Biologische Psychologie [4 ed.]
 9783621281829, 9783621283373

Citation preview

...

' '· ..

BELlZ

Schandry Biologische Psychologie

Rainer Schandry

Biologische Psychologie Mit Online-Material 4., überarbeitete Auflage

BELlZ

Anschrift des Autors: Prof. Dr. Rainer Schandry Universität München Leopoldstraße 13 80802 München E-Mail: [email protected]

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich (ISBN 978-3-621-28182-9)

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu§ 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Llnks. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.

4., überarbeitete Auflage

1. Auflage 2003, Psychologie Verlag Union, Weinheim 2., überarbeitete Auflage 2006, Psychologie Verlags Union, Weinheim 3., vollständig überarbeitete Auflage 2011, Beltz PVU, Weinheim

© Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2016 Werderstraße 10, 69469 Weinheim Programm PVU Psychologie Verlags Union http://www.beltz.de Lektorat: Reiner Klähn Herstellung: Sonja Frank Umschlagbild: Getty Images/Lee Woodgate Shutterstock/royyimzyfreepik Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza E-Book ISBN 978-3-621-28337-3

Inhaltsübersicht Vorwort zur 4. Auflage

19

1

Einleitung

21

2

Gene und Verhalten

28

3

Bausteine des Nervensystems - Neuronen und Gliazellen

46

4

Zelluläre Basis der Informationsverarbeitung im Nervensystem

62

5

Zusammenwirken von Nervenzellen - Informationsübertragung und -verarbeitung

83

6

Aufbau und Funktion des Nervensystems

109

7

Steuerung vegetativer Funktionen

163

8

Hormonsystem

178

9

Bewegung

196

10

Allgemeine Sinnesphysiologie

216

11

Somatosensorik

227

12

Visuelles System

238

13

Gehör

263

14

Gleichgewichts-, Bewegungs- und Lagesinn

275

15

Riechen, Schmecken und der allgemeine chemische Sinn

280

16

Schmerz

291

17

Stress

316

18

Sexualität und geschlechtsspezifisches Verhalten

328

19

Rhythmen des Verhaltens

357

20

Schlaf und Traum

368

21

Psychische Störungen - Transmitterprozesse und Psychopharmakotherapie

394

22

Drogenabhängigkeit

421

23

Emotionen

453

24

Lernen und Gedächtnis

464

25

Sprache und Lateralisierung von Gehirnfunktionen

490

26

Methoden der Biologischen Psychologie

513

Inhaltsübersicht

1

5

Anhang Hinweise zum Online-Material Glossar Abkürzungsverzeichnis Literatur Quellenverzeichnis N arnensverzeichnis Sachwortverzeichnis

6

1

Inhaltsübersicht

543 544 547 571 573 575 579 581

Inhalt

Vo1Wort zur 4. Auflage

19

1

Einleitung

21

2

Gene und Verhalten

28

2.1 2.2 2.3 2.4

2.6 2.7 2.B 2.9 2.10

Gene und Proteine Genetischer Code Gene und Chromosomen Protel nsynthese 2.4.1 Ablesen der Information durch Transkription 2.4.2 Proteinsynthese durch Translation und Transfer 2.4.3 Welche Proteine produziert eine Zelle? Weitergabe der genetischen Information In Körperzellen und Keimzellen 2.5.1 Zellzyklus der Körperzellen 2.5.2 Bildung der Keimzellen Klassische Genetik Mutation und Evolution Humangenetik und Pathogenetik Gene und psychische Vorgänge Gentechnik

3

Bausteine des Nervensystems - Neuronen und Gliazellen

46

3.1

Aufbau und Elemente des Neurons 3.1.1 Das Neuron als Spezialisierung der tierischen Zelle 3.1.2 Äußere Gestalt der Neuronen Gliazellen 3.2.1 Oligodendrozyten 3.2.2 Schwann-Zellen 3.2.3 Astrozyten 3.2.4 Blut-Hirn-Schranke 3.2.5 Mikroglia 3.2.6 Gliazellen und die Entwicklung des Nervensystems 3.2.7 Multiple Sklerose - eine Demyelinisierungserkrankung

46 46

2.5

3.2

28

29 32 33 33 34 34

35 35 36 37

39 40 43 44

51 56 56 57 58 58 59 59 59

Inhalt

1

7

4

zelluläre Basis der Informationsverarbeitung im Nervensystem

62

4.1 4.2

Elektrische Ladung von Nervenzellen lonenwlrksame Kräfte

62 65 65 65 67 68 69 69 69 70

4.2.1 4.2.2

4.3

Passiver Transport von Stoffen durch die Zellmembran 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4

4.4 4.5

Ionenkanäle als Verbindung zwischen dem Zellinneren und dem Extrazellulärraum Schnelle Passage durch Ionenkanäle Selektivität der Ionenkanäle Einflüsse auf den Zustand von Ionenkanälen

Aktiver Transport durch die Membran - die Natrium-Kalium-Pumpe Transport elektrischer Signale längs der Nervenzellmembran 4.5.1 4.5.2

72

4.6

Spontan aktive Neuronen

73 74 81

5

zusammenwirken von Nervenzellen - Informationsübertragung und -verarbeitung

83

Cirundlagen der Erregungsübertragung an der chemischen Synapse

84

5.1

5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4

5.2

5.3 5.4 5.5

Passive Leitung Aktionspotenzial

Transmitterfreisetzung durch Verschmelzung der Vesikel mit der präsynaptischen Membran Reaktion der Transmittersubstanz mit den Rezeptoren Ligandengesteuerter Ionenkanal - ionotroper Rezeptor G-Protein-gekoppelter Ionenkanal - metabotroper Rezeptor

Wichtige Transmitter-Rezeptor-Systeme 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5

Acetylcholin und seine Rezeptoren Gruppe der Katecholamine Serotonin Glutamat und Aspartat y-Aminobuttersä.ure (GABA) und Glycin

Neuropeptide Ciasförmige Neurotransmitter (Ciasotransmitter) Neuronale Integration von Information 5.5.1 5.5.2 5.5.3

8

Elektrische Kräfte auf Ionen Diffusionskräfte auf die Ionen

Exzitatorische und inhibitorische postsynaptische Potenziale Folgeprozesse der Depolarisation am Zielneuron »Lemfahigkeit« der Synapse und neuronale Plastizität

85 87 87 88 90 90 93 96 97 98 100 100 101 101 102 107

6

Aufbau und Funktion des Nervensystems

109

6.1 6.2 6.3

Wichtige anatomische Bezeichnungen von Orientierung und Lage im Raum Anatomische Cirobgliederung des Nervensystems Rückenmark

110 111 112

1

Inhalt

Gehirn 6.4.1 Liquor- und Geraßsystem des Gehirns 6.4.2 Medulla oblongata 6.4.3 Brücke 6.4.4 Kleinhirn 6.4.5 Form.atio reticularis Mitte1hirn 6.4.6 Hirnnerven 6.4.7 Zwischenhirn 6.4.8 Endhirn - subkortikale Strukturen 6.4.9 6.4.10 Endhirn - kortikale Strukturen 6.4.11 Spiegelneuronen 6.4.12 Weiße Substanz des Großhirns

117

7

Steuerung vegetativer Funktionen

163

7.1 7.2

163

7.3 7.4 7.5

Einführung Subsysteme des vegetativen Nervensystems: Sympathikus, Parasympathikus und Darmnervensystem 7.2.1 Neuroanatomie und -chemie des sympathischen und parasympathischen Nervensystems 7.2.2 Besonderheiten der synaptischen Endigungen im vegetativen Nervensystem Transmitter Im vegetativen Nervensystem Vegetatives Nervensystem und Immunsystem Viszerale Afferenzen

168 172 173 176 176

8

Hormonsystem

178

8.1 8.2

Grundprinzipien hormoneller Reaktion Basismechanismen der Slgnaltransduktlon 8.2.1 Bedeutung der chemischen Struktur für die Interaktion mit der Zielzelle 8.2.2 Hormonelle Obertragungswege strukturell unterscheidbare Hormonklassen 8.3.1 Klassifizierung nach chemischer Struktur 8.3.2 Klassifizierung nach Bildungsort Regulation der hormonellen Aktivität 8.4.1 Beeinflussung der Hormonproduktion 8.4.2 Transport, Bindung und Abbau von Hormonen Wichtige hormonproduzierende Organe 8.5.l Hypothalamus-Hypophysen-System: Steuerung zahlreicher endokriner Prozesse 8.5.2 Bauchspeicheldrüse: Regulation des Stoffwechsels 8.5.3 Schilddrüse 8.5.4 Nebenniere Keimdrüsen 8.5.5 Weitere Orte der Hormonbildung 8.5.6

178 179 179 180 181 181 183 183 183 183 184 184 190 191 191 193 193

6.4

8.3

8.4

8.5

119 119

120 121 122 126 127 129 138

144

161 161

164

Inhalt

1

9

9

Bewegung

196

9.1

Muskel Quergestreifte Muskulatur 9.1.1 9.1.2 Glatte Muskulatur Motorische Einheit Afferenzen aus dem Bereich der Muskulatur Motorische Steuerung auf Rückenmarksebene 9.4.1 Rückenmarksreflexe 9.4.2 Hemmungsmechanismen auf spinaler Ebene Motorische Steuerung auf der Ebene des Ciehims 9.5.1 Pyramidenbahn 9.5.2 Motoriksteuerung außerhalb des Pyramidenbahnsystems 9.5.3 Motorische Kortexareale

196 196 198 200 202 203 203 205 207 207 209 213

10

Allgemeine Sinnesphysiologie

216

10.1

10.2

Sinnesempfindungen und Psychophysik 10.1.1 Empfindung und Wahrnehmung 10.1.2 Psychophysik Objektive Sinnesphysiologie 10.2.1 Sinnesorgane und Sinneszellen 10.2.2 Rezeptive Felder 10.2.3 Organisationsschema von Sinneskanälen

216 216 217 222 223 225 226

11

Somatosensorik

227

11.1

Tastsinn - taktile Sensorik 11.1.1 Periphere Prozesse beim Tastsinn 11.1.2 Zentrale Weiterleitung der Somatosensibilität Temperatursinn 11.2.1 Sensoren des Temperatursinns 11.2.2 Hitze- und Kälteschmerz 11.2.3 Dynamik der Temperaturwahrnehmung 11.2.4 Zentralnervöse Weiterleitung von Temperatursignalen Tlefensenslbilität 11.3.1 Sensorik des Bewegungsapparats 11.3.2 Tiefenschmerz

227 228 232 234 234 235 235 235 235 235 236

12

Visuelles System

238

12.1 12.2 12.3

Visueller Reiz - das Licht Anatomischer Aufbau des Auges Leistungen des Auges als optischer Apparat 12.3.1 Akkomodation 12.3.2 Regulation des Lichteinfalls Aufbau der Netzhaut

238 238 240 240 240 241

9.2 9.3 9.4

9.5

11.2

11.3

12.4

10

1

Inhalt

12.5

Molekulare Vorgänge in den Photorezeptoren 12.5.1 Photochemische Prozesse beim Lichteinfall 12.5.2 Adaptation als Leistung der Photorezeptoren 12.fi Signalverarbeitung auf der Ebene des retfnalen Neuronennetzwerks 12.6.1 Rezeptive Felder der Netzhautneuronen 12.6.2 Drei Grundtypen von Ganglienzellen 12.6.3 Retinale Basis der Sehschärfe 12.6.4 Netzhautprozesse beim Farbensehen 12.7 Sehbahn 12.7.1 Nucleus suprachiasmaticus des Hypothalamus und prätektale Mittelhirnregion 12.7.2 Colliculi superiores 12.7.3 Funktion und Aufgaben des Corpus geniculatum laterale 12.8 Verarbeitung visueller Information Im Kortex 12.8.1 Primärer visueller Kortex 12.8.2 Komplexe Aufgaben der visuellen Kortex:areale im Anschluss an Vl 12.!J Räumliches Sehen: Stereoskopie und Tiefenwahmehmung 12.10 Sehstörungen als Folge zerebraler SChädigungen

243 243

13

•reziproke Kreuzung«). Es zeigt sich eine Generation von Nachkommen (s.Abb. 2.7), die in diesem Merkmal eine uniforme Ausprägung aufweisen. Die Tatsache, dass bei einer reziproken Kreuzung reinerbiger Linien sich immer gleiche Nachkommen ergeben, wird als erste Mendelsche Regel oder Uniformitätsregel (auch: Reziprozitätsregel) bezeichnet: Kreuzt man zwei Individuen, von denen jedes bezüglich des fraglichen Merkmals homozygot ist, die sich jedoch in diesem Merkmal phänotypisch unterscheiden, erhält man eine heterozygote Filialgeneration mit einem einheitlichen Phänotyp. Diese Filialgeneration ist jetzt mischerbig z.B. bezüglich der Blütenfarbe. Bei Kreuzung der Mitglieder der

rot blühend (rot dominant)

~ ~

A/-i'°"' ~

At X

y

weiß blühend (weiß rezessiv)

rm

)l Jl;: )l)l

~ Filialgeneration (F) A,i'[]°"'~mischerbiguniform =heterozygot 1.

~

[:m

rot blühend

~

2. Filialgeneration (F2 )

'-'

,u~e,p,lko

Abbildung 2.7 Beispiel für einen Erbgang. Im Beispiel ist die Vererbung im dominanten Erbgang eines Merkmals (Blütenfarbe der Erbse) wiedergegeben, das in der Parentalgeneration unterschiedlich ausgeprägt ist. Es sind die Merkmalsausprägungen in der ersten und zweiten Generation geuigt. »F« steht für »rote Farbe, dominant«, »f« für »weiße Farbe, rezessiv«

2.6 Klassische Genetik

1

37

2

ersten Filialgeneration wird das Merkmal Blütenfarbe in jedem Fall neu kombiniert und aufgespalten (»Spaltungsregel«, s. u.). Die Nachkommen der zweiten Filial-

generation unterscheiden sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild.

•MWNI Einige Definitionen zur Genetik

Phänotyp: äußeres Erscheinungsbild Genotyp: Summe der in den Genen angelegten Erbanlagen Allel: Ein Allel ist eine der möglichen Ausprägungsformen eines Gens, das an einem bestimmten Genort (Locus) auf einem Chromosom sitzt. (Beispiel: Für ein Gen, das für die Farbe einer Blüte verantwortlich ist, kann es zwei verschiedene Allele geben, die bei der Pflanze entweder eine rote oder eine weiße Blütenfarbe hervorrufen.) Die beiden Allele homologer (also gleich aufgebauter) Chromosomen, die am selben Genort sitzen, können also identisch sein oder sich unterscheiden. homozygot (= reinerbig): Die von Vater und Mutter für ein bestimmtes Merkmal vererbten Allele sind identisch.

heterozygot (= mischerbig): Von Vater und Mutter wurden verschiedene Allele eines Gens vererbt. Man unterscheidet dann drei Fälle: (1) dominant bzw. rezessiv: dominant: eines der beiden Allele setzt sich im Phänotyp allein durch; rezessiv: das andere Allel »tritt zurück«, d. h. ist im Phänotyp nicht sichtbar; (2) intermediär: beide Allele setzen sich im Phänotyp durch zu einer Mischung, z.B.: weiß X rot führt zum Ergebnis rosa; (3) kodominant: beide Allele setzen sich im Phänotyp durch, aber jedes für sich, z.B.: weiß X rot führt zum Ergebnis rot-weiß gepunktet. P-Generation: Parentalgeneration = Elterngeneration F 1-Generation: 1. Filialgeneration = Tochtergeneration (»Kinder«) FrGeneration: 2. Tochtergeneration (>>Enkel«)

Forscherpersönlichkeit Gregor Mendel (Ordensname, eigentlich Johann),

geboren in Heinzendorf (in Nordmähren) am 22.7. 1822, gestorben in Brünn am 6.1.1884. Mendel t rat 1843 in das Brünner Augustinerstift ein und war ab 1849 Gymnasiallehrer in Znaim und Brünn. Von 1851 bis 1853 absolvierte er ein naturwissenschaftliches Studium in Wien, allerdings mit geringem akademischem Erfolg. Ab 1868 war er Prior seines Klosters. Mendel führte hier umfangreiche botanische Vererbungsforschungen durch. Er kreuzte Varietäten derselben Pflanzenart (zunächst Gartenerbsen) und führte künstliche Befruchtungen durch. Mendels frühe Schlussfolgerungen. Ohne Kenntnis der

Chromosomen oder der DNA-Struktur unserer Erbanlagen kam Mendel aus dem Auftreten eines zunächst in der ersten Filialgeneration nicht sichtbaren Merkmals in der zweiten Generation zu folgenden Schlussfolgerungen:

38 1 2 Gene und Verhalten

Aufgrund seiner über 10.000 Experimente formulierte er die später nach ihm benannten Mendelschen Regeln für die Vererbung einfacher Merkmale. Diese Regeln wurden allerdings erst um 1900 einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt, als sie von drei Forschern aus drei verschiedenen Ländern, nämlich Carl Erich Correns (Deutschland ), Erich von Tschermak (Österreich) und Hugo de Vries (Niederlande) quasi wiederentdeckt wurden. Sie stießen beim Studium der älteren Literatur auf die Schriften von Mendel, die er 34 Jahre zuvor veröffentlicht hatte. .,.. Die Anlagen eines Individuums müssen paarweise vorliegen, wobei aber u. U. nur einer von beiden Anteilen in der äußeren Erscheinung ausgedrückt wird. .,.. Von den Eltern müssen die Anlagen hingegen (in den Keimzellen) einzeln weitergegeben werden, sodass neue Kombinationen zustande kommen können.

Ein Individuum kann also für ein Merkmal homozygot (reinerbig) sein - im Falle der Blütenfarbe würde das bedeuten, dass ein Nachkomme von beiden Elternteilen dasselbe Blütenfarbe-Gen, also zweimal rot oder zweimal weiß, mitbekommen hat und demgemäß rot oder weiß blüht. Wenn ein Nachkomme zwei verschiedene Erbfaktoren - rot plus weiß bzw. weiß plus rot - in sich

trägt, nennt man diesen im Phänotyp verdeckten Sachverhalt Heterozygotie (Mischerbigkeit). Als dominant wird ein Erbfaktor dann bezeichnet, wenn sich seine Ausprägung auch bei Heterozygotie gegenüber einem rezessiven, also unterlegenen Merkmal durchsetzt. Wird das Produkt zweier Erbfaktoren gemischt, sodass ein neues Erscheinungsbild entstehen kann, spricht man von einem intermediären Erbgang.

@Ahffll Die drei Mendelschen Regeln Man kann die Schlussfolgerungen aus den Beobachtungen Mendels zu den drei Mendelschen Regeln {früher: »Mendel- Gesetze«) zusammenfassen. Erste Mendelsche Regel: Uniformität der 1. Fiiiaigeneration. Bei Kreuzung zweier homozygoter Individuen, die sich in einem oder mehreren Merkmalen unterscheiden, besteht die erste Filialgeneration (F 1 ) aus heterozygoten Individuen mit einheitlichem Phänotyp. zweite Mendelsche Regel: Spaltungsgesetz für die F2-Generation bei Dominanz und Kodomlnanz. Bei Kreuzung zweier heterozygoter Individuen der ersten Filialgeneration spaltet sich die zweite Tochtergeneration (F2 ) in ihrem Phänotyp in einem bestimmten

Zusammenfassung Die klassische Genetik fußt überwiegend auf der Beobachtung systematisch angelegter Kreuzungsexperimente. Aus der phänotypischen Ausprägung der Nachkommen aus diesen Kreuzungsexperimenten wird auf die zugrunde liegende genetische Ausstattung geschlossen. Mendel kam aufgrund seiner Beobachtungen aus Kreuzungsversuchen u. a. zu folgenden Schlussfolgerungen: (1) Die Anlagen eines Individuums müssen paarweise vorliegen, wobei aber u. U. nur einer von beiden Anteilen in der äußeren Erscheinung ausgedrückt wird. (2) Von den Eltern müssen die Anlagen in den Keimzellen einzeln weitergegeben werden, sodass neue Kombinationen zustande kommen können. In den Mendelschen Regeln wird systematisch beschrieben, wie Merkmale weitergegeben werden.

Zahlenverhältnis auf: Bei dominantem Erbgang - ein dominantes gegenüber einem rezessivem Merkmal ist dieses Verhältnis 3: 1, bei kodominantem Erbgang zwei dominante Merkmalsausprägungen - 1: 2: 1. Dritte Mendelsche Regel: Unabhängige Weitergabe nichtgekoppelter Gene. Nichtgekoppelte Gene sind solche Gene, die nicht auf demselben Chromosom sitzen. Bei Kreuzung von zwei homozygoten Linien untereinander, die sich in zwei oder mehr Allelpaaren unterscheiden, werden die einzelnen Allele unabhängig voneinander - entsprechend den ersten beiden Mendelschen Regeln - vererbt. Dadurch kommt es zu einer neuen Kombination der Genausstattung.

2.7 Mutation und Evolution Auf allen Stufen des komplexen Prozesses der Genexpression können Fehler entstehen. Falls dies bei der Transkription, also dem Umkopieren der genetischen Information auf die Messenger-RNA, passiert, kann die Zelle ein Protein, das mittels dieser Kopie aufgebaut werden solJ, nicht bzw. nicht korrekt synthetisieren. Falls die Replikation, also die Kopie der DNA vor der Zellteilung, fehlerhaft ist, erhält eine neue Zelle nie die richtige Information. Zwar verfügt die Zelle über mehrere Reparaturenzyme, die Fehler erkennen und beheben können, dennoch kann sich trotz der Kontroll- und Reparaturmechanismen manchmal eine falsche Basenreihenfolge einschleichen und damit ein veränderter Bauplan für die Proteine übertragen werden. Auch können die Kontroll- und Reparaturprozeduren selbst fehlerbehaftet sein. Als Mutationen bezeichnet man vererbbare Veränderungen der genetischen Information. Von Keimbahnmutationen spricht man, wenn die Veränderungen im genetischen Material in Zellen der Keimbahn auftreten. Unter

2.7 Mutation und Evolution

1

39

2

Keimbahn versteht man die Abfolge von Zellen, die ausgehend von der befruchteten Eizelle (Zygote) schließlich zur Bildung der Keimzellen führt. Eine hier vorliegende Mutation wird bei der Befruchtung an die nächste Generation weitergegeben. Hier können dann die (positiven oder negativen) Auswirkungen der Mutation deutlich werden. Infolge von zufälligen Mutationen konnten so im Laufe der Evolution Arten entstehen, die eine bessere Anpassung an ihre Umwelt aufwiesen. Zufällig entstandene Gene werden insbesondere dann bevorzugt von Generation zu Generation weitergegeben, wenn ihr Produkt einen sog. Reproduktionsvorteil bringt, etwa zu gesünderen und widerstandsfähigeren Nachkommen führt. Anderen Arten, die schlecht an die sich verändernden Umweltbedingungen angepasst sind, droht dagegen das Aussterben. Als Konsequenz aus beiden Prozessen findet Evolution statt.

·§lflfi Die gemeinsamen Gene unterschiedlicher Tierspezies und des Menschen weisen darauf hin, dass hier Verwandtschaften bestehen. So teilt der Mensch fast 99% seines Erbgutes mit seinem nächsten Verwandten, dem Schimpansen. Die Tatsache enger genetischer Verwandtschaften zwischen Mensch und verschiedenen Spezies der belebten Welt macht man sich vielfach zunutze. So können gewisse pflanzliche oder tierische Substanzen dem Körper von außen zugeführt werden, anstatt sie in Eigenproduktion herzustellen. Bestimmte Antikörper bei Impfstoffen werden so durch Tiere »produziert«. Auch sind die Ergebnisse tierexperimenteller pharmakologischer Forschung nur wegen der genetischen Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier für den Menschen aussagekräftig. Von den vor ca. 600 Millionen Jahren im Wasser lebenden ersten einzelligen Organismen ausgehend entwickel· ten sich später auf dem Lande lebende Säugetiere, deren Nachkommen wir selbst sind. Alle Gene, die wir heute in uns tragen, etwa zur Regelung des Stoffwechsels, zur Ausgestaltung des Körperbaus und zur Steuerung des Verhaltens, mussten den Lebensbedingungen auf dem Lande - der Luftatmosphäre, der Fortbewegung unter dem Einfluss der Schwerkraft usw. - entsprechen. Evolution als Verbesserung? Die laienhafte Vorstellung, dass die Evolution stets eine »Verbesserung« bestimmter körperlicher Leistungen beinhaltet, ist insofern irre-

40 1 2 Gene und Verhalten

führend, als es keine unabhängige Instanz gibt, die eine bestimmte Veränderung als Weiterentwicklung bzw. »Verbesserung« bewerten könnte. So wäre etwa die gesteigerte Wahrnehmungsleistung eines Individuums als solche noch kein Merkmal, das im Zuge der Evolution als »gut« befunden und an die Nachkommen weitergegeben würde. Es müsste gleichzeitig einen Beitrag zu verbesserten Überlebenschancen der Nachkommen leisten, sodass diese - über lange Zeiträume betrachtet - im Vergleich zu ihren Konkurrenten in größerer Zahl auftreten. Dies wäre dann gegeben, wenn die erhöhte Wahrnehmungsleistung z.B. zum schnelleren Erkennen von Feinden befähigte und auf diese Weise die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhte. So kann z.B. auch eine kurze Lebensspanne, bei schneller Reproduktionszeit, im evolutionären Sinne erfolgversprechend sein. Letztendlich ist der Motor der Evolution eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für die Weitergabe eines Gens, damit dieses nicht aus der Evolution verschwindet. Je mehr Nachkommen es innerhalb einer Zeiteinheit gibt, die das reproduktionsfähige Alter erreichen (um selbst das Gen wieder weiterzugeben), desto günstiger ist es für dieses Gen. Unser momentaner evolutionärer Status - und unsere aktuelle genetische Ausstattung - ist demnach das Ergebnis unterschiedlicher Überlebenswahrscheinlichkeiten von Genen.

Zusammenfassung Mutationen sind gelegentliche Veränderungen in der genetischen Ausstattung. Als Folge von zufälligen Mutationen können im Zuge der Evolution Arten entstehen, die an ihre Umwelt besser angepasst sind. Zufällig entstandene Gene haben dann eine besondere Chance, von Generation zu Generation weitergegeben zu werden, wenn ihr Produkt einen Reproduktionsvorteil bringt.

2.8 Humangenetik und Pathogenetik Werden genetische Veränderungen, die eine Krankheit zur Folge haben, innerhalb einer Art an den Nachwuchs weitergegeben, so liegt eine Erbkrankheit vor. Für zahlreiche monogene, d.h. durch ein einzelnes defektes Gen verursachte Erkrankungen, konnte ein verantwortliches Chromosom oder sogar ein Gen identifiziert werden. Die menschliche Körperzelle besitzt 23 Chromosomenpaare, 22 sog. Autosomen und ein Paar geschlechtsbestim-

mende Chromosomen, die Gonosomen. Frauen haben zwei X-förmige Gonosomen (X-Chromosom), während Männer ein X- und ein sog. Y-Chromosom besitzen. Störungsbild Chorea Huntington Die Chorea Huntington, auch Veitstanz genannt, ist eine autosomal-dominant vererbte Krankheit, d. h., rechnerisch ist die Hälfte der Nachkommen eines betroffenen Elternteils ebenfalls davon betroffen. Die Erkrankung tritt bei den Nachkommen unabhängig vom Geschlecht auf. Ihre Inzidenz ( d. i. die Auftretenshäufigkeit) liegt bei 5: 100.000. Die Chorea Huntington geht mit charakteristischen hyperkinetischen Bewegungsstörungen einher. Die Patienten leiden unter unwillkürlich schleudernden Bewegungen der Extremitäten und machen psychische Veränderungen bis hin zur Demenz durch. Es liegt eine familiäre Häufung dieser Erkrankung vor. Sie bricht i.Allg. erst nach dem 40. Lebensjahr aus. Ursache ist ein fortschreitender Untergang von Neuronen v.a. im Striatum, einem Teil der Basalganglien (s.Abschn.6.4.8), der u.a. für die Bewegungssteuerung zuständig ist. Vor einigen Jahren konnte das verantwortliche Gen identifiziert werden. Es liegt auf dem Chromosom 4. Eine Veränderung dieses Gens führt zur Synthese eines schwer abbaubaren Proteins (Huntingtin). Dieses bedingt - vermutlich im Zusammenwirken mit dem Neurotransmitter Glutamat (s.Abschn.5.2.4) - die irreversible Zerstörung speziell der Neuronen des Striatums.

Die Humangenetik machte sich die von Mendel und seinen Nachfolgern gefundenen Kenntnisse über die Vererbung zunutze. Als autosomal-dominanter Erbgang wird eine Vererbung bezeichnet, bei der die genetische Information auf einem Autosom liegt und bei der bereits das Vorliegen nur eines krankheitstragenden Allels zum Ausbruch der Erkrankung führt. Beim gonosomalen Erbgang befindet sich dementsprechend das Gen auf einem Geschlechtschromosom. Bei einem rezessiven Erbgang wird das Merkmal nur dann im Phänotyp ausgeprägt, wenn es entweder auf beiden Chromosomen des Chromosomenpaares eines Individuums auftritt, z.B. wenn dessen beide Eltern erblich belastet waren, oder wenn das betreffende Gen auf dem einzigen männlichen X-Chromosom liegt.

Die Rot-Grün-Blindheit (s. auch Abschn.12.6) stellt ein Beispiel für eine gonosomal-rezessiv vererbte Erkrankung dar. Die Gene für den Rot· und Grün-Farbstoff der Zapfen der Retina, die für das Farbsehen verantwortlich sind, liegen auf dem X-Chromosom. Ein defektes Gen auf einem X-Chromosom eines weiblichen Individuums kann im Regelfall (in 99,6% der Fälle) durch das intakte Gen des zweiten X-Chromosoms ausgeglichen werden. Die Veränderung ist dann phänotypisch unauffällig und bleibt syrnptornlos. Eine heterozygote Frau kann jedoch überträgerin für dieses defekte X-chromosomale Gen sein: Gibt sie es an ihren Sohn (XY) weiter, kann dieser aufgrund eines fehlenden zweiten (intakten) X-Chromosoms den Zapfenfarbstoff nicht herstellen. Er ist daher nicht in der Lage, die entsprechende Farbe eindeutig zu erkennen. Störungsbild Phenylketonurie Die Phenylketonurie ist eine Erkrankung, die einen autosomal-rezessiven Erbgang hat. Bei einem betroffenen Individuum führt sie ohne Therapie zu schweren Schädigungen des Gehirns und zu geistiger Behinderung. Sie ist die häufigste angeborene Stoffwechselstörung, die bei einem von etwa 8.000 Neugeborenen auftritt. Hierbei liegt auf dem Chromosom 12 ein Defekt des Gens zur Bildung des Enzyms Phenylalanin-Hydroxylase vor. Dieses Enzym wird zur Umwandlung der Aminosäure Phenylalanin aus der Nahrung gebraucht. Wenn es fehlt, geht diese dann in die toxische Phenylbrenztraubensäure über. Bereits unmittelbar nach der Geburt kann dieser Gendefekt durch Blutuntersuchung festgestellt werden, und es können Gegenmaßnal1men ergriffen werden. Daher findet bei Neugeborenen routinemäßig eine entsprechende Blutanalyse statt. Eine phenylalaninarme Diät kann vor den Auswirkungen der erhöhten Konzentrationen der toxischen Abbauprodukte von Phenylalanin auf das kindliche Gehirn schützen. Dieses Beispiel zeigt übrigens auch, dass selbst bei rein biologisch-chemischen Prozessen die Gene nicht allein die letztendliche Ausgestaltung des Phänotyps - in diesem Falle der Manifestation der Erkrankung - festlegen, sondern dass Umwelteinflüsse ein großes Gewicht haben. Ein in der Kindheit phenylalaninarm ernährtes, also unter günstigen Umweltbedingungen lebendes Kind mit Phenylketonurie kann auf Dauer symptomfrei bleiben.

2.8 Humangenetik und Pathogenetik

1

41

Ein Mann, bei dem diese Mutation vorliegt, kann sie wiederum nur an seine Töchter weitergeben, da die Söhne das Y-Chromosom erhalten, das frei von dem defekten Gen ist. Am Beispiel eines Stammbaums wird dieser Vererbungsmodus in Abbildung 2.8 dargestellt. Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen wie zahlreiche Stoffwechselstörungen bleiben bei den Trägern der entsprechenden Gene häufig unbemerkt, da sie phänotypisch nicht wirksam werden. Sind aber beide Eltern Träger eines derartigen Gens und geben

2

dieses beide an ein Kind weiter, tritt plötzlich die Erkrankung auf. Eine andere Klasse humangenetisch untersuchter Erkrankungen sind die sog. Chromosomenaberrationen. Hierunter fallen Veränderungen des Genmaterials, die größere Abschnitte des Chromosoms bzw. ganze Chromosomen betreffen. Es kann sich um eine sichtbare Veränderung der Chromosomenstruktur oder eine Variation der Anzahl der Chromosomen handeln. Viele dieser Aberrationen führen zum Abgang der Leibesfrucht, da ein solcher Organismus meist nicht lebensfähig ist.

Generation I

Erkrankter Großvater

Generation II

Gesunde Mutter als Überträgerin des defekten X-Chromosoms

x y

Generation III Erkrankter Sohn

XX

OQ

phänotypiscl, gesund

D

phänotypiscl, erkrankt

© defektes X-0,romosom

Abbildung 2.8 Rot-Grün-Blindheit als Beispiel für einen geschlechtsgebundenen Erbgang. Es wird deutlich, dass es sich hierbei um einen X-chromosomalen rezessiven Vererbungsmodus handelt Störungsbild Down-Syndrom

Die häufigste numerische Abweichung der Autosomen liegt beim sog. Down-Syndrom (Mongolismus) vor (Häufigkeit in Deutschland bei zu erwartenden Kindern: 1:500 bis 1:1000). Da hier das Chromosom 21 nicht paarweise, sondern dreifach im Chromosomensatz vorkommt, wird diese Störung auch Trisomie 21 genannt. Das Down-Syndrom kann unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Charakteristisch sind physiognomische Auffälligkeiten und Intelligenzminderungen. Zusätzlich zeigen sich gehäuft Fehlbildungen innerer Organe, wie z.B. Herzfehler, Seh- und Hörstörungen. Als Ursache für die Trisomie 21 gilt ein Nicht-Auseinanderweichen (non-disjunction) dieser Chromo-

42

1

2 Gene und Verhalten

somen während der Meiose. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt mit dem Alter der Eltern. So haben etwa über 40-jährige Frauen ein Risiko von l %, ein Kind mit Trisomie 21 zu gebären. Daher wird bei Eltern im höheren Lebensalter oder bei Eltern mit chromosomalen Aberrationen in der Verwandtschaft meist während der Schwangerschaft zu einer Fruchtwasseruntersuchung geraten. Die im entnommenen Fruchtwasser befindlichen fetalen Zellen werden dabei auf chromosomale Aberrationen untersucht. Die pränatale Diagnostik kann heute darüber hinaus viele andere genetische Veränderungen mit hoher Treffergenauigkeit identifizieren.

Eine wichtige Methode zur pränatalen Diagnostik ist die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung). Durch Einführen einer Nadel durch die Bauchdecke in die Fruchtblase kann eine kleine Menge des Fruchtwassers entnommen werden. Da sich in diesem zahlreiche abgestoßene Zellen des Embryos befinden, ist es möglich, ohne direkten Kontakt mit dem Embryo sein Erbmaterial zu untersuchen. Bei schwangeren Frauen mit familiärer Belastung, Auffälligkeiten in der Ultraschalluntersuchung oder bei Schwangeren höheren Alters können damit bestimmte genetische Risiken erkannt werden.

2.9 Gene und psychische Vorgänge In allen Zellen finden ständig Synthesevorgänge statt, die auf dem Wege der Genexpression - also der aktuellen Nutzung eines DNA-Abschnittes ( = eines Gens) zur Proteinsynthese - gesteuert werden. Dieser Vorgang ist selbstverständlich auch in Nervenzellen, die ja eine spezifische Untergruppe von Zellen darstellen, allgegenwärtig. Bestimmte Substanzen - insbesondere Botenstoffe wie Hormone und Neurotransmitter, aber auch Gifte, Drogen und Pharmaka - können die Genexpression in Neuronen beeinflussen. So wird speziell die Produktion von Rezeptorproteinen (Rezeptoren, s.Abschn. 5. 1.2), die Botenstoffe binden und so die Signale von anderen Zellen empfangen können, dem wechselnden Bedarf angepasst. über ihre Anzahl wird die Stärke der Wirkung von Botenstoffen auf die Zielzelle vermittelt. Erhöhte oder verminderte Syntheseraten von Rezeptoren durch veränderte oder pathologische Genexpression können psychiatrische Auffälligkeiten hervorrufen. Gene und Lernen. Auch längerfristige Veränderungen des neuronalen Netzwerks hängen immer mit spezifischer Genexpression und Proteinsynthese zusammen. Viele Lern- und Gedächtnisvorgänge gehen mit der Bildung neuer Nervenfortsätze und/oder neuer Verbindungen einher (s.Abschn.24.4) . Dazu ist eine vollständige und intakte Enzymausstattung des Neurons erforderlich. Nur wenn die genetisch gesteuerten Basisprozesse funktionieren, können Lerninhalte längerfristig gespeichert und behalten werden. Der genetische Bauplan legt die psychophysische »Grundausstattung« des Menschen fest. So ist beispielsweise der Anteil grauer Substanz (also dicht gepackter Nervenzellkörper) in bestimmten Regionen des menschlichen Gehirns genetisch determiniert (Thomp-

son et al., 2001). Der Anteil grauer Substanz wiederum korreliert hoch mit einem Indikator für generelle kognitive Leistungsfähigkeit. Die jeweilige Ausgestaltung bestimmter psychischer Eigenschaften kommt jedoch erst durch das permanente Zusammenspiel von dieser Grundausstattung mit außerhalb des Organismus angesiedelten Einflussquellen zustande. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass bestimmte Dispositionen (»Anlagen«) für Persönlichkeitsmerkmale, z.B. bestimmte Fähigkeiten und Begabungen oder auch Anfälligkeiten für psychische Störungen, durchaus von Generation zu Generation weitergegeben werden können. Zwillings- und Adoptionsstudien. Zur Erforschung der Anteile, die auf die Anlage zurückgehen, und derjenigen, die durch die Umwelt zustande kommen, führt man seit Jahrzehnten Zwillings- und Adoptionsstudien durch. Da eineiige Zwillinge aus einer einzigen befruchteten Eizelle entstanden sind, weisen sie ein absolut identisches Genmaterial auf. Sie bieten daher ein wichtiges Studienobjekt. Man untersucht insbesondere häufig Gemeinsamkeiten von eineiigen Zwillingen, die getrennt aufgewachsen sind. Da ähnliche oder gleiche Eigenschaften, die sich bei diesen Zwillingen zeigen, schwerlich identische Umwelten als Ursache haben können - sie sind ja in unterschiedlichen Umgebungen aufgewachsen - , führt man sie auf die (gleiche) genetische Ausstattung zurück. Auf dieser Oberlegung basieren auch Adoptionsstudien an früh zur Adoption freigegebenen Kindern. Sie werden einerseits mit ihren leiblichen Eltern und Geschwistern verglichen, mit denen sie einen großen Anteil der Gene teilen, andererseits mit den mit ihnen gemeinsam aufgewachsenen Adoptivgeschwistern.

i#ihti

Anteil der Gene an der Varianz der Intelligenz Das Resultat zahlreicher Zwillings- und Adoptionsstudien war ein relativ hoher genetischer Anteil an der Varianz des Intelligenzquotienten (IQ) im Vergleich etwa zu anderen Persönlichkeitsmerkmalen wie z.B. Neurotizismus. Die verschiedenen Studien weisen daraufhin, dass zwischen 40% und 70% der Varianz des IQ auf die genetische Ausstattung zurückzuführen ist.

Molekulargenetische Psychologie. Nachdem es heute möglich ist, die genetische Ausstattung eines einzelnen Individuums relativ präzise zu bestimmen, gelingt es

2.9 Gene und psychische Vorgänge

1

43

zunehmend, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mit bestimmten Genen in Verbindung zu bringen. Man bedient sich dazu häufig der Tatsache, dass von zahlreichen Genen verschiedene Varianten existieren. Man spricht dann von einem Polymorphismus. In den häufigsten Fällen bleiben die verschiedenen Varianten eines Gens im Phänotyp unauffällig. Allerdings konnte gezeigt werden, dass etwa das Persönlichkeitsmerkmal »Ängstlichkeit« im Zusammenhang mit einer Genvariante steht, die den Aufbau eines Proteins steuert, das für den Transport des Neurotransmitters Serotonin zuständig ist. In ähnlicher Weise konnte belegt werden, dass eine spezifische Kombination von drei Varianten des sog. Dopamin-Transporter-Gens eng mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom verbunden ist. Genetische Marker. Innerhalb der Psychiatrie wird zunehmend das Genmaterial von Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen und ihren Verwandten untersucht. Für einige Krankheiten sind bereits sog. genetische Marker gefunden worden. Mit einem genetischen Marker hat man Information über den engeren Bereich, im Sinne eines DNA-Abschnitts, in dem sich das fragliche Gen auf einem Chromosom befindet. Dieser Bereich zeigt bei der biochemischen Chromosomenanalyse der betroffenen Patienten eine Besonderheit. Die Information über die Lage eines Markers gewinnt man durch gentechnische Verfahren, etwa durch das Zerschneiden der DNA an bestimmten Stellen mittels spezifischer Enzyme und durch die Sichtbarmachung des Musters als Anordnung von gefärbten Stellen auf einem Gelstreifen (sog. Bandenmuster). Durch Vergleich dieser Muster zwischen Patienten und Gesunden kann man ein genetisches Diagnosekriterium gewinnen. Auch ohne Verständnis der biochemischen Abläufe oder genetischen Fehlfunktionen, die zum Symptom fuhren, können die Marker schon auf das Vorhandensein dieser genetischen Abweichung hinweisen. Umgekehrt muss beim Auftreten nur eines einzigen Patienten mit der fraglichen Krankheit, der aber den Marker im entsprechenden Chromosomenabschnitt nicht zeigt, dieser Chromosomenbereich als irrelevant angesehen werden. Beim Vorhandensein eines solchen Markers können bereits pränatal oder vor Ausbruch einer Krankheit Vorhersagen gemacht und u. U. prophylaktische Maßnahmen ergriffen werden. Durch Marker hat man, wie gesagt, noch nicht das Gen selbst identifiziert, das durch Mutation verändert bzw. ausgeschaltet wurde. Man kann jedoch andere, räumlich weiter entfernte Gene als für die

2

44

1

2 Gene und Verhalten

Krankheit verantwortlich ausschließen, da das betreffende Gen sich in der Nähe des Markers befinden muss. Epigenetik. Die Epigenetik fragt danach, wie Erfahrungen während des Lebens eines Individuums auf die phänotypische Ausformung eines bestimmten Merkmals, dessen Ausbildung eigentlich im Erbgut festgelegt ist, einwirken können. Es geht hierbei um bestimmte Zelleigenschaften, die zwar nicht in der DNA-Sequenz selbst festgelegt sind, aber dennoch an eine Tochterzelle weitergegeben werden können. Man kennt bestimmte molekulare Prozesse, die steuern, welche Erbinformation sich tatsächlich im Merkmal zeigt und welche nicht. Dies hängt überwiegend von der Gegenwart bzw. Aktivität bestimmter Transkriptionsfaktoren ab, die das Ablesen eines Gens steuern. So verhindert eine Methylierung der DNA, also das Anhängen einer Methylgruppe (-CH3-Gruppe), i. Allg. ein Ablesen der genetischen Information. Andere wichtige Angriffspunkte im Zellkern sind die Histone, also jene Proteine, die als Gerüst für die stark verknäuelte DNA-Kette dienen, um jener eine relativ stabile Struktur zu geben. (Diesen Komplex aus DNA und Histon-Proteinen nennt man Chromatin). In diesem, quasi »verpackten« Zustand kann keine Erbinformation abgelesen werden. Histone spielen eine essenzielle Rolle bei der Entscheidung, welche Gene abgelesen und in Proteine übersetzt werden und welche nicht. Durch das Anfügen von chemischen Gruppen, z.B. einer Acetylgruppe (-CCH3), können die Histone nämlich so modifiziert werden, dass die Verpackung des DNA-Stranges gelockert bzw. aufgelöst wird und nun die genetische Information ablesbar ist. Mittlerweile gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass etwa psychischer Stress auf die Vorgänge von Methylierung bzw. Acetylierung und damit auf die Genexpression einwirkt. Letzteres ist eines der wichtigsten Themen epigenetischer Forschung.

2.10 Gentechnik Der enorme Wissenszuwachs im Bereich von Genetik und biochemischen Verfahren hat seit einigen Jahren vor allem in der Gentechnik praktische Anwendung gefunden. Ein wichtiges Prinzip gentechnischer Verfahren ist das Einbringen fremder DNA in eine Zelle. Diese kann daraufhin die auf dem eingebrachten genetischen Material enthaltene Information als ein Protein exprimieren. Diesen Mechanismus machen sich auch Viren

zunutze, die den Proteinsyntheseapparat fremder Zellen für ihre Zwecke verwenden.

·§lflfi

Viren Viren sind kleine infektiöse Einheiten (10 bis 300 Nanometer) ohne eigenen Stoffwechsel. Sie bestehen nur aus (Desoxy-)Ribonukleinsäuren, die höchstens noch von einer Kapsel und ggf. einer Hülle umgeben sind. Zur Vermehrung brauchen sie die Synthesemechanismen einer Zelle. Sie schleusen ihre eigene genetische Information in die Wirtszelle ein und lassen sie dort vervielfältigen und exprimieren. Nicht selten kann die Wirtszelle dann ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen, da sie nur noch für den Virus arbeitet.

Zur gentechnischen Einschleusung eines fremden Gens in eine Zelle muss das betreffende Gen mit einer TrägerDNA gekoppelt werden, die es in die neue Zelle bringt und dort erkennbar macht. Man bezeichnet derartige Trägermoleküle, die das genetische Material überbringen, als Vektoren. Häufig sind solche Vektoren unschädlich gemachte Viren, da diese die nötigen Erkennungsstrukturen tragen. Das Produkt aus dem Vektor und der DNA, die mit der relevanten Information versehen ist, nennt man rekombinante DNA. Der gesamte Vorgang des Einbaus fremder DNA in eine Zelle zum Zwecke der Vervielfältigung wird als Klonierung bezeichnet. Eine bedeutsame gentechnische Anwendung ist die Produktion wichtiger Substanzen des menschlichen Stoffwechsels wie z.B. von Insulin oder Wachstumshormonen durch Bakterien. Viele Patienten sind auf die ständige Zufuhr dieser Hormone angewiesen. Durch Einbau der entsprechenden Gene in die bakterielle Zelle können große Mengen davon in Bakterienkulturen hergestellt werden. Andererseits können Gene, die unerwünschte Produkte erzeugen, durch die Gabe von sog. Antisense-DNA unschädlich gemacht werden. Diese bindet sich an die passende Messenger-RNA und verhindert dadurch die Synthese des betreffenden Proteins. Mit der Antisense-Technik kann voraussichtlich eine neue Klasse von Pharmaka entwickelt werden, die zur Therapie von viralen Erkrankungen oder bei Karzinomen geeignet sind. Genveränderungen in der Keimbahn. In der experimentellen Genforschung wird seit einigen Jahren auch eine direkte Veränderung des genetischen Materials in den

Keimzellen vorgenommen. Dies bedeutet, dass die nachkommenden Generationen des betreffenden Organismus ein verändertes Genom haben. So kann man durch den Einbau bestimmter Gene eine Nutzpflanze dazu anregen, Proteine zu synthetisieren, die sie weniger anfällig für Schädlingsbefall machen oder vor Fäulnis schützen. Allerdings ist beim Einsatz dieser Verfahren zu bedenken, dass jede Veränderung innerhalb eines ökologischen Gesamtsystems, einschließlich der Tierwelt, kaum vorhersehbare Folgen nach sich ziehen kann. Schließlich kann die Komplexität des Zusammenspiels der verschiedenen Elemente des Systems niemals im Labor simuliert werden. Strenge Kontrollen und umfangreiche Studien vor der Einführung eines genmanipulierten Produktes sind demnach unerlässlich, um das Risiko für den Verbraucher gering zu halten. Knock·out·Mäuse. Eine wichtige Anwendung der Manipulation an der tierischen Keimbahn ist die Veränderung des Genoms bei Mäusestämmen. Durch Ausschaltung eines oder mehrerer Gene können Mäusestämme gezüchtet werden, bei denen selektiv bestimmte Proteine nicht mehr produziert werden. Man nennt diese Mäuse Knock-out- oder transgene Mäuse. Dient das ausgeschaltete Gen etwa zur Expression eines Rezeptors der Nervenzellmembran (s.Abschn.5.1.2) oder eines bestimmten Hormons, so können dadurch auch Verhaltensänderungen in der Knock-out-Maus induziert werden. Die Bedeutung dieses jetzt ausgeschalteten Proteins oder Peptids für die Verhaltenssteuerung kann dadurch untersucht werden, dass das spontane Verhalten des transgenen Versuchstiers sowie dessen Reaktionen auf bestimmte Stimuli in experimentellen Situationen mit einem normalen Artgenossen (»Wildtyp«) verglichen werden. So zeigen etwa Mäuse mit einem Defekt des an der Stressreaktion (s.Abschn.17.1) beteiligten Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH; s.Abschn.17.1.2) in experimentellen Situationen ein weniger ängstliches Verhalten als der Wildtyp. Derartige Analogstudien bringen u. a. neue Erkenntnisse bei der Erforschung psychiatrischer Erkrankungen, wie der Angststörung oder der Depression. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Psychopharmaka dürfte diese Methode in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. weiterführende Literatur Hennig, W. & Graw, J. (2015). Genetik (6. Aufl.). Berlin: Springer. Schaaf, C.P. & Zschocke, J. (2012). Basiswissen Humangenetik (2. Aufl). Berlin: Springer.

2.10 Gentechnik

1

45

3

Bausteine des Nervensystems - Neuronen und Gliazellen

3 Das Nervensystem ist das wichtigste und schnellste informationsübertragende System des Körpers. In Sekundenbruchteilen können Informationen von der Peripherie - z.B. der Haut oder den Sinnesorganen ins Gehirn gelangen, dort verarbeitet werden und Reaktionen darauf ausgelöst werden. Die Leistungen des menschlichen Nervensystems werden durch das Zusammenwirken von schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen innerhalb eines komplexen Netzwerks ermöglicht. Dieses Netzwerk ist so engmaschig, dass eine einzelne Nervenzelle bis zu einige Tausend Kontakte mit anderen Nervenzellen besitzen kann.

O

Das Nervensystem hat zwei zelluläre Hauptbestandteile, die Neuronen (Nervenzellen) und die Gliazellen. Die Neuronen dienen der Informationsverarbeitung, d. h. dem Transport und der Verarbeitung von Signalen. Die Gliazellen stellen in erster Linie einen Hilfsapparat für die Neuronen dar: Sie üben Schutz-, Versorgungs- und Stützfunktionen aus.

3.1 Aufbau und Elemente des Neurons Beim Neuron handelt es sich um eine Sonderform der tierischen Zelle. Es zeigt den Grundaufbau und die Basiselemente jeder Zelle eines tierischen Organismus. Allerdings ist es darüber hinaus mit einigen speziellen Merkmalen ausgestattet, die es ihm ermöglichen, die typischen Aufgaben des Nervensystems im Zusammenhang mit der Informationsverarbeitung zu erfüllen.

3.1.1 Das Neuron als Spezialisierung der tierischen Zelle Die wesentlichen Eigenschaften alles Lebendigen sind Stoffwechsel, Wachstum, Bewegung und Vermehrung. Diese Aufgaben werden von den in verschiedener Weise spezialisierten Zellen des Körpers übernommen. Bei der tierischen Zelle handelt es sich um den Typ der sog.

46

1

3 Bausteine des Nervensystems - Neuronen und Gliazellen

Eukaryontenzelle, die mit einem Zellkern versehen ist. Dieser Zelltyp findet sich in prinzipiell gleicher Weise bei den meisten einzelligen und vielzelligen Lebewesen, den sog. Eukaryonten (Pflanzen, Tiere). Daneben kennt man noch die sog. Prokaryonten, zu denen etwa Bakterien und bestimmte Algen zählen. In diesen Zellen fehlt ein voll ausgebildeter Zellkern. Die DNA schwimmt einfach neben anderen Zellbestandteilen in der von einer Membran begrenzten Zelle. Auch die Eukaryontenzelle ist von ihrer Umgebung durch die Zellmembran abgegrenzt. In ihrem Inneren befindet sich das Zytoplasma und der Nucleus (Zellkern). Das Zytoplasma seinerseits setzt sich aus dem Zytosol (Zellflüssigkeit) und einer Reihe von kleineren Strukturen, den Zellorganellen (s.Abb.3.1), und dem Zytoskelett zusammen. Zellkern, Kernmembran und Nucleolus Der Zellkern ist von dem umgebenden Zytoplasma durch eine eigene, als Doppelschicht ausgebildete Kernmembran (Kernhülle) getrennt. Im Zellkern ist die gesamte genetische Information des Individuums in Form des kompletten Chromosomensatzes gespeichert. Speziell für den Aufbau von Proteinen wird die aktuell benötigte Information zunächst auf eine Messenger-RNA (mRNA) kopiert (s.Abschn.2.4.1) und durch Poren in der Kernmembran in das Zytoplasma ausgeschleust. Dort kann dann die Proteinsynthese stattfinden. Im Zellkern findet sich eine Substruktur, der Nucleolus (Kernkörperchen). Hier werden die Ribosomen (s. u.) gebildet, die eine wesentliche Rolle bei der Proteinsynthese spielen. Bei sehr stoffwechselaktiven Zellen können auch mehrere Nucleoli vorkommen, da bei einem hohen Bedarf an Proteinsynthese auch entsprechend mehr Ribosomen benötigt werden. Durch die Poren der Kernmembran können nicht nur die mRNA und die Ribosomen aus dem Kern hinaus ins Zytoplasma transportiert werden, sondern umgekehrt können durch sie auch sog. »regulatorische Proteine« in den Kern gelangen, um dort z.B. Einfluss auf Prozesse der Genexpression (s.Abschn.2.4.1) zu nehmen.

Zellkern

enthält die Chromosomen mit den Genen

Golgi•Apparat

vielfach gefaltete membranöse Struktur, »verpackt« Moleküle zum Zwecke des Transports

stellt die wassnge Umgebung für die Zellorganellen dar

I

Dendritischer Dorn

Mikrotubull

vergrößert die dendritische Oberfläche, hier / dockend . ie Axone anderer0 L.,., Zellen an

j

/l 1

( ':

/

f /J /

stabilisieren die Zellstruktur und dienen dem Transport von Stoffen ......_. Bestand.teile des Zellgerusts

{

Dendrit

Lysosomen

eine Verzweigung, die der Aufnahme von Signalen von anderen Zellen dient /

I

\

Mikrofilamente

I

. G bild sackar1tge e .e? die u. a. der Bese1tl· gung von Abbau· produkten dienen

Zellmembran

A_;J~ .--1.

~

lAx.on d. 1 . e1tet 1e n ormauon

zu anderen Zellen ~

Abbildung 3.1 Typische Bestandteile des Neurons. Es ist ein Neuron mit den wichtigsten Zellorganellen dargestellt

O

Der Zellkern ist vom Zellplasma durch eine Doppelmembran abgegrenzt. Er beherbergt die Chromosomen als Träger der genetischen Information. Der Nucleolus ist der Ort der Ribosomenbildung. Die Kernmembran weist Poren zum Austritt von Messenger-RNA und zum Eintritt von Proteinen auf.

Neben dem Zellkern enthält die Zelle weitere Organellen. Diese sind Bestandteile des Zytoplasmas. Die wich· tigsten Zellorganellen werden im Folgenden behandelt.

häufig als die Kraftwerke der Zelle bezeichnet. Sie weisen zwei Membranen auf, eine äußere und eine stark gefaltete innere Membran (s.Abb.3.1). Sowohl der von der inneren Membran umschlossene Raum, die sog. Matrix, als auch der Raum zwischen äußerer und innerer Membran spielen eine wichtige Rolle beim mitochondrialen Stoffwe.chsel, der zahlreiche lebenserhaltende chemische Umwandlungsprozesse beinhaltet. Im Mitochondrium wird z.B. Fett abgebaut und die daraus gewonnenen Energieträger werden in Adenosintriphosphat (ATP) umgewandelt. ATP kann in fast allen Organen - wie z.B. der Muskulatur oder dem Gehirn - bei energieverbrauchenden Prozessen als Treibstoff dienen.

Mitochondrien

Unter dem Lichtmikroskop erkennt man die Mitochondrien als kugelige bzw. fadenförmige Strukturen - daraus wird ihr Name verständlich (gr. mitos = Faden, gr. chondros = Korn). Die Mitochondrien werden

O

Die Mitochondrien sind die »Kraftwerke der Zelle«. Sie bilden das für den Energiehaushalt der Zelle lebensnotwendige Adenosintriphosphat (ATP).

3.1 Aufbau und Elemente des Neurons

1

47

Ribosomen Die Ribosomen sind die Orte der Proteinsynthese. Sie werden im Nucleolus des Zellkerns aus der ribosomalen RNA (rRNA) und aus Proteinen aufgebaut. Nach Ausschleusung durch die Kernporen in das Zytoplasma dienen sie hier der Proteinsynthese. Ribosomen bestehen aus zwei Untereinheiten, zwischen denen die mRNA abgelesen und die von der tRNA (TransferRNA) transportierten Aminosäuren in der richtigen Reihenfolge zusammengefügt werden. Normalerweise wandern viele Ribosomen gleichzeitig in festgelegter Richtung entlang einer mRNA und katalysieren die

3

schrittweise Verkettung von Aminosäuren, bis das fertige Polypeptid (i.Allg. ein Protein) entstanden ist (s.Abb. 3.2). Ribosomen können frei im Zytosol schwimmend vorkommen (»freie Ribosomen«). Diese lagern sich jedoch meist in Ketten an einen mRNA-Strang an man nennt sie dann Polyribosomen oder kürzer Polysomen. Diese Ribosomen stellen überwiegend solche Proteine her, die im Zytoplasma der Zelle verbleiben. Sind die herzustellenden Proteine jedoch für die Verwendung in anderen Organellen, in der Zellmembran oder für den Export aus der Zelle heraus bestimmt, werden sie an Ribosomen synthetisiert, die in großer Dichte auf einem weiteren Zellorganell sitzen, dem rauen endoplasmatischen Retikulum.

O

Ribosomen werden im Nucleolus aus der ribosomalen RNA und Proteinen aufgebaut. Aufgabe der Ribosomen ist die Proteinsynthese.

Endoplasmatisches Retikulum und Golgi-Apparat Unter dem Mikroskop erscheint das endoplasmatische Retikulum (abgek. ER) als eine mitunter weitverRibosomen zweigte Hohlraumstruktur. Es besteht aus einem gut Zelleigene ausgebildeten Membransystem, das mehrere HohlNutzung Protein räume miteinander vernetzt (s.Abb. 3.1). Glattes und raues ER. Man unterscheidet zwei Typen von endoplasmatischen Retikula. An den Membranen des Golgi· glatten endoplasmatischen Retikulums erfolgt die Apparat Synthese von Fettsäuren und Phospholipiden (also Fetten), die für den Aufbau der Zellmembran (s. u.) benötigt werden. Außerdem spielt es eine wichtige Rolle bei der Herstellung von bestimmten Hormonen sowie beim Abbau von Giften. In der Muskulatur dient das glatte ER der Speicherung von Kalziumionen und ist damit von essenzieller Bedeutung für die Muskelkontraktion. Das raue ER steht mit der Membran des Zellkerns in Verbindung. Seine Oberfläche ist übersät von RibosoZell- - - - - - - men, dadurch erscheint sie rau. An diesen Ribosomen membran werden Proteine gebildet, die z.B. für den Aufbau von zellulären Membranen oder für den Export aus der Zelle Abbildung 3.2 Proteinsynthese innerhalb der Zelle. Die mRNA transportiert die genetische Information aus dem heraus bestimmt sind. Sie werden durch das innere Zellkern heraus ins Zytoplasma. Hier regt die RibosomenMembransystem des ER zur Oberfläche des Retikulums aktivität die Bildung von Proteinen an, die im Golgi-Apparat geleitet und an den Golgi-Apparat weitergegeben, der in Vesikel verpackt werden können, um dann entweder zu dem rauen ER meist eng benachbart ist. anderen Zellorganellen zu gelangen oder durch Exozytose in

!

o~ !

den Extrazellulärraurn abgegeben zu werden

48

1

3 Bausteine des Nervensystems - Neuronen und Gliazellen

Golgi-Apparat. Der Golgi-Apparat weist, ähnlich wie das ER, im Inneren ein System übereinandergestapelter Membranen auf. Hier findet eine Aufbereitung der am rauen ER gebildeten Proteine statt. Häufig werden an die bereits gebildeten Aminosäureketten andere chemische Gruppen angehängt, wie z.B. Zuckerreste, Phosphat- oder Schwefelgruppen. Im Golgi-Apparat spielt sich u.a. auch eine Art »Sortierung« der Proteine hinsichtlich ihres Bestim mungsorts statt. Außerdem schnürt der Golgi-Apparat ständig kleine Stücke seiner Membran ab. Die so entstandenen »Pakete« bilden die Form von Bläschen, sog. Vesikeln (auch »Golgi-Vesikel«). In den Vesikeln kann der verpackte Inhalt Proteine oder auch kleinere Moleküle - vermittels zellinterner Transportprozesse durch das Zytosol transportiert werden. Die Vesikel können, da sie ja ebenfalls eine membranöse Umhüllung besitzen, ggf. auch mit der Zellmembran verschmelzen und dabei ihren Inhalt über Exozytose in das Zelläußere freisetzen.

O

Das glatte endoplasmatische Retikulum dient u. a. der Fettsynthese und im Muskel als Kalziumionenspeicher. Das raue endoplasmatische Retikulum ist mit seinen angelagerten Ribosomen Ort der Synthese von Proteinen. Diese können im Golgi-Apparat modifiziert und in Vesikel verpackt werden. Durch Verschmelzung der Vesikelmembran mit anderen Membranen können dann die Vesikel ihren Inhalt an einem anderen Ort wieder abgeben.

Lysosomen und Peroxisomen Lysosomen. Bei den Lysosomen handelt es sich um kleine kugelförmige Organellen, die von einer Membran umgeben sind. Sie dienen v. a. dem aktiven Abbau und Wegtransport von Substanzen, die in der Zelle nicht (mehr) benötigt werden. Von daher wird auch der Name verständlich: Ein Körper (lat. soma), dessen Inhalt lytische (gr. lysis = Auflösung) Aktivität besitzt. Der Abbau geschieht in Anwesenheit bestimmter hochaktiver Enzyme. Die abgebauten Stoffe können in der Zelle selbst entstanden sein und nicht mehr benötigt werden, oder es kann sich um extrazelluläre Makromoleküle handeln, die in die Zelle aufgenommen wurden. Letzteres ist insbesondere bei Zellen des Immunsystems der Fall, die auf diese Weise schädliche Stoffe und potenzielle Krankheitserreger (z.B. Bakterien) beseitigen.

Störungsbild Lysosomale Speicherkrankheiten Man kennt beim Menschen eine Reihe von Nervenkrankheiten, die mit dem gestörten lysosomalen Abbau von Substanzen zusammenhängen. Ein Beispiel dafür ist die Tay-Sachs- Krankheit, eine seltene erbliche Nervenkrankheit. Hier kann ein bestimmter Stoff (ein Lipidmolekül), das u.a. dem Aufbau der Nervenzellmembran dient, nicht mehr abgebaut werden. Beim Gesunden wird die überschüssige Substanz durch ein lysosomales Enzym aktiv zerlegt und kann so aus dem Zellmilieu entfernt werden. Bei den Erkrankten fehlt es aufgrund eines defekten Gens an dem zum Abbau benötigten Enzym. So kommt es zu Ablagerungen dieses Stoffes an den Membranen speziell der Gehirnzellen, was eine Reihe von fatalen Konsequenzen hat: Bereits im ersten Lebensjahr zeigt sich eine Einschränkung der psychomotorischen Leistungen. Später kommt es zu Lähmungen und Krampfanfüllen bei stark verzögerter Gehirnentwicklung. Ebenso lässt das Sehvermögen nach, oft bis zur Erblindung. Der Tod tritt meist innerhalb von zwei bis drei Jahren ein. Peroxisomen. Peroxisomen sind Gebilde, die nur von einer einschichtigen Membran umgeben sind. Sie spielen eine wichtige Rolle beim Abbau der in vielen Stoffwechselvorgängen entstehenden schädlichen Peroxidradikalen und können selbst Wasserstoffperoxid bilden und spalten - daher der Name. Darüber hinaus beteiligen sie sich - neben den Mitochondrien - am Fettabbau sowie am Abbau von Alkohol.

O

Lysosomen beseitigen zelleigene Abfallprodukte sowie zellfremde schädliche Substanzen. Zu diesem Zweck befinden sich innerhalb ihrer Membran zahlreiche hochaktive Enzyme. Peroxisomen dienen Entgiftungsreaktionen. Sie wandeln u. a. Peroxidradikale, Fette und Alkohol chemisch um.

Zytoskelett Das gesamte Innere der Zelle wird vom Zytoskelett durchzogen. Es ist die Basis für die räumliche Struktur der Zelle und ggf. deren Veränderungen, etwa bei Bewegungen. Das Zytoskelett wird aus speziellen Pro-

3.1 Aufbau und Elemente des Neurons

1

49

teinen gebildet, die sich aufgrund ihres Aufbaus verhaken und vernetzen können und damit geeignet sind, ein Gerüst zu bilden. Man kann hierbei drei Klassen von Strukturen unterscheiden: Mikrotubuli, Mikrofilamente und Intermediärfilamente. Mikrotubuli sind röhrenförmige, langgestreckte Strukturen, welche die Zelle durchziehen. Im Neuron werden sie Neurotubuli genannt. Sie haben eine röhrenförmige, relativ geradlinige Gestalt. In den langen Fortsätzen der Nervenzelle sind die Neurotubuli parallel und in etwa gleichen Abständen angeordnet. Entlang der Neurotubuli können Stoffe über große Entfernungen im Inneren der Zelle transportiert werden. Auch die Bewegung bzw. Fixierung von Organellen im Zytosol gehört zu den Aufgaben der Mikrotubuli. Bei einer Destabilisierung der Neurotubuli infolge pathologischer Veränderungen der sog. Tau- Proteine (deren physiologische Aufgabe die Strukturbildung vermittels der Neurotubuli ist) kommt es zu einer Bündelung und Klumpenbildung von Neurofibrillen. Dies ist ein wichtiger Prozess bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit (s.Abschn.21.1.7). Einen wesentlich kleineren Durchmesser als die Mikrotubuli haben die Mikrofilamente. Sie bestehen hauptsächlich aus Aktin. Dieses Protein spielt eine wichtige Rolle bei aktiver Formveränderung von Zellen. Mikrofilamente sind häufig mit der Zellmembran verbunden und erfüllen damit einerseits strukturgebende Aufgaben, andererseits sind sie für die Bewegung von Zellen (mit)verantwortlich. Mikrofilamente sind im Neuron weit verbreitet, v. a. in den zahllosen Fortsätzen, die dem Neuron seine typische Struktur geben (s.Abb. 3.6). Während der Entwicklung des Organismus tragen die Mikrofilamente durch Kontraktion auch zur sog. amöboiden Bewegung bei. Hierbei kann die Zelle sich aufgrund von Änderungen ihrer Gestalt fortbewegen. Intermediärfilamente (im Neuron: Neurofilamente) besitzen eine mittlere Größe zwischen Mikrotubuli und Mikrofilamenten. Sie dienen ebenso wie die Mikrofilamente der Stabilität und der Aufrechterhaltung der Zellform. Die intermediären Filamente können auch bewirken, dass mehrere Zellen sich zu strukturellen Einheiten zu verbinden. Mikrotubuli (Neurotubuli) und Mikrofilamente (Neurofilamente) fasst man zu den Mikrofibrillen (Neurofibrillen) zusammen.

3

SO

1

3 Bausteine des Nervensystems - Neuronen und Gliazellen

O

Die röhrenförmigen Mikrotubuli (beim Neuron Neurotubuli) dienen v. a. dem gerichteten Transport von Stoffen innerhalb der Zelle. Mikrofilamente (Neurofilamente) tragen zur Stabilität der Zellgestalt bei und dienen bei einigen Zellen der Fortbewegung, insbesondere während der Entwicklung des Nervensystems. Intermediärfilamente dienen v.a. zur Formgebung und Stabilisierung der Zelle.

Zytosol Die Zellorganellen und das Zytoskelett sind von Flüssigkeit, dem Zytosol, umgeben. Es bildet also den flüssigen Bestandteil des Zytoplasmas. Es füllt das gesamte Zellinnere aus. Das Zytosol besteht im Wesentlichen aus Wasser, Proteinen und wasserlöslichen Ionen. Zellmembran Die Zellmembran (Plasmamembran) grenzt die Zelle von ihrer Umgebung ab und gestattet es ihr damit, als eine selbstständige Einheit zu funktionieren. Bei allen tierischen Zellen besteht die Zellmembran aus Phospholipiden sowie eingelagerten Proteinen. Lipide sind Fette oder fettähnliche Stoffe, also Substanzen, die in Wasser unlöslich sind. Phospholipide bestehen aus einem Lipid-»Schwanz« aus wasserabstoßenden (hydrophoben bzw. lipophilen) Fettsäuren und einem wasseranziehenden (hydrophilen oder lipophoben) Phosphat»Kopf«. In einer wässrigen Lösung lagern sich deshalb die Lipidmoleküle paarweise so aneinander an, dass die wasserabstoßenden Lipidteile sich einander zuwenden und damit vor dem Wasser >)geschützt« werden und demgemäß die hydrophilen Molekülteile dem Wasser zugewandt sind). Dadurch kommt die für Zellmembranen typische Lipid- Doppelschicht (s.Abb.3.3) zustande. Auch die in die Zellmembran eingelagerten Proteine besitzen i.Allg. geladene, hydrophile, und ungeladene, hydrophobe, Bereiche. Dies führt dazu, dass sie sich in einer bestimmten, räumlich relativ stabilen Weise etwa rechtwinklig zum Membranquerschnitt ausrichten. Seitlich sind sie jedoch relativ leicht verschiebbar. Membranproteine. Proteine, die in die Membran eingelagert sind, die sog. Membranproteine, sind von eminenter Wichtigkeit für die Zelle. Sie können entweder nur auf einer Seite aus der Membranoberfläche herausragen oder die Membran vollständig durchziehen und

•• Abbildung 3.3 Struktur der Zellmembran. Die Zellmembran

besteht aus einer Phospholipid-Doppelschicht mit eingelagerten Proteinen. Diese können die Membran durchdringen und z.B. Poren bilden. Sie können auch nur mit dem Zellinneren oder nur dem Zelläußeren in Verbindung stehen und als Andockstelle für Reaktionspartner dienen damit sowohl mit dem Zellinneren als auch dem Zelläußeren in Kontakt stehen. Diese transmembranösen (durch die Membran reichenden) Proteine sind bei jeder Zelle von essenzieller Bedeutung für die Aufrechterhaltung des inneren Milieus der Zelle. Insbesondere bei den Nervenzellen nehmen sie entscheidende Aufgaben im Zusammenhang mit der Informationsübertragung von Zelle zu Zelle wahr. Die diesbezüglichen Prozesse werden im nächsten Kapitel ausführlich behandelt. Cholesterinmoleküle. Zwischen den Phospholipidmolekülen der Doppelschicht sind außerdem in großer Zahl Cholesterinmoleküle eingebettet. Cholesterin ist ein kleines Lipidmolekül, das sich zwischen die größeren Phospholipidschwänze der Membran legt. Es dient in erster Linie der Konstanthaltung der Membranviskosität, d. h. der Zähigkeit der Membran. Außerdem ist es in einem gewissen Ausmaß, gemeinsam mit den transmembranösen Proteinen, am Transport von Botenstoffen über die Membran hinweg beteiligt. Schließlich konnte kürzlich gezeigt werden, dass es auch beim Aufbau von Kontakten zwischen Nervenzellen eine Rolle spielt. Man darf sich die Zellmembran nicht als ein starres System vorstellen. Sie ist im Gegenteil sehr beweglich, da die Phospholipidmoleküle und die Proteine in der Membranebene leicht gegeneinander verschoben werden können. Die Membran hat eher den Charakter eines viskosen öligen Films. Aufgrund dessen kommt dem formerhaltenden Element der Zelle, dem Zytoskelett (s.o.), eine ganz entscheidende Bedeutung zu. In der folgenden übersieht sind die wichtigsten Merkmale der Zellmembran wiedergegeben. Diese werden, soweit sie die besonderen Eigenschaften von Neuronen betreffen, später ausführlicher besprochen.

•Mfoiii

Merkmale der Zellmembran

.,.. Filter- und Siebfunktionen für bestimmte Ionen und Moleküle .,.. Transport von Nahrungsstoffen in die Zelle .,.. Schutz vor schädlichen Einflüssen .,.. Ort von katalytischen Reaktionen mittels Enzymen .,.. Aufrechterhaltung eines elektrischen Potenzials zwischen Zellinnerem und Zelläußerem .,.. Weiterleitung von elektrischen Signalen .,.. Ort der Rezeptoren für spe-1,ifische Botenstoffe, insbesondere an Neuronen

3.1.2 Äußere Gestalt der Neuronen In der äußeren Form weisen die Nervenzellen gegenüber anderen Zellen einige Besonderheiten auf, die im Zusammenhang mit ihren speziellen Aufgaben hinsichtlich Informationstransport und Informationsverarbeitung stehen. So unterscheiden sich Neuronen in ihrer Gestalt je nach Aufgabengebiet beträchtlich (s. u.). Von der Form her gliedert sich ein typisches Neuron in den Zellkörper, das Soma, die Dendriten, das Axon auch Neurit genannt - und häufig an den Endverzweigungen des Axons spezielle Strukturen, die synaptischen Endigungen (s.Abb.3.4). Soma

Die oft langgestreckten und sich gebietsweise stark verästelnden Neuronen weisen als eine typische Verdickung das Soma (Zellkörper, Perikaryon) auf. Das Soma enthält den Zellkern sowie zumeist eine große Zahl von Organellen, z.B. Mitochondrien, Golgi-Apparate und Ribosomen. Es ist der Ort der Synthese der meisten Proteine und der Bildung intrazellulärer Membranen, wie sie beispielsweise für die Vesikel gebraucht werden. Axon

Bei den meisten Neuronen ist das Axon ein vergleichsweise langer Fortsatz, der dem Zellkörper entspringt. Es dient im Regelfall dem Informationstransport weg vom Zellkörper und hin zu den synaptischen Endigungen, von wo aus der Informationsübertritt zu anderen Zellen des Nervensystems bzw. zur Muskulatur stattfindet. Bei Neuronen tritt nur ein einziges Axon am sog. Axonhügel aus dem Zellkörper aus. Die Axonlänge kann weni-

3.1 Aufbau und Elemente des Neurons

1

51

ger als 1 mm und bei großen Säugetieren bis hin zu mehreren Metern betragen. Beim Menschen gibt es Axone mit einer Länge von über einem Meter (s.Abb.3.5). Ein derartig langes Axon finden wir beispielsweise bei jenen Nervenzellen, deren Zellkörper sich im Rückenmark befinden und die als Ziel die Muskulatur, etwa im Fuß, haben. Im Unterschied zum Zellkörper befindet sich im Axon kein raues endoplasmatisches Retikulum und es sind nur wenige oder keine freie Ribosomen vorhanden. Demnach erfolgt im Axon keine Proteinbiosynthese; alle Proteine des Axons und

3

v. a. der Axonmembran müssen im Soma gebildet und an ihren Zielort transportiert werden. Axone sind häufig von einer fetthaltigen Schicht, der sog. Myelinscheide, umhüllt (s.u.). Die Myelinscheide dient u. a. einer Beschleunigung der Leitungsgeschwindigkeit längs des Axons. Die Geschwindigkeit der Impulsleitung kann beim Menschen bis zu 120 Meter pro Sekunde betragen. In ihrer Längsrichtung sind Axone von Neurotubuli und Neurofilamenten durchrogen (s.Abb.3.1). Um den Stoffwechsel innerhalb der Axone aufrechterhalten zu kön nen, ist ein Transportsystem für Enzyme, Stoffwechselprodukte und Organellen erforderlich. Dieses wird überwiegend von den Mikrotubuli gebildet. Der Transport findet mit einer Geschwindigkeit von 1- 10 mm/Tag statt. Es existiert ein spezielles, schnelleres Transportsystem für Aminosäuren, die zum Zusammenbau der Proteine gebraucht werden. Hier wurden Transportgeschwindigkeiten von bis zu 1.000 mm/Tag gemessen. Es gibt auch ein System für den Rücktransport in Richtung auf den Zellkörper. Die Geschwindigkeit dieses sog. retrograden Transports liegt bei etwa



f \