Brennpunkt Ökologie: Kulturelle und gesellschaftspolitische Interventionen [1 ed.] 9783412517588, 9783412517564

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Brennpunkt Ökologie: Kulturelle und gesellschaftspolitische Interventionen [1 ed.]
 9783412517588, 9783412517564

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JOST HERMAND

BRENN PUNKT ÖKOLOGIE KULTURELLE UND GESELLSCHAFTSPOLITISCHE INTERVENTIONEN

 Jost Hermand

BRENNPUNKT ÖKOLOGIE Kulturelle und gesellschaftspolitische Interventionen

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR  |  2020

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Coverabbildung: »Die deutsche Landschaft stirbt.« Hg. von Jochen Bölsche, Reinbek: Rowohlt, 1983. Plakat der Gewerkschaft Druck und Papier. Korrektorat: Patricia Simon, Langerwehe Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51758-8

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

7

Zeitübergreifende Nachhaltigkeitskonzepte Grüne Utopien in Deutschland Ein erster Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

13

»Erst die Bäume, dann wir!« Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder 1780 – 1950  . . . . . . . . 

37

Rousseau, Goethe, Humboldt Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens  . . . . . . . . . . . 

55

Gehätschelt und gefressen Das Tier in den Händen der Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

73

Gerechtfertigte und rassistisch g­ esinnte Vorläufer der heutigen Grünen Ungezwungene Natürlichkeit Die Lebensreformbewegung um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  101 Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins? Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  115 Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion? Nazifaschistische Zukunftskonzepte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  129 Unerfüllte Hoffnungen Vertreter eines verstärkten Umweltbewusstseins zwischen 1933 und 1945  . .  147 »Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.« Die Graswurzelrevolution um 1980  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  157 5

Inhalt

Zur gegenwärtigen Situation Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . .  173 Naturerhaltende Mitwelt statt zweckdienlicher Umwelt Biozentrische Überlebensstrategien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  189 Versuch einer Fundamentalkritik am »sachzwanghaften« Progressivismus Elmar Treptows Entwurf einer »erhabenen« Natur  . . . . . . . . . . . . . . . .  197 Für eine Überwindung der abstrakten unverpflichteten Malerei Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst  . . . . . . . . . . . . . . .  207 Kritik und Utopie Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  219

Anmerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  237 Bildnachweise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  255 Namenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  257

6

Vorwort

Noch ein Buch über die ökologischen Gefahrenmomente herauszubringen, die heutzutage die gesamte Welt bedrohen, scheint auf den ersten Blick überflüssig zu sein. Hören wir nicht jeden Tag in sämtlichen uns zur Verfügung stehenden Medien, zu welchen verheerenden Folgen die zunehmende Überindustrialisierung und die drastische Bevölkerungsexplosion in allen Erdteilen geführt haben? Ist nicht überall von Klimaveränderungen und den dadurch bedingten Dürreperioden, Waldbränden, Orkanen und Überschwemmungen die Rede? Und nimmt nicht dadurch die ihnen zugrunde liegende Erderwärmung von Jahr zu Jahr zu? Lesen wir nicht ständig von Öltankerunfällen, von der Verschmutzung der Meere durch Plastikabfälle, von der Verpestung der Luft durch Treibhausgase, von der Abholzung der tropischen Regenwälder, vom Rückgang der Wildtiere und Wildpflanzen, von der Gefährdung des Grundwassers durch Überdüngung der Ackerflächen usw.? Gut, wir hören das alles, aber was tun die verantwortlichen Regierungen eigentlich dagegen? Doch seien wir nicht unfair. Es gibt von Zeit zu Zeit durchaus Tagungen und Parlamentsdiskussionen, die sich mit derartigen Fragen auseinandersetzen und manchmal sogar einschneidende, wenn auch meist in die Zukunft verschobene Beschlüsse fassen, mit denen sie all diesen bedrohlichen Entwicklungen entgegenzutreten hoffen. Was jedoch dabei vorherrscht, ist fast immer eine humanozentrische Perspektive, die vor allem sekundäre Phänomene, nämlich die den Menschen betreffende Gesundheit und Ernährung ins Auge fasst, statt auch auf die gegenwärtigen technokratischen Grundlagen der marktwirtschaftlichen Industrialisierung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen einzugehen. Schließlich sind sie es, die all diese Veränderungen bewirken, welche nicht allein durch noch so wohlmeinende Reformen zu verändern sind, sondern einer durchgreifenden Umstrukturierung bedürfen. Wer sich angesichts dieser Situation nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken entschließen kann, ist entweder verblendet oder hat immer noch nicht eingesehen, in welchem zutiefst gefährdeten Zustand sich unsere Umwelt oder besser Mitwelt befindet. Haben nicht einsichtsvolle Naturwissenschaftler, Dichter und Philosophen schon seit dem Beginn der industriellen Revolution im frühen 19. Jahrhundert darauf gedrungen, all diese Phänomene wesentlich umfassender zu sehen, und in ihren manifestatorischen Dringlichkeitspostulaten darauf hingewiesen, dass es nicht genügen würde, diesen Prozess aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen, sondern dass man sich zu einer Rückbesinnung auf die in der Natur vorgegebenen Bedingungen 7

Vorwort

des menschlichen Lebens besinnen müsse? Allerdings blieben hierbei, wie etwa in Deutschland, viele dieser Äußerungen im Bereich einer romantischen Natursentimentalität befangen. Andere setzten sich vornehmlich für Bewegungen wie den Vegetarismus, die Lebensreform oder den Heimatschutz ein, ja, verfielen dabei zum Teil sogar einer Tendenz ins Nationalistische, wenn nicht gar Rassistische, empfanden sich aber dennoch in ihren naturschonenden Bestrebungen als utopische Vorboten einer grünen Gesinnung, die zwar schon die Gefahren der heraufziehenden Überindustrialisierung erkannten, aber noch nicht die vollen Konsequenzen der sich daraus ergebenden Naturzerstörung durchschauten. Und das blieb auch so in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, trotz der von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunehmenden Bevölkerungsvermehrung sowie der steigenden Wohlstandsansprüche der finanziell besser gestellten Ober- und Mittelschichten in allen hoch industrialisierten Ländern der sogenannten Ersten Welt, in denen die industrielle Zuwachsrate als der entscheidende Fetisch des Fortschritts gilt. Zu einem zögerlichen und dann immer vehementer einsetzenden Umdenken in dieser Hinsicht kam es erst, als in den siebziger und achtziger Jahren durch die nicht mehr zu übersehenden Klimaveränderungen, die Abnahme der natürlichen Ressourcen, die Atomkraftwerkkatastrophen, die Ölpest der Meere sowie die Zunahme der Treibhausgase in vielen Industrieländern der Erde eine ökologische Besorgtheit einsetzte und sich schließlich Bewegungen formierten, die auf ein grundsätzliches Umdenken in unserem Verhältnis zur Natur bestanden. Seitdem werden in manchen dieser Länder die ersten Sonnenkollektoren und Windmaschinen aufgestellt, eine naturverträglichere Landwirtschaft gefordert, gegen das Abholzen der Wälder protestiert, eine Reihe von Pestiziden verboten, Gesetze gegen einen übermäßigen Verbrauch von Dieselkraftstoffen erlassen, eine vegane Ernährung propagiert, die auf jegliche Fleischnahrung verzichtet, eine Stilllegung der Atomkraftwerke gefordert und viele derartige Maßnahmen mehr. Dadurch stieg zwar das ökologische Bewusstsein weitester Bevölkerungsschichten in diesen Ländern merklich an, aber die daraus resultierenden Einschränkungen erwiesen sich letztlich als ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotz alledem stieg die Temperatur weiterhin an, trotz alledem nahm der Fleischbedarf weiterhin zu, trotz alledem vergrößerte sich der Massenumsatz technologischer Gebrauchsartikel und die damit verbundene Abnahme natürlicher Ressourcen, trotz alledem nahm die Elektrifizierung weiterhin zu, trotz alledem kam es zu einer fortschreitenden Besiedlungsausweitung und dem sich daraus ergebenden Rückgang landwirtschaftlicher Nutzflächen usw. Mit zwar wohlgemeinten, aber bisher ineffektiven Maßhalteparolen oder Reformen ist diese Entwicklung, wie viele der mit den diesbezüglichen Fakten und Statistiken Vertrauten wissen, nicht aufzuhalten. Dazu ist dieser Prozess schon zu weit 8

Vorwort

fortgeschritten. Um ihm wirkungsmächtig entgegenzutreten, wäre letztlich eine Ökodiktatur nötig, die jedoch gegen das wohlbegründete Demokratieverständnis weitester Bevölkerungsschichten sowie das damit verbundene Vertrauen in die bestehende kapitalistische Marktwirtschaft verstoßen würde. Und so befinden wir uns gegenwärtig in einem ideologischen Schwebezustand zwischen Anpassung und Besorgtheit, auf den die Mehrheit der Bevölkerung in den führenden Industrieländern keineswegs verzichten möchte. Schließlich lebt sie weiterhin in der besten aller Welten, in der es nach wie vor eine Fülle industriell erzeugter Konsumgüter gibt und in der die sogenannte Umwelt immer noch grün ist. Doch wie lange wird sich dieser Zustand noch erhalten lassen, falls es nicht zu einer verstärkten Rücksichtnahme auf die lebenserhaltenden Naturzustände kommen sollte? Um ein grundsätzliches Umdenken in dieser Hinsicht in Gang zu setzen, müssten erst einmal die zwei Hauptgefahren ins Auge gefasst werden, die einen Fortbestand der gegenwärtigen Verhältnisse in Frage stellen: die rapide Bevölkerungszunahme sowie der steigende Energieverbrauch auf allen Gebieten. Gegen beide dieser Gefahren sind bisher noch keine wahrhaft eingreifenden Maßnahmen unternommen worden. Der Bevölkerungsabnahme stehen immer noch sowohl religiöse Vorurteile als auch die Bestrebungen der großen Konsumgüterkonzerne entgegen, ihren Profit steigernden Massenumsatz durch eine ständige Vermehrung der Konsumentenschichten auszuweiten. Die gleiche Tendenz liegt dem rapide zunehmenden Energiebedarf zugrunde, der ebenfalls auf jene ökonomischen Wachstumshoffnungen zurückgeht, die mit der konzerngesteuerten Überindustrialisierung zusammenhängen. Beide dieser Entwicklungen werden nach wie vor von fast allen konzernabhängigen Regierungen mit Kindergeldern und Wachstumsversprechungen gefördert, ohne einzusehen, wie problematisch solche Maßnahmen im Hinblick auf eine lebenswerte Zukunft sind, in der sich ein besseres, das heißt naturverträglicheres Verhältnis von Mensch und Mitwelt verwirklichen ließe. Dazu wären letztlich Parlamentsbeschlüsse erforderlich, die bei dem gegenwärtigen Stand der ideologischen und sozioökonomischen Verhältnisse noch undenkbar sind. Ein Recht auf Kinder und ein Recht auf einen wohlstandssteigernden Konsum lassen sich in den heutzutage bestehenden Wirtschaftsdemokratien nicht außer Kraft setzen. Schließlich ist in ihnen das Selbstverwirklichungsbestreben des Einzelnen noch immer das höchste Gebot. Doch was wird einmal geschehen, wenn gerade diese Rechte, für die man im Zuge aller sich als liberal gebenden Bewegungen der letzten zwei bis drei Jahrhunderte erfolgreich gekämpft hat, sich als den Fortbestand der Menschheit in Frage stellend erweisen sollten? Wenn sich dieses ungehemmte Durchsetzungs- und Selbstverwirklichungsverlangen durch die unvorhergesehene Bevölkerungsvermehrung und die zunehmenden Wohlstandsbedürfnisse als naturgefährdend und damit höchst bedroh9

Vorwort

lich zu erkennen gibt? Wenn sich selbst die bisher als »unterentwickelt« bezeichneten Länder in Industriestaaten verwandeln? Wenn immer mehr Ackerflächen und Wälder verschwinden? Wenn im Zuge der durch die Treibhausgase verursachten Erderwärmung die Polarkappen abtauen und die Meere die flachen Küstengebiete überschwemmen werden? Wenn die bedrohlichen Unwetter zunehmen? Wenn das Grundwasser verseucht wird? Und noch viele weitere solcher »Wenns«. Einhaltgebietende Antworten auf alle diese und ähnlich geartete Fragen sind bisher relativ selten. Schließlich wollen die in den bereits überindustrialisierten Ländern lebenden Ober- und Mittelschichten noch intensiver an der allgemein proklamierten Wohlstandserweiterung teilhaben, weshalb es selbst die ärmeren Bevölkerungsschichten innerhalb der als Erlebnis- oder Leistungsgesellschaften ausgegebenen Wirtschaftsdemokratien als durchaus gerechtfertigt empfinden, auch ein eigenes Haus zu besitzen, auch ein Auto zu haben, auch auswärts zu essen, auch zu reisen, auch über alle technischen Gadgets zu verfügen, auch an kostspieligen Events teilzunehmen, auch Wellnesscenter aufzusuchen und vieles andere mehr. All das gilt momentan als systemimmanent und damit so selbstverständlich, dass es schwerfällt, dagegen zu polemisieren. Falls sich daher ökologiebewusste Parteien oder Bewegungen lediglich auf den Slogan »Runter vom Wohlstand« beriefen, würde sie sicher niemand unterstützen oder gar wählen. Wohlgemerkt, ein gesicherter Wohlstand, und zwar für alle Menschen, sollte durchaus gewährleistet bleiben. Aber in welcher Form? Nicht im Hinblick auf eine maßlose Konsumerweiterung, sondern in einer sinnvollen Beschränkung auf die Grundvoraussetzungen einer naturverträglichen Lebensweise. Wie das durchzuführen wäre, bleibt demzufolge angesichts der heraufziehenden Gefahren die wichtigste Frage. So drastisch es auch klingt, dafür wären erst einmal eine Beschränkung der Kinderzahl und eine Reduzierung des Energieverbrauchs vonnöten. Mögen die dafür verantwortlichen Regierungen endlich die in dieser Hinsicht erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Ansonsten sähe es schlimm für die Lebenserwartungen kommender Generationen aus.

10

Zeitübergreifende Nachhaltigkeitskonzepte

Grüne Utopien in Deutschland Ein erster Überblick

I

Schriften, in denen die Misere der eigenen Gegenwart durch andere, sie überwindende Staatssysteme ausgemalt wird, gibt es seit Jahrhunderten. Und spätestens seit 1516, dem Erscheinungsjahr des Traktats De optimo rei publicae statu, degue nova insula Utopia von Thomas Morus, bürgerte sich dafür die Genrebezeichnung »Utopie« ein. Doch eine ökologische, das heißt naturschonende oder gar naturerhaltende Gesinnung sucht man in all jenen die Form von Utopien annehmenden Staatsromanen, die bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen, vergebens. Ein solches Bewusstsein stellte sich erst ein, als im Rahmen der bürgerlichen Aufklärungs- und Emanzipationsbemühungen den zeremoniellen Unterdrückungs- und Umgangsformen der höfischen Kreise ein »Natürlichkeits«-Konzept entgegengestellt wurde, von dem sich eine Reihe antiabsolutistisch eingestellter Gesellschaftskritiker eine neue Freiheitlichkeit in politischer, sozioökonomischer und kultureller Hinsicht versprach. Einer der Hauptanreger in dieser Hinsicht war der von allen empfindsam gestimmten Aufklärern der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bewunderte Jean-­Jacques Rousseau, welcher den auf die angeblichen Fortschritte aller »zivilisatorischen« Bemühungen stolzen Progressivisten das Leitbild des »edlen Wilden« entgegenstellte, der noch im harmonischen Umgang mit der Natur ein sorglos freies Leben führe.1 Obendrein beriefen sich dabei viele seiner Anhänger auf die Schilderungen jener noch im Zustand der natürlichen Ungezwungenheit lebenden Tahitianer, wie sie Louis Antoine de Bougainville in seiner Voyage autour de monde und Denis Diderot in seinem Supplément au voyage de Bougainville, beide 1771, dargestellt hatten. Solche Vorstellungen führten zwar in der französischen und deutschen Literatur zu einer Reihe meist in Afrika, Nordamerika oder der Südsee angesiedelter Naturstaatsutopien, in denen in betont antichristlicher und antifeudalistischer Einstellung die Leben spendende Sonne zum höchsten schöpferischen Prinzip erhoben wurde, aber der Zustand der Natur noch nicht, wie es unserem Empfinden entsprechen würde, unter ökologiebewusster Perspektive erscheint. Dennoch gab es bereits in diesem Zeitraum eine Reihe verstreuter Einsichten in die Gefährdung der Natur durch die sich allmählich entwickelnde Industrialisierung sowie das damit verbundene Profitstreben innerhalb der kapitalistischen Marktwirtschaft, die beide in den Naturerzeugnissen nur Rohstoffquellen für eine Steigerung der materiellen Warenproduktion sahen. Allerdings wurden solche Beden13

Grüne Utopien in Deutschland

ken anfangs noch nicht in vollausstaffierte Utopien eingekleidet, sondern äußerten sich weitgehend in Form sogenannter utopischer Intentionen, die sich auf einzelne Aspekte einer bewussteren Naturerhaltung beschränkten. Wohl am nachdrücklichsten äußerte sich diese Gesinnung bei einigen französischen Jakobinern zwischen 1789 und 1794, die als radikale Rousseauisten vor der durch zunehmende Kahlschläge erfolgten Bodenerosion warnten und deshalb eine planmäßige Aufforstung der durch die Machenschaften der lediglich auf finanzielle Gewinne bedachten Physiokraten entstandenen baumlosen Gebiete forderten.2 Doch in anderen europäischen Ländern, in denen sich noch keine revolutionären Zukunftshoffnungen regten, blieben solche Warnungen, falls es überhaupt dazu kam, viel zaghafter. Vor allem im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in dem es – im Gegensatz zu Frankreich – an einem politischen und intellektuellen Zentrum à la Paris mangelte und daher die Naturschwärmer unter den bürgerlichen Aufklärern in einem Zustand hoffnungsloser Zersplitterung lebten, entwickelten sich im späten 18. Jahrhundert noch keine Vorstellungen, die sich als »naturschonend« bezeichnen ließen. Schließlich blieb hier der Prozess der Industrialisierung lange Zeit weit hinter England und Frankreich zurück. Und auch die feudalaristokratischen und klerikalen Zensurbestimmungen waren im Heiligen Römischen Reich wesentlich restriktiver als in den beiden anderen Staaten. Dementsprechend erschienen in den verschiedenen deutschen Territorien vor dem Jahr 1800 zwar einige rousseauistisch gefärbte Naturstaatsutopien, deren Autoren jedoch aufgrund der Unerfüllbarkeit ihrer Zukunftshoffnungen meist ins Phantastische ausschweiften, aber noch keine politisch rebellischen oder wahrhaft ökologisch orientierten Schriften. So heißt es etwa in Carl Ignaz Geigers Reise eines Erdbewohners in den Mars (1790) im Hinblick auf jene Utopiker, die im Staate Washangau auf einem anderen Planeten leben und keinerlei Bedürfnisse zu haben scheinen als die, welche sich im Einklang mit der Natur erfüllen lassen: Wir haben kein Eigenthum, denn die Natur hat keines; sie hat jedem gleiche Rechte, gleiche Bedürfnisse gegeben. Alles, was wir haben, das ist Feld und Frucht und Vieh, ist daher unter uns gemeinschaftlich. Niemandemfällt es ein, sich davon mehr zuzueignen, als er braucht. Und was sollte er damit thun? Wozu würde es ihm helfen, als daß es ihm eine unnöthige Last machte? Denn wir haben ja keine Bedürfnisse, als jene der Natur; unsere Nahrung besteht aus dem, was unser Feld und unser Vieh giebt; unsere Wohnung ist eben so einfach, und unsere Kleidung noch einfacher; denn wir tragen das blose Gewand, das uns die Natur mit auf die Welt gab, und behängen uns, wenns sehr kalt ist, mit den Häuten unserer Thiere. Aber die weise Mutter Natur hat dafür gesorgt, daß die Menschen – woferne sie den Gesätzen der Natur getreu bleiben – so viel auch derer 14

Ein erster Überblick

1  Daniel Nikolaus Chodowiecki: ­Natur (1779) immer da sind, genug haben, und daß von den Menschen, wie von den Pflanzen, nicht mehrere hervorkommen, als der Erdstrich, worauf sie wachsen, ernähren kann. Keiner unter uns hat also jemals Mangel; denn keiner hat Ueberfluß.3

Fast die gleiche tahitianisch-­rousseauistische Naturstaatsutopie findet sich in Georg Friedrich Rebmanns Roman Hans Kiekindiewelts Reisen in alle vier Weltteile und in den Mond (1795), dessen Held unter den Schwarzen Afrikas ein kleines Paradies entdeckt. Auch hier herrscht das »wahre Glück«, da diese Naturmenschen weder Geld noch Ehrenstellen oder Priester kennen, nicht nach persönlichem Ruhm streben, 15

Grüne Utopien in Deutschland

kein Eigentum besitzen, weitgehend vom Früchtesammeln leben, aufgrund ihrer polygamen Triebbefriedigung nicht von Eifersucht geplagt werden und die Sonne als ihre einzige lebenserhaltende Gottheit verehren. Und auch Franz Heinrich Ziegenhagens mit Illustrationen von Daniel Nikolaus Chodowiecki ausgestattete Lehre vom richtigen Verhältnis zu den Schöpfungswerken und die durch öffentliche Einführung derselben allein zu bewirkende allgemeine Menschenbeglückung (1792) gehört in diesen Umkreis, in der ebenfalls die »Weisheit der Natur« als das oberste Prinzip gilt. Seine Utopiker laufen bei schönem Wetter gleichfalls stets nackt herum, entwickeln keine überspannten Bedürfnisse, lehnen jeden Luxus kategorisch ab und haben in ihren kolonieartigen Siedlungsgebieten im Alten Land bei Hamburg alles, was in einem Missverhältnis zur Natur stehen würde, vor allem Kriegswesen, Despotismus und Priesterherrschaft, in demokratischer Übereinstimmung abgeschafft. II

Konkretere Einsichten in den sich durch das allmählich einsetzende Industriewesen notwendig wandelnden Zustand der Natur finden sich im deutschsprachigen Raum erst im frühen 19. Jahrhundert. Aber selbst dann blieben sie weitgehend marginal, da die Ära der napoleonischen Kriege und die darauffolgende metternichsche Restaurationsepoche zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führten, durch welche die Entwicklung zu einer durchgreifenden Industrialisierung, Verstädterung sowie marktwirtschaftlichen Profitgesellschaft – jedenfalls im Vergleich zu England und Frankreich – wesentlich verlangsamt wurde. Dennoch gab es auch hier eine Reihe einsichtsvoller Geister, die auf eine größere Schonung der Natur drangen. Und zwar lagen ihren Publikationen höchst verschiedene Gesinnungsorientierungen zugrunde. Johann Wolfgang Goethe äußerte seine naturbesorgten Einsichten meist in verstreuten Maximen oder autobiographischen Schriften, zögerte jedoch nicht, sie auch in einzelnen Abschnitten seines Romans Wilhelm Meisters Wanderjahre (1821) sowie seiner Tragödie Faust II (1832) nachdrücklich herauszustellen.4 Ähnliche Einsichten finden sich bei einem kosmopolitisch gesinnten Naturforscher wie Alexander von Humboldt, einem Romantiker wie Gotthilf Heinrich Schubert sowie einem deutschnational eingestellten Historiker wie Ernst Moritz Arndt, die, wie der alte Goethe, in dem heraufziehenden »Industriezeitalter« ein für den Fortbestand der Natur äußerst bedrohliches Phänomen sahen. Wohl am entschiedensten drückte sich in dieser Hinsicht Karl Leberecht Immermann aus, der 1837 in seinem Roman Die Epigonen ohne irgendwelche utopischen Hoffnungen erklärte: Vor allen Dingen sollen die Fabriken eingehen und die Ländereien dem Ackerbau zurückgegeben werden. Jene Anstalten, künstliche Bedürfnisse künstlich zu befriedigen, erschei16

Ein erster Überblick

nen mir geradezu verderblich und schlecht. Die Erde gehört dem Pfluge. Mit Sturmes Schnelligkeit eilt die Gegenwart einem trockenen Mechanismus zu; wir können ihren Lauf nicht hemmen, sind aber nicht zu schelten, wenn wir für uns und die Unsrigen ein grünes Plätzchen abzäunen, und diese Insel solange wie möglich gegen den Sturz der vorbeirauschenden industriellen Wogen befestigen.5

Eine wesentlich größere und zugleich immer weitere Kreise erfassende Besorgtheit im Hinblick auf die naturzerstörerischen Auswirkungen der fortschreitenden Industrialisierung entwickelte sich in einigen deutschen Bundesländern erst, als es auch hier seit den fünfziger Jahren, wie vorher in Westeuropa, durch die Einführung der Gewerbefreiheit sowie eine rasche Modernisierung der technologischen Voraussetzungen zu einer allmählichen Ausbreitung des in der Metternich-­Ära noch befürchteten »Fabrikwesens« kam. Davon zeugen vor allem die zwar recht unterschiedlichen Schriften des konservativen Nationalökonomen Wilhelm Heinrich Riehl, des Chemikers Justus von Liebig sowie einige Äußerungen von Karl Marx über den verheerenden Raubbau an der Natur, der zu einer fortschreitenden Zerstörung der agrikulturellen Nachhaltigkeit führen könne.6 Ja, Letzterer schrieb bereits 1867 voller Einsicht in die bedrohlichen Folgen einer zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft: Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Centren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andererseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d. h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. […] Selbst hier wurde die gesteigerte Produktivkraft erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit.7

Doch auch jetzt, das heißt in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, erschienen in den verschiedenen deutschen Staaten noch kaum Werke, die sich als vollausgemalte ökologische Utopien charakterisieren lassen. Dennoch erwies sich das in einigen Warnschriften beschworene Bewusstsein, das der Jenaer Biologe Ernst Haeckel 1866 erstmals mit dem Adjektiv »ökologisch« umschrieb,8 von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die folgenden Jahrzehnte. Das zeigte sich vor 17

Grüne Utopien in Deutschland

allem in den Jahren nach der Gründung des Zweiten Deutschen Kaiserreichs in Versailles. In ihm kam es anfangs – aufgrund der nationalen Hochstimmung und der französischen Reparationszahlungen – zu einem ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung, der zwar zwischen 1874 und 1890 durch eine wirtschaftliche Depressionsphase unterbrochen wurde, aber danach so schnelle Fortschritte machte,9 dass auch Deutschland, welches im Jahr 1913 in der Weltrangliste der führenden Industrieländer den zweiten Platz einnehmen konnte, in steigendem Maße die naturschädigenden Folgeerscheinungen des zunehmenden »Fabrikwesens« zu spüren bekam. III

Damit brach als Gegenreaktion selbst in diesem Staat endlich ein Zeitalter ökologiebesorgter Utopien an. Allerdings lassen sich hierbei mehrere Richtungen unterscheiden, die zwar alle auf das Problem der rapiden Industrialisierung rekurrierten, aber in ihrer ideologischen Beurteilung dieses Phänomens höchst unterschiedliche Positionen bezogen. Etwas vereinfacht gesprochen kann man dabei zwischen folgenden fünf Richtungen unterscheiden: 1. einer auf den Prinzipien des »naturgemäßen« Lebens beruhenden Vereins- und Kommunebildung, 2. einer nationalökologisch und zugleich ästhetisch orientierten »Heimatschutz«-Bewegung, 3. einer sozialdemokratisch gesinnten Gruppenbildung innerhalb der »Naturfreunde«, 4. einer betont nationalromantischen Strömung im Rahmen des Wandervogels sowie 5. einer ins Phantastische, ja Außerirdische tendierenden Utopieliteratur, bei der das Ökologische zum Teil von Abenteuermotiven der damaligen Bestsellerliteratur überlagert wurde. Wohl die meisten Anhänger und Anhängerinnen hatten die beiden erstgenannten Richtungen. Und sie produzierten auch das vielfältigste Schrifttum. Beginnen wir mit jener Bewegung, die sich sowohl aus Angst vor den gesundheitsschädlichen Folgen der rapiden Industrialisierung als auch aus Liebe zur Tierwelt zu einer »naturgemäßeren«, das heißt weitgehend vegetarischen Lebensweise bekannte.10 Allerdings sollte man dabei im Hinblick auf sie zwischen zwei Gruppen unterscheiden. Eine, zu deren wichtigsten Sprechern Eduard Baltzer, Friedrich Eduard Bilz, Bruno Wilhelmi und Leopold Heller gehörten, unterstützte weniger utopische als lebensreformerische Ideale, denen – im Widerspruch zur kapitalistischen Konsumanheizung – meist die Forderung nach einer verzichtbereiten Bescheidenheit zugrunde lag. Statt sich weiterhin den Verführungen des großstädtischen Warenangebots hinzugeben, setzte man in diesem Umkreis seine Zukunftshoffnungen fast ausschließlich auf die Einführung des Vegetarismus, die Segnungen verschiedener Naturheilverfahrensweisen, das Tragen einer den Körper nicht beengenden Reformkleidung, den Verzicht auf Alkohol und Nikotin sowie eine allumfassende Tierliebe. Gute Beispiele für diesen Reformgeist wären Schriften wie Ideen zur sozialen Reform (1872) von Eduard Baltzer, 18

Ein erster Überblick

2  Ludwig von Hofmann: Idyll (1896)

Wie schafft man bessere Zeiten? (1882) von Friedrich Eduard Bilz oder Selbsthilfe. Ein Roman der Sparsamkeit und Lebenskunst (1894) von Leopold Heller, in denen Koloniebildungen gefordert wurden, deren Bewohner und Bewohnerinnen alle Fortschritte der Technik, der Wissenschaft und der kapitalistisch gesteuerten Warenproduktion als »verabscheuungswürdig« verwerfen und sich dafür lieber – in bewusster Vereinfachung ihrer Bedürfnisse – jenen Freuden hingeben, welche die Natur ihnen bietet. Und es gab sogar Gruppen, wie die »Neue Gemeinschaft« in Berlin-­Schlachtensee, die »Obstbaumkolonie Eden« in Oranienburg sowie die »Lebensreformsiedlung auf dem Monte Verità«, die derartige Prinzipien in die Praxis zu übertragen versuchten. Weit ins Utopische griffen dagegen folgende Schriften innerhalb dieser lebensreformerischen Tendenzen aus. So werden etwa in Romanen wie Ein neues Eden (1904) von August Wick und Im Zukunftsstaat (1905) von Ernst Hardt Enklaven »neue Menschen« geschildert, die – gleichsam fidushaft – in göttlicher Nacktheit inmitten einer tropischen oder subtropischen Vegetation lustwandeln und sich aufgrund ihrer lebensreformerischen Gesinnung einer vegetarischen Lebensweise verschreiben. Ja, Martin Atlas entwarf in seinem Roman Die Befreiung (1910) bereits ein voll entwickeltes ökologisch durchdachtes Staatsgebilde. In ihm wird der »Frieden 19

Grüne Utopien in Deutschland

mit der Natur« dadurch erreicht, indem man eine strikte Geburtenkontrolle einführt, als Energiequelle lediglich die Sonnenwärme und den Erdmagnetismus nutzt sowie nur künstlich hergestellte Nahrungsmittel zu sich nimmt, um die Natur nicht durch landwirtschaftliche Produktionsweisen zu vergewaltigen. Statt in hässlichen, dreckigen Großstädten zu wohnen, leben die hier geschilderten Menschen, wie auf vielen Bildern der gleichzeitig entstehenden Jugendstilmalerei, fast ausschließlich in weiträumigen Parkanlagen oder am Rande blühender Wälder, wo sie im Umgang mit der Natur zu ihrer eigenen Natürlichkeit zurückfinden. In dieser Welt werden sogar die bisherigen Wüsten und andere Ödflächen mit einer neuen Humusschicht überzogen, auf der zunächst nur Gräser und kleinere Sträucher wachsen, bis auf ihr zu einem späteren Zeitpunkt ausgedehnte Wälder entstehen und somit die gesamte Erde wieder ein einziger großer »Garten« wird,11 in dem sich niemand mehr an die frühere Industriezivilisation mit all ihren Widrigkeiten und ihrem rasanten Vernichtungsdrang erinnert. Wesentlich konkreter und daher weniger utopisch war jene Heimatkunst- sowie Heimatschutzbewegung, die sich ebenfalls in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte. Sie ging anfangs eher von ästhetischen Gesichtspunkten aus, das heißt verteidigte die Schönheit der deutschen Landschaft gegen die zunehmende Verstraßung, Verdrahtung, Zersiedelung und Vermüllung, griff dann aber auch ökologische Gesichtspunkte auf und protestierte gegen die Verunreinigung der Flüsse, die übermäßigen Abgase und die fortschreitende Zerstörung wichtiger Biotope. Einer ihrer wichtigsten Sprecher war Ernst Rudorff, dessen Schrift Heimatschutz (1897) dieser Bewegung einen wichtigen Auftrieb gab, was schließlich dazu führte, dass 1904 in Dresden der »Bund Heimatschutz« gegründet wurde,12 der schon kurz darauf Tausende von Mitgliedern zählte und innerhalb dessen sich der mit bäuerlich-­ konservativen Tendenzen sympathisierende Architekt und Kulturtheoretiker Paul Schultze-­Naumburg ein beachtliches Ansehen verschaffte. Nicht ganz so nachdrücklich engagierte sich die damalige Sozialdemokratische Partei für den im Zuge der vehement voranschreitenden Industrialisierung immer nötiger werdenden Naturschutz. Und doch gab es auch in ihren Reihen einzelne Parteiführer, die, wie Wilhelm Hasenclever, im Reichstag vor der Gefahr zunehmender Überschwemmungen warnten, welche durch die Abholzung großer Waldgebiete verursacht würden.13 Ja, August Bebel ging in späten Auflagen seines Buchs Die Frau und der Sozialismus (1879) sogar so weit, mit utopischen Hoffnungen die Einführung von in der Sahara aufgestellten Sonnenkollektoren zu propagieren, um so den unnötig raschen Abbau wertvoller Rohstoffe wie Kohle und Erdöl zu verlangsamen.14 Doch zu wirklich konkreten Maßnahmen entschlossen sich innerhalb dieser Partei lediglich die sogenannten »Naturfreunde«, die sich mehrfach an lokalen 20

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Naturschutzaktionen beteiligten, während die Mehrheit des damaligen Proletariats durch die bestehenden Arbeitsverhältnisse so stark in die industriellen Produktionsprozesse eingebunden war, dass sie in der zunehmenden Industrialisierung eher die Chance einer auch ihr zugutekommenden Wohlstandssteigerung als die Gefahr einer fortschreitenden Naturzerstörung sah. Im Rahmen der nationalromantischen Strömungen lohnt es sich in diesem Zusammenhang eigentlich nur, auf den Aufsatz Der Mensch und die Erde von Ludwig Klages hinzuweisen, den er 1913 zu der Festschrift des »Ersten Freideutschen Jugendtags« auf dem Hohen Meißner beisteuerte. In ihm wurde in aller Schärfe davor gewarnt, Deutschland durch die Verkoppelung der Äcker, die Kanalisierung der Flüsse, die Rauchschwaden der Fabriken sowie den rücksichtslos erweiterten Straßenbau, kurzum: durch den von den Managern des allerorts gepriesenen »Fortschritts« der technologischen Rationalisierung in eine öde »Nutzlandschaft« zu verwandeln und damit jenen »romantischen« Zauber auszulöschen, der einmal die deutschen Berge, Flüsse und Wälder zu wundersamen Antriebsquellen eines als schier unerschöpflich geltenden »Volksgeistes« gemacht habe. Dementsprechend heißt es an einer Stelle dieser Schrift voller Wut: Zerrissen ist der Zusammenhang zwischen Menschenschöpfung und Erde, vernichtet für Jahrhunderte, wenn nicht für immer, das Urlied der Landschaft. Dieselben Schienenstränge, Telegraphendrähte, Starkstromleitungen durchschneiden mit roher Geradlinigkeit Wald und Bergprofile, sei es hier, sei es in Indien, Ägypten, Australien, Amerika; die gleichen grauen vielstöckigen Mietskasernen reihen sich einförmig aneinander, wo immer der Bildungsmensch seine »segenbringende« Tätigkeit entfaltet; bei uns wie anderswo werden die Gefilde »verkoppelt«, d. h. in rechteckige und quadratische Stücke zerschnitten, Gräben zugeschüttet, blühende Hecken rasiert, schilfumstandene Weiher ausgetrocknet; die blühende Wildnis der Forste von ehedem hat ungemischten Beständen zu weichen, soldatisch in Reihen gestellt und ohne das Dickicht des »schädlichen« Unterholzes; aus den Flußläufen, welche einst in labyrinthischen Krümmungen zwischen üppigen Hängen glitten, macht man schnurgerade Kanäle; die Stromschnellen und Wasserfälle haben elektrische Sammelstellen zu speisen; Wälder von Schloten steigen an ihren Ufern empor, und die giftigen Abwässer der Fabriken verjauchen das lautere Naß der Erde – kurz, das Antlitz der Festländer verwandelt sich allgemach in ein mit Landwirtschaft durchsetztes Chikago!15

Innerhalb der ins Phantastische ausschweifenden ökologisch orientierten Utopie­ literatur dieser Jahre erregte vor allem der Roman Auf zwei Planeten (1897) von Kurt Laßwitz vorübergehend ein beachtliches Aufsehen. Er spielt vornehmlich auf dem Mars, dessen Bewohner – im Gegensatz zu den zurückgebliebenen »Erdlingen« – 21

Grüne Utopien in Deutschland

ihre Energie weitgehend aus der Sonnenstrahlung beziehen und nur synthetisch hergestellte Lebensmittel zu sich nehmen, um keinen Raubbau an der Natur zu treiben. Ähnliche Konzepte werden in dem Roman Entrückt in die Zukunft (1895) von Theodor Hertzka propagiert, in dem sich die Menschen der Zukunft entschlossen haben, vornehmlich in »schönen« subtropischen Gegenden wie Italien zu wohnen und Nordeuropa den Tieren zu überlassen. Außerdem verzichten sie auf Kohle und Öl und nutzen lediglich den Erdmagnetismus als naturschonende Energiequelle. IV

Die Ära zwischen dem Beginn des Ersten Weltkriegs und dem Ende des Dritten Reichs, kurzum: die Zeit von 1914 bis 1945 war für die Herausbildung einer ökologisch orientierten Utopieliteratur nicht besonders günstig. Im Krieg standen erst einmal ganz andere Probleme im Vordergrund als eine verstärkte Schonung der Natur. Und auch, als es im November 1918 in Deutschland zur Revolution gegen die bisherige Gesellschaftsordnung kam, äußerte sich die Stoßkraft der angestrebten Umwälzungen vor allem auf politischem Gebiet. Lediglich in der kurzen Aufbruchsphase der expressionistischen Revolte von 1918/19 kam es zum Aufflackern utopisch gestimmter Hoffnungen, die – innerhalb umfassender Befreiungsvorstellungen – auch ins Ökologiebewusste vorstießen. So ertönt etwa in dem Drama Der Unbedingte (1919) von Friedrich Wolf wie auch gegen Ende von Georg Kaisers Trilogie Gas (1918/20) ein laut herausgeschriener Ruf nach einem radikalen Abbau aller bisherigen, dem Kriege dienlichen Schwerindustrien sowie einer sofortigen Rückkehr zu bäuerlichen Lebensverhältnissen. Mit gleicher Verve bekannten sich Leberecht Mügge und Jürgen von Reuss 1919 in ihrer Schrift Das grüne Manifest zu ökologieorientierten ländlichen Siedlungen, in denen man einer betont antistädtischen Gesinnung huldigen würde.16 Aber aufs Große und Ganze gesehen drängten der erneute technologische Fortschrittskult und die dadurch ausgelösten Modernisierungsschübe, durch welche die Weimarer Republik in den mittzwanziger Jahren abermals zum zweitstärksten Industrieland der Welt wurde, solche Tendenzen wieder in den Hintergrund, wodurch vereinzelte Warnungen, wie die des ehemaligen Sozialdemokraten und Naturschützers Bruno Wille,17 keine Breitenwirkung mehr erzielten. Und auch während des Dritten Reichs wurde über solche Probleme kaum noch in der Öffentlichkeit diskutiert. Der Vegetarier Adolf Hitler war zwar ein großer Natur- und Tierfreund, unterstützte aber als Realpolitiker lediglich landwirtschaftliche Produktionsbedingungen, welche die größten Ernten ermöglichten, statt sich für die von einigen seiner Anhänger zum Schutze der deutschen Erde befürwortete anthroposophisch-­biodynamische Landbauweise im Gefolge Rudolf Steiners einzusetzen, da eine solche Anbaumethode 22

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weniger Erträge versprach. Selbst als sich Alwin Seifert, der maßgebliche Reichslandschaftsanwalt innerhalb der NSDAP, gegen die fortschreitende Rücksichtslosigkeit der allein an Nützlichkeitsprinzipien orientierten Bodenbearbeitung wandte und eine größere Schonung der Natur verlangte,18 hatte das keine gravierenden Folgen. Und so erwies sich auch auf diesem Gebiet, dass die Ideologie des Dritten Reiches keinerlei utopische Intentionen enthielt,19 sondern dass in ihr fast ausschließlich ein pragmatisch ausgerichtetes Herrschaftsbestreben im Vordergrund stand. Selbst folgender Appell, endlich den industriellen Fortschrittswahn aufzugeben, den der Physiker Werner Heisenberg 1941 in der Zeitschrift Geist der Zeit publizierte, verhallte daher im Leeren: Die ganze Welt wird verwandelt durch die ungeheure Erweiterung unserer naturwissenschaftlichen Kenntnisse und durch den Reichtum der technischen Möglichkeiten. Daher sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder warnende Stimmen laut geworden, die zur Umkehr raten. Sie weisen darauf hin, […] daß wir uns mit der Entfernung von der lebendigen Natur gewissermaßen in einen luftleeren Raum begeben, in dem kein weiteres Leben möglich sei.20 V

Umso mehr Utopien, in denen auch der ökologische Faktor mitberücksichtigt wurde oder gar eine zentrale Rolle spielte, erschienen dagegen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Zunahme solcher Werke lagen sowohl eine tief sitzende Angst vor nuklearen Katastrophen als auch die Befürchtung zugrunde, dass es in der Dritten Welt zu einer fortschreitenden Versteppung weiter Landstriche sowie einem dramatischen Rückgang der tropischen Regenwälder kommen würde. Im Gefolge der damals weitverbreiteten dämonologischen Deutungsmodelle derartiger Vorgänge, die auch zur Interpretation des deutschen Faschismus herhalten mussten, äußerten sich diese Ängste und Befürchtungen anfangs zumeist in Form sogenannter Dystopien, deren Warnbilder jedoch in vielen Fällen – wenn auch auf indirekte Weise – zugleich utopische Wunschvorstellungen einer von solchen Schrecken endlich erlösten Welt enthielten, in der alle Menschen wieder ein von Kriegen und Naturkatastrophen befreites Leben führen könnten. Und zwar wurde dabei im westlichen Teil Deutschlands sowie in Österreich und der Schweiz in derartigen Schriften für sämtliche bisherigen oder immer noch andauernden Übel, wie etwa in Hans Sedlmayrs Buch Verlust der Mitte (1948), häufig der bereits in der Aufklärung erfolgte »Abfall von Gott« verantwortlich gemacht. Dafür sprechen Bücher wie Des Menschen Thron wankt (1955) von Ernst Hass, Epoche des Teufels (1955) von Anton Böhm, Luzifers Griff nach dem Lebendigen (1953) von 23

Grüne Utopien in Deutschland

Erwin Gamber sowie Die Utopie vom Paradies (1957) von Alois Guggenberger, deren Autoren der »gnadenlosen Entfesselung der Maschinenwelt« als einzige Hoffnung die »Rückkehr zu Gott« entgegensetzten.21 Doch auch an spezifisch ökologischen Warnschriften fehlte es in diesem Zeitraum keineswegs. In ihnen wurde vor allem auf den schädigenden Einfluss der Monokulturen, Pestizide, Waldrodungen sowie anderer Landschaftszerstörungen hingewiesen. Gute Beispiele dafür sind Manifeste wie Ketten für Prometheus. Gegen die Natur oder mit ihr? (1954) von Reinhard Demoll sowie Von der Gefahr, in der wir leben (1956) von Peter Härlin, die davor warnten, die »Verwirtschaftlichung« aller natürlichen Rohstoffe nicht so weit zu treiben, dass von der ursprünglichen Natur nichts mehr übrig bleibe.22 Angesichts einer derartigen Flut dystopischer Vorstellungen hatten es die Autoren positiv gestimmter Traktate und Romane in diesem Zeitraum relativ schwer, sich auf dem Buchmarkt durchzusetzen. Erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre tauchten im Gefolge der sich ausbreitenden »Wirtschaftswunder«-Gesinnung in solchen ökologischen Warnschriften erneut eine Reihe utopischer Hoffnungen auf. Im Unterschied zu manchen Forderungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, nach irgendwelchen nuklearen Katastrophen der gefahrendrohenden Technik auf alle Zeiten Lebewohl zu sagen und wieder, im Sinne der Erzählung In Utöpchen (1947) von Ernst Wilhelm Schmidt, zu urtümlich-­bäuerlichen Zuständen zurückzukehren, versuchten sich jetzt, wie in dem Buch Den Göttern gleich. Unser Leben von morgen (1959) von Diether Stolze, einige Autoren erneut an Bildern einer ökologie- und zugleich technikgemäßeren Zukunft zu orientieren. Vor allem die schnell aufblühende Science-­Fiction-­Literatur dieser Jahre war voll von solchen Visionen, in denen bisher ungeahnte industrielle Modernisierungsschübe die Menschen zu Hoffnungen auf ein reicheres und bequemeres Leben beflügeln würden. So gelingt es etwa in dem Roman Erde ohne Nacht (1958) von H. L. Fahlberg einer Ingenieursgruppe, den Mond durch ferngesteuerte Atombrände in eine zweite Sonne umzufunktionieren und somit die gesamte Erde in ein ständig lichtüberglänztes subtropisches Paradies zu verwandeln, in dem es keine ökologisch bedingten Probleme mehr gibt. Angesichts einer solchen Situation, in der einerseits ein grenzenloser Defätismus, andererseits ein blinder Fortschrittswahn herrschte, war es fast unmöglich, überhaupt noch spezifisch »grüne« Utopien zu schreiben. Lediglich ein Schweizer wie Hans Albrecht Moser versuchte damals, in seinem Roman Vineta. Ein Gegenwartsroman in zukünftiger Sicht (1955) den »Vinetern« des 20. Jahrhunderts – im Gefolge älterer lebensrefomerischer Vorstellungen – als Leitbild einer sinnvolleren Zukunft das Volk der zur Natur zurückgekehrten »Utopier« entgegenzustellen, die sich aus ökologischen Gründen zu einer größeren Bescheidenheit durchgerungen haben. Statt weiterhin »immer mehr« haben zu wollen, das heißt, immer mehr Kinder in 24

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die Welt zu setzen, immer mehr Tiere abzuschlachten, immer weitere Landstriche in touristische Attraktionen zu degradieren sowie immer mehr Maschinen in ihren Dienst zu stellen, werden seine Utopier als Vertreter einer Lebensweise dargestellt, die der Natur und der Tierwelt mit äußerster Schonung entgegentreten. Ebenso ökologiebewusst wirkt der kurz darauf erschienene Roman Der Tanz mit dem Teufel (1958) des Österreichers Günther Schwab. Im Sinne der dämonologischen Interpretationsmodelle der unmittelbaren Nachkriegszeit werden in ihm die sich anbahnenden ökologischen Katastrophen als das Werk vieler Unterteufel charakterisiert, die auf Befehl ihres Chefs die Menschen zu einer maßlosen Profit- und Besitzgier verführt hätten, durch die ein Macht- und Fortschrittswahn entstanden sei, der zu einer skrupellosen Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur geführt habe. Einer der in diesem Roman auftretenden Teufel erklärt daher unumwunden: Für die industrielle Gesellschaft von heute hat die Ankurbelung von Bedarf und Konsum überragende Bedeutung. Sie ist ein Teil der Warenproduktion. Die Angebote sind Befehle. Befehlsverweigerung wird bestraft. Der Zwang zum Verbrauch erstreckt sich auch auf lebensfeindliche, auf schädliche Dinge. Die am Geschäft Interessierten dulden weder die Mäßigkeit des Konsumenten noch seine Aufklärung. Das würde den Umsatz senken. Wer es wagen wollte, Bescheidenheit, Anspruchslosigkeit und Verantwortung zu predigen, würde als Wirtschafts- und damit als Staatsfeind, als Saboteur des Fortschritts angeprangert werden. Dem Kaufmann von heute ist ein Dieb lieber, als einer, der nichts kauft. Ein auch nur teilweise erfolgter Konsumverzicht eines Volksteiles müßte einen wirtschaftlichen Erdrutsch zur Folge haben. Man fördert daher propagandistisch in allen Schichten die Unmäßigkeit. Da jedoch jeder Bissen Nahrung, jeder Trunk, jeder Gegenstand des täglichen Gebrauchs der Natur abgerungen werden muß, bedeutet der immer mehr sich steigernde Verbrauch aller Güter ein immer rücksichtsloseres Eingreifen in den Bestand der Schöpfung.23

Erst ganz am Ende leuchtet in diesem Werk ein utopischer Vorschein auf eine Änderung der katastrophalen Zustände auf. In der allgemeinen Trümmerlandschaft, heißt es, sei ein Apfelbäumchen stehen geblieben, unter dem sich die beiden letzten Menschen, ein Mann und eine Frau, voller Hoffnung angelächelt und als »Saat eines neuen Weltalters« einige Körner in die Erde gesenkt hätten.24 VI

In den frühen sechziger Jahren flaute jedoch diese Form von ökologisch besorgten Schriften und der sie begleitenden utopischen Zukunftsvisionen wieder merklich ab. Was in diesem Zeitraum in der ehemaligen Bundesrepublik vorherrschte, war 25

Grüne Utopien in Deutschland

eine immer ungestümer werdende Wohlstandsgesinnung, die sich nicht mehr durch irgendwelche Einschränkungsvorstellungen oder gar ökologische Katastrophenbilder beirren lassen wollte. In den zweckoptimistischen Verlautbarungen dieser Jahre machte sich deshalb die Überzeugung breit, in einer nicht enden wollenden ökonomischen Wachstumsperiode zu leben, woraus sich nicht nur ein steigender Lebensstandard, sondern auch eine höhere Lebensqualität ergeben würde. Doch diese selbstgefällige Vorstellung war höchst trügerisch. Durch die 1966/67 einsetzende Wirtschaftskrise, den Beginn der Außerparlamentarischen Opposition, das Ende der CDU/CSU-Herrschaft, die steigenden Ölpreise sowie das von Dennis L. Meadows im Auftrag des »Club of Rome« verfasste Buch Die Grenzen des Wachstums. Bericht zur Lage der Menschheit (1972) machten die bis dahin bedenkenlos verkündeten Wohlstandsparolen plötzlich einer ideologischen Krisenstimmung Platz, in der auch das Ökologiethema erneut aufgegriffen wurde und sogar in den Massenmedien das nötige Aufsehen erregte. Seit den frühen siebziger Jahren erschien daher in Westdeutschland fast jedes Jahr eine Schrift nach der anderen, durch die – angesichts des in Frage gezogenen technologischen Fortschrittswahns, der zu einer immer rücksichtsloseren Ausbeutung, ja, Ausschlachtung aller natürlichen Rohstoffe führe – eine größere ökologische Besorgtheit einsetzte. Und in dem Bemühen, nicht nur in einer nörgelnden Kritik stecken zu bleiben, kam es hierbei zu einer Reihe von Alternativvorschlägen, die in ihren Zukunftsprognosen auch auf utopisch klingende Vorstellungen keineswegs verzichteten. Die Autoren und Autorinnen solcher Werke, die sich im Zuge der gesellschaftskritischen Stimmung der späten sechziger Jahre angewöhnt hatten, bei ihrer Kritik auch die nötigen Gegenvorschläge nicht zu vergessen, setzten sich daher in der Folgezeit immer intensiver im Hinblick auf die »Umwelt«-Frage, wie es jetzt allgemein hieß, für möglichst schnell einzuleitende Naturschutzmaßnahmen ein. Neben einigen frühen Kursbuch-­Beiträgern wie Hans Magnus Enzensberger gehörten zu dieser Gruppe sowohl linksorientierte SPD-Politiker wie Jochen Steffen und Erhard Eppler, ja, sogar ehemalige CDU-Abgeordnete wie Herbert Gruhl als auch gesellschaftskritische Publizisten wie Carl Amery, Zukunftsforscher wie Robert Jungk, Umweltpolitikerinnen wie Petra K. Kelly und Manon Andreas-­Grisebach, Philosophen wie Hans Jonas, Physiker wie Carl Friedrich von Weizsäcker sowie DDR -Dissidenten wie Robert Havemann, Rudolf Bahro und Wolfgang Harich, die sich trotz vieler ideologischer Unterschiede in einem Punkt einig waren, nämlich dass man sich in ökologischer Hinsicht nicht mehr mit einigen wohlgemeinten Reformmaßnahmen begnügen dürfe, sondern dass es auf diesem Gebiet zu einem grundsätzlichen Umdenken kommen müsse. Andreas-­Grisebach stellte deshalb schon 1982 folgende, damals noch utopisch klingende Forderungen auf: 26

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Sofortmaßnahmen gegen »sauren Regen«; Rauchgasentschwefelung; Strompreisrabatte an Energiesparer; staatliche Förderung des ökologischen Landbaus; strenge Verordnungen über Düngung und Umgang mit Giften; keine Viehzucht ohne Landgrundlage; Erhaltung bäuerlicher Anbauflächen; Landschaftsverbrauch bis zur Nullgrenze senken; Empfehlung energiesparender, vegetarischer Kost; Massentierhaltung schrittweise abbauen; Grundwassererhaltung oder -regenerierung und umweltschonendes Müllrecycling.25

Wegen solcher Proklamationen wurden derartige Autoren oder Autorinnen im Lager der systemimmanenten Status-­quo-­Vertreter zu diesem Zeitpunkt noch gern als voreilige Doomsday-­Propheten hingestellt, die aus journalistischer Sensationslust eine Ökohysterie heraufzubeschwören suchten, um sich damit in den Augen rebellischer Studenten als besonders »engagiert« zu qualifizieren. Als geradezu »verdammenswert« bezeichneten die damaligen Rechten, die alles Ökologiebesorgte – aufgrund der damit verbundenen antikapitalistischen Tendenzen – von vornherein als »links« empfanden, jene Passagen in den Werken der von ihnen angegriffenen »Naturfanatiker«, in denen sie irgendwelche utopischen Intentionen witterten, die ihnen als »wachstumsgefährdend« erschienen. Da die alljährliche industrielle Wachstumsquote innerhalb aller marktwirtschaftlich strukturierten Gesellschaftssysteme inzwischen zum höchsten Maßstab eines angeblich »gesunden« Staatsgebildes geworden war, wurde deshalb von den Vertretern derartiger Anschauungen alles, was auf Verlangsamung oder gar Herabsetzung wohlstandssteigernder Tendenzen drängte, von vornherein als »undemokratisch« angeprangert. Doch davon ließen sich die eben genannten Autoren und Autorinnen nicht beirren. Selbst die Sozialisten unter ihnen, die ihre Parteifunktionäre immer wieder auf das von Friedrich Engels proklamierte Antiutopie-­Verdikt hingewiesen hatten, scheuten plötzlich – zum Teil unter Berufung auf Ernst Blochs Prinzip Hoffnung 26 – nicht davor zurück, in ihren ökologischen Alternativvorschlägen ins Utopische auszuschweifen. Die erste Publikation dieser Art war das Buch Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der »Club of Rome«, das der DDR-Philosoph Wolfgang Harich 1975 in Westdeutschland herausbrachte. In ihm geht es um die Utopie eines sozialistischen Weltstaats, der alle übrig gebliebenen Rohstoffe sorgfältig rationiert, Fabriken nur an Standorten zulässt, an denen keine allzu großen Transportkosten anfallen, zum Schutze der Natur selbst die Umsiedlung umfangreicher Bevölkerungsgruppen vornimmt und jede Form einer ungezügelten Produktionsweise, gleichviel ob westlicher oder östlicher Provenienz, verbietet, da diese zwangsläufig zu einem nicht wieder rückgängig zu machenden Zusammenbruch führen würde. Weil Harich fast 70 Prozent aller Industrieprodukte für überflüssig hielt, kritisierte er sogar die SED, sich 27

Grüne Utopien in Deutschland

seit der Machtübernahme Erich Honeckers im Jahr 1971 immer stärker an kapitalistischen Konsumnormen zu orientieren. Eine eher positiv gestimmte Haltung in solchen Fragen nahm Rudolf Bahro in seinem ebenfalls im Westen erschienenen Buch Die Alternative. Zur Kritik des realexistierenden Sozialismus (1977) ein. Bahro setzte in ihm seine Hoffnung auf eine bessere DDR auf einen selbstlosen »Bund der Kommunisten«, der dem kruden Materialismus der SED-Führungsschichten mit sozial betonten Genügsamkeitskonzepten entgegentreten würde. Im Einklang mit solchen Vorstellungen forderte er die Einführung einer »naturgemäßen Technologie«, um so von einer Produktion, welche die den Menschen ermöglichende Umwelt lediglich ausbeute, zu einer Produktion voranzuschreiten, die sich in den »natürlichen Zyklus der Natur« einordne. Das sei jedoch, wie er schrieb, nur durch eine konsequente »Senkung des Material- und Energieverbrauchs«, eine »weitestmögliche Reduzierung von Schadeinflüssen auf Mensch und Umwelt« sowie eine »lückenlose Rückgewinnung und Regenerierung wiederverwendbarer Rohstoffe aus Abfällen« erreichbar. Zur Durchführung solcher Maßnahmen erschien ihm zu diesem Zeitpunkt am besten jene bereits von Karl Marx anvisierte »Freie Assoziation freier Produzenten« geeignet, die sich nicht nur zu Freiheit und Gleichheit, sondern auch zu naturverbundener Brüderlichkeit bekenne.27 Noch einen Schritt weiter ging der DDR-Dissident Robert Havemann in seinem Buch Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheidewege. Kritik und reale Utopie (1980). Wie Harich und Bahro kritisierte auch er, dass man selbst innerhalb des Ostblocks ständig einen steigenden Konsumismus propagiere, ja, in dieser Hinsicht sogar den Westen zu »überholen« gedenke, entwarf jedoch im zweiten Teil seines Buchs – im Gegensatz zu Harich und auch zu Bahro – kein auf relativ spartanischen Prinzipien beruhendes Rationierungssystem, sondern eine Utopie, deren Bewohner und Bewohnerinnen in einer ökologisch durchdachten Wohlstandsgesellschaft leben, in der man durch die Anlage unterirdischer Fabriken, die geschickte Verwendung der Sonnenenergie sowie die Herstellung dauerhafter Bedarfsartikel dem bisherigen Prozess der Naturzerstörung endlich Einhalt geboten hat. Dafür spricht unter anderem folgender Passus: In den Supermärkten Utopias war niemals ein größerer Andrang. Man sah dort immer nur wenige Menschen. Das hatte seinen Grund in der enormen Lebensdauer aller Gebrauchsgegenstände. Außerdem war die Zahl der angebotenen Artikel viel kleiner als zu unseren Zeiten. Viele Gegenstände, die bei uns zum täglichen Bedarf gehörten, gab es gar nicht mehr, ganz abgesehen von den unzähligen Artikeln, die uns immer wieder von geschäftstüchtigen Leuten in einer Flut immer neuerer Neuheiten aufgeschwätzt werden, damit man sie nach meist nur kurzem Gebrauch wieder wegwirft. Und von den Gegenständen, 28

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die im Gebrauch waren, gab es nicht hunderte verschiedene Ausführungen wie bei uns, mit denen die kapitalistischen Produzenten auf dem Markt konkurrierten, sondern meist nur eine einzige in sehr hochwertiger Ausführung.28

Neben den ökologischen Warnschriften der bereits genannten westdeutschen Autoren hatten diese drei Utopien einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das ideologische Klima innerhalb jener bundesrepublikanischen Bevölkerungsgruppen, aus denen sich im Laufe der siebziger Jahre die sogenannte Grüne Bewegung entwickelte. Vor allem in ihren Anfängen herrschte in ihr weniger eine pragmatisch-­abwägende als eine idealistisch-­utopische Gestimmtheit vor. Das hing zum Teil damit zusammen, dass in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, als die ökologiebewussten Umweltschützer allmählich zu einer immer größeren Bewegung anschwollen, in der auch manche jener linken, linksliberalen, alternativen und feministischen Gruppen eine ideologische Heimstatt suchten, die bis dahin Teil der bisherigen Außerparlamentarischen Opposition waren und sich von keiner der im westdeutschen Bundestag vertretenen Parteien repräsentiert fühlten. Und so formierten sich gegen Ende der siebziger Jahre schließlich jene ersten Umweltparteien, welche sich als die »Alternativen«, die Vertreter und Vertreterinnen »Bunter Listen« oder auch schlichtweg »Die Grünen« bezeichneten, die durch ihre Proteste gegen die naturbedrohende Wegwerfproduktion der weiterhin an Konsum anheizenden und damit in ihren Auswirkungen naturzerstörerischen Großkonzerne mehr als ein nur lokales Interesse auf sich zogen. VII

Als es dieser Partei um 1980 gelang, in die westdeutschen Landtage und dann sogar in den Bundestag einzuziehen, wurde die Anzahl der mit ihr sympathisierenden Schriften, in denen nicht nur ein kritischer, sondern auch ein zukunftsgewandter Ton herrschte, geradezu Legion. Ihren absoluten Höhepunkt erreichte diese Welle ökologiebesorgter Publikationen, die der apokalyptischen Vision eines allgemeinen Waldsterbens oder eines unermessliche Katastrophen auslösenden Atombombenabwurfs eine grüne Hoffnungsideologie entgegensetzten, im Jahr 1982. In ihm kam unter anderem Manon Andreas-­Grisebach mit ihrer Mut machenden Philosophie der Grünen heraus; in ihm erschienen die ersten Landkommuneutopien, welche die Westdeutschen von ihrem technologischen Fortschrittswahn abzubringen versuchten, der zwangsläufig zu einer fortschreitenden Zerstörung der Natur führen würde; und in ihm brachte Jochen Bölsche sein viel beachtetes Manifest Natur ohne Schutz. Neue Öko-­Strategien gegen die Umweltzerstörung sowie die Partei der Grünen ihr zweites Bundesprogramm heraus. Alle diese Schriften enthielten nicht nur 29

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konkrete Anleitungen für ein umweltbewusstes Alltagsleben, sondern verschmähten keineswegs, unter der Parole »Lokal handeln, global denken« auch zu weltweiten Veränderungsmaßnahmen aufzufordern, wobei sie ein internationales Vernetzungssystem ins Auge fassten. Auch in den folgenden Jahren, als die Grünen weitere bundesweite Wahlerfolge erzielten, erschienen noch eine Reihe ökologiebewusster Grundsatzerklärungen, die durchaus utopische Züge hatten. Im Rahmen der Partei der Grünen war es vor allem die Schrift Um Hoffnung kämpfen. Gewaltfrei in eine grüne Zukunft (1983) von Petra K. Kelly, die in dieser Hinsicht die größte Furore machte. Durch sie wurde das Bewusstsein vieler ökologiebesorgter Menschen, die sich damals in Westdeutschland als Fundamentalisten oder kurz: »Fundis« verstanden, in jene Richtung gedrängt, von der sich diese Partei eine Veränderung der Gesamtgesellschaft versprach. Innerhalb dieser Richtung verstand man unter einer »grünen« Gesinnung nicht nur einen verstärkten Umweltschutz, sondern zugleich eine völlig neue Lebenseinstellung in politischer, sozioökonomischer und kultureller Hinsicht, um so den Boden für eine Gesellschaft vorzubereiten, in der sich alle Menschen in brüderlicher und schwesterlicher Verbundenheit sowie einer Einsicht in die naturgegebenen Voraussetzungen allen Lebens auf Erden zu einer kommunitaristisch gesinnten Gemeinschaft zusammenfinden, und so – wie in vielen älteren Utopien – eine gewaltlose Eintracht herrschen würde. So heißt es etwa in einem damaligen Landkommuneroman, dem Uwe Wolff 1982 den bewusst auf Beruhigung und Naturerhaltung insistierenden Titel Papa Faust gab: Papa Faust ist ein zur Ruhe gekommener Faust, ein Faust, der das Resümee einer Epoche zieht, der die Nachgeborenen warnt, nicht mehr den Weg der Väter fortzusetzen. Er hat seine Zeit ins Gigantische vollendet und jeder weitere Schritt wäre der sichere Sprung in den Untergang. Es gibt keine Weiterentwicklung mehr, sondern nur noch das Bändigen der überlebendigen menschlichen Triebe, die seit Generationen hemmungslos die Erde ausgebeutet haben. Einhalten, Verweilen, Überlegen vor allem voreiligen Handeln, dies will Papa Faust symbolisieren.29

Doch schon in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ging dieser anfängliche ideologische Elan innerhalb der grünen Bewegung wieder zurück. Auch die Anzahl der mit ihr sympathisierenden Schriften nahm dementsprechend von Jahr zu Jahr ab, zumal durch den im Jahr 1989 erfolgten Zusammenbruch des DDR-Regimes und die ein Jahr darauf stattfindende Wiedervereinigung Deutschlands vorübergehend ganz neue Probleme in den Vordergrund des öffentlichen Interesses traten. Zugegeben, auch danach erschienen weiterhin Bücher und Aufsätze, die sich mit 30

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ökologischen Fragen auseinandersetzten. Ja, es gab sogar in diesem Zeitraum noch grüngestimmte Aktivisten wie Carl Amery, Jutta Ditfurth, Ulrich Dolota, Eugen Drewermann, Klaus Michael Meyer-­Abich, Gudrun Pausewang und Günter Wallraff, die ihren Mitbürgern und Mitbürgerinnen nachdrücklich ins Gewissen zu reden versuchten, sich – entgegen den kaufanreizenden Konsumparolen der Gebrauchsgüterindustrien – zu einer größeren Bescheidenheit durchzuringen, um so einer Erschöpfung der lebensnotwendigen Rohstoffquellen vorzubeugen. Doch die spezifisch utopischen Impulse, die anfangs hinter solchen Proklamationen gestanden hatten, wurden zusehends geringer. VIII

Erst nach der Jahrhundertwende kam es wieder zu einer allmählichen Zunahme ökologiebesorgter Schriften. Und zwar lassen sich dabei – in den hier aufgezeigten Zusammenhängen – zwei neue Tendenzen konstatieren: eine stärkere Globalisierung der behandelten Gesichtspunkte sowie eine eher pragmatische Einstellung den naturbedrohenden Gefahren gegenüber. Beginnen wir mit den Ausweitungen ins Internationale. Obwohl es in den westund ostdeutschen sowie den darauffolgenden gesamtdeutschen Ökologiemanifesten schon vorher viele Querverbindungen zu englischen, französischen und amerikanischen Umweltschriften gab, hat diese Tendenz in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen. Vielen Grünen geht es seitdem nicht nur vorwiegend um das deutsche Waldsterben, die Verschmutzung der deutschen Flüsse oder die Gefahren, die sich aus den bundesrepublikanischen Atomkraftwerken und der Entsorgung des Atommülls im niedersächsischen Gorleben ergeben, sondern auch um jene Probleme, gegen die Organisationen wie Greenpeace und die Attac-­Bewegung anzukämpfen versuchen. Diese Entwicklung ist durchaus zu begrüßen, hat aber in ihrer Internationalisierung zum Teil zu einer Abschwächung der lokalen Naturschutzaktivitäten geführt. Ja, manche Grüne fühlen sich angesichts der viel diskutierten Probleme der weltweiten Bevölkerungszunahme, des steigenden Energieverbrauchs und vor allem der immer stärker werdenden Klimaveränderungen einfach ideologisch überfordert, wie sie sich als Einzelne oder auch als Gruppenmitglieder solchen Phänomenen gegenüber verhalten sollen. In dieser Hinsicht hilft ihnen nämlich die alte Parole »Lokal handeln, global denken« auch nicht viel weiter. Was sollen schließlich Einzelne tun, wenn alle staatlichen Organisationen weiterhin das vermehrte Kinderkriegen propagieren, wenn der Massentourismus ständig größere Ausmaße annimmt, wenn immer mehr Menschen aufs Land ziehen, wenn das Zweitauto zur Prestigefrage wird, wenn die Anzahl der elektronisch gesteuerten Geräte geradezu von Tag zu Tag zunimmt usw.? Wie soll man sich von all diesen »Sünden« gegen 31

Grüne Utopien in Deutschland

die erholungsbedürftige Natur fernhalten? Setzt das nicht eine geradezu »mönchische« Gesinnung voraus? Die Grünen als Partei sind daher höchst vorsichtig geworden, in ihren programmatischen Verlautbarungen weiterhin ihre früheren Utopieparolen, nämlich eine Wohlstandsminderung im Rahmen einer »demokratischen Askese«, zu befürworten.30 Wenn sie das täten, würde sie nämlich wegen der immer hektischer werdenden Bedürfniserweckungen kaum jemand wählen. Also sind an die Stelle der älteren »Fundis« innerhalb ihrer Partei zusehends jene »Mittalos« oder »Realos« getreten, die zwar noch gewisse Reformen befürworten, aber von allen als systemkritisch geltenden Maximen Abstand genommen haben. Das Wort »Utopie« ist daher in ihren Programmen immer seltener geworden, ja, wird manchmal als geradezu »absurd« hingestellt.31 Und doch hat sich diese Vokabel nicht ganz verdrängen lassen. Da nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in den herrschenden Massenmedien vor allem die Parole vom »Ende der Utopien« kursierte, mit der die ohnehin systemkonformen Publizisten und Publizistinnen den DDR-Sozialismus nachträglich als schlechthin »totalitär«, wenn nicht gar »stalinistisch« zu entlarven versuchten, ist es angesichts der auf vielen Gebieten nicht zu übersehenden sozioökonomischen und ökologischen Krisen weniger zu einem kapitalistischen Triumphalismus als zu einer gewissen Renaissance eines erneut ins Utopische tendierenden Denkens gekommen. Das gilt vor allem für die wiederauflebende Wertschätzung eines kritischen Utopismus à la Ernst Bloch und Walter Benjamin in einigen Ländern der ehemals »westlichen« Welt.32 Ja, selbst Äußerungen wie, dass sich in einer Gesellschaft, in der die »utopischen Oasen auszutrocknen« drohen, zwangsläufig eine »Wüste der Banalität und Ratlosigkeit« ausbreiten würde, wie es bei Jürgen Habermas einmal heißt, werden heute am Ende utopieverpflichteter Aufsätze wieder gern zitiert.33 Das Gleiche gilt für manche Schriften von Fredric Jameson, der sich mehrfach für eine noch zu findende Utopie nach den bisherigen Formen eines zukunftsträchtigen Denkens eingesetzt hat.34 Und auch die Autoren und Autorinnen des Sammelbandes Hope. New Philosophies for Change gingen im Jahr 2002 wiederholt auf die Möglichkeit neuer Utopiebildungen ein, um wenigstens vier Beispiele aus diesem Umkreis anzuführen. Und solche Tendenzen müssten endlich auch auf das ökologiebesorgte Denken breiterer Bevölkerungsschichten übergreifen. Statt weiterhin alle grünen Fundamentalisten, die auf eine grundsätzliche Umgestaltung der bestehenden sozioökonomischen Verhältnisse drängen, von vornherein als lächerliche »Utopiker« oder gar »Apokalyptiker« hinzustellen,35 wie das lange Zeit im systemkonformen Lager üblich war, sollte man aus der Krisensituation der Erderwärmung und des rücksichtslosen Verschleißes aller natürlichen Rohstoffe endlich gelernt haben, dass eine abwiegelnde 32

Ein erster Überblick

3  Abgestorbene Fichten am Brocken (2018)

Verharmlosung solcher Zustände oder gar ein bösartiger Hohn auf ihre Kritiker an den nicht mehr zu übersehenden Krisen nicht das Geringste ändert. Was wir viel eher brauchten, wären sorgfältig durchdachte Änderungsvorschläge, mit denen sich weitere Krisen verhindern ließen. Und in diesem Umkreis könnten auch ökologiebewusste Utopien erneut eine wichtige Rolle spielen. Allerdings müsste es sich dabei um möglichst realistisch fundierte Konzepte und nicht um »Fluchtburgen« eines liberal-­idealistischen Denkens handeln, die keinen genügenden Sinn für die materiellen Voraussetzungen solcher Veränderungen aufweisen.36 Nur so ließen sich die jeweils herrschenden Regierungen vielleicht bewegen, derartige Vorschläge endlich nicht weiter in die Zukunft zu verschieben, sondern möglichst umgehend die längst überfälligen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Was also die Grünen ins Auge fassen sollten, wären wesentlich konkretere Eingriffsmöglichkeiten in jene ökonomischen Produktions- und Entscheidungsvorgänge, mit denen sich – trotz der Beibehaltung einzelpersönlicher Selbstrealisie33

Grüne Utopien in Deutschland

rungsbedürfnisse – naturschonende Überlebenschancen herbeiführen ließen. Auf diese Weise könnte eine Umwandlung der rastlosen Verbrauchergesinnung in eine politisch aktive Einstellung erreicht werden, die sich nicht mehr mit den von den massenmedialen Unterhaltungsindustrien angepriesenen Schein- und Ersatzbefriedigungen begnügt, sondern eine graduelle Aufhebung der bestehenden Besitzverhältnisse sowie eine Überwindung der marktwirtschaftlich forcierten Entfremdung von den in der Natur vorgegebenen Lebensbedingungen zugunsten einer gesamtgesellschaftlichen Besorgtheit um die Naturverträglichkeit aller menschlichen Aktivitäten anstreben würde. Lediglich im Zuge solcher Aktivitäten ließe sich das momentan bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem möglicherweise aus seiner neoliberalen Umklammerung, das heißt den multinationalen Profitinteressen und den damit verbundenen Machtstrukturen, befreien und in den Bereich von Bestrebungen überführen, innerhalb derer sowohl politökonomische Veränderungen als auch ökologische Nachhaltigkeitsbemühungen machbar wären. Solche Vorschläge könnten derzeit am ehesten in enger Zusammenarbeit mit Gruppierungen wie den Globalisierungsgegnern und -gegnerinnen, den Natur- und Tierschutzvereinen, der Partei der Grünen, den Menschenrechts- und Friedensbewegungen, der Partei der Linken, der Organisation Greenpeace, der Attac-­Bewegung, den Gewerkschaften, den auf eine Erweiterung der bereits bestehenden Nationalparks eintretenden Organisationen usw. realisiert werden. Schließlich reicht es angesichts der immer näher rückenden ökologischen Krisen heutzutage nicht mehr aus, die gesellschaftlichen Zustände lediglich mit einer unwirksamen Verweigerungshaltung entgegenzutreten. Was jetzt auf der Tagesordnung stehen sollte, wäre das Gebot, sich mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln, ob nun der Wahlrede, des Manifests, des Romans, der wissenschaftlichen Publikation oder auch sinnvollen, das heißt »konkreten« Utopien, für eine grundsätzliche Veränderung einzusetzen.37 Und dabei müsste der Hauptnachdruck vor allem auf folgende Forderungen gelegt werden. Neben vielen anderen Aspekten – wie der Abholzung der tropischen Regenwälder, der Ausbreitung der Steppen- und Wüstengebiete, der fortschreitenden Klimaerwärmung, der Plastik- und Ölpest der Meere, des Verschwindens der Wildtiere und Wildpflanzen, der zunehmenden Zersiedlung vieler lebenswichtiger Biotope, der maßlosen Überindustrialisierung, des Massentourismus und der Luxusintensivierung – sollten hierbei zwei Hauptgefahren herausgestellt werden: 1. die drastische Zunahme des Energieverbrauchs, statt diesen durch eine steigende Technisierung des Arbeits- und Freizeitmilieus ständig zu erhöhen, sowie 2. eine effektive Reduzierung der Kinderzahl, statt diese durch staatliche Unterstützung unnötig anzukurbeln. 34

Ein erster Überblick

Ich weiß, all das klingt angesichts der systemkonformen Wachstumsparolen auf allen Gebieten notwendig unrealistisch. Aber wäre es nicht besser, sich möglichst bald zu einer auf einem demokratischen Konsensus beruhenden Widerstandshaltung durchzuringen, statt untätig auf die unaufhaltsam auf uns zukommenden Krisen und Katastrophen zu warten, nach denen solche Maßnahmen – falls sie überhaupt noch möglich sind – gewaltsam durchgeführt werden müssten? Was uns helfen könnte, wären deshalb nur konkrete Utopien, das heißt realisierbare Zielvorstellungen, die von den Grundvoraussetzungen einer lebenserhaltenden Natur ausgehen. Ansonsten würde die Menschheit, wie manche Zukunftsforscher behaupten, das Ende dieses Jahrhunderts nicht überleben.

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»Erst die Bäume, dann wir!« Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder 1780 – 1950

Von der letzten Eiszeit bis zum Beginn unserer Zeitrechnung war Mitteleuropa, wie viele Gebiete der gemäßigten Zonen, noch mit riesigen Wäldern bedeckt. Die germanischen Stämme, die sich auf den wenigen freien Flächen ansiedelten, hatten sich zwar im Laufe der Jahrhunderte allmählich aus Jägern und Früchtesammlern zu Ackerbauern und Viehzüchtern entwickelt,1 wuchsen jedoch nie über eine Million Menschen an, so dass der Wald das dominierende Element in diesen Gebieten blieb. Zur Zeit des Tacitus wäre also im Bereich der »Germania« noch niemand auf die Idee gekommen, dass man diese Wälder schonen müsse, um sie vor dem Schicksal jener Wälder zu bewahren, die im Mittelmeerraum bereits weitgehend der Axt zum Opfer gefallen waren. Während es dort zu ersten Erosions- und Verkarstungsschäden kam, blieb also im Norden das Landschaftsbild weiterhin von riesigen Waldgebieten bestimmt. Daran änderte sich auch in den folgenden Jahrhunderten nicht viel. Dort, wo überhaupt Menschen wohnten und nicht Wildnis herrschte, war der Wald entweder »Gemeineigentum« der dörflichen Anwohner oder Privatbesitz einzelner, »freier« Großbauern.2 Genutzt wurde er vor allem zur Jagd, zur Entnahme von Bau- und Brennholz, zur Sommerweide der Kühe sowie zur Eichel- und Bucheckernmast der Schweine. Obwohl dies kein besonders sorgsamer Umgang mit den Wäldern war, blieben diese Eingriffe in die Natur, wegen der geringen Bevölkerungszahl, dennoch so geringfügig, dass sie nicht zu einer Zerstörung der Wälder beitrugen. Und auch die Rodungen, die im 4. Jahrhundert im Zuge der Völkerwanderung erfolgten, änderten nur wenig an der Dominanz der Wälder und dem Wildnischarakter weiter Landstriche. Ein Wandel im Verhältnis zum Wald setzte erst im Mittelalter ein. Die allmählich ansteigende Bevölkerungszahl sowie die Entstehung der Städte mit ihrem großen Holzbedarf führten vor allem vom 11. bis zum 13. Jahrhundert zu ausgedehnten Rodungen, die sogar vor manchen bisher gemiedenen Mittelgebirgsgegenden nicht haltmachten.3 Durch diese Umwandlungsprozesse stiegen die übrig gebliebenen Wälder selbstverständlich an Wert. Und zwar gehörten diese Wälder erst der königlichen Zentralgewalt, die sich im frühen Mittelalter den Gesamtbesitz der herrenlosen Wälder angeeignet hatte, gingen dann jedoch durch Belehnungen und Schenkungen zusehends in die Hände der kleineren Territorialherren, also der Herzöge, Grafen und Reichsritter, aber auch der Bischöfe und Reichsabteien über, so dass der Waldbesitz der dörflichen Gemeinden und der freien Einzelbauern stän37

»Erst die Bäume, dann wir!«

dig kleiner wurde. Seit dem 15. Jahrhundert gab es daher keinen »besitzlosen Wald« mehr.4 Überall setzte sich die »Landeshoheit« der jeweiligen Eigentümer durch.5 Um sich nicht im Besitz ihrer Wälder beeinträchtigen zu lassen, erließen diese neuen, sich zu Gründern von Dynastien wandelnden Territorialherren schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts zahlreiche Rodungsverbote, was zur Gesundung der bestehenden Wälder beitrug. Außerdem setzte aufgrund der Pestepidemien gegen Ende dieses Jahrhunderts, durch die in bestimmten Gebieten große Teile der Bauernbevölkerung ausgerottet wurden, eine merkliche Rückverwaldung der dortigen Ländereien ein. Selbst als im 16. Jahrhundert ein sprunghaftes Anwachsen der Städte, eine Ausweitung vieler Holz verarbeitender Handwerkerzünfte, vor allem der Schreiner, Zimmerleute, Wagenbauer, Gerber, Seifensieder und Glasbläser sowie ein drastischer Ausbau der bestehenden Salinen, Eisenhütten und Bergwerke erfolgte, die nicht nur Rohholz, sondern auch Holzkohle und Pottasche benötigten, führte das zwar zu steigenden Holzpreisen, aber noch immer nicht zu einer Holzknappheit, welche den Menschen die Augen über den fortschreitenden Raubbau an der Natur geöffnet hätte. Zu Forstverordnungen, die sich mit »Waldverwüstungen« und »drohender Holznot« befassten, bei denen freilich auch die Sorge der Fürsten um ihre »Jagdgründe und Masteinnahmen« Pate gestanden haben dürfte,6 kam es erst im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert. Diese Warnungen hätten sich sicher wesentlich verschärft, wenn es nicht im 17. Jahrhundert zum Dreißigjährigen Krieg gekommen wäre, der die Bauernbevölkerung nochmals so stark dezimierte (in manchen Gegenden bis zu 50 Prozent), so dass, wie zur Zeit der Pest, eine neue Rückverwaldung weiter Landstriche einsetzte. Ein an französischen Vorbildern geschultes Wirtschaftsdenken, das wegen seiner ausschließlich gewinneinträglichen Tendenz allgemein als Merkantilismus und Physiokratismus bezeichnet wurde,7 entwickelte sich daher in Deutschland erst um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Der damit verbundene Eingriff in das Waldwesen ging weitgehend auf das steigende Repräsentationsbedürfnis der Fürsten zurück. Durch eine vermehrte Bautätigkeit, aufwendige Jagden sowie einen pompösen Lebensstil eiferte diese Kaste immer stärker dem Leitbild des französischen Königs als des Inbegriffs eines absolutistischen Herrschers nach. Als eine der wichtigsten Geldquellen bei diesem Bemühen erwies sich dabei der Waldbesitz der deutschen Territorialherren, die seit dem Dreißigjährigen Krieg über ein Drittel der deutschen Wälder ihr Eigen nannten. Aus diesen Wäldern wurde daher in der Folgezeit durch eine intensivierte Forstwirtschaft – nach dem Vorbilde Jean-­Baptiste Colberts – so viel herausgewirtschaftet wie nur möglich. Im Zuge dieser fiskalischen Ausbeutung der Wälder stellten die deutschen Landesherren sowohl kameralistisch ausgebildete niedere Adlige als auch Vertreter der gehobenen Bourgeoisie in ihren Dienst, wodurch an die Stelle 38

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

4  Hans Holbein d. J.: Rodung eines Waldes zur Gewinnung von Ackerland. Aus der Serie »Totentanz« (1538)

des weitgehend naturwüchsigen Umgangs mit den Wäldern eine staatlich kontrollierte, merkantilistische Forstwirtschaft trat. Theoretisch wurde diese Absicht durch Bücher wie Sylvicultura oeconomica (1713) von Hans von Carlowitz sowie Grundsätze 39

»Erst die Bäume, dann wir!«

der Forstökonomie (1757) von Gottfried Moser unterstützt, die sich für eine Waldwirtschaft aussprachen, die allein auf »Gewinn, Nutzung und Erhaltung« basieren würde, welche der Endzweck jeder »wirtschaftlichen Einrichtung und Maßregel« sei.8 Demzufolge wurden seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die nur langsam nachwachsenden Eichen- und Buchenwälder, die sich bisher durch Versamung selbst erneuert hatten, immer stärker durch schnell wachsende Fichten- und Tannenanpflanzungen ersetzt. So ordnete etwa Friedrich II. von Preußen 1764 an, anstelle der »ungeordneten« Nutzung der älteren Laubwälder, die zu langsam wüchsen, »Waldschläge mit siebzigjährigem Umtrieb«, also Fichtenwälder, anzulegen.9 Ähnliche Verfügungen erließ Joseph II. in Österreich, der neben dem fürstlichen Merkantilismus ebenfalls einen wissenschaftlich fundierten Physiokratismus in der Forstwirtschaft einzuführen versuchte, um so die Einnahmen aus der Holzgewinnung zu steigern. Wie in der Landwirtschaft wurden demnach von nun an auch die Forsten im »Großflächen-­ Reihenanbau« angelegt,10 was zu einer fortschreitenden »Mechanisierung« der gesamten Holzwirtschaft führte.11 Die Konsequenzen dieser gesteigerten Nutzungstendenzen, nämlich die Wälder nur noch unter dem Gesichtspunkt der Holzerzeugung zu sehen, waren beträchtlich. Alles, was diesem Zweck entgegenstand, musste nach diesem Zeitpunkt aus den Forsten entfernt werden. So wurden zwischen 1750 und 1780 in den mitteleuropäischen Wäldern nicht nur alle »Bären, Luchse und Wölfe« abgeschossen,12 sondern auch in vielen Wäldern das Unterholz entfernt und das alte Laub zur Viehstreu in den Ställen verwendet. Das Ergebnis waren äußerlich wohlgeordnete, aber ästhetisch verschandelte Wälder, die trotz ihrer Überbeanspruchung den steigenden Holzbedarf schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr stillen konnten. Schließlich brauchten nicht nur die Herrschenden immer mehr Holz; auch die Wohlstandsansprüche und damit die Holzbedürfnisse der anderen Bevölkerungsschichten, die inzwischen auf 20 Millionen Menschen angewachsen waren, stiegen unaufhaltsam. Und so setzte um 1800, da sich Holz wegen seines immensen Gewichts damals noch schwer aus fernen Ländern importieren ließ, im Heiligen Römischen Reich eine ausgesprochene »Holzkrise« ein, der man durch eine immer schnellere Ausbeutung der Wälder entgegenzutreten versuchte.13 Nach diesem Zeitpunkt war ohnehin kein Halten mehr. Im gleichen Maße, wie der Merkantilismus und Physiokratismus im Laufe des 19. Jahrhunderts der kapitalistischen Marktwirtschaft Platz machen mussten, wurden auch die Wälder immer stärker von den sich bereichernden Schichten, das heißt der ökonomisch aufsteigenden Bourgeoisie, in Anspruch genommen. Diese Gesellschaftsschicht, noch stärker an kurzfristigen Gewinnen interessiert als die feudalen Waldbesitzer, die sich wenigstens durch ihr Traditionsbewusstsein und ihre Jagdlust mit »ihren« 40

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

Wäldern verbunden fühlten, betrachtete den Besitz sowie die Verarbeitung von Holz nur noch als Kapitalangelegenheit. Sie beschleunigte daher die Beseitigung der älteren Eichenwälder, die sich bisher auf natürliche Weise, also durch Besamung, selbst erneuert hatten, durch schnell wachsende Fichten- und Tannenwälder. Das Ergebnis waren waldähnliche Monokulturen, was sowohl eine drastische Verminderung der früher dort lebenden Tiere und Pflanzen als auch eine allmähliche Auspowerung des Bodens bewirkte. Doch nicht allein die mechanische Anbauweise, auch das bürgerliche Bedürfnis nach Landaufenthalten mit obligaten Waldspaziergängen und Picknicks in den wenigen übrig gebliebenen Wildnisgebieten oder Laubwäldern trug zu einer weiteren Verschandelung des Landschaftsbildes bei. Das Gleiche tat die immer intensiver operierende Landwirtschaft mit ihrer »Verkoppelung« der Ackerstreifen zu Großflächen und der damit verbundenen Beseitigung von Hecken und kleineren Waldstücken. Zu weiteren Waldverwüstungen führte die Tatsache, dass die Eisenhütten, zumindest bis in die zweite Jahrhunderthälfte, Unmengen von Holzkohle und die Glashütten Unmengen von aus Holz gewonnener Pottasche benötigten. Als der Holzkohlebedarf durch die Einführung des Bessemer-­Verfahrens und auch der Brennholzbedarf durch die Umstellung auf Kohlefeuerung allmählich zurückging, stieg dennoch das Bedürfnis nach Holz im Zuge der steigenden Industrialisierung, das heißt durch den Bedarf an Holzschwellen für Schienen, Holzstollen für die Bergwerke, Holzzellulose für die Papierherstellung sowie großen Masten für die Stromversorgung, unaufhaltsam an.14 Schließlich war die deutsche Bevölkerung bis 1870 auf 40 Millionen Menschen angewachsen. Allein die Staatsforste mussten daher ihre Erträge zwischen 1850 und 1870 um 50 Prozent steigern,15 um mit dem zunehmenden Holzbedarf einigermaßen Schritt zu halten. Was mit den Wäldern geschah, als die deutsche Bevölkerung nach 1900 auf 60 Millionen und nach 1933 auf 80 Millionen anwuchs, lässt sich leicht ausmalen. Bereits um 1900 war der deutsche Holzbedarf nicht mehr mit eigenen Erträgen zu decken, sondern musste durch immer größere Importe gedeckt werden – ansonsten hätte es in Deutschland schon um 1930 kaum noch Wälder gegeben. Doch lassen wir solche Konsequenzen für einen Moment auf sich beruhen und setzen wir uns erst einmal mit den ideologischen und ästhetischen Reaktionen auf diesen Abholzungs- und Verödungsprozess auseinander. Dass dieser Prozess gravierende Auswirkungen auf das Aussehen der deutschen Landschaft hatte und die intensivierte Land- und Forstwirtschaft fast einer »Vergewaltigung« gleichkam, blieb vielen Deutschen nicht verborgen. Allerdings reagierten sie darauf auf höchst unterschiedliche Weise. Die Mehrheit der im 19. Jahrhundert allmählich zur wirtschaftlichen Dominanz aufsteigenden bürgerlichen Klasse bedauerte zwar diesen Verschandelungs- und Verwüstungsprozess, versuchte aber – im 41

»Erst die Bäume, dann wir!«

Sinne ihrer eigenen Wohlstandsbedürfnisse, die nur durch eine intensivierte Ausplünderung der Natur zu stillen waren – über ihn hinwegzusehen. Sie entwickelte daher eine Fülle höchst widerspruchsvoller Legitimationsstrategien, um diesem Prozess einen »positiven« Anstrich zu geben. Statt wie manche der späteren Kritiker dieser Entwicklung von Verschandelung, Verwüstung oder Vergewaltigung zu sprechen, gebrauchte sie lieber Schlagwörter wie faustische Umwandlung der Natur zur Produktivkraft, technischer Fortschritt, Wohlstandssteigerung, Arbeitsbeschaffung, Akzeleration der wirtschaftlichen Expansionsrate – oder berief sich auf die unausweichlichen »Sachzwänge« innerhalb der sogenannten Modernisierungsschübe der industriellen Revolution, die jeder, der nicht in die »Steinzeit« zurückfallen wolle, notwendigerweise hinnehmen müsse.16 Vor allem die mit dem Manchester-­ Liberalismus sympathisierenden Schichten, denen es nur auf persönliche Durchsetzung und Selbstrealisierung ankam, die also die frühbürgerliche Emanzipationsparole »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« auf eine absolut gesetzte »Freiheit« verkürzten,17 hatten für eine mögliche Brüderlichkeit oder auch nur Rücksichtnahme auf die Natur schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr viel übrig. Sie begrüßten daher lediglich den technischen Fortschritt, der ihnen zu Reichtum, Wohlstand und Freizügigkeit verhalf, während ihnen die in ihrem Auftrag und zu ihrem Nutzen erfolgende Zernichtung der deutschen Landschaft als Städtern oder Großstädtern relativ gleichgültig blieb. Es gab unter diesen Fortschrittsbewussten sogar »Realisten«, die es lächerlich fanden, angesichts des Verlusts der Wälder in sentimentale Klagen auszubrechen. So schrieb etwa Wilhelm Pfeil, ein Vertreter der staatlichen Forstverwaltung, bereits 1834 mit realistischer Einsicht in die Folgen derartiger Prozesse: »Das materielle Bedürfnis gestattet immer weniger, dem Sinn für das Schöne in der Waldwirtschaft Raum zu geben.«18 Noch schärfer wurden solche Äußerungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ja, einer dieser »Realisten« schrieb noch jüngst im Hinblick auf die Abholzung der deutschen Wälder, denen man nicht nachtrauern solle, mit provozierender Ironie: Die Vögel haben längst gelernt, Fernsehantennen als Ersatz für Äste zu nehmen. Warum sollte es da den Menschen nicht gelingen, etwa die Hochspannungsmasten, mit deren Hilfe der Strom von den Kernkraftwerken zu den Verbrauchern transportiert wird, ebenso als »Wälder« zu erleben wie einst die jetzt absterbenden Bäume?19

Doch zum Glück gab es neben der Mehrheit der fortschrittsbetonten Bourgeoisie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch eine kritische Minderheit, die dem rein auf Kriterien wie Bereicherung, Wohlstand und Freizügigkeit basierenden Fortschrittsdenken der Oberklassen mit eher bedächtigen, die Natur schonenden 42

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

Konzepten entgegentrat und sich im Rahmen solcher Vorstellungen – unter ästhetischen, humanistischen, romantischen, nationalen, sozialistischen oder ökologischen Gesichtspunkten – für eine entschiedene Erhaltung, wenn nicht gar Ausweitung der von der rücksichtslosen »Verwirtschaftung« bedrohten Restwälder einsetzte. Neben einem echten Zorn über die fortschreitende Verhunzung der Natur kamen bei diesen Gegenreaktionen allerdings auch Sentiments zum Durchbruch, in denen sich zwar eine unleugbare Naturschwärmerei manifestierte, die jedoch nur selten bis zu den konkreten Ursachen der unaufhaltsamen Ausplünderung der Natur, nämlich der rapiden Bevölkerungsvermehrung und den steigenden Wohlstandsansprüchen, vordrangen. Selbst viele der an dieser Entwicklung Kritik Übenden hielten letztlich an einem Weltbild fest, das den Begriff »Brüderlichkeit« zwar auf andere Menschen, vielleicht sogar auf »höher stehende« Tiere wie Pferde, Hunde und Katzen, aber nicht auf die Gesamtheit der Natur ausdehnte und daher im Bereich eines vorökologischen Denkens befangen blieb. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts dominierten im Bereich dieser kritischen Stimmen vor allem jene, die sich auf Jean-­Jacques Rousseau beriefen, das heißt, sich im Sinne seiner Parole »Returnez à la nature« zu einer Existenzform bekannten, die sich von allen höfischen oder städtischen Entartungen distanzierte und wieder im vollen Einklang mit der Natur zu leben versuchte. Dafür sprechen vor allem jene deutschen Naturstaatsutopien zwischen 1780 und 1795, in denen jene »Waldbrüder« auftreten, die in bescheidenen Laubhütten wohnen und, wie die Geßner-­Schwärmer sowie die Mitglieder des »Göttinger Hains«, die adligen und großbürgerlichen Wohlstandsansprüche ihrer Zeit entschieden von sich weisen.20 Doch diese Gesinnung wurde von der politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung schnell überrollt. Als die Gironde 1794 die rousseauistischen Gleichmacher aus der jakobinischen Führungsschicht aufs Schafott schickte und im Sinne der Wirtschaftstheorien eines Adam Smith jenen Prozess in Gang setzte, der nicht nur in Frankreich, sondern später auch in Deutschland die »Befreiung in den Kapitalismus« einleitete, wurden solche Naturstaatsideale schnell obsolet. Selbst jene Autoren, die als »Humanisten« gegen diesen Prozess anzuschreiben versuchten, kehrten daher nach 1800 nicht wieder zu den rousseauistischen Naturkonzepten zurück, sondern bemühten sich, Natur und Fortschritt auf eine »höhere« Weise miteinander zu verbinden oder vor der industriellen Revolution in noch »grün« gebliebene Gebiete auszuweichen. Das belegen unter anderen die Schriften Johann Wolfgang Goethes und Alexander von Humboldts, in denen zwar voller Trauer auf ehemalige italienisch-­antike oder südamerikanische Naturparadiese, die dem ­Fortschritt zum Opfer gefallen waren, zurückgeblickt, aber nicht mehr zum Kampf gegen die unheildrohende Entwicklung aufgerufen wurde. So beschränkte 43

»Erst die Bäume, dann wir!«

sich Goethe in seinen Wahlverwandtschaften (1809) auf den abgeschlossenen Bereich eines adligen Parks, während er in seinen Wanderjahren (1821) eine utopische Gesellschaft, um der unaufhaltsam heraufziehenden Industrialisierung zu entgehen, am Schluss ins waldreiche Amerika aufbrechen lässt.21 Man sage nicht, dass diese Stimmen nur die Luft bewegten. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts gab es einige Naturfreunde, die solche Ideen auch in die Tat umzusetzen versuchten. Ein Beispiel dafür ist jenes »Landesverschönerungs«-Konzept, das vor allem mit dem Namen Johann Michael Gustav Vorherr verknüpft ist, der 1817 im Monatsblatt für Bauwesen und Landesverschönerung erklärte, dass die »Hauptbestimmung« der Gegenwart darin bestehe, den Menschen – nach den Waldverschandelungen der Vergangenheit – wieder in ein ästhetisch-­befriedigendes Verhältnis zur Natur zu setzen.22 Ähnliche Forderungen trug Jonathan Schuderoff 1825 in seinem Buch Für Landesverschönerung vor, das in dem Satz kulminierte: »Ganz Deutschland ein großer Garten sei unsere Losung.«23 Aufgrund solcher Postulate etablierte sich in Berlin ein »Verein zur Beförderung des Gartenbaus in den preußischen Staaten«, zu dessen Gründern Alexander von Humboldt, Ernst Moritz Arndt und Hermann Fürst von Pückler-­Muskau gehörten. Er setzte sich die Aufgabe, die Menschen durch neue Aufforstungsprogramme »in der Landschaft wieder heimisch zu machen«, wie Peter Joseph Lenné 1826 in seiner Schrift Über Trift- und Feldpflanzungen schrieb.24 Im Zuge solcher Proklamationen wurden in Preußen in den folgenden Jahren die Ränder vieler Landstraßen mit Bäumen bepflanzt und eine Fülle neuer Parks angelegt, bei denen meist das Ideal des Englischen Gartens Pate stand. Am eifrigsten setzte sich hierfür Lenné ein, der am liebsten die gesamte Spree- und Havellandschaft in einen großen Landschaftspark umgewandelt hätte. Aber solche Großprojekte konnte sich nur der Fürst Hermann von Pückler-­Muskau leisten, dessen weiträumige Parks in Muskau und Branitz weltberühmt wurden. Zugegeben, alle diese Schriften und Aktivitäten hatten in ihrem humanistischen Grundzug einen deutlich anthropozentrischen Charakter, das heißt betrachteten die Natur als eine zu schonende »Umwelt« für den Menschen, statt sie auch in ihrem Eigenwert hoch zu schätzen und zu erhalten. Ja, mehr hat auch die für ihre Verliebtheit in den deutschen Wald so oft gepriesene Romantik in dieser Hinsicht nicht zu bieten.25 Viele ihrer Vertreter lehnten zwar alles Artifizielle, Unnatürliche, Rationalistische, Anorganische, Mechanistische, in dem sie den Ungeist des 18. Jahrhunderts oder der »modernen Welt« schlechthin erblickten, rundweg ab und bevorzugten stattdessen Mystisches, Märchenhaftes, Phantastisches, Irrationales, aber ohne dass dabei eine spezifisch naturschonende Komponente deutlich würde. Immer wieder wurden zwar in ihren Liedern und Romanen jene Wälder 44

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

und Auen besungen, in denen es von uralten Bäumen, blühenden Blumen und wilden Tieren nur so wimmelt; dennoch blieb auch in ihnen, trotz der nachdrücklich herausgestrichenen Naturherrlichkeit, stets die Perspektive des Anthropozentrismus erhalten. Auch für sie war der Wald fast ausschließlich für den Menschen da, das heißt bildete eine stimmungsvolle Folie für empfindsame, schwärmerische Gemüter, die in die berühmte »Waldeinsamkeit« flüchten, um den Geheimnissen ihrer eigenen Seele auf die Spur zu kommen oder Waldgeistern wie Zwergen, Riesen, Kobolden oder Nymphen zu begegnen. Lediglich in Gotthilf Heinrich Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (1808) wurde dabei jene magische Urzeit der Menschheit beschworen, in der noch nicht »der Geist des Menschen die Natur, sondern diese den Geist des Menschen bestimmt« habe. Erst seitdem sich der Mensch als Sieger über die »Natur« aufspiele, heißt es hier, habe er begonnen, »die Erde, welche vorhin anzubauen heiliges Gesetz war, zu zerstören«. Und damit sei an die Stelle einer gläubigen »Naturandacht« eine »glaubenslose Naturwissenschaft« getreten, der ein oberflächlicher, weil mechanischer Materialismus zugrunde liege.26 Welche Folgerungen daraus für den Schutz der Natur und vor allem der Wälder zu ziehen seien, erfährt man jedoch selbst in diesem Buch nicht. Das Gleiche gilt für die Schriften eines romantischen Naturphilosophen wie Friedrich Wilhelm Schelling, die zwar die Natur – in pantheistisch-­spinozistischer Absicht – als geheimnisvolle Quelle alles Lebendigen anpreisen, aber ansonsten völlig unkonkret und somit unverbindlich bleiben. Noch verschwommener, ja, verblasener wirkt fast alles, was viele der bürgerlich-­ liberalen Autoren des 19. Jahrhunderts zum Schutze der Wälder vorbrachten. Obwohl sie sich im Rahmen der sich ökonomisch bereichernden und sozial aufsteigenden Bevölkerungsschichten zum Teil als intellektuelle Außenseiter fühlten, waren auch sie keineswegs gewillt, die neu errungenen Freiheiten sowie den technischen Komfort, welche der bürgerlichen Klasse insgesamt zugutekamen, durch eine allzu scharfe Besorgnis über den Zustand der Natur in Frage zu stellen. Daher meldeten sich auch in diesem Lager, das sich sonst auf seinen kritischen Charakter so viel zugutehielt, im Hinblick auf die Verschandelung oder Abholzung der deutschen Wälder, die Rauchschwaden der Fabriken oder den hektisch angekurbelten Straßen- und Eisenbahnbau nur sehr wenige und zudem recht zaghafte Stimmen zu Wort. Viele unter ihnen sahen zwar, wie immer mehr Hecken und Gehölze der Flur­ bereinigung zum Opfer fielen, wie fast alle größeren Flüsse gestaut oder kanalisiert wurden, wie Feuchtgebiete trockengelegt und wie von den Forstverwaltungen die noch bestehenden Wälder in gleichmäßige Parzellen eingeteilt wurden, das heißt, wie fast die gesamte Landschaft einer geradlinigen »Geometrie« unterworfen wurde,27 in der sich ein rein utilitaristisches Prinzip manifestierte – und doch taten sie 45

»Erst die Bäume, dann wir!«

nur wenig dagegen. Wie die anderen Angehörigen des Mittelstands betrachteten auch sie die übrig gebliebenen Naturschönheiten, falls sie diese überhaupt wahrnahmen, vornehmlich als Tummelplätze ihrer Selbstentfaltung, als touristische Erholungs- und Abenteuergebiete, wo sie in Form von Hotels und Restaurants, die sich gern »Waldeslust« nannten, den gleichen Luxus erwarteten, der ihnen auch in den Großstädten geboten wurde. Im Gegensatz zu den neureichen Schichten, die keinerlei Skrupel hatten, die gesteigerte Wohlstandsgier und die individuelle Rücksichtslosigkeit als die beiden wichtigsten Motoren des »Fortschritts« hinzustellen, meldeten allerdings einige Autoren dieser Ära wenigstens in ihren Romanen eine gewisse Reservatio mentalis gegenüber der Naturausplünderung an und entwarfen Zukunftsbilder, in denen auch die »grünen« Aspekte eine bedeutsame Rolle spielen. So beschrieb etwa Theodor Hertzka, der damals bekannte »Freiland«-Theoretiker, in seinem sozialpolitischen Science-­Fiction-­Roman Entrückt in die Zukunft (1895) eine Welt, in der die Tropen fast ausschließlich der Nahrungserzeugung dienen, die Menschen lediglich in den angenehmen subtropischen Gebieten wohnen und die Wälder Nord- und Mitteleuropas, also auch Deutschlands, »den großen Massen zahmen wie wilden Getiers« überlassen werden. Das klingt zum Teil recht verlockend, erweist sich jedoch bei näherem Zusehen als ebenso anthropozentrisch wie fast alle anderen liberalen Zukunftsentwürfe dieser Ära. Dafür spricht, dass die Menschen in dieser Utopie in rastloser Neugier ständig unterwegs sind und im Sommer in »ungezählten Millionen« in den Norden, bis nach Norwegen und Schottland, ausschwärmen, da sie selbst in den sogenannten Wildnisgebieten nur einen »großen Lustgarten und Lustwald« sehen, der vornehmlich ihrer Vergnügung dient.28 Ähnliche Widersprüche lagen den sonstigen Aktivitäten dieser Bevölkerungsschichten zugrunde, die aufgrund ihrer subjektiv-­liberalen Grundtendenz nie ins Gesamtgesellschaftliche vorstießen. Zwar hingen sie im Hinblick auf die Natur zum Teil durchaus edlen Träumen an, drangen jedoch in ihrer Kritik selten bis zur Wurzel allen Übels, nämlich der unablässigen Steigerung der wirtschaftlichen Expansionsrate vor, welche die Voraussetzung für jedes marktwirtschaftlich organisierte System bildet. Ihre Reformvorschläge, mit denen sie auf der Ebene des Landschaftsschutzes ihr Scherflein zur Schonung der Natur beizutragen hofften, behielten deshalb meist einen halbherzigen Charakter und liefen lediglich auf eine dem Menschen angemessenere Integration von Stadt und Land hinaus. Sie wollten die Wälder nicht um ihrer selbst willen schützen, sondern mit ihrer Erhaltung etwas zur Verschönerung und Belebung ihrer eigenen »Umwelt« beitragen. Wie schon die Vertreter der Landschaftsverschönerungsvereine des frühen 19. Jahrhunderts sahen auch die Liberalen der zweiten Jahrhunderthälfte in einer idealen Natur vornehmlich einen 46

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

Garten des Menschen, der allein ihren Zwecksetzungen dienen sollte. Daher drangen sie weniger auf die Rettung der letzten Wildnisgebiete in Form naturschützender Nationalparks als auf die Anlage wohldurchdachter Gartenstädte, in denen sich das gehobene Bürgertum den Luxus leisten konnte, neben seinen Stadtwohnungen auch mit großen Gärten ausgestattete Landhäuser, ob nun in Berlin-­Schlachtensee oder am Wannsee, zu besitzen. Wesentlich schärfer protestierten dagegen manche der national gesinnten Autoren des 19. Jahrhunderts gegen die Vergewaltigung der Natur. Von vorbildlicher Bedeutung war dafür das Wirken eines Nationaldemokraten wie Ernst Moritz Arndt, der sich nicht nur für die Aufhebung der Leibeigenschaft, sondern auch für die ­Erhaltung, ja, Ausweitung der deutschen Wälder einsetzte. Er schrieb bereits 1815 in seiner Zeitschrift Der Wächter: In manchen Landschaften Deutschlands hat man in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren sehen können, wie der heilloseste und ruchloseste Unfug mit edlen Bäumen und Wäldern getrieben ist und ganze Forsten ausgehauen und ganze Bezirke entblößt sind, weil der einzelne Besitzer mit der Natur auf das willkürlichste schalten und walten kann. Was kümmert es den, der Geld bedarf und in zehn Jahren zu verbrauchen gedenkt, wovon sein Urenkel noch zehren sollte, ob er eine öde und Menschen künftig wenig erfreuliche, ja Menschen kaum brauchbare Erde hinterläßt? Er will leben, und sie mögen auch sehen, wie sie es machen. Dies ist der Anspruch, womit die meisten Jetztlebenden unbequeme Fragen ihres Gewissens abweisen, das zuweilen an eine Zukunft erinnert, die sein soll, wie eine Vergangenheit gewesen ist.29

Voller Wut auf diese Zustände nannte deshalb Arndt seine eigene Zeit die »saturnische«, die in »bodenloser Unmäßigkeit und Gierigkeit sich selbst verschlinge und auffresse«. Am schärfsten ging er hierbei mit jenen »Herren« ins Gericht, die sich bei der Umwandlung von Natur in »Fabrikdörfer« hinter dem »leidigen Wort Einträglichkeit versteckten«, statt auch die »Zuträglichkeit« für andere Menschen zu bedenken. Im Anschluss an derartige Äußerungen ließ Arndt eine kleine »grüne« Utopie folgen, in der er eine Zukunft anvisierte, in der Deutschland erneut ein tacitäisches »Land der Wälder« sein werde. Besonders die Berge, erklärte er, müssten wieder durchgehend bewaldet sein. Aber auch in den Ebenen solle man alle anderthalb Meilen einen Waldstreifen anlegen, um dem Boden den nötigen Schutz vor austrocknenden Winden zu bieten. Erst wenn an die Stelle des »verwerflichen Egoismus« ein nationaler Gemeinsinn trete, heißt es bei ihm zusammenfassend, werde Deutschland wieder »fruchtbar und schön«, wieder »lebens- und verehrenswert« sein.30 47

»Erst die Bäume, dann wir!«

Ebenso energisch wandte sich Wilhelm Heinrich Riehl in seiner vierbändigen Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik (1851 – 1869) unter nationaler Perspektive gegen den zunehmenden Raubbau an der Natur. Riehl war der festen Überzeugung, dass eine weitere Industrialisierung und Verstädterung zwangsläufig zu einer totalen »Entartung« der deutschen Landschaft führen würde. Es sei eine »Sache des wahren Fortschritts«, schrieb er daher 1857 mit antikapitalistischer Tendenz, nicht nur für eine ungeschmälerte Beibehaltung des »Ackerlandes«, sondern auch und vor allem für ein »Recht auf Wildnis« einzutreten,31 um so Deutschland vor jener allgemeinen Landschaftsverwüstung zu bewahren, die im Zuge der fortschreitenden Modernisierung in allen Ländern des Westens um sich greife. Unter Berufung auf solche Thesen traten demzufolge in den achtziger und neunziger Jahren immer wieder Vertreter einer »Völkischen Opposition« zum offiziellen Wilhelminismus und seiner forcierten Industrialisierungsprogramme auf, die mehr und mehr Menschen zwängen, die waldreichen, aber armen Bauerngebiete zu verlassen und in den »Asphaltwüsten und Zementgebirgen« der Großstädte, deren Bevölkerung zwischen 1871 und 1914 von 2 auf 14 Millionen anstieg, ein entseeltes, wenn nicht gar entmenschtes Dasein zu fristen.32 Um dieser Tendenz so scharf wie möglich entgegenzutreten, schrieb Ernst Rudorff zwei Aufsätze, die er 1897 unter dem Titel Heimatschutz in den Grenzboten publizierte und die 1901 unter dem gleichen Titel auch als Buch herauskamen. Die von Riehl gefeierte »Wildnis«, heißt es hier, gebe es inzwischen gar nicht mehr. Überall habe sich seitdem in Deutschland das »kahle Prinzip der geraden Linie und des Rechtecks« durchgesetzt, so dass die meisten Wälder und Feldmarken wie »nationalökonomische Rechenexempel« aussähen. Überall lege man der Natur ein »Joch abstrakter Nutzungssysteme« auf, um sie zum eigenen Gewinn und Vergnügen »bis zum letzten Tropfen auszupressen«. Und so werde sie, wie alles andere, mehr und mehr in »Kapital« umgesetzt und damit zur »Ware« herabgewürdigt.33 Ebenso nachdrücklich wandten sich 1901 Paul Schultze-­Naumburg in seiner Schrift Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen sowie 1904 Hugo Conwentz in seinem Buch Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung gegen die Bedrohung der deutschen Dörfer und Wälder durch den vernichtenden Zugriff der Industrie, den sie sowohl aus ästhetischen als auch aus ökonomischen und völkischen Gründen ablehnten. Als daher 1904 in Dresden der »Bund Heimatschutz« gegründet wurde, spielten in ihm – neben bekannten Autoren wie Peter Rosegger, Wilhelm Bölsche und Friedrich Lienhard – vor allem Ernst Rudorff und Paul Schultze-­Naumburg eine führende Rolle. Die Aufgabe dieses Bunds sollte darin bestehen, die »deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart« zu schützen und zugleich für 48

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

die »Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt« einzutreten.34 Carl Johann Fuchs sagte daher in einem seiner Grundsatzreferate vor allem dem alle »Naturschönheiten zerstörenden Kapitalismus« den Kampf an.35 Mit ähnlicher Schärfe traten Adolf Bartels und Hermann Löns den »kapitalistischen« Naturverhunzern entgegen, die mit Hilfe des Staats zu einer immer »grauenhafteren Verschandelung der deutschen Landschaft« beitrügen.36 Leider verdeckten sie den »grünen« Kern ihrer ideologischen Invektiven gern mit nationalistischen oder gar rassistischen Konzepten, die in den zwanziger Jahren zum Nazifaschismus überleiteten, den sowohl Bartels als auch Schultze-­Naumburg nachdrücklich unterstützt haben. Dennoch weisen ihre frühen Werke zum Teil ein der Gesamtgesellschaft verpflichtetes, wenn auch ins Chauvinistische depraviertes Gewissen auf, das auch positive Züge enthält. Jedenfalls heben sie sich in ihrer naturerhaltenden Tendenz wohltuend von jener bürgerlich-­liberalen Ideologie um 1900 ab, die im Zuge einer gewaltig angeheizten Hochkonjunktur fast ausschließlich auf solipsistischer Subjektivität, konsumistischer Bedürfnissteigerung und sinnlos schweifender Mobilität beruhte. Das Gleiche gilt selbst für manche jener Naturliebhaber, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert aus spezifisch ökologischen Gründen gegen die Abholzung der deutschen Wälder protestierten. Auch bei ihnen, wie bei den regionalistischen oder nationalistischen Heimatschützern, herrschte meist eine deutlich anthropozentrische Perspektive vor. Schließlich ist ein zutiefst holistisches Denken, das vornehmlich auf dem Prinzip der Solidarität mit der Natur beruht, in einer nationalen oder marktwirtschaftlich strukturierten Konkurrenzgesellschaft stets relativ dünn gesät. Erste Modelle eines solchen Denkens bieten die Naturanschauungen Johann Wolfgang Goethes, die sich einerseits, wie die Schlussabschnitte des Faust  II , gegen die Verfreiheitlichungstendenzen innerhalb des sich entwickelnden Kapitalismus wandten, andererseits alle bloß romantischen Naturschwärmereien verwarfen und für eine »grüne Weltfrömmigkeit« eintraten, die keinen Gegensatz zwischen Organischem und Unorganischem kennt und aufgrund ihrer spinozistisch-­pantheistischen Gesinnung stets einen Respekt vor der Natur in ihrer Gesamtheit im Auge behält.37 Doch dieser Aspekt in Goethes Denken wurde im 19. Jahrhundert kaum aufgegriffen, ja, selbst seine in ihrem rastlosen Tätigkeitsdrang negativ gemeinte Faustfigur ins Positive umgefälscht. Ebenso wenig Beachtung fanden die von Alexander von Humboldt in seinen Ansichten der Natur (1808) herausgearbeiteten Ideen zur Interdependenz des Geographischen, Geologischen, Meteorologischen und Biologischen. Und auch seine mit hohem Ethos abgefassten Beschreibungen südamerikanischer Wälder, in denen der »frevelnde Mensch« noch kein Unheil angerichtet habe,38 wurden nicht als Warnungen, sondern eher als »Meisterwerke deutscher Prosa« gelesen. 49

»Erst die Bäume, dann wir!«

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es hauptsächlich Biologen, höhere Forstbeamte und Politiker, welche sich gegen die streng reglementierte Waldausbeutung wandten. Unter den Biologen zeichnete sich in dieser Hinsicht vor allem Ernst Haeckel aus, der 1866 in seinem Buch Generelle Morphologie der Organismen den Begriff »Ökologie« prägte und sich für eine stärkere Rücksichtnahme auf die »Wechselbeziehungen aller Organismen« innerhalb eines bestimmten Biotops aussprach.39 Ähnliche Erwägungen finden sich bei dem Forstwissenschaftler Karl Gayer, der 1880 in seinem Buch Waldbau als Erster ein auf »wissenschaftlicher Basis ruhendes ökologisches Denken« in die Waldwirtschaft einzuführen versuchte und im Gegensatz zu den verödenden Reihenanpflanzungen von Fichten und Kiefern einen behutsam gepflegten Mischwald mit seiner Artenvielfalt als das eigentliche Ideal einer naturgemäßen Waldpflege bezeichnete.40 Unter den Politikern waren es vornehmlich Linke wie Emil Adolf Roßmäßler, ein Vorläufer Ferdinand Lassalles im Leipziger Arbeiterverein, und Wilhelm Liebknecht von der SPD, welche die Schutzfunktion des Waldes für die gesamte Natur betonten und sich gegen den »Raubbau« an den Wäldern sowie die damit verbundenen »Devastationen« wandten.41 Ebenso kritisch setzte sich August Bebel in seinem Buch Die Frau und der Sozialismus (1879) mit diesen Problemen auseinander. Statt in »kapitalistischer Ausbeutung des Grund und Bodens« jene »planlosen Waldrodungen« fortzusetzen, die sich höchst »ungünstig« auf die »Feuchtigkeit des Landes und damit Fruchtbarkeit des Bodens« auswirkten, riet auch er zu Schonung und langfristiger Planung, was sich allerdings nur durch eine Überführung der Wälder in Gemeinbesitz erreichen lasse. Ein besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die Speicherung von Wasser durch große Waldflächen, um so eine die gesamte Natur belebende Regenbildung zu fördern.42 Leider wurden diese Thesen von der SPD nicht so tatkräftig unterstützt, wie sich Bebel das wünschte. Vor allem nach 1900 schloss sich die Mehrheit der Partei einem revisionistischen Kurs an, der sich – unter Nichtberücksichtigung der steigenden Naturausplünderung – fast ausschließlich auf die Gewinnbeteiligung an der hochkonjunkturellen Industrie konzentrierte. Die einzigen Gruppen innerhalb der SPD, die sich vor dem Ersten Weltkrieg gegen das Abholzen der Wälder wie auch die Kanalisierung der Flüsse und den Abbau der Hochmoore wandten, waren die »Naturfreunde«. Um sich diesen Entwicklungen wirksam entgegenstellen zu können, setzten sie sich für die Anlage großer »Natur- und National-­Parks« sowie den Schutz der Wildpflanzen und Wildtiere ein und gründeten in den Alpen und im Schwarzwald sogar »Bergwachten« gegen die Zerstörung von Fauna und Flora.43 Doch besonders effektiv waren auch die Schutz- und Schonparolen der »Naturfreunde« nicht. Das Gleiche gilt für Linkssektierer und Anarchisten der zwanziger 50

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

Jahre wie Paul Robien, Leberecht Migge und andere Siedlungskommunarden, die sich gegen die unablässige Ausbreitung der Industrie wandten und für eine Rückverwaldung der deutschen Landschaft eintraten.44 Selbst sie wurden von SPD und KPD wie auch von der Mehrheit der Bevölkerung kaum beachtet oder gar als spinnerte Vagabunden belächelt. Was sonst in dieser Zeit an waldschonenden Konzepten vorgebracht wurde, hatte meist eine rein anthropozentrische Perspektive, das heißt, betrachtete den Wald weiterhin vornehmlich als Erholungsgebiet der in den städtischen und industriellen Ballungsgebieten lebenden Bevölkerung. Das Gleiche gilt für jene Schonparolen, welche der »grüne Flügel« der NSDAP in den dreißiger Jahren aufstellte.45 Auch seine Exponenten redeten zwar von der Erhaltung der Wälder, rückten jedoch dabei meist die nationale Komponente in den Vordergrund. Daran änderten auch die Warnungen eines Ludwig Klages sowie das ins Mythische tendierende Geraune Martin Heideggers nichts. Eine wahrhaft ökologische Perspektive machte sich in solchen Äußerungen erst wieder in den fünfziger Jahren bemerkbar. Damals klagten nicht nur überzeugte Christen wie Hans Sedlmayr oder Zukunftsforscher wie Robert Jungk, sondern auch ökologisch-­holistisch orientierte Romanciers in aller Offenheit die fortschreitende Zerstörung der Natur an. Zu den wichtigsten Werken der letzten Gruppe gehören die Romane Vineta. Ein Gegenwartsroman aus zukünftiger Sicht (1955) von Hans Albrecht Moser und Der Tanz mit dem Teufel (1958) von Günther Schwab, die sich auf utopische oder dystopische Weise mit dem Verschwinden der durchwaldeten Natur im Rahmen moderner Industriegesellschaften auseinandersetzen. Kommen wir zu Folgerungen. Trotz all dieser Proteste, ob nun aus rousseauistischer, humanistischer, romantischer, liberaler, nationaler, sozialistischer oder ökologischer Sicht, hat sich der Zustand der mitteleuropäischen Wälder seit dem 18. Jahrhundert nicht verbessert, sondern ständig verschlimmert. Was wir heute in Deutschland, Österreich und der Schweiz vor Augen haben, ist daher eine zerschnittene, zersiedelte, verdrahtete, von Straßen durchzogene, mit Schildern verstellte, verlärmte, verhässlichte, kurz: vergewaltigte Natur, in der auch die übrig gebliebenen Wälder ihren bisherigen Eigenwert eingebüßt haben und lediglich im Dienste der hektisch angekurbelten materiellen Produktion stehen. Im Zuge einer ständigen Bevölkerungsvermehrung, die von Seiten des Staats und der Kirchen sogar noch gefördert wird, und zugleich einer ebenso intensiven Bedürfniserweckung, die der Akzelerierung der industriellen Zuwachsrate dienen soll, ohne die ein marktwirtschaftlich strukturiertes Gesellschaftssystem einer krisenhaften Stagnation verfallen würde, scheint hier alles – aufgrund der Verseuchung der Böden, der Verpestung der Luft, der zunehmenden Waldbrände und der Verdreckung des Wassers – durch eine rücksichtslose 51

»Erst die Bäume, dann wir!«

5  Klaus Staeck: Waldschädling. Aus der Serie »Im Mittelpunkt steht immer der Mensch« (1984)

Überbevölkerung und eine ebenso rücksichtslose Konsumerweiterung einer kaum zu vermeidenden Katastrophe entgegenzueilen. Im Hinblick auf den Gang dieser Entwicklung bewahrheitet sich wieder einmal die Maxime, dass es letztlich nicht die schönen Worte sind, mit denen sich solche Prozesse aufhalten lassen. Falls man den Punkt der »Irreversibilität«, das heißt der Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser, der, wie viele Naturwissenschaftler befürchten, schon in 50 bis 60 Jahren eintreten könnte, noch etwas 52

Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder

hinausschieben will, müssten sich die Regierungen von Industriestaaten wie der Bundesrepublik Deutschland, und zwar unter der Maxime »Weniger Menschen, weniger verbrauchen«, möglichst umgehend zu drastischen, bevölkerungs- und umsatzvermindernden Einschränkungen entschließen. Doch wie lassen sich solche immer dringlicher werdenden Maßnahmen realpolitisch in die Wege leiten? Sicher nicht nur mit wohlgemeinten, aber ineffektiven Appellen an das Gewissen der Gesamtbevölkerung. Dies hatte bereits der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker erkannt, der 1988 erklärte, dass uns nur eine »demokratische Askese« vor den heraufziehenden Gefahren bewahren könne. Da jedoch dieser Aufforderung, wie er betrübt zugeben musste, höchstwahrscheinlich niemand folgen würde, werde die Welt notwendig untergehen.46 Ja, Dennis Meadows, der Verfasser des Buchs Limits of Growth von 1972, sagte einige Jahre später, als man ihn fragte, warum er im Hinblick auf den wirtschaftlichen Akzelerationskurs der hoch industrialisierten Länder nicht mehr als Warner auftrete: »Es hat keinen Sinn mehr, mit einem Selbstmörder zu argumentieren, wenn er bereits aus dem Fenster gesprungen ist.«47 Eine Hoffnung auf unser aller Überleben, also der Wälder, der Wildpflanzen, der Tiere und der Menschen, könnte deshalb nur dann entstehen, wenn an die Stelle der ausschließlich konsumbetonten Marktwirtschaft mit all ihren verlockenden Kaufanreizen eine sich zahlenmäßig ständig verkleinernde und damit die Natur respektierende Bescheidenheitsgesellschaft treten würde. Wer dagegen in dieser Hinsicht weiterhin »liberal« denkt, das heißt, sich lediglich mit wohlmeinenden Appellen begnügt, statt auch auf eine Änderung der Besitz- und Geburtenverhältnisse zu dringen, verdammt sich von vornherein zur Ohnmacht. Was wir heutzutage in dieser Hinsicht brauchten, wäre nicht mehr Freiheit, sondern mehr Planung, viel Planung sogar. Statt staatlicherseits ein Großteil der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in den weiteren Ausbau von Straßen, Wohnungsbauten, Flugplätzen und neuen Industriestandorten zu stecken, müsste die staatliche Planung – viel stärker als bisher – endlich auch naturerhaltende und bevölkerungspolitische Aspekte ins Auge fassen. All dies sollten längst keine Privatangelegenheiten mehr sein. Im Sinne eines neuen kollektiven Eigentumsbegriffs müssten immer mehr Menschen zu der Einsicht gebracht werden, dass ihr Baby auch mein Baby und ihr Baum auch mein Baum ist. In einem Bericht des »Club of Rome« von 1991 hieß es darum provozierend, dass – angesichts der auf uns zukommenden ökologischen Katastrophen – die auf liberalen Eigentumsbegriffen basierende Demokratie zwangsläufig obsolet geworden sei. Wer sich dieser Einsicht verschließt und weiterhin lediglich subjektiv-­liberal statt kollektiv-­sozialbewusst denkt, wird sich nicht von der Schuld freisprechen können, dass die nach ihm Geborenen nicht mehr 53

»Erst die Bäume, dann wir!«

lange zu leben haben. Es sollte deshalb das Ziel aller »grünen« Parteien der Welt sein, nicht nur den großen wie auch kleinen Land- und Fabrikbesitzern irgendwelche »umweltverbessernden« Teilkompromisse abzuringen, sondern das Besitzund damit das ungezügelte Ausbeutungsrecht der bereits arg angeschlagenen Natur überhaupt in Frage zu stellen.48

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Rousseau, Goethe, Humboldt Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

I

Wenn von Naturgärten gesprochen wird, stützen sich die Befürworter solcher Konzepte häufig auf Jean-­Jacques Rousseau, Johann Wolfgang Goethe und Alexander von Humboldt. In manchen Fällen verbinden sie damit durchaus eine genauere Kenntnis der auf die Natur bezogenen Anschauungen dieser drei Autoren. In anderen Fällen werden ihre Namen – ohne eine genauere Kenntnis ihrer Schriften – lediglich als Legitimationshilfen der eigenen Anschauungen herangezogen. Das gilt besonders für ihr Konzept des Naturgartens, das im Laufe der letzten 250 Jahre eine durchgreifende Wandlung von anthropomorph-­ästhetischen zu biozentrisch-­ökologischen Vorstellungen durchgemacht hat. Diese Veränderungen wurden zwar in einzelnen Zügen von den drei genannten Autoren schon intuitiv vorausgeahnt, besaßen aber zu ihren Lebzeiten noch nicht jene Dringlichkeit, die sie – angesichts der drohenden ökologischen Katastrophen – inzwischen angenommen haben. Die Geschichte des Naturgartens ist daher nicht nur eine Wirkungsgeschichte der Ideen Rousseaus, Goethes und Humboldts, sondern in manchem – trotz einiger nationalistischer Verirrungen – zugleich die Geschichte des erwachenden ökologischen Bewusstseins innerhalb der hoch industrialisierten Länder. Die Idee des Naturgartens – als eines befreiten Empfindungsraums der von absolutistischen und klerikalen Fesseln beengten menschlichen Seele – geht ursprünglich auf jenen Teil der Aufklärung zurück, für den sich der Begriff »Empfindsamkeit« eingebürgert hat. Das erste Land, das dafür die ideologischen, sozialen und sozioökonomischen Voraussetzungen bot, war England. Seit 1720 entstanden hier – nach Entwürfen von William Kent bis Humphrey Repton – die ersten Gärten adliger sowie vermögender bürgerlicher Privatpersonen, die sich im Gefolge des aufgeklärten Liberalismus eines Anthony Shaftesbury, John Locke, Alexander Pope und Joseph Addison nicht mehr an die strengen Regeln absolutistischer Naturbeherrschung hielten, sondern im Sinne einer als »vernünftig« bezeichneten Imitatio Naturae die gewollte Unregelmäßigkeit, das heißt das Prinzip der aufgeklärten Toleranz, in die Gärten einführten,1 in denen sich die Spaziergänger und Spaziergängerinnen als zu sich selbst gekommene, befreite Wesen fühlen sollten. Durchsetzt von stimmungsvollen Architekturdenkmälern vermittelten diese Gärten vor allem der durch den britischen Kolonialimperialismus zu Geld gekommenen Bourgeoisie das Gefühl, sich auch in ihren Gärten als Vertreter eines aufgeklärten Naturrechts zu empfinden und 55

Rousseau, Goethe, Humboldt

zugleich parvenühaft, wenn auch vernünftig und sittsam, an jenem »feinen Leben auf dem Lande« teilzuhaben,2 das sich bisher nur der Adel leisten konnte. Einen ganz anderen Charakter hatte dagegen dieser Durchbruch zur »Natürlichkeit« innerhalb der französischen Gartenkunst des 18. Jahrhunderts. Während die englische Kolonialpolitik auch den bürgerlichen Kaufleuten die Möglichkeit eröffnete, in die führenden Gesellschaftsschichten aufzusteigen und sich durch die Whig-­Partei zugleich eine größere politische Macht zu verschaffen, blieb in Frankreich bis 1789 ein nationalstaatliches Königtum erhalten, das dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstiegsbedürfnis der Bourgeoisie deutliche Schranken entgegensetzte. Daher ging man hier scharf gegen die bürgerlichen Aufklärer vor, welche die königliche Polizei entweder des Landes verwies oder zu gesellschaftlichen Außenseitern erniedrigte, die ihre auf dem Naturrecht beruhenden Ideale nur in literarischen Utopien ausleben konnten oder auf das wohlwollende Patronat halbwegs aufgeklärter Adelsvertreter angewiesen blieben. Der berühmteste Außenseiter dieser Art war Jean-­Jacques Rousseau, der in seinem Roman Julie ou la Nouvelle Héloise von 1761, von dem in den folgenden 40 Jahren über hundert Ausgaben und Übersetzungen erschienen, im Rahmen seiner als Utopie dargestellten Clarens-­Idylle einen »Baumgarten« beschrieb, welcher in seiner betonten »Unregelmäßigkeit« dem wilden Wachstum der Natur so nah wie nur möglich zu kommen versucht.3 Statt den ästhetischen Eindruck dieses Gartens durch »Drachen und Pagoden«, »zugeschnittene Bäume« sowie »fein geschnitztes Gitterwerk« zu verstärken, die letztlich nur die »Eitelkeit ihres Besitzers« widerspiegeln würden, wie es heißt,4 sollte dieses »Elysium« den Zauber einer noch unberührten Natur ausstrahlen und die dort wandelnden Menschen in den Zustand einer stummen Ehrfurcht versetzen, um die in ihm lebenden Vögel und andere Tiere nicht durch ein unziemliches Benehmen zu verscheuchen. In diesem Garten ist daher letztlich alles belebte Natur – und nicht Kunst. »Der Irrtum der angeblichen Leute von Geschmack liegt darin«, lesen wir an einer Stelle, »sie wollen überall Kunst haben, und sind nie zufrieden, daß die Kunst nie erscheine; statt daß sich der wahre Geschmack im Verbergen der Kunst offenbart, besonders wenn von Naturwerken die Rede ist«.5 Doch nicht nur auf sorgfältig platzierte Kunstwerke wird in diesem Naturgarten verzichtet, sondern auch auf den exotischen Reiz aus fernen Ländern importierter Pflanzen, Sträucher und Bäume. Saint-­Preux, dem Julie diesen Naturgarten zeigt, ist daher von dem natürlichen Charme des Ganzen so überwältigt, dass er schreibt: Ich hub an, in Verzückung diesen so verwandelten Baumgarten zu durchlaufen; und fand ich keine ausländischen Pflanzen, keine Erzeugnisse Indiens darin, so fand ich die inländischen so geordnet und vereinbart, daß sie einen lachenden, anmutigen Effekt hervor56

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

brachten. Der grünende, volle, aber kurze und feste Rasen war mit Quendel, Balsamkraut, Thymian, Majoran und anderen wohlriechenden Kräutern untermischt. Man sah in ihm tausende Feldblumen schimmern, unter denen das Auge mit Überraschung einige Gartenblumen entdeckte, die mit den anderen natürlich zu wachsen schienen. Ich stieß von Zeit zu Zeit auf dunkle Gesträuche, den Strahlen der Sonne undurchdringlich, wie der dickste Wald. An offeneren Stellen sah ich hier und dort ohne Ordnung und Ebenmaß Rosenhecken, Himbeergesträuche, Johannisbeeren, Flieder, Haselstauden, Jasmin, Ginster, Trifolium, die das Land schmückten, in dem sie ihm das Ansehen eines Brachfeldes gaben.6

Im Gegensatz zu den französischen Physiokraten, welche mit ihren Regeln der landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens die »Gottgewolltheit des feudalen Systems« zu verteidigen suchten,7 lag also dieser Idylle mit utopischer Radikalität die Forderung zugrunde, das menschliche Leben wieder dem Zustand des Paradiesischen anzunähern. Dieses Postulat wurde zwar von vielen französischen Aufklärern emphatisch aufgegriffen, setzte sich aber in der gesellschaftlichen Realität nur in sehr reduzierter Form durch: ob nun als sentimentale Schwärmerei oder als adlige Patronatsbemühung, wie sie der mit Rousseau befreundete Marquis René Louis de Girardin an den Tag legte, der in Ermenonville einen empfindsam gestimmten Park entwarf, den er mit in Felsen eingegrabenen Inschriften, einer Hirtenhütte, einem Philosophentempel und später dem Grabmal Rousseaus versehen ließ. Eine politische Verve erhielten diese Ideen erst, als sie nach 1789 von den Jakobinern aufgegriffen wurden, die fast alle Rousseau-­Schwärmer waren.8 Nach Ansicht dieser Gruppen sollte alles wieder der Natur entsprechen: die politische Verfassung, die wirtschaftlichen Produktionsbedingungen, die gesellschaftlichen Umgangsformen, die Essgewohnheiten, die Erziehung, die Liebe, wobei sie unter »natürlich« meist jene Einfachheit verstanden, wie sie im Lebensstil des Goldenen Zeitalters geherrscht habe. Ihr höchstes Landschaftsideal war daher der mit den Augen Rousseaus gesehene Englische Garten. Demzufolge gingen die wahrhaft Radikalen zur Zeit der Jakobinerherrschaft dazu über, die zeremoniellen Lustgärten des Barocks in Landschaftsgärten umzugestalten, die Tiere aus den adligen Menagerien zu befreien, Freiheitsbäume und Freiheitshaine zu pflanzen, Pläne für zukünftige Gartenstädte zu entwerfen und in den Chören der ausgeräumten Kirchen begrünte Hügel zu Ehren des »Höchsten Wesens« zu errichten, um sich durch eine Wiederversöhnung mit der Natur – im Sinne einer Revolutio zum Urzustand der Menschheit – in ihren republikanischen Gefühlen zu bestärken. Ja, manche Jakobiner brachten dabei bereits ökologische Gesichtspunkte ins Spiel und traten für eine energische Aufforstung weiter Gebiete ein, um so die Sauberkeit der Luft zu verbessern und zugleich den Wasserhaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Statt weiterhin in Steinwüsten 57

Rousseau, Goethe, Humboldt

wie Paris zu leben, schlugen sie vor, die Städte durch wohlangelegte Parks sowie mit Sträuchern und Bäumen bepflanzte Dachterrassen in Naturparadiese zu verwandeln. Ein überzeugter Rousseauist wie François-­Noël Babeuf ging hierbei so weit, die Auflösung aller großen Städte und die Schaffung einer mit kleinen Dörfern durchsetzten Gartenlandschaft zu fordern.9 Doch von diesen Träumen und Utopien wurde nach 1794 nichts in die Wirklichkeit umgesetzt. Das zur Macht gekommene französische Großbürgertum verstand unter natürlicher Freiheit vornehmlich die Befreiung in die Industrialisierung, die uneingeschränkte Konkurrenz, kurz: den Einstieg in die Regellosigkeit der kapitalistischen Marktwirtschaft. An die Stelle der Trias »Liberté, Égalité, Fraternité«, welche die Rousseauisten unter den Jakobinern in einer paradiesisch anmutenden Naturlandschaft verwirklichen wollten, trat somit eine einseitige Liberté, das heißt eine Freiheit ohne soziales Bewusstsein, die nur die Nutzung des eigenen Besitztums zum Zwecke des größtmöglichen Profits ins Auge fasste. Nicht mehr die am Ideal der Natur orientierten Citoyens, sondern die bürgerlichen Parvenüs bestimmten von nun an den politischen und wirtschaftlichen Kurs in Frankreich. Und damit schwand seit dem Ende der neunziger Jahre, ja, schon seit dem Sieg der Gironde im Jahr 1794, die Hoffnung auf eine allgemeine Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nur im menschlichen Bereich, sondern auch im Hinblick auf die Natur. Eine ähnliche und doch andere Entwicklung lässt sich in Hinsicht auf den Landschaftsgarten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland beobachten. Allerdings waren es hier anfangs – wegen der gedrückten ökonomischen Verhältnisse des Bürgertums – lediglich einige Fürsten und Adlige, die mit dem Ideal des Englischen Gartens oder des von Rousseau inspirierten Naturidylls sympathisierten. Der bekannteste unter ihnen war der Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt, der nach ausgedehnten Englandreisen in den frühen siebziger Jahren in Wörlitz bei Dessau einen empfindsamen Landschaftspark mit einer Rousseau-­Insel anlegen ließ, der zwar noch mit vielen architektonischen Attributen ausgestattet war, aber in seiner malerischen Unregelmäßigkeit und seiner allen Bewohnern dieser Gegend ermöglichten Zugänglichkeit für die freiheitlich-­aufgeklärte Gesinnung seines Schöpfers Zeugnis ablegen sollte. Wörlitz wurde daher schnell zum Wallfahrtsort vieler naturliebender und empfindsam gestimmter Seelen. So schrieb etwa Johann Wolfgang Goethe, der 1774 seine rousseauistisch gestimmten Leiden des jungen Werthers publiziert hatte, nach seinem ersten Besuch in Wörlitz am 14. Mai 1778 an seine schwesterlich vertraute Freundin Charlotte von Stein in Weimar: Hier ist’s jetzt unendlich schön, mich hat gestern Abend, als wir durch die Seen, Kanäle und Wäldgen schlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen 58

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

6 Anonym: Der Park in Muskau (1834) Traum um sich herum zu schaffen. Es ist, wenn man so durchzieht, wie ein Märchen, das einem vorgetragen wird, und hat ganz den Charakter der Elisischen Felder.

Aber nicht nur die Lektüre Rousseaus und der Besuch in Wörlitz versetzten Goethe und andere empfindsame Aufklärer in eine so bewegte Stimmung, dass sich ihnen 59

Rousseau, Goethe, Humboldt

die idealisierte Natur, das heißt der in einen Naturgarten verwandelte Park, vor ihren Augen immer mehr verklärte. Dazu trugen auch die verbreiteten Schäferpoesien, vor allem Salomon Geßners Idyllen (1756) sowie die Theorie der Gartenkunst (1775) von Christian Cay Lorenz Hirschfeld bei.10 Angesichts der immer deutlicher werdenden Eingriffe in die Natur durch Flussbegradigungen, Abholzungen der alten Mischwälder und intensivierte landwirtschaftliche Anbaumethoden riefen solche Werke auch in Deutschland bei empfindsameren Gemütern eine Stimmung der Sehnsucht nach einem reinen, naturverbundenen, paradiesischen Leben hervor, die sich jedoch – wegen der gesellschaftlichen Randständigkeit der bürgerlichen Intelligenz – nicht wie in Paris in politische Aktivitäten umsetzen ließ, sondern lediglich die Flucht in ein erträumtes Arkadien erlaubte.11 Wahrhaft radikale Geister wie Carl Ignaz Geiger in seinem Roman Gustav Wolart (1782) und Jakob Michael Reinhold Lenz in seiner Erzählung Der Waldbruder (1797) schilderten daher vornehmlich Zustände, in denen ihre Protagonisten der Welt der Zivilisation enttäuscht den Rücken kehren und sich in ein rousseauistisch ausgemaltes Laubhüttendasein zurückziehen. Doch nicht alle Aufklärer waren so regressiv gestimmt. Die meisten sahen nach einigem Zögern und Missmut ein, dass sich in Deutschland – unter den gegebenen Umständen – die Idee des Landschaftsgartens nur in Zusammenarbeit mit den Fürsten und Adligen verwirklichen ließ. Ihr Vorbild wurde daher Hirschfeld, der – nach englischem Vorbild – bei der Anlage von Gärten nicht die politischen Tendenzen, sondern Fragen des »Geschmacks« in den Vordergrund rückte und betonte, dass Gärten in erster Linie Orte sein sollten, in denen »der Mensch alle Vorteile des Landlebens, alle Annehmlichkeiten der Jahreszeiten mit Bequemlichkeit, mit Ruhe genießen kann«.12 Vor allem nach dem Scheitern der Französischen Revolution, deren jakobinische Exzesse viele in den Einzelstaaten des Heiligen Römischen Reichs verstreut lebende Aufklärer verschreckten, schlossen die deutschen Rousseauisten eine Reihe von Klassenkompromissen mit der Aristokratie, die sich auch in ihren Landschaftsgartenvorstellungen niederschlugen. So wurden zwar in der Folgezeit noch viele Landschaftsgärten angelegt, ob nun im Seifersdorfer Tal, in Garzau, in München, in Kassel-­Wilhelmshöhe, in Muskau oder rund um Berlin,13 unter anderem auf Anregungen von Ludwig von Sckell, Peter Josef Lenné und Hermann Fürst von Pückler-­Muskau, doch der ursprüngliche Traum, in diesen Anlagen erste Ansätze zu einer neuen Welt der Naturverbundenheit zu sehen, wich dabei immer stärker dem Ideal der klassischen Harmonie und adligen Vornehmheit, wodurch für bürgerlich-­ empfindsame Sehnsüchte nur wenig Raum blieb. Auch Goethe, der Hauptvertreter des Weimarer Musenhofs, fügte sich diesem Trend und gab im Laufe der achtziger und neunziger Jahre seine rousseauistischen 60

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

Gartenschwärmereien auf. Statt weiterhin draußen vor der Stadt, in einem Gartenhäuschen an der Ilm, inmitten eines idyllisch angelegten Naturgartens zu wohnen, zog er jetzt in ein stattliches Bürgerhaus, das nur einen kleinen Nutzgarten hatte.14 Allerdings blieb sein Interesse an der Natur weiterhin stark, ja, vertiefte sich zusehends ins Naturwissenschaftliche und Naturphilosophische.15 In kritischer Auseinandersetzung mit den physikalischen Grundgesetzen eines Isaac Newton kam er dabei zu der Erkenntnis, dass es in der Natur nichts rein Mechanisches, Anorganisches, Unbeseeltes gebe, sondern alles in einem spinozistisch-­pantheistischen Sinne miteinander verbunden sei. Statt also im Hinblick auf die Welt des menschlich Erfassbaren streng zwischen Geist und Materie zu unterscheiden, bekannte sich Goethe immer stärker zu einem monistischen Weltbild, nach dem sich auch der Mensch nur als Teil der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten begreifen lasse. Von seinen Wahlverwandtschaften (1809)16 bis zu seinem Tod im Jahr 1832 schuf er darum eine Reihe von Werken, deren Protagonisten sich vor allem durch ihre gewaltsamen Eingriffe in die landschaftlichen Gegebenheiten an der prästabilisierten Harmonie der Natur versündigen. So lädt etwa der gealterte Faust seine letzte Schuld auf sich, indem er das Naturgartenidyll von Philemon und Baucis zerstören lässt, um so das letzte Hindernis bei seiner Anlage eines die Natur vergewaltigenden Deichbaus zu beseitigen.17 Allerdings äußert sich darin zugleich die Erkenntnis, wie unaufhaltsam – angesichts der zunehmenden Menschenzahl und ihrer gesteigerten Bedürfnisse – solche Prozesse sind, was dem Ganzen letztlich einen »tragischen« Charakter gibt. Ähnlichen Anschauungen huldigte Schiller, der andere Hauptvertreter des Weimarer Musenhofs. Auch er bedauerte alle gewaltsamen Eingriffe des Menschen in die Natur, wie etwa die auf dem Prinzip der »Steifigkeit« beruhenden französischen Gartenanlagen des 17. Jahrhunderts, und sprach sich für die Anlage von Gärten aus, in denen der Natur – bei aller für den Menschen erforderlichen Nutzung – nicht allzu viel Gewalt angetan werde.18 Alexander von Humboldt, mit dem Goethe ebenso in Verbindung stand wie mit Schiller, hat sich dagegen kaum über Gartenkunst geäußert. Wenn er Gärten erwähnt, dann meist nur die botanischen Gärten in Berlin, die ihn schon in frühen Jahren in dem Wunsch bestärkt hätten, ferne, unbekannte Länder zu erforschen.19 Am eindringlichsten belegen das jene Beschreibungen außereuropäischer Landschaftsbiotope, die er 1808 unter dem Titel Ansichten der Natur publizierte und mit denen er seinen Lesern nicht nur die vielfältigen Interdependenzen geographischer, geologischer, klimatischer und biologischer Art – also das, was er in seinem Buch Ideen zu einer Geographie der Pflanzen (1807) als Vegetationsgesellschaften bezeichnet hatte und wir heute ökologische Systeme nennen würden – vor Augen führte, sondern die sie zugleich zu einem gesteigerten »Naturgenuss« 61

Rousseau, Goethe, Humboldt

7  Jakob Wilhelm Christian Roux: Goethes Gartenhaus bei Weimar (um 1830)

anregen sollten. Dafür sprechen vor allem seine späteren Schilderungen der südamerikanischen Wälder mit ihrer überwältigenden Fülle an Tieren und Pflanzen, in denen der »frevelnde Mensch«, wie es ausdrücklich heißt, »noch kein Unheil angerichtet habe und ein empfängliches Gemüt« nach wie vor den vielen »Stimmen der Natur« zu lauschen vermöge. Verglichen damit erschienen ihm die zivilisierten Länder Westeuropas mit all ihren angeblichen Verfeinerungen geradezu »barbarisch«, da ihre Bewohner immer weniger Rücksicht auf die in der Natur vorgegebenen Gruppierungen der verschiedenen Pflanzen, Sträucher und Bäume nähmen.20 Um diesen Zivilisationsschäden entgegenzuwirken, setzte sich Humboldt für eine entschiedene Schonung der einheimischen Vegetation und ihrer natürlichen Voraussetzungen ein. Und zwar drang er dabei bereits zu spezifisch ökologischen Einsichten vor, wie etwa der, dass »auf einer gleichen Landfläche bei Fleischesnahrung ein Mensch, bei Getreidenahrung zehn Menschen und bei Früchtenahrung 25 Menschen bestehen könnten«,21 man also bei vernünftiger Planung nicht die gesamte Wildnis und alle Landschaftsgärten einem Bedürfnis steigernden Fortschrittsprinzip zu opfern brauche. 62

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

II

Damit ist im Rahmen der hier skizzierten Entwicklung erst einmal ein Einschnitt erreicht. Mit Rousseau, Goethe und Humboldt ging im Hinblick auf den Naturoder Landschaftsgarten eine Epoche zu Ende, die mit großen Erwartungen angefangen hatte und sich schließlich einer Situation gegenübersah, in der sie ihre utopischen Hoffnungen auf eine empfindsame, pantheistische oder naturbewahrende Gesamtumwälzung der Verhältnisse – angesichts der einsetzenden kapitalistischen Marktwirtschaft sowie der damit verbundenen Industrialisierung, Verstädterung und Bevölkerungsvermehrung – mit einem ökonomischen Pragmatismus in Einklang bringen musste. Für die Parkgestaltung ergaben sich daraus, einmal ganz grob gesprochen, folgende Konsequenzen. Fast alle frühliberalen, rebellischen Freiheitskonzepte und ökologischen Ausgleichstendenzen, die sich an die Anlage solcher Natur- und Landschaftsgärten geknüpft hatten, traten anschließend weitgehend in den Hintergrund. Was sich im 19. Jahrhundert auf diesem Sektor durchsetzte, war meist eine vulgarisierte Form des Englischen Gartens. Besonders bei der Ausgestaltung städtischer Parks und sogenannter Volksgärten folgten die dafür Verantwortlichen fast durchgehend dem Prinzip großer Rasenflächen und locker verteilter Sträucher und Baumgruppen, die sich leicht pflegen ließen und deshalb für den Fiskus keine allzu große finanzielle Belastung darstellten. Von der ursprünglichen Idee des Landschaftsgartens, vor allem in seiner rousseauistisch-­jakobinischen Ausprägung, blieb daher nicht viel erhalten. Stattdessen wurden diese Parks häufig mit architektonischen Elementen und Denkmälern berühmter Männer ausgestattet, wodurch das Humanozentrische immer wieder über das Naturnahe triumphierte. Die gleiche Absicht lag den damals angelegten botanischen Gärten zugrunde, bei denen eher das wissenschaftlich Belehrende als das Naturerhaltende im Vordergrund stand. Eine allmähliche Änderung dieser Situation trat erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, als sich in England – dem Land, in dem sich der Kapitalismus in Form des Manchester-­Liberalismus am rücksichtslosesten ausgebreitet hatte – im Gefolge von John Ruskin immer mehr Stimmen zu Wort meldeten, die aus ästhetischen Gründen und zum Zweck der Naturbewahrung eine allgemeine Rückkehr zu vorindustriellen Zuständen forderten. Dafür spricht unter anderem der utopische Roman News from Nowhere (1890) von William Morris, der zu einem Zeitpunkt spielt, an dem alle Fabriken und Städte wieder verschwunden sind und ganz England einer großen Gartenlandschaft gleicht, in der alle Menschen voller Freude ihren handwerklichen, gärtnerischen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, da mit der kapitalistischen Marktwirtschaft auch der Konkurrenzneid und das Profitstreben verschwunden sind. Doch so weit wie der Sozialist Morris gingen nur wenige, nicht einmal William Robinson, der 1870 seinem Naturgarten63

Rousseau, Goethe, Humboldt

traktat den vielversprechenden Titel The Wild Garden gab. Die meisten englischen Gartentheoretiker blieben im liberalen Sinne reformbetont, das heißt, sie suchten nach einem vernünftigen Ausgleich zwischen Natur und industriellem Fortschritt. Ihren Vorstellungen entsprach eher ein Buch wie The Formal Garden in England (1892) von Reginald Blomfield, in welchem der Garten als ein idyllischer Ruheraum der gehobenen Mittelschichten hingestellt wird. Im Gegensatz zu den empfindsamen Freiheitsenthusiasten des 18. Jahrhunderts wollten Theoretiker dieser Art nicht mehr die paradiesische Ursprünglichkeit der Natur nachahmen, sondern sich in den Dienst jener bürgerlichen Gesinnung stellen, aus der dann die Gartenstadt-­ Bewegung hervorgegangen ist. Mit anderen Worten: Ihre Gärten sollten – in einer eklektischen Mischung aus architektonischen und gärtnerischen Elementen – ihren Eigentümern als zweiter »Wohnraum« oder »Freilichthaus« dienen.22 Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich in diesen Jahrzehnten in den USA ab, wo 1901 ein Gartentheoretiker wie Charles Henderson in seinem Buch Picturesque Gardens das ältere Prinzip des »wild gardening« nur noch auf die »neglected spots« unter tief schattenden Bäumen oder zwischen Sträuchern beschränkt sehen wollte und ansonsten eher »formale« Aspekte empfahl.23 Dennoch tauchen in manchen englischen und amerikanischen Publikationen der Jahrhundertwende, wie in dem Buch The Praise of Gardens (1899) von Albert Forbes Sieveking, neben vielen anderen Gartentheoretikern noch immer die Namen von Rousseau, Goethe, Schiller und Humboldt auf.24 Allerdings wurden damit keine spezifisch empfindsamen, pantheistischen oder pflanzensoziologischen Vorstellungen mehr verbunden, sondern nur noch »Bildung« oder allgemeine »Naturliebe« demonstriert. Ähnliches gilt für viele Bücher der zwanziger und dreißiger Jahre aus diesem Umkreis, wofür sich als ein willkürlich herausgegriffener Beleg das Buch Everybody’s Garden (1930) von Frank A. Waugh heranziehen ließe.25 Dagegen wurden solche Erwähnungen in späteren angloamerikanischen Büchern dieser Art, selbst wenn sie Titel wie The Natural Shade Garden (1992) von Ken Druse, The Naturalist’s Garden: How to Garden with Plants that Attract Birds, Butterflies, and Other Wildlife (1993) von Ruth Shaw Ernst, Wildflowers in Your Garden (1993) von Viki Ferreniea und Noah’s Garden: Restoring the Ecology of our Own Back Yard (1993) von Sara Stein aufwiesen, trotz des Nachdrucks, den sie zum Teil – im Zuge der inzwischen entstandenen ökologischen Bewegung – auf die Naturerhaltung legten, immer seltener und verschwanden schließlich fast ganz. Offenbar waren ihre Autoren und Autorinnen mit den Schriften Rousseaus, Goethes und Humboldts nicht mehr vertraut oder empfanden sie als viel zu »idealistisch«, um sich – in wesentlich »härteren« Zeiten lebend – überhaupt noch auf sie berufen zu können. Etwas anders verlief dagegen in dieser Hinsicht die Entwicklung in Deutschland um 1900. Zwar gab es auch hier unter den Gartentheoretikern eine Reformströ64

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

mung, die sich an den neuen englischen Vorbildern orientierte und im Sinne der dortigen Gartenstadtbewegung den »Wohnraumcharakter« der neu anzulegenden Gärten akzentuierte.26 Dafür sprechen Publikationen wie Landhaus und Garten (1907) von Hermann Muthesius, Geschichte der Gartenkunst (1909) von Christian Ranck, Die deutsche Gartenstadtbewegung (1911) von Hans Kampfmeyer, Die Deutsche Gartenstadt (1912) von Gustav Simons, Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts (1913) von Leberecht Migge sowie Das sanitäre Grün der Städte (1915) von Martin Wagner, die ein deutliches Spiegelbild der wirtschaftlichen Hochkonjunktur dieser Jahre bilden und vor allem den Erholungswert der Gärten und Parks innerhalb des »nervösen Hastens« der Großstädte betonen.27 Die Vertreter dieser Gartenkonzepte, die sich eindeutig zum neuen Englischen Garten bekannten, das heißt, sich von einer angeblich »unfruchtbaren Naturnachahmerei« distanzierten, forderten vornehmlich Gärten, in denen das Bürgertum »wie im Hause wirklich wohnen könne«.28 Die meisten von ihnen fühlten sich als selbstbewusste Repräsentanten einer kommenden Weltzivilisation, deren oberste Werte die kapitalistische Produktivität und ein demokratischer Reformgeist sein sollten, und wiesen darum alle die Natur betreffenden »Romantizismen«, wie sie es nannten, als hoffnungslos veraltet zurück. Doch neben Strömungen dieser Art gab es innerhalb der Gartentheorien auch solche, die – aus Abneigung gegen den industriellen Fortschrittskult – weiterhin an älteren Natur- und Wildgartenvorstellungen festzuhalten versuchten. Im Gegensatz zu den an England orientierten Reformern, welche ihre marktwirtschaftliche Gesinnung selbst bei ihren Gartenkonzepten gern hinter nichtssagenden Begriffen wie »modern« oder »neuzeitlich« versteckten, schreckten diese Gruppen keineswegs vor einer offenen Ideologisierung ihrer Ansichten zurück und griffen dabei zum Teil durchaus auf Äußerungen von etablierten Kulturgrößen wie Rousseau, Goethe oder Humboldt zurück, um ihren Thesen mehr Gewicht zu verleihen. Und zwar lässt sich hierbei eine Fülle verschiedener Richtungen unterscheiden, die sich zwar alle zu einer stärkeren Naturbezogenheit bekannten, aber sowohl in ihrer weltanschaulichen Ausrichtung als auch ihren politischen Zielen erheblich voneinander abwichen. III

Während bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland lange Zeit der ältere Englische Garten, wenn auch aus fürstlicher Exklusivität à la Pückler-­Muskau ins Kommunale der städtischen Parks abgewandelt, das maßgebliche Vorbild war, traten auf diesem Gebiet um die Jahrhundertwende erstmals Theoretiker auf, die sich sowohl gegen die Vulgarisierung der älteren englischen Gartenkonzepte als auch den pragmatischen Charakter der »modernen« Landhaus- und Gartenstadtideale wandten. Jenseits realer Konkretisierungen ihrer Ideale ging es diesen Theoretikern 65

Rousseau, Goethe, Humboldt

zum Teil um ein völlig neues Naturkonzept, dem sie – je nach ideologischer Orientierung – eine pantheistisch-­goetheanische, ökologisch-­naturbewahrende, neureligiöse oder nationale Fundierung zu geben versuchten, wobei sich allerdings diese Konzepte manchmal deutlich überlagerten. Pantheistisch-­goetheanische Vorstellungen finden sich vor allem bei jenen Gartentheoretikern, die sich zwar entschieden gegen die steigende Kommerzialisierung und Naturausplünderung wandten, aber dabei vor eindeutig nationalen oder gar nationalistischen Tendenzen zurückschreckten. Das gilt besonders für den Monistenbund, der sich unter der Leitung Ernst Haeckels zu einer »grünen Weltfrömmigkeit« im Sinne Goethes bekannte, welcher die Vorstellung einer pantheistischen Identitätsphilosophie von Geist und Materie zugrunde lag und die selbst in den unscheinbarsten Naturphänomenen Merkmale eines göttlichen Waltens erblickte.29 Sympathisanten dieser Richtung waren vor allem Waldemar Bonsels, Cäsar Flaischlen, Arno Holz, Johannes Schlaf und Bruno Wille, in deren Publikationen die Natur – in lyrischer Verklärung – oft den Anschein eines unendlichen Gartens erweckt, allerdings ohne dabei wirklich die Form eines vom Menschen angelegten Gartens anzunehmen. Doch eine so schwärmerisch-­unverbindliche Haltung war anderen Pantheisten dieser Ära nicht genug. Das gilt vor allem für Rudolf Steiner, den Begründer der »Anthroposophischen Gesellschaft«, der seit seinem Buch Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (1887) ebenfalls von einer holistischen Sicht der Welt ausging, das heißt, sich zu einem neoreligiös-­ganzheitlichen Denken bekannte, das wie bei den Monisten auf einer Identität von Geist und Materie beruht. Diese Anschauung schlug sich zwar nicht in konkreten Gartenkonzepten nieder, ließ aber Steiner zum Befürworter einer »biologisch-­dynamischen Landbauweise« werden, die auch für viele der späteren ökologiebewussten Gartentheoretiker richtungsweisend wurde. Bei den nichtreligiös gefärbten Richtungen, die sich vornehmlich für eine Erhaltung der natürlichen Wildnis einsetzten, überwog dagegen meist die nationale Komponente. Das äußert sich am deutlichsten in den an Wilhelm Heinrich Riehl orientierten Schriften Ernst Rudorffs, der sich in seinem Buch Heimatschutz (1901) gegen die immer stärker werdende Kommerzialisierung der deutschen Landschaft wandte, die man zu eigenem Gewinn und Vergnügen »bis zum letzten Tropfen auszupressen« versuche.30 Um dieser naturzerstörerischen Entwicklung Einhalt zu gebieten, forderte Rudorff die Anlage großer Naturschutzgebiete, statt tatenlos zuzusehen, wie die deutsche Landschaft Stück für Stück ein Opfer der industriellen »Barbarei« werde.31 Noch schärfer wurden solche Ausfälle gegen die kapitalistische Zersiedlung der deutschen Landschaft im Rahmen des Wandervogels.32 Hier war es Ludwig Klages, der 1913 in seiner Schrift Der Mensch und die Erde dieser Gesinnung wohl den schärfsten, geradezu ins Apokalyptische gesteigerten Ausdruck ver66

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

lieh, wobei er als heilende Kraft besonders die national betonte Naturverehrung der deutschen Romantik zu Hilfe rief.33 Auf dem Gebiet der Gartentheorien äußerte sich diese Gesinnung am eindringlichsten in den Büchern Gärten (1902) und Die Entstellung unseres Landes (1905) von Paul Schultze-­Naumburg. Nach seiner Ansicht sollte jeder Garten vor allem ein verstärktes »Heimatgefühl« erwecken.34 Daher lehnte er trotz einiger Reformabsichten den »modernen« Stil in der Gartengestaltung entschieden ab und hielt sich – mit scharfen Invektiven gegen die Öde der »kalten, nüchternen Abstraktionen« des kommerziellen Internationalismus – weitgehend an die Gartenideale des späten 18. Jahrhunderts.35 Allerdings verzichtete er dabei ausdrücklich auf alle Ausschweifungen ins Empfindsame oder Pantheistische. Auch ökologische Gesichtspunkte, welche man bei Schultze-­Naumburg, dem ersten Vorsitzenden des 1904 gegründeten »Bund Heimatschutz«, an sich erwarten würde, tauchen bei ihm nur am Rande auf. Ein Gartentheoretiker wie Willy Lange griff dagegen in seinen frühen Publikationen zum Naturgarten, wie den Büchern Gartengestaltung der Neuzeit (1907), Landund Gartensiedelungen (1910) und Der Garten und seine Bepflanzung (1913), mehrfach auf humanistisch klingende Konzepte zurück und berief sich nachdrücklich auf Rousseau, Goethe, Schiller und Humboldt, um damit, wie Eugen Gradmann in seinem Buch Heimatschutz und Landschaftspflege (1910), sowohl seine angeblich »idealistische« Grundhaltung als auch seinen Sinn für die inneren Zusammenhänge einzelner Pflanzengruppen zu demonstrieren.36 Ja, er war zugleich einer der Ersten, der hierbei den 1866 von Ernst Haeckel in seiner Generellen Morphologie der Organismen eingeführten Begriff »Ökologie« aufgriff, ihn jedoch nicht im Sinne des Naturerhaltenden, sondern im Sinne einer »Lehre vom genossenschaftlichen Zusammenleben ganzer Gruppen« einander ähnlicher Arten, also einer »physiognomischen Auffassung der Pflanzenwelt« im Sinne Humboldts, gebrauchte.37 Was ihn dabei mit einem Heimatschützer wie Schultze-­Naumburg verband, war der entschiedene Nachdruck auf der erforderlichen Bodenständigkeit, dem Regional-­ Vertrauten, kurz: dem »Heimatlichen«,38 der jedoch auch bei ihm noch nicht mit naturbewahrenden Gesichtspunkten verbunden wird. Einer der wenigen, der im Hinblick auf die Gartengestaltung auch eine biologische Besorgnis äußerte, war Wilhelm Bölsche. Er stellte 1913 in seiner Schrift Stirb und Werde! Naturwissenschaftliche und kulturelle Plaudereien unter dem auf Goethe verweisenden Motto »Stirb und Werde!« die Forderung auf, in Zukunft alle Privatgärten durch die Anlage sinnvoller Biotope in Rettungsasyle für die »heimische Pflanzen- und Tierwelt«, also wahre Naturgärten zu verwandeln, um so den Heimatschutz aus dem im engeren Sinne Regionalen und Nationalen ins Ökologische zu erweitern. Dementsprechend schrieb er: 67

Rousseau, Goethe, Humboldt

Jeder Besitzer eines größeren Gartens, eines Parks oder Landguts könnte sich mit geringem Einsatz an Land ein kleines Reservat, einen Schutzwinkel beispielsweise für die heimische Pflanzen- und Tierwelt mit Leichtigkeit schaffen. Es genügt, einen (eventuell schon von Natur begünstigten) Winkel dauernd auf »reine Natur« einzustellen, teils sich selbst zu überlassen, teils durch etwas Nachhilfe im Konzentrieren heimischer Flora und Fauna noch zu bereichern, jedenfalls aber für absehbare Zeit einem besonderen Recht zu unterstellen, das von dem gewöhnlichen Nutzungswert absieht und den Naturschutzzweck bewußt für diese Stelle proklamiert. Nach besonnenen Prinzipien, die heute in der Literatur bereits klar entwickelt sind, wird man an solchem Fleck geschützte Nistgelegenheiten für Vögel anbringen, man wird seltene und bereits abnehmende Pflanzen der Gegend hierher zu verpflanzen suchen, man wird im Gegensatz zu den reinen Zerstörungsfeldzügen der gewöhnlichen Sammler und Sammlungshändler lehrreiche, schöne und charakteristische Schmetterlinge und Käfer durch Ansiedeln von Futterpflanzen, Bezug von lebendigen Raupen und Puppen usw. in ihrem Lebensbetrieb zu unterstützen und so zu sagen wieder reicher in Umlauf zu bringen suchen, und anderes mehr.39

Bölsche forderte daher alle Heimatschützer auf, nicht nur durch große Worte, sondern auch durch die Anlage der von ihm beschriebenen Naturgärten endlich einen praktischen Beitrag zur Rettung der allerorten bedrohten Wildpflanzen und Wildtiere zu leisten. Selbst das kleinste in einen Naturgarten verwandelte Fleckchen Erde schien ihm dafür geeignet: Je größer der Fleck natürlich, desto besser, desto sicherer die Wirkung. Am meisten Gewinn könnte die Sache aber dadurch bringen, daß möglichst viele Besitzer sich an möglichst vielen Stellen beteiligten. Gerade die Zersplitterung gäbe hier hohen Vorteil, nicht bloß im Sinne, daß von vielen Zentren aus äußerlich wirksamer die Gesamtfläche immer wieder bearbeitet werden kann, sondern auch, weil beim »Retten« von Tier- und Pflanzenarten nach gewissen biologischen Gesetzen viele kleine Asyle aussichtsreicher sind als ein großes.40 IV

Wie wir wissen, setzte der Erste Weltkrieg all diesen Bemühungen, ob nun den problematischen oder vernünftigen unter ihnen, im August 1914 ein vorläufiges Ende. Und auch in den zwanziger Jahren dauerte es in Deutschland eine Reihe von Jahren, bis man nach den revolutionären Unruhen und verheerenden Auswirkungen der Hyperinflation zwischen 1919 und 1923 auch scheinbar nebensächliche Themen wie die Gartengestaltung erneut ins Auge fasste. Auf liberaler Seite galt dieses Interesse weitgehend der Anlage sanitärer Grünflächen und zweckgerechter Hausgär68

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

ten, wie es jetzt im Sinne der Neuen Sachlichkeit hieß. Für Berufungen auf einen goethezeitlichen Humanismus oder die Pflege einer bodenständigen Pflanzenwelt hatte dieser Flügel des ideologischen Spektrums nur wenig übrig. Ihn faszinierten Großstadt, Technik, Sport und Freizeitvergnügungen, aber nicht eine geduldige gärtnerische Arbeit. Daher überließen die Vertreter dieser Richtung das Feld der Gartengestaltung fast durchgehend den nationalkonservativen Kreisen. Allerdings schlossen selbst diese gegen Mitte der zwanziger Jahre durchaus Kompromisse mit der rapide voranschreitenden Industrialisierung, durch die Deutschland im Jahr 1929 wieder auf den zweiten Platz in der Weltrangliste der Industrienationen aufrücken konnte, und sahen ihr Ideal in einer »Kulturlandschaft«, in der man keineswegs auf Industrieanlagen verzichten solle, versuchten aber dennoch, so gut es ging, an einer regionalistisch-­ökologischen Grundorientierung festzuhalten, was vor allem für die Aktivitäten des weiter bestehenden »Bund Heimatschutz« gilt. Daneben machten sich jedoch zu diesem Zeitpunkt in den Garten- und Landschaftstheorien auch Tendenzen breit, die bereits einen eindeutig präfaschistischen Charakter hatten. Als Beleg dafür lässt sich die 6. Auflage des Buchs Gartengestaltung der Neuzeit (1928) von Willy Lange heranziehen, in der zwar immer noch ehrwürdige Namen wie Rousseau und Humboldt auftauchen,41 wo aber die Idee des Naturgartens – wohl unter dem Einfluss Houston Stewart Chamberlains und Oswald Spenglers – immer stärker als spezifisch »nordisch« angepriesen und ein Garten mit Architekturelementen als typisch »mediterran« abgewertet wird.42 Während Lange nach diesem Zeitpunkt verstummte, obwohl er noch bis 1941 weiterlebte, gaben seine Schüler und Anhänger diesem nordisch gefärbten Konzept des Naturgartens – unter Missachtung aller aufgeklärt-­empfindsamen oder goethezeitlich-­humanistischen Vorstellungen – bereits vor der Machtübergabe an die Nazifaschisten einen eindeutig chauvinistischen Charakter. Dafür spricht, dass sie in Anlehnung an die von Caspar David Friedrich geplanten Gedenkstätten für die Gefallenen der Befreiungskriege von 1812 bis 1815 sowie die 1915 von Willy Lange projektierten Kriegsgräberhaine schon um 1930 sogenannte Heldenhaine für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs entwarfen oder wie Rudolph Bergfeld, der 1912 ein Buch unter dem Titel Der Naturform­garten veröffentlicht hatte, Friedhöfe für völkisch orientierte Gruppen anlegten, denen sie den Charakter angeblich germanischer »Ahnenstätten« zu geben versuchten.43 Als deshalb am 30. Januar 1933 Adolf Hitler die Macht übergeben wurde, brauchten auf diesem Sektor, wie auf vielen anderen, kaum irgendwelche einschneidenden Kurskorrekturen vorgenommen zu werden. Allerdings kam es dabei auch zu Enttäuschungen. So mussten die allein auf das Prinzip der Naturwüchsigkeit eingeschworenen Nordfanatiker sowie die von monistisch-­neureligiösen Vorstellungen herkommenden Anthroposophen schon nach kurzer Zeit einsehen, dass es der 69

Rousseau, Goethe, Humboldt

NSDAP trotz ihres Bauern- und Naturkults, das heißt ihrer These von einer neuen »Scholleverwurzelung« des deutschen Volkes, nicht nur um eine größere Schonung der Natur ging, wie sie die Reichsnaturschutzgesetzgebung von 1934 bis 1936 vorsah, sondern dass ihre Anhänger zugleich die seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise stark angeschlagene deutsche Industrie wieder auf volle Touren zu bringen versuchten, um so die wehrtechnischen Voraussetzungen für eine imperialistische Ausbreitung des von ihnen geschaffenen Dritten Reichs zu schaffen. Das Lager der Gartentheoretiker und Gartenpraktiker war daher nach 1933 keineswegs völlig gleichgeschaltet. Neben den üblichen Opportunisten, die in allen Regimen den Mächtigen nach dem Munde reden, gab es hier sowohl verblendete Idealisten als auch vorsichtig taktierende Kompromissler, die sich dem neuen Reich nur anpassten, um weiterhin für die Erhaltung der deutschen Landschaft eintreten zu können. Zu den sich überfanatisch gebärdenden Opportunisten gehörte vor allem ein Mann wie Hans Hasler, der 1939 in seinem Buch Deutsche Gartenkunst der bereits von Willy Lange propagierten Idee des nordischen Naturgartens eine zeitgemäße, das heißt faschistisch-­rassistische Grundierung gab. Ein Name wie Goethe fällt daher bei ihm nicht mehr. Bei Hasler geht es allein um den »nordischen Rassegeist«, der in der Gartengestaltung zuerst in England zum Durchbruch gekommen sei und dann in Deutschland seine höchste Entwicklungsstufe erreicht habe.44 Selbst da, wo Hasler im Hinblick auf die Gartengestaltung von »ökologisch begründeten Standortgenossenschaften« verschiedener Blumen, Sträucher und Bäume spricht, wird deshalb weder auf Humboldt noch auf Haeckel, sondern allein auf einen Protofaschisten wie Willy Lange verwiesen.45 Die Idealisten unter den Naturliebhabern und Gartentheoretikern kamen dagegen nach 1933 entweder aus dem Lager des Wandervogels, der Organisation »Bund Heimatschutz« oder der »Anthroposophischen Gesellschaft«. Von besonderer Wichtigkeit waren dabei die Anthroposophen, die zwar im Dritten Reich nicht mehr als Mitglieder einer anerkannten Gesellschaft auftreten durften, deren Ideen aber dennoch bis in die höchste Parteispitze einen nicht unbeträchtlichen Einfluss ausübten.46 Dafür sprechen unter anderem die Publikationen des Reichsbauernführers Richard Walther Darré,47 in denen er zwar den Begriff »biologisch-­dynamische Landbauweise« durch den Begriff »lebensgesetzliche Landbauweise« ersetzte, aber dennoch – aus völkisch-­ erdverbundenen Motiven – an den Grundprinzipien einer chemielosen Bodenbearbeitung festzuhalten versuchte. Ein ähnlicher Tenor herrscht in den Schriften des Reichslandschaftsanwalts sowie des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen Alwin Seifert, der die »artgerechte«, das heißt der jeweiligen Region heimatlich angepasste Bepflanzung der Gebiete entlang der Autobahnen zu überwachen hatte. Seifert versuchte sich noch 1940 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Die Straße für 70

Ihr Einfluss auf die späteren Befürworter des Naturgartens

die »biologisch-­dynamische Landbauweise« und damit eine wirkliche »Bodenverbundenheit« einzusetzen, wobei er sich in anthroposophischer Tradition – ohne das ideologisch genauer auszuführen – auf jene »intuitive Schau« der Natur berief, die bereits Goethes pantheistischer Weltanschauung zugrunde gelegen habe.48 Trotz »politischer Anfeindungen« stand ihm dabei seit 1936 Hermann Mattern, ein ehemaliger Wandervogel und Mitarbeiter von Karl Foerster, zur Seite.49 Inwieweit die von Seifert und Mattern aufgestellte Forderung der »Bodenständigkeit« aller entlang der Autobahn angepflanzten Blumen, Gräser, Sträucher und Bäume wirklich einer von Naturgartenidealen gespeisten Überzeugung entsprach, oder ob sie diese nur aus taktischen Gründen ins Spiel brachten, um den verheerenden Wirkungen der nazifaschistischen Industrialisierungswelle entgegenzuwirken, sei dahingestellt. Während zur gleichen Zeit Rudolf Borchardt in seinem im Exil geschriebenen Buch Der leidenschaftliche Gärtner (1938) – unter Berufung auf Platon, Vergil, Pope, Addison, Kent, Goethe, Schiller, Kant, Jean Paul, Novalis und Humboldt – seine humanistische Sehnsucht nach einem Leben der Friedfertigkeit und Liebe mit einer literarisch-­ästhetisierenden Sehnsucht nach immer neuen Formen der Gartenkunst verband,50 blieben den im Dritten Reich verbliebenen Naturschützern wohl kaum andere Möglichkeiten als die, welche Seifert und Mattern zu nutzen versuchten. Nach der Niederlage des Faschismus trat, wie nach dem Ersten Weltkrieg, die Diskussion um eine naturgemäße Gartengestaltung – angesichts der aufgehäuften Trümmerberge – vorübergehend in den Hintergrund. Erst mit den von Hermann Mattern angelegten Bundesgartenschauen begann sich die breitere Öffentlichkeit wieder für solche Themen zu interessieren. Neben den üblichen How-­to-­Büchern erschienen dabei auch Monographien, wie das Buch Der deutsche Garten (1950) von Gustav Allinger, in denen zwar immer noch die Heimatideale der dreißiger Jahre weiterwirkten, die aber durch vielfache Berufungen auf Goethe auch ihre humanistische, das heißt nichtfaschistische Gesinnung unter Beweis zu stellen versuchten. Doch ein wirkliches Interesse am Naturgarten entwickelte sich in Deutschland erst wieder im Verlauf der siebziger Jahre, als sich plötzlich – nach der Publikation des Buchs Limits of Growth (1971) von Dennis L. Meadows – die Stimmung einer allgemeinen Umweltkrise verbreitete, die zu vielen naturbewahrenden Bürgerinitiativen und schließlich zur Gründung der Partei der Grünen führte. Die Folgen dieser Wende waren sowohl theoretische als auch praktische. Im Bereich der Theorie bewirkte diese Verunsicherung eine verbreitete Rückbesinnung auf jene Naturvorstellungen, mit denen sich kritische Geister bereits im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert gegen die hereinbrechende Welt der kapitalistischen Industrialisierung und Verstädterung gewandt hatten. So stellte etwa Fritjof Capra im Einführungskapitel der deutschen Ausgabe seines Buchs The Turning Point (1982) – 71

Rousseau, Goethe, Humboldt

neben Rudolf Steiner – vor allem Goethe als den entscheidenden Vertreter eines »ganzheitlich-­ökologischen Denkens« hin, dem es heute wegen seines tiefen Respekts vor der Natur und der ihr immanenten Gesetzmäßigkeiten auf allen Ebenen nachzueifern gelte.51 Ähnliche Äußerungen tauchten in fast allen deutschen Publikationen dieser Jahre auf, die sich mit ökologischen Themen beschäftigten. Nicht nur in anspruchsvollen Anthologien wie Grün kaputt. Landschaft und Gärten der Deutschen (1983) sowie »Bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur«. Texte und Bilder einer Sehnsucht (1984) finden sich daher – neben Texten von Rousseau und Humboldt – immer wieder Texte von Goethe, meist aus dem Werther.52 Selbst eher populäre Zeitschriften wie Garten und Landschaft brachten noch in ihrem Jahrgang 1992 sowohl einen Aufsatz über den Gartenfreund Goethe als auch einen über den Naturschwärmer Rousseau.53 Ja, sogar Pilgerfahrten zu Rousseaus Grabmal im Park von Ermenonville wurden von solchen ökologiebewussten Naturgartenschwärmern in diesen Jahren unternommen.54 Und zwar kam es hierbei zu einer seltsamen Dialektik. Einerseits wurde in derartigen Schriften das Leitbild des »einfachen Lebens« beschworen, andererseits äußerte sich in ihnen eine Stimmung der Melancholie, die vor den anstehenden Problemen der Gegenwart in die Vergangenheit auszuweichen versuchte. Das Gleiche gilt für manche Versuche, diese Ideen in die Praxis umzusetzen. So beschrieb etwa Uwe Wolff in seinem Aussteigerroman Papa Faust (1982) einen sich nach Ruhe sehnenden Faust, der auf den kapitalistischen Tätigkeitsdrang verzichtet und sich in ein Naturgartenidyll zurückzieht, jedoch auch dort – wegen der allzu nahen Großstadt und ihrer Verführungen – keinen Frieden findet. In solchen Werken zeigte sich nur allzu deutlich, dass utopische Gegenentwürfe, wie die vielfach propagierten »ökologischen Naturgärten«,55 innerhalb einer hoch industrialisierten Gesellschaft stets hoffnungslos vereinzelte Enklaven bleiben müssen. Dennoch hatten sie ihre Funktion. Einerseits erwiesen sie sich als jene dringend erforderlichen Rettungsasyle für die einheimische Pflanzen- und Tierwelt, wie sie vor allem Jochen Bölsche und Alfred Weber 1983 unter dem Titel Tier- und Pflanzenschutz durch Wildwuchs im Garten forderten.56 Andererseits versuchten sie all jene Menschen, die in ihren Gärten lediglich Grillplätze oder Spielwiesen sahen, endlich aus ihrem rein anthropozentrischen Denken aufscheuchen. Erst mit solchen Anlagen ließen sich, wie sie hofften, die bisherigen Grünflächen oder dekorativ angelegten Ziergärten in wahre »Naturgärten« verwandeln. Eine solche Entwicklung konnten Rousseau, Goethe und Humboldt – vor dem Einbruch der Industrialisierung und Vergroßstädterung – selbstverständlich noch nicht vorhersehen. Dennoch sollten ihnen unter den Vorläufern eines ökologischen oder zumindest naturbezogenen Denkens durchaus die ihnen gebührenden Denkmäler gesetzt werden.57 72

Gehätschelt und gefressen Das Tier in den Händen der Menschen

I

Wie wir wissen, enthalten auch die unglaubwürdigsten Märchen und Mythen manchmal ein Körnchen Wahrheit. Das gilt selbst für das oft belächelte 1. Buch Mose. Hier werden die ersten Menschen als Vegetarier geschildert, die sich im Garten Eden lediglich von den »Früchten der Bäume« und später – nach ihrer Vertreibung – vor allem vom »Kraut der Felder« ernähren, sich also von Früchtesammlern zu Ackerbauern entwickeln. In dieser Ära hatten deshalb die Tiere vom Menschen noch wenig zu befürchten. Zum Karnivoren wurde der Mensch, wenn wir dieser Quelle Glauben schenken sollen, erst dann, als sich das Wasser der Sintflut wieder verlaufen hatte. An dieser Stelle sagt Jahve zu Noah und seinen Söhnen: Seid fruchtbar, und mehret euch, und erfüllet die Erde. Eure Furcht und Schrecken sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kreucht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich reget und lebet, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut hab ich’s euch allen gegeben. […] Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht. Seid fruchtbar und mehret euch, und reget euch auf Erden, dass euer viel drauf werden.1

Und an diese Lehre, die letztlich auf eine Verdrängung, Abschlachtung und Ausrottung aller Tiere hinausläuft, haben sich die meisten Juden und Christen auch lange Zeit getreulich gehalten. Im Gegensatz zu polytheistisch-­naturverehrenden Religionen wie dem Hinduismus und Dschainismus, welche die innere Verwandtschaft aller lebenden Wesen betonen, blieb die mosaisch-­christliche Einstellung dem Tier gegenüber stets die von Herr und Knecht oder Jäger und Beute. In allen Herrschaftsbereichen, in denen man glaubte, dass nur der Mensch nach dem Bilde Gottes gemacht sei, waren daher die Tiere übel dran. Hier trat ihnen der Mensch vornehmlich mit Peitsche und Messer entgegen, um sie zu knechten, ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen, sie zu schuppen, zu rupfen – und schließlich aufzufressen. Ja, selbst auf symbolisch-­allegorischer Ebene galten sie im Rahmen solcher Erwähltheitsideologien als das »Niederste«: das Animalische, Dreckige, Stinkende, Ungezügelte, Triebhafte, Schweinische, Hündische, Bestialische, wenn nicht gar Diabolische. Soweit deshalb die Stimme dieses Gottes und seiner Stellvertreter drang, wurde unter allen lebenden Wesen lediglich dem Menschen eine gewisse Würde 73

Gehätschelt und gefressen

zugestanden. Nur er galt als Ebenbild des Höchsten, als Krone der Schöpfung und fühlte sich dementsprechend als schrankenloser Gebieter über alle für ihn geschaffenen Kreaturen.2 An dieser alttestamentarisch-­christlichen Grundeinstellung dem Tier gegenüber hat sich in Europa – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch im Hochmittelalter und der beginnenden Neuzeit nicht viel geändert. So wird in den Werken des Thomas von Aquino, welche die Summe des christlichen Denkens des 13. Jahrhunderts bilden, nur dem Menschen eine höhere Lebensqualität zuerkannt. Tiere waren für diesen Denker rein instinkthaft-­mechanische Wesen. Sie hätten weder eine Seele, behauptete er, noch einen Anspruch auf das Jenseits, das heißt überhaupt keinen Eigenwert, sondern seien nur für den Menschen da.3 Selbst im Zuge der Renaissance und des Rationalismus des 17. Jahrhunderts wurden solche Vorstellungen nicht erschüttert oder höchstens durch eine säkularisierte Hybris ersetzt. Das führte zwar zu einer merklichen Aufwertung des menschlichen Erkenntnisvermögens, änderte jedoch an der Einstellung zum Tier nicht das Geringste. Da diese Wesen nach René Descartes keine »Ratio« besäßen, betrachtete er sie als Objekte, als Res extensa, ja, verglich sie in seinem berühmten Brief an den Marquis von Newcastle mit total gefühllosen Maschinen, die wie ein Uhrwerk operierten und deren Nerven und Muskeln lediglich von Gasen in Gang gehalten würden.4 Als daher Nicolas Malebranche, ein kartesianischer Philosoph, einer schwangeren Hündin einen Tritt versetzte und ihn Bernard de Fontenelle auf ihr schmerzverzerrtes Gesicht aufmerksam machte, sagte Ersterer lediglich: »Cela ne sent rien!« (»Die fühlen ja nichts!«).5 Und so wurden von den Naturwissenschaftlern dieser Richtung bald Hunderte von Tieren bei lebendigem Leibe auseinandergeschnitten, seziert, verbrannt oder ausgehungert – und ihr schmerzliches Winseln als eine rein »äußerliche« Regung abgetan. Wie bekannt, trat diesem absolutistischem Rationalismus, der in vielem ein Spiegelbild der höfischen Gesellschaftshierarchie der Barockära ist, erst im 18. Jahrhundert eine Reihe aufklärerischer und empfindsamer Strömungen entgegen, die sich in ihrem mitleidsbetonten Einfühlungsdrang schließlich auch der »notleidenden Kreatur« annahmen. Allerdings vollzog sich dieser Wandel sehr langsam, da die »Befreiung in den Kapitalismus« im Rahmen des aufsteigenden Bürgertums zu einem gesellschaftlichen Strebertum führte, das zwangsläufig neue Überlegenheitsgefühle auslöste. Obendrein wurde die Freiheit von diesen Gesellschaftsschichten wesentlich energischer verfochten als die Gleichheit oder gar Brüderlichkeit, welche bald von einem bürgerlich-­kapitalistischen Herrschafts- und Bereicherungstrieb in den Hintergrund gedrängt wurden. Und doch kam es im 18. Jahrhundert – aufgrund der universal verkündeten Aufklärung – immer wieder zu Parolen einer allgemeinen 74

Das Tier in den Händen der Menschen

Emanzipation aller bisher Benachteiligten: ob nun der Bürger, der Dienstboten, der Bauern, der Frauen, der Juden, der Schwarzen, der Sklaven und schließlich auch der Tiere. Die meisten dieser Parolen blieben zwar weitgehend abstrakt, wiesen aber als uneingelöste Forderungen auch in Zukunft ständig auf die ideologischen Widersprüche der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft hin. Im Hinblick auf das Tier lassen sich dabei fünf Tendenzen unterscheiden, an denen sich das Postulat der steigenden Aufwertung dieser niedersten aller Kreaturen festzumachen versuchte. Dazu gehörten erstens die historischen Rückverweise auf die Antike, das heißt den Vegetarier Pythagoras, den Respekt, den Plutarch vor Tieren hatte, sowie den oft zitierten Hund des Odysseus, der als Einziger seinen Herrn nach langer Trennung sofort wiedererkannte – und damit Odysseus zu Tränen rührte. Zweitens zählten dazu die ebenso beliebten Rückverweise auf die Heiligen und Eremiten des frühen Christentums, die in der Einsamkeit der Berge und Wälder mit den Tieren in einem geradezu paradiesischen Frieden gelebt haben sollen. Als besonders eindrucksvolle Beispiele wurden dafür gern der Heilige Hieronymus, der Heilige Antonius von Padua und der Heilige Franziskus von Assisi herangezogen, die sich bemüht hätten, sogar den Fischen und Vögeln das Wort des Herrn zu vermitteln.6 Ja, selbst Luther soll – trotz seines grundsätzlich hierarchischen Gesellschaftsdenkens – ein kleines, über den Tod ihres Hundes zutiefst bekümmertes Mädchen einmal mit der Aussage getröstet haben, dass auch die »Belferlein und Hundelein in den Himmel kommen« können.7 Doch all das blieben historische Reminiszenzen. Als wesentlich wichtiger für das 18. Jahrhundert erwiesen sich drittens jene von Jean-­Jacques Rousseau ausgelösten Strömungen, die sich gegen Descartes wandten8 und für eine konsequente »Einbeziehung der Tiere in das Naturgesetz« eintraten.9 Durch das Motto »Zurück zur Natur« ging daher von ihnen eine steigende Anerkennung des Tiers als eines dem Menschen verwandten Naturwesens aus, was selbst einige Philosophen bewegte, den Menschen als »Sinnenwesen« zu den Tieren zu zählen und ihn nur als »Vernunftwesen« als Species sui Generis zu betrachten. Aber nicht nur die Philosophen, auch die wissenschaftlichen Naturforscher sahen sich – als vierte Gruppe – aufgrund empirischer Studien schließlich gezwungen, den prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier in Zweifel zu ziehen. So zählte Carl von Linné schon 1735 in seinem System der Natur den Menschen mit den Affen und Faultieren zu den »Anthropomorpha«, ja, Georges-­Louis de Buffon sprach in den siebziger Jahren des gleichen Jahrhunderts bereits mit prädarwinistischer Zielsetzung von einem graduellen Übergang des Tierischen ins Menschliche.10 Die fünfte Richtung war jene, die von der Empfindsamkeit herkam. In ihr äußert sich ein steigendes Bedürfnis nach verstärkter Kontaktaufnahme mit allen gefühls75

Gehätschelt und gefressen

begabten Wesen, das entweder ins Idyllisch-­Pastorale oder Idyllisch-­Familiäre tendierte. In diesem Bereich wurde schon zwischen 1750 und 1780 oft von jener Bruderschaft zwischen Mensch und Tier gesprochen, die dann in der Romantik eindeutig pantheistische Züge annahm und zum Konzept einer totalen Allharmonie überleitete. Doch nicht nur in dieser seelenvoll-­optimistischen Richtung, auch in eher hypochondrisch gestimmten Werken der Empfindsamkeit spielte das Tier oft eine wichtige Rolle. In ihnen erschien es meist als Kompensationsobjekt liebesbedürftiger und zugleich frustrierter Außenseiter, die im Zuge der gesellschaftlichen Fragmentierung, Individualisierung und Liberalisierung sowie der dadurch zunehmenden Kälte und Konkurrenzgesinnung in allen anderen Menschen nur noch berechnende Widersacher erblickten, weshalb sie sich ihre wahren Freunde unter den Tieren suchten. »Seitdem ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere«, war ein vielkolportierter Ausspruch dieser Schichten.11 Demzufolge entwickelte sich bei den gesellschaftlich Unangepassten – den Waisen, Verstoßenen, Verkrüppelten, Behinderten, alten »Jungfern«, als »unnütz« empfundenen Greisen, »verkannten« Frauen und überkultivierten Intellektuellen – bereits um 1750 eine notwendig überspannte Heimtierverkultung, die dazu führte, in trillernden Kanarienvögeln, drolligen Kätzchen, sprechenden Papageien und vor allem treuen Hunden die einzigen mitfühlenden Seelen aller wirklich Einsamen zu sehen. Und dies war die Ebene, auf der auch die Literatur ins Spiel kam und zu einer steigenden Aufwertung des Tiers beitrug. Tiere hatte es in der europäischen Kunst selbstverständlich schon immer gegeben: in neuerer Zeit vor allem als Fabeltiere, Allegorien, Embleme, symbolische Vertretungen bestimmter menschlicher Haltungen oder als Besitztümer, Jagdobjekte und Statussymbole, wie Pferde, Hirsche und Falken.12 Doch das Tier als ein Wesen, das man als Heimtier entweder sentimental verhätschelte oder als gehetztes, getötetes, eingesperrtes Wildtier zutiefst bedauerte, wurde erst durch die bürgerliche Empfindsamkeit in den Mittelpunkt gerückt. Von vorbildlicher Bedeutung war dabei die englische Literatur.13 So drückte James Thomson in seinen Seasons schon 1726 ein tief gefühltes Mitleid für alle herzlos gejagten Tiere aus. Noch intensiver wurden solche Klagen und Anklagen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.14 Dafür spricht ein Gedicht wie On Seeing a Hunted Hare Which a Fellow Had Just Shot At von Robert Burns, in dem es unter anderem heißt: Inhuman man! curse on thy barb’rous art And blasted by thy murder-­aiming eye; May never pity soothe thee with a sigh, Nor ever pleasure glad thy cruel heart. 76

Das Tier in den Händen der Menschen

In diesen Versen kam nicht nur eine bürgerliche Indignation über das feudalaristokratische Jagdprivileg, sondern zugleich ein wesentlich umfassenderer »humanitärer« Appell zum Ausdruck. »I would not enter in my list of friends«, schrieb deshalb William Cowper im Zuge dieses Gesinnungswandels, »the man / Who needlessly sets foot upon a worm.« Ja, William Blake behauptete empört: »A robin redbreast in a cage / Puts all Heaven in a rage.«15 Nicht minder nachdrücklich nahm sich die empfindsame Literatur in Deutschland aller gnadenlos getöteten Wildtiere an – und wies zugleich auf jene Heimtiere hin, deren unwandelbare Anhänglichkeit den Menschen eigentlich zutiefst beschämen müsse. Dafür spricht beispielsweise das Schreiben eines parforcegejagten Hirschen an den Fürsten, der ihn parforcegejagt hatte von Matthias Claudius, das in die bittere Pointe mündet: Ich liege hier und mag meinen Kopf nicht aufheben, und das Blut läuft mir aus Maul und Nüstern. Wie können Ihre Durchlaucht es doch übers Herz bringen, ein armes unschuldiges Tier, das sich von Gras und Kräutern nährt, zu Tode zu jagen? Lassen Sie mich lieber totschießen, so bin ich kurz und gut davon.16

Ebenso bewegend wirkt das von Claudius verfasste Gedicht Als der Hund tot war, in dem er seinen Alard unter jener Eiche beerdigt, unter der dieser in »stiller Nacht« oft stundenlang mit ihm ausgeharrt habe und so auf alle Zeiten in sein »Gedächtnis« eingegangen sei.17 Wohl die bekannteste Elegie dieser Art war das Klagelied eines Schiffbrüchigen auf einer wüsten Insel über den Tod seines Hundes von Friedrich von Göckingk, in der das Motiv der Freundschaft zwischen Herr und Hund in besonders »rührender« Form behandelt wird: Jammer! Meinen Freund hab’ ich verloren, Meinen einzigen auf dieser Welt! Ach, da liegt er mit gesenkten Ohren, Der mir oft Mut ins Herz gebellt Und mir Trost hat zugewedelt! Ach, da liegt mein Letztes in der Welt!18

Zu solchen eher empfindsam gestimmten Gedichten, welche sich mit einem Wiedersehen im Jenseits vertrösteten, gesellten sich im Zeitalter der Französischen Revolution zusehends Proklamationen, die weit über die bisherigen Klagen hinausgingen und die Form geharnischter Proteste annahmen. Im Zuge jener Entwicklung, die sich für alle bisher Benachteiligten einzusetzen versuchte, wurden hierbei neben den 77

Gehätschelt und gefressen

Rechten des Dritten Standes auch die Rechte der Frauen, die Rechte der Sklaven und schließlich sogar die Rechte der Tiere eingeklagt. Die Vertreter dieser Richtung wollten weder zum dunklen Mittelalter zurück noch vorwärts in jenes Elysium, das sich erst nach dem Tode eröffnet. Ihnen ging es um das Hier und Jetzt, das heißt um ein sinnvoll geordnetes Gemeinwesen, in dem es keine Rohheit, keine Ausbeutung, keine erzwungene Unterordnung und vor allem kein Abschlachten der einen durch die anderen mehr geben sollte. Und wieder war es England, wo sich im Hinblick auf die Tiere die ersten Stimmen dieser Art zu Worte meldeten. Von Humphry Primatts On the Duty of Mercy and Sin of Cruelty to Brute Animals (1761) bis zu John Oswalds The Cry of Nature, or An Appeal to Mercy and Justice in Be-­Half of the Persecuted Animals (1797), Thomas Youngs An Essay on Humanity to Animals sowie den Schriften Mary Wollstonecrafts19 findet sich hier eine geradezu ununterbrochene Folge von Traktaten, in denen die Forderung erhoben wurde, dass man Tiere so behandeln solle, wie man selbst gern behandelt werden möchte. Diese Autoren appellierten nicht nur an irgendwelche empfindsamen Sentiments, sondern forderten zugleich in aller Entschiedenheit, den Tieren ein für alle Mal gesetzlich verankerte Rechte zu geben, um sie endlich aus dem Zustand der völligen Ungeschütztheit zu befreien. »The day may come«, schrieb Jeremy Bentham 1789 in seiner Introduction to the Principles of Morals and Legislation, »when the rest of the animal creation may acquire those rights which never could have been withholden from them but by the hand of tyranny.«20 Manche, wie John Oswald, drangen dabei in ihren Schriften – zum Teil unter Berufung auf die »zarter fühlenden Inder« – schon damals bis zum Postulat des Vegetarismus vor, um so der Forderung nach »Universal Benevolence« einen konkreten Sinn zu geben. Sie empfanden das Jagen und Schlachten der Tiere bereits als Bruder- oder Schwestermord, ja, als Kannibalismus und wiesen darauf hin, dass der Mensch, wie sein Mangel an Reißzähnen beweise, von Natur aus zum Früchtesammler bestimmt sei. Erst wenn alle Menschen Vegetarier würden, schrieben sie, werde es möglich sein, endlich das Ideal des »Ewigen Friedens« zu verwirklichen. Doch all das war leichter gesagt als getan. So wie die Sklavenbefreiung und die Gleichberechtigung der Frauen durch die Niederschlagung der Französischen Revolution sowie den Übergang in die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft notwendig Stückwerk blieben oder überhaupt nicht angefangen wurden, kam auch die »Befreiung der Tiere« nicht recht vom Fleck. Da sich das Bürgertum in den Augen des Adels als der vernünftigste, tugendhafteste und fleißigste Stand zu qualifizieren versuchte, blieb das unvernünftige, sündhafte und untätige Tier auch in den Händen der neuen, sich emanzipierenden Klasse weiterhin ein Objekt der Geringschätzung, 78

Das Tier in den Händen der Menschen

Ausbeutung, Belustigung oder Abschlachtung. Und zwar wurde diese Haltung des qualitativen Vorrangs des Menschen über das Tier entweder mit dem überlieferten Vernunftargument oder dem naturrechtlichen Argument der Macht des Stärkeren über die Schwächeren gerechtfertigt. Für das Vernunftargument griff man dabei gern auf Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) zurück, in der die Überlegenheit des Menschen als eines seinen Zweck in sich selbst tragenden Wesens mit folgenden Worten »bewiesen« wird: Die Wesen, deren Dasein auf der Natur beruht, haben dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Wert, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen werden vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke in sich selbst, d. i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin so fern alle Willkür einschränkt (und so ein Gegenstand der Achtung ist).21

Genauso hatten sich schon Jahve und Descartes geäußert! Und auch die Vertreter des »Naturrechts«, das immer stärker im Sinne des entstehenden Manchester-­ Liberalismus und seiner Parole »Freie Bahn dem Tüchtigen« ausgelegt wurde, argumentierten nicht viel anders. All jene, die sich für das Recht der Tiere einsetzten, wurden deshalb von den pragmatisch denkenden Rationalisten noch höhnischer ausgelacht als jene, die für Frauen oder Sklaven eintraten. Bei Frauen und Sklaven handelte es sich immerhin um halbwegs beseelte, ja, zum Teil sogar um halbwegs vernünftige Wesen, wie es damals hieß. Was sollte man dagegen mit unvernünftigen und seelenlosen Tieren anfangen? Der Forderung, etwas zu ihrem Schutz zu tun, stimmten fast alle Aufklärer zu. Sie wandten sich daher nachdrücklich gegen das Schächten und Sezieren von Tieren und verdammten zugleich öffentliche »Belustigungen« wie Hahnenkämpfe, das Totbeißen von Ratten, das Augenausstechen bei Vögeln, das Am-­Schwanz-­Aufhängen von Katzen oder die verbreitete Unsitte, Hunden Feuerwerkskörper an den Leib zu binden und diese dann anzuzünden.22 Aber wirkliche Rechte für Tiere hielten selbst die meisten Aufklärer für unnötig. Sogar Jeremy Bentham sah in ihnen, trotz aller großen Worte, letztlich bloße Mittel zum Zweck, das heißt Fleischlieferanten für den menschlichen Gaumen. »We deprive animals of life«, heißt es bei ihm, »and that is justifiable; their pains do not equal our enjoyment.«23 Ebenso überheblich äußerte sich Philip Stanhope Earl of Chesterfield: My scruples remained unreconciled to the committing of so horrid a meal, till upon serious reflection I became convinced of its legality from the general order of Nature, which has instituted the universal preying upon the weaker as one of her first principles.24 79

Gehätschelt und gefressen

Dementsprechend blieb die anthropozentrische Perspektive Tieren gegenüber auch im Zeitalter der Französischen Revolution durchaus dominant. Die Schriften der radikalen Tierfreunde und Tierschützer galten in der offiziösen Öffentlichkeit weiterhin als lächerliche Sentimentalitäten, ja, forderten ihre Gegner zum Teil zu rabiaten Gegenschriften heraus. Ein Beweis dafür ist der Traktat A Vindication of the Rights of Brutes, der 1792 anonym in London erschien und sich wie eine Parodie auf die Schriften von Thomas Paine und Mary Wollstonecraft liest. In ihm wurde das Eintreten für die Niederen als eine bedauerliche Überspanntheit hingestellt, die eines Tages die Forderung nach sich ziehen könne, nicht nur zu Frauen und Dienstboten, sondern sogar zu Tieren »freundlich« sein zu müssen! II

Bevor es deshalb zu ersten Tierschutzgesetzen kam, musste im Verhältnis des Menschen zum Tier noch eine Reihe weiterer Veränderungen vor sich gehen. Nicht ohne Einfluss war dabei der romantische Pantheismus, der schließlich bewirkte, dass Tieren, wenn schon keine »Vernunft«, so doch wenigstens eine »Seele« zugesprochen wurde. Und so erschien im Laufe des 19. Jahrhunderts eine reiche Literatur zum Thema »Tierseele«, für die man in Deutschland auf Bücher wie Beiträge zur Philosophie der Seele (1830) von Karl von Flemming, Versuch einer vollständigen Tierseelenkunde (1840) von Peter Scheitlin, Das Seelenleben der Tiere, insbesondere der Haussäugetiere im Vergleich mit dem Seelenleben der Menschen (1854) von Christian Josef Fuchs und Über das Seelenleben der Tiere (1865) von Maximilian Perry hinweisen kann.25 Alle diese Autoren waren davon überzeugt, dass es zum Prinzip lebender Organismen gehöre, »beseelt« zu sein, ja, dass das Seelenleben der Tiere »dem menschlichen viel verwandter sei«, als man bisher angenommen habe.26 Nicht nur Menschen, auch Tiere besäßen Klugheit, Dankbarkeit, Großmut, Rechtsgefühl, Mutterliebe, seelischen Ausdruck und sogar einen Sinn für Kunst, liest man darum in diesen Schriften immer wieder. Doch fast noch folgenreicher für die steigende Hochschätzung des Tiers als diese Beseelungsversuche erwies sich der in den sechziger Jahren einsetzende Darwinismus, der die Kluft zwischen Mensch und Tier auf ein Minimum reduzierte und schließlich aufhob. Durch Charles Darwins Theorien wurden die Menschen noch stärker als schon bei Carl von Linné und Georges-­Louis de Buffon mit der Tatsache konfrontiert, dass die Überlegenheit des Menschen über die Tiere lediglich darin bestehe, das vorläufig letzte Produkt innerhalb einer langen Entwicklungskette zu sein, die nur graduelle, aber keine prinzipiellen Unterschiede kenne. Aber selbst diese Thesen hätten nicht ausgereicht, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier grundsätzlich zu ändern, wenn nicht im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die fortschreitende Verstädterung, gesellschaftliche Fragmentierung und damit 80

Das Tier in den Händen der Menschen

8  Harrison Weir: Gemeinsames Abendessen (1880)

Vereinzelung der Menschen die bereits bestehende Heimtierliebe, ja, Heimtiersentimentalität zu einem emotional aufgeladenen Massenphänomen geworden wäre. Noch stärker als in der Empfindsamkeit setzte in diesem Zeitalter – im Gefolge der verschärften wirtschaftlichen Konkurrenz – ein Rückzug aller »feinfühligen« Menschen ins Private und damit zu Haus und Tier ein. Erst jetzt kam es durch die absolute Trennung von öffentlicher und privater Existenz zu jener Entfremdung, in der die Heimtiere zu Ersatzobjekten für die im Leben verfehlten Bereicherungspartner wurden. All jene Frustrierten, Unzufriedenen, Einsamen, hypochondrisch Gestimmten, die sich von der grauen Normalität der bürgerlichen Gesellschaft abgestoßen fühlten, kompensierten daher ihr nicht gelebtes Leben mehr und mehr mit Kunstgenuss, Ausflügen in die Natur sowie dem traulichen Umgang mit Tieren. Im Zuge dieser Entwicklung verwandelten sich die bürgerlichen Interieurs des 19. Jahrhunderts immer stärker in jene Eigenheime, jene Fluchträume, jene inselhaften Paradiesgärtlein oder »grünen Stellen«, wie Friedrich Theodor Vischer alles 81

Gehätschelt und gefressen

außerhalb der alltäglichen Konventionalität Liegende nannte. Erst waren es die Hunde, Katzen, Vogelkäfige und Topfpflanzen, die Einzug in diese Wohnungen hielten; dann kamen kostbare Volieren, Palmen, Aquarien, ja, sogar Hamster, Äffchen und Eichhörnchen hinzu. Die relativ kahlen Biedermeier-­Interieurs wurden so nach 1848 zu einer Gegenwelt des Grünenden, Blühenden, Belebten, Zwitschernden, Bellenden, Miauenden inmitten einer zusehends verstädterten und kommerzialisierten Industrielandschaft. Während man sich draußen den herrschenden Konventionen unterwarf, waren in diesem Bereich die bürgerlichen Herrchen und Frauchen die unumschränkten Gebieter. Hier brauchten sie nicht zu dienern. Im Gegenteil, hier wurden sie von allen geliebt und umschmeichelt. Die viktorianischen, nachmärzlichen und wilhelminischen Heimtiere waren darum letztlich gar keine Tiere mehr, sondern völlig anthropomorphe Wesen, die man wie kleine Kinder erzog, verhätschelte, emotional verwöhnte, zu einem Leben erotischer Abstinenz verurteilte, die man streichelte, kraulte, küsste, in parfümiertem Wasser badete, mit ins Bett nahm, zu denen man sprach, für die man Partys veranstaltete, denen man im Winter wärmende Mäntelchen anzog, die auf gestickten Kissen ruhten, aus geblümten Schälchen aßen – bis sie fett und asthmatisch wurden, verschieden und im Garten tränenreich beerdigt wurden.27 Doch nicht nur das. Man las auch unentwegt über sie, ob nun in der Gartenlaube (ab 1853) oder in Alfred Brehms Tierleben (1864), hängte sich Tier- und Landschaftsbilder an die Wände, stellte ausgestopfte Vögel auf die Vitrinen, drückte Kindern Tierbücher und Tierspielzeug in die Hand, wanderte an Wochenenden ins »Grüne« oder zog sich ab 1864 in kleinbürgerlich-­proletarische Schrebergärten zurück. Es gab kaum ein »fühlendes Herz« unter den deutschen Dichtern und Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts, welches solche Neigungen nicht geteilt hätte. Fast alle haben mit Tieren gelebt, diese Tiere innig geliebt und ihre Tierliebe offen zugegeben. Wohl am intensivsten äußerte sich diese Verbundenheit mit dem Tier bei Arthur Schopenhauer, dessen Tierliebe ein bewusstes Pendant zu seiner Misanthropie, Frustrierung und Weltverachtung war. Schopenhauer zögerte daher nicht, in seinen Parerga und Paralipomena (1851) von einer »Identität des Wesentlichen in Mensch und Tier« zu sprechen und in deutlicher Anlehnung an den Buddhismus zu erklären, dass »das ewige Wesen, welches, wie in uns, auch in allen Tieren lebt, als solches erkannt, geschont und geachtet werden« müsse.28 Für ihn waren Tiere nicht einfach Sachen, Dinge oder Nutzobjekte für unseren Gebrauch. Statt sich in diesem Punkt an die Meinungen des »jüdischen« oder »christlichen Pöbels« zu halten,29 sah er in ihnen Geschöpfe, die mit dem gleichen Recht auf Erden seien wie die Menschen. Ja, in mancher Hinsicht stellte er sie sogar über die Menschen. So war ihm das »ehrliche« Gesicht eines Hundes allemal lieber als die durch Falschheit 82

Das Tier in den Händen der Menschen

und Heimtücke verzerrten Gesichter der üblichen Spießer. Aus diesem Grund empfand er es keineswegs als Blasphemie, seinen Pudel »Atma«, das heißt »Weltseele«, zu nennen30 und energisch für eine verstärkte Schonung aller Tiere einzutreten. Die Autoren von Tierdichtung, die sich im 19. Jahrhundert dieser Gesinnung anschlossen, betonten deshalb bei der Darstellung von Heim- und Haustieren vor allem ihre Unverstelltheit, Wahrheit, Anhänglichkeit und Treue. Ob nun Wilhelm Busch, Friedrich Hebbel, Gottfried Keller, Adalbert Stifter, Friedrich Theodor Vischer oder Richard Wagner: Alle rühmten an ihren Tieren, dass diese keinen anderen Lebensinhalt hätten, als in der »Liebe« für ihren Herrn aufzugehen oder ihm eine »unbedingte Ergebenheit« zu beweisen.31 Wie Schopenhauer traten deshalb auch sie für eine größere Schonung aller Tiere ein. Bei Vischer war diese Tierliebe so groß, dass Keller anlässlich seines 80. Geburtstags schrieb: Er wettert herrlich für die wehrlos gequälte Natur; denn als ein ganzer Mann erbarmt er sich ihrer, und wenn er ein alter Heiliger wäre, so würde ihn einst eine große Schar erlöster Tiere ins Himmelreich begleiten.32

Bei den Tiergeschichten des bürgerlichen Realismus und der auf ihn folgenden Literatur standen darum meist folgende Aspekte im Vordergrund: erstens die Arglosigkeit der hilflosen Wildtiere, die von den heimtückischen Menschen unbarmherzig gejagt, gequält, gefoltert, gefangen oder getötet würden, und zweitens die Treue der Heimtiere, die den Menschen durch ihre unwandelbare Anhänglichkeit moralisch weit überlegen seien, indem sie sich selbst bei unachtsamer oder gar schnöder Behandlung alle Mühe gäben, ihren jeweiligen Herrchen oder Frauchen zu gefallen. Obwohl es auch Geschichten gab, in denen Menschen mit zahmen Eichhörnchen, Affen, Wieseln, ja, sogar Antilopen oder Löwen zusammenleben, standen dabei meist die Hunde und Katzen im Vordergrund. Und von diesen beiden war es wiederum der Hund, dem die größte Beachtung geschenkt wurde. Der Hund galt unter den Autoren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als das einzige Tier, das dem Menschen ohne »Distanz« gegenübertrete, das also das spezifisch Tierisch-­Fremde bereits hinter sich gelassen habe und als denkendes wie auch fühlendes Wesen bereits menschenähnlich geworden sei. Die Hundegedichte und Hundeerzählungen aus diesem Zeitraum waren deshalb geradezu Legion. Und zwar wurde in ihnen der Hund – wie schon in der Empfindsamkeit – gern als der einzige Freund, Begleiter, Helfer, Schützling oder auch Beschützer all jener Hagestolze, alten Jungfern, Blinden, Waisenkinder, Taubstummen, Häftlinge, Bettler, Misanthropen, verkannten Frauen, verschrobenen Intellektuellen sowie anderer gesellschaftlich unangepasster Menschen hingestellt, die im Umgang mit ihrem 83

Gehätschelt und gefressen

Hund die im Leben vermisste Liebe und Treue suchen – und zumeist auch finden. So lobte schon Lord George Gordon Noel Byron, obwohl es ihm an menschlichen Partnern wahrlich nicht mangelte, seinen Boatswain als den »treuesten Freund der Welt«.33 Noch hundefreundlicher wirkt die viktorianische Literatur, was die vielen Hunde in den Romanen von Charles Dickens oder in den Gedichten Alfred Lord Tennysons belegen.34 Bei den Russen waren es vor allem Fjodor Dostojewski, Alexander Kuprin, Nikolai Leskow und Iwan Turgenew, bei den Deutschen Marie von Ebner-­Eschenbach, Theodor Fontane und Friedrich Theodor Vischer, in deren Werken Hunde eine wichtige Rolle spielen. So empörte sich Vischer in Auch Einer (1878) gegen die allgemeine Lieblosigkeit der Menschen und pries dafür jene Hunde, die ihren Herrn bis zum Tode die Treue hielten,35 ja, behauptete, dass man bürgerlichen Idyllen wie Goethes Hermann und Dorothea, in denen kein Hund vorkomme, das »Prädikat des Vollkommenen« vorenthalten solle.36 Bei Ebner-­Eschenbach sind es Hundegeschichten wie Krambambuli und Die Spitzin, in denen ein einsamer Förster sowie ein Waisenjunge von der Treue ihrer Hunde so beschämt werden, dass sie erschüttert in sich gehen.37 Ebenso zeittypisch ist die Schlussszene von Fontanes Effi Briest (1895), in welcher der Hund Rollo seiner Herrin ins Grab folgen will und Effis Mutter zu ihrem Mann bemerkt: »Sieh, Briest, Rollo liegt wieder vor dem Stein. Es ist ihm doch tiefer gegangen als uns. Er frißt auch nicht mehr«, worauf Briest antwortet: »Ja, Luise, die Kreatur. Das ist es ja, was ich immer sage. Es ist nicht so viel mit uns, wie wir glauben.«

Im 20. Jahrhundert gehören zu den berühmtesten Beispielen solcher Hundegeschichten Thomas Manns Herr und Hund (1919), wo der drollige Bauschan erst dem Prozess der »Eingewöhnung und bürgerlichen Festigung« unterworfen wird und sich dann seine »Lebenswürde« in »ergebener Knechtsfreundschaft« verdienen muss,38 sowie Virginia Woolfs Flash (1939), in dem die Biographie jenes Cockerspaniels nachgezeichnet wird, bei dem die einsame und hochsensible Elizabeth Barrett Browning Verständnis und Liebe zu finden hoffte.39 III

Aufgrund dieser Heimtierliebe, die sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte und dann im 19. Jahrhundert immer intensiver wurde, würde man erwarten, dass es schon um 1800 zu ersten Tierschutzgesetzen gekommen wäre. Doch so schnell ging es nicht. Wer für Tiere eintrat, setzte sich sogar damals bei allen Sonntagschristen und Philistern noch zwangsläufig der Lächerlichkeit aus und wurde als ein »Wilberforce of Hacks« verhöhnt.40 Selbst in England, dem ökonomisch und sozial 84

Das Tier in den Händen der Menschen

fortgeschrittensten Land in Europa, waren demzufolge die Bemühungen um eine durchgreifende Tierschutzgesetzgebung lange Zeit zum Scheitern verurteilt. Erst im Jahr 1822 gelang es hier Richard Martin, genannt »Humanity Dick«, im Parlament ein erstes Tierschutzgesetz durchzubringen, den »Martin Act« oder die »Animals’ Magna Charta«, die den Missbrauch gewisser Haus- und Heimtiere erstmals unter Strafe stellte. Daraufhin gründeten Richard Martin und William Wilberforce 1824 in London den ersten Tierschutzverein, aus dem später die »Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals« (RSPCA) und viele andere Tierschutzvereine hervorgingen, die sich als Teil einer größeren »Humane Movement« verstanden.41 Diese Bewegung griff anschließend auch auf andere »zivilisierte« Länder Westeuropas und Nordamerikas über, was die Gründungsdaten folgender Tierschutzvereine belegen: Dresden (1839), Berlin (1841), München (1843), Paris (1845), Wien (1846) und New York (1866).42 Diese Vereine traten fast durchgehend für folgende Verbesserungsvorschläge ein: die »humanere« Behandlung von Haus- und Heimtieren, die größere Schonung von Pferden und Hunden im Krieg, die staatliche Kontrolle aller Schlachthäuser, die Einführung »besserer« Tötungsmethoden durch Verwendung der Behr-­Pistole und Bruneau-­Maske, eine angemessenere Behandlung von Zirkustieren, das grundsätzliche Verbot aller Stier-, Hahnen- und Hundekämpfe sowie aller Rodeos und schließlich die Ersetzung der alten Käfigmenagerien durch großräumige Tiergehege im Sinne des Hagenbeckschen Tierparks im Hamburg. Manche dieser Vorschläge wurden von bestimmten Stadt- und Länderverwaltungen sogar aufgegriffen und in Gesetze umgewandelt. Doch letztlich blieben viele dieser Änderungen rein kosmetischer Art, da selbst die meisten Vertreter der »Humane Movement« gegen die Fleischkost, die Ausbeutung von Tieren in der Landwirtschaft, die Anlage zoologischer Gärten oder die Haltung bestimmter Heimtiere im Prinzip nichts einzuwenden hatten. Aber nicht allein das. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu so durchgreifenden technologischen, medizinischen und bevölkerungspolitischen Umwälzungen, dass sich gegen die Misshandlung der meisten Nutz- und Heimtiere selbst die stärksten Tierschutzvereine und die von ihnen inaugurierten Gesetze als vielfach machtlos erwiesen. So war es zwar äußerst nobel, dass sich Männer wie Henry S. Salt und George Bernard Shaw um die Jahrhundertwende mit Wort und Tat energisch für ein verbrieftes »Recht der Tiere« einsetzten, das heißt, Tiere in den Rang gesetzlich anerkannter »Personen« zu erheben suchten.43 Aber mit Appellen dieser Art war dem Rad der Zeit nicht mehr in die Speichen zu greifen. Was dem entgegenstand, war vor allem die Aufsteigergesinnung der sich immer rücksichtsloser gebärdenden Vertreter der Bourgeoisie, die nach Jahrhunderten der Sparsamkeit endlich den Adel einholen 85

Gehätschelt und gefressen

wollten, indem sie ebenfalls fashionable Jagden veranstalteten, ihre Häuser mit Tiertrophäen schmückten, ihre Tische mit Wildbret beluden und ihre Gattinnen mit Pelzen und Federn ausstaffierten. Dementsprechend stieg – mit dem zunehmenden Lebensstandard dieser Klasse – zugleich der Fleischbedarf der hoch industrialisierten Länder geradezu ins Astronomische. Doch im Gefolge dieser Entwicklung wurde nicht nur der Hunger nach Fleisch, sondern auch der Hunger nach Ausdehnung, Vermehrung und Kolonisierung immer größer. Es scherte daher diese Klasse nicht im Geringsten, wie viele Naturvölker oder Tierarten diesem imperialistischen Eroberungsdrang zum Opfer fielen. Während der weißen Rasse um 1800 erst 35 Prozent der Erdoberfläche gehört hatten, waren es um 1900 schon fast 85 Prozent. Trotz einiger Proteste von Seiten der Tierschutzvereine wurden dabei in aller Welt Unmassen von Tieren »ausgesäubert« oder geschlachtet, ja, ganze Arten ausgerottet, um so weiteren Platz für die kapitalistisch-­bürgerliche »Kultur« zu schaffen. So verkündete etwa General Philip Sheridan im Hinblick auf die 60 Millionen nordamerikanischer Büffel: »Let them kill, skin and sell until the buffalo is exterminated, as it is the only way to bring lasting peace and allow civilization to advance.«44 Manche der davon Angesprochenen töteten bis zu 200 Büffel am Tag und weideten sich geradezu am Sterben dieser Tiere. Dies waren die Jahre, als in den Schlachthäusern Chicagos für Touristen und andere Schaulustige Hinweisschilder mit der Aufschrift hingen: »This way to see the killing.« Gegen all das hatte die »Humane Movement« kaum etwas einzuwenden. Schließlich handelte es sich hierbei nicht um »Pets«, sondern um bloßes Nutzvieh oder gar »wilde Tiere«. Die meisten Mitglieder dieser Bewegung sahen noch keinen Widerspruch darin, ihren Hund zu streicheln und gleichzeitig mit größter Wonne eine Fasanenbrust oder ein Beefsteak zu verzehren. Erregt wurden diese Kreise erst dann, als man den Artgenossen ihrer kleinen Lieblinge – nämlich anderen Hunden, Katzen, Affen und Hamstern – das Fell über die Ohren zog, ihnen bei lebendigem Leibe den Bauch aufschlitzte oder sie anderen, ebenso grässlichen Experimenten oder Vivisektionen unterwarf.45 All das empfand man als einen Verstoß der kalten Wissenschaft gegen die warme Humanität. Seit 1870 wimmelte es deshalb in vielen liberalen Zeitungen und Zeitschriften nur so von Protesten gegen Tiermisshandlungen.46 Von John Ruskin, Richard Wagner und Robert Browning, dem Vizepräsidenten der englischen »Anti-­Vivisection Society«, bis zu Henry S. Salt, George Bernard Shaw und Mark Twain gab es in diesen Jahren kaum einen engagierten Tierfreund, der sich nicht in den Dienst dieser Kampagne gestellt hätte.47 Die führende Rolle spielten dabei die englischen Liberalen. Doch auch in Deutschland kam es – kurz nach der Publikation des Buchs Folterkammern der Wissenschaft (1879) von Ernst von Weber – schon im gleichen Jahr zur Gründung einer »Liga gegen Tierquälerei«. 86

Das Tier in den Händen der Menschen

9  C. v. Grimm: Der Tierfreund Richard Wagner als Gegner der Vivisektion. Karikatur in der Zeitschrift: »Schalt« (1879)

1882 bzw. 1883 wurden daraufhin in Paris und New York ähnliche Organisationen ins Leben gerufen. Aber trotz dieser Proteste gegen die verschiedenen Formen der Tierquälerei und Tierausrottung hielten die meisten viktorianisch-­wilhelminischen Tierschützer weiterhin am Konzept der qualitativen Überlegenheit des Menschen über alle anderen Lebewesen und damit am Recht auf ungehemmte Vermehrung und Ausbreitung sowie am Recht auf Fleischnahrung fest. Nur die wirklich Radikalen innerhalb dieser 87

Gehätschelt und gefressen

Bewegung gingen noch einen Schritt weiter und erklärten, dass jedes h ­ umanitäre Bekenntnis im Hinblick auf die Tiere mit einem Bekenntnis zum Vegetarismus zu beginnen habe. Solche Proklamationen hatten bekanntermaßen auch in Europa bereits eine lange Vorgeschichte. Schon bei den Orphikern und Pythagoräern,48 in der Gnosis, bei den Manichäern und Katharern, bei Männern wie Benjamin Franklin, Pierre Gassendi, John Milton, Michel de Montaigne, Isaac Newton, Jean-­ Jacques Rousseau, Leonardo da Vinci und François-­Marie Voltaire finden sich aus ­religiös-­asketischen, moralisch-­ethischen oder diätetisch-­medizinischen Gründen Bekenntnisse zum Vegetarismus. Doch zu einer wirklichen Bewegung wurde der Vegetarismus erst im 19. Jahrhundert, als ihm auch Susan B. Anthony, Charles ­Darwin, Ralph Waldo Emerson, George Bernard Shaw, Henry Thoreau, Leo ­Tolstoi, Richard Wagner sowie H. G. Wells ihre Stimme liehen. Von entscheidender Bedeutung waren dabei wiederum die Anregungen, die von England ausgingen, da sich hier durch Kontakte mit dem indischen Hinduismus und die fortschreitende Verstädterung die stärkste Tierliebe entwickelt hatte. Als Anreger dieser Bewegung fungierten vor allem der bereits erwähnte Aufklärer John Oswald mit seinem Buch The Cry of Nature (1791) und dann romantische Pantheisten wie Percy Bysshe Shelley, die von einer »Bruderschaft aller lebenden Wesen« träumten.49 Die erste »Vegetarian Society« wurde daher 1811 in London gegründet und setzte eine Bewegung in Gang, die seit den vierziger Jahren auch auf viele Frühsozialisten, Utopisten, Pazifisten, Lebensreformer und Theosophen übergriff.50 Obwohl diese Bewegung von Thomas Carlyle und Thomas Macauly, welche sich auf das »­göttliche Recht« des Menschen über die Tiere beriefen, offen ausgelacht wurde und auch von der »Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals« (RSPCA) keine offizielle Unterstützung erhielt, hatte sie zwischen 1880 und 1910 dennoch eine beachtliche Breitenwirkung, da auch Salt, Shaw und Wells für sie eintraten und statt bloßer Tiersentimentalität eine »Universal Justice« für alle Lebewesen forderten.51 Besonders engagiert setzte sich die ursprünglich sozialistisch gesinnte Fabierin und spätere Theosophin Annie Besant für eine »blutlose Kost« ein und erklärte in ihrem Büchlein Vegetarianism in the Light of Theosophy (1894) unter Berufung auf den heiligen Franziskus und indische Hindupriester, dass der Mensch nur dann zu einem höheren Bewusstsein gelangen könne, wenn er auf Fleisch und Alkohol verzichte und sich zu einer »gereinigten Alliebe« bekenne. Als Inbegriff des Horrors auf Erden erschienen ihr daher die Schlachthäuser Chicagos, von denen geradezu ein Pesthauch der Verrohung auf die ganze Stadt ausgehe.52 Neben England war es vor allem Deutschland, in dem die vegetarische Bewegung schnell Fuß fasste. So besaß der englische Vegetarian Advocate bereits 1849 einen ausländischen Korrespondenten in Berlin. Schopenhauer war kein »Vegetarianer«, wie 88

Das Tier in den Händen der Menschen

sich die Vertreter dieser Bewegung anfangs nannten, sondern hielt einen mäßigen Fleischgenuss in den nördlichen Zonen der Erde noch für unvermeidlich. Wirklich aufmerksam wurde man auf die deutschen Vegetarianer erst im Jahr 1867, als Eduard Baltzer den »Verein für naturgemäße Lebensweise« gründete.53 Ab 1868 gab derselbe Baltzer das Vereinsblatt für Freunde der natürlichen Lebensweise (Vegetarianer) heraus. Im gleichen Jahr rief Gustav von Struve – wie Baltzer ein enttäuschter Achtundvierziger, der bereits vorher vegetarisch gesinnte Schriften und Romane publiziert hatte – die »Vegetarische Gesellschaft« ins Leben. Im Jahr 1869, in dem Struve sein auf pazifistischen Bescheidungsidealen beruhendes Buch Pflanzenkost. Grundlage einer neuen Weltanschauung herausbrachte, trafen sich die verschiedenen Vegetariergruppen zum »Ersten Vereinstag der deutschen Vegetarier« in Nordhausen. 1873 veröffentlichte Baltzer sein Buch Ideen zur sozialen Reform, in dem er erklärte, dass der Mensch von Natur aus kein »Fleischfresser«, sondern ein »Fruchtesser« sei, was schon sein reißzahnloses Gebiss nur allzu deutlich beweise, und dass nur eine blutlose »naturgemäße« Lebensweise zu Reinheit, Glück, sozialem Gleichgewicht und damit Frieden führen könne.54 Neben den medizinischen Aspekten hob er dabei vor allem die ökonomische Seite dieser Umorientierung hervor. Es sei nun einmal bekannt, schrieb er, dass Fleischfresser »zehnmal« soviel Land benötigten wie Pflanzenesser, und daher auch die steigende Bevölkerungszahl gebiete, endlich zur blutlosen Diät überzugehen.55 Eine gleichsam höhere Weihe erhielten alle diese Bestrebungen durch die offenen Bekenntnisse Richard Wagners zum Vegetarismus, der – von Pythagoras, Schopenhauer und der vegetarischen Utopie Thalysie ou l’Existence nouvelle (1840 – 1842) von Jean-­Antoine Gleizès beeinflusst – 1871 in Bayreuth das erste vegetarische Speisehaus Deutschlands mitbegründete, sich auch in Aufsätzen wie Religion und Kunst sowie Was nützt diese Erkenntnis? für eine Regeneration des Menschengeschlechts durch den Vegetarismus einsetzte und zugleich eine vegetarische Abendmahlsauffassung vertrat. Ihren dichterischen Ausdruck fand diese Gesinnung bei ihm in jener Szene, in der Gurnemanz den jungen Parsifal, der gerade einen Schwan getötet hat, auf die Heiligkeit aller lebenden Wesen hinweist – und Parsifal daraufhin tief beschämt seinen Bogen zerbricht. Damit war die Basis für jenen Vegetarismus gelegt, der um 1900 vor allem von der deutschen Lebensreformbewegung verkündet wurde. Bei dieser Richtung handelt es sich um ein höchst komplexes Gemisch aus verschiedenen Gruppen und Grüppchen, die sich – aufgrund ihres romantisch-­utopischen Antikapitalismus – neben dem Vegetarismus auch zur Bodenreformbewegung, zu Gartenstadtideen, naturgemäßer Lebensweise, Freikörperkultur und anderen Reformkonzepten bekannten. Die meisten dieser sektiererischen Zirkel wurden von bestimmten »Gurus« geleitet und 89

Gehätschelt und gefressen

10 Fidus: Du sollst nicht töten! (1892)

organisierten sich aus Protest gegen das »barbarische« Leben innerhalb der modernen Großstädte in enklavenhaften Kommunen, Siedlungen und Künstlerkolonien.56 Zu ihren ersten Vertretern zählte ein Verächter der »Schlachthaus-­Zivilisation« wie Johannes Guttzeit, der bereits in den achtziger Jahren die deutschen Lande als Prophet des Vegetarismus durchstreifte.57 Der nächste Vertreter dieser »Großen Weigerung« war Karl-­Wilhelm Diefenbach, der 1887 bei Hollriegelskreuth im Isartal mit dem jungen Fidus (d. i. Hugo Höppener) und anderen Münchner Kunststudenten die 90

Das Tier in den Händen der Menschen

erste deutsche Landkommune der »Sonnenmenschen« ins Leben zu rufen versuchte, jedoch wie Guttzeit von der Mehrheit der Bourgeoisie als »Kohlrabi-­Apostel« verulkt wurde.58 1893 gründete Bruno Wilhelmi die vegetarische Obstbaukolonie »Eden« bei Berlin, die sich schnell zu einer ausgedehnten Reformsiedlung entwickelte. 1896 veröffentlichte Adolf Just sein Buch Kehrt zur Natur zurück! und eröffnete zugleich sein Naturheilkundeinstitut »Jungborn« bei Stapelburg im Harz, wo man vornehmlich Rohkost aß und sich kneippschen Wasserkuren unterzog. Im Jahr 1900 folgte die Gründung der berühmten Vegetariersiedlung auf dem Monte Verità bei Ascona. Im gleichen Jahr wurden in Deutschland die ersten »Reformhäuser« eröffnet.59 Kurz darauf rief Fidus in Woltersdorf bei Berlin seinen »St. Georgsbund« ins Leben, der sich ebenfalls zu Freikörperkultur und Vegetarismus bekannte. Während bei all diesen Gründungen – trotz mancher okkulten Marotten – bis zum Jahr 1900 noch weitgehend hygienische, naturgemäße, theosophische oder ethisch-­humanitäre Gesichtspunkte überwogen, machte sich nach der Jahrhundertwende innerhalb der deutschen Vegetarierbewegung ein steigender Trend zum Rassistischen, Arischen und schließlich Präfaschistischen bemerkbar. Zeitschriften wie Die Lebenskunst und Vegetarische Warte oder auch Bücher wie Philosophie des Vegetarismus (1910) von Friedrich Jakowsky versuchten zwar weiterhin an »ethischen« Konzepten festzuhalten, doch andere Gruppen entwickelten in dieser Zeit bereits eindeutig regressive Tendenzen. Dafür sprechen der »Treubund für aufsteigendes Leben«, den Richard Ungewitter 1910 als arische »Lichtbewegung auf rein vegetarischer Grundlage« gründete, sowie Hermann Poperts Roman Helmut Harringa (1910), in dem ein »germanischer Rassebund auf vegetarisch-­alkoholfreier Basis« propagiert wurde.60 Ebenso ideologisch überspannt wirkt das von Johann Balzli herausgegebene Zentralblatt für praktischen Okkultismus (ab 1910), dessen Vegetarismus im Laufe der Jahre zusehends ins Schlepptau von Aposteln der nordischen Rasse wie Jörg Lanz von Liebenfels geriet und schließlich bei einem Arierkult landete, der trotz aller Ausflüge ins Theosophische auf einen nackten Imperialismus hinauslief. Im Zuge dieser Entwicklung bekamen in der deutschen Vegetarierbewegung zusehends jene Präfaschisten die Oberhand, zu denen auch ein kleinbürgerlicher Rassenfanatiker namens Adolf Hitler gehörte, der sich ständig mit seiner Tierverbundenheit sowie Vorliebe für »blutlose« Kost brüstete und bereits im November 1933, kurz nach der Machtübergabe an die NSDAP, ein umfassendes Tierschutzgesetz für Deutschland unterzeichnete und 1934 einer internationalen Tierschutzkongress nach Berlin einberufen ließ. Während der Vegetarismus ursprünglich der Idee einer »Bruderschaft aller lebenden Wesen« gehuldigt hatte, wurde er unterm Nazifaschismus schließlich zum Bestandteil eines okkulten Rassenwahns, der auf der Formel »vegetarisch gleich rein, rein gleich arisch, arisch gleich herrenmensch91

Gehätschelt und gefressen

lich« beruhte. Und damit war die Vegetarierbewegung in Deutschland erst einmal für Jahrzehnte hinaus korrumpiert.61 IV

Doch nicht nur die deutsche Vegetarierbewegung verkam ideologisch. Fast alle Tierschutzbewegungen dieser Art büßten danach ihren Einfluss ein.62 Der Gesamtprozess der fortschreitenden Industrialisierung, Verstädterung, Bevölkerungsvermehrung und zugleich steigenden Lebenserwartung war eben doch stärker als alle noch so eindringlichen Gegenstimmen. Es gab zwar immer noch vereinzelte Proteste von Seiten der »Humane Movement«, der Tierschutzvereine, der Vegetarierbünde und neuerdings der Grünen.63 Aber selbst in diesen Kreisen wurde und wird weitgehend am Konzept der grundsätzlichen Überlegenheit des Menschen und damit einer anthropozentrischen Sicht der Tiere festgehalten. Und so sind viele Tiere heute schlimmer dran als je zuvor – und zwar nicht nur die gnadenlos verfolgten Wildtiere, sondern auch die einer unbarmherzig mechanisierten Aufzuchtweise unterworfenen Nutztiere. Noch am besten haben es weiterhin die sogenannten Wohnzimmertiere, deren Zahl in den hoch industrialisierten Ländern weiterhin ansteigt. Durch die zunehmende Fragmentierung, Entfremdung und damit Vereinzelung ist das Kontaktbedürfnis vieler Menschen zwangsläufig immer größer geworden. Was sich dabei als Tierliebe äußert und von manchen Psychologen als wirksames Mittel gegen »Vereinsamung und Lieblosigkeit« empfohlen wird,64 artet allerdings im Einzelfall oft in Affektationssüchtigkeit aus. Während es früher die Buchverleger waren, die viele Menschen mit Gefühls- und Liebessurrogaten versorgten, sind es heute die Petzüchter, welche diese Funktion erfüllen – was zu einer unglaublichen Heimtiersentimentalität beigetragen hat. So sahen etwa im Jahr 1975 70 Prozent der westdeutschen Bürger in ihren Hunden, Katzen und Vögeln durchaus Wesen mit Seele, also »Personen«. 82 Prozent behaupteten von sich selbst, äußerst »tierlieb« zu sein und hielten die »Tierquälerei« für »strafwürdiger als Kindesmisshandlungen oder Prügel für die Ehefrau«.65 Wenn deshalb auf Tierfriedhöfen am Grab des verstorbenen »Putzi« oder »Schnutzi« das Lied vom guten Kameraden angestimmt wird, fließen oft mehr »echte« Tränen als bei den üblichen Beerdigungen.66 Diese Schichten sind daher bis heute besonders empört, wenn sie hören, dass im Krieg Hunde mit angeschnallten Minen gegen feindliche Panzer eingesetzt werden oder dass man Katzen, Hunde, Affen, Meerschweinchen und andere ihrer Lieblinge noch immer den grausamsten naturwissenschaftlichen Experimenten unterwirft.67 Doch ihre Wut hat wenig oder nichts bewirkt. So stieg trotz aller Gesetze, die sich gegen solche Experimente wenden, selbst in England die Zahl der Vivisektionen von 250 im Jahr 1880 auf 6,6 Millionen im Jahr 1971 an.68 Weltweit gesehen wur92

Das Tier in den Händen der Menschen

11  Bernd Wüstneck: Grab zweier Hunde auf einem Tierfriedhof (2018)

den zu diesem Zeitpunkt alljährlich etwa 200 Millionen Tiere zu wissenschaftlichen Experimenten »verbraucht«, wovon auf die USA 50 Millionen und auf Deutschland 20 Millionen entfielen.69 Nach Meinung führender Wissenschaftler waren 45 Prozent dieser Experimente, von denen die Mehrzahl ohne Narkose durchgeführt wurde,70 glatter »Unfug«.71 Und auch in der Folgezeit änderte sich daran nicht viel. Noch immer werden Zehntausende von Hunden zerschnitten, um Studenten Einblicke in die Blutzirkulation zu geben, anstatt für diese Aufgabe einen Film zu verwenden. Noch immer fallen Hunderttausende von Tieren dem weiblichen Schmuck- und Kosmetikbedürfnis zum Opfer. Selbst Tierexperimente wie die Reizung der Augen, das Durchbohren der Knochen mit glühenden Nadeln, das Herausschneiden lebender Organe, die Pfoten- und Nasenverkohlung mit Bunsenbrennern, das Einatmen von Flammen, das Zerplatzen der Lunge durch Druckluft, die Erzeugung von Magengeschwüren, das langsame Einfrieren, die Einführung von Elektroden ins Gehirn, die Ausdehnung des Magens durch Wasser, die Verstopfung der Speiseröhre, die Schlafverhinderung sowie die Vergiftung gelten an manchen Universitäten oder Forschungsinstituten weiterhin als »natürlich«. Und zwar werden dabei größeren Tieren neuerdings vorher die Stimmbänder durchgeschnitten, um »unnötiges« Winseln zu verhindern.72 All das gehört jedoch zu den Tabus unserer angeblich so »tierfreundlichen« Gesellschaft – und wird möglichst geheim gehalten. Als daher Horst Stern 1978 im BRD93

Gehätschelt und gefressen

Fernsehen eine Dokumentation über den Hunde- und Katzenmissbrauch innerhalb der pharmakologischen Industrie zeigte, entfesselte er einen gewaltigen Entrüstungssturm. Bei dieser Sendung fühlten sich alle Heimtierliebhaber auf den Plan gerufen. Wenn es dagegen um Nutztiere geht, verhalten sich dieselben Schichten wesentlich desinteressierter. Sie sind zwar zutiefst empört, wenn Hunden oder Katzen etwas geschieht, aber sie wollen weiterhin ihr Rindersteak genießen oder ihr Hühnchen im Topfe schmoren. Ja, sie möchten nicht weniger, sondern immer mehr Fleisch essen, wie der steigende Fleischbedarf fast aller hoch industrialisierten Länder beweist. In den Ländern der Ersten Welt wird heute etwa zwanzigmal so viel Fleisch pro Kopf der Bevölkerung verzehrt wie in den Ländern der Dritten Welt, deren Einwohner noch weitgehend Vegetarier sind. Doch selbst das ist den Menschen der Ersten Welt noch nicht genug. Um ein Maximum an Fleisch und Eiern zu produzieren, sperrt man in diesen Ländern immer mehr Nutztiere in geradezu bestialische Massenzuchtanstalten ein. So wurden in Westdeutschland schon um 1980 über 24 Millionen Legehennen, das heißt 50 Prozent aller Hühner, in vollmechanisierten »Batterien« gehalten, wo sie im Laufe ihres legeintensiven Lebens nie das Tageslicht oder irgendetwas Grünes zu sehen bekamen, nie »scharren« konnten, nie erfuhren, was ein Hahn oder was Küken sind – und schließlich alle Federn verloren. Nicht viel besser ergeht es den meisten Schweinen oder Kühen, die in viel zu kleine Boxen eingepfercht werden, damit sie nur ja keine Energie verbrauchen und in kürzester Zeit in die gewünschten Steaks oder Koteletts zerhackt werden können.73 Kein Wunder daher, dass in der BRD bereits zwischen 1960 und 1980 50 Prozent der tierhaltenden Bauernhöfe verschwanden und durch eine wesentlich geringere Zahl solcher fensterlosen »Animal Factories« ersetzt wurden. Ebenso schlimm sind heute viele Wildtiere dran. Sie werden geradezu von allen Seiten bedroht: durch die zunehmende Verpestung der Meere, die Abholzung der Wälder, die in der Landwirtschaft verwendeten Chemikalien, die verwilderten Katzen, die fortgesetzte Jagd auf Pelze, Federn und andere Trophäen, die menschliche Lust am Töten sowie den nach immer mehr Lebensraum drängenden Menschen schlechthin. Tausende, ja, Zehntausende der bisherigen Tierarten sind darum in den letzten Jahrzehnten ausgerottet worden oder führen nur noch ein kümmerliches Schwunddasein. So gab es schon vor der Jahrtausendwende nur noch sieben javanische Tiger, nur noch fünf Wölfe in ganz Skandinavien sowie nur noch eine Handvoll Kiwis in Neuseeland. Fast jede Tierzeitschrift ist daher heutzutage voll von solchen Meldungen. Und zwar waren an dieser Entwicklung nicht nur die allgemeine Chemikalienpest, der Klimawandel und die fortschreitende Zersiedlung, sondern auch die trophäen- und mordlüsternen Menschen schuld. So wurden in Italien bis vor wenigen Jahrzehnten noch jährlich bis zu 20 Millionen Zugvögel eingefangen 94

Das Tier in den Händen der Menschen

12  Ingo Wagner: 4000 Hähnchen in einer Zuchtanstalt in Niedersachsen (2015)

und verzehrt. In England sterben jedes Jahr allein zwei Millionen Vögel unter den Rädern der Autos. In Alaska jagt man die hirschähnlichen Karibus heute von Flugzeugen aus. In Europa sind in den letzten Jahrzehnten 50 Prozent der Libellen und 40 Prozent der Großschmetterlinge durch Pestizide und Insektensammler ausgerottet worden. Der Bestand der Süßwasserfische ist in den letzten 40 Jahren um 60 Prozent geschrumpft. In Ostafrika sind es die Nashörner und Elefanten, die immer noch sinnlos hingemordet werden. In den USA hat man nach dem Verbot der Pelzeinfuhr fast alle einheimischen Luchse abgeschossen. In Norwegen und Kanada werden alljährlich bis 100.000 Sattelrobben niedergeknüppelt. Im Pazifik mussten lange Zeit Zehntausende von Delphinen durch unsachgemäße Netze beim Thunfischfang ihr Leben lassen. Und so ist heute bereits fast die Hälfte aller Wildtierarten von der Ausrottung bedroht.74 Nicht viel besser ergeht es den Wildpflanzen, von denen in der Ersten Welt momentan 20.000 Arten vernichtet werden. Genau besehen erfüllt damit der weiße Mensch jenes Gebot Jahves, mit dem wir begonnen hatten: Er betrachtet alles, was sich da »reget und lebet«, als seine »Speise« 95

Gehätschelt und gefressen

und »mehret« sich selbst so ungehemmt, bis er schließlich die ganze Erde »erfüllet«. Für alle anderen Kreaturen bleibt somit immer weniger Lebensraum. Sie werden ausgerottet, ziehen sich zurück oder gedeihen nur noch in abgelegenen Winkeln. Die meisten Städter wissen heutzutage überhaupt nicht mehr, was »Wildes« ist. So kennt in Europa von den Fünfundzwanzigjährigen nur noch jeder Hundertste mehr als fünf Wildblumen und nur noch jeder Siebzigste mehr als sieben einheimische Wildtiere. Und es gibt immer noch Menschen, die diesen Trend als »zwangsläufig« empfinden und sich keine großen Gedanken über solche Entwicklungen machen. Die Mehrheit vertraut weiterhin in dumpfem Köhlerglauben darauf, dass es auch in Zukunft »irgendwie« weitergehen wird. Doch solche Gefühle sind höchst trügerisch. Schließlich wendet sich die skrupellose Ausbreitung des Menschen heute zum ersten Mal nicht nur gegen Pflanzen und Tiere, sondern auch gegen den Menschen selbst, der sich durch die Verschmutzung und Verseuchung der Erde, die sich aus dem maßlosen Durchsetzungsanspruch der rein anthropozentrisch eingestellten weißen Rasse ergeben hat, als Spezies allmählich den Boden unter den Füßen entzieht. Eingebunden in ein System der Steigerung, Habgier und Völlerei, das nur der Befriedigung seiner überspannten Lebenserwartungen dient, ist daher der Mensch das mörderischste Wesen schlechthin geworden, das in seiner Zerstörung alles Lebendigen selbst vor dem Mord an sich selbst nicht zurückschreckt. Nachdem der monotheistisch, imperialistisch und kolonialistisch ausgerichtete Mensch der weißen Rasse in den letzten 250 Jahren viele Gebiete der Erde immer stärker zersiedelt, technifiziert, verseucht und mit Müllhalden überzogen hat, dringt er heute als Siedler, Tourist, Bodenspekulant, Wissenschaftler oder Jäger mit Hubschraubern, Allradantriebautos und Snowmobilen selbst in die letzten Tierparadiese ein. Und dabei lebten 1976 bereits fünf Milliarden Menschen auf der Erde. Bis zum Jahr 2050 werden es höchstwahrscheinlich acht Milliarden sein. Nach neueren Statistiken sind in den letzten 300 Jahren wesentlich mehr Menschen geboren worden als im Laufe der vorhergehenden 5000 Jahre. Und fast niemand tut etwas gegen diesen Trend. Ja, diese Bevölkerungslawine wird von vielen Kirchen und Regierungen weiterhin lebhaft begrüßt, obwohl es schon heute 800 Millionen Menschen an Trinkwasser mangelt, obwohl die landwirtschaftlich nutzbaren Böden zwischen 1882 und 1982 von 85 auf 51 Prozent abgenommen haben, obwohl in den letzten 60 Jahren etwa 50 Prozent der tropischen Regenwälder abgeholzt wurden, obwohl sich die Wüsten jedes Jahr um 50.000 Quadratkilometer ausdehnen, obwohl allein in den Jahren zwischen 1965 und 1980 50 Öltanker in den Weltmeeren versunken sind usw. Wohin man auch blickt: Alles nimmt ab – nur der Mensch nimmt immer noch gewaltig zu. Wenn wir daher als Spezies überleben wollen, müssen wir uns eine ganz neue Einstellung zu Boden, Pflanze, Tier und Wasser angewöhnen. Vielleicht sollte 96

Das Tier in den Händen der Menschen

der Wert eines Menschen in Zukunft vor allem daran gemessen werden, wie wenig er verbraucht, wie wenig Abfall er erzeugt und welche Achtung er für andere Lebewesen aufbringt. Nur so würde sich jene Gesinnung überwinden lassen, nach der alles bloß dem Menschen dient und von ihm ungehemmt ausgeschlachtet werden kann. Wenn schon nicht aus ethischen oder gefühlsmäßigen Gründen, so sollten wir uns wenigstens um unseres eigenen Überlebens willen zu einer solchen Haltung durchringen. Erst dann könnte eine wahrhafte Demokratie aller lebenden Wesen entstehen. Bisher haben wir – trotz einiger nobler Ansätze – vor allem den weißen, bürgerlichen, marktwirtschaftlich orientierten Menschen auf diesem Gebiet fast nur als ein unachtsames, habgieriges, grausames Wesen erlebt.75

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Gerechtfertigte und rassistisch ­gesinnte Vorläufer der heutigen Grünen

Ungezwungene Natürlichkeit Die Lebensreformbewegung um 1900

I

Fast alle Reformbewegungen haben ihre eigene Dialektik, die in den Händen nationalistisch gesinnter Fanatiker zum Schlimmen und in den Händen sinnvoll verfahrender Realisten zum Guten ausschlagen kann. Und zwar gilt das selbst für jene, auf den ersten Blick relativ harmlos wirkende Bewegung, die sich seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts dem Gedanken einer alle Gebiete des Gesellschaftslebens durchdringenden »Lebensreform« zuwandte. Schließlich entwickelte sich diese Bewegung in Deutschland in einem politischen, sozioökonomischen und kulturellen Umfeld, das weitgehend im Zeichen eines chauvinistischen Hohenzollernkults, einer wirtschaftswunderlichen Hochkonjunktur und eines kulturellen Stilpluralismus stand, welche die aus dem Gründerzeitlichen ins Wilhelminische übergehenden Bevölkerungsschichten innerhalb der herrschenden Oberklassen zu einem unbändigen Fortschrittsoptimismus beflügelten, aber sowohl das in der SPD organisierte Proletariat als auch manche der kleinbürgerlichen, ja, sogar großbürgerlichen Intellektuellen und Künstler, wie man diese Schichten damals noch unter klassenbewusster Perspektive bezeichnete, weitgehend unzufrieden stimmten. Lassen wir im Folgenden, bei dem es vornehmlich um die mittelständische Lebensreformbewegung gehen soll, die gesellschaftlichen Ober- und Unterschichten einmal beiseite und versuchen wir ein Ideogramm jener Intellektuellen- und Künstlercliquen um 1900 zu entwerfen, die weder mit dem verbreiteten Hurrapatriotismus der Sedan- oder Kaisergeburtstagsfeiern, dem protzenhaften Auftreten der Nouveau-­riche-­Kreise noch mit der kulturellen »Überfremdung« Deutschlands im Gefolge des internationalen Ismen-­Kults, also der Vorliebe für naturalistische, impressionistische, symbolistische oder gar fin-­de-­sièclehafte Kunsttendenzen, übereinstimmten. Schließlich hatten sie erwartet, dass das lange genug erhoffte Zweite Kaiserreich nicht nur militärisch und wirtschaftlich auftrumpfen würde, sondern dass sich in ihm zugleich eine verstärkte »Reichsbeseelung« sowie – im Gegensatz zu den von ihnen als »entartet« empfundenen modernistischen Zivilisationserscheinungen – eine naturgemäßere Lebensweise durchsetzen würden, von denen sie sich, je nach ideologischer Orientierung, eine Wende ins wahrhaft Lebenserneuernde, Heimatverbundene, Ursprunghafte, wenn nicht gar Arisch-­Deutschtümelnde erhofften. Ideologiekritisch gesehen beruhte diese Frontstellung gegen alles wilhelminisch Aufgedonnerte einerseits auf jenem gesteigerten Selbstbewusstsein, das nicht ohne 101

Ungezwungene Natürlichkeit

die hochkonjunkturelle Situation um 1900 zu verstehen ist, bildete jedoch andererseits zugleich eine dialektisch abwehrende Reaktion darauf, indem sie allen ins Parvenühafte tendierenden großbürgerlichen Lebens- und Umgangsformen die Forderung einer neuen, lebensphilosophisch angereicherten »Natürlichkeit« entgegensetzte.1 Was diese Kreise deshalb ablehnten, waren vor allem folgende Dinge: die technologischen Modernisierungsschübe innerhalb des immer hektischer werdenden Großstadtgetriebes mit all ihren als »neurasthenisch« aufgefassten Begleiterscheinungen, die makartisierende Geschmacklosigkeit der gründerzeitlich ausstaffierten Saloneinrichtungen, das Stehkragen-, Vatermörder-, Schnürtaillen-, Dekolleté-, Cul-­de-­Paris-, Monokel- und Spazierstöckchengehabe, das Parlieren mit französischen Fremdwörtern à la Trottoir, Garçon, ab Trumeau, peu à peu und ähnlichen als »gebildet« klingenden Floskeln, die sonntäglich herausgeputzten Promenadenspaziergänge, das Sehen und Gesehenwerden bei irgendwelchen standesgemäßen Soirées, die staatlich propagierte Heiligkeit des Ehebetts sowie das zugleich weitverbreitete Mätressenwesen, den hergebrachten Adels- und Offizierskult, die vielen geheuchelten Ehrenbezeugungen, das gesellschaftliche Rangbewusstsein, die steife Etikette der festlichen Diners mit mehreren Gängen und Champagnertoasts, das Gouvernanten- und Lakaienwesen – kurzum: all das, was den dagegen rebellierenden Reformkreisen als fremdländisch, angeberisch, verlogen oder eitel erschien und daher von ihnen als »unnatürlich« verworfen wurde. Was die Vertreter und Vertreterinnen der gegen diese Anmaßlichkeit protestierenden Schichten dem entgegensetzten, war eine betonte »Natürlichkeit«, die sich von allem distanzierte, in dem sie etwas Protzenhaftes, Geziertes, Verkrampftes, Geckenhaftes, Verklemmtes oder Rangbetontes sahen. Im Gegensatz zum parvenühaften Repräsentationsgehabe der »oberen Zehntausend« innerhalb der herrschenden Meinungsträgerschichten der wilhelminischen Gesellschaft traten sie demzufolge für alles ein, was ihnen im besten Sinne des Wortes als »lebensreformerisch« erschien. Darunter verstanden sie, um mit ihrer Hauptforderung zu beginnen, erst einmal ein Leben außerhalb der verkehrsreichen, lärmerfüllten, naturabtötenden »Steinwüsten« der Großstädte in möglichst idyllischen Landhäusern, Künstlerkolonien oder Gartenstädten. Außerdem propagierten sie, den menschlichen Körper nicht mehr durch gewaltsam einengende Korsetts zu deformieren, sondern sackartige Reformkleider mit der dazugehörigen luftdurchlässigen jägerschen Unterwäsche aus gebleichter Baumwolle zu tragen, einen wesentlich zwangloseren Umgang der Geschlechter mit- und untereinander zu befördern, der auch Formen des Nudismus keineswegs von sich weisen würde, und sich eine naturgemäßere Nahrungsaufnahme in Form von Nüssen, Fruchtsäften, Müsli und Graham-­Brot anzugewöhnen. Außerdem traten sie für einen entschiedenen Antialkoholismus sowie eine ebenso entschiedene 102

Die Lebensreformbewegung um 1900

13  Peter Behrens: Vegetarische Reformgaststätte »Jungbrunnen« auf der Gartenbauausstellung in Düsseldorf (1904)

Nikotinfeindschaft, gymnastisch durchgeführte Leibesertüchtigungen, eine Reihe organischer Heilverfahren sowie ausgedehnte Sonnenbäder und Kneippkuren ein und befürworteten zugleich ein steigendes ökologisches Bewusstsein im Hinblick auf die Verschmutzung der Flüsse sowie die Erhaltung noch »ungenutzter« Waldgebiete, Heideflächen und dergleichen mehr. Zugegeben, all das führte – trotz vieler wohlgemeinter Absichten – auch zu einigen ans Lächerliche grenzenden Outriertheiten: wie einer übertriebenen Kraftmeierei, einer einseitigen Müsligesinnung, der Gründung erotischer Fummelkommunen, dem Auftreten nacktkultischer Sonnenprediger sowie der Entstehung skurriler neureligiöser Sekten, über die man sich lange und oft genug mit ironisierenden Überheblichkeitsgesten mokiert hat. Doch eine derart ablehnende Einstellung, der weitgehend ein technokratisch ausgerichteter Fortschrittswahn sowie ein gesellschaftliches Rangbewusstsein zugrunde lag, lässt sich inzwischen wohl kaum noch aufrechterhalten. 103

Ungezwungene Natürlichkeit

Schließlich kam mit der Lebensreform etwas in Gang, hinter dem nicht nur eine Absage an die neureichen Eitelkeitsbedürfnisse innerhalb der gehobenen Schichten des Zweiten Kaiserreichs stand, sondern auch eine wesentlich tiefere, ja, geradezu grundsätzliche Kritik an jenem Phänomen zum Durchbruch, das man später mit dem etwas unglücklichen, weil historisch-­unkonkreten, aber dennoch halbwegs treffenden Begriff einer »Dialektik der Aufklärung« umschrieben hat. Und im Lichte dieser Sehweise lassen sich manche Erscheinungen der Lebensreformbewegung um 1900 dann doch als durchaus positiv bezeichnen. II

Allerdings haben auch Versuche, sich gegen diese oft beschworene »Dialektik der Aufklärung« aufzulehnen, ihre eigene Dialektik, die sowohl ins Positive als auch ins Negative ausschlagen kann. Schließlich vollzog sich die hier ins Auge gefasste Lebensreformbewegung, wie gesagt, vor dem Hintergrund jener rapiden Industrialisierungsschübe, durch die Deutschland um 1900 alle anderen europäischen Nationen überflügelte und schließlich im Jahr 1913 – hinter den Vereinigten Staaten – die zweite Stelle in der Rangliste der führenden Industrienationen der Welt einnehmen konnte. Und das musste – wie schon zuvor in anderen Industrieländern, ob nun in England im Rahmen der von William Morris angeregten »Arts and Crafts Movement« oder der in den USA im Gefolge des von Frank Lloyd Wright propagierten Prairie Style – auch in Deutschland zwangsläufig zu Reaktionen führen, die in dieser Wendung ins Maschinenzeitalter lediglich eine fortschreitende Depravierung der eigenständigen beziehungsweise naturhaft-­anthropologischen Zustände sahen. Während also jene Schichten, welche diese technologischen Modernisierungsschübe im Zweiten Kaiserreich zusehends mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein erfüllten, ja, die darin einen Aufstieg Deutschlands zu einer der führenden Weltmächte erblickten, setzte bei jenen, die all das lediglich als eine durch die industrielle »Verhunzung ihrer naturgegebenen Heimat« und ein dadurch in Gang gesetztes Abgleiten ins Materialistisch-­Glaubenslose, wenn nicht gar »Entmenschlichende« empfanden, ein Technologie- und Großstadthass ein, der sich in Parolen wie »Los von Berlin«, »Wehrt euch gegen die graue Internationale der fortschreitenden Industrialisierung«, »Bewahrt die Schönheit der deutschen Landschaft«, »Erhaltet die Reinheit der Natur«, »Tretet im Kampf gegen die Verpestung innerhalb der modernen Großstädte für eine gesündere Lebensweise ein« oder »Gründet vorbildliche Enklaven naturgemäßer Daseinsformen auf dem Lande« manifestierte. Und im Rahmen derartiger Reaktionen gegen die von den Vertretern und Vertreterinnen dieser Gesinnung immer wieder als »lebensfeindlich« hingestellten Modernisierungsschübe muss auch die Lebensreformbewegung dieses Zeitraums betrachtet 104

Die Lebensreformbewegung um 1900

werden. Aufs Große und Ganze gesehen war auch sie Teil jener »Fortschrittlichen Reaktion«, die sich damals unter Berufung auf schlagwortartig reduzierte Begriffsbildungen wie »Volk statt Masse«, »Rasse statt Völkerchaos«, »Idealismus statt Materialismus«, »Kultur statt Zivilisation« sowie »Religio statt Liberatio« formierte und die hieraus sowohl völkisch-­nationale als auch naturgemäßere Zielvorstellungen eines »wahrhaften Lebens« zu entwickeln versuchte.2 Ohne diesen Doppelaspekt zu berücksichtigen, das heißt, lediglich die völkische oder lediglich die naturgemäßere Ausrichtung der Lebensreform herauszustellen, bliebe jede Interpretation dieser Bewegung notwendigerweise einseitig. Schließlich entstand sie nicht in einem politischen und sozioökonomischen Vakuum, das heißt im Gefolge einiger in gesellschaftlicher Abseitshaltung verharrender idealistischer Utopiker, sondern war ebenso untrennbar mit den ideologischen Verschiebungen innerhalb der Spätphase des wilhelminischen Reiches verbunden wie alle anderen sozialen und kulturellen Strömungen innerhalb dieses Zeitraums, wodurch selbst ihre durchaus wohlgemeinten Zielsetzungen nie ganz frei von den eher problematischen Tendenzen dieser Ära waren. III

Beginnen wir erst einmal mit den wohlgemeinten Zielvorstellungen dieser ­Bewegung, mit der sie sich als Wegbereiterin einer gesünderen, weil naturgemäßeren Daseinsform hinzustellen versuchte und die – angesichts der inzwischen wesentlich weiter fortgeschrittenen Verschandelung, ja, Zerstörung unserer natürlichen Umwelt oder besser Mitwelt – geradezu den Charakter des Prophetischen angenommen hat. Dazu gehören vor allem folgende Aspekte. So wird heutzutage sicher niemand leugnen wollen, dass die Abneigung der Lebensreformbewegung gegen alle Formen einer rangbetonten gesellschaftlichen Etikette sowie die damit verbundene Wespentaillenund Wadenverstärkungsmode durchaus richtig war und zu einer dem menschlichen Körper wesentlich gemäßeren Bekleidung geführt hat. Auch ihre Vorliebe für den Aufenthalt in freier Natur, für Sonnenbäder, Wanderungen, Fitnesstraining und Schwimmen, die nicht nur die Wandervögel, die Siedler auf dem Monte ­Verità sowie die vielen Nudisten, sondern auch ein höchst konkret denkender Gesellschaftskritiker wie Hans Paasche in seiner Schrift Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanda Mukara ins innerste Deutschland (1912) vertraten, gilt weiterhin zu Recht als durchaus positiv. All das hat zweifellos zu einer wesentlich zwangloseren und gesünderen Lebensweise geführt. Selbst ihre Propagierung des Vegetarismus lässt sich – vor allem unter ökologischen Gesichtspunkten – nicht von vornherein von der Hand weisen, wenn man bedenkt, dass für eine auf Fleischproduktion statt für eine auf Gemüseanbau gegründete Ernährungsweise zehnmal so viel Land und zugleich zehnmal so viel Energie benötigt werden. Das Gleiche gilt für die von vielen ihrer Vertreter 105

Ungezwungene Natürlichkeit

und Vertreterinnen unterstützte Tierschutzbewegung, die zwar schon – aus eher sentimentalen Gründen – vorher bestand, aber erst durch die Lebensreformbewegung nicht nur die verhätschelten Haustiere, sondern, wie in den Schriften Wilhelm Bölsches, auch die durch die zunehmende »Zersiedlung« bedrohten Habitate vieler Wildtiere ins Auge fasste. Doch wohl am wichtigsten war die zum Teil im Zusammenhang mit der Lebensreform in den späten neunziger Jahren entstehende Heimatschutzbewegung. Von grundlegender Bedeutung waren dabei jene zwei Aufsätze, die Ernst Rudorff 1897 unter dem Titel Heimatschutz publizierte. In ihnen erklärte er, dass man im Zuge der rapiden Industrialisierung Deutschlands die Landschaft überall »zur Sklavin erniedrige«, indem man ihr ein »Joch abstrakter Nutzungssysteme« auferlege, um sie zum eigenen Gewinn und Vergnügen »bis auf den letzten Tropfen auszupressen«. Und so werde selbst die Natur – wie alles andere – mehr und mehr zur »Ware« herabgewürdigt, ja, in »Kapital« umgesetzt. Und zwar begnügte sich Rudorff dabei nicht nur mit moralischen Appellen gegen das »gesteigerte Erwerbs- und Verkehrsleben unserer Tage«, sondern forderte zugleich die Anlage großer Naturschutzgebiete, statt einfach tatenlos zuzusehen, wie die gesamte deutsche Landschaft Stück für Stück ein Opfer der industriellen »Barbarei« werde.3 Doch nicht nur Rudorff, auch andere Naturfreunde, Lebensreformer und Heimatschützer traten zum gleichen Zeitpunkt bereits ebenso entschieden gegen die kapitalistische Herabwürdigung der Natur zur Ware und zugleich gegen die naturzerstörenden Auswüchse des zunehmenden Massentourismus auf. So erklärte etwa Paul Schultze-­Naumburg seit 1900 in seiner Kritik an der fortschreitenden Verschandelung der Natur immer wieder: »Die Industrie nahm ganze Länder in Beschlag und trug keinen anderen Gedanken, als nur in möglichst kurzer Zeit möglichst viele finanzielle Werte herauszuholen« – eine These, die er in vielen seiner darauffolgenden Schriften, die unter dem Titel Kulturarbeiten erschienen, immer nachdrücklicher wiederholte. Als daher 1904 in Dresden der »Deutsche Bund Heimatschutz« ins Leben gerufen wurde, an dessen Gründung sich auch Ernst Rudorff und Wilhelm Bölsche beteiligten, wählte man Schultze-­Naumburg zum Vorsitzenden dieses Bunds, weil er sich besonders energisch gegen den »zerstörenden Kapitalismus« gewandt habe und für den »Schutz unseres Landschaftsbildes«, die »Reinerhaltung der Flüsse« sowie die »Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt« eingetreten sei.4 IV

Kommen wir zu einer ersten Zwischenbilanz. Sowohl die Ablehnung der rangbetonten Gesellschaftsetikette und Kleidermode als auch die Propagierung einer naturgemäßeren Lebensweise, darunter die neuen Heilmethoden, die gymnastischen 106

Die Lebensreformbewegung um 1900

14  Joseph Solomonson bei der Gartenarbeit auf dem Monte Verità (1907)

Leibesübungen, der Verzicht auf eine übertriebene Fleischnahrung, die Tierschutzbestrebungen und vor allem die vom »Deutschen Bund Heimatschutz« angestrebte Erhaltung der Natur sind im Rahmen der sogenannten Fortschrittlichen Reaktion im Allgemeinen sowie der zwischen 1895 und 1914 in ihrem Gefolge auftretenden Lebensreformbewegung im Besonderen als durchaus zukunftsweisend zu bewerten. Dass es dabei – in forcierter Frontstellung gegen den weitverbreiteten wilhelminischen Hurrapatriotismus, den industriellen Fortschrittswahn sowie das übersteigerte Rangbewusstsein der gesellschaftlichen Oberschichten – auch zu ideologischen Überspitzungen und außenseiterischen Seltsamkeiten kam, war wohl kaum zu vermeiden 107

Ungezwungene Natürlichkeit

und gab Anlass zu vielen sarkastischen oder auch ironisierenden Äußerungen über bestimmte Einzelphänomene innerhalb dieser Bewegung. Zu Anfang wurde von ihren Gegnern, die weiterhin am Leitbild einer »aufgehübschten« Eleganz festhielten, vor allem ihre Reformkleidermode in ihrer betonten Schlichtheit als »verschroben«, wenn nicht gar in Simplicissimus-­Manier als »skurril« verhohnepipelt. Ebenso gereizt, ja, geradezu moralinsauer empörten sich die sogenannten Ehren- oder Saubermänner unter den »oberen Zehntausend« über die Herausstellung des Nackten innerhalb der lebensreformerischen Nudistenkolonien, die um 1900 allerorten gegründet wurden. Während die gleichen Kreise das sich im Dunkeln abspielende Prostituierten- und Mätressenwesen sowie die unterm Ladentisch gehandelten pornographischen Aktdarstellungen im Sinne ihrer doppelten Moral durchaus duldeten, ja, ihren Spaß daran hatten, empfanden sie die Nacktheit im öffentlichen Tageslicht als ausgesprochen peinlich, wenn nicht gar als obszön. Auch den Vegetarismus der »Nüsseknabberer«, »Kohlrabiapostel« und »Salatfresser«, wie sie sich ausdrückten, sowie das Wassertreten im Rahmen der Kneippkuren lehnten sie als vertrauensvolle Anhänger des medizinischen »Fortschritts« nicht nur als sektiererisch, sondern als geradezu »kindisch« ab. Für die Tierschutzbemühungen waren sie schon eher zu haben, vor allem wenn es sich um ihre eigenen Haustiere handelte, während sie die Nerzmäntel und Straußenfederhüte ihrer Damen als völlig »natürlich« empfanden, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, welche Tiere dafür ihr Leben lassen mussten. Die gleiche Haltung nahmen sie gegenüber den von vielen Lebensreformern propagierten Heimatschutzbestrebungen ein. Selbstverständlich war die Freizeitklasse der Hautevolee dieser Jahre dafür, dass jene Landschaften, in denen sie ihre kaum nötigen Ferien verbrachte, zwar mit Luxushotels, Tennisplätzen und Aussichtstürmchen ausgestattet wurden, aber sonst in ihrer das Auge erfreuenden natürlichen Schönheit erhalten blieben. Sobald sich jedoch die Lebensreformer gegen die »Vernutzung« der Natur zugunsten weiterer Industrieanlagen und damit gegen steigende Renditen und Dividenden aussprachen, traten sie ihnen sofort entgegen. Dafür spricht, dass es bereits um 1900 Industriellenverbände gab, die derartige Bestrebungen in aller Entschiedenheit als »vaterlandsschädigend« verwarfen, wobei sie sich auf den unumgänglichen technologischen »Fortschritt« sowie die Notwendigkeit neu zu schaffender »Arbeitsplätze« beriefen und jeden Protest dagegen als Kurzsichtigkeit, wenn nicht als »hinterwäldlerisch« oder gar als einen »Rückfall in die Steinzeit« bezeichneten.

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Die Lebensreformbewegung um 1900

V

Über solche Kritikpunkte sollten wir heute hoffentlich hinaus sein. Falls man überhaupt eine ideologiekritische Sonde an die Lebensreformbewegung ansetzen will, müsste man sich vor allem nach unseren Erfahrungen mit dem Nazifaschismus, der so manche ihrer Erscheinungsformen auf eine infame Weise korrumpierte, ganz anderer Kriterien bedienen. Und zwar würde es sich dabei empfehlen, stets von der sozioökonomischen und der sich daraus ergebenden innenpolitischen Situation um 1900 auszugehen. Schließlich bildete sich die Lebensreformbewegung nicht, wie sie oft beteuerte, extra Muros, sondern durchaus intra Muros der wilhelminischen Gesellschaft heraus. Selbst in ihren Rückzügen in Künstlerkolonien, Nudistenvereine und neureligiöse Konventikel blieb sie – auf die eine oder andere Weise – durchaus mit gewissen Strömungen des herrschenden Zeitgeists verbunden. Genauer besehen war auch sie, wie gesagt, weitgehend eine der vielen Strömungen innerhalb jener »Fortschrittlichen Reaktion«, die sich – ob nun die weitverbreitete Heimatkunstbewegung, die Autoren der Zeitschrift Die Tat, die von Julius Hart gegründete »Neue Gemeinschaft«, der fidussche »St. Georgs-­Bund« oder das eher esoterische »Geheime Deutschland« des Stefan-­George-­Kreises – bemühten, in ihrer Kritik am Leerlauf des nervenzerfetzenden Industriechauvinismus des Zweiten Kaiserreichs diesem Staat ein auf einer neuen Lebensstärke beruhendes ideologisches Telos zu geben, das nicht auf den veräußerlichten Erscheinungen einer materialistisch ausgerichteten Betriebsamkeit beruhte, sondern eher Werte wie »seelischen Tiefgang« sowie »naturgemäße Körperlichkeit« auf ihre Fahnen schrieb. Gegen derartige Bestrebungen ist auf den ersten Blick an sich nicht viel einzuwenden. Allerdings vollzogen sie sich, was man nicht unterschlagen sollte, in einem ideologischen Umfeld, das eindeutig im Zeichen einer nicht zu übersehenden nationalistischen Hochstimmung stand. Zugegeben, die Lebensreformbewegung gehörte keineswegs zu den zahlreichen imperialistisch orientierten Gruppierungen dieses Zeitraums, die vor allem von den Hohenzollern, der Armeeführung sowie einer Reihe einflussreicher Großindustrieller unterstützt wurden. Im Gegenteil, sie war in ihren auf die Natur bezogenen Richtungen weitgehend pazifistisch eingestellt und lehnte den wilhelminischen Militarismus in aller Entschiedenheit ab. Dennoch lag selbst manchen ihrer Bestrebungen eine durchaus national gefärbte, wenn nicht gar ins Rassistische tendierende Komponente zugrunde. Und dadurch war auch sie, ob nun direkt oder indirekt, nicht nur ein Teil der »Fortschrittlichen Reaktion«, sondern auch jener »Völkischen Opposition«, in der sich bereits gewisse präfaschistische Tendenzen äußerten.5 Schließlich gehörten zu den Hauptvertretern der damals als völkisch gesinnt Auftretenden sowohl kleinbürgerliche Idealisten wie Friedrich ­Lienhard, die sich in ihrem Widerwillen gegen die wilhelminische 109

Ungezwungene Natürlichkeit

Veräußerlichung des deutschen Geistes mit verschwafelten Tiraden für eine an den kulturellen Werten der Vergangenheit orientierte »Reichsbeseelung« einsetzten, als auch »alldeutsch« eingestellte Politiker und Publizisten wie Heinrich Claß, welche im Rahmen ihrer Opposition zum herrschenden Zeitgeist von einer »Volkswerdung« der bismarckschen Reichsbürgernation träumten und dabei nicht nur von einer »Reichsbeseelung«, sondern auch von einer an der germanischen Vorzeit orientierten Wehr- und Reckenhaftigkeit sprachen oder gar – im Zuge einer kriegerischen Ostkolonisation – die Gründung eines großgermanischen Bauernreichs befürworteten und sich dabei auf deutschbewusste Autoren wie Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Houston Stewart Chamberlain beriefen. VI

Ist es daher zu weit hergeholt, auch die Lebensreformbewegung mit solchen Richtungen in Beziehung zu setzen? Ja und nein. Viele ihrer Bestrebungen sind bis heute durchaus beherzigenswert oder bereits zu Selbstverständlichkeiten geworden, über deren Ursprung kaum noch nachgedacht wird. Dennoch sollte man nicht übersehen, in welchen Bereichen diese Bewegung den späteren Nazifaschisten oder auch den sogenannten Arisch-­Grünen, wie Jutta Ditfurth sagen würde, Vorschub geleistet haben. Dafür wenigstens einige Beispiele, welche Forderungen der Lebensreformbewegung bereits in ihren Anfängen in diese Richtung tendierten oder die im Zuge des Kriegsnationalismus zwischen 1914 und 1918 sowie der vielen Reaktionen auf die »Schmach von Versailles« während der Weimarer Republik ins ideologische Fahrwasser der völkischen beziehungsweise präfaschistischen Strömungen gerieten und die dann auch im Dritten Reich in leicht veränderter Form ständig neue Urstände erlebten. Schon hinter der Verklärung des nackten menschlichen Körpers stand häufig nicht nur eine Tendenz ins Befreiende, Naturgemäße oder Schönheitskultische, sondern – vor allem wenn es sich um männliche Körper handelte – zugleich eine Vorliebe für Gestähltes, ja, geradezu Reckenhaftes. Das belegen nicht nur viele Bilder des Jugendstilkünstlers Fidus, dessen Männergestalten sich im Laufe der Jahre immer stärker aus dem Theosophisch-­Lichtvollen ins Heroische wandelten,6 sondern auch Bücher wie Nackende Menschen (1893) und Nackt-­Kultur (1906) von Heinrich Pudor sowie Nacktheit und Kultur (1913) und Nacktheit und Aufstieg. Ziele der Erneuerung des deutschen Volkes (1920) von Richard Ungewitter, deren Autoren es anfangs vor allem um den Kampf gegen Schmerbauch und Schnürfurche ging und die später Licht, Luft und Sonne eher als ideologische Hilfsmittel der arischen Rasse gegen die semitischen Dunkelmänner auszuspielen versuchten. Ähnliche Transformationen vollzogen sich in manchen der auf eine grundsätzliche Lebensreform 110

Die Lebensreformbewegung um 1900

15 Fidus: Kommune (1912)

drängenden Koloniebildungen. So war etwa in der 1893 gegründeten »Obstbaumkolonie Eden« bei Oranienburg bereits kurz nach 1900 vom »arischen Lichtkleid« die Rede, wenn man sich in aller Nacktheit zu Sonnengebeten versammelte. Und auch die Entwicklungslinie von der steinerschen Eurythmie und den Tanzübungen der Loheland-­Schule zur späteren NS-Organisation »Glaube und Schönheit« sollte man nicht übersehen.7 Eine gleichgeartete Wandlung äußerte sich im Hinblick auf den Schutz mancher Wildtiere und Wildpflanzen, der im Laufe der Zeit eine deutlich deutschnationale Tendenz annahm, was schließlich im Dritten Reich dazu führte, dass ein Reichslandschaftswart wie Alwin Seifert anordnete, entlang der entstehenden Reichsautobahnen lediglich einheimische Blumen und Sträucher anzupflanzen, während andere Naturschützer in der Schorfheide ein Reservat für die aus der germanischen Urzeit stammenden Wisente anlegten. Noch deutlicher lässt sich diese Tendenz ins Nationale in all jenen gegen die zunehmende Industrialisierung gerichteten Verbauerungsproklamationen ablesen. Dafür sprechen vor allem Julius Langbehns völkisches Manifest Rembrandt als Erzieher (1891) sowie die Schriften vieler Vertreter der »Völkischen Opposition«, wie Otto Ammons Die Bedeutung des Bauernstandes 111

Ungezwungene Natürlichkeit

für den Staat und die Gesellschaft (1906) oder Georg Hauersteins Die Sippensiedlung (1914), die einen Trend in Gang setzten, der nicht ohne Einfluss auf die 1923 von einem Arierfanatiker wie Willibald Hentschel nach den Grundsätzen seiner schon 1901 publizierten Varuna. Eine Welt- und Geschichtsbetrachtung vom Standpunkt des Ariers gegründete ländliche Artamanenbewegung war, in der kurz darauf der junge Heinrich Himmler tätig war und die schließlich in Büchern wie Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse (1929) und Neuadel aus Blut und Boden (1930) von Richard Walther Darré sowie Deutsche Siedlung im I., II. und III. Reich (1932) von Edmund Schmid ihre nazifaschistische Ausprägung erhielt. Das Gleiche gilt für die von manchen Vertretern der Lebensreformbestrebungen mitbeeinflusste Heimatschutzbewegung, die schon in ihren Anfängen nicht nur äußerst beherzigenswerte ökologische Forderungen wie den Schutz der Wälder und die Reinhaltung der Flüsse aufstellte, sondern dabei zugleich in Anlehnung an Wilhelm Heinrich Riehls Naturgeschichte des deutschen Volkes (1851 – 1869) in vielen ihrer programmatischen Verlautbarungen – neben ökologischen Gesichtspunkten – auch die nationalistische Komponente solcher Bestrebungen in den Vordergrund rückte, indem sie im Gefolge Julius Langbehns ebenfalls eine Verbauerung des deutschen Volkes forderte und sich aus Hass gegen die rapide um sich greifende Verstädterung des wilhelminischen Reichs für eine Verkleinerung, wenn nicht gar Eliminierung der großen Städte einsetzte. Und so wie er stellten auch andere lebensreformerisch eingestellte Heimatschützer, ob nun Otto Ammon, Hermann Burte, Joseph Ludwig Reimer und viele andere, damals das Leben in den großen Städten ständig als eine wahre »Hölle« hin, in der alles Gesunde, Natürliche notwendig verkümmern müsse. So schrieb etwa Carl Jentsch 1913 in seiner Volkswirtschaftslehre: An die Stelle der landwirtschaftlichen Beschäftigungen, die für Leib und Seele gesund sind, weil sie in freier Luft und schöner Umgebung betrieben werden, und an die Stelle der Handwerksarbeit, bei der sich die Individualität betätigen und zur Kunst erhoben werden kann, tritt in der Steinwüste der großen Städte die einförmige Bedienung der Maschinen.8

Schon darin steckte bereits jene Tendenz, die später sowohl von den Gründern bäuerlicher als auch rassenzüchterischer Koloniebildungen, wie der 1919 von Ernst und Margart Hunkel gegründeten Freiland-­Siedlung Donnershag, eigentlich Donarshag, oder der von Wilhelm Schwaner und Ludwig Fahrenkrog ins Leben gerufenen Germanisch-­Deutschen Religionsgemeinschaft »Upland«, als auch von Richard Walther Darré, Edmund Schmid und Alfred Rosenberg aufgegriffen wurde, die immer wieder auf den »Volkstod« in den großen Städten zu sprechen kamen, in denen es nur Unorganisches gebe und ein rassisch missgestaltetes Proletariat sein Unwesen treibe. 112

Die Lebensreformbewegung um 1900

Doch nicht nur der Hass auf die großen Städte, der gesamte Antimodernismus der »Fortschrittlichen Reaktion« sowie der sich in ihr um 1900 herausbildenden Lebensreformbewegung ist später jenem Strang innerhalb der nazifaschistischen Ideologiebildung zugutegekommen, der sich – trotz aller von der NS-Führungsschicht zu gleicher Zeit eifrig geförderten technologischen Modernisierungsschübe – ständig auf irgendwelche Blut- und Bodentheorien berief und alle modernistischen Zivilisationserscheinungen als »undeutsch«, wenn nicht gar als »entartet« hinstellte. Unter den Vertretern der Lebensreform könnte man dafür als besonders eklatante Beispiele Adolf Bartels, der sich im Laufe der Jahre aus einem nicht unbedeutenden Heimatkunstromancier in einen rabiaten Antisemiten wandelte, oder auch den anfangs durchaus ernst zu nehmenden Heimatschützer Paul Schultze-­Naumburg anführen, der 1928 in seinem Buch Kunst und Rasse die modernistisch-­expressionistische Malerei als eindeutig »entartet« diffamierte und im gleichen Jahr in den von Alfred Rosenberg gegründeten »Kampfbund für deutsche Kultur« eintrat, ja, der später im Dritten Reich mit zum Teil von Adolf Hitler angeregten Ehrungen geradezu überschüttet wurde. VII

Schon ein hier nur skizzenhaft angedeuteter Überblick der durchaus positiv zu bewertenden Anfangstendenzen sowie der späteren Wandlungen sowie Korrumpierungen der Lebensreformbewegung zwingt jeden historisch informierten Betrachter von vornherein zu einer dialektisierenden Optik dieses Phänomens. Ich weiß, auch Einzelforschungen zu den verschiedenen Bereichen dieser Bewegung sind weiterhin erforderlich und werden sicher wichtige Aufschlüsse sowohl über die Vorgeschichte des NS-Regimes als auch über die Vorgeschichte der in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Gang gekommenen ökologischen Bewegung bieten. Allerdings sollte man sich bei solchen Bemühungen stets davor hüten, in den Vertretern und Vertreterinnen der Lebensreformbewegung entweder lediglich Vorboten der späteren Nazifaschisten oder lediglich Wegbereiter einer natürlicheren Daseinsform zu sehen. Wie in vielen Reformbewegungen – ob nun weltlicher oder religiöser Art – gab es auch in der Lebensreformbewegung zweifellos eine Reihe eindeutig sozialbewusster Realisten, denen es in ihrer antiwilhelminischen Gesinnung vor allem um eine Abkehr vom Hurrapatriotismus und industriellem Fortschrittswahn ging. Viele der anderen waren jedoch entweder naiv gläubige Idealisten oder spinnerte Außenseiter, die sich kaum oder gar nicht bewusst waren, welche Konsequenzen ihre Anschauungen in der politischen Praxis einmal haben könnten. Doch manchmal sind gerade die Unschuldigen die besonders Schuldigen, wie der stets dialektisch denkende Bertolt Brecht einmal so treffend gesagt hat. Und das sollte man auch 113

Ungezwungene Natürlichkeit

bei der Auseinandersetzung mit dem Antimodernismus und zugleich dem nicht zu übersehenden Antiintellektualismus der Lebensreformbewegung – neben ihren positiven Zügen – keineswegs vergessen.9

114

Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins? Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

I

Begriffe wie »Heimatschutz« oder »Heimatkunst« galten im Bereich der liberalen, linksliberalen oder linken Ideologie lange Zeit als hoffnungslos konservativ, wenn nicht gar anachronistisch. Ohne groß auf sie einzugehen, überließen die Vertreter solcher Anschauungen diesen Bereich von vornherein den Rechten. Besonders die Heimatkunstbewegung um 1900 erschien den sich als »fortschrittlich« Verstehenden lange Zeit als eindeutig regressiv, das heißt als kleinbürgerlich verstockte Reaktion auf die rapide Industrialisierung Deutschlands im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts. Im Hinblick auf solche Phänomene gebrauchten daher schon die großstädtisch-­liberalen Wirtschafts- und Kunsttheoretiker der Jahrhundertwende Ausdrücke wie provinzielle Verspätung oder altmodische Verklemmtheit, ja, sprachen ganz offen von einer Kunst der »kleinen Leute«.1 Das Gleiche gilt für die Zeit der Weimarer Republik mit ihrer verbreiteten Technikverkultung und dann noch verstärkter für die Ära des westdeutschen »Wirtschaftswunders« nach dem Zweiten Weltkrieg, als dieselben Schichten alles »Heimatliche« oder »Schollenverbundene«, wie es damals nach den Erfahrungen des Dritten Reiches immer geringschätziger hieß, als »völkischen Wahn«, »Agrarromantik«, »Präfaschismus« oder – unter dem Einfluss Theodor W. Adornos – als Beschwörung einer verlogenen »heilen Welt« desavouierten.2 Solchen Urteilen soll keineswegs widersprochen werden. Wenn es überhaupt eine künstlerische Strömung zwischen 1890 und 1933 gegeben hat, die dem deutschen Faschismus die Wege ebnete, dann sicher jene stammesbetonte, regionalistische oder völkische Heimatkunst um 1900, aus der viele der späteren nazifaschistischen Kunsttheoretiker wie Adolf Bartels und Paul Schultze-­Naumburg hervorgegangen sind. Aber bei Feststellungen dieser Art, die jede weitere Auseinandersetzung mit diesem Phänomen unmöglich machen, indem sie es von vornherein als präfaschistisch oder faschistoid abqualifizieren, sollten wir heute – angesichts der vielen Wandlungen, die der Begriff »Heimat« inzwischen durchgemacht hat – nicht mehr stehen bleiben. Solche Urteile erscheinen mir zwar weiterhin berechtigt, wenn es um eine geistesgeschichtlich-­vordergründige Ableitung gewisser nazifaschistischer Ideenkonglomerate geht, aber nicht tief greifend genug, um den höchst konkreten 115

Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins?

Ursachen für die Entstehung der verschiedenen konservativen Gegenströmungen zu jenen technologischen »Modernisierungsprozessen« auf die Spur zu kommen, zu denen zum Teil auch der völkische Ungeist um 1900, aber beileibe nicht nur er, gehört. Wirklich gerecht wird man diesem Konservatismus meiner Meinung nach nur dann, wenn man ihn nicht allein unter dem Gesichtspunkt der viel beschworenen »Wege zu Hitler« oder gar der »Zerstörung der Vernunft« betrachtet,3 sondern zugleich jenes verbreitete Unbehagen am Kapitalismus ins Auge fasst, das in solchen Reaktionen auf die fortschreitende Industrialisierung und Vergroßstädterung zum Ausdruck kam. Dieses Unbehagen sollte in Zukunft nicht weiterhin à la Georg Lukács einfach pauschalisierend als »romantischer Antikapitalismus« oder als »Kritik am Kapitalismus von rechts« abgekanzelt werden, wie das im linken Lager lange Zeit geschehen ist.4 Solche Äußerungen waren letztlich schon im frühen 20. Jahrhundert ungerechtfertigt, als sich der Sozialismus einen möglichen »Fortschritt« allein von der Überbietung der kapitalistischen Industrieproduktion versprach und sich dadurch in seinem Habenwollen, seinem Konsumfetischismus, seinem vulgären Materialismus auf den gleichen »Teufelsweg« begab, dem bereits Goethe in seinem Faust II warnend entgegengetreten war.5 Was uns darum heute an der deutschen Heimatkunst um 1900 – hinter all ihren nationalistischen Phrasen – viel stärker als zuvor interessieren sollte, wären vor allem ihre Bescheidenheitsideale, ihre Konsumverzichthaltung, ihr Protest gegen die um sich greifende Naturzerstörung und ihre dementsprechenden ökologischen Warnungen. Über Nationalisierungs- und Faschisierungsprozesse in diesem Bereich wissen wir bereits genug. Aber was wissen wir über die Geschichte der allmählichen ökologischen Bewusstwerdung, die uns seit Kurzem viel stärker bedrängt? Aus diesem Grunde wäre es vielleicht angebracht, auch in diesem Kontext endlich nach Vorläufern einer Gesinnung zu suchen, die gegenwärtig vielen Menschen – im Hinblick auf den drohenden Verschleiß aller Rohstoffe, die zunehmende Verseuchung unserer Umwelt und damit die Vernichtung unseres natürlichen Lebensraums – immer vordringlicher erscheint. Eine eher gerechtfertigte Frage wäre demnach folgende: Was hat diese Bewegung – neben ihrer nationalistischen Komponente – als konservierende, naturerhaltende, ökologische zu bieten? Schließlich verstand sie sich als eine Reaktion gegen jene rapide Industrialisierung Deutschlands, die in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte, ihren ersten Höhepunkt in der sogenannten Gründerzeit erlebte und dann im Zuge der wirtschaftlichen Hochkonjunktur nach 1895 dazu führte, dass Deutschland im Jahr 1913 in der Rangliste der Industrienationen der Welt den zweiten Platz einnehmen konnte. Dies war eine Entwicklung, die zwar vielen Deutschen ein enorm gesteigertes Selbstgefühl verlieh, gewisse Kreise aber 116

Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

16  Werke der Burbacher Hütte bei Saarbrücken (1886)

zugleich durch die damit verbundenen Begleiterscheinungen – wie die Hässlichkeit der Industrieanlagen, die zunehmenden Rauchschwaden, die Kanalisierung der Flüsse, die Abholzung ausgedehnter Waldgebiete sowie das chaotische Wuchern der großen Städte, in denen die Kehrseite dieser Entwicklung zum Ausdruck kam – in ihrem Sinn für ästhetisches Wohlgefallen, angestammte Wertvorstellungen und herkömmliches Deutschtum zutiefst verstörte. Einer der Ersten, der dieser Entwicklung nachhaltig entgegenzutreten versuchte und schnell als das geistige Haupt der antiindustriellen Gegenströmung anerkannt wurde, war Wilhelm Heinrich Riehl, der bereits in seinen Büchern der fünfziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, wie der vierbändigen Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik (1851 – 1869), die fortschreitende Industrialisierung als das Hauptübel des aus dem Westen importierten modernistischen Ungeistes hinstellte und den »ewigen Bauern« als den Hauptgaranten einer Bewahrung der deutschen Wesenseigentümlichkeiten herausstrich. Riehl war der festen Überzeugung, dass eine weitere Industrialisierung und Verstädterung, das heißt Zerstörung der bäuerlichen Grundlage, zwangsläufig zu einer »Entartung der Nation« führen werde.6 Es sei eine »Sache des Fortschritts«, schrieb er dement117

Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins?

sprechend schon 1857, für eine ungeschmälerte Beibehaltung des »Ackerlandes«, ja, für ein »Recht auf Wildnis« einzutreten,7 um Deutschland vor jener grauen Allgemeinheit zu bewahren, die im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung in vielen Ländern des Westens um sich greife. Unter Berufung auf solche Thesen traten in der Folgezeit immer mehr Vertreter einer betont »völkisch« gesinnten Opposition zum offiziellen Wilhelminismus und seiner forcierten Industrialisierungsprogramme auf, die sich in aller Entschiedenheit für das angestammte Landleben begeisterten. Im Gegensatz zur allgemeinen Landflucht, die dazu führte, dass die Zahl der Großstädter in Deutschland zwischen 1871 und 1910 von zwei auf vierzehn Millionen Menschen anwuchs, beschworen sie immer wieder die »gute, alte Zeit« und die Vorzüge des »einfachen Lebens«, von denen sie sich eine Bewahrung der »natürlichen Lebensordnungen« versprachen. Vor allem in den neunziger Jahren schwoll diese Opposition, und zwar von Julius Langbehns Rembrandt als Erzieher (1890) bis Karl Oldenburgs Deutschland als Industriestaat (1897), zu einem Chor von Stimmen an, der nachdrücklich beklagte, dass das Deutsche Reich seine landwirtschaftliche Autarkie verliere, sich auf die risikoreichen Wechselfälle des Welthandels einlasse, seine landschaftlichen Schönheiten einem rein profitorientierten Fortschrittsgeist opfere und schließlich seine Bürger dazu zwinge, in den »Asphaltwüsten« und »Zementgebirgen« der Großstädte ein entseeltes, ja, entmenschtes Dasein zu fristen.8 Was man zu diesem Zeitpunkt als Heimatschutzbewegung bezeichnete, geht weitgehend auf das Wirken und die Schriften von Ernst Rudorff zurück, der bereits 1880 in seinem grundlegenden Aufsatz Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur die eher allgemein gehaltenen Äußerungen Riehls im Hinblick auf die fortschreitende Naturzerstörung erstmals ins ganz Konkrete übertrug.9 Rudorff machte für diesen Zerstörungsprozess neben der hemmungslosen Industrialisierung, das heißt der Zunahme von Lärm und Qualm sowie der Flurbereinigung und des daraus resultierenden viereckigen Landschaftschemas vor allem den steigenden Egoismus der großstädtischen Touristen verantwortlich, der dazu geführt habe, »die Natur in ihrem eigensten Wesen zu zerstören. Unter dem Vorgeben, dass man sie dem Genuss zugänglich machen will«.10 Ebenso folgenreich war jenes Buch, das Rudorff 1901 unter dem Titel Heimatschutz publizierte. Die von Riehl noch gefeierte »Wildnis«, heißt es hier, gebe es inzwischen gar nicht mehr.11 »Was hat nicht in dieser kurzen Spanne Zeit«, erklärte er in diesem Buch emphatisch, »der Vernichtungskampf, den das moderne Leben nicht nur gegen die Mauern, die Straßen, die Häuser unserer Ahnen, sondern vor allem gegen die wilde Natur führt, hingemordet, in einem Umfang, wie es niemand damals auch nur von fern ahnen konnte!«12 Überall habe sich inzwischen das »kahle Prinzip der geraden Linie und des Rechtecks« durch118

Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

gesetzt, so dass die meisten »Feldmarken wie nationalökonomische Rechenexempel« aussähen.13 Überall bringe man »Reklameinschriften und Reklameschilder« an. Überall baue man »Eisenbahnbrücken« durch die schönsten Gebirgstäler und lege Fabriken an malerischen Flussufern an. Überall begegne man anspruchsvollen Sommerfrischlern, die es selbst mitten in der Natur höchst »komfortabel« haben wollten. Überall werde so die Landschaft zur »Sklavin erniedrigt«, indem man ihr ein »Joch abstrakter Nutzungssysteme« auferlege, das ihr »völlig fremd« sei, um sie zum eigenen Gewinn und Vergnügen »bis auf den letzten Tropfen auszupressen«. Und so werde selbst die Natur – wie alles andere – mehr und mehr zur »Ware herabgewürdigt«, ja, in »Kapital« umgesetzt.14 Um diesem Prozess, durch den Deutschland mit jedem Tag immer »häßlicher, künstlicher, amerikanisierter« werde, dieses »Rennen und Hasten nach Reichtum und Wohlleben«, diesem Trug eines »vermeintlichen Glücks«, diesem »Scheinwesen« und dieser »Aufgeblasenheit« endlich Einhalt zu gebieten, bot Rudorff nach alter Tradition vor allem Werte wie »Familiensinn, bürgerliche Tüchtigkeit, Gemütlichkeit, Schlichtheit, Friede und Freude, Genügsamkeit und Genügen, Humor und Gottesfurcht« auf.15 Nur wenn sich diese Werte wieder durchsetzten, heißt es bei ihm wiederholt, werde sich in Deutschland nicht die Allerweltszivilisation des Westens ausbreiten, sondern sich das angestammte deutsche Wesen in seiner natürlichen Umgebung erhalten. Rudorff begnügte sich daher nicht nur mit moralischen Appellen gegen das »gesteigerte Erwerbs- und Verkehrsleben unserer Tage«, sondern forderte zugleich die Anlage großer Naturschutzgebiete, das heißt einen verstärkten »Heimatsinn«, statt einfach tatenlos zuzusehen, wie die gesamte deutsche Landschaft Stück für Stück ein Opfer der industriellen »Barbarei« werde.16 Als Rudorff dieses Büchlein herausbrachte, stand er mit seinen Heimatschutztendenzen schon längst nicht mehr allein da. Heinrich Sohnrey, einer seiner Gesinnungsgenossen, hatte bereits 1893 das Monatsblatt Das Land. Zeitschrift für die sozialen und volkstümlichen Angelegenheiten auf dem Lande gegründet, in dem er sich ebenfalls aktiv gegen die herrschende »Landflucht« und den »Volkstod« in den großen Städten wandte. Hugo Cowentz, ein anderer Hauptrepräsentant dieser Richtung, forderte daher 1898 im preußischen Abgeordnetenhaus, nach amerikanischem Vorbild auch in Deutschland große »Staatsparks« anzulegen, um damit wenigstens Teile der bedrohten Landschaft vor dem vernichtenden Zugriff der Industrie zu retten. 1904 brachte derselbe Cowentz ein Buch unter dem Titel Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung heraus. Wie Rudorff trat er auch hier noch einmal sowohl entschieden gegen die Auswüchse des modernen Massentourismus als auch die kapitalistische Herabwürdigung der Natur zur Ware auf den Plan. Noch deutlicher wurde Paul Schultze-­Naumburg in seiner Kritik an der fort119

Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins?

schreitenden Verschandelung der Natur, der 1901 in seinem Buch Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen erklärte: Die Industrie nahm ganze Länder in Beschlag und trug keinen anderen Gedanken, als nur in möglichst kurzer Zeit möglichst viele finanzielle Werte herauszuholen. Für das, was ohne Not und gedankenlos zerstört wurde, war kein Verlustkonto angelegt, und an die Möglichkeit, auch die Industrieanlagen schön und harmonisch zu gestalten, dachte man nicht. […] War diese Methode, die Landschaft zu gestalten, die einzig richtige und notwendige? Zwang das neue Wirtschaftswesen unausweichlich dazu, diese Wege einzuschlagen, oder wäre es möglich gewesen, neue Ziele und bewährte Methoden zu vereinigen? Trägt überhaupt die beginnende Verwüstung der landschaftlichen Schönheit zur Erhöhung der Erträgnisse bei, und steht nicht am Ende das allgemeine und nationale Wohl mit ihr im Widerspruch? Solche Zusammenhänge aufzudecken und die Tätigkeit des Menschen an der Umgestaltung der Erdoberfläche auf ihre wirtschaftlichen und ethischen Werte zu untersuchen, ist Zweck dieses Buches.17

Im Sinne solcher Thesen wurde Paul Schultze-­Naumburg in den folgenden Jahren nicht müde, in einer geradezu pausenlos erscheinenden Reihe von »Kulturarbeiten«, die fast alle beim Kunstwart-­Verlag erschienen, immer wieder auf die Entwürdigung der deutschen Landschaft durch Telefonleitungen, Stromkabel und Eisenbahntrassen sowie die zunehmende Verstraßung, Verschilderung und Verlärmung hinzuweisen, welche sich nur durch eine konsequente Restaurierung der ursprünglich agrarischen oder kleinstädtischen Zustände Deutschlands beseitigen lasse. Am deutlichsten kommt das in seinem Buch Die Entstellung unseres Landes (1905) zum Ausdruck, in dem Schultze-­Naumburg – im Gegensatz zur »Nüchternheit« der »kapitalistisch durchseuchten« Industriegesellschaft – die bäuerliche schlichte Art und Gemütlichkeit der Biedermeierzeit als Vorbild einer naturverbundenen Zukunft hinstellte. Erst durch die Vorherrschaft einer liberalistischen Ellbogenfreiheit und skrupellosen Gewinngier der Bodenspekulanten sei die deutsche Landschaft, wie er schrieb, im Laufe des späten 19. Jahrhunderts in Gefahr geraten, sich in »ein trostloses Allerweltschema zu verwandeln, das an Öde gewissen kalten, nüchternen Abstraktionen eines Gleichheits-­Zukunftsstaates« nicht nachstehe.18 Als im Jahr 1904 in Dresden der »Deutsche Bund Heimatschutz« gegründet wurde, an dessen Stiftung sich neben Ernst Rudorff auch Peter Rosegger, Heinrich Sohnrey, Wilhelm Bölsche und Friedrich Lienhard beteiligten, wählte man daher Paul Schultze-­Naumburg zum ersten Vorsitzenden dieses Bunds. Wie wir seinen Satzungen entnehmen können, sollte der Zweck dieser Vereinigung darin bestehen, »die deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigen120

Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

art zu schützen«, das heißt, neben der »Erhaltung der ländlichen und bäuerlichen Bauweise« vor allem für den »Schutz des Landschaftsbildes« und die »Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt« einzutreten.19 Dass sich solche Ziele nur gegen das herrschende Wirtschafts- und Sozialsystem durchsetzen ließen, war vielen Mitgliedern dieses Bunds durchaus bewusst.20 So erklärte etwa J. K. Fuchs in einem seiner Grundsatzreferate: »Es ist der Kampf gegen den rücksichtslos das Gewordene und seine Schönheiten zerstörenden Kapitalismus, der in letzter Linie bei allen Fragen des Heimatschutzes zugrunde liegt.«21 Doch die meisten dieser Heimatschützer waren idealistisch genug zu glauben, dass die Überwindung oder Einschränkung des Kapitalismus lediglich eine Sache des »guten Willens« sei. Darin sollten sie allerdings bald eines Besseren belehrt werden. Als nämlich dieser Bund kurz nach seiner Gründung eine Kampagne begann, mit der er den Bau eines Wasserkraftwerks bei Laufenburg am Rhein verhindern wollte, um den »malerischen Charakter« der dortigen Stromschnellen zu erhalten, stieß er sofort auf unüberwindliche Schwierigkeiten, ja, wurde von den zuständigen Firmen einfach als »antiquiert« belächelt. Als er dennoch nicht nachließ, auf weitere solcher Erhaltungsmanöver zu dringen, setzte der »Bund der Industriellen« im Jahr 1911 eine »Kommission zur Beseitigung der Auswüchse der Heimatkunstbestrebungen« ein, die solchen landschafts- oder naturschützenden Aktionen mit wirkungsvollen Kampagnen entgegentrat und sich dabei vor allem auf den unumgänglichen »Fortschritt«, die »Stärkung des Vaterlandes«, die »Notwendigkeit neuer Arbeitsplätze« usw. berief.22 Angesichts ihrer Wirkungslosigkeit blieb deshalb den meisten Mitgliedern der Heimatschutzbewegung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs nichts anderes übrig, als sich aufs Räsonieren und Lamentieren zu verlegen. Und zwar bedienten sie sich dabei einer doppelten, aber komplementären Strategie. Auf der einen Seite versuchten sie, wie viele Heimatkunstmaler seit den neunziger Jahren oder auch Heinrich Sohnrey und Ernst Löber in ihrem Buch Das Glück auf dem Lande (1906), den Bauern klarzumachen, wie gut sie es eigentlich hätten, mitten in der Natur wohnen und arbeiten zu können. Auf der anderen Seite stellten sie das Leben in den großen Städten als eine wahre »Hölle« hin, in der alles Gesunde, Natürliche notwendig verkümmere. Dementsprechend schrieb Carl Jentsch 1913 in seiner Volkswirtschaftslehre: Aus der grünen Landschaft wird der Mensch in die Steinwüste verbannt oder auf eine rauchende, stinkende, geschwärzte Schutthalde, und in eine solche wird die grüne Landschaft verwandelt. An die Stelle der Beschäftigung mit organischen Dingen, die jedem nicht verschrobenen Menschen eine Freude ist: Wiesenheu, Saaten, reifen Korn, Blumen, Früchten, Weinstöcken, Bäumen, Pferden, Rindvieh, Geflügel und anderen Tieren, Holz, tritt die mit unorganischen: Metallen, Kohlen, Chemikalien, von denen viele giftig, viele 121

Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins?

17  Otto Modersohn: Herbst im Moor (1895) widerwärtig für alle Sinne sind. An die Stelle der landwirtschaftlichen Beschäftigungen, die durch Mannigfaltigkeit erfreuen und für Leib und Seele schon darum gesund sind, weil sie in freier Luft und schöner Umgebung betrieben werden, an die Stelle der Handwerkarbeit, bei der sich die Individualität betätigen und zur Kunst erhoben werden kann, tritt die einförmige Bedienung der Maschinen.23 II

So viel zu den Hauptbefürwortern der Heimatschutzbestrebungen um 1900. Was dieser Bewegung in der sogenannten Heimatkunstliteratur des gleichen Zeitraums entspricht, ging weitgehend von denselben Prämissen aus, zumal viele ihrer Autoren in beiden Bewegungen aktiv waren. So wurde beispielsweise die führende Zeitschrift dieser Richtung Die Heimat im Jahr 1900 von Romanciers wie Adolf Bartels und Friedrich Lienhard mitbegründet. Auch die »Los von Berlin«-Bewegung, der sich viele Heimatschützer anschlossen, ging auf eine Schrift Lienhards, nämlich sein Manifest Die Vorherrschaft Berlins (1900), zurück. Wie bei den Natur- und Heimatschützern stand auch bei den Heimatschriftstellern dieser Ära fast immer der deutsche Bauer im Zentrum ihrer Programme und Erklärungen. Auch sie verfluchten einerseits den entwürdigenden, ja, entmenschenden Charakter der großen Städte und priesen andererseits die einfachen Freuden des ländlichen Lebens. Und zwar bedienten sie sich dabei fast ausschließlich des Romans, in dem sie zu Recht 122

Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

die einzig wahrhaft populäre Literaturgattung sahen, während ihnen Formen wie das Drama, das Epos und die Lyrik als zu elitär und damit ineffektiv erschienen. Auf diese Weise kam es seit den späten neunziger Jahren, genauer seit dem Jahr 1897, zu einer merklich anschwellenden Flut von Heimat- oder Bauernromanen,24 die in den vorhergehenden Jahrzehnten eine relativ untergeordnete Rolle gespielt hatten. Zu ihren Hauptvertretern zählten damals vor allem Autoren wie Adolf Bartels, Paul Ernst, Heinrich Federer, Gorch Fock, Gustav Frenssen, Jakob Christoph Heer, Hermann Hesse, Paul Keller, Timm Kröger, Hermann Löns, Wilhelm von Polenz, Peter Rosegger, Jakob Schaffner, Heinrich Sohnrey, Hermann Stehr, Rudolf Stratz , Emil Strauß, Lulu von Strauß und Torney, Clara Viebig, Helene Voigt-­Diederichs, Ernst Zahn und Hanns von Zobeltitz. Ihre Romane wurden von den Wortführern dieser Bewegung – nach der, wie sie es nannten, großstädtischen »Renommisterei« der gründerzeitlichen Parvenüliteratur, den naturalistischen »Entgleisungen« ins Schmutzige und Bordellhafte sowie der westlich-­internationalistischen »Dekadenz« der impressionistisch-­symbolistischen Literatur – geradezu überschwänglich als die wichtigsten Manifestationen einer tief greifenden Rückbesinnung auf Gesundes, Schollenverbundenes, Bäuerliches und damit wahrhaft Deutsches hochgejubelt. »Die Bauern in der Literatur, die Bauern in der Kunst«, schrieb Michael Georg Conrad, ein vom Naturalismus zur Heimatkunst bekehrter Autor, im Jahr 1902 emphatisch, »damit hebt allemal ein neuer Geistesfrühling an«.25 Etwas genauer betrachtet war jedoch diese Bewegung gar nicht so einheitlich, wie sie sich selbst gern hinstellte. Da gab es Erzählungen wie Leute eigener Art (1904) von Timm Kröger, denen ein eindeutig nostalgischer Zug zugrunde lag, der fast an Theodor Storm und den späten Wilhelm Raabe erinnerte; da gab es Romane wie Peter Camenzind (1904) von Hermann Hesse, in dem sich ein hochgebildeter Städter im Verlauf einer komplizierten Konversion entschließt, alles »Moderne« hinter sich zu lassen und Zuflucht in der Einfachheit des ländlichen Lebens zu suchen; da gab es dystopische Werke wie den Roman Planetenfeuer (1899) von Max Haushofer, wo die großstädtische Bevölkerung nach Jahrzehnten einer sozial-­liberalen Koalition, in denen sie erschlafft, das heißt, drogensüchtig und gebärfaul wird, durch einen mörderischen Kometenregen wieder einen Sinn für Instinktives, Natürliches, Deutsch-­Bäuerliches bekommt;26 da gab es Romane wie den Zukunftsroman Der Golfstrom (1913) von Hans Ludwig Rosegger, in denen ein solcher Umschwung aus dem Großstädtisch-­Dekadenten ins Bäuerlich-­Rassebewusste durch eine neue Eiszeit ausgelöst wird; da gab es Romane wie den Wehrwolf (1910) von Hermann Löns, worin das Hohelied des bäuerlichen Kampfeswillen gegen fremdländliche Marodeure im Dreißigjährigen Krieg gesungen wird; da gab es Romane wie Die Dithmarscher (1898) von Adolf Bartels, in denen die freien Friesen – nach alter »germanischer« 123

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18  Fritz Boehle: Selbstbildnis als Bauer (1901)

Tradition – ihre Unabhängigkeit gegen eindringende dänische Ritter verteidigen; da gab es Romane wie Jörn Uhl (1901) von Gustav Frenssen, in dem die scholleverbundenen Uhlen mit den modernistisch gesinnten, landflüchtigen und geschäftstüchtigen Kreyen konfrontiert werden usw. Falls sich in diesen Werken überhaupt durchgehende Züge finden, so wären das folgende: Wie schon in den Proklamationen eines Wilhelm Heinrich Riehl und der späteren Heimatschutzbewegung ist in ihnen die Ursache allen Übels stets der »Moloch Großstadt«, während Natürliches und Gesundes von vornherein mit den Grundwerten des Bäuerlichen gleichgesetzt werden. Die positiven Helden dieser Romane sind daher fast alle Bauern, das heißt Menschen aus altem Schrot und Korn, mit mystischen Einsichten begnadete Spökenkieker, an der Scholle hängende 124

Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

Erbsassen oder andere mit den »Gesetzen der Natur« in Übereinstimmung lebende Landleute, die dem Ungeist des Kapitalismus – und mag er sich noch so verführerisch, ja, gleisnerisch geben – mit tiefem Misstrauen entgegentreten und sich nicht verlocken lassen, ihren Ackerboden als bloße »Ware« zu behandeln, mit anderen Worten: das ihnen anvertraute Land zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Ihnen gegenüber stehen fast immer jene großstädtischen Händlertypen und Geschäftemacher, denen der marktwirtschaftliche Ungeist des Schacherns, Handelns und Betrügens bereits völlig in Fleisch und Blut übergegangen ist. Solche Typen werden deshalb fast durchgehend als »Fremde« hingestellt, die sich nicht entblöden, selbst die übelsten Moden und Tricks des kapitalistischen Auslands nach Deutschland einzuschleppen, um den »armen Bauern« verlogen-­lockende Bilder eines bequemen Großstadtlebens vorzugaukeln. Und so läuft – wie in vielen Manifesten der Heimatschutzbewegung – auch in diesen Romanen fast alles auf die Formel »deutsch gleich schollebewusst, undeutsch gleich kapitalistisch« hinaus. III

Kommen wir zu Resultaten. Fast alle diese Manifeste, Erklärungen und Romane sind zwar im heutigen Sinne noch nicht ökologiebewusst, das heißt, gehen nicht ausdrücklich von der Einsicht in die notwendige Interdependenz des Menschen mit seinen natürlichen Mitweltbedingungen aus, tendieren aber schon in diese Richtung. Allerdings wird dabei der »grüne« Kern ihrer ideologischen Entwürfe, Lamentationen oder Appelle noch weitgehend von zwei anderen ideologischen Formationen überlagert: einer ästhetischen und einer nationalistischen. Hüten wir uns dennoch – angesichts der fortschreitenden Zerstörung unserer Umwelt, welche bereits in 50 bis 60 Jahren den Zustand des Irreversiblen erreicht haben könnte –, die eine, die ästhetische, nur als lächerlich oder gar sentimental und die andere, die nationalistische, lediglich als reaktionär oder gar präfaschistisch hinzustellen. Solche einseitigen Ableitungen sollten sich inzwischen überholt haben. Beginnen wir mit dem ästhetischen Aspekt. Jene »Schönheit der Natur«, von der nicht nur Ernst Rudorff, sondern auch ein antistädtisch gesinnter Sozialist wie William Morris in seinem utopischen Roman News from Nowhere (1891) schwärmte, war damals noch ein sozialrevolutionäres Konzept und ist es für viele – in ihrem Kampf gegen kommerzielle Verramschung und Verseuchung unserer Umwelt – bis heute geblieben. Schließlich könnte sich eine neue »Schönheit« – ob nun in der Natur oder den Städten – nur dann entfalten, wenn es wieder einen sozialen Gesamtwillen gäbe, wenn innerhalb der allgemeinen Verfreiheitlichung des Lebens erneut ein Sinn für »Ordnung« im Gefolge Ernst Blochs entstände, das heißt, wenn man den Begriff »Heile Welt« nicht mehr als einen ausschließlich »negativ besetzten«, also 125

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adornistischen, sondern auch als einen positiven Wertbegriff schlechthin empfinden würde. Doch das ist ein »weites Feld«, das hier nicht weiter beackert werden soll. Ähnliches gilt für die nationalistische Komponente in den Programmen der deutschen Heimatschützer sowie den Romanen der deutschen Heimatschriftsteller um 1900. Sie ist zwar manchmal recht penetrant und leitet in ihren chauvinistischen und rassistischen Tendenzen unmittelbar zum deutschen Faschismus nach 1933 über, den sowohl Adolf Bartels als auch Gustav Frenssen und Paul Schultze-­Naumburg aktiv befördert und unterstützt haben. Aber selbst ihr nationales Bewusstsein sollte man nicht allein ideologiekritisch entlarven, das heißt auf seine präfaschistischen Elemente reduzieren und dann als eindeutig »negativ« verwerfen. Schließlich steckte in dieser Bauernverkultung ein, wenn auch arg ins Nationalistische depraviertes soziales Gewissen, das einige – unter naturerhaltender Perspektive betrachtet – durchaus positive Züge aufweist. Jedenfalls hebt es sich wohltuend von jener liberalistisch-­ impressionistischen Ideologie der Jahrhundertwende ab, die sich – im Zuge einer gewaltig angekurbelten wirtschaftlichen Hochkonjunktur – fast ausschließlich zu »Werten« wie intensivierter Reizsamkeit, solipsistischer Subjektivität, konsumistischer Bedürfnissteigerung, luxurierender Erotik, sinnlos schweifender Mobilität, ja, großbürgerlicher Verschwendungssucht bekannte. Während in diesem Umkreis fast ausschließlich von den gesteigerten Bedürfnissen der internationalistisch orientierten Creme der Gesellschaft, also den »oberen Zehntausend«, die Rede war,27 blieb im Rahmen der Heimatkunstbewegung ein zum Teil bäuerliches, zum Teil kleinbürgerliches Bescheidungsethos oder soziales Kollektivbewusstsein erhalten, das die sogenannte Dritte Sache nicht von vornherein der Ersten Sache zum Opfer brachte. Man könnte also fast umgekehrt zur bisherigen Einschätzung dieses Phänomens sagen: Gerade da, wo diese Bewegung ins Nationale, das heißt Gesamtgesellschaftliche und damit Verantwortungsbewusste, tendierte, kamen – im Sinne des Thomas Mann’schen Doktor Faustus – in ihren problematischen Absichten zugleich ihre besten Tendenzen zum Durchbruch. Schließlich waren es oft jene Autoren, die lange Zeit als ausschließlich »reaktionär«, wenn nicht gar »verwerflich« galten, die im Rahmen ihrer Rückwendung zu bäuerlichen oder nationalistischen Wertvorstellungen um die Jahrhundertwende als die schärfsten Gegner der kapitalistisch-­industriellen Skrupellosigkeit im Umgang mit Mensch und Natur auftraten. So pries Adolf Bartels in seinem Buch Der Bauer in der deutschen Vergangenheit (1900) nicht allein den »ewigen Bauern« als Vorbild ursprünglicher Menschlichkeit an, sondern wandte sich zugleich vehement gegen jenen »industriellen Radikalismus«, der sich zum gefährlichsten Feind des deutschen Volkes entwickelt habe.28 Ja, kurze Zeit später schrieb derselbe Bartels im Sinne einer Ideologie, die sich um 1900 als »Fortschrittliche Reaktion« verstand: »An Telegraphen, 126

Das »Heimatschutz«-Konzept um 1900

Eisenbahnen, Dampfschiffe, elektrisches Licht, Börsenpapiere glauben wir allerdings nicht, sondern halten die Leute, die das tun, für reaktionär.«29 Ähnliche Äußerungen finden sich bei Hermann Löns, der 1911 empört beteuerte, dass der bisherige »Naturschutz« weitgehend »Pritzelkram« geblieben sei, das heißt, aufgrund seiner unterprivilegierten Stellung in der Gesellschaft lediglich »en detail« arbeiten konnte, während man den kapitalistischen Naturverhunzern von Staats wegen alle Möglichkeiten eingeräumt habe, »en gros« vorzugehen und damit zu einer »grauenhafteren Verschandelung der deutschen Landschaft« beizutragen.30 Andere Heimatschützer zogen in diesen Jahren in hellsichtiger Zukunftsbesorgtheit sogar noch schärfer gegen die »nimmermüde Hydra Kapitalismus« zu Felde und verwarfen sowohl die maßlose »Verschwendung der natürlichen Rohstoffe«, die »Abgase der Automobile«, den »steigenden Energieverbrauch« als auch die mangelhafte »Müllverwertung«, um so einen möglichen »Temperaturanstieg« zu verhindern.31 Solche Statements sind sicher die bemerkenswertesten und zugleich »grünsten« innerhalb dieser Literatur, da sie unter »Heimat« nicht allein etwas Malerisches oder Chauvinistisches verstanden, sondern zum Kern der Sache vorstießen, nämlich zu den sozioökonomischen Ursachen der verheerenden Auswüchse der fortschreitenden Industrialisierung. Dass Erklärungen dieser Art vor 1914 lediglich bei bisher als reaktionär oder präfaschistisch eingestuften Autoren und nicht bei gut- oder bestbürgerlichen Liberalen zu finden sind, die allein auf die Erweiterung ihrer ohnehin schon beachtlichen Privilegien bedacht waren, sollte uns zu denken geben. Eine grüne und damit ökologische Besorgtheit erwächst nun einmal nur aus einem sozialen Bewusstsein und nicht aus Ideologien, die ausschließlich den »subjektiven Faktor« herausstreichen. Und dies ist eine Tatsache, für welche selbst die in vielem höchst problematische Heimatkunst um 1900 ein lehrreiches Exempel liefert. Sie zeigt uns, dass ein soziales Gewissen lediglich aus einer verstärkten Mitweltgesinnung und damit einem Mitverantwortungsbewusstsein hervorgehen kann, während viele der subjektivistischen Ideologien in diesem Punkte oft einen blinden Fleck aufweisen.32

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Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion? Nazifaschistische Zukunftskonzepte

Immer dann, wenn politische Systeme stagnieren, einen Krisenpunkt erreichen oder gar von der Mehrheit der Bevölkerung als unerträglich empfunden werden, taucht die Frage nach einem anderen, besseren Staat auf. Als Wege, aus der bestehenden Misere herauszukommen, bieten sich hierbei drei Möglichkeiten an: l. der Entwurf einer die gegebene Situation weit überbietenden und damit noch nie da gewesenen Gesellschaftsform, kurz: einer Utopie, die auf einem besseren Gleichgewicht von »Freiheit und Ordnung« beruht als der als Hemmschuh empfundene eigene Staat, 2. die Reform des bestehenden Systems im Sinne einer Abänderung oder auch Beseitigung bestimmter, durch die sozioökonomische Entwicklung anachronistisch gewordener politischer Restriktionen oder 3. der Rückgriff auf bereits in der Vergangenheit erreichte Stufen der staatlichen Organisation, die im Zuge einer fehlgeleiteten Entwicklung allmählich degeneriert sind. Allerdings kann Letzteres – im Gegenzug dazu – manchmal zu einem regressiven, ja, zyklischen Denken führen, das selbst vor Wiederbelebungsversuchen des Mythischen, Archaischen, Vorzeitlichen nicht zurückschreckt, obwohl dieser Rückgriff in der gesellschaftlichen Praxis meist nur den Zweck verfolgt, die Aufrechterhaltung bereits obsolet gewordener Herrschafts- und Ausbeutungstaktiken zu verschleiern. War der deutsche Faschismus, um gleich in medias res zu gehen, im Hinblick auf diese Dreiteilung eine Utopie, eine Reform oder eine Regression zum Mythos? So leicht sich diese Frage stellt, so schwer ist sie zu beantworten. Genau betrachtet war er weder das Erste noch das Zweite noch das Dritte, sondern versuchte in seine Staatsordnung Elemente aus allen Dreien dieser Veränderungskonzepte zu inkorporieren. Er war Utopie, indem er einen anderen, besseren Staat, ein »Tausendjähriges Reich«, ein Land herrlichster Grünflächen und architektonischer Großleistungen anvisierte.1 Er war Reform, indem er trotz aller hochtönenden Umsturzphrasen weitgehend mit den bestehenden Mächten – dem Großkapital, den Staatskirchen und der Reichswehr – paktierte und seine Änderungen auf andere Gesellschaftsbereiche begrenzte. Und er war Regression ins Archaische, zu »Blut und Boden«, indem er die »rassische Aufnordung« des deutschen Volkes zu seinem obersten ideologischen Leitziel erhob. Doch genau besehen war der deutsche Faschismus letztlich nichts von alledem: weder Utopie noch Reform oder Regression ins Archaische. Er besaß 129

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

überhaupt keine konkrete, klar umrissene, kohärente Ideologie, jedenfalls nicht im Sinne klassischer Ideologien wie der des Liberalismus oder des Marxismus, sondern stellte lediglich ein Sammelbecken verschiedenster mittelständischer Ressentiments gegen oben und unten, moralischer Frustrierungen und daraus entspringender, ans Größenwahnsinnige grenzender Überlegenheitsgefühle dar, die er zum Zwecke der Machtgewinnung und Machterhaltung als die legitimen Sehnsüchte eines immer wieder um seine innere Einheit und äußere Größe betrogenen Volkes ausgab, dem nach vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten endlich der ihm gebührende Platz an der Sonne sowie die Bewunderung seiner vielfältigen Leistungen durch alle anderen Nationen auf der Erde zustehe. Mit solchen Parolen appellierte der deutsche Faschismus höchst geschickt an jene nationalen Sehnsüchte, die seit dem frühen 19. Jahrhundert immer wieder unerfüllt geblieben waren und endlich nach politischer Verwirklichung drängten. Schließlich war der Traum eines nationalen Einheitsstaates und damit einer anderen, besseren Gesellschaftsordnung in Deutschland weder im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation noch in den Befreiungskriegen von 1812 bis 1815, in der Revolution von 1848/49, ja, nicht einmal im Bismarckreich von 1871 verwirklicht worden, in dem sich dieser Traum zwar erfüllte, aber falsch erfüllte, nämlich in Form eines durch einen geschickten Coup von oben herbeigeführten, von Preußen dominierten kleindeutschen Reichs, das keineswegs dem Wunschbild jenes deutschen Staats entsprach, von dem die Romantiker, die Befreiungskrieger, die Burschenschaftler, die Achtundvierziger-­Demokraten oder die Nationalliberalen der Nachmärzära geträumt hatten. Und so blieb es auch im Zweiten Reich bei einem eklatanten Widerspruch zwischen autoritärer Kaiser- und Kanzlerherrschaft auf der einen sowie einer Völkischen Opposition auf der anderen Seite, deren nationale Sehnsüchte selbst durch die schnell anwachsende ökonomische Stärke, durch die Deutschland 1913 an die zweite Stelle in der Weltrangliste der Industrienationen der Welt rückte, nicht befriedigt wurden. Im Gegenteil, dieser wirtschaftliche Machtzuwachs und die damit verbundene Modernisierung des Lebens verstärkten in manchen Bevölkerungsschichten lediglich ein neuromantisches Streben nach einer verstärkten »Reichsbeseelung«, wie sie es nannten, das sich immer stärker an der Ideologie einer »Fortschrittlichen Reaktion« berauschte, die auch das Älteste und Fernste zur Legitimierung ihrer nach wahrer »Deutschheit« lechzenden Sehnsüchte aufbot.2 Es waren daher diese Kreise, zu denen unter anderem Organisationen wie der »Alldeutsche Verband« gehörten,3 welche bereits zwischen 1900 und 1910 das Zweite Reich nur als ein vorübergehendes Zwischenreich hinstellten und ihre politischen Hoffnungen schon in diesem Zeitraum auf irgendein wahrhaft nationalbewusstes Drittes Reich setzten. 130

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

Alle diese Widersprüche spitzten sich im Ersten Weltkrieg und dann in der Weimarer Republik geradezu von Jahr zu Jahr zu. Die Deutschgesinnten, welche in der Novemberrevolution lediglich einen internationalistischen, jüdisch-­bolschewistischen Anschlag auf die selbst durch den Krieg ungebrochene Größe Deutschlands erblickten, wurden deshalb nach 1919 nicht müde, unentwegt von den »Novemberverbrechern« und der »Versailler Schmach« zu sprechen, das heißt, sich in den Dienst der von Paul von Hindenburg ausgegebenen Dolchstoßlegende zu stellen und die neue Regierung wegen der Einhaltung der unpopulären Reparationszahlungen einer schmählichen »Erfüllungspolitik« zu bezichtigen, durch die Deutschland immer tiefer in einen Morast grenzenloser Ohnmacht, Erniedrigung und Armut versinke. Und die Inflation, die Schließung vieler Unternehmen sowie die wachsende Zahl der Arbeitslosen schien diesen Schichten zwischen 1919 und 1923 durchaus Recht zu geben. Jedenfalls verbreitete sich in diesen Jahren eine völkische Gesinnung, die nicht nur in den Aktivitäten der Freikorps und Adolf Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle, sondern auch vielen anderen nationalen Aktivitäten zum Ausdruck kam und sogar in der Ära der sogenannten »relativen Stabilisierung«, also zwischen 1923 und 1929, nicht ganz abebbte.4 Auch in diesen Jahren hatten breite Bevölkerungsschichten das Gefühl, in einer krisenanfälligen Formaldemokratie, also einem staatlichen Rahmengebilde zu leben, dessen einziger Zweck darin bestehe, dem persönlichen Bereicherungsstreben der wirtschaftlich Stärkeren so wenige Schranken wie nur möglich entgegenzusetzen. All jene, die noch immer nicht die Sehnsucht nach einem anderen, besseren, wahrhaft »deutschen« Deutschland aufgegeben hatten, empfanden eine solche Gesinnung als einen amerikanisierten, das heißt fordistischen Wirtschaftsliberalismus ohne irgendwelche tieferen weltanschaulichen Wertvorstellungen. Als daher im Oktober 1929 die große Weltwirtschaftskrise ausbrach, fühlten sich nicht nur die Kommunisten bestätigt, nämlich dass jede kapitalistische Wirtschaftsordnung von Zeit zu Zeit in zyklisch bedingte Schwierigkeiten geraten muss, sondern auch die national fühlenden Schichten, allen voran die alten Völkischen sowie die neu hinzugekommenen Nazifaschisten. Und so stieg die Zahl der Reichstagsabgeordneten der NSDAP bei den berühmt-­berüchtigten Septemberwahlen des Jahres 1930 von 12 auf 107 an. Dies war der größte Stimmenzuwachs, den je eine deutsche Partei im 20. Jahrhundert bei einer überregionalen Wahl für sich verbuchen konnte. Ja, bei den Wahlen vom 31. Juli 1932 gelang es der NSDAP angesichts der allgemeinen Krisenstimmung, die Zahl ihrer Sitze noch einmal höchst dramatisch von 107 auf 230 zu steigern. Es wäre töricht, in diesen Wahlsiegen nur einen persönlichen Erfolg Adolf Hitlers, als des unumschränkten Führers dieser Partei, sehen zu wollen. Der Nationalsozialismus war kein Hitlerismus, wie später wiederholt behauptet worden ist,5 sondern 131

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

eine aus der alten Völkischen Opposition hervorgegangene Bewegung, welche die seit Langem bestehenden Sehnsüchte nach einem anderen, besseren und zugleich deutscheren Staat propagandistisch am geschicktesten auszuschlachten verstand und zugleich ihre eigenen Widersprüche, nämlich die zwischen den im Kapitalismus verankerten Eigentumsvorstellungen und einem spezifisch »völkischen« Gemeinschaftsdenken auf eine besonders raffinierte Weise zu übertünchen wusste – was Hitler von Seiten seiner Gegner schon damals den Spitznamen des großen »Anstreichers« eintrug.6 Über die Art und Weise, wie sich Hitler die Grundzüge seiner »Weltanschauung« angeeignet hat und wie er sie – den jeweiligen Zwecken entsprechend – politisch zu instrumentalisieren verstand, sind wir inzwischen aufgrund vieler Einzelstudien bestens informiert.7 Immer wieder hat man herausgearbeitet, wie viel der junge Hitler Wiener Antisemiten wie Adolf Lanz von Liebenfels, Guido von List, Karl Lueger und Georg von Schönerer verdankte, wie wichtig das »völkische« Fronterlebnis für ihn war, wie gierig er die Lehren des Sozialdarwinismus in sich aufgesogen hatte, wie sehr er Rassisten wie Arthur de Gobineau und Houston Stewart Chamberlain verehrte, wie einflussreich in den Jahren zwischen 1919 und 1923 Männer wie Dietrich Eckart und Gottfried Feder auf ihn waren usw. Was Hitler in seinen frühen Reden, also in den Jahren 1922 und 1923, besonders deutlich herausstrich, wenn er auf seinen Traum eines anderen, besseren Deutschlands zu sprechen kam, war – angesichts der durch die unmäßigen Reparationsforderungen, die vielen Gebietsabtretungen sowie den Verlust an Bodenschätzen ausgelösten ökonomischen Krise, die zu einer Inflation größten Ausmaßes geführt hatte – meist die vulgärdarwinistisch-­antikapitalistische Komponente seiner »Weltanschauung«, indem er die Hauptschuld an der herrschenden Misere dem »überstaatlichen Kapital«, den »Banken und Börsen« und damit den Befürwortern der »Zinsknechtschaft« in die Schuhe schob.8 Die Hintermänner dieses Systems, erklärte er geradezu unentwegt, seien fast ausschließlich jene ehrvergessenen, niederträchtigen Finanzjuden, die überhaupt keinen Sinn für irgendwelche nationalen Eigenheiten hätten, ja, im Gegenteil alle Völker in ein allgemeines Rassenchaos zu stürzen versuchten, um so – im Sinne der angeblichen Protokolle der Weisen von Zion, die 1919 erstmals in Deutschland erschienen waren – ihrem Ziel einer jüdischen Weltherrschaft näherzukommen. Und daraus leitete Hitler in seinen Reden die Forderung ab, dass das deutsche Volk erst dann wieder stark, selbstsicher und glücklich werde, wenn es sich entschließen würde, diesen Schmarotzern ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Weiter ausgeführt hat Hitler dieses Programm dann in seinem Bekenntnisbuch Mein Kampf (1925 – 1927). Hier verband er den Antisemitismus allerdings immer stärker mit Ausfällen gegen den Marxismus, den er ebenfalls als eine Ausgeburt des132

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

selben jüdischen Geistes, das heißt, als ein Instrument der gleichen sinistren Weltherrschaftspläne hinzustellen versuchte. Als sein eigenes politisches Telos strich Hitler dabei immer massiver jenen alle anderen Völker übertreffenden »Germanischen Staat deutscher Nation« heraus,9 in dem die »Erhaltung und Förderung des unverletzt gebliebenen edelsten Bestandteils unseres Volks«, also des nordisch-­arischen Rassekerns, im Vordergrund stehen müsse.10 Um einen solchen Staat herbeizuführen, wurde in diesem Buch eine Rassenhygiene und Rassenveredlung propagiert, die weit über bloße biologische Selektionsprinzipien hinausging und auch Antriebsmotoren wie Tatkraft, Entschlussfreudigkeit, menschliche Härte, Beseitigung der bisherigen Klassenbarrieren oder ähnlich geartete Ziele und Maßnahmen in ihren Dienst zu stellen versuchte, um so an die Stelle der »derzeitigen realen Republik«, in der lediglich ein materialistisch ausgerichteter Egoismus herrsche, ein »ideales Reich« zu setzen, dessen Haupttendenz eine »verzichtfreudige Opferbereitschaft« zugunsten höherer Werte sein müsse.11 Außer rassenhygienischen und bildungspolitischen Maßnahmen fasste er hierbei als politische Voraussetzung eines solchen neuen Reichs – neben der Beseitigung der »Schmach von Versailles« – eine aktive »Ostpolitik« ins Auge, um nicht nur die Gefahr des Bolschewismus zu beseitigen, sondern zugleich dem deutschen Volk »durch die Erwerbung der notwendigen Scholle« den längst nötigen Siedlungsraum zu geben und es endlich autark, das heißt unabhängig von den Schwankungen der sogenannten Weltwirtschaft, zu machen.12 Etwas anders setzte dagegen Hitler seine Akzente, als er sich zwischen 1930 und 1933 zusehends jener Schicht der deutschen Großindustriellen zuwandte, die er in Anlehnung an Henry Ford im Gegensatz zu den Vertretern des jüdisch-­raffenden Kapitals als die Vertreter des arisch-­schaffenden Kapitals herausstrich, um sie für seine Herrschaftspläne zu gewinnen. Das belegt wohl am besten die bekannte Rede Hitlers vom 27. Januar 1932 vor westdeutschen Industriellen in Düsseldorf, in der er seine Vorstellungen eines zutiefst nationalen Empfindens sowie der Wichtigkeit starker Führerpersönlichkeiten mit den imperialistischen Zielen des deutschen Großkapitals und der über es verfügenden Konzernherren in Einklang zu bringen versuchte, indem er den Konkurrenzkampf der einzelnen Industriezweige mit dem Konkurrenzkampf der verschiedenen Nationen gleichsetzte und auf vulgärdarwinistische Weise auf die gleichen in der Natur vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten (Ausleseprinzip, Recht des Stärkeren usw.) zurückführte. »Es ist ein Widersinn«, erklärte Hitler in dieser Rede, »wirtschaftlich das Leben auf den Gedanken des Persönlichkeitswertes« zu setzen, dann jedoch »diese Autorität zu leugnen und das Gesetz der größeren Zahl, der Demokratie, an dessen Stelle zu schieben«.13 In beiden, in Politik und Wirtschaft, behauptete er, müsse wieder die »Ausübung des absoluten Herrenrechts und Herrensinns« treten, für die sich allerdings nur jene nordisch gearteten 133

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Menschen eigneten, in denen sich diejenigen »arischen Rassebestandteile« erhalten hätten, durch die »unser Volk und unser Staat« überhaupt erst entstanden seien.14 Nur durch eine Rückbesinnung auf solche Herrenmenschenideale werde man auch mit der strukturellen Krise des Kapitalismus fertig werden, betonte Hitler in diesen Jahren immer wieder, die zu zyklisch bedingten Konjunkturschwankungen, einer fortschreitenden Rationalisierung und damit wachsenden Anzahl Arbeitsloser geführt habe. All dies seien Krisenerscheinungen der modernen Industrialisierung, der man mit den Mitteln des Kapitalismus allein nicht beikommen könne, sondern zu deren Lösung es einer mit den Großindustriellen gleichgeschalteten politischen Führungsschicht bedürfe. Nur eine solche Schicht, erklärte Hitler, werde fähig sein, durch eine imperialistische Expansion nach Osten sowohl neue Rohstoffquellen zu erschließen als auch den gegenwärtigen Arbeitslosen die dringend notwendigen Siedlungsräume zu schaffen und sie damit vor der Anfälligkeit dem Bolschewismus gegenüber zu bewahren. Was also Hitler seinen Anhängern, ob nun den Großindustriellen, dem bürgerlichen Mittelstand und den durch die Weltwirtschaftskrise arbeitslos gewordenen Proletariern als Zukunftsvision eines anderen, besseren Deutschlands zwischen 1930 und 1933 anbot, war der Traum eines großgermanischen Dritten Reichs, in dem sich jeder Mensch, auch der Geringste, wieder als vollwertiger Volksgenosse fühlen könne. Im Gegensatz zur KPD dieser Jahre, die ihren Anhängern weitgehend die UdSSR als leuchtendes Vorbild entgegenhielt, stellten also die Nazifaschisten in altbewährter Manier den durch den Friedensvertrag zu Versailles mit seinen vielen Gebietsabtretungen in ihrer nationalen Identität reichlich »beschädigten« Deutschen nicht irgendwelche fremden, sondern die effektivsten Verhaltensmuster ihres eigenen Volks als vorbildlich hin. Und zwar boten sie hierbei gegen die drohende Gefahr der Bolschewisierung Deutschlands geradezu alles auf, was sich für solche Zwecke an völkischen Überlegenheitsgefühlen mobilisieren ließ. Auf diese Weise landeten sie bei Staatskonzepten, bei denen sich, wie gesagt, die utopischen, reformistischen, realpolitischen oder ins Mythische regredierenden Vorstellungen kaum auseinanderhalten lassen. Wohin man in diesen Jahren auch schaut, in allen nazifaschistischen Schriften wimmelte es nur so von Widersprüchen zwischen revolutionären und reaktionären, proletarischen und kapitalistischen, religiösen und atheistischen, modernistischen und traditionellen Gesichtspunkten, bei denen vor allem der Widerspruch zwischen einem futuristischen Technizismus und einer archaischen Bauernverkultung ins Auge sticht. Und doch wurden diese offenkundigen Antinomien nie als unüberbrückbare Gegensätze hingestellt, sondern stets mit allgemeinsten Konzepten einer völkisch-­blutsmäßigen Verbundenheit, eines untrennbaren Ineinanders von Führer und Volk sowie einer Gleichwertigkeit der Arbeiter der Faust und der 134

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

Arbeiter der Stirn überblendet und die trotzdem weiter bestehenden Widersprüche einfach auf irrationalistische Weise als Ausdruck des inneren Reichtums oder der Tiefe des deutschen Wesens hingestellt, das nun einmal wegen seiner faustischen Grundstruktur dualistisch angelegt sei, während sich die Wesensart aller anderen Völker im Eindimensionalen erschöpfe. Im Sinne einer solchen Instrumentalisierung aller Ideologien ins Nazifaschistische ließ sich Hitler auch in den Jahren nach 1933, als ihm endlich die Macht übertragen wurde, auf keine klar umrissene Ideologie festlegen. Als guter Realpolitiker schlug er 1933/34 sowohl die linksfaschistischen Tendenzen innerhalb der SA als auch die rechtsfaschistischen Tendenzen innerhalb der alten Völkischen, Deutschchristen, Germanenkultler, Wotananhänger usw. nieder und paktierte erst einmal mit den bestehenden Mächten: dem Großkapital, den Staatskirchen und der Reichswehr. Was dabei Taktik und was dabei realpolitische Einsicht war, lässt sich im Einzelnen kaum auseinanderdividieren. Es fällt überhaupt schwer, innerhalb der sich geradezu überstürzenden nazifaschistischen Publikationen dieser Jahre zwischen bloßer Propaganda, realpolitischen Nahzielen, ehrlich gemeinten Reformen sowie wahnwitzigen Fernzielen einer rassischen Umzüchtung des deutschen Volkes klare Trennungslinien zu ziehen. Letztlich hing hier alles mit allem zusammen, das heißt, wurde so stark ins Nationale, ja, Chauvinistische kanalisiert, bis aus scheinbaren Widersprüchen schließlich machtpolitische Integrationskonzepte wurden, die alle nur einen Zweck verfolgten, nämlich sämtliche Volksgenossen und Volksgenossinnen in die gleiche Richtung zu drängen und ihnen eine Weltanschauung zu vermitteln, welche den an sie Glaubenden gerade durch ihren entsagungsvollen Dienst am »Reich« ein neues Erwähltheitsbewusstsein verleihen sollte. Für die ideologischen Hauptvertreter der NSDAP waren daher selbst Konzepte wie Elite und Volksgemeinschaft, Krieg und Frieden, Patriarchat und Matriarchat, tausendjähriges Reich und ewiger Kampf ums Dasein, Religion und Atheismus, Bauerntum und Technikkult, Idealismus und Darwinismus, Gesetzmäßigkeit und Willkürherrschaft, Führer und Volk keine unüberwindbaren Gegensätze,15 sondern sich wechselseitig komplementierende, ja, dialektisch aufeinander bezogene zwei Seiten der gleichen Medaille. Von ein paar Kernpunkten, wie dem Antisemitismus und der Eroberung neuen Lebensraums, einmal abgesehen, die sich fast in allen NS -Publikationen finden, ging es ihnen nicht um die Formierung einer logisch-­ kohärenten Weltanschauung, sondern in erster Linie um die Herausbildung einer emotional-­effektiven Strategie. Und zu diesem Zweck war den Nazifaschisten jedes Mittel recht. Es wäre daher kurzschlüssig, in ihren Ideologiekonglomeraten ein genau geplantes, durchstrukturiertes »System« entdecken zu wollen. Ihre Weltanschauung war letztlich ein System der Systemlosigkeit. Nichts lag Hitler ferner, als das Deut135

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

sche Reich in einen nationalsozialistischen Rechtsstaat zu verwandeln, in dem jeder genau gewusst hätte, woran er sich halten solle. Im Gegenteil, Hitler wollte sicher sein, in jedem Augenblick seiner Herrschaft das Recht zu haben, höchstpersönlich in das politische, ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Leben eingreifen zu können. Aus diesem Grund verfuhr er organisatorisch stets nach dem Prinzip des »divide et impera«, indem er zwar Teile seiner Macht an einzelne Organisationen delegierte, jedoch diese Organisationen nie zu mächtig werden ließ. Und so blieb es innerhalb der Nazipropaganda stets bei einem wohlkalkulierten Widerspruch zwischen traditionalistischen und revolutionären, total verlogenen und tödlich ernst gemeinten, exoterischen und esoterischen Elementen, die sich nur mit einer Fülle rhetorischer Winkelzüge auf einen gemeinsamen Nenner bringen ließen. Wenn man die hochtönenden Verlautbarungen Hitlers und seiner Anhänger heutzutage liest, fragt man sich unwillkürlich, wer denn diesen ideologischen Plunder tatsächlich für bare Münze genommen hat? Dass breite Schichten des Mittelstands, vor allem während der ökonomischen Krise nach 1929, die ja auch nach 1933 noch eine Weile anhielt, an die nazifaschistische Phraseologie wirklich »geglaubt« haben, steht außer jedem Zweifel. Auch die älteren Führungsschichten – ob nun die hohen Militärs, die Großindustriellen, viele Kirchenführer, die Vertreter des Hochadels, die Managerschichten, die Professoren, Studienräte und Verwaltungsbeamten – haben sich aufgrund ihrer Angst vor dem Bolschewismus und ihrer Sehnsucht nach einem wohlorganisierten, ihren Interessen dienenden neuen Reich dieser Ideologie zum größten Teil bedenkenlos angeschlossen. Ja, selbst die Arbeiterklasse, obwohl sie anfangs noch am ehesten auf skeptische Distanz hielt, blieb von dieser Propaganda nicht ganz unberührt. Doch wie stand es eigentlich mit den Naziführern selbst? Haben diese Leute wirklich an eine rassische Höherzüchtung des deutschen Volkes, eine heimatzentrierte Rückkehr zu Blut und Boden, eine aus nordischen Impulsen gespeiste Veredelung des deutschen Menschen oder eine arische Weltherrschaft geglaubt? Oder ging es diesen Schichten rein realpolitisch um Machtgewinn und Machterhaltung? Genauer gefragt: Hat die nazifaschistische Führungsclique tatsächlich aus Idealismus heraus gehandelt, oder waren die Vertreter dieser sogenannten Elite bloße Opportunisten, denen es vornehmlich um das eigene soziale Prestige ging? Joseph Goebbels, so viel steht heute wohl fest, war sicher nur ein skrupelloser Realpolitiker, der zwar als junger Mann einmal hochfliegende, völkisch-­spätexpressionistische Ideale gehegt hatte, wie sein 1922/23 geschriebener Roman Michael. Ein deutsches Schicksal belegt, dem aber schon bei den Richtungskämpfen innerhalb der NSDAP der späten zwanziger Jahre sein jugendlicher Idealismus ausgetrieben worden war. Auch Hermann Göring, der noch am »nordischsten« unter den Führern der Partei aussah, gehörte zweifellos zu den Realpolitikern und hatte – trotz mancher Natur136

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schutzbemühungen – für überspannte Idealvorstellungen nur wenig übrig. Anders stand es dagegen mit Alfred Rosenberg, der 1930 in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts eine NS-Ideologie entworfen hatte, die bei allem völkischen und rassistischen Wahnwitz auch einige utopische oder zumindest utopistische Elemente enthält, die sich als »idealistisch-­verbohrt« charakterisieren lassen. Doch gerade ihm gelang es nicht, jenen Einfluss zu gewinnen, den er sich erhofft hatte. Was also bleibt, sind vornehmlich Adolf Hitler und Heinrich Himmler. Diese beiden stellen vielleicht die reinsten Verkörperungen einer spezifisch nazifaschistischen Mischung aus eiskaltem Kalkül und völkisch-­religiösem Fanatismus dar. Im Hinblick auf sie kann man geradezu von einem ans Pathologische grenzenden Verlangen nach einem anderen, deutscheren Deutschland sprechen, das sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen trachteten. Und zwar dachten sie dabei bis zum bitteren Ende, bis zum April 1945, an ein großgermanisches Reich deutscher Nation, das heißt ein arisch-­reinblütiges, judenfreies, wirtschaftlich autarkes und zugleich bis an die Zähne bewaffnetes Reich, das sich neben bereits bestehenden Weltmächten wie England, Russland, Japan und den USA als fünfte Weltmacht etablieren würde. Wie viele der älteren völkischen Träumer bemäntelten dabei Hitler und Himmler diesen machtpolitischen Anspruch mit einer Fülle geistiger, kultureller, rassistischer Einkleidungen, indem sie die Deutschen als die einzige kulturschöpferische und kulturerhaltende Nation der Erde hinstellten, ohne deren werteschaffende Aktivitäten der Rest der Welt in einem untermenschlichen, kulturlosen Rassenchaos versinken würde. Während sich Himmler hierbei vor allem auf Konzepte wie Reinzucht der arischen Rasse, imperialistische Ostpolitik und Judenliquidierung stützte, schwärmte Hitler, wenn er von der Zukunft sprach, sowohl von Prachtstraßen, Museen, Volkshallen, Autobahnen als auch von durch planmäßige Aufforstung verschönerten Landschaften, wie noch aus seinen späten Monologen und Gesprächen im Führerhauptquartier hervorgeht.16 An diesen Hoffnungen versuchten Hitler und Himmler selbst in jenen Jahren festzuhalten, als der Zweite Weltkrieg aus der Phase der anfänglichen Blitzsiege in die Phase der Stellungskämpfe und ersten Rückschläge überging. Sogar jetzt instrumentalisierten sie weiterhin alles auf das eine Endziel, nämlich die Rettung der Menschheit vor der Herrschaft der jüdisch-­bolschewistischen Untermenschen und ließen die Parole verbreiten, dass der Untergang Deutschlands zugleich den Untergang alles »Höhergearteten« der Welt bewirken würde. Und zwar setzte Hitler hierbei seine Zuversicht vor allem auf die vulgärdarwinistische Vorstellung, dass der rassisch Stärkere – wie auch in der Natur – notwendig über den rassisch Schwächeren siegen müsse. Er hatte zwar gegen Ende des Krieges auch defätistische Anwandlungen, ja, erklärte einmal: »Wenn das deutsche Volk nicht bereit ist, für seine Selbsterhaltung 137

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sich einzusetzen, ganz gut: Dann soll es eben verschwinden«,17 wehrte jedoch solche Anwandlungen immer wieder durch die Vorstellung des »ewigen Kampfs ums Dasein«, ein nietzscheanisch-­heroisches Tragödienkonzept oder die auf dem Gedanken der zyklischen Wiederkehr beruhende Welteislehre Hanns Hörbigers ab,18 um sich nicht in seinem Traum von der künftigen Größe Deutschlands beirren zu lassen. Und zwar hielten Hitler und Himmler in ihren Reden und Gesprächen selbst in diesem Zeitraum vor allem an zwei Zielvorstellungen fest, an denen sie keine Kritik duldeten: 1. dem Gedanken der Eroberung ausgedehnter Siedlungsflächen im Osten, um genug Lebensraum für eine aktive Vermehrung der arischen Rasse zu haben, und 2. einem immer stärker ins Weltherrscherliche stilisierten Führerkult, da sich eine nationale, noch weniger als eine globale Politik, wie sie erklärten, nun einmal nicht demokratisch, sondern nur autoritär durchführen lasse. Im Bereich der Bauernverkultung schob sich also in diesen Jahren zusehends die Strategie der Germanisierung des Ostens, möglichst bis zum Ural, in den Vordergrund, deren Hauptaufgabe es sein sollte, dem deutschen Volk genug bäuerliches Siedelland und zugleich »hart« erzogene Söhne zu schenken, um so die auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Kriege um die Weltmacht siegreich zu Ende führen zu können. Jene »lächerlichen hundert Millionen Slawen«, die »uns« dabei im Wege stehen, erklärte Hitler 1942 apodiktisch, »werden wir entweder absorbieren oder verdrängen«.19 Wenn es um die höheren Ziele der menschlichen Art geht, muss man solche »Ureinwohner«, behauptete er an anderer Stelle, einfach wie »Indianer« behandeln, das heißt liquidieren.20 So viel zu den durch eine aggressive Ostpolitik größten Ausmaßes ermöglichten Voraussetzungen einer konsequenten »Blut und Boden«-Strategie. Doch mit einem bloßen Bauernkult, so sehr sich die von den Nazis propagierte Ideologie – jedenfalls im Bereich ihrer eindeutig antimodernistischen, romantisch-­reaktionären, ja, atavistischen Züge – dazu auch anbot, war es beim Aufbau eines von den Deutschen dominierten »Weltreichs« allein nicht getan. Diese Form der Ideologiebildung, so massiv sie auch beibehalten wurde, hatte sich – genau genommen – schon in den ersten Jahren nach 1933 selbst überholt, als trotz der lauthals verkündeten »Blut und Boden«-Parolen durch die Arbeitsbeschaffung in der Rüstungsindustrie und den Autobahnbau eine allgemeine Landflucht einsetzte, die alle früheren Landabwanderungsbewegungen weit übertraf.21 Und das wussten auch Hitler und Himmler, bei aller Neigung zum Vorindustriellen und aller rassistischen Verblendung, nur allzu genau. Und so schob sich in ihrem Denken neben die faschistische Leitfigur des schollebewussten, nordisch-­gesinnten Bauern immer stärker das ebenso nazifaschistische Leitbild des übermenschlichen Genies, des Erfinders, des Ingenieurs oder Naturwissenschaftlers mit einem geradezu futuristisch operierenden Superhirn, der dem zur führenden Weltmacht aufsteigenden 138

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

19  Reklame der Daimler-­Benz-­Werke (1935)

Dritten Reich nicht nur die besten Flugzeuge und Automobile, sondern auch die nötigen technischen Wunderwaffen, also all jene V-Zwei- und V-Drei-­Raketen, Weltraumschiffe, Atombomben, Strahlenkanonen und andere Vernichtungswaffen zur Verfügung stellen würde, mit denen sich die korrupten, dekadenten, der Scholle entfremdeten, aber technologisch überlegenen westlichen Zivilisationen endlich in die Knie zwingen ließen. Den Widerspruch zwischen Fabrik und Scholle, technischem Superhirn und grüner Siedlung, naturwissenschaftlicher Intelligenz und arischem Blut, futuristischem Atomzeitalter und germanischer Bronzezeit empfand daher Hitler nicht als grundsätzliche Antinomie. Solange sie den Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht förderten, bediente er sich aller Mittel, die ihm zur Verfügung standen, auch derer einer 139

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

als »amerikanisch« empfundenen Technologie. Mit irgendwelchen Hilfsideologien waren er und viele seiner Anhänger in dieser Hinsicht keineswegs zimperlich. Alles, was sich nazifaschistisch ausschlachten ließ, gleichviel woher es stammte, erhielt von ihnen sofort Ehrenbezeichnungen wie »deutsch«, »nordisch« oder »nationalsozialistisch«. Während die NS-Elite anfangs vor dem »Artfremden«, wie etwa der »jüdischen Physik« eines Albert Einstein, noch gewisse Skrupel gehabt hatte, überwand sie im Laufe der dreißiger Jahre und vor allem während des Zweiten Weltkriegs selbst diese. Jetzt diente alles, ob nun die von nordischen Bauern sowie slawischen Fremdarbeitern erarbeiteten landwirtschaftlichen Produkte als auch die technischen Erfindungen der mit den neuesten Apparaturen ausgestatteten naturwissenschaftlichen Labors, den gleichen nazifaschistischen Endzwecken. Und zwar gilt dies nicht nur für das Denken Hitlers oder Himmlers, sondern auch für die propagandistische Umsetzung solcher Ideologiekomplexe in die gesellschaftliche Praxis. Schließlich mussten Leitbilder dieser Art ja auch massenwirksam werden, um die deutsche Bevölkerung zu ständig neuen Kraftanstrengungen und Höchstleistungen aufzuputschen. Wie im Rahmen vieler Systeme, die auf synkretistischen oder eklektischen Weltanschauungen beruhen, wurden dabei die verschiedenen Bestandteile der sogenannten NS-Ideologie entweder einzeln propagiert – also der Landbevölkerung und dem Kleinbürgertum eher romantisch-­reaktionäre Ideen sowie den oberen Gesellschaftsschichten eher technisch-­avancierte Leitbilder vorgesetzt – oder aber diese beiden Strategien, falls es der Zweck erforderte, als ideologisch komplementär hingestellt. Doch nicht nur die gesellschaftlichen Gegensätze des deutschen Volks wurden bei solchen Propagandafeldzügen berücksichtigt, auch die Art der jeweils propagierten Kriegsziele hatte einen deutlichen Einfluss auf die Frage, ob man bei der nazifaschistischen Ideologie eher das bäuerliche oder eher das technologische Element in den Vordergrund rückte. Falls die NS-Machthaber den Zweiten Weltkrieg lediglich als eine Vorstufe kommender weltpolitischer Auseinandersetzungen hinstellten, wurde vor allem der technologische Aspekt stark betont. Stellten sie jedoch den Zweiten Weltkrieg oder einen zukünftigen Krieg als den letzten Krieg aller Kriege dar, erscheint das Technologische, und zwar in Form ans Märchenhafte grenzender Wunderwaffen, meist nur als Mittel zum Zweck, um allen modernistischen Entartungserscheinungen der Verstädterung und Industrialisierung endgültig den Garaus zu machen und ein »Tausendjähriges Reich des ewigen Friedens« zu schaffen, in dem es nur noch nordisch-­gesinnte, schollebewusste Bauern gibt. In solchen Zukunftsvisionen werden deshalb die Wunderwaffen, mit denen man das Endziel der Menschheit, nämlich die Etablierung einer arisch-­grünen Bauernkultur, erreicht hat, am Schluss von den jeweiligen Superingenieuren zerstört sowie überhaupt die Erinnerung an alle technischen Errungenschaften aus 140

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

dem Gedächtnis einer in den »gesetzmäßigen« Kreislauf der Natur z­ urückgeführten Menschheit gelöscht. Dafür einige Beispiele aus dem Bereich der nazifaschistischen Literatur, um diesen Theorien eine gewisse Anschaulichkeit zu geben. Wohl das beste Demonstrationsmaterial für das Bemühen, wie die ins Auge gefassten Weltherrschaftspläne für breitere Bevölkerungsschichtungen aufbereitet wurden, stellen die vielen völkischen Visionen, Phantasien und Science-­Fiction-­Romane der dreißiger Jahre dar, in denen meist ein im schlechtesten Sinne »blauäugiger« Zweckoptimismus vorherrscht.22 Am aufschlussreichsten sind dabei in diesem Umkreis die Science-­Fiction-­Romane. Während sich die völkischen Visionen und Phantasien meist mit den herkömm­ lichen Bildern einer kargen Bauernkultur, also ländlichen Siedlungen und Aufnordungskolonien à la Mitgart oder Lebensborn, begnügen, kommen in den Science-­ Fiction-­Romanen, vor allem in jenen, wo es um den Endkampf um die Welt geht, die eigentlichen Ziele und zugleich die Widersprüche der NS-Ideologie wesentlich unverhüllter zum Ausdruck. Als die Hauptgegner der nordischen Rasse wurden hierbei anfangs, das heißt vor dem Abschluss des Antikominternpakts mit Japan im November 1936, neben den Juden und den bolschewistisch verseuchten Slawen vor allem die Asiaten, also die altbewährten Verkörperungen der »Gelben Gefahr«, herausgestellt. Zu den frühesten Zukunftsromanen dieser Art, die sich noch gegen die Japaner richteten, gehört der Roman Befehl aus dem Dunkel (1933) von Hans Dominik. Hier ist der Führer der asiatischen Schlitzaugenmenschen der Mongole Turo-­Chan, der die Japaner aufhetzt, alle Europäer aus Asien zu vertreiben. Daraufhin erobern die japanischen Armeen China, Singapur und sogar halb Australien, bis es einem zu Hilfe gerufenen, genialen deutschen Ingenieur namens Astenryk gelingt, die geradezu unaufhaltsam vordringenden »gelben Untermenschen« in letzter Minute durch eine »elektrische Verstärkung« seines Gehirns, das er in einen Radiosender umfunktioniert, telepathisch in Schach zu halten und schließlich zu vertreiben.23 Um in Zukunft gegen weitere Einfälle asiatischer Horden in bestes außereuropäisches Ackerland gewappnet zu sein, werden anschließend »Millionen weißer Siedler« nach Australien eingeschleust. Obwohl es eigentlich die ingeniöse Erfindung eines einzigen Naturwissenschaftlers war, welche die Gelben zum Rückzug gezwungen hat, sollen dieses Geschäft, wie es gegen Ende des Romans heißt, in Zukunft die »kräftigen Bauernfäuste« der deutschen Einwanderer übernehmen.24 Und damit bleibt, jedenfalls für einen denkenden Leser, die ideologische Zielsetzung des Ganzen weitgehend offen: Ist es die Technik oder ist es das siedlungsstolze Bauerntum, auf das hier der Autor und die hinter ihm stehenden Nazifaschisten ihre Hoffnung setzen? Oder war das eine nur ein Vorwand für das andere? 141

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

Als ebenso aufschlussreich in dieser Hinsicht erweist sich der Roman Weltbrand von Morgen (1934) von Werner Chompton. Auch hier sind es die alten Dschingis-­ Khan-­Träume, welche die Japaner so begeistern, dass sie ausziehen, die gesamte Welt für die gelbe Rasse zu erobern. Erst überfallen sie Russland und dann die USA – und beide Staaten erweisen sich als zu schwach, um dem Vormarsch der Japaner wirksam Paroli bieten zu können. Die Russen versagen, weil sie der Bolschewismus innerlich »ausgezehrt« hat. Die Nordamerikaner versagen, weil sie durch »pazifistische Frauenclubs, Studentenvereinigungen, die kommunistische Partei sowie die Neger« am Aufbau einer schlagkräftigen Armee verhindert werden.25 Die einzige Hoffnung, den Vormarsch der »Gelben« zu bremsen, besteht am Schluss dieses Romans darin, dass sich alle Europäer dem »rassisch erstarkten« Deutschen Reich unterordnen und zum Gegenschlag ausholen, um im »Endkampf der Völker weißer Rasse gegen die Farbigen« doch noch Sieger zu bleiben.26 Und zwar wird dabei – neben der Überlegenheit des nordischen Geists über den asiatischen – auch auf die Überlegenheit der deutschen »Kanonen, Flugzeuge und Tanks« über die japanische Kriegsmaschinerie hingewiesen.27 Fast zu dem gleichen Schluss gelangte Titus Taeschner in seinem Roman Eurofrika. Die Macht der Zukunft (1938), in dem sich alle europäischen Völker im 21. Jahrhundert zu einer »weißen« Union zusammenschließen. Die größte Leistung dieser Union bildet der Gibraltardamm, durch den das gesamte Mittelmeer verlandet und Europa und Afrika zu einer weiträumigen Landmasse, dem besagten »Eurofrika«, verschmelzen. Das bedeutet politisch, dass die weißen Siedler immer weiter nach Afrika vordringen können und mit den schwarzen »Bestien« einfach kurzen Prozess machen.28 Dass Deutschland dabei die Führungsrolle zufällt, liegt einerseits an seiner »Rassenreinheit«, welche es nach einem »Jahrzehnt der Schmach und Verjudung« seinem »großen Führer« zu verdanken habe,29 wie es an einer Stelle heißt, andererseits – und das scheint ebenso wichtig zu sein – an den Erfindungen seiner genialen Ingenieure, denen es nicht nur gelungen ist, mysteriöse Strahlenbatterien und Zielkraftgeschütze zu bauen, sondern auch hinter das Geheimnis der Atomzertrümmerung zu kommen. Das einzige Gebiet, das die von den Deutschen angeführte weiße Rasse noch nicht erobert hat, ist hier jener Halbkontinent, der aus dem asiatischen Teil Russlands, Chinas und Indiens besteht, wo eine Clique bolschewistischer Juden die Macht an sich gerissen hat. Und diese Juden stacheln nicht nur die Schwarzen und Araber zum Widerstand gegen die Weißen an, sondern versuchen sogar, den Gibraltardamm in die Luft zu sprengen, um so den gesamten Mittelteil Eurofrikas unter Wasser zu setzen. Doch einer der genialen deutschen Ingenieure greift auch hier in letzter Minute rettend ein und bringt den asiatisch-­jüdisch-­bolschewistischen Untermenschen eine Schlappe bei, von der sie sich erst nach Jahrhunderten wieder erholen dürften. 142

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

So viel zu jenen Science-­Fiction-­Romanen, in denen zwar am Schluss die unter deutscher Führung zusammengeschlossenen Weißen über die Farbigen siegen, aber der Endkampf um die Welt immer noch aussteht und daher neben den germanischen Bauern auch die genialen weißen Ingenieure weiterhin eine bedeutsame Rolle spielen. Einer der wenigen Zukunftsromane dieser Jahre, der in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiterzugehen versuchte, ist der Roman Verschollen im Weltall (1938) von Dietrich Kärrner. Hier wird nicht nur das Ringen mit den Farbigen, sondern auch der endgültige Sieg über alle Feinde der weißen Herrenrasse dargestellt, wodurch am Schluss der Blick auf ein großgermanisches Bauernreich frei wird, das den gesamten Erdball umfasst. Und zwar spielt sich das inhaltlich folgendermaßen ab. Wie bei Dominik und Chompton beginnt das Ganze mit alarmierenden Nachrichten aus Asien, nämlich der Meldung, dass der chinesische Marschall Tscheng – wie ein »neuer Dschingis Khan« – mit seinen Truppen die Philippinen erobert hat und im Vormarsch auf Singapur ist, um ganz Asien vom englischen Kolonialjoch zu befreien.30 Und damit kommt es auch in diesem Roman zum »entscheidenden Waffengang zwischen den Weißen und den Gelben«,31 bei dem die Engländer, trotz der Hilfe amerikanischer Schlachtschiffe, sowohl zur See als auch in der Luft eine Niederlage nach der anderen erleiden. Doch in letzter Minute wird auch hier ein nordischer Supermann, und zwar der schwedische Ingenieur Gösta Ring, zu Hilfe gerufen, der durch die Ausnutzung gewisser »interplanetarischer Dragkräfte« eine Flotte von unbesiegbaren Raumschiffen entwickelt hat, mit der es ihm in wenigen Stunden gelingt, ganz Asien wieder der Herrschaft der weißen Rasse zu unterstellen.32 Ja, anschließend fliegt Gösta Ring mit seinen Raumschiffen sogar noch ins Weltall hinaus und weist die bösen, dunklen Wurnus, die auf einem entlegenen Stern die nordisch-­lichten Värnen zu unterjochen versuchen, wieder in ihre hergebrachten Schranken zurück. Doch nicht allein das. Die Erfindung der Dragkraft macht Gösta Ring nicht nur zum »Herrn und Meister« des fernen Värnimöki, sondern auch unseres Planeten, den sogar die bisherigen »Trustgewaltigen« und »Treibstoffmagnaten«, die »Spekulanten und Geschäftemacher«, mit denen vor allem die angloamerikanischen Kapitalisten gemeint sind, als ihren alleinigen Führer anerkennen.33 Daher kommt am Ende dieses Romans ein geradezu utopisch wirkendes Schlusstableau zustande: Alle sehen ein, wie hässlich und mörderisch die alte Welt der Technik war, und verlassen die großen Städte. Und so gibt es bald keine durch Abgase »verpesteten« Straßenschluchten, keine »Fabrikschlote«, keine Asphaltstraßen mehr.34 Wo noch Städte stehen bleiben, verwandelt man sie in Parkstädte. Doch ansonsten werden die »Nomaden des Industriezeitalters«, wie es heißt, wieder »sesshaft«, greifen wieder zum »Pflug«35 und erfreuen sich wieder der stillen Ruhe der Natur, der 143

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

20  Oskar Martin-­Amorbach: Erntegang (1938)

Wälder, Berge und Seen, wobei natürlich die nordischen Wälder, die nordischen Berge und die nordischen Seen als die anziehendsten hingestellt werden. Wenn der viel strapazierte Begriff des »Arisch-­Grünen« überhaupt einen Sinn hat, dann im Hinblick auf ein solches Werk. In ihm wird eine Zukunftswelt beschworen, wie sie sich schöner und grüner kaum vorstellen lässt. Allerdings ist es eine Welt, die ihre Existenz allein einem arischen Supermann verdankt, der über mysteriöse naturwissenschaftliche Einsichten verfügt und mit seinen Wunderwaffen alle anderen Rassen der Erde der Herrschaft der strahlenden Nordmenschen unterwirft. Und so bleibt sein Weltreich, das mit einem ideologisch hauchdünnen Firnis der Schönheit ausgestattet ist, letztlich ein Staat, der auf einer strengen Scheidung in Helle und Dunkle, Über- und Untermenschen beruht. 144

Nazifaschistische Zukunftskonzepte

So primitiv dieser Roman auch angelegt ist, gerade er stellt vielleicht am besten heraus, worauf die NS-Ideologie, jedenfalls da, wo sie sich bewusst utopisch gab, in letzter Konsequenz hinauslief: nämlich ein Traumreich des Grünen und Rassereinen, das zwar den Eindruck des »Veredelten« erwecken sollte, aber in Wirklichkeit nur den wahnwitzigen Überlegenheitsgefühlen einer kleinen Clique selbsterwählter Arierfanatiker entsprang. Wie schon oft in der deutschen Geschichte, wenn auch mit wesentlich verschärfter Intensität, ja, Bestialität, wurde hier mit der legitimen Sehnsucht breiter Schichten des Volkes wieder einmal Schindluder getrieben, indem man diesem Volk eine Utopie vorsetzte, die letztlich überhaupt keine Utopie, sondern lediglich eine kaum verschleierte Parvenüphantasie von Größe, Starbewusstsein, Eitelkeit, Überlegenheitsgefühlen und angemaßtem Führertum war. Und ein solcher Traum, dessen Ziel weniger die Wohlfahrt der anderen als die eigene Hybris ist, muss immer ambivalent, ja, brüchig bleiben, da er trotz seiner glänzenden Fassade stets einen teuflischen Pferdefuß behält. Schließlich wurde in solchen Romanen die schlechte Wirklichkeit nicht ins Schönere, Grünere, Höhere utopisiert, sondern lediglich auf die Ebene rassistischer Wahnvorstellungen herabgezogen. Wohl selten ist dadurch einem Volk die Hoffnung auf einen anderen, besseren Staat, dem ein nationaler Gemeinsinn und damit eine notwendige Begrenzung des einzelpersönlichen Durchsetzungsverlangens zugrunde liegt, so gründlich ausgetrieben worden wie dem deutschen. Als sich demzufolge 1948 in den drei west­ lichen Besatzungszonen unter dem Vorsitz Konrad Adenauers ein »Parlamentarischer Rat« konstituierte, der daran ging, eine Verfassung für einen künftigen deutschen Staat auszuarbeiten, vermied man deshalb alle ins Ideale oder gar Utopische ausgreifenden Zielsetzungen. Hier wurde die spätere »Bundesrepublik Deutschland« weitgehend als ein wirtschaftliches Rahmengebilde definiert, in welchem, wie sich Ludwig Erhard ausdrückte, »dem persönlichen Bereicherungsdrang des Einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich entgegengestellt werden sollten«, um so eine allen Menschen offen stehende soziale Mobilität zu ermöglichen.36 Das war nicht viel, erschien aber den Konservativen und Liberalen, die weitgehend aus dem Bereich der inneren Emigration unter Hitler kamen, als die einzige Möglichkeit, sich nicht sofort wieder mit hochgespannten ideologischen Forderungen zu belasten. Und so schuf man zwar nach dem Vorbild anderer westlicher Formaldemokratien einen Staat, der allen Kräften, die auf eine schleunige Akzeleration der wirtschaftlichen Expansionsrate sowie eine parlamentarisch abgesicherte freie Entfaltung dieser Entwicklung drängten, das nötige Übergewicht gab, aber der Frage eines gesellschaftlichen Gemeinsinns peinlichst aus dem Wege ging, indem er diese Frage im Sinne der herrschenden Totalitarismustheorien von vornherein als undemokratisch, das heißt als »nazifaschistisch«, »sozialistisch« oder gar »bolschewistisch« zu diffamieren suchte. 145

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion?

Der Staat, der dadurch entstand, und auch das gehört zu den indirekten Folgeerscheinungen des Dritten Reichs, ist bis heute ein solches wirtschaftliches Rahmengebilde geblieben, dessen weltanschauliche Fundierung kaum über eine Ideologie der »vollen Schaufenster« und damit eine Fetischisierung der ökonomischen Expansionsrate hinausgeht. Daran haben auch die verschiedenen Wertekommissionen, welche von den großen Parteien von Zeit zu Zeit eingesetzt wurden, nichts geändert. Sie versuchten zwar jahrelang, Werte zu finden, die über einen bloßen Verbrauchsegoismus hinausgehen, stießen jedoch bei solchen Überlegungen lediglich auf Werte, die wegen ihrer mangelnden Umsatzfreundlichkeit dem herrschenden Wirtschaftsliberalismus zwangsläufig zuwiderliefen. Und so wurden sie wieder ad acta gelegt. Doch das sollte letztlich niemanden verwundern. In einem System, wie dem »Industriestandort Deutschland«, das eine rein marktorientierte Ausrichtung hat, kann es nun einmal keine dem allgemeinen Profitstreben entgegengesetzten Ideale geben. Ein solcher Staat hat nur ein Telos, dem sich alle anderen Werte unterordnen müssen, nämlich die ständige Expansion. Schon ein ökonomischer Stillstand wäre für eine Wirtschaftsordnung dieser Art eine Katastrophe. Wer deshalb über dieses System hinausgehende Zielsetzungen fordert, unter denen die wachstumshemmenden als die gefährlichsten gelten, ist fast schon ein Verfassungsfeind. Dennoch sollte man – trotz oder gerade wegen der fortschreitenden Rationalisierung, der immer größere Abhängigkeiten schaffenden Hightechproduktion, der skrupellosen Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe, der ökologischen Verwüstung unserer Mitwelt sowie der sich daraus ergebenden Klimakatastrophen – nicht auf durchgreifende Reformen oder gar die Forderung nach einem anderen, besseren Staat verzichten. Mit der gängigen Staatsverdrossenheit, die sich in Maximen wie »All das hat sich doch schon längst entlarvt« oder »Der Staat ist für uns kein Ideal mehr« ausdrückt und einen Rückzug ins Private befürwortet, überließe man die Macht lediglich den auf einen Profit steigernden Konsumrummel drängenden und damit den eine weitere Zerstörung der Natur verursachenden Schichten. Niemand dürfte daher auf den Traum eines anderen, besseren, sowohl gemeinschaftsbetonten als auch naturerhaltenden Staats verzichten. Ein solcher Traum ist eine der wenigen Hebel, den wir noch haben, um eine eventuelle Wende herbeizuführen. Dass der Nazifaschismus diese Vision korrumpiert hat, bedeutet nicht, dass ein solcher Traum keine Geltung mehr hat. Genau genommen ist der andere, bessere Staat noch immer das »größte Kunstwerk«, an dem wir arbeiten sollten – und ohne den alles andere sinnlos bliebe.37

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Unerfüllte Hoffnungen Vertreter eines verstärkten Umweltbewusstseins zwischen 1933 und 1945

Auch unter den frühen Sympathisanten und Mitläufern der NS-Bewegung gab es eine Reihe von »Naturschützern«, die sich in ihren Affekten gegen die verheerenden Auswirkungen der fortschreitenden Überindustrialisierung und Vergroßstädterung Deutschlands weiterhin auf die Programme der älteren Lebensreformer, Heimatschützer und Siedlungsaktivisten beriefen und mit betont »völkischer« Gesinnung eine konsequente »Verbauerung« der gesamten deutschen Bevölkerung propagierten. Das belegt wohl am eindringlichsten die 1923 ins Leben gerufene Artamanenbewegung, die von Anfang an in aller Entschiedenheit für eine Abkehr von allen »kapitalistischen Entartungserscheinungen« eintrat. Wie schon manche Wandervögel und Landanarchisten der Jahrhundertwende verachteten ihre Anhänger die Mammongesinnung der gesellschaftlichen Oberschichten und sahen ein wahrhaft menschenwürdiges Leben nur in einer naturverbundenen bäuerlichen Lebensweise gewährleistet.1 Während sich ihre Mitglieder in den frühen zwanziger Jahren dabei eher an den »Zurück zur Scholle«-Konzepten von Kurt Gerlach, Willibald Hentschel, Friedrich Schöll und Bruno Tanzmann orientierten, setzten sich schon wenige Jahre später in ihren Reihen immer stärker Nazifaschisten wie Richard Walther Darré, Hans Friedrich Karl Günther, Heinrich Himmler und Rudolf Höß durch, denen es im Rahmen dieser Bewegung gelang, auch viele Anhänger der Bündischen Jugend für ihre Ziele zu gewinnen. Daher waren schon 1927 70 Prozent der Artamanen zugleich Mitglieder der NSDAP. Nach 1929, als Himmler zum Führer der SS aufstieg, für die er das »Bauernschwarz« der Artamanen beibehielt, wurde Darré mit Büchern wie Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse (1929) und Neuadel aus Blut und Boden (1930) zum wichtigsten Theoretiker all jener Gruppierungen, die sich von einem möglichen »Dritten Reich« den Wandel von einer dekadent-­städtischen zu einer gesund-­bäuerlichen Lebensweise versprachen.2 Darré war von Anfang an überzeugt, dass sich ein solches Ziel – trotz der durch die Weltwirtschaftskrise geschwächten Machtposition des Kapitalismus – weder mit idealistischen Appellen noch mit wohlmeinenden Reformen erreichen lasse, sondern dass dazu ein radikaler Regime- und Besitzwechsel erforderlich sei. Daher erklärte er 1931, dass man die Probleme endlich »an der Wurzel« fassen müsse, statt wie »gewisse verstädterte« Intellektuelle weiterhin an irgendwelchen für die Gesamtgesellschaft belanglosen »Symptomen« herumzukurieren. Ja, er schrieb im Hinblick auf die älteren Lebensreformer und Heimatschützer unumwunden: 147

Unerfüllte Hoffnungen

21  Wimpel der Artamanen (um 1930) Mit Schrebergärten und Bauernromantik, mit Vegetarismus und Nacktkultur, mit Zupfgeige und Strumpflosigkeit glaubte man das Übel zu bannen zu können, ohne das diabolische Grinsen des Kapitalismus zu bemerken, dem es schließlich nur recht ist, wenn man sich in seinem System mit Schrebergärten und Eigenheimen, mit Gartenstädten und Kleinsiedlungen gesund und häuslich einrichtet.3

Was jetzt auf der Tagesordnung stehen müsse, betonte daher Darré immer wieder, sei eine konsequente Rückbesinnung auf die bäuerlichen Urquellen des deutschen Volkes und damit ein verstärktes Heimatgefühl, aus denen sich eine der Natur angepasste Lebensweise entwickeln würde. Als daher am 30. Januar 1933 die staatliche Macht der NSDAP übergeben wurde, hofften viele der älteren idealistisch gesinnten, fidushaft verblendeten sowie theosophisch orientierten Gruppen, dass es endlich zu dem seit Langem ersehnten Umschwung ins Bäuerliche und Naturverbundene kommen werde, um somit die Gefahren der als dekadent empfundenen Überindustrialisierung und Vergroßstädterung zu überwinden. Doch wenig dergleichen geschah. Auf diesem wie auf vielen anderen Gebieten entpuppte sich der Nazifaschismus als ein System ohne eine kohärente Ideologie, in dem fast alles dem Diktat einer auf Machtgewinnung und Machterhaltung bedachten Realpolitik unterstellt wurde. Und so musste das Dritte Reich die Befürworter einer durchgreifenden Verbauerung Deutschlands bitter enttäuschen. Besonders schockiert waren die naiven Schollefanatiker über die Tatsache, dass der sich als »Naturfreund« ausgebende Adolf Hitler, von dem sie wussten, dass er ein Tierfreund, Vegetarier und Gegner der Vivisektion war, zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung von Anfang an eine industrielle Expansion größten Ausmaßes befürwortete, die in den folgenden Jahren – entgegen der Propagierung eines auf der bäuerlichen Substanz aufgebauten Deutschen Reichs – zu einer Landflucht ohne Beispiel führte. Während Theoretiker 148

Verstärktes Umweltbewusstsein zwischen 1933 und 1945

wie Darré auf eine konsequente Reagrarisierung gehofft hatten, kam es durch den Bau neuer Fernstraßen, Flugzeuge und Waffensysteme, wie schon Mitte der zwanziger Jahre, abermals zu einem gewaltigen industriellen Modernisierungsschub. Als aus den Reihen ehemaliger Wandervögel, Artamanen und Siedlungsfanatiker Kritik an dieser Entwicklung laut wurde, erklärte F. Nonnenbruch am 5. Oktober 1934 unter dem Titel Deutscher Sozialismus im Völkischen Beobachter, dass sich für die NSDAP die »Geburt des nordischen Geistes« vor allem in der »modernen Technik« manifestiere, in der die »Gewalt unseres Menschentums« am überzeugendsten zum Ausdruck komme. Die einzigen Teilerfolge, welche die völkisch gesinnten Heimatschützer mit Unterstützung des Reichsforstmeisters Hermann Göring für sich verbuchen konnten, waren das »Gesetz zum Schutz von Kultur- und Naturdenkmalen« vom Januar 1934 sowie die im Juni 1935 und März 1936 erlassenen »Reichsnaturschutzgesetze«.4 Dass diese Gesetze, die in vielen ihrer auf Naturerhaltung bestehenden Paragraphen für die damalige Zeit geradezu »einzigartig« waren,5 einen größtenteils propagandistischen Charakter hatten, da durch den Einsatz des Reichsarbeitsdienstes und den Aufbau der Rüstungsindustrie immer weitere Gebiete der deutschen Landschaft planmäßig zerstört wurden, wollten diese Gruppen entweder nicht sehen oder sie verdrängten es. Das gilt vor allem für viele Vertreter des bisherigen »Bund Heimatschutz«, welche sich nach 1933 teils widerwillig, teils opportunistisch der NSDAP anschlossen. So schrieb etwa Walther Schoenichen, der bereits 1933 zum Leiter der »Reichsstelle für Naturschutz« ernannt wurde, ein Jahr später in seinem Buch Naturschutz im Dritten Reich, dass sich unterm Nationalsozialismus sicher jenes »Recht auf Wildnis« durchsetzen werde, von dem schon Wilhelm Heinrich Riehl geträumt habe.6 Ja, noch 1942 behauptete er in seiner Studie Naturschutz als völkische und internationale Aufgabe, dass die Ausführungsbestimmungen des »Reichsnaturschutzgesetzes« die »endgültige Erfüllung der völkisch-­romantischen Sehnsüchte« gebracht hätten.7 Auch Werner Lindner erklärte 1934 voller Optimismus, die nationalsozialistische Wirtschaft werde – im Gegensatz zur ausschließlich am kapitalistischen »Nutzungsbegriff« orientierten Wirtschaft der Weimarer Republik – sicher dafür sorgen, »daß die Gesetze im Haushalt der Natur, die man oft leichtfertig und raubgierig verletzt habe, von nun ab unweigerlich geachtet« würden.8 Während Heimatschützer wie Schoenichen und Lindner dabei eine »organische« Verbindung von Natur und Technik keineswegs ausschlossen, um nicht als »fortschrittsfeindlich« zu gelten,9 setzten sich andere Naturschützer in den gleichen Jahren weiterhin für eine konsequente Verbauerung des deutschen Volkes ein. Und zwar wandten sie sich dabei meist scharf gegen ein Buch wie Zurück zum Agrarstaat? Stadt und Land in volksbiologischer Hinsicht (1933) von Friedrich Burgdörfer, 149

Unerfüllte Hoffnungen

in dem das Bauerntum – unter Absehung irgendwelcher sozioökonomischer oder naturerhaltender Kriterien – lediglich als rassenpolitischer Lebensborn des deutschen Volkes hingestellt wurde. Stattdessen unterstützten sie lieber einen Autor wie Edmund Schmid, der in seinem Manifest Deutsche Siedlung im I., II . und III . Reich (1932) sowohl gegen den Moloch Großstadt als auch gegen den Vampir Kapitalismus aufgetreten war und sich zum Leitbild eines an der Artamanenbewegung orientierten germanischen Stammesreichs auf bäuerlicher Grundlage bekannt hatte. Diese Gruppen hielten daher selbst in den Anfangsjahren des Dritten Reichs an bestimmten Vorstellungen der älteren Heimatschützer und Siedlungsfanatiker, ja, zum Teil sogar, wie Eduard Bartsch in seiner Zeitschrift Demeter,10 am anthroposophischen Prinzip der »biologisch-­dynamischen Landbauweise« Rudolf Steiners fest. Allerdings musste sich der »Verband anthroposophischer Bauern« nach 1933 mit der von der NSDAP gleichgeschalteten »Deutschen Gesellschaft für Lebensreform« zusammenschließen. Der von diesen Organisationen propagierte »schonende Umgang« mit der Natur, der im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips auf jede chemische Düngung verzichtete, wurde zeitweilig vor allem von einem Lebensreformer wie Rudolf Heß unterstützt.11 Trotz der Einsprüche Alfred Bormanns, der auf einer robusteren und damit produktiveren Landbauweise bestand, unterstützte diese Organisation die biologisch-­dynamische Landbauweise so lange, bis sie 1942 verboten wurde. Doch nicht alle älteren Reformbemühungen wurden von den Machthabern innerhalb der NS -Elite unterdrückt. So sprach sich Heinrich Himmler immer wieder gegen die Vivisektion aus und führte – mit Unterstützung Hitlers – in den Führungsstäben der SS die Durchsetzung vegetarischer Essgewohnheiten ein. Im Großen und Ganzen gesehen waren jedoch all das nur Tropfen auf den heißen Stein, wenn nicht gar bloße Propagandamanöver. Auch die vielen Bauern-, Siedlerund Heimatromane, die in diesen Jahren erschienen, änderten daran nicht viel. Sie sangen zwar unentwegt das Hohelied einer blühenden Natur und eines gesunden Landlebens, aber das hatte kaum praktische Konsequenzen. Das gilt selbst für Siedlerromane wie Achtsiedel (1930) von Josef Martin Bauer, Das neue Land (1932) von Anton Schnack, Der Siedler vom Heidebrinkhof (1932) von Rolf Schroers, Einsaat (1933) von Erich Brautlacht und Kompost (1934) von Ulrich Sander, in denen es meist gegen den kapitalistischen Geschäftsgeist des Großstadtlebens ging und dafür – wie später in Ernst Wiecherts Roman Das einfache Leben (1940) – der Vorbildcharakter des ländlichen Lebens herausgestrichen wurde. Doch trotz der Anstrengungen mancher naturbesorgter Heimatschützer, trotz der Forderungen einer bäuerlich-­ genossenschaftlich ausgerichteten Zeitschrift wie Odal sowie trotz der vom Regime unterstützten Heimatromane blieb der NS-Staat in seiner Politik, seiner Mentali150

Verstärktes Umweltbewusstsein zwischen 1933 und 1945

tät und seinem Lebensstil letztlich ebenso großstädtisch orientiert wie die von ihm abgelehnte Weimarer Republik. Noch weniger bewirkten die literarischen Utopien und Science-­Fiction-­Romane des Dritten Reichs in dieser Hinsicht. Obwohl manche von ihnen durchaus zum Bäuerlichen und Naturverbundenen neigten, liefen fast alle dieser Werke letztlich auf eine Verklärung des Heroischen, wenn nicht gar Eroberungssüchtigen hinaus. Dafür sprechen sowohl die Science-­Fiction-­Romane von Hans Dominik und Paul Alfred Müller mit all ihren übermenschlichen Heldentaten und technischen Sensationen als auch jene Utopien, in denen es um die Siege über minderwertige Rassen oder Akte germanischer Landnahmen geht. Eins der wenigen Werke in diesem Zusammenhang, das sich etwas höhere Ziele steckte, war der Roman Verschollen im Weltall (1938) von Dietrich Kärrner, hinter dem sich Arthur Mahraun, der frühere Vorsitzende des heimatverbundenen Jungdeutschen Ordens, verbarg. Hier sehen am Schluss alle geistig höher stehenden Menschen ein, wie hässlich und mörderisch die alte Welt der Technik war, und verlassen die großen Städte.12 Wo sie noch weiterexistieren, werden sie in Park- oder Gartenstädte verwandelt. Doch die meisten »Nomaden des Industriezeitalters« greifen wieder zum Pflug und erfreuen sich an der Stille der Natur. Wenn der viel strapazierte Begriff des »Arisch-­Grünen« überhaupt einen Sinn hat, dann im Hinblick auf solche Werke. Schließlich wurde hier eine Zukunftswelt beschworen, wie man sie sich grüner kaum vorstellen kann. Allerdings war es eine Welt, die ihre Existenz lediglich einem blonden Supermann verdankt, der mit seinen Weltraumschiffen alle anderen Rassen der Erde der Herrschaft der strahlenden Nordmenschen unterworfen hat. Dass dieses Werk – vor allem in seinen imperialistischen Zielsetzungen – zum Teil kritisch gemeint war, merkten weder die NS-Behörden noch seine mit dem Nazifaschismus sympathisierenden Leser und Leserinnen. Dasselbe gilt für einige eher apokalyptisch gestimmte Romane, die sich noch klarer gegen die Übermacht der Technik wandten. Auch sie wurden von den damaligen Zensoren wegen ihres mythisch-­irrationalen Charakters, von dem sie sich offenbar eine Stärkung der archaischen Ursubstanzen der nordischen Rasse versprachen, nur in Ausnahmefällen zurückgewiesen. So erschien etwa 1935 der Roman Tuzub 37. Der Mythos von der grauen Menschheit oder von der Zahl 1 von Paul Gurk, in dem sich die Vertreter der technischen Zivilisation, die »Metaller«, erst über die ganze Erde ausbreiten, dann alles naturverbundene Leben zerstören und sich am Schluss in grässlichen Diadochenkämpfen wechselseitig ausrotten. Was übrig bleibt, ist eine völlig verwüstete Erdoberfläche, die sich erst nach Jahrhunderten wieder erholen und neu begrünen wird. Ähnlich warnutopische Züge zeichnen den Roman Der Flug in die Zukunft (1937) von Hans Fuschlberger aus, in dem es ebenfalls um einen technisch 151

Unerfüllte Hoffnungen

perfektionierten Weltstaat geht. In diesem Reich, in dem alles Wildwachsende verschwunden ist, bekennt sich schließlich nur noch ein Mensch zu »Natur, Leidenschaft und völkischer Kraft«, doch seine Stimme wirkt so überzeugend, dass sich gegen Ende auch andere finden, die bereit sind, seinem Rufe zu folgen.13 Auch in Wilfried Bades Roman Gloria über der Welt (1937) geht es um einen solchen Umkehrprozess, der diesmal durch eine innerplanetarische Katastrophe à la Hanns Hörbiger ausgelöst wird. Hier gründen die Besten unter den Überlebenden in einem entlegenen Bergtal eine Bauernkommune, in der sie zu der Erkenntnis gelangen, dass die Welt der großen Städte und der Industrie falsch und künstlich war. Froh, dass alles Zivilisatorische von ihnen abfällt, verwachsen sie darauf als Neubauern wieder mit der Scholle als dem Urgrund alles naturbezogenen Lebens. All das lässt aufhorchen. Aber war es wirklich das ideologische Ziel dieser Autoren, eine Welt ohne Maschinen, eine Welt der härtesten bäuerlichen Lebensbedingungen zu schaffen, die wieder im Zeichen eines ökologischen Gleichgewichts stehen würde? Wohl kaum. Denn schließlich klingt in diesen Romanen nichts wirklich besorgt, nichts scheint auf eine grundsätzliche Schonung der Natur bedacht zu sein. Letztlich ging es den meisten dieser Autoren, so warnend auch ihre Stimme zu tönen scheint, eher um Kampf, Sieg oder Untergang. Doch von einer noch schärferen Kritik am Wesen der Technik schreckten damals die meisten zurück. Selbst Martin Heidegger, der es sich noch am ehesten leisten konnte, seine Stimme zum Schutz der Natur zu erheben, tat dies lediglich in vieldeutigen Metaphern oder mit seltsam verstellter Stimme. Zu den wenigen, die in dieser Hinsicht wesentlich konkreter klingende Töne anschlugen, gehörte Hans Klose, der sich 1936 auf der ersten Reichstagung für Naturschutz gegen die durch den nazifaschistischen Reichsarbeitsdienst durchgeführte Trockenlegung sogenannter Ödlandschaften aussprach und in aller Entschiedenheit erklärte, dass »die zu weitgegangenen Wasserentziehungsprozesse in wenigen Jahren dazu führen würden, unserem Vaterlande diese Naturgüter zu nehmen«.14 Trotz solcher Warnungen wurde er von den führenden Vertretern des NS-Regimes 1938 erstaunlicherweise sogar zum Leiter der »Reichsstelle für Naturschutz« ernannt, eine Position, die er bis 1945 beibehielt und sich in dieser Funktion vor allem um die Erhaltung der deutschen Wälder bemühte. Noch schärfer wandte sich der Reichslandschaftsanwalt Alwin Seifert gegen die zunehmende Gefährdung der deutschen Landschaft durch die vielen technologischen und agrarpolitischen Modernisierungsprozesse. Zugegeben, auch er ging dabei von nationalen Gesichtspunkten aus, indem er unter anderem verfügte, dass entlang der Autobahnen lediglich einheimische Blumen, Sträucher und Bäume angepflanzt werden sollten. Dennoch wagte er es, die Deutschen darauf hinzu152

Verstärktes Umweltbewusstsein zwischen 1933 und 1945

22  »Altpapier sammeln hilft deutschen Wald erhalten«, Plakat um 1938

weisen, wie viel mehr in dieser Hinsicht in den USA getan werde. So heißt es etwa in seinem 1936 erschienenen Aufsatz Die Versteppung Deutschlands, der zu vielen innerparteilichen Kontroversen führte, bei denen sich vor allem Rudolf Heß für Seifert einsetzte: Von harter Notwendigkeit gezwungen, tut Amerika heute so ziemlich das Gegenteil von dem, was bei uns noch für richtig gilt. Sie begrenzen die Äcker mit Höhenkurven und machen sie frei vom rechten Winkel – wir begründen mit der Notwendigkeit recht153

Unerfüllte Hoffnungen

winkeliger Felder die Begradigung unserer Bäche und Flüsse. Sie schaffen im hügeligen Gelände Terrassenäcker – wir graben die unsrigen im Zuge der Feldbereinigung ab. Sie machen ihre Äcker zu schmalen Streifen – bei uns trachtet man nach immer größeren Schlägen. Sie legen neue Hecken und Feldgehölze an – wir rotten die aus, die eben nicht unter Naturschutz gestellt worden sind. Sie säen in Ackerwinkel Hirse, Sonnenblumen usw. als Futter für Vögel und Wild – wir rauben ihnen den letzten Nist- und Lebensraum. Sie stauen Trockenflüsse und setzen Fische dort ein – wir begradigen und veröden reiche Forellenwasser. Sie halten mit Tümpeln, Weihern, Erddämmen in Wasserrissen Regen und Schnee dort fest, wo sie fallen, um sie ohne Verlust ins Grundwasser zu bringen – wir lassen ganze Landschaften ausrinnen. Ihr Wunschbild ist eine Landschaft reich durchsetzt mit Wäldern, Büschen, Hecken, Weihern, eine Landschaft, in der der Bauer alles baut, was der Boden erzeugen kann, ein Dorf, in dem alle Handwerker wieder arbeiten – eine rechte alteuropäische Landschaft also, wie wir sie jetzt noch immer zerstören, weil wir nicht frei geworden sind vom mechanistischen Geist des 19. Jahrhunderts.15

Ebenso rühmenswert in dieser Hinsicht sind manche Biologen und Physiker, die im Laufe des Zweiten Weltkriegs, als die verhängnisvollen Auswirkungen der Kriegs­ maschinerie immer augenfälliger wurden, den Mut aufbrachten, ein Plädoyer für die bedrohte Natur vorzubringen. Auf dem Gebiet der Biologie sei hierfür auf Ehrenfried Pfeiffer verwiesen, der 1942 in seinem Buch Gesunde und kranke Landschaft erklärte, dass das »heutige Leben« in erster Linie im Zeichen der »Wirtschaftlichkeit, Profit und Rentabilität« stehe, worin sich eine »Raubgesinnung« manifestiere, der man endlich mit neuen »Bewaldungs«-Konzepten, »bodenschonenden Fruchtfolgen«, »Kompostpflegemethoden« und »dezentralisierten Industriebetrieben«, kurz, der »Erziehung zu landschaftlicher Bewußtheit« entgegentreten müsse.16 Im Bereich der Physik war es vor allem Werner Heisenberg, der sich 1941 in einem Aufsatz unter dem relativ unverfänglichen Titel Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik für einen verstärkten Naturschutz einsetzte. Er schrieb, dass Goethe, da er die Natur nie »beherrschen« wollte, auch heute noch ein Vorbild im Kampf gegen den um sich greifenden Utilitarismus sein könne. Ja, Heisenberg äußerte hier bereits Zweifel, ob die Entwicklung der modernen Technik für die Menschheit wirklich nur Segen gebracht habe und ob sie vielleicht nicht besser beraten sei, die »Grenzen ihres aktiven Verhaltens zur Natur« zu erkennen. Schließlich seien die »ausnutzbaren Kräfte« der Natur begrenzt, das heißt »endlich«. Mit manchen Experimenten begäben sich die Naturwissenschaftler bereits zusehends auf Gebiete, in denen man nur »noch unter großen Schwierigkeiten atmen« könne, ja, wo »alles Leben zu ersterben« drohe.17 Heisenberg zögerte daher nicht, seine Befürchtungen in folgenden Sätzen zusammenzufassen: 154

Verstärktes Umweltbewusstsein zwischen 1933 und 1945

Wenn Helmholtz von Goethe sagt, »daß seine Farbenlehre als der Versuch gewertet werden muß, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten«, so stellt sich uns heute diese Aufgabe dringender als je; denn die ganze Welt wird verwandelt durch die ungeheure Erweiterung unserer naturwissenschaftlichen Kenntnisse und durch den Reichtum der technischen Möglichkeiten, der uns wie jeder Reichtum teils als Geschenk, teils als Fluch gegeben ist. Daher sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder warnende Stimmen laut geworden, die zur Umkehr raten. Sie weisen darauf hin, daß wir uns mit der Entfernung von der lebendigen Natur gewissermaßen in einen luftleeren Raun begeben, in dem kein weiteres Leben möglich sei.18

Diese Äußerungen erschienen mitten in der Euphorie der nazifaschistischen Blitzkriege, als noch niemand daran dachte, dass einige Jahre später die ersten Atombombenabwürfe Zehntausende von Menschen das Leben kosten und eine Ära einleiten würden, in der nicht nur die weitere Existenz des Menschen, sondern auch die die Natur erstmals grundsätzlich in Frage gestellt sein könnte. Doch so achtbar derartige Erklärungen wie die von Hans Klose, Alwin Seifert, Ehrenfried Pfeiffer, Werner Heisenberg sowie einiger Heimatschützer und Wissenschaftler auch waren, sie blieben zwangsläufig unerfüllbare Hoffnungen. Schließlich ging es den meisten Machthabern innerhalb des Dritten Reichs in erster Linie um eine militärische Hochrüstung und die damit verbundene Überindustrialisierung und nicht um ein zutiefst mitweltliches Naturverständnis. Mochten manche nazifaschistischen Potentaten auch ständig von »Blut und Boden« reden, das eigentliche Telos ihrer Ideologie war letztlich eine mit allen technologischen Errungenschaften erzwungene Machterweiterung der angeblich zur Weltherrschaft berufenen arischen Rasse. Dass sie sich dabei zugleich auf die bäuerlich-­kraftvolle, in der Scholle verwurzelte Ursubstanz des deutschen Volkes beriefen und sogar die Befürwortung eines verstärkten Naturbewusstseins duldeten, hatte meist nur taktische Gründe.19 Und so mussten sie all jene, die an solche Vorstellungen glaubten oder gar gegen die fortschreitende Überindustrialisierung zu protestieren wagten, notwendigerweise enttäuschen.

155

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.« Die Graswurzelrevolution um 1980

»Unsere bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee im Feindesland« (Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung).

Vor 1972 waren den meisten Westdeutschen Begriffe wie »Ökologie« oder »Biosphäre« noch unverständliche Fremdworte.1 Erst in diesem Jahr, als der viel beachtete Band Die Grenzen des Wachstums. Bericht des »Club of Rome« zur Lage der Menschheit von Dennis L. Meadows sowie andere Schriften dieser Art erschienen, verbreitete sich über Nacht eine geradezu panikartige Stimmung. Schließlich wurde in derartigen Publikationen weder apokalyptisch übertreibend noch liberalistisch beschwichtigend, sondern mit wissenschaftlicher Überzeugungskraft auf die rapide Abnahme vieler natürlicher Rohstoffe, die Ausbreitung der Wüstengebiete durch fortschreitende Austrocknung und Winderosion, die Gefahren der Atomkraftwerke, den Rückgang landwirtschaftlicher Anbauflächen durch wahllose Zersiedelung, die chemische Vergiftung der Böden, Flüsse und Meere, die Gefahren der industriellen Mülldeponien, die allmähliche Erwärmung der Atmosphäre, die Abholzung der tropischen Regenwälder und damit den Rückgang an Sauerstoffproduktion, die explosionsartige Zunahme der menschlichen Bevölkerung, die Ausrottung vieler Wildtiere und Wildpflanzen sowie die Verödung der Landschaft durch Monokulturen, kurz: die fortschreitende Zerstörung der für den Menschen notwendigen Biosphäre hingewiesen. Da auch die Massenmedien diese Berichte sofort als teils sensationell aufgebauschte, teils menschlich besorgte, teils defätistisch stimmende Horrorstorys aufgriffen, war es nach diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, sich weiterhin im Gefühl eines ständig steigenden Komforts zu wiegen. Wer Ohren hatte zu hören, wurde plötzlich allerorten auf recht unbarmherzige Weise mit dem durch die umweltzerstörende Technisierung und Bevölkerungszunahme selbst produzierten Endzustand der Welt konfrontiert. Von nun an konnte man über jene Propheten, die seit Olims Zeiten vom möglichen Untergang der Welt gefaselt hatten, nicht mehr einfach lächeln. Denn solche Untergangsstimmungen waren plötzlich nicht mehr metaphysischer, sondern ganz konkreter, das heißt sozioökonomischer und biologischer Art. Und daraus ergab sich eine Bewusstseinslage, die in der Folgezeit ständig zwischen ängstlicher Besorgtheit und fortwährender Verdrängung hin- und herschwankte. Um sich nicht in dem allgemeinen Streben nach Wachstum und Wohlstand beirren zu lassen, das zwar für alle diese Furcht einflößenden Phänomene verantwortlich war, 157

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

aber den meisten Menschen in ihrem materialistischen Egoismus als »unverzichtbar« erschien, wichen deshalb viele Bundesbürger und -bürgerinnen erst einmal in eine unsichere »Ja, aber«-Haltung aus. Doch seien wir nicht unfair. Nicht alle Westdeutschen vertrauten nach diesem Zeitpunkt weiterhin den vordergründigen, aber zerstörerischen Wachstumsparolen, die lediglich der Akzeleration der ökonomischen Expansionsrate dienten. Vor allem unter zahlreichen jüngeren Menschen lösten solche Ökologieschocks eine deutliche Bewusstseinsveränderung aus. Diese Schichten wollten im Hinblick auf die zunehmende Verlärmung, Verstraßung, Verdrahtung, Verschilderung, Verpestung, Verkrebsung, Zersiedlung, ja, Zerstörung der gesamten Umwelt nicht einfach »realistisch«, das heißt utopielos in den Tod treiben, sondern setzten diesem Kurs ein betont ökologiebewusstes Verhalten entgegen. Die ersten Vertreter einer solchen Gesinnung, die es mit ihren naturschonenden Aussteigerkonzepten wirklich ernst meinten, traten bereits um 1970 auf, als einige der sogenannten Achtundsechziger aus ihrer antikapitalistischen Gesinnung die Konsequenz zogen, die großen Städte zu verlassen und sich im Sinne der amerikanischen Hippies in ein vorindustrielles Landleben zurückzuziehen, um dort rousseauistisch orientierte Ökokommunen zu gründen. Ihr Ideal war eine chemielose, makrobiotische, kleinbäuerliche Landwirtschaft, die auf einem Selbstversorgungssystem beruht und auf alle technischen Errungenschaften der letzten 150 Jahre so weit wie möglich verzichtet. Demzufolge entwickelte sich um die Mitte der siebziger Jahre in manchen Teilen der ehemaligen Bundesrepublik so etwas wie ein grünes Leben auf genossenschaftlicher Basis. Die Menschen, die sich in solche Survival-­Kommunen zurückzogen, verstanden ihr Leben weitgehend als eine »tägliche Revolution« gegen jene gefahrendrohende Welt, in der noch immer der Fetisch der industriellen Wachstumsrate herrsche. Ihre Bücher, die sie zwischen 1973 und 1979 publizierten, trugen daher meist Titel wie Machbare Utopien, Neue Lebensformen, Alternative Technologie, Wege aus der Wohlstandsfalle, Landleben, Auswege in die Zukunft, Alternativ leben, Ökotopia, Dörfer wachsen in die Stadt, Anders leben, Die Arche, Neue Formen des Zusammenlebens, Alternative Selbstorganisation auf dem Lande oder Lebenswerte Utopie. Auf derselben ideologischen Linie lagen ökologisch-­alternative Zeitschriften wie Das blaue Blatt, Durchblick, Graswurzelrevolution, Sanfter Weg, Wechselwirkung und Zero. Verbreitet wurden solche Publikationen entweder durch alternative »Gegenwind«-Buchhandlungen oder Bioläden, aber auch durch »normale« Buchgeschäfte, in denen sich mehr und mehr Menschen, welche sich durch die ökologischen Alarmmeldungen verunsichert fühlten, die nötigen Informationen über eine Schonung der Umwelt oder gar eine Rückkehr zu einer naturgemäßeren Lebensweise zu verschaffen suchten. 158

Die Graswurzelrevolution um 1980

23  Titelbild des »Spiegel« (1971)

Durch diese freundschaftlich miteinander verbundenen Sympathisantengruppen, zu denen sich bald auch zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen anderer »Neuer sozialer Bewegungen«, vor allem der Feministinnen, der alternativ eingestellten Linken und der Anhänger und Anhängerinnen der Friedensbewegung, gesellten, wuchs die ursprünglich recht kleine Aussteiger- und Landkommunenbewegung gegen Ende der siebziger Jahre zu einer Massenbewegung an, die auf viele der damals existierenden Bürgerinitiativen sowie andere Protestbewegungen einen nachhaltigen Einfluss auszuüben begann. Das zeigte sich erstmals innerhalb jener Gruppen, die zu diesem Zeitpunkt gegen den Bau von Atomkraftwerken auftraten. Während nach den 159

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

Meinungsbefragungen des Allensbacher Instituts im Jahr 1972 erst 12 Prozent der westdeutschen Bevölkerung die »friedliche« Nutzung der Atomenergie für gefährlich hielten, waren es aufgrund der wachsenden Besorgtheit auf diesem Gebiet im Jahr 1982 bereits über 50 Prozent, die sich für eine sofortige Stilllegung sämtlicher Atomkraftwerke in der Bundesrepublik einsetzten. Diese Entwicklung gab der zu Anfang recht marginalen Ökologiebewegung zwangsläufig einen starken Auftrieb. Das zeigte sich bereits 1975/76 bei Protesten gegen das AKW bei Brokdorf an der Unterelbe sowie in den Jahren 1977 bis 1979 gegen die Lagerstätte für atomar verseuchten Müll bei Gorleben. In Gorleben besetzten die Alternativen erstmals ein größeres Gebiet, riefen dort die »Freie Republik Wendland« aus, schlossen sich zu einer auf kommunitaristischen Prinzipien aufgebauten Freundschaftssiedlung zusammen und konnten erst durch massiven Polizeieinsatz wieder vertrieben werden. Noch härter verliefen 1980/81 die Konfrontationen zwischen den ökologiebewussten Kommunarden unter den Demonstranten und den hart zuschlagenden Polizisten bei Protesten gegen die Startbahn West am Rande des Frankfurter Rhein-­Main-­Flughafens, wo es zu unzähligen Verletzungen und vorübergehenden Verhaftungen kam. Aufgrund der relativen Folgenlosigkeit solcher Proteste, die zwar in weiten Kreisen der westdeutschen Bevölkerung ein wesentlich schärferes Bewusstsein für die in Frage stehenden Probleme erweckten, aber den Bau der meisten dieser Anlagen nicht verhindern konnten, setzte sich im Rahmen der verschiedenen Antiatomkraft- und Umweltschutzbewegungen im Laufe der Jahre das Gefühl durch, dass es nicht ausreiche, im Hinblick auf bestimmte Anlässe lediglich zu protestieren, sondern dass zu einer politischen Effektivität auch ein organisatorischer Rahmen gehöre. Daher bildeten sich in den späten siebziger Jahren allerorten Gruppen, die in Form Alternativer Listen ihre Vertreter und Vertreterinnen bei den anstehenden Wahlen durchzubringen versuchten. Einige dieser Gruppen gaben sich anfangs als Die Bunten aus, um auf die ideologisch höchst gemischte Zusammensetzung ihrer Anhänger und Anhängerinnen hinzuweisen, die zwar im Hinblick auf Umweltschutz und Frieden meist der gleichen Meinung waren, aber ansonsten höchst heterogene Weltanschauungen vertraten. Die ersten solcher Bunten Listen gab es in Schleswig-­ Holstein, Niedersachsen und Hamburg, also im Umkreis der Brokdorf-­Proteste. Doch zu ähnlichen Zusammenschlüssen kam es gegen Ende der siebziger Jahre auch in anderen Bundesländern. So erhielten die Kandidaten und Kandidatinnen der Alternativen Liste 1979 bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Westberlin auf Anhieb 3,7 Prozent der Stimmen, also wesentlich mehr als die früheren Linken.2 Manche Anhänger und Anhängerinnen Alternativer Listen traten anfänglich recht anarchisch, wenn nicht gar abenteuerlich auf, entweder weil sie selbst noch 160

Die Graswurzelrevolution um 1980

jung waren oder weil sie die Gunst der jungen Wähler und Wählerinnen erringen wollten. Auch als sich aus dieser Bewegung allmählich die Partei der Grünen zu entwickeln begann, blieben solche Elemente durchaus erhalten. Selbst als parteiamtliche Organisation wirkten die Grünen um 1980 noch immer wie eine alternative Antipartei, die sich nicht nur aus Umweltschützern zusammensetzte, sondern in der auch viele Anarchisten, Spontis, Hippies, Tunix People, ehemalige Linke, K-Gruppenanhänger, Feministinnen und Friedensbewegte eine politische Heimstatt suchten. Außer den Grünen und den Roten, wie es gern pauschalisierend hieß, wies also diese Partei zu Anfang der achtziger Jahre auf ihrer ideologischen Palette noch eine Fülle anderer Farben auf. Da gab es sowohl feministisch orientierte Umweltschützerinnen wie Petra K. Kelly, frühere DDR -Marxisten wie Rudolf Bahro, ehemalige Bundeswehroffiziere wie Gert Bastian, bisherige CDU Anhänger wie Herbert Gruhl als auch höchst konservative Bauernvertreter, die sich zwar alle gegenüber der CDU /CSU und der SPD , den zwei angeblichen »Volksparteien«, als »alternativ« verstanden, aber in ihrer politischen Orientierung oft weit voneinander abwichen. Dennoch war diese Partei um 1980 kein »ideologischer Sauhaufen«, dem es an einem konkreten Programm fehlte, wie ihre Gegner gern behaupteten. Es gab da schon einen Konsensus, der diese Gruppen zusammenhielt. Und das war ihre ins Utopische tendierende Hoffnung, die weiterhin recht autoritär gelenkte Bundes­ republik durch eine Graswurzelrevolution, wie es im Anklang an amerikanische Protestbewegungen dieser Art hieß, endlich in eine wahrhafte Demokratie, das heißt Volksherrschaft umzuwandeln, in der nicht mehr das Technokratisch-­Konsumistische, also der Fetisch der industriellen Zuwachsrate, sondern ein auf Wohlstandsverzicht begründetes Leben im Vordergrund stehen sollte, um so im Verhältnis der Menschen zur Natur wie auch der Menschen untereinander jene ins Solidarische tendierenden Kräfte zu unterstützen, die im Sinne der New-­Age-­Bewegung zu einem auf Friedlichkeit beruhenden Gemeinschaftsdenken führen würden. Die frühen Grünen unterstützten daher nicht nur umweltschonende Programme, sondern auch Programmpunkte, die sich von den linken Vertretern der Achtundsechziger oder der sozialdemokratischen Jusos weniger prinzipiell als graduell unterschieden. Und dazu gehörten vor allem Folgende: die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, eine uneingeschränkte Demonstrationsfreiheit, eine Verstärkung aller basisdemokratischen Einrichtungen, eine Gleichstellung der Frau in allen Lebensbereichen, eine größere Lebensqualität für jugendliche und alte Menschen, ein unnachsichtiger Schutz aller diskriminierten Minderheiten (vor allem der Ausländer und Homosexuellen), eine neue Gesundheitsfürsorge für die finanziell benachteiligten Bevölkerungsschichten, eine durchgreifende Entschulung aller Bildungsinstitute 161

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

sowie ein konsequenter Abbau aller noch weiterwirkenden autoritären Strukturen innerhalb der Gesamtgesellschaft. Viele dieser Programmpunkte gingen auf Forderungen der früheren Linksliberalen, der antiautoritären Studentenbewegung, der basisbezogenen Linken, der Feministinnen, der Schwulen sowie der Anhänger und Anhängerinnen der Friedensbewegung zurück, bekamen aber erst im Programm der Grünen einen gesamtgesellschaftlichen Charakter, indem sie zu Bestandteilen einer Opposition wurden, die sich aufgrund ihrer ökologiebewussten und zugleich basisdemokratischen Ausrichtung nicht länger mit reformistischen Teilaspekten begnügte, sondern immer stärker ins Systemkritische vorstieß. Erst seitdem es die Grünen gab, seitdem von Energieeinsparung, von der Herstellung dauerhafter Gebrauchsgüter, vom Kampf gegen die geplante Obsoleszenz innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise und von einem konsequenten Recycling, mit anderen Worten: von einem sinnvoll geregelten Stoffwechsel mit der Natur gesprochen wurde, fügten sich viele der älteren, zum Teil im Revoluzzerhaften stecken gebliebenen Protestforderungen plötzlich in ein Programm ein, das sich dem bestehenden marktwirtschaftlich orientierten System überzeugend entgegensetzen ließ. Eine der wirkungsvollsten Proklamationen in dieser Richtung war das Buch Um Hoffnung kämpfen. Gewaltfrei in eine grüne Zukunft (1983) von Petra K. Kelly, in welchem sie die herrschende Gesellschaftsordnung mit ihren »existenzbedrohenden Fehlentwicklungen« als »bankrott« hinstellte und den herkömmlichen Parteien den Vorwurf machte, den von ihnen zwar erkannten, aber um der Aufrechterhaltung des übersteigerten Wohlstands willen unterstützten ökologischen Katastrophenkurs weiterhin zu dulden, ja, sogar noch zu befördern. Einem solchen, auf einer ausbeuterischen »Verschwendungswirtschaft« beruhenden Profitdenken trat Kelly mit dem Konzept einer umweltschonenden, gewaltfreien, leicht erotisierten Gesellschaft entgegen, die in allem – ob nun im Hinblick auf die Natur oder im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft – auf jedes Besitzdenken und damit auf jede Gewalt über andere verzichten würde. Nur so, beteuerte sie immer wieder, lasse sich eine bisher ungeahnte Freiheit für den Einzelmenschen und zugleich ein freundschaftlicher, das heißt nichtausbeuterischer Umgang mit allen anderen Lebewesen erreichen. In den Bundesprogrammen der Grünen aus den frühen achtziger Jahren, als diese Partei nicht nur in die verschiedenen Landtage, sondern schließlich auch in den Bundestag Einzug hielt, finden sich deshalb zum Thema »Umwelt und Natur« nur fünf von insgesamt 47 Seiten.3 Auf den Bereich »Wirtschaft und Arbeitswelt« entfielen dagegen 21 und den Bereich »Mensch und Gesellschaft« 18 Seiten. Was also schon hier im Vordergrund stand und im Laufe der Jahre immer zentraler wurde, waren vor allem Fragen einer sozial ausgerichteten Wirtschafts- und Friedenspolitik sowie Fragen einer reformbedürftigen Bildungs-, Gesundheits-, Frauen-, Kultur-, 162

Die Graswurzelrevolution um 1980

24  Petra K. Kelly (BRD/Die Grünen) vor dem Deutschen Bundestag in Bonn (1984)

Ausländer- und Behindertenpolitik, bei denen die Grünen jeweils basisdemokratische Konzepte befürworteten. Was sie deshalb besonders unterstützten, waren kommunale oder kommunitaristische Projekte. So traten sie etwa im Bereich Kultur für eine Lärm begrenzende und zugleich stilvolle Sanierung der Altwohngebiete ein, um wieder ein »nachbarschaftliches« Zusammenleben zu ermöglichen. In die gleiche Richtung zielten ihre Bemühungen, Stadtteilfeste zu veranstalten, um so die von den Linken oft beklagte »Entfremdung« unter den Menschen zu überwinden und die »vereinsamte Masse« wieder miteinander ins Gespräch zu bringen, ja, vielleicht sogar eine zunehmende Solidarität im Hinblick auf kommunale Projekte zu entwickeln. Statt also von Staats wegen lediglich die sogenannte E-Kultur für eine versnobte und verschmockte Minderheit zu fördern, forderten die Grünen eine »Kultur für alle«,4 worunter sie nicht nur eine Wendung ins Populistische, sondern auch eine Pflege der wichtigsten Werke des kulturellen Erbes verstanden, die man weiten Teilen der Bevölkerung bisher vorenthalten habe. Zugegeben, viele dieser Forderungen nach verstärkter Nachbarschaftlichkeit, Solidarität oder gar einer gesamtgesellschaftlichen Wendung ins Kommunitaristische waren zum Teil utopistisch. Aber sie sollten den sie unterstützenden Menschen wenigstens die Hoffnung 163

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

geben, dass es im Gegensatz zu der von den Grünen verworfenen marktwirtschaftlichen Ellbogen-, Mobbing- und Wegwerfgesellschaft noch mögliche Auswege in ein zukunftsträchtigeres Dasein gebe. Und dieser Hoffnungsaspekt sowie seine ideologische Bandbreite, die sowohl Fragen der Öffentlichkeit als auch des ganz Privaten, ja, Intimen in sich einschloss, verschafften den Grünen ein Wählerpotential, das eine bloße Frauen- oder Friedenspartei nie erreicht hätte. Dementsprechend stieg der Prozentsatz der für die Grünen stimmenden Jungwähler zwischen 1980 und 1983 von 4,8 auf 13 Prozent an. Doch auch ältere, eher konservativ denkende und auf Lebenserhaltung bedachte Menschen schlossen sich dieser Bewegung an. Auf diese Weise gelang es den Grünen, bei fast allen Wahlen die Fünfprozenthürde zu überwinden, was bisher noch keiner der anderen sogenannten Splitterparteien gelungen war. Ja, sie zogen sogar im Bereich der wissenschaftlichen und massenmedialen Öffentlichkeit immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Auf Kongressen, in Zeitschriften, im Fernsehen, in Buchrezensionen, in Alltagsgesprächen: Überall wurde nach diesem Zeitpunkt auch der ökologische Aspekt bisher rein politisch, volkswirtschaftlich, moralisch, sozial oder religiös aufgefasster Probleme mitbedacht und mitdiskutiert. Mahnende Bücher, wie Der tödliche Fortschritt (1981) von Eugen Drewermann, der von Jochen Bölsche herausgegebene Sammelband Die deutsche Landschaft stirbt. Zerschnitten, zersiedelt, zerstört (1983), Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation (1984) von Hans Jonas oder der Band So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist so weit (1985) von Hoimar von Ditfurth, hatten daher eine gute Presse und stiegen, wie im Falle Ditfurths, sogar zu viel diskutierten Bestsellern auf.5 Doch nicht nur in ihnen, auch in Zeitschriften wie Geo oder Horst Sterns Natur, selbst im Spiegel, in Quick, in der Bunten und der Neuen Revue wurden seit 1980 in steigendem Maße Ökothemen aufgegriffen, das heißt, auf die Gefahren des sauren Regens für die deutschen Wälder hingewiesen, der Rückgang der Wildtiere und Wildpflanzen bedauert, die Verkarstung und Zersiedlung der Alpen angeprangert, das Anwachsen der Mülldeponien als grundwassergefährdend hingestellt sowie die fortschreitende Zubetonierung der Landschaft beklagt. Und es gab auch immer wieder Mutige, welche für diesen Zerstörungsprozess nicht nur die sogenannten ökonomischen Sachzwänge, also eine Lockerung der Investitionsbremsen und damit eine Ausbreitung der Industrieanlagen, sondern auch die durch die Sinnentleerung des Lebens geweckte Unruhe, das heißt den gesteigerten Mobilitätsdrang, die Urlaubssucht, die Fahrwut, den Drang nach Luxus, die zunehmende Rücksichtslosigkeit und die wachsende Besitzgier der sogenannten Wohlstandsschichten verantwortlich machten. Demzufolge drangen manche der frühen Grünen nachdrücklich auf eine völlig neue Lebenspraxis, die in einem diametralen Gegensatz zu dem vom 164

Die Graswurzelrevolution um 1980

herrschenden marktwirtschaftlichen System angeheizten Besitz- und Habenwollen stehen sollte und sich stattdessen zu Idealen wie Schonung, Pflege und Bescheidenheit bekennen würde. Mit solchen Vorstellungen kamen die Grünen als Umweltschutzpartei immer stärker zu sich selbst. Jene Bundesbürger und Bundesbürgerinnen, die es wirklich ernst mit ihrer auf Naturerhaltung gerichteten Gesinnung meinten, begannen daher zwischen 1980 und 1985 manchen subjektivistischen Überspanntheiten der eher anarchistisch gesinnten Gruppen innerhalb der Frühphase der Bunten Listen zusehends den Rücken zu kehren, um endlich wahre »Alternative« zu werden und sich zu einem Leben der Wohlstandsreduzierung und der Einordnung in die von der Natur vorgegebenen Rahmenbedingungen zu bekennen. Mehr und mehr Westdeutsche, die ein Bewusstsein für die ökologischen Gefahren entwickelt hatten, sahen deshalb in den frühen achtziger Jahren eher in den Grünen und den mit ihnen sympathisierenden Gruppen die eigentlichen Garanten einer durchgreifenden »Wende« als in den weiterhin auf eine mörderische Akzeleration der wirtschaftlichen Expansion drängenden Rechts- oder Konsensusparteien. Die Vertreter der Grünen und nicht die der CDU/CSU nahmen daher zu diesem Zeitpunkt zusehends die Bezeichnung »konservativ« für sich in Anspruch, während sich die CDU /CSU und FDP weiterhin eher mit Adjektiven wie »dynamisch«, »progressiv« oder »wirtschaftsliberal« zu qualifizieren suchten. So schrieb etwa Petra K. Kelly, dass man als konservativ gegenwärtig nur jene »Radikalen« bezeichnen könne, die sich im Rahmen der grünen Partei zu einer »Lebensschutzbewegung« zusammengeschlossen hätten und sich im Kampf gegen die Fetischisierung der industriellen Zuwachsrate auf Werte wie Liebe, Freundschaft, Sensibilität, Solidarität und gewaltlosen Widerstand beriefen. Durch diese Bewegung, erklärte sie, sei der alte Gegensatz zwischen rechts und links endgültig hinfällig geworden und habe dem Gegensatz zwischen »technokratisch« und »humanistisch-­radikal« weichen müssen.6 All das waren »goldene Worte«. Aber wurden sie auch beherzigt? Gab es innerhalb der Bewegung der Grünen und der mit ihr sympathisierenden Bevölkerungsschichten wirklich genug Menschen, die sich als »humanistisch-­radikal« verstanden und sich bereit erklärt hätten, auf Teile ihres bisherigen Wohlstands zu verzichten, um so der Natur wieder eine Chance zu geben, auch für kommende Generationen der Nährboden eines lebenswerten Lebens zu sein? Kein Zweifel, es gab solche Menschen, die sich zu Anfang der achtziger Jahre derartig anspruchsvollen utopischen Zielen verschrieben. Doch es waren nicht genug, um einer auf Veränderung des gesamten Wirtschaftsgefüges drängenden Richtung innerhalb der grünen Partei die nötige Massenbasis zu geben. Dass sich nicht mehr Menschen diesen Idealen anschlossen, obwohl sich fast alle Bundesbürger und -bürgerinnen der auf sie zukommenden öko165

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

25  Buchtitel (1981)

logischen Gefahren bewusst waren, hatte vielerlei Gründe. Wohl der Hauptgrund, dass der Stimmenanteil der Grünen in den späten achtziger Jahren nicht drastisch anstieg, bestand darin, dass die meisten Westdeutschen bei aller Sympathie, die sie manchen Ideen der Grünen entgegenbrachten, weiterhin in erster Linie auf ihren persönlichen Wohlstand bedacht waren und befürchteten, dass die Grünen diesen Zustand aufgrund ihrer »Wachstumsfeindlichkeit« ernsthaft gefährden könnten. Anstatt einzusehen, dass es ihre eigene Konsumgesinnung war, die diesen Wohlstand – längerfristig gesehen – in Frage stellte, unterstützten sie darum lieber jene kurzfristigen Lösungsvorschläge, welche ihnen von den anderen Parteien nahegelegt wurden, das heißt die Erhöhung der Staatsverschuldung, die Anlage weiterer Eisenbahntrassen und Autobahnen, den Bau neuer Industrieanlagen, wie überhaupt alles, was einer möglichst effektiven Ankurbelung der wirtschaftlichen Expansionsrate dienen würde. Und zwar taten sie das nicht nur aufgrund jener Indoktrinierung, 166

Die Graswurzelrevolution um 1980

die von den unternehmerfreundlichen Massenmedien ausging, sondern auch aus egoistischem Instinkt heraus. Die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung wollte damals nach wie vor – trotz verbreiteter Angst- und Unsicherheitsgefühle – vor allem konsumieren und verhielt sich daher gegenüber Politikern und Politikerinnen, die Kritik an ihrem hohen Lebensstandard übten, um den sie die meisten Länder der Welt beneideten, höchst misstrauisch. In einer ideologischen Umwelt lebend, in der allein der wirtschaftliche Erfolg, der soziale Status und die Fülle der Genussmöglichkeiten als erstrebenswerte Ziele galten, fand diese Mehrheit alle dem zuwiderlaufenden »Ideologien« von vornherein verdächtig. Für sie galt im Hinblick auf den Staat nicht irgendeine Solidaritätsvorstellung, sondern noch immer das als maßgeblich, was Ludwig Erhard, der Vater des westdeutschen Wirtschaftswunders, gegen Ende der fünfziger Jahre in die höchst wirkungsvolle Formel gekleidet hatte, nämlich dass die Bundesrepublik lediglich ein »wirtschaftliches Rahmengebilde« ohne irgendeine ins Utopische zielende Ideologie sei, innerhalb dessen dem »persönlichen Bereicherungsdrang des Einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich entgegengestellt werden sollten«.7 Ideologische Veränderungskonzepte, ob nun politischer, sozialer oder ökonomischer Art, erschienen daher den meisten Menschen, die diesen Zustand als den einzig möglichen und damit besten betrachteten, von vornherein als Hirngespinste. Auf der Ebene des Ideologischen reagierte deshalb diese Mehrheit anfangs gegen die Grünen fast ebenso allergisch, wie sie schon einmal gegen die als »überspannt« geltenden Anschauungen der Außerparlamentarischen Opposition reagiert hatte. Sie fand zwar manche der spezifisch mitweltschonenden Vorschläge dieser Partei durchaus beherzigenswert, wehrte sich jedoch gegen eine Graswurzelrevolution, die sich nicht nur auf ein paar Reformvorschläge beschränkte, sondern ihr mit einer systemverändernden Weltanschauung entgegentrat. Vor allem ihr Konzept einer kommunitaristischen Verbundenheit aller Menschen innerhalb einer bestimmten Region, die sich auf ein Netzwerk miteinander harmonierender weltanschaulicher und leibseelischer Beziehungen zu stützen versucht, wurde daher in den Massenmedien der achtziger Jahre oft ins Lächerliche gezogen. Schließlich galten alle ins Solidarische und damit Politische gewendeten »Wir«-Vorstellungen, welche über die herrschenden »Ich«-Konzepte hinausgingen, bei der Mehrheit der damaligen Skeptiker und Zyniker von vornherein als unrealistisch. Doch auch unter den Grünen selbst waren nicht alle so »humanistisch-­radikal« eingestellt, wie sich das Petra K. Kelly zu Anfang der achtziger Jahre von den Anhängern und Anhängerinnen der grünen Listen erhofft hatte. Viele, vor allem Jugendliche, hatten sich damals dieser Bewegung vor allem deshalb angeschlossen, weil sie ihnen nach dem Scheitern der Achtundsechziger als die einzige wahrhaft alternative 167

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

Richtung erschien. Statt von auf Mäßigung drängenden Solidaritätsvorstellungen auszugehen, huldigten sie darum nach wie vor lieber antiautoritären oder studentisch-­ libertären Idealen. Dementsprechend nimmt es nicht wunder, dass manche unter ihnen lange Zeit eher die schrankenlose Selbstentfaltung als die kollektive Einschränkung der Bedürfnisse akzentuierten. Diese Gruppen empfanden nicht nur Leitbilder wie Macht, Autorität, Status, Konkurrenz, Karriere, technische Perfektion und geplante Obsoleszenz, sondern auch Vorstellungen wie Bescheidenheit, Disziplin, Arbeitsamkeit und Opferbereitschaft weiterhin als negativ und stellten stattdessen lieber Werte wie Selbstbestimmung, Persönlichkeitserweiterung, privates Wohlbefinden und staatliches Grundeinkommen als positiv hin. Schließlich kamen viele Anhänger und Anhängerinnen dieser Bewegung aus Gruppen, in deren Ideologien eher das Bunte als das Grüne dominierte. Obendrein lebten sie – wie alle anderen Bundesbürger und Bundesbürgerinnen – in einem total kommerzialisierten Environment, welches sie ständig mit höchst verlockenden Reklamen eines befreiten Sichauslebens in Form kulinarischer, touristischer oder erotischer Genüsse umgaukelte, deren möglichst intensive Erfüllung ihnen durch die pausenlose Wiederholung geschickt formulierter Werbeimpulse als völlig »natürlich« erschien. Und doch gab es unter den Grünen auch danach weiterhin Vertreter und Vertreterinnen einer neuen Ideologie der Mäßigung, ja, selbst der Bescheidenheit, der ein Bewusstsein zugrunde lag, dass jeder übersteigerte Verbrauch der angebotenen Konsumgüter und aufwendigen Genusserfüllungen der sogenannten Umwelt oder besser Mitwelt schaden und somit das weitere Fortbestehen aller Lebewesen auf Erden beträchtlich verringern würde. Dafür sprechen Bücher wie Aufstand für die Natur (1990) von Klaus Michael Meyer-­Abich, Natur denken. Eine Genealogie der ökologischen Idee (1991) von Peter Cornelius Mayer-­Tasch, Feuer in die Herzen. Plädoyer für eine linke ökologische Opposition (1992) von Jutta Ditfurth, Die Botschaft des Jahrtausends. Von Leben, Tod und Würde (1994) von Carl Amery sowie die Reden und Schriften führender Vertreter und Vertreterinnen der Partei Die Grünen wie Claudia Roth, Jürgen Trittin und Antje Vollmer, die sich vor allem gegen die verheerenden Wirkungen des maßlosen Energieverbrauchs, des zunehmenden Schadstoffausstoßes wie überhaupt des herrschenden »Konsumrummels« wandten und für ein verstärktes »ökologisches Gleichgewicht« eintraten. Ja, selbst an spezifisch antikapitalistischen Invektiven fehlte es in diesen Jahren bei den »alternativ« eingestellten Grünen keineswegs. So forderte etwa Iring Fetscher 1986 in seinem Beitrag zu dem von Norbert W. Kunz herausgegebenen Band Ökologie und Sozialismus. Perspektiven einer umweltfreundlichen Politik die bundesrepublikanische Bevölkerung auf, sich endlich zu einer »demokratischen Askese« durchzuringen, um so der Zerstörung »unserer natürlichen Umwelt« Einhalt zu gebieten, statt weiter168

Die Graswurzelrevolution um 1980

hin eine Gesellschaftsordnung zu rechtfertigen, in der ein »hemmungslos egoistischer Hedonismus« und ein daraus resultierender »Kampf um Status, Konsum und Prestige« herrsche.8 Zu dem gleichen »kategorischen Imperativ der Bescheidenheit« bekannte sich Hans Jonas ein Jahr später in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung, wo er erklärte, dass ein »ungehemmter Kapitalismus des Marktes«, der »nur darauf angelegt ist, die menschliche Begehrlichkeit anzustacheln und den Konsum zu erhöhen«, kein »geeignetes System« darstelle, um all jener »Probleme Herr zu werden«, welche sich durch die »explosionsartige Vermehrung der Menschheit und den akzelerierten Raubbau an der Natur« ergeben hätten.9 Nur solche Kritiker blieben daher die wahre Avantgarde innerhalb dieser Bewegung. Sie machten diese Partei überhaupt erst zu dem, was sie sein sollte: nämlich zur Vorhut eines völlig neuen Respekts vor jener »Natur«, der wir alle unser Leben verdanken. Wer dagegen keinen neuen Respekt vor der Natur, und zwar in allem – im Kampf gegen die chemische Verseuchung von Luft, Wasser und Erde, im sparsamen Umgang mit industrieerzeugter Energie, im Verzicht auf überflüssige Beleuchtung und Heizung, in der Missachtung aller nicht lebensnotwendigen Maschinen, in der weitgehenden Emanzipation vom Auto, im energischen Einschreiten gegen alle weiteren Experimente mit Tieren, in der Erhaltung der noch existierenden Wildnisgebiete, in der Durchsetzung des Verbots der Massentierhaltung, in der weitgehenden Umstellung auf Pflanzennahrung sowie in der Einschränkung des Massentourismus – habe, war in ihren Augen kein Grüner. Denn nur in einem solchen Verhalten zeige sich ein ökologisches Gewissen, wie sie erklärten, das zur Basis einer neuen Einstellung zur Natur und aller in ihr lebenden Organismen, einschließlich der Menschen, werden könne. Wer dagegen in seinem Alltag weiterhin einer konsumbetonten Selbstrealisierung huldige, bleibe ein Liberaler, der sich – gewollt oder ungewollt – an dem allgemeinen Katastrophenkurs mitschuldig mache. Das mag für viele anspruchsvoll, wenn nicht gar hart klingen. Aber die ökologische Bedrohung ist inzwischen bereits so groß geworden, dass mit unkonkreten Mahnungen heute nicht mehr viel auszurichten ist. Wohlmeinende Appelle lässt sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zwar weiterhin gefallen, aber irgendwelche gesetzlich verfügten Einschränkungen würde sie sicher als »doktrinär« empfinden. Daher haben selbst viele jener Grünen, die anfangs zum radikalen Flügel dieser Partei gehörten, ihre fundamentalistischen Ansichten im Laufe der letzten 20 bis 25 Jahre weitgehend aufgegeben – und sind aus rebellischen »Fundis« zu parteistrategisch denkenden »Realos« geworden. So ernüchternd es klingt: Falls sie weiterhin an der Utopie einer konsequenten Wohlstandsminderung festgehalten hätten, würde sie heute wohl kaum noch jemand wählen. Also haben sie sich – wohl oder übel – den sozioökonomischen Rahmenbedingungen des »Industriestandorts Deutschland« 169

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.«

angepasst und sind dadurch zu einer erfolgreichen Mittelstandspartei geworden. Was sie jedoch nach wie vor von den Linksliberalen unterscheidet, ist ihr basisdemokratisches Bemühen um Solidarität, ja, sogar um Freundschaft untereinander. Und damit lebt innerhalb der Vertreter und Vertreterinnen der frühen Graswurzelrevolution und den mit ihr Sympathisierenden wenigstens ein kleiner Funke jener Hoffnungsgesinnungen aus den späten siebziger und frühen achtziger Jahren weiter, der sich zwar heute eher im Einsatz für Schulreformen, Altenfürsorge, Frauenemanzipation und Ausländerfreundlichkeit als in der Solidarität mit der missbrauchten Natur äußert, aber damit wenigstens seine ursprüngliche Tendenz zu einer sozialethischen Einstellung beibehalten hat.

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Zur gegenwärtigen Situation

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

Als sich in den späten achtziger Jahren der sogenannte Ostblock allmählich aufzulösen begann, schienen vielen linksliberalen Geisteswissenschaftlern und Geisteswissenschaftlerinnen der Bundesrepublik Deutschland ihre früheren Sympathien für nichtkapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme plötzlich suspekt, wenn nicht gar anachronistisch. Selbst jene, die sich bis dahin für eine entschiedene Gesellschaftskritik eingesetzt hatten, stellten plötzlich die angeblich freie Marktwirtschaft – die in Wirklichkeit eine von Seiten des Staates und der großen Konzerne indirekt gelenkte Wirtschaft war, aber dennoch als bestmögliche Verwirklichung einer wahrhaften Demokratie, das heißt »Volksherrschaft«, ausgegeben wurde – als die einzig mögliche Staatsform der Zukunft hin. Während diese Gruppen in den späten sechziger und siebziger Jahren – im Hinblick auf den Gegensatz zwischen Kapitalismus und Sozialismus – noch die Möglichkeiten dritter Wege erwogen hatten, neigten sie danach mehrheitlich zu einem ideologischen Schwarz-­Weiß-­Denken, das sich, wie in den Zeiten des Kalten Kriegs der fünfziger Jahre, auf den nicht mehr hinterfragten Gegensatz zwischen pluralistisch und totalitär verengte. Und damit schien sich für viele alles Weitere zu erübrigen. Von konservativ bis liberal stand daher nach diesem Zeitpunkt in den meisten geisteswissenschaftlichen Proklamationen der Bundesrepublik erneut fast ausschließlich das positive Leitbild einer »offenen Gesellschaft« (Karl R. Popper) im Vordergrund. Und zwar geschah das, weil ein solches Konzept in seiner idealistischen Unkonkretheit wesentlich wertbetonter klang, als wenn man von einem System der kapitalistischen Profitwirtschaft gesprochen hätte, in welchem lediglich die ehernen Gesetze von Angebot und Nachfrage herrschen. Im Sinne formaldemokratischer, postindustrieller oder postmoderner Ideologieentwürfe mit all ihren sorgfältig ausdifferenzierten Varianten und Diskurstheorien wurde demzufolge von den Befürwortern und Befürworterinnen solcher Vorstellungen das gegenwärtige marktwirtschaftliche System lieber als Informations-, Dienstleistungs-, Singularitäts-, Risiko- oder Erlebnisgesellschaft charakterisiert, um auf die schier grenzenlose Fülle der in ihm vorwaltenden Meinungen, Unterschiede, Erlebnismöglichkeiten und ständigen Modernisierungsschübe hinzuweisen. Wenn man solchen Verlautbarungen Glauben schenken sollte, wären also in unserer Gesellschaft – aufgrund der in ihr propagierten Chancengleichheit – der Selbstverwirklichung des Einzelnen keinerlei Schranken entgegengesetzt. In ihr seien alle überindividuellen Wert173

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse

vorstellungen längst abgebaut, las man immer wieder, das heißt, in ihr herrsche ein vielfältig belebendes Nebeneinander modernistisch orientierter Diskurse und Differenzgefühle, das auf alle Ewigkeitsvorstellungen politischer, religiöser, sozialer oder kultureller Art getrost verzichten könne. Der Vorzug eines solchen Systems wurde deshalb weitgehend in der Dekonstruktion oder Dezentrierung älterer, als Zwangsmechanismen hingestellter Wertsysteme gesehen, wodurch häufig das Geschlechtsspezifische oder die »direkte Erfahrung« als die einzig fassbaren Kriterien übrig blieben. Im Sinne der Parole »Hie pluralistisch – hie totalitär« musste im Rahmen einer solchen Sehweise jede solidarisch ausgerichtete Gesellschaft von vornherein negativ erscheinen. Derartige Sozialordnungen wurden darum von den Propagandisten und Propagandistinnen einer ungezügelten Marktwirtschaft stets als politische Realisierungen ideologischer Meisterdiskurse oder zwanghaft in die gesellschaftliche Praxis umgesetzter Utopien, sprich: despotischer Machtverhältnisse diffamiert, die notwendigerweise zu Unfreiheit, wenn nicht gar Versklavung führten. Wo immer diese Pluralismusverfechter und -verfechterinnen ein teleologisches Denken aufspürten, das einen zielgerichteten Glauben an historische Fortschrittsmöglichkeiten voraussetzt, also die Vielfalt der Meinungen zugunsten einer ideellen Ganzheit befürwortet, stellte sich bei ihnen – in einer kurzschlüssigen Gleichsetzung von »Totalität« und »totalitär« – sofort das Verdikt einer vergewaltigenden Systematik ein. Das begann bereits im Umkreis der Totalitarismustheoreme der unmittelbaren Nachkriegszeit (Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Louis Fischer, Karl R. Popper) und setzte sich später in unverminderter Schärfe im Rahmen der Solschenizyn-­Debatte der französischen Neuen Philosophen (André Glucksmann, Bernard-­Henri Lévy) sowie den Polemiken der Poststrukturalisten der siebziger Jahre (Jacques Derrida, Michel Foucault, Jean-­François Lyotard) fort,1 die in jedem politischen, sozialen und k­ ulturellen Diskurs, der sich an festen Wertvorstellungen oder als autoritär ausgegebenen Denkmustern orientierte, eine Tendenz zu gewaltsamer Totalisierung aufzudecken suchten.2 Zu Anfang wandte sich dieses Denken im Sinne der üblichen Braun-­gleich-­Rot-­ Theorien vor allem gegen faschistische und kommunistische Regime, zog aber dann auch viele der technologischen, institutionellen, geschlechtsspezifischen und ästhetischen Machtsysteme in Frage. Die Kritik dieser Gruppen beruhte meist auf der Prämisse, dass die sogenannten universalisierenden, logozentrischen oder phallokratischen Meisterdiskurse, die von einem klar erkennbaren »Subjekt der Geschichte« oder anderen Leitideen ausgehen, wegen ihrer totalisierenden Allgemeinheit die auf eine unverzichtbare Partikularität bestehenden Einzeldiskurse notwendig eingrenzten oder gar unterdrückten. Bei vielen Poststrukturalisten führte das dazu, 174

Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

sich für eine konsequente Kritik des bisherigen Totalitätsbegriffs zugunsten einer dezentrierenden Polyinterpretabilität einzusetzen, wie es bei Paul de Man heißt, um so zur »Aufdeckung bisher verborgener Fragmentierungen innerhalb vorgeblicher monadischer Totalitäten« und damit einer Rechtfertigung der nicht mehr auf ein größeres Ganzes rückführbaren Einzeldiskurse beizutragen.3 Fast alle, die weiterhin gegen solche Anschauungen opponierten, fühlten sich deshalb seit den frühen neunziger Jahren in einer deutlichen Defensivposition. Schließlich war der Jubel über den dezentrierenden Pluralismus im offiziellen Diskurs der bundesrepublikanischen Gesellschaft so lautstark geworden, dass sich im intellektuellen Bereich kaum noch jemand fragte, ob nicht auch das allerorten propagierte Singularitätsbemühen ein sogenannter Meisterdiskurs sei, der alle anderen politischen, sozialen und wissenschaftstheoretischen Diskursformationen von vornherein auszuschließen versuche.4 Verdient denn eine solche ins ideologisch Unverbindliche reduzierte Gesellschaft wirklich das Prädikat »Offenheit«, mit dem sie oft ausgezeichnet wird? Gut, dass sie nicht nazifaschistisch oder kommunistisch war, sei zugegeben. Aber herrschte nicht in ihr eine Kultur- und Meinungsindustrie, eine technische Rationalisierung sowie eine ans Fetischhafte grenzende Konsummentalität, hinter der eine kapitalistische Oligarchie nebst staatlich flankierender Wirtschaftssteuerung steht, zu deren wichtigsten Strategien das Prinzip der indirekten Lenkung im Sinne der bekannten »Social engineering«-Taktiken gehört? War denn alles, was die Kritiker dieses Systems von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse über den frühen Hans Magnus Enzensberger bis hin Jürgen Habermas, Oskar Negt und Alexander Kluge vorgebracht hatten, plötzlich nicht mehr wahr, nur weil dieses System im Streit um die Weltherrschaft einen vorläufigen Sieg davongetragen hatte? Lässt sich demnach die als pluralistisch bezeichnete Demokratie von heute wirklich als jene Volksherrschaft ausgeben, für die ihre ersten Befürworter im Zeichen von »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« einmal auf die Barrikaden gestiegen waren?5 Genau besehen hat auch das Konzept der pluralistischen Gesellschaft einen eminent diskursstrategischen Grundzug, wenn auch einen besonders geschickt verbrämten. Letztlich liegt ihm eine Anschauungsweise zugrunde, die einen weitgehend Klassen vertuschenden Charakter hat. Daher wurde sie besonders aktiv von jenen Geisteswissenschaftlern und Geisteswissenschaftlerinnen lanciert, denen das Konsortium der politisch und wirtschaftlich Herrschenden im Rahmen des bundesrepublikanischen Systems ein universitäres Ghetto eingeräumt hatte, in dem sie zwar frei, aber relativ unwirksam blieben. Während man von der in Industrie und Verwaltung beschäftigten Intelligenz ein affirmativ-­pragmatisches Verhalten zur politischen und sozioökonomischen Wirklichkeit erwartete und im Hinblick auf 175

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse

die Mehrheit der restlichen Bevölkerung die Mechanismen einer massenmedialen Instrumentalisierung in Gang setzte, wurde den Repräsentanten und Repräsentantinnen dieser Fächer die Funktion zuerteilt, entweder zur »psychischen Entlastung« der gesellschaftlichen Oberschichten (Odo Marquard) beizutragen oder den weitgehend vorgeplanten ideologischen und kulturellen Systemabläufen das berühmte Feigenblatt der Freiheit aufzukleben. Und viele dieser Akademiker und Akademikerinnen – zum Teil nicht minder beeinflusst von den herrschenden Massenmedien und den hinter ihnen stehenden Konzernen – stellten sich ohne große Skrupel in den Dienst derartiger Tendenzen. Zugegeben, es gab auch solche, die sich als »Sand im Getriebe« verstanden. Aber selbst sie begnügten sich häufig mit einer ins Positive gewendeten Außenseiterposition und damit einer dezentrierenden, sprich: ablenkenden Sehweise, die nicht mehr auf die Gesamtgesellschaft bezogen war, sondern sich, wenn es hochkam, unter dem Motto »The Personal is the Political« zu separatistischen Randgruppenstrategien geschlechtsspezifischer oder identitätsstiftender Art bekannte, was zwar achtenswert war, aber oft im Bereich des hilflos Vereinzelten blieb. Dieser Prozess der Absonderung verhalf zwar den Geistes- und Kulturwissenschaften zu jener privilegierten Rolle, die sie lange Zeit spielten, erniedrigte sie aber zugleich, die eigentlich Disziplinen gesamtgesellschaftlicher Perspektiven sein sollten, zu randständigen Alibiwissenschaften. Im Zuge dieser Ghettoisierung traten in diesen Wissenschaften ein Gesellschaftsund Wirklichkeitsverlust und damit eine akademische Partikularisierung ein, deren Ergebnis immer kleinere, in sich geschlossene Kommunikationszirkel waren, die vor der Welt des Technologisch-­Profitorientierten in eine Gemengelage unverbindlicher Überbaudiskurse auszuweichen versuchten. Der diesem System zugeordnete »Homo academicus«, wie ihn Pierre Bourdieu beschrieben hat,6 drängte nicht mehr auf gesamtgesellschaftliche Relevanz, ja, ersetzte alle größeren Bezüge zusehends durch den professionalisierten Diskurs seiner Disziplin. Sein Theorieinteresse fiel demzufolge weitgehend mit seinem persönlichen Berufsinteresse zusammen, woraus sich die allbekannten Profilneurosen, Gremienaktivitäten und anderen Folgen eines solchen Teilsystems ergaben. Daher wurden in weiten Bereichen der damaligen Geisteswissenschaften, in denen nach dem Schwund der nationalen, religiösen und sozialen Wertvorstellungen fast ausschließlich das Eigeninteresse übrig geblieben war, kaum noch bedeutsame Antworten auf die anstehenden gesellschaftlichen Fragen produziert, sondern vornehmlich unkonkrete Theoriemodelle vermarktet. Und wenn sich jemand innerhalb dieser professionalisierten Dienstleistungsdisziplinen überhaupt noch engagierte, dann häufig nur, um auf die toten Feinde des eigenen Regimes einzuschlagen, statt sich an die Herausarbeitung in die Zukunft weisender Wertsysteme heranzuwagen. 176

Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

Wegen dieser professionellen Verengung merkten viele der in diesen Fächern Tätigen gar nicht mehr, wie sehr sie als hochbegünstigte Nutznießer der herrschenden Wirtschaftsordnung in ein System eingebettet waren, welches die ihnen ersparten Drecksarbeiten weitgehend an sogenannte Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen beziehungsweise die Bewohner und Bewohnerinnen der Dritten Welt ausgelagert hatte. Aufgrund der privilegierten Abstraktheit dieser Situation, in der die weiterbestehenden Ausbeutungsmechanismen immer undurchsichtiger wurden, verloren deshalb viele von ihnen die technologischen und sozioökonomischen Verhältnisse zusehends aus dem Blick und sprachen relativ bedenkenlos von einer postindustriellen »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze) oder »Gesellschaft der Singularitäten« (Andreas Reckwitz), deren Mitglieder primär mit ihrer als pluralistisch ausgegebenen Selbstverwirklichung beschäftigt seien. Allerdings hatte diese Haltung einen Haken. Ihr lag zwar selten ein schlechtes Gewissen, aber doch ein mehr oder minder ausgeprägtes Unsicherheitsgefühl zugrunde, über das auch der Zweckoptimismus gewisser Postmoderneliebhaber und -liebhaberinnen nicht hinwegtäuschen konnte. Schließlich gehörten auch diese Schichten zu den Siegern des jahrzehntelangen Kalten Kriegs gegen den Ostblock, aber zu den krisengeschüttelten Siegern dieses Kriegs, welche in einem gesellschaftlichen System lebten, das trotz seiner ideologischen Triumphe von unerbittlicher Konkurrenz sowie ökonomischen Krisenzyklen bedroht war und in dem es durch eine hemmungslose Bevölkerungsvermehrung, Überindustrialisierung und skrupellose Ausplünderung der Natur zu gewaltigen ökologischen Katastrophen kommen konnte. Ja, manche Naturwissenschaftler behaupteten schon in den späten neunziger Jahren, dass der »Zeitpunkt der Irreversibilität«, nach dem die fortschreitende Verschmutzung von Wasser, Luft und Erde nicht mehr rückgängig zu machen sei, bereits in 50 bis 60 Jahren erreicht sein könnte. Man sollte meinen, dass wenigstens der ökologische Katastrophenaspekt die in dieses System eingebettete geistes- und kulturwissenschaftliche Intelligenz aus ihrer Selbstgefälligkeit aufgescheucht hätte. Aber relativ wenig dergleichen geschah.7 Es gab zwar in der Bundesrepublik weiterhin eine Partei der Grünen, aber ihre Vorstellungen drangen kaum in den humanwissenschaftlichen Diskurs ein. Stattdessen beschränkten sich viele Geistes- und Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen aufgrund ihrer intellektuellen Arriviertheit und der zwar gefährdeten, aber immer noch »grün« aussehenden Natur weiterhin auf privilegierte Probleme der außergesellschaftlichen Subjektivität und multikulturellen Differenz, worunter sie die wichtigsten Kennzeichen einer pluralistischen Demokratie verstanden. Schließlich lebten sie in der bestmöglichen Welt, die für Menschen ihresgleichen je existiert hat. Die rücksichtslose Ausplünderung der Natur sowie die technischen Errungenschaften erlauben es dem politischen Establishment, auch diese Gruppen an 177

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse

einem recht breit gestreuten Wohlstand teilnehmen zu lassen und ihnen zugleich eine Freiheit zu gewähren, die so lange relativ unbegrenzt blieb, wie sie nicht gegen die Grundvoraussetzungen dieses auf dem Fetisch der ständigen Akzeleration der ökonomischen Expansionsrate beruhenden Systems verstieß. Sie verfügten daher über einen gehobenen Lebensstandard, eine systemverpflichtete Freiheit und eine grüne, wenn auch erkrankte Mitwelt und ließen sich davon blenden oder schlossen, wenn ihnen diese Situation bewusst wurde, vor den Konsequenzen einer solchen Haltung lieber die Augen. Ihr Beharren auf pluralistischen Gesellschaftsmodellen hatte deshalb in vielen Fällen, da es auf privilegierten Randgruppenvorstellungen beruhte, weniger einen demokratischen als einen außenseiterischen Charakter. Statt von den Problemen der Mehrheit der Bevölkerung auszugehen und sich für diese zu engagieren, ließen sich viele Literatur- und Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen zusehends in immer kleinere Kommunikationszirkel einbeziehen, ja, beschränkten sich selbst auf philosophischer Ebene gern auf linguistische, semiotische, systemtheoretische, strukturbedingte, psychoanalytische oder mentalitätsgeschichtliche Einzelaspekte, wenn nicht gar auf die »libidinöse Lust am Text« (Roland Barthes). Während frühere Philosophen aus dem Dschungel solcher Diskurse ans Licht der Wahrheit zu streben versuchten, lockten sie ihre Leser und Leserinnen häufig noch tiefer in diesen Dschungel hinein, um sie nicht nur gegen die älteren Meisterdiskurse, sondern auch gegen alle denkbaren Avantgardevorstellungen zu immunisieren. Wohin eine solche Haltung führte, welche der »verwalteten Welt« (Max Weber) lediglich mit einer verwirrenden »Unübersichtlichkeit« (Jürgen Habermas) entgegenzutreten versuchte, ging wohl am besten aus den Schriften jener französischen Poststrukturalisten hervor, die bereits gegen Ende der siebziger Jahre behaupteten, dass es nach dem Wegfall der früheren Meisterdiskurse kein gesellschaftlich verantwortliches Ich und damit auch kein ideologisches Engagement mehr gebe (Jean Baudrillard). Solche Statements ließen sich als pessimistisch, aber auch als bequem interpretieren. Jedenfalls konnte man auf der Basis einer solchen Haltung, die wegen ihrer bewusst komplexen Heterogenität zu nichts verpflichtet, getrost die Hände in den Schoß legen. Und das schien das Anziehende eines solchen Diskurspluralismus zu sein. Während also die bundesrepublikanischen Unterschichten weiterhin durch Werbung und massenmediale Berieselung darauf konditioniert wurden, den Sinn ihres Lebens in einer möglichst standardisierten materiellen Bedürfniserfüllung zu sehen und ihre ästhetisch-­emotionalen Sehnsüchte mit Bestsellerromanen, Fernsehserien und einer flächendeckenden Pop- und Rockmusik zu stillen, herrschte bei vielen intellektuellen Randgruppen – ob nun aus Snobismus oder aus gerechtfertigter Abneigung gegen die ins Eindimensionale tendierenden Massenmedien – zeitweilig 178

Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

eher der Hang, sich von solchen ins Konformistische zielenden Tendenzen so weit wie möglich abzusetzen und Wert auf die einzelpersönliche Note, die sogenannte Identität in der Nichtidentität, innerhalb der ins Populistische und damit Konsumsteigernde nivellierten Kulturangebote zu legen. Aufgrund dieser Spaltung sympathisierten zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen der Geisteswissenschaften bis zur Jahrtausendwende zusehends mit exklusiven, minderheitsorientierten oder abseitigen Phänomenen, während immer größer werdende Teile der Unterschichten – unvertraut mit intellektuellen oder hochkulturellen Entlastungsphänomenen – zu lethargischer Verdrossenheit, verstärkten Suchterscheinungen oder Gewaltentladungen fundamentalistischer Art neigten. Angesichts dieser Problemlage weiterhin an Schwarz-­Weiß-­Konfrontationen wie offen oder geschlossen, demokratisch oder totalitär, pluralistisch oder eindimensional festzuhalten, wäre kurzsichtig, wenn nicht gar verblendet. Diese Gegensätze stellen nicht das Plus und Minus eines allein möglichen gesellschaftlichen Verhaltens dar. Schließlich kann sowohl die Tendenz ins Totale als auch die Tendenz ins Pluralistische zutiefst human oder zutiefst tyrannisch sein. Das hängt weniger von der formalen Struktur solcher Diskurse als von ihrer geistigen Ausrichtung ab, wie es überhaupt bei der Beurteilung derartiger Fragestellungen selten ohne ideologische Vorentscheidungen zugeht. So können etwa minderheitsorientierte oder geschlechtsspezifische Einzeldiskurse durchaus emanzipatorisch und damit humanistisch sein, indem sie auf eine Gleichstellung bisher unterdrückter Bevölkerungsschichten drängen, aber auch ins Unverbindliche tendieren, wenn sie ihren Diskurs als den einzig wichtigen hinstellen und dann – in monomanischer Verengung – zum zentralen Maßstab aller freiheitsbetonten Tendenzen machen. Das Gleiche gilt für häufig in Frage gestellte Meisterdiskurse wie das Christentum, den bürgerlichen Liberalismus und den Sozialismus. Auch sie lassen sich nicht von vornherein als positiv oder negativ charakterisieren, sondern müssen stets im Hinblick auf den höchst komplexen Widerspruch zwischen ideeller Ausgangsposition und gesellschaftlicher Realisierung gesehen werden. Dass sie sich in der Praxis häufig genug inhuman ausgewirkt haben, wissen wir. Das Christentum rief zu Kreuzzügen, Hexenverbrennungen, gewaltsamer Heidenmissionierung und tyrannischer Körperfeindlichkeit auf, die im krassen Gegensatz zu seinem in den Evangelien verkündeten Gebot der Nächstenliebe stehen. Der bürgerliche Liberalismus, der in der Französischen Revolution von »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« gesprochen hatte, befürwortete später häufig ein nationalegoistisches Denken, das auch übelste Formen der Ausbeutung, des Imperialismus und des Kolonialismus in sich einschloss. Und der Sozialismus, der ursprünglich das Leitziel einer in brüderlicher Solidarität zusammengeschlossenen Gemeinschaft aller »Enterbten und 179

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Entrechteten« war, welcher der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein für alle Mal ein Ende setzen wollte, wurde anschließend nur allzu oft von pseudosozialistischen Diktatoren zur Rechtfertigung eigener Machtansprüche missbraucht. Dennoch sprechen solche mörderischen Untaten nicht von vornherein gegen die Grundwerte dieser Weltanschauungen. Mögen sie sich auch in der gesellschaft­ lichen Praxis oft zutiefst kompromittiert haben, ihre ideellen Vorstellungen gehören immer noch zu den positivsten, die es gibt und die nicht leichtfertig einem sich an allen sogenannten Meisterdiskursen kritisch verhaltenden Ideologieverdachtsdenken geopfert werden sollten. Im Gegenteil, um den heutigen massenmedialen Vernebelungsversuchen entgegentreten zu können, welche mit ihren vordergründigen Zerstreuungen von der ökonomischen Krisensituation und der mörderischen Naturausplünderung ablenken sollen, müssten sich die Angehörigen der geisteswissenschaftlichen Berufe in Zukunft nicht allein auf eine ideologische Gemengelage immer kleiner werdender Einzeldiskurse beschränken, sondern auch Leitideen aufstellen, die wieder auf ein größeres gesellschaftliches Ganzes bezogen sind. Und dabei werden sie auch Ideen wie »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« benötigen, die sowohl hinter dem Christentum als auch dem Liberalismus und Sozialismus standen. Mit anderen Worten: Falls sie wirklich an einer Überlebensdebatte interessiert sind, die nie den Zeitpunkt der »Irreversibilität« der endgültigen Verschmutzung von Luft, Wasser und Erde aus dem Auge verliert, dürften sie nicht nur singularitätsorientierte Vorstellungen unterstützen, sondern müssten zugleich einen neuen Sinn für Totalität entwickeln.8 Statt also den Begriff »Totalität« weiterhin im Zeichen eines dezentrierenden Pluralismus zu verteufeln, ja, ihn auf perfide Weise mit dem Begriff »Totalitarismus« gleichzusetzen,9 um damit alle überindividuellen Zielsetzungen als gefährliche Formen eines politischen Engagements anzuprangern, die sich in der gesellschaftlichen Praxis nur tyrannisch äußern könnten, sollten die hier anvisierten Fächer wieder schärfer als bisher die ideologischen Unterschiede der als sogenannte Meisterdiskurse diffamierten Weltanschauungen herausstellen und obendrein zeigen, dass etwas wegen seiner Neigung zur Totalität nicht eo ipso totalitär zu sein braucht, sondern dass totalitär nur dasjenige ist, was einen Einzeldiskurs zum allein gültigen Maßstab erhebt. Das gilt vor allem im Hinblick auf die beliebte Gleichsetzung von Braun gleich Rot (Joachim Fest, Ernst Nolte), die zu den wirkungsmächtigsten solcher Abwertungsmanöver gehört. Dem sollte man entgegenhalten: Die Idee des Sozialismus ist aufgrund ihrer internationalen Solidaritätsvorstellungen eine der Totalität verpflichtete, die des Nazifaschismus dagegen eine totalitäre, weil sie eindeutig von der Überlegenheit einer einzelnen Rasse, nämlich der arischen, ausgeht. Daher waren Marx und Lenin keine Vorläufer Hitlers, obwohl auch Letzterer gern 180

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das Wort »Sozialismus«, wenn auch stets in einem nationalistisch verengten Sinn, im Munde führte. Ohnehin sind auf Personen reduzierte Ideologien nie die Ideologien selbst. So wie Hitler nicht für die Idee des Nazifaschismus spricht, spricht Stalin nicht gegen die Idee des Kommunismus. Schließlich wird das Christentum auch nicht nach einem brutalen Eroberer und Heidenmissionar wie Hernán Cortez oder der bürgerliche Liberalismus nach einem gnadenlosen Kolonialimperialisten und Diamantengrubenbesitzer wie Cecil Rhodes beurteilt. Die geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen sollten daher in Zukunft ihre Hoffnung nicht allein auf einen gesellschaftlich fragmentierenden, wenn nicht gar atomisierenden Pluralismus setzen, so sehr das ihren individuellen Interessen auch entgegenkommt. Das Ichbezogene wird nämlich eines schlimmen Tages, wenn die überindividuellen Krisen ökonomischer, sozialer und ökologischer Art immer stärker werden, nicht mehr jene zentrale Bedeutung haben, welche ihm die privilegierten Oberschichten der hoch industrialisierten Länder heute noch zusprechen. Dann wird es zwangsläufig wieder um gesamtgesellschaftliche Fragestellungen gehen, um nicht im Zustand verschärfter Krisen in eine allgemeine Barbarei zurückzufallen. Deshalb wäre es wichtig, erneut an das noch unerfüllte Postulat von »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« zu erinnern, dessen einzelne Komponenten allerdings viel stärker aufeinander bezogen werden müssten als bisher. Eine Freiheit ohne Gleichheit und Brüderlichkeit führt nämlich notwendig zu dem, was wir im Augenblick haben, das heißt zu einer Freiheit für die politisch und wirtschaftlich Stärkeren sowie einer Sonderfreiheit für die intellektuell Privilegierten, während die sozial Schwächeren in einer derartigen Gesellschaft weitgehend im Zustand finanzieller und ideologisch-­ mentaler Abhängigkeit bleiben. In einem solchen System, in dem es aufgrund der herrschenden Klassengegensätze keine Gleichheit und Brüderlichkeit geben kann, ist also nicht einmal die Freiheit etwas Allgemeines, sondern etwas Besonderes. In ihm können diese drei Grundwerte wahrhaft demokratischer Verhältnisse letztlich nur in privilegierten Ausnahmesituationen oder gesellschaftlichen Randzonen existieren. Daher wird in der Bundesrepublik das Gewaltpotential, das sich heute vor allem im Vandalismus der Jugendlichen sowie in populistischen Aufwallungen gegen Asylsuchende äußert, zwangsläufig immer größer werden. Solchen Aktionen allein mit Polizeikommandos entgegenzutreten, wäre kurzsichtig. Schließlich sind es nicht die Gewaltakte, welche den Zustand der Krise herbeiführen, sondern die hinter ihnen stehenden sozioökonomischen Zustände. Genau besehen drückt sich in ihnen das tiefe Unbehagen an einer Staatsform aus, die weder das Versprechen der materiellen Bedürfnisdeckung im Rahmen einer sogenannten Wohlstandssteigerung noch die Sehnsucht nach einer anderen, besseren Gesellschaft, die auch die ideellen und emotionalen Bedürfnisse aller Bürger und Bürgerinnen stillen würde, voll erfüllt hat. 181

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse

Schließlich ist die Bundesrepublik eine Sozialordnung, welche sich lediglich als ein »ökonomisches Rahmengebilde« versteht, die also – im Gegensatz zu sogenannten totalitären Systemen – überhaupt keine wertschaffende Ideologie besitzt, sondern deren einzige Funktion darin besteht, wie sich Ludwig Erhard, der »Mr. Wirtschaftswunder« der fünfziger Jahre, einmal ausdrückte, dem »persönlichen Bereicherungsdrang des Einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich entgegenzustellen«.10 Und da wundern sich manche, dass aufgrund eines so krassen Materialismus, der auf jede überindividuelle Sinnstiftung verzichtet, die politische Verdrossenheit und damit Lust an der Aggression ständig größer werden. Ich glaube nicht, dass sich diese Verhältnisse durch einen noch hektischer angekurbelten Konsumismus ins Bessere wenden ließen. Selbst wenn alle Menschen innerhalb der Bundesrepublik im Gefühl des Wohlstands lebten, würde die unübersehbare Krisensituation keineswegs aufhören. Dafür sprechen vor allem zwei Gründe. Erstens ist Wohlstand, vor allem in einer Gesellschaft der geplanten Obsoleszenz, in der eine technische Innovation die andere jagt, etwas Relatives. Was heute noch befriedigt, kann morgen, wenn die Nachbarn schon das technisch-­perfektere, elegantere Modell haben, höchst unzufrieden machen. So gesehen ist ein profit- und konsumorientierter Materialismus nichts, was eine bleibende Befriedigung bietet, sondern lediglich Lust auf Neues, Anderes weckt. Zweitens ist die Sucht nach gesteigertem Wohlstand, das heißt nach immer mehr Maschinen und immer größerem Energieverbrauch, zwar genau das, was die Akzeleration der ökonomischen Expansionsrate, also den Hauptmotor aller marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsordnungen, auf vollen Touren hält, aber zugleich jenen mörderischen Prozess der Naturausplünderung befördert, der zwangsläufig zu bisher noch ungeahnten ökologischen Katastrophen führen muss. Um diesem Kurs entgegenzutreten, ihn zu verlangsamen oder vielleicht sogar aufzuhalten, wäre eine politische, ökonomische und weltanschauliche Neuorientierung nötig, die über alles Egoistisch-­Partikulare hinausgeht und wieder die Gesamtheit der gesellschaftlichen Situation ins Auge fasst. Statt also ihre Energien lediglich auf eine weitere Ausdifferenzierung der gegenwärtigen Pluralismusdiskurse zu konzentrieren, sollten daher selbst die in den Geisteswissenschaften Tätigen lieber einen Diskurs der Diskurse anvisieren, der sich gegen den Fetisch der ökonomischen Expansionsrate sowie seiner ihn unterstützenden technologischen Fortschrittskonzepte wendet, und stattdessen eher auf einen »geregelten Stoffwechsel mit der Natur« (Karl Marx) und die sich daraus ergebenden Wertvorstellungen drängen.11 Hierbei würde es allerdings nicht genügen, die bundesrepublikanische Bevölkerung lediglich wie Carl Friedrich von Weizsäcker zu einer »demokratischen Askese« aufzurufen und ihr dann aus Angst, gegen die herrschenden Pluralismusvorstellungen zu verstoßen, 182

Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

keine damit korrespondierenden Leitziele anzubieten.12 Denn ohne gesamtgesellschaftliche Wertvorstellungen wird die Mehrheit dieser Bevölkerung ihren einzigen Orientierungspunkt weiterhin in einer egoistischen Bedürfnisbefriedigung erblicken, das heißt, nur an sich und ihre Familien denken. Was Deutschland dagegen in letzter Instanz brauchte, wäre eine möglichst konkrete Gesellschaftsutopie, um die trotz aller Wohlstandsversprechungen noch immer in Bedürftigkeit Lebenden wie auch die mit der gegenwärtigen Situation aus ökologischen Gründen Unzufriedenen mit einer realistischen Hoffnung auf die Veränderbarkeit der ökonomischen Grundvoraussetzungen zu beflügeln. Eine solche Utopie müsste sich sowohl am Konzept der christlichen Nächstenliebe und der frühliberalen Freiheits-, Gleichheits- und Brüderlichkeitspostulate als auch am Ideal einer linken Sozialutopie im Sinne Ernst Blochs orientieren,13 um so jenem demokratischen Ökosozialismus die Wege zu ebnen, den Autoren grüner Utopien schon seit dem Roman News from Nowhere (1890) von William Morris ins Auge gefasst haben.14 Wer in der heutigen Überlebensdebatte politisch ernst genommen werden will, wird also kaum umhin können, neben christlich-­genossenschaftlichen und liberal-­ demokratischen auch sozialistisch-­solidarische Vorstellungen in seine Argumentation einzubeziehen. Allerdings müssten dies Vorstellungen sein, die sich nicht der Fortschreibung jenes industriellen Systems verpflichtet fühlten, aus dem die sozialistische Arbeiterbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist. Wegen dieser Ausgangsposition schwor der Kommunismus lange Zeit auf den gleichen industriellen Fortschritt wie der bürgerliche Liberalismus und zum Teil auch der Nazifaschismus, die alle drei – im Hinblick auf eine möglichst rasche Steigerung der industriellen Expansionsrate – vor nichts, nicht einmal der selbstmörderischen Zerstörung der natürlichen Grundlagen allen Lebens zurückschreckten. Man teile daher die Welt nicht einfach in offene und geschlossene Gesellschaften ein, sondern erkenne zugleich, wie ähnlich sich alle Systeme sind, die demselben industriellen Fortschrittswahn huldigen. In diesem Punkt ist das kapitalistische System um keinen Deut besser als das kommunistische oder nazifaschistische. Dennoch sind diese drei Systeme – auf ihre ideellen Möglichkeiten befragt – keineswegs gleich. Während das nazifaschistische weder Freiheit noch Gleichheit und Brüderlichkeit anstrebte, sondern alles einem autoritären Führerprinzip unterwarf, haben der Liberalismus und der Sozialismus – in ihren edelsten Manifestationen – diesen Postulaten stets einen hohen Respekt gezollt, der eine mehr die Freiheit, der andere mehr die Gleichheit und Brüderlichkeit betonend. Und diese ideellen Komponenten gilt es auch für ein neues Wertsystem zu nutzen. Schließlich brauchen alle hochindustriellen Gesellschaften, um die sie bedrohenden ökologischen Katastrophen zu verhindern, endlich gesellschaftliche Leitbilder oder Meisterdiskurse, bei denen ein auf kommunitaris183

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse

tischer Teilhabe begründetes Verantwortungsgefühl für die eigene Region und ihre natürlichen Rohstoffe, eine daraus erwachsende soziale Identität und zugleich ein mit allen Lebewesen verbrüdertes Verhältnis im Vordergrund stehen sollten, um so jene Gesinnung zu überwinden, die nur die »narzisstische« Selbstrealisierung der eigenen Interessen (Christopher Lasch) im Auge hat. In einer solchen Gesellschaft müsste also vor allem das Verhältnis zur Technik neu durchdacht werden. Weder sogenannte demokratische noch sogenannte sozialistische Regime haben in ihren Ländern eine am Maßstab des ökologischen Gleichgewichts ausgerichtete Politik angestrebt, sondern – in Konkurrenz miteinander, aber auch im skrupellosen Eigeninteresse ihrer materialistischen Weltanschauungen – selbstmörderisch drauflosgewirtschaftet. Es reichte daher nicht, zwischen angeblich offenen und angeblich geschlossenen Gesellschaftssystemen einen möglichen dritten Weg zu finden, also einen, der Freiheit und Gleichheit im Sinne einer rein anthropozentrischen Sicht miteinander zu versöhnen sucht. Was ein hoch industrialisierter Staat wie die Bundesrepublik wirklich brauchte, wäre ein Konzept, das den bisherigen Anthropozentrismus endlich zugunsten einer biozentrischen oder zumindest naturbewahrenden Sicht in den Hintergrund drängte, für die bereits Johann Wolfgang Goethe und Alexander von Humboldt, die frühesten und zugleich hellsichtigsten Kritiker der Rücksichtslosigkeit des menschlichen Durchsetzungsdranges innerhalb marktwirtschaftlicher Produktionsverhältnisse, eingetreten sind.15 Während jedoch diese beiden – angesichts der noch relativ gesunden Natur – damals im Hinblick auf solche Probleme weitgehend im Zustand der philosophischen und ästhetischen Kontemplation verharrten, wären heute wesentlich drastischere Maßnahmen vonnöten, zu denen auch persönliche Opferbereitschaft, Geburtenbeschränkung, Verzicht auf unnötige Maschinen, Abbau der Atomkraftwerke, Vermeidung von Giftmüll, Erhaltung der Wälder, Einführung vegetarischer Essgewohnheiten, Abschaffung der Privatautos, Einschränkung des Tourismus, gezielte Öko- und Luxussteuern usw. gehören müssten, ohne welche die Weiterexistenz der Natur und damit auch das Fortleben des Menschen nicht länger gewährleistet sind. Hierbei sollte es sich allerdings um Konzepte handeln, die weder eine nostalgische Rückkehr zu früheren Stadien der Menschheitsentwicklung noch die Einführung einer sogenannten Ökodiktatur (Wolfgang Harich) befürworten würden, sondern im Rahmen des angestrebten ökologischen Gleichgewichts auch die in Jahrhunderten errungene Freiheit beizubehalten versuchten. Durch die Unterstützung solcher Gedankengänge könnten die Ökologiebewussteren unter den bundesrepublikanischen Geisteswissenschaftlern und Geisteswissenschaftlerinnen in den Rang einer rot-­grünen Avantgarde aufsteigen, die sich vor den Problemen der Gesamtgesellschaft nicht mehr zurückzieht und sich auf 184

Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

irgendwelche privilegierten Minderheitsprobleme beschränkt, sondern sich wieder gesamtgesellschaftlich relevanten Fragen zuwendet. Statt vor solchen als zu »platt« empfundenen Problemstellungen ins Übertheoretische rein akademischer Positionierungen auszuweichen, sollten die Vertreter und Vertreterinnen dieser Disziplinen wieder für wertbetonte Postulate wie regionale Verantwortung, schonende Behandlung der Natur sowie einzelpersönliche Bescheidenheit eintreten. Während sich all jene, die lediglich den zweckoptimistischen Ideologien der Massenmedien lauschen und sich eine bessere Zukunft allein von einer noch rasanteren Beschleunigung der ökonomischen Zuwachsrate versprechen, müssten auch die bisher Unengagierten unter ihnen, da sie sowohl den Vorzug einer höheren Bildung als auch den der relativen Freiheit genießen, endlich ihre politische Passivität im Hinblick auf die fortschreitende Naturzerstörung überwinden und sich dieses Privilegs durch mahnende Stellungnahmen oder gar sinnvolle Alternativvorschläge als würdig erweisen. Und es gibt auch schon Vorbilder dafür. Bereits Petra K. Kelly hat gesagt, dass das industrielle Wachstum kein wirkliches Wachstum, sondern – im Gegenteil – ein krankhaftes Geschwulst sei, in dem sich die zunehmende »Verkrebsung der gesamten Welt« manifestiere. Ähnliche Äußerungen finden sich bei Carl Amery, Manon Andreas-­Grisebach, Rudolf Bahro, Jochen Bölsche, Hoimar von Ditfurth, Jutta Ditfurth, Eugen Drewermann, Erhard Eppler, Günter Grass, Robert Havemann, Hans Jonas, Robert Jungk, Jürgen Moltmann, Gudrun Pausewang, Günther Schwab, Dorothee Sölle, Antje Vollmer und Günter Wallraff, deren Schriften an den naturzerstörerischen Auswirkungen des industriellen Fortschrittswahns keinen Zweifel lassen. Ja, in den Publikationen des »Club of Rome« findet sich sogar die Warnung, dass die konzerngesteuerte Formaldemokratie, die im Augenblick die herrschende Staatsform aller hoch industrialisierten Länder ist, wegen ihrer Tendenz zu kurzsichtiger Profitsucht, gnadenloser Naturausbeutung und damit ökologischer Verwüstung politisch obsolet geworden sei und durch Wirtschaftsgebilde mit naturschonenden Planungskonzepten ersetzt werden müsse.16 Ich weiß, nach 1989, das heißt nach dem Zusammenbruch des früheren Ostblocks, galten alle staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft als undemokratisch. Aber geschahen sie – in Form von Rüstungsaufträgen, Raumfahrtprogrammen, Flugplatzerweiterungen, Eisenbahntrassen, Steuerbegünstigungen usw. – nicht ohnehin? Statt die gesamte Planungsenergie in solche Projekte zu stecken, müssten die staatlichen Stellen endlich – mit wesentlich größerer Entschiedenheit – auch naturerhaltende und bevölkerungspolitische Aspekte ins Auge fassen. All dies sollten längst keine reinen Privatangelegenheiten mehr sein. Im Sinne eines neuen kollektiven Eigentumsbegriffs müssten immer mehr Menschen zur Einsicht gebracht werden, dass ihr Baby auch mein Baby und ihr Baum auch mein Baum ist. Nur so könnte an 185

Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse

die Stelle der herrschenden Ausplünderungsgesellschaft eine sich zahlenmäßig verkleinernde und damit die Natur respektierende Bescheidenheitsgesellschaft treten. Kurzum, das momentan bestehende Wirtschaftssystem sollte endlich danach beurteilt werden, ob es tatsächlich in einem naturverträglichen Sinne angelegt ist und so zu einem dauerhaften Wohlergehen der Bevölkerung beiträgt, anstatt es aufgrund seiner pluralistischen Freiheitskonzepte lediglich als ein dem ins Totalitäre drängenden Sozialismus überlegenes hinzustellen – und damit allen weiteren Fragen aus dem Wege zu gehen. Wenn solche ideologischen Abwertungsmanöver endlich als Formen anachronistischer »Social engineering«-Taktiken durchschaut würden, könnten sicher auch bislang im Zustand der Teilnahmslosigkeit verharrende Geistes- und Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen wieder Mut schöpfen, an Entwürfen wahrhaft alternativer Staats- und Wirtschaftskonzeptionen mitzuarbeiten. Und zwar sollten sie das tun, wie es Angehörigen dieser Disziplinen am besten ansteht: nämlich kritisch reflektierend, auch die Kenntnis der Geschichte einbeziehend und sich zugleich von jener Selbstbezogenheit distanzierend, die sich – aufgrund der von den Vertretern des Status quo pausenlos gepredigten Utopiefeindschaft – seit Jahrzehnten in diesen Bereichen durchgesetzt hat. Wer sich solchen Einsichten gegenüber verschließt und weiterhin lediglich subjektiv-­liberal denkt, statt auch eine Änderung der Besitz- und Geburtenverhältnisse ins Auge zu fassen, verdammt sich von vornherein zur Ohnmacht, wenn nicht gar politischen Verdummung. Zugegeben, solche Forderungen sind reichlich unbequem. Schließlich haben sich diese Schichten, wenn sie sich überhaupt gesellschaftskritisch engagierten, bisher meist nur für emanzipatorische, das heißt mehr »Freiheit« versprechende B ­ ewegungen eingesetzt. Solche Tendenzen sprachen sie – je nach intellektueller, ästhetischer oder geschlechtsspezifischer Orientierung – in einem höchst persönlichen Sinne an und ließen sich zugleich mit den herrschenden Pluralismuskonzepten in Einklang bringen. Aber die »Schonung der Natur«? Ein solches Postulat verspricht keine größere Freiheit oder Privilegienerweiterung. Im Gegenteil, es wirkt in seinen Maßhalteappellen eher Bedürfnis reduzierend und stößt daher bei liberalistisch orientierten Schichten sofort auf Widerstand. Nach dem Zusammenbruch so vieler auf futurologischen Planungskonzepten beruhender Staaten und Systeme sind diese Berufsgruppen gegenüber allen an der Zukunft orientierten Forderungen von vornherein misstrauisch. Das ist als Ideologie- und Utopieverdacht »gebrannter Kinder« durchaus verständlich, wirkt aber – in seiner ständigen Beschwörung minderheitsorientierter Demokratievorstellungen – zugleich auf penetrante Weise egoistisch. Schließlich gibt es neben dem pluralistisch unverbindlichen Konzept der Demokratie als Kontrastmodell nicht nur die totalitäre Form des Nazifaschismus und Stalinismus, sondern 186

Rot-­grüne Positionen in den Geisteswissenschaften

auch ein Demokratiekonzept, das in erster Linie auf Vorstellungen wie kollektiver Anteilnahme, sozialer Identität, konkreter Mitbestimmung, kurz: einem verantwortungsbewussten Kommunitarismus beruht. Und nur ein solches überindividuelles Verantwortungsbewusstsein könnte dazu beitragen, die Natur nicht mehr allein als auszubeutende Umwelt, sondern auch als lebenserhaltende Mitwelt zu betrachten. Solche Vorstellungen mit positiven Leitbildern zu verbinden und sich zugleich an jenen Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu wenden, der sich damit am ehesten ansprechen ließe, sollte deshalb die zentrale Zielrichtung einer rot-­grünen Positionierung in den Geistes- und Kulturwissenschaften sein. Nur so könnten ihrer Vertreter und Vertreterinnen einen Multiplikatoreffekt haben und dadurch mithelfen, solche Vorstellungen – auf dem Weg über einen demokratischen Konsensus – auch in die politische und ökonomische Praxis einzubringen. Falls die von ihr unterstützten Parteien und Organisationen an dieser Aufgabe scheitern sollten, wird eines Tages, wenn die ersten ökologischen Großkatastrophen einsetzen, einmal viel staatliche Gewalt nötig sein, um ein mörderisches Chaos zu verhüten. Die entscheidende Frage ist daher, wie sich solche Gewaltsituationen und alle damit verbundenen Kriege durch ein möglichst naturverträgliches Leben, das heißt durch den Verzicht auf viele technische Errungenschaften, vermeiden ließen. Und dazu wären noch Hunderte von konkreten Vorschlägen, auch solche geistes- und kulturwissenschaftlicher Art, bitter nötig.17

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Naturerhaltende Mitwelt statt zweckdienlicher Umwelt Biozentrische Überlebensstrategien

Wer sich angesichts der rapide zunehmenden Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen – also der allgemeinen Verschmutzung, Verstraßung, Vermüllung, Verseuchung, Verdrahtung, Verlärmung, kurz: »Zernichtung«, wie der alte Goethe gesagt hätte1 – überhaupt noch der Hoffnung eines Weiterbestehens der bisherigen Artenvielfalt und damit auch des Überlebens des Menschen als einer biologischen Spezies hingeben will, sollte dreierlei tun: 1. sich über die konkreten Ursachen und damit historischen Anfänge dieser Prozesse informieren, 2. aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse Szenarios ihrer Überwindung, also Utopien eines anderen, biologisch verträglicheren Verhältnisses zur Natur entwerfen und 3. realistische Wege zu ihrer Erreichung aufzeigen. Lassen wir die utopischen und aktivistischen Aspekte erst einmal beiseite – obwohl alle diese drei Phänomene letztlich aufs Engste miteinander zusammenhängen – und konzentrieren wir uns eingangs vornehmlich auf den historischen Aspekt der damit ins Auge gefassten Fragestellungen. Was ökologiebewusste Wissenschaftler bei Diskussionen zu diesem Thema immer wieder irritiert, ja, verärgert, um mit etwas Grundsätzlichem anzufangen, ist der hartherzige Gebrauch des Begriffs »Umwelt«. Von »Umwelt« zu sprechen, bedeutet meiner Meinung nach, dass man das dahinter stehende Problem überhaupt noch nicht erkannt hat. Schließlich setzte die weltweite Naturzerstörung erst dann ein, als die Menschen die Natur nicht mehr als lebensermöglichende »Mitwelt«, sondern nur noch als dem Menschen dienliche »Umwelt« verstanden. Lediglich Umweltgeschichte zu schreiben, hieße also, den Prozess, den seine einsichtsvolleren Kritiker und Kritikerinnen eigentlich verlangsamen wollen, weiterhin zu akzeptieren, das heißt, das wissenschaftliche Interesse allein auf das erforderliche Wohlergehen des Menschen und die damit verbundenen »Sachzwänge« zu richten, statt den fortschreitenden Ausverkauf der Natur im Rahmen technokratisch organisierter Bedürfniserweckungsgesellschaften mit möglichst konkreten Argumenten entgegenzutreten. Solange sich der Mensch noch in einem religiös-­mythologischen oder später auch romantisch-­nostalgischen Sinne als Teil der Natur, also als Socius, als Mitwesen aller anderen Lebewesen verstand, erschien ihm die Natur – einmal etwas vereinfacht gesprochen – zwar noch als etwas Bedrohliches, aber auch Magisches, Mystisches, Göttliches. In diesen Zeiträumen war deshalb sein Verhältnis zu ihr meist das der Furcht, doch zugleich der Ehrfurcht, jedenfalls eines, das von Respekt geprägt war. Ja, selbst da, wo sich Menschen an ihr vergingen, waren diese Schäden 189

Naturerhaltende Mitwelt statt zweckdienlicher Umwelt

letztlich geringfügig, weil sie noch in dünn besiedelten Gebieten lebten, noch keine technischen Apparaturen entwickelt hatten – und so die Natur immer wieder die Chance hatte, die angerichteten Kahlschläge durch Neubesamung zu überwuchern und sich dadurch auch die Wildtiere und Wildpflanzen weiterhin relativ ungestört vermehren konnten. Erst als dieses mitweltliche Verhältnis zur Natur durch ein umweltliches Verhältnis zur Natur verdrängt wurde, wo also Natur – im Sinne einer von Furcht, Mystik, Magie oder Religion befreiten Sicht – nur noch als Umwelt des Menschen gesehen wurde, die ihm als dem höchsten aller Lebewesen, dem Homo sapiens, zur rücksichtslosen Ausbeutung, Ausschlachtung, mit anderen Worten: als Produktionsstätte, Raubbauobjekt oder höchstens Erholungsgebiet zu dienen hatte, setzte jener Vernichtungsfeldzug ein, der häufig als eine unabänderliche Folge sogenannter Modernisierungsschübe hingestellt wird. Dafür machen ökologiebewusste Geistesund Sozialwissenschaftler der letzten 200 Jahre vor allem jene Entwicklung des Kapitalismus seit dem 16. Jahrhundert verantwortlich, die dazu geführt habe, dass sich die in den Städten lebenden, das heißt der Natur weitgehend entfremdeten Menschen immer stärker als autonom denkende, handelnde und gewerbetreibende Wesen verstanden, die erst die umliegenden Dörfer, dann ganze Landstriche und Staaten und schließlich – im Zuge großer Eroberungs-, Versklavungs- und Kolonisierungskriege – große Teile der restlichen Welt ihrem auf gesteigerten Wohlstand bedachten Geschäftssinn unterwarfen. Und so wurde aus der bisherigen Mitwelt schließlich die sogenannte Umwelt, was zur Folge hatte, dass sich in den kapitalistisch-­imperialistischen Ländern ein humano­zentrischer und schließlich egozentrischer Ausbreitungs- und Unterdrückungsdrang entwickelte, bei dem die Kräfte des Technisch-­Mechanistischen über die des Organologisch-­Gewachsenen siegten. Summa summarum: Durch die Industrialisierung, Bevölkerungsvermehrung, Verstädterung und schließlich Vergroß­ städte­rung wurde aus der natürlichen Mitwelt eine entnaturte Umwelt. In allen Ländern, die in den Sog dieser Entwicklung gerieten, setzte demzufolge ein rastloser Aktivitätsdrang, eine Mobilitätssucht, eine Zunahme der Bedürfnisse, eine gefährliche Ausbreitung chemischer Giftstoffe, eine Verrußung und Verstaubung usw. ein, die von vielen Nutznießern des technologischen Fortschrittswahns noch immer als Akzeleration der industriellen Zuwachsrate, als »Wachstum« gefeiert wird, obwohl sich in diesem Prozess letztlich gar nichts Natürliches, sondern etwas Krankhaftes, Unnatürliches, ja, eine Verkrebsung der Welt manifestiert. An die Stelle der bisherigen Umweltgeschichte, die lediglich die Gefahren für den Menschen auflistet und diesen vorzubeugen versucht, müsste demnach endlich eine konsequente Mitweltgeschichte treten, welche vor allem jene Prozesse in 190

Biozentrische Überlebensstrategien

den Vordergrund rücken würde, durch die sich die Menschen der sogenannten Ersten Welt, aber auch die unter ihrem Einfluss stehenden Menschen der Dritten Welt auf Kosten anderer Lebewesen auf Erden alle Naturprodukte in einer grenzlosen Machtdemonstration an sich reißen und zu ihrem Nutzen ausschlachten. Mitweltgeschichte wäre demnach vornehmlich Industrialisierungsgeschichte. Sie sollte zeigen, wie sich die technologische Entwicklung der letzten zwei- bis dreihundert Jahre im Hinblick auf die Wildtiere, Wildpflanzen, Naturschätze und menschlichen Ureinwohner abgespielt hat, das heißt, wie die Industriestaaten der Ersten Welt erst ihre eigenen natürlichen Ressourcen und dann die Ressourcen der restlichen Welt erbarmungslos ausgeplündert haben und durch diesen angeblichen Triumph über die Natur zwangsläufig immer näher an den Rand des Abgrunds geraten sind. Schließlich bewirken die Ausrottung der Wildtiere und Wildpflanzen sowie der rücksichtslose Verbrauch aller Bodenschätze nicht nur die allmähliche Liquidierung der Natur, sondern berauben zugleich den Menschen seiner natürlichen Lebensgrundlagen. Um hinter diesem erbarmungslosen Verlauf dennoch einen utopischen Schimmer aufleuchten zu lassen, da nun einmal jeder Kritik notwendigerweise ein bestimmtes ideologisches Telos zugrunde liegen sollte, dem sie ihren moralischen Elan verdankt, dürfte im Rahmen einer solchen Mitweltgeschichte keine eindeutig humanozentrische Perspektive vorherrschen, sondern müsste der Akzent – stärker als bisher – auf die biozentrischen oder holistischen Aspekte gelegt werden. Erst durch einen solchen Perspektivwechsel ergäbe sich die Chance, der ins Auge gefassten Mitweltgeschichte – außer der negativen Bilanz der Zerstörung und Selbstzerstörung – zugleich einen vorwärts weisenden Sinn abzugewinnen. Denn nur vor einem solchen Hintergrund wäre es möglich, endlich jene Menschen, Denkweisen und Haltungen als vorbildlich zu erkennen und dementsprechend zu würdigen, die sich bereits im späten 18. Jahrhundert – in scharfer Ablehnung des fürstlichen Absolutismus und Physiokratismus – im Zuge der ersten, meist rousseauistisch gefärbten Reaktionen gegen die zunehmende Verschandlung und Ausbeutung der Natur wandten. Schließlich waren es diese Schichten, aus deren Reihen dann die führenden Jakobiner der Französischen Revolution hervorgingen, welche sich mit dem revolutionären Pathos von Liberté, Égalité und Fraternité für eine Wiederaufforstung der französischen Wälder einsetzten, um so der fortschreitenden Bodenerosion ein Ende zu bereiten und zugleich die Luftfeuchtigkeit zu verstärken, welche für die Einführung des Vegetarismus eintraten, welche die Rückkehr der städtischen Bevölkerung aufs Land propagierten oder welche, falls sich das als unrealistisch erweisen sollte, Paris aus einer Steinwüste in eine Gartenstadt umwandeln wollten.2 Doch diesem utopisch-­ noblen Anlauf, dem letzten vor der sich machtvoll durchsetzenden Verstädterungs191

Naturerhaltende Mitwelt statt zweckdienlicher Umwelt

und Industrialisierungswelle, wurde schon 1794 durch den Sieg der Gironde und damit der »Befreiung in den Kapitalismus« ein Ende bereitet, wodurch die Ideale der Égalité und Fraternité immer stärker hinter einer Verabsolutierung der Liberté im ökonomischen Sinn zurückstehen mussten und schließlich innerhalb der bürgerlichen Mittelschichten zusehends in den Hintergrund traten. Wo daher im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der steigenden Industrialisierung und Verstädterung der sogenannten zivilisierten Staaten, die sich im Zuge imperialistisch-­ kolonialistischer Expansionen die halbe Welt unterwarfen und zu ihrem Nutzen auszubeuten begannen, überhaupt Proteste gegen die Naturzerstörung oder Naturverschandelung laut wurden, hatten diese meist eine romantisch-­nostalgische oder humanozentrische, wenn nicht gar national-­egoistische oder marktwirtschaftliche Perspektive. Im Hinblick auf Deutschland könnte man im Rahmen der ästhetisch-­ anthropozentrischen oder romantisch-­nostalgischen Reaktionen gegen die fortschreitende Naturverhunzung auf die Bemühungen von Parkgestaltern wie Peter Josef Lenné und Hermann von Pückler-­Muskau, romantisch gesinnte Autoren wie Ludwig Tieck und Joseph von Eichendorff oder biedermeierliche Eskapisten wie Karl Leberecht Immermann und Adalbert Stifter hinweisen. All diese Proteste waren sicher nobel gemeint, blieben aber eindeutig humanozentrisch, das heißt, beklagten nur den Verlust der Natur für den Menschen und gehören daher lediglich in eine eng gefasste egozentrische Umwelt-, aber nicht in eine weit gefasste biozentrische Mitweltgeschichte. Selbst die Proteste im national-­regionalistischen Lager, also die von Ernst Moritz Arndt, Wilhelm Heinrich Riehl und Ernst Rudorff, aber auch von Seiten mancher Wandervögel, Vertretern des »Bund Heimatschutz« oder eines Lebensphilosophen wie Ludwig Klages,3 welche zwar den Niedergang der Natur wesentlich schärfer anprangerten und bereits Programme zur Wiederherstellung der landschaftlichen Schönheit aufstellten, blieben letztlich im Rahmen eines umweltgeschichtlich orientierten Denkens befangen. Auch sie sahen in der Natur weniger eine zu respektierende, wenn nicht gar zu verehrende Mitwelt, sondern weitgehend ein Umfeld bäuerlich wirtschaftender oder national empfindender Menschen. Das Gleiche gilt für jene Proteste, die auf Seiten der Arbeiterbewegung formuliert wurden, also die von August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Emil Adolf Roßmäßler, die entweder eine Erschließung der Natur für das von der bürgerlichen Erholung ausgeschlossene Proletariat forderten oder die kapitalistische Raubgier im Hinblick auf die abgeholzten Wälder angriffen. Und auch die bürgerlich-­liberalen Autoren und Autorinnen, die sich im Rahmen der allerorten entstehenden Tierschutzvereine für eine bessere Behandlung von Hunden, Katzen und Käfigvögeln einsetzten, taten das meist im Hinblick auf die emotionalen Bedürfnisse der menschlichen Tierhalter und weniger im Hinblick auf die davon betroffenen Tiere. 192

Biozentrische Überlebensstrategien

Ein zutiefst mitweltliches Denken blieb daher im Heiligen Römischen Reich des späten 18. Jahrhunderts und dann im Deutschen Bund des 19. Jahrhunderts relativ selten. Noch am ehesten mitweltlich orientiert waren einige der deutschen Rousseauisten, die zwischen 1770 und 1794 tahitianisch anmutende Naturutopien entwarfen, ein Naturforscher wie Alexander von Humboldt, dem beim Anblick der südamerikanischen Wälder die verheerenden Frevel der Europäer an der Natur bewusst wurde, Werke wie Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Faust  II des alten Johann Wolfgang Goethe, denen eine grüne Weltfrömmigkeit zugrunde liegt, die sich gegen die Heraufkunft eines mechanisch-­physikalischen Weltalters zu ­sperren versuchte, die monistischen Konzepte eines Ernst Haeckel, der 1866 als Erster den Begriff »Ökologie« prägte,4 oder die Schriften jener deutschen Neuromantiker, Lebensreformer und Diefenbachianer, die um 1900 die Gedanken von John Ruskin, William Morris und Henry Thoreau aufgriffen. Erst in Werken und Ansichten dieser Art begann sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein biozentrisches Denken zu entwickeln, das im besten Sinne »mitweltlich« genannt werden darf. Allerdings wurden die in diesen Schriften enthaltenen Proteste von der Mehrheit der nur auf steigenden Wohlstand und damit pausenlose Akzeleration der wirtschaftlichen Expansionsrate bedachten Bevölkerungsklassen kaum beachtet, das heißt nach oberflächlicher Kenntnisnahme entweder schnell verdrängt, als literarische Ergüsse abgetan oder als Spinnereien lächerlicher »Kohlrabiapostel« oder »barfüßiger Propheten« belächelt.5 Viele ihrer kritische Komponenten sind daher – im Zuge eines gesteigerten ökologischen Bewusstseins – erst in den letzten 40 Jahren wieder bekannt geworden. Im Rahmen einer verantwortungsvollen Mitweltgeschichte, die nicht nur die verheerenden Auswirkungen der Industrialisierung, Bevölkerungsvermehrung und Verstädterung der letzten zwei- bis dreihundert Jahre nachzuzeichnen versucht, sollte daher vor allem jenen Kritikern und Kritikerinnen eine stärkere Beachtung geschenkt werden, die nicht nur auf ihren eigenen Nutzen bedacht waren, sondern auf der Grundlage eines solidarischen Verantwortungsgefühls die Wohlfahrt aller Lebewesen im Auge behielten. Denn nur diese Autoren und Denker könnten sich angesichts der heute gegebenen Situation, in der bereits in absehbarer Zeit der Punkt der Irreversibilität der Verschmutzung von Luft, Wasser und Erde erreicht sein dürfte, als die dringlich erforderlichen Vorbilder erweisen. Nur sie würden uns angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse, in denen alles auf einen ökologischen Katastrophenkurs hinsteuert, wie uns nicht nur nervös gewordene Apokalyptiker, sondern auch höchst besonnene Naturwissenschaftler versichern, den nötigen ideologischen Rückenwind geben, das heißt uns in dem Gefühl bestärken, dass es auch vor uns schon Menschen gegeben hat, die nicht zu den üblichen Schmarotzern, Mitläufern oder Mitessern gehörten, sondern die sich mit kollektivem Verantwortungsgefühl 193

Naturerhaltende Mitwelt statt zweckdienlicher Umwelt

26  A. Paul Weber: Botanik 2000 (1974)

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Biozentrische Überlebensstrategien

gegen jenen allein subjektorientierten Liberalismus aufgelehnt haben, der aus dem Humanozentrischen immer stärker ins Egozentrische degenerierte. Auch Menschen, denen solche Ansichten zu biozentrisch erscheinen und die weiterhin an einer anthropozentrischen Sicht festzuhalten versuchen, mit anderen Worten: die sich noch immer als die einzig wichtigen Lebewesen auf Erden betrachten, sollten bedenken, dass sie ihre Existenz allein der so schmählich misshandelten Mitwelt verdanken. Wenn sie schon keine Solidarität mit Tieren und Pflanzen aufbringen können, so sollten sie wenigstens ihre Solidarität mit den nach uns kommenden Menschen unter Beweis stellen, indem sie sich für die Rettung jener Natur einsetzen, ohne die weder die Tiere noch die Menschen weiterexistieren könnten. Die bekannte Graphik von A. Paul Weber, auf der ein Lehrer – nach dem allgemeinen Waldsterben – inmitten einer Wolkenkratzerstadt seinen Schülern und Schülerinnen anhand eines Plastikmodells zu erklären versucht, wie früher einmal ein Baum ausgesehen hat, ist daher trotz ihrer warnenden Intention in einem falschen Sinne optimistisch. Wenn nämlich die Bäume erst einmal ausgestorben sind, wird es auch keine sie historisch beforschenden und erläuternden Menschen mehr geben. Mitweltgeschichte können wir nur so lange betreiben, wie es diese Mitwelt noch gibt. Und das fordert uns heraus, mit allen unseren Kräften und unter Verzicht auf ständig gesteigerte Wohlstandsbedürfnisse etwas zu ihrer Erhaltung zu tun. Denn nach ihrer Zerstörung wird es auch uns nicht mehr geben.6

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Versuch einer Fundamentalkritik am »sachzwanghaften« Progressivismus Elmar Treptows Entwurf einer »erhabenen« Natur

In Zeiten, in denen die Vertreter systemkonformer Begriffsbildungen über ihre Widersacher im Lager eines »eingreifenden Denkens« die Oberhand gewannen, kam es in Deutschland meist zu Rückzügen ins Ideologisch-­Unverbindliche, die ihre inhaltliche Leere mit dem Schein des Ästhetischen zu kompensieren versuchten. So war es im Bereich der Weimarer Klassik und Frühromantik, als große Teile der Intelligenz vor den gewaltsamen Ausschreitungen der Französischen Revolution zurückschreckten; so war es um 1900, als an die Stelle der sozialistisch-­naturalistischen Revolte der achtziger Jahre ein mit Fin-­de-­Siècle- und Art-­nouveau-­Tendenzen liebäugelnder Ästhetizismus trat; und so war es wieder in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als der radikaldemokratisch bis links gesinnte Widerspruchsgeist der Zeit zwischen 1965 und 1975 im Bereich der Geisteswissenschaften von sogenannten postmodernen Theoriekonstrukten überwuchert wurde, die – im Sinne der oft zitierten Parole »The Personal is the Political« – auf jeden »kritischen Biss« verzichteten und sich weitgehend auf die Beschäftigung mit minderheitsorientierten Differenzaffekten sowie sensualistisch-­leibhaften »Wahrnehmungsformen« beschränkten. Selbst im Bereich der Philosophie, wo in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren im Hinblick auf ästhetische Phänomene auch politische und sozioökonomische Fragestellungen eine gewisse, ja, zum Teil beachtliche Rolle gespielt hatten, herrschte danach auf diesem Gebiet wieder eine Sehweise vor, die vornehmlich an jene bereits von Alexander Gottlieb Baumgarten entwickelte Ästhetikvorstellung anknüpfte, die fast nur noch sinnliche Wahrnehmungsformen »privilegierte« und alle inhaltlichen Bestimmungen soweit wie möglich »desavouierte«. Immer wieder war hier hauptsächlich von dem »Wie« des »Wahrnehmens«, aber nicht mehr von dem »Was« des »Wahrgenommenen« die Rede, um so einer subjektorientierten Perspektive zu frönen, mit der man allen ideologischen Entscheidungen kollektiver, das heißt gesellschaftsbezogener oder gar gesellschaftskritischer Art aus dem Wege gehen konnte. Und zwar galt das selbst im Hinblick auf die damals wieder en vogue gewordene Naturphilosophie, die sich streckenweise den Anschein zu geben versuchte, auch auf jene »Umwelt«-Fragen einzugehen, welche sogar in den herrschenden Massenmedien – wenn auch häufig in sensationalistischer Verpackung – eine nicht 197

Fundamentalkritik am ›sachzwanghaften‹ Progressivismus

unbeträchtliche Rolle zu spielen begannen. Während manche Aktivisten unter den »Umwelt«-Schützern dabei auch einen Katalog ins Gesamtgesellschaftliche tendierender Parolen entwickelten, wich man im Bereich der akademisch-­institutionalisierten Naturphilosophie lieber von vornherein ins Ideologisch-­Unverbindliche aus, um sich nicht in irgendwelche Karriere störenden Engagementsformen zu verstricken. Und so blieb es hier – unter Berufung auf Immanuel Kants subjektorientierte Kritik der Urteilskraft oder auf von Gernot Böhme und Rudolf zur Lippe ausgegebenen Formeln wie »Naturerkenntnis ist Selbsterkenntnis«, »Offensein für neue Erfahrungswelten«, »Sichbefinden in der veränderten Umwelt«, »verstärkte Sinnlichkeit« sowie »affektives Betroffensein durch Atmosphären« – fast immer bei egozentrischen Betrachtungsweisen.1 Sich auch einmal auf das Gebiet des Politischen oder gar der kapitalistischen Produktionsprozesse vorzuwagen, wurde in diesem Umkreis meist als »ideologieverhaftet« abgelehnt. Als ebenso »oberflächlich« empfanden es viele Naturphilosophen oder Naturästhetiker der neunziger Jahre, eine kritische »Ökokunst« zu fördern, und sprachen stattdessen à la Böhme lieber von einem »handlungsentlastenden Umgang mit Atmosphären«, der keinerlei ethische ­Konsequenzen nach sich zieht. Eins der wenigen Bücher, das wie ein denkerisches Urgestein aus dem unkonkreten Geplätscher solcher postmodernen und somit gesellschaftspolitisch unverpflichtenden Theoriebildungen herausragte, war Elmar Treptows im Jahr 2001 erschienener Entwurf einer ökologischen Ästhetik, dem er den stolzen Obertitel Die erhabene Natur gab. Dieses Buch ging von der These aus, dass man angesichts der heutigen Naturverwüstung zwischen Naturphilosophie und Ökologie überhaupt keinen klaren Trennungsstrich mehr ziehen könne. Und zwar stützte sich sein Autor dabei methodologisch auf einen materialistischen Ansatz, der – im Gegensatz zu den meisten damaligen Naturästhetiken – nie die sozioökonomischen Voraussetzungen aller Formen von Naturverwandlung und Naturbetrachtung vergaß. In ihm wurde nicht einfach ins Theoretische transzendiert, sondern stets von einer Weltsicht ausgegangen, bei der neben dem »Wie« der menschlichen Wahrnehmung stets auch das »Was« der vom Menschen unabhängig existierenden Natur berücksichtigt wird. Treptow bot dabei – neben seinem philosophischen und literarischen Fachwissen – zugleich eine Fülle an Kenntnissen biologischer, geologischer, mineralogischer, meteorologischer, physikalischer, astronomischer, chemischer, sozioökonomischer und technologischer Art auf, die geradezu atemberaubend ist. Er tat dies, um seine vielfältigen Studien auf diesen Gebieten endlich in einem Lebenswerk zusammenzufassen, das nicht nur einen philosophisch-­theoretischen Charakter hat, sondern auch eine naturwissenschaftliche und ökonomische Beweiskraft aufweist, die sich über eine bloß trendgemäße Beschäftigung mit diesem Thema erhebt. Schon nach 198

Elmar Treptows Entwurf einer »erhabenen« Natur

wenigen Seiten merkt man, dass es ihm in erster Linie um den Nachweis jener im gesamten Weltall – von den Milchstraßen und Sonnensystemen über die Planeten, Gesteinsformationen, tierischen Lebewesen, Pflanzen bis zu den Einzellern und Atomen – belegbaren Kreisläufe ging, in denen sich trotz vielfacher Veränderungen und Verwerfungen ein relativ stabiles Gleichgewichtssystem manifestiere, das auf den Prinzipien einer unaufhörlichen, ja, nie versiegenden Selbstorganisation beruhte. Dies zu erkennen, das heißt, den Prozess des ewigen Entstehens und Vergehens sowohl mit Staunen als auch mit Erschrecken wahrzunehmen, bezeichnete Treptow als den ersten Ansatz zu einer ans »Erhabene« grenzenden Naturbetrachtung. »Erhabenheit« bedeutet daher in seinem Entwurf einer ökologischen Ästhetik zweierlei: erstens die Erkenntnis der immer wieder ihre eigenen Grenzen überschreitenden Natur, deren Verwandlungsprozesse sich seit Jahrmillionen völlig unabhängig vom Menschen vollzogen haben, sowie zweitens jene Gefühle des Staunens und der damit verbundenen respektvollen Verehrung der Natur, die sich bei all jenen Menschen einstellen, welche sich aufgrund solcher Emotionen und ihr durch ein interdisziplinäres Wissen erweitertes Erkenntnisvermögen zu einer naturschonenden Haltung bekennen. Im »Erhabenen« sah also Treptow – im Gegensatz zu fast allen früheren Definitionen dieser Art – nichts, was die Natur »transzendiert«, sondern was ihr immanent zu eigen ist. Auch den Menschen hielt er demnach für ein »erhabenes Wesen«, da er »mit seiner spezifischen Selbsttätigkeit«, wie es an einer Stelle heißt, »als evolutionäres Naturwesen die evolutionäre Kraft der natürlichen Selbstorganisation fortsetze und – wie die Natur insgesamt – relativ stabile Gleichgewichtssysteme produziere, deren Grenzen er unaufhörlich überschreite«. Die einzige gefährliche Veränderung innerhalb dieser Prozesse sah Treptow in jenem »sachzwanghaften« Anwachsen der kapitalistischen Marktwirtschaft während der letzten zwei bis drei Jahrhunderte, die zwar auch als ein sich selbst organisierendes System ständig seine eigenen Grenzen überschreite und damit ins »Erhabene« tendiere, aber diese Grenzüberschreitung zum Teil so weit treibe, dass sie auf einen unumkehrbaren Prozess hinauslaufe, dem kein relativ stabiles Gleichgewichtssystem mehr zugrunde liege, sondern das sich immer stärker verselbständige. Durch diese sowohl naturwissenschaftlich als auch sozioökonomisch fundierte materialistische Sehweise, die zum Teil an beste marxistische Traditionen anknüpft, wirken die meisten Argumente seines Buchs wesentlich konkreter als all jene naturästhetischen Spekulationen, die sich damals im Gefolge egozentrischer Wahrnehmungsformen lediglich mit sensualistischen, ja, machistisch-­solipsistischen Selbstbezogenheiten beschäftigten. Bei Treptow ist das »Erhabene« nicht jenes Undarstellbare, Unbekannte, Unaussprechbare oder Formlose, das wie bei dem viel zitierten 199

Fundamentalkritik am ›sachzwanghaften‹ Progressivismus

Jean-­François Lyotard nur jenseits der naturgegebenen Empirie zu existieren scheint oder das im Sinne Theodor W. Adornos lediglich im Moment der religiös-­theologisch »versöhnten Natur« zum Ereignis wird, sondern bei ihm ist das »Erhabene« etwas, in dem das Erstaunen vor den Kreisläufen der Natur stets schon auf vorhergehenden Bedingungen beruht und daher zu seiner Rechtfertigung weder eines Gottes, einer reinen Vernunft oder eines ganz anderen bedarf. Und eine solche Sicht gibt diesem Erhabenheitskonzept seinen nicht zu widerlegenden materialistischen Grundzug. Doch trotz dieser geradezu erkältenden Nüchternheit, mit der Treptow die vielfältigen Kreislaufsysteme des Kosmos und der Erde beschreibt, die auf ein »dynamisch relatives Gleichgewicht« zurückgehen, das heißt, sich ständig neu produzieren und dann wieder zerstören, steht hinter seiner Sehweise eine aus Schaudern und Staunen, Bewunderung und Schrecken sowie Begeisterung und Entsetzen gemischte »Ehrfurcht«, die jedem für Natureindrücke empfänglichen Menschen selbst beim Lesen dieses Buchs Gefühle des »Erhabenseins« oder zumindest des »Erhobenen« einflößt. Das »Schöne« – neben dem »Erhabenen« meist die andere Kategorie früherer Naturästhetiken – wird dabei von Treptow lediglich als ein »Spezialfall« innerhalb all der von ihm aufgezeigten Prozesse behandelt. Letztlich ging es ihm vornehmlich um den immer wieder beschworenen »Kreislauf des Lebens«, der auf jenen »Fließgleichgewichten« beruhe, wie es im Anklang an Ludwig von Bertalanffy heißt, die sich nicht nur im Kreislauf der Gestirne, der Luft und des Wassers, sondern auch im Kreislauf des menschlichen Blut- und Nervensystems, ja, selbst in den Kreislaufsystemen der Moleküle, Zellen und Atome zu erkennen gäben. Und aus dem erstaunenden Erschrecken und zugleich der vertieften Einsicht in das Ineinandergreifen all dieser Systeme resultiert letztlich Treptows Respekt vor der »ökologischen« Struktur der Natur. Statt sich mit einer verstärkten »Einfühlung« in die Sonnenseite dieser Prozesse zu begnügen, in der sich lediglich ein selbstbezogenes Wohlbefinden äußert, fasste er zugleich sowohl die »kosmischen Kreisläufe einschließlich der Klimageschichte und der Geomorphologie« als auch die sozioökonomischen Implikationen der »Siedlungs-, Wirtschafts- und Technikgeschichte sowie der vielfältigen Stadt-­Land-­Beziehungen« ins Auge. Dennoch lief seine ­Sehweise nicht auf eine öde Faktenansammlung hinaus. Natur war für Treptow nicht nur Umwelt, sondern zugleich Welt an sich, mit anderen Worten: etwas nicht nur vom Menschen Auszubeutendes, sondern auch als Eigenwesen vom Menschen Unabhängiges, das jedem Naturbetrachter den nötigen Respekt abfordern sollte. Zum Ernst dieser Gesinnung passt, dass Treptow auf eine Auseinandersetzung mit der bestehenden Sekundärliteratur zum Begriff des »Erhabenen« weitgehend verzichtete. Er erwähnt zwar einmal kurz, dass sich auf diesem Gebiet die Vertreter der »Frankfurter Schule« und der »Postmoderne« seit einiger Zeit philosophisch 200

Elmar Treptows Entwurf einer »erhabenen« Natur

höchst geschickt sekundierten, indem sie fast nie auf die »empirisch erfahrbare Natur« eingingen und demzufolge »kaum oder keine ökologischen Einsichten« entwickelt hätten. Was Treptow unter »Kritik« verstand, war also weniger etwas Akademisches als etwas Konkretes, Wirklichkeitsbezogenes. Ihm ging es nicht um das bloße Wiederkäuen bereits vorgefasster Meinungen oder das billige Polemisieren gegen Unwichtiges. Er bot in seinen Argumentationsreihen, wenn er nicht gerade seine Ansichten mit empirischen Fakten belegte, höchstens einige bedeutsame philosophische oder literarische Kronzeugen auf, deren Werke seinen Anschauungen ein größeres Gewicht geben sollten. Was also »Akademiker« an diesem Buch vermissen werden, ist der sogenannte letzte Stand der Forschung. Doch den fordern meist nur solche Theoretiker, die immer noch nicht eingesehen haben, dass es auf gewissen Gebieten – wie dem der Ökologie – wegen der Zündkraft der hier auf der Tagesordnung stehenden Themen weniger um ein zunftinternes Fortschreiten als eine Zunahme ideologischer Polarisierungen geht, die jeden ernsthaften Philosophen zu klaren Entscheidungen herausfordern. Und solchen Postulaten stellte sich Treptow durchaus, nur dass er seine Kritik nicht auf irgendwelche akademischen Kollegen einschränkte, sondern auf zwei wesentlich größere Phänomene konzentrierte: 1. auf die naturtranszendierende Sicht der monotheistischen Religionen und ihrer Säkularisierungen ins Idealistische oder Romantische sowie 2. auf die überflüssige Produktionssteigerung im Zuge der immer hektischer akzelerierten Kapitalvermehrung. Über die verhängnisvolle Rolle der naturtranszendierenden Religionen im Bereich des Monotheismus verlor Treptow nicht viele Worte. Das erschien ihm bereits zu bekannt. Um so interessanter und entschiedener kritisierte er dagegen jene Poetisierung und damit Verflüchtigung der Natur im Bereich der romantischen Literatur, welche oft als besonders naturverpflichtet hingestellt und dementsprechend gepriesen wird. Treptow sah in einer solchen Verfahrensweise eher eine verfehlte Gleichsetzung des Unbewussten psychischer Prozesse mit dem Bewusstlosen der Natur, wie es sich bei Novalis und Friedrich Wilhelm Schelling beobachten lasse, die das wahrhaft »Erhabene« meist als das Göttliche hinter der Natur definiert hätten, während ihnen die Natur selber eher als »abgefallen« oder »unerlöst« erschien, weshalb Novalis in der prosaischen Welt von Goethes Wilhelm Meister einen »künstlerischen Atheismus« zu konstatieren glaubte. Um so ausführlicher ging Treptow dagegen auf die naturzerstörerischen Auswirkungen der durch den forcierten Hang zur Kapitalvermehrung entstandenen Ausweitung des Fabrikwesens ein. Schließlich sei es erst dadurch zu Eingriffen in jene »erhabenen« Naturkreisläufe gekommen, die zwar schon vorher viele sich selbst korrigierende Veränderungen durchgemacht hätten, aber erst durch die mit der Industrialisierung verbundene Ausplünderung aller natürlichen Rohstoffe in Gefahr 201

Fundamentalkritik am ›sachzwanghaften‹ Progressivismus

geraten seien, sich nicht wieder in dem Sinne erneuern zu können, wie es für ein Weiterbestehen des Menschen auf Erden erforderlich wäre. Treptow wurde daher nicht müde, immer wieder auf jenen zerstörerischen und vergiftenden Umgang mit der Natur hinzuweisen, der lediglich von kommerziellen Interessen gelenkt werde. Sein besonderes Augenmerk galt dabei den durch die gesteigerte Radioaktivität, die Grundwasserverseuchung, die Gentechnik, die »Eroberung des Weltalls«, die Vergroßstädterung, die Zerstörung der Gebirge sowie die ständige Zunahme der durch das Fabrikwesen bewirkten Verheerungen. Wohin man auch blicke, schrieb er, ü­ berall stehe die Industrie in der Natur wie »eine Besatzungsmacht im Feindeslande«, wie es schon bei Ernst Bloch heißt. Und Treptow zeigte zugleich, wie effektiv die damalige Meinungsindustrie diese Vorgänge im Dienst der großen Konzerne mit einem glamourösen Medienflimmer zu überblenden versuche, der sich an der Inszenierung der »Politik-­Szene«, den »Reklame-­Methoden der ökonomischen Werbung« und dem »aufdringlichen Showbusiness« auf kultureller Ebene orientiere, um so die Mehrheit der Bevölkerung von der eklatanten Rohstofferschöpfung, der Gefahr neuer Ölkriege im Nahen Osten, der Zunahme der radioaktiven Strahlung sowie der Ausweitung des Ozonlochs abzulenken. Unter dieser Perspektive gesehen korrespondierten sogar, wie er erklärte, jene akademischen »Wahrnehmungs«-Spekulationen, die in vielen Fällen – wie die Bilderflut der Massenmedien – einen begriffslosen Sensualismus unterstützten, durchaus mit den herrschenden Konzernideologien. In diesem »sachzwanghaften« Kreislauf der ständigen Kapitalvermehrung, in dem das sozialdarwinistische Prinzip des »Survival of the Richest« herrsche, das heißt, wo es keinen anderen Anreiz als den des »Vermarktungszwangs« mehr gebe, lesen wir bei ihm immer wieder, komme es daher notwendig zu einer fortschreitenden Depravierung der Natur, der man endlich mit einer scharfen Kritik an der »Schranken- und Grenzenlosigkeit« des heutigen Wirtschaftssystems entgegentreten müsse, bei dem fast ausschließlich das Quantitative im Vordergrund stehe und das im Rahmen der damit korrespondierenden, ebenso zwanghaften Spaßkultur auf erhabene Phänomene wie »Staunen, Erschauern, Rührung oder Ehrfurcht« nur noch negativ oder klischeehaft reagiere beziehungsweise das Erhabene in den Bereich des Horrors und Fanatismus herabziehe. Ebenso kategorisch wie diese Ausführungen sind alle Hinweise auf eventuelle Gegenmaßnahmen, mit denen man dem würdelosen Verhalten der erhabenen Natur entgegentreten könne. Dazu gehören vor allem Treptows kritische Bemerkungen über das »exzessive Konsumverhalten« der wohlverdienenden Minderheiten in der Ersten Welt, seine Forderung einer »nachhaltigen« Landwirtschaft, sein Protest gegen die kommerzielle Übernutzung der Berge durch die »Sport- und Tourismusindustrie«, sein Programm des Artenschutzes sowie sein Eintreten für Ökosteuern, 202

Elmar Treptows Entwurf einer »erhabenen« Natur

27  Jochen Tack: Das linke Rheinufer bei Düsseldorf-Oberkassel nach einer langen Dürre­periode

Tempolimits, Smogverordnungen und eine alternative Stromerzeugung, um so die durch die vorhersehbare Erderwärmung eintretenden Überschwemmungen und Dürreperioden zu verhindern. Doch Treptow wusste zugleich, dass solche Reformen die Zunahme der durch den Kapitalismus geförderten Naturzerstörungen allenfalls verlangsamen, aber nicht aufheben würden. Wirklich verhindern könne man sie nur dann, wie er schrieb, »wenn an die Stelle der verselbständigten Produktivitätssteigerungen eine Naturaneignung tritt, die bewusst geplant und demokratisch organisiert wird«. Und das, wenn man es konsequent zu Ende denkt, läuft letztlich auf die »Überwindung« des gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Sozialgefüges durch eine kollektive Organisation der Produktionsverhältnisse und damit auf einen Ökosozialismus hinaus, wie er um die Jahrtausendwende in den USA von Victor Wallis und John Bellamy Foster, in Indien von Saral Sakar, in Frankreich von der Attac-­Bewegung wie auch von anderen Globalisierungsgegnern in vielen Ländern der Erde gefordert wurde. 203

Fundamentalkritik am ›sachzwanghaften‹ Progressivismus

All solchen Gedankengängen werden ökologiebewusste Leser und Leserinnen sicher mit steigender Zustimmung folgen. Erst gegen Ende seines Buches bekommt man als Grüner plötzlich Bedenken, ob Treptows Argumentationslogik nicht ein grundsätzlicher Widerspruch zugrunde liegt. Schließlich hören wir einerseits immer wieder von jenen »erhabenen Kreisläufen« innerhalb des kosmischen und des irdischen Geschehens, die er als »unverfügbar, unverletzbar und unantastbar« hinstellte, die also trotz aller Zerstörungen dennoch die Kraft besäßen, sich »unaufhörlich zu erneuern«, während andererseits ständig die kapitalistische Industrieausweitung kritisiert wird, deren Auswirkungen so schädlich seien, dass sie Teilen der Natur keine Chancen zu einer nachhaltigen Regeneration erlaubten. Dies sieht auf den ersten Blick wie eine Aporie aus, die manchen seiner Argumente ihre Schlagkraft raubt. Aktivistisch eingestellte Grüne werden daher für viele seiner Einsichten in die universalen Kreisläufe der Natur zwar dankbar sein, aber bedauern, dass ihnen Treptow keine wirklichen Handlungsanleitungen an die Hand zu geben versuche. Im Gegensatz dazu werden sich eher ästhetisch ausgerichtete Naturphilosophen und Naturphilosophinnen, die von diesem weit ausgreifenden Traktat sophistisch verfeinerte Konzepte einer neuen Ökokunst erwartet hatten, sicher an den vielen materialistischen Ableitungstheorien stören. Aber diese scheinbare Unvereinbarkeit hat durchaus Methode. Statt die Leser und Leserinnen seines Buchs lediglich zu einem verstärkten Engagement im Sinne einer größeren Naturschonung aufzufordern oder die Kreisläufe des ewigen Entstehens und Vergehens als etwas Naturgegebenes zu akzeptieren, forderte sie Treptow letztlich zu einer Haltung auf, in beiden dieser Einstellungen etwas Positives zu sehen. Dieses Buch enthält daher keine naturverklärende Utopie einer »heilen Welt«, wie es sich für einen dialektisch denkenden Materialisten ohnehin nicht geziemen würde, sondern konfrontiert seine Leser und Leserinnen mit dem aufrüttelnden Paradox, im Hinblick auf die Natur neben unserer direkten Anteilnahme an ihr nie die ebenso wichtige Perspektive zu vergessen, selbst unsere alltäglich vorhandene »Mitwelt« stets sub Specie Aeternitatis zu betrachten, ja, diese beiden Sehweisen aufs Engste miteinander in Beziehung zu setzen. Im Gegensatz zu William Morris oder anderen »grünen« Utopikern, die ihren Ökosozialismus häufig mit der Forderung nach einer neuen, die Natur überbietenden und zugleich schönheitssüchtigen Kunst verbanden, geht es also in diesem Entwurf einer ökologischen Ästhetik eher um aus der empirisch vorgegebenen Realität abgeleitete Konzepte. Ein einseitiges Bekenntnis zur »Schönheit« wäre für Treptow kein revolutionäres Programm. Ihm ging es nicht um Schönheit, sondern um Schonung, und zwar eine Schonung, die nur durch eine Beseitigung des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu erreichen wäre. Sein Denken wandte sich daher in erster Linie 204

Elmar Treptows Entwurf einer »erhabenen« Natur

gegen jenes kalte ökonomische Nutzungsinteresse an der Natur, das zu einer Respektlosigkeit gegenüber den »erhabenen Kreisläufen« innerhalb des Kosmos sowie hier auf Erden geführt habe und demzufolge mit jener postmodernen Beliebigkeit korrespondiere, die keinerlei Maßstäbe für ein erhabenes Betrachten und damit eine schonende Ehrfurcht vor der Natur mehr besitze.2

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Für eine Überwindung der abstrakten unverpflichteten Malerei Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst

I

Dass sich seit den frühen achtziger Jahren auch unter den bildenden Künstlern ein ökologisches Bewusstsein verbreitete, ist allgemein bekannt. Und zwar griffen sie dabei zu allen ihnen zur Verfügung stehenden Darstellungsmitteln: der Postkarte, der Fotografie, dem Wandspruch, dem Gemälde, dem Plakat, dem Cartoon oder zu Landart-­Installationen, um ihre Kritik an der fortschreitenden Zerstörung der Natur so augenfällig, so eindeutig, so unmissverständlich wie nur möglich publik zu machen. Ihnen ging es nicht um eine elitäre Galeriekunst, für die sich lediglich wohlbetuchte Privatsammler interessieren würden. Im Gegenteil, sie wollten sich unmittelbar ins Zeitgeschehen einmischen, in die Massenmedien eindringen, vielbeachtete Skandale erregen, indem sie für den industriellen Fortschrittswahn vor allem die naturgefährdende Habgier der großen Konzerne und den durch sie bewirkten Konsumrummel verantwortlich machten. Ja, ihre Hoffnung war, damit ökologieorientierte Aktivitäten in Gang zu setzen, die gegen diese Entwicklung in die Schranken treten würden. Wohl der spektakulärste und zugleich massenwirksamste unter diesen »Unkünstlern« war der vom linkskritischen Flügel der Achtundsechziger Bewegung herkommende Heidelberger Aktionskünstler Klaus Staeck, der seine graphisch gestalteten Postkarten stets mit bewusst schockierenden Sprüchen versah, die zum Teil an aufreizender Schärfe kaum zu überbieten waren. Und zwar ließ er dabei – neben politischen Karikaturen – kaum einen der auch von den damaligen Grünen angeprangerten Missstände der zunehmenden Zernichtung der in der Natur vorgegebenen Grundlagen einer lebenswerten Mitwelt aus. Dafür sprechen vor allem jene Postkarten, auf denen er bestimmte Konzerne angriff, welche die Luft mit Giftgasen verpesteten, oder selbstgefällige Unternehmer mit dem bekannten Spruch aus dem 1. Buch Mose in Beziehung setzte: »Füllet die Erde, und macht sie euch untertan, und herrschet über Fische im Wasser, und über Vögel unter dem Himmel, und über alles Tier, das auf Erden kreucht.« Auf anderen seiner vielfältigen Werke prangerte Staeck die Gefahren der Radioaktivität, die Verrußung der Luft, das damals vielfach beklagte Waldsterben, die geheuchelte Tierliebe, die hemmungslose Verstraßung sowie die rasante Zunahme des Autoverkehrs an – alles Vorgänge, die er in schärfs207

Für eine Überwindung der abstrakten Malerei

28  Klaus Staeck: Hermann-­Löns-­Gedächtniskarte (1977). Aus der Serie »Im Mittelpunkt steht immer der Mensch«

ter Form auf jener Postkarte attackierte, auf der es im Sinne der damaligen Kritiker am rücksichtslosen Anthropozoikum lediglich lapidar hieß: »Der Boden stirbt / Die Luft stirbt / Das Wasser stirbt / Die Tiere sterben / HURRA WIR LEBEN .« Diejenigen bildenden Künstler, welche ihren Unmut über die gleichen Missstände auszudrücken versuchten, aber dabei an der herkömmlichen Ölmalerei festhielten, konnten dagegen, obwohl sie ihre Bilder auch in Form von Postkarten bekannt zu machen versuchten, nur in Ausnahmefällen die von Klaus Staeck erzielte Breiten208

Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst

wirkung erreichen. Thematisch bedienten sie sich dabei meist zwei verschiedener Darstellungsweisen: entweder bewusst provokant abschreckender Bildmotive, auf denen sie die rücksichtslose Überindustrialisierung und damit fortschreitende Verhunzung der Natur darstellten, oder einer Verklärung von Landschaften, die noch keine Spuren menschlicher Verwüstungen aufweisen oder auf denen noch eine Unio mystica zwischen Mensch und Natur zu herrschen scheint, die es in nicht allzu ferner Zukunft wiederzuerringen gelte. Für die erste Richtung wären vor allem ökologiebewusste Künstler wie Matthias Koeppel und Norbert Stockhus repräsentativ. So malte Koeppel seit den späten siebziger Jahren immer wieder Bilder, auf denen ekelerregende Müllhalden, trostlose Häuserfronten, abgerissene Wohnblöcke, hässliche Bahnübergänge, leer stehende Fabrikhallen, abstoßend wirkende Badeanstalten oder betont vulgär anmutende Picknicks unter abgestorbenen Bäumen zu sehen sind. Und auch Stockhus stellte auf seinen Gemälden vor allem Szenen dar, auf denen die bisherige Welt mit ihren von vielen Bäumen und Sträuchern umgebenen kleinen Eigenheimen im Zuge der steigenden Industrialisierung und Bevölkerungszunahme gewaltig aufragenden Wolkenkratzern weichen muss oder wo die letzten Waldstücke abgeholzt werden, um nicht dem zunehmenden Autoverkehr im Wege zu stehen. Wohl der eindrucksvollste Vertreter der zweiten Richtung war Wassili Lepanto, der von vornherein auf derartige Schock- oder Warnbilder verzichtete und lediglich Landschaften malte, bei denen er sich bemühte, im Rückgriff auf frühere, noch ökologisch erträgliche Zustände zugleich einen utopischen Vorschein auf ein in Zukunft neu zu erringendes sinnvolles Verhältnis zur Natur darzustellen. Seinen mit äußerster Hartnäckigkeit durchgeführten Bestrebungen, die er zugleich mit zahlreichen ins Manifestartige tendierenden Publikationen zu untermauern versuchte,1 soll der Hauptteil dieses Beitrags gewidmet sein. II

Beginnen wir mit einigen biographischen Hinweisen, die in seinem Fall besonders aufschlussreich sind. Geboren wurde er 1940 als Vassilios Loukopoulos in Perdikofrissi bei Nafpaktos in Griechenland, einem Städtchen am Ausgang des Golfs von Korinth, das die Italiener Lepanto nannten, und wuchs anschließend in Athen auf.2 Als literarisch interessierter Fünfundzwanzigjähriger ging er darauf 1965 an die Universität Heidelberg, wo er Germanistik, Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte studierte und 1978 sein Studium mit einer Dissertation über »Grammatik und Sprachpraxis« abschloss. Doch ebenso entscheidend, wenn nicht noch wichtiger waren in diesen Jahren zwei ihn zutiefst aufwühlende Erlebnisse, welche auf sein weiteres Leben einen nachhaltenden Einfluss haben sollten: die ihn zu 209

Für eine Überwindung der abstrakten Malerei

einem revolutionären Elan mitreißende studentische Achtundsechziger Bewegung, der er sich rückhaltlos anschloss, sowie die überwältigenden Natureindrücke des Schwarzwalds und des Neckartals, die ihn – aus dem zwar sonnnenüberstrahlten, aber waldarmen Griechenland kommend – zu einem leidenschaftlichen Naturenthusiasten werden ließen.3 Als die Achtundsechziger Bewegung scheiterte, war der junge Loukopoulos für kurze Zeit äußerst deprimiert. Erst als darauf im Zuge der »Neuen sozialen Bewegungen« die Alternativen, die Bunten und schließlich die Grünen im Laufe der späten siebziger Jahre von sich reden machten, gab er sich wieder einer neuen Zuversicht auf eine grundlegende Veränderung der bestehenden Verhältnisse hin. Vor allem das Eintreten dieser Bewegungen für einen verstärkten Schutz der bedrohten Natur stimmte ihn erneut hoffnungsvoll. Er wandte sich darum – nach einigen literaturwissenschaftlichen Publikationen zu Max Frisch, Heinrich von Kleist und Gotthold Ephraim Lessing – kurz entschlossen von der ihm als ideologisch unerheblich erscheinenden Germanistik ab und griff ohne jede Vorbildung zum Pinsel, um sich als Maler mit naturverklärenden Bildern in den Dienst des fundamentalistisch gesinnten F ­ lügels der grünen Rebellen innerhalb der damaligen alternativen Bewegung zu stellen. Und zwar begann er 1979 mit einem Bild seiner Geburtsstadt Lepanto, bei dem er auf alle modernistischen Erweiterungen verzichtete und das Ganze so malte, als habe sich diese Stadt seit dem 16./17. Jahrhundert überhaupt nicht verändert. Eine ähnliche Sehweise liegt vielen seiner späteren Heidelbergbilder zugrunde, die er mit derselben nostalgisch gefärbten Blickrichtung malte. Doch letztlich waren es weniger die alten Städte, welche er fortan ins Auge fasste, als die noch unzernichtete Natur mit ihren vielen noch erhaltenen und weiterhin segenspendenden Wäldern. Seine Bilder der frühen achtziger Jahre sind daher mit Bäumen geradezu übersät, als sei Deutschland noch immer ein Land ausgedehnter Waldstriche, in das lediglich einige vereinzelte Häuser oder kleine Ortschaften eingestreut sind. III

Um diesen naturerhaltenden Bemühungen auch einen kunsttheoretischen Überbau zu geben, publizierte Wassili Lepanto, wie er sich seitdem nannte, 1983 im Freiburger Hochschulverlag ein Manifest, das zwei verschiedene und doch gleichgeartete Essays enthielt: Kunst für den Menschen oder: Für eine ökologische Kunst sowie Für eine Überwindung der abstrakten unverpflichteten Kunst, denen er folgendes Schiller­ zitat voranstellte: Die Gegenstände der Natur, ein Baum, ein Stein, eine Blume, ein Blatt, eine Wolkenbildung, Erde, Gras, Felsen […] sie sind, was wir waren; sie sind, was wir wieder werden 210

Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst

sollen. Wir waren Natur, wie sie, und unsere Kultur soll uns zur Natur zurückführen. Sie sind Darstellung unserer verlorenen Kindheit, die uns ewig das teuerste bleibt […] Sie sind Darstellungen unserer höchsten Vollendung im Ideale.4

Schon dieses Motto verrät, wie hochgespannt der ideologische und zugleich ästhetische Anspruch dieser beiden wechselseitig aufeinander bezogenen Schriften war. In ihnen ging es Lepanto um nichts weniger als um eine im ursprünglichen Sinne des Wortes »Revolutio«, das heißt Rückumwälzung zu einer Anschauungsweise der uns umgebenden Mitwelt, die sich nicht von den allgemein als fortschrittlich geltenden, aber letztlich zerstörerischen Erscheinungsformen der zunehmenden Industrialisierung blenden lässt, sondern sich wieder um eine »ganzheitliche« Sehweise bemühen würde, welche vor allem die in der Natur vorgegebenen Voraussetzungen alles Lebens ins Auge fasst. In der philosophischen Grundlegung seiner Anschauungen ging Lepanto dabei bis auf die Orphiker unter den vorplatonischen Naturphilosophen zurück und verwarf dagegen alle Gedankengebäude, in denen jene Abstraktion ins »Geistige« stattgefunden habe, die sich im Laufe der letzten Jahrhunderte immer weiter vom Urgrund einer mit der Natur verbundenen Weltsicht entfernt hätten, was letztlich wegen der zunehmenden Intellektualisierung und Technisierung zwangsläufig zur Gefährdung, wenn nicht gar Zerstörung der alles Leben auf Erden ermöglichenden Natur führen müsse. Als Maler und Kunsttheoretiker versuchte Lepanto diesen verhängnisvollen Entwicklungsprozess in den zwei erwähnten Essays vor allem anhand jener künstlerischen Erscheinungsformen nachzuweisen, die seit 1900 – wegen ihrer Neigung zum Formalistisch-­Technizistischen – von fast allen systemverhafteten Journalisten und Kritikern als spezifisch »modernistisch«, wenn nicht gar »avantgardistisch« angepriesen würden. Daher wandte er sich immer wieder gegen den verhängnisvollen Einfluss von Künstlern und Kunsttheoretikern wie Wassili Kandinsky, Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch, durch die jene Richtung in der Malerei entstanden sei, die mit ihren »bunten Dreiecken«, »rechteckigen Flächen« und »schwarzen Quadraten« zu jener Denaturierung ins Abstrakte, ja, Gegenstandslose geführt habe, die bis heute »unter Fachleuten als die Kunst par excellence« hingestellt würde.5 Und so hätten wir gegenwärtig, wie er erklärte, fast nur noch Maler, denen »eine Linie auf der Leinwand wichtiger sei als die Beziehung zweier Menschen, eine abstrakte, fremdartige Form wichtiger sei als ein Baum, eine Farbdissonanz wichtiger sei als ein blühendes Tal«. All dies, heißt es darauf, sei eine »Anmaßung, eine Herabsetzung gegenüber der sichtbar-­sinnlichen Natur«, wenn nicht gar eine »Unterwerfung der Natur«, gegen die man nicht lauthals genug protestieren solle. Schließlich hätten gerade diese Maler nicht nur die zunehmende Vergeistigung, sondern auch 211

Für eine Überwindung der abstrakten Malerei

die damit einhergehende Technisierung und Industrialisierung durchaus begrüßt. Daher heißt es an einer Stelle: Malewitsch malte 1922 den ersten Menschenroboter, gestaltete 1924 mit seinen »Architektona« Wolkenkratzer, bedauerte im Manifest von 1924, daß Leningrad am Alten haftet und keine Wolkenkratzer wie die amerikanischen Städte hat. Mondrian resümierte 1922, daß das Geräusch der Maschine dem Menschen sympathischer sein wird als der Gesang von Menschen und Vögeln. Und Kandinsky endete sein kunsttheoretisches Hauptwerk »Über das Geistige in der Kunst« mit den Worten: »Ich bin der Ansicht, daß wir der Zeit des bewußten, vernünftigen Kompositionellen immer näher rücken, daß der Maler stolz sein wird, seine Werke konstruktiv erklären zu können.«6

Solchen Erklärungen setzte Lepanto die apodiktische Behauptung entgegen: Es muß die Kritik erlaubt sein, daß vieles in der Kunst dieser drei Maler nur technischer Perfektionismus ist, daß vieles in ihr nur Ornamentik, nur Geometrie, nur Malgrammatik, nur Dekoration ist, daß sie eine Formensprache ist, die zu nichts verpflichtet, die weder Handlungen noch Tatsachen auslöst, daß sie mit ihrem mathematisch-­logistischen Denken nicht dem Menschen nahesteht, sondern Labor- und Schreibtischversuchen des mit der Natur verfeindeten Naturwissenschaftlers entspricht, kurz: daß diese Kunst nicht für den Menschen ist.7

Ja, er schloss dementsprechend, dass angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Natur auch in der Malerei das Gebot der Stunde darin bestehen müsse, von dieser Art von Kunstauffassung wie auch von allen auf sie folgenden denaturierenden Kunstismen, ob nun dem Abstraktionismus, der Action-­Painting, der Minimal Art, dem Tachismus oder der Art Informel der letzten drei Jahrzente endlich Abschied zu nehmen. Auch sie hätten in ihrem Pseudospiritualismus, ihrer Zerstückelung der allein Leben spendenden Natur lediglich zu einer fortschreitenden Chaotisierung geführt, statt sich in den Dienst einer neuen sinngebenden Weltorientierung zu stellen. Was Lepanto dagegen in diesen zwei Essays als eine wahrhaft ökologisch orientierte Malerei herausstrich, war eine Kunst, welche vor allem die Schönheit der Natur betone und sich damit für einen durchgreifenden Umweltschutz einzusetzen versuche. Und zwar sei dabei, wie er schrieb, nicht nur ein neuer Realismus nötig, der das Gegebene so darstelle, wie es nun einmal sei, sondern der seine Hauptaufgabe darin sehe, Wege zur Überwindung der herrschenden Missstände in Richtung auf ein »Anderes, Besseres, Lebenswerteres« aufzuzeigen. Schließlich habe die heutzutage herrschende Unkultur mit ihrem Glauben an den technisch-­wirtschaftlichen 212

Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst

Fortschritt die »ökologisch-­ästhetische Anschauung von Kunst und Welt völlig verdrängt«, wie es abschließend heißt.8 IV

Fragen wir uns nun: Wie versuchte Wassili Lepanto diesen geradezu herkulisch wirkenden Anspruch in seiner eigenen Malerei einzulösen? Was er darum seit den frühen achtziger Jahren in einer sich geradezu überstürzenden Fülle von Gemälden darstellte, war – getreu seinem Motto, sich für eine neue Naturanschauung zu engagieren – letztlich immer wieder dasselbe: nämlich ontologisch aufgefasste Landschaften, in welche der Mensch noch nicht im Zuge einer fortschreitenden Mechanisierung und Industrialisierung eingegriffen hat. Auf ihnen gibt es keine Fabrikanlagen, Autobahnen, Eisenbahntrassen, elektrischen Oberleitungen, Wolkenkratzer, Fernsehtürme, Neubausiedlungen, Flugplätze, Fußballstadien usw., sondern nur sanfte Hügel, ausgedehnte Waldgebiete, Flusstäler sowie vereinzelte kleine Häuser oder Ortschaften, in denen sich die Menschen, obwohl sie nirgends zu sehen sind, wieder »beheimatet« fühlen könnten. Kurzum, auf ihnen herrscht ein durch nichts beeinträchtigter Frieden, der an ein längst vergangenes, aber in der Zukunft möglicherweise wiederzuerringendes Goldenes Zeitalter gemahnen soll. Man betrachte daher Lepantos Landschaften – trotz mancher konkreter Ortsangaben wie »Schlierbach« oder »Diesberg« – nicht als realistisch wiedergegebene Abbilder. Sie sind auch das. Aber letztlich tendieren sie als Ikonen einer heilen Welt stets ins Utopische. Voller Optimismus, dass ihm Gleichgesinnte in dieser Sehweise folgen würden, gab er daher seinem ersten Bildband, der im Jahr 2002 beim Belser Verlag in Stuttgart erschien, den geradezu übereindringlichen Titel Positive Utopien, welchen der mit ihm befreundete Heidelberger Philosoph Hans-­Georg Gadamer und ich mit kurzen Einleitungen versahen, in denen wir vor allem den »Vorschein in der Vergangenheit« betonten, der seinen Bildern einen geradezu imperativen Charakter gebe. Ja, ich schrieb damals auf den gleichen »Vorschein« hoffend: Wer noch nicht gedankenlos in dem Prozess der technischen Vernetzung aufgegangen ist, wer sich nicht mit immer größerer Hektik über die fatalen Konsequenzen der falschen Milleniumserwartungen hinwegzusetzen versucht, wird diese Bilder als Mahnmale auffassen, sich nicht mit jener Überindustrialisierung abzufinden, in der viele Menschen noch immer den entscheidenden Motor des »Fortschritts« sehen. Mögen daher Lepantos Bilder jenen Menschen, die weiterhin auf einen »geregelten Stoffwechsel« mit der Natur hoffen, welcher nicht unter dem Diktat der alles ausschlachtenden, auf kurzfristigen Profit bedachten Konzerne steht, den nötigen Mut geben, sich diesem Trend – im Rahmen der ihnen gegebenen Möglichkeiten – entschieden entgegenzustemmen.9 213

Für eine Überwindung der abstrakten Malerei

29  Wassili Lepanto: Nur in den Wäldern gibt es Frieden (1987)

Dieser Band enthielt neben einer Kurzbiographie Lepantos sowie einem von ihm verfassten Essay unter dem Titel Mein Weg zur ökologischen Kunst vor allem einen reich bebilderten Tafelteil von Landschaftsdarstellungen aus den achtziger und neunziger Jahren, der jeden wahrhaft Sehenden von Lepantos ins Utopische tendierender Naturverbundenheit überzeugen sollte. Und zwar lassen sich hierbei – schon in der Wahl der Farbgebung – in seiner malerischen Darstellungsweise drei verschiedene Wiedergaben seiner Naturanschauung unterscheiden. Da gibt es Gemälde, wie seine frühen Schwarzwald- oder Neckartal-­Landschaften sowie seine Bilder finnischer Wälder, der Heimat seiner Frau Leena Ruuskanen, auf denen vor allem das Grün überwiegt und die obendrein in 214

Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst

utopischer Absicht mit Titeln wie Geborgenheit, Einfried, Nur in den Wäldern gibt es Frieden oder Die schöne Welt des Seins versehen sind. Da gibt es Gemälde, wie die thessalischen und boötischen Landschaften oder die Bilder des badischen Kraichgaus, deren ins Goldene übergehende Ockerfarbe der Felder und Ackerflächen auf den Lebensunterhalt der dort lebenden Menschen hinweisen soll. Und da gibt es sonnenüberstrahlte griechische und italienische Landschaften, auf denen außer einigen steil aufragenden Pinien und vereinzelten Häusern das Hellweiße überwiegt. Doch letztlich liegt all diesen Bildern die gleiche Sehweise zugrunde. Sie sind weder kämpferisch, aggressiv oder parteipolitisch gemeint, sondern wollen vor allem durch ihre »Einsicht« in eine lebenserhaltende, durch keine schädlichen Eingriffe verunzierte oder verunreinigte Natur überzeugen. Lepanto schrieb daher von einem wahrhaft naturverbundenen, holistisch gesinnten Künstler: Er ist nicht derjenige, der mit seinen Produkten krampfhaft reizen will, sondern der Freundliche, der Liebliche, der Gütevolle, der lebendige Wille zur Verwandlung der Welt, er ist das Tageslicht, das sich herabsinkt, um mit seinem Strahl die Tiere, die Pflanzen, die Menschen zu erhellen, das menschliche Handeln und Wissen zur Erkenntnis zu leiten, um so auf eine höhere Qualität von Leben hinzuweisen, welche die Welt wieder an die Überwelt, die Erde wieder an den Himmel, den Menschen wieder an die universale Ordnung bindet.10 V

Da die ökologische Besorgtheit weiter Bevölkerungsschichten in den folgenden Jahren durch Klimaveränderungen in Form von Taifunen, Waldbränden und Dürreperioden, der Verschmutzung der Meere, der japanischen Atomkraftwerkkatastrophe, dem Rückgang vieler Wildtiere und Wildpflanzen, der bedrohlichen Bevölkerungsexplosion usw. ständig zunahm, verhallten solche Proklamationen – trotz ihrer ins Idealistische übersteigerten Hoffnungen – keineswegs ungehört. Nicht nur die Rhein-­ Neckar-­Zeitung brachte im November 2002 sofort eine lobende Besprechung des Bandes Positive Utopien, in der sie Lepanto als eine Art »heiliger Franziskus unter den Künstlern« herausstrich,11 auch die Anhänger der Heidelberger »Alternativen Bewegung« erkoren ihn zu ihrem ideologischen Guru, der endlich »bewusste Gegenbilder« zu der von vielen Gefahren bedrohten »realen Lebenswelt« entwerfe, das heißt, mit seiner ökologischen Kunst den naturverbundenen Menschen höherstelle als die technische Welt, statt von ihm weiterhin zu verlangen, sich ihr zu unterwerfen. Ja, der Heidelberger Popp Verlag und der Stuttgarter Fink Verlag entschlossen sich sogar, einige seiner Bilder als Postkarten auf den Markt zu bringen, um ihnen so zu einer größeren Wirksamkeit zu verhelfen. 215

Für eine Überwindung der abstrakten Malerei

Während es schon vorher zu vereinzelten Ausstellungen seiner Bilder gekommen war, wurde Lepanto aufgrund der Publikation dieses Bands anschließend auch zu Fernsehinterviews eingeladen, in Zeitungsartikeln gewürdigt und zu Vorträgen aufgefordert, so dass die Zahl seiner Sympathisanten von Jahr zu Jahr zunahm. Er konnte es sich deshalb sogar leisten, in der Heidelberger Friedrich-­Ebert-­Anlage eine weiträumige Ateliergalerie zu eröffnen, in der er nicht nur malte, sondern auch kleinere oder größere Gruppen in seine Gedankenwelt einzuführen versuchte. Dazu kamen Ausstellungen seiner Gemälde in Paris, Wien, Helsinki, Montpellier, New York, Genf und Florenz, die seinen Wirkungskreis erheblich erweiterten. Kein Wunder daher, dass auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen auf ihn aufmerksam wurde, die 2005 in Berlin eine Einzelausstellung seiner Bilder unter dem Titel »Landschaften. Positive Utopien« arrangierte und ihn 2006 aufforderte, ein großformatiges Wahlplakat für sie zu entwerfen, was ihn, wie er es sich schon immer gewünscht hatte, auch unter den Fundamentalisten innerhalb dieser Partei immer bekannter machte. All das spornte Lepanto zunehmend an, sich noch intensiver für seine Weltanschauung einzusetzen, statt sich Gefühlen einer inneren Genugtuung hinzugeben, es endlich »geschafft« zu haben. Wo immer es in Heidelberg zu Protestaktionen gegen naturzerstörerische oder architektonische Verschandlungen des altehrwürdigen Stadtbilds kam, engagierte er sich, setzte Meinungsbefragungen in Gang, unterstützte die Grünen bei der Wahl zum Oberbürgermeister, gründete die Kulturinitiative »Heidelberg Pflegen und Erhalten«, erhielt 2009 einen Sitz im städtischen Gemeinderat und kandidierte darauf im Jahr 2011 sogar für die Grünen bei den Landtagswahlen in Baden-­Württemberg. Ja, der Ruhm seiner Bilder nahm auch außerhalb Deutschlands ständig zu. So entschloss sich 2011 das Benaki Museum in Athen zu einer umfangreichen Retrospektive seiner Gemälde unter dem Titel »Landschaften TOΠOIA Landscapes«, die von über 30.000 Interessenten besucht wurde und deren äußerst sorgfältig edierter Katalogband wiederum vom Stuttgarter Belser Verlag herausgebracht wurde.12 Wie erwartet überwogen diesmal unter den Exponaten vor allem seine kargen, wenn auch sonnenüberstrahlten griechischen Landschaften. Aber auch einige seiner ­waldreichen deutschen und finnischen Szenerien fehlten keineswegs, um auch diesen Aspekt seiner auf eine Begrünung der Welt drängenden Weltanschauung zu akzentuieren. Um den Besuchern dieser Ausstellung die in den hier gezeigten Bildern zugrunde liegende ideologische Zielrichtung zu verdeutlichen, schrieb ich damals in einer kurzen Einleitung zu diesem Band: Jenseits aller modisch aufgeblähten Trends, die sich im Zuge der sogenannten Postmoderne breit zu machen versuchten, hat es Wassili Lepanto schon früh als seine höchste 216

Wassili Lepantos Postulat einer ökologischen Kunst

30  Wassili Lepanto und Leena Ruuskanen bei der Übergabe seines Gemäldes »Wählt Grün« an die Fraktionvorsitzenden der Grünen Claudia Roth und Reinhard Bütikofer in Berlin (2006) Berufung empfunden, sich auf seinen Bildern durch die Beschwörung noch unzerstörter Natur- und Lebenszusammenhänge in den Dienst jener ökologischen Bewegung zu stellen, die inzwischen immer mehr Menschen zu einer durchgreifenden Bewusstseinsveränderung veranlasst. Demzufolge wird er in Deutschland von der Partei der »Grünen« als ihr wichtigster künstlerischer Repräsentant anerkannt. Während man ihn anfangs als Maler vornehmlich in Heidelberg geschätzt hat, ist er heute durch seine Bilder, Schriften und Postkarten zusehends zu einer Leitfigur einer ökologisch gestimmten Kunst geworden, deren Wirkungen überall da zu spüren sind, wo Menschen erkannt haben, dass der Schutz der Natur zu einer der Hauptaufgaben der Menschheit geworden ist.13 217

Für eine Überwindung der abstrakten Malerei

Daher empfand es Lepanto als eine besondere Ehre, dass ihm im Jahr 2015 das Kulturzentrum Shandong der Stadt Jinan der Volksrepublik China, wo man inzwischen aufgrund der überstürzten Industrialisierung ebenfalls die Bedrohung der ökologischen Grundlagen alles menschlichen Lebens erkannt hatte, zu einer umfassenden Ausstellung seiner Bilder einlud, deren dreisprachiger Katalogband, diesmal auf Deutsch, Chinesisch und Englisch, abermals beim Belser Verlag herauskam.14 Wiederum betonte ich in meinem Vorwort, dass es diesem Maler bei seinen Landschaftsdarstellungen nicht um eine »sentimentale Naturschwärmerei« oder gar um einen »entideologisierten Eskapismus« gehe, sondern dass er sich mit seinem »aus der Vergangenheit geschöpften Vorgriff um ein besseres Verhältnis zur Natur« bemühe, welches sich ökologisch und damit im weitesten Sinne als holistisch verstehe.15 Danach wurde Lepanto sogar vom Oberbürgermeister von Peking empfangen und von der Universität Shanghai eingeladen, einen Vortrag über seine ökologische Ästhetik zu halten. Ja, die Zustimmung, die er in China für seine Ansichten fand, war so überwältigend, dass er darauf mit einem gesteigerten Selbstgefühl nach Deutschland zurückkehrte, sich letztlich auf dem einzig richtigen Weg zu befinden. Doch viel Zeit zur Realisierung weiterer Projekte blieb ihm anschließend nicht. Gut, sein Geburtsort Nafkoptos (Lepanto) veranstaltete im folgenden Jahr eine Ausstellung seiner Bilder unter dem Titel »Ökologische Ordnung. Wiederbegrünung der Erde«,16 was ihn zutiefst beglückte. Und auch das Greek National Museum in Chicago plante für das Jahr 2018 eine Retrospektive seiner Landschaftsdarstellungen. Aber dazu kam es nicht mehr. Überanstrengt durch die vielen Reisen und kommunalpolitischen Aktivitäten starb Wassili Loukopoulos-­Lepanto am 20. August 2018 in Heidelberg, bevor er sich zu einer Reise in die Vereinigten Staaten aufraffen konnte. Das Einzige, was ihm in den letzten Monaten vor seinem Tod noch gelang, war der Abschluss seiner seit Längerem geplanten Autobiographie,17 in der er nochmals – nach vielen kleineren Publikationen – seinen unermüdlichen Einsatz für die studentische Achtundsechziger Bewegung sowie seine anschließenden Bemühungen für eine ökologisch orientierte Malerei darzustellen versuchte. Mögen sich unter den bildenden Künstlern, geschweige denn den anderen Menschen möglichst viele weiterhin für solche Zielsetzungen engagieren.

218

Kritik und Utopie Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

I

Jeder, der sich für die Verwirklichung nachhaltiger Kulturkonzepte oder zumindest diesbezüglicher Intentionen einzusetzen versucht, muss sich 1. so gründlich wie möglich mit den politischen und sozioökonomischen Grundvoraussetzungen seiner eigenen Gegenwart sowie deren Vorgeschichte auseinandersetzen, muss 2. wissen, worin die ideologischen Strategien seiner Gegner bestehen, und muss 3. bei seiner Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt von möglichst konkreten Fakten ausgehen, um nicht von vornherein als ideologisch verbohrt zu gelten. Beginnen wir mit der ersten Forderung eines jeden ökologiebewussten Denkens, das in seinen kritischen Intentionen ernst genommen werden möchte: der Kenntnis der politischen und sozioökonomischen Grundvoraussetzungen des menschlichen Zusammenlebens unserer eigenen Gegenwart und deren Vorgeschichte, soweit es sich auf das Verhältnis dieser Zustände zur Natur bezieht. Dazu lässt sich – in gebotener Kürze – Folgendes sagen. Bevor die für die Natur verheerende Verstädterung und Industrialisierung begann, setzte sich die europäische Bevölkerung der heutigen hochindustrialisierten Länder bis zum frühen 19. Jahrhundert – neben einer kleinen Schicht von Fürsten, Adligen und Großbürgern – noch vorwiegend aus schlecht verdienenden Kleinbürgern, armen Bauern und am Rande des Existenzminimums lebenden Dienstboten, Handlangern und Leibeigenen zusammen. Während sich die Oberschicht eines relativ hohen Lebensstandards erfreute und diesen ostentativ zur Schau stellte, litten die unteren Schichten der Bevölkerung – aufgrund der mangelhaft entwickelten Produktionsverhältnisse – häufig an Arbeitslosigkeit und Hungersnot. Von ihren Kindern starben oft über die Hälfte, und die anderen erwartete meist ein Leben in Abhängigkeit, Armut und mangelhafter Ernährung. Zudem lebten diese Menschen in kümmerlichen Wohnverhältnissen, arbeiteten zehn bis zwölf Stunden am Tag, konnten sich keine Ferien leisten und waren froh, wenn sie und ihre Familien ein eher schlechtes als rechtes Auskommen fanden. Trotz oder wegen dieser Misere hatten die bäuerlichen Schichten, die lange Zeit über 80 Prozent der Bevölkerung ausmachten, damals zur Natur noch ein relativ unentfremdetes Verhältnis. Sie lebten in einer feudalistisch-­agrarischen Gesellschaft, in der sie von der Fruchtbarkeit ihrer Mitwelt noch unmittelbar abhängig waren, und nutzten ihre Mitwelt im Rahmen der herkömmlichen Allmende- und Dreifelderwirtschaft keineswegs so rücksichtslos aus, wie das später die ihrer bäuerlichen 219

Kritik und Utopie

Herkunft entfremdete Bourgeoisie im Zuge der von ihr angekurbelten Industrialisierung tat. Teile der damaligen Landschaft blieben darum, wenn man von den Waldrodungen absieht, bis ins späte 18. Jahrhundert relativ unversehrt. Wegen der dünnen Besiedlung gab es überall noch »Wildnis«, das heißt ausgedehnte Wälder, vielarmige Flüsse, wohlerhaltene Bergpartien, unberührte Strände sowie eine Fülle an wilden Tieren und Pflanzen. Das änderte sich erst, als im Gefolge der bürgerlichen Aufklärung Forderungen nach freiheitlicher Selbstentfaltung, persönlicher Bereicherung und sozialer Mobilität laut wurden, die in einem öffentlichen Räsonieren über einen möglichen »Fortschritt« kulminierten. Erst im Zuge dieser Entwicklung drängten die mit den spätfeudalistischen Verhältnissen unzufriedenen mittelständischen Schichten darauf, die gesamte Natur mit all ihren Wäldern, Gesteinen, Erzen und anderen Bodenschätzen in den Dienst ihres eigenen Aufstiegs zu stellen, was zu einer ungeahnten Ausweitung der materiellen Produktion und damit zum steigenden Wohlstand des sogenannten Dritten Standes führte. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist bekannt. Seit den Freihandelsparolen eines Adam Smith und dem Sieg der Gironde über radikale Rousseauisten wie Louis-­ Antoine de Saint-­Just und François-­Noël Babeuf setzte im Zuge der gescheiterten Französischen Revolution in fast allen westeuropäischen Ländern und den USA eine Befreiung in den Kapitalismus ein, die zwar dem Bürgertum sowie im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts auch vielen Angestellten und Arbeitern zuerst zu einem redlichen Auskommen und dann zu einem relativ beachtlichen materiellen Wohlstand, zu häuslichem Komfort und sozialer Mobilität verhalf, aber zugleich eine Produktions- und Konsumgesellschaft schuf, der eine rücksichtslose Ausplünderung der Natur zugrunde lag. Zugegeben, die Zeiten der aristokratischen Bevormundung, der Leibeigenschaft, der Wohnungs- und Hungersnöte hörten allmählich auf. Aber dafür begann in diesen Ländern eine Ära, in der – zur Vermeidung von ökonomischen Krisenzyklen oder politischen Rückfällen in den Feudalismus – die pausenlose Beschleunigung der wirtschaftlichen Expansionsrate zum höchsten Fetisch wurde. Die Folgeerscheinung dieser Entwicklung war ein Ausschlachtungsprozess, der seit dem späten 19. Jahrhundert durch die Reklamefeldzüge der großen Industriekonzerne ständig neu angeheizt wurde, um so eine möglichst konsumintensive Bedürfnis- und Profitsteigerung in Gang zu setzen. Daher erfreuten sich immer breitere Schichten der Bevölkerung einer finanziellen Absicherung, die ihnen nicht nur eine bisher ungeahnte Verbrauchslust, sondern – im Zuge einer erweiterten Freizeit – auch die Freuden des Tourismus, die Vorzüge moderner Verkehrsmittel sowie den Besuch von allerlei Sport- und Vergnügungsstätten ermöglichte, aber auf alles andere, was außerhalb der Sphäre der umworbenen Konsumenten lag, immer weniger Rücksicht nahm. 220

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

Das unvermeidliche Ergebnis dieser Entwicklung, wie wir es heute vor Augen haben, ist jene zerschnittene, zersiedelte, verdrahtete, verstraßte, verschilderte, verlärmte, verhässlichte, verseuchte, kurz: vergewaltigte Natur, die jeden Eigenwert eingebüßt hat und lediglich im Dienst einer immer hektischer angekurbelten materiellen Produktion steht. Und nur wenige Menschen in den meisten hochindustrialisierten Ländern wehrten sich gegen die allgemeine Verbrauchs- und Wegwerfmentalität, wohl wissend, dass im Rahmen solcher Gesellschaftssysteme ein wirtschaftlicher Stillstand notwendig zu gravierenden Krisen führen würde. Dadurch entwickelte sich ein verhängnisvoller Kreislauf von Bedürfniserweckung und Überproduktion, dessen gnadenlose Konsequenzen nicht mehr zu übersehen waren. Schließlich wollten immer mehr Menschen immer mehr verbrauchen, obwohl viele der natürlichen Rohstoffe allmählich zur Neige gingen. Allerorten wurde so eine Wegwerfproduktion favorisiert, während Haltbares und damit Zeitüberdauerndes als anachronistisch galt. Kurzum, seit der bürgerliche Mittelstand als Produzent und Verbrauchsanreger die politische und ökonomische Macht hat, ist das Verhältnis des Menschen zu seiner »Umwelt«, wie es in anthropozentrischer Sicht meist heißt, wesentlich rücksichtsloser geworden. Demzufolge sind aus vielen ehemaligen Naturgebieten zusehends Urlaubsziele, Nutzflächen, Anlageobjekte, Rohstoffquellen, Siedlungsgebiete oder Müllhalden geworden. Und das hatte Konsequenzen auf allen Gebieten – selbst im Hinblick auf die drei Grundvoraussetzungen allen natürlichen Lebens: Luft, Wasser und Erde. Die Luft wurde mit Abgasen und Rußpartikelchen verdreckt, die Pestizide und Müllderivate drangen ins Grundwasser ein und die Erde wurde abgetragen, chemisch überdüngt, mit Müllhalden überzogen, Erosionen ausgesetzt oder in großflächige Monokulturen umgewandelt. Und so verlor alles immer deutlicher den Charakter des »Organischen«. Kein Wunder, dass demzufolge von den acht Millionen Tieroder Pflanzenarten bereits eine Million verschwunden ist. Viele Wildtiere, obwohl bereits vom Aussterben bedroht, wurden nicht nur weiterhin abgeschossen, in Fallen gefangen oder von Autos überfahren, sondern auch durch die Umwandlung der Natur in chemisch verseuchte Nutzflächen, die Trockenlegung der Sümpfe und die touristische Indienstnahme der Berge, Wälder und Meeresstrände ihrer natürlichen Lebensbedingungen beraubt. Das Gleiche gilt für viele Meerestiere, die durch Überfischung ausgerottet wurden, falls sie nicht schon vorher durch die zunehmende Wasserverseuchung zugrunde gegangen waren. Von den gezüchteten Tieren landeten vor allem Mäuse, Hamster, Meerschweinchen und Affen zu Hunderttausenden in Laboratorien, wo sie in langwierigen Versuchsserien gemartert oder seziert wurden. Und selbst manchen der zum Teil sentimental verhätschelten Haustiere ging es nicht viel besser. So nahm etwa die Zahl der Hunde und Katzen, die vor den Ferien aus221

Kritik und Utopie

31  Felix Jason: Eine Mülldeponie bei Köln (2018)

gesetzt wurden und dann, wenn sie nicht verhungerten, unter einem Auto endeten oder der Todesspritze verfielen, ständig zu. Nicht minder traurig war das Los der meisten Wildpflanzen. Sie wurden entweder abgepflückt, niedergetrampelt, umgepflügt, als Unkraut betrachtet oder chemisch vernichtet, so dass von der früheren Blütenpracht der Felder und Wälder nicht viel übrig geblieben ist. Mit anderen Worten: Immer weitere Bereiche der Natur wurden liquidiert oder »verwirtschaftet«. Trotz der Prognosen ernstzunehmender Wissenschaftler und trotz der Resolutionen zahlreicher von den Vereinten Nationen einberufener Naturschutzkonferenzen, aus denen hervorging, dass der Prozess der Naturzerstörung bereits in fünf bis sechs Jahrzehnten »irreversible« Züge annehmen könnte, wüteten die meisten technologiegläubigen Menschen weiterhin gegen die Natur und damit gegen sich selbst. Und das, obwohl bereits die ersten Immunschwächen auftraten, durch den übermäßigen Verbrauch tierischer Fette der Cholesterinspiegel anstieg und die Zahl der Krebskranken von Jahr zu Jahr zunahm. Ja, trotz der Gefahr eines möglichen Kollaps des gesamten Biosystems durch Abholzung, Zerstörung von Agrarland, Wasserknappheit und Klimaveränderungen entwickelte die überwältigende 222

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

Mehrheit der heutigen Konsumenten in den hochindustrialisierten Ländern stets neue Bedürfnisse und verbrauchte immer mehr Energie, so sehr war sie bereits auf jenen egoistischen, hektischen Kreislauf eingestimmt, den sie um des gesteigerten Wohlstands willen für den zentralen »Fortschritt« der Menschheit schlechthin hielt. Zum Glück sahen nicht alle Menschen der Gefahr, die sich aus der Dialektik von Wohlstandserweiterung und Naturzerstörung ergab, blind und ohne Perspektive entgegen. Es gab auch viele Kritiker dieser Entwicklung, zum Teil sogar sehr radikale, denen jedoch eine Phalanx von Antikritikern gegenüberstand, welche diese Gefahren zwar ebenfalls sahen, sich aber bemühten, sie mit abwiegelnden Rechtfertigungsstrategien zu unterlaufen. Und zwar bedienten sich die Verteidiger des industriellen Fortschritts und der damit verbundenen Wachstumsideologie meist folgender Taktiken: Entweder befürworteten sie den persönlichen Entfaltungsdrang, den sie – unter scharfer Verurteilung alles Planerischen und damit »Totalitaristischen« – mit Unterstützung der konsumanheizenden Massenmedien als wahrhaft »demokratisch« hinzustellen versuchten, oder sie legitimierten die gegenwärtige Bedürfnissteigerung mit dem Hinweis auf die mögliche Entwicklung wesentlich umweltschonenderer Technologien, während sie jede sogenannte Wachstumsbegrenzung als gefährlichen Rückfall in einen längst obsoleten Rousseauismus oder gar in eine vormoderne Archaik diffamierten. Die Hauptvertreter solcher Legitimationsstrategien, welche die unablässige Akzeleration der wirtschaftlichen Expansionsrate guthießen, gingen dabei meist vom unabdingbaren Recht der persönlichen Entscheidungs- und Ellbogenfreiheit aus.1 Sie verteidigten deshalb alles, was in den Bereich der individuellen Selbstverwirklichung gehörte, als geglückten Durchbruch eines endlich erreichten liberalen Selbstbewusstseins und lehnten alles, was ins Solidarische, Gesamtgesellschaftliche oder naturbedingt Ganzheitliche wies, als »einengend«, wenn nicht gar im schlechten Sinne als »totalitär« ab. Im Gegensatz zu den wahrhaft ökologiebewussten Theoretikern unter den Naturschützern, die im Hinblick auf die herrschende Misere ein neues soziales Verantwortungsgefühl forderten, propagierten deshalb die Rechtfertigungsstrategen des industriellen Fortschritts weiterhin vor allem jenes persönliche Selbstverwirklichungsstreben, das nur auf dem Weg einer uneingeschränkten Freizügigkeit zu befriedigen sei. Und zwar knüpften sie dabei gern an die Parolen der Französischen Revolution an, vertraten jedoch in Wahrheit lediglich ein auf den eigenen Wohlstand bezogenes Freiheitskonzept, während sie den beiden anderen Postulaten dieser Revolution, nämlich Gleichheit und Brüderlichkeit, eine wesentlich geringere Beachtung schenkten. Neben der liberalistischen Variante dieser zur Rechtfertigung des industriellen Fortschritts herangezogenen Individualitätskonzepte gab es freilich auch eine eher 223

Kritik und Utopie

fatalistische. Die Vertreter dieser Richtung stellten den Menschen zumeist als prinzipiell egoistisch hin, das heißt als unfähig, sich zu wandeln oder gesellschaftlich einzuordnen. Neben individualpsychologischen Kriterien wurden dabei in diesem Umkreis gern die Resultate der biologischen Verhaltensforschung aufgegriffen, um zu beweisen, dass der Mensch jenes Geschöpf sei, dem es vornehmlich um Status, Macht, Besitz, Prestige und vor allem Lustgewinn gehe und an das man demnach keine allzu großen, ideellen Ansprüche stellen dürfe. Was bei philosophisch anspruchsvolleren Schriften dieser Art häufig mit existentiell-­biologistischen Vokabeln verbrämt wurde, tendierte dagegen auf vulgärer Ebene meist zu einer Form von Egoismus, der sich weitgehend an umgangssprachlichen Parolen wie »Hauptsache ich!« oder »Nach mir die Sintflut!« orientierte. Eine ebenso verbreitete Legitimationsstrategie ging vornehmlich von der systemimmanenten Anpreisung aller Errungenschaften der technologischen Modernisierungsschübe aus. Ihre Vertreter setzten ihre Hoffnung nach wie vor auf die Entwicklung neuer Kunststoffe, neuer Energiequellen und neuer chemischer Verfahren, mit denen sich nach ihrer Auffassung die sogenannte umweltschonende Umstrukturierung der Industrie bewerkstelligen lasse. Manche schreckten dabei in ihrem futurologischen Optimismus sogar nicht davor zurück, Pläne zu entwickeln, wie sich die landwirtschaftliche Produktion durch Genmanipulationen steigern lasse, wie sich die zunehmende Digitalisierung auf die Einschränkung des Papierbedarfs auswirken würde, wie man den anfallenden Atommüll – in Science-­Fiction-­Manier – auf dem Mond deponieren könne und Ähnliches mehr. Nicht nur Politiker und Industriemanager vertraten seit den siebziger Jahren solche Anschauungen, sondern auch manche von der Notwendigkeit des technologischen Fortschritts überzeugte Naturwissenschaftler. Wenn sich die Anhänger dieser Richtung überhaupt mit aktuellen Umweltschäden beschäftigten, machten sie dafür gern die allbekannten »Sachzwänge«, also Phänomene wie Rationalisierung, Automation und Konkurrenzfähigkeit verantwortlich, statt sich auch mit dem systemimmanenten Zwang zur Beschleunigung der ökonomischen Expansionsrate innerhalb des herrschenden Wirtschaftssystems auseinanderzusetzen. In fast allen dieser bundesrepublikanischen Rechtfertigungsstrategien herrschte demnach lange Zeit die Tendenz, Phänomene wie Bescheidenheit, Solidarität oder gar Technikkritik von vornherein abzulehnen, das heißt, jeden Gegenentwurf zur heutzutage dominanten Wirtschaftsform als rousseauistisch, romantisch, regressiv oder utopistisch hinzustellen und damit alle alternativen Denkformen der Lächerlichkeit auszuliefern. Allerdings klangen dabei die Argumente derartiger Freiheits-, Wohlstands- und Technikpropagandisten schon in den achtziger Jahren bei Weitem nicht mehr so hoffnungsträchtig wie noch in der »Wirtschaftswunder«-Ära der fünf224

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

ziger und sechziger Jahre. Viele dieser Äußerungen wirkten eher zweckoptimistisch, anderen lag ein nur mühsam kaschierter Pessimismus zugrunde, der innerhalb des häufig beschworenen Sinnverlusts wenigstens das eigene Ich und seine Ansprüche zu verteidigen suchte. Es nahm daher nicht wunder, dass die Vertreter dieser Denkform – ob nun in ihrer subjektbezogenen, futurologischen, zweckoptimistischen oder pessimistischen Variante – vor den drohenden ökologischen Gefahren meist die Augen schlossen und jedem, der sie daran erinnerte, entweder mit Ironisierung oder mit Aggression begegneten. Besonders scharf traten solche Rechtfertigungsstrategen anfangs gegen jene Naturschützer auf, die auf eine einschneidende Änderung der wirtschaftlichen Entwicklung drängten, um damit dem ökologischen Katastrophenkurs der letzten 200 Jahre endlich Einhalt zu gebieten. Im Hinblick auf solche Gruppen sprachen sie deshalb gern von »grünen Wanderpredigern«, »ökologischen Tränensusen«, »Endzeitpropheten« oder »sektiererischen Apokalyptikern«, die sich nicht mit der Notwendigkeit historischer Prozesse abfinden könnten.2 Demzufolge kamen in ihren Argumenten häufig genug eine Selbstrechtfertigung der eigenen Verbrauchermentalität sowie eine privategoistische Haltung des sozialen Desengagements zum Durchbruch. Überspitzt gesagt schlachteten diese Gruppen, die sich gern als »Realisten« ausgaben, lediglich ihre sozioökonomische Privilegiertheit aus und ironisierten all jene, die noch an die Möglichkeit einer Gesellschaftsveränderung glaubten, als wirklichkeitsentfremdete Idealisten oder Utopisten. Angesichts der Übermacht solcher Rechtfertigungsstrategien überhaupt noch Mut zur Hoffnung oder gar zur Aktion aufzubringen, fiel daher nicht leicht. Allerorten dominierte eine Egozentrik, der ein skrupelloses Habenwollen zugrunde lag, das sich ideologisch als Pragmatismus, Zynismus oder skeptischer Realismus äußerte. Das Einzige, was viele der damaligen Bundesbürger und Bundesbürgerinnen weiterhin interessierte, ja, überhaupt zur Tätigkeit anspornte, war die Befriedigung ihrer eigenen Wohlstandsbedürfnisse. Und das führte zu immer mehr Maschinen, zu immer größerem Energieverbrauch, zu immer intensiverem Konsum, was zwar die Akzeleration der ökonomischen Expansionsrate, also den Hauptmotor aller marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsgebilde, auf vollen Touren hielt, aber zugleich jenen verheerenden Prozess der Naturausplünderung beförderte, der zwangsläufig zu bereits vorhersehbaren oder auch noch ungeahnten ökologischen Katastrophen führen muss.3 Um diesem Kurs entgegenzusteuern, ihn zu verlangsamen oder vielleicht sogar aufzuhalten, wäre bereits vor der Jahrtausendwende eine politische, sozioökonomische und weltanschauliche Neuorientierung nötig gewesen, die alles Egoistisch-­ Partikulare hinter sich gelassen und wieder die Gesamtheit der gesellschaftlichen 225

Kritik und Utopie

32  Barbara Krüger: Untitled (1987)

Situation ins Auge gefasst hätte, ohne dabei gleich ins Gewaltsame oder Diktatorische umzuschlagen. Doch dazu hätte es neben rein realpolitischen Maßnahmen auch einer Reihe gesamtgesellschaftlich ausgerichteter Leitbilder oder gar Utopien bedurft. Schließlich haben schon die Rousseauisten, die Lebensreformer, die Heimatschützer sowie die Fundamentalisten unter den frühen Grünen solche Utopien entworfen, um damit ihren Hoffnungen eine konkrete Ausformung zu geben und nicht länger im Bereich des Theoretisch-­Abstrakten oder gefühlsmäßig Sentimentalen zu verharren.4 Statt ihre Energien lediglich auf die weitere Ausdifferenzierung der gegenwärtigen Subjektivitäts- und Pluralismusdiskurse zu konzentrieren, sollten sich demzufolge auch die heutigen Überlebensstrategen um einen utopischen Diskurs der Diskurse bemühen, der sich gegen den Fetisch der ökonomischen Expansionsrate und der ihn flankierenden technologischen Fortschrittskonzepte wendet, und 226

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

stattdessen auf einen »geregelten Stoffwechsel mit der Natur« sowie der sich daraus ergebenden Wertvorstellungen dringen.5 Allerdings würde es hierbei nicht genügen, alle Bundesbürger und Bundesbürgerinnen zu einer »demokratischen Askese« aufzurufen und ihnen dann, um nur ja nicht gegen die herrschenden ideologischen Pluralismusvorstellungen zu verstoßen, keine damit korrespondierenden gesamtgesellschaftlichen Leitziele anzubieten.6 Denn ohne derartige Wertvorstellungen wird die Mehrheit der Bevölkerung ihren einzigen Orientierungspunkt weiterhin in einem egoistischen Materialismus erblicken. Was dagegen die heutigen Industrieländer in letzter Instanz brauchten, müsste eine Gesellschaftsutopie sein, die konkret genug wäre, um die trotz aller Wohlstandsversprechen noch immer in Bedürftigkeit Lebenden sowie die wegen der gegenwärtigen Situation aus ökologischen Gründen Missgestimmten innerhalb der finanziell bessergestellten Bevölkerungsschichten mit einer realistischen Hoffnung auf die Veränderbarkeit der gesellschaftspolitischen Grundvoraussetzungen zu beflügeln. Ich weiß, all das sind goldene Worte, zu deren praktischer Umsetzung mehr als nur neue Theorien nötig sind. Probleme dieser Art müssten vor allem auf Regierungsebene angegangen werden, um sich als effektiv zu erweisen. Dennoch sollten sich ökologiebewusste Organisationen wie auch mit diesen Problemen vertraute Naturwissenschaftler mehr denn je der Aufgabe widmen, immer breitere Bevölkerungsschichten von der Dringlichkeit der dabei auftauchenden Fragestellungen zu überzeugen. Nur so könnte endlich ein demokratischer Konsensus erreicht werden, sich um des Überlebens willen zu einer größeren Bescheidenheit und damit Naturschonung durchzuringen. II

Doch welche Chancen ergeben sich daraus für die Kultur- und Geisteswissenschaftler, werden spätestens zu diesem Zeitpunkt bereits von der Unaufhaltsamkeit der ­ökonomischen Großprozesse überzeugte Egoisten oder gar Zyniker einwenden? Überfordert das nicht die relativ begrenzten Möglichkeiten derartiger Disziplinen? Ist es nicht von vornherein eine intellektuelle Hybris, solchen gesellschaftlich randständigen Gruppen überhaupt derartige Aufgaben zuzumuten? Aber wie wollen diese Schichten noch einen moralisch wertesetzenden Anspruch erheben, wenn sie es nicht täten? Reihten sie sich nicht dadurch in jene »unaufgeklärte« oder mit einem »falschen Bewusstsein« dahinlebende Mehrheit der Bevölkerung ein, um es im Jargon der Achtundsechziger zu formulieren? An sich hätte man von ihnen aufgrund ihrer Bildungsvoraussetzungen eigentlich eine größere Einsicht und zugleich Sensibilität solchen Fragen gegenüber erwartet. Doch auch sie schreckten anfangs vor den Konsequenzen einer ökologischen Systemkritik mehrheitlich zurück. Während sie 227

Kritik und Utopie

sich anderen neuen Diskursen – seien sie nun geschlechtsspezifischer, minderheitsorientierter, feministischer, postmoderner, poststrukturalistischer, psychoanalytisch-­ lacanisierender, kommunikationstheoretischer oder semiotisch-­struktureller Art – höchst aufgeschlossen gegenüber verhielten, blieb der grüne oder ökologiebewusste Diskurs im Bereich der kultur- und geisteswissenschaftlichen Aktivitäten in den siebziger und achtziger Jahren eher am Rande.7 Die meisten Vertreter oder Vertreterinnen dieser Disziplinen – entweder zutiefst enttäuscht über den schmählichen Ausgang der Außerparlamentarischen Revolution oder von vornherein allen gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen recht skeptisch gegenüber – fanden diesen Diskurs, falls er auf wissenschaftlichen Tagungen oder in Einzelvorträgen angeschnitten wurde, lange Zeit ausgesprochen »außerdisziplinär«, wie sie es nannten. Ja, viele von ihnen sahen in ihm etwas Populärwissenschaftliches, dem zwar innerhalb der Illustrierten und des Fernsehens der gebührende Platz eingeräumt werden solle, der aber nicht in den Aufgabenbereich der wesentlich anspruchsvolleren Kultur- und Geisteswissenschaften gehöre. Wie ist es eigentlich im Rahmen dieser Disziplinen zu einer solchen Defensivhaltung gegenüber ökologieorientierten Aspekten gekommen? Hatten sich nicht gerade die Literaturwissenschaftler schon seit über 100 Jahren auf eine höchst feinsinnige Weise mit philosophischen oder ins Ästhetische gewendeten »Natur«-Vorstellungen beschäftigt? Wer damals die Wohletablierten unter ihnen reden hörte, hätte fast glauben können, sie lebten noch immer im Bereich jener nach außen abgeschirmten, machtgeschützten Innerlichkeit, die Thomas Mann bereits für die kulturelle Elite des wilhelminischen Zeitalters bezeichnend fand. Mit allen Privilegien einer finanziellen Absicherung und akademischen Lehrfreiheit ausgestattet, zogen sie sich nach den »tollen Jahren« um 1970 in der Folgezeit wieder mehrheitlich auf sich selbst zurück und misstrauten jeder Form eines ideologischen Engagements, das sie zu einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortlichkeit verpflichten würde. Man sollte meinen, dass wenigstens der ökologische Katastrophenaspekt die in dieses System eingebettete kultur- und geisteswissenschaftliche Intelligenz aus ihrer Selbstgefälligkeit aufgescheucht hätte. Aber lange Zeit geschah nur wenig dergleichen. Obwohl zwar manche mit den Ideen der Grünen sympathisierten, drangen deren alternative Vorstellungen kaum in die literaturwissenschaftlichen Diskurse ein. Stattdessen beschränkten sich viele Vertreter und Vertreterinnen dieser Disziplinen – aufgrund des erreichten Komforts sowie der zwar gefährdeten, aber immer noch »grün« aussehenden Natur – weiterhin auf Probleme der außergesellschaftlichen Singularität oder multikulturellen Differenz, worunter sie die wichtigsten Kennzeichen einer angeblich pluralistisch orientierten Demokratisierung verstanden. Schließlich lebten sie in der bestmöglichen Welt, die für Menschen ihresgleichen je existiert hatte. 228

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

Die rücksichtslose Ausplünderung der Natur sowie die technologischen Errungenschaften erlaubten es dem politischen Establishment, diese Gruppen an einem relativ breitgestreuten Wohlstand teilnehmen zu lassen und ihnen zugleich eine Freiheit zu gewähren, die so lange unbegrenzt blieb, wie sie nicht gegen die Grundvoraussetzungen des auf dem Fetisch der unentwegten Akzeleration der ökonomischen Expansionsrate beruhenden Systems verstieß. Woher sollten also eher kritisch gestimmte Geister innerhalb dieser Disziplinen in Anbetracht solcher Verhältnisse überhaupt noch Mut schöpfen? Schließlich waren es nicht nur die ökologischen Hiobsbotschaften, die sie bedrücken, sondern auch die geringen Möglichkeiten, ihre warnenden Stimmen innerhalb eines rastlos anschwellenden und alles andere unter sich begrabenden Medienapparats überhaupt noch zur Geltung zu bringen. Sahen sie sich nicht einer Kultur- und Meinungsindustrie gegenüber, der es vornehmlich um die beschleunigte Akzeleration der ökonomischen Zuwachsrate ging, in der also selbst kritische Äußerungen weitgehend als gewinnbringende »Waren« galten, die vor allem wegen ihres Unterhaltungs- oder Sensationscharakters vermarktet wurden? Ja, lag nicht dem Ganzen jenes Prinzip der indirekten Lenkung zugrunde, das sich als zerstreuendes Infotainment anbot, um damit von den wahrhaft dringlichen Problemen unserer Gesellschaft, nämlich der Überproduktion und Überbevölkerung sowie dem sich daraus ergebenden Raubbau der natürlichen Rohstoffe abzulenken? Wie konnten also in dieser eindimensionalen Medienberieselung ökologisch besorgte Stimmen von Seiten vereinzelter Kulturtheoretiker damals überhaupt Aufmerksamkeit erregen? Die Zahl der Literatur- und Geisteswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen, die sich seit den achtziger Jahren dennoch mit ökologiebewussten Themen auseinandersetzten, blieb deshalb relativ klein. Die wichtigsten Impulse gingen dabei anfangs meist von jenen Linksliberalen aus, die von der Naturphilosophie, der Gartengeschichte oder der Geschichte der Naturfreundebewegung herkamen, während sich die meisten Germanisten und Germanistinnen im Hinblick auf solche Fragen lange Zeit eher zögerlich verhielten. Es war demzufolge bis in die frühen neunziger Jahre nicht einfach, im Bereich der deutschen Literaturwissenschaft Vortragende für ökologiebewusste Tagungen oder Konferenzsektionen zu gewinnen, da die meisten Vertreter oder Vertreterinnen dieses Faches – je nach ideologischer Sehweise – damals diesen Diskurs noch als etwas spezifisch Regionalistisch-­Reaktionäres oder gar Unsinnig-­Apokalyptisches empfanden. Trotzdem ließen einige schon zu diesem Zeitpunkt nicht davon ab, in der Germanistik der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik eine längst fällige Auseinandersetzung mit solchen Problemen wenigstens durch Monographien, Sammelbände und Tagungsprotokolle wie Natur und Natürlichkeit. Stationen des Grünen in der deutschen Literatur (1981), Öko-­Kunst? Zur 229

Kritik und Utopie

Ästhetik der Grünen (1989), Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins (1991), Im Wettlauf mit der Zeit. Anstöße zu einer ökologiebewußten Ästhetik (1991) und Mit den Bäumen sterben die Menschen. Zur Kulturgeschichte der Ökologie (1993) in Gang zu bringen.8 Erst seit der Mitte der neunziger Jahre gab es einen allmählich wachsenden Kreis von Literaturhistorikern und Literaturhistorikerinnen, die im Rahmen der Kulturund Geisteswissenschaften für solche Belange eintraten. Dafür sprechen mehrere Kongresse, die in diesem Zeitraum zu ökologischen Fragestellungen in Oregon, im Dessauer Bauhaus, im Dumbarton Oaks Institute for Landscape Architecture in Washington D. C. sowie im Kasseler Naturfreunde-­Archiv stattfanden und sich sowohl mit der Geschichte eines grünen Bewusstseins und der sie unterstützenden Literatur als auch mit aktuellen Fragen des Naturschutzes beschäftigten. Von den Germanisten und Germanistinnen, die zu solchen Tagungen angereist kamen, seien in diesem Zusammenhang lediglich Hartmut Böhme, Stephen Brockmann, Axel Goodbody, Wolfgang Haedecke, Martin Kagel, Peter Matussek, Peter Morris-­ Keitel, Michael Niedermeier, Andrew Reaves, William Rollins, Helmut Schneider, Ulf Schramm, Karla Schultz, Egon Schwarz, Jochen Vogt, Reinhilde Wiegmann und Sabine Wilke genannt, die sich nicht scheuten, mit zum Teil temperamentvoll vorgetragenen Beiträgen in die von ökologiebewussten Politikern und Naturwissenschaftlern heraufbeschworene Überlebensdebatte einzugreifen. Ja, einige von ihnen versuchten sogar, im Sinne der Parole »Theoria cum praxi« an den lokalen Wahlprogrammen der deutschen Grünen oder den Publikationen amerikanischer Naturschutzorganisationen mitzuarbeiten. Doch zu einem plötzlich anschwellenden Durchbruch von Vorträgen und Publikationen dieser Art kam es eigentlich erst in den letzten zehn Jahren, als durch die zunehmenden ökologischen Katastrophenmeldungen auch viele Literaturwissenschaftler und Literaturwissenschaftlerinnen endlich aus ihrer bisherigen Selbstbezogenheit aufwachten und sich derartigen Themen zuwandten. Dafür sprechen vor allem zwischen 2015 und 2018 in Deutschland und den USA herausgekommene Sammelbände und Monographien wie German Culture and the Modern Environmental Imagination (2015) von Sabine Wilke, Kulturökologie und Literaturdidaktik. Beiträge zur ökologischen Herausforderung in Literatur und Unterricht (2016) von Sieglinde Grimm und Berbeli Wanning, Literatur und Ökologie. Neue literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven (2017) von Claudia Schmitt und Christiana Solte-­ Gresser, Ecological Thought in German Literature and Culture (2017) von Gabriele Dürbeck, Urte Stobbe, Hubert Zapf und Evi Zemanek, German Ecocriticism in the Anthropocene (2017) von Gabriela Schaumann und Heather I. Sullivan, Readings in the Anthropocene. The Environmental Humanities, German Studies, and Beyond 230

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

(2017) von Sabine Wilke und Japhet Johnstone, Ökologische Genres. Naturästhetik – Umweltethik – Wissenspoetik (2018) von Evi Zemanek, Das ökologische Auge. Landschaftsmalerei im Spiegel nachhaltiger Entwicklung (2018) von Sybille Heidenreich sowie Ökologischer Wandel in der deutschsprachigen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Neue Perspektiven und Ansätze (2018) von Gabriele Dürbeck.9 Ja, im Jahr 2019 wurden auf dem Deutschen Germanistentag in Saarbrücken sogar zwei Sektionen ausschließlich ökologischen Themen eingeräumt. Das soll nicht heißen, dass sich die germanistische Literaturwissenschaft in Zukunft lediglich mit Themenstellungen beschäftigen sollte, in welchen dem humanozentrischen ein biozentrisches Denken oder zumindest eine Synthese beider entgegengesetzt wird, um endlich wieder positive Leitbilder einer neuen weltanschaulichen Orientierung an die Hand zu bekommen. So wie die Friedensforscher vor allem die Friedensutopien, aber auch die Brutalität gewisser Kriegsromane, oder die Feministinnen vor allem die vergessenen Werke schreibender Frauen, aber auch die forcierte Herrenperspektive in der von Männern geschriebenen Literatur herausgestellt haben, müssten die Literaturwissenschaftler und Literaturwissenschaftlerinnen, die sich auf die Überlebensdebatte einlassen, neben den ökologiebewussten Nachhaltigkeitskonzepten zugleich das gesamte Korpus der älteren und neueren Literatur ins Auge fassen, um zu zeigen, wie sich in ihm sowohl die materiellen Voraussetzungen als auch das Verhältnis zur Natur in den Bewusstseinszuständen bestimmter Zeitabschnitte oder einzelner Autoren und Autorinnen widergespiegelt haben. Im Rahmen einer solchen Neuorientierung bekäme auch die Germanistik endlich wieder einen festen Boden unter den Füßen, das heißt, könnte nicht mehr von vornherein ins einseitig Ästhetisierende, Individualpsychologische, Kompensatorische oder Formalistische ausweichen, sondern müsste sich auch mit dem jeweiligen bäuerlichen, handwerklichen, merkantilistischen oder industriellen Produktionsstand einer bestimmten Gesellschaft und der in ihr stattfindenden Naturverarbeitung auseinandersetzen, um überhaupt zu soziopolitischen oder kulturell relevanten Urteilen fähig zu sein. Und dies wird nicht ohne eine Teilrezeption eines materialistischen Geschichtsverständnisses gehen, das zwar durch den Einbruch anthropologischer oder poststrukturalistisch dezentrierender Sehweisen etwas von seinem früheren Ansehen eingebüßt hat, aber damit nicht im Prinzip widerlegt ist. Ja, im Hinblick auf die fortschreitende Naturzerstörung durch Überindustrialisierung, Bevölkerungsvermehrung und Vergroßstädterung sind materialistische Grundeinsichten, die sich an den technologischen Produktionsvoraussetzungen der jeweils ins Auge gefassten Gesellschaften orientieren, geradezu unabdingbar geworden. Nur indem die Geisteswissenschaftler und Geisteswissenschaftlerinnen auch die damit verbundenen Interkorrespondenzen herausstreichen würden, könnten sie wieder eine Rückbesinnung 231

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auf die konkreten Bedingungsfaktoren aller gesellschaftlichen Praxis einschließlich ihrer literarisch sublimsten wie auch trivialsten Ausformungen einleiten. Statt also weiterhin die Natur – ob nun bei der Betrachtung der Empfindsamkeit, der Romantik, des Jugendstils oder des Expressionismus – lediglich als einen Vorwand menschlicher Erlebnisausweitungen in ihre Reflexionen einzubeziehen, sollte die Germanistik die Natur endlich als eine der Hauptgrundlagen allen Lebens auf Erden betrachten. Vorbildlich dafür wären unter anderem jene Äußerungen des Kulturphilosophen Hartmut Böhme, der bereits 1991 seine Kollegen und Kolleginnen auf dem Augsburger Germanistentag mit dem Satz schockierte, dass es keine Literaturwissenschaft mehr geben dürfe, die sich nicht ständig bewusst wäre, dass wir heute in einer Welt des naturwissenschaftlich enthistorisierten »Szientifizierungsdrucks«, der »Suizid-­Programme der neuen Technologien« sowie der »Verschwendungs- und Ausplünderungswirtschaft zu Lasten der Dritten Welt und vor allem der Natur« lebten. Falls die Germanistik vor solchen Problemen die Augen schlösse, behauptete er schon dort mit bewundernswerter Entschiedenheit, verdiente sie ihren Abschied.10 All dies war keineswegs arrogant gemeint, sondern versuchte lediglich der Realität so illusionslos wie nur möglich ins Auge zu schauen und dennoch die Hoffnung auf neue Formen einer möglichen Verbesserung der momentan herrschenden Verhältnisse wachzuhalten, die sich wieder von gesamtgesellschaftlichen Zielen leiten lässt. Schließlich ist ein Engagement für eine größere ökologische Bewusstheit nichts Winkeliges, Ichbezogenes, Partikulares, sondern hat nur dann einen Sinn, wenn es über die Einzelbereiche der heutigen Arbeitsteilung hinausreicht und auf einer möglichst breiten Ebene wirksam wird. Was sollten also ökologiebewusste Humanwissenschaftler und Humanwissenschaftlerinnen tun, um überhaupt noch als Lehrende ernst genommen zu werden? Ihren in einer von allen gesamtgesellschaftlichen Werten entblößten Wirtschaftsordnung lebenden Studenten und Studentinnen lediglich die nötigen fachbezogenen Informationen, ästhetischen Sensibilisierungen oder psychischen Entlastungen anzubieten, wäre sicher nicht genug. Doch welche anderen Möglichkeiten eröffneten sich ihnen, falls sie sich bemühten, über den engeren Kreis der akademischen Lehre hinauszudringen und als ökologische Mahner aufzutreten? Würden sie nicht bei solchen Bemühungen zwangsläufig an Theodor W. Adornos Maxime erinnert, dass es »nichts Richtiges im Falschen« gibt11 und ihr Engagement letzten Endes den von ihnen Attackierten lediglich die Chance bietet, sich durch die Duldung solcher Angriffe mit dem Feigenblättchen der Liberalität zu schmücken? Doch trotz solcher ernüchternden Erkenntnisse dürften die Bewussteren, Aktiveren innerhalb dieser Gruppen nicht aufgeben. Sie bilden zwar nur eine kleine, aber 232

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

hoffentlich kritisch eingestellte Minderheit, die sich dennoch bemühen sollte, auch mit ihren Mitteln, denen des persönlichen Engagements, der akademischen Lehre und des geschriebenen Worts, jene Graswurzelrevolution in Gang zu halten, welche in den frühen achtziger Jahren einmal recht vielversprechende Züge hatte, aber seitdem wieder zum Teil ins Pragmatische abgeflaut ist. Sie müssten deshalb nicht nur jene Realos unterstützen, die unter Hintansetzung wahrhaft naturbewahrender Programme lediglich für »ökologisch abgesicherte Industriestandorte« eintreten, sondern auch jene Fundis oder Mittalos, die noch immer an den systemkritischen, ja, systemverändernden Gesinnungen der frühen Hauptvertreter und -vertreterinnen der Grünen festzuhalten versuchen. Nur so könnte sich innerhalb dieser Gruppen – im Zusammenwirken mit ökologiebewussten Schriftstellern und Wissenschaftlern anderer Disziplinen – eine Art Avantgarde herausbilden. Das klingt auf Anhieb reichlich unrealistisch. Aber literarische und wissenschaftliche Avantgarden waren zu Anfang stets kleine, radikale Minderheiten, ob nun die jakobinisch gesinnten Aufklärer, die Vormärzler, die Naturalisten, die Expressionisten, die Achtundsechziger oder die frühen Grünen, welche zwar durchweg am gewaltsamen Gegendruck der herrschenden Mächte gescheitert sind, aber deren Ideen dennoch, trotz aller Niederlagen, auf irgendeine Weise in das gesellschaftliche Allgemeinbewusstsein eingegangen sind und dort zum Teil bis heute weiterwirken. Es gibt zwar auch Auslöschungen, aber meist bleibt bei solchen Vorgängen dennoch ein dialektischer Funke erhalten, aus dem in günstigen Momenten wieder ein leuchtendes Fanal werden könnte. Lassen wir uns daher nicht einreden, dass die Zeiten des ästhetischen und wissenschaftlichen Avantgardismus vorüber sind, nur weil dieses Wort inzwischen auf die Ebene der kommerziellen Marketingstrategien abgesunken ist, in denen nach wie vor von »avantgardistischen Automodellen« oder einer »revolutionären Zahnpasta« die Rede ist. Verstehen wir unter Avantgarde ­wieder jene Vertreter in Kunst und Wissenschaft, welche sich mit den zentralen, darunter den ökologiebewussten Ideen unserer Zeit in nachdrücklicher, vielleicht sogar bewusst vereinfachter Form an jene Bevölkerungsschichten zu wenden versuchen, von denen sie sich noch am ehesten den Willen zu einer Veränderung der gegebenen, das heißt katastrophengefährdeten Situation erhoffen. Nur so würde sich eine solche Gruppe als Teil jener Vorhut qualifizieren, die nicht avantgardistisch in einem modernistisch-­elitären oder formal-­innovativen Sinne ist, sondern mit kollektiver Verantwortlichkeit die Gesamtheit der ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnisse ins Auge fasst und in rettender Absicht zu verändern sucht. Zu einer derartig gesinnten Geisteswissenschaft, die wieder auf den Grund der Dinge zurückzukehren versucht, gehören seit eh und je – wie bereits gesagt – zwei Kernpunkte: die Kritik und die Utopie. Beide Begriffe sind höchst vieldeutig und 233

Kritik und Utopie

bedürfen darum nochmals einer kurzen Erläuterung. Unter »Kritik« sollte man kein unverbindliches Nörgeln, Meckern, Kritteln oder Ähnliches verstehen. Haltungen solcher Art brauchen keineswegs gesellschaftskritisch, sondern können ebenso gut egozentrisch sein. Der Wert einer kritischen Einstellung liegt letztlich nicht im Phänomen der Kritik an sich, wie viele liberale Spötter oder auch Vertreter einer angeblich aufgeklärten »Streitkultur« behaupten, sondern einzig und allein in der ideologischen Qualität der in ihr zum Ausdruck kommenden Gesinnung. Schließlich gibt es neben der egoistischen auch eine neofaschistische, religiös-­sektiererische oder auch bloß spinnerte Kritik an den bestehenden Verhältnissen, die entweder höchst gefährlich ist oder überhaupt keinen Nutzen für die jeweils existierende Gesellschaft hat. Und damit wären wir bereits bei der Utopie, die hinter jeder ökologiebewussten Kritik stehen muss. Kritik ohne das Telos eines Anderen, Besseren, Alternativen kann das heutige marktwirtschaftliche System ohne Weiteres ertragen. Ja, es lebt in manchem geradezu von ihr, und zwar nicht nur, um sich – im Rahmen einer Haltung der repressiven Toleranz – das bereits erwähnte Feigenblättchen der Freiheit vorzuhalten, sondern auch um eine nörgelnde Stimmung der Standpunktlosigkeit und damit gesellschaftlichen Desorientiertheit zu verbreiten. Ökologische Utopien, hinter denen Entwürfe konkreter Gegengesellschaften stehen, wie etwa in den Romanen Ecotopia (1975) und Ecotopia Emerging (1981) von Ernest Callenbach, muss dagegen dieses System entweder negieren oder lächerlich machen, weil es sich bereits am Endpunkt der ökonomischen, politischen und sozialen Entwicklung angekommen dünkt und deshalb nur noch die progressionslose Akzeleration der wirtschaft­lichen Wachstumsrate propagiert. Doch treibt es nicht dadurch im Hinblick auf den beschleunigten Raubbau an der Natur, dem jeden Tag immer mehr landwirtschaftliche Nutzflächen und Waldgebiete zum Opfer fallen, zwangsläufig utopielos in den Untergang? Man sage also nichts gegen wissenschaftlich fundierte, kurz: konkrete Utopien. Sie sind, falls sie solidarisierungsstiftende Impulse enthalten, vielleicht das Einzige, was uns aus der systemimmanenten Misere herausführen könnte. Lassen wir daher in diesem Punkte nicht locker. Falls die Bemühungen mitweltlich engagierter Parteien und Organisationen sowie der unterstützenden Wissenschaftler und Kulturtheoretiker an dieser Aufgabe scheitern sollten,12 wird nämlich eines Tages, wenn die ersten ökologischen Großkatastrophen einsetzen, einmal viel staatliche Gewalt nötig sein, um ein mörderisches Chaos zu verhüten. Die entscheidende Frage ist daher, wie wir solche Gewaltsituationen und alle damit verbundenen Kriege durch ein möglichst naturverträgliches Leben, das heißt durch den Verzicht auf eine unnötige Überindustrialisierung und eine Reduzierung der Bevölkerungszahl vermeiden können. Und dazu wären Hunderte von konkreten Vorschlägen, 234

Chancen einer ökologiebewussten Avantgarde

auch künstlerischer und geisteswissenschaftlicher Art, bitter nötig. Lächeln wir deshalb nicht länger über Utopien, die einmal als die höchsten Leitbilder einer besseren Gesellschaft galten und heute mit der üblichen Status-­quo-­Gesinnung in den meisten Lexika meist als »Hirngespinste« hingestellt werden. Halten wir uns in diesem Punkte lieber an Jürgen Habermas, der bereits in den achtziger Jahren einmal geschrieben hat, dass sich in einer Gesellschaft, »in der die utopischen Oasen austrocknen«, notwendig ein Zustand der »Banalität und Ratlosigkeit« verbreite.13

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Anmerkungen

Neben einer Reihe neu geschriebener Aufsätze handelt es sich in diesem Buch zum Teil um stark überarbeitete Reden, Konferenzbeiträge sowie aus dem Englischen übersetzte Essays, die ich seit 1979 zur Unterstützung ökologiebewusster Themen und Forderungen verfasst habe. Um stets das Grundsätzliche derartiger Problemstellungen im Auge zu behalten, ließen sich dabei gewisse Wiederholungen und Überschneidungen nicht ganz vermeiden. Schließlich ging es mir – angesichts der Dringlichkeit grüner Postulate – bei der Niederschrift des Ganzen eher um das Argumentative als um eine vorwiegend wissenschaftliche Berichterstattung. Die Computerisierung meines Manuskripts besorgte Brian Wilt, während mir Carol Poore bei der Abbildungsbeschaffung und beim Korrekturlesen half. Beiden sei auch an dieser Stelle nochmals mein aufrichtiger Dank ausgesprochen. Zeitübergreifende Nachhaltigkeitskonzepte Grüne Utopien in Deutschland 1 Vgl. zum Folgenden auch mein Buch:

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Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 26 ff. Vgl. hierzu Hans Christian und Elke Harten: Die Versöhnung mit der Natur. Gärten, Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und Tugendparks in der Französischen Revolution, Reinbek 1989, S. 19 – 23. Carl Ignaz Geiger: Reise eines Erdbewohners in den Mars, Frankfurt a. M. 1790, S. 75 f. Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In: ders.: Im Wettlauf mit der Zeit. Anstöße zu einer ökologiebewußten Ästhetik, Berlin 1991, S. 29 – 52. Karl Leberecht Immermann: Die Epigonen. In: Werke, Frankfurt a. M. 1971, Bd. II, S. 650.

6 Karl Marx: Das Kapital, Bd III . In: MEW, Bd. XXVI, S. 409. 7 Ebd., S. 410. 8 Ernst Haeckel: Generelle Morphologie

der Organismen, Berlin 1866, S. 282.

9 Vgl. Hans-­Ulrich Wehler: Das Deut-

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sche Kaiserreich. 1871 – 1918, Göttingen 1973, S. 41 ff. Vgl. meinen Aufsatz: Konsequente Tierfreunde. Zur Entstehung der Vegetarierbewegung. In: ders.: Freundschaft. Zur Geschichte einer sozialen Bindung, Köln 2006, S. 85 – 105. Martin Atlas: Die Befreiung, Berlin 1910, S. 868. Vgl. William Rollins: A Greener Vision of Home. Cultural Politics and Environmental Reform in the German Heimatschutz Movement. 1904 – 1918, Ann Arbor, Michigan 1997. Vgl. Noch ist Deutschland nicht ­verloren. Ökologische Wunsch- und 237

Anmerkungen

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Warnschriften seit dem späten 18. Jahrhundert. Hrsg. von Jost Hermand und Peter Morris-­Keitel, Berlin 2006, S. 55 f. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, Stuttgart 1913, S. 367 – 390. Ludwig Klages: Der Mensch und die Erde, Jena 1913, S. 18. Vgl. Leberecht Migge und Jürgen von Reuss: Der sozialistische Garten. Das grüne Manifest (1919), Berlin 1999, S.  7 – 15. Bruno Wille: Der Maschinenmensch und seine Erlösung, Pfullingen 1930, S.  63 f. Vgl. Alwin Seifert: Die Versteppung Deutschlands (1936). Zit. in Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte, Salzburg, 11. Aufl., 1998, S. 241 ff. Vgl. hierzu meinen Aufsatz: War der Nationalsozialismus eine Utopie? In: ders.: Die Utopie des Fortschritts. 12 Versuche, Köln 2007, S. 17 – 35. Werner Heisenberg: Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik. In: Geist der Zeit 19, 1941, S. 270 f. Vgl. mein Buch: Grüne Utopien (wie Anm. 1), S.  118 – 120. Ebd., S. 122. Günther Schwab: Der Tanz mit dem Teufel. Ein abenteuerliches Interview, Hameln, 14. Aufl., 1988, S. 424 f. Ebd., S. 467. Manon Andreas-­Grisebach: Eine Ethik für die Natur. Dem Weg eine neue Richtung geben, Frankfurt a. M. 1991, S.  110 f. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Bd. III, Berlin 1959, S. 455. Rudolf Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des realexistierenden Sozialismus, Köln 1977, S. 20, 485, 513 f. und 543. Robert Havemann: Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheidewege, München 1980, S. 116. Vgl. dazu auch

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Peter Morris-­Keitel: Imaging a »Green« Future. Principles of Ecological Sustainability in Works by William Morris, Robert Havemann, Gioconda Belli, and Tschingis Aitmatow. In Klaus L. Berghahn (Hrsg.): The Temptation of Hope. Utopian Thinking and Imagination from Thomas More to Ernst Bloch – and Beyond, Bielefeld 2011, S.  103 – 124. Uwe Wolff: Papa Faust, Berlin 1982, S.  108 f. Den Begriff »demokratische Askese« verwandte vor allem Carl Friedrich von Weizsäcker. Vgl. ders.: Wohin fliegt die Rakete der Menschheit? In: Stern 1988, H. 33, S. 12. Vgl. dagegen die gegenläufige Tendenz in der Eröffnungsrede »Positive Utopien«, die Claudia Roth 2006 bei der Eröffnung einer Ausstellung von Gemälden des Malers Wassili Lepanto in Heidelberg hielt. In Wassili Lepanto: Ökologische Kunst, Heidelberg 2006, S. 17. Vgl. u. a. Russell Jacoby: Picture Imperfect. Utopian Thought for an Anti-­ Utopian Age, New York 2005, S. XIII. Jürgen Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt a. M. 1985, S. 161. Vgl. u. a. Fredric Jameson: Archaeologies of the Future. The Desire Called Utopia and Other Science Fictions, London 2005. Richard Herzinger und Johannes Stein: Endzeit-­Propheten oder die Offensive der Antiwestler, Reinbek 1995, S.  82 – 85. Richard Saage: Utopieforschung. Eine Bilanz, Darmstadt 1997, S. 144 – 146. Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: The Necessity of Utopian Thinking. In Klaus L. Berghahn (Hrsg.): The ­Temptation of Hope (wie Anm. 28), S.  139 – 153.

Anmerkungen

»Erst die Bäume, dann wir!« 1 Vgl. Tacitus: Germania. Hrsg. von

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Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1986, S. 6, 20. Vgl. Christian Ludwig Stieglitz: Geschichtliche Darstellung der Eigentums-­Verhältnisse an Wald und Jagd in Deutschland von den ältesten Zeiten bis zur Ausbildung der Landeshoheit, Leipzig 1832, S. 5, 8. Vgl. Friedrich Knauer: Der Niedergang unserer Tier- und Pflanzenwelt. Eine Mahn- und Werbeschrift im Sinne moderner Naturschutzbestrebung, Leipzig 1912, S. 83 f.; Heinrich Rubner: Forstgeschichte im Zeitalter der ­industriellen Revolution, Berlin 1967, S. 27 ff.; Alfred Barthelmess: Wald – Umwelt des Menschen. Dokumente zu einer Problemgeschichte von Naturschutz, Landschaftspflege und Humanökologie, Freiburg-­München 1972, S. 28 f., und: Industrie-­Natur. Lesebuch zur Geschichte der Umwelt im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Franz-­Josef Brüggemeier und Michael Toyka-­Seid, Frankfurt a. M. 1995, S. 19 – 59. Alfred Barthelmess: Wald (wie Anm. 3), S. 38. Vgl. Christian Ludwig Stieglitz: Geschichtliche Darstellung (wie Anm. 2), S. 212. Alfred Barthelmess: Wald (wie Anm. 3), S.  39 f. Ebd., S. 42. Zit. in Heinrich Rubner: Forstgeschichte (wie Anm. 3), S. 65. Ebd., S. 69. Hans Leibundgut: »Vorwort« zu Josef Nikolaus Köstler: Wald – Mensch – Kultur. Ausgewählte Aufsätze, Hamburg-­Berlin 1967, S. 7. Ebd., S. 76. Vgl. Henry Makowsky und Bernhard Buderath: Die Natur dem Menschen

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untertan. Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei, München 1983, S. 132. Vgl. Joachim Radkau: Holzverknappung und Krisenbewußtsein im 18. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 9, 1983, S. 513 – 543. Vgl. Alfred Barthelmess: Wald (wie Anm. 3), S. 35. Vgl. Heinrich Rubner: Forstgeschichte (wie Anm. 3), S. 141. Vgl. mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 12 ff. Vgl. meinen Aufsatz: Liberté – Egalité – Fraternité. Die Postulate einer unvollendeten Revolution. In: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. 200 Jahre französische Revolution in Deutschland. Hrsg. von Gerhard Bott, Nürnberg 1989, S. 31 – 41. Zit. in Henry Makowsky und Bernhard Buderath: Die Natur (wie Anm. 12), S. 126. Zit. in Rolf Peter Sieferle: Entstehung und Zerstörung der Landschaft. In: Landschaft. Hrsg. von Manfred Smuda, Frankfurt a. M. 1989, S. 259 f. Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Simplex teutonicus. Bescheidenheitspostulate in der deutschen Literatur zwischen 1750 und 1815. In: ders.: Im Wettlauf mit der Zeit. Anstöße zu einer ökologiebewußten Ästhetik, Berlin 1991, S. 1 – 28. Vgl. ebd.: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit, S.  29 – 52. Monatsblatt für Bauwesen und Landesverschönerung, 1817, S. 705. Jonathan Schuderoff: Für Landesverschönerung, Berlin 1825, S. 64.

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Anmerkungen 24 Peter Joseph Lenné: Über Trift- und Feldpflanzungen, Berlin 1826, Bd. II, 25

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S. 304. Vgl. hierzu allgemein Rolf Peter ­Sieferle: Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984, S. 48 ff. Wie unkonkret viele Romantiker in ihrem Verhältnis zur Natur blieben, zeigt Frank Rainer Max: Der »Wald der Welt«. Das Werk ­Fouqués, Bonn 1980. Gotthilf Heinrich Schubert: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, Dresden 1908, S. 4 ff. Rolf Peter Sieferle: Fortschrittsfeinde (wie Anm. 25), S. 250 f. Theodor Hertzka: Entrückt in die Zukunft, Berlin 1895, S. 35. Ernst Moritz Arndt: Ein Wort über die Pflege und Erhaltung der Forsten und Bauern im Sinne einer höheren, d. h. menschlichen Gesetzgebung. In: Der Wächter, 1815, S. 384. Ebd., S. 386. Johann Heinrich Riehl: Land und Leute, Stuttgart, 4. Aufl., 1857, S. 56. Richard Hamann und Jost Hermand: Stilkunst um 1900, Berlin 1967, S.  364 f. Ernst Rudorff : Heimatschutz, Leipzig, 2. Aufl., 1901, S. 12, 31. Vgl. hierzu auch Walther Schoenichen: Naturschutz – Heimatschutz. Ihre Begründung durch Ernst Rudorff, Hugo Conwentz und ihre Vorläufer, Stuttgart 1954. Mitteilungen des Bundes Heimatschutz, 1904/05, S. 1. Zit. in Rolf Peter Sieferle: Fortschrittsfeinde (wie Anm. 25), S. 255. Zit. in Walther Schoenichen: Naturschutz – Heimatschutz (wie Anm. 32), S. 179. Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung (wie Anm. 21), S. 45 ff.

38 Alexander von Humboldt: Ansichten

der Natur, Nördlingen 1986, S. 9.

39 Ernst Haeckel: Generelle Morphologie

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der Organismen, Berlin 1966, S. 282. Vgl. hierzu auch Ludwig Trepl: Geschichte der Ökologie vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 1987, S. 113 f. Vgl. Josef Nikolaus Köstler: Wald – Mensch – Kultur (wie Anm. 10), S. 25, 315. Reichstagsprotokolle, 9. Mai 1933, Bd. MCXIX, S. 452. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, Stuttgart 1913, S. 397. Vgl. Hans Peter Schmitz: Naturschutz – Landschaftsschutz – Umweltschutz. Der Touristenverein »Die Naturfreunde« als ökologisches Frühwarnsystem der Arbeiterbewegung. In: Mit uns zieht die neue Zeit. Die Naturfreunde. Die Geschichte eines alternativen Verbandes in der Arbeiterbewegung. Hrsg. von Jochen Zimmer, Köln 1984, S. 184 ff. Vgl. Ulrich Linse: Ökopax und Anarchie. Die Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland, München 1986, S. 76 ff. Vgl. Walther Schoenichen: Naturschutz im Dritten Reich, Berlin 1934, und Anna Bramwell: Ecology in the 20th Century, New Haven 1989, S. 200 f. Carl Friedrich von Weizsäcker: Demokratische Askese. In: Stern, 1988, Nr. 33, S.  50 f. Ein Interview mit Dennis Meadows. In: Spiegel, 1989, Nr. 29, S. 118. Vgl. auch meine Aufsätze: The Death of the Trees Will Be the End of Us All. Protests against the Destruction of ­German Forests. 1750 – 1950. In: Journal of Garden History 14, 1994, S. 147 – 157, und: The Idea of the Forest. Hrsg. von Karla L. Schultz und Kenneth S. ­Calhoon, New York 1996, S. 49 – 72.

Anmerkungen

Rousseau, Goethe, Humboldt 1 Vgl. unter anderem Marie Luise

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­ othein: Geschichte der Gartenkunst, G Jena 1926, Bd. II, S. 365 – 384, Alfred Hoffmann: Der Landschaftsgarten, Hamburg 1963, S. 15 – 64, und Birgit Wagner: Gärten und Utopien. Natur und Glücksvorstellungen in der französischen Spätaufklärung, Wien 1985, S.  29 – 41. Vgl. Mark Girouard: Life in the ­English Country House: A Social and Architectural History, New Haven 1978. Vgl. Jean-­Jacques Rousseau: Julie oder die neue Heloise, Frankfurt a. M. 1810, Bd. IV, S.  114 – 169. Ebd., S. 114, 160. Ebd., S. 164. Ebd., S. 146. Birgit Wagner: Gärten und Utopien (wie Anm. 1), S. 160. Vgl. mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ­ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1992, S. 26 – 31. Vgl. Hans Christian und Elke Harten: Die Versöhnung mit der Natur. Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und Tugendparks in der Französischen Revolution, Reinbek 1989, S. 23 ff. Vgl. hierzu: Idyllen der Deutschen. Hrsg. von Helmut S. Schneider, Frankfurt a. M. 1987, S. 356 f., und Gabrielle Bersier: Arcadia Revitalized. The International Appeal of Geßner’s »Idylls« in the 18th Century. In: From the Greeks to the Greens: Images of the Simple Life. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Madison 1989, S.  34 – 47. Vgl. hierzu und zum Folgenden ­Siegmar Gerndt: Idealisierte Natur. Die literarische Kontroverse um den

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Landschaftsgarten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in Deutschland, ­Stuttgart 1981. Christian Cay Lorenz Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst, Stuttgart 1990, S. 33, 56, 58. Zu Hirschfeld ­allgemein vgl. Alfred Hoffmann: Der Landschaftsgarten (wie Anm. 1), S. 109 – 135, und Linda Parshall: C. C. L. Hirschfeld’s Concept of the Garden in the German Enlightenment. In: Journal of Garden History 13, 3, 1993, S.  125 – 165. Vgl. Gärten der Goethe-­Zeit. Hrsg. von Harri Günther, Leipzig 1993. Vgl. Paul Ortwin Rave: Gärten der Goethe-­Zeit, Berlin 1981, S. 46 – 64. Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In: ders.: Im Wettlauf mit der Zeit. Ansätze zu einer ökologiebewußten Ästhetik, Berlin 1991, S. 29 – 52. Vgl. Michael Niedermeier: Das Ende der Idylle. Symbolik, Zeitbezug. Gartenrevolution in Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften«, Berlin 1992, und: Goethe und die »Revolution« in der Gartenkunst seiner Zeit. In: Gärten der Goethe-­Zeit. Hrsg. von Harri Günther, Leipzig 1993, S. 9 – 27. Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung (wie Anm. 15), S.  46 – 49. Vgl. Friedrich Georg Jünger: Gärten des Abend- und Morgenlands, München 1960, S. 165 f. Zit. in: The Praise of Gardens: An ­Epitome of the Literature of the Garden-­Art. Hrsg. von Albert Forbes Sieveking, London 1899, S. 232. Alexander von Humboldt: Ansichten der Natur, Nördlingen 1986, S. 9, 193, 226. Zit. in Hans Hardt: Im Zukunftsstaat, Berlin-­Leipzig 1905, S. 76. 241

Anmerkungen 22 Vgl. Maria Luise Gothein: Geschichte der Gartenkunst (wie Anm. 1), Bd. II, 23

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S. 457. Charles Henderson: Picturesque Gardens, New York 1901, S. 128. Zu den Naturgarten-­Vorstellungen, die Jens Jensen und Lorrie Otto um die Jahrhundertwende im Mittleren Westen propagierten, vgl. Ogden Tanner: ­Gardening America: Regional and ­Historical Influences in the Contemporary Gardens, New York 1990, S. 138 ff., 146 ff. Albert Forbes-­Sieveking: The Praise of Garderns (wie Anm. 19), S. 213 f., 232, und Samuel Parsons: The Art of Landscape Architecture. Its Development and its Application to Modern Landscape Gardening, New York 1915, S. 2, 17. Frank A. Waugh: Everybody’s Garden, London 1930, S. 25. Vgl. Marie Luise Gothein: Geschichte der Gartenkunst (wie Anm. 1), Bd. II, S. 452. Christian Ranck: Geschichte der Gartenkunst, Leipzig 1909, S. 98. Vgl. dazu u. a. auch Sigrid Hofer: Die Deutsche Gartenstadtbewegung – eine gescheiterte Utopie. In: Auf freiem Grund mit freiem Volke. Alternative Siedlungen in Deutschland und Schweden im industriellen Zeitalter. Hrsg. von Alan Nothnagle und Carl Holmberg, Berlin 1999, S. 93 – 110. Ebd., S. 98. Vgl. mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland (wie Anm. 8), S.  71 – 73. Ernst Rudorff: Heimatschutz, Leipzig, 2. Aufl., 1901, S. 80 ff. Ebd., S. 15, 44, 96. Vgl. hierzu allgemein Peter Morris-­ Keitel: Literatur der deutschen Jugendbewegung. Bürgerliche Ökologiekonzepte zwischen 1900 und 1918, Frankfurt a. M. 1994.

33 Ludwig Klages: Der Mensch und die

Erde, Leipzig, 2. Aufl., 1937, S. 34 ff.

34 Paul Schultze-­Naumburg: Gärten,

München 1902, S. 277.

35 Paul Schultze-­Naumburg: Die Ent-

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stellung unseres Landes, Halle 1905, S. 69. Willy Lange: Der Garten und seine Bepflanzung, Stuttgart 1913, S. 11, 13 57 f., und Eugen Gradmann: Heimatschutz und Landschaftspflege, Stuttgart 1910, S. 4. Willy Lange: Die Gartengestaltung der Neuzeit, Leipzig 1907, S. 14. Ebd., S. 103. Vgl. hierzu auch Joachim Wolschke-­Bulmahn: The »Wild Garden« and the »Nature Garden«: Aspects of the Garden Ideology of William Robinson and Willy Lange. In: Journal of Garden History 12,3, 1992, S.  183 – 206. Wilhelm Bölsche: Stirb und Werde! Naturwissenschaftliche und kulturelle Plaudereien, Jena 1913, S. 175. Ebd., S. 176. Vgl. auch seine Schrift: Goethe im 20. Jahrhundert, Berlin 1903. Willy Lange. Gartengestaltung der Neuzeit, Leipzig, 6. Aufl., 1928, S. 4, 8. Vgl. hierzu Joachim Wolschke-­ Bulmahn und Gert Groening: The Ideology of the Nature Garden: Nationalistic Trends in Garden Design during the Early Twentieth Century. In: Journal of Garden History 1, 21, 1992, S. 74 f. Vgl. Joachim Wolschke-­Bulmahn: The »Wild Garden« (wie Anm. 38), S. 201. Hans Hasler: Deutsche Gartenkunst, Stuttgart 1939, S. 94 f. Ebd., S. 115. Vgl. hierzu Rainer Alisch: Neue ­Forschungen zur Anthroposophie im NS-Staat. In: Argument 200, 1993, S. 617 – 621, und Joachim Wolschke-­ Bulmahn: Biodynamischer Gartenbau,

Anmerkungen

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Landschaftsarchitektur und Nationalsozialismus. In: Das Gartenamt, 1993, H. 9, S. 590 – 595, und H. 19, S.  638 – 640. Vgl. mein Buch: Old Dreams of a New Reich: Volkish Utopias and National Socialism, Bloomington, Indiana 1992, S.  208 – 220. Alwin Seifert: Lebensgesetzliche Landbauweise. In: Die Straße, 1940, H. 15/ 16, S. 330. Diesen Hinweis verdanke ich Joachim Wolschke-­Buhlmann. Vgl. Hermann Mattern. 1902 – 1971. Hrsg. von der Akademie der Künste, Berlin 1982, S. 7. Rudolf Borchardt: Der leidenschaftliche Gärtner, Nördlingen 1987, S. 21, 30 f., 168, 177. Fritjof Capra: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, München 1988, S.  1 – 11. Grün kaputt. Landschaft und Gärten der Deutschen. Hrsg. von Dieter ­Wieland, Peter M. Bode und Rüdiger Disko, München 1983, und: »Bin so

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ausgeworfen aus dem Garten der Natur«. Texte und Bilder zur Geschichte einer Sehnsucht. Hrsg. von Christa Hackenesch, Reinbek 1984. Garten und Landschaft, 1992, H. 10, S.  38 – 42. Brigitte Wormbs: Spaziergang nach Ermenonville. Rousseau in der Wunschlandschaft. In: Grün kaputt (wie Anm. 52), S.  121 – 130. Doris und Manfred Hegger: Ökologische Siedlung in Kassel. In: Garten und Landschaft 7, 1992, H. 7, S. 36 – 38. Vgl. Natur ohne Schutz. Neue Öko-­ Strategien gegen die Umweltzerstörung. Hrsg. von Jochen Bölsche, Reinbek 1983, S.  257 – 268. Deutsche Fassung meines Essays »Rousseau, Goethe, Humboldt. Their Influences on Later Advocates of the Nature Garden.« In: Nature and ­Ideology. Hrsg. von Joachim Wolschke-­ Bulmahn, Washington D. C. 1997, S.  35 – 58.

Gehätschelt und gefressen 1 1. Mose 9,1 – 7. 2 Vgl. Heinz Meyer: Der Mensch und

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das Tier. Anthropologische und kultursoziologische Aspekte, München 1975, S.  104 ff. Vgl. Ernest S. Turner: All Heaven in a Rage, London 1964, S. 24 f. Vgl. Gerald Carson: Men, Beasts, and Gods. A History of Cruelty and Kindness to Animals, New York 1972, S. 38 f. Leonora Cohen Rosenfield: From Beast-­Machine to Man-­Machine, New York 1940, S. 70. Vgl. Ernest S. Turner: All Heaven in a Rage (wie Anm. 3), S. 25. Zit. bei Heinz Meyer: Der Mensch und das Tier (wie Anm. 2), S. 117.

8 Vgl. Hester Hastings: Man and Beast

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in French Thought of the Eighteenth Century, Baltimore 1936. Heinz Meyer: Der Mensch und das Tier (wie Anm. 2), S. 121. Vgl. Arthur C. Lovejoy: Buffon and the Problem of Species. In: Forerunners of Darwin 1745 – 1859. Hrsg. von Bentley Glass, Baltimore 1959, S. 84 ff. Ausspruch Friedrichs II. von Preußen. Zit. bei Heinz Meyer: Der Mensch und das Tier (wie Anm. 2), S. 118. Vgl. u. a. Reinhard Piper: Das Tier in der Kunst, München 1910, Kenneth Clark: Animals and Men, New York 1977, und Robert Rosenblum: Der Hund in der Kunst. Vom Rokoko bis zur Postmoderne, Wien 1989. 243

Anmerkungen 13 Vgl. Dix Harwood: Love for Animals

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and How It Developed in Great Britain, New York 1928, S. 115 ff. Vgl. zum Folgenden: Poetry’s Plea for Animals. Hrsg. von Frances E. Clarke, Boston 1927, S. VII ff., Guy Richardson: Animals as Seen by Poets, Boston 1930, S. 16 ff., und Ernest S. Turner: All Heaven in a Rage (wie Anm. 3), S.  69 ff. Ebd., S. 71. Jo Mihaly: Von Mensch und Tier. Eine Sammlung der schönsten Tiergeschichten, Einsiedeln 1961, S. 102. Zit. in Hans Schumacher: Die armen Stiefgeschwister der Menschen, Zürich 1977, S. 189. Hundegeschichten. Hrsg. von Dora Meier-­Jaeger, Zürich 1968, S. 220 f. Dix Harwood: Love for Animals (wie Anm. 13), S. 169 f. Zit. in Ernest S. Turner: Animals and Humanitarianism. In: Animals und Man in Historical Perspective. Hrsg. von Joseph und Barrie Klaits, New York 1974, S. 151. Immanuel Kant: Werke. Hrsg. von Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1956, Bd. IV, S. 60. Vgl. Ulrich Klever: Keysers Hundebrevier, Heidelberg 1960, S. 122 ff. Zit. in Henry S. Salt: Animal Rights, New York 1894, S. 44. Ebd., S. 45. Im 18. Jahrhundert finden sich ähnliche Thesen bereits in dem »Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Tiere« (1750) von G. F. Meier. Friedrich Kirchner: Über die Tierseele, Halle 1890, S. 10. Vgl. Katze, Kuh und Kakadu. Tiere im Kindermuseum, Karlsruhe 1975. Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke, Leipzig o. J., Bd. V, S. 406, 409. Ebd., Bd. V, S. 404.

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große Männer, Frankfurt a. M. 1938, S. 70. Zit. in Hans Schumacher: Die armen Stiefgeschwister (wie Anm. 16), S. 190 f. Ebd., S. 210. Hundegeschichten (wie Anm. 17), S. 275. Vgl. Cumberland Clark: The Dogs in Dickens, London 1926. Friedrich Theodor Vischer: Auch Einer, Leipzig, o. J., Bd. II, S. 29. Ebd., Bd. II, S. 145. Vgl. Elfriede Stutz: Studien über Herr und Hund (Marie von Ebner-­ Eschenbach – Thomas Mann – Günter Grass). In: Das Tier in der Dichtung. Hrsg. von Ute Schwab, Heidelberg 1970, S. 200 ff. Thomas Mann: Herr und Hund, Berlin 1919, S. 31, 33. Vgl. hierzu auch Maurice Maeterlinck: Beim Tode eines jungen Hundes. In: Hundegeschichten (wie Anm. 17), S. 57 ff. Maeterlinck bezeichnete den Hund als das einzige Wesen, das den Menschen »wenigstens dem Anschein nach« liebt (S. 66). Vgl. Gerald Carson: Men, Beasts, and Gods (wie Anm. 4), S. 49 f. Vgl. u. a. Roswell C. McCrea: The Humane Movement. A Descriptive Survey, New York 1910, Arthur W. Moss: Valiant Crusade. The History of the RSPCA, London 1961, und Charles D. Niven: History of the Humane Movement, New York 1967. Vgl. Karl Walcker: Der Tierschutz und die Tierquälereien, Sondershausen 1905 und Heinz Meyer: Der Mensch und das Tier (wie Anm. 2), S. 145 f. Vgl. Henry S. Salt: Animal Rights, New York 1894, The New Charter. A Discussion of the Rights of Men and the Rights of Animals. Hrsg. von Henry S. Salt, London 1896, und

Anmerkungen

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­ illing for Sport. Hrsg. von Henry S. K Salt mit einem Vorwort von George Bernard Shaw, London 1915. Zit. in A. D. Graham: The Gardeners of Eden, London 1974, S. 93. Über die Vivisektionspraktiken dieser Jahrzehnte vgl. Gennaro Ciaburri: Die Vivisektion, Dresden 1933, S. 26 ff. Vgl. Richard D. French: Antivivisection and Medical Science in Victorian Society, Princeton 1975, S. 26 ff., und Roswell C. McCrea: The Humane Movement (wie Anm. 42), S. 9 f. Vgl. Shaw on Vivisection. Hrsg. von G. H. Bowker, London 1949, und John Vivyan: The Dark Face of Science, London 1971, S. 24 ff. Vgl. Johannes Hausleiter: Der Vegetarismus in der Antike, Tübingen 1935. Vgl. William E. A. Axon: Shelley’s Vegetarianism, New York 1971. Vgl. Gerald Carson: Men, Beasts, and Gods (wie Anm. 4), S. 127 ff., und R. N. Gammage: On the Best Methods of Promoting Stability in the ­Vegetarian Movement, London 1857. Henry S. Salt: Animal Rights (wie Anm. 44), S. 21. Annie Besant: Vegetarianism in the Light of Theosophy, London 1894, S. 12 ff. Vgl. auch H. F. Lester: Behind the Scenes in Slaughter Houses, ­London 1892. Vgl. Janos Frecot, Johann Friedrich Geist und Diethart Kerbs: Fidus. Zur ästhetischen Praxis bürgerlicher Fluchtbewegungen, München 1972, S. 32 ff. Vgl. zum Folgenden auch Georg Herrmann: 100 Jahre deutsche Vegetarierbewegung, Obersontheim 1968, S. 13 ff. Eduard Baltzer: Ideen zur sozialen Reform, Nordhausen 1873, S. 68. Ebd., S. 109. Zum Vegetarismus in den Utopien ­dieser Jahre vgl. mein Buch: Grüne

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Utopien in Deutschland, Frankfurt a. M. 1991, S. 92 ff. Vgl. Janos Frecot: Fidus (wie Anm. 54), S. 84. Vgl. meinen Aufsatz »Meister Fidus. Vom Jugendstil-­Hippie zum Germanenschwärmer«. In: ders.: Der Schein des schönen Lebens. ­Studien zur Jahrhundertwende, ­Frankfurt a. M. 1972, S. 58 ff. Vgl. aus dem Umkreis dieser Richtung auch folgende Bücher: Frederick Knauer: Der Niedergang unserer Tierund Pflanzenwelt (1911), Ludwig Ankenbrand: Erziehung des Kindes zur Tierliebe (1911), ders.: Naturschutz und Naturparks (1911), Wilhelm Hotz: Vegetarierkalender (ab 1911), Gustav Selß: Fleischkost und Pflanzennahrung (1912), Paul Förster: Die Vivisektion oder die wissenschaftliche Tierfolter (1912), K. Klein: Aus öffentlichen und privaten Schlachthäusern (1912), und Gustav Simons: Die deutsche Gartenstadt (1912). Vgl. Richard Hamann und Jost ­Hermand: Stilkunst um 1900, Berlin 1967, S. 179 ff., und meinen Aufsatz ­»Germania germanicissima. Zum ­präfaschistischen Arierkult um 1900«. In: ders.: Der Schein des schönen Lebens (wie Anm. 59), S. 39 ff. Hans Weigels: Der grüne Stern (1945), einer der ersten Romane, der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs erschien, parodierte darum die Nationalsozialisten vor allem als ­Vegetarier. Eine rühmliche Ausnahme in dieser Hinsicht bildet der Roman »Vineta« (1955) von Hans Albrecht Moser, der trotz mancher Überspanntheiten einige beachtenswerte Tierschutzkonzepte enthält (vgl. S. 1025 ff.). Vgl. u. a. Das Recht der Tiere in der Zivilisation. Hrsg. von Wilhelm Brock245

Anmerkungen

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haus, München 1975, S. 286 ff., Kurt Blüchel: Der Untergang der Tiere. Ein alarmierender Bericht, Reinbek 1979, und Alfred Barthelmeß: Vögel. Lebendige Umwelt. Probleme von Vogelschutz und Humanökologie, Freiburg 1981. Klaus Mehnert: Jugend im Zeitumbruch, Stuttgart 1976, S. 263. Vgl. Heinz Meyer: Der Mensch und das Tier (wie Anm. 2), S. 139. Ebd., S. 139. Ebd., S. 9. Vgl. hierzu auch Peter ­Baumann und Ortwin Fink: Wie ­tierlieb sind die Deutschen? ­Frankfurt a. M. 1979. Richard French: Antivivisection (wie Anm. 47), S. 394. Vgl. Horst Stern: Tierversuche in der Pharmaforschung, München 1979, S.  217 f. Vgl. Monica Hutchins und Mavis Caver: Man’s Dominion. Our Violation

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of the Animal World, London 1970, S. 149. Vgl. Das Tier, Dezember 1977, S. 72. Dieser Zeitschrift, welche die auflagenstärkste Tierillustrierte der Welt ist, sind die meisten der folgenden Beispiele entnommen. Horst Stern: Tierversuche (wie Anm. 70), S. 7 ff. Vgl. hierzu die Schriften des »Vereins gegen Massentierhaltung« sowie das Buch »Animal Factories« (1980) von Jim Mason und Peter Singer. Vgl. Norman Mayers: The Sinking Ark, Oxford 1979. Die erste Fassung dieses Beitrags erschien unter dem gleichen Titel in dem Band: Natur und Natürlichkeit. Stationen des Grünen in der deutschen Literatur. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Königstein 1981, S.  55 – 76.

Gerechtfertigte und rassistisch g­ esinnte Vorläufer der heutigen Grünen Ungezwungene Natürlichkeit 1 Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: Öko-

logische Aspekte der Lebensreformbewegung. In: Die Lebensreform. ­Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Hrsg. von Kai Buchholz, Rita Latocha, Hilke Reckmann und Klaus Wolbert. Bd. I, Darmstadt 2001, S. 411 – 415. 2 Vgl. das weit ausgreifende Kapitel »Der Gedankenkreis der Fortschrittlichen Reaktion«. In: Richard Hamann und Jost Hermand: Stilkunst um 1900, ­Berlin 1967, S. 24 – 212. 3 Ernst Rudorff: Heimatschutz, Leipzig, 2. Aufl., 1901, S. 12, 31. 4 Vgl. William Rollins: A Greener Vision of Home. Cultural Politics and 246

Environmental Reform in the German »Heimatschutz«-Movement 1904 – 1918, Ann Arbor 1997. 5 Vgl. Rudy Koshar: The Antinomies of »Heimat«: Homeland, History, Nazism. In: Heimat, Nation, Fatherland. The German Sense of Belonging. Hrsg. von Jost Hermand und James Steakley, New York 1996, S. 113 – 136. 6 Vgl. Janos Frecot, Johann Friedrich Geiß und Diethart Kerbs: Fidus 1868 – 1948. Zur Ästhetik bürgerlicher Fluchtbewegungen, München 1972, S.  47 ff. 7 Vgl. sowohl: »Wir sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der

Anmerkungen

Freikörperkultur. Hrsg. von Michael Andritzky und Thomas Rautenberg, Gießen 1989, S. 7, als auch Ulrich Linse: Völkisch-­rassische Siedlungen der Lebensreform, und Uwe Schneider: Nacktkultur im Kaiserreich. In: Handbuch zur »Völkischen Bewegung« 1871 – 1918. Hrsg. von Uwe Puschner, Walter Schmitz und Justus H. Ulbricht, München 1996, S. 397 – 410 bzw.  411 – 435.

8 Carl Jentsch: Volkswirtschaftslehre,

Leipzig 1913, S. 36.

9 Stark überarbeitete Fassung meines

Aufsatzes »Die Lebensreformbewegung um 1900. Wegbereiter einer naturgemäßeren Daseinsform oder Vorboten Hitlers?« In: »Lebensreform«. Die soziale Dynamik der politischen Ohnmacht. Hrsg. von Marc Cluet und Catherine Repussard, Tübingen 2013, S.  51 – 62.

Nationalistische Phrase oder Ausdruck ökologischen Bewusstseins? 1 Arthur Eloesser: Fischer-­Jahrbuch,

11 Ernst Rudorff: Heimatschutz, Leipzig,

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­ erlin 1911, S. 20. B Vgl. meinen Aufsatz »Die Metapher ›heile Welt‹. Zu Adornos Antiuto­ pismus«. In: ders.: Orte. Irgendwo. ­Formen utopischen Denkens, ­Frankfurt 1981, S. 104 – 117. Georg Lukács: Die Zerstörung der ­Vernunft, Berlin 1955, S. 318 ff. Vgl. als Beispiel das Kapitel »Heimatkunst« in Richard Hamann und Jost Hermand: Stilkunst um 1900, Berlin 1967, S.  364 – 394. Vgl. mein Buch: Grüne Utopien. Zur Geschichte des ökologischen Bewusstseins in Deutschland, ­Frankfurt a. M. 1991. Wilhelm Heinrich Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart, 3. Aufl., 1856, S. 263. Wilhelm Heinrich Riehl: Land und Leute, Stuttgart, 4. Aufl., 1857, S. 56. Vgl. Richard Hamann und Jost Hermand: Stilkunst um 1900 (wie Anm. 4), S. 364 f. Vgl. hierzu allgemein Walther ­Schoenichen: Naturschutz – Heimatschutz. Ihre Begründung durch Ernst Rudorff, Hugo Cowentz und ihre ­Vorläufer, Stuttgart 1954. Zit. in Kurt Marti: Tagebuch mit ­Bäumen, Darmstadt 1989, S. 99.

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2. Aufl., 1901, S. 51. Ebd., S. 51. Ebd., S. 12. Ebd., S. 12, 24, 31. Ebd., S. 16, 80, 87. Ebd., S. 15, 44. Paul Schultze-­Naumburg: Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen, Leipzig, 2. Aufl., 1901, S.  14 f. Paul Schultze-­Naumburg: Die Entstellung unseres Landes, Halle 1905, S. 78. Mitteilungen des Bundes Heimatschutz, 1904/5, S. 1. Vgl. hierzu u. a. Rolf Peter Sieferle: Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984, S. 161 ff., und Ulrich Linse: Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland, München 1986, S. 14 ff. Zit. in Rolf Peter Sieferle: Entstehung und Zerstörung der Landschaft. In: Landschaft. Hrsg. von Manfred Smuda, Frankfurt 1989, S. 255. Vgl. Heimatschutz 7, 1911, S. 110. Carl Jentsch: Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1913, S. 337.

247

Anmerkungen 24 Vgl. Peter Zimmermann: Der Bauern-

roman. Antifeudalismus – Konservatismus – Faschismus, Stuttgart 1975, S.  226 f. 25 Michael Georg Conrad: Erinnerungen zur Geschichte der Moderne, Leipzig 1902, S. 8. 26 Vgl. das Kapitel »Die völkische Opposition nach 1871« in meinem Buch: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1988, S. 47 – 64. 27 Vgl. hierzu das Kapitel »Der neue Subjektivismus« in: Richard Hamann und Jost Hermand: Impressionismus, Berlin 1960, S. 33 – 79.

28 Adolf Bartels: Der Bauer in der deut-

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schen Vergangenheit, Leipzig 1900, S. 142. Adolf Bartels: Zur Heimatkunst. In: Deutsche Heimat 6,1, 1902/03, S. 194. Zit. in Walther Schoenichen: Naturschutz – Heimatschutz (wie Anm. 9), S. 179. Vgl. Industrie-­Natur. Lesebuch zur Geschichte der Umwelt im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Franz-­Josef ­Brüggemeier und Michael Toyka-­Seid, Frankfurt a. M. 1995, S. 228 – 268. Neufassung meines Beitrags in dem Buch: Heimat und Heimatliteratur in Vergangenheit und Gegenwart. Hrsg. von Hubert Orłowski, Poznań 1993, S.  43 – 54.

Technologische Aufrüstung oder grüne Siedlungsexpansion? 1 Vgl. hierzu Adolf Hitler: Monologe im

Führerhauptquartier 1941–l944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims. Hrsg. von Werner Jochmann, Hamburg 1980, S. 90 f., 93, 101 f., 201, 285 f. 2 Vgl. das Kapitel »Der Gedankenkreis der ›Fortschrittlichen Reaktion‹« in: Richard Hamann und Jost Hermand: Stilkunst um 1900. Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus, Bd. IV, Berlin 1967, S. 24 – 202, und George L. Mosse: The Crisis of German Ideology. Intellectual Origins of the Third Reich, New York 1964. 3 Einen guten Einblick in diese Organisationen bietet das Buch: »Was tut not? Ein Führer durch die gesamte Literatur der Deutschbewegung«. Hrsg. von Rudolf Rüsten, Leipzig 1914. 4 Vgl. Jost Hermand und Frank Trommler: Die Kultur der Weimarer Republik, München 1978, S. 23 ff.

248

5 Vgl. den Band »Kontroversen um Hit-

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ler«. Hrsg. von Wolfgang Wippermann, Frankfurt a. M. 1986, S. 199 ff. Die bekanntesten Beispiele dafür sind Bertolt Brecht und John Heartfield. Vgl. Bertolt Brecht: Über die bildenden Künste. Hrsg. von Jost Hermand, Frankfurt a. M. 1983, S. 75 ff. Vgl. hierzu die Bände »Faschismus und Ideologie« innerhalb der Argument-­ Sonderreihe, Bd. 60 und 62, Berlin 1980. Vgl. Reden des Führers. Politik und Propaganda Adolf Hitlers 1922 – 1945. Hrsg. von Erhard Klöss, München 1967, S.  28 – 54. Adolf Hitler: Mein Kampf, München, 16. Aufl., 1933, S. 362. Ebd., S. 439. Ebd., S. 470, 487. Ebd., S.  726 – 756. Reden des Führers (wie Anm. 8), S. 58. Ebd., S. 59.

Anmerkungen 15 Vgl. hierzu u. a. meine Studie über die

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Art und Weise, mit der die Nazis selbst die älteren Matriarchatsvorstellungen für ihre Zwecke umzufunktionieren versuchten: Alle Macht den Frauen. Faschistische Matriarchatskonzepte. In: Argument 146, 1984, S. 339 – 354. Vgl. Monologe im Führerhauptquartier (wie Anm. 1), S. 90 f., 93, 101 f., 201, 285 f. Ebd., S. 239. Ebd., S. 233. Ebd., S. 331. Ebd., S. 91. Vgl. Tim Mason: Women in Germany. 1925 – 1940. In: History Workshop 2, 1976, S. 17. Vgl. hierzu allgemein Manfred Nagl: Science-­Fiction in Deutschland, Tübingen 1972, S. 172 – 194, sowie meinen Aufsatz: Ultima Thule. Völkische und faschistische Zukunftsvisionen. In: ders.: Orte. Irgendwo. Formen utopischen Denkens, Frankfurt a. M. 1981, S.  61 – 86. Hans Dominik: Befehl aus dem Dunkel, Berlin 1933, S. 368.

24 Ebd., S. 375. 25 Werner Chompton: Weltbrand von

Morgen, Stuttgart 1934, S. 116.

26 Ebd., S. 96. 27 Ebd., S. 159. 28 Titus Taeschner: Eurofrika. Die Macht

der Zukunft, Berlin 1938, S. 31.

29 Ebd., S. 188. 30 Dietrich Kärrner: Verschollen im Welt-

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all. Ein Zukunftsroman, Berlin 1938, S. 20. Ebd., S. 15. Ebd., S. 14. Ebd., S. 289. Ebd., S. 291. Ebd., S. 288. Vgl. mein Buch: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1965, München 1986, S. 251 ff. Stark überarbeitete Fassung meines Aufsatzes: Zwischen Superhirn und grüner Siedlung. Faschistische Zukunftsvisionen. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 40, 1988, S.  134 – 150.

Unerfüllte Hoffnungen 1 Vgl. u. a. Elisabeth Fleiner: Genossen-

schaftliche Siedlungsversuche der Nachkriegszeit, Heidelberg 1931, S. 136 f., Wolfgang Schlicker: Die ­Artamanenbewegung. Eine Frühform des Arbeitsdienstes und Kaderzelle des Faschismus auf dem Lande. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 18, 1970, S. 66 – 75, und Peter Schmitz: Die Artamanen. Landarbeit und Siedlung bündischer Jugend in Deutschland 1923 – 1933, Bad Neustadt 1985. 2 Vgl. hierzu allgemein Anna Bramwell: Blood and Soil. Richard Walther Darré and Hitler’s Green Party, Abbotsbrook 1985.

3 Zit. in Rolf Peter Sieferle: Fortschritts-

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feinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1989, S. 283. Vgl. Michael Wettengel: Staat und Naturschutz 1906 – 1945. In: Historische Zeitschrift 257, 1993, S. 389 f. Vgl. Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, S. 98. Vgl. Walther Schoenichen: Naturschutz im Dritten Reich, Berlin 1934, S. 78. Ders.: Naturschutz als völkische und internationale Aufgabe, Jena 1942, S. 45.

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Anmerkungen 8 Werner Lindner: Bauen. In: Denkmal-

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pflege und Heimatschutz im Wiederaufbau der Nation, Berlin 1934, S. 52. Ders.: Heimatschutz im neuen Reich, Leipzig 1934, S. 68 f. Vgl. Gesine Gerhard: Richard Walther Darré. Naturschützer oder Rassenzüchter? In: Naturschutz und Nationalsozialismus. Hrsg. von Joachim Radkau und Frank Uekötter, Frankfurt a. M. 2003, S. 261. Ebd., S. 262, und Anna Bramwell: ­Ecology in the 20th Century, New Haven 1989, S. 200 f. Dietrich Kärrner: Verschollen im ­Weltall, Berlin 1938, S. 289 – 291. Hans Fuschlberger: Der Flug in die Zukunft, Leipzig 1937, S. 46. Zit. in Edeltraud Klueting: Die gesetzlichen Regelungen der nationalsozialistischen Reichsregierung für den

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Tierschutz, den Naturschutz und den Umweltschutz. In: Naturschutz und Nationalsozialismus (wie Anm. 10), S.  38 f. Alwin Seifert: Die Versteppung Deutschlands. Ein Sonderdruck mit Aufsätzen aus der Zeitschrift »Deutsche Technik«, Berlin 1938, S. 4 – 10. Ehrenfried Pfeiffer: Gesunde und kranke Landschaft, Leipzig 1942, S. 21. Werner Heisenberg: Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik. In: Geist der Zeit 19, 1941, S. 261. Ebd., S. 270 f. Vgl. dazu die ideologisch abwägende Einstellung Joachim Radkaus in seiner Einleitung zu dem Buch: Naturschutz und Nationalsozialismus (wie Anm. 10), S. 38 f.

»Wenn es so bleibt, wie es ist, bleibt es nicht.« 1 Vgl. hierzu auch das Kapitel »Bunte

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und Grüne« in meinem Buch: Die Kultur der Bundesrepublik Deutschland. 1965 – 1985, München 1988, S.  566 – 587. Vgl. meinen Aufsatz: Die Graswurzelrevolution. In: Öko-­Kunst? Zur Ästhetik der Grünen. Hrsg. von Jost Hermand und Hubert Müller, Berlin 1989, S.  8 – 23. Die Grünen: Das Bundesprogramm, München 1980. Vgl. Die Grünen: Dem Struwwelpeter durch die Haare gefahren. Auf dem Weg zu einer grünen Kulturpolitik, Bonn 1987, mit einer Auswahlbibliographie auf S. 72. Vgl. hierzu auch mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur

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Geschichte des ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 134 ff. Petra K. Kelly: Um Hoffnung kämpfen. Gewaltfrei in eine grüne Zukunft, Bornheim 1993, S. 136 und 139 f. Ausführlicher dargestellt in meinem Buch: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1965, München 1986, S.  251 – 261. Iring Fetscher: Ökodiktatur oder Alternativzivilisation? In: Ökologie und Sozialismus. Perspektive einer umweltfreundlichen Politik. Hrsg. von Norbert W. Kunz, Köln 1986, S. 175. Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt a. M. 1987, S. 390.

Anmerkungen

Zur gegenwärtigen Situation Von der Notwendigkeit neuer Meisterdiskurse 1 Vgl. dazu die Aufsätze in: Postmodern

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Pluralism and Concepts of Totality. Hrsg. von Jost Hermand, New York 1995. Vgl. etwa Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens, Frankfurt a. M. 1987, S. 18 ff. Paul de Man: Allegories of Reading, New Haven 1979, S. 249. Vgl. hierzu Marcus P. Bullock: Oblivion’s Soldiers: The Postmodern and Poststructuralist Campaign against Images of Totality and History. In: Postmodern Pluralism (wie Anm. 1), S.  27 – 54. Vgl. meinen Aufsatz: Liberté-­Égalité-­ Fraternité. Die Postulate einer unvollendeten Revolution. In: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. 200 Jahre Französische Revolution in Deutschland. Hrsg. von Gerhard Bott, Nürnberg 1989, S. 31 – 41. Vgl. Pierre Bourdieu: Homo ­academicus, Frankfurt a. M. 1993. Vgl. mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ­ökologischen Bewusstseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 186 ff. Vgl. Fredric Jameson: How to Map a Totality. In: Postmodernism or The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham 1991, S. 399 – 418. So schreibt etwa Wolfgang Welsch in: Unsere postmoderne Moderne, München 1987, S. 6: »Die radikale post-

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moderne Pluralität bricht mit diesen Einheitsklammern, die auf eine Totalität hoffen, die doch nie anders als totalitär ausgelegt werden können.« Vgl. mein Buch: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1965, München 1986, S. 221 ff. Karl Marx: Das Kapital, Hamburg 1867, S. 494 f. Carl Friedrich von Weizsäcker: Demokratische Askese. In: Stern Nr. 33, 1988, S.  60 f. Vgl. Ernst Bloch: Freiheit und ­Ordnung. Abriß der Sozialutopien, New York 1946. Vgl. mein Buch: Orte Irgendwo. ­Formen utopischen Denkens, ­Frankfurt a. M. 1981, S. 21 – 44. Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In: Im Wettlauf mit der Zeit. Ansätze zu einer ökologiebewussten Ästhetik. Hrsg. von Jost Hermand, Berlin 1991, S. 29 – 52. Vgl. Die Herausforderung des Wachstums. Globale Industrialisierung: ­Hoffnung oder Gefahr? Zur Lage der Menschheit am Ende des Jahrtausends. Hrsg. von Club of Rome, Bern 1990. Eine erste Fassung dieses Aufsatzes erschien in: Kritische Fragen an die Tradition. Festschrift für Claus Träger zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Marion Marquardt, Stuttgart 1997, S. 271 – 286.

Naturerhaltende Mitwelt statt zweckdienlicher Umwelt 1 Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der

Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In Ders.: Wettlauf mit der Zeit.

Anstöße zu einer ökologiebewussten Ästhetik, Berlin 1991, S. 29 – 52. 2 Vgl. Hans Christian und Elke Harten: Die Versöhnung mit der Natur. Gärten, 251

Anmerkungen

Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und Tugendparks in der Französischen Revolution, Reinbek 1989, und mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 28 – 31. 3 Vgl. hierzu die Aufsätze von William Rollins, Martin Kagel und Peter Morris Keitel. In: Mit den Bäumen sterben die Menschen. Zur Kulturgeschichte der Ökologie. Hrsg. von Jost Hermand, Köln 1993, S. 149 – 240. 4 Ernst Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen, Berlin 1866, S. 282.

5 Vgl. meinen Aufsatz: Meister Fidus.

Vom Jugendstil-­Hippie zum Germanenschwärmer. In: ders.: Der Schein des schönen Lebens. Studien zur Jahrhundertwende, Frankfurt a. M. 1971, S. 55 – 127 und Ulrich Linse. Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre, Berlin 1983. 6 Neufassung meines Beitrags zu einer Tagung des »Hamburger Arbeitskreises für Umweltgeschichte«. In: Umweltgeschichte – Methoden, Themen, Potentiale. Hrsg. von Günter Bayerl, Norman Fuchsloch und Torsten Meyer, Münster 1996, S. 303 – 308.

Versuch einer Fundamentalkritik am »sachzwanghaften« Progressivismus 1 Vgl. hierzu Gernot Böhme: Für eine

ökologische Naturästhetik, Frankfurt a. M. 1989. 2 Neufassung meiner Rezension von Elmar Treptows Buch: Die erhabene

Natur. Entwurf einer ökologischen Ästhetik, Würzburg 2001. In: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, Heft 38, S. 40 – 48.

Für eine Überwindung der abstrakten unverpflichteten Malerei 1 Vgl. Wassili Lepanto: Ökologische

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Ordnung. Wiederbegrünung der Erde, Stuttgart 2016, S. 110 – 113. Ebd., S.  89 – 108. Vgl. Wassili Lepanto: 1968. Die Studentenbewegung in Heidelberg aus der Sicht eines beteiligten Studenten. Ein Roman, Heidelberg 2018. Unveröffentlicht. Wassili Lepanto: Kunst für den Menschen oder: Für eine Ökologische Kunst. Für eine Überwindung der ­abstrakten unverpflichteten Kunst. Ein Manifest, Freiburg 1983, S. 5. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 12 f. Ebd., S. 35.

9 Jost Hermand: Vorschein in der Ver-

gangenheit. Der utopische Moment bei Wassili Lepanto. In Wassili Lepanto: Positive Utopien, Stuttgart 2002, S. 15. 10 Ebd., S. 16. 11 Heide Seele: Die Freundschaft der ganzen Natur. In: Rhein-­Neckar-­Zeitung vom 22. November 2002. 12 Wassili Lepanto: Landschaften TOΠOIA Landscapes, Stuttgart 2011. 13 Jost Hermand: Widmung. In: ebd., S. 11. 14 Wassili Lepanto: Ökologische Ordnung in Kunst und Welt, Stuttgart 2015. 15 Jost Hermand: Widmung. In: ebd., S. 9. 16 Wassili Lepanto: Ökologische Ordnung (wie Anm. 1). 17 Vgl. Anm. 3.

Anmerkungen

Kritik und Utopie 1 Vgl. u. a. Rolf Peter Sieferle: Fort-

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schrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984. Vgl. u. a. Richard Herzinger und ­Hannes Stein: Endzeitpropheten oder Die Offensive der Antiwestler, Reinbek 1995, S. 82 – 85, wo ich mit Hans Jonas, Wolfgang Harich und Rudolf Bahro als »grüner Totalitarist« angeprangert werde. Vgl. zu pessimistischen Reaktionen auf diesen Katastrophenkurs u. a. Jan ­Zalasiewicz: Die Erde nach uns. Der Mensch als Fossil der fernen Zukunft (2011) sowie Harald Lesch und Klaus Kampmann: Der Mensch schafft sich ab. Die Erde im Griff des Anthropozän (2016). Vgl. mein Buch: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, ­Frankfurt a. M. 1991. Karl Marx: Das Kapital, Hamburg 1867, S. 494 f. Vgl. Grüne Utopien in Deutschland (wie Anm. 4), S. 201.

7 Vgl. Peter Morris-­Keitel und Michael

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Niedermeier: Ökologie und Literatur, New York 2000, S. 1 – 4. Vgl. dazu mein Buch: Zuhause und anderswo. Erfahrung im Kalten Krieg, Köln 2001, S. 230 – 239. Vgl. dazu Helga G. Braunbeck: Recent German Ecocriticism in Interdisciplinary Contexts. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 111,1, 2019, S. 117 – 135. Hartmut Böhme: Germanistik in der Herausforderung durch den technischen und ökonomischen Wandel. In: Kulturelle Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik. Hrsg. von Johannes Janota, Tübingen 1993, S.  30 – 33. Theodor W. Adorno: Minima moralia. In: ders.: Gesammelte Schriften, Frankfurt a. M. 1997, Bd. IV, S. 43. Vgl. dazu ausführlich Joachim Ratkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, S. 616 – 621. Jürgen Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt a. M. 1985, S. 161.

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Bildnachweise

Abb. 1 Daniel Nikolaus Chodowiecki: Abb. 2 Abb. 3

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Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10 Abb. 11

Natur (1779), © akg-­images. Ludwig von Hofmann: Idyll (1896), © akg-­images. Abgestorbene Fichten am Brocken (2018). Wiki Commons. Forest dieback-­Germany. Commons. Wikimedia.org. Creative ­Commons Attribution-­Share Alike 4.0 International. Hans Holbein d. J.: Rodung eines Waldes zur Gewinnung von Ackerland. Aus der Serie »Totentanz« (1538), © akg-­images / ­Science Source. Klaus Staeck: Waldschädling (1984), dtv Postkartenbuch, © VG Bild-­Kunst, Bonn 2019. Anonym: Der Park in Muskau (um 1835), in: Herrmann Fürst von Pückler-­Muskau, Andeutungen über Landschaftsgärtnerei, ­Stuttgart 1834. Jakob Wilhelm Christian Roux: Goethes Gartenhaus bei Weimar (um 1830), im Besitz des Verfassers. Harrison Weir: Gemeinsames Abendessen (1880), im Besitz des Verfassers. C. v. Grimm: Der Tierfreund Richard Wagner als Gegner der Vivisektion. Karikatur in der Zeitschrift »Schalt« (1879), © Lebrecht Music & Arts / Alamy Stock Photo. Fidus: Du sollst nicht töten! (1892), im Besitz des Verfassers. Bernd Wüstneck: Grab zweier Hunde auf einem Tierfriedhof (2018), © picture alliance / dpa.

Abb. 12 Ingo Wagner: 4000 Hähnchen in

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Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18

Abb. 19

Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22

Abb. 23

einer Zuchtanstalt in ­Niedersachsen (2015), © ­picture alliance / dpa. Peter Behrens: Vegetarische Reformgaststätte »Jungbrunnen« auf der Gartenbauausstellung in Düsseldorf (1904), in: Peter ­Behrens, Deutsche Kunst und Dekoration, Darmstadt 1904. Joseph Salomonson bei der Gartenarbeit auf dem Monte ­Verità (1907), © bpk-­Bildagentur. Fidus: Kommune (1912), im Besitz des Verfassers. Werke der Burbacher Hütte bei Saarbrücken (1886), © akg-­images. Otto Modersohn: Herbst im Moor (1895), © akg-­images. Fritz Boehle: Selbstbildnis als Bauer (1901), © Bildarchiv Foto Marburg. Reklame der Daimler-­Benz-­Werke (1935), in: Das Daimler-­Benz-­ Buch, Hrsg. von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nördlingen, Franz Greno Verlag, 1987, S. 114. Oskar Martin-­Amorbach: Erntegang (1938), © akg-­images. Wimpel der Artamannen (um 1930), © akg-­images. »Altpapier sammeln hilft deutschen Wald erhalten«, Plakat um 1938, © Deutsches Historisches Museum. Titelbild des »Spiegel« (1971), Der Spiegel 33 (9. August 1971).

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Bildnachweise Abb. 24 Petra K. Kelly (BRD /Die Grünen)

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Abb. 27

Abb. 28

vor dem Deutschen Bundestag in Bonn (1984) © imago images / Sven Simon. Buchumschlag (1981). Rudolf Doernach und Gerhard Heid: ­Biohaus für Dorf und Stadt. Lebensgemeinschaft von Pflanzen, Tieren und Menschen, Frankfurt a. M., Fischer, 1981. A. Paul Weber: Botanik 2000 (1974). A. Paul Weber, Kritischer Kalender. Querschnitt I, Hrsg. von Arnold Köster, München, Bruckmann, 1981, Ill. 159. Jochen Tack: Rhein bei Düsseldorf, extremes Niedrigwasser, © picture alliance / ­imageBROKER. Klaus Staeck: Hermann-­Löns-­ Gedächtniskarte (1977), in: Klaus Staeck, Im Mittelpunkt steht der Mensch, dtv Postkartenbuch, © VG Bild-­Kunst, Bonn 2019.

Abb. 29 Wassili Lepanto: Nur in den

­ äldern gibt es Frieden (1987). W Wassili Lepanto, Landschaften. Ökologische Ordnung und Inspiration, Stuttgart, Belser ­Verlag, 2011, S. 79. Abb. 30 Wassili Lepanto und Leena ­Ruuskanen bei der Übergabe seines Gemäldes »Wählt Grün« an die Fraktionsvorsitzenden der Grünen Claudia Roth und Reinhard Bütikofer in Berlin (2006). in: Wassili Lepanto: Landschaften. Ökologische Ordnung und Inspiration, Stuttgart, Belser ­Verlag, 2011, S. 259. Abb. 31 Felix Jason: Eine Mülldeponie bei Köln (2018), © imago images / Felix Jason. Abb. 32 Barbara Krüger: Untitled (1987), in: Shopping. Hundert Jahre Kunst und Konsum, Hrsg. von Max Hollein und Christoph Grunenberg, Ostfildern, Hatje Cantz Verlag, 2002, S. 54.

Autor und Verlag haben sich bemüht, die Rechtsinhaber ausfindig zu machen. In Fällen, wo dies nicht gelungen ist, bitten wir um Rückmeldung.

256

Namenregister

A Addison, Joseph  ​55, 71 Adenauer, Konrad  ​145 Adorno, Theodor W.  ​115, 174, 175, 200, 232 Allinger, Gustav  ​71 Amery, Carl  ​26, 31, 168, 185 Ammon, Otto  ​111, 112 Andreas-Grisebach, Manon  ​26, 29, 185 Anhalt, Leopold Friedrich Franz von  ​58 Anthony, Susan B.  ​88 Antonius von Padua  ​75 Arendt, Hannah  ​174 Arndt, Ernst Moritz  ​16, 44, 47, 192 Atlas, Martin  ​19 B Babeuf, François-Noël  ​58, 220 Bade, Wilfried  ​152 Bahro, Rudolf  ​26, 28, 161, 185, 253 Balzli, Johannes  ​91 Barrett Browning, Elizabeth  ​84 Bartels, Adolf  ​49, 113, 115, 122, 123, 126 Barthes, Roland  ​178 Bartsch, Eduard  ​150 Baudrillard, Jean  ​178 Bauer, Josef Martin  ​150 Baumgarten, Alexander Gottlieb  ​197 Bebel, August  ​20, 50, 192 Behrens, Peter  ​103 Benjamin, Walter  ​32 Bentham, Jeremy  ​78, 79 Bergfeld, Rudolph  ​69 Bertalanffy, Ludwig von  ​200 Besant, Annie  ​88 Bilz, Friedrich Eduard  ​18, 19 Blake, William  ​77 Bloch, Ernst  ​27, 32, 125, 157, 183, 202 Blomfield, Reginald  ​64 Boehle, Fritz  ​124 Böhm, Anton  ​23

Böhme, Gernot  ​198 Böhme, Hartmut  ​230, 232 Bölsche, Jochen  ​29, 72, 164, 185 Bölsche, Wilhelm  ​48, 67, 68, 106, 120 Bonsels, Waldemar  ​66 Borchardt, Rudolf  ​71 Bormann, Alfred  ​150 Bougainville, Louis Antoine de  ​13 Bourdieu, Pierre  ​176 Brautlacht, Erich  ​150 Brecht, Bertolt  ​113 Brehm, Alfred  ​82 Brockmann, Stephen  ​230 Browning, Robert  ​86 Buffon, Georges-Louis de  ​75, 80 Burgdörfer, Friedrich  ​149 Burns, Robert  ​76 Burte, Hermann  ​112 Busch, Wilhelm  ​83 Bütikofer, Reinhard  ​217 Byron, George Gordon Noel  ​84 C Capra, Fritjof  ​71 Carlowitz, Hans von  ​39 Carlyle, Thomas  ​88 Chamberlain, Houston Stewart  ​69, 110, 132 Chesterfield, Philip Stanhope Earl of  ​79 Chodowiecki, Daniel Nikolaus  ​15, 16 Chompton, Werner  ​142, 143 Claß, Heinrich  ​110 Claudius, Matthias  ​77 Colbert, Jean-Baptiste  ​38 Conrad, Michael Georg  ​123 Conwentz, Hugo  ​48 Cortez, Hernán  ​181 Cowper, William  ​77

257

Namenregister

D Darré, Richard Walther  ​70, 112, 147 – 149 Darwin, Charles  ​80, 88 Demoll, Reinhard  ​24 Derrida, Jacques  ​174 Descartes, René  ​74, 75, 79 Dickens, Charles  ​84 Diderot, Denis  ​13 Diefenbach, Karl-Wilhelm  ​90, 193 Ditfurth, Hoimar von  ​164, 185 Ditfurth, Jutta  ​31, 110, 168, 185 Dolota, Ulrich  ​31 Dominik, Hans  ​141, 143, 151 Dostojewski, Fjodor  ​84 Drewermann, Eugen  ​31, 164, 185 Druse, Ken  ​64 Dürbeck, Gabriele  ​230 E Ebner-Eschenbach, Marie von  ​84 Eckart, Dietrich  ​132 Eichendorff, Joseph von  ​192 Einstein, Albert  ​140 Emerson, Ralph Waldo  ​88 Engels, Friedrich  ​27 Enzensberger, Hans Magnus  ​26, 175 Eppler, Erhard  ​26, 185 Erhard, Ludwig  ​145, 167, 182 Ernst, Paul  ​123 Ernst, Ruth Shaw  ​64 F Fahlberg, H. L. (d. i. Hans Werner Fricke)  ​ 24 Fahrenkrog, Ludwig  ​112 Federer, Heinrich  ​123 Feder, Gottfried  ​132 Ferreniea, Viki  ​64 Fest, Joachim  ​180 Fetscher, Iring  ​168 Fidus (d. i. Hugo Höppener)  ​90, 91, 110, 111 Flaischlen, Cäsar  ​66 Flemming, Karl von  ​80 Fock, Gorch  ​123 Foerster, Karl  ​71 258

Fontane, Theodor  ​84 Fontenelle, Bernard de  ​74 Ford, Henry  ​133 Foster, John Bellamy  ​203 Foucault, Michel  ​174 Franklin, Benjamin  ​88 Franz von Assisi  ​75 Frenssen, Gustav  ​123, 124, 126 Friedrich, Caspar David  ​69 Friedrich II. von Preußen  ​40 Frisch, Max  ​210 Fuchs, Carl Johann  ​49 Fuchs, Christian Josef  ​80 Fuchs, J. K.  ​121 Fuschlberger, Hans  ​151 G Gadamer, Hans-Georg  ​213 Gamber, Erwin  ​24 Gassendi, Pierre  ​88 Gayer, Karl  ​50 Geiger, Carl Ignaz  ​14, 60 George, Stefan  ​109 Gerlach, Kurt  ​147 Geßner, Salomon  ​43, 60 Girardin, René Louis de  ​57 Gleizès, Jean-Antoine  ​89 Glucksmann, André  ​174 Gobineau, Arthur de  ​132 Göckingk, Friedrich von  ​77 Goebbels, Joseph  ​136 Goethe, Johann Wolfgang von  ​16, 43, 44, 49, 55, 58 – 61, 63 – 67, 70 – 72, 84, 116, 154, 155, 184, 189, 193, 201 Goodbody, Axel  ​230 Göring, Hermann  ​136, 149 Gradmann, Eugen  ​67 Grass, Günter  ​185 Grimm, C. v.  ​87 Grimm, Sieglinde  ​230 Gruhl, Herbert  ​26, 161 Guggenberger, Alois  ​24 Günther, Hans Fridrich Karl  ​147 Gurk, Paul  ​151 Guttzeit, Johannes  ​90, 91

Namenregister

H Habermas, Jürgen  ​32, 175, 178, 235 Haeckel, Ernst  ​17, 50, 66, 67, 70, 193 Haedecke, Wolfgang  ​230 Hagenbeck (Tierpark)  ​85 Hardt, Ernst  ​19 Harich, Wolfgang  ​26 – 28, 184, 253 Härlin, Peter  ​24 Hart, Julius  ​109 Hasler, Hans  ​70 Hass, Ernst  ​23 Hauerstein, Georg  ​112 Haushofer, Max  ​123 Havemann, Robert  ​26, 28, 185 Hebbel, Friedrich  ​83 Heer, Jakob Christoph  ​123 Heidegger, Martin  ​51, 152 Heidenreich, Sybille  ​231 Heisenberg, Werner  ​23, 154, 155 Heller, Leopold  ​18, 19 Henderson, Charles  ​64 Hentschel, Willibald  ​112, 147 Hertzka, Theodor  ​22, 46 Hesse, Hermann  ​123 Heß, Rudolf  ​150, 153 Hieronymus  ​75 Himmler, Heinrich  ​112, 137, 138, 140, 147, 150 Hindenburg, Paul von  ​131 Hirschfeld, Christian Cay Lorenz  ​60 Hitler, Adolf  ​22, 69, 91, 113, 116, 131 – 140, 145, 148, 150, 180, 181 Hofmann, Ludwig von  ​19 Holbein d. J., Hans  ​39 Holz, Arno  ​66 Honecker, Erich  ​28 Hörbiger, Hanns  ​138, 152 Horkheimer, Max  ​175 Höß, Rudolf  ​147 Humboldt, Alexander von  ​16, 43, 44, 49, 55, 61 – 65, 67, 69 – 72, 184, 193 Hunkel, Ernst  ​112 Hunkel, Margart  ​112

I Immermann, Karl Leberecht  ​16, 192 J Jakowsky, Friedrich  ​91 Jameson, Fredric  ​32 Jason, Felix  ​222 Jean Paul  ​71 Jentsch, Carl  ​112, 121 Johnstone, Japhet  ​231 Jonas, Hans  ​26, 164, 169, 185, 253 Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs  ​40 Jungk, Robert  ​26, 51, 185 Just, Adolf  ​91 K Kagel, Martin  ​230 Kaiser, Georg  ​22 Kampfmeyer, Hans  ​65 Kandinsky, Wassili  ​211, 212 Kant, Immanuel  ​71, 79, 198 Kärrner, Dietrich  ​143, 151 Keller, Gottfried  ​83 Keller, Paul  ​123 Kelly, Petra K.  ​26, 30, 161 – 163, 165, 167, 185 Kent, William  ​55, 71 Klages, Ludwig  ​21, 51, 66, 192 Kleist, Heinrich von  ​210 Klose, Hans  ​152, 155 Kluge, Alexander  ​175 Koeppel, Matthias  ​209 Kröger, Timm  ​123 Krüger, Barbara  ​226 Kuprin, Alexander  ​84 L Lagarde, Paul de  ​110 Langbehn, Julius  ​110 – 112, 118 Lange, Willy  ​67, 69, 70 Lanz von Liebenfels, Jörg  ​91, 132 Lassalle, Ferdinand  ​50 Laßwitz, Kurt  ​21 Lenin, Wladimir Iljitsch  ​180 Lenné, Peter Joseph  ​44, 60, 192 259

Namenregister

Lenz, Jakob Michael Reinhold  ​60 Lepanto, Wassili (d. i. Vassilios Loukopoulos)  ​209 – 218, 238 Leskow, Nikolai  ​84 Lessing, Gotthold Ephraim  ​210 Lévy, Bernard-Henri  ​174 Liebig, Justis von  ​17 Liebknecht, Wilhelm  ​50, 192 Lienhard, Friedrich  ​48, 109, 120, 122 Lindner, Werner  ​149 Linné, Carl von  ​75, 80 Lippe, Rudolf zur  ​198 List, Guido von  ​132 Löber, Ernst  ​121 Locke, John  ​164 Löns, Hermann  ​49, 123, 127, 208 Lueger, Karl  ​132 Luther, Martin  ​75 Lyotard, Jean-François  ​174, 200 M Macauly, Thomas  ​88 Mahraun, Arthur  ​151 Malebranche, Nicolas  ​74 Malewitsch, Kasimir  ​211, 212 Mann, Thomas  ​84, 126, 228 Man, Paul de  ​175 Marcuse, Herbert  ​175 Marquard, Odo  ​176 Martin-Amorbach, Oskar  ​144 Martin, Richard  ​85 Marx, Karl  ​17, 28, 180, 182 Mattern, Hermann  ​71 Matussek, Peter  ​230 Mayer-Tasch, Peter Cornelius  ​168 Meadows, Dennis  ​26, 53, 71, 157 Meyer-Abich, Klaus Michael  ​31, 168 Migge, Leberecht  ​51, 65 Milton, John  ​88 Modersohn, Otto  ​122 Moltmann, Jürgen  ​185 Mondrian, Piet  ​211, 212 Montaigne, Michel de  ​88 Morris-Keitel, Peter  ​230 Morris, William  ​63, 104, 125, 183, 193, 204 Moser, Gottfried  ​40 260

Moser, Hans Albrecht  ​24, 51 Müller, Paul Alfred  ​151 Muthesius, Hermann  ​65 N Negt, Oskar  ​175 Newton, Isaac  ​61, 88 Niedermeier, Michael  ​230 Nolte, Ernst  ​180 Nonnenbruch, F.  ​149 Novalis (d. i. Friedrich von Hardenberg)  ​ 71, 201 O Oldenburg, Karl  ​118 Oswald, John  ​78, 88 P Paasche, Hans  ​105 Paine, Thomas  ​80 Pausewang, Gudrun  ​31, 185 Perry, Maximilian  ​80 Pfeiffer, Ehrenfried  ​154, 155 Pfeil, Wilhelm  ​42 Platon  ​71 Plutarch  ​75 Polenz, Wilhelm von  ​123 Pope, Alexander  ​55, 71 Popert, Hermann  ​91 Popper, Karl R.  ​173, 174 Primatt, Humphry  ​78 Pückler-Muskau, Hermann von  ​44, 60, 65, 192 Pudor, Heinrich  ​110 Pythagoras  ​75, 89 R Raabe, Wilhelm  ​123 Ranck, Christian  ​65 Reaves, Andrew  ​230 Rebmann, Georg Friedrich  ​15 Reckwitz, Andreas  ​177 Reimer, Joseph Ludwig  ​112 Repton, Humphrey  ​55 Reuss, Jürgen von  ​22 Rhodes, Cecil  ​181

Namenregister

Riehl, Wilhelm Heinrich  ​17, 48, 66, 112, 117, 118, 124, 149, 192 Robien, Paul  ​51 Robinson, William  ​63 Rollins, William  ​230 Rosegger, Hans Ludwig  ​123 Rosegger, Peter  ​48, 120, 123 Rosenberg, Alfred  ​112, 113, 137 Roßmäßler, Emil Adolf  ​50, 192 Roth, Claudia  ​168, 217, 238 Rousseau, Jean-Jacques  ​13, 14, 43, 55 – 60, 63 – 65, 67, 69, 72, 75, 88, 193, 220, 223, 226 Roux, Jakob Wilhelm Christian  ​62 Rudorff, Ernst  ​20, 48, 66, 106, 118 – 120, 125, 192 Ruskin, John  ​63, 86, 193 Ruuskanen, Leena  ​214, 217 S Salt, Henry S.  ​85, 86, 88 Sander, Ulrich  ​150 Schaffner, Jakob  ​123 Schaumann, Gabriela  ​230 Scheitlin, Peter  ​80 Schelling, Friedrich Wilhelm  ​45, 201 Schiller, Friedrich  ​61, 64, 67, 71, 210 Schlaf, Johannes  ​66 Schmid, Edmund  ​112, 150 Schmidt, Ernst Wilhelm  ​24 Schmitt, Claudia  ​230 Schnack, Anton  ​150 Schneider, Helmut  ​230 Schoenichen, Walther  ​149 Schöll, Friedrich  ​147 Schönerer, Georg von  ​132 Schopenhauer, Arthur  ​82, 83, 88, 89 Schramm, Ulf  ​230 Schroers, Rolf  ​150 Schubert, Gotthilf Heinrich  ​16, 45 Schuderoff, Jonathan  ​44 Schultze-Naumburg, Paul  ​20, 48, 49, 67, 106, 113, 115, 119, 120, 126 Schultz, Karla  ​230 Schulze, Gerhard  ​177 Schwab, Günther  ​25, 51, 185

Schwaner, Wilhelm  ​112 Schwarz, Egon  ​230 Sckell, Ludwig von  ​60 Sedlmayr, Hans  ​23, 51 Seifert, Alwin  ​23, 70, 71, 111, 152, 153, 155 Shaw, George Bernard  ​85, 86, 88 Sheridan, Philip  ​86 Sieveking, Albert Forbes  ​64 Simons, Gustav  ​65 Sohnrey, Heinrich  ​119 – 121, 123 Sölle, Dorothee  ​185 Solomonson, Jospeh  ​107 Solte-Gresser, Christina  ​230 Spengler, Oswald  ​69 Staeck, Klaus  ​52, 207, 208 Stalin, Josif  ​181 Steffen, Jochen  ​26 Stehr, Hermann  ​123 Stein, Charlotte von  ​58 Steiner, Rudolf  ​22, 66, 72, 150 Stein, Sara  ​64 Stern, Horst  ​93, 164 Stifter, Adalbert  ​83, 192 Stobbe, Urte  ​230 Stockhus, Norbert  ​209 Stratz, Rudolf  ​123 Strauß, Emil  ​123 Strauß und Torney, Lulu von  ​123 Struve, Gustav von  ​89 Sullivan, Heather I.  ​230 T Tacitus  ​37 Tack, Jochen  ​203 Taeschner, Titus  ​142 Tanzmann, Bruno  ​147 Tennyson, Alfred  ​84 Thomas von Aquino  ​74 Thomson, James  ​76 Thoreau, Henry  ​88, 193 Tieck, Ludwig  ​192 Tolstoi, Leo  ​88 Treptow, Elmar  ​198 – 204 Trittin, Jürgen  ​168 Turgenew, Iwan  ​84 Twain, Mark  ​86 261

Namenregister

U Ungewitter, Richard  ​91, 110 V Vergil  ​71 Viebig, Clara  ​123 Vinci, Leonardo da  ​88 Vischer, Friedrich Theodor  ​81, 83, 84 Vogt, Jochen  ​230 Voigt-Diederichs, Helene  ​123 Vollmer, Antje  ​168, 185 Voltaire, François-Marie  ​88 Vorherr, Johann Michael Gustav  ​44 W Wagner, Ingo  ​95 Wagner, Martin  ​65 Wagner, Richard  ​83, 86 – 89 Wallis, Victor  ​203 Wallraff, Günter  ​31, 185 Wanning, Berbeli  ​230 Waugh, Frank A.  ​64 Weber, Alfred  ​72 Weber, A. Paul  ​194, 195 Weber, Ernst von  ​86 Weber, Max  ​178 Weir, Harrison  ​81

262

Weizsäcker, Carl Friedrich von  ​26, 53, 182, 238 Wells, Herbert George  ​88 Wick, August  ​19 Wiechert, Ernst  ​150 Wiegmann, Reinhilde  ​230 Wilberforce, William  ​85 Wilhelmi, Bruno  ​18, 91 Wilke, Sabine  ​230, 231 Wille, Bruno  ​22, 66 Wolf, Friedrich  ​22 Wolff, Uwe  ​30, 72 Wollstonecraft, Mary  ​78, 80 Woolf, Virginia  ​84 Wright, Frank Lloyd  ​104 Wüstneck, Bernd  ​93 Y Young, Thomas  ​78 Z Zahn, Ernst  ​123 Zapf, Hubert  ​230 Zemanek, Evi  ​230, 231 Ziegenhagen, Franz Heinrich  ​16 Zobeltitz, Hanns von  ​123

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