Prozess gekommen, haette ein daenisches Gericht Strakosch die Rechte und das Geld zuerkannt. Wie dann er mit dem Gelde verfahren sollte, kann vielleicht zweifelhaft sein, wahrscheinlich wuerde man aber auch seinen Kontrakt mit dem Berliner Firma186 anerkennen. Das was unserer Meinung nach haette getan werden koennen, ist folgendes: Per haette dem Strakosch mitteilen sollen, dass er nur mit Vorbehalt das Geld an ihn zahlen wollte, weil Du als Verfasser mit deinen Anspruechen auftrat. Danach haettest Du sowohl gegen Per wie auch gegen Strakosch einen Prozezz anstrangen muessen. Zwar glaube ich, der Ausfall wuerde wie oben skizziert sein, der Prozezz als solcher waere aber eine gute politische Aktion gegen den Hitlerfaschismus, und gleichzeitig eine ganz gute und noetige Reklame fuers Theater und den Dreigroschenoper. Es ist mir noch heute unverstaendlich, warum man nicht diesen Weg gegangen ist. Das gibt aber keinerlei Grundlage fuer den bitteren Streit, oder wohl besser gesagt, fuer Euren bitteren Kampf gegen Per. Wir haben ihn wegen seiner Dummheiten in dieser Sache geruegt, letzten Endes hat er aber diese Dummheiten nicht alleine gemacht. Und wir konnen ihn weder als parteifeindliches Element, Feind des antifaschistischen Kampfes, politischer Lump oder anderes aehnliches ansehen. Du hast das Recht, in din letztes Schreiben dich ueber andere Langsamkeit zu beschweren; es ist aber unverstaendlich, warum du mit solchem Hass gegen ein Inserat in Arbejderbladet protestierst. – Oder, vielleicht ist er mir verstaendlich. Das Bewusstsein des Menschen wird u.a. auch durch seine Umgebung, Umgangskreis, Freunde usw. bestimmt. Vielleicht spielt die persoenliche Gefuehle anderer Leute gegen Per und Lulu eine nicht geringe Frage, wenn es sich um die Herausbildung deiner Einstellung Per gegenueber handelt. – Ja, dies wurde nicht ein ganz „ZK-maessiger“ Brief ueber eine Parteisache, sondern enthaelt auch andeutungsweise meiner persoenliche Auffassung vom ganzen Dreck, und ich bitte Euch mir zu glauben, dass ich mir meiner Auffassung nicht aus den Fingern gezogen habe. Wenn wir [uns]187 vielleicht persoenlich treffen, kann ich diese Meinung weiter darlegen. Die Partei betrachtet aber die Sache als abgeschlossen, und wenn weiter in gewissen Kreisen auf dieser sehr spinklen Grundlage gegen Per Schmutz geworfen wird, soll man 186 Das ist der Verlag FBE, der die Rechte an der Dreigroschenoper beanspruchte. 187 Im Ts: „und“.

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sich klar sein, dass es sich um ein Parteimitglied handelt, gegen den nach Meinung der Partei keine ernstlich begründete, schwere Vorwuerfe gerichtet werden koennen. Die Partei beabsichtigt gemaess dieser Auffassung zu handeln (gegebenenfalls). Mit kommunistischem Gruss Aksel Larsen Überlieferung: Ts, hs. U., Stempel der Kommunistischen Partei Dänemarks; BBA 1386/55–56.

Martin Andersen-Nexö an Bertolt Brecht Stenlöse, 8.4.1938 S t e n l ö s e . Den 8. April 1938 Käre Bertolt Brecht! Tak for Dit udförlige Brev. At tu har meget at göre, begriber jeg godt; men jeg ved paa den anden Side, ar du besidder en formidabel Arbejdsävne. Og jeg er selv i Selen fra Morgen til Aften; dofor har jeg ikke rigtig Medlidenhed med dig – i al Fald ikke nok til at skaane dig for det Arbejde, der viel väre forbundet med at gennemga Grete Steffins Gennemarbejding, saa du töt tage det ästetiske Ansvar for Oversättelsen. De to Bind ar lige kommet ud i Amerika og har en unmindelig god Presse; de akulde gärne kunne komme ogsa den tyske Läseverden i Hände i en mönstergylding Oversättelse. Det er kameratligt og kärt af dig at du nödig vil paabyrde mig Udgifter ved en Revision af Oversättelsen; men jeg er vis paa, at de Penge vil komme flere Gange igen – met dit Navn og din Garanti. Har jeg först en god Oversättelse i Haanden, kan jeg fremtvinge en ordentlig Kontrakt med Dresler; i fornödent Fald finde et andet Forlag. Saa dine Betänkeligheder paa dette Punkt vil jeg bede dig se bort fra. Naturligvis skal du og Grete Steffin ha jert Arbejde ordenlig betalt, og det tror jeg, I lettere faar af mig end af Bruno Dressler. ”Klaffen” – Karpatsche hedder den ved Bodensöen – skal du ikke väre ängstelig for. Haar jeg ventet saalänge, kan jeg vente Dyrehavstiden med, som min Mor plejede at sige. Hovedsagen er, at Bogen kommer ud i sin rigtige Skikkelse! Hvad nu de tilligere Oversättere angaar, er Forgoldet for förste Binds Vedkommende det, at en danks-tysk Dame hjalp mig og min Kone med Oversättelsen; at den blev derefter har jeg hele Tiden haft paa Fölelsen – uden at besidde den sproglige Magt til at ändre det. Denne Dame har faaet ain Betaaling – og faaet at vide, at Oversättelsen var ubrugelig; hun stiller ingen Krav om at faa sit Navn paa Värkets förste Bind. Ostermoos Arbejde var bedre uden dog at väre godt nok til Udgivelse; hans Navn bör vel paa andet Bind – som Med-Oversätter. Sammen met Grete Steffin, som staar for hele Värket – med dig som en Sproggud svävende over Vandene. Det lod sig altsammen ordne, hvis du ikke af principielle Grunde tager Afstand fra det hele.

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Hvis du er indforstaaet med det, jeg her har fremsat, vil jeg – paa Grundlag af de amerikanske Anmeldelser – föle mig for hos andre Forläggere af tysk ”Emigrant-Literatur”, en Slags Emigrant e rjeg jo i dette Forhold, idet mine Arbejder er forbudt i Tyskland. Hvilke Forlag kunde du forövrigt tänke dig kom i Betragtning? Et Pres paa Büchergilde vilde det jo under alle Omständigheder väre, om ogsaa andre Forlag interesserede sig for Värket. Lad mig nu höre din Mening! Med kameratlig Hilsen Din hengivne [Hs.] Venlig Hilsen til Grete Steffin

S t e n l ö s e . Den 8. April 1938 Lieber Bertolt Brecht! Dank für Deinen ausführlichen Brief.188 Ich verstehe gut, daß Du viel zu tun hast; aber andererseits weiß ich, daß Du die Fähigkeit besitzt, intensiv zu arbeiten.189 Ich selbst lege mich ins Zeug von morgens bis abends; deshalb habe ich kein richtiges Mitleid mit Dir – auf jeden Fall nicht genügend, um Dir die Arbeit zu ersparen, die mit der Durchsicht von Grete Steffins Überarbeitung verbunden sein wird, so daß Du es wagst, die ästhetische Verantwortung für die Übersetzung zu übernehmen. Die beiden Bände sind gerade in Amerika erschienen190 und hatten eine ungewöhnlich gute Resonanz in der Presse; es wäre wünschenswert, wenn auch die deutsche Leserschar sie in einer mustergültigen Übersetzung in die Hände bekommen würde. Es ist kameradschaftlich und lieb von Dir, daß Du mir keine Ausgaben für eine Revision der Übersetzung aufbürden willst; aber ich bin sicher, daß das Geld mehrfach wieder reinkommen wird – durch Deinen Namen und Deine Garantie. Habe ich erst einmal eine gute Übersetzung in der Hand, kann ich bei Dresler191 einen ordentlichen Vertrag erzwingen; oder notfalls einen anderen Verlag finden. Ich bitte Dich also, Deine Bedenken in diesem Punkt fallen zu lassen. Natürlich sollt Ihr, Du und Grete Steffin, Eure Arbeit gut bezahlt bekommen, und das, glaube ich, bekommt Ihr wohl eher von mir als von Bruno Dresler. „Klaffen“ – Karpatsche heißt es am Bodensee – davor brauchst Du keine Angst zu haben. Nun habe ich solange gewartet, dann kann ich auch noch die Tierparkssaison hin-

188 189 190 191

Vgl. B. an Andersen-Nexö, 3.4.,1938, GBA 29, S. 83f.; dazu Anm. zu Andersen-Nexö, 28.3.1938. Wörtlich: eine hervorragende Arbeitsfähigkeit besitzt. Under the Open Sky. My Early Years, New York 1938. Bruno Dressler.

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durch warten, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Die Hauptsache ist, das Buch erscheint in der richtigen Form! Was die früheren Übersetzer betrifft, so verhält es sich mit dem ersten Band so, daß eine dänisch-deutsche Dame mir und meiner Frau192 bei der Übersetzung geholfen hat; daß sie auch dementsprechend wurde, hatte ich die ganze Zeit im Gefühl – ohne jedoch die sprachliche Fähigkeit zu besitzen, sie zu ändern. Diese Dame hat ihr Geld bekommen – und hat zu wissen bekommen, daß die Übersetzung unbrauchbar ist; sie stellt nicht die Forderung, dass ihr Name im ersten Band des Werkes erscheint. Die Arbeit von Ostermoor193 war besser – ohne jedoch gut genug für eine Herausgabe zu sein; sein Name sollte wohl im zweiten Band erscheinen – als Mit-Übersetzer. Zusammen mit Grete Steffin, die dem ganzen Werk vorsteht – mit Dir als Sprachgott schwebend über den Wassern. Dies liesse sich alles ordnen, falls Du nicht aus prinzipiellen Gründen von dem Ganzen Abstand nimmst. Falls Du mit meinem Vorschlag einverstanden bist, will ich – auf Grundlage der amerikanischen Rezensionen – bei anderen Verlegern deutscher „Emigranten-Literatur“ vorfühlen, denn ich bin ja eine Art Emigrant in der Hinsicht, daß meine Arbeiten in Deutschland verboten sind. Welche Verlage kommen übrigens Deiner Meinung nach in Betracht? Wenn sich auch andere Verlage für das Werk interessieren würden, wäre das auf jeden Fall ein Druck auf die Büchergilde. Laß mich Deine Meinung hören! Mit kameradschaftlichem Gruß Dein ergebener [Hs.] Freundlichen Gruß an Grete Steffin Überlieferung: Ts, hs. Erg.; BBA E 12/205–206 (deutsche Übersetzung: Z 956).

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 10.4.1938

[Hs.] 10 avril 1938

Lieber Brecht, die neuen Einakter habe ich bekommen.194 Unabhängig davon, das [ich] sie zum grösten Teil grossartig finde, sie kommen gerade im richtigen Augenblick. Wie Sie aus meinem letzten Brief ersehen haben, stehe ich vor der Schwierigkeit, dem Abend einen geschlossenen 192 Johanna Andersen-Nexö, geb. May (1902–1977). 193 Alfred Ostermoor hatte zusammen mit Alfred Bertolt eine Rohübersetzung von Andersen-Nexös Erindringer angefertigt. 194 U.a. die Szenen Winterhilfe, Physiker und Arbeitsbeschaffung. Vgl. Dudow, 17.4.1938.

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und vorallem positive Eindruck zu geben. Ausserdem waren die vorigen Einakter meist Satyren, so daß die eine Pointe die andere kaput gemacht hätte. Nun sind aber inzwischen dieses Schwierigkeit meisst behoben. Ich habe jetzt die Möglichkeit das Program besser zu mischen und auf Grund der ernsteren Einakter kann ich die Satyren mehr auflockern. Der Abend wird auf diese Art und Weise farbiger und lebendiger. Ich würde nicht viel das psychologische von Angst betonen, sondern mehr das MAULHALTEN. Ich glaube das ist erstens richtiger, ausserdem enthalten fast alle Stücke das Thema und so kommen wir leichter zu einem positiven Schluss, wo man die Versuche unternimt das Maul langsam aufzukriegen. Ich komme nochmals auf meinen Vorschlag zurück und Sie bitten einige Verse und zwar über das Thema des MAULHALTENS zu schreiben, die ich dann singen lassen. Etwas Musik muss nach Möglichkeit kommen um so die Spitzen und die Schärfen unter Nebel zu setzen. Ich möchte nicht die Inscenierung schwächen, im Gegenteil, sie möglich scharf bringen nur die Spitzen müssen eben durch die Musik etwas verschleiert werden. Die Situation ist so, daß ich es für ratsam halte. Sie dürfen nicht missverstehen, nicht unpolitische Sachen verlangt man, sondern politische und möglichst klare aber auch von Schwachen und Verzweifelten aufnehmbar. Die Reihenfolge denke ich mir so: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

Das Kreidekreuz Der Spitzel Berufskrankheit Winterhilfe Die Judische Frau ––– Rechtsfindung Zwei Bäcker Der Bauer fütert seine Sau Die Arbeitsbeschaffung (ev. zusammen mit „Was hilft gegen Gas“) Der Alte Kämpfer

(Die Reihenfolge wird sicher aus Bühnentechnischen Gründen noch geändert werden müssen.)195 Für die letzten zwei Einakter, DIE ARBEITSBESCHAFFUNG und DER LETZTE KÄMPFER möchte ich folgendes vorschlagen; können Sie nicht einen Teil von WAS HILFT GEGEN GAS in der ARBEITSBESCHAFFUNG verarbeiten? Besonders die letzten Sätze „Verdammter Maulkorb! Wir halten so lange das Maul, bis wirs aufmachen

195 Vgl. Dudow, 10.3.1938, und Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938.

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müssen...........“196 Damit kommen wir langsam auf einen Schluss, der positiver wird und dann mit den ALTEN KÄMPFER schliessen, der aber auch etwas umgearbeitet werden soll. Die Geschichte von dem aufgehängten Fleischer kann weggelassen werden oder anders verarbeitet und von dem anderen Dialog eine Scene wie die VOR EINER VATERLÄNDISCHEN KUPFERABGABESTELLE aus der MUTTER 197 gemacht. Übrigens kann hier eine Rolle für die Weigel kommen, die spielt ja in der vorhergehende Szene (ARBEITSBESCHAFFUNG) die Frau, nun kann sie sich in Trauerkleider vor den Laden stellen und dort ihre zwar vorsichtige aber umso gefährlichere Wüllarbeit beginnen. Wenn Polizei oder S.S. Leute kommen, muss ein ganz anderes Gespräch geführt werden... usw... Die Scene kann auch vom Kostum her sehr wirksam gemacht werden, wenn man die Trauernde Frau in Schwarz gegenüber den anderen, die heller gekleidet sind absetzt. Die Scene darf nicht pazifistisch sein. Wenn nun einmal die Bomben verbraucht werden müssen, dann über den richtigen Köpfen. Es bleibt noch die Frage wegen des Titels für den Abend. Der Titel muss nach aussenhin gar keinen Bezug auf Deutschland nehmen, aber für die Zuschauer etwas positives enthalten. Wir haben uns gestern folgende überlegt: „8 Versuche seinen Mitbürgern die Wahrheit zu sagen“ „Wie lange wollen Sie das Maul halten, Herr Nachbar?“ Ein Titel mit dem Begrif ZURECHTFINDUNG...oder Maulhalten. In dem Titel soll jedenfalls das enthalten sein, daß man dort ein paar Ratschläge zu erwarten hat. Kurz gesagt, ein Titel der etwas positives verspricht. Mir wäre natürlich lieber, daß die Weigel so früh als möglich kommt und im übrigen hat sie, wenn Sie den Schluss so umarbeiten, wie ich vorgeschlagen habe, sehr viel und auch in komplizierte Scene zu tun. Meiner Schätzung nach, muss sie mindestens zwei Wochen vor der Premiere hier sein. Die Premiere haben wir am Sonntag den 8 Mai angesetzt, weil wir für den Sonnabend keinen Sall gefunden haben und die Wiederholung am Montag den 9 Mai. Eine ev. dritte Wiederholung soll spätestens am darauffolgenden Sonntag sein. Wir wollen uns den Saal reservieren lassen, entgültiges wird erst nach der Premiere beschlossen. Weigel würde in folgenden Stücken zu tun haben: Winterhilfe (Die alte Frau) Die Judische Frau Rechtsfindung (Das Dienstmädchen) Die Arbeitsbeschaffung (Die Frau) Der alte Kämpfer (Die Frau in Trauer)198 196 Vgl. GBA 4, S. 439. 197 Die Szene Vor einer Vaterländischen Kupfersammelstelle. Vgl. GBA 3, S. 319–323 (Fassung von 1933), S. 384–388 (Fassung von 1938). 198 Helene Weigel spielte lediglich die Judith Keith in Die jüdische Frau sowie die Frau in Arbeitsbeschaffung.

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Damit wären die meisten Stücke auch künstlerisch gesichert. Um all die vielen Scenen richtig einzustudieren zu können, muss sie mindestens zwei Wochen hier d.h. spätestens am 25 April in Paris sein. Ich bitte Frau Weigel sich schon für die Reise vorzubereiten. Die anderen grösseren Rollen werden von Manfred Fürst gespielt, ein Berliner Schauspieler der in der Dreigroschenoper mitwirkte und den Sie übrigens kennen müssen.199 Bressart habe ich noch nicht gesprochen, weil ich seine Adresse nicht habe, er ist vor kurzem umgezogen. Ich hoff ihn bald zu sprechen. Wenn er mitmachen würde, wäre das natürlich grossartig. Ich versuche alles. Aber sollte er nicht mitmachen können, dürfen Sie um die Besetzung nicht besorgt sein. Nach dem letzten Plan sind die wichtigsten Sachen gesichert. Nun bitte ich Sie mir die Änderungen so bald es nur geht und zwar per EXPRESS zu schicken, um alles rechtzeitig hier zu haben. Auf die anderen Einakter werde ich später zurückkommen. Herzlichst Paris den 10.4.38 Ihr Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2575/1–3.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 17.4.1938 [Hs.] 17 avril 1938 Lieber Brecht, ich glaube, wir haben uns gegenseitig mit den vielen Vorschlägen ein wenig erschreckt. Das kam daher, weil sich in unseren letzten Briefwechsel viele Missverständnisse eingeschlichen haben, die gewisse Verwirrung herbeigeführt haben. Zu aller erst will ich das Missverständnis aus Ihrem vorletzten Brief aufklären. Als ich Ihnen den Brief schrieb, hatte ich die neuen Einakter (WINTERHILFE, DIE PHYSIKER, DIE ARBEITSBESCHAFFUNG usw.) noch nicht. Nachdem ich sie aber bekommen hatt schrieb ich Ihnen sofort einen zweiten Brief, ebenfalls Express, worin ich gerade betont habe, daß meine Wünsche nun zum grösten Teil erfüllt sind. Ich habe diese Einakter sehr begrüsst und das hat mir den Aufbau des Abends sehr erleichtert. Das Positive was ich zuvor so eindringlich verlangt hatte, war bereits da und in einer sehr gelungenen Weise. Die jetzt noch angemeldeten Wünsche beziehen sich nicht mehr auf den Abend, sondern nur noch auf den direkten Schluss, bzw. auf die Schlusspointe. Das ist nunmehr eine Frage von ein paar Sätzen. Ich 199 Manfred Fürst hatte in der Uraufführung der Dreigroschenoper am 31.8.1928 in Berlin den Hakenfingerjakob gespielt. In Dudows Inszenierung von Furcht und Elend des III. Reiches trat er nicht auf.

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hoffe Sie haben den zweiten Expressbrief inzwischen erhalten. (Gehen die Expressbriefe in Dänemark langsamer als die gewöhnlichen?) Das zweite Missverständnis besteht darin, daß Sie angenommen haben, meine Änderungsvorschläge kommen nur aus der Kritik an den Einaktern. Unter dem Aufbau des Abends habe ich nicht nur die Linie der Stücke verstanden, sondern auch die künstlerische Darstellung. Das war meine zweite Sorge. Meine Absicht war mehr Rollen zu verlangen, die sich für Weigel eignen, um so wenigstens eine Reihe von Einaktern durch ihre künstlerische Darstellung zu sichern. Diese meine Absicht hat mich oft dazu verleitet Vorschläge zu machen, die ich bestimmt nicht gemacht hätte, wenn ich wenigstens noch einen Schauspieler hätte, der annährend so gut wäre wie die Weigel. Als Beispiel sei der ALTE KÄMPFER 200 erwähnt. Sie werden sicherlich überrascht gewesen, daß mir das Stück scheinbar nicht gefallen hätte. Das ist nicht der Fall. Mir hat DER ALTE KÄMPFER sehr gut gefallen so wie er ist und ich halte ihn für sehr Bühnenwirksam und doch machte ich den Vorschlag, der Sie sicherlich überrascht hat. Mir lag daran Ihnen eine Anregung zu unterbreiten, der eine gute Rolle für Weigel ermöglichen sollte. Ich habe selber lange gezögert und doch habe ich mich dazu entschlossen, weil ich auch von der künstlerischen Seite her den Abschluss des Abends gesichert wissen wollte. Dabei wäre natürlich eine gutes Stück zum Opfer gefallen, im übrigen nur für den Abend, denn in einem anderen Zusammenhang kann der alte Kämpfer bleiben so wie er ist. Wenn Sie einen Einfall haben, der DEN ALTEN KÄMPFER rettet, wäre ich sicherlich sehr zufrieden. Vielleicht kann DIE ARBEITSBESCHAFFUNG als Schluss ausgebaut werden. Ich meine hierbei eine Schlusspointe für den Abend und die Rolle von Weigel. Das sind so ziemlich meine letzten Wünsche und ich glaube wir können diese Diskussion als beendet betrachten. Auch die Befürchtung über das lehrhafte des Abends scheinen mir ebenfalls durch ein Missverständnis zu kommen. Ich habe eine solche Absicht n i e gehabt. Als ich vorschlug die Scene vor dem Milchladen so umzuarbeiten wie die in der Mutter, meine ich keineswegs eine Lehrscene, sondern nur das positive an ihr, denn die Wühlarbeit kann auch als Schilderung dargestellt werden. Übrigens dachte ich selber oft an Daumier201 während ich die Einakter las, besonders bei der Rechtsfindung. Ich sehe nicht nur den Angeklagten wie er sich mit verbundenem Mund verteidigt (Daumier), sondern auch den Richter der die Anklage und das Urteil mit ebenso verbundenem Mund sprechen muss. Die beigelegten Verse, besonders den über die Bäcker finde ich sehr gut. Auch den Vorschlag sie mit einfachem Ziehharmonika begleiten zu lassen und in eine volkstümliche Art vorzutragen, finde ich natürlich richtig. Halten Sie einen Refrain für richtig und zwar in folgender Weise;

200 Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches, GBA 4, S. 423–426. 201 Honoré Daumier (1808–1879), französischer Maler, Bildhauer und Karikaturist.

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Über die Bäcker und haben damit ihre Not.202 Refrain: doch sie müssen schweigen..... Das schweigen oder das Maulhalten muss immer wiederkehren. Meinen Sie nicht, das wäre gut? Meinerseits habe ich keine anderen Vorschläge oder Wünsche und glaube daß der Briefwechsel, trotz der Missverständnisse, mir sehr nützlich war, weil manche Gefahr sichtbar wurde. Nun schreiten wir zur nächsten Schwierigkeit; die Realisierung. Vor allem die Besetzung. Ich habe mit Bressart gesprochen. Er versucht hier ein Visum für Amerika zu bekommen und will sofort abfahren, daher kann er an der Aufführung nicht teilnehmen. Ich glaube es spielt auch das politische eine Rolle, denn er wartet auf das Visum und möchte sich auf keinen Fall an einer linken Kunstveranstaltung beteiligen. Tatsache ist, daß wir auf ihn nicht rechnen können. Leider. Manfred Fürst hat uns inzwischen abgesagt, obwohl wir mit den Proben angefangen haben. Er entschuldigte sich natürlich mit einer geschäftl. Angelegenheit, doch mir scheint, er hat sich aus dem selben Grund wie Bressart zurückgezogen. Der Mann, der den SA-Mann, den Mann in die JUDISCHE FRAU usw., spielen sollte, ist plötzlich verrückt geworden. Vor ein paar Tagen hat man ihn in eine Irrenanstalt gebracht. Wie Sie sehen, wenig anregendes. Da wir aber den Abend nach Möglichkeit mit guter Besetzung, wenigstens mit noch einem guten Schauspieler starten wollen, versuchen wir jetzt Schönlank 203, der in Leipzig den Peachem204 gespielt hat und z.Zt. in Amsterdam ist, zu holen. Ich kenne ihn nicht, Ruschins meinen er sei gut und Sie halten ihn ebenfalls für begabt. Da Busch sowieso nach Paris kommen wollte, versuche ich seine Reise zu beschleunigen und ihn für den Abend zu gewinnen.205 Er könnte ein paar Rollen spielen und dazu die Verse singen. Einen Bescheid habe ich leider noch nicht. Sie sehen, ich gebe mir auch wegen der Besetzung die grösste Mühe und ich hoffe es wird dies oder jenes gelingen. Haben Sie irgend welche realisierbaren Vorschläge? Mit Stammreich206 habe ich gesprochen. Er will mir bald den gewünschten Text geben, den ich Ihnen dann sofort einschicken werde.

202 Vgl. GBA 4, S. 420. 203 Der Schauspieler Erich Schönlank (1895–1960), seit 1933 im Exil in den Niederlanden, spielte in den Szenen Rechtsfindung, Der Spitzel und Arbeitsbeschaffung. 204 Gemeint ist der „Bettlerkönig“ Peachum aus der Dreigroschenoper. Erich Schönlank hatte das Stück in Leipzig inszeniert (Premiere: 25.12.1928). 205 Ernst Busch trat in Dudows Inszenierung nicht auf. 206 Vermutlich der Chemiker Hans Stammreich (1902–1969), der 1933 ins Exil nach Paris ging, 1940 nach Brasilien emigrierte. Zu dem hier erwähnten Text vgl. Dudow, 22.4.1938.

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Die Titel, die Sie vorgeschlagen haben sind (die guten) meist so gehalten, daß wir sie nicht nehmen können. Sie sind zu politisch und das würde den Abend gefährden. Das Wort Deutschland oder Hackenkreuz darf nicht vorkommen, sonst kriegen wir es mit den höheren Gewalten zu tun. Die Lage hier wechselt so rasch, daß man nicht weiss ob wir nach ein paar Wochen noch so einen Abend veranstalten können. Z.b. war DIE PRÜFUNG207 vor zwei Monaten noch möglich. Unsere Freunde haben solange verhandelt und verhandelt bis es zu spät wurde. Jetzt ärgert man sich darüber. Da ich nicht möchte, daß das selbe auch mit diesem Abend passiert bin ich nicht für das hinausschieben. Ein Aufschub von ein paar Tage kann bedeuten die Premiere auf den Donnerstag nach dem Weltkrieg zu verlegen. Dazu kommen eine Reihe von anderen Gründen, die auch gegen die Verlegung sprechen. Damit überhaupt die Arbeit vorwärts kommt, muss ich meine ganze Zeit diesen Abend widmen. Wie Sie wissen, stehe ich vis à vis de rien und eine Verlegung der Premiere kann mich in grosse Schwierigkeit bringen. Ausserdem haben wir bereits einen Saal gemietet, übrigens einen sehr schönen mit einer richtigen Bühne. Ich bitte Sie jetzt nur noch um folgendes; 1) Einen Schluss ev. durch die Umarbeitung von den ALTEN KÄMPFER mit eine sehr guten Rolle für die Weigel, bald fertig zu machen. 2) Die Verse für das Zwischenspiel. 3) Den Titel. Lohmar schlug für den Titel vor; 99 % Scenen und Einakter aus den Dritten Reich Was meinen Sie? Ich finde ihn sehr gut. Er ist genug neutral und bezeichnet deutlich was gemeint ist. Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, umso besser. Wir brauchen den Titel wirklich sehr dringend und daher würde ich Sie bitten mir thelegrafisch Nachricht zu geben. Das Geld für die Herfahrt (Ca. 300 fcs.) habe ich an Weigel bereits geschickt und bitte sie am 25 April in Paris zu sein. Im übrigen wird sie sich nicht 5 sonder nur 2 Wochen hier aufhalten müssen und da eine Wiederholung nur bei einem geschäftlichen Erfolg möglich ist, wird der weitere Aufenthalt dann nicht so belastend sein. Herzlichst Paris den 17.4.38 Ihr Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2577/1–4.

207 Vgl. Dudow, 12.1.1938.

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Slatan Dudow an Helene Weigel Paris, 17.4.1938 Liebe Weigel, das Geld für die Herfahrt habe ich Ihnen schon am Sonnabend abgeschick Für die Wohnung weden wir uns umsehen. Es ist schade, daß Sie uns nicht sofort geschrieben haben als ich Ihnen das vorschlug. Die Bestzung steht leider noch nicht fest, weil uns Fürst abgesagt hat, ein ander ist inzwischen Verrückt geworden. Wir verhandeln jetzt mit Busch und Schönfeld.208 Hoffentlich klappt das. Es werden ausserdem noch Steffi Spira, G. Ruschin, Altmann und einige die Sie nicht kenen spielen. Der Saal, den wir gemietet haben ist wirklich grossartig, hat eine richtige Bühne, sieht sehr schön aus und liegt zentral. Da wir den Saal schon gemietet haben und aus verschiedenen anderen Gründen, über die ich an Brecht geschrieben habe, können wir die Premiere nicht verlegen. Deswegen erwarte ich Sie bestimmt am 25 April in Paris.209 Bringen Sie bitte ein schwarzes elegantes Kleid für die Ju[e]dische Frau mit. Paris den 17.4.38

Mit herzlichen Grüssen

Die Reihenfolge; 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

Das Kreidekreuz Winterhilfe Der Spitzel Physiker Die Judische Frau ––– Rechtsfindung Zwei Bäcker Der Bauer f. d. Sau Arbeitsbeschaffung Schlusscene ? ? ? (Zeigen Sie bitte die Reihenfolge an den Meister)

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2578/1.

208 Vermutlich Erich Schönlank. 209 Tatsächlich traf Weigel erst Anfang Mai in Paris ein. Die Premiere fand am 21.5.1938 im Salle d’léna unter dem Titel 99%. Bilder aus dem Dritten Reich statt.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 21.4.1938 E

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Lieber Brecht, ich habe eine ganze Weile nicht geschrieben – einfach weil ich in Arbeit förmlich ertrinke. Entschuldigen Sie also. Nun zur Sache. „Die Gewehre“ habe ich der Übersetzerin gegeben, kein Zweifel, dass sie das Stück gut unterbringt, wenn es fertig übersetzt ist. Für „Rechtsfindung“210 interessiert sich die ungarische Zeitschrift. Ich werde mich erkundigen, ob sie Valutafond hat. Oder wären Sie auch mit Rubelzahlung (auf Konto) eventuell einverstanden? Ich hätte noch einen Vorschlag: kann man die „Gewehre“ nicht dem wolgadeutschen „Kämpfer“ deutsch geben?211 Die Zeitschrift kommt nicht nach draussen, aber das Stück käme an die vielen deutschen Kolchosbühnen, die nach Spanieneinaktern hungern. Honorierung ist dort niedrig. (Auch in Rubeln.) Ich gehe darauf so ausführlich ein, weil hier die Stücke – schon „Der Spitzel“212 – den gleichen starken Eindruck machen, den auch ich, wie ich Ihnen schrieb, sofort hatte. Man freut sich aufrichtig ueber den starken Realismus in diesen Arbeiten. Auch ich möchte noch nachträglich gratulieren zur „Rechtsfindung“ – das Stück wirkt auf mich noch staerker als „Der Spitzel“. Aus diesem Anlass gleich eine egoistische Bitte: geben Sie doch die weiteren Einakter des Zyklus niemand anderem, sondern dem „Wort“!213 (Ich weiss, dass auch IL scharf darauf ist.) Die „Deutschen Satiren“ sind in Heft 5.214 Wegen der […]gedichte215 habe ich mich […], und man stand positiv dazu. (Einige Aenderungen sind von Feuchtwanger vorgeschlagen worden.) Die geaenderte Fassung der Kritik „Gewehre“ (von Andersen Nexoe) kam viel zu spaet, um noch aufgenommen zu werden.216 Sie haben ja bei Heft 4 wieder gemerkt – wo das 210 Diese Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches erschien unter dem Titel Rechtsfindung 1934 in Das Wort, Heft 6/1938. Die in Aussicht gestellte Publikation in Ungarn konnte nicht ermittelt werden. 211 Ein Abdruck der Gewehre der Frau Carrar in der wolgadeutschen Zeitschrift Kämpfer konnte nicht ermittelt werden. 212 Erschienen in Das Wort, Heft 3/1938. 213 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1938. 214 Die Gedichte Die Regierung als Künstler (GBA 12, S. 77), Kanonen nötiger als Butter (S. 70) und Trost vom Kanzler (S. 76). 215 Erster Teil des Wortes unleserlich. Im folgenden sind ein oder mehrere Wörter im TsD durch die Bindung der Seite verdeckt. Nur in eindeutigen Fällen wurden Konjekturen in eckigen Klammern vorgenommen. 216 Martin Andersen-Nexös Rezension, übersetzt von Margarete Steffin, erschien in Heft 6/1938 unter

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Prozessvorwort217 nachtraeglich gesetzt und umbrochen werden musste – welche schauderhaften Verzoegerungen entstehen. Ich habe die geaenderte Fassung – jetzt nicht als Glosse, sondern unter „Kritik“ – ins nächste Heft genommen. Will aber bei diesem Anlass sagen, dass ich immer noch nicht recht gluecklich damit bin. Die Einleitung hat sogar einige politisch bedenkliche Formulierungen, die ich zum Teil schon im Manus abgeschwaecht habe. (Kontrollieren Sie bitte!) Z.B. „freisinnig“ – darunter stellt sich der deutsche Leser, vor allem der aeltere, etwas ganz anderes vor, als gemeint ist. Dann gebraucht Nexoe das Wort „Idealisten“ im vulgaeren Sinne. (Ich habe es – nicht sehr gluecklich – zu ersetzen versucht.) Es geht meiner Ansicht nach nicht, dass wir im theoretischen Teil alles tun, um den philosophischen Idealismus aus den Koepfen zu [entfernen] und dann das Wort – besonders fuer den wenig geschulten Leser – verwirrend anwenden. Einige Geschmacksfragen. Ich halte es fuer ueberfluessig, nicht zur Sache gehoerig, wenn wir erwaehnen, dass die Hauptdarstellerin die Frau des Autors ist. Ich meine, das geht das Publikum einen Dreck an, besonders in diesem Fall, [da] die Leistung fuer sich spricht. Was meinen Sie? Sollen wir den Nebensatz nicht streichen? Weiter halte ich es fuer […] nicht richtig, wenn wir schreiben: Keiner hat den Faschisten so peinliche Fragen gestellt… Keiner wird so von ihnen so gehasst… (Ich zitiere aus dem Gedaechtnis) Keiner hat […] Kriege so gewirkt (etc.) Ich meine, wir sollten nicht nur Thomas Mann, sondern sogar den Kleinen und Kleinsten [das] anfeuernde Gefuehl lassen, dass sie gehasst werden usw. Ich habe diese Stellen ein wenig abgemildert, moechte aber […] lieber, dass sie selbst die Formulierungen vorschlagen [oder] mir ausdruecklich bestaetigen, dass sie die Originalformulierungen wuenschen. Sodann sind in der Uebersetzung immer noch sprachliche […], die mir nicht gefallen. Was heisst z.B. „die ganze Welt über“? Wenn Sie noch Korrekturen schicken, dann bitte umgehend, damit ich sie eintragen lassen kann. Hoffentlich nehmen Sie diese Dinge nicht als kleinliche Spinnereien. Sie sind es so wenig wie das Folgende. Unsere Zusammenarbeit in punkto Lyrik, die sich so gut angelassen hat, ist sehr schnell in die Brueche gegangen. Ich habe heute noch nicht (!) die Manuskripte vollzaehlig zusammen. Auch ich finde Flatan, Turnar etc. schauderhaft – aber wir muessen antworten und die Manuskripte zurueckschicken[. Das ist] nicht geschehen, die Leute – die gute Antifaschisten sind, vielleicht auf andern Gebieten als dem der Lyrik einiges leisten, sind – mit Recht! – boes verstimmt. Sie versprachen, Albin Stuebs zu schreiben und die Ablehnung seiner Verse zu begruenden.218 Ich schrieb Ihnen, der Mann sei sehr empfinsdam und leide an Minderwertigkeitskomplexen. Jetzt, nach vier Monaten – ich hielt die Sache fuer laengst dem Titel „Die Gewehre der Frau Carrar. Ein deutscher Emigrantendichter über den spanischen Volkskampf“. 217 „In memoriam Maxim Gorki“. In diesem Vorwort resp. Nachruf ist auch vom dritten Moskauer Schauprozeß (vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937) die Rede. 218 Vgl. Erpenbeck, 20.2.1938.

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erledigt – bekomme ich einen Brief von ihm, in dem er Gift und Galle speit, dass wir so lange brauchen, um seine Kantaten zu pruefen. Ich glaube, es ist besser, wir kehren zu dieser alten Methode zurueck: wenn Ihnen etwas in den Druckmanuskripten nicht gefaellt, legen Sie Veto ein. Lieber bezahle ich dann einen angenommenen Beitrag, als dass ich bei den ohnehin zermuerbten emigrierten Schriftstellern Misstimmungen durch allzu lange Termine aufkommen lasse. Gestern erhielten Sie Material zu Heft 6, ich glaube, das ist wieder ueberraschend gutes. (4 und 5 waren schwaecher, im ganzen gesehen). Antworten Sie bald, wenn Sie Anstellungen haben. Herzliche Grüsse! Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/42.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht Moskau, 21.4.1938

162,-Deutsche Satiren für den Freiheitssender Die Regierung als Künstler Kanonen nötiger als Brot Trost vom Kanzler219 5 Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/41.

219 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938.

[Hs.] 21.4.38 Herrn Bertolt Brecht, Svendborg/Dänemark, Valdemarsgate 9a, II

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American Guild for German Cultural Freedom220 an Bertolt Brecht [New York] 22.4.1938 22. April 1938. Herrn Bert Brecht Skovsbostrand pr. Svendborg Danmark Sehr geehrter Herr Brecht, Durch besondere Fuersprache von Herrn Dr. Thomas Mann, dem Vorsitzenden unseres europaeischen Council, von Herrn Ernst Toller der American Guild for German Cultural Freedom, Inc. ist es moeglich Ihnen fuer die Monate Mai, Juni und Juli 1938 ein Arbeitsstipendium in Hoehe von monatlich $ 30.-- zu gewaehren, damit Sie die Moeglichkeit haben Ihre Arbeiten fortzusetzen. Die erste Zahlung wird Ihnen voraussichtlich Anfang Mai ds.J. zugehen. Es wuerde mich nun noch interessieren ab und zu von Ihnen zu hoeren wie weit Sie mit Ihren Arbeiten gekommen sind.221 Sollten die Mittel, die wir Ihnen zur Verfuegung stellten nicht ausreichend sein, Ihre Arbeiten zu vollenden, so stellen Sie doch nochmals einen Antrag fuer ein weiteres Stipendium. Ich muesste diesen Antrag dann selbstverstaendlich erst unserem Kommittee [sic] fuer eine evtl. weitere Genehmigung vorlegen. Mit den besten Empfehlungen und allen guten Wuenschen Executive Secretary Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 22.4.1938 Lieber Brecht, wenn Sie sich an meine Briefe über die geplante Aufführung222 erinnern, werden Sie sehen, daß ich von Anfang an den Abend als eine grosse, Representative Veranstaltung 220 Die American Guild for German Cultural Freedom mit Sitz in New York war 1935 von Hubertus Prinz zu Löwenstein gegründet worden. Sie unterstützte zahlreiche aus Deutschland und Österreich exilierte Schriftsteller, darunter auch Brecht, mit einem kleinen monatlichen Stipendium. Die Sekretärin der Guild, vermutlich die Verfasserin des vorliegenden Briefes, war Maria Heinemann. 221 Vgl. B. an die American Guild for German Cultural Freedom, Mitte/Ende September 1938, GBA 29, S. 110f. 222 Die Aufführung von acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches unter dem Titel 99%. Bilder aus dem Dritten Reich im Salle d’léna in Paris. Die Premiere fand am 21. Mai 1938 statt.

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gedacht habe und dem entsprechend war mein Wunsch auch dramaturgisch den Verlauf dieser Aufführung aufzubauen. Im Prinzip hat sich inzwischen gar nichts geändert, nur einzelne Einakter sind ausgetauscht worden, wodurch der Abend sicherlich künstlerisch gewonnen hat. Auch die Verse habe ich seit langem verlangt. Von Anfang an habe ich einen BRECHT-ABEND geplant und von Anfang an haben Sie mir die 8 Einakter zur Verfügung gestellt, die ich an einem Abend herausbringen sollte. In den ersten Einaktern war für die Weigel nur eine einzige grosse Rolle. Ich habe Sie gleich darauf aufmerksam gemacht und wiederholt und beständig gebeten noch etwas für die Weigel zu schreiben, damit wenigstens einige Stücke darstellerisch gesichert sind. Das ist inzwischen erreicht worden. Die hälfte der Einakter sind jetzt auf die Mitwirkung der Weigel aufgebaut. Wie Sie sehen, hatte ich wegen der Darstellung von Anfang an grosse Sorgen gehabt und das bedauerliche an der jetzigen Situation ist, daß Sie seiner Zeit, wo ein solcher Einwand und Sorgen berechtigt gewesen wären, geschwiegen haben. Daß ich a l l e i n mit der Laterneleuten223 so einen Abend nicht herausgebracht hätte, versteht sich von selbst, daher begreife ich nicht, warum Sie den letzten Brief224 an mich gerichtet haben. Sicherlich habe ich für Ihre Besorgnis Verständnis, nur wenn die Sorgen die Form des sich erschreckens annehmen, muss man, glaube ich offener miteinander reden. Meine Lesart Ihres Briefes ist die; ich sehe Sie a l l z u besorgt, wo bereits in Ihrer Sorge der Wunsch sichtbar wird die Aufführung auf unbestimmte Zeit (Herbst) und mit ungewissen Ensemble (die Züricher Schauspieler) zu verschieben. Die Besetzung WEIGEL, BRESSART und BUSCH ist selbst für die beste berliner Zeit eine Kanonenbesetzung. (Reinhardts beste Zeit) Und das soll ich in der Emigration ohne Geld, ohne Zuschauer und noch dazu als eine bescheidene Besetzung erfüllen können? Denn Sie schreiben, wenn ich diese Besetzung nicht bekomme, soll ich die Aufführung lieber verschieben. Die Besetzung geht leider nicht. Nicht im Mai – nicht im September. Leider. Ich habe lange mit Bressart gesprochen und alle Künste angewandt um ihn wenigstens allgemein zu interessieren, wenigstens ihn zu reizen die Stücke sich durchzulesen. Es ist mir nicht mal das gelungen, weil er nicht den Eindruck erwecken wollte als wenn ihn die Stücke nicht gefallen hätten. Umso eifriger hat er sich aber auf Umwegen vorher über den Charakter des Abends erkundigt, er wollte genau wissen, wer das ganze finanziert und ob nicht doch die Partei dahinter stehe usw. Das schien ihm wichtiger zu sein als die Stücke zu lesen. Sie sehen, der unpolitische Schauspieler wendet sehr viel Politik an um unpolitisch zu bleiben. Nicht nur die grossen Kanonen sind für so eine Aufführung nicht erreichbar, sondern auch die kleineren. Fürst hat, wie ich Ihnen bereits schrieb, aus dem selben Grund abgesagt. Sie wollen sich nicht im geringsten durch die Mitwirkung politisch belasten. 223 Die Schauspieler der Pariser Kabarettgruppe Die Laterne. 224 Vgl. B. an Dudow, 19.4.1938, GBA 29, S. 86–88. Brecht schlug u.a. vor, den Premierentermin der mangelhaften Vorbereitung wegen zu verschieben.

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Nach der bisherigen Erfahrung, glaube ich, können wir den Abend nur mit unseren Freunden und mit uns sympatisierenden herausbringen. Nur hier kann die Auswahl der Schauspieler stattfinden. Wenn wir real bleiben wollen, was Sie bis jetzt immer waren, dürfen wir nur mit dem rechnen was da ist. Wenn Sie seiner Zeit vor der Aufführung der „Mutter“ in Berlin annähernd solche Forderung wegen der Besetzung gestellt hätten, wie Sie mir jetzt stellen, hätte die Premiere nie stattgefunden. Gewiss war der Erfolg der CARRAR 225 sehr gross und doch hat sich niemand in Prag gefunden, wenigstens eine Wiederholung zu organisieren, geschweige denn eine Uraufführung herauszubringen.226 Wir dürfen nicht mit viel Pathos grosse Pläne schmieden, die alles andere als realisierbar sind. Die Premiere habe ich verschoben und noch kein bestimmtes Datum gesetzt. Wir haben uns bis jetzt grosse Verpflichtungen am Halse geladen die unsererseits eingehalten werden müssen. Ausser dem Saal, der für die zwei Abende sehr viel ausmacht, haben wir für laufende Unkosten unser Etat stark belastet. Die Verschiebung kostet uns noch mehr. Da die Aufführung nicht durch eine der emigranten Organisationen vorbereitet wird, sondern von ein paar Ihrer Freunde, die mit gewisser Zähigkeit und grosser Mühe das nötige Geld besorgt haben, ist die Verantwortung wegen des Geldes persönlich zu verstehen. Sollten Sie sich doch entschliessen auf die Verschiebung bis zum Herbst zu bestehen dann sehe ich die Abwicklung mit gewissen Schwierigkeiten. Ich werd Ihren Wunsch Rechnung tragen und die Aufführung abblasen, doch eine zweite Möglichkeit wieder eine solche Theaterarbeit in Angriff zu nehmen, sehe ich schwinden, ja fast halte ich es für ausgeschlossen. Auch meinerseits wird es kaum möglich sein, aus finanziellen Gründen, mich an einer solchen Vorbereitung für den Herbst zu beteiligen. Aus meinen bisherigen Bemühungen können Sie deutlich ersehen, wie ich mir den Abend gedacht habe. Auch nach der Schauspielerischen Seite hin. Ich habe mit aller für uns erreichbaren Kräften verhandelt und ich kann Ihnen die Versicherung abgeben, daß ich auf keinen Fall die Aufführung herausbringe ohne vorher einige gute Kräfte gewonnen zu haben. Das ist aber selbstverständlich und dieser Briefwechsel hätte nicht stattfinden brauchen, zumindestens nicht in dieser Form. Welche Kräfte ich noch gewinnen werde, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen, da ich dauernd verhandle. Wenn Busch die Ballade übernimmt und ich ihn wenigstens noch für eine oder zwei Rollen bekomme, sehe ich alle Besetzungsschwierigkeit überwunden.227 Für den Richter und den Lehrer verhandle ich mit einen Wiener Schauspieler. Auch Schönlank hat im Prinzip zugesagt, nur konnte er uns keine festen Termin geben. Diese Besetzung würde ich für e r r e i c h b a r und auch für a u s r e i c h e n d halten um den Abend herauszubringen, der weit mehr Beachtung finden müsste als die GEWEHRE DER FRAU CARRAR. Auch die finanzielle Mittel sind diesmal grösser. 225 Vgl. Anm. zu Domke, 15.10.1937. 226 Vgl. Anm. zu Herzfelde an Steffin, 30.10.1937. 227 Die Ballade Die deutsche Heerschau wurde von Fritz Seiffert gesungen. Ernst Busch nahm an der Aufführung nicht teil.

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Die Zeit drengt und es wird leider kaum möglich sein, wegen der Besetzung weiter zu korrespondieren. Ich muss r a s c h handeln können, die Besetzung jetzt fertig machen und mit der Arbeit sofort beginnen. Ich werde Ihr Bedenken, das auch das meinige ist, Rechnung tragen und hoffe bestimmt den Abend in entsprechender Weise zu starten. Ich möchte Ihre Entscheidung nicht desavouieren, deswegen lasse ich bis Montag den 25 April die Arbeit ruhen und falls ich bis dahin von Ihnen gar keine Antwort habe, werde ich annehmen, Sie sind, wenn auch schweren Herzens, mit diesen Vorschlag einverstanden. Die Premiere muss bis dahin festgesetzt und mit den Proben begonnen werden. Ich hoffe Ihre Sorgen werden sich inzwischen verflüchtigt haben und bitte Sie wirklich dringend mir dann den Schluss und den Titel des Abends einzuschicken. Anbei der Text von Stammreich für die PHYSIKER.228 Wann Weigel kommen soll, schreibe ich Ihnen noch. Herzlichst Paris den 22.4.38 Dudow Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., BBA 478/34–36.

Arnold Zweig an Margarete Steffin Haifa, 24.4.1938

den 24. April 1938

Arnold Zweig Haifa, Mount Carmel House Moses

Liebste Grete Steffin, obwohl wir von Ihnen nichts gehört haben, bin ich überzeugt: Sie sind an meiner Freundschaft für Sie und Brecht nicht irre geworden. Auch hat Ihnen bestimmt oft das Ohr geklungen, und zwar immer das linke, weil ich aufs herzlichste an Sie dachte, wann immer ich meine Postmappe öffnete oder in einer neuen Nummer des Wort einen neuen Teil Ihrer wirklich vortrefflichen Formung von Nordahl Griegs Niederlage fand.229 Ich habe als alter leidenschaftlicher Freund des aktuellen und politischen Dramas meine Augen kräftig marschieren lassen, und ich bedaure nicht, dass ich sie ermüdete: denn obwohl das Stück auf der Bühne eine Umformung wird erleiden müssen, ist es doch als Lektüre schon aufregend und spannend genug und Sie haben Ihre Zeit nicht verschwendet, liebe G. St. 228 Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches (GBA 4, S. 382–384). Der Text von Hans Stammreich konnte nicht ermittelt werden. 229 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938.

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Nun zunächst zu Brechts Stück.230 Ich hatte in den letzten Monaten viel Arbeit; dazu wurden die Wege nach Mischmar Haemek jede Woche unsicherer.231 Irgendwo auf dem 30 km langen, drei-acht km breiten Carmel sitzt eine Bande politisch ökonomischer Banditen, die Ausfälle bald nach der Meerseite, bald nach der Landseite des Gebirges unternimmt. Am Fusse der letzteren liegt Mischmar Haemek, das mehrere Verluste an Menschen zu beklagen hat; und die Schiesserein selber fielen in den letzten Monaten drei-vier Mal wöchentlich vor. Jetzt bin ich aber freier und kann auch am Vormittag einmal rasch nach Mischmar fahren, das mit dem Wagen kaum weiter als eine halbe Stunde entfernt ist. Und da sind wir schon bei den persönlichen und privaten Nachrichten, die ich Ihnen und Brecht so lange schuldig geblieben bin. Ich habe mir nämlich einen kleinen, sehr sparsamen Wagen angeschafft, einen Leehill von hervorragender Qualität, auch als Secondhan[d]wagen. Wundern Sie sich bitte nicht über die Ihnen unbekannte Wagenmarke: es ist einfach ein Adler, der in Palästina von einem Dr. Feldberg (englisch-dichterische Uebersetzung Leehill) vertrieben wurde. Wurde – weil ihm vor zwei Jahren eine arabische Menge, in die er geriet, als sie gerade frisch fanatisiert aus der Moschee kam, mit einem grossen Stein die Schläfe einschmiss. Seine Witwe, eine prächtige Hamburgerin nichtjüdischer Herkunft, setzt das Geschäft fort, und da sie und ihre Angestellten ausserordentlich zuverlässig sind und mein Chauffeur, nämlich der Michi232, auch etwas von Autos versteht, haben wir einen guten Kauf getan. Ich werde Ihnen also bald näheres über die Aussichten berichten, die „Die Gewehre der Frau Carrar“ in Palästina haben. Ich nehme aber an, dass das Stück in hebräischer Uebersetzung gespielt werden wird, wenn es überhaupt gespielt wird; anders erlaubt es der nationale Standpunkt nicht. Ich selbst bin da Leidtragender genug. In Heft 5 vom Wort werden Sie und Brecht Stücke meines Spiels „Vom Herrn und vom Jockel“ finden,233 der den Hafer schneiden sollte und es nicht tat. Dieses Spiel und ein anderes, viel kürzeres von Ungehorsam und Bekehrung des Propheten Jona existiert hier seit Frühling 36. Und obwohl der Bedarf an Marionettenspielen für Kinder oder Erwachsene gross ist, und auch sehr hübsch geschnitzte Puppen in Jerusalem existieren, kam es doch zu keiner Aufführung, weil die hebräische Uebersetzung meiner Verse zu grosse Schwierigkeiten bereitete.

230 Die Gewehre der Frau Carrar. 231 In einem Brief an Zweig vom 3.3.1938 (vgl. helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, S. 377) berichtete Steffin, es habe sich eine Julamit Batdori (d.i. Shulamit Bat-Dori) aus Mischmar Haemek (eigentlich Mishmar ha-Emek), einem kleinen Ort zwischen Haifa und Nazareth, gemeldet und den Wunsch geäußert, das Stück aufführen zu wollen. Näheres über Frau Batdori und die Inszenierung des Stücks in Mischmar Haemek (vgl. Zweig, 26.3.1939) konnte nicht ermittelt werden. Ein Brief an Brecht oder Steffin ist offenbar nicht überliefert. 232 Arnold Zweigs Sohn Michael. 233 Erschienen in Heft 5/1938 unter dem Titel „Das Spiel vom Herrn und vom Jockel – für Kinder und Erwachsene, von Kindern und Erwachsenen zu spielen, darstellend die Unrodnung der Welt, welche kund wurde, als der Knecht Jockel den Hafer schneiden wollte.“

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Ich gehe jetzt daran, ein wirklich aufschliessendes Buch über Palästina zu versuchen.234 Ich weiss zwar, dass der Versuch nur annähernd glücken kann. Aber ich wäre schon mit dieser Annäherung zufrieden. Hier schneiden sich ungefähr alle Probleme und Scheusslich­ keiten unserer liebenswürdigen Epoche. Die soziale Revolution, das Judenproblem, der nationale „erwachende Orient“, die Dekadenz des Bürgertums, echter und scheinhafter Sozialismus, das Problemknäuel England, die Ausstrahlungen der Faschismen und der erlöschende Völkerbund. Und da Ordnung und Darstellungsfähigkeit auch nur in das Material zu bringen, ist a Aufgab, wie unsere bayrische Wirtin zu sagen pflegte. Ausserdem ist hier ein Kuriositätenkabinett lebendig. Lassen Sie sich z.B. von Brecht erklären, wer Hermann Sinsheimer ist.235 Dieser hat sich jetzt hier eingefunden, allerdings nicht bei mir. Meiner Frau236 geht es von uns allen am besten: die wundervolle Landschaft des Landes hat ihr zu einer ebensolchen Entwicklung als Malerin verholfen, ohne dass sie sich etwa gegen das Unheil und Leid der Welt und des Landes abgeschlossen hätte. Was mich anlangt, so arbeite ich intensiv wie immer. Wer nicht lesen kann237, muss leider schreiben, so verlangt es das Gesetz des Djungel. Mein Adam238 hat an Wachstum seine Mutter schon fast erreicht und entwickelt vielerlei Talente und Fähigkeiten. Und damit zunächst einmal Schluss für heute. Wenn Brechts gesammelte Schriften erscheinen, hört Ihr mehr von Eurem herzlich grüssenden Überlieferung: Ts, Arnold Zweig Archiv, Berlin. – Dv: Kopie, BBA Z 15/12–13. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 377ff.

234 Zweig veröffentlichte zu diesem Thema in der Pariser Tageszeitung zwei Aufsatzfolgen: „Das Skelett der Palästina-Situation“ (Mai bis Juli 1938) und „Die Wahrheit über Palästina“ (September bis November 1938). Das „aufschließende Buch“ kam jedoch nicht zustande. In der „Palästina-Mappe“ im Arnold Zweig Archiv finden sich eine Reihe von Texten, die vermutlich für ein solches Buch bestimmt waren. Der 1948 begonnene und erstmals 1997 erschienene Emigrationsbericht oder Warum wir nach Palästina gingen greift auf jenes Material nicht zurück. 235 Hermann Sinsheimer (1884–1950), Schriftsteller und Journalist, in den 1920er Jahren Chefredakteur des Simplicissimus und Feuilletonredakteur beim Berliner Tageblatt. Sinsheimer blieb allerdings nicht in Palästina, sondern ging noch im selben Jahr nach London. 236 Die Malerin Beatrice Zweig (1892–1971), genannt Dita. 237 Zweig hatte sich im Ersten Weltkrieg eine Augentuberkulose zugezogen, infolgedessen war sein Sehvermögen seit Mitte der 1920er Jahre stark beeinträchtigt. 238 Arnold Zweigs Sohn Adam (geb. 1924).

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Slatan Dudow an Helene Weigel Paris, 30.4.1938 Liebe Weigel, haben Sie denn meinen Brief vom 17 April nicht bekommen? Ich habe Ihnen dort die Reihenfolge der Stücke ja geschickt. Die genaue Bes[e]tzung habe ich Ihnen seiner Zeit noch nicht schicken können. Es schmerzt mich, wenn man mir unberechtigte Vorwürfe macht. Wenn ich auch noch so viel zu tun hätte, so werde ich doch nicht das Wichtige vor dem Unwichtigen vergessen. Oder meinen Sie ich habe Ihr kommen für Nebensache gehalten? Wir haben die Premiere für den 21-22 Mai angesetzt und müssen alles daran setzen um den Termin einzuhalten. Unsere Freunde warten auf diese Aufführung mit grosser Ungeduld. Man ist hier von den Einaktern einfach begeistert. Nun zu den Fragebogen. 1) Die Reihenfolge liegt anbei. 2) Besetzungsliste ebenfalls 3) Scenenentwürfe kommen, wenn Lohmar es Zeitlich schaft. 4) Das fehlende Reisegeld geht am Montag ab. 5) Die Premiere ist am 21-22 Mai. 6) Letzter Termin für Ihr Eintreffen 9 Mai in Paris Probefert[?] 7) Bereits beantwortet. 8) Wiener Schauspieler hat abgesagt und heisst Ritter. Keine L. 9) Daran habe ich gedacht, aber eben nur gedacht. 10) Granach ist in Zürich und spielt bei Rieser. 11) Habe mit sehr viele verhandelt. Ausser die Fahrt, werden wir Ihnen den Aufenthalt, d.h. ein Zimmer in Hotel Messidor und ev. Verpflegung noch bezahlen, so daß Sie fast keine Spesen in Paris haben werden oder sagen wir besser, sehr wenig. Das schwarze Kleid habe ich verlangt, wegen der Farbe die sich von der der Dekoration wirkungsvoller abheben muss. Überhaupt habe ich von Lohmar verlangt die Dekoration farbiger aufzubauen und es sind ihm grossartige Sachen gelungen. Wegen der Umschminkzeit können wir alles in Paris besprechen. Naturlich werde ich darauf grosse Rücksicht nehmen. Das ist ja selbstverständlich. Ich bitte Sie nicht später als den 9 Mai in Paris zu sein. Paris den 30.4.38

Herzlichst

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2580/1.

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 30.4.1938

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[Hs.] 30 avril 1938

Lieber Brecht, mir scheint es auch, wir können die schwierige Angelegenheit in einem ruhigeren Ton regeln.239 Die Entfernung erschwert ja alles zu sehr. Ehe Sie einen Brief von mir bekommen, hat sich die Situation hier bereits verändert. Vorallem die politische Situation macht uns Sorge. Ich schrieb Ihnen warum wir die von Ihnen vorgeschlagenen Titel nicht nehmen wollen. Wir dürfen nicht einen Eingriff der höheren Gewalt auf hetzen. Ein Titel wie „Deutsche Heerschau“, „Der Hackenkreuzzug“240 usw. werden aber dies herausbeschwören und zwar ehe wir richtig zum Zug gekommen sind. Sie müssen sich unsere Lage wesentlich anders denken als sie im Herbst 37 war. Darum kam der Vorschlag von „99 %“, der sicherlich harmloser ist und vorallem neutraler. Unsere Freunde fanden den Titel ausgezeichnet und auch publizistisch sehr wirkungsvoll und wenn Sie die vorhergehende Gründe berücksichtigen, werden Sie sich unsere Situation leichter vorstellen, warum wir so einen Titel vorgeschlagen und schlisslich genommen haben. Wenn Sie uns noch einen schönen Untertitel vorschlagen können, wär sicherlich sehr nützlich. Vorläufig haben wir den U n t e r titel „Ein Zyklus unserer Zeit“ genommen, der sicherlich nicht genügt. Den Untertitel können wir ja noch austauschen. Die Premiere haben wir für den 21-22 Mai angesetzt. Das ist ein Termin den wir auf jeden Fall einhalten müssen. Meiner Meinung nach, falls nicht etwas unvorhergesehenes passiert, können wir es tun. Ich habe stets die Briefe an Weigel beantwortet. Wenn Sie bedenken, daß ich an sie drei Briefe und sie mir nur zwei geschrieben hat, so kann ich unmöglich sie vernachlässigt haben. Auch die Reihenfolge der Stücke habe ich ihr schon am 17 April geschickt und ich bat sie Ihnen dies auch zu zeigen. Wer mitspielt habe ich ihr auch geschrieben, nur die genaue Besetzungsliste konnte ich seiner Zeit noch nicht abschicken. Mir scheint die Reihenfolge, die Sie vorschlagen,241 kaum durchführbar, weil diese ein gewisses Durcheinander in der Zeit bringt. Die Arbeitsbeschaffung spielt 1937/38 und die JUDISCHE FRAU 1933/34. Wenn die Zeit im Stück deutlich erkennbar ist, können wir es nicht willkürlich dort setzen wo wir es wollen, ohne das es dazu einen Sinn hätte. Ganz anders ist es mit der RECHTSFINDUNG. Das Stück könnte 1933 aber auch noch 1938 spielen. Anbei lege ich meinen Vorschlag, den ich sehr ungern verändere, wenn nicht wirklich wichtige Gründe vorliegen. Wegen der Masken von Weigel muss man unbedingt Rücksicht

239 Vgl. B. an Dudow, 24.4.1938, GBA 29, S. 88f.; dazu Dudow, 22.4.1938. 240 Der Hakenkreuzzug ist der ursprüngliche Titel der Ballade Die deutsche Heerschau (vgl. Anm. zu Dudow, 28.3.1938). 241 Vgl. B. an Dudow, 19.4.1938, GBA 29, S. 87.

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nehmen und das werde ich bestimmt tun, aber das kann ich ja schlisslich mit ihr in Paris besprechen. Das ist eine mehr technische Frage, die sicherlich zu lösen ist. Für Sie wird sicher noch eine andere Tatsache interessant sein, dass ein Wiener Schauspieler, gewisser Ritter, der seit langem in Paris lebt und kaum etwas befürchten muss, hat uns abgesagt, nachdem er die Stücke gelesen hat. Er meinte, er könne sich nicht exponieren, da er immerhin ein Mann ist, der noch etwas zu verlieren hat. Wenigstens eine deutliche Sprache. Mit verschiedenen Schweizern haben wir es inzwischen auch versucht, die können leider nicht. Inzwischen hat Schönlank zugesagt. Ich möchte ihn für den Mann im SPITZEL und für den Richter in der RECHTSFINDUNG nehmen. Meinen Sie er würde es nicht schaffen? Ich hoffe ja. Die beste Besetzung wird er nicht sein, doch sicherlich eine grosse Bereicherung neben den pariser Tiraden. Busch erwarten wir jeden Tag in Paris und ich hoffe, er wird wenigstens eine oder zwei Rollen übernehmen und die Ballade. Es bleibt meiner Meinung nach die Frage des Schlusses noch ungelöst. Ist bei den neuen Einaktern etwas dabei? Ich bedaure es wirklich, daß Sie sich nicht entschlossen haben die Scene vor dem Milchladen242 umzuarbeiten. Das wäre wirklich ein glänzender Schluss. Ich hoffe immer noch im stillen, eines Tages bringt sie mir der Briefträger. Dazu muss sie allerdings geschrieben sein. Wegen der Propaganda werden wir sicherlich vor die selbe Schwierigkeit kommen, wie seiner Zeit. Wir müssen etwas da haben, was wir kurz vorher der Aufführung veröfentlichen können. Was würden Sie da vorschlagen? Ich bitte Sie darüber auch ein wenig nachzudenken, weil das sehr wichtig ist. Ich hätte beinah vergessen Ihnen noch zu schreiben, daß unsere Freunde von den Einaktern begeistert sind. Vorbehaltlos. Ich habe eine Mappe gemacht und zwar in der selbe Reihenfolge wie Sie aus dem beiliegenden Zettel ersehen, ohne den Schluss. Man fragte wie der Schluss sei, hoffentlich genau so gut wie die anderen Einakter. Man hat auffallender Weise die Absicht der Reihenfolge auch begriffen. Bitte denken Sie an den Schluss! (Der FEHLENDE MANN würde eine falsche aktualitäts Wirkung hervorrufen, weil eben die Wahl vor ein paar Wochen war.)243 Paris den 30.4.38

Herzlichst

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2581/1–2.

242 Aus der Szene Der alte Kämpfer (GBA 4, S. 423–426); vgl. Dudow, 17.4.1938. 243 Vgl. Anm. zu Dudow, 7.4.1938.

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Helene Weigel an Bertolt Brecht [Paris, Anfang Mai 1938] Es sei bereits halb zwei Uhr nachts, schreibt Weigel, die Probe soeben beendet. Die Rede ist von den Proben zu einigen Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches, die Slatan Dudow unter dem Titel 99%. Bilder aus dem Dritten Reich in Paris inszeniert (vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938). Weigel ist mit der Arbeit sehr unzufrieden. Sie beklagt sich über die schauspielerischen Leistungen Hans Altmanns und Erich Schönlanks. Mit dem Regisseur Dudow, der nicht dulde, daß Piscator oder Benjamin den Proben beiwohnen, komme sie nicht gut zurecht. Auch der Untertitel „Zyklus“ gefalle ihr nicht. Sie wolle dafür sorgen, im Programm eine Notiz unterzubringen, aus der hervorgeht, daß hier nur sieben von 27 Stücken gespielt werden. Weigel ist sich unsicher, ob sie außer in den Szenen Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung auch in Der Spitzel und Das Kreidekreuz spielen solle. Sie bestellt Grüße von Fritz Sternberg und auch von Walter Benjamin, der sich beklagt habe, daß in Mahagonny das Kranichlied (vgl. Szene 14 in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, GBA 2, S. 364f.) vergessen worden sei. Unklar, worauf Benjamin sich dabei bezog. In den im Malik-Verlag erschienenen Gesammelten Werken ist das Lied enthalten. Ihn, Brecht, schreibt Weigel zum Schluß, bräuchte sie „unter allen Umständen zu allen Dingen und allen Zeiten.“ Überlieferung: Ms, BBA 1298/14–21. – E: „Wir sind zu berühmt, um überall hinzugehen“. Helene Weigel: Briefwechsel 1935–1971, hrsg. v. Stefan Mahlke, Berlin 2000, S. 15 (jetzt in: Bertolt Brecht/Helene Weigel, Briefe, hrsg. v. Erdmut Wizisla, Berlin 2012, S. 173f.).

Henry Jul Andersen an Bertolt Brecht Kopenhagen, 12.5.1938 k_b_hv_n. 12-5-38. lieber bert brecht, ich senden dich hiermit abschrieften von briefe ich haben bekommen auf martin andersen nexø, hans kirk u.a. über meinen gedichte und novellen.244 genossin else245 hat einen zei[ch]nung zu dem „socialdemokraten“246 sontagsnr. verkauft. meinen gedicht Zum diessens Zeignung wollen die redaktur nicht haben, alz er nicht Zeignung und gedicht zusammen leide! alz er bitten mir einen journaliestiche tekst geschreiben.

244 Die Briefe sind nicht überliefert. 245 Else Alfelt. 246 Vermutlich die seit 1871 erscheinende dänische Tageszeitung Social-Demokraten.

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das ist bezahlt, doch er warren unsicher um das gebraucht werden! (hier beigelegt die gedichten; 3000 jahre. und das geschereibendes aufzatsen.) heute abend haben else und ich für einen versamlung im die verband; sexuel gesundheit, slagen für eins stück zur ienstuderung. das ist einen stück von der nordmand, olav simonas; „spor som skræmmer“, über die svanger, probleme. Das ist csere akutelt zum machtjahre (im august) wo der dänische reischtag solst die kommisions vergeslagen behandelt. wir haben denkt der genossin traudie (hodann)247 die instruktion machen. Und wieder genosse ruth berlau. was meinst du? else und ich lessen (læste) zusammen das stüch für die versamlung, der sere begeistern werden fur das stüch alz wieder für unseren gutes auflessung!! (oplæsning). nun, der gibtes leute im dieseses nicht gute verband. wir wollen diesses gute leute durch dieses teaterarbeiten gewinnen. verstehts du? ja. wan gehtes das mit meinen gedichte ich habt zur die socialdemokraten im odense geschickten? Ich habt kein gehürt. Jetzt beigelegt meinen novellen und ein neues aufsats wie else solst illustrieren. für die tagspresse! kein wieder. herzliegsten grüss zum beide von else, dagmar248 und Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr.; BBA 477/151–153.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht Moskau, 13.5.1938 Herrn Bertolt Brecht, Svendborg/Dänemark, Valdemarsgate 9a, II.

13. Mai 1938

190,-Rechtsfindung 1934 249 Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/51.

247 Die Schauspielerin Traute (Gertrud) Hodann, die Frau des nach Kopenhagen emigrierten Arztes Max Hodann. 248 Dagmar Andreasen. 249 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1938.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 13.5.1938 13. Mai 38

E Lieber Genosse Brecht, lassen Sie mich schnell Ihren Brief vom 30. vor. Mon.250 beantworten. Wegen der Spesenvergütung bin ich schon einmal beim Verlag vorstellig geworden und werde diese Aktion wiederholen, da sie bis jetzt ohne deutliches Echo blieb. Sie dürfen nicht annehmen, dass solche Verzoegerungen an mir liegen, ich mache immer, was ich kann. Im nächsten Briefe werde ich Ihnen also sicher Positives in dieser Sache mitteilen koennen. Sie machen mir Vorwürfe, dass in dem eben herausgekommenen Heft nur ein Teil der von Ihnen ausgesuchten Lyrik enthalten sei. Das ist ein Irrtum – es ist alles (und zwar mit den vorgeschlagenen Aenderungen) drin. Mit einer Ausnahme allerdings: „Das Liedchen“ – von dem Sie nur die erste Strophe haben wollten oder eine Aenderung der folgenden – habe ich erst gestern vom Autor (den ich doch fragen musste) mit einem langen Brief zurueckerhalten. In diesem Brief bedankt er sich geradezu ruehrend fuer die Hilfe, die wir ihm geleistet haetten. Er sei zwar mit Ihrer Kritik nicht in allen Punkten einverstanden (vorher hatte ich ihm schon andere Gedichte mit Begruendung zurueckgesandt) aber er sei dennoch sehr gluecklich, dass sich zum erstenmal (!) Freunde so ernsthaft mit ihm beschaeftigen. Anbei finden Sie das geaenderte „Liedchen“, dessen weitere Strophen mir allerdings immer noch nicht gluecklich recht geglückt erscheinen. Aber er ist mit Strichen einverstanden. Was meinen Sie? Gleichzeitig sende ich Ihnen (vor der gewoehnlichen Manuskriptsendung) schon die Gedichte, die ich fuer 7 oder 8 vorschlage, damit Sie rechtzeitig antworten koennen. 1.) „Liedchen“. 2.) „Spaziergang in Madrid“.251 Der Autor ist ein junger Spanienkaempfer (Ich kenne ihn zufaellig). Das Gedicht hat auf mich stark gewirkt, obwohl ich natuerlich ueberall die Schwaechen sehe. Wenn Sie meinen, dass wir es bringen koennen, duerfen wir aendern. 3.) „Yemeniten“. Der Autor ist ein junger juedischer Arbeiter aus Berlin, jetzt Palestina [sic]. Die Sache ist anspruchslos, aber wir sollten sie bringen, denn sie interessiert in P., wo wir stark wachsende Auflage haben. Kleine Aenderungen koennen wir auch hier machen. 4.) Klara Blum252: „Die Lieder des Chinesen“ sind aus einem Gedichtband, der 250 Nicht überliefert. 251 Gedicht von Axel Fröhlau, erschienen in Das Wort, Heft 7/1938. 252 Die in Wien aufgewachsene Schriftstellerin und Journalistin Klara Blum (1904–1971) war in den 1920er Jahren nach Palästina emigriert und nach ihrer Rückkehr der SPÖ beigetreten. 1933 schloß sie sich der KP an. Seit 1934 lebte sie in Moskau, wo sie u.a. als Autorin für Das Wort und Internationale Literatur arbeitete. 1947 übersiedelte sie nach China und nahm den Namen Zhu Bailan an. Ihr früherer Lebensgefährte aus Moskau, der 1938 verschwundene chinesische Journalist Zhu Xiangcheng,

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hier demnaechst erscheint. Sehr viele Freunde sind der Ansicht, dass man die Autorin foerdern muesse. Sie hat sich auch tatsaechlich sehr entwickelt. (War frueher SPD, Wi[…)]253 Eventuell kann man das eine oder andere Gedicht streichen. Machen Sie bitte Vorschlaege. Ihre Chinesische Lyrik 254 kam heute frueh an. Ich moechte sie gern fuer Heft 8 unter „Uebersetzungen“ nehmen. Für 7 haben wir eine kleine Sensation: ein Film-Exposee von Maxim Gorki (Fragment) „Der Weg ins Nachtasyl“ – die Vorgeschichte der NachtasylFiguren.255 Sehr interessant. In Heft 6 nahm ich im letzten Augenblick einen Abschnitt aus Kolzows neuem Spanienbuch.256 Und da es mit dem Umbruch nicht ausging, war es erforderlich, zwei Sonette von E. Arendt257 (wie ich glaube, sehr starke) hinzuzunehmen. Natuerlich war es nicht moeglich, Ihnen vorher noch die Manuskripte zur Einsicht zu senden. Aber das werden Sie ja ohne weiteres verstehen und billigen. Die Ungarn haben mir fuer die „Rechtsfindung“ Valuta versprochen.258 Ich werde die Ohren steifhalten, sobald die Nummer erscheint. Von „Kaempfer“ habe ich noch keine Antwort.259 Nexoe-Aufsatz hat viel Arbeit im Umbruch gemacht wegen der Aenderungen.260 Ich werde, wie Sie wuenschen, an ihn schreiben. In „Rechtsfindung“261 konnten wir noch die Textaenderungen einfuegen, mit Ausnahme der langen (leider, denn ich halte sie fuer sehr gluecklich). Mit dem neuen Motto werden wir uebermorgen sehen, ob es sich einschieben laesst, ohne dass alles zu gequetscht aussieht. (Sie wissen ja: wenn im fertigen Umbruch eine Arbeit verlaengert wird – oft macht eine Zeile Schwierigkeiten, besondern bei dem komplizierten Satz von Theaterstuecken mit auslaendischen Setzern! – dann bedeutet das eine Umstellung aller folgenden Seiten durchs ganze Heft. „Stunde des Arbeiters“262 habe ich schon gelesen. Kommt in 7. den sie in China wiederzutreffen hoffte, war jedoch bereits 1943 in einem sibirischen Lager ums Leben gekommen. Das erwähnte Gedicht wurde im Wort nicht veröffentlicht. 253 Im TsD durch die Bindung der Seite verdeckt. 254 In Heft 8/1938 erschienen die nach englischen Nachdichtungen von Arthur Waley entstandenen Sechs chinesischen Gedichte: Die Freunde (unbekannter Dichter), Die Decke, Der Politiker und Der Drache des schwarzen Pfuhls (Po Chü-i), Ein Protest im sechsten Jahre des Chien Fu (Ts’ao Sung) und Bei der Geburt seines Sohnes (Su Tung-p’o). Siehe GBA 11, S. 255–260. 255 Abgedruckt unter dem Titel „Der Weg ins Nachtasyl. Fragment eines Filmszenariums“ (in einer Übersetzung von Kurella). Na dne (Nachtasyl. Szenen aus der Tiefe) ist ein Schauspiel von Maxim Gorki aus dem Jahr 1901. 256 Das vollständige Spanien-Tagebuch von Michail Kolzow erschien 1938 in Moskau: Ispanskij dnevnik (Spanisches Tagebuch, Berlin 1986). 257 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 15.1.1938. 258 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.4.1938. 259 Vgl. ebd. 260 Vgl. ebd. 261 Unter dem Titel Rechtsfindung 1934 erschienen in Heft 6/1938. 262 Die Stunde des Arbeiters, Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches (GBA 4, S. 405–407), zusam-

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Ueber Ihre Einwaende in puncto Expressionismusdebatte wundere ich mich einigermassen. Es war doch so viel Zeit zur Stellungnahme.263 Schon im Februar war eigentlich der Schluss angekuendigt. Aber nicht nur darum geht es. Ich weiss wirklich nicht, was man als Marxist gegen die jetzigen Formulierungen Lukacs’264 einwenden koennte (bei seinem frueheren Aufsatz war es anders). Aber er schließt ja gar nicht ab: im naechsten Heft kommt [ein]265 Schlusswort, und dann wird die Diskussion auf einen wichtigen Punkt gelenkt: die Frage der Volkstuemlichkeit.266 (Sie koennen also noch auf alles zurueckkommen.) Feuchtwanger schrieb nichts davon, dass er nicht einverstanden sei, sondern im Gegenteil: er faende das Material zu Heft 6 ausserordentlich interessant. Auch zeigt seine prinzipielle Stellungnahme zum Realismus (im „Vorwort an meine Sowjetleser“267, das wir in 7 bringen werden), dass er im ganzen und grossen mit den neuerdings erarbeiteten Erkenntnissen zum Realismus konform geht. Und schliesslich: Ihre Einakter gefallen nicht nur mir, sondern allen unsern Freunden hier gerade deshalb so gut, weil auch Sie in der Praxis (wenn auch offenbar noch nicht in der Theorie) sich dem Einfluss der Wirklichkeit gluecklicherweise nicht entziehen. Sie sind doch nicht boes, dass ich so offen ausspreche, was ich denke? In diesem Sinne recht herzliche Gruesse Ihr Überlieferung: TsD, hs. Korr.; RGALI 631/13, 64/52–53.

men mit zwei weiteren Szenen unter dem Titel Deutschland – ein Greuelmärchen erschienen in Heft 7/1938. 263 Brecht hat sich an dieser seit Heft 9/1937 im Wort geführten Debatte nicht beteiligt. Seine Kleine Berichtigung (GBA 22, S. 402f.) wurde nicht gedruckt, und der zurückhaltend poetologische Beitrag Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen (GBA 22, S. 357–364) erschien erst in Heft 3/1939. Gegenüber Willi Bredel erklärte er, er werde von Erpenbeck manchmal aufgefordert, „an der Debatte teilzunehmen, aber dazu habe ich natürlich keine Lust, da ich solche Debatten für höchst schädlich und verwirrend halte, d.h. zu diesem Zeitpunkt […]“ (B. an Bredel, Juli/August 1938, GBA 29, S. 107). Vgl. dazu seine damals unveröffentlichten Aufzeichnungen zur Frage des Realismus (GBA 22, S. 405–449) sowie die polemischen Journaleinträge vom Sommer 1938 (GBA 26, S. 312–323). 264 Die Rede ist vermutlich von Georg Lukács’ Aufsatz „Es geht um den Realismus“, Das Wort, Heft 6/1938 (jetzt: Expressionismusdebatte, S. 192–230). 265 Im TsD unleserlich, durch die Bindung der Seite verdeckt. 266 In Heft 7/1938 erschien neben dem „Schlußwort“ von Bernhard Ziegler (d.i. Alfred Kurella) auch der Beitrag „Volkstümlichkeit“ von Erpenbeck selbst. 267 Lion Feuchtwanger, „An meine Sowjetleser“, Das Wort, Heft 7/1938.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 14.5.1938 (Brecht)

E

14. Mai 38

Lieber Genosse Brecht, ich sende Ihnen heute noch einige Gedichte, die ich nicht zum Druck vorschlage. Aber ich moechte sie Ihnen nicht vorenthalten haben. (Hat nicht uebrigens W. Kolbenhoff, abgesehen von dem „bittren Hassen“ und „wehen Lieben“, eine politisch nicht ganz eindeutige Stellung?268 Das koennten Sie dort ja leicht in Erfahrung bringen.) Ostermoor kenne ich. Seine letzten Gedichte haben Sie – mit Recht – als schrecklich banal und sentimental abgelehnt. Da ich ihm aufrichtig schreiben kann, habe ich eine Bemerkung hinsichtlich der Sentimentalitaet gemacht. Nun meint er: ausgeschlossen – er waere doch ehemaliger Boxer! Und schickt das beiliegende, noch sentimentalere Gedicht. Ja, man hats manchmal schwer, wie? Herzlichst Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/54.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 14.5.1938 Lieber Brecht, noch ein paar Worte über die Aufführung. Die Schlussverse, die Sie mir geschickt haben sind sehr gut und auch passend, besonders grossartig ist die erste Strophe. Der Schluss der zweiten Strophe ist missverständlich.269 Wenn Ihnen noch etwas einfällt, bitte ich Sie ein kleine Verbesserung zu machen. Der Titel „99%“ scheint sehr wirkungsvoll zu sein. Den Eindruck den Ihre Einakter bei unsern Freunden hinterlassen haben, scheint ausser­gewöhnlich gross zu sein. Für den Abend hoffen wir das beste. Schicken Sie mir bitte eine Vollmacht, dass sie auf die Tantiemen für diesen Abend Aufführungen verzichten. Das brauchen wir dringend

268 Im Wort erschien kein Beitrag Walter Kolbenhoffs. 269 Vermutlich die Ballade Die deutsche Heerschau (GBA 14, S. 395–401; vgl. Anm. zu Dudow, 28.3.1938). An dem Text, wie er Dudow damals vorlag, nahm Brecht, während er bis Juni 1938 weitere Szenen zu Furcht und Elend des III. Reiches hinzufügte, Änderungen und Ergänzungen vor.

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Paris den 14. Mai 38. Herzlichst Ihr Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2582/1.

[Red. „Das Wort“] an Bertolt Brecht [Moskau] 16.5.1938 (Brecht)

16. Mai 38

Lieber Genosse Brecht, wir haben jetzt die Spesen-Angelegenheit mit dem Verlag (der ab gestern liquidiert ist) geregelt.270 Ich konnte Ihnen heute 500 Rb. anweisen lassen. Es wird erfahrungsgemaess bis zu drei Wochen dauern, ehe das Geld dort eingeht. (Vielleicht auch frueher, ich sage das nur, damit Sie nicht ungeduldig werden.) In welchen Verlag wir kommen, steht noch nicht ganz fest. Die Arbeit geht natuerlich genau so weiter. Besten Gruss Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/56.

Henry Jul Andersen an Bertolt Brecht Kopenhagen, 21.5.1938 kobenhavn d. 18-1-38; lieber brecht 21-5-38 uhr 17,23 bei else und henning271 wir habt jetz gelesen (gelest? = læst) – beigelegte brief von harald herdal272 zu mir.

270 Das ist der von Michail Kolzow geleitete Jourgaz-Verlag, in dem die Zeitschrift bisher erschienen war. (Kolzow wurde im Dezember 1938 verhaftet.) Ab Juli 1938 erschien Das Wort beim Verlag Meshdunarodnaja Kniga. 271 Else Alfelt und Carl-Henning Pedersen. 272 Harald Herdal (1900–1978), dänischer Schriftsteller. Sein Brief an Henry Jul Andersen vom 19.5.1938 ist dokumentiert in BBA 477/150.

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wir meinst; das ist doch aehre frühen dem herdal im bürgerlischeit gegangen ist! er ist doch ganz freisinden!! dort warren else und ich bei ruth. Sie plfagen mir immer mit deine verlangerne; „die grosse gedicht von henry“! bitte. ich finde das nicht +sosialt zuschrieben einen mensches leben alz nicht meinen. wenn ich kennen wollen ich schrieben mit [hs.: positiv] wierkung für der einkelte273 und jeder und die hintergrund für dass, ist und bleift mich selbst und meinem lebt. mann sagt; warum schreibt henry so? diesses wondern (underlige) sätz, diesen wondern wort, diesen wondern form, […]274 und stiell – immer mit klein buchstaven und keinem zein als teilwiesse fonetisk schrieft aufbrausch im rytme oder sogar keinen rytme – – – selbst der das ganzen freisindenne – moderne (aleia moderrn?!) schrieteten wird mit redsel geslagen!! nur ich ausdrüchen mich wann ich wollen grund; auf meinen geburt zu geiz so wie, haben man nicht verhindern das zu machen. dafür bleift meinen ausdrüch sondernsartet. mein form meinenn wort ist das indre resultat. so ist ich. ich wonschen auch demonstreren meine grozze dräng zu niedergebroschen was niedergebroschen ist, das ganzen schlechtes im tiefsten grund, bekämpfen das herrschendes system auch im das kleinste detail. ich bin einen kleinen orm (kryb) ich bohren. Ich bin ein menschen ich arbeiten bewust. doch – ich bin unklar. das habt viele menschlieschen tatsagen. nur, ich schreiben wann, wass und so das mir zufallen. das ist mich henry dar gesagt meinen wort und was ich meinst – und meinen schreibformen unterstreschen meinen (hensigt) willien. dass ist mienen gedichte. jetzt, 2 – ich schreiben tz w e i – zwei dänen habt mich verstanden und gesagt; hier ist das neues – das richtige – versetz mit dass 2 dänen das warr – das ist genuch für mich, ich kennen und wollen trotze meinen ganzen dänischen mitleuten! solten ich wie die anderen geschrieben? solten ich brauschen das existierendes teknik und form? – nein. das sollen ich nicht, alz ich konnen wiedergebauen – doch besser ist was neues ist. ich solten das früher mestren gelesen. das meinst du auch. nur, die menschen ist schwach. bleift noch unehrlisch. nehmen das gute aus anderren. mensch, so ist wir doch nicht personlisch neuesschaffendes. natürliesch das iist noch ein aufgabe, wiedergeführen was angestellt ist. doch für dem eines ist die aufgabe erst immer neues geschaffen was die zeit verlangen und was wir kennen. ja, das war ein graussamme salbe. doch ich mussen schrieben so. ich habt sere gut gehilft. und doch wird ich immer so unbestimmt und unklar. 273 Vermutlich: der einzelne. 274 Im Ts drei Wörter gestrichen.

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ich weiss nicht was ich wollen. konnen ich überhaupt machen die oder das? alz mer eins teoretischen und historischen mangel wird diesenn tiefen tweiffel meiner grossten hemning. aleine konnen ich nicht diesen tweiffel überwienden. was machen ich so? darum konnen ich nicht so koncentriert und starck arbeiten. ich fühle mich als eine halbes menschen. was mit der anderen halbteil? nur, ich beigelegt einen abschriefft von herdals brief, und meine übersetsung auf deinen ozietskygedicht.275 und so herschzligsten gruss von else, von freundes zu frundes henry wir, else, henning und ich wandren zur odense und kommen bei eure im pingsten und wollen noch bleiffen eine woche oder 2. wir haben zelt mit. [Hs.] stephan276 müste wann er eine intelligent junge ist, unbetingt im D.U.I. herausgehen! henry Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr.; BBA 477/149–150.

Helene Weigel an Bertolt Brecht Paris, 22.5.1938 Weigel berichtet von der Premiere von 99%. Bilder aus dem Dritten Reich (vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938), die abends zuvor stattgefunden hat. Sie selbst habe nicht gut gespielt, sei übermüdet gewesen, die Aufführung aber anscheinend gut angekommen. Piscator werde sie jetzt abholen kommen, weitere Berichte wolle sie anderntags schicken. [Hs. Erwin Piscator:] Lieber Bert, Helli wird Dir eine Menge Neuigkeiten mitteilen – gratuliere zum grossen Erfolg! Heute bekomme ich Dein Stück – freue mich mächtig! Herzlichst – Dein alter Erwin [Hs. Maria Piscator:] Gratuliere! Gratuliere! Schade dass Sie nicht hier sind! 275 Der Schriftsteller und Journalist Carl von Ossietzky (1889–1938) war von 1927 bis 1933 Herausgeber der Weltbühne. In der Nacht des Reichstagsbrands wurde er verhaftet und ins KZ Sonnenburg bei Küstrin, später ins KZ Esterwegen im Emsland gebracht. Durch Mißhandlungen geschwächt und bereits an Lungentuberkulose erkrankt, wurde er 1936 aufgrund internationaler Kampagnen in ein Berliner Krankenhaus entlassen, wo er 1938 verstarb. Brecht widmete ihm das Gedicht Auf den Tod eines Kämpfers für den Frieden (GBA 12, S. 50), das am 19.5.1938 in der Neuen Weltbühne erschien. 276 Stefan Brecht.

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Herzlichst Ihre Maria Piscator277 Überlieferung: Ms, BBA 1298/22–24. – E: Werner Hecht, Helene Weigel. Eine große Frau des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2000, S. 184 (jetzt in: Bertolt Brecht/Helene Weigel, Briefe, hrsg. v. Erdmut Wizisla, Berlin 2012, S. 174f.).

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 22.5.1938 22. Mai 38 E Lieber Genosse Brecht, heute geht das Material fuer Heft 7278 an Sie ab. Die Gedichte haben Sie bereits vorher erhalten. Ein paar Worte zur Expressionismus-Diskussion. Ich habe mich mit mehreren Freunden ausfuehrlich beraten, und wir sind auf die jetzt vorliegende Loesung gekommen. (Uebrigens haben wir heute abend eine Diskussion in groesserem Kreise. Es ist ueberhaupt interessant, wie weit unsere Artikelreihe gewirkt hat: in Paris waren – angeregt durch uns – Diskussionsabende, in Prag bei dem ziemlich linksbuergerlichen Kokoschka-Bund279 und bei den Schriftstellern, von Belgien werden Exemplare angefordert, „weil wir eine Diskussion unter uns veranstalten wollen“ usw. Hinzu kommen endlose private Auseinandersetzungen, wie ich weiss.) Sie sehen in dem kleinen Aufsatz, den ich dem „Schlusswort“ anfuege280, dass wir keineswegs die Absicht haben, die Auseinandersetzung – so weit sie fruchtbar sein kann – zu stoppen, sondern im Gegenteil. Jetzt besteht die Moeglichkeit, klarzustellen, worauf es ankommt, ohne dass die verschiedenen gewesenen Expressionistengruppen (von denen bekanntlich jede glaubt, dass sie den „echten“ und alle andern den „falschen“ Expressionismus vertreten habe) laengst ueberwundene Details ausbreiten. In diesem Zusammenhang begruesse ich Ihre Ankuendigung, dass auch Sie „ein paar Seiten“ schreiben werden.281 Wenn ich auch, offen gesagt, skeptisch bin – denn auf den 277 Piscator hatte Maria Ley 1937 in Paris geheiratet. 278 Hs. Korr. Im TsD: 6. 279 Von dem österreichischen Maler Oskar Kokoschka (1886–1980) 1937 in Prag gegründete Künstlervereinigung, die mit ihren Ausstellungen gegen die Kunstauffassung der Nationalsozialisten polemisierte. Kokoschka war vormals Professor an der Kunstakademie in Dresden. Nach dem Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei 1938 flüchtete er nach Großbritannien, 1953 übersiedelte er nach Frankreich. 280 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 13.5.1938. 281 Nicht überliefert. Brechts Aufsatz Volkstümlichkeit und Realismus (GBA 22, S. 405–415), auf den

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Aufsatz ueber freie Rhythmen (der nicht nur mich aufrichtig interessiert haben wuerde) warte ich immer noch vergebens.282 Doch Spass beiseite: es waere wirklich eine feine Sache, wenn wir eine Reihe Aufsaetze ueber Lyrik bekommen koennten, moeglichst zunaechst mit recht verschiedenen Auffassungen. Endlich muessten wir naemlich auch mal auf dem Gebiet der Lyrik zu Klaerungen gelangen! Es ist eine Tatsache, dass die Lyrik heute eine außerordentliche Rolle spielt – nicht nur hier, sondern erwiesenermaßen auch im Dritten Reich (im negativen wie im positiven Sinne). Die Jugend und die Frauen vor allem lesen mehr und begeisterter Gedichte denn je. Und – ich beobachte es aus der Korrespondenz wie direkt in naechster Umgebung – unsere jungen Lyriker experimentieren verzweifelt herum, weil ihnen keine theoretische Hilfe zuteil wird. Was haben z[.B.]283 unsere Freunde noch fuer Agitka-Rueckstaende284 zu ueberwinden. Wie leiden sie immer noch unter unserm alten Sektierertum! Siehe z.B. die vielen sentimentalen Gedichte, die wir erhalten, gewissermassen der Pendelschlag nach rechts? Jetzt wollen die lange eingeengten Autoren ploetzlich „menschlich“ werden und werden – banal. Na, usw. Ferner: sie sehen und […] dass Rilke ein Dichter war.285 Sie fuehlen aber auch, dass es uns nicht so geht. Und da wird dann die Form kopiert und mit anderm Inhalt gefuellt – was dabei herauskommt, ist in „Mass und Wert“ bei Heinz Politzer286 nachzulesen. Kurz: wir koennen uns da wirklich verdient machen. Vielleicht schlaegt Ihnen das Gewissen und Sie schreiben wirklich etwas? Ebenso zur Expressionismus-Diskussion. Gerade da glaube [ich, dass S]ie mit der neuen Fragestellung „Was ist volkstuemlich?“ zu wesentlichen Antworten kommen koennten, die uns allen n[ützen]. Denn unstreitig: Sie sind populaer. (Ich denke da nicht an den Freiheitssender287, sondern speziell an Ihre Lieder, die in allen Sprachen gesungen werden. So hoere ich das „Einheitsfrontlied“ im Radio nicht nur russisch, sondern englisch und […] Ebenso wie ich es im englischen und deutschen Chor oft [gehoert] habe. Die russische Jugend kann es – und andere – auswendig. Selbst wenn Sie subjektiv irren sollten, waere die Be[antwortung] der Frage mehr als interessant: woraus erklaeren Sie sich Volkstuemlichkeit? Und wie die der so ganz anders gearteten Feuchtwanger, Manns oder um bei den

Erpenbeck hier anspricht, wurde nicht veröffentlicht. 282 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 19.2.1938. 283 Im TsD durch die Bindung verdeckt. Lücken im Text werden im folgenden durch Konjekturen in eckigen Klammern gefüllt bzw. durch Auslassungen markiert. 284 Russisch agitka: Agitationsschrift, -plakat. Die von Fritz Erpenbeck als rückständig qualifizierte Agitationskunst der 1920er Jahre war inzwischen von der Doktrin des „sozialistischen Realismus“ überholt worden. 285 Über Rainer Maria Rilke urteilte Brecht, er sei „nicht volkstümlich; um das zu sehen, braucht man nicht seine komplizierten, formal überspitzten Gedichte zu lesen […]“ (GBA 22, S. 415f.). 286 Heinz Politzer (1910–1978), österreichischer Schriftsteller. Emigrierte 1938 nach Palästina, 1947 in die USA. In Heft 2/1937 der Zeitschrift Maß und Wert. Zweimontaszeitschrift für freie deutsche Kultur erschienen seine Gedichte „Regenlied“, „Schlaflied unter der Brücke“ und „Wiederkehr“. 287 Deutsche Satiren. Für den deutschen Freiheitssender (GBA 12, S. 61–80). Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938.

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Lyrikern zu bleiben, W[…]288 Becher etc? Wo steckt das Gemeinsame? Bestimmt nicht [nur im] Inhaltlichen. Wenigstens nicht direkt. Denn der gleiche und richtige Inhalt kann – sicherlich – in hundert Formen gegeben werden. So mechanisch ist es ja gottseidank nicht, [dass] jeder bestimmte Text seine bestimmte einmalige Form [hat, wie] es gewisse „Marxisten“ behaupten. Kurz: Sie sehen, dass […] noch Fragen fuer mehr als „ein paar Seiten“ zu beantworten [sind.] Ganz abgesehen davon, dass unsere Diskussionen – als Ze[ichen des] Lebendigen – unsern Leserkreis spuerbar erweitern. Also [bitte] schreiben Sie! Wenn Sie Aenderungsvorschlaege zu meinem oder Zieglers [Aufsatz] haben, teilen Sie das bitte umgehend mit. Ich muss naem[lich, wenn] ich nicht hinwerden will, in Erholungsurlaub. Eventuell [wird] dann mein Vertreter (der sich sofort mit Ihnen in Verbindung setzen wird, sobald ich meinen Urlaub habe) die Aenderung[en vornehmen. Ich hoffe,] Ihre Vorschlaege erreichen mich noch rechtzeitig. Mit besten Gruessen Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/57.

Maria Osten an Bertolt Brecht Paris, 30.5.1938

Paris, den 30. Mai 1938

Lieber Brecht, die Association289 gibt monatlich ein Bulletin als Anhang in der Zeitschrift Europe290 heraus. In diesem Bulletin werden Briefe in Form von kleinen Beitraegen von Schriftstellern aus den verschiedenen Laendern veroeffentlicht. Redaktionsschluss ist immer am 25. jeden Monats. Fuer den 25. September bitten wir Sie, uns einen Beitrag zu senden. Sie sollen darin ueber sich, Ihre Arbeit, Ihr Leben erzaehlen und auch politische Ereignisse mit einbeziehen.291 Monatlich erscheint unter der Redaktion von Aragon292 bei Denoele ein Buch. Wir beginnen mit Juni. Das erste Buch, das jetzt erscheint, ist ein spanischer Gedichtband von 288 Möglicherweise Erich Weinert. 289 L’Association des Écrivains et Artistes Révolutionnaires (AEAR), 1932 von Léon Moussinac u.a. gegründete Schriftsteller- und Künstlervereinigung. 290 Die 1923 von Romain Rolland gegründete Zeitschrift Europe stand, ebenso wie die AEAR, der französischen KP nahe. 291 Dieser Bitte ist Brecht anscheinend nicht nachgekommen. Ein solcher Text ist nicht überliefert. 292 Der französische Schriftsteller Louis Aragon (1897–1982), Mitbegründer der Gruppe der Surrealisten, hatte mit seinem einstigen Freund André Breton inzwischen gebrochen und sich politisch sowohl wie literarisch der KP angenähert. Betätigte sich später auch als Verleger und Herausgeber (Les Lettres françaises, Éditeurs français réunis).

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Nerouda 293, das zweite Buch wird ein tschechisches sein. Als erste deutsche Publikation, in franzoesischer Sprache selbstverstaendlich, interessieren wir uns fuer Ihren Roman „Die Geschaefte Julius Caesars“ (ich weiss nicht genau Ihren Titel).294 Teilen Sie uns doch mit, wie weit Sie sind und wann Sie das Manuskript einsenden koennen? In Erwartung Ihrer Antwort und Zusage gruessen wir Sie bestens. i.A. M. Osten Überlieferung: Ts, hs. U.; RGALI 631/13, 64/58.

Slatan Dudow an Margarete Steffin [Paris] 30.5.1938 Liebe Grete, wie Du Dir denken kannst, war ich in der letzten Zeit so stark mit der Aufführung beschäftigt,295 daß ich wirklich nicht dazu kam, mich bei Dir zu melden. Die Aufführung hat einen grossen Erfolg und man diskutiert sehr viel darüber. Man beschäftigt sich sehr mit den Stücken als auch mit der Darstellung. Es scheint eine der wirkungsvollsten Theaterabende der Emigration zu sein. Das sage nicht ich, sondern es wird mir von dritter Seite aus versichert. Unsere Freunde haben endlich eingesehen, was man durch so eine Veranstaltung erreichen kann und besonders durch den Erfolg bewegt, schlugen sie selbst vor, wir sollen uns für den nächsten Winter einen Spielplan aufbauen, ihn in Paris starten und dann damit nach Amerika zu der grossen Weltausstellung 1939 nach New-York fahren. Man will uns dabei sehr unterstützen. Das sind allzu grosse Pläne, doch sie liegen im Bereich des möglichen. Was sagt der Meister dazu? Frage bitte den Meister, wie es mit einer Veröffentlichung des FLÜSTERMAXE im WORT steht. Wie ich Dir seiner Zeit schrieb, hat er hier sehr gefallen. Man wird den FLÜSTERMAXE BEI EINER LUFTSCHUTZÜBUNG in einer Heimatausgabe bringen. Auch eine Veröffentlichung in der DVZ296 ist vorgesehen, nur hätte ich es lieber, besonders aus finanziellen Gründen im WORT gehabt. Ich habe noch ein paar andere, die ich dann fertig machen würde. Schreibe mir bitte darüber bald, weil es mir wirklich im Moment sehr dreckig geht, meine Papiere sind nicht in Ordnung und ich brauche dringend dafür Geld. Wie geht es Dir? Schreibst Du wieder was? 293 Der chilenische Schriftsteller Pablo Neruda (1904–1973) war seit 1934 als Konsul in Madrid beschäftigt, 1936 flüchtete er vor den Truppen Francos nach Paris. Bei Denoël erschien von ihm 1938, mit einem Vorwort von Louis Aragon, der Band L’Espagne au cœur (Spanien im Herzen, Berlin 1956). 294 Der Fragment gebliebene Roman Die Geschäfte des Herrn Juluis Caesar erschien erstmals 1957. 295 Vgl. Anm. zu Dudow, 21.1.1938, 10.3.1938 und 22.4.1938. 296 Die seit 1936 in Paris, Prag und Kopenhagen erscheinende Deutsche Volkszeitung (La Voix du Peuple Allemand). Eine Publikation von Dudows Flüstermaxe konnte nicht ermittelt werden.

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Grüsse bitte herzlichst den Meiste[r] und Dir ebenfalls herzlichst Ich denke im Herbst den anderen Teil von den Einaktern herauszubringen und wenn die Sache mit Amerika sich wirklich realisieren lässt, eine neue Auswahl treffen, sie nochmal richtig einstudieren und die zwei Abende in einen zusammen legen. Das wäre für ein Gastspiel wirklich eine gute Nummer.297 [Hs.] 30.V.38 Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2583/1.

N.N. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 3.6.1938 Redaktion „ Das Wort „ Moskau Kusnetzky Most 4

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Lieber Brecht, Fritz Erpenbeck ist in Urlaub gefahren; in der Zwischenzeit vertrete ich ihn. (So kreuzen sich auch unsere Wege wieder einmal!) Ihr Brief vom 22.V.298 kam gerade am Tage seiner Abreise an, sodass er mir noch seine Meinung über die verschiedenen Fragen mitteilen konnte. Gut dass Sie noch die zwei Szenen zur „Stunde des Arbeiters“ hinzu geschickt haben. Ich habe sie sofort absetzen lassen und sie kommen in der von Ihnen angegebenen Reihenfolge noch in N.7, von der wir eben den Umbruch gemacht haben. Sie haben keinen Sammeltitel geschrieben; ich habe deshalb den früheren Untertitel (Deutschland – ein Greuelmärchen) nach oben genommen und im Untertitel zum Ausdruck gebracht, dass es sich um einen Szenen-Zyklus handelt.299 Hoffentlich ist Ihnen das recht. Was Sie über einen durchgehenden Roman für die Zeitschrift sagen entspricht auch unserer Meinung; die Erfahrung der „IL“ bestätigt es. Aber Ihr konkreter Vorschlag (Nexö) erscheint uns nicht glücklich.300 Wir sündigen schon ohnehin manchmal etwas viel gegen 297 Gemeint sind weitere Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches. Dudows Amerikapläne wurden nicht realisiert. Vier Szenen (Rechtsfindung, Das Kreidekreuz, Die jüdische Frau, Der Spitzel) führte Berthold Viertel 1942 in New York auf (vgl. B. an Viertel, Mai/Juni 1942, GBA 29, S. 236f.), 1944 erschien in New York eine aus 17 Szenen bestehende englische Fassung unter dem Titel The Private Life of the Master Race (uraufgeführt 1945 in Berkeley, Kalifornien). 298 Nicht überliefert. 299 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1938. 300 Vermutlich hatte Brecht vorgeschlagen, eine Übersetzung von Martin Andersen-Nexös Erinnerun-

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unser Prinzip, ein Organ deutscher antifaschistischer Schriftsteller zu sein. Wenn wir uns für einen Roman entschliessen, müsste es, zumal im Beginn, wirklich einer eines deutschen Autors, also ein nicht übersetzter Roman sein. Erpenbeck sagte mir ausserdem, nach seinen Informationen werde eine deutsche Ausgabe des Romans in der „Vegaar“ vorbereitet. Wir werden aber Ihren Vorschlag auch noch Feuchtwanger unterbreiten und dann gut demokratisch entscheiden. (Für die Zukunft hinsichtlich dänischer Originale: wir lesen die Sprache hier, unter anderem ich, können also, wenn Sie einmal etwas Dänisches vorzuschlagen haben, auch aufgrund des Originals urteilen; auf diese Weise kann ev. überflüssige Übersetzungsarbeit vermieden werden.) Das Lyrik-Material für Heft 7 haben Sie ja grausam zersäbelt! Ihren Wünschen entsprechend haben wir nur Fröhlau gelassen.301 (Von Schenk 302 nur eine Strophe zu bringen, konnten wir uns nicht entschliessen; die Überschrift wäre länger geworden als der Text!) Klara Blum hat uns Becher (mit dem Ausdruck grösster Zufriedenheit) sofort abgenommen; schade, sage auch ich.303 In allen vorhergehenden Fällen können wir Ihr Urteil verstehen, wie es bisher bei den lyrischen Beiträgen immer üblich war, zur Richtlinie. Hinsichtlich Thal tappen wir im Dunkeln, und können uns die Gründe für die Ablehnung nicht ganz erklären. Auf diese Weise kommt die Lyrik in N.7 etwas zu kurz. Durch die Erweiterung Ihrer dramatischen Szenen ist es uns doch gelungen, den ersten Abschnitt der Nummer davor zu bewahren, dass er gar zu kompakt wird. Für N.8 haben wir dafür wieder mehr: ausser Ihren Übersetzungen aus dem Chinesischen304 ein längeres Gedicht von Becher, das sehr interessant ist,305 und ein Gedicht von Balasz;306 beide gehen Ihnen schnell zu, damit Sie rechtzeitig Ihre Meinung sagen können. Über die Pariser Aufführungen von „Furcht und Elend…“ bringen wir einen Bericht in der Pariser Chronik, die in N.8 erscheint.307 Besten Gruss Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/59.

gen in mehreren Teilen im Wort zu drucken (vgl. Anm. zu Andersen-Nexö, 28.3.1938). 301 Das Gedicht „Spaziergang in Spanien“ von Axel Fröhlau, erschienen in Das Wort, Heft 7/1938. 302 Von Walter Hugo Schenk erschien – jedoch erst in Heft 10/1938 – das Gedicht „Gut bürgerliches Träumchen“. 303 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 13.5.1938. 304 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 13.5.1938. 305 Johannes R. Becher, „Romeo und Julia auf dem Dorfe. Nach der gleichnamigen Erzählung Gottfried Kellers“, Das Wort, Heft 8/1938. 306 Béla Balázs’ Gedicht „Mein Haus“ erschien erst in Heft 9/1938. 307 Gemeint ist der Beitrag „Paris“ von Wolf Franck, in dem über die Aufführung von Furcht und Elend des III. Reiches (vgl. Weigel, 22.5.1938) berichtet wurde.

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N.N. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 8.6.1938 Redaktion „ DAS WORT „ Moskau Kusnetzky Most 4

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Lieber Brecht, eben trifft Ihr Brief vom 2.VI. ein.308 Ich beeile mich, Ihnen zu antworten. Fritz Erpenbeck hatte Sie ja in seinem Brief vom 22. gebeten Ihre eventuellen Änderungen zu den beiden „Abschluss“-Artikeln309 mitzuteilen. Er hat mich ermächtigt, aufgrund Ihrer Bemerkungen, alles Nötige zu veranlassen. Selbstverständlich haben Sie recht: das „wir“, das bei Erpenbeck wohl als pluralis poeticus gemeint war, ruft den Eindruck hervor, als handele es sich um die Meinung der Redaktion. In diesem Falle genügt natürlich auch der leiseste Einspruch eines der Redakteure um ein solches Missverständnis zu beseitigen. Ich werde also sofort demgemäß handeln. Wir sind eben beim Umbruch, es geht also technisch ohne große Schwierigkeiten. Zu Ihrer Information übrigens das Folgende: der Passus, den Sie besonders beanstanden (…nicht zweifelt, dass das Urteil des Lesers zugunsten des Realismus ausfallen wird …usw) ist von Lukasc [sic] selbst beanstandet worden, der den Aufsatz erst in den Fahnen zu sehen bekommen hat, und ist gefallen. Ich schreibe in Eile und beschränke mich auf diese wenigen Zeilen, damit Sie schnellen Bescheid bekommen und sich keine unnötigen Sorgen machen. Ich werde Erpenbeck sofort eine Kopie Ihres Briefes nachsenden. Eins freut mich, dass Sie nun jedenfalls bestimmt sich zu dem Thema äussern werden, das Erpenbeck aufgeworfen hat und das Sie ja glücklich gewählt finden. Herzlichen Gruss Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/60.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Neuilly-sur-Seine, 11.6.1938 Erwin PISCATOR 9, Bd. Richard Wallace NEUILLY-sur-Seine 11.6.38 308 Nicht überliefert. 309 Das „Schlußwort“ (zur Expressionismusdebatte) von Bernhard Ziegler (d.i. Alfred Kurella) und „Volkstümlichkeit“ von Fritz Erpenbeck, beide in Das Wort, Heft 7/1938.

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Mr. Bert BRECHT 29, rue Cassette Skovsbostrand SVENDBORG Lieber Bert, ich danke Dir herzlich für die Übersendung Deiner „gesammelten Werke“ und des Stückes „99%“ (Furcht und Elend). Es ist wichtig, die Dinge in die Köpfe hineinzuhämmern. Leider fehlen nur die Köpfe. Ich glaubte jetzt das Stück mit nach Amerika nehmen zu können,310 aber auch da ist in der letzten Minute wieder eine Verschiebung eingetreten – allerdings durch einen ersten Lichtblick. Der Produzent Gilbert Miller311 machte einen Vertrag mit mir über eine Inszenierung von Tolstois „Krieg und Frieden“, dessen Aufführung im November in London und anschliessend in New York stattfinden soll. Ich besorge die Dramatisierung mit Alfred Neumann.312 Ich musste Alfred Neumann nehmen, weil Miller ihn haben wollte. Er hatte seinerzeit den „Patrioten“313 von ihm gespielt. Aber wenn mir gelingt, was ich mir vorgenommen habe, so hoffe ich wird dies für uns alle ein guter Anfang sein können. Ich muss also zunächst hierbleiben, dann nach London gehen. Maria314 wird allein nach drüben fahren und soll auch wegen der deutschen Tournee etc. alles unternehmen, was möglich ist.315 Ich bedaure sehr, dass ich Helly nicht adieu sagen konnte, aber ich befand mich gerade in diesen Tagen in der Vorbereitung des Exposés, das zum Abschluss des Vertrages führen sollte, hatte also gerade in diesen Tagen sehr wenig Zeit. Ich hoffe, sie hat dies verstanden. Wenn irgend möglich, möchte ich Dich gern sehen, weiss aber noch nicht wie. Ich grüsse Euch herzlichst Euer 310 „[I]ch schicke Dir in den nächsten Tagen einen Zyklus kleiner und kleinster Stücke, die ich unter dem Titel ‚Furcht und Elend des Dritten Reiches‘ zusammengefaßt habe. Aber für eine Aufführung könnte man natürlich auch einen andern Titel wählen, so etwas wie ‚Deutsche Heerschau‘ etwa. Ich könnte mir denken, daß es für Amerika etwas außerordentlich Passendes wäre“ (B. an Piscator, März/April 1938, GBA 29, S. 82). Vgl. dazu Anm. zu Dudow an Steffin, 30.5.1938. 311 Gilbert Heron Miller (1884–1969), amerikanischer Theaterproduzent, der zahlreiche Erfolge am Broadway feierte. 312 Der Schriftsteller Alfred Neumann (1895–1952) ging 1933 ins Exil nach Italien, 1938 nach Frankreich und 1941 in die USA. Die von Piscator und Neumann erarbeitete Dramatisierung von Tolstois Roman Krieg und Frieden (Vojna i mir, 1868) wurde im Mai 1942 am Studio Theatre des Dramatic Workshop in New York aufgeführt. 313 Der Patriot (1926), Erzählung von Alfred Neumann. Gilbert Miller hatte 1928 eine Bühnenfassung für das Majestic Theatre am Broadway produziert und inszeniert. 314 Maria Ley-Piscator. 315 Piscator plante eine Amerika-Tournee mit einer deutschen Theatergruppe, der u.a. Albert Bassermann, Ernst Deutsch, Wolfgang Langhoff, Alexander Granach und Therese Giehse angehören sollten. Das Vorhaben kam nicht zustande.

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Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.1, S. 231f.

N.N. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 16.6.1938 Redaktion „DAS WORT“ Moskau, Strastnoi Boulevard 11. 16.VI.38 Lieber Bert Brecht, Die Angelegenheit mit dem Aufsatz von Erpenbeck ist nun bereinigt.316 Ich habe noch bei Feuchtwanger angefragt. Einen Tag nach Ihrem Schreiben war ein Brief von Feuchtwanger eingetroffen, in dem es hiess: „Erpenbecks Expressionismus-Artikel scheint mir klar und gut, und ich habe nichts dazu zu bemerken.“ Auf nochmalige Rückfrage, in der ich ihm Ihren Einwand mitteilte, hat er sich dann jedoch damit einverstanden erklärt, dass der Aufsatz als persönlicher Beitrag des Autors erscheint. Erpenbeck hat inzwischen einen neuen Anfang geschickt, der diesem Wunsche der Redaktion Rechnung trägt. Die Aenderung umfasst die ersten vier Absätze. Auch der Untertitel („Nachlese…“) fällt natürlich fort. Ich sende Ihnen mit dieser Post eine Reihe von lyrischen Beiträgen, die wir für die nächsten Nummern ausgewählt haben. Sie kommen ausser der Reihe; das übrige Manuskript für Heft 8 geht wie gewöhnlich bei Redaktionsschluss (am 20.) an Sie ab. Ich bitte Sie, Ihr Urteil möglichst bald zu fällen und mir mitzuteilen, damit wir Ihren Bescheid noch vor dem Umbruch berücksichtigen können. (Den Sorgen, die entstehen, wenn ein Einwand Ihrerseits eintrifft, nachdem die Seiten schon umbrochen sind, entsprang meine Bemerkung im vorletzten Brief, dass Sie so grausam in den Lyrikbeiträgen „herumgesäbelt“ hätten). Unter den Autoren dieser Gedichte ist ein neuer Name: Peter K. Höfler.317 Diese Gedichte wurden uns von O. M. Graf zugesandt, der folgendes dazu schreibt: „es sind Gedichte eines jungen antifaschistischen Proleten aus Berlin, der nach seiner Emigration nach Österreich nunmehr hierher emigrieren musste… ich kam zu der Ueberzeugung, dass es sich dabei um Arbeiten einer vielversprechenden Begabung handelt.“ Von den zugesandten Stücken habe ich die beiliegenden drei ausgewählt. Ich möchte die Gelegenheit benützen, um Ihnen zu der Frage der Behandlung der lyrischen Beiträge, die bei uns eingehen, einen Vorschlag zu machen. Soweit es sich um ausge316 Vgl. N.N. (Red. Das Wort), 8.6.1938. 317 Peter Karl Höfler (1905–1952), Pseudonym: Jesse Thoor, gelernter Zahntechniker. Ging 1933 ins Exil nach Österreich und 1938 nach London. In Das Wort, Heft 12/1938, erschienen seine beiden Gedichte „Lied zum Abschied“ und „Das trübselige Neujahr“.

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wachsene Autoren han- […] Überlieferung: TsD (Fragment), RGALI 631/13, 64/64.

Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 20.6.1938 Liebe Grete, Ich danke Dir für den Brief. In aller Eile schicke ich Dir das Manuskript vom FLÜSTERMAXE. Es ist ein verbessertes Exemplar für das WORT. Kannst Du Brecht bitten, er soll es möglich gleich wegschicken, damit ich bald etwas Geld sehen kann.318 In einigen Tagen schreibe ich Dir ausführlicher. Paris den 20.6.38

Herzlichste Grüsse an den Meister und Dich

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2585/1.

[Alfred Kurella] an Bertolt Brecht Moskau, 23.6.1938 Redaktion „DAS WORT“ Moskau Strastnoi Boulevard 11.

23.VI.38

Lieber Brecht, Eben erhielt ich Ihren Brief vom 17. mit der Beilage „Glosse“.319 Da ergibt sich nocheinmal der Fall von neulich: Die Notiz muss dem Leser als eine Notiz der Redaktion erscheinen, diesmal nicht durch eine Wendung im Text, aber durch die Unterschrift. 318 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937; dazu auch Dudow an Steffin, 30.5.1938. 319 Brecht hatte Alfred Kurella am 17.6.1938 „für den Glossenteil ein paar Zeilen“ geschickt (GBA 29, S. 101). Die Kleine Berichtigung (GBA 22, S. 402f.), die im Wort allerdings nicht veröffentlicht wurde (vgl. dazu Erpenbeck, 7.7.1938), bezieht sich auf Georg Lukács’ Polemik gegen die Eisler (Plural) in dessen Aufsatz „Es geht um den Realismus“, Das Wort, Heft 6/1938. Lukács selbst hat diese Formulierung später revidiert (vgl. Expressionismusdebatte, Anm. S. 226).

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Sie werden also verstehen, wenn ich auch in diesem Falle nur sozusagen als „ehrlicher Makler“ handle und die Notiz an die beiden anderen Redakteure sende. Zum Glueck ist jetzt auch Willi Br. in Frankreich, sodass auch eine schnelle Verstaendigung erfolgen kann. Ich sende Eilpost, sodass die Antwort schnell da sein kann. Ich benuetze die Gelegenheit, F. und B.320 auch Ihren anderen Vorschlag zu unterbreiten. Ich halte ihn fuer sehr interessant. Beachten Sie bitte, dass das im letzten Heft angekuendigte Gedicht dem Brief nicht beilag.321 Mit bestem Gruss Ihr PS. Einen schoenen Gruss an Grete St. Ihren Wunsch werde ich bei den nächsten Gelegenheiten erfuellen. Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/71.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 6.7.1938 [Hs.] 6 juillet 1938 Lieber Brecht, natürlich werde ich Sie über den Amerika-Plan322, aber auch über die Pariser-Pläne im laufenden halten. Über die Photos weiss ich leider wenig Bescheid. Weigel hat, glaube ich, die Adressen von den verschiedenen Photographen, die da waren und Aufnahmen gemacht haben. Sie hat mit den einzelnen gesprochen und mich bei der Abreise gar nicht eingeweiht.323 Reissmann324 ist der einzige den ich kenne, aber auch bei dem weiss ich nicht was verabredet ist.

320 Lion Feuchtwanger und Willi Bredel. 321 „Gleichzeitig lege ich ein Gedicht ‚Der Rattenfänger‘ bei, das mir aus Deutschland zugeschickt wurde“ (B. an Kurella, 17.6.1938, GBA 29, S. 101). Text und Verfasser des Gedichts konnten nicht ermittelt werden. 322 Vgl. Dudow an Steffin, 30.5.1938. 323 Die Rede ist von der Aufführung der acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches in Paris. Vgl. Weigel, 22.5.1938. 324 János Reismann (1905–1976), ungarischer Journalist und Photograph. Im Auftrag der AIZ ging er 1932 in die UdSSR, aus der 1938 ausgewiesen wurde. Lebte danach in Frankreich.

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Ich wäre auch froh, wenn ich wüste, wie ich einige Photos auftreiben könnte. Schade ist, daß man bis jetzt die Photos zu wenig für die Presse ausgewertet hat. Es ist mir, offen gestanden, sehr schwer über Weigels Spiel zu schreiben. Zwischen Weigel und mir hat sich wirklich sehr viel unangenehmes bei der Aufführung ereignet.325 Noch schlimmer ist die destruktive Arbeit, die sie nach der Aufführung bei den einzelnen Schauspielern geleistet hat. Es kann sich auf keinen Fall positiv auswirken, wenn Weigel Nächte lang mit diesen Schauspielern über meine Person diskutiert und vorsichtig gewisse Mängel erwähnt, die meine weitere Arbeit erschweren. Alle diese Diskussionen haben natürlich ohne mein Beisein stattgefunden und nur auf Umwege erfuhr ich über dies alles und darüber, dass man bei diesen Besprechungen so etwas wie Beschlüsse gefasst habe, usw. Dieses Verhalten von Weigel bedaure ich ausserordentlich, doch muss ich es leider als eine Tatsache zur Kentnis nehmen. Wenn Sie dieses berücksichtigen, hoffe ich, Sie werden verstehen warum ich nicht über die künstlerische Leistung von Weigel schreiben möchte. Wie steht es mit der Übersetzung der Einakter in französisch?326 Man hat mich von einer franz. Truppe danach gefragt. Schreiben Sie mir bitte bald darüber. Für die gesammelten Werke danke ich Ihnen sehr. Ich finde die Ausgabe sehr gut und das Prinzip (nicht chronologisch) zwar nicht für sehr vorteilhaft aber für die je[t]zige Zeit richtig. Hoffentlich geht es bald weiter. Grete schrieb mir keine erfreuliche Nachricht darüber. Das wäre wirklich schade, weil der Band GEDICHTE IM EXIL327 für Herzfelde sozusagen totsicheres Geschäft wird und kein Risiko. Die Schweizerische Arbeiterbildungszentrale (soz. dem.), mit denen ich seiner Zeit wegen DIE GEWEHRE DER FRAU CARRAR verhandelt habe, hat sich an mich gewandt und mich um Ihre Stücke für ihre Spieltruppen gebeten.328 Ich habe ihm Ihre Adresse gegeben und an Sie verwiesen. Der Leiter der Zentrale heisst Neumann und ich habe bis jetzt sehr gut Erfahrung mit ihm gemacht. Ich versuche wieder mal beim Film vorzustossen. Die Aussichten sind nicht schlecht. Immerhin ist der Markt in Frankreich für gewisse Sachen zugänglich. Haben Sie irgend etwas, was man vorschlagen könnte? Da die Möglichkeit[en] zu ungewiss sind, kann ich Sie nicht bitten etwas neues auszuarbeiten.329 Wenn Sie aber durch das aufschreiben eines Storys eine Mussestunde totschlagen könnten, würde ich mich freuen und das Exposé dann hier an die Leute mit denen ich verhandle, vorschlagen. Ich arbeite an einem neuen Manuskript mit dem vorläufigen Titel: „DIE VERPASSTE GELEGENHEIT“. Sie erin325 Vgl. Weigel, Anfang Mai 1938. 326 Vgl. Anm. zu Abraham, 1.4.1939. 327 Unter diesem Titel sollte ein Gedichtband Brechts im Malik-Verlag erscheinen, der nach Herzfeldes Flucht nach London im Dezember 1938 jedoch nicht mehr zustande kam; der damals vorliegende Satz wurde vernichtet. Statt dessen erschienen 1939 die Svendborger Gedichte. Die jetzt in GBA 12 gedruckten, zwischen 1937 und 1943 entstandenen Gedichte im Exil blieben – abgesehen von einigen hektographierten Exemplaren, die Brecht selbst verbreitet hat – damals unveröffentlicht. 328 Vgl. Dudow an Weigel, 21.1.1938. 329 Im Ts: „um etwas neues auszuarbeiten“.

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nern sich an Lenins Satz „der 6 ist zu früh, der 8 zu spät, der 7 ist der richtige Moment“.330 Nun möchte ich eine Kömödie über einen Typ machen, der stets den richtigen Augenblick verpasst. Was meinen Sie dazu? Ich glaube sicher, daß man so etwas gemeinsam gut ausarbeiten könnte. Schade, daß Sie nicht hier sind. In Paris ist man in intimen Kreisen mit Ihrer kleinen Anfrage an Luckas331 sehr beschäftigt, manche freuen sich dafür sind andere sehr besorgt. Maria erzählte mir, sie bemühe sich Sie für einen Me[e]ting nach Paris zu holen. Hoffentlich gelingt ihr das. Herzlichst Paris den 6.7.38 Ihr Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2586/1–2.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 7.7.1938 Redaktion „DAS WORT“ Moskau, Kusnetzky Most 4

7. Juli 38

Lieber Brecht, eben bin ich wieder aus Urlaub zurück und habe (leider immer noch nicht recht auf dem Damm) die Arbeit aufgenommen. Die Angelegenheit meines Expressionismus-Artikels ist ja inzwischen erledigt worden.332 Selbstverständlich sehe ich ein, dass Sie „in einer für revolutionäre Schriftsteller so entscheidenden Grundfrage, wie es die allerweitherzigste, produktivste, kämpferische Definition des Realismus bedeutet, nicht als die abschliessende Meinung einer Zeitschrift, deren Mitherausgeber Sie sind, eine Meinung sanktionieren können, die Ihnen unzulänglich und irreführend erscheint.“333 Da Sie jetzt einen Artikel zu dieser Frage ankündigen (über Volkstümlichkeit),334 hoffe ich, dass Sie – in Anbetracht Ihrer eigenen Ueberzeugung von der Wichtigkeit dieser Frage – recht gründlich und ausführlich Ihre Ansichten präzisieren. 330 In der Nacht zum 7.11.1917 (nach dem damals in Rußland geltenden julianischen Kalender: 25.10.) begann in Petrograd der Aufstand der Bolschewiki. Das Zitat Lenins konnte nicht ermittelt werden. 331 Gemeint ist Brechts Kleine Berichtigung zu Georg Lukács’ Aufsatz „Es geht um den Realismus“. Vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938. 332 Vgl. N.N. (Red. Das Wort), 8.6.1938. 333 Der Brief Brechts, dem das Zitat offenbar entnommen wurde, ist nicht überliefert. 334 Volkstümlichkeit und Realismus. Vgl. Erpenbeck, 22.5.1938.

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Ich bin darauf um so mehr gespannt, als ich – woraus ich ja nie einen Hehl gemacht habe – ganz mit Lukacs konform gehe und es keineswegs für richtig halte, wie Sie die Lukacs’schen Ausführungen in Ihrem Brief interpretieren. Ich habe ihn jedenfalls ganz und gar anders verstanden. Und hoffentlich die Leser auch. Aber ganz im Ernst: lassen Sie es nicht wieder bloss bei dem Versprechen, senden Sie den Aufsatz wirklich. Sonst komme ich mir auf die Dauer vor, wie ein regelrechter Strohmann, ein Prügelknabe, auf dessen Rücken alle möglichen Differenzen ausgetragen werden, anstatt dass wir theoretische Meinungsverschiedenheiten von Wichtigkeit, wie sich das für Antifaschisten geziemt, öffentlich und fair austragen. Nur so kommen wir aus unserm alten Sektierertum in der Literatur heraus: offene, wenn auch noch so heftige Diskussionen unter Kameraden, die einander schätzen (oder zumindest respektieren) sind immer fruchtbar. Und damit komme ich zu der zweiten Angelegenheit, die ich bei Eintreffen hier vorfand: zu Ihrer „Kleinen Berichtigung“ (in Sachen Lukacs-Eisler).335 Ich will mich da gar nicht wie Kurella auf den formalen Standpunkt zurückziehen – obwohl auch ich der Ansicht bin, dass in diesem Falle Feuchtwanger und Bredel eine Berichtigung in so ironischer Form sanktionieren müssten. Ich will hauptsächlich bei den Tatsachen bleiben: Sie hatten den Aufsatz vorher in Händen, Sie haben ihn gelesen (denn Sie polemisieren in Ihrem Briefe dagegen, speziell sogar in einem Postskriptum gegen den Ton), Sie haben aber – obwohl Sie wissen, dass ein Veto sofort eine Änderung der betreffenden Stelle bewirkt hätte, dieses Veto nicht eingelegt. In welches Licht würden Feuchtwanger und Bredel gesetzt, wenn jetzt eine Berichtigung seitens des dritten Redaktionsmitglieds erschiene? Es wirkte ganz einfach so, als hätten beide etwas gegen Ihren Willen „eingeschmuggelt“. Und für alle Freunde, die meine Tätigkeit in der Zeitschrift kennen, wirkte es so, als sei ich der Mann, der ein Kuckucksei gelegt hat und nun dafür gerüffelt wird. (Also der Prügelknabe.) Ich finde, dass es umgekehrt einen viel besseren – weil wirklich grosszügigen – Eindruck macht, wenn Sie aus anderm Anlass (etwa als Beispiel für Volkstümlichkeit) über Eisler schreiben, was Sie denken. (So hat es z.B. Ossietzky in solchen Fällen gehalten: er hat oft gedruckt, womit er nicht ganz einverstanden war, etwa kommunistische Artikel, und hat dann zur selben Sache aus anderm Anlass seine Meinung gesagt.) Ich möchte Sie aber auch – damit weiter Klarheit zwischen uns bleibt – mit meiner persönlichen Meinung bekanntmachen. Ueber die Schärfe der Ablehnung der Eislerschen Erbtheorien (im Ton) lasse ich mit mir handeln – vielleicht wäre tatsächlich weniger mehr gewesen; in der Sache bin ich dagegen ganz der Meinung Lukacs’ und anderer Freunde: der Standpunkt Eislers in der WB war falsch, schädlich, unmarxistisch.336 Und die Frage selbst ist so wichtig, dass man darauf eingehen musste, zumal sich mehrere Autoren in der Diskussion gerade auf diesen WB-Artikel beriefen. Zweitens: ich kann bei Lukacs keine 335 Vgl. Anm. zu [Kurella], 23.6.1938. 336 Der Anlaß der von Brecht beanstandeten Lukácsschen Polemik war der Beitrag „Die Kunst zu erben“ von Ernst Bloch und Hanns Eisler, erschienen in Die neue Weltbühne, 6.1.1938 (vgl. Expressionismusdebatte, S. 258–263). Bloch und Eisler hatten sich 1937 in Prag wiedergetroffen.

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„autoritäre Allüre des Marxismuspächters“ finden. Er schreibt etwas trocken, gelehrtenhaft, hat aber von allen unsern näheren und weiteren Freunden das tiefste und breiteste Wissen. Dass er hier Mitarbeiter der entsprechenden führenden Zeitschriften ist, sei nur nebenbei bemerkt. Selbstverständlich muss es einem Marxisten überlassen sein, gegen andere Autoren, die mit angeblich marxistischen Argumenten diskutieren, nachzuweisen, dass sie Unrecht haben. Wie tut Lukacs das? Mit Zitaten und Beispielen (vergl. die Polemik gegen Bloch). Ich kann darin keine „Allure“ irgendwelcher Art finden, ganz abgesehen davon dass unser Freund Lukacs ein viel zu bescheidener Mensch ist – wie alle wirklichen Könner – um etwa geistig hochmütig zu sein. Ich finde sogar, dass bisher wenige von uns, so freimütig und öffentlich wesentliche Fehler zugegeben haben, wie er es beispielsweise gerade in unserm Expressionismus-Aufsatz tut – dabei handelt es sich, wie Sie bemerkt haben werden, um einen nicht unwesentlichen Teil seiner Produktion. So, nun wieder zu erfreulicheren Dingen. Gestern sind Ihre „Gesammelten Werke“ (2 Bände zunächst) hier eingegangen. Machen äusserlich – ich konnte sie erst flüchtig ansehen – einen sehr schönen Eindruck. Gratuliere. Und gleich weiter: jetzt ist es aber wirklich an der Zeit, dass wir einen grösseren Essay darüber bringen. Wer soll schreiben? Machen Sie doch bitte nicht einen, sondern mehrere Vorschlaege, damit es nicht wieder so geht, wie damals.337 Oder soll ich von mir aus die Initiative ergreifen? (Lieber wäre es mir, wenn Sie Vorschläge machten.) Ein paar technische Details: haben Sie die nichtverwendeten Gedichte (Ostermoor etc) an die Autoren zurückgeschickt? Haben Sie seinerzeit Stübs geschrieben? Und dann: das Gedicht „Rattenfänger“338, das Sie ankündigten, lag nicht bei. Mit herzlichen Grüssen Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/72.

Martin Andersen-Nexö an Bertolt Brecht Stenlöse, 14.7.1938 S t e n l ö s e . Den 14. Juli 1938 Käre Bertolt Brecht!

337 Wohl eine Anspielung auf den nicht zustande gekommenen Essay Walter Benjamins. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1938. 338 Das Anfang 1938 entstandene Gedicht Die wahre Geschichte vom Rattenfänger von Hameln (GBA 14, S. 393f.) wurde erst 1953 in Leipzig veröffentlicht.

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Allerförst min Tak til dig og din prägtige Hustru for de hyggelige Dage jeg tilbragte i Jeres lille Paradis. Jeg kom bade til Vordingborg, til Stranden hvor Börnene ligger i Lejr, og hjem i forträffelig Tid; vor tjeko-slovakiske Veninde ern en fremragende Bilist. Her sender jeg saa WIE DER STAHL GEHAERDET WIRD, Oliviers SPARTACUS; de to Strasser-Hefter med „Geständnisse eines Ge[s]tapo-Mörders“ og en sv. Avis med en Notits,, som maaske kan ha Interesse for dig. Colberts Bog om Finansväsen for 2000 Aar siden har jeg i sin Tid foräret min Svigerson Korst, som er Socialökonom. Jeg har lige i Telefon bedt ham om at laane dig den; han sender den direkte. Med Hensyn til Oversättelsen af Erindringerne gör jeg Jer fölgende Forslag: Grete Steffin og du faar for tredje Bind, FOR LUD OG KOLDT V., Halvdelen af Honoraret for löse Offenliggörelser og en Tredjedel af Honorarerne339 for Bogudgever (begge Dele paa Tyak), til vi har naaet Oversätterhonorar paa ialt 2000 Kr. for dette Bind. Der skal altsaa paa dette Bind indtjenes endau 1300 Kr. til Jer. Hvad de to förste Bind angaar, har jeg jo allerede betalt Forskudahonorar til andre for Oversättelserne, ialt lidt over tusend Kr. og jeg har vanskelig ved yderligere at staa i Forskud. Hvis vi nu regner, at de to Bind ogsaa hver akal udrede 2000 Kr. i Oversättelseshonorar, og at 500 Kr. pr. Bind allerede er betalt til andre, skulde I ha 1500 Kr. pr. Bind af, hvad der maatte indkomme i löse Offenliggörelser og gennem Bogudgaver. Mon I kam gaa ind paa denne Ordning? Giv mig et ar Ord derom. Med de bedste Hilsener til Dig og dine käre Börn og – last not least – Helene Weigel, som hat gjort et unforglemmeligt Indtryk paa mig ved sin Moderen i „Frau Carrars Gevärer“ og uddybet dette Indtryk yderligere som Husmoder. Jeg er helt forelsket i din alvorlige prägtige Kone, ikke mindst, naar hun har den lille Barbara i Favnen. Mine bedste Hilsener ogsaa til Grete Steffin, som rentud forblöffede mig ved den Maade hun beherskede sit Stof. Din hengivne S t e n l ö s e . Den 14. Juli 1938 Lieber Bertolt Brecht! Zu allererst meinen Dank an Dich und Deine prächtige Frau für die gemütlichen Tage, die ich in Eurem kleinen Paradies verbracht habe. Ich bin schnell nach Vordingborg, an den Strand, wo die Kinder lagern, und nach Hause gekommen; unsere tschechoslowakische Freundin ist eine hervorragende Autofahrerin.

339 Hs. Erg. unleserlich.

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Ich schicke hiermit WIE DER STAHL GEHÄRTET WIRD340, Oliviers SPARTACUS;341 die beiden Strasser-Hefte mit „Geständnisse eines Gestapo-Mörders“342 und eine [schwedische]343 Zeitung mit einer Notiz, die vielleicht für Dich interessant sein kann. Colberts Buch über das Finanzwesen vor 2000 Jahren344 habe ich seinerzeit meinem Schwiegersohn Korst geschenkt, der Sozialökonom ist. Ich habe ihn gerade telefonisch gebeten, es Dir zu leihen; er schickt es direkt. In bezug auf die Übersetzung der Erinnerungen mache ich Euch folgenden Vorschlag: Grete Steffin und Du, Ihr bekommt für den dritten Band, FOR LUD OG KOLDT V., die Hälfte des Honorars für gelegentliche Veröffentlichungen und ein Drittel des Honorars für die Herausgabe der Bücher (beide in deutsch), solange, bis wir für diesen Band ein Übersetzungshonorar von insgesamt 2000 Kr. erreicht haben.345 Mit diesem Band müssen also noch 1300 Kr. für Euch erwirtschaftet werden. Was die ersten beiden Bände betrifft, so habe ich bereits an andere Vorschußhonorar für die Übersetzungen bezahlt, insgesamt etwas über 1000 Kr., und es ist schwierig für mich, noch mehr Vorschuß zu zahlen. Wenn wir nun damit rechnen, daß die beiden Bände ebenfalls jeweils 2000 Kr. Übersetzungshonorar ausmachen und bereits 500 Kr. pro Band an andere bezahlt wurden, müßtet Ihr 1500 Kr. pro Band von den Einnahmen haben, die durch gelegentliche Veröffentlichungen und Buchausgaben eingenommen werden müßten. Ob Ihr wohl mit dieser Regelung einverstanden seid? Schreib mir ein paar Worte darüber. Mit den besten Grüßen an Dich und Deine lieben Kinder und last not least – Helene Weigel, die mit ihrer Mutter in „Die Gewehre der Frau Carrar“346 einen unvergeßlichen Eindruck auf mich gemacht hat. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die Hausfrau

340 Kak zakaljalas’ stal’ (1932), Roman des russischen Schriftstellers Nikolaj Alexejewitsch Ostrowski (Nikolaj Alekseevič Ostrovskij, 1904–1936). Deutsche Ausgabe: Wie der Stahl gehärtet wurde, Kiew 1937. 341 Eine deutsche Ausgabe des Spartacus (Paris 1929) von Marcel Ollivier (1896–1993) erschien 1932 bei Kaden in Dresden. 342 Otto Strasser (1897–1974) gehörte, wie sein Bruder Gregor, dem sozialrevolutionären Flügel der ­NSDAP an, aus der er 1930 austrat. Im selben Jahr gründete er die Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten und die Schwarze Front; suchte seither ein Bündnis auch mit national gesinnten Sozialisten und Kommunisten. 1933 emigrierte er nach Österreich, später in die Tschechoslowakei, in die Schweiz und nach Portugal. Die genannten Hefte, darunter eines mit dem Titel Geständnisse eines Gestapo-Mörders, erschienen in Prag. In Brechts Nachlaßbibliothek befinden sich von Otto Strasser lediglich die Broschüre über den sogenannten Röhm-Putsch Sonnabend 30. Juni sowie Die deutsche Bartholomäusnacht (Zürich 1935). 343 Im dänischen Ts: „sv.“ Die Notiz ist nicht überliefert. 344 Das Buch Bankleute und Börsenspieler vor 2000 Jahren (Konstanz 1924) des österreichischen Schriftstellers Carl Colbert (1855–1929). 345 In der Übersetzung von Steffin und Brecht erschienen lediglich die ersten beiden Bände von Andersen-Nexös Autobiographie Erindringer. Vgl. Anm. zu Andersen- Nexö, 28.3.1938. 346 Bezieht sich vermutlich auf die Kopenhagener Aufführung unter der Regie von Ruth Berlau in der Borups Højskole am 14.2.1938.

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Helene Weigel. Ich bin ganz verliebt in Deine ernste, prächtige Frau, nicht zuletzt, wenn sie die kleine Barbara in den Armen hat. Meine besten Grüße auch an Grete Steffin, die mich einfach verblüfft hat durch die Beherrschung ihres Stoffs. Dein ergebener Überlieferung: Ts, BBA E12/207 (deutsche Übersetzung: Z 956).

Hubertus Prinz zu Löwenstein347 an Bertolt Brecht Morbihan, 18.7.1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM DER GENERALSEKRETAER Zur Zeit: Ile aux Moines Hôtel du Golfe Morbihan

18. Juli 1938.

Herrn Bert Brecht Svendborg Skovsbostrand Danmark. Lieber Herr Brecht, Ich freue mich herzlich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass Ihre Werkbeihilfe348 auf meinen Antrag von der American Guild auf weitere drei Monate verlängert worden ist! Am 22. fahre ich auf ein paar Tage nach Paris zurück, um als Vertreter der American Guild und der Deutschen Akademie am Kongress gegen den Rassenwahn und am Weltfriedenskongress teilzunehmen.349 Wenn Sie auch da sein sollten, so wäre es mir eine grosse Freude, wenn ich Sie dort sehen könnte! 347 Hubertus Prinz zu Löwenstein (1906–1984), vormals Leitartikler der Vossischen Zeitung, des Berliner Tageblatts und des Berliner Börsen-Couriers. Ging 1933 ins Exil nach Österreich, 1935 nach Großbritannien, 1936 in die USA. 1946 kehrte er zurück nach Deutschland, später Bundestagsabgeordneter der FDP. 348 Vgl. Anm. zu American Guild, 22.4.1938. 349 Der Weltfriedenskongreß in Paris tagte am 25.7.1938. Thema waren die deutschen Luftangriffe auf spanische Städte. Die deutschsprachige Pariser Tageszeitung vom selben Tag berichtete über den Kongreß unter der Überschrift „Keine Bomben auf offene Städte“.

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Ich würde mich sehr freuen, bald wieder einmal von Ihnen zu hören und bin mit den besten Grüssen Ihr GENERALSEKRETAER. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 20.7.1938 Redaktion „Das Wort“ Moskau, Strastnoi Blvd. 11

Moskau, 20. Juli 38

Lieber Genosse Brecht, mit der heutigen Post geht Ihnen das Manuskriptmaterial fuer Heft 9 zu. (Auf unsere Sendung fuer Heft 8 habe ich keine Antwort bekommen.) Wenn Sie etwas gegen die Kuba-Gedichte350 haben sollten, teilen Sie es mir bitte bald mit, damit ich keine Umbruchschwierigkeiten habe. Es sind die einzigen, die ich neu hinzugenommen habe. Leider kamen sie erst gestern mit der Morgenpost, sonst haette ich sie frueher geschickt. Ich fand sie naemlich so gut, dass ich sie gleich abschreiben liess und noch in diese Nummer nahm. Lieber liesse ich andere (so Balacs „Mein Haus“351, das mir gar nicht gefaellt) fort. Etwa Bruegel352 und Hoefler353, die beide noch im Stehsatz sind. (Kurella hat sie ausgesucht.) Noch eine Bitte: wenn Sie die Erzaehlung von Walden354, „Frl. Charlotte“, ablehnen 350 Von Kuba (d.i. Kurt Barthel) erschienen in Das Wort, Heft 9/1938, die Gedichte „Totentanz und Lebenslied der Graslitzer Geigenmacher“ und „Böhmischer Frühling“. 351 Béla Balázs’ Gedicht „Mein Haus“ erschien ebenfalls in Heft 9/1938. 352 Der österreichische Dichter Fritz Brügel (1897–1955) ging 1934 ins Exil in die Tschechoslowakei. Nach weiteren Exilstationen in Frankreich und Großbritannien kehrte er 1945 nach Prag zurück. Ab 1946 für die tschechische Militärmission in Beerlin tätig. In Heft 9/1938 erschienen seine Gedichte „Dem Gleichgültigen“ und „Alte Gewehre“. 353 Vgl. Anm. zu N.N. (Red. Das Wort), 16.6.1938. 354 Der Schriftsteller, Verleger und Komponist Herwarth Walden, d.i. Georg Lewin (1878–1941), vormals Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm und seit 1918 Mitglied der KPD, lebte seit 1932 im Exil in Moskau und arbeitete dort als Sprachlehrer. Im Wort publizierte er, meist unter Pseudonymen, zahlreiche Beiträge. 1941 wurde er verhaftet, noch im selben Jahr kam er in einem Lager bei Saratow unter ungeklärten Umständen ums Leben. Die genannte Erzählung wurde im Wort nicht veröffentlicht.

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– was ich mehr als verstehen wuerde – dann tun Sie es bitte mit einer kurzen netten Be­ gruendung, die ich dem lieben alten Herrn vorlesen kann. Und dann: vergessen Sie bitte nicht, dass Sie den Essay ueber Volkstuemlichkeit355 fest versprochen haben. Ich hatte gehofft, ihn schon fuer diese Nummer zu haben. Aber leider…! Und dann: wer soll ueber Ihre „Gesammelten Werke“ schreiben? Das ist wichtig. Uebrigens habe ich sie mir jetzt mit nach Haus genommen und mich wieder in dies oder jenes vertieft. Schade, dass die Hauspostille noch nicht dabei ist.356 Warum kommt die erst in einen spaeteren Band? Ich hoffe, bald von Ihnen zu hoeren und verbliebe mit herzlichem Gruss Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/73.

Volkmar von Zühlsdorff357 an Bertolt Brecht Morbihan, 24.7.1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM DER GENERALSEKRETAER Zur Zeit: Ile aux Moines Hôtel du Golfe Morbihan, France.

24. Juli 1938.

Herrn Bert Brecht Skovsbostrand Svendborg Danmarque.

355 Volkstümlichkeit und Realismus. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 22.5.1938. 356 Brecht hatte die Hauspostille (GBA 12, S. 37–120) zu diesem Zweck 1937 noch einmal überarbeitet. Der vierte Band der Gesammelten Werke, in dem sie erscheinen sollte, kam jedoch, ebenso wie Band 3, nicht mehr zustande. 357 Der Jurist und Publizist Volkmar von Zühlsdorff (1912–2006), ab 1933 im Exil in Österreich, seit 1938 in den USA, war Geschäftsführender Sekretär der American Guild for German Cultural Freedom. In der Bundesrepublik später u.a. als Redakteur der Zeit und im diplomatischen Dienst tätig.

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Sehr verehrter Herr Brecht, In Abwesenheit von Prinz Loewenstein, der gegenwärtig in Paris als Vertreter der American Guild und der Deutschen Akademie am Kongress gegen den Rassenwahn und am Weltfriedenskongress teilnimmt, erlaube ich mir, Sie um ein Gutachten zu bitten. Herr Dr. Heinz Paechter, 58 rue Pierre Demours, Paris XVIIe, hat sich um eine Beihilfe der Guild beworben und Ihren Namen unter denen genannt, die über seine Lage und seine literarischen Fähigkeiten Auskunft geben könnten. Darf ich Sie um Ihr Gutachten bitten, auch wenn es negativ ausfallen sollte?358 In ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener Zuehlsdorff ASSISTENT. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

American Guild for German Cultural Freedom an Bertolt Brecht [New York] 27.7.1938 27. Juli 1938 Herrn Bert Brecht Skovsbostrand pr. Svendborg Denmark Sehr geehrter Herr Brecht, Es freut mich sehr, Ihnen heute mitteilen zu koennen, dass bei dem letzten Meeting unser Board of Directors beschlossen hat, Ihnen Ihr Scholarship fuer weitere 3 Monate und zwar August, September und Oktober 1938 in Hoehe von monatlich $ 30.-- zu erneuern, um Ihnen die Moeglichkeit zu geben Ihre Arbeiten zu vollenden. Die erste Zahlung wird Ihnen voraussichtlich Anfang August zugehen. Die anderen Zahlungen erhalten Sie jeweils in den Anfangstagen des faelligen Monats.

358 Zu Brechts Gutachten für den Wirtschaftshistoriker Heinz Pächter (1907–1980) vgl. seinen Brief an die American Guild, 7.9.1938, GBA 29, S. 108.

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Den beste Empfehlungen und allen guten Wuenschen Executive Secretary359 SFB/GK. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 28.7.1938 Moskau, den 28. Juli 1938 Lieber Brecht, Soeben sehe ich, daß ich zwei Fragen Deines Briefes360 unbeantwortet gelassen habe und zwar 1.) die nach dem Redaktionsschluß unserer Zeitschrift. Wir bereiten eine Nummer ziemlich lange vor, d.h. drei Monate vor Erscheinen müssen wir im Besitz der Beiträge sein. 2.) Deine Gesammelten Werke habe ich jetzt bekommen. Ich bin schon dabei mich nach jemandem umzuschauen, der sie besprechen kann.361 An Grete werden von jetzt an Exemplare der IL. geschickt. Mit den besten Grüssen Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/74.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 4.8.1938 4. Aug. 38 Redaktion „DAS WORT“ Lieber Genosse Brecht, gestern früh erst erhielt ich, gleichzeitig mit dem fertigen Umbruch unserer Nr. 9, Ihren Brief.362 Leider ohne Datum, so dass ich nicht mal feststellen kann, ob die Post gebummelt 359 Vermutlich Maria Heinemann. Vgl. Anm. zu American Guild, 22.4.1938. 360 Vgl. B. an Becher, 22.7.1938, GBA 29, S. 102f. 361 In Heft 9/1938 der Internationalen Literatur erschien eine kleine Notiz, die auf Brechts Gesammelte Werke hinwies. Eine Besprechung wurde nicht gedruckt. 362 Nicht überliefert.

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hat. Mir ist das insofern unangenehm, als Sie gewisse Beanstandungen haben. Die Situation in der Druckerei ist folgende: es sind Millionen Schulbücher zu drucken, man arbeitet sozusagen Tag und Nacht. Wenn wir jetzt mit Änderungen im Umbruch kommen, kann es uns – wie bei Nr. 7 – passieren, dass wir eine uneinbringliche Verspätung bekommen. Ich werde also demnächst Beiträge, bei denen ich Zweifel habe, noch vor der KomplettSendung schicken. Vielleicht würde sich auch, wenn Sie beim nächsten Material wichtige Einwände haben, ein Telegramm empfehlen. Glauben Sie mir: ich möchte wirklich gern, dass alle unsere Redakteure (und jetzt kommt Bredel in Paris auch noch dazu, in Sp.363 konnte er sich nicht mehr um die Zeitschrift kümmern) mit den jeweiligen Nummern zufrieden sind – zumindest, dass sie nicht unzufrieden sind. Diese Schwierigkeiten die durch die grossen Entfernungen bedingt sind, machen mich nervoes. (Und dazu haben wir hier fast 50 Grad im Schatten, Sekretaerin und Stenotypistin in Urlaub, fuer beide Vertretungen, die zwar gut, aber doch nicht so eingearbeitet sind! Alles, auch viel Technisches haengt an mir.) Ich glaube sogar, dass wir – trotz gelegentlicher verschiedener Auffassungen ueber bestimmte Fragen, – in der praktischen Beurteilung der Manuskripte gar nicht so weit auseinandergehen. Hoechstens in der Lyrik. Doch konkret zur Sache: „Luftschutzkeller“364, von Kurella angenommen, ist doch schon in Nr. 8. (War bei der vorigen Sendung.) Ebenso war „Mein Haus“, auch von K. angenommen, fuer 8 vorgesehen.365 Ich habe es noch rausgeworfen, weil ich es fuer sehr schwach hielt. Dann aber kam der sehr empfindliche Autor und – na, Sie koennen sichs ja denken: K meint es gut mit ihm, ich verkenne ihn, etc. Und da ich annahm, dass Sie dies Gedicht ja auch schon gelesen (und kein Veto eingelegt) hatten, steckte ich es in Nr. 9. Walden habe ich, obwohl keine Antwort von Ihnen da war, herausgelassen – ich werde in den sauren Apfel beissen und „es meinem Kinde sagen“. Von Höfler habe ich noch nichts gebracht,366 also auch nicht die Rimbaud-Übersetzung.367 Und nun der schwierigste Fall: Kerr. Ich hatte ihm im Laufe der letzten Monate sehr viel zurueckgeschickt. Sachen, die einfach politischer Unsinn waren. (So eine Parallele Marx-Disraeli368 und ähnliches). Er 363 Spanien. Willi Bredel hatte die Moskauer Redaktion 1937 verlassen und sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen. 364 „Ballade vom königlichen Luftschutzkeller“, Gedicht von Ludwig Adam (d.i. Ludwig Detsinyi, 1915–1997). 365 Das Gedicht von Béla Balázs erschien in Heft 9/1938. 366 Vgl. Anm. zu N.N. (Red. Das Wort), 16.6.1938. 367 Werke des französischen Dichters Arthur Rimbaud (1854–1891) wurden im Wort nicht gedruckt. Vgl. aber Alfred Wolfensteins Prosastück „Verlaine und Rimbaud in Stuttgart“ in Heft 11/1938. 368 Der englische Schriftsteller und Politiker Benjamin Disraeli (1804–1881) begann seine politische Karriere als Radikaler und Liberaler, mithin auch als scharfer Kritiker der Konservativen Partei, für die er schließlich 1868 und noch einmal 1874 bis 1880 das Amt des britischen Premierministers bekleidete – was nicht zuletzt in Anbetracht seiner jüdischen Herkunft erstaunlich ist. Ebenso wie der seit 1849 in London lebende Karl Marx war Disraeli mit der religiösen und kulturellen Überlieferung des Judentums nicht näher vertraut. Im Unterschied aber zu Marx, dem seine jüdische Familientradition nichts bedeutete, war der in der Öffentlichkeit häufig antisemitischem Spott ausgesetzte Disraeli

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war schon sehr verstimmt. Natuerlich lag uns auch die Film-„Dichtung“369 ziemlich auf dem Magen, aber K und ich haben uns gesagt: damit wird wenigstens kein Schade[n] angerichtet und er steht ja, als bekannter Mann, mit seinem Namen dafuer ein. So sonderbar es scheinen mag: wir haben noch fast jedesmal – und wir haben Kerr nur zwei- oder dreimal gebracht – Zuschriften von Lesern erhalten, die bejahend, ja begeistert waren. (Von Schriftstellern umgekehrt, natürlich.) Wie ich selbst zu ihm stehe? Ich glaube, genauso wie Sie, hoechstens kann ein gradueller Unterschied bestehen. Waehrend ich diese Zeilen schrieb, wurde in der Druckerei festgestellt, wie der Arbeitsprozess ist. Leider sind schon die beiden ersten Bogen in der Maschine und heute abend sollen vier weitere gedruckt werden. Jede Umstellung hiesse: Stoppen und dann abwarten, bis die Maschinen fuer uns freigemacht werden koennen. Das darf ich nicht riskieren. (Seien Sie ueberzeugt, ich haette es getan, bloss um Sie zufriedenzustellen! Ich haette keine Arbeit gescheut, aber ich sehe mit Schrecken die spaete Lieferung von Nr. 7. Gluecklicherweise hatte ich mit 8 aufgeholt, und 9 kommt gluecklicherweis voellig termingerecht.) Weiter in Ihrem Brief. Ich habe es sehr bedauert, dass Ihr Aufastz ueber Volkstuemlichkeit370 noch nicht da ist. Hoffentlich kommt er noch rechtzeitig fuer Nr. 10! Senden Sie auf jeden Fall per Flugpost. Und wenn Sie bei Erhalt dieses Briefes noch nicht abgesandt haben, wuerde ich Sie bitten, einleitend nochmals zu betonen, dass das Thema zur Diskussion gestellt wird, dass, wie bei allen unsern Diskussionen jeder seine Ansicht aeussert, keineswegs aber „Richtlinien“ oder Rezepte gegeben werden sollen. Dass z.B. Lukacs eben anderer Ansicht ist als Walden etc.371 Sie verstehen, was ich meine? Mir ist naemlich unsere Expressionismus-Diskussion wenig vorbildlich. (Wie Ihnen.) Ich moechte entschieden vermeiden, dass wir – speziell von unserm Erscheinungsort aus – irgendwelche Thesen aufstellen, von denen der Eindruck entstehen koennte, wer nicht einverstanden ist, gehoere nicht zur Volksfront. Wenn Sie als namentlich zeichnender Redakteur das betonen, waere es besser, als wenn ich oder jemand anders so etwas schreibt. Ich will mit diesen Ausfuehrungen natuerlich nicht sagen, dass ich nicht meine ganz bestimmte Meinung ueber bestimmte Probleme habe und, vor allem, dass ich es nicht fuer eine Aufgabe des „Wort“ hielte, moeglichst weitgehend in [die] richtige theoretische Richtung zu fuehren – (denn sonst kaemen wir ja dazu, dass wir aus lauter Hoeflichkeit, Ruecksichtnahme und missverstandener Volksfront-„Politik“ mehr Verwirrung als Nutzen stifteten und schliesslich alle Ansichten ausser den marxistischen foerderten). Nun, Sie werden schon verstehen, was ich meine. sich seiner außergewöhnlichen Stellung als Jude durchaus bewußt. Bei dem erwähnten Beitrag von Kerr handelt es sich wahrscheinlich um den bis heute nicht veröffentlichten, im Alfred-Kerr-Archiv dokumentierten Aufsatz „Ein Jude spricht zu Juden“. 369 Das ist der Filmplan „Cagliostro. Der große Scharlatan“ von Alfred Kerr, erschienen in Heft 9/1938. 370 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 22.5.1938. 371 Vgl. Herwarth Waldens „Höflich erbetene Stellungnahme“ in Heft 9/1938. Lukács hatte Walden in seinem Aufsatz „Es geht um den Realismus“ (Heft 6/1938) explizit um eine solche Stellungnahme gebeten (vgl. Expressionismusdebatte, S. 212).

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Die Hauptsache ist, dass Sie recht schnell den Aufsatz schicken! Den Vorschlag, Arnold Zweig über Ihre Werke schreiben zu lassen halte ich fuer sehr gut.372 Ich werde ihn gleich bitten. Und er wird es auch sicher tun. Hoffentlich hat er die Buecher schon? (Sie von hier zu schicken wuerde eine grosse Verzoegerung bedeuten.) Ich halte Sie ueber die Sache auf dem laufenden. Dass die „Berichtigungs“-Sache (betr. Lukacs-Eisler) so aus der Welt geschafft wird, freut mich.373 Es soll mir eine Lehre sein fuer kuenftige Faelle: Diskutieren – bitte, soviel Ihr wollt. Aber nicht polemisieren. Die Sache, aber nicht die Person. Der Gedanke mit den Monographien gefaellt mir sehr.374 Zwar habe ich noch gegen einige Namen in der Liste – die aber ja wohl nur ein provisorischer Vorschlag sein soll – leichte Bedenken taktischer Natur. Insbesondere meine ich, wir muessten anfangs ein paar markante Volksfronterscheinungen (Th. und H. Mann) bringen. Das schliesst selbstverstaendlich nicht aus, dass wir in einem Heft, sagen wir, mit H. Mann und Eisler beginnen, dann andere folgen lassen. Auf jeden Fall meine ich, sollten Sie den vorgeschlagenen Artikel bei dem vorgeschlagenen Musikfachmann bestellen, wenn Sie diesen Musikfachmann auch sonst (in seiner weltanschaulichen Haltung) kennen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich auf dem Gebiet der Musik nicht genuegend bewandert bin. Nun zu dem Vorabdruck der Nexoe-Erinnerungen.375 Wenn wir uns entschliessen, eine groessere Arbeit in Fortsetzungen zu drucken, begruesse ich das aus mehreren Gruenden. (Unter anderem auch aus einem redaktionell-technischen: es ist eine große Umbruch-Erleichterung, weil man nicht mehr peinlich genau auf die Seite mit dem Material rechnen muss und jederzeit kuerzere Dinge im letzten Augenblick entfernen kann, ohne dass eine gleich lange Sache als Ersatz zu suchen ist.) Nur meine ich, sollte man in Heft 11 und 12 Propaganda machen, auf die Neuerung hinweisen und dann in Heft 1 beginnen, im neuen Jahrgang. Was meinen Sie? Dann aber, glaube ich, muessten wir etwas Geeigneteres nehmen, als Nexoes Biographie. Abgesehen davon, dass Sie sehr lang ist – also fuer Fortsetzungsdruck erfahrungsgemaess schlecht geeiget – meine ich, es sollte unbedingt ein Roman sein. Das hat nichts damit zu tun, dass ich etwa Nexoe nicht schaetze – ich liebe ihn sogar, denn er hat mich in meiner Jugend sehr beeinflusst – sondern ich finde: bei Fortsetzungsdrucken muss der Leser gespannt auf den naechsten Teil warten. Das ist aber doch gerade in einer noch so guten

372 Vgl. Zweig, 26.3.1939. Eine Besprechung der Gesammelten Werke Brechts ist im Wort nie erschienen. 373 Vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938. Auf Anregung Lion Feuchtwangers zog Brecht seine Kleine Berichtigung schließlich zurück, um statt dessen einen Aufsatz zum Thema zu schreiben (der allerdings nicht veröffentlicht wurde). Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Praktisches zur Expressionismusdebatte (GBA 22, S. 419–423). 374 Dieser Plan wurde offenbar nicht verwirklicht. Die erwähnte Liste Brechts ist nicht überliefert. 375 In Heft 3/1939 wurde der von Steffin und Brecht übersetzte erste Teil, „Unter offenem Himmel. Erinnerungen“ (vgl. dazu die Anm. zu Andersen-Nexö, 28.3.1938), veröffentlicht. Die angekündigte Fortsetzung konnte infolge der Einstellung der Zeitschrift nicht mehr erscheinen.

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Biographie nicht der Fall. (Vielleicht besteht sogar ein Teil Ihrer Qualitaet gerade darin, dass sie nicht „spannend“ ist.) Was ich hier aeussere sind aufrichtige Bedenken, denn wenn wir damit begonnen haben, muessen wir ein Jahr lang ungefaehr daran knabbern…! Leider kann ich Ihnen aber auch keinen geeigneten Gegenvorschlag machen, obwohl ich das gern moechte. Ich habe uebringens aus meiner Korrespondenz mit Feuchtwanger das Gefuehl, dass es ihm aehnlich geht wie mir: im Prinzip begruesst er sie Neuerung, moechte aber auch gern etwas anderen als Nexoes Biographie. (Ich aergere mich noch immer, dass er seinen Roman der I L gegeben hat.376 Haette er doch erst bei uns gefragt!) Jetzt schrieb er allerdings, dass er mit dem Nexoe-Abdruck einverstanden sei, aber, wie mir scheint, nicht sehr begeistert. Waere es nicht moeglich, dass Sie sich dort nochmals genau umtun, Feuchtwanger und Bredel in P.377, ob wir nicht etwas Geeigneteres bekommen koennen? Es muss doch etwas geben. Und Sie haben doch alle Beziehungen. Direktere jedenfalls, als ich sie von hier zur Zeit habe. Gibt es noch nichts, was im Januar preisgekroent wird? Heine-Preis?378 In einem solchen Falle koennte man auch einen weniger bekannten Namen nehmen. Jedenfalls bitte ich Sie herzlich: ueberlegen Sie sich diese Sache, mit der uns fuer lange binden, noch einmal genau. Vielleicht finden wir das Ei des Columbus. Wegen des gewuenschten Sowjet-Atlasses werde ich alles Moegliche tun. Selbst­ver­ staend­lich. Zum Schluss noch eine Sache, die nur wenig mit der Redaktion des „Wort“ zusammenhaengt: wir machen hier eine kleine Volksbibliothek in der Art der frueheren Vegaar-Buecherei, nur groesser (2 bis 3 Druckbogen) und unter Einschluss auslaendischer Autoren. Ich habe, Ihr Einverstaendnis voraussetzend, die „Rechtsfindung“ zu diesem Zwecke gegeben. Wird bei Erscheinen honoriert wie bei uns im „Wort“. (Die damals uebersandten Ergaenzungen, die wir nicht mehr machen konnten, werden dort gemacht.)379 Sollten Sie, was ich nicht hoffe, etwas dagegen haben, dann scheiben Sie mir bitte schnell, weil die ersten drei Hefte in Satz gehen. Mit herzlichen Gruessen Ihr Überlieferung: TsD, hs. Us. u. Korr., RGALI 631/13, 64/76–77.

376 Lion Feuchtwangers Roman Exil, der letzte Teil der Wartesaal-Trilogie, wurde in der Internationalen Literatur ab Heft 9/1938 in zwölf Fortsetzungen veröffentlicht. Die in Heft 8/1939 angekündigte weitere Fortsetzung blieb jedoch aus (Feuchtwanger wurde nach Beginn des Krieges in Frankreich interniert). Der vollständige Roman erschien 1940 bei Querido in Amsterdam. 377 Paris. 378 Gemeint ist der seit 1937 vor allem jungen und unbekannten Autoren verliehene Heinrich-HeinePreis des SDS. 1937 hatte Elisabeth Karr diesen Preis für ihren Roman Alles ist umgekehrt erhalten. Ein Kapitel daraus erschien in Das Wort, Heft 2/1939. 379 Ein solcher Band ist offenbar nicht erschienen.

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Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht London, 14.8.1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM DER GENERALSEKRETAER Ständige Adresse: c/o Cassavetti, Coustas & Co. 7-11. Moorgate London EC 2.

14. August 1938.

Herrn Bert Brecht Skovsbostrand Svendborg Danmark. Lieber Herr Brecht, mein Assistent Dr. v. Zuehlsdorff bat Sie am 24. Juli um ein Gutachten über Herrn Dr. Heinz Paechter, 58 rue Pierre Demours, Paris XViie, der sich um eine Beihilfe der American Guild beworben hat. Da ich leider auch auf meinen Brief vom 18. Juli, in dem ich Ihnen die Verlängerung Ihrer Werkbeihilfe mitteilte, keine Antwort erhielt, bin ich ein wenig beunruhigt. Ich bin jedoch sicher, dass Sie sich der, den Mitgliedern der Akademie obliegenden Mühe, die Bewerbungen an die Guild zu begutachten, gern unterziehen werden. In etwa zwei Wochen fahre ich wieder nach Amerika und werde das vollständige Material für die neuen Beihilfen brauchen. Mit den besten Grüssen Ihr ergebener GENERALSEKRETAER. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 21.8.1938 Redaktion „DAS WORT“ Moskau Strastnoi Blvd. 11

E.

21. Aug. 38 Lieber Genosse Brecht, gleichzeitig erhalten Sie das Material zu Heft 10. Ich lasse per Luftpost senden, damit es auf jeden Fall so zurecht kommt, dass ich eventuelle Einwaende beruecksichtigen kann. Wenn Sie also welche haben, dann schreiben Sie auch bitte sofort: ich moechte naemlich, wie ich schon mehrfach betonte, nicht, dass in den Nummern Sachen sind, die einer der Redakteure fuer untragbar haelt. (Etwas anderes ist es, wenn ueber einen immerhin moeglichen Beitrag verschiedene Ansichten herrschen.) Ein paar Worte zu jenen Beitraegen, die ich in dieser Nummer fuer schwach (aber moeg­lich) halte. Sie schrieben mir ja frueher einmal, ich solle, wenn ich bestimmte Gruende haette, diese mitteilen. Gedicht von Schenk.380 (Das ist der Mann mit dem „Liedchen“.) Wenn Sie es fuer tragbar halten, bitte ich, es stehen zu lassen. Der Autor wurde – nach dem Erfolg den damals das kleine Gedichtchen in Nr. 8 (vor. Jahr) hatte381 – immer und immer wieder abgelehnt, zu Aenderungen ausgefordert usw. Er ist natuerlich sehr verstimmt, weil er in Paris oft gedruckt wird, er meint, wir haetten etwas gegen ihn, weil er uns politisch nicht sehr nahe steht. Festkantaten von Fuernberg.382 Abgesehen von dem politischen Anlass, aus dem sie aufgefuehrt wurden (Siehe „Zu unsern Beitraegen“) gilt F. als der bekannteste sudetendeutsche Dichter. Er hat sich schon sehr bitter beschwert, zumal uns im vorigen Jahre die peinliche Sache passiert ist, dass wir auch nicht bemerkt haben, dass in dem Buche eines verstorbenen Autors (Malik-Verlag, Sylvius Hermann) seine Verse versehentlich als die jenes Verstorbenen abgedruckt sind, und wir sie auch noch gut rezensieren lassen. (Sie werden sich an unsere Berichtigung erinnern?)383 Pujmanova ist eine tsch. Autorin, die sehr entschieden im Rahmen der Volksfront fuer 380 Vgl. Anm. zu N.N. (Red. Das Wort), 3.6.1938. 381 In Heft 8/1937 erschien das Gedicht „Justiz“ von Walter Hugo Schenk. 382 Die „Festliche Kantate“ von Louis Fürnberg erschien in Heft 10/1938 aus Anlaß des „sudetendeutschen Volkskulturtags“ in Liberec (Reichenberg). Näheres dazu wurde in der redaktionellen Notiz „Zu unsern Beiträgen“ am Ende des Heftes erläutert. 383 Der 1936 im Malik-Verlag erschienene Band Nachlaß. Aufsätze, Briefe, Gedichte von Silvius Hermann wurde in Heft 7/1937 von Walter Haenisch unter dem Titel „Der Nachlaß eines Frühvollendeten“ besprochen. Den erwähnten Irrtum korrigierte die Redaktion in einer Notiz in Heft 12/1937.

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die Sudetendeutschen und unsere dortigen Freunde eintritt. Wahrscheinlich werde ich die Uebersetzungen aber herauslassen, da sie sich inhaltlich zu sehr mit Stanislawski384 schlagen, und sie erst – wenn Sie prinzipiell einverstanden sind – ins naechste Heft nehmen.385 Alles andere halte ich fuer gut oder zumindest brauchbar. (Wobei noch zu Stuebs386 zu bemerken ist, dass dort aehnliche Gruende mitsprechen wie bei Fuernberg.) Zum Schluss: sehr enttaeuscht bin ich, dass Ihr versprochener Aufsatz387 wieder nicht eingegangen ist! A. Zweig hat wegen der Besprechung noch nicht geantwortet.388 Den Atlas haben wir zu besorgen versucht, er war, wie stets alle Neuerscheinungen, wieder mal ueber Nacht vergriffen. K. hat mir aber versprochen, dass er sofort zum Neudruck einen fuer Sie reservieren lassen will. (Waere Ihnen vorerst mit einem andern, kleineren Atlas oder geografischen Werk gedient? Suchen Sie etwas Bestimmtes? Dann kann ich vielleicht helfen.) Und schicken Sie bald [den] Aufsatz! Und, wenn moeglich, Belletristi […]389 [Nachtrag:] Lieber Genosse Brecht, noch ein Nachtrag. Zu der Angelegenheit Fortsetzungsroman, ueber die ich bereits schrieb: ich lege Ihnen die Kopie einer Briefstelle von Arnold Zweig bei, die ich auch an Feuchtwanger und Bredel sandte. Ich schlage vor, wir sehen uns mal an, was das ist – eventuell ist es besser geeignet als Nexoes Biographie. Selbstverstaendlich ganz unverbindlich. Gruss! Überlieferung: TsD (Fragment), RGALI 631/13, 64/81–82.

384 Neben einem Nekrolog – Stanislawski war am 7.8.1938 verstorben – erschienen in Heft 10/1938 Erinnerungen und Erfahrungen. Ein Teil dieser Texte war dessen Buch My Life in Art (1924) entnommen worden. 385 Die angesprochenen Übersetzungen von Marie Pujmanová (1893–1953) sind im Wort nicht erschienen. 386 Von Stübs erschien in Heft 10/1938 ein Auszug aus seinem Drama Die Rattenfänger bei den Schildbürgern, das ebenso wie Fürnbergs „Festliche Kantate“ bei dem „sudetendeutschen Volkskulturtag“ am 27.6.1938 in Liberec (Reichenberg) gespielt worden war. 387 Brechts Aufsatz zum Thema Volkstümlichkeit. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 22.5.1938. 388 Vgl. Erpenbeck, 4.8.1938; dazu die Anm. zu Zweig, 26.3.1939. 389 TsD bricht an dieser Stelle ab.

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Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 29.8.1938 Liebe Grete, zuallererst die Adresse von Hans Richter; Schweiz, C a r a b i e t t a , Posta Figino. Soweit ich weiss, ist er etwas böse, weil er sich s. Zt. bemüht habe und Du hast nicht mal geantwortet. Auch über Brechts nicht Beantwortung der Briefe klagt man sehr.390 Schönlank aus Amsterdam schreibt mir, „er habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um einen Vorlesungsabend von „99 %“ zu arrangieren,“391 doch Brecht hat nichts von sich hören lassen. Mit der Äusserung an Lucasz scheint es das selbe zu sein.392 Ich hörte nur noch, daß man über Brechts Schweigen nicht sehr erfreut war und schliesslich sagte man, es wird sicherlich in Brechts Sinne sein, wenn sie auch schweigen. Das ist das letzte, was ich noch darüber vernahm. Nexö kenne ich als Schriftsteller noch aus Bulgarien. Für die bulgarische Jugend war er der zweite Gorki. Man las ihn sehr und man diskutierte sehr viel über ihn. Die sozialistische Bewegung hat ih[m] sehr viel zu verdanken. Es gibt viele die jetzt die Gefängnisse fülle[n] und seiner noch Gedenken. Grüße ihn bitte von mir freundlichst, vielleicht erinnert er sich noch an mich, wir haben uns bei dem Schriftstellerkongress 1935 in Paris393 durch Brecht kennen gelernt. Wenn Du oder Brecht eine Antwort von der Redaktion wegen dem FLÜSTERMAXE394 bekommt, schreibe mir bitte sofort. Schreibe mir bitte, welche Presseausschnitte Brecht bis jetzt erhalten hat. Hier hat eine andere Gruppe deutscher Schauspieler, mit Ernst Deutsch395 an der Spitze versucht deutsches Theater in Paris zu spielen. Unser Erfolg hatte sie verlockt, doch die erste Aufführung war ein grosser Durchfall. Es waren kaum 100 Menschen dar. 390 Der bis dahin letzte überlieferte Brief Hans Richters datiert vom 20.2.1935. Ob Brecht seither weitere Briefe erhalten hat, ist nicht bekannt. 391 Erich Schönlank hatte drei Rollen in Dudows Inszenierung von 99% gespielt (vgl. Anm. zu Dudow an Weigel, 21.1.1938, und Dudow, 17.4.1938). Über den geplanten Vorlesungsabend in Amsterdam konnte nichts ermittelt werden. 392 Vermutlich Brechts nicht veröffentlichte Kleine Berichtigung zu Lukács’ Aufsatz „Es geht um den Realismus“. Vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938. 393 Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934. Bei diesem Kongreß hat neben Brecht u.a. auch Andersen-Nexö gesprochen. 394 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937. Im Wort wurde der Text nicht veröffentlicht. 395 Der vormals in Deutschland tätige österreichische Schauspieler Ernst Deutsch (1890–1969) ging 1933 zurück nach Wien, spielte fortan u.a. auch in Zürich, Prag und Paris. 1938 emigrierte er in die USA. Nach seiner Rückkehr 1947 arbeitete er zunächst wieder in Wien, später in Westberlin.

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Ich arbeite immer noch an DEN VERPASSTEN AUGENBLICK. Ich schrieb Dir glaube ich darüber.396 Du hast aber nicht mehr geantwortet oder kannst Du Dir darunter nichts vorstellen? Das wäre für mich sehr interessant. Willst Du ev. nach der Schweiz? Wenn Du dahin fährst, musst Du ja über Paris. Es würde mich sehr freuen, wenn wir uns endlich mal wieder sehen. Grüsse bitte herzlichst den Meister Paris den 29.8.38

Herzli[ch]ste Grüsse

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2587/1.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 1.9.1938 Redaktion „DAS WORT“ Strastnoi Blvd. 11 Moskau

E 1. Sept. 38397

Lieber Freund Brecht, es ist schon wieder die alte Nervositaet: morgen frueh beginne ich mit dem Umbruch zu Heft 10, und es ist noch kein Wort von Ihnen da. Wenn nun irgendwelche Vetos sind, habe ich wieder Schwierigkeiten. Von Paris habe ich schon seit zwei Tagen Antwort. Ebenso seit heute frueh aus Sanary Var.398 Und wir haben doch per Luftpost geschickt. Ich moechte wirklich bald aus dem Zustand heraus, dass ich mir von Nummer zu Nummer Sorgen mache: Was wird nun wieder Schwierigkeiten geben? So z.B. Nummer 9. Ihre Wuensche konnte ich nicht beruecksichtigen, ebenso wie ich einen von F. ausser acht lassen musste: er hatte Bedenken wegen der Walden-Antwort auf Lukacs.399 Er meinte (obwohl Walden zwar direkt von L. apostrophiert wird), dass Sie boese sein koennten, dass man Walden das Wort gibt, obwohl die Diskussion abgeschlossen ist, Sie aber gebeten habe400, zu verzichten. Aber ich glaube (ganz abgesehen davon, dass es ja nicht mehr zu aendern war) dass da ein Unterschied ist. Oder nicht? Er spricht fuer sich selbst und ist direkt aufgefordert worden, und die Bedenken ge396 In Dudows Brief vom 6.7.1938 ist die Rede von einem Text mit dem Titel „Die verpaßte Gelegenheit“. 397 Im TsD: „39“. Im September 1939 jedoch existierte die Zeitschrift bereits nicht mehr. 398 Bezieht sich auf die Mitherausgeber Bredel und Feuchtwanger. 399 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. 400 Die folgende hs. Korrektur ist unleserlich. Zu Brechts Kleiner Berichtigung, von der hier die Rede, vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938, und Erpenbeck, 4.8.1938.

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gen Ihre Berichtigung waren ja inner-redaktioneller Natur. Ausserdem wird ja der londoner Musikmann seinen Eisler-Essay schreiben.401 (Wann wird er kommen?) Aber jetzt nochmals und ganz ernsthaft: w a n n wird Ihr Artikel ueber Volkstuemlichkeit402 kommen? Lassen Sie mich doch nicht immer im Stich! Und dann waere auf jeden Fall auch wieder etwas unter „Prosa und Lyrik“ von Ihnen faellig. Sie haben doch 1918 sehr intensiv miterlebt. Wenn Sie fuer das Dezember- oder Januarheft etwas schreiben koennten, was an 20 Jahre KP (bzw. Spartacusbund)403 erinnert – das waere ein Glueckstreffer fuer mich. Sie verstehen: ich denke nicht etwa an etwas Direktes, gar Essayistisches, sondern an etwas Lyrisches oder Dramatisches, das dem Leser die damalige Situation wieder wachwerden laesst. (Vielleicht Luxemburg-Liebknecht?) Fassen Sie das bitte bloss als Anregung auf, wahrscheinlich kommen Sie beim Nachdenken auf etwas viel Originelleres, Besseres. Jedenfalls schreiben Sie mir doch darueber ein paar Zeilen. Herzlichst Ihr PS. Antworten Sie mir bitte auch auf die Anregung, eventuell A. Zweig anstatt Nexoe in Fortsetzungen zu bringen. Wir muessen uns bis zum Dezemberheft entscheiden, da wir darin ankuendigen muessen. Und noch eine Frage, die ich ganz aufrichtig zu beantworten bi[tte:]404 sollen wir auf Ihren 40 Geburtstag eingehen?405 (Falls ja, dann waere ein repraesentativer Beitrag von Ihnen auch in der betr. Nummer sehr angebracht.) Heute habe ich uebrigens auch wieder bei A. Zweig wegen der Besprechung Ihrer „Gesammelten Werke“ angemahnt.406 Wahrscheinlich hat er noch nicht geschickt, weil er uns hintereinander geliefert hat: den frueher bestellten Essay ueber Realismus (Sie finden ihn im Material Heft 10) und den Aufsatz ueber SDS, den wir schon hier haben fuer Heft 11.407 Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/87. 401 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. 402 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 22.5.1938. 403 Der gleich nach Beginn des Ersten Weltkriegs auf Initiative Rosa Luxemburgs gegründete Spartakusbund (ursprünglich Gruppe Internationale) war eine Vereinigung revolutionärer Marxisten, die gegen die „Burgfriedenspolitik“ ihrer Partei, der SPD, Stellung bezogen. 1917 trat er als eigenständige Gruppe zunächst der USPD bei, im Januar 1919 ging aus dem Spartakusbund die neugegründete KPD hervor. Dieses Jubiläums wurde im Wort jedoch nicht in der von Fritz Erpenbeck vorgeschlagenen Weise gedacht. In Heft 1/1939 erschien, neben einem Auszug aus Wladimir Majakowskis Poem „Wladimir Iljitsch Lenin“ (zu dessen 15. Todestag), lediglich eine Erinnerung Willi Bredels an die deutsche Novemberrevolution 1918 („Vor zwanzig Jahren“). 404 Im TsD verdeckt. 405 Brecht war bereits am 10.2.1938 vierzig Jahre alt geworden. Einen „repräsentativen Beitrag“ hat er aus diesem Anlaß nicht eingereicht. 406 Vgl. Erpenbeck, 4.8.1938; dazu die Anm. zu Zweig, 26.3.1939. 407 Zweigs Essay „Roman, Realismus und Form“ erschien in Heft 10/1938, sein Beitrag „Fünfundzwanzig Jahre SDS“ im folgenden Heft.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 1.9.1938 1.9.38

Bertolt Brecht Skovsbostrand per Svendborg

Lieber Brecht, ein sehr ausführlicher Brief an Dich ist vorbereitet, kann aber aus Zeitmangel heute nicht mehr abgehen. Daher jetzt nur ein paar Zeilen mit dem wichtigsten: der Drucker ist bereit, die beiden Bände408 noch in diesem Herbst fertigzustellen, wenn er das Manuscr. gleich bekommt. Ich gab alles, was hier ist, zum Satz, d.h. alle Gedichte ausser „Lesebuch für Städtebewohner“, das Du noch nicht geschickt hast. Vom Band III habe ich nur „Furcht und Elend“ bitte schicke umgehend „Baal“ „Eduard II“ „Im Dickicht der Städte“ und „Trommeln in der Nacht“. Ich meine, der Band ist dann umfangreich genug, neu ist ja „Furcht U. Elend“, das dürfte genügen. Und wer weiss, ob wir nächstes Jahr noch so gut drucken können. Einmal erfolgt die Explosion hier ja doch. Dann ist es schön, wenn wenigstens 4 Bände complett da sind, die ganze Welt wird schliesslich nicht untergehen. „Gut, aber wozu“409 bitte ich wegzulassen, wenn Du nicht evt. nur den ersten Teil, also ohne die Schlussstrophe bringen willst. Mir gefiele das sehr gut. Es ist zu schwer, Dir meine Gründe auseinanderzusetzen ... Ich hab übrigens 2 Seiten frei in diesem Teil, damit das Gedicht (gekürzt) Platz hat, evt. ein anderes, falls Du eins hast. Natürlich bekommst Du den Umbruch noch. Die Gedichte haben genau 128 Seiten = 2 Papierbogen à 64 Seiten Umfang, das ist ideal. Bei „Furcht u. Elend“410 ist der Umfang nur 112 Seiten, es wäre günstig, noch 16 Seiten anzufügen, damit es auch 128 Seiten werden, schick also schnell Deine Aufsätze oder Reden, die in diesen Band passen. Alle[s] weiter[e], auch Bücher für Vater und Sohn, morgen Herzlichst Euer Wieland Überlieferung: Ts, BBA Z 36/49.

408 Die Bände 3 und 4 der Gesammelten Werke. 409 Das vermutlich 1935 enstandene Gedicht Gut, aber wozu? (GBA 14, S. 316) nahm Brecht unter dem Titel Verhör des Guten später ins das Buch der Wendungen auf (GBA 18, S. 89). 410 Für den geplanten Druck des Stücks in Band 3 der Gesammelten Werke stellte Brecht erstmals 27 fertige Szenen zusammen. Die Bände 3 und 4 der Gesammelten Werke konnten infolge des Einmarschs der deutschen Truppen in die Tschechoslowakei jedoch nicht mehr erscheinen.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 14.9.1938 REDAKTION „DAS WORT“ Moskau, St r a s t noi Blvd . 11. --------------------------------------------------------------------------------------Den 14. September 1938. Lieber Freund Brecht! Ich will Ihren Brief vom 7.9.,411 den ich eben erhielt, gleich beantworten. Sie beginnen damit, dass Sie keine Lust haben, Einwände zu erheben, – diese würden doch nicht berücksichtigt. Aber das stimmt doch wohl nicht. Wenn Sie rechtzeitig kommen, tue ich immer das Menschenmögliche. So habe ich z.B. aus dem Material der Nummer 10, auf das Sie gar nicht eingehen, auf Vorschlag Feuchtwangers – nicht gern, gestehe ich, beide Polemiken gegen Weiskopf entfernt.412 Und ich erinnere mich, auch schon auf Ihre Veranlassung früher manches beseitigt zu haben. Obwohl mir dann jedesmal die nicht immer erfreuliche Auseinandersetzung mit den Autoren verblieb. (Ich kann ihnen doch nicht schreiben: Brecht findet etc…) Was die IL angeht – da habe ich natürlich keinen Einfluss.413 Ich glaube, dass ich auch (das geht wohl aus unserm gesamten bisherigen Briefwechseln hervor) keineswegs immer mit Lukacs einverstanden bin. Wenn ich auch nicht Ihren Standpunkt über ihn teile. (Übrigens weiss ich, dass er zu Ihren letzten Arbeiten sehr positiv steht.) Aber Sie haben recht: er hat in der letzten Zeit bei uns im „WORT“ einen zu breiten Raum eingenommen, es könnte der falsche Eindruck entstehen, dass wir uns ganz mit ihm identifizieren. (Aus diesem Gefühl habe ich übrigens auch das an und für sich ziemlich überflüssige „Schlusswort“ von Ziegler zur Expressionismusdebatte noch gebracht,414 damit es nicht so aussehe, als ob Lukacs – womöglich im Auftrage der Redaktion – abschlösse). Kurz: ich werde mich bemühen, seine Mitarbeit in den nächsten Nummern einzuschränken. Sie haben recht offen geschrieben. Lassen Sie mich Gleiches mit Gleichem vergelten: die Angelegenheit mit Eisler tut mir schon lange sehr leid.415 Ich ärgere mich, dass ich das – wegen Überbürdung mit technischem Kleinkram – nicht ernsthaft genug überlegt habe. Nun zu einem Miss­ ver­ständ­nis Ihrerseits. Sie schreiben, wir hätten Ihnen eine nachträgliche Stellungnahme 411 Nicht überliefert. 412 Vgl. Anm. unten zu Weiskopfs „Fehler im kleinen Einmaleins“. 413 In einem Brief an Johannes R. Becher vom 8.9.1938 beklagte sich Brecht über den in der Internationalen Literatur – namentlich von Georg Lukács – vorgeschriebenen Begriff des sozialistischen Realismus, den er als „außerordentlich eng und ganz und gar formal“ zurückwies, da demzufolge auch seine eigenen Arbeiten „nicht mehr als sozialistische, realistische Werke gelten“ könnten (GBA 29, S. 109). 414 Vgl. Erpenbeck, 13.5.1938. 415 Vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938.

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zur Expressionismusdebatte abgeschlagen (abgesehen von der Glosse). Da haben Sie mich wirklich falsch verstanden. Ich schrieb nur, man solle – damit sich nicht noch mehr Autoren nachträglich zu diesem spezifischen, diesem einengenden Thema meldeten – das Thema „Volkstümlichkeit“ zugundelegen und fuhr dann etwa so for t : „Sie können in diesem Zusammenhang dann sagen, was Sie zu sagen haben.“ Damit meinte ich: Sie können das, was Sie noch zum Expressionismus zu sagen haben, ohne weiteres einschliessen. Ich schlug, wenn ich mich recht erinnere, sogar vor, Eisler als Beispiel für Volkstümlichkeit zu zitieren. Also wirklich, lieber Brecht, glauben Sie mir: nichts lag mir ferner, als Sie da vom Schreiben abzuhalten. Im Gegenteil! Und wenn ich immer wieder um den Volkstümlichkeits-Artikel bitte – auch jetzt wieder – so geschieht das grossenteils aus dem Grunde, viele Meinungen ernst zu nehmender Menschen zu haben, ja gerade auch darum, dass nicht der von Ihnen skizzierte Eindruck entsteht: Lukacs hat gesprochen und die Sache ist damit ein für allemal geklärt. Sie fürchten „Zänkereien“. Damit schneiden Sie ein ernstes Thema an: ich sehe den Grund zu dem, was Sie Zänkereien nennen, hauptsächlich darin, dass wir – mit wenigen Ausnahmen – verlernt (oder zum Teil auch noch nicht gelernt) haben, zu diskutieren. Unter der Hand wird alles zur Polemik. Kurz: ich meine, es kommt auf den Ton an, inhaltlich muss die Möglichkeit bestehen, alles zu sagen, was Hand und Fuss hat. Diese Ausführungen beziehen sich selbstverständlich nicht auf Ihren Volkstümlichkeitsartikel (den ich ja noch gar nicht kenne)416 sondern sind selbstkritischer Natur: wir sollten in Zukunft strenger sein dem Ton gegenüber („den“ Eislers etc.). Den Anfang damit habe ich schon gemacht, indem ich mich leicht von Feuchtwanger überzeugen liess, die Polemiken gegen Weiskopf nicht zu bringen, obwohl Weiskopf sachlich fast hundertprozentig unrecht hat und überdies als erster gegenüber Sturm einen ungehörigen Ton anschlug.417 Zu unserer redaktionellen Zusammenarbeit. Ihre und Feuchtwangers Vorschläge sind seinerzeit so weitgehend durchgeführt, wie sie sich – nach der Lage der Sache – durchführen liessen: durch die Vergrösserung des Umfangs wurde Raum für grössere Beiträge geschaffen; einen pariser Redaktionsstützpunkt haben wir jetzt durch Willi Bredels und M. Ostens Anwesenheit. Ich bekomme jetzt von dorther sehr viele Beiträge etc. Eine gänzliche Verlegung der Zeitschrift ins Ausland war einfach nicht durchführbar. Die Auswirkung der pariser Redaktion beginnt erst, so etwas macht sich ja nicht gleich bemerkbar. Nun aber zu unserer persönlichen – will sagen direkten Zusammenarbeit. Ich weiss, dass Briefeschreiben eine unangenehme Sache ist, aber wäre es nicht möglich, dass Sie bei der Sichtung des Materials ausführlicher schrieben? Ich möchte z.B. auch gern wissen, was Sie gut finden, was mittelmässig usw. Selbstverständlich werden sich unsere Ansichten nicht immer decken, aber – glauben Sie mir – sie tun es wahrscheinlich häufiger, als Sie annehmen. Etwa

416 Volkstümlichkeit und Realismus. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 22.5.1938. 417 In Heft 7/1938 war Franz Carl Weiskopfs Polemik „Fehler im kleinen Einmaleins“ erschienen, eine Erwiderung auf den Beitrag „Das kleine Einmaleins des Schreibens“ aus Heft 4/1938 von Walter Sturm, d.i. Herwarth Walden.

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Kerr, Cagliostro418 – Sie denken doch wohl nicht, dass ich das gut finde? Aber schliesslich muss ich doch auch Literaturpolitik machen, das heisst, ich kann nicht einen Mann der Volksfront (über dessen politisches Gewicht ich nicht zu entscheiden habe) wegstossen. Das bedeutet: ich muss, nachdem ich ihm schon allerlei total Falsches zurückgeschickt habe, auch mal was von ihm bringen. Der Cagliostro erschien mir (und damals auch Kurella, der mich vertrat) wenigstens akzeptabel. Anders stünde die Frage in dem Augenblick, wo wir haufenweise wertvolle Beiträge hätten – aber leider ist bei den nahezu 400 Emigrationsschriftstellern der kritische und „kritische“ Geist viel reger als der schöpferische. Ich könnte mich über den Ausdruck „Kliquenrücksichten“ so aufregen, wie seinerzeit über irgendeinen ähnlichen – er ist mir entfallen, ich weiss nicht mehr, worum es damals ging – aber ich glaube, dass ich Sie heute besser kenne und nicht mehr missverstehe. Deshalb ganz ruhig: das, wovor ich mich mit allen Mitteln zu hüten suche, ist: mich von irgendeiner Klique „einspannen“ zu lassen. Ich bemühe mich sogar, als Redakteur, persönliche literarische Neigungen eher zurückzustellen, als eine Geschmacksrichtung (anders will ichs nicht nennen) zu betonen. Natürlich bin ich kein Idealist und weiss, dass es eine „reine“ Literaturpolitik nicht gibt, dass immer Persönliches einfliesst – aber ich suche das, so weit es in meinen Kräften steht, zu reduzieren. Wirklich, glauben Sie mir das. Zu Nexö.419 Ich halte die Sache natürlich nicht für schlecht, nur für nicht recht geeignet, um sie in Fortsetzungen abzudrucken. Aber wir haben ja praktisch gar nichts anderes. Lassen Sie mir doch bitte auf jeden Fall den ersten Teil des Manuskripts senden, damit wir in der Nummer 1 damit beginnen können. (Falls nicht das grosse Wunder geschieht und wir bekommen etwas, zu dem wir alle begeistert ja sagen.) Haben Sie die beiden Stücke aus Ihrem Zyklus mit gleicher Post geschickt? Sie sind noch nicht gekommen. (Ich nehme Sie gleich ins nächste fällige Heft.)420 Aufrichtig gefreut hat mich Ihre Einstellung zu öffentlichen Geburtstagsfeiern.421 Ich bin überzeugt, dass es auch die Leser in ihrer Mehrzahl so empfinden, auch die meisten Kollegen… sofern sie nicht selbst gerade gefeiert werden. Viel[e] herzliche Grüsse Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/91.

418 Vgl. Erpenbeck, 4.8.1938 419 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. 420 Die beiden Szenen Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung aus Furcht und Elend des III. Reiches erschienen in Heft 3/1939. 421 Vgl. Erpenbeck, 1.9.1938.

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Volkmar von Zühlsdorff an Bertolt Brecht London, 15.9.1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM DER GENERALSEKRETAER Ständige Adresse: c/o Cassavetti, Coustas & Co. 7-11, Moorgate London EC 2.

15. September 1938.

Herrn Bertolt Brecht Skovsbostrand Svendborg. Sehr verehrter Herr Brecht, Ich erlaube mir, Ihr Gutachten über Herrn Pächter422 mit bestem Dank zu bestätigen. Ich habe es dem Prinzen423 sogleich nach Amerika weiter geschickt. In ausgezeichneter Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener ASSISTENT. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Franz Leschnitzer (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 16.9.1938 Moskau, 16. September 1938 Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand per Svendborg

422 Vgl. Anm. zu Zühlsdorff, 24.7.1938. 423 Hubertus Prinz zu Löwenstein, Generalsekretär der American Guild.

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Lieber Brecht! Solange sich Becher in Urlaub befindet, kann ich Ihre bedauerliche Mitteilung vom 8. September nur einfach zur Kenntnis nehmen.424 Eine Copie Ihres Briefes habe ich an Becher weitergeleitet. Ihr Gedicht „Ueber die Entstehung des Buches Tao-teting auf dem Wege des Laotse in die Emigration“ ist nicht in unseren Besitz gelangt. Mit den besten Grüßen F.L. Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/92.

Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 19.9.1938 Liebe Grete, Den Titel GEDICHTE AUS DEM EXIL425 finde ich zu allgemein, aber ich habe leider keinen besseren Vorschlag, folglich ist er auch für mich der beste Titel. Für die gesammelten Werke ist es nicht so wichtig, aber wenn Herzfelde sich entschliessen könnte noch eine Extra Ausgabe zu machen, was ich für sehr richtig halten würde, dann ist der Titel von grösserer Bedeutung. Aber auch hier ist die Frage dieselbe; hat man einen besseren Vorschlag? Den Shelley426 kenne ich fast gar nicht. Ich habe ihn in der Erinnerung, daß er ein Zeitgenosse Byrons war, ein Rationalist und Romantiker. Er soll ein guter Satyriker gewesen sein. Man nennt ihn auch den Dichter für den Dichter. Vielleicht ist er, wenn man ihn näher anschaut, sehr befruchtend. Ist er nicht zu idealistisch? Wie kommt es daß immer noch keine Antwort wegen dem FLÜSTERMAXE da ist? Die Redaktion427 hatte Sachen aus Paris viel später bekommen und inzwischen schon geantwortet. Liegt das an der Redaktion? Oder liegt mein armer Flüstermaxe unter einem grossen Caesar Forscher428 erdrückt? Prüfe bitte das nach ob Du ihn irgendwo stöhnen 424 Aufgrund einer fragwürdigen politischen Tendenz der Zeitschrift (vgl. Anm. zu Erpenbeck, 14.9.1938) hatte Brecht gebeten, die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration in der Internationalen Literatur nicht zu drucken (vgl. B. an Becher, 8.9.1938, GBA 29, S. 109). Gleichwohl erschien das Gedicht in Heft 1/1939. 425 Richtig: Gedichte im Exil. Vgl. Anm. zu Dudow, 6.7.1938, und Herzfelde, 23.9.1938. 426 Percy Bysshe Shelley (1792–1822), englischer Schriftsteller, verheiratet mit der Schriftstellerin Mary Wollstonecraft Shelley und eng befreundet mit dem Dichter Lord Byron of Rochdale (1788–1824). Der gemeinhin der Romantik zugerechnete Shelley – darauf spielt die Bezeichnung Rationalist offenbar an – war zugleich ein radikaler Religions- und Gesellschaftskritiker. 427 Die Redaktion der Zeitschrift Das Wort. Dudows Flüstermaxe wurde dort nicht veröffentlicht. 428 Anspielung auf Brechts Arbeit an dem Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar.

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hörst. Auf jeden Fall würde ich Dich bitten die Redaktion nochmals dringend wegen der Antwort zu mahnen. Für die Fünfja[h]resfeier des SDS429 soll ich an einem Kabarett-Program[m] mitarbeiten. Ich habe da verschiedene Vorschläge gemacht. Es soll ev. mit dem Bauernkrieg anfangen, über den Dreissigjährigen Krieg zu dem 48ger (Glasbrenner430, Nestroy431) und mit Brecht abschliessen. Ich dachte an einige frühere Sachen von Brecht und hoffe Bush432 dazu zu bekommen und dann die STUNDE DER ARBEITER oder DIE PHYSIKER433 zu bringen. Frage bitte Brecht ob er damit einverstanden ist. Ich werde den grös[s]ten Teil der scenischen Sachen und damit auch Brechts Stücke selbst inscenieren. Ruschin, Steffi Spira und Friedel Ferrari434 fragen Brecht an, ob sie DIE ARBEITSBESCHAFFUNG für eine Aufführung bei einer Gewerkschaftsfeier hier spielen können. Man [will] es ganz neu einstudieren. Ich soll es machen, [doch]435 fürchte ich daß [es] mit meiner Zeit nicht geht. Das wäre aber nicht so schlimm, denn alle drei haben die Scene noch in Erinnerung. Sehr schade, wenn es mit Deinem kommen nicht klappt. Ich habe mich also zu früh ge[f]reut. Herzlichste Grüsse auch an den Meister Paris den 19.9.38

Dein

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2588/1.

429 Nachdem der Schutzverband Deutscher Schriftsteller von den Nazis 1933 in den Reichsverband Deutscher Schriftsteller überführt worden war, wurde der SDS im Pariser Exil neugegründet. 430 Adolf Glaßbrenner, eigentl. Glasbrenner (1810–1876), Journalist und Satiriker, Herausgeber des Berliner Don Quixote (1832/33) und Verfasser zahlreicher Groschenhefte. Beteiligte sich an den revolutionären Aufständen 1848/49 und mußte infolgedessen vorübergehend nach Hamburg fliehen. Ab 1868 Herausgeber der Berliner Montagszeitung. 431 Johann Nepomuk Nestroy (1801–1862), österreichischer Schriftsteller und Schauspieler, Leiter des Leopoldstädtischen Theaters in Wien. Der Dritte Aufzug aus seinem Possenspiel Freiheit in Krähwinkel (1848) erschien in Das Wort, Heft 11/1938. 432 Ernst Busch. 433 Die Stunde des Arbeiters und Physiker: Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches, die in Dudows Inszenierung 99% nicht berücksichtigt worden waren. 434 Die Schauspielerin Friedel Ferrari, d.i. Frieda Kantorowicz (1905–1968), Ehefrau von Alfred Kantorowicz, gehörte ebenfalls zur Kabarettgruppe Die Laterne. 435 Im TsD: „dass“.

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Franz Leschnitzer (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 21.9.1938 Moskau, 21. September 1938 Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand per Svendborg/Dänemark Lieber Brecht! Ihr Gedicht ist inzwischen doch eingetroffen, zugleich mit Margarete Steffins Übersetzung der Erzählung „Mustafa“ von Andersen Nexö.436 Beides hebe ich für Becher auf, der am 30. September von seinem Urlaub zurückkommen und Ihren letzten Brief (falls er ihn nicht schon aufgrund der Copie-Zusendung beantwortet haben sollte) dann sofort beantworten wird. Mit den besten Grüßen: F.L. Ihr Überlieferung: Ts, RGALI 631/13, 64/93.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 23.9.1938

23.9.38

Bert Brecht Skovsbostrand per Svendborg Danmark

Lieber Brecht, mit gleicher Post als Drucksache gingen Dir die Korrekturen „Hauspostille“, Fahne 1-25 zu. Du siehst, wir haben die Nerven nicht verloren. Mit dem Drucker habe ich ausgemacht, dass alles in Arbeit Befindliche nach Möglichkeit rasch fertiggestellt wird. Leider wird das Papier erst in cca. 14 Tagen fertig werden. Dass bis dahin alles schon auf dem Kopf stehen kann, wirst Du wissen, wir wollen uns aber nicht früher, als notwendig, selber auf den Kopf stellen. Die letzten Tage waren aufregend und erhebend. Die Depression infolge der Nachrichten vom Verhalten der Demokratien im Westen währte nur Stunden, dann trat 436 Steffins Übersetzung der Erzählung „Mustafa“ von Andersen-Nexö ist in Brechts Nachlaß überliefert. In der Internationalen Literatur wurde sie nicht veröffentlicht.

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das Volk von Prag so bewundernswert diszipliniert und kampfentschlossen auf, dass alles davon mitgerissen ist.437 Hoffentlich wird der Eindruck im Westen stark genug sein, um zu retten, was schon verloren schien. Bitte, sende mir so schnell wie möglich den Anhang für „Furcht und Elend“, dagegen nicht die weiteren Theaterstücke für Band III. Ich will jetzt nur den kompletten Gedichtband, sowie die beiden Sonderausgaben herausbringen, den Gesamtband der Dramen dagegen erst dann, wenn sich wieder etwas klarer in die Zukunft blicken lässt.438 Seid alle herzlichst gegrüsst Überlieferung: Ts, BBA Z 47/20.

Volkmar von Zühlsdorff an Bertolt Brecht London, 24.9.1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM DER GENERALSEKRETAER Ständige Adresse: c/o Cassavetti, Coustas & Co. 7-11, Moorgate London EC 2.

24. September 1938.

Herrn Bertolt Brecht Skovsbostrand Svendborg. Sehr verehrter Herr Brecht, Ich erlaube mir, Ihren Brief vom – September439 mit bestem Dank zu bestätigen; ich habe ihn dem Prinzen Loewenstein nach Amerika nachgeschickt. 437 Gemäß dem im September 1938 zwischen Frankreich, Großbritannien, Italien und dem Deutschen Reich getroffenen Münchner Abkommen marschierten deutsche Truppen am 1.10.1938 in die Tschechoslowakei ein und besetzten das Sudentenland. 438 Der seit 1937 geplante Band Gedichte im Exil (vgl. Anm. zu Dudow, 6.7.1938) sollte zunächst in Band 4 der Gesammelten Werke (die Gesammelten Gedichte), dann zusammen mit Furcht und Elend des III. Reiches sowie einigen Essays in Band 3 aufgenommen werden. Dieser Plan wurde abermals geändert: Die Gedichte sollten nun als Band 3 der Gesammelten Werke erscheinen. Der Band konnte jedoch, nachdem Herzfelde im Dezember 1938 nach London geflüchtet war, nicht mehr gedruckt werden. Gleiches gilt für die geplante Einzelausgabe von Furcht und Elend des III. Reiches. Die andere der beiden erwähnten Sonderausgaben, nämlich die Svendborger Gedichte (vormals Gedichte im Exil), erschien im Juni 1939 in Kopenhagen (wenngleich als Erscheinungsort London angegeben wurde). 439 Im Ts ohne Datum (das vermutlich von Hand nachgetragen werden sollte). Vgl. B. an die American

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In ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebener ASSISTENT. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht [Moskau] 1.10.1938 Lieber Brecht! Ich finde, daß Du in Deinem Brief440 sehr übertreibst und übereilte Konsequenzen ziehst. Es ist vor allem eine Uebertreibung, wenn Du sagst, daß der Aufsatz Lukács’441 Deine Arbeiten „ohne weiteres in die Schublade der bourgeoisen Dekadenz“ legt. Einige Deiner Arbeiten (einige nicht alle) werden dort zusammen mit Dos Passos442 und Ilja Ehrenburg kritisiert. Ganz unabhängig davon, ob diese Kritik richtig ist, bedeutet dies keineswegs eine Identifikation mit bürgerlicher Dekadenz. Betrachtet doch z.B. Ernst Bloch Dos Passos als einen Gipfelpunkt der revolutionären Literatur.443 Über diese Frage sind in unserer Literatur und vor alle[m] in unserer Kritik die Meinungen sehr geteilt. Du beschwerst Dich, daß im Artikel Lukács’ Romain Rolland, Thomas und Heinrich Mann in den Vordergrund gestellt werden (Du erwähnst keine Namen, aber Dein Einwand, daß ihre Werke „weder realistisch noch sozialistisch genannt werden können“ kann sich nur auf diese Autoren beziehen.) Du wirst sicher nicht der Ansicht sein, daß dieses absprechende Urteil die einstimmige Meinung der antifaschistischen Literatur444 ausdrückt. Was kann in einer solchen Lage die I.L. tun? Sie kann und muß diese Fragen zur Diskussion stellen, denn nur breite Guild, 7.9.1938, GBA 29, S. 108. 440 Vgl. B. an Becher, 8.9.1938, GBA 29, S. 109f.; dazu Erpenbeck, 14.9.1938. 441 Georg Lukács, „Marx und das Problem des ideologischen Verfalls“, in: Internationale Literatur, Heft 7/1938. 442 John Dos Passos (1896–1970), amerikanischer Schriftsteller, der zwischen den beiden Weltkriegen hauptsächlich in Frankreich lebte. Sympathisierte mit dem Sozialismus und besuchte in den 1920er Jahren die UdSSR, ehe er sich in den 1930er Jahren von den kommunistischen Parteien distanzierte. Sein Collage-Roman Manhattan Transfer (1925) gilt, neben Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), als einer der bedeutendsten Großstadtromane der Moderne. 443 In seinem im Wort (Heft 6/1938) erschienenen Aufsatz „Diskussionen über Expressionismus“, mit dem er auf die aktuelle Debatte und insbesondere auf den ihr zugrundeliegenden Beitrag von Georg Lukács, „‚Größe und Verfall‘ des Expressionismus“ (Internationale Literatur, Heft 1/1934), antwortete, ging Ernst Bloch allerdings auf Dos Passos mit keinem Wort ein. 444 Typ. Korr. für „Emigration“. Die gleiche Korrektur findet sich, handschriftlich, auch in einer anderen Fassung dieses Briefs (RGALI, 631/13, 64/6).

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und theoretisch fundierte Untersuchungen werden uns die Kriterien für die Entscheidung dieser Fragen geben können. Du willst freilich keine ästhetische Diskussion. Aber befindest Du Dich hier nicht in einer Selbsttäuschung, wenn Du meinst, daß Du nur politische und soziale Grundsätze verkündest und Dich nicht auf ästhetische Untersuchungen einläßt. Dein ganzer Kampf gegen die „Aristotelische Dramaturgie“ ist selbstverständlich ein Versuch zur Neubegründung der Aesthetik, zum Bruch mit den früheren ästhetischen Theorien.445 Ich weiß: für Dich ist der politisch-soziale Grund das ausschlaggebende Motiv, aber trotzdem verfichst Du eine aesthetische Theorie, nämlich eine, die nach Deiner Ansicht zur adäquatesten und wirksamsten Ausdrucksweise unserer politisch-sozialen Inhalte führen kann. Nun mußt Du aber zugeben, daß auch Lukács seine Theorie des Realismus mit der Begründung verteidigt, daß hier der Weg zur wirksamsten antifaschistischen Literatur liegt. Wieder steht Meinung gegen Meinung und zwar ästhetische Meinung gegen ästhetische Meinung, und ich bin fest überzeugt, daß nur die Erprobung an der Praxis verbunden mit gründlichen theoretischen Untersuchungen, mit theoretischen Diskussionen über die Streitfragen eine Entscheidung, eine Klärung der Meinungen herbeiführen kann. Ich bin immer der Ansicht gewesen, daß die I.L. für alle Richtungen der literarischen Theorie und Praxis der Volksfront offen sein müsse, und habe die verschiedenen Versuche unternommen, Genossen, die mit dem einen oder anderen theoretischen Artikel nicht einverstanden waren, dazu zu veranlassen, ihre Einwände in den Spalten der I.L. theoretisch begründet zur Veröffentlichung zu bringen. Das ist, was ich jetzt auch Dir (oder einem Dir nahestehenden Theoretiker) vorschlage. Das Zurückziehen Deiner Arbeit jedoch, solange Lukács’ Aufsätze in der I.L. erscheinen, würde den administrativen Boykott einer existierenden theoretischen Richtung bedeuten. Gerade das wäre ein Rückfall in die Zeiten der RAPP, in welcher die theoretische Einheitlichkeit auf Grundlagen administrativer Maßnahmen hergestellt wurde. Sind die Anschauungen von Lukács falsch, so müssen sie theoretisch widerlegt werden, und ich wiederhole, dass ich jeden Artikel, der das Niveau der I.L. erreicht, stets mit der größten Bereitwilligkeit veröffentlichen werde. Gerade weil Du in diesen Zeiten der wichtigen Entscheidungen keine Zwistigkeiten im eigenen Lager hervorrufen willst, bitte ich Dich, die theoretischen Meinungsverschiedenheiten als theoretische Meinungsverschiedenheiten auszutragen und die Redaktion der I.L. nicht vor das unmögliche Dilemma zu stellen, daß sie wählen muß, ob sie von nun an Brecht oder Lukács veröffentlichen kann. Überlieferung: TsD (vermutlich unvollständig), RGALI 631/13, 64/95.

445 Die Auseinandersetzung mit der von ihm so genannten aristotelischen Dramatik führte Brecht seit etwa 1935, genauer: seit seinem am 24.11.1935 in der New York Times erschienenen Aufsatz „The German Drama: Pre-Hitler“ (Das deutsche Drama vor Hitler, GBA 22, S. 164–168). Vgl. dazu die Aufzeichnungen in GBA 22, S. 168–182.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 1.10.1938

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E

Lieber Genosse Brecht, wir warten immer noch auf die beiden von Ihnen angekündigten Stücke aus „99%“.446 Sie sind bis heute noch nicht eingegangen. (Wir haben uns bei der zuständigen Poststelle informiert.) Da wir nicht gern auf den Abdruck verzichten moechten, bitten wir um Kopien. Sicher sind die Manuskripte, was in letzter Zeit mehrfach vorgekommen ist, verloren gegangen. (Kann es sein, dass die Sendung ueber Polen lief?) Eine andere Bitte: beantworten Sie doch bitte bald meinen langen Brief, den ich kuerzlich schrieb. Auch auf das Material zu Heft 11 ist noch keine Antwort eingegangen und wir stehen schon wieder kapp vor dem Umbruch. Hoffentlich erhalten wir fuer Heft 12 von Ihnen etwas. Da die Einsendungen aus CSR jetzt natuerlich beinahe gleich null sind,447 (wenigstens fuer kurze Zeit) muessen wir in den andern Laendern noch mehr bemuehen. Koennen Sie da helfen? Heute schreiben wir auch an Frau Steffin, dass sie uns den Nexoe sendet. Mit herzlichen Gruessen Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/96.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 5.10.1938 5.X.38 Bertolt Brecht Skovsbostrand per Svendborg Danmark

446 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 14.9.1938. 447 Aufgrund des Einmarschs der deutschen Wehrmacht ins Sudentenland. Vgl. Anmerkung zu Herzfelde, 23.9.1938..

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Jahrgang 1938

Lieber Brecht, anbei ein Brief, der heute hier eingetroffen ist. Meinem gestrigen Brief sende ich die Bitte nach, bis auf weiteres keine Manuscripte und Korrekturen zu schicken, ich muss erst sehen, wie sich die Dinge entwickeln und was ich machen kann. Sei herzlichst gegrüsst von Deinem Überlieferung: Ts, BBA Z 47/21.

Hans Siemsen448 an Bertolt Brecht [Paris] 5.10.1938

5. Oktober 1938

Lieber Bert Brecht, ich habe mich ganz ungemein gefreut, wieder einmal von Ihnen zu hoeren!449 Habe so oft an Sie gedacht. „Oh, Deutschland, bleiche Mutter! – – –“450 war und ist ein bei Tag und Nacht oft wiederkehrender Grundton meiner – – verzeihen Sie den harten Ausdruck! – – Seele geworden. Und ihre Anstreicher-Choraele451 kann ich auswendig! Wenn Sie, was ja moeglich ist, mal nach Paris kommen, dann wuerde ich mich sehr freuen, Sie mal zu sehen und zu sprechen. Vielleicht treffen wir uns ueber Doeblin? Mit dem bin ich oefter zusammen. Das ist was anderes als das uebliche Emigrations-Gemuese. Und nun kommt was Furchtbares! Ihr Brief an Doeblin452 kommt zu spaet fuer unsere kleine Geburtstagsfeier (die uebrigens dank Doeblin sehr nett und unfeierlich verlief). Ihr Brief war das Beste und Lebendigste, was fuer und ueber Doeblin (und Sie) geschrieben wurde. Und ausgerechnet diesen Brief habe ich verunoselt! „Verunoseln“ ist westfaelisch und bedeutet: ich habe ihn irgendwo hin gesteckt, wo ich ihn nicht wiederfinden kann. 448 Der Schriftsteller Hans Siemsen (1891–1969) lebte seit 1934 im Exil in Paris, dort u.a. im Vorstand des SDS tätig. Nach seiner Internierung 1940 flüchtete er in die USA, von wo er 1949 nach Deutschland (West) zurückkehrte. 449 Vgl. B. an Siemsen, 28.9.1938, GBA 29, S. 113. 450 Das Gedicht Deutschland (GBA 11, S. 253f.), das mit dieser Zeile beginnt, war in der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (Paris 1934) erschienen. 451 Vgl. die Hitler-Choräle in GBA 11, S. 216–224. 452 Vgl. B. an Döblin, 28.9.1938, GBA 29, S. 112f. Brecht hatte Siemsen gebeten, diesen Brief Döblin zu dessen 60. Geburtstag zu übergeben. Der Brief befindet sich in Siemsens Nachlaß.

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Jahrgang 1938

Kurz und gut: Ihr schoener, ach, so schoener Brief ist weg! Koennen Sie ihn noch einmal schreiben? Wohl kaum? Dann muss ich eben Doeblin meine Schande eingestehen und ihm von Ihrem Brief „erzaehlen“. Wenn Sie aber eine Kopie haben, dann schicken Sie sie doch an mich oder Doeblin. Am liebsten haette ich ja Ihren Brief veroeffentlicht! Also: trotz allem Malheur mit Ihrem schrecklich-schoenen Brief: ich freu mich sehr, mal wieder mit Ihnen in Kontakt gekommen zu sein und hoffe auf ein Wiedersehen vor unserm Einzel- oder Massengrab! Herzlichst! Ihr Persoenl. Adresse: Hans Siemsen 32 bis rue du Cotentin Pa ris 15. Überlieferung: Ts, Bundesarchiv Berlin, Nachlaß Hans Siemsen N/2286, 14/206 (Kopie in BBA 2170/37).

Volkmar von Zühlsdorff an Bertolt Brecht London, 5.10.1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM DER GENERALSEKRETAER Ständige Adresse: c/o Cassavetti, Coustas & Co. 7-11, Moorgate London EC 2. Herrn Bertolt Brecht Svendborg Skovsbostrand Danmark.

5. Oktober 1938.

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Jahrgang 1938

Sehr verehrter Herr Brecht, Ich erlaube mir, Ihren Brief vom 30. September453 und das Manuskript, enthaltend drei Kapitel Ihres Romans DIE GESCHAEFTE DES HERRN JULIUS CAESAR und ein Exposé der fehlenden drei Kapitel, Poststempel 1. Oktober 1938, mit bestem Dank zu bestätigen. Die Manuskripte für den Literarischen Wettbewerb der American Guild waren eigentlich an die amerikanische Adresse zu richten, die auf dem Prospekt angegeben ist, doch wird dies wohl bei der sonst rechtzeitigen Absendung des Manuskripts kein Hinderungsgrund sein. Nicht zu entscheiden wage ich allerdings, ob ein nicht abgeschlossenes Manuskript mit einem Exposé für den fehlenden Teil als gültige rechtzeitige Einsendung anzusehen ist und ich habe daher unseren Board of Directors gebeten, darüber auf Grund des Vertrags über die Statuten über den ausgeschriebenen Preis Auskunft zu geben. Ich werde mir erlauben, Sie sogleich zu unterrichten, sowie ich die Entscheidung erhalten habe. Ich lege Ihnen auch noch ein Exemplar des Prospekts bei und möchte Sie bitten, jedenfalls die unterschriebene Teilnahmeerklärung an die amerikanische Adresse zu senden, falls Sie dies noch nicht getan haben sollten. Würden Sie mir bitte gleichzeitig das Pseudonym mitteilen, das Sie für das Manuskript gewählt haben, sodass ich es an die Stelle Ihres Namens setzen kann.454 In ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebener Zuehlsdorff. ASSISTENT. Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [Prag] 15.10.1938 Bertolt Brecht Skovsbostrand per Svendborg Danmark 15.X.38 453 Vgl. B. an American Guild, 30.9.1938, GBA 29, S. 113; dazu die Anm. zu Feuchtwanger, 30.6.1937. 454 Am 8.10.1938 antwortete Brecht: „Sehr geehrter Herr Dr. v. Zuehlsdorff, ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 5. und für die Mühe, die Sie sich mit meinem Manuskript gemacht haben. Ich habe den Prospekt nach N.Y. geschickt und als Pseudonym ‚Larsen‘ gewählt. In ausgezeichneter Hochachtung Ihr brecht“ (Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933–1945, American Guild: EB 70/117).

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Jahrgang 1938

Lieber Brecht, ich will nur kurz Deine Zeilen455 bestätigen. Ich werde aller Voraussicht nach nicht nur Abzüge sichern, sondern auch, wenn auch mit Verspätung, die Herstellung. Im Augenblick fehlt mir leider die Zeit, mich mit Korrekturen etc. zu beschäftigen, schicke daher vorläufig nichts. Ich gebe Dir Nachricht, sobald die Arbeit weitergeht. Definitives steht im Moment noch nicht fest. Aber in 8456 Tagen hoffe ich Dir schon Genaues berichten zu können. Abzüge gehen als Drucksache ab. Dir und den Deinen herzlichste Grüsse Dein Überlieferung: Ts, BBA Z 47/23.

[Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“)] an Bertolt Brecht [Moskau] 18.10.1938 18. Okt. 39 38457

Lieber Brecht, bin zu Hause, krank, über 38 Fieber. Deshalb nur ganz kurz zu Ihrem Brief.458 Sobald ich wieder gesund, ausführlicher. Die Monographie Eislers459 ist immer noch nicht gekommen, sonst hätte ich sie selbstverständlich gleich in Satz gegeben, wie ausgemacht. Vielleicht schreiben Sie nochmal an den Autor? (Damit ist auch gleich ein halbdutzend Ihrer eingangs gestellten Fragen beantwortet: warum bringen wir nichts von dem und von dem und von dem? Nur wenige Autoren haben die lobenswerte Eigenschaft, zu schreiben, was sie versprechen. Etwas anderes wäre es, wenn wir gute Arbeiten zurückschickten. Doch ich will nicht abschweifen.) Es ist ein Irrtum, wenn Sie schreiben, Sie haben „ausdrücklich empfohlen“ die Schriftsteller bei den Monographien wegzulassen – nur Ihre Liste enthielt keine. Übrigens war es auch nicht mein Vorschlag mit Mann zu beginnen, sondern Kurellas. Ich habe ihn nur aufgenommen, weil uns eine Arbeit über die Brüder Mann durch Bredel angekündigt wurde; sie ist natürlich auch nicht eingegangen. Es besteht keineswegs die Absicht, Eisler „unter den Tisch fallen“ zu lassen. Ich habe ihm ausführlich geschrieben und warte seine Antwort ab. (Wegen dem „den“ habe ich mich bei ihm entschuldigt, so weit es mich privat betrifft.460) Ich denke, daß ich bald Antwort habe. 455 Vgl. B. an Herzfelde, Anfang/Mitte Oktober 1938, GBA 29, S. 115. 456 Entzifferung unsicher. 457 Hs. Korr. 458 Nicht überliefert. 459 Vgl. Erpenbeck, 4.8.1938. 460 Gemeint ist Georg Lukács’ Formulierung „Es mag den Eisler überlassen werden […]“; vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938.

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An Benjamin geht heute noch wunschgemäß redaktioneller Auftrag ab.461 Haken Sie auch bitte noch dahinter, zur Sicherheit! Übrigens hatte ich drei Tage vor Eingang Ihres Briefes gerade wieder an A. Zweig geschrieben und gemahnt. (Sie sehen: es ist überall das Gleiche. Dabei gehört Zweig doch zu unseren zuverlässigsten Mitarbeitern, der gern für uns arbeitet.) Ich nehme an, dass er auch über Ihre Werke schreiben wird. Aber das macht dann ja nichts. Dann bringen wir eben, wie in einigen andern Fällen, beide Arbeiten: seine und Benjamins. Mit herzlichem Gruss Ihr PS. Von Willi Br. höre ich, dass Sie drei sich bald treffen wollen.462 Ich begrüße das sehr. Hoffentlich werden dann einige prinzipielle Fragen so geklärt, dass ich hier eine Art Richtlinie habe. Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/130.

L. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 29.10.1938 L. 29.X.1938. Lieber Genosse Brecht! In der Anlage übermitteln wir Ihnen ein Schreiben von Dr. H. Thiery463 (Johan Daisne), [das]464 uns vor ein paar Tagen zugegangen ist. Mit besten Grüssen Anlage! Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/99.

461 Walter Benjamin sollte eine Besprechung der Gesammelten Werke Brechts für Das Wort schreiben. Ebenso Arnold Zweig. Ein solcher Text wurde dort jedoch nie veröffentlicht – und anscheinend weder von dem einen noch dem anderen jemals geschrieben. 462 Dies Treffen kam nicht zustande. 463 Herman Thiery (1912–1978), Pseudonym: Johan Daisne, belgischer Schriftsteller. Das Schreiben ist nicht überliefert. 464 Im TsD: „der“.

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L. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 29.10.1938 L. 29.X.1938. Lieber Freund Brecht! Wir erhielten den Beitrag „Sparring Partner“ von Curt Riess465 und bitten Sie höflichst, ihm mitzuteilen, dass er hier gelesen wird, und wir Ihnen mitteilen werden, sobald wir den Beitrag durchgelesen haben, ob und wann er im „Wort“ gebracht wird. Für Ihre freundlichen Bemühungen danken wir Ihnen bestens. Mit besten Grüssen Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/100.

Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht New York, 3.11.1938 3. November 1938 AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM Der Generalsekretaer: Hubertus Prinz zu Loewenstein staendige Adresse: 1, Cadarstreet c/o S.R. Wachtall, New York, City Herrn Berthold Brecht Svendborg Skovsbostrand Danmark Sehr geehrter lieber Herr Brecht, nach eingehender Fuehlungsnahme und Beratung mit dem Kommitte [sic] muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Roman „Die Geschaefte des Herrn Julius Caesar“ nicht zugelassen werden kann.466 Die Vorschriften, die uns die Verleger gestellt haben, sind sehr

465 Der Schriftsteller und Journalist Curt Riess, d.i. Kurt Martin Steinam (1902–1993), lebte seit 1933 im Exil in Paris. Er emigrierte 1941 in die USA und übersiedelte 1948 in die Schweiz. Sein Prosastück „Sparring Partner“ erschien in Heft 1/1939. 466 Vgl. Zühlsdorff, 5.10.1938.

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strikt, und ein unfertiger Roman kann nicht in Betracht kommen. Auch wuerde dies gegen eine Reihe von Praezedenzfaelle verstossen, wo wir bereits so entscheiden mussten. Ferner verstoesst die Bekanntgabe des Roman-Titels durch den Verfasser gegen die Anonymitaet. Glauben Sie mir, lieber Herr Brecht, es haetten alle lieber anders entschieden, und es ist mir schmerzlich genug, Ihnen so schreiben zu muessen. Aber ich bin ueberzeugt, dass Sie unsere Gruende verstehen und billigen werden. Mit freundlichen Gruessen bin ich Ihr ergebener G.S.467 Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 4.11.1938 E

4. XI. 38

Lieber Gen. Brecht, ich wundere mich, so lange nichts von Ihnen zu hoeren. Heute habe ich zwei Bitten, bezw. Anfragen. In der Anlage finden Sie zwei Gedichte, die mir Bredel schicken liess. Ich habe sie aus einer Fuelle von andern ausgesucht, moechte Sie aber vorher (ehe ich das Material des naechsten Hefts sende) fragen, ob Sie sie fuer moeglich halten. Das andere ist ein Aufsatz ueber Villon (eine Rezension eines fasch. Buchs). Da wissen Sie doch sehr gruendlich Bescheid.468 Mir scheint die Sache ziemlich oberflaechlich. Auch gefaellt mir wenig, dass jene Stellen, an denen Sie genannt werden, zum Teil entweder ueberfluessig sind oder ausfuehrlicher sein muessten. Auch diesen Aufsatz hat mir Willi469 geschickt. Ich bitte um Ihre Stellungnahme, bezw. Vorschlaege. Striche koennten wir, glaube ich, ohne den Autor zu kraenken, machen. Aenderungsvorschlaege muessten wir – oder Sie direkt – ihm uebermitteln. Lassen Sie doch bald von sich hoeren! Herzlichst Ihr Überlieferung: TsD, hs. Notiz: „Bredel“; RGALI 631/13, 64/103. 467 Generalsekretär. 468 Die Balladen François Villons haben insbesondere den jungen Brecht sehr beeindruckt (siehe etwa Baal); auch die Dreigroschenoper enthält zahlreiche Zitate Villons. Eine entsprechende Antwort an Erpenbeck ist nicht überliefert. 469 Willi Bredel.

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Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 5.11.1938 Moskau, 5. November 1938 Lieber Brecht! Ich nehme an, dass Du einverstanden bist, dass wir das uns zugesandte Gedicht470 in unserer Nummer 1 veröffentlichen. Mit den besten Grüssen Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/104.

Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht [Moskau] 1.12.1938 Bertolt Brecht Skovsbostrand pr. Svendborg Dänemark Erster Teil Ihres Briefes471 unverständlich da Nexö Manuskript472 bis heute noch nicht eingegangen ist Das Wort 1.XII.1938 Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/106.

470 Das ist die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration (vgl. dazu die Anm. zu Leschnitzer, 16.9.1938). Das Gedicht erschien in Heft 1/1939. 471 Nicht überliefert. 472 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938.

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Jahrgang 1938

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 2.12.1938 E

2. XII. 38

Lieber Gen. Brecht, Ich will, so schwer es mir auch faellt, jedes persoenliche Beleidigtsein ueber Ihren Brief vom 25. XI.473 beiseite lassen und Ihnen ruhig und sachlich antworten. Sie werfen mir undemokratisches Verhalten, ja sogar die Absicht einer Alleinherrschaft vor, weil – einfach weil ich ein Manuskript, das ich nie erhalten habe, nicht in Satz gab. Ich telegrafierte schon deshalb, gleich nach Erhalt Ihres Briefs. Waeren Sie auf die Anfragen in meinen bisherigen Briefen eingegangen, dann waere Ihnen sicher aufgefallen, dass eine Sendung (wie so manche zur Zeit der csl. Ereignisse474) verloren gegangen ist. Mir, als dem Adressaten, konnte es nicht auffallen. Ich habe bloss ganz allgemein fragen koennen: Warum hoere ich so lange nichts? Ich konnte nur darauf aufmerksam machen (in zwei Briefen!) dass Ihre beiden versprochenen Kurzszenen475, sodann zwei andere Manuskripte (eines war, wenn ich mich recht erinnere von Dudow)476 nicht eingegangen seien, obwohl Sie oder Frau Steffin mitteilten, sie waeren oder wuerden abgeschickt. Einmal bekam ich auch eine Nachricht: Nexoe477 wird abgeschickt. Aber nichts von all dem Genannten kam. Aber auch keine Antwort, wenn ich darauf aufmerksam machte, dass die andern Beitraege noch fehlten. So weit die sachliche Aufklaerung zu diesem Punkt. Und da es keinen Sinn hat, zu schimpfen – noch dazu mit dem Unrechten zu schimpfen – mache ich einen praktischen Vorschlag: dass Sie jedesmal, wenn ein Manuskript abgeht, eine ganz kurze Mitteilung mit Angabe des Titels und des Autors an uns senden, damit wir wissen, was wir konkret zu erwarten haben. Nur so kann ich konkret antworten lassen, ob etwas und was angekommen ist. Frueher war es – wie Sie leicht aus der Korrespondenz feststellen koennen – haeufig so, dass Sie entweder etwas versprachen, was dann nicht abgesandt wurde, oder dass es hieß: Morgen geht dies oder jenes an Sie ab, und tatsaechlich wurde die Sache dann erst Wochen spaeter geschickt. Wir muessen, im gemeinsamen Interesse, auf diesem Gebiet eine bueromaessige Exaktheit einfuehren. Sonst kommen wir zu ganz ueberfluessigen Miss­ver­ staend­nissen und Reibereien, die nur uns schaden und Feinden nuetzen. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch aussprechen, dass ich auf so manche An473 Nicht überliefert. 474 Die tschechoslowakischen Ereignisse. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 1.10.1938. 475 Das sind die beiden Szenen Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung aus Furcht und Elend des III. Reiches, erschienen in Heft 3/1939 476 Wahrscheinlich „Flüstermaxe“ (vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937). Vgl. dazu auch Dudow an Steffin, 30.5.1938, 20.6.1938 und 29.8.1938. 477 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938.

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frage, so manche Bitte um Hilfe keine Antwort bekam. Wie viele Manuskripte sandte ich Ihnen mit der Bitte um Rezension, ohne wieder etwas davon zu hoeren. Erst kuerzlich wieder eine Arbeit ueber Villon, die ich von Bredel bekam.478 Aber auch weiter: ich bat Sie, an Benjamin zu schreiben, damit er die Rezension Ihrer Werke sende. Haben Sie es getan? Wir haben von ihm weder Antwort, noch Manus. (Gluecklicherweise hat mir jetzt A. Zweig fest zugesagt, dass ich das Manus bis Ende Dez. im Besitz habe. Leider erfuhr ich gestern, dass er einen Autounfall hatte479 – hoffentlich verzoegert das nicht wieder aufs neue; obwohl ich ihn zwischendurch bat, er moege doch den Termin auf Mitte Dez. verkuerzen, damit ich die Rezension noch fuer Nr. 2 erhalte.) Wo ist die Arbeit des londoner Mannes, der eine Monographie480 senden sollte? Sie werfen mir Tendenzen einer Selbstherrschaft vor. Ganz abgesehen [davon], dass ich mit Paris und Sanary Var481 seit einigen Wochen einen festen Kontakt und rege Zusammenarbeit habe – einfach aus dem Grunde, weil man sich dort nicht auf blosse Kritik beschraenkt, sondern durch Mitarbeit hilft – sind mir auch frueher, als aus raeumlichen und andern Gruenden (die Ihnen ja bekannt sind) die Zusammenarbeit nicht so rege war, nie Gedanken einer „Selbstherrschaft“ gekommen. Ich muss Ihnen sogar im Gegenteil sagen: gerade das Gefuehl, dem Sie in Ihrem Briefe von sich Ausdruck geben – naemlich ein „Strohmann“ zu sein – musste ich oefter haben. Wenn nicht Strohmann (denn mein Name ist ja wohl niemals in den Vordergrund getreten) dann doch „Pruegelknabe“. Das heisst: ich hatte alle Vorwuerfe einzustecken, manchmal mit Recht, meist aber zu Unrecht. Sie scheinen zu glauben, dass ich die schwierige, quantitativ aussergewoehnlich grosse Arbeit, den ganzen durchaus nicht erfreulichen Briefwechsel mit hunderten von verkannten Genies, mit zum Teil hoechst wirren oder gar feindseligen Leuten, die durch die raeumliche Trennung der Redaktion technisch komplizierte Arbeit – dass ich das alles auf mich genommen habe, bloss um (ich wüsste nicht, aus welchem Grunde) Sie zu verstimmen! Wenn es mir nicht um die Zeitschrift ginge, die heute wichtiger ist als je, und wenn ich jemanden finden koennte, der fuer mich einspraenge, dann wuerde ich lieber heute als morgen meine „Alleinherrschaft“ mit Vergnuegen hinlegen. Zum Abdruck der Nexoe-Erinnerungen: auch hier muss ich sachlich einiges richtigstellen, obwohl ich das Manuskript noch nicht habe. Obwohl ich selbstverstaendlich weiss, dass ich bestenfalls beratende Stimme habe, die Entscheidung jedoch bei Ihnen, Bredel und Feuchtwanger liegt, habe ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich wenig begeistert von dem Plan bin. Ich habe dafuer sachliche Gruende geltend gemacht, die nicht in der Qualitaet der Arbeit liegen koennen (da ich sie ja noch gar nicht kenne), Gruende, die also niemanden kraenken koennen. Ich wiederhole meine Gruende: 1.) eine Biographie ist ihrem ganzen Wesen nach wenig zum Fortsetzungsabdruck geeignet. Fuer einen solchen 478 Vgl. Erpenbeck, 4.11.1938. 479 Vgl. Zweig, 26.3.1939. 480 Eine Monographie über Eisler (vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938). 481 Mit den Mitherausgebern Willi Bredel und Lion Feuchtwanger.

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Zweck kommen erfahrungsgemaess Werke in Frage, die den Leser neugierig machen auf die naechste Fortsetzung. (Zum Beispiel ist die qualitativ hochstehende Arbeit Heinrich Manns in der IL482 ungeeignet: die Leser schreiben viele Briefe darueber. Sie vermissen die Spannung. Also der Sinn des Fortsetzungsromans – Leser an die kommenden Nummern zu fesseln – ist verfehlt.) Dass ich damit nicht meine, die „Serie“ muesse oder brauche nicht qualifiziert zu sein, ist wohl ueberfluessig zu sagen. (Feuchtwangers Roman in der IL483 bringt – erwiesenermassen – immer neue Leser und begeisterte Zuschriften.) 2.) Fuerchte ich die Laenge der Nexoe-Erinnerungen. Wenn man, was sehr viel ist, in jeder Nummer 30 Seiten gibt – wann wuerde man damit fertig? 3.) Das ist mein Hauptbedenken: wir haben uns schon mehrfach vorgenommen, und jetzt ist mir wieder von Paris aus (wo sich Bredel und Feuchtwanger beraten haben) bestaetigt worden, dass es richtig sei, wenn wir uns moeg­lichst ganz auf deutsche Autoren oder deutsche Thematik beschraenken, der IL jedoch, mehr als bisher, die internationale Literatur ueberlassen. Das ist aber nicht nur meine oder die pariser Ansicht – dieser Ansicht sind unsere hiesigen Freunde aller Art, dieser Ansicht sind viele Leser aus allen Laendern: wir haben uns im letzten Jahr – und umgekehrt die IL uns – der IL viel zu sehr angeglichen. Kurz: so wie die IL als naechsten Fortsetzungsroman eine Uebersetzung bringen wird, so sollten wir etwas Deutsches bringen. Das sind meine Gruende. Und diese Gruende habe ich auch nie verheimlicht. Ich blaettere eben unsere Korrespondenz durch und finde, dass ich noch im letzten Brief vor der Absendung des Manuskripts schrieb: „Falls nicht das grosse Wunder geschieht und wir bekommen etwas, zu dem wir alle begeistert ja sagen.“ Uebrigens ist Bredel meiner Ansicht. Und – so muss ich den Mitteilungn Bredels an mich entnehmen – ist auch Feuchtwanger (zumindest jetzt) aehnlicher Ansicht. Ich nahm an, dass Bredel und Feuchtwanger Ihnen ebenfalls das Ergebnis Ihrer redaktionellen Beratung mitgeteilt haetten, und Sie das Nexoe-Manus vielleicht gar nicht abgeschickt haetten – das war einer der Gruende, weshalb ich nicht ausdruecklich danach fragte. Sonst haetten wir vielleicht den Verlust frueher festgestellt. Hinzukommt, dass Sie endlos lange nicht schrieben. Aber konkret: was soll jetzt geschehen? Die zweite Beschwerde: Eisler. Ich nahm bisher an, dass man einen zugegebenen Fehler – der ja nicht nur meiner ist – unter Freunden so bereinigen koenne, dass sich nicht der beruehmte Dritte freut. Ich schlug deshalb die Eisler-Monographie vor – das haette praktisch bedeutet, dass sich die von Lukacs geaeusserte Ansicht484 sich nicht mit der der Redaktion deckt. Ich schlug weiter Eisler vor, selbst einen Artikel theoretischer Natur (ueber Erbe oder dergl.) zu schreiben, in dem er polemisieren koenne. Auch das waere der Oeffentlichkeit ge-

482 Die Vollendung des Königs Henri Quatre von Heinrich Mann erschien als Fortsetzungsroman von Heft1/1937 bis Heft 4/1939 in der Internationalen Literatur. 483 Lion Feuchtwangers Roman Exil; vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. 484 Vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938.

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genueber mehr als jede „Berichtigung“485 gewesen. Ich sehe aber, dass man diese Meinung nicht als ehrlich und menschlich auffasst. Schoen, dann bringen wir im naechsten Heft – es wird Nr. 2 sein – die „Berichtigung“. Sind Sie damit einverstanden? (Von Eisler habe ich auf meinen Brief, den ich in dieser Sache an ihn schrieb, noch keine Antwort.) Zum Schluss: es waere mir lieb, wenn Sie in naechster Zeit auch einmal schreiben und Vorschlaege machen wuerden und nicht bloss immer Negatives zum Anlass einer Korrespondenz naehmen – es kommt mehr dabei heraus. So geht es meiner Ansicht nach nicht, dass man unter Gesinnungsfreunden von Kliquen, Alleinherrschaft etc. schreibt und mit Konsequenzen droht. Wenn Sie ernsthaft der Ansicht sind, die angedeuteten Konsequenzen ziehen zu muessen, waere es dann nicht richtiger fuer die Sache, um die es uns doch geht, dass Sie verlangen: ich habe die Konsequenzen zu ziehen? Bitte, erklaeren Sie offen – und konkret belegt – dass Sie nicht mit meiner Ansicht einverstanden sein koennen. Ich bin Ihnen darueber nicht boese, denn in der Arbeit muss das Persoenliche zurueckstehen. Ich wuerde dann die Konsequenzen daraus ziehen. Mit Gruss Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/107–108.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Paris, 7.12.1938 Bertolt Brecht Skovsbostrand per Svendborg Danmark Le Paris Home 78 rue Plomet Paris XXe

den 7.XII.38

Lieber Brecht endlich habe ich Nachricht vom Drucker. Er hat die Korrekturen noch nicht gemacht, weil die betr. Abteilung seiner Setzerei mangels Aufträgen stillsteht. Ich sehe nur folgende Lösung: wir müssen weitere Manus.486 hinschicken, damit es sich für den Drucker lohnt, die Setzmaschinen in Gang zu setzen. Er schreibt: Die Szenen machen 112 Seiten, die Ge485 Anspielung auf Brechts Kleine Berichtigung. Vgl. ebd. 486 Manuskripte (für die Gesammelten Werke).

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Jahrgang 1938

dichte 212 Seiten.487 Bitte überlege, ob wir nicht, evt. gegen den ursprünglichen Plan, beides vereinigen und evt. um ca. 72 Seiten durch Rohsatz ergänzen könnten, sodass dan[n] das Ganze als Band 3 mit ca. 400 S. und gleichzeitig 2 Sonderdrucken daraus erscheinen könnte. Ich will, wenn es noch so schwer fällt, Deine Ausgabe unbedingt fortsetzen, und bitte Dich mir möglichst rasch diesbezüglich Vorschläge zu schicken. Eben bekomme ich die Nachricht, dass meine Zurückweisung aus Engl. zurückgenommen worden ist, sodass wir demnächst also dort sein werden. Inzwischen antworte mir aber bitte noch hierher. Herzlichst Dein Überlieferung: Ts, BBA Z 47/25.

Ferdinand Reyher488 an Bertolt Brecht New York, 8.12.1938

Hotel Shoreham 33 West 55th Street New York City



December 8, 1938

Bertolt Brecht, Esq Svendborg, Denmark Dear Bert: I got in touch with Dr. Max Lieber489, who comes closer to handling your kind of stuff here than any other agent, and he is going to write to you. I gathered that you knew him and it may be that your impression of him is unfavorable. If so let me know at once and I’ll try to dig up another agent for you. I don’t think I like him very much myself, but I do know that he has done pretty good work for several of the best writers we have. 487 Vgl. B. an Herzfelde, 10.12., sowie Mitte Dezember 1938, GBA 29, S. 121–123; dazu die Anm. zu Herzfelde, 23.9.1938. 488 Den amerikanischen Schriftsteller und Drehbuchautor Ferdinand Reyher (1891–1967) hatte Brecht schon 1927 in Berlin kennengelernt, ehe er ihn im Oktober 1938 in Kopenhagen wiedertraf (vgl. B. an Reyher, 2.12.1938, GBA 29, S. 119f.). Reyher gab den entscheidenden Anstoß zur Ausarbeitung des Galilei. Aus der Bekanntschaft entwickelte sich bald eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 215ff.). 489 Max Lieber (1897–1993), amerikanischer Literaturagent. Emigrierte später während der antikommunistischen Kampagnen McCarthys nach Mexiko. Brecht erkundigte sich bei Hauptmann nach ihm (GBA 29, S. 132), eine Zusammenarbeit kam jedoch nicht zustande.

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However, what I principally want to know is the legal state of your material here. Are your American rights bound up by contract to anyone else? Hillman-Curl, who published your PENNY FOR THE POOR here,490 are a shabby outfit, and I don’t know how the devil you fell into their hands. Have they any hold on you for future works? I should certainly warn you against placing your CAESAR with them. In regard to your short stories, the market here is pitifully small for the serious story, and after translation costs are deducted, there would be little if anything left. However, you might arrange to have a few things translated yourself and try them on Lieber. About your play FURCHT UND ELEND DES DRITTEN REICHES, I notice that it is copyrighted by the Malik Verlag. I do not know whether I can do anything with it, but before I set to work on it I should like the question of rights of production and publication cleared up. Adaptation would require drastic changes to make it effective with our audiences. In fact, I am convinced that a literal translation would be an injustice to you and the play, so that if I tackle it I want you to give me a free hand and be assured that I shall get over the intent and purpose of the play accurately.491 I saw Fritz Kortner the night before last and he is anxious to read FURCHT UND ELEND. I’ll give it to him and maybe he will have ideas about it. I think I told you that he is doing a play with Dorothy Thompson whom I saw with him. Private reports are that their play stinks. If you haven’t sent the Galileo material, do so at once to my Hollywood address: 1201 North Crescent Heights Boulevard. I shall be out there around the middle of January and get in touch with Dieterle without delay.492 Write and tell me all about yourself, and if I can be of any further service to you, don’t hesitate to ask. My best, Überlieferung: Ts, Melvin Jackson. – Dv: Kopie, BBA E18/46-47. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 174f. 490 Eine amerikanische Ausgabe des Dreigroschenromans, basierend auf der englischen Übersetzung von Vesey und Isherwood (London 1937), war soeben bei Hillman-Curl in New York erschienen. 491 Reyher blieb mit der von ihm selbst in Angriff genommenen Übersetzung, oder vielmehr seiner Adaption des Stücks für das amerikanische Publikum, dem er es unter dem Titel The Devil’s Sunday präsentierte, am Broadway erfolglos (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 99). Die Übersetzungen für die englische Fassung, die 1944 unter dem Titel The Private Life of the Master Race in New York erschien, besorgte schließlich Eric R. Bentley mit Unterstützung Elisabeth Hauptmanns. (Lyon zufolge lag dieser Arbeit auch das unentgeltliche Produkt des Übersetzers Hoffman R. Hays zugrunde; vgl. Brecht in America, S. 112.) 492 Reyher hatte Brecht in Kopenhagen vorgeschlagen, vom Galilei ein Filmskript anzufertigen (vgl. Gersch, Film bei Brecht, S. 188). Brecht schickte ihm, wie er am 2.12.1938 mitteilte, „anstatt des Filmexposés zunächst einmal das Stück“ (GBA 29, S. 119). Den Plan, den Galilei zu verfilmen, und zwar in Italien, griff er nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil noch einmal auf (vgl. B. an Reyher, April 1948, GBA 29, S. 449).

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Slatan Dudow an Margarete Steffin Paris, 12.12.1938 Liebe Grete, Ich danke Dir für den Brief.493 Was den FLÜSTERMAXE494 anbetrifft, denke ich mir folgendes; es kann sein, daß die Postverfehlungen, die Du anführst, stimmen. Auf jeden Fall aber stimmt die Tatsache, daß bis jetzt im WORT keine einzige Sache von mir gedruckt wurde. Die Ursachen waren natürlich verschieden. Zuerst war es die Art wie ich das Thema behandelte. Ich meine den Artikel „THEATER, FILM und TELEVISION“.495 Einige Änderungen, wenn ich mich dazu bereit erklären würde, hätten das Erscheinen ermöglichen können. Schweren Herzens habe ich mich dazu entschlossen. Das hat aber wenig genützt, denn von meinem Entschluss wurde kein Gebrauch gemacht. So endete die umständliche Geschichte mit diesem Artikel. Für die nächste Arbeit versuchte ich der thematischen Schwierigkeit Rechnung zu tragen und schlug vor eine Reportage über Renoirs Film „DIE MARSEILLAISE“496 zu schreiben. Das müs[s]te, dachte ich mir, doch gehen und es ist ausserdem noch aktuel[l]. Eine Antwort auf meinen Vorschlag bekam ich leider bis heute nicht. Nun kam der FLÜSTERMAXE und inzwischen sind die Postschwierigkeiten aufgetaucht. Wenn aber unter verschiedenen Umständen das selbe Ergebnis gebucht wird, dann schenkt man der Ursache bekanntlich andere Bedeutung und ich hoffe Du wirst es verstehen, wenn für mich die Auswirkung ausschlaggebender ist. Der Vorschlag mich an Bredel zu wenden, finde ich in diesem Zusammenhang wenig passend und ausserdem hätte ich mich an ihn schon früher wenden können, wäre das meine Absicht. Ich denke, es wird wohl besser sein, wenn wir die Sache mit dem FLÜSTERMAXE dahin regeln in dem ich mich an der Postentschädigung mitbeteilige. Vor kurzem habe ich für den Abschluss der deutschen Kulturwoche in Paris einen Kabarettabend herausgebracht. Anbei einen Flugzettel.497 „DIE STUNDE DES ARBEITERS“ von Brecht hat sehr gut gewirkt und vielen Leuten gefallen. Wenn die tausendjahre so rasch vorbeigehen wie der l a n g e Frieden dann würden wir bald nach Berlin zurückfahren können. Auf jeden Fall scheint der lange Frieden vorbei zu

493 Dieser Brief ist offenbar nicht überliefert. 494 Vgl. Anm. zu Dudow an Steffin, 16.12.1937. Dudow hatte diesen Text – ohne Erfolg – dem Wort zur Veröffentlichung angeboten. 495 Vgl. Dudow an Steffin, 26.2.1937; dazu die Anm. zu Dudow, Juli/August 1937. 496 La Marseillaise (F 1938, Regie: Jean Renoir). Die angekündigte Reportage ist nicht überliefert. 497 Nicht überliefert.

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sein und man macht nur noch den krampfhaften Versuch einige ausser [sic] dem Spiel zu lassen. Viele denken das wird gelingen. Ich glaube es nicht, wenigstens nicht auf die Dauer. Viele Grüsse an Brecht. Paris den 12.12.38

Herzlichst

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2589/1.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht London, 29.12.1938 Bertolt Brecht Skovsbostrand per Svendborg Danmark 29.XII.38[!] Lieber Brecht, London, 29.XII.38 gestern endlich sind wir, ohne Schwierigkeiten, hier angekommen, und haben, bis 15.I. ein hübsches Quartier gefunden. Ich hoffe nun den Verlag bald wieder auf höhere Tourenzahl bringen zu können, und bemühe mich im Uebrigen, recht schnell nach USA zu kommen. Hoffentlich hat inzwischen der Drucker Dein Manuscript bekommen und die Arbeit wieder aufgenommen, gibt mir bitte darüber bald Nachricht. Hier habe ich mich in der kurzen Zeit noch nicht viel umsehen können, aber den Eindruck einer recht freundlichen Atmosphäre gewonnen. Und wie fühlt Ihr Euch dort, habt Ihr keine Lust, Euch uns anzuschliessen? Dieser Tage bekam ich die Nachricht, dass Grosz amer. Bürger geworden ist. Bücher aus Prag sind in grösserer Zahl abgegangen, darunter auch Deine. Was mich natürlich freut. Verlebt Neujahr recht froh und seid herzlich gegrüsst von Eurem c/o Nan Youngman498, Penn House 3, Rudall Crescent London N.W.3 (nur bis 15.I.!) Überlieferung: Ts, BBA Z47/28.

498 Wahrscheinlich die britische Malerin Nancy Youngman (1906–1995).

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Reinsholm499 an Bertolt Brecht Svendborg, 29.12.1938 Hr Bertolt Brecht […] Skovsbostrand Svendborg Min bedste Tak for den smukke Julehilsen og mange Ønsker om et lykkeligt Nytår sendes af Deres heng[ivne] Reinsholm Nytår 1939 Meinen besten Dank für den schönen Weihnachtsgruß und viele Wünsche für ein glückliches neues Jahr sendet Ihr erg[ebener] Reinsholm Neujahr 1939 Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 2046/92–94.

499 Wahrscheinlich der Svendborger Arzt Vilhelm Reinsholm (1876–1955).

Briefe an Bertolt Brecht, 1939

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Curt Trepte1 an Bertolt Brecht [Schweden] Januar 1939 Abschrift! Anfang 1939 Lieber Brecht! Steffins Brief habe ich erhalten.2 Seit meinem letzten Bericht3 hat die Vasteiner Truppe „Senora Carras Gewehre“ weiterhin sehr oft gespielt, so dass nun mehr 14 Aufführungen herausgekommen sind. Was die Tantiemenfrage betrifft ist man sich noch nicht einig wer bezahlen soll, ob die Truppe oder das Spanien-Komitee. Die Truppe hat nämlich lächerlich geringes Honorar gefordert was gerade zur Deckung ihrer Unkosten gereicht hat (nicht viel mehr als 25, 30 Kronen). Aber man ist durchaus der Meinung, dass Deine Forderung berechtigt ist, nur ich habe sie selbstverständlich unterstützt. Jedoch mehr als 5 Kronen pro Abend (ein Stockholmer Vorschlag) wird dabei nicht heraus kommen. Es wäre gut, wenn Du Dich auf Dauer der Spielerfolge an das Zentrale Spanien-Komitee nach Stockholm, (also an Dranting4 selbst) wenden würdest, das wiederum einen sanften Druck auf Ristein ausüben kann, sonst bleibt das Ganze im Sand stecken. [Erg.] Die Abschrift dieses Briefes wurde bei einer politischen Haussuchung von der schwedischen Polizei beschlagnahmt und später zurückgegeben. Die Striche unter den Worten Tantiemenfrage u Dranting selbst, wurden von der schwed. Polizei vorgenommen. Trepte. Überlieferung: Ms (Abschrift und nachträgliche Datierung von Curt Trepte), BBA Z 9/42.

1

2 3 4

Der Schauspieler Curt Trepte (1902–1990) ging 1933 über die Schweiz und Frankreich ins Exil in die UdSSR und übersiedelte in Anbetracht der immer unsicherer werdenden Existenz der dortigen Exilanten 1938 nach Schweden. 1946 kehrte er zurück nach Deutschland (Ost), war später u.a. beim Berliner Rundfunk beschäftigt. Ein Brief Steffins an Trepte vom 7.12.1938 ist dokumentiert in BBA Z 9/41. Nicht überliefert. Die Gewehre der Frau Carrar hatte Trepte bereits im Oktober 1938 mit einer Laiengruppe in Västerås gespielt. Für eine Aufführung in Eskilstuna im August 1939 schrieb Brecht auf seinen Wunsch einen Prolog und Epilog zu dem Stück (GBA 4, S. 335–337). Wahrscheinlich Georg Branting (1887–1965), sozialdemokratischer schwedischer Politiker, Bürgermeister Stockholms. Nach ihm wurde auch ein Bataillon im Spanischen Bürgerkrieg benannt.

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Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 4.1.1939 E

4. I. 39

Lieber Freund Brecht, ohne auf die Sache selbst noch einmal einzugehen, moechte ich Sie fragen, ob Sie die Eisler-Sache durch die Veroeffentlichung in der „WB“ nun auch fuer uns als erledigt betrachten?5 Ich bin der Ansicht, dass wir sie auf keinen Fall in irgendeiner Weise auf­waer­ men sollten. Die zweite Sache: Sie kuendigten an, dass Sie ein zweites Exemplar der „NexoeErinnerungen“6 absenden wuerden. Ich moechte rechtzeitig mitteilen, dass auch dieses Exemplar noch nicht eingetroffen ist. Ueber den Abdruck selbst und den eventuellen Beginn desselben, werde ich mich, um nicht als „selbstherrlich“ zu gelten, nicht nur jetzt, sondern auch in allen kuenftigen Zweifelsfaellen meiner Meinung enthalten, und, um alle Missverstaendnisse zu vermeiden, jeweils den klaren Entscheid der drei Redakteure abwarten. Was im Augenblick z.B. mit dem Nexoe-Abdruck geschehen soll, ist voellig unklar: denn offenbar sind doch Bredel und Feuchtwanger nicht oder nicht recht fuer den Abdruck; vielleicht sind sie auch beide nicht ganz in ihrer Ansicht uebereinstimmend. Sie werden verstehn, dass ich unter solchen Bedingungen unmoeglich zufriedenstellend arbeiten kann und oft genug, wenn ueberhaupt etwas geschehen soll, den Ruf der „Selbstherrlichkeit“ riskieren muss. Viel koennte allerdings vermieden werden, wenn Sie oefter, grundsaetzlicher – und nicht immer bloss aus Anlass von Negativem – schreiben wuerden. Lassen Sie uns das neue Jahr benutzen, um unsere Zusammenarbeit zu verbessern. Und nicht nur fuers WORT, sondern Ihnen auch fuer Ihre persoenli[che]7 dichterische Arbeit herzlich Erfolg wünsche[nd,] verbleibe ich mit bestem Gruss Ihr PS. Sonderbarerweise meldet sich erst jetzt Benjamin, dem wir vor mehr als 6 Wochen die Aufforderung zukommen liessen, ueber Ihre Werke zu schreiben, mit der Frage, […] er schreiben solle;8 Sie wuenschten es. Wir haben ihm natuerlich sofort noch5 6 7 8

Gemeint ist Hanns Eislers „Antwort an Lukács“ (Die neue Weltbühne, 15.12.1938). Zur „Eisler-Sache“ vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. Durch die Seitenbindung verdeckt. Ein entsprechender Brief ist nicht überliefert (vgl. Anm. zu Erpenbeck, 18.10.1938, dazu Erpenbeck, 4.1.1938). Möglicherweise handelt es sich um den Brief, den Benjamin selbst am 20.3.1939 gegenüber Margarete Steffin erwähnte.

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mals geschrieben. Arnold Zweig, der auch n[och etwas] schreiben wird, liegt (oder lag) mit einer Gehirnerschuetterung im Krankenhaus. Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/15–18.

Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht [New York] 5.1.1939 5. Januar 19399 Lieber Herr Brecht, heute habe ich eine Bitte an Sie. Die American Guild veranstaltet am 19. Februar zusammen mit der League of American Writers10 eine Manuskript-Auktion, auf die wir einige Hoffnung setzen. Darf ich Sie darum bitten, uns eines Ihrer Manuskripte dafuer zur Verfuegung zu stellen?11 Wenn dieses Manuskript die Dreigroschenoper sein koennte, so waere es natuerlich ganz besonders schoen und hochwillkommen. Sollten Sie das urspruengliche Manuskript etwa nicht mehr besitzen, so waere es eine Moeglichkeit, dass das Stueck, oder ein Akt, oder einige Akte, kopiert und mit moeglichst vielen handschriftlichen Korrekturen versehen werden koennte. Auch die Signatur ist wesentlich. Ich waere Ihnen im Namen der Guild und der Akademie sehr dankbar dafuer. Ihnen brauche ich ja nicht zu sagen, wie dringend und immer groesser die Not geworden ist und dass wir bei unseren Anstrengungen der Mitarbeit aller beduerfen um den Erfolg zu haben, dessen wir beduerfen. Jede Hilfe aus unsern eigenen Reihen, so wie wir sie mit unsern Mitteln geben koennen, ist ein Ansporn fuer unsere amerikanischen Freunde. Die Versteigerung wird ein wichtiges und eindrucksvolles Ereignis werden. Die Auktion beschraenkt sich nicht auf deutsche Autoren. Auch Partituren, Zeichnungen, Briefe und aehnliches von allen irgendwie bedeutenden Persoenlichkeiten kommen in Frage. Vielleicht ist es Ihnen moeglich, dass Sie uns auch solches fuer die Versteigerung vermitteln oder beschaffen koennen? Fuer dieses waere ich Ihnen sehr dankbar. Und auch dafuer, wenn Sie uns moeglichst bald wissen lassen koennten, auf welche Stuecke wir rechnen koennen, sodass wir moeglichst frueh den Katalog publizieren und zirkulieren lassen koennen. Mit den besten Gruessen bin ich Ihr Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117. 9 Auf dem TsD irrtümlich: „1938“. 10 Die 1935 gegründete League of American Writers stand der kommunistischen Partei nahe. 11 Vgl. B. an Prinz zu Löwenstein, Ende Januar 1939, GBA 29, S. 129. Brecht reichte zu der Auktion die Studien (GBA 11, S. 267–273) ein, die er 1938 anläßlich der im Wort geführten Debatte über das Erbe des Expressionismus verfaßt hatte und später in Heft 11 (1951) der Versuche publizierte.

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Red. „Das Wort“ an Bertolt Brecht [Moskau] 9.1.1939 Bertolt Brecht Skovsbostrand pr. Svendborg Daenemark Manuskript Nexoe12 soeben eingegangen

Das Wort

9.1.1939 Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 88/39.

Fritz Erpenbeck und L. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 10.1.1939 E/L. 10. Januar 1939. Lieber Freund Brecht, wir erhielten gestern Ihren Brief vom 2. ds. [Monats.]13 Wenige Stunden zuvor hatten wir Ihnen telegrafieren können, dass jetzt endlich das zweite Nexö-Manuskript eingegangen ist. Ihre erste Anfrage ist damit beantwortet. Nun zum Manuskript selbst. Wir geben es mit dem nächstmöglichen Materialschub in die Setzerei. Das heisst praktisch, dass wir das erste Stück in unserm Heft 3 veröffentlichen können. Und jetzt möchte ich endlich mal, dass der Vorwurf, der immer noch bei Ihnen zwischen den Zeilen durchblickt, verschwindet: als habe ich in dieser Sache „manövriert“. Ich habe im Gegenteil niemals verschwiegen, dass ich gegen den Abdruck Bedenken habe, die nicht in der Qualität und im Inhalt zu suchen seien. Ich nannte meine Argumente in mehreren Briefen (die ich jetzt nochmals durchgelesen habe). Dass ich etwas nicht drucken kann, von dem ich kein Manuskript habe – darüber brauchen wir ja nicht zu diskutieren. Sehr lieb wäre mir, wenn endlich einmal festgestellt würde, dass weder von Bredel noch von Feuchtwanger ein wirklicher Entscheid, eine deutliche Stellungnahme zum Abdruck der Nexö-Erinnerungen in meinen Händen ist – was eigentlich, da ich doch nur ausführendes Organ bin, eine Selbstverständlichkeit sein müsste. So kommt man dann in den Ruf der „Selbstherrlichkeit“, einfach, weil man oft selbständig entscheiden muss, weil man keine oder nur unbestimmte Antwort bekommt. Oder haben wenigstens Sie von beiden eine klare Zustimmung? Nun etwas anderes, ein Vorschlag: meinen Sie nicht, dass es zweckmässig wäre, den Abdruck der „Erinnerungen“ in Heft 3 gross anzukündigen und dann mit Nr. 12 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. 13 Durch die Seitenbindung verdeckt. Der Brief ist nicht überliefert.

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4 (Neues Quartal) erst zu beginnen? Nachdem es so lange gedauert hat, käme es auf einen Monat ja auch nicht mehr an. (Aber einerlei, wie Sie in dieser Hinsicht entscheiden: der Satz wird für Heft 3 parat sein.) Über die Eisler-Lukacs-Sache schrieb ich im letzten Brief, der sich wohl mit Ihrem gekreuzt hat. Betroffen bin ich jetzt, dass Sie schreiben: „Damit ist die Sache noch nicht erledigt.“ (Wenn Sie damit nicht meinen, dass wir endlich die Eisler-Monographie aus London14 erhalten und abdrucken oder etwas dergleichen.) Was soll denn nun noch geschehen? Ein abermaliges Aufwärmen der Sache hat doch keinen Sinn. Wem nützt das? Beim Material Heft 2 lag die Eisler-Berichtigung15 zuerst bei, wäre also, wenn die WB sie nicht vorher gebracht hätte, erschienen. Ich liess sie herausnehmen, als Bredel mir schrieb, dass sie im nächsten Heft der WB erscheinen würde. Vergessen Sie doch bitte nicht immer die Fristen, die wir – leider! – haben. Das Gedicht „Mein Haus“16 wurde von Kurella in der Zeit, da er mich vertrat, angenommen und in Satz gegeben. Auch das hätten Sie leicht aus der Korrespondenz ersehen können. Im nächsten Brief an Bloch […]17 […] wenn es nicht mehr herausgenommen werden konnte. Sonst kommt es womöglich wieder in einem Brief zum Vorwurf der „Sabotage“, gegen den ich mich entschieden verwahren muss. Bedenken Sie bitte einmal, was solche Worte bedeuten!18 Ich habe viel Verständnis für Zorn und Temperament, aber einen solchen Ton halte ich für völlig fehl am Platz. Das in aller Kameradschaft gesagt. Die Stelle, an die [Sie] sich wegen der von Ihnen genannten Beschwerde wenden können, ist unser Verlag (Meshdunarodnaja Kniga, Moskau, Strastnoi Boulevard 11) Direktor Gittermann. Mit kameradschaftlichem Gruss ! Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 88/39.

14 Vgl. Erpenbeck, 4.8.1938. 15 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1939. 16 Das Gedicht „Mein Haus“ von Béla Balázs erschien in Das Wort, Heft 9/1938. Vgl. Erpenbeck, 3.6.1938, 20.7.1938, 4.8.1938. 17 Seite abgeschnitten, Fortsetzung auf der nächsten Seite. 18 Der Vorwurf der Sabotage war seit Beginn der Industrialisierung, die nicht zuletzt aufgrund ihres mit Gewalt forcierten Tempos mit zahlreichen Unfällen und Pannen einherging, allgegenwärtig in der UdSSR. Bereits im Schachty-Prozeß 1928 waren Ingenieure und Facharbeiter, d.h. „bürgerliche“ Spezialisten, wegen angeblicher Sabotage zum Tod bzw. zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Im zweiten Moskauer Schauprozeß 1937 wurde Georgi Pjatakow, Stellvertreter des Volkskommissars für die Schwerindustrie, als Saboteur und Verräter zum Tod verurteilt. – Am 2.12.1938 hatte Erpenbeck sich darüber beschwert, daß Brecht ihm (in einem nicht überlieferten Brief) „Tendenzen einer Selbstherrschaft“ vorgeworfen habe. Von Sabotage war dort noch nicht die Rede.

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Martin Andersen-Nexö an Bertolt Brecht Stenlöse, 15.1.1939 S t e n l ö s e . Den 15. Januar 1939 Käre Bertolt Brecht! Jeg forstod paa dig gennem vore Samtaler, at du og Grete Steffin ikke var helt tilfredse med den af mig foreslaaede Ordning, at Jeres Oversättelseshonorar skulde falde efterhaanden som der kom Honorarer ind. Jeg kan godt sätte mig ind i Jeres vanskelige Forhold; og da det hämmer Jer i Arbejdet med Oversättelsen at I maa staa i Forskud med det, er jeg villig til selv at ta Risikoen. Saa meget mere som jeg tror paa Värkets Chanser naar det först foreligger paa Tysk, og derfor gärne vil ha Oversättelsen färdig saa hurtig som muligt. Jeg forslaar derfor fölgende Andring i fore Afteler: Jeg kan ikke modta Jeres venlige Tilbud om at gar ned i Oversätterhonorar, saa meget mindre som dit Navn og din fremragende Digterävne vil väre et stort Plus for Värket. Vi bliver altsaa ved de 2000 Kr. pr. Bind, med Fradrag af hvad dar et betalt paa de to förste Bind. Jeg forpligter mig til i dette Aars Löb af de restrende syv Tusend Kroner at betale Jer i al Fald de to. Til Gengäld maa I love at ha de to förste Bind oversat ved Aarets Slutning eller helst tidligere, saa jeg kan faa dem anbragt; jeg tror der er Chanser baade[?] i Amsterdam og Moskva. Jeg vil saa af Antagelseshonoraret kunne betale Jer i al Fald en vänselig Del af Resthonoraret paa Oversättelsen. Undskyld dette, som jeg saa betragter som endeligt, hvis jeg ikke hörer fra dig. Jeg forstaar godt din Tilbageholdenhed over for mig i disse Anliggender, men kan forövrigt ikke indse, at der noget profant i, at du og jeg dröfter Pengesager, fordi vi er Digtere. Det Spörgsmaal kommer nok ingen udenom; og vigtigt er det dog, at vi begge bliver sat i Stand til at arbejde. At det er er stort og svärt Arbejde at oversätte Erindringerne er jeg klar over; den amerikanske Oversätter erklärede, at det var det värste han hade väret uds for. Med de bedste Hilsener til dig og dine Käre! Din hengivne S t e n l ö s e . Den 15. Januar 1939 Lieber Bertolt Brecht! Durch unsere Gespräche ist mir klar geworden, daß Ihr, Du und Grete Steffin, nicht ganz mit der Regelung einverstanden seid, die ich vorgeschlagen habe; daß Euer Übersetzungshonorar19 entsprechend den eingehenden Honoraren gezahlt werden soll. Ich kann mich gut in Eure schwierigen Verhältnisse hineinversetzen; da es Euch in der Übersetzungsarbeit hemmt, daß Ihr das Geld erst nachträglich bekommt, bin ich bereit, selbst das Risiko zu übernehmen. Besonders weil ich daran glaube, daß das Werk, wenn es erst 19 Für die Übersetzung der Erinnerungen. Vgl. Anm. zu Andersen-Nexö, 28.3.1938.

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einmal auf deutsch vorliegt, Chancen hat. Deshalb bin ich daran interessiert, daß die Übersetzung so schnell wie möglich fertig wird. Ich schlage deshalb folgende Änderung unserer Vereinbarung vor: Euer freundliches Angebot, das Übersetzungshonorar herabzusetzen, kann ich nicht annehmen, besonders weil Dein Name und Dein hervorragendes Dichtertalent ein großes Plus für das Werk sein werden. Wir bleiben also bei den 2000 Kr. pro Band, abzüglich dessen, was für die ersten beiden Bände bezahlt wurde. Ich verpflichte mich, Euch im Laufe dieses Jahres von den restlichen siebentausend Kronen auf jeden Fall diese zwei zu zahlen. Dafür müßt Ihr mir versprechen, die beiden ersten Bände bis zum Ende des Jahres zu übersetzen oder möglichst noch eher, so daß ich sie unterbringen kann; ich glaube, daß sowohl in Amsterdam als auch in Moskau Chancen bestehen. Ich werde Euch dann auf jeden Fall einen wesentlichen Teil des restlichen Honorars für die Übersetzung von dem Verlagshonorar bezahlen können. Entschuldige dies, das ich als endgültig betrachte, falls ich nichts von Dir höre. Ich verstehe Deine Zurückhaltung in diesen Angelegenheiten mir gegenüber gut, kann übrigens jedoch nicht einsehen, daß, nur weil wir Dichter sind, etwas Profanes daran sein soll, wenn wir beide Geldfragen erörtern. Um diese Frage kommt wohl keiner herum; und es ist ja wichtig, daß wir beide in die Lage versetzt werden, arbeiten zu können. Ich bin mir im klaren darüber, daß es eine große und schwere Arbeit ist, Erinnerungen zu übersetzen; der amerikanische Übersetzer erklärte, daß sie für ihn das bisher Schwerste waren. Mit den besten Grüßen an Dich und Deine Lieben! Dein ergebener Überlieferung: Ts, BBA E 12/208–209 (deutsche Übersetzung: Z 956).

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 18.1.1939 18.1.1939 Herrn Bert Brecht Svendborg Skovsbostrand

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Lieber Herr Brecht, Im Nachgang zu meiner Zuschrift vom 16.d.M. teile ich mit, dass mir Herr Aufricht gestern nachmittag einen Scheck behändigte, den ich heute einkassierte.20 Der Betrag von 7.000 ffrs. steht Ihnen sonach in bar zur Verfügung, wenn Sie mir das entworfene Bestätigungsschreiben zugeleitet haben. Wollen Sie mich bitte gleichzeitig verständigen, in welche Währung ich diesen Betrag umwandeln soll und ob ich Ihnen die Noten (ich empfehle Dollars) als eingeschriebenen Wertbrief dann zuschicken soll oder ob ich sie zu Ihrer Verfügung hier, selbstverständlich gesondert und wohl verwahrt, weiter aufheben soll. Mit vielen Grüssen Ihr Domke. Überlieferung: Ts, hs. U., Bbv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; BBA 911/48.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 21.1.1939 21. 1. 39. E Lieber Freund Brecht, anbei erhalten Sie das Material zu Heft 3. Dazu einige Bemerkungen: Sie finden darin die Nexoe-Erinnerungen.21 Wenn Sie mir auf meinen Vorschlag, in 3 eine Vorankuendigung und in 4 den ersten Teil zu bringen, bis zum Umbruch nicht geantwortet haben, nehme ich schon in 3 den ersten Teil. (Ich bitte uebrigens um Nachricht, wie lang das ganze Stueck ist, das zum Abdruck kommen soll. Oder kann ich es mit dem uebersandten Manus als abgeschlossen betrachten?) – Man hat uns von befreundeter Seite gebeten, mehr „Erbe“ zu bringen, deshalb neben Schubart22 und Hoffmann von Fallersle-

20 Der Brief vom 16.1.1939 ist nicht überliefert. Der erwähnte Betrag von 7000 Francs resultierte offenbar aus dem Verkauf der Rechte an dem Stück Happy End, das Aufricht in Paris verfilmen lassen wollte. Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939; dazu Dudow, 10.6.1939. 21 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938. 22 Von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791) erschienen in Heft 3/1939 die Gedichte „An die Herrscher der Erde“, „Fürsten“, „Deutscher Freiheitsgeist“ und „An einen Bastillenstürmer von der Kerkertür Voltaires“.

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ben23 noch im Glossenteil Morgenstern24 und Scholom Alejchem25 (welcher jetzt, zur Zeit der Pogrome, besonders wichtig ist und hier auch gross gefeiert wird.) Von den HoffmannGedichten werde ich natuerlich eine ganze Reihe fortlassen. Ebenso werden, da es ja viel zu viel Material ist und noch Stehsatz da ist (Bredel z.B.) – von den kleinen Erzaehlungen wohl viele wegbleiben: Froehlau, Franken, Wuesten.26 – Der Aufsatzteil ist gut bestellt diesmal, drei interessante und – wie ich glaube – wichtige Sachen. Nicht mitgeschickt und fuers naechste Material aufgehoben habe ich ein „Portrait“ des Schriftstellers Ernst Weiss27 von Hermann Kesten. Damit steht es so: ich kenne (und teile!) Ihre Ansicht, dass Schriftsteller ihr „Portrait“ selbst, in ihren Werken, zeigen sollen. Da man aber Kesten wohl nicht gut ablehnen kann und offenbar auch Bredel mit ihm die Sache abgemacht hat, moechte ich damit auf jeden Fall warten, bis ich das Eisler-Portrait (bezw. die Monographie)28 habe, die ich dann an die Spitze stellen kann. Was meinen Sie? Nun zu Ihrem Brief vom 9.,29 den ich gestern erhielt. Noch einmal die wirklich herzliche Bitte: notieren Sie doch unsere Termine – es muss ja sonst Verstimmungen und Miss­ verstaend­nisse geben, die ganz unnoetig sind. Es ist doch schon schlimm genug, wenn Sachen zu spaet ankommen und dergleichen. Zum Beispiel beginnen Sie Ihren Brief, dass Sie die telegraphische Bestaetigung erhalten und fahren dann fort: so haette die Nr. 2 „ein gutes Rueckgrat“. Die Nummer 2 war zu dieser Zeit fertig zum Druck! Ja, ich haette nicht 23 Von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) erschienen die Gedichte „Knüppel aus dem Sack“, „Freiheit“, „Landwirtschaftliches“, „Ein schöner Zug“, „Nota bene“, „Öffentliche Meinung“, „Naturpoesie“, „Ideen zur europäischen Völkergeschichte“, „Wiegenlied“, „Der ewige Demagog“, „Dies irae, dies illa“. 24 Zum 25. Todestag des Dichters Christian Morgenstern (1871–1914) erschienen dessen Gedichte „Das Mondschaf“, „Der Mond“, „Der Würfel“, „Geiß und Schleiche“, „Das ästhetische Wiesel“ und „Der Purzelbaum“. 25 Von dem aus Odessa stammenden, später nach New York emigrierten jiddischsprachigen Schriftsteller Scholem Alejchem (1859–1916) erschien in Heft 3/1939 – dort: Scholom Alejchem – ein Auszug aus der Erzählung „Pessach im Dorf“. 26 Von keinem der hier Genannten wurden in Heft 3/1939 Beiträge veröffentlicht. Die Rede ist von Axel Fröhlau, Ludwig Franken und Johannes Wüsten (1896–1943; ab 1933 im Exil in Prag, seit 1938 in Paris). Bei Ludwig Franken handelt es sich möglicherweise um den KPD- und späteren SED-Politiker Rudolf Engel (1903–1993), der im Moskauer Exil an der Kominternschule „Ludwig Franken“ eine Agentenausbildung absolviert hatte. Als Offizier der Internationalen Brigaden nahm er am Spanischen Bürgerkrieg teil und veröffentlichte auch Gedichte in dem Band Tschapajew (vgl. Anm. zu Dudow, 12.1.1938). 27 Der österreichische Schriftsteller Ernst Weiß (1884–1940), im bürgerlichen Beruf Arzt, lebte seit den 1920er Jahren in Berlin, ging 1933 ins Exil zunächst nach Prag, 1934 nach Paris. Nach dem Einmarsch der Deutschen nahm er sich das Leben. Weiß hatte selbst zuvor im Wort zwei Erzählungen („Die Messe von Roudnice“, Heft 1/1937; „Wer hat, dem wird gegeben“, Heft 4–5/1937) und eine Autobiographie (Heft 4–5/1937) veröffentlicht. Das angekündigte Portrait von Kesten konnte nicht mehr erscheinen. 28 Vgl. Erpenbeck, 4.8.1938. 29 Nicht überliefert.

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einmal [ein einziges]30 der von Ihnen beanstandeten kleinen Dinge herausnehmen koennen. Und damit bin ich wieder bei Ihrem Brief. Da haben Sie allerlei Vorschlaege und Beanstandungen – aber, es ist beinahe wie Zauberei, alles, aber auch buchstaeblich alles, was Sie schreiben, hatte ich gemacht: von Keisch nur das eine Gedicht gebracht,31 das andere von Adam32 gar nicht aufgenommen, das „Bataillonsfest“ (aus Platzmangel) herausgelassen usw. Sie brauchen sich diesmal also nicht zu aergern. Zur Termin-Frage gehoert natuerlich auch folgendes: ich kann und darf einfach keine Beitraege ueber zwei, drei Seiten nachsetzen lassen, wenn ich nicht eine wichtige politische Begruendung dafuer habe. Und am 20. frueh um 9 Uhr gehen wir mit dem kompletten Material jeder Nummer in Satz. Ich kann hoechstens beim Umbruch dies oder das weglassen, wenn ich genug Stehsatz (von passender Laenge!) habe. Ihre beiden kleinen Szenen,33 die tags zuvor ankamen, habe ich deshalb noch nachts abschreiben lassen, damit sie in Heft 3 kamen. Ich danke Ihnen fuer die Uebersendung, sie kommen an die Spitze des Hefts. Die Antworten auf Ihre vorigen Briefe sind unterwegs, Sie werden sie unterdes wohl dort haben. An Viertel werde ich im gewuenschten Sinne schreiben, Benjamin hat noch nicht geantwortet.34 Ich habe jetzt Bredel gebeten, ihn aufzufordern. Die Notiz werde ich an der Spitze des Eisler-Aufsatzes bringen – wenn ich nur den Aufsatz schon haette!35 Der Vorschlag36, noch bei Keisch nachzufragen wegen eventueller Aenderungen liegt in der Linie des oben Gesagten: das Heft war fertig, als Ihr Brief kam. – Aber zum Thema Keisch selbst: ich verstehe unsere pariser Kollegen nicht, wie sie Keisch den Preis geben 30 Im Ts: „einen einzigen“. 31 Das Gedicht „Eine Frage und ihre Antwort“, erschienen in Heft 2/1939. Der Schriftsteller Henryk Keisch (1913–1986) lebte seit 1933 im Exil in Paris. Beteiligte sich am Kampf der Résistance und arbeitete später in der DDR u.a. auch als Drehbuchautor. 32 Das ist der aus Österreich-Ungarn stammende Schriftsteller Ludwig Adam, eigentl. Ludwig Detsinyi (1915–1997). Seit seiner Kindheit bereits in Deutschland, ging er 1934 ins Exil, zunächst in die Niederlande, später nach Ungarn, Spanien (Kämpfer der Internationalen Brigaden im Bürgerkrieg) und Großbritannien. Lebte nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. in Indien und Australien. Das hier genannte Gedicht wurde nicht ermittelt. 33 Das sind die beiden Szenen Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung aus Furcht und Elend des III. Reiches, erschienen in Heft 3/1939. 34 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 18.10.1938, dazu Erpenbeck, 4.1.1938. 35 Vermutlich der Fragment gebliebene Beitrag Hanns Eisler (GBA 22, S. 403f.) – bzw. der dazugehörige Textentwurf Der Musiker Hanns Eisler (ebd., S. 404f.) –, der in einer Reihe von Monographien bedeutender Emigranten im Wort erscheinen sollte, infolge der Einstellung der Zeitschrift jedoch nicht veröffentlicht wurde. Unklar, ob er anstelle jenes ominösen Aufsatzes (vgl. Erpenbeck, 4.8.1938) oder als Ergänzung dazu erscheinen sollte. Zu der von Georg Lukács angestoßenen Kontroverse um Eisler vgl. Anm. zu Kurella, 23.6.1938. 36 Die folgenden zwei Absätze sind dem TsD – bei dem es sich möglicherweise um eine Abschrift handelt – angehängt mit der Bemerkung: „Brief an B. Brecht vom 21. Jan 39 (E) Seite 2“.

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konnten,37 ebensowenig verstehe ich die Verteilung des Prosa-Preises. Oder sollte es wirklich keine Begabteren geben? Das waere ja furchtbar. Aber es gibt sicher Gesichtspunkte, die wir nicht kennen, nehme ich an. Sie meinen, wie waehlen unter den Gedichten, die wir Ihnen senden, erst gross aus und senden Ihnen dann die schlechten? Leider ist es so, dass wir Ihnen alles, was rechtzeitig eingeht, vor der grossen Manuskriptsendung schicken, das andere, was wir fuer moeglich halten oder was sich aus andern Gruenden zum Abdruck empfiehlt, zugleich mit den Manuskripten. Es gibt leider so wenig Gutes auf dem Gebiet der Lyrik. Die Prosa hat sich ja schon wesentlich gebessert, nicht nur bei uns, sondern im allgemeinen. (Und gewiss auch einzelne Lyriker, aber die waren auch schon vorher Qualitaet.) Oder irre ich mich? Ich waere immer froh, wenn Sie sozusagen allgemein-theoretische Bemerkungen ueber Entwicklungstendenzen unserer Gesamtliteratur (nicht bloss unserer im „Wort“) in Ihre Briefe einstreuen wuerden – gar manches Missverstaendnis wuerde so vermieden. Zum Beispiel schreiben uns dutzende von Freunden nicht nur, welche Beitraege ihnen missfallen, sondern auch, welche ihnen gefallen haben. Und ich nehme an: es gibt doch immerhin einiges, was auch Ihnen bei uns gefallen hat, was nicht nur bloss „tragbar“ war? Aber so etwas habe ich von Ihnen nie gehoert, dabei wuerde es mir sehr helfen. Eine kleine Bemerkung zu Ihrer Kritik an dem Adam-Gedicht, die ich fuer durchaus berechtigt und richtig halte; bis auf eine Kleinigkeit: der Plural Lichte (im Sinne von Wachskerzen) hat nur die gleiche Form wie der Singular „die Lichte“ im Sinne von Helle. Er ist noch versteckt in dem Wort „Helligkeit“, wo das „lig“ nicht die uebliche Adjektivisierungsform eines Substantivs ist. – Allerdings aendert diese Bemerkung nichts an der Sache und vor allem nichts am Wert oder Unwert des ganzen Gedichts. Allein schon die Tatsache, dass man „Wachslichte“ assoziieren kann, sollte die Verwendung des Worts ausschliessen. Noch eine Frage: ich sandte Ihnen seinerzeit einen Beitrag ueber Villon, den mir Bredel geschickt hatte.38 Ich bat Sie, ihn zu pruefen, erhielt aber nie eine Antwort. Was ist damit? Der Autor fragt danach. Erinnern Sie sich? Ich hatte Bedenken gegen den Inhalt, weiss aber jetzt nicht mehr, welcher Art sie waren, und Sie kennen sich da doch genau aus. Mit kameradschaftlichem Gruss Ihr PS. Der Brief war schon zugeklebt. Ich oeffne ihn nochmals, um Ihnen mitzuteilen, dass die am 12. abgesandten Manuskripte „Eisler“ und „Reimlose Lyrik“39 eingegangen sind – sie sind eben gebracht worden. Ich aergere mich aufrichtig, dass sie wegen dieser zwei, drei Tage Verspaetung nun erst in Heft 4 kommen koennen! Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/113–114. 37 Keisch wurde 1938 der Heinrich-Heine-Preis des SDS für Das Leben ist kein Traum verliehen. Das Manuskript ging im Krieg verloren. 38 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.11.1938. 39 Der Aufsatz Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen (GBA 22, S. 357–364) erschien in Heft 3/1939.

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Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht [New York] 27.1.1939 Vertraulich. 27. Januar 1939. Lieber Herr Brecht, wir haben den Plan gefasst, eine kleinere Anthologie von etwa acht bis zehn deutschen Lyrikern, vor allem der jüngeren Generation, zusammen zu stellen, die jetzt im Exil sind. Sie soll in England erscheinen und meine englischen Freunde haben mit Freude und grossem Interesse ihre Mitarbeit zugesagt. Der Band wird je etwa fünf Gedichte enthalten, jedes im Original und in englischer Uebersetzung. Die Uebertragungen werden von englischen Dichtern gemacht werden, die selbst in England schon einen Namen haben. Das Büchlein wird natürlich überparteilich und in gewissem Sinn unpolitisch sein. Wie meine englischen Freunde mir versichern kann ein solcher Band, eingeführt bereits durch die Namen der Uebersetzer, ein grosser Erfolg sein. Es [kann] für jeden der in dem Bande Vertretenen, in England noch Unbekannten bedeuten, dass sein Name in England (und darauf folgend ohne Zweifel auch in Amerika) dem interessierten Publikum bekannt sein wird. Daher würden sich ihnen die englischen und amerikanischen Magazine und Zeitschriften eröffnen, deren Honorare für Gedichte recht ansehnlich sind. Die Anthologie als solche wird für die Beteiligten wohl kaum einen nennenswerten Betrag ergeben. Ich brauche Ihnen natürlich nicht zu schildern, welche günstigen allgemeinen Folgen ich mir von einer solchen Unternehmung für die deutsche Dichtkunst im Exil verspreche. Und damit für unsere Sache überhaupt. Es werden in dem Bande Namen wie Fritz Bruegel, Heinz Politzer, Jesse Thoor40, Berthold Viertel, Walter Mehring, Ernst Waldinger41, Alfred Wolfenstein42, Paul Zech43 und einige andere vertreten sein. Ihr Name dürfte in einem solchen Zusammenhang natürlich nicht fehlen, und ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Ich möchte Sie dann bitten, uns Ihre veröffentlichten und unveröffentlichten Gedichte für die Auswahl zugänglich zu machen, insbesondere auch die schönen Gedichte, die Sie mir einmal nach Paris schickten und die ich leider in Europa zurück lassen musste. Es werden etwa doppelt so viele Gedichte ausgesucht werden, wie in dem Band aufzunehmen sind, um den Uebersetzern einen gewissen Spielraum zu lassen. 40 Das ist Peter Karl Höfler. 41 Der österreichische Schriftsteller Ernst Waldinger (1896–1970) floh 1938 nach New York, wo er 1944 zusammen mit Wieland Herzfelde u.a. den Aurora-Verlag gründete. Ab 1947 Professor für deutsche Sprache und Literatur in Saratoga Springs/New York. 42 Der Schriftsteller und Übersetzer Alfred Wolfenstein (1888–1945) ging 1933 ins Exil nach Prag, 1938 nach Paris. Nach vorübergehender Verhaftung nahm er sich im Januar 1945 das Leben. 43 Der Schriftsteller und Publizist Paul Zech (1881–1946) ging 1933 ins Exil, zunächst nach Prag und von dort über Paris und Genua nach Buenos Aires.

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Die Zeit drängt – darf ich Sie um rasche Antwort bitten? Und darf ich Sie bitten, diesen Plan vertraulich zu behandeln? Mit den besten Grüssen bin ich Ihr ergebener Hubertus Prinz zu Löwenstein Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 343/8–9.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [London] 30.1.1939 30.I.39 Lieber Brecht, ich lag 8 Tage mit Halsentzündung im Bett, verzeih, dass ich infolgedessen auf Gretes Brief44 noch nicht geantwortet hatte, als Deine Zeilen vom 27.I.45 hier eintrafen. Meine Sachen laufen nicht so glatt, wie ich möchte. 19 Kisten, die nach Paris gingen, hält die dortige Zensur fest, es kann Wochen, ja Monate dauern, bis sie frei kommen – solange stockt mein Handel empfindlich. Die Buchh. u. dgl. in 3 andern Kisten ist in der Heimat bei Wittenberg eingefroren, soll allerdings jetzt wieder flott sein, ist aber noch nicht da, so stocken meine Incassi. Ueberdies ist es mit dem Drucker in Prag nicht einfach, er will jetzt Geld im Voraus, statt bei Lieferung. Ich will es senden, aber auch das sagt sich leichter. Auf alle Fälle aber forciere ich den Band 3 nebst Sonderausgaben und bitte Dich um noch etwas Geduld.46 Es wäre mir wirklich sehr unangenehm, wenn die Pariser dazwischen kämen, – aus verschiedenen Gründen, die Du Dir denken kannst. Natürlich brauchst Du Geld. Wenn es sich um Tausende von Gulden handeln würde, müsste ich die Waffen strecken. Soviel ich weiss, wird es sich aber nur um einige tausend ffr. handeln. Die werde ich auch noch aufbringen. Wenn ich nur nicht z.Zt. so viel Geld brauchte für die Gläubiger in Prag. Immerhin hat das den Vorteil, dass ich bald ziemlich schuldenfrei sein werde. Heute sende ich Dir nur 5 £ anbei. Ich wäre froh, wenn es ein weniger symbolischer Betrag wäre, aber Du kannst mir glauben, es folgt mehr.

44 Vermutlich Margarete Steffins Brief an Herzfelde vom 13.1.1939 (BBA Z 47/29). 45 Nicht überliefert. 46 Wieland Herzfelde glaubte offenbar auch zu diesem Zeitpunkt – und selbst später noch: siehe seine Briefe vom 8.5.1939 und 8.7.1939 – daran, den Band 3 der Gesammelten Werke (vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.9.1938) wie geplant herausbringen zu können.

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Was nun Galilei angeht, so schick bitte die Manuscr. hierher. Ich will doch im Westen von Matern drucken, in Prag ist es mir nachgerade zu unsicher, und wenn ich die gleiche Type finde, lasse ich Galilei lieber gleich im Westen setzen.47 Ja, böse Zeiten. Ich glaube nicht an Krieg. Wird die Erpressung abgelehnt, geschieht garnichts, vermute ich. Aber ich habe mich schon öfters geirrt. Dessenungeachtet mache ich weiter, habe vor, in diesem Frühjahr vor allem Band 3 nebst Sonderausgaben zu bringen, ausserdem einen Band Graf48 und einen Roman von Wüsten: „Rübezahl“.49 Was mit USA wird, überblicke ich noch nicht. Ich werde Dich über alle Veränderungen unterrichten. Und Du? Glaubst Du noch lange dort bleiben zu können? Baust Du wenigstens vor für stürmerischere Tage. Ich rate es Dir. Sei herzlichst gegrüsst, und herzlichen Dank für Deine Langmut. Dein Anlage: Scheck 9231 £ 5.-.Überlieferung: Ts, BBA Z 36/50.

Michail Apletin an Bertolt Brecht Moskau, 2.2.1939

Moskau, den 2. Februar 1939.

Lieber Freund, Mit gleicher Post sende ich Ihnen die Thesen zum Bericht von W.M. Molotow50, „Der dritte Fünfjahresplan der Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR“ (1938-1942). Ich glaube es würde für Sie von Interesse sein.

47 Die im Februar 1939 abgeschlossene erste Fassung des Galilei (GBA 5, S. 7–115) wurde damals nicht veröffentlicht. 48 Im Malik-Verlag wurde von Oskar Maria Graf seither kein Buch mehr veröffentlicht. Möglicherweise meinte Herzfelde Grafs Roman Das Leben meiner Mutter, der zuerst englisch unter dem Titel The Life of My Mother 1940 in New York und deutsch 1946 bei Kurt Desch in München erschien. 49 Johannes Wüstens Roman Rübezahl konnte im Malik-Verlag nicht mehr erscheinen. Er wurde erst postum, 1963, von Horst Wandrey unter dem Titel Der Strom fließt nicht bergauf herausgegeben. 50 Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow (Vjačeslav Michajlovič Molotov, 1890–1986), sowjetischer Politiker, seit 1930 Vorsitzender des Rats der Volkskommissare und ab Mai 1939 Außenminister der UdSSR. Eine deutsche Übersetzung seines Referats vom XVIII. Parteitag der KPdSU (10.–21.3.1939), Der dritte Fünfjahresplan der Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR, erschien 1939 im Moskauer Verlag für fremdsprachige Literatur.

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Mit herzlichen Grüssen Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/17.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 5.2.1939

5. Februar [193]9

Werter Freund Brecht, Ich schicke Ihnen mit gleicher Post die „Literaturnaja Gaseta“ vom 5/II 39 aus der Sie ersehen können, wie hoch das Sowjetvolk und seine Regierung die Verdienste der Sowjetliteratur und Sowjetschriftsteller schätzen. Mit herzlichem Gruss Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: TsD, RGALI 631/11, 412/3.

Knud Rasmussen51 an Margarete Steffin Odense, 5.2.1939 Odense, 5.2.39

51 Knud Rasmussen (1914–?), Pseudonym: Crassus, dänischer Journalist und Brecht-Übersetzer. Nahm nach der deutschen Okkupation 1940 den Namen Fredrik Martner an. Brecht hatte ihn 1934 durch Karen Michaelis kennengelernt.

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Liebe Frau Steffin, im MANTEL52 habe ich noch ein Paar Aenderungen gemacht. Sie sind ganz klein: es heisst nicht „Signoriaen“, sondern „Signoria“. Vielleicht wollen Sie mit Tinte die überflüssigen „en“ streichen. Sie sind auf Seite 2 (4. letzte Zeile), und Seite 4 (20. Zeile und 25. Zeile). Hoffentlich ist die Erzählung noch nicht abgegangen Mit den besten Grüssen Ihr Crassus (Knud Rasmussen) PS Eben sind die Weigel und Frau Berlau hier gewesen, und ich höre, dass Barbara53 krank ist. Hoffentlich ist sie schon wieder besser. Bestellen Sie bitte Frau Weigel und Frau Berlau viele Grüsse, und sagen Sie Ihnen, dass ich mich wirklich sehr gefreut habe ihnen hier zu sehen. – Nu hoffe ich, dass Sie auch bald wieder einmal hier kommen werden und nicht so schnell wieder abreisen werden. Crassus Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 400/42.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 8.2.1939 8.2.1939 Herrn Bert Brecht Svendborg Skovsbostrand Lieber Herr Brecht, Auf meine Zuschriften vom 16. und 18.v.M. nehme ich Bezug. Leider vermisse ich noch das Schreiben an Aufricht, das ich Ihnen im Entwurf hatte zugehen lassen. Ich kann erst nach Ihrem formellen Einverständnis den hier noch verwahrten Betrag von 7.000 frs. zur Verfügung stellen. Wollen Sie darüber keine Dispositionen treffen?

52 Das ist die – im Zusammenhang mit den Studien zum Galilei entstandene – Erzählung über Giordano Bruno, Der Mantel des Ketzers (GBA 18, S. 374–382), die unter dem Titel Der Mantel des Nolaners in Heft 8/1939 der Internationalen Literatur (dort jedoch nur unvollständig) gedruckt und später in die Kalendergeschichten (Berlin 1949) aufgenommen wurde. 53 Brechts Tochter Barbara.

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Ich höre gern von Ihnen und verbleibe für heute mit vielen Grüssen Ihr Domke. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; BBA 911/37.

Kurt Weill an Bertolt Brecht New York, 9.2.1939 Im zurückliegenden Jahr sei mehrmals die Dreigroschenoper aufgeführt worden, ohne daß er dafür Tantiemen erhalten habe. Weill möchte sich daher mit Brecht über die geltende Rechtslage beraten und bittet ihn um dessen Ansicht über ihr beider Verhältnis zum Verlag Felix Bloch Erben (vgl. B. an Weill, 23.3.1939, GBA 29, S. 133f.). Er erwähnt namentlich Aufführungen in Paris (vgl. Anm. zu Piscator, 10.5.1937) und Stockholm. Per Lindbergs Inszenierung der Dreigroschenoper für das Stockholmer Ensemble Svenska Riksteatern wird am 24. September 1938 jedoch nicht in Stockholm, sondern in Gävle aufgeführt (vgl. B. an Lindberg, 5.9.1938 und 14.10.1938, GBA 29, S. 107f. und 116f.). Im Hinblick auch auf bevorstehende Aufführungen in den USA erwägt Weill, so Brecht einverstanden sei, einen Anwalt einzuschalten, der sich mit dem Verlag in Deutschland in Verbindung setzen solle. (Formell wurde der mit Felix Bloch Erben geschlossene Vertrag erst 1949 gelöst.) Seine Musikkomödie Knickerbocker Holiday, nach einem Libretto von Maxwell Anderson (1888–1959), laufe gerade mit großen Erfolg. Die Uraufführung fand am 19. Oktober 1938 am Ethel Barrymore Theatre in New York statt. Überlieferung: Ts, Kurt Weill Foundation, New York. – Dv: Kopie, BBA Z 23/14.

Knud Rasmussen an Margarete Steffin [Odense, Februar 1939]54 Liebe Frau Steffin, schönen Dank für den Brief.55 Hiermit schicke ich also die Aenderungen.56

54 Datierung nach Inhalt. 55 Nicht genau zu ermitteln. Aus dem fraglichen Zeitraum sind meherere Briefe Steffins an Rasmussen – z.T. in dänischer Sprache – überliefert (BBA E 7–10). 56 Vgl. Rasmussen an Steffin, 5.2.1939.

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Wenn Sie DER VERWUNDETE SOKRATES jetzt fertig haben, möchte ich ihn doch gern haben,57 weil ich es ganz gut finde, etwas anderes zwischen GALILEI58 zu stecken. Uebrigens bin ich ja jetzt bald fertig. Ich glaube, dass ich endlich ein Paar Abende für mich selbst habe. An CAESAR darf ich gar nicht denken, wenn Sie so viel zu tun haben. Mit ihm eilt es ja auch nicht so viel.59 Es tut mir weh, dass Ihre Ohren noch so schlecht sind. Glauben Sie nicht, dass das Klima in Svendborg zum Teil daran schuld ist? Dass Sie Samstag der 18. nach Odense kommen ist wirklich Schade. Samstag ist meine Zeit immer in Anspruch genommen. Dann arbeite ich von acht Morgen bis 3 Uhr Nachmittag und wieder von 6 Uhr Nachmittag bis 11 Uhr Abend an der Redaktion. Es ist nur drei Stunden, wo ich auch gern ausruhen soll. Son[n]tag war doch viel schöner. Kann Ihre Schwester nicht bis Sontag bleiben? Oder vielleicht können Sie in Odenese übernachten. Bei meiner Tante können Sie schön wohnen. Ich bin also sehr enttäuscht, falls wir uns nicht sehen, wenn Sie hier kommen. Vielleicht kann ich selbst Dienstag der 14. nach Svendborg fahren. Dann bringe ich GALILEI mit. Ich hoffe bestimmt, dass ich nichts Diensttag zu tun habe. Schreiben Sie mir doch, wie es mit Ihrem Besuch in Odense geht. Gute Besserung mit den Ohren und die herzlichsten Grüsse Ihr Crassus Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 400/54.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht Hollywood, 14.2.1939 1201 N Crescent Heights Blvd Hollywood, California February 14, 1939 57 Die im Dezember 1938 entstandene Erzählung Der verwundete Sokrates (GBA 18, S. 410–425) erschien zuerst 1949 im Kinderbuchverlag Berlin/DDR und Dresden, herausgegeben von Ilse Ploog, mit Illustrationen von Frans Haacken. 58 Den soeben fertiggestellten Galilei hatte Brecht der Theateragentur Carl Strakosch angeboten und Rasmussen mit der Übersetzung ins Dänische betraut. Weder die Aufführung noch die geplante Publikation der dänischen Übersetzung ließen sich realisieren (vgl. Anm. in GBA 5, S. 337f.). In der dänischen Zeitung Fyns Venstreblad erschienen am 6.1.1939 lediglich einige Auszüge aus dem Stück. Vgl. B. an Martner (d.i. Rasmussen), 6.1.1939, GBA 29, S. 127. 59 Brecht hatte Rasmussen im Herbst 1938 den ersten Teil der Geschäfte des Herrn Julius Caesar zur Lektüre übergeben im Hinblick auf eine mögliche Übersetzung ins Dänische (vgl. Anm. in GBA 17, S. 514).

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Dear Brecht: I feel like a dog for not having communicated with you about the Galileo sooner.60 I received it toward the end of my stay in New York and had only time to glance over it rapidly and superficially, but even so I was so excited about it that I felt we should have a definite plan to put it over. Then when I got back to Hollywood I had so damned many things, mostly petty, to attend to that I was neither able to get at the play nor the plan seriously. What makes me feel particularly criminal about this is that you left Copenhagen, promptly got to work, and in three weeks turned out a magnificent job. However, now I am ready to go. First of all I want you to give me the rights to adapt it, as well as the Furcht und Elend play. I shall probably want to make certain changes which will not fundamentally effect the plays, but will effect their reception by an American audience. I am not in any way going to cheapen them or inject into them any popular nonsense, you know that. But what I want to head for is an honest commercial production as against an Artistic production, spelled with a capital A, and I think I can get one. It may take a little longer, but it is worth working for from every point of view. What I am going to do is to make the adaptations and send them on to you. In the meantime, I shall get one of the biggest play agencies in America interested and begin to line up possibilities. With few exceptions it doesn’t do much good to work through actors in this country. Here we have to tackle producers because the principal influence in our theatre is money, and the American producer’s principal excuse for existence is his ability to raise money. But whether we hit the Theatre Guild61, the Group Theatre62, or a private producer, I think that the most important thing of all is to have plays which Americans can understand. Particularly in these plays – most particularly in the Furcht und Elend – do I feel that an exact translation would be an injustice to you. What I want to reach for are equivalents, a basis on which to erect an understanding of what you are saying. Oddly enough, the first thing that would go overboard in a literal translation is the inherent poetry of your writing. And that poetry I think can be maintained by creating an American equivalent of your conceptions and rhythms. I want to put a little more speed into both plays, a sharpened drive, simply because our mode of thinking and our interests are gaited to a more nervous tempo, and what induces us to think in this country is not ideas, but action. However, you’ll see. I’ll try my best to get a Broadway decision on one or both of the plays as soon as possible. I know it’s hard to ask you to wait, but I think it is unavoidable, and it would be foolish not to play for the biggest rewards. The same about the motion picture rights. We can really negotiate with a motion picture studio if we have the theatre behind us.

60 Vgl. Anm. zu Reyher, 8.12.1938. 61 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934. 62 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935.

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I have practically seen no one since I returned, but shall try to contact Dieterle in the next few days and sound him out on the Galileo. Please let me know how all this strikes you. If there is any element in what I have said to which you have the slightest objection, let me know at once. Also let me know how you are, and if there is anything that you want or need, don’t hesitate to call on me. With kindest regards to you all in Svendborg, and a greeting to Ruth Berlau, Cordially yours, Ferdinand Reyher Überlieferung: Ts, Melvin Jackson. – Dv: Kopie, BBA E 18/48–49. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 176f.

Volkmar von Zühlsdorff an Margarete Steffin [New York] 17.2.1939 den 17. Februar 1939 Fraeulein Margarete Steffin Sevendborg Sko[v]sbostrand, Daenemark. Sehr geehrtes Frl. Steffin: Es ist mir unerklaerlich, dass Herr Brecht das Manuskript „Die Geschaefte des Herrn Julius Caesar“ nicht erhalten hat.63 Wie ich ihm vor geraumer Zeit mittelte, habe ich den Auftrag gegeben es ihm zuzuschicken, und die Mitteilung erhalten, dass dies geschehen sei. Ich werde mich natuerlich sofort vergewissern. Mit vorzueglicher Hochachtung, bin ich Ihr sehr ergebener Assistent. V2:b Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

63 Vgl. Zühlsdorff, 5.10.1938.

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Elizawieta Polonskaja64 an Bertolt Brecht Leningrad, 22.2.1939 Leningrad den 22/II 39 Sehr geehrter Genosse Brecht. Während Ihres Aufenthalts in Leningrad habe ich Ihnen in unserem SchriftstellerHaus, in Genosse Fedin’s Anwesenheit65, meine Übersetzung Ihrer Ballade vom toten Soldaten66 vorgelesen. Sie haben mir damals Ihr Buch „Lieder, Gedichte, Chöre“ liebenswürdig gesandt, da ich die Absicht hatte an der Übersetzung Ihrer Gedichte weiter zu arbeiten. Nun beauftragt mich unser Staatsverlag (Die Abteilung von Leningrad) ein Buch Ihrer ausgewä[h]lten Werke zusammenzustellen und zu übersetzen. Außer eine Reihe Ihrer früheren Gedichte und des Dramas „Trommeln in der Nacht“ möchte ich auch Ihre neuesten Gedichte und einige Ihrer kurzen Schauspiele beifügen.67 Ihre letzten Bücher sind aber leider in Leningrad nicht vorhanden. Deshalb bitte ich Sie im Namen des Staatsverlags und in dem meinigen, die Liebenswürdigkeit zu haben und mir Ihre neuesten gedruckte oder auch ungedruckte Werke zu schicken –, diejenigen, die Sie übersetzen wollen [sic]. Alsbald ich den ganzen Stoff erhalten habe werde ich Ihnen den Plan des Buches mitteilen um Ihre Meinung in Betracht nehmen zu können. Ihre Antwort und die Bücher können Sie am besten an Genosse Becher richten mit herzlichem Gruß Elizawieta Polonskaja Überlieferung: Ms, BBA 211/2-3.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Moskau, 26.2.1939 Moskau, 26. Februar 1939

64 Elizawieta Polonskaja (1890–1969), sowjetische Schriftstellerin und Übersetzerin. 65 Auf der Rückreise von Moskau nach Svendborg waren Brecht und Steffin am 17.5.1935 ins Haus der Sowjetschriftsteller in Leningrad geladen worden, wo auch der russische Schriftsteller Konstantin Alexandrowitsch Fedin (Konstantin Aleksandrovič Fedin, 1892–1977) vortrug (vgl. BC, S. 443f.). 66 Das ist Die Legende vom toten Soldaten (GBA 11, S. 112–115). 67 Die Übersetzungen Elizawieta Polonskajas konnten nicht ermittelt werden.

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Lieber Brecht! Es ist schade, dass ich von Dir solange nicht mehr gehört habe und dass Du einige Briefe unbeantwortet gelassen hast. Ich übersende Dir nun heute beiliegenden Brief. Ich habe mit der Uebersetzerin bereits im letzten Sommer über die Sache gesprochen und sie ermuntert, diese Sache zu beginnen.68 Bitte, lass diese Angelegenheit nicht unbeantwortet. Es wäre wichtig, dass solch ein repräsentatives Buch von Dir erscheint. Die Uebersetzerin gilt allgemein als sehr gut. Mit den besten Grüssen dein Becher. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag für Schöne Literatur Internationale Literatur Deutsche Blätter Redaktion: Moskau, Kusnezki Most, 12 Postsendungen: Moskau, Hauptpostfach, 850; BBA 911/38.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 3.3.1939 Lieber Bert – dieser Brief kommt nicht aus M. und nicht aus P.69 – er kommt aus NEW Y. = die ewigen Juden und die ewigen Goys70 sind auf der Wanderung – und es ist langweilig und zum Kotzen zu sagen Γовно (sp. Gavno71) – und mèrde [sic] ... und excrement oder voiding – statt Scheisse – ohne sich zu überlegen wie es heisst und was es ist. Oh, ich bin manchmal so müde – ich könnte den Kopf tief in die Erde stecken – um zum Schweigen zu kommen und zur Stille – Ich habe Sehnsucht nach uns von früher – nach unserer Sprache – auch nach unserm Kampf – Ich habe Sehnsucht – glaube mir – nach Dir – Was wir getan haben, gesprochen und gewollt – das gibts nicht mehr – Du kennst ja das hiesige Theater – ich sage: „Stanislavsky limitiert durch die Box office (und das Talent natürlich)“ – und das gilt vom besten – jedenfalls von den Wollenden – dem Group-Theater72 – Die Andern glatte und unverbrämte Industrie, sel[b]st sogar ohne die verlogene Scham eines Barnowsky73 – Unsere Zeit 1920-30 erscheint mir nun von hier – dem lebendigsten Theater nach uns, wie ein Block, eine Epoche – etwas mystisch-Sagenhaftes – mit Herkulessen, die die Himmel herunterzogen, die Kulisse (hier meistens eine Zimmerdek.!!!) zerstörten, die Box office zerschlugen, zerdepperten – Kinder, Idioten, Heilige ... zahm, feige, leisetreterisch – aus – nichts mehr zu machen = unsere Verbannung ist die schlimmste 68 Vgl. Polonskaja, 22.2.1939. 69 Moskau, Paris. 70 Gemeint sind offenbar Gojim: jiddischer Ausdruck für Nichtjuden. 71 Russisch govno: Scheiße. 72 Vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935. 73 Der Schauspieler und Regisseur Victor Barnowsky (1875–1952) leitete vormals u.a. das Lessingtheater in Berlin. 1933 ging er ins Exil zunächst nach Österreich, über weitere Stationen in Europa 1937 schließlich nach New York.

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– denn in einer Wüste zu sitzen – und die schweigenden Himmel anzuschweigen – gut ... Aber neben den Dummen der Wissende, neben dem Feigen der Mutige – Tantalus! – Wer hält das aus?? Wir halten! Die Zeitungen berichten Spanien74 – und wir machen Coktailpartys – Grosz findet die Deutschen grossartig gerüstet – Borchardts Meldungen stellen fest, dass St. in M.75 jeden Morgen gebratene Kinder zu[m] Frühstück aus Minsk erhält, Kortner hat Filmengagement nach Hollywood,76 Jessner77 will mit Deutschen englisch den Tell einstudieren (welche von den 5 Fassungen während der zugrundegehenden Weimarer Republik, ist noch nicht heraus).78 Toller hat ein Stück über einen protestantischen Pastor geschrieben,79 Borchardt wollte ihn verklagen, weil der Einfall von ihm sei, inzwischen verklagt aber auch Kuh80 Borchardt, weil bei dem letzten Stück des Letzteren der erste Einfall von Ersterem sei ... . Wir halten aus, Bert, – was können wir auch sonst tun? Wir haben über Dich nachgedacht: Kortner, Eisler – die Thompson81 – Letztere hat evtl. 1000 Dollar für Dich – Wenn Ihr doch kommen könntet – Bei allem Negativen: es ist hier die einzige Möglichkeit – es gibt hier dauernd Leute, die irgend etwas wollen. Ich bin damals nicht gekommen, wie Ihr mir telegr[aphiert] habt – heute sehe ich, was für tolle Fehler ich gemacht habe. Schon jetzt wollten wir Kortner Thompson-Stück „Spell your name“ machen – und zwar ich als Producer – Das Geld ist da, aber die Besetzung stösst auf Schwierigkeiten – es soll nun im Herbst kommen.82

74 Der seit 1936 andauernde Bürgerkrieg war mit der Einnahme Barcelonas durch die Falangisten im Januar soeben entschieden worden. Seinen Sieg verkündete Franco offiziell am 1.4.1939. 75 Stalin in Moskau. Hermann Borchardt, nach seiner Ausweisung aus Minsk 1936 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert, war nach seiner Freilassung 1937 nach New York geflüchtet. 76 Fritz Kortner, seit 1937 ebenfalls in den USA, spielte seine ersten Filmrollen in Hollywood jedoch erst einige Jahre später, und zwar 1943 in The Purple V (Regie: George Sherman) und The Strange Death of Adolf Hitler (Regie: James P. Hogan; Drehbuch: Fritz Kortner). 77 Leopold Jessner (1878–1945), Schauspieler, Regisseur, vormals Intendant des Schauspielhauses und des Staatstheaters Berlin, ging 1934 ins Exil nach Großbritannien, von dort nach Palästina und 1937 in die USA. 78 Jessner inszenierte Schillers Wilhelm Tell (1804) u.a. mit Leo Royce (Tell), Ernst Deutsch (Gessler) und Alexander Granach (Stauffacher). Premiere im El Capitan Theater in Los Angeles am 25.5.1939. 79 Pastor Hall (1939). Als historisches Vorbild der Figur des Pastors, der gegen den Nationalsozialismus kämpft, stand Ernst Toller wohl der 1937 verhaftete Martin Niemöller vor Augen. 80 Vermutlich Anton Kuh (1890–1941), österreichischer Schriftsteller und Journalist. Seit Ende der 1920er Jahre in Berlin, ging 1933 zurück nach Österreich und emigrierte 1938 in die USA. 81 Dorothy Thompson, die auch Brecht bei seiner Einreise in die USA behilflich sein sollte. 82 Das von Kortner und Thompson gemeinsam verfaßte Stück Spell Your Name, das von den erfolglosen Bemühungen eines ehemals prominenten Schauspielers im Exil handelt, wurde 1940 am Broadway unter dem Titel Another Sun aufgeführt – ohne Erfolg.

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„Krieg und Frieden“ ist fertig – aber es gefiel Gilb. Miller natürlich nicht – wir sind an einer 2. Version – ich bin aber nicht gewiss – ob Miller sie macht – wahrscheinlich muss ich sie auch selbst setteln.83 Dein Stück84 konnte ich noch nicht bekommen – Kortner hat es – aber noch nicht gelesen – es gab auch wirklich sehr viel Unruhe und Schwierigkeiten – Er benimmt sich übrigens gegen uns Alle phantastisch anständig – und hat sich glaube ich – auch ausgezeichnet entwickelt. Ich möchte versuchen eine Art Produktionsgemeinschaft auf die Beine zu stellen – ich glaube, wenn wir uns Alle verbinden – zusammenhalten – kann, muss etwas herauskommen. – Aber die Probleme sind ungeheuer! Welche Erfahrungen hat Jeder von uns allein mit der Übersetzung gemacht! Dann die pol. Situation, die, an sich sich dauernd verschlechternd, uns überhaupt keine Luft mehr lässt. Die Sprache! Mein Gott, Bert, die Sprache – nicht Deine und meine – eine andere, fremde – wie unverschämt das Verlangen, dass wir uns darin ausdrücken sollen – wie unverschämt von uns, darin – damit – mit diesem Gestammel – Gehör zu verlangen!!! Aber doch musst Du kommen. Hier ist die Welt – und ein Stückchen der unsern! Wenn Du das Geld der Thompson erhältst – kommst Du – wenn Du drüben die amerik. Papiere nicht sofort bekommen kannst – vielleicht zunächst einmal auf Touristenvisum – Die Gefahr besteht, dass Du noch einmal zurückmusst – Aber wenn Du allein kommst, kannst Du Alles ordnen – und dann später Deine Familie nachkommen lassen. Eisler wollte Dir schreiben, auch Kortner. Kurt Weill traf ich auch. Knickerbocker’s Holiday ist ein auseinandergezogener 4. Akt der 3 G.O.85 – der Galgen steht von Anfang an auf der Bühne. Auch Schwejk hatte er schon gemacht ... Aber: Schwamm drüber – Wir werden ja sehen! Wir müssen eine gute, freundschaftliche Beziehung haben zu allen Leuten – sanft sein in einer Weise, dass die Tauben uns gegenüber wie blutdurstige Tiger, Löwen und Schlangen wirken. (ob wir’s aushalten?) Schreibe mir bald, schnell – Ich wollte es täglich seit Paris – Sogar telegr. wollte ich von Paris um Dein Stück ... Ich könnte Dir nun ein ganzes Buch schreiben – Grosz hat mich am ersten Abend aus seinem Haus hinausgeworfen, weil ich noch an Fortschritt glaube – und er nicht ... (a propos, glaubst Du dran?) Erwin. 3. März 1939. Überlieferung: Ms, BBA 911/71–86. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 40ff.

83 Vgl. Anm. zu Piscator, 11.6.1938. 84 Leben des Galilei. Vgl. Piscator, 10.4.1939. 85 Dreigroschenoper. Die Musikkomödie Knickerbocker Holiday von Kurt Weill und Maxwell Anderson wurde am 19.10.1938 am Ethel Barrymore Theatre in New York uraufgeführt.

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Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht [New York] 4.3.1939 4. März 1939. Lieber Herr Brecht, herzlichen Dank für Ihren Brief und die STUDIEN, die erst heute eintrafen, zu spät freilich für die diesmalige Auktion,86 aber das macht nichts, denn wir wollen entweder im Mai oder im Herbst eine weitere Versteigerung veranstalten, da die diesmalige ein schöner Erfolg war. Wir hatten Manuskripte von Thomas Mann, Heinrich Mann, Sigmund Freud87, Albert Einstein, Alfred Neumann, D.H. Lawrence88, Lawrence Housman89, Golding90, Sylvia Warner Townsend91; Werfel, Bruno Frank92 und noch unendlich viele andere gehabt. Darum bitte ich Sie heute, wenn Sie neue Sachen schreiben, besonders wenn sie handschriftlich sind, sie ja nicht wegzuwerfen, sondern uns zu überlassen. Es ist gewiss jammerschade, dass die Dreigroschenoper nicht mehr im Originalmanuskript besteht!93 Wenn es Ihnen möglich wäre, uns ein Manuskript von Andersen Nexø zu vermitteln, so wäre ich Ihnen sehr sehr dankbar. Ihr Manuskript von DIE GESCHAEFTE DES HERRN JULIUS CAESAR liess ich Ihnen schon vor geraumer Zeit zuschicken,94 ich hoffe nur, dass es nicht verloren gegangen ist. Ich habe sogleich in Paris nachgefragt. Mit den besten Grüssen Ihr PS. Ich erlaube mir, Ihnen zugleich (noch nachträglich das Rundschreiben an alle gegenwärtigen und ehemaligen Stipendiaten der Guild95 zu senden; darf ich Sie um Rücksendung der signierten Erklärung bitten? Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117. 86 Vgl. Anm. zu Prinz zu Löwenstein, 5.1.1939. 87 Der Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856–1939) ging nach dem „Anschluß“ Österreichs ins Exil nach London, wo er bald darauf verstarb. 88 David Herbert Lawrence (1885–1930), englischer Schriftsteller. Das Manuskript hatte Prinz zu Löwenstein offenbar postum von einem Dritten erhalten. 89 Laurence Housman (1865–1959), englischer Schriftsteller. 90 Vermutlich der englische Schriftsteller William Golding (1911–1993). 91 Sylvia Townsend Warner (1893–1978), englische Schriftstellerin. 92 Der Schriftsteller Bruno Frank (1887–1945) ging 1933 ins Exil nach Österreich, später nach Großbritannien und von dort 1937 in die USA. Arbeitete mit an Filmproduktionen in Hollywood und war auch an der Gründung des European Film Fund (vgl. Anm. zu Charlotte Dieterle, 13.6.1945) beteiligt. 93 Vgl. B. an Prinz zu Löwenstein, Ende Januar 1939, GBA 29, S. 129. 94 Vgl. Zühlsdorff, 5.10.1938. 95 Vgl. Anm. zu American Guild, 22.4.1938.

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Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 9.3.1939 Moskau, 9. März 1939 Lieber Brecht! Ich danke Dir für die Zusendung Deiner Arbeit, die wir in Nummer 6 bringen werden.96 Ich denke, dass es von jetzt an doch wieder recht nützlich wäre, wenn wir enger zusammenarbeiten würden. Wir hoffen, von Dir auch ab und zu einmal Deine Meinung über die I.L. zu hören bezw. einige Beiträge zu erhalten. Ich glaube, wir können uns eine solche „Distanzierung“, wie sie in der letzten Zeit eingetreten ist, eigentlich nicht recht leisten. Mit dem besten Gruss Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/118.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 17.3.1939 17.3.1939 Herrn Bert Brecht Skovsbostrand per Svendborg Lieber Herr Brecht, Die Ueberlassung der Rechte [von] Happy End an Herrn Aufricht in Ihrem Brief 97 reicht für die Verwertung den Interessenten nicht aus. Es müsste der Inhalt der Uebertragung näher umschrieben werden. Wie Sie wohl wissen, wird ein Film mit René Clair98 gemacht, und es kann ja nur in Ihrem Interesse sein, auch hier namentlich genannt zu sein. Das dient doch der weiteren Bekanntmachung Ihres Namens, wiewohl ja Ihnen Herr 96 Gemeint ist die Erzählung Der Mantel des Ketzers (GBA 18, S. 374–382), die unter dem Titel Der Mantel des Nolaners in Heft 8/1939 (jedoch nicht vollständig) veröffentlicht wurde. Vgl. dazu B. an Becher, April/Mai 1939, GBA S. 143f. 97 Nicht überliefert. Auf der Grundlage von Hauptmanns Stück Happy End hatte Brecht bereits um 1930 ein Filmexposé mit dem Titel In ein berüchtigtes Lokal (GBA 19, S. 322–329) begonnen. Ob er diesen Entwurf auch der mit dem Produzenten Ernst Aufricht geplanten Verfilmung des Stoffs zugrunde legen wollte, kann nur vermutet werden. Realisiert wurde das Projekt nicht; der Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 spätestens machte alle Filmpläne zunichte. 98 Der für die Inszenierung des zuvor genannten Projekts vorgesehene französische Schriftsteller und Filmregisseur René Clair (1898–1981) ging 1940 in die USA. 1946 kehrte er zurück nach Frankreich.

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Aufricht mitgeteilt hat, dass eigentlich Ihr Stück nicht zur Verfilmung dient, sondern die Leute sich nur mit dem Titel sichern wollten. Ihre Interessen weitgehend wahrend habe ich den aus der Anlage ersichtlichen Brief gefertigt. Ich habe die Songs ausdrücklich ausgenommen, damit daraus keine Schwierigkeiten erwachsen können, und Ihnen auch weiter das Recht vorbehalten, jede Aenderung zu genehmigen. Die anderen Berechtigungen, nämlich Radioreklame zu machen, die hier üblich ist, und die übrigen Publizitätsformen, die ja kein Geld einbringen, sondern nur kosten, musste man den Leuten gestatten. Ich selbst werde in Ihrem Interesse gern darüber wachen, dass nicht Missbräuchliches erfolgt. Es ist im übrigen ja kaum zu befürchten, dass ein Film, den René Clair machen wird, irgendwie Ihrem Interesse abträglich ist. Leider ist der zugesagte Gedichtband99 noch nicht eingetroffen. Ich freue mich sehr darauf. Mit besten Grüssen bin ich stets Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tel.: Suffren 02–50; BBA 586/29.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 20.3.1939

20. März [193]9

Lieber Freund! Mit gleicher Post sende ich Ihnen die „D.Z“ mit dem Bericht des Gen. Stalin.100 Durch die ausserordentliche Verschärfung der internationalen Lage erhält die von Gen. Stalin gegebene Analyse der internationalen Lage und der daraus folgenden Perspektiven besonders grosse Bedeutung. Ich glaube dass der Bericht Sie interessieren wird. In den nächsten Tagen schicke ich Ihnen auch die Berichte von W. Molotow u.a. Mit besten Grüssen Ihr

99 Vermutlich Band 3 der Gesammelten Werke (vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.9.1938). 100 Das ist der in der Deutschen Zentral-Zeitung gedruckte „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag über die Arbeit des ZK der KPdSU (B)“ von Josef Stalin vom 10.3.1939.

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Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/6.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 20.3.1939

20. März 1939 10, rue Dombasle Paris XVe.

Liebe Grete Steffin, ich liege auf der Nase: zubett an Grippe und lausche tagaus tagein den Trostgesängen meines Ascenseurs. Nicht einmal mehr das Pfeifchen schmeckt mir – und das trifft sich gut, denn seit drei Wochen erwarte ich vergebens Ihre kleinen Pakete.101 Ich fürchte, dass da ein Malheur passiert ist; bitte Sie daher, die Sendungen vorläufig einzustellen, bis auf eine, von der ich Sie bitte, mich am Tag ihrer Absendung zu benachrichtigen, damit ich die Sache genau kontrollieren kann. Vor allem weiteren warten Sie dann bitte meine Nachricht ab. Neuigkeiten aus Paris zu vergeben, bin ich schlecht placiert. Vor nicht langer Zeit sah ich zwar Dudow, das war aber nicht so sehr ergiebig. Er ärgert sich mit seinen Filmhyänen und muss jetzt sogar, um einem Plagiatsversuch an seinem Film über Kriegstechnik 102 zu begegnen, einen Prozess in die Wege leiten. Von Maria Kolzow103 wusste mir auch Dudow nichts zu berichten. Sie ist, wie Sie ja wohl wissen, noch in Paris. Vor einer Woche spazierte Brentano bei mir vorbei. Er hat sich äusserlich sehr verändert, sein Gesicht hat eine Beherrschtheit und Ruhe bekommen, die mich seine früheren Tics ein wenig bedauern lässt – er war hier, um sich von Grasset104 feiern zu lassen; Anlass dazu die französische Ausgabe seines Chindler.105 Ein Sprühregen von Interviews ist bei dieser Gele101 Die Rede ist von Tabaksendungen. Vgl. Benjamin an Steffin, Anfang Oktober 1935 und 18.4.1939. 102 Einen solchen Film hat Dudow anscheinend nicht realisiert. 103 Das ist Maria Osten, die Lebensgefährtin Michail Kolzows, der im Dezember 1938 verhaftet worden war. 104 Bernard Grasset (1881–1955), französischer Verleger. Gründete 1907 in Paris den Verlag Les Éditions du Grasset. 105 Vgl. Anm. zu Brentano, 10.6.1933 und 25.7.1935.

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genheit über Paris niedergegangen. Brentano schreibt einen neuen Roman „Die ewigen Gefühle“ betitelt.106 – Auf Russland ist er, das können Sie mir glauben, nicht gut zu sprechen. Danken Sie Brecht für seine Aufforderung, bei dem Baudelaire an das „Wort“ zu denken.107 Es liegt so, dass ich derzeit über den Baudelaire-Text nicht verfügen kann, weil die New Yorker108 nun doch zumindest einen Teil der Sache in einer Neufassung, die mich gegenwärtig beschäftigt, zu drucken vorhaben. Ich sende Ihnen aber mit gleicher Post den Kommentar zu den Gedichten – vielleicht dass das „Wort“ daraus etwas gebrauchen kann.109 Die Arbeit ist für mich nicht abgeschlossen. Ich will sie gelegentlich um mehrere Kommentare, besonders zu späteren Gedichten, erweitern. Aber in unmittelbarer Zukunft werde ich dazu wohl nicht kommen. (Wenn Erpenbeck behauptet, von mir keine Antwort erhalten zu haben, so ist das eine seiner Redaktionslügen. Mein letzter Brief,110 der unbeantwortet blieb, enthielt die Aufforderung, einen von der Drucklegung unabhängigen Termin der Honorierung vorzusehen.) Natürlich denke auch ich an eine Uebersiedlung nach Amerika, da Europa ja unbewohnbar geworden ist. Bis dato bin ich aber nur bis zu einigen mexikanischen Bildchen vorgedrungen, die derzeit in einer schönen halbsurrealistischen Exposition hier zu sehen sind. – Die Sache mit der Quote ist eben nicht so einfach.111 Grüssen Sie Brecht und Helly schönstens. Schreiben Sie mal richtig, wie es Ihnen geht und nehmen Sie die schönsten Souvenirs. Überlieferung: Ts, BBA 2169/15–16. – T: BGS I, 1118. – E: Benjamin, Briefe, Bd. VI, S. 243f.

106 Der Roman erschien 1939 bei Querido in Amsterdam. 107 Steffin hatte Benjamin in einem undatierten Brief, vermutlich vom Februar 1939 (vgl. Steffin, Briefe, S. 299), Brechts Vorschlag übermittelt, einen Teil seines Aufsatzes über den französischen Dichter Charles Baudelaire (1821–1867) im Wort zu publizieren. „Das Paris des Second Empire bei Baudelaire“, selbst als Teil eines Buches über Baudelaire geplant, blieb damals unveröffentlicht (jetzt BGS I, S. 511–604). 108 Gemeint ist das 1934 nach New York umgezogene Frankfurter Institut für Sozialforschung, in dessen Zeitschrift die erwähnte Arbeit über Baudelaire erscheinen sollte. Nach eingreifender Kritik Theodor W. Adornos nahm Benjamin im Februar 1939 einen neuen Entwurf in Angriff, der unter dem Titel „Über einige Motive bei Baudelaire“ in dem 1940 erschienen Heft 8/1939 der Zeitschrift für Sozialforschung (unterdessen in Studies in Philosophy and Social Science umbenannt) veröffentlicht wurde. 109 Von den Kommentaren zu Gedichten von Brecht, die Benjamin seit seinem Besuch in Skovsbostrand im Sommer 1938 verfaßt hatte, erschien im Druck damals nur der zur Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration (GBA 12, S. 32–34), und zwar in der Schweizer Zeitung am Sonntag vom 23.4.1939. Vgl. die vollständigen Kommentare in BGS II, S. 539–572. 110 Nicht überliefert. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1.1939. 111 Steffin hatte Benjamin gewarnt, „dass man, wenn man einwandern will, 5 jahre warten muss, da die quota überfüllt ist [sic]“ (Steffin, Briefe, S. 298).

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L. (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht [Moskau] 23.3.1939 23. März 1939.

L.

Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand pr. Svendborg Dä nem a rk . Lieber Herr Brecht! Ihr Schreiben vom 13. März ging hier ein.112 Wir bitten Sie, sich mit der Beantwortung noch eine kurze Zeit gedulden zu wollen. Herr Erpenbeck musste für ca. acht Tage verreisen und wir werden ihm, sobald er wieder hier eintrifft, Ihr Schreiben zur Beantwortung vorlegen. Die zweite Nexö-Sendung ist vor kurzer Zeit hier eingetroffen.113 Mit bestem Gruss i.A.: Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/119.

Arnold Zweig an Bertolt Brecht Haifa, 26.3.1939 Arnold Zweig, Beth Dr. Moses. Haifa. Mt. Carmel. 26. März 1939. Mein lieber Brecht, es ist entsetzlich lange her, dass Sie oder Grete Steffin von mir gehört haben. Inzwischen ist die Welt eingestürzt, die Demokratie hiess, und auf die wir so lange gerechnet hatten.114 Ich war dabei, als sie einstürzte, nämlich von August bis Oktober in Europa, in Paris und in 112 Nicht überliefert. 113 Im März 1939 erschien die letzte Nummer der Zeitschrift Das Wort, darin auch der erste Teil der von Steffin und Brecht übersetzten Erinnerungen Martin Andersen-Nexös mit der Ankündigung: „Fortsetzung folgt“. Im Moskauer Verlag Meshdunarodnaja Kniga wurden 1940 unter dem Titel Die Kindheit die ersten beiden Bände der Erinnerungen veröffentlicht. 114 Nach dem „Anschluß“ Österreichs im März 1938 hatte das Deutsche Reich infolge des mit Frankreich, Großbritannien und Italien im September 1938 getroffenen Münchner Abkommens inzwischen auch die sogenannte „Resttschechei“ okkupiert.

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London namentlich, und ich dachte oft an Sie. Hatten Sie mich nicht gewarnt, allzu weit zu emigrieren, weil wir in fünf Jahren alle wieder in Deutschland sein würden? Und ich hatte Ihnen und meiner eigenen Neigung geglaubt, Parallelen zwischen der Dauer der Hitlerei und der Dauer des grossen Krieges115 zu ziehen. Jetzt ist es anders, lieber Brecht, wenn der Herr Hitler uns den Gefallen nicht tut, durch einen unüberlegten Angriff zu weit zu gehen, kann er zu denselben Jahren kommen, zu denen Bismarcks116 Reich gekommen ist. Seit Luther und der Reformation haben in jedem Jahrhundert deutsche herrschende Klassen die Weltkultur zurückgeworfen, und es waren immer dieselben Feudalen, Grundbesitzerinteressen, die den Ausschlag gaben.117 Auf Luther folgte Wallenstein118, auf den Friedrich119, auf den Bismarck, auf diesen der Sonnenadolf.120 Was kann unter solchen Verhältnissen aus der Kultur eines Erdteils und dem Aufstieg der unteren Klassen werden, von dem diese abhängt? Was mich anlangt, so sehe ich duster. Das liegt vielleicht aber auch an den Folgen des Autounfalls, den mein Michi121 und ich am 15. November hatten. Wenig genug werden Sie davon gehört haben. Wir warteten in meinem kleinen Wagen die Passage zweier entgegenkommender Lastwagen ab und wurden dabei von einem Panzerwagen gerammt, der uns passieren und überholen wollte. Es war ein Rolls Royce Motor mit viel zu schwachen Zweiradbremsen; er hatte einen Bremsweg von über achtzig Metern, von denen er uns die letzten dreissig mitnahm. Sie sehen, dieser Autounfall ist nicht so lehrreich wie der, den Sie seinerzeit im Uhu analysierten, nachdem Sie ihn selber erlitten hatten.122 Ich war über siebzig Stunden bewusstlos, fünf Wochen in der Klinik, dann Rekonvalescent zu Haus und leide noch immer an Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Darum auch gehe ich am 4. April mit meinem Michi zu Schiff, nach Amerika.123 Wir werden drei Wochen unterwegs sein und uns hoffentlich dabei so erholen, dass der amerikanische Trubel mir nicht schaden wird. Ich muss natürlich dort nach dem Rechten sehen, Verträge sind in Unordnung,

115 Der Erste Weltkrieg. Anspielung auf seinen mit dem Streit um den Sergeanten Grischa 1927 begonnenen Romanzyklus Der Große Krieg der weißen Männer. 116 Otto von Bismarck (1815–1898), von 1871 bis 1890 Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs. 117 Martin Luther hatte mit seinen reformatorischen Thesen unbeabsichtigt auch die Bauern zum Aufstand ermutigt, ergriff selbst jedoch mit seiner Rede Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern (1525) Partei für die fürstliche Obrigkeit. 118 Albrecht von Wallenstein (1583–1634), Herzog von Friedland und Mecklenburg, Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen im Dreißigjährigen Krieg. 119 Vermutlich Friedrich II., genannt der Große (1712–1786), seit 1740 preußischer König. 120 Anspielung auf den „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. (1638–1715), ab 1643 König von Frankreich. 121 Zweigs Sohn Michael. 122 Der 1929 in der Berliner Zeitschrift Uhu erschienene Text „Ein lehrreicher Autounfall, mit Aufnahmen für den Uhu von A. Stöcker“, in dem der Hergang eines Unfalls geschildert wird, den Brecht mit seinem Steyr-Wagen im Mai 1929 in der Nähe von Fulda erlitten hatte, stammt allerdings nicht von Brecht. 123 Zweig reiste gemeinsam mit seinem Sohn am 4.4. in die USA und nahm dort auch am Internationalen PEN-Kongreß (8.–10.5.1939) teil.

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Theaterinteressen melden sich für „Ritualmord“124 und das Grischastück125, und ich suche natürlich Filmabschlüsse, für die ich Material genug in der Mappe mitnehme. Ob freilich während meiner Abwesenheit nicht ein Krieg losbricht, der mich von meiner Frau und Adam auf einige Zeit trennt, weiss ich nicht. Ich fürchte es aber kaum. Da man Hitler gibt, was er sich nimmt, warum sollte er uns den Gefallen tun, seine eigenen Erfolge zu ruinieren? Schreiben Sie mir an Viking Press, lieber Brecht, 18 East, 48th Street, New York, was Sie machen, um Ihr Pulverfass Dänemark nicht zur Mausefalle ausarten zu lassen. Da ich seit August nichts Rechtes mehr gearbeitet habe, bin ich dem „Wort“ noch den Aufsatz über Ihre Versuche schuldig, aber diese Schuld wird bestimmt beglichen.126 Ich muss nun erst wieder einen Ueberfluss an Nervenkraft haben. Gleichzeitig sende ich Ihnen heute mit der Schiffspost ein Geschenk von Mischmar Haemek, wo Mita Batdori127, wie Sie wissen, „Die Gewehre der Frau Carrar“ aufgeführt hat.128 Das Geschenk besteht in etwa einem Dutzend Fotos und ein paar Rezensionen, bitte bestätigen Sie den Empfang an Frau Batdori, die wirklich ihr Bestes geleistet hat und unter Umständen, die nicht ohne tragische Verwicklung waren, die Aufführungen durchsetzte. Einer ihrer Spieler wurde ihr in der Probenzeit von einem Araber erschossen, der unter dem Vorwand zu ihm kam, er wolle hebräisch bei ihm lernen. Solche Dinge ereignen sich hier leider schrecklich häufig. Denn die Araber sind von Jahrhunderte langer Fremdherrschaft und Grossgrundbesitzersklaverei zu dem gemacht worden, was wir heute von ihnen erfahren. Die Mischmarleute gehören aber, wie Sie sich denken können, zu den wenigst nationalistischen Gruppen im Lande, und ihre Haltung zu den Arabern war die ganze Zeit hindurch vorbildlich. So, lieber Brecht, jetzt sind mal wieder Sie dran oder Grete Steffin, wenn Sie sich dem Schreiben wieder etwas entziehen. Ich bleibe in Amerika bestimmt mehrere Monate, ich hätte sogar nichts dagegen, dort einen längeren Aufenthalt zu absolvieren und Dita und Adam nachkommen zu lassen. Was Feuchtwangern inzwischen machen wird, hoffe ich, in Marseille von ihm selbst zu hören, wo wir am 15. einen Tag anlegen. Das Schiff heisst „Excalibur“ und braucht dreiundzwanzig Tage von Haifa nach New York. Und [hs.] vielleicht sehen wir uns dort?129 Irgendwas veranlasst mich zu dieser Frage. Herzlich von Haus zu Haus Ihr Arnold Zweig. 124 Ritualmord in Ungarn. Jüdische Tragödie, Drama von Arnold Zweig aus dem Jahr 1914. Max Reinhardt plante damals, es am Deutschen Theater Berlin aufzuführen, was der Erste Weltkrieg allerdings verhinderte. In den USA wurde es nicht gespielt. 125 Seinen Roman Der Streit um den Sergeanten Grischa hatte Zweig zunächst als Stück verfaßt (1921). Max Reinhardt brachte es als Gastspiel des Deutschen Theaters unter der Regie von Alexander Granowsky am Theater am Nollendorfplatz 1930 zur Uraufführung. In den USA wurde es nicht gespielt. 126 Gemeint ist eine Besprechung der Gesammelten Werke (vgl. Erpenbeck, 4.8.1938). Zweig hat sie jedoch nie geschrieben. 127 Die Regisseurin Shulamit Bat-Dori, geb. Gutgeld (1904–1985), ging bereits in den 1920er nach Palästina, lernte dann Anfang der 1930er Jahre bei Reinhardt und Piscator in Berlin und ging 1934 wieder nach Palästina (Kibbutz Mishmar ha-Emek). 128 Vgl. Anm. zu Zweig an Steffin, 24.4.1938. Die erwähnten Photos und Rezensionen sind nicht überliefert. 129 Tatsächlich traf Zweig unterwegs in Marseille mit Lion Feuchtwanger zusammen. Brecht allerdings,

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Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 211/4–5. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 379ff.

Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht New York, 27.3.1939

March 27th, 1939.

Mr. Bertolt Brecht Skovakostrand pr. Svendborg, Denmark. Dear Mr. Brecht, I take pleasure in informing you that the Guild has renewed your scholarship for a period of six months. You will be happy to know that the amount has been increased to Sixty Dollars ($ 60) per month with a view to furthering the progress of your work which the Guild is sponsoring.130 Beginning with April, a check for Sixty Dollars will be mailed to you monthly, and you may expect to receive it during the first week of each month. May we ask you to continue to keep us informed of the progress of your work and also of your personal situation? With all good wishes, Sincerely yours, Prinz Hubertus zu Löwenstein Guild Secretary. Überlieferung: Ts, hs.U., Bv.: American Guild For German Cultural Freedom, Inc. 20 Vesey Street New York, N.Y. Hon. Wilbur L. Cross, President; BBA 343/10–11.

Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht [New York] 27.3.1939 27. März 1939.

der im April 1939 mit seiner Familie nach Schweden übersiedelte, bekam er in New York nicht zu sehen. 130 Vgl. B. an Prinz zu Löwenstein, April 1939, GBA 29, S. 138f.; dazu die Anm. zu American Guild, 22.4.1938.

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Herrn Bert Brecht Skovsbostrand Svendborg Denmark. Lieber Herr Brecht, ich habe die herzliche Freude, Ihnen heute die beiliegende offizielle Mitteilung schicken zu können, dass die American Guild Ihr Stipendium für sechs Monate erneuert und zugleich auf sechzig Dollar monatlich erhöht hat. Ich hoffe, dass Ihnen dies in diesem Sommer die Möglichkeit geben wird, sich in Ruhe ganz Ihrer Arbeit zu widmen – soweit es in menschlicher Macht steht, dafür Sorge zu tragen. Ich lege Ihnen unser Rundschreiben bei, das Sie bittet, uns von Zeit zu Zeit wissen zu lassen, wie es Ihnen und Ihrer Arbeit geht. Mit den besten Grüssen und Wünschen Ihr Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

M. Gittermann an Bertolt Brecht Moskau, 29.3.1939

Moskau, den 29. März 1939.

Herrn Bertolt Brecht, Skovsbostrand per Svendborg/Dänemark. Sehr geehrter Herr Bertolt Brecht! Nach gründlicher Prüfung der Möglichkeit einer besseren Verbreitung der Zeitschrift „Das Wort“, besonders nach der Okkupation von Österreich und der Tschechoslowakei, und auch hinsichtlich der Absatzschwierigkeiten in einigen andern Ländern, sah sich der Verlag leider gezwungen, die Rentabilitätsfrage ernstlich zu stellen. Er ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, die Zeitschrift ab Nr. 4 mit der deutschen Ausgabe der „Internationalen Literatur“ zusammenzulegen.131 131 Tatsächlich bedeutete die hier angekündigte Zusammenlegung, daß das Erscheinen der Zeitschrift Das Wort mit sofortiger Wirkung eingestellt wurde; die ebenfalls bei Meshdunarodnaja Kniga verlegte Internationale Literatur erschien noch bis 1945 (vgl. dazu B. an Becher, Ende April 1939, GBA 29, S. 142f.). Einer der Gründe dafür war sicherlich die Verhaftung Michail Kolzows im Dezember 1938, die die weitere Herausgabe erheblich erschwerte. Im übrigen hatte man die Bildung einer anti-

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Selbstverständlich soll die „Internationale Literatur“ in entsprechender Weise umgestaltet werden. Es wurde der „Internationalen Literatur“ vorgeschlagen, nicht nur die Verbindung mit dem ständigen Mitarbeiterkreis des „Wort“ zu wahren, sondern diesen Kreis zu erweitern. Um die materielle Basis der „Internationalen Literatur“ zu verstärken, wird der bisherige Honorarfonds des „Worts“ der „Internationalen Literatur“ zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Manuskripte, die vom „Wort“ bereits zum Druck angenommen worden sind, werden der „Internationalen Literatur“ übergeben. Indem wir Ihnen für Ihre wertvolle Mitarbeit aufrichtig Dank sagen, hoffen wir, dass Sie zu den erforderlichen organisatorischen Massnahmen eine positive Stellung einnehmen und uns auch künftig durch Ihre wertvolle Mitarbeit unterstützen werden. Hochachtungsvoll MESHDUNARODNAJA KNIGA Direktor: Gittermann M. Gittermann P.S. Ein Schreiben gleichen Inhalts ging mit gleicher Post an Herrn Dr. Lion Feuchtwanger und Herrn Willi Bredel.132 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Всесоюзное Обединение Между­народная Книга Москва. Кузнецкий Мост 18 Телеграф. адрес: Бухкнига- Москва Контохорр. c-ет №. 37 1020 в иностранном отд. пр-ния Госванка CCCP, Heглинная, 12; BBA 911/92.

Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 31.3.1939 Moskau, 31. März 1939 Lieber Brecht! Wir wollen die I.L. in der nächsten Zeit ausbauen,133 auch soll die Frage der Honorare besser geregelt werden. Ich möchte Dich unter unseren ständigen Mitarbeitern aufführen und bitte Dich hiermit um Erlaubnis.134 Teile uns das bitte bald mit. faschistischen „Volksfront“, die mit der Zeitschrift unterstützt werden sollte, in Moskau inzwischen aufgegeben. 132 Ein Durchschlag dieses im Wortlaut identischen Schreibens ist dokumentiert im RGALI (631/13, 69/188). 133 Der hier angekündigte Ausbau der Zeitschrift bezieht sich auf die vom Verlag Meshdunarodnaja Kniga beschlossene „Zusammenlegung“ mit dem Wort. Tatsächlich blieb der Umfang der Internationalen Literatur vorerst bei 160 Seiten, ab Heft 10/1940 wurde er sogar auf 112 Seiten reduziert. 134 Vgl. B. an Becher, Ende April 1939, GBA 29, S. 141–143.

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Mit den besten Grüssen Dein Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/120.

Pierre Abraham135 an Bertolt Brecht Paris, 1.4.1939 103 Boulevard Malesherbes Paris (8) Le 1er avril 1939 Mon cher Bertolt Brecht Je vous remercie de votre lettre136, reçue hier à l’Encyclopédie, et de votre manuscrit de Galilée, reçu aujourd’hui chez moi, avec les deux nouvelles. (A ce propos, je vous signale qu’il est préférable de m’écrire chez moi, pour plusieurs raisons, en particulier parce que je ne vais pas chaque jour à l’Encyclopédie) Je vais lire aussitôt que possible votre Galilée et je m’en réjouis beaucoup, ainsi que vos nouvelles,137 que je vais tâcher de faire paraître dans une revue. Je vous envoie ci-joint quelques exemplaires de l’article que notre ami Jean-Richard Bloch138 a écrit sur la représentation du 15 mars. Elle a eu un très grand succès et votre nom a été acclamé. Je pense que vous en avez eu des échos par notre amie Maria Osten, qui y était. Le succès a été si grand qu’on me redemande de faire jouer Le Mouchard (der Spitzel) le 8 avril dans la Salle des Fêtes de Montreuil (une petite ville de la banlieue, à municipalité communiste) et le 15 avril dans la Salle Pleyel, la plus grande salle de Paris. J’espère que mes jeunes comédiens amateurs s’en tireront bien et qu’ils ne seront pas trop impressionnés par un public de 2.000 personnes. (Il y en avait 500 le 15 mars) Par ailleurs, nous répétons activement La Croix de Craie,139 Service du Travail (Arbeits-

135 Der französische Schriftsteller und Übersetzer Pierre Abraham, eigentl. Pierre Abraham Bloch (1892–1974), vormals als Ingenieur tätig und Fliegeroffizier im Ersten Weltkrieg, war Herausgeber der Bände 16 und 17 der Encyclopédie Française. Er übersetzte einige Gedichte Brechts (vgl. Abraham, 12./14.5.1939) sowie Furcht und Elend des III. Reiches ins Französische und brachte mit seiner Laientruppe Les Comédiens d’Anjou seit März 1939 auch einige Szenen in Paris und Umgebung zur Aufführung. 136 Nicht überliefert. 137 Offenbar hatte Brecht ihm zusammen mit dem Galilei auch Erzählungen geschickt, möglicherweise Der Mantel des Ketzers und Der verwundete Sokrates. Übersetzungen konnten nicht ermittelt werden. 138 Jean-Richard Bloch (1884–1947), französischer Schriftsteller, Bruder von Pierre Abraham. 139 Kreidekreuz.

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dienst), Le Libéré, La Justice,140 de façon à donner le plus tôt possible une soirée consacrée presque exclusivement à vos belles pièces. Je vais passer la semaine prochaine à la Société des Auteurs141 pour y deposer le texte de vos pièces, afin que vous et moi puissions toucher des droits d’auteur lorsque nous poussons donner des représentations publiques et payantes. Je vous dirai si l’on me demande un papier de vous avec une formule spéciale. Dès à présent, et pour avancer les choses à ce point de vue, voulez-vous être assez aimable pour m’envoyer une lettre spéciale me confiant les droits de faire représenter en langue française les 30 pièces en un acte groupées sous le titre: «Grand’peur et misère du Troisième Reich». Bien que je ne connaisse pas grand’chose à ces formalités administratives, je suppose qu’une telle lettre est nécessaire. Vous pourriez m’envoyer la même lettre pour «Galilée» si vous le jugez utile. Je suis navré que ma lettre de janvier ne vous soit pas parvenue. Je vous disais un certain nombre de choses sur la tradition des pièces, et surtout je suis désolé que nous soyons retardés de deux mois pour la publication du livre. Nous allons tâcher de rattraper le temps perdu… Merci pour votre notice biographique. Croyez-moi, cher Bertolt Brecht, bien affectueusement votre Pierre Abraham Überlieferung: Ms, Notiz von fremder Hand: „geschr. 5.IV.“; BBA 1396/80–81.

Fritz Erpenbeck (Red. „Das Wort“) an Bertolt Brecht Moskau, 1.4.1939 Moskau, den 1. April 39

E

Lieber Genosse Brecht, Sie werden mittlerweile den Brief unserer Verlagsdirektion erhalten haben, in dem diese Ihnen die Verschmelzung unserer Zeitschrift mit der „Internationale Literatur“ mitteilt. Dazu einige sachliche und persoenliche Bemerkungen. Ihren Beitrag ueber freie Rhythmen konnte ich noch in letzter Minute in Nr. 3 unterbringen, da an der betreffenden Stelle eine andere Arbeit ausfallen musste.142 Der Aufsatz wurde also nicht umsonst geschrieben.

140 Der Entlassene und Rechtsfindung. 141 Vgl. Anm. zu Dudow, 28.3.1938. 142 Der Aufsatz Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen (GBA 22, S. 357–364) erschien in Das Wort, Heft 3/1939.

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Andere wertvolle Arbeiten, die fuer Nr. 4 vorgesehen waren (wie die 1. Fortsetzung der Nexoe-Erinnerungen143 und der Eisler-Aufsatz144) werden den Autoren honoriert, sofern sich die „IL“ nicht entschliesst, sie zu uebernehmen, was ich jetzt noch nicht weiss. Sollten sich noch irgendwelche Fragen ergeben, dann erreichen Sie mich ja in der „IL“, in der ich kuenftig arbeiten werde. Abschliessend danke ich Ihnen auch persoenlich für alle Unterstuetzung meiner nicht immer leichten Arbeit, und ich hoffe, dass sie mit mir der gleichen Ansicht sind, dass unsere Zusammenarbeit, trotz gelegentlicher sachlicher Meinungsverschiedenheiten und kleiner Missverständnisse, unserer gemeinsamen grossen Sache nuetzlich war. In diesem Sinne gruesse ich Sie herzlich Ihr Erpenbeck Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Das Wort Literarische Montasschrift Redaktion: Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Willi Bredel, Moskau; Strastnoi Blvd. 11; BBA 1396/88.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 5.4.1939 [Hs.] B. Brecht

[Hs.] 5. April [193]9

Lieber Freund!

Anbei schicke ich Ihnen ein Buch, das ein grosses Ereignis im geistigen Leben unseres Landes ist. Dieses Buch ist gleichzeitig eine Geschichte des Aufbaus unseres Staates. Diese ernste theoretische Arbeit wird ohne Zweifel für jeden Schriftsteller von grossem Interesse sein. Ich glaube, dass auch Sie dieses Buch mit Interesse lesen werden und dass es Ihnen behilflich sein wird unser Land noch besser kennen zu lernen. Mit herzlichen Grüssen Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/7. 143 Vgl. Anm. zu L. (Red. Das Wort), 23.3.1939. 144 Hanns Eisler. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 21.1.1939.

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Erwin Piscator An Bertolt Brecht New York, 10.4.1939 New York, April 10, 1939. 37 East 64th Street, Hotel Alrae, Apt. 17 E. Lieber Brecht, heute Morgen – am 2. Ostertag – bekam ich den „Galilei“ – und eben habe ich ihn schon beendet. Ich bin wieder voll von Bewunderung für den immer klarer werdenden konstruktiven Bau – die geistig-philosophische Klarheit – den phantastischen Sprachausdruck, die Kraft, die Schönheit – bedingt aus Logik und Klang – die erfrischende Atmosphäre aus Optimismus – Glaube an Vernunft und Fortschritt (ohne Scheuklappendämlichkeit) – kurz ein richtiger Brecht!145 Noch weiss ich nicht, ob nicht gewisse Dinge – bei aller Beachtung der epischen Form – besonders im II. Akt mehr zu einer dramatischen Conclusion hätten geführt werden können – diese Möglichkeit würde, wenn sie bestände, hier in Amerika das Interesse verstärken. Die Anschauungen halte ich hier für sehr antiquiert – man verlangt eigentlich das gute, alte Drama – und man muss entgegenkommen (wie Galilei dem Pabst). Leider ist Eisler gestern nach Mexiko gefahren146 – und ich weiss nicht, was er mit dem Stück angefangen hat. Beide – Kortner und Eisler – sprachen sehr gut vom Stück – hielten es aber nicht für geeignet für den Broadway. Ich möchte nun von Dir wissen, ob Du jemand hier Deine Vertretung gegeben hast147 – ob das Stück übersetzt ist (wenigstens roh) – ob Du mir diese Übersetzung geben willst für Weitergabe an irgendwelche Interessenten oder ob ich eine Rohübersetzung machen lassen soll – und zunächst einmal die Meinungen gewisser Leute hier – wie meines Agenten Morris148 u.a. – einholen, um die ersten amerikanischen Ansichten festzustellen. Einen Brief, auf den ich nun seit Tagen sehnsüchtig warte, erhielt ich nicht – hoffentlich kommt er bald.149 Das Geld, von dem ich Dir schrieb, sollst Du bereits ratenweise erhalten

145 In einem undatierten Brief an Erwin Piscator teilte Margarete Steffin mit: „Was den GALILEI angeht: Brecht hat sich sehr gefreut über das, was Du dazu schriebst“ (ML/SIU). 146 Hanns Eisler hatte in den USA Schwierigkeiten wegen seines Visums bekommen und mußte infolgedessen vorübergehend nach Mexiko ausreisen. In Mexiko-Stadt nahm er von April bis August 1939 eine Lehrtätigkeit wahr. 147 Vgl. Anm. zu Reyher, 8.12.1938; dazu Reyher, 14.2.1939. 148 William Morris Jr. (1899–1989) leitete die von seinem Vater 1898 in New York gegründete Künstleragentur William Morris Agency (bis 1952). 149 „Brecht bittet Dich sehr“, so Steffin in dem oben zitierten Brief, „ihm sein schweigen nicht übelzunehmen und ihm bald wieder zu schreiben, vor allem, was Du arbeitest und was Deine nächsten pläne sind? Und wie es Dir geht.“

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– ich glaube durch die Organisation Löwensteins (Prinz)??150 – Neulich sprach ich einen Mann, Herrn v. Gontard151 – kennst Du ihn? – der sprach von einer Aufführung der 3 Groschenoper. Er ist ein Freund von Grosz – z.Z. in Hollywood. Er wollte in 14 Tagen wieder hierherkommen und weiter darüber sprechen. Eisler sagte, Du kommst jetzt nicht – sondern Du würdest nur nach Kopenhagen oder Stockholm fahren. Bitte – lass uns jetzt laufend korrespondieren. Viele herzliche Grüsse an Alle und Dich! Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 65f.

Viggo Flening an Bertolt Brecht und Ruth Berlau Svendborg, 12.4.1939 SVENDBORG, DEN 12. April 1939. MØLLERGADE 2 (VINHUSET) KONTORTID 9–5 Forfatteren Hr. B e r t . B r e c h t , Adrs. Fru B e r l a u , Kattesundet 14, København K. Vedrørende Laanesagen: Efter Aftale med Deres Hustru fremsender jeg hermed til Deres Underskrift: 1. Pantebrev til Fyens Kreditforening, 2. Fuldmagt for mig til at sœlge Kasseobligationerne, 3. Fuldmagt for mig til at sœlge Deres hervœrende Ejendom i Skovsbostrand. De bedes skrive Deres Navn paa det Sted paa Dokumenterne, hvor jeg har skrevet Nr. 1. Inden Underskrivningen bedes Datoen tilføjet. Jeg gør opmœrksom paa, at der ved Underskriften skal vœre to Vidner til Stede, og at disse Vidner skla anføre baade Navn, Stilling og Bopœl som angivet med Blyant. De oversendte Dokumenter 150 Das monatliche Stipendium, das Brecht von der Amerian Guild for German Cultural Freedom erhielt, war soeben verlängert worden. 151 Gert von Gontard (1906–1979), mit George Grosz befreundeter Schriftsteller und Regisseur. Seit 1936 Assistent von Max Reinhardt in Hollywood, gründete später die deutschsprachige Bühne Players from Abroad in New York.

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bedes uopholdelig efter Underskriften tilbagesendt til mig, idet jeg da kan naa at have Dokumenterne her Fredag Morgen, og Deres Hustru vil saa henvende sig her paa Fredag for at underskrive for sit Vedkommende. Med megen Agtelse V. Flening + 3 Bilag. + 1 frankeret Svarkuvert. SVENDBORG, DEN 12. April 1939. MØLLERGADE 2 (WEINHAUS) GESCHÄFTSZEIT 9–5 Schriftsteller Hr. B e r t . B r e c h t , Adrs. Frau B e r l a u , Kattesundet 14, Kopenhagen Zentrum Den Rechtsfall des Darlehens betreffend: Nach Absprache mit Ihrer Gattin übersende ich hiermit zu Ihrer Unterschrift: 1. Hypothekenbrief für Fünens Kreditgenossenschaft, 2. Vollmacht für mich für den Verkauf der Pfandbriefe, 3. Vollmacht für mich für den Verkauf ihres hiesiges Eigentums in Skovsbostrand. Bitte schreiben Sie Ihren Namen an die Stelle auf die Dokumente, wo ich Nr. 1 geschrieben habe. Vor der Unterschrift fügen Sie bitte das Datum hinzu. Ich mache darauf aufmerksam, dass bei der Unterzeichnung zwei Zeugen zugegen sein müssen, und dass diese Zeugen Namen, Beruf und Wohnsitz wie angegeben mit Bleistift anführen müssen. Die übersandten Dokumente möchten bitte unverzüglich nach der Unterschrift an mich zurückgesandt werden, da ich sie dann Freitag Morgen hier haben könnte, und Ihre Frau wird sich dann Freitag hier vorstellig machen, um ihrerseits zu unterschreiben. In großer Achtung V. Flening + 3 Anlagen. + 1 Freiumschlag. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Viggo Flening, Overretssagfører (Sagforer Lacoppidan-Petersens Eftf.), Telefon Nr. 101 00 193, Postkonto Nr. 595; BBA 1386/64.

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Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 18.4.1939 Paris XVe 10, rue Dombasle 18. April 1939. Liebe Grete, Sie sollen vor Ihrer Abreise doch noch einen Brief nach Skovsbostrand von mir bekommen. Nur ist es diesmal kein kalligraphischer. Ich liege auf der Nase und habe sie voll; bin kaum imstande, einen Federhalter anzurühren. Die Nachricht Ihres letzten Briefes152 veredelt meine bärbeissige Verfassung und lädt mich zu melancholischen Träumereien ein. Die Schachpartien im Garten sind nun auch dahin. Lassen Sie mich doch recht bald ausführlich hören, wie alles sich abwickelt, was aus den Kindern wird und wohin Brechts Pläne gehen. Wie hat Heli es aufgenommen? Grüssen Sie sie besonders herzlich von mir. Also auch „Das Wort“ verschwindet von der Bildfläche.153 – Sie müssen wissen, dass ich das Manuskript des Brecht-Kommentars154 n u r an Sie geschickt habe; ich wollte nicht, dass es eher an die Redaktion kommt, als Brecht es durchgesehen hat. Infolgedessen kann ich an Erpenbeck garnicht schreiben. Der Auftrag ist erteilt worden und das Manuskript müsste natürlich unbedingt honoriert werden. Aber von einem von m i r gezeichneten Brief an Erpenbecker kann ich mir nichts versprechen. Ich bitte Sie darum, das Ihre zu versuchen, um die Dinge durch Brecht in Ordnung zu bringen. In Ihrem Brief habe ich eine, sei es auch beiläufige Nachricht über die Aufnahme der Kommentare durch Brecht vermisst. Sollte hier gelten: Keine Nachricht ist auch eine Nachricht? Über den „Galilei“ schreibe ich Ihnen sowie ich weiss, wohin ich einen ausführlichen Brief an Sie ohne Risiko richten kann. Ein Tabakpäckchen ist nun doch wieder eingetroffen, obwohl es verschnürt war. Ich glaube nun endlich die Sache herauszuhaben: was die Leute interessiert, sind verschnürte Päckchen; den länglichen Kouverts, die als Warenproben nur mit einer Klammer verschlossen waren, ist niemals was passiert. Versuchen wir es also doch noch ein Weilchen mit die152 Nicht überliefert. Margarete Steffin hatte Benjamin offenbar von den Plänen der Brecht-Familie berichtet, Dänemark bald zu verlassen, „der Kriegsgefahr wegen“, wie Brecht in seinem Journal notierte (GBA 26, S. 337). In einem Brief an den schwedischen Schriftsteller Henry Peter Matthis vom 11.4.1939 schrieb er, es sei „in diesem Jahr jede Woche ohne Weltkrieg für die Menschheit ein bloßer unbegreiflicher Glückstreffer“ (GBA 29, S. 137). Am 22.4.1939 reisten Brecht und Weigel mit dem Schiff nach Schweden. Bis April 1940 lebten sie auf der Insel Lidingö in der Nähe von Stockholm. 153 Vgl. Gittermann, 29.3.1939. 154 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 20.3.1939.

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sen letztern. Die Zeiten sind danach angetan, das Bedürf­nis in einem wachzuhalten, sich hinter Tabakgewölk zurückzuziehen. Ich bin sehr froh, dass es mit Ihrem Gehör so viel besser steht. Gesundheitlich werden Sie die Abreise von Fünen wohl nicht sehr zu bedauern haben. Recht herzliche Grüsse Überlieferung: TsD, BBA 2169/13–14. – E: Benjamin, Briefe, Bd. VI, S. 267f.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 19.4.1939 Lieber Brecht, Ich danke Ihnen für den Brief 155 und das Manuskript. Bin leider bis jetzt gar nicht richtig dazu gekommen das Stück zulesen. Wie Sie sich noch erinnern können, waren meine Papiere nicht in Ordnung. Eines Tages klopfte die Polizei an meine Tür und verlangte die Ausweisspapiere. Natürlich waren die verfallen und zwar schon seit ein und halb Jahr. Was das in der jetzigen Zeit bedeutet, können Sie sich ja denken. Man hat mich Tags darauf vorgeladen und als ich zur Préfecture kam, hat man mich dabehalten. Ich sollte sofort ausgewiesen werden. Gute Beziehungen mit französischen Persönlichkeiten haben die baldige Freilassung bewirkt und die Ausweisung wurde unterlassen. Nun muss ich rennen jetzt das versäumte nachzuholen, das hat man mir sehr nahegelegt. So wie ich die Sache in Ordnung gebracht habe, werde ich das Manuskript lesen und auch auf Ihren Brief ausführlich antworten. Jetzt aber eine andere, für Sie sehr wichtige Angelegenheit. Von einer zuverlässigen Seite hörte ich, daß bei dem Verkauf von HAPPY END einige Schiebungen gemacht worden sind. Ich bin der Sache nachgegangen und habe zu meiner Überraschung festgestellt, daß Aufricht, gelinde ausgedrückt, daran beteiligt war.156 Er soll bei den verschiedenen Verkaufstransaktionen, die inzwischen stattgefunden haben, bis jetzt ca. 90,000 ffcs. verdient haben. Er würde zu weit führen hier die Einzelheiten zu erzählen. Weiter hat man mir erzählt, man habe nicht nur ein paar Scenen aus dem Stück verwendet, sondern fast die ganze Idee, nur eben für die Industrie zurechtgemacht. Der Direktor der Geselschaft, der zuletzt die Rechte erworben hat und den Film drehen wird, wollte Sie nach Paris haben um mit Ihnen das Manuskript zu besprechen. Als der Aufricht gesagt hat, das würde nicht gehen, weil Sie kein Geld haben, hat sich die Geselschaft bereit erklärt Ihnen Reise und Aufenthalt bezahlen. Aufricht hat dann auch 155 Nicht überliefert. Bei dem erwähnten Stück handelt es sich vermutlich um den Galilei. 156 Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939.

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das verhindert, weil er, wie sich jetzt herausstellt, die Aufdeckung seiner Schiebung zu befürchten hatte. Nun bin ich eiligst zur Herrn Domke gegangen und habe ihm alles mitgeteilt. Er war ganz empört und will die Sache in die Hand nehmen. Dabei fiehl mir auf, daß Domke z u e i f r i g an die Arbeit ging und er plötzlich die Angelegenheit in ein Geheimnis hüllte. Das hat mir wenig gefallen und ich sagte ihm, er könne auf meiner weitere Unterstützung nicht mehr rechnen, denn ich habe die Tatsache von Leuten die sehr viel zu riskieren haben und sein Verhalten sei für mich wenig befriedigend. Hoffe trotzdem, dass Ihnen die angeführten Tatsachen und die die ich an Herrn Domke mitgeteilt habe, auf jeden Fall nützlich sind. Natürlich will ich Ihnen weiter behilflich sein, und Sie können auf jede Unterstützung meinerseits rechnen, nur fürchte ich, wir müssen es persöhnlich machen und das dauert leider durch den umständlichen Briefverkehr zu lange. Paris den 19.4.39

Herzlichste Grüsse Ihr

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2590/1–2.

Gerda Goedhardt157 an Margarete Steffin und Bertolt Brecht Hollywood, 24.4.1939 Hollywood, 24. IV. 39. Liebste Grtet [sic], lieber Brecht, ich habe nun Ferdinand Reyher kennengelernt und ich glaube, dass Ihr keinen besseren Vertreter für Eure Angelegenheiten finden konntet – denn er versucht alle Wege, (um Euch schnell herüberzubringen) hat die besten Verbindungen, und vor allem scheint er das Stück „Furcht und Elend“ so umzuarbeiten, dass es alle Chancen hat, ein „hit“ am Broadway zu werden.158 Die Szene, die er mir vorgelesen hat, ist so amerikanisch der Plan zu dem Stück so ausgearbeitet, dass auch der sentimentalste Zuschauer zuhört und gepackt wird. Ich habe erst Brecht’s deutsche Fassung gelesen, es ist ein Jammer, dass man es nicht sofort, wie es ist, aufführen kann, es ist das beste, über das Thema, das je geschrieben wurde – jede Gruppe von Menschen im heutigen Deutschland wird deutlich und gerade, wenn man genug interessiert ist, und sich den Rest allein denken kann, stoppt er auch schon. Niemand kann sich beklagen, über zu viel Realität157 Gerda Goedhardt, auch: Goedhart, geb. Singer (?–1994), Photographin. Brecht hatte sie 1936 in London kennengelernt. 158 Vgl. Anm. zu Reyher, 8.12.1938.

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R. hat beinahe das ganze Stück fertig vorgearbeitet, er glaubt, in 3 Wochen ganz fertig zu sein. Er will versuchen, es für den Herbst anzubringen. Er will, wenn es angenommen ist, die Anwesenheit Brechts anfordern (die Verträge daraufhin vorbereiten) und glaubt, dass das der schnellste Weg ist, eine Vorzugsquotanummer zu bekommen. Darum arbeitet er so intensiv daran, tritt jetzt schon mit New Yorker Leuten in Verbindung, weil er nicht nur an den Erfolg, sondern auch an die Möglichkeit, das Einwanderungsvisum zu beschleunigen, glaubt. R. hat mit verschiedenen Organisationen korrespondiert, und bisher von der „League of American Writer[s]“ 381 4th Ave New York N.Y. eine Antwort bekommen, unterzeichnet von Franklin Folsom159, in dem er mitteilt, dass er Euch vor einiger Zeit einen Brief schrieb, in dem er Brecht für den American Writer’s Congress einlud, zu gleicher Zeit schrieb er an den amerikanischen Konsul, in Kopenhagen, Euch mit einem Besuchervisum auszustatten, damit Brecht zu dem Kongress kommen könnte. Er, und auch Reyher, lassen Euch das sagen, (ich sage es schon lange) Besuchsvisum (und zwar für die ganze Familie) ist das beste. Das kann man für 6 oder 12 Monate verlängern lassen, in der Zwischenzeit, w e n n e r e r s t m a l h i e r i s t , wird es genug Möglichkeiten geben, ihm ein job zu finden, das nur er ausfüllen kann. (die größte Chance ist die Aufführung von Furcht und Elend) dann braucht er nur 2 Tage nach Mexico oder Canada, um Einwanderungsvisum zu bekommen. Ich schreibe dies im Auftrag von Ferdinand Reyher, nicht etwa nur in meinem Leichtsinn. Folsom, bzw. die league, sollte sofort eine Antwort bekommen, am besten mit der Ausrede, dass Ihr erst jetzt durch Reyher gehört habt, dass sie einen Brief an Euch geschrieben haben, er sei wohl verloren gegangen. Schreibt ihnen auch von den Möglichkeiten, die Euch von andrer Seite geraten wurden, um schnellstens herüberzukommen. Denn die League ist dankbar für jede Anregung und würde sie am besten durchführen können – antwortet man ihnen aber nicht, sind sie verärgert – Wisst Ihr, je länger man es anstehen lässt, desto schwieriger und langsamer ist es durchzuführen, ich habe ein bißchen das Gefühl, als ob uns hier mehr daran liegt, dass Ihr nach Amerika kommt, als Euch. Die Anfragen in meinem letzten Brief 160 sind noch unbeantwortet geblieben: habt ihr schon affidavits, Quotanummer, wieviel Geld braucht Ihr? Denn falls Ihr die Quotanummer habt, geht das mit dem Besuchsvisum nicht mehr. Aber man muß es hier [...] Bitte antwortet umgehend wegen dieser 3 Sachen. Herzlichst Gerda. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 654/121–122.

159 Generalsekretär der League of American Writers (vgl. Anm. zu Löwenstein, 5.1.1939). Der erwähnte Brief ist nicht überliefert. 160 Nicht überliefert.

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Kurt Reiss161 an Bertolt Brecht und Ruth Berlau Basel, 28.4.1939 Herrn Bert Brecht, Svendborg Skovsbostrand Dänemark

[Hs.: Jo Fru Ruth Berlau Kattesundet 14 Kobenhavn K]

Sehr geehrter Herr Brecht, Wir übersandten Ihnen am 15. März a.c. unseren Verlagsvertrags-Vorschlag und sind bis jetzt Ihrerseits ohne Rückäusserung geblieben. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns bald den unterzeichneten Vertrag übersenden könnten, damit wir die Arbeit für Ihre Werke aufnehmen können. Mit den besten Empfehlungen KURT REISS VERLAG Kurt Reiss Basel, den 28. April 1939 R/j Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Kurt Reiss Basel – Steinengraben 51 – Tel. 20 900; BBA 911/59–60.

Knud Rasmussen an Bertolt Brecht Odense, 3.5.1939 odense, skibhusvej 147. 3. mai 1939. lieber herr brecht, heute hat mir grete geschrieben, sie bat mich Ihnen zwei exemplaren von GALILEI (dänische Übersetzung)162 und die erzählungen163 zu schicken. hier sind die erzählungen. von GALILEI habe ich jetzt nur ein exemplar, weil ich nicht ganz fertig mit dem reinschreiben 161 Der Verleger Kurt Reiss (1901–1974), seit 1935 im Exil in der Schweiz, erbot sich, Brechts Theaterstücke zu vertreiben. Ein Vertrag wurde bald unterzeichnet (vgl. Reiss, 31.8.1939). Der hier erwähnte Brief vom 15.3.1939 ist nicht überliefert. 162 Vgl. Anm. zu Rasmussen an Steffin, Februar 1939. 163 Vermutlich Der Mantel des Ketzers und Der verwundete Sokrates (vgl. Rasmussen an Steffin, 5.2.1939, und Februar 1939).

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bin. es dauert doch nicht lang. aber wenn es sehr notwendig ist, werde ich direktor rungwald164 von odense theater, der die übersetzung bekommen hat, fragen, ob ich sie wieder bekommen kann. vielleicht werden Sie mir schreiben, wenn Sie nicht lang warten können? von den erzählungen habe ich auch nicht viele exemplaren, weil ich ja alle weggeschicken habe, leider aber nichts von den zeitungen gehört. ich hoffe, dass es jetzt leichter gehen wird, einige zu verkaufen, wenn Sie nicht mehr in dänemark wohnen. in den nächsten tagen werde ich alle meine übersetzungen wieder mal abschreiben und Ihnen schicken in so vielen exemplaren, dass Sie für die nächste zeit genug haben. können Sie was in schweden verkaufen? das wäre doch schön. ich verspreche Ihnen GALILEI so schnell wie möglich zu schicken, ich arbeite damit aus allen kräften. mit übersetzungen von 9 KURZGESCHICHTEN, die mir die weigel geliehen hat, arbeite ich auch nun, während ich auf CAESAR warte. FURCHT UND ELEND wird von einem bekannten wieder abgeschrieben, und davon bekommen Sie also auch exemplaren. ruth schreibt mir, dass SVENDBORGERGEDICHTE bald herausgegeben wird, und ich habe, wie ich Ihnen schon gesagt habe, KRIEGSFIBEL165 (übersetzung) an einen graphiker geschickt. er ist schon bei der arbeit. wenn er einige zeichnungen fertig hat, werde ich Ihnen sie einmal zeigen. wie geht es Ihnen in schweden? ich möchte wirklich einmal gern was von Ihnen darüber hören. wie wohnen Sie, können Sie arbeiten? wenn Sie was neues schreiben, möchte ich es gern haben. mir fehlt sehr die autofahrten nach svendborg. seit lang habe ich gar keine automissfälle gehabt, was ich jetzt sehr bedürfen muss. bitte grüssen die weigel von mir. ich hoffe, dass sie in sweden mehre zeit als in svendborg hat. hoffentlich haben Sie es auch ruhiger dort? für noch ein halbes jahr, jedenfalls, habe ich ja genug zu tun, habe aber, wie gesagt, doch sehr gern neue sachen zu übersetzen. sobald GALILEI ist ganz fertig, habe ich die neun erzählungen, die ich alle auf einmal übersetzen werde und grete schicken. sie sind ganz leicht, hoffentlich auch leicht zu verkaufen. für den sommer habe ich so CAESAR, der mich auch nicht schwer fällt, meine ich, wenn ich nur zeit habe. zeit fehlt mir immer, weil ich ja nur abends arbeiten kann der zeitung wegen. ich habe, glaube ich, nichts mehr mitzuteilen, und Sie werden ja auch bald wieder was von mir hören. die herzlichsten grüsse für Sie und die weigel, und lass mich einmal was von Ihnen hören, wenn Sie zeit haben. 164 Helge Rungwald (1906–1960), dänischer Schauspieler und Regisseur, seit 1936 Leiter des Odense Teater. 165 Die Rede ist offenbar von der bereits im Wort (Heft 4–5/1937) gedruckten Deutschen Kriegsfibel, die später in die Svendborger Gedichte aufgenommen wurde (GBA 12, S. 9–15). Mit der Arbeit an dem Photo-Text-Buch Kriegsfibel (Berlin 1955, jetzt GBA 12, S. 127–284) hat Brecht erst im Frühjahr 1940 begonnen. Die erwähnten Zeichnungen waren vermutlich für eine Veröffentlichung in dänischen Zeitungen gedacht. Vgl. B. an Martner (d.i. Rasmussen), Mai 1939, GBA 29, S. 144f.

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Ihr knud rasmussen (Crassus) Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 911/26–27.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin und Bertolt Brecht London, 3.5.1939 London, den 3. Mai.1939 Frau Grete Steffin, Pension Westergard, Amagerbrogade 29/1 Liebe Grete, lieber Brecht, endlich höre ich von Euch. Der „Galilei“ ist nie angekommen. Der Satz des Bandes III166 in Prag ist natürlich verloren, ich Esel habe noch kurz zuvor £ 50.- für die Fertigstellung geschickt. Den Vorschlag der Sonderausgabe167 akzeptiere ich begeistert. Firmeneindruck etc. bitte genau wie in der Gesamtausgabe, beziehungsweise wie in den Sonderdrucken „Dreigroschenoper“ und „Carrar“, das heisst mit Hinweis auf den Band III. Den möchte ich in New York, wo wir Ende Mai ankommen, als erstes Buch starten. Post hier erreicht mich bis 18.V. unter der Adresse: c./o. Stephen Bone, 140 Haverstock Hill, London N.W.3. Nach dem 18. Post bitte adressieren: c./o. Dr. Ernst Bloch 515 West, 236th Street, New York. Dass Ihr umzieht finde ich gut, ich hoffte Euch schon in New York vorzufinden. Bitte hebt die Korrekturen des prager Satzes gut auf, man wird sie als Vorlage für den 3. Band brauchen, auch hoffe ich, dass es Euch möglich sein wird, die Sonderausgabe der „Svendborger Gedichte“ in Format, Type etc. ähnlich wie bereits gesetzt herzustellen. Ueber die Zahl der Exemplare, die Ihr mir zur Verfügung stellt und über das Finanzielle das damit zusammenhängt, werde ich mich mit Euch von New York aus verständigen, vergesst nicht mir die Adresse in Schweden zu schicken. Herzliche Grüsse Überlieferung: Ts, BBA Z 36/51. 166 Das ist der sogenannte Prager Satz, der im Januar in Prag vernichtet worden war (vgl. Anm. in GBA 12, S. 352–354). Der geplante Band 3 der Gesammelten Werke sollte die Gedichte enthalten (vgl. auch Anm. zu Herzfelde, 23.9.1938). 167 Die Rede ist von den Svendborger Gedichten. Vgl. B. an Herzfelde, April 1939, GBA 29, S. 137f.; dazu Anm. zu Herzfelde, 8.5.1939.

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Albert Einstein an Bertolt Brecht [Princeton] 4.5.1939 Sehr geehrter Herr Brecht: Sie haben mir mit Ihrem „Galilei“ eine grosse Freude gemacht.168 Nicht nur scheinen Sie mir die Persönlichkeit Galilei’s tief erfasst zu haben, sondern auch die Bedeutung seiner Erscheinung in der Entwicklung der Geistesgeschichte und damit in der Geschichte überhaupt. Auch gibt ihre Darstellung einen tiefen Einblick in die Problemstellungen, wie sie Galilei vorlagen und in die Einstellung der vorgalileischen Wissenschaft zur Erfahrung. Sie haben es verstanden, einen dramatischen Rahmen zu schaffen, der ungemein fesselnd ist und uns auch durch die starken Beziehungen zu den politischen Problemen der Gegenwart besonders interessieren muss. Hoffentlich werden es auch die verbildeten Zeitgenossen zu schätzen wissen, was Sie da Vortreffliches hingestellt haben. Freundlich grüßt Sie Ihr Albert Einstein Überlieferung: Ms, Albert-Einstein-Archiv der Jewish National and University Library Jerusalem. – E: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.9.2004.

Hermann Budzislawski an Bertolt Brecht [Paris] 6.5.1939

6. Mai 1939

Lieber Brecht! Ihre Sekretärin169 erinnert mich daran, dass vor einiger Zeit ein kleines Manuskript von Ihnen hier eintraf, und sie teilt mir mit, dass dieses Manuskript nun anderweitig verwandt werden wird. Das kleine Stück war nicht sehr aktuell, und ich hatte es mir zurückgelegt, um es gele­gentlich zu veröffentlichen. Inzwischen wurde die Zeit immer aufgereg­ter, und so ist es liegen geblieben. Ich bitte Sie sehr das zu entschuldi­gen. Sie wissen, wie viel mir daran liegt, Beiträge von Ihnen veröffentli­chen zu dürfen, und ich bitte Sie recht sehr, doch etwas häufiger an der Weltbühne mitzuarbeiten. Nachdem das ‚Wort‘ eingeht, fällt doch diese Publikationsstelle, die immer einen gewissen Vorrang hatte, fort.

168 Brecht hatte Abzüge der ersten Fassung des Galilei im März 1939 an zahlreiche Personen, darunter auch Albert Einstein, verschickt. 169 Vermutlich Margarete Steffin. Ein entsprechender Brief ist nicht überliefert.

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Kürzlich hat mir Aufricht hier in Paris einige Sonette170 von Ihnen und Ihr Stück Caligula171 zur Lektüre gegeben. Ich hatte ihn gebeten, bei Ihnen an­zufragen, ob ich etwas davon publizieren dürfte. Leider habe ich noch keine Antwort erhalten. Darf ich also? Ich bin mit besten Grüssen Ihr Überlieferung: Ts, Privatarchiv Eckert.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin und Bertolt Brecht London, 8.5.1939 London, den 8. Mai 1939 Frau Gr[e]te Steffin, Kopenhagen S., Amagerbrogade Pension Westergaard Liebe Grete Schnell präzise Antwort auf Deine Fragen: 1.) ich habe natürlich lebhaftes Interesse daran, die für den Buchhandel bestimmten Exemplare des Bändchen[s]172 zu bekommen, soweit nicht Ihr selbst die betreffenden Buchhandlungen damit versorgen werdet. Wieviel Exemplare ich möchte, hängt von folgenden Fragen ab: a.) Wie gross ist der Umfang des Buches und wie sieht es aus. Ich würde sehr gerne Korrekturen und dergleichen vielleicht, wenn ich sie sofort zurückschicke, wärs dann recht gut. 170 Nicht ermittelt. In der Neuen Weltbühne, die Budzislawski noch bis August 1939 herausgab, erschienen bald darauf die Gedichte Zufluchtsstätte, An die Nachgeborenen (beide 15.6.1939, jetzt GBA 12, S. 83 u. 85f.) und Wie künftige Zeiten unsere Schriftsteller beurteilen werden (6.7.1939, jetzt GBA 14, S. 433f.). 171 Möglicherweise verwechselte Budzislawski hier Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar mit dem Stück Caligula von Albert Camus, das 1939 fertiggestellt, wenngleich erst 1944 bei Gallimard veröffentlicht wurde. Ob er damals die ersten drei Bücher des Caesar zu lesen bekam, die Brecht im Oktober 1938 bei einem Wettbewerb der American Guild for German Cultural Freedom eingereicht hatte, bleibt fraglich. Die Entwürfe zu einem gleichnamigen Stück, mit dem Brecht im Herbst 1937 begonnen hatte, ehe er sich entschloß, den Stoff zu einem Roman zu verarbeiten, hat Budzislawski sicherlich nicht gekannt. 172 Das sind die Svendborger Gedichte, die dank der Initiative Ruth Berlaus im Juni 1939 in Kopenhagen erscheinen konnten (wenngleich als Erscheinungsort, da es sich um eine Publikation des MalikVerlags handelte, London angegeben wurde). Nachdem der Prager Satz für den geplanten Band 3 der Gesammelten Werke vernichtet worden war, erstellte Berlau aus dem geretteten Umbruchexemplar der ebenfalls geplanten Sonderausgabe einen Kopenhagener Satz. Den Druck des daraus entstandenen Gedichtbands finanzierte sie weitgehend selbst (vgl. Anm. in GBA 12, S. 352–354).

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b.) Was kostet der Band? Ich würde den Preis, falls ich kein Honorar für die Bände die Brecht mir liefert, zu zahlen dreifach ansetzen, das heisst, wenn ich Brecht zum Beispiel pro Exemplar einen halben Schilling zahle, wäre der Buchhandelspreis 1 sh. 6d.173 Falls Brecht 10% Honorar will, wäre der Preis das dreieinhalbfache, also bei obiger Voraussetzung 1 sh. 9d. Bei der Preisfestsetzung unbedingt beachten müsst Ihr den Umstand, dass das Porto beim Versand ins Ausland eine ziemliche Rolle spielt und von den Buchhändlern meistens nicht bezahlt wird, sondern vom Absender. c.) Abgesehen von Aussehen und Preis wird die Zahl der Exempl., die ich gebrauchen kann natürlich auch davon abhängen, wie ich sie verkaufen kann, ohne mit Euren Verkaufsangeboten zusammenzustossen. Am sympatischsten wäre mir natürlich die Lösung, derzufolge Brecht überhaupt keine Exemplare verkauft, sondern nur soviel Exemplare behält wie er für seine privaten Zwecke und zur Versorgung von Veranstaltern, Schauspielern etc. braucht. In diesem Fall würde ich eine grössere Menge, je nach Aussehen und Preis etwa 4 - 900 Stück kaufen wollen. Dann liegt das Risiko, dass alles verkauft und bezahlt wird, allerdings ganz bei mir. Infolgedessen müsste ich den Verkaufspreis anders kalkulieren, nämlich das 4-fache von meinem Einkaufspreis, falls ich kein Honorar an Brecht zahle, das 4 1/2fache bei 10% Honorar. 2.) Klarheit hätte ich auch gerne in Bezug auf die Propaganda. Es scheint mir wichtig, dass wir da Hand in Hand arbeiten, damit nicht Unterlassungen erfolgen, weil einer denkt, das Notwendige tue der Andre, und damit nicht Doppelleistungen erfolgen, weil einer nicht weiss, was der andre tut. Es ist natürlich ratsam Beleg- und Rezensionsexemplare gleich vom Druckort aus zu verschicken. Mein Vorschlag ist daher: Ich sende Euch die Adressen, an die meines Erachtens Freiexempl[a]re gehen müssen und füge die üblichen Verlagskarten für die Empfänger hinzu. Selbstverständlich entscheidet Brecht ob alle auf der Liste das Bändchen bekommen, das hängt ja von der Anzahl der zur Verfügung stehenden Exemplare ab. Ich nehme an, dass diese Exemplare von mir nicht bezahlt werden müssen, hingegen das Porto für den Versand zu meinen Lasten geht. 3.) Ich füge einen Entwurf für die Titelseiten bei und bemerke dazu: Für Anordnung, Typografie usw. sind die Bändchen „Carrar“ und „Dreigroschenoper“ die beste Vorlage.174 Die Seitenziffern 1-6 sind natürlich nicht zu setzen, ich schrieb sie in Klammern in den Entwurf, damit die Reihenfolge der Seiten klar bleibt. Schöner ist es, wenn davor noch ein freies weisses Blatt kommt und wenn möglich auch noch eins zwischen Ende des Inhalts

173 Notiz von fremder Hand: „Svendborger Gedichte?“ 174 Der Erstdruck der Gewehre der Frau Carrar im Malik-Verlag (Dezember 1937) und das im Oktober 1928 im Verlag FBE in Berlin erschienene Bühnenmanuskript Die Dreigroschenoper (The Beggar’s Opera).

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und Textbeginn. Es hängt davon ab wie der Text am Ende des Bandes ausgeht175 ob man solch ein bis 2 freie Blätter vorne einbringen kann. Auf Seite 4 habe ich an den Rand geschrieben: Vordruck aus Band III usw. Diese Bemerkung sähe ich gerne, falls es Brecht recht ist. Sie muss nicht sein. Dagegen ist von grösster Wichtigkeit, dass auf Seite 4 „Printed in Denmark“ und auf der letzten Buchseite „Imprimé on [sic] Danemark“ steht. Ohne diese beiden Vermerke wird nämlich die Einfuhr in die angelsächsischen und französischen Gebiete unmöglich. 4.) Natürlich soll man den „Galilei“ ankündigen,176 ebenso die bisherigen Bände und Sonderausgaben. Als Manuskript dafür können ja die Anzeigen auf den letzten Seiten der Bände I und II dienen. Ich bin neugierig wie der Druck ausfällt, vielleicht kann ich bei diesem Drucker weiter drucken, wie es mit Druckpreisen bezw. Kredit in Amerika aussieht, ahne ich noch nicht. Und es wäre doch grossartig, wenn wir mit einigem Tempo den „Galilei“ sowie den Band III herausbringen könnten. Falls der Drucker keinen Satz stehen lassen kann, erscheint das allerdings unmöglich. Gar zu überstürzt lassen sich die Dinge nicht machen, wenn die Qualität nicht zu schlecht werden soll. 5.) Achtet darauf, dass die Pappe des Umschlags möglichst weich und biegsam ist, verwendet man bei einem Band nämlich harte oder zu starke Pappe, so öffnet sich das Bändchen nicht, bezw. der Buchblock springt aus der Pappe heraus, wenn man ihn gewaltsam öffnet. Und so weit es geht versucht doch bitte den Umschlag ähnlich dem der „Dreigroschenoper“ auszuwählen und drucken zu lassen. 6.) Wir haben Einwanderungsvisum, John177 ist hier, will auch hinüber, weiss aber noch nicht wann er Visum bekommt. Unsre New Yorker Adresse schreiben wir noch vor der Abfahrt. Am Verlagssitz ändert sich vorläufig nichts, natürlich hoffe ich, in absehbarer Zeit firmieren zu können Malik-Verlag, London – New York. 7.) Mein Preisvorschlag: Für je 15 Seiten etwa 5 bis 6d. Verkaufspreis. Billig ist natürlich gut, nur darf es nicht so billig sein, dass das Porto verhältnismässig zu teuer wird und dass der Buchhandel, weil er nichts dran verdienen kann, sich um das Büchlein überhaupt nicht kümmert. Lasst mich bitte schnell wissen, wie der Preis sein wird, damit ich noch von hier aus meinen Auslieferungsstellen von Palästina bis Südamerika Offerte machen kann. 8.) Ich glaube, ich könnte einen grösseren Auftrag für den Osten bekommen, lasst mich daher Umfang und Preis schnell wissen und sendet Inhaltsverzeichnis. Da muss ich natürlich billig sein, etwa 1 d für je 10 Seiten. Copie geht gleichzeitig an Brecht, damit Maximum an Zeit gewonnen wird. Herzlichst Euer Wieland

175 Hs. Notiz von Herzfelde: „1 Papierbogen = 16, 32 oder 64 S.“ 176 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 30.1.1939. 177 John Heartfield.

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[Hs.] Lieber Brecht – verzeih den schlechten Durchschlag, nochmals abzuschreiben fehlt’s mir an Zeit. Bin glücklich, daß wieder was erscheint. Herzlichst Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 911/88–91.

Pierre Abraham an Bertolt Brecht Paris, 12./14.5.1939 103 Boulevard Malesherbes (8) Le 12/5/39

Mon cher Bertolt Brecht, Je viens de téléphoner à Denoël, qui me dit qu’il reçoit á l’instant votre accord, et qu’il va vous écrire lundi prochain pour vous dire que tout est en règle. De ce côté, donc, tout va bien. L’imprimerie travaille pour nous en ce moment et l’on me promet les épreuves pour la semaine prochaines. J’espère que le livre sortira dès le début du mois de juin (mettons vers le 15 ou le 20, avec les retards normaux de fabrication) D’autre part, dans son numéro du 15 mai, la revue Europe publie La Croix de craie, Délation et Les Maximes.178 Dans son numéro du 1er juin, la Nouvelle Revue Française publie les deux poèmes de préface, la Robe neuve, Le Libéré, L’heure de l’ouvrier et On apprend à la caserne le bombardement d’Almeria.179 J’ai envoyé quelques pièces aux Cahiers du Sud de Marseille. Je n’ai pas encore de réponse.180 La jeune compagnie de comédiens qui a déjà représente le Mouchard et les Souliers noirs travaille en outre la Croix de craie, Service du travail, Secours d’Hiver, L’Heure de l’Ouvrier, Les deux boulangers,181 qui sont tous prêts et que je compte représenter au mois de juin, si je le puis. Elle répète également la Justice182 et le Libéré. Tout cela marche bien.

178 Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches (vgl. Anm. zu Abraham, 1.4.1939): Kreidekreuz, Der Verrat, Das Mahnwort. 179 Das neue Kleid, Der Entlassene, Die Stunde des Arbeiters, In den Kasernen wird die Beschießung von Almeria bekannt. 180 In den Cahiers du Sud erscheinen keine Brecht-Übersetzungen Abrahams. 181 Der Spitzel, Die schwarzen Schuhe, Das Kreidekreuz, Arbeitsdienst, Winterhilfe, Zwei Bäcker. 182 Rechtsfindung.

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Je n’ai pas encore pu passer à la Société des Auteurs pour régler les questions administratives. Mais cela n’a pas d’importance, puisque nous ne donnons pas encore de représentation publique. J’y passerai aussitôt que mon gros travail de l’Encyclopédie et du journal me permettra. J’ai parlé de votre Galilée à Gaston Baty.183 Mais évidemment nous nous trouvons là devant un théâtre dont la vedette est une femme, qui n’aurait pas le premier rôle dans la pièce… Je continue à en parler aussi à d’autres. Il me semble que sa place normale serait à la Comédie Française. Mais il faudrait pour cela un concours de circonstances presque miraculeux. Je compte le traduire pendant les vacances de cet été, en même temps que vos nouvelles, que je m’arrangerai pour faire paraître à l’automne. 14/5/39 Depuis deux jours, je n’ai pas pu trouver une minute pour finir cette lettre. Hier après-midi, nous avons répété (sans décors ni costumes) vos sept pièces devant quelques amis, qui ont été très impressionés, et qui me pressaient de les présenter au grand public. C’est ce que je tâcherai de faire en juin, aussitôt que je serai de retour d’un voyage d’une dizaine de jours que je vais faire dans le Midi. Les jeunes comédiens se tirent très bien de leur affair. On m’a aussi donné les fusils de Thérésa Carrar traduit par Grunberg.184 Marie Kalff (la femme de Lenormand) a envie de le jouer, mais ni elle ni moi ne pensons que l’époque soit favorable actuellement à une piéce sur l’Espagne. Attendons un peu. Je voudrais que vous sentiez combien vos pièces en un acte ont d’effet sur les assistants. Cela vous donnerait un sentiment de puissant réconfort. La question, pour le public, est celli-ci: supporterait-il trois heures de spectacle aussi sombre? Sans doute, lorsqu’il sortira, il sera dans l’admiration. Mais les coups répétés qu’il aura reçus lui feront-ils conseiller à d’autres d’y venu? Le résultat est celui-ci: s’il vous arrive, malgré les circonstances actuelles, d’écrire une comédie gaie, d’une demi-heure environ, envoyez-la moi, pour la joindre à ce spectacle un peu noir. (Je sais bien que Rechtsfindung et die Stunde des Arbeiters et aussi Der Spitzel peuvent être traités en comédie, mais l’effet sur le spectateur est tout de même sombre.) J’arrète cette trop longue lettre. En vous l’adressant, j’y joins les vœux que je forme pour que votre nouvelle résidence soit féconde à votre traivail, bienfaisante à votre santé et qu’elle vous réserve la paix et le bonheur que je vous souhaite de tout cœur. Pierre Abraham Überlieferung: Ms, Bv: «Comité de l’Encyclopédie Française. Reconnu comme etablissment d’utilité publique»; BBA 911/63–66.

183 Gaston Baty arbeitete seit 1936 an der Comédie Française. 184 Zu Isak Grünbergs Übersetzung der Gewehre der Frau Carrar vgl. Anm. zu Dudow, 10.3.1938.

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Fritz Erpenbeck an Bertolt Brecht [Moskau] 14.5.1939 E.

14.5.1939

Lieber Brecht, Sie haben recht: ich haette auf Ihren letzten Brief schneller antworten sollen.185 Aber ich verschob es von Tag zu Tag, weil ich hoffte, Ihnen konkretes ueber Ihre, Steffins und Andersen Nexoes Honorarangelegenheiten mitteilen zu koennen.186 Leider kann ich das nicht einmal heute. Im Augenblick bin ich mit unserem Freund Becher zusammen damit beschaeftigt, gewisse Hemmnisse und Schwierigkeiten zu beseitigen, die mit der Fusion187 entstanden sind. Eine davon ist die Honorarsache, von der wir aber hoffen duerfen, dass sie in den naechsten Tagen geregelt ist. Wir bitten Sie also um Geduld; sobald die Sache in Ordnung gebracht ist, – und wir tun wirklich alles dazu, – erhalten Sie sofort Nachricht. Mit besten Grüssen Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/123.

Curt Trepte an Bertolt Brecht Västerås, 17.5.[1939] Västerås, 17. Mai Skolgatan 6 I. Lieber Brecht! Könntest du zur „Carrar“ einen kleinen Prolog oder Epilog schreiben, der die heutige Situation in Spanien zur damaligen, in der Dein Stück spielt, in Beziehung bringt?188 Konkreter Kontakt wäre z.B. der Vorhang, der bei uns eine riesengrosse farbige Karte mit der damaligen Fronteinzeichnung darstellt. Es müsste gesagt werden, dass das Stück zwar historisch ist, aber der Kampf weiterhin aktuell bleibt und auch für andere Länder von Bedeutung ist.189 185 Vgl. B. an Becher, Ende April 1939, GBA 29, S. 142f. (Die erwähnten Briefe an Erpenbeck sind nicht überliefert.) 186 Vgl. Erpenbeck, 1.4.1939. 187 Vgl. Gittermann, 29.3.1939. 188 Vgl. Anm. zu Trepte, Januar 1939. Zur Situation in Spanien vgl. Anm. zu Piscator, 3.3.1939. 189 Erg.: „Vielleicht, das[s] das Pedro spricht!“

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Ich halte das deshalb für notwendig, weil man auf die Meinung stösst, dass es – nach diesem Ende – nun kaum noch Sinn habe, das Stück weiterzuspielen (Übrigens nicht die Ansicht der Truppe.) Wie Du gehört hast, soll die Vorstellung in Hälleforsnäs190 gespielt werden, nur ich hoffe, dass du sie (und Weigel) bei dieser Gelegenheit wirst sehen können. Ich stecke von früh bis abends in der Molden=arbeit, die langsam vorwärts geht, denn Jean Baptista macht uns viel zu schaffen. Pfingsten werde ich wohl in Stklm191 sein. Hoffe, dass wir uns dann treffen. Herzl. Grüsse Dir, Weigel und Steffin Euer Trepte Antworte bitte gleich wegen des Prologs. Überlieferung: Ms (Abschrift von Curt Trepte), BBA Z 9/43–44.

Victor Jerry Jerome an Bertolt Brecht New York, 19.5.1939 New York, N.Y., May 19, 1939 My dear Brecht: I was very happy to hear from you (via Alice Evans)192, even though the topic of your letter was saddening – – your enforced hejira193 from Denmark. I have undertaken to do something in your behalf through several people – – one of whom especially can be most influential in effecting your coming here. His name is Paul Willert194, publisher, of the Oxford University Press. He knows you, and is undertaking to help. He is leaving with Breda195 (who is now in the United States) for Hollywood. While there he will interest certain people in your behalf – – possibly a filming of Drei Groschen 190 Entzifferung unsicher. Die nächste Aufführung der Gewehre der Frau Carrar, für die Brecht den gewünschten Prolog und Epilog schrieb, fand am 6.8.1939 in Eskilstuna – in Anwesenheit von Brecht, Weigel und Steffin – statt. (Das Dorf Hälleforsnäs liegt ganz in der Nähe). 191 Stockholm. 192 Alice Evans, d.i. Alice Jerome, geb. Hamburger, Victor Jerry Jeromes Frau. 193 Hedschra (arabisch hiğra): die Wanderung Mohammeds von Mekka nach Medina im Jahr 622. 194 Paul Willert (1909–1998), Sohn des englischen Journalisten Arthur Willert, war in den 1930er Jahren als kommunistischer Agent im Westen tätig. Nach dem im August 1939 geschlossenen Nichtsangriffsvertrag mit Deutschland wandte er sich von der UdSSR ab. Im Zweiten Weltkrieg diente er in der Royal Air Force. 195 Rudolf Breda, d.i. Otto Katz.

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Opera, which would of course involve your coming here and facilitate your admission. He will also be in Paris in July and will get in touch with you. He is, as I stated, influential and exceedingly well connected. I look forward to results through him. The Eislers are now in Mexico, as you may already know.196 Their address is: A. Miller, Av. Ejido 27, Dept. 5, Mexico D.F., Mexico. I believe the best way would be to send whatever you have for the Eislers in an inner enclosed envelope, the outer envelope to have only the name of Miller. Need I tell you, dear B, how eagerly I look forward to our reunion – – and, until then, to tidings from you? Cordially, Jerome Alice sends her best to you. She has not met Reyher and does not know of him. j. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1396/85.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 19.5.1939 19.5.1939 Herrn Bert Brecht c/o Fru Santesson197 Stockholm-Lindingö Hagen Oestra I Löwenstigan Lieber Herr Brecht, Auf meinen Brief vom 5.5.198 blieb ich ohne Nachricht. Wollen Sie mir bitte antworten. Ich bekomme täglich von Herrn Aufricht und Herrn Dudow Anrufe, die mich an die Erledigung drängen. Ohne Ihre schriftliche Zustimmung kann ich selbstverständlich in der Sache nichts machen. Mit herzlichen Grüssen Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50 ; BBA 911/32. 196 Vgl. Anm. zu Piscator, 10.4.1939. 197 Die schwedische Bildhauerin Ninnan Santesson hatte Brecht und seine Familie auf die Insel Lidingö eingeladen. 198 Nicht überliefert. Vgl. aber Domke, 17.3.1939.

928 Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 20.5.1939

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20. Mai [193]9

Lieber Freund Brecht, ich kam aus Kiew, wo ich am Schewtschenko-Plenum199 teilnahm und fand in Moskau Ihren Brief und zwei Manuskripte vor.200 Ich war sehr erfreut darueber. Die Manuskripte habe ich dem Staatsverlag uebergeben. Es wurde mir versprochen, die Manuskripte schnell durchzulesen und mitzuteilen, ob der Staatsverlag sie herausgeben kann. Ausserdem werde ich diese Manuskripte auch unseren Zeitschriften empfehlen. Ich werde auch in Zukunft froh sein Ihnen auf diese Weise helfen zu koennen. Schreiben Sie mir woran Sie jetzt arbeiten, dann [kann] ich die Verlage darueber informieren. Mit besten Gruessen (M. Apletin) Überlieferung: TsD, RGALI 631/11, 412/5.

Ebbe Linde201 an Bertolt Brecht Göteborg, 21.5.1939 [Hs.] Göteborg 21. Mai 1939 Lieber Bert Brecht. Besten Dank für Ihren Brief.202 Eine Uebersetzung von dem angegebenen Gedicht sende ich anschliessend. Ich habe mir die Uebersetzung als Text für einen Redechor gedacht – das möchte wohl die Meinung gewesen sein? – deshalb habe ich die Aufmerksamkeit darauf gehabt, in dem schwedischen (wie es auch bei Ihnen ist) eine prägnante Diktion zu erzielen, ohne vielen akustischen Schwierigkeiten; daneben natürlich bei allem pathetischen doch ungezwungene Geläufigkeit, unter dichter Anlehnung an die Redesprache schwedischer 199 Anläßlich des 125. Geburtstags des ukrainisch-russischen Dichters Taras Grigorowitsch Schewtschenko (Taras Grigorovič Ševčenko, 1814–1861) veranstaltete der sowjetische Schriftstellerverband in Kiew eine Reihe von Vorträgen, um einen weiteren Klassiker der russischen Literatur zu etablieren. Der revolutionär gesinnte Schewtschenko, selbst als Sohn von Leibeigenen geboren, wurde in der UdSSR vor allem für seinen volkstümlichen Stil gerühmt. 200 Der Brief ist nicht überliefert. Bei den Manuskripten handelte es sich vermutlich um den Galilei und Furcht und Elend des III. Reiches. Vgl. Apletin, 10.6.1939. 201 Ebbe Linde (1897–1991), schwedischer Schriftsteller und Übersetzer, übertrug u.a. die Dreigroschenoper ins Schwedische. 202 Nicht überliefert.

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Arbeiter (deshalb z.B. die Auflösung in der Rubrik, die [Sie]203 vielleicht sonst verwundern könnte). Dagegen hatte ich nicht die Bestrebung, die Länge der Verszeilen und den Rhytmus exakt unverändert zu behalten. Wenn zu Ihrem Text also z.B. musikalische Begleitung gesetzt werden sollte, ist die Uebersetzung nicht ohne weiteres verwendbar. Darf ich die Korrekturbogen bis auf weiterem behalten? Es ist so viel drin was ich mir näher anschauen und verdauen möchte. Ich mache soeben eine Sammlung von z.T. satirischen und politischen Gedichten fertig, das meiste ist Originalgedichten aber da gibt’s es auch eine Abteilung von Uebersetzungen, zu meist deutschen, die ich schon vor einigen Jahren gemacht habe: darunter habe ich auch zwei Gedichte von Ihnen untergebracht, nähmlich den Bericht über den Tod eines Kameraden und den Lob der Dialektik 204 – wollen Sie mir gestatten diese Uebersetzungen in die Sammlung einzuschliessen, und vielleicht auch etwas aus den Svendborger Gedichten? – Gewiss wäre es angebracht eine besondere Sammlung von Ihren Gedichten schwedisch zu bringen, einen Brecht-Auswahl; auch eine solche Aufgabe sollte mich sehr interessieren, aber das schliesst ja gar nicht aus, ein paar sozusagen Geschmacksproben in dem erwähnten Büchlein vorerst zu bringen. Ich reiste in dieser Woche auf einem kurzen Besuch nach Russland. Bei dem Heimkehr inmitten von Juni fahre ich wieder durch Stockholm. Vielleicht könnte es sich dann Gelegenheit bieten, dass wir uns treffen um dieses und anderes zu besprechen? – Meine besten Grüsse an Ihre Frau. Ebbe Linde. Mit der Handelstidning205 sollten sie unbedingt einen Versuch machen. Allerdings sind meine Beziehungen zu der literarischen Abteilung der Zeitung zur Zeit keine. Der Redaktionssekretär, mit dem ich befreundet war, ist leider soeben nach London verschickt worden, und den neuen kenne ich nur oberflächlich; seinen literarischen Geschmack gar nicht. Aber die allgemeine Haltung der Zeitung dürfte ja günstig sein. Der Hauptredaktor Segerstedt206, der ein wahrhaft bedeutender und aufrechter Mensch ist, war ja früher liberaler Intelligenzaristokrat, aber er ist durch den Nazismus fast Marxist geworden. Eine reaktionäre Kraft, die gewiss ein wenig eingekapselt geworden ist, aber doch im Stillen wirkt, ist dagegen der Rezensent für literarischen Prosa (nicht Poesie), Henning Söderhjelm.207 Er ist Sohn von Verner Söderhjelm208 (der finländische Humanist und Professor) und Alma

203 Im Ts: „Ihnen“. 204 Die Gedichte Bericht über den Tod eines Genossen und Lob der Dialektik aus der Sammlung Lieder Gedichte Chöre (GBA 11, S. 236–238). Die erwähnten Übersetzungen konnten nicht ermittelt werden. 205 Die liberale Tageszeitung Göteborgs Handelstidning, später Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, erschien von 1832 bis 1973. Von Brecht wurde darin nichts veröffentlicht. 206 Torgny Karl Segerstedt (1876–1945), schwedischer Journalist, seit 1917 Chefredakteur der Handelstidning. 207 Henning Söderhjelm (1888–1967), schwedischer Journalist, Literaturredakteur der Handelstidning. 208 Jarl Werner Söderhjelm (1859–1931), schwedischer Literaturhistoriker und Diplomat.

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Söderhjelm209 (auch Professor, hat die Geschichte der französischen Revolution und ausserdem sexualradikale schönliterarische Selbstschilderungen geschrieben). Der Sohn ist aber reaktionär, hat nähmlich früher als finländischer Nationalist gegen die „Roten“ Russen und Arbeiter in 1918 gekämpft, und kann daraus nicht kommen. Er ist ausserdem literarischer Ratgeber des hiessigen Stadttheaters, und zählt also zu den Hütern des bürgerlichen Morals gegen Isljuset210, Frau Carrar und dergleichen mehr, das nicht aufkommen darf. – In wie weit sein Einfluss in der Zeitung sich augenblicklich erstreckt, weiss ich nicht. Aber womöglich sollten Sie unbedingt den Söderhjelm vermeiden, und lieber direkt an den Torgny Segerstedt apellieren. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 911/34–35.

Ernst Josef Aufricht an Bertolt Brecht Paris, 22.5.1939 Lieber Brecht, ich bin in Not. Durch die politische Lage waren alle Geschaefte hier angehalten. Ich bitte Sie deshalb an Doktor Domke postwendend eine Bestaetigung zu schicken, damit er mir die mit mir vereinbarten 2500 Francs auszahlen kann.211 Bitte schreiben Sie sofort an Dr. Domke. Herzlichst Ihr Aufricht Paris den 22. Mai 39 Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 911/33.

Ebbe Linde an Bertolt Brecht Göteborg, 23.5.1939 Adresse des Kjell Hjerns212: Ljunggatan 9, Göteborg – selbe Strasse wie ich. Unweit. 209 Alma Söderhjelm (1870–1949), schwedische Historikerin. 210 Isljuset: skådespel i tre akter (Göteborg 1938), Schauspiel von Ebbe Linde. 211 Ernst Josef Aufricht hatte für geplante Verfilmung von Happy End (vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939) ein Darlehen erhalten. Vgl. B. an Domke, 27.8.1939, GBA 29, S. 151. 212 Vermutlich der schwedische Kunstkritiker und -historiker Kjell Hjern (1916–1984). Mit ihm hat

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GÖTEBORG den 23. Mai 1939 Lieber Bert Brecht! Wieder kehre ich zurück zu den Svendborger Gedichten. Ich arbeite u.a. in der Zeitung Hyresgästen (Der Mieter)213, deren Namen Sie hier sehen. Wenn Sie nichts dagegen haben, wollte ich gern ein paar Uebersetzungen in unserer Zeitung bringen – wir können zwar keine sehr grossen Honorare bringen, aber 20 Kronen werde ich hinauskriegen, die Ihnen dann mit der Post versandt werden. Unsere Zeitung ist ja eine proletarische, hat aber 22000 Ex. Auflage, Sie kommen also jedenfalls zum Reden. Uebrigens sende ich Ihnen ein Paar Exemplare unserer Zeitung – die letzte Nummern und noch dazu einige älteren Nummern, wo von Theaterdingen und bes. der Zwölfgroschenoper214 die Rede ist. Letzterer wurde von unserer Organisation aboniert, als der per Lindberg-Tourné215 hier gegeben wurde. Bei diesem Anlass veröffentlichte ich auch, wie Sie finden, einige Bruchstücke von den Liedern in eigener Uebersetzung – meiner Meinung nach entschieden besser als die Curt Berg-Uebersetzungen216, die doch nicht gerade schlecht sind. Aber ich war ja in der Lage von sowohl seinen Fehlern als seinen Gelungenheiten zu lernen. – In der Theaterkritik finden Sie uebrigens eine Erwähnung von Frau Carrar (zwar nur als Beispiel). Ein junger Freund von mir, Kjell Hjern, hat mit der Göteborgsposten217 einige Beziehungen, insofern dass er Kunstkritik da übt und auch ab und zu einige Gedichte von ihm veröffentlicht werden. Er ist als Dichter noch gar nicht reif, mit unsicherem Geschmack und etwas manieriert, aber marxistisch eingestellt und gewiss der Entwicklung fähig. Wir haben über Sie und unseres Zusammentreffen gesprochen, und er hat sich da angeboten einige Uebersetzungen von Ihnen zu machen und in das Blatt zu bringen. Er hat zunächst auf die Svendborger Gedichte gedacht, da habe ich aber gesagt dass er lieber etwas warten sollte – erstens weil ich mit der Lektüre noch nicht fertig bin, zweitens weil Ihre Zustimmung fehlte, drittens weil mich der Plan von einem Brecht-Auswahl immer mehr gefangen hält und viertens weil ich der Ueberzeugung bin dass ich doch die Uebers[e]tzungen entschieBrecht offenbar keinen Kontakt aufgenommen. 213 Die Zeitung des Hyresgästernas riksforbund, einer Interessenvertretung für Mieter in Schweden. In einer Übersetzung von Ebbe Lind erschienen darin Auszüge aus Die Seeräuber-Jenny und 2. Dreigroschenfinale. 214 Der schwedische Titel der Dreigroschenoper lautet Tolvskillingsoperan (Zwölfgroschenoper). Eine Kritik der Kopenhagener Aufführung von Per Knutzon (vgl. Anm. zu Knutzon, September 1937) war am 15.1.1938 in der Zeitung Hyresgästen erschienen. 215 Per Lindberg hatte die Dreigroschenoper mit dem Stockholmer Tournee-Ensemble Svenska Riksteatren in Schweden gespielt. 216 Curt Berg (1901–1971), schwedischer Schriftsteller und Übersetzer, hatte die Dreigroschenoper für Lindbergs Aufführungen übersetzt. 217 Göteborgs-Posten, liberale Tageszeitung. Sie erschien zunächst von 1813 bis 1832, wurde dann 1859 wiedergegründet.

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den kongenialer machen kann als er. Aber ich habe gesprochen Sie zu fragen, ob Sie ihm nicht einige von Ihren Novellen schicken könnten, damit er sie übersetze. Wahrscheinlich wird er etwas von der Bezahlung für die Uebersetzungsarbeit behalten, aber das müssten Sie ja auch ohnehin berechnen, und wenn er mehr plazieren kann als die Bureaus, ist ja alles gut. – Wenn Sie Novellen an die Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning gesandt haben, sollten Sie doch vielleicht zuerst ein wenig warten, so dass das eine nicht das andere stört, da doch die Zeitungen Konkurrenten sind (beide liberalistisch, antifaschistisch). Besten Grüssen an Ihre Frau Ebbe Linde. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Tidningen Hyresgästen Organ För Hyresgästernas Riksförbund Göteborg Amdra Ljunggatan 11 Tel. Red och Kassa 145267 TEL. Annansambud 145269;BBA 911/36.

Knud Rasmussen an Bertolt Brecht Odense, 23.5.1939 lieber herr brecht, gleichzeitig mit diesem brief sende218 ich Ihnen ueber arthur waley’s buch KON­ FUTZE.219 grete hat Ihnen wohl schon erzaehlen, dass ich noch nichts vom verlag gehoert habe, und jetzt wollte ich nicht laenger warten darauf das buch zu lesen. ich finde es sehr schoen und habe wieder dem verlag geschrieben um es zu bekommen. Sie duerfen mir nicht das buch zurueckschicken. ich moechte gern, dass Sie es behalten wollen. den vortrag, den sie fuer den studenten in stockholm gehalten haben,220 bekam ich gestern, ich danke Ihnen sehr dafuer. jetzt schreibe ich ruth um zu fragen, ob sie es uebersetzen wird, oder ich damit anfangen soll. bald werden sie noch einige uebersetzungen bekommen, auch neue und schoenere exemplaren von GALILEI. apropos – grete schrieb ich gestern, dass ich natuerlich nichts dagegen habe meinen namen auf der uebertragung zu schreiben, sie hat Ihnen natuerlich schon gesagt. es freut mich sehr zu hoeren, dass es Ihnen so schoen in schweden geht,221 und ich hoffe, dass Sie jetzt auch mehr als in daenemark verdienen werden. hier war es ja schlecht, jedenfalls geht es sehr langsam. ich hoere nichts von den zeitungen, den ich meine ueber218 Im Ts: „schde“. 219 Arthur David Waleys The Analects of Confucius (London 1938) befindet sich in Brechts Nachlaßbibliothek. Vgl. B. an Martner (d.i. Rasmussen), Juni 1939, GBA 29, S. 145f. 220 Am 4.5.1939 sprach Brecht in der Stockholmer Studentenbühne Über experimentelles Theater (GBA 22, S. 540–557). Vgl. dazu auch den Journaleintrag vom gleichen Tag (GBA 26, S. 337). 221 Vgl. B. an Martner (d.i. Rasmussen), Mai 1939, GBA 29, S. 144f.

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setzungen uebersenden habe, doch habe ich nicht allen mut verloren. GALILEI kann ich wohl uebrigens ruhig fremad’s verlag222 in kopenhagen zeigen? ich habe gestern, wenn ich grete schrieb, vergessen danach zu fragen. ich moechte gern was darueber hoeren, wenn Sie mir einmal antworten wollten. darf ich Ihnen bitten mir ein deutsches exemplar von GALILEI bei gelegenheit zu schicken? ich weiss, es ist sehr unbescheiden. die sache ist aber so, dass ich neulich einen jungen sudeterdeutschen emigrant hier traf. zufaellig sagte er, ob ich glaube, das bibliothek in odense deutsche buecher schaffen wollte, wenn man sie nicht haette, und er moechte gern FRAU CARRAR lesen, das buch hat man nur in daenische uebersetzung. natuerlich wurde ich sofort interessiert: er hat viele buecher von Ihnen gelesen, Ihre stuecke in berlin gesehen und bewundert Sie sehr. ich habe ihm denn eingeladen und habe mich sehr gefreut einen zu treffen mit dem ich brecht besprechen konnte: ich sah eine schoene zeit kommen. ach ja. heute hat er mich gesagt, er musste sofort nach canada gehen zusammen mit anderen emigranten. ich wollte ihn jetzt gern GALILEI schencken, habe aber nur das exemplar, in welchem Sie schrieben haben und mein altes exemplar mit vielen aenderungen. das ist sehr beschwerlich zu lesen, aber fuer mich ist es interessant zu haben. wenn Sie noch exemplaren vom stueck haben und ein opfern werden, sei ich sehr dankbar. das eilt natuerlich nicht. ich bitte Ihnen alle gruessen von mir. ich schreibe bald wieder, weil ich noch etwas zu sagen habe, jetzt aber keine zeit. ich bin auf der redaktion heute abend, wo wir die resultaten von volksabstimmung empfangen.223 es ist sehr gespannend, ob man ja zum neuen grundgesetz sagen wird, leider sehr unsicher, glaube ich. mit den besten gruesse Ihr knud rasmussen odense 23. maj 39 (Crassus) Überlieferung: Ts, hs. Korr, hs. U.; BBA 911/25.

[Martin Domke] an Bertolt Brecht Paris, 23.5.1939 Brecht Stkm Lövstigen 1 Lidingövillastad 222 Sozialdemokratischer Kopenhagener Verlag, gegründet 1912. 223 Gemeint ist das Referendum vom 23.5.1939 zur Änderung der dänischen Verfassung, das mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde.

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Paris j399 14 ord kl 19.59 23/5 1939 aufricht Drahtet ob darlehen zweitausend dreimonat weil verzicht auf beteiligung224 Überlieferung: Ts (Telegramm: Telegram. Kungl. Telegrafverket); BBA 1396/110.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 26.5.1939 26.5.1939 Herrn Bert Brecht Lidingö pr. Stockholm Lövstigen 1 hos Santesson Lieber Herr Brecht, Ihr Luftpostbrief hat sich mit meiner ausführlichen Mitteilung gekreuzt.225 Das Telegramm war von mir. Es ist danach verstümmelt angekommen. Aber ich freue mich, dass ich auch ohne dessen Kenntnis vollständig nach Ihren Absichten inzwischen gehandelt habe. Darüber unterrichtet sie mein ausführlicher gestriger Brief. Inzwischen verbleibe ich mit herzlichen Grüssen Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; EHA 1060.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Moskau, 28.5.1939

Moskau, 28. Mai 1939

Lieber Brecht! Ich danke Dir für Deinen freundschaftlichen Brief.226 Wie notwendig wäre es jetzt, sich über alle Angelegenheiten mündlich auszusprechen, denn ich fürchte, es sind vielleicht Missverständnisse zwischen uns entstanden und das müsste ja unbedingt vermieden 224 Unvollständig überliefert. Vgl. nachfolgenden Brief. 225 Beide nicht überliefert. Gegenstand der Korrespondenz war vermutlich das von Aufricht erbetene Darlehen. Vgl. Aufricht, 22.5.1939. 226 Vgl. B. an Becher, Ende April 1939, GBA 29, S. 142f.

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werden. Ich freue mich, dass Du mit der I.L. zusammenarbeiten willst und kannst Dich auf mich verlassen, dass sich diese Zusammenarbeit so reibungslos wie möglich gestalten wird. Da wir jetzt die einzige Zeitschrift ausser „Mass und Wert“227 sind, müssen wir mehr als bisher zu einem Organ aller antifaschistischen Schriftsteller werden. Und sollten sich Diskussionen einstellen, kann es nicht anders geschehen, als dass diese Diskussionsbeiträge in loyalster Weise gebracht werden, vorher gegenseitig zur Vorsicht vorgelegt und selbstverständlich alle „eckigen Stellen“ ausgemerzt werden. Nun zur Frage der Honorare228: Ich werde Deinen Wunsch sofort weitergeben und Du kannst Dich auf mich verlassen, dass ich Deine Ansprüche selbstverständlich vertreten werde. Soviel ich aber weiss, hat Dir Erpenbeck geantwortet. Ich könnte es mir nicht anders denken, da er mir nur als zuverlässig und fleissig bekannt ist. Ich werde mir auch sofort den Brief an Nexö geben lassen und veranlassen, dass ihm nochmals ausführlich geschrieben wird. Bitte wende Dich immer an mich. Ich werde Deine Briefe, wenn es notwendig sein sollte, zur Beschleunigung der Angelegenheit auch immer an die geeigneten Stellen weiterleiten. Mit den besten Grüssen Überlieferung: TsD, Bv. (abgeschnitten): „[…] Literatur, Deutsche Blätter, Redaktion: Moskau, Kusnetzki Most 12, Postsendungen: Moskau, Hauptpostfach 850; RGALI 631/13, 64/124.

Fritz Erpenbeck an Bertolt Brecht Moskau, 31.5.1939 E.

Moskau, 31. Mai 1939

Lieber Brecht! Sie beklagen sich bei Becher, dass ich auf Ihren Brief229 nicht gleich geantwortet habe. Das ist aber geschehen, offenbar haben sich unsere beiden Briefe gekreuzt und Sie haben meinen inzwischen erhalten. Ebenso habe ich sofort an Nexö geschrieben.230 Leider kann ich Ihnen – und glauben Sie mir, dass es mir ausserordentlich unangenehm ist – immer noch nichts Konkretes mitteilen. Becher und ich sind in begreiflicher Nervosität und be227 Die bei Oprecht in Zürich erscheinende, von Thomas Mann und Konrad Falke herausgegebene Zeitschrift Maß und Wert. Zweimonatszeitschrift für freie deutsche Kultur erschien noch bis Oktober 1940. 228 Die noch ausstehenden Honorare für die Andersen-Nexö-Übersetzung. Vgl. Erpenbeck, 1.4.1939. 229 Nicht überliefert. 230 Brecht hatte sich bei Johannes R. Becher im April 1939 (GBA 29, S. 142f.) darüber beschwert, daß für die vom Wort bestellten Erinnerungen Martin Andersen-Nexös bisher weder der Autor selbst noch die Übersetzer, nämlich Margarete Steffin und er, honoriert worden seien. Vgl. Erpenbeck, 1.4.1939.

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mühen uns täglich, ja fast stündlich, diesen einen Fehler, der gemacht worden und diese schwerwiegenden Folgen hat, zu liquidieren. Wir sind beide überzeugt, dass es uns bald gelingen wird und müssen Sie nur wiederum um Geduld bitten. Mit herzlichen Grüssen Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/125.

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht New York, 1.6.1939 MORDECAI GORELIK 1 Union Sq. West New York City June 1, 1939 Dear Bert: I enclose copy of a letter which I am sending today to the Secretary of the Society for the Protection of Science and Learning, of London.231 Marc Blitzstein232 phoned me and told me about your situation. However, your position is very vague, and I should be glad to know more definitely from you how you are situated. It is too bad you did not decide to come to the United States at the time I saw you. I hope it will still become possible, and will help any way that I can. As I wrote you in a previous letter233 addressed to Svendborg, I received the copy of your play GALILEO, about which I am most enthusiastic. I am telling everyone about it and getting a translation made of some of scenes and a synopsis of the others. The New Theatre League tells me they received no copy from you, but I loaned them mine. Piscator and Mrs. Piscator have just stayed at our home in Pennsylvania for a few days. They found the place very agreeable. I told them that you are very welcome to stay there if

231 Die 1933 (unter dem Namen Academic Assistance Council) gegründete Society for the Protection of Science and Learning war eine britische Organisation zur Unterstützung verfolgter Wissenschaftler, zunächst vor allem aus Deutschland. Initiatoren waren der Ökonom William Beveridge, Leiter der London School of Economics and Political Science, und der Physiker Ernest Rutherford. Brecht nahm mit der Society selbst offenbar keinen Kontakt auf. Vgl. Cleghorn Thomson, 9.6.1939. 232 Marc Blitzstein (1905–1964), amerikanischer Komponist, verheiratet mit der 1936 verstorbenen Schriftstellerin Eva Goldbeck. Brecht hatte ihn 1935/36 in New York kennengelernt. Blitzstein übertrug mehrere Werke Brechts ins Englische, u.a. besorgte er auch eine Neuübersetzung der Dreigroschenoper, die von 1954 bis 1961 im Theatre De Lys in New York gespielt wurde. 233 Nicht überliefert.

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you should come here. It would cost you comparatively little, and would give you chance to work and rest. Frances234 and I send our kind regards and best wishes to Helli and yourself. Max Gorelik. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 1396/82.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 2.6.1939 2.6.1939 Herrn Bert Brecht Lindingö pr. Stockholm Lövstigen 1 hos Santesson Lieber Herr Brecht, Auf meine Zuschrift vom 26.5. und die vorgängige ausführliche vom 25.5.235 bin ich noch ohne Bestätigung. Materiell ist in der Sache Happy End 236 vorderhand ja nichts anderes mehr zu tun, als dass Sie Ihr Kapital bei mir abdisponieren. Ich bitte Sie mir bald aufzugeben, in welcher Weise und wohin ich Ihnen den Betrag überweisen kann, am besten wohl in Dollars auf ein dortiges Bankkonto. Gleicherweise bitte ich Sie mir die beiden erbetenen Blankos zu übersenden, damit ich für den vorgedachten Zweck des Protestes im Falle der vertragswidrigen Verwertung des Remake sofort das Erforderliche veranlassen kann. Keinesfalls darf hier etwas geschehen, das irgendwie auch im leisesten Ihren materiellen Interessen zuwiderläuft. Ich bleibe da dauernd auf der Hut. Herr Aufricht war bei mir und hat eingehend davon berichtet, welche ausserordentliche Arbeit er mit den Vorbereitungen für die Verwertung des Mahagonny-Stoffes hat.237 Ich habe mehrere Scenarios, die seine Frau238 und er bearbeitet haben, gesehen, und wir waren 234 235 236 237

Frances Gorelik, Mordecai Goreliks Frau. Dieser Brief ist nicht überliefert. Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939. Ernst Josef Aufricht hatte bereits 1931 in Berlin die überarbeitete Fassung von Mahagonny produziert (Premiere am 21.12.1931 im Theater am Kurfürstendamm, Regie: Caspar Neher) und Tonaufnahmen der Aufführung auf Schallplatten vertrieben. Die in Paris geplante Verfilmung der Oper kam nicht zustande. 238 Margot Aufricht.

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der Ansicht, dass sie den massgeblichen Interessenten nur zugeleitet werden sollen, wenn sie schon hier als völlig einwandfrei angesehen sind. Man will in dieser Sache etwas Wesentliches für Sie erreichen. Diese Sache sollen und müssen Sie zeichnen, und hier sehe ich auch die Möglichkeit, ernsthaft, dass für die Zukunft etwas für Sie herauszuholen ist. Nebenbei bemerkt: eine der grössten und seriösesten Filmgesellschaften unterhielt sich mit mir, ob sie wohl dauernd Filmstoff liefern könnten und sie im Interesse der Gesellschaft bearbeiten könnten. Etwa mit einem mehrmonatlichen Aufenthalt hier. Das das eine erste Seite ist, und ich die Verbindung für Sie durchaus pfleglich behandelt wissen möchte, habe ich die an mich gestellten Fragen vorerst dilatorisch behandelt, um den Leuten erst einmal mit Mahagonny aufzuwarten. Nun hat Herr Aufricht in Herrn Woyda, der hier zurzeit in einem grossen Film als Regisseur tätig ist, einen Interessenten gefunden, der sich für die Herstellung des Filmscenario, nicht aber für die Verwertung selbst interessiert. Die sachgemässe Weiterbehandlung des Filmscenario ist praktisch die entscheidende Sache hier.239 Ich habe bei den in Ihrem Interesse und auf Veranlassung von Herrn Aufricht geführten Verhandlungen gesehen, dass die Leute auf die Vorlage eines völlig brauchbaren Filmscenario von vornherein das entscheidende Gewicht legen. Man kann sich da keinen refus holen, denn damit fährt man später materiell schlecht. Herr Woyda hat nun, wie mir Herr Aufricht versichert, mit Frau Aufricht und ihm selbst wochenlang gearbeitet, um ein geeignetes Filmscenario herzustellen, das einen Verkaufswert besitzt. Es ist bis heute noch nicht so recht gelungen, und ohne dass man hier jedenfalls mit der Sache zufrieden ist, soll es nicht weiter behandelt werden. Die Verwertung ist so gedacht, dass Herr Aufricht keineswegs mehr selbst irgendwelche vertraglichen Vereinbarungen in Ihrem Interesse treffen will. Er sieht selbst ein, dass mit diesen Halunken von Filminteressenten äusserst schwierig umzugehen ist. Er will überhaupt keine Verhandlung, die diese Fragen zum Gegenstand hat, ohne meine persönliche Mitwirkung und Beistand mehr führen. Dazu bin ich herzlich gern bereit, und das liegt ja auch in Ihrem Interesse. Es ist nun so gedacht, dass ich in etwa einer Woche das dann fertige Filmscenario dem Inhaber einer der grössten hiesigen Produktionsgesellschaften vorlege, der zwar launenhaft, aber sehr seriös ist. Daneben kann es noch eine Rolle spielen, einer ersten englischen Filmgesellschaft die Sache anzubieten. Aber wir wollen da recht vorsichtig sein und uns nicht zwischen zwei Stühle setzen. Nun ersehe ich aus dem Brief, den Sie am 9.3. Herrn Aufricht schrieben,240 dass Sie ihm eine Option auf drei Monate gaben und Ihrerseits 25.000 frs. für die französischen Rechte wünschen und 25 % von der Remake. Wir schlagen hier nun vor, dass Sie für die Verwertung von Mahagonny mindestens 25.000 frs. bekommen, jedenfalls aber 33 1/3% von der Verwertung. Die restlichen Beträge würden dann Herrn Aufricht, Woyda, den Vermittlern etc. etc. zukommen, sodass Sie immerhin mit einer nicht unbeträchtlichen Summe rechnen 239 Nicht ermittelt. Mit dem bezeichneten Herrn ist Brecht anscheinend nie Kontakt getreten. 240 Nicht überliefert.

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können. Dass hier irgendwelche Dunkelheiten vermieden werden, dafür würde dann die Regelung durch meine Person Ihnen wohl die hinreichende Gewähr bieten. Demgemäss schlage ich Ihnen vor, dass ich ermächtigt bleibe, gemeinsam mit Herrn Aufricht in Ihrem Interesse die Verwertung der Mahagonny zu betreiben, wobei Sie meinetwegen die am 10.d.M. ablaufende Option zweckmässig bis zum 15. September d.J. verlängern wollen. Man wird sich ja ohnehin mit der Sache beeilen. Zu diesem Zweck würde es zweckmässig sein, wenn Sie mir dafür drei Blanquette zur Verfügung stellten, die ich sorgsam in verschlossener Verwahrung nehme und über deren Verwendung ich Ihnen gewissenhafte Auskunft, selbstverständlich, erteile. Ein Wort ist noch nötig: nämlich zu wissen, ob Sie irgendwelche Vereinbarungen mit Kurt Weill getroffen haben, die seine Zustimmung erforderlich machen, auch wenn nur das Scenario ohne Musik verwendet wird.241 Selbstverständlich ist das Filmscenario selbst schon eine erhebliche Abwandlung des vorliegenden Musikstoffes. Aber in rechtlicher Hinsicht möchte ich doch, und zwar rechtzeitig orientiert sein, welches Ihre Abmachungen mit Weill sind. Schreiben Sie mir möglichst umgehend bitte, am besten durch Abschrift des Vertrages mit Weill etc. falls er Ihnen zugänglich ist. Sonst bitte aus dem Gedächtnis. Aber eine Bitte habe ich: lassen Sie mich nicht warten. Es ist wichtig, und Sie kennen meine Gefühle für Sie, die mich bestimmen, für Sie in eminent realistischer, d.h. auf deutsch finanzieller Weise tätig zu werden. Herr Aufricht sagt mir übrigens, dies nebenbei, Herr Budczislawski, der Herausgeber der Weltbühne, wartet auf eine Verständigung, was er von Ihnen und zu welchen Bedingungen er bringen könnte. Ich freue mich übrigens, dass in der Nouvelle Revue Française im eben erschienenen Heft Gedichte Scenen von Ihnen abgedruckt sind.242 Ohne mehr für heute, bin ich mit herzlichen Grüssen stets Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. Korr.,. hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; BBA 911/28–31.

241 Vgl. dazu B. an Weill, 4.6.1939, GBA 29, S. 145. 242 Im Juni 1939 erschienen in der Nouvelle Revue Française, in der Übersetzung von Pierre Abraham, die Szenen „Le Libéré“ (Der Entlassene), „L’Heure de l’ouvrier“ (Die Stunde des Arbeiters) und „On apprend à la caserne le bombardement d’Almeria“ (In den Kasernen wird die Beschießung von Almeria bekannt).

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George Grosz an Bertolt Brecht Truro, 3.6.1939 Sweden Mr. Bertold Brecht Lidingö per Stockholm Lövstigen / GROSZ – TRURO – CAPE COD MASSACHUSETS Lieber Bert, […] Dank für Dein Buch – habe mich gefreut über Dein ZeiJune 3/39 chen. Bin jetzt durch saftigen Wind hierher geweht worden – hier landeten ausserdem 1620 die ersten Pilgrims from England – hohe Dünen und Ocean & portugiesische Fischer – Ich schreibe hier nur ganz kurz, um Dir zu sagen wir ich mich freute über Dein Buch – stets Dein Böff. GRÜSSE Hella & Steff Überlieferung: Ms (Postkarte: Fishing Fleet – Provincetown, Mass.), BBA 911/23–24.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 4.6.1939 4. Juni 1939

Lieber Freund Brecht!

Mit gleicher Post sende ich Ihnen die „Deutsche Zeitung“243 vom 2/VI 39, in der die Materialien der dritten Session des Obersten Sowjets der UdSSR und der Bericht von W. Molotow über die internationale Lage und die Aussenpolitik der UdSSR veröffentlicht wird. Ich hoffe, dass dieser Bericht in dem die internationale Lage und die Position der Sowjetunion sehr klar und deutlich dargestellt wird, für Sie von Interesse sein wird. Mit besten Grüssen Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/8. 243 Vermutlich die Deutsche Zentral-Zeitung. Die Beilage ist nicht überliefert. Wjatscheslaw Molotow hatte im Mai 1939 Maxim Litwinow als sowjetischen Außenminister abgelöst.

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Maria Heinemann [American Guild] an Bertolt Brecht New York, 6.6.1939

6. Juni 1939.

Herrn Bertolt Brecht c/o Santesson Hagen Oestra I, Loewenstigan Stockholm – Lidingoe Sweden Sehr verehrter Herr Brecht, In Ihrem letzten Briefe ohne Datum244 teilen Sie mit, daß Sie die Aprilrate Ihres Stipendiums noch nicht erhalten haben. Durch ein Versehen wurden leider auch die weiteren Raten an Ihre alte daenische Adresse gesandt. Darf ich Sie bitten, mich wissen zu lassen, ob Sie mittlerweile die Beitraege richtig erhalten haben? Prinz Loewenstein und Dr. Zuehlsdorff sind den Sommer ueber in Europa; ihre Adresse ist: c/o Stanley Richardson, M.A. 14 Dulverton Mansions Gray’s Inn Road London WC 1 England. Mit den besten Wuenschen und Gruessen, Ihre sehr ergebene Maria Heinemann. Executive Secretary. Überlieferung: Ts, hs.U., Bv.: American Guild For German Cultural Freedom, Inc. 20 Vesey Street New York, N.Y. Hon. Wilbur L. Cross, President, Br.-bogen-Rücks.: Board of Sponsors und European Council; BBA 1386/69–70.

244 Offenbar nicht überliefert. Zu dem hier erwähnten Stipendium vgl. Anm. zu American Guild, 22.4.1938.

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Lieber Genosse Brecht, eben gab mir Joh. R. Becher Ihren Brief 245, aus dem hervorgeht, dass Sie mehrere Briefe von mir nicht erhalten haben. Ich vermute, dass daran auch eine ungenaue Adressierung schuld war. Selbstverstaendlich habe ich jedesmal geantwortet, wenn Sie schrieben, nach der Mitteilung des Verlags und meiner ersten Mitteilung ueber die Liquidierung insgesamt dreimal. Auch sind Ihnen – allerdings sehr spaet, denn frueher waren sie nicht da, – Belege fuer Nr. 3246 gesandt worden. Ferner habe ich gleich an Andersen-Nexoe geschrieben, insgesamt zwei Briefe. Dass alle diese Schreiben Vertroestungen, anstatt konkreter Angabe betr. Honorar enthielten, und ich Ihnen auch heute noch nichts Konkretes mitteilen kann, quaelt mich ausserordentlich. Auch duerfen Sie bestimmt glauben, dass weder ich noch Joh. R. Becher fuer die von Ihnen mit Recht beanstandeten Fehler verantwortlich sind, noch dass wir sie verhindern konnten. Uns bleibt nur die angenehme Aufgabe, sie einzurenken. Und damit sind wir immer noch beschaeftigt. Gluecklicherweise haben wir auch Aussicht, wenigstens die Honorargeschichten bald in Ordnung zu bringen. Seien Sie bestens gegruesst Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/126.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 7.6.1939 Bertolt Brecht Hagen-Östra I Löwenstigan I Hosfru247 Santesson Stockholm-Lidingö Sweden W. Herzfelde c/o Bradley, 74 M[a]c Dougal Street, New York City, N.Y. 245 Vermutlich der Brief an Becher von Ende April 1939, GBA 29, S. 142f. 246 Heft 3/1939, das war die letzte Nummer der Zeitschrift Das Wort, darin der von Steffin und Brecht übersetzte erste Teil der Erinnerungen Andersen-Nexös. 247 Soll wohl heißen: husfru (schwedisch: Hausfrau).

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7.6.39 Lieber Brecht – seit einer Woche sind wir hier, aber erst morgen ziehen wir in obige Wohnung ein, ich konnte daher die Arbeit noch nicht recht aufnehmen. Bitte schreib mir gleich, wie’s mit dem Druck der Svendborger Ged. steht und was Du zu meinen Vorschlägen und Fragen im letzten Brief sagst. Ich bemühe mich, die Mittel für Band III248 (nebst Sonderdrucken) aufzubringen. Wie steht es mit Deiner Fahrt hierher? Kann ich irgendwas tun? Über Amerika und meine Aussichten kann ich noch nichts sagen. Ich bin zuversichtlich, nur geht alles ein wenig langsam. Eine Menge Freunde und Bekannte habe ich bereits getroffen; es scheint allen recht schwer zu fallen, sich einzubauen. Laß gleich hören, grüß die Familie und Grete vielmals. Herzlichst Dein Wieland Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 654/155.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, nach dem 7.6.1939 Liebe Grete, seit vierzehn Tagen bin ich aus meiner burgundischen Cistercienserabtei zurück.249 Der Aufenthalt dort, so nützlich er mir dank der wundervollen Bibliothek gewesen ist, war von diesem Gewinn abgesehen, im buchstäblichen und in jedem andern Sinn verregnet. Es waren zudem keine Leute da, an die man sich halten konnte. Oder sollte es welche gegeben haben, so kamen sie infolge der Atmosphäre nicht zur Geltung. Dieses letzte dürfte bei einer Frau Stenbock-Fermor der Fall gewesen sein. Brecht wird sich des Namens von ihrem Mann her vielleicht entsinnen. Er hat kurz vor Hitler eine kommunistische Reportage über die Lebensverhältnisse der Bergarbeiter veröffentlicht.250

248 Der geplante dritte Band der Gesammelten Werke. 249 Benjamin war im Mai 1939 nach Pontigny in Burgund gereist, um an einer der sogenannten Dekaden teilzunehmen; so nannten sich die Versammlungen von Philosophen, Schriftstellern und Künstlern, die der Schriftsteller Paul Desjardins in der dortigen Abtei seit 1910 regelmäßig veranstaltete. Vgl. den Brief an Horkheimer vom 16.5.1939 in: Benjamin, Briefe, Bd. VI, S. 279ff. 250 Charlotte Stenbock-Fermor, geb. Schledt (1906–1966), die sich unterdessen offenbar in Frankreich aufhielt, war bis zu ihrer Scheidung mit dem „roten Grafen“ Stenbock-Fermor verheiratet. Alexander Graf Stenbock-Fermor (1902–1972), Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor, Mitglied im BPRS, hatte 1928 die Reportage Meine Erlebnisse als Bergarbeiter, 1931 Deutschland von unten: Reise durch die proletarische Provinz 1930 veröffentlicht. Im Zweiten Weltkrieg eingezogen zur Wehrmacht, lebte später in West-Berlin. 1950 wurden Stenbock-Fermor und der Drehbuchautor Joachim Barckhausen im Einvernehmen mit Brecht beauftragt, ein Skript für eine Verfilmung von Mutter Courage anzufertigen, die jedoch nicht zustande kam (vgl. Anm. in GBA 20, S. 580f.).

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In der Gegend der Abtei waren zwei Dutzend spanische Legionäre einquartiert. Ich hatte mit ihnen keine Fühlung; aber die Frau Stenbock-Fermor hielt Kurse bei ihnen ab. Da sie sich sehr für Brechts Sachen interessierte, so habe ich ihr nach meiner Rückkunft „Furcht und Zittern“251 auf ein paar Tage geschickt und sie hat den spanischen Brigadiers (es waren meist Deutsche und Österreicher) daraus vorgelesen. „Den größten Eindruck“ schreibt sie mir „machte auf sie das Kreidekreuz, der Entlassene, Arbeitsdienst und Stunde des Arbeiters und alles wurde als echt und einfach empfunden.“ Wenn Sie diese Sachen erhalten, werden Sie wohl schon wissen – denn Stockholm wird doch literarisch besser als Svendborg versorgt sein – daß in den Juni-Nummern der Nouvelle Revue Française Stücke aus dem Zyklus in der Übersetzung von Pierre Abraham erschienen sind; im ganzen wohl sechs oder sieben.252 Ich konnte bisher nur eben auf der Bibliothek hineinsehen. Mir scheint die Übersetzung recht gut gelungen. Die Nouvelle Revue Française macht eine kurze einfältige Fußnote: Brecht sei der Dichter der opéra de quatre sous und der sept péchés capitaux. Jetzt noch ein Wort zu meinen Gedichtkommentaren.253 Sie werden ganz und gar nicht in „Maß und Wert“ erscheinen; vielmehr habe ich für diese Zeitschrift sogleich nachdem Sie mir die Nachricht von dem Verschwinden des „Wortes“ gegeben hatten, einen neuen Essay über die Dramaturgie von Brecht geschrieben. Er dürfte in ganz kurzer Zeit erscheinen. Was die Kommentare angeht, so liegt mir natürlich daran, daß sie erscheinen sehr. Könnte mir Brecht den Gefallen erweisen, sie von sich aus an die Internationale Literatur zu senden, so wäre mir das sehr lieb. Ich denke nicht so sehr daran, daß er dies als Verfasser der im Kommentar behandelten Gedichte täte denn im Namen der Redaktion des Wort, bei deren Manuscripten sich mein Aufsatz befindet. (Ich spreche figürlich, denn ich habe kein Manuscript an Erpenbeck sondern nur eines an Sie gesandt.) Wie dem auch sei, Brecht steht in Verbindung mit der Internationalen Literatur und mir fehlt sie. Für Brecht ist es, denke ich, ein Leichtes, anzufragen, ob solche Kommentare die Leute interessieren. Wenn er sie dann nicht selbst einsenden will, so kann er die Redaktion doch gewiß veranlassen, sie von mir einzufordern. Wenn jetzt der Gedichtband 254 erscheint, so erleichtert das alles, während mir eine Initiative aus eignen Stücken bei der Internationalen Literatur recht schwer fällt. Bitte schreiben Sie mir darüber. Vom Baudelaire ist derzeit leider nichts zu berichten.255 Die Newyorker haben eine Umarbeitung verlangt. Das Manuscript läge in umgearbeiteter Gestalt, von der ich glaube, daß sie entscheidende Verbesserungen mit sich führt, wahrscheinlich längst fertig vor, wenn meine Arbeitsbedingungen nicht so unbeschreiblich ungünstig wären. Ich bin garnicht übermäßig lärmempfindlich, aber ich muß 251 Furcht und Elend des III. Reiches. Offenbar eine Verwechslung mit Søren Kierkegaards Furcht und Zittern (1843). 252 Tatsächlich nur drei. Vgl. Anm. zu Domke, 2.6.1939. 253 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 20.3.1939. 254 Die Svendborger Gedichte. 255 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 20.3.1939.

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ständig unter Bedingungen existieren, in denen ein wirklich lärmempfindlicher Mensch in Jahren auch nicht eine Zeile aufs Papier brächte. Jetzt im Sommer, wo ich mich auf meiner Terrasse auf einige Zeit vorm Getöse des Fahrstuhls sichern könnte, hat sich auf einem ihr gegenüberliegenden Balkon (und Gott weiß wie schmal die Straße ist) ein Nichtsnutz von Maler etabliert, der den ganzen Tag vor sich hinpfeift. Ich sitze oft mit Wagenladungen von Beton, Paraffin, Wachs usw in den Ohren da, aber es hilft nichts. Soviel also vom Baudelaire, der freilich nun unbedingt vorwärts kommen muß. Wie immer, wenn eine Arbeit sehr dringlich wird, habe ich Allotria vorgenommen. Ich habe zur 150-Jahr Feier der französischen Revolution eine kleine Montage – ganz in der Art meines Briefbuches256 – gemacht, die die Wirkung der französischen Revolution auf die zeitgenössischen deutschen Schriftsteller und auch noch auf eine spätere Generation, bis 1830, zeigen soll. Dabei bin ich wieder auf einige jener Tatbestände geraten, die von der deutschen Literaturgeschichte durch hundert Jahre planmäßig verschleiert wurden. Stellen Sie sich mein Erstaunen vor als ich, bei genauer Lektüre feststellte, daß von den beiden Bänden Oden, die es von Klopstock gibt, der zweite, der die spätern enthält, sich in einem Fünftel sämtlicher Stücke mit der französischen Revolution beschäftigt.257 Ich komme wenig unter Leute; wenn ich schon nicht schreibe, so geht doch der Tag über den Versuchen dazu hin. So habe ich auch Dudow lange nicht gesehen; hörte aber gestern von Kracauer, daß es ihm nicht gut geht. Schrieb ich Ihnen, daß ich das Geheimnis der Tabackpäckchen258 ergründet zu haben glaube? Sie dürfen nicht verschnürt sein. Dagegen passieren sie als Muster ohne Wert wenn Sie sie im Kuvert (mit einer Stift-Klammer) schicken. Wollen Sie es wieder einmal versuchen? Ich würde mich damit freuen. Lernen Sie brav schwedisch? Schreiben Sie bald! Mit herzlichem Gruß an Sie und Brecht Ihr Walter Benjamin PS Karl Kraus ist denn doch zu früh gestorben.259 Hören Sie: Die Wiener Gasanstalt hat die Belieferung der Juden mit Gas eingestellt. Der Gasverbrauch der jüdischen Bevölkerung 256 Die Briefsammlung Deutsche Menschen hatte Benjamin unter dem Pseudonym Detlef Holz 1936 in Luzern veröffentlicht. Die hier erwähnte kleine Montage, „Allemands de quatre-vingt-neuf“, erschien in der Sondernummer der Zeitschrift Europe zum 150. Jahrestag der Französischen Revolution am 15.7.1939. 257 Gemeint sind die in den 1790er Jahren entstandenen Oden zur Französischen Revolution von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803). 258 So im Ms. Vgl. Benjamin an Steffin, 18.4.1939. 259 Nachdem er dessen Sprachkritik noch in den 1920er Jahren beargwöhnt hatte, notierte Brecht in einem Entwurf zu Karl Kraus’ 60. Geburtstag 1934: „Lebend in einer Zeit, die unermüdlich fast unschilderbare Scheußlichkeiten hervorbringt, übt er eine Kritik von höchstem Standpunkt aus. […] In einem riesigen Werk stellt Kraus, der erste Schriftsteller unserer Zeit, die Entartung und Verworfenheit der zivilisierten Menschhheit dar“ (GBA 22, S. 33–35; vgl. auch GBA 14, S. 195–197). Kraus seinerseits hatte Brecht einst gegen den Vorwurf des Plagiats, von Alfred Kerr (und auch von Kurt Tucholsky) gelegentlich der Dreigroschenoper erhoben, verteidigt und „Kerrs Enthüllung“ als

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brachte für die Gasgesellschaft Verluste mit sich, da gerade die größten Konsumenten ihre Rechnungen nicht bezahlten. Die Juden benutzten das Gas vorzugsweise zum Zweck des Selbstmords. PPS Ich habe jetzt die „Versuche“ vollständig bis 15/16 – mir fehlt nur das Heft mit dem „Dreigroschenprozeß“ etc. Könnten Sie mir das von Brecht erschnappen?? Und könnten Sie mir sagen, ob es einen Druck der „Spitzköpfe“ in den „Versuchen“ gibt?260 Überhaupt, was nach 15/16 erschienen? Überlieferung: Ms, BBA 1396/4–7. – E: Walter Benjamin, Briefe, hrsg. v. G. Scholem u. T.W. Adorno, Frankfurt/M. 1978 (2. Aufl.), S. 818ff. (jetzt Benjamin, Briefe, Bd. VI, S. 292ff.).

David Cleghorn Thomson261 an Bertolt Brecht [London] 9.6.1939 DCT/MP.

9th June 1939

Dear Sir, Mr. Gorelik of Erwinna, Pennsylvania, has written to us concerning you and I am accordingly sending a copy of our questionnaire which perhaps you will be kind enough to fill in. I fear that we may not be in a position to help at all as our funds are limited to former members of a University staff. Might I suggest that if you are not within this category you should write to The Co-ordinating Committee for Refugees, Bloomsbury House, Bloomsbury Street, London, W.C.1., as I believe there is a special body dealing with theatrical writers. Yours sincerely. Thompson David Cleghorn Thomson General Secretary. Herrn Bertolt Brecht, Hotel Pallas, Klarabergsgatan 37, Stockholm, Sweden. Überlieferung: Ts, hs. U.; Bodleian Library Oxford. Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, London. – Dv: Kopie, BBA Z 47/292. „Trottelei“ abgewiesen (vgl. Die Fackel, Hefte 811-819/1929, 129ff.). 260 Vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933. 261 David Cleghorn Thomson, englischer Literaturwissenschaftler, Generalsekretär der Society for the Protection of Science and Learning . Vgl. Gorelik, 1.6.1939.

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Johannes R. Becher (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht Moskau, 9.6.1939 Moskau, 9. Juni 1939 Lieber Brecht! Auf Deinen letzten Brief,262 damit kein Missverständnis entsteht: wir wollten eine Liste ständiger enger Mitarbeiter ausschreiben, aber auch erst dann, wenn die Honorar-Angelegenheiten etc. alle geordnet sind. Wir freuen uns, dass Du zugesagt hast. Was Nexö betrifft: was soll ich machen? Es ist einfach unmöglich, drei Fortsetzungssachen in einer Zeitschrift zu bringen.263 Hätte ich rechtzeitig von der „Wort“-Sache erfahren, hätte ich auch keinen zweiten Roman aufgenommen, denn diese Fortsetzungen nehmen uns viel zu viel Platz weg. Ich werde Nexö auch persönlich darüber schreiben, aber ich sehe beim besten Willen keine Möglichkeit, diese Sache zu bringen Inzwischen wirst Du wohl einen andern Brief erhalten haben. Mit den besten Grüssen Dein

Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/127.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 10.6.1939

10. Juni [193]9

Lieber Freund Brecht, Ich bin erfreut Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Bühnenstück „Galilei“ grosses Interesse hervorgerufen hat bei allen, die es schon gelesen haben. Es wurde schon beschlossen, dieses Bühnenstück herauszugeben.264 Wenn es zu konkreten Resultaten bei den Verhandlungen mit den Theatern kommt, werde ich Ihnen das 262 Der bis dahin letzte überlieferte Brief an Becher datiert von Ende April/Anfang Mai 1939 (GBA 29, S. 143f.); möglicherweise bezog Becher sich hier auf einen anderen, nicht erhaltenen Brief. 263 Die für eine Veröffentlichung im Wort geplante Fortsetzung der von Margarete Steffin und Brecht übersetzten Erinnerungen Martin Andersen-Nexös (vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.8.1938) wurden in der Internationalen Literatur nicht gedruckt. Die Übersetzung der ersten beiden Bände der Erinnerungen erschienen 1940 unter dem Titel Die Kindheit bei Meshdunarodnaja Kniga. 264 Der Plan, den Galilei im Staatsverlag in Kiew zu publizieren, wurde nicht realisiert (vgl. Anm. in GBA 5, S. 338).

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unverzüglich mitteilen. Was das andere Manuskript betrifft, so wird Ihnen verständlich sein, dass nicht alle Szenen für die Aufführung auf der Bühne geeignet erscheinen. In den nächsten Tagen werde ich über dieses Manuskript Genaueres mitteilen können. Jetzt verhandle ich mit dem Verlag.265 Das deutsche „I.L.“ möchte gern einiges aus dem Deutschland-Zyklus abdrucken266 – haben Sie nichts dagegen? Mit besten Grüssen (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/9.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 10.6.1939 [Hs.] 10 juin 1939 Lieber Brecht, Die Laufereien wegen den Papieren nehmen kein Ende. Endlich habe ich wenigstens meinen Aufenthalt geregelt. Es bleibt noch der Pass, dann die Papiere von meiner Frau. Die Sache mit HAPPY END267 verhält sich folgender Massen: Meine Gewährsleute behaupten Herr Aufricht habe zusammen 68,500 ffcs. bekommen. Bei den ersten Verkauf der Rechte habe er 50,000 ffcs. erhalten, wovon er Ihnen 7,000 ffcs. abgeführt hat. Aber auch diese Summe scheint dem Aufricht zu wenig gewesen zu sein, deswegen ist er ein paar Tage später zu der Filmfirma gegangen und hat sich beklagt, er hätte fast alles an Sie abführen müssen, deswegen habe er von der ganzen Sache nichts gehabt. Man hat ihm auf sein Drängen und Bitten weitere 6,000 ffcs. gegeben. Da aber die Filmfirma, die zuerst die Rechte gekauft hat, den Film nicht dreht, hat man aus dem Stoff einen Handelsartikel gemacht. Auch bei diesem Handel war Aufricht beteiligt und so konnte er dabei verschiedene Tausend ffcs. verdienen, die die Summe auf 68,500 ffcs. erhöhen. Die weitere Schiebung mit dem Stoff wurde durch die Intervention gestört sonst wäre die Summe von 90,000 ffcs. voll geworden. Das wurde mir versichert.

265 Furcht und Elend des III. Reiches erschien 1941 in einer unvollständigen, lediglich 13 Szenen umfassenden Ausgabe bei Meshdunarodnaja Kniga in Moskau (vgl. Anm. in GBA 4, S. 525). 266 Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert. In der Internationalen Literatur wurden keine Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches veröffentlicht. 267 Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939.

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Ich weiss nich, was Ihnen Herr Domke berichtet hat. Die Entschädigungssumme die Sie bekommen sollten, war auf 18,000 ffcs. festgesetzt. Aufricht und noch zwei andere sollten sich die Busse268 teilen. Wichtig sei hier zu bemerken, daß die anderen, die die 12,000 ffcs. bereits bezahlt haben, darauf bestanden haben, daß auch Aufricht einen Drittel (6,000) davon übernehmen müsste. Das ist in Anwesenheit von Herrn Domke vereinbart worden. Wenn Aufricht so Unschuldig ist, wie er vorgibt zu sein, warum hat er sich bereit erklärt auch 6,000 ffcs. zu zahlen, d.h. an der Busse beteiligt zu sein? Das über Aufricht. Nun hat aber die Geschichte auch ein Kapitel Domke. Dieses Kapitel ist leider unklarer. Ich schrieb Ihnen gleich, daß Herr Domke sich mit allzu grosser Eile und Eifer auf die Sache gestürzt hat. Am nächsten Tag sagte mir Herr Domke, meine Angaben stimmen nicht, die Summe sei viel höher als ich sie angegeben habe. Einige Tage später meinte er meine Angaben seien viel zu hoch und woher kommen überhaupt diese phantastischen Zahlen, Aufricht habe das niemals erhalten usw. Kurz, es gelang ihm als einen erprobten Rechtsanwalt die ganze Sache ganz und gar zu verwirren. Mit paar Telephongesprächen und ein paar Besuche, schaffte er die gröste Verwirrung. Warum er das tat, ist mir auch bis jetzt nicht klar. Denn ich habe mich angeboten ihn mit weiteren Auskünften behilflich zu sein, man müsse noch genau nachprüfen und es sei Vorsicht am Platze, da man es mit Hayfischen zu tun hat und die könne man nicht in trübem Wasser fischen. Domke hat sich aber auf einen Brief von Ihnen berufen, in dem Sie ihm gebeten haben, er solle auf jeden Fall Aufricht schonen und deswegen sei er so verfahren.269 Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet daß sich Domke wie ein Ochse im Porzelanladen benommen hat. Gleich nach meiner Mitteilung ist er zu der Filmfirma, die den Stoff zuletzt gekauft hat, gegangen und 150,000 ffcs. verlangt oder er wolle die briefliche Zustimmung von Ihnen nicht abgeben. Mit dem Brief in der Hand hat er an eine falsche Adresse Forderung gestellt, die einen erpresserischen Eindruck gemacht haben, denn die Leute hatten mit der bisherigen Schiebung ja gar nichts zu tun, sie waren einfache Käufer. Als aber Domke immer noch nicht begreifen wollte woran er war, hat man ihm gedroht gegen Sie einen Schadensersatzprozess zu machen. Da hat [er] Angst bekommen und einigte sich dann rasch mit den wirklichen Schiebern auf diese zu nidrige Summe. Nach Ansicht meiner Leute, hätten man mindestens 58,000 ffcs. herausholen müssen. Wenn Sie mich fragen, was ich über Domke bei dieser Sache denke, kann ich Ihnen schwer antworten. Ob er wirklich so ungeschickt ist oder absichtlich so ungeschickt die Sache angefasst hat, lässt sich schwer feststellen. Mir scheint Domke ein viel zu grosser Bewunderer der Verbrecher und Betrüger, wenn er sie aber begegnet, zittert er vor Ihnen. Seine Erzählungen wie andere Verbrecher handeln, sind besser und geschickter.

268 Soll wohl heißen: Bosse (frz. la bosse: Beule). Eine Anspielung auf den Titel des Dreigroschenfilms (GBA 19, S. 307–321), den Brecht auf der Grundlage u.a. von Hauptmanns Stück Happy End geschrieben hat. 269 Dieser Brief ist offenbar nicht überliefert.

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Von Domke habe ich die 1200 ffcs. für meine Gewährsmänner bekommen. Mir liegt sehr viel daran diese zu befriedigen, weil ich auf sie in verschiedener Hinsicht angewiesen bin. Über Galilei und den vorletzten Brief 270 hoffe ich Ihnen in der nächsten Woche zu schreiben. Grüssen Sie bitte Grete. Paris den 10.6.39

Herzlichst Ihr

Überlieferung: Ts, Nationalarchiv Paris. – Dv: Kopie, BBA 2591/1–2.

Elisabeth Hauptmann an Margarete Steffin [St. Louis] 12.6.1939 den 12. Juni 1939 Liebe Grete, vielen Dank für Ihre beiden Briefe.271 Vielen Dank vor allem für alle Nachrichten. Hoffentlich gefällt es Ihnen in dem jetzigen Lande besser, obwohl Sie recht haben: wieder die Sprache eines kleinen Landes zu lernen ist ziemlich dumm. Was Eislers gegen Mexico haben, weisz ich nicht. Lou schrieb mir und lud mich ein, ein paar Wochen hinzukommen. Eisler wollte ja immer nur ein pa[ar] Monate bleiben, nur, um seine Lehrerquota voll zu kriegen.272 Ich glaube, er meint, dasz er jetzt in NY manches verpassen könnte, nachdem er anscheinend so gut hereingekommen ist und auch hofft, mit dem Theater zu arbeiten. Ich möchte annehmen, dasz das der Grund ist. Natürlich ist das Land auch sehr „pittoresk“ mit vielen Dingen, die uns wahrscheinlich weniger liegen. Aber in welchem Lande des Aufbaus gibt es nicht solche Sachen zu bemängeln! Mit der Sprache ist es nicht so schlimm. Mit Französisch kann man sich auch gut verständlich machen, und dann sprechen doch so sehr viele englisch. Aber vielleicht täusche ich mich. Ich habe meine Informationen von sehr vielen Leuten, auch guten Freunden, die ja dauernd drüben stecken. (Ich selber habe mir ja die „bon mots“ oder das „wise cracking“ über dies und jenes so ziemlich abgewöhnt. Ich war selber nie sehr witzig, aber heute kann ich es auch bei anderen nicht vertragen geschweige denn dass man mich noch durch funkelndes Geplauder bestechen könnte. Was immer man mir deshalb auch sagt oder schreibt, ob über Mexiko oder über Paris oder London, wenn es 270 Nicht überliefert. 271 Nicht überliefert. 272 Vgl. Anm. zu Piscator, 10.4.1939.

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nicht ganz dürftig und ernst ist, will ich es einfach nicht glauben, was man sagt. Ich bin für Mexiko, weil es ungeheuer billig ist und man als Künstler sehr oft, ja, fast immer, etwas zu tun bekommt. Freilich, die Einnahmen sind sehr gering, das stimmt.) Ich glaube bestimmt, ich habe Ihnen geschrieben und mich für den Galilei bedankt. Das Stück gefällt mir sehr, es war eine glänzende Idee. Einige Sachen, die mir nicht so gut gefallen oder die man meiner Ansicht leicht ändern könnte, kann ich Ihnen ja später mal schreiben. Kommen die Svendborger Gedichte auf Deutsch heraus? Ich höre, dass Wieland in NY ist. Das ist unter Umständen sehr wichtig für Brecht, da er ja nicht nur als Freund, sondern auch als Verleger Interesse an Brecht hat. Zu der Happy end-Sache kann ich gar[n]ichts sagen.273 Ich glaube, dass man mit dem Preis Brecht hereingelegt hat. Selbst in Paris zahlt eine Filmgesellschaft heute mehr als 250 Dollar für Filmrechte. Mit Weltrechten ist es ja so, dass sehr viele französische Filme hier einfach in der Originalfassung laufen. Ich habe schon einige Dutzend fra[n]zösische Filme hier gesehen, aber noch keinen mit engl. Fassung oder umgemacht [sic], sondern alle im Original. Es sollte mich auch garnicht wundern, wenn, wie Sie schreiben, Aufr.274 B. angeschmiert haben sollte. Das hat schon Weill vor Aufricht fertig gebracht und andere. Es ist nur schade, da Geld ein so dringender Artikel für uns alle ist und altes Kapital zu Geld zu machen, ja nicht immer so leicht ist. Sie fragen, wieviel ich bekomme? Das kann ich Ihnen garnicht sagen. Es waren damals andere Zeiten. Der Vertrag mit Bloch Erben lief auf meinen Namen. Aber wie gesagt, heute haben wir 39. Denke ich an Happy End, mit allem Drum und Dran, taucht sozusagen Alaska vor mir auf, die sieben Kälten und wie wir beide die Bäume fällten usw. Hoffentlich gefällt es Ihnen dort und hoffentlich ist es nur ein Halt auf dem Wege nach hier. Sie müszten alle durch eine Sache, nicht durch Menschen hierher gebracht werden. [Hs.] Welche Gesellschaft macht den Film? Ich selber würde wahnsinnig gern fahren – einmal hier heraus!!! Es sollten die Namen dabei stehen! Ohne Brecht wird es genau so ein Mist wie die 3Go! (Aber auch hier fürchten alle, Brecht dabei zu haben – man stellt ihn als „zu schwierig“ – ja störend hin.) Wie schickt man Briefe am besten nach dort? Überlieferung: Ts, hs. Erg. u. Korr., hs. U.; BBA 1396/79.

273 Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939; dazu Dudow, 10.6.1939. 274 Ernst Josef Aufricht.

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Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [Hollywood] 13.6.1939

June 13, 1939 LIEBER GOTT, I RECEIVED NO “LETZTE FASSUNG VON FURCHT UND ELEND“.275 DID YOU CHANGE IT MUCH? SEND ME A COPY RIGHT AWAY, AT ONCE, INSTANTLY, IMMEDIATELY AND WITH NO DELAY WHAT-SOEVER. GRÜSS GOTT.

Dear Bert: Well, now, here at last is news, and I hope it may turn out to be big news. The play on “Furcht & Elend” is finished. By this I mean that the first draft will be typed this week, I shall then go over this, making enough cuts and corrections to warrant putting it through the mimeograph, and by the end of the month it will be on its way to the managers, although it is too long and may need drastic changes. The summer I shall spend in polishing and filing, especially the dialogue. This should be simple as a Wandervögel276 Lied, and weltraising as a Sjambok 277. I am following the above procedure because it is necessary to get it out to the managers at once in order to have a chance for production in the fall. So time, even apart from capitalizing on the timeliness of the material itself, is essential. I shall send you several copies of the mimeographed version the day they come out. Please go over it with a microscope, indicate any changes you see fit, and send me every idea and suggestion that you can think of. When it finally goes on, we want it right and tight. I deeply hope you will like it. I tell you frankly, it’s been a fiendish job of creation and carpentry. I’ve eliminated every trace of what is here suspiciously regarded as propaganda, convinced as I always have been that the only effective propaganda is an objective presentation of facts and a story which bears a continuing interest in itself. I’ve used some of your scenes practically intact. Others I’ve tossed around, cut up and manhandled till hell won’t have it. But when it’s all over, I don’t think you’ve made a point that I haven’t utilized in some way. Furthermore, I’ve tried to show the origin of and devise a pay-off on the more important scenes, which naturally you could only speed through in 275 Gemeint ist vermutlich die von Brecht 1938 vorgenommene Zusammenstellung für den geplanten Druck im Malik-Verlag. Zu Reyhers Adaption des Stücks vgl. seinen Brief vom 8.12.1938. 276 Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin entstandene Jugendbewegung, in der sich Schüler und Studenten aus dem bürgerlichen Milieu zusammenschlossen, um der industriellen Zivilisation in die vermeintlich freie Natur zu entfliehen. 277 Eine südafrikanische Lederpeitsche.

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high. Above everything else, I’ve tried to make a play whose story will hang together and be interesting, whose people and background will be understandable to Americans, and which has a chance of being produced. Whether I have been successful I can’t tell at this moment, because I’m too damned near the thing. But I know before I’m altogether through with it we’ll have something. Now for the business end: First of all, immediately withdraw all rights from the New Theater League to present individual scenes, or to publish any part of Furcht & Elend. This is of utmost importance, because no manager will look at us otherwise. (I have never heard from Alice Evans.)278 Also recall any other copies which may be out until we are set in production. I am having an agreement between us sent to you by the Dramatists’ Guild so that everything will be in order and that you will be protected in every way.279 I think that all the clauses will be agreeable to you, being standard. I wish you would think about a title. “Fear & Misery In The Third Empire,” is, of course, out for America. I’d like a title which goes away from the stuff of the play, that has a sing to it, a touch of wistfulness, even a nostalgic quality. Symbolism by difference, if you get what I mean. For example, you might recall a phrase out of a Wandervögel song that would be just the thing. However, if you come on a sharp, incisively ironic title, that might do it, too. I’ve been thinking of “The Devil’s Opera.”280 It’s not too bad, but it isn’t completely right; too much on the nose. Although I’ll still be working on the play this summer, I’m starting on “Galileo” next month. Now please, please,281 recall all copies out, or notify anyone holding them that I have the rights to it. This is important because some copies are around in Hollywood; for example, Fritz Lang282 has or had one. The place is notorious for pilfering and revamping of ideas, and I can’t begin to tell you how ideas can be pounced on, and the hell with how they are worked out. How are you all, and how is it in Sweden? It was odd that I received Grete Steffin’s letter283 just today, sending me your new address. Gerda Singer284 telephoned about a week ago giving me another address. I am still a little confused because in Grete Steffin’s letter there seem to be two addresses. However, I am sending this to the red letter address and hoping 278 Vgl. Jerome, 19.5.1939. 279 Reyher hatte für seine Furcht-und-Elend-Adaption einen Vertrag mit der Dramatists Guild of the Authors’ League of America aufgesetzt. 280 Reyher entschied sich schließlich für den Titel The Devil’s Sunday. 281 Notiz am unteren Seitenrand von fremder Hand: „continuation?“ 282 Der österreichische Filmregisseur Fritz Lang (1890–1976), ab 1919 für Decla-Film und Ufa in Berlin bzw. Potsdam tätig, ging 1933 ins Exil zunächst nach Paris, 1934 nach Hollywood, wo er sich ebenfalls nach einigen Jahren als erfolgreicher Regisseur etablierte. Arbeitete mit Brecht zusammen am Drehbuch zu dem Film Hangmen Also Die (Auch Henker sterben, USA 1943). 283 Ein Brief Steffins an Reyher von Ende Mai/Anfang Juni 1939 ist dokumentiert in BBA E 12/19. 284 D.i. Gerda Goedhardt.

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for the best, and for the love of Jesus, hereafter date your letters and put your address on the envelope. Please start writing me letters. Don’t wait to answer everything in one, but send me a series. I am keeping my fingers crossed on the main hope for the play, the hope that we can make it the reason to get you in America ahead of your quota number. With fondest greetings, Yours, P. S. Keep the copy of the agreement I signed, and sign and return the other copy to me. This is all a nuisance but required under Guild rules and Managers’ regulations. Überlieferung: Ts, Melvin Jackson. – Dv: Kopie, BBA E 18/50–52. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 178ff.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 15.6.1939 New York, June 15, 1939. Lieber Bert, Gestern zeigte mir Gorelik einen Brief von Dir, in dem auch eine halbe Zeile ueber mich stand.285 Ich danke Dir fuer die Gruesse. Ich hatte erwartet, nach dem Brief über Galilei mehr zu erfahren, zumal ich mich gern dafuer einsetzen wollte, (was gar nicht leicht ist und auch gar nicht zu nutzen braucht und kaum als Versprechen aufgefasst zu werden braucht).286 – Karin Michaelis sah ich einmal. Es waere natuerlich sehr gut gewesen, wenn Du, statt nach Schweden, nach Amerika gekommen waerest, wenn eine Moeglichkeit dafuer gewesen waere. Erinnere Dich, wie Du mir nach M.287 telegraphiertest, ich solle unter allen Umstaenden sofort nach hier kommen, wegen der riesigen Chancen. Und ich kam nicht. Warum machst Du mir das nach? Die New School for Social Research richtet für mich für den kommenden Herbst eine Schauspielschule ein.288 Es ist natuerlich ein Versuch, aber es waere gut gewesen, wenn Du hier gewesen waerest. 285 Nicht überliefert. 286 In einem undatierten Brief an Piscator schrieb Margarete Steffin: „was GALILEI angeht, so hat er ja noch alle rechte frei und ihn würde natürlich eine aufführung dort besonders interessieren. was schlägst Du dafür vor? Brecht hatte die übersetzung REYHER, Ferdinand (Hollywood) vorbehalten wollen, aber nun hat er mit ihm doch nur für FURCHT UND ELEND DES DRITTEN REICHES abgeschlossen, (also amerikanische fassung!)“ (ML/SIU). 287 Moskau. 288 Das ist der Dramatic Workshop, den Piscator ab 1939 an der New School for Social Research (vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935) leitete.

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Zuckmayer289 ist hier eingetroffen. Er verhandelt über eine Auffuehrung vom „Hauptmann von Koepenick“, wofür sich Viertel und Homolka interessieren. Kortner sitzt mit Dorothy Thompson in Hollywood. Er hat zwar viel Geld bekommen, aber wieder keine Rolle gespielt.290 Seiner Ansicht nach hat das Dieterle vermasselt. Ab 25. Juni wohnen wir für drei Monate im Haus von Grosz: 202 Shore Road, Douglaston Manor, Long Island, N.Y. Ich erwarte also bald von Dir zu hoeren und gruesse Dich und alle herzlichst. Dein Erwin Piscator. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 911/87. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 114f.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 20.6.1939 Dem Bert Brecht Lindingö pr. Stockholm Lövstigen 1 Hos Santesson Suède Schnell nur herzlichen Dank für die eben eingehenden „Svendborger Gedichte“, lieber Herr Brecht. Ich freue mich sehr über Ihr Gedenken. Schreiben Sie mir, ob ich Ihnen Ihr Maschinenexemplar zurücksenden soll; Sie brauchen es vielleicht noch einmal. Sobald ich mit den Filmleuten291 gesprochen habe – da muß man auch die geeignete Gelegenheit abpassen – schreibe ich Ihnen wieder. Mit herzlichem Gruß Ihr Domke 20.6.39 Überlieferung: Ms (Postkarte: Paris – Vue panoramique prise des tours de Notre-Dame); BBA 911/53–54.

289 Der Schriftsteller Carl Zuckmayer (1896–1977), der Mitte der 1920er Jahre zusammen mit Brecht als Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin gearbeitet hatte, hielt sich nach der Machtübernahme der Nazis hauptsächlich in Österreich auf, ging 1938 in die Schweiz und von dort in die USA. In New York war er als Dozent am Dramatic Workshop und als Drehbuchautor tätig. 1957 übersiedelte er in die Schweiz. 290 Vgl. Anm. zu Piscator, 3.3.1939. 291 Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939.

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Gustav Hartung an Bertolt Brecht Basel, 26.6.1939

Basel, Petersgraben 24 26.VI 39

Lieber Bert Brecht, ich scheiterte mit dem Versuch Ihren Galilei durchzusetzen an dem Vorhandensein eines Schweizer Stückes mit gleichem Vorwurf, einer ernsthaften Arbeit von Jakob Bührer,292 ohne die leise Andeutung, die das Thema von Ihnen erhält – aber da die Arbeit erstens ernsthaft ist, kann ich nicht gegen sie auftreten – und trotzdem sie der Personenzahl [wegen] nicht aufführbar ist, ist es nicht möglich, den Brecht gegen den Bührer durchzubringen, so lange nicht eine Bühne gegen alle Schwierigkeiten den Versuch gemacht hat. Es ist schade, dass Sie so weit von hier sind – wir würden durchs Sprechen auf Pläne zur Durchsetzung des einen oder andern Werkes kommen. Ich gehe die Ferien über nach Südfrankreich – sollten Sie in die Nähe kommen – bitte ich [Sie, es] mich über meine Basler Adresse wissen [zu] lassen, von der mir alle Post nachgeschickt wird. Bei Teo Otto sah ich Ihren neuen Gedichtband, las das letzte der Gedichte293 mit Erschütterung – ich kann den Band hier nicht haben, würden Sie ihn mir schicken? Es wäre mir wichtig ihn zu haben – auch, weil ich im nächsten Jahr einige Rezitationsabende habe. Schliesslich eine Bitte an Helly: mir die Müller-Lisets Adresse zu senden – und mir zu schicken, was sie von ihrem Ergehen weiss. Den Galilei möchte ich noch behalten – ich stehe so dauernd in Verhandlungen, dass ich ihn ungern aus der Hand gäbe. Mit herzlichen Grüssen an Sie beide Ihr Gustav Hartung Überlieferung: Ms, BBA 911/15-16. – E: Bertolt Brecht und die Schweiz, hrsg. v. Werner Wüthrich unter Mitarbeit von Stefan Hulfeld, Zürich 2003, S. 534.

Gustav Hartung an Bertolt Brecht Basel, 26.6.1939 Gustav Hartung

Basel, den 26. Juni 1939 Petersgraben 24

292 Das ist das Drama Galileo Galilei (1933) des Schweizer Schriftstellers Jakob Bührer (1882–1975). 293 An die Nachgeborenen, das letzte der Svendborger Gedichte (GBA 12, S. 85–87).

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Lassen Sie mich, lieber verehrter Herr Brecht, noch eine Zeile zufügen: Herr Reiss erinnert mich, dass ich seinen Verlag Ihnen empfehlen wollte294 – ich stehe dem Verlag heute noch freundschaftlich beratend nahe – ich hatte ihn seinerzeit mitgründen helfen. Um in der Schweiz etwas durchzusetzen, glaube ich wirklich, dass es richtig ist, dass Sie Ihre Vertretung Reiss übergeben, denn nur wenn jemand sich ganz an die Fersen der Direktoren, Mitarbeiter, eventuell selbst der Kommissionsmitglieder hängt, ist ein Stück durchzubringen, das nicht gerade in Paris oder London in Serie läuft. Vielleicht sagen Sie Herrn Reiss, in welchen Ländern sonst Sie nicht vertreten sind – er hat gute Beziehungen – und ich könnte mir denken, dass er für das eine oder andere Land Ihnen Placierungsvorschläge machen kann. – Die besten Grüsse Ihres Gustav Hartung [Hs.] z. Zt. Royal […] Hotel Thermal 10. VII. 39 Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 911/17. – E: Bertolt Brecht und die Schweiz, hrsg. v. Werner Wüthrich unter Mitarbeit von Stefan Hulfeld, Zürich 2003, S. 534.

Heinrich Mann an Bertolt Brecht Nizza, 26.6.1939 2, rue Alphonse Karr

26. Juni 1939 Nice (France)

Lieber Bert Brecht, ich kann es nicht lassen, Ihnen für Ihre Gedichte295 zu danken, obwohl Sie keinen Dank, wahrscheinlich nicht einmal Bestätigung brauchen. Sie gehen Ihres sicheren Weges, und Ihr Wort kommt manchmal weither, aus Zeiten, die wenige kennen sollen. Die Nachgeborenen296, die Sie um Nachsicht bitten, werden von Ihnen viel zu lernen haben. Aber auch unsereiner empfängt Gedichte wie „Appell“297 – bei mir doppelt angestrichen – mit einem merkwürdigen Stolz. Sie kennen das Geheimnis, Ihren Leser stolz zu machen.

294 Vgl. Reiss an Brecht und Berlau, 28.4.1939, und Reiss, 31.8.1939. 295 Die soeben erschienenen Svendborger Gedichte. 296 Vgl. GBA 12, S. 85–87. 297 Ebd., S. 54–56.

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Gruss, Ihr Heinrich Mann Überlieferung: Ms, BBA 3227.

Wolfgang Roth298 an Helene Weigel und Bertolt Brecht New York, 28.6.1939 Wolfgang Roth

329 West 22NO Street, New York City

28. Juni 39 Liebe Helli, Lieber Brecht, Ich danke Euch sehr + herzlichst für das Gedichtbuch.299 Habs erst überflogen. Einiges kenne ich bereits aus Veröffentlichungen. Ich freue mich sehr. Und es ist auch so eine Art Lebenszeichen von Euch. Und das freut mich auch. Hatte schon gehört, dass Ihr nach Schweden seid. Ist sicherlich besser. Alles Gute Euch am neuen Platz. Ja, hier. Ich hatte einen Monat in einem Sommertheater gearbeitet. Eine irrsinnige Schinderei von morgens 8 bis morgens [sic] 6 Uhr. Jede Woche 2 Premieren und dazu noch welch ein Dreck. Aber die Erfahrung muss man ja auch mal machen. Jetzt bin ich wieder in N.Y., habe neue obenstehende Adresse. Und arbeite an einem Projekt für den Herbst. Hier ist eine Producer-gruppe, die will ab September eine Art „Realistisches Theater“ spielen (wie Gorky „Mutter“300 in Moskau) ohne Bühne, im Zuschauerraum etc. Es existieren einige Stücke für diesen speziellen Zweck. Und es sieht so aus, als ob es gelingen wird. Für uns ist das ja alt. Für hier neu + interessant. Ich arbeite jetzt gerade an der prinzipiellen Lösung dafür, denn davon hängt es ab, welches Theater dafür in Frage kommt, akzeptiert zu werden. Ist interessant für mich, endlich mal wieder ein Problem zu lösen. Und die Leute, die es machen, sind gut + jung + fortschrittlich. Hoffen wir das beste. Ausserdem stehen mir noch einige Dinge ins Haus, die aber noch nicht reif sind. Aber gute Aussichten sind’s.

298 Wolfgang Roth (1910–1988), Maler und Bühnenbildner, den Brecht aus seiner Berliner Theaterarbeit mit Piscator kannte. Ging 1933 ins Exil zunächst nach Österreich, 1934 in die Schweiz und 1938 in die USA. 299 Die Svendborger Gedichte. 300 Gemeint ist offenbar nicht Maxim Gorkis Roman Die Mutter (Mat’, 1906), sondern Brechts Stück. Bei dessen Uraufführung am 17.1.1932 im Komödienhaus Berlin zeichnete Roth für die Projektionen verantwortlich. Das Bühnenbild hatte Caspar Neher entworfen.

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Pisc. ist jetzt auf dem Land irgendwo in Long Island, und ich weiss noch nicht, was aus all seinen Plänen für Herbst wird. Vielleicht soll er auch eine Theaterschule aufmachen, die der „New School for Social Research“ angehören wird ......301 Die Lisl Neumann302 hat nach der Karin M.303 auch von Euch gesprochen, ich selbst sah sie leider nicht, weil ich nicht in N.Y war. Jetzt Ende der Woche kommt Kalser her, vielleicht für ständig. Aus Zürich kommen sowieso immer mehr deprimierte Nachrichten. Teo Otto schrieb mir gestern, dass sie jetzt nicht mit gepackten Koffern, nein, sondern mit gepackten Rucksäcken warten. Stimmung unter unseren Freunden nicht die Beste. Das hiesige Refugee-Theater, welches aus Wiener Zeiten unter Berghofs304 Regie besteht, startete vor 8 Tagen mit Riesenerfolg auf Englisch. Leider aber ohne jede „social or political significance“, und viele Amerikaner wollen das sogar. Aber halt die Wiener ... Jetzt bleibt abzuwarten, was, nachdem die Sensation daran abflaut, weiterbestehen wird. Ich hoffe jedenfalls sehr, denn einige 20 Leute können davon leben. Und das ist auch wichtig. Sie hatten ein Programm, welches hauptsächlich aus den Sachen bestand, die sie in der Wiener Kleinkunst gespielt haben. Die Sachen haben fast alle ihren Sinn verloren, weil sie meistens schlecht + oberflächlich übersetzt sind. Das ist ja überhaupt das Manko hier, und daran scheitern eben viele gute Stücke. Liebe Mutter Helli,305 ich habe eigentlich so Sehnsucht nach dir + Euch allen, Steff + Barbara. Die müssen doch schon riesig gross sein? Schickt mir doch mal Fotos von Euch, ich würde mich riesig freuen. Will doch sehen, wie meine Geschwister sich gemacht haben. Und Teo Otto hat recht, wenn er schreibt: „Unter uns gesagt, ist ja alles Scheisse, unser Platz bleibt Deutschland, Berlin, und ich verschaffe auch dann Rückreise & Affidavits für Berlin + Mark Brandenburg“ – In diesem Sinne herzlichst Euer Sohn Roth. Überlieferung: Ms, BBA 911/20–22.

301 Vgl. Piscator, 15.6.1939. 302 Das ist die österreichische Schauspielerin Elisabeth Neumann-Viertel (1900–1994), die zweite Frau von Berthold Viertel. Ging 1938 ins Exil in die USA und arbeitete als Filmschauspielerin in Hollywood. 303 Vermutlich Karen Michaelis, die sich seit 1939 ebenfalls in den USA aufhielt. 304 Der österreichische Theaterschauspieler und -regisseur Herbert Berghof (1909–1990), Schüler von Max Reinhardt, war seit 1939 an Piscators Dramatic Workshop in New York tätig und in den folgenden Jahren an zahlreichen Broadway-Produktionen beteiligt. 305 Helene Weigel hatte in der Uraufführung der Mutter die Mutter Pelagea Wlassowa gespielt.

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Hermann Budzislawski an Bertolt Brecht [Paris] 29.6.1939

29. Juni 1939

Lieber Bert Brecht! Vielen Dank für Ihr Gedicht.306 Leider ist es unmittelbar nach Redaktionsschluss gekommen, und so erscheint es nun ein paar Tage nach Anderson-Nexös Geburtstag. Ich bin Ihnen für Ihre Beiträge durchaus dankbar, und ich bitte Sie recht herzlich, mir öfter etwas zu schicken. Honorar erfolgt per Postanweisung. Mit den besten Grüssen Ihr Überlieferung: Ts, Privatarchiv Eckert.

Maria Heinemann an Bertolt Brecht New York, 30.6.1939

30. Juni 1939

Herrn Bertolt Brecht 11 Tulevaegen Lidingoe pr. Stockholm Sweden Sehr verehrter Herr Brecht, Wie Ihnen die Guild schon mitteilte, befindet sich Prinz Loewenstein zur Zeit in Europa. Wir erhielten Ihren Brief und die Svendborger Gedichte, ueber die wir uns ausserordentlich freuten.307 Eine besondere Genugtuung ist es natuerlich fuer die Guild, dass auch sie auf der ersten Seite vermerkt ist. Ich sende das Buch dem Prinzen nicht nach, da wir ihn Ende des Sommers wieder zurueckerwarten. Ich hoffe, dass die Ueberweisungen Sie jetzt wieder richtig und regelmaessig erreichen. Mit den besten Empfehlungen,

306 Das Gedicht Wie künftige Zeiten unsere Schriftsteller beurteilen werden (GBA 14, S. 433f.) hatte Brecht zu Martin Andersen-Nexös 70. Geburtstag (26.6.1939) verfaßt. Es erschien am 6.7.1939 in der Neuen Weltbühne. 307 Vgl. B. an Prinz zu Löwenstein, 29.6.1939, GBA 29, S. 146f.

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Ihre Maria Heinemann. Executive Secretary. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: American Guild For German Cultural Freedom, Inc. 20 Vesey Street New York, N.Y. Hon. Wilbur L. Cross, President; BBA 911/18–19.

Johannes Edfelt308 an Bertolt Brecht Rönninge, 30.6.1939 Rönninge, 30.VI.39 Lieber Brecht! Kleiner Land. was nun? Herzlich willkommen, jedenfalls, und bleiben Sie, bitte, solange Hitler feststeht. Und vielen Dank für Ihre „Svendborger Gedichte“, die ich vielleicht bespreche in „Social-Demokraten“.309 Ihr Johannes Edfelt Überlieferung: Ms, BBA 911/67.

Hanns Eisler und Johannes Schröter 310 an Bertolt Brecht [Mexiko-Stadt, Juli 1939] lieber brecht! ich danke dir sehr für den gedichtband, der gerade an meinem geburtstag ankam. ich habe das büchlein gleich mehrere male durchgelesen, und obwohl ich doch fast alles kenne, hat es mir aufs neue wieder ausserordentlich gut gefallen. auch die umstellung in der kriegsfibel311 fand ich sehr glücklich. ich 308 Johannes Edfelt (1904–1997), schwedischer Schriftsteller und Übersetzer. 309 Social-Demokraten, von 1885 bis 1944 in Stockholm erscheinende Tageszeitung. Edfelts Rezension der Svendborger Gedichte erschien am 9.8.1939. 310 Der KPD-Politiker Johannes Schröter (1896–1963), von Beruf Schlosser, gehörte zusammen mit Hanns Eislers Bruder Gerhart u.a. zu den „Versöhnlern“ in der Partei, die weiterhin für eine Zusammenarbeit mit der SPD eintraten. 1933 ging er ins Exil nach Paris, wo er für Münzenbergs Éditions du Carrefour arbeitete, später über die USA nach Mexiko. Brecht hatte er möglicherweise in Paris kennengelernt. 311 Das ist die in die Svendborger Gedichte aufgenommene Deutsche Kriegsfibel (GBA 12, S. 9–15). Eisler hatte 1936 bereits einige Gedichte daraus vertont.

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muss dir wirklich herzlichst gratulieren. auch meine freunde, denen ich es hier zu lesen gab sind alle sehr begeistert. wie geht das neue stück 312 vorwärts? vergiss ja nicht ein paar lieder hereinzudichten, damit ich mich wenigstens in dieser form an der arbeit beteiligen kann. ich lebe etwas zu ruhig hier, bin leider nicht sehr fleissig, weil einen diese ganzen dokumentgeschichten mit einreisen und ausreisen immer wieder nervös machen. immerhin macht mir meine konservatoriumsklasse, die voller graubärte ist, spass. auch werden meine vorlesungen gedruckt in spanisch erscheinen.313 schreibe ein paar zeilen über das neue stück und schicke womöglich eine kopie von einigen szenen. nochmals vielen dank. sehr herzlich Dein alter Eisler Lieber Brecht, Hans gab mir Deinen neuen Gedichtband zu lesen, und da ich die meisten Deiner neuen Sachen nicht kannte, war es fuer mich eine freudige Ueberraschung und ein grosser Genuss. Ich gratuliere Dir zu diesem praechtigen Werkchen und hoffe, dass ein grosser Kreis unserer Freunde Gelegenheit findet es kennen zu lernen. Hoffe dass es Dir den Umstaenden entspr. gut geht und gruesse Hans Schr. freundschaftlichst Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 911/98–99. – E: Eisler, Briefe, S. 149f.

Verlag „Die Neue Weltbühne“ an Bertolt Brecht [Paris] 1.7.1939 Herrn Bertolt Brecht Stockholm-Lidingö

den 1. Juli 1939

Sehr geehrter Herr Brecht! Herr Dr. Budzislawski beauftragt uns, Ihnen einen Betrag von 300.- Ffrs. (circa) anzuweisen.314 Gleichzeitig hat er uns angewiesen, Ihnen von jetzt ab die Weltbühne als Frei312 Seit März 1939 arbeitete Brecht an dem Stück Der gute Mensch von Sezuan. 313 Vgl. Anm. zu Piscator, 10.4.1939. Der angekündigte Druck kam nicht zustande. 314 Vgl. Budzislawski, 29.6.1939.

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exemplare zuzustellen, da es ihm nicht mehr angängig erscheint, die Gebühren für ein Abonnement jeweils von Ihrem Honorar abzuziehen. Wir hatten eine solche Verbuchung auf Grund der früheren Vereinbarungen vorgenommen; Herr Dr. Budzislawski ist jedoch der Auffassung, dass, obwohl wir selbst immer wieder mit ausserordentlich grossen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wir Ihnen gegenüber zu einem solchen Entgegenkommen verpflichtet sind. In vorzüglicher Hochachtung DIE NEUE WELTBÜHNE VERLAG […] Überlieferung: Ts, hs. U. (unleserlich), Bv.: Die neue Weltbühne – Sèvres (S.-&-O.) France, Boite postale No 9 Telephon: OBServatoire 07–35 Unsere Bankverbindung in England: Westminster Bank Ltd., Chelsea (Parr’s) Branch 300 King’s Road, London S. W. 3 Konto: Dr. Hermann Budzislawski – Postscheckkonten: Prag: 85752 Dr. H. Budzislawski Paris: 190083 Dr. Hermann Budzislawski Warschau: 194850 Zürich: VIII 18195 Dr. Hermann Budzislawski Zagreb: 41659 Dr. Hermann Budzislawski; BBA 911/55.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht Douglaston, 6.7.1939 202 Shore Road, Douglaston, L.I. July 6, 1939. Lieber Bert, Diesen Brief bringt Dir Charles K. Freeman, den ich hier bei der Aufführung von Sklaartz’ „Life and Death of an American“315 kennen lernte, wo er Regie führte. Diese war als solche die beste von den fünfzig Aufführungen, die ich hier sah. Er wird Dir alles erzählen, auch über die Art seiner Arbeit.316 315 Life and Death of an American, die erste Arbeit des amerikanischen Regisseurs Charles K. Freeman am Broadway, wurde am 19.5.1939 am Maxine Elliott Theatre uraufgeführt. Der Autor George Sklar (1908–1988) schrieb in den 1940er Jahren Drehbücher für Hollywood-Produktionen, bis sein Name auf der antikommunistischen Schwarzen Liste der McCarthy-Ermittler auftauchte. Nachdem ihm damit praktisch ein Berufsverbot beim Film erteilt worden war, begann er, Romane zu schreiben, und kehrte schließlich zurück zum Theater. 316 In einem undatierten Brief schrieb Margarete Steffin an Piscator: „kurz haben wir auch charles freeman gesehen, der mit grüssen von Dir kam und weiterfuhr in die union. er hat von br. ein paar fotos gemacht […]“ (ML/SIU). Wie Freeman am 5.11.1939 der New York Times verriet, hat er sich in der UdSSR u.a. mit dem Filmregisseur Herbert Rappaport (Professor Mamlock, UdSSR 1938) beratschlagt.

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Er ist der einzige, in dessen Inszenierung ich wieder etwas von unsern Grundideen fand. Ich würde es für sehr gut halten, wenn Du mit ihm in enge Verbindung kämst. Er ist sehr begabt, und der einzige hier, der mich vom Regiestandpunkt aus wirklich interessiert. Nicht weil er das, was er macht, etwa unsern Ideen nachmacht, sondern weil er eine eigene Musikalität hat, einen eigenen Ausdruckswillen, weil er einer ist, der selber erfinden kann. Sehr gut. Ausgezeichnet. Er fährt, wie er sagt, über die Hauptstädte und möchte jede Theaterbewegung kennen lernen. Ich habe ihm auch einen Brief an Knudsen317 gegeben. Mach ihn bekannt oder lass ihn bekannt machen mit Stockholmer Leuten. Vielleicht kann ihm auch Trepte etwas helfen. Heute kamen Deine Gedichte.318 Wegen Reyher schrieb ich an Kortner in Hollywood, wo er auch sein soll. – Über Toller und andere Sachen schreibe ich Dir ausführlich bald. Herzlichste Grüsse Dein Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 126f.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 7.7.1939

[Hs.] 7 Juli 1939

Lieber Freund Brecht, Mit gleicher Post schicke ich Ihnen die letzte Nummer der „Deutschen Zeitung“ in der einige Seiten der deutschen Literatur gewidmet sind.319 Wir wären Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie uns gelegentlich Ihre Meinung zur Ausgestaltung der Literaturseiten in der „D.Z.“ mitteilen wollten. Vielleicht haben Sie auch Anregungen und Vorschläge? Mit besten Grüssen Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/10. 317 Per Knutzon. 318 Vermutlich die Svendborger Gedichte. Ein Brief Brechts ist nicht überliefert. 319 Nicht überliefert.

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Hermann Borchardt an Bertolt Brecht New York, 8.7.1939 204 Manhattan Avenue, Apt. 52

New York City den 8. Juli 1939

Lieber Brecht, Ich danke Ihnen herzlich für die Sendung der Svendborger Gedichte, von denen ich viele gleich meiner Familie vorgelesen habe („Ja, ja, der Brecht war immer feiner als die anderen“, sagt meine Frau320); um so herzlicher, als Sie ja wissen, daß ich weggegangen bin von dieser Barrikade zu einer anderen, nicht als Familienvater, sondern als gebrannter Renegat. Nein, ich glaube das alles nicht mehr; die Verse sind tadellos („davon ab“ sagt der Berliner); aber was drin steht in den Versen, ich kann es nicht mehr glauben, lieber Brecht. Ich glaube heute, daß die 1000 Millionen Sklaven der modernen Welt (mit den Moskauer Inquisitoren an der Spitze) lieber bei trocken Brot und Schlägen unter Hitler leben wollen als unter Roosevelt bei Fleisch und Wein, und daß die 300 Spartaner und 700 Thespier lieber hungern unter Roosevelt als schwelgen unter Hitler, Stalin oder Mussolini. Das hat nichts mit „Diktatorship“ zu tun, und erst recht nichts mit Essen. Es geht nämlich nicht um Essen, Wohnen oder genügend Schlaf: das ist die Summe meiner Erfahrungen. Wenn Hitler weniger schlagen und rauben ließe, würde die Liebe zu ihm und die Überzeugung, daß er der „Gesandte“ ist, weniger stark sein. Er hat die Minderwertigen emporgehoben, die an seinen Verbrechen stolz beteiligt sind. Die Menschheit besteht aus Idealisten. Für Sie aber werde ich immer eine Liebe haben, darin habe ich mich nicht verändert; gegen Sie kann ich mich niemals stellen: übrigens aus genau demselben Grunde, warum ich abgefallen bin von denen mit dem Aufklärungsmaul und den gläsernen Handschuhen. Denn Sie wird man vor siegreich versammelter Volksfront als Zweiten erschießen, und die Kämpfer für Abraham Lincoln321, freedom and democracy werden (mit gläsernen Handschuhen an den Fingern) „Feuer“ kommandieren. Das wird Ihr Gastgeschenk seien. Aber wer wird hinter Ihnen weinen? Nicht die Kämpfer, weiß Gott, sondern die weichen Gattinnen einiger weicher Millionäre. Es ist gut, das schon bei Lebzeiten zu wissen. Meine Frau und ich wünschen und hoffen beide, dass Sie bald hierher kommen mit Familie und Stab, und uns die Ehre geben, wieder einmal an unserem Tisch zu sitzen bei einer ärmlichen aber reichlichen Mahlzeit! Hans Borchardt Ihr alter

320 Dorothea Borchardt. 321 Abraham Lincoln (1809–1865), von 1861 bis 1865, als er einem Attentat zum Opfer fiel, Präsident der USA. Aufgrund seiner Gegnerschaft zur Sklaverei spalteten sich die konföderierten Südstaaten von der Union ab, was zum Amerikanischen Bürgerkrieg 1861–1865 führte.

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Wunderbar schön, leuchtend von Humor, Feinheit, Leichtigkeit, kurz von Humanität (Seite 32–42) ist „Die Entstehung des Buches Taoteking“, auch die anderen Legenden, wie die auf Mike Mc. Coy.322 Überlieferung: Ms, BBA 654/82–83.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 8.7.1939 c./o. O. M. Graf 34, Hillside Avenue New York City New York, den 8. Juli 39 Lieber Brecht, riesig habe ich mich über Gretes Brief vom 25.VI.323 gefreut und über das Buch das tags darauf eingetroffen ist.324 Es sieht sehr ordentlich aus, die Type ist zwar etwas zu klein, trotzdem kann ich nur gratulieren. Natürlich auch mir selbst, ist es doch seit München325 die erste Publikation des Malik-Verlages. Natürlich habe ich die Absicht noch nicht aufgegeben, Band III und IV326 und hoffentlich auch noch weitere, herauszubringen. Leider sind die Verhältnisse hier schwer durchschaubar, ich hatte viele Besprechungen und werde noch viele haben, auch einen ganz bestimmten Plan verfolge ich, nämlich den Aufbau einer Leserorganisation (keine Buchgemeinschaft). Ob es mir aber gelingt in den nächsten Wochen das notwendige Betrieb[s]kapital aufzutreiben, das weiss ich nicht. Natürlich ist es schade, dass „Furcht und Elend“ nicht herauskam, immerhin ist ja viel daraus in Zeitschriften erschienen und wenn jetzt Einiges überholt ist (was?) so ist es vielleicht sogar ein Gewinn, falls es in der Gesamtausgabe wegfällt. Ich fahre in Kürze nach Hollywood und hoffe dort genügend Mittel aufzutreiben um wenigstens den dritten Band gleich in Auftrag geben zu können. Leider besitze ich gar kein Manuskript. Die Fahnen der in Prag gesetzten Arbeiten habe ich alle an Dich gesandt und das Manuskript „Galilei“ ist nie bei mir eingetroffen. Bitte sende mir doch beides zu.

322 Das sind die Gedichte Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration (GBA 12, S. 32–36) und Kohlen für Mike (S. 40f.). 323 Nicht überliefert. 324 Vermutlich die Svendborger Gedichte. 325 Anspielung auf das Münchner Abkommen. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.9.1938. 326 Die nicht mehr erschienenen Bände 3 und 4 der Gesammelten Werke.

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Die Situation hier ist für deutsche Bücher durch die Gründung der Book-Alliance recht verfahren. Diese Gründung ist ein voller Misserfolg, immerhin vermochten sie derartige Pläne für die Zukunft zu diskreditieren. Ich habe die Suppe auszulöffeln. Es gibt in diesem Lande sehr viel Deutschlesende, aber 90% davon hat bestimmt noch nie ein gutes deutsches Buch in der Hand gehabt. Und die Literaturedelleute, die sich vor mir hier einfanden, sind offenbar nicht auf den Gedanken gekommen, dass man auf diese amorphe, aber keineswegs hoffnungslose Schicht Einfluss nehmen müsse. Ob es mir gelingen wird, weiss ich nicht, jedenfalls ist mir klar, dass es nur möglich ist, wenn es gelingt die vielen verschiedenartigen Kulturorganisationen und was sich so nennt an der Aufgabe aktiv zu interessieren. Damit bin ich gerade beschäftigt. Ich werde Dir nächstens ein Exposé des Planes, der mir vorschwebt, zusenden. Hoffentlich wird es Dir bald möglich sein hierher zu kommen. Auch hier hat man es nicht leicht, trotzdem glaube ich, dass für die nächste Zukunft hier für unsereinen mehr Möglichkeiten bestehen, als in Europa. Das ist auch die Stimmung bei den verschiedenen Freunden, die ich gesprochen habe. Wirklich Boden unter den Füssen haben sie fast alle noch nicht. Grosz habe ich einigemale gesehen, er ist so ziemlich der alte. Man erzählt viel Negatives von ihm, er bestätigt mir auch selber, dass er einigemale, nicht ganz nüchtern verschiedene Freunde heftig provoziert und gekränkt hat, aber das hat er ja schon immer so gemacht. Von seinen Arbeiten habe ich fast nichts gesehen, weil sie fast alle auf einer Ausstellung waren und noch nicht zurück sind. Von einer Ill[u]stration eines Gedichtbandes von Dir habe ich nichts gehört. Borchardt habe ich noch nicht gesehen, er scheint fast überall sehr unbeliebt zu sein, selbst sein Verhältnis zu Grosz ist wohl ein wenig getrübt, er hat ein Buch über seine Konzentrationslagererlebnisse geschrieben, es soll literarisch sehr gut sein, aber fast mehr Bewunderung als Ablehnung ausdrücken.327 Hülsenbeck 328 lebt hier, offenbar recht zurückhaltend, ich habe mit ihm telefoniert und will [ihn]329 nächstens besuchen. Wir leben mit Renn330 zusammen in der gleichen Wohnung, viel bin ich mit Graf und Bloch beisammen, Bruckner sah ich wieder, er steht uns näher als früher. Marcuse traf ich bei ihm, jetzt ist er in Californien, wo auch Bodo Uhse331 und Berthold Viertel hingefahren sind. Piscator ist seit einigen Monaten hier, hat Pläne deren Aussichten ich

327 Das Buch, in dem Hermann Borchardt seine Mißhandlungen im Konzentrationslager Dachau schildert, blieb unveröffentlicht. 328 Der Psychoanalytiker und Schriftsteller Carl Wilhelm Richard Hülsenbeck (1892–1974), Pseudonym: Charles R. Hulbeck, hatte mit George Grosz u.a. 1917 eine Dada-Gruppe in Berlin gegründet. Seit 1936 lebte er im Exil in New York, 1970 übersiedelte er in die Schweiz. 329 Im Ts: „ich“. 330 Vermutlich Ludwig Renn. 331 Der Schriftsteller Bodo Uhse (1904–1963), der Ende der 1920er Jahre von der NSDAP zur KPD übergetreten war, floh nach dem Reichstagsbrand 1933 nach Paris, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und ging 1939 in die USA, von dort 1940 nach Mexiko. 1948 kehrte er zurück nach Deutschland (Ost).

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nicht beurteilen kann, Geld zum warten hat er ja. Liesel Neumann332 spielt bei der Kleinkunstbühne „Little Vienna“. Ich sah eine Vorstellung. Nicht schlecht und wie es scheint sogar finanziell ein Erfolg. Im Uebrigen ist jetzt im Sommer tote Zeit. Tollers Selbstmord333 kam für seine näheren Freunde nicht überraschend. Er hatte übrigens kurz vorher einen Plagiatsstreit mir Borchard[t], der ihm vorwarf Teile aus seinem Buch, allzugenau in sein letztes Bühnenwerk übernommen zu haben.334 Für den Herbst wird hier eine Toller-Gedächtniskundgebung vorbereitet. Und zwar vom Deutsch-Amerikanischen Schriftstellerbund, den Graf leitet und der sich ziemlich rasch gut entwickelt hat.335 Manfred Georg336 ist auch sehr aktiv dabei. Wegen des Vertriebes des Gedichtbandes schreibe ich gleichzeitig an Grete, Kopie liegt bei. Herzliche Grüsse Dein W. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 911/12–14.

Wieland Herzfelde an Margarete Steffin New York, 8.7.1939 Wieland Herzfelde c./o. O. M. Graf 34, Hillside Avenue New York City New York, den 8. Juli 39 Liebe Grete, aus der beigefügten Kopie meines Briefes an Brecht erfährst Du Einiges über unser Leben und New York. Zu Deiner Frage wegen des Romans von Kirk 337 kann ich im Augenblick wenig sagen. Sobald ich weiss ob aus meinem Plan etwas wird oder so bald ich 332 Elisabeth Neumann-Viertel. 333 Der unter schweren Depressionen leidende Ernst Toller hatte sich am 22.5.1939 in New York das Leben genommen. 334 Hermann Borchardt hatte zwei Akte zu Tollers Stück Pastor Hall (vgl. Anm. zu Piscator, 3.3.1939) verfaßt und trat deswegen in einen Rechtsstreit mit dessen Erben. 335 Gemeint ist die German American Writers Association, der Oskar Maria Graf bis 1940 vorstand. 336 Der Schriftsteller und Publizist Manfred Georg (1893–1965) ging 1933 ins Exil nach Prag, 1938 nach New York, wo er die jüdische Wochenzeitschrift Aufbau herausgab. 337 Den Roman Daglejeme (Die Tagelöhner) von Hans Rudolf Kirk hatte Steffin übersetzt (vgl. Anm. zu Becher, 21.10.1937).

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genügend Kapital aufgetrieben habe, um wieder mehr Malik Bücher produzieren zu können, komme ich darauf zurück. Jedenfalls notiere ich mir das Manuskript in der Liste unveröffentlichter deutscher Manuskripte, die ich angelegt habe. Nun zur Vorbereitung der „Svendborger Gedichte“. Leider habe ich nie eine Antwort auf meine diesbezüglichen Vorschläge und Anfragen bekommen und ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, wieviel Exemplare gedruckt wurden und was bisher für die Verbreitung geschehen ist. Wie ich höre, bietet Ihr das Bändchen zum Subskriptionspreis von $ 2.50 an. Ich bitte mir möglichst per Flugpost folgende Fragen zu beantworten: Wie hoch ist die Auflage? 1.) Wie lange steht der Satz noch? Du schreibst 4 Wochen, ich weiss aber 2.) nicht wieviel von den 4 Wochen schon vergangen sind. 3.) Habt Ihr Euch schon für einen Buchhandelspreis entschieden? Bei einem niedrigeren Preis lässt sich voraussichtlich eine grössere Menge absetzen. Ich schlage folgenden Preis vor: 2 sh. = $ 0.50 = sfr. 2.25 = ffr. 18.- = hfl. 0.95 = dinar 27.- Bei diesem Buchhandelspreis könnte ich 600 Stück absetzen und übernehmen. Ich würde dafür 15.- ₤ bezahlen. Voraussetzung ist, dass Ihr den Buchhandel nichts liefert. Solltet Ihr dem Buchhandel in Skandinavien lieber selbst die Exemplare liefern (ich fände das ziemlich unpraktisch wegen der Fakturierung) so könnte ich nur 500 Exemplare nehmen. Falls der von mir vorgeschlagene Preis Euch zu niedrig erscheint, so schlage ich folgende Preise vor: 2/6 sh. = $ 0.60 = sfr. 2.75 = ffr. 22.- = hfl. 1.15 = dinar 32.--. Mir kommt das aber schon etwas teuer vor. Ich würde in diesem Falle 500 bezw. 400 übernehmen und könnte für 500 Expl. 15 ½ ₤ bezahlen. Die Exemplare wären an meine verschiedenen Auslieferungsstellen zu schicken. 4.) Besteht gar keine Möglichkeit den Satz länger stehen zu lassen? Ich bin nämlich ziemlich überzeugt, dass ich einen grösseren Auftrag für die Wolgadeutschen bekommen könnte, aber das dauert erfahrungsgemäss etwas länger. Ich schreibe gleichzeitig diesbezüglich und hoffe der Satz ist nicht schon abgelegt, wenn der Auftrag eintrifft. Und nun hätte ich folgende Versendungen vorzunehmen:

A.) Gratisexemplare: 5 Expl an Bianca Mynatt, 12 Doughtystreet, London W.C.1 (Bei diesen Exemplaren handelt es sich um die Pflichtexemplare, die laut englischem Gesetz an verschiedene Stellen verschickt werden müssen.)

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1 Expl. an Dr. Ferdinand Lion338, Red. Mass und Wert, Zürich, Rämisstrasse 5 (Ich habe das Expl. avisiert, schickt es nur, falls Ihr nicht selbst schon ein Expl. gesandt habt.) 1 Expl. an Prof. Walter A. Berendsohn339 Lyngby-Kopenhagen 1 Expl. an Fa. Mayer & Co, 148 rue de340 Rennes, Paris VIe B.) Exemplare, die mit den von mir zu beziehenden verrechnet werden. Ich werde sie den Empfängern in Rechnung stellen, sobald Ihr mir mitgeteilt habt, dass die Exemplare abgegangen sind und für welchen Preis Ihr Euch entschieden habt. 22 Expl. an Oprecht und Helbling, Zürich, Rämisstrasse 5 5 " " Schweizer Vereinssortiment Olten, Schweiz 10 " " British International News Agency, London E.C.4, 132-134 Fleet street 5 " " Hermann Igersheimer341, Amsterdam-Z., Vosciusstraat 50 1 " " Breyer, Zagreb, Masarykova 5, Jugoslavia 1 Expl. an Fa. Eminiscu, Cernauti, Strada Jancu Flandor 11, Romania 1 " " " Pales, Tel Aviv, P.O.B. 844 5 " " " Barbara de Herzfeld, Buenes Aires, Tucumán 313-Pisco2 Dto 6 Argentinia 1 " " " Ksiegarnia „Ksiaska”, Lwow, Czarnieckiego 12 50 " " Wieland Herzfelde c./o. Graf, 34, Hillside Avenue, New York City Jetzt zur Frage der Besprechungsexemplare. Wie ich schon schrieb, muss es vermieden werden, dass Ihr und ich an dieselbe Adresse Exemplare schicken. Das Einfachste wird wohl sein, falls es Euch nicht zuviel Arbeit macht, wenn Ihr mir eine Liste der von Euch versandten Exemplare schickt und mir gleichzeitig mitteilt wieviel Exemplare für den Rezensionsversand noch zur Verfügung st[e]llen könnt. Auf Grund dieser Angaben werde ich Euch dann eine Liste weiterer Rezensenten zustellen. Die Portoauslagen für den Versand auf Grund meiner Liste ersetze ich Euch natürlich. Bittet antwortet recht schnell. Da die Buchhändler etc. sich sehr ärgern, wenn sie Ware ohne Rechnung bekommen, ist es notwendig, dass ich die Rechnungen so schnell wie mög-

338 Der Schweizer Schriftsteller und Journalist Ferdinand Lion (1883–1965) war seit 1937 Redakteur der in Zürich erscheinenden, von Thomas Mann und Konrad Falke herausgegebenen Exilzeitschrift Maß und Wert, später Lektor beim Ullstein Verlag in Berlin. 339 Walter Arthur Berendsohn (1884–1984), Literaturwissenschaftler, seit 1933 im Exil in Dänemark. Ging von dort 1943 nach Schweden, später als Professor für Germanistik in Stockholm tätig. 340 Im Ts: „des“. Bei der Firma Mayer in Paris handelt es sich, ebenso wie bei den nachfolgend genannten Adressen, um eine Verlagsbuchhandlung. 341 Der Buchhändler Hermann Igersheimer (1900–1978), ein Cousin Max Horkheimers, lebte seit 1924 in Amsterdam und floh von dort 1941 nach New York.

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lich schicke. Falls es nicht zuviel Mühe macht, legt den 3 Sendungen bitte ein Zettelchen342 bei, auf dem steht: Ladenpreis sh. 2.- (bezw. die Währung des Landes in dem der Empfänger lebt) Faktura folgt. Herzliche Grüsse W. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr.; BBA 911/10–11.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 15.7.1939 Sanary/Var, 15. Juli 1939 Villa Valmer Lieber Brecht, ich danke Ihnen herzlich für die „Svendborger Gedichte“. Ich habe sie mehrmals gelesen; einige darunter sind herrlich und werden bestimmt bleiben, ein paar sind etwas zu billig, und ich hätte sie nicht aufgenommen. Aber es werden ja bestimmt noch viele Anthologien Ihrer Gedichte erscheinen, und ich würde mich freuen, einmal mit Ihnen ausführlich über die Gesichtspunkte zu reden, nach denen solche Sammlungen zuzuordnen wären. Ich höre mit Freuden von Hirschfeld343, dass das Züricher Schauspielhaus die Absicht hat, den „Galilei“ zu spielen. Seien Sie gescheit und kürzen Sie stark. Besteht eine Hoffnung, dass Sie zu der Aufführung nach Zürich kommen? Vielleicht könnte man sich bei diesem Anlass sehen. Wenn ich mit „Exil“344 noch Ende August fertig werde, dann komme ich nach Stockholm zum PEN Klub Kongress345, um von dort nach Moskau weiter zu fahren. Leider aber zieht sich die Arbeit hin, und ich fürchte, ich werde sie kaum vor Anfang Oktober abschliessen können. Bitte, lassen Sie doch einmal ausführlich von sich hören. Herzlichst 342 Hs. Erg.: „ich schrieb sie aus, bitte Preis einfügen!“ 343 Der Dramaturg und Regisseur Kurt Hirschfeld (1902–1964), vormals am Hessischen Landestheater Darmstadt tätig (vgl. Anm. zu Wreede, 27.2.1933), ging 1933 ins Exil in die Schweiz. Ab 1938 Chefdramaturg des Züricher Schauspielhauses, wo in den 1940er Jahren mehrere Stücke Brechts uraufgeführt wurden (vgl. Anm. zu Eisler, 24.5.1934), 1943 auch der Galilei (Regie: Leonard Steckel). 344 Der Roman Exil, der letzte Teil der Wartesaal-Trilogie, erschien 1940 bei Querido in Amsterdam. 345 Der XVII. Internationale PEN-Kongreß, der vom 3. bis 7.9.1939 in Stockholm stattfinden sollte, wurde infolge des Kriegsausbruchs auf unbestimmte Zeit vertagt. Er trat schließlich im September 1941 in London zusammen.

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Immer Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3219.

Gerda Goedhardt an Ruth Berlau Hollywood, 18.7.1939 Nlt Zp 9.75 Brecht 1 Lowstigen per Stockholm Lidingövillastad Hollywood calif Ä 48 26 ord k 18/7 1939 Telegraphiert ob bindende abmachung fur galilei besteht346 stop vielleicht chance newyorker auffuhrung durch allerersten producer vermittlung kortner Überlieferung: Ts (Telegramm: Telegram. Kungl. Telegrafverket.); BBA 911/62.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 29.7.1939

29. Juli [hs.] 39

Lieber Freund Brecht, Seien Sie nicht böse, wenn die Frage der Herausgeber des Einakterzyklus347 und „Leben des Galilei“ sich verzögert.348 Die Manuskripte sind angekommen, als der Plan für das nächste Jahr schon abgeschlossen war. Da aber diese Werke sehr interessant sind, bezweifle ich nicht, dass Sie schon in den nächsten Tagen ein ausführliches Schreiben von Goslitisdat349 erhalten werden. Ich habe heute mit den leitenden Genossen aus dem Verlag gesprochen. Sie sagten, dass sie nachfragen müssen ob die Einakter nicht in Leningrad erscheinen werden. Man sagt, 346 Auf der Rückseite des Telegramms hs. Notiz Brechts: „keine Bindung für Galilei brecht“, dazu von fremder Hand: „ist das klar?“ Die Uraufführung des Galilei in denn USA fand erst 1947 statt. 347 Furcht und Elend des III. Reiches. 348 Vgl. Anm. zu Apletin, 10.6.1939. 349 Staatsverlag für schöngeistige Literatur (Gosudarstvennoe izdatel’stvo chudožestvennoj literatury). Ob Brecht das angekündigte Schreiben erhalten hat, ist ungewiß; die geplante Publikation des Galilei im Staatsverlag kam nicht zustande.

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dass das Manuskript dort auch vorhanden sei. Wie gesagt wird es in den nächsten Tagen endgültig entschieden. Wie gefällt es Ihnen an Ihrem neuen Wohnplatz? Was schreibt die skandinawische Presse zu dem kommenden Pen-Clubkongress in Stockholm?350 Mit besten Grüssen (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/13.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 29.7.1939 29.7.39 Herrn Bert Brecht Lidingö pr. Stockholm Lövstigen 1 Hos Santesson Lieber Herr Brecht, Eben höre ich von Herrn Aufricht, dass Ihre Bilder „Glanz und Elend des Dritten Reiches“351 kürzlich Anlass zu einer hiesigen französischen Aufführung gegeben haben, und zwar in der Salle Pleyel.352 Herr Aufricht ist ebenso wie ich sehr erstaunt darüber, dass wir nichts von dieser Angelegenheit gehört haben. Nicht als ob Herr Aufricht oder ich sich in Ihre Sachen hineindrängen wollten. Aber Sie wissen doch wohl nur zu gut, dass Sie sowohl in Herrn Aufricht wie in mir aufrichtige Freunde haben, die stets an der Verbreitung Ihrer Angelegenheiten interessiert sind. Und dies ohne jedes eigene finanzielle Interesse! Was hat es nun wirklich mit dieser Angelegenheit für eine Bewandtnis? Immerhin, es würde sowohl Herrn Aufricht wie mich doch interessieren, davon etwas Näheres zu wissen. Zumal man an Herrn Aufricht herangetreten ist, ob er nicht diese Sache für eine regelmässige Aufführungsfolge im Monat September arrangieren könnte. Was natürlich Geld kostet, das nicht so leicht vorhanden oder beschaffbar ist. Jedenfalls, Sie sollten Herrn Aufricht und mich nicht ohne Nachricht über Ihre Pariser Angelegenheiten lassen. Mindestens hätten wir doch Interesse genommen, dieser französischen Erstaufführung beizuwohnen. 350 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 15.7.1939 351 Furcht und Elend des III. Reiches. Offenbar eine Verwechslung mit Honoré de Balzacs Glanz und Elend der Kurtisanen (Splendeurs et misères des courtisanes, 1847). 352 Vgl. Abraham, 1.4.1939.

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Mit herzlichen Grüssen bin ich stets Ihr Domke. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; BBA 911/97.

Rudolf Olden an Bertolt Brecht Oxford, 29.7.1939 29. Juli 1939. Herrn Bertold Brecht, Lövstigen 1, Lidingö (per Stockholm). Lieber Bert Brecht, Ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet. Ihre Aufnahme in den PEN-Club war bisher nur dadurch suspendiert, dass Sie auf Zuschriften nicht geantwortet haben. Sie sind also durch Ihren Brief Mitglied geworden.353 Ich lege Ihnen ein Heftchen betreffend den Stockholmer Kongress354 bei. Wollen Sie sich bitte bei der darin angegebenen Adresse als Teilnehmer anmelden. Ich höre übrigens, dass Thomas Mann wahrscheinlich nach Stockholm kommen wird. Beste Grüsse Ihres Rudolf Olden Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 911/93.

Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht Neuilly sur Seine, 29.7.1939

29. Juli 1939.

353 Vgl. B. an Olden, Juli 1939, GBA 29, S. 147; dazu die Anm. zu Becher, 26.2.1935. 354 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 15.7.1939

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Sehr verehrter lieber Herr Brecht, ich habe eben die Mitteilung erhalten, dass Sie die Freundlichkeit hatten, mir Ihre Gedichte355 nach Amerika zu senden. Ich werde sie im September selbst dort in Empfang nehmen. Bitte könnten Sie mir schreiben, wo sie erschienen sind, da ich gern für die Anthologie, die wir planen, ein Exemplar hier haben möchte. Ich bin sehr beglückt, dass die Werkbeihilfe der Guild eine wirksame Förderung ist; Sie halfen uns bei der Arbeit, dass Sie dies in dem Band auch der Oeffentlichkeit gegenüber anerkannten, und darüber freue ich mich sehr. Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihr aufrichtig ergebener Hubertus Prinz zu Löwenstein z.Zt. 44, rue de Chézy Neuilly sur Seine. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: American Guild For German Cultural Freedom, Inc. 20 Vesey Street New York, N.Y. Hon. Wilbur L. Cross, President Senator Robert F. Wagner Honorary Chairman Dr. Thomas Mann Chairman: European Council Dr. Henry Seidel Canby Chairman: Committee On Awards Dr. Robert M. Hutchins Vice-President Dr. Alvin Johnson Vice-President Dr. Frank Kingdon Vice-President Oswald Garrison Villard Treasurer Prince Hubertus Zu Loewenstein General Secretary Dr. Volkmar Zuehlsdorff Assistant Secretary Maria Heinemann Executive Secretary; BBA (911/61). – E: Deutsche Intellektuelle im Exil: ihre Akademie und die „American Guild for German Cultural Freedom“ (Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–45 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt/M.), München u.a. 1993, S. 258.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Seattle, 31.7.1939 Seattle, 7/31/39 Lieber Bert Brecht, ich schreibe Ihnen wieder schnell und ungenügend, um nur überhaupt zu schreiben. Übermorgen fahre ich zurück nach dem Osten (Adresse wie zuvor: 337 Charles Str. Boston Mass.) und wer weiss wann ich dann dazu komme. Ich will und muss Ihnen zunächst meine Begeisterung mitteilen über den Galilei, den mir Hedda356 hierher nachschickte, ich habe ihn erst zweimal gelesen und lese ihn noch einmal, ehe ich mehr dazu schreibe. Ich finde ihn stark und gut – vielleicht zu schwer an 355 Die Svendborger Gedichte. 356 Hedda Korsch.

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Gedanken um als „Spiel“ auf der sowieso nicht vorhandenen Bühne die von Ihnen sowieso nicht gewünschten Eindrücke, Erlebnisse, Erschütterungen u. Katharsisse zu erregen. Aber, unter uns, trat in der furchtbaren Traurigkeit am Ende doch etwas wie eine „Katharsis“ bei mir auf oder ein. Eine so kolossale Figur rein auf dem Geistigen aufgebaut ist eine schöne Leistung des historischen Materialismus... Herr Julius Zäsar357, den ich von Herbert358 geschickt kriegte, las u. auftragsgemäss gleich an Eisler weiter dirigierte (als Briefträger diente der mitgeniessende Auerbach359, der mich gerade in Boston besuchte), hat mir auch viel Freude gemacht und ich warte mit Spannung auf die „Fortsetzung“. Von mir hätte ich viel zu berichten. Etwas entnehmen Sie 1) aus beiliegendem Stück eines Briefes an Paul Partos, dem glücklich in letzter Stunde aus Valencia heimgekehrten letzten Ritter der abgeschlossenen ersten revolutionären Epoche der europäischen Arbeiterbewegung (Adresse jetzt: 75 Heathcroft Hampstead London N.W. II), ich habe dieses Stück gleich im Gedanken an Sie, Kurt Lewin, Hedda, Herbert Levy als Mitleser geschrieben – es ist natürlich nur ein Anfang u. das wichtigste steht erst ganz am Ende als erste Andeutung! 2) beiliegendem Abstract eines paper, das ich für Kurt Lewin und mich gemeinsam auf dem bevorstehenden Kongress der Logistiker im heimatlichen Cambridge (= Boston; dazwischen nur der River Charles, an dem ich wohne!) halten werde. Dazu füge ich jetzt nur hinzu, dass ich in der Tat im Begriff bin, mich von „Marxismus“ auf Soziologie bzw. „Logic of Social Science“, umzuspezialisieren. Zwei geplante Bücher: I) Social Forces and Social Movements – soll in einen sehr abstrakten ersten Teil und einen beinahe ideographischen 2. Teil: Anwendung auf Revolution & Gegenrevolution zerfallen. Arbeitszeit: circa 2 Jahre (wenigstens!); II) Social Theories soll ein Textbuch für akademischen Gebrauch sein u. mir evtl. einen job verschaffen Arbeitszeit: circa l Jahr (höchstens!). Ich höre manchmal Gerüchte, dass Brecht (oder Brechts) bald nach USA immigrieren werden und freue mich schon über den Gedanken! Was ist daran? Wann?? – Ich habe immer an die zunehmend unsichere Lage in Dänemark gedacht, obwohl ich keinen Augenblick konkret an einen nahe bevorstehenden Kriegsausbruch in Europa gedacht habe. Aber wir wissen ja, wie gross das Geheimnis ist, das den Anfang eines modernen Krieges umgibt. Und es ist doch klar, dass schon einige Tage vor der Kriegserklärung (if any) die deutschen Soldaten und Polizisten überall in Dänemark sein und alles Erforderliche tun werden! Ich würde (wenn nichts mehr) gern mal hören, wo Sie (Helli, Steff, Barbara die vielleicht nicht mehr kleine...?) jetzt sind und in der näheren Zukunft sein werden?? 357 Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar. 358 Vermutlich Herbert Levy. 359 Der Photograph Walter Auerbach (1908–1960) ging 1933 über Palästina, Großbritannien und Südamerika in die USA.

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Hedda ist zur Zeit in einem Quaker-Emigranten-Schulungscamp unweit New York teils tätig teils zur Erholung. Ende der Woche treffen wir uns in Boston, u. die Ferien dauern noch bis Mitte September. Hedda hat einen schönen Ford, auf dem sie ausserordentlich gut fährt. Auch ich bin die letzten Wochen hier in Seattle viel auf Hanna’s noch eleganterem und „jüngeren“ Chevrolet herumgefahren; u.a. fuhren wir abwechselnd hin und zurück je 1000 Meilen am Pacific entlang nach San Francisco und ich besuchte dort 14 Tage den in Berkeley für den Sommer gastvorlesenden, in USA inzwischen zu grosser Berühmtheit aufgestiegenen und auch wirklich sehr tüchtigen und tätigen Kurt Lewin. Mit ihm werde ich auch weiterhin viel zusammenarbeiten, vielleicht als Lewin-Laus den für mich allein aus mancherlei Gründen etwas zu beschwerlichen Aufstieg in die akademischen Gefilde vollziehen. Nächsten Monat erscheint Sibylles Master-Thesis gedruckt in den von Lewin herausgegebenen Schriften des Meisters und seiner Schüler. Barbara arbeitet über die Ferien wieder teils wacker teils unglücklich als Kellnerin in einem Sommerkurort namens „The Balsams“ in den White Mountains in New Hampshire.360 Vielleicht holen wir sie uns für den Rest der Ferien nach Boston zurück. Sie ist ein sehr erfolgreicher Student der Vor-Medizin. Mein Buch hatte in England eine Anzahl reviews (eine: von + + + Borkenau361, aber nicht übel, lege ich bei!), dagegen erschien hier in USA trotz meiner bescheidenen aber eifrigen persönlichen Bemühungen infolge der sehr zweckmässigen Gegenaktionen der C. P.362 nichts, als 3 ultra-linke reviews: 1) von Sidney Hook (im republikanischen New York Herald Tribune) 2) von Paul Mattick (im Living Marxism) 3) von Arthur Rosenberg (im Modern Quarterly). Das ist nicht viel, – aber Laski363, Klaus Mann u.a., die für New Republic usw. reviews schreiben wollten, wurden unter allerhand Ausreden von den Redaktionen daran verhindert. Ausserdem hat leider der USA Verlag, der an sich ein guter Verlag ist: Wiley & Sons, an diesem Buch kein Interesse, da er nur einige 100 Exemplare vom Londoner Verleger bezogen hat, er verschickte nur 10 (in Worten: zehn) Rezensionsexemplare für USA! Leben Sie wohl, sonst kommt dieser Brief übermorgen mit der Normandie nicht mehr mit. Ihr alter u. trotz Gegen-schein treuer Karl K.

360 Barbara und Sibylle Korsch, später Escalona (1905–1996), Töchter von Karl Korsch. 361 Franz Borkenau (1900–1957), Philosoph und Soziologe, vormals für das Frankfurter Institut für Sozialforschung tätig. Ging 1933 ins Exil nach Österreich, Frankreich und Panama, kehrte 1946 zurück nach Deutschland und übernahm dort zunächst eine Professur für Geschichte in Marburg. 362 Die KP der USA. 363 Harold Laski (1893–1950), englischer Ökonom und Politikwissenschaftler, später Vorsitzender der Labour Party.

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Grüssen Sie alle, alle – ausser Helli!, Steff, Barbara besonders auch Karin, Mary und etwaige schachspielende und kannegiessende Sommergäste; auch den Kater Korsch! Überlieferung: Ms, BBA 654/159–162. – E: Jahrbuch Arbeiterbewegung. Theorie und Geschichte, hrsg. v. C. Pozzoli, Frankfurt/M. 1974, Bd. 2, S. 232ff. (jetzt in: Korsch, Briefe, S. 779ff.).

Walter Taub364 an Bertolt Brecht Lyckorna, 1.8.1939 LYCKORNA, „Alarne“ 1.VIII. 39 Lieber Herr Brecht, mein Name sagt Ihnen wahrscheinlich gar nichts. Dies ist der 3. Brief365, den ich an Sie richte: einmal als Funktionär des tschech.-deutschen Künstler Klubs in Prag, das anderemal als Regisseur des dortigen Deutschen Theaters habe ich mich an Sie gewendet – ich bin sicher, dass diesen Zeilen das Schicksal der beiden ersten Briefe erspart bleiben sein wird; unbeantwortet zu bleiben. Ich bin in den ersten Apriltagen über die polnische Grenze gegangen, seit Ende April lebe ich in Stockholm, wohin ich in 3 Wochen zurückkehre. Seit geraumer Zeit bemühe ich mich, die Voraussetzungen für die Beteiligung eines Tschechischen Schriftstellers am Pen-Kongress366 zu schaffen; ich hoffe, dass es gelingt, die Anwesenheit Dr. Adolf Hoffmeisters367 zu ermöglichen, der seit 3 Monaten in Paris lebt. Daneben aber halte ich es für sehr wichtig, wenn neben dem tschechischen Protest eine deutsche Sympathieerklärung abgegeben würde. Sie wissen ja sicher, welchen wahrhaft heroischen Kampf die tschechischen Schriftsteller bei uns um die Erhaltung der letzten Reste einer geistigen Freiheit führen; in einer Zeit, in der der „Regierung“ jede politische Macht genommen ist, haben die Schreiber die politische Führung der Nation übernommen. Es ist erstaunlich und bewundernswert, wie sie, ohne „ungesetzlich“ zu werden, trotz strengster Zensur die Tschechen zu Erkenntnis, Ruhe & Glauben führen. Dafür gebührt ihnen der Dank auch der deutschen Geistesemigration. Und um dessen Organisierung bat ich Rud. Olden, der, prinzipiell zustimmend, mich an Sie und Th. Mann verwies. Lieber Herr Brecht, wollen sie ihre bekannte Abnei364 Valtr (Walter) Taub (1907–1982), tschechischer Schauspieler und Regisseur, vormals am Deutschen Theater in Prag tätig, seit 1939 im Exil in Schweden. Traf dort auch mit Brecht zusammen (vgl. BC, S. 587f.). Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er zurück in die Tschechoslowakei, wo er u.a. als Filmschauspieler arbeitete. 365 Die anderen zwei Briefe sind nicht überliefert. 366 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 15.7.1939. 367 Adolf Hoffmeister (1902–1973), tschechischer Schriftsteller, Maler und Kulturpolitiker. Ging 1939 ins Exil nach Frankreich, später in die USA. Kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück in die Tschechoslowakei.

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gung, bei solchen Anlässen zu sprechen, überwindend, der tschechischen Literatur ein paar Worte der Sympathie sagen; oder wollen sie wenigstens mithelfen, dass sie gesagt werden?368 Daneben bitte ich Sie sehr, mir zu sagen, wann ich sie nach meiner Ankunft in Stockholm, in 3 Wochen, sprechen kann. Ich plane eine Rezitationstournée mit einem „das andere Deutschland“ betitelten Programm – über die Brechtgedichte, die ich gerne lesen möchte, hätte ich gerne mit Ihnen gesprochen; ebenso über die Möglichkeiten einer Vorlesung der „Heil. Johanna“; deren Aufführung wir seinerzeit in Prag planten.369 Sehr geehrter Herr Brecht, sorgen Sie für meine Überraschung & antworten sie mir. Ich baue wirklich auf Sie. Mit den allerherzlichsten & aufrichtigsten Grüssen Ihr Walter Taub Ich habe Sie seinerzeit von Herzfelde grüssen lassen! W. Taub „Alarne“ LYCKORNA Überlieferung: Ms, BBA 911/100–103.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 4.8.1939 New York c/o Paul Willert 224 East, 62nd Street den 4. August 1939

368 Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert. Einem Brief Steffins an Rasmussen ist zu entnehmen, daß Brecht an den Arbeitssitzungen des Kongresses teilnehmen wollte (nicht aber am Tee-Empfang beim schwedischen König, denn er besitze keinen Frack; vgl. BC, S. 588). 369 1934 sollte Die heilige Johanna der Schlachthöfe an der Prager Avantgardebühne Nové divadlo aufgeführt werden.

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Lieber Brecht, ich bin beunruhigt, weil auf meine Briefe an Dich und Grete vom 8. Juli keine Antwort vorliegt. Daher sende ich anbei Copie davon und schicke den Brief eingeschrieben. Bitte sende die beiden Copien zurück. Den verschiedenen Firmen habe ich das Eintreffen des Bandes avisiert, es kommen Reklamationen, und ich bin nun in arger Verlegenheit, weil ich nicht weiss, was antworten. Gib also bitte gleich bescheid, wie es mit dem Versand steht, zu welchem Ladenpreis Du Dich entschlossen hast, u.s.w. Nun was anderes. Ich füge ein Exposé370 bei, betr. den neuen Plan, den ich verwirklichen möchte. Er weckt hier ziemliches Interesse und fast nur Zustimmung. Falls es gelingt, die Organisation zu schaffen, werde ich wohl bald wieder produzieren können, vielleicht sogar mehr als früher, vor allem auch Deine Gesamtausgabe371 (evtl. auch Neudruck der Bände I/II) Voraussetzung ist natürlich, dass nicht nur in USA sondern in den verschiedenen Ländern Europas der W.D.L. organisiert wird. Denn je grösser die Mitgliederzahl, umso grösser die Produktionsmöglichkeiten, auch für Werke, die nur eine Minorität der Organisierten wünscht. Da das Ganze nicht als Privatunternehmen sondern als eine Selbsthilfe der Autoren und Leser gedacht ist, eröffnet sich hier für die verschiedenen Organisationen, auch unpolitische, auch oesterreichische, ein Feld für aktive Mitarbeit. Das Exposé ist natürlich nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt. Dafür wäre es anders abzufassen, auch ist der Zeitpunkt noch nicht da. Erst muss Kapital für den Start herangeschafft werden, ich fahre deswegen in nächster Zeit nach Hollywood, ausserdem muss die Zustimmung und Mitarbeit breitester Kreise gesichert und ein entsprechendes Kuratorium geschaffen werden. Dabei bitte ich Dich, zu helfen. Vor allem: schick mir bitte einen für den öffentlichen Gebrauch geeigneten Brief, in dem Du Deine Meinung über den Plan ausdrückst. Falls es Dir möglich ist, dergleichen Briefe andrer bekannter Autoren anzuregen, tu es bitte. Da gerade PEN-Kongress372 ist, lässt sich das viell. machen, ich sende Dir zu diesem Zweck 5 weitere Abzüge des Exposés. Natürlich möchte ich gern Deine Ansicht über Details des Planes erfahren, besonders was Du von dem Titel hältst. Viell. gefiele Dir „Deutsche Literatur Liga“ oder „Produktionsgemeinschaft für Deutsche Literatur“ besser? Zweierlei möchte ich betonen: Nach Erscheinen und erfolgter Belieferung der Mitglieder sollen die Bücher nur durch den Buchhandel verkauft werden (wie bei Subsciptionsausgaben üblich). Der Buchhandel wird also (im Gegensatz zur Buchgemeinschaft) nicht ausgeschaltet. Und die für Nichtmitglieder bestimmten Expl. können natürlich vom bisherigen Verleger (oder einem andern) vertrieben werden. Die Sache hat also auch für die 370 Nicht überliefert. 371 Die im Malik-Verlag erscheinenden Gesammelten Werke. 372 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 15.7.1939.

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Verleger einen erheblichen Vorteil, die können kleine Auflagen zu einem relativ mäßigen Ladenpreis vertreiben. Sehr wichtig ist auch, dass die Organisierung der Leser zu aktiven Gruppen für unsre übrige Arbeit von Vorteil ist. In USA unter den Deutschamerikanern kann das geradezu eine Sprengung unserer Isolierung bedeuten. Bitte gib mir Ratschläge, an welche Personen und Organisationen ich mich mit dem Plan wenden soll, insbesondere in Skandinavien. Ich bin sehr gespannt auf Deine Antwort und warte im Uebrigen sehr auf die Gedichtbände. Herzlichste Grüsse Dein Wieland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wieland Herzfelde Prag I, Konviktská 5 in Firma Malik-Verlag Publishing Company 9, Galen Place, Bury Street London, W.C.1; BBA 911/7–8.

Grete Berges373 an Bertolt Brecht Stockholm, 6.8.1939 STOCKHOLM, 6. August 1939 Herrn Bert Brecht, Lövstigen 1 Lidingö hos Santesson. Sehr verehrter Herr Brecht! Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat, ehe ich zum Schreiben des Artikels über Sie kam.374 Ich war ein wenig überarbeitet, habe meine Mutter375 hier zu Besuch und musste etwas ausspannen. Ferner schrieb mir Dr. Andersson376 aus Göteborg vor einigen Tagen, dass er auch ein paar Tage verreist, sodass sie Sache noch Zeit hatte.

373 Grete Berges (1895–1957), Schriftstellerin, Übersetzerin und Literaturagentin. 1936 flüchtete sie nach Kopenhagen, übersiedelte ein Jahr darauf nach Stockholm. 374 Ein solcher Artikel konnte nicht ermittelt werden. 375 Johanna Berges, geb. Goldstein. 376 Wohl der von Brecht erwähnte „Dr. Alwa Anderson, der mir sehr bei meinem Visum nach Finnland geholfen hat“; die Verbindung zu ihm sei „ganz unpolitisch“ (B. an Berlau, April 1940, GBA 29, S. 164f.).

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Inzwischen hörte ich von Frau Sandberg377, dass sie Ihnen schon die Fotos eingesandt hat, und da habe ich mich gestern daran gemacht und den Artikel geschrieben. Ich lege ihn hier bei und bitte Sie, ihn mir mit Ihren Änderungen versehen zurückzusenden. Sollten Sie ihn für gut befinden und auch anderweitig gebrauchen wollen, gebe ich Ihnen gern ein weiteres Exemplar. Wie Sie sehen, ist es nur eine ganz kurze Sache geworden, aber ich denke, das ist in diesem Fall besser als ein zu langes Gebrei, die Zeitungen haben es auch lieber, und es kommen ja die Fotos dazu. Mit den besten Empfehlungen, auch an Ihre Gattin und auch Frau Steffin empfehle ich mich Ihnen ergebenst Ihre Grete Berges Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Berges Foreign Press Service (Befo-Press) Stockholm Västerlånggatan 40 Telefon: 20 31 09 Postgiro: 153518; BBA 911/95.

Walter Benjamin an Margarete Steffin Paris, 6.8.1939

Paris XVe 10, rue Dombasle den 6. August 1939.

Liebe Grete, wir sollen diesen Sommer kein Glück miteinander haben. Ich musste Ihren Tabak genau so zurückgehen lassen, wie Sie meinen Essai.378 In puncto Tabak sind die Gründe leicht anzugeben: 15 frs. Zoll. In puncto Essai bin ich reumütig, was den Titel von Brechts Stück angeht (es gab da eine unentschuldbare Kollision mit Kierkegaards „Furcht und Sitte“379). Was den Rest des Essais betrifft, so bin ich der Belehrung gewärtig. Mein Baudelaire-Kapitel380 ist abgeschlossen, und ich harre nun d e r Gewitterwolken, die d i e s e r Text über meinem Haupte zusammenziehen wird. Uebrigens muss ich mit 377 Eva Sandberg, später Siao (1911–2001), Photographin und Journalistin. Ging in den 1930er Jahren ins Exil zunächst nach Schweden, 1940 nach China, 1943 in die UdSSR und 1949 wieder nach China. 378 Das ist der in Maß und Wert (Heft 6/1939) erschienene Essay „Was ist das epische Theater?“, über den Margarete Steffin urteilte, er gefalle ihr nicht. Vgl. ihren Brief an Walter Benjamin vom August 1939 in: Steffin, Briefe, S. 308. 379 Richtig muß es heißen: Furcht und Zittern (vgl. Benjamin an Steffin, nach dem 7.6.1939). Möglicherweise ein Hörfehler der Schreiberin oder des Schreibers. 380 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 20.3.1939.

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dergleichen metaphorischen Gewittern vorliebnehmen, denn der Sommer ist unerträglich regnerisch und kalt. Das Pariser Klima ist ungesünder denn je. Ich bin selber regnerisch, müde, traurig und überarbeitet. Zur Erholung lese ich Gespenstergeschichten.381 Es schlägt mir aber nicht an. Wegen ‚Furcht und Elend‘ habe ich an Max Schroeder382 geschrieben. Hoffentlich lässt er von sich hören. Ich hoffe, Sie werden mir Dank wissen, dass ich heute so kurz schreibe: das geschieht aus w a h r e r Freundschaft. Verteilen Sie meine zierlichen Komplimente und stellen Sie sich ein Sträusschen Grüsse von mir vors Fenster. Überlieferung: Ts, BBA 2169/17. – E: Benjamin, Briefe, Bd. VI, S. 327.

Fritz Erpenbeck an Bertolt Brecht Moskau, 8.8.1939 Moskau, 8. August 1939 Lieber Bertolt Brecht! Ich erhielt Ihren Brief vom 25.7. in dem Sie sich über die Honorarabrechnung beklagen.383 Sie können sich denken, dass ich als literarischer Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ keinen bestimmenden Einfluss auf die technische Seite der Sache hatte. Ich habe Ihren Brief deshalb an den Verlagsleiter weitergeleitet und hoffe, dass er Ihnen antworten wird. Dass sowohl ich wie Johannes R. Becher alles getan haben, um die Abwicklung der Ueberfuehrung möglichst reibungslos zu gestalten, versteht sich eigentlich von selbst. Mit herzlichem Gruss! Erpenbeck Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag für Schöne Literatur Internationale Literatur Deutsche Blätter Redaktion: Moskau, Kusnezki Most, 12 Postsendungen: Moskau, Hauptpostfach, 850; BBA 911/9.

381 Vermutlich die Nouvelles histoires de fantômes anglais, hrsg. v. Edmond Jaloux, Paris 1939. Vgl. das „Verzeichnis der gelesenen Schriften“ in BGS VII, S. 475. 382 Der Schriftsteller und Kunsthistoriker Max Schroeder (1900–1958) ging 1933 ins Exil nach Paris, wo er auch im SDS mitarbeitete, später in die USA. Nach seiner Rückkehr war er Cheflektor des Aufbau-Verlags in Berlin (Ost). Steffin hatte Benjamin gebeten, „bei max schröder oder bruno frei zu intervenieren, dass man brecht die exemplare von FURCHT UND ELEND, die noch dort liegen müssen, schickt“ (Steffin, Briefe, S. 309). Benjamins Schreiben an Schroeder ist nicht überliefert. 383 Vgl. B. an Erpenbeck, 25.7.1939, GBA 29, S. 147f.

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N.N. (Red. „Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht [Moskau] 13.8.1939 Lieber Brecht, ich hatte Gelegenheit, mit dem Verlagsleiter der Meshdunarodnaja Kniga nochmals ausfuehrlich ueber die Honorarsache384 zu sprechen. Wir haben hin und her ueberlegt, was man machen koennte. Aber leider liegt die Situation wie folgt. Der fuers erste Vierteljahr vorhanden gewesene Valutafonds – der uebrigens immer von Vierteljahr zu Vierteljahr fuer genau umrissene Verwendung zur Verfuegung gestellt wird, wurde mit der Honorierung der Nummern 1 bis 3 restlos aufgebraucht. Es mussten ja nicht nur die abgedruckten, sondern auch etliche Beitraege wie der ueber Eisler bezahlt werden. (Um nur ein Beispiel zu nennen.) Mit Beendigung des Quartals und Liquidierung der Zeitschrift in diesem Verlag erhielt natuerlich auch der Verlag keine Valuta mehr fuer diese Zeitschrift. Genosse Gittermann koennte also, wenn er noch so sehr wollte, kein Geld mehr anweisen. Sie erwaehnen in Ihrem Schreiben auch Nexoe. Ich moechte Sie auf einen Ihrer Briefe aufmerksam machen, in dem es ausdruecklich heisst, dass Nexoe (dessen Werk ja uebrigens im gleichen Verlag als Buch herauskommt) fuer den Zeitschriftenabdruck kein Honorar beanpruche. Er hat auch, als ich hier mit ihm sprach, nichts Derartiges geaeussert. Nochmals, seien Sie ueberzeugt – und Nexoe wird es Ihnen bestaetigen –, dass ich in dieser Angelegenheit mein Bestes getan habe und leider gar nichts aendern kann. Vielleicht finde ich in Zukunft irgendeine Moeglichkeit, den Schaden auf andere Weise zu reparieren; ich verspreche Ihnen, dann mein Moeglichstes zu tun. Herzlichst Ihr Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/139.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht Hollywood, 13.8.1939 1201 N. Crescent Heights Blvd., Hollywood, California. August 13, 1939.

384 Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 31.5.1939.

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Dear Bert: On June 13th I wrote you a long letter and sent it airmail all the way via the Yankee Clipper. You should have had it by the 17th at the very latest. However, I still have not received an answer from you, so I don’t know what to think, and am wondering whether you got it at all. I will give you a summary of it and please do answer me now at once. In the first place, I never received the “Letzte Fassung von Furcht und Elend.” I have simply no idea what you did with it, how much you changed it. All I know is that I begged you in that letter, and I repeat my plea now, to send me a copy right away, at once, instantly, immediately, and with no delay whatsoever, and grüss Gott. I was just going into the end of “Furcht und Elend”. It took me a little longer to finish than I had expected, but a couple of weeks afterwards the first draft was typed. I deliberately laid it aside for a week in order to get a few readings on it and a perspective of my own, and then circumstances came up which prevented me from getting it ready for final mimeographing. However, I am at it again and will have it ready for managers within ten days or two weeks. I know you received the contracts from the Dramatists’ Guild because Margarete Steffin so wrote Singer, who called me up. It is important that the Guild receive the contracts before we can deal with managers. I shall also get a copy of an agreement prepared on the Galileo, which I am anxious to start on. Don’t wait till you get your copies of the play before answering this, I beg you. Write me a letter at once, and if you did receive my letter of June 13th, please reread it and answer all the questions. The moment the play comes off the mimeograph I will send you a number of copies. With fondest greetings, Yours, Ferdinand P.S. I am not sure now, but it may be that I sent your other letter to this address: Lidingö Hagen Östra 1, Löwenstigen C/o Santesson. If you never received it, you might inquire there for it. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3235.

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Timofej Rokotow385 an Bertolt Brecht Moskau, 14.8.1939 Moskau, den „14“ Aug. 1939 Lieber Bertolt Brecht, Wie Ihnen bekannt sein dürfte, weilt gegenwärtig unser gemeinsamer Freund, Martin Andersen Nexö, zu Besuch in Moskau. Vor kurzem hatte ich mit ihm ein ausführliches Gespräch über literarische Fragen, wobei Martin Andersen Nexö, unter anderm, sich sehr wunderte, dass Sie mir unserer Redaktion keinerlei Verbindung aufrechterhalten. Martin Andersen Nexö sagte mir, dass es seiner Ansicht nach ein Versäumnis meinerseits wäre und bat mich Ihnen zu schreiben. Er gab mir dann auch Ihre Adresse. Mit umso grösserer Freude erfülle ich seine Bitte, als wir in der Redaktion aufmerksam Ihr Schaffen verfolgen und mit grösstem Interesse Ihre in der „Kommune“ veröffentlichten Einakter aus dem Dritten Reich gelesen haben.386 Diese Stücke haben uns derart gefesselt, dass ich mich speziell an den Sekretär des Pariser Verbands der Deutschen Schriftsteller mit der Bitte wandte, mir die Manuskripte dieser Stücke im Original zuzusenden. Es handelt sich nämlich darum, dass wir hier in allernächster Zeit einen Sammelband antifaschistischer Einakter herauszugeben beabsichtigen. Ihre Stücke werden meiner Ansicht nach (ich bin der Redakteur dieses Buchs) eine Zierde für diesen Band bedeuten. Doch werden Sie es selbst einsehen, dass ins russische nicht nach dem französischen Exemplar, sondern nach dem Original übersetzt werden muss. Zu unserer grossen Freude schickte uns Kantorowicz auch das Manuskript, das wir nun verwerten können. Wir haben gegenwärtig hier in Moskau eine grosse Kolonie deutscher antifaschistischer Schriftsteller. Vor kurzem feierten wir den Geburtstag Adam Scharrers und organisierten einen Abend zu Ehren Willi Bredels, der unlängst aus dem Auslande hier eingetroffen ist. Sehr aktiv und produktiv arbeiten Becher, Weinert und andere deutsche Schriftsteller, Dichter und Kritiker. Ich erwähne diese Tatsache, in der Annahme, dass es Sie interessieren könnte. Die gesamte Redaktion und auch ich persönlich wären sehr froh, wenn wir mit Ihnen einen ständigen Kontakt herstellen könnten. Sie wissen wahrscheinlich, dass unsere französische und englische Ausgaben ganz verschieden von der deutschen Ausgabe der „I.L.“ sind. Falls dieselben Sie interessieren sollten, wäre es mir eine Freude, sie Ihnen schicken zu

385 Timofej Arnoldowitsch Rokotow (Timofej Arnol‘dovič Rokotov), Redakteur der Internazionalnaja Literatura, der russischen Ausgabe der Internationalen Literatur. 386 In der Pariser Zeitschrift Commune. Revue de l’Association des Écrivains (Heft 66/1939) erschienen die Szenen Der Spitzel (Le mouchard), Zwei Bäcker (Les deux boulangers) und Die schwarzen Schuhe (Les souliers noirs). Weitere Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches wurde in Europe (Heft 197, Mai 1939) und La Nouvelle Revue Française (Heft 309, Juni 1939) gedruckt. Vgl. die Briefe des Übersetzers Pierre Abraham vom 1.4. und 12./14.5.1939.

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können. Die russische Ausgabe schlage ich Ihnen aus dem Grunde vor, da ich nicht überzeugt bin, dass Sie der russischen Sprache mächtig sind. In unserer russischen Presse war schon lange nichts über Ihr gegenwärtiges Schaffen veröffentlicht. Wir würden uns freuen von Ihnen einen Brief zu erhalten, den wir in der „I.L.“ veröffentlichen könnten und auf diese Weise unsere Leser mit ihren schöpferischen Plänen bekanntmachen. Ich glaube, dass wir ausser im Sammelband noch ein oder zwei Ihrer Einakter auch in der russischen Ausgabe der „I.L.“ veröffentlichen können.387 Mit freundschaftlichem Gruss Ihr Redakteur der „Internationalnaja Literatura“: (T. Rokotow) Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 69/171.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 16.8.1939 16.8.39 Herrn Bert Brecht Lidingö Tulevägen 11 Lieber Herr Brecht, Ihre Zuschrift, wenn sie auch nicht von Ihnen unmittelbar herrührt, beantworte ich sofort. Natürlich Angeblich sollen Sie über die Aufführung genau orientiert gewesen sein. Ich selbst hörte überhaupt nichts darüber. Dagegen steht im Paris-Soir von gestern anliegende Notiz.388 Das kann doch nicht alles ohne Ihre Zustimmung erfolgen. Soll ich mich offiziell an Herrn Abraham wenden? Schicken Sie mir vielleicht Ihren Schriftwechsel mit ihm ein. Was den Film Happy End angeht,389 so sprach ich mit der Produktionsfirma vor einigen Tagen. Ich wollte mich nämlich in Ihrem Interesse orientieren und habe gesagt, dass Sie zu einer Mitarbeit bereit wären. Aber man will vor dem Herbst hier überhaupt nichts tun, bevor nicht die politischen Verhältnisse klarer sind. Die Nicht-Interessenahme für Ihren Film hat also mit dem sujet nichts zu tun. Nur das wollte ich Ihnen heute kurz mitteilen. 387 Ein Brief Brechts oder Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches wurden in der Internacionalnaja Literatura nicht veröffentlicht. 388 Nicht überliefert. 389 Vgl. Anm. zu Domke, 17.3.1939.

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Mit herzlichen Grüssen Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: 15, Rue De Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; BBA 911/104.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 16.8.1939 Sanary/Var, 16. August 1939 Villa Valmer Lieber Brecht, es ist unschön von Ihnen, dass Sie mein hartes bayrisches granteln in ein weichlich schwäbisches grandeln umdeuten wollen.390 Mit dem PEN-Klub wird es nichts.391 Weit ausgedehnte und seriös konstruierte Romane machen einem halt doch immer mehr Arbeit als man denkt. Den Galilei zu streichen, bin ich natürlich gern bereit.392 Aber mir scheint es klüger, das erst dann zu machen, wenn das Theater oder Sie mir ein halbwegs schon präpariertes Manuskript schicken. Uebrigens ist das in meiner Hand befindliche Manuskript technisch miserabel, sodass sich Strichvorschläge schwer darin machen lassen. Ein holländischer Schauspieler, der grossen Namen hat und dort vor allem auf den Rundfunk Einfluss zu haben scheint, bittet mich, Sie aufzufordern, ihm doch Ihre Szenen aus Nazi-Deutschland zu schicken, beziehungsweise sonstiges Kleinzeug, das sich zur Aufführung bei Rezitationsabenden beziehungsweise im Rundfunk eignet.393 Seine Adresse ist: Jan Musch394, Laren N. H./Holland. Alles Herzliche, und ich hoffe doch noch, Sie im Laufe dieses Jahres zu sehen. Immer Ihr alter Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 911/96. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 44f. 390 Die Korrespondenz, auf die Lion Feuchtwanger sich hier offenbar bezieht, ist nicht überliefert. 391 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 15.7.1939. 392 Im Hinblick auf eine Inszenierung des Galilei in Zürich (die erst 1943 zustande kam) hatte Feuchtwanger Brecht bereits am 15.7.1939 geraten, das Stück zu kürzen. Tatsächlich nahm Brecht für die im September 1939 erstellte Bühnenfassung umfangreiche Kürzungen vor. An der weiteren Bearbeitung des Textes war Feuchtwanger jedoch nicht beteiligt. 393 Die hier in Aussicht gestellten Aufführungen von Furcht und Elend des III. Reiches kamen nicht zustande. 394 Jan Musch (1875–1960), niederländischer Theater- und Filmschauspieler. Nach der deutschen Okkupation des Landes ging er in den Untergrund und unterstützte die niederländische Widerstandsbewegung.

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John Lehmann395 an Bertolt Brecht London, 16.8.1939 Herr Bertolt Brecht, Lidingo per Stockholm. Lovatigen I. Sweden. 16/8/39. Dear Herr Brecht, I have just got back from my journey in Europe and found your letter waiting for me.396 I look forward very much to receiving your new book of poems SVENDBORGER GE­ DICHTE. Also anything in prose you may care to send me for NEW WRITING, the sooner the better. Have you now completed the cycle of dramatic sketches out of which we took DER SPITZEL? I should very much like to see that. By all means let your friend send me his sketch about Scandinavia. I should very much like to read it. With best wishes, Your sincerely, John Lehmann. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Hogarth Press John Lehmann Leonard Woolf, 52, Tavistock Square, London, W.C.1. Telephone: Museum 3488. Cables: Hogarth London; BBA 1396/86.

John W. Roth397 an Helene Weigel New York, 17.8.1939 329 West 22 NO Street New York City, N.Y.

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Liebste Helli, vom überheissen N.Y. liebe Grüsse. Nicht, dass ich Euch vergessen hätte; aber es ist so heiss, und da hat man zu nichts Lust, also auch nicht zum Briefeschreiben. Und dabei muss ich sogar noch arbeiten hier an den Dingen, von denen ich Euch schon im letzten 395 John Frederick Lehmann (1907–1987), englischer Schriftsteller und Verleger, Geschäftsführer des Verlags Hogart Press in London und Gründer der Zeitschrift New Writing, die von 1936 bis 1940 erschien. 396 Nicht überliefert. 397 Wolfgang Roth.

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Brief schrieb. Andere gute Aussichten sind dazu gekommen, und ich hoffe nur, dass es bald gelingt + weitergeht, denn hier muss man ja auf alles schrecklich lange warten. Aber sonst bin ich froh, hier zu sein, nur hätte man früher hier sein müssen. Hier existiert + spielt jetzt mit Erfolg (noch momentan) die Refugee Artists Group398, in der auch die Lisl Neumann399 ist. Berghof hats insceniert. Ganz nett, nichts weiter im Moment als das, aber sie planen für den Herbst andere + bessere Dinge, die sie schon z.T. probieren. Ich gab Ihnen Die Brechtschen Einakter400 zu lesen, vielleicht können sie damit anständig was anfangen, was ich hier davon von Amerikanern gespielt gesehen habe, war grausig. Gibts eigentlich von der „heiligen Johanna der Schlachthöfe“ eine gute Übersetzung?401 Ich hätte dafür Interessierte Broadwayproducer. Inzwischen liest jemand für sie die deutsche Fassung. Vielleicht kann daraus was werden. Ich danke Euch nochmals für die Svendborger Gedichte, die sehr gut sind + große Freude machen, immer noch. Was gibts bei Dir, Mutterle?, und ich möchte [Dich] doch bald mal sehen – – Grüss meine Geschwister (und wie ist das mal mit Foto von Dir + Familie) Danke schon jetzt. Herzlichst an Euch alle Dein John W. Roth. Überlieferung: Ms, BBA 1396/83–84.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 23.8.1939

23. August [193]9

Lieber Freund Brecht, Vor kurzem erschien in der Zeitung „Sowjetskoe Iskusstwo“ ein ausführlicher Artikel über Ihr Theaterstück „Das Leben Galilei“.402 Der Rezensent unterstreicht die künstlerischen Qualitäten des Stückes, die grosse Meisterschaft, tiefe Kenntnisse der Epoche und die einfache und klare Sprache. Er schreibt: „… Das Stück ist durch und durch aktuell … infolge dem optimistischen Glauben an die Unbesiegbarkeit und Unsterblichkeit des Menschenverstandes. All dies in 398 In New York gegründete Theater- und Kabarettgruppe deutschsprachiger Exilanten. Ihre erste Aufführung am Broadway war die Revue From Vienna, die 1939 im Music Box Theatre unter der Regie von Herbert Berghof gespielt wurde. 399 Elisabeth Neumann-Viertel. 400 Furcht und Elend des III. Reiches. 401 Das Stück wurde später übersetzt von Frank Jones. Vgl. Anm. zu Hays, Februar 1941. 402 Am 18.8.1939 erschien in Sowjetskoje iskusstwo (Sowjetische Kunst) eine sehr positive Besprechung des Galilei von Michail Helfand.

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Verbindung mit vollkommener, strenger und einfacher Form, selten klarer Sprache, feiner Ironie – erlaubt uns ‚Das Leben Galilei‘ zu den Meisterwerken der antifaschistischen dramatischen Literatur zu zählen.“ Das Manuskript ist im Staatsverlag. Mir wurde mitgeteilt, dass Ihre Arbeit im Plan ist und dass über alle Fragen der Verlag Ihnen ausführlicher schreiben wird. Mit besten Grüssen (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/15.

Martin Domke an Bertolt Brecht Paris, 31.8.1939 31.8.39 Herrn Bert Brecht Lindingö (Suède) Lövstigen 1 Lieber Herr Brecht, Den Eingang Ihrer Zuschrift403 bestätige ich Ihnen sofort. Ich habe sogleich Aufricht angerufen, wegen des Darlehns.404 Er sagt mir, dass Sie es wohl verstehen werden, dass er im gegenwärtigen Augenblick nicht gerade gut die Möglichkeit hat, das Geld zurückzuzahlen. Denn seine Geschäfte stocken. Aber Sie mögen überzeugt sein, dass Sie es wiederbekommen, sobald er dazu in der Lage ist. Ihre Pläne interessieren mich sehr. Dass ich stets Anteil nehme, wissen Sie ja. Ich konnte vor wenigen Tagen übrigens drei Rarissima hier kaufen: Baal, Trommeln in der Nacht und Dickicht der Städte. Wenn man sucht, so findet man. Ihre Note habe ich Benjamin sofort weitergegeben. Ich denke, er wird Ihnen unmittelbar schreiben. Für heute begrüsse ich Sie herzlich als Ihr Domke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 15, Rue de Presles Paris – 15e. Tél.: Suffren 02–50; BBA 911/58.

403 Vgl. B. an Domke, 27.8.1939, GBA 29, S. 151. 404 Vgl. Anm. zu Aufricht, 22.5.1939.

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 31.8.1939 Basel, den 31. August 1939 H/j Herrn Bert Brecht Lidingö (per Stockholm) Schweden Lövstigen 1 Sehr verehrter Herr Brecht, Ich freue mich der Unterzeichnung des Vertrages und bin froh, Ihr Vertreter sein zu können.405 Ich werde Bühne für Bühne, Regisseur für Regisseur und Darsteller für Darsteller bearbeiten und wo es sein muss, auch die einzelnen Kommissionsmitglieder. Für die „Dreigroschenoper“ habe ich das stärkste Interesse und bin überzeugt, sie in einer Neubearbeitung durchzubringen. Dürfte ich bitten, mir einen Satz für die Theater zu schreiben, worin diese Neubearbeitung bestehen soll, damit ich auf Grund dieser Mitteilung möglichst schon zu Verträgen komme –. Wie immer sich die Verhältnisse in den nächsten Wochen in dieser Landesecke gestalten werden, der Verlag geht weiter und es ist Vorsorge getroffen, dass die Manuskripte und Verträge an anderer Stelle in der Schweiz liegen. Die beiden Stücke „Leben des Galilei“ und „Furcht und Elend des dritten Reiches“ sind noch nicht angekommen. Darf ich bitten, sie gleich abzusenden, wenn sie noch nicht abgegangen sein sollten. Ein Exemplar des „Galilei“ denke ich von Gustav Hartung bekommen zu können, der, wie ich weiss, es von Ihnen erhalten hat. Etwaige Differenzen mit Bloch Erben werde ich gerne auskämpfen; er wird nichts gegen den Vertrieb und die Einkassierung durch mich unternehmen können. Ich nehme auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen mit diesem Verlag sogar an, dass die Differenzen auf eine nicht unangenehme Weise erledigt werden können. Mit den besten Grüssen Ihr Ihnen sehr ergebener KURT REISS VERLAG Kurt Reiss P.S. Wir bitten Sie freund., uns den Passus, den Sie in dem von Ihnen gez. Vertrag eingesetzt haben, nochmals aufzugeben, da wir den betr. Vertrag, wie bereits oben erwähnt, schon in Sicherheit gebracht haben. 405 Eine entsprechende Vereinbarung (vgl. Reiss an Brecht und Berlau, 28.4.1939) ist dokumentiert in BBA 2993.

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Überlieferung: Ts. hs. U., Bv.: Theaterverlag Kurt Reiss Basel Steinengraben 51 Telephon 20900 Telegramm-Adresse: ‹Reissverlag Basel› Bankkonto: Dreyfus Söhne & Cie. Basel; BBA 3169.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 16.9.1939 Küsnacht bei Zürich. am 16.9.39 Lieber Brecht, es ist Zeit, dass ich Ihnen schreibe, und mich für das neue Buch bedanke. Ich las gestern Abend wieder darin: das Gedicht über Lao-Tse406 ist wirklich von grosser Schönheit. Auch die Gedanken über die Dauer des Exils haben mich sehr bewegt. 6 Jahre sitze ich nun schon hier; manchmal denke ich, es wären 100! Ich sehe, dass Sie Dänemark verlassen haben. War es Ihnen zu unsicher? Oder wollten sie mal was anderes sehen? Man erzählte mir, Ihre Beziehungen zu Moskau seien nicht mehr so herzlich wie früher. Wie steht es damit? Ich könnte es wohl verstehen; man zeigte mir dieser Tage einen Band Gedichte auf Stalin, der aber nun in der Tat alles übertraf, was man sich in anderen Staaten leistet.407 Wie geht es Frau und Kindern? Einmal erzählte mir Frau Schwarzwald408 von Ihnen. Benjamin wird Ihnen berichtet haben, daß wir uns in Paris sahen. Es ging ihm schlecht; ich habe versucht, ihm hier Hilfe zu verschaffen, aber es ist mir nicht gelungen.409 Es sind zu viele, die in Not sind, und die Leute sind es müde geworden, zu helfen. Trotz seiner Not fand ich ihn frisch und geistvoll wie immer. Was für Esel, die Leute von Mass und Wert, dass sie einen solchen Kopf nicht ständig beschäftigen.

406 Das ist Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration aus den Svendborger Gedichten. 407 Vermutlich der von Erich Weinert 1939 im Staatsverlag der Nationalen Minderheiten in Kiew herausgegebene Band Dem Genius der Freiheit: Dichtungen um Stalin, der u.a. Gedichte von Béla Balázs und Johannes R. Becher enthält. 408 Eugenie Schwarzwald, geb. Nußbaum (1872–1940), österreichische Pädagogin, ehemalige Lehrerin Helene Weigels aus Wien. Ging 1938 ins Exil nach Zürich. 409 Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen am 1.9.1939 hatte die französische (ebenso wie die britische) Regierung ein Ultimatum gestellt, das am 3.9. ausgelaufen war. Seitdem befand sich Frankreich offiziell im Kriegszustand mit Deutschland. Als deutscher Exilant, wenngleich auch nicht mehr deutscher Staatsbürger, wurde Walter Benjamin bereits am Tag darauf in einem Lager in der Nähe von Nevers an der oberen Loire interniert. Vgl. seinen Brief an Brentano vom 26.10.1939 in: Benjamin, Briefe, Bd. VI, S. 347f.

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Schreiben Sie mir mal wieder. Unser Briefwechsel hinkte ja arg; nehmen Sie diesen Brief als einen Versuch, wieder zu alten Zeiten zurückzukehren. Herzlich Ihr Brentano Überlieferung: Ms, BBA 911/5–6.

Fritz Lang an Bertolt Brecht New York, 26.9.1939 Fritz Lang 2141 La Mesa Drive Santa Monica, California

Sept. 26, 1939

Mr. Bertolt Brecht Lidingö, Sweden Lövstigen 1 Lieber Bertolt Brecht, ich bin augenblicklich in New York und beantworte Ihnen von da nur ganz kurz Ihren Brief.410 Ich freue mich wirklich sehr, dass Ihnen unsere Aktion etwas hilft.411 Vielleicht macht es Ihnen auch ein wenig Freude, zu erfahren, dass Sie hier sehr viele Freunde haben, die es nicht nur als eine Ehrenpflicht der Emigration betrachten, dazu beizutragen, Ihnen zu helfen, unabhängig weiter zu produzieren, sondern die es beglückt, in dieser geringen Weise ihren Dank und ihrer Wertschätzung Ausdruck zu geben. Wenn Sie sich neue Copien anfertigen lassen von „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ und Sie schicken mir eine, bin ich Ihnen aufrichtig und von Herzen dankbar. Mit besten Grüssen und Wünschen immer Ihr Fritz Lang Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3123.

410 Nicht überliefert. 411 Gemeint ist die Arbeit des 1938 gegründeten European Film Fund. Vgl. Anm. zu Dieterle, 13.6.1945.

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Erich Reiss412 an Bertolt Brecht Stockholm, 26.9.1939 Herrn Bert Brecht Lidingö Lövstigen I. Lieber Herr Brecht, ich möchte noch einmal ausdrücken, wie groß meine Freude über die Sonette413 war ... Sie haben meine Seele gewärmt und tun es noch. Aber deshalb schreibe ich nicht ... ich sah nämlich gestern als ich die Gedichte zu lesen anfing, dass das Exemplar, das Sie mir zu lesen gaben „No. I“ war ... und versteh ich den sorgenvollen Blick der Dame des Hauses ... Aber ich wollte von Anfang an nur lesen, nicht besitzen, denn ich habe auf meiner unproduktiven Wanderung meine Bücher mit, ausgenommen einige Nachschlagebücher ... Also das Buch wäre auf jeden Fall zurückgekommen – zusammen mit dem Stück, für das der morgige Abend vorgesehen ist ... im übrigen hat es den Anschein als wenn ich – unberufen – im November dieses geistliche Land verlassen werde. ... Aber ich hoffe Sie und die gnädige Frau noch einige Male zu sehen, denn nicht nur Ihre Arbeiten, sondern auch Sie beide sprechen sehr zu mir, was meinem Leben sehr selten ist. Viele herzliche Grüße Ihr E. R. Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 911/56–57.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 4.10.1939 Sanary/Var, 4. Oktober 1939 Villa Valmer

412 Der Verleger Erich Reiß (1887–1951), der wie alle jüdischen Verleger in Deutschland seit 1933 zunächst nur noch jüdische Bücher publizieren durfte, wurde nach dem Novemberpogrom 1938 im KZ Sachsenhausen interniert. Dank der Initiative von Karen Michaelis und Selma Lagerlöf durfte er das Land bald verlassen. Er ging ins Exil nach Schweden, später in die USA. 413 Vermutlich die Svendborger Gedichte.

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Lieber Brecht, mir geht es nicht besonders gut. Ich war zehn Tage in einem Konzentrationslager interniert.414 Die Interventionen der Pariser kamen erst, nachdem ich bereits wieder freigelassen war. Aber meine Konten sind nach wie vor blockiert, und ich habe keine Bewegungsfreiheit. Ich habe noch ein Visum nach Amerika, aber es ist nicht ganz leicht, die Ausreiseerlaubnis zu bekommen; es ist gerade hier besonders kompliziert. Immerhin hoffe ich, Ende des Jahres in Amerika zu sein. Bitte, lassen Sie von sich hören, wie es Ihnen geht. Ich bin ein bisschen down. Sowie ich mich wieder zusammengerappelt habe, gebe ich Ihnen ausführlicher Nachricht. Alles Herzliche Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1396/29. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 45f.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Paris, 7.10.1939 Lieber Brecht, Vor drei Wochen habe ich Ihnen auf Ihren Brief415 hin, die Personalien von meiner Frau und mir zugeschickt. Hoffentlich haben Sie die inzwischen erhalten. Vor ein paar Tagen habe ich einen neuen Pass bekommen, der für ein Jahr gültig ist, also bis 2. Okt. 1940. Ich hätte auch einen mit dreijähriger Gültigkeit erhalten, nur die Taxe mit den Strafgeldern für die abgelaufene Zeit waren für mich zu hoch gewesen und deswegen habe ich es vorgezogen einen einjährigen Pass zu nehmen. Sofort nachdem ich den Pass hatte, ging ich zum schwedischen Konsulat. Der Brief von Greid416 war mir sehr nützlich, da ich sonst ganz abgewiesen worden wäre. Nachdem man sich den Brief angeschaut hat, machte man mir grosse Hoffnung eine Visa zu bekommen, nur müsse man in Stockholm Rückfragen machen und es sei deswegen besser, wenn ich die Fragebogen, die mir das Konsulat gab, auszufüllen und direkt an Greid zu schicken und er solle sie dort bei dem Auswertigen Amt einreichen. Dieser Weg sei der kürzeste und auch der Aussichtsreichste. Mit gleicher Post schicke ich die Fragebogen an Greid und bat ihn, soweit es seine Zeit 414 Lion Feuchtwanger wurde, wie alle in Frankreich lebenden Exilanten aus Deutschland, nach Beginn des Krieges interniert (vgl. Anm. zu Brentano, 16.9.1939). Seiner Frau Marta jedoch gelang es, ihn bereits am 27.9.1939 aus dem Lager Les Milles (Südfrankreich) wieder herauszuholen. 415 Nicht überliefert. 416 Hermann Greid (1892–1975), Schauspieler und Regisseur, vormals Leiter des Arbeitertheaters Truppe im Westen. Ging 1933 ins Exil nach Schweden, arbeitete zeitweilig auch in der UdSSR. Inszenierte im Stockholmer Odeonteatern 1938 Die Gewehre der Frau Carrar.

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erlaubt, mir behilflich zu sein. Hoffentlich ist Greid dazu bereit, die umständlichen Wege zu machen, die allein Erfolgsversprechend sind. Wie man mir in dem Konsulat gesagt hat, würde ich bald ein Visa erhalten, sofern Greid persönlich die Sache befürwortet. Hoffentlich können wir auf seine Unterstützung rechnen. Ich würde Sie bitten, mit ihm nochmals zu sprechen und ihn zu versichern, daß ich auf keinen Fall einen Missbrauch von seiner Hilfsbereitschaft machen werde und ihn auch in keinerlei Ungelegenheit bringe, falls er ein gutes Wort für mich einlegen müsste. Diese Gewißheit müsste er, glaube ich, haben und ich bitte Sie ihm in meinen Namen eine solche Versicherung zu geben. Schreiben Sie mir bitte sowie Sie Bescheid haben und vergessen Sie bitte nicht, zu veranlassen die Anweisung für die Visa thelegraphisch [sic] nach Paris übermitteln zu lassen. Hoffentlich wird diesmal alles klappen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns in Stockholm wiedersehen.417 Herzlichst Ihr Dudow Paris den 7.10.39 Überlieferung: Ts., hs. U.; BBA 1386/26.

Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 9.11.1939

[Hs.] 9/IX 1939

Lieber Freund Brecht, Das Manuskript Nexöes „Erinnerungen“ habe ich soebe erhalten und werde es ohne Verzögerung an „Meschdunarodnaja Kniga“ weiterleiten.418 Mit besten Grüssen Stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller: (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/16. 417 Die geplante Übersiedlung nach Schweden scheiterte. Nach seiner Ausweisung aus Frankreich 1940 fand Slatan Dudow Unterschlupf in der Schweiz. 418 Vgl. Anm. zu Andersen-Nexö, 28.3.1938.

998 Michail Apletin an Bertolt Brecht [Moskau] 13.11.1939

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[Hs.] 13/XI – 39

Lieber Freund Brecht, Mit grosser Freude übersende ich Ihnen eine Nummer der Zeitung „Moskau News“, in der Sie viel aktuelles Material finden werden. Mit besten Grüssen (M. Apletin) Überlieferung: Ts (Mikrofilm), RGALI 631/11, 412/18.

Maria Osten an Bertolt Brecht Moskau, 31.11.1939 31/Nov 1939. Lieber Brecht, entschuldigen Sie, daß ich erst heute antworte – ich wollte immer – aber dabei blieb es. In den letzten Wochen – war auch sicher jeder von uns mit all den Neuigkeiten und Ereignissen beschäftigt. Über den Pelz & die Bücher hab ich Grete geschrieben.419 Der Artikel, der über Sie vor einigen Wochen in Moskowska Iskustwa420 erschien – hat der Übersetzer Ihnen sicher geschickt. Ich mache mir oft Sorgen – wenn ich an unsere Freunde in Paris denke – wie schlecht es wohl vielen geht. Man hört ja sehr wenig und kaum etwas. Haben Sie von Seghers etwas gehört – Feuchtwanger etc.? Schade, ich habe hier niemanden, dem ich meine Sachen, die ich schreibe zeigen kann – so wie Ihnen. In Paris wars mir darin leichter – Beide – Feuchtwanger u. Heinrich Mann, lasen aufmerksam u. kritisierten jeder in seiner Art. Werde Ihnen das eine Manuskript die ‚Neinstimme‘ schicken. Jetzt hab ich mich endgültig an den ‚Kartoffelschnaps‘ gemacht – & will eine große Triologie machen. Der erste Teil soll ‚Kartoffelschnaps‘ sein – der zweite ‚Hungermarke‘ und der dritte ‚Wirken der Zeit‘.421 Lesen tu ich auch viel. Da Nuhert in einer Bibliothek arbeitet – bringt er mir dieses ins Haus. Jetzt will ich mir eine Lesekarte für die Leninbibliothek besorgen. Schade – daß Sie mit Ihrer Familie und allem was 419 Nicht überliefert. 420 Soll vermutlich heißen: Moskowskoje iskusstwo (Moskauer Kunst). Möglicherweise ist auch die Zeitschrift Sowjetskoje iskusstwo gemeint. Genaueres wurde nicht ermittelt. 421 Die hier genannten Manuskripte blieben unveröffentlicht.

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dazu gehört nicht hier sind. Das wäre sehr schön. Wie geht es Ihnen finanziell? Helfen die Schweden Ihnen ein wenig? Ich hatte da der Grete über mich etwas geschrieben – vielleicht überlegt wer mal – was man da machen kann. Aber das hat mit dem finanziell. nichts zu tun. Das wollte ich von Ihnen nur wissen. Weil ich mir oft Gedanken mache – wie die Freunde, wo es doch immer schwieriger wird – jetzt leben. Sehen Sie – als ich zurückkam aus Paris – war ich erstaunt – wie wenig so die hiesigen, Becher, Erpenbeck, Plivier etc. von den kleinen täglichen Sorgen wußten. Wenn man selbst ganz ruhig lebt – vergißt man das leicht.422 Über Ihren Svendborger Gedichtband hatte ich mich sehr gefreut – und danke Ihnen nachträglich. Soll doch die Grete mir bald antworten – Ihnen und der Weigel und wenn die Freunde, die ich kenne & die es wert sind gegrüßt zu werden – treffen – herzlichste Grüße stets Ihre Maria Überlieferung: Ms, BBA 1396/91–92.

Alfred Ostermoor an Bertolt Brecht [Kopenhagen] 2.12.1939 2. Dec. 39. Lieber Brecht, Dank für Ihren Brief. Der Weihnachtsbaum wird besorgt.423 Es macht keine ExtraMühe, weil ich für unsere Kleine ebensolch ein Exemplar besorgen muss. Ich schreibe Ihnen heute schon wieder, weil Grete mich gebeten hat, Ihnen noch einmal Bescheid zu geben. Sie sieht jetzt bedeutend besser aus, hat etwas erhöhte Temperatur – abends 38,5, aber das ist wohl ganz verständlich nach einer Operation – liegt ruhig und spürt die Schmerzen nur dann sehr unangenehm werden, wenn sie husten muss. Ich war vorgestern zuletzt bei ihr; gestern bekam sie Besuch von meiner Frau.424 Morgen werde ich wieder mittags bei ihr sein. Ausserdem kümmern sich noch einige andere Freunde um sie. Ich hoffe, dass ihr die Festtage nicht zu langweilig vorkommen werden. 422 Maria Osten hatte seit 1937 in der Außenredaktion der Zeitschrift Das Wort in Paris gearbeitet. Nachdem ihr Lebensgefährte Michail Kolzow 1938 in Moskau verhaftet worden war, kehrte sie zurück in die UdSSR. 423 Die Rede ist von einem Weihnachtsbaum für Margarete Steffin, die Ende November 1939 zur Operation einer Blinddarmentzündung nach Kopenhagen gefahren war, wo sie als dänische Staatsbürgerin eine kostenlose Behandlung in Anspruch nehmen durfte. Vgl. B. an Ostermoor, Dezember 1939, GBA 29, S. 156. 424 Die Dänin Inge Ostermoor, geb. Brekling.

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Mehr ist da im Moment nicht zu berichten, weil alles jetzt wohl ruhig und gleichmässig seinen Gang nehmen muss, bis sie wieder aufstehen kann. – Ich wünsche Ihnen, Ihrer Familie und den Bekannten frohe Weihnachten und grüsse herzlichst. Ihr A.O. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1396/93.

Johannes R. Becher (Red. “Internationale Literatur“) an Bertolt Brecht [Moskau] 8.12.1939 Lieber Brecht! Dein Radiostück425 haben wir erhalten. Damit kein Missverständnis entsteht: es schliesst mit der Szene 15 „Spreu und Weizen“, ist das tatsächlich der Schluss? Wir werden Dir in nächster Zeit das Honorar übersenden. Bitte lass doch einmal ausführlich von Dir hören und sei herzlich gegrüsst von Deinem Überlieferung: TsD, RGALI 631/13, 64/132.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht St. Louis, 12.12.1939 6623 Washington Ave. St. Louis, Mo.

Den 12. Dezember 1939

425 Das Radiostück Das Verhör des Lukullus (GBA 6, S. 87–113) schrieb Brecht, angeregt durch seine Arbeit an den Geschäften des Herrn Julius Caesar, im November 1939. Gedruckt wurde es in Internationale Literatur, Heft 3/1940, ausgestrahlt am 12.5.1940 von Radio Beromünster in der Schweiz. 1949 griff Brecht das Stück wieder auf, um es zusammen mit dem Komponisten Paul Dessau zu einer Oper umzuarbeiten.

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Lieber Brecht, ich bekam das Stueck ueber den 30jaehrigen Krieg426 und das Lucullus-Stueck.427 Ich sehe, Sie haben gearbeitet, wie immer. Ich wusste nicht, was mit Ihnen war. Ich schreibe Ihnen, ehe ich die Stuecke ganz gelesen habe. Ich habe wenig Zeit zum Lesen unter der Woche, und ich moechte, dass der Brief mit dem Clipper wegkommt. Was soll man heute in einem Weihnachtsbrief schreiben? Vielleicht nichts, als dass ich hoffe, dass wir uns noch einmal wiedersehen. Ich haette ja auch gern gewusst, wie Sie durch diese Zeiten hindurchkommen und ob Sie irgendwie betroffen sind durch die Naehe der Ereignisse. Seit dem Sommer hoere ich immer schon ganz frueh Radio, um 6, vor 5 und kurz vor 7. Dann sind meistens die europaeischen Berichterstatter aus London, Paris und Berlin dran. Es ist erstaunlich, was sie manchmal durchbringen. Es ist furchtbar schwer fuer den einzelnen Menschen in solchen Zeiten. Die Meinungen gehen in allen Richtungen auseinander, selbst die guter Freunde. Ich habe mich sehr auf mich selber zurueckgezogen. Ich habe noch etwas mehr Arbeit dazu bekommen – an einer Christian Science-Schule. Das ist sehr interessant. Es ist eigentlich hier das Christian Science-Schulzentrum – Kindergarten, lower school, upper school (Gymnasium) and College. Es kommen Kinder aus der ganzen Welt dort zusammen. Ich bin dort, um Kinder von Schweizer Eltern zu unterrichten. Das hiesige Deutsch der hiesigen Lehrerin reichte nicht aus. Die Schule ist, was verwunderlich erscheint, sehr fortschrittlich. Ich gebe dort auch vier jungen Lehrern Stunde, einmal die Woche zwei Stunden. Ich habe diese Extra-Arbeit uebernommen, weil ich gleichzeitig selber einen Kursus an der Universitaet nehme. Franzoesisch, bei einem ausgezeichneten franzoesischen Professor. Franzoesische Prosa, vom Mittelalter an. Es war noetig fuer mich, irgendeinen Kursus zu nehmen. Das muss man hier. Gluecklicherweise interessiert mich die Sache sehr. So konnte ich alle Chronisten lesen, u.a. den Chronisten Karls des Kuehnen.428 Das war eine ungeheure Ueberraschung fuer mich. Die ersten Prosaschreiber in Frankreich (nicht berufsmaessig natuerlich) waren diese Chronisten. Die Reformationszeit in Frankreich ist auch nicht von Pappe. Von 1600 bis 1750 interessiert es mich dann (bis auf Voltaire) wieder weniger, das ist dann zuviel Fertigware. – Ausserdem habe ich jetzt gerade etwas gestartet, das mir unversehens viel Arbeit macht. Es wurden hier in den letzten Jahren sehr viel kleine handgemalte Holzdekorationen aus Deutschland eingefuehrt, sehr huebsch und effektiv. Ich dachte, das sollte man doch hier machen. Ich habe damit herumge„tinkert“ – wir haben unten im Keller eine prima Werkstatt, die dem Hausmeister gehoert, und 426 Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg (GBA 6, S. 7–86).Brecht fertigte von September bis November 1939 eine erste Niederschrift an, die er Elisabeth Hauptmann zur Beurteilung vorgelegt hat (ein entsprechender Brief ist nicht überliefert). Uraufgeführt wurde es am 19.4.1941 am Schauspielhaus Zürich mit Therese Giehse in der Titelrolle (Regie: Leopold Lindtberg). 427 Vgl. Anm. zu Becher, 8.12.1939. 428 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.2.1934.

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der Hausmeister ist ein Tischlergenie – und die Sachen verkaufen sich und war es bis jetzt vornehm, etwas zu kaufen, dass aus Frankreich, Mexiko, Schweden usw. kam, so ist jetzt im Zuge der Ereignisse ploetzlich alles, was hier gemacht wird, tops [sic]. Sie koennen sich denken, wie ich ueber diese Frage denke, aber mir hat es leider eben die Arbeit gebracht. Die Tischlerarbeit mache ich nicht mehr, auch nicht die Malerei (bis auf die Gesichter) aber die Entwuerfe muss ich zur Zeit noch machen (lachen Sie nicht). Es ist auch kein besonderer Verdienst dabei. Aber man kann eben doch gewisse exportierte Artikel genau so gut hier machen. Es wird allerhand an Keramik usw. von Emigranten gemacht. Die Schriftsteller haben sich jetzt auch zusammen getan. (GAWA)429 Sie wissen das sicher. Nicht ohne den ueblichen Krach. Seitdem Lou von New York weg ist, hoere ich wenig von dort. Aber jetzt bekam ich einen Brief von Oskar Maria Graf, warum ich nicht mitmachen wolle. Er schickte mir auch die ganze Polemik mit. Er selber ist ja ungeheuer anstaendig. Er hatte schon vor einigen Wochen einen anderen Bericht ueber die ganzen Sachen gehoert, von – Erich Franzen430, wenn Sie sich an den erinnern. Er ist SoziologieProfessor an einem College in der Naehe. (Er hatte drueben zwei Doktor-Titel). Dessen Ansichten sind leicht progressiv-snobbistisch. Ohne sich die Haende schmutzig zu machen, geht es bei praktischer Arbeit mal nicht ab und manchmal muss man neben jemandem sitzen und arbeiten, von dem man eben nicht ganz soviel haelt wie von sich selber. Ich befasse mich ja auch Ihretwegen mit dieser Sache. Ich habe aber immer die Befuerchtung, dass die Futterkrippe hier sehr winzig ist und zu viele die herbeistuerzen. Wenn man da nicht selber mitstuerzt, da hat man keine Chance. Aber Sie haben ja diese Taktik nie gehabt und sollten Sie auch nie haben. Man moechte sich natuerlich einer solchen Zentrale bedienen, aber ich sehe noch nicht die Chance. Einige Leute, wie Franzen z.B., machen wirklich Propaganda fuer Sie. Ich weiss nicht, wie weit Sie in Kontakt sind mit diesem oder jenem hier, vielleicht wissen Sie das alles schon. Im uebrigen hat ja die Familie Mann 75 Prozent des emigrierten deutschen Schrifttums fuer sich mit Beschlag belegt, ich meine in seiner Beziehung zum amerikanischen Publikum. Erika war dieses Jahr schon zweimal hier und hat gesprochen. Sie ist sehr gross. Sehen Sie, da schreibe ich nun einen Weihnachtsbrief und er ist fast nichts als Geschwaetz. Die Bilder stammen vom Fruehjahr. Das Grinsen ist mehr der Kamera und auch schon einer Gewohnheit zuliebe. Ich war damals am Ende einer schweren Bronchitis. Im Moment stehe ich am Anfang einer neuen. In dieser Kohlenstickluft wird man solche Sachen nicht

429 German American Writers Association. Vorsitzender war (bis 1940) Oskar Maria Graf. 430 Erich Franzen (1892–1961), Sozialpsychologe, Schriftsteller und Literaturkritiker. Im amerikanischen Exil lehrte u.a. an den Universitäten von Illinois und Ohio. 1951 kehrte er zurück in die Bundesrepublik. In der Frankfurter Zeitung vom 14.4.1932 hatte er die Rundfunk-Aufführung der Heiligen Johanna der Schlachthöfe einer fehlenden „neuen organischen Sprachform“ wegen kritisiert.

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mehr los. Diesen Winter ist es besonders schlimm. Morgens um 10 fahren die Autos mit Lichtern, weil es stockdunkel ist wie in der Nacht – so dicht ist der Kohlenstaub und Nebel. Wenn Sie mir andeuten koennten, wie es Ihnen so geht und wie das so alles ist, waere ich sehr froh. Man kann ja und soll ja nicht alles schreiben, was man auf dem Herzen hat, aber man freut sich doch ueber jede Kleinigkeit. Sehr herzlich Ihre Bess. [Hs.] Ich hätte Ihnen wirklich gern einen anderen Brief geschrieben. Sobald ich die Stuecke gelesen habe, schreibe ich Ihnen noch mal. Grüssen Sie die andern. Überlieferung: Ts, hs. Korr. u. Erg., hs. U.; EHA 1049.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary (Var), 14.12.1939 Monsieur Bertolt Brecht Suède Lidingö per Stockholm Lövstigen 1 Dr. Lion Feuchtwanger

Sanary/Var, 14. Dezember 39 Villa Valmer

Lieber Brecht, soeben treffen die beiden Manuskripte ein;431 herzlichen Dank. Ich werde sie gleich lesen. Aber bitte, schreiben Sie mir doch eine Postkarte, wie es Ihnen geht, und ob Sie meinen Brief vom 4. Oktober erhalten haben. Alles Herzliche Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts (Postkarte), hs. U.; BBA 654/147–148.

431 Das Verhör des Lukullus und Mutter Courage. Vgl. Feuchtwanger, 18.1.1940.

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Martin Andersen-Nexö an Bertolt Brecht [Mitte Dezember 1939] […] Jeg har med Gläde läst DAS VERHÖR DES LUKULLUS, og MUTTER COURAGE har beredt mig en overdaadig Nydelse. Et pragtfuld Billede har du her skabt, tilsyneladende helt Middelalder og dog Dagen i Dag lyslevende; Mutter Courage selv er med sin Djarvhed og sin sunde Cans, sin Realisme der paa Bunden rummer megen Hjärtensgodhed, en frodig Typex paa Almuen. Der er Urgrund og Uforgängelighed i hende; hun staar der plantet som selve Livets Stammotder, gennem hendes brede alfavnonde Gemyt vil det kunne blive at forny sig! Dit Stykke er en Bedrift; til Lykke med det! Grete er jo endnu ikke opereret; hun ligger til Obversation. Naar Operationen er overstaaet, tager vi ind og ser til hende – og skal saa bere te jer, hvordan det gaar hende. Nu de bedste Hilsener til Fru Helle, Barbara, Steff og dig selv fra os alle her ved din hengivne Martin Andersen Nexö

[…] Ich habe voll Freude DAS VERHÖR DES LUKULLUS gelesen. MUTTER COURAGE war für mich ein außerordentlicher Genuß. Du hast hier ein prachtvolles Bild geschaffen, offenbar ganz Mittelalter und doch wird das Heute vollkommen lebendig. Mutter Courage selbst ist mit ihrer Derbheit, mit ihrem gesunden Sinn, ihrem Realismus, der einer großen Herzensgüte entspringt, eine üppige Gestalt aus dem einfachen Volke. Sie hat etwas Ursprüngliches, Unverwüstliches; da steht sie wie die Stammutter des Lebens selbst, durch ihr großes allumfassendes Gemüt scheint es sich erneuern zu können! Dieses Stück ist eine Tat; ich gratuliere! Grete ist ja noch nicht operiert worden432; sie liegt unter Beobachtung. Wenn die Operation überstanden ist, fahren wir hin und sehen nach ihr – und werden Euch dann berichten, wie es geht. Von uns allen hier die besten Grüsse an Frau Helle, Barbara, Steff und Dich selbst Dein ergebener Martin Andersen Nexö Überlieferung: Ts (Fragment), hs. Korr., hs. U.; BBA 1081/67 (deutsche Übersetzung von Barbara Ohl: Z 957).

432 Vgl. Anm. zu Ostermoor, 2.12.1939. Steffin wurde einmal am 29.11. im Øresund-Hospital und dann noch einmal am 18.12.1939 im Bispebjerg-Hospital operiert.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht [New York] 17.12.[1939] Mein lieber Bert – heute ist der 17. Dezember – d.h. mein Geburtstag – Ich hätte Dir lange schreiben können und wollte es auch – aber ich mache mir heute das Geburtstagsgeschenk es zu tun – Ich denke – ohne zu schreiben – auch an Dich und frage mich – was machst Du – dass Du nach Stockholm gezogen bist, weiss ich – Freeman bestellte mir Grüsse.433 Karin Michaelis traf ich – Leute erzählten mir, dass Du von Hollywood Geld erhalten hättest – sodass Du zumindestens ein Jahr keine Sorgen hättest – Was Du denkst, möchte ich auch wissen über Alles, was um uns herum vorgeht – Deine Gedichte434 finde ich grossartig – ich liebe sie – Galilaei will ich irgendwann aufführen – und ich hoffe nur – ich kann es bald. Ich lege Dir einen Katalog bei – aus dem Du siehst, was ich gemacht habe. Die Schule435 wird mir die Möglichkeit geben, Versuche zu unternehmen nach verschiedenen Richtungen. 1. Mit Studenten selbst – in der sogenannten Directoryklasse 2. mit einer Gruppe von Schauspielern – darunter sich Sam Jaffee436 (ich weiss nicht, ob Du ihn kennst) und Fritz Kortner befinden. Dieses Studio möchte ich eigentlich „living publishing house“ (lebender Verlag) nennen, von der Erfahrung ausgehend, dass kein Producer hier ein Stück liest – bzw. es zu lesen versteht. In der Schule befindet sich ein Theaterraum, den Du wohl kennst – Du hast – glaube ich – in ihm zusammen mit Eisler einen Diskussionsabend veranstaltet.437 Er hat 500 Plätze – und könnte – für’s erste – sehr gut als Theater dienen. Das Theater möchte ich ohne Geld machen – Versuche – Schauspieler – Arbeit. Mit oder ohne Geld – es kann Alles ebenso gut wie schief gehen – und da es nun seit Jahren schhief geht – bin ich sehr müde – zugleich aber auch aktiv – nur sind die Zwecke – Notwendigkeiten so verschoben, dass man sich an glücklichere Epochen (auch unsere eigene) nicht mehr erinnern darf. Dass ich Dich gern hier haben möchte – habe ich Dir viele Male geschrieben – ich bin nicht der Ausverkäufer – K. Weill – der den Väter erschlägt um als missratener Sohn vom Erbe zu leben. Wenn Du kommst – arbeiten wir an unseren Versuchen. Weihnachten – Neujahr: Wünsche.438 Kannst Du wirklich nicht kommen? Wie geht es Deiner Familie, den Freunden – Grüsse Alle – wenn Du gewisse Dinge im Katalog nicht verstehst – so frage – es gab Notwendigkeiten herzlichst Dein alter Erwin P. Überlieferung: Ms, BBA 911/149–152. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 163f. 433 Vgl. Anm. zu Piscator, 6.7.1939. 434 Die Svendborger Gedichte. 435 Vgl. Piscator, 15.6.1939. 436 Vermutlich der amerikanische Schauspieler Sam Jaffe (1891–1984). 437 Möglicherweise das von der Theatre Union am 6.12.1935 in New York veranstaltete Symposium, an dem Brecht zusammen mit Hanns Eisler und Elisabeth Hauptmann teilgenommen hatte (vgl. BC, S. 467). 438 Möglicherweise auch: „Weihnachten – Neujahrs[-]Wünsche“.

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Jacob Maarbjerg 439 an Bertolt Brecht Kopenhagen, 20.12.1939 Jacob Maarbjerg Skindergade 23 København K - Palæ 8008 20.12.1939. liebe kammerat brecht – ich habe eine job bekommen. ich soll eine neue filmzeitschrift „FILM“440 redigieren. das erste nummer kommt am 12. januar 1940. ich habe mehrmals mit ruth berlau gesprochen und sie hat mit dazu geraten zu dir zu schreiben, weil sie denkt, dass du stoff über film – z.b. neue und führende filmzeitschriften hast. ich wollte sehr dankbar sein für jeder hilfe mit stoff und ratschläge zu den ersten nummeren, du verstehst das bedeutet viel für mich etwas gutes zu machen, speziel im anfang. ruth berlau meint übriegens das steff441 eventuel etwas stoff hat. unser blat ist boykottet geworden für annoncen – aber will bestehen als tageblatt. willst du bitte die weigel grüssen, lustig wenn wir uns wiedersehen. das ist wigtich für mir von dir zu hören. kammeratliche grüss Jacob Maarbjerg Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1396/87.

439 Jacob Maarbjerg (1921–2008), dänischer Photograph, arbeitete für die linke dänische Tageszeitung Politiken. 440 Die dänische Wochenzeitung Filmen. 441 Margarete Steffin.

Briefe an Bertolt Brecht, 1940

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Sanary/Var, 18.1.1940 Sanary, 18. Jan. 40 Lieber brecht, schönen dank für ihre karte.1 wir denken hier sehr oft an Sie. mir geht es leidlich. ich arbeite viel am dritten teil des josephus.2 aber ganz leicht ist es natürlich nicht, die nötige ruhe dafür zu finden, und es gibt immer wieder unangenehme störungen. ich werde deshalb nun doch wohl nach amerika gehen, ich denke, spätestens anfang mai, vielleicht aber doch schon anfang märz. ich hätte gern noch vorher den ‚josephus‘ hier fertig geschrieben, aber so hartnäckig ich bin, wäre es doch wohl töricht, die relative ruhe, die amerika mir bietet, fahren zu lassen, nur weil ich mir vor etwa vier jahren vorgenommen habe, ich will hier die Wartesaal-Trilogie3 und die Josephustrilogie zu ende schreiben. ihre beiden stücke4 habe ich sehr aufmerksam gelesen. den lucullus finde ich geschlossener, ‚fertiger‘ als die ‚kurage‘. in der kurage stört mich die sprache. natürlich ist es Ihr gutes recht, sich irgendeinen dialekt zurechtzuzimmern, der Ihnen für Ihren 30 jährigen Krieg passt, aber das böhmackel, das Sie sich zurecht gemacht haben, rückt das stück in eine (äusserliche) nähe des schweik5, die einen, oder wenigstens mich, ärgert. aber welch eine herrliche rolle muss das für die Helli sein.6 wenn ich in amerika bin, hoffe ich mit nachdruck auf die beiden stücke aufmerksam machen zu können. haben Sie übrigens ‚grapes of wrath‘ gelesen von steinbeck7? es steckt ein bisschen blubo8 darin und viel hemingway: aber lesen müssen Sies. es gibt auch eine deutsche ausgabe. sehr viel herzliches. ich habe grosses verlangen, sie wiederzusehen. Ihr Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 654/146. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 46f. 1 2

Nicht überliefert. Das ist der Roman Der Tag wird kommen (Das gelobte Land), der dritte Teil der Josephus-Trilogie (vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.1.1934). 3 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 16.5.1933. 4 Das Verhör des Lukullus und Mutter Courage (erste Fassung). 5 Vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933. 6 Helene Weigel spielte die Courage später am Deutschen Theater Berlin (Premiere am 11.1.1949). Um diese „herrliche Rolle“ im Sinne seiner eigenen Theaterkonzeption besser zur Geltung zu bringen, hatte Brecht unterdessen einige Textänderungen vorgenommen. In bezug auf die Züricher Uraufführung des Stücks 1941 mit Therese Giehse in der Titelrolle bezeichnete er das „Loblied auf die unerschöpfliche Vitalität des Muttertiers“ (Journaleintrag vom 7.1.1948, GBA 27, S. 263) als Mißverständnis. 7 John Steinbeck (1902–1968), amerikanischer Schriftsteller, im Zweiten Weltkrieg auch als Kriegsberichterstatter tätig. Für seinen Roman The Grapes of Wrath (1939; Früchte des Zorns, 1940) wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. 8 Blut-und-Boden-Ideologie.

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Heinrich Fischer9 an Bertolt Brecht London, 8.2.1940 16 Randolph Avenue, London, W.9. 8th. February 1940. Dear Bert Brecht, As you will have heard from John Heartfield, I produced your one-act play “The Informer”10 last year, first in German for the Kulturbund11, later in English for an amateur group. Recently I had a drawing-room play reading of some of your work for those [who] understand German. Also in my lectures on the German theatre you have been mentioned, as you may see by the enclosed copy. It seems to me that there are now various possible openings either for publication or production of your work here, as soon as we have a good English translation on hand. Moreover I have found a very suitable translator who would be willing to work with me. I presumed that John Heartfield or the Malik Verlag were your representatives in England, but Heartfield tells me that is not the case, therefore I suggest that you authorise me to do whatever is necessary, firstly retranslation and subsequently publication, which in England usually precedes production with one-act plays. I for[e]see that in due course you should be able to collect some royalties. For this reason I enclose a form of authorization, so that I can commence negotiations on your behalf, on the understanding that any definit contract will be referred to you for final decision. I am particularly interested in the translation of the series “99 per. Cent.” (Fear and Misery in the Third Reich.), please let me know if any of these, besides “the Informer” has been translated into English. Also “Longheads and Roundheads”12 should be translated. Please let me have a copy of this and of your collected oneact plays. If you have any new ones which you think may be of interest to British audiences, please send that also. I will naturally be very interested to hear how you are getting on in Stockholm. As for myself, after some very difficult weeks last spring I was able to come to England. Virtle13,

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Heinrich Fischer (1898–1974), Schriftsteller und Regisseur, Herausgeber der Werke von Karl Kraus. Brecht hatte ihn vermutlich bei seiner Theaterarbeit in Berlin kennengelernt. Der Spitzel aus Furcht und Elend des III. Reiches. Der Freie Deutsche Kulturbund war eine 1938 gegründete Vereinigung exilierter Künstler in Großbritannien. In London führte der Kulturbund 1939 auch einige Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches auf. Eine englische Übersetzung der Rundköpfe und Spitzköpfe von N. Goold-Verschoyle lag zu dieser Zeit bereits vor. Sie war unter dem Titel Round Heads, Peak Heads or Rich and Rich Make Good Company in Heft 5/1937 der englischen Ausgabe der Internationalen Literatur erschienen. Möglicherweise Berthold Viertel, der sich bis 1939 in London aufhielt.

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who as you know was here at the time, was very helpful indeed. I have now become more or less acclimatised. Please convey my greetings to Helene Weig[e]l. Yours sincerely, Heinrich Fischer. 2 enclosures. Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv 318/2.

Jacob Maarbjerg an Margarete Steffin Kopenhagen, 27.2.1940 27.2.1940. Fru Grete Juul Lidingöen Stockholm I Henhold til vor Aftale venter vi Deres Artikler og Anmeldelser fra Stockholm. Da vi har afsat Plads i Nr. 9 af ”Film” vil det glæde os, hvis vi kan faa Deres Stof omgaaende. Foruden de forskellige Artikler vil vi, som tidligere nævnt, være glade for at faa tilsendt Anmeldelser af de forskellige større Film, der jo som Regel faar Premiere i Stockholm før her i København. Haaber at høre fra Dem omgaaende. Venlig Hilsen Jacob Maarbjerg Vedlagt - Nr. 7 af ”Film”. 27.2.1940. Frau Grete Juul Lidingöen Stockholm

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Gemäß unserer Abmachung erwarten wir Ihre Artikel und Rezensionen aus Stockholm. Da wir Platz in der Nummer 9 von „Film“14 eingeplant haben, würde es uns freuen, wenn wir Ihr Material umgehend bekommen könnten. Abgesehen von den verschiedenen Artikeln würden wir uns, wie bereits erwähnt, freuen, Rezensionen der verschiedenen größeren Filme zugesandt zu bekommen, die ja in der Regel in Stockholm früher Premiere haben als hier in Kopenhagen. Hoffe, umgehend von Ihnen zu hören. Freundliche Grüße Jacob Maarbjerg In der Anlage – Nr. 7 von „Film“. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: film Redaktion: Panoptikonbygningen, Vesterbrogade 5, V. - Palæ 8008 Ekspedition: Rentemestervej 48 – København NV – Taga 5893; BBA 638/84.

Knud Rasmussen an Margarete Steffin Odense, 28.2.1940 Odense, d. 28.-2.-40. Fru Margarete Steffin Stockholm. I Besvarelse af Deres Forespægsel angaaende maanedlige Teater- og Filmbreve til vor Kronik skal jeg meddele Dem, at vi gerne vil modtage saadanne fra Dem. Da vi tænker os at anbringe Artiklerne i Bladet omkring Slutningen af hver Maaned eller maaske i Begyndelsen, vil det være fordelagtigt for Redaktionen af Hensyn til Oversættelsen, at vi i alle Fald har Brevene senest den 25. i. hver Maaned. Honorar vil blive Dem tilstillet for hver Gang en Kronik har været paa i Bladet. Artiklerne maa ikke gerne fylde meget mere end 200 Spaltelinjer. Arbødigst f. FYNS SOCIAL-DEMOKRAT Knud Rasmussen Frau Margarete Steffin Stockholm.

14 Die dänische Wochenzeitung Filmen.

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In Beantwortung Ihrer Anfrage15 in Bezug auf die monatlichen Theater- und Filmartikel für unser Feuilleton soll ich Ihnen mitteilen, dass wir gern solche Artikel von Ihnen haben möchten. Da wir uns vorstellen, die Artikel cirka zum Ende jedes Monats oder vielleicht zu Anfang in der Zeitung zu bringen, wäre es für die Redaktion mit Hinsicht auf die Übersetzung vorteilhaft, wenn wir die Artikel bis spätestens zum 25. jedes Monats haben. Das Honorar wird Ihnen zugestellt, jedes Mal wenn ein Feuilleton in der Zeitung erschienen ist. Die Artikel sollten möglichst nicht sehr viel mehr als 200 Spaltenzeilen füllen. Hochachtungsvoll s. FYNS SOCIAL-DEMOKRAT Knud Rasmussen Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Fyns Social-Demokrat Redaktionen – Kontorer: Kongensgade 65, Odense Telefoner: 702 – 2462 Statstelefon 28 –; BBA 638/98 (deutsche Übersetzung von Barbara Ohl: Z 946).

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 18.3.1940 Basel, den 18. März 1940 Herrn Bertolt Brecht, Löstigen 1 Lidingö 1 Schweden Sehr verehrter Herr Brecht, Besten Dank für Ihr Schreiben vom 10. März a.c.16 Selbstverständlich habe ich für die neue Bühnenfassung von „Das Leben des Galilei“17 sehr grosses Interesse und ich bitte Sie freundlichst um Zusendung des Manuskriptes. Für „Mutter Courage und ihre Kinder“ habe ich vor allen Dingen das Züricher Schauspielhaus interessiert. Der Dramaturg, Herr Kurt Hirschfeld, hofft bestimmt, das Werk in

15

Vgl. Steffins Brief an Rasmussen alias Fredrik Martner vom 25.1.1940, dokumentiert in BBA E 10/67– 70. 16 Nicht überliefert. 17 Im September 1939 hatte Brecht eine Bühnenfassung des Stücks angefertigt und dabei an der ersten Niederschrift umfangreiche Kürzungen vorgenommen.

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der neuen Spielzeit zur Uraufführung bringen zu können, das Haus hat ja in Frau Giehse18 d i e Darstellerin für die Hauptrolle. Aber auch Herr Direktor Keller19 in Bern ist sehr interessiert. Ihr Hörspiel „Lukullus vor Gericht“ habe ich beim Radiostudio Bern placiert.20 Ich werde Ihnen den genauen Aufführungstermin, der noch nicht feststeht, rechtzeitig bekannt geben. – Von „Mutter Courage“ habe ich inzwischen Manuskript herstellen lassen. Ich wäre Ihnen aber sehr dankbar, wenn Sie mir noch einige Exemplare zusenden würden. – Ist es Ihnen nicht möglich, mir ein Material der Dreigroschenoper zu verschaffen resp. mir zu sagen, auf welchem Wege ich in den Besitz eines solchen kommen könnte. Ich bin davon überzeugt, dass ich die Dreigroschenoper hier neu placieren könnte.21 Mit den besten Empfehlungen Überlieferung: Ts (Abschrift), BBA 638/104.

Hubertus Prinz zu Löwenstein an Bertolt Brecht 22.3.1940 22. Maerz 1940. Herrn Bertolt Brecht, 11 Tulevaegen Lidingoe pr. Stockholm Sweden. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir haben uns sehr gefreut, Ihnen am 7. Februar und am 1. Maerz 1940 die beiden letzten Monatsueberweisungen (in Hoehe von $ 60.-) Ihres vorjaehrigen Stipendiums22 zugehen zu lassen, deren Auszahlung durch den Krieg unterbrochen wurde. 18 Die Schauspielerin Therese Giehse (1898–1975) ging 1933 ins Exil in die Schweiz. Mit dem Kabarett Die Pfeffermühle war sie mehrere Jahre auf Tournee in Europa und den USA, bevor sie sich 1937 wieder in Zürich niederließ. 1941 spielte sie im dortigen Schauspielhaus die Titelrolle in der Uraufführung der Mutter Courage (vgl. Reiss, 28.4.1941). Ab 1949 trat sie u.a. auch am Berliner Ensemble auf. 19 Eugen Keller (1880–1948), Schweizer Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant. Von 1937 bis 1946 leitete er das Stadttheater Bern. 20 Das Verhör des Lukullus, in der ersten Fassung als „Radiostück“ betitelt, wurde am 12.5.1940 von Radio Beromünster in Bern ausgestrahlt. 21 Dieser Plan wurde nicht realisiert. 22 Vgl. American Guild, 22.4.1938.

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Leider sind wir seit vielen Monaten ohne Nachricht von Ihnen. Bitte lassen Sie uns wissen, woran Sie arbeiten und wie es Ihnen geht. Mit freundlichen Gruessen bin ich Ihr Generalsekretär HzL: mvg MAR 31 1940

[hs.] wait for furthers comm.

Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Alvin S. Johnson23 an Bertolt Brecht [New York] 17.4.1940 Cable sent 4-17-4024 Mr. Bertolt Brecht c/o American Consul American Consulate Stockholm, Sweden by authority board of trustess new school for social research i tender you appointment as lecturer in literature may 1940 january 1941 salary $150025 alvin johnson president Überlieferung: Ts (Telegramm-Abschrift), BBA E 17/4. 23 Alvin Saunders Johnson (1874–1971), amerikanischer Ökonom, Mitbegründer und Präsident der New School for Social Research in New York. 24 An diesem Tag hatte Brecht Schweden verlassen. Am 18.4.1940 traf er zusammen mit seiner Familie und mit Margarete Steffin und Hermann Greid in Helsinki ein. Wenige Tage zuvor hatten deutsche Truppen Dänemark besetzt; am selben Tag war Brechts Haus in Lidingö von der Polizei durchsucht worden. Die schwedische Regierung, die im übrigen ihre Neutralität bekräftigte, gestattete der Wehrmacht „Versorgungstransporte“ nach Norwegen. 25 Vgl. dazu B. an Johnson, Mitte Juni 1940, GBA 29, S. 176f. Bereits im Februar 1939 hatte sich Brecht bei dem in die USA emigrierten Karl Korsch erkundigt, wie er „irgendeine formelle Berufung als Lehrer kriegen könnte“ (GBA 29, S. 130), um seine Einreise zu beschleunigen. Die Einladung der New School for Social Research verdankte sich vor allem der Initiative Piscators (vgl. dessen Brief vom 12.6.1940).

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 22.4.1940 Basel, den 22. April 1940 Herrn Bert Brecht, Lidingö 1 (Schweden) Lövstigen 1 Sehr verehrter Herr Brecht, Das Schauspielhaus in Zürich hat sich jetzt doch entschlossen, „Mutter Courage“ erst in der nächsten Saison aufzuführen. – Da auch Basel und Bern an einer Aufführung interessiert sind 26, werde ich versuchen, trotz aller Schwierigkeiten, den Uraufführungsvertrag schon jetzt zu bekommen. Ich sehe der Uebersendung der anderen Melodien gerne entgegen.27 Wann soll die Stockholmer-Aufführung sein? Ihr Hörspiel „Lukullus“ kommt am 12. Mai (Pfingstsonntag) am Radio Studio Bern zur Aufführung. Mit den besten Empfehlungen Ihr ergebener Kurt Reiss P.S. Von dem verloren gegangenen Schreiben vom 18. März a.c. lege ich Abschrift bei. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Theaterverlag Kurt Reiss Basel Bäumleingasse • Telephon 41352 Telegramm-Adresse ‹Reissverlag Basel›; BBA 638/105.

Alvin S. Johnson an Bertolt Brecht New York, 2.5.1940 COPY SENT BY CLIPPER May 2, 1940

26 In Basel und Bern wurde Mutter Courage damals nicht aufgeführt. 27 Bezieht sich vermutlich auf die Musik zu Mutter Courage, mit der Brecht den schwedischen Komponisten Simon Parmet beauftragt hatte. Vgl. Anm. zu Reiss, 28.4.1941.

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My dear Mr. Brecht: On April 17 I cabled you an invitation to join our faculty in the New School for Social Research as Lecturer in Literature, with a salary of $1500, the appointment to run from May 1940 (or the earliest date on which you can arrive) to January 1941. We shall be most happy to welcome you as a colleague. Yours truly, Fred Grote Alvin S. Johnson Alvin S. Johnson Commisioner OF DEEDS President N.Y. Co. Clerk’s No. 89 N.Y. Co. Reg. No. 29 C 1 Commission Expires May 2, 1941 Mr. Bertolt Brecht c/o American Consulate Helsinki, Finland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The New School For Social Research 66 W Twelfth St New York; BBA E 17/5.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht New York, 12.6.1940 DRAMATIC WORKSHOP of THE NEW SCHOOL FOR SOCIAL RESEARCH 66 West 12 STREET New York City

June 12, 1940.

Mr. Bert Brecht Walhallagatan 9 Helsingfors (Finnland) Lieber Brecht, Ich habe jeden einzelnen Brief beantwortet, den ich von Euch bekommen habe.28 Ich sandte Dir auch einen Katalog der Schule, d.h. des Dramatic Workshop, den ich hier gegründet habe.

28 Vgl. B. an Piscator, 17.5.1940, GBA 29, S. 171f.

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Der Erfolg dieser Schule ermöglichte mir Deine Einladung durchzusetzen.29 Es wäre gut, wenn Du Dr. Alvin Johnson, dem Direktor der New School for Social Research und Miss Clara W. Mayer, der Vicedirektorin, einige Dankeszeilen schreiben würdest. Die Beschaffung der Kaution stösst tatsächlich auf Schwierigkeiten.30 Ich wandte mich an sehr viele Leute, aber alle die bisher sich anständig gezeigt haben sind gerade diejenigen, die kaum noch helfen können. Davon hängt aber, soviel ich weiss, Deine Einladung nicht ab; d.h. es geht Dich nichts an. Die Einladung ist gültig und kann von Dir zur Einreise benutzt werden. Wegen Beschleunigung für Deine Einreise nach hier, habe ich mich hier bei den massgebenden Stellen erkundigt, und ich kann leider darin garnichts unternehmen. Es hängt ganz von dem amerikanischen Konsul in Helsingfors ab, ob und wann er Dir auf unsere Einladung hin das Visitorvisum erteilt. Einwanderungsvisa werden z.Zt. an diejenigen erteilt, die sich im Juli – August 1938 angemeldet haben, d.h. also, dass Ihr wahrscheinlich auf Quota noch 1/2 Jahr warten müsstet, wenn nicht jetzt durch das kaum mögliche Reisen von Europa nach hier viele ihr Visum verfallen lassen müssen, und somit Eure Nummer früher aufgerufen würde. Eisler und ich versuchten uns auch für Grete einzusetzen.31 Wir wissen, was sie leistet und Dir bedeutet, aber wir stiessen hier vollkommen auf Widerstand. Die Schule musste es ablehnen, denn mit jeder Einladung entstehen grosse finanzielle Belastungen für sie, und sie hat schon so viele Verpflichtungen übernommen, dass sie wirklich nicht in der Lage ist, neue einzugehen. Nur auf mein intensivstes Einsetzen hin konnte ich noch Deine Einladung durchsetzen. Es erübrigt sich, Worte des Bedauern[s] und [der] Entschuldigung auszudrücken. Man kann zu wenig tun, um wirklich zu helfen. Es ist Zufall und Glück, wenn einiges gelingt. Ich schreibe diesen Brief auch ohne zu wissen, ob er noch in Deine Hände gelangen wird. Seit gestern sperrt Mussolini das Mittelmeer und Narvik ist aufgegeben. Trotzdem, wir wollen weiter hoffen. – Herzliche Gruesse für Euch Beide Euer Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 179ff.

29 Vgl. Anm. zu Johnson, 17.4.1940. 30 Um einer eventuellen finanziellen Notlage des Immigranten vorzubeugen, verlangten die zuständigen Behörden ein Affidavit, d.h. die Bürgschaft eines US-Bürgers. Brecht hatte bereits im März 1939 beim Konsulat der USA ein Einreisevisum für sich, Helene Weigel und die Kinder beantragt. In Anbetracht der geltenden Einreisequoten hatte er jedoch mit einer Wartezeit von mindestens zwei Jahren zu rechnen. 31 Brecht erkundigte sich am 27.5.1940 bei Piscator, ob „nicht die New School dem amerikanischen Konsulat in Helsingfors gegenüber den Wunsch aussprechen [könne], daß auch Grete ein Visum bekommt, und zwar als meine Mitarbeiterin. Tatsächlich überblickt nur sie meine Tausende von Manuskriptblättern und ohne sie würde ich nur mit ungeheurem Zeitverlust Vorlesungen zustande bringen können. […] Ich kann sie ja unmöglich einfach zurücklassen“ (GBA 29, S. 172f.).

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Markus Wolf32 an Bertolt Brecht [New York] 3.7.1940 July 3rd, 1940. AIR MAIL REGISTERED. Bertolt Brecht, Esq. 11 Tulevaegen Lidingoe pr. Stockholm SWEDEN. My dear Mr. Brecht, On February 7th and March 1st, 1940, respectively, we sent you through our bank the last two instalments of your scholarship of $ 60.00 each, the payment of which had been interrupted owing to the war. The General Secretary informed you on March 22nd, 1940, of these remittances and asked you to write us whether you received them. However, we did not hear from you, in fact, your last letter to us was dated: June, 1939. We have been wondering all the time about your welfare and the progress of your work, and would be very glad indeed to hear from you soon. Very sincerely yours, Markus Wolf. With return receipt. mw: mvg Überlieferung: TsD, hs. Notiz: “Yellow copy mailed to Mrs. Helene Brecht-Weigel by ordinary mail”; Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

32 D.i. Wolfgang Sauerländer, Mitarbeiter der American Guild for German Cultural Freedom in New York.

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Markus Wolf und Volkmar von Zühlsdorff an Bertolt Brecht New York, 6.9.1940 Room 310 20 Vesey Street New York City September 6, 1940. Lieber Herr Brecht, Nehmen Sie besten Dank fuer Ihren Brief vom 1. August.33 Wir waren froh, endlich wieder von Ihnen zu hoeren. Leider kann ich Ihnen heute noch nichts Positives ueber die Erneuerung Ihrer Beihilfe sagen. Ich hoffe, dass sie im Laufe dieses Monats moeglich sein wird. Was Ihre Einwanderung betrifft, so fuerchte ich, dass die Wartezeit noch einige Monate dauern kann. Haben Sie bereits ein Affidavit? Ich habe mich inzwischen beim PEN-Club erkundigt und erfuhr, dass man sich an das Department of State in Washington gewandt hat, um Ihnen zu helfen. Leider jedoch bisher o[h]ne Erfolg. Die Spezialvisen, die jetzt von der Regierung fuer Gefaehrdete in Frankreich, Schweden und in der Schweiz erteilt werden, scheinen ausgerechnet nicht fuer Finnland anwendbar zu sein. Ich werde jedoch noch einmal bei den betreffenden Stellen Erkundigungen deswegen einziehen. ´ Was das Schicksal Ihrer Kollegen betrifft, so sind nahezu unbegreiflicherweise die meisten in Marseille oder sonstwo in Suedfrankreich aufgetaucht. Die bewundernswerten Bemuehungen vieler amerikanischer Persoenlichkeiten und Organisationen haben auch bereits fuer einen grossen Teil amerikanische oder mexikanische Visen erwirken koennen. – Ihr Freund Lion befindet sich in verhaeltnismaessiger Sicherheit, ebenso Doeblin, H. Mann, A. Neumann. Sie haben alle, wie auch viele andere, amerikanische oder mexikanische Visen. Unruh ist bereits in Amerika. Allerdings sind uns auch zwei Todesfaelle bekannt geworden: Hasenclever34 und Irmgard Keun.35 Mit besten Gruessen Ihr Markus Wolf. 33 Vgl. B. an die American Guild, 1.8.1940, GBA 29, S. 183f. 34 Walter Hasenclever (1890–1940), Schriftsteller. Er ging 1933 ins Exil nach Frankreich und nahm sich nach der Niederlage der französischen Truppen im Internierungslager Les Milles das Leben. 35 Ein Irrtum: Die Schriftstellerin Irmgard Keun (1905–1982), die sich seit 1936 im Exil in Belgien und den Niederlanden aufgehalten hatte, ging 1940 zurück nach Deutschland, wo sie sich illegal versteckt hielt.

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Herrn Bertolt Brecht, Walhallagatan 20 A Helsingfors, Finland. mw/mvg DEC 5 - 1940

[hs.] Ask Prince Loewenstein to apply for Mexican visa. V.Z.

Überlieferung: TsD, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: American Guild EB 70/117.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht New York, 2.12.1940 New York, den 2. Dezember 1940 Lieber Brecht, Ihren Brief vom 6. November habe ich gekriegt.36 Wir tun hier, was wir können, um Sie herüber zu bekommen.37 Ihr mexikanisches Visum ist bewilligt, man hat dem mexikanischen Konsul in Helsingfors telegrafisch Anweisung gegeben, es Ihnen auszustellen. Um Ihr amerikanisches Visitor Visum bleiben wir weiter bemüht. Ich rate Ihnen aber dringlich, es nicht abzuwarten, sondern so rasch wie möglich abzufahren. Das Immigrations Visum abzuwarten, hat wenig Sinn. Man sagt mir hier, Sie hätten darauf noch endlose Zeit zu warten. Was das Geld für die Reise anlangt, so steht Ihnen natürlich mein russisches Konto zur Verfügung, sowohl das beim Staatsverlag wie mein Bankkonto, und ich gebe auf alle Fälle dem Staatsverlag in Moskau mit gleicher Post Weisung, Ihnen aus dem mir zustehenden Betrag das Geld für die Fahrt nach Wladiwostok auszuhändigen. Von dort aus wird Ihnen sicher die League of Writers38 weiterhelfen. Etwas sehr Wichtiges, lieber Brecht. Wenn sich Schwierigkeiten ergeben sollten in Bezug auf das Mitnehmen Ihrer Leute, dann, bitte, folgen Sie der Vernunft. Zögern Sie nicht, allein zu fahren. Ich habe mehrmals die Erfahrung machen müssen, daß Familien nicht wegkamen, weil sie wie die Kletten zusammenhingen, während es dem Einzelnen gelang, durchzukommen und seine Familie nachzuholen. 36 Vgl. B. an Feuchtwanger, 6.11.1940, GBA 29, S. 190. 37 Nachdem Feuchtwanger im Mai 1940 in Frankreich abermals interniert worden war, gelang ihm mit Hilfe seiner Frau die Flucht über die Pyrenäen nach Spanien. Von dort reiste er über Lissabon weiter in die USA. 38 Vgl. Anm. zu Löwenstein, 5.1.1939.

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Alles Gute, Brecht, und glauben Sie, dass hier alles für Sie geschieht, was irgend geschehen kann. Das Herzlichste auch für Helen[e] und Grete Steffin. PS. Soeben erhalte ich Nachricht, dass ein Geldmann den ich für Sie interessiert habe, dem Rescue Committee39 den Betrag für Ihre Reise zur Verfügung gestellt hat. Ich nehme also an, dass auch die Genehmigung des Besuchervisums für die Vereinigten Staaten nur mehr eine Frage der Zeit ist; dennoch würde ich raten, das mexikanische Visum unter allen Umständen auszunutzen und sobald wie möglich zu fahren. Überlieferung: TsD, Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Beverly Hills. – Dv: Kopie, BBA Z 19/138. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 48f.

Alvin S. Johnson an Bertolt Brecht [New York] 6.12.1940 December 6, 1940 Dear Dr. [sic] Brecht: By authority of the Board of Trustees of the New School for Social Research I tender you appointment as lecturer in Literature, February 1941 to September 1941. The salary is fixed at $1500. Yours truly, Alvin S. Johnson President Dr. Bertolt Brecht Repslagaregatan 13 A. 5 Helsinki, Finland Überlieferung: TsD, BBA E 17/7.

39 1940 in New York gegründetes Rettungskomitee zur Unterstützung vor allem von Schriftstellern.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht 20.12.1940 December 20 1940 Brecht To REPSLAGAREGATAN 13 A 5 Street and No. HELSINGFORS (Finland) Place herzlichste wünsche wir sind alle eifrigst für sie bemüht wetcheek Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Beverly Hills. – Dv: Kopie, BBA Z 19/140. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 49.

Margarete Steffin an Bertolt Brecht [Helsinki, Dezember 1940/Januar 1941] ein versuch der aufzählung seiner stücke zu brechts geburtstag 194140 1 seit wochen schwimme ich auf dem fieberschiff.41 es steigt schrecklich auf und ab. mir ist so schlecht, so schlecht. ich will ans ufer der gesundheit, aber das schiff legt nie an. ich springe in das dunkle wasser. mit fischnetzen, mit angelhaken holen sie mich zurück. ich frage angstvoll, ob es keine rettung gibt? ja! sagen die wächter. wenn ich eine frage wahrheitsgetreu beantworte. welche frage? wem? rasch, rasch! welche frage! komm, sagen die wächter und führen mich in den bauch des schiffes. 2 auf langen wartebänken sehe ich durch einen nebel menschen, viele. männer und frauen. ich frage einen wächter: wer sind sie? er sagt, mit einem gemisch aus ehrerbietung und verachtung: schauspieler! und was wollen sie von mir? die rol le ! ihre gierigen augen fressen an mir. ihre stimmen sind heiser vor aufregung. sag uns, welches die rolle ist. dann kannst du gehen.

40 Brecht nahm dieses Geburtstagsgeschenk auf in sein Journal: vgl. GBA 26, S. 465f. 41 Vgl. Brechts Journaleintrag vom 4. Dezember 1940, GBA 26, S. 446.

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3 ach! ich atme auf und schon lockert das fieber seinen würgegriff. heiter fast frag ich: für einen mann oder für eine frau? für eine frau! schrein die frauen. für einen mann! schrein die männer. gut, es gibt in seinen stücken genug rollen für euch alle, sag ich, um sie zu beruhigen, wie man einem wolf etwas hinwirft, wenn er schon den mann auf dem schlitten anspringen will. ich habe auch nicht zeit, nachzudenken, ich muss rasch rasch rollen nennen, und ich nenne den armen edward, die ärmere königin anna.42 garga43, den ich nie verstand (er ist doch eine rolle?), galy gay44, den einfachen packer vom hafen mit dem weichen gemüt, der sich in die menschliche schlachtmaschine verwandelte wegen einer gurke, die er nicht zu kaufen wagte, das sodom und gomorrha leokadja begbick.45 kragler, anna!46 …. einer ruft finster dazwischen: aha! paule ackermann nennst du uns nicht! Und nicht jenny, nicht diese begbick!47 (die auch eine leokadja ist, ist sie die gleiche?) peachum! rufe ich laut, um ihn zu übertönen – da weiss ich mich auf sicherem grund. frau peachum! macheath! polly!48 dann sage ich langsam, denn teurer ist sie mir als alle, die ich nannte: pelagea wlassowa!49 4 darauf schweigen sogar sie für kurze zeit. dann fragen sie aber: und weiter? weiter? und ich sage: ja, weiter? wir wollen es dir leichter machen, sagen die frauen – sie können doch nicht meinen, sie seien zu kurz gekommen bis jetzt? – nenne uns das s t üc k, das dir das liebste ist! 5 das ist leicht! antworte ich. natürlich … und plötzlich scheint mir, ich sehe hinten einen halbhohen leinenvorhang50, einen, den ich doch aus den berliner theatern kenne, aber ich weiss, hier ist keine bühne. darf ich dahinter sehen? frage ich. und wenn ich nie mehr vom schiff dürfte, ich weiss, ich muss

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Hauptfiguren in Leben Eduards des Zweiten von England. Eine der Hauptfiguren in Im Dickicht der Städte. Hauptfigur in Mann ist Mann. Eine weitere Figur in Mann ist Mann. Hauptfiguren in Trommeln in der Nacht. Figuren in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Hauptfiguren in Die Dreigroschenoper. Hauptfigur in Die Mutter. Einen solchen Vorhang verwendete Caspar Neher erstmals bei der Uraufführung von Mann ist Mann 1926 in Darmstadt, auf Brechts Wunsch dann auch bei späteren Berliner Inszenierungen.

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dahinter schauen! wohinter, sagen sie? da ist nichts. hinter den vorhang, sag ich. vorhang? wir haben keinen. den dort! geh schon, du! nur einen kleinen spalt weit nehme ich ihn auseinander, nur einen moment habe ich hingesehen und doch alles erblickt. ich muss den vorhang fallen lassen. mir ist, als ob mir das blut in den adern gerinnt. ich kann nicht sprechen, das wort ist mir im halse erstickt. aber ich bin verloren, wenn ich nicht spreche! nun, sagen sie ungeduldig, welches stück ist dir das liebste? da stürzt mir erlösendes wasser aus den augen. und schon kann ich mit lauter stimme sagen: die rundköpfe und die spitzköpfe. mutter courage und ihre kindie johanna. der gute mensch von sezuan!51 der. der galilei. alle stücke, die durch die ungunst der zeit nie eine bühne gesehen, sie sind mir die liebsten! gib sie uns, schreien sie. gib sie uns! wir brauchen doch stücke! ach, ihr könnt sie nicht spielen! nicht geduldet wird, dass man die wahrheit sagt, und diese stücke sagen die wahrheit! sei sie noch so sorgfältig verkleidet, jene erkennen sie gleich! ach, ihr könnt die stücke, die die grossen rollen für euch bergen, erst spielen, wenn es anders wird, aber wie, wenn es nur anders wird dadurch, dass ihr sie spielt? und der schwankende boden unter mir öffnet sich und ich falle, falle, falle. Überlieferung: BBA 277/66–67. – E: Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, hrsg. v. Werner Hecht, Frankfurt/M. 1973, Bd. 1: 1938–1942, S. 181f. (Faksimile).

51 Brecht hatte die Arbeit an dem im März 1939 begonnenen Stück zugunsten der Mutter Courage und des Lukullus im Herbst desselben Jahres unterbrochen, sie im Frühjahr 1940 wiederaufgenommen und Steffins Krankheit wegen abermals aufgeschoben (vgl. den Journaleintrag vom 25.1.1941, GBA 26, S. 460). Fertiggestellt wurde Der gute Mensch von Sezuan im Januar 1941.

Briefe an Bertolt Brecht, 1941

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht New York, 13.1.1941 New York, den 13. Januar 19411 Lieber Brecht, Wir sind hier, eine ganze kleine Armee, bemüht, Ihnen endlich weiterzuhelfen. Lassen Sie mich zusammenfassen, wie es heute steht. Die mexikanischen Visen haben Sie,2 das mexikanische Visum für Grete Steffin ist nur eine Frage der Zeit, wenn es nicht schon bewilligt ist. Auch Ihr amerikanisches Immigrationsvisum wird sicher zu erreichen sein, aber ich sehe wirklich durchaus keinen Zweck darin, dass Sie in Finnland sitzen bleiben und es abwarten. Sie werden es, wenn Sie erst einmal in Mexiko sind, bestimmt viel leichter bekommen als in Helsingfors.3 Bleibt die Frage der Reisekosten.4 Die Transportkosten von Wladiwostok bis San Francisco, beziehungsweise nach Mexiko wären da; es ist nur die Frage, wie kriegen wir Sie nach Wladiwostok. Ob Sie dafür Ihre oder meine Moskauer Konten benutzen können, müssen Sie doch von Helsingfors aus viel besser erruieren [sic] können als wir von hier aus. Nach dem, was man mir hier sagt, müsste es möglich sein. Wir alle atmeten auf, wenn wir Sie einmal aus Finnland heraus wüssten und an einem Meer, über das man Sie hierher befördern kann. Bitte, zögern Sie nicht, um gerade auf das Visum für U.S.A. zu warten. Wenn Sie erst in Mexiko sind, sind Sie so gut wie hier. Alles Herzliche für Sie und Helli Ihr Überlieferung: Ts, Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Beverly Hills. – Dv: Kopie, BBA Z 19/143. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 50.

1 2 3 4

Eine typ. Abschrift dieses Briefs, ergänzt um eine kaum lesbare hs. Notiz Apletins auf russisch, die offenbar die Weiterleitung des Schreibens an Brecht betrifft, ist im Archiv des sowjetischen Schriftstellerverbands aufbewahrt (RGALI, Kopie in BBA Z 13/86). Die mexikanischen Einreisevisen für sich und seine Familie hatte Brecht am 29.11.1940 bekommen. Die amerikanischen Einreisevisen erhielt Brecht erst am 3.5.1941. Vgl. den Journaleintrag vom 13.7.1941, GBA 26, S. 484ff. Vgl. B. an Apletin, 20.11.1940 und 4.3.1941, GBA 29, S. 191f. und S. 199f.

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Hoffman R. Hays5 an Bertolt Brecht Februar 1941 [Hs.] Feb 1941 My dear Brecht, Hanns6 and I have talked of you so often that I feel as if I knew you personally. I am venturing to write because I hear that you may possibly come to this country. If there is anything I can do to help, if you need an affidavit, I only wish you would call on me.7 Our theatre gets worse and worse, fewer and fewer plays of worse quality, so that even the newspaper reviewers are complaining. Managers are so uncertain of public sentiment that they seem afraid to take a chance on anything. We have only one fairly decent play on Broadway at present, the others rest the vulgarest sort of musicals and cheap farces. I am sending you, under separate cover, one or two things that I hope may interest you. I include a translation of one of your poems which I published in the New Masses8 and copy of my translation of Lukullus9 which I hope you will like. I am sending Lukullus around to magazines but have difficulty placing it on account of its length. I also tried to get it done on the radio but ran into the usual commerc[e] stupidity. I also include in the package a copy of a review published by some young teachers in the University of Wisconsin.10 Almost the only outlet for poetry and serious writing is in such lit reviews, put out by young people here and there, which unfortunate[ly] can’t afford to pay for material. I think the essay on your work is very decent and shows that the younger intellectuals are beginning to appreciate it here. There was another article on you recently by a stupid professor which was so bad that I refus[e] to send it to you. Mr. Jones11 apologizes for translating the poem without your permission but he did not know your address and says he will make any post facto agreement you suggest. I am not sati[s]fied with his

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Hoffman Reynolds Hays (1904–1980), amerikanischer Schriftsteller und Übersetzer mehrerer Stücke und Gedichte Brechts. Eisler hatte ihn 1939 in Mexiko als einen Bewunderer Brechts kennengelernt, der sogleich auch seine Hilfe bei dessen Einreise in die USA anbot. 6 Hanns Eisler. 7 Vgl. B. an Hays, 3.3.1941, GBA 29, S. 198f. 8 Im Juni 1940 erschien in The New Masses Hays’ Übersetzung des Gedichts Die Jugend und das Dritte Reich (GBA 12, S. 71f.): „Youth and the Third Reich“. 9 Hays’ Übersetzung, The Trial of Lucullus, erschien 1943 in New Directions in Prose and Poetry, New York. 10 Nicht überliefert. 11 Der amerikanische Übersetzer Frank Jones übertrug die Heilige Johanna (St. Joan of the Stockyards, erschienen in From the Modern Repertoire, hrsg. v. Eric Bentley, Bloomington/Indiana 1956) und Trommeln in der Nacht (Drums in the Night, in B.B., Collected Plays, hrsg. von William E. Smith und Ralph Manheim, New York 1970–76) ins Englische. Das hier erwähnte Gedicht wurde nicht ermittelt.

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translation, I feel he has made it somehow too chatty, he doesn’t catch your rhythms or the tone of your verse. I am working on a translation of Mutter Courage.12 I thin[k] the lyrics are especially lovely. While I don’t think there is much chance of a production: they way things are. I do think it might be possible to get several of your plays published. Then get it done I might show it to Piscator who is doing some experimental productions. I do hope that if you come to America I might have the opportunity of working with you and if you have a production I am anxious to be your translator. I have been reading your notes to the production of Mother recently and what Peters13 did to your play was really a crime. I hope to hear from you soon and perhaps welcome you to the States in the near future. Überlieferung: Ts, hs. Erg.; H. R. Hays, East Hampton, New York. – Dv: Kopie, BBA E 23/21.

Hanns und Louise Eisler an Bertolt Brecht New York, 7.2.1941 7. februar. 1941

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lieber brecht, durch das viele herumreisen und andere affairen ist unsere korrespondenz etwas auseinander geraten. das soll aber nicht heissen, dass wir dich eine minute vergessen haben und nicht fortwaehrend bemueht sind, dir in deinen angelegenheiten behilflich zu sein. wir haben an dich vor paar tagen telegrafiert und fritz k.14 hat dir geld geschickt, das er fuer dich aufgetrieben hat. ich habe mich ueber deine lage viel mit deinen freunden beraten und wir alle sind der ansicht, dass du sofort los fahren sollst. selbst wenn die grete noch kurze zeit zurueckbleiben muesste, was sehr unangenehm ist. du kannst ihr aber in mexico behilflicher sein, als wenn du auch noch in finland bleibst. ausserdem ist die visasituation mit mexico jetzt sehr heikel, die neue regierung kann dort jeden augenblick auf den gedanken kommen, nicht ausgenuetzte visen zu canceln.15 12 Unter dem Titel Mother Courage 1941 in New Directions in Prose and Poetry erschienen. 13 Paul Peters hatte Die Mutter für eine Aufführung der Theatre Union in New York im November 1935 ins Englische übersetzt. Vgl. dazu Brechts Notizen in GBA 24, S. 135–143. 14 Fritz Kortner. 15 Unter der Regierung des Präsidenten Lázaro Cárdenas del Río hatte Mexiko zahlreichen politischen Flüchtlingen aus Spanien, Deutschland und Österreich Asyl gewährt. Eislers Befürchtung, daß sich das unter dem seit Januar 1941 amtierenden neuen Präsidenten Avila Camacho ändern könnte, bestätigte sich jedoch nicht.

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du musst jetzt zuerst nach mexico, von dort aus erst hierher, lou hat in ihren vielen briefen an die grete erklaert warum, leider scheint keiner dieser briefe angekommen zu sein. ich war durch eine filmarbeit ueber die weihnachtsfeiertage in mexico city. Ich habe mit gustav und bodo16 und anderen leuten ausfuehrlich ueber den fall grete gesprochen. die verzoegerung liegt nicht an dem guten willen, sondern der neuen regierung, die anderer meinung ist als stockholm und grete nicht in das familienvisum einschliessen wollte. das visum jetzt fuer sie noch zu bekommen wird meiner ansicht nach gelingen, kann aber sehr langwierig sein und wird sicher erst beschleunigt werden, wenn du dort bist. mittlerweile druecken wir hier auf alle erreichbaren stellen mit allen mitteln. das einzig erfreuliche ist, dass man jetzt auch klar sieht, wie viel freunde und bewunderer du hast. so fuehle dich in keiner weise von der welt verlassen. ich bin gerade wieder dabei einer chance wegen der „spitzkoepfe“ nachzugehen, auch liegt eine sehr schoene uebersetzung der „courage“ vor.17 ueber meine Arbeit will ich dir doch lieber muendlich erzaehlen, ich war jedenfalls sehr fleissig. schicke unbedingt kopien von neuen sachen und auch dem c a e s a r und den e m i g r a n t e n g e s p r a e c h e n .18 ich kann nur nochmals sagen: auf baldiges wiedersehen lieber freund und mittlerweile werden wir alles tun um die grete herauszubringen. dein alter sehr herzliche gruesse lieber brecht und bitte geben sie die kopie des beiliegenden briefes19 an grete. ich versuche jetzt die post zu tricken, vielleicht gelingt es. Lou beste gruesse an helly und die kinder Überlieferung: TsD, AdK: Hanns-Eisler-Archiv 4211. – E: Eisler, Briefe, S. 166f.

16 Gustav Regler und Bodo Uhse. 17 Die Übersetzung von Hoffman R. Hays. 18 Das sind der Roman Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar und die Flüchtlingsgespräche. Letztere hatte Brecht im Herbst 1940 in Finnland geschrieben. Im amerikanischen Exil verfaßte er dazu später weitere Dialoge, veröffentlicht wurde der Text zu Lebzeiten jedoch nicht (jetzt GBA 18, S. 195–327). 19 Nicht überliefert.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Los Angeles, 12.3.1941 Copie 2088 Mandeville Canyon Road West Los Angeles, California

12. März 1941

Lieber Brecht, Ich freue mich, dass ich nun endlich die vier Affidavits für Sie aufgetrieben habe: sie sind hier am 24. Februar an die Adresse des amerikanischen Konsuls in Helsingfors abgegangen, und ich hoffe, dass, wenn Sie diesen Brief erhalten, wenigstens diese Geschichte geregelt ist.20 Was Ihren Transport anbelangt, so besteht neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit, dass wir hier die Geldmittel zur Verfügung stellen können für den Transport von Wladiwostok bis hierher. Bleibt die Frage des Transportes von Helsingfors bis Wladiwostok. Ich versuche, diese Frage von hier aus zu regeln über das hiesige Sowjetkonsulat. Es geht aber alles schrecklich langsam. Es wäre gut, wenn Sie Ihrerseits versuchten, über die Frage des Transportes unter Aufbringung des Geldes mit Moskau direkt zu verhandeln, vor allem mit dem Staatsverlag. Mir geht es leidlich gut. Mein Hauptsorgenkind sind Sie. Alles Herzliche Ihr gez. Wetcheek Überlieferung: Ts (Abschrift) mit hs. Vermerk von Michail Apletin; RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/88. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 51.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 28.4.1941 Basel, den 28. April 1941 j. Herrn Bert B r e c h t Linnankoskigatan 20 A.2 Helsingfors (Finnland) 20 Vgl. B. an Feuchtwanger, 8.4.1941, GBA 29, S. 201f.

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Sehr verehrter Herr Brecht, Die Aufführung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ am Zürcher Schauspielhaus war ein grosser Erfolg21, für Stück und Aufführung. Ich sende Ihnen zunächst einmal das Programmheft mit der Besetzung. Die Kritiken folgen in diesen Tagen. Wie ich Ihnen schon am 12. Februar 1941 schrieb,22 hat das Schauspielhaus es für richtiger gefunden, die Musik von Paul Burckhardt23 machen zu lassen, welche ausgezeichnet geworden ist. Geblieben von Ihren Musiken ist lediglich das Lied von Eisler, sowie die Vorstrophe von dem Lied „Frühjahr“; hier wurde nur ein neuer Refrain gemacht. Von der Originalmusik von Parmet24 ist das Wiegenlied „Eia popeia“ im Original übernommen worden. Ich habe, Ihr Einverständnis voraussetzend, Herrn Paul Burckhardt eine Beteiligung von 10% zugesagt. Ich versuche nun alles, um das Stück in der nächsten Saison auch an die anderen Schweizerbühnen zu bringen. Mit den besten Empfehlungen THEATERVERLAG KURT REISS Kurt Reiss Überlieferung: Ts. hs. U., Bv.: Theaterverlag Kurt Reiss Basel Bäumleingasse 4 Telephon 41352 Postscheck-Konto V 2147 Tele­gramm-Adresse: ‹Reissverlag Basel›; BBA 3170.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 18.5.1941 1650 North Amalfi Drive Pacific Palisades California, U.S.A.

18. Mai 1941

Lieber Brecht, Ich hoffe herzlich, dass dieser Brief Sie nicht mehr erreicht.25 21 Mutter Courage und ihre Kinder wurde am 19.4.1941 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. Regie führte Leopold Lindtberg, die Hauptrolle spielte Therese Giehse. Vgl. dazu Brechts Anmerkung in GBA 24, S. 260–264. 22 Der Brief ist nicht überliefert. 23 Den Schweizer Komponisten Paul Burkhard (1911–1977) hatte der Regisseur Lindtberg verpflichtet. Zur Auswahl der Musik vgl. B. an Reiss, 1.2.1941, GBA 29, S. 197f. 24 Simon Parmet (1897–1969), schwedischer Komponist. Brecht hatte ihn mit der Vertonung der Lieder aus Mutter Courage beauftragt. Vgl. dazu den Journaleintrag vom 7.10.1940, GBA 26, S. 431. 25 Am 16.5.1941 reiste Brecht zusammen mit seiner Familie, Ruth Berlau und Margarete Steffin nach Leningrad, von dort am nächsten Tag weiter nach Moskau.

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Wir tun hier wirklich für Sie, was wir können, und vielleicht hilft Ihnen ein bisschen das Bewusstsein, dass Sie eine ganze Reihe und sehr treuer Freunde haben. Das Manuskript ‚der Gute Mensch‘26 habe ich gekriegt. Es ist ein kleines Wunder, dass Sie inmitten des barbarischen Wirrwarrs ring[s]um so etwas Schönes, Klares, Ruhiges, Klassisches haben zustande bringen können. Alles Herzliche Ihr P.S. Notieren Sie sich bitte meine obige Adresse, so erreichen mich Briefe am schnellsten. Überlieferung: Ts, Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Beverly Hills. – Dv: Kopie, BBA Z 19/148. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 54.

Maria Osten an Bertolt Brecht Moskau, 1.6.1941 Народный Коммиссариат Связи СССР Из Москвы Куда: Барабинск вокзал, нач. вокзала Кому: Передать нач. поезда […] 2 Владивостокский вышедший [из] Москвы 30.5.1941 Передать […] для Брехта. Ночь тридцать первого спокойная. Днем первого хуже. Привет Грэте. Мария [Rückseite:]27 Am 31. Mai während der Nacht fühle ich mich mittel. am 1. während des tages fühle ich mich schlecht. Gruß Grete St. Maria Moskau 1230 1.6. 41

26 Der gute Mensch von Sezuan. Brecht hatte das Stück im Januar 1941 fertiggestellt. 27 Die hier folgende Übersetzung des Telegrammtextes wurde von unbekannter Hand nachgetragen.

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Volkskommissariat für Kommunikation der UdSSR 28 Aus Moskau Wohin: Bahnhof Barabinsk 29, Bahnhofsvorsteher Wem: Dem Leiter des Zuges […] 2 zu übergeben Nach Wladiwostok, abgefahren aus Moskau 30.5.1941 […] zu übergeben an Brecht. Die Nacht des 31. ruhig. Am Tag des 1. schlimmer. Gruß Grete Maria Überlieferung: Ms (Telegramm) von fremder Hand, BBA 286/24–25.

Michail Apletin an Bertolt Brecht Moskau, 3.6.1941 Moskau, den 3. Juni 1941. Lieber Freund, Laut unserem Versprechen schicken wir Ihnen täglich Telegramme über die Gesundheit Greti Steffins. Sind alle angekommen? Das Personal in der Klinik und die Aerztin sind sehr aufmerksam und haben Greti sehr gern. Jeden Tag sprechen wir ausführlich mit der Aerztin und täglich wird Greti von irgendjemand besucht. Seien Sie unbesorgt, – hier wird alles nötige gemacht, – und wir vergessen sie nicht für eine Minute. In diesen Tagen ist eine kleine Besserung eingetreten, es wird alles zur weiteren Besserung notwendige unternommen. Wie sind Sie angekommen? Sind Sie alle gesund? Herzliche Grüsse Ihnen allen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise. Ihr (M. Apletin)

28 Die nachfolgenden Angaben sowie der Telegrammtext wurden offenbar von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter dieses Kommissariats notiert. 29 Kleinstadt an der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn in der Oblast Nowosibirsk. Brecht fuhr zusammen mit seiner Familie und Ruth Berlau am 30.5.1941 mit dem Transsibirien-Expreß nach Wladiwostok. Die schwerkranke Margarete Steffin blieb zurück in einem Sanatorium in Moskau, wo sie wenige Tage später starb. Vgl. den Journaleintrag vom 13.7.1941, GBA 26, S. 484–486.

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P.S. Lieber Gen. Brecht! Ich habe Ihnen aus Versehen eine Adresse angegeben, die für die Geldüberweisung ungenügend ist, deswegen gebe ich sie hier nochmals: und lege noch ein Blankoformular bei. Wie war die Fahrt? Grüssen Sie bitte Gen. Helli und Barbara von mir. Wie geht es dem Stef? Alles Gute für die weitere Reise Überlieferung: TsD, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/97.

Maria Osten an Bertolt Brecht Moskau, 3./4.6.1941 3. Juni 41: Grete fühlt sich etwas frischer. Sass von fünf Uhr bis 3/4 sieben bei ihr. Bestellt sich Bücher: die beiden letzten Nummern der I. L. Majakowski in russisch und deutsch. Roman von Becher, kleine Erzählungen von Seghers – und ich soll ihr mein Manuskript wiederbringen, sie hat dort sprachlich etwas gefunden, was ihr nicht gefällt. Soll bei Goslitisdat30 die beiden Gedichtbände für sie nehmen und das Stück Furcht und Elend im dritten Reich.31 Ich erzähle ihr von den Schlüsseln, sie bittet mich die an Wuolijoki32 zu schicken. Erzählt von Finnland: „Die Tochter von Kusinen33 ist eine sehr kluge Frau. Kennt Einstein, kennt den Marxismus. Man kann sich mit ihr sehr gut unterhalten. Ist sehr tüchtig. Hat fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Hat es schwer.“ Erzählt von Wuolijoki: „Kann sehr amüsant erzählen. Hat vielen geholfen. Wir wohnten mit Brechts in einer Villa. Ruth im Gutshaus. Da gab es immer Kaffee nachmittags. Einmal hat Ruth den Kaffee gekocht. Da hab ich mich sehr geärgert. Ruth schenkte allen Kaffee ein – und nur für Brecht Sahne und Zucker. Mit einem Lächeln. Ich war oft sehr gekränkt. Auch hier, als mir auf dem Volksabend so schlecht wurde, und ich mich wirklich kaum noch aufrecht halten konnte, rief Ruth mich am Mor30 Vgl. Anm. zu Apletin, 29.7.1939. 31 Vgl. Anm. zu Apletin, 10.6.1939. 32 Hella Wuolijoki, geb. Murrik (1886–1954), finnische Schriftstellerin und Politikerin. Sie war Brecht und seiner Familie bei deren Aufenthalt in Helsinki behilflich und arbeitete auch literarisch mit ihm zusammen. Aus ihrem Volksstück Die Sägemehlprinzessin, das Brecht gemeinsam mit Wuolijoki überarbeitete, entwickelte er im Herbst 1940 das Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti (früherer Titel: Puntila oder Der Regen fällt immer nach unten). 33 Hertta Kuusinen (1904–1974), Politikerin der finnischen KP und der Demokratischen Union des Finnischen Volkes (SKDL), Tochter des finnisch-sowjetischen Politikers Otto Wilhelm Kuusinen (1881–1964).

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gen an und fragte: ‚warum warst Du böse mit mir?‘ Erzählt mir wieder ihren ganzen Kummer von früher. Behauptete, dass Sie die Dinge nicht so sehen wollten wie sie sind. Erzählt, dass sie oft geweint hat, dass ihr die kleinen Schwindeleien so nahe gegangen sei[en]. Aber jetzt glaube sie doch, dass Brecht verstehe – und alles besser würde. In Amerika würde er auch den Unterschied sehen. Sie freut sich, dass Sie ihr versichert haben, dass Grete soviel für Sie bedeutet. Sagt, dass sie ein paar mal nicht mehr weiter mit Ihnen arbeiten wollte – „aber dann tat es mir leid, denn er hat dann wirklich nicht gearbeitet. Und ich habe wieder mit ihm gearbeitet.“ Ich wiederhole ihr, wie so oft in diesen Tagen, dass sie wirklich alles für Sie bedeute. Spricht über Weigel. Weigel sei so nett in der letzten Zeit zu ihr gewesen. Obwohl manche Behauptungen der Weigel ihr auf die Nerven gingen – habe sie doch sehr viele Qualitäten. Und eigentlich nichts von Ihnen [hs: und vom Leben]. Morgen will die Grete einen Brief schreiben. Sage ihr, dass ich das Telegramm abgeschickt habe. Hat sich über ihren Brief gefreut. Im Weggehen bittet sie mich noch um drei Ansichtskarten Luftpost. Abends um 10 Uhr ruft mich die Leiterin an, dass Grete ruhig schläft, was sie in der vorigen Nacht nicht hatte. 4. Juni 41. Um sechs Uhr ist Grete aufgewacht. Fühlt sich frisch. Liest Ihr Telegramm, macht es selbst auf. Hat drei Glas Tee getrunken, kleine Kuchen gegessen und Aepfel. Die Leiterin ist bei ihr. Grete bittet, dass man ihr den Kopf heute wäscht. Um halb acht Uhr fordert Grete ein Glas Champagner. Es schmeckt ihr gut. Um acht Uhr fühlt sie sich schlechter. Bekommt eine Kampferspritze. Etwas später Digitalis. Um halb neun ruft man bei mir an. Ich soll kommen. Es geht Grete sehr schlecht. Nehme ein Taxi und fahre. Bin zwei Minuten zu spät gekommen. Um fünf Minuten vor neun ist Grete gestorben. Sie hatte kaum Puls. Die Leiterin hielt die ganze Zeit Gretes Hand. Grete sagt: „schlecht, sehr schlecht“, Hält sich an der Hand fest. Leiterin sagt ihr: „In ein paar Minuten wird es Ihnen besser gehen.“ Grete nickt zustimmend. „Doktor, Doktor, Doktor“, waren ihre letzten Worte. Das Gesicht ist völlig ruhig. Die Hände liegen ganz ruhig. Die linke geschlossen, die rechte geöffnet. Ich dachte, sie wache jeden Augenblick auf – so ruhig lag sie da. Stand lange vor ihr. Später wurden die Masken von Gesicht und rechter Hand gemacht. Lieber Brecht, ich glaubte und glaubte nicht, dass ich Ihnen diese Nachricht noch geben müsste. Aber seien Sie versichert – was man machen konnte, wurde gemacht. Alle Genossen in der Klinik gaben sich die grösste Mühe. Alle in der Klinik hatten Grete gerne. Sie sei so bescheiden, so sympathisch. Noch am Abend, hat sie der Leiterin von ihrer Mutter in Berlin erzählt, dass sie sich so freue, dass sie von Amerika aus – der armen Frau etwas helfen könnte. Für mich, die ich so nahe mit Grete in all diesen Tagen war – ist es auch ein

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furchtbarer Schlag. Und später erzähle ich Ihnen – was ich [hs.] vielleicht noch vergessen habe. Alles Gute. Auf Wiedersehen Maria. Ich will der Grete das schwarze Kleid, das sie in den letzten Tagen hier trug, anziehen. Am 6. um 3 Uhr ist die Verbrennung. [Hs. am Rand:] !ich freu mich – daß Sie noch den Brief von Grete haben! ging gestern ab. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 286/28–30. – E: Steffin, Konfutse, S. 339ff.

Alexander Fadejew und Michail Apletin an Bertolt Brecht Moskau, 4.6.1941 Улан-удэ, начальнику вокзала:34 Передать начальнику поезда Владивостокского поезда номер два, вышедшего [из] Москвы тридцатого, для интуриста Брехта. [C] глубокой скорбью сообщаем, что Грети скончалась четвертого июня [в] девять утра. [В] восемь часов она получила и прочитала вашу телеграмму. Была спокойна. Выражаем искреннее соболезнование вам [и] вашей семье [по] постигшей тяжелой утрате. Сделаем маску. Крепко жмем руку. Фадеев ___________________________________

Аплетин

Иностранная Комиссия Союза Советских писателей Зам. председателя М. Аплетин Москва, Кузнецкий мост, 12 4 июня 1941 г. Ulan-Ude, an den Bahnhofsvorsitzenden: Dem Zugführer des Wladiwostoker Zugs Nr. 2, abgefahren aus Moskau am 30., zu übergeben für den Touristen Brecht. In tiefer Trauer teilen wir mit, daß Greti am vierten Juni um neun morgens verstorben ist. Um acht Uhr erhielt und las sie Ihr Telegramm. War ruhig. Wir sprechen Ihnen und

34 Satzzeichen wurden sinngemäß ergänzt. Anstelle des Telegrammbefehls „тчк“ (Abkürzung für točka: Punkt) steht das entsprechende Zeichen.

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Ihrer Familie herzliches Beileid zu dem erlittenen schweren Verlust aus. Werden eine Maske machen. Wir drücken fest Ihre Hand. Fadejew ___________________________________

Apletin35

Die Auslandskomission des Verbands Sowjetischer Schriftsteller Stellv. Vorsitzender M. Apletin Moskau, Kusnetzki most 12 4. Juni 1941 Überlieferung: Ts, RGALI. – Dv: Kopie, BBA Z 13/267.

Maria Osten an Bertolt Brecht Moskau [5.6.1941] Владивосток Интурист Транзитнику Брехт [Из] Москвы 166 / 290 79 8 1542 Грете смерть не ожидала.36 Думала только о жизни. Просила книги. Вспоминала Вас. Единственное желание скорее выздороветь [и] поехать [к] Вам. Последняя почь спокойна[я]. Завтракала хорошо. Читала Вашу телеграмму. Просила шампанское. Скор[о] почувстсвовала [себя] плохо. Она думала, обычный приступ. Ждала облегчения. Присутствовал врач. [В] последний момент повторила три раза слово доктор. Умерла спокойно, как будто уснула. Вскрытие показало последнюю стадию обоих легких. Огромные каверны. Сердце [и] печень сильно увеличены. Копия для Вас сделана. Сообщите получение авио[-]писем. Сердечный привет. Мария 35 Brecht hielt folgenden „Wortlaut des Telegramms vom 4.6.“ in seinem Journal fest: „Acht Uhr Morgen Grete bekam Ihr Telegramm und las es ruhig. Um 9 Uhr morgens starb sie. Mit tiefem Mitgefühl und Gruß, Ihre Hand, Fadejew, Apletin.“ (GBA 26, S. 485) 36 Satzzeichen wurden sinngemäß ergänzt. Anstelle des Telegrammbefehls „тчк“ (Abkürzung für točka: Punkt) steht das entsprechende Zeichen.

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Wladiwostok Inturist Transitniku Brecht [Aus] Moskau 166 / 290 79 8 1542 Grete hat den Tod nicht erwartet. Dachte nur an das Leben. Bat um Bücher. Erinnerte sich an Sie. Einziger Wunsch, bald zu genesen und zu Ihnen zu fahren. Die letzte Nacht ruhig. Hat gut gefrühstückt. Las Ihr Telegramm. Bat um Champagner. Bald fühlte sie sich schlecht. Sie dachte, üblicher Anfall. Wartete auf Erleichterung. Der Arzt war anwesend. Im letzten Augenblick wiederholte sie dreimal das Wort Doktor. Starb ruhig, als ob eingeschlafen. Die Obduktion zeigte letztes Stadium beider Lungen. Riesige Kavernen. Herz und Leber stark vergrößert. Eine Kopie für Sie wurde gemacht. Teilen Sie den Erhalt von Avio-Briefen mit. Herzlichen Gruß. Maria37 Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 286/26–27.

Arnold Zweig an Bertolt Brecht Haifa, 26.6.1941 To Bertolt Brecht, Esq.,

Arnold Zweig. House Rino. Mt. Carmel, Haifa. 26th June, 1941.

37 Die hier wiedergegebene Übersetzung folgt möglichst genau dem russischen Wortlaut. Eine sehr freie Übersetzung des Telegramms nahm Brecht am 13.7.1941 in sein Journal auf: „Grete wünschte nicht zu sterben. Dachte nur zu leben. Bat um Bücher. Dachte an Sie. Sie hatte den Wunsch, bald gesund zu sein und Ihnen nachzufahren. Nach der nächsten Nacht frühstückte sie ruhig, las gut Ihr Telegramm und bat um Champagner. Bald fühlte sie sich schlecht und zitterte und dachte, es würde besser. In diesem Moment kam der Arzt. Im nächsten Moment wiederholte sie dreimal das Wort Doktor. Starb ruhig. Der Doktor fand bei der Obduktion die beiden Lungen im letzten Stadium. Große Kavernen, Herz und Leber stark vergrößert. Der Abguß des Gesichts wurde für Sie gemacht.“ (GBA 26, S. 486.)

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My dear Brecht, You surely will often have remembered the warning you gave me when we left each other in France as to the pretty powder barrels both you and I were sitting on. Well, since my barrel got fairly near to the match during the last months now it is you to whom the slow-match is burning.38 Let us hope that both you and I with wives and children will happily escape and meet somewhere in Europe or better in Germany during or after the revolution which shall end of this war. Meanwhile I have the pleasure to listen to your plays in the Hebrew version which I don’t understand. It is the music of Kurt Weill to whom we owe the pleasure to listen to your name and poetry. First it was “The Consent” (Der Jasager) which was broadcast from Jerusalem and the day before yesterday it was the “Two and Halfpenny Opera” excerpts of which were sent to us. The broadcasting did not come from the Studios but from public performances in the Histadruth39 Hall Jerusalem by the P.B.S. singers, soloists and orchestra which is not the renowned Palestine orchestra but the Orchestra of the Palestine Broadcasting Service, conducted by Hans Schlesinger. My dear Brecht, we listened to the applause which after each song grew stronger though it was a good success from the beginning. My wife and myself were happy to listen to such an excellent performances and were fascinated by the undisturbable freshness and strength of your songs, the German version of which we were bearing in mind and reciting accompanied by the Hebrew one. (As to my own works the P.B.S. has from the beginning joined the boycott the Hebrews are leading against myself and all my works.) Now, dear Brecht, send me some lines by intermediation of the IL or our friend Rokotow whether I can do something for you as to the royalties from these performances. Perhaps there is no other way for a letter to Palestine, their40 Dirt Reich has enlarged its influence and borders so as to hinder friends and civilised men to change letters. As both we know in a war always the innocents are falling but after this war we will care for finding out the right ones to be destroyed, are we not? I was so glad to find you and Grete Steffin having translated Andersen-Nexö and published in the IL41; and what pleasure it was to read with my own eyes your “Lucullus”42 and “Giordano Bruno”!43 Please give me news of all these persons and works around you. As to my own work I was busy all these months with a book named “The Alps or Europe”44 being 38 Am 22.6.1941 hatte die deutsche Wehrmacht die UdSSR überfallen. Zweig wußte zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nichts von Brechts Überfahrt nach Amerika. 39 Histadruth ist der Name einer 1920 in Palästina gegründeten Gewerkschaft. Über die erwähnten Aufführungen des Jasagers und der Dreigroschenoper konnte nichts Genaueres ermittelt werden. 40 Im Ts: „thir“. Möglicherweise auch „this“ gemeint. 41 Die Übersetzungen waren allerdings nicht in der Internationalen Literatur, sondern im Wort erschienen. Vgl. Anm. zu Erpenbeck, 4.1. und 4.8.1938. 42 Vgl. Anm. zu Becher, 8.12.1939. 43 Das ist die Erzählung Der Mantel des Ketzers. Vgl. Anm. zu Rasmussen an Steffin, 5.2.1939. 44 „Die Alpen oder Europa“ lautete der ursprüngliche Titel des Essays „Dialektik der Alpen: Fortschritt und Hemmnis“ (erstmals 1997 erschienen in: Arnold Zweig, Werke. Berliner Ausgabe, Essays/4). Den Plan, daraus einen Roman zu gestalten, verwirklichte Zweig nicht.

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a short history of our civilisation and social achievement, from the end of the ice age to the downfall of Hitlerism. If this is finished – I now am busy with stylish refinement – I hope to bring into the plot of a novel a mixture of personal and public affairs, private and world wide life, tragedy of masses and individual fun. But this is still in the future supposed the war does not visit us nearer than it did during the days of Crete an the Syrian campaign.45 But this is though possible not very likely to happen. Well, dear Brecht, this letter is long enough for people who don’t know how to reach each other. Let us hope that we both with all our children, wives and friends will survive this debacle and move to some centre where we may meet not only one another but also our friends in California, and elsewhere. Your affectionate comrade, Arnold Zweig. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1298/33–34. – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Cal.: The International Brecht Society 2000, S. 381f.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 20.7.1941 Lion Feuchtwanger 1650 North Amalfi Drive Pacific Palisades, Calif. Telefon: Santa Monica: 5-4233

20. Juli 1941

Lieber Brecht, Es ist nicht genau zu erfahren, wann Sie ankommen. Ich werde natürlich trotzdem am Kai sein.46 Näher zugelassen zu werden ist nicht möglich. Wenn sich irgendwelche Schwierigkeiten ergeben sollten, dann wenden Sie sich am besten zunächst an Dieterle, der die Affidavits für Sie ausgestellt hat. Seine Adresse ist: WILLIAM DIETERLE, 3351 North Knoll Drive Los Angeles Telefon: Gladstone 9411.

45 Infolge italienischer Angriffe auf Griechenland Ende 1940 hatte Großbritannien Luftstützpunkte auf Kreta und in Syrien bezogen. 46 Brecht traf am darauffolgenden Tag in San Pedro, dem Hafen von Los Angeles, ein. Vgl. den Journaleintrag vom 21.7.1941, GBA 27, S. 9.

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Meine eigene Adresse ist: 1650 North Amalfi Drive Pacific Palisades, Calif. Telefon: Santa Monica 5-4233. Eine Wohnung für Sie ist gemietet, Ihre neue Adresse ist: 1954 Argyle Avenue Los Angeles, Calif. Auf Wiedersehen Ihr Überlieferung: Ts, Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Beverly Hills. – Dv: Kopie, BBA Z 19/149. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 54f.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Seattle, 6.8.1941

lieber brecht

11762 Riviera Place 8/6/41

Seattle, Wash.

o schoener Tag wenn endlich Bertolt Brecht ins Leben heimkehrt – sei’s auch nur US. ich habe wirklich seit langem nicht so gutes erlebt, als die heute von Pollock47 eingetroffene Kunde, dass Sie und Helli wohlbehalten eingetroffen sind. Das letzte vergleichbare war die wunderbare Rettung des Heinz Langerhans48 aus deutschen und franzoesischen Konzentrationslagern vor ungefaehr zwei Monaten. (Ich hoere Sie sofort nach seiner Adresse fragen. Er ist zur Zeit und Abwechslung mal wieder in einem Arbeitslager, aber diesmal in einem humanen, von den Quakern verwalteten, wo er die junge Generation Amerikas von der relativ besten Seite kennen lernt: H. Langerhans, Work Camp, North Weare, New Hampshire).

47 Friedrich Pollock (1894–1970), Sozialwissenschaftler und Ökonom, Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Ging 1933 zusammen mit Max Horkheimer über die Schweiz und Frankreich in die USA und kehrte 1950 zurück nach Frankfurt am Main. 48 Der Soziologe Heinz Langerhans (1904–1976), Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, wurde 1933 in Deutschland verhaftet und im KZ Sachsenhausen interniert. Nach seiner Freilassung 1939 flüchtete er über Belgien und Frankreich in die USA. Ab Ende der fünfziger Jahre als Professor in Saarbrücken und Gießen tätig.

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Sonst ist unendlich viel zu sagen, und ich warte besser erst Ihre Antwort auf diesen Brief ab. Dann kann ich vielleicht entscheiden wann wo ich Sie am ersten wiedersehen und sprechen kann. Ich selbst bin seit Ende Juni hier und fahre am 26. August zurueck nach dem Osten (New York und Boston). Sollten Sie zunaechst im Westen bleiben (und nicht hierher kommen – dies nur der Genauigkeit, nicht der Wahrscheinlichkeit halber!), so muss ich mir ueberlegen, ob ich es moeglich machen kann, vor meiner Rueckreise dorthin zu kommen. Also schreiben Sie die notwendigste Information sofort und by airmail.49 Mit tausend Gespraechen, hundert Gedanken und einem Dutzend wichtiger Entscheidungen warte ich von nun ab auf Sie. Die Welt ist in der Tat voller unbeantworteter Fragen, erstickt unter dummen und veralteten Antworten. Keiner denkt. Ich fuege 2 Mss. letzter Artikel bei, nicht der besten, sondern der naechstbesten. Dazu einen gedruckten Vortrag von vorigem Jahr.50 Weiteres folgt nach Kontakt. Ich beginne grade einen 5000 Worte Artikel ueber War and Revolution fuer „Partisan Review“51 (die fuer Sie interessant wegen Greenberg – „B.B.’s Poetry“ in No 252 und eines nicht zu verachtenden quasi-Zimmerwaldischen (nicht: Zimmeralder Linken-schen) Anfangs zu einer Stellungnahme zu diesem Krieg in No. 4 dieses Jahrgangs).53 Da es noch zum Thema „naechste Plaene“ gehoert, erwaehne ich noch, dass ich grade wieder in einem der – mehr als seltenen – Versuche begriffen bin, einen soziologischen Lehr-job zu landen, fuer ein Jahr in Minneapolis,54 das liegt halbwegs zwischen hier und dem Osten, ist progressiv und furchtbar kalt. Ich werde ja auch den job nicht kriegen. Sollten Sie aber grade Thomas Mann oder Hans Reichenbach dort treffen – sie stehen beide auf meiner Referenzenliste und koennen viel fuer mich tun, der letztere besonders, wenn er nicht so sehr meine allgemein philosophischen als meine empirisch wissenschaftlichen Eignungen hervorhebt.55

49 Vgl. B. an Korsch, Juli/August 1941, GBA 29, S. 210f. Auf seiner Rückreise an die Ostküste kam Korsch jedoch nicht in Los Angeles vorbei (vgl. dazu B. an Korsch, Ende September 1941, GBA 29, S. 215). 50 Korsch schickte ihm die Aufsätze „The Fight for Britain, the Fight for Democracy and the War Aims of the Working Class” und „Prelude to Hitler: The International Politics of Germany 1918–1933” sowie eine Rezension von Hoffman Nickersons The Armed Horde (New York 1940). Brecht bestätigte in seiner Antwort den Empfang. 51 Der Text erschien jedoch nicht in Partisan Review, sondern in Living Marxism (Heft 1/1941). 52 Der amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg (1909–1994) hatte in Partisan Review, Heft 2/1941, den Aufsatz „Bertolt Brecht’s Poetry“ veröffentlicht. 53 Gemeint sind die „10 Propositions on the War“ (Partisan Review, Heft 4/1941) von Clement Greenberg und Dwight Macdonald. 54 Den erwähnten Job bekam Korsch jedoch nicht. 55 „Thomas Mann treffe ich höchstens zufällig und dann schauen 3000 Jahre auf mich herab. Aber mit Reichenbach kann ich sprechen, in einer Woche ziehe ich ganz in seine Nähe (nach Santa Monica) […]“ (B. an Korsch, Juli/August 1941, GBA 29, S. 211).

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In a nut shell: ich bin hier zu meinem alljaehrlichen Besuch bei Hanna56, die geschaeftlich und sozial gedeiht. (Ich habe sie eben in ihrem office angerufen und sie laesst, hocherfreut, herzlichst gruessen.) Hedda ist z. Z. in einem refugee camp der Quäker in Sky Island, Nyack, N.Y. taetig, Sibylle teils als Lohnarbeiter teils als wissenschaftlicher Psychologe in New York, Barbara57 nach hoechst ehrenvoller, noch immer mit scholarships nachwirkender graduation von Smith College auf einem wissenschaftlichen Ferien-job bei der Carnegie Foundation of Washington auf Long Island; sie wird vom Herbst ab in Johns Hopkins, Baltimore Medizin studieren. Hedda, Barbara, ich voraussichtlich 1.-15. September an der See irgendwo auf Cape Cod. – – – Pollock erwaehnt leider nichts von Ihren Kindern. Ich hoffe aber stark, dass Sie sie bei sich haben. Es wird schoen und merkwuerdig sein, den Steff und die grosse kleine Barbara wieder zu sehen. Noch ein Wort: wie sehr hatten Sie recht mit Ihrer Scheu vor Fortsetzung von unser einem’s Arbeiten in diesem Lande! Ich meine nicht mit dem tatsaechlichen Druebenbleiben – damit hatten wir alle schon von 1926 oder 27 an natuerlich Unrecht, sintemalen wir nun hier sind. Aber hier zu planen und zu wirken ist als wenn man die Hand durch Wasser oder Sand bewegt; das muss man lernen oder man muss erst lernen dass das nicht gaenzlich zwecklos ist. Ich bin erst eben im Begriffe dazu. Ich hoffe stark, dass nun wo Sie und einige andere (Langerhans; auch Paechter58 traf kuerzlich ein) gekommen sind es leichter werden wird. Ihr K. Korsch Überlieferung: Ts, BBA 977/22–23. – E: Korsch, Briefe, S. 984ff.

Betty Lord an Bertolt Brecht [New York] 9.8.1941 August 9, 1941 Mr. Berthold Brecht 1954 Argyle Ave. Los Angeles, Calif.

56 Möglicherweise Hanna Kosterlitz, eine Schülerin Karl Korschs. 57 Sibylle und Barbara: Töchter von Hedda und Karl Korsch. 58 Heinz Pächter (1907–1980), Historiker und Journalist, ehemaliger Mitarbeiter Korschs. Ging 1933 ins Exil nach Frankreich, 1941 in die USA.

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Dear Mr. Brecht: Mr. Piscator has left for a few days, and asked me to write to you and enclose this let59 ter , which he opened by mistake, thinking it a letter from you to him. From it, he learned of the death of Steffin,60 and wishes to express his deepest sympathy. He also wanted me to ask you if there is any news you would be willing to send us of your trip to this country. We are sending some releases to the press very shortly, and would like very much to include whatever news you could give us. Thanking you very kindly, Sincerely yours, Betty Lord for Mr. Piscator Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 240.

Hermann Borchardt an Bertolt Brecht New York, 18.8.1941 Hermann Borchardt 124 West 102nd Street, Apt. 4E New York City

den 18. August 1941

Lieber Brecht, Seit Tagen bitte ich nun meine Frau, mir anständiges Briefpapier zu besorgen, weil ich an Sie schreiben muß, aber das ist nicht zu machen, weil ich inmitten einer heidnischen Familie (Gott: Sventenplog61, geboren in Stargard) lebe, die nicht gehorcht und sich die Lippen rot schminkt. Oh, ich habe so mancher Hilfen und Freundlichkeiten mich vergessen, die Sie mir in schwarzen Tagen erwiesen, zb. Weihnachten 1936 kriegte ich 30 Mark, das war so viel, daß ich die Hälfte zurückschickte, ins Lager Sachsenhausen gesandt, ferner eine Einladung nach Schweden u.s.w. Infolgedessen hat es natürlich das Schicksal auch mit Ihnen gut gemeint und Sie mit Frau und Kindern, denen ich meine ergebenen Grüße sende, in dieses country kommen lassen, ohne daß Sie die Hilfe des Mr. Lion Feuchtwangerleben [sic] in Anspruch nehmen mußten, zumal der letztere, nach Deutschland zurückgekehrt, in Dachau 25 übern Arsch bekommen wird wegen Hoch-

59 Nicht überliefert. 60 Vgl. Osten, 5.6.1941. 61 Entzifferung unsicher. Gemeint ist möglicherweise Sventopluk, ein mährischer Fürst aus dem 9. Jahrhundert.

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hebens des Beinchens an André Gide,62 und nach 14 Tagen noch einmal 25 wegen frecher Drohungen gegen sieben arme Comödianten. Also da halten Sie sich nur fern, denn ich habe von Rauschning63 gehört, na davon später, wenn wir uns hier wiedersehen. Als hier keine Lehrerstelle frei war, habe ich zu schreiben angefangen und bin von Mißerfolg zu Mißerfolg geschritten, sodaß es schon garnicht zu beschreiben ist und ich aufhöre mit der Bitte, daß Sie uns nicht vergessen und bald von Ihren Erlebnissen einiges erzählen. Die schönen Sonette64 habe ich bekommen und nicht mehr danken können, weil Ihre Adresse inzwischen ins Unbekannte verzogen war. Mit herzlichen Grüßen von Frau und Kindern Susanne, Hans und Familie Ihr alter Hermann Borchardt Überlieferung: Ms, BBA 1298/35–36.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht [New York] 23.9.1941 September 23, 1941. Mr. Berthold Brecht 817-25 Street Santa Monica, Cal. Lieber Brecht, Ich danke Dir für Deinen Brief,65 bitte sei nicht böse, dass ich nicht sofort geantwortet habe. Ich wartete die ganze Zeit auf die erste rohe Übersetzung des „Ui“, die von Hofmann Hayes66 gemacht wurde. Ich habe sie gestern bekommen und lasse sie nun unter meinen Mitarbeitern cirkulieren. Hoffman Hays’ andere Übersetzungen, z.B. „Mother Courage“67 62 Anspielung auf Feuchtwangers Bericht Moskau 1937 (vgl. Anm. zu dessen Brief vom 27.3.1937). Borchardt war selbst 1936 aus der UdSSR nach Deutschland ausgewiesen und im KZ Dachau schwer mißhandelt worden. 63 Entzifferung unsicher. Möglicherweise der Musikwissenschaftler Hermann Rauschning (1887–1982), der nach seinem Austritt aus der NSDAP 1936 über die Schweiz und Frankreich nach Großbritannien flüchtete und von dort 1941 in die USA emigrierte. 64 Vermutlich die Svendborger Gedichte. 65 Vgl. B. an Piscator, September 1941, GBA 29, S. 213f. 66 Das ist Hoffman R. Hays (im folgenden stillschweigend korrigiert). Brecht hatte einen Durchschlag des im März 1941 niedergeschriebenen und kurz darauf noch einmal überarbeiteten Stücks Der Aufstieg des Arturo Ui an Elisabeth Hauptmann geschickt. Von dort war der Text durch Vermittlung Piscators zu Hays gelangt, der im September 1941 eine englische Übersetzung mit dem Titel The Rise of Arturo Ui anfertigte. 67 Vgl. Anm. zu Hays, Feb. 1941.

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waren sehr gut, wenn auch nicht gewaltig. Ich hätte natürlich gerne einen Übersetzer gefunden, der schon so allgemein anerkannt ist, dass was Name angeht, er Dir hätte dienlich sein können. Ich verhandelte auch mit Irvin Shaw68, der auch sehr begeistert von dem Stück war, aber letzten Endes es doch nicht übernehmen wollte, weil er für die kommenden Monate schon zuviele andere Verpflichtungen angenommen hat. Um keine Zeit zu verlieren, nahm ich Hoffman Hays. Du musst verstehen, dass meine Mitarbeiter keine Möglichkeit bis jetzt hatten, das Stück kennen zu lernen, da sie kein deutsch verstehen. Sobald ich nun Urteile über die Übersetzung erhalte, werde ich versuchen zu entscheiden, ob das Stück sofort aufgeführt werden kann. Das hängt natürlich auch von der Besetzung ab. Auch ich glaube, dass Homolka glänzend für die Rolle geeignet wäre.69 Zeigt er Interesse? Wegen Christopher Lazar70 kann ich Dir nichts sagen, wir können bestimmt keine $ 500.- zahlen. Eines ist sicher, dass wenn die Übersetzung Hoffman Hays’ schlecht beurteilt wird, dann müssen wir einen Mann mit erstem Namen nehmen. Dies würde es Dir soviel leichter machen, Dich hier durchzusetzen. Wenn Du hierher kommst, könntest Du natürlich bei mir wohnen und vielleicht könnte man das Reisegeld von den Hollywood-Schwerverdienern zusammenkratzen. Wir müssen soviele Probleme zusammen diskutieren. Ich bin leider in meiner ganzen Arbeit so gehemmt, da wir kein Geld hier in der Schule, d.h. im Studio Theater haben. Was uns hier zusammenhält ist die Arbeit. Wir müssen arbeiten wie „Die junge Bühne“ in Berlin unter Moritz Seeler.71 Wer da nicht mitmachen will, der muss es eben bleiben lassen. Was die Tantiemen anbetrifft, so glaube ich nicht, dass man Hoffman Hays 50% geben müsste. Ich glaube, er wird mit allem einverstanden sein, was Du ihm vorschlägst. Was „Der gute Mensch von Sezuan“ anbetrifft, so hat mich Sophie Treadwell72 sitzen lassen. Sie hat vollkommen versagt. Ich habe, um keine Zeit zu verlieren, der Theatre Guild Probeszenen vom „Ui“ versprochen. Wenn Du sehen solltest, dass Hoffman Hays nicht gut ist, nachdem Du seine Übersetzung vom „Ui“ beurteilt hast, könnten wir für „Der gute Mensch von Sezuan“ jemand anders interessieren, z.B. Jonny Latouche73, der ein grosser 68 Der amerikanische Schriftsteller Irwin Shaw (1913–1984). 69 Vgl. GBA 29, S. 214. Brechts Hoffnung, mit diesem Stück auf amerikanischen Bühnen Fuß zu fassen, erfüllte sich nicht. Uraufgeführt wurde der Arturo Ui erst am 10.11.1958 im Staatsschauspiel des Württembergischen Staatstheaters in Stuttgart. 70 Brecht hatte den Namen dieses Übersetzers von Feuchtwanger erfahren (vgl. GBA 29, S. 214). 71 Moriz Seeler (1896–1942), Schriftsteller und Theaterproduzent. Gründete 1922 die Junge Bühne am Deutschen Theater Berlin (Brecht inszenierte dort 1925/26 die vierte Fassung des Baal). Seeler kehrte bereits 1935 aus dem Exil zurück nach Deutschland und machte in Köln Theater für den Jüdischen Kulturbund. 1942 wurde er nach Riga deportiert. 72 Sophie Treadwell (1885–1970), amerikanische Schriftstellerin. Piscator hatte sie für eine Übersetzung des Guten Menschen von Sezuan gewinnen wollen. Vgl. seine Briefe an Eisler vom 18.6.1941 und an Gorelik vom 5.7.1941 in: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 228 u. S. 233ff. 73 John Latouche (1917–1956), amerikanischer Schriftsteller. Vgl. B. an Piscator, August/September 1941, GBA 29, S. 212f.

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Anhänger von Dir ist und der mir besonders geeignet erscheint für dieses Stück. Er ist hier ungeheuer erfolgreich und wäre ein sehr starker Gewinn sowohl für Stück als auch für Aufführung. Wenn Du daran interessiert bist, koennten wir darüber verhandeln. Herzliche Grüsse Dein Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 247ff.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht [New York] Oktober 1941 October 1941. Lieber Bert, Es fällt mir schwer, auch nur einen Bruchteil Deiner Interessen wahrzunehmen, nachdem Du nicht nur mich sondern auch Hoffmann-Hayes74 völlig im Dunkeln lässt. Hoffman Hays hat eine heroische Tat unternommen und in 8 Tagen eine Übersetzung vom „Ui“ gemacht. Ich habe die Übersetzung hier vorlesen lassen und leider wenig Erfolg mit geerntet. Siehe beiliegende Abschrift von Louis Schaffer’s Brief, dem Direktor der Laborstage.75 Nun bat Hoffman Hays Probeszenen für die Theatre Guild zu machen. Er hat Dir darüber geschrieben, aber trotzdem nichts von Dir gehört. Warum verstösst Du so gegen Deine eigenen Interessen? Oder hat das etwas mit dem epischen Theater zu tun? Oder ist Dein Interesse so an die Vorgänge von Moskau gekettet, dass Du Dich selbst vergisst? Bitte antworte mir und auch Hoffman Hays sofort. Ceterum censeo:76 es war eine Idiotie „Der gute Mensch von Sezuan“ nicht sofort aufzuführen.77

74 Hoffman R. Hays. Im folgenden stillschweigend korrigiert. 75 Labor Stage lautete in den 30er Jahren der Name des Princess Theatre in New York. Das Theater war unterdessen von der International Ladies’ Garment Workers’ Union erworben worden. 76 Im Ts: „censio“. Den Satz „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ („Im übrigen bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß“) soll Marcus Porcius Cato der Ältere nach dem verlorenen Zweiten Punischen Krieg am Ende jeder Senatssitzung gesagt haben. Tatsächlich wurde Karthago im Dritten Punischen Krieg (149–146 v.d.Z.) von den Römern zerstört. 77 Uraufgeführt wurde das Stück am 4.2.1943 am Schauspielhaus Zürich unter der Regie von Leonard Steckel. Den Plan, es in Amerika zu spielen, gab Brecht indessen nicht auf. Im Frühjahr 1943 erstellte er in Zusammenarbeit mit Weill eine neue Fassung, die „Version 1943“ (vgl. Anm. in GBA 6, S. 438–440), die als Musikdrama aufgeführt werden sollte. Realisiert wurde dieses Vorhaben nicht. Auch die später ins Auge gefaßte Inszenierung „in einer Negerbesetzung“ (B. an Leo Kerz, Januar 1945, GBA 29, S. 344) kam nicht zustande.

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Herzlichst Dein Erwin Piscator. Mr. Bert Brecht 817-25 Street Santa Monica, Cal. [Beilage:] COPY Dear Mr. Piscator, I gave the play to several people to read, and their opinion is including my own, that is not advisable to produce it. With best regards and hopes for better plays, Sincerely yours, signed: L. Schaffer Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 254.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Boston, 14.10.1941 Apt. A 52 337 Charles St. Boston, Mass. die apartment-Nummer ist nur fuer persoenliche Besuche wichtig October 14, 1941 Lieber Brecht: Sie ersehen aus dem beiliegenden Brief an Pollock78, wie sehr ich Ihre neue Adresse vermisst habe. Ich fand Ihren zeitlosen Brief (geschrieben „Ende Sept. 41“, gestempelt „Oct. 10.“ des gleichen Jahres79) eben vor, grade als ich den beiliegenden Brief an den Kasten brachte. Ich habe jedoch an dem Brief nichts mehr geaendert, ich denke, es wird den Herren80 wohl tun, wenn sie sehen, dass sie nicht allein von Ihnen vernachlaessigt werden. Auch 78 Der Brief (BBA 977/28) ist abgedruckt in: Korsch, Briefe, S. 990ff. Korsch berichtete darin von seinen aktuellen Arbeiten. Vgl. Brechts Journaleintrag vom 27.10.1941, GBA 27, S. 20. 79 Vgl. B. an Korsch, Ende Sept. 1941, GBA 29, S. 215. 80 Gemeint sind die Mitarbeiter des in die USA exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung.

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sonst wird Ihnen der Brief zeigen, dass die Schule der Taktik in Svendborg ihre Fruechte getragen hat. In Wirklichkeit habe ich das groesste Misstrauen ob 1) auch nur die kleine review erschienen ist,81 oder 2) die Herren wegen des frueher verabredeten Artikels82 nicht wieder Ausfluechte haben werden. Dagegen hoffe ich einige Rezensionsexemplare unter der schweigenden oder ausdruecklichen Bedingung, dass ich sie nicht rezensiere, immerhin zu ergattern. Ueber das beiliegende,83 und ein weiterhin folgendes Ms. ersehen Sie das Noetige ebenfalls aus dem Pollock-Brief. Ueber andere, wieder etwas groessere Plaene berichte ich das naechste Mal. Inzwischen werde ich Hanna Ihre Adresse schreiben, damit sie Ihnen die laengst bereitliegenden kleineren Drucksachen schickt.84 Darunter werden Sie, mit hoffentlich mehr Vergnuegen als Aerger, auch ein Ihnen versehentlich entwendetes Buch von Francis Bacon wiederfinden.85 Was die groesseren Sachen betrifft, so ist guter Rat teuer. Den Kiepenheuer-“Marx“86 hab ich selbst nicht mehr, sondern schlage mich abwechselnd mit dem oestlichen Exemplar Heddas und dem westlichen Hannas durch. Die einzige kleine Moeglichkeit, die ich da sehe, waere, dass man es einem der vielen Mitglieder der Mattickgruppe ablotsen koennte, die es seinerzeit fuer sich erworben haben. Mit Geld wird das nicht gehen, aber vielleicht mal im Austausch fuer ein anderes Buch. Ich werde das Problem im Auge behalten. – Von meinem Marxbuch87 habe ich auch nur ein Exemplar der englischen Ausgabe, welches zur Zeit verliehen ist. Die amerikanische ist bei Wiley and Son, Inc. in New York erschienen, und ich koennte sie wahrscheinlich mit 25 oder 33 (ich glaube es waren nur 25%) Rabatt beziehen. Die private Nachfrage bei mir ist immer noch betraechtlich, aber ich hatte in der letzten Zeit niemals etwas Bares uebrig, um 5-10 Exemplare auf einmal zu beziehen, und unter dem lohnt es sich kaum. Ich war wohl auch entmutigt, weil der Verkauf in diesem Lande ohne jedes advertisement und sogar ohne Versendung von Rezensionsexemplaren (weil es sich fuer den Verleger, der nur ein paar hundert Exemplare von London, ohne erheblichen Diskont, fuer den hiesigen Vertrieb bezogen 81 Korschs Rezension von Hoffman Nickersons The Armed Horde 1793–1939 (New York 1940) erschien in Studies in Philosophy and Social Science (vormals Zeitschrift für Sozialforschung), Heft 2/1941. 82 Vgl. Korschs Brief an Paul Mattick, 6.4.1941, Briefe, S. 950ff. 83 Nicht ermittelt. Möglicherweise hatte Korsch noch einmal eine Kopie von „War and Revolution“ (vgl. Anm. zu Korsch, 6.8.1941) beigelegt. 84 Vermutlich einige Nummern der Zeitschrift Living Marxism, für die Korsch regelmäßig schrieb. Für deren Erhalt bedankte sich Brecht Anfang November (GBA 29, S. 217). 85 Vermutlich das Novum Organum (1620) von Francis Bacon, für den Brecht großes Interesse hegte. Während der Arbeit am Galilei widmete er ihm die Erzählung Das Experiment (GBA 18, S. 362–372). 86 Das ist die 1932 bei Kiepenheuer erschienene Ausgabe von Karl Marx’ Kapital mit einem Geleitwort von Korsch. Brecht hatte ihm mitgeteilt, daß er diese Ausgabe „tatsächlich schmerzlich“ vermisse (GBA 29, S. 215). Noch in Berlin hatte er von Korsch ein Exemplar mit einer persönlichen Widmung erhalten: „Bert Brecht dem Jasager und dem Neinsager von seinem gleichstrebenden Freunde Karl Korsch. Berlin 12.V.32“ (das Buch befindet sich in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg). 87 Das 1938 in London erschienene Buch Karl Marx von Korsch. Auch danach hatte Brecht sich bei ihm erkundigt.

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hatte, nicht lohnte) von vornherein schlecht war. Merkwuerdigerweise habe ich eine ganze Reihe guter und intelligenter Rezensionen, eine noch aus diesem Jahr, und auch in einigen Universitaetsbibliotheken existiert das Buch in mehreren, viel verliehenen Exemplaren, aber dieses ist auch alles. Am liebsten waere es mir, die Deutschen bombardierten mal die Bestaende von Chapman88 in Grund und Boden, dann koennte ich sie, neu und in einem weniger forbidding Englisch schreiben. – – – Von Ihnen kriegte ich vor Jahren den Galilei, und dann noch den Anfang eines Hoerspiels ueber das Verhoer des Lucullus; seitdem nichts mehr.89 – Ich warte mit grosser Erwartung darauf, Sie bald in New York oder Boston, oder in beiden, wiederzusehen. Wo haben Sie denn Ihre Kinder, und was treibt Helli? – Die Leute vom Partisan Review (45 Astor Place, New York, N.Y. – sonstiges in Fussnote zu p. 15 des beil. Ms.) fragten mich nach Ihrer Adresse, sie wollen Sie um ein Gedicht bitten. Ob Sie es geben wollen, muessen Sie selbst entscheiden.90 Die Leute koennen etwas zahlen, sind aber sonst mit Vorsicht zu geniessen; urspruenglich CP Façade, spaeter trotzkistisch, werden sie jetzt mehr oder weniger charakterlos artistisch und literarisch. Dies ist alles fuer heute, Hedda besucht mich wohl morgen und wird sich auch sehr ueber Ihren neuen Brief freuen. Langerhans studiert hier hoehere Mathematik – ich bin etwas misstrauisch unsicher ob es in der kurzen Zeit viel Sinn fuer ihn haben wird. Gluecklicherweise schreibt er grade auch ein laengeres Exposé ueber die Soziologie des KZ.91 Darueber hat er sehr gute Ideen und ist ueberhaupt der bei weitem erfreulichste von allen ehemaligen Inhabern – (ich meine Insassen, aber bei ihm passt fast auch das erstere) – des K.Z. Wenn Sie den Tuis92 klar machen, dass sie mal wieder einen Vortrag von mir veranstalten muessen (was sie frueher in New York von Zeit zu Zeit gern getan), so komm ich ganz gern auch bald mal nach California – auch wenn ich nicht wie der unabkoemmliche Marcuse93 auf seiner kuerzlichen Fahrt zu saemtlichen Tui-Fabriken der pazifischen Kueste ein Flugzeug spendiert kriege. Im uebrigen gruessen Sie Reichenbach herzlich, die Familie 88 Der Londoner Verlag Chapman and Hall, in dem Korschs Karl Marx erschienen war. 89 „Exemplare meiner letzten Arbeiten (hauptsächlich Dramen) sind von Finnland an Sie abgegangen, haben Sie aber wohl nicht erreicht; niemand hier hat sie bekommen“ (B. an Korsch, Ende September 1941, GBA 29, S. 215). 90 Von Brecht ist in Partisan Review nie eine Zeile erschienen. 91 Vermutlich nicht überliefert. 92 Das sind die Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, die sich ebenfalls in Kalifornien niedergelassen hatten. Brecht bezeichnete sie abschätzig als „Tuis“ (vgl. seinen Journaleintrag vom 9.8.1941, GBA 27, S. 12f.; zum geplanten Tui-Roman vgl. Anm. zu Praag-Sanders, 26.6.1933). Seine Vorbehalte hinderten ihn allerdings nicht, sich selbst gelegentlich an Diskussionen des Instituts zu beteiligen; vgl. das Protokoll einer Diskussion über die Theorie der Bedürfnisse in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 12, Frankfurt/M. 1985, S. 559–586. 93 Der Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse (1898–1979) stieß 1933 zum Institut für Sozialforschung. Im selben Jahr ging er über Genf ins Exil nach Paris, 1934 nach New York. 1941 übersiedelte er nach Kalifornien. Während des Zweiten Weltkriegs war er gemeinsam mit anderen exilierten Intellektuellen aus Europa für den amerikanischen Geheimdienst tätig, lehrte später an Universitäten in Massachusetts und Kalifornien.

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herzinniglich, und die Neuen Deutschen an der Westkueste in verschiedenen Abstufungen nach Verdienst und Wuerdigkeit. Herzlich Ihr weit aelterer K. K.

Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Houghton Library, Cambridge/Mass. – Dv.: BBA 977/22–23. – E: Alternative, Nr. 105, Dez. 1975, S. 251f. (jetzt in: Korsch, Briefe, S. 992ff.).

Hoffman R. Hays an Bertolt Brecht [November/Dezember 1941] Dear Brecht, I had been rather expecting that you would answer my last letter. It is very important that you answer this one. At the request of Piscator and Eisler I have translated and slightly adapted The Rise of Caesar Ui, which Piscator wants to produce at the New School. I have changed the dialog and the intrigue slightly to fit it for an American audience. Piscator and all to whom he has shown it are very well pleased with the result. I am therefore sending you a copy of the translation with two copies of a contract based on the standard Dramatist Guild94 form for matters of this kind. I also include an application blank for membership in the Dramatist’s Guild, which it is necessary for you to join in order to have a professional production. I will not take time to explain the nature of the organization, for Jules Dassin can tell you all about it. If you will sign the blank, I shall be glad to advance the fee. As regards the contract, I gather that you were not satisfied with the arrangement made over the publication of the translation of “Mother Courage”. As you have not written me about it, I have only a second-hand impression through Eisler. Such agreements here generally depend upon the commercial value of the reputations of the two writers involved. I have left the matter blank in the enclosed contract and am waiting to hear what you feel is a fair division of any possible proceeds. I just had a letter from Laughlin95, the publisher of Mother Courage, informing me that he has had Frank Jones, who is neither a poet nor a playwright, make a translation of St. Joan of the Slaughterhouse. This, after asking me for your address to get your permission for the translation, I suppose. I am very much annoyed about it since it was I who brought your work to Mr. Laughlin’s attention and I was anxious to translate this play myself. I 94 Dramatists Guild of America, Vereinigung von Bühnenschriftstellern und -komponisten. Hervorgegangen aus einer Spaltung der 1912 gegründeten Authors League of America. Neben der Dramatists Guild gab es seit 1921 auch eine Authors Guild für Prosaschriftsteller. 95 James Laughlin (1914–1997), amerikanischer Schriftsteller und Verleger. In seinem New Yorker Verlag New Directions erschien 1941 Hays’ Übersetzung der Mutter Courage.

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think that Mr. Laughlin has been thoroughly discourteous to me. I should appreciate it if you would care to state in writing that I am to have an option to do your translation. I would always gladly stand aside if it were to your advantage to use someone else. But all other things being equal, I do not think you will find anyone else who can interpret you better, since I am deeply interested in your work, and my own writing has been along similar lines. I have also been asked to translate a few sample scenes from The Good Soul of Sezuan for the Theatre Guild, which is somewhat interested in the play. But before I do it, I should really like to hear from you directly, since I don’t feel very good about this whole business. As to the Piscator production. I don’t think you should agree to it unless you are here in New York and make sure he can get a decent cast. As I told you once before, I don’t have much faith in Piscator’s judgment. He has had three bad productions already which were received very unkindly by the critics. If he makes mistakes with Caesar Ui, it can do your work a lot of harm and also ruin your chances with the Theatre Guild or any other producer. Once more I urge you to answer this letter as soon as possible. Sincerely, Überlieferung: Ts (Entwurf), hs. Notizen von James K. Lyon; BBA E 61/69. – E: Brecht in den USA, hrsg. von James K. Lyon, Frankfurt/M. 1994, S. 237ff.

Briefe an Bertolt Brecht, 1942

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht [New York] 21.1.1942 January 21, 1942. Lieber Bert: Nimm bitte einen Stuhl und eine Feder und schreibe klar, was los ist. Ich verstehe einfach die Art unserer Beziehung nicht. Du bist hier im Land, ich biete Dir an Dein Stück zu spielen1 und dann verläuft alles im Sande. Wenn wir das nächste Jahr mit „Der gute Mensch von Sezuan“ rechnen wollen, so müssen wir doch jetzt mit den Vorbereitungen beginnen. Wenn Du andere Pläne damit hast, so wäre es freundschaftlich und nett, es mich wissen zu lassen. Grüsse Hedwig2, Kortner, Dein alter Erwin Piscator. Mr. Bert Brecht 817 – 25 Street Santa Monica, California Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 262f.

Clarence Muse3 an Bertolt Brecht Los Angeles, 24.2.1942

Los Angeles, California February 24, 1942

Mr. Berthold Von Brecht

1 2 3

Vgl. Piscator, Okt. 1941. Vermutlich Helene Weigel. Clarence Muse (1889–1979), afroamerikanischer Filmschauspieler, Drehbuchautor und Regisseur. Am 22.11.1941 notierte Brecht in sein Journal: „Der Neger Clarence Muse hat eine Bearbeitung von ‚Dreigroschenoper‘ gemacht und will eine Negeraufführung produzieren“ (GBA 27, S. 26; vgl. dazu B. an Weill, April 1942, GBA 29, S. 226f.). Darauf bezieht sich der hier übermittelte Vertragsentwurf. Mit den Bedingungen war Kurt Weill jedoch nicht einverstanden (sein Brief an Brecht vom 20.4.1942 ist dokumentiert in BBA 1183/4–5). Die Aufführung kam nicht zustande.

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Dear Mr. Von Brecht: This letter will confirm our previous agreement: 1. You represent and warrant that you are the sole author and owner of all rights in and to that certain operatic work (hereinafter referred to as “Work”), entitled “DIE DREIGROSCHEN OPER”, which rights include, but are not limited to, all rights in the music and lyrics, written and composed by Kurt Weill, stage, rights, silent, talking and synchronized motion picture rights, stock, amateur and semi-professional performing rights, radio and television rights, foreign language performing rights in the United States, performing rights in condensed and tabloid versions, publication rights of music and mechanical reproduction rights of music. 2. You have heretofore granted me permission to create an adaptation of said work, and pursuant to such permission, I, together with my collaborator, Zora Huerston, have composed an adaptation of said “Work” (hereinafter referred to as “Adaptation”), which “Adaptation” is suitable for presentation on the legitimate speaking stage by colored performers. 3. You acknowledge that you have no right, title or interest of any kind or nature in and to the “Adaptation”. You agree that I have the right to use said “Adaptation” or parts thereof as now composed or as may hereafter be changed by me, my grantees or assigns, in whatever manner I desire. It is understood that I am the owner of all rights in and to said “Adaptation”, including but not limited to the legitimate stage rights, silent, talking and synchronized motion picture rights, stock, amateur, and semi-professional performing rights, radio and television rights, foreign language performing rights in the United States, performing rights in condensed and tabloid versions, publication rights of music and mechanical reproduction rights of music. 4. It is understood that I may deal with and contract with respect to said “Adaptation”, in whole or in part, as if said “Adaptation” was created originally by me and not based on your work. You agree I may use the original title, or any other title I desire in connection with said “Adaptation”. 5. As consideration for your permission heretofore granted, I agree to cause to be paid to you, as and when the aforesaid “Adaptation” is produced on the legitimate speaking stage, and with respect to the legitimate stage production only, a sum equal to [hs.: 4] % of the moneys received by myself and my collaborator jointly from the producer of the legitimate stage production of the “Adaptation” on account of the Author’s royalty rights from the gross box office receipts from the legitimate stage performance. In the event I receive any additional moneys from the sale of any of the subsidiary rights (as such subsidiary rights are defined in the minimum basic agreement of the Dramatists Guild of the Authors League of America), I agree to pay you as and when said moneys are received by me a sum equal to [hs.: 50] % thereof.

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6. You further represent and warrant that I have the right to use the lyrics and music created by Kurt Weill or any portion or part thereof in connection with any use made of the “Adaptation”. It is further understood and agreed that in the event it is necessary to create new music and lyrics, that said new music and lyrics may be used in conjunction with the music and lyrics created by Kurt Weill. 7. There is no obligation on my part to cause to be presented the “Adaptation” on the legitimate speaking stage. You agree that you have not to date hereof and will not for a period of years from the date hereof, make or grant any use of the “Work” which will in any way impair the use by me of any of my rights in the “Adaptation”.

___________________________

AGREED TO AND ACCEPTED: _____________________ Überlieferung: Ts, Kurt Weill Foundation, New York. – Dv: Kopie, BBA Z 23/19-20.

Kurt Weill an Bertolt Brecht New City, 9.3.1942 Weill bedankt sich für Brechts Brief vom Februar/März 1942 (GBA 29, S. 221f.). Mit den Agenten Georg Marton (1900–1979) und Harold Freedman (1897–1966) sowie dem New Yorker Musikverleger Max Dreyfus sei er weiterhin in der Angelegenheit der Dreigroschenoper tätig. Die Aussichten für eine Wiederaufführung stünden allerdings nicht sehr gut. Es sei schwierig, ein einmal durchgefallenes Stück neu herauszubringen (zur Erstaufführung der Dreigroschenoper in den USA vgl. Anm. zu Berger, 26.4.1933). In den letzten Monaten habe er mit dem Dramatiker Charles MacArthur (1895–1956) und dem Schriftsteller und Drehbuchautor Ben Hecht (1894–1964) verhandelt. Insbesondere von letzerem, mit dem er außerdem gut befreundet sei, verspreche er sich eine erstklassige Bearbeitung des Stücks. Was man brauche, sei keine Übersetzung, sondern eine Adaption für das amerikanische Theater. Gescheitert sei die Dreigroschenoper beim ersten Mal vor allem an der mangelhaften, allzu wörtlichen Übersetzung. Zudem müsse er darauf bestehen, sie selbst zu orchestrieren. Die von Weill beabsichtigte Aufführung werde Brecht nicht nur Geld einbringen, sondern ihn auch als Theaterautor in Amerika etablieren. Dies aber sei auf Jahre hinaus unmöglich, wenn die Dreigroschenoper nun, wie Brecht vorschlägt, von einer Gruppe afroamerikanischer Schauspieler unter der Leitung von Clarence Muse in Kalifornien gespielt werde. Von einem „revival“ der Dreigroschenoper in Amerika sei er, Weill, fest überzeugt. Ihre Songs seien dort unter Kennern schon jetzt bekannt und beliebt. Wiederaufgeführt wird sie am Broadway erst 1954 im

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Theatre de Lys (in einer Übersetzung Marc Blitzsteins) und dort sieben Jahre lang sehr erfolgreich gespielt. Überlieferung: Ts, hs. Korr, hs. U.; BBA 1183/4–5.

Kurt Weill an Bertolt Brecht 13.3.1942 Nachdem er gerade einen weiteren Brief Brechts vom 12. März 1942 erhalten habe (vgl. GBA 29, S. 223f.), bedankt sich Weill für den beiliegenden „wunderschönen Song“. Dabei handelt es sich vermutlich um das Lied Und was bekam des Soldaten Weib? (GBA 15, S. 71f.), das Lotte Lenya später, am 3. April 1943, in einer Vertonung Weills auf einer Anti-Nazi-Kundgebung in New York vorträgt. Im folgenden kommt Weill noch einmal auf die Dreigroschenoper zu sprechen und versucht, Brecht von seinen Plänen zu überzeugen. Ein nochmaliger Mißerfolg wie bei der amerikanischen Erstaufführung 1933 müsse unbedingt vermieden werden. Daher sei es notwendig, das Stück in einer von Weill vorgeschlagenen amerikanischen Adaption erst einmal in New York aufzuführen. Davon könne schließlich auch Clarence Muse mit seiner afroamerikanischen Inszenierung profitieren. Weill versichert, sich mit der Arbeit zu beeilen. Zudem wolle er sich mit dem in Muses Pläne involvierten Sänger und Schauspieler Paul Robeson (1898–1976) ins Benehmen setzen in der Hoffnung, die New Yorker Produktion der mit der geplanten afroamerikanischen Inszenierung in Kalifornien zu kombinieren. Überlieferung: Ts, Kurt Weill Foundation, New York. – Dv: Kopie, BBA Z 23/22–23.

Kurt Weill an Bertolt Brecht 7.4.1942 Weill erklärt, er schreibe diesmal auf englisch, weil Brecht den Brief vielleicht auch Clarence Muse zeigen wolle. Von diesem nämlich habe Weill selbst tags zuvor einen sehr aufrichtigen und enthusiastischen Brief bekommen, der ihn bewogen habe, seine Zweifel hinsichtlich der afroamerikanischen Inszenierung der Dreigroschenoper beiseite zu schieben. Weill bietet an, mit Muse einen Vertrag über eine Aufführung der Dreigroschenoper in Kalifornien abzuschließen; eine Aufführung außerhalb Kaliforniens bedürfe erneuter Zustimmung. Seine Agenten Harold Freedman und Max Dreyfus werde er anweisen, in diesem Fall außergewöhnlich moderate finanzielle Bedingungen zu stellen. Unverständlich sei ihm jedoch, warum er von den Neufassungen der Texte, an denen Brecht schon seit Monaten arbeite, noch nichts zu sehen bekommen habe. Seltsam auch, daß er eigens

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darum bitten müsse. Die Kenntnis der Texte würde ihm die Verhandlungen erheblich erleichtern. Laufende Arbeiten machten es ihm unmöglich, selbst nach Kalifornien zu kommen, aber nicht zuletzt der ehrliche Enthusiasmus von Clarence Muse stimme ihn sehr zuversichtlich. Überlieferung: Ts, Kurt Weill Foundation, New York. – Dv: Kopie, BBA Z 23/25–26.

Kurt Weill an Bertolt Brecht New City, 20.4.1942 Weill dankt Brecht für dessen Erläuterung der Arbeit an der Dreigroschenoper, die dieser zunächst ohne Absprache mit Weill in Angriff genommen hat (vgl. B. an Weill, April 1942, GBA 29, S. 226f.). Mißverständnisse möchte auch Weill unbedingt vermeiden, und er hofft, daß sich bald eine Gelegenheit ergebe, wieder mit Brecht zusammenzuarbeiten. Was die Aufführung der Dreigroschenoper in Kalifornien betrifft, so habe Weill, ohne Rücksicht auf eigenen finanziellen Vorteil, seine Zustimmung zu einem solchen „try-out“ des Stücks gegeben. Sein Entgegenkommen sei ihm aber nicht im mindesten honoriert worden. Über den ihm vorgelegten Vertrag, ein „phantastisches Dokument“, aufgesetzt vom Anwalt von Clarence Muse, äußert sich Weill mit großem Befremden. Ein solcher Vertrag sei ihm in seiner gesamten Theaterarbeit bisher nicht untergekommen. Keine seiner Forderungen, die man in den Verhandlungen zuvor bereitwillig akzeptiert habe, sei darin wiederzufinden. Verlangt würden nun sogar selbst solche Rechte, die er selbst gar nicht besitze. Auch seine Verpflichtungen gegenüber den eigenen Verlegern würden ignoriert. Auf Grundlage dieses Vertrags könnten die Leute mit der Dreigroschenoper anstellen, was sie wollen. Seine anfänglichen Befürchtungen findet Weill damit bestätigt. Was da gefordert werde, bedauert er Brecht gegenüber, der große Hoffnungen in das Vorhaben gesetzt hat, sei für ihn ganz inakzeptabel. Überlieferung: Ts, Kurt Weill Foundation, New York. – Dv: Kopie, BBA Z 23/28–29.

Karin Michaelis an Bertolt Brecht und Helene Weigel New York [30.5.1942]4 205 West 57 Street New York City. Lieber Bert, liebe Helly, Ihr seid ja meine Freunde fürs Leben, und wenn ich nicht geschrieben habe vorher, hat dies mit unsere Freunschaft nichts zu tun. Erstens wusste ich seit ewig lange nicht wo Ihr wart, dann bekam ich eine Adresse, wo man sagte: Vielleicht ist sie richtig! Und endlich bin ich seit Monate in einem Loch geraten, von wo ich nur 4

Datierung nach Inhalt.

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sehr schwierig hinaufkommen konnte. Seit drei Jahren bin ich hier, ohne Verleger finden zu kønnen, ohne eine Zeitung, wo man mir brauchen konnte oder wollte. ohne Geld von zu Hause, und natürlig, seit Hitler, habe ich alles dort aufgegeben. Sogar wenn Hitler geschlagen wird, giebts kaum eine Dänemark mehr, und nicht Thurø, wie es war und nicht Bergmannshaus und Euer Haus und Euer alter Wagen ach, ach, es ist alles so ganz anders, und so, dass man ja nicht einmal an seine eigene kleine Schwierigkeiten denken darf, sie sind ja Staubkørner verglichen mit jene Schicksale hüben und drüben, von denen wir lesen und høren. Oft wundert es mich, dass nicht Blut aus unsere Ohren fliesst, dass wir nicht Blut weinen kønnen ... Vorgestern Abend war ich zu „Elend im Deutschland“5 mit Ruth Berlau, die furchtbar lieb Billett für mich ergattert hatte. Es war, dass kann ich versichern, einen fantastisch intressanter Abend. Eine Auditorium, die man selten erlebt, so verstehend, so folgend, so begeistert. Die Männer, die spielten, waren erstklassig, weil sie ja die richtig Deutsche Nussknacker ins Blut haben. Die Frauen waren mässig. Liesel Neuman6 als so eine verliebte Deutsche Knødel, eigentlich besonders gut, ohne viel Komoedie, Helly, du kennst ja ihre blitzende Augen und Lächeln, und wenn man dazu sah der blønde uniformierter Kerl, ja, Deutschland ‚sogar lange vor Hitler‘. „Spitzel“ wirckte ungeheuer schmerzlich, muss also hervorragend gespielt sein. Der Bengelbub, aber es ist ja auch nur eine Andeutung von einer Rolle, die Mutter, grässlich zu sehen, und doch eben so wie man sich so eine denken kann. Der Studienrat first class. Eleonore Mendelsohn7 war ja nicht Helly, weit entfernt, sehr weit entfernt und drolligerweise, vor uns und hinter uns sassen Parteien, die aller beide davon sprachen, wie unsagbar besser Helly gewesen, also sie hatten Helly in Paris gesehen.8 Die Mendelsohn war zu blass als ganze, und er zu viel Rowdy. Man konnte nicht verstehen, dass sie nicht sieben meilen Stiefeln angezogen hatte und von ihm weggelaufen bis äusserste Ende der Welt. Aber Frauen sind ja merkwürdig... Ich brauche nicht zu sagen, wie es mich ergriffen habe zu høren das Grete nicht nur sterben musste, aber SO sterben, fast allein, während Ihr auf die Flucht waren.9 Aber einmal werden wir uns ja wiedertreffen und alles was geschehen ist, mit einander durchreden. Ich habe ein Gefühl als ob wir alle segeln auf einem Riesenmeer, und es ist purer Zufall wenn zwei Schiffe einander passieren. Hoffen wir .. hoffen wir ... Ich muss hier bleiben. Ich wohne bei meiner Schwester, sie und ihren Mann und ihre Kinder sind alle wunderbar, aber sie haben auch nichts, also MUSS ich einmal so weit kom5

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Am 28.5.1942 wurden, organisiert von der Tribüne für Freie Deutsche Literatur und Kunst in Amerika, vier Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches (Rechtsfindung, Das Kreidekreuz, Die jüdische Frau, Der Spitzel) im Fraternal Clubhouse in New York gespielt. Regie führte Berthold Viertel. Vgl. B. an Viertel, Ende Mai/Anfang Juni 1942, GBA 29, S. 236f. Elisabeth Neumann-Viertel. Die Schauspielerin Eleonore von Mendelsohn (1900–1951) lebte seit 1935 im Exil in New York. Vgl. Anm. zu Dudow, 21.1.1938. Vgl. Osten, 5.6.1941.

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men, dass ich etwas verdiene. Zu meinem Geburtstag hat man eine Summe, (in sich nicht gross, für mich in dieser Zeit ungeheuer) gesammelt. So gross, dass ich mich jedenfalls erlauben kann zu sterben, ohne dass meine Schwester Sachen pfanden muss um Sarg zu kaufen. Inzwischen schreibe ich meine Memoiren. Simon und Schuster hat etwas gesehen, und ob wohl Quincy Howe10, der, der alles dort bestimmt, mir schrieb, dass darin sind Sachen, die er nie schøner gelesen seit Hans Christian Andersen11, hat er doch nichts angenommen, weil so viel zu ändern ist. Ich hatte es selbst in English geschrieben und Ivy Litvinoff 12 (die meine Freundin geworden ist) hat es verbessert. Jetzt will ich in Dänisch schreiben und es richtig übersetzen lassen. Nur so kann ich MEIN Stil beibehalten. So viel von mir. Und meine innige Dank für was du zum Geburtztag geschrieben hast und in der deutsche Zeitung drucken lassen.13 Auch für Brief von beide innig Dank,14 aber im Brief stand nichts was mich klüger machte wegen Euch. Ruth sagte, dass es die Kinder strahlend geht, fein. Ich møchte nur dass Helly hier zur Arbeit kann, gewiss, sie ist so geboren Schauspielerin, das natürlich einige Ruhejahre nichts ausmacht. Aber wenn man etwas leisten kann, møchte man ja doch gern zeigen dass man es will und kann. Ruth sagt, dass sie schon etwas gefunden hat und so, wenn auch wenig, schon verdient.15 Wirklich gut gemacht. Aber mir kommt es vor, dass etwas mit ihre Augen ist in Unordnung. Sie schaut einem an, als ein Blinder. Ich fragte, sie sagte nein, alles in Ordnung. Ich verstehe es nicht. Als ob es ihr was ungeheures kostet zu sehen. Sie sperrt die Augen auf, als versuche sie dadurch Licht hineinzu bringen. Sie weinte als wir uns trafen. Gott sei Dank dass Ihr hier seid!!!! Damals wo ich den ersten Brief bekam, habe ich naturlich sofort alles getan, aber, ich kann versichern, damals war NICHTS zu tun. Damals war Russland ja nicht UNSER Alliiert. Und die menschliche Feigheit ist horrent!!!! Kantorowitz16 sehe ich nicht ganz selten, sie sind ja beide rührend feine Menschen, die liebe ich. Und ich habe mitgeholfen, dass sie im Sommer irgendwo unterkommen kønnen, wo er arbeiten kann in Ruhe, ohne Sorge. Alle sind ja hier, (alle die nicht tot, eingekerkert, herunterflakkernd sind. Es fehlt hier einen grossen Klub, wo Menschen sich treffen kønnen, so einen Ort, wo die, die arm sind ganz arm, und in einem Zimmer zusammenhocken, sich treffen kønnen und als Menschen fühlen und behaupten. Die, die Geld verdienen, tun viel zu wenig. Ich wiederhole, viel zu wenig.

10 Quincy Howe (1900–1977), amerikanischer Journalist, seit 1935 Cheflektor beim Verlag Simon & Schuster in New York. 11 Hans Christian Andersen (1805–1875), dänischer Schriftsteller. 12 Ivy Litvinov (1889–1977), in Rußland geborene amerikanische Schriftstellerin. 13 Anläßlich des 70. Geburtstags von Karin Michaelis hatte Brecht einen Geburtstagsbrief zum 23. März (GBA 23, S. 9) in Heft 3 der in New York erscheinenden Exilzeitschrift Aufbau veröffentlicht. 14 Vgl. B. an Michaelis, März 1942, GBA 29, S. 224f. 15 Ruth Berlau hatte soeben eine Anstellung beim Office of War Information in New York gefunden, wo sie bis Juli 1943 arbeitete. 16 Alfred Kantorowicz hielt sich seit 1940 ebenfalls in New York auf.

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Schreibt nicht um schreiben zu müssen. Ich kenne Euch, ich weiss Ihr seid unveränderlich im Treue und Freundschaft. Gibts etwas, was ich hier besorgen kann, dann ein Wort. Wie gehts Maria???17 Ich habe mit ihrer Schwester korrespondiert, die sie absolut abratete nach Südamerika zu gehen, wegen spanischer Sprache. Auch scheint es, die sind sehr arm selber. Wisst Ihr etwas mit Merete Bonnesen? Und nun lebt wohl. Wie viele schøne Stunden haben wir doch mit einander verbracht, und wie lieb und traulich und schøn verstand nicht Helly das Leben und das Heim einzurichten ... Kehret wieder ... Ich liebe Euch. Karin Michaelis Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 3261.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 31.7.1942 31. Juli 1942 Wieland Herzfelde 307 East 17th Street New York City Lieber Brecht: Endlich kann ich Dir berichten, dass ich wieder einen deutschen Verlag machen werde.18 Ich plante es schon lange, gerade deshalb habe ich Dir nicht schon frueher geschrieben; ich wollte nicht davon berichten, ehe der Plan sich zum Beschluss verdichtet hatte. Immer wieder ergaben sich Schwierigkeiten, jetzt aber haben wir, das heisst die Freunde von der Tribuene, beschlossen den Gemeinschaftsverlag freier deutscher Schriftsteller „Die Tribuene“ als ein Nonprofitunternehmen zu gruenden. Die Finanzierung des Verlages denken wir uns so: Wir versuchen 1000 Anteile a $ 10.zu verkaufen. Es werden sich zwar keine 1000 Leute finden, die Anteile zeichnen, aber es finden sich hoffentlich Leute, die mehr als einen Anteil zeichnen. Ausserdem sind wir 17 Maria Osten war im Juni 1941, kurz nach Steffins Tod, in Moskau verhaftet worden. Im August 1942 wurde sie erschossen. 18 Herzfeldes Plan, die von ihm in New York gegründete Arbeitsgemeinschaft Tribüne für Freie Deutsche Literatur und Kunst in Amerika in einen Gemeinschaftsverlag exilierter deutschsprachiger Schriftsteller zu überführen, wurde – unter veränderten Bedingungen – erst mit der Gründung des Aurora-Verlags realisiert, der seinen Betrieb im April 1944 aufnahm. Dort erschien 1945 auch eine auf 24 Szenen reduzierte Fassung von Furcht und Elend des III. Reiches.

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im Begriff, eine Organisation „Die Freunde der Tribuene“ zu gruenden. Mitgliedsbeitrag ist $ 1.-- jaehrlich, unsre Gegenleistung ist die Verbilligung unsrer Veranstaltungen und Veroeffentlichungen. Die Mitgliedsbeitraege sollen das Defizit der Veranstaltungen und Publikationen decken, mit dem ja leider zu rechnen ist. (Wir haben bereits 2,500 Adressen von Besuchern unsrer Veranstaltungen.) Im Uebrigen hoffen wir, den Absatz unser Publikationen durch Subskription einigermassen zu sichern. Unser Programm ist zunaechst sehr bescheiden, da wir noch nicht wissen, wieviel sich auf die erwaehnte Weise einbringen laesst. Wir wollen eine Schriftenreihe herausgeben, zunaechst einmal sechs Baendchen, jedes 32 oder 64 Seiten stark, fuer etwa 25 oder 50 Cents. Eroeffnet soll die Reihe werden mit einem Baendchen „Freiheitsstimmen der Voelker“. Darin sollen die „Amerikanische Unabhaengigkeitserklaerung“, die „Erklaerung der Menschenrechte“, die „Bill of Rights“, der Aufruf „An Alle“ und Entsprechendes von vielen verschiedenen Voelkern vereinigt werden. Am schwierigsten erscheint die Wahl in Bezug auf den deutschen Beitrag. Vielleicht etwas aus dem Jahre 1848. Was wuerdest Du vorschlagen? Wir wollen nich[t] individuelle Dokumente annehmen, sondern gemeinsame Erklaerungen von Menschen, die eine Freiheitsbewegung repraesentierten. Gerne ha[e]tte ich darin auch Griechisches, Lateinisches, Chinesisches und Italienisches, lass mich bitte wissen, ob Du Geeignetes kennst. Zu umfangreiche Beitraege koennen wir nicht gebrauchen, weil wir ja im besten Fall nur 64 Seiten drucken koennen. Als eines der ersten Baendchen moechten wir Arbeiten von Dir bringen, am liebsten eine Sammlung von neueren Gedichten. Bitte lass mich recht bald wissen, ob Du ein Manuskript zu geben bereit ist. Da wir alle in dem Verlag ehrenamtlich arbeiten, hoffen wir auch von den Autoren Beistand zu erhalten. Im Allgemeinen werden wir vorschlagen, dass das erste Tausend einer Publikation nicht honoriert wird, hingegen soll der Autor 30 Freiexemplare erhalten. Fuer alle verkauften Exemplare ueber 1000 wollen wir 10% Honorar bezahlen. Ich schreibe gleichzeitig an eine Reihe deutscher Schriftsteller in Amerika, sobald ich ihre Antwort habe, werde ich Dir mehr ueber die Auswahl berichten. Format, Satzspiegel und Type moechte ich so waehlen wie bei Deinen Werken, denn ich traeume davon, die Ausgabe Deiner Werke fortzusetzen, sobald die Mittel dafuer vorhanden sind, und dann koennen wir den Satz Deines Bandes verwenden. Auch an einen lithographischen Wiederdruck der beiden ersten Baende denke ich. Da die Svendborger Gedichte hier nicht viel Verbreitung gefunden haben duerften, schlag ich vor, dass Du einige daraus in das neue Baendchen nimmst. Bitte gruesse Helene und die Kinder herzlichst und ebenso Ruth Berlau, hier ist sie leider gruss- und spurlos verschwunden. Dein alter Überlieferung: Ts, BBA Z 47/36–37.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 14.9.1942 Wieland Herzfelde – 307 East 17th Street – New York, N.Y. Sept. 14, 1942. Lieber Brecht, Am [hs.: 31. July] habe ich Dir ueber die geplante Gruendung des Verlags DIE TRIBUEHNE geschrieben. Ich nehme an, Du hast den Brief erhalten und Dein Schweigen bedeutet, dass Du zu tief in der Arbeit steckst, um Korrespondenz erledigen zu koennen. Das ist ja erfreulich, von Dir aus gesehen. Trotzdem bitte ich Dich, wenigstens ein paar Minuten zu eruebrigen und uns recht bald wissen zu lassen, wie Du zu den Plaenen stehst, und ob wir mit Dir rechnen duerfen. Es liegt mir besonders an der Beantwortung von zwei Fragen. Erstens, kannst Du uns ein Baendchen von 32 oder 64 Seiten ueberlassen, und bis wann glaubst Du im Jafalle uns ein Manuskript schicken zu koennen. Ich haette das Baendchen gern als eines der ersten der Schriftenreihe; und zweitens, wie stehst Du dazu, eine Subskription fuer die Fortsetzung der Gesammelten Werke, einschliesslich der beiden ersten Baende, zu versuchen. Ueber das Produktionsprogramm werde ich Dir in Kuerze berichten. Ich warte noch auf Nachricht aus Mexico. Die Freunde dort haben zunaechst nur kurz geantwortet, dass sie unseren Plan begruessen und unterstuetzen wollen. Ein ausfuehrlicherer Brief is[t] angekuendigt worden, aber noch nicht eingetroffen. Herzliche Gruesse an Helene, die Kinder und Dich, Dein W Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Boston, 18.11.1942 337 Charles St.

Boston, Mass. 11/18/42

lieber B.B., nachdem ich schon sehr unzufrieden mit dem Schicksal geworden war, das Sie mir so nahe brachte wie die Trauben des Tantalus, war Ihr Brief eine freudige Ueberraschung.19 19 Vgl. B. an Korsch, Okt. 1942, GBA 29, S. 253f.

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Das Buch20 haette ich Ihnen laengst geschickt, wenn ich selbst eins gehabt haette. Die amerikanische Auflage ist längst vergriffen, was aber nur bedeutet, dass der U.S. Verleger an der Erneuerung der laengst ausverkauften geringen Urbestaende kein Interesse hat. Anders waere es nur bei einem grossen finanziellen Erfolge, der weitere bedeutende Profite ohne irgend einen eigenen Aufwand sicherte („something for nothing“ ist das hoechste Ideal des hiesigen Geschaeftslebens). Die amerikanischen „Parallelausgaben“ von in England erscheinenden Buechern sind ein reines racket; noch jetzt erscheinen in England ungleich mehr echte Buchausgaben als in der U.S.A. Nun habe ich endlich durch Vermittlung von Fritz Samson, der bei einer grossen Buchhandlung in New York angestellt ist, einige Exemplare aus London gekriegt – statt der bestellten 50 nur 10. Ich habe das Buch eben nach langer Zeit mal wieder angesehen. Als ich es uebersetzte, versuchte ich nur gangbare Ausdruecke der amerikanischen Mundart zu gebrauchen, d.h. ich versuchte die kultivierten Gedanken von Marx, Hegel21 usw. in einer Form wiederzugeben, in der sie sich tatsaechlich nicht wiedergeben lassen. Heute glaube ich nach sechs Jahren die hiesige Sprache soweit zu beherrschen, dass ich sie auch fuer unamerikanische Gedanken zurechtkneten und strecken koennte. Wenn man fuer eine noch weit entfernte Zukunft schriebe, waere ein – allerletztes – Marxbuch kein ganz sinnloses Unternehmen, besonders wenn man zu der urspruenglich geplanten loseren Form Baconischer „Aphorismen“ zurueckkehrte. Fuer dieses und fuer andere mehr oder weniger weit gediehene Projekte eines neuen Buchs fehlt mir nur die starke Suggestion, die mich in dem Kulturzentrum Svendborg zum wirklichen Schreiben angetrieben hat. Langerhans werde ich Ihre freundlichen Worte mitteilen.22 Seine Adresse ist jetzt A55 155 W 83rd St. New York N.Y. – Mir scheint, dass seine Not mit seinen neuen Ideen nicht auf den oben erwaehnten besonderen Schwierigkeiten der fremden Sprache beruht – an die ist er sozusagen noch gar nicht ernstlich herangekommen – sondern in das Gebiet faellt, wo Sprechen und Denken dasselbe sind. Wie Montaigne23 ueber einen guten Stil sagt: “When I behold these gallant formes of expressing, so lively, so nimble, so deepe, I say not: this is to speake well, but to think well...”24 20 Korsch hatte Brecht ein Exemplar seines Buchs Karl Marx (London 1938) zukommen lassen, wofür dieser sich in einem weiteren Brief (in GBA 29 auf Ende November/Anfang Dezember datiert) bedankte. Vermutlich wurden beide Briefe zusammen abgeschickt. 21 In bezug auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) dialektische Methode sprach Marx von seiner eigenen „kritischen Weise, sie anzuwenden“ (Brief an Ludwig Kugelmann vom 27.6.1870, in: MEW 32, S. 686). 22 Langerhans hatte Brecht eine Kopie seines Manuskripts „How to overcome totalitarianism“ sowie einige Gedichte geschickt. Brecht bat daraufhin Korsch, ein „gutes Wort bei ihm ein[zulegen]“ (B. an Korsch, Oktober 1942, GBA 29, S. 254). 23 Michel de Montaigne (1533–1592), französischer Philosoph, Begründer des modernen Skeptizismus. 24 Das Zitat entstammt dem Essay „Sur des vers de Virgile“: „Quand je voy ces braves formes de s’expliquer, si vifves, si profondes, je ne dicts pas que c’est bien dire, je dicts que c’est bien penser“ (Montaigne, Essais. Livre III, hrsg. v. Alexandre Micha, Paris 1969, S. 88).

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Ihre kurze Familiengeschichte hat uns besonders interessiert und gefreut. Hoffentlich kriegt Helli diesmal die Rolle25; wenn es im Film ist, hoffe ich meine starken Eindruecke von ihrer Schauspielkunst noch einmal bestaerkt zu kriegen. Das ueber Steff und Barbara klingt besonders positiv. Ich kann Gleiches mit Gleichem vergelten. Hedda ist noch in ihrem College, in dem sie sich im Vergleich zu ihren deutschen Taetigkeiten noch immer nicht recht warm fuehlt, wenn sie auch mit ihren jungen Studentinnen eine fuer hiesige Verhaeltnisse grosse Intimitaet hat. Sie hat jedesmal einen besonderen Erfolg, wenn sie in der Chapel eine kurze Laienpredigt, wie mir scheint meist ueber elementare menschliche Noete und Freuden, gehalten hat. (Warum haben Sie eigentlich ihre Uebersetzung des Kinderkreuzzugs nicht mal einer hiesigen Zeitschrift eingeschickt?)26 Sibylle hat, weil ihr Mann jetzt einen kleinen defence job hat, ihre Erwerbsarbeiten unterbrochen, um ihren Dr. an der Columbia Universitaet moeglichst noch diesen Winter zu kriegen. Barbara 27 studiert im zweiten Jahr Medical School in Johns Hopkins, Baltimore; sie wird infolge der Zusammenziehung der 4 Studienjahre auf 3 schon naechstes Jahr fertig und also mit 22-23 Jahren ein praktizierender Arzt sein. Ich studiere z.Z. hauptsaechlich Weltgeschichte und lese ausserdem alles ueber Asien und das Verhaeltnis Europas zu Asien. Sollten Sie die beiden letzten Nummern von „Partisan Review“ und „New Essays“ mit meinen Beitraegen ueber „The World Historians“28, „Notes on History“29, review von F. Neumanns (lausigem) Buch „The Behemoth“30, etc., wider Erwarten nicht von den publishers direkt gekriegt haben, so werde ich sie Ihnen auf Wunsch sofort von hieraus schicken. Eben beginne ich einen Aufsatz ueber „Geopolitics in the U.S.“ Ihr Filmskript wuerde ich gern mal sehen.31 Ich bin sehr hungrig auf Ihre neueren Sachen. Einmal sah ich in „New Directions“, in einer Buchhandlung ausliegend, eine groes25 Brecht hatte Korsch berichtet, daß er zusammen mit Fritz Lang an einer Filmstory arbeite, aus der schließlich das Drehbuch zu Hangmen Also Die (USA 1943) hervorging. Die Hoffnung, Helene Weigel eine Rolle in diesem Film zu verschaffen, erfüllte sich jedoch nicht; vgl. dazu den Journaleintrag vom 24.11.1942, GBA 27, S. 139f. 26 Die im Herbst 1941 entstandene Ballade Kinderkreuzzug 1939 (GBA 15, S. 50–56) erschien im Dezember 1942 in The German American. Brecht hatte von Hedda Korsch eine englische Übersetzung bekommen (vgl. den Journaleintrag vom 17.11.1941, GBA 27, S. 26) und sich in dem obengenannten Brief dafür entschuldigt, daß er den Empfang nicht bestätigt habe. 27 Korschs Töchter Sibylle und Barbara. 28 Karl Korsch, „The World Historians. From Turgot to Toynbee“, in: Partisan Review, Heft 5/1942. 29 Karl Korsch, „Notes on History. The Ambiguities of Totalitarian Ideologies“, in: New Essays, Heft 2/1942. 30 Karl Korsch, „The Structure and Practice of Totalitarianism“, in: New Essays, Heft 2/1942. Das besprochene Buch, Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism, erschien 1944 in New York. Der Autor, Franz Neumann (1900–1956), Jurist und Politologe, arbeitete bis zu seiner Verhaftung 1933 als Anwalt und Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin. Nach seiner Freilassung ging er ins Exil nach London, 1936 nach New York. Dort wurde er Mitarbeiter des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung, später Professor für Politikwissenschaft an der Columbia University. 31 Das ist das Drehbuch zu dem Film Hangmen Also Die, das Brecht zusammen mit John Wexley

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sere Sache von Ihnen.32 Der Jahrgang war aber zum Kaufen fuer mich zu teuer und ist fuer mich hier leihweise schwer zu kriegen. Ich lebe ja in Boston nicht viel weltzugewandter als seinerzeit in Svendborg. Es ist aber im Grunde nicht eine „Isolierung“; der wirkliche Haken ist, dass man in einem Lande lebt, wo die Menschen – aehnlich wie manche Primitive – ihre geistige Reife frueher, und darum (oder: weil) auf einem niedrigeren Nivo, erreichen. Sie kommen daher solchen Kulturvoelkern wie uns und den Chinesen oft wie Unmuendige vor. Dies ist laengst nicht alles, aber alles fuer heute. Ihr alter KK Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 2098/2–3. – E: Korsch, Briefe, S. 1050ff.

Erwin Piscator An Bertolt Brecht [New York] 1.12.1942 December 1st 1942 Dear Brecht: Miss Berlau told me you needed a letter to come here to New York after Christmas.33 Is the enclosed letter alright? Otherwise, write me (in this case I’m sure you will write) what you do need. As a matter of fact, I have a lot of things to discuss with you, which I think you will be interested in. Please forward the enclosed letter to Mr. Gorelik, and tell him to send me his address. With best regards to you and your family, Yours, Erwin Piscator. EP: EJS34 Enclosures. schrieb. Dieser sorgte indessen dafür, daß Brechts Name in den Filmcredits später nicht auftauchte. Vgl. Gersch, Film bei Brecht, 200–217, und Lyon, Brecht in America, 58–71. 32 In New Directions in Prose and Poetry (New York) erschien 1941 die Mutter Courage in der Übersetzung von Hays (vgl. dessen Brief vom Feb. 1941). 33 Brecht hatte Ruth Berlau versprochen, sie spätestens im Januar 1943 in New York besuchen zu kommen (vgl. B. an Berlau, 2.11.1942, GBA 29, S. 255). Seitdem die USA in den Krieg eingetreten waren, durften Ausländer aus Feindstaaten sich ohne Genehmigung nicht weiter als fünf Meilen von ihrem Wohnsitz entfernen. Um eine solche Genehmigung zu bekommen, benötigte Brecht die beigefügte Einladung Piscators. Seine Reise nach New York trat er am 8.2.1943 an. 34 Evalyn J. Strinati, Piscators Sekretärin.

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Mr. Bertold Brecht 1063 26th Street Santa Monica, California [Anlage:] Dear Mr. Brecht: The Studio Theatre considers your play “The Good Woman of Sezuan” for a performance in January.35 But, it is necessary to have you here to discuss changes in the play and participate in the translation, which must be done to your satisfaction. The Dramatic Workshop is also preparing a lecture for you – at the same time. The title is “What is the Theatre Doing to Help Win the War?” This lecture has to be discussed also. Could you let me know, as soon as possible, when I may expect you? Sincerely yours, Erwin Piscator. Überlieferung: TsD, ML/SIU. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 311f.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Boston, 3.12.1942 Boston, 12/3/42 337 Charles St. lieber B.B., ich schicke Ihnen heute das Material fuer das epische Melodram Good-bye, Toni Jo.36 Ferner moechte ich Ihnen ein kleines Buch ueber moderne „Propaganda“ empfehlen, das mir in seiner Art ein Klassiker zu sein scheint, vergleichbar mit Machiavelli’s Buch ueber den – damals noch – modernen „Staat“.37 Es ist Sidney Rogerson’s Propaganda in the next war, erschienen in der Serie von Kriegsbuechern, die vor dem Kriege von Captain Liddell Hart in England herausgegeben wurden38 und wegen ihres „defensiven“ Geistes 35 Die Aufführung kam anscheinend nicht zustande. 36 Toni Jo Henry, d.i. Annie Beatrice McQuiston (1916–1942), war wegen Mordes an Joseph P. Calloway zum Tode verurteilt und am 28.11.1942 in Louisiana durch den elektrischen Stuhl hingerichtet worden. Einer Legende zufolge soll der Henker ihr unmittelbar vor der Hinrichtung die Worte „Goodbye, Toni Jo“ gesagt haben. Das von Korsch angekündigte Material ist nicht überliefert. Pläne Brechts für ein solches „episches Melodram“ konnten nicht ermittelt werden. 37 Das 1513 verfaßte Buch über den Fürsten (Il Principe) von Niccolò Machiavelli (1469–1527) wurde postum 1532 veröffentlicht. 38 Das Buch Propaganda in the Next War des britischen Offiziers Sidney Rogerson war 1938 in der von dem englischen Militärhistoriker Captain Liddell Hart (1895–1970) herausgegebenen Serie The Next War erschienen.

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heute als ueberholt gelten, aber vielleicht in der deutschen Defensive von 1943/44/45 usw. noch eine unerwartete Bestaetigung finden werden. Geoffrey Bles, London 1938, – pp 188. Obwohl es keinerlei „Geheimnisse“ ausplaudert und die eigentlichen Raffiniertheiten der englischen Propaganda in den U.S. erst von 38 an in grossem Stil entwickelt wurden, ist dieses Buch hier im Osten so gut wie unterdrueckt, wird zum Beispiel in der beruehmten Widener Library von Harvard nicht verliehen sondern mit den erotischen und andern „gefaehrlichen“ Buechern im „Treasury Room“ aufgehoben. Es ist dieselbe Reaktion wie die, die Voltaire charakterisierte, als er ueber den „Anti-Machiavell“ Friedrichs II39 sagte: „If Machiavelli had had a prince for disciple, the first thing he would have recommended him to do would have been to write a book against Machiavellism.”40 Abgesehen von anderm werden Sie in dem Buch auch einige nette Beispiele fuer Tu-I41 finden. Sie werden wohl Langerhans’ Implications of the Allied Counterblitz gekriegt haben42 – wenn nicht, kann ich Ihnen eine Kopie schicken. Wenn man nur von Ihrem Prinzip ausgeht, alles was die Institutsleute fuer „verrueckt“ erklaeren interessant zu finden, so ist dies wieder ein sehr interessantes Werk.43 Es zeigt alle positiven und negativen Zuege von L.’ Gedanken in grellster Beleuchtung. Die Darstellung der abgeschlossenen Phase pp. 1-2 und einiger neuer Entwicklungen in der Industrie sind zwar nicht so neu wie die Verf. denken, (sie sind „neu“ nur fuer Politiker und Literaten!), legen aber die emphasis auf wichtige Punkte. Die Formulierungen sind auch hier schon etwas ueberhitzt – z.B. wuerde ich, wo L. vom „Ende der Maschine“ spricht (p. 5), nur vom Ende der power machine in ihren drei historischen Formen als steam power, elektrischer dynamo und heutige internal combustion engine sprechen, und auch das waere schon weit vorausgreifend. Aber die ganze darauf gestuetzte Perspektive und Aktionslosung (fuer die von den totalitaeren Faschisten unterschiedenen „activists of total mobilization“, „the new constructors on the march“, kurz die Partei Langerhans plus „Friedmann“44 scheint mir ueberall phantastisch und auf keinerlei empirische Argumente gestuetzt. Dies verraet sich schon in den 39 Die Schrift Anti-Machiavel, ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel hatte Friedrich noch als Kronprinz von Preußen verfaßt. 1740, im Jahr seines Regierungsantritts, ließ der von ihm sehr verehrte Voltaire, mit dem er seit kurzem in Kontakt stand, sie anonym in Den Haag erscheinen. 40 Das Zitat entstammt den Mémoires: „Si Machiavel avait eu un prince pour disciple, la première chose qu’il lui eût recommandée aurait été d’écrire contre lui” (Voltaire, Œuvres Complètes, Band 1, Paris 1878, S. 235). 41 Der Tui-Roman. 42 Dieser Aufsatz von Heinz Langerhans und Leo Friedmann über die Offensive der Alliierten in Nord­ afrika ist nicht überliefert. Ob Brecht ihn erhalten hat, konnte nicht belegt werden. 43 Über Langerhans’ Manuskript „How to overcome totalitarianism“ (vgl. Anm. zu Korsch, 18.11.1942) schrieb Brecht, er habe es „mit großen Interesse gelesen, besonders nachdem Weil und das Institut es ‚einfach verrückt‘ nannten“ (B. an Korsch, Oktober 1942, GBA 29, S. 254). Gemeint sind Felix Weil und das von ihm gegründete Frankfurter Institut für Sozialforschung, dessen wichtigste Mitarbeiter inzwischen in Kalifornien lebten. 44 Leo Friedmann benutzte das Pseudonym L.J. Manfred.

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starken Worten: turning point more fundamental than all preceding turning points – an entirely new scale – an entirely new level of action, nothing like the chemical warfare of the first w.w. (der in Wirklichkeit bisher noch nicht einmal wieder erreicht worden ist, siehe Giftgase!) – alle diese starken Worte erscheinen in Saetzen mit einem aeusserst schwaechlichen „may“, zu dem der Leser gut tut, jedesmal „or may not“ hinzuzufuegen was den logischen Sinn dieser Saetze gar nicht, aber ihren gefuehlsmaessigen Eindruck stark veraendert. Ganz mystisch wirkt die Behandlung des „chemischen“, „biochemischen“, „bakteriologischen“ Kriegs, mit dessen Techniken angeblich die Nazi leadership „particularly familiar“ sein soll (p. 7, wo sogar fuer „the totality of the biochemical technics“ solches behauptet wird). Diese ganz prosaischen Dinge werden aufgeblaeht zu der Organisation einer „Naturkatastrophe“ (4-6), eines „collective suicide“ (7). Die vegetarische Lebensweise Hitlers zu dem Leben einer neuen Elite in einer Huxley’schen Brave New World45 pp. 7-8. (Hier ist der Uebergang von Prosa zu Poesie besonders frappierend – Was wuerden L. und F. von den Formeln und Plaenen der U.S. „nutrition“-Spezialisten sagen, wenn sie etwas davon wuessten?) Den so aufgeblaehten Massnahmen werden zauberhafte (magische) Wirkungen zugeschrieben, nicht nur die Ueberwindung aller Schwierigkeiten(7) und die Abwendung des sonst jetzt bereits unvermeidlichen Zusammenbruchs als Folge einer „Niederlage in Nordafrika“ (4), sondern auch die Abschaffung von „allem was Krieg genannt werden kann“ (5), die Abschaffung aller (nicht nur aller bisherigen) Herrschaftsformen, speziellen Kontrollen und disziplinaeren Kraeften (6 u. 7 unten) und die sofortige Beseitigung des Mangels an Rohstoffen und der Notwendigkeit von „foreign“ workers fuer die deutsche Kriegswirtschaft (7, Mitte). – Wie massvoll erscheint, gegen diese Mythologie, Lenins Mythus von den Wirkungen von „electrification plus Soviets“46, mit dem ich Langerhans’ Stellung schon bei der ersten Bekanntschaft 1939 verglichen habe!47 Das Schlimmste ist, dass der Eintritt oder Nichteintritt all dieser Massnahmen samt ihren Wirkungen von dem Willen der gegenwaertigen Nazifuehrerschaft abhaengig gemacht wird (4 Mitte und 6 ff.), besonders schoen in dem Zitat aus Hitlers letzter Bierhallenrede vom 9. Nov. 42 auf p. 6. Die einzige Aktivitaet der Partei Langerhans-Friedmann besteht in einer ‚participation‘ an dieser nach ihrer Hoffnung den Faschisten durch ihre Lage aufgedraengten „Desperado“-Politik verbunden mit einer nur dem Wunsche nach geklaerten sonst ueberaus vagen Aufspaltung dieser Aktion in eine objektive Aufschliessung aller ‚fields of material operations in modern production‘ und ihren (von der Partei be­kaempf­ten) subjektiven Missbrauch fuer die Aufrechterhaltung alter und Begruendung neuer politischer Herrschaftsverhaeltnisse. Ein Unterschied dieses Plans von der inzwischen 45 Vgl. dazu den Journaleintrag vom 13.8.1942, GBA 27, S. 119f. 46 Diese Formel prägte Lenin auf dem VIII. Gesamtrussischen Sowjetkongreß 1920: „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ (W.I. Lenin, Werke, Bd. 31, Berlin 1959, S. 513). 47 Gemeint sind Langerhans’ „Theses on the War“ von 1939. Vgl. Korschs Brief an Paul Mattick, 4.1.1940, Briefe, S. 835ff.

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historisch widerlegten Strategie des revolutionaeren und evolutionaeren Marxismus besteht darin ist schwer zu entdecken. Er besteht, wie L. bei andern Gelegenheiten gesagt hat, darin, dass fuer Marx und alle Marxisten der auf den Konflikt zwischen Produktivkraeften und Produktionsverhaeltnissen gegruendete Kampf des Klassenkampf des Proletariats in seiner ersten (noch nationalen) Phase ein politischer Kampf bleiben sollte. Er war dafuer aber auch ein Kampf gegen die herrschende Klasse, wenn er auch in der Praxis immer und ueberall zu einem national sozialistischen Kampf gegen auslaendische Kapitalsgruppen und gegen Fraktionen der eigenen Bourgeoisie entartet ist. Bei L. kann ich nichts Konkreteres entdecken als Desinteressiertheit (8) an der Schaffung einer neuen buerokratischen Hierarchie, gegen Terrorismus, gegen „besondere Apparate“ (wiederum alte Inventarstuecke der Marx-Leninschen Mythologie der Revolution, bei ihnen aber als Mittel zur Organisation von Klassen und Klassenkampf gebraucht, bei L. fuer sich allein stehend, als blosse Modifikationen einer sonst frisch frei froehlichen ‚participation‘ am Hineinwachsen in die klassenlose und staatenlose Gesellschaft). Hiermit koennte meine kritische Analyse schliessen. Ich muss aber noch darauf hinweisen, wie sehr grade in diesem neuesten Stueck L.’s ganze Denk- und Sprechweise eine blosse Widerspiegelung klassenfeindlicher Propaganda darstellt. Er wiederholt mit und ohne Anfuehrungszeichen (p. 6, l. 1-2; p. 8, l. 9 & l. 15; etc.) was er zunaechst als Zitat von Banse, 1933(!)48 auf p. 4 eingefuehrt hat. Dies ist die einzige „specific reason“ fuer die ganze kuehne Prophezeiung, die p. 1 unten zuerst aufgestellt und nachher unaufhoerlich wiederholt wird – es sei denn, dass man die Phrase aus Hitler’s Bierhallenrede 1942 als weitere „specific reason“ betrachten will. Die ganze Eroerterung dieses moeglichen Auswegs dient also objektiv der Hitlerschen Kriegspropaganda. Zugleich spiegelt aber der Umstand, dass dieser kosmisch-katastrophale Ausweg als der einzige nach einer Niederlage in Nordafrika fuer die Nazis noch offene Weg dargestellt wird, eine ebenso starke Abhaengigkeit von der gegenwaertigen US Propaganda wieder. L. antizipiert, wiederum ohne spezifische empirische Begruendung, nicht nur die Wahrscheinlichkeit des vollen Erfolgs der nordafrikanischen Aktion (von der er, als er schrieb, nur die ersten inzwischen schon als uebertrieben erwiesenen Berichte der US Propagandisten kannte), sondern auch schon eine erwiesene „world-wide equality of everywhere accepted Blitzkrieg tactics“ und „an invasion of Europe from the west by forces superior in number“ (7). Er bringt es fertig, gleichzeitig der nazistischen und der United Nations Propaganda zum Opfer zu fallen. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; Teilnachlaß Heinz Langerhans (bei Michael Buckmiller, Hannover). – Dv: Kopie, BBA Z 34/50–51. – E: Korsch, Briefe, S. 1053ff.

48 Vermutlich das 1933 in Leipzig erschienene Buch Wehrwissenschaft. Einführung in eine neue Wissenschaft des Geographen Ewald Banse (1883–1953).

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Elisabeth Bergner an Bertolt Brecht New York, 26.12.1942 SA 451 50 nl = new york 26 bert brecht 1063 26 st sm =.

942 dec 26 pm ii 24

unfortunately received letter too late49 to function in time but wired ruth immediately am waiting for her call now. dont worry she will receive all your attention although belated. please note new address 14 East 75. am not allowed to wire christmas greetings therefore only aurevoir and love to all = elisabeth =. Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 1797/3.

Dune Finne an Bertolt Brecht 29.12.1942 29th of Dec 42 Mein lieber Herr Brecht, ich bin mit einer Grippe im Bett, seit Wochen schon. Das hat den praktischen Fortschritt am Stück „delayed“. Aber die Adapter haben indessen eben eine neue Version geliefert, die ich Ihnen in 2–3 Tagen schicken werde, sowie ich mehr als eine Kopie habe. Es ist manches besser geworden, lässt aber noch viel zu wünschen übrig. Wenn Sie nur vierzehn Tage Zeit hätten, hierzusein u. ein wenig mitzutun, wäre dem Stück u. uns allen geholfen. Wie wäre das? Das neue Jahr soll Ihnen Gutes u. Erfreuliches bringen! Mit den herzlichsten Wünschen u. Grüßen für Sie, Helli u. Familie Ihr Dune Finne

49 Ende Dezember 1942 schrieb Brecht an Berlau: „Und Bergner erhielt meinen Brief für Dich nicht, weil sie, scheint’s umgezogen ist“ (GBA 29, S. 258). Der Brief, bei dem es sich um den im Telegramm erwähnten handeln könnte, ist nicht überliefert.

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P.S. Wir sahen Frau Berlau an einem der letzten Abende. Sie sieht ja großartig aus. Das schöne Gesicht fast etwas zu dick. Sie war wunderbar beglückt mit Ihrer message. Das war schön. – Bitte bitte sagen Sie Homolka, daß ich krank war – ich schreib ihm in den nächsten Tagen. Überlieferung: Ms, BBA 211/8–9.

Briefe an Bertolt Brecht, 1943

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Mary Baker an Bertolt Brecht Hollywood, 11.1.1943 January 11, 1943 Mr. Bertolt Brecht 817 - 25th Street Santa Monica, Calif. Dear Mr. Brecht: After you left the office, Ann Roth of the Screen Writers’ Guild1, telephoned me to say that there must be some misunderstanding on your part, because you are not an associate member of the Screen Writers’ Guild. She said you might be confused because at one time you did fill out a questionnaire toward that end – – and probably assumed that by filling this out you became a member. However, that is not the case. Miss Roth assured me – – and asked me please to assure you – – that the Guild would be glad to arbitrate the case and that the fact that you are not a member will in no way influence the opinion of the Guild in deciding your credit status on THE UNCONQUERED.2 It is possible for you to become an associate member of the Guild. I suggest that you contact Miss Ann Roth, its Executive Secretary, and find out from her the procedure that you must follow in order to become a member. Very best regards. Sincerely, Mary Baker Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Sam Jaffe Agency 8555 Sunset Boulevard Hollywood, California Telephone Crestview 6-6121 Office of Mary Baker; BBA 3051.

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1921 in Hollywood gegründete Vereinigung von Drehbuchautoren (ging 1951 in der Writers Guild of America auf). Brecht wandte sich an die Screen Writers Guild, um einen Anspruch auf die Nennung seines Namens als Drehbuchautor im Vorspann des Films Hangmen Also Die (vgl. Anm. zu Korsch, 18.11.1942) zu erwirken, an dessen Story er maßgeblich mitgearbeitet hatte. Regisseur Fritz Lang und Hanns Eisler unterstützten ihn dabei. Das Schiedsgericht der Guild gab indessen dem Produzenten Arnold Pressburger und dem Autor John Wexley recht. Vgl. den Journaleintrag vom 20.1.1943, GBA 27, S. 148. Einer von mehreren Arbeitstiteln des Films Hangmen Also Die, die schließlich fallengelassen wurden. Vgl. Lyon, Brecht in America, S. 66.

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Karl Korsch an Bertolt Brecht Boston, 23.2.1943 Boston 2/23/433 Lieber bb Dies nur als erstes Lebenszeichen nach Abreise.4 Ich habe hier tüchtig gearbeitet und schicke Ihnen in den nächsten Tagen Durchschlag eines doppelt so langen aber zehnmal besseren Artikels über Geopolitik. Betrachten Sie die erste Fassung als erledigt, heben aber p. 1 mit den Literaturnachweisen auf, als Ergänzung zur 2. Fassung.5 Insofern hat also MacDonalds6 Dummheit eine gute Wirkung gehabt. Ich schrieb aber jetzt den Artikel nicht mehr für Partisan Review (die doch wieder Schwierigkeiten machen würde) sondern gleich für New Essays, die Anfang März herauskommen. Lassen Sie mich alle Ihre Pläne und Planänderungen wissen, damit ich dies mal zur richtigen Zeit kommen kann. Ich denke, es wird kurz nach dem 1. März, vielleicht Mitte nächster Woche sein. Ich kriegte einen sehr netten Brief von Steff,7 sehr erwachsen und kritisch gegenüber meiner unwissenschaftlichen Sprache – gut dass ich von Ihnen über seine logistischen Studien wusste. Meine Barbara8 muss in dieser Zeit öfter in New York sein – sie hat Ferien u. ihr boyfriend ist auch dort. Vielleicht können Sie sie mal mit den Escalones zusammen sehen, deren Adresse (531 W 122 St Apt D 42) ich zur Vorsicht noch einmal wiederhole. Ich bin gespannt ob Sie mit Langerhans zusammen waren, mit Wittfogel, u. mit welchen von den gemeinsamen Freunden?9 Walter Auerbach käme gewiß und sofort von Philadelphia nach New York herüber, wenn er wüsste dass er sie dort treffen kann. Seine Adresse: W.A. New Second St., Elkins Park Pa. Sollten Sie wider Erwarten mal für ein paar Tage, oder länger, nach Boston kommen, sodass Sie und Helli weitersehen und die ganze immerhin kultivierte Gegend hier besichtigen könnten, so wäre das natürlich besonders schön. Hier ist jetzt Frühling, heute fast schon Sommer, ausgebrochen. Ein Zimmer mit allem Zubehör steht hier auf Sie wartend.

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Im Ms irrtümlich: „42“. Brecht hatte sich mit Korsch am 14.2.1943 in New York getroffen. Vgl. den Journaleintrag vom selben Tag, GBA 27, S. 148. Das ist der Aufsatz „A Historical View of Geopolitics“ (erschienen in New Essays, Nr. 3/1943). Ein Durchschlag des Typoskripts befindet sich in Brechts Nachlaß. Der amerikanische Schriftsteller und Verleger Dwight Macdonald (1906–1982) war seit 1937 Herausgeber der Partisan Review. Vgl. dazu Korschs Antwort an Stefan Brecht vom 2.5.1943 in: Korsch, Briefe, S. 1064ff. Korschs Tochter Barbara. Vgl. den Journaleintrag vom 16.2.1943, GBA 27, S. 149.

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Meine Chancen auf baldige Naturalisierung sind jetzt besser geworden. Vielleicht habe ich in 2-3 Monaten mein erstes hearing, dann könnte ich es bis zum Oktober grade schaffen ... Grüssen Sie Ruth B.10 und wen Sie sonst passend treffen. Ich las jetzt, unter anderem, ein nur 22 Seiten langes herrliches Dokument, das Ihnen gewiß auch nützlich und angenehm zu lesen sein wird – eine Art Bibel des Pan-Asiatismus von dem universell gebildeten indischen Gelehrten Benoy Kumar Sarkar. Es war ursprünglich (1917) ein Vortrag, gehalten an einer US Universität, zirkulierte dann anscheinend in vielen Sprachen unter dem Titel The Futurism of Young Asia11, ist noch bzw. wieder sehr aktuell. Die beiden einzigen Ausgaben, die ich kriegen konnte, waren 1) eine englisch, die ↓ in Deutschland bei Julius Springer 1922 erschienen ist; 2) ein Neudruck davon in Calcutta, 1939.12 Die Kritik der westlichen Kultur pp 12 ff enthält viel Anregendes für Ihre Zwecke. Das Buch wird in der Public Library, 42th St. 5th Ave Ecke, wo man alles schnell und komfortabel in dem Lesesaal zu lesen kriegt, sicher zu haben sein. Ich werde, wenn ich wieder mal nach New York komme, auch versuchen, es antiquarisch zu erwerben. Dies abschläglich für heute. Weitere Briefe folgen – mit oder ohne Antwort Ihrerseits, obwohl das erstere stimulierend wirken würde. Ihr K K Überlieferung: Ms, Bv.: Wheaton College, Norton, Massachusetts Department of German (hs. durchgestrichen); BBA 1185/13–14. – E: Korsch, Briefe, S. 1062ff.

William Dieterle an Bertolt Brecht Hollywood, 16.3.1943 16. März 1943 Lieber Brecht: Das Stueck13 ist wunderbar! Von einer Einfachheit und Groesse, die unbeschreiblich ergreift und packt. Das Dynamische der Handlung scheint mir besonders geglueckt – wie das von Scene zu Scene sich aufbaut, um endlich den Gipfelpunkt im „trial“ des letzten Bildes 10 Ruth Berlau arbeitete in New York für das Office of War Information. 11 Der Band The Futurism of Asia and Other Essays on the Relations between the East and the West des indischen Sozialwissenschaftlers Benoy Kumar Sarkar (1887–1949) war bereits 1922 in Berlin erschienen. 12 Vermutlich The Sociology of Races, Cultures and Human Progress. Studies in the Relations between Asia and Eur-America, Kalkutta 1939. 13 Die Gesichte der Simone Machard. Vgl. dazu den nachfolgenden Brief von Feuchtwanger.

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zu finden! Die Traumscenen sind so schoen, dass ich mich nicht erinnere, etwas aehnliches je gelesen zu haben. Das Verschwimmen des am Tage zuvor Erlebten mit den Phantasien der Nacht ist ganz herrlich! Ich will Schluss machen, weil ich sonst noch mehr loben wuerde, und das wuerde kritiklos klingen; doch wenn Sie von New York zurueckkommen, werden wir noch darueber sprechen, und dann kann man auch ueber die zwei oder drei Einwaende sprechen. – Wie geht’s mit der dortigen Arbeit? Wann kommen Sie wieder? Bleiben Sie gesund, und vergessen Sie uns hier nicht. Herzlichst Ihr, Dieterle WILLIAM DIETERLE Mr. Bert Brecht 124 East 57th St. New York City Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: William Dieterle 3351 North Knoll Drive Hollywood 28, California; BBA 1185/15.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 27.3.1943 Lion Feuchtwanger 13827 Sunset Boulevard Pacific Palisades, Calif.

27. März 1943

Lieber Brecht, Hier haben Sie einen Bericht über das, was sich um Simone mittlerweile ereignet hat:14 1) Übersetzung: Nach einem gescheiterten Uebersetzungsversuch habe ich eine Rohübersetzung in Auftrag gegeben, von der jetzt sechs Szenen vorliegen und die uns leidlich erscheint und geeignet zur Vorlage. Sie ist nicht sehr teuer. Die fehlenden beiden Szenen sollen binnen etwa einer Woche geliefert werden. Ich denke, dass das Ganze, von Hilde15 und mir redigiert, 14 Eine erste Fassung des Stücks Die Gesichte der Simone Machard hatte Brecht in Zusammenarbeit mit Feuchtwanger im Februar 1943 fertiggestellt. Bevor er nach New York reiste, hatte er diesen ermächtigt, die Filmrechte an dem Stück in Hollywood zum Verkauf anzubieten, was zunächst ohne Erfolg blieb. Nach seiner Rückkehr nahm Brecht weitere Bearbeitungen vor. Die den erst postum erfolgenden Veröffentlichungen zugrundeliegende zweite Fassung (GBA 7, S. 117–180) entstand 1946. 15 Hilde Waldo, selbst aus Deutschland in die USA geflüchtet, arbeitete seit 1940 als Feuchtwangers Sekretärin.

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Mitte April in ein paar Exemplaren da ist. Eine anspruchsvollere Uebersetzung der ersten beiden Szenen, aber flüchtig vorläufig, hat gänzlich unverbindlich Dieterle herstellen lassen. Mir erscheint sie nicht schlecht: aber wir wollen erst mal abwarten, wieweit wir mit der zuerst erwähnten Rohübersetzung kommen. Ausserdem sind drei Szenen übersetzt von Mrs. Dacharry16, die Sie ja kennen; ich komme darauf später zu sprechen. 2) Urteile über die SIMONE und Vorschläge: Von unsern Freunden hier kennen das Stück Dieterle, Eisler, Homolka und Viertel. Aus den allgemein enthusiastischen Phrasen schälen sich langsam zwei Einwände heraus, die mir bedenkenswert erscheinen. Erstens lehnen alle den Wachtraum ab. Man findet, eine zu häufige Einschaltung des Traums werde monoton wirken, und mein Gegenargument, dass ja der Wachtraum wesenhaft unterschieden sei von den andern Träumen, scheint nicht recht zu ziehen. Ich fürchte, auf der praktischen Bühne wird sich erweisen, dass der Wachtraum gestrichen werden muss. Dann findet man, dass der Patron im letzten Teil zu sehr in den Hintergrund tritt. (Das findet natürlich vor allem Homolka.) Ich glaube aber, dass auch an diesem Einwand was ist. Vielleicht könnte man die Wandlung des Patrons, die endgültige Stellungnahme gegen Simone, dadurch etwas verschärfen, dass man ihm von Anfang an etwas stärkere persönliche Beziehungen zu Simone gibt. 3) Äussere Aussichten des Stückes: Angeregt von Helly kam Mrs. Dacharry zu mir und bat dringlich, ich möge ihr auf ein paar Tage ein Manuskript geben, man sei prinzipiell bei Columbia17 daran interessiert. Ich gab ihr das Manuskript. Sie schien mir besonderes Verständnis dafür zu haben, und der Story Editor18 von Columbia scheint wirklich lebhaftestes Interesse daran zu nehmen. Man will, wie mir mein Agent sagt, bei Columbia jetzt mehr vom Broadway erobern. Nun gibt es da einige technische Hindernisse, die sich auch bei Verhandlungen mit Goldwyn geltend machen werden. Der normalisierte Vertrag der Dramatists Guild sieht nämlich vor, dass ein Stück, dessen Filmrechte verkauft sind, ein Jahr lang nicht gespielt werden kann, oder dergleichen. Man wird um dieses Hindernis herumkommen, wenn man zum Beispiel die Filmrechte des von mir zu schreibenden Romans (an dem Sie ja den gleichen Anteil haben wie an den Filmrechten des Stückes) verkauft und daran die Bedingung knüpft, dass diese Filmrechte nicht ausgeübt werden können, ehe das Stück aufgeführt ist. Praktisch also würde ich Vertrag schliessen nur, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:

16 Brecht erwähnte den Namen in einem Journaleintrag vom 28.12.1941 (GBA 27, S. 40). Feuchtwangers Angaben zufolge arbeitete Frau Dacharry für Columbia Pictures. 17 Columbia Pictures, 1924 aus Cohn-Brandt-Cohn Film Sales hervorgegangene Filmproduktionsgesellschaft, neben Universal und United Artists eines der sogenannten Minor majors unter den Filmstudios Hollywoods. Feuchtwanger stand darüber hinaus auch mit Metro-Goldwyn-Mayer, der damals „größten Filmfirma der Welt“ (GBA 27, S. 27), in Verhandlungen. Vgl. dazu seine Briefe vom Februar 1944. 18 Für Literaturverfilmungen verantwortlicher Redakteur.

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a)

Ankauf der Filmrechte durch eine Gesellschaft bei Zahlung einer Grundsumme und Erhöhung dieser Summe bei Erfolg des Stückes beziehungsweise des Buches; b) Garantie der Aufführung dadurch, dass die Filmrechte nicht ausgeübt werden können, bevor die Aufführung stattgefunden hat; c) Vertragliche Sicherung Ihrer Mitwirkung an der Aufführung. Die Sache bei Columbia scheint nicht aussichtslos. Wir haben dort in Mrs. Dacharry jemand sitzen, der nicht so leicht Ruhe gibt, und auch der Story Editor schein[t] Ehrgeiz dareinzusetzen, das Stück durchzudrücken. Ich habe jetzt auch einen guten Agenten hier, William MORRIS, wie es scheint, eine sehr solide Agentur, die auch meine Sache mit Mittler wegen des Romans befriedigend erledigt hat. Sowie von Columbia oder Goldwyn greifbarere Vorschläge vorliegen, werden wir, glaube ich, durch diese Agentur, die auch in New York geschickte Vertreter haben soll, wirksam verhandeln können. Wie ich Sie kenne, werde ich von Ihnen so bald nichts zu hören bekommen. Sollten die Dinge, was nicht ausgeschlossen ist, eine rasche Erledigung verlangen, dann werde ich Ihnen depeschieren. Verschlampen Sie dann aber, bitte, nicht die Antwort. 4) Wegen Aufführungen des ‚Guten Menschen von Sezuan‘ beziehungsweise Buchpublikation19 habe ich zuerst ein langes Telegramm aus der Schweiz bekommen, vom EuropaVerlag, das folgendermassen lautete: Are German and French Book and Stagerights Brecht Sezuan available we wish get them. Cable immediately whether contract can be made with Lola = Europa-Verlag Zürich. (Es hat mir ziemliche Schwierigkeiten bereitet, da die Zensur allerlei geheimen Kram dahinter witterte.) Ich habe folgendes geantwortet: Lola Sernau-Humm20 authorized to make contract on requested copy and stage rights Brecht Sezuan Feuchtwanger

19 Zusammen mit Kurt Weill erstellte Brecht im Mai 1943 eine neue Fassung des Stücks für eine Aufführung am Broadway, die jedoch nicht zustande kam. Im Druck erschien Der gute Mensch von Sezuan erst 1953 in Heft 12 der Versuche im Suhrkamp Verlag. 20 Lola Humm-Sernau.

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Jetzt ist ein neues Telegramm21 gekommen, das ich Ihnen im Original beilege, und das ich nicht beantwortet habe. Auch hier gab es Zensurschwierigkeiten. Alles Herzliche Ihr feuchtwanger Anlage Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1183/28–30. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 55ff.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 6.4.1943 Lion Feuchtwanger 13827 Sunset Boulevard Pacific Palisades, Calif.

6. April 1943

Lieber Brecht, Ich denke, wir werden Mitte der nächsten Woche, das heisst so etwa um den 15. April, eine englische Rohfassung der SIMONE haben. Ich möchte dann ein Exemplar an meinen Agenten in London schicken, Curtis Brown, der zwei Mal Stücke von mir in London mit ausserordentlichem Erfolg untergebracht hat. Ich müsste ihm aber zu diesem Zweck vollkommen freie Hand lassen, sowohl in Bezug auf einen allenfalls für England zu wählenden Bearbeiter wie in Bezug auf einen zu wählenden Producer. Ich denke, er wird die Bearbeitung zunächst Ashel Dukes anbieten, der JUD SÜSS und die ursprüngliche Fassung von HASTINGS für London bearbeitet hat,22 und wahrscheinlich wird er auch die ausgezeichneten englischen Uebersetzer der Buchausgabe meiner Stücke mit einer endgültigen Uebersetzung betrauen, das Ehepaar Edwin Muir.23 Ich möchte nicht bei Curtis Brown auf umständliche Rückfragen drängen, nach meiner Erfahrung geht das nicht bei der jetzigen Langsamkeit der Korrespondenz. Wenn ernsthafte Zweifel bestehen, wird Curtis Brown sowieso kabeln. 21 Telegramm des Europa-Verlags an Wetcheek, d.i. Feuchtwanger (BBA 1183/27). Der Verlag bat darin um die Bestätigung Brechts, daß der Verlag Kurt Reiss keine Ansprüche auf den Guten Menschen von Sezuan erhebe. 22 Jud Süß. A Tragic Comedy in Five Scenes, eine auf Feuchtwangers Roman Jud Süß (1925) basierende Bühnenbearbeitung von Ashel Dukes, erschien 1929 in London. Dukes’ englischsprachige Bearbeitung von Feuchtwangers Drama Warren Hastings (1916; in einer zusammen mit Brecht erstellten Neufassung von 1927: Kalkutta, 4. Mai) blieb unveröffentlicht. 23 Edwin Muir (1887–1959), schottischer Schriftsteller und Übersetzer. Gemeinsam mit seiner Frau Willa Muir übersetzte er Feuchtwangers Romane Jud Süß und Die häßliche Herzogin (1923) ins Englische.

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Jahrgang 1943

Voraussetzung bleibt, wie gesagt, dass man Curtis Brown absolute Vollmacht überlässt. Es wäre also gut, wenn Sie Ihresteils mich bevollmächtigten, Verträge über das Stück für England und Great Britain (mit Ausnahme von Canada) abzuschliessen. Ich würde dann diese Vollmacht an Curtis Brown weitergeben. Bitte, verzögern Sies nicht, sondern schicken Sie mir mit zwei Sätzen, aber postwendend, Ihr Einverständnis. Alles Herzliche Ihr feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1183/26. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 58f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 15.4.1943 Dear Bert – Du weisst, dass ich alles tun möchte was Deiner wertvollen Arbeit im Allgemeinen und Dir im Besonderen nützt. Aber ich fühle mich ein wenig unwohl, wenn „same stranger“ mir erzählt, dass er Dein neues, letztes Stück 24 gelesen habe, es gut finde und mich fragt, was ich darüber denke. Ich denke – dass ich denken sollte – es ist undenkbar dass ich mir den Kopf zerbrechen soll – über Bert’s Stück, das vor 6 Jahren geschrieben wurde – ohne sein letztes zu kennen – und dass Andere mit einem Stück (Sezuan) hausieren gehen, das ich fast zu[r] Guild gebracht hätte, wenn Du ... u.s.w. ...25 Was denkst Du darüber? (Oder meinst Du, es sei unnötig zu fragen – facta loquu[n] tur26)? P. 15.4.43. Überlieferung: Ms, Bv.: Dramatic Workshop of the New School for Social Research 66 West 12th Street • New York City Telephone: ALonquin 4-2585 Erwin Piscator Director; BBA 1185/11–12. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 339f.

24 Vermutlich Die Gesichte der Simone Machard. 25 Vgl. Piscator, 23.9.1941 und Okt. 1941. 26 Lateinisch: Tatsachen sprechen für sich.

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Jahrgang 1943

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 18.4.1943 Lion Feuchtwanger 13827 Sunset Boulevard Pacific Palisades, Calif.

April 18, 1943

Lieber Brecht, Anbei das Manuskript der englischen Uebersetzung;27 sie ist natuerlich roh, wird aber von Amerikanern fuer lesbar und unterbreitbar erklärt. Bitte, seien Sie in Vorbesprechungenverhandlungen über allenfallsige Aufführungen des Stückes sehr vorsichtig, und sagen Sie nichts, was Sie irgendwie verpflichten könnte. Ich werde es hier ebenso halten, mich darauf berufend, dass ich nicht weiss, ‚how you feel in this matter.‘ Alles Herzliche Ihr feuchtwanger Manuskript [Hs.] Und kommen Sie bald. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 1185/16. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 59f.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [New York] 26.4.1943 Dear Mr. Brecht: Mr. Piscator’s film28 will be shown on Friday, April 30th at 8:30 p.m. in the New School Auditorium. As this film is being show for a very small group. I would appreciate your letting me know if you will definitely be present. Cordially. Evalyn Strinati Secretary to Mr. Piscator. 27 Gemeint ist die Übersetzung der Gesichte der Simone Machard. Eine englische Rohübersetzung mit dem Titel Simone hears voices findet sich in Brechts Nachlaß. 28 Piscator hat nur einen einzigen Film fertiggestellt: Der Aufstand der Fischer (vgl. Anm. zu Piscator, 1.8.1933). Es ist durchaus wahrscheinlich, daß dieser Film damals auch in New York gezeigt wurde. Eine Kopie immerhin konnte später dort ausfindig gemacht werden.

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Mr. Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York City Überlieferung: Ts, AdK: Erwin-Piscator-Center 863.

Barthold Fles an Bertolt Brecht 5.5.1943 May 5, 1943 Lieber Brecht, Ich habe vergebens versucht, Sie telefonisch zu erreichen. Heinrich Mann schreibt mir am 2. Mai, Flugpost, wie folgt: „Lieber Herr Fles, in Ihrem Brief vom 30. April wollen Sie einen Vorschlag berichtigen, aber der Vorschlag war mir ganz unbekannt. Ein frueherer Brief muss bei mir nicht angekommen sein.29 Ich kann nur sagen, dass ich nichts dagegen einwenden wuerde, dem Roman eine erzaehlende Form zu geben, nur muesste mir dann auch die Annahme vorher gesichert werden. Die Erzaehlung wuerde an der Sache nichts aendern. Wer diese kennt und billigt, kann mir einen Vertrag und eine Anzahlung geben. Sie haben sich mit der Uebertragung der Aenderungen viel Muehe gemacht, ich danke Ihnen. „Alt“30 werde ich gern lesen. Die besten Gruesse, Ihr H. Mann“31 29 Barthold Fles hatte Heinrich Mann den Vorschlag unterbreitet, dessen Roman Lidice (1942) in den USA zu publizieren und zu diesem Zweck die, wie er es nannte, „Drama-in-Roman-form“ zugunsten einer herkömmlichen Romanform zu ändern. Er berief sich dabei auf eine Einschätzung Brechts, der den Vorschlag in einem Gespräch mit Fles gutgeheißen hatte. Die irrtümliche Mitteilung, daß Brecht sich an der Umarbeitung des Romans beteiligen wolle – so Fles in einem Brief vom 28.4.1943, den Mann jedoch nicht erhalten hatte –, korrigierte er in dem erwähnten Brief vom 30.4. und bekräftigte indessen noch einmal seinen Vorschlag, daß Mann selbst den Roman überarbeiten solle. Vgl. Heinrich Mann, Briefwechsel mit Barthold Fles 1942–1949, hrsg. v. Madeleine Rietra, Berlin 1993, S. 48ff. 30 Heinrich Manns Kurzgeschichte Alt, von der Fles eine englische Übersetzung angefertigt hatte. 31 Vgl. Heinrich Mann, Briefwechsel mit Barthold Fles 1942–1949, S. 50f.

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Ich freue mich, dass Heinrich Mann den Vorschlag angenommen hat; und auch, dass mein vorletzter Brief nicht angekommen und daher fuer Sie keine Missverstaendnisse entstanden sind. Ergebenst, Ihr Überlieferung: Ts, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: Teilnachlaß Barthold Fles EB 89/21.

Barthold Fles an Bertolt Brecht 11.5.1943 May 11, 1943 Lieber Brecht: Der Ordnung halber, hierbei Kopie des letzten Heinrich Mann Briefes: „Auf Ihren vorigen Brief, der spaeter doch ankam, antworte ich nachtraeglich. „1.. (Ein Absatz ueber Knopf Verlag) „2. Die Umarbeitung von Lidice. Sie sagen es selbst: zuerst Vertrag und Anzahlung. Wenn Brecht, dem ich fuer seine Bemuehungen dankbar bin, das umgearbeitete MS lesen will, wird es mir ein Vergnuegen sein, und hoffentlich auch ihm. Sie selbst lesen es ohnehin. An der Scenenfolge ist wohl nichts mehr zu aendern; aber Sie oder Brecht finden vielleicht etwas. Ich hoere alles gern Mit besten Gruß, Ihr ...“32 Danke schoen fuer Ihr Interesse. Von Little, Brown noch keine Entscheidung. Anscheinend hat Heinrich Mann also vor, selber die Umarbeitung vorzunehmen, nachdem ein Vertrag vorliegt. Herzlichst, Ihr Überlieferung: Ts, hs.U.; Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek: Teilnachlaß Barthold Fles EB 89/21.

32 Vgl. H. Mann an Fles, 7.5.1943, in: Heinrich Mann, Briefwechsel mit Barthold Fles 1942–1949, S. 52f.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 23.5.1943 Wieland Herzfelde

307 East 17th St.

New York, N.Y.

May 23, 1943 Lieber Brecht, Mit diesen Zeilen will ich Dich nur an das erinnern, was Du fuer den Verlag33 tun wolltest: 1) Ein Manuskript-Stueck von Heinrich Mann im Umfang von 40 bis 50 Seiten aus dem „jungen Friedrich“ auszuwaehlen.34 2) Wegen Beitritt Bloch’s mit Viertel, Feuchtwanger oder Mann sprechen. 3) Mit Doeblin wegen Ueberlassung eines Manuskripts sprechen35 (Einmarsch nach Berlin, fällt Postbriefe). 4) Endgueltige Zusammenstellung Deines Baendchens.36 Bitte mache es möglich, das[s] ich das Manuskript noch im Juni bekomme. Ich will die einzelnen Baendchen zwar in Abstaenden von vier Wochen herausgeben, aber, weil es billiger ist, mehrere Baendchen auf einmal drucken. Feuchtwanger ist gleichfalls beigetreten und stellt Kurzgeschichten in Aussicht. Viertels Antwort steht noch aus. Ich bin froh darueber, dass Du hier warst, und moechte, dass Du bald wieder kommst. Herzlichst Dein, Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/39).

33 Vgl. Herzfelde, 31.7.1942. Das Nachfolgende bezieht sich vermutlich auf Gespräche, die er mit Brecht in New York geführt hatte. 34 Die Rede ist von Heinrich Manns erst postum 1958 veröffentlichtem Romanfragment Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen. Vgl. B. an Herzfelde, Juni 1943, GBA 29, S. 275. 35 In dem genannten Brief schlug Brecht vier Kapitel aus Döblins 1939 erschienenem Roman Bürger und Soldaten 1918 vor, dem ersten Teil der Tetralogie November 1918. 36 Der geplante Band Gedichte im Exil (vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f., dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938) kam nicht zustande. Statt dessen erschien im Aurora-Verlag 1945 eine auf 24 Szenen reduzierte Fassung von Furcht und Elend des III. Reiches.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York, Juni 1943] Lieber Brecht, mit Deinem Brief37 kam Viertel’s Antwort. Anbei Kopie unserer Antwort an ihn.38 Deine[r] Idee mit den deutschen Flugschriften39 stimmen wir zu – mit der Frage, ob Viertel der Leitung beitritt, scheint sie uns aber nicht im Zusammenhang zu stehen. Das Problem ist nur, wer, wenn nicht Du, kann sie schreiben! Und wer soll sich mit Th.40 darüber verständigen. Sie und Buzi.41 sind für Monate auf dem Lande. Uns scheint aber, man kann sich erst an sie wenden, wenn man zumindest Rohmanuscripte hat. Denkst Du Dir, das soll von hier aus gemacht werden, oder von Euch aus. Es scheint uns, ein Verlag ist dazu überhaupt nicht nötig. Eventuell könnte man, falls sich der Plan verwirklichen sollte, einen Band gesammelter Schriften herausgeben im Verlag der Tribüne oder irgend einem anderen Verlag. Wir glauben aber, dass Dein Plan unsere Pläne garnicht kreuzt. Und was den Stempel der Tribüne angeht – – unter welchem Namen wir auch immer produzieren, der Stempel stellt sich ganz von selber ein. Ihren Stempel verdankt sie sicherlich nicht zuletzt wiederholten Brecht-Abenden. Bitte vergiss nicht, Folgendes bald zu erledigen: 1) Manuskript von H. Mann auswählen. „ 2) von Döblin vermitteln.42 3) Richtig ist, es kam damals kein Geld ein. Das lag daran, dass wir mangels Briefpapier und Produktionsprogramm noch garnicht Geldwerbung begonnen hatten. Der einzige Beginn, die Gründung des Freundeskreises, war erfolgreich, nur haben wir den Freundeskreis noch nicht aktiviert und das für den Verlag eingegangene Geld ist für Veranstaltungen verwandt worden. 4) Du vermisst die Formulierung eines Programms. Es ist unklar, was Du darunter verstehst. Meinst Du ein Produktionsprogramm, so findest Du es in meinem letzten Brief. Es hat sich inzwischen erweitert:

37 Vgl. B. an Herzfelde, Anfang Juni 1943, GBA 29, S. 267f. 38 Nicht überliefert. 39 Brecht dachte dabei an „kleine Schriften, die wir per Flugzeug nach Deutschland gebracht haben wollen. (Die Bomber bringen Deutschland seine Literatur zurück.)“ (GBA 29, S. 267.) Was Herzfelde offenbar mißverstand, war, daß Brecht die Flugschriften nicht neben, sondern anstelle der geplanten Schriftenreihe zu drucken vorschlug. 40 Dorothy Thompson. 41 Hermann Budzislawski. 42 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.5.1943.

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hier ist es:

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1) Anthologie 2) Anna Seghers 3) Heinrich Mann 4) Brecht 5) Feuchtwanger (?) 6) Bruckner43 7) Döblin (?)

8) Waldinger 9) B. Viertel (?) 10) Zuckmayer (?) 11) Bloch 12) Weiskopf 13) Hilde Marx44 (?) 14) W.H.

Natürlich wird sich dieses Programm erschreckend rasch erweitern, wenn wir erst einmal an die Oeffentlichkeit getreten sind. Solltest Du unter Programm jedoch was anderes verstehen, etwa eine Art Prinzipienerklärung, so meinen wir, der Briefkopf und die Produktion sind Programm genug. Überlieferung: TsD, BBA Z 47/41.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 5.7.1943 5. Juli 1943 Lieber Bertolt, auf Deinen letzten Brief45 – den ich den Kollegen nicht zeigte – hätte ich längst geantwortet, wenn ich nicht Tag für Tag auf das Eintreffen des angekündigten „Beschlusses“ gewartet hätte.46 Aus einem Anruf Ruth’s schliesse ich, dass ein Brief von Dir mich nicht erreicht hat, in dem Du über Grosz schreibst.47 Ich habe Grosz sofort angerufen. Ihm ist eine Ausstellung in San Franzisco [sic] willkommen, aber er kann sie nicht selbst beliefern. Bitte lass dem Museum in San Franzisco ausrichten, es möge sich mit den Associated American Artists 711 Fifth Avenue N.Y.C. in Verbindung setzen und Vereinbarungen betreffend Zeit der Ausstellung, sowie Art und Anzahl der Bilder, die sie wollen, mit dieser Firma treffen.

43 44 45 46

Ferdinand Bruckner. Die Schriftstellerin Hilde Marx (1911–1986) ging 1937 ins Exil nach Prag, 1938 nach New York. Vgl. B. an Herzfelde, Juni 1943, GBA 29, S. 274f. Vermutlich der noch ausstehende Beschluß, daß Herzfelde die Namen Brecht, Feuchtwanger und Heinrich Mann auf den Briefkopf setzen dürfe. „Auf Beschlüsse“, meinte allerdings Brecht, „sollte es jetzt wahrhaftig nicht ankommen, die Lage ändert sich eben ständig“ (GBA 29, S. 275). 47 Ein solcher Brief ist nicht überliefert. Vgl. dazu B. an Berlau, 12.8.1943, GBA 29, S. 293f.

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Nun zu Deinem Brief. Ich gebe Dir durchaus recht, es wäre wünschenswert, wenn wir mit einer Sache hervortreten könnten, die aufhorchen macht, und mehr als eine lokale Wirkung hat. Das ist die „Tribüne“ nicht. Ich kann mir aber denken, dass sie, wenn nicht zum Sprungbrett, so doch zum Anknüpfungspunkt für eine solche Sache werden könnte. Liegen einige anständige Bändchen der „Schriftenreihe“ vor, so braucht man den Amerikanern nicht erst beweisen, dass Fähigkeit und Initiative vorhanden sind. Malik, das ist Unbekanntes oder graue Vergangenheit.48 Und mit Recht. Wir müssen Blueprints kommender Verlagsarbeit liefern, nicht Avantgarde mit graumeliertem Vollbart. So bescheiden der Start auch sein mag – Hauptsache, es riecht nicht nach Mottenkiste. Ich habe keine sentimentale Bindung an die reichlich zufällige Tribüne. Aber sie ist eine Realität. Nicht nur einige hundert Leser und Weitergeber, auch ein Reservoir von freiwilligen Helfern bei der unscheinbaren aber wichtigen Kleinarbeit, die ungemein wichtig ist, und die ich allein nicht leisten kann. Ja, wenn irgendwer 50 $ die Woche für meine Arbeit hergäbe, das wäre was ander[e]s, dann schliess ich meinen blöden Laden, laufe von Pontius zu Pilatus, gründe ein Comittee etc. und mach die ganze Arbeit noch dazu. Aber das ist vorläufig doch reine Illusion. Oder irre ich mich? Glaubst Du wirklich, die Mittel für einen Verlag (jetzt schon) aufbringen zu können, der das umfangreiche Programm, das Du skizzierst, ankündigen kann, ohne die Verwirklichung Jahr und Tag schuldig zu bleiben? Ich halte es für möglich, dass so etwas entsteht, wenn die ersten Veröffentlichungen Eindruck machen. So lange das Ganze aber als „hobby“ in meiner knappen Freizeit mit unzulänglichen Mitteln betrieben werden muss, sollte das Programm nicht zuviel versprechen. Als einzige Aussicht auf Geld erwähnst Du D. Th.49 Ich kenne sie nicht. Aber ich kenne Budzi.50 Mir scheint er ist hyper-vorsichtig. Falls sein Einfluss so erheblich ist, wie es den Eindruck macht, so muss man aus ihren Columns schliessen, dass Budzi’s Haltung unklar ist. Glaubst Du, er würde einen Plan, wie Du ihn entwirfst, unterstützen? Ich habe meine Zweifel. Mag sein, ich bin in dieser Hinsicht zu skeptisch – selbst dann würde man vor Herbst nicht einmal mit den ersten Besprechungen beginnen können. Und bei der Arbeitsüberlastung der beiden würde die Sache, wenn überhaupt, nur sehr langsam Gestalt annehmen. Ich sehe nicht ein, was es schaden kann, wenn in der Zwischenzeit schon ein bescheidener Anfang gemacht wird. Eher glaube ich, würde das Interesse dadurch geweckt. Nun zum Namen „Tribüne“. Ich habe den Verlag als mein persönliches Unternehmen eintragen lassen. Die hiesige Gruppe kann daher, selbst wenn die es unter Bruch der Ver48 Mit Herzfeldes Übersiedlung nach New York 1939 hatte der Malik-Verlag seinen Betrieb faktisch eingestellt. Die Svendborger Gedichte blieben die letzte Publikation. 49 Dorothy Thompson. 50 Hermann Budzislawski war damals Thompsons Mitarbeiter. Er schrieb u.a. Kolumnen für die Overseas News Agency, die 1940 von jüdischen Gruppen in New York gegründet worden war mit dem Ziel, Informationen über Nazideutschland zu publizieren.

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einbarungen mit mir, wollte, nichts ohne oder gegen mich tun. Der Name ist aber nicht „schlechter“ als irgend ein andrer Name, der mit mir, oder Graf, oder Dir, verknüpft ist. Ich schlage Dir daher – falls du inzwischen nicht wirklich Konkretes erreicht haben solltest – vor, es bei dem ursprünglichen Plan zu lassen, mit dem Ziel, ihn zu Deinem Plan, der eigentlich nur eine Weiterung ist, auszubauen, sobald die notwendigen Mittel dazu gefunden werden. Wogegen ich bin, ist: nichts zu tun. Es ist ja lächerlich, wieviel Zeit ich schon habe vergehen lassen. Irgend ein Fleiss51 ist unser verlegerisches Aktivum. Sehe ich das weiter untätig mit an, so muss ich mir selber vorwerfen, versagt zu haben. Du weisst, ich habe den ernsten Willen, trotz schwierigster persönlicher Umstände, das Meine zu tun, damit wir nicht den „appeasern“ von morgen alle Trümpfe lassen. Darum bitte ich Dich, hilf mir dabei. Kannst Du es auf die von Dir skizzierte wirksamere Weise, – wunderbar. Kannst Du es aber nicht, oder erst in einer unbestimmten Zukunft, so schädige nicht den, zugegeben, schmalspurigen Anfang, den ich gemacht habe, durch Zurückziehung Eurer Namen. Dafür sehe ich umsoweniger einen Grund, als Du ja nicht ablehnst, was wir planen, und Du nichts vorschlägst, was wir nicht machen wollen, falls Mittel und Kräfte ausreichen. Der Fall Viertel ist psychologischer Natur. Ich will dazu nichts weiter sagen, hier die Copie meines gleichzeit[i]gen Briefes an ihn. Sag ihm nicht, dass ich sie Dir schickte, es scheint, er versteht nicht, dass das für mich nur eine Arbeitsvereinfachung ist. Ich will nicht weiterarbeiten ohne Einverständnis mit Dir. Hoffentlich kommt es bald zustande. Herzlichst Dein Anlagen: Copie Brief an Viertel 52 " " von Anna. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA Z 47/42–43.

51 Im Ts: „Fles“ (Entzifferung unsicher). 52 Vermutlich Anna Seghers. Die Beilagen sind nicht überliefert.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York, Juli 1943]53 Lieber Brecht der Brief, dessen Copie Du Ruth sandtest,54 war längst hier und von mir beantwortet. Verloren gegangenen scheint nur ein Brief, in dem Du von Grosz schreibst.55 Was nun die Verlagssache angeht, so ist Dein und Viertels permanentes Schweigen auch eine Antwort. Ich hab die ganze Zeit noch darüber nachgedacht und schlage Folgendes vor: Der Verlag bekommt einen andern Namen, der Untertitel „Gemeinschaftsverlag“ bleibt allerdings. Und im Verlag wird u.a. eine Schriftenreihe der „Tr.“ erscheinen, [die] für die „Tribüne“ spezielle Propaganda macht. Auf die Weise bleibe ich den hiesig. Kollegen im Wort, sichere die Adressen und die Arbeitshilfe der Tribüne. (Vorausgesetzt, daß die einverstanden sind. Ich will darüber nicht erst sprechen, wenn Einverständnis unter uns besteht). Bleibt die Frage, wie soll der Verlag heißen. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich siehe folgende Gruppen von Namen A. solche, die deutsch und englisch gleich lauten B. deutsche, die ein Amerikaner verstehen kann C. Diverse andere INTERIM AVANTGARDE BLUEPRINT LOGOS PEGASUS VISION ARARAT QUO VADIS Georg Büchner Hutten Horizont Faust

53 Vermutlich ein Entwurf zu einem Brief, der nicht abgeschickt wurde. 54 Vgl. B. an Herzfelde, Juni 1943, GBA 29, S. 274f. 55 Vgl. Herzfelde, 5.7.1943.

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Das Fähnlein Die Asche G.F.D.S. G.D.S. Falls mit diesem Vorschlag Deine und Viertels Bedenken ausgeschaltet sind, laßt es mich bitte rasch wissen und einigt Euch auf einen Verlagsnamen. _________________________________________________________ Was mir am besten gefällt, hab ich unterstrichen, aber jeder andre, der Euch einfällt oder den Ihr unter den aufgeführten auswählt ist mir recht. ______________________________ Was die Produktion angeht, so bestehen da ja keine nennenswerten Meinungsverschiedenheiten. Es wäre viell. angebracht, daß der Verlag nicht mit der „Schriftenreihe der Tribüne“ allein anfängt, sondern zugleich etwas anderes ankündigt herausbringt. Das einfachste wäre: Neudruck der Bände I u. II Deiner Werke.56 (Übrigens ist es nicht nötig, die Publ. als Schriftenreihe als solche anzukündigen. Das Es genügt, wenn es in den Bändchen vermerkt ist und unter dem Tribünen-Publikum als Schriftenreihe propagiert wird. Überlieferung: Ms, BBA Z 47/44–46.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 28.7.1943 28. Juli 1943 Lieber Brecht: diese Copie meines heutigen Briefes an Viertel57 bedarf wohl keiner Ergänzungen. Nach Viertels Brief zu schliessen, hast Du Dich mit dem Namen „Tribüne“ ausgesöhnt, aber ich weiss, er gefällt Dir nicht, und so strengte ich mich an, dem Rechnung zu tragen. Bitte trefft jetzt die Entscheidung recht bald. Die „Flugschriften“58 werden von Tag zu Tag wichtiger. Wer aber soll sie schreiben? Hast Du die Zeit und erwünschte Mitarbeiter? Ich kaum – auch sind hier die meisten verreist. Dein Brief, dessen Kopie Du an R. sandtest, war längst von mir beantwortet worden. Ich habe dagegen seit über einem Monat nichts von Dir gehört.

56 Die 1938 im Malik-Verlag erschienen Gesammelten Werke. 57 Nicht überliefert. 58 Vgl. Anm. zu Herzfelde, Juni 1943.

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Anbei eine Erzählung von mir. Lass mich wissen, was Du davon hältst und gib sie bitte Viertel weiter. Hoffentlich können wir bald mit der Arbeit beginnen. Herzlichst Dein Anlagen: Couvert mit meiner Adresse Vogel Rock59 Überlieferung: Ts, BBA Z 47/47.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 11.8.1943 11. August 1943 Lieber Brecht: von Ruth erfahre ich, dass Du das Stück, das Dich so beansprucht hat, beendet hast und jetzt etwas mehr Zeit haben wirst.60 Da in 14 Tagen Labor Day61 ist, möchte ich bis dahin unbedingt startfähig sein. Umsomehr als das Tempo der europäischen Entwicklung sich so sehr beschleunigt hat. Ich bitte dich daher, das beigelegte Blatt gleich auszufüllen und in das beigefügte Couvert zu stecken. Ich weiss nach Beantwortung dieser Fragen wenigstens, was geklärt ist, und was noch nicht. (Beiseite: lies doch bitte die Erzählung und gibt sie Viertel und schreib mir, was Du davon hältst) Herzlichst Dein P.S. Ich sandte die Fragen auch an Viertel Fragen: 1) Hast Du meinen Brief vom 28. Juli erhalten?

2)

Willst Du es bei dem Namen „Tribüne“ lassen?



3)

Wenn nicht, welchen Namen schlagt Ihr vor?

59 Das ist Herzfeldes Erzählung Vogel Rock oder mein sechster Vater (im Druck erschienen in: W.H., Das steinerne Meer. Ungewöhnliche Begebenheiten, Leipzig 1955). Das beigefügte Typoskript ist nicht überliefert. 60 Vermutlich der Schweyk, dessen erste Fassung Brecht im Juni 1943 niederschrieb. Vgl. Anm. zu Piscator, 24.9.1943. 61 Gesetzlicher Feiertag in den USA seit 1894, jeweils am ersten Montag im September.

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4)

Habt Ihr Leonhard Frank und Döblin zum Mitmachen bewegen können?



5)

Wollt Ihr an Zuckmayer schreiben, oder soll ich es tun.

6)

Bist du damit einverstanden, dass statt „Literarische Leitung“ oder „Mitarbeiter“ garnichts vor die Namen gedruckt wird.



7)

Seid Ihr damit einverstanden, dass ich Graf und Bloch auffordere, mitzumachen?



8)

Sind Feuchtwanger und H. Mann mit den Verän[d]erungen einverstanden?

Überlieferung: Ts, BBA Z 47/49.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 25.8.1943 Wieland Herzfelde 307 East 17 th Str. N.Y.C.

25.8.43

Lieber Brecht: grade wollte ich Dir ein Telegramm schicken „Why don’t you answer“, da kommt ein Brief von Viertel, in dem er u.a. schreibt: „3. widerstrebt Brecht Bezeichnungen wie „Verlagsgemeinschaft“ oder „Deutscher Gemeinschaftsverlag“, u. zwar als Haupt- und Untertitel. Das gaebe den Tatbestand nicht richtig wieder. Ein Gemeinschaftsverlag – d.h. ein Verlag, in dem mehrere Autoren gemeinschaftlich verlegen, sei zunächst von Dir garnicht geplant, könnte sich aber aus diesem Beginn einer Schriftenreihe der „Tribüne“ entwickeln und dann auch so genannt werden; ich stimme zu.“ Ich kann nur annehmen, hier liegt ein Missverständnis vor. Denn von mir war und ist nichts anderes geplant. Darüber waren Du und ich uns hier völlig klar, und ich habe es in den verschiedenen Briefen an Viertel und Dich wiederholt betont, und begründet. Lass es mich nocheinmal klar sagen: verschiedene Autoren in New York wollten, gestuetzt auf die „Tribuene“ einen Verlag gründen, auf ihre Veranlassung führte ich Anfang Mai die Gründung durch, und gemeinsam mit Weiskopf und Waldinger war ich mit der Verlagsarbeit betraut worden. Da Du gerade hier warst, bat ich Dich 1) um ein Gedichtbändchen für die Schriften-Reihe 2) der Leitung des Verlags beizutreten, 3) die Ausgaben Deiner Werke bei dem Verlag fortzusetzen. Zu 1 und 2 hast Du Ja gesagt, 3 schien uns vorläufig nicht opportun. Ausserdem gabst Du mir den Rat, die Leitung zu erweitern.

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Ich schrieb daher an Feuchtwanger, H. Mann und Viertel. Nur Viertel hatte Einwendungen, und seit einem Vierteljahr versuche ich darüber hinwegzukommen. Viertels vorletzter Brief brachte diese Einigung bis auf 2 Punkte: 1) ob wir den Verlag Tribüne nennen sollten. (Ich überliess Euch die Entscheidung darüber und machte einige Vorschläge). 2) Ihr mögt „Literarische Leitung“ nicht, ich kann Eurem Gegenvorschlag „Autoren“ oder „Mitarbeiter“ nicht zustimmen. (daher schlug ich vor, garnichts vor die Namen zu setzen) Auf 1) antwortet Viertel nun, wir sollen überhaupt keinen Verlag machen, und zu 2) schlägt er wieder „Autoren“ vor. Und zwar auch in Deinem Namen. Ich muss also nochmals klar machen, warum ich beides für verfehlt halte. Zunächst zu 2): Die Bezeichnung „Autoren“ drueckt in keiner Weise aus, dass der Verlag kein „individ. Unternehmen“ ist. Eine Autorenliste auf dem Briefpapier wirkt als Reklame, noch dazu als ungeschickte, da eine Autorenliste sich ja oft ergänzt. Auch wuerde mit Recht jeder Autor sich beschweren, der nicht auf dem Briefpapier steht, – während es doch darauf ankommt, Namen beisammen zu haben, die zum Ansehen des Verlages beitragen. Um die Ueberbrückung unsrer Meinungsverschiedenheit zu erleichtern, mache ich folgende weitere Vorschläge: „Literarischer Ausschuss“, „Gründer“, „Präsidium“ „Leitendes Komitee“ „Leitender Ausschuss“ „Gründer-Gruppe“ Eine Organisation „Tribüne“ existiert juristisch nicht, selbst wenn wir Nun zu 1): nur die Schriftenreihe herausgeben (was nicht geplant ist), brauchen wir aus gesetzlichen Gründen, weil es sich um eine kaufmaennische Tätigkeit handelt, eine Firma, ebenso aus postalischen und steuertechnischen Gründen, ja, sogar um ein Bankkonto zu eröffnen. Und eine publishing Firma heisst nun einmal auf deutsch Verlag. Warum ich nicht wieder Unternehmer sein will, sondern nur als mit der Geschäftsführung betrauter Kollege arbeiten will, ist Dir bekannt. Ich will Euch verantwortlich sein, will aber auch, dass Ihr gemeinsam mit mir der Oeffentlichkeit gegenüber für den Verlag einsteht. Als wir uns hier sprachen, war mir das klar, und es war Dir recht. Auch mein Veto-Recht billigtest Du, da ich finanziell juristisch allein für den Verlag einzustehen bereit bin, um die Sache zu vereinfachen. Ich kann mir nicht denken, dass du Deine Ansichten inzwischen geändert haben solltest. Das wäre eine schwere Enttäuschung. Denn nicht nur aus sachlichen Gründen, auch aus persönlichen, lege ich auf Dich als zur gründenden Gruppe gehörend Wert.

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Bitte antworte auf diesen Brief klar und bald. So viele wertvolle Zeit ist bereits verstrichen, noch hoffe ich, nicht verloren gegangen. Herzliche Grüsse Dein Überlieferung: TsD, BBA Z 47/50–51.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [New York, Mitte August 1943]62 Juristisch ist nichts zu sagen, Moralisch Alles – Für meinen Teil habe ich Dir gegenüber in jeder Sekunde wie ein Freund gehandelt – ob ich Dir bei Deiner Einwanderung helfen konnte oder versuchte – Deine Stücke anzubringen – oder Dir hier das Theater zur Verfügung stellte63 – Wir treffen uns am 1. Tag hier in NY als Emigranten und Freunde – um uns „Guten Tag“ [zu] sagen – am letzten Tage Deines Hierseins verschwindest Du ohne Adieu zu sagen. Die Erklärung kommt bald: ein feiger, gewissenloser Betrug – eine Schweinerei, die man nur richtig bezeichnen kann – mit Brecht’scher Schweinerei. [Erg. am Rand: (Aufricht, ein alberner Nichtstuer, der in seinem Leben noch nichts geleistet hat – )] Noch fühle ich mich so beschämt und ohnmächtig, dass ich nicht recht weiss, wie dieser Schlag zu parieren – vielleicht ganz conservativ – mit einigen regulären Hieben, die den „Dichter“ von seinem amoralische[n] Olymp herunter bringen. Lump! P. oder willst Du Dein Verhalten entschuldigen mit den „Verhaeltnissen“? Wenn ein solcher Geist so abhängig ist – dass er diese Mittel gebraucht, wie soll der einfache Mensch handeln 62 Vermutlich ein Entwurf zu einem Brief, der nicht abgeschickt wurde. Am 12.8.1943 hatte Piscator einen Brief des amerikanischen Übersetzers Alfred Kreymborg (1883–1966) erhalten, in dem dieser ihm mitteilte, daß er eine von Brecht erarbeitete Bühnenfassung des Schwejk-Stoffs (vgl. Piscator, 1.8.1933) übersetze: „Meanwhile, I have to advise you in the frankest and friendliest spirit that Bertolt Brecht recently got in touch with me from California, as did his manager, Aufricht, with a view of getting me to translate the Brecht version of Schweik, with music to be composed by Kurt Weill. I received the finished script over last weekend and found it not only first rate but decidedly better than anything I could have done in an original form. It would have been foolish for me to compete with a man who knows Hitler Germany more intimately than I. I have therefore decided to go ahead with Brecht, Weill, and Aufricht, especially as the latter has obtained full American rights to Schweik from the author’s family“ (ML/SIU). Vgl. dazu Piscator, 24.9.1943. 63 Im Ms: „zur Verfügung zu stellte“.

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– mit Raub und Mord etwa? Und für was schreibst und arbeitest Du, wenn Du eine solche Achtung – oder besser Missachtung – vor den Mensche[n] hast? Schmutz kann nur Schmutz verbreiten. Das Positive in Deiner Arbeit wird durch Dein Handeln zu einer Lüge. Bedauerlicher Mensch, der so weit im persönlichen Leben von den Prinzipien abzugehen hat, die er predigt. Das ist kein Klassen- und kein Rassenkampf – das ist Brudermord, Diebstahl am Gastgeber und Freund au[s] der offene[n] Tasche. Überlieferung: Ms, Bv.: Dramatic Workshop of the New School for Social Research 66 West 12th Street • New York City Telephone: ALonquin 4-2585 Erwin Piscator Director; ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z 2/97–100. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 350f.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 22.9.1943 Wieland Herzfelde 307 East 17 th Str. N.Y.C.

22.9.43

Lieber Brecht. Wir warten ungeduldig auf Nachricht von Dir. Viertel schrieb am 1. Sept.: „Damit, hoffe ich, ist unsre Diskussion abgeschlossen, und die positive Arbeit am Verlag kann beginnen.“ Sie kann aber leider noch immer nicht beginnen, weil wir auf einen Brief von Dir, den Viertel ankündigte, warten. Viertel schreibt, er ist mit der Bezeichnung „Gründer“ einverstanden, und Du auch. Ein wenig besser gefiele mir: „Gegründet von: ...“ ich nehme an, das ist Euch auch recht. Nicht so klar ist, wie Du über die Bezeichnung „Gemeinschafts-Verlag“ denkst. Viertel schreibt am Anfang seines Briefes, Du wehrst Dich immer noch gegen den Ausdruck ‚Verlags-Gemeinschaft‘, am Ende des selben Briefes schreibt er aber: „Ich glaube, nach einem heutigen Gespräch, dass B. sich mit Deinem Untertitel – Verlagsgemeinschaft – einverstanden erklären wird.“ Die Sache ist nicht so wichtig (Verlags-Gemeinschaft habe ich nie vorgeschlagen, denn das deutet eine finanzielle Zusammengehörigkeit an, sondern Gemeinschafts-Verlag, was bedeuten soll, dass die Bücher von Autoren verlegt werden sollen, die auf gemeinsamen Boden stehen). Vielleicht bilde ich mir diesen Unterschied nur ein, und was immer Dir am liebsten ist, akzeptiere ich. Mir kommt es ja nur darauf an, keinen Privat-Verlag zu machen. Bitte mach mit ein paar Zeilen klar, was Du endgültig bejahst. Was jetzt kommt, ist nicht so eilig, verschiebe bitte die Antwort auf den ersten Absatz nicht, falls du auf Folgendes nicht gleich antworten kannst. Wir sind der Meinung dass der Titel „Das elfte Jahr“ für die Anthologie nicht mehr gut ist. Bis sie erscheint, haben wir beinah das 12. Jahr, aber vielleicht auch das erste. Was hältst

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Du von dem Titel: „Aurora“? Mir gefällt er, da ein Schiff gleichen Namens, wie Du sicher weisst, sich in aehnlicher Zeit ausserordentlich bewährt hat.64 Die Liste der Autoren und Beiträge erhaltet ihr in einigen Tagen. Ich bin mit Arbeit überlastet, sonst hättet Ihr sie schon bekommen. Weiskopf und Waldi[n]ger sind dafür, Werfel in die Anthologie zu nehmen. Ich bin nicht unbedingt dagegen. Wie denkst Du darüber? Viertel schrieb: „Eine neue Idee, die mir besonders wichtig scheint, wird B. Dir selbst mitteilen; sie wurde auch mit H. Mann besprochen, der lebhaft zustimmte. Ich bin sehr gespannt.[“] Graf würde den Verlag mitgründen. Nur eine Bedingung: er soll nicht Tribüne heissen. Er schlägt vor: GEMEINSCHAFTS-VERLAG freier deutscher Schriftsteller Ich habe nichts dagegen. Was hältst Du davon. Mir wäre Graf nicht nur als Autor sondern als Hilfe wichtig, besonders beim Geld-Auftreiben im deutsch-amerikanischen Lager. Zuckmayer habe ich noch nicht erreicht. Schön, dass Döblin mitmacht. Es gäbe mehr zu schreiben, aber ich bin müde, auch weiss ich, dass Du überarbeitet bist. Trotzdem: steck ein paar Zeilen in das beigelegte Couvert, damit wir aufhören, auf der Stelle zu treten. Herzlichst Dein Überlieferung: TsD, BBA Z 47/52.

64 Ein Kanonenschuß des russischen Kriegsschiffs Aurora soll in der Nacht zum 25.10.1917 (nach gregorianischem Kalender der 7.11.) das Signal zur Erstürmung des Winterpalais in Petrograd gegeben haben. „Ob der Titel Aurora für dieses Bändchen gut ist“, meinte Brecht, „mußt Du selber besser beurteilen können. Ist es eine Morgenröte?“ (B. an Herzfelde, Ende Sept./Anfang Okt. 1943, GBA 29, S. 311.) „Aurora“ wurde schließlich als Name des Verlags gewählt, der erwähnte Gedichtband kam nicht zustande. 1947 aber erschien als letzte Publikation des Verlags, mit einem Geleitwort von Heinrich Mann, ein Lesebuch mit dem Titel Morgenröte, darin auch Brechts Gedicht An die deutschen Soldaten im Osten (GBA 15, S. 64–68).

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 24.9.1943

56 West 10th Street, New York, N.Y., September 24, 1943.

Dear Mr. Brecht, I was amazed to read in the newspapers an item that you, in collaboration with Kurt Weill, Mr. Alfred Kreymborg and Mr. Aufricht, were contemplating the production in the United States of “THE GOOD SOLDIER SCHWEIK”.65 As you know, I own rights in “THE GOOD SOLDIER SCHWEIK” and many months ago discussed with you a contemplated production of this in the United States. When I discussed this with you, you appeared very interested in working with me, so you can imagine my surprise and keen disappointment when I suddenly read about the announcement. I am writing this to give you fair notice of my rights in order to possibly avoid complications in the future which may be unpleasant. I shall be glad to discuss this with you and your collaborators in person at any time and wish to hear from you about it as soon as possible. Otherwise I shall reluctantly be compelled to turn this over to my attorneys with instructions to protect my rights fully. I am sending a copy of this letter to Mr. Weill, Mr. Kreymborg and Mr. Aufricht. Sincerely yours, Erwin Piscator Überlieferung: Ts, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z 2/101. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 355f.

65 Die erwähnte Zeitungsnotiz wurde nicht ermittelt. Piscator hatte aus einem Brief Kreymborgs vom 12.8.1943 (vgl. Anm. zu Piscator, August 1943) erfahren, daß Brecht zusammen mit dem Komponisten Weill, dem Produzenten Aufricht und dem Übersetzer Kreymborg – mit dem Piscator selbst sich zuvor an einer Schwejk-Bearbeitung versucht hatte – eine amerikanische Bühnenfassung des Stoffs vorbereitete. Brecht seinerseits hatte Ruth Berlau in einem Brief vom 30.6.1943 gebeten: „Aufricht soll Pis sagen, ich sei etwas verstimmt gewesen, daß er mich gar nicht mehr anrief, nachdem er mir angetragen hatte, ich solle eine Revue für eine projüdische Sache schreiben. Ich hätte aber immer betont, ich wollte für den ‚Schweyk‘ ihn haben, sei allerdings von Weill abhängig darin“ (GBA 29, S. 274). Sicher war für Brecht die Aussicht verlockend, mit einem ihm gut bekannten und auch in den USA sehr erfolgreichen Komponisten zusammenzuarbeiten, um selbst endlich Fuß zu fassen auf amerikanischen Bühnen. Im Mai 1943 besuchte er Weill in dessen Landhaus in New City (bei New York), und bereits im Juni lag eine erste Niederschrift des Schweyk vor. Das gemeinsame Vorhaben scheiterte indes nicht nur an Weills abnehmender Begeisterung für das Stück, zumal für Kreymborgs unzulängliche Übersetzung, sondern ebenso an Brechts mangelnder Bereitschaft, es für den Broadway zu „amerikanisieren“ (vgl. Mittenzwei, Brecht II, S. 95; dazu B. an Weill, 23.6.1943, GBA 29, S. 270f.). Nachdem Weill das Interesse verloren hatte, schrieb schließlich Eisler drei Lieder zu dem Stück. Zu der erhofften Aufführung am Broadway kam es nicht.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 22.10.1943 307 East 17th Street, N.Y.C.

22.X.43

Lieber Brecht alle sind hier mit „Aurora-Verlag“, gegründet von....... einverstanden.66 Ich nehme an, Viertel (dem ich von dem Namen bereits berichtete) H. Mann, Feuchtwanger, Döblin, sind einverstanden. An Zuckmayer und Döblin schreibe ich dieser Tage. Der Titel 191867 macht den Verkauf schwierig, fürchte ich. Zu den Gedichten: Anbei Inhaltsverzeichnis. Kreuze bitte an, was Du nicht kennst, Du erhältst davon Copien. Schreib, was Du auslassen würdest. Vielleicht genügt als Titel „Deutsche Gedichte 1933-1943“ Weisst Du Namen, die fehlen? Zum Vorschlag „An die Kriegsgefangenen“.68 Wir sind begeistert davon. Könntest Du die Regie übernehmen? Vielleicht könnte H. Mann den Text schreiben? Oder denkst Du an ein Sammelbä[n]dchen? Dann schick uns bitte einen Plan. Wer was beisteuern soll. Zum Briefbogen: wir möchten die Vignette verwenden, die Du kennst. Sie hat dann gar keine Bedeutung. Umso besser. Einverstanden? Meinst Du, Werfel sollte in der Anthologie sein? Falls ja, wer könnte sich an ihn wenden? Zur Einleitung: ich glaube, H. Mann wäre nicht richtig für Gedichte.69 Für einen analogen Prosaband, der auf den Produktionsplan soll, sobald Geld für dickere Bände da ist, wäre er richtig. Ich denke der Verlag leitet ein. Wir arbeiten die Einleitung aus und senden sie Euch. Einverstanden. Falls Du oder Viertel sie schreiben wollt, ist es uns noch lieber. Anbei „Unverbindlicher Produktionsplan“. Bitte Stellungnahme, soweit Dir das in diesem frühen Stadium möglich erscheint. Vom Briefbogen erhältst Du Korrektur rechtzeitig. Ueber die Finanzierungspläne schreibe ich nächstens, auch über einiges andere. Bis dahin herzlichst Dein

66 Vgl. B. an Herzfelde, Ende September/Anfang Oktober 1943, GBA 29, S. 311. 67 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.5.1943. 68 „Mit H. Mann kamen wir auf den Gedanken, so schnell wie möglich ein Bändchen ‚An die Kriegsgefangenen‘ herauszubringen. Gedichte, Artikel usw.“ (B. an Herzfelde, a.a.O.) Die Publikation kam nicht zustande. 69 „Gut wäre es, wenn H. Mann ein Vorwort zu dem ersten Bändchen mit Lyrik schriebe“ (B. an Herzfelde, a.a.O.). Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943.

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Ps. Falls es Deine Antwort beschleunigen kann, mach auf diesen Brief Randbemerkungen und schickt ihn mir zurück. Ich lass ihn Dir (als Unterlage) wieder zugehen. Couvert anbei. 2 Anlagen70 Airmail Überlieferung: Ts, BBA Z 47/55.

Helene Weigel an Bertolt Brecht Santa Monica, 29.11.1943 Der Journalist Louis Paul Lochner habe sie angerufen, schreibt Weigel, und ihr von einem nichtssagenden Antwortbrief des finnischen Botschafters in den USA, Hjalmar Procopé, erzählt. Ebenso wie Weigel ist Lochner, Chef von Associated Press in Berlin, um die Freilassung von Hella Wuolijoki bemüht, die im Mai 1943 in Finnland verhaftet worden ist. Man bezichtigt sie der Spionage und des Verrats militärischer Geheimnisse an die Sowjetunion. Ein Freund Lochners aus dem Office of War Information habe in dieser Angelegenheit schon Kontakt zu dem republikanischen Politiker Wendell Willkie aufgenommen. Tags zuvor habe es eine Feierlichkeit zu Ehren des am 31. Oktober 1943 verstorbenen Max Reinhardt gegeben, bei der auch Fritz Kortner vorgetragen habe. Über Goldschmidts Film, dessen Arbeiten im kommenden Januar beginnen sollen, habe sie nichts Neues gehört. Bei diesem Filmprojekt handelt es sich laut Erdmut Wizisla wahrscheinlich um eine Bearbeitung der Lysistrate des Aristophanes, über die Brecht mit dem aus Österreich stammenden Filmproduzenten Isidor Goldschmidt (Goldsmith) von Columbia Pictures in Verhandlungen steht. Abschließend teilt Weigel die neuen Adressen von Karl Korsch in Boston und Dorothy Thomspon in Kew Gardens (Long Island) mit.

Überlieferung: Ts aus FBI-Akten. – E (zugleich Dv): Bertolt Brecht/Helene Weigel, Briefe, hrsg. v. Erdmut Wizisla, Berlin 2012, S. 186f. Das Original des hier wiedergegebenen Briefs ist verschollen; gleiches gilt für den folgenden. Erhalten geblieben ist lediglich eine aus der Postüberwachung durch das FBI resultierende englische Übersetzung.

70 Nicht überliefert.

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Helene Weigel an Bertolt Brecht Santa Monica, Dezember 1943 Mit dem Fall Hella Wuolijokis, schreibt Weigel, sei inzwischen auch das Vereinigte Antifaschistische Flüchtlingskomitee aus New York befaßt, mit dem Brecht sich in Verbindung setzen solle. Nachfolgend übermittelt sie zwei Erklärungen, die Wizisla zufolge auf Bitten Georg Brantings entstanden sind. In der ersten geht um einen Geldbetrag, den Margarete Steffin für ihre Übersetzung von Martin Andersen-Nexös Erinnerungen vom sowjetischen Staatsverlag zu erwarten gehabt habe. Das Geld habe ihr ein Herr Terentjew von der russischen Handelsvertretung – in Wirklichkeit Wassili Jakowlew, ein für Finnland zuständiger Offizier des NKWD – übergeben, der es seinerseits von Wuolijoki geliehen habe mit dem Versprechen, es baldmöglichst zurückzuzahlen. Bei dem Geld, das Wuolijoki von sowjetischer Seite erhalten hat, handle es sich demnach nur um die Rückzahlung einer Schuld, nicht um die Bezahlung für Spionagedienste. In der zweiten Erklärung ist von zahlreichen Abendessen die Rede, die Wuolijoki für finnische und russische Handelsvertreter arrangiert und oftmals auch das dafür nötige Geld vorgeschossen habe. Herr Terentjew schulde ihr daher noch einiges Geld für Wein, den sie gekauft habe. Tags zuvor habe sie, Weigel, das Gedicht Aurora (GBA 15, S. 84f.) noch einmal gelesen. Brecht solle ihr unbedingt mitteilen, was er gerade tue, das werde auch die Screen Writers’ Guild interessieren. Überlieferung: Ts aus FBI-Akten. – E (zugleich Dv): Bertolt Brecht/Helene Weigel, Briefe, hrsg. v. Erdmut Wizisla, Berlin 2012, S. 189f.

Gottfried Bermann Fischer71 an Bertolt Brecht New York, 2.12.1943 December 2, 1943 Mr. Bert Brecht 1063 22nd Street Santa Monica, Cal.

71 Gottfried Bermann Fischer (1897–1995), Arzt und Verleger, leitete seit 1928 den von seinem Schwiegervater Samuel Fischer gegründeten Verlag. Er ging 1936 ins Exil nach Wien, 1938 über Zürich nach Stockholm und 1940 nach New York. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Europa zurück, zunächst nach Stockholm und Amsterdam, ehe er 1950 in die Bundesrepublik übersiedelte.

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Lieber Bert Brecht, Sie wissen wahrscheinlich, dass wir im Begriffe sind eine Anthologie unter dem Titel HEART OF EUROPE72 herauszubringen. Das Buch enthaelt Beitraege von 160 Autoren aus 20 verschiedenen europaeischen Laendern. Klaus Mann, der Herausgeber der Anthologie, waehlte von Ihnen das in der Zeitschrift DECISION abgedruckte Gedicht „Yes, we live in a dark age“73, und erhielt dafuer die Erlaubnis der Zeitschrift. Wir, die Verleger, haben erst jetzt festgestellt, dass er seinerzeit versaeumt hat, auch ausdruecklich Ihre Erlaubnis einzuholen. Das Buch ist nun fertig gedruckt und erscheint am 15. Dezember. So bleibt mir nichts anderes uebrig als unseren Fehler reumuetig einzugestehen und Sie um Entschuldigung zu bitten, dass wir Sie erst jetzt verstaendigen. Ich hoffe, dass Sie unsere Entschuldigung acceptieren und uns Absolution erteilen. Einen Scheck ueber $10.- als Honorar fuer den Abdruck Ihres Gedichtes fuege ich bei. Ich wuerde mich sehr freuen recht bald von Ihnen ueber Ihr eigenes and Ihrer Familie Ergehen zu hoeren und gruesse Sie herzlich als Ihr GBermann Fischer L.B. Fischer Publishing Corp. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: L. B. Fischer Publishing Corp. 381 Fourth Avenue New York N.Y. […]; BBA 1183/3.

Kurt Weill an Bertolt Brecht Los Angeles, 5.12.1943 Weill bedauert, daß er Brecht vor dessen Abreise nach New York (am 19. November 1943) nicht noch einmal angetroffen habe. (Erst im März 1944 kehrt Brecht nach Santa Monica zurück.) Einiges von dem, was die beiden zuvor besprochen hätten, sei daher leider ungeklärt geblieben. Das betreffe zunächst die Arbeit an dem Stück Der gute Mensch von Sezuan, das Brecht in Zusammenarbeit mit Weill als musikalisches Drama am Broadway unterbringen möchte (vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.3.1943). Das auch von Brecht gewünschte Abkommen (vgl. B. an Weill, Dez. 1943, GBA 29, S. 319) sei bisher nicht zustande gekommen. Ohne Vertrag könne Weill keinen Übersetzer beauftragen. Dennoch wolle er in dieser Angelegenheit einmal den Schriftsteller und Theaterintendanten Moss Hart (1904–1961) kontaktieren, der gerade in Los Angeles sei. 72 Heart of Europe. An Anthology of Creative Writing in Europe 1920–1940, hrsg. von Klaus Mann und Hermann Kesten, New York 1943. 73 Eine englische Übersetzung des Gedichts An die Nachgeborenen (GBA 12, S. 85f.) war im Oktober 1941 in der von Klaus Mann herausgegebenen Exilzeitschrift Decision. A Review of Free Culture erschienen.

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Erst im Januar 1944 werden Brecht und Weill einen entsprechenden Vertrag darüber abschließen; für die Hauptrolle ist Weills Frau Lotte Lenya vorgesehen. Das Vorhaben wird jedoch nicht verwirklicht. Fraglich, fährt Weill fort, sei auch die Inszenierung des Schwejk. In der vorliegenden Fassung sei das Stück ungeeignet, und er rät Brecht davon ab, Arbeit und Zeit an ein Projekt zu verschwenden, das – Weills Ansicht nach – keine Aussicht auf Erfolg verspreche. Man brauche einen Autor vom Range eines Ben Hecht, um den Witz des Originals ins amerikanische Englisch zu übertragen. Er werde seinem Freund Hecht deswegen schreiben. Der Schwejk solle als „musical play“ konzipiert werden und Lotte Lenya darin die Rolle der Wirtin übernehmen. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 1185/85.

Thomas Mann an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 10.12.1943 Pacific Palisades, California 1550 San Remo Drive 10. XII. 43 Sehr geehrter Herr Brecht: Ihren Brief 74 habe ich aufmerksam gelesen. Lassen Sie mich folgendes darauf erwidern. Mitte November habe ich in New York in der Columbia University einen politischen Vortrag gehalten.75 Tausend Menschen haben mir zugehört, aber, grundsonderbar und wohl echt deutsch, nicht ein einziger der Herren, mit denen ich damals versuchsweise über die Einigung der deutschen Hitlergegner im Exil zu beraten habe, war darunter. Man hätte meinen sollen, daß wenigstens der Eine oder der Andere von ihnen sich für die öffentlich vorgetragenen politischen Gedanken eines Mannes interessieren würde, den sie für berufen halten, sogar für allein berufen halten, jene Einigung zustande zu bringen. Keiner war neugierig genug. Wäre aber nur einer dabei gewesen, so hätten Zweifel an meiner Gesinnung, wie Sie sie in Ihrem Briefe äussern, nicht aufkommen können. Ich habe in dem Vortrag zwar eingeräumt, dass eine gewisse Gesamthaftung des deutschen Volkes für das Geschehene und das, was noch geschehen wird, nicht von der Hand zu weisen sei. Denn irgendwie sei der Mensch und sei ein Volk verantwortlich für das, was es ist und tut. Dann aber habe ich nicht nur genau all die Argumente gegen die Gleichstellung von Deutsch und Nazistisch angeführt, die Sie in Ihrem Brief gebrauchen, sondern ich habe erklärt, Weisheit in der Behandlung des geschlagenen Gegners sei allein schon 74 Vgl. B. an Thomas Mann, 1.12.1943, GBA 29, S. 317f. 75 Die am 16.11.1943 gehalten Rede „The New Humanism“.

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geboten durch die schwere Mitschuld der Weltdemokratien an dem Aufkommen der faschistischen Diktaturen, an dem Heranwachsen ihrer Macht und an dem ganzen Unheil, das über Europa und die Welt gekommen sei. Ich habe mich über diese Mitschuld der kapitalistischen Demokratie in Wendungen geäussert, von denen ich kaum erwartet hatte, dass sie geduldig hingenommen, geschweige denn, wie es der Fall war, mit grossem Applaus aufgenommen werden würden. Sogar über die blödsinnige Panik der bürgerlichen Welt vor dem Kommunismus habe ich mich lustig gemacht, nicht nur in New York, sondern zuvor schon in Washington in der offiziellen Library of Congress. Ich habe gesagt, dass es uns deutschen Emigranten nicht zustehe, den Siegern von morgen Ratschläge zu geben, wie Deutschland zu behandeln sei, aber ich habe mich auf das liberale Amerika berufen und der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die gemeinsame Zukunft durch die Maßnahmen der Siegermächte nicht zu schwer belastet werden möge. Nicht Deutschland oder das deutsche Volk sei zu vernichten und zu sterilisieren, sondern zu zerstören sei die schuldbeladene Machtkombination von Junkern, Militär und Großindustrie, die für zwei Weltkriege die Verantwortung trage. Alle Hoffnung beruhe auf einer echten und reinigenden deutschen Revolution, die von den Siegern nicht etwa zu verhindern, sondern zu begünstigen und zu fördern sei. So ungefähr ging dieser Vortrag, und ich hoffe, Sie und Ihre Freunde entnehmen aus diesen Angaben, dass ich den Einfluss, den ich etwa in Amerika besitze, keineswegs dazu benutze, um die Zweifel an der „Existenz starker demokratischer Kräfte in Deutschland“ zu vermehren. Das alles hat aber gar nichts mit der Frage zu tun, die mich wochenlang so ernstlich beschäftigt hat, ob der Augenblick gekommen ist oder nicht, ein Free Germany Committee in Amerika zu konstituieren. Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass die Bildung einer solchen Körperschaft verfrüht wäre, nicht nur, weil Angehörige des State Department sie für verfrüht halten und jetzt nicht wünschen, sondern auch auf Grund eigener Ueberlegungen und Erfahrungen. Es ist eine Tatsache, und wenn ich mich recht erinnere wurde sie bei unserer letzten Zusammenkunft ausgesprochen, dass sobald Gerüchte von einem solchen deutschen Zusammenschluss an die Oeffentlichkeit drangen, Beunruhigung und Misstrauen bei den Exponenten der verschiedenen europäischen Nationen entstand und dass sofort die Parole ausgegeben wurde, der deutsche Ring, der sich da bilden wolle, müsse gesprengt werden. Tatsächlich besteht nicht nur die Gefahr, sondern wir hätten zweifellos damit zu rechnen, dass unser Zusammenschluss als ein nichts als patriotischer Versuch gedeutet werden würde, Deutschland vor den Folgen seiner Untaten zu schützen. Mit der Entschuldigung und Verteidigung Deutschlands und der Forderung einer „starken deutschen Demokratie“ würden wir uns in diesem Augenblick in einen gefährlichen Gegensatz bringen zu den Gefühlen der Völker, die unter dem Nazijoch schmachten und nahe dem Zugrundegehen sind. Es ist zu früh, deutsche Forderungen aufzustellen und an das Gefühl der Welt zu appel[l]ieren für eine Macht, die heute noch Europa in ihrer Gewalt hat und deren Fähigkeit zum Verbrechen keineswegs schon gebrochen ist. Schreckliches kann und wird wahrscheinlich noch geschehen, das wiederum das ganze Entsetzen der Welt vor

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diesem Volk hervorrufen wird, und wi[e] stehen wir da, wenn wir vor-zeitig Bürgschaft übernehmen für einen Sieg des Besseren und [H]öheren, das in ihm liegt, eine Bürgschaft, die, wenn dem deutschen Nationalismus die geringste Möglichkeit dazu gelassen wird ganz sicher schädlich zu schanden gemacht werden würde. Lassen Sie die militärische Niederlage Deutschlands sich vollziehen, lassen Sie die Stunde reifen, die den Deutschen erlaubt, abzurechnen mit den Verderbern, so gründlich, so erbarmungslos, wie die Welt es von unserem unrevolutionären Volk kaum zu erhoffen wagt, dann wird auch für uns hier draussen der Augenblick gekommen sein, zu bezeugen: Deutschland ist frei, Deutschland hat sich wahrhaft gereinigt, Deutschland muss leben. Ihr sehr ergebener [Thomas Mann] Überlieferung: Ts, AdK: Ruth-Berlau-Archiv 1959. – E: Thomas Mann, Briefe 1937–1947, Frankfurt/M. 1963, S. 339ff.

Paul Robeson an Bertolt Brecht New York, 11.12.1943 nbg168 109 7 extr=D new york ny dec 10 344 p berthold brecht = 124 east 57 st

1943 Dec 11 PM 2 13

december 22nd marks tenth anniversary reich[s]tag fire trial.76 protest by democrats throughout world and magnificent exposure of nazi plot by dimitroff inspiration to united nations now going forward to victory. anniversary will be commemorated by large publuc meeting carnegie hall new york. speakers already agreed to participate include lillian jellman77, arthur garfield hays78, louis ademic79, philip van gelder, secretary marine shipbuilding workers, earl

76 Tatsächlich wurde das Urteil im Reichstagsbrandprozeß erst am 23.12.1933 gesprochen. 77 Lillian Hellman (1905–1984), amerikanische Schriftstellerin, Lebensgefährtin von Dashiell Hammett. 78 Arthur Garfield Hays (1881–1954), amerikanischer Jurist und Bürgerrechtler, hatte selbst zehn Jahre zuvor den Reichstagsbrandprozeß in Leipzig besucht. 79 Louis Adamic, d.i. Alojz Adamič (1899–1951), amerikanischer Schriftsteller slowenischer Herkunft, seit 1914 in den USA.

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browder80, dr channing tobias81 member national board ymca.82 would be very happy if you can also participate as foremost representative [of] free german culture.83 would appreciate your reply via collect wire or please telephone my secretary miss sievers chickering 41584= paul robeson chairman reichstag fire trial anniversary committee room 743 55 west 42 street. 41584

743 55

42.

Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 1185/76.

80 Earl Russell Browder (1891–1973) war von 1934 bis 1945 Generalsekretär der KP der USA, aus der er 1946 ausgeschlossen wurde. Der „Browderismus“, nämlich die Verselbständigung der eigenen Partei gegenüber den Direktiven aus Moskau, wurde von den kommunistischen Parteien fortan geächtet. 81 Channing Tobias (1882–1961), amerikanischer Bürgerrechtler. 82 Young Men’s Christian Association, 1844 in London gegründete christliche Vereinigung, die unterdessen zahlreiche nationale Einzelorganisationen weltweit umfaßte. 83 Brecht nahm an der Kundgebung am 22.12.1943 in New York teil (vgl. BCE, S. 43). Verlesen wurde dort seine von Eric Bentley ins Englische übertragene Rede Das andere Deutschland (GBA 23, S. 30–32, zuerst in The German American, Januar 1944).

Briefe an Bertolt Brecht, 1944

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Hilde Waldo an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 22.1.1944

22. Januar 1944

Lieber Herr Brecht, Helly bat mich, dass ich Ihnen ein deutsches Manuskript der endgültigen Fassung des Stückes ‚SIMONE‘ schicke.1 Dieses ist das letzte Exemplar, auch von der englischen Übersetzung haben wir nurmehr eines, und ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie von den Exemplaren, die Sie bekommen haben, wenigstens das eine oder andere bald zurückschicken könnten. Herr Feuchtwanger würde sich sicher sehr freuen, wenn Sie bald einmal von sich hören liessen. Mit vielen guten Wünschen und Grüssen Hilde Waldo Anlage SIMONE (deutsch) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: LION FEUCHTWANGER 520 Paseo Miramar P.O. Box 325 PACIFIC PALISADES, CALIF. Telephone S.M. 51402; BBA 1185/23.

Luise Rainer 2 an Bertolt Brecht 24.1.1944 To From MR. BERT BRECHT LUISE RAINER c/o RUTH BERLAU U.S.O. Camp Show # 9320 124 EAST 57th Str. c/o SPECIAL SERVICE NEW-YORK CITY. U.S.A. c/o POSTMASTER. N.Y.

1 2

Vgl. Feuchtwanger, 27.3.1943. Luise Rainer (*1910), die zuvor unter Max Reinhardts Regie in Berlin und Wien gespielt hatte, wurde 1935 von MGM entdeckt und arbeitete seither als Filmschauspielerin in Hollywood. Wie sie selbst behauptete, habe sie ein Affidavit für Brecht und seine Familie zur Einreise in die USA unterschrieben (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 124). Persönlich kennengelernt hatte dieser sie erst im Spätsommer 1943 in Kalifornien. Auf ihre Anregung hin schrieb er im Frühjahr 1944 das Stück Der kaukasische Kreidekreis, das am Broadway aufgeführt werden sollte; Rainer selbst war für die Rolle der Grusche vorgesehen. Nach einem Streit mit Brecht endete die Zusammenarbeit sehr abrupt (vgl. Lyon, ebd., S. 123–131).

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JAN. 24. 1944. Very dear Brecht – you must think that I either am vanished for good or else have forgotten all I should not forget – truth is that you and your “doings” are very much on my mind – still the experi[e]nces and all the manyfold this trip brings and brought already is of such calibre that it would be easy for me to forget all kinds of things that have to do with “back home”. Fact also is, that no matter what a future brings, I would not have wanted to miss this experiance for anything in the world! The contakt [sic] with the “future generation” of Amerika is important calculating happenings ahead. I am not permitted to tell you where I am; I have seen many places already sta[y]ing everywhere from one to 3 days; However I have not contakted any “DANGERS” such as may be feared back home; my only combats are against Giraffes, Hyaenas3, Leopards, huge snakes, Gazelles and millions of birds such as Paradise4, Canaries5 and buzzards; but often it happens that when you aim at a bird a monkey falls from the tree instead. I hope from all my heart that the play is developing satisfactory; it is the things I want to do right after my return! I shall be back around middle-end of February. Please give regards to Leventhal6 and my lawyer. To you the best and the kindest! Luise Rainer Überlieferung: Ms, Bv.: POST OFFICE DEPARTMENT PERMIT NO. 1; BBA 1185/33–34.

Eric Bentley7 an Ruth Berlau New Orleans, 24.1.[1944] January 24 Dear Miss Berlau: I hope you got my telegram and consequently the revised verses from Hauptmann.8 3 4 5 6 7 8

Im Ms: „Hianas“. Entzifferung unsicher. Gemeint ist vermutlich der Paradiesvogel (bird-of-paradise). Im Ms: „Kanaries“. Jules J. Leventhal, amerikanischer Theaterproduzent, den Rainer zu Rate gezogen hatte. Eric Bentley ist Herausgeber der Brecht-Edition bei Grove Press (New York). Autor von Bentely on Brecht (New York): Applause 1998, dritte Auflage Evanston/Illinois 2008) und The Brecht Memoir (New York 1991), deutsch: Erinnerungen an Brecht, Berlin 1999).. Bentley arbeitete gerade, mit Unterstützung Hauptmanns, an einer Übersetzung von Furcht und Elend des III. Reiches. Brecht selbst überprüfte den Text. Die auf 17 Szenen reduzierte amerikanische Bühnenbearbeitung erschien, mit einem einleitenden Essay von Bentley, unter dem Titel The Private Life of the Master Race im Dezember 1944 in New York.

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BUT HAUPTMANN HAS STILL NOT SENT ME HER CORRECTIONS. Which means that I can’t have the MS typed yet. could you phone her? And what about the Nation article?9 I am now sending you the first draft of my Introduction to the PRIVATE LIFE OF THE MATTER RACE. Could you […] that Brecht reads it? That is very important: I want his opinion. I am hoping to have the whole MS complete with introduction mimeographed. Therefor[e] I must have all Brecht’s comments and suggestions at once. Many thanks for helping me with all this. Good luck. Sincerely E.R.B. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Notiz von E. Hauptmann: „26.1. L.R.B. Danke für den Rest des deutschen Exemplars. E.H.“ Notiz von fremder Hand: „viele Grüsse und auf wiedersehen bald […]“ (Name unleserlich), Bv.: BLACK MOUNTAIN COLLEGE BLACK MOUNTAIN, N.C.; BBA 1924/139–140.

Eric Bentley an Elisabeth Hauptmann New Orleans, 24.1.[1944] 24 Jan Dear Mrs. Hauptmann: I return all the verses which Brecht needs. Sorry I didn’t have time to type them nicely. I have to use the mimeograph machine right now – without your corrections which I expected last week. But if you have still ideas about Rechtsfindung10 or about: 1. Volksgemeinschaft 2. Volksgenosse 3. keimende Frucht 4. Stempelstelle I would be interested I do not have your list. With best wishes. Sincerely E.R. Bentley

9 Nicht ermittelt. Die linksgerichtete Wochenzeitschrift The Nation erscheint seit 1865 in New York. 10 Vgl. Anm. zu Bentley an Berlau, 24.1.1944.

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P.S. Airmail special delivery do not come any quicker. Überlieferung: Ms, Bv.: BLACK MOUNTAIN COLLEGE BLACK MOUNTAIN, N.C.; BBA 1924/144–145.

Maurice J. Speiser 11 an Bertolt Brecht New York, 25.1.1944

January 25th, 1944

Mr. Bert Brecht 124 East 57th Street New York City Dear Mr. Brecht: In accordance with our telephone conversation I am hereby mailing you the script of your dramatization of “Schweik”.12 Sincerely, M. J. Speiser MJS:PK

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: LAW OFFICES MAURICE J. SPEISER HERBERT SPEISER; BBA 1185/25.

Kurt Weill an Bertolt Brecht Los Angeles, 30.1.1944 Mit Bezug auf einen nicht erhaltenen Brief Brechts kommt Weill auf den Plan des Theaterproduzenten Leo Kerz (1912–1978) zu sprechen, Der gute Mensch von Sezuan in einer afroamerikanischen Besetzung aufzuführen (vgl. B. an Kerz, Jan. 1945, GBA 29, S. 344); ein Vorhaben, mit dem Brecht nichts zu tun habe. Geschadet, glaubt Weill, habe ihrer beider Plan, das Stück aufzuführen (vgl. Weill, 5.12.1943), jedoch schon die bloße Ankündigung. Denn am Broadway 11 Maurice J. Speiser (1880–1948), amerikanischer Rechtsanwalt und Kunstmäzen. Konsultiert hatte ihn vermutlich Kurt Weill (dessen Brief an Brecht vom 30.1.1944 ist dokumentiert in BBA 1185/36). 12 Im Nachlaß befinden sich drei vollständige Typoskripte des Schweyk aus dem Jahr 1943 (ein weiteres aus dem Jahr 1955).

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würde man üblicherweise nichts anrühren, was ein anderer gerade anfasse. Moss Hart habe daher sein anfängliches Interesse verloren. Weill wolle sich dennoch, sobald er wieder in New York sei, weiter bemühen. Vor einiger Zeit, berichtet er, habe er versucht, der Filmindustrie die Mahagonny-Oper zu verkaufen, auch um Brecht etwas Geld zu verschaffen. Noch sei allerdings nichts dabei herausgekommen. Er freue sich jedenfalls, daß seine Arbeit für Twentieth Century-Fox – Weill komponiert gerade die Musik für den Film Where Do We Go (USA 1945, Regie: Gregory Ratoff) – bald beendet sei und er die Gegend dort wieder verlassen könne. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 1185/36.

Elisabeth Hauptmann an Ruth Berlau [Ende Januar 1944] Mittwoch Liebe Ruth Berlau, anbei die VOICES. Wie Sie sehen, schreibt mir Herr Bentley am 24.1., dass er auf die zusaetzlichen Korrektionen nicht warten kann, da er die mimeographierten Abschriften sofort herstellen müsse. (Wir hatten aber jede einzelne Szene durchgenommen und korrigiert. Ich wollte aber solche Ausdruecke, die mir immer noch etwas fraglich schienen, noch einmal zusammenstellen nach dem mimeographierten deutschen Exemplar – was ich inzwischen von Ihnen bekommen habe – ; das wären etwa etwa 100 Ausdruecke gewesen. Die fuenf Ausdruecke, nach denen E. bentley in seinem Brief vom 24. August fragt, habe ich ihm verschafft.) Vielen Dank fuer den Rest des deutschen Manuskriptes das ich einstweilen hier behalte, bis ich die Liste der fraglichen Ausdruecke fertig habe – ganz gleich, ob sie nun gebraucht wird oder nich[t] Gruss E.H. Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 1924/141–143.

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Ann Elmo13 an Bertolt Brecht New York, 11.2.1944 February 11, 1944 Dear Dr. [sic] Brecht, Miss Angna Enters14 did not think this would go successfully at this time. I am sorry. I will hold the English translation until such time as you need it. If you have anything promising, please do send it along. I would be very glad to see it. I saw your poem in the Rocky Mountain Review and I enjoyed reading it. Best regards, Ann Elmo Dr. Bertolt Brecht 124 East 57 Street New York City Enc. AE.dts Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: AFG • LITERARY AGENCY 545 FITH AVENUE NEW YORK 17, N.Y. Cable Address: ELMOS NEW YORK Telephone: Murray Hill 2-4328; BBA 211/16.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 19.2.1944 NL BERTOLT BRECHT c.o. Berlau

124 East 57th Street New York City

13 Brecht hatte Ann Elmo als seine Agentin verpflichtet und mit ihr im Frühjahr 1943 in New York einen Vertrag geschlossen über die Produktion des Stücks The Duchess of Malfi (GBA 7, S. 259–350), einer Bearbeitung von John Websters The Tragedy of the Dutchesse of Malfy (1613). Brecht hatte die Arbeit zunächst mit Hoffman R. Hays begonnen, Anfang 1944 dann den Schriftsteller Wystan Hugh Auden hinzugezogen. Nach einigen Probeaufführungen im September 1946 wurde das Stück – vielmehr eine im wesentlichen von Auden erstellte Fassung des Stücks – am 15.10.1946 im Ethel Barrymore Theatre in New York gespielt, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. 14 Angna (Anita) Enters (1897–1989), amerikanische Schriftstellerin, Malerin und Tänzerin.

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Negotiations on sale film rights Simone to Goldwyn almost completed.15 Your net share twenty two thousand dollars payable immediately after sale. Studio makes condition that you send following document to me. “In consideration of ten Dollars in hand to me paid and for other valuable considerations, receipt where of is hereby acknowledged, I, Bertolt Brecht, hereby shall assign, transfer and release to Lion Feuchtwanger and his heirs and assignees forever any and all right, title and interest of every kind and description whatsoever which I heretofore have had, now have or hereafter may have in or to the novel Simone by Lion Feuchtwanger and or in or to the play Simone by Lion Feuchtwanger and Bertolt Brecht, together with all my rights, title or interest in or to any play, drama, scenario, film production or other derivative work heretofore now or hereafter based on either said novel or play in any way connected therewith.” You have to go a notary public in order to have your signature legalized. You find notaries in most hotels on Sunday. Have fo[u]r copies signed and legalized. Mail three immediately to me airmail and deposit one copy at Goldwyn office New York 729 Seventh Street. All other proceedings would delay and endanger sale. Wire when you receive my telegram16 and please wire again when you mail legalized documents Lion Feuchtwanger 520 Paseo Miramar Pacific Palisades, Calif. Febr. 19, 44 (SM 5 1402) Überlieferung: Ts (vermutlich ein Telegramm-Entwurf), hs. U.; BBA 1183/24.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 20.2.1944 February 20, 1944 Lieber Brecht, Ich schickte Ihnen gestern ein Telegramm, dessen Kopie ich beilege. 15

Auf der Grundlage der gemeinsam mit Brecht erarbeiteten Niederschriften der Simone Machard (vgl. Feuchtwanger, 27.3.1943) hatte Feuchtwanger 1943 den Roman Simone geschrieben. Eine englische Rohübersetzung des Romans wurde von MGM als Vorlage für eine Verfilmung akzeptiert. Feuchtwanger schloß daraufhin einen Vertrag, der auch Brecht beachtliche Vorschußzahlungen eintrug. Die Verfilmung des Stoffs scheiterte schließlich daran, daß die prospektive Hauptdarstellerin Teresa Wright plötzlich ein Kind erwartete. 16 Der Wortlaut des – womöglich unvollständig überlieferten – Telegramms vom 19.2.1944 entspricht dem des hier abgedruckten Briefs: „all my right […] legalized documents“ (BBA 1183/25).

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Sie werden sich wundern, dass solches Zeug nötig ist. Die Geschichte ist folgendermassen: Goldwyn hat sich schon vor mehreren Wochen entschlossen, die Filmrechte an dem Roman SIMONE zu kaufen. Auch über den Preis gab es keinerlei Handeln oder dergleichen, da haben sich die Leute sehr anständig benommen. Aber dann tauchten mehrere läppische Schwierigkeiten auf. Erstens war es fraglich, ob die Zensur die Geschichte der Jungfrau durchlassen würde. (Die Bestrebungen, Shaw’s ‚Heilige Johanna‘17 zu verfilmen, scheiterten an der Zensur.) Dann kam die Frage der Erwerbung des Stückes. Da sind Schwierigkeiten mit den Autoren-Verbänden; man kann die Filmrechte eines Stückes nicht verkaufen, bevor es gespielt wird, oder ähnliche Geschichten. Ich habe das ganze Zeug nie recht verstanden. Die Vollmacht, die Sie mir vor Ihrer jähen Abreise nach New York gaben,18 genügte nicht, da sie für die Zwecke des Studios im County Register in Ihrer Gegenwart hätte eingetragen werden müssen. Mit solchen albernen Schwierigkeiten schlagen wir uns nun seit Wochen herum, während bereits ein Filmschriftsteller engagiert ist, um das Szenario zu machen. Die Anwälte sind nun auf die Lösung gekommen, eben jenes Schriftstück von Ihnen unterzeichnen zu lassen, das ich Ihnen depeschierte. Die praktische Folge des Vertrags, wie er jetzt ausgearbeitet ist, wird sein, dass unser Stück offiziell nicht existiert. Ich habe aber das Recht, den Stoff allein oder mit einem andern zu dramatisieren, das heisst, dass das Stück einen Monat nach Vertragsabschluss wieder vorhanden sein kann. Aufgeführt werden aber darf es vom Vertragsabschluss an und während der Laufzeit des Filmes nur mit Zustimmung des Goldwyn Studios. Die Goldwyn-Leute haben keinerlei Interesse an dem Stück; sie wollen nur verhüten, dass ein allenfallsiger Durchfall des Stückes bei minderwertiger Produktion oder dergleichen die Anziehungskraft des Filmes beeinträchtigte. Während dieser ganzen Verhandlungen fürchtete ich, und ich fürchte noch, dass irgendeine politische Wendung oder irgendeine politische Einflussnahme einer dritten Stelle die Goldwyn-Leute dahin bringen könnte, vom Erwerb der Filmrechte abzusehen. Ich glaube, dass, sowie Ihr Schriftstück vorliegt, die Unterzeichnung des Vertrags und die Zahlung der dann fälligen fünfzigtausend Dollar binnen achtundvierzig Stunden erfolgen kann; denn alle andern Einzelheiten des schrecklich umständlichen Vertrags sind geregelt. Bei Abschluss des Vertrags sind an mich fünfzigtausend Dollar zu zahlen, von denen also die Hälfte auf Sie trifft, das heisst, das[s] nach Abzug der Kommission und der Spesen Sie etwas über 22 000.- Dollar erhalten werden. Ich hoffe, dass ich noch diese Woche den Scheck an Sie werde abschicken können. Die ganzen Verhandlungen waren sehr lästig und sehr aufreibend, übrigens auch kostspielig. Ich musste eine Rohübersetzung des Romans herstellen und unzählige Male abschreiben lassen. Auch die Aktion Thörens19 hat sich schädlich ausgewirkt. 17 Das Stück Saint Joan (1923) von George Bernard Shaw. In Hollywood verfilmt wurde es 1957 unter der Regie von Otto Preminger, nach einem Drehbuch von Graham Greene. 18 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 27.3.1943. 19 Mit dem in die USA emigrierten Schauspieler Robert Thören (1903–1959), der als Conferencier und

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Aber jetzt ist das ja vorbei, und ich hoffe nur, dass, wenn Sie diesen Brief erhalten, Ihre Unterschrift an mich unterwegs und damit alles in Ordnung ist. Ich hoffe, Sie Weihnachten hier zu sehen, wie Sie im November 43 mit Bestimmtheit versprachen. Alles Herzliche Ihr Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U.; Bv.: LION FEUCHTWANGER 520 Paseo Miramar P.O. Box 325 PACIFIC PALISADES, CALIF. Telephone S.M. 51402; BBA 1185/21–22. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 60ff.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 24.2.1944 m2os hn nl pacific palisades calif feb 24 44 b brecht care berlau 124 east 57th st nyk sale simone signed stop check at your disposal stop letter following lion feuchtwanger 332 a Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union); BBA 1183/20. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 62.

Drehbuchautor bei MGM angestellt war, hatte Brecht Ende 1941 an dem Filmentwurf Bermuda Troubles gearbeitet (GBA 20, S. 40–46; vgl. dazu den Journaleintrag vom 2.12.1941, GBA 27, S. 27). Darauf spielte Feuchtwanger hier vermutlich an. Möglicherweise hatte Thören bei MGM etwas über Brechts geringschätzige Meinung von der Hollywood-Filmproduktion verlauten lassen.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht [Pacific Palisades] 25.2.1944 25. Februar 44 Lieber Brecht, Wie ich Ihnen gestern depeschierte, ist also der Vertrag mit Goldwyn endlich perfekt. Die praktische Folge für das Stück 20 ist, dass dieses für die Zeit von drei einhalb Jahren nur mit Zustimmung Goldwyns gespielt werden kann. Die Goldwyn-Leute haben nicht das leiseste Interesse daran, die Aufführung des Stückes zu verhindern, sowie einmal der Film gezeigt worden ist. Der Passus ist in allen Goldwyn’schen Verträgen enthalten, und man versichert mir glaubwürdig, dass daraus niemals Schwierigkeiten entstanden seien. Da man mit der Herstellung des Filmes sofort beginnt, ist der Film also bestimmt fertig, eh wir daran denken können, in Europa zu spielen; ich kann mir nicht denken, dass aus dieser Klausel ernsthafte Schwierigkeiten entstehen könnten, und wir sind uns sicher einig darüber, dass es Wahnsinn gewesen wäre, den Vertrag an dieser Klausel scheitern zu lassen. Die ganzen Verhandlungen waren endlos und aufreibend. Ich blieb im Hintergrund und habe alles durch Klement21 besorgen lassen, der sich ausserordentlich bewährt hat. Das Geld, das Sie zu kriegen haben – es sind etwas über zweiundzwanzigtausend Dollar – steht zu Ihrer Verfügung. Ich denke, in Ihrem Sinne gehandelt zu haben, wenn ich Helly, die Geld dringlich benötigte, davon zweitausend gab. Kabeln Sie mir, bitte, ob und wieviel Geld Sie nach New York wollen. Ich freue mich sehr darauf, Sie Mitte März wiederzusehen.22 Alles Herzliche Ihr Lion feuchtwanger [Hs.] Der ganze Betrag steht jederzeit und wohin immer Sie ihn haben wollen, zu Ihrer Verfügung. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 211/22. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 62f.

20 Die Gesichte der Simone Machard. 21 Der österreichisch-ungarische Schriftsteller und Drehbuchautor Otto Klement (1891–1983), der auch als Feuchtwangers Agent tätig war. 22 Im März 1944 kehrte Brecht aus New York nach Santa Monica zurück.

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Heinrich Mann an Bertolt Brecht Los Angeles, 17.3.1944 nbh404 = los angeles calif 17 647p Brecht = =124 east 57 st nyk= [Poststempel:] 1944 Mar 17 PM 10 42 =agreed=23 henrick mann. Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union); BBA E 12/218.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 14.4.1944

14. April 1944

Lieber Brecht, Dank für die beiden Briefe.24 Ich werde davon sofort nach Fertigstellung des Verlagsprogramms Gebrauch machen. Da besteht aber noch folgende Schwierigkeit: Heinrich Mann hat weder einen Beitrag für das Kriegsgefangenenbuch25, noch ein Manuscript für die Schriftenreihe26 zugesagt. Es wäre aber von grösster Wichtigkeit, schon im ersten Projekt ihn als Autor des Verlages anzukündigen. Da er auf meine schriftliche Bitte nicht reagiert hat, versuche doch, ihn zu einer Zusage zu veranlassen. Inbezug auf den Kriegsgefangenenband ist es noch nicht so brennend. Den werden wir zunächst allgemein ankündigen (ohne Namen der Mitarbeiter) später folgt dann ein besonderer Prospekt. Es wäre gut, wenn H. Mann schon in der nächsten Ankündigung des Bandes als Verfasser der Einleitung erwähnt werden könnte. Aber ich kann mir denken, dass er erst wissen will, was alles in dem Band stehen wird. Hingegen das Einzelbä[n]dchen sollte unbedingt schon im ersten Prospekt angekündigt werden. Ich füge daher ein Manuscript des Prospekts bei, auf dem die Anzeige bereits vorgesehen ist. Es wäre also nur H. Manns Zustimmung dazu und evtl. die Einsetzung des präzisen Titels notwendig. 23 Brecht hatte Heinrich Mann „im Auftrag eines Ausschusses zur Gründung des Komitees für deutsche Demokratie“ gebeten, „dem geschäftsführenden Ausschuß beizutreten“ (B. an Heinrich Mann, 13.3.1944, GBA 29, S. 323). 24 Nicht überliefert. 25 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.10.1943. 26 Vgl. Herzfelde, 23.5.1943 u. Juni 1943.

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Zum Prospekt selbst: Du bist gegen die Gedichtbände. Hast Du mit Viertel darüber in Chicago gesprochen? Falls er sein Manuscript zurückzieht, wird auch Viertel es tun, und dann können wir auch Hilde M.27 weglassen. Falls Du noch andere Einwände zu dem Prospekt hast, schreib sie bitte. Du wolltest über Eisler versuchen, ein Bändchen von Schönberg28 zu bekommen. Falls es noch in den Prospekt aufgenommen werden könnte, wäre es sehr erfreulich. Schreib bald! Rückcouvert anbei. Herzlichst Dein Anlagen29 Überlieferung: Ts, BBA Z 47/58.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 24.5.1944 W. Herzfelde 307 East 17th Str. N.Y.C.

24. Mai 44

Lieber Brecht, Am 14. April schickte ich Dir (mit Rückcouvert und Manuscript des Prospekts) einen Brief, auf den Du leider nicht geantwortet hast. Ich schicke heute an Heinrich Mann dir[e]kt einen Brief nebst Produktionsplan und bitte ihn um ein Manuscript und um Einleitung zum Kriegsgefangenenband. Wenn Du irgendwie die Zeit dazu findest, ergänze meinen Brief mündlich. Vorige Woche war Ruth B. bei uns und brachte mir das Manuscript von Gedichten. Darunter „An die Soldaten im Osten“.30 Ich nehme an, das ist die massgebliche Fassung für den Kriegsgefangenenband. Es fehlt mir das Manuscript „Furcht und Elend des Dritten Reiches“.31 Ruth sagte, es gebe eine Fassung als zusammenhängendes Stück. Bitte lass mich, 27 Hilde Marx. 28 Der österreichische Komponist Arnold Schönberg (1874–1951), seit 1933 im Exil in den USA, lehrte als Professor in Los Angeles. Eisler hatte von 1919 bis 1924 in Wien bei ihm studiert. Das erwähnte Bändchen kam nicht zustande. 29 Nicht überliefert. 30 Das ist das im Januar 1942 entstandene Gedicht An die deutschen Soldaten im Osten (GBA 15, S. 64– 68), zuerst erschienen im März 1942 in Freies Deutschland, Mexiko, wurde aufgenommen in den Band Morgenröte, New York: Aurora 1947. 31 Eine 24 Szenen umfassende Version von Furcht und Elend des III. Reiches erschien im Aurora-Verlag 1945.

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wegen des Prospekts, schnell wissen, wie sich das verhält, d.h. ob ich Einakter (wieviel?) ankündigen soll oder ein Bühnenwerk (?) in (?) Akten. Auch das Manuscript hätte ich gern, um den Preis halbwegs richtig im Prospekt angeben zu können. Zu Deiner Information lege ich den Produktionsplan bei, wie er zur Zeit aussieht. Ausserdem den Entwurf des Briefes, der Geld hereinbringen soll. Ich hatte eine politische Passage drin, Viertel war dagegen. Jetzt kommt es mir ein wenig mager vor. Was meinst Du? Vielleicht könntest Du einige ergänzende Sätze vorschlagen. Das Manuscript von Anna Seghers ist eingetroffen.32 Gefällt mir sehr gut. Eine Frage: Falls H. M.33 den Band „Morgenröte“ nicht einleiten will, sollte man Dorothy Th.34 fragen. Die Freunde hier sind nicht recht dafür, liessen sich aber viell. umstimmen. Bitte antworte zur Abwechslung mal gleich. Herzlichst Anlagen: Briefentwurf Produktionsplan Couvert

[Briefentwurf:] Datum des Poststempels In Amerika leben viele deutschschreibende Autoren (deutscher, österreichischer und tschechoslovakischer Herkunft), deren Arbeiten seit dem Beginn der Hitler-Herrschaft zum grössten Teil nur in Uebersetzungen erschienen sind. Während das Interesse für die freie deutsche Literatur beständig zunimmt, fehlt es aber in den Vereinigten Staaten immer noch an einem deutschen Verlag. Die oben genannten elf Schriftsteller35 haben daher vereinbart, Werke in deutscher Sprache gemeinschaftlich herauszubringen, und sie haben zu diesem Zweck den A u r o r a V e r l a g , New York, gegründet. Die gesamte Arbeit für den Verlag wird ehrenamtlich geleistet. Wir laden Sie ein, sich an der Verwirklichung unsres Planes zu beteiligen: 32 Vermutlich das Manuskript zu der Erzählung Der Ausflug der toten Mädchen, die 1946 im AuroraVerlag erschien. 33 Heinrich Mann. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. 34 Dorothy Thompson. 35 Das sind die im Briefkopf genannten Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Wieland Herzfelde, Heinrich Mann, Berthold Viertel, Ernst Waldinger, F.C. Weiskopf.

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1. durch einen Beitrag zum Verlagsfonds. Beiträge in jeder Höhe werden mit Dank entgegengenommen. Für $ 200.- oder mehr erhalten Sie, als Förderer des Verlags, je ein signiertes Exemplar der ersten 20 Bücher. 2. durch Subscription. Gegen eine Vorauszahlung von $ 20.- werden Ihnen die Verlagsveröffentlichungen in der Reihenfolge des Erscheinens portofrei zugesandt, bis Sie Bücher im Verkaufswert von insgesamt $ 25.- erhalten haben. Sie können dem Verlag auch durch Ueberlassung von Kunstgegenständen, Manuscripten etc. helfen, die sich zur Versteigerung bei Veranstaltungen und Gesellschaften eignen. Aus dem Prospekt ersehen Sie, welche Bücher zunächst geplant sind. Wir bitten Sie, für Ihre Antwort das beigelegte Formular zu verwenden. Mit freundlichem Gruss für den Aurora Verlag: Wieland Herzfelde Anlagen: Antwortsformular und Prospekt. Autorenbilder im Prospekt wurden von Lotte Jacobi, E. Ehrmann, Fred Stein und Joseph Breitenbach zur Verfügung gestellt. Überlieferung: Ts (Briefentwurf mit hs. U., ohne Anlagen), BBA Z 47/59–60.

Jacob Walcher 36 an Bertolt Brecht New York, 31.5.1944 J. Walcher 3656 Waldo Ave. New York 63, NY

den 31.Mai44

Lieber Brecht! Werden Sie mir verzeihen, dass ich mit so grosser Verspätung den Empfang Ihrer „Svendborger Gedichte“ bestätige und Ihnen für die Zusendung bestens danke? 36 Der mit Brecht befreundete kommunistische Politiker und Publizist Jacob Walcher (1887–1970) ging 1933 ins Exil nach Paris, nach dem Einmarsch der Wehrmacht flüchtete er von dort 1940 nach New York. 1946, zurück in Deutschland, wurde er Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne in Ostberlin, wegen kritischer Äußerungen jedoch 1951 von seinem Posten abberufen und als „Feind der Arbeiterklasse“ aus der SED ausgeschlossen.

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Ihre Gedichte machen mir grosse Freude. Der kleine Band enthält unvergängliche Gedanken und Formulierungen. Einige Ihrer Gedichte, besonders etliche Kriegslieder entsprechen zwar nicht den Bedingungen und Gruppierungen, unter denen der gegenwärtige Krieg ausgefochten wird. Insofern sind sie nicht ganz zeitgemäss. Eines Tages werden sie es wieder sein. Mittlerweile haben wir lernen müssen, dass unter solch ungewöhnlichen Umständen weniger häufig mehr bedeutet. In unserem „Councel“37 vermisse ich Ihre ruhige und überlegte Argumentation sehr. Es hat da einige Situationen gegeben, wo Ihre Anwesenheit der gemeinsamen Sache sehr dienlich gewesen wäre. – Ist es ganz und gar unmöglich, dass sie dauernd (d.h. bis sich ein Rückweg für uns eröffnet) Ihren Aufenthalt in New York nehmen? Einen recht herzlichen Gruss Überlieferung: Ts, BBA 1329/27.

Jules J. Leventhal an Bertolt Brecht New York, 31.5.1944 May 31, 1944 Mr. Berthold Brecht 1063 - 26th St. Santa Monica, Cal. Dear Mr. Brecht: I was very much surprised not to hear from you before you left New York. In fact, I experienced great difficulty in securing your present address. You were supposed to have a manuscript38 ready by last May 16. Despite the money paid you during the past several months, there was no script forthcoming in return for the emolument received. I can’t imagine what could have happened to cause you to act in this fashion. Kindly let me hear from you as quickly as possible in extenuation of this condition. Miss Luise Rainer is now in Hollywood and can be reached at 365 Buckingham Ave., Hollywood. In spite of any preconceived opinions you may have concerning her, we must not lose sight of the fact that Miss Rainer is a big star in this country. Hence she is to be accorded the most gracious treatment at all times. 37 Gemeint ist der Council for a Democratic Germany, in dem Walcher mitarbeitete. 38 Die Rede ist von dem Kreidekreis-Stück, das Brecht zu schreiben zugesagt hatte (vgl. Anm. zu Rainer, 24.1.1944). Eine erste Fassung des Kaukasischen Kreidekreises lag im Juni 1944 vor.

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In expectation of an early reply, I beg to remain Sincerely yours, Jules J Leventhal JJL: vmck Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Jules J. Leventhal Theatrical Productions 229 West 42nd Street New York Telephone: Bryant 9–1962; BBA 3126.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 5.6.1944

5. Juni 1944

Lieber Brecht, Heinrich Mann hat geantwortet. Er wird die Einleitung zu „Morgenröte“ schreiben.39 Ein eigenes Bändchen will [er] vorläufig nicht geben. Thomas Mann hat den Bonner Brief40 und eine unveröffentlichte Rede nach Deutschland für den Band geschickt. Grosz gibt eine Zeichnung. Ausserdem hat er einen Band mit Zeichnungen versprochen, die wir mit zweisprachigen Unterschriften versehen werden. Bald hörst Du mehr. Lass mich bitte bald wissen, wie „Furcht und Elend“ im Prospekt angekündigt werden soll. Möchtest Du in „Morgenröte“ ausser dem Gedicht „An die Soldaten im Osten“ nicht auch einen Prosabeitrag von Dir haben.41 Ich würde es gerne haben. Herzlichst Dein Überlieferung: Ts, Notiz von fremder Hand.: „8 ø Dee/rst Airm.letter 16e Corr. des Prospekts“; BBA Z 47/61.

39 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. 40 Thomas Manns Briefwechsel mit Bonn – anläßlich des Entzugs der Ehrendoktorwürde, die ihm von der dortigen Universität 1919 verliehen worden war – erschien 1937 in mehreren Ländern Europas und in der Tarnausgabe Briefe deutscher Klassiker auch in Deutschland. In den Band Morgenröte wurde von Thomas Mann der Beitrag „Auch für Deutschlands Freiheit“ aufgenommen. 41 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 24.5.1944. In dem Band Morgenröte wurde außerdem die Erzählung Der Mantel des Ketzers (GBA 18, S. 374–382) aufgenommen, die unter dem Titel Der Mantel des Nolaners bereits in Heft 8/1939 der Internationalen Literatur erschienen war.

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Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht Beverly Hills, 20.6.1944 8601 Clifton Way Beverly Hills, Calif. June 20, 1944 Dear Bert, I have read with care the “Little Privatissimum for my Friend Max Gorelik”42; in fact I rewrote it from the literal translation in order to make it completely clear. You may keep the enclosed copy for your files, if you like … Your discussion is eloquent, and I heartily agree with a great deal of it. However, I do not see how it proves that identification, suspense and climax should be done away with. That, to me, is a non sequitur. I don’t expect you to agree with me. You seem to feel, on the other hand, that I must agree with you or, presumably, we can’t work together. I’m sure you will have no trouble in finding a designer who can gush with enthusiasm. You may also persuade yourself that you can get better results from someone who is unhampered by any theory. I don’t believe you will find many designers of my calibre, and I doubt still more whether you will find anyone who can work with you more intelligently or come closer to what you are trying to do. I hope I may be permitted to read the “Chalk Circle”.43 But please be assured that whether we can work together or not it will in no way affect my great admiration for you or your work. Cordially, Max Gorelik Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 2931.

42 Nach der Lektüre von Goreliks New Theatres for Old (New York 1940) verfaßte Brecht – nach eigenen Angaben erst im Juni 1944 – ein Kleines Privatissimum für meinen Freund Gorelik (GBA 23, S. 37–39). Vgl. dazu auch die Journaleinträge vom 4.3.1941 (GBA 26, S. 467f.), 25.8.1943 (GBA 27, S. 167) und 15.1.1945 (ebd., S. 216). Eine englische Übersetzung des Privatissimums legte Gorelik seinem Brief bei. 43 Gorelik hatte bei einem Besuch Brechts im Mai 1944 bereits Einwände gegen den Kaukasischen Kreidekreis erhoben, insbesondere gegen die Bauweise der Handlung und einen daraus resultierenden Mangel an Emotion. Vgl. den Journaleintrag vom 28.5.1944, GBA 27, S. 186f.

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Stefan Brecht an Bertolt Brecht New Orleans, 12.9.1944 s 160 10=neworleans la 12 1204p

[Stempel:] 1944 Sep 12 AM 10 56

bert brecht 1063 20 th st sm= robbed. need thirty five today ankle wretched otherwise alright = stefan.44 Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 282/8. – E: Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, hrsg. v. Werner Hecht, Frankfurt/M. 1973, Bd. 2: 1942–1955, S. 436 (Faksimile).

Heinrich Schnitzler45 an Bertolt Brecht 16.11.1944

November 16th, 1944.

Mr. Bert Brecht, 1063 - 26th Street, Santa Monica, Calif. Sehr geehrter Herr Brecht, Ihr Brief46 hat hier, wie Sie sich wohl denken können, grosse Freude hervorgerufen. Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Erlaubnis, PRIVATE LIFE OF THE MASTER RACE hier aufführen zu dürfen.47 Natürlich ist es für uns von grösster Wichtigkeit, sofort mit Mr. E.R. Bentley in Verbindung treten zu können, damit wir uns auch seiner Zustimmung vergewissern können. Da 44 Dieses Telegramm klebte Brecht in sein Journal (GBA 27, S. 205). Sein Sohn Stefan hatte eine Einberufung zur Armee für den 26.9.1944 erhalten und beschloß, „sich das Land anzusehen, bereist San Francisco, Saint Louis, New Orleans“ (ebd., S. 204). 45 Heinrich (Henry) Schnitzler (1902–1982), österreichischer Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter, Sohn von Arthur Schnitzler; ging 1938 ins Exil in die USA, kehrte 1957 zurück nach Österreich. 46 Nicht überliefert. 47 Schnitzler inszenierte die amerikanische Bühnenbearbeitung von Furcht und Elend des III. Reiches (vgl. Bentley, 24.1.1944) im Wheeler-Saal der University of California in Berkeley. Die erste der insgesamt vier Aufführungen fand am 7.6.1945 statt. Im selben Monat wurden neun Szenen des Stücks unter der Regie von Berthold Viertel auch in New York gespielt (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945).

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ich annehme, dass Sie Mr. Bentley’s Adresse kennen, sandte ich Ihnen vorgestern [e]in Telegramm mit der Bitte uns diese Adresse freundlichst bekanntgeben zu wollen. Darf ich diese Bitte hiermit wiederholen? Wir wollen doch mit den Vorarbeiten so bald wie nur möglich beginnen, und das ist unmöglich solange wir nicht auch Mr. Bentleys Erlaubnis besitzen. Mit nochmaligem Dank und den besten Grüssen, Ihr sehr ergebener Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945.

Heinrich Mann an Bertolt Brecht Los Angeles, 27.12.1944 27. Dec. 1944 301 SO. SWALL DRIVE Los Angeles, Calif. Lieber Herr Brecht, ich schreibe Ihnen bewegt, denn ich danke Ihnen für Ihre Gedichte48 und noch für anderes. Sie haben mir in meiner schweren Stunde einen Trost geben wollen, ich danke Ihnen. In der Nähe Ihres herzlichen Gefühles habe ich Ihre Dichtungen, von denen ich viele kannte, nochmals gelesen. Sie sind schön wie je, aber in meinem Zustande der Verlassenheit bemerke ich mehr als sonst die leidende Empfindung in der scheinbaren Härte. Können wir uns sehen, am Freitag ½ 6 mit Feuchtwanger, oder wenn Sie anrufen, allein, werde ich mich immer freuen. Mit Empfehlungen an Ihre liebe Frau, Ihr Heinrich Mann Überlieferung: Ms, BBA 3226.

48 Brecht hatte Mann zu Weihnachten ein hektographiertes Exemplar seiner Gedichte im Exil (GBA 12, S. 117–125; vgl. dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938) geschickt. Vgl. B. an Heinrich Mann, 20.12.1944, GBA 29, S. 342.

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Helene Weigel an Bertolt Brecht [etwa 1944] Weigel gesteht, es komme ihr selbst närrisch vor, wenn sie nicht mit Brecht schlafen wolle, außerdem sei sie von dessen neuerwachtem Interesse an ihr überrascht. Wie er wolle auch sie keine „mit Stempel versehene Ehe“ führen, doch sie müsse nun feststellen, daß er einer anderen Frau solche Ansprüche durchaus einräume. Der Text bricht abrupt ab, und es ist nicht sicher, ob Weigel diesen undatierten Brief abgeschickt hat. Mit der anderen Frau ist wahrscheinlich Ruth Berlau gemeint, die im September 1944 einen Sohn von Brecht empfangen hat, der bald nach der Geburt gestorben ist. Überlieferung: Ts, BBA (Sammlung Viktor Cohen, Mappe 57, Blatt 1). – E: Bertolt Brecht/Helene Weigel, Briefe, hrsg. v. Erdmut Wizisla, Berlin 2012, S. 194.

Briefe an Bertolt Brecht, 1945

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George Grosz an Bertolt Brecht [New York, 1945] To Bert old fried and greatest poet in exile of Germany 1945 Hier Bert bin ich als Historienmaler (was ich immer gern sein wollte, wie gerne hätte ich einem Kaiser gedient & seine Feldzüge gemalt) Gut: „es hat nicht sein sollen“ z.B wie der grosse Russe Wasily Vereschtchougin1 aber Bert Du verstehst – hier ist trotzdem ein Historienbild: „Cain“ in Öl – gemalt 1944 ziemlich gross. Überlieferung: Ms (auf der Rückseite ein Schwarzweißphoto des Gemäldes Cain von George Grosz, 1944), Peter Grosz, New York. – Dv: Kopie, BBA E 61/4–5.

George Grosz an Bertolt Brecht [New York, 1945] Bert, hier mein Titel ist gut: A mighty one, one a little way outing surprised by 2 poets – ja – ein Mächtiger auf einem kleinen Spaziergang überrascht von zwei Dichtern gewidmet to F. Nietzsche2 Öl – gemalt 1934 – (Bert, siehmal die kleinen emsigen Sänger haben Pflöcke in ihren Ohren – so, aha, sie können nicht hören, aber singen & lobpreisen können sie) Dies ist ein Symbol on Hitlermaus adventure in Russia alone long before the real thing happened

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Wassili Wassiljewitsch Wereschtschagin (Vasilij Vasil’evič Vereščagin, 1842–1904), russischer Maler, bekannt vor allem für seine Kriegs- und Schlachtengemälde. Offenbar sah auch George Grosz in Friedrich Nietzsche (1844–1900) damals einen Vordenker des Nationalsozialismus. Der chauvinistische Kult um dessen Werk, den die Schwester und Nachlaßverwalterin Elisabeth Förster-Nietzsche bereits seit den 1890er Jahren betrieben hatte, wurde von den Nazis bereitwillig aufgegriffen.

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Überlieferung: Ms (auf der Rückseite ein Schwarzweißphoto eines Gemäldes von George Grosz aus dem Jahr 1934, das Hitler mit schneebedeckter Mütze in der Pose Napoleons zeigt), Peter Grosz, New York. – Dv: Kopie, BBA E 61/6–7.

George Grosz an Bertolt Brecht [New York, 1945] To Bertold Brecht – Sieh dies Bild richtig an, Bert – so siehst Du das Hakenkreuz im Schlamm & Dreck als ichs malte, dachte ich nur an „ästhetische“ Composition Balance, Gewicht u.s.w. als ichs dann ansah – siehe da → es war okay – und ich konnte mich doch nicht verleugnen – der G.G. kam durch – richtig Überlieferung: Ms (auf der Rückseite ein Schwarzweißphoto des Gemäldes The Survivor von George Grosz, o.J.), Peter Grosz, New York. – Dv: Kopie, BBA E 61/11–12.

George Grosz an Bertolt Brecht [New York, 1945] Dear Bertold: Da ist immer wieder in uns der alte Totentanz (typical german) My title: “I am glad I came back” „Ich bin froh, dasz ich zurückgekommen bin“ Dies Bild ist zu „nihilistisch“, aber ich musste es malen, genau wie Du Dich mit DANTE3 beschäftigst – (deutsche Problematik? was für Worte nur in unserer gottwerdemunter schönen Sprache) Er war mal ein Soldat, aber nun ist er froh und der Wind, der seine Knochen fächelt ist ihm ganz angenehm Überlieferung: Ms (auf der Rückseite ein Schwarzweißphoto eines Gemäldes von George Grosz, darauf ein Gerippe in Uniformfetzen, das einen Vorhang öffnet), Peter Grosz, New York. – Dv: Kopie, BBA E 61/13–14. 3

Mit dem italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri (1265–1321) beschäftigte sich Brecht z.B. in dem 1934 entstandenen Sonett Über die Gedichte des Dante auf die Beatrice (GBA 11, S. 269).

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Stefan Brecht an Bertolt Brecht [Anfang 1945] Dear B Lieber Bidi, Der Patton heißt doch ‚Blood and Guts‘ Patton4; ‚Our Blood and his guts‘ sollen seine Soldaten sagen. Lustig war es in der Newsweek zu sehen daß die 3 Saudi Prinzen in Frisco in Limousinen der Standard Oil Co. herumfahren; das Hereinlaßen Argentinien’s wird dort als eine Freundlichkeit gegen England bezeichnet. Je früher ich den Namen des Wilder’schen set-up’s5 kriege, desto besser. Die Schlafwagenfahrt war viel angenehmer als die Fahrt nach Z.A.; vielen Dank für das additionelle Geld.



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1-11 Ein Gespenst geht um. 16 12-44 Die Geschichte ist die des Klaßenkampfes 2 45-67 Aufstieg der Bourgeoisie 3 68-108 Die revolutionäre Natur der herrschenden Bourgeoisie in Ideologie + Moral. 4 45-67 geht bis zur Großen Industrie, dem Weltmarkt + der Vormacht der Bourgeoisie im Staat 5 109-128 Der Kapitalismus wird international 6 129-137 Großstädte und Trusts bilden sich; Imperialismus herrscht. 7 138-141 Nationalismus kommt; Provinzen schließen sich zusammen. 8 142-147 revolutionierend in der Produktion ist die Bourgeoisie 9 148-156 Revolution der Bourgeoisie gegen den Feudal[adel]: polit. + in produktion. 10 157a-157f (68-108 wiederholt) revolut. Ideologie der Bourgeoisie 11 George S. Patton (1885–1945), amerikanischer General, Spitzname: „Old Blood and Guts”. Während des Zweiten Weltkriegs u.a. in Nordafrika im Einsatz, kam im Dezember 1945 bei einem Autounfall in Deutschland ums Leben. Wohl eine Anspielung entweder auf den amerikanischen Schriftsteller Thornton Wilder (1897–1975) oder auf den Filmregisseur Billy Wilder, mit dem Brecht im März 1945 zusammentraf (vgl. BC, S.  749). Der in Galizien geborene Wilder, eigentl. Samuel Wilder (1906–2002), arbeitete in den 1920er Jahren in Berlin, flüchtete 1933 nach Paris und ging ein Jahr darauf in die USA. Die Kommentare mit Seiten- und Zeilenangaben beziehen sich offensichtlich auf ein Manuskript des Lehrgedichts (GBA 15, S. 120–157), an dem Brecht seit Januar 1945 arbeitete. „Das Kernstück“, erläuterte er in einem Brief an Karl Korsch vom März/April 1945, „bildet das ‚Manifest‘“ (GBA 29, S. 348), nämlich das Manifest der Kommunistischen Partei von Marx und Engels aus dem Jahr 1848. Geplant war eine Versifizierung des Manifests im Stil des Lehrgedichts De rerum natura von Lukrez, wobei Brecht an „die Unnatur der bürgerlichen Verhältnisse“ (GBA 29, S. 348) dachte. Keine der fünf Bearbeitungen, an denen er sich in den folgenden Jahren versuchte, wurde fertiggestellt. Vgl. dazu die Kommentare von Korsch, 15.4.1945.

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157g-184 Krisen 12 184-207 Erklärung und bourgeoise Bekämpfung der Krisen 13 208-247 Natur + Geschichte des Proletariats. 14 248-254 Absinken der Mittelklasse ins Proletariat 15 255-297 Geschichte des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie + Proletariat. 16 298-317 Komplikationen dieses Kampfes 17 318-330 Manchmal ist das Kleinbürgertum den Proleten alliiert (284-254 wiederholt) 18 331-335 Wechselnde Haltung des Lumpenproletariats 19 336-338 Arbeiterklasse einzige Klasse die die Bourgeoisie besiegen kann. 20 Gänzliche Freiheit von der Vorzeit des Proletariats – letzte Revolution. 21 339- __________________________ So betrachtet sieht die Organisation des Gedichtes schrecklich planlos aus; mehrmals wird durch die Geschichte gegangen; diese Wiederholungen heben die Größe des geschichtlichen Tones auf. Dieselben Perioden sind mehrmals wiederholt. Es giebt ungefähr 21 Kapitel. 2 ist die Geschichte des Klassenkampfes der Bourgoisie 3. " " " 5. " " " " modernen " 6 " 5 " " " " 7 " die des Imperialismus " der Entstehung der modernen Bourgeoisie 8 " " " der Produktionsveränderungen der " 9 " " " 10. " " " Entstehung der Bourgeoisie " 12 " 7 14 " die Geschichte des Proletariats 15. ist mit 7 + 12. 16. " " 14. 18 " " 15. Hier wird also mehrmals durch dieselben Zeitperioden + durch verschiedene Aspekte derselben Geschehniße gegangen; Ich finde dies müße im Gedicht immer explicit gemacht werden: ein durchlaufend historischer Ton ist nicht so gut möglich wie ein durchlaufend logischer. 4-9-10-11-15-21 gehören zusammen was die Beschreibung der revolutionären Natur der Bourgeoisie anbelangt. 6. sollte historischer sein + enger verbunden mit 5. 5-6-7- sind Eines 8 gehört vor 5 und nach 3; 8 stört sehr durch seine Placierung nach 7. Zwischen 4 und 9 ist ein intimer Zusammenhang; den es nicht explicit im Gedicht giebt. 15 und 18 sollten irgendwie in Zusammenhang gebracht werden.

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→ 20 kommt nicht logisch – zu plötzlich (gründet sich nicht deutlich genug auf 15-18 und 19.) → Der erste Teil von 21 ist nicht geschieden genug von 4-10-11; dies ist mein alter Punkt daß Du nicht die Limitationen der Bürgerlichen Revolutionität zeigst – dies konnten Marx + Engels historisch garnicht; ist vor Allem erreichbar durch Historisierung und Limitation von 5-6-7 + engere Verbindung dieser Kapitel mit 12. Manifest 2 ‚Nicht geboren im Krieg‘ – ein Gespenst hat keine Geburt; daß die dann noch verneint ist macht das Bild noch störender 15c. ‚kämpfend den Kampf biß aufs Messer, den uralten, den um die Herrschaft‘ – ‚den uralten‘ wirkt künstlich; das ‚biß aufs Messer‘ hat keinen besonderen Sinn; eigentlich ist mehr ein unaufhörliches Schubsen + Ringen. grad noch sprachst Du von der Erzeugung und Verteilung der Güter; wieso geht der Kampf nicht hieraus? Was ist Herrschaft? Das ‚uralt‘ giebt der Natur des Kampfes eine Wahrscheinlichkeit des Allbekanntnseins die unwahr ist 15b. ‚lebensnotwendige Güter‘; ein dunkler Ausdruck ohne Größe; ‚goods‘ sind Waren – falls ‚güter‘ das auch sind stimmt die Linie nicht, das was man zum Leben braucht ja nicht immer Waare war. ‚Haushalt‘ ist so geschichtslos; es scheint hier fast als seien Kampf + Produktion geschieden – während doch der Kampf einer um die Produktionsform ist – dies müßte verbunden sein. 13-15. Nur eine Art der Geschichtsschreibung – die Ältere, Vor-Voltairesche ist hier erwähnt; die bourgeoisen Geschichten sind die der Ideen 46. ‚Leibeigene wurden zu Pfahlbürgern‘ – wie? Die arbeitslosen Söldnerheere der Renaisannce, schafzucht, in unruhigen Zeiten geflohene Leibeigene; die völlige Zusammenhangslosigkeit von ‚Leibeigene‘ + ‚Pfahlbürger‘ steht in unruhigem, nicht zu einem poetischen Bild sich formenden Wiederstreit zu dem sanften, natürlichen‚ wurden. 45-50. Die Rolle des Handels (+ Wuchers? Aber das giebt es vielleicht hier im Manifest nicht) als Mittel zum Geldaustausch ist nicht genug unterstrichen – zuerst trat heraus der Händler + Bankier – auch Bürger aber nicht hauptsächlich produzierende. 60 ‚Der Manufakturherr macht Platz‘ – teils Kampf und teils Verwandlung eines Manufakturherren in einen Industriellen – aber nirgends ‚macht Platz‘. 65. ‚Erkämpfte‘ – gegen wen denn? Aus der Beschreibung sind die Gegner schon seit vielen Versen verschwunden 100-101. Warum war dies immer die erste Sorge gewesen? Nicht klar wenn nicht gesagt worden ist daß die Herrschaft Funktion der Produktionsweise ist. 107. Aber in 5 oder 10. Der Umsturz ist groß aber nicht völlig 109-123. Alle ist nur […]. Eine sehr wichtige Sache, scheint es nur; so diese Schrift für Gebrauch ist muß sie genauer sein; durch die Verschiedenheit der Entwicklung kommt die

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Verschiedenheit der Kämpfe; kommen manche Kompromiß + Alliierungschancen. In Rußland arbeiteten die fremden Kapitäler 1870-1916 schneckenlangsam; das Nichgeschehenhaben der Industriellen Entwicklung dort begründet viel unangenehmes. Die einzige Entwicklung die internat. ist ist die geistige – die wißenschaftliche – ist dies das entscheidende? Die Bremse wirkt nicht nur auf die Geschwindigkeit der Industrialisierung sondern auch auf deren räumliche Ausbreitung. Ich finde hier müßtest Du unbedingt etwas rein setzen. 121-122. ‚Auch geistige Güter werden Gemeingut.‘ dies scheint mir ein sinnloser Satz. Wie welche anderen Güter? ‚Gemeingut‘ ist hier Selbstwiederspruch. Was ist ein geistiges Gut? Ich finde der Satz müßte raus 109 → Übrigens scheint es mir auch poetisch sehr gut möglich den großen Schwung der 109 beginnt mit ei[n]en (oder mehreren) Risik[en] zu Ende kommen zu laßen (oder momentan aufzuhalten). – Die Berechtigung die ganze Entwicklung der Bourgeoisie biß 109 so kursorisch zu behandeln ist die der bürgerlichen Geschichtsschreiber die mit Griechenland anfingen + auf alles andere schißen; nämlich das Geschichtsschreibung eine Kampfform ist. Dies, scheint es mir, müßte gesagt werden. – 130-133 bringen den Gegensatz zum Vorhergehenden, die Limits in einer Form die kei1. A aber B. nen Wiederspruch zeigt → 2. A. B. 3. A aber B, doch auch B weil A. 130-133 ist wie 2. 3 scheint mir das richtige. 153-154. Hier sind nur Worte – kein Bild – ‚zertrümmert‘ gab es schon einmal im Gedicht – ‚aufstehn‘? und was ist hurrikangleich? Wäre das beschrieben und zwar so daß man den Zusammenhang zwischen Produktivkraft und Produktionsweise sieht, gäbe es hier ein starkes poetisches Bild. ‚In rerum Natura‘ ist voll von ausführlichen Bildern glaube ich mich zu erinnern ) ? 184. Mangel trägt Schuld + Zuviel macht den Bau der Gesellschaft wanken – schiefe Bilder – das Bild müßte eines sein + auch in sich den wörtlichen Gegensatz zwischen Mangel + Zuviel einerseits + und der Menge des Vorhandenen und der die das Vorhandene hervorbringt, der Geselschaft nämlich, andrerseits, enthalten. 180. ‚Heute schon keinen mehr der ihn noch ausbeutet.‘ Welchen Sinn hat das noch. Kein Bild entsteht durch zwei kleine Worte wie ‚schon‘ und ‚noch‘, scheint es mir. 185-186. Schön + stark; aber doch zu dünn; eine reine Behauptung aus nichts in dem Vorhergehenden hervorgehend. 185-195. Stimmt das ökonomisch? Es hört sich ein bißchen wie die Theorie des Douglas an (sehr gut in ‚Capitalist Crisis‘ von Strachey beschrieben) Das die Arbeiter wie alles Zeug kaufen dürfen ist klar – in jeder Zeit. 203-205. Wiederholung von 111-112. Schon dort ein gewagter Ausdruck ‚Rast über die Weltkugel hin‘.

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211. Das raunen sie sich zu? ‚Es klappt nicht mehr alles‘ – aber das Zählen müßte doch von den Arbeitern selber kommen. 245-260. Kommen die Maschienenstürmer nicht geschichtlich vor dem Verschwinden der Mittelklaße? __________________________ Es ist keine Rede von den großen Kriegen, den Alternativen der Krisen, die die Produktion groß entwickeln und ungeheure Konsumer die nicht Produzenten sind mit sich bringen (‚It takes 8 ton of Freight to k.o. one […]; die Rivalitet unter den Nationen – das größte Merkmal des bourgeoisen Zeitalters. __________________________ Es ist keine Rede von dem Haß jedes Mannes gegen Jeden – besonders unter den kleinen Besitzern; einem anderen großen Merkmal des bürgerlichen Zeitalters – erwähnbar wo die Rede von dem nüchternen Umblick + dem schwankenden Boden ist. __________________________ So es für Lernen bestimmt ist, meine ich größere Komplexitet würde sehr nützlich sein; ich verstehe nicht ganz die Furcht davor. __________________________ Noch eine Sache finde ich einer gründlichen Erwähnung sehr wert; die Gründe das grade die städtischen Industriearbeiter die Agenten des Kommunismus seien; besonders schlechte Lebensweise, enges Leben, sie sehen den Nichtgebrauch der Maschinen am deutlichsten, sie wohnen in den Städten wo die moderne Macht im Staate ist. Überlieferung: Ms, BBA 38/46-56.

Georg Kaiser an Bertolt Brecht Zürich, 8.1.1945 GEORG KAISER

Zürich 7 Freiestr. 46 c/o Haller 8. Januar 1945

Lieber Bert BRECHT, nach dem großen Verfall wird Neues geschaffen. Die Vorbereitungen für die Gründung eines Verlages und Bühnenvertriebs sind im Gange. Ich habe mich mit meinem Werk diesem Verlag, der von Julius Marx7 geleitet werden soll, verpflichtet. 7

Der mit Georg Kaiser befreundete Geschäftsmann und Schriftsteller Julius Marx (1888–1970), seit 1933 im Exil in der Schweiz, verhandelte in Bern über die Gründung eines Bühnenverlags mit Namen

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Hier richte ich die Frage an Sie, ob Sie mittun wollen? Ich bin der Überzeugung, daß Sie und ich feste Stützen eines Verlages sind, der sich zu großen Möglichkeiten aufbauen läßt. Mir persönlich würde es eine große Freude sein, Ihr Werk im gleichen Verlag zu sehen, dem mein – inzwischen sehr gewachsenes – Werk angehört. So grüßt Sie Ihr G-K Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1530/1. In: Georg Kaiser: Werke, hrsg. von Walter Huder, Berlin 1971.

Julius Marx an Bertolt Brecht Zürich, 9.1.1945

Zürich, 9. Januar 1945 Beethovenstr. 49

Sehr verehrter Herr Brecht, wie Ihnen Herr Professor Horkheimer bereits mitgeteilt haben wird, beabsichtige ich einen Verlag und Bühnenvertrieb zu gründen, sobald die mir in Aussicht gestellte behördliche Genehmigung erteilt ist. Die Anregung zu dieser Gründung gab GEORG KAISER. Er ist der Ansicht, daß die noch vorhandenen deutschen Bühnenvertriebe nach der Niederlage Hitler-Deutschlands aufhören werden, zu bestehen. Auf den Ruinen der Städte aber werde das geistige Leben und vor allem das Theater neu auferstehen. Wie beabsichtigen nun, uns in die kommende Entwicklung auf dem Gebiet des Theaters einzuschalten. Einen Bühnenvertrieb, dem es gelingt, einige der erfolgreichsten Dramatiker zu gewinnen, wird ohne Zweifel im neuen Deutschland die führende Rolle spielen. Auf alle Fälle wird eine Agentur, die neben GEORG KAISER auch Sie zu ihren Autoren zählen darf, diejenige Reputation genießen, die ihr junge, wie auch erprobte und bereits erfolgreiche Autoren – sofern sie sich nicht politisch bloßgestellt haben – zuführen wird. Mit den Vorarbeiten soll so bald als möglich begonnen werden. Es wäre mir deshalb sehr lieb, auf raschestem Wege zu erfahren, ob Sie geneigt sind, dem neuen Vertrieb die Vertretung Ihrer Interessen anzuvertrauen zu den allgemein üblichen Bedingungen. (Alfred NEUMANN – für sein dramatisches Werk –, Cäsar von ARX8, Fritz HOCHWALDER9 und andere Bühnenautoren haben bereits eine Zusage erteilt).

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Lenz, den er mit Kaiser gemeinsam führen wollte. Dieser jedoch verstarb im Juni 1945. Caesar von Arx (1895–1949), Schweizer Schriftsteller, Dramaturg und Theaterregisseur. Fritz Hochwälder (1911–1986), österreichischer Schriftsteller, seit 1938 im Exil in der Schweiz.

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Die Mitwirkung eines Autors von Ihrem Ruf – neben Georg Kaiser – würde es ermöglichen, einen Kredit aufzubringen, der es uns erlauben sollte, solchen Autoren, die gewisse Schwierigkeiten haben, über die kritische Zeit bis Kriegsende hinwegzukommen, finanziell beizuspringen. Ein Vertrieb mit juristischem Sitz in der Schweiz (neben Agenturen in Deutschland, Österreich und anderen Ländern) bietet außer der wertvollen neutralen Etikette den Autoren wesentliche steuerliche und auch andre finanzielle Vorteile, über die ich mich wohl nicht ausführlich zu äußern brauche. Unsre ablehnende Einstellung gegen das verrottete Nazi-Deutschland sollte uns nicht daran hindern in einer gereinigten Atmosphäre am Wiederaufbau einer neuen deutschen Geisteskultur mitzuwirken. Die großen Schwierigkeiten, die der Wiederanknüpfung von Beziehungen im Wege stehen, lassen sich unmöglich von USA aus (oder anderen ausländischen Agenturen) bewältigen. Es wird nach Kriegsende erforderlich sein, von Siedlung zu Siedlung (Städte wird es nur noch wenige geben) zu reisen, um die neuen Theaterbetriebe zu erkunden. Es wird nötig sein, mit den alliierten Behörden zu verhandeln, die über die Zulassung der aufzuführenden Werke entscheiden werden. Wir werden Wege ausfindig machen müssen, um einen Teil der Einnahmen über die neutrale Schweiz den im Ausland lebenden Autoren zuführen zu können. All diese Schwierigkeiten zu überbrücken bedarf einer vielschichtigen Organisation, die aufzubauen den überseeischen Verlegern unmöglich sein wird. Dürfen wir auf Ihre Mitwirkung zählen? Ich erwarte darüber Ihren baldigen Bescheid und grüße Sie, sehr verehrter Herr Brecht in vorzüglicher Hochachtung Überlieferung: Ts, Georg-Kaiser-Archiv der AdK. – Dv: Kopie, BBA Z 5/192.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 30.1.1945 30 January 1945 Mr. Berthold [sic] Brecht 124 East 57th Street, New York, N.Y.

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Dear Mr. Brecht: On the 11th of March10, a Memorial for Romain Rolland11 will be held in the auditorium of the New School. Eugene O’Neill12 has accepted the Chairmanship of the Committee sponsoring this event. It will consist of representative American and European writers, artists and scientists. We hope that your name may be included among those revering the memory of a great personality and a courageous fighter for humanity: Romain Rolland. Sincerely, Erwin Piscator Secretary to the Committee EP:dm Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U., Bv.: Dramatic Workshop of the New School for Social Research 66 West 12th Street • New York 11, N.Y. Telephone: Gramercy 7-8464 Erwin Piscator; Director; BBA 1185/52. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.2, S. 389f.

Stefan Brecht an Bertolt Brecht [Chicago] 2./3.2.1945 Lieber Bidi, dem mißhandelten Jungen, einem jungen Moron namens Kelly,13 war der Geschlechtsteil mit Gewehr[…]öl eingesalbt worden; es war ein ‚practical joke‘, dessen Überraschungselement (nötig für ein ‚practical joke‘) in der thatsächlichen Durchführung bestand. Der Schmerz war geringer denn die Demütigung. Viele Jungen nahmen Teil, die Sache fand auf einer Hügelseite statt; ich saß auf einer anderen – mit guter Sicht und zwischen Sprechels + Flam. Wir hatten alle drei Halstücher an; Flam war ein Jude + gescheid + empfindsam (jetzt verrückt); Sprechels reich, knäblich, grob und schlau (hat jetzt dischar[g]e14 without honour für sex. Perversitet), ich war Ausländer, Links + belesen. (jetzt ASTP)15 Ich war so von vornherein etwas außerhalb der Sache; ich beabsichtigte nicht immer unter diesen Leuten zu leben, ich hatte keinen Wunsch (oder fast keinen) sie zu ändern; das 10 Hs. korrigiert. Im Ts: “25th of February”. 11 Romain Rolland war am 30.12.1944 verstorben. Piscators Einladung zur Gedenkveranstaltung erging an zahlreiche Schriftsteller und Intellektuelle in den USA. 12 Eugene O’Neill (1888–1953), amerikanischer Schriftsteller. 13 Die hier geschilderte Mißhandlung eines geistig Retardierten ereignete sich vermutlich in Camp Roberts in Kalifornien, wo Stefan Brecht sich von September 1944 bis Januar 1945 zur militärischen Grundausbildung aufhielt. Danach ging er zum Studium nach Chicago. Vgl. die Journaleinträge vom 21.1. und 24.1.1945 (GBA 27, S. 218f.), dazu auch das Porträt eines jungen Mannes (ebd., S. 356f.). 14 Im Ms: „discharche“. 15 Soll vermutlich heißen: amerikanischer Staatsbürger.

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was einem von Ihnen wiederfuhr als auch vielleicht mir später wiederfahrend zu erfassen und so zu beurteilen war nicht nur nicht durch Gleichsein automatisch – nicht mal ein Gedankenprozess der dazu führen würde war leicht vorhanden. Kelly wurde zuerst von Einzelnen verfolgt, dann von Mehreren, dann wie in einem Fußballspiel zu Fall gebracht, von noch mehr Leuten umgeben, mißhandelt. Dann zerstreute sich die Gruppe. (Alles findet ja im Militär zwischen sehr – durch Gewalt + Bestrafung, Geschrei + Formationsänderungen – bestimmten Zeitpunkten statt.) Alle, auch Kelly, mußten zu einer bestimmten Area zurückkehren und gehen. Ich erinnere mich daß ich die Formation der Gehenden Soldaten als schön, als schön oder nicht schön zu beurteilend, und, zu einem späteren Zeitpunkt als an Schönheit defizient empfand. Ist die Qualität ‚Schönheit‘ (und hierunter meine ich jetzt auch ‚weniger schön‘ und ‚häßlich‘) in einem Raum identisch mit der Möglichkeit Relationen in diesem Raum festzustellen plus der Möglichkeit diese, einzeln und ihrer Totalität mit früher festgestellten zu vergleichen? ____________ Die Männer gingen weg; einzeln, zu Zwein + Drein; in Linien + hintereinander, früh oder spät, graden Wegs oder in Umwegen, zögernd oder ein-Werk-vollbracht-habend, zurückblickend, lachend oder an-Anderes-denkend, verschämt, oder bereits die Konsequenzen bedenkend, als Gemeine und (Einer) als ‚Squadleader‘ (er war Antreiber g Anstifter gewesen). Manche hatten gejagt, andere Kelly gehalten, andere nur zugeschaut; einige waren zu spät gekommen. Ihre jetzige Geistige Haltungen, frühere Geistige Haltungen, jüngste Handlungen + allgemeine Naturen wiederspiegelten sich in ihrem Weggehen; in ihrem Platz in der Formation + und in ihren Platzveränderungen.16 Was hatte ich an dieser Aussicht gern? Erstens ganz einfach das geometrische Muster der Männer, glaube ich. So wie die Proportionen eines Hauses Gebäudes schön oder nicht schön sein können – ganz von Nutzgesichtspunkten absehend, ganz so wie die Distribution dicker Äste und dünner Zweige in nackten, schwarzen Bäumen manchmal schön und manchmal ‚mißglückt‘ ist, so Farbenkombinationen in Kleidern, Handschriften oder auf Bildern ganz unverständig und direkt schön physiologisch schön oder nicht schön erscheinen, so hatte diese Distribution etwas als schön oder unschön Beurteilbares; eine Qualitet, vielleicht auch im Ballet, in Massentänzen, enthalten.17 Eine andere Freude kam von dem Kontrast zwischen der ‚Zufälligkeit‘ und der Erklärbarkeit der Ausicht. Die Zufälligkeit war in der Menge der Teilnehmer und der Gleichheit ihrer (zu dieser Sache Beziehung habenden) Verhältniße enthalten, in der Gleichheit ihrer Uniformen, ihrer Uniformiertheit als des Kelly Feinde und Nichthelfer; sie haten denselben Ausgangspunkt und das selbe Ziel, sie kamen alle aus einem Kreis und gingen in ein 16 Erg. am Rand: „Feb. 2. 1945“. 17 Erg. am Rand: „Feb. 3. 1945“.

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Quadrat hinein; die Lage jedes Mannes war ‚durchschnittlich‘, oberflächlich durch die motivierte Enge des Weges, durch die Occupation anderer Lagen durch Andere ‚erklärt‘. Doch war auch die Position fast jeden Soldatens erklärbar durch seine jüngste Geschichte. Der Gegensatz zwischen diesen beiden gab eine dauernde Freude ähnlich der die beim Anfang der Detailanalyse der Positionsmotive entstand; sozusagen eine Finder- oder Entdeckerfreude. Es giebt da die Frage der Moralität der Handlung. Erstens ist es also wie oben auf Seite zwei erklärt. Dann waren wir ale durch des ungerechten Krieges Härte mißhandelte Leute, dann war es ja ein Spass + als solcher moralisch gut. Ausserdem hatte ja die Mißhandlung einen Grund; die Besonderheit des dummen Jungen. Doch war ein drittes Teilelement des Vergnügens wohl der Konflikt. Kelly hatte Pläne wegzukommen, die Sache abzulenken – und die Anderen auch. Kelly und die Anderen handelten. Es gab da also eine Entwicklung und so ein Spannungselement. Daß da Viele gegen Einen waren gab der Entwicklung eine Besonderheit; so wie die welche verschieden Sporte unterscheidet. Es wurde einem Menschen Schmerz bereitet und eine Demütigung zugefügt. Das ist schlecht. Das kam gar nicht vor in esthetischen Überlegungen, meine ich. Natürlich war das Hauptelement der Sache die menschlichen Beziehungen; doch gaben diese der Sache nur ihre Besonderheit; wäre eine häßliche Kröte und nicht des Kelly Mißhandlung der Leute Attraktion gewesen, wäre die Schönheit der Sache beinahe nur insofern eine Andere gewesen wie sie auch anders gewesen wäre hätte man Kelly getötet oder gefeiert. Etwas ist allerdings wahr. ‚Die Mißhandlung‘ ist etwas sozusagen Bestimmtes, es ist eine bekannte, vorhandene, menschliche Beziehung. So wie ‚der Dank‘, ‚die Schuldbezahlung‘, ‚die Rekantation‘, ‚die offene Lüge‘, ‚die frohe Wiedervereinigung‘. Es wurde von dem letzten Stadium der ‚Mißhandlung‘ ein Exempel gegeben; der Motivteil der Relation Position – Motiv war immer referrierbar zu der Abstraktion ‚die Mißhandlung‘. Es wurde in Balettform der Reichtum generell bekannter, menschlicher Beziehungen einer bestimmten Art ausgemalt. Die Größe, Allgemeinheit und Wichtigkeit der Sache war ein Element des Vergnügens. Grüße an Helli + Barbara Steff. Überlieferung: Ms, Bv.: U.S. Army Service Clubs, Camp Roberts, California; BBA 2021/1–8.

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Karl Korsch an Bertolt Brecht New Orleans, 25.2.1945 3313 Carondelet St. New Orleans 15, La. Feb. 25, 1945 Lieber Brecht: das ist leichter gesagt als getan: Ihnen zu schreiben, und nicht gleich ordentlich.18 Es gibt so viel zu sagen und neu zu orientieren, nun da der Krieg noch lange nicht zu Ende ist aber drüben in den „Bürgerkrieg“ umschlägt und hier, weit vom Schuss und vom Strick, die „Nachkriegs-epoche“ entschieden angefangen hat. Wenn ich New Yorker Zeitungen sehe, habe ich den Eindruck, dass all die fixen Kerle schon dabei sind „to jockey for positions“. Also ich kriegte beides, die Fibel und den high-brow stuff über die grossen Dichter.19 Ich denke, dass die beiden Kommentare über Dante u. Kant20 geschichtlich etwas zu eng sind – was für Sie nicht soviel zu bedeuten braucht. Beatrice21 und „Laura“22 sind doch bloss die logischen Endpunkte zu der mit den troubadours zur Zeit der Kreuzzüge und der Ketzerei beginnenden Entstehung der „bürgerlichen Liebe“. Ich wollte immer mal darüber schreiben – hab ich Ihnen nicht mal einen ersten Entwurf davon geschickt?23 Jetzt gibt es natürlich brennendere Aufgaben, aber für die grosse Pause wäre das ein passendes ‚work of love‘ gewesen. Kant’s krasse Formulierung24 (vom „Vermögen“ sagt er direkt nichts25 – aber Sie hätten seine Geschlechtsorgane mit guten Gründen so übersetzen können – ähnlich wie Schiller’s

18 Vgl. B. an Korsch, Mitte/Ende Feb. 1945, GBA 29, S. 345. 19 Zusammen mit dem genannten Brief schickte Brecht auch zwei Manuskripte mit der Bemerkung: „Scharfe Kritik erwünscht“ (GBA 29, S. 345). Es handelte sich dabei um eines der ersten Exemplare der eben fertiggestellten Kriegsfibel (GBA 12, S. 127–282) und die Studien (GBA 11, S. 267–273). 20 Vgl. die Sonette Über die Gedichte des Dante auf die Beatrice und Über Kants Definition der Ehe in der „Metaphysik der Sitten“ aus den Studien (GBA 11, S. 269f.). Mit Immanuel Kant (1724–1804) hat sich Brecht im übrigen, anders als mit Hegel, nur sehr beiläufig befaßt. Vgl. etwa seine Notizen über das Kantsche „Ding an sich“ in GBA 21, S. 412f. 21 Dantes Jugendliebe Beatrice Portinari (1266–1290), die er erstmals in La vita nuova (Das neue Leben, 1293) schilderte. 22 Laura nannte der italienische Dichter Francesco Petrarca (1304–1374) seine große Liebe, die er in einigen Gedichten des Canzionere (1336–69) besang. 23 Korsch dachte vermutlich an sein Manuskript „Bourgeois Love“ von 1941. 24 Gemeint ist Kants Definition der Ehe als „Geschlechtsgemeinschaft“ in § 24 der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten (1797). 25 Bei Kant heißt es in dem genannten Paragraphen: „Geschlechtsgemeinschaft (commercium sexuale) ist der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht […]“.

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Glocke!26 – man könnte die ganze Literatur vor-während-nach der französischen Revolution entsprechend übersetzen – – das wollte ich auch schon mal tun, im zweiten Teil meiner Studie über die Gegenrevolution;27 wenn ich 80 Jahre alt werde, wird vielleicht alles noch nachgeholt!) – also Kant’s Formulierung war nie populär und ist selbst Fachleuten weitgehend unbekannt. Ihrem Angriff wird dadurch etwas genommen; die Laien wissen nicht was sie angreifen und die andern denken, es wäre nicht typisch. Aber alle diese Sachen, einschliesslich der beiden eben diskutierten, sind stark und gut. Die Fibel ist das beste was es über diesen Krieg gibt. Ich habe es schon mehrere Male ohne und mit Lupe (magnifying glass) studiert und finde immer mehr darin – werde es jetzt erstmal für kurze Zeit an Hedda 28 schicken. Diese schreibt jetzt in grösster Hast neben ihrem vollen teaching job von 18 Wochenstunden (ich habe 9 und es ist mir zuviel!) die letzten Bände des grossen deutschen Lesebuchs (alle Stufen von 7-17) für Nachkriegsdeutschland fertig, die der Bermann Fischer-Verlag herausgeben will.29 Man hat sie erst zugezogen, als Karsen30 und die andern Trümmerhaufen der alten deutschen liberalen und sozialdemokratischen Kultur nicht weiterkamen; Geld kriegt sie noch immer wenig, aber sie hat jetzt nicht nur die ganze Arbeit sondern damit auch die Leitung in Händen. Die Armee (Provost der Gefangenenlager) hat riesige Bestellungen der letzten Bände gemacht, will sie „Anfang März“ haben u. kriegt sie vielleicht im März oder April wirklich. Könnten Sie nicht irgend ein Nebenprodukt beisteuern oder etwas für den Zweck dichten? Was würden Sie den deutschen Kriegsgefangenen in Amerika am liebsten sagen? Innerhalb gewisser Grenzen (nicht der wirklichen, die Fischer u. Karsen nicht verstehen, aber der in ihrer Einbildung bestehenden) könnte Hedda wohl auch sehr Scharfes und Gründliches aufnehmen. Überhaupt leidet die Arbeit an der Überfülle des Literarischen (leider gehörte Herr Moss31, Günstling von Frau Fischer – oder Bermann? –, zu den Mitarbeitern, wenn er auch faktisch ausser einer „liederlichen Liste“ seiner Lesefrüchte, für die er $ 500 kriegte,

26 Vgl. – ebenfalls in den Studien – das Sonett Über Schillers Gedicht „Die Glocke“ (GBA 11, S. 271). Das Lied von der Glocke (1799) wurde erstmals 1800 im Musenalmanach gedruckt. 27 Vgl. die Beilage „Plans for Work“ zu Korschs Brief an Easton Rothwell, 2.12.1940, Briefe, S. 913ff. 28 Hedda Korsch. 29 Gottfried Bermann-Fischer plante, eine von Pädagogen, Historikern und Germanisten besorgte Reihe von Schullehrbüchern zur Unterstützung des Umerziehungsprozesses der deutschen Jugend herauszubringen. Von den vorgesehenen drei Bänden zur Geschichte erschien lediglich der zweite: Die Vorherrschaft Europas (Berlin 1947). Aus den Vorarbeiten für das deutsche Lesebuch ging später die von Walter Killy herausgegebene vierbändige Sammlung Zeichen der Zeit (Frankfurt/M. 1962) hervor. 30 Fritz Karsen (1885–1951), Reformpädagoge und Schulleiter, ging 1933 ins Exil nach Zürich, Paris, Bogotá und schließlich nach New York. Eine Gruppe von Historikern unter der Leitung von Karsen bereitete die von Bermann-Fischer geplanten Geschichtsbücher vor. 31 Gemeint ist vermutlich der 1939 in die USA exilierte Schriftsteller Joachim Maass (1901–1972), der mit Gottfried Bermann-Fischer in engem Kontakt stand und ab 1945 auch als Mitherausgeber der im S. Fischer Verlag erscheinenden Neuen Rundschau fungierte.

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nichts beigesteuert hat), also Mangel an Realem aus Ökonomie, Politik, Soziale Welt usw. Ich werde versuchen, schnell noch einiges vorzuschlagen ... Also ich werde Ihnen über die Fibel bald ausführlich schreiben. Auch wegen der dahinter zu ziehenden „Linie“. Mir scheint, ich kann sie konstruieren, aber da fehlt noch viel an Ausfüllung und Bestätigung. Soweit erkennbar, ist einiges, was uns trennte durch Änderung von beiden Seiten aus! ganz weggefallen und vieles was uns sehr einigt teils wieder (wie nach 1918) teils neu hinzugekommen. Ich habe leider meines Wissens nach der Suspendierung der „New Essays“32 nichts mehr veröffentlicht. Seit einiger Zeit, besonders heftig seit Weihnachten, leide ich aber an solchem Übermass von neuen Ideen und Plänen, dass ich nun sehr bald mindestens 1-2 neue Bücher schreiben muss. Obwohl Lehren und Schreiben bei mir schlecht zusammengehen und Lehren und Lernen nur zu gut – so dass alle meine Gedanken mich zu sehr um den ganzen toten Stengel meiner undergraduate lectures herumranken! – habe ich doch jetzt angefangen ungeordnete Notizen und Splitter aufzuschreiben. Ein Buch würde handeln von 1) Raum u. Zeit in den Gesellschaftswissenschaften. Das andere von 2) Ideologies, Propaganda & Leadership in modern society. No 1 ist ein Anfang zu Sachen, die in der alten Sprache unter „materialistische Gesch[ichts]-Auff[assun]g“ zu registrieren wären. Inhaltlich alles, glaube ich, sehr neu, und gegenständlich auf unsere (vor, nicht hinter uns liegende) Zeit bezogen. No 2, unter Ignorierung des angeblichen Gegensatzes zwischen „totalitärer“ u. „demokratischer“ kapitalistischer Gesellschaft, behandelt Probleme, denen sich Marx u. Engels zuletzt auch zuwandten, wo sie aber damals nicht so viel mit machen konnten, weil Europa dafür noch zu wenig reif war. So wird es, zum Teil, eine Kritik speziell der amerikanischen Gesellschaft, die vielleicht, mehr oder weniger, das Gesicht der kommenden Weltgesellschaft hat. Andererseits erscheint sie zunächst stark als Regression (von 3-4 Jahrhunderten europäischer vorfaschistischer Gesellschaft, von der wir heute nicht wissen, ob etwas und wieviel davon nach der current „Destruction of Europe“ übrig geblieben sein wird). Diese Gesellschaft erinnert stark an primitive Gesellschaften (australische Horden), wo es nur Individuen: im Naturverbande in Nahrungssuche aufgehend – und (periodisch!) Community gibt, und nichts dazwischen. Es wird fraglich, wie weit es in solche Gesellschaften Klassen, Arbeiterbewegung, Marxismus usw. in früheren europäischen (und quasi-Weltumfassenden, solange Europa die Welt ausbeutete!) Stil noch oder wieder geben kann. Jedenfalls ist alles massenhafter, verworrener, weniger plastisch und ungeheuer viel schwieriger geworden. – Hoffentlich haben diese Andeutungen es nicht noch mehr verwirrt. Ich habe da sehr konkrete bestimmte Dinge im Auge. Es scheint verrückt, dass ich nicht mal ein paar Wochen mit Ihnen zusammen sein kann. Es würde für mich nicht nur angenehm, sondern sehr nützlich sein. Ich muss aber 32 Die vormals in Chicago verlegte Zeitschrift New Essays (bis 1942: Living Marxism) mußte ihr Erscheinen Ende 1943 einstellen.

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jetzt, als „geistiges Wesen“, dafür büssen, dass ich ein zweites Jahr in Capua geblieben bin. Jetzt habe ich mich buchstäblich aus Furcht vor den langen Wintern, den grossen Kälten, mit zunehmenden kriegsmässigen Erschwerungen, die ich im Nord-Osten voraussehe, feige entschlossen, noch ein drittes Jahr hierzubleiben. Alles möchte noch gehen, wenn ich meine Vorlesungen zeitlich und energiemässig zu einer Nebenbeschäftigung herabdrücken könnte. So suche ich fortwährend Unvereinbares zu vereinbaren, spreche über das Hundertste vor Mädchen, die das erste nicht wissen ... Ein Gutes ist vielleicht, dass ich nicht mehr so ausschliesslich den feineren und feinsten Verästelungen meines eigenen Gedankenganges nachgehe, sondern viele „Lücken“, darunter sehr grosse, richtig und up to date ausfülle. Auch lernte ich mich populärer auszudrücken. Aber das ist keine Kompensation für die Verluste. Ich bin politisch immerhin wieder etwas aktiver geworden: im „Interracial“ (besser: anti-racial) Tätigkeiten, Gewerkschaften, – halte politische Vorträge und spreche wieder ganz die alte unverschleierte Sprache in vielen Diskussionen an verschiedenen Stellen – hier wird einem leider wenig übelgenommen, weil nur wenige etwas verstehen, und keine 10 Menschen unter 500000 irgend etwas ernst nehmen... Vor ein paar Wochen las ich vor einem meist aus älteren Damen der besten Gesellschaft bestehenden literarischen Klub einiges von Ihnen – die von Hedda übersetzten Gedichte einschliesslich der Kinder in Polen.33 Die Wirkung war gross, leider natürlich meistens nur „gerührt“, „bewegt“ und etwas erschrocken. Ich selbst auch „gerührt“ u. „bewegt“, konnte mich aber grade noch kontrollieren. So, dies ist nur ein erster Abschlag. Ich habe mich seit Weihnachten ständig überarbeitet, durchschnittlich nur 3-4 Stunden von 24 geschlafen. Jetzt suche ich daraus planmässig heranzukommen, um wieder etwas Zeit für wirkliche eigene Tätigkeit – dazu gehört die Korrespondenz mit Ihnen, – zu gewinnen. Grüssen Sie bitte Ruth Berlau, sagen Sie ihr meinen herzlichen Dank für den grossen Dienst, den sie mir energisch u. freundlich und zuletzt auch mit Erfolg erwiesen hat. Grüssen Sie auch alle andern – Steff noch in Chicago?34 Vielleicht könnte Steff mal Mattick besuchen (: 643 Roscoe St.)? Ihr alter Karl Korsch Überlieferung: Ms, BBA 1185/57–64. – E: Korsch, Briefe, S. 1086ff.

33 Gemeint ist die Ballade Kinderkreuzzug 1939. Vgl. Anm. zu Korsch, 18.11.1942. 34 Stefan Brecht studierte seit kurzem Japanisch in Chicago. Vgl. den Journaleintrag vom 21.1.1945, GBA 27, S. 218.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 26.2.1945 243 Riverside Drive Apt. 604, N.Y. 25, NY

den 26.2.1945

Lieber Brecht: Ich schreibe im Auftrage von Viertel, der sich sehr anstrengt, etwas fuer den Council35 und innerhalb des Councils zustande zu bringen. Er moechte wissen, ob Sie die Rechte fuer die „Master Race“ vergeben haben, evtl. an Piscator.36 Viertel hoerte davon, er hoerte auch, dass der Plan sich zerschlagen haette auf Abraten amerikanischer Freunde hin. Ich selber weiss wenig davon, da nach einigen Verhandlungen mit Piscator ich ihn nicht mehr gesehen habe. Viertel bekam auf einige Verabredungen in allerletzter Zeit Absagen, wie er mir sagte. Da Viertel und der Council immer noch versuchen moechten, einzelne Szenen innerhalb eines grossen Demonstrationsabends vor Amerikanern zu bringen, muessten Sie ihm sehr schnell wegen der Rechte Bescheid geben. Er hat sich daran gemacht, anstatt des Tank-Rahmens einen Besatzungs-Rahmen zu fabrizieren, moechte aber im Grunde, dass Sie selber dabei helfen. Der Council war eigentlich einmuetig fuer einen solchen grossen Abend vor Amerikanern; die Association, die wir als Sponsor bekommen wollten, war sehr skeptisch. Ich selber halte die Auffuehrung, wenn alles so herauskommt, wie es gemeint ist, fuer entscheidend wichtig. Da es letzten Endes ja auch eine Geldfrage ist – urspruenglich wurde in der ersten Besprechung zwischen Piscator, Viertel und mir 2-3000 Doll. Anfangskapital genannt, wenn man die Kraefte frei bekommt. Ich dachte an Folgendes, obwohl ja auch momentan noch andere wichtige Dinge los sind, die Aufmerksam[keit] verdienen: Wahrscheinlich wird Hillman37 doch in kurzer Zeit zurueck sein, und wahrscheinlich wird er ja auch im April an die West Coast kommen. Wenn man die Garantie von ein paar Gewerkschaften und, sagen wir, der Krankenkasse haette, dann koennte man ja eine solche Auffuehrung ruhig riskieren. Die Maenner von der Association, mit der wir damals sprachen, hatten eben Angst vor dem grossen finanziellen Risiko und dachten an garnichts anderes.

35 Council for a Democratic Germany, New York. 36 Die New Yorker Theatertruppe The Theatre of All Nations bereitete seit Anfang 1945 eine Inszenierung von The Private Life of the Master Race (vgl. Bentley an Berlau, 24.1.1944) vor. Regie führen sollte Erwin Piscator, der sich jedoch mit Brecht über die Rahmenhandlung nicht einig wurde (vgl. Piscator, 29.5.1945). Schließlich übernahm die Regie Berthold Viertel, der im Mai 1942 bereits vier Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches inszeniert hatte (vgl. Anm. zu Michaelis, 30.5.1942). Die Premiere von neun ausgewählten Szenen fand am 12.6.1945 im Festsaal des City College of New York statt. Die Bühnenmusik komponierte Hanns Eisler. 37 Sidney Hillman (1887–1946), amerikanischer Gewerkschaftsführer.

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Frau Dieterle38 schrieb und bat mich um Council-Material, wollte gedruckte Briefbogen haben. Zu dieser so bitter notwendigen Anschaffung haben wir uns erst seit kurzem entschlossen und wir werden also Frau Dieterle im Laufe der naechsten Woche auf unserm „stationary“ antworten koennen. Im Zusammenhang damit kann ich nur sagen, dass ich im Moment ueberhaupt nicht weiss, wie alles weitergehen soll, wir haben ja schon eine ganz schoene Korrespondenz am Halse und verschicken etwa 1000 Bulletins, dazu muss ich mir Hilfe nehmen, eine Frau, die auch mal bessere Tage gesehen hat, und nur fuer Geld bei uns arbeiten kann (sie ist aber auch sonst dabei, ich meine mit dem Verstand.) Ich selber mache es moeglich, dass ich an drei Tagen der Woche fuer die Regierung arbeite und zwar mit Ueberstunden dann 12 - 14 Stunden aus dem Haus bin. Das bedeutet, dass ich seit Weihnachten nicht im Kino, nicht im Theater war und vielleicht 2 1/2 Buecher gelesen habe. Alle ordentlichen Councilmitglieder reden sich immer mit ihrer eigenen Arbeit aus und packen mir noch lustig ihre Ausschussarbeit auf. Ich will das gern machen, so lange es geht, aber einmal hat das ein Ende, und dann wird das Ende ploetzlich sein. Was ich meine ist: Besteht denn gar keine Moeglichkeit, dort etwas Geld zusammenzukriegen, damit ich wenigstens die Frau Fein bezahlen kann, damit in meiner Abwesenheit an den Tagen, wo ich einfach nicht da sein kann, das Buero funktioniert? Wir sind eine unpopulaere Sache bei der Majoritaet der Leute im Augenblick, aber irgendwie muss ja alles weitergehen. Alle hiesigen Councilmitglieder besteuern sich jetzt selbst im Monat, damit haben wir wenigstens Portoausgaben. Herzlichst Bess Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA Sammlung Viktor Cohen (Mappe Hauptmann 55/1).

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 20.3.1945

20. März 1945

Lieber Brecht: endlich geht es vorwärts. Der beiliegende Prospekt mit Werbebrief und Zeichnungsformular geht an ca. 2500 Adressen. Morgen gehen die ersten Manuscripte, Weiskopf und Anna Seghers, in Satz, Du, Bloch und Graf sollen schnell folgen. Bitte schick daher das Manuscript „Furcht und Elend“ so schnell wie nur irgend möglich!39 Es wird in derselben 38 Charlotte Dieterle, geb. Hagenbruch (1896–1968), Schauspielerin und Drehbuchautorin, Ehefrau von Wilhelm Dieterle. 39 1945 publizierte der von Herzfelde soeben gegründete Aurora-Verlag eine auf 24 Szenen reduzierte Fassung von Furcht und Elend des III. Reiches. Des weiteren erschienen Die Unbesiegbaren von F.C. Weiskopf, Der Ausflug der toten Mädchen von Anna Seghers, Freiheit und Ordnung von Ernst Bloch sowie Der Quasterl von Oskar Maria Graf.

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Art gesetzt wie Deine Werke.40 Das Schwierigste, einen guten deutschen Setzer zu finden, ist endlich gelungen, Geld für den Satz der ersten 4 Bände ist auch schon vorhanden, und der Prospekt wird hoffentlich bald genug weiteres Kapital einbringen. Sei so gut, und schreib gleich, ob Du Zeit findest, den Werbebrief zu versenden, und wieviele Du brauchst, oder sende die Adressen, an die wir ihn von hier aus senden sollen. Das Manuscript „Morgenröte“41 macht sehr viel Arbeit, ich hoffe, wir werden aber doch bald soweit sein, es an Heinrich Mann senden zu können. Die Aussichten für den Absatz sind jetzt günstiger als jemals zuvor, da in letzter Zeit sehr viel gute Literatur von den Lagern bestellt wird, und die Zensoren lassen sie sogar durch; z.B. die ganz Mexico-Produktion.42 Ich verstehe, dass Du Briefe nicht erledigst, hoffe aber, wenn Du schon nicht zum Beantworten dieses Briefes kommst, dass Du das Manuscript und die Adressen schickst. Freuen würde ich mich, erhielte ich auch die hektophotographierten Gedichte, die Du Weiskopf gesandt hast.43 Herzliche Grüsse Dein Wieland [Hs.] Viertel wird im Juni 60 Jahre alt, viell. erscheint sein Gedichtband bis dahin auch.44 Ich bin – trotz Deinen Einwänden dafür, bald auch Deine Gedichte herauszubringen.45 Noch in diesem Jahr. Überlieferung: Ts (ohne Beilagen), hs. Erg., hs. U., Bv.: Aurora Verlag Gegruendet Von: Ernst Bloch Bertolt Brecht Ferdinand Bruckner Alfred Doeblin Lion Feuchtwanger Oscar Maria Graf Wieland Herzfelde Heinrich Mann Berthold Viertel Ernst Waldinger F.C. Weiskopf 189 East 10 West 23rd St., New York 10, N.Y., Telephon Gramercy 3-2359 5-8250, Geschaeftsfuehrung: Wieland Herzfelde Bankkonto: National City Bank New York City Gramercy Park Branch; BBA Z 47/63.

Paolo Milano46 an Bertolt Brecht New York, 20.3.1945

Forest Hills, L.I., N.Y., March 20, 1945

40 Die Gesammelten Werke. Zwei der geplanten vier Bände waren 1938 im Malik-Verlag erschienen. 41 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. 42 Gemeint ist die deutschsprachige Exilliteratur, die in Mexiko-Stadt veröffentlicht wurde. 43 Nicht ermittelt. Möglicherweise die Kriegsfibel. 44 Der Gedichtband Der Lebenslauf von Berthold Viertel erschien 1946. 45 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.5.1943. 46 Paolo Milano (1905–1988), italienischer Literaturwissenschaftler. Emigrierte nach seinem Studium in Rom nach New York und lehrte dort in den 1940er Jahren romanische Literatur am Queens College. Arbeitete später als Literaturkritiker in Italien.

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Dear Mr. Brecht: I wonder if you ever got a similar letter I wrote to you, care of NEW DIRECTIONS.47 The matter is the following: My very good friend Ignazio Silone, who is back in Rome, has founded there some kind of theatre; and is very eager to put on your play THE MAN OF SZECHUAN. (By the way, this may not be the correct title,48 but I have read the play in the German manuscript, and enjoyed it deeply). I do hope that the plan interests you, and have no doubt that Silone would do an excellent job with your play. Would you be kind enough as to send me right away a German script, which I would forward to Rome?49 The matter seems to be quite urgent, since I have got in the meantime two more pathetic appeals on the matter, from Silone. I think that an Italian audience deserves to hear your voice on the stage, after so long an abstinence. As to me, I am connected as a teacher with the Dramatic Workshop of Piscator, who tells me that he has written to you, to back my request. I’d be very grateful to hear soon from you. Cordially yours P. Milano Paolo Milano Überlieferung: Ts, hs. U., Notiz von fremder Hand: „12:30“; BBA 1183/16.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 22.3.1945 Dringend! 22. März 1945 Lieber Brecht, Die ersten 1000.- Dollars habe ich aufgetrieben, der Weiskopf-Band ist schon gesetzt, und ich bitte Dich, das Manuscript „Furcht und Elend“ so schnell wie möglich zu schicken,50 es soll zugleich mit Weiskopf und Seghers gedruckt werden, weil das billiger kommt. (Seghers hat übrigens zwei weitere Erzählungen geschickt.)51 47 Der New Yorker Verlag New Directions. 48 Der gute Mensch von Sezuan ist im Englischen unter verschiedenen Titeln bekannt. In der Übersetzung Eric Bentleys von 1948 hieß das Stück The Good Woman of Setzuan. 49 Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert. Die hier in Aussicht gestellte Aufführung in Rom kam nicht zustande. 50 Vgl. Anm. zum vorangehenden Brief. 51 Im Aurora-Verlag sind nach dem Ausflug der toten Mädchen (1946) keine weiteren Erzählungen Anna

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Ich füge den Entwurf eines Vertrages bei, gleichlautend mit dem mit Weiskopf abgeschlossenen. Falls Du einverstanden bist, schick ihn bitte unterschrieben zurück, ich sende dann ein gleiches Expl. an Dich. Falls du etwas ändern willst, tu es bitte, ich ändere dann entsprechend. Das Manuscript des Bandes „Morgenröte“ ist noch nicht ganz fertig, wir tun aber alles, um die Arbeit zu beschleunigen. Die Aussichten für den Absatz sind gut, da neuerdings manche Camps sogar die Mexico-Bücher in Mengen beziehen. Falls Du einen andern Beitrag als „An die Soldaten im Osten“ drin haben willst, lass es uns bitte bald wissen. Der beigefügte Prospekt mit Werbebrief und Antwortformular geht an ca. 2500 Adressen. Bitte schick mir eine Liste Deiner Adressen so bald wie möglich. Falls Du persönlich dazu schreiben willst, füge bitte entsprechende Blätter bei. Lass mich auch wissen, wieviele Prospekte Du willst. Herzlichst Dein W Anlagen Viertel wird im Juni 60 Jahre alt. Wir hoffen bis dahin seinen Band her­auszubringen. Möchtest Du nicht bald einen Gedichtband herausgeben. Mich würde es sehr freuen. Du hast an Weiskopf ein photographiertes Bändchen geschickt, hast Du eins für mich übrig? Überlieferung: Ts (ohne Beilagen), hs. U.; BBA Z 47/64.

George F. Alexan an Ruth Berlau New York, 12.4.1945 den 12. April 1945 Liebe Frau Berlau, hier ist der Brief, den die amerikanische Vertreterin des Reiss-Verlages52 an mich gesandt hat. Er enthält wohl alle Details, die für Brecht interessant sind und es wäre am besten, wenn Sie den Brief und das Telegramm Ihrem Schreiben beilegen würden. Ich füge noch einen Bericht aus einer Schweizer Zeitung bei,53 der mir zufällig in die Hände geraten ist, vielleicht interessiert die Notiz Brecht. Wegen der Parabel hoffe ich bald von Ihnen zu hören.

Seghers erschienen. 52 Mit dem Theaterverleger Kurt Reiss hatte Brecht 1939 einen Vertrag über den Vertrieb seiner Stücke in Europa abgeschlossen. 53 Nicht überliefert.

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Mit herzlichem Gruß Ihre FrGAlexan [Anlage:] NBG 16 INTL=CD Basel 59 Mar 26 72OP lc grete leisundgut= 404 east fiftyfifth nyk= 1945 Mar 27 AM 8 06 have cabled bre[c]ht twentysixth street 1063 santa-monica california regarding jeanne d arc54 try to get play and send it urgently. have asked brecht to contact you regarding adaptation plays wedekind55 for american stage try utmost to persuade him and to secure his representation continental rights for all his plays= reiss ltd. 404 Bre[c]ht 1063 D Arc Brecht Wedekind Liebster Alexan: ich danke Ihnen vielmals dass Sie mit Frau Berlau gesprochen haben und gebe Ihnen die Punkte um die es sich handelt, schriftlich damit Sie es ihr zeigen können. Wie Sie aus beiliegendem Telegramm ersehen können, ist es Reiss vor allem um die Jeanne D’ Arc zu tun. Wahrscheinlich hat er schnelle Aufführungsmöglichkeiten. 2tens – – – für mich scheint d a s erstens – – – die continental rights für die sämtlichen Werke Brechts. 3.) Evtl. Wedekind Adaptionen. Reiss hat das Gesamtwerk Wedekinds erworben und ich lege Ihnen der Einfachheit halber die Liste bei. Reiss schreibt, dass seinerzeit ein New Yorker Unternehmen die „Loulou“56 geben wollte, Tilly Wedekind57 aber nicht den Mut hatte, weil er zu der Zeit i n Deutschland nicht gespielt werden durfte. Er schreibt auch, dass W. in Amerika nie gespielt worden ist. Ich g l a u b e , dass Frühlingserwachen58 gespielt wurde, weiss nur im Moment nicht wo und wann. WELCHES Stück 54 Gemeint ist wohl das Stück Die Gesichte der Simone Machard. 55 Frank Wedekind (1864–1918) war der Lieblingsdichter des Schülers Brecht. Mittenzwei zufolge übertraf sein Einfluß auf dessen frühe Poesie bald den von Knut Hamsun und Gerhart Hauptmann (vgl. Brecht I, S. 35). Wedekinds Dramen hat Brecht indessen weder adaptiert noch selbst inszeniert. 56 Unter dem Titel Lulu, so der Name der Protagonistin, werden seit 1913 die beiden Dramen Erdgeist (1895) und Die Büchse der Pandora (1902) von Wedekind zusammengefaßt. 57 Tilly Wedekind, geb. Newes (1886–1970), trat in zahlreichen Stücken Wedekinds auf, spielte u.a. auch die Lulu. 58 Frühlings Erwachen (1891), Drama von Wedekind.

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Brecht für wichtig hält in diesem Lande – – und Sie wissen was ich unter wichtig verstehe – und welches ihn reizen würde zu bearbeiten – ist ganz und gar an ihm zu entscheiden und ich glaube dass der Verlag jeden Rat von ihm anhören wird. Vielleicht ist es gut wenn ich Ihnen hier einen Passus zitiere aus einem Brief von Hartung an mich, Hartung steht kürzer [?] dem Verlag und es ist um seinetwillen dass i c h und Freunde sich darum interessieren: „Der Verlag steht heute vor der Lösung einer wichtigen Frage: ob die nach Amerika emigrierten Autoren, die ihm für das begränzte Deutsche Sprachgebiet seinerzeit ihre Vertretung übergaben, sie ihm auch nun geben werden für das g a n z e Deutsche Sprachgebiet.“ „Bermann Fischer ist drüben, er wird wahrscheinlich amerikanische Rechte erwerben können und den dort Lebenden vielleicht die Existenz erleichtern. Bermann-Fischer hat nicht für sie gekämpft. Hier wurde 1940 nach dem Zusammenbruch Frankreichs in stillschweigender Uebereinkunft ein Boykott der Emigrationsautoren durchgeführt. Mancher der hier lebenden Deutschen Schriftsteller gaben die Hoffnung auf, diesen Boykott brechen zu können. Wir nicht. Reiss mit Otto Maag’s59 und meiner Hilfe gab den Kampf nicht auf und kam schli[e]sslich durch zunächst mit Bert Brecht, Bruno Frank und Zuckmayer, dann mit weiteren. Dieser Kampf sollte die Autoren verpflichtet haben. Aber wir können nicht wissen, welchen Einflüssen sie dort unterliegen, wie ihre Existenz geworden ist und wie dadurch Bindungen entstanden sind. Ich möchte Sie deshalb in Reiss’ Namen sehr bitten, ihn zu unterrichten und alles zu tun, um diesemn Kampf zu erleichtern.“ Was Hartung für Brecht getan hat das weiss er besser als ich. Ich glaube dass das für heute alles ist. Es ist unnötig zu sagen, dass ich das nicht rein kommerziell sehe. Reiss wird mit allen seinen Mitarbeitern ein Mitkämpfer mit Brecht sein. Leben Sie wohl und vielen vielen Dank für alles Ihre Grete Wittels Überlieferung: Ms, Bv.: Die Tribuene Für Freie Kunst In Amerika (The Tribune – Free Culture in the Land of the Free) 187 Pinehurst Avenue New York City Telephone: Wadsworth 3-6057 Call 10–12 A.M.; BBA 1183/8. (Beilagen: Ts, Telegramm Western Union, BBA 1183/9; Ts, hs. U., Bv.: Grete LeibundgutWittels; New York 42 N.Y., BBA 1183/10–11).

59 Otto Maag (1886–1960), Schriftsteller und Übersetzer, bekannt vor allem durch seine Bearbeitungen der Opern von Jacques Offenbach.

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Karl Korsch an Bertolt Brecht New Orleans, 15.4.1945 NO 4/15/45 l.b.b: in grösster Eile. Sie werden sehen, dass die beiliegenden Glossen nach den stümperhaften Vorschlägen zur Form zunehmend auch sachliche Fragen zur Sprache bringen.60 (Hoffentlich haben Sie eine Kopie mit derselben Numerierung der Zeilen dort behalten. Wenn nicht, schicke ich Ihnen meine Kopie zurück. Ohne das werden Sie nicht durchfinden, fürchte ich.) Ich war schrecklich behindert durch die Tatsache, dass ich hier keinen deutschen Text des Manifests auftreiben kann. Habe inzwischen schon darum geschrieben, nach Boston u. nach Seattle. Den Engels-Katechismus haben Sie wohl lange aus Seattle erhalten.61 Erst wenn ich den deutschen Text habe, kann ich Ihre Frage nach der „Verelendungstheorie“ überlegen. Wo im KM steht denn das, was Sie die Verelendungstheorie nennen u. was Ihnen zu veraltet schien?62 In dem beiliegend kommentierten Teil Ihres Gedichts kann ich nichts Veraltetes finden. Ich habe am 24. April in Baton Rouge (Staatsuniversität von Louisiana, vormalige Residenz von Huey Long63) einen Vortrag über die Entwicklung der ökon. u. sozialen Struktur der SU von 1917-45 zu halten – vor der dortigen Fakultät, auf Grund eines zufälligen Privatgesprächs mit einem dortigen Immigranten, Voegelin64 aus Österreich, vom politischen (political science) Department eingeladen. Ich will die Fragen nicht dogmatisch behandeln, sondern faktisch und „im Lichte“ heutiger Lage u. Weltentwicklungstendenzen. Hier 60 Die „beiliegenden Glossen“ beziehen sich auf das Lehrgedicht (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, Anfang 1945). Brecht hatte Korsch im März/April 1945 ein Manuskript zukommen lassen mit der Bitte, Streichungen und Änderungen vorzuschlagen oder zumindest „das Theoretische etwas in Ordnung zu bringen“ (GBA 29, S. 349). 61 Brecht suchte „den Engelsschen Entwurf in Katechismusform aufzutreiben“ (GBA 29, S. 348f.). Gemeint sind die Grundsätze des Kommunismus von Friedrich Engels (vgl. MEW 4, S. 361–380), ein erster Entwurf zum Manifest. Eine Photokopie der von Eduard Bernstein besorgten Ausgabe von 1921 befindet sich in Brechts Nachlaß. 62 Ob und in welchem Sinne Karl Marx eine wachsende Verelendung der Arbeiter prognostiziert habe, ist umstritten. Im Manifest ist davon wörtlich nicht die Rede. Brechts Überlegung, „anstelle der Verelendungstheorie die Unsicherheit durch die konstitutionelle Arbeitslosigkeit“ (GBA 29, S. 349) zu setzen, bezieht sich vermutlich auf den Abschnitt, in dem es heißt: „In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab“ (MEW 4, S. 469). 63 Huey Long (1893–1935), ehemals Gouverneur des US-Bundesstaats Louisiana. 64 Eric Voegelin (1901–1985), Philosoph und Politikwissenschaftler, vormals Assistenzprofessor an der Universität Wien. Er ging 1938 in die USA und lehrte ab 1942 an der Louisiana State University, später war er Professor für Politikwissenschaft in München.

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fehlt mir alle neue Literatur; am meisten interessiert mich genaue Lage der Arbeiter und sog. „collective farmers“ (sie sind Zeitlohnarbeiter mit teilweiser Entlohnung in kind; die Industriearbeiter kriegen Akkordlöhne, nach Marx kein wesentlicher Unterschied. Dies zu einem wesentlichen Unterschied zu machen, ist der einzige erhebliche Verstoss gegen Marxsche Theorie, den ich in dem berühmten 1944 Artikel von „Unter dem Banner“ über die politische Ökonomie der SU finde65 – so leicht ist es, eine Theorie einer beliebigen Wirklichkeit anzupassen!) Haben Sie zufällig die Bücher von John Scott, der als Ingenieur sehr lange in Russland tätig war und nach Rückkehr sehr gut und nur in der anständigsten Form zugleich etwas kritisch darüber geschrieben hat?66 Wenn ja, oder sonst etwas Gutes zum Thema, schicken Sie es mir bitte per Luftpost sofort; wenn es Sonnabend den 21. hier ankommen könnte, wäre es noch rechtzeitig u. grosse Hilfe. Ihnen empfehle ich als einen andern (neben der Frage der modernen Re-Nomadisierung des Proletariats) ein kurzes Buch von Stuart Chase, erschien im 20th Century Fund 1945 über „Democracy under Pressure” ($ 100/00; sehr schlagendes Material über die hiesige Regierungsform: durch „pressure groups“);67 Sie werden es bestimmt mit viel Vergnügen und Nutzen lesen, obwohl der Chase natürlich mit Bezug auf Arbeiterklassenfragen genau so dumm ist wie die andern. Anderes später Ihr KK Ich vergass die Hauptsache: Ihre 380 Zeilen KM sind ein Meisterwerk!! Schicken Sie mir jede Revision von Belang, damit ich nicht an schon geänderten Formulierungen herum arbeiten muss. Auf Wunsch wird alles binnen je 8 Tagen zurückgeschickt! Ich war bisher noch zu sehr an der Form interessiert; beim nächsten Lesen werde ich einen freieren Blick auf den Inhalt und das Theoretische und das Heutige haben. Zu ihrem 2. Kapitel empfehle ich natürlich Kapitel 3 meines Buches über Marx,68 wo ich dasselbe zu tun versucht habe was Sie jetzt tun. Ich schicke morgen mein einziges Exemplar der „Kernpunkte“69 an Sie ab; später noch einiges andere, was ich für vielleicht nützlich für Ihr Werk halte – wenn ich es finden kann. 65 Gemeint ist ein von einem Autorenkollektiv unter der Leitung Lew A. Leontjews in der sowjetischen Zeitschrift Pod znamenem marksizma (Unter dem Banner des Marxismus) 1943 veröffentlichter Artikel über die Lage der Wirtschaftswissenschaften in der UdSSR, der auch in den USA eine lebhafte Diskussion hervorrief. Eine englische Übersetzung erschien unter dem Titel „Teachings of Economics in the Soviet Union“ in The American Economic Review, Heft 3/1944. 66 John Scott, Behind the Urals. An American Worker in Russia’s City of Steel, Boston 1942. Deutsche Ausgabe: Jenseits des Ural, Stockholm 1944. 67 Stuart Chase, Democracy under Pressure. Special Interests vs. Public Welfare (= When the War Ends, Bd. 4), New York 1945. 68 Karl Korsch, Karl Marx, London 1938. 69 Karl Korsch, Kernpunkte der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine quellenmäßige Darstellung, Berlin/Leipzig 1922.

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Zeile 15d: Das „in ihrem innern“ hängt nach. Besser vielleicht Gegeneinander, Patrizier und Ritter,... Zeile 15e letztes Wort: besser als bourgeois = Bürger (wegen des Akzents und überhaupt!) Z. 27: ich würde „befördert“ vorziehen, aber ermöglicht ist auch ein richtiger Gedanke, aber enger 39-39a: das gefällt mir nicht ganz. Was ich jetzt vorschlage ist vielleicht schlechter, aber ich bin bekanntlich kein Dichter: tiefer nämlich u. dauernder noch als die Kriege der Völker, die die Geschichtsschreiber schwatzhaft erzählen, sind die Kämpfe der Klassen 40: (hier würde ich den weggestrichenen Teil über was die Historiker schamhaft – oder klüglich, vornehm, tunlich, behutsam? – verschweigen irgendwie wieder hereinbringen – er rundet den Gedanken ab u. wirkt keineswegs als Wiederholung) 41-42: offen geführt und versteckt, und nicht um die Städte des Feindes sondern die eigenen Städte, beherrschende gegen beherrschte, 45: Also geschah es 47: das Dorf kommt etwas verwirrend dazwischen; besser das Land (obwohl nicht so schön, aber es geht gut mit der gleich folgenden Küste). 60: und der Manufakturherr macht Platz dem ist nicht schön gesagt 64: mehrend die Grossindustrie und so? 66: , der willig? 69: all die alten ist auch nicht besser als: alle alten 73: und die Zahlung in barem? (in bargeld) Die adlige Herrschaft 73: „Ritterlichkeit eines Herrn“?? (Vielleicht was mit Adel, Adelige Gesinnung, Edelmut, – Edelmann – adelige Sitten usw.) 92: zu viele dochs! warum nicht noch, oder jetzt oder nun oder irgendwas? 95-96: einfacher wäre wohl: ... gigantisch wie alles was diese umstürzende Klasse ... 97: was sie eben geschaffen? Sie lebt selbst nur durch Umsturz. 108: sehen scheint mir besser als „sichten“. Auch mehr was das KM meinte! 124: statt innern sagt man wohl bauche, also warum nicht auch hier? oder sogar bäuchen! 128: ... schafft sich der Bürger? 144: ... die elektrische Kraft und die Dampfkraft (Hier haben Sie vielleicht viel Gutes, weil weit Vorausschauendes aus dem KM weggelassen – statt es noch moderner zuzuspitzen! Dampf und Elektrizität sind

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für Schulkinder um 1880 ausreichend; sie waren es nicht für Marx und Engels um 1848. (148) Diese Kritik betrifft auch noch die folgende Zeile 148) 148: Dies ist im KM Zusammenfassung des bereits Gesagten. Also mindestens: So also / s. aber auch unten 152: ist falsch. Marx sagt nicht wie die Bürger, dass „die freie Konkurrenz“ den bürgerlichen Staat geschaffen habe! dies ist schwierig zu formulieren zumal ich den deutschen Text des KM noch nicht hier habe. etwas wie: und Staatsbau Freiheit des Wettbewerbs nun und Staatszwang zum Vorteil des Bürgers und Herrschaft des Bürgers. (aber auch dies ist nur provisorisch) 153: So also saht ihr, ... ad 148 ff, 153 ff: ich sehe, dass Sie hier den Einschnitt oder Wendepunkt machen wollen. Das ist all right auch gut. Dann aber wäre es vielleicht am besten, Ihre Zeilen 148-152 ganz zu streichen. Dies scheint mir die beste Lösung. Woher (im KM) stammen die Materialien zu eingeschobenen Zeilen a-i? Sie sind fein und fügen sich gut in den Zusammenhang! 164-165: zu einer Zeile zusammenziehen, „völliger Untergang“ ist hier auch nicht so gut, weil früher in der bekannten Alternative verwendet. Also vielleicht einfach jetzt mit den mit elementarer Gewalt mit zerstörender Kraft die Macht der herrschenden Klasse. 166: Lange schon ist wohl richtig. Aber wichtiger ist wohl, dass es jetzt so ist, oder sogar von jetzt ab. Ich würde gradezu vorschlagen zu sagen (obwohl „Nunmehr“ wegen des Akzents auf der ersten Silbe vorzuziehen wäre, aber inhaltlich nicht scharf genug): Von jetzt ab ist die Geschichte... 176: „irgendwo“ ist nicht gut, zu mystisch oder unwissend. himmelhoch? bergehoch? ballen auf ballen? 179: emsig oder fleissig („rastlos“ kommt gleich wieder. – Was anderes wäre der bewusste Kontrast zwischen rastloser Arbeit u. rastloser Arbeitssuche) 188-89: unklar erzeuger u. erzeugen haben verschiedenen Sinn. Mindestens 188 statt Verdienst: Lohn u. noch besser: Lohn des Arbeiters 211 a: statt „da sie“ wäre viel besser: dass sie und besser wäre es 211a hinter 212 zu rücken!

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(dass „ihr“ Elend ist in jedem Fall ein bisschen schwierig, aber ich glaube man kann es verstehen – aber vielleicht könnte zwischen 212 und 212a eine neue Zeile, mit den Arbeitern als grammatisches Subjekt, ohne Langweiligkeit eingefügt werden.) Vielleicht aber meinen Sie mit „ihr Elend“ das der Bourgeoisie. Dann geht das Wort „Elend“ nicht; wenn sie Krise nicht einführen wollen, vielleicht einfach Unheil („das Unheil“)? 214: statt „aber“ also 217: immer war viel besser als „nämlich“ (ihr dienend) 220: statt „in seinem Dienst“ vielleicht (?) für den bourgeois, des b[ourgeois] k[apitalie]n v[ermehre]n 233: ist sie dem Wettbewerbszwang und 232 u. 236: das zweite mal ihr stückchen scheint mir nicht so gut (da es nicht ein deutlicher Abschluss ist, vielmehr weitergeht). vielleicht (?) und zerstückeln sich selber (hier oder beim ersten mal, Zeile 232). 244: dies ist so gesagt unverständlich. Es muss ein Hauptsatz werden: dass sie immer mehr geben als sie kosten. Dann, mit einer Variation wiederholt: dass wenn sie dann das wenige gekriegt haben, sie es zu den andern, kleineren Ausbeutern bringen u. es noch weniger wird. Es käme aber auch in Frage, und ich wäre dafür, diese eine Zeile 244 ganz zu streichen – man kann nicht alles auf einmal behandeln (es ist auch an dieser Stelle oder in diesem ganzen Gedankenzug im KM nicht hereingebracht!) 248: statt „doch es“ hier mindestens ein: freilich. Die ganze Zeile gefällt mir nicht, ist überbetont, muss als Nebensache, Anhängsel in Erscheinung treten. vielleicht: Mit den Arbeitern selbst, versinken auch Wie die Arbeiter selbst, so werden Mit den Arbeitern selbst auch andere haben zu leiden Wie die Lage der Arbeiter selbst verschlechtern sich Teile der herrschenden Klasse, doch freilich jedoch am unteren Ende. Freilich dauerts nicht lange und (bis) auch diese Kaufleute mittleren Stände – Kaufleute... 248-254: nicht gut: aber ohne Unterlass. nicht gut: Heer und Heerführer. nicht gut: der zwei Klassen mit ihrer Entstehung statt des Proletariats mit seiner Geburt! 255 ff: so gut dies alles ist, fehlt es an klarer Eingliederung in den ganzen Zusammenhang. Es fehlt sozusagen der thematische Satz: Das Proletariat geht durch macht verschiedene Phasen (oder Stufen) seiner Entwicklung durch. (Der Teufel hole die lausige Übersetzung; ich erinnere mich an den Satz, aber nicht genau genug.)

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267: was heisst „und ausmacht“ (ist wohl bayrischer Dialekt?) Die „Kollisionen zwischen den verschiedenen alten Klassen der alten Gesellschaft“ sollten entweder besser behandelt werden oder, was mir richtiger scheint, hier ganz weggelassen werden. Ich meine nämlich, es handelt sich von Anfang an schon um neue Spaltungen, Fraktionen, Differenzierungen innerhalb der nun herrschenden Klasse – für das Gewesene gibt der Kluge nichts, und gegen das Gewesene kämpfte auch die Bourgeoisie nicht. Marx hier falschAber diese ganze Kritik bezieht sich nicht nur auf den einen Satz Z. 266 Ende bis 269 Anfang Vielleicht 265-269 einfach so: noch sind verstreut... nicht einig. Mit sich selber entzweit bekämpft der Prolet nicht den eignen, usw. Übrigens bringen sie die Sache – einwandfrei verbunden – weiter unten 297 ff. Also hier weglassen! 279: statt „schwanken“: sinken 292: „schreibt“ ist zu viel. Marx sagt (im Kapital) besser „ertrotzt“. Auch das „langen nach dem Griffel“ lässt sich wohl entsprechend modifizieren (so wie man dem Reiter „in die Zügel greift“, etwa!) NB Sie hatten immer eine Neigung, die Leiden der Arbeiter als Handlungen umzudeuten. Auch für Russland. Mir ist das zu allegorisch, und so sollte es auch Ihnen sein. KK 296: ebenso – wo führte im Kapitalismus je die Arbeiterglasse den Griffel der Bourgeoisjustiz? Pfui! 306 u. 307: „nach unten“ einmal ändern, vielleicht 306: als hilflose 317: statt des etwas dünnen „wissen vom wissen“ vielleicht mindestens wissen von Macht des Wissens und Durst nach eigenem Wissen (so ähnlich) 328: „und sie sind es mitunter“ gefällt mir nicht gut — K.M. sagt das anders: wenn und wo sie es sind,... nicht: sie sind es! „wirkliche Umstürzler“??? allenfalls Hitlers Helfer! 331-35: nicht gut behandelt. Z. 334 „verfeindet“ soll wohl heissen (unwiderruflich) verfallen? Sie wollen den subjektiven Zustand als Kontrast mit ausdrücken; das KM tut das nicht. Anfang vielleicht: Noch gibt es da den verlumpenden mob... (das „ist“ oder „noch ist... gebildet“ klingt, als ob das eine vorübergehender Zustand wäre.) Hinter Gesellschaft Zeile 332 würde ich einen Punkt machen und Z. 333 neu anfangen: Oft ... u. Z. 334 ein kurzes Prädikat einfügen: bleibt

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ist er mehr doch öfter doch Knecht mehr noch zum Nutz der Bourgeoisie, denn sie kauft ihn...> ich verstehe jetzt endlich was Sie sagen wollten, aber es scheint mir noch nicht gut. Und mein ausgestrichener Vorschlag gilt noch 336-38: ist gut, nur steht das „befähigt“ wirklich etwas schlecht. Es ist eigentlich überflüssig. Warum nicht statt dessen ... (zu zertrümmern), von allen nur die Arbeiterklasse ... 345: streichen. (fügt nichts hinzu zu fata morganen!) 349: statt „ihrer“: jener (Erwerbsart) 366: statt „Erzeugung wo sie herrscht“ würde ich vorziehen: Reichtumserzeugung 368-69: versuchsweise: (die gesellschaft[!]), und stürzen wird sie das Proletariat, die Klasse, die selber sie aufzog zeugte (selbst sie erzeugte) (das „aufziehn“ kommt Zeile 370 so wie so) 376: statt „sie“: es (das Proletariat oder, genauer „das riesige“ von Zeile 370) 372: ich würde ja statt „knechtung“ bei weitem vorziehen: brechung. New Orleans 4/15/45 KK

Überlieferung: Ms, BBA 5371/36–45. – E: Alternative. Zeitschrift für Literatur und Diskussion, Nr. 41, April 1965, S. 54ff. (jetzt in: Korsch, Briefe, S. 1092ff.).

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Maurice J. Speiser an Bertolt Brecht New York, 5.5.1945

May 5, 1945

Mr. Bert Brecht 1063 26th Street Santa Monica, California Dear Mr. Brecht: After a conference at this office between Miss Berlau, representing you, and Mr. Roberts70 and Mr. Field, representing The Theatre of All Nations, Inc., we have come to this decision: Mr. Roberts and Mr. Field will negotiate with Mr. Eisler71 for either his services and music, or for the music alone, upon some mutually agreeable basis between them. I have agreed that in the event this matter is closed on either one or other basis, we will be content on our part on the terms of the Minimum Basic Agreement by the Dramatists’ Guild72, which provides Five (5%) per cent royalties on the first Five Thousand ($5,000.) Dollars, Seven and one-half (7½%) per cent in excess of Five Thousand ($5,000.) Dollars, but not exceeding Seven Thousand ($7,000.) Dollars, and Ten (10%) per cent of receipts in excess of Seven Thousand ($7,000.) Dollars, for the first week. In the event the opinion is renewed for the second week, the royalties will be based upon a flat Ten (10%) per cent basis for all income. Will you kindly wire Miss Berlau immediately to act as your agent and attorney in fact. It is imperative that you do this at once, so that the matter can be terminated. Very truly yours, Maurice J. Speiser MJS:eeb Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Law Offices Maurice J. Speiser Herbert Speiser 630 Fifth Avenue New York 20, N.Y. Circle 7–8194; BBA 1183/7.

70 Ernest Roberts, d.i. Ernst Robert Blau (1914­– ?), österreichischer Schauspieler und Theaterproduzent, vormals in Deutschland tätig, seit 1933 im Exil in den USA. Er leitete die New Yorker Theatertruppe „The Theatre of All Nations“, die gerade eine Inszenierung von The Private Life of the Master Race vorbereitete (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945). 71 Hanns Eisler komponierte die Bühnenmusik zur New Yorker Inszenierung von The Private Life of the Master Race. 72 Vgl. Anm. zu Hays, November/Dezember 1941.

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F.G. Alexan an Ruth Berlau New York, 20.5.1945 den 20. Mai 1945 Liebe Frau Berlau, hier ist ein Telegramm, das mir Hans Sahl73 zur Weitergabe an Brecht zusandte. Ich nehme an, dass Brecht in den nächsten Tagen hier sein wird, und so hat es wohl keinen Sinn, es nach Santa Monica zu senden. Wie ich höre, machen die Vorbereitungen für die Aufführung74 gute Fortschritte. Leider kann ich dabei nicht viel helfen, da ich gegenwärtig einen Empfang für Thomas Mann (am 9. Juni) vorbereiten muss. Herzlichen Gruss Ihr FGAlexan HBERG SZ5091 zurich 24 7 1532 nlt doktor hans sahl 73 riverside drive new york please induce brecht to send this new piece75 i am fine thanks very much hirschfeld kurt Überlieferung: Ms, Bv.: Die Tribuene Für freie deutsche Literatur und Kunst in Amerika (The Tribune-Free Culture in the Land of the Free) Telephone: Wadsworth 3-6057 Call 10-12 A.M. 187 Pinehurst Avenue New York City; BBA 1185/70 (Telegramm: Ts, Radiogram RCA Communications, Inc.; BBA 1185/71).

73 Hans Sahl, d.i. Hans Salomon (1902–1993), Schriftsteller und Literatur-, Film- und Theaterkritiker., ging 1933 ins Exil nach Zürich, später nach Paris und 1941 über Portugal nach New York. 74 Die Aufführung von The Private Life of the Master Race in New York (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945). 75 Vermutlich The Private Life of the Master Race, die amerikanische Bühnenbearbeitung von Furcht und Elend des III. Reiches.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 29.5.1945 29 May 1945 Mr. Berthold Brecht 124 East 57th Street, New York City Dear Brecht: Excuse me for writing in English but I have not any German secretary, and I am afraid that you can not read my hand-writing well enough. As you know I liked to direct “THE MASTER RACE”76 in such a way that you and I both would be satisfied. Therefore I approached the whole production very hesitantly, and was waiting for your arrival here before I decided completely about the cast, sets, cuts and other things. But the time element was pressing, and I made concessions – especially in casting – simply to get the performance together. You came late,77 not to say too late, and your presence didn’t help to achieve results and to simplify the complications – but on the contrary we are now so tremendously late that I am not sure we could even have a performance on the 11th of June at all. One reason is that naturally we don’t work here under the same circumstances to which we are accustomed and we confuse the whole set-up so much that at the end, it will appear to be only an amateur performance. Unfortunately I can’t permit myself the luxury of an artistic failure. On the other hand, when I direct I need the time for myself without your co-directing – and when you direct you need the time without me. For my part, I have conceived a different physical performance from yours, and I have greater difficulties in following your version – enough so that I suggest that you take over the directing, and I withdraw. Even as I go out, I would advise you not to replace Mr. Derwent.78 I spoke with Sam Jaffe79 and he said that you did not say one word to the effect that he would replace Derwent. You must not forget that this is not a profit-making performance as it would be with normal contracts, and that the people who have participated so far have done it often under a tremendous personal sacrifice; it makes a very bad impression to replace them after they have rehearsed longer than a regular Equity contract allows.

76 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945; dazu auch B. an Piscator, 2.6.1945, GBA 29, S. 355f. 77 Brecht traf zusammen mit Eisler am 23.5.1945 zu den Proben in New York ein. Vgl. BC, S. 754f. 78 Clarence Derwent (1884–1959), amerikanischer Schauspieler. Spielte den Richter in der New Yorker Aufführung von The Private Life of the Master Race (vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945). 79 Sam Jaffe (1891–1984), amerikanischer Theater- und Filmschauspieler.

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I also talked this afternoon with Basserman80, who has already studied his part. He likes it very much. I made an appointment with him tomorrow at three o’clock at 144 Bleecker Street. I would not mind continuing if I were not tired myself, and do not feel well enough to take on a much too heavy schedule – which at this moment I am not fitted for. I hope you will understand this. I wish you and all the others the best success, and hope it will be a really fine realization of what you and the play deserve. With my best regards, Sincerely, Erwin Piscator Director EP:dm cc: Roberts Field Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dramatic Workshop of the New School for Social Research 66 West 12th Street • New York 11, N.Y. Telephone: Gramercy 7–8464 Erwin Piscator; Director; BBA 1185/50–51. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.3, S. 11f.

Rosalie Fränkel an Bertolt Brecht Newtonville, 3.6.1945 32 Washington Park Newtonville 60, Mass June 3, 1945. Dear Eugen, I was surprised and delighted a few weeks ago to see an announcement in the Christian Science Monitor that your play “The Private Life of the Master Race” is to open June 12 in New York. And then in a New York paper I saw a notation that you were to arrive in New York about May 29th. When I told this to mother, she asked me to write to you, and tell you that she and father would like very much to have you come to Katonah having three daughters. We are of course, anxious to hear from Gustel, and also your brother, Walter.

80 Albert Bassermann trat ebenso wie seine Frau Else Bassermann in der New Yorker Aufführung von The Private Life of the Master Race auf.

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As you will see from my address, we are now living in Newtonville, Mass. – a suburb of Boston. Hewitt has been working in a war plant, helping to turn out radio equipment, etc for the war. We are all well, and my son Paul is now 15 – a great big fellow. Stephan is in the Air Corps, and may be going over to […] to see then. The matter of the Marie Baiss estate is about to be closed, and father thinks he may be able to give you some information to help you obtain your share of your father’s bequest. Their telephone is Katonah 583. They would be very happy to hear from you. I am sure you will be interested to know that our cousin Berthold Brecht who has been with the U.S. Army, stationed near Marseilles, was able to visit Uncle Karl. The family is well, Marie now Pacific [?]. He was married at last – on March 31st. I would very much like to hear from you and know how your wife and children are. Hope you will be able to go to see mother. Good luck to the play! Wish I were in New York, so I could see it. Best regards from us all Your cousin Rosalie Überlieferung: Ms, BBA 1185/72–75.

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht Berkeley, 8.6.1945 Berkeley, Calif. 8[…] To Bertolt Brecht c/o Erwin Piscator New School for Social Research – 66 W. 12 St. A deeply impressed first night audience followed every scene of Private Life of the Master Race with profound attention.81 For all of us it has been a great privilege to be able to devote our efforts to your play and we want to thank you once more for having given us the opportunity to present its world premiere. The best of luck to everyone connected with the New York production.82 Sincerely Überlieferung: Ms (Telegramm: Western Union), BBA 1185/48–49.

81 Vgl. Anm. zu Schnitzler, 16.11.1944. 82 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945.

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Erwin Piscator an Bertolt Brecht New York, 11.6.1945 11 June 1945 Dear Brecht: Your letter83 was given to me on Tuesday. Wednesday I was in Great Neck84 and then my secretary was sick, so I haven’t been able to answer you immediately. But I am glad that you understand my reasons. Even too few misunderstandings between us is a reason in itself, and one of the factors that brought me to my decision. I feel that the discrepancy lies not so much in our differences in staging, but the possible personal conflict which may spring out of all this. It is right that everybody should stay with the play and continue their work; and as I wrote you in my earlier letter, I send you my best wishes for every success! Yours, Erwin Piscator Director EP:dm Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dramatic Workshop of the New School for Social Research 66 West 12th Street • New York 11, N.Y. Telephone: Gramercy 7–8464 Erwin Piscator; Director; BBA 1185/35. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.3, S. 16.

Charlotte Dieterle an Bertolt Brecht Hollywood, 13.6.1945 13. Juni 1945 Lieber Herr Brecht: Der European Film Fund85 ist in Gefahr aufgeloest zu werden, wenn nicht energisch dagegen gearbeitet wird. Wahrscheinlich wuerde eine Umorganisierung ganz guenstig sein und neuen Geist in die Angelegenheit bringen. Weil ganz gute Moeglichkeiten dafuer be83 B. an Piscator, 2.6.1945, GBA 29, S. 355f. 84 Kleinstadt in der Nähe von New York. 85 Der European Film Fund (EFF), 1938 auf Initiative des in Österreich-Ungarn geborenen Filmagenten Paul Kohner in Hollywood gegründet (beteiligt waren u.a. auch Charlotte und William Dieterle), unterstützte Emigranten aus Europa, die Geld, Arbeit oder Affidavits benötigten. Auch Brecht und seine Familie lebten im amerikanischen Exil ein Jahr lang von Zuwendungen des Fonds (monatlich 120 Dollar). Die Organisation wurde 1948 aufgelöst.

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stehen, deshalb bemuehe ich mich trotz meiner viel zu vielen anderen Verpflichtungen, zu retten, was gerettet werden kann. Frau Frank86 wird ihr Amt aus Gesundheitsruecksichten niederlegen, und auch Lubitsch87 moechte moeglichst heraus aus der Sache. Das ist bei einem Emergency Meeting am letzten Montag herausgekommen, und man wollte gleich aufloesen. Ich habe aber einen Aufschub bis zu einem neuen Meeting am 21. Juni erwirkt, und bis dahin muss ich ein paar positive Vorschlaege bringen koennen, die das Auseinanderfallen des Film Funds verhueten. Das in Genf bestehende ‚INTERNATIONALE COMMITTEE for PROFESSIONAL WORKERS‘, mit dem Dr. Horkheimer irgendwie verbunden ist, hat sich durch dessen Vermittlung bemueht, mich zu einer Mitarbeit hier zu verpflichten. Ich habe nun an eine Kombination gedacht, da die erwaehnte Organization [sic] sich vor allen Dingen mit der Unterstuetzung in jeder Weise von europaeischen Intellektuellen (Schriftstellern, Kuenstlern und Wissenschaftlern) befasst, also aehnliche aber umfassendere Ziele als der Film Fund hat. Ich moechte nun am 21. Juni mit folgendem Vorschlag kommen koennen: Die Vorstandmitglieder des E.F.F. legen ihre Aemter nieder, die von einem neuen Vorstand uebernommen werden. Die Struktur des E.F.F. mit dem wesentlichen Faktor, dass die geleisteten Beitraege von der Steuer abgezogen werden koennen, wird dem ‚INTERNATIONALEN COMMITTEE ….‘ zur Verfuegung gestellt und wird unter diesem Namen fungieren. Als Vorstandsmitglieder fuer dieses neue Committee Zweigstelle Hollywood schlage ich vor: Thomas Mann, Feuchtwanger, Horkheimer, Brecht, Reichenbach, Prof. Arlt, Dr. Schiff (M.D.), Prof. Julius Bauer (M.D.), Wm. Dieterle.88 Ich wuerde statt Frau Frank die Office Arbeit uebernehmen zusammen mit Budzislawski, Helli, Eva Heymann89, Mrs. Henried90 und einer gewissen Mrs. David, die von dem International Committee zwecks Vorarbeiten hierhergeschickt worden ist. Als Positivum hat der Film Fund anzubieten: Office, Telephon, einen gewissen Stamm von monatlichen Stiftern und gute Aussenstaende von ca. $ 2000.00, die langsam eingehen. Dagegen bestehen die folgenden Verpflichtungen:

86 Elisabeth (Liesl) Frank (1903–1979), Gründungsmitglied und Executive Secretary des EFF. Zusammen mit ihrem Mann Bruno Frank ging sie 1933 ins Exil nach Österreich und Großbritannien, 1937 in die USA. Als Literaturagentin in New York war sie auch für Brecht tätig. 87 Der Filmregisseur und Schauspieler Ernst Lubitsch (1892–1947), der bereits seit 1922 mit großem Erfolg in Hollywood arbeitete, war Präsident des EFF. 88 William Dieterle. 89 Eva Heymann (1910–1953), Schauspielerin, seit 1937 in den USA. Trat unter dem Pseudonym Eva Hyde in einigen Hollywoodfilmen auf. 90 Vermutlich Elisabeth Glück (1908–1993), die Tochter des Wiener Kunsthistorikers Gustav Glück, die seit 1936 mit dem ebenfalls aus Österreich-Ungarn stammenden Schauspieler Paul Henreid verheiratet war.

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Monatliche Zahlungen an: Leopold Jessner $ 100.00 91 Frank Williams 100.00 Wm. Speyer92 100.00 Max Osborn93 10.00 Alfred Doeblin   150.00 Heinrich Mann 100.00 Alfred Polgar94      150.00 Paul Zech       30.00 Eric Frey 95      20.00 Martin Berliner96  25.00 zusammen   $ 785.00 An weiteren Verpflichtungen fuer Miete, Buchhaltung, Telephon, Office etc. $ 57,18 $ 842,18 also insgesamt Natuerlich wuerde der neue Vorstand das Recht haben, neue Entscheidungen zu treffen darueber, wer Geld bekommen soll und wieviel. Und natuerlich muessten neue Spender beigebracht werden. Aber wenn man die Situation hier kennt, weiss man, dass das gar nicht so schwer ist, da viele Leute Beitraege geben wuerden, die eben nicht ausschliesslich in einem FILM Fund interessiert waren. Ich wuerde nun sehr gerne Homolka in den Vorstand hinein bekommen, und dazu bitte ich um Ihre Hilfe. Es wird Ihnen gewiss nicht schwer fallen, Homolka zu ueberzeugen, dass man Leute wie Heinrich Mann und Doeblin nicht einfach vor ein Nichts stellen kann, uns man koennte viele andere Beitraege (ich erinnere an Kisch, Bruno Frei etc.) von der Steuer absetzen, was das Spenden sehr verbilligen wuerde. Da die neue Sitzung wie erwaehnt am 21ten sein wird, bitte ich Sie sehr, mich umgehend Ihre Ansicht und das was Sie mit Homolka erreichen konnten, wissen zu lassen. 91 Möglicherweise der amerikanische Kameramann Frank D. Williams (1893–1961). 92 Wilhelm Speyer (1887–1952), Schriftsteller. Ging 1933 ins Exil nach Österreich, später nach Großbritannien und 1941 in die USA, wo er als Drehbuchautor für MGM arbeitete. 93 Max Osborn (1870–1946), Schriftsteller und Journalist. Ging 1935 ins Exil nach Palästina, später nach Paris und 1941 nach New York. 94 Alfred Polgar (1873–1955), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Journalist. Ging 1933 ins Exil nach Prag, nach weiteren Stationen in Europa schließlich in die USA, wo er u.a. als Drehbuchautor für MGM arbeitete. 1949 übersiedelte er nach Zürich. 95 Nicht ermittelt. Der bekannte österreichische Schauspieler Eric Frey (1908–1988) war Mitglied der NSDAP und sicherlich kein Förderer des European Film Fund. 96 Martin Berliner (1896–1966), österreichischer Schauspieler. Trat in Nebenrollen ohne Namensnennung in den Filmen The Seventh Cross (Das siebte Kreuz, USA 1944; Regie: Fred Zinnemann) und The Strange Death of Adolf Hitler (USA 1943; Regie: James P. Hogan; Drehbuch: Fritz Kortner) auf. Ab den 50er Jahren war er als Film- und Fernsehschauspieler in der Bundesrepublik tätig.

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Mit herzlichen Gruessen Ihre Charlotte Dieterle Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., Bv.: Charlotte Dieterle 3351 North Knoll Drive Hollywood 28, California; BBA 1185/77–79.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [New York] 15.6.1945 15 June 1945 Dear Bert, At different moments the other evening I wanted to jump up over the footlights, come back stage, and beat you.97 Not because I personally felt insulted when I saw the results of this work, but as the more objective harm you have done to yourself. I know it is easy to talk after the milk is spilled, but in this particular case I am not talking about something I don’t know about – I speak of something I know very well, and saw coming. The scene with the Judge, for instance: It is silly to make this static and lifeless from the beginning, with the judge sitting behind his desk. The proof is, with the direction as it now stands, the scene only starts to live in the last few moments when the judge gets up, and by his bewildered behaviour creates in an instant the atmosphere you needed from the beginning. Had you opened the scene thus, it would have been tremendously successful. This alone proves how little you understand about the theatre as far as staging goes: in writing it, you wrote it in such a way that every intelligent director was given an opportunity to stage it in this way. But the foolish, misleading intellectualism on your part steered it another way. In the “Chalk Cross”98, too, I told you why I didn’t sustain the breadline from the first: because every episode had to be singled out and understood. Your breadline as it is used, generalizes the story. You did here what every amateur does – when he likes one bit of business, he expands it far beyond the limit of its potentialities. The Staircase scene and the Box scene: these are parts I wanted to use not as short, realistic components between scenes, but as stepping stones to others. When I formulated the Staircase scene – strong, almost stylised – I wanted to set the one of the play; not keep repeating it, but have the following scenes develop and grow into a project. I wanted to stage the Box scene monumentally.

97 Die Rede ist von den Proben zur New Yorker Aufführung von The Private Life of the Master Race. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1945; dazu Piscator, 29.5./11.6.1945. 98 Das Kreidekreuz, Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches.

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How you staged the scene was the conclusive proof for me that you had not an idea of an epic play as you put the scenes together, but in your mind it was nothing but un-epic, disconnected, disunified – a series of coincidental scenes written one after another and laid side by side. And now we come to the frame. You explained to me in a beautiful speech the first day you came that I would have to limit myself and take orders: and then Your Majesty admonished me that you had now learned what you meant, and I found it tremendously impertinent – but I was at least expecting something extraordinary. I know there was no reason, except that you wouldn’t let anyone interfere with your ideas. How you used the speaker, how you used this S.A. group which never seemed to be able to convince us which side they were on – the torturers or the tortured; that buckles on a uniform should be placed in the center of the belt, instead of right or left or behind; that Nazi helmets don’t have the tilt of a longshoreman’s cap; that he didn’t make any “angetreten ver[…]99”; that they slithered with undulating movements as they marched toward their places – all these things are quite ridiculous. I would erase such blotches in five minutes. You talked against my staging of sense, and had in the back of your head this staging of nonsense. The staging, stage design, scenery, and lighting were killing, and your idea that the men could cover the shifting of the furniture succeeded exactly as I prophesied: impossibly! You must believe me that I am not writing this to hurt you; I write it to prepare an understanding. I worked in the theatre all my life just as you have. We both tried to win new aspects for the theatre and sometimes we went the same way, sometimes different ways; there are different ways, many of them. But I know few people who have been given the opportunity to be really creative and inventive in the theatre as it is today. I regret that my withdrawal in this case reacted exactly as it shouldn’t have: it was meant only to leave you a free hand. Here, as you know, the playwright dominates the theatre; not just the good ones, but all of them. And therefore the theatre as a whole institution is low. There is no art of directing or acting. I will not discuss now how necessary both arts are compared to playwriting, but I think both will gain importance with a more unified theatre and a more spiritual theatre – where the sensitiveness of these arts is a necessity; naturalism, being an action play, doesn’t need to these to the same extent. Therefore I wish you have shown a little bit more respect for what I could have contributed. I had a physical feeling of regret when I saw your performance Wednesday because you didn’t allow me to do so. It is impossible, of course, for me to say I would have made a success of your play, but I do think we could have achieved something which would have been more satisfactory to you and to me personally.

99 Leerstelle im Ts.

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I am going out to Great Neck now to stay there, but if you want to talk with me, I shall be here in town once a week and will see you then. With my best regards, Yours, Erwin Piscator Director EP:dm Überlieferung: Ts, ML/SIU. – Dv: Kopie, BBA Z 2/103–105. – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.3, S. 17ff.

Joyce Hartmann100 an Bertolt Brecht New York, 29.6.1945

June 29, 1945

Mr. Brendt Brecht c/o Ruth Berlau 124 East 57th Street New York, N.Y. Dear Mr. Brecht: Miss Martha Foley has recently spoken to me with great enthusiasm about you and your writing, and I myself have seen your play, THE PRIVATE LIFE OF THE MASTER RACE, which I felt was excellent in every respect. I would very much like to know if you have written, or if you are planning to write, a novel or non-fiction work to be published in book form. If it is possible for you to come to my office, I would like to discuss the matter with you at greater length. We would be very anxious to consider any writing you may be doing at the present time. Will you call or write me and then we can make a definite appointment. Very sincerely yours, Joyce Hartmann Mrs. Joyce Hartmann Editor, New York, Office Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Houghton Mifflin Company New York Office 432 Fourth Ave. Corner 29th Street; BBA 1185/24.

100 Mitarbeiterin des 1832 gegründeten New Yorker Verlags Houghton Mifflin. Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert.

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Peter Bächlin101 an Bertolt Brecht Basel, 5.7.1945 S141 INTL=CD Basel via RCA 47 nlt bert brecht= july 5 = 26 1063-24 st. santa monica (calif)= = august 30 to september 8 international filmkongress basel theme film and european reconstruction inviting you cordially. free stay switzerland, eventually further facilities. could you take over one principal conference? if coming impossible, need badly text. please cable102 = baechlin interfilm basel. Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 1182/15.

Arnold Zweig an Bertolt Brecht Haifa, 6.7.[1945] Arnold Zweig House Rino II Mount Carmel

Haifa, den 6. Juli

Lieber Brecht, Wenn Ihnen jedes Mal die Ohren geklungen hätten, in den letzten fünf Jahren, sobald wir von Ihnen sprachen, oder aus Ihrer Hauspostille und all den späteren Gedichtsammlungen etwas lasen oder vorlasen, so hätten Sie mancherlei Belästigung in Los Angeles verzeichnen dürfen. Heute nun bittet mich eine befreundete Graphikerin, die sehr begabte Frau Lea Grundig103 um ein paar einführende Worte an Sie. Nun weiss ich zwar, dass 101 Der Schweizer Ökonom und Journalist Peter Bächlin (1917–1998) war Mitbegründer des Schweizerischen Filmarchivs in Basel 1943. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg veranstaltete er dort zusammen mit Georg Schmidt, dem Direktor des Kunstmuseums, einen internationalen Filmkongreß, an dem zahlreiche renommierte europäische Filmemacher (u.a. auch Slatan Dudow) teilnahmen. Aus politischen Gründen entzog die Stadt Basel dem Filmarchiv, dessen Verantwortliche als Sympathisanten des Kommunismus berüchtigt waren, 1948 die Unterstützung. 102 Satzzeichen wurden sinngemäß eingefügt. Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert. 103 Die Graphikerin und Zeichnerin Lea Grundig (1906–1977) wurde 1933 wegen Widerstands mehrmals verhaftet und ging 1939 schließlich ins Exil nach Palästina, wo sie Arnold Zweig kennenlernte. Der Freie Deutsche Kulturbund veröffentlichte 1945 in Großbritannien einen Zyklus von Zeichnungen Grundigs unter dem Titel Das Tal des Todes. Brecht allerdings hat, anders als Zweig, keine Zeile dazu beigetragen.

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ihre Blätter für sich selbst sprechen, aber da ich ihr gern gefällig bin und weiss, welch ein lebendiges Kunstleben auf unserer alten Basis sich bei Euch drüben entwickelt hat, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass Sie, lieber Brecht, mit diesen Blättern etwas anfangen können. Inzwischen hat unser Freund Lion Sie ja auch in die Arbeit am „Beil von Wandsbek“104 verstrickt und ich hoffe nur, dass diese Schwergeburt sich uns allen Beteiligten auszahlen wird, auf die eine oder andere Weise. Bis dahin danke ich Ihnen, lieber Herr Nachbar von einst und vielleicht von bald und bin mit den besten Grüssen von Haus zu Haus Ihr P. S. Wenn Sie Feuchtwanger bald sehen, sagen Sie ihm doch, dass unser Michi105 inzwischen in Deutschland gelandet ist und einen höchst interessanten Brief geschrieben hat. Überlieferung: Ts, AdK: Arnold Zweig-Archiv (Kopie in BBA Z 15/14). – E: helene weigel 100. The Brecht Yearbook 25, hrsg. v. Judith Wilke, Waterloo/Kalifornien 2000, S. 383.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 15.7.1945 July 15

1945 Lieber Brecht: Schade dass Du mich nicht mehr anrufen konntest. Ich sende Dir also die Vertraege und bitte Dich, mir alle drei Copien unterschrieben zurueckzuschicken, falls Du mit dem Inhalt einverstanden bist und falls Du Aenderungen wuenscht, schicke bitte eine Copie entsprechend korrigiert zurueck. Morgen bekomme ich die Korrekturen von Furcht und Elend.106 Ich nehme an, Du wirst mir imprimatur erteilen, ohne sie selbst noch einmal zu lesen, Du weisst ja, dass ich alles genau durchsehe. Sollten noch irgendwelche Unklarheiten bestehen, so schreibe ich Dir und bitte Dich dringendst, einmal eine Ausnahme zu machen und solche Briefe umgehend zu beantworten, damit das Erscheinen des Buches nicht verzoegert wird. 104 Das Urmanuskript seines Romans Das Beil von Wandsbek, 1943 zuerst in hebräischer Sprache erschienen (unter dem Titel He Kardom shel Wandsbek), überarbeitete Zweig für die deutsche Ausgabe (die 1947 in Stockholm erschien) und bat zu diesem Zweck Lion Feuchtwanger um Hilfe. Dieser wiederum zog auch Brecht zu Rate, der jedoch nach Feuchtwangers Angaben an der Überarbeitung des Manuskripts keinen Anteil nahm. 105 Zweigs Sohn Michael. 106 Herzfelde publizierte im Aurora-Verlag Ende 1945 eine auf 24 Szenen reduzierte Fassung von Furcht und Elend des III. Reiches.

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Heute habe ich bereits eine solche Frage: in dem Vers Die Moorsoldaten schlage ich dir folgende Aenderung vor: statt „Mit Marx-Engelsbaenden In den zerschundenen Haenden“ empfehle ich: „Mit Marx-Kautskybaenden In den zerschundenen Haenden“107 Marx Engels sind naemlich keine Gegensaetze, waehrend Marx und Kautsky108 dem Gegensatz besser entspricht. Einverstanden? Mit Schreiner109 habe ich gesprochen, bin fuer das Woerterbuch, muss mich aber noch genau mit ihm darueber unterhalten. Die Sache hat nur Sinn, wenn wir noch in diesem Jahr damit herauskommen. Bitte antworte gleich, ich lege Rueckkouvert bei. Herzlichst Dein, Überlieferung: Ts (ohne Beilagen), BBA Z 47/65.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York, Mitte Juli 1945] 1. 1063-26th Street Santa Monica Calif. 107 Diesen Vorschlag hat Brecht aufgegriffen. Vgl. die einleitenden Verse zu der Szene Moorsoldaten, die in der Aurora-Ausgabe die Szene Die Internationale ersetzte (jetzt im Anhang zu Furcht und Elend, GBA 4, S. 453). 108 Karl Kautsky (1854–1938), mit Karl Marx noch persönlich bekannt und mit Friedrich Engels in dessen letzten Lebensjahren eng befreundet, war neben Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg der bedeutendste Theoretiker der deutschen Sozialdemokratie. Mit einigem Recht dürfte man ihn auch als einen der Begründer des Marxismus bezeichnen. Die doktrinäre Popularisierung der Schriften von Marx und Engels, die der Arbeiterbewegung fortan den Weg weisen sollten, verdankte sich im wesentlichen seinen Interpretationen. Herzfelde spielte hier aber wohl vielmehr auf die politischen Auffassungen Kautskys an, der in seiner Schrift Die Diktatur des Proletariats (1918) die bolschewistische Revolution scharf kritisiert hatte. Lenin, einst ein Anhänger Kautskys, schimpfte ihn daraufhin einen Renegaten (Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, 1918). 109 Vermutlich der KPD-Politiker und Publizist Albert Schreiner (1892–1979), der ab 1933 im Exil in Frankreich lebte. Er kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und gelangte 1941 schließlich nach New York. Mitbegründer der German American Emergency Conference (1942) und Mitarbeiter der Zeitschrift The German American. Er kehrte 1946 zurück nach Deutschland (Ost).

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Lieber Brecht: „Furcht und Elend“ ist gesetzt, korrigiert und bereits beim Umbruch. Inzwischen habe ich mir auch das Moorsoldatenlied110 besorgt, und da fragt sich: soll man die drei ersten Strophen verwenden oder jene drei, die ich angestrichen habe (siehe Anlage). Ich habe diese, damit nicht Zeit verloren wird, zum Satz gegeben, moechte aber, dass Du entscheidest. Falls Du mit meiner Wahl einverstanden bist, brauchst Du nicht darauf zu antworten; falls aber nicht, schicke bitte das Lied per Luftpost an mich zurueck und streiche die Strophen an, die Du wuenscht. Ich warte noch auf die Ruecksendung der beiden anderen Vertraege. Die Titel und Schlusseiten gehen Dir dieser Tage zu. Mit gleicher Post erhaeltst Du Publishers Weekly111 vom 14. Juli, worin Du eine Notiz ueber Aurora findest. Herzlichst Dein Encl. Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquicket, Eichen stehen kahl und krumm. Wir sind die Moorsoldaten Und ziehen mit dem Spaten Ins Moor. Auf und nieder geh’n die Posten, Keiner, keiner kann hindurch. Flucht wird nur das Leben kosten, Vierfach ist umzäunt die Burg. Wir sind die Moorsoldaten Und ziehen mit dem Spaten Ins Moor.

110 Das Moorsoldatenlied entstand 1933 im KZ Börgermoor im Emsland. Den Text verfaßten Johann Esser und Wolfgang Langhoff, die Musik komponierte Rudi Goguel; alle drei waren damals Häftlinge des Lagers. Langhoff publizierte den Liedtext nach seiner Freilassung in Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager (Zürich 1935). Auf dieses Buch griff auch Brecht zurück, als er 1942/43 die gleichnamige Szene für Furcht und Elend des III. Reiches schrieb. 111 Seit 1872 erscheinende amerikanische Zeitschrift für den Buchhandel. Die hier angekündigte Ausgabe mit der Notiz über den Aurora-Verlag ist nicht überliefert.

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Doch für uns gibt es kein Klagen, Ewig kann’s nicht Winter sein, einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder m e i n ! Dann ziehe’n die wir Moorsoldaten Nicht mehr mit dem Spaten Ins Moor! *** Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen!112 S.A. marschiert mit mutig-festem Schritt, Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, Marschier’n im Geist in unseren Reihen mit. Die Strasse frei den braunen Bataillonen, Die Straße frei dem Sturmabteilungsmann! Es schaun aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen, Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an! Zum letzten Mal wird nun Appell geblasen! Zum Kampfe steh’n wir alle schon bereit! Bald flattern Hitlerfahnen über alle Strassen, Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit! Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen! S.A. marschiert mit mutig-festem Schritt, Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, Marschier’n im Geist in unseren Reihen mit. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA Z 47/66 (Beilagen: Z47/67–68).

112 Das hier beigefügte Horst-Wessel-Lied, 1929 als Gedicht mit dem Titel „Die Fahne hoch!“ in der SA-Zeitung Der Angriff erschienen und zunächst als Kampflied der SA gesungen, wurde bald zu einer Art Hymne der NSDAP. Brecht parodierte sie mit dem Kälbermarsch im Schweyk (GBA 7, S. 236). Herzfeldes Beilage bezieht sich indessen auf das Lied der Besetzung des Panzerkarrens (GBA 15, S. 72f.), das Brecht 1942 für die amerikanische Aufführung von Furcht und Elend des III. Reiches verfaßt hatte und das auch in der Aurora-Ausgabe 1945 erschien, dort unter dem Titel Chor der Panzerbesatzung. Gesungen wurde es zur Melodie des Horst-Wessel-Lieds.

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Albert Erskine113 an Bertolt Brecht [New York] 20.7.1945 COPY July 20, 1945. Mr. Bertolt Brecht 1063 - 26th Street Santa Monica, California Dear Mr. Brecht: We want to publish your plays if we can arrive at an agreement which is satisfactory to us both.114 Therefore, we have figured out two alternative proposals which I shall present below, so that you may choose the one which suits you better. If you do not like either one, at least they will give us some basis for discussion and negotiation. Both proposals are for the publication of your complete dramatic works (to date) in several volumes (such questions as whether there will be three or four plays to a volume to be left to our discretion), to appear from time to time in the period of the next five years, depending upon the time when the various translations shall become ready for the printer. Proposal 1. That we draw a contract of which the terms are identical with the one we now have for your selected poems (10% royalty on all copies sold up to 5000 copies and 15% on all copies sold thereafter), under which the payment of the translators would be your responsibility. I suppose that we will find that arranging for translation will take several different forms, and it would be easy enough under this kind of contract to accomodate any of the forms. In other words, you could pay the translator a flat fee or you could give him a share in the royalty. Proposal 2. This would have the same royalty terms as the above with the exception that we would arrange and pay for the translations and be reimbursed for this from your royalties – our reimbursement not to exceed the amount, however, of half the royalty on the first 5000 copies. Under this arrangement, if the cost of translating should be greater than half the royalty on the first 5000 copies, we should have to absorb the difference. Under either contract, we naturally shall have the right of accepting or rejecting any translation which is of fered us.

113 Albert R. Erskine Jr. (1911–1993), amerikanischer Verleger, damals für Reynal & Hitchock, später für Random House tätig. 114 Der New Yorker Verlag Reynal & Hitchcock plante eine von Eric Bentley herauszugebende englische Brecht-Ausgabe, die ursprünglich siebzehn, schließlich nur noch vier Stücke umfassen sollte (vgl. Bentley an Hauptmann, 21.4.1946). Das Projekt kam nicht zustande.

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It is difficult at this stage to say which of the plans would be easier to implement or which of them would be most advantageous to you. It is possible of course that some translators will prefer a share in royalties to an outright sale of their translation. If we should have one volume containing translations by different persons, some on a royalty basis and some on an outright purchase basis, the matter would be extremely complicated under Plan 2 but easy enough under Plan 1. Please consider the proposals carefully with your own interests in mind and let me know what you think of them. If either one seems satisfactory as it stands, we can proceed with the final steps of drawing up the contract; but if you feel that there are further questions to be settled, please raise them in your reply. Sincerely, Albert Erskine Überlieferung: Ts, RBA 54/7–8.

Stefan Brecht an Bertolt Brecht Chicago, 20.7.1945 S 380 18 Collect=H Chicago ILL 29 623P brecht family= 1063 26 ST SM

1945 Jul 20 PM 5 41

=will be civilian by 30th July.115 post address is 102 lexington ave new york 16 care wurtete =stefan. 30 102 16 wurtete Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 509/75.

115 „Steff ist frei vom Militärdienst“ (B. an Berlau, 22.7.1945, GBA 29, S. 360).

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 21.7.1945 July 21, 1945 Lieber Brecht, Danke fuer die rasche Antwort,116 die Streichungen sind berechtigt, bitte schicke die anderen Copies gleichfalls, unterschrieb[en]. dann koennen wir uns die Muehe einer neuen Abschrift sparen. Korrektur der Titelei und der Schlusseiten geht Dir zu. Die Fahnen habe ich bereits erhalten, leider sehr viel zu korrigieren, weil der Setzer nicht deutsch kann. An Schreiner schrieb ich gerade, dass der Plan acceptiert ist, ich hoffe Montag den Vertrag zu machen. Ich bin natuerlich sehr dafuer, dass Du hilfst, bin ueberzeugt, Schreiner begruesst es ebenso. Grosz ist auf Urlaub, seine Adresse ist Wellfleet, Cape Cod. Mass. Sicher waere es sehr gut, wenn Du ihm ein paar Zeilen schicktest. Wenn er wiederkommt, sage ich ihm natuerlich, was Du geschrieben hast. Falls Du Zeit findest, lass mich wissen, ob Du zu meinen Erzaehlungen117 was vorzuschlagen hast. Anbei Kouvert fuer die zwei zurueckzuschickenden Erzaehlungen. Herzlichst, Dein W Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA Z 47/69.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 25.7.1945

BASEL, DEN 25. Juli 1945 R/j BÄUMLEINGASSE 4

BETRIFFT: THEATERVERLAG118 Herrn Bert B r e c h t , 1063, Twentysixth Street, Santamonica (California) 116 Nicht überliefert. Zum Inhalt des vorliegenden Briefs vgl. Herzfelde, 15.7.1945. 117 Nicht genau ermittelt. Vermutlich handelte es sich um Erzählungen, die Herzfelde später in dem Band Das steinerne Meer. Ungewöhnliche Begebenheiten (Leipzig 1955) veröffentlichte. 118 Vgl. Reiss, 28.4.1939.

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Sehr verehrter Herr Brecht, Wenn ich nicht andere Weisungen von Ihnen erhalte, werde ich zunächst Ihre Interessen in Deutschland und Oesterreich wahrnehmen, weil ohne diese Interessen-Vertretung die Gefahr besteht, dass es zu unbefugten Aufführungen kommt. Ich habe in Erfahrung gebracht, dass durch die Theater, die hier von den Aufführungen her über Material Ihrer Werke verfügen, einzelne Bücher nach Deutschland und Oesterreich gesandt worden sind, an Interessenten, die mit einzelnen Mitgliedern dieser Theater Fühlung haben. Die Bücher werden Rückwanderern mitgegeben worden sein. Ich werde in jedem einzelnen Falle festzustellen versuchen, wer der Empfänger war und wissen lassen, dass auch eine szenenweise Aufführung nicht ohne über mich geleitete Verständigung mit Ihnen stattfinden darf. Darf ich bei dieser Gelegenheit bitten, mich wissen zu lassen, mit welchen Persönlichkeiten der verschiedenen Comités (Freies Deutschland, Demokratisches Deutschland)119 und von der Widerstandsbewegung Sie Beziehungen verbinden. Mit den besten Grüssen Ihr Ihnen ergebener Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/8.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 14.8.1945 SA 198 INTL=CD basel via commercial 131 1/50 14 NLT Bert Brecht= 1945 Aug 14 AM 10 40 =1063 zwentysixth st santa monica (calif)= can you visit us for the following reasons. first invitation international filmcongress120 to lecture on your work. second negotiate future representation especially regarding german talking countries. third filmproducer here looks for author to work an idea of a pestalozzifilm said producer has contacted= 1063.

119 Gemeint sind vermutlich das 1943 in der Nähe von Moskau gegründete Nationalkomitee Freies Deutschland und der Council for a Democratic Germany (New York). 120 Vgl. Anm. zu Bächlin, 5.7.1945.

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SA 198 2/81

1945 Aug 14 AM 10 40

first director hollywood and paul muni121 both are highly interested. american and swiss authorities are favourable towards Swiss American production ready for release next year being 200th anniversary of pestalozzi.122 have strongly suggested you as only possible author for such a film. am convinced that personal appearance absolutely necessary, therefore advice do utmost to be here end of August. necessary steps for Swiss visa will be made by us. Your account here 6400 francs. please cable = =reiss ltd. 6400. Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 1182/16–17.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 17.8.1945 August 17, 1945 Lieber Brecht: Beigeschlossen die Revisionsabzuege der Seiten 3 und 4,123 und der Seiten 108-112. Falls Du mit allem einverstanden bist, erwarte ich keine Antwort. Auf Seite 110, Zeile 6, habe ich ein Fragezeichen gemacht, weil diese Zeile im R[h]yth­ mus von den vorangegangenen Versen abweicht. Mi[ch] stoert es nicht, falls mich mein Ohr nicht taeuscht, hat der Saenger bei der Auffuehrung jedoch gesungen „Und es ist sehr kalt“.124 Falls das zutrifft, lass mich’s bitte wissen. Das Buch soll in 8-10 Tagen gedruckt werden, wird also Anfa[n]g oder Mitte September ausgeliefert. Leider hast du noch nicht die beiden anderen Vertragsexemplare zurueckgeschickt. Das ist der Grund, warum ich den Check mit dem Vorschuss noch nicht geschickt habe, ich 121 Paul Muni (1895–1967), amerikanischer Filmschauspieler. Als Meshilem Meier Weisenfreund in Galizien geboren, emigrierte Muni 1902 mit seiner Familie in die USA. Bei dem erwähnten HollywoodRegisseur handelt es sich um William Dieterle (vgl. Reiss, 17.8.1945). 122 Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), Schweizer Pädagoge. 123 Furcht und Elend des III. Reiches. Vgl. Herzfelde, 15.7.1945. 124 Die Rede ist vom Chor der Panzerbesatzung (jetzt Lied der Besetzung des Panzerkarrens; vgl. Anm. zu Herzfelde, Mitte Juli 1945). Brecht antwortete Herzfelde Ende 1945, es müsse heißen: „weit ist der heimweg, und es ist zu kalt“ (GBA 29, S. 372). In der Druckfassung lautet die Zeile: „Weit ist der Heimweg, und es ist kalt“ (GBA 15, S. 73).

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brauche naemlich ein Exemplar des Vertrages fuer die Partner, um die zweite Checkunterschrift zu bekommen. Ausserdem wirst ja auch Du einen unterzeichneten Vertrag haben wollen. Weiskopf und Graf sind bereits gedruckt und beim Buchbinder, werden nächste Woche fertig. Bloch ist schon fertig gesetzt.125 Von Anna Seghers ist noch eine laengere Erzaehlung hierher unterwegs.126 Doeblin, der zunaechst zu wenig geschickt hatte, hat jetzt genuegend geschickt,127 es laesst sich daher mit Sicherheit sagen, dass noch in diesem Jahr mindestens 10 der angekuendigten Baende fertig werden, wahrscheinlich aber mehr. Die Morgenroete ist noch immer nicht fertig, es wird ein recht umfangreicher Band.128 Mir scheint es notwendig ausser dem Gedicht an die Soldaten im Osten noch einiges andere zu bringen, bitte mach Vorschlaege, bzw. schicke Manuscript. Ich moechte dass das Buch nicht zu stark auf die juengste Vergangenheit abgestimmt ist. Nach Labour-day129 will ich ueber die Frage Malik mit dem Rechtsanwalt sprechen und werde Dir dann gleich ueber die Neuausgabe Deiner Werke schreiben. Antwortkouvert beigeschlossen. Herzlichst Dein, Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA Z 47/70.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 17.8.1945 BASEL, DEN 17. August 1945. BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , 1063, Twentysixth Street, Santa Monica. California. Sehr verehrter Herr Brecht, 125 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 20.3.1945. 126 Möglicherweise die Ende 1945 im Aurora-Verlag erschienene Erzählung Der Ausflug der toten Mädchen. 127 Von Alfred Döblin erschien 1946 im Aurora-Verlag Sieger und Besiegte. Eine wahre Geschichte. 128 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. 129 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 11.8.1943.

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Ich bestätige mein Kabel vom 11. August wie folgt: […]130 Dieses Telegramm habe ich Ihnen nicht nur gesandt, weil Herr Rubien mir mitteilte, dass Sie den Wunsch hätten, zu einem Besuch in die Schweiz zu kommen, sondern weil auch hier das dringende Verlangen ist, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Herr Günther Stapenhorst131 steht mit den amerikanischen Behörden über die Produktion eines Pestalozzifilmes132 in Verbindung, dem eine erzieherische Aufgabe gegenüber Deutschland zugedacht ist. William Dieterle als Regisseur und Paul Muni als Darsteller des Pestalozzi haben im Prinzip zugesagt. Herr Stapenhorst erhielt von mir Ihr „Furcht und Elend des Dritten Reiches“,133 und es hat ihn so beeindruckt, dass er mit mir darüber sprach, ob Sie eventuell für das Buch zum Pestalozzifilm zu gewinnen wären. Ihre Ueberfahrt würde Sie also in wichtige Verhandlungen hineinführen, und wenn sie so schnell sein könnte, dass Sie zum internationalen Filmkongress noch zurecht kämen, wäre dies die beste Gelegenheit, um Ihr Neuauftreten in Europa in der internationalen Presse sichtbar zu machen. Wenn es Ihnen möglich wäre, schon zum Kongress134 zu kommen, könnte die Frage der Aenderungen in der „Dreigroschen-Oper“ und in „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ besprochen werden. Sollte dies zeitlich nicht gehen, bitte ich Sie, mir das Manuscript der neuen „Dreigroschen-Oper“, wenn es vollendet ist, zuzusenden, oder, wenn es nicht vollendet ist, mich zu Händen des Zürcher Schauspielhauses wissen zu lassen, wann ich darauf rechnen kann. In Zürich ist seinerzeit die „Dreigroschen-Oper“ im Stadttheater, d.h. dem Opernhaus, mit Operkräften gespielt worden und war kein Erfolg. Seit dieser Zeit besteht in Zürich eine Aversion gegen das Werk, nicht natürlich bei den Schauspielern, die es von Deutschland her kennen, aber bei dem Publikum, und es hat lange gedauert bis es mir gelang, die Bedenken der Direktion gegen eine Neuaufführung zu überwinden. Ich habe sie schliesslich dadurch überzeugen können, dass ich hier nachwies, dass sonst eine eigene Produktionsgesellschaft versuchen würde, für Zürich mit meiner Hilfe die Besetzung zusammenzubekommen. Jetzt nimmt das Schauspielhaus die „Dreigroschen-Oper“ in die Vorankündigung des Spielplanes für die neuen Saisons auf und wartet auf die mir von Ihnen im Jahre 1939 angekündigte Neufassung.135 Sowohl durch die Kräfte wie durch das Rénommée ist heute das Zürcher Schauspielhaus der beste Start für die Wiederaufnahme des Werkes. 130 Der hier im Ts wiedergegebene Text entspricht dem Wortlaut des Telegramms vom 14.8.1945. 131 Der Filmproduzent Günther Stapenhorst (1888–1976) arbeitete Ende der 1920er Jahre für die UFA, ging 1935 ins Exil zunächst nach Großbritannien, dann in die Schweiz, wo er 1940 seine eigene Produktionsfirma Gloriafilm gründete. Ab 1949 war er als Filmproduzent in München tätig. 132 Die Produktion kam nicht zustande. 133 Typ. Erg. am Seitenende: „sowie Ihren ‚Galilei‘“. 134 Vgl. Anm. zu Bächlin, 5.7.1945. 135 Brecht nahm zwischen 1946 und 1948 einige Neufassungen bzw. Erweiterungen von Songs der Dreigroschenoper vor. Vgl. Anm. in GBA 2, S. 435f.

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Ihr Gespräch mit Herrn Rubien hat stattgefunden, ehe Sie meinen Brief bekommen hatten. In diesem Briefe schrieb ich Ihnen, dass das Zürcher Schauspielhaus glaube, Sie würden selbst Bedenken haben, einige Szenen in „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ so aufführen zu lassen, wie Sie sie 1939 konzipiert haben. Ich erbat darüber Ihre Meinung, und sie ist mir auch deshalb wichtig, weil ich inzwischen über eine Aufführung des Werkes mit dem Basler Stadttheater, das es noch voriges Jahr ablehnte, in Verhandlung gekommen bin.136 Sie haben, verehrter Herr Brecht, im Gespräch mit Herrn Rubien die Meinung vertreten, dass der Verlag aus der Schweiz in die andern Länder für Ihr Werk nicht das würde tun können, was Ihnen aus U.S.A. zu tun möglich wäre. Ich glaube nicht nur, sondern ich bin überzeugt, dass wir v i e l mehr für Ihr Werk von hier aus tun können, als Sie von dort. Ich weiss heute, wer in Deutschland Chancen hat, wieder hochzukommen. Ich kann die künstlerische Lebensdauer des Einzelnen in seiner künftigen Position beurteilen und auch übersehen, wer von Jenen, denen es gelingt, von einem Regime ins andere herüberzuwechseln, auf Grund vorliegenden Materials der Wechsel nur für kurze Zeit glücken wird. Sie haben Ihr Werk immer als von der Besetzung oder dem Regisseur abhängig betrachtet und dieser Ihr Standpunkt hat sich auch bei der Schweizer Aufführung als richtig erwiesen. Es gehört also zu der Vergebung Ihres Werkes eine genaue Kenntnis der künstlerischen Persönlichkeiten, die es spielen oder inszenieren werden, und es ist auch zu beobachten, [für] welches Werk es richtig ist, jeweils in den Vordergrund zu rücken. Alle diese Arbeit können Sie nicht selbst leisten, und ich glaube, dass ich sie mit Nutzen für Ihr Werk leisten kann. Von allen deutschen Bühnenverlagen dürfte der Reiss-Verlag heute der Bühnenverlag sein, der das grösste oe[u]vre vertritt. Es sind nicht nur die meisten Emigrationsautoren in ihm vereint, sondern er vertritt heute auch das Gesamtwerk von Bernhard Shaw, Somerset Maugham137, Paul Claudel für das gesamte deutschsprachige Gebiet und Frank Wedekinds Werke für alle Länder. Ich nenne Ihnen damit nur die wichtigsten unserer Neueroberungen. Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören und Sie bald wieder zu sehen und bin mit herzlichen Empfehlungen an Sie und Ihre Frau, Ihr sehr ergebener Kurt Reiss P.S. Wollen Sie mich bitte über Ihre derzeitige Nationalität informieren. Auf Grund der schweizerischen Gesetzgebung müssen wir alle Guthaben von Deutschen, Oesterreichern und Staatenlosen anmelden. Als Deutsche gilt hier auch der Ausgebürgerte. Um uns nicht selbst eines Vergehens gegen die betr. Vorschriften schuldig zu machen, müssen wir jeweils

136 Im Januar 1947 wurden am Stadttheater Basel 18 Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches aufgeführt (Regie: Ernst Ginsberg). 137 William Somerset Maugham (1874–1965), englischer Schriftsteller.

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um die Auszahlungserlaubnis nachsuchen. Ich erwarte also gerne Ihre diesbezüglichen Nachrichten. Die Abrechnungen über die Aufführungen Ihrer Werke erhalten Sie in einem Separatbrief. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/9–11.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 30.8.1945 BASEL, DEN 30. August 1945. BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Abt.: Buchhaltung. Herrn Bert B r e c h t , 1063, Twentysixth Street, Santa Monica. California. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir erlauben uns, Ihnen beigeschlossen eine detaillierte Abrechnung zu übermachen. Der darin aufgeführte Anwaltsposten betrifft eine Auseinandersetzung mit dem EuropaVerlag, der vorgab, für Sie abschliessen zu können und keine Autorisation dazu beibrachte.138 Von allen Kabeln haben wir Sie nur mit dem Telegramm vom 11. August belastet, weil Herr Rubien uns Ihren Wunsch übermittelte, Ihnen die Möglichkeit der Einreise in die Schweiz zu verschaffen. Wir sind nach wie vor der in dem Telegramm ausgedrückten Ansicht, dass Ihre Anwesenheit der weiteren Durchsetzung Ihres Werkes auf das Stärkste förderlich sein würde. Wenn Sie wünschen, dass Ihnen der Betrag nach Amerika überwiesen wird, bitten wir um Mitteilung, welche Staatszugehörigkeit Sie heute besitzen. Für alle Guthaben Deutscher müssen wir zur Ausführung die Genehmigung nachsuchen. Aber wir nehmen an, dass es in Ihrem Falle eine rein formelle Prozedur sein wird. Aus andern Fällen wissen wir, 138 Demzufolge hatte der Europa-Verlag (1933 von Emil Oprecht in Zürich gegründet) ohne Autorisation Brechts Ansprüche auf den Guten Mensch von Sezuan und den Galilei erhoben. Vgl. dazu B. an Reiss, 18.1.1946, GBA 29, S. 374.

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dass ausserdem für die Auszahlung in Amerika um eine Lizenz eingegeben werden muss. Wenn dies auch in Ihrem Falle notwendig ist, bitten wir Sie, uns die Lizenznummer mitzuteilen, damit wir Sie hier bei der Ueberweisung des Geldes gleich mit angeben können. Wir begrüssen Sie mit vorzüglicher Hochachtung R E I S S A.G. Reiss [Anlage] BASEL, DEN 27. August 1945 BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG ZUSAMMENSTELLUNG & KONTOAUSZUG für Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Street, Santa Monica

10. Juli 1941 30. Juni 1943 10. Jan. 1944 10. " " 15. April " 30. Juni " 30. " "

– Abrechnung „Mutter Courage“ Zürich Fr. 798.50 – do. Basel " " 768.75 – „Der Zürich gute Mensch“ " " 2693. -– " „Galileo Galilei“ " " 1528. -– „Mutter Bern Courage“ " " 81.80 – „Mutter Courage“ " " " 446.30 – „Der Basel gute Mensch“ " " 522. -Fr. 6838.35

abzüglich: unsere Zahlung an Herrn Tschesne, Friedmatt, Basel, i/Auftrag von Herrn Kläber: Anwaltsrechnung i/Sa-c/a Europa-Verlag A.-G. und Schauspielhaus Zürich betr. „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Leben des Galilei“ Fr. 207.60

Fr. 50.--

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*/* zu unseren Lasten 20% Vertriebsprovision "

41.60

" 166,--

Telegrammkosten vom 11. Aug. 1945

" 97.95



" 313.95 Sfr, 6.524.40

Beilagen: Abrechnungen R E I S S A.-G. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/13 (Anlage: Ts, BBA 1182/12).

A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 13.9.1945 AMSTERDAM-C, den 13th September 1945 DAMRAK 62. Bert Brecht Esq., 1063, 26th Street, Santa Monica. Dear Mr. Brecht, We owe your address to Mr. Alfred Neumann and hope this letter will reach you. As you will understand, we should like to know how you came through these years. No doubt you will have heard the horrible news, that our Walter Landauer died at the end of 1944.139 Till autumn 1943 he was submerged in Amsterdam, he then tried to escape to Switzerland. We all know the results! We have had bad times here and the Nazis gave us much trouble, because we had published German books and had also the exploitation of the books of Bermann-Fischer, Querido and Forum.140 We could hide, however, a great many of them and in Holland people takes very much interest in these books; we think such will be the case with much people abroad too. So we restarted our German publishing department and are convinced, that your new books and a reprint of “Dreigroschenroman” will be in great demand. Please let 139 Landauer war in Bergen-Belsen ums Leben gekommen. 140 Amsterdamer Verlag, mit dem Allert de Lange kooperierte.

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us know, what you have written during the war, as we very interested in the German and Dutch rights. We suffered great losses, before the war in consequence of the bad economic situation and during the war by the Nazi-terror – we were personally held responsible for any damage done to the books! – and we hope we shall now be able to restart business with our authors’ publications. We soon hope to hear from you and remain, with kindest regards, Your very truly C.V. ALLERT DE LANGE (A. P. J. Kroonenburg) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: C.V. Allert de Lange Afdeeling Verlag, Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeentegiro L 606 Bankier: Amsterdamsche Bank Damrak – Amsterdam; BBA 1763/20.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 24.9.1945 24. September 1945 Bertolt Brecht 1063-26th Street Santa Monica California Lieber Brecht: Dieser Tage gingen Dir die Belegexemplare Graf und Weiskopf zu.141 Ich habe daran natürlich vielerlei auszusetzen, von Druckfehlern bis zum Einband. Und davon unabhängig bitte ich Dich mir Deine Kritik zu schreiben, damit die weiteren Bände besser ausfallen, soweit das die hiesigen, beschränkten Möglichkeiten erlauben. Bei der Gelegenheit wäre ich Dir auch dankbar, wenn Du mir über die Erzählungen von mir Kritisches sagen würdest.142 Bruckner war eben hier und liess mich einen Brief von Csokor143 aus Rom lesen. Darin schreibt er, ein italienischer Verlag möchte die „Heilige Johanna“ und Dein letztes Stück („Furcht und Elend“?) italienisch herausbringen. Falls Du daran interessiert bist, hier die Adresse:144 141 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 20.3.1945. 142 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 21.7.1945. 143 Franz Theodor Csokor (1885–1969), österreichischer Schriftsteller. Ging 1938 ins Exil nach Jugoslawien, 1944 nach Italien, kehrte 1946 zurück nach Wien. 144 Ein Brief an Csokor ist nicht überliefert. Brechts Stücke erschienen in Italien später bei Einaudi. Der Turiner Verlag brachte 1951 bzw. 1954 die Bände Teatro (I & II) heraus; darin enthalten waren auch die Stücke Santa Giovanna dei macelli und Terrore e miseria del terzo Reich.

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Franz Theodore Csokor, PWB 12, APO 512 c/o Postmaster New York, N.Y. Ich habe mich entschlossen, Malik wieder in Gang zu setzen. Zunächst habe ich nach Prag geschrieben, an einen Spediteur wo erhebliche Mengen der Bücher, besonders der Deinen, eingelagert sind. Hoffentlich ist noch etwas davon da. Ausserdem habe ich noch mit einem schweizer und einem schwedischen Verlag Auseinandersetzungen, die munter während des Krieges Maliksachen nachdruckten. Statt zu streiten, will ich versuchen ein Abkommen zu treffen, das es mir ermöglicht Maliksachen gleichzeitig hier und dort herauszubringen. Ich lege Dir einen Prospekt des schweizer Verlages bei, aus dem Du ersiehst, dass sie „Die Mutter“ von Dir nachgedruckt haben.145 Ich schrieb ihnen, dass ich es nachträglich sanktionieren will, unter der Voraussetzung, dass sie Dir Dein volles Honorar bezahlen und mir und Dir Belegexemplare zustellen. Einverstanden? Wiederdrucke hätten allerdings mit dem Malik Copyright zu erscheinen. „Furcht und Elend“ wäre schon gedruckt,146 ich habe aber noch kein Papier auftreiben können. Hoffentlich gelingt mirs dieser Woche. Man darf jetzt kaufen was man will, das aber gerade ist der Grund warum die ganzen Vorräte aufgekauft worden sind, und die Neuanfertigungen kommen so rasch nicht herein. Ausser Deinem Band sind schon fünf andere gesetzt. Mit Deinem Sohn war ich zweimal beisammen, wir haben uns sehr gut unterhalten und verstanden. Grüss ihn und die Familie herzlich. Dein Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA Z 47/71–72.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 26.9.1945

BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , Twentysixth Street 1063, Santa Monica. California.

145 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.12.1945. 146 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 20.3.1945.



BASEL, DEN 26. September 1945. BÄUMLEINGASSE 4

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Sehr verehrter Herr Brecht, Ich bewarb mich um Ihre Interessenvertretung für Deutschland, blieb aber bisher ohne Antwort und kann daher leider nicht versuchen, Ihnen die Tantiemen für deutsche Aufführungen Ihrer Werke zu sichern. In Berlin wird die „Dreigroschenoper“ gespielt.147 Ich lege Ihnen darüber einen Sie wahrscheinlich interessierenden Artikel aus der National-Zeitung bei.148 Das Stuttgarter Staatstheater kündigte eine Aufführung desselben Werkes an und setzte sie, auf Demonstrationsankündigung gegen die Vorstellung, wieder ab. Auch hier müssten Ihre Interessen wahrgenommen werden. Es wäre wichtig, für Sie und für die Aufführung in Deutschland, festzustellen, von welcher Seite die Demonstrationsdrohung ausging und dadurch die Hintergründe aufzuhellen. Nach Zurückweichen des einen Theaterleiters ist immer zu befürchten, dass die andern es vorziehen, ein Werk von Ihnen erst gar nicht anzukündigen, um Schwierigkeiten auszuweichen. Es ist wichtig, die Arbeit der Tantiemensicherung und der Abklärung von Vorkommnissen, wie des Stuttgarters, jetzt vorzunehmen, da sonst die Gefahr besteht, dass eine ganze Saison, wenn nicht mehr, für Sie verloren geht. Ich habe die Verbindungen und den Mitarbeiterkreis, um diese Arbeit in Ihrem Sinne erledigen zu können. Scheuen Sie nicht ein kurzes Kabel, um mich zum Eingreifen zu autorisieren. Mit den besten Grüssen Ihr Ihnen sehr ergebener Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/14.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 2.10.1945

BETRIFFT: THEATERVERLAG

BASEL, DEN 2. Okober 1945 R/j BÄUMLEINGASSE 4

147 Die Dreigroschenoper wurde am 15.8.1945 unter der Regie von Karl-Heinz Martin im Berliner HebbelTheater aufgeführt. 148 Vgl. BC, S. 762.

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Herrn Bert B r e c h t , 1063, Twentysixth Street, Santa Monica California Sehr verehrter Herr Brecht, Als Folge meines Gesuches zur Freigabe Ihres Guthabens bei der Schweiz, Verrechnungsstelle erhielt ich von derselben einen Brief, von dem ich Abschrift des betr. Passus beilege. Darf ich Sie freundlich bitten, mir den von der Devisenstelle verlangten amtlichen Nachweis baldigst zukommen zu lassen, damit ich die Freigabe Ihres Guthabens durchsetzen kann. In Erwartung Ihrer Nachrichten bin ich mit den verbindlichsten Empfehlungen Ihr ergebener Kurt Reiss [Anlage]



Auszug aus einem Schreiben der Schweiz. Verrechnungsstelle Zürich vom 25. September 1945 betr.: Sperre über deutsche Vermögenswerte gem. Bundesratsbeschluss vom 16.2./ 27.4./ 3.7.1945.

Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir im vorliegenden Falle unsere Zustimmung zu einer generellen Befreiung von der Sperre nicht erteilen können, da gemäss BRB vom 3. Juli 1945 auch die Guthaben von in Drittländern domizilierten deutschen Staatsangehörigen der Sperre unterstellt sind. Solange also nicht der einwandfreie Nachweis erbracht werden kann, dass die genannten Personen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit verlustig gegangen sind, bezw., das amerikanische Bürgerrecht erworben haben, bleiben ihre Guthaben in der Schweiz gesperrt. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/20 (Anlage: Ts, BBA 1182/19).

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Gustav Hartung an Bertolt Brecht Basel, 19.10.1945 Gustav Hartung, c/o

BASEL, DEN 19. Oktober 1945

BÄUMLEINGASSE 4

BETRIFFT: Theaterverlag Herrn Bert B r e c h t , Twentysixth Street 1063, Santa Monica (California) Sehr verehrter Herr Brecht, Es kann sein, dass ich heute abend, aber auch, dass ich erst in einigen Tagen nach Deutschland gehe, doch möchte ich auf alle Fälle Sie noch von hier aus in Kenntnis setzen, dass ich im neuen Wirkungskreis, der Heidelberg sein wird, der Theaterkommission vorschlagen werde, „Mutter Courage“ oder „Der gute Mensch von Sezuan“, vielleicht auch „Furcht und Elend des dritten Reiches“ noch in diesem Spieljahr zu machen. Eine prinzipielle Einigung hierüber ist hier bei den Besprechungen erzielt worden, an denen auch einer der amerikanischen Sachberater teilnahm. Zu diesen Besprechungen hatte ich Reiss zugezogen, damit Ihre Tantièmen-Interessen gewahrt werden (er arbeitet in engem Kontakt mit den alliierten Behörden). Heidelberg ist eine der wenigen völlig unbeschädigten Städte und heute das geistige Zentrum für Südwest- und Süd-Deutschland, vielleicht geistig überhaupt am interessantesten von allen Städten. Die Universität hat die Lehrtätigkeit in allen, oder fast allen Fakultäten wieder aufgenommen und soll dreisprachig geführt werden. In der Theaterkommission, die mich holt, ist sie führend. Die Aktivität geht insbesondere von dem jungen Professor Mitscherlich149 aus. Ich möchte Sie nun bitten, mich wissen zu lassen, von welchen Ihrer Werke es Ihnen wichtig erscheint, dass in dieser Saison – denn weiter können wir ja noch nicht denken – in Deutschland Aufführungen stattfinden, auch was Sie etwa über die Aufführungsart zu sagen haben auf Grund Ihrer amerikanischen Erfahrungen.

149 Alexander Mitscherlich (1908–1982), Arzt und Psychoanalytiker. Nach kurzem Exil in der Schweiz kehrte er bereits 1937 nach Deutschland zurück, wo er für mehrere Monate in Haft genommen wurde. Er promovierte und arbeitete in den 1940er Jahren an der Universität Heidelberg. 1960 gründete er das Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main.

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Es wird am richtigsten sein, Briefe über Reiss zu leiten, mit dem ein Weg vereinbart worden ist, auf welchem ich Sie sehr schnell bekomme. Wenn Sie besonders daran interessiert sind, dass dieser oder jener der in Deutschland verbliebenen Kräfte an Einstudierungen teilnimmt oder darin mitmacht, dann bitte ich mich auch darüber zu unterrichten. Meine Tätigkeit wird sich nicht nur auf Heidelberg erstrecken; die Heidelberger Aufführungen sollen in anderen Städten gezeigt werden, un[d] ich werde zu Beratungen für das Repertoire der anderen Bühnen herangezogen werden. Herzliche Grüsse Ihnen und Helli, Ihr Gustav Hartung Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/21.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 23.10.1945 S341 intl=cd basel via rca 30 23 1522 lc bert brecht= twentysixth st 1063 santamonica (calif)= = frage auftrags schauspielhaus zuerich an ob neue fassung dreigroschenoper existiert.150 wenn nicht und kein einspruch ihrerseits erfolgt schliesse ueber alte fassung ab= reiss 1063 Überlieferung: Ts (Telegramm: Western Union), BBA 1182/22.

150 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.8.1945.

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Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 24.10.1945 Herbert Ihering

Berlin=Zehlendorf, den 24. Oktober 1945 Staffelweg 18

Lieber Brecht, durch die Freundlichkeit des Herrn Kurt Ries151 wird dieser Brief hoffentlich in Ihre Hände gelangen. Wir alle hoffen, daß Sie bald nach Berlin kommen. Ihre Bücher, auch „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ und „Spitzköpfe und Rundköpfe“ habe ich über das ganze „Dritte Reich“ hinweggerettet. Kaspar152, den wir, damit er nicht in die H. J. mußte, in die Schweiz an den Genfer See gegeben hatten, wo auch Zuckmayers Tochter153 erzogen wurde, kennt fast die ganze „Hauspostille“ auswendig und hat, als er vom deutschen Konsulat in Zürich doch nach Deutschland eingezogen wurde, bei den Gebirgsjägern für die Verbreitung der Ballade vom Toten Soldaten154 gesorgt. Er war schwer verwundet, ist aber, wenn auch mit nur einer Niere noch davongekommen. Wie geht es Steff und Helli und Barbara? Wir haben immer noch die Bilder von Ihrem Häuschen bei Karin Michaelis, die meine Frau aufgenommen hatte, und unsere Gespräche damals sind mir noch sehr gegenwärtig. Lieber Brecht, wir haben große Sehnsucht nach Ihnen und nach Gesprächen mit Ihnen. Gestern las ich „Mutter Courage“. Es war eine Erfrischung. Wir wollen es am Deutschen Theater spielen.155 Ebenso „Galileo Galilei“156, leider haben wir noch kein Buch.157 Können Sie nicht veranlassen, daß ich alle Ihre neuen Arbeiten bekomme? Ich bin bei

151 Möglicherweise Kurt Reiss. Oder aber Curt Riess (vgl. Anm. zu Reiss, 28.2.1946). 152 Iherings Stiefsohn Kaspar Königshof (1920–2004). 153 Maria Winnetou Zuckmayer (*1926). 154 Die Legende vom toten Soldaten aus der Hauspostille (GBA 11, S. 112–115). 155 Die Premiere der Mutter Courage im Deutschen Theater Berlin fand am 11.1.1949 statt; Regie führten Brecht und Erich Engel, die Hauptrolle spielte Helene Weigel. Die Aufführung provozierte eine heftige Auseinandersetzung, in der vor allem Fritz Erpenbeck als Sachwalter einer traditionellen Einfühlungsdramatik hervortrat und die „anti-aristotelische“ Inszenierung kritisierte (vgl. Anm. in GBA 6, S. 394–399). 156 Der Galilei wurde in Deutschland – unter dem Titel Galileo Galilei – erstmals am 16.4.1955 in den Kammerspielen in Köln aufgeführt (Regie: Friedrich Siems). Die nochmals überarbeitete Berliner Fassung, die Brecht zusammen mit Erich Engel und dem Berliner Ensemble seit Dezember 1955 einstudierte, kam erst am 15.1.1957 zur Aufführung (mit Ernst Busch in der Titelrolle). 157 Das Stück war bislang unveröffentlicht. Ein hektographiertes Bühnenmanuskript mit dem Titel Galileo Galilei: Leben des Galilei wurde erst 1948 von Suhrkamp ediert.

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Wangenheim am Deutschen Theater.158 Bildt159, Wäscher160, Gerda Müller161 sind auch da und lassen grüssen. Es gibt hier sehr schöne Möglichkeiten. Erich Engel162 will auch nach Berlin, leitet aber vorläufig noch kommissarisch die Münchner Kammerspiele. „Die Dreigroschenoper“ im Hebbeltheater163 war ein großer Erfolg. Daß aber Hubert von Meyerinck164 gerade ein Mackie Messer wäre, kann man kaum behaupten. Den wirklichen Brechtstil hatte nur Kathe Kühl165, die jetzt Frau Peacham [sic] gab. Nicht umsonst hatte sie früher noch unter Ihnen gearbeitet. Lieber Brecht, kommen Sie bald, damit Sie sehn können, wieviele gute und brechtbegeisterte Schauspieler wir am Deutschen Theater noch haben, und mir welcher Begeisterung wir uns alle in die herrliche „Mutter Courage“ stürzen wollen! Tausend Grüße an Sie, Helli, Steff und Barbara von meiner Frau, die wegen Ihrer Haltung in all den Jahren und wie sie etwa 500 Fliegerangriffe überstanden hat, Bewunderung verdient, Kaspar und besonders von Ihrem Herbert Ihering Überlieferung: Ts, hs. U., AdK: Herbert-Ihering-Nachlaß 984 (Kopie: BBA 211/28).

158 Gustav von Wangenheim wurde nach seiner Rückkehr aus der UdSSR die Leitung des Deutschen Theaters Berlin übertragen (indes nur für kurze Zeit: 1946 folgte ihm Wolfgang Langhoff). Ihering war dort als Chefdramaturg angestellt. 159 Der Schauspieler und Regisseur Paul Bildt (1885–1957) war seit den 1920er Jahren in zahlreichen Brecht-Aufführungen aufgetreten. Auch während des Nationalsozialismus spielte er, protegiert von Gustaf Gründgens, weiterhin an Berliner Theatern. In der Brecht/Engel-Inszenierung der Mutter Courage von 1949 war er in der Rolle des Kochs zu sehen. 160 Aribert Wäscher (1895–1961), Schriftsteller, Theater- und Filmschauspieler. Trat auf in der Sendespielfassung von Mann und Mann in der Funkstunde Berlin im März 1927. Seit den 30er Jahren war er in zahlreichen Unterhaltungsfilmen zu sehen. 161 Mit der Schauspielerin Gerda Müller (1894–1951), der einstigen Freundin Arnolt Bronnens, war Brecht seit den frühen 1920er Jahren bekannt. Sie übernahm Rollen im Dickicht (1924) und im Lebenslauf des Mannes Baal (1926). Nachdem sie sich während des Nationalsozialismus von der Bühne zurückgezogen hatte, trat sie ab 1945 wieder am Deutschen Theater Berlin auf. 162 Erich Engel (1891–1966), Theater- und Filmregisseur. Seit der Zusammenarbeit an dem Film Mysterien eines Friseursalons (1923) befreundet mit Brecht, von und mit dem er zahlreiche Stücke inszenierte, u.a. auch die Dreigroschenoper 1928. Er blieb in den 1930er Jahren in Deutschland und drehte dort z.T. sehr erfolgreiche Komödien. 1945 wurde er Intendant der Münchner Kammerspiele, 1949 übersiedelte er nach Ostberlin, wo er aufs neue mit Brecht zusammenarbeitete. 163 Vgl. Anm. zu Reiss, 26.9.1945. 164 Der Schauspieler Hubert von Meyerinck (1896–1977) war seit den späten 1910er Jahren an Theatern in Berlin und Hamburg tätig, spielte später auch in westdeutschen Filmproduktionen. Der Mackie Messer im Hebbel-Theater 1945 blieb seine einzige Brecht-Rolle. 165 Kate Kühl, d.i. Elfriede Katharina Nehrhaupt (1899–1970), Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin. Bereits in der Erstaufführung der Dreigroschenoper 1928 spielte sie die Lucy. Sie blieb während des Nationalsozialismus in Deutschland und trat in einigen Filmnebenrollen auf. Nach 1945 arbeitete sie u.a. am Berliner Ensemble, bis sie in den 1950er Jahren nach Westberlin übersiedelte.

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 25.10.1945 BASEL, DEN 25. Oktober 1945 R/j BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t, Twentysixth Street 1063, Santa Monica (California) Lieber Herr Brecht, Wir telegraphierten Ihnen heute wie folgt: = Frage auftrags Schauspielhaus Zürich an ob neue Fassung Dreigroschenoper existiert wenn nicht und kein Eins[p]ruch Ihrerseits erfolgt schließe über alte Fassung ab“166 und sehen Ihren diesbezüglichen Nachrichten mit Interesse entgegen. Mit den besten Empfehlungen Ihnen ergeben R E I S S A.-G. Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/23.

Edward Hogan167 an Bertolt Brecht Berlin, 1.11.1945 Edward Hogan, 0-1267137 ISCS, US Hq. Berlin Dist APO 755, US Army. 1 Nov 45

166 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.8.1945. 167 Edward F. Hogan, Kulturoffizier der amerikanischen Besatzungsbehörden in Berlin.

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Mr. Bertolt Brecht 1063 26th St. Santa Monica, Calif. Dear Brecht: I have your two letter[s] of 14 October.168 I hope that when the parcels arrive I’ll be able to distribute them properly. They tell us that next week the postal service will start again, and then I’ll be able to get in touch with people. Transportation is not easy and we are very short of cars. That Die Dreigroschenoper ever led to Unstimmigkeiten as you write is a bare unthruth. The production now current under Karl Heinz Martin169 is successful in every way. It is interestingly staged and well cast, although von Meyerinck is not the best Micky [sic] Messer in the world. He’s the best they could get. Casting is always a problem, for the actor you want is either in exile, dead or unemployable under our (US) rules against people tainted with Nazism. Martin’s theatre is the cleanest in Berlin in this respect. Royalties are being paid for this production to the Felix Bloch people (Frau Wreede). Your suspicions of this old and utterly reliable firm are groundless. Everything was grabbed by the Nazis, particulary royalties with foreign exchange value. The firm itself was swallowed by the Reichskulturkammer and had to call itself Die Drehbuehne170; only now is Felix Bloch Erben back on the letterheads. Frau Wreede (Fritz killed himself you know due to the whole situation)171 is in charge and the offices are at Schlueterstrasse 41 in the British zone. The staff has voluntarily submitted to investigation by us. The whole question of the vitality of contracts which were moribund during the Unheil is one for the Peace Conference, not for us. In the meantime authors such as yourself must either submit to piratical chaos or rely on normal business channels as they used to exist when communication was possible. I would not allow Martin, our chief licensee in the US zone, to be involved in any 168 Dokumentiert in BBA 2881-82. Darin heißt es u.a.: „Ich habe keinen Verlag und keinen Bühnenvertrieb mehr in Deutschland, die mich vertreten könnten. Der Verlag Felix Bloch Erben, der meine Stücke in Vertrieb hatte, hat seinen Vertrag mit mir schon vor bei Hitlers Machtantritt gebrochen und sogar Tantiemen aus Dänemark und Schweden gegen meinen Protest nach Hitlerdeutschland einzahlen lassen. Natürlich kann diese Firma für mich nicht mehr Verträge abschliessen. Meine Bitte an Sie ist, bekannt zu geben, dass ich vorläufig Aufführungen meiner Stücke nur gestatten kann, wenn mir die Aufführungsbedingungen geeignet erscheinen. Alle meine Stücke brauchen Umarbeitungen. [Absatz] Da es für mich schwierig ist, die verschiedenen Besatzungsbehörden in Deutschland zu verständigen, bitte ich Sie, meine Stellungnahme, wo immer es Ihnen möglich ist, bekannt zu machen.“ 169 Der Schauspieler und Regisseur Karl Heinz Martin (1888–1948) war seit den 1920er Jahren an verschiedenen Berliner Theatern tätig, u.a. als Intendant der Volksbühne. Führte Regie bei der Aufführung der Dreigroschenoper am Hebbel-Theater im August 1945. 170 Auf Anordnung der Reichsschrifttumskammer mußte der Verlag den jüdischen Namen Bloch 1941 aufgeben und nannte sich vorübergehend „Die Drehbühne“. 171 Fritz Wreede, der einstige Geschäftsführer des Verlags, hatte sich 1934 das Leben genommen.

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squabble over royalties and I assure you it is far better, at this time, to have your excellent work performed under arrangement with the Bloch firm than not to have it performed at all. You may not realize it but you are a very beloved poet in Germany. Sincerely, EH Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1185/17.

Alfred Döblin an Bertolt Brecht Baden-Baden, 25.11.1945 Adresse. ADoblin GMZF-DGAA (Edu) S.P. 50403 BadenBaden (french zone Germ) Baden-Baden 25.11.45 Lieber Brecht, da bin ich also seit ca 2 Wochen hier, sitze in einem Büro und Amt und habe zur Zeit die Aufgabe, eine richtige litterarische [sic] Zeitschrift auf die Beine zu stellen,172 deutschsprachig natürlich, die zunächst einmal in größeren und mehr weniger geschlossenen Proben im Lande zeigen und vorführen will, was man draußen gearbeitet hat, wer da ist, und dazu die Produktion im Lande, soweit man sie findet; also die gegenwärtige deutschsprachige Litteratur, wo auch immer sie sitzt, mit alleiniger 100%er Ausschließung alles Nazistischen oder Profaschistischen. Lieber Brecht, ich brauche Sie, für Lyrik und Dramatik, und Sie sollen Platz finden. Der Hunger nach geistiger Nahrung ist ebenso groß wie die Ahnungslosigkeit (begreiflich nach der Absperrung) und die Desorientierung. Es muß hier alles umgeprägt werden, und man ist willig. Überall Ansätze und Projekte von Z[ei]tungen, von Verlagen, alles noch nebulös und durch die Verkehrsnot gehemmt (gesprengte Brücken, langsamer Post- und Eisenbahnverkehr; aber die Post geht principiell durch alle Zonen, wie auch die Mark überall gilt). Diese kleine Stadt hat kaum gelitten, das Kurtheater spielt billige Provinzstücke; die größeren Bezirke haben eigene Einblatttageszeitungen, in Neustadt Schwarzwald bereitet Reifenberg173 von der Frkf. Zeitung eine 172 Im Oktober aus dem amerikanischen Exil in Paris eingetroffen, war Döblin als Literaturinspekteur im Auftrag der französischen Militäradministration zunächst nach Baden-Baden gezogen. Die von ihm herausgegebene literarische Monatszeitschrift Das goldene Tor erschien von 1946 bis 1951. Von Brecht wurden darin die Erzählungen Der Mantel des Ketzers (Heft 1/1947, zuerst in Internationale Literatur, Heft 8/1939, jetzt GBA 18, S. 374–382) und Der Augsburger Kreidekreis (Heft 1/1948, zuerst in Internationale Literatur, Heft 6/1941, jetzt GBA 18, S. 341–354) veröffentlicht. 173 Benno Reifenberg (1892–1970), Kunsthistoriker, Schriftsteller und Journalist. Seit 1919 war er Redakteur der Frankfurter Zeitung (bis zu deren Verbot 1943). Seine Bemühungen, die Zeitung 1945 wiederzubeleben, blieben ohne Erfolg. Statt dessen gründete er im selben Jahr die Halbmonatszeitschrift Die Gegenwart. Später Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Halbwochensch[ri]ft vor, welche sich zur neuen Frkf. Zeitung auswachsen soll. Die Läden teils geschlossen, teils recht leer, fast kein Buch zu kaufen, nur Kunstbücher und antiquarische Fetzen. Es wird sich da bis zum nächsten Jahr und in ihm vieles ändern, zum Bessern. Ich hörte nichts von der russischen Zone; noch immer sollen Menschenmassen von Osten nach Westen zur Repatriierung fluten; diese schreckliche Wanderung ist noch nicht zu Ende. In der Züricher Zeitung las ich einen gut belegten Aufsatz über die Seuchen und das Sterben in der Mark; die Zahlen sind erschütternd; es erinnert an den 30jäh-r. Krieg. In dieser Zone sind die meisten Schulen geöffnet, die Univers. Freiburg u. Tübingen geöffnet, man hat provis. Schulbücher (aus der Schweiz) und Schulhefte. – Es ist auch nicht leicht in Paris. Wieviel Zerstörung sah ich beim Durchfahren des Landes; sehr schmal sind die Zuteilungen für die Pariser; das Elend betrifft ganz Europa. In den 3 Wochen, die ich mich in Paris aufhielt, fand ich als das Schlimmste die Kälte: einlogiert in Räumen wohnen, die nicht heizbar sind. Ich legte mich manche Nachmittage einfach ins Bett. Meine Frau174 wohnt jetzt noch da, mit Stefan175 (der arbeitet u[nd] verdient, aber was lernen soll); (Adresse chez Tonnelat, 95 bld Jourdan, Paris XIV.), sie reist zur Zeit nach den Vogesen zum Grab unseres Jungen, dann nach Nizza zum Besuch des andern. Ich wohne in einem winzigen Studentenzimmer (aber geheizt), esse mit den andern (recht gut u. ausreichend); Privatleben, auch Schreiben, z. Z. beiseitegelegt. Lieber Brecht, antworten Sie mir mit einer principiellen Zustimmung sofort, sehen Sie bitte auch, daß die andern dort (ich schrieb auch n. New York) davon wissen u. mir zustimmend schreiben. Bald hören Sie dann Details über techn. Dinge. Herzlichst Ihnen, der Helly und den Kindern Ihr Alfred Döblin Überlieferung: Ms, BBA 911/1–2. – E: Alfred Döblin, Ausgewählte Werke in Einzelbänden. Briefe, hrsg. v. Walter Muschg, weitergeführt von Heinz Graber, Olten 1970, S. 328ff.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 22.12.1945 22. Dezember 1945 Lieber Brecht, Ich hatte gehofft Dich noch in diesem Jahr hier zu sehen, da das wohl kaum mehr der Fall sein wird, will ich Dich schriftlich von verschiedenem unterrichten.

174 Erna Döblin, geb. Reiss (1888–1957), mit Döblin verheiratet seit 1912. 175 Döblins Sohn Stephan (*1926).

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1. Die ersten drei zwei Aurora Bände, die Dir als Belege zugingen, kamen als unbestellbar zurück. Ich habe die Belege Deines Buches176 wieder an die gleiche Adresse gehen lassen. Schreib mir, ob sie ankamen, in dem Fall will ich auch die ersten Bücher noch einmal senden lassen. (Der ganze Versand geht ab Cambridge.) 2. Gestern erfuhr ich Dudows Adresse. Vielleicht hast Du sie nicht: S. Th. Dudow, Casa Alf. Rampazzi, Ascona, Switzerland. 3. Die Aufhebung der Papierrationierung hat eine grosse Papierknappheit und eine Ueberlastung der Setzer und Binder verursacht. Das ist der Grund, warum eine ganze Anzahl bereits fertig gesetzte[r] Bände noch nicht heraus gekommen sind, und zwar Bloch, Feuchtwanger, Döblin, Waldinger, Viertel, Bruckner177 liegt in der ka[r]tonierten Ausgabe vor, wann die Leidenbände kommen ist aber ungewiss, weil der Binder erkrankt ist. 4. Gesetzt ist ausserdem das Buch von Anna Seghers.178 Endlich abgeschlossen die Redaktion der Morgenröte, das wird ein über 400 Seiten starker Band.179 Von Dir habe ich darin das Gedicht an die Soldaten im Osten, möchte aber ausserdem noch eine Deiner Erzählungen. Ich bat Ruth B. um Kopien, bekam sie auch, aber nicht vom „Mantel“, an den ich besonders dachte. Lass mich bitte wissen, d a s e i l t , ob Du eine Erzählung geben willst, und wenn, welche Dir am geeignetesten erscheint. Sende evtl. den „Mantel“ 5. Das weitere Produktionsprogramm sieht so aus: Die schon bekannten Bände, die ich in Angriff nehme sobald Morgenröte fertig ist: Heartfield, Grosz, Herzfelde, dann Bände von denen ich Dich noch nicht unterrichtet habe: Weiskopf-Pintus180, Geschichte der deutschen Literatur im Exil 1933-1945, Oskar Maria Graf: Unruhe um einen Friedfertigen. Roman, Bodo Uhse: Erzählungen. Für den Herbst ’46 ist Weiskopfs Roman, der jetzt gerade englisch heraus kommt, Abschied vom Frieden181, vorgesehen und für den Winter oder Frühjahr ’47 Grafs Das Leben meiner Mutter. Ausserdem kündigt Arnold Zweig verschiedene Manuskripte an, die aber noch nicht eingetroffen sind, und ebenso 176 Furcht und Elend des III. Reiches. 177 Ernst Bloch, Freiheit und Ordnung; Lion Feuchtwanger, Venedig (Texas); Alfred Döblin, Sieger und Besiegte; Ernst Waldinger, Die kühlen Bauernstuben; Berthold Viertel, Der Lebenslauf; Ferdinand Bruckner, Simon Bolivar. Alle erschienen im Aurora-Verlag, New York, 1946. 178 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 20.3.1945. 179 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. In dem Band Morgenröte erschien auch die Erzählung Der Mantel des Ketzers (zuerst in Internationale Literatur, Heft 8/1939, jetzt GBA 18, S. 374–382). 180 Der Schriftsteller und Journalist Kurt Pinthus (1886–1975), vormals u.a. für den Rowohlt Verlag und die Funkstunde Berlin tätig, ging 1937 ins Exil in die USA. Dort nahm er eine Lehrtätigkeit an der New School for Social Research in New York wahr; später Professor an der Columbia University. Kehrte 1967 zurück in die Bundesrepublik. Die zusammen mit Franz Carl Weiskopf geplante „Geschichte der deutschen Literatur im Exil“ kam nicht zustande. 181 Weiskopfs Roman Abschied vom Frieden (engl. Ausgabe 1946: Farewell to Peace) erschien 1950 im Dietz-Verlag, Berlin.

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Anna Seghers.182 Der Etat für April ’46-’47 ist verdoppelt worden, sodass die Mittel für all diese Pläne und einiges dazu vorhanden sind. 6. Wie Du aus der Klappe von Furcht und Elend ersiehst, habe ich das Wiedererscheinen Deiner Gesamtausgabe angekündigt.183 Gern hätte ich mündlich einiges im Hinblick darauf mit Dir besprochen, möchte die Sache aber nicht zu lang hinaus ziehen. Der Mundus-Verlag, A.G. in Basel hat auf einen Vorschlag von mir, den Malik-Verlag dort wieder zu eröffnen, dergestalt, dass nichts erscheint, das ich nicht gut heisse, und dass alle Verpflichtungen den Autoren gegenüber eingehalten werden, zustimmend beantwortet. Ich möchte allerdings, ehe ich mich festlege, über den Status des Verlages noch Erkundigungen einziehen. Vorerst jedoch ist folgendes zu erledigen: Der Verlag hatte in seinem Prospekt folgende Bücher angekündigt: Gorki: Die Mutter, Brecht: Die Mutter184, Iljin: Die Naturgewalten.185 Auf meinen Einspruch gegen diese Verletzung der Malik Rechte wurde auf die Unmöglichkeit während de[s] Krieges mit mir in Verbindung zu treten hingewiesen, und der gute Wille mit mir zusammen zu arbeiten betont. In Bezug auf Dein Buch schreiben die Leute folgendes „In Folge der Papierkontigentierung in der Schweiz war es uns noch nicht möglich, sämtliche Werke zu editieren. So unter anderem auch Brechts Die Mutter. Das Werk ist allerdings schon gesetzt, aber der Auftrag zum Druck ist noch nicht gegeben worden. Das Buch wird erst im Laufe des Jahres 1946 erscheinen. Es ist also noch durchaus möglich, dass wir in diesem Falle zu einer für beide Teile annehmbaren Regelung kommen können. Wir haben für dieses Werk eine Auflage von 3000 Exemplaren vorgesehen. Der Preis des kartonierten Exemplares wird sich voraussichtlich auf circa frs. 4.50 stellen (circa $ 1.25) stellen.“ Soweit das Zitat. Ich will darauf erst antworten, wenn ich Deine Stellungnahme kenne. Ich persönlich empfehle, ausser Erfüllung der Honorarverpflichtungen gemäss Vertrag zwischen uns, etc. auf Copyright by Malik-Verlag zu bestehen, oder noch besser, falls es zur 182 Von sämtlichen hier genannten Titeln und angekündigten Texten erschien im Aurora-Verlag lediglich Oskar Maria Grafs Roman Unruhe um einen Friedfertigen (1947). Erzählungen von Bodo Uhse erschienen unter dem Titel Die heilige Kunigunde im Schnee und andere Erzählungen 1949 im AufbauVerlag, Berlin; Weiskopfs Historienroman Abschied vom Frieden 1950 im Dietz Verlag, Berlin; Grafs biographischer Roman Das Leben meiner Mutter (zuerst engl.: The Life of My Mother, New York 1940) 1946 im Verlag Kurt Desch, München. 183 Herzfeldes Vorhaben, die im Malik-Verlag begonnenen Gesammelten Werke wiederaufzulegen bzw. fortzusetzen – zwei von vier Bänden waren dort 1938 bereits erschienen –, wurde nicht realisiert. 184 Die Mutter von Brecht, auf der Textgrundlage der Gesammelten Werke, Bd. 2 (London 1938), erschien mit einem Geleitwort von Karl Götting (d.i. Kurt Hirschfeld) 1946 im Mundus Verlag, Basel. Gorkis Roman war 1945 ebendort erschienen. 185 Michail Iljin, d.i. Ilja Marschak (1896–1953), russischer Techniker und Schriftsteller. Sein Buch Naturgewalten und Menschenmacht. Erzählungen von Bergen, Wüsten, Meeren und Menschen (zuerst London: Malik 1938), mit einem Vorwort von Maxim Gorki, erschien 1945 im Mundus Verlag in Basel.

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Eröffnung von Malik in Basel kommt, auf Veröffentlichung im Malik-Verlag. Du magst direkt oder über mich an die Leute schreiben, falls direkt erbitte ich Kopie, damit ich im Bilde bleibe. Adresse: Mundus-Verlag A.G., Attention Hans Adam, Pelikanweg 7, Basel. Dir und den Deinen ein gutes neues Jahr. Herzlichst W P.S. Weiskopf hat aus Frankfurt a. M. eine Anfrage wegen Abdruck aus unseren Büchern und eventuellen Ausgaben der Bücher in Deutschland eine Anfrage bekommen. Wir haben sofort positiv geantwortet, über den Fortgang dieser Sache werde ich Dich unterrichten. [Beilage:] Band IV (6 plays) Mutter Courage Der gute Mensch von Sezuan Der kaukas. Kreidekreis Galilei Furcht und Elend Schwejk Überlieferung: Ts, hs. U. (enthält vermutlich: Wieland Herzfelde: Verzeichnis von Stücktiteln von Bertolt Brecht zu Band IV), BBA Z 47/73–75 (Beilage: Ms, BBA Z 47/76).

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Peter Suhrkamp186 an Bertolt Brecht Berlin [November/Dezember 1945] S u h r k a m p Ve r l a g v o r m . S . F i s c h e r Ve r l a g Berlin-Zehlendorf-West, Forst Str. 27 Herrn Bert Brecht 1063 - 26 th Street Santa Monica / California USA Lieber Bert Brecht, C.R. brachte mir Ihren Brief.187 Dies erste Zeichen von Ihnen hat mich ausserordentlich gefreut. Wenn ich auch im Grunde immer gewusst habe, dass wir einmal wieder zueinander kommen würden; es hat doch Zeiten gegeben, wo ich für mich fürchten musste, den Zeitpunkt nicht mehr zu erleben. Jetzt hoffe ich sehr, er ist nicht mehr allzufern. Inzwischen habe ich hier die Verlagsarbeit wieder aufnehmen können. Von den praktischen und vor allem von den technischen Schwierigkeiten werden Sie sich dort kaum eine Vorstellung machen können. C.R. hat mich gebeten, die Verwaltung Ihrer Interessen hier zu übernehmen. Das tue ich gern. Ich hatte von mir aus, als Karl Heinz Martin mit dem Plan hervortrat, die Dreigroschenoper wieder aufzuführen, schon daran gedacht. Aber schliesslich war mein Recht nur ein inneres. Ich hatte nichts in der Hand, das mich authorisierte, so hielt ich mich abseits. Die Aufführung188 habe ich gesehen – es ist gut, dass Sie sie nicht sahen. Ich brauche nichts weiter zu sagen als Hubert von Meyerink als Macki Messer. Damit ich Ihre Interessen mit wirklicher Authorität [sic] vertreten kann, wäre es gut, wenn Sie mir eine schriftliche Authorisation gelegentlich zuleiten könnten. Das wird sicher über Mr. Eduard Hogan möglich sein. Es ist selbstverständlich, dass ich damit nicht etwa Ihre Rechte in Deutschland an mich reissen möchte, mein Interesse ist in erster Linie das des Freundes, und wir nennen das Ganze vorläufig am besten eine Treuhänderschaft. 186 Peter Suhrkamp (1891–1959), vormals als Dramaturg und Journalist tätig, wurde 1932 Mitarbeiter des S. Fischer Verlags in Berlin, dessen Geschäfte er ab 1936 leitete; zugleich war er Herausgeber der verlagseigenen Zeitschrift Neue Rundschau. 1944 wurde er verhaftet und bis Februar 1945 im KZ Sachsenhausen interniert. Ende 1945 begann er mit dem Neuaufbau des Verlags, der sich nun – bis zur Trennung der beiden Unternehmen im Jahr 1950 – „Suhrkamp Verlag vormals S. Fischer Verlag“ nannte. Suhrkamp war einer der letzten Freunde, die Brecht in Deutschland 1933 gesehen hatte: „ging ich doch von Ihrer Wohnung an die Bahn am Tag nach dem Reichstagsbrand; ich habe Ihnen Ihre Hilfe bei meiner Flucht nicht vergessen“ (B. an Suhrkamp, Okt. 1945, GBA 29, S. 365). 187 B. an Suhrkamp, Oktober 1945, GBA 29, S. 365f. Bei C.R. handelt es sich vermutlich um Kurt (Curt) Reiss. 188 Vgl. Anm. zu Reiss, 26.9.1945.

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Ich stehe mit Ihering in ständiger Verbindung. Sie wissen wahrscheinlich schon, dass er Chefdramaturg bei Wangenheim am Deutsch Staatstheater ist. Das Staatstheater spielt im Deutschen Theater. Im Programm dieses Theaters ist Galileo Galilei. Gesprächsweise wurde zwischen mir und Ihering auch die Heilige Johanna auf den Schlachthöfen erwogen.189 Die Dinge sind noch nicht soweit gediehen, dass ich Ihnen jetzt schon über die Besetzung und die Regie bestimmte Mitteilungen machen könnte. Sobald das der Fall ist, schreibe ich. Immerhin wäre es gut, Sie versuchten, mir ein Exemplar der letzten Redaktion zu schicken. Wenn das möglich ist, schicken Sie mir auch sonst, was inzwischen von Ihnen entstanden ist. Das ist für mich privat und nicht für Angebote an die Theater gedacht. Ich wüsste gern, was inzwischen geworden ist. Der Graben der zwölf Jahre ist doch, wie ich bei Begegnungen immer wieder feststellen muss, sehr viel breiter als man zunächst angenommen hatt. Und ich möchte von mir aus nichts ungetan lassen, vor einer persönlichen Begegnung für mich eine[n] Durchgang zu finden. Kasper Neher – ich sah ihn zuletzt persönlich wenige Wochen vor meiner Verhaftung – war im letzten halben Jahr noch eingezogen, es ist ihm aber gelungen, sich aus allen militärischen Handlungen herauszuhalten. Er hat die Besetzung in Hamburg erlebt. Inzwischen ist von dort auch verschiedentlich Nachricht von ihm gekommen. Danach geht es ihm persönlich ebenso wie seiner Frau gut. Er hat sich aus der Politik der jüngst vergangenen Zeit durchaus herausgehalten. Das konnte nicht anders sein. Aus den Brief[en] von ihm entnehme ich auch, dass er nicht nur für das Hamburger Theater, sondern auch für München schon wieder arbeitet. Die Art seiner Bühnenbilder ist sich im Grunde gleich geblieben, nur haben sie, was verständlich ist, an Frechheit verloren. Ich glaube nicht, dass es der allgemeine Geschmack ist, der sie sich angeeignet hat, sondern die Bilder sind wohl bürgerlicher geworden. Das sehe ich weniger im Zusammenhang der allgemeinen Entwicklung, sondern mir scheint, das liegt an der jahrzehntelangen Arbeit im Theater. Das bürgerliche Theater als Institution hat immer noch sehr viel gleichmacherische Kräfte. Von Hesse Burri und Dr. Müllereisert weiss ich nichts. Dr. Müllereisert sah ich nach Ihrem Abschied und in jener Zeit nur noch ein oder zwei mal. Auf Hesse Burris Spuren stiess ich später noch im Film. Seit langem habe ich aber jede Spur von ihm verloren. Legal ist hier. Er schwebt – man könnte sagen als Nachfolger Tietjens190 – über den Sta[a]tstheatern. Er verwaltet also organisatorisch und wirtschaftlich Staatsoper und Staatstheater und spricht gewiss auch bei der Programm- und Ensemblegestaltung mit. Er ist sehr alt geworden. Die letzten Jahre arbeitete er bei George191 im Schillertheater. Uebrigens, das will ich 189 Beide Vorhaben kamen nicht zustande. 190 Heinz Tietjen (1881–1967), Regisseur und Intendant, leitete seit den 1920er Jahren mehrere Theater und Opernhäuser in Berlin, in den 1930er Jahren auch die Bayreuther Festspiele. Bis 1945 war er Generalintendant der preußischen Staatstheater. Nach einem Entnazifizierungsverfahren wurde ihm 1948 erneut die Leitung der Deutschen Oper Berlin übertragen. 191 Der Schauspieler Heinrich George (1893–1946) hatte 1937 die Leitung des Berliner Schillertheaters übernommen. 1945 wurde er im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen interniert, wo er verstarb. George, 1928 als Galy Gay in der Brecht/Engel-Inszenierung von Mann ist Mann an der Volksbühne

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hier noch allgemein erwähnen, kommt bei den Theaterleuten jetzt vielfach ein weniger schönes Ressentiment zum Vorschein. Das fällt nur auf, weil es nicht in jedem Falle ganz gerechtfertigt ist. Für die Menschenkenntnis allgemein ist es hier nach wie vor ein äusserst reiches Terrain. Einem Idealisten könnte es wahrhaftig schwer fallen, weiter zu leben. Was mich persönlich betrifft: objektiv betrachtet – 1.80 gross und 50 Kilo schwer – mag es fraglich erscheinen, wie ich diesen Winter durchkomme, aber ich selbst stehe auffällig unbesorgt vor dieser sibirischen Finsternis. Die Zeit hat mir eine gute Portion Vertrauen ins tragende Leben trotz allem erhalten. Und nun möchte ich Sie auch unbedingt noch treffen. Schieben Sie es nicht zu lange auf. Sehen Sie zu, wenn Sie überhaupt kommen wollen, es im späten Frühjahr oder im frühen Sommer wenigstens möglich zu machen. Vorher würde das Leben für Sie hier zu strapaziös sein. Bitte, grüssen Sie alle dort, denen ein Gruss eine Freude sein würde, vor allem aber die Weigel sehr herzlich. Und nun: Auf Wiedersehen! Stets ihr Überlieferung: TsD, Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung, Frankfurt/M.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht New York, 28.12.1945 12:28:45 Dear Brecht: I got in touch with the doctor immediately after I finished talking to you, and called Ida Bachman192 without results. Then I called Ruth.193 She had had the check fetched up from aufgetreten, hatte sich 1933 sehr rasch mit den Nazis arrangiert. Vgl. dazu Brechts Offenen Brief an den Schauspieler Heinrich George vom Dezember 1933 (GBA 22, S. 21–25). 192 Ida Bachmann, eine Freundin und Arbeitskollegin Ruth Berlaus (beim Office of War Information). Die beiden teilten sich in New York eine Wohnung. 193 Ruth Berlau hatte sich im September 1944 in einem Krankenhaus in Los Angeles einer TumorOperation unterzogen. Zu dieser Zeit war sie im siebten Monat schwanger; der vorzeitig zur Welt gekommene Sohn Michel starb wenige Tage nach der Geburt (vgl. B. an Berlau, Mitte September 1944, GBA 29, S. 339f.; dazu Lai-tu, S. 152f.). Nachdem Brecht sie der hohen Kosten wegen aus der Klinik geholt hatte, wurde sie zunächst bei Salka Viertel in Los Angeles untergebracht, bevor sie Ende März 1945 zurück nach New York reiste. Im Dezember 1945 – davon berichtet Reyher hier – erlitt sie in ihrer Wohnung einen Nervenzusammenbruch. Da Brecht selbst gerade erkrankt war, konnte er sie nicht sogleich besuchen; er fuhr erst am 10.2.1946 nach New York. Berlau wurde, dank der Fürsprache von Elisabeth Bergner und Paul Czinner, in eine Klinik nach Amityville auf Long Island gebracht. Vgl. dazu Sabine Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine. Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006, S. 201ff.

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her mailbox and was about to go to the bank to cash it. I stalled her, saying I would cash it, and want at once to see her, as she grew hysterical on the telephone: A young Danish sailor, Bernard, was there attempting to clean up the apartment. Ruth was set on sending all the cash she had – $ 195 – to another seaman, Ib Nilsen, in Göteborg aboard ship today. Finally Bernard took the money to telegraph it, and then passed it to a Lotte somebody, who had come in. She placed it behind a picture, from which I eventually took it and gave it to Dr. Gruenthal194 in Ida Bachman’s presence. I also managed to get hold of your check which I enclose. The afternoon became somewhat hectic, in which several overcoats [?] suffered, etc. I finally was left alone with Ruth, and was able to let the doctor in, having – as much as possible – prepared her for him. Unfortunately I don’t think he was quite prepared for her. Before he came I should certainly, on my own responsibility, have arranged to have her committed if I weren’t sure he would argue with me. There was quite a tussle before he got out – his glasses kicked off him and smashed, e.g. – I call help. I got her back out of the hall and into her apartment, and fairly quieted down. I took a chance finally on leaving, as Bernard was returning, because it was the first chance anyone had of leaving comparatively peacefully, and the doctor and Ida Bachman were on guard outside, downstairs. Her laitu195 wouldn’t come in because she had been beaten yesterday. Her doctor is telephoning you tonight, so by the time you receive this you will know most of the facts. I believe an enforced cure will do her great good, and lead to complete recovery. She looked healthy, and while […] to lapses and the psychotics quick variation, she had no garbled or unclear speech. I shall keep in touch with the doctor, and please ask of me any assistance I can give. Yours, Reyher Überlieferung: Ms, Bv: Hotel Chelsea, New York; BBA 3175.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht [Berlin] 29.12.1945 29. Dezember 1945 Lieber Brecht! Suhrkamp übermittelte mir inzwischen Ihre Grüsse, und nun bekam ich auch, pünktlich zu Weihnachten, Ihr Paket. Sie können sich vielleicht gar nicht denken, wie sehr meine 194 New Yorker Arzt. 195 Ruth Berlau.

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Frau und ich uns über dieses Lebenszeichen gefreut haben. Die alten Zeiten und die alten Premieren tauchten wieder auf. Diese Verbindung ist zwar niemals abgerissen gewesen, denn alle wesentlichen Berliner Schauspieler aus unserm Umkreis haben immer von Ihnen und Ihren Werken gesprochen, haben sich immer nach Ihren Rollen gesehnt und haben sie sogar oft in der schlimmsten Zeit den „neuen“ Dramatikern als Beispiel vorgehalten. Ich weiss nicht, ob Sie meinen ersten Brief erhalten haben, worin ich Ihnen schrieb, dass das Deutsche Theater gern „Mutter Courage“ mit Hermine Körner196, die begeistert von der Hauptrolle ist und sie nach meiner festen Überzeugung und ihrer Entwicklung glänzend spielen könnte, geben will. Wir wären sehr erfreut, wenn wir möglichst umgehend Ihre Meinung hören und erfahren könnten, ob und welche Textänderungen Sie vorhaben, da Suhrkamp mir mitteilte, dass Sie alle Werke auf Grund der neuen Situation textlich noch einmal überprüfen wollen. Leider ist es Wangenheim und mir trotz heftigster Bemühungen bis jetzt nicht möglich gewesen, ein Exemplar von „Galileo Galilei“ zu bekommen, das wir unbedingt, am liebsten noch in dieser Spielzeit, bringen möchten. Können Sie nicht darauf dringen, dass wir ein Exemplar erhalten? Ich würde Ihnen dann sofort die geplante Besetzung mitteilen. Mit den herzlichsten Neujahrswünschen und hoffentlich auf ein Wiedersehen! Diesem Wunsche schliesst sich auch meine Frau, die Helli Weigel mit mir besonders herzlich grüssen lässt, und Kaspar an, der immer noch von seinem Besuch bei Ihnen in Dänemark zehrt. Herzlichst Ihr Übrigens würden Sie erstaunt sein, wenn Sie mich im Deutschen Theater besuchten. Ich sitze nämlich auf demselben Stuhl, auf dem damals Felix Hollaender197 sass, als er mit Ihnen den Vertrag über „Trommeln in der Nacht“, „Baal“ und „Dickicht“ abschloss.198 Leider sind wir gar nicht orientiert, was Sie nach „Mutter Courage“ und „Galileo Galilei“ geschrieben haben. Wenn Sie neue Stücke schicken können – wie wäre es mit einer Brecht-Uraufführung in Berlin? Auf jeden Fall können Sie sich denken, wie heiss-hungrig wir nach Brecht-Stücken sind. Ich bitte Sie deshalb, mir möglichst alles, was Sie haben, zugänglich zu machen. Nochmals mit herzlichem Gruss! Überlieferung: Ts, AdK: Herbert-Ihering-Nachlaß 984. 196 Die Schauspielerin Hermine Körner (1878–1960) war seit den 1900er Jahren an zahlreichen Theatern in Deutschland tätig, bisweilen auch als Intendantin. Während des Nationalsozialismus arbeitete sie zusammen mit Gustaf Gründgens am Schauspielhaus Berlin. Die Mutter Courage spielte sie nicht. 197 Felix Hollaender (1867–1931) war Dramaturg und Regisseur bei Max Reinhardt, Anfang der 1920er Jahre auch Leiter des Deutschen Theaters Berlin; außerdem war er als Theaterkritiker und freier Schriftsteller tätig. 198 Die Berliner Premiere des zuvor bereits in München gespielten Stücks Trommeln in der Nacht fand am 20.12.1922 im Deutschen Theater statt. Lebenslauf des Mannes Baal wurde ebendort am 14.2.1926, Dickicht am 10.12.1927 uraufgeführt.

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John Bitter an Bertolt Brecht Berlin [Anfang 1946] OFFICE OF MILITARY GOVERNMENT BERLIN SECTOR Information Control Branch APO 755

US ARMY

JB/mw

Mr. Bertolt Brecht 1013 26th Street1 Santa Monica, Calif. USA Dear Mr. Brecht, Herr Karl Heinz Martin asked me to forward the enclosed letter2 to you which I am doing with pleasure. John Bitter JOHN BITTER US Civilian Chief, Theatre & Music Section Tele: 26-44814 Überlieferung: Ts, hs. U., Notiz von fremder Hand auf der Rückseite: „beantwortet“; BBA 1762/11–12.

Edward Hogan an Bertolt Brecht Berlin, 3.1.1946

Edward Hogan, 0-1267137 ISCS, US Hq. Berlin District. APO 755, US Army 3 Jan 46

My dear Brecht: I think I got your parcels off as well as could be, and with the help of Clemens Herzberg3 at the Deutsches [Theater]. He says he has had no luck so far with Frau Hanisch4 and as 1 2 3 4

Die richtige Hausnummer lautete 1063. Nicht überliefert. Clemens Herzberg war der Beauftragte des sowjetischen Militärkommandanten für das Kunst schaffen. Steffins Schwester Herta Hanisch.

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far as he knows Etlinger5 is, or may be, dead. The parcels were not numbered and I believe there was one missing – – not a bad score, actually. In any event nothing went to waste. The Suhrkamp one I delivered in person. “Die Dreigroschenoper”, as I told you is doing well here6 and will stay in the repertory of Martin for perhaps another month. Martin is paying royalties to the Felix Bloch firm. We hear that the international mails may open in a month or two or three and you should expect statement. Wangenheim has announced your “Galileo Galilei”;7 as he’s not in our sector I don’t know his arrangements. I daresay Suhrkamp8 has this in order, if Wangenheim produces it. Berlin is an island in a sea of mystery; we know as little about what goes on in the rest of Germany as you do. Toward the East is a vast sea of silence. All good wishes to you for the coming year. Hogan Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1185/81.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [New York] 9.1.1946 den 9. Januar 1946 Lieber Brecht, ich war froh, dass das Telefongespraech gestern abend doch noch durch ging und ich war auch froh, dass Sie anscheinend viel besser sind. Hier war alles etwas schwierig zu organisieren, da die wenigen Freunde, die von Ruths Erkrankung9 wissen, zum Teil durch eigene Krankheit, eigene Sorgen oder Geschaefte in Anspruch genommen sind und keine Zeit haben, sich zu kuemmern. Gestern hatte ich Hannah B.10 gebeten, hinauszufahren, um Kleider und andere Sachen hinauszubringen. Sonnabend faehrt Ida Bachmann und ein anderer daenischer Bekannter. Wenn ich naechte Woche Zeit habe und ich es machen kann, ohne dass Baerensprung11 es erfaehrt, gehe ich 5

Vermutlich der Theater- und Filmschauspieler Karl Etlinger (1879–1946). Er starb im Mai 1946 in Berlin. 6 Vgl. Anm. zu Reiss, 26.9.1945. 7 Vgl. Ihering, 24.10.1945. 8 In einem Brief vom 11.1.1946 (BBA 2883) bat Brecht Edward Hogan, ein Schreiben an Suhrkamp (BBA 2912) weiterzuleiten, den er gerne zu seinem Vertreter in Deutschland machen wollte. Vgl. dazu auch B. an Suhrkamp, Ende 1945/Anfang 1946, GBA 29, S. 372f. 9 Vgl. Reyher, 28.12.1945. 10 Johanna Budzislawski (1901–?), die Ehefrau von Hermann Budzislawski. 11 Horst Baerensprung (1893–1952), ein ehemaliger Offizier, Rechtsanwalt und sozialdemokratischer

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und nach mir will Reyher gehen: wir wollen die Besuche moeglichst „strecken“. Besuch einschl. Fahrt dauert etwa 4-5 Stunden. Hannah hat mir gestern einen langen Bericht ueber den Platz in Amityville gegeben. Ruth erscheint ihr noch sehr krank. Zum Teil erinnert sie sich nicht an Sachen, zum Teil bringt sie sie durcheinander; dann redet sie aber auch wieder ganz normal, mit Sinn und Verstand. Sie weiss genau, wo sie ist und ist beaengstigt durch den Gedanken, dass man sie dort lassen koennte. Sie will unbedingt weg. Sie weiss, dass jemand fuer sie buergen muss an solchem Platz und dass diese Person sie am End[e] nicht herauslaesst. Sie haben nicht unterschrieben, sagt sie, Sie sind in Hollywood, also bleiben nur Ida Bachmann und ich, E.H., uebrig. Gegen uns richtet sich eine Art Hass. Gegen Ida Bachmann ist das ja schon oft vorher ausgebrochen,12 schon vor Jahren, und zwar immer dann, wenn sich Ida nicht von Ruth „bossen“ lassen will. Gegen mich hat das sicher auch Gruende, obwohl ich ihr keinen Anlass gegeben habe. Sie hatte mich einmal aus heiterem Himmel vor vier Wochen abends angerufen. Damals hatte ich mich so erschrocken, dass ich sie am naechten Tage sah. Sie eroeffnete mir dann, Wouldnt you want to work for ­Brecht again, I and Brecht are quits. Sie war in einer sehr uebertriebenen Stimmung damals, ueber die ich sehr erschrocken war, aber ich war ebenso sehr erschrocken, wie sehr Ruth gesundheitlich heruntergekommen war, wie nachlaessig sie aussah und ueber den Anblick des Zimmers – alles das ganze Gegenteil von dem, was ich gesehen hatte, als Sie da waren, sie schien schrecklich ueberanstrengt und klagte, dass das Fotografieren fuer ihren Ruecken und ihre Augen sehr schlecht sei. Das gebe ich ohne weiteres zu. Auch das viele mechanische Tippen (und das weiss ich ja aus Erfahrung) hat sie vielleicht durch das angespannte Sitzen und Aufpassen mitgenommen. Ich erwaehne dies, weil ich aus Erfahrung weiss, wie leicht mir Boden-Schruppen faellt im Vergleich zum Maschine-Schreiben. Das muss mit der Bewegungsbehinderung beim Tippen zusammenhaengen. Auf jeden Fall war sie bereits vor vier Wochen uebernervoes. Sie erzaehlte mir viele Sachen und wollte viel wissen. Am 24. Dezember sah ich sie wieder. Sie war furchtbar nett an dem Nachmittag, sehr exaltiert, war sehr zaertlich zu Ida B., obwohl sie, wie ich kam, sehr scheusslich zu ihr war. Am 24. zeigte sie mir eine Geschichte ueber „Helli“, ich solle sie ihr verbessern, dann wolle sie sie ihr schicken. Das war eine sehr ruehrende (sehr gut geschriebene) Geschichte, und ich sagte, sie solle sie doch so schicken, die paar orthographischen Fehler wuerden nichts machen. Nein, sie bestand darauf, dass ich die Fehler korrigierte. „Das werde ich dann auch lernen und dann kann ich Deutsch.“ Am Abend rief sie dann Erna13 an, Erna moege ihr die Geschichte korrigieren, „Erna, Du hasst die Helli nicht“ und sie wollte auch bei Erna deutsche Stunden nehmen. Politiker. Ging 1933 ins Exil nach Warschau, später nach Shanghai, 1939 in die USA. Von 1941 bis 1946 lebte er zusammen mit Elisabeth Hauptmann in New York, kehrte 1946 zurück nach Deutschland (West). 12 Nach ihrem Nervenzusammenbruch hatte Ruth Berlau ihre Freundin Ida Bachmann in der gemeinsamen Wohnung tätlich angegriffen. 13 Vermutlich Erna Sternberg.

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Dieses Deutsch-lernen spielte eine grosse Rolle und im Unterbewusstsein hängt das sicher mit dem Ende der Emigration zusammen. Dies ist nur ein winziges Detail. Ich kann Ihnen einfach nicht alles aufschreiben, was der Gesamteindruck war, er ist zu komplex. Und man konnte kaum einen Satz fuer bare Muenze nehmen. Sie sagt dann auch jedem Menschen etwas anderes; wie mir schien, weil sie, oft sehr listig, wie es Menschen, die sich bedroht fuehlen, wohl sind. Eines scheint sicher: Sie braucht später dringend jemanden, der auf sie aufpasst. Sie kann nicht allein sein. Wenn sie deprimiert wird, she just does not take care of herself. Das war ganz eklatant, als sie im vorigen Jahre von Hollywood zurueckkam. Kuemmert sich dann jemand aufrichtig, dann raeumt sie auf, zieht sich ordentlich an, arbeitetet und isst etc. Ich verstehe das alles sehr gut, allein-leben ist das Schwerste, was es gibt, auch fuer mich, und deshalb tut sie mir furchtbar leid. So lange Ida arbeitete, hatte sie natürlich nicht genug Zeit sich um Ruth zu kuemmern. Ruth erzaehlte mir viel, auch noch in jener Nacht, als wir da waren, von ihrem Stück „Who are you?“ nach einer Idee von Nordahl Grieg, an dem Ida mitarbeiten sollte, auch ich. Sie hat auch einen Roman angefangen, und wie mir I.B. sagt, soll er ausgezeichnet sein. Wenn man sie doch darauf konzentrieren koennte. Ich fragte den Chefarzt in Amityville, ob man ihr nicht das Manuskript schicken koennte, er meinte, es sei zu frueh. Wenn es gelaenge, Ruth durch Behandlung etwas selbstaendiger zu machen, waere viel gewonnen. Ich hatte immer den Eindruck, sie geht in anderer Leute Schuhen, si[e]ht mit anderer Leute Augen und spricht mit anderer Leute Worten, ich meine, das war mein Eindruck in den letzten Wochen und Ida B. und Reyher und Hannah bestaetigen das. Das ist natuerlich auf Dauer etwas unheimlich Anstrengendes. Ida B. hat mi[r]14 eben versprochen, Ihnen doch noch einen langen Brief ueber Ruth zu schreiben, ueber Dinge, die sie besser kennt. Ich habe jetzt nicht die Zeit dazu und auch nicht die Berechtigung. In Ruth sind Stroemungen und Gegenstroemungen („mein armer Kopf ist mir zerstueckt“), sie will auf der einen Seit[e] sich von Ihnen emanzipieren, aber auf der anderen Seite mit ungeh[e]urer Wucht bei Ihnen bleiben. Die Worte „kaempfen“, „Kampf“, „Kaempferin“ spielen eine große Rolle, und auch dann aufs Politische uebertragen; das Verlieren und Gewinnen einer Schlacht, alle die vielen Anstrengungen, um zu gewinnen, alle die vielen Enttaeuschungen auf der Verlustseite, hat sie ganz genau gebucht. Naechste Woche wollen Hannah und ich die Wohnung aufraeumen, denn auch Sie koennen so nicht einziehen. In Ida B.’s Wohnung zieht dann eine Bekannte von Liesl Neumann15, temporaer oder laenger. Sie koennen ja dann selber entscheiden. Ich glaube nicht, dass Ruth vor 2 Monaten zurueck ist, wie s[e]hr sich auch ihr befinden verbessern mag. Ich moechte annehmen, dass sie in 10 - 14 Tagen ganz normal reden kann. Sie mag Aerzte und Schwestern draussen. Aber solch ein Ort an sich ist m. Ansicht nach nicht gut fuer den Menschen. Wenn nur irgendwie Geld da ist, [Fortsetzung hs.] bin ich für einen besseren; 14 Im Ts: „mich“. 15 Elisabeth Neumann-Viertel.

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die Ärzte werden wohl noch einige Zeit darauf bestehen, daß sie im „geschlossenen“ Institut ist; da spielen ja auch Vorschriften mit. Geld ist im Moment nicht nötig; erst wenn die Miete am 1. Februar angeht. Ida B. will das von ihr Vorgeschossene [ausstehen]16 lassen. Für Rechnungen + Auslagen reichen die 150 Doll., die Sie schickten; ich schreibe Ihnen alles auf. Reyher meinte, daß Ruth später nach Dänemark zurück sollte. Ja, aber zu ihrer Mutter kann sie auf keinen Fall. Aber das sind ja spätere Fragen – an Ihrer Stelle würde ich ein paar Zeilen an Dr. Rollo17 schreiben, ihn fragen, ob er schreiben könne, ob die Briefe ausgehändigt wurden + daß Sie gegen den 1. Februar kommen. – Ich müßte ins Krankenhaus gehen + habe keine Zeit mehr. Herzlich Bess. Überlieferung: O. Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 211/23–24.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [New York, 10.1.1946] Donnerstag18 Lieber Brecht, ich habe Ihnen vorhin einen Brief geschrieben, aber jetzt ist mir noch etwas eingefallen. Baerensprung liegt in einem Krankenhaus des „Medical Center“ hier, das beste, was man hier ueberhaupt haben kann, er konnte dort durch eine Verbindung gleich hineinkommen (ausserdem liegen viele Leute dort, die in China waren – Presbyterianer haben das Ganze gestiftet mit unendlich viel Millionen). Im Medical Center gibt es auch ein Riesengebaeude fuer psychiatric cases. Es ist sehr schwer da hineinzukommen, aber alles drinnen ist hundertmal besser und angenehmer als sonst wo, natuerlich auch besser als in Amityville, ausserdem ist es leicht zu erreichen, aber das waere noch nebensaechlich. Kalinowski19, der Ruths Hauptbehandlung leitet, hat Beziehungen zum Medical Center. Bei einem unvergleichlich hoeherem Standard als sonstwo kostet das Medical Center nicht mehr als sonst ein gutes Hospital oder nur etwas mehr. Es ist ganz modern, ungeheuer solid, mit den besten Spezialisten, direkt am Hudson, etwa 20 Minuten von mir mit der Untergrund. Ich moechte natuerlich weder Dr. Gruenthal noch Dr. Kalinowski hineinreden. Aber wenn man Ruth den Vorteil der Naehe verschaffen will (in Amityville schlaeft sie auch mit drei anderen zusammen), wodurch sie dann auch mehr Leute sehen kann; das Gefuehl doch irgendwie nicht so abgeschlossen zu sein – dann sollte man versuchen, sie hier ins Medical 16 17 18 19

Entzifferung unsicher. Vermutlich ein Arzt aus Amityville. Datierung nach vorhergehendem Brief. Der 9.1.1946 war ein Mittwoch. Vermutlich der amerikanische Psychiater Lothar Kalinowsky (1899–1992).

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Center zu kriegen. Der reine Aufenthalt kostet hoechstens meiner Ansicht nach 50 - 100 Doll. mehr als in Amityville*) wo sie aber wie gesagt mit anderen Kranken zusammen ist. Natuerlich muss man mit Gruenthal und Kalinowski vorsichtig zuwege gehen, da sie es ja so entschieden haben; sie werden beide aber nichts dagegen haben, dass Ruth ins Center kommt. Wenn Sie wollen, dass ich mich erkundige nach Preisen usw., tue ich es. Auch im Center kann Kalinowski sie weiterbehandeln. Es ist nur sehr schwer, Patienten dort hineinzukriegen. Es ist grosser Druck noetig. Lassen Sie mich wissen. Herzlich Bess *) pro Monat Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 211/25.

Ida Bachmann an Bertolt Brecht [New York] 11.1.1946 January 11, 46 Dear Bertolt Brecht. Today I shall begin the letter that I have wanted to write you ever since the day Ruth became ill.20 I shall try to put down as clearly as I can what went before the final break-down when I called in your friends. To-morrow I’m planning to go out and see her, and at the end of the letter I expect to be able to give you a brief account of how I found her condition, and her surroundings out there. Ever since Ruth came back from California the last time her physical condition has not been good, as far as I could judge. And she never gave herself a chance, working too hard most of the time, resting too little. The great disappointment that she had suffered with the loss of the child had left very deep marks. Her unbalanced nerves brought her into quarrels with many of her friends. But when she fell in love with the Danish man with whom she started to write a novel, she seemed utterly happy. (Ruth has, I believe, constantly taken me into her confidence, a confidence which I shall always respect whatever happens. But to you I must be as frank as possible in order that you may better understand Ruth’s illness.) Also when she had told you about this man, she seemed happy for a while with a certain feeling of freedom at having told you the truth. But almost at the same time as this, the Dane had to leave New York in order to go over seas. This was a couple of weeks before Christmas. From then on, her desire to be free, her admiration for you, and her anxiety for the Dane out at sea formed a growing conflict in her mind. She kept on working hard, photographing 20 Vgl. Reyher, 28.12.1945.

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your Kriegsfibel and seeing people connected with the American (and I believe the Italian) edition of your works. She grew more and more feverish in her manners and her speech. She had a thousand plans and projects. She wrote – mostly for you, but as far as I know her letters were not mailed. One afternoon, around the 19th or 20th of December, I came home and found her in what can only be described as ecstasy. She declared, when she saw me, that she saw “the whole truth”. “Now when I have told the Master the truth, I have found the truth and I am free”, she said. She talked with the gestures and the voice of a prophet, and I found it wisest not to contradict her, although much of what she said was incorrect. “I know that this is going to cost me my life”, she said. “I am going to die.” She talked about her sister, Edith, and she asked me to drive out and see her when I get to Denmark. “Take her a pair of shoes, last time I saw her she needed shoes. – And there you will see a Communist gone mad. Shortly before she went mad she asked me” (Ruth said about her sister) “‘Can’t it be done with friendliness? Maybe social democracy is the right way, after all.’” – And after a little while Ruth added: “She went off her head when she had broken off with Krabbe.” The young girl, Ruth, the photographer, whose last name I have never heard, was working in the kitchen, enlarging your Kriegsfibel. It was evident that they had had a stormy conversation just before I came in. Ruth told me: “I have handed everything over to her. She can take over now, she is young and intelligent and beautiful. I put Brecht’s leika 21 over her shoulder and said to her: now it is yours.” (The young Ruth came back the following day, but fled downstairs after a violent quarrel with R.B., and she never returned.) On that afternoon, I have been describing, Ruth also said: “Call a dog a bitch, and it turns into a bitch. Calla woman a whore, and she becomes a whore. I am now a whore.” What she meant by this I do not know, but I believe it troubled her that she had borrowed money from a sailor (which I did not know at that time) or maybe she had accepted money from someone else (the Dane), I don’t know. I only know that the thought of money was present during the following troubled days. I must add here that some days before this she had asked me if I would lend her $200 for a new camera. First she told me that if she sold your leika she could have a new camera with which she could use a flash bulb. My advise had been to get your consent before she sold your leika. Then she asked me for the 200, but since it was evident that it was only one of her thousand projects that come to so little, and since I have no income at present and heavy expenses in connection with my departure to Denmark, I could not give her that much. This infuriated her very much, but the next day she told me that she had asked Dr. Czinner22 for the money, and “he insisted on giving me $1000, so now you can borrow from me if you need anything.” (This obviousy was not so, although I did believe her at the time. What she had gotten was evidently the $250 be21 Ein Photoapparat der Firma Leica. 22 Paul Czinner (1890–1972), österreichischer Theater- und Filmregisseur, Ehemann von Elisabeth Bergner. Arbeitete in den 1920er Jahren in Berlin, ging 1933 über Wien ins Exil nach London, 1940 nach New York und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Großbritannien.

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longing to a Danish sailor who had left it with Mrs. Meta Juul23, and the sailor was to be reinbursed by Robert Lund.) But ro continue with the 10th or 20th of December: Ruth went on talking until late at night. She got the idea that she and I should write a play “for Broadway” – “in order to make fast money, for that is the only way you and I can make fast money since we are not whores”. It was to be called “Who are you today” or “Who are you anyhow”, and the idea of it was that an actress always acted her current role also when off stage. This idea “Who are you” took possession of Ruth. Who am I? Who are you? Who is everybody? At the time it was impossible for me to see whether it was her vivid imagination (which I always admired) and her sometimes brilliant intelligence that was at work, or whether she had lost control over these faculties. The ideas came storming into her mind, and she nearly talked me out of my wits. But I listened, because most of her thoughts and ideas were interesting, and logical. She began reading the bible in order to find everybody portrayed in it. You were Jesus Christ, later on King Salomon. She herself was first Jeanne d’Arc, then the virgin Mary, Mary Magdalena – and finally Revolution. I was “the goddess of Liberty”. A young sailor who was in her room day and night – the proletariat being treated to a home – was “Satan” (the tempter) and “an angel whom god had touched”. Another sailor who had mentioned that he wanted to study social science was “Denmark’s Lenin”. – – For Christmas Eve, Ruth had promised Meta Juul to come down and help her prepare the dinner-party at the sailor’s home. But she could not get started (in fact she had not been dressed for several days) and much drinking went on in her room. It was late before they got going. I was not with her that evening, but from Meta Juul I hear that Ruth got into violent arguments with several people during the half hour she spent at the sailor’s home, and everybody thought she had been drinking too much. As long as I have known Ruth she has been particularly unbalanced at Christmas time. It was at Christmas in 1942 – less than a month after I had furnished this apartment for the two of us – that I discovered that other side of Ruth – her other face, as she called it – and realized it would be better for both of us to part ways. I told her so and began looking for another apartment, but the bad housing situation kept us from moving. With all my admiration for Ruth I could not sponsor her desire to be looked upon as super-human, a desire which took on growing proportions during the last while and came out as a decided megalomania toward the end. – One reason for her particularly unbalanced state around Christmas may be that her sister’s birthday is Dec. 24th, but there may also be other emotional associations. I hear that it is not an uncommon phenomenon. On Christmas day she told me that it had been then most wonderful Christmas eve she had ever had, and she was absolutely normal and quiet that morning, laid 24 on her bed and 23 Möglicherweise eine Verwandte von Margarete Steffins früherem Ehemann Sven Jensen Juul. 24 Im Ts: „lay“.

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read – as I believe I told you in my former letter – and she declared that now she had got over it (realizing that something had been wrong). But from then on she got steadily worse, and I don’t believe she slept one night. Her eagerness to start the revolution was present in her mind, and it gave her no rest. She quoted you all the time, and she wrote down much of what she thought and said and what other people said. The sailor, Bernhard, stayed in her room. He would not leave and she would not let him leave until Thursday evening when he had to make for his ship. It was Thursday (Dec. 27th) that it became clear to me that she was ill. It may seem strange to you – and to myself – now that I hadn’t realized it before. But during these years I had grown accustomed to her behavior which had often been what many people would call unusual and theatrical, and as I said before: much of what she said, in fact most of it, was logical and right. But on Thursday evening she became violent, and I asked her if she wanted to see Meta Juul (for whom she has great admiration). “No”, she declared, “from now on I shall see Meta very seldom. She told me to step down from the table” (on Christmas eve). Then I telephoned for Dr. Sternberg, who was not at home, and Elizabeth Hauptmann came in shortly after with a doctor, having been notified by Mrs. Sternberg. From then on, I think you know what happened. The doctor’s first reaction – having been beaten up by Ruth – was to call in the police. But both Miss Hauptmann and I were against that, knowing how this would scare Ruth. – However, Dr. Gru[e]nthal, who came in the following day, also found it necessary to call the police in order to get her out. I wished then that I could have been with Ruth at that moment because I could imagine her fear. But the doctor thought it better that there should be no one around to whom she could appeal for help. She was taken to Bell[e]vue, and on Monday Dec 31st she was taken out to the Long Island Home, as Dr. Gru[e]nthal had arranged. ––– Meantime I have been out there to see Ruth. She was much quieter, and it was evident that she was very happy to see Mrs. Juul and me. She had forgotten much of what had gone before her going to the place where she is now. She remembered Thursday night, but she did not remember Friday, the day when she was taken to Bell[e]vue. She did not know that there was anything the matter with her, and it was at first difficult for her to recognize me. She had grown very thin, I think she must have lost about 20 pounds during these weeks. Her eyes looked sick, and it was altogether very heartbreaking to see her. Her only thought was that she wanted to get away from that place, she implored us to take her back home with us. I do not know much about that sort of institutions, but it seems to me that any normal person would go insane in such a place. The other patients were much more sick than Ruth, some of them noisy, and the nurses seemed unfriendly and impatient, talked to Ruth as though she were an enemy and not a sick person. Ruth has nothing to do except look out for the barred window. At present she may not be able to concentrate on anything. I brought her a couple of books and papers, which she had asked for. But she was longing for peace

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to work on her novel. I am, of course, not a doctor, but it would seem to me that after a few more treatments, work would be the only thing that would bring her back, together with proper care and rest. Accordning to the doctors, these treatments are apt to make the patient more confused in the beginning, and to eliminate the memory. I had a talk with one of the doctors after I had been with Ruth. The doctor – a woman – (quite unpleasant) said that there was every chance that Ruth would get over her illness, that she had seen much worse cases that had been cured completely. ––– I am sorry to hear that you should be troubled with illness yourself at the present time, and I hope that you will recover soon. The practical things – the apartment etc. (which all seems quite irrelevant compared to the great calamity) will be taken care of. I think we must be prepared to have it take a long time before Ruth gets well, but she is devoted to this place, and if it can possibly be kept for her, I believe it will be the best thing. My sailing date has been set for Jan. 26th. Will you write to Dr. Robert Lund, or shall I? For the sake of Ruth’s mother someone in Denmark ought to be notified before rumors get there. Yours, Ida Bachmann [Hs.] I took some stamped envelopes to Ruth, addressed to you. And I believe short letters from you would make her feel that she is not entirely cut off. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 286/4–10. – T (in deutscher Übersetzung): Grischa Meyer, Ruth Berlau: Fotografin an Brechts Seite, München 2003, S. 120f.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [New York, 13.1.1946] Sonntag Lieber Brecht: Da ich selber etwas gebrechlich bin im Augenblick, ist Hannah B.25 heute zu Ruth gefahren, um ihr Sachen hinauszunehmen. Sie fand sie viel schlechter als letzte Woche. Sie hatte uebrigens einen Brief und ein Gedicht von Ihnen in der Hand,26 schien aber beide nicht ganz zu verstehen, ausser dass Czinner usw. sich um sie kuemmern wuerden. Daran hielt sie sich, denn sie will nur heraus, sie interessiert sich fuer nichts sonst. Sagte, sie muss 25 Johanna Budzislawski. 26 Der letzte bis dahin überlieferte Brief Brechts an Berlau datiert vom 20.12.1945 (vgl. GBA 29, S. 370f.).

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heraus, weil sie dort ni[c]hts zu essen bekommt (das stimmt natuerlich nicht), weil sie nicht spazieren gehen kann (sie war draussen, bestritt es aber Hannah gegenueber) – kurz, sie will nur weg. – Gruenthal rief mich vorgestern an: er moechte eine andere Behandlung anfangen (Insulinschocks) und er ueberlege sich auch ihre Ueberfuehrung in ein anderes Institut. Beides, und das war wohl der Hauptzweck seines Anrufes, sei vornehmlich eine Geldfrage. Ueber das Finanzielle, sagte ich ihm, koenne er doch leicht von Ihnen Bescheid bekommen, ausserdem kaemen Sie ja wohl bald her. Das erstaunte ihn, und ich riet ihm, sich das Wort darueber bei Czinner zu holen, mit dem ich gerade vorher gesprochen hatte. Natuerlich ist Ruths Fall fuer Gruenthal etwas kompliziert, da tauchen allerlei Menschen auf, die Bachmann, Hannah, ich, dann Reyher, Czinner, dann Sie als Hauptverantwortlicher fuer eine Beauftragung. Man muss ihm allein die Beziehungen immer wieder erklaeren. Ueber das Finanzielle aber muesste man ihn sehr bestimmt aufklaeren. Wenn man eine extra nurse braucht, um mit Ruth spazieren zu gehen, so kostet das eben Geld. Fuer 50 Doll. die Woche bekommt man anscheinend nicht viel. Fuer die Ueberfuehrung an einen anderen Platz ist Gruenthal, wie mir scheint, jetzt auch sehr. Es ist ja auch so, dass er sich selber ausser ueber Kalinowski und telefon. Beratung mit dem resident physician, Dr. Rollo, wenig direkt kuemmern kann, schon deshalb nicht, weil ein Besuch draussen ja, wie ich Ihnen schon sagte, 4-5 Stunden kostet. Gruenthal sagte mir, dass Ruth nicht imstande sei zu arbeiten. Hannah hatte den gleichen Eindruck. Wir muessen uns erst nun eine Kopie vom Romananfang verschaffen, ehe wir die, die in der Wohnung ist, hinausbringen. [Hs.: PM ist alarmiert, auch sonst sind Bücher draussen.] Denn draussen kann alles leicht zu Schaden kommen. Eine Kopie soll bei Martha Dodd27 sein. Leider ist Ida B.28 so mit ihrer Abreise am Sonnabend beschaeftigt, dass sie uns kaum mehr helfen kann. Wenn Sie kommen, werden Sie in der Wohnung wohnen? Wir haben ein wenig weggeraeumt, aber es ist eigentlich nicht unbewohnbar. Wenn Sie dort wohnen wollen, telegrafieren Sie doch mir oder noch besser Hannah, bis zu welchem Tage es einigermassen gerichtet sein muss. Hannah wohnt nah dran und kann schon mal rueberspringen. Bei mir ist das alles unsicherer, weil ich selber nicht ganz fest auf den Beinen bin. Dann muss man ja auch sehen, dass man ein paar Moebel fuer die Wohnung bekommt (den Bachmannschen Teil), aber da wollte Czinner helfen, ich glaube, ich schrieb das schon. – Wenn Sie Ruth schreiben, entschuldigen Sie, dass ich mich einmische, schreiben Sie ihr sehr einfach, stellen Sie Ihr Kommen in Aussicht und zwar fuer bald und dass sie sich bis dahin gedulden soll. Und vor allem geben Sie Gruenthal Instruktionen [Fortsetzung hs.] über a) Insulin-Behandlung, b) Überführung in ein anderes Institut. Wenn Sie nicht diese Woche kommen, müssen Sie ihm sofort schreiben. Beide Punkte sind in erster Linie eine Geldfrage; Gruenthal wird natürlich gefragt, ja, wer kommt für alles auf? Das ist 27 Martha Dodd (1908–1990), amerikanische Schriftstellerin. Zusammen mit ihrem Vater, dem neuen amerikanischen Botschafter unter Präsident Roosevelt, lebte sie von 1933 bis 1937 in Berlin (vgl. M.D., „Nice to meet you, Mr. Hitler!“ Meine Jahre in Deutschland 1933 bis 1937, Berlin 2005). 28 Bachmann.

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in diesem Lande so. Auf der anderen Seite sollte man auch nicht den Eindruck erwecken, besonders nach Czinners Eintritt ins Blickfeld der Ärzte, als ob es sich hier um einen Fall handelt, aus dem man ordentlich etwas herausholen kann. Ich war gestern mit Hannah B. in der Wohnung, um Kleider etc. zum Hinausnehmen zusammenzupacken. Da fragte Ida B., ob ich meinte, daß sie wohl die $ 75.- (Miete für Ruth bezahlt) bis Freitag bekommen könnte. Von den vielen Sachen, die Frau Homolka 29 Ruth geschickt hat, hat Hannah einige heraus gebracht; sie interessierte sich für ein paar Stücke + probierte sie an. Jerome30 wollte nächsten Freitag mit hinausfahren; als Hannah Ruth heute davon sprach, lehnte sie Jerome energisch ab; ich glaube, sie handelt das ganz bewußt; neulich bestellte sie einn dänischen Pastor, ebenso bewusst; sie hat Angst, die könnte etwas preisgeben. Ich habe Jerome eben gesagt, er soll bis nächste Woche warten. Herzlich Bess. Überlieferung: Ts, hs. Erg., hs. U.; BBA 211/26–27.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [New York] 17.1.1946 17. Januar 46 Lieber Brecht, hoffentlich können Sie dies lesen; ich muß mit der Hand schreiben, Baerensprung ist heute nach Haus gekommen + darf kein Klappern der Maschine hören. Ich habe eben mit Dr. Czinner telefoniert; nachdem der größte Teil unseres Gesprächs vorher mit Ida B. + Hannah B.31 genau so ausgemacht war. Ruth hat inzwischen Bücher und anderen Lesestoff bekommen. (Auch Puder, Cigaretten, Candy etc.) Da ich selber noch nicht wegkann, hat es mir Hannah noch einmal abgenommen; ihr gebe ich auch Sonnabend eine Abschrift des Romans mit + noch etwas zum Lesen. Czinner ist wie ich der Ansicht, daß der Dr. Kollo32 draußen sich sehr um Ruth kümmert. Es ist wohl überhaupt anzunehmen, daß das ganze Institut sich sehr über Durchschnitt anstrengt, da Ruth überdurchschnittlich von Fremden umsorgt wird. Trotzdem wollen wir uns alle – im Einverständnis mit Dr. Gruenthal, mit dem ich heute morgen sprach – nach einem anderen Institut umsehen, das womöglich einen großen Park hat. Die 29 30 31 32

Entzifferung unsicher. Vermutlich Florence Homolka (1910–1962), die Ehefrau von Oskar Homolka. Vermutlich Victor J. Jerome. Ida Bachmann und Johanna Budzislawski. Ruth Berlaus behandelnder Arzt in Amityville.

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Übersiedlung hat m. a. immerhin 8 Tage Zeit. Ich glaube sogar, daß es ganz gut ist, wenn Ruth die 1. Phase der Behandlung durch shock noch in Amityville verbringt. (Ich sagte Ihnen, daß Kalinowski die shock treatments macht – ein erstklassiger Mann.) Sobald ich ihn erwische, will ich mit ihm übers Medical Center reden.) Gestern sprach ich mit jemanden, der auch von Haus aus belastet ist, in der army zusammenbrach und schließlich auch in die psychiatrische Abteilung eines Veterans’ Hospital kam. In der ersten Hälfte der Behandlung durch shock (das sagte mir seine Frau) geriet er zunächst immer mehr in Konfusion; das Gedächtnis funktionierte kaum noch. Dann fing die Rekonstruktion an, und nach der letzten Behandlung war der Mann (sagte mir die Frau) nicht wieder zu erkennen. Er ist heute in Ordnung, arbeitet wieder; nur an 2 kleinen Sachen kann seine Frau noch ab + zu merken, daß ein winziger Rest noch zu überwinden ist: er wiederholt sich manchmal und begründet Dinge (wo es ihm paßt) falsch + offensichtlich lückenhaft ([hysterian mindgap]33). Aber auch das wird sich verlieren, hat der Arzt ihr gesagt. Sie sehen also, so schrecklich das alles jetzt ist, es wird alles in Ordnung kommen; vielleicht ist es sogar gut, daß mal alles herausbrach. Ja, noch eins: Ida B. sagte mir heute morgen, sie müsse ein Schiff nehmen, das teurer sei als geplant, es wäre ihr also doch recht, wenn sie die beiden Monatsmieten, die sie für Ruth ausgelegt hat, bekäme. Könnten Sie Ihr den Betrag direkt schicken? (75/2 + 75/2 = 75) (Von den 150,-, die Sie mir schickten, habe ich noch etwa 50.-, aber da ist eben Ruths Wäschemasse mit Rechnungen von 19.- (nachgeprüft von Ida B.) + noch eine von ca 35.- für fotogr. Sachen.) Und wollen Sie nicht Hannah Budz. drei Zeilen schreiben?34 Sie erwartet das nicht ich, aber sie springt jetzt ein, wenn alle anderen nicht können. Sie sorgt auch mit dafür, daß die Wohnung noch ein paar Möbelstücke bekommt, nachdem Ida B’s Freunde die geliehenen zurückbekommen. P. Czinner hilft auch dabei. - Ich selber treffe mich mit Ida B + Hannah am Sonnabend, um genau zusammenzustellen, was Hannah am Sonntag mitnimmt. Herzlich Bess Überlieferung: Ms, EHA 254.

33 Entzifferung unsicher. 34 Erg. am Rand: „328 E 50 Str, N.Y. 19, N.Y.“

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John Bitter an Bertolt Brecht Berlin, 17.1.1946 OFFICE OF MILITARY GOVERNMENT BERLIN SECTOR Information Control Branch APO 755

US ARMY

BJ/mw

17 January 1946 Mr. Bertolt Brecht 1063 26 th Street Santa Monica, Calif. Dear Mr. Brecht, I shall be only too happy to give Mr. Martin the note you send me.35 At the moment the only reason one can have to visit this country is to have official business pertaining to Military Government. However, if I were you I would make inquiries at the State Department in Washington. Very truly yours John Bitter JOHN BITTER US Civilian Chief, Theatre & Music Section Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1762/5.

Margarethe Kaiser 36 an Bertolt Brecht Zürich, 22.1.1946 Margarethe Kaiser

Zürich, Beethovenstr. 49, c/o J. Marx 22. Januar 1946

35 Nicht überliefert. 36 Margarethe Kaiser, geb. Habenicht (1888–1970), Ehefrau von Georg Kaiser.

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Lieber Bert BRECHT, ich bin seit 14 Tagen in der Schweiz, um den Nachlass meines verstorbenen Mannes zu ordnen.37 Wie Sie wissen erhielt mein Mann von Bloch Erben (die Drehbühne) einen grösseren Vorschuss, und es stellt sich nun die Frage, wie man es hinsichtlich der Rückzahlung dieses Betrages halten soll. Sie wissen ja, dass Bloch Erben sich den Nazis verschrieben hatte und daher nicht in der Lage war in den letzten 12 Jahren die vertraglichen Verpflichtungen den emigrierten Autoren gegenüber zu erfüllen. Seltsamerweise wurde dieser Verlag von den Alliierten nicht auf die schwarze Liste gesetzt, sodass man wohl nicht aus politischen Gründen Streichung des Vorschusses und Annullierung des Vertrages verlangen kann. Immerhin soll versucht werden es wenn nötig auf einen Prozess ankommen zu lassen, um eine prinzipielle Entscheidung herbei zu führen. Ehe ich diesbezüglich etwas unternehme, würde es mich interessieren zu erfahren, welche Schritte Sie zu unternehmen beabsichtigen, sowohl hinsichtlich des Vorschusses, wie auch bezüglich Lösung des Vertrags. Eine deutliche Äusserung Ihrerseits, in der Sie vor allen Dingen auch Stellung nehmen sollten gegen die Zulassung solcher Agenturen, würde mein Vorgehen gegen Bloch Erben wesentlich erleichtern. Ich weiss wohl, dass Sie es nicht lieben lange Korrespondenzen zu führen, doch hoffe ich, dass Sie in diesem besonderen Falle und in Anbetracht unserer alten freundschaftlichen Beziehungen eine Ausnahme machen werden. Ich habe mir kürzlich zusammen mit meiner Tochter „Mutter Courage“38 angesehen, nachdem mir mein Mann so begeistert über dieses Werk geschrieben hatte, und ich freute mich herzlich bei dieser Gelegenheit Ihre grosse Dichtkunst nach so langen Jahren der Abgeschlossenheit wieder bewundern zu dürfen. Sie können sich denken, dass diese beschwerliche Reise nach der Schweiz (wir brauchten von München nach Zürich 4 Tage!) für mich mit mancherlei Aufregung verbunden war. Unter den nachgelassenen Dichtungen meines Mannes befinden sich drei in Jamben geschriebene griechische Dramen, die wohl als die Krönung seines Werkes betrachtet werden dürften. Die Trilogie39 wird voraussichtlich im Frühjahr hier erscheinen und ich werde veranlassen, dass Ihnen ein Exemplar zur Verfügung gestellt wird. Der Bühnenvertrieb der Werke meines Mannes liegt in den Händen von Julius Marx,40 und mein Mann hatte gehofft, dass auch Sie sich dieser neuen Agentur anschliessen wür37 Georg Kaiser war 1938 zusammen mit seiner Geliebten Maria von Mühlfeld ins Exil in die Schweiz gegangen und dort 1945 verstorben. 38 Das 1941 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführte Stück wurde in der Spielzeit 1945/46 in der gleichen Inszenierung wiederaufgenommen. 39 Georg Kaisers Dramen Zweimal Amphytrion, Pygmalion und Bellerophon erschienen 1948 bei Artemis in Zürich. 40 Vgl. Kaiser, 8.1.1945.

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den. Wie mir jedoch Herr Marx sagte, haben Sie sich zu diesem Vorschlag noch nicht geäussert. Meine Tochter ist mit einem Amerikaner verlobt. Vielleicht ergibt sich unter diesen erfreulichen Umständen die Möglichkeit, dass wir uns in USA wiedersehen, denn nach Deutschland zurückzukehren werden Sie wohl nicht das Bedürfnis haben. Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören und grüsse Sie wie Ihre lieben Angehörigen (wie geht es Steffi?) herzlichst Ihre Überlieferung: Ts, AdK: Georg-Kaiser-Archiv (Kopie: BBA Z 5/193).

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 25.2.1946 BASEL, DEN 25. Februar 1946 R/j BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , Santa Monica (California) Lieber, verehrter Herr Brecht, Ich freue mich ausserordentlich, nach so langer Zeit von Ihnen direkt Nachricht zu bekommen.41 Ich verstehe sehr gut, dass Sie keine grosse Lust haben, Korrespondenzen zu führen, aber es gibt eben doch gewisse Dinge, bei denen es notwendig ist, Ihre persönliche Ansicht zu hören. Ihre Interessen habe ich während des Krieges hier in der Schweiz, wie Sie ja aus den Ihnen gesandten Abrechnungen ersehen haben, aufs Beste wahrgenommen. Ihr Guthaben ist durch die Schweiz. Verrechnungsstelle gesperrt. Laut Bundesratsbeschluss mussten alle deutschen Guthaben, auch diejenigen der in Amerika lebenden staatenlosen Deutschen, angemeldet werden und sind vorläufig noch nicht freigegeben. Es besteht jedoch gar keine Gefahr, dass diese Gelder beschlagnahmt werden. Es ist dies eine Vorsichtsmassnahme, die getroffen wurde, um die in der Schweiz liegenden deutschen Guthaben zu erfassen. Sobald Sie Amerikaner geworden sind, was – wie ich annehme – bald der Fall sein wird, wird der Betrag sofort freigegeben, und Sie können darüber verfügen. 41 Vgl. B. an Reiss, 18.1.1946, GBA 29, S. 374f.

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Beiliegend erhalten Sie Abrechnung über die Wiederaufnahme von „Mutter Courage und ihre Kinder“ im Schauspielhaus Zürich.42 Ich würde Sie natürlich sehr gerne vor allen Dingen in Deutschland und Oesterreich vertreten. Ueber die Situation dort haben Sie sicher von allen Seiten Berichte. Man erwartet allgemein, dass im Jahre 1947 von den Alliierten eine deutsche Zivilverwaltung eingesetzt wird und dass dann auch eine Stabilisierung der Mark und eine Regelung der Clearingverhältnisse stattfinden wird. Im Augenblick spielen in Deutschland über 100 Theater und es ist natürlich in der Uebergangszeit ausserordentlich viel Durcheinander angerichtet worden. Es wurden unautorisiert viele Stücke aufgeführt. Ehemalige Naziverlage (Dreimaskenverlag43, Vertriebsstelle44) arbeiten wieder und behaupten nach wie vor im Besitz der Rechte jüdischer und Emigrationsautoren zu sein. Es wird noch geraume Zeit vergehen, bis die Klärung dieser Urheberrechtsfragen durchgeführt sein wird, aber es wird langsam wieder Ordnung in dieses Chaos kommen. Ich selbst habe in Deutschland und Oesterreich ausgezeichnete Vertreter, welche beauftragt sind, alle Aufführungen von Werken meines Verlages zu überwachen. Ich habe vor, im Jahre 1947 in Deutschland selbst eine Filiale zu gründen, oder doch mit einem dortigen deutschen Verlag zu fusionieren, sodass ich die Rechte in diesem Gebiet selbst wahrnehmen kann. Ich bitte Sie also, ehe Sie über die deutschsprachigen Rechte weiter verfügen, mir eine Option einzuräumen und mir, wenn Sie über die Rechte verfügen, Ihre Bedingungen mitzuteilen. Ausserdem bin ich ausserordentlich interessiert an den tschechischen Rechten. Ich verfüge dort über erstklassige Beziehungen zu den neuen Theaterdirektoren, die gerne Ihre Stücke aufführen möchten. Zwischen der Schweiz und der Tschechoslovakei besteht ein Handelsvertrag, der es ermöglicht, Tantièmenguthaben aus der Tschechoslovakei nach der Schweiz zu transferieren. Ausserdem besteht grosses Interesse für Ihre Werke in Italien. Zwei führende italienische Verlage haben mich um Autorisation für den Druck und um die Aufführungsrechte ersucht. Ich habe es abgelehnt, und halte auch den Zeitpunkt der Vertretung in diesem Gebiet als zu verfrüht, weil dort noch keine Aussicht besteht, irgendwelche Gelder herauszubekommen. In Holland wird demnächst eine Stabilisierung des Guldens vorgenommen und damit eine Transferierung möglich werden. Ich bitte Sie also sehr, mir auch für dieses Land Verhandlungsrecht oder – wenn Sie verfügen wollen – eine Option einzuräumen. 42 Vgl. Anm. zu Margarethe Kaiser, 22.1.1946. 43 1910 in München gegründeter Bühnenverlag (der 1922 Trommeln in der Nacht publizierte), ab 1931 in Berlin ansässig. Der Verlag besaß auch die Vertriebsrechte an Trommeln in der Nacht und Im Dickicht der Städte. 1934 wurde er „arisiert“ (vertrieb indessen weiterhin Werke jüdischer Künstler). Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er von den sowjetischen Besatzungsbehörden die Lizenz zur Wiederaufnahme seiner Arbeit. Seit 1951 residiert der Drei Masken Verlag wieder in München. 44 Vertriebsstelle und Verlag deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten, gegründet 1908 in Berlin.

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Ich freue mich sehr, die angekündigte[n] Stücke bald zu bekommen. Ein Exemplar von „Furcht und Elend des dritten Reiches“ hatte ich schon vor drei Jahren von Ihnen erhalten. Ich nehme an, dass Sie mir jetzt die neue Fassung zusenden. – Wie steht es eigentlich mit der „Dreigroschenoper“? Sie schrieben mir seinerzeit, dass Sie die alte Fassung nicht mehr aufgeführt haben wollen, was ich unter den gegebenen Umständen sehr gut verstand. Aber haben Sie die Neufassung inzwischen fertig gestellt?45 Wie ich Ihnen am 23. Oktober 1945 telegraphierte, will das Schauspielhaus die „Dreigroschenoper“ aufführen, zögert jedoch, die alte Fassung zu machen. Bitte geben Sie mir in einem kurzen Kabel Ihren Standpunkt bekannt. Ich übersende Ihnen beiliegend einen neuen Vertriebsvertrag für Ihre Stücke in der Schweiz. Ich habe – Ihr Einverständnis voraussetzend – die „Dreigroschenoper“, sowie Ihre alten Stücke, für die ich nach wie vor arbeite, insbesondere „Johanna der Schlachthöfe“ dazu genommen. Wollen Sie mir betr. der „Dreigroschenoper“ mitteilen, wie hoch der Anteil von Kurt Weill ist. Ich bitte Sie freundlich um Unterzeichnung und Rücksendung und Rücksendung des Vertrages, damit ich Ihnen das mit meiner Unterschrift versehene Gegenexemplar zustellen kann. Die von Ihnen beanstandeten Prozesskosten sind dadurch entstanden, dass Herr Dr. Oprecht seinerzeit behauptete, die Vertriebsrechte von „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Leben des Galilei“ von Ihnen bekommen zu haben und die Tantièmen nicht auszahlen wollte.46 Es war in Ihrem Interesse, einen Anwalt zuzuziehen, um die Situation abzuklären. In Anbetracht unserer guten Beziehungen werde ich Ihnen aber den in Abzug gebrachten Betrag von Fr. 166.-- wieder gutschreiben und lege Gutschriftsnota bei. Ich hoffe Sie recht bald in Europa begrüssen zu dürfen und bin mit den besten Grüssen Ihr ergebener Kurt Reiss Beilage: 1 Abrechnung über Aufführungen „Mutter Courage“ in Zürich 1 Gutschriftsanzeige 1 Vertrag P.S.

Ich erhalte soeben aus Heidelberg die traurige Nachricht, dass Gustav Hartung, der langjährige Berater des Verlages, am 14. Februar a.c. plötzlich verschieden ist. Sobald ich nähere Einzelheiten weiss, werde ich Ihnen berichten.

In Wien war eine Aufführung Ihres „guten Menschen von Sezuan“ geplant. Ich habe durch meinen Vertreter veranlasst, dass diese Aufführung vorläufig unterbleibt, da mir sowohl der Augenblick für eine Aufführung des Stückes in Wien nicht geeignet erscheint, 45 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.8.1945. 46 Vgl. Reiss, 30.8.1945.

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wie auch die Besetzung der Hauptrollen keine genügende Garantie für eine einwandfreie künstlerische Wiedergabe gegeben hat. Ausserdem ist die Frage des Transfers von Tantièmen aus Oesterreich nach anderen Ländern noch vollkommen ungeklärt. Ich nehme an, dass Sie mit meinem Vorgehen einverstanden sind. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/26–28.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 28.2.1946 BASEL, DEN 28. Februar 1946 R/j THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , Santa Monica (California) 1063 Twentysixth Street Lieber Herr Brecht, Mit meinem Schreiben vom 25. Februar a.c. hatte ich Ihnen mitgeteilt, dass ich die beabsichtige Aufführung vom „Guten Menschen von Sezuan“ am Theater in der Josefstadt Wien in Ihrem Interesse nicht autorisiert habe. Nachdem nunmehr Herr Curt Riess in Wien erklärt hat, dass er von Ihnen autorisiert sei, diese Aufführung47 zu genehmigen und dass er auch alle weitere Verantwortung hierfür übernehme, habe ich selbstverständlich meinen Einspruch zurückgezogen. In diesem Sinne bestätige ich Ihnen mein heutiges Telegramm wie folgt: „Aufführung Sezuan Josefstadt Wien autorisiert nachdem Curt Riess in Ihrem Namen erklärt hat dass er alle Verantwortung übernehme.“ In der nächsten Saison beabsichtigt das Basler Stadttheater, die deutschsprachige Erstaufführung von „Furcht und Elend des dritten Reiches“48

47 Der gute Mensch von Sezuan wurde am 29.3.1946 unter der Regie von Rudolf Steinboeck im Wiener Theater in der Josefstadt aufgeführt (vgl. BC, S. 773). 48 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.8.1945.

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zu machen. Lassen Sie mich bitte wissen, ob die im AURORA-Verlag erschienene Fassung die endgültige Bühnenfassung ist. Die in ihrem Schreiben vom 18. Januar a.c. erwähnten Manuskripte: „Der kaukasische Kreidekreis“ „Furcht und Elend des dritten Reiches“ „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ sind bisher nicht angekommen. Mit den besten Grüssen Ihr ergebener Überlieferung: TsD, BBA 575/35.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [und Ferdinand Bruckner] [New York] 6.3.1946 6. Maerz, 1946 [Hs.: An Brecht + Bruckner] Die Firma De Boekenvriend, Postbus 12, Hilversum, Holland, interessiert sich dafuer, Buehnenauffuehrungen in Holland unterzubringen. Ich habe geantwortet, dass wir nicht ueber die Buehnenrechte verfuegen, sondern die Autoren selbst, und empfehle daher, direkt an die Firma zu schreiben. Der Absender des Briefes schreibt: „Schicken Sie mir bitte gleich je ein Exemplar der von Ihnen veroeffentlichten Buehnenwerke unter gleichzeitiger Mitteilung, zu welchen Bedingungen ich die Auffuehrungsrechte fuer Holland bekommen kann. Am besten waere es, wenn Sie gleich eine Provision fuer mich festlegen wuerden. Hier wird gerade eine groessere Volksbuehne gebildet, und der Leiter hat mich beauftrag[t], nach guten Stuecken zu suchen.“49 Die gewuenschten Buecher50 sind Ihnen bereits zugegangen. Beste Gruesse, W Überlieferung: Ts, hs. U.; AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/77). 49 Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert. 50 Vermutlich weitere Exemplare von Furcht und Elend des III. Reiches oder andere Neuveröffentlichungen des Aurora-Verlags.

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Caspar Neher an Bertolt Brecht 6.3.1946 6. III. 46. Lieber Bert! Gestern erhielt ich seit langem erhofft, ein angelangendes [?] Lebenszeichen, das herein geflattert kam, wie aus weiten Fernen und den Schimmer einer Hoffnung sich wieder zu sehen, enthielt.51 Merkwürdig, wirst Du denken; wie relativ viel noch übrig geblieben sind – jedoch davon am besten später – Ich habe mich militärisch noch am letzten Tag von Berlin nach Hamburg durchgeschlagen. Dann war der Spuk zu Ende – Wichtig wäre mir ein längeres Gespräch, das ich mit Dir benötigte – denn wenn Du auch mit meinen Skizzen zufrieden bist, scheint es jetzt doch um wesentlicheres zu gehen – als allein um die Verwirklichung einer Sache – Ich hungere nach den letzten Sachen von Dir, die ich nirgends auftreiben kann – besonders hier nicht – auch scheint hier die ganze Sache in einer art Restaurationsidee stecken zu bleiben – die, die ans Werk kommen, die sehr den Zeichnungen eines Daumier gleichen. Das ist aber immer so – Unsere Zeit scheint noch nicht gekommen zu sein und was man macht – das wetzt lediglich die Werkzeuge des Handwerkers. Zum schneiden kommt man damit nicht – Schicke mir durch irgend jemanden bitte Deine Stücke, Deine Sachen – alle – es ist notwendig. Ich werde Dir schon die richtigen Blätter dazu liefern –. Wenn es ginge, ich würde mich umgehend auf den nächsten Kohlenzug setzen und zu Dir fahren – Nun das wird hoffentlich auch nocheinmal kommen. Dass Georg52 in Russland vermisst ist, habe ich Dir schon mitgeteilt – resp. mitteilen lassen – Mit Otto53 verbrachte ich die letzten Jahre viele Abende, Deine Platten spielend so weit sie jeweils von Bombenangriffen gerettet wurden und von Dir sprechend. Dies meist, wenn der nächtliche Alarm vorüber war. Mein Häuschen in der Nähe Iherings steht noch. Ottos Wohnung aber ist vollkommen zerstört. Erika54 ist bei mir, wir leben wie am Anfang da wir nichts mehr besitzen – das ist auch gut, dann braucht man nicht mehr so viel zu tragen wenn man von einem Haus ins andere zieht. Sage Helene W vielen Herzlichen Dank für ihre lieben Zeilen und der Zustellung des Lebenszeichen[s] von Dir Dir aber wünsche ich ruhige, gute Arbeit. Schreibe sehr bald wieder Deinem Caspar Vorläufig wohl noch über dieselbe Stelle

51 Nicht überliefert. 52 Caspar Nehers Sohn Georg (*1924) wurde als Soldat an die Ostfront geschickt und kehrte nicht zurück. 53 Otto Müllereisert. 54 Caspar Nehers Frau Erika, geb. Tornquist (1903–1962).

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Herrn Bertolt Brecht 1063 - 26th street Santa Monica California Überlieferung: Ms, BBA 3153.

Alfred Kantorowicz an den Aurora-Verlag New York, 8.3.1946 Alfred Kantorowicz 72 West 102 Street New York 25, N.Y. Den 8 März 1946 Aurora Verlag: Herren Ernst Bloch, Bertold Brecht, Ferdinand Bruckner, Lion Feuchtwanger, Oscar Maria Graf, Wieland Herzfelde, Heinrich Mann, Berthold Viertel, Ernst Waldinger, F.C. Weiskopf. Geehrte Herren, ich kann mich mit den von Ihnen vorgeschlagenen Kürzungen meiner Erzählung „Die Heimkehr“ nicht einverstanden erklären. Die Erzählung war bereits vor ihrer ersten Veröffentlichung im German-American55 aufs Äusserste kondensiert worden. Die von Ihnen vorgeschlagenen weiteren Kürzungen berauben die Arbeit ihrer Kohärenz und ihres Sinnes. Die Arbeit wird unsinnig durch die Streichung des letzten Absatzes auf den hin sie geschrieben worden ist; und sie verliert ihr Gerüst durch die Streichung des entscheidenden Teiles des langen zweiten Absatzes. Aber selbst die kürzeren Streichungen schneiden unerträglich in den Bau der Erzählung ein. Ich bitte Sie, davon Abstand zu nehmen, die Arbeit in dieser verkrüppelten Form Ihrem Sammelband Morgenröte einzureihen. Das Fragment würde Ihnen und mir zur Schande gereichen.56 Mit höflichem Gruss Ihr Überlieferung : Ts, Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Los Angeles (Kopie: BBA Z 5/3). 55 In der Zeitschrift The German-American vom 15.10.1946 erschien Alfred Kantorowicz’ Erzählung unter dem Titel „Abschied von Amerika“. 56 In dem Band Morgenröte (vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943) erschien von Kantorowicz der Beitrag „Grüße aus der Heimat“.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 15.3.1946 Wieland Herzfelde 307 East 17th Str New York, 3, N.Y.

15. März 1946

Herrn Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York, N.Y.57 Lieber Bertolt: gemäss unserm Gespräch schlage ich Dir vor: Der Verlagsvertrag zwischen Dir und mir vom 20. Sept. 1934 betreffend die Herausgabe Deiner „Gesammelten Werke“ tritt wieder in Kraft,58 wird aber wie folgt abgeändert: 1.

Das Recht der Herausgabe bezieht sich auf jede Malik-Verlag genannte Gründung, sofern ich Dir die Einhaltung einer vertraglichen Pflichten garantiere, gleichgültig, wo der Sitz des Verlages ist.

2.

Die Zahl der herauszubringenden Bände ist nicht begrenzt, ihr Inhalt nicht auf Bühnenwerke beschränkt. Vielmehr bestimmst Du, was in dem 3. und allen weiteren Bänden enthalten sein soll.

3.

Die Bände erscheinen alle im Stil der Bände 1 und 2 und ungefähr im Umfang von 350–400 Seiten.

4.

Der Wiederdruck der Bände 1 und 2 und die Neuausgabe eines weiteren Bandes erfolgt bis spätestens 31. März 1947. Der 4. und alle weiteren Bände sollen in Abständen von nicht mehr als 18 Monaten erscheinen.

5.

In den neuen Band sollen alle Gedichte von Dir aufgenommen werden, ausgenommen die nach den „Svendborger Gedichten“ geschriebenen. Sollten die Gedichte einen Band von ca. 350 Seiten nicht füllen, so wirst Du andere Arbeiten hinzufügen.

6.

Die auf der Klappe des Schutzumschlages „Furcht und Elend“ als Band 3 angekündigten Bühnenwerke erscheinen nach den „Gesammelten Gedichten“.59 Ob wir letzteren Band als Band 3 oder 4 bezeichnen, wollen wir noch besprechen.

57 Brecht hielt sich vom 10. Februar bis Mitte März 1946 in New York auf. 58 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.12.1945. 59 Vormals als Band 3 der Gesammelten Werke vorgesehen (vgl. Anm. zu Herzfelde, 23.9.1938).

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7.

Der Paragraph 6 des Vertrages, der Dein Honorar bestimmt, erlischt und wird mit Rücksicht auf die riskanten Verbreitungsmöglichkeiten in Europa wie folgt vereinbart: Die Einnahmen aus dem Verkauf der Werke werden zunächst zur Abdeckung ihrer Herstellungskosten verwandt. Herstellungskosten sind die Ausgaben für Satz, Papier, Clichees, Druck, Einband und Schutzumschlag, Transport, Zoll, Lagern und Propaganda, – nicht dagegen die Kosten für meine und meiner Mitarbeiter Arbeit, Korrespondenz, Büromiete, Licht, Telephon, Steuern, Bankzinsen etc. Wenn die Einnahmen die Herstellungskosten überschreiten, wird der Ueberschuss zwischen Dir und mir zu gleichen Teilen abgeführt, sofern wir nicht beide vorziehen, ihn zur Herstellung eines weiteren Bandes der „Gesammelten Werke“ zu verwenden. Du erhältst zweimal jährlich Abrechnung, und zwar am 30. Juni für das vorangegangene Halbjahr Oktober-März, am 31. Dez. für das vorangegangene Halbjahr April-September. Ladenpreise und Händlerrabatte bestimme ich. Die Geschäftsbücher stehen Dir zur Einsicht offen. Sofern Verkäufe in Länder mit gesperrter Valuta erfolgen, gelten die Erlöse erst dann als Einnahme, wenn eine Möglichkeit besteht, sie zu verwenden.

8.

Du erhältst von jedem Band 20 Expl. (gebunden oder kart. nach Deiner Wahl) als Beleg. Weitere Expl. mit 50% Rabatt. Du wirst über Höhe der Auflagen bei Erscheinen und über vorrätige Bücher bei jeder Abrechnung informiert.

9.

Die Bände werden nicht illustriert.

10. Die Rechte der Bühnenaufführung, Verfilmung, Radiosendung und Uebersetzung ebenso die Abdrucke aus den Bänden in Zeitungen und Zeitschriften vergibst Du. Ebenso das Recht, die Werke in der U.d.S.S.R. zu veröffentlichen. Alle Erl[öse] aus der Vergebung solcher Rechte behältst Du, auch wenn ich bei der Vermittlung solche Abkommen helfe. Ich habe das Recht, Presseabdrucke zum Zweck Propagierung der „Gesammelten Werke“ zu genehmigen. Wir beide genehmigen keine Abdrucke ohne den Malik-Copyright Vermerk. 11. Ich habe das Recht, Lizenzausgaben der Werke (oder einzelner Bände) zu gestatten. Erlöse daraus gehen halb an Dich, halb an mich. Ich buche meine Hälfte jedoch als Verkaufseinnahme, sodass im Lauf der Verrechnung die Hälfte davon wieder an Dich geht. 12. Falls Du für einzelne Werke Verträge abschliesst, wirst Du die Bedingung aufnehmen, dass diese Werke 2 Jahre später in den „Gesammelten Werken“ erscheinen dürfen, ohne dass der betr. Verlag Ansprüche an den Malik-Verlag hat. 13. Diese Vereinbarungen bleiben in Kraft, solange ich die Verpflichtungen daraus erfülle. Verzögerungen, die durch behördliche Verfügungen, Materialknappheit oder höhere Gewalt entstehen, gelten nicht als Verletzung dieser Vereinbarungen.

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14. Im Falle von Differenzen zwischen uns inbezug auf diese Vereinbarung verzichten wir auf den Rechtsweg, anerkennen vielmehr die Entscheidung eines Schiedsgerichts, das aus je einem von Dir und mir zu bestimmenden Schiedsrichter besteht, die sich auf einen dritten einigen. 15. Erfüllungsort dieser Vereinbarungen ist mein jeweiliger permanenter Aufenthaltsort, und die Erfüllung ist den dort bestehenden behördlichen Bestimmungen unterworfen. Mit herzlichem Gruß Dein Wieland Herzfelde gelesen und zum Zeichen des Einverständnisses auf der Copie gegengezeichnet: Bertolt Brecht Wieland Herzfelde Überlieferung: Ts (Vertragsbrief), AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/78–79).

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 15.3.1946 15. März, 1946 Herrn Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York City Lieber Bertolt, Anbei ein Brief aus Buenos Aires, der an Schoenhof’s in Cambridge geschickt worden war.60 Ausserdem füge ich einen Vertrag für den geplanten Gedichtband61 bei Aurora bei. Wenn er Dir recht ist unterschreibe bitte die drei Kopien. Wo der Vorschuss erwähnt ist, setze bitte die Zahl ein, die Du wünsch[s]t, ich habe meinen Vorschlag mit Bleistift eingefügt. Und schicke alle drei Copie[n] zurück, damit Schoenhof unterschreiben kann. 60 Die Rede ist von dem Buchvertrieb Schoenhof ’s Foreign Books, Cambridge/Massachusetts. Die Anlage ist nicht überliefert. 61 Der seit längerem geplante Band Gedichte im Exil (vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f., dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938) kam nicht zustande. Der von Brecht und Herzfelde unterzeichnete Vertrag ist dokumentiert in BBA 583/22–24.

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Ausserdem füge ich einen Brief betreffend die Neuausgabe Deiner Werke bei, falls Dir der Inhalt recht ist schick’ mir bitte eine Kopie des Briefes gegengezeichnet zurück, und behalte das Original. Es haben sich in den letzten Tagen sehr günstige Dinge betreffend den Verkauf nach Europa entwickelt. Darüber nächstens mehr mündlich. Dir und Ruth viele Grüsse, Wieland Anlagen Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Aurora Verlag gegründet von: Ernst Bloch Bertolt Brecht Ferdinand Bruckner Alfred Doeblin Lion Feuchtwanger Oscar Maria Graf Wieland Herzfelde Heinrich Mann Berthold Viertel Ernst Waldinger F.C. Weiskopf Verlagsleitung: Wieland Herzfelde 10 West 23rd St., New York 10, N.Y., U.S.A. Telephon Gramercy 5–8250 – Generalauslieferung und Propaganda: Schoenhof’s Foreign Books, Inc. Paul Müller, Direktor Havard Sq., Cambridge 38, Mass., U.S.A. Telephon: Kirkland 1582; BBA 1183/23.

Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 18.3.1946

Apt. 11 G 37 East 64th Street New York 21, N.Y. March 18, 1946

Lieber Brecht, Da mir Kurt Reiss noch einmal die Kopien seiner Briefe an Sie geschickt hat, moechte ich sie Ihnen doch zukommen lassen. Vielleicht kennen Sie den Inhalt der Briefe schon, wenn man Ihnen die Post aus Hollywood nachgeschickt hat. Darf ich Sie bitten, mich anzurufen und mit mir eine Verabredung zu treffen, damit wir alles Naehere besprechen koennen. Herzlichst Ihre Lisl Frank. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1185/80.

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 21.3.1946 BASEL, DEN 21. März 1946 R/j BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Street, Santa Monica (California) Sehr verehrter Herr Brecht, Der italienische Verlag Rosa & Ballo Editori, Milano, Via Quintino Sella No. 2 möchte für nächstes Jahr das Aufführungsrecht von „Mutter Courage und ihre Kinder“ haben. Er ist bereit, einen Vorschuss zu zahlen. Ich bitte Sie freundlich, mir mitzuteilen, ob Sie uns das Verhandlungsrecht einräumen können.62 Mit den besten Empfehlungen Ihr ergebener Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/36.

62 Vgl. Reiss, 17.4.1946.

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Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 25.3.1946 Zurich 25. III 46 Lieber Bert! aus der Schweiz, wo ich mich für einige Tage aufhalte, will ich Dir, da es rascher zu gehen scheint, als aus Hamburg, Grüsse schicken. Hier gelangt man wenigstens zu den Quellen, was angenehm ist, während sie oben im Norden noch reichlich verstopft sind. Ich las Mutter C. und Der gute Mensch v. S. beides grossartige Stücke über die man reden müsste, da die Aufführungsformen nicht leicht gefunden werden können, leider bekam ich Galilei nicht in die Hand. Das Stück ist vergriffen – Immerhin es würde von deiner Seite vieles gemacht in den Jahren – dagegen steht der von mir gemachte nicht mehr, auch nicht erreichbar, da es verbrannt ist. Ich hoffe, daß Dich diese Zeilen erreichen – Mancher Brief an Dich kam als unbestellbar zurück, jedoch hoffe ich, daß der eine oder andere Dich wohlbehalten antrifft. Von Lückm. hört man, daß er als am. Offizier demnächst nach Deutschland kommt, was immerhin begrüssenswert ist. Dir rate ich höchstens auf einer Vergnügungsfahrt besonderer Art einmal Deutschland und das sterbende Europa zu besichtigen – Wie geht es den Deinen? und wie lebt ihr? Hoffentlich habt Ihr das täglich Notwendige, das ist schon wichtig um nicht allzu viel Zeit mit dem Besorgen dieser Dinge zu zu bringen – wie es bei uns steht, wo sich alles culminiert um das mittlere – Meine Hamburger Adresse wirst du haben sie ist nochmals – Hamburg Godefroystr. 8. Von dem Plan Skizzen nach New York zu schicken sagtest Du mir, ich bitte Dich aber mehr recht zeitig alles zu sagen. (Wünsche Deinerseits, Grösse der Bühne, Druck etc.) Merkwürdig der Frühling, den man seit langem ohne Tiefflieger und Bomben, wieder zu geniessen beginnt. Ich lese hier manchmal die Zeitung Aufbau und finde viel bekannte Namen – Deinen las ich nicht. Auch nicht Eisler und Weill – Wann werden wir uns sehen – Es heisst den Humor nicht verlieren – Bleibe gesund, nochmals sage ich dir, da ich lese, daß viele dort drüben auch in frühen Jahren nur Gras beissen – deshalb – Ich hof[f]e von Dir auf irgend eine weise zu hören – Dein Caspar Überlieferung: Ms, BBA 3154.

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Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 31.3.1946 Herbert Ihering Staffelweg 18

Berlin=Zehlendorf, den 31. März 1946

Lieber Brecht, der erste Brief,63 den ich wieder an meiner Schreibmaschine schreibe, nachdem ich fast ein Vierteljahr mit gebrochenem Oberschenkel in der Charité gelegen habe, geht an Sie. Ich habe von Suhrkamp gehört, daß Helene Weigel vielleicht nach Berlin kommen will, um „Mutter Courage“ zu spielen.64 Das wäre herrlich! Sie können sich nicht denken, mit welcher Begeisterung die Schauspieler des Deutschen Theaters „Mutter Courage“ und „Galileo Galilei“ gelesen haben und am liebsten jede Rolle darin spielen möchten. Jeder fühlt sich angesprochen und spürt, daß dies uns heute in Deutschland angeht, was man durchaus nicht von allen berühmten Stücken sagen kann, die von draußen jetzt zu uns kommen. Ich soll Sie vielmals von Gerda Müller, Wangenheim, Paul Bildt, Paul Wegener65 und Legal grüßen. Wangenheim will sofort eine Aufforderung an Helli Weigel richten, doch nach Berlin zu kommen und hier die „Mutter Courage“ zu spielen, am Deutschen Theater. Eine andere Besetzung, an die wir ursprünglich gedacht hatten, bevor wir wußten, daß Helli Weigel kommen wollte, ist damit natürlich hinfällig geworden. Lieber Brecht, wir würden uns unendlich freuen, Sie alle wiederzusehn! Meine Frau will an Helli noch besonders schreiben. Kaspar66 ist inzwischen, wie ich Ihnen, glaube ich, schon einmal schrieb, zu einem Brechtspezialisten nicht nur der „Hauspostille“ und der früheren Stücke herangewachsen. Man kann mit ihm kaum diskutieren, ohne daß er einen mit einem Zitat von Ihnen mattsetzt. Neulich wurde ein junger Schauspieler in einem Gespräch „zart“ genannt, worauf Kaspar frei aus „Mutter Courage“ antwortete: „Ja, er ist ein Hühnchen, aber wenn er hinfällt, erschlägt er ein Kalb!“67

63 Zu diesem Brief ist im Nachlaß von Herbert Ihering auch ein ähnlich lautender Entwurf überliefert (Kopie in BBA Z 2/163). 64 Vgl. B. an Suhrkamp, Ende 1945/Anfang 1946, GBA 29, S. 372f. 65 Paul Wegener (1874–1948), Schauspieler und erfolgreicher Filmregisseur der Weimarer Zeit. Während des Nationalsozialismus vor allem als Theaterschauspieler in Berlin tätig (u.a. bei Gustaf Gründgens). Obwohl er noch 1945 in Veit Harlans Propagandafilm Kolberg mitgespielt hatte, erteilten ihm die sowjetischen Behörden sogleich Auftrittserlaubnis. Zur Wiedereröffnung des Deutschen Theaters Berlin im September 1945 spielte er die Titelrolle in Lessings Nathan der Weise. 66 Herbert Iherings Sohn. 67 In der ersten Szene sagt der Werber der Armee zu Eilif, dem älteren Sohn der Mutter Courage: „Tritt einmal vor, laß dich anfühlen, ob du Muskeln hast oder ein Hühnchen bist. – Mutter Courage: Ein Hühnchen ist er. Wenn einer ihn streng anschaut, möcht er umfallen. – Der Werber: Und ein Kalb dabei erschlagen, wenn eins neben ihn stünd“ (GBA 6, S. 13).

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Wir haben daran gedacht, schon sehr bald „Galileo Galilei“ unter der Regie von Wangenheim herauszubringen, der von dem Stück hingerissen ist.68 Wir kennen alle nur die Schweizer Fassung,69 die uns aber ausgezeichnet erscheint, bis auf einige Längen. Können wir nicht doch diesen wunderbaren Text spielen (mit einigen Strichen), wenn die amerikanische Fassung70 uns nicht erreicht? Oder besteht noch Hoffnung, daß wir die Laughton=Fassung erhalten? Bei der Titelrolle hatten wir an den Schauspieler Walter Richter71 gedacht, einen modernen, kräftigen Darsteller, der von Stück und Rolle einfach überwältigt ist. (Er ist übrigens der Schwiegersohn von Carl Eberts!)72 Die Aufführungen von „Mutter Courage“ und „Galileo Galilei“ sind heute in Berlin keine Experimente mehr, sondern würden mit Jubel aufgenommen werden. Ich denke dabei nicht an das Beispiel der „Dreigroschenoper“,73 die trotz der skandalösen Fehlbesetzung mit Hubert von Meyerinck als Mackie Messer einen großen Erfolg hatte, sondern an Aufführungen, die wirklich verantwortungsvoll auf Sie und Ihre Intentionen eingehn. Aber wir haben dafür die Schauspieler. Ich verbürge mich dafür, daß ich Ihre Interessen vertreten werde. Mit herzlichsten Grüßen, auch von meiner Frau an Helli, Steff und Barbara Ihr HerbertIhering Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr.; AdK: Nachlaß Herbert Ihering 984 (Kopie: BBA 211/29).

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 1.4.1946 1.IV.46 Lieber Brecht, Der literarische Agent Max Pfeffer74, 45 West 45th Street, New York 19, N.Y. teilt uns mit Brief vom 23. März mit, dass sein Wiener Verlag und Bühnenvertrieb wieder arbeitet. 68 Vgl. Anm. zu Ihering, 24.10.1945. 69 Das Bühnenmanuskript der Züricher Uraufführung von 1943 mit dem Titel Galileo Galilei. 70 In Zusammenarbeit mit Charles Laughton, den er im März 1944 bei Salka Viertel kennengelernt hatte, erarbeitete Brecht eine amerikanische Bühnenfassung mit dem Titel Galileo (GBA 5, S. 117–186). Ein hektographiertes Manuskript erschien 1948 im Theaterverlag Reiss in Basel. 71 Walter Richter (1905–1985), Theater- und Filmschauspieler, seit 1941 auch am Deutschen Theater Berlin tätig. 72 Carl Ebert (1887–1980), Schauspieler und Regisseur, vormals Intendant der Deutschen Oper Berlin. Ging 1933 über die Schweiz ins Exil in die Türkei, später in die USA. 73 Vgl. Anm. zu Reiss, 26.9.1945. 74 Max Pfeffer (1884–?), österreichischer Theaterverleger. Ging 1938 ins Exil nach Paris, 1940 nach New York. Mit dessen Wiener Bühnenverlag nahm Brecht offenbar keinen Kontakt auf.

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Falls das für Dich von Interesse ist, setze Dich bitte mit Max Pfeffer in Verbindung, oder veranlasse Deinen Agenten, es zu tun. Herzlichen Gruss, Dein W P.S. – Sei doch bitte so gut, die Korrekturen Deiner beiden Beiträge zur „Morgenröte“75 bald zurückzuschicken, und auch die Kopie meines Briefes, betreffend Malik, sofern alles in Ordnung ist. Überlieferung: Ts, hs. U., AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/80).

Peter Suhrkamp an Bertolt Brecht Berlin, 3.4.1946 Suhrkamp Verlag vormals S. Fischer Verlag Berlin-Zehlendorf-West, Forststr. 27 Herrn Bert Brecht Santa Monica California 1063 - 26 th street

Den 3. April 1946 Su/Br.

Lieber Brecht, haben Sie vielen Dank für die Vollmacht, die mir Mr. Hogan übergab.76 Sagen Sie auch Ihrer Frau besten Dank für Ihre Sendung, die uns sehr willkommen war. Es wäre schön, wenn sich eine solche wiederholen liesse. Die Vollmacht hat nach zwei Seiten Differenzen ergeben, von denen ich Sie wenigsten[s] in Kenntnis setzen will, damit Sie unterrichtet sind, wenn die anderen Parteien an Sie herantreten. Einmal erhebt der Verlag Felix Bloch Erben, heute Die Drehbühne77 aus alten 75 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. Von Brecht erschienen darin das Gedicht An die deutschen Soldaten im Osten (GBA 15, S. 64–68) und die Erzählung Der Mantel des Ketzers (GBA 18, S. 374–382). 76 In einem bisher unveröffentlichten Brief vom 11.1.1946 (BBA 2883) hatte Brecht Suhrkamp eine Vollmacht zur Vertretung seiner literarischen Arbeiten in Deutschland übertragen (vgl. BCE, S. 53). Darin heißt es: „Ich bevollmächtige Sie, mich in allen kuenstlerischen, rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten zu vertreten, die mit Publikationen meiner literarischen Arbeiten in Deutschland zusammenhaengen. Jedoch bitte ich Sie, keinen Vertrag ohne meine Zustimmung abschliessen zu wollen.“ Dies bekräftigte er abermals vier Jahre später, als Suhrkamp sich vom S. Fischer Verlag trennte (vgl. B. an Suhrkamp, 21.5.1950, GBA 30, S. 26). 77 Vgl. Anm. zu Hogan, 1.11.1945.

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Verträgen, beispielsweise über die Dreigroschenoper, noch Ansprüche. Man möchte auf diese Weise Ihr Konto möglichst ausgleichen. Die Haltung der Militärregierung ist die, dass diese alten Verträge zu berücksichtigen sind. Deshalb habe ich mich mit dem Verlag Felix Bloch Erben dahin verständigt, dass Ihrer Weisung an mich entsprechend Aufführungen nur stattfinden dürfen, wenn Sie Ihre Zustimmung zur Textfassung, zu Regisseur und zu den Hauptdarstellern gegeben haben. Diese Zustimmung werde ich in jedem Falle von Ihnen einholen. Die Abrechnungen von Aufführungen, die unter die alten Verträge fallen, überlasse ich danach Bloch Erben. Dann besteht eine Differenz mit dem Reissverlag in Basel hinsichtlich Ihrer neuen Stücke, Mutter Courage und Galileo Galilei usw. Der Reiss-Verlag hat seine Vertretung für Deutschland dem Zinnen-Verlag Kurt Desch78 in München übertragen. Ich stelle mich gegenüber dem Zinnenverlag auf den Standpunkt, dass diese Uebertragung durch die Vollmacht an mich überholt ist. Das entspricht der Haltung der Militärregierung, die Geschäfte ausländischer Firmen in Deutschland verbietet. Sollten diese Dinge an Sie herangetragen werden, stellen Sie sich möglichst auf meine Seite. Die Nachfrage nach Ihren Stücken ist ausserordentlich lebhaft. Es kommen Anfragen selbst aus kleinen Städten in der Provinz. Von allen halte ich die Berliner, Dresdener und Münchner Theater für am beachtlichsten. Deshalb berichte ich Ihnen heute in erster Linie über diese: das Deutsche Theater in Berlin, Intendant Gustav von Wangenheim, bemüht sich wegen Mutter Courage und Galileo Galilei. Regie würde in beiden Fällen von Wangenheim selbst führen. Für Galileo Galilei wurde zuerst Horst Caspar in der Hauptrolle vorgeschlagen. Das habe ich abgelehnt. Für den Fall, dass er für Sie kein Begriff ist: er ist der ideale Schauspieler für den Ferdinand in Kabale und Liebe79, Max Piccolomini80, den Prinzen von Homburg81 und er kann vielleicht einmal den Hamlet spielen. Danach wurde Walter Richter in Vorschlag gebracht. Nach Verständigung mit Curt Riess lehnte ich auch diese Besetzung ab. Die ideale Besetzung wäre Werner Krauss. Er darf aber im Augenblick nicht auftreten. Es sollte versucht werden, ihm das Auftreten für diese Aufführung zu ermöglichen. Sonst sehe ich keinen guten Darsteller für diese Rolle. Für die Mutter Courage im Deutschen Theater sah man zuerst die Körner vor.82 Das geht natürlich nicht. Dafür kommen in der Hauptsache zwei Darsteller in Betracht: die Ghiese83 aus Zürich und die Weigel. Das Deutsche Theater ist jetzt einverstanden, dass die Weigel als Gast kommt. Der entsprechende Antrag soll jetzt gestellt werden. Bitte, teilen Sie mir doch mit, ob die Weigel bereit ist, im Herbst dazu herüber zu kommen. Und wenn 78 Mit dem Verleger Kurt Desch (1903–1984), der den Zinnen-Verlag in München übernommen hatte, schloß Brecht selbst später Verträge ab, u.a. über eine Neuausgabe des Dreigroschenromans. 79 Kabale und Liebe (1783), Drama von Friedrich Schiller. 80 Figur aus Schillers Wallenstein-Trilogie (1797/99). 81 Titelfigur aus Heinrich von Kleists Dramas Prinz Friedrich von Homburg (1809). 82 Vgl. Anm. zu Ihering, 29.12.1945. 83 Therese Giehse.

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das nicht sein kann, ob Sie dann einverstanden sind, dass die Ghiese in der Rolle gastiert, wozu sie bestimmt bereit wäre. Für Mutter Courage müssen Sie mir angeben, ob Sie einverstanden sind, dass die Schweizer Fassung hier gespielt wird. Für Galileo Galilei brauchte ich jetzt dringend die letzte Textfassung, von der Sie zuletzt schrieben, dass sie für Deutschland vervielfältigt würde.84 Sie können mir die Manuskripte gewiss über Mr. Hogan zuleiten. Es wäre wichtig, dass ich auf demselben Wege Manuskripte von „Der gute Mensch von Sezuan“, „Die Gewehre der Frau Carrar“ und „Rechtsfindung 1934“ sowie überhaupt von allen Stücken der letzten Zeit erhielte. Das Hebbel-Theater wird von Karl Heinz Martin geleitet. Er hat den modernsten Spielplan und wird von der amerikanischen Besatzungsbehörde sehr unterstützt. Er spielte beispielsweise „Leuchtfeuer“85 von Robert Ardrey und gegenwärtig ist ein neuer Georg Kayser auf dem Spielplan.86 Vorgesehen sind von Thornton Wilder „Wir sind noch einmal davongekommen“87 und von T. S. Eliot „Mord im Dom“.88 Dort kam auch als erste Aufführung 1945 Ihre Dreigroschenoper.89 Vom Hebbel-Theater ist Interesse angemeldet für „Der gute Mensch von Sezuan“, „Die Gewehre der Frau Carrar“ und „Jasager“.90 Die Regie würde Karl Heinz Martin führen. Da die Aufführungen in der nächsten Spielzeit geplant sind, ist über die Besetzung der Hauptrollen noch keine Entscheidung gefallen. Hier wäre also im Moment nur wichtig, dass mir Exemplare mit den von Ihnen genehmigten Texten zugestellt würden. Von München aus findet ein Wettrennen zwischen dem Bayerischen Staatstheater, Intendant Paul Verhoeven91, und den Münchner Kammerspielen, Leitung Erich Engel, statt. Ich habe einen Vertrag über Mutter Courage mit den Kammerspielen, der vom ZinnenVerlag abgeschlossen war, zunächst anerkannt. Wenn Frau Weigel im Herbst nach hier kommen sollte, würde sie also anschliessend an Berlin in den Münchner Kammerspielen die Mutter Courage spielen können.92 84 Vgl. B. an Suhrkamp, Ende 1945/Anfang 1946, GBA 29, S. 372f. 85 Thunder Rock (1939), Drama des amerikanischen Schriftstellers Robert Ardrey (1908–1980). Die deutsche Premiere im Berliner Hebbel-Theater fand am 6.11.1945 statt (Regie: Karl Heinz Martin). 86 Der Soldat Tanaka (1940) von Georg Kaiser feierte ebendort am 13.2.1946 Premiere (Regie: Willi Schmidt). 87 The Skin of Our Teeth (1943), Drama von Thornton Wilder. Premiere im Hebbel-Theater am 5.7.1946 (Regie: Karl-Heinz Stroux). 88 Murder in the Cathedral (1935), Drama des amerikanischen Schriftstellers T.S. Eliot (1888–1965). Die deutschsprachige Premiere fand erst im Juni 1947 im Schauspielhaus Zürich statt (Regie: Leonard Steckel). Im Oktober desselben Jahres wurde das Stück im Stadttheater Göttingen gespielt. 89 Vgl. Anm. zu Reiss, 26.9.1945. 90 Keines dieser Stücke wurde damals im Hebbel-Theater gespielt. Der Intendant Karl Heinz Martin starb nach langer Krankheit im Januar 1948. 91 Der Schauspieler und Regisseur Paul Verhoeven (1901–1975) war von 1945 bis 1948 Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels. 92 Mutter Courage wurde in den Münchener Kammerspielen unter Brechts Regie – nach dem „Berliner Modell“ (vgl. BC, S. 881) – am 8.10.1950 aufgeführt. Die Titelrolle spielte Therese Giehse.

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Dem Bayerischen Staatstheater habe ich eine Option auf Galileo Galilei zugestanden. Die Vorschläge für Regie und Besetzung erwarte ich von dort noch. Nach Eingang werde ich Sie sofort davon verständigen. Ueber der gute Mensch von Sezuan erbitten sowohl das Bayerische Staatstheater wie auch die Münchner Kammerspiele Vertrag. Ich schlage vor, zunächst die Aufführungen von Mutter Courage und Galileo Galilei abzuwarten. Von Dresden aus und zwar von den Bühnen der Landeshauptstadt, wird nach „Rechtsfindung 1933“ [sic] und dem „Spitzel“93 für eine Kulturwoche „Besinnen und Beginnen“ gefragt. Von allen anderen Anfragen will ich hier nur noch eine aus Stuttgart vom dortigen Landestheater erwähnen, hauptsächlich weil dort K.H. Ruppel94, der Ihnen vielleicht noch von der Kölnischen Zeitung her ein Begriff ist, als Oberregisseur tätig ist. Diese Anfrage ist deshalb besonders ernst zu nehmen. Bitte, teilen Sie mir bald Ihre Stellungnahme mit, vor allem aber schicken Sie mir bald die Bücher. Meine Situation gegenüber den Theatern ist nicht gut, solange ich Ihnen die genehmigten Texte nicht zur Kenntnis geben kann. Überlieferung: TsD, Archiv der Peter Suhkamp Stiftung, Frankfurt/M.

Phil Berg95 an Bertolt Brecht Beverly Hills, 16.4.1946 April 16, 1946 Mr. Bertolt Brecht 124 East Fifty-Seventh Street New York, New York My dear Brecht: Saturday I lunched with Orson Welles and proposed to him that he direct and co-produce.96 I told him that I had interested Harry Goetz97 who had offered to finance the play and that if he was agreeable, Goetz would handle the front of the house. 93 Rechtsfindung 1934 und Der Spitzel: Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches. 94 Der Theaterkritiker Karl Heinz Ruppel (1900–1980), vormals für die Kölnische Zeitung tätig, war inzwischen Schauspieldirektor des Staatstheaters Stuttgart. 95 Der amerikanische Theateragent Phil Berg vermittelte in Vertragsangelegenheiten zwischen Brecht und Charles Laughton, die Inszenierung des Galileo betreffend. 96 Der amerikanische Regisseur und Schauspieler Orson Welles (1915–1985) wollte Galileo in seinem Mercury Theatre in New York inszenieren (vgl. dazu die Journaleinträge vom 10.12. und 17.12.1945, GBA 27, S. 236–239). Das Vorhaben kam nicht zustande. 97 Möglicherweise der amerikanische Filmproduzent Harry M. Goetz (1888–1978).

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After an hour of discussion, Welles said that he believed he would agree to this, but would wire me. Accordingly, I have just received a wire in which he says that he is opening discussions with Goetz. Hence, I have wired Goetz and hope to know the outcome on this within the next few days. I do hope that it materializes as time grows short and this would be a perfect solution and would still retain Welles. I told Audrey Wood98 all about it in a letter, so as soon as we have additional information, I will advise. In the meantime, I am tentatively trying to line up another director for your approval with Charlie Laughton – – just in case. Charlie sends his regards. Best regards to you, PHIL BERG Überlieferung: Ts hs. U., Bv.: Phil Berg-Bert Allenberg Inc. 121 South Beverly Drive Beverly Hills, California Cable Address „Philberg“ Western Union Code Telephone Crestview 6 3131; BBA 1185/84.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 17.4.1946 17.IV.46 Herrn Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York City Lieber Bertolt, Mr. Cohn, c/o Van Ditmar’s Boeken-Import, Singel 90, Amsterdam C, hat inzwischen Furcht und Elend bekommen und schreibt mir nun, dass er von Dir, bzw. Deinem Agenten, nichts gehört hat. Er fragt an, ob er die Aufführungsrechte in Holland anbieten kann, und wenn ja, zu welchen Bedingungen. Bitte, lass mich wissen, was ich antworten soll. Ich wäre Dir auch dankbar, wenn Du mir die Kopie des Briefes betreffend Malik unterschrieben zurückschicken würdest.99 Oder hast du irgendwelche Abänderungsvorschläge zu machen? Dann wäre es gut, wenn wir das erledigten, so lange Du hier bist. Herzlichst, Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/81).

98 Audrey Wood (1905–1986), amerikanische Bühnenagentin, vertrat Brechts literarische Rechte in den USA. 99 Vgl. Herzfelde, 15.3.1946.

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 17.4.1946 BASEL, DEN 17. April 1946 R/j BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , New-York City N.Y. 22 124 East 57th Street Lieber Herr Brecht, Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben100 und für die Ueberlassung der Abschlussvollmacht mit dem Verlag Rosa & Ballo, Milano für „Mutter Courage und ihre Kinder“. Ihrem Wunsch, Ihrer Tochter Hanne in Wien Lebensmittelpakete zuzusenden, komme ich gerne nach, soweit es die Bestimmungen erlauben. Die Bodensee-Bühnen, Stadttheater Konstanz, wenden sich an uns mit der Bitte um Autorisation der Aufführung von „Mutter Courage“. Vom 1. bis 11. Juni ds. Js. findet in Konstanz eine europäische Kulturwoche statt. Die Veranstaltung trägt internationalen Charakter und soll zugleich eine Kultur-Demonstration der französischen Besatzungsmacht sein. U.a. finden Konzerte der Münchener Philharmoniker statt, ferner internationale Ausstellungen von Gemälden und Plastiken Deutschlands, Frankreichs, Englands, Russlands u.s.w., Gastspiele der „Comédie française“, Schweizer Kammermusikveranstaltungen, deutsche Dichterlesungen u.s.w. Das Stadttheater Konstanz unter der Leitung des Intendanten Horst van Diemen101, wird einen hervorragenden Anteil an dieser europäischen Kulturwoche haben. Dem Ensemble gehört eine Reihe bekannter Namen an, wie z.B. Lina Carstens102, Joh. Riemann103, Wolfgang Engels104, etc. Als Höhepunkt des Spielplanes ist eine Aufführung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ geplant, für die Lina Carstens tatsächlich eine ausserordentlich gute Vertreterin

100 Nicht überliefert. 101 Horst van Diemen war bald darauf als Schauspieldirektor des Staatstheaters Dresden tätig, wo er ebenfalls eine Aufführung der Mutter Courage plante. Vgl. Leiner, 29.1.1948. 102 Lina Carstens (1892–1972), Theater- und Filmschauspielerin. 103 Johannes Riemann (1888–1959), Schauspieler und Regisseur, vormals Mitglied der NSDAP und „Staatsschauspieler“. 104 Wolfgang Engels (1908–1983), Schauspieler und Regisseur, ab 1945 Intendant des Stadttheaters Konstanz.

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der Titelrolle wäre.105 Da zu der Kulturtagung bedeutende Journalisten in Konstanz vereinigt sind, wird der Wirkung des Werkes sicher eine grosse Resonnanz [sic] verliehen sein. Die Regie des Werkes soll der Oberspielleiter Wolfgang Engels übernehmen, der früher Mitglied des Staatstheaters Berlin und Oberspielleiter des Bremer Schauspielhauses war. Ich bitte Sie freundlich, mir umgehend mitzuteilen, ob Sie mich autorisieren, mit der Konstanzer Bühne den Vertrag für „Mutter Courage“ abzuschliessen. Mit den besten Grüssen Ihr ergebener Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/38.

Eric Bentley an Elisabeth Hauptmann Minneapolis, 21.4.[1946] April 21 Dear Mrs. Hauptmann:106 I have just signed an agreement with Reynal & Hitchcock which will enable me to bring out Brecht’s plays in English. The agreement states: “You agree to confer with and consult Mr Brecht and his representative, Miss Hauptmann, and in so far as possible to act in accordance with their wishes.” Fine! My immediate task is to get out one volume of plays which can be published next autumn. I would propose to make up a volume of the following four plays: – 1. Dreigroschenoper in a translation by Desmond Vesey. The only copy in America (it belongs to me) is not at the Reynal office in New York where you may 105 Die deutsche Erstaufführung der Mutter Courage, mit Lina Carstens in der Titelrolle, fand am 2.6.1946 an den Bodensee-Bühnen in Konstanz statt. Regie führte Wolfgang Engels. Vgl. dazu Frank, 19.9.1946 106 Am 20.4.1965 erhielt Helene Weigel von Elisabeth Hauptmann ein Konvolut von Briefen mit der Erläuterung: „Liebe Helli, hier ist etwas Bentley-Korrespondenz. […] Im Frühjahr 1946 zog mich Brecht in vorher mit Bentley entrierte Verhandlungen mit einem New Yorker Verlag (Reynal & Hitchcock, Inc.) wegen einer Buchausgabe von Stücken hinein. Brecht wollte mich einschalten, 1., weil ihm wahrscheinlich die Korrespondenz zu langweilig war, 2., weil er eine Kontrolle über Bentley haben wollte und eine Vertretung seiner, d.h. Brechts Interessen. Aus diesem Projekt wurde dann später nichts. Ich ging dann auch im Herbst 1946 von New York weg. Die Korrespondenz bezieht sich auch auf meine Mitarbeit an der Bearbeitung der ‚Duchess of Malfi‘, für die ich, da ich damals sehr wenig Geld hatte, von Zinner 100 Dollar haben wollte, die ich aber erst sehr spät bekam“ (EHA 215). Vgl. B. an Bentley, 27.2.1946, GBA 29, S. 377–379.

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see it. It seems to me very good. You will recall that Mr Vesey also translated the Dreigroschenroman. 2. Die heilige Johanna der S., tr. by Frank Jones.107 Also a good job. I havent a copy of it right now, but can get one for you. 3.

The Caucasian Circle of Chalk. Auden and Stern.108

4. Galileo. When I spoke to Brecht about this last summer he said that he will use Laughton’s translation on the stage but that Vesey’s version would probably be better for the press. I agree. Vesey’s version (me copy) is also at the Reynal office. Will you look at it. It is a very careful and very readable translation. I chose the above four plays because Brecht especially wanted the last two and because none of the four has ever been printed in English. The first two give a very good idea of two earlier styles of epic theatre. I think the best idea would be for you to let me know at once what you think of my plan. Would also visit the Reynal office and see Harry Ford109 there. Show him this letter, and ask to see the two Vesey translations. I will ask Jones to send you his Saint Joan of the Stockyards. You don’t need to see the Circle of Chalk, do you, since Brecht has already seen it? If you can help me through with this business I can soon get to write what the contract demands: “A general introduction and such necessary introductions to each play and notes thereon as may seem necessary.” Incidentally I must urge you to send the Vesey translations on to me as soon as you have finished with them. Also the Jones and (if you have it) the Circle. I have none of these. A more general point: I do not have here an adequate supply of B’s works in German. I’ve asked Reynal and H.110 to send me more. Can you help them? I have only a borrowed copy of the vol. Werke, and I must also try to find all the plays not in these. Conspiciously I need German versions of: Galileo, Johanna, Kreidekreis (Stern has my copy). I do have Der gute Mensch von Sezuan. 107 St. Joan of the Stockyards, erschienen in From the Modern Repertoire, hrsg. v. Eric Bentley, Bloomington/Indiana 1956. 108 Wystan Hugh Auden (1907–1973), englischer Schriftsteller, seit 1939 in den USA. Brecht hatte ihn bereits 1944 zur Übersetzung der Duchess of Malfi zu Rate gezogen (vgl. Anm. zu Elmo, 11.2.1944). Der amerikanische Übersetzer James Stern hatte 1944 eine „Blitzübertragung“ des Kaukasischen Kreidekreises angefertigt (vgl. B. an Stern, 13.12.1944, GBA 29, S. 340). Die hier erwähnte, von Auden redigierte Fassung erschien zuerst in Parables for the Theatre, hrsg. v. Eric und Maja Bentley, Minneapolis 1948. 109 Amerikanischer Literaturagent. 110 Reynal and Hitchcock.

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For the sake of my general introduction about Brecht I w[oul]d like to get his two earlier volumes of poems: Hauspostille and Lieder Choere Gedichte111. I have the Svendborg poems. Last, I need the early plays: Trommeln, Lindberg, Baal, Im Dickicht. Well, do what you can and good luck to us all! Sincerely Eric Bentley p.s. This is none of my business but confidentially let me tell you that the translations by Hays in the current issue of ACCENT are bad. Just compare his version of Der Mensch lebt durch den Kopf 112 with Isherwood’s or Vesey’s and you’ll see what I mean. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: University of Minnesota College of Science, Literature, and the Arts Minneapolis 14 (hs. Korr.: „519 Essex S.E. Minneapolis 14. Minn.“; BBA 2200/13-15.

Alfred Kantorowicz an den Aurora-Verlag New York, 28.4.1946 Alfred Kantorowicz 72 West 102 Street New York 25, N.Y. 28 April 1946 AURORA VERLAG Herren: Ernst Bloch; Bertolt Brecht; Ferdinand Bruckner; Lion Feuchtwanger; Oscar Maria Graf; Wieland Herzfelde; Heinrich Mann; Berthold Viertel; Ernst Waldinger; F. C. Weiskopf. --------------------------------------------------------------------------------------------

111 Richtig: Lieder Gedichte Chöre. 112 Erste Zeile des Lieds von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens aus der Dreigroschenoper (GBA 2, S. 291). Die erwähnte Übersetzung von Hoffman R. Hays konnte nicht ermittelt werden. Die Dreigroschenoper übertrug Desmond Vesey ins Englische (Christopher Isherwood war an der Übersetzung des Dreigroschenromans beteiligt). Eine von Bentley revidierte Fassung erschien in The Modern Theatre, Bd. 1, hrsg. v. Eric Bentley, New York 1955.

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Geehrte Herren, in diesem Sommer jaehrt sich der Begin[n] des Hitlerkrieges in Spanien (und das ist der Begin[n] des zweiten Weltkrieges schlechthin) zum zehnten Male. Im Herbst wird man dann des Einsatzes der Internationalen Brigaden gedenken. Das allgemeine Interesse am Problem der Etablierung des spanischen Faschismus durch Hitler wird wohl unvermindert, wahrscheinlich sogar noch gesteigert sein in den Monaten vor uns. Ich erlaube mir, Sie anzufragen, ob Sie den Druck meines Madrider Tagebuch in Erwaegung ziehen wuerden.113 Es ist ein in sich geschlossener kleiner Teil einer groesseren Arbeit, knapp hundert Schreibmaschinenseiten, ein in einfacher Sprache geschriebener Bericht vom Wesentlichen der Verteidigung Madrids durch die Madrider und die Bataillone der 11 Brigade International. Ich darf sagen, dass der Bericht sowohl historisches wie sehr aktuelles Interesse hat. Einige von Ihnen kennen wohl Teile aus der Arbeit, die ich einmal in Paris und einmal hier las und deren kurze erste Rohfassung in Englisch von New Writing veroeffentlicht worden ist. Das Manuscript steht Ihnen jederzeit zur Verfuegung. Ich bitte Sie um baldigen Bescheid. Mit freundlichen Gruessen Ihr Überlieferung: Ts, Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Los Angeles (Kopie: BBA Z 5/4).

Frank Jones an Elisabeth Hauptmann New Haven, 29.4.1946

Mrs. E. Hauptmann 243 Riverside Drive New York 25, N.Y.

2004 Yale Station New Haven, Conn. April 29, 1946

Dear Mrs Hauptmann: Mr Eric Bentley has asked me to send you the version which I made in 1941 of Bertolt Brecht’s “Die Heilige Johanna der Schlachthoefe.”114 I have recently revised it and, I hope, 113 Alfred Kantorowicz’ Spanisches Tagebuch (in späteren Auflagen: Spanisches Kriegstagebuch) erschien 1948 im Berliner Aufbau-Verlag. Kantorowicz hatte als Presseoffizier der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen. 114 Vgl. Anm. zu Bentley an Hauptmann, 21.4.1946.

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corrected it sufficiently to meet with your and Mr Brecht’s approval. Please send it back to Mr Bentley when you are through with it, along with any comments you wish to make. If you have any correspondence with Mr Brecht on this subject I would appreciate it if you would remember me to him. I met him shortly before entering the army, from which I emerged a few months ago. Sincerely yours, Frank Jones Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 2200/16.

Kurt Pinthus an Bertolt Brecht Washington, 2.5.1946 Kurt Pinthus

514 B Street, S.E. Washington 3, D.C. May 2, 1946

Lieber Bertolt Brecht, ich habe mich sehr gefreut, Sie neulich nach so vielen Jahren wieder zu sehen und Ihnen zu sagen, dass ich schon fast vor 10 Jahren in New York ueber Ihre Werke Vorlesungen gehalten habe. Wir wurden dann getrennt, und ich weiss nicht, ob ich Sie gebeten habe, mir fuer das Buch „Deutsche Literatur im Exil“115, das Weiskopf und ich bei Aurora herausgeben, mir ein Verzeichnis Ihrer seit 1933 geschriebenen, besonders der ungedruckten Stuecke zu geben. Ich hatte auch vor kurzem noch einmal an Weiskopf geschrieben, Sie telefonisch zu bitten, uns das Material zu geben. Sie wissen vielleicht, dass ich seit einigen Jahren in Washington lebe, sonst haette ich mich wieder bei Ihnen gemeldet. Nun schreibt mir Herzfelde Ihre Adresse, und ich moechte Sie noch einmal herzlich bitten, mir ein Verzeichnis aller Ihrer gedruckten und ungedruckten Stuecke zu schicken, moeglichst mit Jahreszahl der Entstehung und kurzer Themenangabe. Noch besser waere es natuerlich, wenn ich diese Stuecke oder wenigstens einige, selber sehen koennte. Koennen Sie nicht an Herzfelde Kopien fuer mich geben? Selbstverstaendlich wuerde ich die Manuskripte in kuerzester Zeit zurueckgeben. Ferner, koennten Sie mir ein Verzeichnis geben, welche Ihrer Stuecke seit 1933 in welchen Staedten und in welchen Sprachen aufgefuehrt wurden? Das ist ja gerade eins der Hauptmotive unseres Buches: zu beweisen, dass trotz Vernichtung unserer Schriften in Deutschland und trotz Exil und Wanderung und trotz des Nichtgedrucktseins die Exilsliteratur [sic] gelebt und gewirkt hat. Es ist gerade meine Aufgabe, in einem Kapitel ueber 115 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945.

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die ungedruckten Stuecke und besonders ueber die aufgefuehrten ungedruckten Stuecke zu sprechen, und Sie sind in meinem Urteil nicht nur der bedeutendste Dramatiker im Exil, sondern auch das staerkste Beispiel fuer die internationale Wirkung der unpublizierten Dramatik. Ich weiss, dass in vielen Staedten vieler Laender viele Ihrer Stuecke seit 1933 gespielt wurden, aber ausser aus der Schweiz habe ich keine praezisen Antworten erhalten koennen. Bitte erleichtern Sie mir die schwierige Arbeit – Herzfelde draengt zum Abschluss des Buches – und schicken Sie mir recht bald das Material, das ich brauche, oder geben oder diktieren Sie es Herzfelde oder Weiskopf. Ich wiederhole, um was ich Sie bitte ist: 1) ein vollstaendiges Verzeichnis Ihrer seit 1933 geschriebenen gedruckten und ungedruckten Stuecke mit Angabe des Entstehungsjahres, und moeglichst mit Angabe der Themen. 2) Angaben in welchen Staedten seit 1933 Ihre Stuecke, besonders die ungedruckten, gespielt wurden, und welche Stuecke das waren; es kommen natuerlich auch „nichtprofessionelle“ Auffuehrungen in Betracht. 3) Wenn moeglich die Manuskripte der Stuecke selbst. Je eher Sie mir das Material schicken koennen, um so lieber waere es mir. Ich hoffe, die alten und die neuen Stuecke bald in einer Gesamtausgabe zu sehen. In alter Verehrung Ihr Überlieferung: Ts, Deutsches Literaturarchiv Marbach (Kopie: BBA E 13/206–207).

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 15.5.1946 243 Riverside Drive, New York 25, N.Y., den 15. Mai 1946 Lieber Brecht: ich sprach mit Erskine und Ford, die beide auf schnelle Vorbereitung des 1. Bandes drängten, da das Drucken bei den heutigen Verhältnissen 4-5 Monate dauern [kann].116 Das heißt, wenn der 1. Band in Manuscriptform im August vorliegt, kann er etwa im Januar herauskommen. Sollte Galileo vorher aufgeführt werden und ein Erfolg sein, könnten doch R & H es machen, wie Kiepenheuer es mit den Songs117 machte, von denen er gleich mal 25000 Exemplare in billiger Form druckte, ohne dass es den Versuchen schadete. 116 Vgl. Anm. zu Bentley an Hauptmann, 21.4.1946. 117 Die Songs der Dreigroschenoper.

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Johanna habe ich Ihnen für den 1. Band wohl ausgeredet, aber jetzt meinen sie, man solle die DGO118 für den 2. Band zurückhalten, da man ja eine Attraktion, die zumindesten [sic] vielen Leuten hier bekannt ist, für diesen Band haben müsse. Ich finde das nicht. Ich würde dagegen den Verlag überreden, die Noten der wichtigsten Songs mit in den 1. Band zu nehmen, wenn Weill das erlaubt. Sehr schnell muss der Verlag ueber den Übersetzer-Status des Kreidekreises Bescheid haben. In Bezug auf meine Hilfe, da war der Verlag folgender Ansicht: meine Arbeit sei ausschliesslich das Durchsehen der Uebersetzungen und das bedeutet, dass ich mit Korrespondenz irgendwelcher Art nicht belastet würde, denn dann fänden sie, wäre 100 Doll. zu wenig. Da ich einmal 100 Doll. gesagt hatte, habe ich das nicht geändert. Dagegen habe ich dem Verlag erklärt, warum Sie mich eingeschaltet haben: nämlich um die Ausgab[en] möglichst so herauszukriegen, dass sie Ihren Vorstellungen von einer so repräsentativen Veröffentlichung entspricht, und dass man also zu allen Teilen der Ausgabe einschließl. der Bentleyschen general introduction Ihr O.K. braucht, das evtl. ich beschaffen bwz. liefern kann. Da ich jetzt die seinerzeit von Ihnen aufgesetzten Punkte an Bentley schicke, kann Ihnen nichts passieren, selbst wenn mein eigener Status vage ist. Ein „credit“ in der Form eines Satzes wie „mit Hilfe von usw.“ interessiert mich nicht, habe ich nach nochmaligem Nachdenken dem Verlag gesagt. Er nützt nichts so, aber auf eine andere Formulierung kann ich beim besten Wille[n] keinen Anspruch erheben. Es ist nun mal so. Zerbrechen Sie sich auch nic[ht] den Kopf mehr darüber. Was immer ich tue, ist meine Verantwortung. Ich ka[nn] also auch auf eine Sache draufzahlen. (Als ich seinerzeit 8 Tage lang an der Reparatur der Kreymborgschen Uebersetzung119 arbeitete – sie war nicht reparierbar aus vielen Gründen – habe ich das hergeschenkt, ich habe Vier[tels] Aufsatz120 ueber Sie roh uebersetzt, etwa 15 sehr schwere Seiten, auch das konnte ich – Herschenken ist einfacher für mich als mit einzelnen Mensch[en] um Geld zu handeln. Wenn die Zeit kommt, wo ich nichts mehr herschenken kann, dann kann man mich begraben. Vielleicht ist es nicht mehr lang bis dahin.) Zusammenfassung: Ich brauche gelegentlich Antwort wegen Uebersetzung Kreidekreis und Dreigroschenoper evtl. mit Noten im 1. Band

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Noch dies: Ich hatte doch an Czinner (auf Ihre Veranlassung) noch mal e[in] statement geschickt über die Zeit vom 23. März bis 30. April (für die Zeit vom Anfang Februar bis 118 Dreigroschenoper. 119 Kreymborgs Übersetzung des Schweyk. Vgl. Piscator, 24.9.1943. 120 Möglicherweise Berthold Viertels Aufsatz „Bertolt Brecht and Writing the Truth“, der 1948 in einem Doppelheft der Zeitschrift Twice a Year zusammen mit einer englischen Übersetzung der Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit sowie einigen Gedichten Brechts erschien. Die erwähnte Rohübersetzung konnte nicht ermittelt werden.

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23. März war alles erledigt) und 125 Doll. aufgesc[hrie]ben.121 Ich habe aber nichts seitdem gehört, und es sind ueber 14 Tage her. Es ist nicht so sehr das Geld, das ich brauche, als das sehr schlechte Gefühl, dass meine Forderung als nicht gerechtfertigt angesehen wird. Aber wenn ich schon ein statement mache, dann kann ich pro Stunde „Zeitverlust“ nicht weniger verlangen als für eine Privatstunde Deutsch. Im Grunde mach[t] es mir auch heute nichts mehr aus, was Czinner von mir und der Forderung hält. Nur: ich kann etwas herschenken und dann kann ich nicht fordern; wenn ich aber fordere und noch dazu für reine Schreibkraft, dann muss ich auf Bezahlung bestehen. Vielleicht ist er nur verreist. Überlieferung: Ts (Fragment), EHA 245.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] 25.5.1946

5: 25: ’46

Dear Brecht: I haven’t altogether deciphered your chicken tracks, and in consequent consideration am typing this, because only my handwriting can possibly be more obscure than yours. I send the first page of Scene II also,122 because on back is a note in your hieroglyphics. Please tell Laughton that the reason, aside from my belief in the play, I went through it as I did, was not in criticism of his translation, but in sincere admiration of it. I had already spoken to M. Czamska about Reuss, and her facts are somewhat at variance with the article you sent me, for which thanks.123 If you recall any bits about the Stalin pipe-smoking during the May Day parade, please send. Love to all, and remind Helly and Steff to write – – and that Barbara also. Be seeing you Überlieferung: Ts, Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable-Adress • Hochelsea • New York, Large and Sound • Proof Rooms, Melvin Jackson (Kopie: BBA E 18/53). – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 186. 121 Die Forderung bezog sich auf Elisabeth Hauptmanns Mitarbeit an einer von Paul Czinner produzierten Inszenierung der Duchess of Malfi. Vgl. B. an Hauptmann, 28.5.1946, GBA 29, S. 380f.; dazu die Anm. zu Elmo, 11.2.1944. 122 Die Rede ist von Galileo. Vgl. B. an Reyher, Ende Mai 1946, GBA 29, S. 382. 123 Brecht hatte sich nach dem Verbleib des österreichischen Schauspielers und Regisseurs Leo Reuss (1891–1946) erkundigt, der 1931 in Berlin in Mann ist Mann aufgetreten war. Reuss hatte seit 1937 unter dem Namen Lionel Royce in zahlreichen Hollywoodfilmen mitgespielt und war im April 1946 auf den Philippinen verstorben. Reyher hatte die ebenfalls in die USA exilierte Schauspielerin Maria Czamska darüber befragt.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 27.5.1946 243 Riverside Dr. N.Y. 25, N.Y. May 27, 1946 Lieber Brecht, ich habe Ihnen ein pa[a]rmal kurz, bekuemmert, ausfuehrlich, erbittert und resigniert geschrieben. Und nichts darauf gehoert. Das ist in Ordnung, wenn sich Bentley inzwischen mit Ihnen ins Benehmen gesetzt hat wegen des einfuehrenden Artikels.124 Darum hatte ich ihn gebeten, nachdem ich ihm alle ihre Wuensche aufgezaehlt hatte. Inzwischen habe ich ihm allerhand schicken muessen; er hat auch den Anfang der Dreigroschenoper (Veseys Uebersetzung), in dem doch ein paar grosse Mis[s]verstaendnisse und ein paar arge langweilige Sachen sind. Ich muss alle Notizen auf einen extra Zettel schreiben und das dauert entsetzlich lange. Am schwersten war die 1. Bal[l]ade von M.M. und Peachums Morgengebet. – Georg Herzfelde hat seine Uebersetzung am 31. Mai fertig.125 – Ich schlage noch einmal Mutter Courage statt Kreidekreis vor, weil ich nicht sehen kann, wer den bearbeiten soll hier. Das mag Sie alles interessieren oder nicht. Falls Sie an Czinner wegen d. Geldes geschrieben haben, vielen Dank.126 Frau Roth127 rief mich heute deswegen an. Gleichzeitig bat sie um schleunige Beschaffung der Brechtschen Fassung der Malfi, das heisst die Fassung, die dieser letzten unmittelbar vorausging. Ich sagte ihr, ich wuerde es Ihnen schreiben das waere alles, ihre Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Notizen auf der Rückseite; BBA 2200/17–18.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 3.6.1946 BASEL, DEN 3. Juni 1946 R/j BÄUMLEINGASSE 4

124 Vgl. B. an Bentley, August 1946, GBA 29, S. 396–399. 125 Wieland Herzfeldes Sohn Georg sollte Die Ausnahme und die Regel übersetzen. Vgl. Hauptmann, 12.6.1946. 126 Vgl. Hauptmann, 15.5.1946. 127 Sekretärin von Paul Czinner.

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BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Street, Santa Monica (California) Sehr verehrter Herr Brecht, Beiliegend übersende ich Ihnen Abschrift eines Schreibens der LA N E F Editions Albin Michel128, Paris, zur gefl. Kenntnisnahme gleichzeitig auch Kopie eines Schreibens von Herrn L. Besson129, Thalwil betr. „Der gute Mensch von Sezuan“. Ich habe den beiden Interessenten mitgeteilt, dass ich mich mit Ihnen in der Angelegenheit in Verbindung gesetzt habe und vor einer definitiven Zusage Ihre Zustimmung erwarte. Ferner erhalten Sie beigeschlossen Kopie eines Schreibens des Schauspielhaus Zürich in der Angelegenheit „Dreigroschenoper“. Frau Liesl Frank 130 ist inzwischen hier eingetroffen, und ich bin enttäuscht, dass Sie das Ihrerseits schon lange angekündigte Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ nicht mitgebracht hat. Darf ich Sie freundlich bitten, das Stück auf dem schnellsten Wege an mich abzusenden. Mit den besten Empfehlungen Ihr ergebener Kurt Reiss Beilagen: Kopie Schreiben Editions Albin Michel „ „ L. Besson, Thalwil „ „ Schauspielhaus Zürich [Anlage 1] ABSCHRIFT RA./DM.

PARIS, le 23 Mai 1946.

128 Von Albin Michel (1873–1943) im Jahr 1900 in Paris gegründeter Verlag. 129 Gemeint ist offenbar der Schweizer Schauspieler und Regisseur Benno Besson, d.i. René-Benjamin Besson (1922–2006), der Brecht Ende 1947 in Zürich kennenlernte. Ab 1949 Mitarbeiter am Berliner Ensemble, später Intendant der Volksbühne. 130 Elisabeth Frank.

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THEATERVERLAG REISS A. G. Bäumleingasse 4 BASEL Messieurs, La Direction de l’Information Française à VIENNE m’a communiqué un exemplaire de la pièce de Bert BRECHT, «DER GUTE MENSCH VON SEZUAN». C’est une œuvre d’un grand mérite et d’une grande originalité qu’il paraît intéressant de présenter au public parisien, quoique cela comporterait, évidemment, d’assez grosses difficultés: D’une part, l’importance de la mise en scène et des personnages est presque prohibitive à l’heure actuelle pour une scène parisienne. Il faudrait donc trouver un Directeur qui envisage la représentation plutôt du point de vue artistique que du point de vue strictement commercial. D’autre part, dans le dialogue et dans la conduite des scènes, il y a certainement une adaptation à faire pour le goût du public parisien. Un des principaux Directeurs de Paris, à qui j’ai montré le manuscrit, semble être intéressé par lui mais, par ailleurs, je crois qu’il serait utile pour la propagande de la pièce que quelques passages soient publiés en revue afin de pouvoir éprouver la réaction du public français et de pouvoir alerter les milieux littéraires au sujet de cette pièce. Je vous propose donc d’abord d’en faire paraître dans LA NEF des extraits dont le total ne s’élèverait pas au ¼ de l’ensemble, ce qui, par conséquent, ne pourrait en aucun cas nuire à une publication ultérieure en volume. D’autre part, serait-il possible, pour les droits de représentation, d’avoir une option qui permette d’étudier d’une façon précise les possibilités de représentation de cet ouvrage? Je pense que je n’ai pas besoin de vous donner de références en ce qui concerne notre Revue dont vous savez sans doute que, parmi celles publiées depuis la Libération, elle se place au premier rang par l’importance et la valeur de ses collaborations. Je vous prie d’agréer, Messieurs, l’expression de mes sentiments les plus distingués. sig. Robert ARON. [Anlage 2] ABSCHRIFT B. Besson Alsenstrasse 25 Thalwil. télé. 92 14 82

Zürich, le 27 mai 1946.

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Monsieur Kurt Reiss, A.G. Bäumleingasse 4 BALE Monsieur, J’ai obtenu votre adresse par l’intermédiaire de Monsieur Kurt Horwitz comédien et metteur en scène jusqu’ici à Zürich. Je me permets donc de vous adresser les questions suivantes: Etes-vous en mesure d’accorder les droits de traduction et de représentation en français, pour la pièce de théâtre «Der Gute Mensch Von Sezuan» de Bert Brecht?131 Etes-vous disposé à accorder ces droits de traduction à moi-même étudiant et traducteur à Zürich qui serais assisté dans ce travail par Monsieur J.P. Samson traducteur et critique à Zürich et les droits de représentation à une jeune troupe parisienne dont les acteurs out été formes chez Ch. Dullin132 et qui est soutenue par le TEC (travail et culture) organisation qui s’efforce de diffuser la culture dans la classe laborieuse française, avec l’appui et la collaboration de la C.G.T.?133 La pièce serait lancée à Paris. Quelles sont les conditions à la concession éventuelle de ces droits? La pièce serait montrée pour le début de la saison prochaine. L’appui du TEC et par là de la C.G.T. ajoute encore aux chances de succès. Pour tous renseignements supplémentaires, je suis Monsieur à votre entière disposition. Je serai également attentif à toute sorte de suggestion que vous pourrez me faire quand au choix de la pièce, ou de son opportunité. J’espère vivement que vous ne recevrez pas mal cette demande, et que vous serez disposé à lui donner sans retard une réponse favorable. Au plaisir de vous lire, je vous prie d’agréer, Monsieur, l’assurance de mes sentiments distingués, sig. Ben. Besson. [Anlage 3] ABSCHRIFT Herrn Kurt Reiss Bäumleingasse 4 Basel. 22. Mai 1946. H/B.

131 Eine Übersetzung des Stücks von Benno Besson konnte nicht ermittelt werden. 132 Charles Dullin (1885–1949), französischer Schauspieler und Regisseur. 133 Confédération générale du travail, 1895 gegründete französische Gewerkschaft.

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Lieber Herr Reiss, Ich sehe eben aus dem „Aufbau“, dass eine Bearbeitung der „Dreigroschenoper“ von Brecht tatsächlich gemacht worden ist. Der „Aufbau“ bringt ein zwar schlechtes aber immerhin neues Chanson auf den Text „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“.134 Ich verstehe nicht ganz, warum Brecht, wenn er die neuen Texte hat, sie nicht auch an Sie weitergibt. Vielleicht schreiben Sie doch nochmal einen energischeren Brief. Mit besten Grüssen Ihr sig. Kurt Hirschfeld Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/40 (Anlagen: Ts, BBA 1182/41–43).

Paul Silva-Coronel an Bertolt Brecht Paris, 3.6.1946 Paris, le 3 juin 1946. Monsieur Bertold BRECHT, c/o New Direction 67 West 44 NEW YORK CITY 18. Réf: PSC/SG. Monsieur, Nous serions désireux de prendre connaissance du livre de Bertold BRECHT, intitulé «PRIVATE LIFE OF THE MASTER RACE»135 et de recevoir confirmation que les droits de cet ouvrage sont libres pour la publication et la traduction en langue française. Veuillez nous communiquer également vos conditions. Avec nos remerciements, veuillez agréer, Monsieur, l’expression de nos sentiments les meilleurs. L’Administrateur: Paul SILVA CORONEL.

134 In der in New York erscheinenden Zeitschrift Aufbau (Heft 18, Mai 1946) wurde Die Ballade vom angenehmen Leben der Hitlersatrapen (GBA 2, S. 311–313) – eine Neufassung der Ballade vom angenehmen Leben aus der Dreigroschenoper – gedruckt. Vgl. Anm. zu Reiss, 17.8.1945. 135 Vgl. Anm. zu Bentley an Berlau, 24.1.1944.

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[Hs.] Mrs. Hauptmann – Will you arrange for a French edition? And send them a German copy of Furcht und Elend? Eric Bentley Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Editions de Minuit, Adresse Provisoire, 41, Rue Saint-Placide, Paris-6e Tél: Littré 24-05 R. S. Seine 301.409 B, R. P. 11.502 série C. A.; BBA 1763/9.

Kurt Hirschfeld an Bertolt Brecht Paris, 3.6.1946 5. Juni 1946. H/B. Sehr verehrter Herr Brecht, Wir wollen zu Beginn der kommenden Spielzeit eine kleine Broschüre machen, in der wir Originalbeiträge von Wilder und O’Neill, von Sartre und Camus136 usw. usw. bringen, und wir wären Ihnen nun dankbar, wenn Sie uns für diesen Almanach einen kleinen Beitrag senden würden.137 Die Art des Beitrages überlassen wir völlig Ihnen. Es kann ein kleiner theoretischer Aufsatz sein, wir würden uns aber auch sehr über ein Gedicht freuen. Der Beitrag sollte bis Anfang Juli in unserem Besitz sein und sollte 1-2 Schreibmaschinenseiten betragen. Dürfen wir diese Bitte gleich mit einer andern Frage verknüpfen? Herr Reiss zeigt uns ein neues Stück an „Herr Putnam und sein Knecht“ [sic]. Würden Sie uns vielleicht mitteilen, wie weit es mit diesem Stück ist und ob wir noch in der kommenden Spielzeit mit ihm rechnen können. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Kurt Hirschfeld Überlieferung: Ts, m. hs. U., Bv.: Schauspielhaus Zürich Neue Schauspiel AG. Zürich Direktion: Dr. Oskar Waelterlin Zürich: Zeltweg 5 Telephon 243000 Postscheck VIII 16106 Bank-Konto: Kreditanstalt; BBA 1182/46.

136 Thornton Wilder, Eugene O’Neill, Jean-Paul Sartre (1905–1980) und Albert Camus (1913–1960). 137 In dem vom Schauspielhaus Zürich herausgegebenen Almanach zur Spielzeit 1946/47 ist kein Beitrag Brechts enthalten.

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E. Job138 an Bertolt Brecht Basel, 6.6.1946 BASEL, DEN 6. Juni 1946 j. BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Street, Santa Monica (California) Sehr verehrter Herr Brecht, Wir erlauben uns, Ihnen beiliegend Kopie eines uns heute zugegangenen Schreibens des International Bureau voor Opvoerings- en Auteursrecht in Amsterdam betr. der „Dreigroschenoper“ zur gefl. Kenntnis- und Stellungnahme zu übersenden.139 Wir haben inzwischen dem betr. Bureau mitgeteilt, dass wir sobald wie möglich auf diese Angelegenheit zurückkommen werden. Gleichzeitig übersenden wir Ihnen beigeschlossen ein Originalschreiben des Schauspielhaus[es] Zürich zur eventuellen direkten Erledigung und Beantwortung. Im übrigen sehen wir Ihren weiteren Nachrichten mit Interesse entgegen und zeichnen inzwischen mit den besten Empfehlungen Ihnen ergeben p. R E I S S A.G. E. Job Beilage: 1 Briefkopie 1 Originalschreiben Schauspielhaus Zürich140 [Anlage] Kopie INTERNATIONAL BUREAU VOOR OPVOERINGS- EN AUTEURSRECHT 138 Sekretärin von Kurt Reiss. 139 Vgl. Frank, 19.9.1946. 140 Möglicherweise handelte es sich dabei um den vorangehenden Brief von Kurt Hirschfeld.

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Amsterdam-W., 23. Mai 1946 Vondelstraat 102 Sehr geehrter Herr Reiss, Heute hat Herr Direktor Verbeek von „Het Residentie Toneel”141 sich an uns gewandt wegen eines Kontrakts für die Operette „DIE DREIGROSCHENOPER“ von Bert Brecht, Musik von Kurt Weill. Ueber diese Operette verfügte damals Felix Bloch Erben, Berlin. Wie bekannt, wurde während des Krieges die Vertretung dieses Verlags gleichzeitig mit den Vertretungen der anderen deutschen Verlage dem Vertreter ALMO’S, Belgien, nämlich Herrn Ralph Van der Voort, übertragen. Selbstverständlich wissen wir nicht, ob diese Vertretung noch immer gültig ist und ob sie auch die Vertretung jüdischer Opern umfasst. Unter den obwaltenden Umständen ist es uns überhaupt unbekannt, ob genannte Uebertragung jede Vertretung der deutschen Verlage auch von Felix Bloch Erben ausschliesst. Hoffentlich ist das nicht der Fall und wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns so schnell wie möglich die Rechte auf „DIE DREIGROSCHENOPER“ versichern könnten. Sollte das nicht möglich sein, so wäre es uns sehr angenehm, zu erfahren, ob es für uns keine Möglichkeit gibt, unsere Tätigkeiten für die betr. Verlage wieder aufzunehmen. Indem wir Ihnen im voraus für Ihre Mühewaltung bestens danken, zeichnen wir hochachtungsvoll sig, F.J.C.A. Jansen, Adm. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/44 (Anlage: Ts, BBA 1182/45).

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 12.6.1946 243 Riverside Drive New York 25, N.Y. den 12. Juni 1946 Lieber Brecht: Ich habe Ihren undatierten Brief vom 28. Mai142 vor mir, den ich bisher nicht fertig beantwortet habe, weil verschiedene Sachen noch nicht beantwortungsreif waren. But here we go: 141 Das Residenztheater Amsterdam. 142 Vgl. B. an Hauptmann, 28.5.1946 (Datierung von Hauptmann), GBA 29, S. 380f.

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1. Ich habe das Geld von Czinner bekommen. Nicht die Exemplare des Circle of Chalk, will aber noch einmal mahnen. 2. INHALT DES 1. BANDES: Haben Sie GALILEO an Bentley geschickt? Wegen der DGO143 habe ich mich schon mit Bentley in den Haaren. Ich schickte ihm Korrekturvorschlaege, fragte ihn auch, ob man Veseys Einverstaendnis einholen muesste und ob er, Bentley, ueberhaupt die Korrekturen in dieser Form haben wolle. Ich hatte mich vor allem auf die Ballade von M.M. und den Morgenchoral konzentriert, wo ich auf kleine Mis[s]verstaendnisse hinwies, Vorschlaege machte und zwar aufgrund des deutschen Originals, nicht einmal in der Absicht, das Englisch-Englisch in Amerikanisc[h-]Englisch oder gar Amerikanisch Slang zu verwandeln. Bentley hat das scheinbar nicht begriffen und ist ausser sich wegen meiner Unkenntnis des Englisch-Englischen, wo es sich wirklich nur um seine Unkenntnis des Deutschen handelt. Und um es gleich vorwegzunehmen: Bentley ist am Freitag dieser Woche hier, und ich treffe ihn im Verlag und werde dann der Volksfront Erskine-Ford-Bentley144 gegenueber meine Kenntnis des Deutschen zu verteidigen haben. Trotz der kleinen errors, vor allem in den Songs, finde ich die Veseysche Uebersetzung superior. 3. Die engl. Uebersetzung der Johanna hat Bentley; ich hatte ihm geschrieben, dass er sie an Sie weiterschickt. 4. Kreidekreis (engl.): Maria Czamska rief mich gerade an, Sie brauchten ihn dringend. Kreidekreis engl. ist auch bei Bentley, der seinerzeit alle Stuecke haben wollte, wahrscheinlich wegen seine[s] einfuehrenden Artikels. Ich kann ihn erst am Freitag veranlassen Ihnen das Exemplar zu schicken. Ich will auch mit ihm ueber Nellhaus sprechen. 5. Auch ueber Courage will ich mit Bentley sprechen. 6. Der Verlag sagte mir, ich bekaeme fuer den 1. Band Doll. 100.Ihre Arbeitsstatuten will ich zu dem meeting am Freitag mitnehmen. 7. Georg Herzfelde hat sich 14 Tage mit seiner Uebersetzung der AudR 145 verspaetet, vielleicht bekomme ich die Uebersetzung noch zum Freitag. [Hs.: Brecht hatte G. Herzfelde ‚Die Ausnahme + Regel‘ zum Übersetzen gegeben.] Es stimmt, dass ausser Galileo nichts fuer den 1. Band in Ordnung ist. Das Schlimme ist, dass wir hier im Lande sind und in der Lage, die Uebersetzungen zu begutachten. Aber es waere ein Verbrechen, nun man schon hier ist, dies nicht zu tun. In Italien muss das Ganze ohne diese Kritik herauskommen oder koennen Sie so viel Italienisch? That’s all for today. Herzlich Ihre Bess Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; EHA 215.

143 Dreigroschenoper. 144 Die Literaturagenten Albert Erskine und Harry Ford sowie der Übersetzer Eric Bentley. 145 Georg Herzfeldes Übersetzung von Die Ausnahme und die Regel ist dokumentiert in BBA 1575.

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Walter Brecht an Bertolt Brecht Darmstadt, 14.6.1946 1063 - 26th Street Santa Monica, California U.S.A.

Darmstadt, 14. Juni 1946 Ohlystr. 59

Lieber Eugen! Gestern brachte uns ein Brief von Marianne146 Deine Adresse. Obwohl fast keine mir zugängliche Zeitung erscheint, die nicht in jeder Nummer irgend einen Hinweis oder größere Besprechungen Deiner Stücke enthält, habe ich mich länger als ein Jahr vergeblich angestrengt, Deinen Wohnsitz zu erfahren. Selbst unsere amerikanischen Verwandten, von denen jetzt die ersten Briefe eintrafen, konnten mir nichts Genaues mitteilen. Immerhin wußte ich, daß Du lebst – obgleich auch mal in einer Zeitung stand, daß Du gestorben seist. Es wäre schön, wenn Du einmal schreiben wolltest. In den langen Zeiten der Ungewißheit haben wir in tiefer Sorge und Beunruhigung an Dich, an die liebe Helly, an Steff und Barbara gedacht. Wie geht es Euch? Wie geht es Dir gesundheitlich? Und wann kommst Du? Unser Haus ist als das einzige des Blockes halbwegs bewohnbar geblieben. Du kannst jederzeit kommen und bei uns wohnen. Ich weiß nicht, inwieweit Du schon von anderen Nachricht über das Ergehen unseres Lebenskreises erhalten hast. Auf die Gefahr hin, Dir schon Bekanntes zu berichten, möchte ich Dir in diesem ersten Brief nur das Wichtigste mitteilen. Im zweiten Jahr des Krieges gegen Rußland hat Frank sein Leben gelassen.147 Er war ein stiller, bescheidener, außerordentlich intelligenter junger Mensch. Wir haben ihn lieb gehabt. Es fällt mir schwer, Dir diese traurige Botschaft zu übermitteln. 1940 starb Tante Amalie; jetzt, im Februar Onkel Gustel148, aus der Art, wie mir Tante Anna schrieb, muß ich annehmen, daß er, von den Kriegsereignissen entnervt, seinem Leben ein Ende gemacht hat. Seine Tochter Ruth hat sich vor 3 Jahren mit einem jungen Offizier verheiratet. Sie hat ein einjähriges Kind; ihr Mann ist in russischer Kriegsgefangenschaft. Vor etwa 6 Wochen starb Tante Rosa, die Frau Onkel Pauls in Achern. Achern hatte im Januar 1945 einen schweren Luftangriff, dem fast der ganze Stadtkern zum Opfer gefallen ist. Eines der wenigen Häuser, die stehen blieben ist unser großelterliches Haus. Bei dem Angriff kamen viele von Vaters Acherner Freunden um, z.B. Frau Meder, eine Tochter und zwei Schwiegersöhne des alten Uhrmachers Heß, der auch gestorben ist. – Daß die Stadt Augsburg fast völlig zerstört ist, wirst Du wohl wissen. Vaters Haus ist nur wenig in Mitleidenschaft gezogen worden, es ist inzwischen wieder völlig hergerichtet. Die Papierfabrik weist nur wenig unzerstörte Teile auf. Das Gebäude, in dem ich wohnte, ist ausgebrannt, 146 Marianne Zoff. 147 Frank Banholzer, Brechts Sohn aus erster Ehe, kam 1943 als Soldat an der Ostfront ums Leben. 148 August Brecht (1880–1946).

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durch Brand oder Sprengwirkung sind alle Villen des ehemaligen Besitzes vernichtet worden. Von den 4 Häusern in der Bleich steht das erste, in dem wir früher wohnten, und das dritte (Geinner), die zwei anderen sind Ruinen, wie fast alle anderen Häuser des Viertels. Staatsanwalt Hartmann149 ist vor einigen Jahren seinem Herzleiden erlegen. Pfanzelt hat wohl sein Haus verloren, ist aber noch am Leben. Marie Röcker bewohnt 2 Zimmer von Vaters Wohnung. – Meine beiden Freunde Schaller und Götzger, die immer erbitterte und haßerfüllte Gegner Hitlers waren, haben nach Kriegsende aus mir unbekannten Gründen ihre Stellen verloren. – Darmstadt hat nach mehreren vorausgegangenen Luftangriffen in der Nacht vom 11. auf 12. Sept 1944 im Verlauf von einer halben Stunde 85% seiner Häuser eingebüßt. Etwa 30000 Menschen kamen ums Leben. Auch mein Institut ist fast völlig zerstört worden. Lie und die Kinder150 konnten nach dem Angriff nicht mehr hier wohnen, ich brachte Lie und Britta bei Freunden in Württemberg, Inge im Schwarzwald unter. Durch die Besetzung Darmstadts wurden wir getrennt. Da ich 2 Monate lang nichts von ihnen hörte, fuhr ich im Juni des vorigen Jahres mit dem Fahrrad los – Bahnen gingen noch keine – und traf alle wohl an. Von der Reise zurückgekehrt (1200 km), mußte ich mit Typhus ins Krankenhaus, wo ich 7 Wochen lang lag. Im Herbst gelang Lie und den Kindern die Rückkehr nach Darmstadt. Im Januar hat die Hochschule ihre Pforten wieder geöffnet. Da die Wiederherstellung meiner Institutsräume nur sehr geringe Fortschritte macht, halte ich meine Vorlesungen zuhause ab. Unser Leben in der toten Ruinestadt ist noch immer im abgleiten begriffen. Die Freude über das Ende der Hitlerjahre geht in dem jammervollen Elend von Armut und Hunger unter. Über Hunger klagt die Familie von Fritz Reitter, die ihr Heim in Köln verloren hat und irgendwo in Nortfahn lebt. Richard ist als Leiter eines großen Personalamts der Eisenbahn in Halle (russisch besetzte Zone) tätig. Auch er ist mit Frau und Kind ausgebombt. Die Ernährungsverhältnisse sind eher noch schlechter als hier. Es ist nicht viel Gutes, was ich Dir berichten kann. Gut wär es, wenn Du schreiben wolltest, denn es ist bedrückend, ja erschreckend für mich, daß mich noch keine Nachricht von Dir erreicht hat. Sei mit allen Deinen von uns, Lie, Inge, Britta und Oma, herzlich gegrüßt, ganz besonders von Deinem Walter Überlieferung: Ms, BBA E 25/3–4.

149 Rudolf Hartmann (1898–1940), ehemaliger Mitschüler und Jugendfreund Brechts. 150 Walter Brechts Frau Elisabeth, geb. Volz (1893–1989), und die gemeinsamen Kinder Britta und Inge.

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Eugene Reynal151 an Elisabeth Hauptmann New York, 14.6.1946 June 14, 1946. Mrs. Elizabeth Hauptmann-Hacke152 243 Riverside Drive New York, New York Dear Mrs. Hauptmann-Hacke: This will serve as formal confirmation of our understanding that you will assist Mr. Eric Bentley in the editing of a first volume of the Bertolt Brecht plays, selecting the plays to be used and the translations thereof and in general acting as Mr. Brecht’s personal representative. For this service we agree to pay you the sum of one hundred dollars ($100) outright, payable on publication of the first volume of plays. We are doing this with the understanding that we mutually anticipate your carrying on the work with future volumes in order to make a complete set of Brecht’s plays, the precise terms of such future arrangements to await our experience with this first volume. We very much appreciate your undertaking this work and we are sure it will be a very worth while enterprise. I am writing this letter to you in duplicate and we shall appreciate it if you will sign one copy as a record for our files. Sincerely yours, Eugene Reynal AGREED: _______________________

[Anlage] April 19, 1946. [Hs.] copy for Mr Brecht Eric Bentley, Esq. 519 Essex, S. E. Minneapolis 14, Minn. 151 Der amerikanische Verleger Eugene Reynal gründete 1933 in New York zusammen mit Curtice Hitchcock den Verlag Reynal & Hitchcock. Vgl. Anm. zu Bentley an Hauptmann, 21.4.1946. 152 Vgl. Anm. zu Vesey an Hauptmann, 16.9.1946.

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Dear Mr. Bentley: This will serve as formal confirmation of our understanding that you will undertake the editing of a first volume of the Bertolt Brecht plays, selecting the plays to be used and the translations thereof, writing a general introduction and such necessary introductions to each play and notes thereon as may seem to you necessary in conference with our editorial staff and Mr. Brecht, and doing anything else necessary to make the volume ready for publication in an English language edition. In doing this work, you agree to confer with and consult Mr. Brecht and his representative, Miss Hauptmann, and in so far as possible to act in accordance with their wishes. We are doing this with the understanding that we mutually anticipate your carrying on the work with future volumes in order to make a complete set of Brecht’s plays, the precise terms of such future arrangements to await our experience with this volume. We very much appreciate your undertaking the work, which we are sure will be a very worth while enterprise. I’m sending this letter to you in duplicate and we shall appreciate it if you will sign and return one copy for our files as a record of your agreement. Sincerely yours, /s/ Curtice Hitchcock AGREED: _____ /s/ Eric Bentley_____ Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reynal & Hitchcock, Inc. Publishers: 8 West Fortieth Street : New York 18, N.Y.; EHA 79 (Anlage: Ts, hs. U.; ebd.).

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht New York, 16.6.1946 den 16. Juni 1946

243 Riverside Drive, N.Y.25, N.Y.

Lieber Brecht, Bentley hat sowohl die englische Johanna wie den englischen Kreidekreis in Minneapolis in s[e]iner Wohnung eingesperrt und er kann die Exemplare erst spaetestens Ende Juni an Sie schicken; denn ist er wieder zuhause. Ich habe versucht, noch ein engl. Exemplar von Jones’ Johanna von ihm direkt zu bekommen, bis jetzt erfolglos; auch Frau Roth hat noch kein engl. Exemplar vom Kreidekreis aus Lebenthal153 herausgeholt. Die Unterredung mit dem grossen Bentley – er ist hier ziemlich beachtet in diesen Tagen wegen seines letzten Buches,154 was prominent besprochen wurde – im Beisein des Verlagsvertreters ergab, dass ich Ihnen zwei Sachen vorlegen muss: 153 Vermutlich der Theaterproduzent Jules Leventhal. 154 Bentleys Brecht-Monographie The Playwright as Thinker war soeben bei Harcourt Brace in New York erschienen.

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1. Inhalt des ersten Bandes: Galileo Dreigroschenoper Johanna Ausnahme u. Regel Wir haben lange ueber die Johanna diskutiert. Meine Bedingung fuer Aufnahme in den 1. Band war, dass eine besondere Einleitung angefertigt wird, eine Ausfuehrung der kurzen Einleitungssaetze in den Versuchen: Mischung von Stilelementen, Zwei Seelen usw. – Inhaltlich wuerde ich das Stueck jetzt fuer wichtig halten wegen des Herumlaufens zwischen zwei Fronten. Meine Einwaende wegen d. exotischen Chicago hat Bentley etwas entkraeftet, obwohl er die tieferen Gruende dieses Exotismus nicht versteht; auch das muesste in der Einleitung stehen. (Er meint, eine Konkretisierung der Johanna, d.h. Uebertragung auf Deutschland waere ungefaehr der Wilderschen Transponierung des Nestro[y]-Stueckes in den „Kaufmann von Yonkers“155 gleichzusetzen.) Dabei waere es nicht uninteressant zu erwaehnen, dass man heute historische Stuecke auch in Deutschland spielen kann, was dann wieder eine Bestaetigung einer alten japanischen Stueckeschreibregel ist. Der Umstand, dass die Johanna fertig uebersetzt da ist, mit wahrscheinlich nur minor repairs, war nicht ausschlaggebend bei unserer Unterhaltung. Ich persoenlich mache die Aufnahme der Johanna, wie gesagt von einer sehr g[uten] kleinen Einleitung abhaengig. Hierueber muss ich Bestaetigung haben, damit die Arbeiten am er[…]156 konsolidiert werden können. 2. Arbeitsprozedur: So viel ich verstanden habe, hat Bent[ley] wegen Material zur Einleitung an Si[e geschrieben. Ich] hatte ihm seinerzeit alle Punkte oder die wenigen, die ich […] Ich legte ihm dann den kleinen Arbeitsvertrag vor, er sag[te, er sei ein-] verstanden, aber wir haetten uns noch ueber einen Punkt […] nis zu Uebersetzern. Die Frage war akut, denn Georg He[rzfelde hatte am] selben Tage seine Voruebersetzung fertig und wir spra […] Bentley (und vor allem der Verlag) steht auf dem St […] vornherein nicht ausschliesslich an eine Buchfassu […] Buehnenfassung denken sollte. Ich machte die Einw […] Dialog ja entweder eine ganz spezielle Begabung […] erfordere oder die erfahrene Hand eines Fachma […] schied zwischen gelesenem oder gesproch. Dial […] usw. usw. Bentley: Man koenne sich erstens […] nur Arrivierte wegen ihres Namens einzuspa […]

155 Die Komödie The Merchant of Yonkers (1938) von Thornton Wilder basiert auf Johann Nestroys Einen Jux will er sich machen (1842). 156 Brief beschädigt.

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Chance gaebe, dann muesse man ihnen so vi […] fassung herauskaeme. Und die endgueltig […] nommen sein. *) Natuerlich, wenn von vornherein ein bekannter Autor zur UebersetzungBearbeitung gewonnen werden kann – Bentley will mit Wilder157 sprechen – dann ist das was anderes. Aber einem Neuling, der natuerlich auf Grund von Proben seiner Uebersetzungskunst genommen wird, von vorneherein zu sagen, dass seine Uebersetzung wo moeglich nur fuers Buch benutzt wird, erschien Bentley zu entmutigend fuer die kleineren Leute. Er meint, die Hauptarbeit habe immer der erste, der die erste Uebersetzung mache, und ich glaube er dachte dabei ebenso an sich wie an Nellhaus158 und Herzfelde.159 Er fuegte hinzu, dass seine und Ihre Abmachung wegen der Master Race160 sehr zufriedenstellend fuer ihn gewesen sein, und ich glaube, er dachte auch an den Fall, dass er mit einem anderen bekannten Autor den Guten Menschen oder ein anderes Stueck uebersetzen wuerde. Bentley moechte also, dass in Bezug auf Uebersetzung-Bearbeitung eines Stuecks genau festgelegt wird, was dem einzelnen Uebersetzer-Bearbeiter fuer Bedingungen gestellt werden. Ja, ich wies ihn darauf hin, wenn dann, trotz eines grossen Namens, noch ein Dritter genommen werden muesste. Dann muesste das auch in Kenntnis des ersten Uebersetzers geschehen, ja, mit seinem Einverstaendnis. Ich wuerde so weit nicht gehen. Es ist leicht moeglich, dass dieser oder jener producer eine Bearbeitung verlangt (mit der Sie einverstanden sein muessen) und dann finde ich, muss der 1. Uebersetzer-Bearbeiter sich fuegen und von seinen Prozenten abgeben. Bentley wollte General-Formulierung, d.h. einheitliche f[ür] alle. Leider muessen Sie diesen Punkt selber entscheiden und mir eine oder keine Formulierung schicken. Ich schicke Ihnen die Original-Arbeitsstatuten noch einmal mit. Fuer den zweiten Band soll in Angriff genommen werden: Kreidekreis Guter Mensch Mahagonny. und etwas Kuerzeres. Dieser Band muss jetzt auch in Angriff genommen werden, da ja (mit Ausnahme des Kreidekreises) nichts Uebersetztes vorliegt oder doch? Da haette man nach den Anmerkungen zur DGO161 im ersten Band das Theoretische ueber die Oper im zweiten. Fuer das „Kuerzere“ dachte Bentley an die Horatier u. d. K. Ich waere fuer nichts Kuerzeres, sondern fuer die Gewehre der Frau C. Evtl. anstelle von Mahag.) 157 Vermutlich Thornton Wilder. 158 Gerhard Nellhaus übersetzte später Im Dickicht der Städte (In the Jungle of Cities) und Mann ist Mann (Man Equals Man). 159 Vermutlich Georg Herzfelde. 160 The Private Life of the Master Race (englische Fassung von Furcht und Elend des III. Reiches). 161 Dreigroschenoper.

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Bentley u. Verlag wollen, das bei allem Jahreszahl steht. Bentley moechte auch Bilder der Stuecke haben, Buehnenbilder. Haben Sie welche und reproduktionsfaehige? Bentley waere bei DGO auch fuer Abdrucken der Noten, wenn Weill es zulaesst. (Uebrigens hat Lenya wohl Bilder von der DGO?) Er will sowieso mit ihm sprechen. Was ich brauche: Bestaetigung Inhalt Band I und Zusicherung, selber die kleine Einleitung zu schreiben zur Johanna, wenn Johanna akzeptiert wird. Formulierung (oder keine, wenn abgelehnt) ueber Status und Bedingungen des Uebersetzers. Herzlich Ich musste gestern eine dringende Aufforderung, auf drei Monate nach Nuernberg, fuer Arbeit im Gerichtssaal, zu kommen, ablehnen; ich haette Ende dieser Woche fahren sollen. Überlieferung: Ts, EHA 255.

E. Job an Bertolt Brecht Basel, 22.6.1946 BASEL, DEN 22. Juni 1946 j. BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Street, Santa Monica (California) Sehr verehrter Herr Brecht, Zu Ihrer gefl. Kenntnisnahme übersenden wir Ihnen beiliegend Kopie eines von uns heute zugegangenen Schreibens des International Bureau für Aufführungs- und Urheberrecht, Amsterdam betr. „Die Dreigroschenoper“. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns hierzu so bald wie möglich Ihre Meinung sagen könnten. Im übrigen erwarten wir gerne Ihre Nachrichten auf unsere verschiedenen letzten Schreiben und zeichnen in dieser Erwartung mit den besten Empfehlungen Ihnen ergeben p. R E I S S A.G. E. Job

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[Anlage] Internationales Büro Für Aufführungs- und Urheberrecht.

Amsterdam W. 15. Juni 1946. Vondelstraat 102 Theaterverlag Reiss A.G. Bäumleingasse 4 Basel. Schweiz.

Sehr geehrter Herr Reiss, Ich erhielt Ihre Karte vom 6. D.M. mit Bezug auf die „Drei Groschen Oper“. Ich bemerke Ihnen, dass ich früher schon zweimal einen Vertrag für dieses Werk abgeschlossen habe als Vertreter von Felix Bloch Erben. Das Material ist damals nach der letzten Aufführung in Holland dem Universal-Verlag in Wien zurückgeschickt. Die Aufführungen in Holland haben einen sehr guten Erfolg gehabt sodass Herr Bert Brecht ohne Zweifel nichts dagegen haben wird, dass ein neuer Abschluss wieder über meinem Büro läuft. Ich nehme an, das[s] die Herren Brecht und Weil nichts mehr mit Felix Bloch Erben – jetzt die Drehbühne162 – zu tun haben, denn momentan vertrete ich diesen Verlag nicht mehr. Während des Krieges haben die meisten deutschen Verlage die Beziehung zu meinem Büro gelöst; dieses habe ich Herrn van der Voort in Antwerpen zu verdanken, der damals in der Gelegenheit war mit seinem Auto nach Deutschland zu fahren und die Situation benutzt hat um die Vertretung der meisten deutschen Firmen für Holland zu bekommen. Ich bekam dann die Nachricht, dass wegen der Neuordnung in Holland ich die deutschen Verlage nicht mehr vertreten konnte. Dieses war mir gar nicht unwillkommen, weil ich es nicht angenehm fand während des Krieges mit deutschen Firmen Geschäfte zu tun. Jetzt ist Herr van der Voort selbstverständlich deutsch-feindlich geworden, aber kann doch noch immer abschliessen für deutsche Werke. Das Schlimmste ist, dass er auch abschliesst für jüdische Werke, über welche früher deutsche Verlage verfügten und er kann das machen, weil er über die Materiale verfügt, welche ich während des Krieges gezwungen war ihm auszuhändigen. Ein Material der „Drei Groschen Oper“ hat er aber sehr wahrscheinlich nicht in seinem Besitz. Ich hörte, dass es eine Neufassung der „Drei Groschen Oper“ gibt mit verschiedenen aktuellen [Ä]nderungen und es ist natürlich die Absicht der Direktion das Werk in dieser Unternehmen im Haa[g], das in dieser Saison glänzende Geschäfte gemacht hat.

162 Vgl. Anm. zu Hogan, 1.11.1945.

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Ich möchte Ihnen vorschlagen auch dieses Geschäft zu tätigen auf der Base einer NettoTantieme für mein Bürogebühr. Ich hoffe, dass ich bald das vollständige Material erhalten kann. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/49 (Anlage: Ts, BBA 1182/47–48).

Caspar Neher an Bertolt Brecht Hamburg, 23.6.1946 Hamburg 23 Juni 46 Lieber Bert! Habe herzlichen Dank für deinen lieben Brief,163 sie werden immer am sehnsüchtigsten erwartet. Auch die Aussicht auf Pakete erfreut den hungrigen Körper, der ja zum zweitenmal mehr denn je zum asktetischen Dasein trainiert wird. Dass wir zusammenkommen müssen ist sicher, wenn es auch in Oberitalien ist, was ich sehr gut finde, zusammen dort ein halbes Jahr irgendwo zu sitzen und zu arbeiten am nächstliegenden wichtigsten. Ich bin sehr dafür, daß wir dies sobald als möglich durch fechten, jedoch wie. Seit letzter Zeit sollten Deutsche nicht ins Ausland dürfen. Das ist verständlich. Aber auch das lässt sich machen und muss getan werden, daß wir uns unter allen Umständen irgendwo treffen. Neulich ging die Nachricht herum, in den Zeitungen, daß Du in Berlin seiest und dort Vorträge hieltest. Ich sagte, wenn Du in Deutschland seiest müssten ja Nachrichten von Dir da sein – Nun aber kam Dein Brief von St. Monica. Erika164, die Dich und Helli herzlichst grüssen lässt kam neulich aus Berlin zurück, was man nur mit den grössten Strapazen machen kann und traf Otto165, der in alter Freundschaft unsere Möbel und Bilder zu sich nahm. Ich hoffe, daß wir uns zu dritt einmal dort wiedersehen werden. Vorläufig aber ist es mit dem, was wir wollen sehr schlimm bestellt, und es ist kaum anzunehmen, daß es sobald hier anders werde, dazu gehört ein ziemlich gesättigter Magen oder wenigstens die Aussicht dazu. Die Berliner Theater liegen sehr im argen und werden kaum besucht, da sich wenig Leute des Nachts auf die Strasse wagen – so der allgemeine Bericht, der mehrmals bestätigt wurde. hier ist das gegenteil der Fall, da noch Geld vorhanden ist und das Theaterbillett die einzig käufliche Ware ist, aber das beginnt jetzt sich langsam zu ändern. Die einzige Aussicht ist dieses zertrümmerte Europa bald zu verlassen, aber wie. Dieses wie muss noch brieflich ventiliert werden. Man muss auch die Gelegenheit haben wieder an dem zu arbeiten, was allein notwendig ist. Das gebe ich Dir gerne zu, daß wir 163 Der letzte bis dahin überlieferte Brief an Neher datiert vom April 1946 (vgl. GBA 29, S. 380). 164 Erika Neher. 165 Otto Müllereisert.

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wiedereinmal von vorne anfangen müssen. Das kein Bestand ist. Ich erinnere mich unserer Jugendjahre in Ausgsburg wo wir einmal ein Gespräch über Bildhauerei hatten als vom Leben länglichsten Material. Jedoch auch dieses Material ist sehr fragwürdig geworden. Es wird doch wohl heissen am Anfang war das Wort – aber dieses Wort ist so verwässert zu Begriffen geworden, daß man es nicht mehr ernst zu nehmen beginnt. Das geschriebene ist tatsächlich nicht mehr existent auch nicht das gesprochene Wort. Es sind die Pausen, die Interwallen, die zwischen den Worten liegen die das Wort lebendig machen. Aber nun komme ich schon wieder in ästhetische Gebiete die eigentlich mit einem Brief nicht zu tun haben. Denn so ein Brief soll er nichts mehr sein, als der nackte Tatsachenbericht. Was macht Dein Sohn? Deine Tochter traf ich mit Marianne166 als ich vor 3 Jahren in Wien war. Sie ist er gross geworden und ähnelt von ferne Deiner Mutter, wenn man sie sich, wie durch einen Schleier vorstellt. Georg Pfanzelt traf ich nicht mehr, er soll sehr verbittert sein, wie mir Otto erzählte, auch habe er geheiratet und lebe in Haunstein, aber das ist nicht authentisch, denn die Klaukestr.167 soll vollkommen ausgebombt sein, besonders die Gegend um heil Kreuz und St. Stephan168 ist nicht wieder zu erkennen. Die allerdings nach den ersten schweren Angriffen. Mit der Zeit aber muss sich das Bild wieder verschoben haben. Man betritt die Höhen, die man besonders gerne hatte, nicht mehr so und mit der Erinnerung an diese ist mehr erhalten, wenn man sie nicht sieht, als wenn da das Bild durch die Tatsachen so verändert werden daß man nichts mehr zusammen reinem kann. So wird es Dir sicher in Berlin ergehen, wenn Du die Gegend vom Knie und vom bay. Platz aufsuchst.169 Daß Du, mein lieber, mir Trost spendest ist grossartig, hilfsbereit und angenehm. Ich hoffe nur, dass wir es wahr machen können, jedoch glaube ich fast, daß dies einmal der Fall sein wird. Der feste Ring, der seit 14 Jahren beinahe um Deutschland liegt lässt kaum ahnen, daß ausserhalb auch etwas gemacht wird, das einen fesselt, aber das muss ja eines Tages anders werden. Schicke mir bitte bald den Galilei und alles, was Du gemacht hast. In der Schweiz sind einmal Deine gesammelten Werke erschienen, die nur Hirschfeld hatte, aber sonst vergriffen sind. Was Italien betrifft, so kann Dir der Musiker Erede170 an der Mailänder Scala sehr behilflich sein, der ein sehr gutes Deutsch spricht, besonders seine Frau, die 4 Sprachen

166 Marianne Zoff. 167 Die Klauckestraße in Augsburg (vgl. Pfanzelt, 18.9.1946). Im Klauckeviertel, und zwar in der Bleichstraße Nr. 2, bezog die Familie Brecht im Jahr 1900 ein Haus. 168 Die Heilig-Kreuz-Kirche und der Benediktinerstift St. Stephan in Augsburg. 169 „Am Knie“ lautete bis 1953 der Name des Ernst-Reuter-Platzes in Berlin-Charlottenburg. Ganz in der Nähe, in der Hardenbergstraße, hat Brecht bis 1933 gewohnt. Der Bayerische Platz liegt in BerlinSchöneberg. 170 Alberto Erede (1909–2001), italienischer Dirigent, vormals als Assistent bei Fritz Busch in Dresden tätig. Brecht nahm mit ihm offenbar keinen Kontakt auf.

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vollkommen spricht. Wende Dich an Fr. Buschens171 Sohn Hans Dieter Busch (der dort Sergeant ist in der Information Controll). Wie aber machen wir das mit Italien. Schreibe mir bis 15. August nach Salem zu Frau Margr. Berbes (Überlingen) wo ich sein werde bis ich in die Schweiz fahren werde. Von dort können wir uns rascher verständigen. – Grüsse an alle herzlichst Dein alter Caspar Überlieferung: Ms, BBA 3155.

Walter Brecht an Bertolt Brecht [Darmstadt] 26.6.1946 26. Juni 1946 Lieber Eugen! 3 Tage, nachdem ich meinen Brief an Dich absandte, erhielt ich, an die Hochschule gerichtet, die erste Post von Dir, Deinen vom Mai datierten Brief.172 Du kannst Dir denken, wie ich mich mit Lie173 und den Kindern gefreut habe. Es wäre schön, wenn für Euch alle bald ein Zurückkommen möglich würde. Vielleicht aber geht es doch, dass du zuvor besuchsweise kommst. Wie ich Dir schon schrieb, kannst Du und wer immer mit Dir kommt, bei uns wohnen – allerdings halt so, wie man über uns seine Zeit wohnt. Obwohl seit der Katastrophe vom 11.9. 44 fast 2 Jahre vergangen sind, macht alles so langsame Fortschritte, das ist noch jetzt bei den Freilegung- und Räumungsarbeiten in der Stadt fast täglich Skelette Umgekommener aus den Kellern geschafft werden. Damals ist auch der Gebäudekomplex der Hochschule und mit ihm mein sehr schönes, in der ganzen Welt angesehenes Institut räumlich zerstört worden. Ein paar Maschinen und Geräte sind mir erhalten geblieben, aber viel ist es nicht. Ich mühe mich nun ab, in einigen kleinen, mit Notdächern versehenen ehemaligen Laboratoriumsräumen die übrig gebliebenen, aus dem Schutt geborgenen Instrumente zu reparieren und wiederaufzustellen, wobei ich mir über die Bedeutung dieser Situation ziemlich im Klaren bin. Vielleicht ist aber alles doch nicht ganz hoffnungslos, denn allmählich melden sich meine skandinavischen, auch meine englischen Freunde wieder, Du erinnerst Dich vielleicht, daß ich im Frühjahr 1939 noch nach London eingeladen worden war. Auch die Ernährungslage, die in letzter Zeit ja in der Tat so unbehaglich geworden ist, daß die meisten Leute mittleren und 171 Der Dirigent Fritz Busch (1890–1951), ehemals Leiter der Staatsorchesters Stuttgart und der Dresdener Semperoper, ging 1933 nach Großbritannien, über weitere Exilstationen 1945 in die USA. 1951 kehrte er zurück in die Bundesrepublik. 172 Vgl. B. an Walter Brecht, Mai 1946, GBA 29, S. 382. 173 Walter Brechts Frau Elisabeth.

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höheren Alters wie die wandelnden Wasserleichen aussehen – man darf nicht vergessen, daß sie seit sechs Jahren unterernährt sind –, auch die Ernährungslagekrise wird sich gegen Herbst überwinden lassen, zumal wenn wir hoffen dürfen, etwas geholfen zu bekommen [sic]. Was dagegen wirklich lähmend und fast tödlich auf einem lastet, ist die sich aus der innenpolitischen Lage ergebende völlige Ungewißheit und Unsicherheit der einzelnen Existenz. Bis jetzt ist die Hälfte der Professoren unserer Hochschule entlassen worden. Entlassung bedeutet: Verbot, sich in der Hochschule oder im eigenen Institut zu zeigen, bedeutet sofortige Sperrung des Gehalts, Blo[c]kierung aller Bankguthaben, Verständigung des Wohnungsamtes, das über die Wohn- und Arbeitsräume des Betreffenden verfügt, Verständigung der Polizei und des Arbeitsamtes, welches den Mann zu niederer Arbeit heranholt. Nun wird zuerst der Fall eines Juden vor der Spruchkammer verhandelt werden.174 Es gibt da viel Verhandlungen und wenn er jetzt mal entlassen ist, kann sich daher vieles mit ihm und seiner Familie ereignen, bis sein Fall vor die Spruchkammer kommt. Ich schreibe Dir dies, weil ich selbst bedroht bin und diese Bedrohung als eine so schwerwiegende und dabei ungerechte empfinde, daß ich Dich um Deine Hilfe bitten möchte. Du erinnerst Dich wohl noch, daß Du mir, als ich Dich im August 1939 in Stockholm zuletzt sprach, empfahlst, in die Partei zu gehen, überhaupt alles zu tun, was geeignet sein könnte, mich und die Meinen halbwegs gegen die Gefährdung zu sichern, die mir nach Deiner Meinung aus Deiner antifaschistischen Tätigkeit erwuchs.175 Nun, im Jahr 1940 spitzte sich die Sache für mich so zu –176 daß ich eben wirklich in die Partei eintrateten mußte.177 Ich wäre sonst samt Lie und den Kindern um die Ecke gegangen –178 Die […] und alle meine Freunde wissen weiß, daß ich kein guter Parteigenosse war, aber in den Augen der jetzt tagenden Spruchkammer war ich eben ein Parteigenosse, nur das kann mir viel 174 Brecht antwortete seinem Bruder am 4.8.1946: „Wenn ich da wäre könnte ich dir bestimmt besser helfen, falls du wirklich Schwierigkeiten bekommen solltest, was ich eigentlich nicht annehme. Unter keinen Umständen darfst du dich niederdrücken lassen; selbst beträchtliche Unannehmlichkeiten wären nur zeitweilig. Was für eine Behörde ist die Spruchkammer? Eine amerikanische? Akademische? Kannst du jemand in ihr veranlassen, sich mit mir in Verbindung zu setzen? Können dir schwedische Kollegen bestätigen, dass du nicht im Nazisinn in Stockholm gewirkt hast? Kann ich diese Kollegen erreichen? Solltest du in Geldschwierigkeiten kommen, musst du mir sofort telegrafieren (oder telegrafieren lassen durch irgend einen Amerikaner). Dann würde ich versuchen, dir meine Berliner Tantiemen zukommen zu lassen (vom Hebbeltheater, das ist in der amerikanischen Zone). Ich bin ganz sicher, dass ich so oder so helfen kann“ (Ts, BBA 2870). 175 Gestrichen: „Vielleicht erinnerst Du Dich, daß Du sagtest, Dich zu verleugnen u.s.w. sei das Einzige, womit ich, eben durch die Erlangung eines sich auf mich beziehenden Schutzes, Dir helfen könne – andere Möglichkeiten Dir zu helfen lagen, nach Deiner Ansicht, nicht in meinem Bereich.“ 176 Gestrichen: „es war eine recht dramatische Angelegenheit, die mir danach überaus gar nicht komisch erschien“ 177 Gestrichen: „Das war nicht schön für mich, es war auch nicht schön von mir, aber es mußte sein.“ 178 Gestrichen: „ich bin auch so noch der Gestapo denunziert worden. Es waren […] Tage als man mir von Augsburg schrieb, daß die Royal Air Force Gedichte von Dir auf Flugblättern abgeworfen, später die Stadt angegriffen habe.“

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eintragen.179 Wenn Du ein paar Zeilen an die Kammer180 geben würdest, eine Art Bestätigung, daß Du mir damals181 empfahlst, in die Partei zu gehen, und wenn Du das ein bis[s] chen erklären würdest und wenn ein Notar bescheinigen sollte,182 daß diese Zeilen wirklich von Dir sind – dann könnte ich vor die Spruchkammer gehen, es würde mir helfen, darüber ist gar kein Zweifel. Aber es eilt ein bis[s]chen – bis jetzt habe ich mein Amt noch – und ich bin gern Lehrer und Forscher, sehr viel lieber als Tagelöhner. Das alles tut mir sehr leid, aber vielleicht spürst Du, daß ich jetzt in Not bin. Sei mit der lieben Helli, mit Steff und Barbara von uns allen sehr herzlich gegrüßt. Dein Walter. Pakete und Lebensmittel sind noch keine angekommen. Aber bitte, laßt Euch um Gottes willen nicht verdrießen! Überlieferung: Ms, BBA E 25/5.

Schauspielhaus Zürich an Bertolt Brecht Zürich, 2.7.1946 1946 Jul 2 PM 5 50 SA513 intl=cd zuerich via rca 22 2 nlz mr bert brecht= 1063 26th ave santamonica(calif)= please send urgently manuscript for almanach asked in letter 5th June.= schauspielhaus zurich. 1063&65 1063 26th Ave Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 1182/50.

179 Gestrichen: „Ich habe natürlich nicht gesagt, daß ich mit Deinem Einverständnis und als Schutzmaßnahme Mitglied geworden bin. Aber“ 180 Entzifferung unsicher. 181 Gestrichen: „nahelegtest, daß Du mich auffordertest, Dich zu verleugnen – was ich natürlich nie getan habe – und wenn Du mir eine“ 182 Der Satz ist rekonstruiert. Wie er genau lauten sollte, ist nicht mehr zu ermitteln. Geschriebenes und Gestrichenes sind in der Handschrift hier kaum zu unterscheiden.

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Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 3.7.1946 BASEL, DEN 3. Juli 1946. BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: V/h Herrn Bert Brecht, 1063 Twentysixth Street, Santa Monica. (California) Sehr geehrter Herr Brecht, Auf Ihren seinerzeitigen Wunsch hin haben wir Auftrag gegeben, dass an Fräulein Hanne Brecht, Heinrichshof, Wien I wöchentlich je ein Lebensmittelpaket abgeht. Wir erhielten heute eine an Fräulein Brecht adressierte Mitteilung retour mit dem Vermerk, dass der Adressat mit obiger Adresse unbekannt sei. Wir bitten Sie deshalb, uns baldmöglichst mitzuteilen, ob eine Aenderung des Wohnortes von Fräulein Brecht stattgefunden hat und wohin die evtl. in der Zwischenzeit angekommenen Liebesgabenpakete zu leiten wären. Inzwischen grüssen wir Sie mit vorzüglicher Hochachtung p. R E I S S A.G. […]183 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/51.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht Cambrigde/Massachusetts, 11.7.1946 July 11, 1946 Mr. Bertolt Brecht

183 Unterschrift unleserlich.

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Dear Bertolt: Excuse me for writing in English. I have no other possibility to dictate German at this very moment, being in Cambrigde where I just finished my book. You will find enclosed the draft of an agreement with Schoenhof’s Foreign Books, Inc.184 That means, in short, that except for the three books under I, 5-7, we have to go ahead and produce our books without the help of Schoenhof’s. Kindly let me know as soon as possible your agreement with this new set-up. I don’t doubt that it will be possible for me to find the necessary means to continue with our publications. This will be comparatively easy because I am just signing contracts with Austria according to which most of our books will be published there together in Aurora Buecherei. Your Collected Poems shall be one of the first books to be released and I will do the printing here at the same time by photostatic reproduction. Kindly send me the manuscript as soon as possible. I also have chances to have the books printed in Germany but there we still need the permit from Washington and I don’t know yet whether we will get it and when. As to a reprint of FURCHT UND ELEND in Austria or Germany, Schoenhof’s Foreign Books is willing to accept such editions provided you are willing to let them have 50% of the royalties paid by the licensed publishers over there. Since our contracts foresee only 20% of that amount as Schoenhof’s part, you have naturally the right to refuse this offer, whereas in such cases Schoenhof’s has the right to refuse the publication of a licensed edition. This is not unfair if you consider the fact that Schoenhof’s invested quote some money into the books and still hopes to be able to sell them to Austria and Germany, what would be impossible in case licensed editions are coming out over there. To make the answer easier for you, I repeat the questions which you should answer as soon as possible: 1. Do you accept the enclosed draft? 2. Do you want reprints of FURCHT UND ELEND under the condition that Schoenhof’s gets 50% of the royalties? 3. When may I expect the manuscript of the poems? With best regards, I remain

Very truly yours, Wieland Herzfelde, Mgr. Aurora Press

Überlieferung: Ts (ohne Beilagen), AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/82–83).

184 Diese Vereinbarungen wurden bald darauf aufgekündigt. Vgl. Herzfelde, 23.8.1946.

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Franz Rapp185 an Bertolt Brecht Washington, 15.7.1946 2205 42nd Street, N.W. Washington 7, D.C.

15. Juli 1946

Sehr geehrter Herr Brecht, Für A HISTORY OF MODERN DRAMA, welche demnächst von Barrett Clark und George Freedley herausgegeben wird, habe ich das Kapitel über das Drama in Deutschland geschrieben und dabei natürlich Ihr Werk behandelt.186 Jetzt, da das Buch endlich in Druck geht, fragt der Verleger, ob ich von Ihnen autorisiert sei, Sie zu zitieren. Ich habe das nämlich getan, indem ich ein paar Sätze aus Tretyakov’s Abhandlung über Sie in INTERNATIONAL LITERATURE, Moscow, 1937, May187, wörtlich übernommen habe wie den „I do not like plays to contain pathetic overtones etc.“ und Tretyakov’s Übersetzung der Verse aus DIE HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE „Make it not your goal etc.“ Auch ein prinzipieller Satz aus der Einleitung zur englischen Übersetzung von DIE RUNDKÖPFE UND DIE SPITZKÖPFE, die im gleichen Heft erschienen ist, ist von mir in Anführungsstrichen zitiert worden. Dazu erbitte ich hie[r]mit Ihr O.K. Darüber hinaus aber würden Sie mich zu Dank verpflichten, wenn Sie mir sagen würden, wie ich mit Herrn Tretyakov in Verbindung treten kann?188 Es scheint, dass nach amerikanischem Recht auch er befragt werden muss, ob Ihre Verse in seiner Übersetzung abgedruckt werden dürfen. Ich habe das Manuskript meines Kapitels vor drei Jahren abgeliefert. Jetzt, da es an’s Drucken geht, pressiert’s natürlich. Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir bald Bescheid geben würden. Seit Ihrem PRIVATE LIFE OF MASTER RACE habe ich nichts mehr von Ihnen gelesen. Gibt es eine Möglichkeit mit Ihren neuen Arbeiten bekannt zu werden? Ich wäre sehr froh drum Ihr sehr ergebener Franz Rapp Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 976/56.

185 Franz Rapp (1885–1951), vormals Leiter des Münchner Theatermuseums, wurde seiner jüdischen Herkunft wegen 1935 aus diesem Amt entlassen und ging 1939 ins Exil in die USA. 186 A History of Modern Drama, hrsg. von Barrett H. Clark und George Freedley, erschien 1947 bei Appleton-Century in New York. 187 Das ist das Portrait „Bert Brecht“, das als Einleitung zu dem Band Ėpičeskie dramy (vgl. Anm. zu Tretjakow, 27.2.1933) erschien. Vgl. die deutsche Übersetzung in: Tretjakow, Avantgarde, S. 153–185. 188 Sergej Tretjakow wurde 1937 als „Spion“ verhaftet und kam 1939 in einem sibirischen Lager ums Leben.

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Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] ww July 23, 1946 Dear Brecht: Send me two (2) copies of the new Galilei. I’ll go over it with a microscope and a fine-pointed pencil; there may be one or two places I can still help, although I expect you and Laughton have got it up on its hind legs performing flawlessly by now. So it’s Mike Todd.189 That’s what with property – it needs protection, otherwise what are gendarmes for? / I talked about it to Arthur Hopkins190 the other day. Welles had already spoken to him of it. He seemed to think Welles was too occupied and preoccupied to do it justice, much as he admires Welles/ I don’t know Sherman191, and none I have asked know more about him than that he has directed films. Here are some directors John Byram of Paramount192 – a pretty good theater man – thinks well of, although I know little or nothing of them: John C. Wilson193 (some Theater Guild194 stuff) Bretaigne Windust195 (State of Nation, I think) Harold Clurman196 Elmer Rice (supposedly a good director) Years have passed since Johnny Johnson197, but I’d say Virginia Farmer198 is certainly worth a try. I don’t think she was ever a prima donna, she was just tough. I like her – – but who can’t be mistaken? Let me know your Galilei plans, and if there’s anything I can do on this end. Are you going to rehearse in California, or coming here. Would have enjoyed being with you. 189 Mike Todd, d.i. Avram Goldenbogen (1907–1958), amerikanischer Theater- und Filmproduzent. Die mit ihm geplante Produktion des Galileo kam nicht zustande. Vgl. B. an Reyher, Mitte Juli 1946, GBA 29, S. 385f. 190 Arthur Hopkins (1878–1950), amerikanischer Theaterproduzent und -regisseur am Broadway. 191 Vincent Sherman (1906–2006), amerikanischer Schauspieler und Filmregisseur. Brecht hatte sich bei Reyher nach ihm erkundigt. 192 John Byram war als Talent-Scout für Paramount Pictures in New York tätig. 193 John C. Wilson (1899–1961), amerikanischer Theaterproduzent und -regisseur am Broadway. 194 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934. 195 Bretaigne Windust (1906–1960), französisch-englischer Theater- und Filmregisseur, seit den 1920er Jahren in den USA. Inszenierte am Broadway 1945 die Komödie State of the Union von Howard Lindsay und Russel Crouse (die Reyher hier vermutlich meinte). 196 Harold Edgar Clurman (1901–1982), amerikanischer Schauspieler und Regisseur, Mitbegründer des New Yorker Group Theatre (vgl. Anm. zu Eisler, 9.5.1935). Laut Brecht „ein Stanislawskimann“ (B. an Reyher, Anfang/Mitte Aug. 1946, GBA 29, S. 394). 197 Vgl. Anm. zu Gorelik, 9.2.1937. 198 Virginia Farmer (1898–1988), amerikanische Schauspielerin. Brecht hatte Reyher gefragt, ob sie „unprimadonnisch arbeiten“ würde (GBA 29, S. 385).

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I could have gone to Hollywood three weeks ago. The Sol Lesser199 Company wanted to buy the barber for Edward G. Robinson200, but I held off, still minded to do the play first. Hopkins and Paramount, among others, are interested in the play, and I shall have it done next month. Otherwise kneedeep in the photography, and getting deeper; nothing on Hotchpotch.201 Schiftan202 hasn’t called – – write him to[o]; would like to see him. There may be a copy of The King’s Bread 203 around, but doubt it. Didn’t I bring you a copy last Fall from storage? Have the impression I did. No further nose bleeds, and the heat has been fine for my leg; I haven’t used a cane for nearly two months. As ever Überlieferung: Ts, Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable-Adress • Hochelsea • New York, Large and Sound • Proof Rooms; Melvin Jackson (Kopie: BBA E 18/54–55). – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 188f.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] 24.7.1946 7:24:46 Dear Brecht: Last night, after I posted the letter to you, I ran into Dorothy Norman204 at friends’. (She is worried about the translation of the Fünf Schwierigkeiten she sent you; hasn’t heard

199 Sol Lesser (1890–1980), amerikanischer Filmproduzent. 200 Edward G. Robinson, d.i. Emanuel Goldenberg (1893–1973), in Bukarest geborener amerikanischer Schauspieler. Reyhers Roman I Heard Them Sing (Boston 1946), in dem die Geschichte eines Kleinstadtfriseurs um 1900 erzählt wird, der gemeinsam mit seiner Stadt zu bedeutsamer Größe heranwächst, wurde 1952 von Twentieth Century Fox verfilmt unter dem Titel Wait Till The Sun Shines, Nellie (Regie: Henry King). Den Friseur spielte allerdings nicht E.G. Robinson, sondern der relativ unbekannte David Wayne. 201 Gemeint ist Reyhers Photographenroman Tin, der unvollendet blieb. 202 Vermutlich der nach Hollywood emigrierte Kameramann und Filmtechniker Eugen Schüfftan (1893–1977), den auch Brecht gegenüber Reyher erwähnte (GBA 29, S. 385). 203 Von Brecht und Reyher im Oktober 1941 entworfene Filmstory (GBA 20, S. 30–39), die allerdings nie verfilmt wurde. Vgl. dazu den Journaleintrag vom 4.10.1941, GBA 27, S. 13. 204 Dorothy Norman (1905–1997), amerikanische Photographin und Schriftstellerin, Herausgeberin der Zeitschrift Twice A Year, in der 1948 der Aufsatz Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit in einer Übersetzung von Richard Winston (Writing the Truth: Five Difficulties) erschien.

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from you or received the mss205 back, and is going to press pretty soon.) Today Harold Clurman, who through her had evidently seen the Galilei, came here. If you haven’t concluded other arrangements I think you definitely should talk to him about directing the play. He was intelligent about [it], admired it understandingly, and is prepared to go to Hollywood, if need be, to talk with you. He’s had long experience on Broadway, working with the old Theater Group and the Theater Guild and the best of our playwrights, such as they are. He produced Johnny Johnson206 here. He’s also a friend of Eisler’s, whom you should question about him. However the principal thing is his enthusiasm for and approach to the Galilei, with sensible ideas of preliminary preparation. For what it’s worth, he asserts that in the absence of Tyrone Guthrie207 – – whom he has already written to get the play for England – – he himself is the best man to direct it. Kazan208, he remarked, was the third and only other choice. He says he tried to contact you by mail and received no reply, but expecting a reply from a writer seems to me highly unrealistic and refreshingly naive. Shall I tell him to telephone or write to you again or whatever? Todd of course has one transcendent advantage: he may introduce you to the gangster world. It may not be a bad thing to have somebody else on hand who knows his way around the Broadway theater, and can show a little understanding for the qualities of the play and its staging, and even seems comparatively adult. Please answer this at once, and never mind about any wisecracks on my naiveté and lack of realism in expecting a reply from a writer – – and at once yet! Yours, Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable-Adress • Hochelsea • New York, Large and Sound • Proof Rooms; Melvin Jackson (Kopie: BBA E 18/56–57). – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 190.

Henri Leiser 209 an Bertolt Brecht New York, 31.7.1946 July 31, 1946

205 Abkürzung für: manuscripts. 206 Vgl. Anm. zu Reyher, 23.7.1946, und zu Gorelik, 9.2.1937. 207 Tyrone Guthrie (1900–1971), englischer Regisseur, arbeitete in den 1940er Jahren u.a. an der Metropolitan Opera in New York. 208 Elia Kazan, d.i. Avraam Elia Kazancioğlu (1909–2003), in Istanbul geborener amerikanischer Theater- und Filmregisseur. In den 1930er Jahren hatte er am New Yorker Group Theatre gearbeitet und war der kommunistischen Partei beigetreten, wofür er sich später vor dem HUAC verantworten mußte. 209 Henri Leiser, Broadway-Theaterproduzent.

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Mr. Bert Brecht 1063 26th. Street Santa Monica, California Dear Mr. Brecht: Mrs. Hella Vuolijoki asked me to get in touch with you with respect to a play which she has written together with you entitled “HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT KALLE” [sic].210 She suggested that you send me a copy in order to enable me to find out about Motion Picture and Stage possibilities. Would you be kind enough to do so? With personal regards, Most cordially, Henri Leiser. Überlieferung: Ms, Bv.: William Morris Agency Inc. London Chicago Beverly Hills Established 1898 Steinway Hall 113 West 57th Street New York 19. N.Y., Telephone Circle 7–4737; BBA 1762/21.

Walter Brecht an Bertolt Brecht Darmstadt, 3.8.1946

Darmstadt, 3. 8. 46 Ohlystr. 59

Lieber Eugen! Gestern erhielt ich Deinen und der lieben Helly Brief.211 Ich danke Dir von ganzem Herzen für das besondere Schreiben. Inzwischen hast Du ja sicher meine beiden Briefe bekommen. Es ist richtig, daß Dein Freund Hartmann212 starb. Pflanzelt213 geht es, glaube ich, erträglich. Sein Haus in der Klauckestr. ist ausgebrannt. Über Utting214 weiß ich im Augenblick nichts Näheres, da es schon über ein Jahr her ist, daß ich zuletzt – per Fahrrad – in Augsburg war. Das Haus kam 1940 in den Besitz von Hannes215, daran hat sich bestimmt nichts geändert. Am Ammersee haben sich zwar ganz am Ende des Krieges noch einige Ereignisse abgespielt, doch hätte ich es sicher erfahren, 210 Eine von Leiser produzierte Aufführung des Stücks konnte nicht ermittelt werden. 211 Vermutlich der bisher unveröffentlichte und undatierte, von Brecht unterzeichnete Brief in BBA E 25/2 (mit einem handschriftlichen Nachtrag Helene Weigels). Brecht gab darin seiner Freude darüber Ausdruck, daß sein Bruder, wie er aus einem (nicht erhaltenen) Brief Rosalie Fränkels erfahren habe, noch am Leben war. 212 Rudolf Hartmann. 213 Georg Pfanzelt. 214 Utting am Ammersee. Brecht hatte dort im August 1932 ein Haus erworben. 215 Gemeint ist offenbar Brechts Tochter Hanne, deren Pflegevater Theo Lingen mit dem ihr ausgezahlten Pflichtanteil das Haus 1939 für sie erwarb. Nach dem Krieg wurde es verkauft.

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wenn dem Haus etwas geschehen wäre. Ich will mich aber jetzt genau erkundigen, wer zur Zeit in dem Haus wohnt und in welchem Zustand es ist. Dieser Tage hat mich der Intendant des Hessischen Landestheaters Darmstadt gebeten, ich möchte ihm behilflich sein, daß er von Dir die Erlaubnis zur Erstinszenierung des „Guten Menschen von Sezuan“ erhält. Das Darmstädter Theater hat im letzten Winter ganz erstaunlich gute Aufführungen, z.B. von Wilder, Anouilh, Katajew usw. herausgebracht,216 und dürfte wohl zur Zeit die weitaus beste Schauspielbühne des westlichen Deutschland sein. Man würde sich mit Deinem Stück sicher die denkbar größte Mühe geben. Ich habe dem Intendanten geraten, sich direkt an Dich zu wenden. Ich bitte Dich, mich nach all den Menschen und Dingen zu fragen, die Dich besonders interessieren, damit ich Dir dann das, was ich in Erfahrung bringen kann, mitzuteilen vermag. Jetzt will Lie noch an die liebe Helly schreiben. Sei Du mit Helly und den Kindern von uns allen herzlich gegrüßt, besonders von Deinem Walter Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA E 25/7.

Wilhelm […]217 an Bertolt Brecht Darmstadt, 7.8.1946 Herrn Bertold B r e c h t 1063 – 26th Street, Santa Monica / California U.S.A. Darmstadt, den 7. August 1946 Sehr geehrter Herr Brecht, das Landestheater in Darmstadt möchte zu Beginn der kommenden Spielzeit gerne den „Guten Menschen von Sezuan“ in deutscher Uraufführung herausbringen.218 Die Regie

216 Wir sind noch einmal davongekommen (The Skin of Our Teeth, 1943) von Thornton Wilder wurde dort im April 1946 gespielt. Aufführungen der Werke des französischen Dramatikers Jean Anouilh (1910–1987) und des russischen Dramatikers Walentin Petrowitsch Katajew (Valentin Petrovič Kataev, 1897–1986) wurden nicht ermittelt. 217 Ein Mitarbeiter des Landestheaters Darmstadt. Die Unterschrift ist unleserlich. 218 Diese Aufführung kam nicht zustande. Die deutsche Premiere des Stücks fand am 16.11.1952 an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main unter der Regie von Harry Buckwitz statt.

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ist Willi Rohde219 zugedacht, dem diese Arbeit besonders liegen würde. Für die Rolle der Shen Ten ist Herta Zietemann vorgesehen, eine nicht leicht wiederholbare ideale Besetzung für diese Doppelrolle. Frau Zietemann steht dem Landestheater nur für die ersten drei Monate der kommenden Spielzeit für dauernde Beschäftigung zur Verfügung. Es läge mir daran, Ihre Entscheidung, um die ich Sie herzlich bitte, so rasch wie möglich in Händen zu haben. Ihr Bruder in Darmstadt wollte sich gleichzeitig im Sinne meiner Bitte bei Ihnen verwenden. Vielleicht haben Sie drüben gehört, welchen Ruf die Darmstädter Bühne sich in der verflossenen Spielzeit wieder errungen hat, gerade auch als Uraufführungstheater. Mit verbindlicher Empfehlung Ihr sehr ergebener Wilhelm […] Der Dringlichkeit der Angelegenheit wegen bitte ich um Rückantwort per Flugpost. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Hessisches Landestheater Darmstadt; BBA 1764/8.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] 15.8.1946 8:15:46 Dear Brecht: You can imagine how I feel when Steff pops up like this. I glow all over and say “Heil Amerika!” – – and don’t you say “Leider!” It’s grand to have a Brecht here again, and I like him greatly.220 Tell Helly he’s looking fit and fine, had a nice little room downstairs here for a couple of days, is now out with his girl on Long Island, and so far has only pinched a British flag. Maria Czamska called just now, and has key to the apartment for Steff. She abandoned the wohnung because of an einbrecher, and the excitement was more than she could bear, so she fled to another apartment on East 60th Street. I’m sure I don’t know what people want. We do our best; provide einbrecher for local color and freedom from boredom, and then the excitement is too much for them, and right away they move. I don’t believe it was an einbrecher at all. It was probably a veteran looking for a roof over his head. I think another

219 Willi Rohde (1910–?), Schauspieler und Regisseur, inszenierte im Oktober 1949 Mutter Courage an den Städtischen Bühnen Wuppertal. 220 Stefan Brecht hatte Reyher, offenbar unangekündigt, in New York aufgesucht. Brecht äußerte sich zufrieden, „daß Du die Invasion überlebt hast“ (B. an Reyher, Mitte August 1946, GBA 29, S. 395).

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veteran has been exciting her on East 60th Street, because she is sailing in a few days for Europe where there are no veterans. Naturally I was casing the joint in Büdingen.221 I tried to hint as much to you, and would have cut you in, but you just wouldn’t believe the lay existed. They heisted the ice and heavy junk on the square, but jammed the plant in the getaway. I was just beaming and figuring to buy in on Galilei, or crowding Todd out, when the beef broke. I’m humiliated. I’m laying low. About Clurman: I made it plain I was talking without the faintest authority and without your knowledge. His enthusiasm seemed to mean something. I asked him to wait until you answered my letter, but he got impatient and said he was going to call you. I have waited for him to call me since, as he said he would, and I’d have handed him your letter which clearly and completely speaks for itself. If he could have taken that he was your man. However he hasn’t called, and that’s that. I know Lunt 222 only from the front of the house, and of Michael Gordon223 I know nothing. My feeling is that unless you find a director who is intelligent, modern and has the instinct of collaboration, you are better off with a pliable fellow who is on the make and on the learn – provided he knows his way around Broadway in the mechanical and technical departments. I do not know how good Mike Todd’s organization is – I’m now talking about lights, props, unions, grips, assistants and the thousand details you should not have to spend a minute of time or ounce of energy on. But in any case the director should have an instantaneous organization to hand, his own or Todd’s. Otherwise you’ll have as much annoyance as with the Third Reich scenes. Many thanks for the Photography Notes.224 Give me any others you think of. I have started to answer each of them, number by number, for further discussion. But before I burden you with this material I think it more honorable to give you my reaction to the new version of Galilei, which arrived two days ago: GALILEO (Last Version)225 I think you and Laughton have gone mad with overwork and the California climate. I am going mad trying to make out what happened. I feel the presence of another influence. I pass over our efforts here, because virtually nothing of them is left. I am speaking now only of what’s been done to passages and scenes which I would have defended to the limit against tampering with. 221 In Büdingen in Hessen war Reyhers Mutter beheimatet. Vgl. B. an Reyher, Mitte August 1946, GBA 29, S. 395. 222 Alfred Lunt (1892–1977), amerikanischer Schauspieler. Brecht hatte Reyher Anfang August 1946 gefragt, ob Lunt als Regisseur für Galileo in Frage käme. „Ist er zu altmodisch? Reaktionär?“ (GBA 29, S. 389). 223 Michael Gordon (1909–1993), amerikanischer Schauspieler und Regisseur. Auch nach ihm hatte sich Brecht erkundigt (vgl. B. an Reyher, Mitte Aug. 1946, GBA 29, S. 395). 224 Vgl. B. an Reyher, Anfang August 1946, GBA 29, S. 389–393. 225 Brecht hatte Reyher Anfang August „die letzte Version“ (GBA 29, S. 394) geschickt.

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I know what fierce, wearing work you have done on the play, and I bleed for you because it now shows. But I should be less than a friend, or have less than a right to my original opinion that the Galileo was a great work, if I did not say that almost every change made in this version has weakened the play. Much wit, splendor, modernity, characterizations, magnificent ease of its flow, have dribbled out of it. I can’t understand it. I am stumped and sick at heart. I can only say, refer to the German, refer to Laughton’s earlier drafts. But really I don’t know what to say. Always yours, Überlieferung: Ts, Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable-Adress • Hochelsea • New York, Large and Sound • Proof Rooms; Melvin Jackson (Kopie: BBA E 18/58–60). – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 194.

Jacob Walcher an Bertolt Brecht New York, 19.8.1946 3656 Waldo Ave. New York 63, N.Y.

19. August 46

Lieber Gen. Brecht! Vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen.226 Meine Ausreise ist leider immer noch ungeklärt. Dass am 7. September ein erster Transport von New York nach Bremerhaven abgeht, werden Sie wohl schon wissen. Von Bekannten sind Schreiners und Bärensprung dabei.227 Ich nehme an, dass wir auf einem anderen Weg zurückkehren werden. Was die Finanzierung angeht, ist insofern eine Erleichterung erfolgt, als das Billet für diese Route nicht, wie es zuerst hiess, 330.-, sondern 250.- D. kosten soll. Aber auch das ist noch, für zwei Personen, wenn man Gepäck und andere Unkosten in Betracht zieht, eine Stange Geld. Wohlhabende Freunde, die da aushelfen könnten, haben wir leider nicht, aber ich bin sicher, dass unsere engeren Freunde, wenn es einmal so weit ist, in der Lage und willig sein werden, 2-300 D. aufzubringen. Wir selbst besitzen noch eine eiserne Reserve in Gestalt von einigen Hundert Dollars Warbonds. Diese aber möchten wir gerne, wenn irgend möglich, hier deponieren, damit wir uns Pakete schicken lassen könnten. Solche Regelung wäre sicher ganz angenehm, aber sie muss nicht unbedingt sein.

226 Vgl. B. an Walcher, Juli 1946, GBA 29, S. 386. 227 Albert Schreiner und Horst Baerensprung.

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Wann kommen Sie nach New York? Da, wenn ich nicht irre, Ihr Stück 228 im September aufgeführt werden soll, [wird es] wohl nicht mehr sehr lange dauern. Also auf baldiges Wiedersehen. Herzliche Grüsse Überlieferung: Ts, BBA E 1/4.

Stefan Brecht an Bertolt Brecht [New York] 22.8.1946 Aug. 22, 1946 Lieber Bidi Das beiliegende Dokument sollte in den Händen der Harvarder Authoritäten vor dem 24sten August sein. Dies ist nun unmöglich – scheint es. Reyher sagt er will einer der Bondsmänner sein; könntest Du einen anderen finden & mir das Ding dann sofort zurückschicken?229 Oder zwei; und es direkt nach Harvard – sehr schnell – schicken? Das letztere wäre weit beßer, weil rascher. Auch brauche ich meinen sogenannten Letter of Eligibility; er ist unter den anderen Papieren in Helli’s Schreibtisch; oder unter meinen „Dokumenten“. Ich schreib dem Korsch und bitte ihn um Unterkunft – nicht wahr? Herzliche Grüße, In Eile Steff Brecht Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable-Adress • Hochelsea • New York, Large and Sound • Proof Rooms; BBA 654/62.

228 The Duchess of Malfi. Vgl. Anm. zu Korsch, 10.9.1946. 229 In einem Brief an Reyher vom August 1946 teilte Brecht mit: „Anbei was für Steff“ (GBA 29, S. 396). Genaueres konnte nicht ermittelt werden.

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Ernst Geiger an Bertolt Brecht Berlin, 22.8.1946 22. August 1946 Herrn Berthold B r e c h t n.y.c. 1063 26th Street Santa Monica C a l i f o r n i a U.S.A. Sehr geehrter Herr Brecht! Durch den Filmregisseur Herrn Dudow erhielt der neue Intendant vom Theater am Schiffbauerdamm, Herr Fritz Wisten230, Ihre Adresse. Da dieses Theater seit der Uraufführung Ihrer 3-Groschenoper eine gewisse Tradition mit Ihrem Namen verbindet, lässt Herr Wisten durch mich an Sie die herzliche Bitte richten, uns die Uraufführung eines Ihrer in Amerika entstandenen Stücke zu überlassen. In der kommenden Spielzeit soll das Theater am Schiffbauerdamm ein völlig neues Gesicht tragen und zu gern würden wir eines Ihrer Werke in erster Inszenierung und bester Besetzung herausbringen. Aus diesem Grunde bitten wir Sie, uns doch das ein oder andere Ihrer Stücke – evtl. auch in englischer Sprache, wir würden es dann übersetzen lassen – zu schicken. Im Namen des Theaters und seines Intendanten Fritz Wisten begrüsse ich Sie herzlich und verbleibe Hochachtungsvoll Theater am Schiffbauerdamm Der Dramaturg Ernst Geiger Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theater am Schiffbauerdamm Intendant Fritz Wisten Berlin NW7, den __________, Schiffbauerdamm 4a Telefon: 423800 (Kasse): 421717; BBA 3095.

230 Fritz Wisten, d.i. Moritz Weinstein (1890–1962), österreichischer Schauspieler und Regisseur. Vormals in Stuttgart und Berlin tätig, wurde 1938 verhaftet und im KZ Sachsenhausen interniert, aufgrund seiner Ehe mit einer „arischen“ Frau jedoch wieder freigelassen. Ab 1946 Intendant der Volksbühne im Theater am Schiffbauerdamm, ab 1954 der wiederaufgebauten Volksbühne am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz.

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht 23.8.1946 10 West Lieber Brecht, anbei ein Brief des War Departments, der Dich angeht. Ich habe den Absender informiert, dass Aurora die Bühnenrechte nicht hat und den Brief nebst Anlagen an Dich weitergeschickt habe. Zugleich sandte ich Deine Adresse und gab den Rat, Dir zu telegraphieren. Bei der Gelegenheit bitte ich Dich, frühere Post von mir kurz zu beantworten. Es handelt sich um Folgendes: 1.

Bist Du mit der Auflösung unsrer Vereinbarungen mit Schoenhof 231 einverstanden.

2.

Willst Du, dass Furcht und Elend deutsch in der Aurora-Bücherei, die wir in dem Continental Verlag München herausgeben, erscheint. Das Honorar ist 15%, wovon Schoenhof die Hälfte beansprucht (sonst erlaubt er den Wiederdruck, der seine Exportmöglichkeiten nach Oesterreich versperrt, nicht).232

3.

Wann kann ich mit dem Eingang Deines Manuscripts „Neue Gedichte“233 rechnen. Es wäre mir lieb, wenn bald.

4.

Hast Du die Absicht, die Gratulation für Heinrich Manns 75. Geburtstag234 zu schicken, oder sollen wir nicht mehr darauf warten. Bitte schweig nicht weiter. Ueber die Literaturgeschichte235 im September. Morgenröte236 wird bald fertig. Herzlichst Dein

23.8.46 Überlieferung: Ts (ohne Beilage), AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/84).

231 Vgl. Herzfelde, 11.7.1946. 232 Diese Ausgabe kam nicht zustande. Vgl. Anm. zu Herzfelde, 20.3.1945. 233 Unter diesem Titel annoncierte der Aurora-Verlag die Gedichte im Exil. Vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f.; dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938. 234 Die im März 1946 verfaßte Gratulation Heinrich Mann (GBA 23, S. 56) blieb unveröffentlicht. 235 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945. 236 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943.

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Ley237 an Bertolt Brecht Paris, 28.8.1946 Paris, le 28 AOUT 1946 Monsieur Bert BRECHT c/o Messrs REYNAL & HITCHCOCK West 40th Street New-York City Monsieur, Nous avons eu votre adresse par THE NEW DIRECTIONS, auxquelles nous avions écrit, disant que nous étions intéressés par vos ouvrages, en particulier par A PENNY FOR THE POOR.238 En effet, si les droits français en sont encore disponibles, nous vous serions reconnaissants de bien vouloir nous faire parvenir ce livre, afin que nous puissions en prendre connaissance. Nous vous signalons d’ailleurs que nous serions intéressés par tous vos autres ouvrages. Dans l’attente de votre réponse, dont nous vous remercions à l’avance, nous vous prions d’agréer, Monsieur, l’assurance de nos sentiments les meilleurs. Dr. Ley ÉDITIONS NAGEL PARIS Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Les Éditions Nagel/Paris 7, Rue de Savoie – Tél. Danton 56-15 Odeon 67-80 – R. C. Seine No 306 869 B - Télég. Nageledit - Paris Par Avion; BBA 1763/10.

Alan C. Collins239 an Bertolt Brecht New York, 28.8.1946 August 28, 1946 Bertolt Brecht Esq. 1063 26th Street Santa Monica, California

237 Mitarbeiter des Pariser Verlags Les Éditions Nagel. 238 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934; Reyher, 8.12.1938. 239 Mitarbeiter der Londoner Literaturagentur Curtis Brown.

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Dear Mr. Brecht: I have had a cable from my London office saying that they have had an offer from the Arts Theatre240 for a London production of THE BEGGAR’S OPERA. In case you don’t know the Arts Theatre I can tell you that Richard Addinsell241 tells me that it is about the best repertory group in London and they have put on excellent production of Shaw, Ibsen, Shakespeare, and modern plays. He says he would have no reservations about doing business with them. So far as I know, their productions usually run about two weeks and then, if successful, try to get them moved into a West End Theatre for a regular run. They offer ₤100 advance against seven and one-half percent royalties. I have talked to Kurt Weill and he has explained to me about the problem of the play in that a German publisher took out copyright. I don’t think that need bother us. The main problem, since I am sure that the music is available in London, is to get a good English translation. Do you know of any? Kurt indicated that he thought the terms were okay, but of course no final answer could be given on that point until we know what, if anything, a translator would have to be paid. If a translation is available and no payment for it required, then Kurt suggested that the royalties be divided equally between you and himself. On the other hand, if some of the royalties had to go to a translator, Kurt said that he felt the minimum he could accept for his music would be a flat three percent. Would you be kind enough to let me know what you think about all this by return airmail. Sincerely yours, ALAN C. COLLINS acc/gmb Überlieferung: TsD, BBA 1762/32.

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht Berkeley, 5.9.1946 5. September 1946. Herrn Bertolt Brecht, 1063 26th Street, Santa Monica, California.

240 1927 eröffnetes unabhängiges Theater in London. 241 Richard Addinsell (1904–1977), englischer Komponist.

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Sehr verehrter Herr Brecht, Wären Sie bereit in Zusammenarbeit mit einem der führenden modernen Komponisten der Vereinigten Staaten eine kurze Schuloper zu schreiben, die im kommenden Frühjahr hier an der Universität aufgeführt werden könnte? Nachdem ich so ohne Weiteres mit dieser Frage ins Haus gefallen bin, sind weitere Erklärungen am Platze. Der Komponist ist Roger Sessions242, dessen Name Ihnen wahrscheinlich bekannt ist. Roger Sessions lebt seit einem Jahr hier in Berkeley und wir sehen einander sehr häufig. Er kennt Ihr Werk sehr gut, nicht nur soweit es in Englischer Uebersetzung erschienen ist, sondern auch im Original. – Vor Kurzem besprach ich mit Roger Sessions die Möglichkeit, hier im Frühjahr 1947 ein neues musikalisches Werk zur Aufführung zu bringen, und zwar unter Mitarbeit des hiesigen Music-Department’s, das einen ungewöhnlichen Ruf und ein sehr hohes Niveau hat. Natürlich hatte ich von Anfang an Sessions als Komponisten eines solchen Werks im Sinne. Er war von dieser Idee ganz begeistert und wir stellten uns die Frage nach dem Text einer derartigen kurzen Oper. Da gab es allerdings überhaupt keine Diskussion, denn wir beide waren uns in der gleichen Sekunde darüber klar, dass nur Sie ihn verfassen können. – Nun schrieb Roger Sessions an Eric Bentley, mit dem er sehr gut befreundet ist, und auch Bentley meinte, dass wir uns an Sie, lieber Herr Brecht, wenden sollten. Das ist also die Vorgeschichte meiner Anfrage. Was uns vorschwebt ist ein Werk, dessen Spieldauer etwa 30 bis 40 Minuten wäre, und das im Stil und in der szenischen Lösung so einfach gehalten wäre wie seinerzeit der „Jasager“, oder der „Neinsager“. Wenn Roger Sessions erst einmal von Ihnen gehört haben wird, ob Sie überhaupt an diesem Plan interessiert sind, wird man natürlich alles Weitere besprechen können. Ich möchte noch hinzufügen, dass die Proben Ende Februar beginnen müssten. Was nun Roger Sessions anbelangt, so gibt es eine ganze Menge Menschen in Los Angeles, die ihn sehr gut kennen und die Ihnen Auskunft über ihn geben können. Vor allem Arnold Schoenberg; ferner Ernst Bloch; dann Herr Wiesengrund-Adorno243; auch Hanns Eisler ist bestimmt mit Sessions’ Werken vertraut. Die beiden Pianisten Eduard Steuer-

242 Roger Sessions (1896–1985), amerikanischer Komponist und Professor für Musik in Berkeley. Als Libretto für die von Schnitzler geplante „Schuloper“ wurde schließlich Das Verhör des Lukullus gewählt, Sessions komponierte dazu die Musik. The Trial of Lucullus (in der Übersetzung von Hays) wurde am 18.4.1947 von einem Studententheater an der Universität Berkeley unter der Regie von Schnitzler aufgeführt. Vgl. dazu B. an Fred O. Harris, 15.3.1947, GBA 29, S. 412. 243 Der Philosoph, Soziologe, Musikwissenschaftler und Komponist Theodor Wiesengrund-Adorno (1903–1969), Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, ging 1934 ins Exil nach Großbritannien, 1938 in die USA (wo er den Namen Wiesengrund ablegte). Sein Verhältnis zu Brecht, den er bereits seit den späten 1920er Jahren kannte und mit dem er auch im amerikanischen Exil mehrmals zusammentraf, war beiderseits von Mißtrauen geprägt. Adorno kehrte 1949 (nach einem nochmaligen Forschungsaufenthalt in den USA dann endgültig 1953) zurück nach Frankfurt und wurde dort Professor für Philosophie und Soziologie.

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mann244, und Herr Buhlig245 (der letztere ein Freund Schoenberg’s) sind Freunde von Sessions. – Schliesslich kann Ihnen Eric Bentley alle gewünschten Auskünfte erteilen. Ich hoffe aufrichtigst, dass Sie für unseren Plan Interesse haben werden. Dass Sie und Roger Sessions einander wunderbar verstehen würden, daran zweifle ich keinen Augenblick. Sie werden sich vielleicht daran erinnern, als wir die Uraufführung von „Private Life of the Master Race“ vorbereiteten,246 schrieb, für wie wichtig ich die Entwicklung der verschiedenen Universitätstheater halte. Vor Allem erscheint es mir wichtiger, dass diese Theater neue Werke zur Aufführung bringen können; sonst besteht die Gefahr, dass man notgedrungen die Broadway-Ware verkaufen muss, einfach weil man nichts Anderes bekommt. Sie können sich denken, wie sehr es mich gefreut, in Eric Bentley’s Buch ganz ähnliche Ansichten ausgesprochen zu finden. Ich weiss, dass Sie für diese Zusammenarbeit zwischen Universitätstheater und modernem Autor, resp. Komponisten, Verständnis haben werden und dass Sie deren Notwendigkeit anerkennen. Deshalb bin ich auch so ohne Weiteres mit meiner Frage ins Haus gefallen. Ich hoffe aber, dass der Rest meines Briefes die Situation genügend aufgeklärt hat. Dürfen wir hoffen, sehr bald von Ihnen zu hören? Mit den besten Grüssen, Ihr sehr ergebener Henry Schnitzler. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 163 Stonewall Road Berkeley 5, California, Notiz von fremder Hand: „beantwortet 18 Sept“; BBA 1762/22–23.

Lorentz an Bertolt Brecht New York, 5.9.1946 FRTM pare lorentz chief films and theater sect reorientation branch civil affairs div 292 madison ave newyork NY 051652Z to bertolt brecht 1063 26th santa monica calif GRNC request reply to my letter 19 august to mr herzfelde forwarded to you for action247 1719 Z 244 Eduard (Edward) Steuermann (1892–1964), in Galizien geborener Komponist und Pianist, ging 1938 in die USA. 245 Richard Buhlig (1880–1952), amerikanischer Pianist. 246 Vgl. Anm. zu Schnitzler, 16.11.1944. 247 Vgl. Herzfelde, 23.8.1946. Die Anlage ist nicht überliefert.

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confirmation copy to mrs brecht Date 9/5/46 Time 1839Z

BY SB

Überlieferung: Ts (Telegramm), RBA 53/126.

Stefan Brecht an Bertolt Brecht [New York] 10.9.1946 Sep. 10, 1946 Lieber Bidi, vor einigen Tagen erwarb ich (für $ 0.20) das Reclam Bändchen Nummer 173.248 Da drinn sind drei Stücke des Dr. Martinus Luther; ein Brief an Leo den 10ten249, einen Aufsatz „Von der Freiheit eines Christenmenschen.“, und ein Pamphlet „Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von Dr. Martino Luther verbrannt seien. Lasse auch anzeigen, wer da will, warum sie Dr. Luthers Bücher verbrennet haben.“ Alle drei Dinge sind im Jahre 1520 geschrieben. Der Brief 250 soll im Ganzen einen Versuch Luthers darstellen den Papst zu besänftigen; einen Kompromiß zu machen; und ist in zwei Theilen. Zuerst sagt Luther fest er halte viel von dem Allerheiligsten in Gott, Vater Leo X, ob zwar er um sich böse Schmeichler habe. „Indeß sieht du, heiliger Vater Leo, aus wie ein Schaf unter den Wölfen und wie Daniel unter den Löwen und wie Ezechiel unter den Skorpionen.“251 Aber, also, mit dem Pabst [sic] will er gar keinen Zank: „In allen Dingen will ich jedermann gerne weichen, das Wort Gottes will ich und kann ich auch nicht verlaßen noch verläugnen. Hat jemand einen andern Wahn von mir,252 der irret und hat mich nicht recht verstanden. 248 Gemeint ist wohl das Bändchen Nr. 1731 aus Reclams Universal-Bibliothek: Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen nebst 2 anderen Reformationsschriften aus d. J. 1520, hrsg. v. Karl Pannier, Leipzig 1924. 249 Leo X., d.i. Giovanni di Lorenzo de’ Medici (1475–1521), ab 1513 Papst der katholischen Kirche. 250 Ein Sendbrief an Papst Leo X. (1520), in der von Kurt Aland besorgten zehnbändigen Auswahledition Luther deutsch (Göttingen 1991) in Bd. 2, S. 239–250. 251 In Luther deutsch (Bd. 2, S. 242) heißt es: „Indes sitzest Du, heiliger Vater Leo, wie ein Schaf unter den Wölfen (Matth. 10, 16) und gleichwie Daniel unter den Löwen (Dan. 6, 16ff.) und mit Ezechiel unter den Skorpionen (Hes. 2, 6).“ Wo entweder Stefan Brecht Zitate sinnentstellend wiedergibt oder wo das Lutherdeutsch selbst das Verständnis erschwert, wird im folgenden der von Kurt Aland bearbeitete Text zum Vergleich herangezogen. 252 „Hat jemand eine andere Meinung von mir oder meine Schrift anders verstanden […]“ (a.a.O., S. 241).

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Das aber ist wahr, ich habe frisch angetastet den römischen Stuhl, den man nennet römischen Hof, von dem auch du selbst bekennen mußt und niemand anders bekennen kann, als daß er sei ärger und schändlicher, als jemals Sodom, Gomorra oder Babylon gewesen ist.“ Dies ist schon beinahe ein Gedicht. ... „Kurz, sie sind alle gute Christen, die böse Römische sind.“ Insbesonders haßt Luther einen gewissen Eck 253 der grade gegen ihn eine Bulle vorbereitet: „Ich will noch weiter reden. Es wäre mir auch dasselbe nie in mein Herz g[e]kommen, daß ich wider den römischen Hof hätte renneret oder etwas von ihm disputiert.254 Denn dieweil ich sah, daß ihm nicht zu helfen, Kosten und Mühe verloren waren, habe ich ihn verachtet, ihm einen Urlaubsbrief geschenkt und gesagt: „Ade, liebes Rom, stink’ fortan, was da stinkt, und bleib’ unrein für und für, was da unrein ist;“ habe mich also begeben in das stille ruhige Studieren der heiligen Schrift, damit ich förderlich wäre denen, bei welchen ich wohnte. Da ich nun hier nicht unfruchtbarlich handelte, that der böse Geist seine Augen auf und ward das gewahr; behende erweckte er mit einer unsinnigen Ehrgeizigkeit seinen Diener Johann Eck, einen besonderen Freund Christie und der Wahrheit, gab ihm ein, daß er mich unversehens riße in eine Disputation und mich ergriffe bei einem Wörtlein, von dem Papstthum gesagt, das mir von ungefähr entfallen war.“ Dann beschreibt L. die Verhandlungen zwischen ihm und den Emissären255 des Stuhles; und wird am Ende ganz hart: „Also komme ich nun, Heiliger Vater Leo, und zu deinen Füßen liegend bitte ich, so es möglich ist, wollest du deine Hand dran legen, den Schmeichlern, die des Friedens Feinde sind und doch Frieden vorgeben, einen Zaum einzulegen. Daß ich aber sollte widerrufen meine Lehre, da wird nichts drauß, es darf sich auch niemand vornehmen, er müßte denn die Sache noch in ein größer Gewirre treiben wollen; dazu mag ich nicht leiden Regeln oder Maße, die Schrift auszulegen, dieweil das Wort Gottes, das alle Freiheit lehret, nicht soll noch muss gefangen sein. Wenn mir diese zwei Stücke bleiben, so soll mir sonst nichts aufgelegt werden, was ich nicht mit allem Willen thun und leiden will.“ ... „Darum, mein Heiliger Vater, wolltest du doch nicht hören deine süßen Ohrensänger, die da sagen, du seiest nicht ein reiner Mensch, sondern gemischt mit Gott, der alle Dinge zu gebieten und zu fordern habe. Es wird nicht so geschehen, du wirst’s auch nicht ausführen. Du bist ein Knecht aller Knechte Gottes und in einem fährlicherem, elenderem Stande als je ein Mensch auf Erden. Laß dich nicht betrügen, die dir lügen und heucheln,256 du seiest ein Herr der Welt, die niemand wollen laßen Christ sein, er sei den dir unterwerfen, 253 254 255 256

Der Theologe Johannes Eck (1486–1543) war ein Gegner Luthers. „[…] daß ich wider den römischen Hof rumort oder etwas von ihm disputiert hätte“ (a.a.O., S. 244). Im Ts: „Emässarien“. „Laß Dich nicht von denen betrügen […]“ (a.a.O., S. 248).

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die da schwatzen, du habest Gewalt in dem Himmel, in der Hölle und im Fegefeuer, sie sind deine Feinde und wollen deine Seele verderben, wie Jesaias sagt: „Mein liebes Volk, welche dich loben und heben, die betrügen dich.“ Sie irren alle, die da sagen du seiest über dem Concilium und der gemeinen Christenheit. Sie irren, die dir allein Gewalt geben, die Schrift auszulegen, ...“ Der Sprachrhytmus ist vor allem herrlich; während man in Gedichten diesen diesen Rhytmus zum großen Teil durch die Linienlänge, die Reime und die Art der Linienendensilben (hart oder weich) kriegt; kommt der lutherische Rh. von einer schriftlich (sozusagen) angedeuteten Haltungsänderung. Dies ist besonders klar in den (von Luther) unterstrichenen Sätzen im ersten Zitat auf Seite 3; in dem Übergang vom ersten zum zweiten Satz in dem zweiten Zitat auf Seite 3.. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“257 beginnt ganz herrlich: „Zum Ersten, daß wir gründlich mögen erkennen, was ein Christenmensch sei, und wie es gethan sei um die Freiheit, die ihm Christus erworben und gegeben hat, wovon St. Paulus viel schreibt, will ich setzen diese zwei Beschlüße: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand unterthan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann unterthan. ...“ Diese herrliche Formulierung – die sich stützt auf St. Paulo258; einen besonderen Liebling des Dr. Luther; wird klar entwickelt nach dem zweiten Postulat: „daß ein jeglicher Christenmensch ist zweierlei Natur, geistlicher und leiblicher.“ Frei ist er (leider nur) als innerer Mensch; als äußerer ist er ein Knecht; nähmlich der Knecht eines jeden weltlichen Herren; dies ist eine Hauptsorge daß es klar verstanden sei des Dr. Luther. Auch der Kirche als weltliche Herrscherin soll der Christ folgen; denn diese Bußen, Faßten, Beich[t]en und guten Werke können ihm ja nichts schaden. Doch wie die Sache in der Wirklichkeit aussieht so ist nun doch die römische Kirche als weltliche Macht die einzige Macht unter den weltlichen Mächten der ein Christ nicht folgen soll und muß – dem Dr. Luther zufolge – und warum? Weil sie ihre unchristliche geistliche Macht auf diese weltliche Macht stützt. – Ein großer Advokat der deutschen weltlichen Herren der ihre Macht für unwichtig erklärt und darum ihre Unterthanen ermahnt ihnen zu gehorchen; sie aber und ihre Unterthanen der äußeren Macht der alldeutschen und europäischen Kirche entzieht weil sich diese geistige Macht anmaaßt. Die innere Freiheit der Unterthanen versüßt ihnen ihre äußere Unfreiheit, macht diese gerecht; und macht so möglich die völlige Freiheit der weltlichen Herren. All dies ist sehr deutlich in dieser Schrift die übrigens zum großen Theil von der Unwichtigkeit guter Werke + anderer äußerer Thaten und der Wichtigkeit des inneren Glaubens was das in – das Himmelreich – kommen betrifft handelt. Luther spricht 1520 nur für die Prinzen; nicht für die Bürger. 257 In Luther deutsch, Bd. 2, S. 251–274. 258 Der Apostel Paulus.

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„Und Christus, Matthäus 17, da von seinen Jüngern ward der Zinspfennig gefordert, disputierte er mit St. Peter, ob nicht Königskinder frei wären, Zins zu geben. Und als St. Peter ja sagte, hieß er ihn doch hingehen an das Meer und sprach: „Auf das wir sie nicht ärgern, so geh’ hin; den ersten Fisch, den du fängst, den nimm und in seinem Maul wirst du finden einen Pfennig, den gieb für mich und dich.“ Das ist ein fein Exemplar259 zu dieser Lehre, da Christus sich und die Seinen freie Königskinder nennet, die keines Dings bedürfen, und doch sich unterwirft williglich, dienet und giebet Zins.“ (Zum Achtundzwanzigsten). In dem dritten Theil des Büchleins, dem Pamphlet260, macht L. dem Papst sogar daraus einen Hauptvorwurf daß dieser vermeint er könne Untertanen ihres Gehorsams entbinden. Dieses Pamphlet ist in der Form einer Reihe von dreißig „Artikeln und Irrthümer in des geistlichen Rechts und den päpstlichen Büchern, warum sie billig zu verbrennen und zu meiden seien.“ mit Einleitung oder Anhang geschrieben. „Der zweite. Es ist nicht ein Gebot, sondern ein Rath lt. Peters261, wenn er lehret, alle Christen sollen den Königen unterthan sein. Der dritte. Die Sonne bedeutet päpstliche, der Mond die weltliche Gewalt in der Christenheit.“ Im zehnten Artikel und Irrthum giebt es wieder ein herrliches Beispiel des Rhythmusschaffens durchs Gestenwechseln: „Der zehnte. Den Papst kann niemand urtheilen auf Erden, auch niemand sein Urtheil richten, sondern er soll alle Menschen richten auf Erden, 9. qu, 3.c.cuncta. Dieser Artikel ist der Hauptartikel, und daß es ja wohl sich festsetzte, ist er durch gar viele Kapitel und beinahe durchs ganze geistliche Recht immer aus- und angezogen, so daß es wohl klar wird, wie das ganze geistliche Recht nur darum sei erdichtet, daß der Papst frei könnte thun und laßen, was er wollte, Erlaubniß zu Sünden und Hinderniß zum Guten geben.262 Besteht diese Artikel, so liegt Christus und sein Wort darnieder; besteht er aber nicht, so liegt das ganze geistliche Recht mit dem Papst und seinem Stuhl darnieder. Nun besteht er aber nicht, denn lt. Peter hat gebent263 ...“ „Der dreiundzwanzigste.

259 „[…] ein feines Beispiel“ (a.a.O., S. 271). 260 Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von Doktor Martin Luther verbrannt sind (1520), in: Luther deutsch, Bd. 2, S. 275–286. 261 „[…] ein Rat des Petrus“ (a.a.O., S. 277). 262 „Dieser Artikel ist der Hauptartikel, und damit er ja gut festsäße, ist er durch sehr viele Kapitel und beinahe durchs ganze geistliche Recht hindurch immer wieder und wieder angeführt, so daß es wohl scheint, als ob das geistliche Recht nur darum erdichtet sei, daß der Papst frei tun und lassen könnte, was er wollte, Erlaubnis zu Sünden und Hindernis zum Guten geben“ (a.a.O., S. 278). 263 „[…] denn Petrus gebietet“ (ebd.).

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Daß die Unteren können ungehorsam sein ihren Oberherren und die Könige er entsetzen264 könne, wie er das an vielen Orten setzt und oft gethan wider und über Gott. Der vierundzwanzigste. Daß er auch alle Erde, Bünde und Pflichten, zwischen hohen und niedern Ständen geschehn, zu zerreissen Macht haben will wider und über Gott, der gebent: Jedermann soll dem andern Glauben halten.“ 265 Das Ende dieser wunderbaren Schrift ist: Sicut fecerunt mihi sic feci eis (Ich habe ihnen getan, wie sie mir gethan haben.) Doch obwohl der Luther ein Feind des Volkes, ein Freund der Großen, war, ist seine Verinnerlichung des christlichen Gemüths doch ein ungeheurer Schritt und ein großes Symptom gewesen; diese Verinnerlichung entspricht dem Galileischen Gerede von der Verläßlichkeit des menschlichen Kopfes in der Ball-Scene.266 Daß alle gleich sind ihr eignes Leben moralisch zu beurtheilen auch aus gleich in ihrem Verhältniß zu Gott ist doch sehr weitgehend. Durch das Vorige wollte ich zeigen wie unrevolutionär der Luther schon (?) 1520 war; Galilei ist mir viel zu allgemein revolutionär. Vor allem ist die Bauernliebe eine so eigene Sache; die Handwerker, Werkmeister etc. waren den Bürgern etwa noch genehm; doch daß Galilei je der Bauern gewahr wurde scheint mir sehr unwahrscheinlich. Ich möchte also sagen daß das Stück („Galilei“) zweierlei fälschlich darstellt:267 A Die Einheit der Oberen: a Papstthum, Papst, Kirche b Die großen Familien der Campagne, die Ellen c Die Schiffserbauer Genua’s, etc. B Die Einheit der Unteren: a. die Bürger, Matti, Gelehrten, Fabrikanten b. die Bauern

264 D.h. „absetzen“ (a.a.O., S. 281). 265 „[…] der gebietet, jedermann solle dem andern Treue halten“ (a.a.O., S. 282). 266 Stefan Brecht bezieht sich auf den Galileo, die amerikanische Bühnenbearbeitung. Mit der „BallSzene“ ist vermutlich diejenige gemeint, in der einige Kleriker Galilei höhnisch demonstrieren, daß man auf einer Kugel („a rolling ball“, vgl. GBA 5, S. 139) nicht stehen kann. Im anschließenden Gespräch mit den Kardinälen Bellarmin und Barberini bekennt Galilei: „I believe in the brain“ (S. 144). 267 Vgl. dazu Brechts Replik in GBA 29, S. 400f.

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A. wird in der Sonnenflecken-Scene268 explizit; B in der großen Endscene AndreasGalilei + in der Rede des kleinen Mönches.269 Die Fälschung A betreffend ist dieselbe die auch „Coriolanus“270 so sehr schwächt (unmittelbar dramatisch) Die Fälschung B betreffend ist anderer Art; ich glaube sie ist innig mit der Nicht-Epik (in Deinem Sinn) der Darstellung Galilei’s verbunden. Du hast nähmlich durch diese Fälschung Galilei a) sympathisch b) zeitlich universell, außerhalb der Geschichte stehend und, so, unhistorisch c) kontemporär gemacht. Ich finde Galilei müßte unbedingt unsympathisch sein, so & so, groß, etc.; aber sehr ein Bourgeois – oder, eigentlich, noch nicht mal ein Bourgeois. Indem das Lehrerverhältniß zu Andreas idealisiert wird – durch „Hm“s und „Das siehst Du also auch schon“ etc.; wird er beinahe zu einem absoluten Lehrer, d.h. er hat sich über seine Zeit gehoben. Das Stück ist eigentlich voll von liebenswerten und wunderbaren Menschen: die Sarti, Andreas, Galilei, der kleine Mönch, Fabricius, Kristoffer Klavius. Ich sehe nicht ein warum nicht Andrea den Galilei beneiden und nicht leiden kann; die Sarti sich einen Scheißdreck um Galilei kehrt; die Schüler einander haßen. ___________ Heute hörte ich über das Radio daß die Regierung nächstes Jahr den kartoffelbauenden Bauern nur Unterstützung zahlen wird so diese sich an die Regierungsanbauflächenbeschränkungen halten werden; so daß nicht wie dieses Jahr die Regierung wieder wird gezwungen sechzig Millionen Bushel zu kaufen um die Preise zu halten. Herzliche Grüße an Helli, Barbara, Morton Herzliche Grüße Dein Stefan Brecht Überlieferung: Ms, BBA 654/63–80.

268 Seit etwa 1610 befaßte sich Galileo Galilei mit Flecken auf der Sonne, die er beobachtet hatte. In Brechts Stück ist von einem Buch über Sonnenflecken („De maculis in sole“) die Rede, das der Autor Galilei gewidmet hat. Vgl. GBA 5, S. 152–154. 269 Vgl. GBA 5, S. 176–181 u. 148–150. 270 Eine Bearbeitung von Shakespeares Tragedy of Coriolanus (1608), die ihn bereits seit den 1920er Jahren reizte, unternahm Brecht 1951. Vgl. GBA 9, S. 7–81.

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Curt Riess an Bertolt Brecht Berlin, 10.9.1946 Curt Riess US Army Press Camp APO 755, Berlin

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Lieber Brecht: – Langhoff, der neue Intendant des Deutschen Theater[s], und ein alter Freund von mir, hat mich gebeten, an Sie zu depeschieren. Dies tue ich nicht, da ich ja auf meine letzten Telegramme und auf meine sehr langen Briefe271 ueberhaupt keine Antwort bekommen habe. Ich entnehme daraus, dass Sie in der Angelegenheit „Mutter Courage“ Ihre Ansicht nicht geaendert haben. Das habe ich auch Langhoff gesagt, der mich aber trotzdem gebeten hat, die Sache weiterzugeben. Im uebrigen moechte ich Ihnen sagen, dass ich es doch komisch finde, dass Sie garnicht auf die letzten Nachrichten reagiert haben. Schliesslich habe ich in Ihren Angelegenheiten viel Zeit versaeumt – von den Kabelspesen etc. garnicht zu reden. Lassen Sie es sich trotzdem gut gehen. Curt Riess Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3178.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Seattle, 10.9.1946

Seattle, Wash 3601 E Cherry St Sept 10, 1946

lieber bert, ich hoffe, dass dieser Brief Sie in Kalifornien erreicht. Ich lege Durchschlag eines Ms bei, das durch Trotzki’s letztes Buch mehr veranlasst als wirklich hervorgerufen wurde.272 Wichtig ist nur der zweite Teil, von Seite 5 ab. Den werde ich vielleicht in einem besonderen Artikel ausarbeiten, Thermidor in Reverse, und würde gern vorher Ihre Reaktion hören.

271 Nicht überliefert. 272 Karl Korsch, „Restoration or Totalization? Some Notes on Trotsky’s Biography of Stalin and on the Revolutionary Problem of our Time“, in: International Correspondence, hrsg. v. Ruth Fischer, Heinz Langerhans und Adolph Weingarten, Bd. 1, Nr. 2, New York 1946. Trotzkis Ende der 1930er Jahre im mexikanischen Exil begonnene Stalin-Biographie blieb unvollendet.

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Ferner möchte ich gern wissen wie Ihre Pläne sind, wie lange Sie im Westen bleiben (wenn Sie jetzt da sind) und wann Sie wieder nach New York kommen. Ich bin seit einigen Tagen hier, fahre dann mit Hanna K. für 10 Tage nach Carmel, südlich von San Francisco, und bleibe dann noch etwas in Seattle, aber nicht lange, da ich jetzt ziemlich arbeitseifrig bin und in Boston, kombiniert mit New York, doch am besten arbeiten kann. Aber natürlich lockt es mich auch Sie und Helli, samt Steff und der kleinen Barbara wiederzusehen. Ich weiss aber noch nicht, ob ich hinkommen kann, da ich von Carmel aus wegen der Beförderung in Hannas Wagen und aus andern Gründen zuerst nach Seattle zurückfahren muss. Auch weiss ich, da der früher so schreiblustige Steff auf meine letzten Sendungen und Fragen gar nicht mehr reagiert hat, garnichts über die dortige Situation u. besonders auch nicht, ob Sie da sind und wie lange Sie da bleiben…273 Der Familie geht es gut bis ausgezeichnet. Wir waren den ganzen Juli alle zusammen in einem Häuschen am Otsego Lake in Cooperstown – lederstrümpflichen Angedenkens. Auch ist das jetzt der Schauplatz von Barbaras ärztlicher, genauer gesprochen, kinderärztlicher Wirksamkeit. Bis Ende des Jahres, dann geht sie für 6 Monate zu Sibylle nach Topeka zu kinderpsychologischem training und im Juli wieder an ein erstrangiges Institut der Cornell U[niversit]y nach New York. Wir hatten eine herrliche Zeit und dachten oft zurück an ein ähnliches allfamiliales Zusammensein in Thurö und Svendborg. Also mit der Hoffnung auf Antwort u. herzlichen Grüssen von Hanna und mir Ihr K Überlieferung: Ms, BBA 654/60-61. – E: Korsch, Briefe, S. 1134f.

Peter Lotar 274 an Bertolt Brecht Basel, 11.9.1946 BASEL, DEN 11. September 1946 L/j BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: THEATERVERLAG Der Dramaturg 273 Brecht fuhr am 22.9.1946 nach New York und gleich weiter nach Boston, um sich dort am 25.9. eine Probeaufführung der Duchess of Malfi anzusehen. Regie führte der von Paul Czinner engagierte Georg Rylands, mit dessen Arbeit Brecht allerdings sehr unzufrieden war (vgl. B. an Czinner, 26.9.1946, GBA 29, S. 399f.). In New York blieb er bis Anfang Dezember. Durchaus möglich, daß er Korsch auf dessen Rückreise aus Seattle im Oktober getroffen hat. 274 Peter Lotar, eigentl. Chitz (1910–1986), in Prag geborener Schauspieler und Regisseur. Ging 1939 in die Schweiz, dort ab 1946 als Dramaturg beim Theaterverlag Reiss beschäftigt.

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Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Avenue, Santa Monica (California) Sehr verehrter Herr Brecht, Wir erhalten dieser Tage einen Brief des Zinnen-Verlages Kurt Desch, München, dessen Abschrift wir Ihnen in der Beilage übersenden. Da der vorgesehene Theater-Almanach an sämtliche deutschsprachigen Bühnen (Deutschland, Oesterreich, Schweiz) und Theaterliebhaber dieser Länder versandt werden wird, erachten wir es für ausserordentlich wichtig auch für Sie und die Propagierung Ihres Werkes, dass Ihr Bild und einige kurz gefasste biographische Angaben über Sie und Ihr Werk darin enthalten sind. Wir bitten Sie daher, dem Verlangen des Zinnen-Verlages zu entsprechen und das gewünschte Material so schnell wie möglich direkt an die angegebene Adresse (Lutz Neuhaus, Zinnen-Verlag Kurt Desch, München 19, Romanstrasse 7, Abtlg. Theater-Almanach) zu senden.** Weiters bitten wir Sie um die Freundlichkeit, am Ende Ihres Beitrages anzugeben: „Das Aufführungsrecht der Werke von Bert Brecht ist ausschliesslich durch den Theaterverlag Kurt Reiss A.G. Basel (Schweiz), Bäumleingasse 4, zu erwerben.“ Wir danken Ihnen bestens für Ihre Mühewaltung und begrüssen Sie mit den besten Empfehlungen Ihnen ergeben R E I S S A.G. Peter Lotar Beilage: 1 Briefkopie ** oder besser direkt an Herrn Lutz Neuhaus, Ebenhausen-Isartal (13b) Haus Quisisana [Anlage] Copie Zinnen-Verlag Kurt Desch, München Abteilung: Theater-Almanach Anschrift: München 19, Romanstrasse 7

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Ebenhausen, den 23,7,46

Sehr geehrte Herren! Wir planen zum Herbst die Herausgabe eines Theateralmanachs und möchten das Buch mit den Fotos der in der laufenden Spielzeit (45/46) an deutschen Bühnen uraufgeführten Autoren illustrieren. Wir legen grossen Wert darauf, auch einige Bilder emigrierter deutscher Dichter und ausländischer, jetzt in Deutschland aufgeführter Autoren mitzuveröffentlichen und möchten Sie nun höflichst bitten, uns aus Ihrem Archiv an Unterlagen für den geplanten Theateralmanach Bilder Ihrer an deutschen Bühnen uraufgeführten Autoren mit kurzgefassten biographischen Angaben über den menschlichen wie künstlerischen Werdegang zu überlassen. Als meist und erfolgreichst gespielter Dichter dürfte wohl Herr Bert B r e c h t zu nennen sein, weshalb uns an einem Foto nebst biographischen Notizen Ihres Herrn Brecht besonders gelegen ist.275 Der vorgeschrittenen Zeit wegen wäre es uns sehr lieb, die erbetenen Unterlagen möglichst umgehend zu bekommen; wir bitten deshalb, sie der Einfachheit halber direkt an unseren Mitarbeiter: Lutz Neuhaus, (13b) Ebenhausen-Isartal, Haus Quisisana adressieren zu wollen. Wir danken für Ihre Mühewaltung und begrüssen Sie in vorzüglicher Hochachtung Verlag Kurt Desch München Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/20 (Anlage: TsD, BBA 3079).

H.J. Jelinek 276 an Bertolt Brecht New York, 12.9.1946 1946 Sep 12 AM 11 12 T LA63 SA 129 V WG 96

MAILED FROM MAIL 27 Los Angeles Signal Center 1418 Federal Building,

275 Eine Antwort Brechts ist nicht überliefert. 276 Mitarbeiter des US-Kriegsministeriums in Washington.

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GD 204 ULA V UGI NRB24 WD

Los Angeles 12, California

from h j jelinek films and theater sec reorientation br civil affairs div war dept 292 madison ave newyork 121747Z to bertolt brecht 1063 26th st santa monica calif GRNC request permission to produce your mutter courage, galileo galilei and der gute mensch von sezuan in germany and austria. terms are 10 percent of gross receipts. collection supervised by us army. royalties will be released when blocked marks can be exchanged for dollars. letter of agreement for your signature forwarded to you by weiland herzfeld.277 please acknowlwdge. 1805Z Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 1762/9.

Alan C. Collins an Bertolt Brecht New York, 13.9.1946 September 13, 1946 Bertolt Brecht Esq. 1063 26th Street Santa Monica, California Dear Mr. Brecht: I do need urgently a reply to my letter of August 28th about the London production of THE BAGGAR’S OPERA [sic]. Won’t you let me have it, please. Sincerely yours, Alan C. Collins ACC:gmb Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Curtis Brown, Ltd. London New York Alan C.Collins, President 347 Madison Avenue, New York 17 Murray Hill 6-6170 Cables: Browncurt Mrs. Sewell Haggard Naomi Burton; BBA 1762/30.

277 Wieland Herzfelde.

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Roger Sessions an Bertolt Brecht Berkeley, 15.9.1946 Sept. 15, 1946 Dear Mr. Brecht, – Henry Schnitzler has, I think, already written you in regard to the possibility of my collaborating with you on a […] work which would be along the […] lines of your Schuloper278 and which we would like to produce here next April. I am writing you to add my word to his, in the hope that this may strike you favorably. What I have in mind would be a work lasting approximately 30 minutes. Since I am familiar with your work I feel confident that anything you would be interested in writing would certainly appeal strongly to me, and that I would be sure to find your dramatic conceptions congenial. The text would have to be in my hands not later than the middle or end of November I would appreciate tremendously a word from you telling me whether this project appeals to you. Very sincerely Roger Sessions Überlieferung: Ms, Bv.: University of California. Department of Music: Berkeley 4, California; RBA 54/27.

Kurt Kläber an Bertolt Brecht Carona bei Lugano, 15.9.1946 Kurt Kläber Carona den 15.9.46. bei Lugano, Suisse Lieber Bert, ich weiss nicht, warum Du Himmel- oder Schweinehund seit vier Jahren nicht mehr schreibst. Ich schreibe Dir nun in einer etwas dringlichen Angelegenheit. Hier in der Schweiz haben wir zur Zeit eine fürchterliche Bergengruen-, Carossa- und Wichertbluete.279 278 Das Verhör des Lukullus. Vgl. Schnitzler, 5.9.1946. 279 Der konservative Schriftsteller Werner Bergengruen (1892–1964) war allerdings ein Gegner des Nationalsozialismus, im Unterschied zu Hans Carossa (1878–1956), der sich von den Nazis bereitwillig protegieren ließ. Mit Wichert ist wohl nicht der Schriftsteller Ernst Wichert (1831–1902), sondern Ernst Wiechert (1887–1950) gemeint, der, ähnlich wie Bergengruen, dem Nationalsozialismus aus christlicher Überzeugung widerstand.

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Diese Blut- und Bodenliteratur, die zur Zeit in Sack und Asche geht, und alle zu Traenen ruehrt ist kaum noch auszuhalten. Sogar Juenger280 soll neu aufgelegt werden, dieser Weltbrandstifter. Ich moechte nun gern, dass so schnell als moeglich ein paar kleine Gedichtbaende von etwas handfesteren deutschen Dichtern erscheinen. Es mu[e]ssen nur ein oder zwei dutzend Gedichte sein. Einen Verleger dazu wuerde ich suchen. Ich dachte an Deine Svendborger Verse.281 Schreibe mir die Bedingungen fuer so ein Baendchen. Einmalige Auflage, vielleicht 1000 Stueck, die Schweiz ist ja klein. Dann brauchte ich auch ein Exemplar. Das meine, was mit das Einzige in der Schweiz war, hat mir ein Brechtnarr gestohlen. Wenn Du noch ein paar andere Gedichte hineinhaben willst, dann lege sie bei. Aber bitte, die Sache eilt wirklich und da aus Deutschland noch nichts herauskommt, und auch noch lange nichts hineingeht, muss man wirklich hier etwas herausbringen. Lis282 schickt Dir noch einen Prospekt Ihrer Kinderodyssee mit (fuer Deine Kinder). Ich habe gelacht, denn vielleicht hast Du mittlerweile bereits Enkel. Gruesse die Helli, und Dir selber alles Gute Kurt Kläber Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3220.

Desmond Vesey an Elisabeth Hauptmann London, 16.9.1946 26th September 1946 Dear Mrs. Hacke283 Miss Mynatt has passed to me your comments and criticisms of my translation of A PENNY FOR THE POOR.284 I am glad to say that I agree with most of the corrections you suggest, although there are one or two where I think the original version should stand for reasons that I have pointed out. I am sending you, registered, under separate cover, my own copy of the typescript of A PENNY FOR THE POOR which is the only fully corrected copy, and which should be followed, when I sent a copy to Mr Bentley I did not really think there was any likelihood 280 Als Offizier der Wehrmacht wurde der Schriftsteller Ernst Jünger (1895–1998) bereits 1944 entlassen. Da er sich allerdings weigerte, einen Fragebogen zur Entnazifizierung auszufüllen, erließ die britische Besatzungsbehörde gegen ihn ein Publikationsverbot. Sein Aufruf Der Friede. Ein Wort an die Jugend Europas und an die Jugend der Welt erschien 1946 in Amsterdam. 281 Die Svendborger Gedichte. 282 Lisa Tetzner, Ehefrau von Kurt Kläber. 283 Elisabeth Hauptmann. Hs. Notiz am Rand: „Mr. Hacke war mein 1. Mann. E.H.“ 284 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 26.2.1934. Die Kommentare sind nicht überliefert.

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of publication in the States and therefore sent him an uncorrected spare. In the copy which I am sending you all ink corrections should be followed but no notice should be taken of corrections in pencil, blue or otherwise. I might mention the subject of geography in the text. I do not know whether Mr Brecht wished to make any attempt at verisimilitude but he says MacHeath’s resort of pleasure was in a place called Turnbridge. I do not know if he mean this to be Turnbridge, but anyhow I altered this, Wapping being a more suitable locale. However, I have no strong views as to what the name of the place should be, so perhaps you will wish to change it back to Turnbridge. I should be grateful if you could drop me a line as to how the publication of my translation is proceeding. I see that Mr Bentley is editing the collected volume announced by Reynal and Hitchcock. What about my translation of Gallileo? I consider this rather a good one although I say it myself, but I see from Reynal & Hitchcock’s list that a translation by Brecht and Charles Laughton is going to be put on on Broadway. I shall be interested to hear further about this. If you have not had from Mr. Bentley my translation of GALLILEO you might care to ask him for it. I suppose he received it safely. I sent it off a year ago together with A PENNY FOR THE POOR and have had no acknowledgment from him. /overleaf Your own notes are returned herewith together with my comments on them. As I said, the corrections have all been incorporated in the typescript. Yours sincerely D. Vesey Mrs E.H. Hacke Box 151 East Stroudsburg PENNSYLVANIA U.S.A. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., Bv.: Robert Hale Limited Robert Hale Desmond I. Vesey Publishers 18 Bedford Square London W.C.1 Telephone: MUSEUM 2242-2243 Telegrams: Barabbas Westcent London Cablegrams: Barabbas London, Notiz von fremder Hand: „W12-9000 Laughtons Houl“; BBA 1530/16–17.

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 16.9.1946

New York 21 New York

Elisabeth Frank 37 East 64th Street

16. September 1946 Lieber Brecht, Knopf 285 ist interessiert an der amerikanischen Ausgabe Ihres neuen Stuecks. Bitte lassen Sie mich wissen, ob Sie eine englische Fassung haben, damit ich Sie an Knopf weitergeben kann. Herzlichst Ihre Lisl Frank. P.S. Ich nehme an, er meint mit dem neuen Stueck „Galilae“ [sic]. Da ich fuer Donnerstag eine Besprechung mit Knopf verabredet habe, bitte ich Sie, mir telegraphisch Bescheid zu geben. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1800.

Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 18.9.1946 Augsburg, den 18. September 46 Baugartenstöckle 1 Lieber Bidi, ich danke Dir herzlichst für Deine[n] Brief vom Juni (angekommen anfangs August) und vom 4. August (heute erhalten).286 Otto287 habe ich gleich nach Erhalt eilbrieflich verständigt und ihn gebeten, unsere gesammelten Adressen unter gütiger Mitwirkung (er kennt ja die Welt) an Dich oder an Peter Lorre zu kabeln. 285 Der New Yorker Verleger Alfred Knopf. 286 Vgl. B. an Pfanzelt, Juni/Juli 1946 (GBA 29, S. 384), und 4.8.1946 (ebd., S. 393). 287 Otto Müllereisert.

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Seit November 45 wohnen wir wieder hier, nahe des Gänsbühl, im sog. Blatternhaus. (Früher waren die Blattern- und Pestilenzienkranke untergebracht) (Noch früher, ca. 100 Jahre vor der Entdeckung Amerika’s soll es eine gutgehende Wirtschaft gewesen sein) Klauckestr. 20 ist bei dem ersten großen Luftangriff im Februar 44 bis auf die Grundmauern und einige Seitenwände ausgebrannt. Es war schon ein riskanter Abend. Hartmann288 ist, wie Du bereits erfahren hast, gestorben. anno 38 stellte sein Hausarzt einen unregelmäßigen Wasserhaushalt fest. Frühjahr 39 ließ Hartmann sich spritzen, um, wie er mir sagte, wieder ordentlich schlafen zu können. Sommer 39 erkennbare Verschlechterung, leichte Diät. Februar 40: Komplikationen (Mumps, Gaumensegellähmung) und strenge Diät. Wie sonst waren Karten und Schach mit gutgelagertem Humor bis zuletzt vermischt. Klare Sicht, sämtliche Verbindlichkeiten werden geregelt. „Herr Nachbar ‚In meiner Familie ist nicht der Krebs, auch nicht der Magen oder die Lunge, in meiner Familie sind die Nieren zuhaus’„ Paar Tage später Schlaganfall. Am 29. Februar 40 hat Hartmann sein ganzes Zeug mitgenommen. Seine Familie wurde ebenfalls im Februar 44 total ausgebombt, die Frau lebt in Wertingen. Dein Haus mit Park ist, wie ich in Utting gehört habe, vor Jahren an den bekannten Filmschauspieler Theo Lingen veräußert worden.289 In der amerikanischen Zeitung für deutsche Bevölkerung „Die Neue Zeitung“290 habe ich Deine Laotse-Legende gelesen. Sie ist das Abbild der Einfachheit. Durch die Hin- und Herreden des Zöllners mit dem Knaben des Weisen, so zwischen Tür und Angel, sieht man in Räume, in denen die Satzung der reciproken Dienstbarkeit verbrieft wird. Eine naturgewaltige Satzung. Der Schluß der Legende ist ein Hymnus über die Verbindung von Dankbarkeit und Objektivität, über die menschliche Güte. Die besten Grüße Deiner Frau, Steff und Barbara. Bis auf baldiges, gesundes Wiedersehen. Überlieferung: Ts, Georg Pfanzelt jr., Augsburg (Kopie: BBA E 73/100).

288 Rudolf Hartmann. 289 Vgl. Anm. zu Walter Brecht, 3.8.1946. 290 Die Neue Zeitung erschien in der amerikanischen Besatzungszone von 1945 bis 1955.

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 19.9.1946 37 East 64th Street New York 21 New York

Elisabeth Frank

19. September 1946 Lieber Brecht, Ich bekomme soeben von Reiss einen Brief, in dem er mir alles bestaetigt, was wir in Hollywood besprochen haben. Zu Ihrer Orientierung zitiere ich Ihnen Auszuege des Briefes: „Ich bestaetige den Empfang Ihres Briefes vom 5. d.M. sowie der beigelegten Vollmacht von Bert Brecht fuer die Auffuehrung der „Dreigroschenoper“ in Holland. Ich lasse Bert Brecht auch danken fuer die Autorisation zur Auffuehrung von „Mutter Courage“ in Bruessel. Ich habe mich dort nach allen Einzelheiten erkundigt und werde Ihnen berichten, sobald ich Antwort habe, zur gefl. Weiterleitung an Herrn Brecht. Ich habe auch davon Kenntnis genommen, dass Bert Brecht wuenscht, dass in Zukunft die Musik von Dessau291 zu „Mutter Courage“ verwendet wird und bitte um Zusendung der Musik. Ich bedaure diesen Entschluss Brechts sehr, denn die Musik von Paul Burkhard, die bisher ueberall verwendet wurde, war ausgezeichnet. Gleichzeitig habe ich auch davon Kenntnis genommen, dass bei Verwendung der Musik von Dessau der Anteil von Dessau 20% der Brecht’schen Tantiemen ist. Die Musik Eislers zu „Furcht und Elend des 3. Reiches“ ist bei mir eingetroffen.292 Caspar Neher ist augenblicklich in Zuerich und macht einige Inszenierungen am Schauspielhaus, weshalb er die hollaendische „Dreigroschenoper“ nicht machen kann. Dazu ist auch der Zeitpunkt zu kurz, da diese Auffuehrung schon im Oktober ist. Ich werde aber selbstverstaendlich dem Wunsch von Bert Brecht, Neher zu empfehlen, ueber­ all nachkommen. Die Manuskripte der Werke von Brecht wurden ihm bereits vor einigen Tagen zugestellt. 291 Der Komponist Paul Dessau (1894–1979) ging 1933 ins Exil nach Frankreich, 1939 in die USA. Brecht, den er beim Kammermusik-Festival in Baden-Baden 1929 bereits flüchtig kennengelernt hatte (vgl. BC, S. 272) – unter dem Pseudonym Peter Sturm schrieb er 1938 die Musik zu Slatan Dudows Inszenierung einiger Szenen aus Furcht und Elend in Paris –, traf er 1943 in Kalifornien wieder. Aus der künstlerischen Zusammenarbeit, aus der 1946 auch eine neue Musik zu Mutter Courage hervorging, entwickelte sich bald eine ebenso enge Freundschaft. 1948, inzwischen verheiratet mit Elisabeth Hauptmann, kehrte Dessau zurück nach Berlin, wo er mit Brecht u.a. an der Lukullus-Oper arbeitete (in Amerika hatte er eine entsprechende Anfrage Brechts noch abgelehnt; vgl. Anm. in GBA 6, S. 412). 292 Hanns Eisler hatte, vermutlich im Frühjahr 1945, eine neue Musik zu dem Stück komponiert.

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Vom Wunsche Brechts, „Mutter Courage“ in Berlin nicht zur Auffuehrung zu gestatten, habe ich Vormerkung genommen.293 Da Geschaeftsbriefe aber verboten sind, koennen wir dies erst weitergeben, wenn wir wieder einen zuverlaessigen Kurier haben. Ausserdem kann ich keine Garantie uebernehmen, dass der Wunsch Brechts respektiert wird, da Brecht auch Suhrkamp eine Autorisation gegeben hat.294 Die Pakete fuer Hanne Brecht werden wir nun schicken, nachdem wir die neue Adresse haben.“ Die Musik von Dessau fuer „Mutter Courage“ ist vor 2 Tagen angekommen. Ich habe sie bereits an Reiss weitergeschickt. Darf ich Sie noch einmal bitten, mir auf meine Briefe aus den letzten 2 Wochen zu antworten. Viele Gruesse Ihre Lisl Frank. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1800/2–3.

Kurt Horwitz an Bertolt Brecht Basel, 21.9.1946 Stadttheater Basel.

Basel, den 21. September 1946.

By Air Mail Herrn Bert B r e c h t , 26th Street 1063 Santa Monica. Lieber Herr Brecht, zuerst grüsse ich Sie herzlich, – in Erinnerung an München, an die „Trommeln in der Nacht“, „Eduard II.“ und die „Dreigroschenoper“.295 Bitte grüssen Sie auch Ihre Frau herzlich von mir. (Dass Caspar Neher in Zürich ist, werden Sie wohl wissen.) 293 Brecht hatte die Titelrolle für Helene Weigel geschrieben. „Das Theater, das an der Aufführung interessiert wäre“, erläuterte er Ende 1945 gegenüber Suhrkamp, „müßte also ein Gastspiel der Weigel ermöglichen“ (GBA 29, S. 372). 294 Vgl. Anm. zu Suhrkamp, 3.4.1946. 295 Kurt Horwitz hatte mitgespielt bei den Uraufführungen von Trommeln in der Nacht (29.9.1922) und Leben Eduards des Zweiten von England (19.3.1924) in den Münchner Kammerspielen. In einer

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Nun habe ich eine Bitte an Sie: Wie Sie wissen, spiele ich „Furcht und Elend des dritten Reiches“, und zwar etwa Mitte November. Ich halte die Aufführung Ihres Stückes für sehr wichtig; und ich frage mich nur, ob nicht die Rückschau alleine bei gewissen Leuten den Einwand des heute bereits Historischen erwecken könnte. Sie verstehen mich gewiss. Deshalb frage ich Sie, ob es Ihnen möglich wäre, die Schluss[s]zene so zu ändern, dass sie einen Abschluss von 1946 ergibt, oder etwa eine ganz neue Schlussszene in diesem Sinne zu schreiben.296 Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür. Es liegt mir sehr viel daran, Sie hier so „durchzusetzen“ wie es in Zürich bereits geschehen ist. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen doch sagen, dass Sie für mich zu den wenigen Erscheinungen gehören, die mehr in unserer Zeit für das Theater wesentlich sind. In der Hoffnung, dass Sie mir meine Bitte nicht verargen werden, und nochmals mit herzlichen Grüssen Ihr Kurt Horwitz Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1800/19.

Heinrich Schnitzler an Helene Weigel Berkeley, 26.9.1946 26. September 1946. Frau Helene Brecht-Weigel, 1063 26th Street, Santa Monica, California. Liebe Frau Weigel, Herzlichsten Dank Ihre Zeilen und für die Uebersendung der beiden Exemplare von „Lucullus“.297 Ich kannte das Werk seit seinem Erscheinen und besass auch eine Kopie, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass Herr Brecht dazu bereit sein würde, es für unsere Zwecke freizugeben. Roger Sessions ist so begeistert davon, dass er bereits mit der Komposition begonnen hat und ich muss Ihnen nicht erst sagen, wie glücklich ich über diese rasche Dreigroschenoper-Inszenierung von Hans Schweikart war er ebendort am 20.7.1929 als Mackie Messer aufgetreten. 296 Am 6.1.1947 wurden 18 Szenen aus Furcht und Elend unter der Regie von Ernst Ginsberg am Stadttheater Basel gespielt; das Bühnenbild gestaltete Caspar Neher. Mit der hier angesprochenen Schlußszene ist offenbar die Volksbefragung (GBA 4, S. 441f.) gemeint (vgl. Ginsberg, 2.12.1946). Eine neue Schlußszene hat Brecht nicht entworfen. Horwitz selbst trug am Ende der Aufführung das Gedicht Deutschland (GBA 11, S. 253f.) vor. Vgl. Ginsberg, 14.10.1946. 297 Vgl. Anm. zu Schnitzler, 5.9.1946.

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und erfreuliche Lösung der Angelegenheit bin. An Herrn Brecht schreibe ich in gleichem Sinne. Wir wollen das Werk zusammen mit Stravinsky’s „Histoire du Soldat“298 geben. Ich glaube das ist eine gute Zusammenstellung – auch was die Themen der beiden Werke anbelangt. Ausserdem ist dieses Werk von Stravinsky hier so gut wie unbekannt. Wir werden Sie und Herrn Brecht natürlich auf dem Laufenden halten und wir hoffen, dass es Ihnen Beiden möglich sein wird im Frühjahr zur Erstaufführung nach Berkeley zu kommen. Mit nochmaligem Dank und den allerherzlichsten Grüssen, Ihr Henry Schnitzler. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 163 Stonewall Road Berkeley 5, California; RBA 54/29.

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht Berkeley, 26.9.1946 26. September 1946. Herrn Bertolt Brecht, 1024 East 57 Street, New York City. Lieber Herr Brecht, Vielen herzlichen Dank für die beiden Exemplare des „Lucullus“. Mir war das Werk schon seit seinem Erscheinen bekannt und ich bin sehr glücklich darüber, dass Sie es zur Komposition freigegeben haben. Roger Sessions ist ganz begeistert von den Möglichkeiten in musikalischer Hinsicht und er hat bereits mit der Arbeit begonnen. Natürlich werden Sie von uns über alles Weitere orientiert bleiben. Wie gesagt, die Aufführung wird im April stattfinden. Ich plane Stravinsky’s „Histoire du Soldat“ am gleichen Abend zu geben. Dieses Werk ist hier fast ganz unbekannt jedenfalls ist es, soviel ich weiss, hier im Westen noch niemals aufgeführt worden. Ich glaube, dass diese beiden Werke einen wirklich interessanten Theaterabend ergeben werden und ich danke Ihnen nochmals aufrichtigst für Ihre Bereitwilligkeit! 298 Histoire du soldat (Geschichte vom Soldaten, 1917), Musiktheaterstück des russischen Komponisten Igor Strawinsky (Igor Fëdorovič Stravinskij, 1882–1972), das zusammen mit dem Trial of Lucullus im April 1947 in Berkeley aufgeführt wurde (vgl. Anm. zu Schnitzler, 5.9.1946). Strawinsky emigrierte 1920 nach Frankreich, 1939 in die USA. Brecht suchte ihn für die Mitarbeit am Lukullus zu gewinnen, was dieser jedoch anderweitiger Beschäftigung wegen ablehnte (vgl. Lyon, Brecht in America, S. 283).

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Mit den besten Grüssen, Ihr Henry Schnitzler. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 163 Stonewall Road Berkeley 5, California; BBA 1762/25.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 27.9.1946 Zürich, 27. Sep 46. Lieber Bert! Nun habe ich viele Grüsse von Dir erhalten, aber keinen Brief. Immerhin erfahre ich daß es Dir gottlob gut geht und Du, wie man so sagt über den Wassern schwebest. Weiss Gott, es ist auch höchste Zeit. Ich habe vom Reissverlag Deine Stücke schicken lassen und begebe mich jetzt an die Arbeit, sie zu zeichnen und Bilder dazu zu machen. Vor einigen Tagen war Dieterle hier, der mich von Dir grüsste. Ich versuche ihm Zeichnungen mit zu geben. Dem Reissverlag schlug ich vor, mich hier auf 3/4 Monate irgendwo zurückzuziehen, ihm dafür die Zeichnungen für Deine Stücke zur Verfügung zu stellen. Ich weiss nicht, ob er darauf eingehen will. Auch will ich bei Horwitz F + E. d. 3. R.299 machen, das am 30. November heraus kommen soll. Hoffentlich klappt es. Soll ich versuchen hier zu bleiben. Manches mal denke ich, es wäre das gescheiteste, jedoch – so scheint es, hält man es nicht in jenen allzu bürgerlichen Kreisen mehr aus. Es ist zu gemütlich – Während in Deutschland zwar immer noch der Velhagen und Klasing stil300, als der höchste des erreichbaren Gutes gewertet wird, erscheint doch ab und zu ein Lichtblick, besonders von ganz unten her – Lichtblicke, ausser das tägliche Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, gibt es hier wenige – Nun das verlangt man vorläufig ja von hier auch nicht. Wir mir mitgeteilt wurde kommst Du im Dezember voraussichtlich hierher. Wenn Du nur schreiben solltest daß ich abwarten soll – bliebe ich – tue dies bitte. Komme! Sei herzlich bedankt für Alles Dein alter Caspar Erika301 lässt herzlichst grüssen. Wir freuen uns, daß Ihr alle wohlauf seid. Überlieferung: Ms, BBA 3156. 299 Furcht und Elend des III. Reiches. Vgl. nachfolgenden Brief. 300 Velhagen & Klasing, Bielefelder Buchverlag (mit einer Niederlassung in Leipzig). Was den hier monierten Stil betrifft, so schrieb Kurt Tucholsky über Velhagen & Klasing in einer so betitelten Polemik in der Weltbühne (1.11.1927), sie hätten „zwar den Krieg auch nicht gewonnen, aber sie tun doch ihr möglichstes.“ 301 Erika Neher.

1324 Walter Brecht an Bertolt Brecht Darmstadt, 5.10.1946

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Darmstadt, den 5. Okt. 1946 Ohlystrasse 59

Lieber Eugen! Seit Deinem Brief vom Juni,302 mit dem Du mir auch jenes zweite Schreiben schicktest, – ein ähnliches Schreiben sandte Herr Lorre – habe ich nichts mehr von Dir gehört. Ich dankte Dir damals sofort, wie ich auch Herrn Lorre für seine große Güte gleich meinen Dank sagte. Inzwischen war ich kurz in Augsburg und habe über die Roecker303 von dem Haus in Utting304 folgendes erfahren. (Wie mir Frl. Marie sagte, hat sich in Deinem Auftrag auch Herr Pfanzelt um das Haus gekümmert, sodass Du wahrscheinlich schon im Bilde bist.) Besitzerin des Hauses ist Hanne. Bewohnt wird das Haus noch von Frau Anna Dreßl, ferner von 4 Flüchtlingen und zwar 3 Erwachsenen und 1 Kind. Es sei beabsichtigt, das Haus noch stärker zu belegen. Die Miete wird in dem alten Betrag (M.55.- per Monat) auf das Konto der Bank in Utting bezahlt, wie ich annehme, ein Konto von Hanne. Als Mietvertrag ist noch der ursprüngliche, von Vater her bestehende, in Gültigkeit.. – Der Angrenzer hat zu Hitlers Zeit durch Begehung politischer Erpressungswege 2-3 m Grund erstritten (mit wem und von wem der Streit geführt wurde, weiß ich nicht). Die Zurückgabe dürfte nicht die geringsten Schwierigkeiten bieten, wie auch sicher das Haus für Dich frei gemacht wird, sobald Du Dich oder jemand von Dir Beauftragter an den Uttinger Bürgermeister wendet. – Herr Hohenester305, Augsburg, Hochfeldstr. 8/I, bittet Dich um ein Lebenszeichen, da er großen, anscheinend wirklich von Herzen kommenden Wert darauf legt, wieder mit Dir in Verbindung zu kommen, seinerseits aber nicht den ersten Schritt unternehmen will, um nicht in den Verdacht zu kommen, daß er zu den Vielen gehört, die sich jetzt erst wieder an Dich erinnern und irgend welche Wünsche haben. Mach ihm, wenn Du kannst, die Freude von ein paar Zeilen, schreib mir aber auch, wie ich mich jenen anderen gegenüber verhalten soll, die alle stürmisch Deine Adresse verlangen. Wir gehen hier einem schweren Winter entgegen. Der Gesundheitszustand von Lie306 macht mir große Sorgen. Sie wiegt nur noch 90 Pfund, Oma mit ihren 83 Jahren ist dünn wie ein Faden. An Sendungen aus dem Ausland erhielten wir bis jetzt 1 kleineres Paket von Tante Fanny307, das gut ankam. Wie ich hörte, kann man durch Einsendung von 10 Dollars 302 Vgl. Anm. zu Walter Brecht, 3.8.1946. 303 Marie Roecker (1887–1977), ab 1910 Hausdame bei Brechts Eltern in Augsburg. 304 Vgl. Anm. zu Walter Brecht, 3.8.1946. 305 Max Hohenester (1897–1956), ehemaliger Mitschüler Brechts. 306 Elisabeth Brecht. 307 Fanny Johanne Fränkel, eine in die USA emigrierte Schwester von Brechts Vater.

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bei „Care“ 50 Broad Street New (York?) City, die Entsendung eines sog. Carepaketes erwirken, doch muss man angeben, dass es sich wirklich um Lebensmittel, nicht um Kleider oder um ähnl. handeln soll. Wenn Du eines für uns und eines für Oma308 (Frau Elisabeth Volz, Darmstadt, Ohlystrasse 59) in Auftrag geben wolltest, wären wir wahrscheinlich auf lange hinaus versorgt. Elende Bettelei. Sei mit den Deinen von uns allen sehr herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt von Deinem Walter Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA E 25/8–9.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 5.10.1946 Herbert Ihering

Berlin=Zehlendorf, den 5. Oktober 1946 Staffelweg 18

Lieber Brecht, schnell einige Zeilen, damit Wilhelm Dieterle sie mit herüber nehmen kann. Gleichzeitig will Langhoff einen Vertrag für Helli mitschicken, damit sie am Deutschen Theater die „Mutter Courage“ spielen kann.309 Für Wohnung, Verpflegung, Autoangelegenheiten kann man garantieren. Machen Sie’s wahr, schicken Sie sie zu uns! Es ist überhaupt dringend nötig, daß in Berlin ein neuer, das heißt: in Deutschland bisher unbekannter, Brecht gespielt wird. Zuviele Mißverständnisse schleichen sich sonst ein, weil zu viele Mittelmäßigkeiten sich sonst auszudehnen versuchen. Wir brauchen gerade Sie!310 Ihre Stücke und, wenn irgend möglich, Ihre persönliche Anwesenheit! Wenn Sie schon hier wären, würden Sie mir recht geben, Dieterle wird Ihnen Manches erzählen können. Dank für die Gedichte, die ich noch in der Nacht las – der „Schneesturm“311 gehört zu den schönsten, die ich überhaupt kenne – und die Stücke.312 Ich muß schliessen, damit der Brief noch mitkommt

308 Gemeint ist offenbar die Mutter von Walter Brechts Frau Elisabeth (geb. Volz). 309 Vgl. Anm. zu Frank, 19.9.1946. 310 Im Ts: Fragezeichen. 311 Der Schneesturm, eines der Gedichte im Exil (GBA 12, S. 120). 312 Nicht ermittelt. Brecht hatte die Texte vermutlich Wilhelm Dieterle mitgegeben.

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Herzliche Grüße von meiner Frau, die sich sehr auf Helli freut, mir und Kaspar313 für Sie, Helli, Steff und Barbara Ihr HerbertIhering [Hs.] Kommen Sie! Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 211/31.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 6.10.1946 Zürich, 6 Okt 46 Lieber Bert! Ich habe ein Gedicht von Dir314 gelesen, das zum grossartigsten gehört, was mir seit langem unter die Finger kam – Ich will von gar nichts anderem schreiben – Wäre ich ein anderer, oder hätte der Hemmungen nicht so viele, käme ich um Dir den ewigen Lorbeer, der dem Dichter und Weisen gebührt zu überreichen. Was man schamlos in Briefen riskiert wird man von Aug zu Auge verschweigen – Aber lass mich schamlos sein – Dieses Gedicht ist rein formal ein Wunder und da es an zwei faden aufgebunden hängt sieht man den gleichmäßig gebauten Bogen ohne Fehl vor sich – Grossartig ist wie hier Gedanke und Form übereinstimmt und ich sehe, daß es doch der richtige Weg ist auf den wir beide wenn auch seit langem getrennt, darauf los stapfen – Oh ich sehe an dem Gedicht, es gibt noch vieles zu tun und Du wirst in Deinem Alter so manches machen müssen, daß notwendig ist – Nimm diesen kurzen Gruss, der notwendig war – und sei herzlichst bedankt Dein alter Caspar Überlieferung: Ms, BBA 3157.

313 Iherings Sohn. 314 Möglicherweise das in der Neuen Zeitung erschienene Laotse-Gedicht (vgl. Pfanzelt, 18.9.1946).

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F.R. Steele an Ruth Berlau London, 10.10.1946

10th October, 1946

Miss Ruth Berlau, c/o Bertolt Brecht, Esq., 1063 26th Street, Santa Monica, California, U.S.A. Dear Miss Berlau, Thank you for your letter of September 6th315 giving me Mr. Bertolt Brecht’s present address. I am asking our bank to apply for permission to remit the sum of £56. 4. 7d. to Mr. Brecht. There may be a slight delay as it is necessary to obtain the formal permission of the financial authorities connected with the Government to remit monies abroad. Messrs. Calmann-Levy of Paris316 are interested in the French translation rights in any books which are still available. Would you kindly give me the titles of any which may be still free for publication in France and at the same time, let me know whether you would like us to deal with the negotiations on behalf of the author. Yours very truly, F. R. Steele F.R. STEELE. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Richard Steele & Son (F. R. Steele) Literary, Dramatic & Film Agents Haymarket Court 32 Haymarket London, S.W.1 American Representative: M. C. A. Management Ltd. 444 Madison Avenue, New York 22, N. Y. Cables: Haywire, New York Telephones: Abbey 7343/7344 Telegrams and Cables: Bookishly London; BBA 1763/5.

Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 11.10.1946 BASEL, DEN 11. Oktober 1946. BÄUMLEINGASSE 4 BETRIFFT: Buchh. V/ih

315 Nicht überliefert. 316 Editions Calmann-Lévy, 1836 gegründeter Pariser Verlag.

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Herrn Bert B r e c h t , 1063 Twentysixth Avenue, Santa Monica (California) Sehr geehrter Herr Brecht, Fräulein Hanne Brecht hat uns um verschiedene Liebesgabenpaketen-Sendungen gebeten und wir möchten Ihnen gerne mitteilen, dass wir den Wünschen von Fräulein Brecht nach bester Möglichkeit nachkommen und ihr regelmässig jede Woche ein Paket zusenden. Wir haben uns gestattet, Ihr Konto jeweilen mit dem Gegenwert zu belasten. Mit vorzüglicher Hochachtung R E I S S A.G. […]317 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel.

Walter Brecht an Bertolt Brecht und Helene Weigel Darmstadt, 12.10.1946 Darmstadt, 12. Okt. 1946. Lieber Eugen, liebe Helly! Gestern bekam ich die Mitteilung, daß ein C.A.R.E.-Paket für uns eingetroffen sei, und am Nachmittag wurde es mir in tadellosem Zustand ausgehändigt. Es ist schade, daß Ihr nicht Zeuge der enormen Freude ward, die diese phantastische Sach[e] bei Lie318 und den Kindern, vor allem aber auch bei mir, hervorrief. Mein Hilferuf vom Beginn dieser Woche ist also überholt. Das Paket enthielt die Verpflegung von 10 Soldaten für einen Tag. Für uns bedeutet dies praktisch mindestens das fünffache, ganz abgesehen davon, daß die Dinge selbst für uns den Charakter weihnachtliche Delikatessen besitzen. Kaffe[e] und Zucker, Süßigkeiten, Kekse, Ham und Eggs, Fleisch, Biskuitts, Kuchen, Zigaretten (unbeschreiblich). Seid tausendmal von Herzen bedankt! Es ist ein großartiger Start, von einer durch zu langen Gebrauch schal gewordenen Mode abzurücken. Sie besteht darin, die Gesichter in Hungerfalten geschlagen zu tragen und vom Körper nur das Skelett, brauchbar als Kleiderbügel, zu benutzen, eine natürlich völlig abwegige Geschmacksrichtung, an die man sich eigentlich auch niemals so richtig gewöhnt hat. Aber Ernst beiseite – wie mein 317 Unterschrift unleserlich. 318 Elisabeth Brecht.

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Freund Xaver sagte, als er wegen mangelnder Kampfmoral vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollte, – es ließe sich manches darüber sagen, wie diese üble Geschmacksverirrung sich keineswegs nur auf das äußere Aussehen beschränkt, sondern sich z.B. auch in der Neigung der Menschen ausdrückt, in nassen Kellern, halbverfallenen Häusern, kurz in Löchern und noch dazu in größter Überfüllung, zu wohnen. Aber genug davon, seid, mit noch mehrmaligem Dank von uns allen vielmals herzlich gegrüßt. Euer Überlieferung: TsD, BBA E 25/10.

Ernst Ginsberg an Bertolt Brecht Basel, 14.10.1946 Basel, den 14. Oktober 1946. [Hs. Stadt=Theater.] Air Mail G/YB Mister Bertold B r e c h t 1063 26th Street Santa Monica California Lieber, verehrter Bertold Brecht, Wie Sie wohl von Horwitz schon wissen, inszeniere ich hier am Stadttheater „Furcht und Elend des dritten Reiches“ (Première am 20. Nov.).319 Die Dekorationen – Projektionen, Nesselvorhang, und das Minimum des zur Darstellung Benötigten – wird höchstwahrscheinlich Caspar Neher machen. Horwitz hat Ihnen meinen Vorschlag, eine Schluss-Szene vom heutigen Blickpunkt aus zu schreiben, mitgeteilt und mir Ihre Antwort gezeigt.320 Ich möchte Sie fragen, was Sie davon hielten, wenn ich – für den Fall, dass diese Schluss-Szene nicht rechtzeitig fertig wird – als Abschluss die „Stimme“ (Horwitz) Ihr Gedicht „O Deutschland, bleiche Mutter ..“ sprechen liesse. Horwitz selbst ist von dem Vorschlag sehr angetan, bittet mich, Ihnen das zu sagen und lässt herzlich grüssen.

319 Die Premiere fand erst am 6.1.1947 statt. Vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946. 320 Nicht überliefert.

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Für heut nur dies. Und viele herzliche Grüsse Ihnen und der Weigel! Ihr Ernst Ginsberg. Überlieferung: O Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 1800/16.

Stefan Brecht an Bertolt Brecht [Oklahoma City] 15.10.1946 Okt. 15, 19[4]6 Lieber Bidi, Ich schicke hiermit eine Zuckermarke – „5/spare“; sie muß aber wohl bald verwendet werden. Daß sie aus dem Buch raus ist macht nichts aus, sagte mir ein Grocerer. Nov. 8–10 ist ein Stroheim Film321 im Mus. of Mod. Art; Nov. 28–29 noch einer. Ich komme rüber am 28sten nach N.Y.; vielleicht am (8–10)ten – es kommt darauf an für wann mein Bekannter Isadore From [?] Karten für Lysistrata 322 kriegt. Ich schicke eine Postkarte falls ich vor dem 28sten komme. Allerdings würde ich gerne „The Iceman cometh“323 sehen; falls Du eine Karte (oder 2) für den 8ten, 9ten, 10ten, 28sten, 29sten, 30ten Nov. oder den 1sten Dez. kriegen könntest wäre das wunderbar. Ich würde es nicht erwähnen falls nicht Du von Karten-Kriegen gesprochen hättest. Wann hört die Groszausstellung auf?324 Hier ist ein herrlicher Satz aus Luthers Sendschreiben an den christlichen Adel deutscher Nation: Von des christlichen Standes Beßerung 1520: „Sind doch in dem ganzen geistlichen Papstgesetz nicht zwei Zeilen, die einen frommen Christen unterweisen möchten, und leider so viele irrige und gefährliche Gesetze, daß nichts beßer wäre, als man machte einen rothen Haufen daraus.“ (Werke, Bd. 1, S. 255)325

321 Der österreichische Schauspieler und Regisseur Erich von Stroheim (1885–1957) arbeitete bereits seit 1914 in Hollywood. Drei seiner Filme – Blind Husbands (Blinde Ehemänner, 1919), Foolish Wives (Törichte Frauen, 1922) und Greed (Gier, 1924) – sind im Museum of Modern Art archiviert. 322 Komödie von Aristophanes aus dem Jahr 411 v.d.Z. Lysistrata wurde in New York 1946 erstmals von einem afroamerikanischen Ensemble gespielt; diese Inszenierung ist hier möglicherweise gemeint. 323 The Iceman Cometh (Der Eismann kommt, 1939), Drama von Eugene O’Neill. Uraufgeführt am 9.10.1946 im Martin Beck Theatre in New York. 324 Das Museum of Modern Art ehrte George Grosz mit einer Retrospektive. Brecht sah die Ausstellung in New York im Frühjahr 1943 (vgl. den Journaleintrag März/April/Mai 43, GBA 27, S. 150). 325 Das Zitat findet sich im vorletzten Absatz des vierzehnten Abschnitts.

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Wann fahrt Ihr nach Kalifornien?326 Übermorgen sehe ich Margaret Webster’s Prod. v. Shakespeare’s “Heinr. VIII“327; mit Eva Le Gallienne328, Victor Jory329 & Walter Hampden.330 Das soll herrlich ausgestattet sein; kommt in ein paar Wochen nach N.Y. Ich sehe Dein Name ist aus den Anzeigen der Malfi verschwunden. Ich hoffe das Stück wird ein finanzieller Erfolg: Matthiesen, ein hiesiger Englischlehrer, sah es zweimal und pries lobte es sehr in seiner Klaße. Grüße an Reyher, Wieland-Herzfelde, Ann Harington. Herzliche Grüße Dein Stefan Brecht P.S. Die Marke gilt für 5 lbs. P.P.S. 1 oder 2 Karten für Oklahoma für die obenerwähnten Daten wären auch nicht schlecht. Überlieferung: Ms, BBA 977/45–47.

Hannah Arendt331 an Bertolt Brecht New York, 15.10.1946 den 15. Oktober 1946. Bertold Brecht Santa Monica

326 Brecht fuhr Anfang Dezember zurück nach Santa Monica. 327 Die amerikanische Schauspielerin, Regisseurin und Theaterproduzentin Margaret Webster (1905– 1972) inszenierte Shakespeares Henry VIII (1613) für das von ihr mitgegründete American Repertory Theatre in New York im November 1946. 328 Eva Le Gallienne (1899–1991), englische Schauspielerin, Regisseurin und Theaterproduzentin, Mitbegründerin des American Repertory Theatre. In Websters Inszenierung des Henry VIII spielte sie die Katharina von Aragon. 329 Der kanadische Schauspieler Victor Jory (1902–1988) spielte die Titelrolle. 330 Walter Hampden (1879–1955), in England ausgebildeter amerikanischer Schauspieler, spielte den Kardinal Wolsey. 331 Hannah Arendt (1906–1975), Philosophin und Publizistin. Ging 1933 über Prag und Genf nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1949 war sie Cheflektorin beim Schocken Verlag, später Professorin an der Universität von Chicago und der New School for Social Research in New York.

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Lieber Herr Brecht – als Bluecher332 mit Ihnen vor einiger Zeit ueber Benjamins Nachlass sprach, unterhielten Sie sich auch ueber die Moeglichkeit fuer Benjamin einen Verleger zu finden. Der Schocken-Verlag, den Sie ja vermutlich noch aus Deutschland kennen und der Kafka’s Werke jetzt in einer deutschen Gesamtausgabe herausbringt, will einen Band gesammelter Essays von Benjamin auf Englisch publizieren.333 Hierzu brauch ich natuerlich Ihre Hilfe. Sie werden wohl wissen, dass Dora 334, Benjamins Schwester, diesen Sommer in der Schweiz gestorben ist. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer die Rechte fuer den Benjaminschen Nachlass hat, bez. ob irgendjemand sie hat. Vielleicht wissen Sie etwas darueber. Fuer den Essay-Band wuerde ich das Folgende vorschlagen: 1. Wahlverwand[t]schaften335; 2. Baudelaire336; 3. Kafka (in einer erweiterten Fassung)337; 4. Kunst des Erzaehlens (bei Lieb kurz vor dem Kriege veroeffentlicht)338; 5. Karl Kraus (Frankfurter Zeitung, 1932)339; 6. Eventuell: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit340; 7. die Geschichtsphilosophischen Thesen341; 8. Die Gespraeche mit Brecht.342 ––

332 Heinrich Blücher (1899–1970), Kulturhistoriker und Philosoph, vormals Mitglied der KPD, ab 1928 der KPD-Opposition. Ging 1933 über Prag nach Paris, wo er Hannah Arendt kennenlernte, die er 1940 heiratete. Mit ihr flüchtete er 1941 über Lissabon nach New York. Lehrte dort u.a. an der New School for Social Research. 333 Der von Salman Schocken 1931 in Berlin gegründete Verlag wurde 1938 von den Nazis geschlossen. Ab 1939 residierte er zunächst in Jerusalem, ab 1945 in New York. Die von Max Brod herausgegebenen Gesammelten Werke Franz Kafkas erschienen dort 1946. Der von Arendt vorbereitete Band mit Essays Walter Benjamins (mit dem sie sich im Pariser Exil angefreundet hatte) kam vorerst nicht zustande. Erst 1968 gab sie, unter dem Titel Illuminations, bei Schocken Books eine Auswahl von Texten Benjamins in einer Übersetzung von Harry Zohn heraus. 334 Dora Benjamin (1901–1946), Psychologin. Ging in den 30er Jahren ins Exil nach Frankreich und flüchtete nach ihrer Internierung 1940 in die Schweiz. 335 „Goethes Wahlverwandtschaften“, zuerst 1924/25 in den Neuen Deutschen Beiträgen erschienen (jetzt BGS I, S. 123–201). 336 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 20.3.1939. 337 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 2.6.1934. 338 „Der Erzähler“, erschienen in Orient und Occident, Heft 3/1936 (jetzt BGS II, S. 438–465). Der Schweizer Theologe Fritz Lieb (1892–1970) war Mitherausgeber der Zeitschrift. 339 Vgl. Anm. zu Benjamin, 5.3.1934. 340 Vgl. Anm. zu Benjamin an Steffin, 4.3.1936. 341 Die „Thesen über den Begriff der Geschichte“, Benjamins letzte Arbeit, erschienen erstmals 1942 in dem vom Institut für Sozialforschung in Los Angeles herausgegebenen Band Walter Benjamin zum Gedächtnis (jetzt BGS I, S. 691–704). Arendt hatte das Manuskript 1941 in die USA gebracht und es Adorno zur Abschrift überlassen. 342 Das sind die Svendborger Notizen von 1934 (BGS VI, S. 523–532).

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Von Ihnen moechte ich gerne Kritik an meinen Vorschlaegen oder zusaetzliche Vorschlaege. Ferner natuerlich die „Gespraeche mit Brecht“ mit Ihren Anmerkungen (wie Sie sie damals Bluecher in Aussicht stellten). Und last not least wenn Sie irgend moegen, einen Essay ueber Benjamin (oder wie immer Sie so etwas nennen wollen). Ich weiss, dass Sie so gut wie nie auf Briefe antworten. (So jedenfalls ist Ihr Ruf.) Was soll ich machen? Die Toten koennen schlecht insistieren und ich bin eine schlechte Stellvertreterin. Mit besten Gruessen Ihre HANNAH ARENDT Überlieferung: TsD, Bv.: Schocken Books Inc. 342 Madison Avenue, New York 17, N.Y. Tel. Vanderbilt 6-4167; BBA 3229.

Phil Berg an Bertolt Brecht Beverly Hills, 16.10.1946 October 16, 1946 Mr. Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York, New York Dear Mr. Brecht: I have had a session with Charles Laughton. He wired you that inasmuch as the present set up on GALILEO is so very nebulous he could not very well afford to turn down the Hitchcock-Selznick picture.343 However, he felt very, very strongly about it. If it were not for his personal relationship with you, he would have been predicated by straight logic, but truly he was terribly disturbed at the delay which this might cause. However, weighing something which is positive and would improve his professional status against the time which might still be consumed in the setting up of the play production, there was very little alternative. I hope that you can recognize this. He really feels an obligation regarding the $5,000 which he would like to give you to defray part of the cost to you which the possible delay may occasion. I am wiring Dorso344 now explaining this and to please exert every effort for the fall production. He is sanguine on this. I so deplore that the Mike Todd enthusiasm did not persist. However, that’s the story. 343 Vgl. Anm. zum nachfolgenden Telegramm. 344 Dick Dorso, amerikanischer Filmagent und -produzent.

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I expect that you will be returning here and look forward to seeing you and as any developments ensue, I will advise you. Kindest personal regards, PHIL BERG PB: jk Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Phil Berg-Bert Allenberg Inc. 121 South Beverly Drive Beverly Hills, California Cable Address „Philberg“ Western Union Code Telephone Crestview 6–3131; BBA 1762/37.

Charles Laughton an Bertolt Brecht Beverly Hills, 16.10.1946 1946 Oct 16 PM 1 50 dear brecht: i have taken the selznick picture.345 any hope of putting the play346 on this winter seems to depend on starting once more to try to interest investors by reading after i have finished this picture. the situation is clear to me now. according to the figures and the shortness of the remaining season it is nothing but a tenouos hope. i shall be free in february and i insist in the meanwhile that you accept five thousand dollars in consideration of the delay i may have been responsible for in not being in new york Überlieferung: Ts (Telegramm-Fragment), RBA 115.

O.P. Echols347 an Bertolt Brecht Washington, 17.10.1946 WDSCA 073

17 October 1946

Mr. Bert Brecht 124 East Fifty-Seventh Street New York, New York

345 Charles Laughton spielte den Richter Lord Thomas Horfield in dem Film The Paradine Case (Der Fall Paradin, USA 1947; Regie: Alfred Hitchcock). Produzent des Films war David O. Selznick (1902–1965). 346 Galileo. 347 Mitarbeiter der US-Kriegsministeriums in Washington.

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Dear Mr. Brecht: The Information Control Division of Military Government in Germany has reported to us a request from the Siegelverlag in Frankfurt348 for permission to reprint those of your poems on the attached list. Since the Suhrkampverlag in Wiesbaden has a pre-war contract for your works, they can release the right to reprint these poems only with your permission. Will you kindly let us know whether you are willing to grant this permission? We shall be happy to keep you informed of further developments in relation to this request. Sincerely yours, O. P. ECHOLS Major General, USA Chief, Civil Affairs Division 1 Inclosure Titles of requested poems by Bert Brecht Barbara Song Moritat von Mackie Messer Seeraeuber-Jenny Lied von der Unzulaenglichkeit menschlichen Strebens Vom armen ... Mahagon[n]y Gesang No. 1 Grosser Dankchoral349 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: War Department War Department Special Staff Civil Affairs Division Washington 25; BBA 1762/28–29.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht 21.10.1946 21.10.46 Herrn Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York City 348 Mit dem Frankfurter Siegel Verlag nahm Brecht offenbar keinen Kontakt auf. 349 Vgl. GBA 11: Der Barbara-Song (S. 138f.), Die Moritat von Mackie Messer (S. 133f.), Die Seeräuberjenny (S. 135f.), Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens (S. 145f.), Vom armen B.B. (S. 119f.), Mahagonnygesang Nr. 1 (S. 100), Großer Dankchoral (S. 77).

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Lieber Brecht, Ich habe Dir vor längerer Zeit wegen des beigefügten Briefes aus Kopenhagen350 geschrieben, bin aber nicht sicher, dass Du darauf reagiert hast. Vielleicht sollte man aber doch antworten. Da Ruth dänisch kann, schlage ich vor, es ohne die Umwege über Aurora zu tun. Herzlichst, Dein W Anlage Überlieferung: Ts, hs. U.; AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/85).

Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 24.10.1946 Augsburg, den 24. Oktober 46 Baugartenstöckle 1 Lieber Bidi, Dein C.A.R.E.-Paket351 ist uns am 21.10. ausgeliefert worden. Am Abend besorgen Fanny352 und die Kinder die Löschung der Ladung. Alles wird besprochen, die sorgfältig[e] Verpackung und die vielen, uns unbekannt gewordenen Dinge. 2 Übersetzungsbüros arbeiten gleichzeitig. Die Mechanik der Begeisterung, wie sie im Zirkus mit 2 Manegen, im Kartenkarussell „Bauer aus dem Land“ noch erreichbar ist, erfaßt sie. Das Schulbild der überseeischen Faktorei kommt mir nicht aus dem Sinn. Das erste Büro leitet das „Techterl“, das 13jährige Gänseblümchen. Sie lernt englisch im 2. Jahr bei den Englischen und übersetzt Milch, Zucker, Pudding. Gewiß ein recht ordentlicher Anfang. Sie bekommt dafür die Berechtigung zu den schönsten Hoffnungen; eins nach dem andern. Schorsch, das lange Haus, der Haifisch, übernimmt alles andere, was das 1. Büro als unleserlich gefunden hat. Er geht in die 7. des Anna-Gymnasiums, lernt englisch neben den Sprachen der Vergangenheit und muß das Rüstzeug eines Oberdolmetschers haben. Er hat’s.

350 Nicht überliefert. 351 Vgl. B. an Pfanzelt, 4.8.1946, GBA 29, S. 393. 352 Georg Pfanzelts Frau Franziska.

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Was er übersetzt, ist fantastisch. Für einen, der im Vorstadium des vergeßlichen Alters ist, für Kinder, die in der „Kanonen statt Butter“ Periode gerade gedeihen wollten, für 4 Personen, die z.B. wöchentlich 300 gr Fett, so oder so, aber eher weniger, konsumieren können. Schinken mit Ei, Butter, Speck, Konserven, nicht zu glauben. Eine Fantasie aus Tisch und Stühlen. Der Verein von Fanny und Kindern ist wirr geworden. Über dies und das, über den Zigarettenberg, vor dem ich sitze, bin ich auf Ehre ganz baff. Das hat man davon. Im Namen Aller sage ich Dir herzlichsten Dank, Händeschütteln. Die besten Grüße Deiner Frau und den Kindern. Überlieferung: Ts, Georg Pfanzelt jr., Augsburg (Kopie: BBA E 73/101).

Stefan Brecht an Bertolt Brecht [Oklahoma City] 24.10.1946 Okt 24, 1946 Lieber Bidi, Es scheint mir daß in den wenigen Theaterstücken die ich gesehen habe zu wenig Gewicht auf Auftritt & Element der Darsteller gelegt wird. Heute kam ich an die Außentreppe der Emerson Hall; 20 Minuten vor der Stunde; früh. Auf der einen Seite saß ein Mädchen mit einem Tiergesicht (unangenehm) aber sehr hübschen Beinen: langen, winkligen, schmalen Beinen + überhaupt einem schönen Körper. Wenn sie sich zurücklehnte353 konnte man auch ihre Schenkel sehen; ihre Knie paßten in das Ensemble was doch selten ist. Auf der anderen Seite saß ein junger Mann. Ich setzte mich neben ihn. In den nächsten 10 Minuten drängten sich dann noch 6 junge Männer auf unsere Seite. Sie war mit ihrer Zigarette beschäftigt. Als diese gründlich ausgeraucht war, schmiß sie sie auf den Stein, trat sie aus; stand auf + ging den einen Weg hinüber langsam ab, sich grad’ haltend, ihren Hintern unterm Rock hin und her schiebend.354 Sie ging mit Würde; ganz als hätte sie eine Vorstellung gegeben (das war es; das Zigarettenrauchen war das Darstellungselement). Zufällig kam, als sie weg ging ein schwarzer Quasimodo, ein kleiner Neger, pucklig, der rechte Fuß ein Klumpfuß + das rechte Bein lahm; mit einer Krücke – kam auf die Emerson-Hall-Außentreppe zu, bog dann ab auf das 353 Erg.: „Eichhörnchen auf der efeubedeckten Häuserwand anzusehen.“ 354 Im Ms folgt eine Zeichnung der Szene, mit der Stefan Brecht die Personenkonstellation und die Laufrichtung des Mädchens veranschaulicht.

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andere Gebäude zu. Es sah ganz wie ein Auftritt aus. Er schwenkte jedes Mal sein rechtes Bein vor; es sah ‚deliberate‘ aus insofern als es andere Leute leichter haben beim das-eineBein vors-andere-stellen; er ging langsam; und sehr zielsicher. Er trat auf gleichzeitig mit ihrem Abgang. Ganz großartig war es dann wie er an das andere Gebäude kam; an die Außentreppe. Er mußte nämlich jedes Mal sein rechtes Bein mit der Hand hochziehen; er mußte sich unter seinem Buckel, noch extra bücken. Oben angekommen – : sah man plötzlich daß er eine Zigarette im Maul hatte; er ‚warf‘ sich über das Gelände[r]; in ganz „relaxter“ Haltung, die Krücke hing wie ein Spazierstock; er ruhte sich – wie jedermann es thun würde – nach einer Strapaze aus, dieses Ausruhen auf konventionelle Art verdeckend (A propos: Fazer Keuner’s Verwunderung daß jemand sich fürchtet schwach zu erscheinen355 scheint mir blöd; aber vielleicht war die Geschichte dazu geschrieben zu zeigen daß man Furcht vor dem Schwach- oder Unwissend-erscheinen nur unter besonderen sozialen Verhältnißen haben brauch[t].) Erstens erscheint es nur die Schauspieler könnten sich beim Auftritt & Abgang künstlerisch aus Privatmenschen in Darsteller hinwandeln. Zweitens hat Auftritt + Abgang rein künstlerische Möglichkeiten: Sie sollten Balletscenen sein. a) den allgemeinen Karakter, beziehungsw., die allgemeine Lage b) die besonderen Karakterzüge, [beziehungsw.], die besonderen Variationen der Lage des dargestellten, imitierten Menschen darstellend. Der zweite Punkt ist thatsächlich ein Doppelpunkt; erstens muß es ein Tanz, etwas Formelles, Eingeübtes, Deliberates, Künstliches sein. Zweitens muß es von Person zu Person und von Lage zu Lage der Person (in großen Zügen; verständlich, dem Publikum verständlich) variieren & zwar als eine Funktion des dargestellten, imitierten Menschen. Wenn Leute agierend auftreten oder abgehen sollte die Art des Agierens grundverschieden von ihrem auf der Bühne „selber“ agieren sein; jedesmal ein Vorspiel, ein Anklang, ein Räuspern. Hier ist übrigens leicht eine Verwechlung möglich: wenn Leute wo rein kommen (UBahnzug, Speisesahl, Lunchwagon, speaker’s platform, Zimmer voller Leute, neue Stadtgegend auf der Straße, Geschäft) benehmen sie sich im Leben auch ganz besonders; wie überhaupt jedermann andauernd agiert & angiebt. Solche Hereinkommen sind für die meisten Leute gefährliche Übergangsperioden; ihre Haltung zerfällt mehr als sie weggelegt wird, die neue wird ihnen förmlich aufgezwängt; man kommt in neue Gruppen herein (+ verläßt alte Gruppen) inmitten der Trümmer des gestischen Aparats den man für diese Gruppe aufgebaut: in Fetzen, stammelnd, stotternd + mit 10 Daumen. Erstens, also, ist Auftritt + Abgang im Leben etwas ganz besonderes.

355 Vgl. die Keuner-Geschichte Das Recht auf Schwäche (GBA 18, S. 19). Die Figur des Herrn Keuner hat Brecht seinem Lehrstückfragment Fatzer entnommen, in dem sie 1929 zum erstenmal auftaucht.

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Zweitens aber giebt es im Leben aber auch Formen des Auftritt’s & Abgangs. Manche Leute schütteln jedermann die Hand; andere nicken nur leicht. Der Blick ist auch wichtig. Alle Auftritts + Abgangsarten des realen Lebens – einstudierte, formale, geglückte, lahme, fatale –, aber, haben ihre entsprechenden Darstellungsarten im Theater. Ich finde aber daß Bühnenabtritte + auftritte manche des realen Lebens darstellen, imitieren, sollten. Nichtmal das geschah in den Stücken die ich sah; aber auch das wär mir nicht recht. Es giebt nun doch wohl zwei Arten von Bühnenauftritten und Abgängen: die einen solche des realen Lebens darstellend; und die anderen. Die ersteren scheinen die häufigeren zu sein; sie operieren schon gleich an sich unter der Fiktion der vierten Wand. Das Hauptobjekt des Schauspielers bei Auftritten + Abgängen der ersteren Sorte soll also nicht sein Auftr. oder Abg. im realen Leben seines besonderen Archetypen a) balletartig, künstlich b) des Archetypen allg. Karakter oder Lage entsprechend " besond. " c) " " " " darstellen, imitieren356 (denn dies läßt die Realität der Lage, den Auftritt vor dem Publikum, den Abtritt vor dem Publikum, außer Acht); sondern vielleicht höchstens den Auftr. oder Abg. des Imitatoren seines Archetypen357 auf die Bühne a) b) c) machend, sozusagen zugleich (oder in einer kleinen Geste, den Rest[?] des Auftritts + Abgangs unterbrechend) den Auftr. oder Abg. seines Archetypen im realen Leben imitierend. Ob das obige möglich ist – heutzutage möglich ist – weiß ich nicht; aber 2 a,b (S. 2)358 wären sicher jedenfalls möglich. Herzliche Grüße Steff Überlieferung: Ms, BBA 977/29–36.

356 Im Ms: „darzustellen, zu imitieren“. 357 Erg.: „also seinen, des Schauspielers in der besonderen Rolle, Auftr. oder Abg.“ 358 Siehe oben: „a) den allgemeinen Karakter …“

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Stefan Brecht an Bertolt Brecht [Oklahoma City, 24.10.1946] II. A. & A.359 Lieber Bidi, (Auftritt und Abgang konstituieren einen hauptsächlichen Unterschied zwischen Theater & Kino. Die Kamera kann der Handlung & den Personen folgen & thut dies ausgiebig. So wird das Publikum herumgeführt; im Theater werden die Darsteller dem Publikum vorgestellt.) Auftritt & Abgang sind Gruppenwechsel von Individuen. Wer also an Gruppenvorgängen interessiert ist sollte auch an den Problem von Auftritt & Abgang interessiert sein. „Gruppenwechsel“ ist ambiguös, zweid mehrdeutig zweideutig. (Giebt es das Wort „amultiguös“, „amultiguous“). a) Die Gruppe wechselt Karakter 1. Die Liebenden fahren auseinander wenn der Dritte reinkommt; ein Liebespaar → Dreieck. 2. Eine neue Gruppe konstituiert sich; die Natur schon rein durch das numerische Hinzukommen oder Subtrahieren bestimmt. 3. In der neuen Gruppe bleiben Rudimente der alten. Dies ist aber primitiv; es wird sozusagen mechanisch etwas zur alten Konfiguration hinzugethan oder von ihr etwas hinweggenommen. Die alte Gruppe dürfte nur auf einer ganz neuen Ebene bleiben. So sollte sich der interne Karakter zweier sich treffender Heere erstens ändern und zweitens verschieden ändern (je nach dem alten Karakter) und drittens sich der besonderen neuen Gruppe gemäß verändern (ich denke hier an Kleist’s Stück über die Amazonen,360 Ajax361 etc.). 4. Jedes der bleibenden Mitglieder der Gruppe wechselt Karakter. b) Eine oder mehrere Personen wechseln ihre Gruppe. 1. Dabei wechseln sie ihren Karakter 2. Lächerlich wäre es anzugeben die Wechsler hätten zwischen dem Gruppenwechsel; (ich meine:) nachdem sie die alte verlaßen & bevor sie zur neuen zustoßen; „ihren eigenen Karakter“. Den haben sie immer (und zwar ist er doch hauptsächlich durch die Gruppen bedingt in denen sie ihr Leben verbracht haben). Ihr Karakter im Internen ist von den beiden Gruppen bedingt.

359 D.h.: Auftritt und Abgang. Fortsetzung des vorangegangenen Briefs. 360 Penthesilea (1808), Drama von Heinrich von Kleist. 361 Aias (ca. 450–430 v.d.Z.), Tragödie von Sophokles.

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3. Wenn einer sich von einer Gruppe loslöst einen Monolog zu sprechen so sollte er, meiner Meinung nach, entweder den Einfluß der letzten und die Erwartung der nächsten Gruppe seines Archethypen verkünden (eventuell in verallgemeinerter Form) oder auch ganz aus dem Karakter, der Lage, der Gruppenwechselgeschichte seines Arch[e]thypen treten und als Chor auftreten. (Wobei man, übrigens, unter dem darstellenden und dem „reinen“ Chor unterscheiden sollte; im Sophokles oder in Murder in the Cathedral362 sind die Chöre, z.B., darstellend.) Dies nicht thun und anstatt deßen die ansichseiende Natur seines Arch[e]thypen darstellen wäre, meiner Betrachtungsweise nach, nichts anderes als die allgemeine Lage, den allg. Karakter anstatt des augenblicklichen Kar., der augenblickliche[n] Lage seines Arch[e]thypen darzustellen. Dies aber ist doch schlechter? Große Wirkungen werden erreicht dadurch daß ein Gruppenwechsel stattfindet ohne das Mitreißen einiger Mitglieder; (Herr Keuner & die Gewalt hinter ihm.)363 Komische + tragische Wirkungen. Ein großartiges Beispiel eines Gruppenwechsels kommt in dem Film „Potemkin“ vor; die Bolschewiki treten aus der Reihe in die Gruppe derer die erschoßen werden sollen.364 Es gibt noch eine andere Ambiguität des Ausdrucks „Gruppenwechsel“; sozusagen eine Unterzweitheilung von a) (S. 1): a) Eine Gruppe wechselt Karakter. b) Eine Gruppe wechselt Anzahl. In unserer Gesellschaftsordnung ist eine Gruppe einem der nicht da & dabei ist eigentlich immer feindlich gesinnt. Meiner Meinung nach sollte in der heutigen Dramatik dies zu einer Regel gemacht werden; dies bedeutet (auf jeden Fall) daß ein Gruppenw. β einen Gruppenwechsel α immer mit sich bringt, impliziert. Wichtig bei Darstellungen hiervon scheint es mir zu sein daß die Arch[e]thypen nicht den in dieser Beziehung neuen Gruppenkarakter voraussehen; sie verstellen sich zwar jeder, agieren bewußt (ich spreche von den Arch[e]thypen) innerhalb der Gruppe vor dem Wechsel. Aber erstens sind sie nicht sicher auf die anderen Mitglieder der Gruppe [sic]; und zweitens sind sie nicht ganz selbstbewußt – sie sehen ihren eigenen Post-Wechsel Karakter (auch abgesehen von dem Wechsel der anderen Mitglieder) nicht völlig voraus. Die Lage ist faktisch, thatsächlich neu. – Die Schmeichler verstummen wenn der Große abgeht; aber nicht sofort – sie geben nicht nur einfach das Agieren auf. Diese[s] Neue der Lage müßte auch durch einen totalen Handlungswechsel der Anesenden

362 Murder in the Cathedral (Mord im Dom, 1935), Drama von T.S. Eliot. 363 Vgl. die Keuner-Geschichte Maßnahmen gegen die Gewalt (GBA 18, S. 13f.). 364 Im Ms: „sollen werden.“

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ausgedrückt werden, nicht nur (wie etwa im Cäsar, Augustus contra Lepidius365) durch das konträren Meinungen Ausdruck geben. Im Film Scarface366 haben wir herrliche Beispiele für so etwas; in Scenen in denen der neue Gangsterboß hereinkommt, noch nicht völlig auf den Titel Boß sicher. Ob es Gr.w. α nur nach Gr.w. β geben soll; darüber habe ich, glaube ich, keine Meinung. Beinahe erscheint es mir daß Grw α sehr wirkungsvoll ist wenn e[r] weder einen Grw. β noch irgend einer dem Publikum sichtbaren Veränderung folgt. Eine Bemerkung eines der Mitglieder kann Grw. β hervorbringen; die quantitative Zunahme des fallenden Schnee’s; die stillen Überlegungen der Mitglieder. (Dein Beispiel: Die zwei Generäle; anfangs strahlt der eine + der andere ist mißmutig; nach & nach dreht sich diese Sache ins Gegentheil um. Dies könnte dann auf zwei Arten erklärt werden: 1) die Veränderung des einen beruht auf seiner Gedankenreihe, die des anderen auf der äußeren Veränderung des ersten. 2) die Veränderungen von beiden beruhen auf ihre[n] unabhängigen Gedankenreihen. Aber das ganze Beispiel ist nicht a propos weil ja die Gruppe nicht ihren Karakter verändert; die Veränderung ist symmetrisch.) Über Kombinationen von Einer der die Bühne betritt, wird ein Mitglied a) der Darstellergruppe b) der Gruppe derer die im Theater sind (Darsteller + Publik.) Einer der sie verläßt verläßt diese beiden Gruppen. Diese Gruppenwechsel müßten auch explizit sein. Sie müßten sorgfältig von den Darstellungen der Gruppenwechsel der Arch[e]thypen unterschieden werden. Jeder Auftritt & Abgang ist also (in Anbetracht dieser Unterscheidung) zwei- oder multifältig als Gruppenwechsel betrachtet. In meinem nächsten Brief werde ich versuchen diese Sachen auseinanderzuhalten. Herzliche Grüße Dein Stefan Brecht Überlieferung: Ms, BBA 654/37–44.

365 Marcus Aemilius Lepidus bildete nach der Ermordung Caesars im Jahr 44 v.d.Z. zusammen mit Marcus Antonius und Gaius Octavius (dem späteren Kaiser Augustus) ein Triumvirat. Mit „Cäsar“ ist Shakespeares Tragedy of Julius Caesar (1599) gemeint. 366 Scarface (Narbengesicht, USA 1932), Gangsterfilm von Howard Hawks mit Paul Muni in der Hauptrolle.

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Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 26.10.[1946] Zürich 26 Okt. Lieber Bertolt! Morgen treffe ich W Dieterle, der mit mir zum Essen geht und der von Deutschland zurückgekehrt ist. Er wird Dir sicher berichten, wie ich es tun werde. Hoffentlich hast Du neulich meinen Brief erhalten, daß Du nicht antwortest ist klar. – aber Du solltest es tun. Da man sich über jeden Pups Deinerseits geehrt fühlt. Nun mache ich, wie ich Dir bereits mitteilte „F. + E. d. 3. R.“367 Die Zeichnungen sind fertig etwa 25 an der Zahl und sollten am 18. Nov. in Basel auf der Projektionsleinwand ausprobiert werden. Ich freue mich darauf, wenn ich mich auch über das Stück weniger freue, da es mir noch dazu im Magen liegt und man die Frische der Aggressivität nicht mehr in diesem Masse besitzt, wie vor Zeiten – Der Plan eine Truppe zu bilden von Deiner Seite aus ist wichtig, ich sprach neulich mit Reiss darüber, Du hättest hier Geld so sagte er um ein Jahr in Ruhe zu leben und könntest von hier aus Deine notwendigen Pläne verwirklichen. Bedenke daß immerhin bei nahe 10 Stücke da sind die aufgeführt werden müssen und die lange erprobt zur und geprobt sicher mehrere Spiel-Zeiten ergeben [sic]. Gut wäre es eine Art Brechttheater zu bauen, wie einst das Globe Theatre368 in England, aber nicht in Berlin, wahrscheinlich in dem von den meisten besiedelten Gebiet dem britischen. Dort wartet man direkt darauf. Man sagt Du kämest hierher? Ob das stimmt? Denn wir kommen in ein Alter, wo das sich von Plätze bewegen immer schwieriger wird. Es hängt mein Hierbleiben etwas von Deinem Kommen ab. Sagst Du zu, daß Du kämest, würde ich hier noch warten bis Du kommst. Inzwischen könnte ich für Reiss gegen Vorschuss den Du bejahen und befürworten müsstest, Deine Stücke fertig machen. Es wäre gut, darüber zu korrespondieren. Damit sie genau Deine Wünsche treffen – sprechen wäre besser, viel besser. Solltest Du in diesem Jahr nicht kommen, so werde ich im Januar nach Hamburg zurückkehren. Dies bitte ich zu beantworten. Wären normale Verhältnisse würde ich jetzt mit Dieterle nach NewYork fliegen und von da zu Dir. Nun ich hoffe auch diese Zeiten kommen – Sobald die Photos von F + E. fertig sind, werde ich Dir welche schicken. eventuell auch das ganze Paket der Zeichnungen, dies ist nicht ganz unwichtig. Da ich wissen will ob Du damit einverstanden bist. Es sind keine surrealistischen Blätter, aber ich glaube dies liegt nicht in Deiner Absicht. Nun zum Schluss der Gruss und der Wunsch des Wohlergehens. Bleibe gesund. Guter Dinge – die Verbitterung kommt mit dem Alter von selbst. Sie bleibt mir nicht erspart. Grüsse Heli herzlichst Dein alter Caspar 367 Furcht und Elend des III. Reiches. Vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946. 368 Von der Schauspieltruppe Shakespeares im Jahr 1599 aufgebautes Theater in London.

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Erika369 lässt grüßen Überlieferung: Ms, BBA 3158.

Phil Berg an Bertolt Brecht Beverly Hills, 5.11.1946 November 5, 1946 Mr. Bertolt Brecht 124 East 57th Street New York, New York My dear Mr. Brecht: Charlie Laughton is leaving for New York again today. We have had exhaustive talks on the GALILEO situation. I have also communicated at length with Dorso. Do believe that we are exerting every effort to finally close on the play. Dorso advises that he is extremely sanguine and let’s hope that at long last a consum[m] ation is in sight. I am sure that Dick Dorso will tell you everything that I have told him. Your end of the deal appears satisfactory and we are holding up on Charles pending a conclusion. Kindest personal regards, PHIL BERG PB: jk Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Phil Berg-Bert Allenberg Inc. 121 South Beverly Drive Beverly Hills, California Cable Address „Philberg“ Western Union Code Telephone Crestview 6 3131; BBA 1762/38.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 10.11.1946 Zurich. 10 Nov. 1946. Lieber Bert: Habe herzlichen Dank für Deine beiden Briefe370 Luftpost, die vor 3 Tagen hier ankamen. Du hast auf jeden Fall recht, leider ist die Entscheidung hier zu bleiben nicht allein 369 Erika Neher. 370 Vgl. B. an Neher, Ende Oktober u. 1.11.1946, GBA 29, S. 401f.

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in meiner Hand. Da ich als „german“ immer von der Gnade der anderen etwas abhänge. Die Scene von F. + E. d. 3. Reiches371 schicke ich sofort an Reiss, Basel. Dieterle wirst Du ja dieser Tage sprechen, der auf der Heimreise ist. Der Plan Deutschland Deinerseits ist der einzig wahre aber von hier aus.372 Wärest du hier, wäre alles nicht so wichtig, denn man hätte zusammen genug zu tun und könnte dem Theaterberuf, der langsam zum Kotzen wird etwas dichterisch behandeln. Die einzige Möglichkeit aus einem Dilemma heraus zu kommen, das eigentlich gar nicht existiert, lediglich der persönlichen Existenz willen gepflegt wird. ‚Man geht zu Grunde an der Mittelmäßigkeit’, ist einer der fundamentalsten Sätze – Eine Grundwahrheit, die auch andere zum wahnsinn brachten. Ein Beispiel gibt es, das ist Goethe, der absichtlich den Weg der Mittelmässigkeit erwählte – und dabei sagte, geselle Dich zu[r] kleinsten Schar373 – in anderen Worten das ausgedrückt, was Du auch meinst. Was mich am Theater prinzipiell ärgert ist das. So ist es aber erst jetzt allmählich geworden. Jede Zeit hatte ihre Dichter, ihren Ausdruck, ja es gab in Berlin und anderswo noch um die Jahrhundertwende Leute, die den Mut hatten ihr Theater nur auf Zeitgenossen (Hauptmann, Wedekind, Ibsen u.s.w.) zu stellen u.s.w. also den Zweck einsahen, den Sie zu erfüllen hatten, nämlich dem Zeitgenossen zu dienen. Was ist heute – „Der eingebildete Kranke“374 Boheme375 Traviata376 Kleist etc wie ehedem. Ich dachte nur es sei nur eine Zeit des 3. Reiches um sich dahin zu flüchten, aber wohin man auch kommt hier oder wo anders. Es ist dasselbe. Man dient dem zahlenden Bürger – Wo gibt es ein Brecht Theater. O mein lieber, es ist scheusslich zu bedenken, dass dies vielleicht nicht mehr möglich sein kann. Deshalb haben diese Institutionen fast keinen Sinn mehr. Ich freute mich, daß sie alle kaput[t] sind, aber frisch und Kregel baut man die alten Kasten wieder auf. So wie sie waren und bedenken gar nicht, daß man etwas anderes bedarf. Nun ich bin etwas geschwätzig verzeih, es ist das zahnlose Alter. Ich werde dir einige Bilderchen schicken, damit es Dir Spaß macht. Den kaukasischen Kreidekreis habe ich mir schicken lassen. ich werde ihn lesen, sobald ich ihn habe. Du frägst mit Recht, ob ich Pakete in Hamburg erhielt – leider muss ich Dir mitteilen – nein. vielleicht aber kommen Sie noch.

371 Furcht und Elend des III. Reiches. Vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946. 372 Gemeint ist vermutlich Brechts Idee, mit Neher „ein paar Jahre lang in Oberitalien oder in der Schweiz zusammen [zu] arbeiten […], mehr oder weniger theoretisch und mitunter die eine oder andere Inszenierung für Deutschland vorbereitend“ (GBA 29, S. 401). 373 In Goethes Gedicht Vermächtnis (1829) heißt es: „Was fruchtbar ist, allein ist wahr – / Du prüfst das allgemeine Walten, / Es wird nach seiner Weise schalten, / Geselle dich zur kleinsten Schar.“ 374 Le Malade imaginaire (1673), Komödie des französischen Dramatikers Molière, d.i. Jean-Baptiste Poquelin (1622–1673). 375 La Bohème (1896), Oper des italienischen Komponisten Giacomo Puccini (1858–1924). 376 La Traviata (1853), Oper des italienischen Komponisten Guiseppe Verdi (1813–1901).

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Dir Alles Gute. Ich werde bald wieder schreiben bleibe gesund und frisch damit wir uns bald sehen Dein alter Caspar Die Fotos von F + E. d. 3. R. werde ich Dir sobald sie in Basel gemacht sind zuschicken. Viele Grüsse von Heli Von Hesse Buri377, der im Ufa Film war, keine Nachricht Überlieferung: Ms, BBA 3159.

Ann Elmo an Bertolt Brecht New York, 14.11.1946 November 14, 1946 Dear Mr. Brecht, Here is the contract of April 18th, 1945 between you and Mr Hays with Reynal and Hitchcock for Mr. Hays’ translation of a selection of your poems.378 You wanted me to send this contract to Mr. Laughton. Since this is the only copy I have of this contract on file, I shall greatly appreciate your returning it to me after it has served your purpose. Best regards, Ann Elmo Mr. Bertolt Brecht c/o Mr. Charles Laughton Hotel Gotham Fith Avenue and 55th New York City Enc. 1 copy of Reynal and Hitchcock contract AE.dts Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Afg • Literary Agency 545 Fith Avenue New York 17, N.Y. Cable Address: ELMOS NEW YORK Telephone: Murray Hill 2-4328; BBA 1762/39.

377 Emil Burri. 378 Der Vertrag ist dokumentiert in BBA 1762/40–43.

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Maurice J. Speiser an Bertolt Brecht New York, 15.11.1946

November 15, 1946

Mr. Bert Brecht 124 East 57th Street New York, N. Y. Dear Mr. Brecht: As I explained to you over the telephone, the check for $1500 came for the week of October 19. The accountant has promised he will have the other check sent without any definite sum or week being mentioned. I am waiting to see what that check will be before taking steps to see that the royalties for the balance of the engagement are paid. I will keep you advised in the matter. Regarding your matters with reference to the Scandinavian, Norwegian, and German rights and also with reference to South American rights, could you kindly drop in to see me regarding same on Monday afternoon about 2:30. Sincerely, Maurice J. Speiser MJS:veh Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Law Offices Maurice J. Speiser Herbert Speiser 630 Fifth Avenue New York 20, N.Y. Circle 7–8194; BBA 1762/35.

Leopold Lindtberg379 an Bertolt Brecht Zürich, 16.11.1946 Leopold LINDTBERG Freiestr. 58, Zürich.

16.11.1946,

Lieber Brecht, ich melde mich spät und bitte, mich zu entschuldigen, ich befinde mich seit vielen Wochen in einem unübersehbaren Trubel von Arbeit, Verhandlungen etc. und von einer vernünftigen Regelung der Korrespondenz kann keine Rede sein. Dieses ist der zweite private Brief, den ich seit meiner Abreise nach Amerika schreibe. 379 Leopold Lindtberg (1902–1984), Schweizer Theater- und Filmregisseur. Seit 1933 am Schauspielhaus Zürich tätig, wo er im April 1941 die Uraufführung der Mutter Courage inszenierte.

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Nicht weil es sich gehört, sondern, weil ich es wirklich so meine, möchte ich zu Anfang Ihnen und Ihrer Frau sagen, wie froh und stolz ich war, ein paar Mal mit Ihnen zusammengewesen zu sein. Es war schön und für mich sehr wichtig. Unser[e] Rückreise war prächtig, 5 Tage mit dem Zug durch den Kontinent. Der Rückflug von New York leider etwas abenteuerlich. Wir waren drei Tage in Neufundland aufgehalten, zur gleichen Zeit passierte das schreckliche Unglück mit dem belgischen Aeroplan, den wir kurz vor dem Absturz noch hörten und damit begann diese Serie von schweren Flugunfällen des Monats September. Nach einigen Irrfahrten kamen wir am dritten Tag in Paris an, der Pilot hatte vergeblich in Shannon und Glasgow zu landen versucht und in Paris hatte er gerade noch für zwanzig Minuten Benzin. Zum Glück haben wir das erst nach der Ankunft erfahren. Nun ein kurzer Bericht über die gemeinsam besprochenen Fragen. Ich habe Puntila gelesen und finde es grossartig, wenn ich irgendwann diese Saison am Schauspielhaus zum Inscenieren komme, möchte ich das Stück gerne aufführen.380 Das Schauspielhaus interessiert sich jedenfalls dafür. Dr. Hirschfeld schwankt noch ob er Puntila oder Schwejk empfehlen soll, er wird Ihnen darüber schreiben. Den kaukasischen Kreidekreis habe ich erst jetzt von Reiss bekommen und eben erst zu lesen begonnen und auf die Gesichte der S.M. warte ich noch. Ueber Ihre Pläne, hierherzukommen habe ich gleich nach meiner Ankunft am Schauspielhaus berichtet und auch darüber, wie man Ihrer Frau bei den Ausreiseformalitäten behilflich sein könnte. Ob das zu einem praktischen Resultat führen wird oder nur zu einer formalen Hilfe, weiss ich noch nicht, jedenfalls ist ein Vertrag zu haben, Dr. H. wird Ihnen auch darüber berichten. An Kurt Reiss habe ich Ihren Wunsch, ein paar von Kaisers381 letzten Produktionen kennen zu lernen, weitergegeben, allerdings erst vor wenigen Tagen. Er wird Ihnen sicherlich etwas schicken. Die Photos sind nicht schlecht geworden (finde ich), das en face-Bild habe ich gern und Freunde, die es gesehn haben, hatten Freude, es zu sehn. Ich habe im Moment nur die beiden Vergrösserungen, die ich Ihnen schicke. Wenn Ihnen die Bilder gefallen, lasse ich Ihnen noch ein paar machen. Eine kleine Gegenbitte hätte ich dann, nämlich, dass Sie mir eines davon mit Ihrer Unterschrift zurückschicken. Langhoff hat mich eingeladen, „Mutter Courage“ in Berlin zu inscenieren. Ich würde es mit grosser Freude machen, aber ich bin auf längere Zeit hinaus besetzt und sehe nicht, wann ich dazu kommen werde. Ich fange nächstens zu drehen an, das wird bis zum Frühling gehen, dann soll ich ans Burgtheater, anschliessend hier am Theater etwas machen und im Sommer nach Amerika, um einen Film vorzubereiten, der im Herbst voraussichtlich im Süden gedreht werden soll. 380 Bei der Uraufführung des Stücks am 5.6.1948 im Schauspielhaus Zürich führte Brecht selbst Regie. 381 Vermutlich der 1945 verstorbene Schriftsteller Georg Kaiser.

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Zu dem Thema „Mutter Courage“ möchte ich Ihnen etwas sagen dürfen. Ich erfuhr, dass Sie die Musik von Paul Burkhard, die wir bei alle[n] Aufführungen in der Schweiz und in Wien spielten, verboten haben. Ist das richtig? Ich weiss, dass Sie mit Dessau eine Neue entworfen haben382 und dagegen kann ja niemand etwas sagen. Ich kann mir nur nicht denken, warum die Musik von Burkhard, die auf den Compositionen basiert, die wir seinerzeit von Ihnen bekommen haben, v e r b o t e n sein solle. Er ist ganz verzweifelt darüber und kann es sich nicht erklären, jedenfalls nicht anders erklären, als dass Sie schlechtes darüber gehört haben. Ich habe versucht, ihm das auszureden, denn ich selbst glaube, Burkhards Musik ist ausgezeichnet und hat den Aufführungen sehr geholfen. Ich wäre sehr froh, zu wissen und Paul Burkhard, der ein besonders anständiger und netter Kerl ist, sagen zu können, dass es sich nicht ganz so wild zuträgt, wie er glaubt und dass Sie – sagen wir die neue Musik von Dessau bevorzugen, aber seine nicht gerade verbieten. Hat Ihnen übrigens Reiss einmal den photokopierten Auszug geschickt? Oder soll ich das ver[an]lassen? Wie steht es mit der Aufführung des Galilaei? Oder hat sie schon stattgefunden. Wir haben jedenfalls noch nichts darüber gelesen. Ich würde mich freuen, etwas darüber zu erfahren. Wenn ich hier etwas für Sie erledigen kann, lassen Sie es mich bitte wissen. Inzwischen Ihnen Beiden die herzlichsten Grüsse Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Leopold-Lindtberg-Archiv 994.

Hilde Waldo an Helene Weigel 18.11.1946 18. November 1946



Liebe Helli, wie verabredet in der Anlage der von Dr. Feuchtwanger aufgesetzte Brief. Nachstehend die drei Adressen: Mr. Jo Swerling383 516 Rodeo Drive Beverly Hills, Calif.

382 Vgl. Frank, 19.9.1946. 383 Jo Swerling (1897–1964), in Rußland geborener amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor.

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Edward G. Robinson 910 North Rexford Beverly Hills, Calif. Robert Rossen384 541 Loring Avenue Los Angeles 24, Calif. Mit vielen herzlichen Grüßen Anlage

Ihre Hilde W.

Geehrte Frau... es ist uns aus Deutschland und Österreich eine Liste übersandt worden von deutschen und österreichischen Schauspielern, Schriftstellern, Bühnendekorateuren und anderen mit dem Theater verbundenen Persönlichkeiten, die in besonderer Not sind. Es handelt sich um Leute, die nach dem Zeugnis der uns befreundeten Gewährsleute sich in dem Kampf gegen die Nazis besonders bewährt haben. Es sind zumeist nicht Künstler von besonderem Ruf, so daß sich in Deutschland niemand ihrer annimmt. Sie haben beinahe ausnahmslos hart zu arbeiten, ohne indes jene zusätzlichen Rationen zu erhalten, die hervorragenden Künstlern und Schwerarbeitern zugebilligt werden. Das bedeutet, daß sie, die sich im Kampf gegen die Nazis besonders ausgezeichnet haben, nun einen besonders schweren Winter voll Hunger und Kälte vor sich haben, während andere, die den Nazis gegenüber eine wohlwollende Neutralität bewahrten oder sie auch geradezu unterstützten, ein relativ leichtes Leben führen. Es handelt sich um insgesamt etwa hundert Personen und ihre Familien, und jeder einzelne von ihnen könnte auf höchst wirksame Art unterstützt werden durch Opfer, die uns hier nicht zu schwerfallen dürften. Wir denken daran, jedem dieser Leute den Winter hindurch, das heißt sechs Monate hindurch, allmonatlich ein CARE-Paket zu schicken, das wesentliche Lebensmittel enthält. Solche CARE-Pakete kosten jeden zehn Dollar. Wir bitten Sie sehr, uns bei diesem Werke zu helfen. Würden Sie die Unterstützung eines unserer Schützlinge übernehmen? Wenn ja, dann bitten wir Sie, monatlich $ 10.00 an die Adresse ... zu senden. Überlieferung: E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 64ff.

384 Robert Rossen (1908–1966), amerikanischer Drehbuchautor, Filmregisseur und -produzent.

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John W. Rumsey385 an Ruth Berlau New York, 22.11.1946 November 22, 1946 Miss Ruth Berlau c/o Mr. Bertholt Brecht 124 East 57th Street New York City Dear Miss Berlau: – I enclose a copy of the letter that Carl Strakosch’s office wrote to me under date of October 23rd. I have today written to Strakosch for further information about this, particularly asking him to let me know how much money was paid to Felix Bloch Erben so that I can pass this information on to you in case it is your intention to write to Erben to find out what they propose to do about paying it to Mr. Brecht.386 I gather from the enclosed letter that money earned from the plays named in the contract between Mr. Bertholt Brecht and Felix Bloch Erben must still be paid to the latter in Germany, although of course we know that funds cannot be transferred from Germany to the United States at this time and probably not for a number of months. There is a chance that under the present situation in Germany that Felix Bloch Erben will be revived as a publishing house and will want to continue to do business with Mr. Brecht in which event you may receive a satisfactory letter from them. I have asked Strakosch particularly regarding THE BEGGAR’S OPERA, which I understand is not mentioned in the Felix Bloch Erben contract. As soon as I get additional information from him I will forward it to you. Yours sincerely, John W. Rumsey JWR/MC Enclosure [Anlage:]

385 Mitarbeiter des Bühnenverlags American Play Company. 386 Brecht hatte in dieser Angelegenheit bereits den Rechtsanwalt Horst Baerensprung konsultiert. Vgl. seinen Brief vom 8.11.1946, GBA 29, S. 403f.

1352 COPY Carl Strakosch A/S

Mr. John W. Rumsey American Play Company 522 Fifth Avenue New York 18, N.Y.

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5, Dahlerupsgade KOBENHAVN V October 23rd 1946

Dear Mr. Rumsey, Re: – “The Beggar’s Opera” We are in receipt of your letter of the 11th inst. and in reply we beg to say that the authors in 1928 sold the Scandinavian production rights to Felix Bloch Erben, Berlin. We suppose that these rights now are confiscated as German property by the Custodian for Enemy property in Norway, to whom we have addressed ourselves regarding the future exploitation of these rights. We expect that all future royalties accruing in Norway will have to be paid to the Norwegian Custodian, but Mr. Brecht can naturally make his claims upon Felix Bloch Erben and expect to be paid and we are quite ready to help Mr. Brecht in every possible way. On the other hand we are obliged to draw attention to the fact that – according to the last informations received from Felix Bloch Erben – Mr. Brecht owned a considerable amount to this firm, and this might make matters somewhat complicated. You ask whether the production rights to a group of plays for which Mr. Brecht made a contract with Felix Bloch Erben in 1933 can be considered as automatically terminated. This is apparently not the case, but the position will be the same as mentioned above regarding “The Beggar’s Opera”. Mr. Brecht’s point of view which is based on the American laws under the War can probably be asserted at the public authorities in the different Scandinavian countries but our lawyer is of the opinion that it is doubtful whether it will be possible to support this point of view. Concerning the royalties accruing from performances in Malmo we are according to Danish Law bound to pay this amount to the Dutch Custodian, but – as our lawyer informed Mr. Brecht’s lawyer in Copenhagen – this can be discussed with a Custodian in order to safeguard Mr. Brecht’s rights. We shall with pleasure give you all informations you may want in this matter, as we on our part naturally would rather see the authors get their shares, as see the money in questions fall into the public cash of the respective countries. Yours sincerely, Carl Strakosch A/S

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: American Play Company Representing American and Foreign Authors 522 Fifth Avenue New York 18, N.Y. Member of Society of Authors’ Representatives, Inc. Telephones MUrray Hill 2-0156 2-0157 Cable Address Amplaco John W. Rumsey President; BBA 1959/87 (Anlage: Ts, BBA 1959/104).

Karin Alin an Bertolt Brecht Stockholm, 25.11.1946 25.11.1946.

Herr Bert Brecht, 1063 26 Street Santa Monica Cailifornia [sic], U.S.A.

Bester Herr Brecht, Ich weiss nicht ob Sie meine Briefe bekommen haben, da ich keine richtige Adresse hatte. Jeztz habe ich durch Peter Blachstein387 diese bekommen und hoffe diesmal Sie zu erreichen. Seitdem ich Sie hier getroffen habe – ich war einmal bei Ihnen mit prof. Josef Frank 388, auf Lidingön – finde ich es recht natürlich dass ich Sie bitte mir Ihre Teaterstücke anzuvertrauen. Ich habe den letzten Jahren sehr viele Übersetzungen gemacht von Stücken die dann mit Erfolg gespielt wurden, besonders von LORCA.389 Mit seinen Stücken habe ich ungefähr 8-9 Kontrakte gemacht. BERNARDA ALBA 390 wird jetzt in allen vier skand. Ländern gespielt werden. Ich habe also schon eine ganz gute Übung und kann Ihnen sicher gute Kontrakte verschaffen. Meine Provision ist dann im allegemein 10%, mit Ausnahme von den Fällen (z.B. in Daenemark) wo alle Kontrakte durch den Theaterverein gehen müssen. Dort nimmt der Vorsteher, der gleichzeitig der auktorisierte Agent ist, sein gewöhnlicher Procent, gleichgültig ob ich mitarbeite oder nicht, aber dann kriege ich einen gewissen Anteil von dem was er behält. Nun weiss ich nicht wie Ihre Sachen stehen. Hier ist ein junger Bursch, hat schon DER GUTE MENSCH... übersetzt, ich vermute man könnte diese Version benützen. Er hat 387 Peter Blachstein (1911–1977), sozialdemokratischer Politiker. 1933 verhaftet und im KZ Hohenstein inhaftiert. Nach seiner Entlassung flüchtete er 1935 in die Tschechoslowakei, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und ging nach Norwegen, von dort weiter nach Schweden. In Stockholm arbeitete er für das International Rescue and Relief Committee. 1947 kehrte er zurück nach Deutschland (West). 388 Möglicherweise der österreichische Architekt Josef Frank (1885–1967), der 1933 nach Schweden emigrierte. 389 Federico García Lorca (1898–1936), spanischer Schriftsteller. 1936, vermutlich von Faschisten, ermordet. 390 La Casa de Bernarda Alba (Bernarda Albas Haus, 1936), Drama von Federico García Lorca.

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auch MANN IST MANN übersetzt. Es ist vielleicht nicht perfekt, aber genügend für Lesung und kann dann gebessert werden, von mir oder von irgend jemandem anderen. Was mich aber momentan noch mehr interessiert wäre Ihre neuen Stücke zu sehen. Herr Blachstein ist der Meinung GALILEI wäre besonders gut für Radio. Es ist möglich dass sich Hjalmar Gullberg auch für die Übersetzungsarbeit intressieren würde, für die poetische Bearbeitung. (Ich könnte dann selber, oder lieber ein anderer, könnte dann die Prosaparteien fertig stellen, jedenfalls kann ich überwachen dass nus vollgute Übersetzungen zustande kommen). Auch Ihre DUCHESS OF MALFI möchte ich sehr gerne sehen. Und was ist aus THE CAUCASIAN CIRCLE geworden? Über die Verhältnisse hier können Sie von Frank erfahren, er ist jetzt nach New York gefahren, Adresse: 50 Park Terrace East, New York. Ich bitte um eine Antwort so bald wie möglich, und was Sie dann schicken können oder wollen, das schicken Sie so bald wie möglich, nicht wahr?391 Mit den herzlichsten Grüssen Ihre Karin Alin Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Karin Alin Literary Agency 9 Furusundsgatan Stockholm Tel. 625732 Postgiro 151009; BBA 3048.

Ernst Ginsberg an Bertolt Brecht Basel, 2.12.1946 STADTTHEATER BASEL DIREKTION

Basel, den 2. Dezember 1946.

Flugpost Herrn Bertolt Brecht 124 E 57 Street N.Y.C. 22 N e w Yo r k 1063 26th Street Santa Monica Calafornia [sic]

391 Brecht hat sich zu diesem Angebot offenbar nicht geäußert.

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Lieber, verehrter Brecht, Ihre Première ist aus technischen Gründen auf den 6. Januar 1947 verschoben worden.392 Neher hat hinreissende Projektionen gezeichnet. Was die letzte Szene betrifft, so finden wir nun doch die ursprüngliche Fassung stärker. Und da Horwitz zu Beginn die Verse „Die deutsche Heerschau“ und „Dort kommen Sie herunter“393 spricht, lässt es sich wohl doch stilistisch rechtfertigen, auch mit gesprochenen Versen („O Deutschland ...“394) zu schliessen. Und nun noch eine grosse Frage, lieber Brecht, die ich Sie ganz offen zu beantworten bitte: Sie haben die Szenenfolge 1938 geschrieben. Inzwischen ist die Leidensgeschichte des deutschen Volkes in eine neue Phase getreten, und wir alle, auch Sie, haben über die Kreise, aus denen sich der Widerstand rekrutierte, genauere Informationen als damals. Wie in Frankreich, Holland, Norwegen usw., so waren es auch in Deutschland sehr viele Kommunisten, aber es waren nicht nur Kommunisten. (Nur dadurch konnte es zur Gründung des „Freien Deutschland“395 kommen, in dem hier draussen z.B. Horwitz und ich als NichtKommunisten neben unserem Theo Otto396 standen.) Wäre es nicht um dieser Wahrheit und um der zahllosen Opfer willen, die auch ausserhalb der K.P. gefallen sind, richtig, ja fast verpflichtend, Ihre Szenenfolge am Schluss nicht zu einer ausschliesslichen Verherrlichung der K.P.-Kämpfer zu vereinseitigen? Dass die Wirkung des Ganzen dann eine viel breitere und nachhaltigere wäre, ist kein Zweifel, aber nicht das ist das Wesentliche, sondern das Zeugnis für die Wahrheit, das Ihr bezwingendes Stück bedeutet. Ich frage Sie darum – indem ich Ihnen im Voraus versichert, dass ohne Ihre Einwilligung selbstverständlich kein Wort geändert wird – ob die Schlusszene nicht grösser und vollgültiger wäre, wenn Sie in dem Brief die folgenden Worte (natürlich nur diese) streichen würden: „Ich habe nur meiner Klasse gedient“ „...... damit ....“ „Halte dich zu deiner Klasse“.397 Sie sind über Horwitz und mich hoffentlich genügend informiert, um zu wissen dass diese Anfrage keinerlei antikommunistischen Affekten entspringt. Wir meinen nur, es sollte bei dieser ersten dramatischen Darstellung der deutschen Katastrophe durch einen Deutschen um die volle, umfassende Wahrheit gehen. Der überwiegende Anteil der Arbeiterschaft am Kampf gegen Hitler geht aus der Verteilung der Gewichte in Ihren Szenen

392 Vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946. 393 Zeile aus Die deutsche Heerschau (GBA 4, S. 341). 394 Deutschland (GBA 11, S. 253f.). 395 Das Nationalkomitee Freies Deutschland wurde 1943 in der Nähe von Moskau gegründet. 396 Teo Otto. 397 Aus der Szene Volksbefragung (GBA 4, S. 442).

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klar und gerecht hervor. Halten Sie darüber hinaus die zitierten Sätze heute noch für notwendig? Horwitz und ich, und andere, denen ich „Furcht und Elend“ vorlas, würden Ihre Einwilligung in den Strich sehr begrüssen. Wir Alle freuen uns auf Ihr Kommen. Kommen Sie bald! Herzlichst Ihr Ernst Ginsberg Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3098.

Hanne Brecht398 an Bertolt Brecht Wien, 6.12.[1946] Wien, den 6.12/ Lieber Pappu, Ich danke Dir für Deine letzten zwei Briefe399 und Dein Paket mit den Svendborger Gedichten, Deinem Bild, Rollenbüchlein, Schleier usw. Es hat mich wirklich gefreut! Aus der Schweiz bekomme ich jetzt auch jede Woche ein Lebensmittelpaket bin also versorgt. Nur Deine Johanna schicken sie mir nicht sie schreiben sie hätten sie nicht, wieso? Gelesen habe ich sie schon auch Galilei, aber ich möchte sie selbst besitzen und sie lernen. Vielleicht kann ich sie in ein paar Jahren einmal spielen? Sie ist das was ich spielen möchte später einmal – mein Ziel. Weil sie die Kraft hat zu Grunde zu gehen an den Falschen Gesetzen der Welt, aber umsonst sie verlässt keine bessere Welt. Aus Deiner Mutter Courage die Stumme könnte ich jetzt schon spielen, wie lauter redet als alle Anderen für es [sic]. Im Augenblick studiere ich ein paar Rollen aus Klassikern, aber das sind nur extreme Farcen für mich jede Einzelne davon man verkörpert Gefühle und idealisiert sie, denn ich möchte Menschen spielen nicht wie als Julia400 – die ich augenblicklich mache – die Liebe. Charaktere, seltsame Menschen. Menschen von heute hauptsächlich die für unsere Sache kämpfen und nur diese Rollen sollte man spielen als Schauspieler so wie Du nur diese Stücke schreibst und Gedichte.

398 Hanne Brecht, später: Hiob (1923–2009), Schauspielerin, Tochter Brechts aus der Ehe mit Marianne Zoff. 399 Vgl. B. an Hanne Brecht, 1.11.1946, GBA 29, S. 403. Der andere Brief ist nicht überliefert. Brecht hatte den Theaterverlag Reiss gebeten, seiner Tochter Hanne regelmäßig Geschenkpakete auf seine Kosten zu schicken (vgl. BC, S. 783). 400 Titelfigur aus Shakespeares Romeo and Juliet (Romeo und Julia, 1597).

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Vielleicht werden sie es dann doch noch einmal verstehen die Leute und die Kritiker dass es keine defetistischen Stücke sind, wie sie hier über Deine Stücke schrieben und sagten, nicht vollkommen hoffnungslos sondern das Gegenteil. Gespielt habe ich noch sehr wenig von dem was ich will: in Salzburg nur komische Rollen, Chargen, Naive, Kinder lauter nazistische Stücke oder so dumme, dass ich die Namen vergessen habe. Aber dann war ich plötzlich Soubrette – singen habe ich bei Bertie Singer-Burian, der Tochter von Mamis Lehrerin401, über ein Jahr gelernt und getanzt habe ich ja auch wie Du weisst: Meine Schwester und ich und Cocktail von Benatzky402 dann Lisa Benimm dich403 – ein singendes Kind auch so etwas grässliches. Bis es mir zu dumm wurde und ich im Sommer nach Wien ging. Während dieser Zeit aber: ein Jahr waren die Theater geschlossen und ich war im Kriegseinsatz in Ischl404 in Lazaretten, von einem ins andere wurde ich kommandiert und machte ärztliche Untersuchungen bei Sterbenden und Schwerkranken – ganz Ischl war voll von Gehirnverletzten – ich hatte in 8 Tagen zu lernen wie man E.K.G. Elektrokardiogramme aufnimmt sie entwickelt, Grundumsätze Blutdruckmessungen, Herzen seziert und verschickt. Es zu erlernen war nicht uninteressant – überhaupt Medizin – aber die Ausübung hätte wegbleiben können. Ich hatte nur mit solchen zu tun die wie die meisten starben oder wenn sie besser dran waren verrückt wurden oder wenn noch besser Krüppel. Genug vom Krieg hatten viele aber Nazis waren alle. 3-4 vielleicht nicht aber was ist das. Kesselring405 kam sich das öfters anschauen und weil die nein unsere Idioten dicke runde Gesichter hatten: „Na, das jeht ja vorwärts sehen ja schon jrossartig aus immer so weiter..“ und der lag stramm im Bett dass er dass musste wusste er dass wussten alle – Eltern wurden nie benachrichtigt sie hätten Züge benützt die für die Soldaten an die Front waren, sie starben alle ohne Nachricht ohne alles – wozu auch. Ich war bei Ihnen bis zur letzten Minute und untersuchte sie für Studienzwecke. Die Schwestern waren auch nicht besser: „Nun haben Die ein frisch-gemachtes Bett nun geben Sie aber Ruhe und hören Sie auf zu schreien – „ er schrie wohl nicht wegen des beschmutzten Bettes. Nach der Narkose schrien sie nach Wasser, sie hätten trinken dürfen sie bekamen keinen Tropfen sie hätten die Betten angekotzt und – man – hätte frisch überziehen müssen usw. usw. manchmal habe ich gedacht ich werde auch verrückt. Viele Weihnachtsgrüsse auch an Helli Steff und Barbara.

401 Hermine Singer-Burian, Professorin am Wiener Konservatorium. 402 Ralph Benatzky (1884–1957), österreichischer Komponist. Neben Operetten schrieb er auch kleine Musikkomödien wie Cocktail und Meine Schwester und ich (beide 1930). 403 Lisa benimm dich (1939), musikalisches Lustspiel von Hans Lang. 404 Bad Ischl, Kleinstadt in Oberösterreich. 405 Albert Kesselring (1885–1960), Generalfeldmarschall der Wehrmacht, leitete ab 1944 die „Bandenbekämpfung“ in Italien. Von einem britischen Militärgericht 1947 zum Tod verurteilt, jedoch begnadigt und bereits 1952 aus der Haft entlassen.

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Wenn Du Dich noch immer sehr langweilst schreibe mir ein kleines Stück Du weisst jetzt ungefähr was ich möchte. Wie war Dein Erfolg in New York?406 Deine Hanne Mami war ich in der Schweiz [sic] + hat sich für mich 500 fr. v. Herrn Reiss genommen. Vielen Dank! Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg., Stempel: „Österreichische Zensurstelle – W. 250“, Bv.: Ala Littoria Concess. La Nuovissima Napoli (11); BBA 654/58–59.

Maurice J. Speiser an Bertolt Brecht New York, 9.12.1946

December 9, 1946

Mr. Bert Brecht 124 East 57th Street New York, N. Y. Dear Mr. Brecht: I have this day notified the Dramatist Guild407 of our desire to join in the arbitration against Dr. Czinner.408 I have been advised by Mr. Stabile that he is contacting Alan Collins who represents Mr. Auden, also to the same effect. I will keep you informed of any further developments. Sincerely, Maurice J. Speiser MJS:veh Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Law Offices Maurice J. Speiser Herbert Speiser 630 Fifth Avenue New York 20, N.Y. Circle 7–8194; BBA 1762/36.

406 Brecht hatte aus New York geschrieben, er wolle dort mit Charles Laughton eine Aufführung des Galileo arrangieren (vgl. GBA 29, S. 403). 407 Vgl. Anm. zu Hays, November/Dezember 1941. 408 Brecht hatte Einwände gegen die von Paul Czinner produzierte Inszenierung der Duchess of Malfi erhoben (vgl. Anm. zu Korsch, 10.9.1946). Da seine Forderungen nicht erfüllt wurden, leitete er ein schiedsrichterliches Verfahren wegen Vertragsbruchs ein.

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Wolfgang Langhoff an Bertolt Brecht Berlin, 10.12.1946 16.12.46 La/Lo. Herrn Bert B r e c h t über Mr. Benno Frank409, OMGUS, Berlin Lieber Bert Brecht! Ich lasse diesen Brief 2 Telegrammen folgen, die ich Ihnen über den Weg der amerikanischen Theaterkontrolle in Berlin zugehen liess. Es erscheint mir notwendig, Ihnen mit wenigen Worten die Dringlichkeit meiner Bitte, den „Schweyk“ in Berlin zur Uraufführung freizugeben, darzutun. Nachdem im ersten Jahr nach dem Zusammenbruch das Theaterleben Berlins und Deutschlands einen kräftigen und hoffnungsvollen Anlauf genommen hatte, ist nunmehr unter dem Druck der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse eine Stagnation, richtiger Depression eingetreten, die alle faschistischen Elemente ermutigt, aus ihren Mauselöchern hervorzukriechen und unter dem Deckmantel der Demokratie eifrig an der Restauration faschistischer Gedankengänge zu arbeiten.Die Enttäuschungen, die durch die Zoneneinteilung und durch verschiedene, psychologisch nicht geschickte Massnahmen der Besatzungsmächte in der Bevölkerung Platz gegriffen haben, Hunger, Kälte und Verkehrsschwierigkeiten, haben es mit sich gebracht, dass die Deutschen bei den zu früh erfolgten Wahlen den Vertretern des Sozialismus, die von allem Anfang an bereit waren, die Verantwortung auf sich zu nehmen und das Chaos zu verhüten, das Vertrauen versagt haben, eben weil die Erfolge im Aufbau und in der Wiederherstellung normaler Verhältnisse sich nur sehr langsam einstellten. Auf der Bühne spiegelte sich dieser Vorgang dadurch, dass die anfänglich häufig gegebenen Stücke mit antifaschistischer Tendenz immer weniger Widerhall fanden und eine Rückkehr zur „reinen Kunst“ und zum Unterhaltungsstück gefordert wurde. Von den ausländischen Stücken, mit denen die deutsche Bevölkerung bis jetzt bekannt gemacht wurde, sind die meisten für die deutsche Situation unbrauchbar, weil der ausgesprochen tiefe Pessimismus der Existenzialisten von Anouilh bis Sartre und Camus und der neue Romantizismus der Amerikaner die Depression nur noch steigern helfen. Es mehren sich deshalb die Stimmen der einsichtigen Kritiker, die nach dem deutschen Autor fragen, der zu den Zeitproblemen Stellung nehmen kann. Nun befinden sich hier unter den einlaufenden Stücken deutscher Autoren noch keine aufführbaren Werke. Unsere Dramatiker 409 Der Schauspieler und Regisseur Benno Frank (1905–1980) war Leiter der Theater- und Musikabteilung der amerikanischen Militärregierung in Deutschland.

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aus der Vorhitlerzeit, Friedrich Wolf und Günther Weisenborn410 sind die einzigen, die mit einigem Erfolg aufgeführt werden können. Der Schrei nach dem deutschen Dichter aber verhallt in der Wüste und Bert Brecht schweigt in Deutschland. Zuckmayer, mit dem ich dieser Tage zusammentraf, versprach zwar, dass er diese Frage in absehbarer Zeit gemeinsam mit Ihnen lösen werde, wir aber, die wir hier in Deutschland in wirklich verzweifelter Situation kämpfen, können und dürfen nicht solange warten, bis die Frage der Verlagsrechte usw. gelöst ist, sondern müssen von der deutschen Seite her unser Wort sagen. Deshalb ist es von allergrösster Wichtigkeit, dass wir noch in diesem Theaterwinter ein Stück von Ihnen, lieber Bert Brecht, zur Aufführung bringen. Wir besitzen nun eine Fotokopie des „Schweyk“ und beabsichtigen, dieses Stück spätestens Ende März herauszubringen. Für den „Schweyk“ haben wir hier den ausgezeichneten deutsch-tschechischen Schauspieler H e l l m e r 4 1 1 , bei der Frau „Kopecka“ denken wir an Kate K ü h l , für den „Baloun“ an Ernst B u s c h . Bitte geben Sie uns Ihr Einverständnis und schicken Sie uns, am besten über den Weg der Militärregierung, die Noten, sofern die Songs schon vertont sind. Am besten wäre es natürlich, wenn Sie selbst mit Heli Weigel herüberkommen könnten, ich fürchte aber, dass die Formalitäten der Ueberfahrt viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen werden.412 410 Der Schriftsteller Günther Weisenborn (1902–1969) emigrierte 1930 nach Argentinien und in die USA. Bereits 1937 kehrte er nach Deutschland zurück, arbeitete als Dramaturg am Schillertheater und beteiligte sich im geheimen an der Widerstandsgruppe Rote Kapelle. 1942 wurde er verhaftet. Nach seiner Befreiung aus dem Zuchthaus 1945 u.a. am Berliner Hebbeltheater und an den Hamburger Kammerspielen beschäftigt. 411 Gemeint ist der österreichische Schauspieler Karl Hellmer (1896–1974), der seit den 1930er Jahren am Deutschen Theater Berlin arbeitete. 412 Brecht antwortete Langhoff am 2.3.1947: „ich kann mir Ihre Schwierigkeiten vorstellen, die materiellen wie die artistischen und ideologischen. wenn ich trotzdem dem Theater den SCHWEYK vorenthalte, so ist es, weil ich nicht glaube, dass eine jetzt stattfindende aufführung wirklich helfen könnte. Das Stück ist nicht fertig, der Grossteil der Lyrik (z.B. das MOLDAULIED) noch gar nicht geschrieben und zu dem Geschriebenen existiert keine Musik. Es wäre, als ob ich die DREIGROSCHENOPER auf die Bühne geschmissen hätte ohne Musik. Dazu kommt, dass man für die nächsten Saison Lorre, Bois, Homolka bekommen könnte, wenn man es nur organisierte. Und dass der (Kampf-) Wert solcher Stücke nur realisiert wird, wenn ein Darstellungsstil angewendet wird, der noch keineswegs Gemeingut der deutschen Bühne ist. Der SCHWEYK mag nicht so aussehen, aber er gehört zu dem Teil der Stücke, die nicht in eine Lücke geworfen werden können; ich habe auch andere. Darum habe ich, an eure Schwierigkeiten denkend, FURCHT UND ELEND DES DRITTEN REICHES vorgeschlagen. Das Stück ist fertig und leichter aufzuführen. (Es mag im Augenblick nicht geeignet sein, das kann ich natürlich nicht beurteilen.) Sie können sich denken wie froh ich bin, dass jetzt Leute wie Sie, lieber Langhoff, am Aufbau des Theaters arbeiten. Wir tun hier alles, um im Sommer hinüber kommen zu können. Meine im Exil geschriebenen Stücke, alle geschrieben für ein kommendes deutsches Theater, könnten, denke ich, ein ganz gutes kleines artistisches und politisches Kapital werden, wenn wir sie voll ausnutzen. […]“ (TsD, BBA 2895).

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Ich weiss nicht, ob Heli Weigel mein Engagementsangebot erhalten hat, auf jeden Fall erneuere ich es hiermit dringend und bin bereit, von Berlin aus alle Schritte zu unternehmen, die die Ausreise beschleunigen könnten.413 Seien Sie überzeugt, dass es eine Frage von theater- und kulturhistorischer Bedeutung ist, ob wir in diesem Winter noch einen Bert Brecht spielen oder nicht, alle Bedenken müssten hier zurückstehen. Der Spielplan des Deutschen Theaters sieht für den Rest der Saison folgendermassen aus: von Sophokles „Oedipus“414 „Baöel“415 von Günther Weisenborn „Der Hauptmann von Köpenick“416 von Zuckmayer von Bert Brecht „Schweyk“ 417 „Volpone“ von Stefan Zweig „Haben“418 von Julius Hay „Jegor Bulytschew“419 von Gorki Der Spielplan für die Kammerspiele des Deutschen Theaters ist: „Dangerous Corner”420 “Awake and sing”421 “Time of your life”422 “Wozzek“423

von Priestley von Clifford Odets von W. Saroyan von Büchner

413 In dem zitierten Brief teilte Brecht Langhoff mit, daß Helene Weigel keinen Vertrag erhalten habe. 414 Die Tragödie Oidípous týrannos (König Ödipus) schrieb Sophokles vermutlich in den Jahren vor 425 v.d.Z. 415 Günther Weisenborns Drama Babel (1947). 416 Komödie aus dem Jahr 1931. 417 Ben Jonson’s “Volpone”. Eine lieblose Komödie in drei Akten (1926). Die von Stefan Zweig bearbeitete Vorlage des englischen Dichters wurde im Jahr 1606 verfaßt. 418 Julius Hays Schauspiel Tiszazug (Haben, 1936), uraufgeführt erst 1945 in Wien, wurde in den 1930er Jahren in Moskau, wo eine deutsche Übersetzung in der Internationalen Literatur erschien, als vorbildliches sozialistisch-realistisches Drama gelobt. Brecht hat sich darüber sehr kritisch geäußert. Vgl. GBA 22, S. 305–308; dazu auch Hay, 7.3.1937. 419 Egor Bulyčov i drugie ( Jegor Bulytschow und die anderen), eine „Szene“ in drei Akten (1932) von Maxim Gorki. 420 Dangerous Corner (Gefährliche Kurve, 1932), Drama des englischen Schriftstellers John Boynton Priestley (1894–1984). 421 Awake and sing! (Wachet auf und singet!, 1935), Drama von Clifford Odets. 422 The Time of Your Life (Ein Leben lang, 1939), Prosadrama des amerikanischen Schriftstellers William Saroyan (1908–1981). 423 Das nur in Bruchstücken überlieferte, erst 1913 in München uraufgeführte Drama Woyzeck schrieb Georg Büchner vermutlich 1836.

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und zwei moderne russische Stücke, deren Autoren noch nicht feststehen. Ob wir diesen Spielplan einhalten können, hängt von der Ueberwindung unzähliger Schwierigkeiten ab, ebenso von der Besetzung und der Materialbeschaffung. Unsere Theater sind täglich ausverkauft. Das Interesse ist trotz der wirtschaftlichen Misere gross. Wollen Sie bitte nach Erhalt dieses Briefes an Mr. Benno Frank telegrafieren. – Wir erwarten die Hilfe unserer Freunde draussen und hoffen, dass sie uns nicht im Stich lassen werden. Ihnen und Ihrer Frau die allerherzlichsten Grüsse von Ihrem Wolfgang Langhoff Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 1762/6–8.

John W. Rumsey an Ruth Berlau New York, 11.12.1946 December 11, 1946 Miss Ruth Berlau c/o Mr. Bertholt Brecht 124 East 57th Street New York City Dear Miss Berlau: – I enclose a photostat of the latest letter I have received from Carl Strakosch.424 I hope this will be of help to you. I rather gather from this letter that at least some of the money due Mr. Brecht will be saved for him. Please let me know if there is anything further that I can do. Yours sincerely, John W. Rumsey JWR/MC

424 Vgl. Anm. zu Rumsey, 22.11.1946.

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[Anlage] December 5 th 1946 Mr. John W. Rumsey, American Play Company, 522, Fifth Avenue, NEW YORK 18, N.Y. Dear Mr. Rumsey, Re: – “THE BEGGAR’S OPERA”: In reply to your letter of November 22nd we beg to inform you that there is no question of transferring royalties to Germany. According to Danish Law claims of all kind from German Editors are confiscated to the benefit of the Danish State. Therefore all moneys must be paid to the Custodian for Foreign Property and Felix Bloch Erben will not receive anything of this money, so that no problems exist regarding the possibilities of getting money out of Germany. All moneys remain here in Denmark. On the other hand the Danish State is inclined to pay out of the confiscated money certain debts the owner may have and if Mr. Brecht should have serious claims on Felix Bloch Erben, he will be in a position to submit such claims to the Danish Custodian of Foreign Property. There is not as yet paid any amount to the Danish Custodian and therefore it is not very important that Mr. Brecht’s Danish lawyer communicates with him now. We wish to draw your attention to the fact that Felix Bloch Erben positively declare that the rights to “Dreigroschenoper” have been entrusted to them. Perhaps Mr. Brecht makes a mistake about this, as he has a contract for this opera from 1928, whereas it is not mentioned in his later contract, which apparently is made in 1933. Regarding the amounts which formerly have been paid to Felix Bloch Erben we may state that we have paid the following: 9/3 13/11 25/2 “ “ 3/4 „ 14/4 19/5 16/2

1929 “ 1930 “ “ „ „ „ „ 1931

advance on royalties “ “ “ royalties Stockholm “ Helsingfors “ København „ Abö „ Helsingfors „ Copenhagen „ Helsingfors „ Oslo

Kr. 1000.“ 4000.“ 927.70 “ 142.24 “ 966.43 „ 127.27 „ 81.16 „ 361.20 „ 342.02 „ 1099.90

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8/5 „ „ „ „ 406.70 8/6 „ „ Helsingfors „ 179.66 19/8 „ „ „ „ 89.86 18/4 1932 „ Oslo „ 386.35 14/11 „ „ Gothenburg „ 497.95 15/3 1933 „ Stockholm „ 228.13 12/11. 1934 new advance on royalties “ 500.- 4/2 1938 royalties Copenhagen “ 391.55 15/2 “ “ Oslo “ 1363.80 18/5 “ “ danish provinces “ 802.83 8/11 “ “ Stockholm “ 1580.22 26/1 1939 “ swedish prov. “ 1856.08 7/2 „ „ Copenhagen „ 218.07 23/2 „ „ Stockholm s. 1474.66 15/6 „ „ Helsingfors s. 360.66 15/6 „ „ Stockholm s. 264.71 Kr. 19.649.15 S. E. & O. Yours sincerely, p. CARL STRAKOSCH Bischoff Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., Bv.: American Play Company Representing American and Foreign Authors 522 Fifth Avenue New York 18, N.Y. Member of Society of Authors’ Representatives, Inc. Telephones Murray Hill 2-0156 2-0157 Cable Address Amplaco John W. Rumsey President; BBA 1959/88 (Anlage: Ts, Hs. U., Hs. Korr., Bv.: Carl Satrkosch A/S Tel. Adr. Strakos Copenhague Telefon: Central 44.17 5, Dahlerupsgade København V; BBA 784/15–16).

Walter Brecht an Bertolt Brecht und Helene Weigel Darmstadt, 11.12.1946 Darmstadt, 11. XII. 46 Ohlystr. 59. Lieber Eugen und liebe Helly! Vielen Dank für Hellys lieben Brief vom 16. Nov.425 Es scheint, daß es sehr viel länger dauert, bis Ihr unsere Briefe bekommt, als umgekehrt. Ihr müßtet sonst schon lange unsere Dankbriefe, einen für ein Care-Paket und den anderen für die äußerst nützlichen Sachen erhalten haben, die Helly für die Kinder schickte. Kurz vor dem ersterwähnten hatte ich 425 Dokumentiert in BBA E25/11.

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einen längeren Brief an Eugen geschrieben. Helly frägt, welche Art von Paketen am sichersten und schnellsten ankommt. Das können wir schlecht beurteilen, was wir bis jetzt erhielten – 1 herrliches Carepaket und Hellys ganz besonders liebe Sendung für die Kinder und Lie426 – kam vorzüglich hier an. Es ist rührend von Euch, daß Ihr uns so helft, wir sind überglücklich, aber wir möchten keinesfalls, daß es schwer für Euch wird. Meine berufliche Situation ist unverändert, ich bin im Amt, doch steht die eigentliche Entscheidung noch aus. Eugens damaliges Schreiben wird sich, zumal außer dem, was Ihr wißt, nichts gegen mich vorliegt, bestimmt als ausgezeichnet erweisen.427 Hellys letzter Brief hat uns etwas über Euer Ergehen beunruhigt. Wenn ihr irgend etwas braucht, helfen Euch Frankels (Fanny Frankel428, Harrisroad, Katonah, New-York) ganz bestimmt. Es ist Euch nichts damit gedient, wenn ich sage, daß hier natürlich Eugens Geld bereit steht. Wir möchten Euch allen, zu Weihnachten und zum Neuen Jahr von Herzen alles Gute wünschen. Sicherlich denkt Ihr oft an hier, an Schnee und Tannenbäume und so. Es hat bis jetzt noch nicht geschneit, aber es ist doch winterlich kalt. Wir suchen uns den Rahmen Eures Lebens in Kalifornien vorzustellen, aber können es nicht. Seid vielmals und mit tausend guten Wünschen und im Gefühl tiefer Dankbarkeit für Eure Hilfe gegrüßt von Walter Absender: Walter Brecht,

Darmstadt (16) Ohlystr. 59. Amerik. Zone Hessen.

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA E 25/12.

Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 24.12.1946 December 24, 1946 Liebster Brecht: Ich erhielt heute das in Kopie beiliegende Schreiben vom War Department und waere Ihnen fuer eine baldige Antwort sehr dankbar. Von Reiss erhielt ich eine Anfrage, ob der Mundus-Verlag in Basel „Die Mutter“ gedruckt hat429 und ob dieser Druck bejahendenfalls von Ihnen autorisiert wurde. Ich waere Ihnen auch ueber Bescheid hierueber dankbar. 426 Walter Brechts Frau Elisabeth. 427 Vgl. Walter Brecht, 26.6.1946. 428 Fanny Fränkel. 429 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.12.1945.

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Mit besten Gruessen und Wuenschen fuer die Feiertage, Herzlichst Ihre Lisl Frank. [Anlage] WAR DEPARTMENT WAR DEPARTMENT SPECIAL STAFF CIVIL AFFAIRS DIVISION 292 Madison Avenue New York, N.Y. Field Office: 292 Madison Ave New York 17, N.Y December 19, 1946 Mrs. Bruno Frank Hotel Alrae 37 East 64th Street New York, New York Dear Mrs. Frank: Confirming our phone conversations on the subject, we should like to obtain permission for the use in Germany and Austria of the following plays by Bertolt Brecht: GALILEO GALILEI DER GUTE MENSCH VON SEZUAN It is necessary that in granting this permission, the contract shall be with OMGUS430 which will in turn authorize Desch of Zinnen Verlag, Munich, to handle the plays on condition that the royalties shall be paid into a blocked account as is the case with other plays cleared by us. These royalties will be released when blocked marks can be exchanged for dollars. While Mr. Brecht’s stipulation that he approve every producer wishing to produce his plays is understandable, it is felt to be highly impractical at this time in Germany and Austria because the producers are mostly new and Mr. Brecht could hardly judge their merits. Further, any such stipulation would drastically limit production of Brecht’s plays and correspondingly reduce the theatre program. All other authors have dispensed with any such stipulation which would be exercised under normal conditions, and have granted to OMGUS full control in order that the greatest possible contribution may be made to 430 Office of Military Government for Germany (US).

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the theatre in Germany and Austria. In view of these circumstances it is urgently requested that Mr. Brecht reconsider his stipulation of approving the producers and allow the fullest use of his plays. Since Mr. Brecht’s plays have been urgently requested, we would appreciate his earliest possible reply. Very truly yours, signed: H.J. Jelinek Industry Liaison Films and Theatre Section Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel; BBA 1800/4 (Anlage: Ts, BBA 1762/18).

Hella Wuolijoki an Bertolt Brecht und Helene Weigel Helsinki, 27.12.1946 [Hs.: Meine Heimadresse ist Ostra Brunnsparken 7a, (Ich wohne gegenüber der amerikanischen Gesandtschaft) aber am Besten ist es die Briefe auf das Radio zu adressieren.] Helsinki, Yleisradio, den 27. Dez. 1946 Meine liebe liebe Heli und mein liebster Brecht! Also endlich habe ich Eure Adresse. Menschen, wohin habt Ihr Euch versteckt? Ich bin ganz verzweifelt gewesen; habe 3- oder 4-mal Päckchen aus Santa Monica bekommen, aber keine Adresse dabei. Habe Branting um Eure Adresse gebeten, er sagt er hat sie verlegt. Auch Naima Wifstrand431 hat sie nicht gewusst. Dann habe ich Ernestine Evans432 und Joe Losey433 gebeten mir Eure Adresse zu vermitteln und habe mich an die Agentur Morris434 gewandt – alles vergebens. Auch der Englind435 hat gesagt, dass er Eure Adresse nicht hatte. Es ist ja ganz verzweifelt 2 Jahre nach der Adresse des grössten deutschen Dichters zu jagen. 431 Naima Wifstrand (1890–1968), schwedische Schauspielerin, übertrug Die Gewehre der Frau Carrar ins Schwedische. 432 Ernestine Evans, amerik. Literaturagentin. 433 Joseph Losey (1909–1984), amerikanischer Theater- und Filmregisseur. Brecht hatte ihn bereits 1935 in Moskau kennengelernt. Losey führte Regie bei den Aufführungen des Galileo in Los Angeles und New York 1947. 434 William Morris Agency, New Yorker Künstleragentur. 435 Arvid Englind (1882–1970), schwedischer Verleger.

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Und warum habt Ihr nicht selbst geschrieben? Lest Ihr keine Zeitungen? So viel ich weiss ist ja in den amerikanischen Zeitungen viel über mich gestanden – insbesondere, dass ich vor während den 2 Jahren die ich im Gefängnis war. Und ich habe Euch nicht danken können für die Hilfe, die ich von Ihnen Euch in meinem Prozess erhielt.436 Es ist ja unglaublich, dass man während dem Prozess Euch gefunden und ein Zeugnis von Euch erhalten hat. Viel hat es ja nicht geholfen; unsere kleinen Himmlers haben es als ein Zeugnis vom „Juden“ Brecht dargestellt, dem man nicht Glauben schenken dürfte. Aber jedoch schon die Tatsache, dass man in Amerika für mich tätig war und dass die BBC unaufhörlich von mir sprach, hat jedenfalls das Tête-à-tête der Herrn Ryti und Anthoni437 mit mir gestört und gewirkt, dass sie nicht ohne Weiteres mich [er]schiessen lassen konnten, wie der Himmler es gefordert hat. Der ganze Prozess ist ja ein Roman, den ich einmal niederzuschreiben hoffe. Es ist hoffnungslos mit einigen Worten darlegen zu können, wie er verlief. Das Ganze war ja wahrscheinlich eine kolossale Provokation. Mürbe machen konnten sie mich nicht. Kivimäki438 ist aus Berlin speziell gekommen um mir das Leben zu erbieten, falls ich Enthüllungen machen wollte von den „furchtbaren Intrigen“ der Russen gegen Finnland und Deutschland. Ich hatte eine liebe Mühe Ihn davon zu überzeugen, dass es nicht die Mühe wert war nach einem langen und wollen Leben plötzlich ein kleiner gemeiner Verräter und Lügner zu werden, um das Bisschen Leben fortzusetzen. Das war mein Freund Kivimäki. Erinnert Ihr Euch noch, wie er bei mir war, bevor er nach Berlin geschickt wurde – und jetzt sitzt er in demselben Gefängnis wo ich war. Aber sein Urteil ist nicht lebenslänglich wie das meine war, sondern nur 5 Jahre. Also ich war lebenslänglich verurteilt mit einer Stimme Majorität gegen die Todesstrafe. Erinnert Ihr Euch an die halbtaube Schneiderin, Herttas439 Freundin? Sie war eine überzeugte Kommunistin und hat während dem Kriege Desertören in den Wäldern geholfen; sie wurde zum Tode verurteilt und Ryti hat ihr das Leben geboten, falls sie ihre Ka­meraden aufgeben würde. Sie weigerte [sich] auch mit der Antwort: „Ich habe genug gelebt“ – und Ryti hat das Urteil vollziehen lassen. Die letzte Nacht hat sie nur genäht und ist singend in den Tod gegangen. Hertta sass 3 Jahre im Konzentrationslager. Ihr Mann, 436 Hella Wuolijoki wurde in Finnland 1943 der Spionage und Kollaboration mit der Sowjetunion angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt, 1944 jedoch bereits wieder freigelassen. Georg Branting hatte Brecht damals um eine Zeugenaussage für Wuolijoki ersucht (vgl. Journaleintrag vom 6.9.1943, GBA 27, S. 170). 437 Risto Ryti (1889–1956), Staatspräsident Finnlands von 1940 bis 1944, schloß einen Vertrag mit dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop, in dem er sich zur Unterstützung Deutschlands im Krieg gegen die Sowjetunion verpflichtete. Arno Anthoni (1900–1961), ebenso wie Ryti nach dem Krieg zu einer vergleichsweise milden Freiheitsstrafe verurteilt, war von 1941 bis 1944 Leiter der finnischen Staatssicherheit, die eng mit der Gestapo zusammenarbeitete. 438 Toivo Kivimäki (1886–1968), vormals Ministerpräsident Finnlands, wurde von Ryti 1940 zum Botschafter in Berlin ernannt, als welcher er entscheidenden Anteil am Aufbau der deutsch-finnischen Beziehungen hatte. Nach dem Krieg wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt. 439 Hertta Kuusinen.

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Leino440, hat sich geflüchtet und hat die ganze Kriegszeit „underground“ gearbeitet. Jetzt ist er Minister des Innern, und Hertta ist die parlamentarische Leiterin der Partei. Ich sass 1 ½ Jahre, davon 8 Monate im Untersuchungsgefängnis. Man hat mich schreiben lassen und einmal richtig wöchentlich habe ich Essen aus dem Hause bekommen. Wenn ich herauskam, hatte ich „nur“ 30 Kilo verloren. Ich war fast eine Sylphide441 geworden, aber eine ganz graue Sylphide, und empfand einen grossen Schrecken, als ich nach 1 ½ Jahren mich wieder im Spiegel schaute. Es ist erschreckend, plötzlich eine alte Frau zu werden. Doch hatte ich nicht viel Zeit an das Alter und an das Aussehen zu denken; ein Paar Tage war ich zu Hause in Jokela442; dann hat man mich abgeholt in die Stadt um die neue Regierung zu bilden. Und so ist es weitergegangen, „one damned thing after another“. Jetzt sitze ich als Generaldirektor des Radio und bin seit Juli im Reichstag – und denke an die schöne Ruhe im Gefängnis. Ich fand zwei Kopien von meinem Briefe an Ernestine Evans und statt Euch persönlich zu schreiben über alles was ich erlebt habe, sende ich Euch diese Kopien, die Ihr mir vielleicht einmal zurücksenden werdet. Und nun weiter: das Persönliche. Ich habe im Gefängnis nachgedacht, dass ich eigentlich viel zu wenig gegen den Krieg und für den Sieg getan habe. Geschrien habe ich, gewütet habe ich und gesprochen habe ich. Und gedroht habe ich Ryti und Tanner443 mit der Faust vor der Nase, aber das alles, ohne Zeitungen und ohne Publizität, war ja nur ein Tropfen im Meer. Und für den Frieden habe ich gearbeitet. Die Russen haben mich nach Stockholm eingeladen; ich habe die Friedensverhandlungen auf eigener Hand begonnen. Und dann habe ich Menschen geholfen, und ich habe mich nicht versteckt, sondern habe in Jokela gesessen und habe hier ruhig gewartet. Aber die Hauptsache ist, dass ich täglich bis 10 Stunden beim Radio gesessen bin um Trost einzusaugen auf allen 7 Sprachen die ich kann. Die Russen haben zu mir einen Fallschirmmenschen geschickt, da sie geglaubt haben, dass Tanner es nicht wagen würde mich verhaften zu lassen und allen persönlichen Kontakt zu brechen. Aber er hat es doch gewagt. Himmler war stärker. Jedenfalls habe ich so viel für den Frieden getan und ich habe mir versprochen dass – falls ich frei werden würde, wollte ich meinen Militärdienst in der Politik tun und nicht nur bequem in Jokela sitzen und Bücher schreiben. Und jetzt tue ich diesen Militärdienst, und mein Herz schreit nach Büchern und Schauspielen, nach der Möglichkeit zu schreiben – und diese Möglichkeit habe ich nicht. Also, liebe Brechts, das ist mein Leben.

440 Yrjö Leino (1897–1961), Politiker der finnischen KP und der SKDL, einer 1944 auf Initiative der KP gegründeten Partei. 1945 bis 1948 Innenminister Finnlands. 441 Die Titelfigur, eine Waldfee, in dem Ballett La Sylphide (1832) von Jean Schneitzhoeffer. 442 Kleinstadt im Süden Finnlands. 443 Väinö Tanner (1881–1966), sozialdemokratischer finnischer Politiker, bis 1944 als Minister in Rytis Kabinett.

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Vappuli444 ist glücklich, hat einen kleinen Sohn und weigert sich eine Societetsdame zu werden. Ihr Mann445 war Minister der Finanz und ist jetzt Generaldirektor der Staatsbank nachdem Ryti arretiert wurde. Mein Schwager Eino Pekkala446 ist Justizminister und sein Bruder Mauno Pekkala447 Premierminister. Und Hertta, die nun wirklich meine zweite Tochter geworden ist, ist jetzt die hervorragenste Frau im Lande. Mein alter Freund Paasikivi448 sitzt als President. So, wie Ihr seht, haben wir Revolution und bauen ein neues Finnland, das Ihre Situation als kleines Nachbarsland eines grossen Landes nicht vergessen wird. Aber nun genug von uns. Jetzt – wie geht es Euch? Alles was ich von Euch gehört habe ist, dass die Grethe starb in Moskau449 – also es war doch zu spät! Ich habe es erst in Stockholm in 1942 erfahren. Es war ein Schlag für mich. Dann hat Branting gewusst, dass Ihr Euch alle wohl befindet und auch, dass Brecht ein neues Stück geschrieben hat. Das ist alles seit Helis kurzer Brief450 kam. Menschen, schreibt mir doch, mein Herz brennt zu wissen, wie es Euch gegangen ist! Was denkt Ihr von Deutschland? Ich habe es passiert, bin 2-3-mal nach Brüssel über Deutschland gefahren, habe die Ruinen gesehen und die Ruinenmenschen. Sie sehen aus wie Wehrwölfe, wenn man sie aus dem Fenster eines Luxuszuges betrachtet. Ich habe das alte Lied im Kopfe: „Grüss’ Dich, Deutschland, aus Herzensgrund“.451 Ich sass am Fenster meines Coupés und fuhr durch das blühende offene Land im Juli – und erwischte mich die ganze Zeit singend: „Grüss’ Dich, Deutschland, aus Herzensgrund“. Und dann dachte ich an Euch, Brechts, und vielleicht grüsste ich Brechts Deutschland. Erinnerst Du dich noch, wie Du mir versprachst eine alte Bombenmaschine nach Finnland zu schicken um mich als Gast zum neuen Deutschland zu holen – und nun bin ich in einer belgischen Maschine über Deutschland geflogen! Wie ist alles anders gekommen! Deutschland musste vernichtet werden um leben zu können. Es ist wie ein schwerer Traum. – Wir wussten, dass es schlimm war mit Hitler, aber dass er ein ganzes Volk ermorden würde!!! Ich möchte gerne wissen, was Du denkst, Brecht, was für Pläne Du hast. Warum kehrst Du nicht nach Deutschland zurück? Ich weiss, dass es ein schweres persönliches Opfer ist 444 Die finnische Schriftstellerin Vappu Tuomioja (1911–1998), Wuolijokis Tochter. 445 Sakari Tuomioja (1911–1964), Politiker der Finnischen Fortschrittspartei (KE), 1944–45 Finanzminister, ab 1945 Leiter der Bank von Finnland. 446 Eino Pekkala (1887–1956), Politiker der SKDL, 1946–48 Justizminister Finnlands. 447 Mauno Pekkala (1890–1952), Politiker der SKDL, 1946–48 Ministerpräsident Finnlands. 448 Juho Kusti Paasikivi (1870–1956), 1946 bis 1956 Staatspräsident Finnlands. 449 Vgl. Fadejew und Apletin, 4.6.1941. 450 Dokumentiert in BBA 2177/12. 451 Aus Josef von Eichendorffs Gedicht Heimweh (1817): „Der Morgen, das ist meine Freude! / Da steig ich in stiller Stund / Auf den höchsten Berg in die Weite, / Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund!“

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zu diesen vergifteten Menschen zurückzukehren, aber ich kann es mir nicht vorstellen, dass Du wie Thomas Mann denkst;452 Du schreibst doch für Deutschland! Was tust Du in Amerika? Was hast Du geschrieben? Warum Hollywood? Wollt Ihr nicht nach Finnland kommen und hier abwarten in der Nähe Deutschlands? Ihr wisst ja, wie gern wir Euch hier haben. Das schwedische Theater und Tammerfors453 haben fast ½ Jahr Brecht gespielt. In Åbo454 ging die „Mutter Courage“. Das Puntila-Stück ist von dem Nationaltheater hier aufgenommen worden und sollte dort gespielt werden: – schon im Januar 1947 – nun verzweifeln sie, weil sie keinen Schauspieler für Puntila haben. Salmelainen455 hat sich das Regie abgesagt weil er das Stück nicht versteht. Ich habe zum Stück einen ganzen Vortrag geschrieben, nämlich über Deinen epischen Theater, und das hat Salmelainen total erschreckt. Er hat „Mutter Courage“ nicht zu spielen gewagt. Lass mich doch wissen, was Du geplant hast, und, Heli, schreibe mir wie es Dir geht und den Kindern. Steffi ist doch schon ein junger Mann und Barbara eine grosse Dame. Wie ist es Ruth Berlau gegangen? Niemand wusste etwas von Ihr in Dänemark. Ich habe während dem Kriege keine Schauspiele schreiben können, ich war selbst Mitspieler in einer der grössten Tragödien der Welt. Nur Memoaren habe ich geschrieben. Mein Gefängnisbuch heisst „Eine Gefangene war ich nicht“.456 Da habe ich auch von Euch geschrieben in Erinnerung an die schönen Tage in Marlebäck.457 Wie oft lag ich im Gefängnis und starrte auf die schmutzigen Wände und dachte an Euch und an Brechts Instinkte. Zuweilen, wenn es schwer war, bedauerte ich, dass ich nicht mit Euch mitgefahren bin, aber das geschah selten. Meistens habe ich meinem Herzen gesagt: „Aushalten, nur aushalten, nicht verzweifeln.“ Und dann habe ich gelacht. Vielleicht wird Brecht ein ewiges Schauspiel über mich schreiben. Aber mein lieber Himmel! Da waren ja gleich mir Tausende, vielleicht Millionen auf Europas blutigen Wegen. Es war ja so leicht ein Held zu werden, so furchtbar alltäglich! Und wenn ich Feuchtwangers Klageweise über französische Konzentrationslager458 gelesen habe, habe ich beschlossen: ein Kverulant werde ich niemals!

452 Vgl. Thomas Manns Reden an die Deutschen: Deutsche Hörer! 25 Radiosendungen nach Deutschland von Thomas Mann, 1942 bei Bermann-Fischer in Stockholm erschienen; dazu seine 1945 in der Library of Congress in Washington gehaltene Rede Deutschland und die Deutschen, die im Oktober 1945 in der Neuen Rundschau publiziert wurde. 453 Schwedischer Name von Tampere, Großstadt im südwestlichen Finnland. 454 Schwedischer Name von Turku, Großstadt an der Südwestküste Finnlands. Über die hier erwähnten Aufführungen konnte nichts ermittelt werden. 455 Eino Salmelainen (1893–1975), finnischer Regisseur. Brecht hatte ihn 1940 in Helsinki kennengelernt. 456 Enkä ollut vanki (1944). Deutsche Ausgabe: Und ich war nicht Gefangene, Rostock 1987. 457 Vgl. Brechts Journaleinträge vom 5.7. und 19.8.1940, GBA 26, S. 398f. u. 413. 458 Wie viele andere Exilanten aus Deutschland wurde Feuchtwanger 1940 für mehrere Wochen in französischen Internierunglagern gefangengehalten. Davon berichtet er in Unholdes Frankreich (Mexiko 1942), später unter dem Titel Der Teufel in Frankreich wiederveröffentlicht.

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Also mein höchster Wunsch ist ein paar Stunden mit Euch schwatzen zu können! Heli, ich erwarte einen Mammutbrief! Lässt mich nun endlich von Euren Plänen hören und sende mir, Brecht, Deine neuen Bücher. Unsere Theater sind noch in alten Händen – wir haben zu wenig neues Volk. Aber die moralische Kraft haben wir in Kulturfragen. Es ist Weihnachten. Ich sitze hier auf dem Lande in Jokela einige Tage und diktiere meine Briefe und ich denke an den Weihnachten 1941 und an Deinen Stollen, Heli. – Hertta war hier gestern und wir haben von Euch gesprochen. Also ich bitte um eine Brechtbiographie von Mai 1941 bis Weihnachten 1946. Am 23. Juni 1941 habe ich gedacht, wie Recht du hattest, Brecht! Du sagtest immer, dass die Russen zuerst marschieren müssten – sonst kämen lange Leiden – so war es ja auch ... Kommt doch bald zurück! Eure Hella Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., BBA 211/32–36. – E: Hella Wuolijoki, Und ich war nicht Gefangene, hrsg. v. Richard Semrau, Rostock 1987, S. 280ff.

Briefe an Bertolt Brecht, 1947

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 2.1.1947 2. Januar 1947 Liebster Brecht, Ich erhielt heute das in Abschrift beiliegende Schreiben vom War Department und waere Ihnen fuer eine umgehende Antwort sehr dankbar. Herzlichst Ihre Lisl Frank. [Anlage:] WAR DEPARTMENT War Department Special Staff Civil Affairs Division Washington, D.C.

Field Office: 292 Madison Ave New York 17, New Y. 31 December 1946

Mrs. Bruno Frank 37 E 64th Street New York 21, N.Y. Dear Mrs. Frank: The Deutsches Theater and Hebbel Theatre, Berlin, state theatres at Hamburg, Munich, Dresden, Leipzig and Stuttgart are anxious to get permission for performances of Brecht’s plays. Will you forward this information to him for prompt consideration in addition to our letter of 19 December 1946. Very truly yours, H.J. Jelinek Industry Liaison Films and Theatre Section. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel; BBA 1800/7. (Anlage: Ts, BBA 1762/15).

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Jahrgang 1947

Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 7.1.1947 7. Januar 1947 Liebster Brecht, Heute erhielt ich von Reiss das in Abschrift beiliegende Schreiben. Bitte lassen Sie mich wissen, was ich ihm darauf antworten soll. Herzlichst Ihre Lisl Frank. P.S. Das War Department fragt mich nach einem Stueck von Ihnen „Schwejk 1945“ an.1 Wuerden Sie so lieb sein, mir darueber zu berichten? [Anlage:] Abschrift

Basel, 30. Dezember 1946

„Galilei” Liebe Liesl Frank, Leonhard Steckel2, der s.Zt. in Zuerich die Urauffuerung von Brechts „Galilei“ gemacht hat, fragt mich um die Erlaubnis, von dem Stueck eine Hoerspielfassung zu machen.3 Wahrscheinlich kann diese Hoerspielfassung bei Radio Zuerich untergebracht werden. Sprechen Sie bitte mit Brecht darueber und vor allem auch, ob die Hoerspielfassung nach der hier vorliegenden Fassung gemacht werden kann, oder nach der neuen, die Brecht fuer Amerika hergestellt hat. 1 2 3

Vgl. Jelinek, 8.1.1947. Leonard Steckel. Die Uraufführung unter dem Titel Galileo Galilei fand am 9.9.1943 im Schauspielhaus Zürich statt. Tatsächlich wurde 1947 auf der Grundlage des Züricher Typoskripts eine Hörspielfassung des Galilei produziert, allerdings nicht von Leonard Steckel, sondern von dem Schriftsteller Ernst Schnabel (1913–1986), damals Dramaturg für den Nordwestdeutschen Rundfunk in Hamburg. Von dessen Radiobearbeitung des Stücks wußte jedoch Brecht nur von weitem. „Nun erinnere ich mich dunkel, daß ich gegen die Hamburger Sendung seinerzeit nichts einwendete“ (GBA 29, S. 461), teilte er im August 1948, nachdem das Hörspiel inzwischen auch vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt worden war, Peter Suhrkamp mit. Jacob Geis gegenüber versicherte er, „den (mir jetzt immer noch unbekannten) Herrn, der die Bearbeitung gemacht hat“ (GBA 29, S. 467), niemals autorisiert zu haben. Brecht fürchtete, die Radiobearbeitung werde noch vor der Aufführung des Stücks selbst in ganz Deutschland gesendet (2004 wurde das 58 Minuten lange Hörspiel Galileo Galilei von 1947 im Hamburger Verlag Hoffmann und Campe veröffentlicht).

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Jahrgang 1947

Mit herzlichen Gruessen Ihr gez.: Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel; BBA 1800/8 (Anlage: Ts, BBA 1800/6).

Franz Theodor Csokor an Bertolt Brecht Rom, 7.1.1947 F.T.Csokor

Roma c/o Stampa Estera Via delle Mercede 54

7.1.1947 Lieber Bert Brecht, Vito Pandolfi4, ein junger italienischer Kritiker bei Politecnico [?] wird Sie mit Grüssen von mir besuchen. Er will bei „Maggio Musicale“5 versuchen, „Die Maßnahme“ zu machen und würde gerne wissen, wo die Musik Eislers zu haben ist. Man hat ihm ferner die Inszenierung der „Dreigroschenoper“ für dieses Jahr in Venedig, La Lenice, übertragen. Er möchte auch „Galilei“ gerne machen. Jedenfalls wird die Unterhaltung mit ihm für Sie fruchtbar sein können. „Gottes General“6 haben Sie wohl inzwischen erhalten? Grüssen Sie die Ihren und seien Sie selbst herzlichst gegrüßt von Ihrem Franz Th. Csokor Überlieferung: Ms, BBA 1185/67–68.

4 5 6

Vito Pandolfi (1917–1974), italienischer Theaterkritiker und Regisseur. Brecht lernte ihn im Frühjahr 1948 in der Schweiz kennen. Maggio Musicale Fiorentino, jährliches Opernfestival in Florenz. Drama von Franz Theodor Csokor aus dem Jahr 1939.

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Henry Kurth7 an Bertolt Brecht Cleveland, 7.1.1947 January 7, 1947 Mr. Bert Brecht C/O New Directions Norfolk, Connecticut Dear Mr. Brecht: I am trying to locate English translations of your „Three Penny Opera” and „Arstieg und Fall der Stadt Mahagonny” [sic]. Are these available, and if so, where may I procure them? I know that they are not published, how­ever, a loan of the manuscripts to the Department here at Western Reserve University would be much appreciated. We will take excellent care of them and see that they are returned promptly. Anything you can do to help us out in this matter will be most helpful. Sincerely yours, Henry Kurth HK: JF Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Western Reserve University Cleveland 6, Ohio Division of Dramatic Arts; BBA 1762/81.

H.J. Jelinek an Bertolt Brecht New York, 8.1.1947 s 284 govt dl pd=wux armrad losangeles calif. 8 326P bertold brecht= 1947 Jan 8 PM 3 40 1063 26 th st (do not forward) sm= deutsches theater berlin request your permission through office military govt united states for production your soldier schwyk 1945 under terms of standard contract submitted to you for der gute mensch von sezuan and galileo galilei stop Is music score avilable for soldier schwyk 1945 [sic] query= h j jelinek wdsca r/o branch 292 madison ave new york ny 082137z. schwyk 1945 der gute mensch von sezuan galileo galilei wdsca r/o 292 ny 082137z. Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 1762/13.

7

Henry J. Kurth (1917–1999), amerikanischer Bühnenbildner.

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 8.1.1947 8. Januar 1947 Liebster Brecht, Ich erhalte soeben von Reiss einen Brief, in dem er mir mitteilt, dass Zuckmayer bei seinem Aufenthalt in Muenchen eine Entscheidung durchgesetzt habe, nach der der Zinnen-Verlag Desch in Muenchen und Suhrkamp in Berlin fuer die amerikanische Zone das Recht erhalten, Vertraege fuer Autoren zu machen, die zwar amerikanische Staatsbuerger sind, jedoch in deutscher Sprache schreiben. Das bedeutet also praktisch, dass der ZinnenVerlag die Vertretung von Reiss wahrnehmen kann. Danach duerften Sie also mit Reiss fuer Deutschland abschliessen, ohne dass die Verhandlungen ueber das War Department zu gehen haben. Ich habe heute an Herrn Jelinek vom War Department geschrieben, um mir diese Entscheidung offiziell vom War Department bestaetigen zu lassen. Zu Ihrer Frage nach dem Zinnen-Verlag moechte ich Ihnen mitteilen, dass der ZinnenVerlag der Sub-Vertreter von Reiss ist und fuer ihn in Deutschland arbeitet. Mit herzlichsten Gruessen Ihre Lisl Frank. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel; BBA 1800/9.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht 9.1.1947 Bertolt Brecht 1063-26th Street Santa Monica California weiskopf pinthus wuenschen loesung vertrag literaturgeschichte8 zwecks anderweitiger verwertung urspruenglichen materials stop wir anerkennen recht ueber verzoegerung zu klagen moechten aber gemeinsam plan durchfuehren stop vorschlagen entscheidung spaetestens 1. april wenn produktion bis dahin nicht finanziell gesichert akzeptieren wir loesungswunsch stop drahte deine meinung sofort wieland [Hs.] Jan 9, 47 Überlieferung: Ts (Telegramm), AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/86). 8

Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.12.1945.

1380 Harry Ford9 an Elisabeth Hauptmann New York, 9.1.1947

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January 9th, 1947.

Miss Elizabeth Hauptmann-Hacke10 1670 Mandeville Canyon Road Los Angeles 24, California Dear Miss Hauptmann-Hacke: I am writing you at this time to inquire as to whether you have had an opportunity to check the German text of the Brecht poems which we are publishing.11 Mr. Brecht told me when he left that he was going to ask you to do this. Since we are fairly pressed for time, I would appreciate your letting me have them as quickly as possible. In addition, I wonder if you would be so kind as to inquire of Mr. Brecht whether he would be willing to allow Eric Bentley to include the Vesey translation of the THREE PENNY OPERA in Bentley’s forthcoming anthology of modern plays. We spoke to Mr. Brecht about this anthology when he was in New York and at that time the idea was for Bentley to translate the DER GUTE MENSCH VON SEZUAN. However, Mr. Bentley has since decided that he would rather include THE THREE PENNY OPERA. I would appreciate your letting me know about this. Also, would be good enough to return the Frank Jones translation of SAINT JOAN OF THE SLAUGHTER HOUSE to Eric Bentley, whose address, in case you do not have it, is 519 Essex S.E., Minneapolis 14, Minnesota. I have thought a great deal about request for possible material for Peter Lorre, and so far have not been able to turn up anything which I thought could be of interest to you. Since Lorre is one of my favourite actors, I will continue looking and will let you know if I come across anything at all which might interest him. Sincerely yours, Harry Ford HF:gd Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reynal & Hitchcock, Inc. Publishers: 8 West Fortieth Street: New York 18, N. Y.; BBA 1762/54.

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Harry Ford (1919–1999), amerikanischer Verlagsredakteur und Buchgestalter, ab 1945 für Reynal & Hitchcock, später u.a. für Alfred A. Knopf tätig. 10 Vgl. Anm. zu Vesey an Hauptmann, 16.9.1946. 11 Vgl. Anm. zu Erskine, 20.7.1945.

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 13.1.1947 13. Januar 1947 Liebster Brecht, Ich erhielt heute von Reiss den in Abschrift folgenden Brief vom 4. Januar: „Aller Voraussicht nach fahre ich zusammen mit Dr. Reichenbach auf dringende Einladung der englischen Control-Commission am 20. Januar zu Verhandlungen ueber schwebende Verlagsfragen, nach Berlin. Bei dieser Gelegenheit moechte ich gerne die Angelegenheit Brecht „Dreigroschenoper“ mit Bloch Erben besprechen. Ich brauche deshalb von Brecht eine Vollmacht, dass ich in seinem Namen mit Bloch Erben alle pendenten Rechtsfragen besprechen kann. Wollen Sie bitte so freundlich sein zu veranlassen, dass mir diese von Brecht unterzeichnete Vollmacht sofort per Luftpost zugestellt wird.“ Ich lege Ihnen eine solche Vollmacht zur Unterzeichnung bei, und bitte Sie, diese umgehend in beiliegendem Luftpost-Couvert an Reiss abzuschicken, damit er sie noch vor seiner Abreise am 20. Januar erhaelt.12 Mit herzlichen Gruessen Ihre Lisl Frank. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel; BBA 1800/10.

Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 14.1.1947 Augsburg, den 14. Januar 47 Baugartenstöckle 1

12 Brecht autorisierte den Verlag Kurt Reiss am 9.1.1947, in seinem Namen „alle schwebenden Rechtsfragen“ zu besprechen (BBA 1800/22).

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Lieber Bidi, im 3. Jahrgang der „Schwäbischen Landeszeitung“ – Nr. 1, Seite 5 – findest Du einen (resp. 2) Artikel: Der Augsburger Bert Brecht. Der eine wie der andere ist lesenswert und interessant. Beide können durch ihre erheiternde Plastik, gereifte Oberflächentechnik und getrübte Sachkenntnis den Anspruch erheben, daß sie in „gut-gemeinter Absicht“ fabriziert wurden, auch wenn sie Scherz-bezw. Trauerartikel mittlerweile geworden sind. Einer stammt vom „Ulenspiegel“13, der andere von einem hiesigen Theaterkritiker. Der „Ulenspiegel“ (in Abdruck): Sein schriftstellerisches Temperament stieß die Welt des Bürgertums ziemlich heftig vor den Kopf und so gab es auch bei seinen Erstaufführungen meist einen erheblichen Theaterskandal. Der Ulenspiegel ist doch ein herrlicher „Stießl“. Subjekt, Prädikat, Objekt, alle Vöglein sind schon da. Ein erheblicher Aufwand an Binsenweisheiten ist in dem kapitalkräftigen Theaterskandal investiert, die Welt des Bürgertums mitsamt dem Kopf. Was fehlt noch? Eigentlich nicht viel, ein Jota, das kleine Tipfelchen dazu, vom Eiffelturm aus gesehen. Mit dem bloßen Auge besehen, da hapert’s etwas. Es fehlt nämlich der Satz vom hinreichenden Grund, der schlagfertige Hinweis auf die konkrete Korruption, die in der Oper erstmals bengalisch beleuchtet, erstmals präzis zergliedert, belegt und geordnet, der Kern der Komödie von antiker Größe ist. Es fehlt (aber darum hadere ich nicht mit Uli, denn wie will er B sagen, wenn) also der naheliegende Vergleich mit Aristophanes – im sozialen Zeitalter. Mit einem Wort: Die ganze Wirbelsäule Deines Temperamentes fehlt. Vielleicht hat er sie nur verlegt oder mit seinen Kragenknöpfchen verwechselt, der juxhafte Ulenspiegel. Der Augsburger Kritiker: Bert Brecht schickte aus New-York eine Reihe neuer, zeitgemäßer Texte, die dieses balladische Spiel, das sich in aller Schärfe gegen die gesellschaftlichen Mißstände seiner Entstehungszeit vor nun mehr als 15 Jahren wendet, aktualisieren sollen. Getroffen und gefehlt, immer sind’s zwei Fliegen. Ein Schritt voraus, zwei zurück, das ist mein Vergnügen. Der Zeitungsgymnastiker an seinen Sohn, über die Vorzüge seines Handwerks. Die „Schärfe“ und die „gesellschaftlichen Mißstände“ mußt Du ihm hoch anrechnen, sonst kann er seinen Stuß der „zeitgemäßen Texte, die aktualisieren sollen, was vor nun mehr als 15 Jahren entstanden“ mit nichten ausgleichen. Ihm möchte ich ein neues PoesieAlbum schenken mit den hinweg-tröstenden Versen: Wie war zu Köln es noch vordem mit Heinzelmännchen so bequem!14 13 Der Ulenspiegel war eine von Herbert Sandberg und Günther Weisenborn herausgegebene satirische Zeitschrift, die von 1945 bis 1950 in Berlin erschien. 14 Aus der Ballade Die Heinzelmännchen zu Köln (1836) von August Kopisch.

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Die „Fragen des lesenden Arbeiters“15 sind in der gleichen Nr., auf der gleichen Seite, auch die folgende Notiz: Für die „Schaubühne“ in München schrieb Erich Kästner ein Lehrstück „Reden ist Silber“, in dem Walter Kiaulehn in der Maske Bert Brechts den Sprecher spielt.16 Man müßte den Maskenentleiher zuvor sehen, bevor man den sprichwörtlichen Nachsatz in gefällige Erinnerung bringt Wir haben wieder ein CARE-Paket erhalten mit vielen und guten Sachen. Die Kinder und Fanny17 haben sich sehr gefreut, mir ist das von Deinem Großvater überlieferte Liedchen vom „Tobaquak“ eingefallen. Herzlichen Dank für die Hilfe. Mit besten Grüßen, auch an Deine Frau und die Kinder Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 1185/22.

Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 15.1.1947 15. Januar 1947 Liebster Brecht, Soeben ruft mich Herr Jelinek vom War Department an. Er hat eine Anfrage erhalten, ob die Musik zu Ihrem Stueck „Schwejk 1945“, ueber das ich Sie kuerzlich anfragte, frei sei. Wollen Sie so lieb sein, mir umgehend darueber Bescheid zu geben. Herzlichst Ihre Lisl Frank. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel; BBA 1800/12.

15 Das Gedicht Fragen eines lesenden Arbeiters (GBA 12, S. 29) erschien zuerst in Das Wort, Heft 2/1936, und wurde von Brecht sowohl in die Svendborger Gedichte als auch in die Gedichte im Exil aufgenommen. 16 Der Journalist Walther Kiaulehn (1900–1968) trat nach dem Zweiten Weltkrieg auch als Schauspieler im Münchener Kabarett Die Schaubude auf (das mit der „Schaubühne“ hier offenbar gemeint ist). Erich Kästner war für Die Schaubude damals als Autor tätig. Reden ist Silber ist der Titel eines Epigramms von 1946 (vgl. E.K., Kurz und bündig. Epigramme, Zürich 1950, S. 46). 17 Georg Pfanzelts Frau Franziska.

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 20.1.1947 20. Januar 1947 Liebster Brecht, Anbei schicke ich Ihnen Abschrift eines heute von Reiss eingegangenen Briefes betreffend „Mutter Courage“ und „Kreidekreis“. Ebenso lege ich Kritiken von der Auffuehrung von „Furcht und Elend des Dritten Reichs“ in Basel bei,18 die ich soeben erhalten habe. Herzlichst Ihre Lisl Frank. [Anlage:] Basel, 13. Januar 1947 Bert Brecht Liebe Lisl Frank, Wollen Sie bitte Brecht folgende Angelegenheit unterbreiten: Der Intendant des Stadttheaters in Konstanz, der in der vergangenen Saison eine ausgezeichnete Auffuehrung von „Mutter Courage“ herausbrachte,19 ist ab 1. August 1947 zum General-Intendanten der Thueringschen Staatsschauspiele ernannt worden. Die Thueringschen Staatsschauspiele haben die Aufgabe, mit einem Ensemble von 77 Mitgliedern, in Thueringen an allen Staats- und staedtischen Buehnen zu gastieren. Horst van Diemen moechte nun fuer sein Ensemble „Mutter Courage“ erwerben und die deutschsprachige Urauffuehrung vom „Kaukasischen Kreidekreis“ machen. M.E. koennte man ihm die „Mutter Courage“ ueberlassen. Die deutschsprachige Erstauffuehrung vom „Kreidekreis“ wuerde ich raten, noch nicht wegzugeben, bis man bestimmt weiss, ob nicht das Schauspielhaus Zuerich eventl. das Werk doch noch macht. Herzliche Gruesse Ihr gez.: Reiss. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel, BBA 1800/13 (Anlage: Ts, BBA 1800/11). 18 Vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946. Kritiken der Aufführung aus verschiedenen Schweizer Zeitungen sind dokumentiert in BBA 422/1–7. 19 Vgl. Reiss, 17.4.1946.

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Elisabeth Frank an Bertolt Brecht New York, 21.1.1947 21. Januar 1947 Liebster Brecht, Ich schicke Ihnen in der Anlage den Brief vom War Department vom 20. Januar, den ich soeben erhalte, und waere Ihnen fuer moeglichst umgehende Beantwortung dankbar. Ebenso uebersende ich Ihnen anbei weitere Kritiken ueber die Auffuehrung von „Furcht und Elend des Dritten Reiches“.20 Mit herzlichsten Gruessen Ihre Lisl Frank. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lisl Frank 37 East 64th Street New York 21, N.Y. Representative of Theater Verlag Reiss Basel, BBA 1800/13 (Anlage: Ts, BBA 1800/14).

Werner Prasuhn21 an Bertolt Brecht Paris, 21.1.1947 Lieber Herr Brecht Meine letzten Briefe22 sind leider ohne Antwort geblieben. Inzwischen erfahre ich, dass Sie bereits Amerika verlassen haben. Ich bat Sie damals mir zu sagen, unter welchen Umständen Sie eine Übersetzung von Mahagonny in französischer Sprache und eine Aufführung in Paris gestatten würden. Es wäre mir heute möglich, eine Aufführung von Mahagonny oder von einem anderen Stück (etwa „der gute Mensch von Sezuan“) herauszubringen. Wie ich in meinen ersten Briefen bereits betonte scheint mir das Klima günstig zu sein. Bitte schreiben Sie mir doch, wie Sie dazu denken, denn ohne die Erlaubnis Ihres Verlages kann ich natürlich nichts machen und ich weiss nicht an wen ich mich wenden soll. Einer meiner Freunde bekam inzwischen den 1. Preis des jungen frz. Theaters. Er hat grosses Interesse für Ihre Stücke und gab mir gestern den guten Mensch von Sezuan. Mein Eindruck ist ausgezeichnet und ich wende mich sofort an den Theaterverlag Reiss (Basel) um zu erfahren, wie die Übersetzungsrechte zu bekommen sind. Wie aber denken Sie dazu? Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, dass ich derart hinter Ihnen herlaufe, aber ich habe mir die Sache in den Kopf gesetzt und es muss mir gelingen, Sie hier herauszubringen. Ich hoffe, dass Sie diesmal mein Brief erreicht und bitte Sie, mir doch sobald wie möglich zu 20 Vgl. Anm. zu Frank, 20.1.1947. 21 Der Schauspieler Werner Prasuhn (1913–1996) emigrierte 1936 nach Frankreich und wurde dort bekannt unter dem Namen Claude Vernier. 22 Nicht überliefert.

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antworten. Trotz Ihrer langen Abwesenheit, ist Ihr Ruf in Paris ganz ausgezeichnet und man flüstert viel von Ihren neuen Stücken. Warum sollten Sie auch einer Aufführung in Paris feindlich gesinnt sein? Wenn Sie irgendwelche Zweifel haben sollten was meine Person angeht (schliesslich kennen wir uns persönlich recht wenig) so stehe ich Ihnen gerne mit Referenzen zur Verfügung. Bitte lieber Herr Brecht antworten Sie mir doch. 1° zur Frage Mahagonny 2° zum guten Menschen von Sezuan. Wie geht es Ihnen sonst? Man spricht viel von Ihren Erfolgen in Deutschland. In der Hoffnung bald von Ihnen zu hören, grüsse ich Sie ergebenst Werner Prasuhn Werner PRASUHN 8, rue Collette Paris 17° le 21. Jan. 47 Überlieferung: Ms, BBA 3150.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 22.1.1947 Zürich, 22. Jan. 1947. Lieber Bert! Ich vergass neulich doch zu erwähnen, was vielleicht für Dich nicht unwichtig ist. Govers23 ist ein guter Verleger aus Hamburg, der in Vaduz Li[e]chtenstein einen grösseren Verlag […] bat mich Dir folgendes zu schreiben. (ich tue es hiermit) [„]Ich habe inzwischen aus Wien ein Exemplar der „Hauspostille“ bekommen und einige grossartige neue Balladen gelesen. Werden Sie H Brecht noch in Zürich leben? Das Interesse meines Verlages an diesem wirklich grossen Dichter und bedeutenden deutschsprachigen Lyriker der Gegenwart, ist sehr gross. Ich bin jederzeit bereit in Kombination mit einem schweizer Verlag, eine Situation, die es ermöglicht Herrn Brecht das gesamte Honorar zu transferieren, eine vielleicht erweiterte Ausgabe der Hauspostille und den seinerzeit in London erschienenen Dreigroschenoper Roman heraus zu bringen. 23 Das ist der Verleger Henry Goverts (1892–1988). Sein Brief an Neher vom 7.1.1947, aus dem dieser im folgenden zitiert, ist dokumentiert in BBA Z45/162.

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Wie lässt sich dieser Plan fördern?“ Ich schreibe Dir diesen Teil des Briefes, der mir zugesandt wurde ab. Es kann sein, dass Du an dieser Sache Interesse hast, zumal Gover[t]s sehr geschickt ist.24 Dies in Kürze Dein Caspar Überlieferung: Ms, EHA 521.

Arthur Hellmer an Bertolt Brecht Hamburg, 27.1.1947 Hamburg, den 27. Januar 47 Sehr verehrter Herr Brecht, ich hoffe, dass es Ihnen und Ihrer Familie gut geht. Die Wiederaufnahme Ihrer „Dreigroschenoper“ war ein grosser Erfolg für Hamburg. Sie wurde über 100 Mal gespielt und wenn wir nicht sogenannte Kälteferien (Kohlenmangel) hätten, so wäre es auf 150 Mal gekommen.25 Das Stück wirkt noch ausgezeichnet und gibt zu vielen Diskussionen Anlass. Heute bitte ich Sie, mir über Theatre and Music Section, PR/ISC Regional Staff (ISC) (24) Hamburg, 63 HQ. CCG. B.A.O.R., ein Buch Ihres „Schweyk” zu senden und mir mitzuteilen, mit wem ich darüber verhandeln kann. Wir bereiten eben „Mutter Courage“ vor. Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören und bin mit besten Grüssen für Sie und Ihre lieben Frau Ihr sehr ergebener Arthur Hellmer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Deutsches Schauspielhaus Hamburg Intendant: Arthur Hellmer Haus Am Besenbinderhof Kleines Haus Altona; BBA 1762/10.

24 Brecht erwähnte den Namen Govers (sic) im März gegenüber Herzfelde (vgl. GBA 29, S. 416), eine Zusammenarbeit kam jedoch offenbar nicht zustande. Goverts teilte Neher am 2.2.1947 mit (vgl. BBA Z 45/163), daß er auch an Brecht selbst geschrieben habe. 25 Die Dreigroschenoper wurde im Schauspielhaus Hamburg in der Spielzeit 1946/47 insgesamt 117 Mal aufgeführt, zuerst am 17.9.1946 (Regie: Robert Meyn).

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Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 31.1.1947 Augsburg, den 31. Januar 47 Baugartenstöckle 1 Lieber Bidi, I. vor paar Tagen haben wir ein in die Wohnung adressiertes Paket im Zollamt abholen können und heute erhielten wir von derselben Stelle eine neue Aufforderung, ein weiteres Paket in Empfang zu nehmen. Cacao, Kaffee, Schokolade, Butter, Honig und was sonst noch alles. Am ruhigsten dabei ist Schorsch.26 Er gautscht mir auf einem wackligen Stuhle etwas gleichmäßig-rythmisches vor, wie einst im Babykorb. Ich weiß, er ist an der äußersten Grenze der Behaglichkeit angekommen (der Stuhl bald auch). Von den andern Mitgliedern der Familie bekomme ich Variationen über ein und das nämliche Thema zu hören, über das „A und O“ der Zeit, ausgesprochen „Ah“ und „Oh“. Ich vermute, daß die Familie durch den Vorgeschmack der ungeahnten Köstlichkeiten eine Gehirnerschütterung sich zugezogen hat und verordne ihr Cacao mit Butterbrot, um die Gleichgewichtsstörung zu beheben, sonst macht mich meine eigene Familie, ogottogott, ganz bestimmt noch fertig (was den andern in 12 Jahren nicht gelungen ist). Halbfertig und anfällig war ich schon durch die Schau auf die 2 und nochmals 2 Kraxen Zigaretten geworden, einer Tabakwucherung ist in der eisenbesetzten Schublade aufgetreten. Otto27 habe ich geschrieben und Deine Pakete der Kontrolle wegen avisiert. 43 war er letztmals mit einem Bekannten- u. Verwandtenstab hier und ich habe ihn nur flüchtig sprechen können. Dick war er damals, schwammigdick, eine ungesunde Haut sozusagen. Voriges Jahr schickte er mir eine Fotographie eines ausgebaggerten Lavamenschen, vielmehr die eines übriggebliebenen Buddhisten, der mir irgendwie bekannt vorkam. Ich kann Buddhisten schwer auf ihre Zeit schätzen, das gebe ich zu, aber Otto musste ein uralter Mann geworden sein (an dem war nicht mehr zu rütteln). Nicht die Abmagerung war das Erschreckende, sondern ein seltsamer Zug um den Mund und der Blick, aus dem die vergangene monströse Sinnlosigkeit reflektiert wird. Lieber Bidi, ich habe Deiner Frau auf ihr generöses Angebot, meine Bedenken geäußert. Ich habe sie zwar heute noch, wenn auch sie glücklicherweise bis dato nicht in Erscheinung getreten sind. Wenn Du für mein „Techterl“ Schuhe (Gr. 37) und etwas Strumpfwolle besorgen kannst, wärs den Kindern resp. mir sehr geholfen.

26 Pfanzelts Sohn Georg. 27 Otto Müllereisert.

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In Deinem Brief teilst Du mir von Barbara’s Blinddarmoperation mit.28 Ich bitte Dich, ihr nachträglich meine besten Wünsche zu ihrer baldigen Wiederherstellung auszurichten. Steff bekommt die bestmögliche Ausbildung und von Johanna 29, früher eine Heilige, habe ich kürzlich auch gelesen, daß sie in der Branche ihres Vaters ist. Für die Pakete unsern herzlichsten Dank. Die besten Grüße, auch Deiner Frau Überlieferung: Ts, Georg Pfanzelt jr., Augsburg (Kopie: BBA E 73/103).

Leo Monteleoni30 an Bertolt Brecht New York, 4.2.1947 February, 4th 1947 Dear Mr. Brecht – after our conversation some time ago in your New York Office – I have informed Bompiani (Corso Porta Nuova 18 – Milano – Italy) which I represent in U.S.A. Recently I heard from him – they would like to receive as soon as possible the following work of yours: - A penny for the poor - one of your plays - one of your poetry books The wish of Bompiani would be to read the books in order to decide about translation into Italian and publication – Could you be so kind to send the three books to Bompiani in Italy – as you promised me? Hoping to hear from you – With my best wishes Very sincerely Yours Leo Monteleoni Überlieferung: Ms, Bv.: Monteleoni Inc. 136 East 57th Street New York 22, N.Y. The President Wickersham 2-3553- Plagn 9-0837; BBA 1763/21.

28 Vgl. B. an Pfanzelt, Dez. 1946, GBA 29, S. 407f. 29 Hanne Brecht. 30 Leo Monteleoni vertrat den Mailänder Verlag Bompiani in New York. Gründer und Leiter des seit 1929 bestehenden Verlags war der italienische Schriftsteller und Verleger Valentino Bompiani (1898– 1992). Vgl. dessen Brief vom 16.4.1947.

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Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 12.2.1947 Augsburg, den 12. Februar 47 Baugartenstöckle 1 Lieber Bidi, vorige Woche haben wir aus New-York ein Paket mit Kaffee, Datteln, Fleischkonserven, Aspirin und 1 Kraxe Camel erhalten und heute ist Dein Brief mit süßen Tabletten angekommen. Herzlichen Dank dafür. „Winter ade“. Die Kälte hat heuer lange zugesetzt. Hoffentlich liegt der Bursche jetzt in den letzten Zügen. Wochenlange hat er sich zwischen 15 - 20 Grad herumgetrieben und uns zu schaffen gemacht. Koks und Kohlen fehlen gänzlich, elektr. Strom kann nur an bestimmten Tagen und stundenweise bezogen werden. Mit der zugewiesenen Holzmenge von 1 1/5 Ster und den noch einigermaßen brauchbaren Balken von der Klauckestraße 20 konnte die Hausfrau gerade noch den Ofen gegen Mittag und Abend zum Kochen anheizen, alles übrige wäre uns jetzt übel bekommen. Ein sehr hartes Gesellenstück hat er heuer den Städtern geliefert. Mit den besten Grüßen Dein George Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1185/20.

Flechtheim an Bertolt Brecht Berlin, 13.2.1947 SA 34 INTL=CD berlin via mackay 20 13 1000 VLT Brecht= 1947 Feb 13 AM 5 31 = 1063 26 st santa monica (calif)= = started rehearsals schweyk already send as soon as possible new version by air= flechtheim. Überlieferung: Ts, (Telegramm), BBA 1764/34.

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Herbert Ihering und Flechtheim an Bertolt Brecht Berlin, 13.2.1947 SA 34 INTL=CD berlin via mackay 20 13 1000 VLT Brecht= 1947 Feb 13 AM 5 32 = 1063 26 st santa monica (calif)= actors and experts enthusiastic about present version schweyk recommend performance [of] this version greetings ihering = flechtheim. [hs.: Immigration Service] MU 1281 Immig. Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 1764/36.

Walter und Elisabeth Brecht an Bertolt Brecht und Helene Weigel Darmstadt, 15.2.1947 Walter Brecht (16) Darmstadt, Ohlystr. 59 Hessen, American Zone

Darmstadt, den 25.II.47.

Lieber Eugen, liebe Helli! In den letzten Tagen sind, fast auf einmal, vier Sendungen von Euch eingetroffen, die länger unterwegs waren. Sie haben uns in einen Zustand unbeschreiblichen Wohlstands versetzt. Es handelt sich um ein herrliches C.A.R.E.-Paket, um die zwei Pakete, die über Bentheim/Hannover liefen (je Paket eine Dose Butter, eine Dose Fleisch, ein Pfund Käse und zwei Pfund Dörrfleisch) und eine ganz phantastische Sache, ebenfalls dänische Produkte: zwei Dosen Butter, ein Pfund Kaffee, Dauerwurst, Dörrfleisch und Käse, einfach wundervolle Dinge. Das letzterwähnte Paket kam über American Lloyd, Paris, Agence General[e] pour toutes les Zones d’ Occupation en Allemagne, Baden-Baden. Ich brauch Euch nicht zu sagen, wie glücklich ihr Lie, die Kinder und Oma, die neulich 84 Jahre geworden ist, und vor allem mich gemacht habt. Seid versichert, daß wir alles bestens einteilen und auch anderen damit helfen. Ganz besonders schlecht scheint Max Brezing dran zu sein, der mit seiner 5köpfigen Familie von monatlich RM 100 lebt und bitter über Hunger klagt. Auch Fritz Reitter31, der alles verloren hat und mit den Seinen in Köln und im Ruhrgebiet lebt (zur Zeit je Person 31 Friedrich Reitter (1900–?), Cousin Bertolt Brechts und Mitschüler Walter Brechts.

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täglich 700 Kalorien) geht es schlecht. Beiden habe ich schon von unseren Sachen geschickt, gebe aber für den Fall, daß Ihr ihnen auch direkt eine Freude machen wollt, unten ihre Adressen an. Richard zieht zur Zeit von Halle nach Augsburg um. Schreibt doch bitte wieder einmal! Und seid mit unserm ungeheuren Dank und unsern guten Wünschen für Euer aller Ergehen vielmals gegrüßt von Eurem Walter und Lie Anbei mein Foto (etwas mißvergnügt und leicht heruntergekommen!) Max Brezing, Eningen bei Reutlingen, Württemberg, Burgstr. 26 Germany, French Zone Dr. Fritz Reitter, (22c) Köln-Dellbrück, Thurnerstr. 51 bei Derigt, Germany, British Zone Überlieferung: Ts, hs. U., BBA E 25/13.

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 19.2.1947

19. Februar 1947.

Sehr verehrter Herr Brecht, Herzlichsten Dank für Ihren interessanten Brief, das „Galilei“-Projekt betreffend.32 Ich kenne und liebe das Stück und es wäre wunderbar wenn man es hier zur Uraufführung bringen könnte. Leider sehe ich aber gar keine Möglichkeit, einen solchen Plan zur Ausführung zu bringen. Erstens einmal haben wir hier keine richtige Bühne – wie Sie ja selbst sehen werden, wenn sie (was wir Alle sehr hoffen) zu Uraufführung des „Lucullus“33 hierherkommen sollten – sondern nur eine grosse Plattform, die allerdings recht vielseitig für Aufführungen zu verwenden ist. Aber ein so schwieriges Werk wie der „Galilei“ wäre kaum hier zu machen. Dieser rein technische Grund, so wichtig er auch ist, steht aber eigentlich in zweiter Linie. Das Wichtigste ist, dass wir unsere Programme immer sehr genau im Voraus ausarbeiten müssen, da die verschiedenen Produktionen des University Theatre’s mit dem Studienplan in Einklang gebracht werden müssen. Da 34 ausserdem der Saal, in dem sich die besagte Plattform befindet, auch von vielen anderen Departments für verschiedene 32 Vgl. B. an Schnitzler, Februar 1947, GBA 29, S. 410f. 33 Vgl. Anm. zu Schnitzler, 5.9.1946. 34 Im Ts: „Der“.

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Zwecke verwendet wird, ist er fast allabendlich belegt – und zwar viele Monate im Voraus. Ein plötzliches Einschieben einer so schwierigen Inszenierung liesse sich also nicht bewerkstelligen. Ausserdem sind unsere Studenten bereits durch die schon geplanten Aufführungen bis zum Ende des jetzt beginnenden Semesters so sehr in Anspruch genomme[n], dass eine weitere Aufgabe ihnen nicht zugedacht werden könnte. An einer Universität – und das ist eine Tatsache, die uns oft Kopfzerbrechen macht – muss eben so Vieles berücksichtigt werden, was in einem Theaterbetrieb gar nicht zur Diskussion steht. Diese Dinge sind umso bedauerlicher, als „Galilei“ allerdings ein ideales Stück für eine Universitätsaufführung wäre. Ausserdem wäre es natürlich – wie Sie selbst ja betonen – für die Studenten von wirklich erzieherischem Wert, mit einem Schauspieler vom Range Charles Laughton’s zusammenarbeiten zu dürfen. Auch die Arbeit mit einem für die Studenten neuen Regisseur wäre wertvoll, da ja schliesslich bei dieser Gelegenheit wieder neue Regie-Methoden studiert werden könnten. Ich sehe also ganz klar die ausserordentlichen Vorteile die unsere Studenten durch die Ausführung Ihres Plans geniessen könnten. Umso mehr, wie Sie sich wohl denken können, bedaure ich die technische Unmöglichkeit. Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie diese experimentelle Aufführung noch in diesem Frühjahr herausbringen wollen, um dann umso rascher die Broadway-Möglichkeiten des Stücks feststellen zu können. Aber leider können wir hier unter den nun einmal in einer Universität gegebenen Umständen nicht improvisieren, sondern müssen auf Grund eines sorgfältig ausgearbeiteten Programms vorgehen. Haben Sie an eine andre Universität hier im Westen gedacht? Ich weiss nicht, wie die Leute in Stanford arbeiten – aber dort haben sie jedenfalls eine technisch grossartige Bühne, auf der sich wirklich Alles, auch in beleuchtungstechnischer Hinsicht, ausführen lässt. Außerdem gehört dort das Theatergebäude ganz dem Drama Department und steht daher immer zur Verfügung, ohne Rücksicht auf andere Veranstaltungen. – Und wie ist es mit der Universität of35 California in Los Angeles? Kennen Sie Mr. Ralph Freud36; oder Mr. Kenneth McCowan37, der jetzt erst das Drama Department dort übernommen hat? Auch dort gibt es vielleicht nicht die technischen Schwierigkeiten, die uns hier so viele harte Nüsse zu knacken geben. Nochmals, verehrter Herr Brecht, ich wäre überglücklich wenn sich Ihr Vorschlag hier verwirklichen liesse – aber ich sehe, nach sehr genauer Ueberlegung, tatsächlich keinen Weg, eine solche Aufführung innerhalb weniger Monate hier einzuschieben. Dass Sie überhaupt an uns gedacht haben, ist natürlich eine besondere Freude! Ich hoffe aufrichtigst, dass Sie eine Lösung finden werden und dass Ihr „Galilei“ hier im Westen seine Uraufführung erleben wird. Es ist übrigens erstaunlich, dass ein solches 35 Im Ts: „auf“. 36 Ralph Freud (1901–1973), in England geborener amerikanischer Schauspieler und Regisseur, Professor für Theaterwissenschaft an der University of California in Los Angeles. 37 Kenneth McCowan (1888–1963), amerikanischer Theater- und Filmproduzent, ab 1947 Professor an der University of California in Los Angeles.

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Stück, mit einem so wunderbaren Schauspieler, nicht sofort am Broadway produziert werden kann – die Leute dort sollten froh sein, einmal etwas zu sehen zu kriegen, das sich von der üblichen Theater-Ware, die dort meist geboten wird, so gründlichst unterscheidet! Ein trauriges Symptom – aber, wenn man die sogenannten „Prinzipien“ des New Yorker Theaters kennt, nicht einmal ein allzu überraschendes. Mit den herzlichsten Grüssen, Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (Kopie: BBA Z 5/183-184).

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 20.2.1947

20. Februar 1947.

Sehr verehrter Herr Brecht, Je mehr ich mir die „Galilei“-Angelegenheit überlege, desto mehr denke ich an Stanford University als geeigneten Ort für Ihren Plan. Die rein technischen Vorteile habe ich bereits angedeutet. Das grosse Theater dort ist wirklich ausgezeichnet und die technischen Hilfsmittel gehören zu den besten und modernsten im Lande. Aber noch aus einem anderen Grunde scheint mir Stanford eine gute Möglichkeit zu bieten: das dortige Drama Department hat schon seit einigen Jahren ganz planmässig Berufs-Schauspieler herangezogen um als „guest artists“ mit den Studenten zu arbeiten. Erst vor wenigen Monaten, zum Beispiel, wurde dort eine Aufführung von „Macbeth“ gegeben, in der die beiden Hauptrollen von zwei Broadway Schauspielern dargestellt wurden. Der Rest des „cast“ bestand aus Studenten. Ich kann mir sehr wohl denken, dass die Leiter des Drama Department in Stanford über die Chance nicht nur die Uraufführung eines bedeutenden Dramas sondern auch einen grossen Schauspieler dort beherbergen zu können, sehr begeistert sein würden. Dazu kommt, wie ich schon in meinem letzten Brief bemerkte, dass das Theatergebäude dem Drama Department dort zur alleinigen Verfügung steht, sodass sich wahrscheinlich nicht die Schwierigkeiten ergeben würden, mit denen wie hier zu kämpfen haben. Sollten Sie und Mr. Laughton an dieser Idee Interesse finden, so wäre ich natürlich mit Freuden bereit, einmal sozusagen Fühler auszustrecken um herauszubekommen wie die Chancen liegen. Ich kenne Mr. Strickland38 recht gut und könnte ohne Weiteres brieflich beim anfragen. Natürlich möchte ich nichts ohne Ihre ausdrückliche Einwilligung unternehmen und warte daher Ihren Bescheid ab. Mit den herzlichsten Grüssen, Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (Kopie: BBA Z 5/185). 38 Vermutlich der amerikanische Theaterregisseur F. Cowles Strickland (1903–1971).

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht 23.2.1947 23. II. 47 Bertolt Brecht 1063-26th Street Santa Monica, Calif. Lieber Brecht: Anbei zwei Briefe von Hans Marchwitza und Frau aus Stuttgart.39 Ich warte dringend auf die letzten Ergänzungen zu Deinem Gedichtband40, der dann gleich in Wien in Satz gehen soll. Wien hat schon Korrekturen anderer Bände geschickt. Sie arbeiten sehr ordentlich. Ich verhandle gerade über die Finanzierung der Literaturgeschichte.41 Du wirst darüber bald Entgültiges [sic] hören. Georgi42 hat gehört daß Dein „Galilei“ hier bald aufgeführt wird. Lass uns bitte wissen ob das zutrifft, und an wen George sich wegen einer Rolle wenden kann. Dir und den Deinen herzliche Grüsse, Überlieferung: Ts, hs. U., AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/87).

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Berlin, 23.2.1947

Berlin, den 23. Februar 1947

Lieber Brecht! Vielen Dank für Eure Grüße! Ich habe zwar schon im Herbst 1945 zweimal an Dich geschrieben, allerdings über eine Zwischenadresse, da ich Deine Anschrift nicht hatte, aber die Briefe scheinen Dich nicht erreicht zu haben. Auch bei dem Brief, den ich von Euch erhalten habe,43 ist die Adresse ganz unkenntlich, und ich schreibe also nochmals über Feuchtwanger, damit Dich der Brief sicher erreicht. 39 Nicht überliefert. Der Schriftsteller Hans Marchwitza (1890–1965) emigrierte 1933 in die Schweiz. Weitere Exilstationen: Frankreich, Spanien, USA. 1946 kehrte er zurück nach Deutschland (West). 40 Gedichte im Exil. Vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f., dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938. 41 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945. 42 Herzfeldes Sohn Georg. 43 Nicht überliefert.

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Ihr könnt uns tatsächlich sehr helfen durch solche Pakete, die, wenn wir sie auch nicht selbst brauchen, an die Betreffenden, denen es schlecht geht, weitergeleitet werden können. Wann glaubst du nach Deutschland zurückzukehren? Wenn es möglich sein wird, Büchersendungen nach drüben zu schicken, werde ich Euch ein Paket zugehen lassen. Heute schicke ich Euch den Prospekt unseres Verlags44, vielleicht kennst Du ihn schon. Deiner Frau und Dir allerherzlichste Grüße und vielen Dank! Dein Überlieferung: Ts, AdK: Johannes-R.-Becher-Archiv 896. – E: Becher, Briefe, S. 322.

Harry Ford an Bertolt Brecht New York, 24.2.1947

February 24th, 1947.

Mr. Bertolt Brecht 1063 26th Street Santa Monica, California Dear Mr. Brecht: I am writing you at this time to inquire about several things which I would appreciate your letting me have the answers to at your earliest convencience. I wrote to Miss Hauptmann about two of them on January 9th and, since she tells me that she has been ill, did not receive a satisfactory reply. I would particularly like to know if you would be willing to allow Eric Bentley to include the Vesey translation of DREIGROSCHENOPER in his forthcoming anthology of modern plays. As you know from our discussions when you were last in New York, we are very, very anxious to include a play of yours in what, I am sure, will be a definitive collection of the finest the modern theatre has to offer. In both Bentley’s and my opinion, this would be the perfect selection for the anthology and, since Vesey has now made his corrections, I would think that it was now in shape for publication.45 I also asked Miss Hauptmann to return to Bentley the Jones translation of JOHANNA, which I gave to you when you were in New York City. She says that she has been unable to find it, but I know that it is in your possession; and the author would very much like to have it back, with a view, I think, to doing more work on it.

44 Der Berliner Aufbau-Verlag. 45 Vgl. Anm. zu Erskine, 20.7.1945.

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The third thing is this: Bentley has received a request from Princeton University, which would like to perform THE CIRCLE OF CHALK. As you know, all existing copies of this play in translation are now in your hands, and in any case, he has no way of telling what your feelings in this matter would be. Would you please let him know about this? I have heard indirectly that the idea of producing GALLILEO [sic] in New York has been definitely abandoned. I would be very interested in hearing whether or not this is true. If it is, I am very sorry. I hope everything goes well for you and that you will let me hear from you as quickly as possible. With very best wishes, Harry Ford Hf:gd PS: Eric Bentley will probably be writing you about some of these matters. In case you would like to get in touch with him and do not have his address, it is 519 Essex S. E., Minneapolis 14, Minnesota. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reynal & Hitchcock, Inc. Publishers: 8 West Fortieth Street: New York 18, N. Y.; BBA 2200/21-22.

Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 25.2.1947

Augsburg, den 25. Februar 47 Baugartenstöckle 1

Lieber Bidi, 11 Tage war ich in Wörishofen.46 Es sind seit dem Jahre 44 einige Filialen der Augsburger Krankenhäuser dort. Fanny47 hat mir die Auslieferung eines neuen CARE-Pakets vorige Woche mitgeteilt. Nach meiner Rückkehr erfahre ich, daß Schorsch48 am Sonntag in München war, um beim American Lloyd in Bogenhausen ein weiteres Paket entgegenzunehmen. Im CARE-Paket waren Wurstkonserven, Schinken mit süßen Kartoffeln, Käse, Biscuit, Schokolade und sonst noch viele Sachen. Das 2. Paket enthielt 3 Pfd. Speck, 2 Pfd. Butter, 2 Pfd. Salami, 2 Pfd. Käse, 1 Pfd. Kaffee, alles in bestem Zustande. Du liebe Zeit!

46 Bad Wörishofen, Kleinstadt im Allgäu. 47 Georg Pfanzelts Frau Franziska. 48 Sein Sohn Georg.

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Jahrgang 1947

Diesen simplen Ausdruck (er riecht nach Naphtalin) (als Andenken aus den Jahren 44/45 hat er einen undefinierbaren Mehrwert) habe ich als schlichtes Hausschutzmittel ständig geführt gegen Emotionen der puren Freude, bei undurchsichtigen Situationen, nach heillos verfahrenen und faden Palavern. Fast so gut wie Aspirin. Ich bin wenigstens gut gefahren und meistens um den Dämmerzustand herumgekommen. Meistens, nicht immer. Keine Regel ohne Ausnahme. Wenn z.B. nach mehreren kritischen Tagesstunden der Eisenbahnverkehr zu Kraut und Rüben verarbeitet war, kein Mensch mehr wußte, ob und wann der und jener Zug noch fährt, wer notabene bei dem riesigen Andrang noch eine Chance hat, mitzukommen, dann war diese Naphtalin-Parole am Platze. Alle in der Stadt Beschäftigten, Obdachlosen, die im Umkreis von 5-40 km wohnten, wollten bezw. mußten doch nachhause. An solchen Tagen konnten sie bei Nacht, Frost und mit knurrendem Magen stundenlange warten, bis ein Zug von der Tour wieder zurückkam. Du kannst Dich wohl noch an die Taufkutsche erinnern, die die Nachbarskinder nach der Taufzeremonie immer portionenweis um den „Stock“ gefahren hat. Die Lokomotive, ein Kaliber aus der Biedermaierzeit [sic], mit etlichen Puppenwägelchen (ohne Fenster, mit defekten Türen) hatten auch nichts anderes zu tun. Sie fuhren die Portionen abends aus der Taufe, um die „Getauften“ morgens wieder in die Stadt zur Taufe zu bringen. Nach 3 Stunden wird die Beleuchtung der spärlichen Signale um die Hälfte reduziert. Halbmast ist der offizielle Bescheid. Es liegt also etwas in der Luft, bewegt sich sehr rasch in ca. 15 Minuten Luftlinie-Entfernung. Wir können Besuch und Bonbons bekommen. Jeden Augenblick können die Sirenen heulen, der Bahnhof muß geräumt werden und dann wohin. Nur der barbarische Druck hält die starken gemischten Gefühle vor Äußerungen gegen eine bestimmte Richtung zurück. Neben mir steht ein Soldat, amputiertes Bein, 2 Leuchtkrücken. Er weiß, was diese Halbmast-Beleuchtung für ihn bedeutet. Bis jetzt hat er geschwiegen. Nun spricht er. Gepfefferte Sächelchen. Eine saftige Riesenleber, muß ich sagen, hat er. Die Umstehenden hören zu und schweigen, ein einstimmiger, aber gefährlicher Applaus. Manche gehen weg, es ist ihnen nicht recht wohl, hier zu stehen und zu schweigen. Schweigen kann Unvorsichtigkeit sein. Unvorsichtigkeit schützt nicht vor Strafe. Langsam schlenkert ein Zug herein. Die Ersteigung eines kleinen Berges mag immerhin schwere Schweißtropfen kosten, die Erstürmung des Zuges fordert zusätzlich Bekleidungsstücke, Verletzungen, wenn man nicht mit einer Welle hineingeschwemmt wird. Die Sirenen heulen. Und ich bin im Zug. Naphtalin heilt nicht alle Wunden. Noch müssen wir nicht heraus, vielleicht schaffts die Kiste. Paar Minuten vergehen. Endlich rutscht die Kiste wirklich, wirklich. Du liebe Zeit! Lieber Bidi, nimm meinen herzlichsten Dank entgegen. Die besten Grüße, auch Deiner Frau und Barbara. [Hs.] von Deinem George Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 1185/21.

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Hella Wuolijoki an Helene Weigel Helsinki, 28.2.1947 Frau Helene Brecht 1063 - 26th Street Santa Monica California

Helsinki, Yleisradio den 28. Februar 1947.

Liebe Helli! Vielen Dank für Deinen Brief49, der eigentlich gar kein Brief war. Ich fordere Antworten auf meine Fragen! Mensch, ich bin froh dass Ihr nach Hause kommen wollt! Und natürlich wird das Theater Euch eine offizielle Einladung zuschicken, wenn im Herbst „Puntila“ gespielt wird. Mein einziger Trost in Deinem Briefe ist das Versprechen Brechts mir nächste Woche zu schreiben. Ich warte auf seinen Brief50 und auf einen gewaltigen Brief von Dir, wo Du mir schreiben wirst, was der Steff und die Barbara tun und wie klug der kleine Steff geworden ist und ob Du gespielt hast in Amerika. Ich bin sicher darauf dass Du wieder in Berlin spielen wirst. Ich schicke Dir die schwedische Übersetzung meines Gefängnisbuches51, wo ich Dummheiten über Euch geschrieben habe. Bitte, sage Brecht, dass eine schweizerische Journalistendelegation hier war und alle haben mir erzählt, wie wunderbar sie Brecht in Zürich gespielt haben und wie sehr sie ihn in der Schweiz lieben.52 Ich werde im April auf einen internationalen Radiokongress nach Monte Carlo reisen und dabei ein paar Wochen in einem Sanatorium auf der Riviera bleiben. Hoffe von Euch zu hören, bis dahin. Hertta53 lässt Euch beide herzlich grüßen. Ihre Adresse ist Bergmansgatan 7. Sie ist eine große politische Leiterin geworden. Ich wusste kaum, welch ein kluger Mensch sie ist. Grüsse an Euch alle! Deine Überlieferung: Ts, BBA 2177/20.

49 Vermutlich der auf den 27. Januar (ohne Jahresangabe) datierte Brief Helene Weigels an Wuolijoki (dokumentiert in BBA 2177/11). 50 Nicht überliefert. 51 Vgl. Wuolijoki, 27.12.1946. 52 Im Schauspielhaus Zürich wurden mehrere Stücke Brechts uraufgeführt (vgl. Anm. zu Eisler, 24.5.1934). Möglicherweise bezieht sich diese Bemerkung auf die Inszenierung von Furcht und Elend des III. Reiches in Basel (vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946). 53 Hertta Kuusinen.

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Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 10.3.1947

10. März 1947.

Sehr verehrter Herr Brecht, Heute erhielt ich einen Brief von Mr. Hays, in dem er mir mitteilt, dass er mit Ihnen ein Abkommen habe, wonach 50% aller Tantiemen von „Lucullus“54 ihm gehören. Er fügt gleichzeitig bei, dass auch er seinen Tantiemen-Anteil einem wohltätigen Zweck zuwenden möchte, und zwar schreibt er: „I should like to donate my share to P.E.N. Club fund to rehabilitate European writers.“ Ich schliesse also daraus, dass die finanziellen Abmachungen zwischen Ihnen und Mr. Hays ausschliesslich zwischen Ihnen Beiden zu regeln sind. Darf ich Sie nochmals fragen, ob sie mit dem seinerzeit von uns gemachten Vorschlag einverstanden sind und ob Sie mit der Summe von $ 100.00 für die sechs Vorstellungen die Angelegenheit als geregelt betrachten würden. Wie ich schon seinerzeit schrieb: es ist für die Universität natürlich ohne Belang, für welchen Zweck diese Summe dann von Ihnen und Mr. Hays verwendet werden wird. Die Universität kann diese Summe nur als Tantiemen-Zahlung an Sie, als Autor des Buches, senden. Darf ich Sie bitten, mir einen Brief in Englischer Sprache zu schicken, im Falle Sie mit unserem Angebot einverstanden sind. Ich möchte hinzufügen, dass es mir leid tut, Sie mit dieser Frage nochmals behelligen zu müssen. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis der hiesigen Situation. Wir haben es mit einer „State University“ und mit Beamten zu tun – daher die Notwendigkeit, diese Dinge in korrekter Weise zu regeln. Mir persönlich ist der Amts-Schimmel ebenso langweilig wie wahrscheinlich jedem andern Menschen, aber leider kann ich gegen die nun einmal bestehenden Bestimmungen in dieser Hinsicht nichts machen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Angelegenheit recht bald berücksichtigen wollten. Mit den besten Grüssen, Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (Kopie: BBA Z 5/186).

54 Vgl. Anm. zu Schnitzler, 5.9.1946.

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Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 13.3.1947

13. März 1947.

Mr. Bertolt Brecht, 1063 - 26th Street, Santa Monica, California. Sehr verehrter Herr Brecht, Es freut mich sehr, zu wissen, dass Sie mit dem Tantiemen-Vorschlag einverstanden sind. Wie ich in meinem letzten Brief schrieb, ist es notwendig, dass wir Ihr Einverständnis in Form eines „offiziellen“ Briefs erhalten. Um Ihnen weitere Mühe zu ersparen, habe ich mir erlaubt, einen solchen Brief aufzusetzen und lege ihn hier bei,55 mit der Bitte, ihn unterschrieben entweder an mich, oder direkt an Professor Fred O. Harris56, zurücksenden zu wollen. Vielen Dank im Voraus! Ich werde Mr. Hays informieren, dass sie mit der Summe von $100.00 einverstanden sind. An die Leute in Stanford57 schreibe ich noch heute; sobald ich eine Antwort erhalte, werde ich Sie natürlich sofort informieren. Mit den herzlichsten Grüssen, Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (Kopie: BBA Z 5/187).

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 19.3.1947

March 19th, 1947.

Mr. Bertolt Brecht, 1063 - 26th Street, Santa Monica, California.

55 Nicht überliefert. 56 Fred O. Harris (1901–1998), amerikanischer Theaterwissenschaftler, Mitgründer des Department of Dramatic Art an der University of California in Berkeley, das er seit 1943 leitete. 57 Vgl. Schnitzler, 20.2.1947.

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Sehr verehrter Herr Brecht, Professor Harris übergab mir das beiliegende Kuvert58 das heute hier eintraf – ohne jedoch einen Brief zu enthalten. Da das Kuvert verschlossen war, nehmen wir an, dass Sie vergessen haben den Brief einzulegen. Dürfen wir Sie bitten, das Versäumte nachholen zu wollen, damit diese Angelegenheit endlich in Ordnung kommen kann? Mit dem bestem [sic] Dank und den herzlichsten Grüssen, Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (Kopie: BBA Z 5/188).

Wieland Herzfelde an Elisabeth Hauptmann und Bertolt Brecht 20.3.1947 den 20. Maerz, 194[7] Mrs. Elisabeth Hauptmann 16[7]0 Mandeville Canyon Road Los Angeles 24, CALIFORNIA Liebe Elisabeth Hauptmann, Wir haben uns gefreut nach so langer Zeit wieder von Dir zu hoeren. Was unser Ergehen anbelangt, so kann ich nur sagen, Dank der Nachfrage. Ich war ein paar Tage lang krank, sonst aber geht es uns, wenn wir nicht gerade die Zeitung lesen, gut. Und dazu kommen wir vor Arbeit selten. Was Brecht’s Fragen angeht, so beantworte ich sie in einem beiliegenden Brief direkt, das ist bequemer. Dich moechte ich bitten, Dich der Antwort anzunehmen. Hoffentlich sehen wir einander alle noch, ehe uns der Ozean trennt. Herzlich Gruesse auch von Trude59, Dein W [Anlage:] 22.III.47

58 Nicht überliefert. 59 Gertrud Herzfelde.

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Lieber Brecht: 1. In der 2. Zeile der 2. Strophe „An die Soldaten im Osten“60 heisst es ... Eisenwüsten ... Da es sich um Eis und nicht um Eisen handelt, kann das stören. „Eiswüsten“ geht rhythmisch nicht, ist auch abgenutzt. „Eiseswüsten“ sagt kein Mensch. Bliebe „Eisige Wüsten“. Was meinst Du.61 Da „Morgenröte“ endlich zum Druck geht, eilt die Antwort, falls Du eine Aenderung wünsch[s]t. 2. Der Wiener Verlag drängt, das Manuscript Deiner „Gedichte im Exil“62 zu erhalten, damit sie rechtzeitig im Herbst herauskommen können. Bitte lass mich wissen, ob ich das, was ich habe, senden kann, oder ob Du die versprochenen Ergänzungen und kleinen Aenderungen bald schickst. Spätere Korrekturen sollten wir möglichst vermeiden, da das bei den Postverhältnissen grossen Zeitverlust mit sich brächte. 3. Es sieht so aus, als ob aus der „Deutschen Literatur im Exil“63 nichts würde und Weiskopf sein ursprüngliches Manuscript doch – irgendwo in Europa – herausbrächte. Ich kann nämlich von Schoenhof die für die Redaktion benötigten 900 $ nicht bekommen, er hat sie einfach nicht. Wien würde das Buch sehr gerne haben. Weisst Du wen, der den Betrag vorschösse? Aus den Verkäufen hier im Lande könnte das Geld zurückbezahlt werden. Es wäre schade, wenn nichts daraus würde. Ich sende eine Copie des Briefes an Elisabeth H. Hoffentlich erleichtert Dir das die Antwort. Herzliche Grüsse Dein Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47 88–89).

Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 21.3.1947

21. März 1947.

Mr. Bertolt Brecht, 1063 - 26th Street, Santa Monica, California.

60 Vgl. GBA 15, S. 64–68. Das zuerst in Freies Deutschland (Mexiko, März 1942) erschienene Gedicht wurde in den Band Morgenröte (vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943) aufgenommen. 61 Brecht schrieb, „es sollte heißen ‚Eiswüsten‘, das ist rhythmisch ganz in Ordnung, es ist eine Synkopierung“ (B. an Herzfelde, Ende März 1947, GBA 29, S. 415). 62 Vgl. Herzfelde, 1.4.1946; zu den Gedichten im Exil vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f., und Anm. zu Dudow, 6.7.1938. 63 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945.

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Sehr geehrter Herr Brecht, Wie ich Ihnen kürzlich schrieb, erhielten wir von Mr. H.R. Hays die Verständigung, dass er mit der Zahlung von $100.00 für die sechs Aufführungen des „Lucullus“64 einverstanden sei. Mr. Hays teilt uns nun mit, dass er gerne von Ihnen erfahren würde, ob das 50-50 Abkommen von Ihnen auch im Falle von Bühnenaufführungen des „Lucullus“ aufrechterhalten würde. Wir müssen diese Frage natürlich als eine durchaus private Angelegenheit zwischen Ihnen und Mr. Hays betrachten und bitten Sie, Mr. Hays zu informieren, welchen Betrag Sie an ihn zu überweisen gedenken. Ich möchte nochmals wiederholen, dass die Universität natürlich nur Tantiemenzahlungen an den Autor vornehmen kann und dass es für die Administration ohne Belang ist, was mit diesem Geld dann weiter geschieht und in welcher Weise es zur Verteilung gelangen wird. Ich erhielt heute einen Brief von Prof. Hubert Heffner65, Excutive Head des Department of Speech and Drama an der Stanford University. Mr. Heffner schreibt: „Mr. Strickland has given me your letter of March 13. Through Max Gorelik we have been considering for some time Brecht’s play, GALILEO. We had hoped it might be possible to include it on our summer program. We have now completed our plans for that program and find that, along with our other commitments, it will be impossible for us to undertake this production at the same time. In many respects I regret that we cannot do this, but it simply is not feasible at the present time. Thank you for calling this to our attention.” Mit den besten Grüssen

Ihr

Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (Kopie: BBA Z 5/189).

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht 22.3.1947 22.III.47 Lieber Brecht, was ich durch E.H.66 über Deine Reisepläne67 erfahre, erfreut und betrübt mich zugleich. Denn ich kann sicher noch nicht so bald reisen. Jedenfalls habe ich inbezug auf die 64 65 66 67

Vgl. Anm. zu Schnitzler, 5.9.1946. Hubert C. Heffner, amerik. Theaterwissenschaftler. Elisabeth Hauptmann. Brecht beabsichtigte, bald nach Europa zurückzukehren und sich zunächst in der Schweiz niederzulassen (vgl. B. an Neher, Dezember 1946, GBA 29, S. 407). Den Erhalt der Schweizer Einreiseerlaubnis hielt er am 29.3.1947 in seinem Journal fest (GBA 27, S. 244).

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Bürgerpapiere nichts gehört. Unabhängig davon wird die Abwicklung der Aurora- und Seven Seas-Verp[f]lichtungen wohl noch bis Ende dieses Jahres dauern. Ich bemühe mich z. Zt. Aurora von Schoenhof68 zu lösen und nach Europa zu verpflanzen, möglichst in die Schweiz. Schönhof ist nämlich finanziell sehr herunter, und ich muss achtgeben, dass nicht die Druckerrechnungen etc an mir hängen bleiben. Ich weiss also nicht, wann, wo und ob Malik wiedererstehen wird. Ich möchte es natürlich. Hältst Du es für möglich, dass jener Herr Gover[t]s69 aus Hamburg-Li[e]chtenstein – eine schöne Kombination – evt. mit mir was machen würde? Hast Du eine Ahnung, was das für ein Mann ist? Was er verlegt, und wem er nahe steht? Bitte gib mir seine Adresse, falls Du es für richtig hältst. In Oesterreich könnte ich die Werke70 na[t]ürlich gleich herausgeben. Ich weiss nur nicht, ob Dir damit gedient wäre. Es hätte den Vorteil, dass ich alles überwachen könnte und mir spätere Rechte sichern könnte. Nur haben die Leute keine Valuta, aber viell. wäre Dir mit einem Honorar in Büchern sogar besser gedient. Ich würde das Malik-Copyright natürlich zur Bedingung machen, kurz, nur eine Lizenz vergeben, aber nicht das verlagsrecht. Von drüben kommen mancherlei Briefe, die sich alle auf den Wunsch, die Aurora Produktion zu bekommen oder auf alte Malik-Rechte beziehen. In einer berliner Zeitung, die sich „Sie“71 nennt (amerik. oder engl. Sekt.) stand eine Gedächtnis-Rede von Günther Weisenborn auf Ernst Toller, in der unter anderem zu lesen ist: „Hier im Ruinenmeer Berlins lebend in Kälte und Elend, rufen wir feierlich die Schriftsteller unsrer Nation. Wir bitten um ihre Rückkehr aus allen Ländern der Welt.“ folgen ca. 45 Namen, darunter auch Deiner und meiner, aber auch Walther Mehring, Thomas Mann, Heinrich Hauser72, Hermann Hesse und Remarque. Weil ich gerade Mehring tippe: anbei Copie eines Briefes, der Dich interessieren dürfte.73 Herzliche Grüsse Dein Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47 90).

68 69 70 71 72

Buchvertrieb Schoenhof’s Foreign Books, Cambridge/Massachusetts. Vgl. B. an Herzfelde, Ende März 1947, GBA 29, S. 416; dazu Neher, 22.1.1947. Die Bände 1 und 2 der Gesammelten Werke waren 1938 im Malik-Verlag erschienen. Von Heinz Ullstein und Helmut Kindler herausgegebene Frauenzeitschrift. Heinrich Hauser (1901–1955), Schriftsteller und Photograph, vormals Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung, ging 1939 ins Exil in die USA und kehrte 1948 zurück nach Deutschland (West). 73 Nicht überliefert.

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Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] 23.3.1947 3:23:47 Dear Brecht: First of all – – so late! – – many thanks for the Svendborger Gedichte, and inscription. I’ve re-read them, and shall give you a translation of Schlage keinen Nagel in die Wand74, presently. Lorre may straighten out.75 Incidentally, do you know anything of Columbia offering a pretty fair sum for the Lady Macbeth76, which was turned down by Lorre’s agent because of additional stipulations which made it too expensive? Send me any reports you get on North Italy and Switzerland.77 I’ll be there. When are you going? Give me all facts. I’ve worked hard on several things, notes mainly, and much on the photographer.78 The real discussions we must have are still to come. You set the bug in me, and now I’m looking forward to the good hard eight hours a day writing for six months somewhere in Europe where the times are never recognized until they are several centuries past. I’m tired, and a little worried about recurring nosebleed, so tomorrow I’m flying to Bermuda for ten days or two weeks of sun and ocean. It will be cheaper and possibly pleasanter than another hospitalization. As soon as I come back from the Blessed Isles79 – – operated by Colonial Englishmen of the most unsavory type – – I shall dig up a copy of Pageant (which I have never seen) and send you the Reuss article.80 In the meantime write me so I’ll have a letter from you waiting for me as a welcome back. No one has called for the things left with me to be called for. Had a nice long letter from Steff last week. Greetings to all. My best! 74 Aus dem Gedicht Gedanken über die Dauer des Exils (GBA 12, S. 82). 75 Peter Lorre war in New York wegen Drogenbesitzes festgenommen worden. Brecht bat, als er davon erfuhr, Reyher telephonisch um Hilfe. Vgl. dazu auch sein Gedicht Der Sumpf (GBA 15, S. 183). 76 Den Filmentwurf Lady Macbeth of the Yards (GBA 20, S. 143–162) – „a modern equivalent“, wie es darin heißt, zu Shakespeares Tragedy of Macbeth (1611) – hatte Brecht während der Arbeit am Galileo im September 1945 zusammen mit Peter Lorre und Ferdinand Reyher verfaßt. „Über ein Interesse der Columbia“, antwortete er Reyher Ende März, „habe ich nie etwas erfahren“ (GBA 29, S. 414). 77 Vgl. B. an Reyher, Mitte März 1947, GBA 29, S. 413; dazu die Anm. zu Herzfelde, 22.3.1947. 78 Vermutlich Reyhers Photographenroman Tin, der unvollendet blieb. 79 Als Insel der Seligen bezeichnet man in der griechischen Mythologie das Elysion, das Gegenstück zur Unterwelt. 80 Offenbar war ein Artikel über Leo Reuss in der amerikanischen Monatszeitschrift Pageant erschienen. Vgl. Anm. zu Reyher, 25.5.1946.

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Überlieferung: Ts, Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable-Adress • Hochelsea • New York, Large And Sound • Proof Rooms; Melvin Jackson (Kopie: BBA E 18/61–62). – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, 198.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht [New York] 29.3.1947 29. Maerz 1947. Lieber Berthold: Auch ich glaube, dass ich keinen Autor gefunden habe bisher, der naeher an die Art Theater herangekommen ist wie ich sie mir vorstelle als Du.81 Und gerade weil ich nicht an den Unterschied „Autor-Inszenator“ glaube, habe ich immer den Zufall bedauert, der es verhinderte, dass wir einmal wirklich und absolut zusammenarbeiten. Darum gerade war meine Enttaeuschung so gross in „Masterrace“.82 Und darum habe ich Dir ueber ein Theater geschrieben und nicht zwei und trotz der damaligen Entta[e]uschung, weil wir alle unter einer kuenstlerischen Zersplitterung leiden, die nur dann behoben werden kann, wenn kein Fussbreit Platz mehr gelassen ist, in das sich And[e]rsgeartetes hineindraengen kann. Wenn wir an die Zeit von Berlin zurueckdenken, so waere bestimmt fuer Beide von uns mehr herausgekommen, wenn wir uns besser gekannt haetten (was wir auch jetzt nicht tun), und wenn wir haetten aufeinander Acht geben koennen. Die Verhaeltnisse von damals aber waren Gold im besten Sinne des Wortes verglichen mit den Heutigen. Vorgestern bekam ich einen Brief von Friedrich Wolf aus Berlin,83 der endet: „Ueberhaupt – Du bist ein straeflicher Optimist – – – gewesen; ich habe mir unser Country etwas kosten lassen, boeses K.Z. in Viernet84, dann 3 Frontjahre in diesem Krieg und dann Hals ueber Kopf heim; aber solch ein vermurkstes, selbstgerechtes, unbelehrbares Volk wie unseres das kann man sich auf saemtlichen Planeten suchen! Ueberall sind die alten Maechte wieder ganz vorne; die Demokratie zeigt sich – da die nationotischen Pgs. natuerlich heute noch 81 Brecht hatte Erwin Piscator „der Ordnung halber“ mitgeteilt, „daß von den Leuten, die in den letzten 20 Jahren Theater gemacht haben, mir niemand so nahegestanden hat wie Du. Es steht nicht in Widerspruch dazu, wenn ich denke, daß wir zwei Theater brauchen. Der Grund ist nicht nur, daß wir zumindest zwei Punkte besetzen müssen, um unsere gemeinsamen Ideen zu etablieren; für einen Teil meiner Arbeiten für das Theater muß ich auch einen ganz bestimmten Darstellungsstil entwickeln, der sich von Deinem unterscheidet. Das ist der ganze Vorbehalt und es scheint mir ein produktiver. Gerade Du kannst nicht an eine mechanische Einteilung in Stückeschreiber und Inszenator glauben“ (Mitte/Ende März 1947, GBA 29, S. 413). 82 Zwei Jahre zuvor sollte Piscator The Private Life of the Master Race in New York inszenieren. Da er sich mit Brecht nicht einig wurde, legte er die Regie nieder. Vgl. Piscator, 29.5. und 15.6. 1945; dazu die Anm. in GBA 4, S. 532f. 83 Friedrich Wolfs Brief an Piscator vom 17.3.1947 ist dokumentiert im Friedrich-Wolf-Archiv der AdK. 84 Bei Wolf: „Vernet“, das ist das französische Internierungslager Le Vernet.

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die unbestrittene Mehrheit ist – und entsprechenderweise;85 dennoch wenn man sich nicht aufhaengen will (wenn schon, dann sollen das die andern tun), so muss man weiter boxen und beissen. Und nun werde ich, nachdem ich Dir so etwas Appetit auf Germanien gemacht habe, Dich durch unsere neue Volksbuehne einladen lassen, hier zum mindesten eine Gastregie zu fuehren.“ Mit dem Projekt scheint Karl Heinz Martin verbunden zu sein, wie er an anderer Stelle des Briefes schreibt. Aber dass Wolf so schreibt, den Du doch kennst, muss bedenklich machen. Deine Idee des neuen Stueckes86 finde ich ausgezeichnet. Kommst Du in absehbarer Zeit hierher? Oder rechnest Du schon damit im Sommer eine groessere Reise anzutreten wie Budz.87 mir erzaehlte. Fuer heute herzlichst beste Gruesse an Hellie Dein [Hs.] gez. Piscator Überlieferung: Ts, AdK: Erwin-Piscator-Center (Kopie: BBA Z 2/108-109). – E: Piscator, Briefe, Bd. 2.3, S. 69f.

Eric Bentley an Elisabeth Hauptmann Minneapolis, 29.3.[1947] March 29 Dear Mrs. Hauptmann: Thanks for getting me Brecht’s signature. I note that you raised the fee from $100 or “about $100” to $150.88 This is distinctly more than we, in general, are paying, especially for plays that are not new. I had thought of including Jasager and Neinsager but would not wish to pay an extra fee for them on top of $150. Perhaps you should advise me on this.

85 Bei Wolf lautet der Satz: „die Demokratie zeigt sich – da die naziotischen PGs natürlich heute noch die unbestrittene Mehrheit sind – in entsprechender Weise.“ 86 „Eine Art aristophanischer Revue, behandelnd die Rückkehr des Kriegsgotts aus einem fehlgegangenen Krieg in ein ruiniertes Land. Er ist lahm, halbblind und bereit zu jedem Zugeständnis, wenn er nur in irgendeiner Hundehütte geduldet wird“ (GBA 29, S. 413f.). Brecht meinte vermutlich den Entwurf Der Wagen des Ares (GBA 10, S. 938–953). 87 Hermann Budzislawski. 88 Die Honorare beziehen sich auf Elisabeth Hauptmanns Mitarbeit an dem geplanten Brecht-Band, der bei Reynal & Hitchock erscheinen sollte. Vgl. Anm. zu Erskine, 20.7.1945.

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You did not reply to my request for Vesey’s corrections of 3-Penny Opera. Accordingly, I tried to get them from the theatre of the University of Illinois. They reported that they no longer had them and had lost track of you. They said they had sent you special photos and notes on the production but that their receipt had never been acknowledged. I hope they did arrive, though. And even more I hope you have Vesey’s corrections. Vesey was in N.Y. recently and wrote me he had not got them. You might call Brecht’s attention to my article in the March issue of Harpers. Sincerely Eric Bentley Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: University of Minnesota College of Science, Literature, and the Arts Minneapolis; BBA 2200/24–25.

George Grosz an Bertolt Brecht New York [30.3.1947] Dreissigsten, I PM. Guter lieber Bert: Habe so nur ungefaehr geschaetzt in meinem Leben fuer zirka 2000000 gratis gearbeitet, ich meine money.89 Hier in USA (als ich noch als greenhorn ankam) tat ichs auch. (die Pommern sind alle basically „suckers“ d.h. liebe leichtgla[e]ubige Jungens. Wie gesagt leicht zu verfuehren auch, ich meine ebenso zum Guten wie zum Boesen. Hatte mich leider mit zuvielen guten Menschen eingelassen (is’war aber gegenseitig) Naja damals (die Uhren zeigten uebrigens damals andere Zeiten wie hierzulande, bis 24 remembere ich,) .... Also das geht nun nicht mehr so wie frueher, mit „frueher“ meine ich doch eigentlich ne’ Vergangenheit aber die ist doch nur da wenn’s ne Gegenwart gibt...(was zweifelhaft) Nun befolge ich den strengeren Landesgesetzen, also nichts gratis. Ich koennte natuerlich „zugeben“....paar Bonbons undso.......wie ehemals beim Kaufmann Niethardt....aber hinwiederum peddle ich ja keine Ware, und wo mein alter kleiner netter Kaufmannsladen hinkam weiss ich nicht (möglich ausgebombt oder so, na weg ist weg) Uebrigens ist die Arbeit politische Parolen (wenn auch in Form der Poesie) eine der Groessten und eine der anstrengen[d]sten in der ganzen Welt. Das steht nunmal fest. Wie wenige wirklich grossen Malersknechte trauen sich da ueberhaupt ran.....Vielen ueberkommt jaschon ein Schauer beim lesen....und bei manchem hoert das nervoese-aengstliche Gezitter der Haende niemals 89 Brecht hatte George Grosz gebeten, für ein Gedicht, vermutlich Freiheit und Democracy (GBA 15, S. 183–188, vgl. dazu Stefan Brecht, 10./11.4.1947), einige Zeichnungen anzufertigen. Vgl. Brief von Ende März 1947, GBA 29, S. 415.

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auf beim illustrieren. Und wie soll da ein begabter Mann zeichnen, wenn ihm vor Gefuehlen, die er doch nur schwer kontrollieren kann, die Haende zittern? Denn Zeichnungen, ja merkwuerdig, werden nach wie vor noch mit den Haenden gemacht. Ich arbeite seit Jahren an einer Maschine, die ist so, dasz die dann wie’ne Art dictograph oderso die Zeichnung zunaechst einmal roh ausfuehrt....(Retuschen macht nachher der Zeichner selbst, hab schone ne Menge Geld reingesteckt)....wenns klappt koennt ihr politischen Poeten so’ne Maschine gleich nebenan im Zimmer haben. Ja Bert nun sehe ich Dein entta[e]uschtes Gesicht, wirst sagen: siehe da der Georg will sich druecken, denn wenn der da ’ne Zeichenmaschine anfaengt zu erfinden. Das stimmt nun aber ganz & gar nicht. Ich erfinde solche Maschine nicht zum Spass oder Bequemlichkeit, denn zur Bequemlichkeit soll man nun wirklich keine Maschinen erfinden (sind auch nie deswegen erfunden worden).....(selbst nicht ein Fahrrad was doch mehr zum selbstausdruck da ist) Ich meine, man muss da eben „treten“ koennen.....abgesehen von den vielen Uebers[e]tzungen.......so meine ich auch meine Maschine: nicht erleichtern soll sie, sie soll vertiefen, ich meine wenn meine Maschine perfect ist, naja, der trouble ist, sie koennte von allen benutzt werden, so ‘ne Art phonograph oderso. Aber meine Rechte werde ich mir vorbehalten...... Bert, deswegen muß ich leider vorerst ablehnen. Habe uebrigens gestaunt ueber den Satz „altes Kulturland“90 Da triffst Du doch wiedermal den Nagel auf den Kopf, wie man zuhause sagte. Genau das ists, ein altes Kulturland. Von mir a[e]usserlich: habe ne Serie gemacht: Die Wanderer ins NICHTS (nicht nach Radek91....dem Sartre & Heidegger92 gewidmet: ein Bild heisst der Maler des Loches93, das andere der Musiker des Loches, ein drittes der Dichter des Loches.........sie bestehen aus duennen (aber festgefuegten Strichen) aber geben keinen Schatten sind auch ganz-grau.....ihr Feldzeichen (wie die Roemer sowas nannten) ist ein wirkliches zerfetztes Leinewand Loch. Doll. Der Maler hat um sich 100derte Lochartiger Entwurfe.....(er ist, er erinnert das ganz 90 „Wir sollten wirklich für das alte Kulturland was tun“, hatte Brecht geschrieben. Er wollte sein Gedicht zusammen mit Grosz’ Illustrationen als „Büchlein hinüberschicken“ (GBA 29, S. 415) nach Deutschland. 91 Anspielung auf Karl Radeks berüchtigte Rede „Leo Schlageter, ein Wanderer ins Nichts“ (1923). Der Freikorpskämpfer Leo Schlageter war während der Ruhrbesetzung von einem französischen Militärgericht wegen Sabotage zum Tod verurteilt und hingerichtet worden. In einer Rede vor der Komintern erhob Radek ihn daraufhin zum Vorbild auch für die Kommunisten, denen der von den Faschisten irregeführte Konterrevolutionär im Kampf gegen die imperialistische Großmacht Frankreich ein revolutionäres Beispiel gegeben habe. 92 In der Philosophie Martin Heideggers (1889–1976) spielt das Nichts eine zentrale und gleichermaßen obskure Rolle. Sein Einfluß auf den französischen Existentialismus, namentlich auf Jean-Paul Sartre und dessen Werk L’Être et le néant (Das Sein und das Nichts, 1943), blieb im Vergleich zur späteren Heidegger-Rezeption in Frankreich (Jacques Derrida, Michel Foucault u.a.) jedoch eher gering. 93 Diese Selbstbezeichnung bezieht sich auf Grosz’ in den 1940er Jahren entstandene „Stick men“Zeichnungen, die Strichmännchen mit einem Loch anstelle eines Kopfes darstellen.

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dunkel, aber doch erinnert ers genau, auch an „Schoenheit“ interessiert: z.B. meint er die ganz-ganz-ganz fein-feinsten Schattierungen der Graus.....alles ist naemlich grau dort. Die Ratten...ja Du denkst was, und schon laeuft ne Ratte in eine Ecke. Schreib bald mal und vielen Dank dasz Du an mich dachtest, wenn auch nur im Zusammenhang mit meiner Maschine..... Alles Gute stets Dein alter treuer George Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: 202 Shore Road Douglaston Manor Long Island, N.Y.; BBA 973/9–10. – T: Grosz, Briefe, S. 389f.

Willi Weismann94 an Bertolt Brecht [München] 5.4.1947 den 5.4.1947 Herrn Dr. Be[r]tolt B r e c h t 1063 - 26th Street Santa Monica Californien Sehr geehrter Herr Dr. Brecht! In meinem Verlag erscheint die Literaturzeitschrift „Die Fähre“.95 Ich werde versuchen, Ihnen mit gleicher Post ein Exemplar zugehen zu lassen. Wir brachten eine Szene aus Ihrer „Mutter Courage“ und früher bereits aus „Furcht und Elend des dritten Reiches“. Die Genehmigung hierzu erhielt ich über unsere Schwesterzeitschrift „Das Silberboot“96. Vielleicht haben Sie noch Angehörige in Deutschland, denen ich gegebenenfalls das Honorar überweisen könnte. Es liegt uns alles daran, dem deutschen Leser auch jene deutschen Autoren wieder nahezubringen, die in der Emigration leben. Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verbunden, wenn Sie mich in diesem Bestreben unterstützen würden, indem sie mir gestatten, gelegentlich aus Ihren Büchern etwas zu bringen, beziehungsweise uns vielleicht auch

94 Willi Weismann (1909–1983), Verleger. 95 Die Fähre (später Literarische Revue), hsrg. von Ruth Jansen, Herbert Burgmüller und Willi Weismann, erschien von 1946 bis 1949 im Willi Weismann Verlag in München. In Heft 1/1947 wurde die neunte Szene aus Mutter Courage, in Heft 5/1946 die Szene Die jüdische Frau aus Furcht und Elend des III. Reiches abgedruckt. 96 Die von Ernst Schönwiese in Salzburg herausgegebene Zeitschrift Silberboot wurde in Arbeitsgemeinschaft mit der Fähre produziert.

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Arbeiten einsenden könnten. Die Honorierung könnte man vielleicht auf die gleiche Weise, wie oben angeführt, regeln. Mit vorzüglicher Hochachtung Überlieferung: TsD, Notiz von fremder Hand: „1 Fähre H 2“; DLA (84.2465/1).

Stefan Brecht an Bertolt Brecht 10./11.4.1947 April, der zehnte oder elfte, 1047.97 Lieber Bidi, Ich habe das Gedicht98 das die Ruth mir von dem Uplifters’ Club99 zuschickte (und das ist ein bedenklicher Ursprungsort fuer so ein Gedicht; Du sagtest mal etwas ueber Gorki auf Capri100 – das scheint irgendwie eine Analogie zu sein liegen) Gestern empfangen; und habe es viermal gelesen – einmal (davon) es dem Schurmann101 vorgelesen. Zuerst will ich sagen dass ich die Verse schlecht finde; das heisst es werden mehrere Rhythmen verwendet, die nicht zusammenpassen; und die Du (glaube ich) auch gar nicht berechnet hast; und einige der Endungen die reimen sollten thun es nicht. Und zwar ist es thatsaechlich so dass diese Fehler (die so klar sind das jedes Kind sie merkt – obwohl ein sehr guter Vorleser, so wie zum Beispiel Du sie wohl entweder verschleiern oder auswerten kannst) mehr gegen das Ende des Gedichtes als gegen seinen Anfang vorkommen: das ist beinahe komisch. Auf jeden Fall scheint mir diese aeusserliche Tahatsache zu zeigen dass die Fehler nicht in ihrer Besonderheit berechnet sind (obwohl ich vermuthe dass Du sie im Allgemeinen verteidigen wuerdest oder jedenfalls koenntest; das heisst das Vorkommen von Fehlern in abstractum verteidigen wuerdest – in einem Gedicht dieser Art; das ist aber etwas ganz anderes als spezifische Fehler (‚Fehler’); Rythmenverschiebungen, unregelmaessiger Mangel an Reimen, Fremdworte, verteidigen, Fehler in concretum (Schweinelstein!). Dieses letztere ist schon kaum mehr Fehler-verteidigen; da gab es entweder Berechnung von vornherein oder eine ins Unterbewusstsein geschobene Technik nicht den gewoehnlichen Techniken entsprechend.). 97 So im Ts. Orthographie im folgenden unverändert. 98 Freiheit und Democracy (GBA 15, S. 183–188, früherer Titel: Der anachronistische Zug), geschrieben Anfang 1947, zuerst erschienen in Heft 10/1948 der Zeitschrift Ost und West in Berlin. Über die hier folgende Kritik des Gedichts äußerte sich Brecht „etwas enttäuscht“ (B. an Stefan Brecht, April 1947, GBA 29, S. 416). 99 Möglicherweise der 1913 gegründete Uplifters Club, ein Social club in Los Angeles. 100 Maxim Gorki lebte von 1907 bis 1913 auf der Insel Capri. 101 Franz Schurmann (*1924), ein Freund Stefan Brechts, später Professor für Sinologie in Berkeley.

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In den ersten acht Versen giebt es also keinen dieser offenbaren Fehler; in den ersten 16 giebt es zwei (neunter und 14ter Vers). ‚seht ihr hier schreiten’; ‚fruehere Parlamentarier’; ‚an’ und ‚Bahn’; ‚Kuenstler, Musiker, Dichterfuersten schreiend nach Loorbeer und nach Wuersten’; ‘Und als der mephitische Zug’; ‚traten aus dem braunen Haus schweigend sechs Gestalten aus’; ‘Freibier[’; ‘]Muesst nur draus zu saufen eure Kinder ihm verkaufen’. Ich will gar nicht weiter gehen da ich ja nicht behaupte dass Du nichts von diesen Haesslichkeiten weisst; sie sind aber nicht amuesant (ab und zu klingen die gelungenen Verse wie Wilhelm Busch102: ‘Informiert von den Gazetten hungernd zwischen den Skeletten ihrer Haeuser stand herum das verstoerte Buergertum.’ – ‘das verstoerte Buergertum – [hs: und das haette ich gerne wären alle die Verse gelungen.], auch nicht kuenstlerisch ekelhaft; auch giebt es hier nicht den Eindruck das ein naiver Mensch dies geschrieben hat; ich finde sie sehr stoerend; und eigentlich schlimm genug dass man gar nicht weitergehen kann und sich das Gedicht selber ueberlegen kann. Ich erinnere mich an die Grete103; nemlich ihre Reden ueber die Schlampigkeit der Verse in Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui; ich hoffe Du entschuldigt das Wort: Schlampigkeit ist auch fuer diese Fehler richtig; und dabei ist es ganz und gar nicht so dass dies nichts ausmacht. Als Vergleich moechte ich die Schlechtigkeit von Amateurproduktionen, oder einfach Produktionen ohne Geld (von Theaterschauspielen) anfuehren; da kommt es oft vor, dass ein Buehnenarbeiter waehrend der Vorstellung ueber die Buehne geht, daß eine Kulisse herunterfaellt, daß die Kulissen nicht die Stricke und verschiedenen Attrappen hinter der Buehne verbergen. So was ist einfach schlecht; schlechte Kunst. Es ist etwas ganz anderes wenn man sich entschliesst keine Kulissen zu verwenden sondern nur einen weissen Hintergrund; oder etwa gar keinen Theaterhintergrund; in diesen Faellen scheint es mir sogar besonders wichtig was fuer einen Hintergrund man verwendet; der der an sich schon da und vorhanden ist, genuegt (1000 gegen 1) nicht. Ebenso mit dem Buehnenarbeiter: fall so etwas arrangiert wird, falls man das Produktionsmaessige der Produktion, oder ihr Kollektivmaessiges; oder vielleicht die Unwichtigkeit der Produktion, oder vielleicht seinen den eigenen Willen die Zuschauer zu schockieren und zu enttaeuschen, zeigen will; solte das meiner Meinung nach ebenso berechnet und kuenstlerisch unternommen werden wie eine andere kuenstlerische Demonstration. [hs: (Eigentlich kann nur ein guter Schauspieler so einen Buehnenarbeiter darstellen)] Will man beim Pianospielen das Innere des Pianos zeigen so soll man sich ein Piano mit einem diesem Zweck entsprechendem Inneren anschaffen. In Die Drei Soldaten104 giebt es, soweit ich mich erinnere, sehr wenig Schlampereien (jedenfalls wenn man es mit dem kurzen Gedicht ueber Freiheit und Democracy vergleicht). Schurmann ruehmte das Gedicht dafuer das man nicht weiss ob Du gegen Freiheit und Democracy bisst; oder ob Du nur behauptest diese Leute bringen gar keine ‚wirkliche’ Freiheit und Democracy; aber ich finde das ist eine Schwaeche des Gedichts. Meiner Meinung 102 Wilhelm Busch (1832–1908), Dichter und Zeichner. 103 Margarete Steffin. 104 Das 1930 erschienene Kinderbuch Die drei Soldaten (GBA 14, S. 68–90).

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nach sollte man nicht (oder: nicht nur) die Betrueger angreifen, die da vortaeuschen die Ausbeutung sei Freiheit, sondern man sollte auch diese Freiheit angreifen. Er scheint mir dass man diese zwei Sachen historisch nehmen soll, und nicht die zeitlosen Haltungen oder Verhaeltnisse von denen diese beiden Worte Heute nur bestimmte Phrasen verzeichnen. So wie es ist versteht man das Gedicht ebensogut als einen Angriff auf die Volkstaeuscher als einen Angriff auf die anachronistischen Ideale in deren Namen die Taeuschung vor sich geht; ich glaube nicht dass man erfolgreich beides in einem so kurzen Gedicht machen kann. Thatsaechlich bezeichnet das Wort Demokratie heute Verhaeltnisse die nicht loszuloesen sind von dem Privatbesitz an Produktionsmitteln. und von der Warenproduktion: nicht nur gedanklich nicht loszuloesen sind, sondern auch faktisch (in einer Revolution oder Reformation etwa) nicht loszuloesen sind; die Freiheit ist ein noch weiteres Wort; aber wenn es mit Democracy zusammen vorkommt bezeichnet es ziehmlich klar die Freiheit der Kapitalisten, des geringst moeglichen Staatseingriffs in Privatverhaeltnisse, und, im Allgemeinen, eine Annaeherung an eine Gesellschaft von Privatpersonen die einander auf keine Weise verpflichtet sind. Dann giebt es noch die Freiheit die Lenin in Staat und Revolution vorraussah;105 aber aus der ist nichts geworden (wenigstens theilweise da, meiner Meinung nach,106 aus dem internationalen Sovjet staat, welcher in dem kurzen Vorwort zu S. u. R. vorgesehen ist, nichts geworden ist); in dem Sinne war die Diktatur des Proletariats u[e]ber die anderen Klassen, die Grundlage einer Demokratie (weitgehend im buergerlichen Sinne, aber eben auf einen Theil der Gesellschaft beschraenkt: Wahlen, geheime Wahlen, freie Presse fuer die Arbeiterschaft) in einem einigermassen neuen Sinne; da gab es so Sachen wie eine Volkmiliz, Wahl der Offiziere, wobei die Miliz sowohl Armee die Polizei umfassen sollte, Selbstregierung der Stadtviertel und Fabriken, gleiche Entlohnung von Beamten und Handarbeitern, die Möglichkeit der jederzeitigen Rueckrufung aller Beamten – dieser Traum fiel aber schon zur Zeit der Kronstadtrevolte107 und der Anarchistenverfolgungen (in Moskau Kiev, vor allem) kurz nach der Oktoberrevolution zusammen. Ich kann mir vorstellen dass sich so eine Freiheit und Democracy in einer Sovietunion die Amerika besiegt hat und ganz Westeuropa umfasst, auf der Grundlage der westeuropaeischen Proletariate und Produktionsapparate entwickeln koennte – in so zehn, zwanzig Jahren vielleicht sogar (und ich glaube dies sind so ungefaehr die Zeitdimensionen an die Marx oder Lenin dachten wenn sie von dem Kommunismus und der Diktatur des Proletariats als einer Uebergangsepoche sprachen).

105 Vgl. Anm. zu Brentano, 3.1.1934. 106 Hs. Erg. am Seitenende: „Das ‚meine‘ der Meinung betrifft hier das ‚da‘ am Anfang des Satzes.“ 107 In Kronstadt, einer Festungsinsel vor St. Petersburg, hatten Matrosen bereits 1905 gegen den Zarismus rebelliert und damit die erste russische Revolution in Gang gesetzt. Der hier gemeinte Aufstand Kronstädter Matrosen vom März 1921, diesmal für eine sozialistische Räterepublik und gegen die Diktatur der bolschewistischen Partei, wurde von der Roten Armee niedergeschlagen.

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Also; an sich bezeichnen die beiden Woerter, kapitalistische und schlechte, Heute schlechte, Verhaeltnisse – insofern, finde ich, solltest Du unbedingt gegen sie sein. Dann giebt es ein grosses russisches Luegengewebe welches vorgiebt es gebe Verhaeltnisse die man im Marxschen oder S u R Sinne als frei und demokratisch bezeichnen koenne in Russland, Heute – dies ist unwahr und man sollte nicht (finde ich) im Namen dieser Fiktion, oder sich auch nur irgendwie an diese Fiktion anlehnend, weder gegen die kapitalistische Demokratie wie es sie hier in diesem Lande zum Beispiel thatsaechlich giebt, oder auch nur gegen ein das scheinbare Erreichenwollen dieser Demokratie und gleichzeitige Kaempfen fuer nazistische und imperialistische Vorhaben und Verhaeltnisse (so wie sich diese thatsaechliche Demokratie dann in Deutschland oder Griechenland auswirkt) angehen. Dann giebt es eine Moeglichkeit gegen sowohl den taeuschenden Gebrauch dieser Slogans als auch gegen die thatsaechliche und auch schlechte Wirklichkeit dieser Slogans im Namen des wirklichen marxistischen Ideals (Kritik des Gothaer Programms, Komm. Manifest, Schriften ueber die Kommune,108 Staat und Rev.) zu kaempfen; dies faende ich an sich ideal; aber, wie ich schon sagt[e], genuegt die Quasi-Balladen-Form des Gedichtes meiner Meinung nach nicht dafuer. Dann gibt es noch die Moeglichkeit im Namen dieses Ideals (oder dieser Utopie) gegen die kapitalistische Wirklichkeit vorgehend (und gar nicht Zeit darauf zu verschwenden dass die fuer diese Wirklichkeit kaempfenden in Deutschland in Wirklichkeit fuer etwas noch schlimmes kaempfen, naemlich den Nazismus); dies halte ich fuer moeglich. Oder man braucht gar nicht auf dieses marxistische Ideal eingehen und kann entweder einfach so gegen die kapitalistische Wirklichkeit sein; oder gegen die kapitalistische Wirklichkeit wie es sie hier in den V S109 giebt sein und fuer die Sovjetrussische Wirklichkeit sein. Das letztere finde ich ist auch gut moeglich. Was unbedingt schlecht ist, ist fuer das ewige Ideal der Freiheit und Democracy zu sein und gegen die die nur vortaeuschen die augenblickliche Form dieses Ideals zu materialisieren; das ist fuer PM und Libertie. Ich finde die drei ersten Verse wunderbar; auch den fuenften (den neunten finde ich unmoeglich sowohl ideologisch wie seinem Rythmus nach); den Vers der mit ‚Spitzel, Kraftdurch-Freude-Weiber’110 anfaengt finde ich auch sehr gut.

108 Vgl. Karl Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (d.i. die sogenannte Kritik des Gothaer Programms der Sozialistischen Arbeiterpartei, der späteren SPD, von 1875), MEW 19, S. 15–32; Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1848), MEW 4, S. 459–493; Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich (über die Pariser Kommune von 1871), MEW 17, S. 313–362. 109 Die Vereinigten Staaten. 110 Die nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ war eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront, populär vor allem wegen ihres umfangreichen kulturellen und touristischen Freizeitprogramms.

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Im uebrigen erinnert das Gedicht natuerlich sowohl an Shelly111 als an Heine112. Ich finde wenn man so allegorische Gestalten verwenden will muss man sie auch ausfuehrlich beschreiben; die blosse Erwaehnung macht nach Shelly und Heine keinen Eindruck mehr. Schon angewandte Klapperverse findet man in den alten englischen Morality Schauspielen113; und auch in Sachs114 oder in Walter von der Vogelweide115; aber es scheint mir dass sie ein besonders grosses Maass von Sorgfalt und Berechnung erfordern. In den Wissenschaften scheint mir der Stil ungeheuer heruntergekommen. Wenn man die chemischen Anale116 von vor hundert Jahren liest, oder die Schriften des Humboldt117 oder Lavoisier118 und sie dann mit den heutigen Reporten vergleicht ist das wahrhaft erschreckend; es scheint mir der Mangel an Stil, an sorgfaeltigen Formulierungen, in den Wissenschaften illustriert ihren allgemeinen Niedergang seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts und seit dem 18ten und 17ten Jahrhundert ueberhaupt; die Leute scheinen heute zu meinen sie koennten sich so auf das thatsaechliche und ihnen bekannte (und im Uebrigen auf allgemein axiomierte Verhaeltnisse) einschraenken dass sie sicher sein koennen und sowohl ohne historische Ruecksichten als auch ohne Ruecksichten auf die allgemeineren Zusammenhaenge in den Wissenschaften auskommen koennen, auch die Textbuecher in der Chemie sind beinahe ausnahmslos (scheint es mir) von Ignoranten, Halb-Menschen, geschrieben denen die Mathematik die Vernunft und die Philosophie verschleiert hat. X Herzliche Gruesse an Hanns Eisler, Egon Breiner119, Helli Herzliche Gruesse Dein Stefan Brecht. [Hs:] X Andrerseits haben die hoch-mathematischen Thesen, Formulierungen + Abhandlungen wohl eine Elegance diejenige jener Zeiten uebertreffend; ich bin aber keinesfalls sicher hierdrauf – Morton120 meint das, glaube ich. Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 977/82–88. 111 Vermutlich Percy Bysshe Shelley. 112 Heinrich Heine (1797–1856), Schriftsteller und Journalist, emigrierte 1831 nach Paris. 113 Morality plays, hervorgegangen aus mittelalterlichen Mysterienspielen, waren allegorische Stücke mit Lehrcharakter. Sie waren in England (und auch im übrigen Europa) vor allem im 15. und 16. Jahrhundert verbreitet. 114 Hans Sachs (1494–1576), Dichter und Stückeschreiber, bekannt als der Meistersinger von Nürnberg. 115 Walther von der Vogelweide (ca. 1170–1230), mittelhochdeutscher Dichter. 116 Gemeint sind offenbar Annalen. 117 Alexander von Humboldt (1769–1859), Naturforscher und Entdecker, Bruder Wilhelm von Humboldts. 118 Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794), französischer Chemiker. 119 Egon Breiner, aus Österreich emigrierter Arbeiter, den Brecht 1942 in Los Angeles kennengelernt hatte (vgl. den Journaleintrag vom 16.4.1942, GBA 27, S. 84). 120 Möglicherweise der amerikanische Physiker und Chemiker Henry Morton (1836–1902).

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Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 12.4.1947

Augsburg, den 12. April 47 Baugartenstöckle 1

Lieber Bidi, I. am 10. erhielten wir Dein Paket, das am 9.2. in Santa Monica aufgegeben wurde. Es war ein wenig beschädigt und nur mehr leicht verschnürt, vielleicht hat ein Neugieriger seine Nase hineinstrecken müssen. Die Bestandsaufnahme hat ergeben: 1 kompl. Anzug, 1 grauen und 1 karrierten Pullover, 1 Lederweste, 1 rotes Mädchenkleid, 1 buntes Seidekleid, 3 Blusen, 3 P. Socken 1 Kravatte, 1 Hosenträger, 1 Glas mit Tabletten, 2 Schok[o]tafeln. Am Abend sehe ich Schorsch121 und mein Techterl am Leih-Tisch sitzen. Er in grauer Hose und hochmodernem Pullover mit einem Gesicht, das aus dem Leim geht. Sie in roter Bluse, still und feierlich. Wenn das nicht Winnetou und seine Cousine ist, täusche ich mich gewaltig. Besser kann ein gent nicht aussehen. „Vom Baschkiren zum gent“, das trifft den Nagel auf den Kopf. Einige kleine Abänderungen müssen vorgenommen werden. Hose und Jacke muß man heraus lassen (so lautet der fachliche Ausdruck) und den Mädchenrock herein nehmen. Das wurde gesagt und dann noch „Alles sitzt, alles paßt“. Ich hätte eher begriffen, wenn der Unterschied in den Größen ungefähr haushoch gewesen wäre. Ist es nicht rätselhaft, daß dem nicht so ist? (Daß „dem“ eine KombinationsCapazität zuvorgekommen ist, muß ich erklären) Die schlichte Erklärung mit meinen herzlichsten Dank verbunden, bitte ich Deiner Frau zu übergeben. Zur Feier des Abends habe ich die 2 Tafeln herausgegeben. Heute kam de[i]n Brief vom März.122 Es klingt so eine Anfrage, über das Grießle123, von Californien herübergesprochen. Nur zu einem bescheidenen Teil steht es noch. Unsere Tage sind bebaut worden. Die vordringende Civilisation bezw. Kanalisation und Kleinbunker haben es schäbig gemacht, Phantasie kann dort nicht mehr gedeihen. Man müßte noch weiter den Lech abwärts gehen, um unser Terrain wiederzusehen. Die Haindls124 waren in der Reihe der Wirtschaftsführer. Der eine oder andere mußte dafür eine Untersuchung im Gefängnis verkosten. Einer ist in die Wohnung Deines Vaters

121 122 123 124

Pfanzelts Sohn Georg. Nicht überliefert. Vermutlich der Griesle-Park in Augsburg. Augsburger Fabrikantenfamilie.

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gezogen, da seine frühere Wohnung beschlagnahmt wurde. Frl. Schnickerle wohnt her[rl] ich unterm Dach. Ich kann mir zur Not noch den Überfluß der Vorstellung von früchtetragenden Orangenbäumen leisten, wir sind durch Dreck und Elend gebeizt. Aber Du wirst Augen machen, wenn Dir die Beize in Wirklichkeit offeriert wird. Von manchen Augsburger Vierteln habe ich selbst nur eine vage Vorstellung. Es juckt mich auch gar nicht, darnach zu sehen. In meiner nächsten Umgebung liegt der Bauschutt auf den Grundstücken, auf den Gehsteigen. Es ist kein Ferienaufenthalt. Trotzdem freue ich mich sehr, wenn wir in diesem Jahr den Lech hinuntergehen. Könntest Du für Schorsch einige Celluloid-Tischtennisbälle besorgen? Ich bitte Dich darum. Spezielle Wünsche sind spanische Dörfer geworden. Ich kenne mich dort nicht aus. Die besten Grüße und herzlichen Dank Überlieferung: Ts, Georg Pfanzelt jr., Augsburg (Kopie: BBA E 73/104).

Valentino Bompiani an Bertolt Brecht Mailand, 16.4.1947 Bertold Brecht Esq. 1063 – 26th Street SANTA MONICA (California) u.s.a. VIA AEREA BY AIRMAIL Dear Sir, We were sincerely pleased when, months ago, our representative in New York, Mr. L. Monteleoni, informed us that he had contacted you and that you would have considered favourably an Italian edition of your works by our firm. We then directed Mr. Monteleoni to follow the matter up, but he was apparently unable to get in touch with you again. We are now formally asking you to grant us the Italian publication and performance rights in your play FURCHT UND ELEND DES III. REICHES, which we are highly interested in. Italian performance rights would be handled by “Ulisse”, the dramatic branch of our firm. If you decide to consent to our request, you would oblige us by letting us know your terms and whether you are willing to grant us the Italian publication and performance rights in such of your works as may fit our editorial programme. Looking forward to your reply, we remain, Sir

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Yours sincerely VALENTINO BOMPIANI & CO. VBompiani Milan, the 16th April 1947 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Casa Editrice Valentino Bompiani & C. Societa Anonima – Capitale Sociale I. 1.750.000 Interamente Versato Milano * Firenze * Roma Sede Di Milano Corso Porta Nuova, 18 Telefoni 67-012 – 62-613 Conto Corr. Postale N. 3/15501 Camera Di Comm. Milano 158027; BBA 1763/22.

Karl Korsch an Bertolt Brecht Boston, 18.4.1947 Boston, April 18, 1947 Lieber Brecht, Es scheint bald nicht mehr wahr, dass wir in demselben Erdteil und im selben Lande leben. So will ich Ihnen heute über „Die gegenwärtige Lage und Perspektive“ berichten. So im Sinne eines der junghegelischen Freunde von Marx, der eine Broschüre schrieb „Die gute Sache der Freiheit und meine Sache“.125 Seit ich Sie zuletzt gesehen, war es schlecht mit mir bestellt. Ich arbeitete wenig, und was ich arbeitete führte zu nichts oder allenfalls, wie das damals schon begonnene intensive Studium der Philippinen und anderer Kämpfe zwischen dem neuen Kolonialismus und den neuen Unabhängigkeitskämpfen des fernen Ostens, zu einer erneuerten „Selbstverständigung“.126 Danach habe ich auch diese Arbeit vorläufig abgebrochen und mich mit diversen Nebenarbeiten beschäftigt, darunter Studium von Toynbee127, an dem mir, anders als früher, nichts mehr gross zu sein scheint, als seine Schwäche. Dafür wird er dann auch gerade populär, und ich werde vielleicht die neue Zusammenfassung seiner Werke in einem Bande128 (Six-in-One; formell nicht schlecht gemacht und vielleicht für Sie als Lektüre nun doch zu empfehlen) im Mai-Heft von „Politics“ kritisch diskutieren.129 Inzwischen ist mir ganz klar geworden, dass wir uns im Weltmasstabe in einer Epoche der Regression befinden. Der Rückschritt im Geistigen und Kulturellen lässt sich fast von Tag zu Tage verfolgen. Es nützt auch nichts, auf die noch weitergehenden „Fortschritte“ der 125 Gemeint ist Die gute Sache der Freiheit und meine Angelegenheit (Zürich/Winterthur 1842) von Bruno Bauer. Vgl. dazu Marx/Engels, Die heilige Familie (1844), MEW 2, S. 83, 109, 119. 126 Korsch plante eine Sammelrezension über die Philippinen für die Zeitschrift Politics. 127 Arnold J. Toynbee (1889–1975), englischer Philosoph und Kulturtheoretiker. 128 Vgl. Arnold J. Toynbee, A Study of History. Abridgement of volumes I–VI by D.C. Somervell, London/ New York 1946 (Deutsche Ausgabe: Studie zur Weltgeschichte. Wachstum und Zerfall der Zivilisationen nach der von D.C. Somervell besorgten einbändigen Ausgabe, Zürich/Wien 1949). 129 Vgl. den Brief an Dwight Macdonald vom 28.4.1947 in: Korsch: Briefe, S. 1174ff.

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Technik hinzuweisen. Vielmehr wird der geistige Rückfall in einer heute schon absehbaren Zeit einen Grad erreichen, der auch den Fortschritt der Technik zum Stoppen bringt – und schon jetzt verschwindet immer mehr die auch früher schon fadenscheinige Grundlage dafür, den Fortschritt der Technik mit dem der materiellen Produktion nahezu gleichzusetzen. An diesem Gesamtbild wird auch nichts geändert durch die Weltgegenden, in denen der materielle Fortschritt noch weitergeht bezw. erst richtig anfängt, einerseits Russland, andererseits China und (mit mehreren Fragezeichen) Indien. Es ist wie zur Zeit des römischen Kaiserreichs etwa vom 2. und 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung an, wo auch in den entlegenen Provinzen gegen den Kulturverlust noch ein gewisser Widerstand geleistet wurde und jenseits der Grenzen bei den „Barbaren“ der Aufbau einer neuen Welt aus dem Rohen begonnen hatte – aber wie schwer fiel es schon Engels, sogar für eine viel spätere Zeit zu „beweisen“, dass die feudale Gesellschaft eine gegenüber der antiken „progressive Epoche der ökonomischen Gesellschaftsformation“130 darstellte, nämlich eine höhere Entwicklung von der Sklavenarbeit zur Leibeigenschaft.131 (Heute wissen wir, dass die Sklaverei in allen geschichtlichen Gesellschaftsformen vorkam, und dass sie in verschiedenen Gesellschaftsformen in einer verschiedenen, z.B. in der chinesischen Gesellschaft gegenüber den vom Staat erzwungenen Frondiensten (corvées) einerseits und den verschiedenen freien und halbfreien Arbeitsformen der fragmentisierten Landwirtschaft andererseits nur eine sehr geringe Rolle spielte. Noch in vielen anderen Weisen ist das alte Marxsche, eigentlich Hegelsche Schema132 heute in Unordnung geraten; auf das Verhältnis von antiker und mittelalterlicher Gesellschaft aber hat es auch schon früher gar nicht gepasst). In diesem allgemeinen Rückschritt habe ich mich endlich auch entschlossen, auch einen Schritt zurück zu tun und wieder mit Marx anzufangen. Seine Wirksamkeit etwa in der Periode von 1848 bis 1867 (Kommunistisches Manifest bis zum Kapital133 – Revolution 1848 bis Erste Internationale134) scheint mir jetzt in der Tat die klassische Form sowohl für die Entwicklung der Marxschen Theorie (und Aktion) selbst als auch für die ganze bürgerliche Epoche, die im 16. Jahrhundert und zum Teil schon früher in Europa begonnen hat und um diese Zeit ihren Höhepunkt erreicht hat. 130 Vgl. Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859), MEW 13, S. 9. 131 Vermutlich eine Anspielung auf das neunte Kapitel der Schrift Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884), MEW 21, S. 152–173. Fraglich allerdings, inwiefern Friedrich Engels darin eine Höherentwicklung der feudalen Leibeigenschaft gegenüber der antiken Sklaverei zu beweisen versucht. 132 Gemeint ist das der Hegelschen Philosophie der Weltgeschichte nachgebildete, in dem auf Marx und Engels sich berufenden Historischen Materialismus kanonisierte Entwicklungsschema: Stammesgesellschaft – Sklavenhaltergesellschaft – Feudalismus – Kapitalismus (bürgerliche Gesellschaft) – Sozialismus/Kommunismus. Vgl. dazu das Vorwort von Marx’ Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, S. 8f. 133 Der erste und einzige von Marx selbst veröffentlichte Band des Kapital erschien 1867 in Hamburg. 134 Die 1864 in London gegründete Internationale Arbeiterassoziation, deren Generalrat Marx angehörte. Vgl. Anm. zu Brentano, 4.4.1933.

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Nachdem ich diesen Schritt einmal getan hatte, strömt es in mir von neuen Gedanken und Arbeitsplänen. Es scheint mir noch eine Form zu geben, den Marxismus darzustellen, die ich noch nicht richtig probiert habe. Wenn ich zum Beispiel zum 100jährigen Geburtstag des KM135, das im Dezember 1847 geschrieben, im Februar 1848 erschienen ist, etwas schreiben wollte, so sollte es diesmal nicht mehr darauf ankommen, seine Genesis genau darzustellen, wie das für das KM schon von vielen guten Gelehrten bei Gelegenheit früherer Gedenktage geschehen ist und wie ich selbst es z.B. in meinem letzten Buch136 ziemlich ausgiebig für die Theorie des „Kapitals“ getan habe. Jetzt kommt es darauf an, das Jahrhundert des KM – oder vielleicht gleich: The first Marxian Century – darzustellen. Ausgehend von der klassischen Form: die verschiedenen challenges, denen diese fertige Theorie nachträglich begegnete und wie sie darauf reagiert hat. Dahin gehören auch die innerhalb der theoretischen Arbeit von Marx selbst hervortretenden neuen Probleme: 1) Das Detail der „klassischen“ bürgerlichen Ökonomie und ihre „positive“ Fortsetzung besonders durch die englischen Theoretiker, die im dritten Bande der von Kautsky edierten sog. „Theorien über den Mehrwert“ immerhin unter dem Untertitel „Gegensatz gegen die Ökonomen auf Basis der Ricardoschen Theorie“ behandelt werden, gipfelnd in dem schon dicht an Marx heranreichenden Richard Jones.137 2) In ähnlicher Weise auch die bei der Arbeit an der ökonomischen Theorie wiederkehrenden, vorher von Marx nur abstrakt als „überwunden“ erklärten, aber konkret bis dahin noch gar nicht gelösten Probleme der (Hegelschen und nachhegelschen) Dialektik. 3) Später besonders Probleme der Agrarwirtschaft: Amerika, Russland, asiatische Gesellschaft. 4) Für Marx vielleicht weniger wichtig als für Engels: Urgeschichte. 5) Sehr spät, und leider meist nur in Engelsschen Formulierungen belegt, die Probleme des Monopolkapitalismus und sogenannten „Staatskapitalismus“138 – deren Klärung und Lösung nach meiner Meinung

135 Das Kommunistische Manifest, eigentl. Manifest der Kommunistischen Partei (MEW 4, S. 459–493). Das von Marx und Engels im Dezember 1847 und Januar 1848 als Programm des Bundes der Kommunisten verfaßte Manifest erschien im Februar 1848 in London. 136 Karl Korsch, Karl Marx, London 1938. 137 Richard Jones (1790–1855) war ein englischer Ökonom, mit dem sich Marx in den Theorien über den Mehrwert auseinandersetzte (vgl. MEW 26.3, S. 390–433 u. S. 436–442). Dieses im wesentlichen aus Zitaten und Kommentaren bestehende mehrsprachige Manuskript aus den Jahren 1862/63 wurde von Karl Kautsky in einer redaktionell stark bearbeiteten Fassung mit dem Titel Theorien über den Mehrwert in drei Bänden herausgegeben (Stuttgart 1905–10). Eine wissenschaftliche Edition des Marxschen Manuskripts erschien in der Marx-Engels-Gesamtausgabe, Abt. II, Bde. 3.2–3.4, Berlin 1977–79. 138 Vgl. etwa Engels’ Schrift Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (1880), in der es heißt: „Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus“ (MEW 19, S. 222).

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auf der Grundlage der Marxschen Theorie des „Fetischismus der Ware“139 schon damals in weitem Umfange möglich gewesen wäre. Dazu kommen: II geschichtliche, III praktische challenges – die in höherem Grade als die theoretischen (I) nicht mehr bloss zu Weiterbildungen, sondern auch zu einer Art von Disintegration der klassischen Form der Marxschen Theorie geführt haben. Hierher gehören: Die Erfahrungen in der Ersten Internationale: – in England: Loslösung der Gewerkschaften von allem direkten oder indirekten notwendigen Zusammenhang mit der revolutionären Bewegung; – in Südfrankreich, Schweiz, Italien, Spanien: Anarchismus; – analog und zum Teil overlapping, das durch den Kampf gegen Bakunin140 nicht nur negativ symbolisierte sondern auch für positive Weiterbildung klargemachte Nichtpassen der klassischen Marxschen Theorie auf die Industrie-losen Länder: slavische Länder Europas, Asien; – analoges Nichtpassen auf Amerika. Der Kommune-Aufstand141, der amerikanische Bürgerkrieg142, die potenziell revolutionäre Krise der 60 Jahre in Russland143 – dann das Wiederversacken aller dieser Antriebe und die Reaktion dagegen: Dritte Republik in Frankreich;144 Marx’s demokratische Aussenpolitik; nationale Kriege; deutsche Reichsgründung. Das Entstehen der nationalen sozialdemokratischen Parteien in Frankreich und Deutschland und, zeitlich schon etwas früher, Marx’s überwiegend reformistische Reaktion auf die Errungenschaften der englischen Fabrikgesetzgebung;145 proletarische Diktatur oder Demokratie; „Absterben des Staates“146; Rolle der „Partei“; Kampf um die „Rezeption“ der revolutionären Theorie durch nicht-revo139 Vgl. das Kapitel „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ im ersten Band des Kapital, MEW 23, S. 85–98. 140 Michail Alexandrowitsch Bakunin (Michail Aleksandrovič Bakunin, 1814–1876), russischer Anarchist. Emigrierte 1840 nach Berlin, 1844 nach Paris, wo er auch Marx kennenlernte. Nach seiner Beteiligung an den revolutionären Aufständen 1848, Verhaftung, Flucht und weiteren Exilstationen u.a. in den USA betätigte er sich seit Ende der 1860er Jahre als Wortführer der von Marx und Engels bekämpften anarchistischen Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation. 141 Die Pariser Kommune, März bis Mai 1871. 142 Der Sezessionskrieg (1861–65) zwischen der aus den Vereinigten Staaten ausgetretenen Konföderation (Südstaaten) und den in der Union verbliebenen Nordstaaten. 143 Infolge der Niederlage Rußlands im Krimkrieg (1853–56) leitete der neue Zar Alexander II. zahlreiche Reformen ein, die auch die Aufhebung der Leibeigenschaft (1861) umfaßten. Diese Reformen wiederum bestärkten die demokratische und revolutionäre Bewegung in Rußland. 144 Getilgt: „Faschismus der Dritten Republik“. Gemeint ist die nach der Niederschlagung der Pariser Kommune etablierte Republik, die von 1871 bis 1940 bestand. 145 Seit den 1830er Jahren wurden in England allmählich Gesetze zum Schutz der Arbeiter, insbesondere auch der arbeitenden Frauen und Kinder erlassen und Fabrikinspektoren eingesetzt, um Verstöße gegen diese Gesetze anzuzeigen. Marx hat diese Initiative begrüßt (vgl. das Kapitel „Der Arbeitstag“ im Kapital), ohne sich allerdings darüber zu betrügen, daß sie nicht sowohl moralische als auch ökonomische Gründe hatte, da der gesetzlich vorgeschriebene Schutz der Arbeitskraft dem Interesse des Gesamtkapitals langfristig durchaus entspreche. 146 „An die Stelle der Regierung über Personen“, schrieb Engels, „tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht ‚abgeschafft‘, er stirbt ab“ (Die Entwick-

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lutionäre Bewegungen, Organisationen und „Elite“; verschiedene Entwicklung in Deutschland, Frankreich und Russland. Ausklingen dieser Epoche Anfang der 80er Jahre. Die neue Epoche, seit l890, ist in diesem Buch vielleicht besser gar nicht mehr zu behandeln. Oder? Ich möchte ergänzend noch sagen, dass sich jetzt auch in meiner eigenen Stellung zu Russland und damit auch indirekt zur kommunistischen Partei einiges geändert hat. Trotz der fürchterlichen Roheiten im besetzten Gebiet und noch mehr in Russland selber scheinen mir alles in allem die Perspektiven der ökonomischen und politischen Entwicklung für die Länder in der russischen Einflusssphäre besser, oder weniger verzweifelt, als in den Gebieten der westlichen Vorherrschaft. Auch die „Vereinigten Staaten von Europa“147 würden unter dieser Leitung in Europa, wenn überhaupt, nur in der Form entstehen können, die durch Franko-Spanien einerseits und die gegenwärtige griechische Regierung148 andererseits drastisch dargestellt wird. Schliesslich habe ich in meinem genauen Studium der fern-östlichen Bewegungen ganz eindeutig gesehen, dass für diese Länder Russland, auch wenn es tatsächlich nichts für sie tut, und ihre selbständigen Bewegungen fast ohne Gegenleistung in seine, ganz anderen Zwecken dienenden Formen zwingt, doch der beste, und zugleich der einzige Bundesgenosse ist. Eine Weltherrschaft der Yankees wäre nicht nur das Schlimmste, was ich mir für diese Welt noch ausdenken könnte, sondern ausserdem nur eine reaktionäre Utopie. Sogar „Imperialismus“ muss erst gelernt sein, und im Gegensatz zu den Briten würden die Amerikaner noch für lange Zeit mit dieser Aufgabe nur herumdaddeln, und die übrige Welt würde nicht nur am amerikanischen Imperialismus, sondern auch an der mangelhaften Entwicklung dieses Imperialismus zu leiden haben. Anders ausgedrückt, der bisherige US-Imperialismus in der karibischen Region, in Mittel- und Südamerika und in den Philippinen, und wahrscheinlich auch seine bevorstehenden neuen Formen in Japan werden gar nicht einmal den Interessen des Gesamtkapitalismus der US dienen, sondern immer nur einer verhältnismässig geringen Spezialgruppe von kolonial-prädatorischen Ausbeutern. In allen diesen Hinsichten ist der russische Imperialismus heute besser für die Welt als der Yankee-Imperialismus, und es gibt kaum eine dritte Chance. Die Formen, wie die nicht herrschenden, sekundären, periphären „nationalen Minderheiten“ innerhalb des russischen Reichs ebenfalls einer speziellen (quasi-kolonialen) Unterdrückung und Ausbeutung unterworfen sind, sind offenbar noch sehr wenig entwickelt und zeigen eine mehr tatsächliche als systematische Diskrimination. Die gegen das ganze Staatsvolk angewendeten

lung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW 19, S. 224, Hervorhebung im Original). Vgl. dazu Brentano, 3.1.1934. 147 Anspielung auf Lenins Artikel „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“ (1915). Vgl. Lenin, Werke, Bd. 21, Berlin 1972, S. 342–346. 148 Der Versuch der kommunistischen Partisanen in Griechenland, nach dem Ende des Krieges die Macht zu übernehmen, scheiterte an der Gegenwehr der von Großbritannien und den USA ausgerüsteten Royalisten und nicht zuletzt auch infolge der mangelnden Unterstützung durch die UdSSR. Stalin hatte Churchill in Jalta 1945 Griechenland als Teil der von den westlichen Großmächten beherrschten Sphäre versprochen und sich seinerseits die Herrschaft in Osteuropa zusichern lassen.

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Zwangsmassregeln, (z.B. Massendeportation, Zwangsarbeitslager, und andere physische und gesellschaftliche Zwangsmassnahmen gegen nicht hinreichend „zuverlässige“ Teile der Bevölkerung) sind natürlich wirksamer, das heisst zerstörerischer, wenn sie gegen solche auch äusserlich abgesonderten, weniger dicht bevölkerten und institutionell und beruflich weniger differenzierten Regionen entwickelt werden, wo z.B. ganze Staaten als solche aufgehoben und ihre Bevölkerungen abtransportiert werden konnten. Das unterdrückerische und ausbeuterische Element in der Beherrschung angrenzender Gebiete (Balkan, Tschechoslowakei usw., Polen, besetzte Zone von Deutschland) ist an sich leichter aufzuzeigen, bildet aber dafür nur ein unselbständiges, und nicht notwendigerweise das übergreifende Moment in dem Charakter dieser Herrschaftsformen. Diese eben eingeschobene Betrachtung hat mit meiner Rückkehr zum Marx-Studium nur ziemlich wenig zu tun. Sie dient mehr zur Ergänzung des ersten Teiles dieses Briefes, wo ich von der Weltlage im ganzen handelte und bei dem geschichtlichen Vergleich mit dem Untergang des römischen Weltreiches nicht ausdrücklich dem Umstand Rechnung trug, dass sich die russische Welt heute in einer ganz anderen Lage befindet, als damals die „Barbaren“ ausserhalb der römischen Reichsgrenzen. Es trifft aber für beide Zeiten zu, dass mit dem Aufbau der neuen Welt erst im Rohen begonnen worden ist, und es kann heute, für die Zukunft, nicht einmal so bestimmt gesagt werden, wie wir es gegenwärtig für die damalige Epoche sagen können, dass diese neue Welt, sei sie sonst wie sie wolle, wirklich als „neue“ Welt im Gegensatz zur alten sich entwickeln und nicht noch einmal (wie ein oströmisches im Verhältnis zum weströmischen Reich) in die alte wieder zurückgebracht werden wird. Schliesslich zwei persönlichere Punkte: Schreiben Sie mir bitte, wie lange Sie dieses Jahr im Westen zu bleiben gedenken. Ich würde nämlich eventuell im August für kürzere Zeit nach Los Angeles kommen, um teils Sie, teils die (zunächst geographisch) immer „westlicher“ orientierten (occidentierten?) Herren vom Institut149 zu besuchen. Und so sehr ich mich auch freuen würde, den beau reste der Familie Brecht (der übrig bleibt, wenn ich Steff, den ich hier habe,150 abziehe, und Sie, falls Sie inzwischen weg wären) wiederzusehen, so hat es doch für meine Entscheidung einige Bedeutung, ob ich Sie noch dort antreffen würde. Anfang September wollen Hanna151 und ich nach Mexiko fliegen; ich könnte aber vorher nach Los Angeles kommen.152 Der zweite Punkt führt mich zurück zum Kommunistischen Manifest. Mir scheint, es wäre schön, wenn Sie Ihr Lehrgedicht153 bis etwa Oktober oder November dieses Jahres fertig machen könnten, damit es rechtzeitig zum 100jährigen KM-Tag erscheinen könnte. Und falls es Ihnen keine übermässige Belastung scheint, würde ich gern in der einen oder 149 150 151 152 153

Die Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung. Vgl. Anm. zu Korsch, 14.10.1941. Stefan Brecht studierte seit Herbst 1946 Chemie in Harvard. Hanna Kosterlitz. Vgl. Anm. zu Korsch, 10.9.1946. Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, Anfang 1945, und Korsch, 15.4.1945.

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der anderen Weise daran mitwirken. Da es wohl richtiger sein würde, den Wortlaut des Manifests nicht mit abzudrucken, so wäre vielleicht eine kleine Einleitung angebracht, – die Sie allein oder mit mir zusammen schreiben würden. Und zweitens würde ich sehr gern in deutscher Sprache eine sehr konzentrierte Darstellung der eben diskutierten Gedanken, aber nach vorn und hinten ergänzt und natürlich der Gelegenheit angemessen, mit einem geringeren Einschlag von expliziter Kritik, schreiben, die als zweiter Teil des Büchleins erscheinen könnte. In dieser guten Begleitung aufzutreten, wäre mir so wichtig, dass ich wenn nötig auch anonym oder pseudonym schreiben würde. Daneben schreibe ich ja sowieso, viel ausführlicher und wahrscheinlich auf englisch, das oben erörterte Werk, und zwar möglichst auch so, dass es Ende dieses Jahres druckfertig wird. Einstweilen aber macht es mir viel Schwierigkeit, aus dem Stadium der guten Gedanken und aller möglichen andern Formen von reiner „Kopfarbeit“ zum wirklichen Schreiben zu kommen. Auch ist es nicht möglich, die Literatur in der früher für nötig gehaltenen Vollständigkeit hier zusammenzubringen, und ich kann mich nur schwer an diese weiteren Folgen der gegenwärtigen regressiven Entwicklung der Welt anpassen. Aber selbst in Moskau, wo formell alles zusammen ist, fürchte ich, dass es erstens überhaupt, und zweitens für mich nicht mehr in derselben Weise zugänglich sein würde, wie es in einer früheren Periode gewesen ist. Stalins neuerliche Erklärung, dass „auch die Klassiker irren können“, und darunter ausdrücklich auch „die sozialistischen Klassiker“154, eröffnet natürlich alles andere als eine Aussicht auf eine grössere Toleranz gegenüber der historischen Kritik, die ja gegenüber den heiligen Schriften der Bibel erst im 19. Jahrhundert und auch dann nur für Europa, aber zum Beispiel auch heute noch nicht für Amerika begonnen hat. Mit vielen herzlichen Grüssen von Haus zu Haus Ihr alter K.K. PS. Ich lese mein Stenogramm gar nicht mehr durch, sondern schicke es sofort an Hanna mit der Bitte es abzutippen und Ihnen und mir je einen Durchschlag zu schicken. PPS. Wie Ihnen vielleicht schon selbst beim Lesen eingefallen ist, brauche ich nun mit der Zeit auch bald mal wieder mein Exemplar von Engels’ Katechismus („Grundsätze des Kommunismus“) vom Oktober 1847.155 Ich kann Sie aber glücklicherweise darauf verweisen, dass dieses Werk, mit allen mehr oder weniger belangvollen Korrekturen und Streichungen des ursprünglichen Manuskripts, auch in der Marx-Engels Gesamtausgabe I, 6, 154 In einem in der Zeitschrift Nowyj mir (Neue Welt) im April 1947 gedruckten „Antwortschreiben an Oberst Professor Dr. Rasin auf einen Brief vom 30. Januar über Clausewitz und über Fragen des Krieges und der Kriegskunst“ vom 23.2.1946 erklärte Stalin: „Man kann nicht Fortschritte machen und die Wissenschaft voranbringen, ohne die veralteten Thesen und Äußerungen bekannter Autoritäten einer kritischen Analyse zu unterziehen. Das bezieht sich nicht nur auf die Autoritäten der Kriegstheorie, sondern auch auf die Klassiker des Marxismus.“ 155 Vgl. Anm. zu Korsch, 15.4.1945.

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pp. 501-22 abgedruckt ist. Die beiden ausgelassenen Antworten zu den Fragen 22 und 23 sind aber auch dort nicht zu finden; sie sind nach der Angabe der Herausgeber p. 682 „nicht erhalten“. Überlieferung: TsD, hs. U., BBA 294/66–73. – E: Alternative, Nr. 105, 1975, S. 255ff. (jetzt in: Korsch, Briefe, S. 1167ff.).

Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 21.4.1947 Herbert Ihering

Berlin-Zehlendorf, den 21.4.47 Am Fischtal 61

Lieber Brecht, Ich sitze hier in einer ausgeräumten Wohnung – nur noch ein Stuhl, ein Tisch, eine Schreibmaschine und ein Telefon – und benutze den Moment, wo Frau und Sohn den Möbelwagen begleiten, um Ihnen und Helli Weigel für das Carepaket zu danken und Ihnen auf den Brief 156 zu antworten. Wir ziehen wieder in unser altes, jetzt freigegebenes Haus Am Fischtal 61, das Sie ja kennen. Sie könnten beide also, wenn Sie kommen, bei uns wohnen, und sich zum mindesten bequem Zeit lassen, bis Sie etwas Endgültiges gefunden haben. Wir würden uns auf jeden Fall sehr freuen. Über Verpflegung und Unterkunft brauchen Sie sich überhaupt keine Sorge zu machen. Dafür verbürge ich mich. Sie können für „endgültig“ ein gutes Haus mit Garten in Pankow, Weissensee oder Biesdorf bekommen, wo die Zerstörungen selbst gering sind und Becher, Wangenheim und Langhoff ebenfalls Häuser erhalten haben. Dafür verbürgt sich Langhoff. Nun zu Ihrem Brief, den ich offen und genau beantworten will. Es hat uns besonders mir sehr leid getan, dass wir den „Schweyk“ jetzt nicht spielen konnten, denn es wäre eine sehr günstige und wichtige Situation gewesen. Sie wären nicht in den Schmelztiegel gewor[f]en worden, sondern hätten unerhört aufgewirbelt. Denn, vertraulich gesagt, Theater und Publikum waren der Aestheten auf der einen Seite und der Friedrich Wolfe auf der anderen reichlich müde geworden. Ausserdem haben wir in dem österreichischen Schauspieler Carl Hellmer einen ausgezeichneten Schweyk, wirklich den kleinen Mann, wahr, komisch und scharf zugleich. Ich glaube sogar, dass er richtiger als Lorre geworden wäre, weil er nichts Ausgefallenes, Absonderliches gehabt hätte, sondern eben der kleine Mann gewesen wäre, wie er auch Nestroy richtig spielen kann, nicht gefällig und mit Duliöh, sondern mit aggressiver Komik. Die Musik hatte einen guten, modernen Komponisten

156 Nicht überliefert.

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gefunden, der Ihren Stil kennt: Boris Blacher.157 Frau Meyer-Hanno158 hat ihn ans Deutsche Theater gebracht. Aber ich verstehe natürlich trotzdem Ihre Gründe, weil Sie erst selbst sehen und kennen lernen wollen. Kortner als Galileo würde ich für ausgezeichnet ha[l]ten. Die Chancen für dieses Stück sind gross. Bois159 als Arturo Ui, den ich ja gelesen habe, kann ich mir köstlich denken, und für die Weigel als Mutter Courage hat Langhoff schon mal einen Vertrag nach Amerika geschickt. Was die Theater anbelangt, so erhalten die Städtischen Bühnen einen Zuschuss vom Magistrat, also Oper, Deutsche[s] Theater und Kammerspiele, Hebbel-Theater, Schiffbauerdamm-Theater und Volksbühne. Das Deutsche Theater geht so gut, dass es den Zuschuss nicht einmal ganz in Anspruch zu nehmen braucht. Wir wollen unbedingt den „Schweyk“ und möglichst auch „Galileo Galilei“ in der nächsten Spielzeit geben. Was nun das Schiffbauerdammtheater angeht, so ist sein Intendant Fritz Wisten, der frühere Oberregisseur des jüdischen Kulturbund-Theaters160, schon seit vielen Wochen krank. Das Theater hat ausser der Aufführung der „Matrosen von Kattaro“ mit Ernst Busch und unter der Regie von Ernst Busch161 noch nichts besonderes geleistet. Vielleicht liesse sich für die Saison 48/49 eine Klärung in Ihrem Sinne herbeiführen. Das müsste hier im Sommer besprochen werden. Wenn [S]ie Musiker mitbringen wollen, so würde das, glaube ich, sehr begrüsst werden. Augenblicklich macht der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands162 in stürmisch besuchten Montags-Vorstellungen sehr interessante Versu-

157 Der Komponist Boris Blacher (1903–1975) schrieb die Musik zu Die deutsche Heerschau für die Aufführung von sieben Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches im Deutschen Theater Berlin (Premiere: 30.1.1948, Regie: Wolfgang Langhoff). 158 Irene Meyer-Hanno (1899–1983), Pianistin, Ehefrau des Schauspielers Hans Meyer-Hanno. 159 Curt Bois (1901–1991), Schauspieler und Regisseur, ging 1933 ins Exil nach Österreich und nach weiteren Stationen in Europa in die USA. Nach seiner Rückkehr 1950 arbeitete er wieder am Deutschen Theater und spielte den Puntila in Herr Puntila und sein Knecht Matti in der Inszenierung von Brecht und Egon Monk am Berliner Ensemble (Premiere: 5.1.1952). 160 Der 1933 gegründete Kulturbund deutscher Juden war eine – von den Nazis geduldete und zur Isolierung der Juden instrumentalisierte – Selbsthilfeorganisation, die vom Kulturbetrieb ausgeschlossenen jüdischen Künstlern Arbeitsmöglichkeiten bot. Die meisten lokalen Einrichtungen wurden infolge der Novemberpogrome 1938 geschlossen. Der Berliner Kulturbund, dessen künstlerische Leitung Fritz Wisten bis zu seiner Verhaftung 1938 innehatte, bestand noch bis 1941. 161 Friedrich Wolfs Drama Die Matrosen von Cattaro (1930) wurde im Februar 1947 im Theater am Schiffbauerdamm aufgeführt. Die Hauptfigur Franz Rasch hatte Ernst Busch bereits bei der Premiere des Stücks an der Berliner Volksbühne 1930 gespielt. 162 Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands wurde im Juni 1945 auf Initiative der sowjetischen Militäradministration gegründet. Der erste Präsident des Verbands war Johannes R. Becher.

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che mit moderner Musik, also Weill, Hindemith163, Boris Blacher, Strawinskij, Milhaud164, Honegger165 usw. Ich glaube, wir können die geistige Front gar nicht fest genug machen und brauchen jeden Menschen. Nur so fassen die wenigen, die noch etwas verstehen und noch etwas wissen – und die Ahnungslosigkeit ist tatsächlich erschreckend!!! – die Sendung Ihrer Stücke auf. Es wäre aber falsch zu glauben, dass die Jugend nicht aufnahmefähig wäre. Es gibt sehr viele gute Elemente, die sich sofort Ihnen öffnen würden. Berlin hat noch immer die Möglichkeiten zu einer wirklichen Theaterstadt. Gerade weil so viel zerstört und so viel Altes weggeräumt ist. Es müssen nur die anderen da sein, die diese Aufgabe übernehmen können, die Richtigen und nicht die Falschen. Aber nachdem ein Teil schon abgewirtschaftet hat, ist die Situation für Sie und Ihr Herkommen besonders günstig. Sie dürften aber nicht zu lange zögern. Wir erwarten Sie dringend. Wenn Sie vorher noch den „Kaukasischen Kreidekreis“ schicken könnten, so würde ich mich besonders freuen, denn ich kenne das Werk nicht. Also noch einmal: kommen Sie bald, wohnen sie die erste Zeit bei uns, Sie werden sehen, dass ausser Ernst Busch es niemanden gibt, der Ihre Gedichte so auswendig kennt wie unser Kaspar.166 Mit herzliche[m] Gruss an Sie, Helene Weigel und Elisabeth Hauptmann und nochmaligem Dank für das Care-Paket. Meine Frau schreibt Helli noch besonders, Ihr Überlieferung: TsD, AdK: Nachlaß Herbert Jhering 984.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] 24.4.1947

4: 24: ’47

Dear Brecht: What is still more absurd than the threat of my nose bleeding is my delay in writing to you. The trouble is there are always so many things to thresh out that I compose volumes of exquisite dialogue for us, on buses, in subways, etc., and then am overwhelmed by the

163 Der Komponist und Dirigent Paul Hindemith (1895–1963) hatte 1929 die Musik zum Badener Lehrstück vom Einverständnis und (zusammen mit Kurt Weill) zum Flug der Lindberghs komponiert. 1938 ging er ins Exil in die Schweiz, 1940 in die USA. Er übersiedelte in den 1950er Jahren wieder in die Schweiz. 164 Darius Milhaud (1892–1974), französischer Komponist, emigrierte 1940 in die USA. 165 Arthur Honegger (1892–1955), französisch-schweizerischer Komponist, gehörte ebenso wie Milhaud zur Groupe de Six. 166 Vgl. Ihering, 31.3.1946.

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brilliance of it, and compromise by writing nothing. You know how it is. Maybe it is best. The good letters of course are never mailed. I got back from my holiday in Bermuda naturally completely exhausted and mentally atrophied. Bermuda, you know is a Paradise. You can imagine the hellishness of a Paradise. It is the last soft fart of Empire, and besides the weather was lousy. If there was one thing in the world I wanted to know nothing about it was Bermuda. Therefore I interviewed a hundred people, the baker in whose house I was living, librarians, newspapermen, waiters, tailors, drivers colored and white of the old carriages and the new automobiles, and the FBI – – First Bermuda Inhabitants, including a canon of the Church of England. I attended Parliament, teas, luncheons, and prowled historical societies. I learned only that the theory of transmigration of souls is an established fact: in the Eden of the Blessed Isles167 everything falls apart under the patient imperialism of the termites. In the termites the souls of departed Bermudians are appropriately reborn. It’s too bad you didn’t see Losey’s staging of The Great Campaign168 for the Experimental Theater. It was fine. It gave me an entirely new slant on him. I thought better of it than he did, because even more I appreciated the difficulties he had licked, and he, fortunately, is a misanthrope apt to magnify the few portions which got the nod over him. He knows casting, has the feel for it; he knows what to do with actors; he can get a crowd sense without numbers, and movement that isn’t just confusion, and keep the whole of a play in mind and bring it out whole. Best of all, his staging is interesting. He had a good piece to work with – – see if you can get a copy to read – – and he added to it. I’d trust him with the Galileo.169 He’ll help you greatly. Don’t let Laughton get him down. He should have a spell of Europe. Certainly one plugs that which endorses oneself. He proved some of my own contentions about the American theater. He was back in the spirit of the Federal Theater,170 and for this alone I am sorry you didn’t see the show, because you have seen what I meant about the Federal Theater and native acting when the commercial pressure is off. Inevitably, too, the audience was good. I am reconvinced that as you can change a people politically over night, so you change an actor. I’d have liked to have seen your reaction, for example, to an Abbott171 ham who carried the play. All the tricks, slickness learned in the slickest Broadway school turned into sound sense, generosity, poise, genuine simplicity. And this Millard Mitchell172, Losey will tell you, is a frail brain who intellectually didn’t understand the play (still Losey got him to understand it theatrically, a helluva lot better.) That he froze in his 167 Vgl. Anm. zu Reyher, 23.3.1947. 168 Joseph Losey inszenierte das Singspiel The Great Campaign (Text: Arnold Sundgaard, Musik: Alex North) im März 1947 am New Yorker Princess Theatre. 169 Losey führte Regie bei der Aufführung des Galileo im Coronet Theatre, Beverly Hills, am 30.7.1947. 170 Vgl. Anm. zu Gorelik, 9.2.1937. 171 Anspielung auf Bud Abbott (1895–1974), der als Filmkomiker an der Seite von Lou Costello damals sehr populär war. 172 Millard Mitchell (1905–1953), amerikanischer Schauspieler, spielte den Sam Trellis in The Great Campaign.

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part, as Losey said, never progressed with it, simply proved that his barren experience and technique were something too, as the Berliner said: they crystallized quicker into a performance in a good atmosphere; they enable an actor to lift himself out of his experience. There was a young lead – – Thomas Coley173 – – who should be kidnapped, and enough other good people to start a repertory. The Republic is full of good actors, like Portugal or Abyssinia or Germany. Helly is right – – das kleine Büdingen174, das grosse Amerika. Just in the last few days I have begun to feel fine, and time, too. Work has piled up. I’ll have the material for the photographer175 in by the end of summer or earlier. Keep me informed, and about your plans. I’ll be set to go, I think, even though some other matters have come up. First, the section in the Hollywood-barber176 contract which they told me was worthless and academic – – the right to make a play of the book, independently of the picture – has turned out to be precisely what they can’t forgo now that they haven’t got it. So they want to back the play, and offer to buy what I previously wanted to give them. It’s to the point where my terms have been asked and producers have been named. (Did you ever meet Paul Feigay177?) A play could be made with wit and satire, and in songs one can say anything, almost. If it comes to a head we’ll have to talk long and hard, even if I have to go to Santa Monica to see you. Next, a motion picture theme has been offered to me, the first I’ve seen which could lure me to Hollywood for a few months. What they have now is no good, and the “straight line” version of what I would do with it has them interested. It could be a great satire, and I have some scenes and an inner line on which could be hung comments on our world today as crisp as could be made in any medium whatsoever. I can tell you it deals with the greatest and most influential of all American inventions. There are, inevitably, the usual “unusual” difficulties present: special terms, comparatively free hand, acceptance, and going on with it after treatment, which I would do here. Aber das hat man alles auch schon erlebt. As soon as anything definite develops I’ll let you know, because this, too, is something we should talk over, and perhaps work on together if possible, and there is time for you. What do you think of Milestone178 now? I saw the

173 Thomas Coley (1913–1989), amerikanischer Schauspieler, spielte den Jeff Trellis in The Great Campaign. 174 Vgl. Anm. zu Reyher, 15.8.1946. 175 Vgl. Anm. zu Reyher, 23.3.1947. 176 Vgl. Anm. zu Reyher, 23.7.1946. 177 Paul Feigay (1918–1983), amerikanischer Theaterproduzent. 178 Lewis Milestone (1895–1980), als Lev Milstein in Bessarabien geborener amerikanischer Filmregisseur, bekannt v.a. wegen seiner Remarque-Verfilmung All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts Neues, USA 1930). Brecht hatte Reyher mitgeteilt, daß Milestone Interesse gezeigt habe an dem Projekt Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ in einer neuen Version (GBA 20, S. 180–184). Vgl. seinen Brief von Mitte/Ende März, GBA 29, S. 414.

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Malraux, but the Chaplin I have still to see.179 Why was the title – – so good! – – changed, and by whom? WRITE … Give me a couple pages of imaginary dialogue. Write about Galileo, Italy, Helly, Barbara, Switzerland, sealing wax, ships, usw. Love to all. The best, Überlieferung: Ts, Melvin Jackson. – Dv: Kopie, BBA E 18/63-64. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 200ff.

Johannes R. Becher an Helene Weigel und Bertolt Brecht [Berlin] 25.4.1947 d. 25.4.47 Herrn Bert B r e c h t 1063 - 26th Street Santa Monica (Californien) Liebe Helene Weigel! Lieber Brecht! Ich danke Euch sehr für Euer schönes Care-Paket, und ich erlaube mir, Euch als Dank dafür mein neues Gedichtbuch180 zuzuschicken. Hoffentlich erreicht es Euch. Mit Euren Sendungen leistet Ihr uns eine grosse Hilfe, was Ihr Euch vielleicht selbst nicht recht vorstellen könnt, da für Euch vieles selbstverständlich sein muss, was uns ganz und gar ungewohnt ist und was wir seit langem so sehr vermissen. Nochmals Dank und alles Gute für Euch beide in der Hoffnung, dass es in nicht unabsehbarer Zeit doch einmal ein Wiedersehen gibt, Euer [Hs.] 1 Heimkehr Überlieferung: Ts, AdK: Johannes-R.-Becher-Archiv 897.

179 Brecht hatte Reyher in dem zitierten Brief diese beiden Filme empfohlen: André Malraux’ L’Espoir (Die Hoffnung, F 1937), die Verfilmung eines Teils seines gleichnamigen Spanienkriegsromas, und Charles Chaplins Monsieur Verdoux (USA 1947), von dem Brecht meinte, daß er „‚The Provider‘ heißen sollte“ (GBA 29, S. 415). Diesen Hinweis hat Reyher offenbar mißverstanden. 180 Heimkehr, Berlin: Aufbau-Verlag 1946.

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Tilla Bunzl an Bertolt Brecht Weimar, 29.4.1947 29. April 1947 Sehr verehrter Herr Brecht! Unter dem Eindruck einer zauberhaften Inszenierung von Hans-Robert Bortfeldt181 Shakespeare’s „Wie es euch gefällt“ und als Witwe des Berliner Schauspielers Josef Bunzl182 (er starb als Remigrant in Prag 1937) möchte ich versuchen, Sie zu erreichen, um Sie persönlich zu bitten, dem Nationaltheater in Weimar, das unter Generalintendant Hans-Robert Bortfeldt und seinem Oberspielleiter Hans Stiebner183 den berechtigten Ehrgeiz hat, eine der ersten deutschen Bühnen zu werden, die Erlaubnis zu geben, recht bald einen Brecht herauszubringen. Das zerbombte Haus des Nationaltheaters, das z.Zt. wieder aufgebaut wird, soll im Herbst d.J. wieder spielbar sein.184 Gleichzeitig mit dem Aufbau des Hauses wird versucht, über Weimars Schutt, Moder und Mörtel einen neuen Wind wehen zu lassen. Darum wär ich stolz und glücklich, wenn ich in meiner Eigenschaft als Theatersekretärin des Weimarer Nationaltheaters Herrn Bortfeldt helfen könnte, eine direkte Verbindung zu Ihnen zu schaffen, damit das wiederaufgebaute Nationaltheater recht bald einen Bert Brecht bringen kann. Bitte eine kurze Antwort an das Nationaltheater oder direkt an mich. In Verehrung Ihre Tilla Bunzl Herrn Bert Brecht über Mr. Pem London W 2 Lancaster Gate Meine Privatadresse: Tilla Bunzl, Weimar russ. Zone, Hospiz, Amalienstrasse 2 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters und der Weimarischen Staatskapelle Weimar, den ____ Bankkonto: Landesbank Thüringen 4805 Postscheckkonto: Erfurt 38232; BBA 3070. 181 Der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Hans-Robert Bortfeld (1905–1955). 182 Der Schauspieler Josef Bunzl war seit Mitte der 1910er Jahre in deutschen und österreichischen, ab 1934 in tschechischen Filmproduktionen aufgetreten. 183 Hans Stiebner (1898–1958), Schauspieler und Regisseur. 184 Das aus dem Weimarer Hoftheater hervorgegangene Deutsche Nationaltheater Weimar wurde bei einem Luftangriff im Februar 1945 zerstört und 1948 (mit einer Aufführung von Goethes Faust) wiedereröffnet.

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Heinrich Schnitzler an Bertolt Brecht [Berkeley] 29.4.1947

29. April 1947.

Mr. Bertolt Brecht, 1063 – 26th Street, Santa Monica, California. Sehr geehrter Herr Brecht, Hier schicke ich Ihnen ein Programm unserer „Lucullus“-Aufführung,185 das Sie vielleicht interessieren wird. Wir Alle haben es aufrichtig bedauert dass Sie und Frau Weigel nicht nach Berkeley kommen konnten um eine der Vorstellungen zu sehen. Der Publikums-Erfolg war sehr stark und unsere vier Abend-Vorstellungen waren bis auf den letzten Platz ausverkauft – was hier nur selten der Fall ist. Auch die beiden Matineen waren viel besser besucht als unsere sonstigen Nachmittagsvorstellungen. Es wird Sie vielleicht freuen zu erfahren, dass Darius Milhaud, der am Mills College unterrichtet, die Oper nicht weniger als dreimal sah, und dass er von ihr so beeindruckt war, dass er erstens einen langen Artikel über sie für die Pariser Musikzeitschrift „Contre-Point“ schreiben wird, und dass er zweitens sich für eine Aufführung in Paris wie auch am Belgischen Radio einsetzen wird. Ferner möchte ich Ihnen berichten, dass die Musikfestspiele in Tanglewood Connecticut, sich durch ein Telegramm an Roger Sessions eine Option of „Lucullus“ gesichert haben.186 Es sieht also so aus, als ob die Aufführungen in Berkeley der Beginn einer hoffentlich erfolgreichen Karriere für „Lucullus“ bedeuten könnten. – Im Uebrigen wird Ihnen Wladimir Sokoloff 187, der die Aufführung hier sah, über weitere Details berichten können. Mich persönlich hat es gefreut die Möglichkeit zu haben hier zum zweiten Male eines Ihrer Werke zur Aufführung zu bringen188 und ich danke Ihnen nochmals dafür dass Sie im vergangenen Herbst „Lucullus“ zur Komposition freigegeben haben. Mit den besten Grüssen, Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Sammlung Theater im Exil 1933–1945 (BBA Z 5/190). 185 Vgl. Anm. zu Schnitzler, 5.9.1946. 186 Gemeint ist wohl das seit 1934 stattfindende Tanglewood Music Festival in Massachusetts. Der Lukullus wurde dort jedoch anscheinend nicht aufgeführt. 187 Vladimir Sokoloff, d.i. Wladimir Nikolajewitsch Sokolow (Vladimir Nikolaevič Sokolov, 1889– 1962), russischer Schauspieler. Arbeitete in den 1920er Jahren in Deutschland und Österreich, ging 1933 nach Frankreich und 1937 in die USA. 188 Beim ersten Mal hatte er The Private Life of the Master Race inszeniert. Vgl. Anm. zu Schnitzler, 16.11.1944.

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Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 16.5.1947 Augsburg, den 16. Mai 47 Baugartenstöckle 1 Lieber Bidi, I. die 2 CARE-Pakete, von denen wir eines vorige Woche, das andere vorgestern erhielten, haben unserer Puppenküche sehr gut getan. Zur Zeit erhält der Normalverbraucher in 28 Tagen: 150 gr Fett, 600 gr Fleisch, 62 ½ gr Käse und pro Woche 1000 gr. Brot. Das sind im großen Ganzen die Quantitäten, mit denen wenigstens der Normalverbraucher fertig werden muß. Nun gibt es unter ihnen wieder Spaltungen je nach der Methode des Konsums („auf die Konsumtion kommt es an“). Die eine Richtung hält sich wacker an die statistische, mehr wissenschaftliche Methode, sie weiß genau den Tag und die Stunde, wann 5 gr Fett in der Pfanne schmurgeln müssen. Die andere Richtung (und ihr gehören wahrscheinlich alle Normal-Hausfrauen an) hantiert mehr auf praktische Art. Sie macht sich die Lehre vom freien Willen zunütze und wirft paar Fleischtage zu je 20 gr zusammen usw. usf. Jedes Tierchen hat sein Plaisierchen. Beide Methoden führen aber zum gleichen Ziel, zum gleichen Mißerfolg. Unterernährung, Mangelerscheinungen, Zunahme der Tbc. Wenn die amerikanischen Getreidelieferungen ausbleiben würden, müßten in erster Linie die Normalverbraucher normalerweise verbraucht sein. Müde sind sie schon eh’. Die Presse berichtet darüber ausführlicher. Bei Grimm189 sind Hunger, Not und Armut die Pfeiler der Märchenbasis. Seit Hartmann’s190 Zeiten habe ich nicht mehr Schieberramsch gespielt. Dr. Seitz (der Erfinder der nach ihm benannten Reinigungsmethode)191 war 38 noch hier und mit ihm haben wir im klassischen Stil den Ramsch geschoben. 39 zeigte Hartmann mir eine Karte von Dr. Seitz aus Buenos Aires. Ein Schlittenfahrer (aus Argentinien) war darauf und hinter ihm der Tod. „Herr Nachbar, was hat das wieder zu bedeuten?“ Das ist eine zarte Andeutung, wie der Karren läuft. Was wir beide wissen, ist in Sven[d]borg oder in Buenos-Aires ebenso gut bekannt. Von Schachspiele[rn] höre ich, daß Seitz an einem Kehlkopfleiden (Ca ?) erkrankt und im Krankenhaus liegt. Nähere Anschrift habe ich leider nicht erhalten. Von Frau Hartmann192, Asja, Herrn Wagle und Heinz Hagg193 soll ich Grüße bestellen. 189 Anspielung auf die von Jacob und Wilhelm Grimm gesammelten Kinder- und Hausmärchen (1812/15). 190 Rudolf Hartmann. 191 Anspielung auf die Firma Seitz, die zunächst Farben und später auch Reinigungsmittel herstellte. Gemeint ist hier allerdings Adolf Seitz (1898–1970), ein Jugendfreund Brechts, der später als Schachmeister bekannt wurde. Er blieb nach der Schacholympiade in Buenos Aires 1939 in Argentinien und kehrte erst nach dem Krieg nach Europa zurück. 192 Vermutlich die Frau des 1940 verstorbenen Rudolf Hartmann. 193 Heinz (Heiner) Hagg, Jugendfreund Brechts aus Augsburg.

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Frau Hartmann wohnt hier, Müllerstr. 14, in der gleichen Wohnung. Erika ist ein großes, hübsches Mädchen und geht in das Stetten-Institut, Thomas, ein Kartenjongleur, also ein artiger Knabe. St. Stefan.194 Die besten Grüße an Deine Frau, Barbara, nicht zuletzt an Dich. Ich danke Dir herzlichst für deine Hilfe. Dein Georg Überlieferung: Ts, hs. U.; Georg Pfanzelt jr., Augsburg (BBA E 73/105).

Herta Hanisch an Bertolt Brecht Fredersdorf bei Berlin, 27.5.1947 Fredersdorf, d. 27.5.47 b. Berlin, Günterstr 3 Lieber Bertold Brecht, Heute erst gelang es mir, nach 2 Jahre langen Bemühungen, Ihre Adresse zu bekommen. Von der Schwester195 ihr Schicksal [sic] hätte ich sogern Näheres erfahren. Da wir ja keine Nachricht von ihr erhalten, da müssen wir ja auf das Schwerste gefasst sein. Durch den Intendanten Wangenheim196 erfuhr ich, dass sie in Moskau gestorben sein soll, aber er schreibt im Jahre 1936, das kann ja nicht stimmen, denn ich war doch mit unserm Jungen197 1939 noch in Dänemark und bekam 1941 die letzte Post. Sie können sich ja unsere Ungeduld vorstellen, als der gräßliche Krieg zu Ende war, endlich wieder etwas von Gretel zu hören. Ihr Name wird soviel in der Presse erwähnt, aber keiner konnte mir Ihre Adresse geben. Im Hebbel-Theater, dass doch Ihre Stücke auf führte, bekam ich sehr grobe Abfuhr, als ich mich erkundigen wollte. Wir persönlich haben den Krieg insoweit ja einigermahsen überstanden, weil mein Mann198 keine Stunde Soldat sein musste, und uns unser Häuschen erhalten blieb. Dass nach 2 Jahren Kriegsende die Not noch so groß ist, das haben wir wohl doch nicht gedacht. Auch die ganze Entwicklung im politischen Leben hatten wir doch besser gehofft. Die Menschen sind ja so vergesslich, die jetzige Notlage lässt sie alle Schrecken der Hitlerjahre vergessen, sie wünschen sie sogar in ihrer Unvernunft teilweise wieder herbei, nur weil da194 Möglicherweise der Benediktinerstift St. Stephan in Augsburg. 195 Margarete Steffin. Vgl. B. an Hanisch, Juni/Juli 1947, und B. an Johanna Steffin, Juni/Juli 1947, GBA 29, S. 419–421. 196 Gustav von Wangenheim war nach seiner Rückkehr aus dem sowjetischen Exil vorübergehend Intendant des Deutschen Theaters Berlin. 197 Herta Hanischs Sohn Bernd. 198 Herbert Hanisch.

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mals die Rationen größer waren. Aber unser Junge sagt lieber hungern, bloß nicht wieder die Bomben, und die Meinung haben auch mein Mann und ich, es war zu grauenvoll. Dass unsere Gretel so krank war, das weiss ich ja leider zu genau, und doch hatte ich die ganzen Jahre mich zu sehr auf ein Wiedersehen gefreut, Sie wissen ja, wie sie an uns hing. Unsere Mutter199 gibt die Hoffnung immer noch nicht auf. Sie hat in den letzten Kriegstagen noch ihr Heim verloren, ist durch Typhus sehr herunter, aber glaubt nicht, dass sie ihre Tochter nicht mehr sehen soll. Ich bin aber schon so hoffnungslos, sie hätte uns sonst doch geschrieben. Ich bitte Sie nun, schreiben Sie mir doch bitte, nun haben wir 2 Jahre gewartet, so wird auch die Zeit noch vergehen, bis wir Post von Ihnen in den Händen haben. Es grüßt viemals Herta Hanisch 2 Fredersdorf b. Berlin Günterstr. 3 Auch an Ihre Familie, soweit sie sich an uns erinnern kann, die besten Grüsse aus Deutschland. Überlieferung: Ms, BBA 286/31–33.

Theo Lingen an Bertolt Brecht Wien, 1.6.1947 Theo Lingen Wien XII Olbrichgasse 12

1. Juni 1947

Sehr geehrter Herr Brecht, Hanne200, die im Gegensatz zu uns, Marianne201, Uschi202 und mir, nicht Österreicherin wurde, da sie teils nicht wollte, teils aber auch nicht, da sie über 21 war, und einen anderen Vater hat, auf unserem Antrag mitlief, erhielt gestern ein Schreiben von einer hiesigen Stelle wegen des Uttinger Hauses.203 Man will bei allen Deutschen Vermögen und Besitz feststellen. Ich nehme an, dass es dabei um eine Feststellung handelt, die ventilieren soll, ob das oder das Objekt für Reperationszahlungen mit heran gezogen werden kann. Ich glaube 199 Johanna Steffin. 200 Hanne Brecht. 201 Marianne Zoff-Lingen. 202 Ursula Lingen (*1929), Schauspielerin, Tochter von Theo Lingen und Marianne Zoff. 203 Vgl. Anm. zu Walter Brecht, 3.8.1946.

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nicht, dass man an Enteignungen denkt, sondern man will in einem solchen Falle sicher diese Objekte mit Zwangshypotheken belegen um so gesichertes Kapital zu haben. Ich habe nun leider die sämtlichen Akten betr. dieses Hauses nicht bei mir, sie sind in Strobl und ich kann da vorderhand nicht hin. Ich habe aber den Fall so ziemlich im Kopf, und erinnere mich, dass Sie ja, als Sie ausgebürgert wurden, auch Ihres sämtlichen Vermögens beraubt wurden und dass Sie schon vor der Schenkung oder vor dem Verkauf dieses Hauses an Ihren Vater als Besitzer dieses Uttinger Hauses im Uttinger Grundbuch standen. Die Übertragung Ihres Hauses zuerst an Ihren Herrn Vater und dann nach dem Tod desselben durch Erbschaft an Hanne m u s s doch letzten Endes nichts anderes gewesen sein als eine vorübergehende Verwaltung Ihres Besitzes, den Sie jetzt, meiner Meinung nach, bei einer dortigen Wiedergutmachungsstelle für sich wieder geltend machen müssten. Oder, sollte Hanne weiterhin Besitzerin dieses Hauses bleiben, müssten wir hier sicher ein Schreiben von Ihnen in Händen haben, das aussagt, dass mit Ihrem ausdrücklichen Willen Hanne in den Besitz dieses Hauses gekommen ist, dass also Hanne nicht sich an diesem Haus während der Hitlerzeit unberechtigt bereichert hat. Ich muss das so umständlich schreiben und erklären, weil hiesige Stellen Deutschen gegenüber immer ein bisschen „zurückhaltend“ sind. Hoffentlich haben Sie mich genau verstanden. Ich möchte also von Ihnen, entweder die Erklärung haben, dass das Haus Sie wieder beanspruchen, oder eine Erklärung, dass Hanne mit Ihrem Willen Ihr Haus entweder verwaltet, damit es in keine, wie oben geschilderte, Aktion hineinbezogen werden kann, oder dass Hanne als rechtmässige Besitzerin nicht herangezogen werden kann. Mit den besten Grüße von uns allen Ihr Theo Lingen Überlieferung: Ts, hs. U., Stempel: „Österreichische Zensurstelle 391“; BBA 3127.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [New York] 28.6.1947

June 28, 1947

Dear Brecht: What gives? How are you and all? Is the Galileo going on? Are you on a film? What are your plans? Did you receive my letter of April 24? On the Duration of Exile:204 204 Gedanken über die Dauer des Exils (GBA 12, S. 82).

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1 Don‘t drive a nail in the wall Throw your coat on the chair! Why bother about four days? You’re going back tomorrow! Let the little tree go without water! Why plant a tree? Before it’s a step high You’ll go happily away from here! Pull your cap down over your face when people pass! Why babble in a strange grammar? The news, which will call you home, Is written in a familiar language. As the plaster flakes from the beams (Do nothing about it!) The barrier will fall apart That was erected on the frontier Against justice. 2 See the nail in the wall, which you hammered in! When, do you think, you’ll go back? Do you want to know, what you secretly think? Day after day You work on deliverance Sitting in your room writing Do you want to know what you think of your work? See the little chestnut tree in the corner of the yard To which you dragged a can full of water! The best, Reyher Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 2217/37. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 203f.

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Johannes R. Becher an Bertolt Brecht und Helene Weigel Berlin, 30.6.1947 Berlin, d. 30.6.47 Herrn Bert B r e c h t 1063 - 26th Street Santa Monica (Californien) Lieber Brecht! Liebe Helene Weigel! Soeben ist ein Care-Paket von Euch eingetroffen, und ich danke Euch herzlich dafür. Ich bin sehr in Eile, da ich wieder verreisen muss. Wahrscheinlich habt Ihr schon gehört, dass ich in Zürich war, wo nun die Zulassung einer deutschen PEN-Klub-Gruppe grundsätzlich genehmigt wurde.205 Ich schicke Euch meine Rede von der ersten Bundeskonferenz des Kulturbundes206 und hoffe, dass Ihr auch einmal etwas ausführlich schreibt über Pläne usw. Mit den besten Grüssen Euer Johannes R. Becher Überlieferung: Ts, AdK: Johannes-R.-Becher-Archiv 901.

Chester Kerr 207 an Bertolt Brecht New York, 1.7.1947 July 1, 1947 Mr. Bertolt Brecht 1063 26th Street Santa Monica, California

205 In Zürich fand vom 2. bis 6.6.1947 der erste Kongreß des Internationalen PEN-Clubs statt. Auf Vorschlag Thomas Manns wurde die Gründung eines deutschen Zentrums beschlossen, dem auch Johannes R. Becher angehörte. 206 Am 21.5.1947 hielt Becher auf der ersten Bundeskonferenz des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands die Rede Wir, Volk der Deutschen (erschienen im Berliner Aufbau-Verlag 1947). 207 Chester Kerr (1913–1999), amerikanischer Verleger. Damals für Reynal & Hitchcock in New York tätig, später Leiter von Yale University Press.

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Dear Mr. Brecht: It is with a very sincere apology that I open this letter to you. First because your letter to Mr. Ford of April 29th208 has been unanswered and secondly, because of the seeming confusion surrounding the whole status of the publication of your plays.209 Mr. Ford is no longer with us; in fact there has been an almost complete change in the editorial staff here since the beginning of this year. Just one word aside regarding your poems which have been translated by H. R. Hays: you will undoubtedly be pleased to learn that we have made plans to publish them on September 17th at $ 3.00.210 This is indeed a splendid collection, and we are very proud to have them enhance our list of fall books. But now to get back to the plays. It is my understanding that Reynal & Hitchcock intended to publish a series of several volumes. We have been reconsidering this project, which has obvious literary merit, from the standpoint of practicality under the present book publishing slump, and are greatly concerned about its financial aspects. During the boom years it unquestionably seemed like a magnificent idea to publish the series, but at best it would be a dubious venture today. It would seem more likely that the sensible thing would be to publish a volume of selected plays, including GALILEO and various others which you might consider outstanding, if we are to go ahead with any volume of the plays. Now with regard to the financial situation. On March 26, 1946 we paid you $ 500.00 as an advance against royalties. We made an agreement at that time to pay Mr. Bentley $ 300.00 upon publication for his editorial assistance. From all indications there seems to have been some differences between yourself and Mr. Bentley and as far as I can gather he is no longer connected with the project. Is this correct? We have also agreed to pay Mrs. Hauptmann $ 100.00 on publication of the first volume. With the present unsettled condition regarding the publishing of the plays, we feel sure that you will understand our hesitation in paying the above persons until something concrete is settled upon. We must either have a revised plan or if you have something on your mind along these lines, will you be kind enough to let me know. With best regards. Yours sincerely, Chester Kerr Vice President CK:JP Überlieferung: Ts hs. U., Bv.: Reynal & Hitchcock, Inc. Publishers: 8 West Fortieth Street: New York 18, N. Y.; BBA 1762/55–56. – E: Brecht in den USA, hrsg. von James K. Lyon, Frankfurt/M. 1994, S. 252f. 208 Nicht überliefert. 209 Vgl. Erskine, 20.7.1945. 210 Bertolt Brecht, Selected Poems, übersetzt von H.R. Hays, New York 1947.

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Heinz Kuckhahn211 an Bertolt Brecht Berlin, 1.7.1947

Berlin-Neukölln, 1. Juli 47 Hermannstr. 233

Lieber Meister, vor einer Woche kam Ihr Paket, zu einem Zeitpunkt, in der unsere Lage so faul war, wie nie zuvor. Ich war schon völlig down und so kaputt wie ein Müllkutscher, wenn ich nur einmal ins Zentrum fuhr. Das Schlimme ist, dass mir keiner diese Schwäche zutraut, weil die Schnauze immer vorne weg ist. Es kommt natürlich hinzu, dass es hier sowieso keine Rolle spielt, wenn einer aus den Latschen kippt. Und ich spreche so wie hier auch nur zu Ihnen. Es geht mir ja nicht besonders schlecht, nur so, wie der grossen Mehrzahl, die immer mehr zu dem Standpunkt gelangt, dass wir eine Marionette sind, an deren Schnüre mehrere Spieler zerren. Wir sind schon ganz zerfleddert und ersticken in dem Staub, den wir auf unserer Bühne, ob wir wollen oder nicht, zusammenzappeln. Die Care-Pakete werden bei der Ausgabe geöffnet und kontrolliert. Ich nahm gleich eine Tafel Schokolade heraus und fraß sie fast ganz auf; für den Rest des Tages war mir schlecht. Es war dennoch seit vielen Jahren der schönste Tag, weil ich wusste, dass ich nicht ganz verlassen bin. Ich jedenfalls kann nicht immer diese allerletzte und schaurige Einsamkeit ertragen, die im Nihilismus mündet. Wie soll ich Ihnen danken? Es gibt natürlich Leute, denen es gut geht, die im dritten Reich gut verdient haben, nicht im Kriege waren oder sich (auch nicht wenige) dabei bereicherten, kurz die, die jetzt allerlei Werte zum Verkaufen haben. Es sind natürlich Nazis. Wir andern haben nichts herübergebracht als das nackte Leben. Unter uns aber ist gleich nach dem Kriege eine Panik ausgebrochen, die Angst der älteren Fräuleins, wir könnten im Leben nicht mehr zurecht kommen. Diese Tatsache macht noch bis heute jede klare und gemeinsame Arbeit fast unmöglich, wer nicht in seinen Sorgen versunken ist, ist mit seinen Interessen beschäftigt oder kämpft um seinen Posten, der Rest ist apathisch. Ich will nicht sagen, dass die ältere Generation besonders trübe gehandelt hat oder dass nur sie allein nur an sich dachte. In meinem Fall ist es aber so, dass zwei ältere Genossen den Zusammenbruch des „Neuköllner Theaters“ herbeigeführt haben. Ich habe zweimal, 1945 und 1946, Versuche zur Schaffung eines solchen Theaters unternommen. Das erste eröffneten wir am 19. Mai 45, also rund drei Wochen nach der Besetzung Neuköllns, es war die erste Bühne, die nach dem Kriege in ganz Berlin spielte, an einem Ort, wo es vorher niemals ein Theater gegeben hatte, in einem Saal, der ein Trümmerhaufen war, von dem gewissermassen nur die Wände stehen geblieben waren. Der russische Kriegskommandant von Neukölln unterstützte die Sache sehr, es trat zwar auch damals schon eine Konkurrenz auf, ein saurer Kaffeegartendirigent, dessen Frau 211 Brecht hatte Heinz Kuckhahn als Schüler Anfang der 1930er Jahre bei der Aufführung von Der Jasager und Der Neinsager in der Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln kennengelernt und engagierte ihn später als Regieassistent am Berliner Ensemble. Vgl. B. an Kuckhahn, April 1947, GBA 29, S. 417.

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den Kommandanten beinahe umschmiss, nachdem wir 30 Leute die Bude fertig hatten. Sie bekamen aber dann nach einer für mich beinahe heiklen Auseinandersetzung in der Kommandantur etwas anderes und ich konnte bleiben. Der Kommandant hatte den Befehl zu meiner Einweisung in den Saal an den kommissarischen Leiter der Bezirksverwaltung, Pagel212, Jude, Opfer des Faschismus, erteilt. Der Saal gehörte der Kindl-Brauerei213 und war an ein Naziehepaar verpachtet im dritten Reich. Er war ein berüchtigter Nazi und wurde gleich nach der Besetzung verhaftet, soll sich auf dem Transport das Leben genommen haben, sie hat nach Zeugenaussagen der N/S-Frauenschaft angehört. Als Neukölln amerikanischer Sektor wurde, strengte die Frau, vertreten durch einen Rechtsanwalt Korell die Räumungsklage gegen uns an. Inzwischen hatte Neukölln auch einen ersten Bürgermeister bekommen, Ohm214, und Pagel war zweiter Bürgermeister, der zwar alles in der Hand hatte. Ohm war ebenfalls Pg.215, fantastisch. Wir griffen das in einem Programm an und hatten ihn natürlich nun zum Freund. Ausserdem war inzwischen ein Volksbildungsamt geschaffen worden, das Henneberg leitete, stellvertretender Intendant aus Frankfurt/Oder. Er wollte auch in Neukölln ein Theater anfangen, und obschon er Genosse sein wollte wie Pagel, begann er seine Stellung in der Bezirksverwaltung gegen mich auszunützen und intrigierte auf eine Art, die mir bis dahin leider unbekannt war, d.h. ich habe das wenigstens nicht von Genossen erwartet. Erster Witz 1945: Korell, der Rechtsanwalt, tritt als „Abwesenheitspfleger“ für den verhafteten Nazi auf. Das Gericht verurteilt mich zur Räumung, da das von Pagel ausgestellte Schriftstück nicht als „Einweisung“ anzusehen ist. Ich erhebe Einspruch, Pagel soll gerichtlich befragt werden. Zweiter Witz: Pagel gibt die Auskunft, er habe sich beim Volksbildungsamt erkundigt, ob dieses mich eingewiesen habe. Das Volksbildungsamt gibt die Auskunft, es habe zur fraglichen Zeit noch garnicht bestanden (was stimmt!). Erst mit sieben Zeugen ist es mir möglich, doch noch meiner Einweisung von Pagel zu kriegen. Übrigens konnte das Volksbildungsamt kommt sowieso keine Einweisung erteilen, das kann nur das Wohnungsamt, Abtlg. gewerbliche Räume. Unter meinen Zeugen war auch die Dolmetscherin des russischen Kommandanten. Pagel musste also die Wahrheit sagen und sorgte nun endlich dafür, dass ich meine Einweisung bekam. Ich konnte also wieder im Saal bleiben, nur, dass ich mich fast garnicht mehr um mein Theater kümmern konnte. Drei Tage später aber bekam ich einen Brief vom Wohnungsamt, dass meine Einweisung ungültig sei, weil ich das Gerichtsurteil verschwiegen habe. Der Rechtsanwalt Korell war zu dem Dezernenten, der die 212 Heinz Pagel (SPD), 1945 kommissarischer Leiter der Neuköllner Verwaltung und später stellvertretender Bürgermeister des Bezirks Neukölln. 213 Die Brauerei Berliner Kindl. Das Stammhaus befand sich an der Hermannstraße in Neukölln. 214 Martin Ohm (später CDU), 1945 von der sowjetischen Kommandantur eingesetzter Bürgermeister des Bezirks Neukölln. 215 Parteigenosse, d.h. (ehemaliges) Mitglied der NSDAP. Ohm war zuvor Verwaltungsrevisor des Bezirksamts Neukölln gewesen.

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Einweisung ausgestellt hatte, gegangen und hatte mit einer Regressklage gedroht. Der Dezernent war erschüttert und hatte die Einweisung eigenmächtig zurückgezogen. Ich brachte daraufhin eine Zusammenkunft in der Bürgermeisterei zustande und brachte Gewerkschaftsvertreter, Parteileitungen, Jugendausschussvertreter, Leiter des Volksbildungsamtes mit. Der Korellsche Schachzug wurde aufgedeckt und meine Einweisung wieder für gültig erklärt. Ich durfte wieder bleiben. Nun aber ging der Kreis um die Nazis und den reaktionären Richter ganz rigoros vor. Ein ehemaliger Schulfreund, der in der Bezirksverwaltung tätig war, sagte mir, dass der Bürgermeister Ohm mir die Einweisung wegnehmen werde. Ich bereitete mich ruhig darauf vor und bekam auch richtig vom Gericht den Räumungsbescheid, aber keine Mitteilung vom Bürgermeister, ich sollte also überwältigt werden. Am 10. Oktober 45 morgens zehn Uhr sollte die Räumung vollzogen werden. Ich brachte noch einmal alle Vertreter aller Institutionen zum Bürgermeister, wo Pagel die Verhandlung leitete. Das war morgens acht Uhr am 10. Okt. Da tauchte auch wie ungefähr der Richter auf. Und wenn Pagel jetzt nicht zugegeben hätte, dass meine Einweisung in Ordnung war und dass er selbst sie mir ursprünglich zugesprochen hatte und dass ausserdem der russische Kommandant den Befehl gegeben hatte, da hätte ich ihn über den Tisch geholt. Er gab es lieber in Gegenwart des Richters zu und dem blieb nichts weiter übrig, als die Räumung zunächst um eine Woche auszusetzen gegen Hinterlegung von 3000- Mk. Um halbzehn hinterlegte ich die Summe. Kurz vor zehn kam ich zum Saal, wo die Räumung schon vollzogen war, insofern, als der Rechtsanwalt durch einen Gerichtsvollzieher einen Zettel an die Tür hatte kleben lassen, dass niemand von uns den Saal mehr betreten dürfe. Der Rechtsanwalt wollte meine Mitteilung schriftlich haben. Wir gingen zum Gericht zurück, wo mir erklärt wurde, dass nichts zu machen sei, da bereits vollstreckt sei. Um dreiviertel zwölf kam der Brief vom Bürgermeister, dass meine Einweisung zurückgezogen sei, weil ich sie mir „erschlichen“ habe. Am nächsten Abend fand ein grosser Empfang des Bürgermeisters von Berlin, Dr. Wer216 ner , in meinem Theater statt. Ohm hielt eine Rede. Es spielte gastweise das OperettenEnsemble vom Nollendorfplatz, das ich eine Woche vorher engagiert hatte, um während dessen Spielzeit meine erste Inszenierung fertig zu machen. Ich war also bis dahin gekommen, wo meine Sprechbühne Wirklichkeit werden sollte. Mein Plan war „Pygmalion“217, „Mahagonny“, „Wozzek“218, „Trommeln in der Nacht“, zwischendurch Kabarett und evtl. falls nötig für Neukölln, Varieté, denn das Theater sollte ja aus sich selbst heraus existenzfähig sein, ich hatte ein durchaus einsatzfähiges Ensemble beisammen, ein ausgezeichnetes Orchester, endlich, endlich – und jetzt sass ich mit einem Riesenberg von Schulden da, etwa 80000.- Mk. Jetzt sind es noch 30000.- ich habe alles verkauft, was beweglich war. Ich 216 Arthur Werner (1877–1967), von Mai 1945 bis Januar 1947 Regierender Bürgermeister Berlins, ernannt von der Sowjetischen Militäradministration. 217 Vermutlich George Bernard Shaws Drama Pygmalion (1913). Ein gleichnamiges Stück hat auch JeanJacques Rousseau verfaßt (um 1762). 218 Georg Büchners Woyzeck. Vgl. Anm. zu Langhoff, 10.12.1946.

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bin damals von Pontius zu Pilatus gelaufen, hatte Befürwortungen aller Institutionen in der Hand, da unser Theater gut war. Was tat die oberste Parteileitung? Sie schickten zu Pagel, der, da wurde mir erst alles klar, täglich mit dem Nazibürgermeister Ohm in die KindlBrauerei fuhr und sich bestechen liess, sich vollfraß und vollsoff. Bevor er flog aus dem Amt, brach er noch einigen andern Leuten das Genick. Seine Auskunft über meinen Fall war niederschmetternd, aber für die Partei ausschlaggebend. Und dahinter steckte auch Henneberg, der es im letzten Jahre nun endlich zum Generalintriganten (intendaten) von Dresden gebracht hat und da gleich nach seiner ersten Inszenierung von „Emilia Galotti“219 einen derartigen Durchfall erlebt hat, dass man nicht weiss, wo diese Niete unterbringen. Wir aber müssen es abwarten, bis diese Lumpen ihre Unfähigkeit und Gefräßigkeit ausgetobt haben, wir dürfen verrecken für unsere Begeisterung und unseren guten Willen, der ohne jeden Zweifel ist. Jeder Sechser, den ich verdiene, gehört mir nicht. Ich weiss manchmal nicht, wovon die Miete bezahlt werden soll, ich habe, wirklich und wahrhaftig, die letzte Hose auf dem Hintern. Kriegsfolgen? Ich wünschte, es wären welche. Diese sogenannte Reaktion hätte mir nichts anhaben können. Darauf war ich gefasst, sie durften mich zwölf Jahre lang am A.... Es wäre leicht, das Opfer zu tragen, ich bin’s gewöhnt. Aber das mache mir einer vor, es für die Gemeinheit der eigenen Leute zu tun. Ich müsste sie unterscheiden lernen? Nicht eher, als bis das Unrecht gut gemacht wird. Man hat, klug wie sie sind, mich mit Michael Kohlhaas220 verglichen, aber übersehen, dass sie sich damit selbst zum Adel erhoben. Welches Unheil hat der „Führer“ auch in ihren Köpfen angerichtet! Wenn sie nur ahnten, welches Vakuum zwischen ihnen und dem Volk entsteht. Bis hierher sind einzig und allein Sie, lieber Meister, und Dudow Freunde geblieben. Schön, ich bin unbekannt, weil ich den Mut besessen habe, im dritten Reich jeden künstlerischen Betätigungswillen in mir zu unterdrücken. Aber dann hätten sie höchstens das Recht gehabt, mir ein Theater aus der Hand zu nehmen (mit der Ausrede, ich wäre unfähig oder der sachlichen Begründung, ich müsste erst noch die Holzhammermethode studieren, etwa die von Friedrich Wolff) nicht aber das, mich mit all dessen Folgen sitzen zu lassen. Oder hört Genossenschaft wie Freundschaft beim Gelde auf? Im Juli 45, Neukölln war noch russisch, musste ich mit meinem Programm eine Tourné in ein Russenlager in Falkenberg in Sachsen machen. 2 Kapellen und viel Artisten, insgesamt 85 Personen fuhren auf drei Lastwagen. Für jede Vorstellung wurden mir fest 3000,Mk. zugesagt. Wir gaben in Falkenberg in drei Tagen 6 Vorstellungen. Insgesamt wurden mir zum Schluss 1000.- Mk. ausgezahlt. Als ich Ihering diese Geschichte erzählte und ihn bat, mir zu helfen, um eine Nachzahlung herauszuholen, d.h. ich bat ihn, eine Verbindung zu dem russischen Theateroffizier herzustellen, da lachte [er] aus vollem Halse. Offenbar fand er diese Geschichte komisch. Ich nun garnicht. Aber wie sollen wir uns auch ver219 Emilia Galotti (1772), Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 220 Titelfigur der Erzählung Michael Kohlhaas (1810) von Heinrich von Kleist. Der Roßhändler Kohlhaas wird dadurch, daß er gegen fürstliche Willkür sein Recht mit Gewalt zu behaupten sucht, selbst zum Gesetzlosen.

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stehen, er ist dick und rund, ich wiege man gerade 125 Pfund, bin 1.80 lang. Überhaupt Ihering! Als ich 1938 bei ihm war, war ihm das sehr unangenehm. Ich habe ihm seinen Posten als Leiter des Besetzungsbüros bei der Tobis gegönnt und habe mich seitdem nicht mehr sehen lassen. Wohl dem, der trocken sass. Und es ist auch heute jedem zu gönnen. Ich finde es nur scheusslich, dass sie immer kneifen, wenn sie der Gerechtigkeit bei einer Besatzungsmacht auf die Beine helfen sollen. Als Ihering bei besagter Geschichte so lachte, hatte ich den Eindruck, er meinte, ich wäre Kapitalist und hätte eins ausgewischt bekommen. Ich würde ja nichts verlangen, wenn nur nicht der Staat so viel von mir verlangte und die Leute, die Arbeit leisten, von der Arbeit leben, und wenn nicht ich selbst auch Brot und Miete bezahlen müsste. Komische Leute. Bist du Gottes Sohn, so hilf dir selber. Ich bin nur noch nicht ganz sicher, ob ich Gottes Sohn bin. Ich muss mir nur noch den Beweis liefern, ob ich mir selbst helfen kann. Eines weiss ich aber, dass Sie mir sehr, sehr geholfen haben und dass es eine Gemeinschaft gibt, wenn sie auch ganz wenige Menschen umschliesst, diejenige, die auch Dudow vergeblich sucht, ohne es auszusprechen. Ich soll Sie herzlich von ihm grüssen. Ich soll Ihnen sagen, dass er genau so schreibfaul wäre wie Sie und dass Sie so schnell wie möglich kommen sollen, es mache sich überall Gelichter breit, er kommt vor lauter Ärger bei der Defa nicht zur Arbeit. Bei unserer letzten Zusammenkunft war er so erregt und temperamentvoll, wie ich ihn niemals vorher gesehen habe. Er hatte gerade die Zusammenarbeit mit dem neuen Chefdramaturgen221 abgelehnt. Der hat auch im dritten Reich in derselben Position gesessen. Dudow hat mich auch zum Film gebracht. Als Dramaturg und Regisseur. Allerdings soll ich erst einen Kulturfilm machen. In der Kulturfilmabteilung sitzt auch ein Chefdramaturg, mit dem ich nicht einig werden kann. Gleich bei der ersten Zusammenkunft sagte er mir, dass wir allerlei Reibungen miteinander haben werden. Jeder hat Angst um seinen Posten und manchmal einen Bekannten, dem man den Platz weggenommen hat. Neulich sagte er mir, dass er es besser wisse, wie ein Kulturfilm sein muss, er sei schon zwanzig Jahre in der Kulturfilmproduktion tätig. Darauf sagte ich ihm, dass ich es sehr bewundere, jemand der so viel Kulturen gesehen und überlebt hat, müsse es faustdick hinter den Ohren haben. Mein Exposé gefiel ihm garnicht. Vielleicht liegt das daran, dass er sich erst an die neueste Kultur gewöhnen muss. Es handelt sich um einen Kulturfilm über die moderne Schauspielschule, die Erziehung zur Ensemblekunst. Ihering meint, dass das alles noch so am Anfang wäre, dass es sich noch garnicht lohnt und kaum was Rechtes werden könnte. Darin hat er sicher recht, es ist alles noch in der Entwicklung und das Deutsche Theater und die Schule von Carl Vallentin222 (nicht die „primöse

221 Chefdramaturg der DEFA wurde 1947 der österreichische Drehbuchautor und Regisseur Georg C. Klaren (1900–1962), der sich vormals offen zum Nationalsozialismus bekannt und als Autor und Filmberichterstatter für die Wochenschau gearbeitet hatte. 222 Vermutlich Maxim Vallentin. Vgl. dessen Brief vom 21.2.1949.

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Minilie“223) in Weimar haben ganz verschiedene Wege zum gleichen Ziele eingeschlagen. Es käme also darauf an, wie ich es sehe, die Defa will es aber so haben, wie die Schulen es sehen, das heisst wie es mein Chefdramaturg sieht, und so sehen Sie, dass hier ein Film entstehen soll, der aus vier verschiedenen Perspektiven in Angriff genommen wird. Die grössere Tragödie dabei ist, dass ich 340.- Mk. ausgezahlt bekomme pro Monat (für die Dreharbeit gibt es nachher mehr) 200.- Mk. Schulden abzahlen muss, 80.- Mk. Miete zahlen muss, Gas, elektrisch Licht bezahlen soll und die Arbeit, für die ich das Geld beziehe, praktisch im Jenseits leisten müsste. Da ich aber noch hier bin und vorerst auch noch hierbleiben möchte, musste ich in den letzten beiden Monaten dauernd andere Sachen machen und hamstern fahren. Ich habe das erstemal Ruhe durch Ihr Paket. Eine Tafel Schokolade haben wir verkauft und ein halb Pfund Kaffee und sind für einen Monat reiche Leute. Hoffentlich nehmen Sie es nicht übel. Übrigens habe ich es dieser ganzen grauenvollen Zeit 1945 nicht so krumm genommen, was sie mit mir angestellt hat, denn es ist mir klar, unter welcher Schwäche wir leiden und ich mache selten andere Menschen verantwortlich. So habe ich es 1946 trotz aller Schwierigkeiten und trotz meines Klotzes am Bein durchgesetzt, dass ich einen zweiten Versuch zu einem Neuköllner Theater starten konnte. Ich bin ohne Schulden daraus hervorgegangen und kann Ihnen wenigstens etwas Positives vorlegen und beweisen, dass ich Ihnen keine Schande mache. Die Besprechungen finden Sie anliegend.224 Fortgesetzt habe ich es nur deshalb nicht, weil der neue Saal zu sehr abseits liegt und doch ein Sümmchen fehlt, mit dem die Zeit zu überbrücken wäre bis zur Popularisierung. Ich würde den Betrieb mit der Zeit schon in Schwung bringen. Man müsse einen Bekannten in Amerika haben, der zweimal ein Paket mit Zigaretten schickt. Aber zur dritten Tragödie bezüglich meiner Filmarbeit. Ich möchte fast sagen, es ist die grösste. Meine Liebe gehört der Bühne. Wenn ich nur nicht in Neukölln angefangen hätte! Dann müsste ich heute am Schiffbauerdamm sitzen und Ihren Empfang vorbereiten. Aber was nicht ist, kann noch werden. Wie wär’s, wenn Sie eine Inszenierung vermitteln? Sie können sich auf mich verlassen! Sie sagen es ja selbst, dass Sie mich aufstöbern wollten. Da bin ich. Lassen Sie mich mein Gesellenstück ablegen. Ich habe grossartige Pläne. Zum Beispiel der „Schwejk“ wär’ was für mich. Ich sehe ja leider nur immer Bruchstücke. Habe aber schon daraus wesentliches zu sagen. Nämlich, dass es jemand inszenieren muss, der 223 Anspielung auf den Schriftsteller und Komiker Karl Valentin, d.i. Valentin Ludwig Fey (1882–1948), dessen Kabarett in München Brecht zu Beginn der 1920er Jahre häufig besucht hatte und mit dem er auch gemeinsam aufgetreten war. Zusammen mit Valentin und Erich Engel machte Brecht 1923 den Film Mysterien eines Friseursalons. Ruth Berlau vertraute er noch im Juni 1942 an: „Für mich war Karl Valentin ungefähr, was für Eisler Schönberg war“ (GBA 29, S. 239). Die „primöse Minilie“ bezieht sich auf einen Vortrag Valentins über den Regen: „Der Regen ist eine primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und Vibromen, deren Ursache bis heute noch nicht richtig stixiert wurde. Schon in früheren Jahrhunderten wurde der Versuch gemacht, Regenwasser durch Glydensäure zu zersetzen, um binocke Minilien zu erzeugen“ (K.V., Sämtliche Werke, Bd. 1, München 2007, S. 106). 224 Nicht überliefert.

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den Horizont der Gegenwart kennt und ins Schwarze treffen kann. Es geht in erster Linie um die Wahrscheinlichkeit eines „Schwejk“ im dritten Reich. Instinktiv weiss hier jeder, dass die SS weder vor bewusster noch unbewusster Unschuld halt machte und wenn es sein musste, einen Ziegenbock zum Staatsfeind machte. Primitiv ausgedrückt, es darf nicht dazu kommen, dass jemand sagt, das, was der Schwejk da sagte, hätte mal jemand im dritten Reich zu einem SS-Offizier sagen sollen. Den Dialog glaubhaft machen, darauf kommt es an, dann kann die Masse mitgehen, der Intellektuelle muss real denken und wird jede Polemik unbewusst vergessen. Das kann keiner inszenieren, der es nicht erlebt hat, und der Dichter muss es einen verwirklichen lassen, der es erlebt hat, sonst wird man ihm sagen, dass er sich hier geirrt hat. Denken Sie wie mein Vater und überlassen Sie den Laden einen Tag lang Ihrem Sohn. Es wird Zeit. Ich würde Sie nicht um diese Aufgabe bitten, wenn ich nicht wüsste, dass Sie sich über mich freuen können. Ich habe mich übrigens jetzt, da ich etwas Ruhe habe, bei K.H. Martin angemeldet und hoffe, dass er mir eine Chance gibt, wenn ich ihm Ihren Brief zeige. Und noch etwas: können Sie mir nicht ein Buch vom Schwejk schicken? Ich habe fast nichts anderes mehr im Kopf. Und wenn das nicht geht, laden Sie mich zu sich ein. Ein paar Wochen undeutsche Luft würden mich ohnehin erst wieder restlos freimachen. Fast bin ich versucht, Ihnen zuzurufen, kommen Sie nicht wieder hierher, bleiben Sie dort und holen Sie mich rüber. Ich käme sofort. Das dritte Reich würde ich auf der Fahrt in einer Nervenkrise ausschwitzen und vor Ihnen als normaler Mensch erscheinen. Es ist sogar mein voller Ernst. Und wenn ich mir vorstelle, Sie würden es einsehen, dann bin ich schon garnicht mehr hier. Ich möchte mal raus, ich würde sogar dauernd rausgehen, ich muss mal raus. Ich halte einfach den deutschen Kasernengeist nicht mehr aus, nicht rechts nicht links. Wer sagt, es habe sich darin garnicht viel verändert, der hat recht. In Dresden haben sie Bronzebüsten von Pieck 225 hergestellt, bei einer Kulturtagung hier in Berlin sass Pieck vor seinem eigenen bunten Bild im Riesenformat. Unfähigkeit hat sich breit gemacht, hinter den Schreibtischen sitzen infernalische Dussels und halten sich daran fest, sie glotzen wie die abgestochenen Kälber und haben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Was übrig geblieben ist, ist eine reichlich trübe Brühe und Sie würden garnichts ändern, wenn Sie kämen, dazu gehören Jahre, wir sind Eintagsfliegen dagegen. Das ist der vierte Brief, den ich seit Empfang Ihrer Zeilen an Sie schreibe. Diesen schicke ich aber auf jeden Fall ab und verspreche, in kürzester Zeit mehr zu schreiben. Das Eis muss erst mal gebrochen werden. Es fehlt nicht viel und ich heule. Wenn ich zu Ihnen spreche, kommen die 15 Jahre erst mal hoch. Jetzt stürze ich mich auf mein Lustspiel „Fünf nach voll“, das der Gegenwart den Spiegel vorhalten soll. Erst aber laufe ich mich eine Stunde kühl auf der Strasse. Es grüsst Sie und alle Ihren Angehörigen herzlichst 225 Wilhelm Pieck (1876–1960), seit 1935 Vorsitzender der KPD. Ging 1934 ins Exil nach Paris, 1935 nach Moskau. Mitbegründer des Nationalkomitees Freies Deutschland 1943, nach seiner Rückkehr Vorsitzender der SED (zusammen mit Otto Grotewohl), ab 1949 Präsident der DDR.

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Ihr Heinz Kuckhahn P.S. Und bitte „siezen“ Sie mich in Zukunft nicht mehr. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3111.

Hermann Kasack 226 an Bertolt Brecht [Berlin] 7.7.1947 7.7.47 Lieber Brecht –, Das Leben ist eins der schwersten, aber es übt kolossal – dieser Ausspruch umreißt etwa die Situation, in der man hier gegenwärtig existiert. Nur ist man der Exerzitien und des Trainings allmählich etwas reichlich müde geworden, und ich weiß nicht recht, wofür man eigentlich noch immer „üben“ muß. In zwei Monaten wird nun mein Roman „Die Stadt hinter dem Strom“227 (die ja gar kein Roman, sondern das Totenreich der letzten Zeit ist) erscheinen, nachdem das Buch seit über einem Jahr „in Herstellung“ läuft. (Jede Schnecke kommt rascher ans Ziel als der Zeitgenosse von 1947.) Ich hoffe, daß der Verlag Ihnen dann das für Sie bestimmte Expl. zukommen lassen wird. Und ich bitte Sie um ein Wort darüber. Kürzlich war Erika Neher bei uns, die wieder bis zum Herbst wohl in Hamburg ist. Was sie von Caspar erzählte, klang besorgniserregend. Er befindet sich in einer schweren psychischen Krise. Ich hoffe, daß er jetzt bald einmal nach Berlin kommen kann (das Reisen über die Zonengrenzen ist mit größeren Schwierigkeiten verbunden als früher eine Reise um die Erde) – ich habe ihn nach Kriegsende noch nicht gesprochen. Ich glaube, es wäre wichtig, wenn Sie ihn sprechen könnten, falls Sie nach der Schweiz kommen (er wird im Winter wieder in Zürich sein) Meine Frau228 schreibt gleichzeitig – Eure letzte Mehlsendung hat uns zu vielen Mahlzeiten geholfen, und wir vergessen Euch Eure Treue keinen keinen [sic] Augenblick! Es ist so beschämend, daß [man] hilflos wie ein Bettler dasteht und sogar mit zunehmende[m] Grauen in den rasch sich nähernden Winter blickt. All zu oft werde ich nicht mehr über den Bodensee reiten können – das Eis wird jedesmal dünner, und ich weiß auch nicht mehr, wie ich an ein wirkliches Ufer je gelangen sollte. Sie nähern sich nun dem Fünfzigsten (Anfang Februar nächsten Jahres, nicht wahr?), ich habe das vorbiblische Alter nun schon seit einem Jahr hinter mich gebracht. Gelassen226 Hermann Kasack (1896–1966), Schriftsteller, vormals Lektor beim Kiepenheuer Verlag, Mitarbeiter der Berliner Funkstunde und Cheflektor beim S. Fischer Verlag. Nach dem Krieg arbeitete er erneut für den Berliner Rundfunk. 227 Hermann Kasacks Roman Die Stadt hinter dem Strom erschien 1947 im Suhrkamp Verlag in Berlin. 228 Maria Fellenberg.

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heit und Geduld stellen sich besser ein, es sind auch schöne Eigenschaften und vielleicht lerne ich noch voller Heiterkeit, je bitterer die Welt schmeckt. Leben Sie wohl, lieber Brecht, grüßen Sie Ihre Frau, wir danken Euch. Überlieferung: TsD, DLA (Bestand Kasack). – Dv: Kopie, BBA Z 13/208–209.

Ernst Schumacher 229 an Bertolt Brecht München, 7.7.1947 Ernst Schumacher München 9 Gebsattelstraße 34/II r

München/7. Juli 47

Werter Herr Brecht! Obwohl Ihnen mein Name gar nichts sagen oder Sie nur an Herrn K u r t Schumacher230, den SPD-Führer erinnern wird, hoffe ich zu meinen Gunsten, daß Sie den Brief nicht sofort ad acta legen, sondern noch etwas weiterlesen. Ich bin ein Landsmann von Ihnen, stamme vom Lechrain und hatte bis vor kurzem den Ehrgeiz, mit einer Arbeit über Sie, d.h. Ihre Werke zu promovieren. Allein die Vorarbeiten dazu schienen aber den hochverehrten Professoren der Lud. Max. Universität, vorallem den Herren Kutscher231 und Borcherdt232, so gefährlich für ihre Auffassung von der germanistischen Wissenschaft, daß sie mir ihren Beistand versagten. Es ist ja im heutigen Deutschland und besonders auf seinen Universitäten bereits wieder so weit, daß man zwar ästhetisch fein schwätzen und referieren, aber keine soziologische Untersuchungsmethode in bezug auf die großartige deutsche Literatur anwenden darf. Ein Dialektiker wird begreifen, daß dies so sein muß, verlören doch diese aus dem Schmutz des 3. Reiches wieder aufgetauchten Vielredner und Alleserklärer den Boden unter den Füßen. Aber gerade deshalb, um diesen Zustand herbeizuführen, möchte ich die Untersuchung nun grundsätzlich vorantreiben und zu Ende 229 Ernst Schumacher (1921–2012), Theaterkritiker, lernte Brecht 1949 in Berlin kennen und promovierte 1953 über dessen frühe Dramen bei Hans Mayer in Leipzig. Später war er Professor am Institut für Theaterwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. 230 Kurt Schumacher (1895­–1952), SPD-Politiker, von 1933 bis 1945 in KZ-Haft, war maßgeblich am Wiederaufbau der SPD beteiligt, deren Vorsitz er 1946 übernahm. Die hier geäußerte Befürchtung bezieht sich auf Schumachers Gegnerschaft zu den Kommunisten, deren Politik er für den Nationalsozialismus mitverantwortlich machte. 231 Artur Kutscher (1878–1960) gilt als Begründer der Theaterwissenschaft. Seine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde ihm aufgrund seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und anderen NS-Organisationen 1945 vorübergehend entzogen. 232 Hans Heinrich Borcherdt (1887–1964), Neuphilologe, vormals als Professor u.a. in Königsberg tätig, übernahm 1947 einen Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur in München.

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führen. Dazu bedarf ich Ihrer Werke, die Sie nach Ihrer Vertreibung – ich möchte nicht sagen: Emigration – aus Deutschland verfaßt haben. Sie in Deutschland zu erhalten, ist mir bis heute nicht gelungen. Von Ihrem alten Freunde Jacob Geis233, der mir Ihre „Versuche“ ausgeliehen hat, habe ich die neuen Werke nicht bekommen können, ebensowenig gelang es meinen Freunden in der Schweiz, sie zu kaufen. Natürlich bekommt man ab und zu Bruchstücke in die Hände, aber nicht mehr. Der Regisseur Brückelmeier234, der Ihnen vielleicht noch von Ihrer Münchner Zeit her bekannt ist, versprach mir zwar, sich um die Werke zu bemühen – er ist jetzt Intendant der bremer Kammerspiele – aber ich habe mich nun der Vorsicht halber doch entschlossen, nochmals an Sie persönlich zu schreiben. Nochmals, denn ein ähnlicher Bittbrief ist bereits im vorigen Jahr an Ihren Verlag in New York abgegangen, doch nehme ich an, daß Sie das genannte Schreiben nicht erhalten haben. Ihre jetzige Adresse habe ich von Ihrem Bruder in Darmstadt, der sie der in Augsburg erscheinenden Zeitung „Ende und Anfang“235 übermittelt hat, bei der ich gelegentlich literarische Arbeiten und politische Analysen veröffentliche. Ich erlaube mir, Ihnen einige meiner Gedichte beizulegen. Gefallen [s]ie Ihnen nicht, so können Sie sie ja in den Papierkorb werfen. Wenn Sie mir Ihre Bücher übersenden, so helfen Sie nicht nur mir aus einer Klemme, sondern Sie helfen damit allen meinen Freunden und dem fortschrittlichen Teil der deutschen Jugend. Wenn Sie es zur Bedingung machen, so werde ich die Werke dem Deutschen Seminar der münchner Universität zur Verfügung stellen. Ich kann Sie natürlich nicht in Dollarn bezahlen, auf ein Vergelts Gott im voraus werden Sie vermutlich auch keinen Wert legen und von Doktoranten werden Sie im allgemeinen auch nicht viel halten. Aber ich sagte Ihnen schon: ob ich durch die genannte Untersuchung das D u. r vor meinen Namen bekomme, ist mir sowieso ziemlich gleichgültig. Aber es dreht sich darum: wird im heutigen Deutschland erneut die kleinbürgerlich-verlogen-ästhetische Richtung in der Literaturkritik die Oberhand bekommen – das bedeutet, daß Sie und Ihresgleichen geistig niedergetrampelt werden – oder setzt sich die Richtung durch, die etwa durch Mehring, Lukasc236 u.a. gekennzeichnet ist. Ich weiß nicht, inwieweit Sie über die Probleme informiert sind, die sich hier in Deutschland auftun, aber das werden Sie wohl von Ihren Freunden schon gehört haben, daß das, was faul war, nicht endgültig beseitigt und ausgebrannt worden ist, sondern daß die altbekannten Bakterien wieder virulent werden und sich der gesunden Teile oder der in Heilung befindlichen erneut zu bemächtigen drohen. Wie Sie die Bücher herüberbringen, muß ich Ihnen überlassen. Packete [sic] zu schicken, ist ja an und für sich gestattet. Vielleicht halten Sie den Weg über einen Kurier der

233 Jacob Geis (1890–1972), Schriftsteller, Dramaturg und Regisseur, vormals für die Bavaria Film tätig. Gründete 1947 die Neue Deutsche Filmgesellschaft. Brecht hatte ihn bereits 1920 als Dramaturgen an den Münchener Kammerspielen kennengelernt. 234 Der Theater- und Filmregisseur Erich-Fritz Brücklmeier. 235 Katholische Zeitschrift, die von 1946 bis 1948 in Augsburg erschien. 236 Franz Mehring und Georg Lukács.

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„Neuen Zeitung“237, dem amerikanischen Blatt, das in München erscheint, für besser und sicherer, aber dann muß ich Sie bitten, meine Adresse groß und deutlich auf die Packung zu schreiben, da die Bücher sonst in das Archiv der Zeitung wandern, die auf solche Sachen, wie ich weiß, sehr hungrig ist. Zum Schluß: Falls Sie Interesse daran haben, über die Strömungen innerhalb der literarischen Jugend und vorallem ihr Verhältnis zum Theater informiert zu werden, so bin ich gerne bereit, [I]hnen entsprechende Artikel aus den verschiedensten Zeitungen und eigene Ansichten zu übersenden. Mit den besten Grüßen Ihr E.Schumacher Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3185.

Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 12.7.1947

augsburg, den 12 juli 47

lieber Bidi, für deinen brief, für die handschriftlichen zusätze deiner frau238 herzlichen dank. unser verdacht, ein neugieriger wird seine nase in das paket hinei[n] gesteckt haben, hat sich nach deiner rückfrage nach den frauenkleidern, die mit der gleichen sendung ankommen sollten, als harmlos erwiesen. nicht seine nase, seine pfoten hat er hineingesteckt und die frauenkleider zu fanny’s239 bitternis geangelt, geklaut. in dieser beziehung wird hier wie in allen städten des landes viel geleistet, auf primitive und auf raffinierte art, mit dem bekannten handzirkel und (wie ich kürzlich gehört habe) mit chloroform. die meinungen über diesen (es gibt nach andere) erbaulichen zustand sind geteilt. die einen schieben ihn der sinkenden moral in die schuhe, andere sprechen die sinkende produktion dafür an. ein großteil behilft sich mit vorgestrigen erklärungen, mit albernheiten die auf den darm gehen. schorsch240 freut sich, dass er celluloid-bälle bekommt. die jungen spechte haben die ladenhüter xmal zusammengeflickt, neues material von ihren bekannten in amerika herausgeklopft.

237 Die Neue Zeitung erschien, unter Aufsicht der amerikanischen Behörden, von 1945 bis 1955 in München. 238 Vgl. B. an Pfanzelt, Sommer 1947, GBA 29, S. 418f. 239 Franziska Pfanzelt. 240 Pfanzelts Sohn Georg.

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nie wiederkehrende gelegenheiten verschaffen die zugelassenen, sog umtauschstellen, wahre fundgruben. ich lese auf den plakatierten anzeigen als angebot und nachfrage 1 divan für 1 zweisitziges faltboot, eine ganze wertvolle schmetterlingsammlung für 1 fahrraddecke, 1 doppeltes vogelflughaus für bücher der höheren mathematik, 6 tischtennisbälle für 1 armbanduhr[.] manche umtauschgeschäfte liegen (es kommt auf die saison an) auf der gleichen ebene; horizontale; aber auch vertikale bindungen. und ich erinnere mich an die geschichte eines mannes namens hans. der hatte lust für beide bindungen und betrieb also umtauschgeschäfte in solchem maße, bis er „glücklich“ auf dem hund war. wer könnte auf diese glücklichen ein steinchen werfen? die besten grüße deiner frau, den kindern. Überlieferung: Ts, Georg Pfanzelt jr., Augsburg. – Dv: Kopie, BBA E73/106.

James A. Stabile241 an Bertolt Brecht New York, 14.7.1947 July 14, 1947 Mr. Bertolt Brecht 1063 – 26 Street Santa Monica, Calif. Dear Mr. Brecht: On July 2, 1947 I wrote to you about the money we are holding in our Special Account pending receipt of your advice about the doctor’s bills that Dr. Czinner sent to us. May I please hear from you at your earliest possible convenience. It is very urgent that this matter be disposed of. Sincerely yours, James A. Stabile Administrative Asst. JAS:ar Überlieferung: Ts, hs.U., Bv.: The Dramatists Guild of the Authors League of America Inc. Six East Thirty Ninth Street • New York 16, N.Y. • Telephone Murray Hill 5.6930; BBA 1762/34.

241 Mitarbeiter der Dramatists Guild of America (vgl. Anm. zu Hays, Nov./Dez. 1941).

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Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 18.7.1947 18.7.47 Mr. Bertolt Brecht 1063 – 267[t]h Street Santa Monica California Lieber Bertolt, „auch der Mensch hält nicht ewig“: ich bin an einem Kehlkopfkrampf fast erstickt, und ein paar Wochen darauf bekam ich eine Nierenkolik. Das sind Gründe, aber nicht die wesentlichen, für mein langes Schweigen. Vielmehr schreibe ich ungern über Dinge, die mir nebelhaft sind, – wie etwa mein Aufenthalt und meine Tätigkeit in den kommenden Jahren. Von der Einbürgerung habe ich keinen Ton mehr gehört. Finanziell sieht es mehr düster als neblig aus. Schoenhof 242 war daran, die Zahlungen einzustellen und mich mit fast viertausend Dollars Verpflichtungen für laufende Produktion sitzen zu lassen. Das konnte ich schliesslich doch verhindern, wenn auch unter Verlusten meinerseits, u.a. habe ich ihm verschiedene Honorarvorschüsse auf Bücher, die wir nicht mehr mit ihm machen, zurückerstattet, u.a. auch die 125 Dollars, die Du als Vorschuss auf die Gedichte im Exil243 erhalten hast. Ueberdies verzichtete ich auf meinen Arbeitsentgelt in diesem Jahr. Da gleichzeitig der amerik. Verlagsbuchhandel dabei ist, zugrundezugehen, und mit ihm die Buchhandlungen, wäre ich ruiniert, gäbe es die Briefmarken nicht. Zudem verdient George seit einigen Monaten. Mit einem Wort, zu Sorgen ist kein Anlass. Nun zu Einzelheiten: Morgenröte:244 Das Buch ist ausgedruckt und geht nächste Woche zum Buchbinder, der sogar schon bezahlt ist. Wie lange er zum Binden braucht, weiss ich allerdings nicht. Einen Umschlag, der wahrscheinlich auch Dir so gut gefallen wird wie mir, habe ich fertig. Graf: Unruhe um einen Friedfertigen.245 Dieser Roman, der als zwölftes Buch unsre USA-Produktion abschließt, ist fast fertig gesetzt. Er wird im Herbst fertig. Continental-Edition, Wien. Von der dortigen Aurora-Bücherei sind 2 Bände, Waldinger und Bruckner246, inzwischen herausgekommen. Die Komödie „Der Bockerer“ von Preses-Becher247 folgt. Sie soll ausserdem im Wiener Volkstheater herauskommen. Ange242 Vgl. Herzfelde, 11.7. u. 23.8.1946. 243 Vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f.; dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938. 244 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. 245 Oskar Maria Graf, Unruhe um einen Friedfertigen, New York 1947. 246 Ernst Waldinger, Die kühlen Bauernstuben (zuerst bei Aurora in New York 1946 erschienen), und Ferdinand Bruckner, Simon Bolivar (zuerst 1945). 247 Der Schriftsteller Ulrich Becher (1910–1990) ging 1933 ins Exil in die Schweiz, nach Frankreich und

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zeigt in diesen Bänden sowie in der Buchhandelspresse und Prospekten sind noch folgende Aurora-Bände: We[i]skopf: Vor einem neuen Tag.248 Bloch, Freiheit und Ordnung.249 Herzfelde, Immergrün.250 Brecht: Gedichte im Exil. Viertel, Der Lebenslauf.251 Seghers, Der Ausflug.252 Feuchtwanger, Venedig, Texas.253 Ausserdem ist in Arbeit genommen unsre „Literaturgeschichte“254, in Aussicht Bloch’s „Hegel“255. Nicht überblicken kann ich, wie lange das alles dauern wird. Gesammelte Werke.256 mir scheint, wir müssen uns darauf einstellen, dass alles viermal verlegt werden muss: in München, Berlin, Wien und in der Schweiz. Möglich, dass im Lauf der Zeit sich die Sache auf zwei reduziert: Ost und West. Und mit diesen beiden rate ich, anzufangen. Wenn es Dir recht ist, werde ich mit „Aufbau“ in Berlin und mit „Desch“ in München wegen Erwerb der „Malik-Lizenz“ verhandeln. Eine Bedingung soll sein, dass die Ausstattung genau de[n] alten Bände[n] gleicht. Lass mich zunächst wissen, ob ich das beginnen soll; natürlich würde ich nicht ohne Deine endgültige Zustimmung abschliessen. Gedichte im Exil. Ich bin dafür, dass sie noch in diesem Jahr in der Wiener Aurora Bücherei herauskommen. Da die Aenderungen, die Du mit E.H. schicken wolltest, nicht eingetroffen sind, möchte ich das Manuscript, wie es ist, nach Wien senden, Du kannst dann in den Korrekturen die Aenderungen vornehmen. Man darf den Lernet-Holenias257, Zuckmayers etc. nicht das Feld überlassen. Also eilt die Sache. Auch verschwindet allmählich aus dem Bewusstsein der Bevölkerung die Tatsache, dass es noch eine Emigration gibt Exil gibt. Desch, München. Aufbau, Berlin. Endlich habe ich erreicht, dass Desch, wenn auch ungern, uns das Recht lässt, mit dem Aufbau-Verlag gesondert über die Aurora-Bücherei abzuschliessen, und ich nehme an, es kommt zu beiden Verträgen. Wir sind dann in der Ost- und in der West-Zone von den grössten Verlagen verbreitet. Das soll für die Dauer der Zonen-Trennung gelten. Fällt die Trennung, so soll der Autor entscheiden, wer sein einziger Verleger in Deutschland sein soll. Ich hoffe, diese Lösung ist auch Dir recht.

über Brasilien schließlich in die USA. 1948 kehrte er zurück nach Europa. Das Possenspiel Der Bockerer (1946) verfaßte er zusammen mit dem österreichischen Schriftsteller Peter Preses (1907–1961). 248 Franz Carl Weiskopf, Vor einem neuen Tag, zuerst 1944 in Mexiko erschienen. 249 Ernst Bloch, Freiheit und Ordnung, zuerst 1946 bei Aurora in New York erschienen. 250 Wieland Herzfelde, Immergrün: Merkwürdige Erlebnisse eines fröhlichen Waisenknaben, 1949 im Berliner Aufbau-Verlag erschienen. 251 Berthold Viertel, Der Lebenslauf, zuerst 1946 bei Aurora in New York erschienen. 252 Anna Seghers, Der Ausflug der toten Mädchen, zuerst 1946 bei Aurora in New York erschienen. 253 Lion Feuchtwanger, Venedig (Texas), zuerst 1946 bei Aurora in New York erschienen. 254 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945 u. 20.3.1947. 255 Ernst Bloch, Subjekt – Objekt, Berlin: Aufbau-Verlag 1949. 256 Eine Neuauflage der Gesammelten Werke Brechts kam nicht zustande. 257 Alexander Lernet-Holenia (1897–1976), österreichischer Schriftsteller, im Zweiten Weltkrieg Chefdramaturg der Heeresfilmstelle in Berlin.

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Honorare in Deutschland und Oesterreich: Ich setze in alle Verträge, und rate Dir es auch zu tun, dass Honorare nicht eher auszuzahlen sind, ehe der Aurora-Verlag bezw. der Autor, es ausdrücklich wünschen. Das ist aus Steuergründen wichtig. Mir wurde ein Fall bekannt, wo ein Autor in USA seiner Schwester in Berlin ein Mark-Honorar zukommen liess. Er musste dafür Einkommenssteuer in Dollars bezahlen, u. zw. auf der Basis des offiziellen Kurses: 1 Mark = 10 cents, d.h. die Steuer war de facto mehr als das Honorar. Literaturgeschichte: Als Weiskopf vor einigen Monaten die veränderte Fassung seiner Einführung vorlegte, waren wir, obwohl er manches von unsern Einwänden berücksichtigt hatte, nicht befriedigt. Einer der Gründe war, dass man eben keine Einführung zu einem Manuscript schreiben kann, das noch nicht vorlieg[t.] Der Vertrag vom 11. April, mit dem die Schoenhof-Krise überwunden wurde, ist Dir nicht zugegangen, weil es den Anschein hatte, als ob der ganze Plan undurchführbar würde. Wir haben uns aber schliesslich mit Weiskopf geeinigt: er verwendet sein Manuscript nach Belieben, wir behalten dagegen die Bibliographie (sie ist bereits in Wien, weil der Satz am längsten dauert), und der Band wird nur noch eine kurze Einleitung bekommen. Auch werden wir wohl die Ausgabe nicht in zwei, sondern in einem Bande machen. Auch über die Formulierung der Her[a]usgeberschaft haben wir uns geeinigt. Es soll heissen. In Gemeinschaft mit ............ ............ ............... ............ ............ herausgegeben von Wieland Herzfelde Mit einer Bibliographie von F.C. Weiskopf und Kurt Pinthus Bis jetzt stehen auf den punktierten Linien: Günther Anders258, Ernst Bloch, Bert[h]old Viertel und Ernst Waldinger. Ich hätte ausserordentlich gern Deinen und Grafs Namen, aus verschiedenen Gründen. Bitte sag Ja! Wir haben nicht noch einmal einen neuen Vertrag geschrieben, worin die Einigung mit Weiskopf und die Formulierung der Herausgeberschaft aufgenommen wurde, weil das zu umständlich geworden wäre. Es wurde brieflich festgelegt. Ich bitte Dich daher, den Vertrag vom 11. April zu unterschreiben. Alle andern haben es schon getan, und ein Expl. an mich zurückzuschicken. Da Schönhof ausfällt, habe ich die Finanzierung der Redaktion gemäss dem angehefteten Vertrag mit George Wyland259 – was mein Sohn ist – geregelt. Mit mir selber hätte ich schlecht einen Vertrag abschliessen können. Mitarbeit an der Lit.-Geschichte. Du hast lt. § 1, Punkt d. eine Arbeit mit mir akzeptiert. Die ist nicht schwierig; ich werde darüber gesondert schreiben. Ausserdem hast Du, 258 Günther Anders, eigentl. Stern (1902–1992), österreichischer Schriftsteller und Philosoph. Ging 1933 ins Exil nach Paris, 1936 nach New York und kehrte 1950 zurück nach Wien. Die hier erwähnte Publikation kam offenbar nicht zustande. 259 Vgl. Hauptmann, 12.6.1946.

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als Du hier warst, übernommen, Benjamin, Borchardt260 und Döblin abzuhandeln. Bleibt es dabei? Die Fähre, München, von der Dir eine Nummer zugeht. Hat „Die jüdische Frau“ abgedruckt261 und gibt einen Bühnenvertrieb Marton262 Wien als Quelle an. Von Aurora kein Wort. Ist das in Ordnung? Radio Kopenhagen (Folmer Hansen) Anbei giriert ein Scheck über $ 51.97 als Honorar für das Lesen von 5 Szenen aus „Furcht und Elend“. Es besteht kein Anspruch Auroras, wenn Du trotzdem 5-10 $ an Aurora zurückschicken würdest, wäre es aus folgendem Grunde günstig: ich sende an alle möglichen Leute in Europa, vor allem Deutschland, Aurora-Bücher, vornehmlich die von Dir, Bloch und Seghers. Schönhof hat davon nur die Kosten, denn verkaufen kann er in die Länder ja zu seinem Leid nichts, und so ein kleiner Scheck, den ich an ihn weiterleiten würde, würde ihn leichter bei Stimmung halten. Honorar. Es kommt Dir lt. letzter Absatz-Aufstellung Honorar zu. Bitte lass mir noch etwas Zeit, das auszurechnen. Ich sende Dir dann Scheck mit Abrechnung. Friedrich Ege,263 einer der Empfänger der erwähnten Freiexemplare, hat darüber geschrieben; finnischer Ausschnitt und deutsche Uebersetzung anbei. Welt und Wort.264 Eine Besprechung aus Deutschland, die Dich viell. interessiert. Grosz. Er liess mich Copie seiner Antwort betr. Illustrierung von „Freiheit und Democracy“ lesen.265 Der einzige Trost ist der, dass die darin erwähnten Bilder von den Löchern, genauer: des Nichts, ausserordentlich sind. Leider auch charakteristisch für die Grossen Zeiten, denen wir abermals entgegenzutreiben scheinen. Ist es Dir recht, die Ballade in die „Gedichte im Exil“ zu nehmen? Hältst Du es für bedenklich? Ist es die endgültige Fassung? Gover[t]s.266 Hast Du von dem Herrn wieder gehört? Schlussbemerkung: halt mich nicht für blind. Gewiss gibt es Dringenderes und Wichtigeres als die verschiedenen Punkte dieses Schreibens. Aber man lässt eben vor dem Gewitter nicht die Ernte auf dem Felde, – selbst auf die Gefahr hin, dass der Blitz in die Scheune schlägt. Hoffentlich tut er es nicht. Herzlichst Dein Wieland Anlagen: 1. 2.

Brief und Scheck von Radio Kopenhagen Bespr. Welt und Wort

260 Vermutlich Hermann Borchardt. 261 Vgl. Weismann, 5.4.1947. 262 Georg Marton (1900–1979), Verleger und Produzent. 263 Der Schauspieler und Übersetzer Friedrich Ege lebte im Exil in Finnland. Die erwähnten Beilagen sind nicht überliefert. 264 Welt und Wort. Literarische Monatsschrift, hrsg. von Ewald Katzmann und Karl Ude, erschien von 1946 bis 1971 im Drei Säulen Verlag in Bad Wörishofen. Die erwähnte Beilage ist nicht überliefert. 265 Vgl. Grosz, 30.3.1947. 266 Vgl. Neher, 22.1.1947.

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3. 4.

Ege, deutsch u. finnisch Vertrag vom 11.4. betr. Literat.-Gesch. in 2 Expl. (eine bitte unterschrieben an mich) 5. Copie des vertr. mit G. Wyland und erläuternder Brief [Hs.] „Fähre“267 als Drucksache. „

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Aurora Press founded by: Ernst Bloch / Bertolt Brecht / Ferdinand Bruckner / Alfred Doeblin / Lion Feuchtwanger / Oscar Maria Graf / Wieland Herzfelde / Heinrich Mann / Berthold Viertel / Ernst Waldinger / F.C. Weiskopf 10 West 23rd Street New York 10, N.Y. Telephon Gramercy 5-8250; BBA 1762/71-73.

Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 18.7.1947 Basel, den 18. Juli 1947. Herrn Bert Brecht, Santa Monica Twentysixth Street 1063 Californien/U.S.A. R E C H N U N G No. 144 1 Liebesgaben-Gutschein TRACONT an Frl. Hanne Brecht Wien, abgesandt.

Fr. 25.--

für welchen Beitrag wir Sie belasten. Mit vorzüglicher Hochachtung per REISS A.-G. Abt. Buchhaltung Baumgartner Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel, Bäumleingasse 4, 1/1, Briefumschlag, adressiert an: „Herrn Bert Brecht Santa Monica Twentysixth Street 1063 California/U.S.A.“, Abs. per Verlagsstempel: „Theaterverlag Reiss A.G. Basel, Bäumleingasse 4“, Poststempel: „BASEL 18.VII.47“; BBA 3172. 267 Vgl. Weismann, 5.4.1947.

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Sophie Dénes an Bertolt Brecht Eger, 26.7.[1947] Eger, Ungarn, Dák Ferenc = út 34 Den 26. Juli Sehr geehrter Herr Brecht, [ich] bin eine ungarische Schriftstellerin, interessiere mich beruflich für Ihr neuestes Bühnenstück: Herr Puntila und sein Knecht. Ich möchte das Stück übersetzen. Nach den Theaterkritiken, die ich kürzlich in Schweizer Zeitungen gelesen haben, bin ich überzeugt, dass eine unserer ersten Budapester Bühnen Ihr Stück gerne vortragen würde, falls wir das Manuskript überhaupt erhalten. Da das Stück in Buchform Anfang dieses Monats noch nicht erschienen ist, frage ich, ob es nicht möglich wäre uns doch einen Text für Bühnengebrauch durch Sie zu erhalten? Wäre Ihnen sehr verpflichtet, falls Sie mir diesen Text zukommen liessen. Zugleich wäre es aus Reklam[e]zwecken sehr wünschenswert mir eine Photographie von Bert Brecht, dem berühmten Autor der Dreigroschenoper zukommen zu lassen. Unsere Presse besitzt keine. Den Vertrag für Autorenrechte würde Ihnen selbstverständlich das Theater durch entsprechende Agentur tadellos zukommen lassen. Es grüsst Sie herzlichst eine Ihnen recht unbekannte, doch sehr ergebene Kollegina Sophie Dénes Die obenan stehende Adresse gilt nur für den Sommer – Eger = Erlau ist eine entzückende kleine Stadt aus der ungarischen Barokkzeit mit neoklassischer Ergänzung – denn ich bin natürlich Budapesterin. Überlieferung: Ms, RBA 54/3.

Wolfgang Engels an Bertolt Brecht Konstanz, 29.8.1947 (17b) Konstanz, 29. 8. 47 E/ST. Herrn Bert Brecht Mexiko

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Sehr verehrter Herr Brecht, Im Juni vorigen Jahres hatten wir die grosse Freude und wir dürfen wohl sagen Ehre, als 1. deutsche Bühne Ihre „Mutter Courage“ herausbringen zu dürfen.268 Sie haben dann ja wohl aus den umfangreichen Pressebesprechungen vor dem wirklich ganz grossen Erfolg Ihres Werkes, sowie von der künstlerischen Leistung unseres Theaters gelesen. Darf ich mir erlauben, Ihnen als kleines Andenken an den für uns denkwürdigen Tag, eine den Zeitläuften entsprechend bescheidene Zusammenstellung des Bildmaterials und einige Kritiken zu übersenden. Vor einigen Wochen kam ich nun in den glücklichen Besitz eines Exemplares Ihres „Galileo Galilei“. Ich habe das Stück in tiefer Erschütterung aus der Hand gelegt und muss sagen, es war einer der stärksten Eindrücke, die ich überhaupt vom modernen Drama erhalten habe. Gerade wir in Deutschland haben den Glauben an den Sieg der Ratio – der Tugend der Vernunft –, heute nötiger als je. Die Seele des deutschen Menschen hat sich kaum aus den Fesseln, die ihr angelegt wurden, befreit, so bemächtigen sich schon wieder viele Kräfte der Reaktion und des blinden Autoritätszwanges die noch unsicher taumelnden Gemüter, sodass mir Ihr Werk gerade jetzt von innerster Notwendigkeit für uns zu sein scheint. Aus diesen Gründen halte ich es nicht für zu gewagt, wenn ich Sie herzlich bitte, uns auch dieses Werk zur Aufführung anzuvertrauen. Ich las vor kurzem eine Notiz, in der die deutsche Erstaufführung mit Kortner in der Titelrolle in Berlin angekündigt wird.269 Vielleicht erlauben Sie uns, falls diese Ankündigung stimmt, uns terminlich an dieser Aufführung zu beteiligen. Als Vertreter der Titelrolle haben wir an den Schauspieler Otto Wernicke270, jetzt Staatstheater München, gedacht, der bereit ist, im Falle eines positiven Ausganges unserer Verhandlungen diese Rolle zu spielen. Die Inszenierung würde wie in „Mutter Courage“ wieder ich selber übernehmen. Für das Bühnenbild möchte ich versuchen, Herrn Kaspar Neher, der zu unserem Theater in enger innerer Beziehung steht, zu verpflichten. Ich bitte Sie, mir Ihre Zustimmung über Herrn Reiss, Basel, zugehen zu lassen. Ich grüsse Sie, äußerlich zwar unbekannt, aber in innerer Verbundenheit Ihr Wolfgang Engels. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Stadttheater Konstanz Leitung Dr. Walter Koch und Wolfgang Engels Direktion; BBA 1764/13.

268 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.4.1946. 269 Brecht selbst bot, ohne Erfolg, Fritz Kortner 1950 die Hauptrolle des Galilei an. Vgl. Anm. in GBA 5, S. 350. 270 Otto Wernicke (1893–1965), Theater- und Filmschauspieler. Während des Nationalsozialismus war er an Berliner Theatern tätig (u.a. bei Gustaf Gründgens). 1923 hatte er den Holzhändler Shlink in der Münchner Inszenierung von Im Dickicht gespielt.

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Heinz Lüdecke271 an Bertolt Brecht Berlin, 29.8.1947 Abschrift! Schriftleitung 29.8.1947 Feuilleton Lieber Herr Brecht! Erlauben Sie bitte, dass ich mich Ihnen in Erinnerung bringe: ich war vor 1933 Redakteur der Zeitschrift „Rote Fahne“ und – als naher Freund von Slatan Dudow – ein eifriger Mitarbeiter der sog. „Internationalen Tribüne“272, die szt. Ihre „Massnahme“ in der Berliner Philharmonie herausbrachte. Da ich von verschiedenen Bekannten, u.a. von Dudow, hörte, dass Sie im September nach Europa kommen werden, möchte Sie mein Brief bei Ihrem Eintreffen auf das herzlichste begrüssen. Wie alle alten Freunde und Anhänger Ihrer Kunst freue ich mich sehr auf Ihren bevorstehenden Besuch in Deutschland, von dem wir uns wertvolle Anregungen erwarten. Mein Schreiben hat aber noch einen anderen Zweck. Ich bin jetzt Feuilletonredakteur der „Berliner Zeitung“273, der grössten überparteilichen Zeitung von Berlin (Auflage etwa eine halbe Million), die sich bemüht, eine zeitgemässe und weltoffene Kulturpolitik zu treiben. Sie werden verstehen, dass mir in dieser Eigenschaft ganz besonders daran liegt, so schnell wie möglich mit Ihnen Verbindung aufzunehmen. Ich bin so kühn, [S]ie sehr dringend zu bitten, mir das erste Interview zu gewähren, sobald Sie nach Berlin kommen. Da ich Sie und Ihre Arbeit von früher her kenne und schätze, wird es mir sicherlich gelingen, zu Ihrer Begrüssung den richtigen Ton zu finden. Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie sich entschliessen könnten, meinem Wunsche zu entsprechen. In diesem Fall wäre es allerdings nötig, dass Sie mich rechtzeitig von Ihrem Eintreffen wissen liessen; das Nachrichtenwesen und die Verkehrsverhältnisse sind heute in Deutschland nicht mehr so wie früher. Meine zweite Bitte ist, dass Sie die Freundlichkeit hätten, mir von der Schweiz aus Gedichte oder andere Beiträge für die „Berliner Zeitung“ zugehen zu lassen. Auch für den Abdruck einer Szene aus Ihrem Schauspiel „Galilei“ wäre hier sehr grosses Interesse. Ich bemühe mich seit Monaten beim Verlag darum, kann aber mit den Leuten nicht einig werden. 271 Heinz Lüdecke, Literatur-, Theater- und Filmkritiker, vormals Redakteur der KPD-Zeitung Die Rote Fahne. Ab 1945 arbeitete er für die Berliner Zeitung und für das Neue Deutschland. 272 Das war ein „Arbeitskreis zur Förderung der internationalen revolutionären Kunst und Literatur“. Die Uraufführung der Maßnahme in der Berliner Philharmonie fand in der Nacht vom 13. auf den 14.12.1930 statt. Vgl. Anm. in GBA 3, S. 439f. 273 Die Berliner Zeitung, die seit Mai 1945 erschien, wurde zunächst dem Kommando der Roten Armee, später dem Magistrat der Stadt und schließlich der SED unterstellt.

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Indem ich Ihnen nochmals zu sagen versuche, mit wie grosser Spannung Sie hier in Berlin erwartet werden, und wie begierig gerade von den Lesern der „Berliner Zeitung“ jede Aeusserung von Ihnen aufgenommen werden würde, bin ich mit den besten Empfehlungen Ihr Heinz Lüdecke Überlieferung: Ts (Abschrift), hs. U., Bv.: Berliner Zeitung Berliner Verlag G.m.b.H. Verlag und Redaktion: Berlin W8, Jägerstraße 10–11 • Fernruf 425211, nachts 423510 • Sprechstunden der Redaktion: täglich 10 bis 12 Uhr BERLIN, den _______; BBA 3132.

Delbert Clark 274 an Bertolt Brecht Berlin, 1.9.1947 TA 49 T. CDU205 Intl=CD berlin via mackay 41 1 MLT bert brecht= 1065 twentysixth st s[a]ntamonica (calif)=

1947 Sep I AM 9 04

peter suhrkamp asks your agreement performance mother courage dresden state theater stage manager van diemen from konstanz performances chief actress mistress kueter formerly london cable reply delbert clark us press center berlin= delbert clarc. 1063. Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 1762/14.

Kurt Weill an Bertolt Brecht New York, 3.9.1947 Weill bedankt sich für einen Brief Brechts, der nicht erhalten ist. Von der Aufführung des Galileo in Los Angeles habe er schon Gutes gehört. Joseph Loseys Inszenierung, auf die Weill sich hier bezieht – die Uraufführung findet am 30. Juli 1947 im Coronet Theatre in Beverly Hills statt –, sollte bald auch in New York gespielt werden, erstmals am 7. Dezember 1947 im Maxine Elliott’s Theatre (vgl. Losey, 12.11.1947; dazu die Anm. in GBA 5, S. 376f.). Beim Verkauf der Filmrechte der Dreigroschenoper nach Schweden wolle er gern behilflich sein, um Brecht das Geld für die bevorstehende Reise in die Schweiz zu verschaffen. Allerdings 274 Delbert Clark, amerikanischer Journalist, Berlin-Korrespondent der New York Times.

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lägen die Rechte einstweilen noch beim Verlag Felix Bloch Erben, Weill habe sich darüber genau aufklären lassen. Er rät Brecht zur Vorsicht in solcherlei Verhandlungen, um nicht durch unüberlegte Vertragsabschlüsse künftige Abschlüsse unmöglich zu machen. Seit Juni zurück von einer Reise nach Palästina, sitze er nun schon wieder bei der Arbeit an einem neuen Stück. In den folgenden sechs Monaten werde er daher keine Zeit finden, Musik für den Schwejk zu komponieren (vgl. Anm. zu Piscator, 24.9.1943). Sollte Brecht demnächst einmal wieder nach New York kommen, könnten sie darüber sprechen. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Playwrights Company Maxwell Anderson • Elmer Rice • Robert E. Sherwood • Kurt Weill • John F. Wharton • Directors • Victor Samrock • Business Manager • William Fields • Press Representative 430 Fifth Avenue New York 20; BBA 211/37.

Falk Harnack 275 an Helene Weigel [Berlin] 5.9.1947 5.9.1947 Dr. H./Lo.

Frau

Helene Weigel-Brecht 1036 26th Street Santa Monica/California/USA

Deutsches Theater stellvertr. Intendant Dr. F. Harnack Sehr geehrte Frau Weigel! Ihnen und allen Freunden danke ich auf das Allerherzlichste für das herrliche CarePaket, das mir materiell sehr geholfen hat. Für mich als Emigrant, der bereits 1945 nach Deutschland zurückgekehrt ist, ist es eine ganz besondere Freude zu sehen, wie die Freunde im Ausland an die progressiven Kräfte in Deutschland denken und ihre mühevolle Arbeit unterstützen. Wir alle würden uns sehr freuen, wenn Sie und Bert Brecht recht bald nach Berlin kämen. Insbesondere wartet das deutsche Theaterpublikum mit Sehnsucht auf die neue Dramatik von Bert Brecht. Mit herzlichen Grüssen 275 Falk Harnack (1913–1991), Theaterwissenschaftler, Drehbuchautor und Schauspieler, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, arbeitete ab 1947 am Deutschen Theater Berlin, ab 1949 bei der DEFA, ehe er 1952 nach West-Berlin übersiedelte.

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Ihr ergebener Ha PS: Vor wenigen Tagen wurde mir mitgeteilt, dass ein zweites, an mich adressiertes Paket nach Amerika zurückgeschickt worden sei. Ich kann mir diesen Vorgang nur so erklären, dass ich inzwischen meine Wohnung gewechselt habe. Meine Anschrift ist: Dr. F. Harnack, Berlin-Wannsee, Am kleinen Wannsee 6a D.O. Überlieferung: Ts, hs. U.; AdK: Falk-Harnack-Archiv 250.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 5.9.1947 Herrn Bert B r e c h t Santa Monica /Kalifornien 1063-26th Street

5. 9. 47

Lieber Brecht! Ich hoffe, wir sehen uns bald. Auf jeden Fall werden Sie sehnlichst erwartet. Für heute nur eine kurze Anfrage. In dem alten Volksbühnenverlag von Bruno Henschel soll ich einen Almanach „Theaterstadt Berlin“ herausgeben.276 Dieser Almanach ist selbstverständlich ohne Ihre Mitarbeit nicht denkbar. Für hervorragend wirkungsvoll würde ich es halten, wenn wir eine bisher unveröffentlichte Szene aus einem neuen Stück von Ihnen bringen könnten. (Selbstverständlich wird der Beitrag gut honoriert wenn Sie hier sind.) Wenn Ihnen sonst eine prinzipielle Stellungnahme oder irgend eine Kundgebung am Herzen liegt, werde ich natürlich auch diese bringen. Nur wäre ich für eine baldige Antwort dankbar. Der Redaktionsschluss wäre etwa am 1. November. Mit herzlichem Dank und Gruss, auch von meiner Frau an Helli, Ihr (Herbert Ihering) Berlin-Zehlendorf Am Fischtal 61 Überlieferung: Ts, AdK: Herbert-Ihering-Archiv 984.

276 Der Band Theaterstadt Berlin (in den auch sie Szene Volksbefragung aus Furcht und Elend des III. Reiches aufgenommen wurde) erschien 1948 in Berlin. Der dort 1945 von Bruno Henschel (1900–1976) gegründete Theaterverlag wurde in der DDR als „volkseigener Betrieb“ weitergeführt.

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Theodor Popp277 an Bertolt Brecht und Helene Weigel Berlin, 10.9.1947 Theodor Popp Berlin-Tempelhof Badenerring 40

10.9.47

Liebe Freunde, darf ich Euch mitteilen, dass ich Euer zweites Paket unversehrt und vollständig erhalten habe. Grosse Freude darüber bei uns allen – bei Frau und Kindern. Seid herzlichst bedankt. Euer Theodor Popp Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3304.

Giulio Einaudi278 an Bertolt Brecht Turin, 17.9.1947 GE/se Turin, 17th September 1947 Mr. Bertolt Brecht 1063-26th Street Santa Monica (California) Dear Sir, Last year I had my agent Mr. S. Greenburger279 of New York trying to obtain copyrights on your plays. Nothing came out of this. Now, I follow the suggestion of Mr. Paolo Milano I met in Rome, to write to you directly. I think it’s high time that your plays must be known also in Italy, now that the lesson of the war has prepared the ground. I’m sure you could turn out to be the biggest event of the literary year, and eventually of the stage too. 277 Theodor Popp, Schauspieler und Regisseur, gehörte vormals zu der von Gustav von Wangenheim geleiteten „Truppe 1931“. 278 Giulio Einaudi (1912–1999), italienischer Verleger. In seinem 1933 gegründeten Turiner Verlag erschienen 1951 bzw. 1954 die Brecht-Bände Teatro (I & II). 279 Sanford J. Greenburger, amerikanischer Literaturagent.

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On March ’46 Mr. Greenburger wrote to me that your conditions were 10% and an advance sum for 3.000 copies. We could begin with a volume containing four or five plays of yours, and its selling price would probably be of 600-700 lire. In this case, the advance sum we could pay you here in Italy or with dollars bought in Italy with balanced lire, would be of ₤. 210.000. Can you, in accord with Mr. Milano, let us know your wishes about this first volume? We are thinking of a Beggar’s Opera, The good woman of Sez[u]an and The Caucasian Circle of Chalk. But you are the fittest man to advise us. I should be glad to get a word from you about these titles together with the granting of an option on other titles; Paolo Milano will explain to you with what care we publish in good translations foreign masterpieces. Yours sincerely (Giulio Einaudi) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Giulio Einaudi editore, Uffici editoriali, Milano viale Tunisia 29, telefona 61035, Roma via Uffici del Vicario 49 telefona 681986; BBA 1183/18.

Karl Korsch an Bertolt Brecht [Seattle, September 1947]280 […] Raisonieren über die Sache anstelle der Sache selbst in den Text hereingekommen sein sollten, kann das noch nach der Annahme des Ms. vor dem Druck wieder herausgebracht werden. Unter anderm 7) hierbei hoffe ich, meine Selbstkritik durch Ihre Kritik ergänzt zu kriegen. Wenn es soweit ist, werde ich Ihnen zum Vergleich von allem, was mir in dieser Hinsicht verdächtig scheint, die alte und die neue Fassung nebeneinander unterbreiten, sodass Sie mir auch, noch von Europa aus, Ihre Stellung dazu ohne sonderliche Mühe durch +/– Markierung mitteilen können.281 – Leichter ginge es natürlich in New York!282 280 Karl Korsch hatte Brecht Ende August in Santa Monica besucht und war anschließend nach Mexiko gereist. Diesen Brief schrieb er vermutlich kurz nach seiner Rückkehr. 281 Korsch plante, nachdem er mit Brecht darüber gesprochen und dann in Mexiko das ursprüngliche deutsche Manuskript wiederentdeckt hatte, sein Buch Karl Marx (London 1938) zum Jubiläum des Kommunistischen Manifests (1848) in einer überarbeiteten Fassung neu zu veröffentlichen unter dem Titel „Hundert Jahre Marx – Eine geschichtliche und kritische Darstellung seines Werks“. Brecht sollte den revidierten Text nach Europa mitnehmen und dort einen Verleger suchen. 282 Nachdem er am 30.10. vor dem HUAC in Washington ausgesagt hatte (vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947), flog Brecht am folgenden Tag von New York nach Paris. Korsch hat ihn dort wahrscheinlich nicht mehr angetroffen. Das Manuskript übergab er Helene Weigel, die Amerika einige Tage später mit dem Schiff verließ.

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8) Ich mache für den deutschen Text neu sämtliche (etwa 30) Kapitelüberschriften. Alle meine Mss., auch die jetzt aus Boston hierhergeschickten, haben nur eine formale Untereinteilung der 3 „Kapitel“ (im englischen Buch verbessert in „Teile“) in numerierte §§. 9) Ich las mal in einer deutschen Zeitung, dass der Rowohlt-Verlag billige Bücher und Broschüren mit der Zeitungspresse und also auch im Format des Zeitungsdrucks u. auf Zeitungspapier herausgibt. Wenn es so etwas noch gibt, käme evtl. in Frage, auch mein Buch in dieser Form, bzw. sogar die drei Teile als formell getrennte, wenn auch auf einander Bezug nehmende Broschüren in einer billigen Massenauflage herauszubringen. Genug von diesem. Sie haben vermutlich jetzt weder Zeit noch Interesse für solche Einzelheiten. Ich hoffe, dass es Ihnen, Helli und Barbara gut geht und daß Sie drüben von dem Lande, zu dem Sie zurückkehren, noch einiges finden werden. Es war schön, daß ich auch in der vormals Neuen Welt noch einmal im Hause Brecht einkehren konnte und daß wir immerhin einige Zeit für arbeitbezogene Unterhaltungen gehabt haben. Vielleicht gibt es davon in NY doch noch eine kleine Fortsetzung – oder vielleicht komm ich doch bald mal zu einem Besuch nach Europa. Allen herzliche Grüße auch von der Seattler H.K.283 Die Bostonische284, sowie auch unsere Barbara 285, werden hoffentlich in New York noch persönlich auftreten. Ihr KK Überlieferung: Ms (Fragment, beginnend mit S. 3), Bv.: The Piedmont Hotel Seneca at Summit Seattle, Washington; BBA 1185/18–19. – E: Korsch, Briefe, S. 1182f.

Paolo Milano an Bertolt Brecht New York, 23.9.1947 Forest Hills, L.I., N.Y. 98-39 65th Road September 23, 1947 Dear Brecht: How are you? Or rather, first of all, where are you? I have tried to call up Miss Berlau’s number (no answer), and am writing now, „in the dark”, to your Santa Monica address, hoping that my letter will find you there. As to me, I’m just back from Italy, where I spent the whole summer, and it would take me certainly more than one of our talkative New York evenings to report on what I saw 283 Hanna Kosterlitz. 284 Hedda Korsch. 285 Tochter von Hedda und Karl Korsch.

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and felt. But, maybe, you spent the summer „on the other side”, too, and it might be my turn to listen. You must have received a letter from G. Einaudi, the publisher. I saw him in Rome, and we had a very long talk about you and your works he is more eager than ever to put out. He suggested that you should choose four or five of your favourite plays, which he would publish at once; in one volume. I think it is worthwhile to have finally a start. This wouldn’t exclude in the least the more ambitious plan of publication in Italy of your „Complete works” – on the contrary, it would give it a good beginning. What do you think? Please, let me know about it as soon as possible, because Einaudi will bombard me, I know, with air-mail „reminders”. As to the selection of the plays to appear in this first volume, I know that Einaudi has made some suggestions. But he has also asked me to impress upon you that you should feel most free to choose whatever of your plays you may prefer. I can vouch for the quality of the translations, knowing that Casa Einaudi’s translators are always the best. In addition, we could always check upon them, or even ask to be submitted a sample translation of one of the plays, and/or the existing version of Dreigroschen[oper]. Will you, friendly, excuse the horrible state of my typewriter, and its ancient ribbon? I felt all too lazy to go out and buy a new one. Will you be in New York at all, this fall, or in the winter? I hope so, for the selfish pleasure to have an unhurried chatter with you. Molte buone cose dal suo Paolo Milano Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1183/17.

Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht [Paris] 1.10.1947 10:1:1947 Dear Brecht: If you are still having difficulties getting a French transit visa 286, airmail me facts at once and I can arrange for you. Among other things, if you wish, I can get you an invitation to stay with Pierre Abraham in Nice. He translated you. His brother is an old friend of mine. u.s.w.

286 Vgl. B. an Reyher, September 1947, GBA 29, S. 421f. – Am 31.10.1947 flog Brecht von New York nach Paris, von dort fuhr er am 5.11. mit dem Zug weiter nach Zürich.

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Best Reyher If this reaches you this week or within a week you should still be able to reach me airmail at Hotel d’Angleterre 44 Rue Jacob PARIS 6e Überlieferung: Ms, Bv.: Hotel Chelsea New York West Twenty Third Street at Seventh Avenue Telephone Chelsea 3-3700 Cable Address Hochchelsea New York; BBA 1762/53. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 205f.

Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 2.10.1947 Augsburg, den 2. Oktober 47 Baugartenstöckle 1 Lieber Bidi, ich habe es bis vor kurzem noch für sehr wahrscheinlich gehalten, daß Du im September in der He[l]vetia bist und dann wenigstens für einige Tage das Überbleibsel da und dort (was da kreucht und keucht) zu Gesicht bekommen willst. Der September ist gaga und Du wirst noch im Lande des „ewigen“ Frühlings sein. Die He[l]vetia und die übriggebliebenen laufen Dir nicht davon. Hab’ ich übriggebliebene schon gesagt? Dann muß ich noch eine kleine und handliche Fußnote anbringen. Um das Jahr 45 fiel bekanntlich manchen Leuten etwas ein. Häuser in Hülle und Fülle, mitunter ein kleiner Satz. Ein praktischer, aufmunternder Wegweiser, an den man zwischen den Teppichen, vor und nach dem „Wum-wum“ dachte oder auch nicht. (Meistens nicht) „Bleiben sie übrig!“ sagten die zeit- u. raumerfahrenen Leute und „auf Wiedersehen“, so nebenher, gleichgültig. Wer den einen Satz erfunden hat, war gewiß, wie man heute zu sagen pflegt, „auf Draht“ (er hat den „Dreh“ heraus). Ein freundlicher Typus obendrein, so dacht’ ich mir. Einer, dem ich nicht das Wasser reichen kann und einer, der einwandfrei das x vom u unterscheidet und wieder einer, der Maß und Ziel kennt und also kein Narr sein kann. Aber wie es oft so geht, mir nix dir nix fallen die Schuppen von den Augen, eine Alterserscheinung, die man hinnehmen muß. Mit unbeschuppten Augen sieht der Fall ganz anders her. Das ist ja gar kein Erfinder, das ist ein Spötter, ein frivoler, aalglatter Spötter. Bleiben sie übrig, sagt er. Und jetzt sind wir tatsächlich die übrig Gebliebenen.

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Ich schicke Dir einen davon. August 46 aufgenommen. Wir haben vor 14 Tagen ein sehr schönes Lebensmittelpaket, vor 10 Tagen und vorgestern je 1 Care-Paket erhalten. Recht herzlichen Dank. Sage auch bitte Deiner Frau, daß es um uns schlecht stünde, wenn wir nicht schon soviel von Euch bekommen hätten. Die besten Grüße Überlieferung: Ts, Georg Pfanzelt jr., Augsburg (Kopie: BBA E 73/107).

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 7.10.1947 BASEL, DEN 7. Oktober 1947. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4

Luftpost.

Mr. Bert B r e c h t , Twentysixth Street 1063, Santa Monica /Calif.

BETRIFFT: THEATERVERLAG. Lieber Herr Brecht, Besten Dank für Ihr freundliches Schreiben, das am 6. Oktober bei uns einging.287 Ich freue mich sehr, dass Sie endlich nach Europa kommen und hoffe, dass wir Ihre Angelegenheiten zur beidseitigen Zufriedenheit erledigen können. Nachträglich noch meine herzlichsten Glückwünsche für den grossen Aufführungserfolg des „Galileo“ in Hollywood und toi, toi, toi für die New Yorker Aufführung.288 Das gewünschte Telegramm sende ich Ihnen gerne; Sie haben aber vergessen mir Ihre New Yorker Adresse anzugeben. Die Wohnungsverhältnisse in der Schweiz sind ausserordentlich schwierig und sicher nicht besser wie in Amerika. Ich werde mich gerne bemühen, für Sie etwas zu finden, kann Ihnen jedoch wenig Hoffnung machen. Es müsste uns schon ein Zufall zu Hilfe kommen. Ich kann Ihnen heute die erfreuliche Mitteilung machen, dass die Verhandlungen, die wir im August/September 1946 mit dem Théâtre National in Brüssel führten, nunmehr zu 287 Nicht überliefert. 288 Joseph Loseys Inszenierung des Galileo, die am 30.7.1947 im Coronet Theatre in Beverly Hills uraufgeführt worden war, wurde bald auch in New York gespielt, dort erstmals am 7.12.1947 im Maxine Elliott’s Theatre aufgeführt. Vgl. Losey, 12.11.1947; dazu die Anm. in GBA 5, S. 376f.

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einem Abschluss für „Mutter Courage“ führten. Sie haben uns die Autorisation zum Abschluss im September 1946 durch Frau Frank 289 erteilt. Die Uebersetzung besorgte eine der besten belgischen Schriftstellerinnen, Mme. Madeleine Bourdouckx [sic].290 Ein Exemplar der franz. Uebersetzung werden Sie bei Ihrer Ankunft in der Schweiz hier vorfinden. Das Théâtre National hat in den letzten Monaten folgendes Repertoir[e] gespielt: „Othello“291 de Shakespeare, „Ondine“292 von Giraudoux, „L’Apollon de Bellac“293, „Les Noces de Sang“294 von Lorca, „Le Mariage Forcé“295 von Molière. Das Theater ist das beste belgische Schauspieltheater. Die Aufführung findet im Laufe des Monats Februar statt. Das Theater garantiert 30 Vorstellungen in Brüssel und andern belgischen Theatern, sowie in Luxemburg. Die Bedingungen sind 6% der Einnahmen für Sie und Dessau. Die Uebersetzerin erhält vom Theater 2%. Das Stück soll unter dem Titel „Marie Courage“ aufgeführt werden und wir nehmen an, dass Sie damit einverstanden sind. Mit herzlichen Grüssen Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1182/56.

Johannes R. Becher an Helene Weigel und Bertolt Brecht Berlin, 8.10.1947 Berlin, den 8.10.1947 Liebe Helene Weigel, lieber Bert Brecht! Vielen Dank für Euer schönes Geschenk, das gerade zum 1. Schriftstellerkongress296 hier eintraf, welches aber, wie Ihr Euch denken könnt, kein Ersatz dafür war, dass Ihr, die Ihr erwartet wurdet, nicht gekommen seid. Ich werde Euch Berichte, die Euch interessieren, in der nächsten Zeit zuschicken. 289 Elisabeth Frank. 290 Die belgische Schriftstellerin Madeleine Bourdouxhe (1906–1996) hatte eine Übersetzung der Mutter Courage mit dem Titel Marie Courage angefertigt. Der Text ist dokumentiert im Centre de recherche et de documentation littéraires et théâtrales de la Communauté française de Belgique in Brüssel. 291 Othello, the Moor of Venice (1603), Tragödie von William Shakespeare. 292 Ondine (Undine, 1939), Drama des französischen Schriftstellers Jean Giraudoux (1882–1944). 293 L’Apollon de Bellac (Der Apollo von Bellac, 1942), Komödie von Jean Giraudoux. 294 Bodas de sangre (Bluthochzeit, 1933), Tragödie von Federico García Lorca. 295 Le Mariage forcé (Die Zwangsheirat, 1664), Komödie von Molière. 296 Der erste Kongreß des Deutschen Schriftstellerverbands (des späteren Schriftstellerverbands der DDR) fand am 8.10.1947 in Berlin statt.

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Also nochmals vielen Dank und seid herzlichst von uns allen gegrüsst! Euer B. (Johannes R. Becher) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands Der Präsident Berlin W15 • Schlüterstrasse 45 Fernruf 910125 Postscheckkonto: Berlin Bankkonten: Berliner Stadtkontor Bezirksbank Charlottenburg; BBA 3296.

Theodore Fuchs297 an Bertolt Brecht Evanston, 10.10.1947 October 10, 1947 Mr. Bertolt Brecht, 1063 – 26th Street, Santa Monica, California Mr. Desmond Vesey c/o Robert Hale, Ltd., 18 Bedford Square, London, W. C. 1., England Mr. Kurt Weill Brook House, Mountain Road, New City, New York Gentlemen: We are considering the possibility of including THE THREE-PENNY OPERA as one of the productions of our current season, and I am writing identical letters to each of you regarding the matter of securing your permission to produce this work. From Mr. Charles Shattuck 298 of the University of Illinois, where THE THREE-PENNY OPERA was produced recently, I understand that your customary fee for production permission is Fifty Dollars payable to each of you, or a total of One Hundred Fifty Dollars.

297 Theodore Fuchs, amerikanischer Theaterwissenschaftler, Professor an der Northwestern University in Evanston, Illinois. 298 Charles H. Shattuck, amerikanischer Literaturwissenschaftler, Professor an der University of Illinois in Urbana.

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Our auditorium is a very small one, seating only 272, so we would plan to present ten or twelve performances. Our total audience would be approximately the same as that at the University of Illinois, where they have a much larger auditorium but fewer performances. If the fee of Fifty Dollars to each of you would be satisfactory, I would appreciate hearing from you at your early convenience, receiving your permissions to produce this work, so that we could conclude our arrangements for our season’s schedule of plays. I would also appreciate information as to where we could obtain a copy of the complete revised script, with notes; and also the music for the song, „The Ballad of Sexual Slavery”299, which is missing from the score that Mr. Shattuck has lent us. I hope that it will be possible for us to produce THE THREE-PENNY OPERA, and that mutually satisfactory arrangements can be made for securing your permission to do so. Sincerely yours, Theodore Fuchs TF-em Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Northwestern University Theatre Speech Building ● Evanston, Illinois Theodore Fuchs, Director; BBA 1762/60–61.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Zürich, 12.10.1947 Zürich, 12. OKT 1947. Lieber Bert: Ich weiss nicht, ob Du meine verschiedenen Briefe erhieltest. Inzwischen erfahre ich von Deiner Herkunft, die durch Anderes überkreuzt wurde, hoffentlich ist der 21. überstanden. Schade für die Zeit, die man in solchen Tagen verstreichen lassen muss. Sie hätten der Schiffsreise mehr gedient. D.h. Du wärest früher hier. Nun frägt es sich, ob Du überhaupt noch kommen kannst vor Neujahr. Man kennt die Verhältnisse nicht so und da das Rätselraten schwerer fällt, je länger man sich ins Schweigen hüllt um so mysteriöser wird dein Kommen. Erstaunt war ich als ich hörte, daß tatsächlich bereits ein Termin festlag. Ich hoffe, der nächste wird bereits feststehen. Man liest nur in den Zeitungen von Dir. Das ist schön, aber nicht sicher – wie mans nimmt. So soll Galilei ein grosser Erfolg gewesen sein.300

299 Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit aus der Dreigroschenoper (GBA 2, S. 269). 300 Vgl. Anm. in GBA 5, S. 374–378.

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Es ist gut, wenn du einmal hierher kommst und wir beginnen den Augiasstall der Verwirrungen etwas auszuräumen – jedoch ich fürchte es gibt dabei viel zu tun. Du langst Dir an den Kopf und zählst Deine Haare.301 Aber woher sollten sie es wissen, einer allein wird auf die Dauer mürbe gemacht, obwohl er es wüsste – Ob man in Berlin ein Theater machen soll und kann weiss ich noch nicht. Dies müsste hier an Ort und Stelle durchgesprochen werden – Hast Du meine Zeichnungen erhalten? Soll ich Dir die Mappe von „Furcht und Elend des 3. Reiches”302 schicken lassen. Ein deutscher Verlag bat mich, daraus es zu drucken und wartet auf die Lizenz von Dir. Aber Du wirst Darüber bereits erfahren haben – Italien fordert Deine Stücke es fehlen doch einige. In Mailand wird gutes Theater gemacht. Über mich ist vorläufig wenig zu berichten, man versucht sich durchzuschlängeln. Helly hatte uns wieder ein Paket geschickt wir dankten303 und danken noch. Hermann Kasack, der mir schrieb, bittet Dich ihn in Berlin ja nicht zu vergessen, solltest Du dort sein, ehe Du hierher kommst. Sonst nichts – Komme. Dann werden wir sehen. Vorläufig taste ich hier und anderwärts die Gegend ab. Das Zurückziehen ist heute schwer als man meinen sollte – was besser wäre als Bühnenbildnerei – was ein sehr fragwürdiger Beruf wird, wenn keine geistigen Aufgaben dahinter stecken. Bayern, das ich diesen Sommer mehrmals besuchte, machte in alter Frische unserer ersten Jahre eine Art Boheme in Schwabing oder Umgebung auf. Mit solchen Sommern überstand man die Misere des allgemeinen Lebens. Nur kann man nirgends mehr hin am Ammersee etc., da alles voll Flüchtlingen ist. Aber dies in längeren Gesprächen, sobald du kommst. D. C. Grüsse Helly. Erika bitte Euch beide herzlichst zu grüssen von Georg keine Nachricht Überlieferung: Ms, BBA 1185/7–10. – E: Bertolt Brecht und die Schweiz, hrsg. von Werner Wüthrich unter Mitarbeit von Stefan Hulfeld, Zürich 2003, S. 535f.

301 Erg.: „nicht die Haare, sondern die anderen“. 302 Caspar Neher hatte das Bühnenbild zur Aufführung von Furcht und Elend des III. Reiches am Stadttheater Basel (6.1.1947, Regie: Ernst Ginsberg) gestaltet. 303 Erg.: „nach Hamburg“.

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Wolfgang Langhoff und Carl Zuckmayer an Bertolt Brecht Berlin, 14.10.1947 14.10.1947

Herrn

Bertolt B r e c h t Santa Monica / California / USA 1063304 / 26th ---------------------------------------------

Lieber Bertolt Brecht! Gestern erhielt ich Ihren Brief vom September305 und danke Ihnen herzlichst dafür. Selbstverständlich bin ich gern bereit, Kurt Bois einzuladen, bei uns am Deutschen Theater zu spielen. Wie liegen da aber die staatsbürgerlichen Fragen? Ist Bois Amerikaner? Beabsichtigt er nur ein Gastspiel oder wäre er bereit, für dauernd nach Berlin zu kommen? Im Falle eines Gastspiels müsste er ebenfalls versuchen, via Schweiz mit uns die Verbindung aufzunehmen. Ich kann nur auf alle solche Anfragen wiederholen, dass wir von uns aus gern bereit sind, alle Kollegen, die sich nach Deutschland zurücksehnen, bei uns aufzunehmen, dass wir aber von uns aus wenig tun können, um die Einreiseschwierigkeiten zu beheben. Ist ein Kollege erst einmal hier, dann ist alles halb so schlimm. Wir können, relativ gesehen, gut für ihn sorgen, und ich bin überzeugt, dass er sich auch dann bei uns wohlfühlen würde. Selbstverständlich gilt das Obengesagte ganz besonders für Paul Dessau. Paul Dessau kann jederzeit nach Berlin kommen und sowohl am Deutschen Theater als auch bei der DEFA Deutsche Film A.G. einen grossen Wirkungskreis finden. Am liebsten würde ich ihm sofort einen Vertrag ans Deutsche Theater schicken, der ihm vielleicht bei der Erlangung eines Einreise-Visums von Nutzen sein kann. Ich werde ihm dieserhalb noch persönlich schreiben Hoffentlich erreicht Sie dieser Brief noch vor Ihrer Abreise. Wir werden im Hinblick auf Ihr Kommen mit einer Studioaufführung von „Furcht und Elend des dritten Reiches“ die Berliner auf eines Ihrer Hauptwerke vorbereiten. Den „Hauptmann von Köpenick“ haben wir inzwischen schon herausgebracht und spielen ihn bei ausverkauften Häusern bereits zum 26. Mal. Zuckmayer war gestern, aus der Schweiz kommend, in Berlin und hat sich die Aufführung angesehen. Er sprach sich sehr gut darüber aus. Viele herzliche Grüsse an Helli und an Sie Ihr W. Langhoff. 304 Im Ts: „1036“. 305 Nicht überliefert.

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NS: Vor einem Jahr wurde als deutsche Uraufführung in Konstanz „Mutter Courage“ gemacht.306 Der damalige Intendant Horst van Diemen, der jetzt als Gastregisseur in Dresden ist, hat behauptet, dass er über den Verlag bezw. über Kabel bei Ihnen selbst angefragt hat, ob die Aufführungsrechte erwerbbar sind. Es würde mich sehr interessieren, ob diese Angaben von H. van Diemen stimmen. D. O. [Hs. von Carl Zuckmayer:] Lieber Brecht, ich nehme diesen Brief von Berlin mit, hoffe dass er Sie noch drüben erreicht. Bitte lassen Sie von sich hören, wenn Sie in der Schweiz ankommen. Ich habe Ihnen allerlei auszurichten. (auch wegen Einreise nach Deutschland usw.) Herzlichen Gruss Ihr Zuckmayer (c/o Züricher Schauspielhaus) Falls sich Ihre Reisepläne geändert haben oder irgendwelche neuen Komplikationen eingetreten sind, schreiben Sie mir per Luftpost, was Sie nach Berlin rasch mitgeteilt haben möchten. Z. Überlieferung: Ts, hs. U., Absender auf dem Briefumschlag: „Carl Zuckmayer c/o Zürich Schauspielhaus Zeltweg 5 Zürich Switzerland“; BBA 3224.

Rudi Wetzel an Bertolt Brecht Berlin, 20.10.1947 Rudi W e t z e l

Berlin C. 2, den 20.10.1947. Wallstrasse 76-69 [sic]

Herrn Ber B r e c h t 1063, 26th Street, Santa Monica Calif. USA. Sehr geehrter Herr Brecht! Seit Juni ds. Js. habe ich täglich den SED Pressedienst an Sie gesandt. Da Sie bisher weder den Empfang bestätigt haben noch auf mein Schreiben vom 27.6. antworteten, ich deshalb nicht weiss, ob Sie den Pressedienst überhaupt erhalten oder Interesse für ihn haben, stelle ich ab heute den Versand ein. Mit bestem Gruss R. Wetzel

306 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.4.1946.

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N.B. Sollten Sie jedoch den Wunsch haben, den Pressedienst weiter zu erhalten, so bitte ich um entsprechende Benachrichtigung. D.O. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3208.

Stefan Brecht an Helene Weigel 22.10.1947 Okt. 22, 1947 Liebe Helli, Ich vermuthe Du hast inzwischen meine Karte gekriegt; die in der ich Dir mittheile dass ich um den 30. in Neu York sein werde. Korsch schrieb ich schon vor drei Tagen oder so als Hedda mir schrieb dass er (Korsch) gerne Bidi sehen wuerde. Korsch ist noch nicht in Boston; Hedda erwartete ihn innerhalb von 10 bis 14 Tagen; ich schrieb Korsch nach Seattle; und teilte ihm Deine Adresse in New York mit; aber natuerlich nicht dass Bidi ihn sehr gerne sehen wuerde da ich das ja nicht wusste. Seine Adresse in Seattle ist: c/o Dr. Kosterlitz, 3601 E Cherry St., Seattle, Wash… Es giebt einige schoene Parks in Neu York; einen an der 9. Avenue und der 27. Strasse; dann den Park an der 5. Avenue und der 23. Strasse. Auch gab ich Korsch Eure Adresse ohne das ‚c/o Rod E Geiger‘307 – das war nicht in Deinem Telegram enthalten. Morgen miete ich mir einen Lastwagen und Schurmann und ich transportieren einige Moebel nach Boston. In der Wohnung muss ich noch die Fenster waschen (es ist Farbe auf ihnen), ein Fenster und ein Schloss richten lassen, aus den Laken und Wandtuechern etliche Inschriften entfernen (‘legends’ nennt man oft auf Englisch solche Inschriften), einen P[o]stkasten und einige Spiegel anbringen. Bis auf naechsten Donnerstag oder Freitag (wahrscheinlich Donnerstag gegen 10.30 Abends) Dein Stefan Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 977/24.

307 Rod E. Geiger, amerikanischer Filmproduzent und -regisseeur, arbeitete damals für den italienischen Filmregisseur Roberto Rossellini. Brecht hatte ihn als Produzenten für eine Verfilmung des Galileo in Italien ins Auge gefaßt. Vgl. B. an Reyher, September 1947, GBA 29, S. 421f.

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Charles Laughton an Bertolt Brecht New York, 24.10.1947 TU41 T.SZ318 NL PD=santamonica calif 23 bertolt brecht= = care rod geiger 34 west 73 rd st nyk = received following wire quote: last spring the experimental theater 308 was granted the sidney howard memorial award309 as quote; the most important development in the theater unquote. we feel that your decision to play galileo commencing december 7 th amply fulfills the high expectations of the awarding committee all our good wishes to you signed helen hays brooks atkinson310 of anta clarence derwent president actor equity association unquote: best regards : charles laughton Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3124.

Peter Lotar an Bertolt Brecht Basel, 30.10.1947 BASEL, DEN 30. Oktober 1947. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , 1063, Twentysixth Avenue, Santa Monica/California. USA

308 Das Maxine Elliott’s Theatre in New York. Vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947. 309 Der nach dem amerikanischen Schriftsteller und Drehbuchautor Sidney Howard (1891–1939) benannte Preis wurde nach dessen Tod von der Playwrights’ Company jährlich einem jungen Bühnenautor verliehen. 310 Das Helen Hayes Theatre und das Brooks Atkinson Theatre in New York.

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BETRIFFT: Dramaturgie L/EP Sehr geehrter Herr Brecht, Aus Zeitungsnachrichten entnehmen wir zu unserer Bestürzung und Empörung, dass Ihnen angeblich die Ausreise aus USA verweigert wurde.311 Wir hoffen, dass diese Nachricht zumindest in dieser Form nicht stimmt und dass die Angelegenheit recht bald zu Ihrer Zufriedenheit beigelegt wird. Wir möchten Ihnen heute berichten, dass wir auf Grund Ihrer Autorisation für die Tschechoslovakei mit dem Prager Nationaltheater über eine Aufführung der „Gesichte der Simone Machard“312 verhandeln und hoffen, in der allernächsten Zeit einen Vertrag abschliessen zu können. Das Stadttheater Konstanz, Leitung Wolfgang Engels, das einen ganz besonderen Erfolg mit „Mutter Courage“ erzielte,313 bewirb sich um die Erstaufführung von „Galileo Galilei“. Wir bitten Sie, uns Ihren Standpunkt hie[r]zu bekanntzugeben. Die ganz verworrenen Verhältnisse Ihrer Vertretung in Deutschland stellen einen der wichtigsten Punkte dar, die wir während Ihres Europa-Besuches mit Ihnen gerne klären möchten. Mit den besten Empfehlungen R E I S S A.G. Dramaturgie: Peter Lotar PETER LOTAR. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theaterverlag Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/23.

311 Am 30.10.1947 mußte Brecht vor dem HUAC in Washington aussagen (vgl. BC, S. 794–796; Lyon, Brecht in America, S. 314–337). Eine deutsche Übersetzung des Verhörs ist abgedruckt in Brecht im Gespräch, hsrg. v. Werner Hecht, Frankfurt/M. 1975, S.  57–78. Vgl. dazu die Anrede an den Kongreßausschuß in GBA 23, S. 59–62, und den Journaleintrag in GBA 27, S. 247–250. Mit den Ermittlungen gegen die „Hollywood nineteen“, zu denen auch Brecht gehörte, begann das nach dem Senator Joseph McCarthy benannte Blacklisting mutmaßlicher Kommunisten in der amerikanischen Filmindustrie. 312 Vgl. B. an Eisler, Anfang/Mitte November 1947, GBA 29, S. 430. Die Aufführung kam nicht zustande. 313 Vgl. Anm. Zu Reiss, 17.4.1946.

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Hans Tombrock 314 an Bertolt Brecht und Helene Weigel Dortmund, 3.11.1947 Abs. Hans Tombrock 21b Dortmund, Hans Holbeinstr. 12, Deutschland den 3. Nov. 47 Liebe Brechts, ich möchte mich sehr für die Pakete bedanken, die ich bis jetzt bekam. Es waren 3 Stück, davon zwei von New York, 1. g. „neues Lebensmittelpaket“. Diese waren ganz besonders gut. Und wie geht es Euch? Ich las, das[s] Bertolt nach der Schweiz kommen wollte. Und daß das Leben Galileis in Hollywood uraufgeführt wurde.315 Und was machen die Kinder, Barbara, die 1941 schon 12 war muß jetzt wohl auch schon ein […]en sein. So geht eben doch die Zeit... Ich habe für Euch zwei – wie ich glaube sehr gute, farbenintensive – Pastells nach Düsseldorf zur Weiterbeförderung geschickt. Ich wäre begierig Bertolts Meinung darüber zu hören. Die Motive sind: Muselmangesicht in […] und eine seltsame Landschaft. Ich hoffe, Sie gefallen Euch... Das Ölbild Die Witwen von Osseg, dessen Original im […] in Stockholm hängt, wird als Farbenreproduktion in der großen Biographie über mich kommen, sodaß Bertolt ein die Farbenwirkung sehen kann, die damals, auf den Fotos, fehlte. Nun habe ich endlich meine Schule316 soweit aufgebaut (300 Quadratmeter von 750), daß sie am 14 November eröffnet wird. Ich freue mich so sehr darauf, 160 Schüler und Schülerinnen, darunter einen ganzen Teil Kriegsbeschäftigter, kulturpazitiv beeinflussen zu können. Und das Lehrerkollegium passt so gut zu dieser Schule, wie ich mir nicht besser wünschen konnte. Und sonst? Wir leben von 150 gr. Margarine im Monat, keine Kartoffel, nur graues Brot und einen […] von Wassersuppe. Die früheren Nazisten leben gut, sitzen wieder überall drin. Nein: Kommt ja nicht her. Deutschland ist unten durch, auch die Intelligenz ist geistig korrumpiert nur ohne Perspektive. Und das ist das Schlimmste. Ich danke Euch nochmals und grüsse Euch herzlich, so weit Ihr seid, wie in einer anderen Welt, Euer Hans Tombrock Überlieferung: Ms, BBA 3277. 314 Hans Tombrock (1895–1966), Maler und Graphiker, ging 1933 ins Exil in die Schweiz und über mehrere Stationen in Osteuropa schließlich nach Schweden, wo er sich 1939 mit Brecht anfreundete. Er fertigte Illustrationen zu zahlreichen Werken Brechts an, u.a. zum Galilei. 1946 kehrte er zurück nach Deutschland. 315 Am 30.7.1947 im Coronet Theatre, Beverly Hills (Regie: Joseph Losey). 316 Die Schule für bildende und angewandte Kunst in Dortmund.

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Werner Prasuhn an Bertolt Brecht Paris, 5.11.1947 Lieber Herr Brecht Ich benutze die Gelegenheit Ihres Schweizer Aufenthaltes, um heute noch einmal auf „Mahagonny“ zurückzukommen. Aber vielleicht fange ich lieber ganz von vorne an. Als Sie mir damals ein Paket aus Amerika schickten, dank[t]e ich Ihnen an Ihre amerikanische Adresse. In meinem damaligen Brief sprach ich gleichzeitig den Wunsch aus, Mahagonny in Paris herauszubringen. Diese und spätere Briefe blieben jedoch ohne Antwort und ich nehme heute an, dass meine verschiedenen Briefe Sie nicht erreichten. Inzwischen wandte ich mich dann an den Reiss-Verlag, der mich von Ihrer Anwesenheit in der Schweiz in Kenntnis setzte.317 Ich hoffe, dass Sie dieser Brief erreichen wird. Jedenfalls möchte ich Ihnen brieflich die ganze Angelegenheit näher erklären. Erstens glaube ich sehr an den Erfolg Ihres Stückes. Das Klima für eine Aufführung von Mahagonny scheint mir gerade jetzt ausserordentlich günstig zu sein. Zweitens würden mir die Bedingungen sehr erleichtert werden durch die Mitarbeit meines Freundes Mouloudji318. Mouloudji ist ebenso bekannt als Schauspieler wie als Schriftsteller. Er erhielt vor einiger Zeit den Preis der Pléiade, einer der wichtigsten frz. Literaturpreise. Ausserdem kamen zwei seiner Stücke mit Erfolg in Paris heraus. Als Schauspieler ist Mouloudji insofern interessant für mich da er eine Gruppe junger Schauspieler gegründet hat und demnächst ein Theater zu seiner Verfügung hat. Mouloudji ist sehr begeistert von Mahagonny. Die frz. Bearbeitung würden wir natürlich zusammen machen. Leider kann ich genauere Angaben kaum machen. Die Pariser Theaterverhältnisse, die ich aus beruflichen Gründen natürlich sehr gut kenne (ich spielte noch im vergangenen Monat) sind ausserordentlich schwierig. Es würde mir jedoch dank meiner Freunde (Jean Louis Barrault319 u.s.w.) gelingen über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen. Was die künstlerischen Schwierigkeiten angeht so glaube ich kaum, dass ein anderer Spielleiter in Paris Ihnen besser läge als ich. Schliesslich bin ich ja Jahre lang in Ihrem Klima aufgewachsen und weiss genau in welchem Geist Ihre Stücke zu spielen sind. Bitte, entschuldigen Sie diese unsympathische Art Reklame aber ich möchte nur, dass Sie keine zu grossen Bedenken haben. Leider erlauben es mir die Pariser Verhältnisse nicht, Ihnen einfach zu sagen: Ich habe folgendes Theater mit folgenden Schauspielern. Mir bleibt nur die Bitte: Geben Sie mir die Aufführungsrechte (selbst provisorisch, zeitlich gebunden z.B. oder provisorisch

317 Werner Prasuhns Brief wurde Brecht am 7.11.1947 vom Theaterverlag Reiss übermittelt (vgl. BBA 1800/24). 318 Marcel Mouloudji (1922–1994), französischer Schauspieler, Sänger und Schriftsteller. 1945 erhielt er den Prix de la Pléiade für seine Lebensgeschichte Enrico. 319 Jean-Louis Barrault (1910–1994), französischer Schauspieler und Regisseur.

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in anderer Form) und die Leute, die sich dann, gemeinsam mit mir, für die Sache einsetzen bieten ein maximum von Garantie. Ich glaube übrigens kaum, dass die festen Theater in Paris interessant genug wären, Ihr Stück anständig herauszubringen. Es wäre mir natürlich viel lieber, die ganze Angelegenheit mit Ihnen persönlich zu besprechen. Kommen Sie nicht einmal nach Paris? Entschuldigen Sie bitte meinen langen Brief. Wenn ich ihn so überlade mit Argumenten aller Art so nur deshalb weil mir so ungeheuer viel an der Sache liegt. Bitte, antworten Sie mir doch, wie Sie dazu denken. Die Begeisterung für eine Sache hat wohl niemals ernstlich Schaden getan und kann viele andere Dinge vorteilhaft ersetzen. Ich möchte hoffen, dass Sie meinen Plänen gut gesinnt sind. Ich grüsse Sie vielmals Werner Prasuhn Falls Mahagonny auf keinen Fall für Sie in Frage kommt, wie ist es mit anderen Stücken? Auch die Dreigroschenoper wäre zeitgemäss für Paris. Mein Theatername ist Claude Vernier. Es ist aber gleichgültig wie Sie mir schreiben. Werner Prasuhn 8, rue Collette Paris 17° [Hs.] Paris le 5 Nov. 47 Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3151.

Audrey Wood an Helene Weigel New York, 6.11.1947 November 6, 1947 Dear Mrs. Brecht: This is to confirm our conversation of this morning re Thomas Edward Hambleton’s320 contract proposals re Bertolt Brecht’s play, „THE CAUCASIAN CIRCLE OF CHALK”.

320 Thomas Edward Hambleton (1911–2005), amerikanischer Theaterproduzent, arrangierte Aufführungen des Galileo in Beverly Hills und New York.

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(1) T. Edward Hambleton desires to option this play for a period of one year from December 1, 1947. (2) Mr. Hambleton agrees to pay to the Dramatists’ Guild for the account of the author Five Hundred Dollars ($500.00) on the signing of the contract, said $500 to be an advance that covers a period of five months from the signing of said contract. As of May 1, 1948 he agrees to pay an additional advance of Five Hundred Dollars ($500.00) and as of August 1, 1948 a further advance of Five Hundred Dollars ($500.00). (3) It is understood that the royalties are to be: Five Percent on the first $5,000 of weekly gross box office receipts Seven and one half Percent on the next §2,000 Ten percent on weekly gross receipts in excess of $7,000. (4) Mr. Brecht has agreed to allow whatever translators or adaptors are brought in one third (1/3rd) of the author’s royalties. As you know, at this point we have not worked out the exact distribution of this one third (1/3rd) since the relationship between Stern, Auden, and Bentley has still not been clarified. (5) I am assuming that Mr. Hambleton is to be granted his full percentage as a manager re the motion picture and other subsidiary rights of this play, in accordance with the terms of the Minimum Basic Agreement. (6) Contract to this effect will be drawn up as soon as we have worked out the complicated adaptors situation. Sincerely, Audrey Wood AW:ES Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Liebling-Wood Authors’ Representative Audrey Wood William Liebling 551 Fifth Avenue New York 17, N.Y. Telephone Vanderbilt 6-3714-5-6 Cable Adress Liebshow Member of Society of Authors’ Representatives; BBA 1762/79.

M. Ribi an Bertolt Brecht Zürich, 7.11.1947 Herrn Bert Brecht, c/o Schauspielhaus Direktion Rämisstrasse 34 Zürich

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Sehr geehrter Herr Brecht, als neuer Leiter des Scientia-Verlages321 – lassen Sie sich durch den etwas unglücklich gewählten Namen nicht abschrecken, wir verlegen nicht vorzüglich wissenschaftliche Bücher – liegt mir sehr viel daran, unserm neuen Programm ein neues Gesicht zu geben und da würde es mich nun ausserordentlich freuen, wenn ich Ihren Namen auf das Verlagsprogramm für 1948 setzen könnte. Ich gelange also mit der sicher etwas unverschämten Frage an Sie, ob in Ihrer Schublade nicht noch Manuskripte liegen, die Sie gerne gedruckt sähen, oder ob Sie Werke besitzen, die Sie bei uns neu herauszugeben wünschten. Ich muss verzichten – da ich leider zur Zeit sehr von meiner neuen Tätigkeit beansprucht bin – Ihnen alles das zu schreiben, was ich Ihnen gerne über Ihre Werke gesagt hätte. Glauben Sie mir aber, dass Sie mir besonders mit Ihren Theaterstücken, eine ganz unsagbare Freude gebracht haben. Als Orientierung über die verlegerische Vergangenheit der Scientia, gestatte ich mir, Ihnen einen Verlags-Katalog beizulegen. Die Namen, einige besonders, sollen Sie nicht enttäuschen, hoffe ich. Lassen Sie mit Ihrem Namen eine neue Autorenliste anfangen. Ich danke Ihnen zum Voraus für Ihre Antwort und begrüsse Sie mit meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr sehr ergebener M. Ribi (Dr. M. Ribi) 7. Nov. 1947 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: SCIENTIA AG. Verlag Zürich – Feldeggstrasse 12 – Telephon 32 16 97/32 34 14 Telegrammadresse Scientia Zürich Postcheckkonto VIII 12880 Bank: Schweizerische Kreditanstalt; BBA 1763/41.

Elisabeth Müller 322 an Bertolt Brecht [Zürich] 12.11.1947 12. November, 1947 Sehr verehrter Bert Brecht; ich bin Ihnen von gestern Abend eine Antwort schuldig, hier ist sie:

321 Der Scientia-Verlag publizierte u.a. Schriften Konstantin Stanislawskis. 322 Die Schweizer Schauspielerin Elisabeth Müller (*1926) spielte das Stubenmädchen in der Uraufführung von Herr Puntila und sein Knecht Matti in Zürich am 5.6.1948, bei der Brecht selbst Regie führte.

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Ich bin Schauspielerin geworden, um auf der Bühne das zu sein, was ich im Leben zu sein mich fürchte oder mir erträume. Ihre Elisabeth Müller. Überlieferung: Ms (auf der Rückseite hs. Notizen Brechts), BBA 3141.

Joseph Losey an Bertolt Brecht [New York] 12.11.1947 November 12/ 47 Dear Brecht, Everything to date goes exceptionally well. My working relationship with Charles323 is first-class and seems to be based on real reciprocity. We spent last week-end in the country and walked and talked and got really basic work done on Scene 13.324 Casting is virtually finished – and very well. John Carradine325 is playing the Inquisitor which may frighten you, but Charles and I think we can get a fine performance from him. Joan McCracken326 (a dancer far better and better for Virginia than Osato327) is playing Virginia and Charles is delighted. We have the kind of Andrea I have always wanted (A young Jew from Palestine) and Charles agrees.328 We have a wonderful Little Monk….We still have no Pope but Charles is after Leo G. Carroll329 for that. We have no Federzoni…..Brown330 is coming to do the Ballade Singer and to help with the scene. We have Robin Lord to do the Ballade Singer’s wife331 and we have a fine little girl much like Wendy. The young Andrea could be better….We have trouble getting the boy singers started, but it will be solved….Schmidt is very competent. The lighting will be much better this time….I am of course much worried about costumes and we will miss Hellie desperately on that.

323 Charles Laughton. Die Rede ist von den Proben zur Aufführung des Galileo in New York (Premiere am 7.12.1947 im Maxine Elliott’s Theatre). 324 Vgl. dazu Brechts Anmerkungen in GBA 24, S. 243–245. 325 Der amerikanische Schauspieler John Carradine (1906–1988) hatte bereits den Kardinal in George Rylands New Yorker Inszenierung der Duchess of Malfi gespielt (vgl. Anm. zu Korsch, 10.9.1946). 326 Joan McCracken (1917–1961), amerikanische Schauspielerin und Tänzerin. 327 Sono Osato (*1919), amerikanische Tänzerin und Schauspielerin. 328 Den Andrea in der New Yorker Inszenierung spielte Michael Citro. 329 Leo G. Carroll (1892–1972), englischer Schauspieler, war ab 1940 in mehreren Filmen Alfred Hitchcocks zu sehen. In Loseys Inszenierung des Galileo trat er nicht auf. 330 Der amerikanische Schauspieler Harris Brown. 331 Diese Rolle spielte allerdings nicht Robin Lord, sondern Elizabeth Moore.

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As Hellie will tell you, a partisan of Stavis332 (who wrote LAMP AT MIDNIGHT) sent a rather ugly letter to the NY Times Sunday week ago. I enclose the letters answering the following week. No further news from Geiger.333 Contract on CAUCASIAN CIRCLE was agreed to with Hellie and proceeds accordingly…I have spoken with Reyher’s daughter334 and expect to see him back her around November 16 or 17. You are very much missed both professional and personally. Love, Joe [Hs.: I have not got been able to reach Homolka – JBR] I will be stopping for the rest of my stay in New York City at 52 Jane Street, NYC. You can of course also always reach me ℅ T.E. Hambleton, Empire Theatre, 40th and B’way, NYC. Things are both very bad and very good here. Joe Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Culver City California No agreement or order will be binding on this corporation unless in writing and signed by an officer; BBA 3128.

Thomas B. Brumbaugh an Bertolt Brecht [Atlanta] 14.11.1947

November 14, 1947

Mr. Bertolt Brecht, c/o New Directions, New York Dear Mr. Brecht: For a good many years I have been reading and collecting in the field of German literature, and today, after having read The trial of Lucullus, I am writing you, asking if perhaps you might honor my autograph collection with some scrap of manuscript which might 332 Barrie Stavis (1906–2007), amerikanischer Schriftsteller. Sein Galilei-Stück Lamp at Midnight wurde kurz nach der New Yorker Aufführung des Galileo im Dezember 1947 auf einer Experimentierbühne in New York gespielt (vgl. Anm. in GBA 5, S. 376f.). 333 Rod E. Geiger. 334 Faith Reyher.

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otherwise come to a tragic end in a wastebasket. A wooden request, but not from a wooden motive, I assure you. I can promise you a place in my albums beside Toller, Hasenclever, Dehmel335, George336, etc. – wherever you choose. I inclose a self-addressed, stamped envelope. Thank you for any help you may give me with this demanding hobby. Sincerely yours, Thomas B. Brumbaugh Überlieferung: Ms, Bv.: Emory University Georgia, Department of Fine Arts [hs. Erg.:] Box 696; RBA 54/3 (Kopie: BBA 1762/62).

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 14.11.[1947] 14. November Lieber Brecht, es ist schwer etwas zu schreiben, wenn man in zwei so verschiedenen Welten sitzt. Ich z.B. habe nichts Hoeheres im Kopfe als meine Sachen hier zum Aufbruch zu organisieren. Aber das ist nach wie vor schwer. Ich hatte meinen Claim vor dem Labor Board, am Vorabend deponierten die Stiefel-Leute337 4 Schecks in Hoehe von 1000 Doll. bei Berke, der mich ueberredete, dieses Settlement anzunehmen. Dies tat ich dann auch. Als ich die Schecks in die Hand bekam, war hinten drauf auf jedem ein Vermerk, dass ich bis zum 5. Februar keinen weiteren Anspruch an Lorre Inc oder an Peter habe – Da inzwischen der zweite Film, den Peter hatte, abgeblasen wurde – vielleicht wird er im Fruehjahr doch noch gemacht338 – ist grosses Wehklagen, weil Dutzende von Glaeubigern auf den [D]ezember vertroestet wurden, und ich komme wieder nicht durch, um mir neue Schecks ohne den Vermerk geben zu lassen. 1000 Doll. sind ja nur mein Claim bis 1. April, auch sind sie schon voellig mit Arztrechnung, Steuer, loan so beladen, dass ich keinen Cent fuer eine Reise davon uebrig behalte, geschweige denn fuer einen Wintermantel. Ich bin auch eigentlich muede jetzt. Sie wissen ja, wie anstrengend es in diesem Lande ist, das Geld fuer Miete und 335 Vermutlich der Schriftsteller und Übersetzer Walter Dehmel (1903–1960). 336 Vermutlich der Dichter Stefan George (1868–1933). 337 Gemeint ist wohl der Filmagent Sam Stiefel, auf dessen Rat hin Peter Lorre seine eigene Filmproduktionsfirma Lorre Inc. gegründet hatte (und den Lorre selbst im übrigen für einen Betrüger hielt). Elisabeth Hauptmann arbeitete damals als Lorres private Sekretärin, wegen ausstehender Zahlungen verklagte sie ihn vor der Labor Commission auf 1.200 Dollar. 338 Möglicherweise der Film Casbah (Verbotene Gassen, 1948) von John Berry.

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Essen und Trinken allein herbeizuschaffen. Fuer einen einzelnen Menschen ohne backing, und das bin ich, wird es fast unmoeglich. Ich werde auch zu nervoes, um mich noch hinsetzen zu koennen und was Vernuenftiges zu arbeiten. Es war wirklich ein solcher Fehler, hier nach Cal. zu kommen. Was ich im Grunde sagen wollte: kann der Reis[s] Verlag nicht die Dreigroschenopergelder eintreiben und mir dann von drueben die Reise finanzieren? Es ist schon ekelhaft, dass ich immer wieder auf so eine alte Sache wie die DGO339 zurueckgreifen muss, aber andere Leute leben ja auch schliesslich von Einkuenften aus frueheren Arbeiten. Wie ich letzthin hoere, koennen wir ueberhaupt zunaechst nur in die Schweiz. Ich fuerchte, dass auch die dringendsten Anforderungen von Baerenspr.340 fuer Dtschld kaum noch helfen. Ich habe also nur die Wahl: In die Schweiz oder Hierbleiben. Sie werden ja auch etwas uebersehen koennen, wie die Chancen drueben sind. Die Praesens-Leute341 koennen wohl nicht helfen?? Die muendl. Berichte ueber W. und Sie waren grossartig. Herzl. Bess Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3120.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 14.11.1947 Herrn Bert Brecht, Hotel Urban, Zürich. 14. Nov. 1947. R/Pz Lieber Herr Brecht, Ich sprach eben mit Frau Prof. Karl Barth342, die mir sagte, dass ihr Mann ab Dienstag, den 18. November, in Basel erreichbar ist. Ich halte es für das Beste, wenn Sie Herrn Prof. Barth ein paar Zeilen schreiben, oder ihn anrufen. Mit besten Grüssen Ihr Kurt Reiss

339 Die Dreigroschenoper. 340 Horst Baerensprung. 341 Die Schweizer Praesens-Film hatte 1932, nach dem Konkurs der Prometheus-Film, Kuhle Wampe produziert. 342 Nelly Hoffmann, Frau des Schweizer Theologen Karl Barth (1886–1968).

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Adresse: Prof. Karl Barth, Pilgerstr. 25, Basel. Telephon: 3.45.97. Überlieferung: Ts, hs. U. (Postkarte); BBA 3171.

Theodore Fuchs an Bertolt Brecht Evanston, 15.11.1947

November 15, 1947

Mr. Bertolt Brecht, c/o Liebling-Wood, Inc., 551 Fifth Avenue, New York, N. Y. Dear Mr. Brecht: I am enclosing a copy of a letter that I wrote to you and Messrs. Kurt Weill and Desmond Vesey on October 10 regarding a production we were proposing to do of THE THREE PENNY OPERA, and inquiring if a payment of Fifty Dollars to you would be a satisfactory arrangement for securing your permission to present twelve performances of this work during our present season, which ends August 1, 1948. I am sending this copy because a wire that I sent you to your Santa Monica address was returned with the report that you were no longer at that address, and because I was afraid that my original letter had gone astray. I have heard from Messrs. Weill and Vesey, and both have agreed to similar terms, namely, a fee of Fifty Dollars to each of them for a maximum of twelve performances during the season ending August 1, 1948, with perhaps six or seven of these presented during our regular school session and perhaps four or five for our students during the summer session. If such an arrangement is satisfactory to you also, I should appreciate very much hearing from you at your earliest convenience so that we may go ahead with our plans for the season. I am enclosing a stamped, self-addressed envelope for your convenience. I hope that these terms are agreeable to you and that we may be able to include THE THREE PENNY OPERA on our schedule for the year.

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Sincerely yours, Theodore Fuchs TF-em Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Northwestern University Theatre Speech Building ● Evanston, Illinois Theodore Fuchs, Director; BBA 1762/75.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 15.11.1947 11-15-47 L.B., Anfang nächster Woche spricht Peter mit Geiger343 über den Inquisitor in „Galileo“. Er würde gern von Ihnen etwas über Ihren Vergrösserungsplan der Rolle hören. Ich glaube, dass P. mit dem nächsten Spätsommer Europareif ist. Dessau344 ist sehr an der Schweiz interessiert. Kann man für ihn etwas entrieren? Montag nächster geht auch endlich ein Paket für Sie drei ab, bescheidenen Inhalts, ausser einem sehr schönen photostat. Exemplar des „Miserere“.345 Könnte mir dort jemand eine Liste von schweizer Magazinen schicken, die evtl. Hollywood-Artikel nehmen würden – auch mit Bildern (die mir Gerda346 wohl liefern würde gegen Beteiligung). Wenn Sie dort irgendwelche Lebensmittel brauchen, wird Karen347 ihren Haushalt gern noch mehr auf „Hamburger“ und Heringe setzen, um Ihnen etwas zu schicken. Herzlichst B. Überlieferung: Ms, BBA 3114.

343 Peter Lorre und Rod E. Geiger. Die Rede ist offenbar von der geplanten Verfilmung des Galileo. 344 Paul Dessau war inzwischen mit Hauptmann liiert, die beiden heirateten im Februar 1948. 345 Das Chorwerk Deutsches Miserere (vgl. Anm. in GBA 12, S. 412) war die erste Zusammenarbeit von Brecht und Paul Dessau. Bereits 1944 begonnen, war es von vornherein zur Aufführung vor deutschem Publikum nach der Befreiung vom Nationalsozialismus bestimmt. Miserere ist der Titel des vielfach vertonten 51. Psalms aus der Bibel. 346 Gerda Goedhardt. 347 Karen (Kaaren) Verne (1918–1967), Schauspielerin, emigrierte 1938 nach Großbritannien, 1940 in die USA. Seit 1945 war sie verheiratet mit Peter Lorre.

1490 Joseph Losey an Bertolt Brecht New York, 16.11.[1947]

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JOE LOSEY, 52 Jane Street New York, U.S.A. November 16 Sunday nights

Dear Brecht, You will note I take advantage of all your accomodations. Matter of fact I didn’t need the urging. I had written you some days before at Zurich S[c]hauspielhaus. Hope you got it…Have little to add beyond that. Our cast348 is complete and on the whole quite good. Phil Bourneuf349 as Pope is weak. We cast Marfield350 for Federzoni and he may be fine but just now he is worrying: neurotic and hard to understand and amature. Virginia, Sarti, Ludovico are fine. Andrea is very interesting. Charles and I seem to be getting on remarkably well. I do not think he is any joy to work with, but considering our past history all is well. I am learning much from him and he is being kept in line by me. He still however impedes my functioning, although no longer with any intention to do so. Today we had a recess from rehearsals and I got him to settle down to Scene 13.351 I have not sent you changes until now because there were and are none to send. He balks. In talk he is fine. In practise he says all of your changes are inacceptable and do not effect the changes you want. He says the scene can only be helped by political clarifications which you rejected and which he will not take the responsibility for. He also rejects the idea of Reyher whom I hope will arrive any day now. I’ll get some help from Reyher and undertake to pass it on as my own, but the resistance there is great and instantaneous….I am trying to do nothing and force nothing that might precipitate trouble…..Actually I think you need not worry. If you were here we could now get Scene 13 right. Without you, it is probably impossible. But nevertheless the script and production will be slightly better than the last…. If any of this seems to indicate a basic dissatisfaction or criticism of Charles, that’s not my intention. He is working well and nobly and so far courageously. The chances he is taking necessarily become clearer to him every day and there is no sign of weakness. He is touched and encouraged by your notes. It would be good if they could continue….But give up hope at this time for any great improvement in Scene 13. I shan’t be able to write much for the next three weeks. We open in less than that time – December 7 opening. Dress rehearsal December 5. Love. Joe (over) 348 349 350 351

Für die Galileo-Aufführung in New York am 7.12.1947. Philip Bourneuf (1908–1979), amerikanischer Schauspieler. Dwight Marfield (1907–1978), amerikanischer Schauspieler. Vgl. dazu Brechts Anmerkungen in GBA 24, S. 243–245.

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The transcripts will be along soon. They come to about $51. which T352 will advance or else it will be deducted from your expense re-imbursements when they come through from the government. ….Forgot to say there is no chance of getting anyone even Brocco353 from the coast, alas. It would require great personal outlay by either T or Charles. T feels he has done as much as he can, and Charles won’t as a matter of „principle.” Some day you must right a play explaying Charles’ principles to me. The New York Theatre stinks. Hollywood is in the grip of terror. The nineteen354 who still admire you are to appear tonight at a mass meeting at Gilmore Stadium. Not one person in Hollywood could be found with courage sufficient to appear with them – but the community is sending representatives, even a Catholic priest and a member of the Chamber of Commerce and a Negro leader, etc. No word further from Geiger. jl Did you write The NINETEEN!355 Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3129.

Kurt Kläber an Bertolt Brecht und Helene Weigel Basel, 18.11.1947 Basel den 18.11.47 lli, nfang naechster Woche in im Hotel Touring, oder engasse. Das Hotel ist tel und ganz in unserer nchmal bei uns Essen hr auf Euch. 352 T. Edward Hambleton, der Produzent des Stücks. 353 Der amerikanische Schauspieler Peter Brocco (1903–1992) spielte den alten Kardinal in Loseys Inszenierung des Galileo in Beverly Hills. 354 Das sind die „Hollywood Nineteen“ oder „Unfriendly Nineteen“, darunter Brecht selbst (siehe Lyon, Brecht in America, S. 318), die sich Ende Oktober 1947 vor dem HUAC rechtfertigen mußten (vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947). Siebzehn von ihnen traten im November bei einer Versammlung der Progressive Citizens of America im Gilmore-Stadion in Los Angeles auf. 355 Ein Text Brechts über die „Hollywood Nineteen“ oder Pläne zu einem solchen Text konnten nicht ermittelt werden.

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Alles Liebe Abs. Kurt Kläber Basel/Unterer Rheinweg 34 Tel. 25314 Überlieferung: Ts (Postkarte, Fragment), BBA 3221.

Viktor Matejka 356 an an Bertolt Brecht Wien, 19.11.1947 Herrn Bert Brecht, Zürich Lieber Herr Brecht, herzliche Grüsse durch meinen Mitarbeiter Stanger. Ich hoffe, Sie recht bald in Wien begrüssen zu können. Ihr Viktor Matejka 19/11 47 Überlieferung: Ms, Visitenkarte: „Dr. Viktor Matejka, Amstführender Stadtrat der Verwaltungsgruppe III: Kultur und Volksbildung Wien, I., Neues Rathaus“, Notiz von fremder Hand: „20h Kirchgemeindehaus Hirschengraben“; BBA 3137.

Otto Müllereisert an Helene Weigel und Bertolt Brecht Berlin, 19.11.1947 19. November 1947 Gute, alte Helly, seit x - Zeiten habe ich von Euch nichts mehr gehört. Ob sich das gehört ist eine andere Frage. In den Zeitungen lese ich über Euer Kommen die widersprechendsten Nachrichten. Schreib mir etwas eingehender auf meine vielen Fragen. Ich habe nicht viel Menschen, die mir nahe stehen. Die Wenigen, die mir geblieben sind, die möchte ich auch für den Rest meines Lebens behalten. Ich möchte auch wissen, 356 Viktor Matejka (1900–1993), österreichischer Kulturpolitiker, wurde 1938 ins KZ Dachau deportiert. Ab 1945 war er KPÖ-Stadtrat in Wien für Kultur und Volksbildung.

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wie es Ihnen geht und was sie erfreut oder bedrückt und wie Ihr Leben verläuft. Ich möchte teilhaben an ihrem Leben. Zu Weihnachten und für das Neue Jahr wünsche ich Euch das Übliche. Dein alter Otto. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dr. med Otto Müllereisert Berlin W 15 Xantener Str. 10 Telefon 91 20 81; BBA 211/40.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 20.11.1947 20. November 1947 L.B., Ich bekam via Dessau Ihren kleinen Brief357 mit dem Foto. Und heute rief mich unser Freund Leo358 an, der auch einen Brief von Ihnen bekommen hat und etwas unternehmen will. Ja, ich hatte es mir immer schwer drueben vorgestellt, selbst wenn man es selber vielleicht im Moment besser hat, ist der Anprall der Nachrichten sicher eine grosse Belastung. Uebrigens, da die britischen Schriftsteller und Journalisten sich wegen der Sache359 hier so gut benommen haben, koennte ich mir denken, dass Ihr kleines Statement dort auch hingelangen sollte. Setzen Sie sich doch mit Ivor Montague360, Knowle, Nr. King’s Langley, Hertfordshire, in Verbindung. I.M. machte einen seiner ersten Filme mit Charles L.361 Die Ueberschrift in der London Times: U.S. Keeps Atom Bomb Secret, but loses her liberties haben Sie sicher gelesen. Fuer die NYer Premiere halten wir natuerlich den Daumen. Die andere Seite ist natuerlich auch nicht untaetig, wie man gewusst hat. Dadurch dass sie die Zeitungflaechen haben, erfaehrt man zum mindesten durch die Gazetten naturgemaess mehr. Letzten Sonntag war eine grosse Versammlung in Gilmore-Stadium, ziemlich gut. In der Einfuehrung wurde gesagt: Hier auf der Platform sind nur 17, aber wir sind noch

357 Vgl. B. an Hauptmann, Nov. 1947, GBA 29, 435. 358 Vermutlich Lion Feuchtwanger. Vgl. B. an Feuchtwanger, 13.11.1947, GBA 29, 428f. 359 Brechts Stellungnahme vor dem HUAC. Vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947. 360 Das ist Ivor Montagu (1904–1984), englischer Filmregisseur und -produzent, arbeitete in den 1930er Jahren mit Alfred Hitchcock zusammen. 361 In Montagus Film The Tonic (1928) spielte Charles Laughton einen Familienvater.

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19.362 L.M. ist in NY wegen der Premiere von AOT363, und B.B. ist in Europa wegen – Personal Business. Grosser Heiterkeitserfolg. Gestern bekam ich auch ein Telegramm via London vom Baerenspr.364 Die Stadt Braunschweig habe mich bei den Englaendern angefordert, aber ich muesse auch von hier das Meinige tun. Das kann ich im Moment nicht, vor allem nicht wegen Mangel an Reisegeld. Mit solchen Kleinigkeiten scheint man drueber nicht zu rechnen; die alten Wahnvorstellungen ueber dieses Dollarland scheinen selbst bei denen, die doch erst vor einem Jahr weg sind, wieder ausgebrochen zu sein. Es ist alles gut gemeint und auch dringend gemeint. Ich habe Ihnen ja bereits wegen Reis geschrieben. Jenes Land erscheint mir leichter zu erreichen zu sein. Baer’s Adresse ist uebrigens: Polizeipraesidium Braunschweig, British Zone. Jakob W.365 schickte mir einen langen Bericht ueber seine Eindruecke im ersten Jahr seines Dortseins. Er schreibt sehr tapfer, sehr besonnen, sehr fair. Aber man merkt, wie schwer das alles sein muss. Seine Adresse: Beethovenstrasse 27, II. Stock, Berlin-Lankwitz, American Sector. Er bittet mich auch den Dank fuer zwei CARE-Pakete und ein anderes an Helli weiterzuleiten. Wenn man wirklich nur etwas verdienen wuerde, um allen Freunden dort etwas schicken zu koennen. Karen366 und ich haben dadurch, dass wir den Haushalt auf „Hamburger“ und Hering gesetzt haben, ausserdem etwas Zeug gesammelt haben, privat etwa 30 Pakete geschickt in den letzten zwei Wochen. Darunter einige Riesensendungen fuer Berlin. Ein kleines Paket ist heute an Sie abgegangen. Thomas Mann hat uebrigens im letzten Prominenten-broadcast ein paar sehr gute Sachen gesagt. Anbei.367 Ihn muesste man auch fragen wegen der Unterschrift. Vielleicht koennten Sie mir mal aufschreiben lassen, was dort einige Sachen kosten: Schreibmaschine, Armbanduhr, Wintermantel, Heizkissen, Schuhe, Bettzeug, Wolldecken. Ich kann mir denken, dass Walburga Gmuehr das weiss. Gruessen Sie sie. Auch was Hotel kostet, Essen. Inzwischen sind Helli und Barbara wohl eingetrudelt. Gruesse. Herzlichst Ihre Bess. Hier im Hause geht es auf und ab, es wechselt so schnell, dass ich mich nicht „committen“ moechte. Wir fragen uns, ob Sie dort wohl Lebensmittel von hier brauchen. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3230. 362 Vgl. Anm. zu Losey, 16.11.1947. 363 Der Film Arch of Triumph (Triumphbogen, USA 1948) von Lewis Milestone (nach Erich Maria Remarques Roman Arc de Triomphe, 1945). 364 Horst Baerensprung. 365 Vermutlich Jacob Walcher. 366 Karen Verne. 367 Vermutlich die Rede „Hollywood fights back“ (dokumentiert in BBA 3382), in der sich Thomas Mann gegen die Verfolgung mutmaßlicher Kommunisten in den USA aussprach.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 20.11.1947 20. November 1947 Lieber Brecht, Schoenen Dank fuer Ihren Brief.368 Ihre Aussage vor dem Committee369 scheint mir besonders geschickt und wirksam. Sie wurde oft im Radio wiederholt, und so ziemlich alle Welt hat sie gehoert. Ihre gesamten Werke haben Ihnen nicht so viel publicity gebracht und so viel Erfolg wie diese ungeschickt pfiffigen Saetze. Alle Welt von Thomas Mann bis zu meinem Gaertner anerkannten das Schoepferische. Ich muss aber offen sagen, dass der kleine Aufruf370, den Sie mir beigelegt haben, erheblich weniger pfiffig und erheblich weniger schoepferisch scheint. Auch die Gesellschaft, die unterschreiben soll, scheint mir weder politisch noch literarisch so, dass ich Ihren und meinen Namen gerne damit verbunden sehen moechte. Ich habe aber natuerlich die Sache mit Heinrich Mann durchgesprochen, der seinen alten, weisen Kopf schuettelte und erklaerte, wenn ich es fuer richtig hielte, sei er bereit, erstaunt zu unterzeichnen. Ich ueberlasse das Weitere Ihnen, lieber Brecht. Wenn Sie es aus irgendwelchen undurchsichtigen Gruenden fuer richtig halten, dass Heinrich Manns und mein Name unter dem Aufruf stehen, dann fuegen Sie sie, bitte, bei. Hier sieht, finde ich, die Gesamtsituation ein wenig besser her. Das Stueck, von dem ich Ihnen sprach, ‚Der Teufel in Boston’371, soll in der ersten Januarwoche hier und in der zweiten Februarhaelfte am Broadway gespielt werden. Deutsche Exemplare sind im Druck. Sowie ich eines habe, schicke ich es Ihnen. Um den Galilei ist, soviel ich sehe, in den New Yorker Zeitungen viel Gewese.372 In den New York Times haben ein paar Idioten Sie heftig attackiert, was eine noch heftigere Verteidigung von Seiten Ihrer Freunde bewirkte. Das Ganze schien mir recht geschickte Reklame. Alles Herzliche, und lassen Sie, wenn Ihnen der Sinn danach steht, einmal ein bisschen mehr von sich hoeren. P.S. 368 Vgl. B. an Feuchtwanger, 13.11.1947, GBA 29, S. 428f. 369 Vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947. 370 Bei einer Zusammenkunft einiger Schriftsteller in der Wohnung Kurt Hirschfelds am 9.11.1947 hatte Brecht einen Aufruf zum Frieden (Aufruf [I], GBA 23, S. 62) vorgelegt, den Schriftsteller aller Nationen unterzeichnen sollten. 371 Lion Feuchtwangers Wahn oder Der Teufel von Boston erschien 1948 in Los Angeles. Die hier angekündigten Aufführungen des Stücks kamen nicht zustande. 372 Vgl. Anm. in GBA 5, S. 376f., dazu den Journaleintrag vom 23.12.1947, GBA 27, S. 256.

1496 Gruessen Sie Hirschfeld

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Ihr alter feuchtwanger

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lion Feuchtwanger 520 Paseo Miramar Pacific Palisades, Calif. Telephone: Santa Monica 51402; BBA 3215. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 67f.

Peter Lotar an Bertolt Brecht Basel, 22.11.1947 BASEL, DEN 22. November 1947. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bertolt B r e c h t , bei Herrn Uz Oettinger, Gartenstrasse 38 Zürich. BETRIFFT: Dramaturgie L/EP Lieber Herr Brecht, Dem Wunsche Herrn Caspar Nehers entsprechend, sende ich Ihnen anbei die Photographien seiner Entwürfe zu „Furcht und Elend des Dritten Reiches“.373 Ich vergass leider, Sie bei unserer Unterredung nach der Adresse von Hugo H a a s 374 zu fragen. Bitte, seien Sie so freundlich, sie auf den beiliegenden Zettel zu schreiben und den Brief gelegentlich in den Briefkasten zu versenken. Ich habe mich ausserordentlich gefreut, Sie endlich persönlich kennenlernen zu dürfen und freue mich schon sehr, Sie in Basel wiederzusehen. Wollen Sie uns bitte rechtzeitig wissen lassen, wann Sie herkommen, da H. Dr. Meyer-Gutswiler375 vom Radio Basel Sie bittet, ihm ein Radio-Interview zu gewähren. 373 Vgl. Anm. zu Neher, 12.10.1947. 374 Hugo Haas (1901–1968), tschechischer Schauspieler und Regisseur, flüchtete 1939 nach Hollywood. In Joseph Loseys Inszenierung des Galileo in Beverly Hills am 30.7.1947 spielte er den Kardinal Barberini. 375 Paul Meyer-Gutzwiller, Schweizer Rundfunkredakteur, später Direktor des Radiostudios Basel.

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Der Vortrag von Ignazio Silone hat bereits am vergangenen Dienstag stattgefunden und soviel ich feststellen kann, spricht er kein zweites Mal mehr in Basel. Wenn Sie in Basel, wie schon erwähnt, mit einer bescheidenen Unterkunft bei mir zufrieden sind, so sind Sie jederzeit hochwillkommen. Herzlichst Ihr Peter Lotar PETER LOTAR Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/27.

Alexander Dymschitz376 an Bertolt Brecht Berlin, 23.11.1947 Berlin, den 23.11.1947. Sehr verehrter Herr Brecht! Die Herren Hirschfeld und Frisch377 haben sich liebenswürdig bereit erklärt, diesen Brief Ihnen zu übermitteln, und ich benutze diese Gelegenheit, um Ihnen im Auftrage der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland über die von Ihnen erwartete Antwort der sowjetischen Schriftsteller bezüglich ihrer Unterschriften unter der ihnen vorgelegten Resolution378 Kenntnis zu geben. Sofort nach dem Empfang der Texte des Aufrufes und der Resolution haben wir auf dem schnellsten Wege die Verbindung mit dem Verband Sowjetischer Schriftsteller aufgenommen und die wortgetreue Übersetzung beider Texte mitgeteilt. Am nächsten Tage erhielten wir die Antwort der sowjetischen Schriftsteller, in der sie ihr Bedauern zum Ausdruck brachten, dass der vorgeschlagene Text zu allgemein, wenig konkret ist und an einem Mangel an politischer Schärfe leidet. Gleichzeitig haben die sowjetischen Schriftsteller sich bereit erklärt, einen anderen Text zu unterschreiben (wenn dies noch möglich ist) und wenn dieser im Sinne des von ihnen bereits am 29. September d. J. veröffentlichten umfangreichen Aufrufes gegen die Kriegshetze und für den Frieden verfasst würde. (Dieser Auf-

376 Alexander Lwowitsch Dymschitz (Aleksandr L‘vovič Dymšic, 1910–1975), russischer Literaturwissenschaftler, war 1945 bis 1949 Offizier der Kulturabteilung der sowjetischen Militäradministration in Deutschland. 377 Max Frisch (1911–1991), Schweizer Schriftsteller. Brecht lernte ihn im November 1947 bei Kurt Hirschfeld kennen. 378 Brechts Aufruf zum Frieden. Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 20.11.1947.

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ruf wurde in deutscher Sprache in den Zeitungen „Tägliche Rundschau“379, „Sonntag“380, „Berliner Zeitung“381, „Neues Deutschland“382 publiziert.) Unsere Schriftsteller baten mich, Ihnen persönlich einen herzlichen Gruss zu bestellen. Zu dem Gesagten, sehr verehrter Herr Brecht, bitte ich um Erlaubnis, noch folgendes hinzuzufügen: Ich höre, Sie haben die Absicht, in Kürze nach Berlin zu kommen und hier Ihre so für die deutsche Bühne fehlenden Werke zur Aufführung zu bringen. Falls Sie während der Verwirklichung Ihrer Berliner Pläne unsere Hilfe in verschiedenen Beziehungen brauchen werden, so sind wir von ganzem Herzen bereit, den Weg zum Erfolg Ihrer Arbeit zu erleichtern. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und herzlichem Gruss A. Dymschitz. Oberstleutnant, Chef der Kulturabteilung der Informations-Verwaltung der SMA. Überlieferung: Ts, BBA 3076.

Kurt Desch an Bertolt Brecht München, 25.11.1947 25.11.1947 I/Hl Herrn Bertold B r e c h t Zürich Züricher Schauspielhaus Lieber und verehrter Herr Bertold Brecht! soeben lese ich in einem Bericht von Erich Kästner383, dass Sie sich zur Zeit in Zürich aufhalten. 379 Tägliche Rundschau, seit Mai 1945 von der Roten Armee in Berlin herausgegebene Tageszeitung, 1955 eingestellt. 380 Sonntag, seit 1946 in Berlin (Ost) erscheinende kulturpolitische Wochenzeitung. 381 Vgl. Anm. zu Lüdecke, 29.8.1947. 382 Neues Deutschland, seit April 1946 in Berlin erscheinende Tageszeitung, bis 1990 Zentralorgan der SED. 383 Erich Kästner hatte ebenfalls an dem Treffen bei Kurt Hirschfeld (vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 20.11.1947) teilgenommen. Gemeint ist vermutlich sein Artikel „Treffpunkt Zürich“ (vgl. Ludwig, 1.12.1947).

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Ich benutze die Gelegenheit, um mich sogleich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Um gleich zur Sache zu kommen: ich bin an Ihrem Werk leidenschaftlich interessiert und würde mich glücklich schätzen, wenn wir beide zu einer Partnerschaft kommen. Ueber die Entwicklung meines Verlages werden Sie sicherlich schon einiges gehört haben; ich schicke in der Anlage einmal einen blauen Prospekt, der einen Ueberblick über unsere Buchpublikationen gibt, ferner einen grauen Prospekt, der die Arbeit meines Theaterverlags skizziert. Schliesslich füge ich noch einen Prospekt: ‚Zwei Jahre Verlagsarbeit’ bei, aus dem Sie ersehen können, was wir hier in München in den letzten zwei Jahren aufgebaut haben. Diese Prospekte geben Ihnen einen ausreichenden Aufschluss über unsere Arbeit, unsere Autoren, unsere Absichten und unsere Pläne. Wir stehen heute – ich sage dies ohne Ueberheblichkeit – mit an der Spitze der wenigen führenden Verlage in Deutschland und wir haben die Gewissheit, dass wir auch diese Position in den nächsten Jahren unbedingt halten und ausbauen werden. Wir beide kämen zu einer idealen Partnerschaft, da ich nicht nur einen grossen Buchverlag, sondern auch einen heute schon massgebenden Theaterverlag besitze. Buch und Bühnenwerk können sich also wunderbar ergänzen, sodass wir in der Lage wären, uns nicht nur für Ihr dramatisches Werk bei den Bühnen einzusetzen, sondern auch Ihr dramatisches Werk in Buchform zu publizieren und beide Ausdrucksformen in einer Hand zu halten. Sollten Sie sich noch nicht gebunden haben und über Ihr Gesamtwerk oder über Teile Ihres Werkes frei verfügen können, dann würden wir uns glücklich schätzen, wenn wir zu einer Verbindung kommen können. Bitte lassen Sie mich wissen, ob hierzu die Möglichkeit besteht und ob wir hier uns hierüber schriftlich oder mündlich unterhalten können. Ich freue mich sehr, wenn ich recht bald von Ihnen Nachricht bekomme und bin mit freundlichen Grüssen stets Ihr Kurt Desch Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Kurt Desch München Anschrift: München 19, Romanstraße 7 * Telefon 34172 * Postscheckkonto München 19194 Bank: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank München Konto 402944 Verlagsleitung; BBA 3073.

Jacob Walcher an Bertolt Brecht Berlin, 25.11.1947 Jacob Walcher Berlin-Lankwitz Beethovenstr. 27

Berlin, den 25. November 1947

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Lieber Bert! Zuerst war in ziemlich besorgniserregender Weise von Dir in den Zeitungen zu lesen. Dann brachte „Start“384 die sowohl beruhigende wie erfreuliche Meldung, dass Du in Paris eingetroffen seist und beabsichtigst, nach der Schweiz weiterzufahren. Gestern nun erfuhr ich aus einem Brief von Budzi385, wie Du in Zürich zu erreichen bist. Ich beeile mich nun, Dir herzliche Grüsse zu senden. Hoffentlich wird es nun nicht mehr allzulange dauern, bis es Dir möglich ist, nach Berlin zu kommen. Wie es einem hier in Berlin oder noch besser in seinem östlichen Sektor und in der Ostzone gefällt, das hängt ja bekanntlich ganz von der inneren Einstellung ab. Es gibt da welche, die sich todunglücklich fühlen und andere, die – erfüllt von dem Gedanken, wir bauen eine neue Welt – voller Zuversicht sind, obwohl die Gegenwart sehr hart und die Schwierigkeiten ganz ausserordentliche sind. Du wirst Dich also hier bestimmt wohl und ganz am Platz fühlen. Also sieh’ zu, dass Du bald kommst. Wir brauchen Dich. Recht herzliche Grüsse Überlieferung: Ts, BBA E 1/5.

Curt Riess an Bertolt Brecht New York, 25.11.1947 Curt Riess 340 East 57th Street New York 22

25. November 1947.

Herrn Bert Brecht Schauspielhaus Zuerich. Mein Lieber, Sie haben es zwar nicht fuer notwendig gefunden, sich in New York zu melden (was nicht sehr nett war). Ich will aber Gleiches mit Gleichem nicht vergelten. Ich werde in Kuerze wieder in Europa sein und hoffe, Sie dann ausfuehrlich zu sprechen. Ich schreibe Ihnen heute, weil ich von Berlin Ihretwegen angefragt worden bin. Frau Neumann386 glaubt zwar nicht, dass Sie vorlaeufig nach Deutschland wollen oder gehen, aber ich bin beauftragt, Ihnen Folgendes zu sagen: Falls Sie nach Deutschland gehen 384 Start. Illustriertes Blatt der jungen Generation war eine von 1946 bis 1949 in der sowjetisch besetzten Zone erscheinende Jugendzeitschrift. 385 Hermann Budzislawski. 386 Elisabeth Neumann-Viertel.

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wollen (was ich persoenlich fuer richtig hielte), waere es wohl am besten, wenn Sie das via die Amerikaner tun. Sollten Sie das nicht durch die Amerikaner tun, wuerde das, namentlich im Hinblick auf die Vorgaenge in Washington, etwas merkwuerdig empfunden werden. (Uebrigens fand ich, dass Sie sich in Washington ausgezeichnet benommen haben.387) Fuer den Fall also, dass Sie nach Deutschland gehen und die Amerikaner Ihre Einreise arrangieren lassen, lassen Sie mich das wissen. Ich wuerde Ihnen dann postwendend von hier zwei bis drei Briefe schicken, die Ihre Schwierigkeiten, falls solche bestehen, aus dem Weg raeumen wuerden. Auf jeden Fall hoffe ich auf eine Bestaetigung dieses Briefes moeglichst postwendend. Inzwischen herzlichst Ihr Curt Riess Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3179.

Peter Schmid an Bertolt Brecht Uetikon a. See388, 27.11.1947 27.11.47. Sehr geehrter Herr Brecht, Francois Bondy389 ermutigt mich, mich schriftlich an Sie zu wenden, und da ich kein Briefpapier bei mir habe, tue ich es per Karte, was ich zu entschuldigen bitte. Ich zähle mich zu der problematischen Klasse der Journalisten, möchte aber gleich betonen, dass mich nicht berufliche Witterung zu Ihnen führt, sondern eine Verehrung, die mich seinerzeit als Dramaturg in dem reaktionären Bern fast bis zur Selbstaufopferung für Ihre „Mutter Courage“ hat kämpfen lassen. Und ich bin so voll Fragen um die Probleme unseres modernen Daseins, dass ich mir nichts mehr wünsche als eine Begegnung mit Ihnen. Selbst wenn aus unserem Gespräch sich eine journalistische Auswertung ergäbe – selbstverständlich nicht ohne Ihre Einwilligung – wird Ihnen sowohl Bondy wie Frl. Steiberg bestätigen können, in welchem verantwortlichen Sinne dies seinerzeit bei Vittorini390 und Richard Wright391 geschehen ist. Leider reise ich anfang nächster Woche nach England ab, und ich wäre Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn ich Sie übers Wochenende sehen dürfte. Darf ich Sie bitten, mich auf irgendeine Weise zu benachrichtigen, welcher Zeitpunkt Ihnen angenehm wäre? 387 Vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947. 388 Gemeinde am Zürichsee in der Schweiz. 389 François Bondy (1915–2003), Schweizer Literaturkritiker. 390 Elio Vittorini (1908–1966), italienischer Schriftsteller. 391 Richard Wright (1908–1960), afroamerikanischer Schriftsteller, vormals Mitglied der KP der USA.

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Mit vorzüglicher Hochachtung Peter Schmidt bei Oskar Schmid, Weißenrain, Uetikon a. See Telefon 929298 Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 3184.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 30.11.1947 30. November 1947 L.B., ich schicke Ihnen ab und zu Drucksachen. Inzwischen werden Sie wohl Fritz Kortner gesprochen haben, den ich selber nie hier sah, der aber mit Dessau in Verbindung ist. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Nachrichten, die er über die Entwicklung hier gelesen hat, bekam ich 2 Telegramme von Baerenspr.392, eines von London + eines von Dänemark, durch Freunde, dass ich mir hier als Korrespondentin (Aufbau B. [?]) ein entrance permit verschaffen soll, Wohnung usw. habe die Stadt Braunschweig bereit gestellt. Nun kann ich nicht als Korrespondentin applizieren, das nützt nichts wie ich weiss; ich muß also von drüben etwas vorweisen können. Diese Glücklichen, die als Dänen, Norweger oder Schweden von hier durch die Welt reisen können. – Meine Sache vor dem Labour Board393 ist knapp + notdürftig so geregelt, dass das Geld, was ich für Jan–April 47 zu bekommen hatte, mir jetzt ratenweise, auf 3 Monate verteilt, ausbezahlt wird. Das heißt, dass ich dieses Geld, da ich kein anderes bekomme, bis dahin wohl fast aufgebraucht habe, was die Reisepläne nicht vereinfacht. Peters zweiter Film394 ist bis zum Frühjahr verschoben (?!), das erleichtert die Situation auch nicht. Der erste ist beendet. Gerade hab ich Howard K. Smith395 von London gehört – ganz optimistisch war er in Bezug auf die Konferenz.396 392 393 394 395

Horst Baerensprung. Vgl. Hauptmann, 14.11.1947. Vgl. Anm. ebd. Howard K. Smith (1914–2002), amerikanischer Journalist. In der ersten Phase des Zweiten Weltkriegs war er als Korrespondent in Deutschland, ab 1946 als Chefkorrespondent der CBS in London tätig. 396 Im November/Dezember 1947 tagten in London die Außenminister der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, um über das weitere Vorgehen in Deutschland zu beraten. Die gegensätzlichen Absichten der USA und der UdSSR führten zu einem vorzeitigen Abbruch der Konferenz.

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Lassen Sie auch von sich hören. Herzlichste Grüsse Ihnen allen

B.

P.S. Nachträglich sagte man uns auf der Post zu dem Paket, das397 wir vor ca. 10 Tagen an Sie abschickten, dass es wohl nicht vor Januar ankommen würde. Wir können also noch einen „international money order“ für Zoll schicken, falls Sie bezahlen müssten! Überlieferung: Ms, BBA 3115.

Caspar Neher an Bertolt Brecht [November 1947]398 Herrn Brecht Lieber B! Goverts der Verleger399 hat gestern angerufen, daß er Mittwoch Dienstag vormittag hier ist. Er möchte Dich sprechen. Wir sin wären also morgen zusammen. Um 10 h bin ich hier. Hast Du Zeit, hier zu sein. Heute fahre [ich] nach Chur Dein Caspar Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 3164.

Kurt Kläber an Bertolt Brecht 1.12.1947 1.12.47. Lieber Bert, ich schicke Dir ein Heft der Sowjetliteratur mit Simonow400: Die russische Frau401, ein Schauspiel, das in der USA soviel Aufregung verursacht hat, und das in Berlin aufgefuehrt 397 Im Ms: „daß“. 398 Datierung nach der Aufschrift der Postkarte. 399 Vgl. Anm. zu Neher, 22.1.1947. 400 Konstantin Michailowitsch Simonow (Konstantin Michajlovič Simonov, 1915–1979), russischer Schriftsteller, war Frontkorrespondent im Zweiten Weltkrieg. 401 Gemeint ist Simonows Schauspiel Die russische Frage (Russkij vopros, 1944), das im Mai 1947 von Falk Harnack am Deutschen Theater Berlin inszeniert wurde.

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wurde. Ausserdem liegt das „Echo der Woche“ bei, mit Pliviers Erklaerung.402 Sieh Dir aber die ganze Zeitung an, damit Du auch siehst, in welche Gesellschaft er geraten ist. Der Herausgeber Harri Schulze ist ein Mann der fünften Internationale (Maennerbuendler, vornehm ausgedrueckt, die immer am besten klappt.) Ausserdem liegt das Neueste von Stalin bei.403 Das in Eile Kurt Kläber Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3222.

Tilda Ludwig an Bertolt Brecht Feucht, 1.12.1947 Feucht404/Bayern, den 1. Dez. 1947. Sehr geehrter Herr Brecht, In der letzten Zeit habe ich des Öfteren im „Feuilleton des Kunstblattes“ der „Neuen Zeit“ über Sie gelesen. Zuletzt einen Artikel von Erich Kästner „Treffpunkt Zürich“.405 Ich freute mich ehrlich darüber. Wie oft hat man sich in den Jahren des Schweigens gefragt, wo ist „Dieser“ und wo ist „Jener“ geblieben? Hat man durch Zufall gehört „im Ausland“ so atmete man auf! Sie werden ja nun fragen wie ich dazu komme an Sie zu schreiben? Ich lernte Sie bei Dr Otto Müllereisert kennen, den ich bei seiner „schwierigen Prozedur“ in den Kuranstalten Westend pflegte. Eines Morgens in aller Herrgottsfrühe kamen Sie in wehendem weissen Automantel an und wollten zu ihm. Ich war in einiger Verlegenheit, denn er sollte noch keine Besuche empfangen. Doch Sie fanden leicht den Weg zu ihm, er sang laut und vernehmlich allerlei unmögliche Lieder im Bad! So laut, dass sich die arme Senta Söneland, die die Nachbarin war, bitter über die Ruhestörung beschwerte. Das gab ein grosses Halloh, als Sie erschienen! Und ich freute mich, den Schöpfer der Drei Groschenoper kennen zu lernen. Ich war des Öfteren in der Soorstr. im Junggesellenheim bei der Freundin von Dr Müllereisert. Da lernte ich auch einmal Ihre Gattin kennen. Was wohl aus Dr Müllereisert 402 Die Zeitschrift Echo der Woche hatte der soeben aus dem Exil zurückgekehrte, mit Theodor Plievier befreundete Harry Schulze-Wilde mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsbehörden 1947 in München gegründet. Der einstige Kommunist und Moskau-Exilant Plievier – die hier erwähnte Erklärung wurde nicht ermittelt – ergriff inzwischen Partei für den Westen. 403 Nicht überliefert. 404 Gemeinde im Nürnberger Land. 405 Erich Kästners Artikel „Treffpunkt Zürich“ erschien in der Feuilleton- und Kunstbeilage der Neuen Zeitung (nicht der Neuen Zeit) vom 21.11.1947.

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geworden ist? Ich habe die Verbindung mit ihm durch die Jahre des furchtbaren Krieges verloren. Dann wurde ich vollständig ausgebombt und meine frühere Wohnung, alles was man sich in Jahre langer schwerer Arbeit verdiente, ist verloren gegangen. Mit der letzten Habe die ich aus dem Keller rettete, ging ich nach Schreiberhau ins Riesengebirge. Dort flüchtete ich vor den Russen und nun ist alles dahin. Jetzt sind dort die Polen und es besteht keine Aussicht jemals wieder etwas zu Gesicht zu bekommen. Man lebt jetzt „auch als Flüchtling“ und so primitiv wie nur möglich. Die Fürsorge ist so mangelhaft wie es nur irgend angeht. Ich habe in den Jahren noch keine Schuhe bekommen, trotz öfterem Antrag. Ebenso mit Kleidung. Mein Bruder der mich nach der Gefangenschaft hier fand, ist genauso elend daran. Die Schuhe, nässedurchlässig, die Kleider „gefärbter Wehrmachtsanzug“ geht in sich auf u.s.w. So sieht es bei uns aus und man muss oft die Bitterkeit, die einem oft hoch kommt verbeissen. Ich hätte so manchen guten Freund in Amerika, aber ich kann die Adressen nicht mehr bekommen. Einen Mister Meyer pflegte ich 1937. Er war so etwas wie Botschaftsrat in der amerikanischen Botschaft. Er sagte mir, wenn ich einmal etwas nötig hätte, könnte ich mich immer an ihn wenden. Ich frage mich nur täglich wie könnte ich ihn finden. In Deutschland wäre das früher leicht gewesen, man hätte sich an das Aussenamt gewandt und da wäre das weiter geleitet worden. Aber das gibt es ja in Amerika wohl nicht. Wüssten Sie einen Rat? Dann hätte ich noch einen sehr guten Freund drüben, Dr Fritz Brandt-Cohn, die Adresse ging mir durch Ausbombung verloren. Dr. Brandt war lange Zeit Assistenzarzt bei Prof. Dr v. Bergmann, bevor er selbst praktizierte. So hat man Freunde und kann sie nicht erreichen. Und Sie würden uns gern helfen. Wir bräuchten nicht zu hungern, es ist nicht leicht einen Mann mit 1.80 Meter Grösse satt zu bekommen und ich bin nur noch „federgewicht“ von 87 Pfund. So sieht es heute bei Vielen, Vielen aus. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen Wink, betreff meiner „Suche“ geben könnten. Sie kennen ja Land und Leute, so gut. Sind Sie mir nicht gram, dass ich nun diese Gelegenheit zugleich benutzt habe mit einer Bitte. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Gattin ein frohes Weihnachtsfest. Mit ganz ergebenem Gruss bin ich Ihre Schwester Tilda Ludwig Überlieferung: Ms, BBA 3131.

1506 Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 3.12.1947

Abt. Bühnenvertrieb.

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BASEL, DEN 3. Dezember 1947. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , bei Oettinger, Gartenstr. 38, Zürich.

BETRIFFT: Buchhaltung. Lieber Herr Brecht, Nach unserem Besuch auf der Verrechnungsstelle hatte ich noch am selben Tag einen Telephonanruf des uns Auskunft gebenden Herrn Klarer, der mir mitteilte, dass Ihr Konto auf Grund der bestehenden Verordnungen immer noch gesperrt ist. Aus der grünen Kopie meines Schreibens vom 21. v.M. an die Verrechnungsstelle ersehen Sie die Sachlage. Heute nun antwortet die Verrechnungsstelle und ich gebe Ihnen beiliegend Abschrift der Antwort. Ferner sandte uns die Verrechnungsstelle ein Schreiben, das für Sie bestimmt ist. Ich bitte Sie jetzt freundlich mir zunächst mitzuteilen, wohin ich Ihnen den freigegebenen Betrag von Fr. 1.500.- überweisen soll. Weiter bitte ich Sie, die im Schreiben der Verrechnungsstelle erwähnten Unterlagen möglichst umgehend an die Verrechnungsstelle zu senden, damit wir Ihr Konto freibekommen. Ich stehe Ihnen selbstverständlich in der ganzen Angelegenheit jederzeit zur Verfügung. Wann kommen Sie endlich zu dem längst angekündigten Besuch nach Basel? Mit den besten Grüssen Ihr Kurt Reiss Beilagen: 1 grüne Kopie, 1 Abschrift. 1 Schreiben. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/29.

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Charlotte und Wilhelm Dieterle an Bertolt Brecht Canoga Park/Los Angeles, 4.12.1947 4.XII.47 Lieber Brecht – hier nur schnell, was Sie interessieren dürfte. Es ist toll was sich hier tut an fascistischem Fortschritt. Die Gleichschaltung ist im Gange. Wie schlau Sie waren, hier weg zu gehen. Ich bin gespannt auf „Galileo“ in N.Y.406 Wie waren Ihre ersten Eindrücke in Europa? Wir sprechen viel von Ihnen – und vermissen Sie sehr. Grüße auch an Helli – von Euren Dieterles Überlieferung: Ms, Bv.: William Dieterle 3551 North Knoll Drive Hollywood, Canoga Park, California; BBA 3084.

Alice K. Orlan407 an Bertolt Brecht New York, 6.12.1947 6. Dezember 47. Lieber Herr Brecht! Vermutlich sind Sie und Helli zur Premiere des Galileo408 hierhergekommen; alles, alles Gute (oder wenn Sie das vorziehen, Hals- und und Beinbruch). Erst gestern hat mir ANT die Einladung zur Subskription zugesandt, natürlich war es zu spät. Und ich hätte doch Ihr Stück so sehr gern gesehen. Bitte lassen Sie mich wissen, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, mich ins Theater hineinzuschmuggeln (Ich arbeite wieder, also muss es nicht umsonst sein!). Hat Ihnen Hans Winge409 meinen Vorschlag unterbreitet, Ihr Stück für Sie abzutippen, sodass Sie selbst ein paar extra Kopien haben und ich auch dem Prof. Einstein eine schicken 406 Vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947. 407 Der Brechtforschung ist Alice K. Orlan bekannt vor allem aufgrund eines Briefs, den ihr Albert Einstein am 27.12.1946 geschrieben hat – und der mit den Worten schließt: „Grüßen Sie auch Bert Brecht, dessen Kunst ich aufrichtig verehre, am meisten von den mir bekannten, die heute deutsch schreiben“ (BBA 286/3). 408 Am 7. Dezember. Vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947. 409 Hans Winge (1903–1968), österreichischer Schriftsteller und Regisseur. Brecht hatte ihn 1942 im kalifornischen Exil kennengelernt.

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kann? Wie denken Sie darüber? Einsteins Sekretärin hat mir unlängst wieder geschrieben und mich nach der versprochenen Kopie gefragt. Wahrscheinlich werden Sie ihn im Theater sehen. Falls Sie und Helli einen Abend frei sein sollten und bei mir verbringen möchten, würde ich mich sehr freuen. Ihnen beiden die allerherzlichsten Grüsse, Ihre Alice K. Orlan. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Alice K. Orlan 51 Morton Street Tel.: Watkins 4-3893 New York 14, N.Y.; BBA 3146.

Wolf Lipp410 an Bertolt Brecht Metzingen, 7.12.1947

Herrn Bertold Brecht Zürich Schauspielhaus

Metzingen Reutlingen am 7. Dezember 1947 Friedrichstr. 13

Sehr verehrter Herr Brecht! In einer Sendung von Radio Hamburg habe ich gehört, daß Sie sich gegenwärtig in Zürich aufhalten. Ich beeilte mich daher, Ihnen zu schreiben, dies nicht ohne eine gewisse Erregung; wenn man jahrelang mit den Werken eines Dichters hinter verschlossenen Türen gelebt hat, pflegt man um den Schöpfer dieser Werke (die man zum wesentlichsten Teil seines geistigen Bestands rechnet) so etwas wie einen Nimbus zu weben, der es einem schwer macht, wenn man nun plötzlich mit dem also verehrten Mann in persönlichen Kontakt treten soll. Verzeihen Sie die lange Einleitung. Ich komme zur Sache. Seit ich Mitglied der Redaktion unserer Zeitschrift bin, habe ich in jeder Ausgabe Verse von Ihrer Hand veröffentlicht. Belege gehen Ihnen mit gleicher Post zu. Für die erste Nummer des neuen Jahrgangs möchte ich gern eine Würdigung Ihres literarischen Schaffens bringen; leider fehlen mir dazu alle biographischen Anhaltspunkte ab 1933. Darf ich Sie bitten, dieses Dunkel mit ein paar Zeilen zu erhellen? Ist es vermessen, wenn ich Sie des weiteren frage, ob ich nicht gelegentlich mit einem Beitrag von Ihnen rechnen darf? Wenn man bloß ein paar wenige Verse über die Zeit der Illegalität hinübergerettet hat, ist es schwer, seinen jungen Lesern ein Bild von Bert Brecht zu geben. – Ich weiß, Sie haben viel Wichtiges zu tun. Aber ich weiß auch, 410 Wolf Lipp, Redakteur der Zeitschrift Die Zukunft. Halbmonatszeitschrift für junge Menschen.

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dass allmonatlich Hunderttausende junger Menschen unsere Zeitschrift lesen; dass ist ein Boden, der jedes Samenkorns wert ist. Sie können nicht ahnen, wie sehr ich mich freuen würde, wenn Sie ja sagen wollten! In absehbarer Zeit wollen wir eine Bildreportage über die „Dreigroschenoper“ bringen. Vielleicht schreiben Sie ein paar Worte an junge Deutsche, die dieses Werk nun zum ersten Mal sehen dürfen? In der festen Hoffnung, bald von Ihnen günstige Nachricht zu erhalten, verbleibe ich mit allen guten Wünschen für ein besseres neues Jahr in Verehrung Ihr Wolf Lipp PS. Seit Monaten suche ich vergeblich nach der Anschrift von George Grosz. Ist sie Ihnen bekannt? Und fast hätte ich die Hauptsache vergessen: werden Sie eines Tags nach Deutschland kommen? Wie dringend dieses unglückselige Land Bert Brechts bedürfte! W.L. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Die Zukunft Halb­monats­schrift Junger Menschen Anschrift: Verlag „Die Zukunft“ (14b) Reutlingen, Postfach 39 Fernsprecher: 344 Postscheckkonto: Stuttgart 64303 Bankkonto: Dresdner Bank Filiale Reutlingen 3619 Dresdner Bank Filiale Stuttgart 27075 Dresdner Bank Filiale Hamburg 17128; BBA 1764/48–49.

Wolfgang Roth an Bertolt Brecht New York, 8.12.1947 Dezember 8, 1947 Lieber Brecht, Gestern war Galileo-Premiere.411 Vielleicht haben Sie schon von anderer Seite darüber gehört. Ich möchte meines hier beitragen. Persönlich: habe ich es sehr grossartig gefunden, trotz kleiner Schönheitsfehler, die aber dem Ganzen keinen wirklichen Abbruch taten. Laughton wunderbar, + ich stimme mit Piscator überein, der „es die beste schauspielerische Leistung seit langer Zeit“ fand. Musik ebenfalls ausgezeichnet, leider verstand man die 3 Jungs nicht. Schade, wäre wichtig gewesen. Wunderbar die Jahrmarktscene mit Ehepaar + Kind. Einige von uns (Piscator, ich etc) fühlten uns wie zu Hause („Heimatklänge“ sagte Piscator). Das Publikum begeistert + enthusiastisch. Noch lange nicht sah ich so viele Vorhänge hier am Theater –

411 Vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947.

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(Nebenbei: Die „Scenery“ hätte noch einfacher sein können – eine Art Planetarium – wusste nicht recht, was diese Balken a.d. Seite sollten. Hastten überhaupt keine Funktion. Gut – die Projektionen.) Presse – natürlich 80% (oder mehr?) dagegen. arm – nicht wissend, nicht verstehend. Als Beispiel der berühmte Atkinson. Ich möchte ihm antworten – vielleicht tue ich es auch noch, und zum Teufel mit den Konsequenzen für mich. Beifüge ich 2 Bilder, die Sie vielleicht nicht kennen (from „Life“) Habe gehört, Sie sehen Otto412 oft, und Erna Hirsch413 arbeitet für Sie. Herzliche Grüsse an beide + alle anderen. Helli + Barbara sowieso. Alles, alles Gute. Vielleicht sehe ich Sie bald dort auch. Wolfgang Roth Überlieferung: Ms, Bv.: Wolfgang Roth • Designer 411 East 53Rd St., N.Y.C. Phones: Plaza 8-2258 Wickersham 2 – 7800; BBA 3182.

Ruth Berlau an Bertolt Brecht New York, 8.12.1947 534 newyork 8 28 8/12 0436 via wu rs brecht gartenstrasse 38 zurich = tribune fascinating brilliant production414 times form ahead of content. innumerable curtains but now only five percent change broadway laughton perfect jed [sic] soon = ute Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 1185/6.

Bernard von Brentano an Bertolt Brecht Küsnacht bei Zürich, 9.12.1947 Bernard von Brentano Küsnacht (Zürich) Glärnischstr. 4 Tel. 911182

am 9.12.47

412 Vermutlich der Bühnenbildner Teo Otto, der am Schauspielhaus Zürich arbeitete. 413 Von welcher Erna Hirsch hier die Rede ist, konnte nicht ermittelt werden. 414 Premiere des Galileo in New York (vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947).

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Lieber Brecht, wollen Sie uns das Vergnügen machen, und am kommenden Samstag, ich glaube, es ist der 13. nebst Gattin und Tochter zu uns zum Tee kommen? ½5 Uhr oder auch früher. Ueber eine Zusage würde sich sehr freuen Ihr alter Brentano! Überlieferung: Ts, hs. U. (unleserliche Notizen Brechts auf der Rückseite); BBA 3067.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 10.12.1947 Lieber bertolt, zu meinem Telegramm415 ist nicht viel hinzuzufügen. Ich nehme an, dass Schoenhof das Buch finanzieren wird. Mir liegt daran, weniger weil wir’s beschlossen haben, als um zu verhindern, dass das grässliche Geschreibsel, das Du kennst, als Buch herauskommt. Leider veröffentlicht F.C.416 viel davon in deutschen Zeitungen Falls Schoenhof versagen sollte, hoffe ich in einem schweizer Verlag die Literaturgeschichte417 und die andern Sachen herausbringen zu können. Aber das kann auch schiefgehen. Kapital für Aurora hier aufzutreiben versuche ich, habe aber wenig Hoffnung Eine günstige Wendung: Washington hat 500 Expl. „Morgenröte“ auf Grund des Inhaltsverzeichnisses für die Bibliotheken im amer. Sektor gekauft. Mit der Redaktion bin ich so gut wie fertig, leider ist aber noch immer das Papier nicht da. Viell. folgen auch Bestellungen der andern Bücher, sie werden derzeit studiert. Du wolltest die Ergänzungen zu Deinem Gedichtband418 senden. Vergiss es bitte nicht. Becher schreibt, Reaktionäre bekommen Lebensmittel zur Verteilung an Schriftsteller usw., z.B. Hans Blunck, wir möchte[n] auch was tun. Hier seine Adresse: Präsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Berlin W.15. Schlüter-Strasse 45. Wir versuchen hier durch Parties etwas Mittel aufzutreiben. Im grösseren Stil will Dieterle Aehnliches tun, bitte versuche Dich einzuschalten, damit unsere Freunde nicht vergessen werden. Der Kulturbund, scheint mir, wäre ein gutes Verteilungszentrum. 415 416 417 418

Nicht überliefert. Zum Folgenden vgl. Herzfeldes Brief vom 18.7.1947. Franz Carl Weiskopf. Zu der geplanten „Literaturgeschichte“ von Pinthus und Weiskopf vgl. Herzfelde, 22.12.1945. Gedichte im Exil.

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Anbei einige Post für Dich und ein Ausschnitt aus der Austro-American Tribüne419; welch ein Verfall! Herzlichste Grüsse Dir und den Deinen 10. Dez. 1947 307 E[a]st 17th Street New York 3, N.Y. Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/92).

Verlag Giulio Einaudi an Bertolt Brecht Turin, 10.12.1947 Turin, 10th december 1947 Mr. Bertholt Brecht Züricher Schauspielhaus Zürich (Svizzera) Dear Sir, three months ago we sent you the enclosed letter.420 Now we hear from Paolo Milano that you’ll be in Zürich till February and then in Italy. While we look forward to read a line of yours, we hope you’ll meet in Milan our manager – Giulio Einaudi editore, Viale Tunisia 29, tel. 61035 –. Yours sincerely GIULIO EINAUDI EDITORE421 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Giulio Einaudi editore, Direzione editoriale Torina Corso Umberto 5, telefoni 47462–45062; BBA 1763/23.

419 Die Monatszeitschrift Austro-American Tribune wurde von dem emigrierten Wiener Arzt Wilhelm Gründorfer von 1942 bis 1948 in New York herausgegeben. Die erwähnten Beilagen sind nicht überliefert. 420 Vgl. Einaudi, 17.9.1947. 421 Unterschrift unleserlich.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 10.12.1947 10. Dezember 1947 L.B., was wir so langsam von N.Y. hören über die Aufführung422, scheint grossartig zu sein und macht natürlich unsere etwas wundgeriebenen Daumen wett. Aber auch hier wurde gut berichtet. Ich hätte dies gern mit der Maschine geschrieben, aber sie brach letzte Woche ganz zusammen, und gestern musste auch Peters423 wegen einer grösseren Reparatur abgeschleppt [werden]. (Nicht Peter selber, dem es letzthin weit besser ging und mit dem man sogar einen Meter über dem Erdboden sprechen konnte anstatt in den Wolken. Dafür kam dann aber auch gleich, und dies unter uns, der Gegenschlag.) Der alte Stief.424 will nicht mehr zahlen und will dass Peter „in bankruptcy“ geht und zwar fast von einem Tag zum andern. Wenn P. die Sache heute nicht regeln kann, wird er morgen seinen Wagen beleihen müssen, damit wenigstens für den Markt Geld da ist. Es sah alles gar nicht so schlecht aus, geldlich nicht, bis der zweite Film verschoben wurde.425 Da ich mit meinem Geld an letzter Stelle rangiere, weit hinter Cilly426, Clara, Happy + Rochester427, ist der outlook nicht so gut. (Da aber manchmal Wunder geschehen, soll dies erst unter uns bleiben.) Es ist nur wirklich nicht schön. Wir hatten gerade die Möglichkeit eines Films mit Pascal428 besprochen und ich hatte schon viele Notizen dazu. Ich bin auch am Fahren lernen + stehe kurz vor der license (Fahren macht mir überhaupt nichts, weder wegen Augen noch Knie), dann hätte ich, ganz gleich, wann ich nach drüben fahre oder ob ich fahre, doch versuchen können, mich selber noch umzutun. Ich wollte den Feuchtwanger bitten, mir das Geld für einen alten Wagen zu leihen; ob er es tut, weiss ich nicht. Den Wagen könnte ich ja dann verkaufen, dann hätte er sein Geld wieder. – Das Warburg-Buch429 wird jetzt in Schweden bearbeitet, nachdem ich wegen der dringlichen Überredungen von hier meine Arbeit daran letzten Sommer abgebrochen habe. Sie 422 Premiere des Galileo in New York (vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947). 423 Peter Lorre. 424 Lorres Filmagent Sam Stiefel. 425 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 14.11.1947. 426 Das ist Celia Lovsky (1897–1979), unter dem Namen Cäcilie Lvovsky geborene österreichische Schauspielerin. Sie ging zusammen mit ihrem damaligen Mann Peter Lorre 1933 ins Exil. 427 Der amerikanische Schauspieler Eddie Anderson (1905–1977), der in The Jack Benny Program den Butler Rochester spielte. Peter Lorre trat mit ihm zusammen in der Folge „I Stand Condemned“ am 24.3.1946 auf. 428 Ernest Pascal (1896–1966), englischer Drehbuchautor. Brecht, der auf dessen Unterstützung auch als Filmproduzent hoffte, hatte mit ihm in Kalifornien über Filmprojekte verhandelt. 429 Eine solche Arbeit konnte nicht ermittelt werden. Der Titel bezieht sich wahrscheinlich nicht auf

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schreiben mir noch sehr nett; aber dadurch kann ich die von mir in Stich gelassene angefangene Arbeit auch nicht weitermachen. Eine kurze Zeit hatte ich die Hoffnung, ich könnte mir das wieder richten. Auch die 2. Arbeitsmöglichkeit in New York, die ich ehe ich herkam hatte, ist inzwischen anders ausgenutzt. Aber es hat keinen Sinn, diesen zwei Sinecuren nachzujammern. Peters Vater ist gestern in N.Y. angekommen. (Er will allmählich seine Familie nachkommen lassen. Der Alte mit seinen 73 Jahren scheint noch ungeheuer alert zu sein.) Gerade bekomme ich von Olga430 einen Zeitungsausschnitt „Treffpunkt Zürich“ von Kästner431, dem das Wiedersehen anscheinend einen grossen Auftrieb gegeben hat. Ich lese mit Interesse + Freude, weil es sich doch herumspricht: … „daß sich aus der Not, aus dem Mangel kein neuer Stil entwickelt habe …, sondern dass der Ehrgeiz dahin zu gehen scheine, mit unzulänglichen Mitteln die Bühnentradition von einst möglichst am Leben zu erhalten.“ Das Gespräch mit Ihnen scheint gut gewesen zu sein. Ich lese gerade, was die jüngste Generation (Schriftsteller) hier über die ältere (Hemingway, Faulkner432 etc.) denkt + wie sie es abgelehnt, fortgesetzt mit den zwanziger Jahren verwechselt zu werden, d.h. mit den Gewaltigen nach dem I. Weltkriege, mit denen sie garnichts teilen. Dessau ist bekümmert, dass das Paket mit dem Miserere wohl noch nicht da ist. Seine Pala[e]stina-Musik433 ist entsprechend den Ereignissen bereits um ein Drittel in jeder Hinsicht gekürzt worden. Das bringt ihm Europa auch nicht näher, nach dem es ihn zieht. Nächsten Sonntag ist ein Konzert im Coronet434 – Musik von Hanns.435 Sponsors: Stravinsky, Copland436, Toch, Sessions, Harris.437 Wir hatten 4 teuerste Karten bestellt, als es Karen438 vorgestern noch fürchterlich gut ging. Heute werden wir die Karten wohl abbestellen müssen.

den Kunsthistoriker Aby Warburg (1866–1929), den Elisabeth Hauptmann kaum gekannt haben dürfte, sondern auf die Stadt Warburg in Ostwestfalen. Hauptmann wurde in Peckelsheim bei Warburg geboren. 430 Olga Lang, geb. Joffe (1897–?), russische Journalistin, war seit 1933 verheiratet mit Karl Wittfogel, mit dem sie 1934 ins Exil in die USA ging. 431 Vgl. Ludwig, 1.12.1947. 432 Die amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway (1899–1961) und William Faulkner (1897– 1962). 433 Nicht genau ermittelt. Paul Dessau hatte Musik zu dem Lehrstück Die Ausnahme und die Regel komponiert, das am 1.5.1938 in Givat Chaim (Palästina) aufgeführt worden war, und zu dem Film Awodah (Arbeit, Palästina 1935) von Helmar Lerski, der die Aufbauarbeit der jüdischen Einwanderer schildert. 434 Das Coronet Theatre in New York (heute Eugene O’Neill Theatre). 435 Hanns Eisler. 436 Aaron Copland (1900–1990), amerikanischer Komponist. 437 Roy Harris (1898–1979), amerikanischer Komponist. 438 Karen Verne.

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Es freut mich, dass Sie den Prozess machen wollen nach der sonderbaren Bearbeitung von Gide.439 Aber ich hoffe auch, dass sie den „Caesar“ fertig machen + das nicht Wilder ganz überlassen. (Siehe unten.440) Wahrscheinlich wird Olga Sie mal besuchen; ihre Zeit ist bald um. (Ihre Adresse: Olga Lang, APO 696A, Postmaster N.Y., N.Y. – aber das ist doch wohl ein großer Umweg. Ich weiß nicht, wie man direkt schreiben kann.) Ihr China-Buch441 war ein ziemlicher Erfolg, + es wird jetzt auf deutsch veröffentlicht. Sie will dann ihr 2tes Buch in Europa schreiben. Mehr fällt mir hier bei den Coyoten nicht ein. Sie werden aus den Hauptstädten interessantere Nachrichten hören. Herzliche Grüße B. Überlieferung: Ms, BBA 3231.

Joseph Losey an Bertolt Brecht [New York] 10.12.[1947]

Wednesday afternoon December 10th

Dear Brecht, My failure to write you before has not been neglect. The chief reason what that there is too much to say and the saying seemed to demand composure and composition, neither of which I was equal to. I am not equal to it yet – but I’ll try to make a first coverage. The notices442 you have seen. They are what you are used to I think. Highly controversial and contradictory, highly stupid. Unfortunately even those that are favourable are unseeing and patronizing….Audience reactions are also what you are used to, but to a greater degree I think: the great bulk of the audience is held completely and in precisely the ways you wish. Let me quote you a typical comment of the many written and spoken to me (this one from Ernestine Evans): „Play, direction, and Laughton’s performance are the best, 439 Gemeint ist André Gides Bearbeitung von Franz Kafkas Roman Der Prozeß, die Brecht in Paris gesehen hatte (vgl. Journaleintrag vom 3.11.1947, GBA 27, S. 250). Pläne einer eigenen Bearbeitung des Romans konnten nicht ermittelt werden. 440 Beiliegend ein Zeitungsausschnitt: „EIN CÄSAR-ROMAN VON THORNTON WILDER. New York. Thornton Wilder arbeitet zur Zeit an einem neuen Roman, der den Titel ‚Die Iden des März’ trägt. Er behandelt den letzten Monat im Leben Julius Cäsars und ist in Form von Briefen an und von Cäsar geschrieben. (NZ)“. 441 Zusammen mit ihrem Mann Karl Wittfogel hatte Olga Lang in den 1930er Jahren Forschungsreisen nach China unternommen. Ihr Buch Chinese Family and Society erschien 1946 bei Yale University Press. 442 Zeitungsberichte über die Aufführung des Galileo in New York (vgl. Anm. in GBA 5, S. 376f.).

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the only events of the year, and for ever so far back. The applause, was really felt for the whole conjunction of play, director and cast and star changing an audience from passive to active….moving them to think, to choose, to understand.” There have been words of praise in much the same terms from Marc Blitzstein, Sam Jaffe, Harold Clurman, Ella Winter, Virgil Thomson443 – and the stage hands. [Hs: And Piscator.] I am very well satisfied with the result, though next time we can improve it still. Charles444 and I worked together excellently. There were no differences and no friction and it was a very good collaboration within CL’s limits which are being pushed out further all the time. Neither did we have any unrelaxed or unproductive moments with any other members of the cast. Altogether it was the quietest and most rewarding rehearsal period of my experience. Everyone grew all the time. Everyone liked what he was doing, and the play, and Charles and me. Charles’ social understanding has increased enormously in perception, responsiblness, and articulateness. He has behaved admirably. His performance is incomparably better. Excepting for the last scene all his neuroticism and restlessness is gone. No head or ball scratching, no pockets, very little mugging. The first scene is now perfect. We have found places all the way through the play to prepare for the last scene – particularly in scenes 4, 6, and 7. Scene ten is not quite right yet – neither in the writing nor the playing. In Scene 4 Charles does something brilliant with kind of over-adrenalin rage at the treatment of Federzoni. Scene 13445 is a very large subject and I’ll have to tackle it sometime later when I am rested and clearer and there is less pressure. Charles intends to record it for you. Let me say now though that for the very first time it is intelligible in Charles performance. Both the betrayal and the tragedy are clear. On the lines „I have come to the conclusion Sarti, etc.” He does it with a kind of cry of anguish that is almost unendurable when seen as well as heard. Then he returns to brutal corruption and indifference on „I have betrayed my profession.” He has also gotten a real line through 10, 11, 12 and to 13…..The text is not good. There are cuts I do not agree with. But after a certain point I felt the main consideration was nourishing and protecting Charle’s performance. There is all the basis now for getting it right in both text and performance. We did a number of things which I am sure are right and which I hope you will like. I am sure you would if you saw them. For one thing I bring Charles to the stage from the house with the house lights still on at the opening. He then reads the frontispiece quote from Galileo Galilei. Then he takes off his robe and belt and scarf and gives them to „Mike”446 who is Andrea and who also sings with the group of three boys (incidentally the child is absolutely brilliant – far better than Ray). Then the curtain goes up. Mike sings 443 Virgil Thomson (1896–1989), amerikanischer Komponist. 444 Charles Laughton. 445 Vgl. dazu Brechts Anmerkungen in GBA 24, S. 243–245. 446 Michael Citro.

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with the three boys from a platform raised in the pit. Then he climbs up the stairs from the orchestra to the stage, bringing the astrolobe. It is a fine beginning to relax the audience, state that it is a theatre, give Charles a change to get over any strangeness with the audience. It is good. Other changes. We have cut the voices for the music before Scene 4. Now it is just court music from orchestra. The music for Sc 6 is changed. Ludovico speaks the title for the ballade scene (this also works very well). We have cut the music altogether between Scenes 4 and 5, between Scenes 11 and 12….Incidentally the music seems to be the only thing which is more or less universally disliked – even by most of those who like the play and production. The only exceptions to date are Lem Ayres and Reyher. Partly it is because the words are still not understood (though the boys are better than in Hollywood), partly undoubtedly it is political, part lack of understanding of the style. And partly the music could be better inseveral places. Hanns was here and not very helpful or cooperative until I had a bad row with him – then the last day he began to work sensibly. We cut out the Discorsi quote before Scene 13. I miss it but Charles thinks it is better. We restored the „astrology horoscope” scene between the two women and the beginning of Scene 8 (which by the way is throughout now a perfect scene). We restored Sarti’s exit so that she goes to tell Virginia that Ludovico has left. McCracken can do the frantic entrance and faint. We restored some of the cut lines from the Little Monk’s big speech because he also is capable of doing it….Generally speaking the cast is much much better than Hollywood.447 Virginia, Little Monk, Mrs. Sarti and Andrea are incomparably better….Many of the scenes are as good as they will ever be by my standards – notably Scenes 1, 7, 8, and 12. Carradine448 is terrible – the only really bad one. Federzoni (Marfield) is not good. The Old Cardinal is terrible. The run at The Experimental Theatre is being extended one week and T449 does seem to got and to go ahead with a commercial production on Broadway. The talk is of the National Theatre and the date Christmas week if possible. I think middle January is a more likely date. The main problem is how to bring in $18,000 a week (which is the minimum needed) until its audience finds it and it finds its audience. None of us have any doubt about the audience being there. I will naturally let you know by cable as soon as anything is really definite. I must return to the coast this Sunday to collect my RKO wage which still miraculously comes in. But I cannot possibly last there long and my picture is cancelled.450 I am trying to find another play and would of course come back to NYC for any commercial production

447 Gemeint ist Uraufführung des Stücks in Beverly Hills am 30.7.1947. 448 John Carradine spielte den Inquisitor. 449 Der Produzent T. Edward Hambleton. 450 Tatsächlich drehte Joseph Losey 1948 für RKO Pictures den Film The Boy with Green Hair (Der Junge mit den grünen Haaren).

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of GALILEO. I have notified Geiger of my availability to do CHRIST IN CONCRETE451 but have heard nothing. What I really want to do is GALILEO and I think Laughton could be persuaded to it now. But he has not broached it, nor have I. I imagine that my circumstances of work and eating could be quite desperate within a very short time. It was impossible to obey your wishes regarding Ruth and photographs.452 Annoying and subjective as it may seem to you we would never have gotten a performance out of Charles had I attempted it. Charles has now agreed that she may take pictures the last three performances this week. I am worried even about that…Some amat[e]ur started to take contact pictures at the preview and Charles sent word out front he would stop the performance it the pictures were not stopped….In a way I do not blame him. The clicks are very destructive of concentration and rhythm and also very annoying to the audience – and the audience strangely enough is our friend. The political and economic aspects of this country could not be blacker. If anything breaks in France or elsewhere in Europe or if they can find any other excuse I expect immediate raids, arrests, and concentration camps. Why do not people have eyes to see? Can you help me with Geiger or in any other way to work. I cannot do the Broadway tripe even if asked – or the Hollywood….I think Reyher will do CAUCASIAN CIRCLE if we can clear with Stern, Auden, and Bentley. One major change I forgot to mention although I’m sure you already know it from Ruth….Laughton speaks the final verse – ‘May you now guard Science’ light..etc.”453 It is very effective and right. Right for the style, right for the unity, right for content Also in reading this hasty document I see that you might misunderstand my statement that we cut the Discorsi quote before Sc 13 – I mean of course the quote which the curtain boy read – not the projection. Please write. JL Did you get my other letters. Überlieferung: Ts, BBA 1762/87–89.

451 Christ in Concrete (1939), Proletarierroman von Pietro Di Donato, verfilmt von Edward Dmytryk unter dem Titel Give Us This Day (Haus der Sehnsucht, USA 1949). 452 Vgl. B. an Berlau, 13.12.1947, GBA 29, S. 436. 453 Vgl. GBA 5, S. 181.

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Curt Weller454 an Bertolt Brecht Kreuzlingen, 12.12.1947 Herrn Bert Brecht z.Z. Schauspielhaus Zürich

12. Dezember 1947 lr/Ra Adresse in Kreuzlingen:455 Curt Weller c/o Uhrenhaus Fröscher, Hauptstr. 41 Telephon: Kreuzlingen Nr. 82448

Sehr geehrter Herr Brecht, von Herrn Herbert Ihering erfuhr ich vor kurzem, dass Sie in Zürich weilen und dass Sie beabsichtigen, nach Berlin zu fahren. Ich wünschte sehr, dass diese Zeilen Sie noch in Zürich erreichen. Während ich Sie aus Ihren Werken kenne, bin ich Ihnen nicht bekannt. Aber ich hatte – befreundet mit Anna Seghers – bald nach 1933 Ihre Frau Gemahlin kennengelernt und in Zürich (dessen sich Ihre Frau Gemahlin vielleicht noch erinnert) einen Einkauf für meine Frau unter ihrer Assistenz getätigt, wobei die Wahl der Farbe des Seidenstoffes eine gewisse Rolle spielte. Bis zum Kriegsausbruch hatte ich auch jede Gelegenheit wahrgenommen, Ihr Schaffen zu verfolgen, dann war mir der Austritt aus dem NS-Land verwehrt und 1942 verringerte sich mein Lebensraum weiterhin auf den Zellenbau eines Gefängnisses in politischer Haft. Ich musste auch Ihre Bücher, die ich mir aus dem Ausland beschafft hatte, wegen der GestapoBesuche in meinem Hause verbrennen lassen, da z.B. das Anstreicher-Lied456 damals unangenehme Folgen für meine Familie zeitigen konnte. Verlagstätigkeit war mir untersagt, aber 1945 bin ich als Verleger von der Militär-Regierung lizenziert worden, die meine seit 1936 gewählte Heimat am Bodensee besetzte, und habe nun wieder die Freude, für Autoren tätig zu sein, die von jeher mein Interesse und meine Sympathie hatten, u.a. auch für Anna Seghers, Theodor Plivier, Robert Neumann457 (hier besonders die Werke seiner Emigrationszeit); auch die Herausgabe eines kleinen Kästner-Bandes in deutscher und französischer Sprache steht bevor. Ich war seinerzeit auch der erste Verleger von Erich Kästner, während Sie bei Gustav Kiepenheuer editierten. 454 Curt Weller (1895–1955) hatte in seinem Leipziger Verlag in den 1920er Jahren u.a. die Werke Erich Kästners publiziert, später für die Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart gearbeitet. 1933 verlor er seine Anstellung, 1941 wurde er wegen „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet. 455 Gemeinde im Schweizer Kanton Turgau. 456 Das Lied vom Anstreicher Hitler (GBA 11, S. 215). 457 Robert Neumann (1897–1975), österreichischer Schriftsteller, ging 1934 ins Exil nach Großbritannien.

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Dass ich von Ihrer Arbeit tief berührt bin, klingt im Briefe eines Verlegers gemeinplätzig. Mehr mag aussagen, wenn ich genauer präzisiere, nämlich, dass Ihr (viel zu wenig beachteter) „Baal“ es war, der mir den gültigen Durchbruch zu Ihrem Schaffen brachte. Seit sich mir die Möglichkeit zu verlegerischer Tätigkeit wieder erschloss, verfolgen mich ganz besonders zwei verlegerische Intentionen: Gesammelte Werke von Bert Brecht und Gesammelte Werke von Anna Seghers458, weil mir diese beiden, auf verschiedenen Ebenen der Dichtkunst Tätigen als die Gipfel unserer Zeit erscheinen. Nun sind solche geballten Verlagsvorhaben schwieriger zu realisieren, als es den Anschein hat, in einem Land, das diese Literatur ein Jahrzehnt fernhielt, weil sie die Tendenz hat, einzuströmen, wie in einen luftleeren Raum, ungeordnet, da und dort eindringend und sich ausbreitend, wie vom Wind getragener Samen, wahllos sich in Verlegergärtchen ergiessend. Ich bin kein Freund dieser Unordnung, nicht weil mein Gärtchen unfruchtbar wäre, sondern weil nur ernsthafter Wille und sorgfältige Planung, und ausdauernde Pflege ein Gedeihen in der Zukunft versprechen können. Ich erachte in dieser Zeit geordnetes Planen für wichtig und glaube zu beobachten, dass auch Sie nicht willens sind, Ihr Werk zu zerstreuen. Ich würde es begrüssen, mich mit Ihnen über die Veranstaltung der Herausgabe ihrer gesammelten Werke unterhalten zu können in einer Edition, die Ihr bisheriges abgeschlossenes Schaffen in gültiger Form für alle Zukunft zusammenfasst in einer Ausgabe, die so angelegt ist, dass sie auch laufend Ihre Neuschöpfungen aufnimmt und sammelt. Dies könnte – Ihre Zustimmung vorausgesetzt – auch neben der Veranstaltung von Einzelausgaben geschehen. Die Schwierigkeit, die in Anbetracht unserer Valuta die Honorarfrage belastet, würde ich in Verbindung mit einem schweizer Kollegen lösen können. Sie hätten damit die Gewähr, dass Ihr Werk bald wieder und in guter Form in dem Land gelesen werden kann, dessen Sprache und Literatur es so wesentlich bereichert. Ich weiss, dass auch Herr Herbert Ihering eine solche Unternehmung begrüssen und unterstützen würde, und dass er wohl in Berlin (ich sende ihm eine Copie dieses Schreibens) mit Ihnen darüber sprechen wird. Ausser der Absicht, Sie, sehr geehrter Herr Brecht, mit dieser Intention bekanntzumachen, von der ich freilich nicht weiss, ob sie Ihnen in dieser geballten Form auch von anderer Seite angetragen wurde, ist der Zweck dieser Zeilen, bei Ihnen anzufragen, ob Sie mir Gelegenheit zu einer Aussprache geben wollen, sei es in Zürich oder in Kreuzlingen (wohin ich von Konstanz aus schnell mit Tagesschein gelangen kann) oder auf Ihrer Reise von Zürich nach Berlin oder in Berlin. Trotz aller Abneigung zu Reisen, wäre ich bereit, nach Berlin zu kommen, wenn Ihre Geneigtheit zu einem solchen Projekt die Hingabe von Zeit und Kraft, die solche Reisen heute erfordern, rechtfertigt.

458 Curt Weller hatte mit Anna Seghers bereits 1946, als sie sich noch im mexikanischen Exil aufhielt, Kontakt aufgenommen und ihr ein Verlagsangebot unterbreitet. 1948 erschien ihr Roman Transit im Curt Weller Verlag in Konstanz, 1951 auch im Berliner Aufbau-Verlag.

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Ich wäre Ihnen jedenfalls dankbar für eine Nachricht, entweder an meine Verlagsadresse oder auch an meine Kreuzlinger Adresse (Curt Weller c/o Fröscher, Kreuzlingen, Hauptstrasse 41) auch darüber, wie lange ich Sie in Zürich erreichen könnte. Sollten Sie über den Bodensee nach Berlin fahren, oder über Basel, würde ich mich gern auf eine Begegnung einrichten. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin sehr zu empfehlen, begrüsse ich Sie in aufrichtiger Verehrung als Ihr ergebener CURT WELLER Überlieferung: Ts, hs. U.; AdK: Herbert-Ihering-Archiv 2587.

Hélène Abraham459 an Bertolt Brecht Paris, 14.12.1947 5 rue Chalgrin – Paris XVI – 14 dec. 47 Monsieur, j’ai lu avec émotion et admiration dans la revue Ost und West „Die jüdische Frau“460. Il me semble qu’il serait très utile de la faire connaître et de garder présent aux esprits ce que beaucoup trop sont portés, déjà, à oublier. Une de mes amies la traduit. Je crois avoir la possibilité de la faire jouer (tout au moins à la Radio) et peut-être aussi de la faire publier. Je vous serais obligée de me dire si vous voulez bien m’y autoriser. Je ne peux naturellement rien commencer sans votre autorisation, même pas en parler à la grande actrice à laquelle je songe pour l’interpréter. Veuillez agréer, Monsieur, l’expression de mes sentiments distingués. Hélène Abraham Madame Abraham Überlieferung: Ms, RBA 54/1 (Kopie: BBA 1763/12).

459 Hélène Abraham, französische Schriftstellerin und Publizistin. Frau von Pierre Abraham. 460 Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches. Erschienen in Heft 1 (Juli 1947) der von Alfred Kantorowicz in Berlin herausgegebenen Zeitschrift Ost und West.

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Jacob Geis an Bertolt Brecht Buch am Ammersee, 14.12.1947 Jacob Geis

13 b Buch am Ammersee, Haus 47 Deutschland, U.S. Zone Bavaria 14.12.47.

Lieber Brecht, in der Beilage schicke ich Dir eine Ausfertigung der Grundstückübertragung Deines Hauses in Schondorf,461 da Du das erste Exemplar anscheinend nicht erhalten hast. Inzwischen ist ja das Rückerstattungsgesetz herausgekommen, wonach Du den Anspruch hast, die Rückübereignung zu verlangen. Wenn Du in diesem besonders gelagerten Fall dies beabsichtigen solltest, so schreibe es mir, damit ich die im Gesetz vorgesehenen Schritte unternehmen kann. Da hier Termine des Einspruchs vorliegen, wäre es gut wenn Du mir bald Deine Absichten mitteilen würdest – aus dem Dokument scheint allerdings hervorzugehen, dass es sich hier um eine der seinerzeit so üblichen „Tarnungen“ handelt. Auf jeden Fall muss aber etwas geschehen. Ueberlass bitte das alles mir, ich habe einen sehr geschickten Anwalt zur Verfügung, der das alles nach Deinen Wünschen erledigen wird. Ich hoffe Dir mit dieser Hilfe wenigstens einen Teil des Dankes erstatten zu können, den ich Dir schuldig bin für Deine Hilfe durch die vielen Pakete – erst gestern ist wieder eines angekommen, das den Absender: Spitz für Mrs. Brecht trägt – woraus ich entnehme, dass auch Deine Frau in der Schweiz ist. Schönen Dank auch für den Gruss von Erich Kästner, ich habe ihn gestern anlässlich unserer Filmpremiere462 getroffen. Damit haben wir unsern ersten Nachkriegsfilm herausgebracht – es graust mir immer mehr davor unter die Producer gegangen zu sein – immer mehr bin ich davon überzeugt, dass mit diesem Geschäft weder Befriedigung noch Lorbe[e]ren zu ernten sind. Aber was bleibt übrig – irgendwie muss man sich eben durchschlagen – wenn man nun mal kein Originalgenie ist. Schade, dass Du nicht nach Deutschland kommst – ich hätte gern alles hingeschmissen um wirklich wieder einmal bei einem Theater nach unsern Prinzipien arbeiten zu können. Aber das werde ich vielleicht doch noch einmal erleben. Trotz allem möchte ich nicht fort aus diesem verfluchten Land. Ist man mitgefangen soll man sich auch mithängen lassen. Ausserdem ist hier eine Luft von Mord und Brand, wie in einem Restaurant am frühen Morgen, wenn die Stühle noch übereinanderstehen und die Putzfrauen im kalten Zigarrenrauch wirken – höchst anziehend, wahrscheinlich nirgends auf der Welt so voll von Verwesung und Aufbruch. In dieser Luft zu leben hat

461 Gemeint ist das Haus in Utting am Ammersee (vgl. Anm. zu Walter Brecht, 3.8.1946, und Lingen, 1.6.1947). Schondorf ist eine Nachbargemeinde. 462 Die Premiere des Films Zwischen gestern und morgen (Regie: Harald Braun).

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seine macabern Reize, es ist die umgekehrte Luft von Sils-Maria463 – weniger gesund allerdings aber recht muntermachend am Rande der Vernichtung. Aus den Erschöpften kommen die besten Antworten – weil sie die Kontrolle zum Schwindel verloren haben. Bitte grüss Frau Weigl und lass in der Schondorferangelegenheit bald was hören. Dein Jacob Geis. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3096.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 15.12.1947 BASEL, DEN 15. Dezember 1947. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4

Abt. Bühnenvertrieb.

Herrn Bert Brecht, bei Oettinger, Gartenstr. 38, Zürich.

BETRIFFT: „Mutter Courage“ Lieber Herr Brecht, Das Stadttheater St. Gallen beabsichtigt „Mutter Courage“ zu spielen und bittet um umgehende Zusendung der Musik. Wir sandten Ihnen am 3. Dezember a.c. den Klavierauszug der Dessauschen Musik und bitten nun um umgehende Rücksendung. Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Frage an Sie richten, ob auch in St. Gallen die Dessausche Musik gespielt werden muss, oder ob Sie für diese Aufführung noch die Burkhard’sche Musik genehmigen würden.464 Da die Angelegenheit sehr eilig ist, bitte ich um Ihre umgehende Stellungnahme, am besten durch einen Telephonanruf. (4.13.52). Mit besten Grüssen Ihr Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/30.

463 Ortsteil von Sils im Engadin in der Schweiz. 464 Vgl. Frank, 19.9.1946.

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Praesens-Film A.G. an Bertolt Brecht Zürich, 18.12.1947 18. Dezember 1947 Herrn Bertolt Brecht Gartenstr. 38 b/Oetinger Zürich Wir retounieren Ihnen im Auftrag von Herrn L. Wechsler, der bereits nach Amerika unterwegs ist, Ihr Manuskript „Die 2 Söhne“465. Herr Wechsler lässt Sie bestens grüssen und Ihnen alles Gute wünschen. Hochachtungsvoll PRAESENS-FILM AG Beilage erw. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Praesens-Fim A.G. Zürich Telephon: 264797 Telegramme: Praesensfilm Zuerich Briefadresse: Postfach Zürich 23 Hauptbahnhof Postcheck-Konto: Viii 10992 Zürich den _____ Weinbergstr. 15 Produktionsbüro, Leonhardstrasse 10 261628 Buchhaltung, Universitätsstrasse 20 284654 Montageraum, Weinbergstrasse 54 284074 Filmstudio Rosenhof, Weinbergstr. 54 283838/280273; BBA 3149.

Joseph Losey an Bertolt Brecht Hollywood, 19.12.1947 December 19/ 47 Dear Brecht, I am back in Hollywood. Old address: 4248 Arch Dr, No. Hollywood. I enclose a copy of Scene 13 as played i[n] New York.466 You will no doubt be horrified at the butchery of the big speech. So I am. But Laughton could not do it any other way and I had to make a

465 Die Geschichte Die zwei Söhne (aus den Kalendergeschichten, GBA 18, S. 357–359) hatte Brecht im März 1947 an Slatan Dudow geschickt (vgl. Journaleintrag vom 24.3.1947, GBA 27, S. 243). Als er selbst in der Schweiz mit Lazar Wechsler (1896–1981), dem Leiter der Praesens-Filmgesellschaft, über eine Verfilmung der Gogol-Adaption Der Mantel (GBA 20, S. 165–180) verhandelte, wurde womöglich auch über diese Geschichte gesprochen. 466 Drei Fassungen des Galileo sind überliefert in BBA 1079, 1021 und 1022.

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choice between a mutilated script and a performance. We got the performance and I think it was the wise choice. The work period was absolutely of the best and the results were first class. Next time we will have it all right. Any ideas you have about text changes in Sc 13 that can be made in short order and without throwing Laughton, I’d like to have at once. I think we will return to NYC for another limited Experimental Theatre run about middle January. The plan then is to go on from that to commercial production if Charles has not then gotten re-snagged in Hollywood…..He does seem to want to go on and is even talking about other theatre projects – your latter plays and King Lear467 with you and me. I think is appetite for both theatre and fight has been re-awakened. Our love to Hellie and Barbara. Louise468 is finally out of bed. ….I have seen Geiger469 and he says he will do GALLILEO [sic] the film with or without Laughton. I believe with little urging I could be accepted by Laughton now for the film. Have you heard from Reyher or Piscator or Weil or Ella Winters or any other of your many friends who saw the production in New York and liked it? Please write. Warmly. Joe PS MY film470 is not yet cancelled. I am seeing Schary471 Monday and will know more then. Laughton has gotten many films off and is contemplating doing a very strong film on „the American Reichstag Fire.” However terror reigns generally and the 19472 are absolutely blacklisted and there is much doubt as to whether they can get out to work elsewhere. MGM has laid off 1700 people, RKO 300…..Geiger meanwhile has signed someone else for Christ in Concrete.473 But I have recently sent him some new material which he may like. T474 remains very steadfast. Slow but eventually effective. jl Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Culver-City California No agreement or order will be binding on this corporation unless in writing and signed by an officer; BBA 1762/90.

467 King Lear (1608), Tragödie von William Shakespeare. 468 Frau von Joseph Losey. 469 Im Ts: „Gieger“. 470 Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947. 471 Dore (eigentl. Isadore) Schary (1905–1980), amerikanischer Filmregisseur und -produzent. Damals war er noch für RKO Pictures tätig, ab 1948 Chefproduzent bei MGM. 472 Vgl. Anm. zu Losey, 16.11.1947. 473 Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947. 474 T. Edward Hambleton.

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Georg Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 21.12.1947 Augsburg, den 21. Dezember 47 Lieber Bidi, ich weiß nicht, ob Dich mein Brief vom Oktober in Californien noch erreicht hat. Das Zeug, das von hier abgeht, braucht schätzungsweise 4-6 Wochen, bis es an Ort und Stelle ist. Nachher Darnach ist Dein Brief, Ende September datiert,475 hier angekommen, in dem geschrieben steht, daß ihr Ende Oktober nach der Schweiz fahren wollt. Und dann ist einiges Wasser den Lech hinunter geflossen (Es war um diese Zeit an und für sich nicht mehr viel mit ihm zu wollen, eine lange Dürre hat dem alten licus476 beinahe den Garaus gemacht) bis ich eines Tages – ich traue meinen Augen nicht – in der Neuen Zeitung von dem Treffpunkt Zürich lese.477 Ich lesalles und weißalles. Willkommen in Europa! Im Wann gedenkst Du aus dem europäischen Salon, wann gedenkst Du hereinzukommen, in das alte Dreckstübchen, zu kommen, in das Studio, wo „Heulen und Zähneklappern“478 ist? Vor 14 Tagen erhielten wir von Frau Whyl-Spitz, im Namen Deiner Frau ein sehr schönes Paket. Dir meinen herzlichen, Übermittle bitte Deiner Frau meinen besonders herzlichen Dank dafür. Von Frau Hauptmann ist vorige Woche ein Christmas gift eingetroffen; ich habe ihr diese Woche geschrieben. Ein gutes Neues Jahr, Deiner Frau, Dir und Deinenr Kindern Familie! Auf baldiges Wiedersehen. P.G. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr. u. Erg.; Georg Pfanzelt jr., Augsburg (Kopie: BBA E 73/108).

475 Vgl. B. an Pfanzelt, Sept. 1947, GBA 29, 423. 476 Lateinische Bezeichnung des Lech (ein Nebenfluß der Donau, der auch durch Augsburg fließt). 477 Vgl. Ludwig, 1.12.1947. 478 Zitat aus der Bibel: „da wird sein Heulen und Zähneklappern“ (Mt 8, 12). In Leben Eduards des Zweiten von England heißt es: „In London gibt’s Heulen und Zähneklappern“ (GBA 2, S. 12).

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Joseph Losey an Bertolt Brecht [Hollywood] 22.12.1947 December 22/47 Dear Brecht, Still no word from you. Have sent you several letters and recently a copy of Scene 13. Where they received? Herewith a clipping479 which I hope will amuse you: read it carefully and consider again that the Committee likes unorganized writers! In case you are worried, let me hasten to assure you that none of your friends are. The review of the Stavis play480 is more subject for concern. I do not know it was generally received in New York. I trust not in any way to upset our plans which at present are for a re-opening of GALILEO in NYC January 19. Charles agrees and is fine. George Tabori481 has sent a script through me (GALILEO i.e.) to Hungary. Stephen Sonlo, Warhman Ucca 45, Budapest 5 will write you. He is a top actor and producer connected with the best of the private theatres. He wishes to do GALILEO either there or in the National Theatre and is writing for some sort of preliminary understanding with you. Things are very bad here. Love to you and Hellie. Joe Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3130.

Victor Matejka an Bertolt Brecht Wien, 23.12.1947 Wien, am 23. Dezember 1947. Dr. L/K. Herrn Bert B r e c h t , bei Uz Oettinger, Z ü r i c h / Schweiz, Gartenstrasse 38. 479 Nicht überliefert. 480 Vgl. Anm. zu Losey, 12.11.1947. 481 George Tabori, d.i. Tábori Györgi (1914–2007), ungarischer Schriftsteller. Nach einem Aufenthalt in Berlin 1932/33 emigrierte er nach Großbritannien, später in die USA. Er arbeitete 1947 zusammen mit Brecht und Charles Laughton am Galileo.

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Sehr geehrter Herr Brecht! Mein Mitarbeiter Dr. Friedrich Langer hat mir von seinem Besuch bei Ihnen erzählt und angedeutet, dass Sie wohl gern nach Wien kommen würden, aber mit den derzeitigen Theaterverhältnissen nicht ganz einverstanden sind. Ich ersuche Sie, mir einen Artikel zu senden über die Forderungen, die Sie für Ihre Werke an das heutige Theater stellen, und mir mitzuteilen, ob es nicht doch möglich wäre, dass Sie an einem unserer grossen Theater eines Ihrer Stücke im Laufe der nächsten Zeit herausbrächten. Ich bin daran sehr interessiert, dass gerade Ihr Werk in Wien in guten Aufführungen gebracht wird, und würde mich freuen, wenn Sie bald zu einem Besuch in unsere Stadt kommen könnten. Ich ersuche Sie, mir für Veröffentlichungen in hiesig[e]n Zeitungen und Zeitschriften Berichte zu schicken bezw. schicken zu lassen über Ihre derzeitige Tätigkeit, im besonderen über die bevorstehende Aufführung in Chur. Ich hoffe, sehr geehrter Herr Brecht, sehr bald etwas von Ihnen zu hören und begrüsse Sie herzlich […] Überlieferung: Ts, hs. U.; Victor Matejka, Wien (Kopie: BBA E 14/22).

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 27.12.1947

BASEL, DEN 27. Dezember 1947. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert Brecht, c/o Schauspielhaus, Zürich.

BETRIFFT: Abt. Bühnenvertrieb. Lieber Herr Brecht, Das Eidg. Politische Department482, Deutsche Interessen-Vertretung, verlangt zwecks Feststellung Ihrer Ausbürgerungsbekanntgabe im Deutschen Reichsanzeiger Ihre näheren Personalien, also Geburtsdatum, Geburtsort etc. Ich bitte Sie um umgehende Zusendung dieser Personalien, damit ich die Angelegenheit schnellstens erledigen kann. Mit besten Grüssen und Wünschen 482 Eidgenössisches Politisches Department, entspricht dem Außenministerium in anderen Ländern.

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zum Jahreswechsel für Sie und Ihre Gattin, Ihr Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/32.

Werner Finck483 an Bertolt Brecht Stuttgart, 29.12.1947

29.12.47

Stuttgart Cäsar Flaischlenstrasse 35

Sehr verehrter lieber Herr Brecht! Ihr Gedicht erreichte mich nach Irrfahrten und Umwegen. Ich bin glücklich darüber, und freute mich natürlich enorm. So etwas hatte ich gar nicht erwartet. Haben Sie also herzlichen Dank! Jemand vom „Ulenspiegel“ der satirischen Zeitschrift in Berlin (Schnog484) fragte mich jetzt, als ich ihm Ihre Verse zeigte, ob der „Ulenspiegel“ den „Ulenspiegel überlebt den Krieg“ veröffentlichen dürfte.485 Das konnte ich natürlich nicht entscheiden. Hätten Sie etwas dagegen? Oder. Ich wäre Ihnen dankbar für ein kurzes ja oder nein. Im übrigen hoffen wir, Sie bald wieder in Deutschland begrüssen zu dürfen. Ihr Wernerfinck Hat Valeska Gert486 meine Antwort bekommen und meine Grüsse bestellt. Überlieferung: Ms, BBA 3078. 483 Werner Finck (1902–1978), Schriftsteller und Kabarettist. 1935 verhaftet und ins KZ Esterwegen überführt, nach seiner Freilassung Soldat der Wehrmacht. 484 Karl Schnog (1897–1964), Schriftsteller und Kabarettist. Ging 1933 ins Exil in die Schweiz, später nach Frankreich und Luxemburg, wo er von der Gestapo 1940 verhaftet wurde. Ab 1946 war er Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Ulenspiegel (vgl. Anm. zu Pfanzelt, 14.1.1947). 485 Mit Günther Weisenborn, dem Mitherausgeber des Ulenspiegel, sprach Brecht später über ein Filmprojekt gleichen Titels (vgl. Journaleintrag vom 2.4.1948, GBA 27, S. 266; dazu die EulenspiegelGeschichten in GBA 20, S. 191–198). 486 Valeska Gert, d.i. Gertrud Valesca Samosch (1892–1978), Schauspielerin und Tänzerin. Hielt sich ab 1933 v.a. in Frankreich und Großbritannien auf und emigrierte 1939 in die USA. Kehrte 1947 zurück nach Europa und eröffnete in Zürich das Kabarett „Café Valeska und ihr Küchenpersonal“.

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Curt Bois an Bertolt Brecht Hollywood, 30.12.1947 6029 Carlos Avenue Hollywood, 28 California

Hollywood, d. 30. Dezember 1947

„NICHT TOT SEIN HEISST NICHT: LEBEN!“ (MULBERRY)487 Mein lieber, verehrter Herr Brecht: – Schon laengst haette ich Ihnen schreiben sollen, aber die Ruhe hier gibt einem wirklich keine Zeit dazu. Am 19. Dezember bekam ich einen Brief von Herrn Langhoff, den ich am 22. beantwortete. Ich versuche im Augenblick alle Vorbereitungen zu einer Europa Reise zu treffen, aber es ist natuerlich alles nicht so einfach – wie Sie sich denken koennen. Kortner, der bereits in Berlin ist, hat mich vor seiner Abreise anrufen – und eine Versoehnung fand statt. Obgleich von meiner Seite nie eine Feindschaft bestanden hat, bin ich sehr zufrieden, dass er vernuenftig geworden zu sein scheint. Ich habe ihm auch von meinem Brief von Langhoff geschrieben, und werde nun hoffentlich von beiden bald hoeren. Ich moechte Ihnen auch mitteilen, dass ich KOHNER488 beauftragt habe, nach der Schweiz zu schreiben, um zu erfahren, ob fuer ein Gastspiel fuer mich Interesse vorliegt. Denn wenn ich ueber die Schweiz muesste, waere es natuerlich gut, wenn ich das Angenehme mit dem Un[n]uetzlichen verbinden koennte. Je mehr ich mich mit UI beschaeftige, desto mehr sehe ich ein, dass ich Ihnen ein klaegliches Bild von meiner Vorstellung gegeben haben muss. Ich glaube, im Augenblick wenigstens, JETZT HABE ICH ES! Und ich moechte es so sehr gern wenn irgend moeglich als ERSTES machen! Aber leider werden wieder diese mich durch 13 Jahre verfolgenden NOTWENDIGKEITEN vorliegen, dass ich Gott BEHUETE, mit CHARLEYS TANTE489 anfangen muss! Ich habe Frau Hauptmann einige male angerufen, um zu erfahren, ob irgend eine Antwort auf den Brief den Sie an Warners490 schrieben erfolgt sei. Sie weiss nichts von irgend einer Antwort. D.H. es ist keine erfolgt. Die ganze Sache ist ja sowieso laengst ueberholt, denn weder die Leute noch ich haben das geringste Interesse daran. Ich habe diese Zeilen hauptsaechlich geschrieben, um Sie zu informieren, dass ich von Langhoff gehoert habe. 487 Zitat aus Der Aufstieg des Arturo Ui (GBA 7, S. 11). 488 Paul Kohner (1903–1988), aus Österreich-Ungarn stammender amerikanischer Filmproduzent, Gründer des European Film Fund (vgl. Anm. zu Charlotte Dieterle, 13.6.1945). 489 Charley’s Aunt (1892), Farce von Brandon Thomas. Curt Bois hatte 1928/29 den Lord Babberly in erfolgreichen Inszenierungen dieses Stücks in Wien und Berlin gespielt. 490 Ein Brief Brechts an die Warner Brothers Filmgesellschaft konnte nicht ermittelt werden.

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Alle guten Wuensche von Hedi491 und mir fuer Sie alle, fuer ein gutes NEUES JAHR in der ALTEN WELT! Ihr ergebener Curt Bois Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3062.

Herta Hanisch an Helene Weigel und Bertolt Brecht Fredersdorf bei Berlin, 30.12.1947 Fredersdorf, den 30.12.47 Liebe Helene Brecht, heute hatten wir das Glück, den zugesandten Gutschein einzulösen. Meinen Dank für die anderen 3 Pakete aus Amerika haben Sie nicht erhalten, denn die Post kommt ja zurück. Was Ihre lieben Spenden in uns für Dankbarkeit auslösten, ich kann es mit Worten nicht sagen. Für uns war es eine so große Hilfe, und wir hatten ein so schönes Weihnachtsfest, wie schon seit Jahren nicht. Selbst unsere besten Freunde können es gar nicht begreifen, dass es so kameradschaftliche Hilfe gibt. In unserm hungrigen Deutschland ist sie sehr selten. Nach dem Sie und Ihre liebe Familie meiner Schwester so viel Gutes taten, denken Sie auch noch an uns. Es ist so gut, dass es solche Menschen gibt, das hilft wieder weiter, nicht nur in materieller Hinsicht. Nun sind Sie wieder aus einer Wahlheimat fort, oder nur vorübergehend? Eine Bitte hätte ich doch, die ich schon in einem Brief nach Amerika schrieb. B. Brecht hatte in seinem Brief492 nicht den Todestag der Gretel geschrieben. Ich wüsste ihn gern, trotzdem ich es noch immer nicht fassen kann. Ich denke immer, sie muss doch wieder kommen, sie war uns doch so lieb. Mit kameradschaftlichen Grüssen dank Herta Hanisch. Für das neue Jahr wünschen wir Ihnen allen viel Gutes. 12. Jan. 48 Liebe Fam. Brecht, ich hatte Ihre Anschrift nicht notiert und versuchte über Konstanz an Sie zu schreiben. Heute kam der Brief zurück mit dem Vermerk, dass ich ihn Ihnen von hier aus zusenden soll. Daher die Verzögerung für meinen Dank für Ihre Hilfe. Der Mutter 491 Die mit Curt Bois verheiratete Sängerin Hedi Ury († 1962). 492 Vgl. B. an Hanisch, Juni/Juli 1947, GBA 29, S. 419f.

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haben wir noch immer nicht den Tod der Gretel mitgeteilt, ich bringe es nicht fertig, sie denkt auch nicht daran, und hofft noch immer, dass sie wiederkommt. Von Ihren Paketen bekommt sie aber ihr Teil ab, sie wundert sich ja darüber, aber wir fanden immer Ausreden. Ob es aber richtig ist? Es dankt und grüsst Familie Hanisch Überlieferung: Ms, BBA 3293.

Arnold Krieger493 an Bertolt Brecht Oberstdorf [ca. 1947]

D./G.

(13b) Oberstdorf-Allgäu, Bachstraße Amerikan. Zone

Sehr geehrter Herr Brecht, ein wenig unwirsch haben Sie den dicken Brief aufgeschnitten. Was quillt heraus? Oder Sie haben ihn von einer Ihrer Sekretärinnen, vielleicht der für die Abteilung Aufschneiderei junger Dichter, öffnen lassen. Natürlich: Verse. Heute schon die dre[i]zehnte Sendung. Sicherlich bekommen Sie im allgemeinen zwei Arten. Entweder etwas wie im Brechtkanon gereimte Zynismen, also mißverstandner Brecht, oder ein pseudoexotisches Notstandsgebäck süßlich wie Pisangmehl. Sie sagen: Ich komme kaum selber dazu, Verse zu schreiben, geschweige denn Verse von mir irgendwann noch einmal zu lesen, und da mutet mir – und da mu – und d – Nein, lesen Sie bitte erst den Brief. Es regt mich auf. Regen Sie mich nicht auf. Wissen Sie, was paroxysmale Tachykardie ist? Bigeminie mit gleitender Kupplung? Flattern und Flimmern des Vorhofs? Da ist eine Extrasystole nicht vom Hauptschlag abhängig, sondern von einem unbekannten Reizherd, einem böswilligen Schrittmacher, der irgendwo sitzt und sich nicht ergründen läßt. Ein Facharzt, selbst der komplizierteste, ist zu einfach, und am besten helfe ich mir selber mit dem Strophantin beruhigender Strophen. Sie riefen es einmal in die Welt hinaus: „Mann ist Mann!“ Ich werde nie dieses seltsam chinesische Pathos in deutscher Verlautbarung vergessen, diese unsichtbaren, zum Himmel gereckten Tuben, mit denen das unscheinbare Geschehnis hinaustrompetet wurde: „Es ging ein Mann aus, um einen Fisch zu kaufen.“494 Mit dieser Parole „Mann ist Mann“ haben Sie unmittelbar in mein Leben eingegriffen. Das stand nämlich besonders in den letzten Jahren, ohne daß der Autor angegeben war, über den Türen aller Wehrmeldeämter und Wehrbezirkskommandos. Man sagte: In diesem Punkt hat Berg [sic] Brecht das Rich493 Arnold Krieger (1904–1965), Schriftsteller. 494 Vgl. GBA 2, S. 95.

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tige, das Maßgebende gefunden. Schade, daß er nicht selber hier ist. Ja, es gab solche verblüffend zusammengedrängten Parolen. So habe ich im letzten Kriegsjahr an der Stirnseite eines Bahnhofs als Verdunklungsdevise in der Nähe von Weimar den Ausspruch gefunden: Licht – dein Tod! Vor dem Anbruch der deutschen Nacht hatten Verse von mir im „Berliner Tageblatt“495, in der „Vossischen Zeitung“496, in der „Neuen Rundschau“497, in der „Literarischen Welt“498 das Licht der Welt erblickt. Das verargte man mir, umso mehr da ich meine Gesinnung nicht wie einen Sandsack abwerfen konnte. Ich habe viele Jahre um die Zulassung eines Gedichtbandes vergeblich gekämpft. Mit Herzblut waren, das darf ich ohne Schwulst sagen, meine Verse geschrieben. Diese Schrift aber wollte mir niemand abnehmen. Nur immer die Elektrokardiogramme. „Denn für dieses Leben/ ist der Mensch nicht schlecht genug./ All sein höheres Streben/ ist nur Lug und Trug.“499 Sie glauben gar nicht, wie populär dieser bedenkliche Kernsatz geworden ist, den man als eine Anweisung zu irdisch-gefälligem Leben auffaßte. Man schrie über Brecht, aber man lebte ihn. Natürlich war beides irrig. Die Entrüstung gegen Sie war unecht, der Gebrauch der Postille500 zweifellos falsch. Denn s o war es beileibe nicht von Ihnen gemeint. Die Endolymphe des Gleichgewichts in den Schädeln war durcheinandergeschüttelt, weil hier ausnahmsweise die Natur doch große Sprünge machte. Der Deutsche verlor nicht nur sein Gesicht, sondern auch viel von seinem innersten Wesen. Es mag einen Bogen zwischen dem Biedermeier und dem rauschenden Tag der S.A. geben. Er ist aber für unsern Hochblick nicht erschwinglich. Viel wird heute analysiert, und es gibt auch hier Diagnostiker, die großzügig genug sind, aus einem Glasauge die inneren Defekte abzulesen. Sie aber blicken tief und weit. Das ist ein Grund, warum ich dieses Schreiben an Sie richte. Sie gehen mit einer Art von Liebe an die Enträtselung heran, nicht schmähsüchtig wie Theo Pompos. Sie wissen mit Gog und Magog501 und Demagog Bescheid. Schade, daß ich Ihnen nicht Verse von der Art schicken kann, wie ich sie in Misdroy502 habe zurück495 1872 von Rudolf Mosse gegründete Tageszeitung. 496 Vossische Zeitung, vom Ullstein Verlag herausgegebene Berliner Tageszeitung, deren Anfänge bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. 1934 mußte sie ihr Erscheinen einstellen. 497 Neue Rundschau, seit 1890 Zeitschrift des S. Fischer Verlags. 498 Literarische Welt, 1925 von Ernst Rowohlt und Willy Haas gegründete Literaturzeitschrift, die bis 1933 in Berlin erschien. 499 Im Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens aus der Dreigroschenoper heißt es: „Denn für dieses Leben / Ist der Mensch nicht schlau genug / Niemals merkt er eben / Diesen Lug und Trug.“ Im zweiten Refrain: „Denn für dieses Leben / Ist der Mensch nicht schlecht genug / Doch sein höh’res Streben / Ist ein schöner Zug“ (GBA 2, S. 291). 500 Hauspostille. 501 Im Alten Testament ist Magog der Name eines Nachkommens des Japheth (aus dem Geschlecht Noahs), aber auch eines Landes; im Buch Hesekiel heißt es, dort wohne der Fürst Gog. In der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament bezeichnen Gog und Magog „die Heiden an den vier Enden der Erde“ (Off 20, 8), die Satan zum Streit verführt. 502 Misdroy (poln. Międzydroje), Stadt auf der Insel Wolin an der Pommerschen Bucht.

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lassen müssen. Etwa „Schlafende Größe“ oder „Kohlrausch“. Nicht nur diese Gedichte, sondern eine Reihe von Bühnenwerken und was ich sonst geheimhalten mußte, blieb dort an der Küste wegen der letztwilligen Zerstörungswut deutscher Behörden zurück. Immer noch ist die Bergung nicht durchgeführt worden. Jetzt sind nämlich die Polen dort, und die warme Fürsprache von Männern wie Wilhelm Hausenstein503, Hans Ludwig Held504, Johannes R. Becher hat es noch nicht ermöglicht, daß nach der großzügigen Rettung aller Sammlungen Gerhart Hauptmanns nun einige Papiere des unbekannten miles vor dem Feuertode des Verheizens gesichert wurden. Nicht wahr, sehr geehrter Herr Brecht, Sie sagen nicht wie Fafnir: „Ich liege und besitze. Was geht mich das an?“505 Aber ich will Sie nicht mit irgendeiner Bitte behelligen. Nein, nur ein wenig Freude sollen Ihnen meine Zeilen und die Gedichte bringen. Ich weiß, Sie werden darin nicht etwa eine elastische Kopie von Berg [sic] Brecht suchen. Das wäre sicher nur langweilig für Sie. Ich komme von den Naturwissenschaften her. Mir liegt es mitunter, zu stanzen und zu fräsen. Mir sind jene um sich schwelgenden meterdicken Kokons von Hirngespinsten fremd, die so sehr wenig festen Inhalt haben. Immerhin, das Singen kann ich nicht für verpönt halten. Es ist selten geworden. Ich habe es hie und da versucht. Es bedarf ja schon längst keiner Nachtigallensteuer mehr. Sicher mögen Sie auch nicht die flächigen Tapetenbäume der kunstgewerblichen Lyrik, die auch heute noch ihr Wesen treibt. Da gibt es manchmal hübsche Gebilde. Die Urheber meinen, daß es Variationen sein könnten, in Wirklichkeit sind es aber Imitationen aus xter Hand. Radiolarien kommen auch in flacher Stromlandschaft vor. Man kann von ihnen nicht immer auf eine tiefe Herkunft schließen. Ich habe „Rechtsfindung 1934“ gelesen. Diese kleine Tragikomödie hat in der Unerbittlichkeit der Linienführung für mich etwas Faszinierendes. Es ist ja wohl nur eine von vielen Szenenfolgen, die Sie um das große Thema – groß, wirklich groß? – ersonnen, abgelauscht, abgeleistet haben. Früher konnte es Komödie nur um Charaktere geben. Hier ist die Charakterlosigkeit nicht nur das Leitmotiv der Kanon, sondern die Materie selbst. Diesem Ineinander von Aufgeweichtheiten, diesem geradezu grandiosen, gallertartigen Etwas haben Sie durch eine unauffällig infernalische Dialektik den nötigen Versteifungsstoff, Marke Florida, eingebaut. Sie beherrschen, obwohl Sie doch draußen gelebt haben – wie wenige vermochten drinnen wirklich zu l e b e n ! – die ganze Farbenleiter vom tiefsten Mohrenbraun bis zum leicht übergeworfnen Fahlgelb. Da ist die große Bewegung, die ihre schmutzfarbnen Wellen heerinwirft, und hie und da geht ein Mann über Bord. Doch 503 Wilhelm Hausenstein (1882–1957), Schriftsteller, wurde 1936 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und später mit Publikationsverbot belegt. 504 Hans Ludwig Held (1885–1954), Schriftsteller, Mitbegründer des SDS 1911, wurde 1933 als Direktor der Münchener Bibliothek entlassen. 505 Fafnir ist eine Figur aus der nordischen Mythologie. In Richard Wagners Ring des Nibelungen sagt Fafner (wie er dort heißt), auf seinem Schatz liegend: „Ich lieg’ und besitz’. Laßt mich schlafen.“ (Teil 2: Siegfried, 1. Aufzug, 3. Szene, 2. Teil).

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die Klügeren sind wie Gallionsfiguren, angeleimt, Figuren auf einer untergehenden Brigg, von schrecklicher Notdurft gezeichnet. Aber die Gallionsfiguren waren ja immer, so poetisch sie auch sein mögen, in unmittelbarer Nähe des Ortes, wo ein ganzes Schiff seine Notdurft verrichtete. Gern hätte man vielleicht noch gesehen, wenn im Vortopp der blaue Peter506 gehißt würde, zum Zeichen daß man noch jemand erwarten könne, daß der Dichter dieser Wirklichkeit vielleicht doch einen einzigen festen und anständigen Menschen hereinnähme. Sie werden wissen, warum Sie es nicht getan haben. Daß es solche Menschen hier gab, wird Ihnen nicht unbekannt sein. Freilich haben Sie gerade im Hinblick auf die Gerichte tausendfach recht. Ich selber habe verschiedene Erfahrungen. Als mir einmal für einen überaus schäbigen Monumentalfilm einige Fetzen Dialog aus lebendigem Eigen­ organismus herausgeschnitten worden waren507 und ich die Staatsfirma verklagte, da war schließlich für alle das eine Argument bestimmend, daß man genug Material gegen mich hätte. Der Ankläger wurde zum Angeklagten. Wofür der Richter sich auch entscheiden mag, was immer er wählt, wohin er den ängstlich tappenden Fuß vorwärtsschiebt, er gerät in Schuld, er ist der Ertappte. Die moralische Schuld besteht im Wahlakt, die Schuld des tragischen Helden in der Wahlsphäre. Dieser Richter ist weiß Gott kein tragischer Held, aber die ganze Sphäre, innerhalb deren er wählen kann, ist voller Schuld. Schuld ist bereits die vorausgegangene politische Wahl. Man hat beinah etwas wie Mitgefühl für diesen armen Scheinmächtigen. Wie soll er sich denn hindurchkämpfen? Es ist ja wie im Urwald, durch dessen Gestück und Gesperr wir uns mühsam weitertasten müssen, von Affengesichtern umkreischt, mit dem einen Fuß in einen Wurzeltopf voller Humusbrei tretend, mit dem andern in einen Knäuel distellanger, hochauffahrender Tausendfüßler, wobei wir vielleicht mit dem Griff nach dem Nothaken eines Astes den Peitschenschlag einer ganzen Schar von versteckten Schossen auf uns ziehen. Diese schrecklichen Zirkelschlüsse, dieser kaustische Witz, mit dem Sie dennoch nicht ohne tiefen Ernst die um sich selbst kreisende Komödie zu Ende führen, zu einem Ende, das ja doch nur ein Anfang ist. Die Szene schließt sich zu der Eröffnung des Verfahrens. Wie man dieses ruckweise Abrücken des Landgerichtsrates, der doch ein Duzfreund ist, miterlebt, und – seltsam – wie durch Telekinese der Gehirne ist nun auch schon der Referendar zur Unheilwitterung übergegangen. Er sagt den Kegelabend ab. Das gibt einen furchtbaren Umschlag. Der Mann heißt Priesenitz. Überhaupt die Namen! Die drei Schuldigen haben eine Namentextur, die einem nur so über den Rücken schubbert. Der Juwelier heißt Arndt, ist ein Jude. „Wie schon der Name sagt“, bemerkt der Richter. Das ist eine kleine versteckte Zündpastille, deren Beize man nicht vergißt. „Im hintersten Pommern“, ja, das kenne ich. Lang habe ich in Preußisch-Sibirien leben müssen. Nirgends gab es ein so trostloses Klima für Geist und Intelligenz. Was habe 506 Der „blaue Peter“ ist eine Signalflagge aus der Schiffahrt, die Abschied anzeigt. 507 Anspielung auf den nationalsozialistischen Historienfilm Ohm Krüger (1941, Regie: Hans Steinhoff). Das Drehbuch basierte auf Arnold Kriegers Roman Mann ohne Volk (1934).

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ich unter diesen Männern schon lange vor 1933 zu leiden gehabt, die eigentlich gar keine Halunken, sondern nur makellose, beliebig zu drehende Bürger sind, mehr oder weniger beleibte Wetterfähnriche! Wohl nirgends in Deutschland hat es ein junger Künstler so schwer gehabt wie in Pommern. Ich habe mir schon damals geschworen, und ich tue es jetzt mit viel Grund von neuem: Wenn ich einmal über einen Namen und einen Aktionsradius verfüge, dann will ich für junge unbekannte Künstler und Dichter, wenn sie wirklich etwas können, Zeit und Blick und Nerv haben. Ich will nicht umständlich sein, nicht lange fragen, sondern s p ü r e n . Das gelobe ich beim Bart jenes Chemikers, der da entdeckte: Was ist denn eigentlich Guineagrün anders denn das Natronsalz der Diäthyldibenzyldiamidotriphenylcarbinolsulfosäure. Ich spreche Ihnen also, sehr geehrter Herr Bertolt Brecht, meinen Dank für die glänzende Ermittlung der neuralgischen Hauptpunkte und für die so gar nicht zynische, sonst eher chirurgisch-gemüthafte Weise aus, mit der Sie ans Licht zu bringen wußten, warum der deutsche Bürger so versagte. Die Folgerichtigkeit des Ganzen ist unheimlich zwingend. Man kann sich nicht des Gefühls erwehren, daß unter den gleichen Voraussetzungen, die gleiche Art zu reagieren, nahezu unvermeidlich wäre. Denn wie soll in diese Tröpfe einmal der Geist wirklicher Renaissance Einzug halten? Freilich, jeder wahrhafte Umschwung wird immer nur von einer Auslese kommen können. Ich glaube trotz allem an die Möglichkeiten dessen, was notwendig ist. Mein Brief ist länger geworden, als ich es beabsichtigte. Sie werden mir das nicht für verübeln, nicht wahr? Ich wollte Ihnen mit der Sendung ein wenig Freude machen. Hätte ich diesem Antrieb nicht folgen dürfen? Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen Arnold Krieger Überlieferung: Ts, hs. U., beiliegend die Gedichte „Eisvogel, der kleine bunte Fischer“, „Gebilde“, „In der Schwemme“, „Den Konjunktursängern“, „Flößerlied“, „Einfall“, „Die Uhren“, „Beschaffenheit“, „Friedhofsuhr“; BBA 3110.

Stephen Raushenbush an Bertolt Brecht [ca. Ende 1947] Your request for a copy of the printed hearings of this Committee has been received.508 The last Congress allotted us a very limited supply of these, which is entirely exhausted. It is our intention to ask Congress for an additional supply in order to fill the great number of requests we have had. 508 Eine Anfrage Brechts ist nicht überliefert. Das Protokoll seines Verhörs (vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947) wurde in dem Bericht Hearings Regard. The Communist Infiltration of the Motion Picture Industry (Washington 1947) veröffentlicht.

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However, these are available to the public at a small cost through the Procurement Division of the Government Printing Office, Washington, D.C. If you are unable to obtain these from the Procurement Division or at your local library, you can communicate with us again. Very truly yours, Stephen Raushenbush Secretary of Committee Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: United States Senate Special Committee Investigating the Munitions Industry; BBA 341/77.

Willy Roettges509 an Bertolt Brecht Zürich [1947] Willy Roettges

Weite Gasse 4, Zürich 1.

Sehr geehrter Herr Brecht, das Schauspielhaus hat mit einigen nichtssagenden Worten meine Arbeiten abgelehnt. Es ist nicht einmal eine Diskussion möglich. Darf ich Sie bitten, meine Komödie Bluff 510 zu lesen, und mir [zu] sagen, was Sie darüber denken? Ich war vier Jahre mit Dudow zusammen, und er hat mir viel von Ihnen erzählt. Seit er aber in Berlin ist, hab ich nichts mehr von ihm gehört. Verzeihen Sie, dass ich mich so aufdränge, aber die Interessenlosigkeit hier, isoliert jedes Schaffen. Mit den besten Grüssen, Willy Roettges Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3181.

509 Willy Roettges, Schweizer Schauspieler. 510 Ein Bühnenmanuskript der unter dem Pseudonym Jean Joyeux verfaßten Komödie Bluff findet sich in Brechts Nachlaßbibliothek.

Briefe an Bertolt Brecht, 1948

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 1.1.1948 1.1.48 Lieber Brecht, dies ist der erste Tag des neuen Jahres, das fuer uns alle sehr viel schlechter, moeglicherweise aber auch etwas besser werden kann als das vergangene. Sie koennten mir kein besseres Neujahrsgeschenk machen als mir die Auskuenfte ueber dortige Preise gelegentlich zu schicken. Sie wissen wohl, dass das Fahren fuer uns Hiesige mit grossen technischen Schwierigkeiten verbunden ist, die sich, glaube ich, noch nach Fritz K.’s1 Wegehn vermehrt haben. Wir muessen vor allem vorweisen koennen, dass wir irgendwo eine Unterkunft haben und dass wir auch zu essen haben, das Angebot kann von Verwandten oder alten Freunden kommen. Eine andere Sache ist eine geschaeftliche Begruendung, Verlag, Film, Theater. Darueber schrieb ich ja schon. Ich falle hiermit ins Haus, merke ich eben, aber es ist so sehr in meinem Kopf: Wie sich das hier gestalten wird, weiss ich nicht. Und wenn ich auch vorderhand nicht das Geld zum Fahren habe, beschaeftige ich mich doch sehr damit. Hier sehe ich keine Chance. Durch Peter2 bekomme ich keinen Menschen, der mich auch nur als Lektorin anstellen wuerde, zu sehen. Bewegen kann ich mich mangels Wagen schwer (Fahren habe ich inzwischen wieder aufgenommen; it almost came as a natural). Mir wieder etwas in NY zu suchen, dauert lange und ist auch wohl sinnlos. Aber irgendwie und irgendwo muss ich ja Geld verdienen. Die Biographie-Geschichte, an der ich, eh ich herkam, in NY arbeitete, ist endgueltig jemand anderem uebertragen worden. Es ist nichts Verlockendes weit und breit hier zu sehen, und hier im Haus ist alles ungeklaert. Karin3 hat zwar zu Weihnachten ein BechsteinKlavier bekommen und sie sind bis morgen in Arrowhead4 (woher das Geld kommt, ist mir unklar), aber die Weihnachtsbetaeubung hoert ja auch mal auf. Da ich ja nun hier nichts verdiene ausser room and board, wird es etwas schwierig, wenn ich hier weggehe, aber ich glaube, das Beste ist, ich warte in NY ab, d.h. wenn ich die billige Wohnung dann noch habe, auf die der Hauswirt inzwischen reflektiert und mit der Begruendung von Hase R’s „unmoralischem Lebenswandel“ zurueckerobern will. Das ist fuer Sie natuerlich nicht so interessant wie es fuer mich ist, denn Sie werden hundertausend Dinge dort um die Ohren haben. Es bestand die Chance, hier noch etwas halbwegs oder viertelwegs Vernuenftiges zu machen, ein bischen in der Richtung der noerdlichen und suedlichen Provinzen und zwar von einem vorliegenden script her, aus dem man etwas haette machen koennen. Aber nach einigen hektischen Diskussionen verlaeuft 1 2 3 4

Fritz Kortner war 1947 nach Deutschland zurückgekehrt. Peter Lorre. Vermutlich Karen Verne. Lake Arrowhead in Kalifornien.

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so etwas dann immer wieder im Sande. Im Zusammenhang mit dem Mantel5 hatte ich ueber den Idioten gesprochen, den ja hier wohl niemand anderes spielen koennte; vor zwei Tagen stand in der Zeitung, dass er gemacht werden soll, mit wem und wann, unbekannt. (Ich hoere freilich, dass der Idiot auch in Frankreich gemacht wird.)6 Dessau fragt, ob Sie das Miserere7 bekommen haben. Er hat Einladung von Langh.8 Will zur gegebenen Zeit nach Zuerich kommen und garnicht erst vorher andere Reiseverhandlungen mit anderen Stellen, die L. vorgeschlagen hat, aufnehmen. So wie das jetzt ist, soll er fahren, ohne vorher gross drueber zu verhandeln. Ich glaube, auch er braucht private und geschaeftliche Aufforderung. Er hat seine Pal[a]estina-Musik9 aufgenommen; sie ist teilweise ausserordentlich schoen. Bei dem anderen Musiker10 herrscht ziemliche Deprimierung, ich war Weihnachten kurz da, habe aber auch mehrmals telefoniert, und Gerda11 war Silvesterabend und -nacht hier draussen bei mir. Ich war froh, dass Hanna12 mir das Protokoll13 schickte; es hatten sich hier grosse Mis[s]verstaendnisse, Beschwerden usw. breit gemacht. Lou14 ist ausserdem noch besonders schlecht dran, weil sie so viel „tickets“ bekommen hat, dass ihr wohl der Fuehrerschein entzogen wird, wenn nichts Schlimmeres passiert. Zwei Verhandlungen sind deswegen im Januar angesetzt, noch vor der grossen Verhandlung. Ja, der Wagen ist immer noch nicht verkauft. Steff schrieb mir, dass er mit 400 netto zufrieden waere. Da aber die Kommission und Reparatur von keinem Käufer uebernommen werden wollte, stand der Wagen da herum, was auch nicht ganz nuetzlich war. Dann bat ich Red15, den Wagen billigst etwas in Stand setzen zu lassen, das wollte er auch tun, aber dann verschwand der Mann, zu dem er ihn gegeben hatte und man wusste nicht, ob er tot war oder nur irgendwo betrunken, und Red holte den Wagen furchterfuellt aus einer verschlossenen Garage heraus. Darauf habe ich den Wagen hier heraus genommen, wo er Karins Wagen aus der Garage verdraengt hat, und habe mir einige Angebote machen lassen. Gerdas Bruder ist auch immer noch als Reflektant im Hintergrunde.*) – In der 26. Strasse haben Karin und ich von der Strasse her grosse innenarchitektonische Veraende-

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Für Lorres Produktionsfirma hatte Brecht im Frühjahr 1947 eine Filmgeschichte nach der Erzählung Der Mantel (Šinel’, 1842) von Nikolai Gogol entworfen (GBA 20, S. 165–180). In Frankreich wurde Fjodor Dostojewskis Roman Idiot (1868) bereits 1946 verfilmt (L’Idiot, Regie: Georges Lampin). Eine amerikanische Adaption konnte nicht ermittelt werden. Vgl. Hauptmann, 15.11.1947. Wolfgang Langhoff. Vgl. Dessau, 3.1.1948. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 10.12.1947. Hanns Eisler. Gerda Goedhardt.. Vermutlich Johanna Budzislawski. Vgl. Hauptmann, 6.1.1948. Lou Jolesch. Red Fiddler. Weitere Einzelheiten zum Verkauf des Autos berichtet Hauptmann in einem Brief an Stefan Brecht vom 15.11.1947 (BBA 3120).

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rungen wahrgenommen, aus der frueheren Kueche leuchtete es uns in Messing und Gold entgegen. Auch sonst muss alles zur Unkenntlichkeit verstuemmelt sein. Von paar Tagen besuchte mich Gustl G.16, den ich seit fast 14 Jahren nicht gesehen hatte. Es war ein grosser Spass. Er ist bereits wieder nach NY zurueck. Nicht von NY, aber von Posy, der Wunder-Naeherin, hoerte ich, dass das Stueck jetzt im Januar wieder aufgenommen wird – es haetten drei Schauspieler von hier Engagements dazu bekommen, sagt Posy, die begonnen hat, meine Kleider fuer „Die Reise“17 in Ordnung zu bringen, so weit mir das moeglich ist; ich habe von Karin Stoff und Machelohn geschenkt bekommen. Ihre Adresse habe ich von Hanna, die mir gleichzeitig zu Weihnachten Ihre Poems18 schenkte. (Ich schaute hinein und hatte Pech, denn ich sah: „Kennt Ihr diese Patronen?[“]19 – Do you know these fellows here? Ein Patron und eine Patrone ist natuerlich fuer einen Auslaender fast dasselbe. Aber dieses Misverstaendnis waere nicht der schlimmste Fehler des Buches, das jetzt in 3 Exemplaren, alle geschenkt, hier im Hause ist.) Von den groesseren Dingen werden Sie in den Zeitungen lesen, z.B. dass Wallace20 kandidiert; und das waere ein Thema fuer eine komplizierte Diskussion. Uebrigens: Lou21 erzaehlte mir – fast gleefully, hatte ich den Eindruck, dass Sie am 9. eine Auszeichnung der Legion bekommen wuerden, und dass Sie telegrafisch um Protest gebeten worden seien. Erstens glaube ich noch nicht an diese Auszeichnung, zweitens kann man ja erst protestieren, wenn man offiziell verstaendigt ist. Wenn die Nachricht stimmt, beabsichtigte man wohl eine Kompromittierung, von der man sich etwas versprach; eine Isolierung, auf die man ja in mehreren Faellen hinarbeitet. Ich konnte mich garnicht so aufregen darueber wie anscheinend andere in Gespraechen am Kamin. Die Zeiten sind „tricky“ und „confusing“. Wahrscheinlich hat sich fuer Sie drueben das ganze Weltbild bereits veraendert, und Sie verstehen garnicht mehr unsere Probleme hier. Gerda hat hier einige wunderbare Aufnahmen gemacht, z.B. von Clara, der colored maid, unbeschreiblich grossartig. Meine Aufnahmen sind nicht so grossartig, ich schicke sie Ihnen aber doch; das mit dem Grinsen nennt Dessau das „Ludendorfflachen“. Gerda hat mir auch welche von Ihnen gegeben und vom Haus. Ruth22 schicke mir zwei kleine Bildchen; sie kamen so spaet, dass eine Antwort sie nicht mehr erreicht haette. Bitte, schreiben Sie ein paar Zeilen. 16 Möglicherweise Gustav Glück. 17 Elisabeth Hauptmanns Rückkehr nach Europa. 18 Brechts Selected Poems, übersetzt von Hoffman R. Hays, waren 1947 bei Harcourt Brace in New York erschienen. 19 Aus dem Mahagonnygesang Nr. 3 (GBA 11, S. 103). In späteren Übersetzungen lautet die Zeile: „Do you recognize these cartridges?“ 20 Henry A. Wallace (1888–1965), vormals Minister unter Roosevelt und Vizepräsident der USA, kandidierte zu den Präsidentschaftswahlen 1948 für die neugegründete Progressive Party. 21 Louise Jolesch. Über die hier erwähnte Auszeichnung Brechts konnte Genaueres nichts ermittelt werden. 22 Ruth Berlau.

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Toujours comme toujours B. *) Ich hatte mal gedacht, Peter wuerde mehr helfen, den Wagen kaeuflich zu erwerben, aber ich habe mich da in ihm getaeuscht. Im Gegenteil, er raet mir dringend ab. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3118.

Charlotte und William Dieterle an Helene Weigel und Bertolt Brecht Canoga Park/Los Angeles, 1.1.1948 1.-1.-48. Liebe gute Lenne – lieber Brecht, zum neuen Jahr viel Glück und Erfolg. Bleibt gesund. – Wir würden uns freuen etwas von Euch zu hören – wie es geht und wie Ihr Euch eingewöhnt habt. Hier geht es recht toll zu. Die Flaute in den Studios23 hält an, noch immer finden Entlassungen statt und die Beschimpfungen nehmen an Vehemenz zu. Keiner traut dem anderen und der gute alte deutsche „Blick“ auch deutsche Rundschau einmal genannt ist in den Studios überall zu sehen. Wir alle sind gespannt wie am 9. Januar der erste Trial ausgeht den „unfriendly witnesses“ zu bestehen haben. Was immer es sein mag – der Supreme­court vor den es ja doch kommt – wird – meiner Meinung nach – nicht auf der Seite des Congresses sein.24 Frühere Urteil[e] bestätigen meine Annahme. – Die 3te Partei mit Wallace25 dürfte bestimmt sein – nicht dass er gewählt zu werden Hoffnung hat – aber es ist doch wichtig für die Leute die nicht einen Wallstreetkandidaten wählen wollen – zu wissen wem sie ihre Stimme geben sollen. Habt Ihr die „Galileo“kritiken26 oder soll ich sie schicken. Die Mehrzahl war recht gut. Dass das Stück über N. Y. Horizont ging – war mir immer klar – was heute dort Erfolg hat ist von großer Niveaulosigkeit. Wir vermissen Euch sehr! Herzlichst Eure Dieterles Dürfen wir für Euch was tun? Überlieferung: Ms, Bv.: The Pine Farm 22368 Fair View Acres Canoga Park, Calif. ---- Superior 8-2263 P. O. B. 272; BBA 3082. 23 Filmstudios von Hollywood. 24 Die „unfriendly witnesses“, die, anders als Brecht (vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947), die Aussage vor dem HUAC verweigerten, indes vor allem die Frage nach ihrem Verhältnis zum Kommunismus als unzulässig zurückwiesen, wurden schließlich wegen Mißachtung des Gerichts zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Der Supreme Court lehnte jedwede Berufung ab. 25 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.1.1948. 26 Vgl. Anm. in GBA 5, S. 376f., dazu den Journaleintrag vom 23.12.1947, GBA 27, S. 256.

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Paul Dessau an Bertolt Brecht Berlin, 1.1.1948

Ihr Dessau I. 1948. Berlin Überlieferung: Ms (Postkarte: „Beste Glückwünsche zum neuen Jahr“), BBA 286/81–82.

Arthur Hellmer an Bertolt Brecht Hamburg, 2.1.1948 bert brecht schauspielhaus zuerich = waere es moeglich mir auffuehrungsrecht mutter courage oder sezuan zu geben ihnen und gattin herzlichen gruss = arthur hellmer Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3234.

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Stefan Brecht an Bertolt Brecht Cambrigde/Massachusetts, 2.1.1948 Mr. Berthold Brecht, Bei Mertens, Feldmeilen bei Zürich, Bünishoferstraße 14, Switzerland, Europe. Lieber Bidi, Ich wünsche Dir eine schöne Aufführung der Antigone.27 Schau wie klein + mager der Waßerbüffel aus diesem Bild ist; die Büffel des Lao-Tse28 scheinen fetter. Herzliche Grüße Steff. Überlieferung: Ms (Postkarte: “Man on a water-buffalo returning from a village feast attributed to Li T’ang”; Museum of Fine Arts, Boston), BBA 3063.

Paul Dessau an Bertolt Brecht Los Angeles, 3.1.1948 10421 Crater Lane Los Angeles 24 Calif.

3. Jan. 1948.

Lieber Brecht, nachtraegliches, herzliches Prost Neujahr, auch fuer die Helli und Barbara. Ich kam nicht zum Schreiben zufolge vieler Arbeit. Darum auch der spaete Dank fuer Ihre Zeilen mit der Beilage an E.H.29 Die Sachen liegen so, dass ich Sie recht sehr bitten moechte, irgend jemanden, wie etwa den mir bekannten Kalser30, zu bitten, mich einzuladen nach Zuerich fuer den Monat maerz oder April. Die Einladung muesste Zusicherung von Unterkunft und Essen enthalten. Sie ist selbstverstaendlich fiktiv. Von Paris werde ich 27 Vgl. B. an Stefan Brecht, Mitte/Ende Dezember 1947, GBA 29, S. 440f. Brechts Bearbeitung der Antigone des Sophokles (GBA 8, S. 193–242), die er nach seiner Ankunft in der Schweiz im November 1947 angefertigt hatte, wurde am 15.2.1948 im Stadttheater Chur uraufgeführt. Regie führten Brecht und Caspar Neher, die Titelrolle spielte Helene Weigel. 28 Anspielung auf die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration (GBA 12, S. 32–34). Lao-tse soll ein chinesischer Philosoph aus dem 6. Jahrhundert v.d.Z. gewesen sein; seine historische Existenz gilt als ungewiß. 29 Elisabeth Hauptmann. Das erwähnte Schreiben ist nicht überliefert. 30 Erwin Kalser (1883–1958), Schauspieler, ging 1933 ins Exil in die Schweiz, 1939 in die USA. Ab 1946 war er wieder in Zürich, später in West-Berlin.

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ebenfalls solche Briefe erhalten. All das ist hier notwendig, um einen Reisepass zu bekommen. Mir schrieb Langhoff, und bot mir die Stellung eines Hauskomponisten fuer das deutsche Theater an, und schrieb auch von der Absicht, die „COURAGE“ einzustudieren unter Ihrer Regie um den Maerz-April herum. Da koennte ich von Hilfe sein. So trachte ich nun, alles hier so schnell als moeglich abzuwickeln, und die Freunde zu „joinen“. Dank einiger Scheissfilme wird das wohl auch dann moeglich sein. Vielleicht haben Sie einen guten Gedanken, wer mich da „einladen“ koennte. Dem „Gastfreien“ schon jetzt meinen Dank. „Gutemensch“ Musik 31 habe [ich] gestern einem Musiker-Freund vorgespielt und war der von Schoenberg stark beeinflusst ebenso stark beeindruckt von diesen Versuchen [sic]. Die Partitur der nicht ganz einfachen Musike wird bald fertig werden und Ihnen zugehen. Soviel ich weiss, haben Sie die „Courage“ Musik mit sich. Stimmt das? Ist die schweizer Luft der Arbeit zutraeglich? Haben Sie die „Miserere“32 Partitur erhalten? Vielleicht finden Sie fuer ein paar Worte Zeit. Sie wissen selbst, dass jedes Wort von Ihnen und ueber Sie grosse Freude und allgemeines Interesse ausloest. Ihr Diboll33 Habe Helli’s Stollen „forte“ vermisst und die Weihnachtszeit. Unserer „Mutter Courage“ herzlichste Grüsse. Ebenfalls Barbara. Überlieferung: Ts, BBA 3080.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht [Berlin] 3.1.1948 Bert Brecht Feldmeilen-Herrliberg bei Zürich Bühnishoferstr. 1434

31 Nachdem die Zusammenarbeit mit Kurt Weill gescheitert war (vgl. B. an Weill, Dezember 1943, GBA 29, S. 319), schrieb 1947 Paul Dessau eine Musik zum Guten Menschen von Sezuan. 32 Vgl. Hauptmann, 15.11.1947. 33 In der Handschrift mit fünf Linien unterlegt, so als sei der Name in ein Notensystem eingetragen. 34 Die Straße heißt Bünishoferstraße.

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Lieber Brecht Mit den herzlichsten Neujahrswünschen verbinde ich nochmals die Bitte um einen Beitrag für den Jahres-Almanach Theaterstadt Berlin35 stop Gedicht oder kurze Szene oder Prinzipielles ganz gleich stop Nur ein Brecht muss es sein. Herzlichst Herbert Ihering 3. 1. 48 Überlieferung: Ts, AdK: Herbert-Jhering-Archiv 984.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 6.1.1948 6. Januar 48 Lieber Brecht: Heute morgen bekam ich Ihren Brief von Dez 4736 – vielen Dank. Peter37 habe ich Ihre Mitteilung weitergegeben; er sieht europaeische Gastspiele auch wohl als das einzig Richtige an fuer sich; verkuppelt seine Plaene aber mit den hiesigen Wahlen.38 Der Wahlkrieg ist ja schon im hellsten Gange und zwar mit Komplikationen, wie sie wohl seit den Wahlen in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht da waren; ich meine, hier in USA. Peter aber muesste das anders ansehen. – Dessau dagegen kommt bestimmt. Er hat dann auch das Reisegeld. Sein Geheimnis: der „Midas Totsch“.39 Er macht seit drei Monaten und macht noch einen Monat lang echten Dreck, aber das bringt ihm Dollars ein.40 Er macht auch seine Reiseangelegenheit ueber Zuerich. Er moechte im April bei der Courage dabei sein, und wird das glaube ich auch schaffen. Er muss dringend einen (oder mehrere) geschaeftlichen (-e) Brief(e) haben, auch private Aufforderung von guten Freunden, die ihm Unterkunft und Verpflegung garantieren. Das wird verlangt. Von Paris bekommt er das, das sein bester dementsprechender Freund gerade hier ist. Er schrieb Ihnen gestern.

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Vgl. Anm. zu Ihering, 5.9.1947. Ein solcher Brief konnte nicht ermittelt werden. Peter Lorre. Gemeint sind die Präsidentschaftswahlen. Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.1.1948. Englisch: Mida’s Touch. Der Sage nach verwandelte sich alles, was König Midas berührte, in Gold. Gemeint sind vermutlich Kompositionen für Filme. 1948 schrieb Paul Dessau Musik u.a. zu The Vicious Circle (Regie: W. Lee Wilder), sein Name blieb im Film jedoch unerwähnt.

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Ja, Hans und vor allem seine Frau41 waren verstimmt ueber [Ihre] Aussage42 und zwar ueber die Antwort auf die Fragen: Did G43 ever ask you to... und Did H.E. ever ask you. Auf letztere Frage antworteten Sie: No, he did not. I think they considered etc. Nun, dieses „they“ wird auf G. und H. bezogen, und damit deuten Sie an, nein, geben Sie zu, das[s] H natuerlich ein – composer ist. Die Diskussionen nahmen fantastische Formen an. Nachdem ich endlich von Hanna44 das Protokoll bekam und Gerda es las und sich Notizen machte, begann eine Schwenkung. Ich sage das nicht gehaessig, obwohl ich Grund haette. Ich habe zuviel „Kurz-Verkaufen“ und Schwenkungen erlebt, die nicht den geringsten Einfluss auf Beziehungen gehabt haben. Dass mich persoenlich so etwas noch immer trifft, ist meine persoenliche Duselei. Zu versuchen, nicht ungeduldig zu werden, ist schwer. Zu versuchen, wenn man aelter geworden ist, ganz allein, d.h. ohne jede Beziehung, ohne ein pa[a]r einflussreiche Freunde durchzukommen, ist schwer. Ich kenne auch immer besser meine Schattenseiten und das macht es schwerer. Ich habe ganz primitive Gesetze ausser acht gelassen und mich dadurch bei Menschen, auf die es mir ankam, on the end of the line gebracht. Ich habe seit 33 vielleicht allerhand nuetzliche Sachen gemacht, aber mich im Grunde doch unnuetzlich gemacht. Es gibt fuer eine Frau ja nur drei Loesungen: Entweder macht sie sich erotisch unentbehrlich. Oder sie macht sich arbeitsmaessig unentbehrlich. Oder sie blackmailed, wo das eine oder das andere nicht ausreicht. Dann gibt es das ganz andere, das klassifiziert dann die Frau nicht nur als Frau: sie macht sich ganz unabhaengig und schafft sich ihre eigene einflussreiche Plattform. Ich sage mit Absicht einflussreich, denn alles andere ist langweilig. Wie ein gewoehnlicher „private“ Spass am Krieg haben kann, – ihn ueberhaupt mitmacht – war mir immer unverstaendlich. – Ich habe hier noch ein pa[a]r Geldversuche unternommen. Ich habe ein pa[a]r outlines gemacht von stories, von denen ich dachte, dass sie mit oder ohne Peter45 vielleicht eine Chance haetten. Wir haben auch ueber 2 mit E. Pascal gesprochen, der der einzige ist, aus der Filmbranche, den ich ueberhaupt im ganzen Jahr naeher kennen gelernt habe. Es stehen auch noch ein pa[a]r Besprechungen mit ihm aus. Ich hatte uebrigens eine Orestie vorgeschlagen, nicht wie die O’Neillsche Elektra46, sondern als ziemlich wuestes Nachkriegsstueck. Aber ich verspreche mir nicht viel von alledem hier. Nach drueben will ich bestimmt, und ich weiss auch, dass ich hinkomme. Ich hatte drei Telegramme von Baerensprung, die mich in ziemliche Verlegenheit versetzt 41 Hanns Eisler und Lou Jolesch. 42 Brechts Aussage vor dem HUAC (vgl. Lotar, 30.10.1947). 43 Gerhart Eisler (1897–1968), Journalist und KPD-Politiker, Bruder Hanns Eislers. Von 1933 bis 1936 war er als Emissär der Komintern in den USA. Nach Aufenthalten in Paris und Prag ab 1941 erneut in Amerika, wo er 1946 als sowjetischer Spion verhaftet wurde. 1949, als er die USA verlassen durfte, ging er nach Ostberlin. 44 Vermutlich Johanna Budzislawski. Das Protokoll des Verhörs erschien in Hearings Regard. The Communist Infiltration of the Motion Picture Industry, Washington 1947. 45 Peter Lorre. 46 Mourning Becomes Electra (Trauer muß Elektra tragen, 1931), Tragödie von Eugene O’Neill.

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haben. Er kann mir Verlagsarbeit verschaffen bis an mein Lebensende, Wohnung und alles. Er kann mir sogar die Dollars zur Reise verschaffen. Das ist alles sehr viel. Nur: da ich hier so viel habe machen muessen, das mich nicht ganz freute, und oft wo wohnte, wo es mich nicht gefreut hat, und mit Menschen zusammen war, die mich auch nicht gefreut haben, moechte ich gern etwas machen, wo wohnen, mit Leuten zusammen sein unter etwas besseren Bedingungen. Ich werde mich mit Schlafmitteln zusammen halten, bis es so weit ist; ich bin schon Spezialist darin. – Meinen letzten Brief schickte ich an Gartenstrasse 38; die Adresse hatte ich von Hanna. Diesen Brief schicke ich ans Schauspielhaus, das Sie als Adresse angeben. Den Ausschnitt aus Newsweek haben Sie sicher. Aber er gehoert zu den besseren, die man ruhig zweimal haben kann. Bitte, schreiben Sie wieder; Ihr Brief war ein Ereignis. Die Frage, ob ich mit Ihnen wieder zusammen arbeiten will, haben Sie vergessen??????? Und meine Antwort drauf? Herzlich Bess Bitte: Koennten Sie mir auf jeden Fall Einladungen verschaffen, z.B. von Olg W. Gmuehr? Wenn ich komme, habe ich auch das Geld und brauche die Einladungen nicht praktisch auszunutzen. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3119.

Lisa Tetzner an Bertolt Brecht Basel, 6.1.1948 Basel. Unterer Rheinweg 34. am 6. Jan. 48. Tel. 25314 Lieber Bert Brecht, am Samstag den 17. Jan. oder Sonntag den 18. Jan. findet bei Professor Meng47 eine Zusammenkunft mit Prof. Baumgarten48 u. Dr. Georg Schmiedt statt. Ich soll Dich sehr herzlich bitten, doch dazu henüber zu kommen u. zu bestimmen welcher Tag dafür geeigneter

47 Heinrich Meng (1887–1972), Psychiater, emigrierte 1933 in die Schweiz und wurde Professor für Psychologie in Basel. 48 Vermutlich der Jurist Arthur Baumgarten (1884–1966). Nach seiner Emigration in die Schweiz 1933 war er Professor für Rechtsphilosophie in Basel. 1948 übersiedelte er nach Ostberlin.

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wäre. Du kannst bei uns schlafen. Kurt49 ist verreist. Er würde aber dazu herüber kommen, da es nur weekendkarte kostet. Würdest Du oder Helli so freundlich sein, mir bald Bericht zu senden am besten telefonisch 46075 zu Prof. Mang oder zu mir ob wir auf Dich rechnen können u. ob Dir Sonntag oder Samstag besser passt. Beste Grüsse Lisa Kläber Tetzner Überlieferung: Ms, BBA 3223.

Marc Wallach an Bertolt Brecht Berlin, 6.1.1948 Berlin, le 6 Janvier 1948 Attaché au Gouvernement Militaire Français du Grand-Berlin S.P. 50 368 B.P.M. 600 A par B.P.M. «C» Paris Monsieur, Je me permets de vous écrire, bien que je n’aie pas l’honneur de vous connaître, mais nous avons un ami commun Monsieur Herbert Jehring [sic]. Ce dernier m’a demandé de vous présenter ses meilleurs vœux de bonheur pour l[a] Nouvelle Année. Est-ce qu’il vous serait possible de donner un article pour l’Almanach théâtral50 que notre ami veut publier? Je crois qu’il vous en a déjà parlé. Dans cet espoir je vous prie d’agréer, Monsieur, l’assurance de ma parfaite considération. MWallach P.S. Votre contribution à l’Almanach pourrait être faite sous forme d’une poésie, d’une scène ou d’un article intéressant le théâtre, à votre choix, l’essentiel c’est qu’il arrive le plus vite ici, vous pouvez l’envoyer à mon adresse directement. M.W. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Marc Wallach; BBA 1763/13. 49 Kurt Kläber. 50 Vgl. Anm. zu Ihering, 5.9.1947.

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 7.1.1948 BASEL, DEN 7. Januar 1948. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4

Abt. Bühnenvertrieb.

Herrn Bert Brecht, Schauspielhaus, Zürich.

BETRIFFT: „Galilei“. Lieber Herr Brecht, Beiliegend gebe ich Ihnen Abschrift eines Schreibens unserer ital. Vertretung mit der Bitte um umgehende Stellungsnahme. Mit besten Grüssen Ihr Kurt Reiss Beilage: 1 Abschrift. [Anlage:] Abschrift. Theaterverlag Reiss A.G. Bäumleingasse 4 Basel. Milan, 29.12.47. „Galilei“/Brecht. Pour une compagnie, dont nous nous sommes assurée l’exclusivité du repertoir de la prochaine saison théâtrale, nous sommes intéressé à la pièce nommée en marge. Charles Laughton va la créer a Broadway. Si on est possible de s’assurer les droits de cette pièce il est probable que nous pouvons la produire en Italie avec un de nos meilleurs acteur du cinéma.

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C’est avec plaisir que nous vous donnons la segnalation de cette possibilité avec l’espoir de pouvoir arriver a la conclusion. Avec nos meilleurs vœux.. ………. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/34 (Anlage: Ts, BBA 1800/33).

M. Huisman an Bertolt Brecht Brüssel, 8.1.1948 MH/FS «Mutter Courage»

Bruxelles, le 8 janvier 1948

Monsieur, Je regrette de ne pouvoir vous rencontrer dans un coin de l’Europe, ou mieux à Bruxelles où vous seriez le bienvenu parmi nous. Cela me permettrait de vous connaître, de vous exprimer la réelle admiration que tous nous avons pour votre œuvre, et enfin de mettre au point les difficultés qui surgissent au sujet de «Mutter Courage». La société Theater REISS A.G. BASEL nous a écrit il y a plusieurs mois qu’elle avait pouvoir pour traiter la cession des droits pour cette pièce dont vous êtes l’auteur elle a passé avec nous un contrat très clair et nous venons d’apprendre que tout à coup vous cédiez les droits à M. MARITZ.51 Je connais M. MARITZ et j’ai pour ce metteur en scène une très grande estime. Mr MARITZ a expliqué à Mme BOURDOUXHE, qui a fait la traduction, que je vous ai fait parvenir, qu’il désirait combiner cette adaptation et une traduction de M. Jacques PREVERS.52 J’ai eu l’occasion de rencontrer M. PREVERS qui vous transmet toutes ses amitiés, mais regrette de ne pouvoir faire ce travail ni pour le texte, ni pour les chansons. Il est formel. Je serais tout prêt à faire n’importe quel effort pour améliorer la présentation de votre œuvre que j’admire et Mme BOURDOUXHE, comme nous, n’a qu’un désir c’est de rendre le mieux et le plus fidèlement votre pensée. Cependant, je ne comprends pas que M. MARITZ puisse désirer, au détriment des représentations dans notre pays, un privilège absolu sur la pièce et qu’il compromette nos représentations pour un projet de représentations à Paris dans un texte encore inconnu et à une date on ne peut plus hypothétique. Je crois qu’il 51 Vermutlich der Schauspieler und Regisseur Claude Maritz, der im Dezember 1947 im Schauspielhaus Zürich – in Brechts Anwesenheit (vgl. BC, S. 804) – Maxim Gorkis Wassa Schelesnowa (Vassa Železnova, 1910) mit Therese Giehse in der Titelrolle inszeniert hatte. Hinweise auf die hier erwähnte Übertragung der Rechte konnten nicht ermittelt werden. 52 Möglicherweise der französische Schriftsteller und Drehbuchautor Jacques Prévert (1900–1977).

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se trompe aussi quand il a l’idée qu’un demi succès à Bruxelles peut nuire au lancement de la pièce à Paris. Mais je crois qu’un demi succès à Paris aurait la plus facheuse répercussion sur la présentation de la pièce à Bruxelles. De toutes façons cet incident nous cause déjà les plus grands préjudices et retarde nos répétitions. C’est pourquoi je m’adresse directement à vous afin que vous expliquiez cette situation à M. MARITZ. D’autre part, je considère que les engagements qui ont été passés avec la firme Theater REISS A.G. sont valables. Croyez à mes sentiments les plus dévoués, M. Huisman Directeur du Théâtre National. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Théatre National de Belgique Section Française Secrétariat: 24, Rue Saint-Bernard, Bruxelles – C.C.P.: 3380.96 – Téléphone: 37.30.05; BBA 1763/1–2.

Eric Bentley an Bertolt Brecht Essex, 12.1.[1948] […] New Directions […] in Switzerland: Chalet Pardenn, Klosters.

519 Essex SE Minneapolis 14 Jan. 12

Dear Brecht – “Reynal & Hitchcock”53 has been sold to another firm. You are without contract. Will you authorize me to get your plays published by another firm? If so, I need your authorization in writing. I would make arrangements for contracts like that of Master Race unless you specify different ones. Auden & Stern both say they have nothing against my using my version of Kreidekreis in any way I wish. I am in contact with Ferdinand Reyher. But I need something in writing from you to show prospective publishers. Sincerely, Eric Bentley Überlieferung: Ms, BBA 1765/25.

53 Vgl. Anm. zu Erskine, 20.7.1945.

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Ernestine Evans an Bertolt Brecht New York, 14.1.1948 E Evans 212 East 48 Berthold Brecht 124 East 57 New York City

212 East 48 NYC

Dear Bertholdt Brecht, I gave a sign of relief thinking that at least the death sentence was avoided, and the business of getting amnesty could go quietly forward by keeping the State Department needled and wheedled. Lewin and others on the West Coast have kept at Procope. And Procope more or less assured me that no death sentence would come. It must be that I have the wrong telephone number … will you let me have it again. I have been away, but now some nights soon, do please both of you come round for dinner. Sincerely yours, Ernestine Evans. Überlieferung: Ts, hs. U. (Datierung nach Poststempel); BBA 1185/30–31.

R. Adolph an Bertolt Brecht Hüttenthal, 15.1.1948 R. Adolph (13b) Hüttenthal Post Wiesmühl (Alz) Bayern-Deutschland US-Zone.

15.1.1948.

Sehr geehrter Herr Brecht, als Mitarbeiter führender Zeitschriften und Zeitungen und des Rundfunks (Bremen und München) möchte ich gerne einen Aufsatz über Sie schreiben, besonders über Ihr Schaffen seit 1933. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Brecht, herzlichst, mir beiliegenden Fragebogen54 gefl. auszufüllen. Darüber hinaus möchte mich natürlich Ihr Schaffen sehr, 54 Nicht überliefert.

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sehr interessieren! Wäre es möglich, dass Sie mir Ihre Stücke – wenigstens leihweise – zur Verfügung stellen. Damit wäre meine Arbeit sehr gefördert. Ich habe durch die Schweizer Büchergilde, Zürich, Kirchstrasse 40 schon Bücher aus der Schweiz bekommen, vielleicht könnten Sie, geehrter Herr Brecht, das Material mir über diese Stelle senden. Oder sind Ihre Stücke schon bei einer deutschen Bühnenvertriebsstelle? In der letzten Folge des „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ steht: „Bert Brecht will, wie Erich Kästner nach einem Zusammensein mit [i]hm in Zürich in der „Neuen Zeitung“ erwähnt,55 etwa ein Jahr in Europa bleiben und vielleicht in München, bestimmt aber in Berlin, unter Mitwirkung seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, einige seiner neueren Stücke inszenieren. Vor dem „Komitee für unamerikanische Angelegenheiten“ in Washington hatte Brecht kürzlich ausgesagt, er sei nie Kommunist gewesen. Die Schweizer Zeitung „Die Tat“56 will wissen, er habe nunmehr die tschechische Staatsbürgerschaft erworben.“ Stimmt dies alles? Nochmals, verehrter Herr Brecht: Bitte, erfüllen Sie meine Bitte, die aus meiner Verehrung zu Ihnen kommt. Für all Ihre Mühe und Freundlichkeit herzlichsten Dank im voraus! Mit allen guten Wünschen und besten Grüssen bleibe ich Ihr sehr ergebener R Adolph Überlieferung: Ts, hs. U.; RBA 133.

Valli an Bertolt Brecht Gainfarn, 18.1.1948 18. Jänner 1948. Gainfarn57, Annahof Lieber Bertl! Du großer, berühmter Mann – mit inniger Freude lese ich immer wieder von Deinen fabelhaften Erfolgen und bete zu Gott, daß er auch weiterhin Dich so segnen möge! Mein heißer Wunsch, Dich hier bei mir pflegen zu dürfen, ist zwar nicht in Erfüllung gegangen, aber ich denke, es könnte doch einmal eine Zeit kommen, da Du Sehnsucht 55 Vgl. Anm. zu Ludwig, 1.12.1947. 56 Die Tat, Wochenzeitung, die von 1935 bis 1978 in Zürich erschien. 57 Gainfarn ist eine Gemeinde in Niederösterreich. Die Identität der Verfasserin konnte nicht ermittelt werden.

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nach der Heimat bekommst; und deshalb sorge ich weiterhin für mein Heim, pflege und planze immer mehr Rosen, damit es Dir dann gefällt und Du die große, weite Welt, die Du doch zur Genüge kennst, nicht allzu sehr vermißt! Eines kann ich nur nicht begreifen – gerade von Dir nicht begreifen – daß Du noch nie Zeit gefunden hast, mir ein pa[a]r Worte des Gedenkens zu schreiben. Und eines möchte ich zu gerne wissen, – wie es Dir nach dem Brief vom 20. Jänner ergangen ist? Ich habe Dir doch in drei Briefen immer wieder geschrieben, daß Girmes Deine Äußerungen (bei unserem letzten Besuch) weitergeleitet habe und ich die Folgen für Dich fürchte. Du hast darauf nie reagiert. Über Deinen letzten Brief war ich wohl verzweifelt, doch hoffte ich auf Gottes Hilfe und Deine Verbindungen in aller Welt. Bertl, so viel gebetet wie damals hab ich nicht einmal beim Einmarsch unserer „Befreier“. Was er da miterleben mußten, kann man nicht beschreiben und trotz allem hatte ich auch da Glück. Ja lieber Bertl, wir sind arm geworden, arm und ohne viel Hoffnung auf eine Besserung; und all dies nur, weil wir für den Größenwahnsinn (ohne Sinn) einiger verantwortungsloser Menschen büßen müssen! Ich wäre so gern einmal ins Josefstädter-Theater gefahren – zum „Guten Menschen“58 – aber damals konnte man es nicht wagen, der Kleider wegen! Aber ich freute mich über den Erfolg; und ich freue mich, daß Du so gesund bist, denn nur ein gesunder Mensch kann so viel und so Schönes schaffen! Und nun Bertl, lieber Bertl, enttäusche mich bitte nicht, ich will nichts von Dir als ein par Zeilen, die mir sagen, daß Du noch ebensogerne an die Zeiten bei mir denkst. Weißt ein bißchen Abglanz von Deinem Ruhm fällt dann ja doch auf mich und das kann ich nun, wo ich gar kein Selbstvertrauen mehr habe, sehr gut brauchen! Ich habe Gelegenheit, Dir diesen Brief durch eine Freudin, die über die Schweiz zurück nach Argentinien fährt, zu senden und erwarte Deine Antwort wie ein Urteil! Darf ich noch schreiben „Deine“? Valli. Überlieferung: Ms, BBA 3236.

Hans Paeschke59 an Bertolt Brecht Baden-Baden, 23.1.1948 Hans Paeschke

23. Januar 1948.

58 Der gute Mensch von Sezuan wurde am 29.3.1946 unter der Regie von Rudolf Steinboeck im Wiener Theater in der Josefstadt aufgeführt 59 Hans Paeschke (1911–1991), Gründer und Mitherausgeber der seit 1947 erscheinenden Kulturzeitschrift Merkur.

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Herrn Bert B r e c h t , c/o Schauspielhaus Zürich Z ü r i c h / Schweiz. Sehr verehrter Herr Brecht! Ich weiss nicht, ob Sie die bisherigen Nummern unserer Zeitschrift „Merkur“ erhalten haben. Wir sandten Sie an die folgende Adresse, 124 East 57th Street, New York City N.Y., welche ich vor längerer Zeit von Herrn Suhrkamp erhielt. Andererseits habe ich wiederholt Herrn Dr. Goverts gebeten, Ihnen nach Möglichkeit unsere Hefte vorzulegen und Ihnen unseren besonderen Wunsch vorzutragen, Sie möchten unsere Arbeit hin und wieder mit einem Beitrag unterstützen. Nun höre ich von Herrn Josef Halperin60, dass Sie für einige Zeit am Zürichsee weilen und brieflich über das Züricher Schauspielhaus zu erreichen seien. Ich möchte mich deshalb heute direkt an Sie wenden und Sie herzlich um Mitarbeit am „Merkur“ bitten. Unsere Zeitschrift hat in dem vergangenen ersten Jahr ihres Erscheinens gerade auch im Ausland ein schönes Echo erhalten, so in der Schweiz und in England, wo die Times sie am 6.12. als eine der ersten deutschen Zeitschriften gewürdigt hat. Herr Dr. Goverts sprach mir von Ihrem Gedicht-Zyklus Li-tai-pe61 und Ihrem Drama über Galilei, das in Zürich kürzlich uraufgeführt wurde.62 Dürfte ich meiner Bitte heute schon einen konkreten Inhalt geben, indem ich Ihnen vorschlage, uns entweder aus dem Gedicht-Zyklus oder dem Drama einiges zum Abdruck zu geben? In dieser Hoffnung verbleibe ich mit verehrungsvollen Grüssen Ihr sehr ergebener Hans Paeschke Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Merkur Redaktion Baden-Baden Postfach; BBA 1183/19.

Hans Winge an Bertolt Brecht Los Angeles, 27.1.1948 27. Januar 48.

60 Josef Halperin (1891–1963), Schweizer Journalist, vormals Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Berlin, kehrte 1933 zurück in die Schweiz. 61 Li Tai-peh, d.i. Li Po (701–762), chinesischer Lyriker. Gemeint sind vermutlich die Chinesischen Gedichte (GBA 11, S. 261–266). 62 Uraufgeführt wurde Galilei im Schauspielhaus Zürich bereits am 9.9.1943 (Regie: Leonard Steckel).

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Lieber Meister, soeben erhielt ich das Belegexemplar aus Berlin – „Theater der Zeit“63 –, das meinen Bericht ueber die „Galileo-Premiere“ enthaelt. Ich bin sehr aergerlich ueber die Entstellungen, die der Artikel erlitten hat. Es wimmelt von Verdrehungen und falschen Adjektiven, die ein „verbessernder“ Redakteur appliziert hat. Das Resultat ist ein Primanergestammel, das ich weder mit meinem Namen gezeichnet noch einem Bericht ueber eine Erstauffuehrung eines Ihrer Stuecke zugemutet haette. Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass ich daran unschuldig bin. Es beklemmt mich allerdings, wenn ich an die kuenftigen Kaempfe denke, die ich mit wohlmeinen aber ignoranten Genossen auszufechten haben werde. Wann wirds so weit sein? Durch Elisabeth64 hoere ich, dass Sie in der Eile eine ganze Antigone geschrieben haben65 und aus Zeitungen dringt das Geruecht, Sie bereiten den „Kaukasischen Kreidekreis“ in Zuerich vor und die „Courage“ bei Langhoff.66 Zinnemann67, den ich nach seiner Rueckkehr hier kurz sprach, sagte, Sie wollten fuer ihn einen Film schreiben. Geruechte, Geruechte. Weiss der Kuckuck, was wirklich passiert. Rod Geiger’s Hochstaplertum, das Sie mir nicht glauben wollten, beweist sich jetzt allerdings recht klar. „Christ in Concrete“68 hat er im letzten Moment abgesagt, nachdem er bereits Schauspielern und Technikern das Blaue vom Himmel versprochen hatte. Ich glaube, er wird sich eine Menge Klagen zuziehen. Gruesse von Margo69 und mir an Helli, Barbara und Sie selber. Herzlichst Ihr Winge Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3210.

63 Theater der Zeit, 1946 in Berlin gegründet, wurde später die maßgebliche Theaterzeitschrift der DDR. Ihr erster Chefredakteur war der aus Moskau zurückgekehrte Fritz Erpenbeck. Die Beilage ist nicht überliefert. 64 Elisabeth Hauptmann. 65 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. 66 Brecht inszenierte, zusammen mit Erich Engel, Mutter Courage im Deutschen Theater Berlin am 11.1.1949. Pläne einer Aufführung des Kaukasischen Kreidekreises in Zürich konnten nicht ermittelt werden. 67 Fred Zinnemann (1907–1997), österreichisch-amerikanischer Filmregisseur, war seit 1929 in Hollywood. In seinem Film The Seventh Cross (1944), nach Anna Seghers’ Roman Das siebte Kreuz (1942), spielte Helene Weigel eine stumme Nebenrolle. 68 Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947. 69 Frau von Hans Winge.

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Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 28.1.1948 January 28, 1948 Dear Brecht, I know you are very busy, and I am about to begin actual shooting on The Boy With Green Hair.70 We start February 9th and should finish around the middle of March. The situation is not ideal but it is very much better than anyone could have hoped for. Needless to say, I miss Adrian’s71 help very seriously, but I think it will turn out to be a creditable picture. I and the project are generally regarded with envy and the awe and disbelief accorded the impossible. Charles has begun his Shakespeare classes, which he believes will eventuate in a Measure for Measure production with me.72 We are aiming at a combination of Galileo and Measure for Measure on a university circuit next fall. T73 continues his interest and efforts, and I am sure will arrange something. Charles goes into a quite good and progressive picture74 about the middle of February, provided the producers are able to complete their financing. Geiger is now apparently going ahead with Christ in Concrete75, but plans to produce it in the U.S.A. I have heard very little from him and he has not been in touch with Laughton at all. I believe that any hopes or plans which Geiger may have for Galileo or anything else are now entirely dependent on the success of Christ. I spoke a few days ago with Hanns76, whose case been indefinitely postponed – – leaving him in a horrible personal and professional situation. He said he had not read your statement but he will get one, and asks that I assure you of his friendship and respect. Our baby production is over. It did not work out satisfactorily. Louise77 is all right. We look forward very eagerly to your final notes and comments on Scene 1378, and Charles carries on very well, but I think would be very gratified to have some personal word from you about the recordings, etc. T carries on with Caucasian Circle and hopes to 70 The Boy With Green Hair (Der Junge mit den grünen Haaren, USA 1948), eine Produktion von RKO Pictures. 71 Vermutlich Adrian Scott (1912–1973), amerikanischer Filmproduzent und Drehbuchautor, der zu den „Hollywood Ten“ gehörte, die sich weigerten, vor dem HUAC auszusagen. 72 Den Angelo aus Shakespeares Komödie Measure for Measure (1604) hatte Charles Laughton bereits in den 1930er Jahren in London gespielt. Eine gemeinsame Produktion mit Joseph Losey kam offenbar nicht zustande. 73 T. Edward Hambleton. 74 Möglicherweise The Girl from Manhattan (USA 1948) oder The Bribe (Geheimaktion Carlotta, USA 1949). 75 Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947. 76 Hanns Eisler. Vgl. Hauptmann, 6.1.1948. 77 Joseph Loseys Frau. 78 Vgl. Losey, 19.12.1947; dazu Brechts Anmerkungen in GBA 24, S. 243–245.

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work out something with Reyher on it, but it still has not been possible to clear things up with Stern, Auden, and Bentley.79 Bentley has written another version apparently. I have not seen it. When you write, I wish you would acknowledge receipt of specific letters from me – – since (as I wrote Hellie) I have a feeling that some of my letters to you have not reached you. Warmly, Joe Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Rko Radio Pictures, Inc. 780 Gower Street, Los Angeles 38, Calif. Reg. US Pat.Off.; BBA 1762/76–77.

Ilse Bartels80 an Bertolt Brecht Konstanz, 28.1.1948 Konstanz, 28.1.48 Muntpratstr. 5 Lieber Bert Brecht, gestern Abend musste ich – ohne besonderen Anlass – sehr intensiv an Sie und Helli denken. Als ich dann heute im Buchhändler-Börsenblatt las, dass Sie für ein Jahr nach Deutschland kommen wollen, um Ihre neuen Stücke zu inszenieren, habe ich das als ein Zeichen genommen, Ihnen den seit langem beabsichtigten Gruss endlich auch in Worten und nicht nur in Gedanken zu schicken. Schon vor einem Jahr traf ich hier in Konstanz Margarete Meyer, die aber leider Ihre Anschrift auch nicht wusste. Vielleicht wird dieser Brief Sie über ein Theater erreichen können. Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie – wenigstens für einige Zeit – nach Deutschland kommen wollen. Sie werden von Vielen hier sehr erwartet. Ganz abgesehen vom äusseren Elend, das ich nicht für so wichtig, zum Teil sogar für fruchtbar halte, herrscht im Geistigen ein ziemlich trostloser Zustand: Verworrenheit, Dummheit, Ressentiments, die jeden klaren Blick, jede nüchterne Beurteilung hindern, eine Inflation grosser Worte, die Katzenjammer verursachen. Es ist wichtig, dass Menschen wie Sie hier nicht stumm bleiben, und ich bin überzeugt, dass Sie jetzt noch sehr viel mehr gehört werden als vor 1933. – Dreizehn Jahre sind es fast, dass ich Sie zuletzt in Svendborg sah; Steff und Barbara sind gross geworden, und von Ihrem Weg weiss ich nur das, was durch Presse oder Rundfunk ging, also nichts Persönliches. Desto mehr von neuen Stücken, auf die ich sehr warte. In Konstanz 79 Vgl. Hambleton, 18.3.1948. 80 Ilse Bartels (1903–1985), eine Schwester von Waltraut Nicolas (der Frau Ernst Ottwalts). Ging 1933 ins Exil nach Prag und Moskau, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und kam nach Internierung in Frankreich bereits 1941 zurück nach Deutschland.

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wurde Ihre „Mutter Courage“81 gespielt mit Bühnenbildern von Caspar Neher, die gut waren. Sonst nur annähernd so, wie man sich’s gewünscht hätte. Helli wäre mir lieber gewesen als Mutter Courage. Ich freue mich darauf, Sie wieder zu sehen und wieder spielen zu sehen. Weisenborn sah ich im vergangenen Jahr hier anlässlich der Uraufführung seines „Babel“.82 Er ist fast unverändert. Auch sein Stück die gleiche seltsame Mischung von grosser Begabung und Verworrenheit, die ihm letzte Formung versagt. Aber es freute mich, ihn zu sehen, weil er zu den wenigen menschlich sehr Anständigen gehört, die nicht gerade dicht gesät sind. Mich persönlich hat es in den dreizehn Jahren sehr umhergewirbelt. Prag, Moskau, Spanien, zwei Jahre französisches Internierungslager, 1941 zurück nach Berlin, dort ein Jahr Gefängnis (was sehr billig war!), dann Arbeit und Erleben der ganzen dramatisch-nüchternen Misere des Zusammenbruchs. Seit zwei Jahren mache ich Verlagsarbeit in Konstanz.83 Meine Schwester Traute84 ist, nach vier Jahren Gefängnis in Russland, seit 1941 wieder in Deutschland. Ottwalt in Russland verschollen und bisher nichts zu erfahren.85 Das ist das Skeleth [sic] des äusseren Lebens. Es wäre sinnlos und für Sie uninteressant mehr zu schreiben, da es ins Uferlose ginge, wollte man Wesentliches sagen, das sich nur im Gespräch ergeben könnte. Kommen Sie nun wirklich? Hoffentlich ist die Meldung keine der zahllosen „Enten“, das würde mich sehr enttäuschen, denn ich freue mich wirklich sehr darauf, Sie wieder zu sehen und zu sprechen. Grüssen Sie Helli herzlich von mir, und wenn Sie oder Helli mir einmal ein Wort von sich schreiben, würden Sie mir eine grosse Freude machen. Sie und Helli sind eine der wenigen Brücken, die in den vergangenen Jahren stand gehalten haben. Sehr herzliche Grüsse Ihre Ilse Bartels Eben höre ich von unserem Theater, dass Sie wahrscheinlich in Zürich sind. Also hoffe ich, dass mein Brief Sie bald erreicht. Können Sie nicht einen Abstecher nach Konstanz machen!! Meine Privatadresse steht oben am Brief, mein Büro ist in der Wessenbergstr. 24, Telefon 382, Lingua-Verlag. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3305.

81 82 83 84

Vgl. Anm. zu Reiss, 17.4.1946. Babel (1947), Drama von Günther Weisenborn. Für den Lingua Verlag in Konstanz fertigte Bartels Übersetzungen aus dem Französischen an. Waltraut Nicolas (1897–1962), Schriftstellerin und Journalistin. Ging 1933 zusammen mit ihrem Mann Ernst Ottwalt ins Exil nach Prag, 1934 nach Moskau, wo sie bis zu ihrer Verhaftung 1936 für die Redaktion der Deutschen Zentral-Zeitung arbeitete. 85 Vgl. Anm. zu Brentano, 23.1.1937.

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Bruno Leiner86 an Bertolt Brecht Konstanz, 29.1.1948 Herrn Bert B r e c h t Zürich

Konstanz, den 29. Januar 1948 Dr. L./H.

Sehr geehrter Herr Brecht! Gestatten Sie, daß ich Ihnen den Inhalt eines soeben bei mir eingegangenen Telegrammes mitteile. Der Text ist an Sie gerichtet. Herr van Diemen bittet mich um die Weiterleitung. „Erbitte nach erfolgreicher deutscher Uraufführung von Mutter Courage in Konstanz87 unter meiner Leitung als nunmehriger Schauspieldirektor Staatstheater Dresden von Herzen die Aufführungsrechte von Mutter Courage hierorts zur Eröffnung wieder erbauten Schauspielhauses in zerstörtester Stadt Deutschlands. Außerdem erbitten wir Spielgenehmigung von Heilige Johanna der Schlachthöfe. Alles wird getan um den beiden Werken zu vollem künstlerischen Erfolg zu verhelfen mit Dank im voraus zur Erfüllung unserer Bitte Horst van Diemen Staatstheater Dresden“ Ich möchte diese Bitte des Herrn van Diemen warm unterstützen. Herr van Diemen ist mir von seiner Konstanzer Tätigkeit her sehr gut bekannt. Unter seiner Direktion gewann das Stadttheater Konstanz einen bedeutenden Ruf. Es war unter seiner Direktion eines der bedeutungsvollsten Theater. Ein Höhepunkt war die Uraufführung Ihrer Mutter Courage während der von mir veranstalteten Konstanzer Kunstwoche 1946. Ich gestatte mir ein Programm derselben beizulegen. Sehr dankbar wäre auch ich Ihnen, wenn Sie dem Staatstheater Dresden diese Möglichkeit eröffnen würden, diese bedeutungsvollen Werke dort zu zeigen. Darf ich die Gelegenheit benützen, Sie meiner hochachtungsvollen Verehrung zu versichern und Sie zu bitten, mir doch möglichst bald Antwort zukommen zu lassen. Mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Dr. Bruno Leiner Leiner. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dr. Bruno Leiner Konstanz Malhaus Fernruf 289; BBA 1764/14. 86 Kulturdezernent der Stadt Konstanz. 87 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.4.1946.

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Curt Bois an Bertolt Brecht Hollywood, 1.2.1948 Mr. Bertold Brecht, c.o. Schauspielhaus Zuerich

Hollywood, 1. Februar, 1948

Lieber verehrter Herr Brecht: – wie ich Ihnen in meinem Brief vom 30. Dezember 1947 schrieb, habe ich Kohner beauftragt nach der Schweiz zu schreiben. Aus einer Kopie die ich beilege, geht alles weitere hervor. Ich glaube Sie sind meiner Meinung, dass ich natuerlich den „UI“ von Anfang an mitprobieren muss. Sie werden es nicht glauben, dass ich es UI zu verdanken habe, dass ich die Sonne Californiens immer noch geniessen kann! Von Kortner hoere ich NICHTS. Das ist fuer mich sehr bedauerlich, da ich ja schliesslich mit ihm besprochen habe, dass er mir schreiben soll ob die Lebensbedingungen in Berlin ertraeglich sind. Schade dass ich mich nicht auf ihn verlas[s]en kann. Sie schreiben nicht, was ich natuerlich verst[e]hen kann. Ich schicke Ihnen diese Kopie des Briefes an diesen Herrn Kantorowitz88 (der ein PARTNER KOHNERS ZU SEIN SCHEINT) damit Sie ueber alles informiert sind. Ich hoere immer weiter: DRINK EDELWEISS DINGE, DINGE, DINGE, DING IT TASTES SO NICE DINGE, DINGE DINGE, DING Etc. Etc. Was einem das Leben wenigstens etwas leichter macht! Allerherzlichste Gruesse an Sie Alle. Ihr Ihnen sehr ergebner, Curt Bois 6029 Carlos Avenue Hollywood, 28 [Anlage:] Copy

88 Gemeint ist Michael Kantorowitz, Leiter eines Musikverlags und Bühnenvertriebs in Zürich.

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CURT BOIS 6029 CARLOS AVENUE Hollywood, 28 CALIFORNIA

Hollywood, d. 1. Februar 1948

Herrn M. Kantorowitz Torgasse 6 Zuerich Sehr geehrter Herr Kantorowitz: – wie mir die Paul Kohner Agency mitteilte, haben Sie sie benachrichtigt, dass Sie ein Gastspiel fuer mich in der Schweiz arrangieren koennen. Ihnen einen genauen Termin meiner Ankunft in Europa zu geben, ist mir im Augenblick nicht moeglich. Damit wir aber keine Zeit verlieren, wuerde ich Sie bitten, mir ein paar fuer mich wertvolle Informationen zu geben. Wuerde sich ein solches Gastspiel nur auf Zuerich beschraenken, oder haben Sie mehrere Schweizer Staedte im Auge? Koennen Zwischenpausen vermieden werden? Wieviel % STEUern haette ich als amerikanischer Staatsbuerger zu zahlen? Wie TEUER oder BILLIG sind die Lebensverhaeltnisse? Mein allerletztes Auftreten in deutscher Sprache fand in Zuerich statt. Es war dies in meiner (Ihnen sicher noch bekannten) Version von „Charleys Tante“.89 Mein damaliger Direktor Dr. Wickihalder90 wird Ihnen sicher gern den aussergewoehnlichen Kassenerfolg den wir damit hatten bestaetigen. Ich gastierte auch frueher im Schauspielhaus sowie im Berner Stadt-Theater und in Basel in meinem eigenen Schwank „DIENST AM KUNDEN“.91 Ich wuerde folgende Stuecke vorschlagen: „DER EINGEBILDETE KRANKE“ „TARTUFFE“ (MOLIERE)92 „DER HAUPTMANN VON KOEPENICK“ (ZUCKMAYER)93 „DER REVISOR“ (GOGOL).94 Ich weiss, von letzterem wurde vor nicht langer Zeit eine musikalische Bearbeitung erfolglos gespielt. Ich stand einer solchen Bearbeitung immer skeptisch gegenueber. Ich finde das Original gut genug und habe es als mein letztes Stueck in BERLIN unter Heinz Hilpert mit grossem Erfolg gespielt.95 Unter allen Umstaenden 89 Vgl. Anm. zu Bois, 30.12.1947. 90 Hans Wickihalder (1896–1951), Theaterkritiker, in den 1930er Jahren Direktor des Corsotheaters in Zürich. 91 Den Schwank Dienst am Kunden (1931) schrieb Curt Bois zusammen mit Max Hansen. 92 Le Malade imaginaire (Der eingebildete Kranke, 1673) und Tartuffe ou L’Imposteur (Tartüffe oder Der Betrüger, 1682), Komödien von Molière. 93 Der Hauptmann von Köpenick (1931), ein „deutsches Märchen“ von Carl Zuckmayer. 94 Revizor (Der Revisor, 1836), Komödie des russischen Schriftstellers Nikolai Wassiljewitsch Gogol (Nikolaj Vasil’evič Gogol’, 1809–1852). 95 1932 an der Berliner Volksbühne. Bois spielte den Chlestakow.

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moechte ich ein Stueck „DER UNAUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURI UI“ [sic]96 spielen. Dieses Werk ist von Bertold Brecht, der sich im Augenblick auch in der Schweiz aufhaelt. Da es sich in diesem Falle um eine Welt-Urauffuehrung handelt, halte ich es fuer ratsam an allen Proben von Anfang an teilzunehmen und WAEHREND DIESER ZEIT die oben angefuehrten Stuecke zu spielen. In der Hoffnung bald von Ihnen zu hoeren, bin ich mit den allerherzlichen Gruessen, Ihr ergebener, Curt Bois Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3062.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 4.2.1948 4. Februar 1948 Herrn Bert Brecht Schauspielhaus Zürich Aufstieh Lieber Brecht! Ich hoffe, dass Sie inzwischen die Pressebesprechungen über die Premiere von „Furcht und Elend“97 bekommen haben, auf jeden Fall haben wir sie abgeschickt. Der grosse Premierenerfolg setzt sich bei allen weiteren Aufführungen fort. Es ist erstaunlich und erfreulich, dass, bis jetzt wenigstens, an den richtigen Stellen gelacht und applaudiert wurde und dass die regulären Theaterbesucher ebenso mitgehen wie die Volksbühnenleute, für die wir auch Vorstellungen machen. Ebenso sollen Jugendorganisationen hineingehen. Ich glaube sagen zu können, dass diese Aufführung eine sehr gute Vorbereitung auf Ihre Hauptwerke war. Zufällig kam die Aufführung in den Sartre-Rummel hinein, der in diesen Tagen gerade in Berlin war,98 und es waren doch einige, die erklärt haben, dass in Ihnen der wahre 96 Der Aufstieg des Arturo Ui, so der letzte von Brecht autorisierte Titel des Stücks, hieß in früheren Fassungen Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. 97 Am 30.1.1948 wurde Furcht und Elend des III. Reiches unter der Regie von Wolfgang Langhoff im Deutschen Theater Berlin aufgeführt. Vgl. BC, S. 811. 98 Kurz nach der Aufführung seines Dramas Les mouches (Die Fliegen, 1943) im Hebbeltheater im Januar 1948 kam Jean-Paul Sartre zu Besuch nach Berlin.

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Gegenspieler gegen alle verschwommenen und mystifizierenden Versuche gestartet wird. Wer die widerspruchsvollen augenblicklichen Presseverhältnisse kennt, wird bestätigen, dass „Furcht und Elend“ einen der grössten Stückerfolge seit 1945 gehabt hat. Die Aufführung hatte Langhoff selbst in den letzten 10 Tagen vor der Premiere übernommen, weil der junge Regisseur Schnell99, der aus dem Ruhrgebiet nach Berlin gekommen ist, der Sache noch nicht gewachsen war. Langhoff hat in dieser kurzen Zeit ausgezeichnete Arbeit geleistet. Hervorragend war in verschiedenen Rollen Werner Hinz100, besonders als Arbeiter im „Kreidekreuz“. Auch Kortner hat gesagt: eine Leistung ersten Ranges. Hinz spielte ferner den Studienrat Furke im „Spitzel“ und den Mann in der „Jüdischen Frau“. In dieser Rolle war Ehmi Bessel101 gewiss ganz anders als Helli Weigel in Paris102 gewesen ist, aber sie war, wenn auch sicherlich nicht so intensiv und aufwühlend, so doch in ihrer Art103 ausgezeichnet, unpathetisch und wirklich ergreifend. Die „Rechtsfindung“ litt darunter, dass den Amtsrichter nicht Paul Bildt spielte, der wegen Film und Überarbeitung Schwierigkeiten machte, sondern Wolf Trutz104, den Sie wahrscheinlich von Jessner her noch kennen werden. Dadurch verlor der Akt etwas an Straffheit. Langhoff hat nach der Premiere für diese Szene neue Proben angesetzt, um mit Trutz die Rolle noch einmal durchzuarbeiten. Gespielt wurden: Kreidekreuz, Rechtsfindung, Stunde des Arbeiters, Spitzel, Jüdische Frau, Bergpredigt und Volksbefragung. Die Zwischentexte sang Kate Kühl. Mit der „Jüdischen Frau“ hatten den stärksten Erfolg „Kreidekreuz“ und „Spitzel“. Steffi Spira spielte wie in Paris die Köchin im „Kreidekreuz“ und dazu noch das Dienstmädchen in der „Rechtsfindung“ und im „Spitzel“. Am 10. Februar, an Ihren 50. Geburtstag, veranstaltet das Deutsche Theater einen Brecht-Abend, an dem Ernst Busch, Kate Kühl, Gerda Müller, Werner Hinz, Paul Bildt und ich mitwirken.105 Das genaue Programm schicke ich Ihnen morgen. Wenn Sie jetzt kämen, würden Sie selbst erleben, wie Berlin auf Sie vorbereitet ist, auch der Geburtstagsabend am 10. ist bereits heute so gut wie ausverkauft. Für „Mutter Courage“ ist die Situation also denkbar günstig. Mit herzlichen Grüssen und Geburtstagswünschen auch von meiner Frau und Kasper Ihr Herbert Ihering Viele Grüsse und Dank für das letzte Paket an Helli Weigel. 99 Robert Wolfgang Schnell (1916–1986), Schriftsteller und Schauspieler. 100 Werner Hinz (1903–1985), Schauspieler, zuvor u.a. in dem NS-Propagandafilm Ohm Krüger (vgl. Anm. zu Krieger, 1947) zu sehen. 101 Ehmi Bessel (1904–1988), Schauspielerin, Frau von Werner Hinz. 102 Vgl. Anm. zu Dudow, 21.1.1938. 103 Hs. Erg. am Rand: „wenn auch sicherlich nicht so intensiv und aufwühlend, so doch in ihrer Art“. 104 Wolf Trutz (1887–1951), Schauspieler, gehörte vormals zum Ensemble von Gustaf Gründgens. 105 Vgl. BC, S. 812f.

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Die farbige Rolle eines ersten Charakterkomikers spielt unser Freund Dudow vor uns. Er kam zuerst gewissermassen als Brecht-Überwinder hier an und warf Langhoff und mir vor, dass wir über Brecht nicht hinausgekommen wären. Jetzt aber, wo Sie näher gekommen sind, ist er der einzige, der den Brecht-Schlüssel in Händen hat. Aber das sind so menschliche Spassigkeiten, die man nicht übel nehmen soll. Überlieferung: Ts. m. hs. Us., hs. Korr., hs. Zus., ts. Nachs., Br.-bogen-Vordr.: Ehemalige Staatstheater Max Reinhardts Deutsches Theater und Kammerspiele Intendant Wolfgang Langhoff Berlin NW7, den _____________ Schumannstr. 13a Fernruf: 426520, 422677-79; BBA 3104.

Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Berlin, 5.2.1948 Berlin 8 – Jägerstrasse 1 – Tel. 42 59 91

Herrn Bert B r e c h t 1063 - 26th Street Santa Monica – Calif.

Berlin, den 5.2.1948 Be./Lau

Lieber Brecht! Die allerbesten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag. Ich hoffe sehr, dass dieser Glückwunsch Dich wenigstens erreicht, nachdem zwei andere Briefe scheinbar nicht bei Dir angekommen sind, von dem einen, den ich im Oktober schrieb, erhielt ich jetzt die Hälfte des Umschlags zurück mit dem Vermerk, dass der Inhalt verlorengegangen sei. Damals, anlässlich des P.E.N.-Club-Kongresses,106 hoffte ich, Dir in der Schweiz zu begegnen und Dich ausführlich über die Situation hier in Deutschland informieren zu können. Inzwischen wirst Du aber schon genügend derartige Berichte erhalten haben, dass Du Dir einigermassen ein reales Bild von dem, was hier bei uns geschieht, machen kannst. Von uns aus gesehen wäre es mehr als wünschenswert, wenn Du hierher kommen würdest, und irgendwelche Schwierigkeiten Deiner Unterbringung etc. würden selbstverständlich nicht bestehen. Aber ich kenne zu wenig Deine Pläne und Deine eigene Situation, um Dich zu einer Rückkehr veranlassen zu wollen. Mit Kortner habe ich über Dich gesprochen und ihm einiges mitgeteilt, was er Dir sicher besser schreiben kann als ich selbst. Ich wollte in diesem Frühjahr in die Schweiz kommen, leider aber haben mir die Schweizer Behörden die 106 Vgl. Anm. zu Becher, 30.6.1947.

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Einreise bis jetzt verweigert, was wohl auch auf die irreführenden Berichte zurückzuführen ist, die über uns jetzt auch in der Schweiz verbreitet werden. Bitte bestätige mir doch gleich diesen Brief, den ich zur Sicherheit in doppelter Ausfertigung schicke, und zwar auch an den Verlag Posen, Zürich. Und nochmals alles Gute zu Deinem Geburtstag! Bitte grüsse auch Deine Frau und hoffentlich auf ein baldiges Wiedersehen! Dein Überlieferung: Ts, BBA 2118/04. – E: Becher, Briefe, S. 360f.

Otto Müllereisert an Bertolt Brecht Berlin, 6.2.1948 6.II.48. Lieber Bert, ich möchte ein Interview mit Dir in den berliner Zeitungen veröffentlichen und bitte Dich mir nachstehende Fragen zu beantworten. Ausserdem gib mir bekannt, was Du von Dir aus veröffentlicht haben willst. sehr herzlich Dein alter Otto. Berliner Pläne: Pläne in Deutschland: letzte Arbeiten: vollendete: in Bearbeitung: Wie ist das Stück, das in Berlin läuft, entstanden? Woher Material? Ist es in Amerika schon aufgeführt? Mit welchem Erfolg? In anderen Ländern? Mit welchem Erfolg? Sonstiges? Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dr. med. Otto Müllereisert Berlin W 15, den _____________ Xantener Str. 10 Telephon 912081; BBA 3142.

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Friedel Kantorowicz an Bertolt Brecht und Helene Weigel Berlin, 7.2.1948 Berlin-Zehlendorf Argentinische Allee 162b 7. Februar 1948 Liebe Freunde, da habt Ihr uns aber eine ganz grosse Freude gemacht mit dem Paket Kaffee, das wir durch den Hilfsdienst Zürich von Euch bekamen. Und wahrscheinlich seid Ihr schon so weit in die Verhältnisse eingeweiht, um zu wissen, dass gerade Kaffee als Nahrung für den Geist hier ungeheuer wichtig ist. Habt schönen Dank und wir hoffen sehr, dass wir Euch bald persönlich mit einem dankbaren Händedruck begrüssen können. Lieber Brecht – darf man Ihren Fünfzigsten erwähnen und Ihnen gratulieren? Oder sollen wir nicht lieber uns selber gratulieren, dass Sie da sind und dass Ihre Stücke da sind? Wie sehr wir Sie und Ihre Stücke hier brauchen, hat sich jetzt gezeigt bei der Aufführung von „Furcht und Elend das Dritten Reiches“ im Deutschen Theater.107 Ich war genau so gepackt wie damals, als ich sie zum ersten Mal las. Und wie wichtig, dass sie hier aufgeführt werden! Ich habe Hoffnung, dass dadurch jedenfalls einmal die Menschen, die die Aufführung sehen, zum Nachdenken gebracht werden. Ich bin sehr neugierig zu wissen, was Sie von der Aufführung sagen werden. Ich habe immerzu an Helli gedacht bei der „Jüdischen Frau“. Und überhaupt an die an sich kümmerliche Aufführung seinerzeit in Paris.108 Na, Ihr werdet ja sehen. Gestern hatte ich einen Brief von Elisabeth Hauptmann, in dem sie schreibt, das[s] Helli im März oder April kommt. Hoffentlich ist es wahr! Die Zahl derer, die auf Euch warten, vermehrt sich täglich! Bis dahin also. Herzlichst und dankbarst Friedel Kantorowicz Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3275.

Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 9.2.1948 BASEL, DEN 9. Februar 1948. BÄUMLEINGASSE 4 107 Vgl. Anm. zu Ihering, 4.2.1948. 108 Vgl. Anm. zu Dudow, 21.1.1938.

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Herrn Bert Brecht bei Oettinger Gartenstrasse 36 Zürich. BETRIFFT: Buchhaltung/DB. Betrifft: Freigabe & Auszahlung Ihres Guthabens in der Schweiz. Sehr geehrter Herr Brecht, Wir können Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass die Verrechnungsstelle Ihr bisher gesperrtes Guthaben nunmehr zur Auszahlung an Sie freigegeben hat, soweit es sich um Guthaben aus Schweizer Aufführungen handelt. Wir senden Ihnen in der Beilage einen Kontoauszug per 31. Januar 1948 mit folgender Einteilung: a) Guthaben aus Aufführungen in der Schweiz abzüglich folgender Beträge per heute: = 1948 Fr. 50.-Febr. 4. Zahl. an Frl. H. Brecht 9. Zahlung Gebühr der Schweiz. „ Verrechnungsstelle 5.-- Saldo zu Ihren Gunsten, in der Schweiz auszahlbar lt. Bewilligung der Verrechnungsstelle b) Guthaben aus Aufführungen im Ausland per 31. Januar 1948

Fr. 7,252.48

55.-Fr. 7,197.48 Fr. 1,518.86

welcher Betrag gemäss den Devisenbestimmungen an Ihre Adresse in U.S.A. zu vergüten ist. Wir bitten Sie nun um Mitteilung, wohin wir den an Sie auszahlbaren Betrag von Fr. 7,197.48 überweisen können. In Erwartung Ihrer Nachrichten, zeichnen wir mit vorzüglicher Hochachtung per R E I S S A.-G. Abt. Buchhaltung: […] Beilage: 1 Kontoauszug

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/37.

John W. Rumsey an Ruth Berlau New York, 10.2.1948 February 10, 1948 Miss Ruth Berlau109 Niels Juelsgade 13 Copenhagen, Denmark Dear Miss Berlau: I enclose copy of a translation of a letter I have received from Felix Bloch Erben dated January 13, 1948. I also enclose copy of the two last statements as these show the total amount due Mr. Weill at this time. I thought you might want to see these to check the figures against those Dr. Baerensprung obtained from Felix Bloch Erben for the account of Mr. Brecht. I have sent copies of this letter and all the statements to Mr. Weill so that he is fully informed. In the meantime, I am still waiting to hear from Carl Strakosch regarding the exact amount they are holding and which represents royalties earned subsequent to September 1, 1939. Yours sincerely, John W. Rumsey JWR/MC Enclosures [Anlage:]

109 Ruth Berlau hatte New York bereits verlassen. Am 22.1.1948 traf sie in Zürich ein (vgl. Lai-tu, S. 159).

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C O Felix Bloch Erben P Jebenstrasse 1 Y Berlin-Charlottenburg 2. January 13, 1948 SnB. American Play Company 522 Fifth Avenue New York 18, N.Y. Gentlemen: We acknowledge receipt of your letter of December 15th, 1947, and we were pleased to hear from you again. Dr. Horst Baerensprung called on us for Mr. Bert Brecht, presenting a Power of Attorney of Mr. Brecht, authorising him to negotiate with us. We have naturally given all needed information to Dr. Baerensprung and gave him the prepared royalty statement. Due to the fact that Mr. Brecht came to Europe, the accounting was not sent to New York. It was not possible to render an accounting before, as we did not know the address of Mr. Brecht, nor did we have any contact with him. We take it that Mr. Baerensprung informed Mr. Brecht in the meantime that we have asked to confirm to you these negotiations. Dr. Baerensprung has also been authorized by Mrs. Elizabeth Haupt­mann to negotiate with us. Mrs. Hauptmann is a co-worker of Mr. Brecht and participates in the royalties of The Beggar’s Opera. As your inquiry was also made for Mr. Kurt Weill in whom Dr. Baerensprung is not interested, we do not object to send you enclosed the royalty accounting for Mr. Weill. Kindly give them to him with our regards. The payment of the royalties is not possible at present because of the Exchange regulations of the Military government of the allied powers. We are, however, reporting to the military government the amounts due. With regards, we are, Very truly yours, Felix Bloch Erben per Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: American Play Company Representing American and Foreign Authors 522 Fifth Avenue New York 18, N.Y. Member of Society of Authors’representatives, Inc. Telephones Murray Hill 2-0156 2-0157 Cable Address Amplaco John W. Rumsey President; BBA 1959/154 (Anlage: Ts, BBA 1959/167).

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George Pfanzelt an Bertolt Brecht Augsburg, 10.2.1948 Augsburg, den 10. Februar 1948 Lieber Bidi, durch die Zeitung erfahre ich, daß Du heute fünfzig Lenze beisammenhast; harte und weiche, sauere und gepfefferte, sonnige und windige und die Spielarten dazu. Das war also die erste Abschlagsleistung. Und jetzt kommen die rüstigen Lenze, 30 an der Zahl. Darüber hinaus die diversen Wunsch- und Traumjahre mit etwas Gartenbau. Alles zusammen: nicht zuviel. Für die nächsten 30 alles Gute, bleibe gesund. Ich habe Deine Sendung an Zucker, Mehl und Kaffee vor einigen Wochen erhalten und bisher gewartet, weil ich auf Post und direkte Verbindung gehofft habe. Meinen herzlichen Dank. Ich nehme an, Du bist über manches Geschriebene in der hiesigen Zeitung, soweit es Dich betrifft, informiert worden. Vor einigen Wochen gaben sie in der Komödie („Blaues Krügle“)110 Songs, Balladen und eine Szene aus Edward111 und eine Einführungsrede. Die Rede (darüber laß‘ich nichts kommen) war flüssig, allgemeinfaßlich und gefällig aufgebaut. Es gibt einen negativen und einen positiven Brecht, einen negativ-zersetzenden und einen positiv-aufbauenden (Das Allerneueste für das Krügle). Der negativ-zersetzende ist vielmehr ein „zorniger Bußprediger“. Ein sympathischer, sachkundiger Redner, der Weizen von Weizen scheiden kann und nicht das Blaue vom „Krügle“ herunterholt. Einige Songs waren ungemacht, mitreißend, überzeugend. Sehr gut. Edwards Szene war durch den Mangel an Farbe, Zierblech (den guten Willen haben die Spieler mitgebracht) eine mangelhafte Aufführung eine gelungene Hauptprobe, wo der Erzbischof als Straßenanzugschoner sanft die Bügelfalte glättet, die abstrakte Bügelfalte in Edwards Gesicht. Verhältnismäßig gut besucht, denn am bestimmten Vorverkaufstag wurden die Leute wieder weggeschickt. Die besten Grüße Deiner Frau, Deinen Kindern. Dein George Überlieferung: Ts, BBA 1185/65–66.

110 „Die Komödie“ im Gignoux-Haus in Augsburg. 111 Leben Eduards des Zweiten von England.

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Oskar Wälterlin112 an Bertolt Brecht Zürich, 10.2.1948 bert brecht hotel stern chur 113 = erstes halbes jahrhundert stop vorschuss auf ewigkeit stop macht weiter stop = ihr oskar waelterlin + Überlieferung: Ts (Telegramm) BBA 3233.

Teo Otto an Bertolt Brecht Zürich, 10.2.1948 herrn bert brecht hotel stern chur = gesundheit und erfuellung in deiner grossen arbeit wuenschen dir = teo otto und familie + Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3233.

Freie Jugend Basel an Bertolt Brecht Basel, 10.2.1948 = bert brecht stadttheater chur = glueckwuensche zum 50. geburtstag = freie jugend114 basel + Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3233.

112 Oskar Wälterlin (1895–1961), Schweizer Schauspieler und Regisseur, leitete seit 1938 das Züricher Schauspielhaus. 113 Brecht hielt sich zur Aufführung der Antigone (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948) in Chur auf. 114 Sozialistische Jugendorganisation, der Partei der Arbeit der Schweiz nahestehend.

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Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 10.2.1948 Bert Brecht b/Mertens Bünishoferstr. 14 Feldmeilen Herzlichste Geburtstagsgratulation und alle guten Wünsche Kurt Reiss Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3233.

Armin Kesser an Bertolt Brecht Zürich, 10.2.1948 Bert Brecht Haus Mertens Feldmeilen Herzlich Ihnen gedenkend ein Wiedersehen erhoffend Armin Kesser Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3233.

Albert Norden115 an Bertolt Brecht Berlin, 10.2.1948 bertold brecht schauspielhaus zuerich = dem grossen deutschen dichter in der hoffnung auf baldiges wiedersehen in berlin herzliche wuensche fuer weite[re]s erfolgreiches wirken und persoenliches wohlergehen = redaktion deutschlands stimme116 albert norden + Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3233. 115 Albert Norden (1904–1982), Journalist. Ging 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei, nach Frankreich, 1941 in die USA. Ab 1949 arbeitete er für das Informationsamt der DDR, später war er Mitglied des Politbüros des ZK der SED. 116 Organ des auf Initiative der SED einberufenen Deutschen Volkskongresses.

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Gusti Lutz an Bertolt Brecht Wädenswil (Kanton Zürich) [10.2.1948] Mein lieber Berthold! Zu Deinem 50. Geburtstag wünsche ich Dir von ganzem Herzen viel Glück, Gesundheit u. grossen Erfolg in Deiner Lebensaufgabe Dein Gusti Lutz Überlieferung: Ms, BBA 3135.

Gusti Lutz an Bertolt Brecht Wädenswil [Februar 1948] Lieber Verwand[t]er! Schon 1003 Jahre sind es her, wo ich Dich suchend in Zeitung u. Radio glückwünschend begleite, immer wieder konnte ich in den Jahren die glückliche Nachricht erhaschen, daß Du u. Deine werte Gemahlin den Häschern entronnen bist. Am Radio hörte ich, dass Du einer der Ersten warst, wo ausgebürgert wurde, „Gott sei Dank“ (Ausschwitz) [sic]. Als Du noch in der Saarzeitung „Freiheit“117 Artikel schriebst, erlaubte ich mir, an die Exp. der „Freiheit“ einen Brief an Dich zu schreiben, ob Du denselben erhalten hast? eine Antwort traf nicht ein, doch ich begriff es, in dieser Zeit konnte man nicht einmal seinem Bruder trauen. Letzte Woche las ich in der „Nat. Zeitung“ (Basel) beigelegten Bericht.118 Ich wusste daß Ihr nach Norden geflüchtet sind u. später nach Amerika entkamen, ich glaubte Euch in Brooklyn, bei Marie od. Fanny119, Deiner Tanten. Vor kurzer Zeit vernahm ich, Du seiest in Zürich, hätte ich gewusst wo du wärst, hätte ich mir erlaubt Dich persönlich zu begrüssen. Wir wären wohl einander unbekannt gegenübergestanden, denn es war im Jahre 1902 als mir bei Deinem Grossvater S.B.B.120 in Achern gegenübergestanden, Dein Bruder war auch da, ich war zur selbigen Zeit Lehrjunge bei Deinem Grossvater, welcher ein Bruder meiner Mutter war. Müsste nicht ein bisschen Brechtblech in mir haben, um nicht Deine Arbeit zu bewundern und zu verehren. Habe edliche Sachen gesehen u. gelesen unter anderem auch Mad. Gurasch121, 2 Jahre wurde es gegeben u. immer ausverkauft, sah es zweimal im Schauspielhaus Zürich, ein vierteljahr117 Gemeint ist die Zeitschrift Deutsche Freiheit, die von 1933 bis 1935 in Saarbrücken herausgegeben wurde. Von Brecht erschienen darin ein Nachdruck des Saarlieds (17.11.1934) sowie Auszüge aus dem Dreigroschenroman (29.11.1934). 118 Dem Brief lag ein Ausschnitt aus der National-Zeitung vom 5.2.1948 („Literarische Notizen“) bei. 119 Fanny Fränkel und Marie Zais, geb. Brecht. 120 Stephan Berthold Brecht (1839–1910), Lithograph. 121 Mutter Courage.

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lang las man letzte Vorstellung u. immer war es ausverkauft, ich gratuliere Dir herzlich. Erlaube mir einige fam. Fragen: Lebt Dein Vater noch? Lebt sein Bruder Karl u. Gustel noch? ferner seine Schwestern Marie u. Fanny in Broklyn? nehme an Du wirst meine Fragen begreifen, weil ich sie alle so gut kannte. Mit dem Wunsche beseelt, Dir einmal die Hand drücken zu dürfen, grüsst Dich und Deine werte Gemahlin Dein Gusti Lutz Eintrachtstr. 7 Wädenswil (ct. Zürich) Tel. 956550 Adr. meiner Arbeitsstelle Art. Inst. Orell Füssli Diezingerstr. 3 Zürich III (Wertpap. Abtlg. Lutz) Tel. 237733 Überlieferung: Ms, BBA 3135.

Walter Schürenberg122 an Bertolt Brecht Berlin, 11.2.1948 Berlin-Zehlendorf Forststrasse 27 Den 11.2.48 Dr. Sch/So Herrn Bert Brecht, p. Adresse Schauspielhaus Zürich Zürich

Theaterabteilung

122 Walter Schürenberg, Schriftsteller und Übersetzer, Mitarbeiter Suhrkamps.

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Sehr geehrter Herr Brecht! Es trifft sich glücklich, dass Herr Suhrkamp an Ihrem 50. Geburtstag in der Schweiz Ihnen nahe ist und Ihnen seine und des Verlages Glückwünsche rascher sagen kann als wir, denen die Postverhältnisse noch den direkten telegraphischen Weg versperren. Mich, der ich ausser meine Aufgabe, Herrn Suhrkamp möglichst zu entlasten, die Theaterdinge im Verlag bearbeite, drängt es, Ihnen ganz kurz von dem Erlebnis der Premiere von „Furcht und Elend des III. Reiches“ und dem gestrigen „Bertolt Brecht-Abend“123 im Deutschen Theater Nachricht zu geben. Das ist nun eine reine Freude. Es war herrlich, zu sehen und zu erleben, wie Ihr Geist und Wort zündete. Die Inszenierung von „Furcht und Elend“ muss man als sehr gut gelungen bezeichnen. Es waren hervorragende Kräfte richtig eingesetzt, die teilweise, so besonders Ehmi Bessel und Werner Hinz, an der Aufgabe beträchtlich über sich hinauswuchsen. Gewählt waren die Szenen „Das Kreidekreuz“, „Rechtsfindung“, „Die jüdische Frau“, „Der Spitzel“, „Die Stunde des Arbeiters“, „Die Bergpredigt“, „Volksbefragung“, und sie haben vor der leider erworbenen Sachverständigkeit des deutschen Publikums die Probe glänzend bestanden. Es gab einen grossen inneren Erfolg, der sicherlich tiefer ging, als der übliche in Berlin leicht exzessive Theaterbeifall. Beim gestrigen Brecht-Abend anlässlich [I]hres Geburtstages war auffällig, wie, trotz des Einsatzes so glänzender Interpreten (Kate Kühl und Ernst Busch) für Ihre Balladen, die Szenen aus „Galileo Galilei“ (Paul Bildt) und „Mutter Courage“ (Gerda Müller und Werner Hinz) zu Höhepunkten wurden. Das zeigte, was mit diesen Stücken noch Bedeutendes des Deutschen Theaters harrt. Herr Suhrkamp wird mit Ihnen darüber gesprochen haben, ob man nun mit diesen Stücken noch länger zögern soll; ich meine, man sollte das keinesfalls, und hoffe sehr, bald ihre Zustimmung zu den Erstaufführungen zu bekommen. An Texten fehlt uns noch „Der gute Mensch von Sezuan“ und die „Johanna der Schlachthöfe“ und das hier noch ganz unbekannte Stück von Herrn „Hui“124, und auch die Lehrstücke. Die übrigen haben wir jetzt hergestellt, so dass wir damit arbeiten könnten. Als nächstes Theater will Hamburg (Deutsche[s] Schauspielhaus) „Furcht und Elend des III. Reiches“ machen. Ich habe versucht, Sie telegraphisch über den amerikanischen Theateroffizier in München, Mr. Walter B e h r , um Ihre Meinung zu fragen, weiss aber nicht, ob diese Anfrage durchkommt. Es liegt uns nun schon eine stattliche Sammlung von ausführlichen Pressestimmen zu „Furcht und Elend“ vor. Sie sind, was Sie und Ihr Stück betrifft, von seltener Einmütigkeit – bei Anouilh und Sa[r]tre beispielsweise ist es noch nie zu dieser Einmütigkeit gekommen – lediglich an der „Auffassung“ und erzieherischen Wirkung auf das Publikum wird gekrittelt. Das will nicht viel besagen, sondern ist das Normale hier in der Kampfarena Berlin, wo jede Richtung ganz genau zu wissen und darlegen zu müssen glaubt, wie etwas wirken 123 Vgl. Ihering, 4.2.1948. 124 Der Aufstieg des Arturo Ui.

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müsse und aufzufassen sei, was von der Szene herab längst konkret und unmittelbar ins Publikum gewirkt hat. Die Zeitungsausschnitte wollen wir lieber hier für Sie bereit halten. Sie könnten, wenn ich sie hier beifügen wollte, die Beförderung dieses Briefes verzögern und erschweren. In der Hoffnung dass es Ihnen, sehr verehrter Herr Brecht, nicht unlieb ist, diese Informationen über den so erfreulichen Stand Ihrer Dinge hier von uns zu bekommen, mit ergebenen Grüssen Ihr Walter Schürenberg. (Dr. Schürenberg) SUHRKAMP-VERLAG vorm. S. Fischer Verlag Theaterabteilung Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Suhrkamp Verlag vorm. S. Fischer Berlin und Frankfurt/Main – Geschäftsleitung Anschriften: Berlin W 35, Genthiner Str. 13 • Frankfurt/M., Schaumainkai 101 • Geschäftsleitung Berlin-Zehlendorf, Forststr. 27 27 • Tel. 807056; BBA 1764/26–27.

Hanni von Bahder an Bertolt Brecht Sornzig üb. Oschatz (Sachsen), 12.2.1948 Am 12. Februar 1948. An Bert Brecht / Schweiz. Im vorigen Jahre hörte ich eines Nachts im Radio „Kinderkreuzzug 1939“ – und war mächtig angerührt davon – und dann besessen, es irgendwie illustrativ zu gestalten. Dies ist nicht endgültig gelungen, höchstens fragmentarisch, es muss noch weiter daran gearbeitet werden. Hindernisse an schneller Arbeit sind: Haushalt[s]sorgen und Kinderkram, wie das bei Frauen so ist – und nicht zuletzt Materialschwierigkeiten. Irgendwann wird es vielleicht doch geschafft werden und wenn Sie die Entwürfe interessieren, schicke ich sie Ihnen gern, wenn sie nach Deutschland kommen. Ich möchte es gern, nicht weil ich irgendetwas von Ihnen will, aber Sie sehen doch vielleicht etwas wie man hier in Deutschland auch denkt, es wird das Bild irgendwie runden. Ich will aber in keiner Weise Sie bedrängen oder mich irgendwie an Sie herandrängen und werde Ihnen auch persönlich nicht in Deutschland begegnen; denn ich bin nicht wichtig und ich lebe völlig abseits in einem engen dörflichen Kreis vom frühen Morgen bis in die späte Nacht gedrängt erfüllt von Arbeit al[l]er Art. Aber ich habe trotzdem Bitten an Sie: Das Einzige diese Abseitigkeit zu erfüllen, sind momentan Bücher und Radio. Im Radio

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hörte ich Kinderkreuzzug und gestern winzige Syenenausschnitte von Mutter Kurasch und Galilei (dabei erhaschte ich die kurze Erwähnung, dass Sie in der Schweiz gelandet seien). Bücher von Ihnen, Bücher überhaupt, sind in Dtld. kaum zu erlangen. Nach vielen Bitten in unserer Zone Dietz-Verlag, also Andersen-Nexö. Suhrkamp überging meine dringliche Anfrage und meine Buchhandlung schreibt mir, dass von den vielen Neuerscheinungen der Westzone hier nichts zu beschaffen sei. Hier also bitte ich um Ihre Vermittlung. Ermöglichen Sie es irgendwie, dass mir, wenn Sie in Deutschland gelandet sind, Bücher ältere und Neuerscheinungen per Nachnahme zugeschickt werden (ev. auch Vorauszahlung (ev. über Buchhandlung Franz-Mehring-Haus, Leipzig C 1, Goethestr. 3-5). Bellitristik, Psychologie, Kunst, Pädagogik. (Sozialpädagogik) Und die 2te Bitte. Da Sie in der Schweiz sind, ist Ihnen wahrscheinlich Dr. Elisabeth Rotten125 bekannt, vielleicht arbeiten Sie auch mit ihr – der grossen Menschin – zusammen. Wenn ja und wenn es überhaupt irgendwie möglich ist, bitte ich Sie herzlich, ihr Grüsse zu übermitteln und gute Wünsche von mir, meinem Mann und den Kindern. Wir erfuhren erst vor nicht allzu langer Zeit, dass sie längst tot geglaubt und seit 1933 ganz verloren – noch gesund lebt. Sagen sie ihr, dass wir ihrer wie ehedem, und in Treue gedenken. Da wir ihre Adresse nicht kennen, versuchte ich schon einmal sie durch Radio Beromünster zu erreichen. Ob es gelungen ist? Und ob überhaupt dies Schreiben Sie beide oder einen von Ihnen findet und erreicht? Ich bin Ihnen in Dankbarkeit verbunden, wenn Sie mir helfen können und bin überhaupt dankbar, dass es solche Menschen gibt, die das, was gesagt werden muss, so sagen wie Sie. In diesem Sinne Grüsse! Frau Hanni v Bahder (Bahder) Sornzig üb. Oschatz 10 b Bezirk Leipzig. Sowjet. Zone. Überlieferung: Ms, BBA 3050.

125 Elisabeth Rotten (1882–1964), Reformpädagogin, emigrierte 1934 in die Schweiz.

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Hans von Uslar an Bertolt Brecht München, 13.2.1948 München, den 13. Februar 1948 Telefon 43 0 26 Herrn Bert B r e c h t C h u r / Schweiz Hotel Stern Sehr verehrter Herr Brecht! Ihre Tochter teilte mir Ihre Bereitschaft mit, Ihr Stück „Furcht und Elend des dritten Reiches“ für das Münchener Junge Theater freizugeben.126 Ich danke Ihnen für diese Bereitschaft. Aber ich bitte Sie zu erwägen, ob Sie uns nicht eines der beiden indirekt dichterischen Stücke „Der kaukasische Kreidekreis“ oder „Mutter Courage“ zur Aufführung überlassen können. Ich wünschte mir ein Stück nicht nur aktuell in der Beleuchtung einer vergangenen Epoche, sondern eines von einer in eine neue Epoche weisenden Aktualität. Auch auf die Gefahr hin, Ihre Geduld zu erproben, erlauben Sie mir eine Zeile des Ihnen sicherlich zum Überdruss bekannten deutschen Klageliedes: Es gibt keine deutschen Dichter und d e r deutsche Dichter ist nicht oder kaum aufführbar – und unser Name ist Junges Theater. Sollten Sie sich mit einer grundsätzlichen Zustimmung befassen wollen, wäre selbstverständlich eine Vereinbarung über Besetzung, Regie etc. die Voraussetzung einer Entscheidung. Übrigens ist meine Bekanntschaft mit Ihnen eine meiner guten Lebenserinnerungen. Vielleicht entsinnen Sie sich Ihrer kurzen Tätigkeit an der ehemaligen Schauspielschule Falckenbergs127, die wir damals Heinrich Fischer verdankten, Ihrer Arbeit mit Heli Finkenzeller128 u.a. an Ihre Drei-Groschen-Oper-Chansons und eines Besuches einiger Schauspieler bei Ihnen in Utting – wenn Sie sich auch ganz sicher meiner Person und meines Namens nicht erinnern.

126 Vgl. B. an Hanne Hiob, Juli/Aug. 1948, GBA 29, S. 457. 127 Der Regisseur, Theaterdirektor und Schauspiellehrer Otto Falckenberg (1873–1947), vormals Leiter der Münchner Kammerspiele, war zu Beginn der 1920er Jahre auch ein wichtiger Förderer Brechts. Nach kurzzeitiger Verhaftung 1933 biederte er sich bei den Nazis an und wurde darum 1945 mit einem Inszenierungsverbot belegt, das man jedoch zwei Jahre später bereits wieder aufhob. Die 1946 gegründete Städtische Schauspielschule München wurde 1948 in Otto-Falckenberg-Schule umbenannt. 128 Helene (Heli) Finkenzeller (1914–1991), Schauspielerin, Schülerin Otto Falckenbergs.

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An Ihre Tochter schreibe ich mit gleicher Post. Ich wünschte mir sehr, dass ihre Dispositionen es erlauben, in Julius Hay’s „Haben“129 die Zsofi zu spielen. Es grüsst Sie Ihr sehr ergebener Hans von Uslar Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Das junge Theater G.m.b.H. Künstlerische Leitung: Hans von Uslar, Military Government Information Control License Nr. 1450; BBA 1764/9–10.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 13.2.1948 Herbert Ihering Berlin-Zehlendorf 13.2.48 Am Fischtal 61 Lieber Brecht! Am 10. Februar war also wirklich mit Ernst Busch, Kate Kühl, Gerda Müller, Paul Bildt, Werner Hinz und mir der Brecht-Abend des Deutschen Theaters.130 Der Erfolg war ungewöhnlich. Ernst Busch war herrlich. Er und Kate Kühl hätten nach dem Beifall jeden alten Song und jede neue Ballade wiederholen können. Ich weiss, Sie haben früher einmal ironisch gesagt, dass es bei mir immer ein „happy end“ geben müsste und das für meine idealistischen Restbestände gehalten. Diesmal aber war es kein happy end sondern ein glücklicher Anfang. Die Aufführung von „Furcht und Elend“ und dieser Abend platzten gerade in den Sartre-Rummel hinein, wie ich Ihnen schon einmal schrieb131 – ich nehme an, dass Sie den Brief inzwischen erhalten haben – und es geht im Grunde aus den Pressebesprechungen von rechts bis links hervor, dass diese beiden Brecht-Abende das entscheidende Gegengewicht waren. Es war einer der aufrüttelndsten Bühnenereignisse seit 1945. Der Beifall galt den gesprochenen Werken ebenso wie den gesungenen. Studenten äusserten, dass ihnen einen besonderen Eindruck zwei kurze Dialoge aus „Galileo Galilei“ gemacht hätten. Der Andrang an der Kasse war so gross, dass wir am 19. Februar den Abend wiederholen müssen, (dessen Programm ich Ihnen beilege). Es gab keinen falschen Applaus und keinen falschen Lacher. Alles sass am richtigen Platz. So gut es war, dass wir mit der Aufführung von „Mutter Courage“ und „Galileo Galilei“ damals gewartet haben, so richtig und notwendig wäre es, beide Werke jetzt bald heraus129 Vgl. Anm. zu Langhoff, 10.12.1946. 130 Dem Brief lag ein Ausschnitt aus Berlin am Mittag vom 11.2.1948 bei. 131 Vgl. Ihering, 4.2.1948.

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zubringen. Wir hoffen immer noch, dass Helene Weigel und Sie bald nach Berlin kommen werden, dass wir mit „Mutter Courage“ bald beginnen können. Uns wurde gesagt, dass einer Einreise nach Deutschland, wenn Sie den Antrag stellten, nichts in den Weg gelegt werden würde. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir uns bald einmal sprechen könnten. Ich habe den Eindruck, dass Sie jetzt einen aktiveren Bühnenvertrieb brauchten, und könnte mir denken, dass der Bühnenvertrieb des Aufbau-Verlages (der ja für „Furcht und Elend“ mit dem Aurora-Verlag New York eine Bindung eingegangen ist und die Buchausgabe in diesen Tagen erscheinen lässt)132 das richtige wäre. Friedrich Eisenlohr133 kennen Sie ja von München her. Ich war auf jeden Fall sehr glücklich über den durchgehenden Erfolg, den Sie auch bei der Jugend gehabt haben und über den guten Besuch der „Furcht- und Elend“- Aufführungen. Wir brauchen für die ganze kulturpolitische Situation nichts dringender als Ihre Werke und ich glaube, Sie werden mir zugeben, dass ich kulturpolitische Situationen einigermassen richtig beurteilen kann. Mit den herzlichen Grüssen für Sie und Helli Weigel in der Hoffnung, dass wir uns bald sehen und sprechen können, Ihr alter Herbert Ihering Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3105.

Slatan Dudow an Bertolt Brecht Berlin, 14.2.1948 Lieber Brecht – diesmal habe ich einen triftigen Grund, dass ich von mir nichts hören liess. Statt an Sie zu schreiben, schrieb ich über Sie, zwei prinzipielle Artikel. Der eine, „Brecht und das moderne Theater“, und der andere zum 50. Geburtstag, „Der denkende Dichter“.134 Beide Artikel lasse ich Ihnen mit gleicher Post zuschicken. Im Deutschen Theater wurde an Sie in feierlicher Form gedacht,135 Herbert Ihering hielt eine sehr gute Ansprache, Kate Kühl und Ernst Busch sangen, der letztere war ausgezeichnet und der Beste des Abends. Zur Überraschung mancher Freunde wurden Sie hier

132 Im Berliner Aufbau-Verlag erschien 1948 eine 24 Szenen umfassende Ausgabe des Stücks. 133 Friedrich Eisenlohr (1889–1954), Schriftsteller, arbeitete für den Bühnenvertrieb des Aufbau-Verlags. 134 Der erste der beiden genannten Texte Slatan Dudows konnte nicht ermittelt werden. Der zweite, „Der denkende Dichter. Zum 50. Geburtstag Bertolt Brechts“, ist überliefert in BBA 284/20. Er erschien am 10.2.1948 in der Täglichen Rundschau. 135 Vgl. Ihering, 13.2.1948.

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von allen Seiten und in allen Sektoren, in den vier Erdteilen Berlins gefeiert, und selbst der heimliche Feind sparte nicht mit Lob. Von der Aufführung „Furcht und Elend des Dritten Reiches“136 werden Sie sicherlich schon Berichte erhalten haben. Die Aufführung fand eine allgemeine Anerkennung, mir gefiel sie weniger, aber darüber später. Es waren ja auch mehr die Szenen selbst, die wirkten, als die Art, wie es dargestellt wurde. Über die Lebensverhältnisse in Berlin wollte Ihnen Kortner ausführlich berichten, ich fürchte aber, dass er die Dinge ein wenig zu düster sieht, eben durch die Linse des Dollars. Ganz so schlimm ist es nicht. Es ist eine besondere Welt mit besonderen Gesetzen, sich über Wasser zu halten. Auch über die Wohnungsfrage dürfen Sie sich nicht unnötige Sorgen machen. Sowie Sie kommen, wird auch das rasch geregelt werden. Wir erwarten Sie – die Freunde mit Freude, die Feinde mit Furcht – für März. Von mir lässt sich berichten, dass eine zweite Komödie in den nächsten Wochen erscheint. „Das Narrenparadies“137 kam in 20000 Exemplaren heraus und war innerhalb einiger Wochen vergriffen. Zur Zeit arbeite ich an dem Drehbuch für meinen Film, auch eine Komödie mit dem Titel „Der Weltuntergang“138. Wie in „Kuhle Wampe“ das Lied über die Liebe [hs: das Solidaritätslied], beherrscht diesen Film das „Lied der Welt“, in dem der Sinn der Wandlung dieser Welt deutlich wird. Sie werden sich sicherlich denken können, dass ich bei Abfassung des Drehbuches oft an Sie gedacht habe, und ich wünschte mir, Sie kommen ehe ich ins Atelier gehe nach Berlin; ich würde Sie dann bitten, mir den Text zu dem Lied zu schreiben. Wie Sie sehen, habe ich in Gedanken die Freude über Ihr Herkommen schon überflügelt, und ich denke bereits an eine praktische Zusammenarbeit. Ihren handgreiflichen Gruss aus der Schweiz (1 Kilo Kaffee) habe ich erhalten, eine seltene Gabe, hierzulande rar und für die Arbeit bei der mageren Kost von besonderem Wert. Darum ein besonderer Dank dafür. Ich würde mich zwar über ein paar Zeilen von Ihnen sehr freuen, aber mehr noch auf ein Wiedersehen. In Erwartung Ihrer baldigen Ankunft grüsse ich Sie herzlichst Ihr Dudow 14.2.48 Berlin-Wilmersdorf Bonner Str. 11 Überlieferung: Ts, hs. Korr., hs. U.; BBA 3086. 136 Vgl. Anm. zu Ihering, 4.2.1948. 137 Die Komödie Das Narranparadies hatte Dudow unter dem Pseudonym Stefan Brodwin 1947 im Henschel-Verlag Berlin veröffentlicht. 138 Ebenso wie Das Narranparadies hatte Dudow diese Komödie bereits in der Schweiz geschrieben, wohin er nach seiner Ausweisung aus Frankreich 1940 geflüchtet war. Eine Verfilmung kam nicht zustande.

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Alexander Trautmann an Bertolt Brecht Datterode (Hessen), 15.2.1948 Herrn Bert Brecht. Schriftsteller Zürich Schweiz Datterode, den 15.2.1948 Sehr geehrter Herr Schriftsteller! Zunächst zu Ihrem 50. Geburtstage die besten Glückwünsche! Wir benötigen zur Errichtung einer „Bücherei für Heimatvertriebene“, Lesestoff. Wäre es Ihnen möglich, zu diesem Zwecke 1-2 Bücher zu spenden? Für Ihre Güte im Voraus bestens dankend, zeichnet hochachtungsvoll A. Trautmann Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 3199.

Heinz Trefzger 139 an Bertolt Brecht Zürich, 17.2.1948 Dr. Heinz Trefzger z.Zt. Zürich 7 Freiestr. 72 b/Dr. von Tscharner140 Tel. 32 42 90

Zürich, den 17.2.48.

Sehr verehrter Herr Brecht, Anlässlich der Erstaufführung der „Antigone“ in Chur141 wurden wir durch Herrn Dr. Kuriel142 bekanntgemacht, der mir liebenswürdigerweise Ihre Anschrift in Feldmeilen mitteilte. Leider habe ich am Abend der Premiere keine Gelegenheit mehr gehabt, mit Ihnen über vieles zu sprechen, von dem ich annehme, dass es auch Sie besonders interessieren würde. So habe ich mit Dr. Kuriel lediglich vereinbart, an Benno Frank (amerik. Kulturof139 Heinz Trefzger, Musikwissenschaftler. 140 Eduard Horst von Tscharner (1901–1962), Sinologe, Professor an der Universität Zürich. 141 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. 142 Das ist Hans Curjel, Leiter des Stadttheaters Chur.

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fizier in Berlin) zu telegraphieren, ob er nicht Zeit und Lust hätte, die „Antigone“ am nächsten Freitag in Chur anzusehen, da er vor allem für die Frage eines von Herrn Dr. Kuriel in Aussicht genommenen Gastspiels in der amerikan. Zone Deutschlands zuständig wäre. Ich selbst bin Musikwissenschaftler und befinde mich anlässlich einer Vortragsreise über chinesisches Theater und Musik seit 3 Monaten in der Schweiz und stehe kurz vor meiner Rückkehr nach Berlin. Wahrscheinlich werde ich schon Mittwoch oder Donnerstag abreisen müssen, um meine Kollegs in Berlin wieder aufzunehmen. Ausserdem habe ich heute abend noch eine weitere Unterredung mit G. von Einem143, die vor allem die Gestaltung der Salzburger Festspiele zum Inhalt haben wird und schliesslich habe ich das Bedürfnis mich mit Ihnen besonders über die „Antigone“ zu unterhalten, die mir als Deutschem, der die bekannten „12 Jahre“ unter nicht gerade angenehmen Umständen in Deutschland selbst zugebracht hat, einen tiefen und nachhaltigen Eindruck gemacht hat, und nicht nur das Stück selbst, sondern vor allem auch sein Darstellungs-Stil, der mir von anderen Bezirken her geläufig ist. Ich selbst habe mit meinem Freund Dr. von Tscharner zusammen eine klassische chinesische Oper aus dem Chinesischen übersetzt, die Musik übertragen und sie unter der Regie einer bekannten chinesischen Schauspielerin verschiedentlich aufgeführt. Darf ich Sie bitten, mich heute abend unter der oben gegebenen Nummer einmal anzurufen, damit wir uns vielleicht heute abend oder morgen im Lauf des Vormittags in Feldmeilen oder Zürich verabreden können? Verzeihen Sie bitte die Kürze und Plötzlichkeit des vorgeschlagenen Termins, aber ich fürchte meine Abreise lässt sich nicht länger hinauszögern. [Hs.] Mit besten Grüssen Ihr erg. Heinz Trefzger. P.S. Falls Ihnen eine telefon. Benachrichtigung nicht möglich sein sollte, würde ich, Ihr Einverständnis voraussetzend morgen Mittwoch vorm. etwa um 11 Uhr Sie kurz in Feldmeilen aufsuchen. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3197.

143 Gottfried von Einem (1918–1996), österreichischer Komponist, vormals Korrepetitor an der Berliner Oper und inzwischen Leiter der Salzburger Festspiele. Durch Vermittlung Caspar Nehers trat Brecht mit ihm in Verhandlungen (vgl. B. an von Einem, 23.5.1948, GBA 29, S. 451), für die Festspiele entwarf er das Fragment gebliebene Stück Der Salzburger Totentanz (GBA 10, S. 958–970).

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Slatan Dudow an Bertolt Brecht Prag, 18.2.1948 = bertol brech [sic] gartenstrasse 38 zuerich =herzliche glueckwuensche zum fuenfzigsten geburtstag stop auf baldiges wiedersehen herzliche gruesse = zlatan dudov + Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 3233.

W. Pilnik an Bertolt Brecht Zürich, 24.2.1948 Zürich, den 24.2.48 Sehr verehrter Herr Brecht! Als Graphiker habe ich eine kleine Studienreise nach Prag gemacht und dort beim Theater Freunde gefunden. Ich habe nun von unseren Brecht-Aufführungen am Schauspielhaus Zürich geschwärmt und zu meinem grossen Erstaunen erfahren, dass „der gute Mensch“ und „Mutter Courage“ in Prag unbekannt sind – trotz des ungeheuren, vielfältigen und fortschrittlichen Theaterleben in Prag. Bitte schreiben Sie doch bald an Herrn Vaňatko-Burian Divadlo mládych pionýrů Praha -----der in der Uraufführung der Dreigroschenoper144 mitgespielt hat und mit seinem Schwiegervater (BURIAN145) in einem seiner Theater neue Brechtstücke spielen möchte. Wenn Sie nicht direkt schreiben wollen, kann ich die Briefe mitnehmen, da ich in kurzer Zeit wieder nach Prag fahre. Freundlichen Gruss W. Pilnik W. Pilnik, Graphiker, Küngenmatt 11, Zürich 55 Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1763/38. 144 Vgl. Herzfelde, 9.12.1934. 145 Emil František Burian.

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Meyer (Schweizerische Rundspruchgesellschaft) an Bertolt Brecht Basel, 24.2.1948 Herrn Bert B r e c h t , Stadttheater, Chur. 24. Februar 1948. Sehr geehrter Herr Brecht, wir würden uns freuen, wenn es uns möglich wäre, anlässlich Ihres Schweizeraufenthaltes einige Ihrer Gedichte, von Ihnen gesprochen, auf Schallplatten aufnehmen zu können, zur Verwendung in einer unserer regelmässigen literarischen Sendungen. Dürfen wir Sie bitten, uns wissen zu lassen, ob Sie dazu bereit sind; alles Weitere könnten wir dann später noch vereinbaren. Mit vorzüglicher Hochachtung (und in der Hoffnung, Sie bald im Studio be- grüssen zu können) Studio Basel Abt. Vortragsdienst Meyer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: SRG Schweizerische Rundspruchgesellschaft Société Suisse de Radiodiffusion - Società Svizzera di Radiodiffusione Studio Basel Telephon 35840 Postscheck-Konto: V 628 Unser Zeichen v/39/38 Basel, Novarastrasse 2; BBA 3186.

Lou Eisler an Bertolt Brecht New York, 25.2.[1948] New York 25.II Lieber Brecht – Die Dinge haben sich so rasch entwickelt, daß Hanns sehr plötzlich und sehr rasch das Land hier verlaßen muß146 – so rasch, daß kein franz. Visum mehr abzuwarten war. Wir haben aber Pässe und ital. Visen + so fahren fliegen wir übermorgen nach Rom sind am 29. dort. In Rom kennen wir leider niemanden und unsere finanzielle Situation ist eine elende, so daß wir nur ganz kurz dort durchhalten können. – 146 Hanns Eisler war, ebenso wie Brecht (vgl. Anm. zu Lotar, 30.10.1947), vor dem HUAC verhört worden. Im Februar 1948 wurde er aus den USA ausgewiesen. In Europa ließ er sich zunächst in Wien nieder, ehe er 1949 nach Berlin (Ost) übersiedelte.

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Kann Hanns Konzert oder Theatermusik in der Schweiz bekommen und auch kurzfristiges Visa. Haben Sie Adressen in Rom – jede Hilfe ist dringend nötig – bitte telegrafieren oder schreiben Sie gleich an Hanns Eisler c/o. American Express Rom – Alles Liebe Ihre Lou Eisler Überlieferung: Ms, Bv.: Commitee for Justice for Hanns Eisler National Chairman Aaron Copland Co-Chairman Leonhard Bernstein Roger Sessions East Coast Committee Mrs. Kurt Alfred Adler Stella Adler Betty Bean Harold Clurman Mrs. Paul Draper Martha Foley Mrs. Robbe Garfield Mrs. Yip Harburg Mrs. Barry Hyams Eleanor Lynn Mrs. Emmie Rado Mrs. Irwin Shaw Mrs. Ingeborg Stephens West Coast Committee Mrs. June Brown Mrs. William Dieterle Mrs. Paul Henreid Mrs. Hilda Lantz Mrs. Clifford Odets Mrs. Mary Rolfe Salka Viertel; BBA 3090.

Erwin Faber 147 an Bertolt Brecht Salzburg, 25.2.1948 Salzburg/Aigen 25.2.1948 Gänsbrunnstraße 10 Lieber Bert Brecht! Ich höre, daß Sie in Chur Ihre Antigonefassung148 inszenierten und freue mich, daß Sie wieder in greifbarer Nähe sind. Gäbe es nicht eine Möglichkeit, daß wir zwei wieder künstlerisch zusammenkommen könnten?! Seit Ihrer Eduard-Inszenierung habe ich nicht wieder einen auch nur annähernd so interessanten und begabten Regisseur, wie Sie, getroffen. – Könnte ich nicht einmal wieder in einem Ihrer Stücke mit dabei sein? Eventuell schweben mir noch 2 Rollen, 2 Stücke vor, die ich nur unter Ihrer Regie mir nach meinem Sinn vorstellen könnte: erstens eine Neugestaltung des König L e a r 149, – dieses dämonisch so sehr in sich selbst verstrickten – und zweitens den Paracelsus. Ich habe hier ein Stück von dem Salzburger Georg Rendl150, es ist begabt. Ist noch nicht aufgeführt, könnte in der Schweiz uraufgeführt werden. Ich kann mir denken, daß Sie ein Paracelsus-

147 Erwin Faber (1891–1989), österreichischer Schauspieler, hatte Brecht 1922 an den Münchner Kammerspielen kennengelernt. Er spielte den Kragler in Trommeln in der Nacht und die Titelrolle in Leben Eduards des Zweiten von England. Ab 1945 war er Regisseur bei den Salzburger Festspielen. 148 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. 149 King Lear (1608), Tragödie von William Shakespeare. 150 Georg Rendl (1903–1972), österreichischer Schriftsteller. Sein Drama Paracelsus wurde 1948 am Landestheater Salzburg aufgeführt.

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thema151 interessieren könnte. Hier in Salzburg, in dieser provinziellen Enge, möchte ich das Stück nicht verhundst [sic] sehn, wäre glücklich, wenn Sie es in die Hand nehmen wollten. Lassen Sie mich bitte wissen, ob es Sie interessiert, ich schicke es Ihnen dann ein. Lieber Brecht, es wäre Zeit, daß wir wieder einmal zusammen kämen! Grüßen Sie bitte Helene Weigel herzlich von uns und was macht Ihr Sohn? Monica, meine Tochter, ist nun schon 21, schön und begabt. Grete ist Abteilungsleiterin am Sender ROTWEISSROT152 und Professor für Sprecherziehung am Mozarteum. Nun leben Sie wohl, hoffentlich höre ich bald von Ihnen. In alter Zuneigung Ihr Faber Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3092.

Frithjof Ruede153 an Bertolt Brecht Halle (Saale), 25.2.1948 Frithjof Ruede bei Schröder

(19a) Halle-Saale, 25.2.48 Steinweg 15a

Lieber Herr Brecht. Als ich 46 aus der Gefangenschaft kam, konnte mir Herbert Ihering nur mitteilen, daß Sie in Californien wohnen und öfters in New-York sind. Ebenfalls konnte ich durch das amerik. Rote Kreuz nicht Ihre genaue Adresse erfahren. Durch meine 3 Monate in Zürich weilende Frau erfuhr ich zufällig von Ihrer Anwesenheit in Z. Sie werden sich meiner noch erinnern: 1927 schrieb ich an Sie, weil ich die Absicht hatte, in Leipzig ein Kollektiv (mit Speckmans etc) mit ihrem „Baal“ zu starten. Sie wollten mich 31/32 sowohl in „Kuhle Wampe“ wie als „Sohn“ in „Mutter“ einsetzen (damals spielte ich aber gleichzeitig die Titelrolle in „Der Graue“154). Durch mein späteres Einspringen in „Mutter“155 und durch meine Tätigkeit bei der „Jungen Volksbühne“ lernte ich auch Ihre Frau kennen. –

151 Paracelsus, d.i. Theophrastus Bombast von Hohenheim (1493–1541), Arzt, Alchimist und Mystiker. 152 Ein von den amerikanischen Truppen 1945 gegründeter Sender in Österreich. 153 Frithjof Ruede (1905–1970), Schauspieler und Regisseur, arbeitete nach dem Krieg an Theatern in Halle, Meiningen und Leipzig. 154 Der Graue (1931), Drama von Friedrich Forster. 155 Gemeint ist vermutlich die Uraufführung unter der Regie von Emil Burri am 17.1.1932 im Berliner Komödienhaus am Schiffbauerdamm. Welche Rolle Frithjof Ruede dabei gespielt hat, konnte nicht ermittelt werden.

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Am 7.4.33 wurde ich als Kom.156 verhaftet (Horst Wesselhaus157, Alex158, Spandau159 mit KZ-Bestimmung Sonnenburg). Sporadisch spielte ich dann an fast allen Bühnen Berlins unter dem Namen „Ferdinand Terpe“, bei Hilpert den „St. Just“160, „Bertrand“161 (Jungfrau) etc. Mancherlei Vernehmungen folgten noch, Spielleiter und Bühnenvorstand zu werden, war mir als Nichtnazi nur wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ verwehrt. Im Kriege gab ich eine Episodenrolle bei der Kraftfahrstaffel der berl. Polizei-Reserve. Am 10.11.44 wurde ausgerechnet ich zur Waffen-SS eingezogen, – um in Ellwangen/Jagst162 „Minna v. Barnhelm“163, „Etappenhase“164 u.s.w. zu spielen! Über mein politisches Verhalten während der Nazizeit geben am besten Ihering u. Hilpert Auskunft. Diese Einleitung war nötig, weil sich heute viele Deutsche „Hase“ nennen und von nichts wissen wollen. 48/49 bleibe ich entweder als 1. Spielleiter in Halle (nur die vielen [„]Naziredivivi“ stören mich, u.a. der mehr als stark belastete Dr. Günther Starck165) oder gehe in gleicher Eigenschaft nach Gera. Ich bitte Sie vielmals um die Erlaubnis, 2 oder 3 im Folgenden erwähnten Stücke von Ihnen inszenieren zu dürfen: „Galilei“, „Mutter Kurasch“, „Heilige Johanna d. Schlachthöfe“, aus der „Szenenfolge v. III. Reich“166, „Mutter“. Ich glaube, dass ich Sie genügend kenne, um irritierende, zufällige Naturalismen zu vermeiden und einwandfrei „Brecht“ zu spielen. Dankbar wäre ich Ihnen zur Angabe der für die einzelnen Werke jeweils zuständigen Verleger. Mit bestem Gruß Ihnen und Helene Weigel Ihr Frithjof Ruede. Überlieferung: Ms, BBA 3183.

156 Kommunist. 157 Das Karl-Liebknecht-Haus am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. 158 Am Alexanderplatz befand sich bis 1945 das Polizeipräsidium. 159 Vermutlich die Spandauer Zitadelle, die damals noch als Gefängnis genutzt wurde. 160 Figur aus Georg Büchners Drama Dantons Tod (1835). 161 Figur aus Friedrich Schillers Tragödie Die Jungfrau von Orleans (1801). 162 Kleinstadt im Osten Baden-Württembergs. 163 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück (1767), Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 164 Der Etappenhase (De Etappanhas, 1935), plattdeutsche Komödie von Karl Bunje. 165 Vermutlich Günther Stark (1889–1970), Schauspieler, Dramaturg und Regisseur. Zusammen mit Günther Weisenborn hatte er 1930 auf der Grundlage von Maxim Gorkis Roman die dramatische Vorlage für Brechts Stück Die Mutter erstellt. Im Nationalsozialismus war er u.a. Intendant des Stadttheaters Wuppertal. 166 Furcht und Elend des III. Reiches.

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Irene Kletzhändler an Bertolt Brecht Zürich, 26.2.1948 Irene Kletzhändler Idaplatz 10 Zürich 3

Zürich, 26. Febr. 1948

Sehr geehrter Genosse Brecht! In der Zeitung las ich mit viel Freude, dass Sie nun in der Schweiz sind und bereits am Churer Stadttheater ein neues Stück uraufgeführt haben. Zu diesem Erfolg, und auch zu Ihrem 50. Geburtstag möchte ich Ihnen herzlich gratulieren. – Nun hätte ich noch eine grosse Bitte an Sie. – Seit Jahren suche ich, „Ihre“ Wiegenlieder aufzutreiben, es gelingt mir jedoch nicht, sie sind in der ganzen Schweiz nicht zu bekommen. Mein Bräutigam hat es auch in Wien versucht, auch ohne Erfolg. – Ich möchte Sie nun anfragen, ob Sie vielleicht Duplikate (Text mit Noten) in Ihrem Besitz haben, wovon Sie eines ev. entbehren könnten, ich werde es Ihnen selbstverständlich gerne vergüten. – Sie würden einer lungenkranken Patientin, die trotz allem gerne singt (besonders von Ihnen komponierte Lieder, wie auch solche von Hanns Eisler), eine grosse Freude bereiten. Ich freue mich auf Ihre Antwort, und grüsse Sie einstweilen Ihre Irene Kletzhändler. Überlieferung: Ms, BBA 3108.

Merades Brandt an Bertolt Brecht Zürich, 26.2.1948 Zürich 26.2.48 Lieber Herr Brecht Da Sie sich, leider, nicht gemeldet haben, und ich die Bitte von Dr. Müllereisert erfüllen möchte, bleibt mir nicht[s] anderes übrig als Ihnen sein[en] Fragebogen167 zu senden. Bitte seien Sie so lieb und schicken ihn ausgefüllt zurück. Viele gute Wünsche für Gegenwart und Zukunft und sehr herzlichen Grüsse von Ihre Merades Brandt Überlieferung: Ms, BBA 3064. 167 Vgl. Müllereisert, 6.2.1948.

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M. Huisman an Bertolt Brecht Brüssel, 27.2.1948 M.H./Ph.

Bruxelles, le 27 février 1948

Monsieur Brecht, c/o Schauspielhaus Zürich (Suisse) Cher Monsieur, Une série de contretemps survenus à la dernière minute, lorsque déjà nous avions lancé notre publicité et engagé nos acteurs pour jouer «Mutter Courage», a causé au Théâtre National un très grand préjudice, dont j’ai déjà parle à votre représentant à Bâle.168 Nous avons vu Monsieur Maritz, j’ai vu Monsieur Prévers169 et j’ai retourné le problème dans tous les sens. Je crois qu’il serait désolant que nous n’arrivions pas à une solution. Voici celle que je vous propose: Pouvez-vous rencontrer Mme Bourdouxhe à Zurich très très prochainement? Avec elle et Monsieur Maritz vous pourriez fixer le travail à faire pour améliorer l’adaptation comme vous le désirez, de telle sorte que le Théâtre National puisse définitivement présenter la pièce dans le mois de décembre 1948. Pour ce qui concerne les chansons, Mme Eliat qui très aimablement m’a proposé de vous voir à Zurich, et qui vous remets cette lettre, a pensé à une solution qui me parait excellente: ce serait de confier les chansons au traducteur qui a si admirablement rendu celle de «L’Opéra des Quat’Sous»170 Je voudrais beaucoup qu’ainsi puisse prendre fin cette situation très ennuyeuse pour tout le monde et je vous prie de croire à l’expression de mes sentiments les meilleurs, M. HUISMAN. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Théatre National de Belgique Section Française Secrétariat: 24, Rue Saint-Bernard, Bruxelles – C.C.P.: 3380.96 – Téléphone: 37.30.05 ; BBA 1763/3.

168 Vermutlich Kurt Reiss in Basel. 169 Vgl. Anm. zu Huisman, 8.1.1948. 170 Richtig: L’Opéra de quat’sous. Gemeint ist vermutlich der Übersetzer André Mauprey.

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Hans Meyer 171 an Bertolt Brecht Bern, 27.2.1948 Dr. M/HB

27.2.1948

Herrn Bert Brecht c/o Schauspielhaus Zürich Sehr geehrter Herr Brecht, Durch Herrn Dr. Curjel, mit dem ich seit langem [durch] gleichartige künstlerische Interessen und Gesinnung verbunden bin, höre ich, dass Sie wahrscheinlich unter der Adresse des Schauspielhauses Zürich zu erreichen sind. Es handelt sich für mich darum von Ihnen zu erfahren, ob Sie in der Lage wären, das Verlagsrecht für den Drei-Groschen-Roman neu zu vergeben und ob ich mich für meinen Verlag darum bewerben könnte. Meine verlegerischen Ueberlegungen gehen bei der Wahl dieses Romans mit vieljähriger, persönlicher Vorliebe und Bewunderung Hand in Hand. Mein Verlag hat sich mehr und mehr auf moderne Literatur und Kunst spezialisiert. So hat er beispielsweise vor kurzem sämtliche Verlagsrechte am Nachlass Paul Klee172 erworben. Das Buch „Klee, Ueber die moderne Kunst“173 ist für verschiedene Länder in Lizenz vergeben worden. Erwähnen darf ich vielleicht noch die „Anthologie des Abseitigen“174 mit Beiträgen von Picasso, Kandinsky, Schwitters, van Doesburg, Rousseau, Scheerbart, Ball175 usw., die Schrift über „Apollinaire“176 und Gedichte von Hans Arp.177 Sofern Sie zu einer Unterredung bereit sind, würde ich Sie jederzeit in Zürich aufsuchen. Besonders würde mir der kommende Mittwoch willkommen sein, da ich beabsichtige an diesem Tag über Zürich nach Chur zu fahren, um abends die „Antigone“-Aufführung178 zu besuchen. 171 Hans Meyer-Benteli, Schweizer Verleger. Den Verlag Benteli hatte sein Schwiegervater Alfred Benteli 1899 gegründet. 172 Paul Klee (1879–1940), Maler und Graphiker, emigrierte 1933 in die Schweiz. 173 Klees Vortrag Über die moderne Kunst (1924) erschien 1945 im Verlag Benteli in Bern. 174 Herausgegeben von Carola Giedion-Welcker, 1946. 175 Pablo Picasso (1881–1973), spanischer Maler und Bildhauer; Wassily Kandinsky (Vasilij Vasil’evič Kandinskij, 1866–1944), russischer Maler und Kunsttheoretiker; Kurt Schwitters (1887–1948), Maler und Graphiker; Theo van Doesburg (1883–1931), niederländischer Maler und Kunsttheoretiker; Henri Rousseau (1844–1910), französischer Maler; Paul Scheerbart (1863–1915), Schriftsteller und Graphiker; Hugo Ball (1886–1927), Schriftsteller. 176 Guillaume Apollinaire (1880–1918), französischer Lyriker. Das Buch Die neue Realität bei Guillaume Apollinaire von Carola Giedion-Welcker u.a. erschien 1945. 177 Hans Arp (1886–1966), deutsch-französischer Maler und Schriftsteller. Der Gedichtband 1924 1925 1926 1943 erschien 1944. 178 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948.

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Es würde mich freuen, wenn ich von Ihnen hören dürfte. Mit aller Hochschätzung (Dr. H. Meyer) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Benteli Bern-Bümpliz • Telephon (031) 76191 • Postscheckkonto 111 321; BBA 1763/37.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht Los Angeles, 27.2.1948

10421 Crater Lane Los Angeles 24, Cal. 27. Februar 1948

Lieber Brecht – seit Dezember hörten wir nichts; nur indirekt von Hanna Budz179, die einen Brief von Ruth hatte. So zirkulieren immer noch dieselben Nachrichten – K.K.K.180 – Antigone – aber die Dezemberphase davon. Dabei würden wir uns wirklich über Nachrichten freuen, besonders da wir auch vor dem Aufbruch stehen. Ich meine wirklich ‚wir’. Ich habe Dessau geheiratet + zwar ganz plötzlich, aber auch nicht unüberlegt. Damit bin ich in ein kleines Gemach an der obigen Adresse übersiedelt. Wir hatten angefangen, ein ganz separates Zimmer für mich zu bauen; es steht auch bereits da mit Wänden, Fussboden + Dach, aber ohne Fenster, Tür und Verputz. Jetzt stellen wir wohl den Bau ein und die Leute, die sich das Kaufen der Hütte überlegen, sollen es fertig bauen. Das was vom Verkauf übrig bleibt, soll zur Reise verwendet werden. Es ist nicht viel, wird aber, denke ich, reichen. (Meine Maschine ist endgültig zusammengebrochen; deshalb auch dies Handgeschriebene.) Vor diesem Abbruch hätten wir natürlich gern von Ihnen gehört, wie es sich anlässt drüben; für Sie; aber auch, wie es sich wohl für uns anlassen würde. Kantors181 schreiben, ich soll kommen; und das schreiben auch andere. Mein Knie ist nicht ganz hervorragend + auch sonst habe ich herumgenickert. Aber was ist das verglichen mit dem, was andere drüben aushalten + was sich hier so abspielt. Hanna schrieb mir, dass sie wohl direkt nach Copenhagen fahren. Dessau muss zuerst nach Paris + er will gern fliegen, wenn es mit dem Geld ausgeht. Ich möchte wegen Gepäck + Caspar mit dem Schiff weg +, falls mich Baer.182 von Cop. hereinbekommt, auch über Dänemark fahren. Baer. waere dazu wohl imstande, er hatte Einreiseerlaubnis für mich in die brit. Zone. Aber er war sehr krank,+ ich weiss nicht, wie es ihm jetzt geht. Er schickte 179 180 181 182

Johanna Budzislawski. Der kaukasische Kreidekreis. Alfred und Friedel Kantorowicz. Horst Baerensprung.

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mir ein Bild, auf dem er ungeheuer dünn aussieht und eigentlich krank. Er will es verschummeln und nicht wahr haben, aber sein Herz war ja nie ganz gut. Ich bin sehr besorgt. Dessau wollte ja dann erst nach Zür. und hat Ihnen das wohl auch geschrieben. Wir sind ja beide Amerik.; haben aber bereits einen Pass. Meiner wurde zwar 3 Tage vor unserer Verheiratung noch auf meinen alten (oder meinen auch weiter üblichen) Namen ausgestellt, aber die Änderung wird wohl keine Schwierigkeit machen. Ich habe allerhand Ausschnitte für Sie gesammelt, die ich separat schicke. Vor 14 Tagen schickte ich Ihnen eine unreine Fassung von Hänsel + Gretel183; ich habe jetzt auch eine reine. Aber im Grunde möchte ich von dem ganzen Humperdinck 184 weg + ein Black Market-Kinderstück machen; Olga185 schrieb schrieb mir ein paar fantastische Einzelheiten über die Methoden + die Ausdehnung solcher Operationen, die von Jugendlichen durchgeführt werden. Der „Papa“ bei Lorres will alles ganz genau wissen und möchte einen Teil seiner Familie herbringen. Er plant und rechnet wohl Tag und Nacht und zwischendurch verwandelt er Brachland + einen Teil der corrals in fast europäisch gründlich angelegte Gärten mit Rabatten und versetzt das an ein gemütlicheres Tempo und geringe Exaktheit gewöhnte Personal nicht nur in Erstaunen, sondern manchmal auch in helle Verzweiflung. Karen186 muss sich zehnmal am Tage die „Paradeisser“ + den „Kukurry“187 ansehen; ausserdem ist gemeinsamer Frühstückstisch + das Fehlen eines Familienmitgliedes wird ungern gesehen. Aber sonst ist der Papa, wie wir ihn alle nennen, sehr einsichtig. Ich bin überzeugt, dass Sie in Zürich einige amerik. Zeitungen lesen können; die hiesigen sind nicht darunter, fürchte ich, und damit entgeht Ihnen ein grosser Teil wertvoller Informationen. Karen kommt jetzt öfter zum Kaffee zu mir. Dessau macht mehreren kleinen Mist, um Schulden zu begleichen. (Hat den „Guten Menschen“ sehr schön musikalisch revidiert) Haben Sie eigentlich nicht das „Miserere“188 bekommen? Sie möchte gern an einem Kinderstück (siehe oben) mitarbeiten. Sie wird verzweifelt sein, wenn sie erfährt dass wir auch fahren. So lange das Haus nicht verkauft ist, reden wir nicht vom Fahren. Lieber Brecht, bitte, schreiben Sie mir einen Brief. Bess. Überlieferung: Ms, BBA 3121.

183 Filmskript von Elisabeth Hauptmann (vgl. Kebir, Hauptmann, S. 202), das sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland bei der DEFA unterzubringen versuchte – ohne Erfolg. 184 Engelbert Humperdinck (1854–1921), spätromantischer Komponist, schrieb 1893 die Oper Hänsel und Gretel. 185 Olga Lang. 186 Karen Verne. 187 In Österreich gebräuchliche Bezeichnungen. Paradeiser: Tomate. Kukuruz: Mais. 188 Vgl. Hauptmann, 15.11.1947.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 28.2.1948 28. Febr. 48 Lieber Brecht – noch zum Wagen: der Versicherungsmann, der sehr nett ist (Hirsch), hat mir geholfen, den Wagen weiter zu versichern; wobei ich Diebstahl mit in die Police habe aufnehmen lassen, da er zwar unter eine[m] Baum am Zaun gegen Witterung ganz gut geschützt ist, aber nicht gegen Stehlen. Wir haben den Wagen ausbeulen lassen + ihm ein neues Verdeck gegeben + hoffen, dass er, wenn das Wetter wärmer wird, sich dann gut + leichter als bisher an den Mann bringen lässt. Dessau bewegt ihn alle 8 Tage – (ich habe wieder etwas mit meinem Knie zu tun.) Fachleute behaupten, dass man in 1-2 Monaten 5-600 Doll. dafür bekommen soll. Inzwischen habe ich durch Yergis versucht, die „pink ship“-Geschichte mit Hilfe eines Beamten zu regeln; die Geschichte ist immer noch nicht durch Sacramento okayed. Ich wollte den Wagen zunächst auf meinen Namen transferieren lassen; aber das war wegen der schlechten, d.h. absolut ausgeblichenen Angaben auf dem ship bisher nicht möglich. Dessau hat seinen Wagen auch neu herrichten lassen (mit Hinblick auf Verkauf); er sieht toll aus. Gerade höre ich, dass die 3GO189 in Stuttgart fast 100 x gespielt ist (Dessaus Schwager aus seiner 1. Ehe ist dort Schauspieler) + demnächst wird Braunschweig damit anfangen. Von Verlässlichen hören wir, dass Fritz K.190 in England abwarten will. Ach, bitte, schreiben Sie. Ich schreibe auf dem schönen kleinen Tisch. B. P.S. Haben Sie eine Ahnung, wo die beiden Beethoven-Bücher sind, die Dessau [I]hnen mal geliehen hat? Er hat schreckliche Scherereien wegen dem Weiterverleihen. – Kann ich nicht die ‚Antigone‘ sehen? Gruss an Helli und Barbara Überlieferung: Ms, BBA 3122.

189 Die Dreigroschenoper. 190 Vermutlich Fritz Kortner, der sich zu jener Zeit schon in Deutschland befand.

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Henry Goverts an Bertolt Brecht Vaduz, 1.3.1948 Dr. Henry Goverts

Vaduz, den 1. März 1948

Herrn Bertolt Brecht Schauspielhaus Zürich Zeltweg 5 Sehr verehrter Herr Brecht, ich bin von Deutschland zurück, fahre aber morgen bereits wieder für drei Wochen nach Hamburg, wo ich auch die zwischen uns festgelegte Frage191 mit den Briten klären werde. In Baden-Baden bat mich nochmals der Herausgeber der Zeitschrift „Merkur“, Hans Paeschke192, der eine Zeitlang Mitarbeiter von Suhrkamp war, ich möchte Sie bitten, ihm für seine Zeitschrift, deren letzte Nummer ich beilege, ein grösseres Gedicht zum Abdruck freizugeben. Ich würde es begrüssen, wenn Sie sich hierzu entschliessen könnten, denn der „Merkur“ ist gegenwärtig eine der besten deutschen Zeitschriften. Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben dürfte, so würde ich die grossartige Dichtung „An die Nachgeborenen“ aus den Svendborger Gedichten hierfür wählen. Sobald ich aus Hamburg zurück bin, melde ich mich bei Ihnen. Mit einem freundlichen Gruss an Sie und Ihre Frau und den guten Caspar Neher Ihr ergebener Henry Goverts Anlage Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1764/2+4.

191 Brecht hatte mit Henry Goverts in Zürich über die Publikation seiner Gedichte gesprochen (vgl. auch Neher, Nov. 1947). 192 Vgl. Paeschke, 23.1.1948.

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Hans Oprecht193 an Bertolt Brecht Zürich, 1.3.1948 Herrn Bert Brecht bei Gebrüder Mertens Feldmeilen

1. März 1948

Sehr geehrter Herr Brecht, Darf ich Sie bitten, nächsten Samstag, 6. März, 14.00 Uhr, bei mir auf der Büchergilde Gutenberg, Stauffacherstr. 1, 3. Stock, vorzusprechen? Mit freundlichen Grüssen BUECHERGILDE GUTENBERG Dr. Hans Oprecht i.V. T. Eichenberg. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Genossenschaft Büchergilde Gutenberg Zürich Morgartenstrasse 2 Postfach Zürich I Telephon 25 68 47 Postscheck VIII 22992; BBA 1763/42.

Verner Arpe194 an Bertolt Brecht Stockholm, 2.3.1948 Stockholm 2/3-48 Herrn Bert Brecht Hotel Stern CHUR / Schweiz Sehr geehrter Herr Brecht! Vor etwa drei Wochen schrieb ich an Sie wegen der skandinavischen Bühnenrechte an Ihrem GUTEN MENSCHEN VON SEZUAN und dem KAUKASISCHEN KREIDEKREIS. Leider habe ich bisher noch keine Antwort von Ihnen erhalten, würde Ihnen jedoch sehr dankbar sein, wenn Sie baldigst dazu Stellung nehmen wollten. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie die Rechte ausdehnen wollten auf Ihr neues ANTIGONE-Stück. 193 Hans Oprecht (1894–1978), Politiker der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Bruder des Verlegers Emil Oprecht. 194 Verner Arpe (1902–1979), in Hamburg geborener deutsch-schwedischer Schauspieler, Dramaturg und Übersetzer, emigrierte 1937 nach Stockholm.

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Da die Theater jetzt beginnen, Ihr nächstjähriges Repertoire zusammenzustellen, wäre es gut, wenn ich baldigst Versuche machen dürfte. Wozu ich allerdings auch die notwendigen Textbücher brauchte, die hier ja nicht erhältlich sind. Mit freundlichen Grüßen Ihr Verner Arpe. Überlieferung: Ts, hs. U., Stempel: Verner Arpe Stopvägen 63 Stockholm-Åkeslund, BBA 3049.

E. Job an Bertolt Brecht Basel, 4.3.1948 BASEL, DEN 4. März 1948 j. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , bei Mertens, Feldmeilen b/Zürich Bünishoferstr. 14 BETRIFFT: „Galileo“ Sehr geehrter Herr Brecht, Bei Abschrift des englischen Manuskriptes von „Galileo“ sind wir leider auf verschiedene Unklarheiten gestossen und zwar handelt es sich um die beiden beiliegenden Seiten (75 und 81) Dürfen wir Sie freundlich bitten, uns die bezüglichen Abänderungen auf diesen beiden Seiten, welche wir nicht deutlich entziffern können, in Maschinenschrift zukommen zu lassen. Ferner fehlen folgende Seiten in dem uns zugestellten Manuskript vollständig: Seite 70 sowie Seite 85 - 99.

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Es tut uns leid, dass wir Ihnen diese Mühe verursachen müssen und wir danken Ihnen im voraus recht herzlich. Mit vorzüglicher Hochachtung p. R E I S S A.G. E. Job Beilagen: bitte zurück Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/35.

Heinz Kuckhahn an Bertolt Brecht Berlin, 5.3.1948 Heinz Kuckhahn Berlin-Neukölln Hermannstr. 233

5. März 1948

Lieber Meister, erlauben Sie mir, auf das Herzlichste zu gratulieren mit einer Verspätung, die sich nur mit Liebe entschuldigen läßt und dem Willen, mehr zu zeigen, als es billige Worte können. Ich wollte Ihnen mein neues Stück schicken. Aber das zieht sich elend lange hin und ich fürchte, die Verzögerung wird unentschuldbar. Wenn es fertig ist, komme ich zu Ihnen!!! Würden Sie mir mitteilen, ob Sie mich ein paar Tage aufnehmen können oder wo da sonst eine Bettstatt ist? Ich darf nicht vergessen, im Namen meiner alten Mutter zu gratulieren. Sie ist 69 und näht wie ein Teufel ihre Nähmaschine schon ihr Leben lang. Das ist dieser berliner Schlag, von dem immer mehr hergemacht wird, je weniger er zu finden ist: „Wie jeht’s Trute?“ „Immer dünne durch’n Arsch wie Hefe.“ Von Ihnen sagt sie: „Der wird auch was Ehrliches rumgejagt in der Welt. Na, soll ruhig kommen, den bringen wir auch noch durch.“ Vorläufig noch einmal: Auf langes Leben, lieber Meister! Ihr Kuckhahn. Grüßen Sie, bitte, die Mutter.195 Wegen der „Strümpfe“ haben wir ein sehr schlechtes Gewissen und teilen mit, daß das Problem schon gelöst ist. Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3112. 195 Helene Weigel.

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Werner Kepich196 an Bertolt Brecht Berlin, 7.3.1948 Berlin NW8 Unter den Linden 11

7. März 1948

Sehr verehrter Herr Bert Brecht! Zu den pünktlichen Gratulanten, die Ihres 50. Geburtstages gedachten, gehöre ich leider nicht. Aber ein gutes Gedenken kommt bestimmt nicht zu spät. Ich gratuliere und wünsche Ihnen, dass die Jugend Sie verstehen und ... lieben möge! In diesem Satze ist alles ausgedrückt, was ich Ihnen sagen möchte. Meine Erinnung geht zurück bis zum Oktober des Jahres 1924. Es war im deutschen Theater. Nach der Premiere von Shaws „Die heilige Johanna“197 kam ziemlich schnell danach die mir unvergessliche Uraufführung von „Dickicht“. („Im Dickicht der Städte.“) Regie: Erich Engel. Es spielten: Fritz Kortner, Walther Frank198, Gerda Müller, Paul Bildt, Lothar Müthel199. Ich spielte den chinesischen Diener. Mir ist noch besonders die Generalprobe im Gedächtnis. Im Zuschauerraum sassen Max Reinhardt, Elisabeth Bergner, und, wenn ich mich recht zu erinnern glaube, auch Gerhart Hauptmann. Ich wäre Ihnen recht dankbar, lieber Herr Brecht, wenn Sie im Laufe der Begebenheiten mir dieses Stück einmal zukommen liessen. Ich erzähle oft meinen Schülern und Schülerinnen von der wunderbaren Präzision, mit der „Dickicht“ insceniert wurde. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass bei aller Phantasie und aller Gelöstheit Disciplin und Klarheit unerlässlich sind. Ich fand dies alles in Ihrem Stück damals bestätigt. Seitdem sind 24 Jahre dahingegangen. Wir alle stehen unter dem Eindruck der furchtbaren Erlebnisse der vergangenen Jahre! Wir sind wissender geworden. Und es ist ein Halt, ein Trost, Ihre Werke zu lesen und so mit Ihnen, der Sie auf hoher Warte stehen, die Verbindung nicht abreissen zu lassen! Und nun äussere ich auch einen Wunsch: Ich hoffe, Sie einmal wieder zu sehen. Zum Schluss einen Gruss an Frau Helene Weigel, von Frankfurt am Main und Berlin her mir in starker Erinnerung! Vielleicht ist [es] eine Gnade, trotz all dem Schweren, das wir erlebten, und all der Not unserer Zeit zu leben und zu arbeiten!

196 Der Schauspieler Werner Kepich arbeitete seit 1945 als Schauspiellehrer für die DEFA, später an der Staatlichen Schauspielschule Berlin. 197 Saint Joan (1923), Drama von George Bernard Shaw. 198 Der Schauspieler Walter Franck (1896–1961), der in der Aufführung des Dickicht am Deutschen Theater Berlin (Premiere: 29.10.1924) den Garga spielte. 199 Lothar Müthel (1896–1964), Schauspieler und Regisseur, spielte den Pavian. 1933 trat er in die ­NSDAP ein und wurde Mitglied im Präsidialrat der Reichstheaterkammer.

1604 In herzlicher Verbundenheit! Ihr

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Werner Kepich

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Schauspielstudio Werner Kepich [typ. Erg.: und Defa-Schauspielstudio für Film und Bühne] Tel 42 28 28 (hs. Notizen Brechts auf der Rückseite); BBA 3107.

Curt Bois an Bertolt Brecht Hollywood, 7.3.1948 „Kurz – es herrscht Hollywood, d. 7. Maerz Chaos“ – (UI)200 1948 Mein lieber, verehrter Herr Brecht: – Vielen Dank fuer Ihren letzten Brief vom 3. Mai 1884, den ich noch immer nicht erhalten habe. Auch Frau Hellis Brief vom 1.10.1704 ist noch nicht in meinem Besitz. Heute nur ein paar Zeilen, die Sie informieren sollen, dass ich einen Brief an Herrn Reis[s] geschrieben habe, fuer mich herauszufinden, wo und wann man eine Auffuehrung des UI zu Stande b[r]ingen koennte. Der Vertreter des Herrn Kohner hat mir einen Brief geschrieben, in dem er mich bat ihm zwei Photographien von mir einzusenden. Dieser Brief ist natuerlich von mir nie beantwortet worden. KANTOROWITZ201 IST SEIN NAME. Falls Sie diesen Herrn einmal treffen sollten, was sehr unwahrscheinlich ist, bitte ich Sie, ihn NICHT von mir zu gruessen. Es ist wirklich schade, dass ich weder von Ihnen, noch von Frau Helli etwas hoere. Sollten Sie mit allem was JENSEITS DES Ruetli liegt abgebrochen haben, so erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, das[s] meine Frau eine geborene URI ist. Was stimmt! Trotzdem habe ich nicht die geringsten Beziehungen zum KANTON! WAS AUCH STIMMT! Von Kortner hatte ich nur einen einzigen nicht sehr vielsagenden Brief aus Berlin. Ich schrieb ihm jedoch, um ihm wenigstens die WICHTIGSTEN Sachen von hier mitzuteilen. Zu den gehoerte die HEIRAT des HERRN WINTHROPE ROCKEFELLER JR.202 dessen FRAU DIE TOCHTER EINES BERGWERKSARBEITERS IST! Diese Dinge erschuettern mich immer wieder aufs neue – und will ich deshalb die Hoffnung auch nicht aufgeben. Vielleicht s[c]hafft man es auch einmal. Wenn Hedwig203 in eine Scheidung ein200 Zitat aus Der Aufstieg des Arturo Ui (vgl. GBA 7, S. 56). 201 Michael Kantorowitz. Vgl. Bois, 1.2.1948. 202 Winthrop A. Rockefeller (1912–1973), amerikanischer Politiker (Republikaner). Im Februar 1948 heiratete er die Schauspielerin Barbara Sears, eine Bauerntochter litauischer Herkunft. 203 Hedi Ury.

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willigen sollte, und ich die Wahl haette zwischen der Tochter von Trueman204 [sic] oder dem Schwiegersohn Jack L. Warner’s205, wuerde ich doch lieber den „UI“ spielen. Alles Liebe fuer Sie alle, Ihr ergebener, Curt Bois 6029 Carlos Avenue Hollywood, 28 [Anlage:] d. 3. Maerz, 1948 Herrn Erich Reis, [sic] Baeumlein Weg Basel. Sehr geehrter Herr Reis: – Während seines Aufenthaltes in Amerika, habe ich mit Herrn Bertold Brecht ver[e] inbart, die Titelrolle seines „UI“ in einer Europaeischen Urauffuehrung zu spielen. Nun ist es so weit, dass ich im Herbst dafuer zur Verfuegung stehen kann. Ich glaube, das[s] ein Schweizer Theater dafuer leicht gewonnen werden koennte, und ich wuerde Sie bitten, mich naehere Einzelheiten wissen zu lassen, da ich keinen Vertreter in Europa habe. Ich ueberzeugt das Herr Brecht, Sie in meiner Sache gerne beraten wird. Mit vielem Dank im voraus bin ich mit besten Gruessen Ihr ergebener, Curt Bois 6029 Carlos Avenue Hollywood, 28 CALIFORNIA, USA. cb/hu Überlieferung: Ts, hs. U., BBA Sammlung Viktor Cohen, Mappe 55 (A-F), Blatt 87 (Anlage: Ts, hs. U., Bv.: CURT BOIS, Eingangsstempel: R – 9. MRZ 1948; BBA 3061.

204 Harry S. Truman (1884–1972), amerikanischer Politiker (Demokrat), von 1945 bis 1953 Präsident der USA. 205 Jack L. Warner (1892–1978), amerikanischer Filmproduzent, Präsident der Warner Brothers Studios.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 7.3.1948 7. Maerz 48 Lieber Brecht, Ich weiss nicht, ob Sie unterrichtet werden ueber das, was man hier ueber Sie liest. Ich schicke Ihnen auf alle Faelle einen Aufsatz über Ihre Gedichte aus der ‚Herald Tribune‘.206 Lassen Sie doch einmal hoeren, wie es um Sie steht. Meine Dinge hier sind unveraendert; im Ganzen, glaube ich, bin ich zur Zeit eher weniger bedroht als zur Zeit Ihrer Abreise. Mein Stueck ueber die Hexenjagd207 wird hier wohl in der naechsten Spielzeit am Broadway herauskommen, die Uebersetzung208 ist noch lange nicht in Ordnung. Sowie es erst hier aufgefuehrt ist, lasse ich es auch in Europa spielen. Die Chancen einer Auffuehrung von ‚Simone‘ sind nicht schlecht.209 Alles Herzliche Ihr alter feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lion Feuchtwanger 520 Paseo Miramar Pacific Palisades, Calif. Telephone: Santa Monica 51402; Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Los Angeles. – Dv.: Kopie, BBA Z 17/3. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 69.

Ludwig Berger an Bertolt Brecht Basel, 9.3.[1948] Basel 33 Passwangstrasse bei Maag 9. Maerz Lieber Herr Brecht leider ist es mir Sonntag nicht moeglich, da wir hier eine wichtige Filmsache haben um zwei und ich bis dahin nicht wieder zuruecksein koennte! Es tut mir leid, Ihre Frau nicht 206 Die Rezension der Selected Poems (vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.1.1948) von M.L. Rosenthal erschien in New York Herald Tribune Weekly Book Review vom 29.2.1948. Vgl. B. an Feuchtwanger, März 1948, GBA 29, S. 445f. 207 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 20.11.1947. 208 Die Übersetzung des Stücks von J. Barrows Mussey. 209 Eine Aufführung der Gesichte der Simone Machard in den USA kam nicht zustande.

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sehen zu koennen. – Anbei eine kleine Karte fuer Eisler an Herrn Schulte, einen Hans in allen Toepfen Gassen, der gut Bescheid weiss, was im Augenblick gemacht wird, und wo vielleicht eine chance waer. Seine Adresse ist Rom, Via Milano 53 Int. 8 Vorname C.C. Schulte Telephon 43521. Man kann in Rom schon sehr frueh viertel nach acht morgens anrufen. Aber besser Ausserdem noch eine Telefonnummer eines Aufnahmeleiters, der auch sehr auf dem Laufenden ist, um zu wissen, wo und ob irgend eine Moeglichkeit ist: Ferruccio Biancini210 .. war Jahrelang in Berlin und spricht ausgezeichnet deutsch. Leider habe ich nur seine Telefon-nummer: 680726 .... er soll ihm Gruesse von mir bestellen und fragen wann er ihn sehen kann. Ebenso Herrn Pavanelli211 ... von dem ich aber leider weder Tel[e] phon noch Adresse hier habe. Pavanelli ist Produzent .. aber ausserdem ein anstaendiger Mensch. Spricht auch deutsch. Die anderen Produzenten sind wahrscheinlich im Augenblick nicht richtig. Sie wuerden sich „erkundigen“ und vor Schreck auf den Bauch fallen. Darum dachte ich, dass im Augenblick „mittlere“ Helfer geeigneter seien ... d.h. Leute nicht an der Spitze sondern im Betrieb. Mit den besten Gruessen Ihr alter Ludwig Berger Überlieferung: Ts, hs. U. (Zeichnung Bergers auf dem Briefbogen: eine Theaterbühne mit zwei Schauspielern und Zuschauern, dazu die Notiz: „am Theater machen wir ‚Johanna‘ und ‚Wo‘?“); BBA 3058.

Gottfried von Einem an an Bertolt Brecht St. Jakob, 14.3.1948 14.III.48.

St. Jakob, Post Push.

Sehr verehrter Herr Brecht, Sie werden wohl den Einladungsbrief von Dr. Hilbert212 erhalten haben. Dieser wird Ihnen ermöglichen, sofort benützt, die notwendigen Einreisepapiere (nach Salzburg!) zu erhalten. Ich bitte Sie, falls Sie nicht bereits eingereicht haben, zu Dr. Peinsipp213, Zürich, Winkelwiese 4, dem oesterr. Gen. Konsul zu gehen, einen Gruss von mir zu sagen und alles Notwendige in die Wege leiten. 210 Ferruccio Biancini (1890–1955), italienischer Filmschauspieler, -regisseur, -produzent und Drehbuchautor. 211 Vermutlich der italienische Schauspieler und Filmproduzent Livio Pavanelli (1881–1958). 212 Egon Hilbert (1899–1968), österreichischer Theater- und Opernintendant. 1938 wurde er von den Nazis verhaftet und im KZ Dachau interniert. Ab 1946 war er Leiter der österreichischen Bundestheaterverwaltung und verantwortlich für die Organisation der Salzburger Festspiele. 213 Walther Peinsipp, Leiter des österreichischen Generalkonsulats in Zürich.

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Vorgestern habe ich mit dem Landeshauptmann Dr. Rehrl214 gesprochen. Er ist sehr an dem Plan, den wir in Zürich besprachen,215 interessiert und möchte Sie gerne sehen, um alles genau zu besprechen. Zwar sind die Theaterverhältnis dank der Tätigkeit eines wenig Jährigen, dafür umso ehrgeizigeren Theaterreferenten verworren, dafür werde ich bis zu Ihrer Ankunft so viel zustande gebracht haben, so hoffe ich, dass auch die widerstrebensten Parteien Rettung und Glück von Ihrer Mitarbeit erhoffen. Die Direktion B. Viertels ist im Moment nicht gegeben, würde sich aber vorbereiten lassen, da des gegenwärtigen Intendanten216 Stern im Verblassen ist (: galoppierende Schwindsucht!) Hilbert wird alles in seinen Kräften stehende für das Zustandekommen unseres Planes tun, ebenso der Präsident der Festspiele, mit dem ich alles genau besprach. Bevor nun aber irgend etwas Konkretes erfolgen soll, möchte ich, dass Sie sich persönlich hier alles ansehen. Bitte geben Sie mir gleich Nachricht, ob Sie am 2.IV. hier sein können. Zwischen 2. und 4.IV. sind Schuh217, Hilbert, Neher und voraussichtlich auch Karajan218 hier, sodass alles gebührend mit allen zuständigen Leuten erwogen werden kann. Brauchen Sie noch eine Einladung der Fesspielleitung? Ich werde sie Ihnen vorsichtshalber morgen senden lassen. – Der Lucullus Text gefällt mir gut; eine Aufkreuzung mit Kafkas Prozeß219 müsste den rechten Text für eine Oper abgeben! Was meinen Sie? – Neulich wurde die Oper (mit Ihrem Text) des K.E. angeboten … Ihrer Gattin und Ihnen einen Gruss! Ihr Gottfried Einem. Überlieferung: Ms, BBA 211/43–45. – E: Friedrich Saathen, Einem-Chronik: Dokumentation und Deutung, Wien/Köln/Graz 1982, S. 161.

Heinz Trefzger an Bertolt Brecht Berlin, 14.3.1948 Dr. Heinz Trefzger Berlin-Wilmersdorf Landauerstr. 12

Berlin, den 14.3.48.

214 Josef Rehrl (1895–1960), österreichischer Politiker (ÖVP), 1947 bis 1949 Landeshauptmann von Salzburg. 215 Brecht hatte Gottfried von Einem am 22.2.1948 bei Caspar Neher in Zürich kennengelernt Vgl. BC, S. 814; dazu die Anm. zu Trefzger, 17.2.1948. 216 Intendant der Salzburger Festspiele war der in einem Entnazifizierungsverfahren soeben freigesprochene Dirigent Wilhelm Furtwängler (1886–1954). 217 Oscar Fritz Schuh (1904–1984), Dramaturg, Regisseur und Intendant. Arbeitete seit den 1930er Jahren an Bühnen in Hamburg, Berlin und Wien mit Caspar Neher zusammen. 218 Herbert von Karajan (1908–1989), österreichischer Dirigent, vormals Mitglied der NSDAP und u.a. an der Berliner Staatsoper tätig. Ab 1956 war er Leiter der Salzburger Festspiele. 219 Franz Kafkas unvollendeter Roman Der Prozeß erschien 1925 in Berlin, postum herausgegeben von Max Brod.

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Lieber Herr Brecht, Ich bin jetzt genau 16 Tage wieder in Deutschland, und davon zwölf in Berlin. Ich erlebte am ersten Tag drei schwere Einbruchsdiebstähle in einer braven süddeutschen Stadt, die sonst wohl kaum eine „geistige“ Verwandtschaft mit Chicago aufweist, wurde bei meiner Ankunft am Bahnhof Zoo in Berlin das unschuldige Opfer einer Polizei-Razzia und durfte nach Beendigung dieses Schulbeispiels deutscher Bemühungen, Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten, feststellen, dass inzwischen mein220 gesamtes Reisegepäck erbrochen und geplündert worden war. Unter solchen Umständen, die Sie lediglich als eines von vielen Schlaglichtern (oder wollen wir sagen „Schlagschatten“?) werten wollen, ist es umsomehr zu bewundern, dass es meiner Verlobten, Frau Clausnizer, gelang, während meiner viermonatigen Abwesenheit in der Schweiz uns eine menschenwürdige Behausung zu verschaffen. Ich fand sie zwar bei meiner überraschenden Rückkehr am Abend dort nicht vor, weil sie Vorstellung im Schiffbauerdamm-Theater hatte, – sie flehte mich aber bei ihrer Rückkehr an, nicht zu verzweifeln, wenn ich die nächsten 10 Tage statt zu einer vernünftigen Arbeit, zur polizeilichen An- und Abmeldung, zur Beschaffung der Einweisung, der Lebensmittelkarten, der zahllosen Lichtbildausweise und Fingerabdrücke, – kurzum auf den Nachweis meines Vorhandenseins und meiner Berliner Existenz, bzw. zunächst ihrer Berechtigung verwenden müsse. So kam es denn auch! Was sich hinter diesen fünf letzten Worten verbirgt, lassen wir vielleicht besser ungesagt. Jedenfalls kam ich erst heute zu Ihering, der sich sehr über Ihren Brief 221 und die Bilder zur „Antigone“ gefreut hat. Zu einer vernünftigen Unterhaltung haben wir uns für später verabredet. Er lässt Sie grüssen und Ihnen sagen, wie sehr er Sie erwartet. Wie sehr man Sie in Berlin überhaupt erwartet, beweist der Erfolg der Feier, die zu Ihrem 50. Geburtstag hier veranstaltet wurde.222 Und w a s Sie in Berlin erwartet, darüber lassen Sie uns ausführlich sprechen, wenn Sie hier sein. Soweit mir der Kampf mit den heimlichen und tückischen Fallstricken der Bürokratie Zeit liess, habe ich mich sogar mit meinen beruflichen Dingen beschäftigen können. Dass ich einigen Erfolg hatte, beweist, dass sich diese Dinge schliesslich überwinden lassen. Zwischendurch habe ich zwei ausgezeichnete französische Filme gesehen, komme eben von der Matinee von Bruckner’s „Rassen“223 (Schiffbauerdamm-Theater). Ich finde es gut und ich finde die Aufführung gut und ich finde sie wenn ich mir das deutsche Publikum betrachte, leider immer noch mehr als notwendig, obschon man sich gewünscht hätte, dass diese Stücke bereits vor zwei Jahren an unsere Bühnen gehört hätten. Es gibt zwar Leute, die finden das alles nicht und viele Zeitungen sind voll davon. Aber es herrscht ja hier Freiheit der Meinung und der Rede! Oder herrscht sie nicht?! 220 Im Ts: „mehr“. 221 Nicht überliefert. 222 Vgl. Ihering, 4.2.1948. 223 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 28.1.1934. Erich Geiger inszenierte Ferdinand Bruckners Stück Die Rassen in einer Matineereihe im Theater am Schiffbauerdamm am 14.3.1948.

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Heute abend sehe ich mir „Furcht und Elend“224 an. Hoffentlich finde ich nach Zeit dann diesem Brief noch einige Zeilen beizufügen. Gestern abend sah ich im „Ulenspiegel“, das politische Kabarett Berlins, den „Schwarzen Jahrmarkt“225 und atmete auf – zum ersten Mal. Ich wurde sehr an unsere Unterhaltungen in Zürich erinnert. Notwendiger als alles ist unsere Arbeit – Ihre Arbeit in Berlin. Aber ist sie auch möglich? – Ja, – ich glaube sie ist möglich. Kommen Sie bald – und wenn es nur ist, dass Sie sich einmal diesen „Schwarzen Jahrmarkt“ ansehen. Er erspart Ihnen zweieinhalb Jahre Leben in Berlin, zeigt Ihnen, was ist, was notwendig ist, was möglich ist. Ich habe mich immer gefreut über die Leute, die ganz weit vorne liegen. Ich habe Ihering gesagt, dass Sie uns allen voraus sind. Noch einmal also: Kommen Sie bald – es lohnt sich und seit ich aus der Schweiz zurück bin weiss ich noch mehr, dass es sich lohnt um alle, die hier sind. Ich habe nach meinem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt ein ganz neues Gefühl der Verbundenheit mit diesem Land, seinem Schicksal und seinen Möglichkeiten bekommen. Es ist das richtige Gefühl, trotz meiner umseitigen Schilderungen. Und nun medias in res. Ich habe mit Dr. Berner über Ihre Pläne gesprochen und wie ich Ihnen sagte, keine Mühe gehabt, ihn dafür zu gewinnen. Ich habe weiter mit den zuständigen Stellen im Bezirksamt Wilmersdorf gesprochen, vor allem wegen der Möglichkeit einer Einrichtung einer Versuchsbühne. Die Möglichkeit bestünde am Nicholsburger Platz (die Aula einer Schule mit den dazugehörigen und für Ihre Arbeit notwendigen Nebenräumen). Keiner dieser Leute verkennt die Schwierigkeiten, aber alle haben den guten Willen und haben auch die Möglichkeiten, ihn zu realisieren. Ein Plan, der Sie wahrscheinlich interessieren wird, und den mir Stadtrat Dr. Berner zur Kenntnis gab, ist, in Berlin eine Hochschule für darstellende Kunst zu gründen. Ich stehe all solchen Gründen mit dem berechtigten Misstrauen dessen, der schon einige deutsche Gründungen erlebt hat, gegenüber. Gott sei Dank ist die Sache noch sehr im Anfang. Ich habe Berner gebeten, abzuwarten, bis Sie hier sind. Vielleicht macht Ihre Anwesenheit eine solche Gründung überflüssig, vielleicht gibt sie ihr ein anderes Gesicht – jedenfalls erscheint es mir wichtig genug, Ihnen darüber zu berichten. Ich werde versuchen, Ihnen die Vorlesungsverzeichnisse der Univ. in den nächsten Tagen zu besorgen. Ihering hat den „Kaukasischen Kreidekreis“ nicht. Er sagte mir, dass er Ihnen bereits darüber geschrieben hätte. Meine Hoffnung (auch wegen der „Antigone“) ist Suhrkamp. Ich werde versuchen, ihm beides für Ihering und mich abzujagen. Sowie die letzten Handwerker aus meiner Wohnung verjagt sind (und das dürfte nicht schwer sein,

224 Vgl. Anm. zu Ihering, 4.2.1948. 225 Schwarzer Jahrmarkt (1947), Revue von Günter Neumann. Inszeniert von Karl-Heinz Schroth im Berliner Kabarett Ulenspiegel.

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wenn die Lebensmittelkarte einmal abgegrast ist), kommt Ihering einmal hierher und wir können uns vernünftig unterhalten. Ein Vorschlag: Bitte benachrichtigen Sie mich nach Möglichkeit genau von dem Termin Ihrer Ankunft in Berlin. Frau Klaus letztern und ich freuen uns, wenn Sie und Ihre Frau bei uns wohnen wollen. Jedenfalls könnte ihn ein Zimmer zur Verfügung stellen, von dem aus Sie zunächst einmal in Ruhe (und das ist hier das Wesentliche) sich in Berlin orientieren können. Außerdem liegt unsere Wohnung zentral (Orissa Platz) und wird bis dahin wohl auch Eigenes Telefon haben. Bitte grüßen Sie Ihre Tochter (ist sie schon in München?) Und Miss Berlau und seien sie selbst herzlich gegrüßt von ihrem Heinz Eben habe ich vom Deutschen Theater von der Aufführung von vorstellt Eden. Nur ein paar Worte um einen Eindruck. Eine Kritik ist mit ein paar Worte nicht abgetan – wo sollte man Dauer anfangen, wurde vielleicht verzweifelt gute Wille, aber die Voraussetzungen nicht vorhanden sind?! Die schauspielerische Leistung war großartig – vor allem bei Hinz und der Beste. Die ganze Aufführung war überhaupt großartig – im Sinne der geheiligten Traditionen des deutschen Theaters. Ich wage aber zu bezweifeln, ob sie ihre reine Freude daran gehabt hätten. Ich hatte Sie nicht. Man kann die besten Schauspieler Berlins auf die beste Bühne Berlins stellen und alles aus ihnen herausholen, was ein Langhoff nur im Stande ist, aus ihren herausholen, aber – dem Brechtschen Geist ersetzt man nicht durch eine Gardine, ein paar wacklige Stühle und einen zauberten Schnüre boten. Was ein Unglück ist für sie ihre prächtige Dreigroschenoper, – was für glaube Aufgabe ist für sie der Irrtum der andern, ins besonderer Teil ihrer verehre! Brecht?! – Drei Groschen darf es kosten, wenn er hört, dass es mehr kostet, wird der böse! Ich weiß aber, – sie sind nicht so billig – sie würden zwar Mitglied auch noch auf dem Aufwand von drei Groschen verzichten, wenn der für alles andere vorhanden wäre, aber es wird schwer sein, die anderen davon zu überzeugen, dass auch sie auf die drei Groschen verzichten müssen. Herr Plakat nicht darauf verzichtet. Da er keine drei Groschen besetzt (oder jedenfalls im Augenblick nicht besaß – ich werde mich mit ihm noch ausführlich darüber unterhalten, ich halte ihn nämlich nach wie vor für einen guten Mann und einen der unsrigen) entschloss er sich bei Kurt weil eine entsprechende Anleihe aufzunehmen. Das Ergebnis war, wie bei allen derartigen kapitalistischen Machenschaften, ein fragwürdiges. Der das Fell über die Ohren gezogen wurde, war Karte kühl. Sie wurde von dem meisterlichen Aufwand war Schauspielkunst (lachen Sie nicht – ich lache auch nicht, denn hier

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waren wirkliche Könner am Werk) zwischen den Zähnen erdrückte – die einzige, die was davon verstand. Such is life! Ich kenne Herrn Vetter nicht gegangen Stichwahlenbühnenbild war genau drei Groschen wert und habe den Verdacht, dass es seine eigenen und letztern waren. Es soll mich freuen, wenn ich unrecht habe. Hierin kann er der freundliche, – mag ihn gerne – platzierte mich in der melodische, was mich in die angenehme Lage versetzte, die bewußte geistige Zigarre herauszuziehen und mir das Publikum zu betrachten. Ich bin Nichtraucher geworden! Das kalte Entsetzen, das Übel drücken kroch, – einfach weil ich dabei war – von ihm war beim Publikum (das doch genauso dabei war!) Nicht zu spüren. Im Gegenteil! Alle waren überzeugt, dass er es ah – man ein gemeiner Keil war! Alle haben sich gefreut, da sein Richter vor der Verhandlung auch einmal in Verlegenheit kommt! Aller war angespannt, wie die Geschichte mit dem Spitzel aus geht! Alle waren der Meinung, dass die jüdische Frau sich großartig verhalten hat! Wollte noch mehr hören? Oder kommt ihnen wie mir das Katzen?! Selber sich die Frage, ob sie das gewollt haben! Wer nur er – um alles in der Welt – die Schuld an dieser entsetzlichen Schweinerei?! Das Publikum war das Theater?! Beide sind schuld! Aber das Theater ist mehr Schuld, war ein paar Leute, die ein anderes besseres Theater machen könnten, anscheinend noch immer nicht begriffen haben, worauf es ankommt. Es wäre viel zu sagen: über die unvergessliche Karte kühl und ihrem Border – über die Aufgabe der Musik – über die Regie – über die Unverfrorenheit, Worte als bei Worte Haupttäter als Nebensätze und zwischen Text als Zwischenlösung zu behandeln. Ein schönes Theater – da zum heutigen Berlin wird dann strich gute Leute, die sich alle Mühe gegeben haben, es recht zu machen – aber genau daneben! Der Chorversuch mit unzulänglichen Mitteln liegt erheblich schwerer als die glänzende Aufführung zugänglicher Meister in Berlin. Deshalb noch einmal: kommen Sie nach Berlin – bald! Lasse mich nicht alleine schreien, wenn mein Geschrei, fürchte ich, geht unter in den weiten Trümmerfelder und in uns. Schreien wir zusammen – schreien wie diszipliniert! Ich habe ihn nicht grundlos geraten, sehr es erstmal mir am Bundesrat platzte wohnen. Nehmen Sie mein Vorschlag ruhig an, Sie werden sehen, dass er richtig ist. So wird, und jetzt geh ich doch einmal in den Ulenspiegel – zur Erholung und stelle mir vor, sie sitzen die mehr oder schmunzelnd an, und freust darüber, dass in der Fee Mina beinahe so Theater gespielt wird, dem es an neuen Deutschen Theater tun sollte! Niemand wird ihnen die Wahrheit sagen: die Eile nicht, also permanent lügen, die andern, weil ihnen ihre Verehrung für sie im Weg steht, die dritten, weil ihr Bruder will es recht zumachen sie daran hindert und die meisten unglücklichen, weil die Wahrheit nicht sehen. Seien Sie dieses Blatt niemandem und sagen Sie nichts weiter – ich sage auch nichts weiter, sonst seh ich nicht eine einzige Theaterkarten in Berlin, man fegte so kommt welche.

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Das Lachen vergeht aber trotzdem nicht. Ihr P.S. II. Ich lege Ihnen das Programm226 bei – vielleicht kennen Sie es noch nicht. Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3198.

Peter Lotar an Bertolt Brecht Basel, 17.3.1948 BASEL, DEN 17. März 1948. L/Pz BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , bei Mertens, Bünishoferstr. 14, Feldmeilen /Zh. BETRIFFT: „Galileo“ Sehr geehrter Herr Brecht, Endlich habe ich Nachricht von Hugo Haas aus Hollywood erhalten. Er schreibt mir, dass er angesichts der Prager Ereignisse227 die Absicht aufgegeben habe nach Prag zu gehen. Er bittet Sie auch sehr, ihm zu verzeihen, wenn er die Uebersetzung des „Galileo“ nicht fortführe, aber besonders die Verspartien gingen über seine Kraft und erforderten einen routinierten Uebersetzer von dichterischem Niveau, wie solche ja in Prag durchaus vorhanden sind. Wenn Sie daher nichts dagegen einzuwenden haben, lasse ich nun in den nächsten Tagen nach Abschrift, das engl. Manuskript nach Prag gehen. Mit den besten Grüssen Ihr Peter Lotar PETER LOTAR. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/36. 226 Nicht überliefert. 227 Durch einen Staatsstreich hatte sich die KP der Tschechoslowakei im Februar 1948 zur alleinregierenden Partei befördert, um einen sozialistischen Staat nach sowjetischem Vorbild zu errichten.

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Henry Goverts an Bertolt Brecht Hamburg, 17.3.1948 17. März 1948 G/V Herrn Berthold Brecht p. Adr. Schauspielhaus Zürich Zeltweg Z ü r i c h / Schweiz Verehrter Herr Brecht, Auch mein Partner Dr. Claassen228, der gegenwärtig in London ist, dankt Ihnen, daß Sie Ihre drei Gedichtbände229 uns evtl. anvertrauen wollen und ist, nachdem ich ihn genau über Ihre neueren Dichtungen orientierte, hocherfreut über den kurz zwischen uns erörterten Plan. Ich habe verabredungsgemäß auch mit den Engländern Fühlung genommen: auch sie werden unzensuriert für die drei Bände das Papier zur Verfügung stellen. Von keiner Seite war auch nur der leiseste Einwand zu hören. Im übrigen wartet man brennend auf die Freigabe Ihrer Bühnenstücke. Auf meinem Wege hierher besuchte ich Benno Reifenberg, den Herausgeber der Freiburger GEGENWART230. Er erzählte mir, daß in der letzten Konferenz beschlossen wurde, einen großen Aufsatz über Sie als den bedeutendsten deutschen Dramatiker der Gegenwart zu bringen. Man war sich allerdings noch nicht schlüssig, wen man mit dieser Aufgabe betrauen könnte. Hier in Hamburg mußte ich immer wieder von der ANTIGONE erzählen und wurde gedrängt, wenn [sic] man endlich mit der Freigabe Ihrer neueren Stücke für Deutschland rechnen könne. Im übrigen bin ich beglückt, einmal wieder hier oben zu sein. Für Viele hier hat das wahre Leben erst nach der Verzweiflung begonnen, und was dem übrigen Europa noch bevorsteht, hier ist es bereits durchlebt. Der neue Lebensstil gerade der jungen Generation ist das, was mich gegenwärtig am stärksten bewegt. Sie sollten bald für einige Wochen nach Deutschland kommen. In vierzehn Tagen bin ich wieder in der Schweiz und werde mich sofort bei Ihnen melden. Bis dahin verbleibe ich mit einem herzlichen Gruß an Sie und Ihre Frau 228 Zusammen mit Eugen Claassen hatte Goverts 1934 den Verlag H. Goverts (ab 1946: Claassen & Goverts) gegründet. 229 Vgl. Anm. zu Goverts, 1.3.1948. 230 Die Gegenwart, von 1945 bis 1958 erscheinende Halbmonatszeitschrift.

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Ihr

Henry Goverts

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Claassen & Goverts G.M.B.H. Hamburg 13 + Parkallee 42 + Fernsprecher 44 47 15 Vereinsbank In Hamburg + Postscheckkonto: Hamburg Nr. 5352 + Liz. Nr. C.8.4.B., Dr. Eugen Claassen Dr. Henry Goverts; BBA 1764/1.

Emil Oprecht an Bertolt Brecht Zürich, 17.3.1948 Herrn Berthold B r e c h t Bünishoferstrasse 24 Feldmeilen

Zürich, 17. März 1948 O/ER

Lieber Herr Brecht, Ich erhielt den beiliegenden Brief, in dem man uns um Auskunft über Theaterstücke von Ihnen bittet und leite ihn an Sie zur gefälligen Erledigung weiter. Mit freundlichen Grüssen EUROPA VERLAG ZUERICH Dr. Emil Oprecht Beilage [Anlage:] 11.3.1948 Sehr geehrte Herren, wir haben Ihnen vor kurzem geschrieben in der Hoffnung, durch Ihre Freundlichkeit Leseexemplare aller Werke von Bert Brecht zu erhalten, die bis jetzt in Deutschland noch nicht zu haben sind. Da nun inzwischen ein neues Werk Brechts angekündigt wurde, nämlich die „Antigone“, die mit Hilde Weigel [sic] in Chur uraufgeführt werden soll, möchten wir nicht versäumen, unser besonderes Interesse auch für dieses Werk bei Ihnen anzumelden. Es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie uns helfen könnten. Mit vorzüglicher Hochachtung K. Schramm Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Europa Verlag AG Europa Verlag Verlag Oprecht Zürich Theatervertrieb Auslieferungen Rämistraße 5 ◦ Telefon (051) 242795 ◦ Telegrammadresse: Europaverlag Zürich Schweizerischer Bankverein, Depositenkasse Bellevueplatz Zürich Postcheck: Zürich VIII 23383; BBA 1763/30 (Anlage: Ts, hs. U., Bv.: Städtisches Theater Mainz - Am Pulverturm 13 - Rufnummer 10/2136-37; BBA 1764/16–17).

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Peter Suhrkamp an Bertolt Brecht Berlin, 17.3.1948 Suhrkamp Verlag v. S. FISCHER VERLAG Peter Suhrkamp

Berlin W35 -Zehlendorf-West Lützowstraße 89/90 Forststr. 27 den 17.3.1948

Herrn Bertolt Brecht, Zürich-Feldmeilen, Büneshoferstr. 14 bei Märtens Schweiz Lieber Brecht! Ich bin nun ca. zwei Wochen wieder hier, ohne bis jetzt eine ruhige Stunde gehabt zu haben. Leider ist mir das rasche Herabkommen aus der Höhe in die Ebene nicht bekommen. Ich huste wieder viel und habe am späten Nachmittag immer etwas Temperatur. Das wäre sonst nicht so schlimm, wenn mir die Reise nach Stockholm und die Vortragstournee in England nicht bevorstünden. Auf jeden Fall bin ich Ende April wieder in Berlin. Inzwischen wird Bruenno Franck Ihre Anforderungen nach hier bearbeiten. Ich gab ihm Ihren Brief und sprach noch mit ihm über die Möglichkeiten. Er erbat sich von meinem Verlag aus noch eine Anforderung zwecks Verhandlungen über Aufführung Ihrer Stücke in Deutschland. Die Anforderung hat er sofort bekommen. Er hätte doch wohl nicht um sie gebeten, wenn er nun nicht Ernst damit machen wollte. Leider habe ich inzwischen „Furcht und Elend des Dritten Reiches“231 im Deutschen Theater noch nicht sehen können. Es wird in der Woche nur einmal gespielt. Ausserdem darf ich bei meinem Zustand abends jetzt nicht hinaus. Mir wird aber von einem Erfolg berichtet. Wenn sie in nächster Zeit wegen Ihres Kommens noch irgendwelche Fragen zu stellen haben, richten Sie sie am besten an meinen Vertreter im Verlage, Herrn Dr. Walter Schürenberg. Er kann hier alles notwendige tun. Beste Grüße an die Helli, Ihnen alles Gute Ihr alter Peter Suhrkamp Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: S. Fischer Verlag Peter Suhrkamp; BBA 1764/28–29.

231 Vgl. Anm. zu Ihering, 4.2.1948.

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Walter Fabian232 an Bertolt Brecht Zürich, 18.3.1948 Walter Fabian Postfach 101 Zürich 29 Telephon: 24 32 72 den 18. März 1948 Lieber Herr Brecht, nachdem ich Sie gestern im ungemütlichen Vorraum des Schauspielhauses kurz begrüsst hatte, erzählte mir Hirschfeld von Ihren Schwierigkeiten. Ich bin zwar davon überzeugt, dass Ihre Sache233 in guten Händen ist und rasch zu einem befriedigenden Ergebnis, das Ihnen die Ruhe zur Arbeit – an der wir alle so interessiert sind – gibt, geführt werden kann. Immerhin möchte ich Ihnen für alle Fälle sagen, dass ich ein wenig Spezialist in diesen verzwickten Fragen bin und herzlich gern mit meinem Rat und meinen hiesigen Beziehungen zur Verfügung stehe, wenn Sie selbst das für nützlich halten. Dann rufen Sie mich bitte nur an. Im übrigen bin ich egoistisch genug, mich für den SdS Schweiz ein wenig über die Aussicht zu freuen, Sie weiterhin in unserer Nähe zu wissen … Mit den besten Grüssen an Sie und (meinerseits natürlich nicht unbekannterweise) an Helene Weigel Ihr Walter Fabian. Gerade finde ich Beiliegendes.234 Interessiert Sie solches Echo? Wenn ja, achte ich gern bei meiner Lektüre deutscher Zeitungen auf Ihr Werk Betreffendes und schicke Ihnen die Ausschnitte. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1763/39.

232 Walter Fabian (1902–1992), Politiker, Journalist und Übersetzer, ab 1933 Leiter der illegalen SAPD in Deutschland, später der Exilorganisation der Partei. Ging 1935 ins Exil u.a. nach Prag und Paris, 1942 in die Schweiz, wo er auch als Funktionär des SDS arbeitete. 1957 übersiedelte er in die Bundesrepublik. 233 Im Ts: „Sachen“. 234 Nicht überliefert.

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T. Edward Hambleton an Bertolt Brecht New York, 18.3.1948

March 18, 1948

Dear Brecht: It has been very long since I have heard anything of you and Heli and Barbara, even though I have seen Reyher235 fairly regularly. Let me begin by explaining our failure to do Galileo again after Christmas. Charles’236 commitments were so vague that it seemed impossible to count on more than two weeks, and two weeks seemed too short a time and too big a risk for the money involved. Now I talked to Charles today and I feel that we will work out a production for the fall. He is coming East in April and we will talk then. Due to his failure to find any picture this spring, I don’t believe a tour of the Universities is practical. But this does preclude a commercial production if he can commit himself as to time. Both Reyher and I feel that the “Caucasian Circle of Chalk” needs something more than Bentley’s pedestrian treatment. I am wondering if it would be possible to obtain from you your latest German version of the play, so that any further work would have a definite relation to your script, rather than to Bentley’s version. I am talking to several people who would be interested, but Reyher and I are anxious that we be close to your original work. Would you send this to me. The script is now cleared with Auden and Stern. I spent a week on the coast in February and saw Joe’s Louise.237 Joe must be almost finished with “The Boy with the Green Hair”238 and as it looked in February, everyone was most hopeful. Unhappily, Louise was not able to hold on to her baby and although she seems well now, if somewhat weak, she was pretty badly hit. My best wishes to you all. I hope very much that you will be able to send on the German version of the Chalk Circle and even write me a letter or ask Heli to. Sincerely, T. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: T. Edward Hambleton 1430 Broadway ◦ New York 18, N.Y. ◦ Bryant 9-3234; BBA 1762/83-84.

235 236 237 238

Im Ts: „Rehyer“; im folgenden stillschweigend korrigiert. Charles Laughton. Frau von Joseph Losey. Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947.

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T. Edward Hambleton an Bertolt Brecht [New York, vermutlich Frühjahr 1948] Mr. Bertolt Brecht Gartenstrasse 38, Zurich Switzerland Dear Brecht: I am enclosing notices from Newsweek, Daily Worker, New Republic and a short Progress report.239 It did not seems wise to bring Charles240 back for two weeks at the end of this month, since he couldn’t have remained owing to this picture in Jebruary [sic], however I am working with Robert Breen of American National Theatre and Academy commonly known as ANTA.241 to set up a tour of the colleges for the spring after Charles picture. This seems both practical and exciting and plans should be worked out by the end of the month. We have still not Auden on the Coucasian Circle [sic] but he should be back in a few weeks. Bentley was here with an improved version of the Coucasian Circle which I will take over to Reyher242 this week. Joe’s picture243 seems to be going ahead which is most happy news. I expect I will go out to the Coast to see both Joe and Charles when plans are in shape for the college tour. My love to Helli and Barbara. I hope all goes well and I’m glad that you will have no truck with the Legion. Sincerely, T. T. Edward Hambleton THE:dc P.S. I expect to read “The Good Woman of Szechuan” which I have finally obtained from John Gassner. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: T. Edward Hambleton; BBA 1959/58.

239 Die Beilagen sind nicht überliefert. Das Nachrichtenmagazin Newsweek erscheint seit 1933 wöchentlich in New York; Daily Worker, die Zeitung der KP der USA, erschien von 1924 bis 1956 in New York; The New Republic, 1914 in New York als linke Wochenzeitschrift gegründet, erscheint inzwischen als Halbmonatszeitschrift. 240 Charles Laughton. 241 Nicht-kommerzielle Theatergesellschaft, gegründet 1935 vom amerikanischen Kongreß. Geleitet wurde sie von Robert Breen. 242 Im Ts: „Rehyer“. 243 The Boy With Green Hair (vgl. Anm. zu Losey, 28.1.1948).

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Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 20.3.1948 BASEL, DEN 20. März 1948. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , bei Mertens, Bünishoferstr. 14, Feldmeilen. BETRIFFT: Abt. Bühnenvertrieb. Sehr geehrter Herr Brecht, Im Anschluss an Reisen unseres Herrn Reiss nach Wien und als Folge langwieriger Verhandlungen, Interventionen und Korrespondenzen, sowie dank der Interventionen unseres Wiener Anwaltes, besonders anlässlich der Schillingabwertung, ist es uns gelungen, die österreichischen Behörden wenigstens zu einem teilweisen Transfer der österreichischen Tantiemeneingänge in die Schweiz zu bewegen. Wir freuen uns über dieses Resultat ganz besonders und vorallem auch deshalb, weil es damit erstmals, wenn auch unter allergrössten Schwierigkeiten, gelungen ist, Transferierungen aus dem deutschsprechenden Ausland in Aussicht gestellt zu erhalten. Die Transferierungen erfolgen in Teilbeträgen zu Gunsten der Reiss A.G., Basel und die österreichische Nationalbank überlässt es uns, diese Beträge auf unsere Autoren zu verteilen. Die uns auf Grund der Verträge mit den Autoren zustehende Verlagsprovision stellt unsere Entschädigung für Plazierung der Werke und das Inkasso an Ort und Stelle in der betreffenden Landeswährung dar. Darüber hinaus haben wir bis heute auch Bemühungen im internationalen Zahlungsverkehr ohne weitergehende Belastung der Autoren auf uns genommen. Die uns mit den oben geschilderten Bemühungen in Oesterreich entstehenden Unkosten für Reisespesen, Anwaltsentschädigungen etc. etc. sind aber so gross, dass wir zu unserem Bedauern keinesfalls in der Lage sind, diese besondern Spesen ausschliesslich selbst zu tragen. Wir sehen uns deshalb genötigt, um unsere Unkosten zu verringern, unsern Autoren an den aus Oesterreich transferierten Beträgen einen zusätzlichen Prozentsatz von 20% in Abzug zu bringen, wobei wir gleich betonen möchten, dass wir trotzdem auch noch einen Anteil an den besondern Unkosten selbst tragen müssen. In [A]nbetracht dessen, dass unsere Autoren bei diesen Ueberweisungen den offiziellen Kurs von Schill. 2.30 pro Schw. Fr. 1.-- erhalten, also einen Kurs, der weit über dem wahren

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Wert des Schillings steht, dürfte die Sonderbelastung von 20% umso geringfügiger erscheinen. Wir ersuchen Sie hiemit höflich, uns Ihr Einverständnis mit der vorgeschlagenen Regelung zu erteilen. Da wir, wie gesagt, nur einen beschränkten Betrag zur Verfügung haben, den wir auf die Autoren aufzuteilen haben, können wir aus den erwähnten Gründen nur diejenigen Autoren bei den Schweizerfrankenzuteilungen berücksichtigen, die gewillt sind, den genannten bescheidenen Anteil an den Unkosten mitzutragen. Sollten Sie sich hiemit nicht einverstanden erklären können, so stehen Ihnen Ihre Tantiemenanteile selbstverständlich ohne Sonderabzug in Schillingen in Wien zur Verfügung. Sollte sich in Zukunft der Transfer so eingespielt haben, dass besondere Unkosten damit nicht mehr verbunden sind, so werden wir Sie hiervon unverzüglich benachrichtigen und Ihnen die überwiesenen Beträge vollumfänglich in der Schweiz zur Verfügung stellen. Mit den besten Empfehlungen R EISS A .G. Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/38–39.

David Luschnat an Bertolt Brecht Paris, 21.3.1948 David Luschnat

Paris V., den 21. März 1948. 15 rue Berthollet - Hôtel du Monde Monsieur Bert Brecht Stadttheater CHUR (Graubünden) SUISSE

Lieber Bert Brecht, ich las in der Zeitung von der Aufführung der ANTIGONE in Ihrer Bearbeitung.244 Gern wäre ich dabei gewesen. Nach einjährigem Aufenthalt in Deutschland (französische Zone) bin ich wieder nach Frankreich zurückgekehrt. Beiliegend sende ich Ihnen zwei Copien unserer Dienstbescheinigungen vom Gouvernement Militaire und vom Ministerium. Meine Frau war ebenso wie ich bei der Militärregierung tätig. Unsere Kinder hatten wir wärend dieses Jahres in der Schweiz untergebracht. Jetzt sind die Kinder wieder bei uns. Wir wohnen in zwei kleinen Hôtelzimmern zahlen dafür 260.- ffrs pro Tag, suchen Arbeit und eine Wohnung, finden beides nicht. Wenn Sie bewirken könnten, dass uns 244 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948.

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einmal ein Lebensmittelpaket aus der Schweiz von einer Hilfsstelle geschickt wird, wäre ich Ihnen dankbar. Meine Frau hat, wie Sie wissen, 1934 den Diensteid auf Hitler (sie war Studienassessorin, Geschichte und Geografie) mit schriftlicher Begründung verweigert. Wegen dieser und anderer Dinge: Haftbefehl, Gestapo, individuelle Ausbürgerung durch die Nazistrolche. Sie beherrscht deutsch, italienisch, englisch, französisch. Die Quaker haben meiner Frau eine 3te halbtagsstellung als Aufwartefrau vermittelt, die meine Frau in den nächsten Tagen antreten wird: zwei Stunden täglich, Bezahlung 50.- ffrs pro Stunde. Das Comité Intergouvernemental hat uns durch das Comité International pour les Intellectuels Réfugiés (CIPIR)245 Mme. Vavasseur für den Monat Februar eine Unterstützung von 5000.- ffrs gegeben. Für den Monat März und für die Zukunft wurde uns die Unterstützung abgelehnt (ohne Begründung). Für den Monat April ist uns vom CIPIR-Comité ein Lebensmittelpaket in Aussicht gestellt. Ich lege Ihnen noch eine Einladungskarte für meinen Vortrag am 17. März und meine Vorlesung am 22. März bei zu Ihrer Information, ausserdem ein Programm x Ich würde mich sehr freuen, Sie nach so langer Zeit einmal wiederzusehen und zu sprechen. Wenn Sie einmal in Paris sind, rufen Sie mich bitte an oder schreiben Sie eine Karte. Grüssen Sie bitte auch Ihre Frau von mir, die ich in Paris kurz gesprochen hatte (1933/34) Telefon: Gobelins 4488. mit bestem Gruß David Luschnat x

und ein Gedicht: „Nachts im Hôtel in Deutschland“.246

Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3133.

Verlag Felix Bloch Erben an Bertolt Brecht Berlin, 23.3.1948 Herrn Bert B r e c h t p/Adr. Stadttheater Zürich 23.3.48

245 Das 1933 in Genf gegründete Comité international pour le placement des intellectuels réfugiés. 246 Die Beilagen sind nicht überliefert. Luschnats Gedicht erschien in der Zeitschrift Aufbau, Nr. 30, 1948.

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Sehr geehrter Herr Brecht! Nunmehr scheint es wahr zu werden – Zeitungsnachrichten zufolge –, dass Sie nach Berlin kommen. Auch wir heissen Sie herzlich willkommen und freuen uns, Sie hier zu sehen. Über Herrn Dr. Baerensprung hatten wir in der jüngsten Zeit schon wieder Verbindung mit Ihnen, und wir hoffen, dass auch unsere Nachrichten Sie erreicht haben. Wir wollen diesen Brief nicht weiter auf geschäftliche Dinge ausdehnen, doch sollen Sie wissen, dass wir Ihnen gern jederzeit mit unseren Kräften zur Verfügung stehen. Mit besten Empfehlungen Ihre ergebenen Felix Bloch Erben ppa. […] Überlieferung: Ts, hs. U. (unleserlich), Bv.: FBE Felix Bloch Erben Verlag und Vertrieb für Bühne, Film und Rundfunk Berlin-Charlottenburg 2, Jebenstraße 1 (Bhf. Zoo) Fernsprecher: 32 29 28 Postscheckkonto: Berlin: 109 18 Bankkonto: Nr. 98 7 83 bei der Bez.-Bank Charlottenburg, Kurfürstendamm 59–60; BBA 784/18.

Selma Steinberg247 an Bertolt Brecht Zürich, 23.3.1948 Zürich, den 23. März 1948. Herrn Bert B r e c h t c/o Schauspielhaus Zürich Sehr geehrter Herr Brecht, Soeben erhalten wir aus Mailand einen dringenden Anruf, mit der Bitte, Sie aufzufordern, sofort nach Ostern in Mailand im Casa di Cultura Vorträge halten zu wollen. Das Verlagshaus Einaudi, der Dichter Elio Vittorini, sowie das ganze Casa di Cultura würden sich sehr freuen, wenn Sie ihrer Bitte Folge leisten würden. Da das Casa di Cultura ungefähr ab 10. April wieder besetzt wäre, wird man es sehr begrüssen, wenn Sie schon nächste Woche – also ungefähr Mittwoch, Donnerstag nach Mailand kommen könnten. Wir geben Ihnen diesen Auftrag hiermit weiter und hoffen, dass es Ihnen möglich ist, diese nicht alltägliche Einladung anzunehmen. Mit herzlichen Grüssen und 247 Selma Steinberg, Schweizer Verlegerin. Zusammen mit ihren Schwestern Lili Steinberg und Sophie Menzel leitete sie den Steinberg Verlag in Zürich.

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aller Hochschätzung STEINBERG-VERLAG ZUERICH S. Steinberg. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Steinberg Verlag Zürich / Rehalp Schwendenhausstrasse 19 Telefon 24 94 96 Telegramme: Steinbergverlag Zürich Postcheck-Konto VIII 19935 Bank: Privat-Kommerzbank AG. Zürich Für Verlust und Schaden an den uns übersandten Manuscripten können wir keine Verantwortung übernehmen; BBA 1763/43.

Bruno Leiner an Bertolt Brecht Konstanz, 24.3.1948

Konstanz, den 24. März 1948 Malhaus Dr. L./H.

Herrn Bert B r e c h t Feldmeilen Sehr geehrter Herr Brecht! Herr Dr. Hirschfeld teilt mir soeben mit, daß Sie meinen Brief vom 29. Januar nicht erhalten hätten. Ich gestatte mir daher noch einmal das Anliegen Ihnen vorzutragen, welches der Inhalt desselben war. Herr Schauspieldirektor Horst van Diemen vom Staatstheater Dresden telegraphierte mir damals folgendes. „Erbitte nach erfolgreicher deutscher Uraufführung von Mutter Courage in Konstanz unter meiner Leitung als nunmehriger Schauspieldirektor Staatstheater Dresden von Herzen die Aufführungsrechte von Mutter Courage hierorts zur Eröffnung wiedererbauten Schauspielhauses in zerstörtester Stadt Deutschlands. Außerdem erbitten wir Spielgenehmigung von Heilige Johanna der Schlachthöfe. Alles wird getan um den beiden Werken zu vollem künstlerischen Erfolg zu verhelfen. Mit Dank im voraus zur Erfüllung unserer Bitte Horst van Diemen Staatstheater Dresden“ Ich möchte diese Bitte des Herrn van Diemen warm unterstützen. Herr van Diemen ist mir von seiner Konstanzer Tätigkeit her sehr gut bekannt. Unter seiner Direktion gewann das Stadttheater einen bedeutenden Ruf. Ein Höhepunkt war die Uraufführung Ihrer Mutter Courage, während der von mir veranstalteten Konstanzer Kunstwoche 1946. Ich gestatte mir ein Programm derselben beizufügen. Sehr dankbar wäre auch ich Ihnen, wenn

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Sie dem Staatstheater Dresden die Möglichkeit eröffnen würden, diese bedeutungsvollen Werke dort zu zeigen. Darf ich Sie bitten, mir doch möglichst bald Antwort zukommen zu lassen. Mit der Versicherung meiner verehrungsvollen Hochachtung und besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener Leiner. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dr. Bruno Leiner Konstanz Malhaus Fernruf 289; BBA 1764/15.

Wilhelm Herzog an Bertolt Brecht Basel, 24.3.1948 Basel Schönbeinstr. 15 24/März 1948 Lieber Bert Brecht, hier endlich unsere Adresse. In dem kleinen Amerika war es natürlich viel leichter zusammenzukommen als in der großen Schweiz. Kommen Sie bitte mal nach Basel? Dann würde[n] meine Frau248 und ich sich freuen, Sie zu sehen. Seit gestern haben wir sogar Telephon: 8.17.90 Herzlichen Gruß der Antigone und Ihnen, Ihr Wilhelm Herzog Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 1195/65–66.

Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 26.3.1948 March 26, 1948 Dear Brecht: Hellie wrote about “Antigone” and sent a picture which looked very interesting. I’m delighted she’s acting again.249 We miss you all very much and I hunger for more work of the sort on “Galileo.” 248 Die Schauspielerin Erna Morena (1885–1962). 249 Helene Weigel spielte die Titelrolle in Brechts Antigone-Bearbeitung (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948).

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I finished shooting the picture250 a few days ago and am quite exhausted. It still seems hardly believable that such a picture, mild as it is, can actually get to release. But perhaps it will. Charles251, meanwhile, has been conducting a class in Shakespeare at the Coronet. He seems very healthy-minded and talks of reducing his standard of living to the point where he can “afford” to do the things he wants to do. He even talks of selling the house and paintings. I believe he is developing considerably as a human being, and certainly as an actor. Unfortunately, I haven’t been able to see him during the seven weeks on the picture, but will resume with him, I hope, in another ten days or so. T252 was out to talk to Charles about doing “Galileo” and “Measure for Measure”253 this Spring at the Utah State Festival in Salt Lake City. Charles, flunking action as he so often does, felt that the Shakespeare couldn’t be ready and they didn’t want to do “Galileo” alone. T and Breen254 had also arranged for a university tour this Fall but I gather Charles again refused to make a commitment but he is going to New York for further discussions middle April. T has been unable to settle things with Bentley and Auden but goes on hoping to bring something out of “Caucasian Circle”. Geiger is still floundering badly, demonstrating courage, ambition and rightness of point of view but very little realism. Adrian Scott has started his own independent produ­ cing company and will do a picture about racial discrimination for $175,000.255 Of course, they have no release – – since the persecutions256 go on and extend – – but they feel they can recoup their money with a small profit through independent theatres. The depression in Hollywood is acute, even more so than during the early 30’s. The terror, of course, doesn’t abate, but at least the Wallace candidacy257 is showing some vigor. We got nearly 500,000 signatures to put him on the ballot in California, alone, and this in spite of the fact that his speeches are not covered and he has practically no way of reaching the public except through paid radio. Charles has gotten no film work and I don’t believe there is any immediate prospect for him. As for material for the proposed theatre in Berlin, of course I would be enormously interested in any opportunity to work with you. I think there are many things we could 250 251 252 253 254 255

The Boy With Green Hair (vgl. Anm. zu Losey, 28.1.1948). Charles Laughton. T. Edward Hambleton. Komödie von William Shakespeare (1604). Robert Breen (vgl. Anm. zu Hambleton, Frühjahr 1948). Dieser Film kam offenbar nicht zustande. 1947 bereits hatte Adrian Scott für RKO den kontroversen Film Crossfire (Im Kreuzfeuer, Regie: Edward Dmytryk) produziert, der Antisemitismus im Amerika der Nachkriegszeit thematisiert. 1948 war er, ohne als Produzent genannt zu werden, auch an Joseph Loseys Film The Boy With Green Hair beteiligt. 256 Adrian Scott gehörte zu den „Hollywood Ten“, die sich weigerten, vor dem HUAC auszusagen. 257 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.1.1948.

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do. For instance, “The Great Campaign” by Arnold Sundgaard, which I did several years ago in the Experimental Theatre and about which I think Reyher wrote you.258 Or perhaps a dramatization of Reyher’s book, “I Can Hear Them Singing.”259 There’s lots of material. Why don’t we do some Shakespeare? Charles dreams of doing Lear260 with you and me. Couldn’t we do it in England? Rennee Rubin261, whom you met quite often with us, is now in London and unbeknownst to Charles I have sent her a script of “Galileo” and she’s attempting to do something about a British production. If it were offered Charles, I feel sure he’d do it. Rennie may write you directly, and she may propose that you fly over to London for negotiations if anything concrete seems to promise itself. You know you never did write us about the 13th scene262 – – or the records of Charles. And while he says nothing about it, I think it would mean a good deal to Charles to hear from you. I think there may be a real possibility of making films in England or France for independent release. George Tabori has been talking about it – – maybe “Galileo” that way. Of course, too, the American film companies now have huge sums of money which they can only spend in England. All these things I keep in mind, and hope you will, too, so that we can before too long mature some kind of joint project. Louise263 had an operation in connection with the baby and is now finally all right. She sends her love. Love to you all. You’re very much missed and regretted. Joe Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: RKO Radio Pictures, Inc. 780 Gower Street, Los Angeles 38, Calif. Reg. US Pat.Off. No order or agreement shall be binding on this Corporation, unless in writing and signed by an officer; BBA 1762/93–94.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Mailand, 27.3.1948 Suisse

258 Vgl. Reyher, 24.4.1947. 259 I Heard Them Sing, Boston 1946. Vgl. Anm. zu Reyher, 23.7.1946. 260 King Lear (1606), Tragödie von William Shakespeare. 261 Renée Rubin, Charles Laughtons Sekretärin. 262 Die 13. Szene des Galileo, über die Losey Brecht mehrfach geschrieben hatte. 263 Joseph Loseys Frau.

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Herrn Bertolt Brecht Zürich-Feldmeilen bei Mertens Baumschule Lieber Bert! Verschiedenes wurde versucht, was vielleicht im Prinzip von Erfolg sein kann, so Einaudi, der Kulturverlag hier, der versuchte, mit Dir schon lange in Verbindung zu treten. Telefonische Verbindung wurde angebahnt. Ich komme erst am Dienstag abend es ist viel zu tun und dabei interessant. Herzlichst Dein C Überlieferung: Ms (Postkarte), BBA 3165.

Johannes Resch264 an Bertolt Brecht Berlin, 27.3.1948 Berlin, den 27.3.48. Lieber Bert Brecht! Besinnen Sie sich noch auf den „Klub der Geistesarbeiter“ von 1931/33?265 Ich seh Sie noch in einer unsrer Versammlungen mit Brentano zusammen vor mir sitzen. Das waren Zeiten! Heut müssen wir noch immer die „Gebildeten“ zu unsern Fahnen rufen, d.h. man muß ihnen den Weg zur Handarbeiterschaft zeigen, den sie allein nicht finden. Daher habe ich Sie in einem Aufsatz im Dezemberheft des „Aufbau“ als den apostrophiert, der berufen ist, echter Volkslehrer zu sein, der die Herzen sowohl der Intellektuellen wie die der Handarbeiter aufschließt, dass sie endlich zueinander finden in einer Volksbildungsbewegung von unten her, die aus den Massen aufbricht und die andern mitreißt.266 Wir hoffen hier, dass Sie bald zu uns kommen. Dann bitte ich Sie, einmal mit uns zu Rate zu sitzen, wie man auf dem hier angedeuteten Weg weiterkommt. Am liebsten käme ich in die Schweiz, um noch in Ruhe mit Ihnen zu reden. Denn wenn Sie hierher kommen, werden Sie in einen 264 Johannes Resch (1875–1961), Reformpädagoge und kommunistischer Kulturpolitiker. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands tätig. 265 Der Klub der Geistesarbeiter war eine von Fritz Eichenwald, Felix Bobek u.a. geleitete Gruppe von Intellektuellen, die seit 1929 mit einer Reihe von Veranstaltungen, wiederum vor allem Intellektuelle, zum Widerstand gegen die drohende faschistische Entwicklung der Weimarer Republik mobilisieren wollte. Resch selbst schrieb darüber später den Aufsatz „Der Klub der Geistesarbeiter. Berliner Intellektuelle im Kampf gegen Reaktion uns Hitlerfaschismus vor 25 Jahren“, in: Berliner Heimat, 1957. 266 Vgl. Johannes Resch, „Die deutsche Volksbildung in der Gegenwartskrise“, in: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift, Heft 12/1947.

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reißenden Strom hineingerissen werden, der alle „Prominenten“ in seinen Strudel zwingt, daß sie für die Dinge, die in der Abseitigkeit gedeihen, oft nicht mehr zu haben sind. Ich habe Erich Weinert gebeten, Sie von mir zu grüßen und Sie mit der besonderen Hoffnung vertraut zu machen, die ich auf Sie setze. In herzlicher Verbundenheit Ihr Johannes Reschke [Hs.] Berlin W 8 Jägerstr. 1 (Zentralleitung Kulturbund???) Eine in nächster Woche […] Rundfunkwerk wird Ihnen Teo Otto vermitteln […]267 Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg., BBA 3168.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht New York, 28.3.1948 28.3.48 Bertolt Brecht c/o Schauspielhaus Zürich Lieber Bertolt, endlich beginnen die Dinge sich für mich zu klären. Ich bin den Vertrag mit Schoenhof los.268 Zwar hängen mir noch ein paar tausend Doll[a]rs Schulden am Halse, aber damit hoffe ich in ein paar Monaten fertig zu werden. Genaueres siehst Du aus dem beigelegten Bericht. Ich hoffe meine (wenigstens zivilrechtlich) wiedererlangte Bewegungsfreiheit ähnlich wie Budzi und Bloch269 verwenden zu können, die beide einem Ruf als Professoren von der leipziger Fakultät Folge leisten. Wenn Du so einen oder einen ähnlichen Ruf für mich anregtest, so wäre mir das sehr lieb. Soweit ich weiss, ist für alle in Frage kommenden Berufungen das Amt für Volksbildung zuständig, wo Weinert eine maßgebliche Stimme hat. Ich bin mit der deutschen demokr. und prol. Literatur dieses Jahrhunderts genügend vertraut, um darüber lesen zu können. Und ich täte es gerne als Vorarbeit für unsre Literaturgeschichte,270 von der ich das meiste selber werde schreiben müssen, da fast alle

267 Konnte nicht entziffert werden 268 Vgl. Herzfelde, 11.7. u. 23.8.1946. 269 Hermann Budzislawski und Ernst Bloch. Auch Herzfelde wurde 1949 Professor in Leipzig. 270 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945.

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Kollegen verzogen sind. Es gäbe mir auch die notwendige Unabhängigkeit, um nur und erst dann wieder zu verlegen, wenn ich es so kann wie besprochen. „Furcht und Elend“ dürfte inzwischen in der „Aurora-Bücherei“ Berlin herausgekommen sein. Hoffentlich bist Du bald in der Lage, Dein Honorar daraus abzuheben. Bis zur Höhe von 10.000 Expl. steht 40% davon Schoenhof zu. Hingegen schuldet er Dir ca. 90.Dollars aus der hiesigen Auflage. Den genauen Betrag kenne ich noch nicht, ich berichte Dir darüber, sobald mir Schönhofs Abrechnung vorliegt. Wien, und wahrscheinlich auch München, bringen den Band auch noch in diesem Jahr. Nach dem „Aufbau-Verlag“ sende ich die „Gedichte im Exil“.271 Falls Du Ergänzungen oder dgl. wünscht, sende sie bitte hin und lass es mich wissen. Nach München und Wien sende ich dann die berliner Korrekturen, damit alles gleich lautet. Bitte, vergiss nicht, meine akademischen Pläne zu fördern, und sende mir Deine Zustimmung (oder Kritik) des beigelegten Berichts. Bloch, Weiskopf, Mann, Graf haben bereits o.k. dazu gesagt. Gern wüsste ich mehr von Deinen Arbeiten und Aufführungen. Dir und den Deinen herzliche Grüsse Dein Wieland Bericht des Geschäftsführers an die Mitbegründer des AURORA Verlages, New York. Vor etwa 2 Jahren, am 11. April 1946, erklärten die Herren Molho und Müller (Gegenzeichner in unserem Finanzierungsvertrag mit der Fa. Schoenhof in Cambridge), diese Fa. sei nicht mehr imstande, ihre Verpflichtungen AURORA gegenüber zu erfüllen. Diese Verpflichtungen umschlossen Lieferantenansprüche in Höhe von ca. 12.000 Dollars und eine zusätzliche Summe in unbekannter Höhe, die zur Erfüllung abgeschlossener Verlagsverträge benötigt würde. Für diese Beträge hatte Schoenhof AURORA gegenüber die Haftung, aber AURORA haftete seinerseits den Lieferanten und Autoren gegenüber. Genau hiess das, ich haftete den Lieferanten gegenüber, das war in der Vereinbarung mit den andern Gründern ausdrücklich festgelegt worden. Mit Schönhof zu prozessieren fehlten mir nicht nur die Mittel, sondern auch der Wille. Denn Schönhof weigerte sich ja nicht, seinen Verpflichtungen nachzukommen, sondern war nur unfähig dazu, Deutschland und Oesterreich und praktisch auch das übrige Europa waren nicht in der Lage, Bücher für Dollars zu erwerben, – daher Schönhofs finanzielle Schwierigkeiten. Es kam zunächst eine Einigung zustande: Schönhof verpflichtete sich, im Laufe eines Jahres 12.000 Dollars zu beschaffen, sollte jedoch von der Verpflichtung, weitere Bücher zu reproduzieren, nach Möglichkeit entbunden werden. 271 Vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f., dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938.

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Demzufolge wurde die Veröffentlichungspflicht für folgende Bücher rückgängig gemacht: Graf „Das Leben meiner Mutter“ Weiskopf „Abschied vom Frieden“272 Weiskopf und Pinthus „Die deutsche Literatur im Exil“273 Heartfield „Krieg im Frieden“274 Grosz „Unter der gleichen Sonne“275 Und inbezug auf folgende Bücher wurde Schönhof gleichfalls seiner Finanzierungspflicht enthoben, während mit den Autoren vereinbart wurde, dass sie die Veröffentlichung ihres Werkes in europäischen Lizenzverlagen als Vertragserfüllung akzeptieren würden: E. E. Kisch: Geschichten aus 14 Ghettos276 Brecht: Gedichte im Exil277 Uhse: Der blaue Schwan278 Herzfelde: Immergrün279 Ich war gezwungen, die damals in Herstellung befindlichen Bücher – Seghers: „Morgenröte“280 und Grafs Romans „Unruhe um einen Friedfertigen“281 – verlangsamt herzustellen, damit die Rechnungen dafür erst später fällig würden. Dieser Zwang verstärkte sich, als Schönhof mit seinen monatlichen Raten in Verzug und schliesslich ganz ins Stocken geriet. Tatsächlich sind von den 12.000 Dollars heute, nach fast zwei Jahren, ca. 500 Dollars noch nicht einbezahlt worden, ausserdem sind in dieser Zeit aus der Fertigstellung der letzten 3 Bände noch ca. $ 2.500.- zusätzliche Schulden entstanden. Da ich die Gläubiger nicht länger hinhalten konnte, entschloß ich mich, eine Bankanleihe von $ 1.100.- auf meinen Namen aufzunehmen, zahlte damit die ungeduldigsten Lieferanten, und gewann damit Zeit, insofern, als ich die Bank in 12 Monatsraten zurückbezahle. (Drei habe ich inzwischen schon bezahlt). Zusätzlich habe ich einige hundert Dollars aus meiner Buch- und Marienhandlung vorgeschossen. Es bestehen z. Zt. daher folgende Verpflichtungen:

272 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.12.1945. 273 Gemeint ist die oben erwähnte „Literaturgeschichte“, die allerdings nicht zustande kam. 274 John Heartfields Krieg im Frieden. Fotomontagen zur Zeit 1930–1938 erschien 1972 im Hanser Verlag, München. 275 Die unter diesem Titel geplante Sammlung von Zeichnungen George Grosz’ blieb unveröffentlicht. 276 Egon Erwin Kischs Geschichten aus sieben Ghettos waren zuerst 1934 bei Allert de Lange in Amsterdam erschienen. 277 Vgl. Anm. in GBA 12, S. 456f., dazu die Anm. zu Dudow, 6.7.1938. 278 Reise in einem blauen Schwan, eine Sammlung von Erzählungen Bodo Uhses, erschien 1959 im Aufbau-Verlag, Berlin. 279 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 18.7.1947. 280 Offenbar ein Irrtum. Zur Anthologie Morgenröte vgl. Anm. zu Herzfelde, 22.9.1943. 281 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 18.7.1947.

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ca.   $ 1.100.- restliche Lieferantenschulden „ 810.- Bankschulden „ ca.        300.- Barschulden Schönhofs an mich. ca. „        150.- Honorarschulden aus dem Jahre 1946 „ „ ca. „        650.- aus Verkäufen nach Deutschland ein noch nicht ermittelter Betrag „ aus Verkäufen im Jahre 1947. Genaue Angaben über ausstehendes Honorar erh[a]lten die Autoren, sobald ich die Zahlen aus Cambridge erhalten habe. Der erwähnte Verkauf nach Deutschland wurde mir erst bekannt, nachdem die Bücher (im Dezember 1947) abgesandt waren. Da Schönhof in sogen. Exportmark dafür bezahlt wird – womit ein starker Kursverlust verbunden ist, – wollte er als Honorar Exportmark zur Verfügung stellen, was ich natürlich ablehnte. Wir einigten uns schliesslich darauf, dass 4% statt 10% vom amer. Preis der kart. Ausgabe als Honorar in Dollars bezahlt werden soll, eine Regelung, die meines Erachtens fair ist. Durch diese Verkäufe nach Deutschland sind alle Aurora-Bücher – mit Ausnahme von Feuchtwanger282, Seghers283, Morgenröte und Graf „Unruhe“ ausverkauft worden. Indessen erschienen oder erscheinen sie als Lizenz-Ausgaben im Continental Verlag Wien und im Aufbau-Verlag, Berlin (möglicherweise auch noch im Desch-Verlag, München, mit dem wir noch verhandeln). Und zwar erscheinen unsre Bücher bei diesen Verlagen im Rahmen einer „Aurora-Bücherei“, für die die Gründer des Verlages als Herausgeber zeichnen. Die betreffenden Verträge sind im Einvernehmen mit Graf, Weiskopf, Viertel, Waldinger, Brecht, Bloch und Bruckner aufgesetzt worden. Schwierigkeiten wegen dieser Lizenzausgaben machte Schoenhof. Gemäss unserm ursprünglichem Finanzierungsvertrag bedarf es nämlich für solche Ausgaben seiner Zustimmung. Die wollte er für die kürzlich erschienenen Bücher überhaupt nicht geben, für die andern nur, wenn das halbe Honorar ihm zuflösse. Diese Forderung begründete er mit dem grossen Verlust, der ihm aus dem Finanzierungsvertrag mit AURORA erwachsen ist. Ich wies darauf hin, dass den Autoren durch den Ausfall des europäischen Marktes gleichfalls schwerer Verlust erwachsen ist, und dass er den Finanzierungsvertrag nur teilweise und zögernd erfüllte. Erst am 24.2.1948 kam eine Einigung zustande. Danach ist Schönhof mit Lizenz-Ausgaben aller Bände einverstanden und erhält 40% des Honorars, indessen auch dies nur mit zwei Einschränkungen. Erstens nur bis zur Höhe von 10.000 Exemplaren, 2. nur für Ausgaben, die der Lizenzverlag vor dem 1. Okt. 1949 herausbringt. Dies gilt natürlich nur für Bände, deren Original-Ausgabe Schönhof finanziert hat. Er ist also nicht am Honorar für die bereits erwähnten Bände von Kisch, Brecht, Uhse und Herzfelde beteiligt, ebensowenig an weiteren Bänden, die in den „Aurora-Büchereien“ erscheinen werden. Dies sind z.B. 282 Lion Feuchtwanger, Venedig (Texas), New York: Aurora 1946. 283 Anna Seghers, Der Ausflug der toten Mädchen, New York: Aurora 1946.

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die Bände: Preses-Becher „Der Bockerer“284 und die „Geschichte der deutschen Literatur im Exil“285, deren Manuscript noch nicht vorliegt und für die ein Teil der Arbeiten von Weiskopf und Pinthus verwandt werden soll. Drittens liegt ein mündliches Angebot eines Sammelbandes der Aufsätze von Günther Anders über Existenzialismus, Kafka usw. vor, zu dem sich die Kollegen Bloch, Graf, Weiskopf und Herzfelde zustimmend geäussert haben. Von der finanziellen Abwicklung und dem Vertrieb der 4 letzten New Yorker AuroraBände abgesehen, reduziert sich die Tätigkeit des AURORA Verlages auf die Herausgabe der „AURORA-Büchereien“ in Wien und Berlin (und viell. München). Die Verträge mit den Lizenzverlagen sehen vor, dass im Rahmen dieser Büchereien keine Bücher erscheinen, die die Herausgeber nicht empfehlen, und dass von den Bänden, die die Herausgeber in Vorschlag bringen, mindestens 2/3 (oder, falls mehr als 9 Bände im Jahr vorgeschlagen werden, mindestens 6 Bände) herauszubringen sind. Als diese Verträge aufgesetzt wurden, lebten Bruckner, Graf, Herzfelde, Viertel, Waldinger und Weiskopf in New York, auch waren Bloch und Brecht zuweilen anwesend. Heute leben nur noch Graf, Herzfelde und Weiskopf in New York, und auch das mag sich in Zukunft ändern. Ich frage daher die GründerKollegen, ob sie damit einverstanden sind, dass ich künftig im gemeinsamen Namen Vorschläge für die „Aurora-Büchereien“ mache, auch wenn nicht der Mehrheit sondern nur mir unmittelbar erreichbaren Mitbegründer Zustimmung vorliegt. Gern hätte ich viel früher diesen Bericht gemacht. Aber die Situation war zu unübersichtlich; erst die am 24.2. erfolgte Lösung des Finanzierungsvertrages mit Schönhof hat eine gewisse Klarheit geschaffen. Dieser Bericht geht an alle Gründer des Verlages. Sobald ihre Stellungnahme dazu vorliegt, werden die in New York befindlichen Kollegen die Schlüsse daraus ziehen und die neue Phase der Verlagstätigkeit schriftlich formulieren. Ich schliesse den Bericht mit der Bitte, zweierlei recht bald zu senden: 1. Kritik bezw. Billigung der bisherigen Geschäftsführung 2. Eine Bevollmächtigung des Geschäftsführers die Herausgabe der „Aurora-Büchereien“ in Oesterreich und Deutschland in Einstimmung mit jenen Mitbegründern zu besorgen, die in der Lage sind, sich aktiv an der Prüfung in Vorschlag gebrachter Manuscripte zu beteiligen. Der Geschäftsführer des AURORA Verlags Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Aurora Press founded by: Ernst Bloch / Bertolt Brecht / Ferdinand Bruckner / Alfred Doeblin / Lion Feuchtwanger / Oscar Maria Graf / Wieland Herzfelde / Heinrich Mann / Berthold Viertel / Ernst Waldinger / F.C. Weiskopf 10 West 23rd Street New York 10, N.Y. Telephon Gramercy 5-8250; BBA 1762/63–65.

284 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 18.7.1947. 285 Vgl. Herzfelde, 22.12.1945.

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Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 30.3.1948 30. März 1948 Lieber Brecht, vielen Dank für Ihren aus drei Teilen bestehenden Brief286 – Arbeit und Geschäfte; Gedicht; „mürrische Duldung“ –, der sehr schnell, in vier Tagen, herkam. Jetzt bin ich sehr gespannt, wie und wann Sie nach B.287 kommen, und ich hoffe sehr, dass Sie mir Ihre Eindrücke und Konsequenzen daraus schreiben. Über die Antigone288 las ich in verschiedenen Blättern; es muss sehr gut gewesen sein. Wollen Sie uns nicht ein Exemplar schicken? Stückmodelle in Buchform, mit komplettem Text, Bildern und Anweisungen sind ein herrliches Projekt und dazu ein internationales. Ich meine, man sollte sich z.B. bei der Antigone sofort um Übersetzung kümmern, das würde ich noch gern, so lange ich hier bin, aber mit der Abreise kann es auch schnell gehen, doch davon später. Das Gedicht ist sehr schön, obwohl ich es, glaube ich, nicht ganz begriffen habe. Es ist sonderbar, dass ich da Schwierigkeiten habe. (Während der Hitlerzeit? Nach der Hitlerzeit? Könnte es nicht auch in Georgia sein?) Ich habe noch keinen anderen hier gefragt, nicht einmal meinen Gatten289 (der mir doch Obdach und Nahrung gewährt – unter etwas leichteren Bedingungen als zuvor bei anderen Hausbesitzern.) Ich werde das Gedicht aber sehr bald andern zeigen, Peter und Karen290 und Dessau und Winges und Bois – Wir sehen uns noch ziemlich häufig und alle reden von der Organisierung der Reise. Am weitesten zurück sind wohl Hans und Margot.291 Sehr aktiv Curt B.292 Er hat grosse Ermunterungen von drüben bekommen. Natürlich würde er ungeheuer gern den UI spielen, was er ja wirklich hervorragend gut könnte. Ich habe mir das Manuskript gerade mal vorgenommen. Dessau hängt mit seiner Reise vom Verkauf seines Häuschens ab, aus dem er alles, was mit Reise zusammenhängt, finanzieren muss, ausserdem die Vorsorge füer zwei Kinder. Es ist ein ungeheuer nettes Häuschen, alt und etwas baufällig, aber strikt Utting293, nur dass es auf einem Hügel liegt. Minderbemittelten Amerikanern fehlen natürlich einige übliche Komforts. Aber ich glaube, dass Dessau es fertig bringt, Ende dieses Monats zu fliegen. Aus Ersparnisgründen würde ich das auch gern tun, aber da kann man ja fast nichts mitnehmen. Und obwohl wir kaum etwas zum Mitnehmen haben bisher, hoffe ich doch eben, 286 Nicht überliefert. 287 Berlin. 288 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. 289 Paul Dessau. 290 Peter Lorre und Karen Verne. 291 Vermutlich Hans und Margot Winge. 292 Curt Bois. 293 In Utting am Ammersee hatte Brecht vor seiner Flucht aus Deutschland ein Haus erworben (vgl. Anm. zu Walter Brecht, 3.8.1946, und Lingen, 1.6.1947).

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dass wir uns noch ein paar warme Sachen und eine heile Schreibmaschine mitnehmen können. Manchmal frage ich mich, ob es für mich überhaupt richtig ist, jetzt hinüberzugehen, mein Knie ist zwar nicht immer schlecht, aber doch irreparabel lädiert. Und tägliche Bürowege wären einfach sehr qualvoll. Ich bin ja auch sonst nicht ganz kapitelfest. Ich sage das nicht so sehr meinetwegen, aber ich fürchte mich davor, andere zu inkommodieren und überhaupt nicht richtig mitarbeiten zu können. Auf der anderen Seite hat wahrscheinlich weniger Arbeit drüben mehr Sinn als viel Arbeit hier, es sei denn, dass ich mich wieder mehr mit anderen pol. Dingen befass[e,] die aber auch sehr gute Nerven verlangen. Ich hatte gehofft, dass ich mit Lorre Inc.294 noch irgendetwas machen könnte, aber es ist mit allen Rechtsmitteln nichts zu unternehmen, ich kann nicht einmal Arbeitslosenunterstützung beanspruchen. Es ist auch nicht so, wie Helli mir einmal sagte: „Vielleicht sind Sie garnicht so tüchtig, wie man immer sagt“ – Ich halte das nicht gegen Helli, aber es sprach etwas Unkenntnis daraus – sondern nicht nur dass die Zeiten bereits zu Ihrer Zeit für einen älteren Menschen ohne Mittel schwer waren, jetzt sind sie ganz arg geworden. Im Sommer könnte ich sicher wieder an einem Radioprogramm von Peter teilnehmen, aber wer will das schon. (Er ist jetzt bei einem sehr guten Agenten und will selber eigentlich nichts anderes als zwei geldeinbringende Rollen, mit denen er sich von der Rolle als Stiefelknecht befreien kann.Sagen Sie, war in dem Paket nicht die Misereremusik?295 (Ich frage auf eigene Faust.) D. hat die Musik zum Guten Menschen fertig gemacht.296 Ich, die ich nicht viel davon verstehe, finde sie grossartig. Die Musik zum Schluss ist ein stures feierliches Geklimpere, das mich etwas an „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“297 erinnert. Kann man da nicht etwas machen? An Wieland298 werde ich schreiben. Nachrichten über Suhrk.299 sind sehr erfreulich. Ich bekam – über Baer.300 – Abrechnung von Bloch Erben. Die rechnen hurtig DGO301Tantiemen gegen Schulden auf. Das geht doch nicht. Wie könnte ich an die Tantiemen in Schweden, England heran? Und jetzt habe ich eine grosse Bitte. Kann ich nicht an der Johanna denselben Prozentsatz haben wie an der DGO – es ist nicht viel (12 1/2 aus 100) – und denselben bei den Rundköpfen, die man bearbeiten sollte, d.h. richtigstellen. Gäbe es eine Chance für Hänsel und Gretel302, wenn man die Kinder zu Schwarzmarkthelfershelfern machte. Olga303 schrieb mir mal eine tolle Geschichte von einem Kinder294 Filmproduktionsfirma Peter Lorres. Vgl. Hauptmann, 14.11.1947. 295 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 15.11.1947. 296 Dessau hatte 1947/48, teilweise in Zusammenarbeit mit Brecht, eine Musik zu dem Guten Menschen von Sezuan geschrieben. 297 Weihnachtslied (1837) von Wilhelm Hey. 298 Wieland Herzfelde. 299 Peter Suhrkamp. 300 Horst Baerensprung. 301 Die Dreigroschenoper. 302 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 27.2.1948. 303 Olga Lang.

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Gang, der über ein weitverzweigte[s] Netz in Bayern arbeitete, und in Zeitschriften waren Kinder abgebildet, die gefaehrliche Botengaenge über die Grenze machen. Ich hatte mir auch die Geschichte vom „Achten“ wiederherausgeholt. Da ich am runden Küchentisch arbeiten muss und zu jeder Mahlzeit meine Sachen wegpacken, ausserdem einige häusliche Sachen verrichten muss, bin ich noch nicht weit gekommen. Aber die Story gefällt mir immer besser, während die arrivierten Herren Gelehrten darin immer schlechter da stehen. Es wird, glaube ich, eine sehr gute Geschichte. Ich brauche dazu einfach etwas Ruhe, weil es ja auch ein bischen Mosaikarbeit ist. Ich habe es immer noch nicht gelernt, Schreiben, Hausarbeit und Gartenarbeit zu vereinigen. Es war in New York schon ein Kreuz. Das eine macht mich immer zu müde fürs andere. Emma Radtke304 schickte mir Zeitungen mit Artikeln anlässlich Ihres Geburtstages, sie wollte Ihnen auch schreiben. In ein pa[a]r Artikeln, die mehr Reminiszenzen waren – die Namen der Schreiber sind mir unbekannt – war sogar ich erwähnt, neben Hans und Slat.305 und Frau Radtke schrieb dazu: „Und so können Sie sehen, dass Sie, liebe Frau H., sich auch einiger Beliebtheit erfreut haben und vielleicht ist das auch ein Trost in diesen schlechten Zeiten.“ Sie wollte der Helli über Marta306 schreiben, über von der sie leider garnichts weiss. Vergessen Sie nicht, wenn Sie die Antigone schicken sollten, die Ein-Ton-Musik beizulegen. Ich bin ja sicher bis Anfang-Mitte Mai, wenn nicht länger, hier und am sichersten über Karin307 zu erreichen. Schliesslich ist es ja möglich, dass das Häuschen doch verkauft ist bis dahin. (Während ich diesen Brief schrieb, hat es sich Lotte Gosl.308 angesehen, der es sehr gefallen hat und die es kaufen möchte.) Bitte schreiben Sie. Die Zeit wird knapp. Wenn das Haus weg ist, möchte ich nicht lange woanders herumwohnen, sondern auch fahren. X) Herzlichst Bess Gestern abend war eine Veranstaltung im Gilmore-Stadium (wo Sie im letzten Jahre Wallace309 gehört haben), Glen Taylor310 sprach, ausgezeichnet, vor 12000 Menschen. Die dritte Partei ist ungeheuer ins Rollen gekommen, obwohl der Druck stetig zunimmt oder gerade deswegen. Hat F.D.R.311 die Bewegung aufgehalten, hat Trum.312 sie lawinenartig ins Rollen gebracht. Das stellt sich immer deutlicher heraus.

304 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 12.1.1935. 305 Hanns Eisler und Slatan Dudow. 306 Vermutlich Marta Feuchtwanger. 307 Vermutlich Karen Verne. 308 Lotte Goslar (1907–1997), Tänzerin und Choreographin. Ab 1933 war sie zunächst mit Erika Manns Kabarett Die Pfeffermühle in Europa unterwegs, 1936 ging sie in die USA. 309 Henry A. Wallace (vgl. Anm. zu Hauptmann, 1.1.1948). 310 Glen H. Taylor (1904–1984), amerikanischer Politiker, Kandidat der Progressive Party für das Amt des Vizepräsidenten bei den Präsidentschaftswahlen 1948. 311 Franklin D. Roosevelt. 312 Harry S. Truman.

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[Hs.] X) Ich fahre wahrscheinlich über Kopenhagen od. Rotterdam. Von beiden Grenzen kann ich mit dem Auto abgeholt werden! In Kopenhagen könnte ich sogar Sachen abstellen, wenn es nötig wäre. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3116.

Herbert Burgmüller 313 an Bertolt Brecht München, 30.3.1948 Herbert Burgmüller Platanenallee 33 Mühlheim-Ruhr

30. März 1948 B./Bu.

Herrn Bert B r e c h t , Schauspielhaus, Zürich Sehr verehrter Herr Bert Brecht! Gemeinsame Freunde im Aufbau-Verlag und im Berliner Kulturbund haben mich unmittelbar an Sie verwiesen. Ich suche nämlich nach einem Weg, Sie zu einer engeren Mitarbeit an unserer Zeitschrift zu gewinnen. Sollten Sie gerade in Zürich sein, so wird Herr Dr. Hirschfeld meine an Sie gerichtete Bitte sicherlich unterstützen. Ich habe auch im Augenblick ein konkretes Anliegen. Es wäre mir nämlich lieb, wenn ich aus dem „Guten Menschen von Sezuan“ eine grössere Szene bringen dürfte. Ebensoviel läge mir daran, etwas von Ihren in der Skandinavischen Emigration geschriebenen Gedichten zu veröffentlichen. Ich weiss nicht, ob Sie ahnen, wie sehr es uns hier immer noch an einer Literatur mangelt, die, wie Sie sagen würden, nicht „kulinarisch“ ist. Darf ich damit rechnen, Ihre Unterstützung zu finden? In aufrichtiger Verehrung! Ihr Ihnen herzlich ergebener Herbert Burgmüller Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Literarische Revue Willi Weismann Verlag München 27 Herzogparkstraße 2 Telefon 480331 • Telegramme: Weismannverlag München • Postscheck: München 49 3 21 • Berlin 77 050 Bayrische Staatsbank 84 1 07; BBA 1764/45.

313 Herbert Burgmüller (1913–?), Schriftsteller, gab zusammen mit Willi Weismann die Literarische Revue (bis 1947: Die Fähre) heraus. Vgl. Anm. zu Weismann, 5.4.1947.

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Ferdinand Reyher an Bertolt Brecht New York, 1.4.1948 Dear Brecht: Here’s a copy of my next to last communication to Bentley. I but trust his heart is right. His second version of CIRCLE314 is virtually identical with the first, and where he has changed he has seldom improved. If I can get Audrey Wood to take over the decent handling of all this, perhaps under my general supervision, I shall do so. Bentley has presumably written you for permission to publish SETZUAN.315 As it will appear in same volume with CIRCLE, you can as easily okay the latter for him at the same time. He tells me the Setzuan performance passed off pretty well, and expects CIRCLE to be “even better”. How are you, and what are you up to??/ What is with the Galileo film in Italy?316 What other prospects of good matters are in view? From Steff I learn you have reworked and put on the Hölderlin Antigone.317 When shall we do the Antigone of Sophocles and justice to Creon? Write, and give me your correct address, etc., etc. Yrs, Ferdinand Reyher [Hs.] 4:1:48 Copy March 18 27, 1948 Dear Mr Bentley: Excuse me for not answering yours of March 18 at once, but it required thought, and came at a time when I was preoccupied with many matters in addition to getting a show ready for the Addison Gallery of American Art at Phillips Academy in Andover. Here are my answers to your questions: 1. I have heard nothing from Seattle. 2. Send the SETZUAN money directly to Brecht in Switzerland. 3. In all cases of production of CIRCLE have the producing parties send me a copy of the terms proposed.

314 The Caucasian Circle of Chalk. Bentleys Übersetzung des Kaukasischen Kreidekreises erschien in Parables for the Theatre, Minneapolis 1948. 315 The Good Woman of Setzuan. Ebenfalls in Parables for the Theatre erschienen. 316 Vgl. B. an Reyher, April 1948, GBA 29, S. 449 (dazu Anm. zu Reyher, 8.12.1938). 317 Brechts Bearbeitung der Antigone lag die Übertragung von Friedrich Hölderlin (1770–1843) zugrunde.

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4. Please send me a copy of your agreement with Brecht on MASTER RACE, which you suggest using as a model for CIRCLE. 5. Please send me a copy of your contract with the University of Minnesota Press for publication of CIRCLE, in same volume with SETZUAN. It is acceptable that you receive fifty per cent (50%) of the royalties from publication. Production royalties are a separate matter. With kindest regards, Sincerely yours,

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Hotel Chelsea 222 West 23rd Street New York 11, N.Y.; Melvin Jackson. – Dv: Kopie, BBA E 18/68. – E: Lyon, Brecht’s American Cicerone, S. 207.

Fremdenpolizei des Kantons Zürich an Bertolt Brecht Zürich, 1.4.1948 Nr. 254.774 ES/wa

Herrn Bert B r e c h t b/Mertens Brünishoferstrasse [sic] 14 Meilen

1. April 1948 Wir beziehen uns auf Ihre Eingabe vom 19. März 1948318 und teilen Ihnen mit, dass wir bereit sind, die Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke der Vorbereitung Ihrer Ausreise nach Deutschland bezw. Rückreise nach USA bis zum 31. Mai 1948 zu verlängern. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit bleibt untersagt. Fremdenpolizei des Kantons Zürich Schneider Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Direktion der Polizei des Kantons Zürich Fremdenpolizei Telefon 327380 / Postscheck-Konto VIII 864 Zürich, Kaspar Eschershaus, den _______; BBA 3094.

318 Nicht überliefert.

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Max Meinecke319 an Bertolt Brecht Wien, 5.4.1948 5. April 1948. Herrn Bert Brecht Feldmeilen b. Zürich Schweiz. Hochverehrter Herr Brecht! Ich habe die Ehre, Ihnen die beiden ersten Ausgabe unserer Reihe „Kleine bibliophile Theatersammlung“320 überreichen zu lassen. Sicherlich wird Sie besonders der szenische Prolog Hofmannsthals321 interessieren, da er 1926 zu Ihrem „Baal“ geschrieben wurde. Waniek 322 erzählte mir von seinem und auch Ihrem Erstaunen, als diese Ankündigung Ihrem Stück vorangesetzt werden sollte. Möge Ihr Wiederbegegnen heute ein lächelnd freudiges sein. In diesem Zusammenhang möchte ich [I]hnen noch einmal die Bitte wiederholen, für unsere Zeitschrift einen Beitrag zur Verfügung zu stellen. Mit ergebenem Gruss Ihr Max Meinecke. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Komödie Zeitschrift für künstlerisches Theater geleitet von Dr. Benno Fleischmann in Gemeinschaft mit Max Meinecke und Hans Rutz Edition Komödie Wien III., Adolf Kirchlstrasse Nr. 9 Telephon: U 19-6-45, Wien, am ______; BBA 3138.

Selma Steinberg an Bertolt Brecht Zürich, 5.4.1948 5 Aprile 1948 319 Max Meinecke (1912–1972), österreichischer Bühnenbildner, Regisseur und Pädagoge, Mitherausgeber der seit 1946 in Wien erscheinenden Zeitschrift Komödie. 320 Schriftenreihe der Edition Komödie im Wiener Bindenschildverlag. 321 Für die Aufführung von Lebenslauf des Mannes Baal in Wien am 21.3.1926 – die erste Veranstaltung der Reihe „Theater des Neuen“ im Theater in der Josefstadt – hatte Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) das Vorspiel Das Theater des Neuen geschrieben. Der Text erschien 1948 als Heft 1 der genannten Schriftenreihe. 322 Herbert Waniek (1897–1949), österreichischer Regisseur, inszenierte 1926 den Baal im Theater in der Josefstadt.

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Carissima Selma, è poi venuto Brecht per dirti se ha potuto ottenere il visto e se può venire in Italia? Qui sono molto ansiosi di sapere se Brecht viene. Se lo vedi, vuoi anche dirgli, per piacere, se possiano trattare con Einaudi per la pubblicazione di tutte le sue opere? Noi abbiamo visto qui a Milano l’amico di Brecht, Franz Neher, e gli abbiamo parlato dell’intenzione di Einaudi. Ora vorremmo sapere che cosa Brecht chiede per i diritti, e quali altri desideri ha in rapporto con un’edizione italiana delle sue opere (quali dovrebbero essere pubblicate prima; ecc. ecc.) E inoltre vorremmo avere una lista completa delle sue opere e, possibilmente, i testi. Scusami molto per il disturbo che ti ho dato e che ti do’. Tanti saluti anche a Lili tuo Luciano Lieber Herr Brecht, ich sende Ihnen gleich das Original, das ich heute von Dr. Luciano Foà 323 erhielt und wäre Ihnen dankbar, wenn sie entweder mir, oder ihm direkt antworten könnten, wie es mit ihrer Italienreise ist, wie es damit steht, ob Sie das Visum erhalten werden und ob die obige Firma, deren Leiter Luciano Foà ist, ihre Werke vermitteln kann, sowie die weiteren von Foà angefragten Einzelheiten. Ich dachte immer Sie rufen mal an, dann telefonierte ich nach Feldmeilen, doch niemand meldete sich. Wie geht es Ihnen und Ihrer lb. Familie? Kommen Sie uns mal besuchen? Inzwischen recht herzliche Grüsse Ihre Selma Steinberg. N.B. Am 18. ds. sind die Wahlen und da meinte Foà es wäre gut bis spätestens 10 ds. zu kommen – oder dann eben gleich nach den Wahlen. Liebste Selma, ist übrigens Brecht inzwischen vorbeigekommen, um Dir zu sagen, ob er das Visum erhalten hat und ob er nach Italien kommen kann? Wir alle hier sind sehr begierig zu erfahren, ob Brecht kommen wird. Wenn Du ihn siehst, könnest Du ihn bitte auch fragen, ob sie mit Einaudi verhandeln können über die Pulikation aller seiner Werke? Wir haben in Mailand den Freund von Brecht Franz Neher324 getroffen und ihm von der Absicht Einaudis erzählt. Jetzt würden wir gerne wissen, was Brecht für die Rechte verlangt und welche anderen Wünsche er in bezug auf ine italienische Ausgabe seiner Werke hat (welche zuerst veröffentlicht werden sollten usw. usw.) Und darüber hinaus hätten wir gerne eine vollständige Liste seiner Werke und, wenn es möglich ist, die Texte. 323 Luciano Foà (1915–2005), italienischer Literaturkritiker und Verleger. In den 1950er Jahren arbeitete er für Einaudi in Turin, 1962 gründete er den Verlag Adelphi. 324 Vermutlich Caspar Neher.

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Entschuldige bitte vielmals die Umstände, die ich Dir gemacht habe und mache. Viele Grüße auch an Lili. Dein Luciano Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Agenzia Letteraria Internazionale Milano – Corso Matteotti 3 – Telefono 74 609; BBA 1763/26.

Hanns und Lou Eisler an Bertolt Brecht Wien, 8.4.[1948] wien, 8. april.

hanns eisler tuer 8 wien iv gusshausstrasse 24.

lieber brecht: verspaetet kommen meine geburstagswuensche, aber sie sie sind herzlich gemeint. hoffentlich hast du in der naechsten periode viel zeit zum Arbeiten. nach einer schoenen woche in prag, die mich sehr erfrischt hat, bin ich nun etwas verdu[t]zt ueber wien.325 keine truemmer koennen die Lieblichkeit dieser stadt und ihrer bewohner verhindern. ich habe mir eine kleine konzert[t]ourne[e] zusammengestellt, die mich nach paris, amsterdam, london bringen soll.326 da ich nun oesterreichischer buerger bin, duerfte es dabei kaum mehr schwierigkeiten geben. auch moechte ich gerne nach zuerich kommen, um auch die „walisch kantate“327 mit dir fertig zu machen, die man hier dringendst braucht und die auch schon angezeigt ist.

325 Nach seiner Ausweisung aus den USA im Februar 1948 (vgl. Lou Eisler, 25.2.1948) war Eisler über London nach Prag, von dort weiter nach Wien gereist. 326 Dieser Plan wurde nicht verwirklicht. 327 So im Ts. Brechts Koloman Wallisch Kantate (GBA 14, S. 261–270) bezieht sich auf einen im Februar 1934 niedergeschlagenen Arbeiteraufstand in Wien (vgl. Anm. zu Kadmon, 29.4.1948), bei dem auch der sozialdemokratische Politiker Koloman Wallisch (1889–1934) ums Leben kam. Wann der Text verfaßt wurde, ist ungewiß: die ihm zugrundeliegenden Gedichte stammen bereits aus den 1930er Jahren, die Kantate selbst jedoch, zu der Eisler die Musik komponieren sollte, stellte Brecht vermutlich erst im amerikanischen Exil fertig. Aufgeführt werden sollte sie im Rahmen einer von der KPÖ geplanten Gedenkfeier der Februarkämpfe im Jahr 1949. Von diesem Vorhaben aber rückte die Partei bald ab, wohl mit Rücksicht auf Wallischs Parteizugehörigkeit. Eislers Komposition kam nicht zustande.

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ich [k]oennte ein kleines konzert vielleicht als matine[e] im schauspielhaus geben. ich habe der direktion schon geschrieben, kannst du da etwas nachhelfen? vielleicht koennte ich auch mit einer schauspielmusik aushelfen?328 theo lingen sagte mir, dass [Du] Deinen Puntala 329 machen wirst. vielleicht kann man mich dabei brauchen. ich habe nicht die absicht in der schweiz zu bleiben, aber um mit dir etwas zu arbeiten, waere es notwendig, auf kurze zeit dahin zu kommen. ich kann hier in wien alles auffuehren, aber ich brauche hier etwas aeusserst provozierendes, etwas durchaus ungewoehnliches. bitte schreibe mir ein paar zeilen! mit herzlichsten gruessen Dein alter hanns eisler ich lasse helly bitten, meine Kopie der „koloman walisch kantate“ moeglichst rasch zu schicken. Die herzlichsten Gruesse fuer sie und Barbara. Herzlich Lou Überlieferung: Ts, Stempel: Österreichische Zensurstelle 308; BBA 3098.

Theaterverlag Reiss an Bertolt Brecht Basel, 8.4.1948 BASEL, DEN 8. April 1948. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , c/o Mertens, Bünishoferstr. 14, Feldmeilen. Abt. Bühnenvertrieb. BETRIFFT: „Mutter Courage“

328 Diese Vorhaben wurden nicht verwirklicht. 329 So im Ts. Herr Puntila und sein Knecht Matti wurde am 5.6.1948 im Schauspielhaus Zürich unter der Regie von Kurt Hirschfeld und Brecht uraufgeführt – zunächst ohne Musik. Die Musik zur Aufführung des Stücks durch das Berliner Ensemble 1949 schrieb Paul Dessau. Eisler aber komponierte später die Musik zu einer Verfilmung: Herr Puntila und sein Knecht Matti (A 1955, Regie: Alberto Cavalcanti); vgl. dazu die Anm. in GBA 6, S. 472.

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Sehr geehrter Herr Brecht, Beiliegend senden wir Ihnen ein Schreiben des Théâtre National de Belgique betr. „Mutter Courage“ und bitten um Erledigung. Mit besten Empfehlungen per R E I S S A.G. Die Sekretärin: L. […] Beilage: 1 Schreiben. [Anlage:] M.H./Ph.

Bruxelles, le 6 avril 1948

Monsieur Brecht, aux bons soins de Theaterverlag Reiss’A.G. Bâle Cher Monsieur, Nous sommes sans aucune nouvelle de vous, de «Mutter Courage», de Mr Maritz, etc. Avez-vous reçu nos nombreuses lettres et pouvons-nous espérer avoir de vos nouvelles le plus tôt possible? La situation présente nous met dans un cruel embarras. Je suis certain que vous le comprendrez. Croyez à l’expression de mes sentiments très distingués, M. HUISMAN Directeur du Théâtre National de Belgique. Überlieferung : Ts, hs. U. (unleserlich), Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/40 (Anlage: Ts, hs. U., Bv.: Théatre National de Belgique Section Française Secrétariat: 24, Rue Saint-Bernard, Bruxelles – C.C.P.: 3380.96 – TÉLÉPHONE: 37.30.05 ; BBA 1763/4.

Emil Oprecht an Bertolt Brecht Zürich, 8.4.1948 Herrn Bert Bercht Bünishoferstrasse 24 Feldmeilen

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Zürich, 8. April 1948 O/ER Lieber Herr Brecht, Ich habe von Valentino Bompiani in Mailand den beiliegenden Brief erhalten. Sie können ohne weiteres mit ihm direkt verhandeln, doch bin ich gerne Ihr Vermittler, wenn Sie es wünschen sollten. Mit freundlichen Grüssen Ihr Oprecht Beilage [Anlage:] Caro Oprecht, esaminerei volentieri la possibilità di pubblicare qualche dramma di Bertoldt Brecht (soprattutto “Paura e miseria del terzo Reich” e “La linea di condotta”; ma in genere tutta l’opera di Brecht) in volume oppure sulla mia rivista “Sipario”. So che Brecht in questi giorni è da Lei. Potrebbe interessarsi della cosa, e comunicarmi le condizioni? La ringrazio fin d’ora. Si abbia i miei saluti più cordiali. Valentino Bompiani DOTT. EMIL OPRECHT RAMISTRASSE , 5 ZUR IGO Lieber Oprecht, ich würde die Möglichkeit gerne prüfen, einige Dramen von Bertolt Brecht (vor allem „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ und „Die Maßnahme“, aber im allgemeinen das ganze Werk von Brecht) in einem Band oder in meiner Zeitschrift „Sipario“330 zu veröffentlichen. Ich weiß, daß Brecht in diesen Tagen bei Ihnen ist. Würden Sie sich für die Sache interessieren und mir Ihre Bedingungen mitteilen? Ich danke Ihnen im voraus. Seien Sie herzlich gegrüßt. Valentino Bompiani

330 Sipario, seit 1946 monatlich in Mailand erscheinende Theaterzeitschrift. Ab 1951 wurde sie von Valentino Bompiani herausgegeben.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Europa Verlag AG Europa Verlag Verlag Oprecht Zürich Theatervertrieb Auslieferungen Rämistraße 5 ◦ Telefon (051) 242795 ◦ Telegrammadresse: Europaverlag Zürich Schweizerischer Bankverein, Depositenkasse Bellevueplatz Zürich Postcheck: Zürich VIII 23383; BBA 1763/31 (Anlage: Ts, Hs. U., Bv.: Valentino Bompiani & Co […] Milano […] Il Consigliere Delegato; BBA 1763/25).

Emil Oprecht an Bertolt Brecht Zürich, 8.4.1948 Herrn Bert Brecht Bünishoferstrasse 24 Feldmeilen Zch.

Zürich, den 8. April 1948 O/JB

Lieber Herr Brecht, ich möchte sehr gerne einmal mit Ihnen zusammenkommen, um über verschiedene Verlagsangelegenheiten zu sprechen und wäre froh, wenn Sie mir mitteilen würden, wann dies möglich ist. Nächste Woche wird es für mich etwas schwierig sein, denn ich muss vom Mittwoch bis Sonntag in Stuttgart sein. Ich hoffe aber, dass trotzdem eine Vereinbarung für die nächste Zeit getroffen werden kann. Mit freundlichen Grüssen Ihr Dr. Emil Oprecht NB. Wenn es nicht gut möglich ist, dass Sie nach Zürich kommen, kann ich Sie auch in Feldmeilen aufsuchen. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Europa Verlag AG Europa Verlag Verlag Oprecht Zürich Theatervertrieb Auslieferungen Rämistraße 5 ◦ Telefon (051) 242795 ◦ Telegrammadresse: Europaverlag Zürich Schweizerischer Bankverein, Depositenkasse Bellevueplatz Zürich Postcheck: Zürich VIII 23383; BBA 1763/32.

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Karl Thieme331 an Bertolt Brecht [Basel] 8.4.1948 Sehr geehrter Herr Brecht, auf Grund von früheren Gesprächen mit Walter Benjamin nahm ich an, daß die Anlagen Ihnen nicht uninteressant sein werden und dediziere sie Ihnen.332 Hochachtungsvoll Karl Thieme Anlage: Schweizer Rundschau, 46. Jg. (April 1946), darin u.a. Thieme: Gespräch mit dem Gottlosen? Überlieferung: Ts (Abschrift), BBA E 73/250.

Hans Oprecht an Bertolt Brecht Zürich, 10.4.1948 Zürich, den 10. April 1948 Herrn Bert Brecht c/o Mertens Bünishoferstrasse 14 Feldmeilen Sehr geehrter Herr Brecht, Wie wir durch Lisa Tetzner erfahren, wünschen Sie Ihren Dreigroschenroman neu herauszubringen.333 Wir bitten Sie, uns ein Prüfungsexemplar zu senden. Wir interessieren uns sehr für Ihre neuen Arbeiten. Dem Vernehmen nach, beabsichtigen Sie eine Fortsetzung des „Schwejk im 2. Weltkrieg“ zu veröffentlichen. Wir werden die „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges“ im Jahre 1949 voraussichtlich in unserem Ver-

331 Karl Thieme (1902–1963), Historiker und Theologe, emigrierte 1935 in die Schweiz. 332 Brecht antwortete im April 1948: „ich danke Ihnen sehr für die Übersendung der Aufsätze (ich wollte, ich hätte den HOCHLAND noch). Das von Ihnen zitierte Laotsegedicht hat Benjamin, wie ich hörte, in dem französischen Lager, in dem er zuletzt war, mehrere Male aus dem Gedächtnis deklamiert. Er selber fand ja dann keinen Grenzwächter, der ihn auch nur hätte passieren lassen. […]“ (BBA 2913). 333 Eine Neuausgabe des Dreigroschenromans erschien – unter dem abweichenden Titel Der Dreigroschenroman – 1949 im Verlag Kurt Desch in München. Die Büchergilde Gutenberg hatte an der Publikation kein Interesse (vgl. Oprecht, 19.7.1948).

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lag herausgeben.334 Indem wir Ihren Nachrichten gern entgegensehen, senden wir Ihnen freundliche Grüsse. BUECHERGILDE GUTENBERG ZUERICH Dr. H. Oprecht Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Genossenschaft Büchergilde Gutenberg Zürich Morgartenstrasse 2 Postfach Zürich I Telephon 25 68 47 Postscheck VIII 22992; BBA 1763/45.

Peter Schifferli335 an Bertolt Brecht Zürich, 12.4.1948 Zürich, den 12. April 1948 Herrn Bert Brecht Rünishoferstrasse [sic] 14 F e l d m e i l e n /Zürich Sehr geehrter Herr Brecht, Herrn Kurt Kläber, z.Zt. Goldern, verdanke ich die Mitteilung, dass Sie grundsätzlich nicht abgeneigt wären, einen Band Ihrer Gedichte in der Schweiz herauszubringen. Wie Sie vielleicht gehört haben, hat die Arche eine grössere Produktion an Lyrikbänden verlegt, von denen vor allem die Gesamtausgabe der Dichtungen von Georg Trakl und Georg Heym336 grosse Beachtung gefunden haben. Es würde uns ausserordentlich freuen, wenn wir eine Auswahl Ihrer Gedichte herausbringen dürften, wobei wir vor allem an unpolitische Gedichte denken. Wir erlauben uns, Ihnen die Ausgabe der Heym-Gedichte337 zu übermitteln und sehen mit Interesse Ihrem Bericht entgegen. Wir stehen selbst verständlich jederzeit zu einer persönlichen Besprechung zur Verfügung und verbleiben mit vorzüglicher Hochachtung: Peter Schifferli Beilage: 1 Expl. Heym. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag der Arche Peter Schifferli Zürich / Fraumünsterstrasse 13 / Telephon 271883 / Postscheck VIII 34257 Ab 15. Februar 1948 Susenbergstr. 63, Zürich 7 Tel. 242054; BBA 1763/40. 334 Im Ts: „heruazugeben“. Jaroslav Hašeks Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk wurde im Jahr 1949 von der Büchergilde Gutenberg wiederaufgelegt. 335 Peter Schifferli (1921–1980), Schweizer Verleger. Er gründete 1944 in Zürich den Verlag Die Arche. 336 Georg Trakl (1887–1914) und Georg Heym (1887–1912), Dichter des frühen Expressionismus. 337 Georg Heym, Gesammelte Gedichte, Zürich 1947.

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Michel Saint-Denis338 an Bertolt Brecht London, 13.4.1948 M. Berthold Brecht Bunishoperstrasse [sic] 14 Feldmeilen bei Zurich Switzerland.

13th April, 1948.

Dear Mr. Brecht, Miss Ruben339 gave me the script of your play “Galileo” to read, in view of a possible production of your work in London. I have just finished reading it, and the play interested me both in its content and its form. I must mention that Miss Ruben gave me what she called “an old script” of the play. I understand that the text was altered during or before production. It seemed to me however that the text as it stood was not always up to the style which on feels such a big theme and the treatment of the theme would require. I would like to know your views about this point. I am at present engaged in building up an organisation which would not be ready to go into production before the autumn of ’49. It may be bad to wait for so long. I understand that Charles Laughton would wish to come to London and to repeat here the performance he gave in New York. Can you tell me if you were satisfied with Laughton’s performance? Any other indications you might care to give me about the way to produce the play would be of interest to me. I have given the script back to Miss Ruben. Have you got a more upto-date text of the play? Can you also tell me if the musical score for the play is obtainable and where? We met for a very short time a very long while ago. I don’t know if you remember. Yours sincerely, M. St Denis Michel St. Denis. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: The Royal Victoria Hall The Old Vic Theatre Centre Waterloo Road, London; S.E.1 Glen Byam Shaw (Director of School) Michael Saint-Denise, C.B.E. (General Director) Business Manager: Stephen Arlen George Devine (Director of Young Vive) Telephone: WATerloo 4871; BBA 1763/7–8.

338 Michel Saint-Denis (1897–1971), französischer Schauspieler und Schauspiellehrer, Mitbegründer des London Theatre Studio 1935. Nach dem Krieg übernahm er die Leitung des Theaters The Old Vic in London. 339 Vermutlich Renée Rubin, Charles Laughtons Sekretärin.

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Otto Osthoff340 an Bertolt Brecht München, 14.4.1948 München, den 14. April 1948. Herrn Bert B r e c h t , Zürich Schauspielhaus. Sehr verehrter Herr Brecht, leider erfuhr ich zu spät von Ihrem seinerzeitigen Münchener Durchreisebesuch, sonst hätte ich die Gelegenheit genützt, mich Ihnen persönlich bekanntzumachen und Ihnen von meinen Plänen zu erzählen. Da nun diese Pläne – der Bau eines neuen Theaters im Völkerkundemuseum – langsam fortschreiten, so dass ich hoffen kann, trotz aller Schwierigkeiten im Herbst das Haus zu eröffnen, will ich versuchen, Ihnen auf diese Weise einiges von meiner Zielsetzung mitzuteilen. Ohne viel Umschweife: ich will versuchen, ein lebendiges Theater zu schaffen, das den Ton unserer Zeit hat. An den meisten deutschen Bühnen ist alles so verfahren und richtungslos oder aber so vom Metier aufgefressen, dass günstigstenfalls artistische Leistungen zustande kommen. Natürlich weiss ich sehr wohl, dass das was ich vorhabe, nicht aus der Erde zu stampfen ist und dass man mit einem fertigen Rezept kein neues Theater schaffen kann. Aber man kann zumindest den Boden schaffen, auf dem etwas wachsen kann. Und darum habe ich den „Gaurisankar“341 eines Theaterbaues auf mich genommen, um nichts und niemand übernehmen zu müssen, sondern völlig unabhängig den Kreis von Menschen um mich zu sammeln, mit denen man an eine solche Aufgabe herangehen kann. So viel in kurzen Zügen. Meine Bitte an Sie ist die Freigabe Ihres „Galileo Galilei“ für mein Theater. Ich hätte den grossen Wunsch, dieses Stück mit an den Anfang zu stellen. Ich weiss nicht, ob ich Sie gleich dazu bitten darf, es selbst bei mir zu inscenieren. Sollte Ihnen das nicht möglich erscheinen, würde ich Ihnen sofort Regisseur- und Besetzungsvorschläge unterbreiten. Ich glaube vor allem für die Titelrolle einen wirklich bedeutsamen Schauspieler zu bekommen. Lassen Sie mich, sehr verehrter Herr Brecht, bitte bald Ihre grundsätzliche Meinung wissen und machen Sie mir die Freude der Freigabe Ihres Stückes für unseren Beginn.

340 Otto Osthoff (1906–1957), Schauspieler und Regisseur, Mitbegründer des Münchner Kabaretts Die Schaubude und Herausgeber der Zeitschriften Das literarische Kabarett und Die ewige Komödie. 341 Gauri Sankar ist der Name eines Bergs im Himalaya.

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Mit den besten Grüssen Ihr ergebener Otto Osthoff. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Neues Haus Theater im Museum für Völkerkunde München 22 • Maximilianstr. 26 • Ruf: 20922 Direktion: Otto Osthoff; BBA 1764/18–19.

Joseph Losey an Bertolt Brecht 14.4.1948 4/14/48 Dear Brecht: All of the attorneys are now in Washington where the first contempt trial is in progress before a Federal judge.342 Also, your English has gotten rather inexact in four months and I am not altogether sure I know what you mean.343 However, to the best of my understanding I will take it up with Ed Mosk 344 and will talk to one of the other attorneys when they get back, depending on Mosk’s advice. I have to report very bad news relative to Charles.345 He is an extremely frightened and harried man. Yesterday, Robert Breen of ANTA called me from New York. They want to do “GALILEO” at the Utah State Festival in Salt Lake City (where Welles did “MacBeth” last year346) to open the end of May. They have a large theatre, plenty of money and would take me, Charles and six other actors whom we could select from New York and Hollywood. They would bring in the original costumes and build new scenery from our old designs, which would permit us to make certain technical improvements. It seemed to me an opportunity to keep the play alive here, to develop Charles’ performance, to get your notes finally on Scene 13 and get it right. However, Charles refuses to do it. He says it is no good jumping from place to place; that a company of actors must be developed and this he considers he is doing with his Shakespeare class; (2) he must make money as he was not able to deduct his “Galileo” expenses from income tax; (3) the play will not be appreciated any better than it was here or in New York by the critics, etc. The same applies, he says, for London. He says that when he talks to me he finds that he must make decisions that he was unaware existed. He tells me he knows he is living the wrong kind of life but it isn’t himself, 342 Vgl. Anm. zu Dieterle, 1.1.1948. 343 Der Brief, auf den Joseph Losey sich hier offenbar bezieht, konnte nicht ermittelt werden. 344 Edward Mosk, amerikanischer Rechtsanwalt, Aktivist der Progressive Citizens of America. 345 Charles Laughton. 346 Nach der Theateraufführung in Salt Lake City im Mai 1947 inszenierte Orson Welles Macbeth auch als Film (USA 1948).

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it is the times. He says he cannot get Elsa347 off his back, etc. He is contemplating selling the house in Santa Monica, but he apparently has been persuaded by Elsa to buy an even larger one in Hollywood. The single advantage is that he it a wing that he can stuff off and live in by himself, which includes a library and a hall large enough for rehearsals and classes. It is my belief that he can’t be kept in the shape he was in New York without the constant help and companionship of either you or me. I believe our conversation ended amicably but I do not think there is any chance of getting him to alter his opinion short of a direct personal appeal from you. If Renee348 is able to set up a production in England, then I think Charles should be asked to do it. If he refuses, I think we should then go to Ralph Richardson349 or someone else. I suggested this to him last night with results which you can imagine. He said anyone else playing it would have to be your decision and mine. He was very angry and very bitter. I told him as far as I was concerned it was more or less up to him and at least I would not make such a move without consulting him and without his cooperation. I think I could get Lee Cobb or Frederic March350, or one of several others to play it in Utah, but it would mean a permanent breach with Charles. What is your opinion of all this? What about the 13th scene?351 Will you please finally write to Charles at some length? Regards, Joe [Hs.] Things are very bad here. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg., Bv.: Radio Pictures, Inc.; BBA 1762/92.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 16.4.1948 Herrn Bert Brecht, c/o Mertens, Bünishoferstr. 14, Felmeilen/Zh.

347 348 349 350 351

Die englische Schauspielerin Elsa Lanchester (1902–1986), Laughtons Frau. Renée Rubin, Laughtons Sekretärin. Ralph Richardson (1902–1983), englischer Schauspieler. Lee J. Cobb (1911–1976) und Fredric March (1897–1975), amerikanische Schauspieler. Die 13. Szene des Galileo, über die Losey Brecht mehrfach schon geschrieben hatte.

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BETRIFFT: „ANTIGONE“

R/Pz

16. April 1948.

Lieber Herr Brecht, Das Braunschweigische Staatstheater verlangt Zusendung eines Ansichtsexemplars Ihrer „Antigone“. Wollen Sie mir bitte mitteilen, ob Sie die Autorisation zur Freigabe des Stückes für Deutschland erteilen. Mit besten Grüssen Ihr Kurt Reiss Überlieferung: Ts (Postkarte), hs. U.; BBA 3173.

Wieland Herzfelde an Ruth Berlau und Bertolt Brecht New York, 18.4.1948 307 East 17th Street New York 3, N.Y.

18.4.48

Liebe Ruth, Dank für Brief, Photo und Marken. Ich warte jetzt sehr auf Antwort von B. Hoffentlich kann er eine Berufung beschleunigen. Du hast recht, die Papierlage wird immer schlechter. Und auch sonst. Hoffentlich sehen wir uns im Herbst; ich rechne jedenfalls damit. Hier ein Ausschnitt aus der heutigen „Times“. Was ist mit „Antigone“?352 Hier hört und sieht man ja nichts. Schreib mir, wie es auf der Press-Convention war. Herzlichst Dein Wieland. Lieber Bertolt, hier ein Brief nebst Copie meiner Antwort. Wir sind hier alle maulfaul, in Anbetracht der Entwicklung. Zumindest in Briefen. Es scheint, viel Post geht verloren, was bei stürmischem Wetter nicht verwunderlich ist. Trotzdem erwarte ich noch immer günstige Nachricht. Bitte beantworte meinen letzten Brief, falls Du es nicht schon getan hast. Dir und den Deinen herzl. Grüsse Dein

352 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. Der erwähnte Ausschnitt aus der Times (vermutlich ein Bericht über die Aufführung aus der New York Times) ist nicht überliefert.

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[Anlage:] Rechtsanwalt Dr. Oskar Müller 18.4.48 Wien I Bognergasse 7 Sehr geehrter Herr Dr., Ihren Brief vom 7.4. haben wir per Luftpost an Herrn Brecht geschickt, da wir über die Bühnenrechte des bei uns erschienenen Werkes „Furcht und Elend des III. Reiches“ nicht verfügen. Zwecks Zeitersparnis empfehlen wir Ihnen, sich an Brechts Bühnenvertrieb: TheaterVerlag Reis[s] in Basel zu wenden. Ihnen und Ihrem Auftraggeber Erfolg wünschend, zeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Wieland-Herzfelde-Archiv (Kopie: BBA Z 47/93–94).

Herbert Fleischer 353 an Bertolt Brecht Florenz, 18.4.1948 Florenz, 18. April 1948 Sehr geehrter Herr Brecht, Sie werden über mich vielleicht vor langer Zeit etwas gehört haben, als ich um 1930 herum in Deutschland über die „Oper der Gegenwart“ arbeitete. Über das gleiche Thema beabsichtige ich ein Buch herauszubringen; ich hatte bereits viel Material zusammengetragen; viel ist mir erhalten geblieben. Doch anderes wertvolles Material ist mir unter den Trümmern der „via Gesicuiarstini“ wo ich hier versteckt lebte, verloren gegangen. Darunter auch alles, was Sie betrifft. Von Bänden habe ich hier noch gerettet Versuche (Heft 1, 4 und 5): Flug der Lindberghs, Radiotheorie354, Geschichten vom Herrn Keuner; Mahagonny der Jasager, der Neinsager, die Massnahme; die heilige Johanna der Schlachthöfe 353 Herbert Fleischer, Pianist und Musikwissenschaftler. In den Musikblättern des Anbruch (Heft 4–4/1932) hatte er einen Beitrag über „Kurt Weill. Versuch einer einheitlichen Stilbetrachtung“ publiziert. 354 Gemeint sind hier wohl die Erläuterungen zu Der Flug der Lindberghs (GBA 24, S. 87–89), zuerst erschienen 1929 in Heft 1 der Versuche.

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Mir fehlen, und seit Jahren suche ich: Band 2 und 3: Mahagonny, Über die Oper355, das Badener Lehrstück; Dreigroschenoper, Dreigroschenprozess. Durch G. d’Anucio356 erhielt ich Ihre Adresse. Ich wäre Ihnen äusserst dankbar, wenn Sie mir auf irgend eine Weise die beiden fehlenden Hefte beschaffen und zugehen lassen könnten. Vielen vielen Grüssen Ihr Herbert Fleischer. Überlieferung: Ms, BBA 3093.

Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 19.4.1948 April 19, 1948 Dear Brecht: I enclose a copy of a letter written to Herbert Marshall357, whom we both encountered in Europe in 1935. I know nothing about his talent or business situation. I imagine he will get in touch with you directly. Geiger, I understand, was going to call you or fly to see you in Switzerland, so you undoubtedly know more about what he is doing than I do. He is in serious trouble on all of his projects here. None of them have come to the point of production and he owes a great deal of money. Nevertheless, with T. Hambleton protecting it, perhaps a combination of Geiger and Marshall might be possible. There is no use in doing anything about Charles358 until there is a concrete situation. Then make him an offer and if he refuses, get somebody else. 355 Vermutlich die Anmerkungen zur Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (GBA 24, S. 74–86), erschienen 1930 in Heft 2 der Versuche. 356 Der italienische Schriftsteller Gabriele d’Annunzio (1863–1938). 357 Herbert Marshall (1906–1991), englischer Regisseur. Mitte der 1930er Jahre studierte er Filmregie bei Sergej Eisenstein in Moskau; nach eigener Auskunft lernte er dort auch Brecht kennen (vgl. Marshall, 4.12.1948). Neben seiner Regiearbeit für den Film war er als Autor und Übersetzer tätig und betrieb das Old Vic Theatre in London. Später leitete er das Zentrum für sowjetische und osteuropäische Studien an der University of Southern Illinois in Carbondale. Rod E. Geiger schlug ihn als Regisseur für den geplanten Galileo-Film vor (vgl. Geiger, 24.5.1948; dazu auch B. an Reyher, April 1948, GBA 29, S. 448f.). 358 Charles Laughton.

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I lunched with Mosk, who advises that I wait to talk to Charlie and asks how long your re-entry permit has to run. He doesn’t believe there is any point in attempting anything further with the State Department. Sincerely, [Hs.] Warmly Joe JL:b [Anlage:] April 19, 1948 Mr. Herbert Marshall, Citizen Films Ltd., 10a Randolph Ave., Maida Vale, London, England Dear Marshall: I certainly had no illusions that the world wasn’t small, but I am glad its smallness brings you to me interested in “Galileo”. The first thing is to clear up definition of terms: 1. A “director” here is a “regisseur”. I believe in England you call him a “producer”. 2. A “producer” here is what I believe you call a “manager”. In other words, he is promoter, entrepreneur, business head and critic. I was director of “Galileo” here, both in Hollywood and New York 359 – – its only two productions to date. I would not be interested in co-directing with anyone but I will be very glad to direct the play in England with you as its producer. Laughton is very reluctant to go to England with the play. I am afraid there would first have to be a concrete offer before one could be sure of his position. He is, however, very much interested in the picture; and if the two could be combined, it might be possible to bring it about. Laughton here was to have received ten percent of the gross receipts of any commercial production, with a guarantee of $2,000 a week. As you undoubtedly know, Laughton translated and adapted the play with Brecht. He spent two years on this work; and I have spent nearly two years myself on the various productions and in work on the script. Brecht would necessarily be part of any production and I assure you that I had no difficulty working with him, he is a man very certain of his theories and tastes. None of us feels that the play needs work of other than a polishing sort excepting in the last scene. However, I believe the version you saw was not the final version.

359 Vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947.

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Laughton, I am sure, would not be interested in being paid in pounds, as he has a large establishment to keep up in this country and has not demonstrated any disposition to work on a commercial production for nothing, although he did up a little more than half of the $25,000 so far spent on the play. Both the costumes (which, of course, would have to be altered to fit) and the scenery, which is heavy and would need repairs, exist and would be available. These are jointly owned by Laughton and the producer, T. Edward Hambleton. I believe Mr. Hambleton might be interested in going in on a London production of play and film. Of course, neither Laughton nor I would stand in the way of any production which Brecht okayed. Brecht is now in Switzerland, address: Feldmeilen, Bunishoferstrasse 14, (Bei Mertens), Suisse. T. Hambleton’s address in New York is: Empire Theatre Building, 40th and Broadway. There has been considerable discussion of a film production of “Galileo” in Italy. The man who has done most about it is one Rod E. Geiger. Some combination with him might be possible. He is in England for a few weeks at the Mt. Royal Hotel Ritz, London. Sincerely, Joseph Losey JL:b Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: RKO Radio Pictures, Inc. 780 Gower Street, Los Angeles 38, Calif. Reg. US Pat.Off.; BBA 1762/74 (Anlage: Ts, BBA 1762/102–103).

Mordecai Gorelik an Bertolt Brecht New York, 19.4.1948 8337 Blackburn Ave. Hollywood 36, Calif. April 19, 1948 Dear Bert, Many thanks for your letter and the photo.360 Frances361 and I are delighted that Helli is back on the stage,362 and we are also very glad that you are being produced so soon after your arrival in Europe – the omen is better than it was here, where you had to sit around for years waiting for something to happen. Maybe by the time you receive this letter you will

360 Nicht überliefert. 361 Frances Gorelik, Mordecai Goreliks Frau. 362 Bezieht sich vermutlich auf die Inszenierung der Antigone (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948) mit Helene Weigel in der Titelrolle.

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have visited Berlin. I hope you will drop me a note about your impressions, as I am most eager to know how Germany looks to you after all these years and all these happenings. I don’t know how much news you’ve had of some of our friends. Viertel363 and Irwin Shaw’s play, “The Survivors,” did badly on Broadway. I don’t know why – it had a splendid cast, and when I read the play recently I found it a very good play. I am told that Martin Gable364, who produced it, probably was most to blame for the failure because of his poor judgment; but it would not surprise me if the main reason is that the play is pacifist: neither the radicals nor the reactionaries are in any mood for pacifism, and today in the U.S. there appears to be little room left in between. “The Survivors” is opening at the Coronet365 here in about a month. It still looks as if we are moving faster than ever toward a head-on collision with Russia. As one indication, by no means minor, there is 20th-Century-Fox’s “The Iron Curtain”366 with Dana Andrews, Gene Tierny and June Havoc367, billed as “the startling facts of the atom bomb plot at Ottawa, Canada,” and opening at 500 theatres the week of May 10th. An account of the Thomas Committee368 proceedings against the Hollywood people, written by Gordon Kahn369, has just appeared and is receiving wide attention. It is considered a very competent job but not objective enough. It makes interesting reading, and there is a dignified presentation of your own testimony. Eric Bentley has received a Guggenheim fellowship for a study of “the nature of drama.” That is a study always worth making. I hope for once that Bentley will discover that the criteria of drama is [sic] something more than merely what Bentley thinks is good. These cavalier personal judgments annoy me. By the way, if you are anxious to keep in touch with theatre and film news not only in the U.S. but all over the world, I suggest you subscribe to “Weekly Variety.”370 I find it invaluable. It has reviews of leading European stage and film productions each week.

363 Gemeint ist der Schriftsteller Peter Viertel (1920–2007), Berthold Viertels Sohn, der zusammen mit dem amerikanischen Schriftsteller Irwin Shaw (1913–1984) das Stück The Survivors schrieb. 364 Der amerikanische Schauspieler, Regisseur und Produzent Martin Gabel (1912–1986). 365 Das Coronet Theatre in New York. 366 The Iron Curtain (USA 1948, Regie: William A. Wellman). Der Film wurde in Deutschland nicht gezeigt. 367 Der amerikanische Schauspieler Dana Andrews (1909–1992) und die Schauspielerinnen Gene Tierney (1920–1991) und June Havoc (1912–2010). 368 J. Parnell Thomas (1895–1970), amerikanischer Politiker (Republikaner), Vorsitzender des HUAC. Wegen Korruption wurde er 1950 zu einer Haftstrafe verurteilt. 369 Gordon Kahn (1902–1962), amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor, wurde 1947 vom HUAC vorgeladen, sagte dort allerdings nicht aus und verlor daraufhin seine Anstellung bei Warner Brothers. Sein Buch Hollywood on Trial: The Story of the Ten Who Were Indicted (mit einem Vorwort von Thomas Mann) erschien 1948 in New York. 370 Die seit 1905 wöchentlich in New York erscheinende Zeitschrift Variety. Seit 1933 erscheint außerdem eine Daily Variety in Los Angeles.

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As you may remember, I started work as production designer for Rod E. Geiger on a film version of “Christ in Concrete”371 by Pietro di Donato372; the picture was to be shot in Rome, and I started work in research and designing in N.Y. After a couple of months work there, just as we were ready to leave for Italy and had 17 crates of properties on the dock, the Italian Government put a freeze order on 60 percent of all bank deposits, and the Rome expedition was called off. I came back to Hollywood and hung around the project for several weeks more. They took on Edward Dmytryk 373 as director and member of the firm, and the script was rewritten. Due to Dmytryk’s connection with the picture they found it impossible to get a release, since Dmytryk is blacklisted. At the moment the firm owes me several thousand dollars in salary, but we are friendly personally and I hope to collect if the picture ever gets under way. Geiger is now in London trying to arrange for production there, and Dmytryk is with him. You can reach Geiger at the Mount Royal Hotel, London, or care Technicolor, West Drayton, Middlesex, England. If by any chance there is a British production of the picture there may be a possibility of my being on it; but I am not sure, as they have used up my guarantee period, and may want to save money. It is interesting what you say about my doing a new volume of “New Theatres for Old.”374 When I was in New York preparing to leave for Rome I had a talk with the Rockefeller Foundation. The people there told me they valued my book very highly and would be definitely interested in just such a project; they wanted me to send them a proposed itinerary and budget after I was through with the picture. However, I have done nothing about the matter since I am not as resilient as I used to be, and leaving my family behind for such an intensive trip would be strain that I don’t care for at this time. Maybe later. Piscator is anxious for me to work with him at his school in New York; but than, too, would mean leaving the family behind. Right now I have a bit of leisure and am using it to go on with my writing, which interests me enormously. I am finishing another one-act play and several stories. By the way, “Paul Thompson Forever”375 opened at a little theatre in Texas last week, under the auspices of the Lions Club, with great success. “New Theatres for Old” has just appeared in a British edition376 and received fine reviews.

371 Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947. 372 Pietro di Donato (1911–1992), amerikanischer Schriftsteller. 373 Edward Dmytryk (1908–1999), amerikanischer Filmregisseur, gehörte zu den „Hollywood Ten“, die sich weigerten, vor dem HUAC auszusagen. Nach Verbüßung einer mehrmonatigen Haftstrafe gab er jedoch Auskunft nicht nur über seine eigene kommunistische Vergangenheit; er beschuldigte zudem Leute wie Adrian Scott und Albert Maltz, ihn unter Druck gesetzt zu haben. 374 M. Gorelik, New Theatres for Old (New York 1940); vgl. dazu Gorelik, 20.6.1944. 375 Einakter von Gorelik aus Jahr 1947. 376 Die britische Ausgabe erschien im Dezember 1947 bei Dobson Books in London.

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Right now I am designing a new play, “This Young World,” which is having a tryput at the Pasadena Playhouse. The author is Judith Kandell377, whom you met once or twice with her husband, Aben Kandell. The cast consists of fifteen or sixteen children, no adults, and the story is about a little country school house. The characters are well drawn and amusing, and the theme is a picture, in miniature, of the institution of a fascist type of regime. Frances says that the book you ordered from the U.S. Government Printing Office won’t be published until July. Nothing startlingly interesting in the way of stage or film production. “The Treasure of the Sierra Madre”378 is the best film I have seen late coming from Hollywood; Walter Huston379 is superb in it. Jessica Tandy380 is marvelous in “Streetcar Named Desire,”381 which has just won the Critics’Circle award. Elia Kazan has received almost every directorial award this year. The Actors’Lab has put on a hit production of “All My Sons.”382 Write often, won’t you? I am still vitally interested in any work abroad that would enable me to take the family along for a year or so. We are all well. Kind regards to you, Helli and the kids. Max Überlieferung: Ts, hs. U., RBA 54/23–24.

Anna Pfister an Bertolt Brecht Zürich, 22.4.1948 Zürich, den 22. April 1948 Sehr geehrter Herr Brecht, Wir bestätigen den Empfang des von Ihnen eingereichten Werkes: „Dreigroschenroman“383

377 Die amerikanische Schriftstellerin Judith Kandel, Frau des Schriftstellers und Drehbuchautors Aben Kandel (1897–1993). 378 The Treasure of the Sierra Madre (Der Schatz der Sierra Madre, USA 1947, Regie: John Huston). 379 Walter Huston (1884–1950), amerikanischer Schauspieler, Vater des Regisseurs John Huston. 380 Jessica Tandy (1909–1994), englische Schauspielerin. 381 A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht, 1947), Drama von Tennessee Williams. Elia Kazan, der das Stück im selben Jahr am Ethel Barrymore Theatre in New York inszeniert hatte, führte auch bei der gleichnamigen Verfilmung 1951 Regie. 382 All My Sons (Alle meine Söhne, 1947), Drama von Arthur Miller. Elia Kazan inszenierte das Stück im selben Jahr am Coronet Theatre in New York. 383 Vgl. Anm. zu Oprecht, 10.4.1948.

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Wir werden dasselbe prüfen und Ihnen dann wieder berichten. Mit freundlichen Grüssen BUECHERGILDE GUTENBERG ZUERICH Literarische Abteilung Anna Pfister Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Genossenschaft Büchergilde Gutenberg Zürich Morgartenstrasse 2 Postfach Zürich I Telephon 25 68 47 Postscheck VIII 22992; BBA 1763/46.

Kurt Maetzig384 an Bertolt Brecht Berlin, 23.4.1948 Abschrift DEFA Direktion

Deutsche Film AG

Herrn Bert Brecht Z Ü R I C H S [sic] Schauspielhaus Sehr geehrter Herr Brecht, mit Ihrem Vorschlag, das Drehbuch zu dem geplanten Film „Ulen­spiegel“385 mit Herrn Günther Weisenborn in Salzburg zu schreiben, bin ich sehr einverstanden. Ich möchte Sie nur bitten vor [I]nangriffnahme der Arbeiten zu einer Aussprache nach Berlin zu kommen. Diese Aussprache halte ich doch für unbedingt erforderlich, damit wir uns über alle Ein-

384 Kurt Maetzig (1911–2012), Filmregisseur. Seine Anfang der 1930er Jahre in Berlin begonnene Filmarbeit wurde ihm aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Mutter 1937 behördlich untersagt. 1944 trat er der illegalen KPD bei. Als Mitglied der Gruppe Filmaktiv bereitete er seit November 1945 die Gründung der DEFA vor, deren Vorstand er später angehörte. 385 Im Frühjahr 1948 sprach Brecht mit Günther Weisenborn in Zürich über eine Fortsetzung zu dessen noch unabgeschlossenem Stück Ballade vom Eulenspiegel, vom Federle und von der dicken Pompanne (1948/49) und auch über einen Eulenspiegel-Film. Im November 1948, im Rahmen seiner ersten Berlin-Reise seit der Flucht im Februar 1933, notierte er mit Weisenborn einige Grundgedanken zu dem Film „Eulenspiegel“ (GBA 20, S. 565f.). Im Februar 1949 wurde mit der DEFA ein Vertrag geschlossen, ein Drehbuch kam jedoch nie zustande. Die DEFA ihrerseits produzierte schließlich einen anderen Eulenspiegel-Film: Die Abenteuer des Till Eulenspiegel von Gérard Philipe und Joris Ivens (F/ DDR 1956). Vgl. dazu den Filmentwurf Eulenspiegel (GBA 20, S. 191–196).

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zelheiten klar werden können. Selbstverständlich werden wir hier für Ihre Unterbringung sorgen und Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen. Ich bitte Sie, uns zu benachrichtigen, wann Ihnen diese Reise möglich wäre, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie bald hier begrüßen könnte. In dieser Hoffnung bin ich mit besten Grüßen Ihr ergebener Kurt Maetzig Überlieferung: Ts (Abschrift), hs. U.; BBA 1764/3.

Julius Merg an Bertolt Brecht Frankfurt am Main, 25.4.1948 Julius Merg Frankfurt/Main, N.O.14. Wilhelmshöherstr. 104.

Frankfurt/Main, 25.4.1948.

Sehr geehrter Herr B r e c h t ! Am 14. April d. Jahres bekam ich bei meiner Anwesenheit in Berlin von meiner Schwägerin Melitta Merg eine Karte von Frau Hauptmann-Hacke386, die an die Adresse meines Bruders Fritz Merg zuletzt wohnhaft in Berlin-Charlottenburg Hardenbergstr.1.a. gerichtet war. Ich ersah darin auch Grüße von Ihnen Herr Brecht an meinen bereits am 28: Ocktober 1939. verstorbenen Bruder Fritz Merg. Wie mir in Erinnerung, erzälte mir mein Bruder bei meinem Besuch im Krankenhaus etwa ein Monat vor seinem Tode, daß Er von Ihnen Sachen in Verwahrung habe, nachdem Sie sicherheitshalber von Berlin abreisten. Was für Sachen dies waren davon habe ich kein Verzeichniss gesehen und sind dieselben von meiner Schwägerin Paula Merg übernommen worden. Meine Schwägerin musste den Hausmeisterposten auch dann aufgeben und zog nach Berlin-Schöneberg Mansteinstraße 8. wohin auch Ihre Sachen mitgenommen wurden. Am 26. April 1945. verstarb meine Schwägerin Paula Merg durch Freitod. Sie hinterlies einen Zettel mit folgendem Wortlaut. Liebe Marie! Bitte sei so gut und benachrichtige Else, es soll ihr alles gehören. Papiere sind in der grauen Tasche und in der schwarzen Handtasche. Herr Woldt möchte sie auch über alles fragen. Ich kann den Zustand nicht ertragen. Seid alle noch einmal gegrüßt Paula. 386 Elisabeth Hauptmann. Vgl. Anm. zu Vesey an Hauptmann, 16.9.1946.

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Familie Kecker welche wußte, das Frau Paula Merg laut Testament meines Bruders Fritz Merg nur befreite Vorerbin war, was meine Schwägerin Melitta Merg den Eheleuten Kecker auch sofort des öfteren sagte nahm trotzdem sofort nach dem Tode von Frau Paula Merg den vollständigen Nachlass in Besitz. Sie verkauften was Sie wollten in der bestimmten Annahme, das von uns auch niemand mehr Leben würde. Ja sie gaben sogar am Schiedsamt in Falkensee eine eidesstattliche Erklärung ab, das sie die alleinige Erbin der Paula Merg und des Hausgrundstückes wären. Das Möbel sowie die sämtliche vorhandenen Gegenstände in der Wohnung der Paula Merg eigneten sie sich an und setzten sich in diese Wohnung. Ich habe infolgedessen das bis zum 24. Ocktober 1945. keine Post ging, erst anfang November 1945 die erste Nachricht von meiner Schwägerin Melitta Merg aus Berlin erhalten, wobei sie mir den Tod der Schwägerin Paula Merg mitteilte. Nach vielen und langweiligen Schreibereien wurde das Testament meines Bruders Fritz Merg anerkannt. Familie Kecker erhält nur das persönliche Eigentum der Frau Paula Merg. Ich habe das Testament aus folgenden Gründen angefochten, und bis zur Herausgabe durchgesetzt. Herr Kecker war mir als Säufer bekannt, der zu Lebzeiten meines Bruders, fast desI. sen Wohnung nicht betreten durfte. Herr Kecker hat, ohne sich an das Testament von meinem Bruder Fritz zu stören mit II. allen Mitteln in den Besitz des ganzen Nachlasses gesetzt. III. Herr Kecker hat es nicht für nötig gefunden uns von dem Tode der Frau Paula Merg zu benachrichtigen, bis wir das Gericht in Anspruch nahmen. IV. Herr Kecker verkaufte sofort ohne einen Erbschein zu besitzen Sachen aus dem Nachlass. Herr und Frau Kecker versuchten durch eine falsche eidesstattliche Erklärung sich V. auch in den Besitz des Hauses zu setzen. VI. Es bestand für mich die Mutmaßung, das sich Herr Kecker auch an den Ihnen gehörenden Sachen vergreifen würde. (Ich habe einen erbrochenen Überseekoffer bei meiner Anwesenheit (16.4.48.), leer auf dem Garagenboden gefunden, der vermutlich von Ihnen ist). Nachdem Herr Kecker auch bereits gleich nach dem Tode der P. Merg den Wagen meines Bruders verkaufte. Alle diese Gründe und Ermittlungen habe ich in der Zeit vom 24.10.1945. bis zu meiner zweiten persönlichen Anwesenheit in der Zeit anfang August-vorigen Jahres (1947) und vom 10.-21. April d. Jahres festgestellt, und bei der Testamentsanfechtung angeführt. Familie Kecker hat sich bei der Nachfrage Ihrer Sachen, mir gegenüber sehr erbost gezeigt und auf meine Antwort, das wir nichts was uns nicht gehören würde haben wollten. Aber auch nicht zulassen würden, das etwas etwas was Ihr Eigentum wäre und von Frau Paula Merg übernommen wurde beim Tode meines Bruders, in unrechtmäßigen Besitz der Familie Kecker käme, ist Frau Kecker alles andere als wahrheitsliebend gewesen. Ich habe mich nachdem ich die ersterwähnte Karte der Frau Hauptmann-Hacke am 14. April 1948. also erhalten habe, auf die Suche nach Ihrer Adresse gemacht von Amerika. Nachdem ich

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viele Stellen vergebens aufgesucht hatte, bekam ich durch die Vermittlung des Schutzverbands-Deutscher-Autoren in Berlin Ihre Adresse. Ich möchte Sie nun bitten, mich baldigst davon in Kenntniss zu setzen, was mein Bruder resp. nach dessen Tod meine Schwägerin Paula Merg von Ihnen in Verwahrung bekommen hat, um es weiterhin für Sie aus dem Nachlass sicherzu stellen. Es ist dieser Brief nur ein kleiner Auszug aus all den Schwierigkeiten infolge des Zonenverkehrs, der Post, und Ermittlungsschwierigkeiten. Doch hoffe ich das Sie einigermaßen unterrichtet damit sind. Ihrer werten Antwort baldigst entgegensehend grüßt Sie freundlichst Julius Merg. Überlieferung: Ts (Abschrift), hs. U., BBA 3139.

Emil Oprecht an Bertolt Brecht Zürich, 26.4.1948 Herrn Bert Brecht Bünishoferstrasse 24 Feldmeilen

Zürich, 26. April 1948 O/ER

Lieber Herr Brecht, Ich hatte eben den Besuch von Herrn Weiss vom Gebrüder Weiss Verlag in Berlin.387 Wir arbeiten in einigen Punkten zusammen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir auch für einige Ihrer Stücke, wie MUTTER COURAGE, DER GUTE MENSCH VON SEZUAN usw. zusammenfinden könnten. Aber zu diesem Zwecke müssen wir uns sehen und sprechen. Wäre es Ihnen möglich, am nächsten Mittwoch, 28. April zwischen 11 und 12 Uhr ins Bureau des Schauspielhauses zu kommen? Wir könnten dann gerade das Mittagessen anschliessen und uns ausgiebig über alle diese Fragen unterhalten. Wenn Ihnen der Mittwoch nicht passt, wäre auch der Donnerstag möglich. Besten Dank zum voraus für Ihre Antwort und freundliche Grüsse Ihr Oprecht Beilage: 1. Rückantwortcouvert 387 Verlag von Gerhard und Richard Weiß in Berlin-Schöneberg. Vgl. Weiß, 28.5.1948.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Europa Verlag AG Europa Verlag Verlag Oprecht Zürich Theatervertrieb Auslieferungen Rämistraße 5 ◦ Telefon (051) 242795 ◦ Telegrammadresse: Europaverlag Zürich Schweizerischer Bankverein, Depositenkasse Bellevueplatz Zürich Postcheck: Zürich VIII 23383; BBA 1763/33.

Eric Bentley an Bertolt Brecht Essex, 26.4.[1948]

April 26

519 Essex SE Minneapolis 14

Dear Brecht: I’d welcome your advice on one or two difficult passages in SEZUAN and KREIDEKREIS, since I still have time to correct them in galley proof. Why is “old mother Grusinia” in Azdak’s little pro poem asked to be “verdammt gnaedig”?388 Can you explain Yang Sun’s three devils – in the SEZUAN wedding scene?389 Do you agree that your pun on TANZBEIN and TANZGEBEIN is untranslatable?390 Can you explain „Der Witwe Steuergroschen wird angebissen ob er echt ist. Die Schwerter zerbrechen.”? What is the reasoning here? What is the connecting between the two statements? Meine Lippe zur Lefze wurd.391 I’ve omitted this because there’s no good English word for Lefze. Your My copy of SEZUAN is dated 1940. When was the play begun?392 When was KREIDEKREIS written?393 I’d like to mention the dates in my notes.394 May 17. I’ve been holding this letter till your general O.K. should arrive; and now it has arrived. The Press395 was very surprised at your request for 25 copies. I don’t know whether 388 In Der kaukasische Kreidekreis (Szene 4: Die Geschichte des Richters) sagt Azdak: „Mütterchen, wolle uns Verdammte gnädig beurteilen!“ (GBA 8, S. 76.) 389 In Der gute Mensch von Sezuan (Szene 6: Nebenzimmer eines billigen Restaurants) sagt Yang Sun über Shui Ta: „Dann sollen ihn die drei Teufel holen: der Bruchteufel, der Nebelteufel und der Gasmangelteufel“ (GBA 6, S. 235). Die drei Teufel beziehen sich auf Shui Tas Beruf des Fliegers. 390 In Der kaukasische Kreidekreis (Szene 3: In den nördlichen Gebirgen) fragt der Mönch: „Das Tanzbein oder das Tanzgebein?“ (GBA 8, S. 51.) 391 In Der gute Mensch von Sezuan (Szene 10: Gerichtslokal) sagt Shen Te: „Mir die Lippe zur Lefze wurd“ (GBA 6, S. 276). 392 Vgl. Anm. zu Steffin, Dez. 1940/Jan. 1941. 393 Vgl. Anm. zu Rainer, 24.1.1944. 394 Hs. Erg. am Rand: “please answer these questions at once!” 395 Vermutlich Minnesota University Press in Minneapolis. Dort erschien 1948 die von Eric Bentley herausgegebene Sammlung Parables for the Theatre.

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you’ll get them, but I’ll do my best for you. At any rate when I have another O.K. from Reyher, I’ll let the Press go ahead: as a matter of fact they have gone ahead to a great extent already – I expect to have galley proof before the 1st of June, and the book will be on sale by September. I’ve written to Kro Korsch about Sesnemholz396. You’ll be received [sic] the programs and press reports on the two Brecht productions in Minnesota. Both were successful – especially KREIDEKREIS. Really a delight. I’ve written a short article about the productions which you will soon receive.397 As Ruth Berlau instructed me, I sent the fee for SEZUAN to Stef.398 The fee fro for KREIDEKREIS you will get from Reyher. Audrey Wood writes me that she is agent for both plays. I guess I’ll leave my part of the business in her hands too when I leave for Europe. The Bitish publisher of MASTER RACE399 sent me about 2 dollars that belongs to you, and will be sending another 2: I’ll buy you some pictures of the Kreidekreis production with them. E.B. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr. U. Erg.; BBA 3056.

Dolf Sternberger400 an Bertolt Brecht 28.4.1948 28.4.48 Herrn Bert B r e c h t Feldmeilen / Z ü r i c h Bünishoferstr. 14 Sehr verehrter Herr Brecht! Erich Kästner gab mir kürzlich in München Ihre schweizer Adresse, und ich hoffe, dass Sie dieser Brief entweder dort oder anderswo erreicht. Jedenfalls möchte ich Ihnen gerne 396 Azdak (in Szene 4 des Kaukasischen Kreidekreises): „Die Opferkästen aus Ebenholz werden zerschlagen, das / herrliche Sesnemholz zerhackt man zu Betten“ (GBA 8, S. 77). 397 Hs. Erg. am Rand: “You have received press clippings from me?” 398 Stefan Brecht. 399 The Private Life of the Master Race (vgl. Anm. zu Bentley, 24.1.1944) erschien 1948 bei Victor Gollancz in London. 400 Dolf Sternberger (1907–1989), Politikwissenschaftler und Publizist, vormals Redakteur der Frankfurter Zeitung (bis zu ihrem Verbot 1943), Mitgründer und -herausgeber der von 1945 bis 1949 in Heidelberg erscheinenden Monatszeitschrift Die Wandlung.

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sagen, wie froh ich darüber war und bin, Sie nun in einigermassen erreichbarer Nähe zu wissen. Seitdem wir unsere Zeitschrift gegründet haben und seitdem ich sie herausgebe und redigiere, habe ich auch stets die Hoffnung gehegt, eines Tages Ihre Teilnahme und Mitarbeit zu gewinnen. Bisher mussten wir uns mit Nachdrucken begnügen. Ich sende Ihnen hierbei die zwei Hefte, in denen solche überfallartigen Beiträge von Ihnen enthalten sind. Die redaktionelle Anmerkung zu der Geschichte von Herrn Egge und dem Agenten401 mag Ihnen auch zum Teil die gewisse Intimität dieses gegenwärtigen Schreibens erklären, die anstössig erscheinen könnte, die mir aber ganz natürlich ist, weil ich mich Ihnen und Ihrem Werk seit den verschollenen Tagen des Baden-Badener Musikfestes von 1928402 und seit dem „Badener Lehrstück“, also seit genau zwanzig Jahren, stetig und dankbar verbunden fühle. Zu diesen beiden älteren darf ich noch zwei neuere Hefte der Zeitschrift legen, damit sie ihren Inhalt und Charakter kennenlernen können, wenn Sie mögen. Ich wünschte herzlich, Sie möchten sich zu einem Originalbeitrag aus dem Zusammenhang Ihrer jüngsten Produktion bewegen lassen. Aber dies ist eine spätere Frage. Für heute darf ich schliessen mit den besten Empfehlungen als Ihr sehr ergebener Sternberger Überlieferung: Ts, hs. U.; DLA: Archiv Sternberger, „Die Wandlung“ (74.10039).

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 29.4.1948 BASEL, DEN 29. April 1948. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , c/o Mertens Bünishoferstr. 14 Feldmeilen. BETRIFFT: Abt. Bühnenvertrieb.

401 Gemeint ist die Keuner-Geschichte Maßnahmen gegen die Gewalt (GBA 18, S. 13f.), zuerst 1929 erschienen, nachgedruckt in Die Wandlung, Juni 1946. 402 Ein Irrtum. Uraufgeführt wurde Das Badener Lehrstück vom Einverständnis beim Festival „Deutsche Kammermusik Baden-Baden 1929“ (vgl. Anm. in GBA 3, S. 410–412).

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Lieber Herr Brecht, Wie mir mein Wiener Vertreter mitteilt, werden bei der Wiener Aufführung von „Furcht und Elend“ die in einem ziemlich letztklassigen Cabarett stattfindet, 8 Szenen gespielt.403 Im Laufe der nächsten Woche kann ich Ihnen Näheres berichten, da mein Vertreter für ca. 14 Tage in die Schweiz kommt. Von „Antigone“ lasse ich lt. Ihrem endgültigen Exemplar Abschriften herstellen und werde Ihnen diese zustellen, sobald sie fertig sind. Mit besten Grüssen Ihr Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/41.

Stella Kadmon404 an Bertolt Brecht Wien, 29.4.1948 Wien, am 29.4.1948. Herrn Bert B r e c h t , dzt. Zürich. Hochverehrter Herr Brecht! Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen auf diesem Wege zur Kenntnis zu bringen, welche Freude es für mich bedeutet hat, dass ich Ihre grossartige Szenenfolge „Furcht und Elend des 3. Reiches“ in Wien inszenieren durfte und so der grossen Wiener Oeffentlichkeit näher bringen konnte.405 Ich habe in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als die Drohung der faschistischen Totalität immer drückender wurde, seit dem Jahre 1932 auf der Bühne des „Lieben Augustin“ in Wien versucht, mein Teil beizutragen, um mit den Waffen, die der Kleinkunst gegeben sind, gegen Faschismus und Unterdrückung aufzutreten. Ich habe diese meine 403 Vgl. nachfolgenden Brief von Stella Kadmon. 404 Stella Kadmon (1902–1989), Pseudonym: Judith Keith, österreichische Schauspielerin und Theaterleiterin, flüchtete 1938 nach Tel Aviv und kehrte 1947 zurück nach Wien, wo sie bald ihr Kleinkunsttheater „Der liebe Augustin“ wiedereröffnete. 405 Gespielt wurden acht Szenen aus Furcht und Elend des III. Reiches unter dem Titel Schaut her! Der Premiere am 16.4.1948 folgten 62 Aufführungen (vgl. Anm. in GBA 4, S. 532). Regie führte jedoch nicht Kadmon selbst, sondern August Riegner (vgl. BCE, S. 78).

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Arbeit bis zum 11. März das 38 fortgesetzt. – Es erscheint mir eine Krönung meiner Tätigkeit, der ich nunmehr nach den 7 Jahren „Furcht und Elend des 3. Reiches“ mit Ihrem Werk noch einmal dem Wiener Publikum zeigen konnte, was die Kleinkunst vermag und welchen Zielen sie dienen soll. Es war für mich höchste Befriedigung bei der nunmehrigen Erstaufführung Ihrer Szenenfolge in Wien feststellen zu können, wie gross der Teil des Wiener interessierten Publikums ist, das die ganze Tiefe und die Weiterwirkung brennender Aktualität Ihrer vor 10 Jahren geschriebenen Szenen erfasst und versteht. Schliesslich ist das aber kein Wunder. Denn nirgendwo war die Furcht und das Elend, die das 3. Reich geschaffen hat, bedrückender und krasser als in unserer Stadt, die so reich an Traditionen aus den Höhen und Niederungen des Alltags seiner Bewohner ist. Wien ist nicht umsonst die Stadt, von der der „Führer“ immer mit Stolz betont hat, dass sie sein politisches Weltbild geformt hat und Wien ist auch nicht umsonst die Stadt des 12. Februar 1934406 gewesen. Ihre Szenenfolge durfte diesem Wien nicht vorenthalten werden. Sie musste in Wien aufgeführt werden. Dass ich dazu beitragen konnte, diese öffentliche Funktion Ihrer Dichtung hier wirken zu lassen, dafür danke ich nochmals! Ihre Stella Kadmon Wien III. Landstraße Hauptstr. 114/I. Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3237.

Richard Weiss407 an Bertolt Brecht Berlin, 30.4.1948 den 30. April 1948 Herrn Berthold Brecht,

406 Am 12.2.1934 begannen in Wien die sogenannten Februarkämpfe, eine von der sozialdemokratischen Partei und dem republikanischen Schutzbund getragene Revolte gegen den austrofaschistischen Ständestaat, die von Polizei, Armee und Heimwehr niedergeschlagen wurde. 407 Richard Weiss, Verleger. Gründete zusammen mit seinem Bruder Gerhard den Gebrüder Weiss Verlag in Berlin-Schöneberg.

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Lieber Bert Brecht, den bestehenden Schwierigkeiten zum Trotz, haben wir – von dem Willen beseelt, den deutschen Arbeitern und darüber hinaus allein Interessierten in Deutschland ihre Bücher wieder zugängig zu machen, heute vereinbart, dass folgende Werke in unserem Verlag erscheinen sollen. „Kalendergeschichten“408, ca. 10 Geschichten und evtl. 1 Kapitel aus dem unvollendeten Roman „Cäsar“ „Antigone“409, sowohl das Schauspiel, als auch die Legende in Verbindung mit ca. 70 Aufnahmen der hiesigen Studio-Aufführung, nebst ausführlichen Regiebemerkungen und einer Einführung in die Dramatik. Als Format haben wir cm410 festgelegt. Mit der Klischeeherstellung für dieses Werk soll sofort begonnen werden. Da es z.Zt. nicht möglich ist, ein Honorar nach der Schweiz zu zahlen, haben wir vereinbart, dass ein entsprechender Anteil in fertigen Büchern zur freien Verfügung des Autors liegen bleibt und auf Anweisung an bestimmte Adressen ins Ausland versandt werden soll. Weitere Exemplare sollen nach der Schweiz geliefert werden. Sowie eine Verrechnungsmöglichkeit – evtl. über die BÜCHERGILDE GUTENBERG – besteht, soll dieselbe wahrgenommen werden. Darüber hinaus steht selbstverständlich der Gegenwert für die Bücher in deutsche[r] Reichsmark jederzeit zur Verfügung. Die Buchausgabenrechte erstrecken sich vorerst nur auf Deutschland. Sollten keine Abschlüsse vom Autor aus ausserhalb Deutschlands getroffen werden, steht es dem GWVerlag frei, auch ausserhalb der Reichsgrenzen zu exportieren. Der Vertrieb innerhalb Deutschlands soll sich auf alle vier Zonen erstrecken. Es steht dem GWV – frei Lizenzausgaben – zwecks einer gemeinsamen Herstellung einer grösseren Auflage – innerhalb Deutschlands zu vergeben. Darin müssen meine die Honoraransprüche des Autor voll befriedigt werden. Das Recht der Dramatisierung und Verfilmung behält sich der Autor ausdrücklich vor. Das Honorar beträgt ...... % vom Ladenpreis. So weit Abdrucksrechte vom Verlag vermittelt werden, erhält der Autor 50%, soweit sie vom Autor vermittelt werden, 60 % des erzielten Entgeltes. Soweit die Verlagsrechte für die Gesammelten Dramen ausserhalb Deutschlands vergeben werden, soll dem Gebr. Weiss-Verlag die Möglichkeit eine[s] Mitdruckes für Deutschland gegeben werden. Sollte die Realisierung dieses Planes in absehbarer Zeit nicht möglich sein, erklärt sich der GWV bereit, für eine begrenzte Zeit in Deutschland die Copyrigth-Rechte direkt vom Autor zu erwerben und eine Ausgabe in Deutschland zu ermöglichen. 408 Erschienen im Januar 1949 im Gebrüder Weiss Verlag. 409 Der Text des Stücks wurde in Heft 5/1952 der Zeitschrift Sinn und Form in Ostberlin publiziert. Im Gebrüder Weiss Verlag erschien 1949 das Antigonemodell 1948 (GBA 25, S. 71–168). 410 Angabe fehlt im Ts.

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Sinngemäss würde dies auch auf eine Herausgabe der Gedichte anzuwenden sein. Auf jeden Fall soll der GWV für eine Ausgabe in Deutschland mit herangezogen werden. GEBRÜDER WEISS VERLAG Richard Weiss Zürich, den 30. April 1948 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Gebrüder Weiss-Verlag Berlin Berlin SW 68, Kochstrasse 45, Telefon: 662787 Postscheck-Konto Berlin 130120; BBA 574/1–2.

Hedwig Streiff an Bertolt Brecht Zürich, 30.4.1948 Frau H. Streiff auf der Mauer 19 Zürich 1

30. April 1948

Herrn Bert Brecht Bünishoferstrasse 14 Herrliberg Sehr geehrter Herr Brecht, Wie Sie vielleicht aus den Zeitungen gelesen haben, hat sich vor kurzem ein Komitee für die Hilfe an das demokratische Griechenland gebildet, dessen Vorsitz Herr Stadtrat Loepfe aus Winterthur führt.411 Zwei Delegierte dieses Komitees haben nun am 10./11. April an der Internationalen Konferenz teilgenommen in Paris und haben Bericht erstattet, was die andern Länder schon unternommen haben und von der dringenden Notwendigkeit, dass auch wir in der Schweiz uns nun ernstlich für eine solche Aktion einsetzen. Wir in der Schweiz werden ja mit dieser Hilfsaktion auf harte Gegnerschaft stossen, aber umsomehr wollen wir alles versuchen, um diesem so heroisch kämpfenden Volk eine wenn auch kleine Hilfe zukommen zu lassen. Wir hatten im Zusammenhang mit dem Internationalen Frauentag zuerst einen Abend im Volkshaus geplant, an welchem Simone Tery412, die als franz. Journalistin sich in den Gebieten des demokr. Griechenlands aufhielt, 411 Vermutlich eine lokale Initiative des französischen Comité français d’aide à la Grèce, dem viele prominente Künstler und Intellektuelle (Picasso, Aragon, Le Corbusier u.a.) angehörten. In Griechenland war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Bürgerkrieg ausgebrochen, in dem die Kommunisten und ihre Verbündeten den von Großbritannien und den USA unterstützten Royalisten schließlich unterlagen (vgl. dazu die Anm. zu Korsch, 18.4.1947). 412 Simone Tery (1897–1967), französische Schriftstellerin und Journalistin.

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hätte sprechen sollen, aber es ist ihr von der Schweiz. Regierung die Einreise verboten worden. In der Ueberlegung, was für einen besonders wertvollen Abend wir zugunsten der Griechenlandhilfe nun veranstalten könnten, von diesem Aktionskomitee aus, das ganz überparteilich zusammengesetzt ist, dachte ich an Ihre Antigone, die Sie mit der Churer Truppe hier aufgeführt haben diesen Winter.413 Ich war leider an jenem Sonntag abwesend und habe es sehr bedauert, nicht gehen zu können. Wäre eine Möglichkeit, dass ich diesen Vorschlag event. in der nächsten Sitzung bringen könnte? Ich wollte Sie zuerst anfragen, ob Sie prinzipiell nicht dagegen wären. Ich weiss, dass das Komitee sehr erfreut wäre, wenn eine Möglichkeit bestehen könnte, Sie für einen Abend gewinnen zu dürfen. Wir hätten Sie für die Aktion „Dem Russischen Kind“414 schon so gerne gehabt, aber damals waren Sie erst in der Schweiz angekommen und noch im Umziehen und so kam dann leider keine Besprechung zwischen Ihnen und Herrn Häsler zu stande. Und später musste die Aktion leider vorzeitig abgebrochen werden. Als griechisches Drama, aber mit Ihrer Bearbeitung, würde das Thema so gut passen und so hoffe ich gerne, dass wir doch vielleicht mit Ihnen über die Möglichkeit einer Aufführung sprechen könnten. Ich wäre Ihnen dankbar für Ihre gütige Antwort und begrüsse Sie mit Hochachtung Hedwig Streiff Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3193.

David Luschnat an Bertolt Brecht Paris [Mai 1948] Bitte um Beantwortung meiner Briefe vom 21. März und 18. April 1948.415 Wir bekommen keine Unterstützung vom IRO416, mit der Begründung, dass wir „repatri[i]ert“ worden seien, was objektiv nicht stimmt.

413 Nach der Aufführung in Chur (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948) wurde die Antigone am 14.3.1948 auch im Schauspielhaus Zürich gespielt. 414 Die Basler Hilfsaktion „Dem russischen Kind“ (1947), bei der Spenden zugunsten kriegsgeschädigter Kinder in der UdSSR gesammelt wurden. 415 Nicht überliefert. 416 Vermutlich die 1946 gegründete International Refugee Organization der Vereinten Nationen (die 1952 aufgelöst wurde).

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Wenn Sie das beiliegende Manuskript417 nicht interessiert, bitte ich um Rücksendung an meine Adresse: David Luschnat, 15 rue Berthollet, PARIS (V). - Hôtel du Monde David Luschnat x Nachts im Hôtel in Deutschland Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3134.

Herbert Marshall an Bertolt Brecht London, 1.5.1948 1st MAY 1948. Berthold Brecht, Esq. Zuch, Switzerland. Dear Berthold Brecht, This to introduce Mr. Alfred Schechter, our Production Associate, who is visiting Vienna for film negotiations, and also Switzerland, so we suggested he visit you to discuss the question of ‘Galileo’following on my last letter.418 We have now got together with Mr Rod Geiger, who is in London, and mutually agreed to do all we can to get ‘Galileo’ produced as film and play. Perhaps you would discuss the matter fully with Mr Schec[h]ter and from that we can decide on the next steps to be taken. We are pleased to hear that our old friend Han[n]s Eisler is also safe in Prague,419 and naturally we should like him for the musical side of the production. With all good wishes, sincerely, Herbert Marshall Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Producers and Consultants Citizen Films Ltd The Studio, 10a Randolph Avenue Maida Vale, London, W.9 Telephone: Cunningham 0643/2670 Telegrams: Citifilms, Maida, London Cables: Citifilms, London Registered Office: Wardrobe Chambers 146a Queen Victoria Street, London, E.C.4 Directors: Herbert Marshall, Alfredda Brilliant; BBA 1762/78.

417 Nicht überliefert. 418 Nicht überliefert. 419 Vgl. Anm. zu Eisler, 8.4.1948.

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Theophil Spoerri420 an Bertolt Brecht [Zürich] 2.5.1948 2. Mai 1948 Lieber Herr Brecht, nach einer sehr ausgefüllten Woche komme ich endlich dazu an den letzten Sonntag zu denken, und es wird mir erst jetzt bewusst, wieviel ich Ihnen und Ihrer Frau zu danken habe für die Stunden, die wir bei Ihnen verbringen durften. Ich plane ein Attentat. Das Manuskript, das Sie mir zu lesen gaben,421 hat mir so gefallen, dass ich es ums Leben gerne im ‚Trivium‘ veröffentlichen möchte. Ist es nicht allzu unbescheiden? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns die Bewilligung dazu gäben. Mit viel[en] herzlichen Grüssen auch von meiner Frau Ihr Theophil Spoerri Haselweg 7 Überlieferung: Ms, BBA 3191.

Fred W. Cromwell422 an Bertolt Brecht Washington, 3.5.1948 May 3, 1948 Mr. Berthold Brecht c/o Enrich [sic] Reiss Verlag Baumleingasse 4, Basel, Switzerland Dear Sir: Under dates of January 12th and March 25th, we wrote you as follows:

420 Theophil Spoerri (1890–1974), Schweizer Romanist, Professor an der Universität Zürich, Mitherausgeber der von 1942 bis 1951 erscheinenden Zeitschrift Trivium. Schweizerische Vierteljahreszeitschrift für Literaturwissenschaft und Stilkritik. 421 Vermutlich der Aufsatz Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen (GBA 22, S. 357–364), der in Heft 3/1948 der Zeitschrift Trivium nachgedruckt wurde; zuerst erschienen in Das Wort, Heft 3/1939. 422 Fred W. Cromwell, Superintendent of Documents an der Library of Congress in Washington.

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“We are in receipt of your card of November 10th423 and in compliance with your request, we have changed the address on our records for “Nazi Conspiracy and Agression”424. When the volumes become available, they will be mailed to you in Switzerland but we request that you remit about $2.00 additional to cover postage as this office does not furnish postage on foreign shipments. Any balance remaining after shipment has been made will be refunded. Please mark your reply and remittance for attention of our Bookkeeping Section.” To date, we have been unable to locate a record of your reply to these letters and we request you give the matter your prompt attention. Very respectfully FRED W. CROMWELL Superintendent of Documents Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: United States Government Printing Office Division of Public Documents Washington 25, D.C., 1/1; AdK Berlin, BBA 3200.

Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacafic Palisades, 6.5.1948 Brecht 14 Bünishoferstrasse Feldmeilen near Zürich Associated Press reports with headline that you got thousand dollar award encouraging young writers congratulations. feuchtwanger ↓ Feuchtwanger Überlieferung: Ts (Telegramm), Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Los Angeles. – Dv.: Kopie, BBA Z 17/5. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 70.

423 Weder Brechts Karte noch der zuvor erwähnte Brief sind überliefert. 424 Unter dem Titel Nazi Conspiracy and Aggression veröffentlichte das Office of the U.S. Chief of Counsel For Prosecution of Axis Criminality seit 1946 eine mehrbändige Dokumentation über Verbrechen der Nazis.

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Lion Feuchtwanger an Bertolt Brecht Pacific Palisades, 6.5.1948 6. Mai 48 Lieber Brecht, Schoenen Dank fuer Ihren Brief.425 Wie ich Ihnen schon depeschierte, haben Sie hier einen Preis gekriegt, der [d]ie jungen Schriftsteller ermuntern soll, nur so fortzufahren.426 Die Meldung wurde hier gross aufgemacht, ich schicke Ihnen einen Ausschnitt. Ich koennte mir uebrigens vorstellen, dass diese Geschichte dazu beitragen kann, Ihnen die Erneuerung des re-entry permits zu erleichtern. Auf alle Faelle wuerde ich mit dem Ausschnitt zum amerikanischen Konsul gehen. Ueber Ihre Antigone-Auffuehrung427 habe ich gelesen. Die Photos sind eindrucksvoll. Die Situation hier hat sich zumindest nicht verschlimmert. Falls ich das Land verlasse, wuerde das, wie die Dinge heute liegen, wohl bedeuten, dass ich niemals zurueckkehren kann, und gerade nach meinen Erfahrungen bin ich ueberzeugt, daß Menschenwitz Voraussagen zwar auf ein Jahrhundert, aber nicht fuer den naechsten November machen kann. Ich habe mich mittlerweile an den ‚Goya‘gemacht, und die Anfaenge sind vielversprechend. Der deutsche Titel soll heissen: ‚Goya oder Kunst und Politik‘.428 Das Stueck ‚Wahn oder Der Teufel in Boston‘429 ist mittlerweile gedruckt. Ich schicke Ihnen ein Exemplar. Die Auffuehrung hier und am Broadway ist gesichert, soweit solche Dinge vertraglich und durch Konventionalstrafen gesichert werden koennen. Die Auffuehrung hier soll vor dem 30. September 48, die in New York vor dem 31. Maerz 49 stattfinden. Die politischen Hintergruende der Hexenjagd, das heisst, den Zusammenhang der Hexenjagd mit der Politik der Kolonie werde ich noch deutlicher herausarbeiten. Die Chancen der Drucklegung und einer hiesigen Auffuehrung von ‚Simone‘ sind gut.430 Ich verfolge sie aber nur, wenn Ihnen daran gelegen ist. Sollte die Auffuehrung erfolgreich sein, so koennte sie Geld bringen. Bitte, halten Sie mich ueber die weiteren Geschehnisse in Ihrem Umkreis auf dem Laufenden, vor allem ueber Ihre Adresse.

425 Vgl. B. an Feuchtwanger, März 1948, GBA 29, S. 445f. 426 In einem Brief vom 5.4.1948 an die American Academy of Arts and Literature (GBA 29, S. 447) bedankte sich Brecht für den mit 1000 Dollar dotierten Preis und teilte mit, daß er an der Verleihung (die am 21. Mai stattfand) nicht teilnehmen könne. 427 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. 428 Der nach dem spanischen Maler Francisco de Goya (1746–1828) benannte Roman – mit dem endgültigen Titel Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis – erschien 1951 in Frankfurt/M.; im selben Jahr erschien eine englische Ausgabe mit dem Titel This is the Hour. A Goya Novel in New York. 429 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 20.11.1947. 430 Vgl. Anm. zu Feuchtwanger, 7.3.1948.

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Alles Herzliche, auch von Marta431, und Gruesse an Helly immer Ihr alter Lion feuchtwanger Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Lion Feuchtwanger 520 Paseo Miramar Pacific Palisades, Calif. Telephone: Santa Monica 51402; Feuchtwanger Institute for Exile Studies, Los Angeles. – Dv.: Kopie BBA 17/6. – E: Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 70f.

Hans Winge an Bertolt Brecht Los Angeles, 8.5.1948 2110 Federal Avenue Los Angeles 25, Calif.

May 8, 1948.

Lieber Brecht, Ihr Brief432 kam gewiss als Ueberraschung, nachdem Sie mir fest versprochen hatten, mir nie zu schreiben. Wahrscheinlich habe ich mich deshalb doppelt gefreut. Ich hatte Fotos von „Antigone“433 schon vorher von Leuten gesehen, denen Sie sie geschickt hatten und moechte natuerlich gerne mehr ueber das Stueck selbst wissen, das Sie offenbar unglaublich schnell geschrieben haben. Hier waren Geruechte im Umlauf, dass „Antigone“ ein paarmal in Chur gespielt wurde und Ihr die Courage mit Helli in Zuerich spielen wollt, bevor Ihr mit diesen beiden Stuecken nach Berlin geht. Aber durch den Schweizer Iron Curtain geht ja bekanntlich nichts gewisses durch. Mich wundert, dass Ihr Einreiseschwierigkeiten nach Berlin habt, da Ihr ja nicht Amerikaner seid. Ich bin […]434 ich Ihrem Rat gefolgt habe und ich hatte grade davor Angst, deshalb eines Tages zurueckgehalten zu werden. Erinnern Sie sich? Koennen die Russen Euch nicht direkt vom Norden her einlassen? Ich bemuehe [m] ich auch schon seit einiger Zeit und habe es natuerlich noch viel schwerer, trotzdem ich Filmchancen haette, wenn ich hineinkoennte. Gleichzeitig habe ich Chancen, Filme in Rio de Janeiro zu produzieren und zu inszenieren, aber das kommt mir so weit weg vor und wer kann schon portugiesisch. Ich warte lieber noch ab, was sich mit der deutschen Einreise entwickelt. Ich habe es extra schwer, da ich ja vorher Oesterreicher war. Um das wieder zu werden, muesste ich nach Wien zurueck gehen und dazu habe ich weiss Gott keine Lust. Natuerlich bin ich schon sehr ungeduldig, wegzukommen. In diesem Limonadenparadies verkommt man schneller als mans merkt. – Losey gibt sich jetzt hier als Ihr Vertreter aus und hat auch mich und Lorre angerufen, weil er „wanted to take action against Dieterle“ 431 432 433 434

Marta Feuchtwanger. Nicht überliefert. Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. Mehrere Wörter unleserlich.

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(ausgerechnet). Er hatte gelesen, dass dieser einen modernen Macbethfilm vorbereitet435 und vermutetet ein Plagiat gegen Sie. Wir hielten ihn nur mit Muehe von einer Pressekampagne zurueck. Losey ist ein grosser publicity hero und steht jeden Tag mit einem anderen, neuen Brechtstueck in der Zeitung, das er fuer baldige Broadwayauffuehrung anzeigt. Ernster nehme ich den Braven Bentley, der in Harpers vom Maerz eine schwache, aber doch eine Lanze fuer Sie und Galilei gebrochen hat.436 Waehrenddessen geht die Diskussion („ist Brecht talentiert oder nicht?“) immer noch im Theaterteil der Sunday NYTimes weiter. Eine Woche schreibt ein Leser, dass Sie ein tuechtiger Dichter sind und naechste Woche schreibt ein anderer, Sie koennten ja garnicht dichten und wo waeren Ihre Erfolge?? Haha. Nur Dreigroschenoper und die war, wie maenniglich weiss, von Weill.437 Tobacco Road hatte vielmehr Auffuehrungen.438 Eine Zeitlang dachte ich sogar daran, mich hineinzumischen, aber dann gab ichs auf. Was geht mich die Meinung des Broadway an? Es wird sie auch nicht stoeren, nehme ich an. Wenn weder Losey noch Laughton sich daran teilnehmen, habe ich da sicher nichts zu suchen. – Bois korrespondiert ebenfalls mit Berlin, aber soweit ebenfalls ist auch nichts herausgekommen. Es ist so sehr schwer, aus der Entfernung alle die vielen Einzelheiten zu erfahren oder gar zu realisieren. Lorres sehen wir selten – ich habe ihn schon zu lange nicht nuechtern gesehen und es langweilt mich schon, diese armseligen verworrenen Monologe mit anzuhoeren. Mit Feuchtwanger und Salka439 telefoniere ich. Alle lassen Sie gruessen. Breiners konzentrieren sich auf ihr Baby und er ist mehr isoliert als je. Wie Sie wissen, haben sich seine Parteifreunde offizielle mit den alten christlich sozialen Freunden Feinden gegen die Linken alliiert. Das gefaellt ihm nur der Feind die Allianz, aber er ist gegen die Alliierten. Er weiss nicht mehr, wohin, der Arme und zieht sich in sein Schneckenhaus der Erinnerungen zurueck. – Margo440 laesst Euch auch sehr herzlich gruessen und auch Ihr ist schon recht mies vor hier. Confidentially – it stinks. Herzlichst Ihre Winges Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3211. 435 William Dieterle hat nur ein einziges Drama Shakespeares verfilmt: A Midsummer Night’s Dream (USA 1935), bei dem er zusammen mit Max Reinhardt Regie führte. Dieser Film blieb ziemlich erfolglos. Die hier angedeuteten Pläne, Macbeth zu verfilmen, konnten nicht belegt werden. Zu Brechts eigenen Plänen eines Macbeth-Films vgl. Anm. zu Reyher, 23.3.1947. 436 Im März 1948 veröffentlichte Eric Bentley in dem monatlich in New York erscheinenden Harper’s Magazine den Beitrag „The American Theater ’47–48: A report“. 437 Im Ts: „Weiss“. 438 Jack Kirklands dramatische Bearbeitung des Romans Tobacco Road (Die Tabakstraße, 1932) von Erskine Caldwell wurde von Dezember 1933 bis Mai 1941 im Theatre Masque in New York gespielt (Regie: Anthony Brown). 439 Salka Viertel, geb. Salomea Steuermann (1889–1978), österreichische Schauspielerin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Sie war die Frau von Berthold Viertel, mit dem sie 1928 nach Kalifornien emigrierte. 1944 schrieb sie gemeinsam mit Brecht und Vladimir Pozner die Filmstory Silent Witness (GBA 20, S. 97–120). 440 Vermutlich Winges Ehefrau.

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Ilse Engler an Bertolt Brecht München, 10.5.1948 Ilse Engler Herrn

München 23, 10.5.1948 Viktoriastr. 16

Dichter Bert Brecht

Sehr verehrter Herr Brecht! Im Nachfolgenden darf ich mir erlauben, eine Bitte an Sie zu richten und wäre Ihnen für eine Antwort sehr verbunden. Im Jahre 1932 vollendete mein ältester Bruder Walter Hempel, welcher Meisterschüler an der Staatl. Akademie in Dresden war, einen dreifarbigen Holzschnittdruck der Seeräuberballade Ihrer Dreigroschen-Oper. Leider verstarb mein Bruder im Juni 1933. Es sind nur wenige Original-Exemplare dieses feinen Werkes vorhanden, und wir haben441 die Absicht, einen Nachdruck davon herauszubringen. Vorher bedarf es aber Ihres Permits, um das ich Sie hierdurch höflichst gebeten hätte. Herausgeber des Werkes wird mein jüngster Bruder Martin Hempel sein. Ein Original-Exemplar werden wir Ihnen gern überreichen, falls Ihre Zustimmung zum [sic] an uns gelangt. Ich würde mich sehr freuen, von Ihnen etwas zu hören und verbleibe mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung Frau Ilse Engler geb. Hempel Ilse Engler Überlieferung: Ts, hs. U., , BBA 3091.

I. Bräundli an Bertolt Brecht Zürich, 11.5.1948 Herrn Bert Brecht Bünishoferstrasse 24 Feldmeilen Zch.

441 Im Ts: „haben wir“.

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Zürich, den 11. Mai 1948. JB Sehr geehrter Herr Brecht, vom Residenz-Theater in Celle (Deutschland, Britische Zone), Intendant Ernst G. Schiffner442, erhielten wir soeben ein Schreiben, in dem man uns unter anderem berichtet, dass dieses Theater sehr an einer Aufführung Ihres Werkes „ Mut ter Coura ge“ interessiert sei und wir leiten diese Anfrage an Sie weiter, damit Sie direkt antworten können. Mit vorzüglicher Hochachtung EUROPA VERLAG ZUERICH Abt. Theatervertrieb i.V. v. Dr. Emil Oprecht I. Bräundli Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Europa Verlag AG Europa Verlag Verlag Oprecht Zürich Theatervertrieb Auslieferungen Rämistraße 5 ◦ Telefon (051) 242795 ◦ Telegrammadresse: Europaverlag Zürich Schweizerischer Bankverein, Depositenkasse Bellevueplatz Zürich Postcheck: Zürich VIII 23383; BBA 1763/34.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 12.5.1948 BASEL, DEN 12. Mai 1948. R/Pz BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , c/o Mertens Bünishoferstr. 14 Feldmeilen /Zh. Abt. Bühnenvertrieb. BETRIFFT: „Furcht und Elend“ 442 Ernst G. Schiffner (1903–1980), Schauspieler und Regisseur. Vormals war er u.a. an Berliner Theatern engagiert, während des Zweiten Weltkriegs wirkte er am Deutschen Theater Prag.

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Sehr geehrter Herr Brecht, Ich übersende Ihnen beiliegend Kritiken und ein Schreiben der Veranstalterin, die die Szenen aus „Furcht und Elend des 3. Reiches“ in Wien443 aufführt. Ihrem Wunsche entsprechend habe ich die Aufführungen, nachdem sie schon einmal stattgefunden haben, durch meinen Wiener Vertreter nicht verbieten lassen. Es wurde jetzt eine nachträgliche Vereinbarung getroffen, nach der pro Aufführung ein Tantiemenbetrag von Schilling 50.bezahlt wird. Mit besten Grüssen Ihr Kurt Reiss. Beilagen erwähnt. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/42.

Audrey Wood an Bertolt Brecht New York, 12.5.1948 May 12th, 1948 Dear Mr. Brecht: – Thank you so much for your letter of May 2nd.444 I immediately called T. Edward Hambleton and he has already written you concerning his situation on CAUCASIAN CIRCLE OF CHALK. After you receive T. Edward’s letter let me know what you want done. I wish the Marshall plan445 did include you. Please give my best to your wife. Cordially, Audrey Wood AW:TB Mr. Bertolt Brecht Feldmeilen, bei Zürich Bünishoferstr. 14, Switzerland Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Liebling-Wood Authors’Representative Audrey Wood William Liebling 551 Fifth Avenue New York 17, N.Y. Telephone Vanderbilt 6-3714-5-6 Cable Adress Liebshow Member of Society of Authors’ Representatives; BBA 1762/80. 443 Vgl. Kadmon, 29.4.1948. 444 Nicht überliefert. 445 Vgl. Anm. zu Losey, 19.4.1948.

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Karl Korsch an Bertolt Brecht Boston, 12.5.1948 Boston, 12.5.1948 Lieber B.B.! Ich war hocherfreut, dass Sie das lange Fasten unterbrochen haben.446 Ich haette ja selber schreiben koennen und sollen, besonders um Ihnen ueber die wunderbare Auffuehrung des Galilei mit Laughton in New York447 zu berichten. Es wirkte auf mich wie das grosse geschichtliche Drama unserer Zeit, und Laughton war in jeder Bewegung und in jedem Ausdruck der Galilei, den Sie vorgeschrieben hatten. Zu mir persoenlich war er so schrecklich nett, dass ich beinahe auf seine Schauspielerredensart haette hereinfallen koennen, dass er diesen Abend nur fuer mich gespielt haette. Jetzt ist es zu lange her, um auf Einzelheiten einzugehen. Das Einzige, was mir nicht gut genug schien, waren die beiden jugendlichen448 Chorknaebchen, die mit ihren schoenen aber allzu zarten Stimmchen die Zwischenakte ausfuellten. Und die Masken blieben weit zurueck hinter dem an was ich mich von der farbenphotographischen Aufnahme von Los Angeles erinnere. Sonst, wie gesagt, war das fuer mich ein Schauspiel, das alle Erwartungen erfuellte und darueber hinaus. Ich hoffe nach Ihrem Bericht und den wundervollen Aufnahmen von Helli und der Scenerie mit den Pferdeschaedeln, die ich von Ihnen kriegte, und den weiteren, die mir Steff zeigte, dass die Antigone-Auffuehrung449 Ihren Anspruechen ebenso oder noch mehr Genuege getan hat. Ich haette so gern mal wieder Helli auf der Buehne gesehen. Merkwuerdigerweise las ich gerade zur selben Zeit auch die Antigone-Uebertragung von Hoelderlin samt den andern Stuecken des Oedipus-Zyklus450; daneben auch den griechischen Text mit einer woertlichen Uebersetzung daneben. Die Hoelderlinsche ist nicht ganz so gut. Es schadet nichts, dass sie oft falsch ist, aber leider geht dabei auch viel Starkes verloren. In der staerkeren Konzentrierung Ihrer Auffuehrung wird das aber vielleicht nicht so viel ausgemacht haben. Ganz besonders haben mich bei der Lektuere die in einer originellen Weise doch vollendet dialektischen theoretischen Ausfuehrungen Hoelderlins ueber das griechische Drama451 interessiert. Die sollten wir mal zusammen lesen – obwohl

446 Vgl. B. an Korsch, April 1948, GBA 29, S. 449f. 447 Brecht hatte seinen Sohn Stefan in einem Brief vom Dezember 1947 gebeten, dafür zu sorgen, „daß Korsch Billette bekommt“ (GBA 29, S. 441) für die Aufführung des Galileo in New York (vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947). 448 Original: „juedischen“; von Korsch korrigiert. 449 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948. 450 Die sogenannte thebanische Trilogie des Sophokles, bestehend aus Antigone, König Ödipus und Ödipus auf Kolonos. 451 Vgl. die „Anmerkungen zur Antigonä“ (1804) in: Friedrich Hölderlin, Werke und Briefe, hrsg. von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt, Frankfurt/M. 1969, Bd. 2, S. 783–790.

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er manchmal das Gegenteil schreibt von dem, was er meint, scheint es mir im Ansatz und Ziel doch sehr gut. Nun erst mal schnell zu praktischen Dingen. Was ich von Ihnen und ueber Steff von Helli hoerte, ueber die Schwierigkeiten mit meinem deutschen Text,452 war mir lehrreich und ueberzeugend. Inzwischen habe ich mich aus andern, gaenzlich positiven Gruenden selbst entschieden, dass ich das MS jetzt garnicht veroeffentlicht haben moechte. Also stellen Sie ruhig Ihre Gespraeche darueber ein. Ich habe heute extra fuer Sie alle Versuche zur Aenderung des einen zurueckgehaltenen Kapitels des ersten Teils rueckgaengig gemacht und schicke Ihnen (als Beilage oder in besonderm Umschlag) dieses Kapitel in der alten Form, samt einem Kapitel aus dem III. Teil, das durch Uebereilung und reine Schluderei damals in den von Helli mitgenommenen folder nicht mehr hineingekommen ist. Bitte, fuegen Sie beides an den richtigen Stellen ein und binden das Ganze zusammen mit der Ueberschrift „Svendborger Marx“ und heben Sie es sich als Andenken und zur gelegentlichen Benutzung auf.453 Ich behalte ein genau identisches Exemplar hier, und wir koennen uns, wenn mal das Beduerfnis eintreten sollte, mit Seitenzahlen und Zeilenangaben sehr bequem darueber unterhalten. Familial geht es uns gut. Steff traf ich zuletzt gestern und hatte mit ihm und zween seiner jungen Freunde ein gutes Gespraech ueber die uns alle interessierenden Fragen. Er kommt manchmal zu uns, aber nicht oft genug, da er einerseits viel zu arbeiten hat, andererseits sich komischerweise immer mit dem Wunsch herumschlug, sich durch eine Einladung von uns zu revanchieren, was dann niemals zustande kam. Er scheint mir manchmal in den praktischen Fragen des Lebens nicht so gewandt, wie ich es nach Ihrer gelegentlichen Schilderung gedacht haette, und es scheint uns etwas hart, dass er so ganz allein sich hier durchfinden muss. Troestlicherweise schreibt ihm doch Helli trotz ihrer professionellen Nichtschreiberei wenigstens ab und zu. Hedda454 geht Anfang Juli im Dienst der Quaker, aber zu rein erzieherischer Arbeit, fuer ein Jahr nach Deutschland. Sie wird dort an die diversen interessierten Stellen „ausgeliehen“ werden, davon einige Monate schon vorgemerkt fuer das Land Niedersachsen, wo der einstmalige preussische Kultusminister Grimme455 seine fruehere Taetigkeit mutatis mutandis fortsetzt. Dieselben Leute in Niedersachsen haben mich um Manuskripte gebeten, und ein erstes, ueber „M. waehrend der Revolution von 1848“, wird vielleicht inzwischen in der Zeitschrift des Kultusministeriums, Die Schule, erschienen sein; ich weiss nicht, 452 Brecht hatte versucht, für eine Neuauflage von Korschs Buch Karl Marx (London 1938) einen Verleger in der Schweiz zu finden. Vgl. seinen Brief an Korsch, April 1948, GBA 29, S. 449f. 453 Das Manuskript, das Korsch Helene Weigel übergeben hatte (vgl. Anm. zu Korsch, Sept. 1947), ist nicht überliefert. Die beiden nachträglich geschickten Kapitel (§ 7 des ersten und § 9 des dritten Teils) sind dokumentiert in BBA 977/64–78. 454 Hedda Korsch. 455 Adolf Grimme (1889–1963), Pädagoge und Kulturpolitiker (SPD). Aufgrund seiner Verbindungen zum Widerstand wurde er 1943 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Von 1946 bis 1948 Kultusminister von Niedersachsen, später Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks.

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welche Fassung, da ich in der Eile mehrere hintereinander abgeschickt habe. Ich schicke Ihnen aber mit der Zeit eine gegenueber dem gedruckten Text wahrscheinlich erheblich geklaerte und verbesserte Fassung.456 Ausserdem schreibe ich einen laengeren Essay ueber das K. Man.457, wobei ich, ebenso wie bei dem kleineren Artikel, vielerlei fuer mich Neues und fuer andere Unerhoertes herausgefunden habe. Dieser Essay wird wegen seiner Laenge wahrscheinlich in einer anderen Zeitschrift dort erscheinen. Mein Herz blutet ungeheuer, wenn ich daran denke, dass unter diesen Jahrhundertfeierschriften Ihr schoenes Lehrgedicht458 fehlt. Ich waere immer noch bereit, wenn noetig anonym, einen theoretischen Artikel dazu beizusteuern, der dann mit dem Gedicht und dem Urtext zusammen ein fuer viele Zwecke gutes Buch ausmachen koennte. Ich glaube jetzt tatsaechlich, dass ich nach dem Tode aller anderen der Gelehrte bin, der am meisten ueber M. weiss. – Schreiben Sie mal ueber das Lehrgedicht, vor allem, ob Sie die geringe Arbeit, die zur Vollendung noch noetig war, nicht jetzt machen koennten. Ich habe, weil ich jetzt wieder deutsch schreibe, und durch die groessere Dynamik der allgemeinen Situation, einen ungeheuren Auftrieb in meiner Arbeit. Ich beabsichtige, ein groesseres, und Vieles „konfusianisch“ zurechtrueckendes Werk, dessen Hauptwitz darin besteht, die theoretischen Aeusserungen von M. unmittelbar mit den gleichzeitigen geschichtlichen und praktischen Ereignissen in Beziehung zu setzen. Obwohl es nicht eigentlich die von Ihnen frueher bevorzugte Linie des Herangehens an den Klassiker ist, so bin ich doch ueberzeugt, dass Ihnen die Ergebnisse interessant und nuetzlich scheinen werden. Es handelt sich hauptsaechlich um die Epochen des Bundes459 (Zeit des Manifests), dann um die 1848 Bewegung und ihr kurzes aftermath, und um die neue int. Organisation der 60-er Jahre und Paris 1871; darein faellt als wichtiges Sonderstueck die Aufklaerung der Staatsfrage, mit spezieller Behandlung von bisher nicht nur entstellten, sondern voellig unbekannten Beziehungen zwischen M. und seinem russischen Antipoden B.460 Ich schreibe Ihnen naechstens mehr und Grundsaetzlicheres darueber. Wie Sie wohl inzwischen schon gemerkt haben, kam Ihre Anregung mit dem „Journal“461 grade ein wenig zu spaet; noch vor kurzer Zeit trug ich mich mit der gleichen Absicht und werde wohl auch schliesslich dazu zurueckkehren. Aber momentan bin ich mit Leib und Seele auf diesen bestimmteren und mehr zusammenhaengenden Plan festgelegt... Sie sprechen von „ethischer Wissenschaft“. Wie waere es, zur Abwechslung, mal mit einer „ethischen“ Revolution? Ich finde mehr und mehr, dass das „System“ von 1789 –1815 schon lange 456 Korschs Aufsatz „Marx’ Stellung in der europäischen Revolution von 1848“ erschien in Die Schule, Heft 5/1948. Eine spätere Fassung des Textes ist dokumentiert in BBA 977/2–21. 457 Das Kommunistische Manifest. Vgl. Korsch, 18.4.1947. 458 Vgl. Anm. zu Stefan Brecht, Anfang 1945. 459 Der von Marx und Engels gegründete Bund der Kommunisten, der von 1847 bis 1852 bestand. 460 Michail Bakunin. 461 „Manchmal wünschte ich, Sie hielten ein Journal mit vielen Eintragungen in der Baconischen Form über alle die Gegenstände, die Sie gerade interessieren, unmethodisch im ganzen, ich meine antisystemisch. […] Es wäre sozusagen epische Wissenschaft!“ (B. an Korsch, April 1948, GBA 29, S. 449f.)

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zu einer furchtbaren Fessel der Produktivkraefte geworden ist, – man kann nicht einmal sagen, dass es dazu „umgeschlagen“ ist. Hilbert Mehrens, an den Sie sich vielleicht erinnern, schrieb mir, dass er viele mir abhanden gekommene Manuskripte noch hat und mir auf Wunsch in Abschrift schicken wird, darunter auch die gute alte, auf ewig ungedruckte „Dialektik des Alltags“.462 Ich haette noch viel zu schreiben, breche aber fuer diesmal ab, weil Hedda, mit der ich bis S. 2 unten an der Schreibmaschine „kooperieren“ konnte, inzwischen zu dem Abendzuge enteilte, der sie zu ihren ‚dormitories‘in Wheaton College zurueckfuehrt. Sie laesst die ganze Familie Brecht herzlich gruessen. Sibylle macht grosse Karriere, ist jetzt selbstaendiger Leiter eines grossen Department der Menninger Stiftung in Topeka, mit entsprechendem status und Einkommen. Barbara463 beschliesst am l. Juli ihr viertes Jahr als intern bzw. resident an dem schoenen New York Hospital; sie hat sich fuer pediatrics spezialisiert und wird naechstes Jahr entweder im Public Health Service von New York arbeiten oder sich ebendort selbstaendig niederlassen. Ich lege Ihnen noch einige aeltere clippings bei, die Sie wahrscheinlich schon alle haben, und einen neuen Ausschnitt ueber die Auffuehrung eines Stuecks von Goodman, das betraechtlich an Ihren Kinderkreuzzug in Polen erinnert. Ich las dieser Tage die review eines Buches by Lin Yutang464, „The Gay Genius“, ueber den Dichter Tung-po465 im 11. Jahrh. in der Periode von Kaiser Wang Anshih’s466 „sozialistischen Experimenten“. Lin behandelt den Stoff natuerlich geniesserisch und ganz reaktionaer, aber es koennte doch ein gutes Modell fuer eine gelegentliche Umkehrung abgeben. Nun leben Sie wohl, bis zum naechsten Mal. Auch Ihr Gesamteindruck von Europa 1948 waere fuer mich von groesstem Interesse. Ihr noch aelterer K. Überlieferung: Ts, hs. Korr.; BBA 925/25–27. – E: Korsch, Briefe, S. 1197ff.

Otto Brefin467 an Bertolt Brecht Luzern, 13.5.1948

Luzern. 13. Mai 1948 Hotel Schiller

462 Jetzt in: Karl Korsch, Gesamtausgabe, Bd. 5, hrsg. von Michael Buckmiller, Amsterdam 1996, S. 571ff. Vgl. dazu auch den Brief an Hilbert Mehrens vom 11.6.1949 in: Korsch, Briefe, S. 1239ff. 463 Korschs Töchter Sibylle und Barbara. 464 Lin Yutang (1895–1976), chinesischer Schriftsteller. Sein Buch The Gay Genius. The Life and the Times of Su Tungpo erschien 1948 in New York. 465 Su Tung-po (1037–1101), chinesischer Dichter. 466 Der chinesische Dichter und Philosoph Wang Anshi (1021–1086) war Beamter unter Kaiser Song Shenzong, der dessen Vorschläge für soziale Reformen zugunsten der Kleinbauern und Handwerker aufgriff. 467 Otto Brefin († 1950), Schweizer Schauspieler.

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Sehr verehrter Bert Brecht! Zur Zeit Ihrer Berliner Jahre und in München, kurz nach dem „die Trommeln in der Nacht“ erdröhnt waren, lernte ich Sie flüchtig kennen. Ich darf kaum annehmen, dass Sie sich darauf besinnen, möchte aber trotzdem mit dieser Erinnerung den Eingang meines Briefes eröffnen. Von Otto Osthoff468, dem Direktor des „Neuen Hauses“ Theater im Museum der Völkerkunde, erhalte ich soeben die Nachricht, dass er mit Herbst-Beginn sein Theater mit „Galileo Galilei“ eröffnen möchte. Er schreibt mir (4. Mai) dass er sich in dieser Angelegenheit an Sie gewandt habe und bisher ohne Rückantwort geblieben sei und bittet mich von [h]ier aus die Verbindung mit Ihnen aufzunehmen. Ich möchte dazu folgendes bemerken. Ich kenne Otto Osthoff seit meiner neunjährigen Tätigkeit als Schauspieler und Regisseur an den Münchner Kammerspielen unter Falckenberg. Als Erster hat Osthoff nach Kriegsende die Initiative gehabt die „Schaubude“ zu gründen. Und jetzt zwei Jahre später die beispiellose Leistung vollbracht im Völkerkunde Museum ein neues Theater zu bauen. Ich habe im Oktober vorigen Jahres – anlässlich von Gastspielen in Stuttgart – die Pläne eingesehen und den begonnenen Bau. Er wird nach Ansicht der Fachleute das besteingerichtete Theater Münchens werden, kann sein die modernste Bühne Deutschlands. Soweit ich über die wirtschaftliche Grundlage des Unternehmens orientiert bin, wird es auch die zu erwartenden Theaterkrisen durchstehen können. Ich möchte Osthoff nun gerne den Dienst erweisen, ihm zum Erwerb des „Galilei“ zu verhelfen. Darum meine Bitte an Sie ihm direkt oder mir Ihre Stellungnahme zu der beabsichtigten Aufführung bekannt zu geben. Ich habe versucht das Stück hier und in Basel aufzutreiben. Es ist mir leider nicht geglückt. Würden Sie mir die Freude bereiten durch das Zürcher Schauspielhaus mir das Werk für wenige Tage zur Lektüre zu verschaffen? Für diese Bemühung wäre ich Ihnen aufrichtig dankbar. Ich wünsche Ihnen Gutes – soweit das heutzutage möglich ist – und eine schaffensfrohe Zeit. In Verehrung Ihr Otto Brefin Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3068.

468 Otto Osthoff (1906–1957), Schauspieler, Regisseur und Publizist. Seit Anfang der 1940er Jahre an den Münchner Kammerspielen tätig, dann war er Mitbegründer des Kabaretts „Die Schaubude“.

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Curt Riess an Bertolt Brecht Berlin, 14.5.48 CURT RIESS US PRESS CENTER BERLIN MILITARY POST APO 742 A c/o Postmaster New York, N.Y.

14.5.48

Lieber Brecht: – ich nehme die Gelegenheit des Besuches von Dr. Oprecht469 wahr, um Ihnen schnell Nachricht zukommen zu lassen. Ihre Angelegenheit470 hat sich insofern etwas verzoegert, als der betreffende wichtige Mann, den ich Ihretwegen interpellieren wollte, noch immer bei der londoner Konferenz471 ist und erst Anfang naechster Woche wieder erwartet wird. Ich habe mit ihm ganz kurz in Frankfurt gesprochen und er ist prinzipiell bereit, in unserem Sinne zu handeln. Bevor ich weitere Schritte unternehme: sind Sie dafuer oder dagegen? Bitte schicken Sie mir ein ganz kurzes Telegramm, aus dem ich das entnehmen kann. Ich hoffe dann sehr, bis Ende der Woche, also rund in acht oder ne[u]n Tagen, die Angelegenheit geregelt zu haben. Ich erwarte also ein Telegramm von Ihnen, etwa „unternehmen Sie alles“ oder „nicht mehr noetig“. Meine Adresse ist wie oben. Mit besten Gruessen Ihr Curt Riess Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3180.

469 Emil Oprecht. 470 Vermutlich die geplante Reise nach Berlin, bei der Curt Riess, inzwischen Kriegsberichterstatter für die amerikanische Regierung in Berlin, Brecht behilflich sein wollte. 471 Im Frühjahr 1948 konferierten in London die Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs, um sich über eine gemeinsame Besatzungspolitik Westdeutschlands zu verständigen.

1688 Vito Pandolfi an Bertolt Brecht Rom, 15.5.1948

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Roma 7-1-48 Viale Liegi 48

À Mr. Bertolt Brecht

Zürich Je vous serais bien réconnaissant de vouloir me donner un rendez-vous par les amis qui vous donneront ce billet. Comme je dois aller à Lugano pour des conférences, je viendrais jusqu’à Zürich aussi pour pouvoir vous connaître, pour les raisons que Mr. […] vous a déjà expliqué dans sa lettre, et, si vous le vouliez bien, pour vous faire une interview pour la revue littéraire «Il Politecnico»472 de Mr. Elio Vittorini, et pour la revue théatrale «Il Dramma».473 Je me suis pour le premier occupé de votre œuvre en Italie: j’ai souvent traduit, écrit, parlé en conférences et à la radio. Il y a beaucoup d’années que je désirais faire votre connaissance, et pouvoir apprendre des vous, directement, ce que j’ai appris depuis longtemps dans votre œuvre, que j’éstime la plus vivante et la plus puissante dans Théatre moderne, et qui a été d’une importance princière dans ma formation humaine. Excusez mon faible français. Je connais l’allemand, mais c’est beaucoup trop difficile l’écrire, pour nous italiens. Veuillez agréer les sentiments de ma profonde […] et dévotion

Überlieferung: Ms, BBA 1185/69.

Alfred Schechter an Bertolt Brecht Zürich, 15.5.1948

brecht bünishoferstrasse 14 feldmeilen

van landen angekommen anrei[s]e of herbert marshall und geiger hollywood erbitte anruf hotel storchen474 alfred schechter Überlieferung: Ms (Telegramm), BBA 1762/95.

472 Il Politecnico, von Elio Vittorini herausgegebene Wochenzeitschrift, die von 1945 bis 1947 in Mailand erschien. 473 Il Dramma, italienische Theaterzeitschrift, die von 1925 bis 1968 in Turin erschien, 474 Vgl. Marshall, 1.5.1948.

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Joseph Losey an Bertolt Brecht [Los Angeles] 19.5.1948 May 19/ 48 Dear Brecht, I have heard nothing more from H. Marshall or Renee Rubin in London. The situation does not seem very hopeful. I gather Geiger has gotten together with Marshall and perhaps something may come of it still. Have seen Lorre a few times he says he had the same kind of correspondence with Montague475 and Marshall a year ago and nothing came of it. T. Hambleton says he would be glad to go into any kind of association in London but cannot swing anything himself. I do not know just how or for how much T could or would go. Meanwhile Charles476 is back from New York and again in pretty good form and again waiting my help. I get the impression that there is almost no chance of getting him to do the play GALILEO again either here or in London, but perhaps a concrete offer would change his mind…. My picture477 is in the process of waiting for mechanics. Also as you perhaps know Howard Hughes478 (he with 125 million dollars) has bought control of RKO. No one knows why or what he will do. His behaviour and power suddenly reduce Dore Schary and everybody else to office boys. If he tampers with my picture, it can’t survive. If he doesn’t Schary will see it through and it will be quite a creditable and useful picture. RKO has taken up my option for a year, but this means little since it has been demonstrated that Sen Thomas479 and others can invalidate contracts quite easily. Also on my side I believe that I would always have a good chance of getting a loan-out or release to do something outside. On this premise and also seeing once again a practical demonstration of the monstrousness of Hollywood, I am doing everything in my power to get a production of GALILEO – or any independent production which might eventually lead to GALILEO or work with you. I terribly miss working with you. The problems with GALILEO have by now become very clear and definite. They are 1) The Johnson Office objections to the theme and you, 2) The universal executive opinion that Laughton is not a sufficient draw to carry the picture….RKO is definitely not going to spend its lire [sic] and is definitely not interested in GALILEO. I am trying for independent

475 Ivor Montagu. 476 Charles Laughton. 477 Vgl. Anm. zu Losey, 28.1.1948. 478 Howard Hughes (1905–1976), amerikanischer Unternehmer, Ingenieur, Pilot und Filmproduzent. 1948 kaufte er das Hollywood-Filmstudio RKO. 479 Möglicherweise J. Parnell Thomas, Vorsitzender des HUAC. Thomas war allerdings kein Senator, sondern Kongreßabgeordneter.

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production in the following ways 1) Paul Radin480, 2) Bill Fitelson481, 3) Adrian Scott….. Adrian is going ahead courageously with his own productions, without release. Both he and Fitelson say that if expenses can be kept down on production that a picture can be profitable even if blacklisted, censored, and not having major release. Would you be willing to go ahead with a European production of GALILEO (Italy may no longer be a possibility – but France, Denmark, or England might be), with me as director, Adrian Scott as producer, (perhaps in association with T482 or Fitelson or Radin), the screenplay to be written by George Tabori and approved and polished by you, with Laughton playing GALILEO if he will – otherwise someone else – perhaps Lee Cobb? Please answer. Particularly important to Adrian’s decision in the matter would be your willingness to give him and Tabori and me the right to work out a script. As a stepping stone to GALILEO I also have the following in work. One Seymour Nebenzal483 who originally produced “M” wishes to remake it. This afternoon I am seeing it with Radin, Charles, and Tabori. The thought would be to make it in Italy or France with Nebenzal’s blocked currency. Tabori for script, Radin associate, me directing, and Charles in the lead. Lorre is no longer acceptable for it because the producers maintain that he now is regarded by the American movie public as a clown. The whole project depends on Charles’ willingness to play the role. Unfortunately neither he nor I are very enthusiastic at this point. But I urge the project for the following reasons: 1) We could make it abroad and thereby explore the problems and possib[i]lities for GALILEO, 2) We could get together with you and plan new projects, 3) Radin and I might make enough money to be able to go ahead with GALILEO…..Charles is trying to think of other new stories that would serve as well as “M” which he finds “dated” and distasteful. Unfortunately Nebenzal is not at all receptive to GALILEO or you. Brecht, I am also writing today to Joris Ivens in Prague. Perhaps it would be within his power to set-up a production of GALILEO there for us. I think you also should follow this up, through Hanns484 and directly….Should you see Hanns tell him I have sent him some food boxes. By the way do you and Hellie need anything? T has undoubtedly written you of his thought and hope of involving Thornton Wilder on CAUCASIAN CIRCLE.

480 Paul B. Radin (1913–2001), amerikanischer Filmproduzent. 481 Vermutlich H. William Fitelson (1905–1994), amerikanischer Jurist, als Anwalt u.a. für die Theatre Guild und das Actors Studio in New York tätig. 482 T. Edward Hambleton. 483 Seymour Nebenzahl (1897–1961), deutsch-amerikanischer Filmproduzent, verantwortlich für zahlreiche bedeutende Filmproduktionen der Weimarer Republik, u.a. M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931, Regie: Fritz Lang) und Die Dreigroschenoper (vgl. Anm. zu Steffin, Anfang Juli 1933). 484 Hanns Eisler.

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Love to you all. We miss and need you very much. Please both you and Hellie write in detail soon – but particularly answer the question about GALILEO regarding Adrian, script, etc. Joe Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1762/96–97.

Carl Seelig485 an Bertolt Brecht Zürich, 20.5.1948 Herrn Bert Brecht bei Mertens Feldmeilen 20. Mai 1948

Zürich 8, Mühlebachstr. 17

Lieber Herr Brecht, Nach der Matinée im Schauspielhaus486 haben Sie mir freundlicherweise versprochen, für meine Anthologie deutscher Prosa jene Theateranekdote487 zu überlassen. Dürfte ich Sie darum bitten, da ich allmählich das Manuskript abschliesse? Den ersten Band, „Sterne“488, im Steinberg-Verlag erschienen, schicke ich Ihnen dieser Tage. Die Uraufführung Ihrer Komödie werde ich in der „National-Zeitung“ (Basel) besprechen.489 Ich freue mich darauf. Mit herzlichen Grüssen an Sie und Ihre Frau Ihr Carl Seelig. Überlieferung: Ms (Postkarte: Nyon – Le château), Notiz von fremder Hand: „Abgesandt 12 Juni“; BBA 3188.

485 Carl Seelig (1894–1962), Schweizer Schriftsteller und Mäzen. 486 Am 14.4.1948 wurde die Antigone (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948) in einer einmaligen Matineevorstellung im Schauspielhaus Zürich gespielt. 487 Nicht ermittelt. Überliefert ist ein Coupon mit Poststempel vom 31.7.1948, der belegt, daß Carl Seelig Brecht 30 Schweizer Franken überwiesen hat. Auf der Rückseite findet sich die handschriftliche Notiz: „Bin begeistert von Ihrem Beitrag! Vielen Dank u. herzliche Grüsse für Sie u. Ihre Frau Ihr Carl Seelig“ (BBA 3189). 488 Sterne. Anekdotische Erzählungen aus sechs Jahrhunderten, hrsg. v. Carl Seelig, Zürich o.J. 489 Über die von Kurt Hirschfeld und Brecht selbst inszenierte Uraufführung von Herr Puntila und sein Knecht Matti (5.6.1948 im Schauspielhaus Zürich) schrieb Seelig in der National-Zeitung vom 8.6.1948. Vgl. Anm. in GBA 6, S. 468.

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Carl Seelig an Bertolt Brecht Zürich [Frühjahr/Sommer 1948] Herrn Bert Brecht Schriftsteller Feldmeilen Sehr geehrter Herr Brecht, Bitte schicken Sie mir doch das versprochene Manuskript der Theateranekdote! Sie können es in 1-2 Tagen zurück haben. Es wird Sie sicher nicht gereuen, in meinem Buch vertreten zu sein. Mit besten Grüssen an Sie u. Ihre Frau Ihr Carl Seelig, Zürich 8, Mühlebachstr. 17. Überlieferung: Ms (Postkarte: Hotel z. Storchen, Zürich); BBA 3187.

Jan Steinberg 490 an Bertolt Brecht Zürich, 22.5.1948 Jan Steinberg. 42 Mühlebachstr. 8 Zürich

am 22.5.48.

Geehrter Herr Brecht, darf ich mir erlauben, Sie um einen Auszug der Hämon-Szene aus „Antigone“ zu bitten, ich würde die Erstere, falls Sie es mir gestatten, gerne hinsichtlich meines nächsten Engagements in Linz bei Dir. Brantner491 um den 11. Juni 48 vorsprechen. Ich versichere Ihnen, dass ich keinen ungehörigen Gebrauch des Textes machen werde, falls Sie die Güte haben sollten, ihn mir zustellen zu lassen – ich musste aber bedauerlicherweise feststellen, dass ich seit Chur recht textunsicher geworden bin, darum sah ich mich gezwungen, Sie, geehrter Herr Brecht, mit dieser Bitte zu belästigen. Den Hämon habe ich damals in Ihrer Inszenierung mit Freude übernommen, und er gehört zu den Rollen, an welche man sich noch lange nachher im Sinne des Profitierthabens erinnert. Gestatten Sie mir hinzuzufügen, dass ich mich glücklich schätze, unter Ihrer Regie gearbeitet zu haben. In der Hoffnung, dass Sie meiner Bitte willfahren können, bleibe ich mit den aufrichtigsten Grüssen und besten Empfehlungen, auch an Frau Weigel, 490 Der Schauspieler Jan Steinberg spielte den Hämon bei der Aufführung der Antigone in Chur (vgl. Anm. zu Stefan Brecht, 2.1.1948). 491 Ignaz Brantner (1886–1960), Schauspieler und Theaterdirektor, seit 1948 Direktor des Landestheaters Linz.

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Ihr verbundener Jan Steinberg. Überlieferung: Ms, BBA 3192.

Günther Weisenborn an Bertolt Brecht Berlin, 24.5.1948 Günther Weisenborn

Berlin-Dahlem, den 24.5.1948 Selchowstr. 6

Lieber Brecht! Entschuldigen Sie, dass ich mich solange nicht gerührt habe; aber die zweite Auslandsreise hat sich länger hinausgezogen als geplant, und danach wurde die Niederlegung der Ulenpiegel-Lizenz492 notwendig, was einen Haufen Arbeit und Verhandlungen verursachte. Mit dem künstlerischen Chef der DEFA und dem Regisseur des Films „Ehe im Schatten“493, Dr. Kurt Maetzig, habe ich über unseren Ulenspiegel-Film lange Unterhaltung gehabt. Die DEFA war sehr erfreut darüber, dass Sie mitmachen wollen. Ihr Wunsch, dass die Bezahlung in Devisen erfolgen soll, wird Ende des Monats geklärt sein, da ein Beauftragter der DEFA diese Dinge augenblicklich in Moskau verhandelt, und wie wir hoffen, in positivem Sinne, so dass wir dann, falls alles gut geht, in der Schweiz Treatment und Drehbuch des Films zusammen schreiben können. Sie werden also spätestens Ende dieses Monats durch einen Brief der DEFA Genaueres über die wirtschaftlichen Möglichkeiten erfahren. Was mich angeht, so würde ich Sie bitten, meinen Anteil einem angesehenen Bürger der Schweiz zu zedieren, eventuell über Dora Rohr494 der Büchergilde Gutenberg, der oder die mich dann einlädt und meinen Aufenthalt bezahlt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir nach Erhalt dieses Briefes, den Sie von der DEFA erhalten werden, den Namen des betreffenden Bürgers oder der Organisation mitteilen könnten und die Organisation bitten würden, mir eine Einladung mit einer durch die Fremdenpolizei beglaubigten Bürgschaft zuzusenden. In der Bürgschaft müsste stehen, dass der oder die Betreffenden für mich gutsagen und meinen Aufenthalt finanzieren werden. Der Ulenspiegel-Film soll der Spitzenfilm der DEFA werden (eventuell bunt). Jedenfalls stehen uns alle Möglichkeiten zur Verfügung. Auch Ihr Vorschlag, dass Eisler die Musik schreiben soll, wird von der DEFA sehr begrüsst. Maetzig, der der Regisseur des Films ist, wünscht sich in der Hauptrolle den französischen Schauspieler Barrault495, der in dem Film 492 Vgl. Anm. zu Maetzig, 23.4.1948. 493 Ehe im Schatten (D 1947, Regie: Kurt Maetzig). 494 Dora Rohr (*1920), Schweizer Schriftstellerin. 495 Jean-Louis Barrault (1910–1994).

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„Les Entfants [sic] du Paradis“496 die Hauptrolle spielte, mir doch ein wenig asthenisch vorkommt. Er ist ein wundervoller Schauspieler und für die Rolle ausserordentlich geeignet; aber vielleicht ist er zu „gebildet“. Ich habe in der Zwischenzeit mit Vertretern aller vier Besatzungsmächte über Ihre Reise nach Berlin verhandelt. Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass eine andere Möglichkeit als der Flugweg nicht offensteht. Wenn Sie sich an die sowjetische Botschaft in Bern wenden, werden Sie dort alle Erleichterungen finden. Falls also die Frage der Aufenthaltserlaubnis dort geklärt ist, halte ich es für richtig, diesen Weg zu benutzen, damit Sie hier sobald als möglich erscheinen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass alle auf Ihre Ankunft sehr warten. Es wäre wirklich an der Zeit, dass Sie kommen, da man Ihr Zögern, vorausgesetzt, dass die Aufenthaltserlaubnis vorliegt, sonst nur schlecht versteht. Ich bin überall als der Apostel Ihres Verhaltens aufgetreten, und ich denke, dass es jetzt wirklich Zeit ist für Helli Weigel, Ruth Berlau und Sie. Wie mir von Offizieren der Sowjetischen Militäradministration mitgeteilt wurde, stehen Ihnen alle technischen und wirtschaftlichen Dinge, die Sie benötigen werden, zur Verfügung. Sie versprachen mir, weitere Gedichte für den „Ulenspiegel“497 zu schicken. Der „Ulenspiegel“ wird weiter erscheinen und wartet auf Ihre Texte. Sandberg498 wird voraussichtlich eine sowjetische Lizenz erwerben, während ich mich auf meine literarischen Arbeiten konzentrieren will, aber Mitarbeiter des „Ulenspiegel“ bleibe. Falls die Filmverhandlungen weiter günstig verlaufen, hoffe ich, im September nach dort zu kommen, vorausgesetzt, dass die Bürgschaft vorliegt. Ich würde dann gerne für längere Wochen, eventuell mit meiner Frau, kommen und bitte Sie, sich deswegen mit Dora Rohr, die in allem meine Vollmacht hat, in Verbindung zu setzen. Wenn Sie mir schreiben, so können Sie diesen Weg wählen oder mir durch Ruth Berlau auf dem Postweg Nachricht zukommen lassen, ob und wann mit ihrem Eintreffen zu rechnen ist usw. Ich werde nie die guten Stunden vergessen, die wir zusammen verlebt haben, die vielen Diskussionen, den Krach mit dem Taxichauffeur, die Filmbesuche und die 55 Franken, die Sie mir zum Schluss gepumpt haben, und die Sie hoffentlich in der Zwischenzeit von Fräulein Rohr zurückbekommen haben. Ich bin Helli Weigel und Ihnen ausserordentlich dankbar für die schöne Zeit, für Eure Gastfreundschaft, und ebenso Ruth Berlau, und kann Ihnen Dreien dazu nur schreiben: kommen Sie her, es ist Zeit! Herzlichst Ihr Günther Weisenborn Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 211/46–47. 496 Les Enfants du paradis (Kinder des Olymp, F 1945). Regie: Marcel Carné. 497 Vgl. Anm. zu Pfanzelt, 14.1.1947. 498 Herbert Sandberg (1908–1991), Graphiker und Karikaturist, Mitherausgeber des Ulenspiegel. 1934 wurde er verhaftet und 1938 im KZ Buchenwald interniert.

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Rod E. Geiger an Bertolt Brecht Croydon, 24.5.1948 at Selsdon Park Hotel. Near Croydon, Surrey, England. Berthold Brecht, Esq., Feldmeilen bei Zürich, Bunishoferstrasse 14 SWITZERLAND. 24th May, 1948. Dear Brecht, We have just had a meeting with Mr. Alfred Shechter499, who has brought us news of his discussion with you. First let me say we are all very happy about your attitude in relation to the making of the film.500 “That the film must be made” as basis to work sounds most practical, and on a practical basis is the only way that the film will be made. Associated with us is one Mr. Herbert Marshall, whom you might recall having met in Moscow. At the time he was working with Eisenstein501. It is our intention to have Marshall direct both the stage play and the film. In view of that I think the best plan would be for us all to meet any place you say, in the middle of June, – this being the most convenient time for us as Marshall has a film to do at the end of June and I must start preparing for “Christ in Concrete”502, which will go here in England early August. Strange as it may seem we are back to our original idea of doing the play in conjunction with the film. Mr. Marshall, who has many theatre connections here, and who is a director of the highest standard (do you remember his production of “Thunder Rock?”503) is now exploring the possibilities of doing the play on an experimental basis with much promise. This fits in fine with Laughton who could come to England, do the play five or six weeks, and at the same time go over the screen play which is one of his conditions in relation to

499 Alfred Schechter. 500 Der geplante Galileo-Film. 501 Sergej Michailowitsch Eisenstein (Sergej Michajlovič Ėjzenštejn, 1898–1948), russischer Theater- und Filmregisseur und Filmtheoretiker. An seinem Seminar in Moskau hatte Mitte der 1930er Jahre auch Herbert Marshall teilgenommen. 502 Vgl. Anm. zu Losey, 10.12.1947. 503 Thunder Rock (1939), Drama von Robert Ardrey. Herbert Marshall inszenierte das Stück 1947 am Globe Theatre in London.

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the film. After the run of the play we would go right into the film, which should be some time in December. Our plan at the moment is to shoot all locations in Italy and studio in London. This is the most practical procedure from a business point of view. It is also our hope to shoot the film in colour, capturing the Breughelesque quality of the play. – But these are things which I leave to discussion. We want to enter into negotiations as soon as possible for distribution here in England, which is what we need to complete our financial arrangements. However, it will be necessary to show them some brief synopsis of the film. If you could give us some 15 or 20 pages as you see the film, building up Virginia and Ludovico504, as well as widening the whole scope along the lines we previously discussed, it should do the trick. I think it would be foolhardy to give them the play to read, as no doubt its potential problems would scare them to death – I don’t have to tell you that it is our aim to include those potentials in the final version and make the kind of a film films should be – so we wait for your reply and 20 precious pages. My best regards to all, Rod E. Geiger P.S. Marshall asks if it is possible to get the original version of the play in German. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Rod E. Geiger Productions, Inc., 1618 North Las Palmas Avenue, Hollywood 28, California, Telephone Hillside 7584, Cable address Bodmos; BBA 1762/98–99.

Kurt Maetzig und Wolf von Gordon505 an Bertolt Brecht Berlin, 25.5.1948 Der Chefdramaturg Dr. v. Go./Ih.

Berlin, den 25.5.48

Herrn Bert Brecht Zürich Neues Staatstheater Sehr geehrter Herr Brecht! wie ich zu meiner Freude von Günter Weisenborn erfahre, sind Sie daran interessiert, an dem Drehbuch zu unserem Stoff „Ulenspiegel“506 mit Günter Weisenborn zu schreiben. 504 Figuren aus Galileo. 505 Wolff von Gordon, Drehbuchautor und Chefdramaturg der DEFA. 506 Vgl. Anm. zu Maetzig, 23.4.1948.

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Ich muss gestehen, dass mich Ihr Entschluss sehr freut; denn es ist dies ein Film, den ich als die tragende Säule unseres nächstjährigen Produktionsprogrammes ansehe. Ich glaube auch, dass die Verlagerung des Stoffes in die Bauernkriege eine ganz besonders kraftvolle Handlung ergeben wird. Günter Weisenborn wird Ihnen ja schon kurz unseren Plan erzählt haben, der mit wenigen Worten so aussieht: Die Handlung spielt zur Zeit der Bauernkriege. Der Ort, dem Ulenspiegel entstammt, liegt zwischen einem grossen Klostergut und einem Rittergut. Ulenspiegel, der Vagant, kommt in die Heimat zurück und findet das Mädchen, das er liebt, durch Verkauf des Gutes als Hörige des Klosters wieder. Wenn er sie heiratet, wird er selber hörig. Er schliesst sich den aufständischen Bauern an und kämpft mit allen Waffen seines Geistes und Witzes gegen das Verhängnis, das aber auch er nicht aufhalten kann. Er muss über die Landstrasse weiterwandern und die Freiheit und die Herrschaft des Geistes auf seine Weise verteidigen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns einmal schreiben würden, wie Sie selbst den Stoff und seine Gestaltung sehen. Ich lege Ihnen noch ein Exemplar unseres Produktionsprogrammes bei, das Sie über die DEFA und ihre Pläne für das laufende Jahr orientiert. In Erwartung einer rechtbaldigen Antwort, bin ich Ihr sehr ergebener Dr. Gordon Kurt Maetzig 1 Anlage Ich würde mich sehr freuen, Sie im Laufe der nächsten Monate persönlich kennen zu lernen. Ihr ergebener K. Maetzig Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: DEFA Deutsche Film-A-G- Berlin SW 68 Krausenstraße 38–39 Telefon: Sammelnummer 42 59 21 ◦ Postscheckkonto: Berlin 3976 ◦ Drahtwort: Defafilm Berlin; BBA 1764/5.

Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht [New York] 27.5.1948 27.5.48 Lieber Bertolt, endlich fand ich eine Gelegenheit, Dein Manuscr. auf bestem Wege an den „Aufbau“ zu senden. Man wartet dort schon sehr darauf und hat das Buch schon angekündigt.

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Ich habe keine Ahnung, ob Du noch in der Schweiz bist, oder wo Dich der Brief erreichen wird. Beigelegt findest Du das Inhaltsverzeichnis der „Gedichte im Exil“.507 Es fehlen fast alle Manuscripte des 4. Teils. Bitte sende sie selbst soschnell [sic] wie möglich an den „Aufbau“ nach. Es handelt sich praktisch um fast alles, was Du nach der Steffinschen Sammlung gedichtet hast. Meines Wissens hast Du am „anachronistischen Zug“508 noch Korrekturen vorgenommen, sende also evtl. die jüngste Fassung. Du wirst Dich erinnern, dass wir verschiedene Gedichte gestrichen und einige Titel geändert haben. Falls Du einiges davon wieder rückgängig machen willst, ist mir das natürlich recht. Du kannst inbezug [sic] auf die Sv. Ged.509 das leicht feststellen, indem Du das Inhaltsverzeichnis der alten Ausgabe mit dem beiliegenden vergleichst. Ebenso das der Steffin’schen Sammlung. Falls, dann tue es bitte gleich, damit Satzkorrekturen vermieden werden. Ich hoffe, dass es mir gelingt, mit Auroras Schulden510 fertig zu werden und Dich noch in diesem Jahre wiederzusehen. Nicht freut mich, dass Du meinen Brief vom 28.3. unbeantwortet liessest. Schicke mir doch wenigstens Dein O.K. zum Aurora-Bericht. Einige Anmerkungen zum Manuscript hänge ich an, damit Du sie abreissen kannst. Dir und den Deinen herzlichste Grüsse Dein Wieland Der Desch-Verlag in München hat den Vertrag auch unterschrieben. Damit beide Ausgaben identisch lauten werden, will ich Korrekturfahnen des „Aufbau“ dorthin schicken lassen. Das gilt auch für Wien. Svendburger Ged. S. 12, wolltest Du einen Zusatz ans Ende anfügen Zur „Deutschen Kriegsfibel“ wolltest Du einige Strophen hinzufügen. Ich stelle zur Erwägung, ob Du nicht die 4 ersten Zeilen auf S. 10 der „Sv. Ged.“ wegnehmen und auf S. 5 als Motto einsetzen solltest. Ich glaube, Du sagtest zu mir, Du habest „Zufluchtsstätte, S. 82, geändert. Wenn, so sende die richtige Fassung an „Aufbau“. Auf S. 72 habe ich eine Zeile geändert; und zwar in der Mitte, wie folgt: 507 Die unter diesem Titel geplante Veröffentlichung von Gedichtsammlungen, die im Berliner AufbauVerlag erscheinen bzw. wiederaufgelegt sollten – nicht zu verwechseln mit den vormals geplanten Gedichten im Exil (vgl. Anm. in GBA 12, S. 404f.) –, kam nicht zustande. 508 Das ist das Gedicht Freiheit und Democracy. Vgl. dazu Stefan Brecht, 10./11.4.1947. 509 Svendborger Gedichte. 510 Der von Wieland Herzfelde 1944 in New York gegründete Aurora-Verlag hat zu dieser Zeit bereits keinen Titel mehr publiziert. Weitere geplante Veröffentlichungen wurden an den Berliner AufbauVerlag abgetreten.

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Ist die Silbe GRAMM, vorkommend als das Wort „Gramm“ Falls nicht einverstanden, ändere es bitte in der Korrektur. Inhalt 1. Teil:

1933-1934. Lieder, Gedichte, Chöre Seite Zu Potsdam unter den Eichen Wiegenlieder Das Lied vom SA-Mann Das Lied vom Klassenfeind Das Lied vom Anstreicher Hitler Choräle der Bekenntniskirche Die Ballade vom Baum und den Aesten Choräle der Bekenntniskirche Die Ballade vom Baum und den Aesten An die Kämpfer in den Konzentrationslagern Begräbnis des Hetzers im Zinksarg Ballade von der Billigung der Welt Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York Lied der Lyriker (als schon im ersten Drittel des XX. Jahrhunderts für Gedichte nichts mehr gezahlt wurde) Deutschland

2. Teil:

1935-1939. Svendborger Gedichte I Deutsche Kriegsfibel II Ballade von der Judenhure Marie Sanders Ballade von den Osseger Witwen Lied der Starenschwärme Kinderlieder Keiner oder Alle Muschiklied, 1917 Einheitsfrontlied Resolution der Kommunarden, 1871 III Chroniken Fragen eines lesenden Arbeiters Der Schuh des Empeklodes Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration Besuch bei den verbannten Dichtern

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Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin Die unbesiegliche Inschrift Kohlen für Mike IV An den Schwankenden An die Gleichgeschalteten Auf den Tod eines Kämpfers für den Frieden Rat an die bildenden Künstler, das Schicksal ihrer Kunstwerke in den kommenden Kriegen betreffend Ansprache des Bauern an seinen Ochsen Bei der Geburt eines Sohnes Rede eines Arbeiters an einen Arzt [Hs.: Grabschrift für Gorki]511 V Deutsche Satiren Die Bücherverbrennung Traum von der Kartoffel Der Dienstzug Schwierigkeit des Regierens Notwendigkeit der Propaganda Die Verbesserungen des Regimes Die Aengste des Regimes Die Jugend und das Dritte Reich Der Krieg soll gut vorbereitet sein Was der Führer nicht weiss Inhalt, S. 2 Wörter, die der Führer nicht hören kann Die Sorgen des Kanzlers Der Jude, ein Unglück für das Volk Die Regierung als Künstler Dauer des Dritten Reiches Verbot der Theaterkritik VI Ueber die Bezeichnung Emigranten Gedanken über die Dauer des Exils Zufluchtsstätte 511 Von fremder Hand am Seitenrand notiert.

Seite

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Und in eurem Lande? Verjagt mit gutem Grund An die Nachgeborenen 3. Teil:

1940 Steffin’sche Sammlung Frühling 1938 Der Kirschdieb 1940 An die dänische Zufluchtsstätte der ersten Jahre des Exils Finnische Gutsspeisekammer 1940 Gedenktafel für im Krieg des Hitler gegen Frankreich Gefallene Gedenktafel für 4000, die im Kriege des Hitler gegen Norwegen versenkt wurden Aus den Chroniken Das Pferd des Ruuskanen Aus den Visionen Parade des alten Neuen Die Niederkunft der grossen Babel Der Steinfischer Der Kriegsgott Appell der Laster und Tugenden

4. Teil:

1941-1947 Lied für alle, die verzagen wollen An die Soldaten im Osten Freiheit und Democracy oder der anachronistische Zug (Ergänzungen folgen)

[Hs.] Es fehlen u.a. die Texte von: Der Kinderkreuzzug Deutsche[s] Miserere Des Soldaten Weib Überlieferung: Ts, hs. U.; RBA 54/10–12 (Kopie: BBA 1762/66–68).

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Richard Weiss an Bertolt Brecht Berlin, 28.5.1948 28.5.48 Herrn Bert Brecht Bönigshoferstr. 14 [sic] Feldmeilen b. Zürich Lieber Bert Brecht, von Paris zurück, kann ich nun die Vorarbeiten für ANTIGONE512 selbst leiten, nachdem wir glauben, eine Auflage von 10.000 Ex. vorerst herausbringen zu können. Der Druck kann – wie vorgesehen – in Tiefdruck erfolgen und wird die Wirkung der Bilder ganz besonders günstig gestalten. Sollten Sie – wie vorgesehen – im Laufe des Monats Juni nach hier [sic] kommen, bitte ich Sie freundlichst, mir das vollständige Manuskript, sowohl des Dramas, als auch der Einführung, zu überbringen. Wir benötigen dies nicht nur zur Umfangsberechnung, sondern auch bereits für die Herstellung. Sollte sich Ihr Kommen verzögern, bitte ich freundlichst zu überlegen, welchen Weg wir beschreiten können, um die grösstmöglichste Sicherheit zu erreichen. Sollten Sie Gelegenheit haben, die Manuskripte nach München zu bringen, so könnte mein Bruder – Gerhard Weiss in der Nymphenburger Verlagshandlungen, München, Hubertusstrasse 4 – den Versand an uns auf sicherem Weg übernehmen. Das würde auch auf die Kalendergeschichten zutreffen. Hier sind wir besonders um den gesamten Text verlegen, denn wenn wir diesen Titel noch zu Weihnachten herausbringen möchten – und das wollen wir auf jeden Fall – müssten wir bei den heutigen Herstellungsschwierigkeiten bereits jetzt mit dem Satz beginnen. Soweit Sie über Abschriften verfügen, würde ich Sie freundlichst bitten, dieselben doch auf dem Postwege an uns abzusenden, wenn sich sonst keine günstige Gelegenheit zum Versand ergibt. In Paris habe ich einen gemeinsamen Bekannten – Henri Poullaille – Verlagsleiter bei Bernhard Grasset sprechen können. Er hat noch ein Werk von Ihnen vorliegen: (Titel kann ich im Moment nicht feststellen) und zwar im Manuskript. P. will sich sofort mit Ihnen in Verbindung setzen, auch wegen einer weiteren Zusammenarbeit. Ich habe ihm Ihre jetzige Anschrift gegeben und nehme an, dass er sich bereits gemeldet hat. Indem ich der Hoffnungs Ausdruck gebe, dass diese beiden Titel der Anfang einer erfolgreichen und angenehmen Zusammenarbeit sein mögen, bitte ich Sie freundlichst, doch gelegentlich die Manuskripte für einen oder mehrere Gedichtbände zusammen zu stellen, denn wir wollen unsere Planung stets für einen längeren Zeitraum vornehmen und Ihren 512 Vgl. Anm. zu Weiss, 30.4.1948.

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Arbeiten einen entsprechenden Vorrang gewähren, denn wir sehen keinen Grund, warum dieselben den deutschen Arbeitern noch länger vorenthalten werden sollen. Ich würde mich freuen, Ihnen recht bald den ersten Band vorlegen zu können und begrüsse Sie in sozialistischer Verbundenheit Ihr Richard Weiss NB Von unserer Grossbuchhandlung Hans Schoof Nachf. habe ich Ihnen mit gleicher Post eine grössere Anzahl Zeitschriften übersenden lassen. Sollten dieselben ungehindert ankommen bitte ich Sie freundlichst mich wissen zu lassen, welche Titel ich Ihnen laufend zukommen lassen darf. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Gebrüder Weiss-Verlag Berlin Berlin SW 68, Kochstrasse 45, Scherlhaus Lizenz US B-212 Fernsprecher 66 27 87 Postscheckkonto Berlin 130120, Bankkonto Berliner Bezirksbank Moritzplatz; BBA 1764/43–44.

Gerd Semmer513 an Bertolt Brecht Marburg, 30.5.1948 Gerd Semmer

Marburg, den 30.V.48 Heinestr. 22a

Zauberspruch an Bert Brecht. Geehrter! Mich verlangt Sie näher zu kennen. Noch kann ich nicht zu Ihnen, (Stacheldraht an unsern Grenzen) kommen Sie zu mir! Nicht in Person, (Mann sind Sie, nicht Geist) aber im Werk. Wohl weiß ich die Kleinheit der großen Aufzeichnungen, die Sie bei sich tragen, und die ich nicht bekommen kann. Doch sie werden Wege wissen, wie das wichtige Material 513 Gerd Semmer (1919–1967), Lyriker, Übersetzer und Publizist. In den 1950er Jahren war er Regieassistent bei Erwin Piscator.

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mir zukommen kann. (Ich habe von Ihnen: Versuche, Heft 1 5 7; Eduard II.) Ich bemühe mich einen Mann und sein Werk zu kennen aus seinem Wort. Ich stehe vor der Notwendigkeit die Abschlußarbeit meines Studiums zu schreiben und und wählte mir Ihr Vorbild, um in gleicher Richtung mit dem Eigenen fortzuschreiten. Eine Seite aus dem Schweyk, die ich allein sah, („Die historische Begegnung“514) entzündete in mir diese Zuneigung und den Wunsch die Gesetze des Typus und des wirkenden, alltäglichen, Volkstheaters zu erfassen. Der ich hier ohne Macht bin als der der Bitte: Im Namen der dritten Sache bitte ich Sie, bei den gemeinsamen Elementen, bei dem Geist, dem Sie dienen, beschwöre ich Sie mir zu helfen. Mit großer Achtung! Gerd Semmer. Cand. phil. Schneidermeister.515 Puppenspieler. P.S. Wenn es Ihnen möglich ist mir zu helfen, könnte ich die Anschrift von wohlhabenden Leuten beschaffen, die die Unkosten trügen (so hoffe ich). Im Augenblick habe ich sie noch nicht. Doch war die erste Sendung durch jene besorgt, die nun nichts mehr auftreiben können – vielleicht auch nimmt der Tennissport sie zu sehr in Anspruch. Aber auch ohne daß eine Zeile von Ihnen an mich gelangt, bleibe ich der Ihre. G.S. Überlieferung: Ms (Brief adressiert an „Herrn Bert Brecht • Schriftsteller Schweiz Zürich Am Züricher See Irgendwo“, Notiz von fremder Hand: „Schauspielhaus“); BBA 3190.

Walther Jary an Bertolt Brecht Wien, 1.6.1948 Wien, 1 Juni 48. Hochgeehrter Dichter! Vorerst ersuche ich Sie höflichst, mir meine Belästigung gütigst entschuldigen zu wollen. Als ein Verehrer Ihrer Dichtkunst, Ihres meisterhaften Wortes, hätte ich eine kleine Bitte, die Sie mir, so hoffe ich, nicht verwehren werden. Diese Bitte besteht in dem Wun514 Vgl. „die historische Begegnung zwischen Schweyk und Hitler“ im Nachspiel (GBA 7, S. 254–257). 515 Gerd Semmer hatte ebenso wie sein Vater den Beruf des Schneiders erlernt.

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sche einige Verse von Ihnen in Ihrer persönlichen Handschrift, mit Ihrer Unterschrift versehen, zu besitzen. Sollten Sie von sich ein Bildchen besitzen und für mich erübrigen können, so würde es mich doppelt freuen, wenn Sie es den Zeilen hinzufügen könnten. – Gleichzeitig möchte ich Ihnen Dank sagen für all die schönen Stunden, die mir durch Ihre Werke bereitet wurden. Es war wohl das schönste Erlebnis als wir in der Gefangenschaft – welche schwere Zeit – endlich wieder frei Ihre Verse zitieren konnten. Und das war und bleibt stets die große Freiheit: die des Geistes, des Großen. Ich beneide die Züricher, denen Ihre Kunst durch Sie persönlich vermittelt wird. Können auch wir Wiener auf einen Brecht-Abend hoffen? Es wäre uns die größte Freude. In diesem Sinne erlaube ich mir zu schließen und danke im voraus bestens für Ihre Bemühung bezüglich meines kleinen Wunsches. In Ergebenheit Walther Jary Walther Jary, Wien 7., Neustiftg. 18/7.

Stempel: Österreichische Zensurstelle -W.- 792

Überlieferung: Ms, BBA 3106.

Gottfried von Einem und Caspar Neher516 an Bertolt Brecht Salzburg, 3.6.1948 Salzburg, 3.6.48. Lieber Brecht, Dank für Ihre Zeilen.517 Dass ich Ihre, dass ich „unsere“ Sache518 nicht vergessen und mit allen Mitteln betrieben habe und weiter betreiben werde, wissen Sie nun. Die besondere Wendung Ihres „Falles“ war mir leider neu, doch es wird sich alles so regeln lassen, wie es die Dringlichkeit und die Wichtigkeit fordert. – Ich fahre morgen nach München etc, dann nach Wien, dort bin ich vom 13.-23.VI. und werde Ihnen über den Erfolg der Verhandlungen gleich Nachricht geben. Für die Premiere am 6.6.519 alles Gute. Könnten Sie mir ein Textbuch an das Festspielhaus schicken lassen? Sie bekommen es zurück! It’s a promise. 516 517 518 519

Der Brief ist nicht namentlich gezeichnet. Vgl. B. an von Einem, 23.5.1948, GBA 29, S. 451. Vgl. Anm. zu Trefzger, 17.2.1948. Die Premiere von Herr Puntila und sein Knecht Matti am 5.6.1948 im Schauspielhaus Zürich (Regie: Kurt Hirschfeld und Brecht).

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Lieber Bert. Heute habe ich mit den Verschiedensten gesprochen: Notwendig ist, dass du bald hierher kämest – vielleicht komme ich nochmals nach Zürich. Ich suche Wohnungen. Man sagt es gebe welche. Für den 6 ten toi toi toi Dein Caspar – Überlieferung: Ms, BBA 3087.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht Prag, 5.6.1948 hanns eisler c.o. marie friedova vyroba filmova jindriska 34 praha II 5. juni. 48 lieber brecht: vielen dank fuer deinen Brief. der „kreidekreis“ im herbst wuerde mir grossen spass machen.520 hoffentlich kommt es dazu. nach ein paar schoenen konzerten in wien,521 bin ich jetzt wieder in der tschechoslowakei, wo ein musikkongress522 stattfand, an dem ich mich beteiligt habe. jetzt bin ich, um in ruhe zu komponieren, ungefaehr dreissig kilometer bei von prag, in dem schloss des syndikats der schriftsteller.523 ungeheuer bequem und angenehm. wir werden hier ungefaehr bis ende juli bleiben. inzwischen habe ich auch einladung nach berlin bekommen. wir denken daran im herbst wenigstens auf einige zeit hinzufahren.524 520 In dem erwähnten Brief, der nicht überliefert ist, hatte Brecht offenbar vorgeschlagen, den Kaukasischen Kreidekreis in Zürich zu inszenieren. Das Vorhaben kam nicht zustande. 521 Am 3.5.1948 wurden in einem Rundfunk-Kammerkonzert in Wien mehrere Stücke, die Hanns Eisler im amerikanischen Exil komponiert hatte, gespielt. Das Programm wurde am 7.5.1948 im Rahmen eines Hauskonzerts der Universal-Edition wiederholt. 522 Der II. Internationale Kongreß der Komponisten und Musikkritiker, der vom 20. bis 29.5.1948 in Prag stattfand. 523 Das enteignete Schloß Dobřiš, das dem tschechischen Schriftstellerverband als Gästehaus und Tagungsstätte zur Verfügung gestellt worden war. 524 Eisler fuhr Mitte Oktober 1948 nach Berlin. Im Dezember und Januar des folgenden Jahres hielt er sich erneut dort auf, um Vorgespräche über seine künftige Arbeit zu führen.

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selbstverstaendlich muessen wir unbedingt wieder zusammen arbeiten. dieses salzburg hat fuer mich wenig verlockendes,525 es ist im sommer vollgestopft mit fremden und teuer. jedenfalls schreibe mir, wann du dort hinkommst vielleicht laesst sich doch etwas arrangieren, dass wir uns treffen. haettest dz lust hierher zu kommen? schreibe darueber ein paar Zeilen. wie ist es denn mit deinen plaenen, nach zuerich? in berlin wartet man ja auf dich und du kannst dort wirklich alles haben, theater, wohnung, wagen und chauffeur. die „k.w. kantate“526 habe ich noch nicht bekommen. wie geht es mit dem „puntila“?527 besonders herzlich dein Eisler Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3077.

Hanns Eisler an Bertolt Brecht [Mitte Juni 1948] Lieber Brecht! Vielen Dank für die Kantate.528 Ich glaube man kann eine interessante Partitur dazu machen. Es wird übrigens nicht leicht sein der eigentlichen, sehr schönen Ballade eine geeignete Form zu geben ohne in eine Monotonie zu verfallen. Jedenfalls werde ich mich sehr bald daran setzen, um sie für die Februarfeier fertig zu haben. Was haben denn die Schweizer zu dem „Puntilein“ 529 gesagt? Ich lebe hier in diesem schönen Barockschlosse530 sehr behaglich. Wie ist es mit Deinen Plänen? Salzburg ist das Zentrum des abscheulichsten Gesindel; eine Bande von Schiebern aller Nationen hält diese schöne Stadt besetzt. Das kann Dir ja gleich sein, aber wenn schon Österreich, dann gehe dort an eine der schönen Seen.

525 Brecht hatte Ferdinand Reyher – und anscheinend auch Eisler – über seinen Plan unterrichtet, sich „im Österreichischen, in der Salzburger Gegend niederzulassen, um einen Punkt zu haben, zu dem man zurückkehren kann (und den man verlassen kann).“ (B. an Reyher, April 1948, GBA 29, S. 449). 526 Die Koloman Wallisch Kantate. Vgl. Anm. zu Eisler, 8.4.1948. 527 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. 528 Die Koloman Wallisch Kantate (vgl. Anm. zu Eisler, 8.4.1948). Vgl. B. an Eisler, Mitte Juni 1948, GBA 29, S. 453f. 529 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. 530 Vgl. Anm. zu Eisler, 5.6.1948.

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Wann denkst Du könnte der „Kaukasische Kreide Kreis“ daran kommen? Ich bin für den Herbst für 3 Konzerte nach Paris eingeladen531 und ich möchte mir meine Zeit einteilen. (Für Proben etc zu drei Konzerten brauche ich mindestens 3 Wochen). Schreibe darüber ein paar Zeilen und lasse mich, wenn Du verreist Deine neue Adresse wissen. Sehr Herzlichst Dein alter Eisler Mein Bruder ist in einer abscheulichen Lage.532 Vorläufig sinde es 4 Jahre. PS. Es ist erstaunlich wie viele von unsern alten Arbeiten noch lebendig sind. Auch werden sie dauernd gespielt. Das ist sehr erfreulich. Über Mangel an Anerkennung, selbst Ruhm kann ich mich nicht beklagen. Überlieferung: Ms, BBA 3088.

Jacob Geis an Bertolt Brecht Buch am Ammersee, 6.6.1948 Jacob Geis

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Buch am Ammersee, Haus 47 Deutschland U.S. Zone Bayern den 6. Juni 1948

Lieber Brecht, durch Deine Tochter Hanna, die wie ich mit dem Schreck des rasch alternden erfahre, bereits ihre Schauspielerischen Lehrjahre in Straubing (?!)533 verbringen soll, wird mir auf dem Umweg über meinen Sohn ein Gruss Deinerseits übermittelt, ebenso erhielt ich eine Karte aus der Schweiz offenbar auf Veranlassung des grossen Albers534 mit Deinem Namen unter anderen. Ich las sie mit belustigter Rührung, weil ich mir Deine Langeweile in Ge531 Vgl. Anm. zu Eisler, 8.4.1948. 532 Gerhart Eisler war im August 1947 in Washington zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und gegen Kaution freigelassen, im Februar 1948 jedoch erneut verhaftet und nach Ellis Island verbracht worden. Obwohl nach einem Hungerstreik Ende März bereits aus der Haft entlassen, wurde ihm ein Ausreisevisum verweigert. 533 Hanne Brecht – die bei ihrer Heirat 1948 den Namen Hiob annahm – arbeitete nach einem Engagement am Wiener Volkstheater am Stadttheater Straubing. 534 Den Schauspieler Hans Albers (1891–1960), der sich unter den Nazis großer Beliebtheit erfreut hatte, hoffte Brecht für den Ulenspiegel-Film (vgl. Anm. zu Maetzig, 23.4.1948) zu gewinnen. Am 2.4.1948 notierte er in sein Journal, Albers sei „wohl der einzige Volksschauspieler“ (GBA 27, S. 266). Er hatte ihn zuvor bei einem Gastspiel – in der Titelrolle in Ferenc Molnárs Liliom – in Zürich gesehen. Im April 1949 trat Albers als Mackie Messer in Harry Buckwitz’ Inszenierung der Dreigroschenoper an den Münchner Kammerspielen auf.

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sellschaft dieses Egozentrikers vorstellen konnte, der auf die Dauer nur mit viel Alkohol tragbar ist. Ich habe schreckliche Jahre meines Lebens mit ihm zugebracht, er war sozusagen mein Schutz gegen die Nazis und hat sich als solcher meine Dankbarkeit verdient, wenn auch der Preis ziemlich hoch war. Dazu kam, dass er trotz seiner Manie sich für den schönsten Mann der Welt zu halten im Grunde seiner Seele ein anständiger treuer Kerl geblieben ist – was nicht alle von sich sagen können – in diesen demoralisierenden Zeiten. Aber immerhin: ich verdanke ihm wenigstens die Andeutung eines Lebenszeichens von Dir und bin sonst auf die Presse angewiesen, die Dich mit vorsichtiger Bewunderung behandelt. Das ist wenig, zumal da ich mich in dieser Wüste gerade zu hysterisch danach sehne einmal mit Dir ein vernünftiges Wort zu sprechen – ein Wort, das vielleicht doch meine eigenen Zweifel über meinen so schwankenden Charakter beruhigen könnte. Denn die korrumpierende Tätigkeit beim Filmproduzieren535 nagt eben doch fast rascher noch als der hurtig knabbernde Zahn der Zeit an dem mageren Fleisch meiner besseren Seiten, sodass nur noch das Knochengerüst eines Zelloloidhändlers übrig bleiben wird, mir selber und mehr noch meinen Lieben ein abstossender Anblick. (Schon dass ich in solchen Bildern rede macht mich verdächtig). Aber lies, bitte, den beiliegenden Abschnitt536 – wenn Du erfährst, dass ich als Vorstandsmitglied des Produzentenverbandes auch damit zu tun habe – dann wirst Du meinen sprachlichen Stilwandel vielleicht begreifen. Ich bin nämlich der Rennomierbayer [sic] dieses Verbandes und die Drahtzieher dieses Unternehmens rechnen mich zu den ihrigen – also als einen der in der zu erwartenden sizilianischen Vesper gegen die Preussen zu denen gehören wird, die den Signalpfiff geben und jene Rollkomman[d]os ausschicken wird werden, die nächtlicher Weise die aus dem Bett geschleiften nach der Aussprache des Wortes „L o a b i t o a g “ morden lässt oder zum Mitmorden auffordert. Hier ist nämlich ein politischer Bergrutsch passiert und die „Bayernpartei“537 hat sich vorgespielt und stösst grässliche Drohungen gegen die „Zuawigroasten“ aus. (Ich nehme an, dass Du diese Worte auch als alter Californier noch fehlerlos aussprechen kannst – sonst würde ich Dir doch raten die Einreise nach Bayern zu unterlassen). Es wird zwar auch hier zum Kuhhandel kommen, den Führern dieser Partei auch privatberuflich wohlvertraut – aber meine nordgermanischen Kollegen halten es doch für gut mich vorerst vorzuschieben. Lederhosen und Gamsbart mit denen sie bis jetzt getarnt haben, haben ihre Zugkraft verloren.

535 Jacob Geis war Produktionsleiter der von ihm und Harald Braun gegründeten Neuen Deutschen Filmgesellschaft. 536 Nicht überliefert. 537 1946 in München gegründete Regionalpartei, die für die staatliche Eigenständigkeit Bayerns eintritt.

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Du kannst Dir also meine Lage vorstellen. Wie Galy Gay538 vor den Flinten. Wie Cicero zwischen Caesar und Pompeius.539 Wie wenn ich meine wahre Meinung gestehen würde: dass ich es nämlich für gehupft wie gesprungen halte ob man Filme „künstlerisch“ oder „industriell“ fabriziert – weil nämlich bei ihren wirtschaftlichen Voraussetzungen sowieso nichts als Tineff herauskommen kann. Sogar noch mehr Bluff, wenn die Ausrede des „Künstlerischen“ gebraucht wird?! Man wird mich für einen Clown oder für einen Zyniker halten. Wenn ich auch beides für besser hielte als mein heutiges Charakterbild in den Augen von Jesuiten oder Sozialdemokraten (Unterschied bitte klavierspielen!) so hält mich doch der Gedanke an die Währungsreform540 aus Selbsterhaltungstrieb zurück. Lieber also weiter im Ruf des Gschaftlhubers, des Schnittlauchs auf allen Suppen – – So rede ich also in verschiedenen Zungen für die Selbstzensur der Filmproduzenten – ein Begriff bei dem ich immer an einen sich geisselden Mönch denken muss – – Stell Dir dabei Theaterstückschreiber vor, die sich einen suchen der ihre Stücke „objektiv“ untersucht und dessen Zensur sie sich dann knirschend unterwerfen – – dann hast Du den Begriff der Selbstzensur. Immer geht das alles davon aus, dass die Gier nach Gewinn zur schamlosen aber einträglichen Filmproduktion führen könnte. Aber wenn dies die Ursache der ganzen Industrie ist?! Die Ursache jeder Industrie?! Das wird Dich alles bereits langweilen. Aber es nützt uns die wir in der Latrine stehen wenig wenn wir uns darin langweilen oder über Geruchsdifferenzen streiten – Wir können nur von dem Wunsch beseelt sein herauszukriechen. Und wenn wir dabei auf Köpfe treten müssten. (Mein Hang zu Bildern wird mich noch zum Dante dieses Zeitalters machen). In einem Bericht über Dich las ich, dass Du deine gesammelten Werke in Microphotokopieen in einer Schachtel aufbewa[h]rst. Kannst Du mir nicht eine so kleine Schachtel schicken?! Ich schicke diesen Brief an das Schauspielhaus in Zürich. Ich hoffe, dass er Dich erreicht. Vielleicht denkst Du dann daran mir Deine Privatadresse mitzuteilen. Grüss Deine Frau und sei herzlich gegrüsst von Deinem Jacob Geis. Überlieferung: Ts, hs. Us., BBA 3097.

538 Figur aus Mann ist Mann. Ein Packer, der unversehens unter Soldaten gerät. 539 Der römische Schriftsteller und Politiker Marcus Tullius Cicero (106–43 v.d.Z.) schwankte in seiner Parteinahme für Gaius Iulius Caesar (100–44) und dessen Gegenspieler Gnaeus Pompeius Magnus (106–48). 540 Im Juni 1948 wurde in den westlichen Besatzungszonen die Deutsche Mark als alleiniges Zahlungsmittel eingeführt.

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Frani Emanuel (Editions Robert Marin) an Bertolt Brecht Paris, 7.6.1948 Paris le 7 Juin 1948 Monsieur Bert BRECHT Bunishoferstr 14 FELDMEILEN - ZURICH Monsieur, Je viens de recevoir votre adresse par Monsieur Goldmann541, et je m’empresse de vous écrire. J’ai parlé déjà avec Monsieur Laughlin à l’occasion de son séjour à Paris, de la possibilité d’éditer plusieurs de vos œuvres. Je suis content de pouvoir m’adresser à vous directement pour vous demander de bien vouloir me signaler les livres que vous estimeriez les plus aptes pour une publication en langue française, et de me les faire parvenir dans la mesure du possible pour examen. Monsieur Goldmann m’a également signalé que vous êtes en possession du manuscrit de Karl KORSCH intitulé «CENT ANS DE MARXISME».542 Ayant une collection philosophique très importante, je serais très intéressé par ce livre, et je vous demanderais de bien vouloir me le faire parvenir. Espérant avoir bientôt des vos nouvelles, je vous prie de croire, Monsieur, à l’expression de mes sentiments les plus distingués. Frani Emanuel Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Editions Robert Marin Societe a responabilite limitee au capital de 100 000 Francs 154, Boulevard Haussmann, Paris-8e – Carnot 99-82 ; BBA 1763/15.

Karl Mathias543 an Bertolt Brecht Karlsruhe, 8.6.1948 Karlsruhe-Durlach, den 8. Juni 1948. 541 Möglicherweise der französische Philosoph und Literaturwissenschaftler Lucien Goldmann (1913– 1970). 542 Vgl. Anm. zu Korsch, Sept. 1947. 543 Das ist der Schauspieler Benno Carlé (1905­– ?). Bei der Uraufführung des Badener Lehrstücks 1929 trat er zusammen mit Theo Lingen und Karl Paulsen in der Clownszene auf.

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Sehr geehrter Herr Brecht! In der Ausgabe der „Neuen Zeitung“544 vom 27. Mai stand ein Artikel von Günther Weisenborn „Köpfe in Zürich u. Moskau“. Dies die Veranlassung meines Schreibens. Ich kann mir denken, daß mein Name Ihnen unbekannt ist; es wäre höchstens möglich Sie kennen ihn durch den Film „Der Mann aus Übersee“545 mit Willy Birgel und Karl Mathias, der, wie [ich] hörte in Zürich laufen soll. Damit Sie sich jedoch meiner Person wirklich erinnern können, bitte ich Sie an die „Deutsche Kammermusikwoche“ 1928 [sic] in Baden Baden zurück zu denken. Ich spielte damals unter dem Namen Benno Carlé in Ihrem „Lehrstück“ zusammen mit Theo Lingen, unter Ihrer Regie den Clown. Bei der Uraufführung in der Turnhalle (in der ersten Reihe saß Gerhard Hauptmann) gab es bei der Amputation des stelzenden „Herrn Schmidt“ einen kleinen Theaterskandal mit wüstem Pfeifkonzert. – Ich darf erinnern wie es mir durch verbissenste Gestikulation und einem verzweifelten Schrei „aber was verlangen Sie denn noch Dr. Schmidt“! möglich war, die bedrohliche Situation zu retten. Nach der Aufführung kamen Sie in die Garderobe, dankten mir, nannten mich einen kämpfenden Schauspieler und wollten von Berlin aus mit mir in Verbindung bleiben. Ich hatte Ihnen auch geschrieben, jedoch keine Antwort erhalten. – Ich glaube diese kurze Schilderung reicht aus, daß Sie sich an mich erinnern. Dies alles war vor 20 Jahren! Was die vergangene Zeit uns an Lasten aufgebürdet hat, kennen Sie gut wie ich. Was Sie von mir nicht wußten, daß ich Halbjude bin, sage ich Ihnen heute. – 1932 warnten mich Freunde vor dem Kommenden. Ich tauchte unter dem Namen Karl Mathias neu auf und spielte bis 1937 am Bad. Staatstheater.546 Wurde dann doch entdeckt, flog aus der „Reichstheaterkammer“547 hinaus und durfte im Reichsgebiet nicht mehr spielen. „Die Lüge ist die Waffe des Schwachen“ sagt Gorky im Nachtasyl.548 Meine Mutter half mir! Wie ich meine Spielerlaubnis erhielt, welche Schliche nötig waren durch die Graphen des Rassengesetzes549 hindurch zu kommen, wäre der Stoff für eine dramatische Komödie. Heute sage ich: es wäre besser für mich gewesen, ich wäre außer Landes gegangen. Mir gings damals darum, den Beweis zu erbringen: „das Nürnberger Rassegesetz“ ist Unvernunft! Ein Mensch ist nicht schlecht, weil er dieser oder jener Rasse angehört oder weil er ein Mischling ist, nein! er ist einer von beidem, je nach dem seine sittlichen, 544 Vgl. Anm. zu Schumacher, 7.7.1947. 545 Gemeint ist offenbar der Film Die Brüder Noltenius (D 1945, Regie: Gerhard Lamprecht), in dem Willy Birgel (1891–1973) und Karl Mathias als die Brüder Wolfgang und Werner Noltenius auftreten: der eine ein Weltenbummler und Lebemann, der andere ein biederer Kleinbürger. 546 Badisches Staatstheater Karlsruhe. 547 Die im August 1933 gegründete Reichstheaterkammer unterstand der Reichskulturkammer (vgl. Anm. zu Brentano, 6.12.1933). 548 In Maxim Gorkis Schauspiel Nachtasyl (Na dne, 1902) heißt es im vierten Akt: „Die Lüge ist die Religion der Knechte und der Herren … die Wahrheit ist die Gottheit des freien Menschen!“. 549 Die im September 1935 in Nürnberg erlassenen Gesetze „zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“.

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moralischen Kräfte im Stande sind, das negative, was in jedem Menschen vorhanden ist, zu beherrschen. Das Gesetz der Polarität bringt diesen ewigen Kampf im einzelnen Menschen zum Austrag. – Ich erlebte diesen Krieg mit allen seinen Bombenschrecken. Das Inferno liegt hinter uns! Was liegt vor uns? Wer kann dies sagen. Wir sollen hoffen!! Ich kann nur lachen. – – Im Augenblick sind die Tatsachen der Gradmesser und bestimmen die Denkart. – Deutschland ist ein großes Hungerland, ein großes Konzentrationslager geworden. Man kann nicht hinaus!! Weshalb? Diese Maßnahmen sind keinem Menschen klar. Hunger und Strafe für etwas, wofür der einzelne nichts kann. Das bittere für mich: ich wurde von einem amerikanischen Auto zusammen gefahren, 28. Juni 45. Doppelter Schädelbasisbruch und – lebe noch. Schadensersatz habe ich noch keinen Pfennig erhalten. Inzwischen sind 3 Jahre vergangen. – Lieber Herr Brecht! Ich möchte Sie nicht um etwas bitten. Nein! Es wäre mir eine Freude von Ihnen zu hören ob in der Schweiz Möglichkeiten für einen guten Schauspieler bestehen. Ob man dort Engagement finden kann. – Trotzdem würde mir etwas Kaffee für meinen Schädel gut tun. Wenn es Ihnen keine Mühe macht und die Erinnerung Ihnen Freude bereitet hat, wäre ich für ein Antwortschreiben dankbar. Herzliche Grüße Ihr Karl Mathias. Überlieferung: Ms, BBA 3136.

Paul Theodor Hoffmann550 an Bertolt Brecht Hamburg, 9.6.1948 Herrn Bertolt Brecht durch freundliche Vermittlung der Dramaturgie des Züricher Schauspielhauses Hamburg-Altona, den 9. Juni 1948 Sehr verehrter Herr Brecht! Gestatten Sie mir als einem aufrichtigen Verehrer Ihrer Kunst, mich an Sie mit folgender Einladung zu wenden:

550 Paul Theodor Hoffmann (1891–1952), Schriftsteller und Archivrat. Herausgeber des von 1941 bis 1951 erscheinenden Hamburger Jahrbuchs für Theater und Musik.

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Seit Erich Ziegler551 vor Jahrzehnten in den Hamburger Kammerspielen Ihr zündendes Drama „Trommeln in der Nacht“552 erstmalig brachte, habe ich, damals noch Hamburger Theaterkritiker, Ihre Werke dauernd mit lebhaftestem Interesse und innerer Zustimmung begleitet. Ich freue mich, dass Sie bzw. Ihr Schaffen jetzt auch Deutschland wiedergegeben ist und dass ich in meiner Vorlesung über das jüngste Drama an der hiesigen Universität unseren Studenten ein umfassendes Bild Ihres Werdens und Wirkens geben darf. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir Sie einmal in Hamburg wieder begrüssen dürften. Unser Institut, die im Briefkopf genannte „Theatersammlung“ veranstaltet Vorträge, Ausstellungen und sonstige Darbietungen und ausserdem ist sie ein Theaterwissenschaftliches Institut, in dem sich Fachmänner des Theaters zu Bühnenfragen der Gegenwart äussern. Vielleicht lege [sic] es Ihnen, einmal bei uns das Wort zu ergreifen. Ausserdem bringen wir neuerdings wieder ein „Hamburger Jahrbuch für Theater und Musik“ heraus, in dem die Probleme Drama, Bühne, Film, Oper und Tanz von besten Fachleuten erörtert werden; nicht nur Hamburger Angelegenheiten, sondern darüber hinaus das lebendige Theater von heute allgemein umfassend. Darf ich Sie ergebenst zur Mitarbeit einladen? Würden Sie vielleicht einen Beitrag über die Lage des modernen Dramas oder über irgendein Thema, das Ihnen zur Zeit am Herzen liegt, schreiben? Das Buch soll um Weihnachten für das nächste Jahr herauskommen. Es könnte sich auch um eine Arbeit handeln, die Sie bereits veröffentlicht haben, sofern diese noch nicht in Deutschland erschienen ist. Jedenfalls möchte ich meine Bitte, sehr verehrter Herr Brecht, aber nicht von Ihnen so aufgefasst wissen, dass Sie damit bedrängt werden sollen. Ich wollte Ihnen vielmehr eine bescheidene Bezeugung von der Sympathie, die Sie in Ihrer Heimat erwartet, geben und bin mit verbindlichen Empfehlungen Ihr sehr ergebener Paul Th. Hoffmann Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theatersammlung der Hansestadt Hamburg Hamburg-Altona ◦ Altonaer Rathaus ◦ Platz der Republik ◦ Fernruf 42 10 71; BBA 1764/40.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 11.6.1948 BASEL, DEN 11. Juni 1948. j. BÄUMLEINGASSE 4

551 Erich Ziegel (1876–1950), Regisseur und Theaterleiter, Gründer der Hamburger Kammerspiele. 1927 inszenierte er dort Leben Eduards des Zweiten von England. 552 Eine Verwechslung: Trommeln in der Nacht, im März 1923 in den Hamburger Kammerspielen aufgeführt, wurde von Erich Schoenlank inszeniert.

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Herrn Bert B r e c h t , Feldmeilen b/Zürich bei Mertens BETRIFFT: „Antigone“ Lieber, verehrter Herr Brecht, Zunächst meine herzliche Gratulation zu Ihrem Erfolg mit „Puntila“!553 Leider bin ich infolge einer leichten Erkrankung bis jetzt nicht dazu gekommen, mir die Vorstellung anzusehen, hoffe dies aber in den nächsten Tagen nachholen zu können. Auf mein Schreiben vom 2. Juni a.c. Dresden bin ich ohne Ihre Antwort geblieben. Ich bekomme heute vom Schauspiel-Direktor des Staatstheaters Dresden erneut einen Brief, den ich Ihnen in Abschrift beilege.554 Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir möglichst bald in der Angelegenheit Ihre Wünsche mitteilen würden. – Mit den besten Empfehlungen Ihr Kurt Reiss Beilage: 1 Abschrift [Anlage:] Abschrift G E N E R A L I N T E N D A N Z der Bühnen der Landeshauptstadt Dresden A l-Ostra Allee 27 Der Schauspieldirektor Staat[s]theater Dresden Dresden, den 28. Mai 1948 v.D./St. An den Reiss Verlag, Abt. Bühnenvertrieb Ba sel Bäumleingasse 4

553 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. 554 Vgl. Anlage zu Frank, 20.1.1947.

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Sehr geehrte Herren! Ich habe über Bloch als auch in direkten Telegrammen über Konstanz versucht, mit Ihnen in Sachen Bert Brecht klar zu kommen. Sie werden verstehen, dass mir ausserordentlich viel daran liegt, die „Mutter Courage“ nachdem ich nun einmal die besondere Freude hatte, das Werk in Konstanz für Deutschland uraufführen zu dürfen, auch bei seinem zweiten Erscheinen in Deutschland in dem von mir geleiteten Haus zu wissen. Darf ich Sie deshalb bitten, doch noch einmal, da ich auf meine vielen Briefe an Herrn Brecht bis heute keine Antwort erhalten habe, mit Herrn Brecht zu sprechen, ob er eine Möglichkeit sieht, hier mit seiner Gattin „Mutter Courage“ zu inszenieren oder aber, wenn infolge seiner Bindung an das Deutsche Theater Berlin es nicht vorher ihm möglich ist, zumindest im Anschluss an Berlin. Darüber hinaus wäre ich zu besonderem Dank verpflichtet, wenn Herr Brecht erwägen könnte, mir dann doch wenigstens die Uraufführung der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ für Deutschland zu überlassen oder auch den „Kaukasischen Kreidekreis“. Ich darf nochmals darauf verweisen, dass gerade Dresden die zerstörteste Stadt Deutschlands ist, und dass wir uns ganz besonders bemühen, den kulturellen Ruf, den Dresden für sein Theater früher in Anspruch nehmen durfte, wieder zu festigen. Wir können dies aber nur mit einer Literatur, die wirklich etwas zu sagen hat. Da wir darüber hinaus den grössten lebenden Dichter natürlich für ganz besonders wertvoll an diesem Orte halten, hoffen wir, auch hier für ein verständnisvolles Eingehen auf das Besondere unserer Situation. Sie wissen, dass ich schon in Konstanz alles unternommen habe, um in voller Kenntnis der besonderen Ehrung, die in der Uebertragung der Uraufführung lag, die „Mutter Courage“ zu einem Erfolg zu machen, und ich glaube, dass das Echo in Deutschland ein sehr tiefgreifendes war. Noch heute finden Sie in allen Zeitungen und Zeitschriften Hinweise auf diese Aufführung. Heute stehen mir bei weitem bessere Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung und auch unser Schauspielpersonal ist soweit geschlossen, dass ich mit diesem Ensemble mit gutem Recht behaupten darf, eine den Ansprüchen des Dichters gerecht werdende Aufführung herausbringen zu können. Ich verstehe die Bedenken und die Zurückhaltung Brechts, ich verstehe auch Ihre besondere Situation und darf Sie trotzdem bitten, sich noch einmal zum Fürsprecher für die Belange der Staatsschauspiele in Dresden zu machen. In der Hoffnung auf einen recht baldigen Entscheid und zugleich mit den herzlichsten Grüssen an Sie und Herrn Brecht Ihr stets sehr dankbarer gez. van Diemen Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/43 (Anlage: Ts, Abschrift, BBA 1764/6–7).

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Audrey Wood an Bertolt Brecht New York, 11.6.1948 bert brecht bünishoferstr feldmeilen bei zürich jasper deeter hedgerow theatre555 want produce good woman szuetan rehearsals august bentley director stop terms one hundred dollars against five percent gross present play repertory period two years hedgerow acquices no others rights you are free move any direction any time stop what is your royalty split with bentley stop advice by cable to liebsow if agreeable audrey wood Überlieferung: Ms (Telegramm), BBA 1762/86.

Ulrich Becher an Bertolt Brecht 14.6.1948 ULRICH BECHER Steinengraben 51 Basel, 14. Juni 48 Sehr geehrter Herr Brecht! Hier ein Brief von Wieland.556 Seinem Wunsch gemäss möchte ich anfragen, ob Sie Ihr Ms GEDICHTE IM EXIL, das er mir mitgab, noch einmal durchsehn wollen. Andernfalls expediere ich’s nach Berlin. – Wieland gedenkt im August nachhauszufahren. – Im Einverständnis mit ihm äussere ich eine Bitte: würden Sie wohl so gut sein, mein antifaschistisches Volksstück DER BOCKERER557, das kürzlich in der Wiener Abteilung der Aurora-Bücherei erschien, dem Züricher Schauspielhaus zu empfehlen? Vielleicht schreiben Sie mir, wann und wo ich Sie treffen kann. Wieland wies mich an, Sie aufzusuchen. Mit verehrungsvollen Grüssen Ulrich Becher Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Cunard White Star R•M•S „Queen Elisabeth“; BBA 3054. 555 Von dem amerikanischem Schauspieler Jasper Deeter (1893–1972) im Jahr 1923 gegründetes Theater in Rose Valley (nahe Philadelphia). 556 Möglicherweise Wieland Herzfeldes Brief vom 27.5.1948. 557 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 18.7.1947.

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Elsbeth Braun an Bertolt Brecht Florenz, 14.6.1948 Firenze, den 14.6.48 Sehr geehrter Herr Brecht, Sie werden sich meiner gewiss nicht mehr erinnern, doch weshalb ich Sie heute dennoch zu stören wage, geschieht nur gemeinsamer Freunde willen, deren Spur ich seit Jahren verloren habe. Wir wohnten damals 1921 oder 22 zusammen bei Warschauers, Eislebenerstr. 13 in Berlin.558 Sie schrieben damals Ihre Trommelszene u. die Dreigroschenoper. Ihre Freundin Marianne559 aus Wiesbaden kam zu dieser Zeit auch öfters. Ich war mit Martin Warschauer befreundet u. als mein Mann (Otto Braun) verhaftet wurde zog ich zu Warschauers. Es hat mich darum ganz besonders gefreut von Ihnen wieder zu hören. Voriges Jahr in Basel kam ich zu spät zu Ihrer Aufführung560, u. jetzt lese ich mit Freude die Kritiken in der Weltwoche, meine einzige Verbindung zu dem geistigen Geschehen in der Welt. Seit 1935 lebe ich als Emigrantin in Neapel, irrte dann von 1943-45 im Land umher, u. kam dann noch zuguterletzt in ein engl. Campa! – Natürlich habe ich in diesen Jahren allen Kontakt zu den alten Freunden verloren, u. weiss nicht, wohin das Schicksal sie verschlagen hat. Ich wäre Ihnen deshalb sehr dankbar für eine kurze Nachricht mit Adresse, u. wenn Sie Zeit u. Lust haben auch für ein paar Worte über Warschauers Ergehen. Grüssen Sie sie inzwischen von mir u. sagen Sie ihnen, dass ich vorübergehend in Florenz lebe bis ich wieder in meine Neapeler Wohnung zurückkann. Ihnen weiter alles Gute, ich freue mich schon darauf Ihre neuen Arbeiten kennen zu lernen. Mit herzl. Grüssen u. vielen Dank Ihre Elsbeth Braun Überlieferung: Ms, BBA 3065.

T. Edward Hambleton an Bertolt Brecht New York, 14.6.1948

June 14, 1948

558 Den Journalisten Frank Warschauer (1892–1940) hatte Brecht durch Vermittlung Hedda Kuhns kennengelernt. In dessen Wohnung in der Eislebener Straße 13 in Wilmersdorf quartierte er sich bei seiner ersten Reise nach Berlin im Februar 1920 ein. 559 Marianne Zoff. 560 Vgl. Anm. zu Horwitz, 21.9.1946.

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Mr. Bertolt Brecht Feldmeilen Bunishoferstrassed [sic] 14 Bei Mertens, Suisse Switzerland Dear Brecht: This letter may require several installments because it must tell you a good deal about myself as well as report whatever progress I have made on GALLILEO and THE CIRCLE. First my news is not very promising at the moment. Laughton after a brief turn of a week in New York returned to the coast and is not available for a play until he succeeds in appearing in a few pictures. I expect to go out to the coast shortly when I have a little more word of what prospects are with him. I had hoped that Thornton Wilder would be able to work on the Circle but after letting a month lapse he told me last week that he could do no more translations now. We spent a considerable time clearing the rights on the Circle which seems to be done now and I expected to have some concrete plan of production which would mean an immediate Dramatist Guild contract. The plan of production is still not concrete and I don’t believe that it is wise to sign such a contract before I can say definitely to you that I am going to produce the play at a certain time. This accounts for your not having received a check. The five hundred I gave Heli at the time of her departure was to be part of an advance royalty payment when the contract was signed. I don’t feel another payment should be made until I am in a position to sign the contract. I think you will very possibly explode on reading this. Before you do let me show you the brighter side so far as I am concerned. This season has not given me any box office success but it has supplied much activity and it has ended with a musical called “BALLET BALLADS”561 which opened in the Experimental Theatre and after general critical acclaim I brought it up town. Business generally has been bad and we started with heavy losses for three weeks, this week we broke even and with some rise next week we should be in the black. I tell you this not to impress you with my triumphs, but to tell you that this success means that I will be able to function more efficiently both for GALLILEO and the Circle. I know what I want and I believe it is what you want too, but I cannot proceed as quickly to it as I would like. If I can successfully produce either or both “G” and Circle it will be far more important to you financially than a dribble of advance royalty. At the same time I don’t suppose that the Academy of Arts and Letters has relieved you from financial worry. I wish you would tell me how the situation is and perhaps plans will come into being more quickly than seems the case now. My love to Helli and Barbara and I will write further in greater detail.

561 Ballet Ballads (Musik: Jerome Moross, Text: John Latouche) wurde von Mai bis Juli 1948 am Maxine Elliott’s Theatre und am Music Box Theatre in New York gespielt.

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Sincerely, T. T. Edward Hambleton Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: T. Edward Hambleton – Alfred R. Stern 1430 Broadway ◦ New York 18, N.Y. ◦ Bryant 9-3234; BBA 1762/104–105.

Egon Vietta562 an Bertolt Brecht Zürich, [1]5.6.1948 ZUERICH, den i5. Juni i948 [sic] bei Heintz, Culmannstrasse 46 Sehr geehrter Herr Bertolt B r e c h t , durch Herrn CURJEL bin ich in den Besitz der ANTIGONE gelangt und habe sie atemlos gelesen: schon das VORWORT563, das die REALITAET der Hitlerschen Aera in all ihrer sinnlosen Grausamkeit grossartig heraufbeschwört, ist gewaltig, aber auch die anzügliche, gegenwarthereinholende Bearbeitung hat dem Stück nicht etwa Abtrag getan, sondern die Furchtbarkeit des Vergangenen hineingepresst: ein grossartiger Wurf, der in all seiner scheusslichen Pracht heute in Deutschland gespielt werden sollte. Das widerlegt die sinnlose Kritik, das Stück sei nicht gelungen: es ist so sehr gelungen wie die Wirklichkeit gelungen war, die hinter uns liegt. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen den Soldaten S c h w e i k erst jetzt zurückgebe. Ich war immer wieder davon abgehalten, ihn zu Ende zu lesen. Die Wirklichkeitsdichte, die auch an diesem Stück mit seinem Marsch nach Stalingrad bedrängt – zumal in dieser grossartigen Vereinfachung – leidet hier für mich an der Banalität, die diese Wirklichkeit besessen hat. Auch das Hampelmannspiel in den Zwischenakten – wiederum eine grossartige Idee – ist von der tödlichen Banalität, die um dies Furchtbare gewittert, bedroht: so habe ich dazu nicht unmittelbaren Zugang gefunden wie zu der erschütternden Bearbeitung der ANTIGONE. Unser Gespräch über das deutsche Theater564 ist mir unverlierbar im Gedächtnis und ich würde es freilich gern fortsetzen, bevor ich nach Italien weiterfahre. 562 Egon Vietta (1903–1959), Schriftsteller, später Dramaturg am Landestheater Darmstadt und Mitinitiator des Darmstädter Gesprächs (1955). 563 Das Vorspiel zur Antigone (GBA 8, S. 195–199). 564 Das Gespräch fand vermutlich statt, als Egon Vietta die Premiere des Puntila in Zürich (vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948) besuchte. Er schrieb darüber in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit (vgl. Anm. in GBA 6, S. 469).

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Mit einem schönen Gruss an Ihre Frau Ihr dankbarer Egon Vietta. Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3202.

Richard Weiss an Bertolt Brecht Berlin, 15.6.1948 EINSCHR EIBEN Herrn Bert B r e c h t Neufeldmühlen bei Zürich Bönigshofer Str. 14 [sic]

den 15.6.48 RW/Schr

Sehr geehrter Herr Brecht! In der Anlage übersenden wir eine Probeseite für die „Kalender-Geschichten“.565 Bitte haben Sie die Freundlichkeit, uns Ihr Einverständnis mitzuteilen. Gegebenenfalls würden wir vorschlagen, das vorliegende Format von 11 cm auf 19 cm zu erhöhen. Die Druckerei teilt uns mit: „... Falls Sie uns nicht ausdrücklich Gegenteiliges mitteilen, richten wir uns in der Rechtschreibung und Interpunktion nach Duden...“ Wenn Sie entsprechende Wünsche in dieser Art haben, werden wir sie gern erfüllen lassen. Für „Antigone“ haben wir bereits Papier besorgt und können Ihnen in einigen Tagen die ersten Probeseiten übersenden. Es würde uns sehr angenehm sein, wenn Sie uns recht bald die Texte sowohl für die „Kalender-Geschichten“ als auch für „Antigone“ übersenden könnten. Wir wollen die Herstellung derart beschleunigen, daß wir die beiden Titel noch im Spätsommer herausbringen können. Wir hoffen hier auf Ihre vollste Unterstützung. Mit gleicher Post haben wir einige Zeitschriften und Bücher auf den Weg gebracht und sehen Ihrem Bescheid entgegen, welche Titel Sie laufend sich wünschen. Dieses Schreiben haben wir einmal als „Einschreiben“ und einmal so auf den Weg gebracht. Wir wollen feststellen, welche Art am raschesten vonstatten geht. Eine Besprechung aus dem „Telegraf“ vom 11. Juni 48 über „Herr Puntila und sein Knecht“ erlauben wir uns beizufügen. F Mit freundlichen Grüßen auch an Ihre Gattin

565 Vgl. Weiss, 30.4.1948.

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GEBR. WEISS - VERLAG Berlin Ihr R. Weiss 1 Anlage [Hs.] F diese Besprechung liegt dem anderen Brief bei. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Gebrüder Weiss-Verlag Berlin Berlin Sw 68, Kochstrasse 45, Scherlhaus Lizenz US B-212 Fernsprecher 66 27 87 Postscheckkonto Berlin 130120, Bankkonto Berliner Bezirksbank Moritzplatz; BBA 1764/41.

Jörg Kramer an Bertolt Brecht Nordhalben, 15.6.1948 Jörg K r a m e r Lehrer Nordhalben/Ofr. Kreis Kronach

Nordhalben, am 15.6.48.

Sehr geehrter Herr B r e c h t ! Mit grossem Interesse habe ich in Nr. 47 vom 13.6.48 der „Neuen Zeitung“ die Kritik der Uraufführung einer Kommödie [sic] gelesen. „Herr Puntila und sein Knecht“.566 Wenn Ihnen am Beifall eines Unbekannten gelegen ist, so nehmen Sie meine Bewunderung entgegen, dafür, dass Sie es wagen, trotz allem in unserer Zeit des überzüchteten Amerikanismus das Problem des sozialen Gegensatzes zu behandeln. Ich habe mir angewöhnt alles was von dieser Seite an Geistesgeschichtlichem abgelehnt oder nur am Rande berührt wird einer genauen Prüfung zu unterziehen, weil ich den schweren Verdacht hege, dass alles Gegenwärtige von dieser Seite wirtschaftlichen oder politischen Zwecken untergeordnet wird. Und wenn in dieser Kritik zu lesen ist, dass „Brecht eben doch nicht alle Erdbeben verspürt hätte ...“ (auch noch Punkte!), so glaube ich sagen zu müssen, daß Wahrheit und Erdbeben in keinem direkten kausalen Zusammenhang stehen, selbst wenn es Atombomben-Erdbeben sein sollten. Uns ist nicht mit Erdbeben gedient. Wir brauchen Wahrheit. Und dies mehr denn je. Mein Brief endet in einem banalen Bettelbrief. Ich muss das Textbuch Ihres „Puntilas“ bekommen. Gehts, wies mag! Ich muss über diese Dinge mit mir ins Reine kommen. Wie 566 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. In der Neuen Zeitung vom 13.6.1948 erschien eine Besprechung von François Bondy unter dem Titel: „Herr Puntila und sein Knecht. Bert BrechtUraufführung in Zürich“.

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sollt ich sonst meine Kinder lehren können? Ich bin halt einmal einer von diesen verfluchten Suchern. Nicht aus Profession schreibe ich Briefe an Grosse unserer Zeit, zu denen ich Sie rechne, Sie sind der erste in meinem Leben. Wenn es Ihnen keine grosse Mühe bereitet, so schicken Sie mir dieses Textbuch. Leider kann ich nur mit anderen Büchern kompensieren. Ich biete Ihnen mein teuerstes Buch, den „Gruss nach vorn“ von Erich Kästner mit Dichtungen von Tu c h o l s k y .567 Mehr kann ich nicht tun. Helfen Sie uns, den Blick [zu] weiten. Ganz Deutschland ist heute ein Konzentrationslager. Ich weiss, dass Sie viele Schmähungen erdulden mussten. Entgelten Sie es nicht einem deutschen Schulmeister, der sich ehrlich und redlich Mühe gibt, den Dingen auf den Grund zu sehen. In tiefer Verehrung! Jörg Kramer Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3109.

Hugo Blank an Bertolt Brecht Berlin, 16.6.1948 Hugo Blank

Berlin-Lichterfelde, den 16.6.48. Wismarer Str. 19. Kolonie „Neues Leben“.

Herrn Bert B r e c h t , Zürich. Aus der beigefügten Zeitungsnotiz habe ich ersehen, daß Sie jetzt Ihren Wohnsitz in Zürich haben. Vielleicht entsinnen Sie sich noch des Winters 1932/33, in welchem ein kleiner Kreis sich in Ihrem Atelier in der Hardenbergstr. zusammenfand, um über Dialektik zu diskutieren. Ich hatte damals auch Gelegenheit durch Vermittlung von Dr. K. K o r s c h an diesen Zusammenkünften teilzunehmen. Nun hat sich wiederum ein kleiner Kreis unbefriedigter Geister lose zusammengefunden, um aus dem Gestrüpp der widersprechendsten Tendenzmeldungen der heutigen, auf die Interessen der Besatzungsmächte und ihrer politischen Satelliten, den deutschen Parteien, ausgerichteten Presse heraus ein möglichst klares und umfassendes Blickfeld zu be-

567 Der Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky (1890–1935), Mitherausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne, ging 1933 ins Exil nach Schweden, wo er sich im Dezember 1935 das Leben nahm.

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kommen, sich ein Urteil von größtmöglichster Objektivität zu bilden und so den eigenen Standpunkt zu festigen. Aus diesem Bestreben heraus ist nun der Wunsch entstanden, mit einigen der damaligen Gesinnungsfreunde, die jetzt wohl in aller Welt verstreut leben, wieder in brieflichen Gedankenaustausch zu kommen. Und dieses Vorhaben ausführen zu können, benötigen wir jedoch die dazu erforderlichen Partner. Wir würden uns wirklich freuen, von Ihrer Seite gelegentlich mal eine Stellungnahme oder Ansicht über eins der Gegenwartsprobleme zu bekommen. Zum Schluß noch eine Bitte. Ist es Ihnen möglich, die jetzige Anschrift von Dr. K. Korsch zu ermitteln und mir mitzuteilen? Ich wäre Ihnen wirklich dankbar und verbleibe in Erwartung der möglichst baldigen Erfüllung des letzten Wunsches Ihr ergebener Hugo Blank Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 3060.

Alfred Döblin an Bertolt Brecht [Baden-Baden] 16.6.1948 Alfred Döblin GMZF-DGAA (EDU) S.P. 50403

den, 16.6.1948.

Herrn Bertold Brecht c/o Stadttheater Zürich. Lieber Brecht! Ich las eben von der Uraufführung Ihres Stückes „Herr Puntille [sic] und sein Knecht“ in Zürich568, hier recht gut besprochen in der „Allgemeinen Zeitung“ von ihrem dortigen Referenten. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, nachdem von Ihnen in der Zeitschrift „Das goldene Tor“ die beiden Erzählungen „Der Mantel des Ketzers“ und „Der Augsburger Kreidekreis“ erschienen sind569, dass ich mich freuen würde, wieder etwas von Ihnen zu haben, ob Gedichte oder ein grösseres dramatisches Stück. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie?

568 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. 569 Vgl. Anm. zu Döblin, 25.11.1945.

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Was haben Sie vor, kommen Sie nicht nach Deutschland herüber, wollen Sie nicht oder haben Sie Schwierigkeiten? Es würde mich freuen bald von Ihnen zu hören. Schöne Grüsse Ihnen und Ihrer Familie Ihr ADöblin Alfred Döblin. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3075.

Harald Benesch570 an Bertolt Brecht Salzburg, 17.6.1948 Salzburg, Julius Haagnstr. 16 bei Dr. Blaas den 17. Juni 48 Sehr verehrter Herr Brecht! Vor mir liegt ein Programmheft des Schauspielhauses Zürich mit Ihrer Abhandlung über das zukünftige Volksstück.571 In Linz an der Donau existiert neben dem alten Landestheater ein junges Volkstheater Urfahr (das ist in der russischen Besatzungszone), welches sich die Aufgabe gestellt hat, in der kommenden Spielzeit vor allen Dingen das neue Volksstück zu pflegen. Das Urfahrer Theater besitzt ein kleines Ensemble von jungen Idealisten, die den Versuch unternehmen wollen, neben den konservativen Spielplänen der meisten österreichischen Bühnen eine fortschrittliche Richtung zu gehen. Aus dieser Einstellung heraus wollen wir unbedingt ein Stück von Ihnen bringen. Da nun, wie wir erfuhren, das Landestheater Linz die Absicht hat, von Ihnen Mutter Courage zu spielen, kamen wir auf den Gedanken an Sie persönlich heranzutreten mit der Bitte uns die österreichische Uraufführung Ihres neuen Spiels (Herr Puntila und sein Knecht!) zu überlassen. Weiterhin dachten wir an eine Wiederaufführung der Dreigroschenoper. Ich wäre Ihnen nun sehr dankbar, wenn Sie mich bald Ihre Stellungnahme zu diesen Vorschlägen wissen lassen würden. Abschliessend erlaube ich mir, Ihnen einige Worte über mich selbst zu schreiben: Ich bin Regisseur und habe 46 am Theater ‚Die Tribüne‘ in Salzburg die österreichische Uraufführung von ‚Rechenmaschine‘572 (E. Rice) insceniert. Meine letzte Regie führte ich 570 Harald Benesch (*1921), österreichischer Schauspieler und Regisseur. 571 Vermutlich die bereits 1940 verfaßten Anmerkungen zum Volksstück (GBA 24, S. 293–299). 572 The Adding Machine (Die Rechenmaschine, 1923), Komödie von Elmer Rice.

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am Landestheater Linz vor 2 Monaten. Es war die Uraufführung von Arnold Bronnens Napoleonstück ‚N‘.573 Unbekannterweise herzlichste Grüsse Ihr Harald Benesch Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1763/28.

Peter Suhrkamp an Bertolt Brecht Berlin, 18.6.1948

Herrn Bertolt Brecht, Zürich-Feldmeilen Bünishofer Str. 14

Berlin-Zehlendorf Forststrasse 27 den 18.6.1948 Su/Sw.

Lieber Bert Brecht – es war mir leider nicht möglich, nach meiner Rückkehr aus England Anfang Mai sogleich an Sie zu schreiben. Zunächst war sehr viel Praktisches im Verlag zu erledigen, und gegen Ende Mai musste ich wieder nach Frankfurt und München auf den Weg. Ich hatte immer noch Hoffnung, wir würden uns eines Tages hier schon treffen. Inzwischen scheint aber Manches geschehen zu sein, worüber ich nicht genau unterrichtet bin, was Ihren Besuch in Frage gestellt hat. Leider kam es auch nicht mehr zu einem ausführlichen Gespräch zwischen Dr. Bermann Fischer Benno Frank und mir, so dass ich ihn nach dem Stand der Dinge hätte fragen können. Jetzt bitte ich Sie, teilen Sie mir doch möglichst ausführlich mit, wie alle Dinge liegen. Einige Vorgänge hier stehen in Widerspruch zu unseren Absprachen574, und ich weiss nicht, wie ich mich verhalten muss, da von Ihnen nichts kam, was unsere Abmachungen widerrief oder einschränkte. Da ist zunächst einmal eine Mitteilung des Aufbau-Verlages, nach der dieser die Produktion des früheren Malik-Verlages, jetzigen Aurora-Verlages, New York, als eine Abteilung bei sich aufgenommen hat und damit auch das Verlagsrecht für Ihre Werke in Deutschland.575 Der Widerspruch zu unseren Gesprächen liegt hier darin, dass Sie mir in Zürich sagten, Sie fühlten sich Wieland Herzfelde unbedingt verpflichtet, 573 N. Schach dem Kaiser Napoleon (1948), Drama von Arnolt Bronnen. 574 Suhrkamp hatte Brecht an dessen 50. Geburtstag am 10.2.1948 in Zürich getroffen (vgl. BC, S. 812). 575 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 27.5.1948.

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würden aber gegen eine solche Übernahme en bloc durch den Aufbau-Verlag sein. Ich nahm danach an, dass Ihr Werk von der allgemeinen Regelung ausgenommen sei. Bitte lassen Sie mich doch nun wissen, wie es damit steht, vor allem, ob der Aufbau-Verlag damit auch Ihren Bühnenvertrieb in Deutschland übernommen hat, so dass ich mich darum nicht mehr zu kümmern hätte, und ebenso die Kontrolle bzw. die Vergebung der Nachdruck. Ich will Sie in keiner Weise zu meinem Verlag nötigen, das wissen Sie; andererseits möchte ich meine Freundschaftspflichten auch nicht vernachlässigen; die Doppel-Situation birgt aber die Gefahr von fortwährenden Kollisionen. Ähnlich steht es bei einem anderen Vorgang: Im „Ulenspiegel“576 werden fortgesetzt Arbeiten von Ihnen abgedruckt. Gemäss unseren Abmachungen ist von meinem Verlag aus natürlich nach der Berechtigung und dem Honorar gefragt worden. Dazu ist vom „Ulenspiegel“ mitgeteilt worden, Sie hätten Günther Weisenborn eine Reihe von Arbeiten mitgegeben zur Veröffentlichung im Ulenspiegel. Das ginge uns also nichts an. Natürlich ist nichts dagegen zu sagen, dass Sie auf diese Weise über ihre Arbeiten verfügen. Darüber muss mein Verlag dann aber eine Nachricht bekommen. Das wird Ihnen auch ohne weiteres einleuchten. Wie steht es also damit? Und dann wüsste ich natürlich gern Näheres über die Entwicklung Ihrer Situation in der Schweiz sowie über die Aussichten eines Besuches in Berlin. Ich selbst sitze weiter in Berlin und möchte in nächster Zeit auch so wenig wie irgend möglich abwesend sein. Es geht mir nicht besser und nicht schlechter. Die hiesige Hysterie berührt mich verhältnismässig wenig. Bitte grüssen Sie Helene Weigel; Ihnen alles Gute! Herzlichst Ihr Peter Suhrkamp Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Suhrkamp Verlag vorm. S. Fischer Berlin und Frankfurt/Main – Geschäftsleitung Anschriften: Berlin W 35, Genthiner Str. 13 • Frankfurt/M., Schaumainkai 101 • Geschäftsleitung Berlin-Zehlendorf, Forststr. 27 27 • TEL. 807056 848026; BBA 1764/30–31.

576 Vgl. Anm. zu Pfanzelt, 14.1.1947.

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Harry Buckwitz577 an Bertolt Brecht [München] 21.6.1948 Verehrter Herr Brecht! Vor einigen Tagen besuchte mich Caspar Neher. Das Hauptthema unseres Gespräches war Bert Brecht. Es war eine Stunde, in der einem wieder zuversichtlich zumute wurde. Sie wissen nicht, verehrter Herr Brecht, mit welcher Verbissenheit ein großer Teil des geistigen Deutschlands an Ihnen hängt und welche Erwartungen gerade die Generation von Stalingrad an Sie stellt. Ich befürchte, daß diese Versicherung noch immer nicht häufig genug zu Ihnen dringt, denn sonst würden Sie schon längst die phäakischen578 Eilande westlicher Feudalität verlassen haben, und hätten sich zu denen gesellt, denen Sie heute mehr zugehören denn je: den Entwurzelten, den Besitzlosen, den Illusionslosen, aber zugleich vehement Bemühten um das Aufspüren neuer Maßstäbe und neuer Ordnungen innerhalb eines sinnlos gewordenen Geistes- und Sittenkodex. Wenn viele von uns gerade noch Verständnis dafür besitzen, daß das einstige Hitlerdeutschland auch nach 3 Jahren der Demokratisierung noch auf eine Quarantäneinsel verbannt ist, auf der es wenig zu essen und nichts Materielles zu kaufen gibt, so fehlt uns allen doch das Verständnis dafür, daß man uns gleichzeitig von wesentlichen geistigen Quellen abschneidet, die für einen Regenerierungsprozeß die eigentlichen Voraussetzungen sind. Es ist ja nicht so, als ob in 12 Jahren eine geistige Versteppung aller deutschen Hirne eingetreten wäre, Zehntausende haben vielmehr trotz geistiger Isolation und Verfolgung ihren Menschenverstand und ihr Menschengefühl bewahrt und erwarten nun brennend die Wiedervereinigung mit den ihnen einst Zugehörigen. Und nicht nur meine Generation, die als Gymnasiasten von „Trommeln in der Nacht“ ihr erstes aufwühlendes Erlebnis erhielten, sondern für die Mehrzahl der heute geistig majorennen Deutschen ist die Wiederkehr Thomas Manns oder Zuckmayers weniger entscheidend und ersehnt als die Bert Brechts. Verehrter Bert Brecht, es drängte mich, dieses etwas linkische Bekenntnis zu Ihnen dem eigentlichen Anlaß dieses Briefes vorauszuschicken, weil es mir widersteht, mit einem Mann wie Ihnen einfach in ein Zweckgespräch einzutreten, ohne mich über meine berufliche Funktion hinaus legitimiert zu haben.

577 Harry Buckwitz (1904–1987), Schauspieler und Regisseur. Als „Halbjude“ war er 1937 mit Auftrittsverbot belegt worden. 1946 wurde er Direktor der Münchner Kammerspiele, wo am 27.4.1949 unter seiner Regie Die Dreigroschenoper aufgeführt wurde. Ab 1951 war er Intendant der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main. Auch dort inszenierte er mehrere Stücke Brechts, u.a. am 16.11.1952 Der gute Mensch von Sezuan (deutsche Erstaufführung). 578 Die Phäaken sind ein Volk aus der griechischen Mythologie, das Odysseus und dessen Gefährten gastfreundlich empfangen hat. Vgl. den sechsten Gesang der Odyssee Homers.

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Den direkten Grund zu diesem Schreiben gibt die beabsichtigte Aufführung der „Dreigroschenoper“ an den Münchener Kammerspielen.579 Ich weiß, daß Sie über die Vielzahl der Dreigroschenoper-Aufführungen in Deutschland gar nicht entzückt sind. Das ist von Ihrem Standpunkt aus verständlich, denn Ihnen muß die ideologische Voraussetzung des Werkes verändert erscheinen und Sie erkennen, daß dadurch die Gefahr einer künstlerischen Verfälschung gegeben ist. Auf die Aufführungen, die ich nach dem Krieg sah oder von denen ich hörte, trifft diese Befürchtung leider zu. Sie schwankten zwischen operettenhafter Gangsterromantik oder ins Emphatische stoßender Sozialanklage. Trotzdem und gerade deshalb besteht eine tiefe Verpflichtung zur Wiedergabe der „Dreigroschenoper“, denn kein literarisches Werk wurde in den 12 Jahren des Terrors ein solches Symbol der Freiheitsdichtung wie sie. Wie oft wurden in abgeschlossenem Freundeskreis die Platten des „Morgenchorals“, der „Seeräuberjenny“, des „Dreigroschenfinales“ gespielt und wurden damit zum bescheidenen Ventil eines gewaltsam unterdrückten Freiheitsgefühls. Und da kaum ein junger Mensch mehr als diese Platten kennenlernte, verlangt er heute umso dringlicher, daß ihm das Erlebnis des vollständigen Werkes zuteil wird. Diesen Gesichtspunkten darf man sich nicht verschließen und sie waren für mich ausschlaggebend, daß ich schon vor 2 Jahren, als mich Erich Engel an die Münchener Kammerspiele holte, die Aufführungsrechte vom Bloch-Verlag erwarb. Mit der Ankündigung dieser Aufführung entspann sich eine ziemlich heftige Polemik, in der meine Stellung dadurch schwieriger wurde, als es kein Geheimnis blieb, daß auch Sie gewisse Einwände gegen eine Wiederaufführung des Werkes hegten. Da aber die Freigabe dieser Aufführung durch den Münchener Stadtrat zum Präzedenzfall aller künftigen lokalen Kulturpolitik werden mußte, machte ich meinen Verbleib in München von einer positiven Entscheidung dieser Frage abhängig und nahm es als gutes Omen hin, daß gerade die Aufgeschlossenheit des Oberbürgermeisters und des Kulturbevollmächtigten sich gegen alle Scheinheiligkeit des bodenständigen Spießertums durchsetzte. Nicht zuletzt war die sofortige Kampfbereitschaft der Presse und der allgemeine Ruf der Jugend nach dieser Aufführung für diese Entscheidung mitbestimmend. Die Aufführung der „Dreigroschenoper“ muß also nun endlich realisiert werden, denn der Verlag verlangt immer ungeduldiger die Vertragserfüllung, die Öffentlichkeit mißtraut schon der Ehrlichkeit unserer Absicht, die Aufführung durchzuführen, und ich selbst habe mich in so weitgehendem Maß mit diesem Werk identifiziert, daß ich den Beweis seiner auch noch heutigen Stichhaltigkeit nicht länger hinausschieben will. Um den vorstehend geschilderten Gefahren einer heutigen Inszenierung aus dem Weg zu gehen, wollte ich die Aufführung von der Guckkastenbühne des Schauspielhauses auf die Podiumbühne des kleinen Kammerspielhauses verlegen. Das Schwergewicht würde damit auf die Songs verlagert werden, außerdem schließt die Intimität des Raumes (450 Personen) jede dramatische Verkrampfung aus. Ich dachte mir 579 Vgl. B. an Buckwitz, Ende Juli 1948, GBA 29, S.454.

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eine fast asketische, aber geistreiche Art der Wiedergabe und fühlte mich dabei durch die bereits vorhandenen Entwürfe Nehers sehr unterstützt. Daß ich mich bei diesem Inszenierungsplan nicht völlig wohl fühlte, war wohl der Grund dafür, daß ich den Probenbeginn bis zum Beginn der neuen Spielzeit hinausschob, um während meines Urlaubs nochmals eine Überarbeitung des Regiebuches vorzunehmen. Nun überbringt mir Neher die Nachricht, daß Sie, verehrter Herr Brecht, eventuell zu einer Neufassung der „Dreigroschenoper“ für München bereit wären. Ich bin überzeugt, daß dies ein äußerst glücklicher Gedanke ist! Sie würden damit einem inzwischen klassisch gewordenen Werk eine überzeitliche Zündkraft schenken; Sie würden der Auffassungswillkür vieler Regisseure die notwendigen Grenzen setzen, und Sie könnten eine neue Gewichtsverteilung innerhalb des Werkes vornehmen, die unserer heutigen und insbesondere deutschen Situation voll gerecht wird. Wenn im Parkett der deutschen Theater die einst vollgefressenen Bürger der zwanziger Jahre inzwischen auch schwer Fett gelassen haben und sie feststellen müssen, daß mit weitgewordenen Anzügen schwerer Tuchfühlung zu halten ist als früher, so sind ihre moralinsauren Mienen doch nicht ehrlicher geworden und ihre Hartgesottenheit gegenüber dem Elend des Nächsten steigert sich ins Monomanische. Dabei schielen sie mit einer Art von Haßneid auf die Feudalschicht der Okkupanten, die wie pralle Goldfische durch das trübe Brackwasser des deutschen Alltags ziehen und die Verendenden mit erbaulichen Thesen und Zukunftshoffnungen füttern. Noch nie war Heuchelei so abgrundtief, noch nie war Kalkül so kalt. Und in diesen Regionen liegen meiner Ansicht nach die Ansatzpunkte zur neuen Dreigroschenoper. Welch gespenstische Aktualität hat in diesem Sinn das „Wach auf, du verrotteter Christ“ bekommen oder „Bedenkt das Dunkel und die große Kälte“ oder „Der Teller, von welchem du issest dein Brot, schau ihn nicht lang an“ oder „Meine Herren, da wird wohl Ihr Lachen aufhören“!580 Wenn die Kraft des Werkes auf diese Thesen versammelt wird, ergibt sich auch wieder die ursprüngliche Gleichgewichtigkeit von Song und Aussage, was mich veranlassen würde, für diese Neubearbeitung doch das anspruchsvollere Schauspielhaus zu wählen. Für die Besetzung der Rollen haben wir innerhalb des Ensembles sehr glückliche Vertreter:

580 Zitate aus der Dreigroschenoper. Vgl. GBA 2: S. 233, 308, 254, 249.

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Mackie – Pasetti581, Peachum – Bruno Hübner582, Frau Peachum –Koppenhöfer583, Brown – Gondrell584, Polly – Nicklisch585, Hielscher586 oder Wimmer587 (es gilt noch zu erproben, welche die vollgültigste Besetzung ist). Nun bitte ich Sie nur um etwas, verehrter Herr Brecht: Antworten Sie mir umgehend und offen, ob es Ihnen mit der in Aussicht genommenen Umarbeitung Ernst ist und ob Sie Zeit finden werden, dieselbe so bald vorzunehmen, daß ich mit den Proben Ende Oktober beginnen kann. Mir wurde für die Neuinstrumentierung der Musik sehr Herr Steimel588 empfohlen, der bereits eine Bearbeitung für Prag vorgenommen hat. Kennen Sie ihn? Es wäre herrlich, wenn Sie für einige Tage nach München kommen würden. Man würde auch von offizieller Seite Ihren Besuch sehr begrüßen. Trotzdem Hans Schweikart589 nun die künstlerische Leitung der Kammerspiele inne hat, haben wir nicht alle Bindung zu Engel aufgegeben. Er macht jährlich noch eine Inszenierung. Es würde als hohe Auszeichnung Münchens gewertet werden, wenn Sie Schweikart oder Engel eines Ihrer in Deutschland noch nicht aufgeführten Stücke anvertrauen wollten. – Der in den Westzonen augenblicklich größte Theatererfolg ist Zuckmayers „General“.590 Ich habe ihn hier inszeniert und Zuckmayer bewegt, den umstrittenen 3. Akt überzeugender zu motivieren. Es ist nur teilweise gelungen. Ich habe durch die Verbürgerlichung des „Generals“ in der Besetzung mit Paul Dahlke und durch die sittliche Verstärkung des ‚Oderbruch‘ in der Besetzung mit Domin591 wenigstens die dichterische Konzeption klarer gelegt und eine bedeutende dramatische Verdichtung für den dritten Akt gewonnen. Verehrter Herr Brecht, hoffentlich sind Sie über diese lange Epistel nicht ungeduldig geworden, aber Sie wissen nicht, wie schwer es ist, die Zunge zu zügeln, wenn man erst einmal begonnen hat, mit einem Mann wie Ihnen ein Gespräch zu führen. 581 Peter Pasetti (1916–1996), Schauspieler. Die Rolle des Mackie Messer spielte allerdings Hans Albers. 582 Bruno Hübner (1899–1983), Schauspieler. Vormals am Deutschen Theater Berlin engagiert. 583 Maria Koppenhöfer (1901–1948), Schauspielerin. Trat in den frühen 1920er Jahren an den Münchner Kammerspielen in Brecht-Uraufführungen auf: Im Dickicht (1923) und Leben Eduards des Zweiten von England (1924). Während des Nationalsozialismus v.a. beim Film tätig, 1943 zur „Staatsschauspielerin“ ernannt. Die Rolle der Mrs. Peachum spielte an ihrer Stelle Trude Hesterberg. 584 Adolf Gondrell, eigentl. Grell (1902–1954), Schauspieler. Spielte die Titelrolle in Hans Schweikarts Inszenierung des Puntila in München (Premiere: 1.9.1949). 585 Maria Nicklisch (1914–1995), Schauspielerin. Ihr gab Buckwitz die Rolle der Polly. 586 Margot Hielscher (*1919), Schauspielerin und Sängerin. 587 Maria Wimmer (1911–1996), Schauspielerin, seit 1947 am Residenztheater, ab 1949 an den Münchner Kammerspielen tätig. 588 Vermutlich der Komponist Adolf Steimel (1907–1962). 589 Hans Schweikart (1895–1975), Schauspieler und Regisseur. Er folgte Erich Engel 1947 als Intendant der Münchner Kammerspiele, wo er 1929 bereits Die Dreigroschenoper inszeniert hatte. 590 Carl Zuckmayers Drama Des Teufels General (1945) wurde im Dezember 1946 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, in Deutschland erstmals im November 1947 am Hamburger Schauspielhaus gespielt. 591 In Harry Buckwitz’ Inszenierung des Stücks spielte Paul Dahlke (1904–1984) den General Harras, Friedrich Domin (1902–1961) den Ingenieur Oderbruch.

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Ich habe mit Freuden von dem großen Erfolg Ihres „Puntila“592 gehört. Alle guten Wünsche für Ihre weiteren Pläne und die herzlichsten Grüße auch von Schweikart! Ihr ergebener Harry Buckwitz Überlieferung: Ts, hs. U., AdK: Harry Buckwitz Archiv 881. – E: Harry Buckwitz: Schauspieler, Regisseur, Intendant. 1904–1987, hrsg. von der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin 1998, S. 137ff.

Ruth593 an Bertolt Brecht Zürich, 20.6.48 Zürich, 20.6.48 Lieber Herr Brecht, ich komme aus dem Herrn Puntila und kann nun nicht anders, als Ihnen mit meiner Begeisterung und dem Dank für den herrlichen Theaterabend auch noch all dies zu sagen, was mir seit Monaten auf dem Herzen liegt. Damals – ich glaube, es war im Monat Januar, an einem Abend bei Frau Dr. Mertens594 – da sagten Sie, es gebe keine Tragödie mehr. Aber weshalb schreiben dann gerade Sie die bedeutsamsten tragischen Geschichten der Neuzeit? Ich bin einverstanden: Ton und Gehaben sind völlig geändert gegenüber dem Theater früherer Zeiten. Sie sind „gestisch“ geworden, wie Sie es nennen. Aber an der zum Drama, zur Hin- und Her-Bewegung, notwendigen Grundvision von zwei sich bekämpfenden, gegenseitig auf einander bezogenen Mächten, hat sich denn daran etwas geändert? Die uralten Gegensätze gut-böse, Herr-Knecht, diese innersten Wunden des Daseins, deren verschwistertes Begriffspaar an sich schon eine Tragödie ist, bleiben ja auch in Ihrem Theater bestehen. „Mutter Courage“ und der „gute Mensch von Sezuan“ leiden an diesen Wunden, und nur weil Ihr Drama nicht zu einem Knoten geschürzt erscheint wie das frühere Schauspiel, sondern in abgründige Einzelbilder aufgelöst wird, wirkt es auf mich um nichts weniger tragisch, sobald es ins Spannungsfeld der oben erwähnten Daseinspole gerät. Sie werden entsetzt denken, ich habe nicht einmal gemerkt, dass der Herr Puntila ja eine Komödie sei. Ja doch, ich hab’s gemerkt, und eine spritzlebendige dazu. Es hat Ihnen gefallen, das Daseinsparadox einmal nicht dort aufzuzeigen, wo es ins Fleisch schneidet, wo das Leben dem Leben ans Leben geht, sondern dort, wo es erheitert und blendend witzige Badestubenszenen schafft. Das tun alle grossen Tragiker von Zeit zu Zeit. Ich denke da z.B. an Kleist, einer der wenigen – vielleicht der einzige wirkliche Tragiker unter den früheren 592 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. 593 Der vollständige Name konnte nicht entziffert werden. 594 Die Schriftstellerin und Übersetzerin Renata Mertens-Bertozzi (1918–2000), die mehrere Stücke Brechts ins Italienische übertrug, hatte Brecht und Helene Weigel in Feldmeilen bei Zürich eine Wohnung zur Verfügung gestellt.

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Deutschen, der gleichzeitig eine der frischesten Komödien, den „zerbrochenen Krug“595 geschrieben hat. Dabei haben Sie Ihre Herkunft vom Tragischen weniger unterdrückt als Kleist. Im Grunde ist es eine bittere Geschichte, dieser Herr Puntila. Die Erzählung von der Mutter und dem Sohn im Konzentrationslager ist eine Tragödie an sich und liegt einem wie ein glühender Stein im Herzen. (Ich kann doch nicht annehmen, dass nur der Sohn recht habe und die Mutter ein Huhn sei. Wenn aber beide recht haben, die Mutter mit ihrer Opferbereitschaft, den weiten Weg auf sich zu nehmen, und mit ihrer Liebe, die eben Alles für das Kind annimmt, ohne lange zu fragen – und den Sohn mit seinem gewaltigen Hass gegen die Reichen, dem er nicht nur sich selbst, sondern auch die Sohnesliebe und die Mutter opfert – dann ist es eine Tragödie.) (Ein Thema, das einen ganz an Shakespeares Coriolan596 erinnert). Und das Kuhmädchen, und die Arbeiter – wenn Sie an eine bessere Weltordnung glauben, hätten Sie diese Szenen nicht schreiben dürfen – es könnte sonst sein, dass man vor dieser verbesserten Gesellschaft Ihre Stücke spielte und dass man – der Bühne mehr glaubte als der Wirklichkeit. Es gibt unsterbliche Kuhmädchen, die unsterblich sind. (Bitte, fassen Sie diese Worte nicht falsch auf. Mein Vater war Bauernsohn, meine Mutter Bauerntochter. Die Hälfte meiner Verwandten sind Bauern und Arbeiter. Wir, meine Brüder und ich stehen in engem Kontakt mit ihnen. Ich selber bin im Augenblick Stenodaktylo) Aber es ist Zeit, dass ich aufhöre. Ich sehe Sie ohnehin schon lächeln, über diesen tragischen Taufschein, den ich Ihnen da mit Eifer verschaffen möchte. Das kommt daher: ich habe eben eine Dissertation über die Bösen in der frz. Tragödie geschrieben und dabei das Tragische auszumessen versucht. Und da sogar die Hühner gackern dürfen, wenn sie ein Ei gelegt haben, so bitte ich Sie herzlich, mir zu verzeihen, dass ich auch nicht an mich halten kann. Im Grunde genommen ist es mir ja auch gleich, ob Sie sich Ihr Werk Tragisch nennen oder nicht – wenn nur recht bald wieder eines zu sehen ist. Mit höflichen Grüssen und all meinen Dank für das, was Sie uns geben. Ihre Ruth […] Überlieferung: Ms, BBA 3143.

Peter Günther597 an Bertolt Brecht Stuttgart, 25.6.1948

595 Der zerbrochene Krug (1806), Lustspiel von Heinrich von Kleist. 596 Von Shakespeares Tragedy of Coriolanus (1607) erstellte Brecht Anfang der 1950er Jahre eine eigene Bühnenbearbeitung (GBA 9, S. 7–81). 597 Mitarbeiter des von Martin Mörike geleiteten Stuttgarter Theaterverlag Chronos.

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Herrn Bert Brecht Zürich Den 25. Juni 1948 Hochverehrter Herr Brecht, vor einigen Tagen saßen Sie mit meinem Vater (Alfred Günther) nach dem Vortrag von Günter Weißenborn598 im Kongresshaus zusammen. Mein alter Herr erzählte mir, daß Sie beiläufig erwähnten, daß Sie noch keinen deutschen Verleger haben. Unser Verlag, der Ihnen ja sicher nicht gänzlich unbekannt ist (Gide, Cocteau599, Ray600 nal , Alfred Neumann, Arnold Zweig, Erich Kästner usw. sind Autoren von uns), beabsichtigt den Buchverlag wieder stärker in den Vordergrund zu schieben. Wir haben die Absicht uns weiterhin besonders der Dramatik anzunehmen und bereiten im Augenblick 2 Parallelreihen vor, die eine Entwicklung der Dramatik durch die Zeiten und einen Querschnitt durch die Zeit zum Inhalt haben. Wir sind bemüht die Originaltexte der für uns und unsere Situation wichtigsten dramatischen Werke zu erwerben. Dürfen wir Ihnen heute unsere Anfrage übermitteln, ob Sie bereit wären, uns die Rechte an Ihren Werken zu überlassen? Wir können Ihnen nicht mit einer Aufstellung einer enormen Produktion dienen. Wir sind auch nicht in der Lage Ihnen schwindelhaft hohe Autorenhonorare zu versprechen. Eines aber können wir Ihnen wirklich versichern, daß es kaum einen Verlag geben wird, der mit so viel Lust und Liebe, so viel Intensität und Einsatzfreude seine sich selbst gestellten Aufgaben zu erfüllen sucht. Auch die graphische Seite unseres Verlages wird von uns besonders gepflegt. Wir wollen neu beginnen, nachdem der Verlag in der Nazizeit außerordentliche Verluste erlitten hatte. Wir wollen dem avantgardistischen Theater dienen so weit es nur in unserer Kraft steht. Alle diese Sätze sind aber nur eine Unterstützung unserer Anfrage und wir wären Ihnen außerordentlich dankbar, wollten Sie uns bald eine Antwort zukommen lassen. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und unseren besten Wünschen für Sie, sehr geehrter Herr Brecht, sind wir Ihr sehr ergebener CHRONOS VERLAG Martin Mörike (Peter Günther) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Chronos Verlag Martin Mörike Bühnenvertrieb Stuttgart-Zuffenhausen, Bei der Eiche 16 ◦ Berlin W 50, Neue Ansbacher Strasse 7A ◦ Fernsprecher Stuttgart 81400; BBA 1764/32.

598 Günther Weisenborn. 599 Jean Cocteau (1889–1963), französischer Schriftsteller, Maler und Filmregisseur. 600 Guillaume-Thomas Raynal (1713–1796), französischer Schriftsteller.

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Wolfgang Heinz601 an Bertolt Brecht Zürich, 27.6.1948 Wolfgang Heinz Hofstr. 108

Zürich, den 27. Juni 1948

Lieber Herr Brecht! Es hat mir sehr leid getan, dass ich gestern nicht zu Ihnen kommen konnte, aber ich musste den letzten freien Abend vor meiner Abreise mit meiner Freundin zusammen sein. Ich hoffe aber, Sie in Salzburg wiederzusehen. Unabhängig davon würde unsere Sozietät es sehr begrüssen, wenn in einer oder anderer Form sich eine Zusammenarbeit ergeben könnte. Vielleicht findet sich diese Möglichkeit trotz Ihrer Absicht, nach Berlin zu gehen. Paryla602 und ich werden in Salzburg Gelegenheit haben, diese Frage mit Ihnen eingehend abzuklären. Sollten Sie betreffs der Einreise irgend einer Hilfe bedürfen, wollen wir selbstverständlich alles nur irgend Mögliche unternehmen. Seien Sie, Ihre liebe Frau und Tochter herzlichst gegrüsst von Ihrem Wolfgang Heinz Wiener Adresse: Neues Theater in der Scala, Wien IV. Favoritenstr. 8 Überlieferung: Ts, hs. U., BBA 301.

Caspar Neher an Bertolt Brecht [Salzburg] 28.6.1948 28. Juni 1948. Lieber Bert! Seit längerer Zeit wartet man hier auf Dich. Hoffentlich bist Du der Notschreie aus den verschiedenen Gegenden entronnen. Von Dir höre ich nichts, ausser der Erzählungen der 601 Wolfgang Heinz (1900–1984), Schauspieler und Regisseur, ging 1933 über Österreich ins Exil nach Zürich. Ab 1948 war er Direktor der Scala Wien, übersiedelte 1956 nach Ostberlin. Er trat in mehreren Brecht-Inszenierungen auf, u.a. Mann ist Mann (Berlin 1931). 602 Karl Paryla (1905–1996), österreichischer Schauspieler. Von 1938 bis 1946 war er im Exil in der Schweiz. Er trat zusammen mit Wolfgang Heinz in Mutter Courage (Zürich 1941) und Galilei (Zürich 1943) auf. Brecht notierte Paryla auch für die Rolle des Landknechts im Salzburger Totentanz (vgl. Anm. in GBA 10, S. 1272).

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Erika.603 Ich hoffe aber immer noch, daß Du eines Tages hier auftauchst. Wann wird dies sein. Je später um so schwieriger wird die […]frage, die bei den Festspielen, vorausgesetzt, daß sie stattfinden, auf dem Nullpunkt [?] steht. Ich beneide mich selbst um meinetwegen [?] auch im Deinetwillen. Auto wäre hier gut, ich glaube bestimmt, daß Du in Kürze hier eines besitzen wirst. Was macht die Berliner Frage – wann gehen wir dorthin, langsam zieht sich der Kreis der Betätigung immer enger. Hoffentlich geht es Dir gut. Hast Du Nachricht aus München604, man sollte den guten Willen vereinzelter sinngemäß unterstützen. Packe bitte Dein Bündel, ein kleines und komme bald Dein C. Was macht die tessiner Frage, soll man die Schweiz noch forcieren. Dann aber würde man zusammensitzen in einem Ort, und möglichst wenig mit Theater zu tun haben Überlieferung: Ms, BBA 3160.

Erwin Piscator an Bertolt Brecht Falmouth (Massachusetts), 29.6.1948 Lieber Brecht willst Du mir Herr Puntila schicken? Oder welches Stück soll ich spielen? Die Aufführung von Galileo605 – war für mich ein großes Ereignis – ich danke Dir – keinen Brief, ein Buch müsste man darüber schreiben – und das Verhältnis zum Theater hier – Wie ist Europa? Grüsse Weigel – und Freunde – Dein P. Falmouth, Mass. June 29. 1948 Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Dramatic Workshop of the New School for Social Research 247 West 48th Street • New York 19, N.Y. Telephone: Circle 5-7287 Erwin Piscator, Direktor; BBA 3148.

603 Erika Neher. 604 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948. 605 Vermutlich die Aufführung in New York (vgl. Anm. zu Reiss, 7.10.1947).

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Stefan Brecht an Bertolt Brecht 10.7.1948 Herrn Berthold Brecht Feldmeilen bei Zürich, Bünishoferstraße 14, Bei Gebr. Mertens Schweiz Suisse 10. Juli ’48 Lieber Bidi, eine Post-Karte um ihr selber willen. Der Kriegsgott als alter + nicht besonders starker Mann; die Statue ist japanisch. Sage bitte der Heli daß Gepäck, Ihres + alles, angekommen ist. Wie steht’s mit dem Korsch’schen Manuskript?606 Herzlichst Dein Steff Überlieferung: Ms (Postkarte mit dem Bild einer japanischen Statue des Koan-Ti), BBA 528/14–15.

Caspar Neher an Bertolt Brecht [Salzburg] 14.7.1948 14. Juli 48. Lieber Bert: Leider haben wir keine Nachricht. Hast Du meinen letzten Brief (wegen der Anzahl der Fahrkarten etc.) erhalten? Bitte sage es mir durch irgend jemand, ich verstehe, wenn man nicht gerne etwas von sich hören lässt. Apropos einiges zum Wagen des Ares607: rein mythologisch quellen mässig: um mehr Figuren heraus zu bekommen. Nichts erfreut ihn sosehr wie Geschrei. Von Kopf bis Fuss

606 Vgl. Anm. zu Korsch, 12.5.1948. 607 Die Arbeit an dem Fragment gebliebenen Stück Der Wagen des Ares hatte Brecht – im Hinblick auf seine Rückkehr nach Europa – im amerikanischen Exil begonnen und in seine Pläne außer Caspar Neher auch Erwin Piscator einbezogen. Vgl. B. an Piscator, Mitte/Ende März 1947, GBA 29, S. 413f.

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bewaffnet – Der Helm ein wehender Busch – Enyo608 Das Verderben. Deimos die Furcht Phobos der Schrecken.609 Eris der Streit. / die Keren610 / sind seine Begleiter. Seine Wildheit und Gewalttätigkeit ist allen verhasst. Als einmal der Kriegsgott verwundet niederstürzte bedeckte sein Leib eine Fläche von 7 Bauerngütern und sein Schrei war so laut wie der Schlachtruf eines ganzen Heeres. Seine Söhne sind Verbrecher. Diomedes611 der seine Pferde mit Menschenfleisch fütterte und Phle­g yas612, der die Tempel anzündete. Die Athener sehen in Ares den Gründer ihres Blutsgerichtshofs / womit man vielleicht die Anklage formuliert / Einmal wurde[n] Ares und Aphrodite von Hephaestos613, dem Gatten der Liebesgöttin überrascht – u. s. w. Dies als kleine Anhaltspunkte vielleicht lassen sie sich mit in den „Wagen des Ares“ herein bringen. Sonst wäre gut, wenn Du selbst hier wärest um Alles nochmals, was das unsrige und die Stücke betrifft durchzugehen. Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief noch in Zürich –. Ich hoffte schon seit langem Dich hier zu sehen. Allerdings ist unerträglicher Regen und man freut sich, wenn nur ein paar Stunden die Sonne scheint. Grüsse Helli und R.614 und kommet Dein Cas. Erika lässt Dich herzlichst grüssen Überlieferung: Ms, BBA 3161.

Bühnenverlag Folmerhansen an Bertolt Brecht Kopenhagen, 16.7.1948 Bert Brecht Bünishoferstr 24 Feldmeilen.

608 Enyo bezeichnet in der griechischen Mythologie die Göttin des blutigen Nahkampfs. Ebenso wie Eris, die Göttin der Zwietracht, ist sie eine Schwester des Ares. 609 Offenbar eine Verwechslung: Deimos (Schrecken) und Phobos (Furcht) sind Söhne und Begleiter des Kriegsgottes Ares. 610 Ker ist die Göttin des gewaltsamen Todes. Als Keren bezeichnet man die Geschwister Aither, Charon, Eris, Hemera, Hypnos, Momos, Moros, Nemesis und Thanatos. 611 Diomedes, der Sohn des Ares, besaß vier Rosse, die Menschenfleisch fraßen. 612 Phelgyas, ein weiterer Sohn des Ares, zündete den Tempel Apollons an. 613 Hephaistos, Gott der Schmiede und des Feuers, Gatte der Liebesgöttin Aphrodite. 614 Ruth Berlau.

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Dankbar Manuskript ihr Puntila und Knecht für eventuelle Erwerbung Aufführungsrechte Skandinavien Bühnenverlag Folmerhansen Überlieferung: Ms (Telegramm), BBA 211/48.

Hans Oprecht an Bertolt Brecht Zürich, 19.7.1948 Herrn Bertholt Brecht Bünishoferstr. 14 Feldmeilen Zürich, den 19. Juli 1948 Betrifft: „Dreigroschenroman“ Sehr geehrter Herr Brecht, Wir haben Ihr Werk „Dreigroschenroman“ eingehend geprüft.615 Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen jedoch mitteilen, dass wir uns nicht entschliessen können, dieses Werk neu aufzulegen. Wir würden es vielmehr begrüssen, wenn Sie uns ein neues Werk zur Prüfung übergeben wollten, da unsere Leser vor allem Bücher aus der Gegenwart wünschen. Wir hoffen gerne, dass Sie unseren Wunsch erfüllen können.Das Buch erhalten Sie in der Beilage zurück. Mit freundlichen Grüssen BUECHERGILDE GUTENBERG ZUERICH Dr. H. Oprecht Beilage erwähnt Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Genossenschaft Büchergilde Gutenberg Zürich Morgartenstrasse 2 Postfach Zürich I Telephon 25 68 47 Postscheck VIII 22992; BBA 1763/33.

615 Vgl. Oprecht, 10.4.1948.

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Frithjof Ruede an Bertolt Brecht Gera, 21.7.1948 Frithjof Ruede p.A. Bühnen der Stadt Gera (Thür.)

(15) Gera-Thür., 21.7.48.

Sehr geehrter, lieber Herr Brecht. Vor ca. 2 Monaten schrieb ich Ihnen schon einmal nach der Schweiz, mit gleicher Post einen Brief ähnlichen Inhalts an Sie nach Berlin zu treuen Händen von Herbert Ihering. Da ich nicht weiß, ob Sie den „schweizer Brief“ erhalten haben, nochmal diese Zeilen: Seit 1923/25 („Trommeln i. d. Nacht“ u. „Baal“ in Leipzig) bin ich rezeptiv mit Ihrem Werk verwachsen. In Berlin (31/32) ließen Sie mich persönlich Einblick in die Bühnengestaltung Ihrer Werke nehmen. Mit Ihrer Form verband mich die gleiche politische Einstellung. Meine charakterliche Haltung während der „somnambulen 1000 Jahre“ war einwandfrei. Jetzt bin ich Regisseur, das [sic] mir 13 Jahre wegen Verdächtigungen und polit. Unzuverlässigkeit versagt geblieben war. Mein Wunsch als Regisseur war in erster Linie, Ihre Stücke zu inszenieren. Ich bitte Sie, mir die Erlaubnis zu erteilen, einige Ihrer Werke, deren Auswahl ich Ihnen überlasse, in Gera und Halle, evtl. Leipzig zu inszenieren; diese Zusage aber möglichst so zu fassen, daß ich jederzeit Vollmacht habe, die betreffenden Stücke nicht zur Aufführung zu bringen, wenn ich den Eindruck gewinnen sollte, dass es den Theaterleitern weniger darum geht, Ihre Stücke in den für Brecht notwendigen Charakter auf den Spielplan zu setzen, als ihren zwischen Konvention und Zeitstück pendelnden Spielplan einen sensationellen Farbfleck zu geben. Ferner bitte ich Sie, mir mitzuteilen, woher ich das jeweilige Buch- und Notenmaterial beziehen kann. Mit dem Geraer und Hallenser Intendanten (Rudolph und Kendzia) bin ich einig, sofort Ihre Frau als Gast für „Mutter Courage“ zu verpflichten; nur zweifeln wir, ob ein solches Gastspiel augenblicklich in Ihre Pläne passt. Ich bitte sehr um eine Antwort und grüße Sie bestens. Ihr Frithof Ruede. „Furcht u. Elend d. III. Reiches“ „Mutter Courage“ „Heilige Johanna d. Schl.-H.“ „Galileo Galilei“ „Mutter“ „Die Gewehre der Frau C.“ „Herr Puntila u. s. K.“ Überlieferung: Ms, BBA 1764/24–25.

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Kurt Desch an Bertolt Brecht München, 22.7.1948 22. Juli 1948

I/K

Herrn Bertolt Brecht Felsmeilen bei Zürich [sic] Bünishoferstr. 14 bei Mertens Sehr verehrter Herr Brecht! Mit Frau Berlau616 und Jakob Geis habe ich wegen der Möglichkeiten einer Zusammenarbeit jetzt eine erfreuliche Unterhaltung gehabt. Erinnern Sie sich noch meines letzten Briefes, in dem ich bei Ihnen angefragt habe, ob wir in Zukunft Werke von Ihnen betreuen können, um damit zu einer engeren Zusammenarbeit zu kommen.617 Mit Frau Berlau habe ich nun heute einige wichtige Punkte abgesprochen. Hierüber möchte ich Ihnen schreiben. Aus mancherlei Gründen ist es ratsam, dass Ihre neuen Bühnenwerke so rasch wie möglich in Deutschland aufgeführt werden. Ich schlage deshalb vor, meinem Theaterverlag die Aufführungsrechte für „GALILEI“, „PUNTILA“ und „SCHWEJK“ zu geben. Ich würde sofort veranlassen, dass die Bühnenmanuskripte hergestellt werden, damit die Werke schon zum kommenden Herbst in den deutschen Spielplan aufgenommen werden können. Frau Berlau habe ich die Zusage gemacht, dass ich Ihnen gern einen Wagen kaufe. Entweder einen neuen Wagen von Opel oder Mercedes, die in der Preislage zwischen DM 7.000 – 8.000 liegen. Hier ist allerdings die Lieferzeit fünf bis sieben Monate. Oder einen anständigen gebrauchten Wagen, wobei ein solcher Kauf mehr oder weniger eine Glückssache ist und hierfür ein Termin nicht genannt werden kann. Es ist möglich, dass man einen gebrauchten Wagen schnell erhält. Es kann aber auch sein, dass man längere Zeit suchen muss. Mit dem Kaufpreis würde ich Ihr Konto vorläufig belasten und später mit den eingehenden Tantiemen verrechnen. Darüber hinaus hätte ich gewisse Möglichkeiten, Ihnen auch von Fall zu Fall Zahlungen in österreichischer und schweizer Währung zu machen. Hierüber kann ich aber im Augenblick keine festen Zusagen geben. Die Möglichkeit besteht jedoch. 616 Vgl. Anm. zum nachfolgenden Brief. 617 Seinen ersten Vertrag mit Kurt Desch – über den Vertrieb von Herr Puntila und sein Knecht Matti – schloß Brecht am 26.7.1948.

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Wenn Sie mit diesem Vorschlag grundsätzlich einverstanden sind, dann bitte ich Sie, mir doch so rasch wie möglich die Manuskripte der drei genannten Werke zukommen zu lassen und mir noch mitzuteilen, welche Bedingungen Sie unter allen Umständen in den Aufführungsvertrag berücksichtigt wissen wollen. Auch über die Buchausgaben von einzelnen Werken und über die Buchausgabe Ihres Gesamtwerks haben wir uns unterhalten. Ich weiss, dass Sie hier Wieland Herzfelde nicht ausschalten wollen. Mit Wieland Herzfelde habe ich ein Abkommen getroffen, dass ich seine Aurora-Bücherei in Deutschland (drei Westzonen) herausbringe. Darunter befindet sich ja auch Ihr Werk „FURCHT UND ELEND DES DRITTEN REICHES“. Diese Buchausgabe bereiten wir vor. Ich würde also vorschlagen, dass Sie mir eventuell auch über neuere Buchausgaben Mitteilung machen. Für wichtig würde ich einen Auswahlband Ihrer GEDICHTE halten. Die Herausgabe der GESAMMELTEN WERKE, die doch in Deutschland bald einmal erscheinen müssen, könnten wir mit Wieland Herzfelde besprechen und Herzfelde an dieser Arbeit mit beteiligen. Ich bitte Sie, auch diesen Vorschlag zu überlegen. Da Frau Berlau sich mit Ihnen am Montag telephonisch unterhält, könnten dann vielleicht alle weiteren Punkte auch mündlich besprochen werden. Ich möchte hoffen, dass mein Brief Sie bis Montag erreicht. Das wäre für heute das Wichtigste. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die Zusammenarbeit bald miteinander besprechen können. Mit freundlichen Grüssen bin ich Ihr Kurt Desch (Verleger Kurt Desch) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Kurt Desch München Anschrift: München 19, Romanstraße 7 * Telefon 34172 * Postscheckkonto München 19194 Bank: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank München Konto 402944 Verlagsleitung; BBA 1/21–22.

Richard Weiss an Ruth Berlau Berlin, 24.7.1948 24. Juli 1948 RW/Schr Mss. Ruth B e r l a u , (13b) M ü n c h e n , Pressehotel, Wasserburgerstr. 6

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Sehr geehrte Mss. Berlau! Wie wir bereits in Zürich sehr eingehend besprochen haben, ist Ihr Besuch in unserem Verlag unerlässlich.618 Die vorgesehenen Abschlüsse können wir nur bei Ihrem persönlichen Erscheinen durchführen, da hierzu notarielle Beurkundungen notwendig sind. Auch die Honorarfragen müssen wir eingehend durchsprechen, um hier zu einem entsprechenden Abschluss zu kommen. Wir können zwar verstehen, dass Sie die Unbequemlichkeiten einer Reise nach Berlin scheuen, aber bedenken Sie bitte, dass es Ihnen aus Zürich viel schwieriger sein wird, eine erneute Einreisegenehmigung nach Deutschland zu erhalten. Wir müssen Sie daher bitten, von sich aus alle Schritte zu unternehmen, um nach hier zu gelangen, andernfalls die Frage unserer zukünftigen Zusammenarbeit nicht geklärt werden kann. Soweit Sie Einreiseschwierigkeiten nach Berlin haben sollten, bitten wir Sie, darauf hinzuweisen, dass unser Verlag eine amerikanische Lizenz besitzt und dementsprechend alle Vorteile und Unterstützung geniesst, die eine solche Lizenz mit sich bringt. Indem wir der Hoffnung Ausdruck geben, Sie recht bald hier begrüssen zu können, bitten wir Sie nochmals alles zu versuchen, um nach hier zu kommen. Mit vorzüglicher Hochachtung! GEBR. WEISS - VERLAG Berlin R. Weiss Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Gebrüder Weiss-Verlag Berlin Berlin SW 68, Kochstrasse 45, Scherlhaus Lizenz US B-212 Fernsprecher 66 27 87 Postscheckkonto Berlin 130120, Bankkonto Berliner Bezirksbank Moritzplatz; BBA 1/19.

Stefan Brecht an Bertolt Brecht Paris, 24.7.1948 Herr B. Brecht, Bei Gebr. Mertens, 14 Bünishoferstraße, Feldmeilen bei Zürich Schweiz Suisse PAR AVION 618 Brecht hatte Ruth Berlau gebeten, Verlagsangelegenheiten in Westdeutschland für ihn zu regeln (vgl. Lai-tu, S. 162); ihm selbst verwehrten die amerikanischen Behörden die Einreise. Im Gebrüder Weiss Verlag erschien 1949 das gemeinsam mit Berlau erstellte Modellbuch zur Antigone (vgl. Anm. zu Weiss, 30.4.1948).

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24. Juli Lieber Bidi, Ich könnte nach Deutschland rein619 nur dann falls ich dort Geschäftliches zu erledigen hätte; und daß ich das hätte muß mir brieflich recht offiziell von dort bestätigt werden. Es wäre schön falls Du mir (möglichst bald, der Sommer geht zu Ende) so einen Brief verschaffen könntest. Herzliche Grüße an Dich, Helli, Barbara SSB Der Karakterkopf [sic] vorne schaut so undurchdringlich ehrlich-unehrlich aus wie das links stehende. Überlieferung: Ms (Postkarte des Musée Guimet: Tête de Yaksha Fouilles du Turkestan), BBA 3066.

Peter Suhrkamp an Bertolt Brecht Berlin, 24.7.1948 Berlin-Zehlendorf

Herrn Bert Brecht Zürich-Feldmeilen Bünishofer Str. 14 b. Mertens Schweiz

Forststrasse 27 Den 24.7.48 Su/So

Lieber Bert Brecht – ich habe auf meinen letzten Brief von Ihnen noch keine Antwort. Das würde mich nicht ungeduldig machen, wenn nicht die Frage Ihrer Vertretung in Deutschland immer verwickelter würde. Es geht so nicht weiter, Sie müssen selbst endgültige Klärung schaffen. Gegenwärtig ist es so, dass Theater, die Ihre Stücke wild aufführen, wenn ich dort nachfassen lasse, antworten, bei ihnen hätten sich auch schon der Aufbau-Verlag und Felix Bloch Erben gemeldet. Um sich aus diesen Komplikationen herauszuhalten, würden sie die Aufführungstantiemen auf ein Sperrkonto der Hauptstadtkasse einzahlen.

619 Stefan Brecht hielt sich im Sommer 1948 zu Studienzwecken in Paris auf (vgl. BCE, S. 82f.).

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Antworten Sie also bitte jetzt rasch, wie wir uns verhalten sollen. Herzlichst und mit besten Grüssen Ihr Su Überlieferung: TsD, hs. Korr.; Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung, Frankfurt/M.

Caspar Neher an Bertolt Brecht Salzburg, 25.7.1948 25.7.48.

Salzburg

Lieber Bert! Heute sagt G. v. E.620 dass Deine Einreise in Wien bereit sei. Man bittet Dich sofort, Papiere resp. Passnummer und Einreichungsdatum (Aktennummer) nach Wien an M’rat Hilbert Reitschulgasse 2 zu telegrafieren – Damit von dort ebenfalls telegrafisch Bern die österreichische Gesandtschaft benachrichtigt werde, für vorläufige Anweisung liegt bereits sei 12. April in Bern. Dieses ganze Verfahren soll den Vorzug haben, daß Deine Sache gesondert behandelt wird. Hier ist es kalt, wahrscheinlich wie in Zürich auch, jedoch angenehmer als Ort, der bajuwarische. Neulich war ich auf 8 Tage in München und sprach manchen. Die Lage ist pessimistisch aber nicht hoffnungslos. Das, was Du sagtest droht sich zu verwirklichen, teilweise schliessen die Theater. Schweikart will Furcht und Elend machen im Sommer. Orff hängt in seiner „Antigone“.621 Was aber macht der „Wagen des Ares“ bald sollte man wieder daran gehen. Das wird auch hoffentlich bald der Fall sein. Kasack traf ich in München, er lässt Dich vielmals grüssen. Hoffentlich kommst Du nun bald her. Ruth sah ich in München nicht ich hoffte ihr irgendwo zu begegenen. Dir Alles Gute Dein Caspar Grüsse vielmals Helli. Erica lässt Euch noch vielmals danken. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 3162. 620 Gottfried von Einem. 621 Die von dem Komponisten Carl Orff (1895–1982) vertonte Antigonae (in der Übersetzung Friedrich Hölderlins) wurde im August 1949 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt.

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Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 26.7.1948 July 26, 1948 Dear Brecht, Charles may come to France in August to do a Simenon picture.622 However, he isn’t very sure about it. I am hoping he will go because it will make it possible for him to get together with you. Meanwhile, he tells me that the Shakespeare class is maturing and that shortly he will be reading to do “Galileo” with it. I expect to see him sometime this week. Best to you and Hellie and Barbara. Joe

Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: RKO RADIO PICTURES, INC. 780 GOWER STREET, LOS ANGELES 38, CALIF. REG.US PAT.OFF. No order or agreement shall be binding on this Corporation, unless in writing and signed by an officer; BBA 1762/106.
Caspar Neher an Bertolt Brecht [Salzburg] 26.7.1948 26.7.48 Lieber Bert, keine Antwort, ist auch eine Antwort. Hoffentlich aber; bald so wünschen wir es alle, kommst Du! Wir laufen, sprechen und tuen was wir können – in Deinem Interesse. Aber Du allein kannst es beurteilen, ob es das richtige ist. Italien, so sagt Erika623, sei besser für uns. Sie steigt hoch bei der Aussicht Österreicherin zu werden, mir geht es nicht minder, jedoch – Papiere so sagst Du benötigt man – dies ist wahrscheinlich in 4 Wochen der Fall; dann ist es soweit. Aber was dann, wenn Du nicht hier bist. Nun – hoffen wir immer noch. Curjel kommt dieser Tage. Reisebilletts, die Zahl wurde vor 4 Wochen erbeten. Aber Schweigen war die Antwort. Was nun. Das humane reinigende Fegefeuer Deiner Person fehlt 622 Charles Laughton spielte den Inspektor Maigret in dem in Paris gedrehten Film The Man on the Eiffel Tower (USA 1949, Der Mann vom Eiffelturm; Regie: Burgess Meredith). Das Drehbuch basierte auf dem Roman La Tête d’un homme (1931) des französischen Schriftstellers Georges Simenon (1903–1989). 623 Erika Neher.

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Dein C. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3161.

Karl Heinrich Ruppel624 an Bertolt Brecht Stuttgart, 26.7.1948 Der Schauspieldirektor

Stuttgart O, den 26. Juli 1948.

Dr. Ru/Pf. Berthold B r e c h t , Zürich

Herrn

Sehr geehrter Herr Brecht! Herr Paul Hoffmann625, der nach Beendigung seines Züricher Gastspiels wieder nach Stuttgart zurückgekehrt ist, überbrachte uns das Manuskript ihres Volksstücks „Herr Puntila und sein Knecht“, welches ihm mein Freund Dr. Hirschfeld für mich mitgegeben hatte. Ich würde dieses Stück, das meine Mitarbeiter und ich mit großem Vergnügen gelesen haben, gerne zu alleinigen deutschen Erstaufführung an unserem Theater im Laufe der Spielzeit 1948/49 erwerben. Herr Hoffmann sagte mir, dass Sie unter der Voraussetzung einer Tantième-Vorauszahlung bereit wären, uns die deutsche Erstaufführung zu übertragen. Bitte haben Sie die Freundlichkeit, mich wissen zu lassen, wie hoch sich der Betrag beläuft, den wir Ihnen bei Vertragsabschluss zu zahlen hätten. Es ist ihnen zweifellos bekannt, dass die D-Mark nicht transferiert oder in Schweizer Franken umgewechselt werden kann; die Vorauszahlung auf die Tantième müsste also in D-Mark auf ein von Ihnen zu benennendes deutsches Bankkonto überwiesen werden. Mit der Bitte, mir bis zum Beginn der neuen Spielzeit (16. August) Ihren Bescheid zukommen zu lassen, verbinde ich noch einmal die Versicherung unseres stärksten Interesses an der deutschen Erstaufführung Ihres Stücks und empfehle mich Ihnen mit den besten Grüßen Ihr Dr. Ruppel Schauspieldirektor Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Württembergisches Staatstheater; BBA 1764/46–47.

624 Karl Heinrich Ruppel (1900–1980), Musik- und Theaterkritiker. 1945 bis 1950 Schauspieldirektor der Württembergischen Staatstheater. 625 Vermutlich Paul Theodor Hoffmann.

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Herbert Ihering an Bertolt Brecht und Helene Weigel Berlin, 27.7.1948

27. Juli 1948 42 55 06

Jhering [Am Fischtal 61] Zehlendorf

Herrn Bert Brecht Feldmeilen-Herrliberg Bühnishofer Str. 14

Lieber Brecht, liebe Helene Weigel! Wie ich heute früh Ihren Brief öffne, fällt nur ein Blatt heraus mit Ihrem Schlusssatz und Hellis Nachwort. Das Hauptblatt fehlte. Ich nehme an, dass es versehentlich nicht miteingelegt worden ist. Bitte schicken Sie es doch gleich. Ich habe mich selten auf einen Brief so gefreut als ich ihn in der Hand hielt und war selten so enttäuscht, als ich ihn öffnete. Mit vielen herzlichen Grüssen von uns dreien, Ihr Am 1. August beginnen die Theaterferien Überlieferung: TsD, AdK: Nachlaß Herbert Jhering (Kopie: BBA Z 2/168).

Kurt Desch an Bertolt Brecht [München] 28.7.1948

28. Juli 1948 I/K

Herrn Bertolt Brecht Feldmeilen bei Zürich Bünishoferstr. 14 bei Mertens Sehr verehrter Herr Brecht! Im Anschluss an das mit Ihnen am Montag geführte Telefongespräch konnte ich mit Frau Berlau und unserem Freund Jakob Geis alles durchsprechen. Die mündlich getroffe-

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nen Abmachungen habe ich Herrn Geis schriftlich bestätigt und schicke Ihnen zu Ihrer Kenntnisnahme den Durchlag meines Briefes, ferner eine Kopie der beiden Verträge, die ich Jakob Geis zur Prüfung zugestellt habe. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir recht bald zu einer Vereinbarung kommen und wenn ich mich dann schon zum Herbst für Ihre beiden Bühnenwerke und für Ihren „Dreigroschenroman“626 einsetzen kann. Es wäre allerdings sehr notwendig, dass ich dann so rasch wie möglich in den Besitz der Manuskripte gelange. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, die Zustellung nach München zu veranlassen. Wir sind jetzt schon eifrig auf der Suche nach dem Wagen für Sie. Es ist möglich, dass es sehr rasch gehen kann. Natürlich ist solch ein Kauf auch heute noch eine reine Glückssache. Den neuen Wagen werden wir auf alle Fälle bestellen. Mit freundlichen Grüssen bin ich Ihr (Verleger Kurt Desch) Anlagen [Anlage:] Herrn Jakob Geis Neue Deutsche Filmgesellschaft München-Geiselgasteig

28. Juli 1948 I/K

Lieber und verehrter Herr Geis! Wie wir vereinbarten, bestätige ich hiermit unsere Besprechung vom 26. Juli. Zuerst einmal möchte ich Ihnen und Frau Berlau herzlichst danken für die mündliche Absprache, die Sie mit Herrn Bertolt Brecht treffen konnten. Ich schicke Ihnen in der Anlage den besprochenen Vertrags-Vorschlag für die beiden Bühnenwerke „SCHWEJK“ und „PUNTILA“, ferner einen Vertrags-Vorschlag für den „DREIGROSCHENROMAN“. Ich habe den Text der Verträge so einfach und so kurz wie möglich gehalten. Die Aufführungsrechte für die beiden Bühnenwerke gelten vorläufig nur für Deutschland. Ich bemerke hierbei, dass wir in unserem Theater-Verlag ganz Deutschland bearbeiten und die Zonengrenzen auf unsere Zusammenarbeit mit den deutschen Bühnen ohne Einfluss sind. Wir können unsere Stücke an den Bühnen der Ostzone genau so spielen lassen wie an den Bühnen der Westzonen.

626 Vgl. Anm. zu Oprecht, 10.4.1948.

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In den Vertrag habe ich besonders die Klausel eingefügt, dass die Uraufführung dieser beiden Stücke in Deutschland erst dann erfolgen kann, wenn über Besetzung und Inszenierung mit Herrn Brecht zuvor Rücksprache genommen wurde und Einigung erzielt worden ist. Für den „DREIGROSCHENROMAN“, auf den ich mich ganz besonders freue, habe ich als Erstauflage 10.000 Exemplare eingesetzt. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir mit diesem Buch bald zu weiteren Auflagen kommen werden. Auf Grund der Freigabe des Papiers besteht dann ohne Weiteres die Möglichkeit, auch für weitere Auflagen das erforderliche Papier zu beschaffen. Für die Übernahme der Aufführungsrechte der beiden Bühnenwerke und für die Buchrechte des „Dreigroschenromans“ verpflichte ich mich, Herrn Bertolt Brecht als erste Vorauszahlung einen Wagen zu beschaffen. Wir werden im Verlag alles versuchen, um durch Vermittlung von Freunden, Bekannten, Autoverkaufsstellen einen gebrauchten Wagen so rasch wie möglich zu finden, den wir für Herrn Brecht sofort kaufen werden. Darüber hinaus wollen wir einen neuen Wagen bestellen, der dann später gegen den alten Wagen eingetauscht werden kann. Die hierfür anfallenden Kosten würden wir später mit den Erlösen aus den Aufführungen und aus dem Buchverkauf verrechnen. Ich hoffe, keinen Punkt unserer Besprechung vergessen zu haben. Prüfen Sie bitte die anliegenden Verträge. Ich glaube, dass Sie diese bedenkenlos an Herrn Brecht weiterleiten können. Ich hoffe zuversichtlich, dass wir zu einer Vereinbarung kommen und schätze mich glücklich, Bert Brecht dann als Autor in meinem Verlag begrüssen zu können. Ich denke, dass wir auch bei unserer Absprache bleiben: Die erste Uraufführung von Bert Brecht in Deutschland sollen Sie inszenieren. München wäre sicherlich ein geeigneter Platz hierfür. Mit den Städtischen Bühnen oder mit dem Staatsschauspiel könnten wir zweifellos zu einer solchen Vereinbarung kommen. Wichtig wäre noch, dass ich so rasch wie möglich in den Besitz der Texte der drei Werke komme, damit wir, wenn wir eine Vereinbarung mit Herrn Bertolt Brecht treffen können, sofort an die Arbeit gehen. Haben Sie nochmals besten Dank für Ihre freundliche Vermittlung. Sehr interessiert sehr ich Ihren weiteren Nachrichten entgegen und begrüsse Sie bestens stets Ihr (Verleger Kurt Desch) Anlagen Überlieferung: Ts, BBA 572/1 (Anlage: Ts, BBA 572/2–3).

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Kurt Desch an Ruth Berlau München, 28.7.1948

28. Juli 1948

I/K

Frau Ruth Berlau p.A. American Press Club München-Bogenhausen Wasserburgerstr. 6 Liebe Frau Berlau! Heute schicke ich Ihnen den Durchschlag von meinen beiden Briefen, die ich an Herrn Geis und Bertolt Brecht gerichtet habe. Hieraus ersehen Sie alles Weitere. Ich habe darin das bestätigt, was wir am Montag mündlich bei Ihnen vereinbart haben. Ich hoffe zuversichtlich, dass wir von Bertolt Brecht in den nächsten Tagen eine endgültige Zusage bekommen. Es wäre schön, wenn wir dann sogleich an die Arbeit gehen können. Wir versuchen alles, um so rasch wie möglich einen gebrauchten Wagen zu finden. Wenn Sie etwas hören, dann lassen Sie es mich bitte sofort wissen. Ich möchte mich noch schönstens für den reizenden Abend bei Ihnen bedanken, ganz besonders für die reiche Bewirtung. Darf ich Sie bald einmal abholen, damit Sie sich in unserem Verlag umsehen können? Ausserdem sollten Sie sich doch an einem Abend einmal freimachen, um sich bei mir zuhause mit einigen Freunden und Bekannten zusammenzusetzen. Ich bleibe bis zu unserem nächsten Zusammentreffen mit herzlichen Grüssen stets Ihr Kurt Desch (Verleger Kurt Desch) Anlagen Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Kurt Desch München Anschrift: München 19, Romanstraße 7 * Telefon 34172 * Postscheckkonto München 19194 Bank: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank München Konto 402944 Verlagsleitung; BBA 1/25.

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Herbert Ihering an Bertolt Brecht [Berlin] 29.7.1948 Herrn Bert B r e c h t Feldmeilen-Herrliberg b. Zürich Bühnishofer Str. 14

29. Juli 1948

Lieber Brecht! Haben Sie meinen Brief bekommen, in dem ich dem verloren gegangenen ersten Blatt Ihres Briefes nachtrauerte, oder haben Sie es schon in ein Kuvert geschickt? Ich weiss nicht, ob Sie den ersten Band des von mir im Verlag Bruno Henschel & Sohn herausgegebenen Almanachs „Theaterstadt Berlin“627 in die Schweiz bekommen haben. Geschickt wurde er Ihnen auf jeden Fall. Könnten Sie für den zweiten628 etwas schreiben? Vielleicht über „Herr Puntila und sein Knecht“? und die erste Begegnung wieder mit deutschen Schauspielern? Oder was Sie wollen. Haben Sie den Brief der Intendanten bekommen, die Sie um Freigabe Ihrer Werke baten? Nochmals mit herzlichem Gruss für Helli und Sie von uns dreien Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich das Manuskript bis 1. Dezember 1948 erhalten könnte. Überlieferung: Ts, AdK: Herbert-Ihering-Archiv 984.

Hans Curjel an Bertolt Brecht Zürich, 29.7.1948 Herrn Bertolt Brecht Gärtnerei Mertens F e l d m e i l e n / Zch den 29. Juli 1948 Lieber Herr Brecht, die Metronomangabe lautet: 627 Vgl. Anm. zu Ihering, 5.9.1947. 628 Im zweiten Band – Theater der Welt. Ein Almanach, hrsg. v. Herbert Ihering, Berlin 1949 – erschienen die Bemerkungen über die chinesische Schauspielkunst (GBA 22, S. 151–155).

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Metronom629 = 58 Das Tempo ist übrigens wesentlich langsamer als wir es gestern aus dem Gedächtnis rekonstruierten. „Die Grammophone lügen nicht“ (Variante aus Carmen630) Herzliche Grüsse Curjel Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Theater- und Tournée-Genossenschaft Zürich Alfred Escherstrasse 19 Tel. 275767 Steinwiesstr. 18 Tel. 32 32 42; BBA 3071.

Jacob Geis an Bertolt Brecht München, 30.7.1948 Jacob Geis

Adresse:  München 9 Bavaria-Film-Platz 7 Neue Deutsche Filmgesellschaft Den 30.7.1948

Lieber Brecht, unmittelbar nach dem Telephongespräch mit Dir habe ich mit Desch telephoniert und Deine Wünsche übermittelt. Im Einzelnen ist dazu zu sagen: 1. Dreigroschenroman631 Der Vertrag, den Du ja gleichfalls erhalten hast, wird in § 3 dahin geändert, dass statt 12% vom Ladenpreis des gebundenen Exemplares 15%, ab zehntausend Exemplaren gleichfalls 15% als vereinbart gelten. Ich habe mit Herrn Desch mündlich noch vereinbart, dass Du daran interessiert bist, das Buch billig herauszubringen, d.h. also ein ungefährer Preis von DM 5.- für das Ladenexemplar nicht überschritten werden soll. Sonst ist gegen den Vertrag wohl nichts mehr einzuwenden und es wird sich empfehlen, wenn Du ihn mir und nicht Herrn Desch unterschrieben zuschickst. Dies aus folgendem Grunde: ich möchte den Vertrag Herrn Desch erst übermitteln, wenn er die Sache mit dem Auto erledigt hat – hat er nämlich einmal den unterschriebenen Vertrag, so wird er sich in dieser Angelegenheit vielleicht nicht mehr so anstrengen. 629 Im Ts folgt eine hs. gezeichnete Note. 630 Carmen (1875), Oper von Georges Bizet. Möglicherweise eine Anspielung auf die Aufführung in der Wiener Staatsoper (Premiere: 24.10.1948, Regie: Oscar Fritz Schuh), zu der Caspar Neher das Bühnenbild gestaltete. 631 Vgl. Anm. zu Oprecht, 10.4.1948.

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Was das Auto selbst betrifft, so werde ich mir den Wagen sehr genau ansehen, bzw. durch unseren Mechaniker prüfen lassen. [2.] Antigone Dazu muss ich leider sagen, dass der Bedarf nach modernisierter Antike hier durch die Herren Anouilh und Sartre sowie auch Camus ziemlich gedeckt ist,632 ich also Desch nicht übel nehmen kann, wenn er dieses Stück nicht gerade mit besonderer Begeisterung begrüsst. Nach meiner Ansicht wäre es dringend zu wünschen, wenn Du es möglich machen könntest doch „Puntilla“ [sic] für Desch frei zu machen. Ich kenne zwar „Puntilla“ auch nicht, aber nach Allem was ich von Ruth Berlau davon höre würde seine Wirkung entschieden tiefer sein als jede Erinnerung an die leider so ausgeschlachteten Griechen. Ähnlich liegt die Sache mit „Furcht und Elend des Dritten Reiches“. Ich fürchte, nach meiner Kenntnis der heutigen politischen Verhältnisse in den Westzonen – übrigens auch in der Ostzone – dass dieses Stück kaum Absatz finden wird, nich[t] nur deswegen weil die Herrn Theaterdirektoren Angst vor dem fünften Reich haben, sondern weil das breiteste Publikum von einem Verdrängungskomplex befallen ist: sie wollen es einfach nicht mehr wissen. Zuckmayer ist kein Beweis dagegen, denn sein „General des Teufels“633 zeigt doch vorwiegend den Glanz des dritten Reiches. Mit Deinem Stück wird auf dem Schuldnerv herumgetreten und darauf reagieren sie recht sauer. Ich bedaure als das geringe Entzücken von Desch aus eigener Erfahrung begreifen zu müssen. 3. Dreigroschenoper Von dieser Möglichkeit ist Desch begreiflicherweise entzückt, wenn auch erfüllt von einem gewissen Skeptizismus der Möglichkeit gegenüber, dass man Bloch Erben diesen Brocken entreissen kann. Das lässt sich aber erst übersehen, wenn Du baldmöglichst die Rechtsunterlagen Desch zugehen lässt. Aber selbst bei positivem Ausgang begreife ich Desch, dass er den Verlust von „Puntilla“ trotzdem schwer verschmerzen wird. Ich bin darin auch seiner Meinung, denn es kommt darauf an, dass endlich ein n e u e s Stück von Dir in Deutschland herauskommt. Dass Desch seine Stücke in allen vier Zonen vertreibt, behauptet e r nicht nur, sondern ich habe die Wahrheit dieser Behauptung geprüft, in dieser Beziehung kannst Du also beruhigt sein: das ganze Deutschland soll es sein. Mit Albers, Schweikart und Buckwitz treffe ich mich mit Ruth Berlau am Sonntag den 1. August am Starnberger See. Ich werde Deine Interessen insofern vertreten als ich Deine Bedingung, dass Albers den Ma[c]kie Messer spielt unzweideutig als 632 Von Jean Anouilh waren in den vorangegangenen Jahren die Stücke Euridike (1942), Antigone (1944) und Orest (1945) erschienen, von Albert Camus Le Mythe de Sisyphe (Der Mythos des Sisyphos, 1942) und Caligula (1944). Jean-Paul Sartre hat Figuren und Motive der griechischen Mythologie in seinem Stück Les Mouches (Die Fliegen, 1943) aufgegriffen. 633 Des Teufels General. Vgl. Anm. zu Buckwitz, 21.6.1948.

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Grundlage der Verhandlungen erklären werde. Deine Meinung, dass Du gegen die Aufführung selbst wenig unternehmen kannst mag ja richtig sein, man wird sich aber hüten Wünsche des Autors nicht zu beachten. Ich selbst sehe, dass die stärkste Belastung in der Regie von Herrn Buckwitz liegt. – Aber das scheint mir, wenigstens vorläufig nicht zu ändern zu sein. Ich vertraue hierbei auf Albers, der wahrscheinlich schon nach der zweiten Probe sein Mißfallen so deutlich ausdrücken wird, dass vielleicht doch Herr Schweikart in den sauren Apfel beissen muss. Sauer ist dieser Apfel insofern als meines Erachtens Schweikart zu jenen Zeitgenossen gehört, die sich nicht gerne festlegen und es ist leider schon wieder so weit, dass die Panik vor dem fünften Reich die Schwachen zittern lässt. In dieser Angelegenheit bitte ich mir zu vertrauen, ich werde, wenn es ganz schlimm wird, mit Albers einen Weg finden. Ich bitte Dich mir bald Deine Meinung zukommen zu lassen, vor Allem aber bitte ich, mi[r] in ein paar Zeilen eine Vollmacht des Inhalts auszustellen, dass ich berechtigt bin, Deine Interessen dem Verlag und dem Theater gegenüber zu vertreten. Ohne ein solches Papier fürchte ich nicht schlagkräftig genug handeln zu können. Im Ganzen ist zu sagen, dass Alles viel leichter wäre, wenn Du hier wärest. Ich sehe hier jede gewünschte Existenzmöglichkeit für Dich, ausserdem könnte ich Sie Dir von meiner Firma aus garantieren – aber in dieser Hinsicht sehe ich leider noch schwarz. In der Hoffnung, dass ich mich darin irre und mit allen guten Wünschen Dein Jacob Geis. Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., BBA 572/4–5.

Alfons Kasper634 an Bertolt Brecht Ludwigsburg, 31.7.1948 DR. ALFONS KASPER z. Zt. Württ. Staatsarchiv (14a) Ludwigsburg (Schloß), den 31.7.48. Herrn Bertolt Brecht F E L D M E I L E N bei Zürich Sehr verehrter Herr Brecht! Der Verlag H. Rombach & Co., Freiburg i.Br., Johanniterstr. 4 plant die Herausgabe einer Anthologie, in der bereits anerkannte Dichter und besonders verheißungsvolle Erzähler, 634 Alfons Kasper, Kunsthistoriker und Verleger.

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Lyriker, Essayisten usw. im geistigen Raum zwischen Oberrhein und Lech ihre Sendung bekunden.635 Die Sammlung soll repräsentativ werden und verpflichtet zur Auswahl des Besten vom Besten. Sie werden zur Mitarbeit eingeladen und gebeten, einen Beitrag im Umfang von höchstens 5 Ms-Seiten an meine Ludwigsburger Adresse zu übermitteln. Für die Zwecke des Lesers wären auch erwünscht: knappe Lebensdaten und bibliographische Angaben über wichtige Werke. Ich danke Ihnen im voraus für einen zusagenden Bescheid, auch im Namen des Verlags, der die Pflege des abendlän[d]ischen Erbes unserer alemannisch-schwäbischen Heimat zu seinem Programm erwählt hat und für seine Initiative einen eigenen leistungsfähigen graphischen Betrieb miteinsetzen kann. Vielleicht ergibt sich gelegentlich eine weitere engere Zusammenarbeit. Mit guten Wünschen für Ihr Schaffen, über das wir – wenn es Ihnen beliebt – noch näheres erfahren dürfen, verbleibe ich Ihr sehr ergebener Alfons Kasper NB. Ihre Adresse habe ich über den Suhrkamp-Verlag erfahren. Ich wollte Ihnen einen bevorzugten Platz in der Anthologie einräumen, den Sie nicht nur als geborener Augsburger und führender namhafter Dichter verdienen. Ich dachte an eine neuere, möglichst noch unveröffentlichte Ballade. Von Hermann Hesse liegt ein Hymnus „Heimat“636 vor, von Ernst Wiechert seine „Rede an die Schweizer Freunde“637, von Werner Bergengruen ein Gedicht „An die Völker der Erde“638, von René Schickele eine Szene aus „Blick vom Hartmannsweilerkopf“639, von Alfred Döblin, „Heimkehr der Fronttruppen 1918“640 aus seinem Neuen Erzählwerk in 4 Bänden „November 1918“ usw. Sie, sehr verehrter Herr Brecht, dürfen keineswegs fehlen. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 764/11–12.

635 Die Anthologie konnte nicht ermittelt werden. 636 Der genannte „Hymnus“ Hermann Hesses wurde erstmals im April 1918 in Wieland. Deutsche Monatsschrift für Kunst und Literatur (München) veröffentlicht. 637 Ernst Wiecherts Rede an die Schweizer Freunde ist als Broschüre 1947 in Zürich erschienen. 638 Gedicht aus dem Jahr 1945, erschienen in: Werner Bergengruen, Dies Irae, München 1947. 639 Dritter und letzter Teil des Essays Wir wollen nicht sterben (1922) des deutsch-französischen Schriftstellers René Schickele (1883–1940). 640 Der dritte Teil des Romans November 1918. Eine deutsche Revolution (1949/50) von Alfred Döblin.

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E. Job an Bertolt Brecht Basel, 2.8.1948 BASEL, DEN 2. August 1948. r/j BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , c/o Mertens, Feldmeilen b/Zürich BETRIFFT: „Mutter Courage“ Lieber Herr Brecht, Herr Wolfgang Heinz von der SCALA teilt mir heute mit, dass er mit Lindtberg im Prinzip über die Inszenierung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ einig ist, da Lindtberg sich grundsätzlich bereit erklärt hat, die Regie zu den in Aussicht genommenen Terminen (Proben ab Mitte Dezember, Premiere Mitte Januar) zu übernehmen.641 „Puntila“ Auf meine diesbezügliche Anfrage erhalte ich heute von einem Wiener Subvertreter die Nachricht, dass das Theater in der Josefstadt leider nicht die Absicht hat, den „Puntila“ mit Steckel in der Hauptrolle in der nächsten Saison aufzuführen. Mit den besten Empfehlungen Ihr für KURT REISS die Sekretärin: E. Job Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/46.

641 Unter Leopold Lindtbergs Regie wurde im Neuen Theater in der Scala in Wien am 2.12.1948 die Mutter Courage (mit Therese Giehse in der Titelrolle) aufgeführt.

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Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 2.8.1948 August 2, 1948 Dear Brecht, As I believe I wrote you a short time ago, Charles has been negotiating to go to Paris to make “The Man On The Eiffel Tower”.642 I sent the script to him originally after an understanding with the producer, Irving Allen643, that if Charles accepted he would be obligated (that is, Allen) to produce “Galileo” in Italy. It was announced again this morning that Charles was definitely going and I confirmed with a number of people near Allen that the arrangements have been set. I then spoke to Charles who is very busy with his new and larger house. He said that the deal was not set. I reminded him that “Galileo” had been a condition of my acting as intermediary on the script and he told me he was seeing Allen and he would take it up with him. I do not know precisely what is up with Charles but I have a feeling he is in one of his intrigant [sic] moods. Later I spoke to Allen, who it seems is a pretty honest guy, very enterprising and generally speaking, above the usual Hollywood cut. Allen said he remembered the undertaking on “Galileo” and that (1) it was commitment as far as he was concerned and that he had all the backing for the production in Italy in ANSCO color644 (2) that he was not interested in directing it himself (he is a producer-director) because “he didn’t know anything about this kind of material.” He said Charles was definitely set (“Eiffel Tower”) and that he, Allen, was leaving for New York tomorrow and that he was seeing Charles tonight and would take it up with him. I hope you’ll be fully familiar with this information when and if you see Charles. I understand that he is to leave for Europe August 15th and the picture is to start September 6th in Paris. Allen expects to meet you. He asked if there was a screenplay. I told him there was not and that I thought the play script would not mean too much to him. Incidentally, you have never replied to my question about Tabori to do the screenplay in English with you. I think Tabori would be available and I still think he is the best possible man for the job. Allen has promised to keep me posted as to his whereabouts and developments. I will let you know where he is and I hope you will be able to take the responsibility for forcing a meeting with Allen and Charles if neither of them take the initiative. I believe that this would be an excellent arrangement for doing “Galileo” and it can happen now if there is anyone interested enough to pull it together. I wish that I might be in Europe for that purpose but it is impossible for me to come without some sort of contract. I will, of course, 642 Vgl. Anm. zu Losey, 26.7.1948. 643 Irving Allen (1905–1987), in Österreich-Ungarn geborener amerikanischer Filmproduzent und -regisseur. 644 1938 entwickeltes Farbfilmverfahren der mit Agfa fusionierten amerikanischen Firma Ansco.

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do as much with Charles as I can before he leaves but we are both aware of the danger of relying on Charles’ consistency or frankness. I am hopeful that away from Elsa645 he will again get into the excellent state of mind which he maintained while we were working in New York. Please answer. Warmly, Joe Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., Bv.: RKO RADIO PICTURES, INC. 780 GOWER STREET, LOS ANGELES 38, CALIF. REG.US PAT.OFF. No order or agreement shall be binding on this Corporation, unless in writing and signed by an officer.; BBA 1762/107–108.

Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 6.8.1948 August 6, 1948 Dear Brecht, The possibility of a “Galileo” production with Irving Allen, about which I wrote you a short time ago, seems to be very close to reality. Allen is all set to go ahead. He left for New York a few days ago and will leave for Paris within a week. He says that Laughton is definitely set for “Man On The Eiffel Tower”646 (although Laughton is still hedging with me about it). Apparently Laughton is to go to Paris on August 15th. Allen told me definitely that he was all set to do “Galileo” in Europe. He tried, when he saw Laughton last (a few nights ago) to get a definite commitment from Laughton on “Galileo”. Laughton refused, according to Allen, but expressed great interest. It was left that Laughton, Allen and you would meet in Paris some time the end of August to discuss it. Irving Allen or Charles, presumably, will be in touch with you within the next few weeks. Meanwhile, I will attempt to see Charles, get his version of all this and write you in full. Charles indicated to Allen that I was acceptable to him as director for the project. He also said that he would like to work on the screenplay with you. Allen has the impression that Laughton is quite excited by the work of Harry Brown647, who is doing the screenplay adaptation of “Eiffel Tower”. If this is true, Brown might combine with you and Charles to do the screenplay. Perhaps you know Harry Brown’s work from his excellent book, “A Walk In The Sun”648 which Lewis Milestone produced and directed as a film. If Brown is 645 Charles Laughtons Frau Elsa Lanchester. 646 Vgl. Anm. zu Losey, 26.7.1948. 647 Harry Brown (1917–1986), amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor 648 A Walk in the Sun (1944), Kriegsroman von Harry Brown. Unter demselben Titel (deutsch: Landung in Salerno) wurde er 1945 von Lewis Milestone verfilmt.

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not acceptable to you and/or Laughton, or available, I would again strongly suggest George Tabori (“Companions of the Left Hand”, “Beneath the Stone”649, etc.). You will recall that he was present for most of the rehearsals of “Galileo” in New York, understands and respects the play and Laughton. He also speaks and writes German fluently and is familiar with your work in German. At the present moment he is living at the house of Salka Viertel. If and when a conference comes about in Paris, I think you must do your best to get a commitment from Charles so that Allen can make definite production plans. It is also important to get Charles committed before he returns here to Elsa, the new house, etc. You must also guard against permitting Charles to get into a position again where he can indefinitely postpone a production date. Further, I understand that Charles has arranged for Allen to take Phipps650 for the cast of “Eiffel Tower” and Charles will again undoubtedly attempt to involve him in “Galileo”. Personally, I am still very much opposed to this, both because of his affect on Charles and because I think Phipps is grossly mis-cast as Andrea. My own relationship with Charles seems to continue to be good, but I would not put it past Charles to plug for Rossellini651 once he comes to France. I believe that I could greatly facilitate and implement the definite arrangements for production and for screenplay if I could get to Paris to meet with you, Allen and Laughton. I’ve told Allen that I would be glad to come for a couple of weeks on an expenses paid basis, provided I’m not in production here at the time (and there seems very little likelihood of that) but I do not believe Allen would be willing to incur the expense of bringing me over for talks unless Charles was pretty definite about his willingness to do the film. It occurs to me that Charles may have been putting off making a definite commitment to Allen for “Galileo” until he sees how he likes working with him of this film. Anyway, you can judge from all this that there is a production, provided Charles can be brought into line and behaves. All this was initiated with Allen originally by Paul Radin, whom you met at my house several times. Love to you and Hellie. Please write as soon as you possibly can. Cordially, Joe Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., Bv.: RKO RADIO PICTURES, INC. 780 GOWER STREET, LOS ANGELES 38, CALIF. REG.US PAT.OFF.; BBA 1762/109–110.

649 Companions of the Left Hand (Gefährten zur linken Hand, 1945) und Beneath the Stone (Das Opfer, 1944), Romane von George Tabori. 650 William Phipps (*1922), amerikanischer Schauspieler und Filmproduzent. 651 Roberto Rossellini (1906–1977), italienischer Filmregisseur. Rod E. Geiger hatte mit ihm bereits als Produzent der Filme Roma, città aperta (Rom, offene Stadt, 1945) und Paisà (1946) zusammengearbeitet. Vgl. B. an Reyher, September 1947, GBA 29, S. 421f.

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Jacob Geis an Ruth Berlau [München] 6.8.1948 Bitte Miss Berlau von Herrn Geis folgendes bestellen: Schoenen Gruss und die Sache mit dem Auto652 wäre hier nach einer Mitteilung von Herrn Desch in Ordnung. Er hat einen neuen Wagen aufgetrieben und wird morgen selbst mit Miss Berlau telephonieren. Herr Geis hat ihm angeboten, wenn er den DREI GROSCHEN ROMAN in den Verlag bekommt, soll er das Auto herausgeben. Herr Desch möchte nun aber noch den Puntila-Vertrag; darüber hat Brecht mit Geis telephonisch gesprochen. Er sieht eine Möglichkeit, Puntila an Desch zu geben. 6. August 1948 Überlieferung: Ts, BBA 3097/5r.

Paolo Grassi653 an Bertolt Brecht Mailand, 8.8.1948 MILANO 8 AGOSTO 48 Spett. Direzione SCHAUSPIELHAUS ZUR IGO Vi saremo assai grati se vorrete dire al signor BERTOLT BRECHT che il nostro Teatro, unico teatro stabile d’Italia, avrebbe in animo di rappresentare una Sua opera l’anno prossimo. Pertanto gradiremmo leggere la recénte sua ANTIGONE, il cui copione Vi preghiamo di farci gentilmente avere, in uno con l’indirizzo attuale di Bertolt Brecht. Vi preghiamo di dire anche a Brecht che avremmo comunque piacere di averLo [sic] nostro gradito ospite a Milano. In attesa, molto cordialmente Vi salutiamo, pregandovi di risponderci con gentile sollecitudine.

652 Ruth Berlau sollte sich in Deutschland nicht nur um Verlagsangelegenheiten (vgl. Anm. zu Weiss, 24.7.1948), sondern auch um ein Auto für Brecht kümmern (vgl. Lai-tu, S. 163). 653 Paolo Grassi (1919–1980), italienischer Theaterkritiker und -regisseur. Gründer des Piccolo Teatro in Mailand (1947).

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PICCOLO TEATRO della CITTÀ di MILANO (Il Direttore) Paolo Grassi

MAILAND 8 AUGUST 48 Sehr geehrte Direktion des SCHAUSPIELHAUSES ZUER ICH Wir wären Ihnen unglaublich dankbar, wenn Sie Herrn Bertolt Brecht ausrichten könnten, daß unser Theater, das einzige feste Haus Italiens, vorhat, im kommenden Jahr eines seiner Werke aufzuführen. Daher würden wir sehr gerne sein letztes Stück ANTIGONE lesen, dessen Regiebuch. Wir bitten Sie höflich, es das zukommen zu lassen, und zwar zusammen mit der aktuellen Adresse Bertolt Brechts. Wir bitten Sie auch, Brecht auszurichten, daß wir das Vergnügen haben werden, ihn nach Mailand einzuladen. Unterdessen grüßen wir Sie sehr herzlich und bitten Sie höflichst, uns zu antworten. PICCOLO THEATER der STADT MAILAND (Der Direktor) Paolo Grassi Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: piccolo teatro della città Milano palazzo del Broletto • via Rovello 2 • telef. 82352 – 13464; BBA 1763/27.

Hans Schweikart an Bertolt Brecht München, 11.8.1948 DIREKTION Intendanz

MÜNCHEN, DEN 11.8.48

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Sehr verehrter Herr Brecht! Herr Oberbürgermeister Dr. Scharnagl654 hat die Freundlichkeit, Ihnen dieses Schreiben zu übergeben. Er wird Ihnen sicher sagen, wie sehr wir alle uns freuen würden, über die Reprise der „Dreigroschenoper“655 hinaus wieder mit Ihnen in Verbindung zu kommen. Vor allem wäre es sehr schön, wenn wir Sie hier bei uns sehen könnten, um gegebenenfalls weitere Pläne zu besprechen. Gestern war Fritz Kortner bei mir und wir würden sehr gern Ihren „Puntila“ lesen und möchten Sie fragen, ob Sie uns – vielleicht im nächsten Jahr – eine Aufführung mit Kortner erlauben würden? Was die „Dreigroschenoper“ anbetrifft, so haben die münchener Kammerspiele, wie Sie sicher wissen, seit 1946 einen Aufführungsvertrag mit dem Bloch-Verlag. Die Songs der Dreigroschenoper haben während der Diktatur eine bestimmte Bedeutung gehabt – und die jungen Leute, die sie gesungen haben, ohne das Stück zu kennen, warten nun sehr auf die Aufführung. Caspar Neher erzählte mir zuerst von Ihren Bedenken gegen eine Wiederaufnahme der Dreigroschenoper wohl in der alten Form – Bedenken, die ich nur bedingt teile. Zu meiner grossen Freude hörte ich dann aber von ihm, dass Sie sich mit einer Textrevidierung, vor allem aber mit einer Neufassung einzelner Songs beschäftigen. Wir sind mit den von Ihnen beauftragten Fräulein Berlau, Herrn Albers und Herrn Jakob Geis dahin übereingekommen, die Stellproben schon im September anzusetzen. Dann wird Herr Albers auf vier Wochen nach Hamburg gehen. Nach seiner Rückkunft werden die Proben wieder aufgenommen und die Premiere soll nicht vor Mitte Dezember sein. Von der Besetzung, die, wie ich glaube, eine besonders gute ist, kennen Sie wohl nur Frau Koppenhöfer (Frau Peachum)656 persönlich. Wenn Sie Lust haben, unserer Einladung Folge zu leisten und den Proben und der Aufführung beiwohnen zu wollen, so würden wir uns darüber sehr freuen. Sollten Sie dabei, wie mir Fräulein Berlau andeutete, noch formale Einreiseschwierigkeiten haben, so wird Sie Herr Oberbürgermeister Dr. Scharnagl sicher gern beraten. Uns liegt daran, das neugefasste Material so bald als möglich in die Hände zu bekommen. Würden Sie so freundlich sein, es Herrn Dr. Scharnagl gleich mitzugeben. Bitte grüssen Sie Ihre Frau herzlich von mir. Ob sie wohl noch weiss, dass sie in meiner ersten Theaterinszenierung (Wojzek) mitgewirkt hat?657 654 Karl Scharnagl (1881–1963), Politiker zunächst der Zentrumspartei, später der CSU. Sein Amt als Oberbürgermeister von München, das er 1945 bis 1948 erneut bekleidete, hatte er 1933 niedergelegt. 655 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948. 656 Vgl. Anm. zu Buckwitz, 21.6.1948. 657 Die Marie aus Georg Büchners Woyzeck (1836/37) hatte Helene Weigel bereits 1919 mit großem Erfolg am Neuen Theater in Frankfurt am Main unter der Regie Arthur Hellmers gespielt. In dieser Rolle trat sie nochmals 1924/25, nun unter Schweikarts Regie, am Deutschen Theater Berlin auf.

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Mit besten Grüssen und guten Wünschen Ihr Hans Schweikart Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: STÄDTISCHE BÜHNEN MÜNCHEN KAMMERSPIELE • Volkstheater INTENDANZ UND VERWALTUNG: HERRNSTRASSE 54/1 • RUFNUMMER 3 46 45 / 46 UND 36 26 01 / 02 / 03; BBA 211/49–50.

Friedrich Witz658 an Bertolt Brecht Zürich, 11.8.1948 Zürich, 11. August 1948 Dr. W/dw Rämistraße 34 Telephon 241606 Herrn Bert Brecht Feldmeilen Sehr verehrter, lieber Herr Brecht, Entschuldigen Sie vorerst, dass ich Sie so lange, allzulange, auf Bescheid habe warten lassen.659 Die Behandlung der Frage, ob wir Ihre Dramen in unsere Produktion aufnehmen sollten, war nicht leicht und stellte uns vor verschiedene Nebenfragen. Wenn wir im Verwaltungsrate zu einem ablehnenden Bescheid gelangen, dann geschieht es einzig und allein aus der Ueberlegung heraus, es müssten eigentlich Buchrechte und Bühnenrechte in einer Hand vereinigt sein. Die Erfahrungen, die wir mit den Bernard Shaw-Bänden machen, wo wir lediglich die Buchrechte besitzen, sind nicht sehr ermutigend und gestatten uns den Schluss, es begehre wohl der Theaterbesucher die Stücke von Bert Brecht zu sehen, doch sei er nicht mit gleichem Eifer entschlossen, diese Stücke auch zu lesen. Investitionen, die Immobilisierungen von Kapital gleichkommen, darf sich unser Verlag in seiner gegenwärtigen Entwicklungsepoche nicht leisten. Eine entscheidende Rolle im ganzen Fragenkomplex fällt auch dem Umstande zu, dass Sie, lieber Herr Brecht, zu jenen Autoren gehören, die berechtigterweise und ohne jede Boshaftigkeit grundsätzlich nach Deutschland hinüberblinzeln, da es ihnen nicht gleichgültig sein kann, ob und in welchen Mengen ihre Werke zur deutschen Leserschaft gelangen. Nun hat allerdings ein Export des Schweizerbuches nach Deutschland auf offiziellem Wege eingesetzt, doch vollzieht sich dieser Export auf der Basis von Kompensationsgeschäften und infolgedessen nur in kleinen Mengen, die für 658 Friedrich Witz (1894–1984), Schweizer Schriftsteller und Verleger, gründete 1943 in Zürich den Artemis-Verlag. 659 Offenbar hatte sich Brecht mit Friedrich Witz über eine Inverlagnahme bereits verständigt. Belege dafür konnten nicht ermittelt werden.

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den Autor uninteressant sind. Ein Zusammengehen jedoch mit einem deutschen Verleger empfiehlt sich nicht. Ich hatte gerade in jüngster Zeit in Deutschland sowohl wie in der Schweiz Gelegenheit, mich mit deutschen Verlegern über die vorhandenen Möglichkeiten auszusprechen, und im Verlauf dieser Gespräche zeigte sich immer wieder, wie viele Hindernisse geldlicher, behördlicher und organisatorischer Art es bei solcher Zusammenarbeit zu überwinden gilt und wie wenig erfreulich die Ergebnisse im Grunde bleiben. Ich frage mich, lieber Herr Brecht, ob nicht der Verlag von Herrn Dr. Oprecht, der seine internationalen Beziehungen bereits viel fester ausgebaut hat als wir und dessen Verlegerarme nach Amerika hinüber, nach Oesterreich und nach Deutschland greifen, in der Lage wäre, Ihre Dramen zu drucken. Wir im Artemis-Tempel fürchten uns vor dem Experiment, wie sehr wir es zu schätzen wüssten, Sie unter unsere Autoren zählen zu dürfen. Was nun die „Toten von Spoon River“ von Masters660 betrifft, welche Angelegenheit wir getrennt von allem übrigen behandeln wollen, so könnte ich Ihnen hier für die Uebersetzung der Gedichte ein Pauschalhonorar von Fr 1’000.- - zur Verfügung stellen, vorausgesetzt, dass wir die Uebersetzung bis Ostern 1949 satzreif in Händen halten. Es ist mir klar, dass das kein Riesenhonorar ist, aber ich muss darauf achten, das Buch nicht so zu belasten, dass der Ladenpreis sich später prohibitiv auswirkt. Darf ich Sie bitten, mir in den nächsten Wochen einmal mitzuteilen, ob Sie sich der Gedichte annehmen wollen und könnten und ob Sie mit meinem Honorarvorschlag einverstanden sind? Ich bitte Sie freundlichst, sehr geehrter Herr Brecht, für die Verzichtbegründung das nötige Verständnis aufzubringen und grüsse Sie in aufrichtiger Hochschätzung als Ihr ergebener Friedrich Witz Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: ARTEMIS-VERLAGS-AKTIENGESELL­SCHAFT Direktion: Dr. phil. Friedrich Witz; BBA 1764/42.

660 Edgar Lee Masters (1868–1950), amerikanischer Schriftsteller. Seine Spoon River Anthology (1915) war in einer Übersetzung von Hans Rudolf Rieder unter dem Titel Die Toten von Spoon River bereits 1924 im Deutschland-Verlag in München erschienen. Der Artemis-Verlag veröffentlichte die Anthologie 1959 in einer Neuübersetzung von Wolfgang Martin. Über das hier erwähnte Angebot Brechts, die Gedichte zu übersetzen, konnte nichts Genaueres ermittelt werden.

1766 Hanns Horak661 an Bertolt Brecht Wien, 12.8.1948 Herrn Bert B r e c h t , durch Schauspielhaus Zürich Zürich

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Wien I, 12. August 1948.

Sehr geehrter Herr Brecht! Ich führe die „Wiener Kammerspiele“ seit 3 Jahren als fortschrittliches Theater und habe u.a. „Der Mond ging unter“662; „Jacobowsky und der Oberst“663, „Dir selber treu“664 und „Die Fliegen“665 zur Aufführung gebracht. Seit 3 Jahren ist es auch mein künstlerischer Wunsch, eines Ihrer Werke, insbesondere „Die Dreigroschenoper“ zu erwerben und aufzuführen. Ich habe bis zum Jahre 1943 als Theaterleiter von 1930 an in Berlin gearbeitet und kenne Sie und Ihr Werk besser als die meisten Wiener. Ich stehe mit dem Gloriette-Verlag in Wien, der den Reiss-Verlag in Basel vertritt seit längerer Zeit in Verbindung wegen der Erwerbung der Aufführungsrechte für die „Dreigroschenoper“ und komme nicht weiter. Herr Firner, der den Wiener Verlag leitet, erzählte mir, dass Sie aus prinzipiellen Gründen die Vergebung der Aufführungsrechte für Wien vorläufig ablehnen und er versprach mir, die Angelegenheit weiterhin in meinem Sinne zu führen. Um nun aus diesem ewigen Herumgeziehe herauszukommen, wende ich mich direkt an Sie und bitte Sie um Ihre Mitteilung, ob ich die „Dreigroschenoper“ erwerben kann und welche künstlerischen Bedingungen Sie daran knüpfen. Im Hinblick auf den baldigen Beginn der nächsten Spielzeit wäre ich Ihnen für eine umgehende Antwort sehr dankbar. Mit den besten Empfehlungen Ihr ergebener Hanns Horak Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Wiener Kammerspiele Theater in der Rotenturmstrasse Direktion Hanns Horak Direktion: R 25-4-86 Kassa: R 26-4-22 Wien I. Rotenturmstrasse 20; BBA 1763/29. 661 Der Regisseur Hanns Horak, vormals Direktor der alten Komischen Oper Berlin (an der Friedrichstraße) und des Berliner Künstlertheaters, übernahm 1945 die Leitung der Wiener Kammerspiele. 662 The Moon Is Down (1942), Roman von John Steinbeck. Eine Bühnenadaption wurde an den Wiener Kammerspielen im September 1945 aufgeführt. 663 Jacobowsky und der Oberst (1942), Komödie von Franz Werfel. 664 Ob ein Stück dieses Namens 1947 an den Wiener Kammerspielen aufgeführt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Der Titel ist Shakespeares Hamlet entlehnt. In der dritten Szene des ersten Aufzugs sagt Polonius (in der Übersetzung Schlegels): „Dies über alles: sei dir selber treu“ („This above all: to thine own self be true“). 665 Les Mouches (1943), Drama von Jean-Paul Sartre.

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B.J. Buber an Bertolt Brecht Paris, 12.8.1948 Paris, le 12 août 1948 Monsieur, Je me permets de vous faire savoir qu’une excellente maison d’édition française s’intéresse à vos ouvrages. Puis-je vous demander, dans ces conditions, de m’accorder une option pour deux de vos livres paraissant convenir le mieux et de me faire parvenir les deux exemplaires de lecture nécessaires? Je vous en serais très obligé. Suivant l’habitude, ma commission est de dix pour cent des droits versés. En attendant votre prompte réponse, je vous prie de recevoir, Monsieur, l’expression de mes sentiments très distingués. B.-J. Buber Monsieur Bertold Brecht c/o Aurora-Verlag 10 West 23rd Street New York City, N.Y., U.S.A. Überlieferung: Ms, Bv.: B. J. Buber Lecteur et Agent Litteraire; 366 Bes. Rue de Vaugirard, Paris 15 ; BBA 1183/14.

Kurt Kläber an Bertolt Brecht [Carona] 12.8.1948 12. August 48. Lieber Bert, wo bleibt Dein Besuch in Carona. (Pestalozzifilm!!)666 Wir haben inzwischen unsere erste Reise als Schweizer in die Welt gemacht. Belgien, Holland, Deutschland. Ich glaube, wenn ich keinen Schweizerpass gehabt haette, haette ich in Deutschland immer geschossen. (Auf die Amis.) So habe ich mit dem Pass geschossen. Ich war in Coeln, Frankfurt, Stuttgart, München. Es war teilweise grausig. Ich hatte auch mehrere Tage die Ruinenkrankheit. Nun, Du bist wohl robuster. Lis667 ist bis Berlin vorgedrungen und hat alle alten Freunde auf ihren neuen Stuehlen (oder besser in ihren neuen Häusern und Aemtern sitzen sehen. Nicht sehr gluecklich. Mit einem ewigen Feuer unterm Hintern sitzt es sich nicht 666 Vgl. Reiss, 17.8.1945. 667 Lisa Tetzner.

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gut. Jetzt ist Erich Weinert für 14 Tage da, Anna Seghers ist im langsamen Anrollen, also setzt Dich auf die Bahn und komme auch. Wenn Du allein kommst, kann ich Dich unterbringen, sonst müsstest Du, da wo Weinert wohnt, in der Post Dein Quartier aufschlagen. 11 Franken pro Mann den Tag. Sonst gibt es nichts Neues unter der Sache, und ich behaupte weiter, dass die Erde erst ein Paradies wird, wenn wir Menschen nicht mehr darauf herumlaufen. Dir, und Helli, und dem Töchterchen alles Gute. Lis hat leider in Berlin den Arm gebrochen, eine dumme, böse Geschichte, es war ihr letztes, ganzes Glied, und sie kann nur Au! unter den Brief setzen, aber sie freut sich genau so, wenn Du oder Ihr kommt! Kurt Kläber Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 3224.

E. Job an Bertolt Brecht Basel, 18.8.1948 BASEL, DEN 18. August 1948. j. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , c/o Schauspielhaus Zürich, Zürich BETRIFFT: „Dreigroschenoper“ Sehr geehrter Herr Brecht, Wir möchten nicht verfehlen, Ihnen von nachstehenden Ausführungen unseres deutschen Subvertreters betr. Ihrer „Dreigroschenoper“ Kenntnis zu geben und Sie um Ihre Stellungnahme zu bitten: Was „die Dreigroschenoper“ betrifft, so nehmen wir den Wunsch des Herrn Brecht zur Kenntnis, keine neuen Aufführungsverträge abzuschliessen. Wir dürfen wohl voraussetzen, dass dieser Wunsch damit zusammenhängt, das Werk in einer Neufassung668 herauszubringen, die nach einer Zeitungsnotiz den Städtischen Bühnen in München zugesagt worden ist.669 Es wäre nur erwünscht, recht bald Näheres wegen dieser Neufassung zu erfahren, da sich auch für die nächste Spielzeit zahlreiche Bühnen in Deutschland für eine Aufführung der „Dreigroschenoper“ interessieren. Wir würden uns freuen, 668 Vgl. Anm. zu Reiss, 17.8.1945. 669 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948.

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Herrn Brecht bald einmal in Berlin begrüssen zu können, um auch unser Vertragsverhältnis mit ihm zu besprechen, das zumindest über den Vertrag für „Die Dreigroschenoper“ einwandfrei klar sein dürfte. Betr. „Furcht und Elend des dritten Reiches“ Von den Werken von Bert Brecht sind wir also nur bei „Furcht und Elend des dritten Reiches“ uneingeschränkt zu Abschlüssen ermächtigt. Damit dürfte klargestellt sein, dass der Aufbauverlag keine Vertriebsrechte besitzt.“ Mit den besten Empfehlungen R E I S S A.G. Die Sekretärin: E. Job. Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/47.

Curt Riess an Bertolt Brecht Schörfling, 22.8.[1948] Kammer-Schoerfling670 den 22. August. Lieber Brecht, in Eile. Ich habe eigentlich keinen Grund zur Eile ausgenommen, dass ich jetzt wirklich mal Ferien machen will, und einfach nicht arbeiten, ja, nicht mal schreiben will. Daher die Kuerze. Zu Ihrem „Fall“. Ich habe bis zu diesem Augenblick aus Berlin zwei Nachrichten. a) Ihre Angelegenheit sei in Ordnung und Sie koennten jederzeit kommen. b) Benno Frank hat Ihr Gesuch definitiv nicht weitergeleitet, kein Mensch in seiner Office oder in deren Umgegend weiss irgend was davon. (Was ich mir ja immer dachte) Zu a) ist zu bemerken. Die Verstaendigung mit Berlin von hier aus ist katastrophal. Ich konnte von meiner Sekretaerin, der Welt schlechteste[n] Telephonistin nicht erfahren, wer das gesagt hat, wo man respektive Sie sich darauf berufen koennen, also was das praktisch bedeutet. Ich schreibe Ihnen, weil ich nicht annehme, dass ich bevor ich nach Wien komme, besseren Kontakt mit Berlin haben werde. Dies ist am 27. frueh. Ich wohne im Hotel Weissen Hahn, Josefstaedtische Strasse. Bitte mir dort hin zu telegrafieren, unter welcher Nummer ich Sie Anfang der naechsten Woche, moeglichst morgens erreichen kann. 670 Schörfling am Attersee, Gemeinde in Oberösterreich. Der Brief wurde Brecht über Emil Oprecht (Europa Verlag, Zürich) zugestellt. Dessen Schreiben ist dokumentiert in BBA 1763/35.

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Also Tag, Stunde (Zuercher Zeit) Nummer. Sie sehen, ich spare weder Muehe noch (mein) Geld, um Ihre Sache in Ordnung zu bringen. Bitte mir auch am Telephon zu sagen wo Sie die erste Applikation gemacht haben, damit ich eventuell der Berliner Stelle sagen kann, wo die Erlaubnis hinzulegen ist. Am besten Stelle und Namen. Nun habe ich auch mal eine Bitte an Sie. Bitten senden Sie mir doch sogleich an den Verlag Oprecht – Europaverlag – ein paar Zeilen Kritik des Goebbels Buches.671 Das, was Sie mir sagten. Ich koennte es gut fuer Propagandazwecke brauchen. Ich nehme an, Sie haben nichts dagegen, es wuerde mir sehr nuetzlich sein, und ich wuerde es als Freundschaftsdienst betrachten. Ich habe uebrigens meinem Verleger geschrieben, dass er Ihnen ein Exemplar schicken soll. Es geht fuer Sie per Adresse Europaverlag ab, damit, falls Sie inzwischen Ihre Adresse veraendert haben, das Buch Ihnen nachgeschickt werden kann. Inzwischen herzlichst, und mit besten Gruessen an Ihre Familie Ihr Curt Riess Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 211/88.

Ilja Trauberg672 und Wolf von Gordon an Bertolt Brecht Berlin, 24.8.1948 Herrn Bert Brecht Zürich Schauspielhaus Betr.: „Ulenspiegel“ Dramaturgie Dr.v.Go./Ih.

24.8.48

Sehr geehrter Herr Brecht! Zu unserer Freude können wir Ihnen mitteilen, dass wir inzwischen Mittel und Wege gefunden haben, ein Fundament für Ihre Mitarbeit am „Ulen­spiegel“673 zu sichern. Es ist uns möglich, nach dem 1.1.1949 Ihnen den Betrag von sfr. 10.000.- - überweisen zu können. Wir schlagen nun vor, wenn Sie damit einverstanden sind, dass Sie nunmehr einen kurzen Brief schreiben und uns zusenden, aus dem wir ersehen können, wie Sie sich die Gestaltung 671 Curt Riess, Joseph Goebbels. A Biography, New York 1948. 672 Ilja Sacharowitsch Trauberg (Ilja Zacharovič Trauberg, 1905–1948), russischer Regisseur, Mitglied im Vorstand der DEFA. 673 Vgl. Anm. zu Maetzig, 23.4.1948.

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dieses Filmstoffes denken. Wir möchten unsererseits dann mit Herrn Weisenborn zusammen darüber diskutieren. Über die Form der Arbeit mit Herrn Weisenborn müssten wird dann mit Ihnen noch eine Verabredung treffen. Wir hoffen recht bald von Ihnen zu hören und sind mit den besten Grüssen, auch von Herrn Weisenborn Ihre sehr ergebene DEFA – Deutsche Film A.G. (gez. Dr. v. Gordon) (gez. Trauberg) Einschreiben Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: DEFA Deutsche Film-A-G- Babelsberg-Filmstadt Berliner Stadtbüro: Berlin SW 68 Krausenstrasse 38/39 Drahtwort Defafilm Berlin Telefon: Sammel-Nr.: 42 59 21 Postscheckkonto: Berlin Nr. 3976 Berliner Stadtkontor Konto Nr. 71353 Landeskreditbank Brandenburg Potsdam, Konto Nr. 8498; BBA 571/1.

E. Job an Bertolt Brecht Basel, 25.8.1948 BASEL, DEN 25. August 1948 j. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert B r e c h t , Feldmeilen bei Zürich Bünishoferstrasse 14 BETRIFFT: Theaterverlag Sehr geehrter Herr Brecht, Wir bestätigen bestens dankend den Empfang Ihres Schreibens vom 24. August a.c.674 Wie Ihnen bereits mitgeteilt, weilt Herr Dir. Reiss immer noch in Oesterreich und kommt erst gegen den 10. Sept. zurück. Bis zu diesem Termin muss also leider die Angelegenheit pendent bleiben, und wir bitten Sie freundlich, sich solange gedulden zu wollen. An Herrn Geise675 in München sind selbstverständlich die von Ihnen beorderten beiden Manuskripte vom „Puntila“ sofort abgeschickt worden. Beiliegend erhalten Sie wunschgemäss Ihr Originalmanuskript zurück. 674 Nicht überliefert. 675 Jacob Geis.

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Gleichzeitig übersende ich Ihnen beiliegend eine für Sie bestimmte Postkarte von Dr. Ruppel, Württ. Staatstheater, Stuttgart O. zur gefl. direkten Erledigung , indem ich Sie freundlich um Ihre Stellungnahme zu unserem Schreiben vom 23. Aug. betr. der Stadttheater G.m.b.H. Delmenhorst bei Bremen ebenfalls wegen des „Puntila“ bitte. Mit den besten Empfehlungen R E I S S A.G. Die Sekretärin: E. Job. Beilage Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 575/36.

Norbert Gelber676 an Bertolt Brecht Wien, 26.8.1948 Wien, 26. August 1948 Herrn Bert Brecht Feldmeilen Zürich Brünishoferstrasse 14 Sehr verehrter Herr Brecht! Ich nehme Gelegenheit Ihnen für den freundlichen Empfang zu danken, den Sie mir bei meiner letzten Anwesenheit in Zürich zuteil werden liessen und gestatten mir im Nachstehenden die Punkte zusammenzufassen, auf die bei einem Angebot Ihres Stückes durch mich in Frankreich in erster Linie Rücksicht zu nehmen ist. 1) Die Option läuft für drei Monate mit Möglichkeit einer Verlängerung. 2) Es wird meine Aufgabe sein Angebote von Seiten der interessierten Theatergesellschaften zu erhalten und Ihnen dieselben zu unterbreiten. 3) Sowohl bei der Uebernahme der Aufführungsrechte wie der Buchrechte wird der Käufer die Honorierung des Uebersetzers zu übernehmen haben. 4) Der Uebersetzer seinerseits ist lediglich an den Vertrag mit dem Kontrahenten – sei es Theater oder Verlag – gebunden und darf keinerlei Sonderrechte, die etwa über diese Vertragszeit hinausgehen, in Anspruch nehmen, es sei denn, dass mit

676 Norbert Gelber, Literaturagent. Die nachstehend erörterten Geschäftsbeziehungen kamen anscheinend nicht zustande.

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Ihrem ausgesprochenem Einverständnis die Uebersetzung an einen anderen Verlag oder an ein Theater bei Schliessung eines neuen Vertrages übergehen. 5) Wir haben zunächst die Aufführungs- und Buchrechte für Der gute Mensch von Sezuan in Aussicht genommen und werden eventuell zu einem späteren Zeitpunkt über die Buchrechte für andere Stücke, möglicherweise über eine Gesamtausgabe in französischer Sprache verhandeln. 6) Sie haben für mich eine Kommission von 20% erwogen, in die auf jeden Fall die etwa von der Société des Auteurs Dramatiques (Monsieur Leclair) geltend zu machende Rechte einbezogen sein müssten, d.h. die gesamte Kommission dürfte auf keinen Fall 20% von den einzukassierenden Summen überschreiten. 7) Ich werde wie angedeutet Ihre Werke zunächst bei J.L.Barrault, Jouvet, eventuell Dullin anbieten. Ich habe vorgemerkt, dass Sie als Uebersetzer Herrn Dr. Grüberg677 oder Pierre Abraham wünschen. Sie wollten die Freundlichkeit haben meiner Frau 1) ein Expose und den vollständigen Text des Theaterstückes 2) eventuell andere Bü[c]her zu geben. Meine Frau wird sich in Zürich zu Ihrer Verfügung halten, sie wird dort am 31. August und 1. und 2. September sein und ich bitte Sie sie durch Herrn Adam Friedmann oder Frau Pauline Friedmann Stüssistrasse 9e (Nummer siehe Telefonbuch) wissen zu lassen wo Sie sie in Zürich an einem dieser Tage treffen kann. Ich bin mit dem ergebensten Dank und dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr ergebener Norbert Gelber Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., Bv.: Dr Norbert Gelber Agence Littéraire Paris; 73, Rue De L’abbèGroult (XVe); BBA 589/30–31.

677 Isak Grünberg.

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Joseph Losey an Bertolt Brecht Los Angeles, 27.8.1948 August 27, 1948 Dear Brecht, Charles left last night by plane for New York. I understand that he will be in Paris by the second week in September. In spite of repeated promises, he did not call me. Elsa678 called Louise679 yesterday to get your address. Presumably Laughton and Irving Allen will arrange to meet you in Europe soon after they get there. There is no doubt in my mind that a deal can be made now for production of “Galileo” next Spring, provided it is handled right. I­­deally, I wish that Allen could arrange to bring me over for conferences because I don’t believe that Charles will take the initiative to push negotiations through, and I’m afraid that you cannot. Anyway, here’s a chance. I hope it works. Love, Joe Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Rko Radio Pictures, Inc. 780 Gower Street, Los Angeles 38, Calif. Reg. US Pat.Off. No order or agreement shall be binding on this Corporation, unless in writing and signed by an officer.; BBA 211/52.

Maria Wimmer an Bertolt Brecht Gräfelfing, 27.8.1948 Gräfelfing680, 27.8.48 Sehr verehrter Herr Brecht, inzwischen haben Sie sicher schon direkte Nachrichten von dem [sic] Schweikart erreicht und die meinen werden überholt sein. Er sagte mir, er habe Ihnen einen Besetzungsvorschlag für Puntila681 geschrieben, von dem er hoffe, dass Sie ihn gutheißen und dann nicht mehr zögern würden, ihm das Stück zu geben. Ich bin traurig, es nicht in Zürich gesehen zu haben,682 und nun lese ich auch noch in der Ankündigung, daß dort in dieser Spielzeit der Kaukasische Kreidekreis vorgesehen ist, 678 Elsa Lanchester, Frau von Charles Laughton. 679 Frau von Joseph Losey. 680 Gemeinde im Landkreis München. 681 Hans Schweikart inszenierte Herr Puntila und sein Knecht Matti in München (Premiere: 1.9.1949). 682 Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948.

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den möchte ich keinesfalls versäumen. Vielleicht kommt doch mein Judith-Gastspiel zustande, ich schrieb an Hirschfeld, daß ich meine, mich ab 10. Dezember ungefähr bis Ende Februar hier freimachen zu können, und vielleicht ist dann in dieser Zeit auch gerade Ihr Stück auf dem Spielplan. Das müßten Sie eben so einrichten. Wie weit man hier inzwischen mit der Dreigroschenoper683 kam, weiß ich nicht. Caspar Neher, der von seinem Venedig-Gastspiel kurz hier war, hatte neue Bedenken anderer Art, aber über die wird er Ihnen sicher selbst geschrieben haben. Es kam heute ein Brief von ihm, in dem er sich beklagt, von Ihnen nichts zu hören. Auch wegen „Furcht und Elend“ sprach sprach ich mit Schweikart, und daß Sie mit einer Aufführung einverstanden seien und mir gesagt hätten, daß Sie über das Stück verfügen könnten nur nicht der Verlag, dass also die Ankündigung des hiesigen Dramatischen Theaters nicht auf irgendwelchen Rechten beruhe. Er meinte dagegen, dass doch der Verlag das Stück vergeben habe und er nicht mehr daran könne. Er wolle sich aber nochmals darum kümmern (er liegt augenblicklich im Krankenhaus). Ich werde ihn wieder daran mahnen, schon aus dem Grunde, weil ich sehr gern darin spielen möchte, vor allem die jüdische Frau684 – wenn Sie damit einverstanden wären. Herrn Geis zu erreichen glückte mir einfach nicht. An Filmleute heranzukommen ist besonders schwer. Leben Sie wohl, ich hoffe sehr, Sie im Winter wiederzusehen, alles Gute für Sie, Ihre Maria Wimmer685 Überlieferung: Ms, BBA 1185/44–47.

Ernst Wies686 an Bertolt Brecht Köln, 28.8.1948 28.8.48 Herrn Bert Brecht Stadttheater Zürich Zürich Sehr verehrter Herr Brecht! Die Studenten des Instituts für Theaterwissenschaft an der Universität Köln, treten mit einer herzlichen Bitte an Sie heran. 683 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948. 684 Die jüdische Frau, Szene aus Furcht und Elend des III. Reiches. 685 Vgl. B. an Wimmer, 2.12.1948, GBA 29, S. 478. 686 Ernst W. Wies (*1922), Historiker und Publizist, damals Student in Köln.

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Köln, die einzige Un[i]versität mit einem hauptfachlichen Lehrstuhl für Theaterwissenschaft, hatte vor dem Kriege eine eigene Studiobühne. Endlich sind wir wieder so weit, dass wir wieder mit der praktischen Arbeit beginnen können, denn 6 Semester NUR-THEORIE ist für junge Menschen die sich nach dem Theater sehnen eine harte Pille. Im Oktober oder November werden wir unsere erste Premiere nach dem Kriege starten, und . . . . . . wir wollen mit Bert Brecht beginnen. Ich weiss dass Sie vorläufig noch Ihre Werke für Deutschland gesperrt haben. Mein Professor und viele meiner Kommilitonen setzten mich davon in Kenntnis. Bitte! Herr Brecht, lassen Sie mich nicht im Stich. Viele meiner Freunde und auch ich wollen nicht glauben, dass der Dichter Bert Brecht uns auf die Dauer seine Arbeit versagt. Schicken Sie uns Ihre „Antigone“ oder ein anderes Stück das Sie selber bestimmen mögen. Wir wollen dann so arbeiten und spielen, dass Sie Ihre rechte Freude haben werden. Herr Brecht! Wir sind jung und wir haben Mut und wir stehen oft sehr einsam da. Schlagen Sie wieder die Brücke nach Deutschland, und wenn Sie die Hand reichen, dann zuerst uns Jungen! Gelt, Sie werden es tun! Worte sind arm, vielleicht spüren Sie dennoch unsere Bitte und unseren Wunsch. Da am 1.8.48 die Semesterferien beginnen so schreiben Sie bitte (Wenn Sie antworten werden) an meine Heimatanschrift: Ernst Wies, Osberghausen, Oberbergischer Kreis, Brit. Zone. In froher Erwartung und mit den besten Grüssen Hochachtungsvoll! STUDIO-BÜHNE des Instituts für Theaterwissenschaft i.A. Ernst Wies. Überlieferung: Ts, hs. U., typ. Korr., Br.-bogen-Vordr.: Theatermuseum Köln Institut für Theaterwissenschaft an der Universität; BBA 1764/38.

Walter Zähner687 an Bertolt Brecht Basel, 28.8.1948 Walter Zähner Gerbergasse 45 Basel

Basel, den 28. August 1948

687 Walter Zähner (*1925), Schweizer Rechtsanwalt, damals Student in Basel. Die Sozialistische Studentengruppe, der er angehörte, bestand von 1947 bis 1951.

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Schauspielhaus Zürich Zürich Sehr geehrte Herren, ich bitte Sie höflich, die Adresse des beiliegenden Briefes zu vervollständigen und ihn an Bert Brecht weiterzuleiten. Genehmigen Sie den besten Dank für Ihre Bemühungen und die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung Walter Zähner [Anlage:] c/o Walter Zähner Gerbergasse 45 Basel

Basel, den 28. August 1948

Sehr geehrter Herr Brecht, wir erlauben uns die höfliche Anfrage, ob Sie sich grundsätzlich bereit erklären könnten, uns die grosse Ehre zu erweisen, bei uns einen Vortrag zu halten. Unsere Gruppe ist parteipolitisch nicht gebunden und setzt sich aus Sozialisten verschiedener Richtungen zusammen. Wir wären sehr froh, wenn Sie die Freundlichkeit hätten uns Ihre Stellungnahme zu unserem Vorschlag mitzuteilen und begrüssen Sie inzwischen mit vorzüglicher Hochachtung. Für die Sozialistische Studentengruppe Basel Walter Zähner Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 1185/42 (Anlage: Ts, hs. U., Bv.: Sozialistische Studentengruppe Basel; BBA 1185/43).

Paul Dessau an Bertolt Brecht Paris, 30.8.1948 64 Rue de Glaciere Paris XIII. France

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Lieber Brecht, ich moechte wissen wie es Ihnen geht. Ich bin seit etwa 4 Wochen hier. Vor 8 Monaten bot mir Langhoff eine verlockende Stellung an, die ich jetzt antreten will.688 Er war fort, und ich hoffe, dass eine positive Nachricht in der ersten resp. zweiten Septemberwoche eintreffen wird. In der Zwischenzeit wird gearbeitet. Die „Gute Mensch“ Musik689 ist sozusagen fertig: ich war mit Bentley zusammen, der einige amer. Aufführungen hat, und der die Musik mochte und sich auch einsetzte. Wenn ich jedoch dem Minnesota College schrieb, dass ich der Meinung sei, dass eine Verwirklichung der Musik auf einer ORGEL deplaciert waere, so glaubte ich, auch in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Hier entstehen ein paar „lustige“ Sachen, ueber die wir b a l d muendlich werden reden koennen, und besser. Nur soviel dass die Orchestersuite ueber die „Courage“ Musik690 waechst. Ich denke dabei besonders an Langhoff, dem das Spass machen wird. Ich freue mich enorm an ein baldiges Wiedersehen und eine Wiederaufnahme unserer Arbeit. Da ist noch einiges fertig zu machen, und es gibt auch noch neues dazu. Die Hauptmann (inzwischen zur Hauptfrau avanciert) schreibt, dass WIEN die „Courage“ machen will.691 Wissen Sie was darueber? Vielleicht koennte man meine Musik da noch forcieren (auch durch Reis[s])? Sie sollten mir, gegen Ihre sonstige Gewohnheit, ein paar Worte ueber sich schreiben. Ich hoffe, auch hier bald rauszubekommen, um an die positiven Dinge rangehen zu können. Gruss Allen um Sie. Beste, allerbeste Wuensche fuer Sie. Ihr D. 30. August 1948. [Hs.] Haben Sie die „Miserere“ Partitur?692 Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg.; BBA 1185/41.

E. Job an Bertolt Brecht Basel, 31.8.1948 BASEL, DEN 31. August 1948 j. BÄUMLEINGASSE 4 688 Wolfgang Langhoff leitete seit 1946 das Deutsche Theater Berlin. 689 Noch im kalifornischen Exil hatte Paul Dessau, teilweise in Zusammenarbeit mit Brecht, eine Musik zu Der gute Mensch von Sezuan komponiert (vgl. Anm. in GBA 6, S. 436 u. 443). 690 Vgl. Frank, 19.9.1946. 691 Vgl. Anm. zu Job, 2.8.1948. 692 Vgl. Anm. zu Hauptmann, 15.11.1947.

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Herrn Bert B r e c h t , bei Fam. Mertens, Feldmeilen bei Zürich Bünishoferstrasse BETRIFFT: Rechte für Deutschland Sehr geehrter Herr Brecht, Beiliegend geben wir Ihnen Abschrift eines Schreibens unseres deutschen Subvertreters bezüglich der Aufführung Ihrer Werke in Deutschland. Wir bitten Sie freundlich um Stellungnahme; gleichzeitig erwarten wir gerne Ihre Rückäusserung zu unseren vorhergehenden Schreiben betr. „Puntila“ für Deutschland. Inzwischen zeichnen wir mit vorzüglicher Hochachtung p. R E I S S A.G. Die Sekretärin: E. Job. Beilage [Anlage:] Aufgrund Ihrer Mitteilung, wonach Sie über die Werke von Bert Brecht auch für Deutschland verfügen, hatten wir bekanntlich Verhandlungen mit dem Staatstheater Dresden, das eine Aufführung von „Mutter Courage“ plante.693 Nach Erhalt Ihres Schreibens vom 17. Juli 1948 hatten wir der Intendanz mitgeteilt, dass eine Aufführungsgenehmigung für „Mutter Courage“ zunächst nicht erteilt werden könnte und gebeten, von dem Plan einer Aufführung des Werkes jetzt Abstand zu nehmen. Als wir jetzt in dem Fachblatt „Theaterdienst“ eine Aufführung von „Mutter Courage“ anlässlich der Eröffnung des wiederaufgebauten Dresdener Schauspielhauses am 4.9.48 angekündigt fanden, wollten wir diese nicht autorisierte Aufführung untersagen. Eine vorsorgliche Rückfrage bei dem Bühnenvertrieb des Suhrkamp-Verlages, Berlin, von dem wir wissen, dass er sich früher um die Interessen des Herrn Brecht gekümmert hat, ergab, dass der Suhrkamp-Verlag aufgrund einer anderweitigen Information bereits in Dresden protestiert hatte. Es war auch gerade die Mitteilung der Intendanz eingegangen, wonach von der geplanten Aufführung Abstand genommen worden sei, um die zu befürchtenden rechtlichen Schwierigkeiten zu vermeiden. Wir haben es daraufhin unterlassen, erneut bei dem Staatstheater Dresden vorstellig zu werden.

693 Vgl. Anlage zu Reiss, 11.6.1948.

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Uebrigens versicherte uns der Bühnenvertrieb des Suhrkamp-Verlages, dass er zum Vertrieb der Brecht’schen Werke in Deutschland berechtigt sei und beispielsweise ständig über „Furcht und Elend des dritten Reiches“, welches Werk uneingeschränkt freigegeben wäre, Abschlüsse tätige und Tantiéemen einkassiere –. Als weiteres freigegebenes Werk bezeichnete der Suhrkamp-Verlag Brecht’s „Mann ist Mann“. Wir bitten Sie wiederholt, die Rechtslage zu klären, da es natürlich ein Unding ist, wenn von verschiedenen Seiten für dieselben Werke gearbeitet wird.“ Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 575/37 (Anlage: Ts, BBA 573/73).

Caspar Neher an Bertolt Brecht [Salzburg, September 1948] Lieber Bert! Gott sei Dank. Nachricht!!!694 Hast Du Deinen Wagen?695 Ruth die Sorgende hat Alles getan um Deinen Wunsch zu erfüllen, leider war, da man immer vergißt, daß Zahnschmerzen zu dem übelsten gehört was man sich denken kann, nicht vernünftig genug, wir verbrachten den ganzen Tag in der Stadt. Hoffentlich kam Ruth nach dem Erlebten wohlbehalten in Zürich an. Nun zum anderen: Wann kommst Du? Fahre mit dem Wagen hierher das unterstellen ist hier wohl billiger Du kannst mit dem Zug weiterfahren über Prag von hier am raschesten. Weiterhin kannst Du bei Gottfried696 wohnen. Auf dem Mönchsberg – Es ist wichtig daß wir uns sehen. Meine Pläne sind durch das lange Warten etwas ins Wackeln geraten. Sodaß ich, da ich nicht mehr wusste, wann wie und wer in Zürich im November abschloss. Hoffentlich habe ich meine Papiere bis dahin. Über Wien im besonderen/das Theaterleben im allgemeinen viel zu sprechen. Die Festspielsitzung ist im Oktober – Bis dahin hoffe ich, daß Du da bist. Hilbert wollte Dich sprechen in Wien fragt wo Du bist. Was ist nötig? Deiner Einreise wegen von amtlichen Papieren? Wichtig bitte, da ich schon lange dies in Bern in die Wege geleitet habe.

694 Bezieht sich vermutlich auf den Brief an Caspar Neher vom September 1948 (GBA 29, S. 469f.). Brecht fuhr am 17.10.1948 nach Salzburg und von dort zwei Tage später weiter nach Prag. 695 Vgl. Anm. zu Geis, 6.8.1948. 696 Gottfried von Einem.

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Nächste Woche (also buse Sep) versuche ich nach München zu kommen um dort die 3 Groschenoper697 zu machen – würde wenigstens Geiss698 Regie führen aber dies ist leider nicht der Fall Hörmann, den Du ja kennst gab ich Deine Adresse. Ich traf ihn in abgerissener Eleganz vom Bahnhof in München – Deine seltenen Briefe lösen, wie Du siehst direkt eine Schreibwut aus Immer Dein alter C Hast Du wegen Maria Wimmer etwas unternehmen können. Ich kann mir vorstellen, daß der Sommer nicht ganz schön ist in Zürich – aber besser als in Deutschland vielleicht. Kasack schrieb. ________________________________________ Österreichische Gesandtschaft Bern. Liegt seit Juni Deine Einreise. alte Telegramme von Juni bitte dort vorlegen. Hilbert Überlieferung: Ms, BBA 211/86–87.

Rosita Daglio an Bertolt Brecht Ostin am Tegernsee, 2.9.1948 Lieber Herr Brecht. Wie habe ich mich über Ihre Grüße durch Jan Schlubach699 der mir gestern schrieb gefreut. – Sie haben mir in der langen Zeit, durch Ihre Lehren und die von Ihnen empfohlenen Werke Claudels u. Augustinus700 sehr geholfen u. denke ich Ihnen [sic]. – Denke oft an das Hofbräuh [sic] in Augsburg u. Ihren Satz „alles veränderliche ist gut.“ – Hoffentlich verändert sich die Lage u. Sie können recht bald bei uns sein. Schweikart u. Lipp701 u. viele alte Freunde erwarten Sie.

697 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948. 698 Jacob Geis. 699 Jan Schlubach (1920–2006), niederländischer Szenenbildner. 700 Augustinus von Hippo (354–430), christlicher Theologe und Philosoph. 701 Entzifferung unsicher.

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Ihnen alles Gute Ihre Rosita Daglio Sie würden mich durch eine […] sehr froh machen. 2. Sept. 48 Überlieferung: Ms, Bv.: Rosita Daglio Ostin Post Gmund am Tegernsee; BBA 1185/37–38.

Hans Curjel an Bertolt Brecht Zürich, 3.9.1948 Herrn Bert Brecht Gärtnerei Mertens Feldmeilen Zch den 3. Sept. 48 Lieber Herr Brecht, rufen Sie mich doch bitte so bald wie möglich an; ich habe Ihnen von Salzburg, von wo ich gestern zurückkam, allerhand zu berichten. Mit herzlichem Gruß allerseits Ihr Curjel Überlieferung: Ms (Postkarte: Theater und Tournee-Genossenschaft Zürich Alfred Escherstrasse 1 9 Tel 27 57 67 [hs.] Steinwiesstr. 18 Tel. 32 32 42); BBA 1185/39–40.

Herbert Ihering an Bertolt Brecht Berlin, 4.9.1948 Herbert Ihering

Berlin=Zehlendorf, den 4. 9. 48 Am Fischtal 61 Herrn Bert Brecht Feldmeilen-Herrliberg b. Zürich Bühnishofer Str. 14

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Lieber Brecht, Endlich bekam ich die erste Seite Ihres Briefes702 nachgeschickt. Ich habe inzwischen in Ihrer Angelegenheit703 verschiedenes unternommen. Sicher ist es am günstigsten, wenn Sie dem früheren geschäftlichen Mitarbeiter Piscators schreiben, dessen Adresse ist: Prag XIII., Pevnostni 22. Er war neulich in Berlin, ich habe ihn wiederholt gesprochen. Ich hoffe, Ihnen auch in den nächsten Tagen schon über Hin- und Rückreisemöglichkeiten Näheres schreiben zu können. Dies nur vorläufig. Mir wird gesagt, dass Sie ohne Schwierigkeiten an meine obige Privatadresse Ihre Stücke schicken können. Ich erwarte sie dringend und hoffe sehr, Sie selbst bald wiederzusehen. Herzliche Grüsse auch an Helene Weigel von meiner Frau und Kaspar. Auf Wiedersehen! Ihr Herbert Ihering Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 211/53.

Jacob Geis an Ruth Berlau München, 6.9.1948 + 34557 MUENCHEN /1 315 20/18 6 0850 ruth berlau dofourstr 32 zuerich schweiz = erbitte dringend neufassung dreigroschenoper fuer albers704 = gruss jacob geis neue deutsche filmgesellschaft Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 211/54.

Werner Prasuhn an Bertolt Brecht Paris, 8.9.1948 Paris le 8 sept. 48

702 Nicht überliefert. Vgl. Ihering, 27.7.1948. 703 Brecht reiste Mitte Oktober 1948 über Salzburg und Prag nach Berlin. 704 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948.

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Lieber Herr Brecht Vielen Dank für „Mann ist Mann“.705 Ich habe sofort angefangen es zu lesen und werde später darauf zurückkommen. Der erste Eindruck ist ausgezeichnet. Ich schreibe Ihnen heute, um Sie zu bitten, mir doch, wenn möglich, „Die Ausnahme und die Regel“ zu schicken, denn Jean Marchat706, der Direktor des théâtre des Mathurins möchte es ganz dringend lesen. Er braucht nämlich ein Stück von ungefähr einstündiger Dauer und die Inhaltsangabe und Ihr Name genügten, ihn sehr dafür zu interessieren. Da das Stück zusammen mit einem Stück von Jean Genet707 herauskommen soll und zwar gleich nach der jetzigen Aufführung von „Montserrat“708, dessen Dauer man natürlich nicht voraussehen kann, ist die Sache ziemlich eilig. Schliesslich muss ja auch die Übersetzung gemacht werden. Das théâtre des Mathurins ist eines der besten Theater in Paris (früher Théâtre Pitoeff 709), technisch anständige Bühne, gute Besetzungsmöglichkeiten etc. Ich wäre Ihnen also sehr dankbar, wenn Sie mir das Stück schnellstens schicken könnten. (Es könnte ja auch etwas anderes sein von einstündiger Dauer). Ich glaube, es wäre sehr interessant, wenn die Sache zu machen wäre. Nehmen Sie mir es aber bitte nicht übel, wenn ich sie so hetze. Es ist nur sagen wir mal, begeisterter Eifer. Was „Mann ist Mann“ oder „Mahagonny“ angeht so warte ich auf die Rückkehr meines Freundes Pigant710, der in Nizza einen Film dreht und nächste Woche nach Paris kommt. Wir werden dann zusammen die Angelegenheit besprechen. Viele Grüsse Ihr Werner Prasuhn Claude VERNIER 220, Bd. ST. Germain Paris VIIème

Wie ist es mit dem Dreigroschenroman?

Überlieferung: Ms, BBA 3152.

705 Eine entsprechende Korrespondenz ist nicht überliefert. 706 Jean Marchat (1902–1966), französischer Schauspieler und Regisseur. 707 Jean Genet (1910–1986), französischer Schriftsteller. 708 Montserrat (1948), Drama von Emmanuel Roblès. 709 Der französische Schauspieler und Regisseur Georges Pitoëff (1884–1939) leitete das Théâtre des Mathurins in den 1930er Jahren. 710 Entzifferung unsicher.

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Jacob Geis an Ruth Berlau München, 9.9.1948 + 34898 MUENCHEN /1 596 26/25 9 0938= ruth berlau dufourstr 32 zuerich schweiz = „dreigroschenoper“ und „mann ist mann“ wird abgeschrieben kommt ungefaehr neuzehnten zuerich an gruss = jacob geis neue deutsche filmges+ Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 211/55.

Marieluise Fleisser711 an Bertolt Brecht Ingolstadt, 11.9.1948 Marieluise Fleisser 13 b Ingolstadt Roseneckstrasse 4/I

den 11.9.1948

Herrn Bert Brecht durch Kammerspiele im Schauspielhaus München Herrnstraße Lieber Brecht, ich vermute, dass Sie zur Zeit in München sind, und würde mich sehr freuen, Sie bei dieser Gelegenheit zu sehn. Wenn es Ihnen recht ist, schreiben Sie mir, bitte, auf beigefügter Postkarte, wann und wo ich Sie erreichen kann, ich werde dann nach München fahren.712 Ich hoffe, dass diese Nachricht Sie erreicht. Mit guten Grüssen an Heli und Sie Ihre Überlieferung: Ts, Stadtarchiv Ingolstadt. – Dv: Kopie, BBA Z6/36. – E: Marieluise Fleißer, Briefwechsel 1925–1974, hrsg. v. Günther Rühle, Frankfurt/M. 2001, S. 308.

711 Marieluise Fleißer (1901–1974), Schriftstellerin, war in den 1920er Jahren mit Brecht befreundet. 712 Vgl. B. an Fleißner, Sept. 1948, GBA 29, S. 468.

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Richard Weiss an Ruth Berlau Berlin, 11.9.1948 11. September 1948

RW/Wo.

Einschreiben – Eilboten! Frau Ruth B e r l a u , Zürich (Schweiz) Dufourstrasse 32 Sehr geehrte Mss. Berlau! Um den Fortgang ihrer Verlagswerke713 zu fördern, müssen wir Sie d r i n g e n d s t b i t t e n , umgehend nach Berlin zu kommen. Es hat sich herausgestellt, dass Ihre Foto-Unterlagen vollständig unzureichend sind und jegliche Erklärung vermissen lassen. Um nunmehr die Herausgabe Ihrer Bücher noch vor Weihnachten zu ermöglichen, ist Ihre Anwesenheit und Ihre Mithilfe in Berlin unerlässlich. Wir wissen, dass eine Reise von Zürich nach Berlin keine großen Annehmlichkeiten bietet. Trotzdem ersuchen wir Sie in Ihrem eigenen Interesse, die Schwierigkeiten einer Reise auf sich zu nehmen, und zu versuchen, umgehend nach hier zu gelangen. Unser Verlag ist von der Amerikanischen Militärregierung lizenziert und ich glaube, dass die in Frage kommenden Dienststellen, insbesondere die Information-Service-Branch – die die Herausgabe Ihrer Werke fördert – alles tun wird, um Ihnen die erforderliche Reisegenehmigung zu verschaffen. Gegebenenfalls bitten wir Sie, sich mit den Amerikanischen Dienststellen dieserhalb in Verbindung zu setzen. Der Druck Ihrer beiden Bücher714 musste angehalten werden, denn die sich ergebenden Schwierigkeiten lassen sich auf schriftlichem Wege nicht beheben und sie müssten Ihre Dispositionen auf jeden Fall an Ort und Stelle treffen. Sollte das nicht der Fall sein, müssten wir jegliche Verantwortung dafür ablehnen. Wir hoffen also, Sie recht bald in Berlin begrüßen zu können und zeichnen mit vorzüglicher Hochachtung! GEBR. WEISS - VERLAG Berlin R. Weiss 713 Das von Berlau redigierte Antigonemodell 1948, das 1949 im Gebrüder Weiss Verlag in Berlin erschien. 714 Vgl. Weiss, 30.4.1948.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Br.-bogen-Vordr.: Gebrüder Weiss-Verlag Berlin Berlin SW 68, Kochstrasse 45, Scherlhaus Lizenz US B-212 Fernsprecher 66 27 87 Postscheckkonto Berlin 130120, Bankkonto Berliner Bezirksbank Moritzplatz; BBA 1/20.

Paul Dessau an Bertolt Brecht Florenz, 13.9.1948 Brecht bei Mertens Bünishoferstr. 14 Feldmeilen bei Zürich Arrivons 13.12. lunedi [sic]715 Dessau Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 211/56.

Eric Bentley an Bertolt Brecht Paris, 14.9.1948 THEATRE ARTS 130 West 56 St. New York 19, N.Y. September 14, 1948 Mr. Eric Bentley, Sunda Trading Co., 11, Rue Tronchet, Paris 8e, France. Dear Mr. Bentley: Mr. Jack Weiser716 saw your play “The Caucasian Chalk Circle” performed at the Hedgerow Theatre and would like to buy it for Broadway.717 Please advice me, who is representing this play. 715 Bezieht sich auf Dessaus Ankunft in Berlin. 716 Jack Weiser, amerikanischer Theaterproduzent. 717 Nach der Uraufführung am 4.5.1948 in Northfield, Minnesota, war Der kaukasische Kreidekreis (in einer Übersetzung von Eric und Maja Bentley) an mehreren amerikanischen Colleges und auch am Hedgerow Theatre (vgl. Anm. zu Wood, 11.6.1948) gespielt worden. Eine Aufführung am Broadway kam nicht zustande.

1788 Kind regards,

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Very sincerely Alexander S. Ince718

[Hs. Erg. von Bentley:] I’ve written them to contact Audrey Wood & Reyher E .B. Dear Brecht: YOU’ll be as pleased as I am to note that the reviews of CIRCLE are the best that any Brecht production has ever received in America. I feel enormously encouraged and even inclined to go over more into actual theatre work and direct other play of yours. I am not yet very “experienced” but I think I can produce what you want on the stage better than others you’d be likely to be stuck with on Broadway. Well, maybe you’ll have to stop thinking of me as your “scholar” and start thinking of me as your “director” – what about it? Many thanks for the instructive and enjoyable hours we had together in Zurich. I’d like to know your Berlin plans as soon as possible, since my own plans have to be made at once, and I w[oul]d like to be in on one of your productions in Germany. Yrs EB Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Erg. von Eric Bentley; BBA 3057.

Elisabeth Hauptmann an Bertolt Brecht [Los Angeles] 22.9.1948 22. Sept. 48 Lieber Brecht, Ihr kleiner gewichtiger Brief 719 war sehr aufmunternd. Ich muss entweder am 15. Okt. oder am 5. Nov. fahren, die Schiffe haben die billigste Akkomodation. Aber vorher muss ich noch einige Tage in St. L.720 sein, wo ich einen alten Koffer von mir aufzwicken muss, dann ein paar Tage in NY, das heisst, dass ich hier in Calihintria (Sie wissen, woher das stammt) nicht mehr allzu lange sein kann. Meine Zahnschmerzen sind weg, aber nicht ganz die

718 Alexander S. Ince, amerikanischer Verleger, Herausgeber der Zeitschrift Theatre Arts. 719 Vgl. B. an Hauptmann, Sept. 1948, GBA 29, S. 467f.; dazu auch den Brief vom Sommer 1948, ebd., S. 463f. 720 St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Elisabeth Hauptmann hatte dort in den 1930er Jahren gelebt.

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Gelenkschmerzen, die ich damit in Zusammenhang brachte. Über P.721 habe ich Dess722 ausführlich geschrieben. Ihr direkter Brief fiel auf guten Boden; diese Tage sind besonders mies. Es ist jetzt Gottseidank alles gekracht – aber dies muss unter uns bleiben wegen publicity – und es wird jetzt „aufgegeben“. Ich hoffe, dass P. Ihnen selber morgen schreibt. Dreigroschenoper mit Albers723 wäre grossartig, des Geldes wegen. Aber es müsste ja auch etwas Neues geschehen. Mergs724 Verwandte (Hardenbergstr.) bestehen nur noch in einer Melitta Merg, so viel ich weiss; Schwester oder Kusine von ihm. Er, von der Hardenbergstr., Frau u. Sohn sind tot. Der Melitta habe ich mal Paket geschickt, ihre Briefe klangen sehr faul. Wer sind die „bestimmten Leute“? Wenn es sich um meine Sachen handelt, warum sind die damals nicht mit den andern Sachen – Schrankkoffer, Bett usw. – nach Dänemark gegangen? Und wenn es meine Sachen waren, dann war es meine gesamte Bett- und Tischwäsche, fast alles Leinen, noch von meiner Urgrossmutter her und eigene, usw. Dazu die eiserne Truhe und mein ganzes Silber. Aber was haben die Verwandten für ein Interesse – Pakete? – Anschmiererei? (Die Adresse der Melitta M. war Charlottenburg, Kaiserin Augusta Allee 56). Natürlich wäre es grossartig, wenn man die Sachen bekäme, aber wo? Wie? Vielleicht hat da plötzlich irgendwo eine Angst eingesetzt. Könnte Helli aber die Sache weiterverfolgen? Bis ich da bin? Lieber Brecht, ich habe mich über den kleinen Brief wirklich sehr gefreut. Und hoffentlich wird aus allen Plänen etwas. Herzlichste Grüsse, auch an Helli u. Barbara Bess Überlieferung: Ts, hs. U., hs. Korr., hs. Us.; BBA 3117.

Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 24.9.1948 BASEL, DEN 24. September 1948 R/j BÄUMLEINGASSE 4

721 Vermutlich Peter Lorre. 722 Paul Dessau. 723 Vgl. Buckwitz, 21.6.1948. 724 Offenbar ehemalige Nachbarn Brechts aus der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg. Er selbst sprach von den „Merkers“ (GBA 29, S. 468).

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Herrn Bert B r e c h t , Bünishoferstrasse 14, Feldmeilen bei Zürich BETRIFFT: Theaterverlag Lieber Herr Brecht, Besten Dank für Ihre Karte vom 23. September a.c.725 Ein englisches Manuskript vom „Galileo“ ist wunschgemäss heute an Herrn Jacob G e i s , Neue Deutsche Filmgesellschaft, München, abgegangen. Wegen der anderen Sache kann ich Ihnen heute noch keinen Bericht geben, da es mir erst am Montag nachmittag möglich ist, unseren Verwaltungsrat, dem ich die Angelegenheit unterbreiten muss, zu sprechen. Nächsten Dienstag werden Sie von mir Bescheid bekommen. Die Verhandlungen betr. Placierung Ihrer Werke in der Tschechoslovakei sind durch den dortigen Regierungsumsturz726 sehr ins Stocken geraten. „Simone Marchard“: Wegen diesem Stück ist durch das Syndikat727 mit dem Nationaltheater verhandelt und die Bedingungen festgelegt worden. Vertrag konnten wir wegen der obengenannten Umstände noch nicht erhalten. Für „Mutter Courage und ihre Kinder“ interessierte sich das Theater des 5. Mai (Cinohra Pateho Kvetna728) welches in Frau Beniskova729 eine ausgezeichnete Besetzung für die Rolle der „Mutter Courage“ hätte. Dir. Jiri Jahn730 verlangt das Manuskript, welches ihm im Oktober 1947 durch das Syndikat ausgehändigt wurde. Für die „Dreigroschenoper“ ist eine Vollmacht für das Inkasso der Tantiéemen und des Vorschusses erteilt worden. Auf unsere diesbezüglichen Monierungen erhalten wir keine Antwort. Im November 1947 machten wir das Syndikat auf „Rundköpfe und Spitzköpfe“ aufmerksam. Manuskript haben wir leider nicht zustellen können. Am 20. April 1948 sandten wir dem Syndikat Prag das englische Manuskript vom „Galileo“ zur Unterbreitung bei den Theatern.

725 Nicht überliefert. 726 Vgl. Anm. zu Lotar, 17.3.1948. 727 Der tschechische Schriftstellerverband. 728 Tschechische Schreibweise: Činohra patéhó května. 729 Otylie Beníšková (1882–1967), tschechische Schauspielerin. 730 Jiří Jahn (1917–?), tschechischer Regisseur und Drehbuchautor, arbeite später für die DEFA.

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Am 28. April 1947 machten wir das Syndikat aufmerksam auf „Schwejk“ und sandten ihm am 5. Juni das Manuskript. Ich hoffe gerne, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben und begrüsse Sie mit den besten Empfehlungen Kurt Reiss Überlieferung: Ts, hs. U., Br.-bogen-Vordr.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 1800/44–45.

Harry Buckwitz an Bertolt Brecht [München] 29.9.1948 Verehrter Herr Brecht! Seit langem brennt es mir auf dem Gewissen, Ihnen für die vielseitige Hilfe zu danken, die Sie uns durch die Überlassung der „Dreigroschenoper“ und des „Puntila“ schenkten.731 Als entschuldigender Grund meines langen Zögerns mag Ihnen der Umstand gelten, daß Schweikart seit vielen Monaten mit einer hartnäckigen Knieverletzung im Krankenhaus liegt und dadurch der umfangreiche Betrieb zweier Theater mir allein anvertraut ist. Dazu kommt, daß sich die Währungsreform732 auf die Theater leider sehr negativ und auf den Übermut der Ämter sehr hypertrophisch auswirkte, und deshalb eine solche Theaterführung heute mehr denn je elastische Sehnen im Umstellen auf immer neue Situationen und beharrlichen Trotz im Widerstand gegen das Hochwasser reaktionärer Kameralisten erfordert. Man muß entschlossen sein, sich bis zur Preisgabe seiner Stellung zu exponieren, dann allein kann man hoffen, als homme terrible von den verbindlichen demokratischen Umgangsformen dispensiert zu werden. So stolz das klerikale München auf den schwarzen Saft seines Kulturkreislaufes ist, so stolz sind wir auf die Wirkungskraft unseres Antitoxins, das paralysierend wirkt und vielen Infizierten wieder ihren gesunden Menschenverstand zurückgibt. Es gibt heute kein staatliches oder städtisches Theater in den Westzonen, das innerhalb eines halben Jahres gleich zwei Brecht-Aufführungen sanktioniert erhalten würde und wir wollen es nicht nur dem avantgardistischen Kampfgeist der Kammerspiele, sondern auch der Unerschrockenheit einiger kameralistischer Außenseiter zuschreiben, daß dieses Phänomen geglückt ist. Da nun beide Aufführungen genau terminiert sind, wäre es von nicht abzuschätzendem Wert, wenn Sie, verehrter Herr Brecht, bei den Stellproben zugegen wären, um einiges Grundsätzliche noch zu erörtern, über das sich nur schwer schreiben läßt. Aus diesem 731 Vgl. Anm. zu Buckwitz, 21.6.1948. 732 Vgl. Anm. zu Geis, 6.6.1948.

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Grund habe ich heute nochmals bei Mr. Hahn von der Militärregierung ein dringendes Gesuch eingereicht, Ihnen eine sofortige Einreisegenehmigung in die amerikanische Zone zu erwirken. Er versprach, alles zu tun, was in seinen Kräften steht. Engel wird am 11. und 12. Oktober den „Puntila“ stellen und Anfang November mit der Aufführung herauskommen. Wir glauben mit ihm, daß er in Paul Dahlke und Hans Christian Blech733 zwei sehr entsprechende Träger der Hauptrollen besitzt und daß bei der Differenziertheit dieser Darsteller nicht nur der griffige, entsprechende Stoff des Stückes, sondern auch sein meinungsdichtes Futter sichtbar werden wird. Die Dosierung dieses Stückes ist schlechthin genial und mir schlug bei der Lektüre das Herz vor Begeisterung doppelt schnell. Meine Inszenierung der „Dreigroschenoper“ hat sich ein wenig verschoben und ich werde mit den Bühnenproben erst unmittelbar nach Weihnachten beginnen können, da nach „Puntila“ erst noch „Die Brüder Allemann“734 von Jacob Geis und „Weh dem, der lügt“ in der Inszenierung von Schweikart herauskommen soll. Die Dreigroschenoper-Premiere ist auf die ersten Tage des Februar festgelegt. Albers ist mir für den ‚Mackie Messer‘ im Wort und ich werde am 17. Oktober zu ihm nach Hamburg reisen (er gastiert dort mit „Liliom“735), um mit ihm den genauen Text und die Situationen zu fixieren. Da jedoch bei Albers bis zum letzten Moment mit unvorhersehbaren Ausbruchsversuchen zu rechnen ist, würden Sie mir, verehrter Herr Brecht, einen großen Dienst erweisen, wenn Sie oder Frau Berlau mit ein paar Zeilen an ihn Ihre Freude darüber ausdrücken wollten, daß es zwischen ihm und den Kammerspielen zum Abschluß gekommen ist. Die psychologische Rückwirkung solcher Zeilen kommt einem vertraglichen Doppelknoten gleich. Die Adresse von Albers ist: Hamburg – An der Alster – Hotelpension Prem. Wie sehr drängt es mich, mit Ihnen über die Einblendung der neuen Songs in die alte Fassung zu sprechen! So großartig z.B. der neue „Kanonensong“736 ist, so sehr befürchte ich doch, daß die durch nichts vorbereitete „Aktualität“ den Zuschauer so abrupt anspringt, daß er konsterniert automatische Abwehrstellung einnimmt. Wenn hingegen an den Urtext des Kanonensongs die neuen Strophen sozusagen als aktuelle Zugabe angehängt werden (Mackie und Tigerbrown müßten dazu ostentativ an die Rampe treten und gleichsam aus der Zeitgebundenheit des Stückes aussteigen), dann scheint mir der von uns erwünschte Effekt eher erreicht werden zu können. 733 Hans Christian Blech (1915–1993), Schauspieler, war seit 1947 an den Münchner Kammerspielen engagiert. Er spielte dort in einer von Brecht selbst inszenierten Aufführung der Mutter Courage im Oktober 1950 den Eilif. Die Rolle des Puntila in Schweikarts Inszenierung übernahm allerdings nicht Paul Dahlke, sondern Adolf Gondrell. Den Matti spielte Blech. 734 Die Brüder Allemann. Ein Zeitstück in fünf Akten (1948) von Jacob Geis. 735 Vgl. Anm. zu Geis, 6.6.1948. 736 Die Neufassung bezieht sich auf Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegszeit. Vgl. GBA 2, S. 310f.

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Wie herrlich ist der Satz von der „unerträglichen Vermehrung der Beamten“737, oder die Szene des „Individuums“738, in der Ihre Stichflamme die ganze schöne Pressefreiheit versengt! Und wenn unsere Aufführung der Dreigroschenoper mit der Drohung gegen die „Vergessenden“ und „Verzeihenden“ schließen wird, dann scheint mir diesem unvergänglichen Werk ein überhöhter, aber seiner Urtendenz adäquater Sinn gegeben worden zu sein. Verehrter Herr Brecht, Sie haben durch uns Ihre Augsburger Papiere und jene finanziellen Deckungen erhalten, die Sie wünschten. Dies ist alles, was ich für Sie tun konnte. Alles weitere liegt bei den Amerikanern. Nun lassen Sie uns hoffen, daß diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, und wir Sie hier in den nächsten Wochen persönlich begrüßen können. Bis dahin bin ich in Dankbarkeit und Verehrung Ihr ergebener Harry Buckwitz Überlieferung: Ts, hs. U., AdK: Harry Buckwitz Archiv 881. – E: Harry Buckwitz: Schauspieler, Regisseur, Intendant. 1904–1987, hrsg. von der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin 1998, S. 141ff.

Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 30.9.1948 BASEL, DEN 30. September 1948 BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert Brecht bei Mertens Feldmeilen b/ Zürich. Bünishoferstr. 14 BETRIFFT: Buchhaltung/DB. Sehr geehrter Herr Brecht, Wir senden Ihnen in der Beilage wunschgemäss einen Kontoauszug per 30. September a.c. sowie diverse Einzelabrechnungen. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass die Firma Felix Bloch Erben Ansprüche erhebt hinsichtlich der holländischen Guthaben „Dreigroschenoper“ und wir bitten Sie um

737 Brecht hatte außerdem auch einige Szenen der Dreigroschenoper neu entworfen. Vgl. GBA 2, S. 315– 322, hier S. 319. 738 Ebd., S. 320–322.

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Ihre Stellungnahme. Unsere diesbezügliche Abrechnung resp. Gutschrift an Sie erfolgt unter diesem Vorbehalt. Mit vorzüglicher Hochachtung per R E I S S A.-G. Abt. Buchhaltung: […] Beilage: 1 Kontoauszug 6 Abrechnungen BASEL, DEN 30. September 1948. BÄUMLEINGASSE 4 Herrn Bert Brecht bei Mertens Feldmeilen b/ Zürich. Bünishoferstr. 14 BETRIFFT: Buchhaltung/DB. Kontoauszug per 30. September 1948 A. Konto/Aufführungen Schweiz Diese Beträge resp. der Saldo steht Ihnen gemäss den Bestimmungen der Schweizerischen Verrechnungsstelle zur freien Verfügung in der Schweiz. Datum: Text: Soll: Sfrs. 1948 Jan. 31. Saldo gemäss Kontoauszug Febr. 4. u/Zahl. an H. Brecht f. Fahrt Nach Zürich 50.-- do. 14. u/Zahl. à-conto Tantièmen 1,000.-- do. 23. u/Zahl. 6,197.48 März 22. Kommission & Geb. SVST 12.50 Juni 16. u/Zahl. à-conto “Puntila” 500.-- Sept. 30. Abrechnung No. 506 do. 30. Nachtragsbelastung f. 1 Liebes- gabenpaket 10.12.1947 25.--

Haben: Sfrs. 7,252.48

2,047.20

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do. 30. Abrechnung No. 500 119.09 do. 30. Saldo zu Ihren Gunsten 1,633.79 9,418.77 9,418.77 B. Konto/Aufführungen Ausland Diese Beträge resp. der Saldo muss gemäss Anweisungen der Schweizerischen Verrechnungsstelle nach den U.S.A. überwiesen werden (Siehe u/Schreiben vom 1.10.1948) Text: Soll: Haben: Datum: Sfrs. Sfrs. Saldo gemäss Kontoauszug 31.1.48 1,518.86 Jan. 31. Abrechnung No. 505 2,951.39 Juni 30. do. No. 511 240.-do. 30. Saldo zu Ihren Gunsten Sept. 30. 4,710.25* 4,710.25 4,710.25 * Von diesem Salo muss der noch zu berechnende Anteil Weill an den holländischen Beträgen „Dreigroschenoper“ bei der diesbezüglichen Schlussabrechnung abgezogen werden. Mit vorzüglicher Hochachtung per REISS A.-G. Abt. Buchhaltung: […] Überlieferung: Ts, hs. U. (unleserlich), Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel; BBA 845/30–31.

Kurt Desch an Bertolt Brecht München, 1.10.1948 Herrn Bertolt Brecht Feldmeilen bei Zürich Bünishoferstr. 14

1. Oktober 1948 I/K

Sehr verehrter Herr Bertolt Brecht! Gestern besuchte mich Herr Geis und brachte mir die Nachrichten, die Sie an ihn geschickt haben. Ich gehe punktweise vor:

1796 1.

2.

3.

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Auto-Kauf In der Anlage erhalten Sie den Bestellschein auf einen Mercedes Ford-Wagen, den wir für Sie bestellt haben. Wenn Cabriolets nicht hergestellt werden, dann müssten Sie sich mit einer Limousine zufrieden geben. Die Vertretung hat uns zugesichert, dass sie uns vorzugsweise beliefern will. Sie kann aber einen endgültigen Liefertermin noch nicht sagen. Zwischenzeitlich suchen wir weiter nach einem gebrauchten Wagen. Wenn wir den bekommen, stellen wir ihn Ihnen zur Verfügung. Wenn dann der neue Mercedes geliefert wird, bekommen wir den alten Wagen von Ihnen zurück. Vertrag „PUNTILA“ Ich danke für die Überweisung des Vertrages und füge in der Anlage das zweite Exemplar mit meiner Unterschrift bei. Damit können wir nun den Vertrieb dieses Stückes739 beginnen, wobei wir uns selbstverständlich an die vertraglichen Abmachungen genauestens halten werden. Herr Geis hat die Uraufführung für „PUNTILA“ mit den Städtischen Bühnen in München abgeschlossen. Die Uraufführung soll am 16. November stattfinden. Die Inszenierung besorgt Engel. Herr Geis hat von den Städtischen Bühnen einen Tantiemen-Vorschuss in Höhe von DM 2.500.-- kassiert. Hiervon bringen wir den Vorschuss, den wir Frau Berlau gezahlt haben, in Höhe von DM 1.736.-- in Abzug, so dass bei Herrn Geis der Restbetrag von DM 764.-- zu Ihrer Verfügung steht. Diesen Vorschuss werden wir dann verrechnen, sobald die ersten Tantiemen-Abrechnungen des Theaters bei uns einlaufen. Herr Geis hat uns noch mitgeteilt, dass wir weitere Verträge mit anderen Bühnen vorläufig nicht abschliessen sollen. Wir sollen erst die Uraufführung in München740 abwarten, um dann zu überlegen, mit welchen Bühnen der Vertrag für „PUNTILA“ noch abgeschlossen werden kann. Sollten Sie jedoch der Meinung sein, dass wir mit den guten Bühnen in Deutschland schon vorher vertragliche Abmachungen abschliessen können, wenn die Besetzungs- und Regiefrage hervorragend geregelt werden kann, dann bitte ich um Ihren Bescheid. Eine Abschrift der Bestätigung des Herrn Geis über den Erhalt der DM 2.500.-- von den Städtischen Bühnen finden Sie in der Anlage. DREIGROSCHENROMAN Wie mir Herr Geis mitteilte, machen Sie den Vertrag für den „Dreigroschenroman“741 von der Übersendung der Bestätigung des Auto-Kaufs abhängig. Diese habe ich nun meinem heutigen Brief beigefügt, so dass Sie wohl Herrn Geis Anweisung geben werden, mir den Vertrag für den „Dreigroschenroman“ auszuhändigen. Ich bin selbst-

739 Kurt Desch publizierte 1948 das Bühnenmanuskript der Züricher Uraufführung von Herr Puntila und sein Knecht Matti. 740 Die Uraufführung des Stücks hatte in Zürich bereits stattgefunden (vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948). Gemeint ist die Münchner Inszenierung von Hans Schweikart (Premiere: 1.9.1949). 741 Vgl. Anm. zu Oprecht, 10.4.1948.

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verständlich damit einverstanden, dass Sie die Lieferung von 1.000 Exemplaren nach Österreich mit in den Vertrag aufgenommen haben. 4. „ANTIGONE“ Hierüber habe ich von Ihnen nichts mehr gehört. Frau Ruth Berlau schrieb mir in Ihrem Brief vom 30.8., dass Sie mir auch die „Antigone“ freigeben werden. Ich bitte Sie, mir hierüber Ihren Bescheid noch zu geben. 5. „GALILEI“ Haben Sie wegen „Galilei“ mit Reiss schon sprechen können? 6. Bloch Erben Nachdem wir nun Vertragspartner geworden sind und ich Sie als Autor meines Verlages begrüssen kann, würde ich selbstverständlich mit allen Kräften nun auch aktiv mithelfen, dass Sie die Lösung von Bloch Erben baldigst erzwingen. Bitte schreiben Sie mir, ob es Ihnen recht ist, wenn ich hier Herrn Geis assistiere. Ich könnte vor allen Dingen auch meinen Vertreter in Berlin in diesem Fall mobilisieren. Ich hoffe, recht bald wieder von Ihnen zu hören und habe, wie abgesprochen, einen Durchschlag dieses Briefes wiederum Herrn Geis zur Kenntnisnahme überschickt. Ich bleibe mit freundlichen Grüssen, auch an Ruth Berlau stets Ihr Kurt Desch (Verleger Kurt Desch) Anlagen Vertrag „PUNTILA“ Erklärung Geis Bestätigung Auto-Kauf [Anlage:] Abschrift Jacob Geis München, Widenmayerstr. 48

Den 22.9.48

Auf Grund meiner Vollmacht zur Wahrung der Vermögensinteressen von Herrn Bertolt Brecht erkläre ich hiermit im Einverständnis mit Herrn Brecht, dass die Städtischen Bühnen München das Schauspiel von Brecht „PUNTILA“ zur deutschen Uraufführung noch im Jahre 1948 erworben haben. Als Tantiemen-Vorschuss für diese Aufführung sind DM 2.500.-- vereinbart und werden am 23.9.48 an mich zur Weiterleitung an Herrn Brecht ausbezahlt.

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gez. Jacob Geis Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Kurt Desch München Anschrift: München 19, Romanstraße 7 * Telefon 34172 * Postscheckkonto München 19194 Bank: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank München Konto 402944 Verlagsleitung; BBA 1/25 (Anlage: Ts, BBA 589/32).

Leopold Lindtberg an Bertolt Brecht Zürich, 5.10.1948 L. Lindtberg Freiestrasse 58 Zürich

Zuerich, den 5. Oktober 1948.

Lieber Brecht, die Verhandlungen mit der Präsens742 wegen meines Urlaubes für Wien haben sich die ganze Woche hingezogen. Gestern konnte ich wenigstens so viel erreichen, dass nun die prinzipielle Bereitwilligkeit, mir diese Inszenierung zu ermöglichen, besteht. Es sieht so aus, dass ich voraussichtlich nicht nach Amerika muss, doch hängt das auch noch von ein paar Engagements-Problemen ab, die hoffentlich auf dem Korrespondenzweg zu bereinigen sein werden. Jetzt muss man vor allem versuchen, über den Termin einig zu werden und ich schreibe mit gleicher Post an die Skala743 nach Wien, damit die so rasch wie möglich das Nötige unternehmen und sich mit dem Schauspielhaus in Verbindung setzen. Denn wie ich höre bestehen da Schwierigkeiten, die Giehse zu einem früheren als dem abgemachten Termin freizugeben. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten und möchte Ihnen nochmals versichern, dass ich von mir aus alles versuchen werde, was in meinen Kräften steht. Mit herzlichen Grüssen Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Leopold-Lindtberg-Archiv 994.

742 Die Praesens-Film AG in Zürich. 743 Das Neue Theater in der Scala. Vgl. Anm. zu Job, 2.8.1948.

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[Stefan Brecht] an Bertolt Brecht Colombey-les-Deux-Eglises, 5.10.1948 A Monsieur Brecht, L’Homme que voilà qui sera un jour l’homme qui vous parle, vous présente ses meilleurs vœux de separatiste, Géneral Ch. de Gaulle744 * * Colombey, 5 octobre les deux 1948 Eglises * * Überlieferung: Ms (Postkarte mit einem Bild von Charles de Gaulle), BBA 3232.

Jacob Geis an Bertolt Brecht München, 7.10.1948 Jacob Geis

München 9 Bavariafilmplatz 7 Den 7.10.48

Lieber Brecht, Ruth Berlau war gestern für ein paar Stunden in München und ist dann nach Nürnberg weitergereist, ich hoffe, sie bei ihrer Rückreise nach Zürich wieder zu treffen. Alle von Dir gewünschten Angelegenheiten, über die ich mich schriftlich nicht auslassen möchte, sind erledigt, und zwar positiv.745 An Dich habe ich drei Manuskripte „Kreidekreis“ mit Eilpost zugehen lassen, drei nur deshalb, weil ich nicht wusste, ob Du nicht schon die ersten Oktobertage die Schweiz verlässt. Hier habe ich also noch drei, eines davon habe ich Ruth Berlau überlassen. Wenn Du also nicht nach München kommen solltest, so werde ich Dir die Übrigen nach Berlin schicken.

744 Charles de Gaulle (1890–1970), französischer General und Politiker, Gründer der Forces françaises libres, mit denen er nach der Niederlage Frankreichs 1940 gegen die deutsche Besatzung kämpfte. 1944 bis 1946 war er Chef der Provisorischen Regierung, 1959 bis 1969 Präsident Frankreichs. In Colombey-les-Deux-Églises, einem Dorf im Département Haute-Marne, besaß er einen Landwohnsitz. 745 Vgl. B. an Geis, September/Oktober 1948, GBA 29, S. 471f.

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Den Vertrag „Puntila“ habe ich Desch ausgehändigt, er hat, wie Du aus der Beilage ersehen wirst, den Tantiemenvorschuss der Kammerspiele übernommen. Ich habe ihm gegen 3 000,- Mark die Ermächtigung gegeben mit fünf weiteren Bühnen, deren Verzeichnis Dir noch zugehen wird, abzuschliessen. Dadurch habe ich vermieden, dass ich ihm für die von Dir gewünschten 3 000.- Mark „Galilei“ überlassen hätte müssen. (Wie mir Ruth Berlau als mögliche Konzession Deinerseits vorschlug.) Ich entnehme einer Äusserung Ruth Berlaus’s [sic], dass Du es gerne gesehen hättest, wenn ich selbst den Vertrieb von „Puntila“ übernommen hätte. Es schien mir aber notwendig, schon aus den oben erwähnten Gründen, Desch wenigstens vorläufig ein Stück zu geben. Für die Zukunft möchte ich Dich bitten Dir folgenden Vorschlag zu überlegen: Ich sehe ein, und meine Erfahrungen beweisen es mir, dass Du mit den üblichen Vertrieben immer irgendwie im Nachteil sein wirst. Ich glaube deshalb, das Beste wäre, ich selbst würde einen Vertrieb Deiner Stücke für die Zukunft übernehmen, also vorläufig beispielsweise „Kreidekreis“ und „Galilei“. Ich würde mir eine Vertriebslizenz verschaffen und unter einem neutralen Namen, also eigentlich einen Brecht-Vertrieb für die vier Zonen organisieren. Ich bin in diesen Dingen nicht ohne Erfahrung, ich habe schon einmal in den Jahren 1923-24 für den damaligen Georg Müller-Verlag einen Bühnenvertrieb organisiert. Die Vorteile für Dich wären: Spezialisierung, grössere Überschaubarkeit, leichtere Kontrolle. [E]ine nur 10-prozentige Abgabe und eine leichtere Möglichkeit, zu Deinem Geld zu kommen, besonders, wenn Du nicht beabsichtigst in Zukunft in Deutschland zu wohnen. Ausserdem würden wir einen Gewinnbeteiligungsschlüssel an diesem Unternehmen ausmachen, in das wir nach unserem Belieben geeignete Autoren mitaufnehmen könnten, aus leicht ersichtlichen, hier nicht auszuführenden Gründen. Das Ganze würde also ein ganz bestimmtes Gesicht haben – unser Gesicht. Die Durchführung würde ich vorläufig so einfach wie möglich halten, d.h. ich würde als Leiter und Lizenzträger, mein Sohn als Ausführender fungieren. Dies ist der rohe Umriss – über die Details müssten wir verhandeln. Ich bitte Dich also, Dir das durch den Kopf gehen zu lassen, vielleicht auch mit Ruth Berlau zu besprechen. Denn ich sehe Dich nicht in München, es ist zwar Buckwitz zugesagt, dass vom 20. Sept. ab in drei Wochen Dein Permit in Bern eingetroffen sein werde, ich muss Dir aber sagen, dass ich das nach meinem, in diesen Dingen ziemlich entwickelten Ahnungsvermögen, nicht für wahrscheinlich halte. Da Du, wie mir Ruth Berlau mitteilt, unter allen Umständen am Mittwoch, den 13. Oktober die Schweiz verlassen willst746, scheint es mir unwahrscheinlich, dass Dich das Permit (selbst wenn es noch käme) rechtzeitig erreicht. Was den Dreigroschenroman-Vertrag betrifft, so hat Ruth Berlau bei Desch, wo wir zusammen waren mit einem erheblichen Aufwand von Dialektik erreicht, dass Dir Desch die 1 0000 Exemplare für die Schweiz und für Österreich zum Selbstkostenpreis überlassen wird. Dies wird noch in einem Sonderschreiben von Desch festgelegt werden. Ich erwarte 746 Vgl. Anm. zu Ihering, 4.9.1948.

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also, dass Du mir die Ermächtigung gibst, Desch den Dreigroschenroman-Vertrag, den ich bis jetzt zurückgehalten habe, aushändige. Besonders nachdem Du jetzt den Bestellschein für den Wagen erhalten hast. Ein Mercedes-Kabriolet wird gegenwärtig nicht hergestellt, die Lieferung einer Limousine dauert zwölf Monate mindestens und wurde ausserdem dadurch unmöglich gemacht, dass Mercedes 1500 kg Eisenschein747 verlangt, den Desch unmöglich auftreiben kann. Was ein Eisenschein ist, das zu erklären würde zu langweilig sein. Dem Münchner Radio habe ich überfallartig 3 000.- Mark entrissen. Das wäre vorläufig Alles. Ruth Berlau wird Dir die Details noch erklären. Ich hoffe, Deine nächste Nachricht schon aus Deutschland zu erhalten und bleibe bis dahin mit besten Grüssen und Wünschen auch für Deine Frau Dein Jacob Geis. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 589/33–34.

Elisabeth Hauptmann an Helene Weigel Los Angeles, 9.10.1948 1670 Mandeville Canyon RD

L.A. 24, Cal.

Oct 9, ’48 Liebe Helli, herzlichsten Dank! Telegramm kam gestern morgen zur gleichen Zeit mit der Abrechnung von Bloch Erben. Sie werden’s kaum glauben. Die Verbrecher ziehen mir immer einen Happy EndVorschuss von der 3GO748 ab, als ist denn nix [sic]; aber auch sonst muss man im Ernst etwas gegen die Firma tun! Ich fahre hier am 14. weg, & von N.Y. am 4. November. Sie können mich dort, falls Sie etwas möchten, ab 27. Okt erreichen. Y.L. Craig, 511 E 86 Str., N.Y. 28, N.Y. Ich habe leider eine Riesenangst vor der Reise, d.h. auch nur vor den Nächten in kleiner stickiger Kabine. – Dessau war hingerissen von Schweiz + Ihrer Nachbarschaft – ich hätt ihm den Schädel einhauen können vor Neid. Damit grüsst Sie alle herzlich Ihre Elisabeth Überlieferung: Ms, BBA 1646/22.

747 Zum Erwerb eines Kraftfahrzeugs benötigte man einen Bezugsschein, den sogenannten Eisenschein. 748 Die Dreigroschenoper. Zu Hauptmanns Stück Happy End vgl. Kebir, Hauptmann, S. 108–117.

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Johannes R. Becher an Bertolt Brecht Berlin, 11.10.1948 Berlin, den 11.10.1948 Lieber Bert Brecht! Wie ich höre, sind Sie in Prag. Über Ihre evtl. Reise nach Berlin gibt es verschiedene Versionen. Ich möchte Sie nun im Auftrage des Präsidialrates des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands ganz offiziell zu unserer am 24.10.–31.10. stattfindenden Kulturwoche in Berlin einladen. Die Kulturbundwoche wird eröffnet mit einer Kundgebung am 24.10. in der Staatsoper.749 Diese Kundgebung ist als ein Bekenntnis zum Frieden gedacht. Es wäre nun eine sehr grosse Unterstützung unserer Sache, wenn Sie an dieser Kundgebung teilnehmen und einige Worte sagen würden. Sollten Sie verhindert sein, so bitten wir um eine kleine schriftliche Äusserung zu diesem Thema. Wir haben in dieser Angelegenheit auch an Arnold Zweig und Eisler geschrieben. Wenn Sie alle kommen könnten, so würde unsere Woche wohl zu einer repräsentativen deutschen Sache werden. In der Hoffnung, Sie bald wiederzusehen, mit den herzlichsten Grüssen Ihr (Johannes R. Becher) Überlieferung: Ts, hs. Notiz: „nicht abgesandt“; AdK: Johannes-R.-Becher-Archiv 1688.

Allied Military Permit Office an Bertolt Brecht Bern, 12.10.1948 REF. to be quoted LW/26695

12 October 1948

Mr. Bertolt Brecht C/o. Martens FELDMEILEN/ Zch:see

749 Brecht nahm zusammen mit Helene Weigel an der Kundgebung des Kulturbundes am 24.10.1948 in der Deutschen Staatsoper im Berliner Admiralspalast teil.

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Dear Sir, Replying to your letter of October 9th750, we repeat that the only application we can accept from you is one for permanent repatriation. In the event that you wish to apply on this basis, a set of forms are enclosed for you and your wife, with instructions. Yours truly, William E. Beauchamp Jr. U.S. Civilian Military Permit Officer Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Allied Military Permit Office American Section Kirchenfeldstrasse 78 – Berne Case Postale 25 Berne 6; BBA 286/2.

Theaterverlag Kurt Reiss an Bertolt Brecht Basel, 12.10.1948 Herrn Bert Brecht, b/Mertens, Bünishoferstrasse 14, Felmeilen bei Zürich BETRIFFT: Buchhaltung

12. Oktober 1948 j

Sehr geehrter Herr Brecht, In Abwesenheit unseres Herrn Reiss teilen wir Ihnen mit, dass wir heute auf Ihr Konto bei der Schweiz. Kreditanstalt Zürich den Saldo Ihres Guthabens aus Aufführungen in der Schweiz im Betrage von Fr. 1.633.79 überwiesen haben. Was den Saldo Ihres Guthabens aus Aufführungen im Ausland anbetrifft, haben wir uns mit der Schweiz. Verrechnungsstelle zwecks Freigabe zur Auszahlung in der Schweiz in Verbindung gesetzt. Leider sind wir aber auf unser Schreiben vom 6. Oktober bis heute immer noch ohne Antwort. Wir werden nicht verfehlen, Ihnen sofort nach Eingang der Stellungnahme seitens der Verrechnungsstelle dieselbe zur Kenntnis zu bringen. Wunschgemäss übersenden wir Ihnen beiliegend 2 Exemplare der letzten Fassung von „Mutter Courage und ihre Kinder“. Mit den besten Empfehlungen R EISS A .G. Buchhaltung: […] 750 Nicht überliefert. Vgl. jedoch den entworfenen Brief an General Lucius Clay, GBA 29, S. 462f.

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Überlieferung: Ts, hs. U. (unleserlich), Bv.: Reiss A.G. Basel Telephon 41352 Postscheck V 4296 Bank: Schweiz. Bankgesellschaft Telegramm-Adresse: Reissag Basel, Basel, Den ___________, Bäumleingasse 4; BBA 3174.

Verlag Kurt Desch an Bertolt Brecht München, 14.10.1948 14010 MUENCHEN F 25 22 1730 = berthold brecht z zt hotel adlon berlin (udlinden 7) = option auf auffuehrung „puntila“ wurde keinem berliner theater gegeben auch nicht dem hebbeltheater = verlag kurz desch muenchen buehnenvertrieb +++ Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 776/9.

Kurt Desch an Bertolt Brecht München, 14.10.1948

München, den 14. Oktober 1948

Herrn Bertolt Brecht Feldmeilen b. Zürich Bünishoferstr. 14 bei Mertens

I/I

Lieber und verehrter Herr Brecht! Ruth Berlau war einige Tage in München und wir haben uns wegen der Uraufführung von PUNTILA in München751 mehrfach unterhalten. Ich möchte Ihnen heute Mitteilung machen, was ich mit Herrn Hahn752 wegen Kortner besprechen konnte. Herr Hahn erklärte mir: Kortner lebt auf Grund einer Vereinbarung mit der JEJA753 auf Dollarbasis in Deutschland. Er wird von der amerikanischen Besatzungsmacht bezahlt und 751 Vgl. Anm. zu Desch, 1.10.1948. 752 Vermutlich der von Harry Buckwitz am 29.9.1948 erwähnte „Mr. Hahn von der Militärregierung“. 753 JEIA: Joint Export Import Agency, Außenhandelsbehörde der westlichen Besatzungsmächte mit Sitz in Frankfurt am Main, die von 1946 bis 1950 bestand.

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lebt als amerikanischer Staatsbürger hier. Auf Grund der Bestimmungen der Besatzungsmacht kann er sich beruflich in Deutschland nur mit Genehmigung der Besatzungsmacht betätigen. Er wird auch für seinen Film754 in der Bavaria mit Dollars bezahlt. Seine Betätigung bei einem Hörspiel in München erfolgte ohne Wissen der Besatzungsmacht und hat ein paar Schwierigkeiten hervorgerufen. Man hat aber nachträglich dann die Beteiligung am Hörspiel akzeptiert. Wenn Kortner nun an einer deutschen Bühne spielen will, muss er von sich aus einen Antrag an die Besatzungsmacht stellen. Praktisch müsste seine Bezahlung in Dollars aufhören und er müsste dann wie die Studenten in Deutschland mit einer Bezahlung in DM und mit deutschen Lebensmittelrationen leben. Das wäre gleichbedeutend mit der Aufhebung seiner Abmachung mit der JEJA. Herr Hahn kann in dieser Sache nichts unternehmen. Den Antrag müsste Kortner selbst an die entsprechende Stelle der Besatzungsmacht stellen. Ich habe das Gefühl, dass die Angelegenheit lange dauern wird. Wenn also Kortner überhaupt noch in Frage kommt, dann werde ich mich selbstverständlich mit Ihnen in Verbindung setzen. Wegen Ihrer Reise nach Deutschland hat Herr Hahn mir mitgeteilt, dass er den Antrag schon am 20.9. befürwortet habe und zwar für die Dauer von drei Monaten. Er erklärte erneut, dass Sie sich mit dem Permit-Offizier in Bern in Verbindung setzen müssen und meint, dass dort die Papiere für Ihre Einreise schon vorliegen. Das sind die beiden Punkte, die ich mit Herrn Hahn bereden konnte und ich wollte nicht versäumen, Sie sofort hiervon in Kenntnis zu setzen. Mit freundlichen Grüssen bin ich Ihr Kurt Desch (Verleger Kurt Desch) Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Kurt Desch München Anschrift: München 19, Romanstraße 7 * Telefon 34172 * Postscheckkonto München 19194 Bank: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank München Konto 402944 Verlagsleitung; BBA 116/5–6.

Hella Wuolijoki an Bertolt Brecht und Helene Weigel Helsinki, 19.10.1948 Helsinki, Yleisradio den 19. Okt. 1948

754 Fritz Kortner spielte den aus dem Exil zurückgekehrten Professor Mauthner in dem Film Der Ruf (1948/49, Regie: Josef von Baky), zu dem er selbst das Drehbuch geschrieben hatte.

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Lieber Brecht und liebe Heli! Also meine Reise nach Capri wurde zu nichts. Als ich Euer Telegramm755 bekam, weinte ich. Capri ist ja nix, ich dachte vorerst an Eu[c]h und wie wir uns in Basel getroffen hätten. Ich sass also auf der Europäischen Radiokonferenz756 in Kopenhagen. Es war ja die Frage um eine Konvention unter allen Radioländern in Europa – und ein Wunder geschah. Europa war endlich einstimmig und wir haben nun einen gemeinsamen Plan. Alles war fast fertig und ich sollte am anderen Morgen abreisen. Da erklärte mein technischer Direktor, dass er einsam die Verantwortung nicht übernehmen konnte, weil die Frage betreffend unsere lange Welle nicht ganz klar war. Nicht zu machen. Ich habe meine Fahrkarten nach Capri verloren, und alle Legationen mussten abtelegraphiert werden. Es war ja einfach zum Heulen. Drei Monate sass ich in Kopenhagen und sah nur Techniker und Leute aus den Aussenministerien. Kein Programmvolk, keine Literatur. Die Sitzungen dauerten den ganzen Tag und die halbe Nacht. Ich war furchtbar müde und krank. Aber nichts zu machen. Ohne Radiowellen gibt es kein Radio. Drei Monate von meinem Leben habe ich so verloren. Nun bin ich aber wieder hier in Helsinki. Mein Leben ist Arbeit und Kampf. Dabei habe ich über „Puntila“ mit Kalima757 und Rönngren758 gesprochen, und beide denken daran, Brecht für die Aufführung von „Puntila“ einzuladen. Ich wäre ganz selig Euch hier zu sehen. Warum schreibt Heli mir nicht? Was macht Ihr in Zürich? Wird das Stück759 immer noch gespielt? Vappuli760 war in der Schweiz im vorigen Sommer; leider wusste ich Eure Adresse nicht. Jetzt ist sie in Amerika gewesen und wird in diesen Tagen mit „Gripsholm“761 in Göteborg antreffen. Poju762 war bei den Sitzungen der Internationalen Bank in New York und darum flog Vappuli mit. Ernestine763 hat mir Bilder des „Galileo“764 geschickt. Es muss was Wunderbares gewesen sein. Wann wird „Galileo“ in Europa gespielt? Und wann f[a]hrt Ihr nach Deutschland? Aber zuerst müsst Ihr doch nach Finnland kommen. Oh, dass ich Euch nicht in Basel sehen konnte! Auf Wiedersehen, meine Lieben, und schreibt mir doch bald!

755 Nicht überliefert. 756 Die Europäische Rundfunkkonferenz, die 1948 in Kopenhagen stattfand. Dem „Kopenhagener Wellenplan“, der den europäischen Ländern Rundfunkfrequenzen zuteilte, stimmten jedoch nur 25 der 32 teilnehmenden Länder zu. Deutschland war dort nicht vertreten. 757 Eino Armas Kalima (1882–1972), finnischer Regisseur, Leiter des Nationaltheaters in Helsinki. 758 Nicken Rönngren (1880–1956) leitete das Schwedische Theater in Helsinki. 759 Herr Puntila und sein Knecht Matti. Vgl. Anm. zu von Einem und Neher, 3.6.1948. 760 Hella Wuolijokis Tochter Vappu Tuomioja. 761 Gripsholm war der Name eines Schnelldampfers der Svenska Amerika Linjen. 762 Poju (finnisch: Junge) war der Kosename Sakari Tuomiojas. 763 Ernestine Evans. 764 Die Aufführung des Galileo in New York im Dezember 1947.

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Ich habe Karin765 in Kopenhagen getroffen und wir haben stundenlang von Euch gesprochen. Ich besuchte auch meine aber Adoptiv[t]ochter Gräfin Eva Ahlefeld-Laurvig. Ich habe ihr Haus in Thurø, nach […] Svendborg gesehen. Karin hat ja ihr Haus auf Thurø verkauft. Sie ist alt geworden, aber sie liebt Euch „all over, all over, all over“. Was für ein wunderbarer Mensch sie immer noch ist! Und immer noch sammelt sie Menschen um sich. Also noch einmal Auf Wiedersehen, meine Lieben! Nein, ich muss noch erzählen, dass wir mit Karin eine Brecht-Gesellschaft gegründet, und Hertta766 hat sich hier als Mitglied angeschlossen. Also kommt nach Jekola! Eure P.S. Ich habe Englind gebeten eine deutsche Übersetzung von „Niskavuori“767 an Brecht zu übersenden. Gibt es Aussichten für das Stück in der Schweiz? Überlieferung: Ts, BBA 2177/23–24.

Verlag Felix Bloch Erben an Bertolt Brecht Berlin, 23.10.1948 118 BERLINF 1354 28/1/// 28/27 23 1322 YZBRN = bert brecht hotel adlon unter den linden berlin = wir begruessen sie in berlin verehrter herr brecht und erbitten gelegenheit zu einer unterredung = felix bloch erben telefon 32 29 28 + Überlieferung: Ts (Telegramm), BBA 784/20.

Renata Mertens-Bertozzi an Bertolt Brecht Zürich, 25.10.1948 Zürich, 25. Oktober 1948. 765 Karin Michaelis. 766 Hertta Kuusinen. 767 Hella Wuolijokis Niskavuori-Trilogie umfaßt die Dramen Niskavuoren naiset (1936), Niskavuoren leipä (1939) und Niskavuoren nuori emäntä (1940). In deutscher Übersetzung erschien lediglich das erste der drei Stücke: Die Frauen auf Niskavuori (1937). Vgl. Mertens-Bertozzi, 1.11.1948.

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Lieber Herr Brecht, hier schicke ich Ihnen 3 Karten und 9 Briefe wovon 2 versehentlich geöffnet wurden. Am Donnerstag schickte ich Ihnen ein Telegramm nach. Haben Sie es erhalten? Hirschfeld, dem ich es geben wollte, wusste kein schnelleres Beförderungsmittel als die Briefpost. Cella768 wird sich diese Woche die Bücher holen, die Sie mir gaben, um sie Einaudi zu schicken. Dann werde ich allerdings für meine Uebersetzungen769 das, was ich nicht selber besitze, in der Kommode holen müssen. Ich lege aber bestimmt alles wieder hinein! Von Reiss erhielt ich Antigone, Puntila und Galilei. Es war uns ein besonderes Vergnügen, die französische Uebersetzung der Couragelieder770 anzuschauen, die Sie uns da liessen. Sie geht überhaupt nicht. Beim Lied vom Soldatenweib ist wenigstens rein äusserlich das Rhythmisch-Lautliche vom Deutschen übernommen. Der Wortsinn aber ist im Französischen saloppe Soldatenrhetorik, oft mit ganz anderer Bedeutung, das Einfache der Aussagen wurde zu Clichés. Letzteres gilt für die andern Lieder noch viel mehr. Dann ist alles abstrakter gesagt und wenn nicht burschikos dann süsslich. Am Ueberzeugendsten ist wohl eine wortgetreue Rückübersetzung. Das 6. Lied heisst so: Da ist unsre Rose, sie hat uns verblüfft Oh du kaum erblühte Blume Freude unserer Herzen, du bist so schön Wir haben dich gepflanzt, wir haben dich gewiegt Oh Freude, unsre unsterbliche Freude Glücklich, die eine Rose lieben Oh die Freude unserer Herzen, du Rose so schön. Da ist der Wind, der heult, er bläst den Sturm Und bläst durch die Wälder Er kann nichts tun, denn wenn auch gebrechlich Unser Dach ist doch da, und wird über unsern Köpfen wachen Denn wir haben es gemacht, ewig Glücklich die Liebenden unter einem Dach Wenn der Wind heult, droht und ruft.771 Sollten Sie nicht wissen, wer das geschrieben hat, so sage ich Ihnen, es ist Brecht. Ich finde es nicht eben sehr schön. Barbara hat sehr gelacht. Wenn Sie mir erlauben, so werde ich via Benno Besson, der einige gute Uebersetzer und französische Schriftsteller in Paris kennt, Ihnen Uebersetzungen besorgen können, die sicher besser sind als diese. 768 Vermutlich der Schweizer Schauspieler Ettore Cella (1913–2004). 769 Renata Mertens-Bertozzi übersetzte Stücke Brechts für die bei Einaudi erscheinende Sammlung Teatro (vgl. Anm. zu Herzfelde, 24.9.1945). 770 Von welcher Übersetzung hier die Rede ist, konnte nicht ermittelt werden. 771 Vgl. den Liedtext in Bild 10 der Mutter Courage (GBA 6, S. 78).

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Uebrigens ist die italienische Dreigroschen-Uebertragung772, die Sie mir gegeben haben – ich hab zwar erst darin geblättert – viel korrekter und ich glaube sogar gut. Jetzt habe ich noch ein persönliches Anliegen. Wenn Sie je Zeit hätten mir das zu erklären, so möchte ich gern wissen, was das bedeutet, wenn, wie Sie wiederholt sagen, die Abbildungen, die das Kunstwerk vermittelt, nicht zu stimmen brauchen, um schön zu sein. Ich kann einerseits keinen zwingenden Zusammenhang finden zwischen schön und richtig, andrerseits mich nicht darein schicken, dass ich ihn nicht finden kann. Es interessiert mich ganz besonders in Bezug auf die Haltung der Lyriker, die wie mir scheinen will, ihre subjektivsten und auch falschesten aber oft sehr schönen Abbildungen am mühelosesten an den Mann bringen können. Unter anderem handelt es sich um meinen D’Annunzio, aber ein viel würdigeres Beispiel: Mallarmé.773 Ich las letzt[e] Woche ein wenig in Frisch’s „Tagebuch mit Marion“774, das in Ihrem Zimmer lag. Es gibt da wirklich ganz erstaunlich „schöne“ Formulierungen über deutsche Ruinen. Von einem barocken Portal mit einem rundlichen lachenden Engel drauf erzählt er zum Beispiel dieses Portal erbricht Schutt und Trümmer. Was soll man anfangen mit dieser diffusen Sensibilität, die sich an alles verschleudern kann, an Menschen und Dinge und Natur und was weiss ich noch, ohne auch nur im geringsten aktivierend zu wirken? Ich kann mir vorstellen, wie „erhebend“ es auf gewisse Deutsche wirken kann, in dieser trostlosen, ruinengeschmückten Wortschönheit herumzuschwelgen. Dabei ists dem Frisch doch ganz ernst. Ich meine, inwiefern ist das noch als schön zu bezeichnen? oder wie kann man sagen, dass es nicht schön ist? oder wie kann man den Punkt nachweisen, wo die Subjektivität der lyrischen Haltung nur noch für den Schreibenden interessant ist und das Schöne, an dem was er sagt, nur eben deshalb schön ist, weil es so vag und allgemein ist, dass es kaum noch etwas bedeutet? Aber dann ist es ja meisst [sic] auch nicht mehr so schön. So möcht ich es wenigstens haben. Vielleicht frage ich falsch. Aber wie frägt man richtig? Ich wäre sehr froh, wenn Sie mir da weiterhelfen würden. Sie fehlen uns allen sehr. Recht herzliche Grüsse auch von Hans775 und allen unsern Freunden Überlieferung: TsD, BBA 2451/1–2.

772 Gemeint ist wohl die Dreigroschenoper. Genaueres zu dieser Übersetzung konnte nicht ermittelt werden. 773 Stéphane Mallarmé (1842–1898), französischer Dichter. Dessen lautmalerischer Lyrik stand Brecht allerdings skeptisch gegenüber. Vgl. den Journaleintrag vom 2.7.1940, GBA 26, S. 398. 774 Max Frisch, Tagebuch mit Marion, Zürich 1947. 775 Hans Mertens, Renata Mertens-Bertozzis Mann.

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Louis Nagel776 an Bertolt Brecht Paris, 26.10.1948 Paris, den 26. Oktober 1948. IN/GA Herrn Bertolt Brecht c/o Suhrkamp Verlag Berlin-Zehlendorf Forststrasse 27 Sehr geehrter Herr Brecht, Herr Dr. Kurt Hirschfeld liess uns mit Ihrem Einverständnis ein englisches Exemplar Ihres Werkes „Galileo Galilei“ zukommen. Wir haben auch mit Herrn Laughton gleich Fühlung genommen, da Herr Hirschfeld uns schrieb, dass es Sie freuen würde, wenn Herr Laughton diese Rolle eventuell französisch spielen könnte. Bis nun hat uns Herr Laughton noch keine Entscheidung zukommen lassen. Andererseits sehen wir, dass das Buch den Vermerk „Verlag Kurt Reiss, Basel“ trägt. Herr Dr. Hirschfeld schrieb uns nun, um uns zu beruhigen, einen vom 23. Oktober datierten Brief und erklärte, dass er Sie darum bitten wird, dass Sie uns erklären: Reiss hat keine Rechte auf Ihr Stück „Galileo Galilei“ für Frankreich. Wollen Sie uns, sehr geehrter Herr Brecht, Ihre diesbezügliche Bestätigung gleich zukommen lassen? Wir haben vor, einen ganz genialen jungen Autor für die französische Adaption zu gewinnen, und könnten eine literarisch ganz hochstehende Produktion aus Ihrem Werk hier in Paris machen – vorausgesetzt, dass die Aufführungsrechte tatsächlich frei sind. In Erwartung Ihrer umgehenden Antwort777 bitten wir Sie, unsere besten Grüsse entgegenzunehmen. Mit besonderer Wertschätzung Ihr L. Nagel Dr. Louis Nagel Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Les Éditions Nagel/Paris Sociéte a responsabilité limitée au capital de 500.000 Francs 7, Rue de Savoie - Paris Tél. Danton 56-15 Danton 56-18 Danton 69-71 Odeon 67-80 Télég. Nageledit - Paris Reg. Seine No 306.869 B Section Théatrale et Cinématographique ; BBA 774/25.

776 Louis Nagel, französischer Verleger, Gründer des Verlags Les Éditions Nagel. 777 Vgl. B. an Nagel, 2.12.1948, GBA 29, S. 477.

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Walter Jensen778 und Kurt Desch an Bertolt Brecht München, 29.10.1948 Eilboten! Herrn Bertolt Brecht Berlin Hotel ADLON Unter den Linden

München, den 29. Oktober 1948 Je./Sta.

Sehr geehrter Herr Brecht! Wie uns Herr Jakob Geis mitteilte, hat Ihnen Herr Schweikart telegraphiert, dass die Uraufführung des PUNTILA in München779 verschoben werden muss. Der Termin der Uraufführung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg am 20.XII.780 wird aber eingehalten werden. – Heute teilt uns Herr Intendant Lippert telephonisch mit, dass er über die britische Militärregierung die Einreise in die britische Zone für Sie ermöglichen kann. Herr Intendant Lippert bittet Sie, der Uraufführung in Hamburg beizuwohnen, ausserdem bittet Sie Herr Lippert, dass Sie von sich aus wegen der Einreise auch die entsprechenden Schritte unternehmen. Wir haben unseren Berliner Vertreter, Herrn Friedrich Schultze781, Berlin-Zehlendorf, Wolzogenstrasse 23 gebeten, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen und Ihnen dabei behilflich zu sein. Mit besten Grüssen auch von Herrn Desch! VERLAG KURT DESCH MÜNCHEN Bühnenvertrieb. Jensen [Hs. Erg.:] Lieber Herr Brecht, Sie müssen den Antrag stellen, Hahn782 wird die Einreise genehmigen. Herzlichst Ihr Kurt Desch

778 Walter Jensen leitete den Bühnenvertrieb im Verlag Kurt Desch. 779 Vgl. Anm. zu Desch, 1.10.1948. 780 Im Hamburger Schauspielhaus wurde Herr Puntila und sein Knecht Matti bereits am 22.11.1948 aufgeführt. Regie führte Albert Lippert (1901–1978), Schauspieler und Regisseur, 1948 bis 1955 Intendant des Deutschen Schauspielhauses Hamburg. 781 Friedrich Schultze (1900–?), Dramaturg, Lektor beim Verlag Kurt Desch. 782 Entzifferung unsicher. Vgl. Desch, 14.10.1948.

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Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: Verlag Kurt Desch München Anschrift: München 19, Romanstraße 7 * Telefon 34172 * Postscheckkonto München 19194 Bank: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank München Konto 402944, BBA 776/7.

Renata Mertens-Bertozzi an Bertolt Brecht Zürich, 1.11.1948 Zürich, 1. November 1948. Lieber Herr Brecht, hier zwei Briefe. Der des Verlages war offen, so schick ich ihn ohne Umschlag. Ferner ist ein Manuskript von Hella Wuolijoki angekommen „Die Frauen auf Niskavuori“783; soll ich es schicken? Für Helli sind zwei weisse Blusen aus Amerika gekommen. Ich übersetze die 5 Schwierig Cella holte die Bücher; z.T. hat er eigene Exemplare zur Verfügung gestellt, so dass ich nicht alle die Ihren weggab. Ich las den Kreidekreis. Ihnen zu sagen, wie schön er ist, ist wohl ein bisschen einfältig. Aber schliesslich! Die Figuren des Richters finde ich scheint mir ganz besonders grosszügig reich angelegt und dieses Zeigen der Rechtsprechung eines der schönsten Beispiele von Verfremdung. Kann man dieses Stück auch falsch spielen? Dabei scheint es mir weniger möglich, als bei den andern, die ich kenne. Ich übersetze die 5 Schwierigkeiten.784 Es geht erstaunlich gut. Es gibt kein Wort für „Unwahrheit“; ich muss mit Lüge übersetzen, was ein engeres ist. Ist es zu lässig? Mit freundlichen Grüssen und einen ganz besonderen für Helli Reni Überlieferung: Ms, BBA 2452/1–2.

Hans Maier an Bertolt Brecht Hamburg, 4.11.1948 Hans Maier Hamburg-Bergedorf Bahnstr. 2 11.

783 Vgl. Anm. zu Wuolijoki, 19.10.1948. 784 Vgl. Anm. zu Becher, 21.12.1934.

Bergedorf, den 4.XI.1948

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Sehr geehrter Herr Brecht! Obwohl ich Sie kaum kenne, wage ich doch an Sie zu schreiben, ermutigt durch eine Notiz, die ich vor langer Zeit einmal las. Doch lassen Sie mich der Reihe nach erzählen. Sie werden Erich Kästners Zeitschrift „Pinguin“785 kennen. Darin veröffentlichte Herr Kästner ein sog. Lehrstück, eine mir bis dahin unbekannte Richtung der dramatischen Literatur. Sie werden vielleicht sogar die Szene kennen, nämlich „Reden ist Silber“.786 Ich las schon kurz nach Erscheinen der Nummer der Zeitschrift diese Szene, die ursprünglich für die „Schaubude“ geschrieben worden war. Ganz ungewöhnlich stark fühlte ich mich von dieser – Komprimierung möchte ich es nennen – angesprochen, so dass ich das Lehrstück mit Klassenkameraden aufführte. Wir spielten vor Eltern, und ich darf sagen, dass der Erfolg gut und vor allen Dingen aufmunternd war. Ein Brief an den Verfasser um die Überlassung weiterer Szenen zu demselben Zweck wurde dahingehend beantwortet, dass Herr Kästner leider keine anderen Lehrstücke geschrieben hätte. Jetzt war die grosse Wasserfrage, woher man die Stücke nehmen könnte. Da fiel mir wieder die oben schon erwähnte Notiz ein, ich las nach und fand: = Vor 1933 führten Schüler fortschrittlicher freier Schulen Brechts „Lehrstücke“ und „Schulopern“ auf, die wie alle seine dramatischen Werke in Stil und Thematik für das Theater neu waren und aufregende Wirkungsmöglichkeiten bedeuteten. = Sie können sich sicher das nun Folgende vorstellen; es wurde ein zweiter Brief an Herrn Kästner geschrieben, in dem er um Ihre Adresse gebeten wurde. Die Antwort kam. Damit auch die gewünschte Anschrift. Daraus folgte dann unmittelbar dieser Brief. Nun bitte ich Sie inständig, uns, nämlich meine Kameraden und mich, durch das Überlassen von irgendwelchen Texten in unserer Arbeit für eine kulturelle Weiterentwicklung, vornehmlich aber unserer eigenen Erweiterung des Horizontes zuliebe, zu unterstützen. Jegliche Entscheidung überlasse ich Ihnen. Ich vertraue auf Ihren guten Willen. Zu unserer Situation ein paar Worte. Wir sollen in einigen Wochen unser Abitur machen, sind also im Alter von 18-19 Jahren. Wir spielen vor Eltern und Schüler, also vor Leuten, die uns nicht geldlich unterstützen können (was meiner Meinung nach durchaus kein Nachteil zu sein braucht, da wir ja unkonventionelle Stücke spielen wollen und dann auf sog. Kassenerfolge verzichten müssen und auch gerne tun!). Ich halte mich also für verpflichtet, Ihnen gleich mitzuteilen, dass wir Sie finanziell nicht entschädigen können. Ich hoffe, kein unbilliges Ansinnen an Sie gestellt zu haben und erwarte mit grossem Sehnen Ihre Antwort. Hochachtungsvoll! Hans Maier. Überlieferung: Ts, hs. U.; BBA 838/12. 785 Die Jugendzeitschrift Pinguin erschien von 1946 bis 1953 im Rowohlt Verlag in Stuttgart. Erich Kästner war bis 1948 ihr Herausgeber. 786 Vgl. Pfanzelt, 14.1.1947.

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A.P.J. Kroonenburg an Bertolt Brecht Amsterdam, 9.11.1948 AMSTERDAM-C • DAMRAK 62 9 November 1948. Herrn Bertolt Brecht, c/o Aufbau-Verlag, Franzoesische Strasze 32, BER LIN W 8, Deutschland. Sehr geehrter Herr Brecht, Zu unserem groszen Erstaunen vernehmen wir aus einem Brief vom Aufbau-Verlag an Herrn de Groot, Direktor des „Republiek der Letteren“ Verlages, dasz Sie unsere Verlagsrechte am Dreigroschenroman nicht mehr anerkennen und gegen einen Vertrag mit dem Aufbau-Verlag protestieren.787 Wir koennen Ihnen diesbezueglich folgendes mitteilen: Im Laufe des Jahres 1947 sind die letzten Exemplare Ihres Buches verkauft worden, nachdem wir durch 5 Jahre Krieg gezwungen waren unsere Produktion vorlaeufig einzustellen. Die Gestapo hat unseren Verlag waehrend des Krieges sehr bedroht und uns, wie Sie sich vorstellen koennen, wegen unseren nazifeindlichen Autoren grosze Schwierigkeiten gemacht. Wir waren froh, dasz wir, obgleich man uns befohlen hatte den ganzen Vorrat zu vernichten, doch die meisten Buecher verstecken konnten. Sie werden verstehen, dasz wir nach der Befreiung vol[l]kommen ausgepluendert waren und in den ersten Jahren mit groszem Papiermangel zu kaempfen hatten und ausserdem wegen sehr schlechter Qualitaet des Papieres, wenn wir sofort eine neue Auflage publiziert haetten, diese im Ausland kaum eine gute Verkaufsmoeglichkeit gehabt haben wuerde. Noch dazu war dann damals, wie schon oben erwaehnt, das Buch noch nicht vergriffen. Nun endlich gibt es wieder eine Moeglichkeit und bereiten wir ausser der Berliner Auflage auch eine Ausgabe fuer die andren Laender vor. Wir haben seit Jahren versucht Ihre Adresse auszufinden, nur ist es uns bis heute nicht gelungen. Auf jeden Fall freut es uns, dasz wir Ihnen endlich wieder mal persoenlich schreiben koennen. Dies koennte die Aufklaerung irgendwelcher Missverstaendnisse leichter machen. Mit all unseren Autoren haben wir uns wieder in Verbindung setzen koennen und wir muessen schon sagen, dasz sie auch alle Verstaendnis haben fuer die ungeheuren Schwierigkeiten dieser Nachkriegszeit und einverstanden sind, damit, dasz wir allmaehlich wieder 787 Die Rechte an dem 1934 bei Allert de Lange erschienenen Dreigroschenroman hatte Brecht unterdessen eigenmächtig dem Münchner Verleger Kurt Desch übertragen (vgl. Anm. zu Oprecht, 10.4.1948). Eine weitere, von Desch lizensierte Ausgabe des Romans erschien 1949 im Berliner Aufbau-Verlag.

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Neudruecke auflegen von den verkaeuflichen Buechern, weil gerade heute die Verkaufsmoeglichkeiten in Deutschland immer besser werden. Wir koennen in dieser Beziehung denn auch nicht annehmen, dasz Sie, als einziger Autor, einen Vertrag auf einmal nicht mehr anerkennen, ohne dasz Sie sich hierueber vorher mal mit uns in Verbindung gesetzt haben und wenn Sie noch dazu einen ungedeckten Vorschusz von Fl. 3.000,70 haben. Wir moechten Sie noch darauf aufmerksam machen, dasz wir in dem Vertrag mit dem AufbauVerlag selbstverstaendlich Ihr Honorar einkalkuliert haben. Wenn Sie obenstehende Auseinandersetzung gelesen haben, glauben wir nicht, dasz Sie an einen Vertragsbruch denken koennen. Die Vorbereitungen fuer den Neudruck Ihres Buches sind ausserdem schon weit vorgeschritten, da wir den Dreigroschenroman in unserer Fruehjahrsproduktion aufgenommen haben. Sie werden verstehen, dasz wir Ihre Stellungnahme, dasz wir alle Rechte an dem Buch verloren haetten, ablehnen muessen und den Neudruck also erscheinen lassen werden. Mit groszer Mühe ist das Abkommen zwischen dem Republiek der Letteren-Verlag und uns mit dem Aufbau-Verlag, Berlin zustande gekommen und wir hoffen daher, dasz Sie, wo nun jetzt alle Schwierigkeiten ueberwunden worden sind, diese[m] Vertrag nicht im Wege stehen werden. Wir sind natuerlich gerne bereit Ihnen eine genaue Abrechnung von dem Verkauf der Buecher zu senden und werden Ihnen auch gerne ueber Ihr Honorar bezueglich der Lizenzgabe bescheid geben. Wir sehen Ihren werten Nachrichten788 mit Interesse entgegen und zeichnen mit vorzueglicher Hochachtung, C.V. Allert de Lange. A.P.J. Kroonenburg Überlieferung: Ts, hs. U., Bv.: C.V. Allert de Lange Afdeling Uitgeverÿ AdL, Telefoon 40292 - 41292 Postgiro No. 4110 Gemeentegiro L 606 Bankier: Amsterd Bank Damrak Amsterdam; BBA 781/1–2.

Leopold Lindtberg an Bertolt Brecht Zürich, 12.11.1948 Leopold Lindtberg Freiestrasse 58 Z ü r i c h 32

12.11.48.

Lieber Brecht: hier ein Kurzbericht nach meiner Rückkehr aus Wien. Ich habe Ihnen von dort nicht geschrieben, weil es von hier doch bedeutend schneller zu Ihnen kommt.

788 Vgl. B. an Kroonenburg, 17.12.1948, GBA 29, S. 484f.

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Ich war eine Woche in Wien und habe vom ersten Tag an volle Proben gehabt.789 Giehse, die durch den englisch-steyrischen Korridor reisen musste kam ungefähr zeitgleich mit mir an. Meine Frau, die mit Therese Giehse schon hier intensiv Musik geprobt hat, kam mit mir und hat dort musikalisch alles vorbereitet, was möglich war. Darüber später. Ich kann Sie beruhigen: in dieser Woche konnte ich – da Giehse[,] Heinz, Stöhr790 und Paryla aus der früheren Aufführung her noch sehr genau im Bild sind, sehr viel erreichen. Ich hätte praktisch die Premiere in 14 Tagen herausbringen können. Die Kollegen haben übrigens der besonderen Situation Rechnung getragen und ohne Zeiteinschränkung geprobt. Ich konnte nicht nur eine genaue bühnentechnische Probe machen und eine exakte Stellprobe, sondern jedes Bild überdies noch zwei mal durchmachen, sodass die Vorstellung in ziemlich genauen Umrissen bereits jetzt feststeht. Um die feinere Ausarbeitung bemühen sich nun die genannten Kollegen. Als weitere Hilfe steht Günther Haenel791 zur Verfügung, der bei vielen Proben anwesend war. Offiziell hat There792 meine Funktion übernommen. Die Besetzung ist gut. Wenn auch nicht hervorragend. Heinz spielt wieder den Koch, Paryla den Eilif, Stöhr den Schweizerkas. Den Feldprediger sollte Kyser793 spielen, der ausgezeichnet gewesen wäre. Leider liegt er mit einer schweren Herzattacke zu Bett. Er wurde ersetzt durch einen Schauspieler Hinz Fabricius.794 Sehr guter Typ. Hager und gross, trotzdem etwas wacklig. Trockener, vielleicht etwas zu trockener Ton, cca 50-jährig[,] „Klerikertyp“, allerdings ein wenig harmloser als wünschbar. Insgesamt aber eine brauchbare Besetzung, die zwar „der Welt keinen Haxen ausreisst“, aber bestimmt nichts verdirbt. Glänzend besetzt sind Feldwebel und Werber, besonders der Feldwebel mit Loibner.795 Den alten Bauer spielt Erwin Faber, an den Sie sich sicherlich erinnern, die Bäuerin heisst Gabler Bukovicz-Edthofer.796 Die Stumme ist ein recht begabtes junges Ding, die richtig aussieht, unscheinbar – mit einem Rest von Hübschheit, verschnupft aber mit schönen grossen Augen. Ansonsten „das übrige Babagi“[.] Insgesamt ist es nicht ganz die Qualität der Zürcher Besetzung, aber Leute wie Wlach797, Ginsberg, Horwitz, aber auch gute Typen wie Freitag798 und Trösch799 sind in Wien nicht aufzutreiben, jedenfalls nicht auf einem Platz und

789 Vgl. Anm. zu Job, 2.8.1948. 790 Emil Stöhr, d.i. Emil Paryla (1907–1997), österreichischer Schauspieler, Bruder von Karl Paryla, spielte den Schweizerkas in Lindtbergs Wiener Inszenierung der Mutter Courage. 791 Günther Haenel (1898–1996), österreichischer Schauspieler und Regisseur, übernahm 1948 zusammen mit Wolfgang Heinz und Karl Paryla das Neue Theater in der Scala in Wien. 792 Vermutlich Therese Giehse. 793 Möglicherweise der Schauspieler und Regisseur Karl Kayser (1914–1995). 794 Der Schauspieler Fritz Hintz-Fabricius. 795 Eduard Loibner (1888–1963), österreichischer Schauspieler. 796 Die Schauspielerin Grete Bukovics-Edthofer. 797 Hermann Wlach (1884–1962), österreichischer Schauspieler, ab 1933 am Schauspielhaus Zürich. 798 Robert Freitag (1916–2010), österreichischer Schauspieler, ab 1941 am Schauspielhaus Zürich. 799 Robert Trösch (1911–1986), schweizer Schauspieler, gehörte vormals zu Gustav von Wangenheims Truppe 31, kehrte 1933 zurück nach Zürich und übersiedelte 1946 nach Ostberlin.

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für Nebenrollen. Die „Theaterstadt“ hat bestenfalls ein paar passable Konversationsspieler zu versenden. Jetzt das Unangenehme. W[i]r haben uns mit der Musik von Dessau800 redlich geplagt. Die Giehse hat schon hier in Zürich fleissig daran gearbeitet. Aber es ist ein Jammer: die alte Musik sitzt zu fest. Nun haben wir in Wien mit den „Direktoren“ Heinz und Paryla geredet und kamen nach langem Hin und Her zu dem Beschluss, nun doch die alte Musik zu nehmen. Ich müsste Ihnen nun alle Schwierigkeiten und Argumente einzeln auseinandersetzen, aber ich bitte Sie, es mir zu erlassen. Die Kollegen haben zu dem darum sehr für die Burkhardsche Musik plädiert, weil sie in Wien seit dem Gastspiel eine gewisse Popularität hat und sicherlich auch volkstümlicher ist als die neue. Das spielt bei dem ziemlich einfachen Charakter des Scalapublikums auch eine Rolle. Wir bitten Sie nur, zu glauben, dass dieser Beschluss nicht aus Bequemlichkeit oder Sentimentalität gefasst wurde. Mein Hauptbeweggrund war, dass mir die Giehse sagte, dass sie fürchtet, sich aus Nervosität jeweils schon die Scene vor dem betreffenden Song zu schmeissen. Und ich kenne ihre Nervosität seit vielen Jahren. Ich bitte Sie also immerhin nicht ganz post festum um Ihr Einverständnis zu diesem Entschluss und meiner Bitte schliessen sich die Wiener Kollegen an. Da es ja doch im grossen Ganzen eine Auffrischung der Zürcher Vorstellung sein soll, ist es vielleicht auch besser, das mit den wesentlichsten Elementen der Besetzung, der Regie und des Bildes auch die Musik übernommen wird. Nur eine Ausnahme mussten wir machen: das Lied der Yvette.801 Die Yvette spielt – das hab ich vorhin zu berichten vergessen – eine hoch begabte Person. Anni Mayer. Sieht glänzend aus, hat einen guten, recht ordinären und komischen Ton und ist dabei ein armes Luder. Ziemlich jung[,] echt-rothaarig, lang und schlank. Das Lied hat sie zu proben begonnen und es ging für den Anfang recht gut. Natürlich müssen wir die[s]es Lied nun in der Dessau’schen Komposition nehmen, denn der neue Text ist ja von Burkhard nicht komponiert. Das wird selbstverständlich auf dem Programm erwähnt werden. Hoffentlich wendet Dessau nichts dagegen ein. Die musikalische Leitung hat ein ausgezeichneter Mann, Dr. Knepler802, ehm. Begleiter von K. Kraus, der die Musik sehr gut findet. Ich bin nun den ersten Tag wieder da und stecke schon bis über die Ohren in den neuen Sorgen. Morgen muss ich nach Paris und nachher weiter. Wohin steht noch nicht fest. Vielleicht nach USA, vielleicht nach Rom. Ich hoffe immer noch, dass ich mir diese Amerikareise diesmal sparen kann.

800 Vgl. Frank, 19.9.1946. 801 Das ist das Lied vom Fraternisieren aus Mutter Courage. Vgl. GBA 6, S. 28f. 802 Georg Knepler (1906–2003), österreichischer Pianist und Musikwissenschaftler, ging 1934 ins Exil nach Großbritannien, kehrte 1946 zurück nach Wien und übersiedelte 1949 nach Ostberlin.

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Vielleicht kommen Sie oder Heli einmal dazu eine Zeile über Ihre Proben von Courage in Berlin zu schreiben.803 Ich wäre froh, diese Vorstellung sehen zu können. Wer weiss, vielleicht kann ich es so einrichten. Einen besseren Grund, nach Berlin zu kommen als den, werde ich sicher nicht finden. Werden Sie die Wiener Aufführung sehn? Die Vorstellung des „Bockerer“804 – gar kein schlechtes Stück – in der Skala ist sehr anständig, manches ausgezeichnet. Ansonsten sah ich wenig Gutes in Wien. Ich drücke nun alle Daumen für die Aufführungen in Berlin und Wien. d.h. mit meiner Pianistin mach ichs vierhändig. Herzliche Grüsse an Sie und Ihre Frau und an die wohlgesonnen Kollegen in Berlin! Ihr Überlieferung: Ts, AdK: Leopold-Lindtberg-Archiv 994.

Leopold Lindtberg an Bertolt Brecht Zürich, 12.11.1948 Leopold Lindtberg Freiestrasse 58

Zürich, 12. Nov. 48.

Lieber Brecht, kurzer Nachtrag zu meinem gestrigen Brief. Das Material, das Reiss und der mit Reiss verbundene Wiener Gloriette-Verlag geliefert haben unterscheiden sich dadurch, dass das eine miserabel und das zweite skandalös ist. Die Auslassungen in diesem Material805 entsprechen keineswegs den Strichen, die ich gemacht habe und ich hoffe, dass Sie, falls Ihnen dieses Material in die Hände kommt oder Sie sich gar gleichfalls damit herumschlagen müssen, nicht von dem Zustand des Materials auf den der Züricher Aufführung schliessen. Woher diese Striche kommen, weiss ich nicht, ich kann nur befürchten, dass sie von der Berner Aufführung her stammen, mit der ich nichts zu tun hatte. Von wem immer aber solche Striche kommen mögen, ich finde es indiskutabel, dass ein Verlag ein Stück anders herausbringt als in der durch den Autor vorgelegten Form. Ich werde Reiss in diesem Sinne auch berichten. Nochmals Hals-und Beinbruch 803 Die Proben zur Aufführung der Mutter Courage am Deutschen Theater Berlin begannen am 8.11.1948. 804 Vgl. Anm. zu Herzfelde, 18.7.1947. 805 Vermutlich Textmaterial der Züricher Uraufführung der Mutter Courage (19.4.1941).

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und viele Grüsse an Sie und Heli, auch von meiner Frau Ihr Lindtberg Überlieferung: Ts, hs. U.; AdK: Leopold-Lindtberg-Archiv 994.

Erich Wendt806 an Bertolt Brecht Berlin, 15.11.1948 Wdt/My

Berlin, den 15. November 1948.

Herrn Bertolt Brecht Hotel „Adlon“ Wilhelmstrasse Berlin - W8 Lieber Herr Brecht, Kurt D e s c h schreibt mir unter dem 4. November folgendes: „...Bertolt Brecht sieht die Situation ganz richtig. Die ‚Gedichte aus dem Exil‘807 können wir jetzt nicht machen. An einer Gesamtausgabe bin ich jedoch nach wie vor stark interessiert, wie ich es Brecht schon geschrieben habe und wie ich es auch schon Frau Berlau mündlich mitteilte. Brecht soll die Redaktion übernehmen und die Gesamtausgabe seiner Gedichte, solange er noch in Berlin ist, vorbereiten. Ich bin selbstverständlich gerne bereit, Ihnen die Lizenzausgabe zu geben. Bitte geben Sie diese Nachricht an Brecht weiter