Biochemie und Pathobiochemie [7. Aufl.] 978-3-540-42295-2;978-3-662-06058-2

Aktuell, zuverlässig und ausgewogen - der Löffler/Petrides ist Garant für höchste wissenschaftliche Kompetenz. Die schlü

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Biochemie und Pathobiochemie [7. Aufl.]
 978-3-540-42295-2;978-3-662-06058-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages N2-XXXVII
Front Matter ....Pages 1-3
Grundlagen der Lebensvorgänge (P. E. Petrides, G. Löffler)....Pages 5-22
Kohlenhydrate, Lipide und Aminosäuren (G. Löffler, P. E. Petrides)....Pages 23-55
Proteine (Polyaminosäuren) (P. E. Petrides, H. R. Kalbitzer)....Pages 57-101
Bioenergetik und Enzymologie (G. Löffler, B. Wiederanders)....Pages 103-139
Nucleotide und Nucleinsäuren (G. Löffler)....Pages 141-168
Zelluläre Organellen und Strukturen: Ein Überblick über die Zellbiologie (G. Löffler, A. Hasilik)....Pages 169-205
Front Matter ....Pages 206-207
Replikation und Gentechnik (G. Löffler, M. Montenarh)....Pages 209-241
Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA (G. Löffler, M. Montenarh)....Pages 243-266
Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen (A. Hasilik)....Pages 267-300
Viren (S. Modrow)....Pages 301-330
Gendiagnostik und Gentherapie (P. E. Petrides)....Pages 331-371
Front Matter ....Pages 372-373
Methoden zur Analyse des Intermediärstoffwechsels (M. Stumvoll, G. Löffler, P. E. Petrides)....Pages 375-394
Stoffwechsel von Glucose und Glycogen (G. Löffler)....Pages 395-431
Stoffwechsel von Triacylglycerinen und Fettsäuren (G. Löffler)....Pages 433-460
Stoffwechsel der Aminosäuren (P. E. Petrides)....Pages 461-517
Der Citratzyklus (G. Löffler)....Pages 519-529
Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung (U. Brandt)....Pages 531-555
Koordinierung des Stoffwechsels (G. Löffler, P. E. Petrides)....Pages 557-578
Front Matter ....Pages 580-581
Biosynthese von Kohlenhydraten (G. Löffler)....Pages 583-597
Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin (G. Löffler)....Pages 599-628
Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine (G. Löffler)....Pages 629-648
Häm und Gallenfarbstoffe (P. E. Petrides)....Pages 649-668
Front Matter ....Pages 670-671
Ernährung (P. E. Petrides, G. Wolfram)....Pages 673-695
Spurenelemente (P. E. Petrides)....Pages 697-719
Vitamine (G. Löffler)....Pages 721-749
Front Matter ....Pages 750-751
Binde- und Stützgewebe (R. Deutzmann, L. Bruckner-Tuderman, P. Bruckner)....Pages 753-787
Endokrine Funktionen I: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen (G. Löffler)....Pages 789-811
Endokrine Funktionen II: Zytokine (P. C. Heinrich, F. Schaper, A. Timmermann, A. S. Martens, U. Lehmann)....Pages 813-835
Endokrine Funktionen III: Die schnelle Stoffwechselregulation (G. Löffler, M. Kellerer, H. U. Häring)....Pages 837-864
Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe (P. E. Petrides)....Pages 865-908
Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes (A. Kurtz)....Pages 909-973
Blut (P. E. Petrides)....Pages 975-1029
Muskelgewebe (P. E. Petrides, D. O. Fürst, M. Gautel)....Pages 1031-1051
Gehirn und Nervengewebe (P. E. Petrides, C. M. Becker)....Pages 1053-1076
Gastrointestinaltrakt (G. Löffler)....Pages 1077-1102
Leber (G. Löffler, D. Häussinger)....Pages 1103-1120
Immunsystem (P. E. Petrides, S. Ansorge)....Pages 1121-1158
Tumorgewebe (P. E. Petrides)....Pages 1159-1183
Back Matter ....Pages 1184-1271

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Kapitelubersicht

1 2 3 4 5 6

II

7 8 9 10 11 Ill

IV

19 20 21 22

Bausteine und Strukturelemente der Zelle Grundlagen der Lebensvorgange Kohlenhydrate, Lipide und Aminosauren Proteine (Polyaminosauren) Bioenergetik und Enzymologie Nucleotide und Nucleinsauren Zellulare Organellen und Strukturen: Ein Oberblick Uber die Zellbiologie Stoffwechsel der Zelle: Weitergabe und Realisierung der Erbinformation Replikation und Gentechnik Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen Viren Gendiagnostik und Gentherapie Stoffwechsel der Zelle: lntermediarstoffwechsel Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels Stoffwechsel von Glucose und Glycogen Stoffwechsel von Triacylglycerinen und Fettsauren Stoffwechsel der Aminosauren Der Citratzyklus Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung Koordinierung des Stoffwechsels Stoffwechsel der Zelle: Biosynthese von Speicher- und Baustoffen Biosynthese von Kohlenhydraten Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine Ham und Gallenfarbstoffe

3 5 23 57 103 141 169

207 209 243 267 301 331 373 375 395 433 461 519 531 557

581 583 599 629 649

-

1-

v 23 24

25 VI

26 27

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 VII

I--

c-~.

Stoffwechsel des Organismus: Bedeutung von Nahrungskomf)onenten Ernahrung Spurenelemente Vita mine

Stoffwechsel des Organism us: Spezifische Gewebe Binde- und Stutzgewebe Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen Endokrine Funktionen II: Zytokine Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe Funktion der Nieren und Regulation =-- des Wasser- und Elektrolythaushaltes Slut Muskelgewebe Gehirn und Nervengewebe Gastrointestinaltrakt ~=· Leber lmmunsystem Tumorgewebe ~

Anhang Haufige Abkurzungen Sachverzeichnis

671 673 697 721

751 753

789 813 837 865 909 975 1031 1053 1077 1103 1121 1159 1185

1187 1191

SPRINGER-LEHRBUCH

GEORG LOFFLER · PETRO

E. PETRIDES (Hrsg.)

Biochemie u d Pathobiochemie Siebte, vollig neu bearbeitete Auflage Mit 1036 iiberwiegend farbigen Abbildungen in 1272 Einzeldarstellungen und 218 Tabellen

fl

Springer

PROFESSOR DR. MED. GEORG LOFFLER

Institut fUr Biochemie, Genetik und Mikrobiologie Universitiit Regensburg UniversitiitsstraBe 31 93053 Regensburg email: georg.loeffler@ vkl. uni-regensburg.de

6. AUFLAGE Biochemie und Pathobiochemie Sechste, korrigierte Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1998 TiTEL DER

7. Auflage Springer Medizin Verlag Heidelberg

PROFESSOR

E. PETRIDES Hiimatologisch-onkologische Praxis am Isartor ZweibruckenstraBe 2 80331 Munchen email: petrides@ onkologiemuenchen.de DR. MED. PETRO

6. Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme Liiffler, Georg: Biochemie und Pathobiochemie: mit 218 Tabellen / Georg Liiffler ; Petro E. Petrides. - 7., viillig neu bearb.Aufl. - Berlin; Heidelberg; New York; Hongkong ; London ; Mailand ; Paris; Tokio : Springer, 2003 (Springer-Lehrbuch)

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere der Obersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Springer Science + Business Media springer. de © Springer. Verlag Berlin Heidelberg

1975,1979,1985,1988,1990,1997,1998, 2003 Ursprtinglich erschienen bei Springer Medizin Verlag Heidelberg 2003.

ISBN 978-3-662-06059-9 ISBN 978-3-662-06058-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-06058-2

Softcover reprint ofthe hardcover 7th edition 2003

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Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinn der Warenzeichenund Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Produkthaftung: Fiir Angaben iiber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewahr iibernommen werden. Derartige Angaben miissen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit iiberpriift werden. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Umschlagabbildung: eye of science, Reutlingen Zeichnungen: BITmap, Mannheim Herstellung: Ingrid Haas, Heidelberg Satz, Druck und Bindearbeiten: Appl, Wemding SPIN 11387343 15/3160-5432 1 Gedruckt auf saurefreiem Papier.

Vorwort zur 7. Auflage- - - - -

Der seit Jahrzehnten zu beobachtende Fortschritt der Biochemie, Molekularbiologie und Zellbiologie hat sich auch seit dem Erscheinen der 6. Auflage unseres Lehrbuches mit ungebrochener Dynamik fortgesetzt. Die mit dieser Entwicklung einher gehende gewaltige Zunahme des biochemischen Wissens zwingt die Autoren eines Lehrbuches der Biochemie und Pathobiochemie zu einer griindlichen Auseinandersetzung mit den moglichen Auswirkungen auf die medizinische Praxis. Diese sind mit einer Verbesserung des Verstandnisses pathobiochemischer Zusammenhange nur unzulanglich beschrieben. Biochemisches Wissen wirkt sich vielmehr direkt auf viele Aspekte der praktischen Medizin aus: so sind moderne diagnostische Verfahren ohne die Entwicklungen der Biochemie nicht vorstellbar. Wichtige Beispiele sind enzymatische Tests, Analyseverfahren auf der Grundlage von Antigen-Antikorperreaktionen sowie die Genanalyse. Auch die moderne Pharmakotherapie beruht auf vielen biochemischen Erkenntnissen. tiber die Moglichkeit hinaus, durch gentechnische Verfahren korpereigene biologisch aktive Proteine, Peptide oder Antikorper fUr therapeutische Zwecke herzustellen stehen immer mehr ,maBgeschneiderte" Agonisten oder Antagonisten fUr Enzyme und Rezeptoren zur Verfiigung. Beispiele hierfiir sind COX-2-Inhibitoren, ACE-Inhibitoren, die Statine, Protonenpumpen-Hemmer, (3- Rezeptorenblocker, Tyrosinkinase-Hemmstoffe oder AT-1-RezeptorAntagonisten. Mit der inzwischen fast abgeschlossenen Identifizierung des humanen Genoms ist schlieBlich ein wichtiger Schritt zur Charakterisierung der seltenen monogenen Erkrankungen erfolgt. Auf der anderen Seite hat der Versuch der Aufklarung der genetischen Grundlagen von haufigen Erkrankungen wie Typ II-Diabetes, Dyslipidamien, Hypertonien oder der Adipositas bisher gezeigt, dass an ihrer Entwicklung neb en Umweltfaktoren eine groBe Zahl von Genen beteiligt ist, deren Zusammenspiel noch vollig unklar ist. Es ist jedoch keine allzu gewagte Voraussage, dass in den nachsten Jahren biochemische Fortschritte auch hier die Vorstellungen uber die Pathogenese, Therapie und Pravention derartiger Erkrankungen verbessern werden. Die molekular orientierte medizinische Forschung der vergangenen Jahre hat au6erdem nicht nur Einblick in die komplexe genetische Organisation unseres Korpers erlaubt, sondern uns auch auf die extreme Individualitat des Menschen hingewiesen. Dies wird langfristig zu individualisierten Therapieformen fiihren. Auf dem Hintergrund dieser Entwicklungen war eine griindliche Oberarbeitung unseres Lehrbuches zwingend geboten, wobei es uns wichtig erschien, neben einer moglichst kompakten Darstellung des biochemischen Grundwissens medizinisch relevante Themen wie die molekularen Grundlagen der Regulation zellularer Aktivitaten sowie die spezifischen Leistungen von Geweben und Organ en vertieft zu behandeln. AuBerdem sollten die relevanten Beziige zur Pathobiochemie verstarkt bearbeitet werden. Dies machte eine Erweiterung des Sachverstandes und der Kompetenz durch Einbeziehung neuer Autoren fUr ausgewahlte Kapitel des Buches notwendig. Ihnen mochten wir an dieser Stelle ganz besonders fUr die Miihe und den Einsatz danken, die sie der Bearbeitung oder Neufassung der von ihnen iibernommenen Kapitel gewidmet haben. Vorwort zur 7. Auflage

V

Die bisherige Gliederung des Buches wurde mit geringgradigen Verschiebungen beibehalten und alle Kapitel einer grlindlichen Uberarbeitung unterzogen. Die ersten 6 Kapitel behandeln die Bausteine des Organismus, die Enzymologie und die Grundzlige der Zellbiologie. Die Kollegen Hasilik, Kalbitzer und Wiederanders haben wesentlich zur Aktualisierung dieses Teils beigetragen. Der Abschnitt ,Weitergabe und Aktualisierung der Erbinformation" wurde durch die Kollegen Hasilik, Modrow und Montenarh sehr grlindlich liberarbeitet und in weiten Teilen neu verfasst. Die folgenden 10 Kapitel beschreiben den Zellstoffwechsel.Als neue Bestandteile wurde ein Kapitelliber in vitro und invivo-Untersuchungsmethoden eingefligt, das dem Leser Informationen tiber die experimentellen Grundlagen der im Buch dargestellten Erkenntnisse liefern soil. Die Kollegen Brand und Stumvoll haben wichtige Anteile dieses Abschnittes neu gestaltet. Das Kapitel Ernahrung im folgenden Abschnitt tiber die Bedeutung von Nahrungskomponenten wurde durch den Kollegen Wolfram grlindlich bearbeitet und aktualisiert. Die letzten 13 Kapitel des Buches beschaftigen sich, dem Anspruch eines Lehrbuchs der Biochemie mit medizinischer Relevanz entsprechend, mit den Stoffwechselleistungen spezifischer Gewebe oder Organe. In Anbetracht der Wissenszunahme auf diesem Gebiet wurde ein Kapitelliber Zytokine neu eingefligt, das die Kollegen Heinrich, Schaper, Timmermann, Martens und Lehmann libernommen haben. Alle anderen Kapitel wurden intensiv liberarbeitet bzw. neu gefasst, woflir den Kollegen Ansorge, Bruckner, Bruckner-Tudermann, Deutzmann, FUrst, Gautel, Haring, Haussinger, Kellerer und Kurtz gedankt sei. Flir die Uberlassung der zahlreichen medizinhistorischen Fallbeispiele mochten wir Herrn Kollegen Bank! besonders danken, flir die Uberarbeitung der physikalisch-chemischen Abschnitte in den Kapiteln 1 und 4 Herrn Kollegen Lossen. Da es aufgrund des standig zunehmenden Wissenszuwachses flir den Anflinger immer schwieriger wird, sich in die komplexe biochemische Materie einzuarbeiten, haben wir die bisherigen didaktischen Konzepte liberarbeitet: jedes Kapitel ist mit einer Einleitung ausgestattet, die in die Bedeutung des Themas einflihrt, Zusammenfassungen der Inhalte der einzelnen Abschnitte finden sich in den Kernaussagen. Die am Ende jedes Kapitels zusammengestellten Schllisselbegriffe dienen der Selbstkontrolle des Lesers. Infoboxen innerhalb des Textes geben Hinweise auf Methoden, grundlegende Experimente oder medizinische Bezlige. Uberschriften in Satzform dienen wie bisher als Lernhilfe. Die mehrfarbigen Abbildungen sollen die Orientierung in den komplexen biochemischen Vorgangen erleichtern. Wie flir die vergangenen Ausgaben war auch flir diese der unermlidliche Einsatz und die Unterstlitzung der Lehrbuchabteilung des Springer-Verlages von gro6ter Bedeutung: ganz besonders mochten wir in diesem Zusammenhang Frau Ellen Blasig, Frau Ingrid Haas, Frau Anne C. Repnow und Frau Simone Spagele, danken. Frau Barbel Bittermann und ihrem Team sind wir fiir die graphische Umsetzung der 1036 Abbildungen zu gro6em Dank verpflichtet und schlie6lich Frau Dr. Osterkamp-Baust flir die Erstellung des umfangreichen Sachverzeichnisses. Auch flir diese Auflage waren die zahlreichen Hinweise und Verbesserungsvorschlage von Kollegen und Studenten eine gro6e Hilfe. Wir hoffen, mit dieser Darstellung der Biochemie und ihrer medizinischen Aspekte unseren Lesern nicht nur den geforderten Prlifungsstoff prasentiert zu haben, sondern in ihnen auch Interesse und Freude an diesem spannenden Fach wecken zu konnen. Georg Leffler, Regensburg · Petro E. Petrides, Mlinch en

VI

I

Vorwort zur 7. Auflage

Biographien

Georg Loftier

Petro E. Petrides

1935 geboren, studierte Medizin an der Universitat Miinchen. Nach der Promotion tiber die Regulation der Ketonkorpersynthese folgte eine dreijahrige klinische Tatigkeit bei Hans Peter Wolff in Homburg/Saar. AnschlieBend ginger als Oberassistent an das Biochemische Institut der gerade erOffneten Medizinischen Hochschule Hannover, wo auch die Habilitation fur Physiologische Chemie und Klinische Biochemie mit einer Arbeit tiber die Regulation der Lipolyse im Fettgewebe erfolgte. 1969 wurde er Leiter der Biochemischen Abteilung der von Otto Wieland und Helmut Mehnert gegriindeten Forschergruppe Diabetes in Miinchen, wo Arbeiten tiber die Regulation des Pyruvatdehydrogenasekomplexes und die Insulinsekretion im Vordergrund standen. Seit 1975 ist Georg Loffler am Institut fiir Biochemie, Genetik und Mikrobiologie an der Universitat Regensburg tatig, seit 1991 Inhaber des Lehrstuhls Biochemie Ill. Sein wichtigstes Arbeitsgebiet ist die Differenzierung des Fettgewebes und die Analyse sekretorischer Funktionen der Fettzelle.

geboren 1949 in Berlin, Medizinstudium in Freiburg und Miinchen, 1975 deutsches und amerikanisches Staatsexamen, Promotion mit einer biochemischen Arbeit bei 0. H. Wieland und Beginn der internistischen Ausbildung. Von 1978 bis 1980 Postdoktorand bei Medizinnobelpreistrager R.Guillemin am Salk-Institut fur Biologische Studien in La Jolla, anschlieBend Tatigkeit bei E. M. Shooter an der Medizinischen Hochschule Stanford in Palo Alto, Kalifornien. Von 1984 his 1998 am Klinikum GroBhadern der Ludwig-Maximilians-Universitat Miinchen, an dieser Fakultat Habilitation tiber akute Leukamien und Ernennung zum Professor fiir Innere Medizin mit Schwerpunkt Hamatologie und Onkologie. Seit 1998 Professor fur Innere Medizin auf Lebenszeit an der Charite der Humboldt-Universitat in Berlin und Leiter der onkologischen Ambulanz und Tagesklinik der Charite Campus Mitte. Im Jahre 2000 Aufgabe der Professur an der Humboldt-Universitat und Riickkehr nach Miinchen mit Einrichtung einer Schwerpunktpraxis fur Hamato-Onkologie und Griindung der InnovaMedBiotech, die sich mit der Erforschung myeloproliferativer Erkrankungen beschaftigt.

Biographien

VII

Prof. Dr. Siegfried Ansorge Institut fUr Medizintechnologie Magdeburg GmbH Leipziger Strage 44,39120 Magdeburg Prof. Dr. Bankl A. 0. Krankenhaus der Landeshauptstadt St. Polten Institut fur Klinische Pathologie Propst Fuhrer Strage 4, 3100 St. Polten,Austria Prof. Dr. C. M. Becker Institut fur Biochemie, Universitat Erlangen-Nurnberg Fahrstrage 17, 91054 Erlangen Prof. Dr. Ulrich Brandt lnstitut fUr Biochemie I, Zentrum der Biologischen Chemie Universitatsklinikum Theodor-Stern-Kai 7, Haus 25 B, 60590 Frankfurt Prof. Dr. Peter Bruckner Institut fUr Physiologische Chemie, Universitatsklinikum Munster Von Esmarch-Strage 58,48149 Munster Prof. Dr. Leena Bruckner-Tudermann Abteilung Dermatologie, Universitatsklinikum Munster Von Esmarch-Strage 58,48149 Munster Prof. Dr. R. Deutzmann Institut fur Biochemie, Genetik und Mikrobiologie, Universitat Regensburg Universitatsstrage 31,93053 Regensburg Prof. Dr. Dieter 0. Furst lnstitut fur Zoophysiologie und Zellbiolgie, Universitat Potsdam Villa Liegnitz, Lennestrage 7 a, 14471 Potsdam PD Dr. Mathias Gautel Abteilung Physikalische Biochemie Max-Planck-lnstitut fUr Molekulare Physiologie Postfach 50 02 47,44202 Dortmund Prof. Dr. H. U. Haring Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitat Tiibingen Otfried-Muller-Strage 10,70076 Tubingen Prof. Dr. Andrej Hasilik Institut fur Physiologische Chemie, Universitat Marburg Karl-von- Frisch-Stra6e 1, 35043 Mar burg

Beitragsautoren

IX

Prof. Dr. D. Haussinger Klinik fUr Gasteroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Medizinische Einrichtungen der Heinrich-Heine-Universitat Dusseldorf Postfach 10 10 07, 40001 Dusseldorf Prof. Dr. P. C. Heinrich lnstitut fUr Biochemie, Rheinisch-westfiilische Technische Hochschule Pauwelstra6e 30, 52074 Aachen Prof. Dr. H. R. Kalbitzer Lehrstuhl fUr Biologie III, Universitat Regensburg Universitatsstra6e 31,93053 Regensburg PD Dr. M. Kellerer Abteilung Inn ere Medizin IV, Medizinische Klinik und Poliklinik Universitat Tiibingen Otfried-Muller-Stra6e 10,70076 Tubingen Prof. Dr. A. Kurtz Lehrstuhl fUr Physiologie I, Universitat Regensburg Universitatsstra6e 2, 93053 Regensburg Dip!. Bioi. U. Lehmann Institut fur Biochemie, Rheinisch-westfalische Technische Hochschule Pauwelstra6e 30, 52074 Aachen Prof. Dr. Georg Loffler Institut fiir Biochemie, Genetik und Mikrobiologie, Universitat Regensburg Universitatsstra6e 31,93053 Regensburg Dr. A. S. Martens Institut fur Biochemie, Rheinisch-westfalische Technische Hochschule Pauwelstra6e 30,52074 Aachen Prof. Dr. Susanne Modrow Institut fur Medizinische Mikrobiologie und Hygiene Universitat Regensburg Franz-Josef-Strau6-Allee 11,93053 Reg ens burg Prof. Dr. M. Montenarh Institut fUr Medizinische Biochemie, Universitatskliniken des Saarlandes 66421 Homburg/Saar Prof. Dr. Petro E. Petrides Hamatologisch-onkologische Praxis am Isartor Zweibruckenstra6e 2, 80331 Munchen Priv.-Doz. Dr. F. Schaper Institut fiir Biochemie, Rheinisch-westfalische Technische Hochschule Pauwelstra6e 30, 52074 Aachen PD Dr. Michael Stumvoll Abteilung Inn ere Medizin IV, Medizinische Klinik und Poliklinik Universitat Tiibingen Otfried-Muller-StraJ3e 10,72076 Tiibingen

X

Beitragsautoren

Dr. A. Timmermann Institut fUr Biochemie, Rheinisch-westfalische Technische Hochschule Pauwelstra~e 30,52074 Aachen Prof. Dr. Bernd Wiederanders Institut fUr Biochemie I, Friedrich-Schiller-Universitat Nonnenplan 2, 07743 Jena Prof. Dr. Gunther Wolfram Lehrstuhl fur Ernahrungslehre, Technische Universitat Munch en Alte Akademie 16,85350 Freising/Weihenstephan

Beitragsautoren

XI

lnhaltsverzeichnis

3

1

Grundlagen der Lebensvorgiinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. LOFFLER

5

Biomolekiile, Zellen und Organism en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elemente in lebenden Systemen............................ Prabiotische Entstehung von Biomolekiilen mit funktionellen Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationsstufen biologischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 6

Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wasser als Losungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wasser als Reaktionspartner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolligative Eigenschaften von Losungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dissoziation von Wasser und pH-Wert...................... Sauren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Puffersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Saure-Basenkatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 9 12 12 14 16 18 20

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

Kohlenhydrate, Lipide und Aminosiiuren

23

P. E. PETRIDES UND

1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7

2

7

8

G. LOFFLER UND P. E. PETRIDES

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4

Kohlenhydrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifizierung und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monosaccharide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Disaccharide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oligosaccharide und Polysaccharide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 24 27 27

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6

Lipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifizierung und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fettsauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glycerolipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sphingolipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isoprenlipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lipide in wassrigen Losungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 35 36 39 39 42

2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4

Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifizierung und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proteinogene Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtproteinogene Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Saure-Basen-Eigenschaften von Aminosauren...............

46 46 46 50 51

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

lnhaltsverzeichnis

XIII

Proteine (Polyaminosiiuren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

P. E. PETRIDES UND

57

H. R. KALBITZER

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3

Klassifizierung und Eigenschaften von Proteinen . . . . . . . . . . . . Klassifizierung von Protein en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Peptidbindung . .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. Protonierungs-Deprotonierungsgleichgewichte in Proteinen .

58 58 59 60

3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3

Charakterisierung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isolierung von Proteinen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Bestimmung von Molekiilmasse und isoelektrischem Punkt . . Bestimmung von Aminosaurezusammensetzung und Aminosauresequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 64

3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4

Die raumliche Struktur der Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primarstruktur und Peptidbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundarstrukturen von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tertiarstruktur von Protein en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quartarstruktur von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 72 77 80

3.4

Faltung, Fehlfaltung und Denaturierung von Proteinen . . . . . . .

88

3.5

Methoden zur Strukturbestimmung von Proteinen . . . . . . . . . .

92

3.6 3.6.1 3.6.2

Synthese von Peptiden und Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chemische Peptidsynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gentechnische Proteinsynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94 94 95

3.7 3.7.1 3.7.2

Genomik und Proteomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Genomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proteinevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 96 97

68

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Bioenergetik und Enzymologie . .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. 103

4

G.LOFFLER UND

B. WIEDERANDERS

4.1 4.1.1 4.1.2

Thermodynamik und allgemeine Bioenergetik . . . . . . . . . . . . . . 104 Einfiihrung in die Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Energietransformation und Energiegewinnung in der Zelle... 108

4.2 4.2.1 4.2.2

Katalyse in biologischen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Allgemeine Enzymologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Enzymkinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

4.3 4.3.1 4.3.2

Klinische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Bedeutung der Enzymaktivitatsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Enzyme als Signalverstarker fiir diagnostische Verfahren . . . . . 126

4.4

Mechanismen der Enzymkatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

4.5

Mechanism en der Enzymregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Nucleotide und Nucleinsiiuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

5

G.LOFFLER

XIV

5.1 5.1.1 5.1.2

Nucleoside und Nucleotide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Aufbau von Nucleosiden und Nucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Funktionen von Nucleosiden und Mononucleotiden . . . . . . . . . 144

5.2

Zusammensetzung und Primarstruktur der Nucleinsauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

lnhaltsverzeichnis

5.3 5.3.1 5.3.2

Aufbau der DNA.......................................... 148 Die DNA-Doppelhelix ..................................... 148 Die Struktur des Chromatins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3

DNA als Trager der Erbinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mendel'schen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Funktion der Chromosomen ................... Prinzip der Informationsspeicherung in der DNA . . . . . . . . . . .

5.5

Struktur und biologische Bedeutung der RNA............... 158

5.6 5.6.1 5.6.2

Experimenteller Umgang mit Nucleinsauren . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Denaturierung und Renaturierung von Nucleinsauren . . . . . . . 161 Analyse der Basensequenzen von Nucleinsauren . . . . . . . . . . . . 162

153 153 154 156

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

6

Zelluliire Organellen und Strukturen: Bin Oberblick iiber die Zellbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 G. LOFFLER UND A. HASILIK

6.1 6.1.1

170

6.1.2 6.1.3 6.1.4

Aufbau eukaryoter Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organellen und Kompartimente im mikroskopischen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellulare Membranen ..................................... Membrantransport durch Membranproteine . . . . . . . . . . . . . . . . Vesikularer Membrantransport ............................

6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.2.7

Plasmamembran und intrazellulare Organellen . . . . . . . . . . . . . Die Plasmamembran ..................................... Zellkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das endoplasmatische Reticulum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Golgi-Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lysosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitochondrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peroxisomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182 182 186 188 191 192 195 198

6.3 6.3.1 6.3.2

Cytoskelett und intrazellulare Partikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Das Cytoskelett .......................................... 198 Intrazellulare Partikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

170 172 174 179

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

.............. 207 7

Replikation und Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 G. L6FFLER UND M. MoNTENARH

7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5

Der Zellzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der zeitliche Ablauf des Zellzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Regulation des Zellzyklus .............................. Substrate der Cyclin-abhangigen Proteinkinasen . . . . . . . . . . . . Wirkung exogener Faktoren auf den Zellzyklus .............. Apoptose oder der programmierte Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210 210 210 212 212 213

7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3

Die Replikation der DNA .................................. Das Prinzip der semikonservativen DNA-Replikation ........ Das Replikon als Grundeinheit der Replikation . . . . . . . . . . . . . . Fiir die Replikation benotigte Enzymaktivitaten .............

215 215 216 217

lnhaltsverzeichnis

XV

7.3 7o3o1 7o3o2

Veranderungen der DNA-Sequenz 0000000000000000000000000 224 Reparatur von DNA-Schaden 0000000000000000o0000000000000 225 Rekombination, Transposition und Retrotransposition 00000000000000000000000000000000000 227

7.4 7.401 7.402 7.403 7.4.4

Gentechnik 0000000000000000000000000000000000000000000000 229 Vektoren zum Einschleusen fremder DNA in Zellen 0000000000 229 Herstellung spezifischer DNA-Sequenzen 0000o oo0000000000o o 232 Gentechnik und Grundlagenwissenschaften 0000000000000000 236 Biotechnische Anwendungen der Gentechnologie 00000000000 238 Literatur 0000000000000000000000000000000000000000000000000 241

Transkription und posttranskriptionale Prozessierung derRNA o00 00000 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 ooo 00 00 00 000 00 00 00 0 243

8

GoLOFFLER UND MoMONTENARH 801 801.1 8ol.2 8ol.3 8ol.4

Mechanismus der Transkription 000000000000000000000000000 Pro- und eukaryote RNA-Polymerasen 000000000000000000000 Transkription bei Prokaryoten 00000000000000000000000000000 Transkription bei Eukaryoten 00000000000000000000000000000 Hemmstoffe der Transkription 00000000000000000000000000000

244 245 246 247 250

802 80201 80202 802.3 8o2.4 80205

Posttranskriptionale Modifikationen der primaren RNA-Transkripte 0000000000000000000000000000 Prozessierung der Transkripte der tRNA-Gene 00000000000000 Die Prozessierung der Transkripte fur ribosomale RNA 000000 Herstellung eukaryoter mRNA 00000000000000000000000000000 Der Export von RNA aus dem Zellkern 000000000000000000000 Abbau von mRNA 0000000000000000000000000000000000000000

251 251 251 251 255 256

8o3

Regulation der Transkription bei Prokaryoten 000000000000000 257

8.4 S.4o1 8.4o2 8.403

Regulation der Genexpression bei Eukaryoten 000000000000000 257 Aktivierung und Inaktivierung von Genen 000000000000000000 257 Regulation der Initiation der Transkription 00000000000000000 259 Aufbau und Wirkungsmechanismus von Transkriptions-regulierenden Faktoren 00000000000000000 260 Hemmung der Transkription 000000000000000000000000000000 262 Alternatives Splei:Ben 0000000000000000000000000000000000000 262 mRNA-Editing ooo000o oooooooooo0o ooo0o ooooooooo0000o ooooo 264

8.4.4 8.405 8.406

Literatur 0000000000000000000000000000000000000000000000000 265

Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen 0000000000000000000000000000000000000000000 267

9

AoHASILIK 9o1 9ol.1 9ol.2 9ol.3 9ol.4 9ol.5 9ol.6

Biosynthese von Proteinen 0000000000000000000000000000000o trberblick 000000000000000000000000000000000000000000000000 Der genetische Code 00000000o o000000000000000000000000000o Transfer-RNA's, Meisterstucke der Evolution 0000000000000000 Ribosomen und Polysomen 0000000000000000000000000000000 Mechanismus der Proteinbiosynthese 0000000000000000000000 Regulation der Proteinbiosynthese 00000000000000000000000. 0

268 268 270 272 275 277 281

9o2 9o2o1 9o2o2

Faltung, Transport und Modifikationen von Protein en 00000. 0 Faltung der Polypeptidketten 000000000000000000000000000000 Transport von Polypeptiden und Protein en durch Membranen 0000000000000000000000000000000000000000 Covalente Modifikationen von Proteinen

282 282

9o2o3 XVI

I

lnhaltsverzeichnis

286 289

9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4

Abbau von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifitat der Proteinasen ................................. Klassifizierung der Proteinasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionen von Proteinasen in verschiedenen Kompartimenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau von Proteinen in verschiedenen Kompartimenten .....

294 294 294 295 295

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

10

Viren ................................................... 301 S.MODROW

10.1

Aufbau und Einteilung der Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.2.6 10.2.7

Virusvermehrung und Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adsorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufnahme der Viruspartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freisetzung der Nucleinsaure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genexpression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genomreplikation ........................................ Morphogenese ........................................... Freisetzung der Nachkommenviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.3 10.3.1 10.3.2

Folgen der Virusinfektion fUr Wirtszelle und -organismus . . . . 318 Zellschadigung und Viruspersistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Tumorbildung durch Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

10.4 10.4.1 10.4.2

Diagnostik von Virusinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Direkter Virusnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Bestimmung der Immunantwort gegen Virusproteine . . . . . . . . 322

10.5 10.5.1 10.5.2

Prophylaxe und Thera pie von Virusinfektionen . . . . . . . . . . . . . 324 lmpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

304 306 307 310 31 0 314 315 317

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

11

Gendiagnostik und Gentherapie .......................... 331 P. E. PETRIDES

11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4

Genetische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse des menschlichen Genoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Identifizierung von Krankheitsgenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vererbung von Genen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vererbung mitochondrialer DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332 332 334 337 339

11.2 11.2.1

339

11.2.5 11.2.6 11.2.7

Genetische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haufigkeit der Erkrankungen und ihre medizinische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stabile Mutationen als Ursache vererbbarer und erworbener Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . Instabile oder dynamische Mutationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkung en von Mutationen auf die Struktur des Genproduktes oder die Genexpression . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellbiologische Folgen des Defektes des Genproduktes . . . . . . . Genotyp-Phanotyp-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pharmakogenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.3 11.3.1 11.3.2

Diagnostik genetischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Mutationsanalyse auf Proteinebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Mutationsanalyse auf DNA-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

11.2.2 11.2.3 11.2.4

339 340 344 346 353 356 356

lnhaltsverzeichnis

XVII

11.3.3 11.3.4 11.3.5 11.3.6 11.3.7

Ermittlung von Gentragern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reihenuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pranatale Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DNA-Fingerabdrucktechnik als forensische Methode . . . . . . . . Gendiagnostik mit Hilfe der Chiptechnologie . . . . . . . . . . . . . . .

360 361 363 363 365

11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3

Thera pie genetischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anderung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anderung des Genotyps (Gentherapie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herstellung von Vektoren fUr die Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . .

366 366 368 369

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

elle: lntermedilr

Ill

St

12

Methoden zur Analyse des Intermediiirstoffwechsels . . . . . . . 375

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

373

M. STUMVOLL, G. LOFFLER, P. E. PETRIDES

12.1.1 12.1.2 12.1.3

In-vitro-Methoden zur Untersuchung des Intermediarstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Untersuchung isolierter Organe und Gewebe ............ Untersuchungen an Einzelzellen ........................... Untersuchungen an subzellularen Organellen ...............

376 376 377 379

12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6

In-vivo-Methoden ........................................ In-vivo-Methoden mit Tracereinsatz ....................... Organbilanzuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrodialyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzip des,Clamps" als In-vivo-Untersuchungstechnik ..... Positronen-Emissions-Tomographie (PET) . . . . . . . . . . . . . . . . . Magnet-Resonanz-Spektroskopie (NMR) ...................

380 380 384 385 386 387 390

12.1

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

Stoffwechsel von Glucose und Glycogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

13

G.LOFFLER

13.1 13.1.1 13.1.2

Abbau der Glucose ........................................ 396 Die Glycolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Der Hexosemonophosphat-Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

13.2 13.2.1 13.2.2

Der Glycogenstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Glycogenbiosynthese ..................................... 404 Glycogenabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

13.3

Die Gluconeogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

13.4 13.4.1 13.4.2

Regulation von Glucoseaufnahme und -phosphorylierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Glucosetransportproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Bildung und Verbrauch von Glucose-6-phosphat ............ 413

13.5

Regulation des Glycogenstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

13.6 13.6.1

Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese .............. Induktion und Repression von Enzymen der Glycolyse und Gluconeogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allosterische Regulation von Schliisselenzymen der Glycolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allosterische Regulation der Gluconeogenese . . . . . . . . . . . . . . .

13.6.2 13.6.3 XVIII

I

lnhaltsverzeichnis

420 420 423 425

13.7 13.7.1 13.7.2

Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Erworbene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels ........ 427 Angeborene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels ....... 428 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

14

Stoffwechsel von Triacylglycerinen und Fettsiiuren . . . . . . . . 433 G.LOFFLER

14.1 14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4

Stoffwechsel der Triacylglycerine .......................... Funktionen von Triacylglycerinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intrazellularer Abbau der Triacylglycerine . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau von Triacylglycerinen in Lipoproteinen .............. Triacylglycerin-Biosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

434 434 434 436 437

14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4 14.2.5

Stoffwechsel der Fettsauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fettsaureabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese und Abbau der Ketonki:irper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese gesattigter Fettsauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese ungesattigter Fettsauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prostaglandine, Thromboxane und Leukotriene . . . . . . . . . . . . .

439 439 443 444 449 451

14.3

14.3.2

Regulation des Stoffwechsels von Fettsauren und Triacylglycerinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Regulation der Synthese und des Abbaus von Triacylglycerinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Regulation von Synthese und Abbau von Fettsauren . . . . . . . . . 457

14.4

Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459

14.3.1

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460

15

Stoffwechsel der Aminosiiuren ............................ 461 P. E. PETRIDES

15.1 15.1.1 15.1.2 15.1.3 15.1.4 15.2 15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.3 15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.3.6

Grundziige des Aminosaurestoffwechsels im Gesamtorganismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taglicher Umsatz der Aminosauren ........................ Zentrale Stellung der Leber im Aminosaurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des intrazellularen Aminosaurestoffwechsels . . . . Besondere Bedeutung von Pyridoxalphosphat als Coenzym im Aminosaurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel von Ammoniak bzw. der von ihm abgeleiteten Aminogruppe . . . . . . . . . . . . . . . . Grundziige des Ammoniakstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundziige des Stoffwechsels der Aminogruppen der Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ammoniakstoffwechsel von Leber, Gehirn und Nieren ....... Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau, Stoffwechselbedeutung und Pathobiochemie der essentiellen Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lysin, Methionin und Threonin ............................ Valin, Leucin und Isoleucin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phenylalanin, Tryptophan und das bedingt essentielle Tyrosin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Histidin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiegewinn beim Abbau der essentiellen Aminosauren

462 462 463 464 465 468 468 472 475 481 483 486 492 495 503 504

lnhaltsverzeichnis

XIX

15.4 15.4.1 15.4.2 15.5

Stoffwechsel der nichtessentiellen Aminosauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Biosynthese,Abbau und Stoffwechselbedeutung ............. 505 Energiegewinn beim Abbau der nichtessentiellen Aminosauren ......................... 513 Stoffwechsel der Aminosauren bei Nahrungskarenz .......... 513 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

Der Citratzyklus ......................................... 519

16

G.U:iFFLER

16.1 16.2 16.3 16.4

Stellung des Citratzyklus im Stoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reaktionsfolge des Citratzyklus ............................ Regulation des Citratzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amphibole Natur des Citratzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

520 521 526 527

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

17

U.BRANDT

532 532 537 542 544 544

17.1 17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.1.4 17.1.5

Energiewandlung in den Mitochondrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der oxidativen Phosphorylierung . . . . . . . . . . Elektronen- und Protonentransport in der Atmungskette ..... ATP-Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiebilanz der oxidativen Phosphorylierung . . . . . . . . . . . . . Kontrolle und Regulation der oxidativen Phosphorylierung . .

17.2 17.2.1 17.2.2

Oxidoreductasen ......................................... 547 Klassifizierung der Oxidoreductasen ....................... 547 Monooxygenasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

17.3

Oxidativer Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550

17.4 17.4.1 17.4.2 17.4.3

Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie von Sti:irungen im OXPHOS-System......... Angeborene Sti:irungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Degenerative Erkrankungen undAltern ....................

553 553 553 554

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555

Koordinierung des Stoffwechsels.......................... 557

18

G. LOFFLER UNO P. E. PETRIDES

18.1 18.1.1 18.1.2 18.1.3 18.1.4 18.2 18.2.1 18.2.2

XX

I

Nahrungszufuhr und Nahrungskarenz ..................... Speicherung von Nahrungsstoffen in der Leber, in der Skelettmuskulatur und im Fettgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . Die hormonelle Regulation der Substratspeicherung bei Nahrungszufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leber und extrahepatische Gewebe bei Nahrungskarenz . . . . . Die hormonelle Regulation der Substratmobilisierung bei Nahrungskarenz ......................................

558 558 562 564 567

Muskelarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 Stoffwechsel der Muskelzelle in Ruhe ....................... 569 Herkunft des fUr den Kontraktions-Relaxations-Vorgang beni:itigten ATP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570

lnhaltsverzeichnis

18.2.3

Mobilisierung der fUr Muskelarbeit benotigten Substrate . . . . . 572

18.3

Septischer Schock und multiples Organversagen . . . . . . . . . . . . 575 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578

................... 581

19

Biosynthese von Kohlenhydraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 G.LOFFLER

19.1 19.1.1 19.1.2 19.1.3 19.1.4 19.2 19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.2.5

Biosynthese und Stoffwechsel von Monosacchariden ........ Nucleosiddiphosphat-Monosaccharide als Ausgangspunkt fUr die Monosaccharidsynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel der Glucuronsaure............................ Stoffwechsel von Galactose,Mannose und Fucose ........... Stoffwechsel von Fructose undAminozuckern .............. Biosynthese der Heteroglykane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Prinzipien .................................... Biosynthese der Glycoproteine ............................. Biologische Bedeutung der Proteinglycosylierung sowie der Glycoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese von Hyaluronsaure und Proteoglykanen . . . . . . . . Penicillin und die Glycopeptidbiosynthese der bakteriellen Zellwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

584 584 585 586 588 591 591 592 593 594 595

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

20

Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 G.LOFFLER

20.1 20.1.1 20.1.2 20.1.3

Stoffwechsel der Phosphoglyceride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese der Phosphoglyceride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese von Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau der Phosphoglyceride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

600 600 603 605

20.2 20.2.1 20.2.2

Stoffwechsel der Sphingolipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 Biosynthese der Sphingolipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 Abbau der Sphingolipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607

20.3 20.3.1 20.3.2 20.3.3

Stoffwechsel der Isoprenlipide und des Cholesterins . . . . . . . . . Biosynthese des Cholesterins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel und Abbau des Cholesterins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Cholesterinbiosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.4

Lipide und Signalmolekiile ................................ 615

20.5 20.5.1 20.5.2

Transport der Lipide im Blut............................... 616 Aufbau der Lipoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 Stoffwechsel der Lipoproteine ............................. 619

20.6 20.6.1 20.6.2

Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 Pathobiochemie der Phosphoglyceride und Sphingolipide . . . . 624 Pathobiochemie des Lipoproteinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . 625

608 608 610 611

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628

lnhaltsverzeichnis

XXI

Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629

21

G.LOFFLER

630 630 633 635

21.1.5

Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden .......... Biosynthese von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden ..................... Biosynthese von Desoxyribonucleotiden .................... Regulation der Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden ...................... Hemmstoffe der Purin- und Pyrimidinbiosynthese ..........

21.2

Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen . . . . . . . . . . . 640

21.3 21.3.1 21.3.2

Abbau von Nucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Abbau von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Abbau von Pyrimidinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643

21.4 21.4.1 21.4.2

Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 Purinstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 Pyrimidinstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646

21.1 21.1.1 21.1.2 21.1.3 21.1.4

637 639

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647

Hiim und Gallenfarbstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649

22

P.

E. PETRIDES

650 650 650

22.1.4 22.1.5

Biosynthese des Hams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dbersicht tiber die Hambiosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelschritte der Hambiosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausscheidung von Porphyrin en und Porphyrinvorstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiebedarf der Hambiosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Hambiosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.2 22.2.1 22.2.2 22.2.3

Pathobiochemie: Storungen der Hambiosynthese . . . . . . . . . . . . Sideroblastische Anamie .................................. Angeborene Porphyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erworbene Porphyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

655 655 655 660

22.3 22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4

Abbau des Hams zu Gallenfarbstoffen ...................... Abbau zu Bilirubin ....................................... Nachweismethoden fiir Bilirubin im Blutplasma . . . . . . . . . . . . . Abbau des Bilirubins im Darm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hamoglobin- und Bilirubinumsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

661 661 662 664 665

22.4

Pathobiochemie: StOrungen des Bilirubinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Erworbene Hyperbilirubinamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Angeborene Hyperbilirubinamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666

22.1 22.1.1 22.1.2 22.1.3

22.4.1 22.4.2

652 654 654

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668

v

St B.

P.

23.1 23.1.1 23.1.2

I

hrungskompone: ·,

r·.•••••••••••••••••••••

671

Erniihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673

23

XXII

IJ rga nismus:

E. PETRIDES UND

G. WOLFRAM

Ernahrungsmedizin ...................................... 674 Die aktuelle Ernahrungssituation und ihre Folgen .......... 674 Konsequenzen fiir die Ernahrungsmedizin .................. 674

lnhaltsverzeichnis

23.2 23.2.1 23.2.2

Die Lebensmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Einteilung und gesetzliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Verarbeitung,Abbau und Resorption von Lebensmitteln ..... 676

23.3

Der Ernahrungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676

23.4 23.4.1 23.4.2 23.4.3 23.4.4

Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energieumsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden zur Messung des Energieumsatzes . . . . . . . . . . . . . . . Positive Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Negative Energiebilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

677

23.5 23.5.1 23.5.2 23.5.3 23.5.4 23.5.5

Einzelne Nahrstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kohlenhydrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lipide ................................................... Ethanol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ballaststoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

684 684 687 687 688 690

23.6 23.6.1 23.6.2 23.6.3 23.6.4 23.6.5

Nahrstoffzufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Referenzwerte fUr die Nahrstoffzufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollwertige Ernahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernahrung in besonderen Lebenssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . Alternative Ernahrungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kiinstliche Ernahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

690 690 690 692 692 693

677 680 681 682

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694

24

Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 P. E. PETRIDES

24.1 24.1.1 24.1.2 24.1.3 24.1.4 24.1.5

Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung der Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungsweise der Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel der Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Bedeutung der Spurenelemente ................... Bedarf an Spurenelementen ...............................

698 698 699 701 701 701

24.2 24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5 24.2.6 24.2.7 24.2.8 24.2.9 24.2.10 24.2.11 24.2.12 24.2.13

Die einzelnen Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eisen .................................................... Kupfer ................................................... Molybdan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kobalt ................................................... Zink . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mangan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fluor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selen .................................................... Cadmium ................................................ Blei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quecksilber ..............................................

702 702 709 712 713 713 714 714 716 716 717 717 718 718

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719

25

Vitamine ................................................ 721 G.LOFFLER

25.1 25.1.1 25.1.2 25.1.3

Allgemeine Grundlagen und Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . Definition und Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taglicher Bedarf an Vitaminen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

722 722 723 723

lnhaltsverzeichnis

XXIII

25.2 25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4

Fettlosliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Retinol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Calciferole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tocopherole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phyllochinone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

725 725 730 733 735

25.3 25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4 25.3.5 25.3.6 25.3.7 25.3.8 25.3.9

Wasserlosliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L-Ascorbinsaure........... ............................... Thiamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Riboflavin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niacin und Niacinamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pyridoxin ............................... ............... Pantothensaure ............................... ........... Biotin ............................... .................... Folsaure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cobalamin ............................... ................

737 737 738 739 740 741 742 743 744 746

25.4

Vitaminahnliche Substanzen .............................. 748 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749

St

s-

seldesO eGeweb

:us: 751

Binde- und Stiitzgewebe ............................... ... 753

26

R. DEUTZMANN, L. BRUCKNER-TUDERMAN, P. BRUCKNER

XXIV

26.1

Zusammensetzung der extrazellularen Matrix (ECM) ........ 754

26.2 26.2.1 26.2.2 26.2.3 26.2.4

Kollagene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fibrillare Kollagene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fibrillen-assoziierte Kollagene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtfibrillare Kollagene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Erkrankungen des Kollagen-Stoffwechsels . . . . . .

26.3

Elastin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762

26.4 26.4.1 26.4.2 26.4.3

Proteoglykane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aggrecan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kleine leucinreiche Proteoglykane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Membrangebundene Proteoglykane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

763 764 765 766

26.5 26.5.1 26.5.2 26.5.3

Nichtkollagene Glycoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fibronektin ............................... ............... Laminine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

766 766 768 769

26.6

Abbau der extrazellularen Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771

26.7 26.7.1 26.7.2

26.7.3 26.7.4 26.7.5 26.7.6

Biochemie und Pathobiochemie des Skelettsystems .......... Die extrazellulare Matrix von Knorpel und Knochen ......... Zellulare Bestandteile des Skelettsystems: Differenzierung und Aktivierung von Chondroblasten, Osteoblasten und Osteoclasten . . . . . . . . . Regulation des Knochenwachstums bis zur Pubertat ......... Homoostase des Skelettsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormonelle Regulation des Knochenstoffwechsels.......... . Knochenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26.8 26.8.1 26.8.2

Biochemie der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 Aufbau und Funktion der Haut ............................ 779 Die Epidermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779

I

lnhaltsverzeichnis

754 755 758 759 761

773 773

773 776 776 776 778

26.8.3 26.8.4 26.8.5

Die dermo-epidermale Junktionszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 Die Dermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 Pathobiochemie der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786

27

Endokrine Funktionen I: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 G.LOFFLER

27.1 27.1.1

Extrazellulare Signalmolekiile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Extrazellulare Signalmolekiile und die Kommunikation zwischen Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glandulare Hormone, Gewebshormone und Zytokine . . . . . . . . Einteilung extrazellularer Signalmolekiile nach ihren jeweiligen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

790 791

27.2 27.2.1 27.2.2 27.2.3 27.2.4

Stoffwechsel und Analyse von Hormonen und Zytokinen . . . . . Biosynthese und Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transport im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau und Ausscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden zur Konzentrationsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . .

792 792 793 793 793

27.3 27.3.1

795

27.3.2 27.3.3

Rezeptoren fiir Hormone und Zytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liganden-aktivierte Transkriptionsfaktoren als Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liganden-regulierte lonenkanale als Rezeptoren . . . . . . . . . . . . lntegrale Membranproteine als Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . .

27.4

Prinzip der Signaltransduktion von Membranrezeptoren ..... 799

27.5 27.5.1

Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung heterotrimerer G-Proteine fiir die Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren . . . . . . . . Rezeptoren, die an das Adenylatcyclasesystem gekoppelt sind ........................................... Rezeptoren, die an die Phospholipase C/3 gekoppelt sind......

27.1.2 27.1.3

27.5.2 27.5.3

790

791

795 796 797

800 800 801 803

27.6

Signaltransduktion von Tyrosinkinase-Rezeptoren und Rezeptoren mit assoziierten Proteinkinasen . . . . . . . . . . . . 806

27.7

Membrangebundene Guanylatcyclasen ..................... 808 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810

28

Endokrine Funktionen II: Zytokine ....................... 813 P. C. HEINRICH, F. SCHAPER, A. TIMMERMANN, A. S. MARTENS, U.LEHMANN

28.1

Zytokineigenschaften ..................................... 814

28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4

Einteilung der Zytokine ................................... Wachstumsfaktoren ...................................... Interleukine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interferone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chemokine ..............................................

814 814 816 816 816

28.3 28.3.1 28.3.2 28.3.3

Zytokin-Rezeptoren und Signaltransduktionswege . . . . . . . . . . Drei Rezeptorspezies ...................................... Rezeptoraktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekrutierung zytoplasmatischer Effektorproteine ...........

817 817 818 819

lnhaltsverzeichnis

XXV

28.4 28.4.1 28.4.2 28.4.3 28.4.4 28.4.5 28.4.6 28.4.7 28.4.8

Spezielle Signaltransduktionsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . PDGF-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TGF-/3-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interleukin-1-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TNF-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interleukin-6-Typ-Zytokin-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . Interferon-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interleukin-8-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notch-Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28.5 28.5.1 28.5.2

Regulation der Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 Rezeptor-Expression ...................................... 831 Riickkopplungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833

820 820 821 823 824 824 827 829 829

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835

29

Endokrine Funktionen III: Die schnelle Stoffwechselregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 G. LOFFLER, M. KELLERER, H. u. HARING

29.1 29.1.1 29.1.2 29.1.3 29.1.4 29.1.5

Insulin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese und Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plasmakonzentration und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biologische Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekularer Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

838 838 839 843 843 847

29.2 29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4

Glucagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese und Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biologische Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekularer Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

850 850 850 852 852

29.3 29.3.1 29.3.2 29.3.3 29.3.4 29.3.5

Katecholamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biosynthese und Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biologische Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekularer Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau ...................................................

853 853 853 855 856 857

29.4 29.4.1

Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859 Insulinmangel- Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864

30

Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysiires System und Zielgewebe . . . . 865 P. E. PETRIDES

30.1 30.1.1 30.1.2 30.1.3

Hypothalamisch-hypophysare Beziehungen ................. Hypothalamus ........................................... Hypophyse .............................................. Regulation von Hypothalamus und Hypophyse durch die Zielgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormone des Hypophysenmittel- und -hinterlappens . . . . . . . . . . Weitere Hormone des Hypothalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30.1.4 30.1.5 30.2 30.2.1 30.2.2 XXVI

I

867 867 868 868 869 869

Hypothalamus-Hypophysen-Schilddriisen-Achse ........... 871 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse ....................................... 871 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . 872

lnhaltsverzeichnis

30.2.3 30.2.4 30.2.5 30.2.6 30.2.7 30.2.8 30.2.9

Hormone der Schilddriise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transport der Schilddriisenhormone im Blut................ Periphere Aktivierung und Abbau von T4 und T3 • • • • • • • • • • • • Molekularer Wirkungsmechanismus der Schilddriisenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellulare Wirkungen der Schilddriisenhormone ............. Laborchemische Tests zur Bestimmung der Schilddriisenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

873 874 875 875 876 877 877

30.3

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden(Zona fasciculata- )Achse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.3.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.3.2 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse .............. 30.3.3 Hormone der Zona fasciculata der Nebennierenrinde . . . . . . . . 30.3.4 Transport des Cortisols im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.3.5 Abbau des Cortisols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.3.6 Molekularer Wirkungsmechanismus des Cortisols . . . . . . . . . . . 30.3.7 Zellulare Wirkungen des Cortisols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.3.8 Zusammenhange zwischen hypothalamisch-hypophysarer NNR-Achse und Immunsystem ............................ 30.3.9 Laborchemische Tests zur Bestimmung der Zona fasciculata-Funktion ............................. 30.3.10 Synthetische Glucocorticoidhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.3.11 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4 30.4.1

880 880 881 882 883 883 884 884 886 886 887 887

Hypothalamus-Hypophysen-Leydig/Sertoli-Zellachse . . . . . . . Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.2 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.3 Zielgewebe der Gonadotropine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.4 Transport der Androgene im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.5 Periphere Aktivierung oder Umwandlung von Testosteron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.6 Abbau der Androgene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.7 Molekularer Wirkungsmechanismus des Testosterons . . . . . . . . . . 30.4.8 Zellulare Wirkungen des Testosterons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.9 Synthetische Androgene undAntiandrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.10 Modulation der LH-Wirkung durch Prolactin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.11 Laborchemische Tests zur Bestimmung der Leydig-Zellfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.4.12 Pathobiochemie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

888

Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Uterus-Achse ............ Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.5.2 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . 30.5.3 Hormone des Ovars (Ostrogene und Progesterone) .......... 30.5.4 Transport der Hormone im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.5.5 Abbau der Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.5.6 Zyklische Aktivitat des Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Systems .............. 30.5.7 Molekularer Wirkungsmechanismus der Hormone . . . . . . . . . . 30.5.8 Zellulare Wirkungen der Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.5.9 Synthetische Progesterone, Ostrogene und Phytoostrogene . . . 30.5.10 Laborchemische Tests zur Bestimmung der Ovarfunktion . . . . 30.5.11 Weitere Hormone des Ovars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.5.12 Hormone der Placenta ....................................

894

30.5 30.5.1

888 889 889 891 891 892 892 892 892 892 893 893

894 895 895 896 897 897 900 900 902 903 903 903

lnhaltsverzeichnis

XXVII

3006 300601 300602 300603 30o6.4 30o6o5 300606 30o6o7

Hypothalamus-Hypophysen-Leber-Knochen-Achse 000 00 00 00 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse 0 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 00 00 0 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse 00 000 00 00 00 00 0 Hormone der Leber 0 000 o0 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 Transport der IGF's im Blut 00 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 Molekularer Wirkungsmechanismus der Somatomedine 0 000 00 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 Zellulare Wirkungen der IGF's 0 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 Pathobiochemie 0 00 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 00 00

904 904 905 905 906 906 906 906

Literatur 0 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 000 0 000 00 00 00 000 00 00 00 00 00 907

Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes 00 00 00 00 00 000 00 00 00 00 909

31

AoKURTZ

Die Niere 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 00 00 Durchblutung der Niere 0 000 00 00 00 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 0 Aufbau und Funktion der Glomeruli 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 0 Aufbau des Harnkanalsystems 00 0 00 000 00 00 000 00 00 00 00 00 000 0 Resorption von Elektrolyten und Wasser 00 00 00 00 000 00 00 00 00 0 Ausscheidung von Protonen und Hydrogencarbonat 00 00 000 00 Saure-Basen-Transport der Tubulusepithelien 00 000 00 00 00 00 00 Reabsorption von Monosacchariden, Peptiden und Aminosauren 000 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen 0 00 00 000 00 00 00 00 00 310108 Energiegewinnung in der Niere o0 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 00 00 31.1.9 31.1.10 Die Niere als endokrines Organ 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00

911 911 912 914 918 922 923

31.2 31.201 31.202 31.2.3 31.2.4

Der Endharn (Urin) 00 00 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 0 Eigenschaften des Urins 00 000 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 0 Chemische Zusammensetzung des Urins 000 0 000 00 000 00 00 00 0 Pathobiochemie des Urins 00 00 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 Harn- und Nierensteine 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 000 00 0 00 0

930 930 931 932 933

31.3 31.301 31.302 31.303

Der Wasserhaushalt 0 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 000 00 00 000 00 00 00 Wasserbilanz 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 00 00 000 00 000 00 00 00 00 0 Hormonelle Regulation des Wasserhaushaltes 00 00 000 00 00 000 Pathobiochemie des Wasserhaushaltes 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00

934 934 936 938

31.4 31.401 31.402 31.4.3

Der Natriumhaushalt 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 Natriumbilanzierung 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 0• 00 Hormonelle Regulation des Natriumhaushaltes 0 000 00 000 00 00 Pathobiochemie des Natriumhaushaltes 00 000 00 00 00 000 00 00 00

939 939 940 945

31.5 31.501 31.502

Der Kaliumhaushalt 00 00 00 00 000 00 00 000 00 00 000 00 00 000 00 00 00 947 Regulation des Kaliumhaushaltes 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 00 947 Pathobiochmie des Kaliumhaushaltes 00 000 00 00 00 000 00 00 000 0 948

31.6 31.601 31.6o2 310603

Der Calcium- und Phosphathaushalt 0 00 000 00 00 000 00 00 00 00 00 Calciumhaushalt 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 00 00 00 Phosphathaushalt 0 00 00 00 00 000 00 00 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 Hormonelle Regulation des Calciumunci Phosphatstoffwechsels 00 00 00 000 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 0 Pathobiochemie des Calciumunci Phosphathaushaltes 00 00 000 00 00 00 00 00 00 00 000 00 00 00 00 00

31.1 31.1.1 31.1.2 31.1.3 31.1.4 31o1o5 31.1.6 31.1. 7

31o6.4

31.7 31.701 31.702

XXVIII

I

923 925 925 926

949 949 951 953 958

Der Magnesium- und Sulfathaushalt 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 0 959 Magnesium 0o 00o o ooo00 o0 0o 00 0o 00o 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 959 Schwefel 00 o 000 o0 00 00 00 00 00 00 00 000 00 00 00 000 00 00 000 00 00 00 00 961

lnhaltsverzeichnis

31.8 31.8.1 31.8.2 31.8.3 31.8.4 31.8.5 31.8.6

Der Saure-Basen-Haushalt ................................ Notwendigkeit der Konstanthaltung der Protonenkonzentration................................ Entstehungvon Sauren im Stoffwechsel ..................... Verteilung der Protonen zwischen Intraund Extrazellularraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Puffersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Protonenkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie des Saure-Basen-Haushaltes . . . . . . . . . . . . . . .

961 961 962 964 964 965 968

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972

32

Blut ..................................................... 975 P. E. PETRIDES

32.1 32.1.1 32.1.2 32.1.3 32.1.4 32.1.5 32.1.6 32.1.7 32.1.8 32.1.9

Korpuskulare Elemente des Elutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976 Bildung im Knochenmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976 Thrombocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 977 Leukocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 Erythrocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988 Hamoglobin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 Erythrocyten-Antigene ................................... 1003

32.2 32.2.1

Nicht-respiratorische Funktion der Lungen ................. 1007 Pathobiochemie .......................................... 1008

32.3 32.3.1 32.3.2 32.3.3 32.3.4 32.3.5

Plasmaproteine .......................................... 1009 Konzentration, Biosynthese und Abbau von Plasmaproteinen ..................................... 1009 Trennung von Plasmaproteinen in Einzelfraktionen ......... 1010 Die einzelnen Proteinfraktionen des Serums ................ 1011 Funktionen der Plasmaproteine ............................ 1014 Pathobiochemie .......................................... 1015

32.4 32.4.1 32.4.2 32.4.3 32.4.4 32.4.5

Blutstillung .............................................. 1016 Vaskulare Blutstillung ..................................... 1017 Zellulare Blutstillung ..................................... 1017 Plasmatische Vorgange (Blutgerinnung) .................... 1018 Fibrinolyse .............................................. 1025 Pathobiochemie .......................................... 1026 Literatur ................................................. 1028

33

Muskelgewebe ........................................... 1031 P. E. PETRIDES, D. 0. FURST, M. GAUTEL

33.1 33.1.1 33.1.2

Feinstruktur der Muskulatur .............................. 1032 Die quergestreifte Muskulatur ............................. 1032 Die glatte Muskulatur ..................................... 1034

33.2 33.2.1 33.2.2 33.2.3

Die Proteine des kontraktilen Apparates .................... 1034 Myosin .................................................. 1034 Actin .................................................... 1036 Das Cytoskelett der quergestreiften Muskelzellen ............ 1036

33.3

Molekularer Mechanismus der Muskelkontraktion und -relaxation ........................................... 1039 Der Querbriickenzyklus ................................... 1039

33.3.1

lnhaltsverzeichnis

XXIX

33.3.2 33.3.3

Kopplung zwischen Erregung und Kontraktion .............. 1041 Molekularer Mechanismus der Muskelrelaxation ............ 1043

33.4

Regeneration der Muskelzelle .............................. 1045

33.5

Pathobiochemie: Angeborene und erworbene Muskelerkrankungen ........... 1046 Angeborene Muskelkrankheiten ........................... 1046 Erworbene Muskelkrankheiten ............................ 1050

33.5.1 33.5.2

Literatur ................................................. 1051

Gehirn und Nervengewebe ............................... 1053

34

P. E. PETRIDES UNO

c. M. BECKER

34.1 34.1.1 34.1.2

Stoffwechsel des Gehirns .................................. 1054 Energiestoffwechsel des Gehirns ........................... 1054 Blut-Hirn-Schranke und Liquor cerebrospinalis ............. 1055

34.2 34.2.1 34.2.2 34.2.3

Bauelemente des zentralen und peripheren Nervensystems ... 1058 Neurone und Synapsen ................................... 1058 Gliazellen und die Produktion von Myelinscheiden .......... 1059 Pathobiochemie der angeborenen peripheren Neuropathien ................................. 1060 Pathobiochemie der zentralen neurodegenerativen Erkrankungen ........................ 1061

34.2.4 34.3 34.3.1 34.3.2

Erregung und Erregungsleitung- Bioelektrizitat ............ 1062 Entstehung von Membranpotentialen ...................... 1062 Ionenkanalproteine ....................................... 1062

34.4 34.4.1 34.4.2 34.4.3 34.4.4 34.4.5 34.4.6 34.4.7

Signalubertragung von Neuron zu Neuron .................. 1065 Allgemeine Prinzipien .................................... 1065 Acetylcholin ............................................. 1068 Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin ..................... 1069 Glycin, y-Aminobutyrat (GABA) und Glutamat .............. 1070 Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5HT) ..................... 1071 Peptiderge Neurotransmitter .............................. 1073 Hormone des Gehirns: Melatonin .......................... 1074

34.5

Periphere Nervenregeneration ............................. 1075 Literatur ................................................. 1076

Gastrointestinaltrakt .................................... 1077

35

G.LOFFLER

XXX

35.1 35.1.1 35.1.2 35.1.3 35.1.4 35.1.5 35.1.6 35.1.7

Gastrointestinale Sekrete .................................. 1078 Speichel ................................................. 1078 Magensaft ............................................... 1078 Pankreassekret ........................................... 1081 Galle .................................................... 1083 Duodenalsekret .......................................... 1085 Regulation der gastrointestinalen Sekretion ................. 1085 Pathobiochemie .......................................... 1090

35.2 35.2.1 35.2.2 35.2.3 35.2.4 35.2.5

Verdauung und Resorption einzelner Nahrungsbestandteile .. 1091 Kohlenhydrate ........................................... 1092 Fette .................................................... 1093 Proteine, Peptide und Aminosauren ........................ 1096 Resorption von Wasser und Elektrolyten .................... 1097 Schicksal der Nahrungsstoffe im Colon ..................... 1100

I

lnhaltsverzeichnis

35.3

Das Immunsystem des Intestinaltraktes .................... 1100 Literatur ................................................. 1102

36

Leber ................................................... 1103 G. LOFFLER UND D. HAUSSINGER

36.1 36.1.1 36.1.2

Die zellularen Bestandteile der Leber und ihre anatomischen Beziehungen ....................... 1104 Funktion und Aufbau der Leber ............................ 1104 Zusammensetzung der Leber .............................. 1104

36.2 36.2.1 36.2.2

Funktionen der Leberparenchymzellen ..................... 1105 Funktionen im Intermediarstoffwechsel .................... 1105 Biotransformation ........................................ 1109

36.3 36.3.1 36.3.2

Die Leber als Ausscheidungsorgan ......................... 1113 Die Bedeutung der Hepatocyten bei der Gallebildung ........ 1113 Die Funktion der Cholangiocyten bei der Gallebildung ....... 1116

36.4

Funktionen der Nichtparenchymzellen der Leber ............ 1116

36.5 36.5.1 36.5.2

Pathobiochemie .......................................... 1117 Toxische Leberzellschadigung ............................. 1117 Gallensteine ............................................. 1119 Literatur ................................................. 1120

37

Immunsystem ........................................... 1121 P. E. PETRIDES UND

S. ANSORGE

37.1

Angeborene oder unspezifische Immunantwort ............. 1122

37.2 37.2.1 37.2.2

Molekulare lnstrumente der adaptiven Immunantwort ...... 1123 Chemische Natur von Antigenen ........................... 1123 Das HLA-System als Instrument der Antigenprasentation .................................. 1124

37.3

Die zellularen Komponenten des adaptiven Immunsystems ............................. 1127

37.4 37.4.1 37.4.2

T-Lymphocyten .......................................... 1130 Molekularer Mechanismus der T-Zell-Aktivierung ........... 1130 Cytotoxische T-Zellen in der adaptiven Immunantwort ...... 1133

37.5 37.5.1 37.5.2

Antikorper und Antigenrezeptoren von B-Lymphocyten ..... 1135 Aufbau und Vorkommen von Antikorpern .................. 1135 Entstehung der Antikorpervielfalt .......................... 1140

37.6 37.6.1 37.6.2

B-Lymphocyten .......................................... 1143 Reifung und Aktivierung von B-Lymphocyten .............. 1143 Antiseren und monoklonale Antikorper .................... 1146

37.7

Komplementsystem ...................................... 1148

37.8

Wechselwirkungen zwischen unspezifischer und spezifischer Immunantwort ........................... 1151

37.9 37.9.1 37.9.2

lmmunabwehr von Mikroorganismen ...................... 1152 Bakterienabwehr ......................................... 1152 Virusabwehr ............................................. 1154

37.10 Pathobiochemie .......................................... 1154 37.10.1 Immundefekte ........................................... 1154 37.10.2 Allergien ................................................ 1155 lnhaltsverzeichnis

XXXI

37.10.3 Autoimmunkrankheiten .................................. 1156 37.10.4 Transplantatabsto6ungen ................................. 1157

Literatur ................................................. 1158

Tumorgewebe ........................................... 1159

38

P.

E.

PETRIDES

38.1

Fehlregulation des Wachs turns und der Differenzierung bei Tumoren ............................................. 1160

38.2

Tumorentstehung (Cancerogenese) ........................ 1161

38.3 38.3.1 38.3.2 38.3.3

Onkogene ............................................... 1161 Identifizierung von Onkogenen ............................ 1161 Funktion von Onkogenen ................................. 1161 Protoonkogenaktivierung durch Mutationen ................ 1163

38.4 38.4.1 38.4.2 38.4.3

Antionkogene ............................................ 1163 Identifizierung von Antionkogenen ........................ 1163 Funktionen von Antionkogenen ........................... 1166 Inaktivierung von Antionkogenen durch Mutation en ........ 1168

38.5

38.5.1 38.5.2 38.5.3

Kumulative Aktivierung von Onkogenen und Inaktivierung von Antionkogenen beim Mehrschrittprozess der Tumorigenese ........................................ 1169 Familiare adenomatose Polyposis (FAP) .................... 1169 Hereditare nicht-polypose colorektale Tum oren ............. 1170 Sporadische colorektale Tumoren .......................... 1170

38.6

Entstehung von Fusionsgenen durch Translokationen ........ 1173

38.7 38.7.1 38.7.2 38.7.3

Mechanism en der Invasion und Metastasierung ............. 1175 Invasion und Metastasierung .............................. 1175 Wechselwirkungen von Tumorzellen mit der extrazellularen Matrix ............................. 1176 Bedeutung von Proteinasen fur Invasion und Metastasierung . 1176

38.8 38.8.1 38.8.2

Tumorentstehung durch Cancerogene ...................... 1177 Chemische Cancerogenese ................................ 1177 Physikalische Cancerogenese .............................. 1179

38.9

Stoffwechsel von Tumorgeweben ........................... 1179

38.10

Diagnostik von Tum oren .................................. 1179

38.11

Krebstherapie ............................................ 1180

38.12

Gentherapeutische Ansatze bei Krebserkrankungen ......... 1181 Literatur ................................................. 1183

VII

Anhang

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1185

Hiiufige Abkurzungen .................................... 1187 Sachverzeichnis ......................................... 1191

XXXII

I

lnhaltsverzeichnis

Zur Didaktik

Das vorliegende Buch stellt die fiir die Biochemie und Pathobiochemie wichtigen Fakten kurz und ubersichtlich dar. Die folgenden Symbole sollen den Lesern zur besseren Orientierung dienen und das Lernen erleichtern.

Kurze Einfiihrung in das jeweilige Kapitel

Merksatz

Box mit wichtigen Zusatzinformationen

Liste wichtiger Begriffe zur Lernkontrolle

! IMP ist der Ausgangspunkt

fOr die Biosynthese von AMP und GMP.

Dberschriften in Satzform als Leitlinie

Didaktik

XXXIII

Vorbemerkungen

MaBeinheiten Die IFCD (International Federation for Clinical Chemistry) und die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) haben gemeinsame Empfehlungen zur Vereinheitlichung von MaBeinheiten verabschiedet, die sog. SI-Einheiten. Das MaBsystem basiert auf den Grundeinheiten Meter (m), Kilogramm (kg), Sekunde (s), Ampere (A), Kelvin (K) und Mol (mol). Die Einheiten fiir Flache, Vol urn en, Kraft, Druck und Konzentration werden von diesen Grundeinheiten abgeleitet.

Symbole fUr SI-Einheiten Vorsatzzeichen (Prafixe) vor SI-Einheiten M k h d c m [! n p

Mega Kilo Hekto Dezi Centi Milli Mikro Nano Pi co

106 103 102 10-1 10-2

10-6 10-9 10-12

Meter Dezimeter Zentimeter Millimeter Mikrometer Nanometer

Zeit t Tag Stunde Minute Sekunde Millisekunde Mikrosekunde

d h min s ms ms

ml [!l nl

Kilogramm Gramm Milligramm Mikrogramm Nanogramm Picogramm

Stoffmenge n mol mmol [!IDOl nmol pmol

Mol Millimol (lo- 3 Mol) Mikromol (lo- 6 Mol) Nanomol (lo- 9 Mol) Picomol (l0- 12 Mol)

M=fl!_ n

molare Masse, Molmasse (friiher Molekulargewicht) Dalton 103 D Zahl der Basen in einer Nucleinsaure 10 3 B

D = gmol- 1 kD B kB

KraftF N = mkg s- 2 Newton

Druckp

Volumen V dm 3 cm 3 mm 3 [!ill3

kg g mg [!g ng pg

10-3

Langel m dm em mm [!ill nm

Massem

Liter Milliliter Mikroliter Nanoliter

Pa=Nz m bar= 10 5 Pa mbar =hPa Torr= 133 Pa

Pascal Bar Millibar= Hektopascal "' 1 mm Hg-Saule Vorbemerkungen

XXXV

Solange von einer Substanz S die molare Masse nicht bekannt ist, sollte ihr Gehalt in einer Losung als Massenkonzentration (;J(S) = m(S)/V (Losung) angegeben werden. 1st M bestimmt worden, soli die Stoffmengenkonzentration c(S) = n(S)IV (Losung) angegeben werden. Mit M = m/n ergibt sich folgende Umrechnung: c(S) = _!!_[_§_L = V(Lsg.)

m(S) M(S) x V(Lsg.)

Einheiten fiir f) g/1 mg/1 = g/m 3 r.tg/1 = mg/m 3

f)(S) M(S)

Einheiten fiir c mol/! mmol/1 = mol!m 3 r.tmol/1 = mmol/m 3

Angaben in g%, g/100 ml, mg/100 ml sowie mol%, mol/1, mval/1 oder aq/1, maq/1 sollten nicht mehr verwendet werden.

Reaktionsschemata Es bedeuten: A?B Hin- und Rtickreaktion werden von verschiedenen Enzymen katalysiert. A Abb.l.l), die dadurch zustande kommen, dass elektronegative Atome wie Sauerstoff, Schwefel oder Stickstoff mit Kohlenstoff oder Wasserstoffatomen polare und damit reaktionsfahigere Atombindungen eingehen. Von besonderer Bedeutung sind folgende funktionelle Gruppen:

Der Student Stanley Miller fiillte im Jahre 1953 im labor von Harold Urey ein Gasgemisch aus NHJ, CH~, Wasserdampf, H2, C02 und HCN in einen Glaskolben und setzte dieses Gemisch bei 80 "C mehr als eine Woe he lang standigen elektrischen ladungen aus. Mit dieserVersuchsanordnung wollte er die Uratmosphare unseres Planeten vor mehr als 4 Milliarden Jahren imitieren und ging dabei von Annahme aus. dass zu dieser Zeit relativ hohe Temperaturen und permanente

ho -cr "oH

-c-

- OH

Carboxyl

carbonyl

Hydroxyl

0 II

- P-OH

I

OH

Phosphoryl

0 II

Carboxylgruppe. Die Elektronegativitat des Sauerstoffatoms bewirkt eine Polarisierung der OH -Gruppe, die deshalb ihr Proton leicht abgeben kann, wobei die negativ geladene Carboxylatgruppe entsteht. Carbonyl- oder Ketogruppe. Durch die starke Elektronegativitat wird die Ladung zum Sauerstoffatom gezogen und die Bindung stark polarisiert. Damit ki:innen auch benachbarte Gruppen polarisiert und reaktionsfahiger werden. So sind die im Stoffwechsel vorkommenden a-Ketocarbonsauren Pyruvat, aKetoglutarat, Oxalacetat besonders reaktionsfahig. Carbonsauren, bei denen die Ketogruppe in ,8-Stellung steht, neigen zur spontanen Decarboxylierung. Hydroxylgruppe. Die Hydroxylgruppe enthalt die polare OH-Bindung, die wesentlich reaktionsfreudiger ist, als C-H-Bindung, da sie wie Wasser Protonen aufnehmen und abgeben kann.

NH

II

- c-

- NH 2

Imino

Amino

0

II -C-0-R

R-0 - R'

- SH

Ester

Ether

Sulfhydryl

Abb. 1.1. Funktionelle Gruppen von Biomoleklilen 1.1 Biomolekiile, Zellen und Organismen

7

1 tion, gelegentlich werden jedoch auch radikale Mechanismen beniitzt. ._ Viele Makromolekiile verfiigen iiber sehr spezifische Aggregationsmechanismen, sodass aus ihnen supramolekulare Assoziate wie Multienzymkomplexe, Ribosomen, Chromosomen, Membranen u. a. entstehen. ._ Diese bilden schlieBlich die Grundlage fiir die Bildung von Zellen als den allgemeinen Bausteinen aller lebender System e.

elektrische Ladungen in der Atmosphare herrschten.Unter dieser Behandlung entstanden Hunderte von organischen Verbindungen,z. B. 10 der natOrlich vorkommenden Aminosauren, Mono-, Di- und Tricarbonsauren, Formaldehyd, Adenin,Zucker und sogar Nucleotidpolymere. In jiingerer Zeit hat Gunter Wachtershauser die Annahme vertreten, dass Biomolekiile moglicherweise bei noch hoheren Temperaturen an Eisensulfid-Oberflachen entstanden sind, die als Katalysatoren gewirkt haben.ln Modellversuchen konnte jiingst die Synthese von Pyruvat aus Formiat in derartigen Systemen nachgewiesen werden. lnsgesamt zeigen diese Versuche, dass die einfachen Bausteine lebender Systeme ohne weiteres abiotisch gebildet werden konnen.

Zellen sind die morphologische Einheit aller modernen Organismen.

1.1.31 Organisationsstufen

biologischer Systeme

Die verschiedenen Organisationsstufen biologischer Systeme sind in Abb. 1.2 dargestellt. ._ Mikromolekiile wie Aminosauren, Glucose, andere Zucker, Fettsauren u. a. entstehen aus den niedermolekularen Bausteinen. ._ Die polymeren Makromolekiile entstehen durch Kombinationen der Mikromolekiile. Ihre Synthese erfolgt ganz iiberwiegend als Kondensationsreak-

Der Ubergang von der prabiotischen zur biotischen Ara geschah vermutlich vor etwa 3,5 Milliarden Jahren. Ein entscheidender Vorgang hierbei war das Auftreten von Membranvesikeln, durch die ein intravesikularer Reaktionsraum vom extrazellularen Raum abgetrennt wurde. Der intrazellulare Reaktionsraum erlaubte die Konzentrierung der in ihm enthaltenen Verbindungen, erleichterte deren Reaktivitat und damit die Moglichkeiten zur Polymerisierung und bot schlie6lich eine Moglichkeit, unerwiinschte Verbindungen fernzuhalten. Man nimmt an, dass im Verlauf der Evolution der Organismen aus einem Progenoten die Vielzahl der heute lebenden Organismen entstanden ist. Durch Vergleich von Makromolekiilen, vor allen Dingen von RNA, ist es moglich, einen Stammbaum der verschie-

t

Zellorg~nellen

Keme, Mitochondrien, Golgi-Apparat

t Supramolekulare Assoziate (Partikelgewicht: 106 - 1010 )

Multienzymkomplexe, Ribosomen, Chromosomen, Membranen, Mikrotubuli, Proteasom

Makromolekule (Molekulargewicht: 104 - 109 )

Proteine

Nucleinsauren

Polysaccharide

Monomereinheiten (Molekulargewicht: 100 - 800)

Aminosliuren

Nucleotide

Monosacch~ ride

Mikromolekiile (Molekulargewicht: 100 - 250)

20 Aminosauren

i i

i

Niedermolekulare Vorstufen (Molekul~rgew1Cht.18- 44) Abb. 1.2. Hierarchische Organisation biologischer Strukturen (Molekulargewicht in D) 8

1 Grundlagen der Lebensvorgange

Glucose

Triacylglycerine

Phospholipide

1 denen Lebensformen aufzustellen ( Abb.l.3). Dieser Stammbaum hat drei Hauptaste, die Bakterien, die den Bakterien verwandten Archaeen sowie die Eukaryoten. Bakterien und Archaeen gehoren zu den sog. prokaryoten Organismen. Diese sind Einzeller mit einer relativ einfachen Struktur, deren DNA nicht in einem Zellkern kondensiert ist, sondern als ringfOrmiges Chromosom im Cytosol vorliegt. Auch andere subzellulare Organellen sind nicht oder nur ansatzweise bei Prokaryoten nachzuweisen. Eukaryote Zellen sind im Gegensatz zu den prokaryoten wesentlich groBer und enthalten intrazellulare Organellen wie den Zellkern, Mitochondrien, endoplasmatisches Reticulum und Golgi-Apparat sowie bei photosynthetischen Zellen die Chloroplasten (S.104). Zu den Eukaryoten gehoren zahlreiche Einzeller, Flagellaten und Ciliaten, Hefen, Schleimpilze aber auch die hoheren Pflanzen und Tiere.

Die Reiche des lebens Mitzunehmender Akzeptanz der Evolutionstheorie von Charles Darwin wurde immer klarer,dass sich die aus morphologischen Kriterien abgeleitete Verwandtschaftder Arten auch molekular nachweisen lassen miisste.Carl Woese ging von dem Gedanken aus,dass sich dies am ehesten an Hand von Makromolekulen mit essentieller Funktion fiir aile Lebensformen nachweisen lassen musste und schlug ribosomale RNA hierfurvor. Mit einer aufdieser Idee basierenden Methodik wurde der in der Abbildung aufS. 10 dargestellte Stammbaum der verschiedenen Lebensformen von Karl Otto Stetter und H. Huber zusammengestellt.Offensichtlich stammen aile Lebensformen . erste Verzweigung von einem gemeinsamen Vorlaufer ab Die des Stammbaums trennt Bakterien von Archaeen, von diesen haben sich dann die Eukaryoten abgetrennt,deren Evolution schlieBiich zu vielzelligen Pflanzen undlieren mit verschiedenen Organen fiihrte.Thermophile Organismen,deren Wachstumsoptimum bei 80 "C und daruber liegt,finden sich in der Nahe der ersten Verzweigung.Moglicherweise ist dies ein Hinweis dafur,dass die friihesten Organismen an ein wesentlich heiBeres Klima adaptiertwaren.

KERNAUSSAGEN ~

25 Elemente des Periodensystems sind fiir den Aufbau lebender Strukturen notwendig. Neben den v. a. als Ladungstrager dienenden Meta lien Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium sind zum Aufbau lebender Strukturen Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel notwendig. Dei se bilden die sog. Mikromolekiile, aus den en durch Kondensationsreaktionen Makromolekule wie Nucleinsauren, Proteine,

~

Saccharide und lipide hervorgehen. Diese aggregieren zu iibergeordneten Strukturen, welche die Bauteile von Zellen als den allen Lebensformen zugrundeliegenden Grundeinheiten bilden. Die Lebensformen unseres Planeten lassen sich aufgrund von Verwandtschaftsuntersuchungen in die drei Reiche Bakterien, Archaeen und Eukaryote einteilen. Nur bei den Eukaryoten ist die DNA als informationstragendes MolekUI im Zellkern lokalisiert,auBerdem verfiigen eukaryote Zellen uber eine gr6Bere Zahl zellularer Organellen, die ihnen die Kompartimentierung von lebensvorgangen ermoglichen. Eukaryote haben schlieBiich als einzige die Fahigkeit, vielzellige Organismen mit unterschiedlich differenzierten Zellen zu bilden.

1.2 1Wasser Ohne Wasser sind die uns bekannten Lebensformen nicht vorstellbar. Diese Bedeutung des Wassers fiir das Leben beruht auf einer Reihe von sehr spezifischen Eigenschaften dieses Molekiils

1.2.1 I Wasser als Losungsmittel Wasser ist keine typische Fli.issigkeit. Im Vergleich zu anderen Dihydriden wie H2S oder H2Se weist Wasser eine hohere Schmelz- und Siedetemperatur auf als seiner Stellung im Periodensystem entspricht, was ihm eine Reihe besonderer physikalischchemischer Eigenschaften verleiht: Es besitzt mit 1 cal (4,186 J)/Grad x Gramm nach Ammoniak die hochste spezifische Warme oder Wiirmekapazitiit. Damit kann Wasser eine relativ groBe Warmemenge zugefiihrt oder entzogen werden, ohne dass sich seine Temperatur wesentlich andert. Fiir den menschlichen Organismus ist diese hohe Warmekapazitat deshalb wichtig, da im Stoffwechsel standig Warme erzeugt wird, die zur Konstanthaltung der Korpertemperatur von Wasser aufgenommen wird und schlieBlich abgefiihrt werden muss. Warmekapazitat~

Durch eine zweite thermische Eigenschaft, die hohe Verdunstungswiirme, kann durch Verdunstung von Wasser War me abgeben werden, was z. B. besonders bei Muskelarbeit an Bedeutung gewinnt.

Verdunstungswarme~

Polaritat~ Wasser ist ein polares Molekiil ( Abb.l.4). Der 0-H-Abstand betragt 0,958 A, der Winkel zwischen den beiden OH-Bindungen betragt 104,5°. Im Wassermolekiil tragt das Sauerstoffatom eine negative,

1.2 Wasser

9

1 Eukarya

Nematoda

Invertebrata

Euglenozoa

Diplomonades Amoebo·Fiagellates

Bacteria

HighG+C Gram positiv

Clostridia Micro sporidia

Desulfotomaculum

Dictyoglomus Thermoproteus Pyrococcus Thermococcus Methanobacterium

chaea

Methanothermus -._..-- Archaeoglobus/Ferroglobus

pyrus Methamr coccales

Vibrio (Cholera)

Halo· bacteriales Methanoplanus Methanomicrobium Methanosarcina

Thermoplasma Low GC Gram positiv (Bacillus, Mycoplasma, lactobacillus) Abb. 1.3. Aus RNA-Analysen abgeleiteter Stammbaum der Lebensformen der Erde. Von einem wenig definierten gemeinsamen Vorfahren zweigen zunachst die Bakterien, danach Archaeen und Eukaryote ab. Thermophile

0

Abb. 1.4. Atomare Struktur des Wassermolekiils

10

1 Grundlagen der Lebensvorgange

Organismen (rot) gehoren zu den frUhesten Lebensformen, was RUckschiUsse auf die frUhen Lebensbedingungen ermoglicht.(Freundlicherweise zurVerfUgung gestellt von K. O.Stetter und H. Huber, Regensburg)

die beiden Wasserstoffatome je eine positive Partialladung. Diese Polaritat des Wassermolekiils hat fur biologische Systeme ganz besondere Bedeutung. Aufgrund ihrer Polaritat orientieren sich benachbarte Wassermolekiile so, class die H-Atome mit der positiven Partialladung sich zu den benachbarten 0Atomen mit der negativen Partialladung orientieren. Daraus erg eben sich geordnete Strukturen, die z. B. bei der Kristallstruktur von Eis besonders augenfallig sind. Diese Bindungen heiBen Wasserstoffbriickenbindungen.

1 ! Wegen der Polaritat von Wasser gewinnen lonen

in Losungen Hydratationshiillen und konnen sich unabhangig voneinander bewegen. Hydratationshiillen ... Wegen seiner Polaritat Josen sich Ionenkristallgitter gut in Wasser. Dabei orientieren sich die geladenen Dipole der umgebenden Wassermolekiile entsprechend der Ladung der jeweiligen Ionen, was zur Ausbildung von Hydratationshiillen fiihrt. Dadurch konnen sich die geladenen Teilchen unabhangig voneinander bewegen, was u. a. eine der Voraussetzungen fiir die durch Natrium- und Kaliumionen vermittelte Erregungsleitung in biologischen Membranen ist. Hydratationsradius ... Fiir biologische Eigenschaften eines Ions wie Diffusionsgeschwindigkeit oder Permeationsvermiigen ist der Hydratationsradius entscheidend. Wahrend der Atomradius von Kalium (0,133 nm) groBer ist als der von Natrium (0,098 nm), sind GroBenverhaltnisse der Hydratationsradien der beiden Ionen (0,17 nm fiir Kalium und 0,24 nm fiir Natrium) genau umgekehrt. Deshalb konnen Kaliumionen die meisten biologischen Membranen besser permeieren als Natriumionen.

! WasserstoffbrUckenbindungen verschaffen als

Bindungen mit geringer Energie Makromolekiilen Flexibilitat ihrer raumlichen Anordnung. Allgemeiner formuliert handelt es sich bei Wasserstoffbriickenbindungen urn elektrostatische Anziehungskriifte, die zwischen einem Wasserstoffatom, das an ein stark elektronegatives Atom (in biologischen Systemen fast immer Stickstoff oder Sauerstoff) covalent gebunden ist und dadurch positiv polarisiert wird, und einem weiteren elektronegativen Atom mit einem freien Elektronenpaar wirken ( Abb.l.S). Je nachdem ob das Wasserstoffatom und das andere elektronegative Atom zum gleichen oder zu verschiedenen Molekiilen gehoren, wird zwischen intra- und intermolekularen H-Briicken unterschieden. AuBer im Wasser kommen diese Bindungen in Proteinen und Nucleinsauren vor, weil diese viele polarisierte Gruppierungen wie -OH, >NH >C=O, =01 und =NI enthalten, die diese Briicken Ieicht ausbilden. Zur Spaltung einer Wasserstoffbriickenbindung miissen etwa 21 - 42 kJ/mol {5- 10 kcal!mol aufgewendet werden. Im Vergleich dazu ist die Bindungsenergie

Abb. 1.5. Ausbildung von WasserstoffbrOckenbindungen zwischen den Carboxylgruppen von 2 Carbonsauren./n Klammern (+ und -)sind die ungleichen ladungsverteilungen (Polarisierung) angegeben, die die elektrostatischen Wechselwirkungen (= WasserstoffbrOckenbindungen, die in dieser und allen folgenden Abbildungen durch senkrechte blaue Striche dargestellt sind) verursacht

einer covalenten Einfachbindung mit 210-420 kJ/mol (50-100 kcal/mol) urn eine Zehnerpotenz hOher. Gerade ihre niedrige Bindungsenergie befahigt die Wasserstoffbriicken, in biologischen Systemen Funktionen zu tibernehmen, die von den vie! starkeren covalenten Bindungen nicht wahrgenommen werden konnen. In Proteinen und Nucleinsiiuren stabilisieren Wasserstoffbriickenbindungen die raumliche Anordnung dieser· Makromolekiile. Diese Stabilisierung durch Ieicht losbare Wasserstoffbriickenbindungen verschafft den Molekiilen eine relativ groBe Flexibilitat ihrer raumlichen Konformation, was eine Grundvoraussetzung fiir die Austibung ihrer Funktionen darstellt.

Hydrophobe Wechselwirkungen entstehen durch Unvertraglichkeit hydrophiler und hydrophober Gruppen. Ionen und Molekiile mit polarisierten Gruppen Josen sich gut in Wasser, da sie aufgrund ihrer Polaritat Wasserstoffbrtickenbindungen mit Wasser ausbilden konnen. Sie werden deshalb als hydrophil (wasserliebend) bezeichnet. Im Gegensatz dazu sind Molekiile, die nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen (Kohlenwasserstoffe) wegen der Unpolaritat der C-H-Bindung nicht oder nur in begrenztem Umfang mit Wasser mischbar. Sie werden daher als hydrophob (wasserfeindlich) oder lipophil (fettliebend) bezeichnet. Soll ein hydrophobes Teilchen in der von den polaren Wassermolekiilen gebildeten dreidimensionalen Netzstruktur untergebracht werden ( Abb. 1.6), muss eines der Wassermolekiile aus seiner Verbindung gedrangt werden, weil das hydrophobe Teilchen nicht mit Wasser in Wechselwirkung treten kann.

Abb. 1.6. Vereinfachtes Modell zur Erlauterung der hydrophoben Wechselwirkungen in wassrigen liisungen. Das in Wirklichkeit ungeordnete raumliche Netzwerk der Wasserstoffbriicken in der liisung ist zueiner regelmamgen flachigen Anordnung (blaue Punkte) vereinfacht, die jeweils durch vierWasserstoffbriicken verknOpft sind.Hydrophobe Teilchen (orange Kugeln) in der liisung, die keine WasserstoffbrOcken mit den WassermolekOien ausbilden ktinnen, haben die Neigung, sich zusammenzulagern, da so wenigerWasserstoffbrOcken geltist werden mOssen 1.2 Wasser

11

1 Zur Unterbringung miissen Wasserstoffbriickenbindungen, tiber die das Wassermolekiil mit seiner Umgebung verbunden ist, unter Energieverbrauch gelOst werden. Wenn das hydrophobe Teilchen den Platz besetzt hat, kann sich das Netz an dieser Stelle nicht wieder schlieBen. Werden nun zwei hydrophobe Teilchen in eine wassrige Losung gebracht, so treten sie in einer gemeinsamen Fliissigkeitsliicke zusammen. Weil dadurch weniger Wasserstoffbriicken gelOst werden miissen, wird also auch weniger Energie aufgewendet. Damit ist die Anordnung der heiden Teilchen in einer gemeinsamen Wasserliicke energetisch giinstiger und stabiler als die getrennte Verteilung in der Losung. Bei den Wechselwirkungen zwischen hydrophoben Teilchen, die die Zusammenlagerung dieser Gruppen im wassrigem Milieu hervorruft, handelt es sich also nicht urn eine chemische Bindung im iiblichen Sinn, sondern urn ein Phanomen, das sich anschaulich auf die Unvertraglichkeit hydrophiler und hydrophober Gruppen zuriickfiihren lasst. Hydrophobe Wechselwirkungen spielen bei der Selbstorganisation biologischer Strukturen eine besondere Rolle: ~ Ausbildung der dreidimensionalen Proteinstruktur. Wahrend die Sekundarstrukturelemente in Proteinen (S. 72) im wesentlichen durch Wasserstoffbriickenbindungen fixiert werden, ist fiir die Gewinnung der Tertiarstruktur von Proteinen die Ausbildung hydrophober Wechselwirkungen von ganz besonderer Bedeutung (S. 77). ~ Selbstaggregation von Makromolekulen. Bei der Selbstaggregation von Makromolekiilen zu iibergeordneten Komplexen (Quartarstruktur von Proteinen) Assoziation von Multikomplexen, Virusmantelproteinen, Ribosomen und biologischen Membranen spielen hydrophobe Wechselwirkungen eine besondere Rolle (S. 80). Da Zellmembranen einen hohen Fettanteil besitzen, der eine durchgehende nichtwassrige Phase darstellt, konnen sie von lipophilen Stoffen Ieicht passiert werden. Deshalb gelangen diese Stoffe i. allg. schnell durch die Zellen des Magen-Darm-Traktes ins Blut und werden von dort rasch in das Inn ere der Gewebezellen aufgenommen. Daher werden auch manche Arzneimittel bei der Herstellung mit einer zusatzlichen Methyl (CH 3 ) - oder Ethyl( CHrCH 2 )-Gruppierung zur Verbesserung ihrer LipidlOslichkeit und damit Erhohung der Resorptionsgeschwindigkeit versehen. Im Zellstoffwechsel kommt eine Vielzahl von Reaktionen vor, durch die Molekiile wasser- oder fettloslich(er) gemacht werden konnen. Verbindungen, die aus dem Organismus ausgeschieden werden sollen, werden v. a. in der Leber durch Einfiihrung polarer Hydroxyl- oder Sulfatgruppen wasserloslicher gemacht, wodurch die renale bzw. biliare Ausscheidungsrate erhoht wird.

12

1 Grundlagen der lebensvorgange

1.2.21 Wasser als Reaktionspartner Wasser ist ein wichtiger Partner vieler biochemischer Reaktionen, weil es eine hohe Polaritat aufweist und in einer Konzentration von 55 mol!l vorliegt. Aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften nimmt Wasser an einer groBen Zahl biochemischer Reaktionen teil. Von besonderer Bedeutung sind: ~ Teilnahme an Hydrolyse- und Kondensationsreaktionen sowie ~ Teilnahme an Hydratisierungsreaktionen. Hydrolyse und Kondensation~ Alle Nahrungsstoffe, die von tierischen Organismen aufgenommen werden, sind Biopolymere, die sich aus monomeren Bauteilen zusammensetzen. Das gleiche gilt fiir die groBe Zahl von Makromolekiilen, welche die Bestandteile von Zellen ausmachen. Am Anfang jeden Abbaus dieser Verbindungen steht immer die hydrolytische Spaltung der Bindungen, mit denen die einzelnen Untereinheiten verkniipft sind (Abb.l.7). Solche Bindungen sind i. allg. glykosidische oder es handelt sich urn Esteroder Siiureamidbindungen. Es ist verstandlich, class es eine auBerordentlich groBe Zahl mehr oder weniger spezifischer Enzyme gibt, die derartige Bindungen in Makromolekiilen zu spalten imstande sind. Formal beruht die Biosynthese der genannten Makromolekiilen auf dem umgekehrten Vorgang, namlich einer Kondensation monomerer Bauteile unter Wasserabspaltung. Da ganz iiberwiegend das Gleichgewicht dieser Reaktionen auf der Seite der Hydrolyse liegt, beniitzen lebende Systeme fiir Kondensationsreaktionen aktivierte Verbindungen. Hydratisierung von Doppelbindungen~ Diese Reaktion spielt im Zellstoffwechsel eine bedeutende Rolle. Grundlage ist, class sich Doppelbindungen zwischen zwei Kohlenstoffatomen Ieicht polarisieren lassen und deshalb andere Atome anlagern konnen. In der in Abb. 1.8 dargestellten Reaktionsfolge erfolgt zunachst die Oxidation einer C-C-Einfachbindung zu einer Doppelbindung. An diese wird anschlieBend Wasser angelagert und im nachsten Teilschritt die entstandene Hydroxyverbindung ein zweites mal oxidiert, so class jetzt eine Ketogruppe entstanden ist. Derartige Reaktionen spielen eine Rolle bei der f)-Oxidation der Fettsauren (S. 439) sowie im Citratcyclus (S. 525).

1.2.31 Kolligative Eigenschaften von Losungen

Als kolligative Eigenschaften einer verdiinnten Losung werden alle Eigenschaften bezeichnet, die nur von der Anzahl, nicht aber von der Art der gelOsten Teilchen bestimmt werden. Dazu gehoren z.B. im Einzelnen:

1 0

R

c

0 O- R'

c H H,C/ 0/

'

+

H20

+

H20

R

C OH

0

R

c

N- R'

H

+

R-C

H20

H C- H H

I

C- H I

Abb. 1.7. Hydrolytische Spaltung von glycosidischen Bindungen, Estern und Saureamiden. Man beachte, dassdie RUckreaktion als Kondensationsreaktion zur Ausbildung von Oligomeren fiihrt

0 OH

IDehydrierung (Oxidation) I I

OH-R'

+

A

AH2

~JL

I Hydrierung (Reduktion) I

IOehydrierung (Oxidation) I

Hydratisierung

I

HOH

B

HO

C-H II C- H

I C- H

~j)

I

H C- H

I

B HH

I

Kondensation

0 H

Hydrienmg (Reduktion)

I

c I

C- H

I

I

Abb. 1.8. Reversible Anlagerung von Wasser an eine Kohlenstoffdoppelbindung

~ ~

~

der osmotische Druck einer Losung, die Erniedrigung ihres Gefrierpunkts und ihres Dampfdrucks sowie die Erhohung des Siedepunkts.

! Losungsmitteldiffusion durch selektiv permeable Membranen wird als Osmose bezeichnet.

Fiir den Austausch von Wasser zwischen dem Zellinneren und dem extrazellularen Raum sind osmotische Krafte von groBer Bedeutung, da die meisten Zellmembranen fiir Wasser frei permeabel sind. Diese Tatsache flihrt u. a. zur Entstehung des osmotischen Druckes. Dieser entsteht immer dann, wenn 2 Losungsmittelraume mit unterschiedlicher Teilchenkonzentration durch eine nur fiir das Losungsmittel (i. allg. Wasser) permeable Membran getrennt sind. Die dabei ablaufenden Vorgange sind schematisch in Abb. 1.9 dargestellt. Wahrend sich das Volumen in den heiden Kammern wahrend der Diffusion nicht andert, kommt es bei der durch das Vorhandensein einer semipermeablen Membran ausgelosten Osmose zu einem Volumenanstieg in der Kammer mit der hoheren Konzentration gelOster Teilchen. Diese VolumenerhOhung fiihrt zu identischen Teilchenkonzentrationen in heiden Kammern, kann aber durch einen entsprechenden hydrostatischen Druck verhindert werden, der den Durchtritt der Losungsmittelmolekiile unterbindet. Dieser Druck wird auch als osmotischer Druck bezeichnet. Die Grundlagen fur die Berechnung des osmotischen Druckes wurden Ende des vergangenen Jahrhunderts von dem hollandischen Physikochemiker Jacobus Henricus van't Hoff (1852-1911) erarbeitet. Bei

seinen Untersuchungen fand er, class der osmotische Druck mit der Temperatur ansteigt und bei konstanter Temperatur mit der Teilchenkonzentration zunimmt. Daraus schloss er, class sich die gelosten Teilchen in idealen hochverdiinnten Losungen wie ideale Gase verhalten. In Analogie zur allgemeinen Gasgleichung pV = nRT n = Anzahl der Mole, R = Gaskonstante, T = Grad Kelvin stellte er fiir den osmotischen Druck idealer Losungen folgende Zustandsgleichung auf: nV

= nRT

oder

n = .!l RT = cRT

v

n!V = c (molare Konzentration aller gelosten Teilchen) Das Einsetzen der entsprechenden Werte ergibt, class eine Losung der Konzentration 1 mol/L bei 0 oc einen osmotischen Druck von 22 bar aufweist. Aus dem Beispiel ist ersichtlich, dass eine Losung als solche keinen osmotischen Druck besitzt, ganz gleich, ob sie eine hohe oder niedrige Teilchenkonzentration aufweist. Osmotische Krafte werden erst dann wirksam, wenn man die Losung mit einer zweiten Losung mit anderer Teilchenkonzentration in Kontakt bringt, von der sie durch eine semipermeable Membran getrennt ist. 1.2 Wasser

13

1 eine Reihe von Mechanismen die Teilchenkonzentrationen im Extra- und Intrazellularraum gleich, sodass osmotische Krafte nicht auftreten. Sie sind jedoch wichtig fur die Regulation der Flussigkeitsausscheidung durch die Nieren (S. 920) sowie unter pathologischen Bedingungen (z. B.hyperosmolares diabetisches Coma).

II

:§.

160

160

120

120

80

80

40

40

0

0

c

"'

E :::> 0 >

j

nur fiir das Losungsminel permeable Membran

IDiffusion I fiir das Losungsminel und gelosten Stoff permeable Membran

/

~ 160 120

120

80

80

40

40

0

0

Anfangszustand

Anfangszustand

!

! 160

Das osmotische Verhalten einer Losung gegeni.iber reinem Wasser kann i.iber die Gefrierpunktserniedrigung bestimmt werden. Der Gefrierpunkt von rein em Wasser liegt bei 0 °C. Lost man in 1 kg Wasser 1 mol einer Substanz wird der Gefrierpunkt urn 1,86 oc erniedrigt. Diese LOsung wird als 1 osmolal bezeichnet, d. h. sie enthalt I mol (6,023 x 1023 Molekule) einer nicht dissoziierenden Substanz in 1 kg Losungsmittel. Wird dagegen 1 mol Substanz in 1 I Losungsmittel gelost, so ist die Losung 1 osmolar. Bei kolligativen Effekten wie der Gefrierpunktserniedrigung oder dem osmotischen Druck ist entscheidend, ob die gelOste Substanz dissoziiert oder nicht. Eine 1 molare Losung von Glucose oder einer anderen nicht dissoziierenden Verbindung enthalt 6,023 x 1023 Molekule. Diese Losung ist 1 osmolar. 1 mol NaCl besteht zwar ebenfalls aus 6,023 x 1023 NaCl-Einheiten, die Losung ist aber 2 osmolar, da NaCl in wassriger Losung in 2Ionen, Natrium und Chlorid, dissoziiert. Man muss deshalb bei der Ermittlung der Osmolalitat einer Losung eine etwaige Dissoziation der gelOsten Substanz berucksichtigen. Aus apparativen Grunden hat es sich eingeburgert, statt des osmotischen Druckes einer Losung deren Gefrierpunktserniedrigung zu bestimmen. Einige fiir den Menschen interessierende Werte hierzu sind in -Tabelle 1.3 zusammengestellt.

120

120

80

80

40

40

Tabelle 1.3. Osmolalitit und Gefrierpunktserniedrigung verschiedener Korperflussigkeiten

0

Emiedrigung des Gefrierpunkts (GPE) vono •c auf

0

nach Erreichen des Gleichgewichtes

Osmolalitiit

Abb. 1.9. Diffusion und Osmose. (Einzelheiten s.Text)

!

Osmotische Krafte entstehen bei Wasserbewegungen zwischen lntraund Extrazellularraum. Zellulare Membranen sind fur die meisten Verbindungen, nicht jedoch fiir Wasser impermeabel. Einige spezialisierte Zellen wie Nierenepithelien und Erythrocyten besitzen zusatzlich Proteinporen, die als Wasserkanale dienen. Mit die sen Aquaporinen wird der Wassertransport durch die Zellmembran erleichtert und regulierbar (S. 173, 921). Ander Grenze zwischen Extrazellular- und Intrazellularraum, den Zellmembranen, bestehen also unterschiedliche Permeabilitaten fur geloste Stoffe und das Losungsmittel Wasser sowie unterschiedliche Konzentrationen der gelosten Stoffe, so dass eine Osmose eintreten kann. In den meisten Geweben halten allerdings

14

1 Grundlagen der l ebensvorgange

Nor males Blutserum

- 0,558

300 mosm/kg H20

Verdiinnter Urin

-0,372

200 mosm/kg H20

Konzentrierter Urin

- 2,600

1400 mosm/kg H20

1.2.41 Dissoziation von Wasser und pH-Wert Die chemischen und die physikalischen Eigenschaften von Wasser sowie die Tatsache, dass es, wenn auch in geringem Umfang, in seine Ionen zerfallt, beeinflussen das chemische Verhalten einer graBen Zahl anderer Molekiile. In diesem Zusammenhang besonders wichtige GroBen sind:

1 derpH-Wert, Saure/Baseneigenschaften sowie Puffersysteme.

~

~ ~

! Wasser dissoziiert in Protonen und Hydroxylionen.

Aus Messungen der elektrischen Leitfahigkeit von Wasser muss geschlossen werden, dass auch in reinstem Wasser geringe Mengen freier Ionen als Ladungstrager enthalten sein miissen. Sie entstehen durch folgende Reaktion:

In wassriger Losung assoziiert das entstandene Proton sofort mit einem weiteren Molekiil H20 nach

Zur Vereinfachung wird dieser Teil der Reaktion meist weggelassen. Die Gleichgewichtskonstante K dieser Reaktion ist temperaturabhangig und betragt bei 25 oc 1,8 x 10- 16• Die Reaktionsgleichung kann umgewandelt werden ZU

K

= [W] X

[OH-] [HzO]

=18X '

10- 18

I

oder

Da die Konzentration der Wassermolekiile in verdiinnten Losungen mit 55,5 mol!L konstant ist, kann sie in die Gleichgewichtskonstante einbezogen werden. [H+]

X

[OH-] = 1,8

X 10- 16 X

55,5 =

10- 14

= Kw

2

Die dadurch entstandene neue Konstante wird als das Ionenprodukt von Wasser bezeichnet. Aus dem Wert der Konstante von 10- 14 folgt, dass die Konzentrationen von H+ und OH- in reinem Wasser und auch verdiinnten wassrigen Losungen neutraler Substanzen je 10-7 mol!! betragen. Es folgt weiterhin, dass bei einem Anstieg der Protonenkonzentration (in sauren Losun1

Die Konstante kann bier als dimensionslose Zahl angegeben werden, wenn man sich auf folgende Definition einigt: Symbol [X] bedeutet in normierter Konzentration (X] = c (X) mit c0 = 1 mol/! Co

Dieser Wert fiir die Normierungs-(bzw. Bezugs-)Konzentration ist allgemein verbindlich und liegt allen in Tabellenwerken angegebenen K- Werten zugrunde. 2

Genauer ist Kw wie aile Gleichgewichtskonstanten eine Funktion der Temperatur. Der angegebene Wert gilt bei 25 °C, wahrend bei 37 °C der Wert 2.5 X 10 14 betragt.

gen) die Hydroxylionenkonzentration abfallen und umgekehrt beim Abfall der Protonenkonzentration (in basischen LOsungen) die Hydroxylionenkonzentration zunehmen muss. Zur Charakterisierung einer verdiinnten wassrigen Losung geniigt daher die Angabe einer der heiden Konzentrationen. Man hat sich auf die der Protonen geeinigt und verwendet nach einem Vorschlag von Soeren Soerensen den negativen dekadischen Logarithmus der mit c0 = 1mol normierten Protonenkonzentration: I pH= -log [W] Bei einer Protonenkonzentration von 10- 7 mol!! ist demnach der pH gleich 7, die Losung ist neutral. Steigt die Konzentration auf 10- 6 mol!!, so wird der pH 6 und die Losung sauer, fallt die Konzentration auf 1o- 8 mol/!, so wird der pH 8 und die Losung alkalisch. Am Neutralpunkt des Wassers betragt die Konzentration der Wassermolekiile 55 moll! und die Konzentration der Hydroxylionen und Protonen je 100 nmol/1 (lo- 7 mol!!), d. h. es kommen je 1 H+-Ion und 1 OH-Ion auf 555 Million en Wassermolekiile. In «> Abb. 1.10 sind die pH-Werte einiger bekannter Fliissigkeiten zusammengestellt. Auch in biologischen Systemen wird ein weiter Bereich von pH-Werten umspannt. Wahrend der pH-Wert des Blutplasmas bei 7,4 liegt, erstreckt sich derjenige des Pankreassaftes ins alkalische, wohingegen Magensaft pH-Werte unter 2 erreichen kann. Dabei ist immer zu beachten, dass es sich bei der pH -Skala urn eine logarithmische Skala handelt und die Protonenkonzentrationen beim Magensaft etwa 10-2 mol/!, beim Pankreassaft dagegen 10-8 mol!l betragen und damit urn sechs GroBenordnungen niedriger liegen.

Der pH -Wert des Intra- und Extrazellularraumes wird genau reguliert. Bei 37 oc betragt der pH-Wert der Extrazelluliirfliissigkeit 7,4. Damit ist die Protonenkonzentration im Vergleich zu anderen Kationen des Blutplasmas, deren Konzentration im millimolaren Bereich liegt, auBerst gering. Zu diagnostischen Zwecken wird der pH-Wert - zusammen mit den Blutgasen (0 2, C0 2) - im arteriellen Blut bestimmt. Der pH-Wert im Intrazelluliirraum ist im Gegensatz zu dem im Extrazellularraum nicht Ieicht mess bar, obwohl ihm wahrscheinlich die groBere Bedeutung zukommt, da er das wichtigere Kompartiment darstellt und in ihm die wesentlichen Stoffwechselreaktionen ablaufen. Mit Hilfe der Magnetresonanzspektroskopie (NMR) konnte jedoch inzwischen nachgewiesen werden, dass im Zellinneren im Vergleich zur extrazellularen Fliissigkeit ein niedriger pH, d. h. eine hohere Wasserstoffionenkonzentration vorliegt. So herrscht z. B. in der Muskulatur ein pH-Wert von 6,6. Eine Ausnahme macht die Tubuluszelle der Niere mit einem pH von 1.2 Wasser

15

1 14

1.2.sl Sauren und Basen

13

Atznatron 12

----- ------------ Ammoniak

11

10

9

----------------- Bo~x

8

----------------- Pankreassaft Blut (7,4) Reines Wasser SpeiChel (6.5-7,5) Milch

6

----------------- Urin(5,6-7,0) Kaffee Tomatensaft ----- ------------ Sauerkraut, O~ngensaft, Wei!'\

- - -- - -- --- -- - -- -- Citronensaft

Protonen und Hydroxylionen als die Dissoziationsprodukte des Wassers sind fur die Biochemie von groBter Bedeutung, u. a. da die meisten Biomolekiile tiber chemische Gruppen verfiigen, die Protonen oder Hydroxylionen anlagern oder abgeben konnen. Dadurch wird nicht nur der pH-Wert verandert, sondern auch viele Eigenschaften der betreffenden Biomolekiile selbst.

Sauren spalten Protonen ab, Basen lagern Proton en an. Fiir die Definition von Sauren und Basen existiert eine Reihe von Konzepten, von denen das des danischen Physikochemikers Johann N. Broensted (1879-1947) fiir viele Zwecke geeignet ist: ~ Sauren sind Protonendonatoren, d. h. sie spalten Protonen in Anwesenheit eines Protonenakzeptors ab. ~ Basen sind Protonenakzeptoren, d. h. sie lagern Protonen in Anwesenheit eines Protonendonators an. In wassrigen Losungen ist der allgemeine Protonenakzeptor das Wasser, sodass eine typische Saure-Basenreaktion folgendermaBen geschrieben werden kann:

- - - - - - - -- --- - - --- Magensaft 1-

Sehr haufig (und auch in diesem Buch) werden Gleichungen dieser Art unter Weglassen des Wassers geschrieben:

0

Abb. 1.10. pH-Werte allgemein bekannter FIUssigkeiten

7,32 - wahrscheinlich deshalb, weil diese Zellen Protonen sezernieren. Die Wasserstoffionenkonzentrationen im Extrazellularraum und im Intrazellularraum unterliegen einer genauen Regulation (Isohydrie), da Anderungen der Protonenkonzentration alle diejenigen Vorgange beeinflussen, die auf elektrostatischen Wechselwirkungen basieren (S. 79). Durch Anderung der Protonenkonzentration kann die Protonenanlagerung bzw. Protonenabspaltung und damit der Ladungscharakter eines Molekiils wesentlich beeinflusst werden. Von groBer Bedeutung ist dies bei den Enzymen, deren Wechselwirkung mit ihrem Substrat von elektrostatischen Kraften bestimmt wird (S. l 30). Dariiber hinaus wirken Sauren und Basen als Katalysatoren (S. 20), so dass eine Erhohung ihrer Konzentration bei der Zelle unerwiinschte Reaktionen verursachen kann.

16

1 Grundlagen der Lebensvorgange

Die bei der Protonenabgabe oder Dissoziation einer Saure (Protolyse) entstehende Verbindung wird als (die zur Saure) konjugierte Base bezeichnet.

Siiure HCl + H20 NH4 + H20 H2C0 3 + H20 HC03- + H20 H3P04 + H20 H2P04- + H20

--7 --7 --7 --7 --7 --7

Konjugierte Base + H3o+ NH3 + H3o+ HC03- + H3o + CO/ - + H3o + H2P04- + H30 + HPO/- + H30 +

CI-

Sauren, die wie Kohlensaure und Phosphorsaure mehrere Protonen abgeben konnen, spalten diese stufenweise ab. Ihre konjugierten Basen (die Anionen HC0 3und H 2P0 4-) konnen nochmals Protonen abgeben, wirken also einer Base gegeniiber als Saure. Von einer Saure konnen sie jedoch auch Protonen iibernehmen und wirken diesen gegentiber somit als Basen. Derartige Verbindungen, zu den en auch Wasser zahlt, werden als Ampholyte oder Zwitterionen bezeichnet.

1 ! Die Starke einer Saure wird

durch die Dissoziationskonstante bestimmt.

Ob das Gleichgewicht einer Protoneniibertragung mehr auf der Seite der Ausgangssubstanzen oder mehr auf der Seite der Reaktionsprodukte liegt, wird dadurch bestimmt, wie leicht die protonenspendende Saure H+ -Ionen abgibt bzw. die protonenaufnehmende Base H+ -Ionen aufnimmt, mit anderen Worten von der Starke der Saure bzw. Base. Eine starke Saure ist definiert als eine, die vollstandig oder nahezu vollstandig dissoziiert ist. Eine Saure die our teilweise dissoziiert, wird als schwach (Essigsaure, Kohlensaure) bezeichnet. Diese Angaben beziehen sich auf Wasser als biologisches Ltisungsmittel. Dies ist entscheidend, da z. B. Salzsaure in Benzol praktisch nicht, in Wasser dagegen vollstandig dissoziiert und damit als starke Saure gilt. Eine quantitative Bestimmung der Saure- bzw. Basenstarken kann durch die Bestimmung der Gleichgewichtskonstante oder Dissoziationskonstante erfolgen. Fur die obige Reaktion

gilt nach dem Massenwirkungsgesetz: K* )H30+] x [A·]

Da die Konzentration der Wassermolekiile im Vergleich zu der der iibrigen Reaktanden mit 55,5 mol!L unverandert bleibt, kann man [H20] in die Konstante einbeziehen und erhalt: K=

[W]x[A·] [HA]

Diese GroBe, die als Dissoziationskonstante einer Saure oder als Siiurekonstante bezeichnet wird, ist temperaturabhangig (S. 15). Je starker eine Saure dissoziiert ist, desto htiher sind die Konzentrationen im Zahler und desto kleiner ist die Konzentration der verbleibenden undissoziierten Saure im Nenner der Gleichung. Dadurch wird die Hohe der Dissoziationskonstante bestimmt. Sauren, deren Dissoziationskonstante groBer als 10·1 ist, bezeichnet man als starke Sauren, Mittelstarke Sauren besitzen Saurekonstanten zwischen 10·1 und w-S,wahrend K bei schwachen Sauren kleiner als 10·5 ist. In -® Tabelle 1.4 sind die Dissoziationskonstanten einiger in der Biochemie wichtiger Sauren aufgefiihrt. Es handelt sich dabeium die K-Werte in wassriger Losung. Da die Angabe der Dissoziationskonstante in Zehnerpotenzen umstandlich ist, verwendet man fiir Berechnungen haufig den negativen (dekadischen) Logarithmus der Dissoziationskonstante, der als pK5 bezeichnet wird.

[AH] X [H20]

pK

= -logK

Damit ergeben sich Sauren, deren pK-Wert geringer als 1 ist, als starke Sauren, Sauren deren pK-Wert 5 iiberschreitet, als schwache. Die meisten Sauren, die im Stoffwechsel der Zelle von Bedeutung sind, gehoren zu den schwachen bis mittelstarken Sauren.

Wenn also unter Gleichgewichtsbedingungen die Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer bekannt sind, kann daraus die Gleichgewichtskonstante errechnet werden.

Tabelle 1.4. Dissoziationskonstanten und pK5-Werte einiger Sauren mit biochemischer Bedeutung (bei 25 °C)

a

pK=-IgK

5aure1Base-Paar

Dbsonationsko~nteK

Brenxtraubensaure!Pyruvat

3,16X IO-l

2,5

Milchsaure!Lactat

4 X 10· 1

2,9

Kohlensauref

1,32 X 104

3,88

Hydrogencarbonat•

4,45 X

Hydrogencarbonat!Carbonat

4,79 X 10· 11

10,32

DihydrogenphosphatJHydrogenphoshat

6,34 X IO""'

7,20

HydrogenphosphatJPhosphat

4,37 X JO· IJ

12,36

10· 7

6,35

Acetessigsaure{Acetacetat

2,60 X

{3-Hydroxybuttersauret{J-Hydroxybutyrat

4,07 x 10-s

4,39

Ammoniurnl Ammoniak

4,39 X 10' 10

9,21

104

3,58

Die Kohlensaure dissoziiert als zweiprotonige Saure in 2 Stufen. FUr die erste Stufe (Kohlensaure/Hydrogencarbonat) sind a usfolgendem Grund 2 pKWerte angegeben:in einer waBrigen Li:isung von Kohlendioxid treten folgende Gleichgewichte auf: (1) C01 + H10 "" H1C03 (2) H1C03+ H10 "" HC0 3- + H30+ aus (1) und (2) ergibt sich (2 a) C01+ 2H10 "" HC0 3- + H30+ (3) HCOr + H10 "" CO/ + H30+ Kohlensaure ist eine mittelstarke Saure (pK = 3,88); dajedoch a usC01und H10 nur sehr wenige H1COr MolekUie entstehen, wirkt sie als schwache Saure. Durch Zusammenfassung der Gleichgewichte (1) und (2) zu (2 a) erhalt man die Ubliche Saurekonstante (pK = 6,35), d. h. die Saurekonstante bezogen auf gelostes C01(und nicht auf H1C0 3!). 1.2 Wasser

17

1 1.2.61 Puffersysteme Schwache Sauren und ihre konjugierten Basen bilden Puffersysteme und halten den pH-Wert in den KorperfHissigkeiten konstant. Die Aufrechterhaltung einer relativ konstanten Wasserstoffionenkonzentration im Zellinnern und im Extrazellularraum wird durch Puffer erreicht. Darunter versteht man im einfachsten Fall Systeme aus einer schwachen Siiure und ihrer konjugierten Base. Diese zeichnen sich durch einen stabilen pH-Wert aus, der sich auch beim Zusatz erheblicher Mengen von Sauren oder Basen, die im Stoffwechsel der Zelle entstehen, nicht wesentlich andert. Die puffernde Wirkung schwacher Sauren ist in Abb. 1.11 am Beispiel der Titrationskurve der Essigsame dargestellt. Versetzt man diese schwache Saure (Dissoziationskonstante 1,7 x 10· 5; pK = 4,76) mehrfach mit kleinen Mengen einer starken Base (z. B. NaOH) fangt diese bei jeder Zugabe die freien Protonen der Saure mit ihren Hydroxylionen ab. Durch den Protonenentzug wird das System EssigsiiurefH+ + Acetat aus dem Gleichgewicht gebracht. Zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes dissoziiert die Essigsaure im verstarkten MaBe und setzt dabei Protonen frei, die sich ebenfalls mit den Hydroxylionen der Natronlauge zu Wasser verbinden. Dabei werden Hydroxylionen und Essigsaure verbraucht, bis die Essigsaure vollstandig in Natriumacetat umgewandelt ist. Beachtenswert an der Kurve ist, dass tiber einen relativ wei ten Bereich NaOH der Essigsaureli:isung zugesetzt werden kann, ohne dass sich der p H-Wert stark andert. Dieser Vorgang wird auch als Pufferung bezeichnet. Die Pufferung in biologischen Fliissigkeiten (z. B. Extrazellularraum) erfolgt nicht durch einen, sondern durch m ehrere, gleichzeitig wirkende Puffer.

14 12 10

4

o +-~~r-r-~~~~~

0 2

4 6 8 10 12 14 1 6 18 20

Die Henderson-Hasselbach-Gieichung verkniipft pH-Wert, pK-Wert und das Konzentrationsverhaltnis von konjugierter Saure und Base miteinander. Die Konzentration der H+-Ionen in einem Puffersystem (schwache Saure HA und konjugierte Base A-) wird durch Auflosung der auf S. 17 abgeleiteten Gleichung

K=

[W] x [A· ]

[HA]

ergibt nach [H+] errechnet:

Urn den pH-Wert dieses Systems auszurechnen, bildet man den negativen dekadischen Logarithmus der Gleichung und erhalt: [HA] -log [W] = -log K -log lA-f oder, da -log K = pK (S. 17) und - log [W] =pH (S. 17) [A· ]

pH = pK +log [AH],

P

H _ K 1 [konjugierte Base] [Saure] - P + og

Bei diesem Ausdruck, der die mathematische Grundlage zur Rechnung mit Puffersystemen bildet, handelt es sich urn die Gleichung nach Lawrence J. Henderson (1912) und K.A. Hasselbalch (1916). Aus dieser Gleichung, in der derpH- und der pK-Wert sowie das Konzentrationsverhaltnis von konjugierter Base zu Saure miteinander verkni.ipft sind, lassen sich folgende GesetzmaBigkeiten ableiten: ~ Der pH-Wert eines Puffersystems wird von dem Konzentrationsverhaltnis von konjugierter Base und Saure bestimmt. ~ Bei bekanntem pK und bekanntem Konzentrationsverhaltnis von konjugierter Base zur Saure kann der pH-Wert ausgerechnet w erden. ~ Bei b ekanntem pH und pK kann der Quotient der Konzentration von konjugierter Base und Saure errechnet werden.

ml 0,1 nNaOH -

Abb. 1.11. Titrationskurve der Essigsaure. pH-Wert bei Titration von 10 ml 0,1 n Essigsaure mit 0,1 n Natronlauge 18

I

1 Grundlagen der Lebensvorgange

Setzt man in die Gleichung die pK-Werte fiir Brenztraubensaure bzw.Milchsaure ( Tabelle 1.4, S. 17) ein,

1 so lasst sich berechnen, ob die betreffenden Carbonsauren vorwiegend als Sauren oder Saureanionen in der Zelle vorliegen. In der Muskelzelle mit einem pHWert von 7,1 betragt das Verhaltnis von Brenztraubensaure zu Pyruvat etwa 1:40 000 und das von Milchsaure zu Lac tat etwa 1: 16 000. Dies gilt fiir eine gro£e Zahl von im Stoffwechsel vorkommenden Sauren, weswegen in diesem Buch generell die dissoziierten Formen von Verbindungen benutzt werden. Die Kenntnis dieses Quotienten ist besonders wichtig, wenn man wissel). will, wie stark eine Saure beim pH-Wert von Korperflilssigkeiten, wie z. B. der Extrazellularflilssigkeit (pH 7,4), dissoziiert ist. Da die Aufnahme bzw. Abgabe von Protonen mit einer Anderung des Ladungscharakters des aufnehmenden bzw. abgebenden Molekills verbunden ist und ungeladene Stoffe Zellmembranen wegen der Unpolaritat besser durchdringen konnen, ist der Dissoziationsgrad beispielsweise filr die Resorption, Verteilung und Ausscheidung von Arzneimitteln mit Saure- oder Basencharakter oder fur StoffwechselstOrungen, bei denen sich organische Sauren und Basen anhaufen, von Bedeutung. Aus der Gleichung von Henderson und Hasselbalch lasst sich folgendes ableiten: ~ Je mehr der pK-Wert einer Saure nach unten vom pH-Wert der Losung abweicht (pK < pH), desto starker nimmt der Anteil der konjugierten Base zu. ~ Je mehr der pK-Wert einer Saure nach oben vom pH-Wert der Losung abweicht (pK >pH), desto starker steigt der Anteil der Saureform an. Als Beispiele seien zwei Sauren angefilhrt, deren Konzentration im Blut bei Stoffwechselkrankheiten stark erhOht sein kann: die P-Hydroxybuttersiiure beim Diabetes mellitus und das Ammoniumion bei der schweren Leberinsuffizienz. Setzt man die pK-Werte der heiden Sauren (Tabelle 1.4, S. 17) in die Gleichung ein, so ergibt sich, dass in einer wassrigen Losung mit einem pH-Wert von 7,4 das Verhaltnis von ,8-Hydroxybuttersaure zu ,8-Hydroxybutyrat 1: 1000 (pK-Wert niedriger als pH!) und das vom Ammoniumion zu Ammoniak 100: 1 (pK hoher als pH!) betragt. Sind die Konzentrationen von konjugierter Base und Saure gleich gro£, so wird - da der Logarithmus von 1 Null ist - der logarithmische AusdruckNull und man erhalt pK = pH, d. h. der pK einer schwachen Saure entspricht dem pH-Wert, bei dem Saure und konjugierte Base in gleichen Konzentrationen vorliegen oder - mit anderen Worten - bei dem die Saure zur Halfte dissoziiert ist. 1st der pK-Wert eines Puffersystems unbekannt, so kann er dadurch bestimmt werden, dass man die Konzentration von konjugierter Base und Saure gleich gro£ wahlt. Die Messung des resultierenden pH-Wertes ergibt den pK des betreffenden Systems. Liegen konjugierte Base und Saure in gleichen Konzentrationen vor, so sind also pH- und pK-Wert gleich. Ist das Verhaltnis von konjugierter Base zu Saure gleich 10 : 1 (100: 1), so betragt der pH-Wert pK + 1 (pK + 2),

da der Logarithmus von 10 eins ist (der von 100 zwei). 1st dieses Verhaltnis gleich 1:10 (1: 100), so betragt der pH-Wert pK- 1 (pK- 2) usw. Tragt man in einem Koordinatensystem auf der Abszisse die pH-Werte und auf der Ordinate die entsprechenden Mengen Saure (HA) und konjugierte Base (A-) auf, so ergibt sich das in Abb.l.l2 gezeigte Kurvenbild, aus dem filr jeden bekannten pH-Wert das Konzentrationsverhaltnis A- zu HA und filr jedes bekannte Konzentrationsverhaltnis A- zu HAder entsprechende pH-Wert abgelesen werden kann. Das Bild dieser Kurve, an deren Wendepunkt der pK liegt, sieht bei allen schwachen Sauren gleich aus. Die Kurven unterscheiden sich lediglich durch die Lage des Wendepunktes (und dam it des pK-Wertes, d. h. sie sind entweder nach links oder rechts verschoben. Wie aus dem Kurvenbild in Abb.l.l2 zu ersehen ist, andert sich in einem bestimmten Bereich (pH gleich pK ± 1) trotz einer starken Verschiebung des Molverhaltnisses A- zu HA (von 1 : 10 bis 10: 1) der pHWert nur wenig. In diesem - in der Abbildung rot hinterlegten - Bereich ist also die Kapazitiit des Puffers, Sauren oder Basen ohne starke pH-Anderung aufzunehmen, am gro£ten. Man wird deshalb bei experimentellen Arbeiten ein Puffersystem wahlen, dessen pK-Wert mit dem pHWert ilbereinstimmt, den die Losung enthalten soli oder zumindest einen Puffer, dessen pK-Wert nicht mehr als eine Einheit nach oben oder unten vom einzustellenden pH-Wert abweicht. Au£erdem wird die Kapazitat eines Puffersystems durch seine Gesamtkonzentration bestimmt, d. h. ein 0,5-molares System puffert etwa 5 mal so viele Protonen oder Hydroxylionen wie ein 0,1-molares (s. unten). Wichtige Puffersysteme des menschlichen Organismus sind im Intra- und Extrazellularraum (S. 961): ~ das Dihydrogenphosphat/Hydrogencarbonat-System (pK' = 6,80), pH

100 90

-

0 10

80

20

70

30

60

40 ~ 0

50

50

~ 40

60


-

2.2 lipide

37

2 Cardiolipin oder Diphosphatidylglycerin ist ein besonders in Mitochondrienmembr anen in hoher Konzentration vorkom.mendes Phosphoglycerid ( ~bb. 2.17). Auch hier ist das Riickgrat des Molekiils ein Glycerin, bei dem die Hydroxylgruppen des CAtoms 1 und 3 mit je einer Phosphatidsaure verestert sind. Cardiolipin~

Mannose

~

Mannose

Man nose

T

Unter Einwirkung von PhosPhosphoglyceriden durch aus pholipasen entstehen die entsprechenden LysoFettsaure einer Abspaltung phosphoglyceride. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist das Lysophosphatidylcholin, welches schon in geringen Mengen hamolytisch wirkt. Phospholipasen, die zur Bildung von Lysophosphoglyceriden fiihren konnen, kommen u. a. in Schlangengiften vor und sind mit ein Grund fiir die Gefahrlichkeit dieser Gifte Lysophosphoglyceride~

Glucosamin Inositol

- ® -cH2- CH 2-

I

- CH2

I

1 0

0

0

C- O

C= O

C= O

Zellmembran

(S. 605).

Plasmalogene stehen strukturell dem Phosphatidylcholin bzw. dem Phosphatidylethanolamin nahe. Sie machen z. B. mehr als 10 % der Phospholipide des Gehirns und der Muskeln aus. Der Unterschied zu den echten Phosphoglyceriden beruht darauf, dass am C-Atom 1 des Glycerins anstelle einer Fettsaure ein Fettsiiurealdehyd als Enolether gebunden ist. Die zweite, als Ester gebundene Fettsaure ist immer ungesattigt. Als stickstoffhaltige Alkohole dienen i. d. R. Ethanolamin oder Cholin ( Abb. 2.26): .,. An Wasser- und Luftgrenzschichten breiten sich amphiphile Lipide in Form von monomolekularen Filmen a us, in den en der polare Anteil des Molekiils ins Wasser ragt, wahrend sich die hydrophoben Kohlenwasserstoffreste zur Luft hin orientieren. .,. Eine ahnliche Orientierung findet sich an 01-Wasser-Grenzschichten, wobei der polare Anteil dem Wasser zugewandt ist, wahrend die apolare, hydrophobe Gruppe in der Olphase steckt. .,. In bestimmten Konzentrationsbereichen ordnen sich amphiphile Lipide in wassrigen LOsungen in Form von Micellen an. Die hydrophoben Fettsaureketten sind dabei gegeneinander gerichtet und nach auBen zur wassrigen Phase hin durch die polaren hydrophilen Anteile der Molekiile abgeschirmt. Andere Lipide, die selbst nicht in der Lage sind Micellen zu bilden (Triacylglycerine, Cholesterin) konnen sich an polare Lipide assoziieren und bilden so gemischte Micellen. Diese sind eine entscheidende Voraussetzung ftir die Lipidresorption im Duodenum. .,. Amphiphile Lipide, speziell Phosphoglyceride und Sphingolipide konnen dariiber hinaus sog. Doppelschichten oder Bilayers ausbilden. Dieses Phanomen beruht auf der Tatsache, dass sich die hydrophoben Kohlenwasserstoffketten der Fettsaurereste gegeneinander orientieren, wahrend die hydrophilen Teile sich zur wassrigen Phase hin ausrichten. .,. Werden Lipiddoppelschichten mit Ultraschall behandelt, so entstehen Liposomen, die aufgrund ihrer

2 luft, OI

H20

a

Micelle

Monomolekulare Schicht

nnnnn uuuuu

b

H20

\\nnrtlf. · · ~~\\l\441f4r~ 1:~ .,. ~:t ~??hhh\1\\~~

H20

Doppelschicht

d

hJip}lPliposom

Abb. 2.26 a-d. Mi:iglichkeiten der Anordnung von amphiphilen Lipiden a in Grenzschichten, b-d im Wasser. Die rot hervorgehobenen Teile der PhospholipidmolekUie stellen die hydrophilen Bezirke, die schwarz gezeichneten die hydrophoben Bezirke dar

strukturellen Ahnlichkeit mit zellularen Membranen die Plasmamembran vieler Zellen Ieicht permeieren konnen. Liposomen werden aus diesem Grund gelegentlich mit an sich nicht membrangangigen Wirkstoffen beladen und auf diese Weise als Vehikel benutzt, so dass Arzneimittel, Enzyme, DNA u. a. in den intrazellularen Raum transportiert werden konnen.

!

lipiddoppelschichten sind die Grundstruktur aller zellularen Membranen. Die strukturelle Grundlage aller zellularen Membranen sind Lipiddoppelschichten, die im wesentlichen aus folgenden amphiphilen Lipiden bestehen: .,. Die Phosphoglyceride Phosphtltidylcholin, Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylserin, Phosphatidylinositol, .,. die Sphingolipide Sphingomyelin und Glycosphingolipide sowie .,. Cholesterin. Die mitochondriale Innenmembran ist die einzige zellulare Membran, in der Cholesterin nicht vorkommt. Trotz dieses, auf den ersten Blick relativ einfachen Aufbaus zellularer Membranen aus einer sehr begrenzten Anzahl von amphiphilen Molekiilen ist deren funktionelle Vielfalt beeindruckend. Hierfiir sind v. a. drei Phanomene verantwortlich:

.,. In die zellulare Membranen bildenden Lipiddoppelschichten sind Membranproteine (S. 173) eingelagert. .,. Die jeweilige Fettsaurezusammensetzung bestimmt die sog. Fluiditiit und damit die Eigenschaften biologischer Membranen. .,. Die Verteilung der einzelnen die Membranstruktur ausmachenden amphiphilen Lipide ist nicht statistisch sondern geordnet und an spezifische Membranfunktionen angepasst. Membranproteine... Der Proteingehalt verschiedener zellularer Membranen schwankt zwischen 20 o/o bei Myelinmembranen und 80 o/o bei der mitochondrialen

Innenmembran. Im Prinzip lassen sich zwei Typen von Membranproteinen unterscheiden: .,. die integralen Membranproteine, die ganz durch eine Membran hindurchgehen sowie .,. periphere Membranproteine, die an eine Halfte der Lipiddoppelschicht assoziiert sind. Viele Membranproteine tragen covalent verkniipfte, oft verzweigte Kohlenhydratketten, sind also Glycoproteine. Die Kohlenhydratketten befinden sich immer auf der zum extrazellularen Raum gerichteten Seite der Membran. Wichtige Funktionen der Membranproteine sind u.a.: 2.2 Lipide

43

2 Abb. 2.28). Es verbreitert den Temperaturbereich, in dem das Schmelzen der Membranen erfolgt und erhi:iht so die Stabilitiit von Membranen. Von besonderem Interesse ist, dass eine Reihe hydrophober organischer Verbindungen sich in die Alkanphase biologischer Membranen einlagern kann und auf diese Weise deren Eigenschaften iindert. Zu ihnen gehi:iren unter anderem eine Reihe gasfi:irmiger Narkotika, z. B. das Halothan.

Assymmetrie der Membran~ Bei genauer Untersuchung der Lipidzusammensetzung von zelluliiren Membranen fallt auf, dass die einzelnen eine Membranstruktur ausbildenden amphiphilen Lipide asymmetrisch verteilt sind. So findet sich z. B. in der Plasmamembran von Erythrocyten im auBeren Blatt der Doppelschicht bevorzugt Sphingomyelin, Glycosphingolipide und Phosphatidylcholin, im inneren Blatt dagegen Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylserin und Phosphatidylinositol. Cholesterin findet man dagegen auf heiden Seiten der Plasmamembran. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Asymmetrie dadurch zustande kommt, dass Membranlipide unkatalysiert von einer Seite auf die andere gelangen. Sehr viel spricht dafiir, dass hierfiir spezifische Proteine erforderlich sind und mi:iglicherweise sogar ATP gebraucht wird (S. 604).

Besonders interessante Membranstrukturen sind sog. Lipid Rafts (engl. raft, FloB) und Caveolae. Lipid Rafts sind cholesterin- und proteinreiche Membranareale, die wie Inseln oder ,Fli:iBe" in der Lipidphase der Membran schwimmen (Abb. 2.28). Sie zeichnen sich durch eine Anhaufung von Sphingoglycolipiden und Cholesterin auf dem auBeren Blatt der Lipiddoppelschicht aus. Dabei fiillt ganz besonders auf, dass durch das Vorkommen vieler gesattigter Fettsiiuren in der Lipidphase ein hohes MaB an Ordnung in der Membran erreicht wird, das zusiitzlich durch Cholesterin stabilisiert wird. Lipid Rafts bestehen im Mittel aus etwa 2SOO Shingolipidmolekiilen und haben einen Durchmesser von etwa SO nm. Sie tragen viele Proteine, die mit Lipiden in der Membran verankert sind. Zu ihnen gehi:iren GPI-verankerte Proteine sowie Proteine, die acyliert oder an Cholesterin gebunden sind. Eine besondere, ebenfalls cholesterinreiche Membranstruktur sind die sog. Caveolae (S. 173, 174). Es handelt sich urn spezifische Membraninvaginationen, deren Bildung von der Anwesenheit des Proteins Caveolin abhangt. Caveoline binden Cholesterin und bilden Haarnadelstrukturen in der Membrandoppelschicht, deren Polymerisierung die Auspragung von Membraninvaginationen hervorruft.

• Analytik von Lipid en Da Lipide wasserunloslich sind,erfordert ihre Extraktion aus Geweben und die anschlie3ende Fraktionierung die Anwendung organischer losungsminei.Ester- bzw.Amidgebundene Fettsauren konnen durch Behandlung mit Alkali (Verseifung) abgetrennt und anschlie3end analysiertwerden. Fur die Auftrennung der einzelnen Komponenten von Lipidgemischen verwendet man Absorptionschromatographie (s.lnfobox S. 54), wobei diestationare Phase sehr haufig Silikagel (Kieselsaure,SiOH4) ist.Ais mobile Phase dienen Gemische unterschiedlicher organischer Uisungsmittel. Einzelne lipidewerden anhand ihrer Beweglichkeit bei derartigen chromatographischen Verfahren identifiziert;ein apparativ aufwendigeres,aberwesentlich empfindliches modernes Verfahren istdie Massenspektroskopievon Upiden (s.lehrbiicher die biochemischen Analytik).

KERNAUSSAGEN lipide sind eine sehr heterogene Gruppe von Verbindungen und erfiillen eine Rei he wichtiger Funktionen. Zu den Lipid en ohne Esterbindungen, den nicht verseifbaren Upiden, gehoren Fettsauren sowie deren Abkommlinge wie Prostaglandine, Thromboxane und leukotriene. Nicht verseifbare lipide sind au3erdem das Cholesterin und seine Abkommlinge, die Vita mine Aund Ksowie viele andere Naturstoffe. Lipide mit Esterbindungen werden auch als verseifbare lipide bezeichnet.ln ihnen sind Esterbindungen zwischen 2.3 Aminosauren

45

2 einem oder mehreren Acylresten mit einer Reihe unterschiedlicher Alkohole das entscheidende Strukturelement. Prinzipiell unterscheidet man: Acyl glycerine, ~ Phosphoglyceride, ~ Sphingolipide. Wichtige Funktionen von lipiden sind: ~ Bereitstellung von Substraten fiir die Energiegewinnung, v. a. Fettsauren a Form von Triacylglycerinen, ... Speicherung von Energie, v. .in ~ Aufbau von Membranen, v. a. durch Phosphoglyceride, Sphingolipide und Cholesterin sowie ~ Bereitstellung von Signalmolekiilen, v. a. Steroidhormone, Prostaglandine,Leukotriene, Thromboxane.

2.3 1Aminosauren 2.3.1 Klassifizierung und Funktionen Aminosauren sind Carbonsauren unterschiedlichster Struktur, den en der Besitz einer Aminogruppe am a -CAtom gemeinsam ist. Sie haben vielfaltige Stoffwechselfunktionen: ~ 20 der tiber 100 bekannten Aminosauren dienen bei allen bekannten Lebewesen zum Aufbau der Proteine. Diese Aminosauren werden auch als proteinogene Aminosiiuren bezeichnet. ~ Die anderen Aminosauren spielen im Stoffwechsel zwar eine wichtige Rolle, werden jedoch nicht fiir die Proteinbiosynthese verwendet. Derartige Aminosauren werden auch als nichtproteinogene Aminosiiuren bezeichnet ~ Der Abbau der meisten Aminosauren liefert Kohlenstoff fur die Biosynthese von Glucose, weswegen diese auch als glucogene Aminosiiuren bezeichnet werden. Ein kleinerer Teil der Aminosauren wird zu Zwischenprodukten abgebaut, die fiir die Biosynthese von Fettsauren, Ketonkorpern oder Cholesterin verwendet werden konnen (ketogene Aminosiiuren). ~ Durch Decarboxylierung entstehen aus Aminosauren die entsprechenden Amine (S. 466), die haufig als Signalmolekiile (S. 791) dienen. ~ Aminosauren sind N-Lieferanten fur die Biosynthese stickstoffhaltiger Verbindungen.

2.3.21 Proteinogene Aminosauren

!

Aminosauren sind Derivate gesattigter Carbonsauren. Die 20 proteinogenen ( und die Mehrzahl der nichtproteinogenen) Aminosauren konnen als Derivate von Carbonsauren aufgefasst werden, die an dem der Car-

46

I

2 Kohlenhydrate, lipide und Aminosauren

boxylgruppe benachbarten C-Atom, dem a-C-Atom, eine Aminogruppe tragen. Sie sind also a-Amino-Carbonsiiuren ( Abb. 2. 29). Der bei den einzelnen Aminosauren variable Teil, der ihnen unterschiedliche GraGe, chemische Reaktivitat, Ladung und Molekularmasse (zwischen 74 und 204 Da) verleiht, heiGt Seitenkette und ist in Abb. 2.29 durch ein ,R" gekennzeichnet. Nach dem Aufbau dieser Seitenkette, die weitere funktionelle Gruppen (OH-Gruppen, SH-Gruppen, Carboxylgruppe, Guanidinogruppen) enthalten kann, lassen sichAminosauren in verschiedene Gruppen einteilen ( Abb. 2.30). Sehr viele Aminosauren leiten sich von der homologen Reihe der gesattigten Monocarbonsauren (Fettsauren, S. 35) ab: ~ Glycin und Alanin sind die a-Aminoderivate von Essigsaure bzw. der homologen Propionsaure. Von der a-Amino-Propionsaure leiten sich auch Serin (Hydroxylgruppe am ~-C-Atom) und Cystein (Sulfhydrylgruppe am ~-C-Atom) ab. Gelegentlich wird als 21. proteinogene Aminosaure das Selenocystein ( Abb. 2.31) genannt, welches aus Serin synthetisiert wird (S. 280) ~ Wird ein Wasserstoffatom des ~-C-Atoms von Serin durch eine Methylgruppe ersetzt, so entsteht Threonin. ~ Wird beim urn eine CHrGruppe verlangerten Homologen des Cysteins, dem Homocystein, das Wasserstoffatom der Sulfhydrylgruppe (Thiogruppe) durch eine Methylgruppe substituiert, so entsteht Methionin (aus Me(thyl)-Thionin). Diese Methylgruppe ist fur die Stoffwechselfunktionvon Methionin von groGer Bedeutung (S. 488). ~ Arginin stammt von Valeriansaure ab, bei der ein Wasserstoffatom durch eine Guanidinogruppe ersetzt ist. Guanidin ist ein Derivat der Kohlensaure (Abb.2.32). ~ Die Aminosaure Lysin leitet sich von Capronsaure, dem nachsthoheren Homologen der Valeriansaure, ab. Bei ihr ist ein Wasserstoffatom der endstandigen Methylgruppe durch eine zusatzliche Aminogruppe substituiert. ~ Die verzweigtkettigen Aminosauren Valin, Leucin und Isoleucin Stammen von den verzweigtkettigen Fettsauren ab. Die einfachste verzweigtkettige Aminosaure ist Valin (a-Aminoisovaleriansaure). Leucin ist ihr nachsthOheres Homologes (a-Aminoisocapronsaure) und Leucin dessen Isomer. ~ Die aromatischen Aminosauren konnen als Imidazolyl- (Histidin), Phenyl- (Phenylalanin) und Indolyl- (Tryptophan) Derivate von a -Amino-Propionsaure (Alanin) betrachtet werden. Tyrosin ist in Parastellung hydroxyliertes Phenylalanin (p-Hydroxyphenylalanin).

-ooc-

H I clet- R

+NH3

Abb. 2.29. Allgemeine Struktur der a -Aminosauren. RSeitenkette

2 Aminosauren mit unverzweigter und verzweigter aliphatischer Seitenkette H I -ooc - c I

Glycin-Giy-(; I a-Aminoessigsaure (75)

- H

~NH 3

Alanin-Aia-A I a-Aminopropionsaure (89) Valin- Vai- V I a -Aminoisovaleriansaure (117)

Leucin-leu-L I a-Aminoisocapronsaure (131 )

lsoleucin- lle--1 I

a-Amino- ~·methylvaleriansaure (131)

Aminosauren mit einer Seitenkette, die eine Hydroxylgruppe enthiilt Serin-Ser-S I a-Amino-13-hydroxypropionsaure (105)

OH

Threonin-Thr-T I a-Amino·P·hydroxybunersaure (119)

I - CH- CH3

Aminosauren mit einer Seitenkette, die ein Schwefelatom enthalt Cystein-Cys-C I o.-Amino-P·mercaptopropionsaure (121) Methionin-Met-M I a-Amino-y-methylmercaptobunersaure (149) Aminosiiuren mit einer Seitenkette, die eine Carboxylgruppe oder deren Amid enthalt Aspartat- Asp-0 I a-Aminobernsteinsaure (133) Asparagin- Asn- N I y-Amid der a -Aminobemsteinsaure (132) Glutamat- Giu- E I a·Aminoglutarsaure (147) Glutamin-Gln-Q I &-Amid der a-Aminoglutarsaure (146) Aminosiiuren mit einer Seitenkette, die eine Aminogruppe enthalt +NH II 2

Arginin- Arg- R I o.-Amino-&-guanidinvaleriansaure (174)

-CHz-CHz-C~-NH-C-NH2

Lysin-Lys-K I a, e-Diaminocapronsaure (146) Aminosauren mit einer aromatisd!en Seitenkette

-CHz-y=yH N:::::C,...NH H

Histidin-His- H I a-Amino-P.imidazolpropionsaure (155)

Tryptophan- Trp-W I a-Amino-13-indolylpropionsaure (204)

Phenylalanin- Phe- F I

o.-Amino-~-phenylpropions 0 "'

E:S

.,c .,c: ·-e -o< c:-

"0

i; E 1

"'

0 0

4

8

6

10

12

pH

Lysin

+:r ..-

::> o .... E :S ., c:

~·e

'0< c:::> 0

i;E 1

"'



52

8

6 pH



Abb. 2.38. Titrationskurven der Aminosauren Alan in, Aspartat und Lysin

1

~ ·e

-o< C::oo

0 0

II>

6 pH

8

10

12

2 Aus Abb. 2.37 geht weiter hervor, dass Aminosauren bei physiologischem pH-Wert (in Korpersaften pH 7,4, im Cytosol der Korperzellen pH 6,0-7,0) in der Zwitterionenform vorliegen. Deshalb wird in diesem Buch i. allg. flir die Darstellung der Strukturformeln von Aminosauren die Zwitterionenform gewahlt.

Die Titrationskurven fUr Aminosauren setzen sich • aus denen ihrer funktionellen Gruppen zusammen.

1

..,. fUr die Bindung von Metallen, ..,. flir die Trennung von Aminosaurengemischen durch Chromatographie an Ionenaustauscherharzen (Infobox S. 54). Der Ionisierungsgrad von Aminosauren hat au6erdem Einfluss auf ihre Loslichkeit, die am geringsten am isoelektrischen Punkt ist.

Die Titrationskurve von Alanin ist aus den Titrationskurven der Carboxyl- und Aminogruppe dieser Aminosaure zusammensetzt, die jeweils den charakteristischen Verlauf schwacher Sauren zeigen ( Abb. 2.38). Aminosauren mit mehreren dissoziablen Gruppen zeigen entsprechend kompliziertere Kurven. Aus Abb. 2.3 7 und 2.38 sowie Tabelle 2.9 geht hervor, dass die Dissoziation der heiden Carboxylgruppen von Aspartat in einem Bereich zwischen pH 1 und pH 6,6 ablauft. Bei diesem Vorgang andert sich der Dissoziationsgrad der Aminogruppe nicht, weswegen der isoelektrische Punkt von Aspartat dem arithmetischen Mittel der heiden pK-Werte der Carboxylgruppen entspricht. Flir Lysin gilt das entsprechende. In dem Bereich, in dem die Dissoziation der Aminogruppen stattfindet, bleibt die a-Carboxylgruppe in der dissoziierten Form. Sie nimmt deshalb keinen Eintluss auf den isoelektrischen Punkt.

Nachweisreaktionen von Aminosauren Bei Sttirungen des Aminosaurestoffwechsels sowie proteinanalytischen Fragestellungen kommt es daraufan,das Vorhandensein und die Konzentration einzelner Aminosauren zu bestimmen. Nachweisverfahren fur Aminosauren ktinnen "' spezifisch fur einzelne Aminosauren sein oder "' die Summe aller in einer Probe vorhandenen Aminosauren erfassen. Nurfiirsehr wenige Aminosauren existieren spezifische Nachweisverfahren,so z. B.der Nachweis der Phenolgruppe im Tyrosin oder der Sulfhydrylgruppe im Cystein.Mikrobiologische Verfahren,die auf dem Prinzip derWachstumsstimulation spezifischer Bakterienstamme durch einzelne Aminosauren beruhen,erlauben eine halbquantitative Abschatzung der Aminosaurekonzentration (5. 498). Wichtiger alsdie spezifischen Nachweisverfahren fur Aminosauren sind solche,die auf der Derivatisierung der funktionellen Gruppen am a-C-Atom beruhen.ln aller Regel handelt es sich urn Reaktionen mit der- NHJ+-Gruppe,die zu fotometrisch nachweisbaren Produkten fiihrt ( Abb. 2.39). Die Verwendung beider Methoden zum quantitativen Nachweiseinzelner Aminosauren setzt die Abtrennung dieser Aminosauren ausden meistvorliegenden Aminosauregemischen voraus (s.lnfoboxS. 54).

Viele Eigenschaften von Aminosauren sind pH-abhangig. Die Protonierung funktioneller Gruppen von Aminosauren ist von Bedeutung: ..,_ flir chemische Reaktionen, die Aminosauren eingehen konnen, beispielsweise bei Nachweismethoden (Infobox S. 53),

H3C, / CH3 N

~ vy S02CI

coo -

l H N CH

Ninhydrin

R

H N CH R

~W;HCI o

o-

Il

coo-

~c'

'c

0

0

II

a

R

I

~C'c =N- C1-C X)~ b

blauviolett

II

.#

Abb. 2.39 a,b. Derivatisierung von Aminosauren mit a Dansylchlorid bzw. b Ninhydrin. Die entstehenden Derivate ktinnen fluorimetrisch bzw.colorimetrisch nachgewiesen werden. (Nach ltiffler 2001) 2.3 Aminosauren

53

2

h Nucleoproteine Nucleinsauren, ... Glycoproteine Saccharide, ... Chromoproteine chromophore Gruppen, z. B. Porphyrine, ... Lipoproteine Lipide und ... Metalloproteine Metalle. Der Nichtproteinanteil, dessen Verbindung mit dem Protein covalenter oder nichtcovalenter Natur sein kann, variiert bei den zusammengesetzten Proteinen sehr stark (90 o/o bei den LDL-Lipoproteinen, 5 o/o bei einzelnen Glycoproteinen). 58

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

Fibrillare und globulare Proteine unterscheiden sich durch ihre Gestalt. Eine grobe Einteilung der Proteine lasst sich nach der Teilchengestalt einfiihren. Globuliire Proteine sind kompakt gebaut und haben eine kugelahnliche Form. Das Achsenverhaltnis sollte geringer als 10: 1 sein, gewohnlich findet man kleinere Achsenverhaltnisse ( Hormone wie das Insulin. Im Gegensatz dazu stellen die in Wasser und verdiinnten Salzlosungen normalerweise unloslichen Fibrillarproteine Strukturproteine dar. Typische Vertreter sind die extrazellular vorkommenden Proteine 11> a-Keratin (in Haaren, Haut und Wolle), 11> j3-Keratin (Seide), ... Kollagen (extrazellulare Matrix, Bander und Sehnen)und ... Elastin (Binde- und Stiitzgewebe). AuBerdem werden zu den Fibrillarproteinen gezahlt: .,. Fibrinogen, die Vorstufe des Fibrins des Blutgerinnsels, ... Myosin, Titin, und Nebulin (wichtige Muskelproteine). Durch die Moglichkeiten der Molekularbiologie ist es heute viel Ieichter geworden, iiber die Sequenzierung der eDNA (S.233) die Aminosauresequenz von Protei-

3 nen aufzukHiren. Dies hat zur Erkenntnis gefiihrt, dass sich viele, funktionell auch unterschiedliche Proteine auf Grund von Gemeinsamkeiten oder Ahnlichkeiten ihrer Aminosauresequenz zu Familien und GroBfamilien zusammenfassen lassen. Beispiele hierfiir sind die Immunglobulin-Grofifamilie oder die Familie der Cytochrom P450-abhiingigen Monooxygenasen (S. 548). Da die raumliche Struktur von Proteinen deren Funktion bestimmt, kann eine bessere Zusammenfassung der Proteine in Klassen durch den Vergleich der dreidimensionalen Faltung der Polypeptidketten (Faltungstopologie) erreicht werden (s .Abschnitt 3.3.3 ). Oft konnen hier noch Gemeinsamkeiten zwischen Proteinen erkannt werden, die aus der alleinigen Analyse der Aminosauresequenzen nicht sicher festgelegt werden konnen.

3.1.21 Die Peptidbindung

! Die Peptidbindung ist das charakteristische Strukturmerkmal von Proteinen.

Proteine bestehen aus unverzweigten Ketten von Aminosauren, die durch Peptidbindungen (Saureamidbindungen) miteinander verkniipft sind. Sie sind also Aminosaurebiopolymere. Eine Peptidbindung entsteht formal durch Wasserabspaltung von der Aminogruppe der einen und der Carboxylgruppe einer weiteren Aminosaure. Dadurch gehen die freien a-Amino- und a-Carboxylgruppen verloren und liegen nur an den Enden des Proteins in freier Form vor. Es entsteht eine wechselnde Folge von C-Atomen (aus der Carboxylgruppe) und N-Atomen (aus der Aminogruppe) sowie der a-C-Atome, von denen die Seitenketten abgehen: Die Sequenz (-N-C"-C-N-C"-C-) wird als Riickgrat der Peptidkette bezeichnet ( Abb. 3.1). Da es bei allen Peptidketten gleich ist, werden die individuellen Eigenschaften eines Proteins

durch die Seitenketten der Aminosauren bestimmt ( Tabelle 3.1). Auf Grund der hohen Konzentration von Wasser in Biosystemen liegt das Gleichgewicht der Bildung der Peptidbindung auf Seiten der Hydrolyse; ihre Bildung verlangt deshalb Energie, ihre Spaltung durch spezifische Enzyme, die Proteasen, ist energetisch begiinstigt.

Jedes Protein besitzt eine spezifische Zusammensetzung und Reihenfolge seiner Aminosauren. Die Bildung von Peptidbindungen bei der Biosynthese von Proteinen wird in Kapitel 9 geschildert. Jedes Protein besitzt eine spezifische Zusammensetzung und Reihenfolge seiner Aminosauren, die durch die Basensequenz der Nucleinsauren genetisch festgelegt ist. Mit den 21 proteinogenen Aminosauren kann theoretisch eine ungeheure Zahl von Polymeren mit unterschiedlicher Sequenz und unterschiedlichen Eigenschaften gebildet werden. Wenn man die sehr selten vorkommende 21-te proteinogene Aminosaure Selenocystein vernachlassigt, gibt es schon fi.ir ein relativ kleines Protein aus 100 Aminosauren 20 100(etwa 1,3 x 10 130 ) verschiedene Realisierungsmoglichkeiten, d. h. man kann hiermit theoretisch schon mehr verschiedene Sequenzen erzeugen als es wahrscheinlich i.iberhaupt Atome im Universum gibt (ungefahre Abschiitzung 3 x 1078 ). Allerdings wird man in der Natur nur eine beschrankte Anzahl verschiedener Proteine finden, da nur die Proteine mit fi.ir das Uberleben der Organismen essentiellen Eigenschaften langfristig in der Evolution selektiert werden. Gewohnlich wird nach der Kettenlange zwischen kurzkettigen Peptiden und langkettigen Proteinen unterschieden. Traditionell setzt man die Grenze zwischen Protein und Peptid bei 100 Aminosaureresten. Allerdings werden auch kleinere Polypeptide in der Praxis als Proteine bezeichnet, wenn sie fi.ir Proteine typische Eigenschaften haben (z. B. als Enzyme wirken). Peptide mit bis zu 10 Aminosauren bezeichnet man als Oligopeptide, mit mehr als 10 Aminosauren als Poly-

N· terminal

c

Abb. 3.1. Polypeptidkette mit Hauptkette (rot) und Seitenketten (griin). Die einzelnen Peptidketten sind rot umrandet 3.1 Klassifizierung und Eigenschaften von Proteinen

59

3 Tabelle 3.1 Miigliche Funktionen der Aminosaureseitenketten in Proteinen

Aminos.iiurerest Arginyl-

Eigenschaften unci Funlrtionen {Hydrophil; elektrostatische Wechselwirkungen

Lysyl-

Hydrophil; elektrostatische Wechselwirkungen; Befestigung einer prosthetischen Gruppe oder eines Cofaktors tiber Amidbindung; Wechselwirkungen tiber Schiff-Base (Aidiminbildung); Ligand filr Metallion

Histidyl-

Hydrophile oder hydrophobe Wechselwirkungen (in Abhangigkeit vom Ioni ationsgrad); elektrostatische Wech elwirkungen; Protonenilbertragung; Ligand fur Metallion; Akzeptor bei Transferreaktionen

GlutamyiAspartyl-

l

Hydrophil; elektrostatische Wechselwirkungen; Protonentibertragung; Ligand fur Metallion; covalente Bindung tiber endstandige Carboxylgruppe; Aspartylphosphat

GlutaminylAsparaginyl-

Hydrophil; Wasserstoffbriickenbindungen { Asn: Bindung von Kohlenhydratseitenketten

SerylTbreonyl-

Wasserstoffbrtickenbindung; nudeophil; {covalente Bindung tiber Hydroxylgruppe z. B. von Phosphatresten

Glycyl-

Fehlen einer Seitenkette erlaubt grol3e { Flexibilitat in der Faltung des Proteins in diesem Bereich

AlanylValylLeucyllsoleucylPhenylalanylTyrosyl-

!

Hydrophobe Wechselwirkungen; bestimmen die Konformation; Polymere hydrophober Aminosauren verankern Proteine in Zellmembranen

l

Hydrophobe Wechselwirkungen; Protonentibertragung; elektrostatische Wechselwirkungen bei hohem pH; Ligand fur Metallion; covalente Bindung von Phosphatresten

Hydrophobe Wechselwirkungen; nudeoTryptophanyl- { phil; Acylakzeptor; Wasser toffbrtickenbindung Cysteinyl{Redoxreaktionen; Ligand von Metallionen; Selenocysteinyl- Disulfid-(Diselenid-)bindungen Methionyl-

{Hydrophobe Wechselwirkungen; Ligand fur Metallion

Prolyl-

{ Unterbrechung einer a -Helix bzw./3Struktur; hydrophobe Wechselwirkungen

peptide. Peptide werden nach der Anzahl der Aminosauren unter Verwendung von griechischen Zahlen benannt. Ein aus zwei Aminosauren bestehendes Peptid hei6t Dipeptid, ein aus drei Aminosauren bestehendes Peptid Tripeptid, ein aus 10 Aminosauren bestehendes Peptid nennt man Dekapeptid. Die fur die Darstellung von Peptiden und Proteinen ubliche Schreibweise soil am Beispiel des Nonapeptids Bradykinin, eines Peptidhormons mit gefa6erweitern60

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

der und harntreibender Wirkung, erliiutert werden. In der Dreibuchstabenabkurzung (S.47) wurde man Bradykinin schreiben als: +H 3N-Arg-Pro-Pro-Gly-Phe-Ser-Pro-Phe-Arg-cooMan schreibt vereinbarungsgema6 die N-terminale (aminoterminale) Aminosaure an die Iinke Seite und die C-terminale (carboxyterminale) Aminosaure an die rechte Seite der Aminosauresequenz. In der platzsparenden Einbuchstabenabkurzung, die man gewohnlich bei gro6eren Proteinen benutzt, wtirde die Bradykininsequenz +HJN-R-P-P-G-F-S-P-F-R-COolauten.

3.1.31 Protonierungs-Deprotonierungs-

gleichgewichte in Proteinen

Die biologische Aktivitat vieler Proteine hangt von der Aufnahme und Abgabe von Proton en durch dissoziable Gruppen in den Seitenketten von Aminosauren in Proteinen ab. Obwohl bei Proteinen die a -stiindige Carboxyl- und Aminogruppe der freien Aminosauren auGer an den Enden der Polypeptidbindung in die Peptidbindung eingebunden und daher nicht mehr geladen sind, besitzen Proteine i. allg. eine Reihe von dissoziablen Gruppen in ihren Seitenketten. Dies gilt zunachst fiir die Seitenketten der geladenen Aminosauren, also fur die .,. Aminogruppe des Lysins, .,. Guanidinogruppe des Arginins, .,. Carboxylgruppen des Aspartats und des Glutamats, .,. Imidazolgruppe des Histidins, .,. Hydroxylgruppen des Serins, Threonins und des Tyrosins und .,. Sulfhydrylgruppe des Cysteins. Die genannten Gruppen konnen in Abhiingigkeit vom pH-Wert protoniert bzw. deprotoniert werden. Bei katalytisch aktiven Proteinen (Enzymen) wirken diese Aminosaureseitenketten haufig als chemisch aktive Gruppen bei der Umsetzung von Substraten mit. Sie stellen die funktionellen Gruppen fur einen wichtigen Typ der enzymatischen Reaktion, die Siiure-Basen-Katalyse, zur Verftigung. Besonders wichtig ist bier der Histidinrest, der auf Grund seines pK-Wertes bei physiologischem pH in etwa zur Hiilfte als Saure und zur Halfte als Base vorliegt. Wie bei den Aminosauren errechnet sich aus den pH-Werten ein isoelektrischer Punkt, an dem ein Protein die Zwitterionenform besitzt und im elektrischen Feld nicht wandert, da es im Zeitmittel keine elektrische Nettoladung besitzt. Wie bei isolierten Aminosiiuren ist die Gesamtladung von Proteinen vom pH der Losung abhangig. Die pK-Werte der einzelnen Aminosaurereste im Protein mussen nicht mit denen der isolierten Aminosauren ubereinstimmen, i. d. R. weichen

3

..

!!(

"'

4

8

6

10

pH

Abb. 3.2. Titrationskurve von Hamoglobin

sie von diesen Werten ab, da sie durch die direkten Wechselwirkungen mit benachbarten Aminosauren und die elektrische Feldverteilung des gesamten Proteins modifiziert werden. Abb. 3.2 zeigt die Titrationskurve von Hamoglobin, die bei drei pH-Bereichen einen steileren Verlauf nimmt. Zwei dieser Bereiche, bei denen eine gute Pufferwirkung urn pH 3 (bedingt durch die Glutamylreste) und pH 11 (bedingt durch die Arginylreste) besteht, besitzen keine biologische Bedeutung, da sie auGerhalb des physiologischen pH-Bereichs liegen. Die in Abb. 3.2 rot markierte Flache spiegelt die Pufferwirkung der Histidylreste des Hamoglobins wieder, die beim COr Transport durch das Blut und bei der Regulation des Saure-Basen-Haushalts besprochen wird.

KERNAUSSAGEN Proteine spielen fiir aile biologischen Systeme eine entscheidende Rolle, da sie: ... wichtige Strukturelemente darstellen, " fiir nahezu aile Katalysen in biologischen Systemen als Enzyme verantwortlich sind, " Molekiile der Signalerkennung und Signalverarbeitung sind, " als Bestandteile des lmmunsystems an der Abwehr fremder Molekiile und Organismen beteiligt sind, " die Phanomene der Motilitat und Nervenleitung vermitteln. AuBer nach der Funktion kiinnen Proteine nach ihrem Aufbau in einfache und zusammengesetzte bzw. fibrillare und globulare Proteine eingeteilt werden.

Eine modernere Einteilung macht sich spezifische Strukturelemente, d. h. die Faltungstopologie, zunutze und fiihrt zur Einteilung von Proteinen in groBe Familien. Die einzelnen Aminosauren eines Peptides sind mit Peptidbindungen miteinander verkniipft.Jedes Protein besitzt eine spezifische Zusammensetzung und Reihenfolge seiner Aminosauren, die Aminosauresequenz. Das durch die Peptidbindungen gebildete Riickgrat von Proteinen ist bei allen Proteinen identisch. Die Vielfalt der Eigenschaften von Protein en ergeben sich daher aus den Aminosaureseitenketten. Viele biologische Aktivitaten von Proteinen hangen davon ab, dass dissoziable Gruppen in den Seitenketten vorhanden sind, die Protonen aufnehmen oder abgeben kiinnen. Von besonderer Bedeutung sind hier .... die basischen Gruppen von Lysin und Arginin, .... die Carboxylgruppen von Aspartat und Glutamat, ... die lmidazolgruppe des Histidins, " die Hydroxylgruppen von Serin,Threonin undTyrosin sowie " die Sulfhydrylgruppe des Cysteins.

3.2 1Charakterisierung von Proteinen 3.2.1 lsolierung von Proteinen Proteine werden aus Gewebsextrakten oder KorperfiOssigkeiten durch Kombinationen verschiedener chromatographischer Verfahren isoliert. Ein betrachtlicher Teil der wahrscheinlich mehr als 30 000 im menschlichen Organismus vorkommenden Proteine ist bis heute nicht oder nur tiber ihre biologische Aktivitat definiert,ohne dass eine weitere Charakterisierung erfolgt ist, zu der die Reindarstellung gehOrt. Hierzu werden Proteine aus Gewebsextrakten durch eine Kombination verschiedener chromatographischer Methoden isoliert. Dabei wird das Gewebe zunachst homogenisiert und die Proteinfraktion extrahiert. Durch Zentrifugation werden dann zellulare Bestandteile entfernt. Der die biologische Aktivitat enthaltende Uberstand wird dann meist zunachst durch Ionenaustauscherchromatographie fraktioniert. Dabei werden Austauscher auf Cellulosebasis benutzt. Diese konnen beispielsweise Carboxymethylreste (CM -Cellulose, Kationenaustauscher) oder Diethylaminomethylreste (DEAE-Cellulose, Anionenaustauscher) enthalten ( Abb. 3.3). Welche Art von Ionenaustauscher verwendet werden kann, muss in Vorversuchen ermittelt werden, da eine entgegengesetzte Nettoladung des Proteins Voraussetzung fiir eine Interaktion mit den geladenen Gruppen des Ionenaustauschers ist. Die Elution und damit die 3.2 Charakterisierung von Proteinen

61

3 Cellulosepartikel

• / C4H., O- CH2- CH2- N H C H;

Diethylaminoethyl (OEAE)

Cellulosepartikel

Carboxymethyl (CM)

Abb. 3.3. lonenaustauscher auf Cellulosebasis mit Carboxymethyl- oder Diethylaminoethyi-Resten

Trennung von anderen Proteinen erfolgt durch Salzlosungen mit steigender Konzentration. Die lonenaustauscherchromatographie bietet den Vorteil einer meist bedeutenden Volumenreduktion, so dass im nachsten Schritt die Gelchromatographie verwendet werden kann, die Proteine nach ihrer Molekiilmasse auftrennt, aber gleichzeitig zu einer starken Verdiinnung der Losung fiihrt ( Abb. 3.4). Bei diesem Verfahren, das auch als Molekularsiebchromatographie bezeichnet wird, erfolgt die Trennung aufgrund der Molekiilgroge und damit auch, mit gewissen Einschrankungen, aufgrund des Molekulargewichtes. Man lasst Gele aus Dextran oder Polyacrylamid in wassrigen Losungen quellen und fiillt sie in ein Glasrohr. Schickt man nun ein Substanzgemisch aus kleinen und grogen Molekiilen durch das Gel, so diffundieren die kleinen Molekiile (in Abb. 3.4 die gel ben Kugeln) in die Hohlraume der Gelpartikel, wahrend die grogen Molekiile (in Abb. 3.4 violett) sich nur im Losungsmittel zwischen den Gelpartikeln aufhalten. Die grogeren Partikel passieren die Saule deshalb schneller. Die Hochreinigung von Proteinen erfordert haufig weitere Schritte wie die Affinitiitschromatographie oder die Umkehrphasen-Hochdruckchromatographie (s. unten). 1st das Protein bis zur Homogenitat gereinigt, folgen klassischerweise die Bestimmung der Molekiilmasse, die Aminosaureanalyse und die Bestimmung der Aminosauresequenz.

Abb. 3.4. Prinzip der Gelchromatographie 62

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

Da dies besonders bei grogen Proteinen ein augerordentlich miihevoller Vorgang ist, begniigt man sich heute meist damit, Partialsequenzen von durch proteolytische Behandlung (S. 68) gewonnenen Bruchstiicken des jeweiligen Proteins zu ermitteln. Mit ihrer Hilfe lassen sich DNA-Sonden herstellen, die dazu benutzt werden konnen, in entsprechenden cDNA-Banken (S. 233) nach der vollstandigen eDNA des Proteins zu suchen. 1st diese gefunden, lasst sich durch DNA-Sequenzierung anhand der Nucleotidsequenz die Primarstruktur des Proteins wesentlich Ieichter und zuverlassiger ermitteln als durch Aminosauresequenzierung (S. 68). Durch die Entschliisselung ganzer Genome lassen sich heutzutage viele Schritte in silica (durch elektronische Datenverarbeitung) durchfiihren, die friiher in vitro durchgefiihrt werden mussten. Die ldentifikation des Proteins lasst sich zunehmend ohne den Umweg iiber die DNA heutzutage schneller durch den Vergleich mit den bekannten Aminosauresequenzen erreichen, die in den Genomdatenbanken abgelegt sind (S.156).

Die Hochd ruckfiU ssig ke itsch romatogra ph ie erlaubt die Hochreinigung von Proteinen, die nur in geringsten Mengen vorkommen. Trotz dieser durch molekularbiologische Techniken bewirkten Erleichterung bei der Ermittlung der Primarsequenz von Proteinen wird deren Hochreinigung nach wie vor benotigt. Insbesondere lasst sich die posttranslationale Modifikation von Proteinen nicht aus der DNA-Sequenz ablesen. Dies ist besonders bei Proteinen mit Signalcharakter (Hormone, Zytokine) haufig schwierig, da diese nur in winzigen Mengen vorkommen. Gerade sie sind von besonderem Interesse, da sie haufig therapeutisch eingesetzt werden konnen. Fiir ihre strukturelle Charakterisierung mussten hochempfindliche und hochauflosende Verfahren entwickelt werden. Eine Schliisselstellung nimmt dabei die Hochdruckjlussigkeitschromatographie (HPLC) ein.

Abb. 3.5. HPLC-Anlage aus zwei Pumpen, dem Probengeber, der Trennsaule sowie einem UV-Detektor. Das Gradientenprofil ist mit Hilfe einer Kontrolleinheit einstellbar. (Mit freundlicher Genehmigung der Firma Kontron Instruments, Neufahrn)

3 100

80

10

20

30

40 50 Fraktion

60

70

80

Abb. 3.7. Reinigung von Interferon iiber eine RPLC-Saule. (Nach Pestka 1983)

rteigende Konzentration von n-Propanol

Abb. 3.6. Prinzip der UmkehrphasenHPLC. Die ge/b dargestellten Proteine werden Schneller von der Saule eluiert als die grau dargestellten

Ihr Prinzip entspricht dem der Verteilungschromatographie (s. S. 54). Meist wird dabei das Prinzip der Umkehrphasen-Hochdruckjliissigkeitschromatographie verwendet (RP-HPLC, engl. Reversed Phase High Pressure Liquid Chromatography). Ein HPLC-Gerat besteht aus einer Pumpe, einem Probeninjektor, einer Trennsaule, dem mobilen Phasensystem und einem ultraviolett Durchfluss-Detektionssystem (Abb. 3.5). Soli die Konzentration des

organischen Losungsmittels wahrend des Laufes verandert werden (Gradientenelution), sind zwei Pumpen erforderlich, die tiber einen Mikroprozessor gesteuert werden. Von den zahlreichen, tiber die RP-HPLC zur Verfiigung stehenden stationaren Phasen werden die C8(0ctyl-) sowie die CIS- (Octadecyl-) Phasen am haufigsten verwendet, bei denen Ketten mit 8 bzw. mit 18 CH 2Gruppen covalent an die Kieselpartikel gebunden sind. Als Beispiel sei die Hochreinigung von Interferon dargestellt. Interferone werden von virusinfizierten Zellen freigesetzt und machen andere Zellen widerstandsfahiger gegentiber Virusinfektionen (S. 827). Da sie nur in geringsten Mengen auftreten, konnen sie nicht wie die in hohen Konzentrationen vorkommenden zellularen Proteine, wie z. B. Myoglobin, mit tiblichen Standardmethoden isoliert werden. Ausgangspunkt ist dabei eine durch konventionelle Verfahren erhaltene, partiell gereinigte Interferonpraparation. Diese wird auf eine RP-HLC-Saule gegeben, die mit Octylgruppen besttickte Partikel enthalt ( Abb. 3.6), an die sich die Proteine tiber hydrophobe Wechselwirkungen binden. Die Elution erfolgt mit einem n-Propanolgradienten. Sie setzt die verschiedenen Proteine nacheinander aus der Saule frei, und zwar die Proteine mit der grofSten Affinitat zu den Octylgruppen als letzte ( Abb. 3.7). Im nachsten Schritt werden die Interferonaktivitat enthaltenden Fraktionen einer erneuten Chromatographie unterzogen, diesmal nach dem Normalphasenprinzip (Abb.3.8). An die Kieselpartikel sind in diesem Fall Glycerinmolektile gebunden, mit denen die Proteine in Gegenwart hoher n-Propanolkonzentrationen Wasserstoffbriickenbindungen ausbilden. Bei dieser Form der Chromatographie wird die n-Propanolkonzentration der mobil en Phase kontinuierlich reduziert, so dass die Hydrophilizitat kontinuierlich zunimmt und damit auch die Tendenz der Proteine, sich nacheinander von den Glycerinseitenketten abzu!Osen. 3.2 Charakterisierung von Proteinen

63

3

10

20

30

40

50

60

70

80

Fraktion

Abb. 3.9. Rechromatographie der aktiven Fraktion aus Abb. 3.7

abnehmende Konzentration von n-Propanol

10

20

30

40

50

60

70

80

Fraktion

Abb. 3.1 0. Reinigung von Interferon zur Homogenitat (Fraktion 30)

Die Trennung nach diesem Prinzip ergibt mehrere Fraktionen mit Interferonaktivitat ( Abb. 3.9). Die Rechromatographie der zuerst eluierenden Interferonfraktion mit der Umkehrphasen-HPLC ( A.bb.3.10) unter Verwendung einer anderen mobilen Phase fiihrt zu einer reinen Fraktion, die auf ihre Molekiilmasse, ihre Aminosaurezusammensetzung und -sequenz analysiert werden kann. Wie die A.bb. 3.7, 3.8 und 3.10 zeigen, nimmt der Proteinanteil in der Interferonfraktion wahrend der Reinigung kontinuierlich zu.

3.2.2 1 Bestimmung von MolekUimasse und isoelektrischem Punkt

Abb. 3.8. Prinzip der Normalphasen-HPLC. Die grau dargestellten Proteine werden schneller von der Saule eluiert als die ge/b dargestellten

64

3 Proteine (Polyaminosauren)

Die Bestimmung der Molekiilmasse von Proteinen erfolgt heute meist mit Hilfe der Gelelektrophorese. Fur die genauere Analyse der Molekiilmasse werden auch die analytische Ultrazentrifugation und die Massenspektrometrie verwendet.

3 Im SI-MaBsystem wird die Molekiilmasse, wie alle Massen, in kg angegeben. Die Nomenklaturkommision der IUB hat eine daraus abgeleitete GroBe, das Dalton (Da) eingeftihrt. Ein Dalton entspricht dabei der Masse eines 12-tels der Masse des Kohlenstoffisotops 12C also etwa 1,99 X 10- 23 g. Die direkt von den Basiseinheiten abgeleitete GroBe ist die molare Masse, gemessen in kg mol-1• Ein Protein mit der Molekiilmasse von 1 kDa hat nach diesen Konventionen genau die molare Masse von 1 kg mol-1• Die relative Molekulmasse Mr (wie die Molektilmasse bezogen auf ein 12-tel der Masse von 12 C) ist eigentlich ein veralteter Begriff. Sie wird oft immer noch als Molekulargewicht bezeichnet, ein Ausdruck der unlogisch ist, da Mr eine relative Masse, nicht ein Gewicht bezeichnet. DaM, eine dimensionslose GroBe ist, hat sie keine Einheit und (die oft gebrauchte Einheit) D ist im SI-Ma6system nicht mehr zulassig.

!

Die Molekulmasse von Proteinen wird mit der 505-Polyacrylamid-Gelelektrophorese besti mmt. Aufgrund ihrer positiven und negativen Ladungen wandern Proteine im elektrischen Feld. Ihre Wanderung wird dabei durch ihre Nettoladung, GroBe und Gestalt bestimmt. Eine Auftrennung und Analyse von Proteinen durch Elektrophorese kann entweder in freier Losung oder in einem Tragermedium erfolgen. Zur Molektilmassenbestimmung (frtiher Molekulargewichtsbestimmung) von Proteinen wird eine spezielle Form der Elektrophorese mit hoher Auflosung, SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese (SDSdie PAGE), verwendet. Als Trager client ein hochvernetztes Polyacrylamidgel, das direkt vor dem Lauf durch Polymerisierung von Monomeren hergestellt wird. Die PorengroBe des Gels kann durch Variation des Vernetzungsgrades so eingestellt werden, dass sich eine optimale Auftrennung der Proteine ergibt. Die Proteine werden dabei in einer wassrigen Losung aufgenommen, die ein negativ geladenes Detergens, das Natriumdodecylsulfat ( ® Abb. 3.11) (engl. sodium dodecyl sulfate oder SDS) enthalt. Dabei handelt es sich urn den Sulfatester des Dodekanols (eines Alkohols mit 12 CH2 -Gruppen). Dieses Detergens bindet mit seinem Fettsaureanteil an hydrophobe Bezirke des Proteins, so class das Molektil sich entfalten kann und Wechselwirkungen mit anderen Proteinen oder Lipiden aufgehoben werden. Meist wird auch noch ein reduzierender Stoff wie Mercaptoethanol hinzugeftigt, der Disulfidbindungen spaltet, so class eine tiber Disulfidbrticken stabilisierte Konformation nicht aufrechterhalten werden kann bzw. tiber Disulfidbindungen verbundene Proteinkomplexe in Einzelbestandteile zerfallen. Bei der Elektrophorese wandern die durch das SDS negativ geladenen Proteine durch das Polyacrylamidplattengel in Richtung der positiven Elektrode. Da jedoch kleine Proteine schneller durch die Poren des Polyacrylamidgels gelangen, werden die Proteine nach ihrer Molekiilmasse aufgetrennt, d. h. die niedermole-

~

/

H3C

CH2 CH2 CH2 CH2 CH2 / / / / / H2C H2C H2C H2C H2C

CH2-0-~-0J II

0

hydrophob

Na+

geladen hydrophil

Abb. 3.11. Struktur des fOr die SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese verwendeten Detergens Natrium-Dodecylsulfat (SDS)

Kathode

0

Molekulmasse - - - 240,000 220,000 200,000

=--------

Spectrin-a -Kette - - - Sande 1 Spectrin-13-Kene - - - Sande 2 __.-Ankyrin Sande 2.1 __.-Anionenkanal - - - - Sande 3

90 000

Sande4.~ ~ so:ooo

= --- 76,000

Sande 4.2 4.5 Region - - { Sande4.9 ~ Actin - - - - - - Sande 5 Glycerinaldehyd- - - - Sande 6 -3-phosphat-dehydrogenase Sande 7 -------

- 48,000 =--42,000

0

- - - 35,000 ------- 29,000 Anode

Abb. 3.12. SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese von Proteinen der Erythrocytenmembran. Die Trennung erfolgte in einem 5 o/oigen Gel; ein schematisches Modell derVerteilung dieser Proteine in der Membran und ihrer Assoziationen miteinander findet sich auf S. 988, ® Abb. 32.13 (Molekulmassen in Da). (Nach Cohen 1983)

kularen Proteine sind nach Abschluss der Elektrophorese der Anode am nachsten ( ® Abb. 3.12). Nach Beendigung des Laufes mtissen die aufgetrennten Proteine durch eine Farbung sichtbar gemacht werden; dies erfolgt normalerweise mit einem Farbstoff wie Coomassie-Blau oder - bei sehr geringen Mengen - mit einer hochempfindlichen Silberfiirbung. Bei der Elektrophorese konnen mehrere Proben parallel aufgetragen werden, so class man z. B. das elektrophoretische Verhalten einer Proteinprobe unter reduzierenden und nichtreduzierenden Bedingungen vergleichen kann. Zur Molektilmassenbestimmung lasst man ein Gemisch von Proteinen mit bekannter Molekiilmasse in einer Parallelspur mitlaufen, tiber die dann die Molektilmasse des jeweiligen Proteins ermittelt werden kann. Nach der Elektrophorese kann ein Abklatsch (blot) der auf dem Gel separierten Proteine auf Nitrocellulosepapier oder Nylonfolien gemacht werden. Derartige Blots konnen anschlieBend mit einem spezifischen Antikorper getrankt werden, tiber den dann das von diesem Antikorper erkannte Protein identifiziert wird. Diese als Western-Blotting- Technik bezeichnete Methode wird im Rahmen der Proteinanalytik in gro6em Umfang angewandt und ist beispielsweise auch ftir die HIV-Diagnostik von Bedeutung. 3.2 Charakterisierung von Proteinen

65

3 Zur groben Fraktionierung von Proteingemischen in Ki:irperfliissigkeiten (Plasma, Urin, Liquor cerebraspinalis) besitzt die Triigerelektrophorese auf Celluloseacetatfolien als analytisches Verfahren eine besondere Bedeutung. Da bei dieser Methode der Molekularsiebeffekt des Polyacrylamids wegfallt, erfolgt die Trennung ausschlieBlich aufgrund isoelektrischer Punkte der Protein e. V. a. die Trennung der Serum- bzw. Plasmaproteine, deren Konzentration sich bei den verschiedensten Krankheitsbildern andert, wird im klinischen Laboratorium routinemaBig durchgefiihrt. Da der isoelektrische Punkt der Serumproteine im Neutralen bzw. schwach Sauren liegt, wird die Elektrophorese bei pH 8,6 durchgefiihrt. Die dann als Anionen vorliegenden Serum- bzw. Plasmaproteine werden wegen der begrenzten Trennscharfe der Tragerelektrophorese nur in fiinf bis sechs Fraktionen aufgetrennt. Eine weitergehende Trennung erlaubt die Immunelektrophorese, bei der sich an die elektrophoretische Trennung eine immunologische Analyse anschlieBt. Auf Einzelheiten und klinische Bedeutung dieser Methode wird in den Kapiteln 32 und 37 naher eingegangen.

Die zweidimensionale Gelelektrophorese erlaubt neben der Bestimmung der Molekularmasse die zusatzliche Bestimmung des isoelektrischen Punktes. Wird die Gelelektrophorese mit einer anderen Trennungsmethode, der isoelektrischen Fokussierung, kombiniert, so spricht man von der zweidimensionalen Gelelektrophorese. Mit dieser Methode kann neben der Molekiilmasse auch der isoelektrische Punkt eines Proteins bestimmt werden. Weite Verbreitung hat diese Technik aufgrund ihrer extrem hohen Auflosung v. a. bei der Identifizierung von Proteinen gefunden, die fiir bestimmte Gewebe, Ki:irperfliissigkeiten oder Aktivitatszustande von Geweben spezifisch sind. Bei der isoelektrischen Fokussierung (IEF) erfolgt die Trennung aufgrund der Tatsache, dass sich die Nettoladung eines Proteins mit dem pH der umgebenden Li:isung andert. Bei dem fiir jedes Protein charakteristischen isoelektrischen Punkt hat das Protein keine Nettoladung und wandert deshalb im elektrischen Feld nicht. Zur Fokussierung werden die Proteine zuerst in einem nichtionischen Detergens, dem Denaturierungsmittel Harnstoff sowie Mercaptoethanol in Li:isung gebracht, ohne dass dabei ihre Ladung eine Anderung erfahrt. Dann erfolgt die Elektrophorese in einem diinnen Ri:ihrchen, in dem durch die Mischung bestimmter Puffer in einem Polyacrylamidgel ein pH-Gradient hergestellt worden ist ( Abb. 3.13). Jedes Protein wandert nun in die Position des pHGradienten, die seinem isoelektrischen Punkt entspricht, und bleibt dort. Nach Beendigung der Fokussierung wird das Gelri:ihrchen auf ein SDS-Plattengel gelegt, so dass die nach dem IP aufgetrennten Proteine 66

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

I Prote

ge sch

+

1. Dimension

,,~ :;~% .. ient- 6 1

1

10 elektrisches Feld

+

Transfer des Rundgels

Flachgel

elektrisches Feld

2. Dimension

+

sauer hoch

.........·:...· ..· . .-·. . ... ..

2D·Gel

-:

·.

• niedrig Abb. 3.13. Oben: Prinzip der zweidimensionalen Gelelektrophorese mit der Trennung der Proteine nach dem isoelektrischen Punkt {IP) in der ersten Dimension und nach der Molekiilmasse in der zweiten Dimension. Unten: 2-D-Gel der zellularen Proteine einer mensch lichen Leukamiezelle. (Dittmann u. Petrides, unveroffentlicht)

3 jetzt in der zweiten Dimension zusatzlich noch durch SDS-PAGE nach ihrer Molekiilmasse getrennt werden. Dadurch entsteht ein zweidimensionales Muster, bei dem jedes Protein hinsichtlich Molekiilmasse und isoelektrischem Punkt genau charakterisiert werden kann

Tabelle 3.2 5-Werte und daraus errechnete Molekulargewichte einiger Proteine (Ribosomen enthalten neben Proteinen einen graBen Anteil von RNA) ~(Svedberg-

Einheiten bei 20 •C)

(~ Abb.3.13).

Mit dieser Methode konnen einige Tausend verschiedener Proteine aufgetrennt werden. Sie hat im Zuge der funktionellen Genomik (functional Genomics) eine neue Bedeutung gewonnen, da sie erlaubt, sehr schnell das Proteinexpressionsmuster von Zellen in verschiedenen Funktionszustanden zu ermitteln. Werden die 2D-Gelelektrophoresen unter Standardbedingungen aufgenommen, konnen die Proteine auf dem 2D-Gel durch den Vergleich mit Gelelektrophoresen aus Datenbanken automatisch identifiziert werden.

!

Mit der Ultrazentrifugation kann die Molekiilmasse hochmolekularer Proteine bestimmt werden. Fiir die Molekiilmassenbestimmung von hohermolekularen Proteinen und aus mehreren Proteinen bestehenden Komplexen hat sich die von dem schwedischen Chemiker Th. Svedberg und Mitarbeitern entwickelte Technik der analytischen Ultrazentrifugation bewahrt. Zur Molekiilmassenbestimmung wird ein Zentrifugenrohrchen, das die Proteinlosung enthalt, in der Zentrifuge mit sehr hoher Umdrehungszahl einem kiinstlichen Schwerefeld ausgesetzt. Da das Zentrifugalfeld etwa das 400 000-fache des Erdschwerefeldes erreichen kann, sedimentiert das Protein entsprechend seinem Gewicht und seiner Gestalt. Der Sedimentationsprozess wird wahrend des Zentrifugenlaufes mit einem optischen System verfolgt; damit kann die Geschwindigkeit v = dr!dt, mit der das Protein sedimentiert, ermittelt werden, wobei r der Abstand vom Rotationszentrum bis zu einem beliebigen Punkt des Zentrifugenrohrchens ist. Als Voraussetzung fiir die Sedimentation gilt natiirlich, class die Dichte der Proteine groBer ist als die des (i. all g. wassrigen) Losungsmittels. Eine relative Angabe tiber die Molekiilmasse kann gemacht werden, wenn man das Sedimentationsverhalten als ein Vielfaches des sog. Svedberg-Koeffizienten s angibt. Dieser errechnet sich nach Bestimmung der Wanderungsgeschwindigkeit v nach der For mel:

insulin Myoglobin Hlimoglobin Fibrinogen Ribosom Tabakmo aikvirusprotein

6 300 16 900 63 000

340000 I 000 000 59 000 000

mit nicht-spharischer Geometrie (fibrillare Proteine) wandern langsamer als kleine, annahernd kugelformige Proteine (globulare Proteine). Natiirlich werden die gemessenen Sedimentationskoeffizienten auch von Eigenschaften des Losungsmittels wie Dichte und Viskositat beeinflusst, die man daher gewohnlich in den Untersuchungen konstant halt. ~ Tabelle 3.2 zeigt die s- Werte und Molekiilmassen einiger Proteine. Aus dieser ~ Tabelle geht ebenfalls hervor, dass zwischen sWert und Molekiilmasse eines Proteins keine lineare Beziehung besteht. Werden Proteine in einem Losungsmittel, dessen Dichte die der Proteine iibersteigt, einem Schwerefeld unterworfen, so bewegen sie sich nicht zum Boden des Zentrifugenrohrchens (Sedimentation), sondern in Richtung Meniscus (Flotation). Das AusmaB der Flota-

P•ote1ngem sch

2

s=+ wr und besitzt die Dimension einer Zeit (s). In der Gleichung ist w die Winkelgeschwindigkeit, die man direkt aus der Anzahl der Umdrehungen/min berechnen kann (w = 2Jt 60/U). Die Svedberg-Einheit (S) betragt 1 x 10-13 s. Proteine hesitzen S-Werte zwischen 1 und 200. Zur Berechnung der absoluten Molekiilmassen aus dem Sedimentationskoeffizienten milssen noch weitere Eigenschaften des Proteins ermittelt werden. In den Sedimentationskoeffizienten gehen das Volumen und die Form des Proteins ein, groBe Proteine

1,2 2,0 4,5 7,6 70 174

Molekularmassen (Da)

3

-

Abb. 3.14. Prinzip der Dichtegradientenzentrifugation 3.2 Charakterisierung von Proteinen

67

3 tion werden von denselben Eigenschaften des Losungsmittels und des Proteins bestimmt wie bei der Sedimentation. Der Flotationskoeffizient s1 wird analog in SrEinheiten angegeben; er hat eine besondere Bedeutung bei der Charakterisierung der Plasmalipoproteine erhalten (S. 616). Plasmalipoproteine besitzen sr Werte zwischen 0 und 105• Das Prinzip der Ultrazentrifugation wird auch zu praparativen Zwecken angewendet. Das hierfiir erforderliche Gerat ist wesentlich preiswerter als die analytische Ultrazentrifuge. Vor Beginn des Zentrifugenlaufes wird im Zentrifugenrohrchen mit dem Losungsmittel ein Konzentrationsgefalle vom Meniscus zum Boden hergestellt (z. B. mit Saccharose oder Casiumchlorid), in dem die Proteine wahrend des Laufes sedimentieren und sich im Bereich ihrer Dichte anreichern (Dichtegradientenzentrifugation, Abb. 3.14). Durch praparative (Ultra-)Zentrifugation konnen auch andere Makromolekiile (z. B. Nucleinsauren) und subzellulare Partikel getrennt werden.

H, + H- N- A 8 H/

r ==>-·-: r

\_____)

von Aminosaurezusammensetzung und Aminosauresequenz

! Durch Saurehydrolyse der Peptidbindungen werden Proteine in Aminosauren zerlegt.

Nach der Molekiilmassenbestimmung wird die Aminosaurezusammensetzung des Proteins durch Totalhydrolyse ermittelt. Durch Behandlung mit starken Sauren oder Basen konnen Proteine zu Aminosauren hydrolysiert werden. Bei der allgemein verwendeten Siiurehydrolyse werden allerdings betrachtliche Anteile von Serin, Threonin und Tryptophan zerstort.AuBerdem werden Glutamin und Asparagin zu ihren entsprechenden Aminosauren desaminiert, d. h. sie verlieren Ammoniak, das dann im Hydrolysat nachweisbar ist. Bei bekannter Molekiilmasse kann durch Bestimmung der Mengen der einzelnen Aminosauren die Anzahl jeder einzelnen Aminosaure im Protein bestimmt werden.

Die Aminosauresequenz von Peptiden und Proteinen kann durch den Edman-Abbau ermittelt werden. Das Prinzip dieser Methode liegt darin, dass - vom Nterminalen Ende der Peptidkette ausgehend - eine Aminosaure nach der anderen abgespalten, isoliert und identifiziert wird. Der Rest der Kette darf nicht verandert werden, da sonst die Information der Sequenz dieses Restes verloren ginge. Die schrittweise, vielfach wiederholte Abtrennung von jeweils einer Aminosaure gelang erstmalig dem schwedischen Biochemiker Per Edman (1914- 1977) im Jahre 1950. Nach dieser Methode reagiert Phenylisothiocyanat (PITC) 68

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

. Tabakmosaikvirus mit 2130 Untereinheiten) reichen kann, werden primar durch schwache, nichtcovalente Bindungen zusammengehalten (hydrophobe Wechselwirkungen, Wasserstoffbrtickenbindungen, elektrostatische Wechselwirkungen zwischen unterschiedlich geladenen Gruppen). Die nichtcovalenten Interaktionen konnen dann noch durch eine Vernetzung der Untereinheiten tiber covalente Modifikationen wie die Ausbildung von Disulfidbrticken stabilisiert werden. Dies findet man haufig bei extrazellularen Proteinen, die Strukturfunktionen haben und lange stabil bleiben mtissen. Das schon besprochene Kollagen ist hierftir ein gutes Beispiel. In der extrazellularen Matrix bildet es hochmolekulare Fibrillen aus, in denen die einzelnen Untereinheiten durch vielfaltige covalente Modifikationen vernetzt sind (S. 758).

!

Myoglobin und Hamoglobin sind Sauerstofftransporteure im menschlichen Organismus. Die einzelnen Strukturebenen und die damit verbundenen funktionellen Eigenschaften sollen an den globularen Proteinen Myo- und Hamoglobin veranschaulicht werden. Diese heiden Proteine sind am Sauerstoffstoffwechsel des Menschen und anderer Lebewesen beteiligt. Hamoglobin ist auch bei vielen Invertebraten als Sauerstofftrager zu fin den, alternative Sauerstofftransportproteine sind das kupferhaltige Hiimocyanin und das eisenhaltige, Nichtham-Protein Hiimoerythrin. Parallel mit der ahnlichen, jedoch nicht identischen Funktion dieser Proteine geht ein ahnlicher, aber nicht gleicher Aufbau, der die Existenz eines gemeinsamen Vorlaufermolektils in der Evolution nahe legt.

Erythrocyten des Blutes (daher als Prafix Hamo) von den Lungen zu den peripheren Organen und transportiert daneben auch in geringen Mengen Kohlendioxid und Proton en.

Sauerstoff wird an das Ham, die prosthetische Gruppe im Myoglobin bzw. Hamoglobin, gebunden. Beide Proteine sind ftir den Menschen erforderlich, weil Sauerstoff als unpolares MolekiU nur schlecht in den polaren wassrigen Medien des Extra- und IntrazelluHirraumes loslich ist. So bewirkt die Gegenwart von Myoglobin eine mehrfache Steigerung der Diffusionsgeschwindigkeit von Sauerstoff durch die Muskelzelle, und die Anwesenheit von Hamoglobin erhoht die Transportkapazitat des Blutes ftir Sauerstoff auf das siebzigfache im Vergleich zur physikalisch gelOsten Menge. Die Sauerstoffanlagerung an Myo- bzw. Hamoglobin erfolgt nicht direkt an die Peptidkette, sondern an ihre prosthetische Gruppe, das Hiim ( Abb. 3.30). Dieser aktive Bereich der Proteine besteht aus 4 untereinander tiber Methinbrticken (-CH=) verbundenen Pyrrolringen, die verschiedene Seitenketten (4 Methyl-, 2 Vinyl (-CH=CH 2)- und 2 Propionyl (-CH 2-CHr coo- )-Molektile) enthalten und in der Mitte tiber ihre 4 Stickstoffatome ein zweiwertiges Eisenatom komplex binden (Einzelheiten tiber diese als Prophyrine bezeichneten Stoffe und ihren Stoffwechsel s. S.649ff.).

Myoglobin~ Dies ist ein Proteinmonomer mit 153 Aminosauren und einer Molekiilmasse von etwa 17,8 kDa und wurde 1932 von Hugo Theorell in Schweden entdeckt. Es kommt in hohen Konzentrationen in der Herz- und Skelettmuskulatur (deshalb das Prafix Myo) vor. In der Herzmuskelzelle client Myoglobin der Uberbrtickung der Pause der Sauerstoffversorgung, die bei jeder Systole durch die Kompression der versorgenden Coronargefa15e eintritt. Im Skelettmuskel wirkt es als Sauerstoffspeicher bei vermehrtem 0 2- Bedarf, der bei Muskelarbeit auftritt. Hamoglobin~ Dies ist ein Proteintetramer mit insgesamt 574 Aminosauren und einer Molekiilmasse von etwa 64,5 kDa; es wurde von Felix Hoppe-Seyler (1825-1895) schon im 19.Jahrhundert kristallisiert. Hamoglobin client als Sauerstofftransporteur in den

Abb. 3.30. Ham, die prosthetische Gruppe des Myoglobins und Hamoglobins. Es ist durch das proximale Histidin an den Globinteil gebunden. Der Sauerstoff ist zwischen dem zentralen Eisenatom und dem distalen Histidin gebunden 3.3 Die raumliche Struktur der Proteine

81

3 An dieses Eisenatom wird Sauerstoff angelagert, ohne dass sich die Wertigkeit des Eisens andert. Verbunden mit der Anlagerung ist eine Konformationsiinderung des Globinanteils, der von der Desoxy- in die Oxyform iibergeht. Das Eisenporphyringeriist weist konjugierte Doppelbindungen auf, die diesen heiden Hamproteinen und damit dem Blut bzw. der Muskulatur (indirekt dadurch auch der Haut: Blasse bei Blutarmut) eine rote Farbe verleihen.

! Die Globinkette schlitzt das Eisen im Ham vor einer Oxidation durch Sauerstoff.

In Gegenwart von Sauerstoff und Wasser wird das Eisen des freien Hiims so fort zu dreiwertigem Eisen (Hamatin) oxidiert, das keinen Sauerstoff mehr anlagern kann. In Biosystemen wird diese folgenschwere Reaktion durch die Globinkette verhindert, die einen schiitzenden Mantel darstellt. Die Ketten verschaffen den Prophyrinmolekiilen weitere wichtige funktionelle Eigenschaften: Die Sauerstoffanlagerung ist reversibel und die Sauerstoffaffinitat variierbar, wodurch eine Anpassung der Sauerstoffversorgung peripherer Organe an unterschiedliche physiologische Situationen iiberhaupt erst moglich ist. Das gleiche Hamgeriist tritt, eingebettet in andere Polypeptidketten, auch in weiteren Protein en, z. B. den Cytochromen auf (S. 537).

a -Helices machen einen hohen Prozentsatz der Sekundarstruktur des Myoglobins aus. Die Primarstruktur des Myoglobins von iiber 60 Species einschlie6lich des Menschen ( ® Abb.3.31) ist inzwischen bekannt. Ob den beim Menschen vorkommenden Myoglobinvarianten eine pathogenetische Bedeutung zukommt, ist noch unbekannt. Myoglobin war das erste Protein, dessen Konformation Ende der Fiinfziger Jahre, d. h. einige Jahre nach der VerOffentlichung der a-Helix- und ,8-Faltblatt-Strukturen von John Kendrew in Oxford, aufgeklart werden konnte. Nach der Rontgenstrukturanalyse der ungefahr 2500 Atome (Rontgenbeugungsdiagramm des Myoglobins, ® Abb.3.41) machen a-Helices mit iiber 70 o/o einen sehr hohen Anteil an der Sekundarstruktur aus: Es treten insgesamt 8 Helices (A, B, C, D, E, F, G und H) mit einer Lange von 7-23 Aminosauren auf. Myoglobin ist damit ein typischer Vertreter der a -Proteinklasse. Die Werte fiir die Ganghohe und die Anzahl der Aminosaurereste pro Helixwindung liegen sehr nahe bei den von Pauling und Corey postulierten Werten von 0,15 bzw. 0,36 nm. Die Bereiche zwischen den Helices konnen weder dem Faltblatttyp noch einer anderen bekannten Sekundarstruktur zugeordnet werden. Die gesamte Kette ist in sich gewunden, wodurch das Molekiil als Tertiarstruktur die Gestalt einer abgeflachten Kugel mit den Abmessungen 4,4 x 4,4 x 2,5 nm annimmt (® Abb. 3.32). Es entsteht ein hydrophober Kern mit einer gleichfalls hydrophoben Tasche, in die das Ham eingelagert

a

p M (

CD

o~

IGiu l Arg Met Phe leu Ser Phe Pro Thr Thr ~ lys l Thr I Tyr Phe I Pro I H1s •Phe Gly Ser , Ala i l Asp leu Ser His p I IArg I Pro IAsp Leu Ser IPhe Gly I · I I Thr ! I ' I ·IPhe l I M l lle IArg leu!Phe Lys Gly His Pro Glu Thr ILeu IGlu l lys IPhe i Aspl Lysl Phe Lysl HIS leu Lys St>r Glu Asp Glu Met lys' Ala Ser IGiu I

a

a

p

M

40 so 60 E EF Gin I Vai lys Gly His Gly l ys Lys Val l Ala Asp Ala leu Thr Asn Ala Val Ala I His Val l AsP Asp Met Pro Asn Ala leu Ser Ala leu !Val Lys His Gly Lys lys Val l Ala Ala I His leu !Asp Asplleu lys lys His Gly Val Thr Val ILeu I Thr Ala Leu Gly Ala lie leu lysl Lys Lys I Gly HIS HIS Glu lie Glu leu Lys Pro leu

a

p

M

a

p M

Abb. 3.31. Primarstrukturen der a-(blau) und j)-Ketten (gelb) des mensch lichen Hamoglobins und des menschlichen Myoglobins (griin) . Die roten Linien zeigen die Helices A-H. Zur optima len Sequenzuberlagerung 82

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

sind LOcken (braun) eingefugt. Die a-Kette enthalt keine D-Helix. ldentische Aminosauren in allen drei Proteinen sind rot hervorgehoben, identische Aminosauren in den a - und ,8-Ketten grau

3

Abb. 3.32. Tertiarstruktur des Myoglobins. Die Seitenketten sind rot, die Hauptkette schwarz, das PorphyringerOst mit dem Zentralatom Fe(ll) braun, der angelagerte Sauerstoff gelb, das distale und das proximale Histidin griln dargestellt

ist. Die einzige covalente Verbindung zwischen Globinpeptidkette und Hiimmolekiil kommt iiber die Seitenkette des als proximal bezeichnete Histidylrestes zustande ( Abb. 3.30). Deshalb ist dieser Imidazolrest (F8 ) der einzige Molekiilbereich, iiber den Konformationsanderungen des Porphyringeriistes auf den Globinanteil und umgekehrt iibertragen werden konnen. Auf der anderen Seite des Hammolekiils liegt ein weiterer, als distal bezeichneter Histidylrest (E7), der allerdings keine covalente Bindung zum Eisen aufweist ( Abb. 3.30). Zwischen diesen Rest und das Hamgeriist schiebt sich das Sauerstoffmolekiil bei der Reaktion mit dem Myoglobinprotein. Entsprechend

der raumlichen Verteilung hydrophober und hydrophiler Reste im Myoglobinprotein zeigt auch das Porphyringeriist eine Orientierung, bei der derAnteil mit den hydrophoben Vinylseitenketten ins Proteininnere zeigt, wahrend derjenige, an dem die hydrophilen Propionylreste sitzen, in Richtung Proteinoberflache ragt.

3.3 Die raumliche Struktur der Proteine

83

3 !

Hamoglobin entsteht durch Zusammenlagerung von zwei a - und zwei P-Ketten. Hamoglobin war das erste Protein, dessen Tertiar- und Quartarstruktur aufgeklart wurde. Das Protein besteht aus 4 Polypeptidketten, d. h. aus je 2 a-Ketten mit 141 Aminosauren und 2 /3-Ketten mit 146 Resten (HbaJ)2 ) (Abb.3.33). Auch sie besitzen als prosthetische Gruppe das Hammolektil. Die Primarstruktur der beiden Ketten ist bei tiber 60 Species bekannt. Abweichungen von der normalen Aminosauresequenz des menschlichen Hamoglobins, die bei etwa jedem 600. Menschen auftreten, werden als anomale Hiimoglobine bezeichnet (S.l001). Vergleicht man die Sequenz der heiden Hamoglobinketten untereinander und mit der des Myoglobins, so zeigen sich auffallende Ahnlichkeiten, die nicht zufallig sein konnen, sondern dadurch zustande kommen, dass sich sowohl die Peptidkette des Myoglobins als auch die Ketten des Hamoglobins aus einer gemeinsamen Urpolypeptidkette entwickelt haben. Vermutlich hat sich das Gen, das die Basensequenz ftir die Urpolypeptidkette trug, im Zuge der Evolution verdoppelt (Genduplikation). Von diesem Zeitpunkt an entwickelten sich die heiden neu entstandenen Gene unabhangig voneinander, so dass auch unterschiedliche Genprodukte (= Peptidketten) gebildet wurden. Der Prozess der Genverdoppelung wiederholte sich, so dass ein Organismus eine Reihe homologer Gene besitzen kann, die in mehreren Peptidketten (Myoglobin, a- und /3-Ketten des Hamoglobins) Ausdruck finden.

Die raumliche Anordnung der 10 000 Atome des Hamoglobins ergibt vier abgeflachte Kugeln, die zusammen eine Kugel mit den Abmessungen 6,5 x 5,5 x 5,0 nm ( Abb. 3.33) darstellen. Auch bei den Hamoglobinketten treten a-Helices mit einem Gesamtanteil von tiber 70 o/o auf; wahrend bei den /3-Ketten wie beim Myoglobin 8 Helices (A-H) zu finden sind, tritt diese Sekundarstrukturform bei den a-Ketten nur 7 mal (keine D-Helix, Abb. 3.31) auf. Obwohl nur 25 von rund 150 Aminosauren des Myoglobins wieder an den gleichen Positionen in den Hamoglobinketten auftreten, besitzen aile drei Ketten eine fast identische Tertiarstruktur, d. h. die einer abgeflachten Kugel. Dies deutet darauf hin, dass die Konformation von einigen wenigen Aminosauren bestimmt wird, den en insbesondere bei der Bildung des hydrophoben Kerns (Leucin, Isoleucin und Valin) und der Bindung des Porphyrins (Histidin) eine Schltisselstellung zukommt. Die Zusammenlagerung der vier Ketten zu der als Quartarstruktur bezeichneten funktionsttichtigen Einheit erfolgt tiber komplementare Bereiche an der Oberflache der Einzelketten; zusammengehalten werden die Untereinheiten tiber hydrophobe und elektrostatische Wechselwirkungen sowie Wasserstoffbriickenbindungen. Der Vorteil dieser nichtcovalenten Bindungen ist darin zu sehen, dass sich die Untereinheiten ohne hohen Energieaufwand gegeneinander verlagern konnen, d. h. dass dem Tetramer die fur seine Funktion so wichtige Flexibilitat der Konformation erhalten bleibt. Das Hamoglobintetramer bildet im Zentrum einen fliissigkeitsgefullten Kanal, der langs der zweizahligen

coo-

~I

Abb. 3.33. Die tetra mere Struktur des Hamoglobins

84

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

3 Symmetrieachse der Homodimere ausgerichtet ist. Er ist im Desoxyhamoglobin etwa 2 nm breit und 5 nm lang und verkleinert sich mit der Sattigung des Ramoglobins mit Sauerstoff.

Die Tetramerstruktur des Hamoglobins erlaubt die Ausbildung kooperativer Effekte. Welche funktionellen Konsequenzen haben nun der Autbau des Myoglobins aus einer und der des Hamoglobins aus vier Polypeptidketten? Ein Blick auf die Sauerstoffanlagerungskurven ( ® Abb. 3.34) des Myoglobins, der isolierten ,8-Kette und des Hamoglobintetramers zeigt, dass zwar die Kurven des Myoglobins und der ,8- Kette identisch sind, d. h. einen hyperbolen Verlauf nehmen, dass aber bei Zusammenlagerung von 2 a-Ketten und 2 ,8-Ketten zum Hamoglobin ein anderer, als sigmoid bezeichneter Verlauf entsteht, dem ein kooperativer Effekt zugrunde liegt. Kooperativ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Anfangsgeschwindigkeit der Sauerstoffaufnahme bei steigendem Sauerstoffpartialdruck zwar langsamer als beim Myoglobin ist, dass sie aber mit jeder Anlagerung eines weiteren Sauerstoffmolekiils immer schneller steigt. So sind Myoglobin und die isolierte ,8-Kette schon bei einem Druck von 1 mm Hg zu 50 o/o mit Sauerstoff gesattigt, wahrend zur 50 o/oigen Beladung des Hamoglobins ein Druck von 26,6 mm Hg erforderlich ist (sog. Halbsattigungsdruck). Der kooperative Effekt ist somit offenbar an die Gegenwart eines Systems mit mehreren Untereinheiten gebunden. Der biologische Vorteil eines S-formigen Kurvenverlaufes liegt weniger in der erschwerten Sauerstoffaufnahme bei niedrigen Driicken als vielmehr in der erleichterten Abgabe in diesem Bereich: So konnte namlich ein er-

heblicher Teil des Sauerstoffs im Fall einer hyperbolischen Anlagerungskurve bei dem im Bereich der Gewebezellen herrschenden niedrigen Oz-Druck (von 20-40 mm Hg im Kapillarbereich) nicht abgegeben werden. Ein weiterer, in ® Abb. 3.34 allerdings nicht gezeigter funktioneller Unterschied ist die Tatsache, dass sich die Anlagerungskurve des Hamoglobins im Gegensatz zu der des Myoglobins oder der isolierten ,8-Kette durch Veranderung der Protonen- oder Kohlendioxidkonzentration des Mediums nach links oder rechts verschieben lasst, d. h. dass die 0 2-Abgabe erschwert oder erleichtert werden kann. Wie schon eingangs erwahnt, versorgt Hamoglobin periphere Zellen mit Sauerstoff und transportiert gleichfalls einen Teil der im Zellstoffwechsel entstehenden Protonen und Kohlendioxid ab. Das Molekiil muss also Bereiche besitzen, an denen diese Molekiile zum Transport gebunden werden. Auf der anderen Seite konnen diese Molekiile wenn sie z. B. bei Muskelarbeit vermehrt produziert werden - eine erleichterte Sauerstoffabgabe durch das Hamoglobinmolekiil veranlassen (Rechtsverlagerung der Kurve). Die vermehrte Besetzung der Bindungsstellen mit diesen Molekiilen ftihrt offenbar zu Konformationsanderungen, die an die Existenz eines Tetramers gebunden sind und die die Abgabe von Sauerstoff beschleunigen. Dass die Bindungsstellen fiir Protonen und Kohlendioxid nicht mit denen fiir Sauerstoff identisch sind, ergibt sich aus der Beobachtung, dass nicht die Form, sondern nur die Lage der Anlagerungskurve (oder auch Dissoziationskurve) fiir Sauerstoff verandert wird. Derartige Effektoren werden deshalb allosterisch nach der griechischen Bezeichnung fiir ,anderer Bereich" genannt. Ein weiterer allosterischer Effektor ist 2,3-Bisphosphoglycerat, das standig im Glucosestoffwechsel des Erythrocyten entsteht. Es bindet im desoxygenierten Zustand des Proteins im zentralen Kanal. Zur Bedeutung dieses Signalmetaboliten zusammen mitder der Protonen und des Kohlendioxids s. S.994.

Hamoglobin ist eine Lunge im MolekUiformat.

0

10

20

30

40

50

Sauerstoffpartialdruck ImmHg) Abb. 3.34. Sauerstoffanlagerungskurven des Myoglobins, der isolierten ,8-Kette und des tetrameren Hamoglobins

Wie kann nun die Forderung der Aufnahme eines Sauerstoffmolekiils durch die vorherige Anlagerung, der kooperative Effekt, erklart werden? Friiher hatte man angenommen, dass die Anlagerung eines Sauerstoffmolekiils an ein Eisenatom die 0 2 -Affinitat der benachbarten Eisenatome direkt beeinflusst; dies ist aber nicht moglich, da die vier Hamgruppen we it voneinander entfernt, d. h. etwa 2,5-4,0 nm, in gesonderten Taschen an der Oberflache des Hamoglobinmolekiils liegen. Fiir eine direkte- als Ham-Ham-Wechselwirkung bezeichnete - physikalisch-chemische Wechselwirkung ist der Abstand zwischen den Hamgruppen also vie! zu groK Den Schliissel zum Verstandnis des kooperativen Effektes lieferte die Beobachtung, dass das Hamoglobinmolekiil seine Gestalt bei der Aufnahme und Abgabe 3.3 Die raumliche Struktur der Proteine

85

3 von Sauerstoff andert. Schon En de der 40 er Jahre war beschrieben worden, dass sich die Kristallform desHamoglobins bei Sauerstoffaufnahme andert. Es ist also nicht vollig starr, sondern besitzt im Gegenteil eine hochflexible Konformation. Das Hamoglobin stellt somit keineswegs nur eine Art Sauerstofftank dar, sondern es ist - wie Max F. Perutz, dessen Arbeitsgruppe in Oxford die wesentlichen Kenntnisse tiber dieses Molekill entdeckt hat, bemerkt hat- eine Lunge im Molekiilformat. In erster Naherung kommt das Hamoglobin in zwei verschiedenen Formen vor, die sich hauptsachlich in der Anordnung der Untereinheiten, also der Quartarstruktur unterscheiden. Traditionell wird die Hauptkonformation des Desoxyhiimoglobins als T-Zustand und die des Oxyhiimoglobins als R-Zustand bezeichnet. Diese beiden Zustande werden durch Unterschiede in den elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen den Untereinheiten stabilisiert. Im oxygenierten Zustand wird das ad3 1-Dimer relativ zum az-P2 -Dimer urn etwa 15 o verdreht. Dabei bleiben die Kontakte zwischen der a 1- und P 1-Untereinheit sowie der ar und P 2-Untereinheit weitgehend erhalten, wahrend sich die a 1-P 2-Wechselwirkungen und die az-P 1-Wechselwirkungen deutlich andern. Details der an der kooperativen Sauerstoffbindung beteiligten strukturellen Prozesse und deren Reihenfolge sind auch heute noch umstritten. Insbesondere lassen sich die experimentellen Daten hinreichend mit mehr als einem kinetischen Modell erklaren. Der von Rontgenstrukturdaten abgeleitete Mechanismus von Perutz ist in sich schliissig und soli hier dargestellt werden ( Abb. 3.35- 3.36).

Sauerstoffanlagerung verursacht eine Bewegung des proximalen Histidylrestes, der das Ham mit der Globinkette verbindet. Im vollkommen desoxygenierten Zustand befindet sich das Hamoglobin im T-Zustand, den zugehorigen konformationellen Zustand der einzelnen Untereinheiten bezeichnet man folgerichtig als t-Zustand. In diesem Zustand befindet sich das Ham-Fe(II) auGerhalb der Ebene der vier Pyrrolringe des Porphyringertistes und das Porphyrinsystem ist durchgebogen. Lagert sich nun ein Sauerstoffmolekiil an das Eisenatom an, so bewirkt diese Anlagerung eine Anderung der Elektronenkonfiguration, die zu einer Verktirzung der Bindungen zwischen dem Fe(II) und den Porphyrinstickstoffatomen fiihren. Daraufhin bewegen sich das Eisenatom und der Porphyrinring urn etwa 0,075 nm gegeneinander ( Abb. 3.35), das Eisenatom befindet sich nun in der Ebene des nun planaren Porphyrinsystems und die Untereinheit kann in den r-Zustand iibergehen. Die Bewegung des Eisenatoms zieht eine Bewegung des Globinanteils nach sich, da das Eisen tiber den proximalen Histidylrest in der Helix F mit der Peptidkette verbunden ist und das Porphyringeriist tiber hydrophobe Wechselwirkungen mit der Peptidkette in Verbindung steht. Eine Verlagerung der Helix F bewirkt eine Anderung der relativen Position von Helix G und gleichzeitig ihrer C-terminalen Aminosauren Tyrl40 und Argl41. Diese heiden Aminosauren bilden im tZustand der a-Untereinheiten ein Netzwerk von Wasserstoffbriicken und elektrostatischen Interaktionen aus. Der Tyrosinrest ist tiber eine Wasserstoffbriicke an der eigenen Kette verankert und halt das C-terminale Arginin in der richtigen Position zur ionischen Interaktion mit Resten der anderen a-Kette. Dabei inter-

OH

HelixG

HelixG

0 Hamebene

Hamebene

0,075 nm Desoxyhamoglobin

Abb. 3.35. Schematische Darstellung eines Teils der a -Kette des Hamoglobins. Die Aminosauren Tyrosin und Arginin im C-terminalen Ende der Helix H und das Histidin der Helix F, das an das Hameisen gebunden ist, sind besonders hervorgehoben. Rechts: Strukturelle Veranderungen nach Sauerstoffanlagerung. Die Lange der Bindung zwischen dem Eisenatom und den Porphyrinstickstoffen v erringert sich, so dass sich das Eisenatom 86

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

Oxyhiimoglobin

in die Ebene des Porphyrin rings bewegt und gleichzeitig Uber die koordinierte Histidinseitenkette die Helix Fmitzieht. Dies fUhrt zur Verlagerung der Helix Gmit nachfolgender Verdrangung des Tyrosylrestes aus der Bindungstasche. AIs Folge wird die Position des C-terminalen Argininrestes verandert

3 1. OeSQxyhamoglobin

Val (1)

Arg (1 41)

~ 1 9 ~r -e~

l ys(40)

\

11! ~~X _

As~ (94l

a. r-

·· 1 ---eeL---':---1

a2

[

3. Oxygenierung von a 2

2.0xygenierung von a 1

Hi5 (146)

A

....

'11

Tyr (140)

p2

~

c.1 .6 . ~ n ~.

5. Oxygenierung von P1

4. Obergangzur Oxyform freisetzung von 2,3-BPG

®-

~

~ a2

a.

-e

----e

/ Tyr(145)

12 ~ ' Sauerstoff

0-0-

6.0xygenierung von P2

t-

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~

~ a2

-e

-0

----e

2,3-Bisphosphoglycerat

Tyrosin

~

HeM p2

-1

Ham in Desoxyform

4 Ham in Oxyform

X

0-0-

a.

rl

t

-0

Abb. 3.36. Schematische Darstellung der einzelnen Schritte bei der Anlagerung von Sauerstoff an die Untereinheiten des Hamoglobins.1. Desoxyhamoglobin mit durch elektrostatische Klammern und 2,3-Bisphosphoglycerat (2,3-BPG) verbundenen Untereinheiten. Schritt 1-2 und 2-3: Oxygenierung der a-Ketten. Durch die Verengung der Tyrosintaschen werden die Tyrosinreste herausgedrOckt und die elektrostatische Wechsel-

wirkung zwischen Arg141, Vall und Asp126 ausgeschaltet. Schritt 3-4: Obergang der Quartarstruktur von der Desoxy- zur Oxyform unter gleichzeitiger Freisetzung von 2,3-BPG und Stiirung der a 1-f'lr und arf'l•Wechselwirkung. Schritt 4-5 und S-6: Oxygenierung der f'l-Ketten. (Verandert nach Perutz MF 1970)

agiert seine negativ geladene Carboxylgruppe mit der positiv geladenen Aminogruppe von Lysl27, die positiv geladene Guanidinogruppe seiner Seitenkette mit dem negativ geladenen Carboxylrest von Aspl26 und iiber ein ct- -Ion mit der N-terminalen Aminogruppe von Vall. Beim Ubergang in den R-Zustand werden alle diese Interaktionen gesprengt, da Tyrl40 nicht mehr in seiner Position iiber die Wasserstoffbriicke fixiert ist ( Abb. 3.36). Vergleichbare Interaktionen gehen auch die f'l-Ketten ein, bei denen Argl41 durch Hisl46 ersetzt ist. Der wesentliche Unterschied ist hier, dass diese Reste keine Interaktion zwischen den heiden f'l-Ketten vermitteln, sondern zu den a-Ketten. Die C-terminale Carboxylgruppe von f) 2 interagiert mit der Seitenkette von Lys40 von a 1 und umgekehrt. Damit

werden die a 1-Kette mit der f'l 2 -Kette und die a 2 -Kette mit der f'l 1-Kette verklammert. Die Histidinseitenkette interagiert mit einem Aspartylrest der eigenen Untereinheit. Spaltet man die C-terminalen, positiv geladenen Aminosauren ab, so verschwindet der sigmoidale Verlauf der Sauerstoffanlagerungs kurve. Die kooperative Bindung des Sauerstoffs an Hamoglobin hangt demnach von der oben beschrieben Ionenbindung zwischen den Untereinheiten ab, deren Existenz wiederum direkt mit der Sauerstoffbindung an das zentrale Eisenatom verkniipft ist. Mit der plausiblen Annahme, dass im t-Zustand Sauerstoff schwacher gebunden wird als im r-Zustand und gleichzeitig die Bindung im t-Zustand in den f'l-Untereinheiten schwacher 3.3 Die raumliche Struktur der Proteine

87

3 ist als in den a-Untereinheiten,kann man die Kooperativitat nun gut qualitativ (und quantitativ) erklaren: .,. Bei niederem Sauerstoffpartialdruck kann der Sauerstoff zwar an eine a-Untereinheit binden, diese bleibt aber im Wesentlichen im t-Zustand, da das Gesamtmolekiil im T-Zustand stabilisiert ist. .,. Bei Erhohung des Sauerstoffpartialdrucks erhOht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch die zweite aUntereinheit (und mit geringerer Wahrscheinlichkeit die ,8-Untereinheiten) Sauerstoff bindet. Damit erhoht sich die Fe-0 2-Bindungsenergie und die Tendenz der Untereinheit vom t- in den r-Zustand tiberzugehen, ein Prozess, der schlie6lich den Ubergang des Gesamtmolekiils vom t- in den r-Zustand mit den schon beschriebenen Quartarstrukturanderungen triggert.

Mit der Aufnahme von Sauerstoff ist die Abgabe von Protonen verbunden. Am Ubergang vom T- in den R-Zustand sind elektrostatische Wechselwirkungen wesentlich beteiligt. Mindestens zwei der beteiligten Gruppen, die N-terminale Aminogruppe und das C-terminale Histidin haben pKWerte, die im Bereich des physiologischen pH-Wertes von 7,4 liegen. Das bedeutet, class sie Ieicht ein Proton aufnehmen oder abgeben und damit ihren Ladungszustand andern konnen. Ein niedriger pH-Wert (Erhohung der H+-Konzentration) stabilisiert die positive Ladung und damit den T-Zustand. Dies ist die Grundlage des Bohr-Effekts (S. 993 ). Eine Absenkung des pH-Wertes, wie er typischerweise in den Kapillaren in Geweben mit hohem Energieverbrauch gefunden wird, fiihrt damit zur Freisetzung von Sauerstoff, eine Erhohung des pH-Wertes zur starkeren Bindung. Umgekehrt induziert die Bindung von Sauerstoff den Ubergang vom T-Zustand zum R-Zustand, in dem die oben beschriebenen Ionenpaare, die die positiven Ladungen stabilisieren, nicht mehr existieren: Protonen werden freigesetzt. Der zentrale, fltissigkeitsgefiillte Kana! im Hamoglobin wird im Wesentlichen durch die ,8-Untereinheiten gebildet und verkleinert sich deutlich, wenn Hamoglobin vom T-Zustand in den R-Zustand tibergeht. Unter physiologischen Bedingungen bindet er in der Desoxyform 2,3-Bisphosphoglycerat (2,3-BPG), ein Zwischenprodukt des Glucoseabbaues in Erythrocyten. 2,3-BPG verftigt mit zwei Phosphatresten und einer Carboxylgruppe tiber fiinf polare Bezirke und kann dadurch relativ starke elektrostatische Wechselwirkungen mit geladenen Gruppen der ,8-Untereinheiten eingehen. Da die Pore im R-Zustand zu klein ist, urn es aufzunehmen, stabilisiert seine Bindung wieder den T-Zustand und fiihrt damit zu einer erleichterten Freisetzung von Sauerstoff. Dies wird unter anderem bei der Hohenadaptation vom Korper durch erhohte Bildung von 2,3-BPG in den Erythrocyten genutzt, urn die schlechtere Sauerstoffversorgung zumindest teilweise zu kompensieren. 88

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

KERNAUSSAGEN Die Hierarchie der Raumstrukturen von Proteinen erfolgt auf vier Ebenen: .,. Die Primarstruktur beschreibt die Sequenz der durch Peptidbindungen verkniipften Aminosauren eines Proteins. .,. Die Sekundarstruktur umfasst aile Strukturen, die sich durch Wasserstoffbriickenbindungen der CO- und NHGruppen des Riickgrats der Peptidkette erg eben.Dazu gehort die a-Helix, das P-Faltblatt, die Kollagen-Helix und schlieBiich Schleifen, die die o.g. Strukturen miteinander verbinden. .,. Die Tertiarstruktur umfasst die vollstandige dreidimensionale Besch rei bung monomerer Proteine einschlieBiich der durch ihre Aminosaureseitenketten gegebenen Konformation. Stabilisiert wird die Tertiarstruktur durch elektrostatische (ionische) Wechselwirkungen, van-der-Waals-Wechselwirkungen, intramolekulare Wasserstoffbriicken, hydrophobe Wechselwirkungen und Disulfidbriicken. .,. Die Quartarstruktur von Proteinen beschreibt die Assoziation mehrerer Untereinheiten. Sehr viele Proteine, z. B. das Sauerstofftransport-Protein Hamoglobin, entfalten ihre biologische Wirksamkeit nur als Polymere. Fur die Funktion spielen dabei Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Untereinheiten und durch sie ausgeloste Konformationsanderungen eine entscheidende Rolle.

3.4 1Faltung, Fehlfaltung

und Denaturierung von Proteinen

Proteine konnen reversibel denaturiert und renaturiert werden. Die biologische Aktivitat von Proteinen kann nur verstanden werden, wenn man ihre raumliche Struktur kennt. ZerstOrung der intakten raumlichen Struktur (Denaturierung) fiihrt gewohnlich zum Funktionsverlust. C. B. Anfinsen und Mitarbeiter zeigten 1961 in einer Serie von eleganten Experimenten am Beispiel der Ribonuclease, dass kleine Proteine reversibel denaturiert und renaturiert werden konnen ( Abb. 3.37): .,. Das native, enzymatisch aktive Ribonucleasemolektil kann in einer hochkonzentrierten Harnstofflosung entfaltet werden (Harnstoff zerstort fiir die Proteinstruktur wichtige, nichtcovalente Bindungen). Durch Behandlung mit einer Verbindung mit SH-Gruppen (Mercaptoethanol) werden die Disulfidbrticken der Ribonuclease zusatzlich gespalten. Dadurch ergibt sich der denaturierte Zustand, in dem das Enzym keinerlei Aktivitat mehr hat. .,. Entfernt man nun den Harnstoff und das Mercaptoethanol durch Dialyse, so kommt es spontan zur

3 Fortschritte auf dem Gebiet der Strukturvorhersage erzielt wurden, ist der Faltungscode noch nicht bekannt. Dies hat im wesentlichen zwei Grunde: "" Der zugangliche Konformationsraum fur Proteine ist durch die groBe Anzahl von Einfachbindungen in der Hauptkette und den Seitenketten extrem groK .,. Das globale Minimum der freien Enthalpie der nativen Struktur ist sehr flach und unterscheidet sich nur sehr wenig von einer riesigen Anzahl von Nebenminima fast gleicher freier Enthalpie. Die typische freie Enthalpie der Stabilisierung .1.G0srab fur ein mittelgrofies Protein ist im Bereich von 45 ± 15 kJ mol- 1, das heiSt Proteine haben normalerweise eine Stabilisierungsenthalpie, die gerade der Energie einiger weniger Wasserstoffbrucken entspricht.

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84

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P04

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40

Kleine Proteine falten und entfalten sich ohne nachweisbare Zwischenprodukte. SH

HS HS HS

SH SH

cooSH

SH

Abb. 3.37. Denaturierung und Renaturierung von Ribonuclease aus Pankreas. Das native Enzym mit den vier Disulfidbriicken wird durch Behandlung mit einem OberschuB an Thiolen (z. B. Mercaptoethanol) in Gegenwart hoher Harnstoffkonzentrationen entfaltet und somit denaturiert. Nach Entfernung von Harnstoff und Mercaptoethanol durch Dialyse erreicht das Enzym wieder seine urspriingliche Aktivitat und Raumstruktur. Es ist renaturiert

Renaturierung. Hierbei stellt sich die ursprungliche Raumstruktur wieder her, die Cysteinylreste des Proteins gelangen in die richtige Position, so dass sie spontan, unter Einwirkung von gelostem Sauerstoff, zu Disulfidbrucken oxidiert werden konnen. Damit ist gezeigt, dass samtliche Informationen ftir die Ausbildung der Raumstruktur von Proteinen bereits in ihrer Primarstruktur vorhanden sind. Da die Renaturierung bei komplex aufgebauten Enzymen sehr lange Zeit in Anspruch nehmen wurde, stehen der Zelle zusatzliche Hilfsmechanismen zur Verftigung (S.92,282ff.).

!

Der Faltungscode von Protein en ist noch nicht aufgeklart. Wahrend es seit der Aufklarung des genetischen Codes i. allg. kein Problem mehr ist, die in der Nucleotidsequenz der DNA verschlusselte Aminosauresequenz von Proteinen sicher vorherzusagen, ist es bis heute nicht moglich, aus der Aminosauresequenz die dreidimensionale Struktur von Proteinen in atomarer Auflosung sicher vorherzusagen. Obwohl inzwischen erhebliche

Nach (wahrend) der Biosynthese am Ribosom oder der chemischen Synthese im Labor liegen Proteine in ihrem ungefalteten Zustand U vor, der am besten durch den Ausdruck Zufallsknauel beschrieben wird. Unter gunstigen Bedingungen nehmen sie schnell ihre native Struktur Nan. Kleine Proteine, die nur aus einer einzigen Domane bestehen, benotigen ftir ihre Faltung nur einige Millisekunden. Der Faltungsvorgang wird haufig durch folgende einfache Reaktionsgleichung beschrieben: U~ I~N

j,.j X j,.

wobei I ein Zwischenzustand oder wie U selbst ein ganzes Ensemble von verschiedenen konformationellen Zustanden ist und N den nativen Zustand darstellt. X stellt mogliche Faltungsintermediate dar, die nicht auf dem Faltungsweg liegen und die Faltung verzogern oder moglicherweise aggregieren und als Xn ausfallen. In kleinen Proteinen lasst sich allerdings oft kein Faltungsintermediat nachweisen, ihre Faltungskinetik lasst sich perfekt durch ein Zweizustandmodell beschreiben. Die Zwischenzustande I lassen sich haufig als geschmolzener Tropfen (molten globule) beschreiben, in dem schon einige Sekundarstrukturelemente vorhanden sind, aber der hydrophobe Kern noch hydratisiert ist. Eine gute allgemeine Beschreibung des Faltungsvorgangs liefert das Modell des Faltungstrichters (folding funnel), das die freie Enthalpie im konformationell zuganglichen Raum darstellt (Energielandschaft) ( Abb. 3.38). Im ungefalteten Zustand befindet sich das Protein bei hoher Energie am Eingang des Trichters und folgt wie ein Skilaufer bei der Abfahrt ins Tal der Piste. In 3.4 Faltung, Fehlfaltung und Denaturierung von Protein en

89

3 Eine Anderung der auBeren Bedingungen kann zur Denaturierung von Proteinen flihren .

G

G

Abb. 3.38. Schematische Darstellung des Konformationsraums von Proteinen. Der im Prinzip multidimensionale Konformationsraum ist vereinfacht auf zwei Dimensionen reduziert, die zugehorige Energie ist durch die senkrechte Koordinate gegeben.

diesem Bild gibt es viele verschiedene Moglichkeiten, urn vom Berg ins Tal zukommen. Am Anfang gibt es viele verschiedene Startpositionen (Konformere des ungefalteten Proteins) und viele verschiedene Wege. Je mehr sich der Trichter verengt, umso weniger Faltungsmoglichkeiten bleiben iibrig, je groBer die Steigung wird, umso schneller erfolgt die Faltung. Dieses Bild klart auch das Levinthalsche Paradox, das darin besteht, dass der Konformationsraum von Proteinen viel zu groB ist, urn in endlicher Zeit mit groBer Wahrscheinlichkeit die native Struktur zu finden. Wahrend der Faltung ist es einfach nicht notig, alle moglichen Konformationen anzunehmen; die Energiefunktion leitet das Peptid zur nativen Struktur. Bei schnell faltenden Proteinen ist die Energielandschaft einfach und glatt, bei Proteinen mit Faltungsintermediaten I gibt es kleinere Taler mit lokalen Energieminima, in denen das Protein eine Zeit lang aufgehalten wird, Zustande X, die nicht auf dem Faltungsweg liegen, werden durch tiefe Taler dargestellt, aus denen das Protein nur mit Hilfe der thermischen Energie gelangen kann. 90

I

3 Proteine (Polyaminosauren)

Da auch unter gtinstigen (physiologischen) Bedingungen die freie Enthalpie der Stabilisierung, !lG0, 1ab> relativ klein ist, fiihren schon kleine Anderungen der auBeren Bedingungen zu einem Verlust der nativen dreidimensionalen Struktur (Denaturierung). Ein wichtiger Faktor ist die Temperatur, da !lG0, 1ab prinzipiell temperaturabhangig ist. Ausgehend von einem Maximalwert, der normalerweise in der Nahe der physiologischen Temperatur liegt (beim Menschen 37°C) nimmt sie zu hOheren und niedereren Temperaturen hin ab. Wahrend die Hitzedenaturierung fur die meisten Proteine schon bei moderater Temperaturerhohung beobachtet wird, kann die Kaltedenaturierung nur selten beobachtet werden, da die hierzu notwendigen Temperaturen meist unter dem Gefrierpunkt des Wassers liegen. Da die Proteinfaltung durch das Wechselspiel der Krafte im System Protein-Losungsmittel bestimmt wird, fiihren Anderungen der Eigenschaften des Losungsmittels zur Anderung der freien Enthalpie der Stabilisierung und konnen damit die Denaturierung des Proteins bewirken. Denaturierend wirken daher organische Losungsmittel wie Alkohol, die hydrophobe Wechselwirkungen schwachen und damit zur Strukturanderung fiihren. Typische Denaturierungsmittel, die in der Biochemie benutzt werden, sind Harnstoff und Guanidiniumchlorid (Iminoharnstoff), die Wasserstoffbrtickenbindungen aufgrund ihrer der Peptidbindung ahnlichen Struktur schwachen. Diese chaotropen Salze fiihren bei hohen Konzentrationen zur Solubilisierung des hydrophoben Kerns. Auch pH-Anderungen oder der Zusatz von Schwermetallsalzen verursachen eine Proteindenaturierung. Mit diesem Vorgang ist haufig eine Veranderung der Loslichkeit des Proteins verbunden, die zur Austlockung (Koagulation) fiihren kann. Praktische Verwendung findet das Ausfallen von Proteinen mit Trichloressigsaure, Perchlorsaure oder Uranylessigsaure, die mit den Proteinen unlosliche Salze bilden, bei der Analyse von Korpertltissigkeiten, bei denen die Anwesenheit von Proteinen aus irgendeinem Grund st6rt. Die Denaturierung von Proteinen kann reversibel oder irreversibel sein. Fur die irreversible Denaturierung sind meist chemische Veranderungen mitverantwortlich. Typische Prozesse, die spontan auch in vitro ablaufen, sind: .,. Desaminierung von Asparagin und Glutaminseitenketten, .,. Oxidation von Cysteinen und Methioninen, .,. Glycosylierung von Lysinseitenketten, .,. autokatalytische Spaltung der Asp-Pro-Peptidbindungund .,. Racemisierung von Aspartaten. Derartigveranderte Proteine werden proteolytisch abgebaut. Dieser Vorgang lauft intrazellular in Proteasomen

3 (S. 295) oder Lysosomen (S. 192) ab, entfernt als wichtiger Regulationsfaktor fehlgefaltete Proteine und passt die Lebensdauer von Proteinen den Erfordernissen an. Ein biologisch wichtiger Effekt ist die Bildung groBer, stabiler Aggregate (ungeordnete Proteinkomplexe) oder Polymere (geordnete makromolekulare Komplexe). Sie bilden sich gewohnlich aus den fehlgefalteten lntermediaten X oder dem ungefalteten Zustand U (s. Reaktionsgleichung oben). Ab einer gewissen GroBe werden sie i. d. R. wasserunloslich und fallen aus. Damit sind sie praktisch dem Gleichgewicht entzogen.

Fehlgefaltete Proteine konnen Krankheiten verursachen. Im Zentrum des medizinischen Interesses stehen zur Zeit fehlgefaltete Proteine, die sich zu Fibrillen zu-

sammenlegen. Dies gilt sowohl fur das f)-Amyloid der Alzheimerschen Krankheit als auch fur die Ablagerungen von fehlgefalteten Prionproteinen, die man im Gehirn bei den ubertragbaren spongioformen Enzephalopathien (TSE, transmissible spongioform encephalopathy) wie der Creutzfeldt-]akobschen-Krankheit und BSE (bovine spongioform encephalopathy) findet. Gemeinsam ist diesen Krankheiten die zunachst unerwartete Eigenschaft, dass ein fehlgefaltetes Protein im Zustand X die Fehlfaltung anderer Proteine zu induzieren scheint. Dies ist besonders stark bei den Prionen zu beobachten: die infektiosen Proteinpartikel, die aus fehlgefaltetem Prionprotein PrP5'bestehen, induzieren die Neubildung von infektiosen Partikeln aus korpereigenem Prionprotein PrPc,dem Genprodukt des PRNP-Genes. Inzwischen ist es klar geworden, dass die Bildung von amyloidartigen Fibrillen kein Sonderfall ist, son-

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210 220

230

240

250

Wellen lange (nm}

b

d Abb. 3.39 a- d. Bildung amyloidahnlicher Fibrillen aus Myoglobin. a Struktur von nativem Myoglobin mit dem typischen hohen Anteil an a -helicalen Abschnitten. b Nach Ansauern entstehen aus Myoglobin unli:isliche Fibrillen, die aile Eigenschaften von Amyloid haben. cCD-Spektren von nativem Myoglobin (rot) bzw. saurebehandeltem amyloidarti-

gem Myoglobin (blau). Das Minimum des amyloidartigen Myoglobins bei 215 nm zeigt einen hohen Anteil an /3-Faltblattstruktur an. d Ri:intgendiffraktionsbild von amyloidartigem Myoglobin. Die Pfeile geben die Position von Reflexen an,die typisch fur /3-Faltblattstruktur sind. (A us Fandrich etal.2001) 3.4 Faltung, Fehlfaltung und Oenaturierung von Proteinen

91

3 dern sehr haufig auftritt, wenn Proteine im teilweise denaturierten Zustand X in hoherer Konzentration vorliegen. Setzt man Apomyoglobin oder die SH3-Domane der PI3-Kinase einem niederen pH-Wert aus, wird die Faltung gest6rt und es bilden sich Fasern, die alle Eigenschaften von f)- Amyloid haben ( Abb. 3.39 ). Mit der j3-Amyloidbildung geht auch ein Ubergang vom a-helicalen Zustand zur j3-Faltblattstruktur einher wie er mit der CD-Spektroskopie nachweisbar ist. Wahrscheinlich bilden sich intermolekulare j3-Faltblatter aus.

!

Spezifische Faltungshelfer konnen die Faltung von Proteinen beschleunigen und Fehlfaltungen verhindern. Die Anhaufung von fehlgefalteten Proteinen ist fiir die Zelle schadlich und fiihrt letztendlich zum Zelltod. Daher hat die Zelle verschiedene Kompensationsmechanismen aufgebaut: .,. Die Erkennung fehlgefalteter Proteine und deren schneller Abbau ist eine wichtige Strategie, fiir die spezialisierte proteolytische Systeme, das Proteasom und die Lysosomen, zustandig sind. .,. Viele Proteine sind fiir eine schnelle Faltung optimiert, so dass sich fehlgefaltete oder teilgefaltete Proteine nicht (oder nur unter Stressbedingungen) anhaufen konnen. .,. Langsame Prozesse, die die Faltung verzogern, sind typischerweise die cis-trans-Isomerisierungen von Prolinpeptidbindungen und die Ausbildung der richtigen Disulfidbindungen. Diese Vorgange werden von der Zelle durch spezifische Enzyme, die Peptidyl-Prolyl-Isomerasen und die Proteindisulfid-Isomerasen (S. 283 ), beschleunigt. .,. Zusatzlich gibt es eine ganze Gruppe von Proteinen, die Chaperone (S. 284), die keine spezifische katalytisch Funktion wie die einfachen Isomerasen haben. Sie binden Faltungsintermediate I oder fehlgefaltete Proteine X, verhindern so deren Aggregation und beschleunigen die richtige Faltung durch Destabilisierung der Zwischenzustande. Das wohlgefaltete Protein wird von ihnen schliemich abgegeben. Manche Proteine wie das Actin, eine der wichtigsten Komponenten des Cytoskeletts, sind in vivo weitgehend auf die Hilfe der Chaperone angewiesen. Dementsprechend lasst sich rekombinantes Actin in vitro nur mit sehr geringer Ausbeute zuriickfalten.

KERNAUSSAGEN Unter Denaturierung von Proteinen versteht man die Zerstorung samtlicher Strukturebenen mit Ausnahme der Primarstruktur. Die Denaturierung ist dabei immer mit einem Funktionsverlust verbunden. Ausgelost werden kann die Denaturierung durch MaBnahmen, welche die fOr die

92

[

3 Proteine (Polyaminosauren)

Aufrechterhaltung der Raumstruktur benotigten Wechselwirkungen zerstoren, z_ B. Hitze, Kalte, Detergenzien, konzentrierte Harnstoffiosungen u. a. Kleine, auf diese Weise denaturierte Proteine konnen nach Entfernung des Denaturierungsmittels spontan zur nativen Struktur zuriickfalten. Dies bedeutet, dass in der Primarstruktur von Proteinen die gesamte Information fOr ihre Raumstruktur enthalten ist.

In der Zelle ist die korrekte Faltung neu synthetisierter Proteine oft kein spontan verlaufender Vorgang. Er benotigt vielmehr Proteine, wie die Peptidyl-Prolyl-Isomerasen, Proteindisulfid-Isomerasen und Chaperone.

I

3.5 Methoden zur Strukturbestimmung von Protein en Aus den oben dargestellten Griinden lasst sich i. allg. die dreidimensionale Struktur von Proteinen nicht mit ausreichender Sicherheit aus der Aminosauresequenz vorhersagen. Daher ist man auch heute noch auf die experimentelle Bestimmung der dreidimensionalen Struktur angewiesen. Im festen Zustand kann aus Streuung von Rontgenstrahlen, Neutronen oder Elektronen an Proteineinkristallen die dreidimensionale Struktur von Proteinen gewonnen werden. Alternativ kann man in Losung mit der Kernresonanzspektroskopie die Struktur von Proteinen aufklaren; neuere Ergebnisse machen wahrscheinlich, dass dies in Zukunft auch im festen, ungeordneten Zustand moglich sein wird. Eine praktische Bedeutung hat zur Zeit allerdings nur die Rontgenkristallographie und die Kernresonanzspektroskopie in Losung. .

Mit der Rontgenstrukturanalyse kann man die Struktur von Proteinen im kristallinen Zustand bestimmen. Die wichtigste Methode zur Untersuchung der raumlichen Struktur von Proteinen und anderen Makromolekiilen ist die Strukturanalyse mit Rontgenstrahlen (Rontgenstrukturanalyse). Dieses Verfahren wurde bereits Anfang der 30 er Jahre auf Makromolekiile angewendet, jedoch erschien die Interpretation der Beugungsbilder von Proteinen damals hoffnungslos. Erst Ende der SOer Jahre gelang es John Kendrew die Struktur des Myoglobins aufzuklaren und damit nach jahrelanger harter Arbeit zum ersten Mal eine Proteinstruktur zu erhalten. Bei der Rontgenstrukturanalyse muss das zu untersuchende Protein als Einkristall vorliegen, deshalb heigt die Methode auch Rontgenkristallographie. Die Kristallisation von Proteinen stellt auch heute oft noch die groBte Schwierigkeit auf dem Weg zur dreidimensionalen Struktur dar, sie kann innerhalb von Tagen ge-

3

Abb. 3.40. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Kristalls der Pyruvatkinase, eines Enzyms des Glucosestoffwechsels. Der Kristall besteht aus regelmaBig im Kristallgitter geordneten Enzymmolekiilen. Auf einer Kante liegen etwa 2000 Molekiile nebeneinander. (Nach Hess und Sossinka, Dortmund)

lingen oder auch viele Jahre dauern. Vom Grundprinzip ist sie einfach zu verstehen: eine beinahe gesattigte ProteinlOsung wird durch Anderungen der augeren Bedingungen wie dem langsamen Wasserentzug durch Dampfdiffusion in den Zustand der Ubersattigung gebracht. Im Idealfall bilden sich Kristallisationskeime, an die sich immer mehr Proteinmolekiile anlagern, so dass ein groBer Kristall entsteht ( Abb. 3.40). In den meisten Fallen allerdings fallt das Protein einfach aus, ohne Einkristalle zu bilden. Daher muss man gewohnlich viele verschiedene Losungsbedingungen ausprobieren, bevor man zum Ziel kommt. In zwischen setzen sich immer mehr die Kristallisationsroboter durch, die automatisch eine groge Anzahl von Proben ansetzen, regelmaBig kontrollieren, ob und wann sich Kristalle bilden, und dann nach vorgegebenen Strategien die Zusammensetzung des Kristallisationsansatzes variieren. Diese Entwicklung wird durch die neuen Programme der strukturellen Genomik gefordert, die als Ziel die Hochdurchsatzstrukturanalyse von Proteinen haben. Der Proteinkristall wird isoliert und anschlieBend mit monochromatischen Rontgenstrahlen bestrahlt, deren Wellenlange kleiner als die gewunschte Auflosung sein muss. Gewohnlich wird im Labor hierzu die charakteristische Strahlung der Ka-Linie einer Kupferanode verwendet, die eine Wellenlange von 0,154178 nm hat, also im Bereich der Atomabstande (etwa 0,1 nm) liegt. Zunehmend wird aber fUr die Strukturbestimmung die Synchrotonstrahlung groBer Beschleuniger verwendet, die wegen ihrer hohen Luminositat die Aufnahme ganzer Datensatze in wenigen Stunden erlaubt. Die Ablenkung (die Beugung) der Rontgenstrahlen an den Elektronenhullen ergibt charakteristische Beugungsbilder, die fruher auf einem photographischen Film festgehalten wurden ( Abb. 3.41 ). Heute verwendet man allerdings normalerweise Rontgendedektoren wie die CCD- (charge coupled device-) Kamera, deren Signale direkt in digitaler Form an einen Rechner weitergegeben werden. Die Diffraktionsbilder von Makromolekiilen bestehen je nach Qualitat des Kristalls aus 10 000- 100 000 verschiedenen

Abb. 3.41. Photographische Aufnahme des Rontgenbeugungsmusters eines Proteinkristalls (Myoglobin)

Reflexen, die es ermoglichen, die Ortskoordinaten von Tausenden und Zehntausenden von Atom en zu bestimmen. Wenn die Intensitaten und Phasen aller Reflexe bekannt sind, kann man im Prinzip die Struktur direkt aus den Diffraktionsbildern durch eine einfache mathematische Operation, die Fouriertransformation, berechnen. Da die Diffraktionsbilder Ieider nur Intensitaten, aber keine Phasen der elektromagnetischen Strahlung enthalten, mussen diese in zusatzlichen Experimenten ermittelt werden. In der Standardmethode werden dazu Schwermetallderivate der Proteine zusatzlich zum nativen Protein kristallisiert und analysiert (isomorphe Ersetzung). Haben diese: Daten eine ausreichende Qualitat, ist die Strukturberechnung heutzutage im Prinzip eine Routinesache, die in kurzer Zeit erledigt werden kann.

Mit der NMR-Spektroskopie kann man die Struktur von Proteinen in losung bestimmen. Als Alternative zur Rontgenkristallographie hat sich in neuerer Zeit die Kernresonanzspektroskopie (Synonyme: kernmagnetische Resonanzspektroskopie oder NMR (Nuclear Magnetic Resonance) -Spektroskopie) etabliert. Kleinere Proteine konnen hier ohne Kristallisation, also in Losung, unter quasiphysiologischen Bedingungen analysiert werden. Bei der NMR-Spektroskopie werden die strukturabhangigen Wechselwirkungen zwischen den magnetischen Momenten der Kernspins der im Protein enthaltenen Atomkerne zur Strukturberechnung eingesetzt. Wichtig fUr die Methode ist die Ausrichtung der magnetischen Momente in einem hohen statischen Magnetfeld, das nur durch supraleitende Magnete erzeugt werden kann. Die NMRSpektroskopie ist als relativ junge Methode noch in der 3.5 Methoden zur Strukturbestimmung von Proteinen

93

3

Abb. 3.42. Mehrdimensionale NMR-Spektroskopie zur Proteinstrukturbestimmung in Uisung. Links: 30-HNCO-NMR-Spektrum des Kalteschockproteins Csp (cold shock protein) des hyperthermophilen Mikroorganismus Thermotoga maritima. Das Protein wurde in Escherichia coli exprimiert und dabei mit den stabilen Isotopen 15N und 13( angereichert.ln einem HNCO-

Entwicklung begriffen. Fiir die Losung der Struktur muss eine Vielzahl mehrdimensionaler NMR-Spektren aufgenommen werden ( Abb. 3.42). Fiir die Losung von Strukturen von Proteinen mit einer Molekiilmasse von mehr als 10 kDa ist eine Anreicherung der Proben mit den stabilen Isotopen 15N und 13C notwendig. Die praktische Obergrenze fiir die Strukturbestimmung von Proteinen mit der NMRSpektroskopie liegt im Moment bei 100 kDa. Obwohl die meisten Proteine in diesem Bereich der Molekiilmasse zu finden sind, ist dies immer noch ein klarer Nachteil der NMR-Spektroskopie im Vergleich zur Rontgenkristallographie. Allerdings ist es ein klarer Vorteil, die Struktur lOslicher Proteine im gelOsten Zustand zu bestimmen, da die Kristallisation durchaus zu (normalerweise kleinen) A.nderungen der raumlichen Struktur fiihren kann.

Spektrum werden nur die Signale der Peptidbindungen (13C- 15N- 1H) selektiv detektiert. Rechts: Die NMR-Struktur von CSP ergibt eine /3-Faf!-Topologie, die aus 5 {3-Strangen gebildet werden. Das Kalteschockprotein wird bei Abkiihlung von der optimalen Wachstumstemperatur von mehr als 80 'Cin hoher Konzentration gebildet. (Nach Kremer et al. 2001)

3.6 1Synthese von Peptiden und Proteinen

In der medizinischen Diagnostik und Therapie finden natiirliche Peptide und Proteine des Menschen zunehmend Anwendung. Fiir ihre Herstellung werden verschiedene Verfahren angewendet: • Fiir kleine Peptide wird die klassische chemische Peptidsynthese in Losung, • fiir groBere Peptide die chemische Synthese nach dem Festphasenprinzip und • fiir Proteine die biologische Synthese mit Hilfe gentechnischer Methoden verwendet. Da diese Verfahren zunehmend an Bedeutung gewinnen, sollen ihre Prinzipien im folgenden kurz erklart werden.

KERNAUSSAGEN Fur die Strukturbestimmungen von Proteinen stehen als Methoden zurVerfugung: • Die Rontgenstrukturanalyse, mit der die Struktur von Proteinen im kristallisierten Zustand bestimmt werden kann. Eine Limitierung dieser Methode besteht darin, dass manche Proteine auBerordentlich schwierig, wenn iiberhaupt zu kristallisieren sind. Die NMR-Spektroskopie, die zur Bestimmung der Konformation geloster Proteine geeignet ist. Eine Limitierung dieser Methode ist, dass sie fUr Molekiile mit einer Molekulmasse groBer als etwa 100 kDa noch nicht geeignet ist. 94

3 Proteine (Polyaminosauren)

3.6.1 I Chemische Peptidsynthese Zur Kniipfung einer Peptidbindung wird Energie benotigt, die tiber die chemische Aktivierung der Carboxylgruppe zugefiihrt wird. Dies kann z. B. durch die Bitdung eines Siiurechlorids erfolgen, welches dann mit der Aminogruppe einer weiteren Aminosaure unter Bildung der Peptidbindung reagiert ( Abb. 3.43). Enthalt nun z. B. die Seitenkette der zweiten Aminosaure (R2 ) auch eine Aminogruppe (wie z.B. Lysin), so kann die aktivierte Carboxylgruppe natiirlich auch mit dieser funktionellen Gruppe reagieren. Auch die Kondensation mit der Aminogruppe eines Molekiils der akti-

3 coo CH I 70 H3N- C- C I ' oH +

l

SOCI 2

COO

HCI

CH + I 0 HH H3N- c - c, 1 1 1 c1 + H- N - c- cooH 1 H

Aspartat

Phenylalanin

_l_

6 CH

900 CH. + I H3N- c1H

0

H I c - N- c1- coo-

6

H CH


600

~

-!!!

~

E ~

.E

400

200

24

48

72

96

Stunden nach lnfarkt Abb. 4.19. Verhalten der LDH-, CK- und CK-MB-Aktivitat im Serum nach akutem Myocardinfarkt. Angaben in relativen Einheiten; der bis 100 rei. Einheiten gehende Normal bereich ist hervorgehoben

gen hervorgeht. Die Schwere der Zellstoffwechselsti:irung wird auch am unterschiedlichen Auftreten von Zellenzymen im Blutplasma deutlich. Findet man bei leichterer Zellschadigung bevorzugt einen Austritt der li:islichen Enzyme des Cytosols aus der Zelle, so werden beim Zelltod auch mitochondriale Enzyme im Serum nachweisbar. Schwere und Geschwindigkeit der Schadigung der Herkunftszellen, die Li:islichkeit intrazellularer Enzyme im Extrazellularraum, aber auch die Vaskularisierung des geschadigten Gewebes und die Geschwindigkeit der Enzymausscheidung und des Enzymabbaus bestimmen die Hi:ihe der Enzymspiegel im Plasma.

4.3.21 Enzyme als Signalverstarker fi.ir diagnostische Verfahren Neben ihrer fundamentalen Bedeutung fur den Ablauf der normalen Lebensfunktionen in allen Organismen haben sich isolierte Enzyme auch als vielseitig anwendbare Biomolektile in den unterschiedlichsten Lebensbereichen erwiesen. Eine Anwendung hat in der medizinischen Diagnostik eine herausragende Bedeutung erlangt hat. Enzyme konnen als Verstiirker von diagnostischen Signalen eingesetzt werden. Im Kapitel 37 wird auf die spezifischen Wechselwirkungen von Antiki:irpermolektilen mit Antigenen eingegangen. Diese hochselektiven Interaktionen sind ideal geeignet, in Ki:irperfltissigkeiten, Gewebehomogenaten oder mikroskopischen Schnittpraparaten einzelne Molektile sichtbar zu machen oder quantitativ zu bestimmen. Die Antiki:irper werden zu diesem Zweck z. B. mit einem Farbstoff oder einem radioaktiven Molektil chemisch gekoppelt und dadurch mit physikalischen Methoden nachweis bar ( Abb. 4.20 a). Durch die Kopplung von Enzymen an Antiki:irpermolektile kann die Nachweisempfindlichkeit weiter erhi:iht werden, wenn am Ort der Antigen-Antiki:irper-Wechselwirkung durch geeigneten Substratzusatz eine enzy-

4

a

b

Abb.4.20a-c. Prinzip derVerstarkung von immundiagnostischen Signalen durch Enzyme. a Der Antikorper wird mit einem Moleklil gekoppelt, das durch ein physikalisches Verfahren detektierbar ist. b Der Antikorper wird mit einem Enzym gekoppelt. Die Produkte der enzymatischen Reaktion sind durch physikalische Verfahren detektierbar, die Signale sind jedoch gegeniiber a um ein Vielfaches verstarkt. c In der Enzymhistochemie werden meist zwei Antikorper verwendet. Der spezifische primare Antikorper erkennt das auf dem Objekttrager fixierte Antigen. Der sekundare Antikorper ist mit dem Enzym gekoppelt und erkennt das Fc-fragment von lmmunglobulinen. Die Signalverstarkung erfolgt wie in b, der sekundare Antikorper kann mit vielen unterschiedlichen primaren Antikorpern reagieren

matische Reaktion eingeleitet wird, deren Produkt sichtbar wird. FUr die Kopplung an die Antikorper eignen sich Enzyme, deren Endprodukte fotometrisch, durch Chemilumineszenz oder elektronenoptisch nachweisbar sind. Theoretisch kann die Reaktion unbegrenzt lange verlaufen und dadurch eine sehr grofie Nachweisempfindlichkeit erreicht werden. Der ursprlinglich auf wenige Moleklile beschrii.nkte Nachweis wird so beliebig vervielfacht ( Abb. 4.20 b). ELISA (enzyme linked immuno sorbent assay)~ Diese hii.ufig in den klinisch-chemischen Labors benutzten Tests sind zum Nachweis geloster, gering konzentrierter Antigene, z. B. Hormone in Korperfllissigkeiten, geeignet. Die ELISA-Technik ist in vielen unterschiedlichen Variationen auf dem Markt. Weitere Einzelheiten sind im Kapitel 27 nachzulesen. lmmunhistochemie~ Auf Gewebeschnitten ist es oft von grofiem Interesse, einzelne Proteine sichtbar zu machen. Auch hier gelingt das besonders eindrucksvoll, wenn das Protein durch einen Antikorper markiert wird. Zur Sichtbarmachung wird hier meistens mit zwei Antikorpern gearbeitet, dem primii.ren und dem sekundiiren. Wii.hrend der primii.re Antikorper mit seinem F(ab)z-Fragment das Antigen erkennt und gebunden wird (vgl. Kap. 37), bleibt sein Fc-Fragment frei. Der sekundii.re Antikorper erkennt das Fc-Fragment des primii.ren Antikorpers. Er ist mit einem Enzym gekoppelt. Die am hii.ufigsten zur Kopplung an Antikorper benutzten Enzyme sind Meerrettich-Peroxidase, alkalische Phosphatase, j3-Galaktosidase und Glucose-Oxidase in Verbindung mit Peroxidase. Durch Substratzusatz kann nun der Ort sichtbar gemacht werden, an dem sich das Antigen ursprlinglich befand (Abb. 4.20 c). Bei den Produkten handelt es sich meist urn p -Nitrophenol, Umbelliferon oder Azofarb-

Abb.4.21. lmmunhistochemische Darstellung von Desmin in einem Myosarkom. Die mit dem sekundaren Antikorper gekoppelte alkalische Phosphatase hydrolysiert einen Phenylphosphatester, der zu einem roten, unloslichen Azofarbstoff reagiert. Das Praparat ist mit Hamatoxylin gegengefarbt

stoffe. I. d. R. ist das Reaktionsprodukt wasserunloslich und dunkel gefii.rbt. In einem histologischen Prii.parat erkennt man dann die Reaktionsprodukte Ieicht. In Abb. 4.21 ist das muskeltypische Intermediii.rfilament Desmin in einem Myosarkom an der roten Farbung zu erkennen. Das Enzym alkalische Phosphatase hat aus einem ungefii.rbten Phenylphosphatester das Phosphat hydrolysiert, der freigesetzte aromatische Rest reagiert zu einem wasserunloslichen roten Azofarbstoff. Ist das Reaktionsprodukt elektronendicht, konnen auch Darstellungen von wenigen Antigenmoleklilen im Elektronenmikroskop gelingen.

KERNAUSSAGEN Enzymaktivitaten werden in Korperflussigkeiten fu r die klinische Differentialdiagnostik bestimmt. Sie konnen wertvoile Hinweise auf erkrankte Organe und die Schwere einer Gewebeschadigung geben, wenn Enzyme aus den Organen in das GefaBsystem ubertreten. Enzym gekoppelte Antikorper sind die Basis fOr hochempfindliche und selektive Nachweisverfahren biologischer Molekule in Ltisungen oder in histologischen Praparaten.

4.3 Klinische Bedeutung

127

4 4.4 JMechanismen der Enzymkatalyse

! lm aktiven Zentrum eines Enzyms fin den

Substratbindung und -umwandlung statt. Die Vorstellung, dass ein bestimmter Bezirk im Enzym als ,aktives Zentrum" oder als ,,katalytisches Zentrum" wirken mtisse, ist schon vor nahezu einhundert Jahren von Emil Fischer formuliert worden. Wahrend man frtiher annahm, dass Enzym und Substrat relativ starr nach dem Modell von ,Schloss und Schltissel" miteinander reagieren, wurde spater von Daniel Koshland die Vorstellung von der ,induzierten Passform" (engl. induced fit) entwickelt. Danach induziert das Substrat eine Konformationsanderung des Enzymmolekiils, wodurch eine Voraussetzung fiir die Enzymkatalyse geschaffen wird. Ftir die heutigen mechanistischen Vorstellungen tiber die Wechselwirkungen von Enzym und Substrat sowie die Enzymkatalyse sind zwei methodische Entwicklungen von ganz besonderer Bedeutung gewesen. Einmal hat sich die Auflosung der fiir die Ermittlung der Raumstruktur von Proteinen verwendeten Methoden (Rontgenstrukturanalyse, NMR-Spektroskopie) ganz wesentlich verfeinert, zum Zweiten haben die Fortschritte der Molekularbiologie es moglich gemacht, in relativ kurzer Zeit die Primarstruktur von Enzymproteinen anhand ihrer eDNA (S. 233) zu ermitteln. Eine genaue Kenntnis der Raumstruktur sowie der Primarstruktur von Proteinen ermoglicht es, die am Aufbau des aktiven Zentrums eines Enzyms beteiligten Aminosauren zu ermitteln. In sehr vielen Fallen stellt das aktive Zentrum eine spezifische, oft hydrophobe Tasche im Enzymmolektil dar, in der sich die fiir die Wechselwirkung mit dem Substrat benotigten Aminosauren befinden. Diese sind haufig wegen der im Vergleich zum Enzym geringen GroBe des Substrats sehr nahe beieinander lokalisiert. Dies entspricht jedoch keineswegs der Position dieser Aminosauren in der Primarstruktur. Abbildung 4.22 zeigt diesen Tatbestand am Beispiel der Ribonuclease A aus Pankreas (RNase A). Ander aus Rontgenstrukturdaten abgeleiteten Raumstruktur ist deutlich die Tasche zu sehen, in die sich das Substrat RNA einlagert. Ftir die Spaltungsreaktion sind zwei Histidinreste essentiell, die an Position 12 und 119 der Peptidkette liegen. Durch die Faltung des Proteins (Sekundar- und Tertiarstruktur) kommen diese in so enge Nachbarschaft, dass sie die Phosphorsaurediesterbindung von RNA-Molektilen spalten konnen. Das Histidin Nr. 12 wirkt als Base und zieht ein Proton von der 2'-0HGruppe eines Riboserestes ab. Dadurch wird der nucleophile Angriff dieser Gruppe auf das benachbarte Phosphoratom erleichtert, wodurch ein 2',3'-Phosphorsaurediester entsteht. Das Histidin 12liefert einen Wasserstoff zur Protonierung der 5 · -CH2-0H-Gruppe des abgehenden Spaltstticks. In der zweiten Teilreaktion wird die Phosphorsaurediesterbindung hydrolysiert.

128

I

4 Sioenergetik und Enzymologie

Dabei wirkt Histidin 119 als Base, Histidin 12 als Saure (s. Saure-Basen-Katalyse, S. 20 ). Die Wechselwirkungen zwischen den reaktiven Aminosaureresten des aktiven Zentrums und dem jeweiligen Substrat konnen sehr verschiedenartig sein. Die Substratbindung kann ~ tiber elektrostatische Wechselwirkungen, ~ tiber Ionenbindungen (positiv geladene Seitenketten von Lysin, Arginin oder der Imidazolgruppe von Histidin, negativ geladene Carboxylatgruppen von Aspartat und Glutamat), ~ durch Wasserstoffbrtickenbindungen, ~ durch hydrophobe Wechselwirkungen oder ~ nicht selten durch Ausbildung einer covalenten Bindung mit einer reaktionsfahigen Gruppe des Substrats erfolgen. Dieser Vielfalt der Ausbildung eines Enzym-SubstratKomplexes entspricht auch die Vielfalt der moglichen enzymatischen Mechanismen. Formal konnen wenigstens drei grundlegende Katalysemechanismen unterschieden werden. Es handelt sich urn ~ die Saure-Basen-Katalyse, ~ die covalente Katalyse und ~ die Metallionenkatalyse. Sehr haufig lasst sich allerdings die Enzymkatalyse nicht auf eine der genannten drei Moglichkeiten alleine zurtickfiihren, sondern geht auf Kombinationen der genannten Mechanismen zurtick.

Manche Ribonucleinsauremoleklile besitzen auch katalytische Aktivitat. Die Beschleunigung bestimmter Reaktionen im Stoffwechsel von Ribonucleinsauren bei manchen Viren und niederen Eukaryonten wie Hefen und Einzellern ist nicht in jedem Fall an Enzyme gebunden. Es hat sich herausgestellt, dass daftir katalytisch aktive RNA-Molektile existieren, die als Ribozyme bezeichnet werden ( Abb. 4.20 c). Sie bestehen aus 50 bis 100 Nucleotiden bzw. entsprechend Iangen Motiven in groBeren RNA-Molekiilen und form en charakteristische Strukturen, die zu den Bezeichnungen Hammerkopf- oder Haarnadel-Ribozym geftihrt haben. Die von Ribozymen vermittelten Reaktionen beschranken sich auf Umesterungen und auf die Hydrolyse von Phosphorsaurediesterbindungen beim SpleifSvorgang der RNA (S. 253). Von besonderer Bedeutung war jedoch v. a. die Beobachtung, dass Ribozyme auch Saureamidbindungen kntipfen konnen. Die Umsatzgeschwindigkeiten von Ribozymen erreichen nicht das AusmaB enzymkatalysierter Prozesse. Die Entdeckung der Ribozyme hat die Hypothese gesttitzt, dass frtihe Formen des Lebens auf unserer Erde in einer rein en RNA-Welt moglich waren, die zunachst ohne die Vielfalt der Proteine au skarn. Spater hat sich im Laufe der Evolution die enorme katalytische Potenz der Proteine als dominierendes Prinzip bei der Beschleunigung von Stoffwechselwegen durchgesetzt.

4

Rl 0 I II 0 - P- 0 - CH I 2

o-

NH CH CH

c

0

H

tl

0 II

CH

R - 0 - P- 0- CH I I 2

o-

0

C

CH

Rb

0

I .Abb. 4.26 a zu entnehmen ist, reagiert die Carbonylgruppe des Fructose-1,6-Bisphosphats mit der .s-Aminogruppe eines Lysylrestes des Aldolaseenzyms unter Bildung einer Schiffbase. Diese wird protoniert und destabilisiert damit die C-C-Bindung zwischen den C-Atomen 3 und 4 des Fructose-

1,6-Bisphosphats so we it, dass die Abspaltung von Glycerinaldehyd-3-Phosphat erfolgen kann und das Enzym gebundene Enolatanion des Dihydroxyacetonphosphats iibrigbleibt. Dieses wird nach Deprotonierung hydrolytisch vom Enzym abgespalten. Abbildung 4.26 b zeigt eine raumliche Darstellung der humanen Aldolase. Die Bindungstasche mit den beiden Substraten Glycerinaldehyd-3-Phosphat und Dihydroxyacetonphosphat ist deutlich zu erkennen. Bei der groBen Gruppe der Serinproteasen, zu denen unter anderem viele Verdauungsenzyme, die Enzyme der Blutgerinnungskaskade (S. 1018) sowie die Enzyme der Fibrinolyseaktivierung (S.l025) gehoren, findet sich als Katalysemechanismus eine Mischung aus Saure-Basen-Katalyse und covalenter Katalyse. Abbildung 4.27 stellt den zugrunde liegenden Mechanismus am Beispiel des Chymotrypsins dar. Fiir die Katalyse essentiell ist die OH-Gruppe des Serylrestes 195. Diese liegt in enger Nachbarschaft zum Histidin 57 sowie dem Aspartat 102. Wieder Abbildung 4.27 zu entnehmen ist, wird zunachst die OH-Gruppe des Serins 195 durch das benachbarte Histidin 57 polarisiert und greift danach die Carbonylgruppe an der Spaltstelle des Peptids nucleophil an. Das dabei entstehende Oxianion wird durch NH-Gruppen des Peptidriickgrats stabilisiert. Diese covalente Katalyse wird dadurch erleichtert, dass der Imidazolring des Histidin 57 das abgespaltene Proton des Serins 195 aufnimmt, wobei ein Imidazolium-Ion entsteht. Dieser Teilschritt der Katalyse entspricht der allgemeinen Basenkatalyse und wird durch das Carboxylation des Aspartat 102 unterstiitzt (in der Abbildung nicht dargestellt). In der nachsten Teilreaktion zerfallt das tetraedrische Zwischenprodukt unter Deprotonierung des N3 des Histidins 57 in das Acyl-Enzym-Zwischenprodukt. Der neue N-Terminus des Spaltstiickes lost sich vom Enzym ab. An seine Stelle tritt Wasser aus dem Losungsmittel ein, welches in den nachsten Reaktionen die Esterbindung zwischen Serin 195 und dem neuen C-Terminus spaltet. Bei allen bisher untersuchten Serinproteasen findet sich das bier am Beispiel des Chymotrypsins dargestellte Wechselspiel zwischen einer Hydroxylgruppe eines Serylrestes sowie einem benachbarten Histidin. Dariiber hinaus verfiigen eine Reihe weiterer Hydrolasen (z. B. Lipasen) tiber ein katalytisches Zentrum, in dem Serin und Histidin in ahnlicher Weise am Katalysemechanismus beteiligt sind. Das Proteasom ist eine Protease, die aus 28 einzelnen Polypeptidketten aufgebaut ist. Im Inneren des zylinderformigen Molekiils finden sich ingesamt 14 N-terminale Threoninreste, von denen jeder ein aktives Zentrum darstellt. Die OHGruppen dieser Aminosauren katalysieren den nucleophilen Angriff auf die Peptidbindungen und formen intermediar einen covalenten Komplex. Gelegentlich bilden auch Enzym gebundene Coenzyme das covalente Enzym-Substrat-Produkt. Dies ist beispielsweise der Fall bei allen Pyridoxalphosphat-abhangigen Enzymen (S.465). 4.4 Meehan is mender Enzymkatalyse

131

4 H 2 C-OPO~

o-c +

HO-CH

Fructose -1,6Bisphosphat

HC OH I HC - OH

I

2

H2C- OP0 3

E I

H,C-OPO~

NH

HC - (CH2)4- W= C I H.... O= C HO CH; 1 HC ~ 0 H

Protonierte Schiff-Ba.se

I

HC - OH H2C - OPO~-

Glycerinaldehyd3-Phosphat

E NH H2C - OPO~ I HC - (CH ) - N- C

I

24

H

O= C

E I

O= C I

/ R,

• / R, N/

H

c

R, ,

~0 #

/c . N o-

H

H,C-OPO~

NH

HC - (CH 2)4 - W= C

I

R1

HC--OH

I

0

0

Enamin

H

HC-OH H

Protonierte Schiff-Base

E

I NH HC - (CH 2)4- NH 2

H1C-OPOi

+

0

I

a

o- c

I

c I

Dihydroxyacetonphoshat

H2C-OH

Abb. 4.26. a Reaktionsmechanismus der Fructose-1 ,6-Bisphosphat-AIdolase. Die Carbonylgruppe des Fructose-1,6-Bisphosphats reagiert mit der s-Aminogruppe eines Lysylrestes des Aldolaseenzyms unter Bildung einer Schiffbase. Diese wird protoniert und labilisiert damit die C-C-Bindung zwischen den C-Atomen 3 und 4 des Fructose-1 ,6-bisphosphats mit Abspaltung von Glycerinaldehyd-3-phosphat, so dass das Enzym gebundene Enolatanion des Dihydroxyacetonphosphats ubrigbleibt. Dieses wird nach Deprotonierung hydrolytisch vom Enzym abgespalten. b Raumstruktur der humanen Fructose-1,6-Bisphosphat-Aidolase. Man erkennt die Substratbindungstasche mit den beiden Substraten Glycerinaldehyd3-phosphat und Dihydroxyacetonphosphat. (Aufnahme von SWISS-301MAGE, Universitat Genf) 132

4 Bioenergetik und Enzymologie

Abb. 4.27. Katalysemechanismus des Chymotrypsins.Die OH-Gruppe des Serins 195 wird durch das benachbarte Histidin 57 polarisiert und greift danach die Carbonylgruppe an der Spaltstelle des Peptids nucleophil an. Das dabei entstehende Oxianion wird durch NH-Gruppen des Peptidruckgrats stabilisiert. Der lmidazolring des Histidin 57 nimmt das abgespa/tene Proton des Serins 195 unter Bildung eines lmidazolium-lons auf. In der nachsten Teilreaktion zerfal/t das tetraedrische Zwischenprodukt unter Deprotonierung des N3 des Histidins 57 in das Acyi-Enzymzwischenprodukt. Der neue N-Terminus des Spaltstuckes lost sich vom Enzym ab. An seine Stelle tritt Wasser aus dem Losungsmittel ein, welches die Esterbindung zwischen Serin 195 und dem neuen C-Terminus spaltet

4 ... durch reversible Anderung ihres Oxidationszustandes an Redoxreaktionen teilnehmen (z. B. Cytochrome, S. 537) oder .., Ladungsverteilungen stabilisieren und so die Reaktionsfahigkeiten bestimmter Atome durch Polarisierung erhohen.

/R

O= C H ....~---··· • ' N- CHz- COO-

z

...·· ... ········ 0 H/



'

H

/ R

Zn ······ O= C

+

' oH

Zn

+

/ R

O= C

' oH

Abb.4.28. Reaktionsmechanismus der Zinkprotease Carboxypeptidase A. Ein Zinkion, welches an zwei Histidyl- und einen Glutamylrest der Enzymkette komplexiert ist, dient der Polarisierung einer der zu spaltenden Bindung benachbarten Carboxylgruppe. Dies ermiiglicht den Angriff eines Hydroxylions an diese Gruppe, wobei die Peptidbindung gespalten wird

! Metallionen sind die haufigsten Cofaktoren bei Enzymreaktionen.

Metallionen werden als Cofaktoren von nahezu zwei Dritteln aller Enzyme benotigt. Dabei enthalten die sogenannten Metalloenzyme Metallionen, die in stochiometrischem Verhaltnis sehr fest an das Enzymprotein gebunden sind. Sie werden haufig auch als die prosthetische Gruppe des Enzyms bezeichnet. Die Entfernung dieser lonen fiihrt zum Verlust der katalytischen Aktivitat. Haufig handelt es sich urn Eisen, Kupfer, Zink oder Mangan (S. 699). Metallionen-aktivierte Enzyme binden das Metall nur locker an das Protein, wobei es jedoch auch hier fUr die volle enzymatische Aktivitat wichtig ist. Die hier vorkommenden Metalle sind in der Regel Alkali- bzw. Erdalkalimetalle wie Na+, K+, Mg2+ oder Ca2+. Metallionen konnen sich dadurch in den Katalyseprozel3 einschalten, class sie .., an Substrate binden, urn diese in die entsprechende Konformation zu bringen,

H I

z - o-

C02

l •

.

H I

z - o0

'c

0

Abb. 4.29. Funktion des Zinks beim Mechanismus der Carboanhydrase. Das an das Enzym komplexierte Zinkion bindet ein sehr reaktionsfahiges Hydroxylion. An dieses wird C02 addiert und der dabei entstehende Kom-

Der letztere Aspekt lasst sich besonders gut am Beispiel Zink-abhangiger Metalloenzyme demonstrieren. Die Carboxypeptidase A ist eine Exopeptidase, die vom Pankreas synthetisiert und in das Duodenum abgegeben wird. Essentiell fiir ihre katalytische Aktivitat ist ein Zinkion, welches an zwei Histidyl- und einen Glutamylrest der Enzymkette komplexiert ist ( Abb. 4.28). Das Zink client hier der Polarisierung der Carbonylgruppe an der zu spaltenden Bindung. Dies ermoglicht den Angriff eines Hydroxylions an dieser Gruppe wobei die Peptidbindung gespalten wird. Die Carboanhydrase katalysiert die Hydratisierung von C02 zu Hydrogencarbonat (Bicarbonat) nach der Gleichung

Das Enzym gebundene Zinkion enthalt hier ein sehr reaktionsfahiges Hydroxylion. Dieses wird zunachst an C0 2 addiert. Der dabei entstehende Komplex wird mit Wasser abgespalten, so class sich die reaktionsfahige OH-Gruppe am Zinkion regeneriert und als Produkte HC0 3- und ein Proton entstehen (Abb. 4.29).

KERNAUSSAGEN Enzyme sind komplex aufgebaute Proteine, die mit ihrem jeweiligen Substrat eine reversible Bindung unter Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes eingehen.Die hierfiir verantwortliche Region des Enzymproteins wird als aktives Zentrum bezeichnet. Dieses enthalt die fiir die jeweilige Reaktion verantwortlichen Aminosaurereste. Der molekulare Mechanism us enzymatischer Reaktionen beruhtaufwenigen Prinzipien: "' Bei der Saure-Basen-Katalyse wird ein aktiver Obergangszustand des Substrates durch Anlagerung oder

H,O

~

Zn

H I

·- o

OH I

c

+ 0

' o·

+

H

w

plex mit Wasser abgespalten. Dadurch wird die reaktionsfahige OH-Gruppe amZinkion regeneriert,als Produkte entstehen HC03- und ein Proton

4.4 Mechanismen der Enzymkatalyse

133

4 Abzug von Protonen erreicht, wobei haufig Histidylreste des Enzyms eine grolle Rolle spielen. .. Bei der covalenten Katalyse liefert eine covalente Bindung zwischen Enzym und Substrat, meist iiber Seryl-, Cysteinyloder Lysylreste des Enzyms, den aktiven Obergangszustand. Die durch Metallionen vermittelte Katalyse zeichnet sich dadurch aus, dass Metallionen durch Elektroneniibertragungen oder durch Polarisierung funktioneller Gruppen den Katalysevorgang erleichtern.

man, dass sich die Konzentrationen der meisten Substrate in der Zelle im Bereich der Km- Werte der einzelnen Enzyme bewegen. Infolgedessen fiihren schon geringe Anderungen der Substratkonzentrationen zu bedeutenden Anderungen der Umsatzgeschwindigkeit. Dieser Mechanismus hat besondere Bedeutung fur die Stoffwechselreaktionen, bei denen mehrere Enzyme urn ein Substrat konkurrieren. Ein gutes Beispiel hierfiir ist Glucose-6-Phosphat, welches von der Hexosephosphatisomerase, der Glucose-6-Phosphatase und der Phosphoglucomutase umgesetzt wird.

lnduktion bzw. Repression sind Moglichkeiten der Langzeitregulation der Enzymaktivitat.

I

4.5 Mechanismen der Enzymregulation Jeder Organismus hat das Bestreben, sein extra- und intrazellulares Milieu in sehr engen Grenzen konstant zu halten. Dieses auch als Homoostase bezeichnete Phanomen setzt voraus, dass sich Geschwindigkeit und Richtung der groBen Zahl moglicher Stoffwechselreaktionen den auBeren Bedingungen wirkungsvoll anpassen konnen. Zellen und erst recht Organismen miissen imstande sein, bestimmte Stoffwechselreaktionen oder Stoffwechselwege zu verlangsamen, stillzulegen und gleichzeitig andere Stoffwechselsequenzen zu beschleunigen. Ein wichtiges Werkzeug zur Verwirklichung dieses Ziels ist die Moglichkeit, die Aktivitat bestimmter Schliissel- oder Schrittmacherenzyme des Stoffwechsels zu regulieren. Regulation kann dabei auf der Ebene der Biosynthese oder des Abbaus der verschiedenen Enzyme erfolgen oder auch auf einer Anderung der katalytischen Aktivitiit bestimmter Enzyme beruhen.

lnfolge von Veranderungen der Substratkonzentration wird im Organismus die Umsatzgeschwindigkeit am schnellsten angepasst. AuBer von der Enzymkonzentration ist die Umsatzgeschwindigkeit eines Enzyms natiirlich von der aktuellen Konzentration seines Substrats am aktiven Zentrum des Enzyms abhangig. Wie auf S. 119 abgeleitet wurde, besteht eine hyperbole Abhangigkeit zwischen Substratkonzentration und Umsatzgeschwindigkeit eines Enzyms. Erst im Bereich der sogenannten Substratsiittigung(S.119) fiihren Anderungen der Substratkonzentration nicht mehr zu Anderungen der Umsatzgeschwindigkeit. Bei niedrigeren Substratkonzentrationen gelangt man in den Bereich, in dem schon relativ geringfiigige Anderungen der Substratkonzentration groBe Anderungen der Umsatzgeschwindigkeit zur Folge haben. Die Michaeliskonstante Km (S.120) bezeichnet dabei die Substratkonzentration, bei der die halbmaximale Umsatzgeschwindigkeit des Enzyms erreicht ist. Aus einer groBen Zahl von Messungen weiB 134

I

4 Bioenergetik und Enzymologie

Eine Moglichkeit, den Enzymbestand von Zellen oder Organismen an geanderte Umweltbedingungen anzupassen, besteht in der ErhOhung oder Erniedrigung der Enzymmenge. Da Anderungen dieser GroBe nur durch Stimulierung bzw. Hemmung der Biosyntheserate bzw. durch Stimulierung oder Hemmung der Proteolyse eines bestimmten Enzymproteins zu erhalten sind, ist hierfiir in jedem Fall die Anderung der Transkriptionsrate spezifischer, fiir Enzyme codierender Gene notwendig. Hierfiir werden extra- bzw. intrazellulare Signale benotigt, deren Natur und Wirkungsweise ausfiihrlich in den Kapiteln 8, 27-30 besprochen werden. Das Phanomen einer Erhohung der Enzymkonzentration auf ein bestimmtes Signal hin bezeichnet man dabei als Induktion, umgekehrt die durch ein Signal ausgelOste Erniedrigung der Enzymkonzentration als Repression. Induktion und Repression von Enzymaktivitaten dienen der langerfristigen Einstellung des Stoffwechsels auf geanderte Umweltbedingungen. Im Allg. vergehen Stunden bis Tage, bis die Anwesenheit eines Induktors oder Repressors an der Anderung eines biochemischen Parameters messbar wird. Dies hangt damit zusammen, dass in den meisten Fallen fiir die Neueinstellung der Transkriptionsmaschinerie mehrere Stunden benotigt werden (S. 257 ff.) und dass die Halbwertszeit von Enzymen Stunden bis mehrere Tage betragt, so dass auf diese Weise die Enzymaussstattung einer Zelle relativ stabil erscheint. Dariiber hinaus ist es natiirlich vom energetischen Standpunkt aus eine ,kostspielige" Angelegenheit, durch Steigerung der Biosynthese eines komplizierten Enzymmolekiils oder gar durch proteolytischen Abbau desselben die Durchsatzgeschwindigkeiten durch Stoffwechselwege zu regulieren.

Die Aktivitat vieler Enzyme wird durch allosterische Liganden reguliert. Bei einigen der Enzyme, die genau regulierte Reaktionen katalysieren, tritt nicht die bekannte hyperbole Abhangigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Substratkonzentration auf. Haufig finden sich statt dessen sigmoidale Beziehungen zwischen heiden GroBen. Mit ganz wenigen Ausnahmen bestehen derartige Enzyme

4 aus zwei oder mehreren Untereinheiten, so dass man die sigmoidale Kinetik am Besten durch kooperative Effekte zwischen den Untereinheiten erklaren kann. Wie in Abb. 4.30 am Beispiel eines tetrameren Enzyms dargestellt, geniigt die Annahme, dass die Untereinheiten kooperativer Enyzme in zwei Zustandsformen vorliegen konnen, die als T-Form (engl. tensed: gespannt) sowie als R-Form (engl. relaxed: relaxiert) bezeichnet werden. Die Fahigkeit zur Substratbindung und Enzymkatalyse haben prinzipiell beide Formen, jedoch ist die Affinitat der R-Form zum Substrat wesentlich gro6er. In Abwesenheit des Substrats bzw. bei sehr niedrigen Substratkonzentrationen liegt das Gleichgewicht des Ubergangs zwischen der T- und der R-Form weitgehend auf Seiten der T-Form, so dass nur sehr geringe Mengen des Enzyms Substrat binden konnen. Bei Erhohung der Substratkonzentration kommt es zu einer immer gro6eren Stabilisierung der R-Form. Damit wird die Bindung weiterer Substratmolekiile erleichtert, so dass die R-Form immer mehr gegentiber der T-Form iiberwiegt. Eine kinetische Analyse unter Einbeziehung der experimentell ermittelten Gleichgewichtskonstanten fiihrt in diesem theoretischen Modell tatsachlich zu der Vorhersage einer sigmoidalen Kinetik unter Annahme von R- bzw. T-Formen der Enzyme (s. Lehrbticher der Enzymkinetik). Dieses urspriinglich von Jaques Monod, Jeffries Wyman und Jean-Pierre Changeux postulierte Modell setzt voraus, dass aile Untereinheiten eines Enzym-

komplexes immer in der gleichen Form, der R- bzw. der T-Form vorliegen miissen. Es wird infolge dessen auch als konzertiertes bzw. Alles- oder Nichts-Modell der Kooperativitat bezeichnet. Von Daniel Koshland ist ein anderes, namlich das sequentielle Modell entwickelt worden, das in Abb. 4.31 dargestellt ist. Der Unterschied zum konzertierten Modell beruht darauf, dass die Untereinheiten des Gesamtkomplexes jeweils in unterschiedlicher Konformation vorkommen konnen. Auch hier fiihrt der Anstieg der Substratkonzentration zur Bevorzugung der hoher affinen R-Konformation. Im Gegensatz zum konzertierten Modell sind natiirlich beim sequentiellen Modell wesentlich mehr Zustandsformen denkbar. Auch hier ergibt sich aus der kinetischen Analyse des Modells eine sigmoidale Abhangigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Substratkonzentration. Ftihrt die Bindung eines Substratmolekiils an den ersten Bindungsort zu einer erleichterten Bindung eines weiteren Substratmolektils an den zweiten und so fort fiir weitere Bindungsstellen, so spricht man von positiver Kooperativitiit. Hemmt andererseits die Bindung des ersten Substratmolekiils die Bindung des zweiten usw., so zeigt das Enzym negative Kooperativitiit. Haufig zeigen kooperative Enzyme das Phanomen der allosterischen Regulation. Es beruht darauf, dass meist mit dem Substrat nicht verwandte Substanzen Liganden fur spezifische Bindungsstellen auf dem En-

EB e

rn~rn~rn¢ ~ 1 e ......"'

......"'

~

~

N

N

..,"'

..,"'

e :l.

E 0

...oi::

,!.

...E

ei:Abb. 5.1).

Ribose oder Desoxyribose sind die in Nucleosiden und Nucleotiden vorkommenden Pentosen. Als Zucker finden sich in Mono- bzw. Polynucleotiden sowie in Nucleosiden auschliefilich die Pentose D-Ribose bzw. die am C-Atom 2 reduzierte Pentose 2-Desoxy-D-Ribose ( Abb. 5.2). Dementsprechend enthalten Monoribonucleotide Ribose, Monodesoxyribonucleotide Desoxyribose. Fur die zugehorigen Polymeren, die Polynucleotide, werden als Synonyme Polyribonucleotide oder Ribonucleinsauren bzw. Polydesoxyribonucleotide oder Deosoxyribonucleinsauren verwendet. Die aus dem englischen abgeleiteten Abkurzungen RNA ftir Ribonucleinsauren und DNA fur Desoxyribonucleinsauren werden im Weiteren in diesem Buch verwendet werden. Wichtig ist, dass in einem Polynucleotid niemals Ribose und Desoxyribose als Zucker nebeneinander vorkommen.

Purin- und Pyrimidinbasen bilden die individuellen Strukturelemente von Nucleosiden und Nucleotiden. Die verschiedenen in den Nucleotiden vorkommenden Basen leiten sich formal von Purin bzw. Pyrimidin ab. Die Struktur beider Verbindungen mit der Numericrung der einzelnen Atome ist in Abb. 5.3 dargestellt. Durch Substitution von H-Atomen durch Hydroxyl-, Amino- oder Methylgruppen entstehen die in den Nucleinsauren vorkommenden Pyrimidin- bzw. Purinbasen ( Abb. 5.4 und 5.5). ~ Cytosin (2-Hydroxy-4-aminopyrimidin) kommt in allen Nucleinsauren vor. Lediglich die DNA gewisser Bacteriophagen (Coli-Phagen T2 T4 T6 ) enthalt statt Cytosin 5-Hydroxymethylcytosin (HMC) . ~ Thymin (2,4-Dihydroxy-5-methylpyrimidin) findet sich hauptsachlich in der DNA, in geringen Mengen ist es auch in der Transfer-RNA nachweisbar. ~ Uracil (2,4-Dihydroxypyrimidin) wird ausschlieBlich als Baustein der RNA verwendet. ~ Adenin und Guanin kommen auBer in Mononucleotiden sowohl in der DNA als auch in der RNA vor.

OH

I

5 CH 2 O

0

OH

Bestandteil von Ribosiden, Monoribonucleotiden, Polyribonucleotiden (Ribonucleinsauren, RNA)

OH

Bestandteil von Desoxyribosiden, Monodesoxyribonucleotiden, Polydesoxyribonucleotiden (Desoxyribonucleinsauren, DNA)

OH OH

11-Ribose Base

OH

0

I

s CH 2

0

0 HO

Nucleo~id

Nudeotid Nucleos,dmonophosphat

142

OH

tOIH

Abb. 5.1. Aufbau von Nucleosiden und Nucleotiden

5 Nucleotide und Nucleinsauren

H

2·Desoxy·o·Ribose

Abb. 5.2. Ribose und Desoxyribose

5 H

H

c

f 4sCH HCt 1jCH

I

:?~ c_...N 1 5 7 II

0

aCH

HCt J)C-...9 1

H Pyrimidin

Purin

Abb. 5.3. Struktur von Pyrimidin und Purin

OH OH

Abb. 5.7. Pseudouridin

.,. Durch Desaminierung entsteht aus Adenin Hypoxanthin (6-Hydroxypurin) und aus Guanin Xanthin (2,6-Dihydroxypurin).

Cytosin

S-Hydroxymethylcytosin

0

0

HN~CH.3

O~N

H

Thymin

HN:.)

O~N

H

Uracil

Abb. 5.4. Strukturformeln haufiger Pyrimidinbasen

Aden in

Guanin

Nucleoside bestehen aus einer Base, die durch eine N-glycosidische Bindung mit einer Pentose verkniipft ist.

0

HN~) ~--)-_N N H

Hypoxanthin

Zwei Xanthinderivate besitzen eine gewisse pharmakologische Bedeutung: das im Kaffee vorkommende 1,3,7-Trimethylxanthin (Coffein) und das im Tee nachweisbare 1,3-Dimethylxanthin (Theophyllin). Oxypurine und Oxypyrimidine zeigen das Phiinomen der Keto-Enol-Tautomerie, wie in Abb. 5.6 am Beispiel des Thymins dargestellt ist. Das Gleichgewicht liegt dabei stark auf der Seite der Ketoform. Fiir die korrekte Informationsiibertragung (S. 215) muss die Ketoform vorliegen, da durch die Enolform Fehlablesungen zustande kommen konnen (S.341). Sowohl Ribonucleinsiiure als auch Desoxyribonucleinsiiuren enthalten in geringer Menge auGer den Basen Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin oder Uracil bei Mikroorganismen N6-Methyladenin und bei Pflanzen oder Tieren 5-Methylcytosin. In der ribosomalen und der Transfer-RNA kommen au6erdem weitere methylierte Purin- und Pyrimidinbasen vor. Sie werden durch die Wirkung spezifischer Methylasen gebildet, die die Methylgruppen auf die Basen erst nach deren Einbau in die Polynucleinsiiuren iibertragen.

Xanthin

Abb. 5.5. Strukturformeln haufiger Purinbasen

H

Abb. 5.6. Keto-Enoi-Tautomerie von Thymin

Zwischen dem halbacetalischen C-Atom 1 einer Pentose (Ribose bzw. Desoxyribose) und einem N-Atom der jeweiligen Base liegt die fiir Nucleoside typische N-glycosidische C-N-Bindung (s. Abb. 5.1}. ImAllg. wird sie von Pyrimidinnucleosiden am N-Atom 1 des Purinkerns gekniipft, bei Purinnucleosiden am N-Atom 9 des Purinkerns. Eine Ausnahme bildet Pseudouridin (1/J). Bei ihm ist die Ribose mit dem C-Atom 5 von Uracil verbunden, wobei also statt einer C-N-Bindung eine C-C-Bindung entsteht ( Abb. 5.7). Die Benennung der Nucleoside leitet sich von den jeweiligen Basenbestandteilen ab. Wie aus Tabelle 5.1 hervorgeht, wird i. Allg. bei Pyrimidinbasen die Endung -idin, bei Purinbasen die Endung -osin angehiingt.

5.1 Nucleoside und Nucleotide

143

5 Tabelle 5.2. Nomenklatur der Adeninnucleotide

Tabelle 5.1 . Nomenklatur der Nucleoside Base

Abkiir- Pentose zung

Nudeosid

Cytosin

Cyt

Ribose Desoxyribo e

Cytidin Desoxycytidin

Ribose Desoxyribo e

Thyminribosid De oxythymidin

Ribose De oxyribose

Uridin Desoxyuridin

dU

Thy min Uracil

Thy Ura

Abkiirzung

Nudeosid

Verestertes C-Atom

Nudeotid

Abkiinung

c

Adeno in

5'

Adenosin-5' -monophosphat Adenosin-3' -monophosphat

(5')-AMP

dC

3' dT

u

Aden in

Ade

Ribose De oxyribose

Adenosin Desoxyadenosin

A dA

Guanin

Gua

Ribo e De oxyribose

Guanosin Desoxyguanosin

G dG

Ribo e Desoxyribose

lnosin Desoxyino in

dl

Ribose Desoxyribose

Xanthosin De oxyxantho in

dX

Hypoxanthin

Hyp

Xanthin

Xan

I

X

Nucleotide sind 5'- bzw. 3' -Nucleosidmonophosphate. Durch Veresterung einer Hydroxylgruppe der Pentose eines Nucleosids mit Phosphat entsteht aus einem Nucleosid ein Nucleotid ( Abb. 5.8). Die Veresterung erfolgt dabei seltener am C-Atom 3' aber haufiger am C-Atom 5' der Pentose. Tabelle 5.2 zeigt am Beispiel der Adeninnucleotide die Nomenklatur der Nucleotide. In analoger Weise erfolgt die Benennung der Guanin-, Cytosin-, Uracil- und Thyminnucleotide. Die Stellung des Phosphatrestes wird durch eine arabische Zahl angegeben. Ein Adeninnucleotid wird demnach als Adenosin-5'-monophosphat bezeichnet, wenn der Phosphosaurerest am C-Atom 5' der Ribose sitzt. Wenn Desoxyribose die Pentose im Adeninnucleotid ist, wird es als Desoxyadenosin-5'-Monophosphat bezeichnet. In einer abgekiirzten Schreibweise werden die Buchstaben A, G, C, T oder U zur Benennung des jeweiligen Nucleotids entsprechend seiner Purin- bzw. Pyrimidinbase verwendet, wobei das Prafix d angeftigt werden muss, wenn die Desoxyribose als Zucker eingebaut

0

(i:"> N

5'

Desoxyadenosin

3'

Desoxyadenosin5'-monophosphat Desoxyadenosin3'-monophosphat

3'-AMP 5'-dAMP 3'-dAMP

wird. Kommt das Nucleotid in seiner freien Form vor, wird die Bezeichnung Monophosphat (-MP) hinzugeftigt. Die an den Reaktionen des Intermediarstoffwechsels beteiligten Nucleotide tragen wie Adenosinmonophosphat (AMP) i. Allg. die Phosphatgruppen am CAtom 5' der Pentose. Nach Konvention wird diese sehr haufig vorkommende Position nicht durch das Prafix 5' bezeichnet. AMP ist also die Verbindung, bei der das Nucleosid Adenosin mit Phosphat am C-Atom 5' der Ribose verestert ist. In Abb. 5.8sind die Formelschemata einiger wichtiger Nucleotide dargestellt.

5.1.21 Funktionen von Nucleosiden und Nucleotiden

Nucleoside dienen als extrazellulare Signalmolekule. Die 5'-Phosphatester der Nucleoside sind die biologisch bedeutsamste Form dieser Verbindungen und werden deshalb gesondert besprochen (s. unten) . Von den freien Nucleosiden sind besonders wichtig: • S-Adenosylmethionin ( Abb. 5.9): Diese Verbindung wird auch als ,aktives Methionin" bezeichnet und ist bei der Ubertragung von Methylgruppen von Bedeutung (S.488). • Purinnucleoside: Purinnucleoside und besonders das Adenosin spielen eine wichtige Rolle als extra-

NH 2

~N

r

~ N)l_N

N

N

0

0 - p

0

> 0

p

0 - P

o-

0

0 OH H

OH OH

0

p

0

OH H

g Adenosin-5'-monophosphat AMP

Desoxyadenosin-5'-monophosphat 5'-dAMP

Abb. 5.8. Strukturformeln wichtiger Nucleotide (Auswahl) 144

I

5 Nucleotide und Nucleinsauren

Cytidin-3'-monophosphat 3'-CMP

Desoxythymidin-5'-monophosphat 5'-TMP

5 NH2

UDP + ATP IDP + ATP GDP + ATP

N~>

CH2 I NHj -CH I

OH OH

coo-

Abb. 5.9. 5-Adenosylmethionin

zelluliires Signalmolekiil. Adenosin fiihrt zu einer Relaxation der glatten GefiiGmuskulatur und steigert die Durchblutung vieler Gewebe, auBerdem hat es eine starke antilipolytische Wirkung. .,. Modifizierte Nucleoside: Modifizierte Nucleoside werden von vielen Zellen aufgenommen und in die entsprechenden Nucleosidtriphosphate umgewandelt. Diese dienen dann haufig als Hemmstoffe der Purin- bzw. Pyrimidinbiosynthese, weswegen solche Verbindungen fur die Therapie von Tumor- oder Viruserkrankungen eingesetzt werden (S. 326, 639).

Nucleotide sind die Trager energiereicher Phosphate. Durch Anlagerung weiterer Phosphorsiiuremolekiile an die Phosphatgruppe von Mononucleotiden entstehen aus Nucleosidmonophosphaten Nucleosiddi- und Nucleosidtriphosphate. Eine besondere Bedeutung im Stoffwechsel hat das in Abb. 5.10 dargestellte Adenosin-5'-triphosphat (ATP). Nucleosiddi- und -triphosphate gibt es auGerdem von Inosin, Guanosin, Uridin und Cytidin (ITP, IDP, GTP, GDP, UTP, UDP, CTP, CDP). Bei den Bindungen zwischen dem a- und (3- bzw. (3und y-Phosphat von Nucleosiddiphosphaten bzw. -triphosphaten handelt es sich urn Siiureanhydridbindungen, die infolgedessen in die Klasse der energiereichen Bindungen gehi:iren (S.109). Da die reaktionsfahigen Gruppen der Nucleosiddiund -triphosphate gleichartig sind,ki:innen die y-Phosphatreste nach der folgenden Gleichung von Nucleosidtriphosphaten auf Nucleosiddiphosphate iibertragen werden:

¢ ¢

¢

UTP + ADP ITP + ADP GTP + ADP

Die hierfiir beni:itigten Phosphotransferasen kommen in allen Zellen vor (S.l09). Zur Einfiihrung von Sulfat in Verbindungen wie Glycosaminoglykane (z. B. Chondroitinsulfat, Keratansulfat) wird ,aktives Sulfat" beni:itigt. Diese auch als 3'-Phosphoadenosyl-5'-phosphosulfat (PAPS) bezeichnete Verbindung (Abb.5.11) entsteht in einer ATPabhiingigen Reaktion aus ATP und Sulfat.

Nucelosidcyclophosphate sind intrazellulare Signalmoleki..ile. Wichtige Derivate der Nucleosidtriphosphate ATP und GTP sind das cyclische Adenosin-3:5'-monophosphat (3:5'-cyclo-AMP; cAMP)( Abb. 5.12) sowie das cyclische Guanosin-3 '-monophosphat (3 '-cyclo-GMP; cGMP). Beide Nucleotide entstehen intrazelluliir unter Einwirkung spezifischer Cyclasen, wobei Pyrophosphat abgespalten wird. Sie dienen als ,second messenger" und iibernehmen wichtige Aufgaben bei der Regulation von Zellstoffwechsel, Wachstum und Differenzierung (S. 801, 808).

:5

:5

Nucleotide sind Bausteine Gruppen i..ibertragender Coenzyme. In ihrer aktiven Form, d. h. als Gruppen iibertragende Coenzyme, enthalten verschiedene Vitamine der B-

0 I

o--s- o 0 0

OH

I o--P= O I

o-

Abb. 5.11. 3'-Phosphoadenosyl-5' -phosphosulfat

NH2

N~N 0

0 0 0 I P- 0 p 0 p I 0 0 0 y

p

Q

~)_>

OH OH

Abb. 5.10. Adenosin-5'-triphosphat

0

P- -O I 0

OH

Abb. 5.12. Zyklisches Adenosin-3',5'-monophosphat (3',5'-cyclo-AMP, cAMP) 5.1 Nucleoside und Nucleotide

145

5 Gruppe Nucleotidbausteine. Dies trifft zu fur Riboflavin, das als FAD (Flavin-Adenindinucleotid) oder als FMN (Flavin-Mononucleotid) vorkommt. AuBerdem enthalten die Wasserstoff tibertragenden Coenzyme NAD+ bzw. NADP+ Adenosinmonophosphat. Schliei3lich sind Nucleotide Bausteine von Coenzym A sowie Vitamin B 12 (S. 722).

Nudeosidderivate von Sacchariden und Lipiden sind Bausteine fUr Biosynthesen. Nucleotide werden bei einigen wichtigen Biosynthesen zur Aktivierung von Bauteilen verwendet: .,. Fur den Kohlenhydratstoffwechsel sind Uridinnucleotide hierbei besonders wichtig. Uridindiphosphatglucose (UDPG, Abb. 5.13) dient als ,aktivierte" Glucose und entsteht durch Reaktion von Glucose-1Phosphat mit UTP.Als UDPG kann Glucose auf andere Verbindungen mit Hydroxylgruppen tibertragen werden (S. 405). Auch Galactose, Glucuronsaure und Aminozucker bilden Verbindungen mit UTP (S. 584). Lediglich bei der Ubertragung von Mannosylresten wird Guanosintriphosphat ( GTP) verwendet, das mit Mannose-1-phosphat unter Bildung von GDP-Mannose reagiert (S. 587). .,. Cytidintriphosphat (CTP) bildet aktivierte Zwischenprodukte fur die Biosynthese von Phosphoglyceriden bzw. Sphingolipiden. Im einzelnen handelt es sich urn das Cytidindiphosphatcholin (bzw. -ethanolamin oder -serin), das durch Reaktion von CTP mit Phosphocholin (-serin, -ethanolamin) entsteht ( Abb. 5.14). Die auf diese Weise aktivierten Bauteile werden ftir die Biosynthese von Phosphatidylcholin (-serin, -ethanolamin) bzw. der Sphingomyeline verwendet. Bei der Biosynthese von Diphosphatidylglycerin (Cardiolipin) wird Phosphatidsaure mit CTP unter Bildung von CDP-Diacylglycerin aktiviert (S. 600). CTP spielt nicht nur eine Rolle im Rahmen der Lipidbiosynthese, sondern auch bei der Glycoproteinbiosynthese, wo es ftir die Ankntipfung der terminalen N-Acetylneuraminreste an die Glycoproteinseitenketten beni:itigt wird (S. 593 ).

0 HO 0

0 p 0 I

0

I O= P- 0- CH I 2

o-

OH OH

Abb. 5.13. Zusammensetzung von Uridindiphosphatglucose aus Glucose-1-phosphat und UMP 146

I

5 Nucleotide und Nucleinsauren

CH 3 H3C N'

CH

CH 2 CH 2

0

0

o-

I p 0-P-O-CH II 2 0 0

·5

O~N

OH OH

Abb. 5.14. Cytidindiphosphatcholin

KERNAUSSAGEN Nucleoside enthalten als einzige Bauteile vier, gelegentlich modifizierte, Basen, die i.iber N-glycosidische Bindungen mit Ribose, seltener Desoxyribose verkni.ipft sind. Durch Veresterung der Hydroxylgruppe am C-Atom 3 oder haufiger am CAtom 5 der Ribose bzw. Desoxyribose entstehen aus Nucleosiden die entsprechenden Nucleotide. Durch die Bildung von Phosphorsaureanhydrid-Bindungen entstehen aus Nudeosid-Monophosphaten die entsprechenden Di- und Triphosphate. Dank der energiereichen Phosphorsaureanhydrid-Bindungen kann freie Energie i.ibertragen werden, womit endergone Reaktionen moglich gemacht werden.Durch Verbindungen mit NudeosidDiphosphaten werden Zwischenprodukte des lntermediarstoffwechsels reaktionsfcihig gemacht.

5.2 1Zusammensetzung und

Primarstruktur der Nucleinsauren

Nucleinsauren sind Polymere, die aus Ketten von Nucleotiden bestehen, die untereinander durch Phosphodiesterbindungen verknGpft sind. Ahnlich wie bei den Protein en handelt es sich dabei urn auBerordentlich lange, immer unverzweigte Ketten. In Abb. 5.15 ist ein hypothetisches Tetranucleotid aus je einem DNA- bzw. RNA-Strang dargestellt. Dabei gelten folgende Besonderheiten: .,. Nach Konvention wird das 5'-Phosphatende der Kette links, d.h. an den Anfang, das 3'-0H-Ende rechts bzw. an das En de der Kette geschrieben. .,. Die stickstoffhaltigen Purin- oder Pyrimidinbasen sind stets tiber eine N-glycosidische Bindung an das C-Atom 1' der Pentose gebunden. .,. Die Verbindung zwischen den einzelnen Mononucleotiden erfolgt durch eine Phosphodiesterbindung zwischen dem C-Atom 3' der einen Pentose und dem C-Atom 5' der nachsten. In der DNA ist diese 3' ,5'-Bin dung die einzig mi:igliche, da in der Desoxyribose keine weiteren Hydroxylgruppen fur die Bindung von Phosphate stern frei sind. Auch in der RNA

5 Uracil

0

RNA

5'-Ende

0

0

Aden in

p

0 0

OH

0 p

Cytosin

0

Thymin

0 0

OH

0 - P- - - - 0

Aden in

HO 0

OH

3'-Ende

H

I

0 P- - - -

Cytosin NH2

0

N~

I

O~N)

0 P- - - -

Guanin

1

0

0

DNA

H

0 P- - 1

0

HO

Abb. 5.15. Primarstruktur einer hypothetischen Sequenz von RNA bzw. DNA

kommen am haufigsten 3',5'-Bindungen vor, obwohl auch 2',5'-Bindungen moglich sind. Die Struktur einer Nucleinsaurekette kann in abgekiirzter Form angegeben werden: ~ Die Buchstaben A, G, C und U oder T dienen dabei als Symbole fur die Basen. ~ Der Buchstabe p bezeichnet Phosphat. p auf der linken Seite der Nucleosidabkiirzung stellt eine 5'-

H

3'-Ende

Zuckerphosphatbindung dar, auf der rechten Seite der Nucleosidabkiirzung eine 3'-Zuckerphosphatbindung. So wird beispielsweise mit dem Ausdruck dpG Desoxyguanosin-5'-phosphat bezeichnet. Ein dGp steht dagegen fiir Desoxyguanosin-3'-phosphat. Die in Abb. 5.15 dargestellten Tetranucleotide wiirden in der Kurzschreibweise als d(pA-T-C-G) bzw. pA-U-C-G bezeich5.2 Zusammensetzung und Primarstruktur der Nucleinsauren

147

s Tabelle 5.3. Bauteile von DNA und RNA DNA

RNA

Pentose

2-Desoxy-D-ribo e

D-Ribose

Purinba en

Aden in Guanin

Aden in Guanin

Pyrimidinbasen

Cytosin Thy min

Cyto in Uracil

ausschlieBiich Desoxynucleotide vor, in RNA-Molekiilen Ribonucleotide. DNA und RNA unterscheiden sich auch durch die Basenzusammensetzung: In der DNA kommen Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin vor.ln der RNA findet sich dagegen statt der Pyrimidinbase Thymin, das Uracil.

5.3 [ Aufbau der DNA net werden. Damit werden als Verkntipfung Phosphodiesterbindungen zwischen dem C-Atom 3' des einen Zuckermolektils und dem C-Atom 5' des nlichsten angenommen. Infolge der Phosphatgruppen sind Nucleinsliuren starke mehrbasische Sliuren, die bei pH-Werten tiber 4 vollsHindig dissoziiert sind. DNA und RNA unterscheiden sich nicht nur durch die Art der als Basenbestandteile verwendeten Zucker, sondern auch durch die Basenzusammensetzung (® Tabelle 5.3). In der DNA kommen Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin im molaren Verhiiltnis von 1 vor. Bei den meisten tierischen Organismen liegt das Molverhliltnis der Basenpaare Adenin/Thymin zu Guanin/Cytosin bei 1,3- 1,5. In der RNA findet sich dagegen statt der in der DNA vorkommenden Pyrimidinbase Thymin das Uracil.

KERNAUSSAGEN Nucleotidbausteine bilden durch Verkniipfung iiber Phosphorsaurediesterbriicken zwischen den C-Atomen 5 und 3 der Ribose bzw. Desoxyribose lange kettenformige Molekiile, die Nucleinsauren.ln DNA-Molekiilen kommen

Das in Der Doppelstrang besteht a us Desoxyribonucleotidketten, die auGen die durch Phosphodiesterbindungen verkniipften hydrophilen Zuckerreste und innen die hydrophoben Purin- bzw. Pyrimidinbasen tragen. Aus sterischen Grunden ist diese, auch thermodynamisch bevorzugte Konformation nur dann mi:iglich, wenn sich ausschlie6lich Adenin und Thymin bzw. Guanin und Cytosin gegentiber stehen.

3'

5'

5'

3'

0" 148

5.3.1 Die DNA-Doppelhelix

I

5 Nucleotide und Nucleinsiiuren

Abb. 5.16. Ausbildung von Wasserstoffbrlicken zwischen Aden in und Thymin bzw. Cytosin und Guanin

10S Wirbeltiere: LungenfischFrosch Kriite Hai Mensch Hund Pferd Maus Alligator Karpfen Huhn Wirbellose:

F-=lr

Krabbe Seeigel Schne= .=} .. ......................

!

2N

4N

Anaphase

Cytokinese

2N

Abb. 5.24. Darstellung der einzelnen Phasen der Mitose. (Einzelheiten s. Text)

netischen Materials zwischen einzelnen Chromosomen festgestellt werden (Translokation, S. 1163, 1173). Bei der als Meiose bezeichneten Teilung der Keimzellen wird ebenfalls vom Zustand nach der Replikation ausgegangen, also vom vierfachen Chromosomensatz. Wahrend der ersten Reifeteilung kommt es zur Trennung der homologen Chromosomen, bei der zweiten Reifeteilung zur Trennung der Schwesterchromati-

5

::: -

l

p _____!.

2

l

-

-

r------.!1

s 4

2 ]

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6

1

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2N

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2

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S-Phase

2 1 \.. ' - ' 1

2

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J

4

q

2

l

] 4

s

1-

l

I-

----;3

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4

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I-

-

_.1_

4N

I=

2 ]

---.

1-

-

+

--

l ]

3 •

s

6 7

4N p

Metaphase

q

® Abb. 5.25. Schematische Darstellung der menschlichen Chromosomen 1,2,21 und 22 in der Metaphase. Man erkennt jeweils die beiden Schwesterchromatiden,die durch das Zentromer zusammengehalten werden. Die Bandenbildung nach Giemsa-Farbung erlaubt die Zuordnung von Genen bzw. Gengruppen auf definierte Positionen der p- bzw. q-Arme der Chromosomen

4N

Anaphase I

/

~ l.MeiotischeTeilung

den, so dass jeweils vier Zellen mit dem haploiden Chromosomensatz entstehen ( Abb. 5.26). 2

! Der Allelaustausch wah rend der Meiose

ist die Grundlage der biologischen Vielfalt.

Eine genaue Untersuchung der bei der Meiose stattfindenden Vorgange fiihrte zur Entdeckung des Austauschs von Genen auf homologen Chromosomen, was auch als homologe Rekombination bezeichnet wird ( Abb. 5.27). Homologe Chromosomen ordnen sich zu Beginn der M eiose parallel an und umschlingen sich. Durch dieses ,crossing over" kommt es dann zum Austausch chromosomalen Materials zwischen homologen Chromosomen. Da die Chromosomen bei der ersten und zweiten meiotischen Teilung vereinzelt werden, entstehen in den Gametenzellen Chromosomen mit einer unterschiedlichen Verteilung paternaler und maternaler Gene. Dies stellt die zellbiologische Grundlage fur das Zustandekommen d erVielfalt in der Nachkommenschaft eines Elternpaares dar.

2

Anaphase II

I\

1\

2. Meiotische Teilung

I I I I

lN

Abb. 5.26. Pha sender Meiose. (Einzelheiten s.Text)

5.4 DNA als Trager der Erbinformation

155

5 Auf der chromosalen DNA sind nahezu aile Gene eukaryoter Organismen lokalisiert. Mit dem Fortschritt der technischen Moglichkeiten konnte die genetische und strukturelle DNA-Analyse auch auf die wesentlich komplexer aufgebauten Genome zuniichst einfacher, spiiter auch komplexer eukaryoter Organismen einschlieBlich des Menschen ausgeweitet werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich folgendermaBen zusammenfassen: .,.. Auf der DNA sind die unterschiedlichen Gene in einer linearen Sequenz angeordnet. Dberlappende Gene kommen, soweit man bis heute weiB, nur in seltenen Fallen bei einigen Viren vor (S. 313) . .,.. Die auf DNA lokalisierten Gene codieren fiir ribosomale RNA, Transfer-RNA sowie fur Proteine. .,.. AuBer im Zellkern kommt in eukaryoten Zellen DNA noch in Mitochondrien vor. Die mitochondriale DNA codiert fur wenige mitochondriale Proteine (S. 196, 333) und macht nur einen sehr kleinen Bruchteil der gesamten DNA aus.

2N

+ 4N

+ 4N

/

Die Zahl der Gene in eukaryoten Organismen ist nicht proportional der DNA-Menge und spiegelt nicht unbedingt die Komplexitat eines Organism us wieder.

~ l. MeiotischeTeilung

X

X

I\

I\

2N

2. Meiotische Teilung

I I I I

1N

Abb. 5.27. Kombination homologer Chromosomen bei der Meiose. (Einzelheiten s. 5. 227)

5.4.31 Prinzip der lnformationsspeicherung in der DNA Nach der Entdeckung, dass genetisch fixierte Eigenschaften von Organismen in der DNA verschlusselt sind, wurden zuniichst die verhiiltnismaBig einfach aufgebauten bakteriellen Genome v. a. durch Genetiker untersucht. Dabei stellte es sich heraus, dass in Bakterien die verschiedenen lebensnotwendigen Gene in linearer Sequenz auf der DNA angeordnet sind. Mit Ausnahme der fiir RNA-Molekule codierenden Gene kann jedem bakteriellen Gen als der kleinsten vererbbaren Einheit auf einem DNA-Molekiil eine Peptidkette zugeordnet werden. 156

I

5 Nucleotide und Nucleinsauren

Die his heute durchgefuhrten Totalsequenzierungen der Genome verschiedener Organismen haben cine Reihe uberraschender Befunde erbracht, die in Tabelle 5.5 zusammengefasst sind. Die GenomgroBe cines komplexen Organismus wie des Menschen ist etwa 1500 x groBer als die cines einfachen Bakteriums. Auch die anderen untersuchten Vielzeller haben im Vergleich zur Bakterienzelle urn das 50-100-fache groBere Genome. Diese markanten GroBenunterschiede spiegeln sich jedoch nicht in der Zahl der bei den einzelnen Organismen nachgewiesenen Gene wieder. Im Vergleich zur Bakterienzelle verfiigt der Mensch lediglich uber 20 bis 25 x mehr Gene. Besonders augenfiillig ist der geTabelle 5.5. Organismen, deren Genom bis Friihjahr 2001 vollstandig sequenziert vorlagen Organism us

GenomgroBe (Megabasen}

ZahlderGene

Hiimophilus influenzae (Bakterium)

1,8

1740

Saccharomyces cerevisiae (Bierhefe)

12,1

6034

Caenorhabditis e legans (Fadenwurm)

97

19099

Arabidopsis thaliana (Blattpflanze)

100

25000

Drosophila melanogaster (Taufliege)

180

13061

Homo sapiens (Mensch)

3000

35000-45000

5 11.1

ASLH2/ PRSS7 I USH1 E• 21q21 AD1/ HCHWAD• 21q21.2 AML 1/ MRHAI PDPAML- 21q22.1-q22.2 AlSI/MN21-21q22.1

22.13

DCR2 • HLCS I JLNS2 • 21 q22.2 22.3



Chromosom 21 q

ADCC/ BTHMl / CBS/ DFN810/ EPMI / HPE1/ITGB2/ KNO I PFKL/ PGAl - 21q22.3 DCRl • 21q22.2-q22.3 DFNB8 / EJAI MAFDS • 21q22

Abb. 5.28. Genkarte des humanen Chromosoms 21. Die jeweiligen AbkUrzungen stehen fUr in der angegebenen Region lokalisierte Krankheitsgene (z. B.AML 1akute myeloische Leukamie, HCHWAD hereditare Amyloi-

dose VI b). Weitere Angaben sind unter http://bisance.citi2.fr/GENATLAS zu finden. Eine vollstandige Auflistung aller chromosomaler Gene findet sich unter http://cedar.genetics.soton.ac.uk!public-htmi!LDB2000.html

ringe Unterschied in der Zahl der Gene beim Vergleich des Mensch en mit dem Fadenwurm oder der Taufliege. Aus diesen Beobachtungen muss man also schlie6en, dass die KomplexiziUit eines u. a. mit einem komplizierten zentalen Nervensystem ausgestatteten vielzelligen Saugetiers sich nicht ohne weiteres aus der Zahl seiner Gene ablesen !asst. Einige Erklarungen fiir diesen iiberraschenden Befund lassen sich aus den Ergebnissen der Sequenzierung des humanen Genoms able sen, die ja zu einer Zuordnung bekannter und noch nicht charakterisierter Gene zu den verschiedenen Chromosomen des Menscherr gefiihrt haben. Als Beispiel ist in -® Abb. 5.28 ein Teil der Genkarte eines besonders kleinen humanen Chromosoms, namlich des Chromosoms 21 dargestellt. Die Analyse dieses wie auch der anderen Chromosomen erlaubt folgende Feststellung: .,. Obwohl im menschlichem Genom nur etwa doppelt so viele Gene wie im Fadenwurm enthalten sind, ist der Aufbau dieser Gene wesentlich komplexer. Man kann annehmen, dass durch alternatives Spleiften (S. 262) von einem Gen mehrere Proteinprodukte entstehen konnen. .,. Weniger als 5% des humanen Genoms codieren fiir Proteine. Dagegen fallen nahezu 45% auf so g. repetitive Sequenzen ( -®Tabelle 5.6). Ein gro6er Teil von diesen zeigt Verwandtschaft mit Transposons (S. 227), die jedoch i. A. inaktiv sind.

.,. Mehr als 3 Millionen Polymorphismen, die nur ein einzelnes Nucleotid betreffen (engl. Single Nucleotide Polymorphism (SNP)) konnten identifiziert werden. Diese Polymorphismen konnten wesentliche Bedeutung als genetische Marker erlangen (S. 333).

Geschichte eines gewaltigen Projektes 1985

1988

1990 1992

1996

1998

Tabelle 5.6. Repetitive Elemente im mensch lichen Genom Name

Sl E

DavonAlu

LINE

LTR-Eiemente Andere

(x1000)

Anteit am Genom %

19992000

1558

13

2001

Zahl der Kopien

1090

11

868 443

20

8 4

Charles DeLisi, Department of Energy, USA,diskutiert die Moglichkeiten der Sequenzierung des menschlichen Genoms James Watson griindet das Office of Human Genome Research, spater National Center for Human Genome Research und beginnt mit der Einwerbung offentlicher Mittel Man ist sich einig,dass das menschliche Genom vor der Sequenzierung kartiert werden muss Francis Collins lost James Watson als Leiter des Projektes ab. Verschiedene internationale Gruppen schlieBen sich an Die internationalen Partner des Genomprojektes einigen sich wahrend einerlagung in Bermuda iiber die Bedingungen des offentlichen Zugangs zu den Sequenzdaten und verpflichten sich, Daten innerhalb 24 Stunden zuganglich zu machen (BermudaPrinzipien) Craig Venter griindet die Firma Celera und kiindigt die kommerzielle Sequenzierung des mensch lichen Genoms nach einem einfacheren Verfahren an. Celera wird sich nicht an die Bermuda-Prinzipien halten Durch internationale Kollaboration von Gruppen in den USA,Japan und Europa gelingt die vollstandige Sequenzierung der menschlichen Chromosomen 22 und 21 Zeitgleich wird die erste Totalsequenz des menschlichen Genoms von der offentlich geforderten Gruppe in der Zeitschrift Nature und von Craig Venter, Celera, in der Zeitschrift Science veroffentlicht

5.4 DNA als Trager der Erbinformation

157

s !

Bei jeder Zellteilung wird das Genom vollstandig verdoppelt. Bei der Zellteilung und Fortpflanzung ist es von grofier Bedeutung, dass eine mi:iglichst genaue Kopie der gesamten DNA einer parentalen Zelle in den entstehenden Tochterzellen gebildet wird. Dieser Vorgang wird als Replikation bezeichnet und findet bei eukaryoten Zellen wahrend der S-Phase des Zellzyklus statt. Humane Zellen beni:itigen fiir die DNA-Replikation etwa 8 Stunden. Die Einzelheiten dieses Vorgangs sind auf S. 215 ff. beschrieben.

!

Zur Expression von Genen werden diese in RNA transkribiert. Urn die als Basensequenz auf der DNA codierte Information zu realisieren, werden nur Einzelteile des DNA-Strangs beni:itigt. Dies gilt sowohl fiir die Biosynthese der verschiedenen RNA-Spezies als auch fiir die Proteinbiosynthese. Der erste Schritt in dieser Realisierung der genetischen Information besteht in jedem Fall in einer Kopie eines entsprechenden Gens der DNA in ein RNA-Molekiil. Dieser Vorgang wird als Transkription bezeichnet und ist auf S. 244 ff. beschrieben.

KERNAUSSAGEN Aus dem DNA-Doppelstrang sind die Gene als die kleinsten Einheiten derVererbung in linearerSequenz lokalisiert. Wah rend Bakterien iiber ein einziges ringformiges DNAMolekiil verfiigen, sind die DNA-Molekiile eukaryoter Drganismen auf die fur jeden Organismus im charakteristischen Zahl vorliegenden Chromosomen verteilt. Chromosomen machen bei der Zellteilung eine Reihe von charakteristischen Veranderungen durch, die schlieBiich zu ihrer Verdoppelung fiihren. Durch die Fortschritte der gentechnischen Verfahren ist es gelungen, inzwischen die vollstandigen Genome einer Reihe von Organismen einschlieBiich des Menschen vollstandig zu analysieren. Ein wichtiger Befund ist dabei, dass offensichtlich keine direkte Beziehung zwischen der Komplexitat eines Organism us und der Zahl seiner Gene besteht. Nur etwa 5% des menschlichen Genoms kodieren fur Proteine, der Rest sind nicht kodierende Sequenzen,zu mehr als 50% repetitive Sequenzen.

Heterogene nucleare RNA (hnRNA)~ Diese RNA-Spezies ist vom Molekulargewicht her am variabelsten. Wie ihr Name sagt, kommt sie nur im Zellkern vor und schwankt in ihrer Gri:i6e au6erordentlich (bis 106 Nucleotide!). Messenger-RNA (mRNA)~ mRNA entsteht aus hn-RNA. Sie dient als Matrize bei der Proteinbiosynthese. Die Aufklarung des Codes, mit dem die fortlaufende Sequenz der Basen auf der DNA mit der Aminosaure-Sequenz eines Peptids oder Proteins verkniipft ist, gehi:irt zu den gro6en Leistungen der biochemischen Forschung. Die DNA ist durch die festgelegte Sequenz der vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin gekennzeichnet. Nimmt man an, dass aus ihnen ein ,Alphabet" mit den vier Buchstaben A, T, G und C gebildet wird, so lasst sich Ieicht berechnen, wie viele Basen fiir die Festlegung einer Aminosaure benotigt werden. Bausteine aller Proteine sind die 20 unterschiedlichen proteinogenen Aminosauren. Wenn eine Folge von je 2 Basen eine Aminosaure beschreiben wiirde, so ware der Code unvollstandig, da mit ihm nur 42 = 16 Worte geschrieben werden ki:innten. In der DNA wird also eine Sequenz von mindestens drei Basen beni:itigt, urn eine Aminosaure zu bezeichnen. Allerdings ki:innen mit drei Zeichen pro Wort schon 43 = 64 Worte geschrieben werden. Wie man heute weifi, gibt es eine Reihe von Aminosauren, die durch unterschiedliche Codeworte determiniert sind. Dieses Phanomen wird auch als Degeneration des Codes bezeichnet (S. 271). Unter Zugrundelegung dieser Co die rung ist es moglich, in einem Gen die Aminosauresequenz eines Peptids und in der Gesamtmenge aller DNA-Molekiile eines Organismus die Sequenz aller in ihm vorkommenden Proteine aufzuzeichnen. Die kleinste Informationseinheit ist dann eine Gruppe aus drei Basen, ein sogenanntes Basentriplett, das auch als Codon bezeichnet wird. Das in -®Abb. 5.29 dargestellte zentrale Dogma der Molekularbiologie formuliert die Beziehungen des Nucleinsaurestoffwechsels zu den wesentlichen zellularen Vorgangen und legt die Richtung des Informationsflus-

s.s l Struktur und

biologische Bedeutung der RNA

Zellen enthalten wesentlich mehr RNA als DNA. Nach ihrer Funktion und ihrem Vorkommen unterscheidet man sechs RNA-Klassen (-® Tabelle 5. 7): 158

I

5 Nucleotide und Nucleinsauren

Abb. 5.29. Zentrales Dogma der Molekularbiologie

5 Tabelle 5.7. Klassifizierung der RNA

Bezeichnung

Nudeotidrme

Struktur

Funktion

Bespro Abb. 5.31. 5 SrRNA menschlicher Zellen

Fiir die Realisierung der auf der DNA kodierten Information ist deren Kopie als RNA notwendig. DieserVorgang wird als Transkription bezeichnet und fiihrt zu insgesamt 6 RNAKiassen.Die Messenger RNA dient als Matrize fiir die Proteinbiosynthese und kodiert in Form von Basentriplets

160

I

5 Nucleotide und Nucleinsauren

""'S?

c::
-

Stoffwechsel der Zelle: Weitergabe und Realisierung der Erbinformation

7 8 9

10 11

209 Replikation und Gentechnik Transkription und posttrans243 kriptionale Prozessierung der RNA Abbau und Biosynthese, Modifikation

von Proteinen

267

Viren Gendiagnostik und Gentherapie

301 331

Replikation und Gentechnik G.

7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5

7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3

7.3 7.3.1

7.4 7.4.1

7.4.4

LOFFLER

210 Der Zellzyklus 210 Der zeitliche Ablaut des Zellzyklus Zellzyklus des Regulation 210 Die Substrate der Cyclin-abhangigen 212 Proteinkinasen Wirkung exogener Faktoren 212 auf den Zellzyklus Apoptose oder der programmierte Zelltod 213 215 Die Replikation der DNA semikonservativen der Prinzip Das 215 DNA-Replikation Das Replikon als Grundeinheit 216 der Replikation Fur die Replikation 217 benotigte Enzymaktivitaten Veranderungen der DNA-Sequenz 224 225 Reparatur von DNA-Schaden Rekombination, Transposition 227 und Retrotransposition 229 Gentechnik DNA fremder Einschleusen zum Vektoren inZellen 229 Herstellung spezifischer DNA-Sequenzen 232 Gentechnik und Grundlagen236 wissenschaften Biotechnische Anwendungen 238 der Gentechnologie

I M. MONTENARH

7 ___...

___________n_g_ Die lnformationen fur den Aufbau eines Organismus, seine Differenzierung und die Aufrechterhaltung von

individuellen Funktionen ist auf einem oder wenigen DNA-Molekiilen niedergelegt. Die Vermehrung der DNA, die DNAReplikation, und die Zellteilung sind im Lebenszyklus einer Zelle in wohlgeordneten und streng kontrollierten Zellzyklusphasen voneinander getrennt. Die DNA-Replikation wird iiber komplexe Multienzymsysteme reguliert und katalysiert. Kontrollmechanismen sorgen dafi.ir, dass die Fehlerrate bei der DNA-Replikation sehr niedrig gehalten wird. Spontan oder durch physikalische oder chemische Noxen verursachte DNA-Schadigungen werden durch effiziente Reparatursysteme behoben. Die genauen Kenntnisse dieser Vorgange haben es auch erleichtert, mit molekularbiologischen Method en die Diagnose von genetischen Veranderungen der DNA schneller und spezifischer durchzufuhren. Durch Entwicklung spezifischer Hemmstoffe einzelner Schritte der DNA-Replikation kann die Replikation von Mikroorganismen, aber auch von Tumorzellen effizient gehemmt werden.

7.1 I Der Zellzyklus Bei der Zellteilung laufen bestimmte Vorgange in einer Zelle in einer geordneten Reihenfolge ab, wobei die Zelle zunachst ihren Inhalt verdoppelt urn sich dann in zwei identische Tochterzellen zu teilen. Bei Vielzellern finden das ganze Leben hindurch Zellteilungen statt. Auch beim Menschen mtissen abgestorbene Zellen durch neue ersetzt werden. Es gibt aber auch menschliche Zellen, wie Nerven- oder Muskelzellen, die sich tiberhaupt nicht teilen, andere Zellen, wie die Leberzellen, teilen sich einmal pro Jahr, wieder andere, wie Darmepithelzellen oder Vorlauferzellen der Blutzellen, teilen sich haufiger als einmal pro Tag. Sti:irungen im Zellzyklus bilden haufig die Grundlage fiir das Zustandekommen von bosartigen Erkrankungen wie Krebs. Daher ist das Wissen urn die molekularen Mechanismen der Zellzyklusregulation ein wichtiger Schltissel zur Behandlung von solchen Erkrankungen.

7.1.1 Der zeitliche Ablaut des Zellzyklus

durch ein Zellwachstum und die Synthese von Proteinen charakterisiert ist, die fi.ir die DNA-Replikation benotigt werden ( ~Abb. 7.1). In der nachsten Phase, der S-Phase, wird die DNA repliziert, so dass die Zelle am En de dieser Phase tetraploid ist. In der anschliefienden G2 -Phase stellt die Zelle sicher, dass die DNA-Replikation erfolgreich abgeschlossen wurde. Zudem bereitet sie sich auf die nachste Zellteilung, die Mitose (M-Phase) vor. Bei einer schnellwachsenden Saugerzelle dauert ein Zellzyklus etwa 24 Stunden,davon entfallen auf die G1-Phase 12 h, die S-Phase 6 h, die Gr Phase 6 h und auf die Mitose 30 min.

7.1.21 Die Regulation des Zellzyklus Der Zellzyklus wird genau kontrolliert. Damit wird verhindert, dass die nachste Zellzyklusphase begonnen wird, bevor die vorhergehende Phase beendet ist. Es macht keinen Sinn, die DNA-Synthese einzuleiten, wenn nicht geni.igend Nucleotide und Enzyme fi.ir diesen Prozess vorhanden sind. Es hatte fi.ir die Zelle ebenfalls katastrophale Folgen, wenn die Mitose eingeleitet

Bei der Erzeugung zweier identischer Tochterzellen muss die gesamte genetische Information der DNA sorgfaltig repliziert und ganz genau auf die Tocherzellen verteilt werden, so dass jede Zelle bei der Teilung eine Kopie des gesamten Genoms erhalt. Dari.iber hinaus muss die i.ibrige Zellmasse verdoppelt werden, wei! sonst aus jeder Zellteilungsrunde kleinere Zellen hervorgehen wi.irden. Dabei muss die Zelle auf aufiere Signale wie Wachstumsfaktoren reagieren, die ihr mitteilen, wann weitere Zellen gebraucht werden.

Mitose

! Der Zellzyklus umfasst 4 Phasen. Nach der Zellteilung, der Mitose, tritt die Zelle in die Interphase ein. Aufgrund fehlender Wachstumsfaktoren, fehlender Substrate oder als Antwort auf bestimmte Signale geht die Zelle in die G0 - Phase (G, engl. gap, Li.icke). Aus dieser Ruhephase konnen die Zellen auf Wachstumsfaktorsignale hin wieder in den Zellzyklus eintreten. Sie befinden sich dann in der G1-Phase, die 210

I

7 Replikation und Gentechnik

G2 -Kontrollpunkt • GroBe der Zelle • Vollstandigkeit der DNA·Replikation

G1-Kontrollpunkt • GroBe der Zelle • lntegritat der DNA • Verfiigbarkeit von Substraten fUr die Proteinund Nucleinsauresynthese

Abb. 7.1. Die einzelnen Phasen des Zellzyklus mit zwei Restriktionspunkten. (Einzelheiten s. Text)

1 wiirde, obwohl die DNA-Synthese noch nicht vollstandig abgeschlossen ist. Ftir diese Kontrolle hat die Zelle sog. Restriktionspunkte eingerichtet, an denen eine Oberprtifung stattfindet, bevor der nachste Schritt erfolgt (Abb.7.1). Die Entscheidung, einen Restriktionspunkt zu passieren, wird durch externe Faktoren sowie von einem inneren Uhrwerk der Zelle bestimmt. Dieses innere Uhrwerk besteht aus den Cyclinen und den Cyclin-abhangigen Proteinkinasen. Der Verlust der Abhangigkeit der Zellzyklusprogression durch externe Wachstumsfaktoren und der Verlust der Zellzykluskontrolle an den Restriktionspunkten der Zelle ist das Charakteristikum von Tumorzellen. Die Aktivitaten der Cyclin-abhangigen Proteinkinasen (cdks, engl. cyclin dependent kinases) werden tiber verschiedene Faktoren und Prozesse reguliert.

Cydin E

Gl

Regulation i.iber die Synthese und Abbau von Cyclinen. Cycline stellen eine Gruppe von strukturell verwandten Proteinen dar, deren Gehalt in der Zelle in Abhangigkeit von den Zellzyklusphasen oszilliert. Cycline bestimmen den Zeitpunkt der Aktivierung der Cyclinabhiingigen Proteinkinasen und deren Substratspezifitaten, sie sind die regulatorischen Untereinheiten der Proteinkinasen. Ihr Gehalt in der Zelle wird tiber die Synthese und tiber den Abbau reguliert ( Abb. 7.2). Cycline binden an die Cyclin-abhangigen Proteinkinasen und regulieren dadurch deren enzymatische Aktivitat. Ein Cyclin-Molekiil kann an unterschiedliche cdks binden und dadurch funktionelle Kinasen bilden.

Cyclin A

s

G2

M

p21 apl p27 k>pl p57 pl

\.

Cydin A cdkl

G0 ·Phase

Cyclin E cdk2 "'--

Cyclin D cdk4/cdk6 ~ p21 apl p27 klpl p57 klpl

p21 tipl p27klpl p571opl

Abb. 7.2. Oben: Zeitlich regulierte Expression von Cyclinen wah rend des Zellzyklus. Unten: Assoziation von Cyclinen mit cdks wah rend des Zellzyklus und ihre lnhibitoren. Einzelne Cycline konnen mit verschiedenen cdks und cdks konnen mit verschiedenen Cyclinen komplexieren

7.1 Der Zellzyklus

211

7 ! Die Aktivitat der cdks wird durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung reguliert

Cdks bilden eine Familie von Proteinen, die eine hohe Konservierung der Aminosauresequenz in den funktionellen Domanen besitzen. Am Beispiel des cdk1 kann man zeigen, dass es inhibierende und stimulierende Phosphorylierungen der cdks gibt. Eine Phosphorylierung von cdk1 an der Aminosaure Threonin 161 durch eine cdk-aktivierende Kinase (CAK, Cyclin H/cdk7/Matl) ist eine absolut notwendige Voraussetzung fur die Kinaseaktivitat von cdks. Die wee1-, mik1und mytl-Kinasen phosphorylieren cdkl an Threonin 14 und Tyrosin 15. Diese Aminosauren liegen im aktiven Zentrum der cdks und die Phosphorylierung an heiden Aminosauren flihrt zu einer lnaktivierung der cdks. Wenn die Zelle zur Zellteilung bereit ist, wird cdk1 durch die Proteinphosphatase cdc25C dephosphoryliert, wodurch das cdkl im Komplex mit Cyclin B1 seine volle Aktivitat erhalt und die Zelle wird zum Eintritt in die Mitosephase stimuliert ( Abb. 7.3).

! Cyclin abhangige Proteinkinasen werden uber lnhibitoren reguliert.

Es gibt zur Zeit zwei bekannte Familien vonInhibitorfamilien. Zum einen die p21 Cip_Familie, die verschiedene Cyclin-abhangige Proteinkinasen inhibieren konnen, zum anderen die Familie der p 161NK4 a-verwandten Inhibitoren, zu denen zusatzlich die Proteine p181NK4c und p 191NK4D gehOren. Diese Inhibitorfamilie beschrankt ihre Hemmung im wesentlichen auf die G1 spezifischen Cyclin/cdk4/cdk6-Komplexe ( Abb. 7.2 b).

!

Die subzellulare lokalisation der Cyclinabhangigen Protein kinase reguliert ihre Aktivitat. Aile Cycline haben in ihrer Aminosauresequenz ein Kernlokalisationssignal, mit dessen Hilfe sie in den Zellkern transportiert werden. Den cdks fehlt ein solches Kernlokalisationssignal, so dass man davon ausgeht, dass sie mit den Cyclinen in den Zellkern transportiert werden. Im Zellkern befinden sich wichtige Substrate, deren Aktivitaten tiber eine Phosphorylierung reguliert werden (Abb. 7.3).

Cyclin D/cdk6 phosphoryliert, was zu der Freisetzung des im hypophosphorylierten Zustand gebundenen Transkriptionsfaktors E2F fiihrt. E2F bindet zusammen mit einem weiteren Faktor DP1 an Promotorregionen (S. 247 ff.) der DNA, wodurch die Transkription ~rjenigen Gene erfolgt, deren Produkte fur den weiteren \Zerlauf der G1- und S-Phase benotigt werden. Das Retinoblastomprotein ist in mehr als 60% aller b~im Menschen auftretenden Tumoren deletiert oder zur funktionellen Inaktivitat verandert. In solchen Fallen entzieht sich die Zelle der oben beschriebenen Regulation der G1-Phase durch Cyclin-abhangige Proteinkinasen.

7.1.41 Wirkung exogener Faktoren auf den Zellzyklus Es ist seit Ianger Zeit bekannt, class Saugetierzellen in Zellkultur nur dann proliferieren, wenn dem Kulturmedium Serum zugesetzt wird. Serum enthalt eine Reihe von mitogen wirkenden Wachstumsfaktoren ( Tabelle 7.1). In Abwesenheit dieser Faktoren gehen Zellen in die G0-Phase des Zellzyklus tiber oder sterben durch Apoptose (S.213). Im letzten Jahrzehnt ist unser Wissen tiber die Signalweiterleitung von Zelloberflachenrezeptoren bis zu den nuklearen Transkriptionsfaktoren sehr stark gewachsen. Dabei stellt der am besten untersuchte MAP (engl. mitogen activated protein) Kinaseweg einen Schllisselmechanismus dar, tiber den Wachstumsfaktorsignale an der Zellmembran intrazellular weitergeleitet und umgesetzt werden. lntrazellulare Signalkaskade ... Abb. 7.4 stellt die heutigen Vorstellungen tiber einen von mehreren Signaltransduktionswegen der mitogenen Wachstumsfaktoren vor. Nach Bindung des Liganden werden spezifische Tyrosylreste der jeweiligen Rezeptoren phospho-

Cytosol

®

p

Kern

p21

Cyclin 8 Cyclin 8 cdkl --"-+® cdkl p

7.1.31 Substrate der Cyclin-abhangigen Proteinkinasen In der GrPhase und am Beginn der M-Phase sind nukleare Lamine und Mikrotubuli-assoziierte Proteine wichtige Substrate der Cyclin-abhangigen Proteinkinasen. In der G1-Phase des Zellzyklus ist das Wachstumssuppressorprotein Rb (Retinoblastom-Protein) ein zentrales Substrat. Das Rb-Protein ist im Ruhezustand der Zelle hypophosphoryliert. In der Mitte der G1-Phase wird das Rb-Protein durch Cyclin D/cdk4 oder 212

I

7 Replikation und Gentechnik

t

Cyclin B

Abb. 7.3. Regulation der Cyclin-abhangigen Proteinkinasen durch Phosphorylierung und unterschiedliche subzellulare Lokalisation

7 Tabelle 7.1. Wachstumsfaktoren im Serum (Auswahl)

Faktor

Funldion

Plattchen-Wachstumsfaktor(PDGF)

Dient als sog. Kompetenzfaktor, d. h. fiihrt dazu, daB Zellen fiir andere Wachstumsfaktoren sensitiv werden.

Epidermaler Wachstumsfaktor (EGF) Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FG F) lnsulinahnliche Wachstumsfaktoren (IGF-1 und IGF-11)

Dienen als Progression faktoren, d. h. stimulieren Proliferation von Zellen, die durch PDGF kompetent gemacht wurden. Dienen als Proliferations- und Differenzierungsfaktoren.

MAPKK~ J ~

MAPK~

J ~

Aktivierung von Transkriptionsfaktoren

.•••..•../

die Adaptorproteine SOS und Grb 2 mit den Rezeptortyrosinkinasen verkntipft. Ein multifunktionelles Zwischenprodukt in dieser Kaskade stellt das ERKI- (engl. extracellular signal-regulated kinase-) Protein dar. "" ERKI wirkt direkt auf die Expression des Cyclin Dl, indem es Transkriptionsfaktoren wie AP-1 und ETS aktiviert, die an den Cyclin D1 Promotor binden. .,.. ERK1 wirkt dartiber hinaus auf den Zusammenbau der Cyclin-abhangigen Proteinkinasen ein. .,.. ERK1 fordert den Abbau von Proteinen der p21-Familie der Inhibitoren von Cyclin-abhangigen Proteinkinasen. AuBer den genannten aktivierenden Faktoren kann der Zellzyklus durch extrazellulare Faktoren auch gehemmt werden. Besonders gut ist dies ftir den transformierenden Wachstumsfaktor f3 1 (TGF (31) belegt. Dieser blockiert den Dbergang zwischen der Gt- und SPhase dadurch, dass er ein Inhibitorprotein (Kip I) aktiviert, welches das Cyclin E aus seiner Bindung an cdk2 verdrangt.

p27''Pl



Zellzykluskontrolle

Abb. 7.4. Steuerung des Zellzyklus durch extrazellulare Wachstumsfaktoren. Die Bindung von Wachstumsfaktoren an die entsprechenden Rezeptoren fUhrt iiber bestimmte Adaptorproteine zu einer Aktivierung einer Proteinkinase-Kaskade. Diese Signalweiterleitung resultiert schlieBiich in der Aktivierung von Proteinen der ERK-Familie,die Uber verschiedene Mechanismen auf den Zellzyklus einwirken. GRB2 ist ein Adapterprotein mit SH2-Domanen,SOS katalysiert den Austausch von GDP mit GTP am zur Familie der kleinen G-Proteine gehorigen Ras-Protein. Dieses aktiviert die Rat-Kinase, was in einer Kaskade zur Aktivierung der MAP-Kinase fUhrt

ryliert und dienen dann als Bindungsstellen ftir eine Reihe von Adaptorproteinen. Diese verftigen hierzu tiber eine sog. SH2-Domiine (engl. src homology domain), die ursprtinglich in der viralen src-Kinase (S. 320) entdeckt wurde. Fiir die Induktion der ftir die mitogene Antwort verantwortlichen Gene ist dabei die Mitogen-aktivierte Proteinkinase (MAPK) von besonderer Bedeutung. Sie wird durch eine Phosphorylierungskaskade, analog der beim Glykogenabbau (S. 415 ff.) verwendeten, aktiviert, wobei das primare Ereignis die Aktivierung der RaJ-Kinase durch ein als Ras bezeichnetes G-Protein ist. Ras ist seinerseits tiber

7.1.51 Apoptose oder

der programmierte Zelltod

Bei vielzelligen Organismen ist die Differenzierung der verschiedenen Gewebe und Organe wahrend der Wachstumsphase sowie die Aufrechterhaltung konstanter OrgangroBen und die Involution von Organen unter den verschiedensten physiologischen und pathologischen Bedingungen nicht nur vom ungestOrten Ablauf der Zellproliferation und -differenzierung abhangig, sondern auch davon, dass Zellen unter entsprechenden Bedingungen eliminiert werden konnen (Tabelle 7.2). So kommt es wahrend der Embryonalentwicklung von Saugetieren zur Zerstorung funktionsloser Neurone oder zur Eliminierung autoreaktiver T-Lymphocyten (S.ll28). Beim Erwachsenen findet sich die Entfernung von Zellen speziell bei den Organen, die einer reversiblen Expansion unterliegen. Beispiele hierftir sind das Epithel der Brustdriise oder der Prostata. Wahrscheinlich ist die Entfernung und AbtOtung nicht gebrauchter Zellen ein in allen Geweben des Organismus vorkommender Vorgang, der z. B. 7.1 Der Zellzyklus

213

7 Tabelle 7.2. Organe, in denen eine physiologische Apoptose stattfindet (Auswahl)

Organ

AusiOser

Lactjerende Milchdriise

Prolactinabfall

Pro tata

Mangel an Androgenen

Leber

Hunger

Lymphocyten

Glucocorticoide

Neuronen

Mangelan GF

RNA- und Proteinbiosynthese. Dies macht die Apoptose klar unterscheidbar von der Zellnekrose, die haufig mehrere Zellen eines geschadigten Organs betrifft, bei der es zur Zellschwellung und zum Verlust der Membranintegritat, aber erst relativ spat zum DNA-Abbau kommt und bei der regelmaBig eine entztindliche und immunologische Reaktion zu beobachten ist.

Signalkaskaden zur Auslosung der Apoptose fUhren zur Aktivierung von Caspasen.

auch fiir das Schicksal virusbefallener Zellen oder mancher Tumorzellen von groBer Bedeutung ist.

Apoptose und Nekrose sind klar unterscheidbar. Schon durch in den 50 er Jahren durchgeftihrte, meist morphologische Untersuchungen wurde klar, class die oben aufgeflihrten Eliminierungen von Zellen nach einem genau festgelegten Programm erfolgen, weswegen man sie auch als programmierten Zelltod oder Apoptose bezeichnete. Zu diesem Begriff gehort morphologisch, class nur einzelne, individuelle Zellen in einem sonst gesunden Organ abgetotet werden. Ihr Sterben beginnt mit einer Schrumpfung des Zellkerns, relativ spat kommt es zum Zerfall der Plasmamembran in viele Vesikel und so zur Auflosung der Zelle. Die DNA der betroffenen Zellen wird rasch abgebaut und bildet haufig Bruchstticke, die den Nucleosomen-assoziierten DNA-Fragmenten entsprechen. Die get6teten Zellen bzw. das aus ihnen entstandene Material wird rasch von benachbarten Makrophagen aufgenommen; es kommt nicht zu Entztindungsreaktionen oder Antikorperbildung. Biochemisch ist die Apoptose ein induzierbarer, energieabhangiger Vorgang mit gesteigerter

Es gibt heute viele Wege, tiber die dieApoptose ausgelost wird. Abb. 7.5 zeigt den Todesrezeptorweg (engl. death receptor) und den mitochondrialen Weg. ~ Beim mitochondrialen Weg kommt es infolge eines externen Signals zu einer Aktivierung von Proteinen der bcl-2-Familie und der bax-Subfamilie. Dies ftihrt zur Anheftung dieser Proteine an die Mitochondrienmembran, was wiederum zu einer Freisetzung von Cytochrom c (S. 537) ftihrt. Cytochrom c bindet an das cytosolische Protein Apaf-1, das Caspasen aktiviert. Caspasen sind Cysteinproteasen (S. 294) mit einer Spezifitat ftir Asparaginsaure in einer Polypeptidsequenz. Aktivierte Caspasen spalten ein breites Spektrum von verschiedenen Proteinen und verandern damit deren Funktion. ~ Ein anderer Weg der Apoptose lauft tiber einen Liganden/Rezeptorkomplex (Fas/CD95) in der Plasmamembran. Nach Bindung des Liganden an den Rezeptor wird auf der cytosolischen Seite des Rezeptors die Bindung eines Adaptermolekiils stimuliert, welches wiederum Caspasen rekrutiert. Ober eine Kaskade von verschiedenen Proteolysereaktionen mit verschiedenen Caspasen kommt es letztlich zur Apoptose der Zelle.

Fasl fas

Zellmembran

FADD

bax bad bid

Mitochondrium

etc.

aktivierte Caspase 8

aktivierte Caspase 9

.. Akt1v1erung von - - - weiteren Caspasen z. B.Caspase 3 Proteolyse von Substraten DNA·Fragmentierung

214

7 Rep\ikation und Gentechnik

••

Apaf·l

Caspase 9

Abb. 7.5. Mechanismen, die eine Apoptose auslosen konnen. Dargestellt ist eine lnduktion der Apoptose Ober einen Liganden/Rezeptor-Weg von der Plasmamembran ausgehend und der mitochondriale Weg der Apoptoseaus\osung. (Weitere Einzelheiten s.Text)

7 Fehler in der Apoptose fiihren zur Entstehung von Tumoren und zum Auftreten von Tumorzellen, die gegen eine cytotoxische Thera pie resistent sind. Fehler in der Apoptose spielen aber auch eine Rolle bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten und bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen. Die Beteiligung der gleichen Schliisselmolekiile bei der Induktion der Apoptose wie auch der Regulation der Zellproliferation (z. B. p53,S. 1167) zeigt,dass intrazelluHire Signalwege, je nach den Erfordernissen, die Zelle in die eine oder andere Richtung dirigieren konnen.

KERNAUSSAGEN Bei vielzelligen Organismen wie dem Menschen finden das ganze Leben lang Zellteilungen statt. Dabei verdoppelt die Zelle ihren In halt bevor sie sich in zwei identische Tochterzellen teilt. Zellteilungen werden in streng regulierten und kontrollierten Phasen des Zellzyklus vorbereitet. Zur Regulation dieser einzelnen Phasen hat die Zelle ein endogenes Kontrollsystem, eine innere Uhr, die von Cyclinabhangigen Proteinkinasen ausgetibt wird. Cyclin-abhangige Proteinkinasen werden reguliert tiber: .. Synthese und Abbau von Cyclinen und Anlagerung der Cycline an die katalytischen cdk-Untereinheiten; Phosphorylierungs- und Dephosphorylierungsreaktion der cdks; .. lnhibitormolektile; .. subzellulare lokalisation. SubstratederCyclin-abhangigen Proteinkinasen sind Strukturproteine der Zelle und Proteine,diemit Transkriptionsfaktoren wechselwirken,oder Transkriptionsfaktoren selbst. Zellproliferation wird exogen tiberWachstumsfaktoren reguliert, die ihre Information tiber eine Signaltransduktionskaskade ins Zellinnere bis in den Zellkern weitergeben. Solche Signalkaskaden beruhen auf multi pi en, hintereinander geschalteten Phosphorylierungsreaktionen, die dartiber hinaus auch zur Verstarkung des Signals fUhren. Die Apoptose dient der gezielten Eliminierung von Zellen in einem multizellularen Organismus.Sie wird eben falls tiber verschiedene Signalkaskaden in der Zelle reguliert, wobei ein gemeinsamer Endpunkt allerWege die Aktivierung von proteolytisch wirkenden Caspasen ist.

7.2 1Die Replikation der DNA Die korrekte Replikation der DNA ist das zentrale Ereignis im Zellzyklus. Sie ist eine Voraussetzung fiir die wahrend der M-Phase erfolgende mitotische Teilung und damit die molekulare Grundlage fiir die Weitergabe der genetischen Information auf die Tochterzellen. Dass es sich bei der DNA-Replikation urn einen sehr genau kontrollierten Prozess handeln muss, geht allein aus der Oberlegung hervor, dass sie erst dann erfolgen kann,

wenn die Zelle durch entsprechendes Wachstum und Biosynthesen der Bausteine die fur die anschlieBende Teilung erforderliche Masse erhalten hat. Ferner kann die Zellteilung in der Mitose erst dann stattfinden, wenn die gesamte DNA der Zelle vollstandig repliziert ist. Urspriinglich wurden die mit der Replikation verkniipften enzymatischen Vorgange ausschlieBlich an Bakterienzellen, v. a. an E. coli, untersucht. Da sich diese Organismen durch eine besonders hohe Replikationsrate auszeichnen und ihre DNA beliebig mutiert werden kann, sind sie nach wie vor hervorragende Werkzeuge fur diese Untersuchungen. Die Dbertragung der an Prokaryoten gewonnenen Erkenntnisse auf eukaryote Organismen und damit auch auf Saugetiere ist in den letzten Jahren erfolgreich gelungen. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Prinzip der Replikation bei pro- und eukaryoten Organismen identisch ist, dass jedoch bei den letzteren infolge der groBeren Komplexizitat ihres Genoms kompliziertere Regulationsvorgange vorliegen.

I

7.2.1 Das Prinzip der semikonservativen DNA-Replikation Nachdem gezeigt worden war, dass mit Ausnahme einiger Viren (Kap.lO) in allen Organismen die DNA in Form eines Doppelstrangs aus zwei antiparallel verlaufenden Einzelstrangen vorliegt (S.148), stellte sich die Frage nach dem Mechanism us ihrer Verdopplung. Matthew Meselson und Franklin Stahl zeigten schon 1958 in einem eleganten Experiment, dass die DNA-Replikation semikonservativ erfolgt ( -®Abb. 7.6). Sie verwendeten hierzu E. coli- Bakterien, die sie tiber viele Generation en in einem Medium geziichtet hatten, das das schwere Stickstoffisotop 15N anstatt des normalen !sotops 14N enthielt. Nach Synchronisierung der E. coliBakterien stellten sie das Medium auf das nor male !sotop 14N urn. Die Ausgangs-DNA und die DNA der ersten und zweiten Generation wurde in einem CsClDichtegradienten zentrifugiert. Wahrend sie zu Beginn des Experiments natiirlich nur eine DNA-Bande mit der dem Stickstoffisotop 15N entsprechenden Dichte nachweisen konnten, fand sich nach einer Generation in der isolierten DNA eine Dichte, die genau zwischen der 15 N- und 14N-markierten DNA lag. Nach zwei Generationen fanden sich zwei DNA-Spezies, von denen die eine die Dichte der normalen 14 N-markierten DNA aufwies, die zweite die intermediare Dichte. Dieses Ergebnis konnte nur durch die Annahme erklart werden, dass es bei der DNA-Replikation zu einer Aufspaltung der beiden Doppelstrange kommt, von denen dann jeder als Matrize fiir die Synthese eines neuen Strangs dient. Damit besteht jeder aus einer Replikation hervorgegangene DNA-Doppelstrang aus einem parentalen und einem neu synthetisierten Einzelstrang. Spatere Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Mechanismus der semikonservativen Replikation nicht auf 7.2 Die Replikation der DNA

215

7 1. Generation

beide Strange

15 Nu. 14N-markiert

2. Generation

Stan

2 hybride Str3nge 2 14N-markierte Str3nge

En de

Abb. 7.6. Nachweis des semikonservativen Mechanismus der DNA-Replikation.f. co/i-Bakterien bauen das schwere Stickstoffisotop 15Nin die DNA ein, die dadurch schwerer wird. Lasst man derartige Bakterien in einem Medium mit dem norma len lsotop 14N weiter wachsen, so zeigt die DNA nach einer Generation ein intermediares Gewicht zwischen derjenigen der 15N- bzw. 14N-markierten DNA, in der zweiten Generation jedoch zu 50% 14N-markierte DNA und DNA der intermediaren Dichte. Die einzelnen Formen der DNA kiinnen auf einem Dichtegradienten analysiert werden

Stan

Bakterienzellen beschrankt ist, sondern universal fiir aile Organismen gilt, deren Genom aus doppelstrangiger DNA besteht.

7.2.21 Das Replikon als Grundeinheit der Replikation

Der Befund, dass die DNA-Replikation semikonservativ erfolgt, gibt zunachst noch keine Antwort auf die Frage nach den zugrunde liegenden enzymatischen Mechanismen. Auch bier waren Untersuchungen an bakteriellen Systemen, die im Vergleich zu eukaryoten Zellen wesentlich weniger DNA in nur einem ringfi:irmigen bakteriellen Chromosom enthalten, auBerst hilfreich. Sie zeigten klar, dass die Replikation des bakteriellen Chromosoms an einer definierten Stelle des Chromosoms, dem sog. Replikationsursprung (engl. origin of replication) beginnt. Die Stelle, an der die neu synthetisierte DNA sichtbar wird, wird auch als Replikationsgabel bezeichnet. Von dort aus verlauft die bakterielle Replikation entlang des ringformigen Chromosoms, so dass amEnde zwei ringformige Doppelstrange entstanden sind (® Abb. 7.7). Als Replikon bezeichnet man dabei diejenige Einheit der DNA, in der die einzelnen Schritte der Replikation stattfinden. Jedes Replikon muss tiber einen Replikationsursprung verfiigen. Da bakterielle Chromosomen nur einen Replika216

I

7 Replikation und Gentechnik

Ende

Start

En de

Abb. 7.7. Replikation des a useinem Replikon bestehenden ringfiirmigen bakteriellen Chromosoms

7 tionsursprung enthalten, stellen sie auch nur ein Replikon dar.

!

Replikationsblasen vergroBern sich bidirektional. Eine wichtige Frage fiir die DNA-Replikation war diejenige nach der Richtung, in der sich die am Replikationsursprung entstehende Replikationsgabel bewegt. Prinzipiell ist hier eine unidirektionale und eine bidirektionale Replikation moglich, dementsprechend miissen jeweils eine bzw. zwei. funktionelle Replikationsgabeln entstehen. Durch Untersuchung elektronenmikroskopischer Aufnahmen von replizierender DNA ist diese Frage nicht zu entscheiden. Wenn jedoch wahrend der DNA-Replikation radioaktive Desoxyribonucleotide zugegeben werden, werden die synthetisch aktiven Replikationsgabeln markiert: im Faile der unidirektionalen Replikation nur eine, bei bidirektionaler Replikation jedoch beide. Dabei hat sich gezeigt, dass pro- und eukaryote Chromosomen wahrend der S-Phase des Zellzyklus durch bidirektionale Replikation verdoppelt werden.

! Bei der Replikation des eukaryoten Genoms treten multiple Replikationsblasen auf.

Die Replikation der eukaryoten DNA ist auf die S-Phase des Zellzyklus beschrankt. Bei Saugetieren dauert diese etwa 6 Stunden, in denen die etwa 3 x10 9 Basenpaare verdoppelt werden sollen. Auf Grund der maximalen Aktivitat der fur die Replikation verantwortlichen DNA-Polymerasen (s. u.) ist es von vornherein ausgeschlossen, dass jedes Chromosom nur ein Replikon darstellt. Es enthalt vielmehr eine groge Zahl unterschiedlicher Replikons, die jeweils zu unterschiedlichen Zeiten der S-Phase repliziert werden. Der Ablauf der DNA-Replikation in Anwesenheit vieler Replikationsblasen ist schematisch in Abb. 7.8 dargestellt. Die Replikation erfolgt in den Replikationsblasen bidirektional und wird dadurch beendet, dass zwei aufdnander zulaufende Replikationsblasen miteinander verschmelzen. Wie aus Tabelle 7.3 zu entnehmen ist, sind die Replikons bei eukaryoten Zellen relativ klein und replizieren die DNA wesentlich langsamer als die bakteriellen Replikons. Einer der Griinde hierfiir mag in dem wesentlich komplexeren Aufbau des eukaryoten Chromatins (S.149) liegen.

Abb. 7.8. Replikation der eukaryonten DNA mit Hilfe multipler Replikationsblasen. (Einzelheiten s.Text)

7.2.31 Fur die Replikation benotigte Enzymaktivitaten In Anbetracht der Komplexizitat der Chromatinstruktur ist es einleuchtend, dass Zellen einen auBerordentIich komplizierten Apparat zur Replikation ihrer DNA benotigen. Vom Konzept her kann man die sen Vorgang in die drei Stadien .- Initiation, .- Elongation und .- Termination einteilen (die gleiche Einteilung wird auch fiir Transkription und Proteinbiosynthese (Kapitel8 und 9) verwendet. Die Initiation beginnt damit, dass ein Replikationsursprung von entsprechenden Proteinkomplexen erkannt und damit der Start der DNA-Replikation festgelegt wird. Damit dieser erfolgen kann, muss an dieser Stelle der DNA-Doppelstrang in die beiden Einzelstrange getrennt werden, was einem Schmelzen der DNA (S.161) entspricht. So lange die neu synthetisierten Strange zur Verfiigung stehen, muss verhindert werden, dass die beiden parentalen Strange wieder reassoziieren. Fiir die Elongation der DNA wird ein auch als Replisom bezeichneter Proteinkomplex benotigt, der sich am Replikationsursprung zusammenlagert

Tabelle 7.3. Pro- und eukaryote Replikons. bp Basenpaare

Organismus

Replikons

Bakterium

Durdtsdlnlttliche Lange

Repllkadonsgeschwindigkeit

Beispiel

4200kb

50000 bp/min

(E. coli)

Hefe

500

40kb

3600bp/min

(S. cerevisiae)

Fruchtfliege

3500

40kb

2600 bp/rnin

(D. melanogaster)

Maus

25000

150kb

2200 bp/min

(M. mu culus)

Pflanze

35000

300kb

(V. faba)

7.2 Die Replikation der DNA

217

7 und danach an der Replikationsgabel entlangwandert. Die Termination der DNA-Replikation erfolgt durch das Zusammentreffen zweier Replikationsgabeln. Bei linearen DNA-Molektilen treten besondere Probleme auf, die sp1Her besprochen werden (S. 222).

!

Vor dem Start der DNA-Replikation ist eine lokale Denaturierung der DNA notwendig. Bei Prokaryoten liegen wesentlich mehr gesicherte Kenntnisse tiber die Initiation der DNA-Replikation vor als in eukaryoten Zellen. Wie aus Abb. 7.9 hervorgeht, sind bei E. coli wenigstens funf Proteine ftir diesen Vorgang notwendig. .,. Das DnaA-Protein bindet an spezifische Sequenzen des Replikationsursprungs und i:iffnet hierbei den Doppelstrang. Flir diesen Vorgang wird ATP beni:itigt. .,. Durch das DnaB-Protein wird die DNA nach beiden Richtungen hin entspiralisiert, so dass bereits zwei Replikationsgabeln praformiert werden.

.,. Die Reassoziation der beiden Einzelstrange wird dadurch verhindert, dass ein als SSB (engl. single strand binding protein) bezeichnetes Protein an die einzelstrangige DNA bindet. .,. Die durch die Entspiralisierung entstandene Spannung des DNA-Doppelstranges wird schlieBlich durch die DNA-Topoisomerase Ilbeseitigt. Aufgrund der vorliegenden Daten muss man annehmen, dass die DNA-Replikation durch Regulation der Initiationsphase gesteuert wird. Bei Eukaryoten sind die Verhaltnisse wegen der Komplexizitat des eukaryoten Genoms wesentlich komplizierter. Bei der Hefe ist ein DNA-Motiv gefunden worden, das dieselbe Funktion hat wie der bakterielle Replikationsursprung und welches als ARS (engl. autonomously replicating sequence) bezeichnet wird. Dartiber hinaus haben sich auch in Eukaryoten Einzelstrangbindungsproteine nachweisen lassen.

DnaB 5'-3'-Helicase

Dna(

d· - 81 Rib 82-

dRib

~

~

d- - 83 Rib 84-

zusammen mit DnaB

Spaltung der Phosphorsliure-DiesterBindung mit Tyrosyi-OHder Topoisomerase

ssb

Einzelstrang8indungsprotein

: .~ .,J

DnaG

Primase

3'

~ ~Yl\.Yl\.Yl\.Yl\.Yl\.Yl\.VJ

d-

~

0.- o~

Rib Topo· isomerase

- OH

d- - 83 Rib 8. -

dRib

d- - 81 Rib 82-

dRib

~

~ dRib

Rotation des geschnittenen Einzelstrangs moglich

HO - o -

Topoisomerase

SchlieBen der liicke

b

Abb. 7.9a, b. Initiation der DNA-Replikation bei E. coli. a Fiir die Initiation der Replikation muss zunachst durch eine Helicase (Dna B) zusammen mit dem Produkt desDnaC-Gens, einer weiteren Helicase, eine lokale Entwindung der DNA stattfinden. Die dadurch entstehende Verdrillung des oberhalb gelegenen DNA-StUckswird durch Topoisomerasen (s. b) aufgehoben. Einzelstrangbindungsproteine verhindern die Reassoziation der beiden Einzelstrange, anschlie13end werden mit Hilfe des Dna G-Primasekomplexes die Primer synthetisiert. b Mechanismus der DNA-Topoiso-

I

d- - 81 Rib 82-

d- - 83 Rib 84-

5' ~\.\l/ \)

a

218

Topoisomerase

dRib

DnaT

priA 3'-5' -Helicase

HO ~

7 Replikation und Gentechnik

merase I. Ein Tyrosylrest des Topoisomeraseproteins greift an einer DNAPhosphodiester-Bindung an, so dass ein Strangbruch entsteht. Das Tyrosyi-OH bildet mit dem DNA-Phosphat eine energiereiche Bindung aus. Die beiden Enden der DNA-Doppelhelix konnen nun umeinander rotieren. Da die Bindungsenergie im Phosphotyrosin des Enzymsubstratkomplexes gespeichert ist, kann in einer reversiblen Reaktion der Strangbruch geschlossen werden

7 ! DNA-Polymerasen sind fi.ir die Replikation der DNA verantwortlich.

Mitte der 50 er Jahre gelang Arthur Kornberg die lsolierung eines als DNA-Polymerase Ibezeichneten Enzyms aus E. coli. In spateren Untersuchungen wurde herausgefunden, dass die Funktion dieses Enzyms eher in der DNA-Reparatur besteht und dass aile bekannten Zellen tiber mehrere DNA-Polymerasen verftigen. Tabelle 7.4 gibt einen Oberblick tiber Aufbau und Funktion der DNA-Polymerasen eukaryoter Zellen. Allen DNA-Polymerasen sind eine Reihe von Eigenschaften gemeinsam. Hierzu gehort zunachst der Reaktionsmechanismus, der in Abb. 7.10 dargestellt ist. Es handelt sich urn einen nucleophilen Angriff der freien 3'-0H-Gruppe des zu verlangernden DNA-Strangs an die Pyrophosphatbindung zwischen dem a- und /3Phosphat des anzukntipfenden Desoxynucleosidtriphosphats. Als Desoxyribonucleosidtriphosphate fiir die DNA-Polymerasen werden die Purinnucleotide dATP und dGTP sowie die Pyrimidinnucleotide dCTP sowie dTTP verwendet. Durch diesen Reaktionsmechanismus ist die Richtung der Kettenverlangerung festgelegt: Sie erfolgt immer vom 5'-Ende zum 3'-Ende hin. Ein unentbehrlicher Cofaktor fiir die Polymerisation ist das Magnesiumion. DNA-Polymerasen benotigen einen als Matrize bezeichneten Einzelstrang, dessen Basensequenz die Reihenfolge der ftir die Verlangerungsreaktion gewahlten Desoxyribonucleotidtriphosphate bestimmt. Hierdurch wird gewahrleistet, dass der neue Strang tatsachlich komplementar zum parentalen Strang ist. Einige, aber nicht aile DNA-Polymerasen haben die Fahigkeit zum Korrekturlesen. Sie verftigen hierzu tiber eine 3'-5'-Exonucleaseaktivitiit, konnen also Nucleotide am 3'-Ende eines DNA-Molektils abspalten. Der biologische Sinn dieser Nucleaseaktivitat liegt darin, dass falsch eingebaute Nucleotide erkannt und unmittelbar nach ihrem Einbau wieder hydrolytisch abgespalten werden. Bei der DNA-Polymerase III aus E. coli fiihrt dies zu einer 103 -fachen Steigerung der Genauigkeit. Die Aktivitiit der verschiedenen zellularen DNAPolymerasen schwankt zwischen weniger als 10-50 bis maximal1000 Nucleotide pro Sekunde. Dieser Wert allein ist jedoch nicht ausreichend zur Charakterisierung von DNA-Polymerasen. Eine ihrer wesentlichen Eigenschaften wird auch als Prozessivitiit bezeichnet. Diese

I O= P- 0- CH2

~ ~'

bl

I O= P- O- CH2

b-

OH 0 0 0 II 0 - P- 0- P 0- P O- CH2 I o- o· o-

I!

y

u

OH

I

l b'

o= P- 0- CH2

b-

0 I

b 2

O= P- 0 - CH2

b-

0

0

o-

I

o

'(

I!

II II 0 - P- 0- P- 0

+

OH

I

I

0 P- O

0 (I

OH

Abb. 7.10. Mechanismus der DNA-Replikation durch Kettenverlangerung am 3'-0H-Ende eines DNA-Einzelstrangs durch die DNA-abhangige DNA-Polymerase. Der Kettenverlangerung liegt ein nucleophiler Angriff der 3'-0H-Gruppe am a -Phosphatatom des anzukondensierenden Desoxynucleosidtriphosphats zugrunde. (Weitere Einzelheiten s.Text)

wird als die Zahl von Nucleotiden bestimmt, die im Durchschnitt von einem DNA-Polymerasemolekiil an eine wachsende DNA-Kette angeftigt werden, bevor das Enzym von seinem Substrat, der DNA-Kette, abdissoziiert. Ftir die verschiedenen DNA-Polymerasen schwankt der Wert fiir die Prozessivitat von weniger als 10 bis mehr als 1000.

Tabelle 7.4. Beim Sauger vorkommende DNA-Polymerasen DNA-Polymerase

a

Lokalisation

Kern

Funktion

Molekulmas e (Da)

r Kern

Kern

Kern

Mitochondrien

Synthese des PriSynthese des mers und des Verzo- Fiihrungsstrangs gerungsstrangs; enthalt Primaseaktivitat

Reparatur

Reparatur

Replikation der mitochondrialen DNA

300000

250000

4000

180000-300000

170 000-230 000

7.2 Die Replikation der DNA

219

7 3'

5'

!I

~~~~~rjTj~j~~~~~~~~~~T~~~~~~~·

parentaler Strang

Primase synthetisiert RNA-Primer

3'

5'

rj~,-rTI~I~jlrjTj~j~lrriTj~j~lTl~l~i~l

s·~o..l.1....1....1....1-IL...L..I OH 3

3'

I

!

DNA-Polymerase vertangert den Primer mit DNA

5' rT,-rr~~~~rT~rr~1-r1Tl,

......

Abb. 7.11. Start der DNA-Replikation durch Synthese eines RNA-Primers. Die hierfUr bentitigte Primase ist bei Prokaryoten ein eigenes Enzym, bei Eukaryonten eine Teiiaktivitat der DNA-Polymerase a

!

fUr die Replikation der DNA, die auf unterschiedliche Weise gelOst worden sind. .- Bei Prokaryoten wird durch eine als Primase bezeichnete RNA-Polymerase (S. 245) ein kurzes RNAStUck synthetisiert, das dann als so g. Primer ftir die Ankondensation weiterer Desoxynucleosidtriphosphate mit Hilfe der DNA-Polymerase dient. .- Bei Eukaryoten ist die Primase eine Teilaktivitiit der DNA-Polymerase a ( Abb. 7.11). Eine von manchen Viren benutzte Moglichkeit besteht darin, dass ein Nucleotid-bindendes Protein an den DNA-Einzelstrang bindet, so dass die DNA-Polymerasen an diesem Nucleotid angreifen und weitere Nucleotide ankondensieren konnen.

Jede DNA-Replikation startet mit der Synthese eines RNA-Primers.

Bei der DNA-Synthese wird der Verzogerungsstrang diskontinuierlich synthetisiert.

Eine weitere, allen DNA-Polymerasen gemeinsame Eigenschaft beruht darin, dass diese Klasse von Enzymen nicht imstande ist, das freie 3'-OH-Ende zu produzieren, an das weitere Nucleotide angekniipft werden konnen. DNA-Polymerasen konnen deswegen nur an einen bereits bestehenden DNA-Doppelstrang neue Basen ankondensieren. Daraus ergeben sich Probleme

Ein besonderes Problem fUr die DNA-Replikation ergibt sich daraus, dass DNA-Polymerasen die Synthese des neuen Strangs nur in der 5'-3' -Richtung durchftihren konnen, die DNA-Doppelstriinge aller bekannten Organismen jedoch antiparallel verlaufen. In Abb. 7.12 sind die Verhiiltnisse schematisch dargestellt. Die Richtung der DNA-Polymerisation durch die 5'

~iii

Verzogerungsstrang Synthese des Primers

3'

~llrl~~l-llr~~rr~~~TT~i~l-irr~~irri~l~i~i~i~~ II

I

I I

5'

II

II

Iii'' \

~?i:::: :::::: 5' I

5'

/\.,1 I I

, 3

~ilri~ITI~I~i-lrrl~i~l~~~~~~~~ IIIIIII

5'

I

I

I

J'' 3'

filhrungsstrang

I::::::: :::::::::: 5'

3'

Verztigerungsmang Synthese des OkazakiFragments Synthese des 2. Primers

I ""'_\ : '

~~'::::::::::::::::::::::::::5'

I

Fiihrungsstrang

3'

::: : : : : :::: : : :: ~ : : : :: : : :: : : : ::: ::. 5'

5'

Verztigerungsstrang Synthese des 2. Okazaki-Fragment.s

! I ll~

5'

FOhrungsstrang

: : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : : 3'

Abb. 7.12. Die Replikation der DNA-Doppelhelix. Da die Strangverlangerung immer nur in 5'-3'-Richtung erfolgen kann, kann die Replikation nur in einem der beiden Einzelstrange, dem sag. Fiihrungsstrang kontinuier220

I

7 Repiikation und Gentechnik

lich ablaufen.lm antiparaiielen sag.Verzogerungsstrang erfolgt die Repiikation wegen der Syntheserichtung der DNA-Polymerase diskontinuierlich

7 DNA-Polymerase entspricht nur an einem der heiden neu synthetisierten Strange der Wanderungsrichtung der Replikationsgabel. Dieser Strang wird, nachdem einmal ein Primer-Moleki.il synthetisiert wurde, kontinuierlich in einem Sti.ick synthetisiert und als sog. Fuhrungsstrang (engl. leading strand) bezeichnet. Beim anderen Strang verlauft die Polymerisierungsrichtung dagegen von der Replikationsgabel weg. Der Japaner Reiji Okazaki fand heraus, dass die DNA-Synthese in diesem Strang diskontinuierlich in Stiicken aus 1000-2000 Basen erfolgt, welche nach ihm auch als Okazaki-Fragmente bezeichnet werden. Sie entstehen dadurch, dass nach der Synthese eines derartigen Fragments jeweils wieder an der Replikationsgabel ein neuer Primer synthetisiert und durch die DNA-Polymerase solange verlangert wird, bis er an das vorher synthetisierte Fragment sti:iBt. Der diskontinuierlich synthetisierte Strang wird auch als verzogerter Strang (engl. lagging strand) bezeichnet.

! 5'·3'-Exonuclease und DNA-Ligase werden

fUr den Abschluss der DNA-Replikation benotigt.

Urn bei der Replikation zwei funktionell aquivalente DNA-Doppelstrange zu erhalten, miissen natiirlich die Okazaki-Fragmente entsprechend bearbeitet und danach zusammengefi.igt werden. Bei Prokaryonten werden hierfi.ir zwei weitere Enzyme, die DNA-Polymerase I sowie die DNA-Ligase benotigt. Die DNA-Polymerase I verfiigt tiber eine 5'-3'-Exonucleaseaktivitiit, mit deren Hilfe spezifisch der RNA-Primer entfernt wird (-®Abb. 7.13). Gleichzeitig fiigt dieses Enzym, beginnend mit dem freien 3'-0H-Ende des vorangegangenen DNA-Sti.ickes Desoxyribonucleosidtriphosphate

komplementar zur Basensequenz des Matrizenstrangs in die entstehende Li.icke ein. Dadurch entsteht ein Muster aus aneinanderstoBenden DNA-Strangen im neu synthetisierten Strang, die mit Hilfe der DNA-Ligase miteinander verkni.ipft werden. -® Abb. 7.14 stellt den allgemeinen Mechanismus der DNA-Ligasen dar. NAD+ (oder ATP) client dabei als Donor eines AMPRestes, der mit einer Amidophosphatbindung covalent mit der E-Aminogruppe eines Lysylrestes des Ligaseproteins verkniipft wird. Die Spaltung dieser energiereichen Bindung client dazu, den AMP-Rest auf das 5' Phosphatende der einen DNA-Kette zu iibertragen. Dabei entsteht eine Phosphorsaureanhydrid-Bindung

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u,... -

(CH, ),- NH,

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ligase -

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0

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0

0 Rib

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3' SchlieBen der LOcken mit DNA·ligase

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I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I

5'

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Abb. 7.13. Funktion der DNA-Polymerase I bei d erProzessierung des Verzogerungsstrangs. Von besonderer Bedeutung fUr diesen Vorgang ist die 5'-3'-Exonucleaseaktivitat d erDNA-Polymerase I. Das bei Eukaryoten fUr diese Funktion bentitigte Enzym konnte noch nicht mit Sicherheit identifiziert werden

Abb. 7.14. Mechanismu sder DNA-ligasen. (Einzelheiten s.Text) 7.2 Die Replikation der DNA

221

7 zwischen AMP und dem 5'-Phosphatende der DNA. Unter Abspaltung dieses Restes kann nun die Verkniipfung zwischen dem 5'-Phosphatende des einen DNAmit dem 3'-0H-Ende des nachsten DNA-Bruchstiickes erfolgen, womit die Verkniipfung beendet ist. Welche Enzyme bei Eukaryoten die Funktion der 5'-3'-Exonucleaseaktivitat der DNA-Polymerase I iibernehmen ist noch nicht sicher bekannt.

!

Die fUr die Replikation benotigten Proteine sind im Replisom assoziiert. Abb. 7.15 stellt den an der Replikationsgabel eukaryoter Zellen befindlichen Multienzymkomplex dar, der fiir die DNA-Replikation verantwortlich ist und auch mit dem Ausdruck Replisom bezeichnet wird. Der hochkonservierte DNA-Polymerase a/Primase-Komplex stellt die einzige eukaryote Polymerase dar, die eine DNA-Synthese de novo initiieren kann. Sie wird sowohl fiir die Initiation der DNA-Replikation an Replikationsursprlingen als auch fiir die diskontinuierliche Synthese der Okazaki-Fragmente am Verzogerungsstrang benotigt. Nach dem jetzigen Stand des Wissens synthetisiert der Polymerase a/Primase-Komplex zuerst den RNA-Primer am Fiihrungsstrang. Nach etwa 30 Nucleotiden bindet der Replikationsfaktor RPC an das 3'-0H-Ende des wachsenden DNA-Stranges und verdrangt den Polymerase a/Primase-Komplex, wobei gleichzeitig die DNA-Polymerase o die weitere 5' 3'

Einzelstrang· Bindungsproteine

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3'

DNA-Polymerase I)

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3' 5'

Primase ~

FUhrungsstrang

verzogerter Strang

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Abb. 7.15. Organisation des fUr die Replikation eukaryoter DNA bentitigchleife, ten Multienzymkomplexes. Der Verztigerungsstrang bildet eine S so dass die beiden DNA-Polymerasen in enger Assoziation bleiben ktinnen. Die Primase ist eine Untereinheit der DNA-Polymerase a. Helicasen und Topoisomerasen sind zur Vereinfachung weggelassen. (Weitere Einzelheiten s.Text) 222

7 Replikation und Gentechnik

DNA-Synthese iibernimmt. Der Polymerase a/Primase-Komplex iibernimmt nun die Initiation der Synthese der Okazaki-Fragmente auf dem Verzogerungsstrang. Die DNA-Polymerase a hat eine geringe Prozessivitat und besitzt keine 3'-5'-Exonucleaseaktivitat. Welche Enzyme bei eukaryoten Zellen flir die Excision der RNA-Primer sowie das Auffiillen der dabei entstehenden Liicke verantwortlich sind, ist noch nicht sicher bekannt.

Fur die Replikation der Enden doppelstrangiger DNA werden besondere Mechanismen benotigt. Die beschriebenen Mechanismen der DNA-Replikation sind in perfekter Weise dazu geeignet, die zirkularen Genome vieler Vireo und Bakterien zu replizieren. Ein zusatzliches Problem ergibt sich jedoch bei der Replikation linearer DNA-Doppelstrange, wie sie in den Chromosomen der Eukaryoten vorliegen. Wie aus Abb. 7.16 hervorgeht, kann zwar das 5'-Ende des parentalen Strangs ohne besondere Schwierigkeiten vollstandig repliziert werden, da hier der Fiihrungsstrang vorliegt. Anders ist es aber beim komplementaren parentalen Strang, der an dieser Position das 3'-Ende bildet. Hier liegt unmittelbar nach der DNA-Replikation der RNA-Primer, der nach erfolgter Replikation durch die 5'-3'-Exonuclease entfernt wird. Die DNA-Polymerase hat jedoch an diesem Ende keine Moglichkeit mehr, die entstandene LUcke aufzufiillen. Dies miisste dazu fiihren, dass die Chromosomen mit jeder Replikation urn ein definiertes Stiick kleiner werden, was letztendlich zur Instabilitat der Chromosomen und zum Verlust der Lebensfahigkeit der betreffenden Zelle flihren wiirde. Diese Schwierigkeit wird durch einen flir die En den doppelstrangiger DNA spezifischen Replikationsapparat behoben. Analysiert man die auch als Telomere bezeichneten Enden von Chromosomen, so findet man bei allen Eukaryoten sehr ahnliche Strukturen. Telomerische DNA besteht aus einigen hundert (einfache Eukaryote wie Hefe) bis einigen tausend (Vertebraten) Basenpaaren, bei denen G-reiche repetitive Sequenzen vorkommen. Bei Saugern und damit auch beim Menschen lautet diese Sequenz 5'-TTAGGG-3'. Diese G-reiche Sequenz befindet sich am 3'-Ende jedes parentalen Einzelstranges und ragt zwolf bis sechzehn Nucleotide iiber den komplementaren C-reichen Strang hinaus. Bei jeder Replikation gehen 50-200 Nucleotide dieser telomerischen Sequenz verloren, so dass man Telomere auch als eine Art molekularer Uhr ansehen kann, mit deren Hilfe Zellen die Zahl ihrer Mitosen zahlen konnen. Auf jeden Fall bieten die Telomere eine Erklarung dafiir, dass die Zahl der moglichen Teilungen somatischer Zellen hoherer Eukaryoter wie auch des Menscherr auf 30-50 beschrankt ist. Eukaryote Zellen enthalten ein fiir die Replikation der Telomeren verantwortliches Enzym, die Telomerase. Sie ist dafiir verantwortlich, dass sich die Zellen beliebig oft teilen konnen. Telomerasen sind Ribonucleo-

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Replikation kann richtig abgeschlossen werden

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IAuffiiilen der liicke I

5'

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3

DNA-Polymerase kann nicht ansetzen! Abb. 7.16. Replikation an den Teiomeren der Chromosomen. Der am 3'-En de des parentalen Stranges gelegene Primer kann zwar noch entfernt werden, es gibt jedoch keine DNA-Polymerase, die die dadurch entstandene LUcke auffUIIen konnte

protein-Enzyme. Sie enthalten ein RNA-Stiick, welches eine der telomeren Sequenz komplementare Basensequenz enthalt und fiir die Telomerenreplikation essentiell ist ( Abb. 7.17). Die terminalen Nucleotide des Greichen iiberhangenden Endes paaren mit der entsprechenden Sequenz der Telomerase-RNA. AnschlieBend erfolgt die Verlangerung des 3'-En des durch Anhangen einzelner Nucleotide, wobei wiederum die TelomeraseRNA als Matrize dient. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrmals, so dass die repetitive G-reiche Sequenz entsteht. Die Polymerisation sowie die Anlagerung der Telomerase erfolgt ohne ATP-Verbrauch. Die Telomerase ist damit eigentlich eine reverse Transcriptase (S. 233), deren RNA-Matrize ein intrinsischer Bestandteil des Enzyms ist. Die durch die Telomerase verlangerten3'-En den werden bei der nachsten Replikationsrunde zwar verkiirzt repliziert (s. o.), jedoch kann dieser Defekt in der darauf folgenden Replikationsrunde durch Verlangerung mit der Telomerase wieder behoben werden. Bei niederen Eukaryoten fiihrt ein Verlust der Telomerasefunktion in Folge von Mutationen zur allmahlichen Verkiirzung der Chromosomen und schlieB!ich zum Zelltod. Normale somatische menschliche Zellen enthalten keine Telomerase, jedoch ist eine solche in den Keimbahnzellen der Testes und den Ovarien vorhanden. Dariiber hinaus hat sich eine aktive Telomerase bei allen bisher untersuchten Carcinomen und Leukamien nachweisen lassen. Offenbar ist dieses Enzym normalerweise reprimiert und wird erst bei der malignen Transformation aktiviert (S. 378)

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Telomerase

l

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Abb. 7.17. Mechanismus der fUr die Replikation der Telomeren verantwortlichen Telomerase.Telomerasen sind Ribonucleoproteine. Sie enthalten eine RNA-Sequenz, die als Matrize fUr die Verlangerung des 3'-En des eines parentalen Stranges dient. Dabei entsteht eine betrachtlich verlangerte Sequenz, die dann die kornpiementare Sequenz fUr die AuffUilung derVerkUrzung am Verzogerungsstrang liefert

7.2 Die Replikation der DNA

223

7 ! Hemmstoffe der DNA-Replikation konnen als

experimentelle Werkzeuge oder zur Tumortherapie eingesetzt werden.

Einige Antibiotika hemmen die DNA-Replikation bzw. die Transkription und haben sich deswegen als wertvolle Hilfsmittel bei der Aufkllirung der molekularen Mechanismen der Replikation erwiesen und dariiber hinaus teilweise Eingang in die Tumortherapie gefunden: Mitomycin~ Mitomycin verursacht die Bildung covalenter Quervernetzungen zwischen den DNA-Strangen und verhindert dabei die Trennung der Strange, die fiir die DNA-Replikation notwendig ist. Da es sowohl bei Mikroorganismen als auch bei Eukaryoten als Mitosehemmstoff wirkt, hat es nur in der Tumortherapie Bedeutung.

Actinomycin D~ In niedrigen Konzentrationen hemmt Actinomycin D die DNA-abhangige RNA-Biosynthese (S.250), in hoheren auch die DNA-Replikation. Dabei kommt es zur Bildung eines Komplexes von Actinomycin D mit den Guaninresten der DNA. Actinomycin D findet Anwendung in der Tumortherapie sowie bei experimentellen Fragestellungen, bei denen geklart werden soU, ob ein beobachteter Effekt auf die Neubildung von RNA zuriickgefiihrt werden kann. Gyrasehemmstoffe~ Eine Reihe einfacher, von der 40xochinolin-3-carbonsaure abstammender Verbindungen sind wirksame Hemmstoffe der prokaryotischen DNA-Topoisomerase (S. 218). Wegen dieser Wirkung beeintrachtigen sie die bakterielle Replikation und Transkription und konnen zur Therapie eines breiten Spektrums bakterieller Infekte eingesetzt werden.

KERNAUSSAGEN Die DNA-Replikation ist semikonservativ, das heiBt, dass das doppelstrangige Tochter-DNA-Molekul aus einem parentalen Strang und einem neu synthetisierten Strang besteht. Die DNA hat einen (Prokaryot) oder mehrere (Eukaryot) Urspriinge der DNA-Replikation. Fur die DNA Replikation werden benotigt: ~ partiell aufgewundene einzelstrangige DNA als Matrize, ~ Desoxyribonucleotide, ~ DNA-Polymerasen, ~ Ribonucleotide fur die Synthese des Primers, ~ DNA Ligasen. lm wachsenden DNA-Molekul verknupfen DNA-Polymerasen Desoxyribonucleotide in einer Phosphodiesterbindung. Sie benotigen zum Start der DNA-Synthese einen Primer, ein kurzes RNA-Molekiil, an das das erste Desoxyribonucleotid angekniipft werden kann. Da die Synthese der DNA immer in 5'-3'-Richtung erfolgt, gibt es einen kontinuierlich syntheti-

224

I

7 Replikation und Gentechnik

sierten Fiihrungsstrang und einen verzogerten Strang aus sog. Okazaki-Fragmenten. Nach Abspaltung der Primer und Auffullen der Lucke werden die DNA-Abschnitte durch eine DNA-Ligase miteinander verknupft. Telomerasen verlangern die Enden linearer DNA z. B. am Chromosomenende, an den Telomeren. Sie wirken den ansonsten beschrankten Zellteilungen von Zellen entgegen. Eni e hohe Aktivitat derTelomerasen wird beiTumoren gefunden. Die als Hemmstoffe der DNA-Replikation eingesetzten Reagenzien verhindern die Entwindung oder das Aufschmelzen derDNA.

7.3 Veranderungen der DNA-Sequenz Das Oberleben eines Individuums hangt davon ab, dass seine DNA wahrend der oft auBerordentlich Iangen Lebenszeiten seiner Zellen stabil bleibt und bei der DNAReplikation mit groBer Genauigkeit verdoppelt wird. Treten dennoch stabile, vererbliche Anderungen der DNA-Struktur auf, so spricht man von Mutationen. Wie in Kapitel 11 ausfiihrlich erortert, haben derartige Mutationen wegen der Degeneriertheit des genetischen Codes in einem Teil der Falle keinerlei Konsequenzen fiir das betreffende Protein. Gelegentlich kommt es zum Austausch ahnlicher Aminosauren, so dass die funktionellen Konsequenzen gering sind und nur in den relativ seltenen Fallen, wo durch die Mutationen schwerwiegende strukturelle Anderungen des betroffenen Proteins ausgelost werden, ergeben sich entsprechende Defekte mit haufig todlichen Konsequenzen fiir den betreffenden Organismus. Derartige Mutationen werden sich infolgedessen innerhalb einer Art nicht durchsetzen, da das betroffene Individuum entweder nicht in das fortpflanzungsfahige Alter kommt oder in seiner Fortpflanzungsfahigkeit erheblich vermindert ist. Dies fiihrt zu einer betrachtlichen Stabilitat der DNA innerhalb einer Species. Aus Untersuchungen der Fibrinopeptide (S. 1019), bei denen Anderungen der Aminosauresequenz wenig funktionelle Konsequenzen haben, lasst sich errechnen, dass fiir ein durchschnittliches Protein aus 400 Aminosauren eine stabile Anderung einer Aminosaure etwa einmal pro 200 000 Jahre erfolgt. Ahnliche Zahlen lassen sich aus der Haufigkeit von Anderungen der Basensequenz in nicht fiir Proteine codierenden DNA-Strukturen ableiten. lnstabilitaten der DNA gegen Chemikalien und Strahlung~ Erstaunlicherweise steht dieser biologischen Stabilitat der DNA nicht eine gleichwertige chemische Stabilitat gegeniiber. Eine Reihe von Bindungen in der DNA ist namlich relativ Jabil. So kommt es beispielsweise bereits bei normaler Korpertemperatur zur thermischen Spaltung der N-glykosidischen Bindung von Purinbasen mit der Desoxyribose. Dieser Vorgang der Depurinierung

7 betrifft beim Menschen etwa 5000 Purinbasen pro Zelle und 24 Stunden. Kaum weniger haufig ist die spontane Desaminierung von Cytosin in der DNA. Da hierbei Uracil entsteht, welches komplementar zu Thymin ist, ist diese Desaminierung auf jeden Fall mutagen. Ultraviolette Strahlung erzeugt Thymindimere~ Uber diese spontanen Anderungen der DNA-Struktur hinaus ist die DNA anfallig gegenuber einer grofien Zahl von schadigenden Agentien. Hierzu gehoren die ultraviolette Strahlung, welche zur Ausbildung von Thymindimeren fuhrt ( -®Abb. 7.18). Oxidative Schadigungen durch Sauerstoffradikale (S. 551) fuhren beispielsweise zur Bildung von Thyminglykol-Derivaten, von 8-0xoguanin oder Formamidopyrimidinen. Insgesamt sind bis heute etwa 100 unterschiedliche radikalische Schadigungen der DNA-Basen identifiziert worden. Die Tatsache, dass ein grofier Teil von ihnen mutagen ist, fuhrt zwingend zu dem Schluss, dass in jeder Zelle hochaktive DNA-Reparatursysteme wirken mussen, die die permanent auftretenden DNA-Schaden erkennen und reparieren.

I

7.3.1 Reparatur von DNA-Schaden Die Behebung eines DNA-Schadens ist immer dann relativ unproblematisch, wenn dieser sich auf einen der beiden Strange der Doppelhelix beschrankt. Die zur Behebung des Schadens notwendigen Schritte ( -®Abb. 7.19) bestehen in: .- Erkennung des beschadigten Nucleotids oder der Base; .- Excision des beschadigten Nucleotids oder der Base; • Auffullung der Liicke mit den zu dem unbeschadigten Strang komplementaren Nucleotid und .- Schliefien der Lucke. Wahrend fur die Excision der beschadigten Region spezifische enzymatische Aktivitaten notwendig sind, konnen fur die sich anschliefienden Schritte dieselben Enzymaktivitaten benutzt werden, die auch fur die Verkniipfung der Okazaki-Fragmente wahrend der DNAReplikation benotigt werden. Fiir das Auffiillen der Lucke wird eine DNA-Polymerase benotigt, fur das Schliefien der Lucke eine DNA-Ligase.

Fur die Basenexcisionsreparatur werden DNAGiykosylasen und AP-Endonucleasen benotigt. Die einzelnen Schritte der Basenexcisionsreparatur sind in -®Abb. 7.20 dargestellt. Die zugrundeliegenden Mechanism en finden sich in gleicher Weise sowohl bei pro- als auch bei eukaryoten Organismen, sind allerdings bei den Ersteren wesentlich besser untersucht. Basenveranderungen, die meist im Gefolge von oxidativen Schadigungen auftreten, werden als Anderung der Raumstruktur der DNA von spezifischen Proteinen erkannt. Diese bilden mit DNA-Glykosylasen aktive Komplexe, welche die beschadigte Base eliminieren. DNA-Glykosylasen bilden eine Familie von Enzymen unterschiedlicher Spezifitat, die die einzelnen Typen geschadigter Basen, aber auch das durch Desaminierung von Cytosin entstehende Uracil erkennen und entfernen. Urn die richtige Base einsetzen zu konnen, muss nun das Desoxyribosephosphat entfernt werden,

Erkennen des Fehlers

I I I I

I I

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I I I I I L..J...J...U

Entfernung des Fehlers

+ SchlieBen der Liicke

Ligation

Abb.7.18. Oimerisierung von benachbarten Thyminresten durch UVLicht

Abb. 7.19. Allgemeine Strategie zur Behebung von ONA-Schaden. (Einzelheiten s. Text) 7.3 Veranderungen der DNA-Sequenz

225

7 r

P-dRib-P-dRib-P· dRib -P-dRib- P- dRib-P-dRib I I I I I I

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AP-Endonuclease Phosphodiesterase

r

A C

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P-dRib-P-dRib-P-dRib -P-dRib- P-dRib- P-dRib

r

Pyrimidindimere werden durch Nucleotidexcisions-Reparatur entfernt.

I I I I I dRib-P-dRib-P-dRib P- dRib -P-dRib-P-dRib · P

IDNA-Giykosylase I r

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5'

Auffullen der LOcke Ugation 5'

P·dRib· P· dRib· P· dRib-P- dRib- P- dRib- P·dRib I I I I I I

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Abb. 7.20. Mechanismus der Basenexcisionsreparatur. Nach dem Lokalisieren der beschadigten Stelle (rot) erfolgt durch DNA-Giykosylasen die Excision der Base, anschlieBend die Entfernung des zugehi:irigen Deoxyribosephosphats durch AP-Endonucleasen. Danach wird die Lucke aufge-

Besonders durch UV-Licht, jedoch auch unter der Einwirkung verschiedener oxidativer Schadigungen kommt es zur Pyrimidindimerisierung, die in Abb. 7.18 am Beispiel der Thymindimeren dargestellt ist. Derartige Schaden werden durch NucleotidExcisionsreparatur behoben. Im Prinzip geht das aus einer Reihe unterschiedlicher Untereinheiten bestehende hierftir verantwortliche Reparatursystem so vor, dass nach der Erkennung der Schadigung durch den Multienzymkomplex ein aus etwa 10-20 Nucleotiden bestehendes Oligonucleotid aus dem geschadigten Einzelstrang entfernt wird. Dies geschieht durch eine Nucleaseaktivitiit, die oberhalb und unterhalb der Schadigung schneidet und durch eine DNA-HelicaseaktiviHit, die das entsprechende Oligonucleotid entfernt. Die entstandene Lucke wird durch DNA-Polymerase mit den komplementaren Nucleotiden aufgefullt und mit Hilfe von DNA-Ligase geschlossen ( Abb. 7.21). Die allgemeine Bedeutung dieses Reparatursystems durch Nucleotidexcision wird in einer relativ seltenen hereditaren Erkrankung des Mensch en deutlich, die als Xeroderma pigmentosum bezeichnet wird. Die betroffenen Patienten sind sehr empfindlich gegenuber Sonnenbestrahlung, zeigen Sti:irungen ihrer Hautpigmentierung und neigen mit einem etwa 2000 fach hoheren Risiko zur Bildung von Hauttumoren, besonders an den dem Sonnenlicht ausgesetzten Stellen, als gesunde Individuen. Gelegentlich treten zusatzlich neurologische Sti:irungen und eine beschleunigte Neurodegeneration auf. Bis heute sind acht Subtypen dieser Erkrankung aufgedeckt worden, von denen jede ein anderes an der Nucleotidexcisions-Reparatur beteiligtes Protein betrifft.

I I

flillt

zu dem die durch die DNA-Glykosylase herausgeschnittene Base gehi:irte. Hierfur ist zunachst eine APEndonuclease notwendig (AP, engl. apurinic bzw. apyrimidinic). Die Entfernung von Desoxyribose und Phosphat erfolgt dann durch eine Phosphodiesterase. Mit Hilfe von DNA-Polymerasen und DNA-Ligasen kann nun die Lucke aufgeftillt und geschlossen werden. Fur die Behebung der durch spontane Depurinierung (s. o.) entstandenen DNA-Schadigungen werden im Prinzip dieselben Schritte benotigt, es fallt lediglich die durch die DNA-Glykosylase katalysierte Entfernung der beschadigten Basen we g.

226

I

7 Replikation und Gentechnik

I I I I LL.L

1

I I

Thymindimere

I I I I I I Auffullen der Lucke; Ligation I 1 I I I J I l I I

Abb. 7.21. Mechanismus der Nucleotidexcisions-Reparatur. Der Reparaturkomplex enthalt eine Nucleaseaktivitat, die ein etwa 10-20 Basen langesOligonucleotid in der Umgebung der beschadigten Stelle entfernt. Die dabei entstehende LUcke wird anschlieBend aufgefUIIt und mit Hilfe einer Ligase verschlossen

1 7.3.21 Rekombination, Transposition und Retrotransposition Aus genetischen Experimenten ist seit langer Zeit bekannt, dass Paare alleler Gene ihre Platze auf den Chromosomen austauschen konnen. Dieser Vorgang wird als genetische oder homologe Rekombination bezeichnet und ist der Grund fiir die unterschiedlichen Phanotypen der Nachkommen von Eltern. Seit den Anfang der 40 er Jahre durchgefiihrten Untersuchungen von Barbara McClintock weiB man, dass auch bei eukaryoten Zellen, ahnlich wie bei Bakterien, in der DNA transponierbare Elemente vorkommen, die ihre Position innerhalb der Chromosomen oder von Chromosom zu Chromosom verandern konnen. Derartige Elemente kommen in variabler Anzahl in pro- und eukaryoten Genomen vor und stellen moglicherweise wichtige Motoren der Evolution dar. Sie werden als Transposons bezeichnet. In noch groBerem Umfang erfolgen bei Eukaryoten Verschiebungen genetischer Elemente innerhalb eines Genoms dadurch, dass zunachst RNA-Transkripte hergestellt und diese anschlieBend nach Umschreibung in DNA in andere Stellen des Genoms reintegriert werden. Solche Elemente werden als Retroelemente oder als Retrotransposons bezeichnet. Aus diesen Beobachtungen leitet sich als wichtige Erkenntnis ab, dass das in der DNA niedergeschriebene Genom einer Zelle nicht etwas Stabiles, nur mit groBem Aufwand Veranderliches darstellt, sondern sich im Gegenteil in betrachtlichem Urnfang umgruppieren kann.

! Durch genetische Rekombination entstehen neue DNA-Moleki.ile.

Wahrend der Meiose (S. 155) erfolgt der als genetische oder homologe Rekombination bezeichnete Austausch von Material zwischen zwei DNA-Strangen ( Abb. 7.22). Der Vorgang beginnt damit, dass in den beiden DNA-Doppelstrangen an aneinander homologen Strangen Einzelstrangbriiche entstehen. Da die dabei gebildeten freien En den beweglich sind, konnen sie ihren jeweiligen Partner verlassen und iiberkreuz mit dem komplementaren Einzelstrang im anderen DNAMolekiil paaren. Die neu entstandenen Verbindungen zwischen den beiden Einzelstrangen werden durch eine Ligase geschlossen, anschlieBend bewegt sich die Oberkreuzungsstelle durch einen auch als Schenkelwanderung bezeichneten Vorgang. Aus der hierbei gebildeten sog. Heteroduplexstruktur kann durch Rotation ein flaches Molekiil entstehen, in welchem jetzt eine Trennung der heiden Doppelstrange durch erneute Einfiihrung von Einzelstrangbriichen erfolgt. Je nachdem in welcher Ebene diese Briiche eingebracht werden, entstehen rekombinierte oder nichtrekombinierte Molekiile, immer jedoch verbunden mit einem Austausch genetischen Materials.

==:x:::=

0

X ex X I /

lzweimalige Rotation I

~

)~I Abb. 7.22. Schematische Darstellung der Vorgange bei der homologen Rekombination.(Weitere Einzelheiten s.Text)

Transposons vermitteln die Verschiebung chromosomaler Elemente. Die durch Transposons vermittelte Verschiebung genetischer Elemente innerhalb des Genoms setzt keine Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Donor- und Akzeptorstelle voraus, wie sie fiir die homologe Rekombination notwendig sind. Transpositionen von Transposons fiihren jedoch zur Umordnungen im Genom. Diese konnen .,. Deletionen, .,. Inversionen oder .,. Translokationen auslOsen. Am besten untersucht sind die bakteriellen Transposons. Diese werden im einfachsten Fall als Insertionssequenzen oder IS-Elemente bezeichnet und kommen in mehreren Kopien in bakteriellen Chromosomen oder Plasmiden (s. u.) vor. Jedes IS-Element codiert ausschlieBlich fiir Proteine, die es fiir seine eigene Transposition benotigt und zeigt einen charakteristischen Aufbau. An den Enden derartiger Elemente kommen invertierte Sequenzwiederholungen einer Lange zwischen 15 und 25 Basenpaaren vor ( Abb. 7.23). Ihre Integration in die Rezipientenstelle erfolgt an charakteristischen, sehr kurzen Sequenzen, die beim Einbau des Transposons verdoppelt werden. Im einfachsten Fall codiert das Transposon ausschlieBlich fiir das fiir die Transposition benotigte Enzym, die Transposase. Eine Reihe bakterieller Transposons enthalten auBer den fiir die Transposons wichtigen Genen die Gene fiir Antibiotikaresistenzen oder gelegentlich andere Funktionen und werden mit der Abkiirzung Tn be7.3 Veranderungen der DNA-Sequenz

227

7 :::-

-

(

-

Abb. 7.25. Austausch von genetischem Material bei Prokaryoten durch Konjugation. Die Donorzelle (F+) enthalt das Plasmid. Nach Herstellung des Piluswird eine Kopie einzelstrangiger DNA des Plasm ids in die F--Zelle Ubertragen, wo diese dann zum Doppelstrang erganzt wird. Der Einfachheit halber ist das Hauptchromosom der beiden Bakterienzellen nicht dargestellt

IS

IS

Abb. 7.23. Einbau von Transposons in die Rezipienten-DNA. Beim Einbau wird die Akzeptorregion der Rezipienten-DNA verdoppelt

38

3066

558

861

38

IR

tnpA

tnpR

amp1

IR

Abb. 7.24. Struktur desTransposons Tn3. An beiden Enden des Transposons befinden sich invertierte terminale Sequenzwiederholungen aus 38 Bp (IR). Das Transposon besteht aus 3 Genen, von denen tnpA und tnpR fUr die Transposition beniitigt werden, ampRfOr eine ~-Lactamase codiert und somit fOr eine Penicillinresistenz verantwortlich ist. tnpA wird in umgekehrter Richtung abgelesen wie tnpR und ampR

zeichnet. Viele von ihnen sind inzwischen sehr gut untersucht. Abb. 7.24 stellt die Struktur des Transposons Tn 3 dar. Wie aile anderen Transposons enthalt es an beiden Enden inverse repetitive Elemente. Dariiber hinaus tragt es drei Gene, eines ftir die Transposase, ein Repressorgen sowie schlieBlich das Gen fur die {J-Lactamase, welches ftir die Penicillinresistenz codiert (S. 595). Konjugation~ Auf Plasmiden pos1t10nierte Transposons mit Antibiotikaresistenzen konnen durch den als Konjugation bezeichneten Vorgang des genetischen Austausches zwischen Bakterienzellen verbreitet werden. Die prinzipiellen Vorgange bei der Konjugation sind in Abb. 7.25 dargestellt. Zunachst ist ein enger Kontakt zwischen den Bakterienzellen notwendig, der durch einen Pilus hergestellt wird. Die Dbertragung des Genmaterials erfolgt nur in einer Richtung, namlich von einer Donorzelle auf eine Akzeptorzelle. Die Donorzelle verfiigt tiber das Plasmid, welches auch als F-Faktor (F, Fruchtbarkeit, engl. fertility) bezeichnet wird. Durch die Zell-Zell-Verbindung erfolgt nun eine Ubertragung einzelstrangiger DNA von der Donor- in die Akzeptorstelle, wo an den eingefiihrten Einzelstrang eine komplementare Sequenz ankondensiert wird oder der Einzelstrang durch Rekombination in das Hauptchromosom des Empfangers eingebaut wird.

228

I

7 Replikation und Gentechnik

Fiir diesen Vorgang sind Rekombinationsproteine (Rec-Proteine) notwendig. Im Prinzip konnten nicht nur Plasmide, sondern das gesamte Chromosom des Donors auf den Empfanger iibertragen werden. In aller Regel findet dies jedoch nicht statt, da der Zell-ZellKontakt vorher abbricht.

Replikative Transposition~ Eine besondere Eigenschaft zusammengesetzter Transposons wie des Transposons Tn 3 besteht darin, dass sie nicht nur eine einfache sondern auch eine replikative Transposition durchmachen konnen. In diesem Fall wird nur eine Kopie des Transposons innerhalb des Genoms verschoben, wahrend das urspriingliche Transposon an der alten Stelle bleibt. Auf diese Weise konnen Resistenzgene fiir Antibiotika vermehrt werden. Transposition von genetischen Elementen ist bei Bakterien ein wichtiger evolutionarer Vorgang. Dies geht in besonders eindrucksvoller Weise aus der Tatsache hervor, dass seit der Einfiihrung des allgemeinen Gebrauchs von Antibiotika fiir die Therapie von Infektionserkrankungen eine Anhaufung von Plasmiden innerhalb der Bakterienpopulationen zu beobachten ist, die Transposons fur Antibiotikaresistenzen tragen. Wie man aus den Untersuchungen von Barbara McClintock an der Maispflanze weiB, kommen auch bei Eukaryoten den Transposons ahnliche DNA-Elemente vor. Es handelt sich urn Kontrollelemente, die die Entwicklung der Pflanze steuern. Da auch bei Drosophila transponierbare Elemente entdeckt wurden, kann man auf jeden Fall schlieBen, dass Transposons nicht nur bei pro- sondern auch bei eukaryoten Organismen vorkommen. I. allg. werden bei Eukaryoten genetische Elemente durch Retrotransposition iibertragen Ein betrachtlicher Teil der eukaryoten Genome so weit entfernter Organismen wie Pflanzen, Drosophila und Saugerzellen enthalt transponierbares genetisches Material. Bei einer genauen Strukturanalyse hat sich ergeben, dass i. allg. eine beachtliche Sequenzhomologie zum Genom von Retroviren besteht. Infolgedessen werden derartige Transposons i. all g. auch als Retrotranspo-

1 sons bezeichnet. Ihr allgemeiner Aufbau ist in ~Abb. 7.26 dargestellt. Ahnlich wie Retroviren (S. 306) tragen Retrotransposons an heiden Enden terminale Wiederholungen (engl. terminal repeat). Von dem Retrotransposon wird zunachst, meist durch die RNAPolymerase II (S. 245) ein RNA-Transkript hergestellt. Dieses wird durch eine reverse Transcriptase (S. 233) wieder in einen DNA-Strang umkopiert und an einer neuen Stelle im Genom integriert. Meist enthalten derartige Retrotransposons die fiir die Transposition notwendigen Gene fiir die reverse Transcriptase und eine Integrase. Retrotransposons unterscheiden sich von Retroviren im wesentlichen dadurch, dass sie keine Gene fiir die Herstellung der Hiillproteine (S. 302) tragen und damit nicht infektios werden konnen. Verschiedene in der eukaryoten DNA vorkommende Strukturelemente konnten durch die Aktivitat von Retrotransposons entstanden sein. Hierzu gehoren u. a. die haufig vorkommenden so g. Pseudogene. Es handelt sich urn Kopien zellularer Gene, den en die Promotorsequenzen sowie die Introns fehlen und die aus diesem Grund funktionslos sind. Besonders das Fehlen der Introns la6t sich mit der Annahme erklaren, dass die den Pseudogenen zugrundeliegenden zellularen Gene in ein Retrotransposon eingebaut wurden, von dessen Transkript durch Splei6en die Introns (S. 253) entfernt wurden. Wird die so entstandene mRNA durch die reverse Transcriptase umgeschrieben, kommt man zu einem intronlosen Gen.

KERNAUSSAGEN Die bei der DNA-Replikation auftretenden natiirlichen Fehler werden mit Hilfe der 5'-3' -Exonucleaseaktivitaten der DNAPolymerasen beseitigt. Dariiber hinaus fuhren chemische oder physikalische Noxen zur Schadigung der DNA. Solche Schaden werden entweder durch ... Basenexcisionsreparatur oder .,. Nucleotidexcisionsreparatur beseitigt. Xeroderma pigmentosum ist eine Erkrankung des Menschen, bei der das DNA-Reparatursystem defekt ist. Die betroffenen Personen haben ein erhOhtes Risiko fOr die Bildung von Tumoren. Ausgedehnte Veranderungen der DNA erfolgen durch ,. Rekombination, ... Transposition oderdurch ... Retrotransposition. In einigen Fallen entstehen dadurch Pseudogene,die funktionslos sind, wei Iihnen die fur die Expression notwendigen Kontrollelementefehlen.Gelangen Gene nach einer Rekombination oderTransposition unter die Kontrolleeines starken Promotors,der normalerweise ein an de res Gen reguliert, kann eszu schwerwiegenden Krankheitsbildern kommen.

LTR

tnpA

revene

lntegrase:__JT[!!!!~lf!!!!!!...._:LT::_:R:.

Abb. 7.26. Allgemeiner Aufbau von eukaryoten Retrotransposons. Viele eukaryote Transposons gehoren in die Familie der Retrotransposons. Sie haben wie Retroviren lange terminale Sequenzwiederholungen und verfugen uber offene Leseraster fUr reverse Transcriptase oder lntegrase.lhre Transposition setzt die Transkription zur RNA und die anschlieBende Obertragung in DNA voraus

7.4 1Gentechnik Das zunehmende Verstandnis fiir DNA-Replikation und-Transkription (S. 244 ff.) sowie fiir die Translation (S. 268 ff.) hat vorher unvorstellbare Moglichkeiten zur praktischen Anwendung dieser Erkenntnisse sowohl fiir die Grundlagenforschung wie auch fiir die technische Herstellung von Nucleinsauren oder Protein en erbracht. Die fiir derartige Anwendungen benotigten Techniken werden auch zusammenfassend als Gentechnik bezeichnet. Klonierung and Einschleusung fremder DNA in Zellen oder Organismen ... Aile gentechnischen Verfahren beruhen darauf, dass Zeilen oder Organismen dazu gebracht werden, .,. fremde DNA mit spezifischen Eigenschaften aufzunehmen, .,. gegebenenfails in ihr Genom zu integrieren, .,. zu replizieren und .,. die in der fremden DNA enthaltene Information zu exprimieren. Hierzu sind eine Reihe von Schritten notwendig, den en man bei gentechnischen Arbeiten immer wieder begegnet. Nach der Isolierung der gewiinschten DNA-Sequenzen, die im Folgenden als Fremd-DNA bezeichnet werden soilen, miissen diese mit einer geeigneten Trager-DNA verkniipft werden, die die Aufnahme in die Empfangerzeile, die Replikation und gegebenenfalls die Integration in das Genom ermoglichen. Derartige Trager-DNA-Molekiile werden als Vektoren bezeichnet, das Konstrukt aus Fremd-DNA und Vektor auch als rekombinante DNA. Den Einbau von fremder DNA in einen Vektor bezeichnet man auch als Klonierung dieser DNA und den Vorgang der Einschleusung rekombinanter DNA in Empfangerzellen als Transfektion oder Transformation.

7.4.1

Vektoren zum Einschleusen fremder DNA in Zellen

Bakterielle Vektoren leiten sich von natUrlichen Plasmiden oder Bakteriophagen a b. Fiir aile gentechnischen Verfahren ist die Vermehrung isolierter, spezifischer DNA-Sequenzen in beliebigen Mengen eine unabdingbare Voraussetzung. Da es rela7.4 Gentechnik

229

7 tiv leicht gelingt, DNA unabhangig von ihrer Herkunft in Bakterienzellen einzuschleusen und wegen der enormen Vermehrungsfahigkeit von Bakterien auch zu vermehren, sind diese ein ideales Werkzeug fiir diesen Zweck. Abb. 7.27 stellt die Grundziige der hierzu verwendeten Verfahren dar. Bakterienzellen verfiigen haufig tiber sog. Satelliten-DNA oder Plasmide. In Bakterien tragen derartige Plasmide die Gene fiir die Konjugation von Bakterienzellen (Fertilitats-Plasmide, s. S. 228) und gelegentlich auch ftir Antibiotikaresistenzen (Resistenz-Plasmide, S. 228 ). Plasmide, die aus einigen tausend bis etwa hunderttausend Basenpaaren doppelstriingiger DNA bestehen, konnen nach Lyse der Bakterien durch einfache Zentrifugationsschritte vom bakteriellen Hauptchromosom abgetrennt und in hoher Reinheit isoliert werden. Auf diese Weise isolierte Plasmide werden von intakten Bakterien wieder aufgenommen, wenn diese durch eine entsprechende Vorbehandlung (Temperaturerhohung, Erhohung der Calciumkonzentration) hierfiir kompetent gemacht werden. Gelingt es, nach der Isolierung in ein derartiges Plasmid eine fremde DNA einzubauen (zu klonieren), so konnen mit diesen ,ktinstlichen" Plasmiden Bakterien transformiert und damit mit neuen, fiir die Bakterienzelle untypischen Eigenschaften ausgestattet werden.

Resistenzgene erlauben die Kontrolle der Klonierung. Ein geeignetes Plasmid soll eine Reihe von spezifischen Eigenschaften besitzen ( Abb. 7.28). Es muss zuniichst tiber einen Marker verfiigen, der den Nachweis zulasst, dass das Plasmid auch wirklich in Bakterienzellen vorhanden ist. Meist geschieht dies durch Einfiihrung eines Resistenzgens. So enthalt der in Abb. 7.28 dargestellte, sehr haufig verwendete Vektor pUC18 hierfiir das Gen filr die Ampicillin-Resistenz. Bakterien, die mit diesem Plasmid erfolgreich transfiziert wurden, konnen auf Ampicillin-haltigen Nahrboden wachsen. Damit ein derartiges Plasmid auch als Vektor verwendet werden kann, muss der Einbau fremder DNA moglichst einfach gemacht werden. Im Prinzip muss hierfilr das Plasmid an einer definierten Stelle aufgeschnitten werden, so dass ein lineares Molekiil entsteht, in welches die fremde DNA eingefiigt werden kann. Nach Verkniipfung der Fremd-DNA mit dem Plasmid entsteht wieder ein ringformiges DNA-Molekill, mit dem Bakterien transfiziert werden konnen. Urn das Einfiigen der fremden DNA zu erleichtern, verftigen die ftir gentechnische Zwecke verwendeten Plasmide tiber eine sog. Polyklonierungsstelle ( Abb. 7.28). Sie besteht aus einer Basensequenz, in der hintereinander die Schnittstellen haufig verwendeter Restriktionsendonucleasen (S.l64) eingeftigt sind.

Fremd-DNA -

Hind Ill 5phl ~rl

Plasmid Vektor -

Polyklonierungsstelle

Soli Xbal

--- Resistenzgen

BamH I 5ma l

rekombinan!es DNA-Molekul

Kpnl

-

Sac I fcoR I

lac Promotor

pUC18

ISelektion auf Antibiotika-Resistenz I

Abb. 7.27. Klonierung fremder DNA in ein Plasmid und Transfektion von Bakterienzellen 230

7 Replikation und Gentechnik

2,69kb Abb. 7.28. Aufbau des Vektors pUC 18 als Beispiel fOr einen typischen Plasmidvektor. ori Replikationsursprung in Bakterien; ampR Gen fiir Ampicillinresistenz als Selektionsmarker;Polyklonierungsstelle Sequenz mit den Schnittstellen fiir die angegebenen Restriktionsendonucleasen. Derartige Polyklonierungsstellen bieten entsprechende Moglichkeiten bei der Wahl der verwendeten Restriktionsendonucleasen. /acl' Fragment des lacZGens aus E. coli, welches fiir fi-Galaktosidase codiert; lac promotor Promotor fiir daslacl' -Gen

1 Mit der entsprechenden Restriktionsendonuclease wird das Plasmid zunachst aufgeschnitten. Sorgt man dafiir, dass die fremde DNA die fiir diese Restriktionsendonuclease typischen Basensequenzen am 3'- bzw. 5'-Ende tragt, so fiigt sie sich unter entsprechenden Inkubationsbedingungen in die Lucke ein und kann danach mit Hilfe der DNA-Ligase (S. 221) fest in das Plasmid eingebaut werden. Bakterienzellen, die mit derartigen Plasmiden transfiziert wurden, sind sog. gentechnisch veriinderte Organismen, da sie eine fremde, fur sie nicht typische DNA tragen. Da die Ausbeute der Plasmidherstellung haufig weniger als 100% betragt, ergibt sich das Problem, diejenigen Bakterien, die ein Plasmid mit eingebauter Fremd-DNA tragen, von denjenigen zu unterscheiden, die ein Plasmid ohne fremde DNA enthalten. Bei dem Plasmid pUC18 ist die Polyklonierungsstelle in das lacZ-Gen von E. coli inkorporiert, das fur die f)-Galactosidase codiert. Da die Polyklonierungsstelle alleine die Expression des lacZ-Gens nicht stort, exprimieren E. coli-Zellen, die das Plasmid ohne eingebaute FremdDNA enthalten, die f)-Galactosidase. Derartige Bakterien konnen leicht daran erkannt werden, class sie eine Verbindung mit einer galaktosidischen Bindung (XGal) unter Bildung eines blauen Farbstoffs spalten konnen, also in blau gefarbten Kolonien wachsen. Wird in die Polyklonierungsstelle eine fremde DNA eingeschleust, so wird der Leserahmen des lacZ-Gens zerstort und die Bakterien sind nicht mehr imstande, f)Galactosidase zu produzieren. Sie bilden aus diesem Grund weiB gefarbte Kolonien. Aufgrund ihrer beschrankten GroBe konnen Plasmide fremde DNA nur in einer Lange von einigen tausend Basenpaaren aufnehmen. Fur gri:iBere DNA-Abschnitte empfiehlt sich deren Einbau in bestimmte Bakteriophagen, speziell den A.-Phagen. Im Prinzip wird dabei so vorgegangen, dass die lineare A.-PhagenDNA durch entsprechende Restriktionsenzyme aufgeschnitten und die fremde DNA in die entstandene Lucke eingebaut wird. Derartig modifizierte PhagenDNA kann in vitro in infektiose Phagenkopfe verpackt und damit zur Transfektion von Bakterien verwendet werden.

! Fiir Hefezellen konnen ki.instliche Chromosomen hergestellt werden .

Bakterien konne fiir die Expression eukaryoter Gene dann von Nachteil sein, wenn die exprimierten Proteine posttranslational, beispielsweise durch Anfiigung von Kohlenhydratseitenketten, modifiziert werden miissen. In diesem Fall ist eine Amplifizierung der fremden DNA in eukaryoten Zellen notwendig. Haufig werden hierfiir Hefezellen verwendet, da diese wie Bakterien in beliebig groBen Suspensionskulturen gehalten werden konnen und ihre Genetik sehr gut untersucht ist. Viele der fiir die Transfektion von Hefezellen verwendeten Plasmide leiten sich von bakteriellen Plasmi-

den ab. Damit sie in Hefezellen auch repliziert werden konnen, benotigen sie lediglich ein fur Hefe typisches Element, welches auch als ARS-Element (autonom replizierende Sequenz) bezeichnet wird. Sehr groBe Bruchstiicke fremder DNA (bis etwa 300 kb) konnen mit Hilfe kiinstlicher Hefechromosomen, den sog. YACs, in Hefezellen eingebaut werden (YAC, engl. yeast artificial chromosome). Wie aus ® Abb. 7.29 zu entnehmen ist, handelt es sich urn lineare DNA-Molekiile, die die typischen Eigenschaften von Chromosomen zeigen. An den heiden Enden befinden sich telomere Sequenzen, dariiber hinaus tragt das kiinstliche Chromosom ein ARS-Element, ein Centromer sowie einen Selektionsmarker, Leu 2+, der die Identifizierung transfizierter Hefezellen ermoglicht. Das YAC verfiigt tiber Schnittstellen fur Restriktionsendonucleasen, in die fremde DNA nach dem fur bakterielle Vektoren beschriebenen Vorgehen inseriert werden kann.

Vektoren fi.ir tierische Zellen enthalten haufig virale Promotoren. Bereits in den 60 er Jahren wurde beschrieben, class auch tierische Zellen von auBen zugesetzte DNA aufnehmen konnen. Hierzu wird die DNA mit Calciumphosphat coprazipitiert und die dabei entstehenden DNA-Calciumphosphat-Granula durch Phagocytose in die Zellen aufgenommen. Die stabile Integration der DNA in die Kern-DNA ist zwar ein relativ seltenes Ereignis, tritt aber haufig genug auf, urn stabile Transfektanten isolieren zu konnen. Fur viele Zwecke ist jedoch eine Stabilitat der eingefiihrten DNA tiber viele Zellgenerationen gar nicht notwendig. So konnen beispielsweise Untersuchungen tiber die Regulation der Expression bestimmter Gene auch mit transient transfizierten Zellen durchgefiihrt werden (s. u.). Auf jeden Fall muss die Aufnahme der fremden DNA in tierische Zellen mit einem fur diese typischen Selektionsmarker nachgewiesen werden. Bei Zellen, die keinen Salvage-Weg (S. 640) fiir den Pyrimidin-Stoffwechsel haben, kann das aus dem Herpes-Virus isolierte Thymidin-Kinase-Gen ein solcher Marker sein, wenn diese Zellen mit einem Hemmstoff der Dihydrofolat-Reductase behandelt werden ( ® Abb. 7.30). I. allg. verwendet man heute jedoch Resistenzgene fur bestimmte Antibiotika. So sind viele eukaryote Zellen Telomer

Leu

ARS

CEN

HefeDNA - - - - - - ,,1

Telomer

_ _ _ ___.. I lla......iiliiil Abb. 7.29. Aufbau eines kiinstlichen Hefechromosoms. Das kiinstliche Hefechromosom besitzt an beiden Enden ein Telomer sowie ein ARS-Eiement fiir die zellulare Replikation. Dieses wird durch ein Centromer (CEN) stabilisiert.ln die Hefe-DNA kann iiber eine Polyklonierungsstelle FremdDNA einkloniert werden. Das Leu-Genistein Selektionsmarker, der fiir die Verwendung von Hefestammen geeignet ist, die einen Defekt bei der Biosynthese der Aminosaure Leucin zeigen. Zellen, die dieses YAC aufgenommen haben, konnen auf Leucin-freien Nahrboden wachsen 7.4 Gentechnik

231

7 PRPP

t t t t HypoxanthinGuaninPhosphoribosylTransferase

a

Gen fiir Ampicillinresistenz

Carbamyi-P Aspartat

Gen fiir Neomycinresistenz /

t t t

CoiElori

_, M13ori

UMP

t

TMP

t

t

Aden in Hypoxa nthi n Guanin

Thymidin \

Zellenmit defektem Gen fiir Thymindinkinase

Vektor tk-

/ Zellen sterben in Medium mit Hypoxanthin, Aminopterin und Thymidin (HAT-Medium)

/

o

Fremd-DNA tk-Gen

0

!

SV40-Terminator u. Polyadenylierungs· signal

lntron

Abb. 7.31. Zusammensetzung eines typischen, fUr tierische Zellen geeigneten Expressionsvektors. Der Vektor enthalt den Promotor des Cytomegalievirus (CMV) als starken eukaryoten Promotor, hinter dem sich die Polyklonierungsstelle befindet. AnschlieBend an die Fremd-DNA befindet sich zurVerbesserung der Expression ein lntron, ein Polyadenylierungssignal,sowie eine Terminationssequenz aus dem SV40-Virus. Fiir die Verwendung in Prokaryoten tragt derVektor das Ampicillinresistenzgen ampR sowie einen bakteriellen Replikationsursprung (CoiEl ori)

Zellen proliferieren in HAT-Medium b

7.4.21 Herstellung spezifischer

Abb. 7.30a, b. Verwendung des Thymidinkinasegens als Selektionsmarker fUr eukaryote Zellen. a Aminopterin hemmt die de novo-Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden. b Mit Aminopterin behandelte Zellen sterben nicht ab, wenn sie Ober die Enzyme des ..salvage pathways" (5. 640) verfOgen und mit Hypoxanthin und Thymidin behandelt werden. Bei Zellen mit einem Defekt der Thymidinkinase (tk· -Zellen) niitzt eine derartige Behandlung nichts. Nur diejenigen kiinnen Oberleben, die mit einem Vektor mit dem Thymidinkinasegen transfiziert worden sind

empfindlich gegentiber Neomycin oder ahnlichen Antibiotika. Befindet sich auf dem eingebrachten Vektor ein entsprechendes Resistenzgen, so konnen transfizierte Zellen danach selektioniert werden, dass sie in Neomycin-haltigen Medien wachsen konnen. Ftir tierische Zellen geeignete Vektoren sind haufig aus den unterschiedlichsten Bauteilen zusammengesetzt ( Abb. 7.31). ~ Sie enthalten starke Promotoren, die eine hohe Expressionsrate gewahrleisten und haufig aus Viren stammen. ~ Ein Intron, haufig aus dem ,8-Globulingen, flihrt dazu, dass das primare Transkript des Vektors gespleiBt werden muss, was seinen Transport vom Kern in das Cytosol zur Translation erleichtert (S. 255). ~ Polyadenylierungssignale tragen ebenfalls zur korrekten posttranskriptionalen Prozessierung bei (S. 252). ~ Damit derartige Vektoren Ieicht in Bakterien vermehrt werden konnen, tragen sie dartiber hinaus ein Resistenzgen flir Ampicillin sowie ~ einen bakteriellen Replikationsursprung. 232

7 Replikation und Gentechnik

DNA-Sequenzen

Die erfolgreiche Verwendung der oben beschriebenen Vektoren setzt nattirlich voraus, dass die gewtinschte fremde DNA in hoher Reinheit zur Verfligung steht und dartiber hinaus die ftir die Einftigung passenden, den Schnittstellen der jeweils verwendeten Restriktionsendonucleasen entsprechenden Sequenzen enthalt. Die Auswahl der verwendeten Fremd-DNA hangt vom Ziel der geplanten Untersuchungen ab. Haufig wird man genomische DNA benotigen, besonders fur wissenschaftliche Untersuchungen, deren Ziel beispielsweise die Erforschung der Genregulation ist. Kommt es dagegen auf die Produktion eines spezifischen Proteins an, so wird es gtinstig sein, ein DNAMolektil zu verwenden, dessen Sequenz derjenigen der mRNA entspricht, d. h. keine Introns mehr enthalt. Eine besonders elegante Moglichkeitist die Herstellung spezifischer DNA-Sequenzen durch die Polymerase-Kettenreaktion (S. 235).

Genomische DNA wird in genomischen DNA-Banken amplifiziert. Zur Herstellung einer genomischen Genbank geht man nach dem in Abb. 7.32 dargestellten Schema vor. Die Gesamt-DNA einer Zellpopulation wird isoliert (S.l62) und mit Hilfe geeigneter Restriktionsenzyme (S. 164) in entsprechende Bruchstticke zerschnitten. Je nach der Art der gewahlten Restriktionsendonuclease werden diese Bruchstticke unterschiedliche Langen haben, jedoch werden aile Bruchstticke identische 5'- und 3'-En-

1

- - -- I

DNA-Fragmente ausVerdau mit Restriktionsenzymen

~

Klonierung in Vektor

mRNA

- - - - - - - - - - - - AAAAAAA

1

I

Hybridisieren mit Olig!HIT; Herstellen eines DNA-RNA-Hybrids mit reverserTranscriptase 3'

0

: = = = = = = = = = = = = AAAAAAA TTTTTTT S'

ITransformation von Bakterien I

1

Hydrolyse der RNA durch Nucleaseaktivitat; Ausbildung einer Haarnadelstruktur

~------------TTTTTTTs·

1 Vermehrung der Bakterien Abb.7.32. Schematische Darstellung der Herstellung einer genomischen Genbank. (Einzelheiten s.Text)

eDNA

Hemellen eines DNA-Doppelstrangs durch reverse Transcriptase; Hydrolyse der Haamadelstruktur mit Nuclease 51

3' 5' : ============TTTTTTT AAAAAAA 3'

Abb. 7.33. Herstellung von eDNA durch Behandlung von mRNA mit reverser Transcriptase

den haben. Dieses Gemisch von DNA-Bruchstiicken wird nun mit einer entsprechenden Menge von mit derselben Restriktionsendonuclease aufgeschnittenen Plasmiden inkubiert und anschliefiend ligiert. Bei der Wahl der richtigen Bedingungen,Hisst sich die gesamte DNA des betroffenen Organism us in Bruchstticke zerlegen und so in Vektoren einbauen, dass jeder Vektor moglichst nur ein Bruchsttick enthalt. Transfiziert man nun eine entsprechende Bakterienpopulation mit diesen Bruchstticken, lassen sich die Bedingungen so wahl en, dass durchschnittlich eine Bakterienzelle ein Plasmid aufgenommen hat. Die gesamte DNA des betreffenden Organismus ist nun in Bruchstticke zerschnitten und in Form von Plasmiden aufBakterien verteilt.

!

cDNA-Banken enthalten DNA-Sequenzen, die komplementar zu mRNA sind. Bei der Isolierung von Protein codierenden eukaryoten Genabschnitten stOren die in ihnen enthaltenen Intrans besonders dann, wenn das zugehorige Protein von Bakterien produziert werden soll, da diese Introns nicht durch Spleifien entfernen konnen. Einen Ausweg aus dieser Situation bietet die Moglichkeit, DNA-Kopien von mRNA-Molektilen herzustellen (Abb. 7.33). Hierzu werden zuniichst die in einer Zellpopulation vorhandenen mRNA-Molektile isoliert. Da sie aile tiber eine liingere Poly(A)-Sequenz am 3' -En de verftigen (S. 252 ), gelingt dies mit Hilfe einer Affinitatschromatographie an Oligo-dT-Cellulose. Anschliefiend werden die mRNA-Molektile in sog. eDNA umgeschrieben (eDNA, engl. complementary DNA). Hierftir wird ein aus Retroviren (S. 312) benotigtes Enzym verwendet, die reverse Transeriptase. Sie ist eine RNA-abhiingige DNA-Polymerase und kann als Matrize sowohl RNAwie DNA-Einzelstriinge verwenden. Die reverse Transkription wird dadurch gestartet, dass an das Poly(A)-

Ende der mRNA-Molektile Thymin-Oligonucleotide anhybridisiert werden, welche als Primer ftir die weitere Kettenverliingerung dienen. Als Teilaktivitiit enthiilt die reverse Transcriptase eine Ribonuclease (RNase H), welche den RNA-Teil des entstehenden RNA-DNA-Hybridstranges hydrolysiert, so dass in einem zweiten Durchgang die reverse Transcriptase einen vollstiindigen DNA-Doppelstrang synthetisieren kann. Wenn man an die auf diese Weise entstandenen cDNA-Molektile Oligonucleotide synthetisiert, die spezifischen Sequenzen ftir Restriktionsendonucleasen entsprechen, so konnen die cDNA-Molektile in Plasmide und andere Vektoren eingeftigt werden. Nach Transfektion in Bakterien entsteht auf diese Weise eine eDNA-Bank. Wenn nicht nur die Amplifizierung einer bestimmten DNA-Sequenz gewtinscht ist, sondern auch die Herstellung des gewtinschten Genprodukts in Form eines Proteins, so bietet sich als Moglichkeit die Herstellung einer Expressions-eDNA-Bank an. Hierzu mtissen die verwendeten Plasmide oder andere Vektoren so modifiziert werden, dass sie starke bakterielle Promotoren (S. 257) enthalten. Ein hiiufig verwendeter Promotor ist derjenige ftir das Lactoseoperon. Behandelt man derartige Zellen mit dem zugehorigen Induktor, in diesem Fall einem Galaktosid, so wird die mit dem Vektor eingeschleuste DNA nicht nur repliziert, sondern auch transkribiert und als Protein exprimiert.

Aus DNA-Banken konnen spezifische DNA-Sequenzen isoliert werden. Die oben geschilderten Verfahren zur Herstellung von Gen-Banken liefern eine Sammlung von Bruchstticken von genomischer DNA oder von revers transkribierter mRNA. Da sich Bakterien nahezu unbegrenzt vermeh7.4 Gentechnik

233

7 ren lassen, konnen derartige Sequenzen auf diese Weise beliebig amplifiziert werden, was den Vorteil bietet, auch in nur geringer Kopienzahl vorkommende DNA-Sequenzen in groBer Menge zur Verfiigung zu haben. Das Problem, aus diesem Gemisch jeweils eine spezifische DNA-Sequenz zu isolieren, wird durch das Durchmustern oder screenen von DNA-Banken gelost. Eine hiiufig hierfiir verwendete Methode ist in Abb. 7.34 dargestellt. Zuniichst ist es notwendig, die Bakterienpopulation in Petrischalen zu vereinzeln und Kultur von transfixierten Bakterien

Bedecken mit Nitrocellulose-Filter

zu Einzelzellkulturen hochzuziehen. Von der Petrischale wird ein Abklatsch auf einen Nitrocellulosefilter gemacht, die auf dem Abklatsch befindlichen Bakterien lysiert und mit einer entsprechenden Sonde (S. 163) auf dem Abklatsch nach denjenigen Bakterienkulturen gesucht, die eine DNA besitzen, die mit der Sonde hybridisiert. Die entsprechenden Bakterienkolonien konnen danach auf der Petrischale aufgesucht, in Kultur genommen und hochgezogen werden. Die benotigten DNA-Sonden konnen dann besonders Ieicht hergestellt werden, wenn bereits Teilse-

Bakterien werden auf Filter iibertragen

Filter abziehen

Kultur

Filter mit AbklatsAbb. 7.37). Dieses Antisense-Molekiil hybridisiert mit der mRNA des betreffenden Proteins. Die dabei entstehende doppelstrangige RNA kann nicht als Matrize fiir die Proteinbiosynthese (Kap. 9) dienen und wird sehr rasch durch RNasen abgebaut, welche spezifisch fiir doppelstrangige RNA sind. I. allg. wird die Antisense-RNA mit Hilfe von Expressionsvektoren erzeugt, die das auszuschaltende Gen in umgekehrter Richtung enthalten, so dass bei dessen Transkription Antisense-RNA entsteht. Eine alternative Strategie fiir die Ausschaltung spezifischer Gene ist die Verwendung synthetischer einzelstrangiger DNA-Oligonucleotide. Dabei bilden kurze Oligonucleotide, welche komplementar zur Sequenz urn den Translationsstartpunkt der zugehorigen mRNA sind, ein Hybrid mit der mRNA und hemmen damit die Translation. Dies gelingt besonders gut mit chemisch modifizierten Oligonucleotiden, deren Aufnahme in Zellen gesteigert und deren Abbau vermindert ist. Insgesamt besteht die Hoffnung, die AntisenseTechnik nicht nur zur Losung wissenschaftlicher Fragestellungen, sondern auch zur Therapie von viralen Erkrankungen oder Tumoren verwenden zu konnen. 7.4 Gentechnik

237

7 Genausschaltung

durch

homologe

Rekombination~

Fremde DNA, welche von eukaryoten Zellen aufgenommen wird, wird zu einem geringen Anteil durch Rekombination in das Genom der Wirtszelle aufgenommen. Dies geschieht in aller Regel durch heterologe Rekombination, d. h. Einbau in eine mit dem aufgenommenen Gen nicht verwandte Sequenz. Homologe Rekombination, d. h. Aufnahme in die identische Sequenz des Genoms, findet sich zwar haufig bei Bakterien, Hefen und bestimmten Viren, jedoch auBerordentlich selten bei tierischen Zellen. Da jedoch in der Theorie die homologe Rekombination ein ideales Verfahren zur gezielten Modifikation oder Ausschaltung von Genen darstellt, sind hochempfindliche Selektionsverfahren entwickelt worden, die das Auffinden der wenigen homologen Rekombinanten aus einer graBen Zellpopulation erlauben. Eines der haufig verwendeten Verfahren ist in Abb. 7.38 dargestellt. Es beruht darauf, dass in das durch homologe Rekombination einzubauende Gen durch gentechnische Verfahren ein Resistenzgen fur ein cytotoxisches Antibiotikum, z. B. Neomycin, eingefiihrt wird. Dieses Gen darf allerdings keinen eigenen Promotor enthalten. Wird ein derartiges Konstrukt durch heterologe Rekombination in das Genom der Wirtszelle integriert, so wird wegen des Fehlens eines Promotors das Resistenzgen nicht aktiviert und die Zellen bleiben empfindlich gegenuber dem cytotoxischen Antibiotikum. Bei homologer Rekombination gelangt das Resistenzgen unter die Kontrolle des Promotors fur das auszuschaltende Gen, die Zellen werden resistent gegenuber Neomycin und konnen aufgrund dieser Eigenschaft selektiert werden.

7.4.41 Biotechnische Anwendungen der Gentechnologie Schwer zugangliche Proteine konnen in groBer Menge synthetisiert werden. Es ist klar, dass mit der Entwicklung der gentechnischen Verfahren sehr schnell die Frage aufkam, inwieweit Gentechnik dazu benutzt werden kann, beispielsweise sonst schwer zugangliche Proteine von medizinischem Interesse durch gentechnische Verfahren als rekombinante Proteine herstellen zu lassen. In der Tat hat sich gezeigt, dass die mit der gentechnischen Herstellung von Proteinen verbundenen Probleme im Prinzip lOsbar sind, so dass heute bereits eine Reihe von Proteinen wie ~ Insulin, ~ Wachstumshormon, ~ Erythropoietin, ~ Interferone und ~ Interleukine. fur therapeutische Zwecke zur Verfugung stehen oder sich in der klinischen Prufung befinden. Das fiir die Herstellung von humanem Wachstumshormon (hGH, engl. human growth hormone) verwendete Verfahren ist als Beispiel in Abb. 7.39 dargestellt. Es geht von einer vollstandigen eDNA fur hGH aus, welche noch die eukaryote Signalsequenz enthalt. Signal 1

24

t

funktionsloses Gen Xmit promotorlosem Neomycin-Resistenzgen

EcoR1

ISchneiden mit fco R 1I

neo

25 nichthomologe Rekombination

/

Promotor fiirGenX

neo

j neo

Neomycin·Resistenzgen kommt unter die Kontrolle des Promotors fOr Gen X; Expression der Neomycinresistenz; Gen Xist zerstort

Abb. 7.38. Genausschaltung durch homologe Rekombination.ln die klonierte DNA des auszuschaltenden Gens wird, allerdings ohne Promotor, ein Resistenzgen fUr ein cytotoxisches Antibiotikum eingebaut. Nur bei homologer Rekombination kommt dieses unter die Kontrolle eines Promotors und macht somit die Zellen resistent gegeniiber dem Antibiotikum 238

I

j

191

homologe Rekombination

j kein benachbarter Promotor, keine Expression des Neomycin-Resistenzgens

191 eDNA fiir GHmit Signalsequenz und Aminosauren 1-191

::::=====:::::;::::::::;:=:::::::!

7 Replikation und Gentechnik

Anheften eines synthetischen Oligonucleotids fiir Aminosauren 1-24 (1=Met)

eDNA fUr Aminosauren 25-191 des GH

j

2425

191

l

Klonieren in Expressionsvektor; Transfizieren von Bakterien

Abb. 7.39. Verfahren zur gentechnischen Herstellung von humanem Wachstumshormon. (Einzelheiten s.Text)

1 Durch Spaltung mit der Restriktionsendonuclease EcoR I wird diese einschlieBlich der Codons fiir die ersten 24 Aminosi:iuren entfernt. AnschlieBend wird ein synthetisches Oligonucleotid fiir diese Aminosi:iuren sowie ein Codon fiir Methionin fiir den Start der Translation eingefiihrt. Dieses Konstrukt wird in einen entsprechenden Expressionsvektor eingebaut und Bakterien hiermit transformiert. Solche Bakterien produzieren in groBen Mengen Wachstumshormon, welches sich vom humanen Wachstumshormon lediglich dadurch unterscheidet, dass es N-terminal einen Methionylrest enthi:ilt. Es kann aus Bakterienlysaten angereichert werden und steht somit fiir die Therapie zur Verfiigung. Derartige bakterielle Systeme zur Produktion rekombinanter Proteine haben einige Einschri:inkungen in ihrer Verwendbarkeit. Bakterien lagern die fiir sie fremden Proteine sehr hi:iufig in denaturierter Form in sog. EinschluBkorperchen (engl. inclusion bodies) ein. Diese konnen zwar relativ leicht isoliert werden, jedoch bereitet die Renaturierung der synthetisierten Proteine gelegentlich Schwierigkeiten. Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele Proteine von Si:iugetieren posttranslational, beispielsweise durch Anheftung von Kohlenhydratseitenketten, modifiziert werden. Hierzu sind Bakterienzellen nicht imstande. In derartigen Fallen muss auf die Verwendung von Hefeoder sogar von Si:iugerzellen zuriickgegriffen werden, fiir die inzwischen entsprechende Vektoren zur Verfiigung stehen.

!

X

0 fremdesGen (Transgen)

?.

Y

!

0

.---- -

- ;pe-rmien---,

extrauterine Fertilisierung

befruchtetes Ei

l lmplantierung der Eier in scheinschwangere Mause

Durch Einfi.ihrung fremder Gene in die Keimbahn entstehen transgene hohere Organismen. Die bisher besprochenen Veri:inderungen des genetischen Materials durch Einbringung fremder DNA betrafen Prokaryote, einzellige eukaryote Organismen und kultivierte Zellen hoherer Organismen. Ein ganz anderes Verfahren ist dafiir notig, hohere Organism en mit stabilen, d. h. an die Nachkommen vererbbaren, neuen genetischen Eigenschaften auszustatten. Die Technik zur Herstellung derartiger transgener Organismen ist urspriinglich an Mi:iusen entwickelt worden. Inzwischen hat sich gezeigt, dass nicht nur tierische, sondern auch pflanzliche Organismen genetisch manipuliert werden konnen. Das Vorgehen zur Herstellung transgener Mi:iuse ist schematisch in Abb. 7.40 dargestellt. Es beginnt mit der in vitro-Fertilisierung von Mi:iuseeiern. Fremde DNA kann mit einer Ausbeute von his zu 40 o/o erfolgreich in das Mi:iusegenom eingebracht werden, wenn sie in einen der heiden unmittelbar nach der Fertilisierung nachzuweisenden Pronuclei injiziert werden. Das Injektionsvolumen betri:igt etwa 2 Picoliter, normalerweise werden einige hundert Kopien der fremden DNA injiziert. Bringt man so modifizierte Eizellen in scheinschwangere Mi:iuse ein, so entwickeln sie sich normal. Das Vorhandensein des fremden Gens kann bei den Jungen durch PCR-Analyse nachgewiesen werden. Meist nimmt man hierzu eine kleine Gewebeprobe vom Schwanz.

------ --

Nachweis des Transgens Abb. 7.40. Herstellung transgener Mause. (Einzelheiten s. Text)

Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass die auf diese Weise eingefiihrte Fremd-DNA stabil in das Genom dieser Mi:iuse integriert wird und sich nach den Mendel'schen Regeln vererbt. Durch geeignete Zilchtung konnen fiir die fremde DNA homozygote Mi:iuselinien hergestellt werden. Eine Alternative zu dem beschriebenen Verfahren besteht darin, aus der durch Kaiserschnitt entnommenen Blastocyste embryonale Stammzellen in Kultur zu nehmen. Dabei konnen sie mit der fremden DNA transfiziert werden. Durch Injektion derartiger Zellen in neue Blastocysten nehmen diese an der folgenden Embryonalentwicklung teil und bilden schlieBlich chi7.4 Gentechnik

239

7 miire Miiuse entsprechend der Verteilung der Stammzellen auf die unterschiedlichen Gewebe wahrend der Embryogenese. Normalerweise verwendet man als Donoren der embryonalen Stammzellen sowie der Empfanger-Blastocysten Mause unterschiedlicher Fellfarbe, so dass chimare Nachkommen an der Fellfarbe leicht erkannt werden konnen. An derartigen transgenen Mausen werden viele Untersuchungen z. B. ~ zur Regulation der Embryogenese, ~ zur gewebsspezifischen Genexpression, ~ zur Biochemie der Geschlechtsauspragung und ~ zur Funktion einzelner Genprodukte durchgefiihrt.

Ein weiteres Verfahren zur Funktionsanalyse spezifischer Genprodukte beruht auf der Ausschaltung dieser Gene in embryonalen Stammzellen durch homologe Rekombination mit einem funktionslosen Gen (S. 227). Nach Injektion derartiger Transfektanten in neue Blastocysten entstehen chimare Mause mit dem entsprechend ausgeschalteten Gen, aus denen durch Zuchtverfahren eine homozygote Mauselinie hergestellt werden kann (Abb. 7.41). Derartige ,knockout-Miiuse" haben bereits zu iiberraschenden Erkenntnissen tiber die Funktion unterschiedlichster Genprodukte gefiihrt.

quantitativ erfasst werden und lasst Ruckschlusse auf die Promotoraktivitat zu. Die Ausschaltung eines Gens erlaubt in vielen Fallen Ruckschlusse auf seine Funktion.Eine solche Ausschaltung kann erfolgen durch: ~ Antisense-RNA oder -DNA; • homologe Rekombination. Viele Proteine, die auch therapeutisch eingesetzt werden konnen, werden inzwischen mit gentechnischen Methoden hergestellt.

Abb. 8.2). Das 3'-0H-Ende eines Nucleotids greift die Phosphorsaureanhydrid-Bindung zwischen dem a und ,8-Phosphat des nachsten anzukondensierenden Ribonucleotids an, so dass dieses unter Pyrophosphatabspaltung in die wachsende RNA-Kette eingebaut wird. Die Sequenz der durch diese Verlangerung eingebauten Ribonucleotide ist komplementar zur Basensequenz des Matrizenstrangs und entspricht damit derjenigen des codogenen Strangs. Ein wichtiger Unterschied im Vergleich zur DNA-Replikation ist, dass zur Einleitung der RNA-Biosynthese kein Primer benotigt wird, das neu gebildete RNA-Molekiil infolgedessen zunachst ein Triphosphatende hat.

Prokaryoten besitzen eine, Eukaryoten drei unterschiedliche RNA-Polymerasen. Die RNA-Polymerase von Prokaryoten ist ein groBer Enzymkomplex. Bei E. coli hat das Holoenzym ein Molekulargewicht von 480 kDa. Es kann in das sog. coreEnzym und den Sigmafaktor (a -Faktor) getrennt wer~ den. Das erstere ist ein Pentamer und besteht aus den Untereinheiten a 2, ~ . ~' , w. Das core-Enzym allein kann zwar RNA in Anwesenheit einer DNA-Matrize synthe-

6- ~2 0

OH I 0 - P 0 CH2

0 (I

OH OH

Abb. 8.2. Reaktionsmechanismus der RNA-Polymerasen. Analog zum Mechanismus der DNA-Polymerasen handelt es sich urn den Angriff des 3'-0H-Endes eines Nucleotids an der Phosphorsaureanhydrid-Bindung zwischen dem a- und j3-Phosphat des nachsten anzukondensierenden Ribonucleotids

tisieren, ist jedoch nicht imstande, die richtigen Startstellen fi.ir die Transkription zu finden. Hierfi.ir ist die Assoziation mit dem Sigmafaktor notwendig, der jedoch fi.ir die Elongation und Termination der RNAPolymerisierung nicht benotigt wird. Eukaryote RNA-Polymerasen~ Der Nachweis der drei eukaryoten RNA-Polymerasen war im Vergleich zu den prokaryoten Enzymen schwieriger, da diese Enzyme in einer wesentlich geringeren Kopienzahl in der Zelle vorkommen. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der eukaryoten RNA-Polymerasen ist ihre Empfindlichkeit gegeni.iber a -Amanitin, einem Gift des Knollenblatterpilzes. Die RNA-Polymerase I ist unempfindlich gegeniiber a-Amanitin, wahrend die RNA Polymerase II bereits durch geringe Konzentrationen gehemmt wird. Die Reaktion der RNA-Polymerase III auf a-Amanitin ist speziesabhangig. 8.1 Mechanismus derTranskription

245

8 Die RNA-Polymerase I ist im Nucleolus lokalisiert und transkribiert die Gene fur die ribosomale RNA. Die RNA-Polymerasen II und III kommen im Zellkern vor und transkribieren die Gene fur die hnRNA (heteronucleare RNA) und damit die mRNA sowie die Gene fiir die tRNA ( Tabelle 8.1) (S.159). Alle drei eukaryoten RNA-Polymerasen haben mindestens 10, wahrscheinlich mehr Untereinheiten. Ihr Molekulargewicht liegt bei etwa 500 kDa. Zur Transkription brauchen sie die Anwesenheit sog. Transkriptionsfaktoren (s. u.).

p

HO

I I I I I I I I I I I I I

1

I I I

1

I I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

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I

I

I

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I

I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I ll 1 I

I

I

I

I

I

I

OH p

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

OH p Bildung des RNA-PolymeraseHoloenzyms

HO

a lokale Denaturierung des Doppelstrangs

p TT'i=r=i"in=i"'i"T'T'TTTT'FTT"i"''

HO

8.1.21 Transkription bei Prokaryoten Abb. 8.3 zeigt die bei der Transkription prokaryoter Gene stattfindenden Vorgange in schematischer Form. Sie beginnt mit der Bindung der RNA-Polymerase an die DNA. Fur das Auffinden des Transkriptionsstartpunktes enthalten alle prokaryoten Gene im Promotor AT-reiche Regionen, die bei E. coli etwa 10 und 35 Basenpaare oberhalb des Transkriptionsstarts gelegen sind. Da die Wasserstoffbruckenbindungen zwischen AT-Paaren schwacher sind als zwischen GC-Paaren, kann hier die fur die Transkription notwendige Trennung in codogenen Strang und Matrizenstrang am leichtesten erfolgen. FUr die Anlagerung der RNAPolymerase an die Promotorregion wird der o-Faktor benotigt. Nachdem die Initiationsstelle aufgefunden ist, lagert die RNA-Polymerase das erste Nucleosidtriphosphat an, welches immer GTP oder ATP ist, und bildet auf diese Weise den Initiationskomplex. Die Knupfung der ersten Phosphodiesterbindung erfolgt gewohnlich mit einem Pyrimidinnucleotid. Nach Knupfung von etwa 10 Phosphodiesterbindungen kommt es zur Dissoziation des o-Faktors, da die weitere Transkription durch das core-Enzym alleine moglich ist. Termination der Transkription.. Fur das Auffinden der Terminationsstelle auf dem codogenen DNA-Strang, der das Ende des bei Prokaryonten haufig polycistronischen Strukturgens anzeigt, sind weitere Proteinfaktoren notwendig, die mit p bzw. 1: bezeichnet werden. An dieser Stelle kommt es zur Dissoziation des core-Enzymes, worauf der Transkriptionszyklus erneut beginnen kann. Analog zu den Promotoren fin den sich im bakteriellen Genom auch entsprechende Terminationssigna-

DNA-Doppelstrang

a "Sigma-Faktor"

"core-enzyme"

p

I

Auffindung der lnitiationsstelle

p TM"T'T''I'TT'I'TTTTTTTTTM

Anlagerung von GTP an Polymerase, Kniipfung der 1. Phosphodiesterbindung der RNA

HO P- P- P Jl '""~r"TTTT"'"TT"I'T'I'T'T'l~

OH p

PI I I I I I I I I I I I I I I I I I I I

HO

p

HO

OH

P

I I I I I I I I II I I I I I I I I I I I

I

I

I

I

I

p. p. p""

I

I

I '

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

I

'

I

I

I

I

I

I

I

Elongation der RNA, Abdissoziation des cr-Faktors

OH p

I

Anlagerung des Faktors p. Termination der Transkription

Abdissoziation von "core enzyme" u. Faktor p

Abb. 8.3. Transkription prokaryoter Gene. Die Transkription bei Prokaryoten kommt durch das Zusammenwirken von DNA-abhangiger RNA-Polymerase alstetrameres Enzym sowiedesSigma-Faktors fUr die Initiation und des Faktors Rho fUr die Termination zustande.(Weitere Einzelheiten s.Text)

le, die etwa 40 Basenpaare lang sind und die die in Abb. 8.4 dargestellten Strukturmerkmale aufweisen. Sie enthalten alle eine umgekehrte, also palindromartige repetitive Sequenz (S. 165), an die sich eine Serie von AT-Basenpaaren anschlie6t. Aufgrund der Anordnung

Tabelle 8.1. Eukaryote RNA-Polymerasen Produkt

RNA-Polymerase 1

udeolus

Ribosomale RNA

RNA-Polymerase 11

udeus

hnRNA, nach Prozessierung mRA

R A-Polymerase Ill

246

I

ucleus

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

Tran fer-RNA

Hemmbarkelt durdt u-Amanhln

+ (+)

8 DNA

G C C G C C

mRNA

S'P

S'P

~A-tl-U-l'OH

~

C G G C G G

G

(

T C A A G G C G A

C-G C-G G-C C-G C-G

A G

G C

G C

G G

A G T T C C G C T G C G G C A

(

c G

c

C G C C G T

u u

c c

G

c

Fur die Bildung des eukaryoten lnitiationskomplexes sind allgemeine Transkriptionsfaktoren notwendig.

A U

-

u,.,.. I

' G

I

u'- c ,.,. c Ausbildung der Haamadelstruktur

u (

G G

c

T A T A

A

u u

I

3'0H

Transkript Matrizenstrang Abb. 8.4. Palindromartige repetitive Sequenz als Terminationssignal bakterieller Gene. In den RNA-Transkripten entsteht durch diese Anordnung eine Haarnadelstruktur, die als Terminationssignal dient

der repetitiven Sequenz kann das RNA-Transkript durch Bildung von intramolekularen Wasserstoffbriickenbindungen zwischen komplemenHiren Basen eine Haarnadelstruktur ausbilden, welche offensichtlich ein Signal fiir die Terminationsproteine p bzw. T darstellt.

8.1.31 Transkription bei Eukaryoten

!

kung von Histonproteinen mit der DNA geschwacht werden. Der Ubergang zum aktiven, d. h. fiir die Trimskription bereiten Chromatin erfordert in vielen Fallen eine Umgruppierung bzw. sogar eine lokale Auflosung der Nucleosomenstruktur, deren Mechanismus noch nicht gut verstanden wird.

Im Gegensatz zu den prokaryoten sind eukaryote RNAPolymerasen nicht imstande, alleine an DNA zu binden. Sie benotigen hierzu eine Reihe von Faktoren, die als allgemeine Transkriptionsfaktoren bezeichnet werden und die den sog. Initiationskomplex bilden, der fiir die korrekte Bindung der RNA-Polymerase an der Startstelle der Transkription verantwortlich ist. Die jeweilige ZugehOrigkeit zu einer RNA-Polymerase wird dadurch zum Ausdruck gebracht, class an die Abkurzung fiir den Transkriptionsfaktor (TF) romische Ziffern angefiigt werden, die mit der Nummerierung der RNA-Polymerasen iibereinstimmen. Die drei verschiedenen RNA-Polymerasen eukaryoter Zellen sind fiir die Transkription jeweils ganz unterschiedlicher Gruppen von Genen verantwortlich, die dementsprechend auch unterschiedliche Promotoren besitzen. Es ist infolgedessen nicht erstaunlich, class die Bildung der Initiationskomplexe unterschiedlich ablauft ( Abb. 8.5). Der lnitiationskomplex der RNA-Polymerase I~ Die RNAPolymerase I transkribiert die Gene der ribosomalen RNA. Der zugehOrige Promotor besteht aus zwei Teilen, einem sog. core-Promotor im Bereich der Startstelle der Transkription und einem Kontrollelement, das 100 bis 180 Basenpaare oberhalb der Startstelle gelegen ist. Beide Promotorregionen sind, anders als bakterielle RNA -Polymerase I

GC -reich

GC- reich

RNA · Polymerase III

Die Transkription eukaryoter Gene geht mit Anderungen der Nucleosomenstruktur einher. Die native DNA liegt in der stark kondensierten Form der 30 nm Faser vor und ihre Transkription ist reprimiert. Durch einen als Antirepression bezeichneten Vorgang kommt es zu einer Lockerung der Struktur der 30 nm Faser oder sogar zum Ubergang in die 10 nm Faser (S.152). Hierbei spielt moglicherweise die Acetylierung des Histonproteins H4 eine wichtige Rolle, durch die positive Ladungen der Lysylreste der Histonproteine neutralisiert und damit die Wechselwir-

TATA· Box Abb. 8.5. Strukturmerkmale der Promotorregionen eukaryoter Gene. Bei den von der RNA-Polymerase II und Ill transkribierten Gene liegt etwa 20 Basen oberhalb des Transkriptionsstartpunktes eine AT-reiche Region, die sog. TATA-Box. An sie bindet die RNA-Polymerase. Bei den von RNA-Polymerase I transkribierten Genen findet man GC-reiche Kontrollelemente, an die Transkriptionsfaktoren und die RNA-Polymerase bind en. (Weitere Einzelheiten s.Text) 8.1 Mechanismus derTranskription

247

8 Promotoren, reich an GC-Basenpaaren. Die Bildung des Initiationskomplexes beginnt damit, class zunachst ein als UBF Ibezeichnetes Protein spezifisch an die heiden Promotoren bindet. AnschlieBend lagert sich ein zweiter Proteinkomplex an, der als SLI bezeichnet wird und aus vier Proteinen besteht. Eine seiner Untereinheiten wird als TBP (TBP, engl. TATA box binding protein) bezeichnet. Dieses ist auch an der Bildung des Initiationskomplexes der RNA-Polymerasen II und Ill beteiligt. Erst nach der Bindung von UBF I und SLl lagert sich die RNA-Polymerase I an, womit der vollstandige Initiationskomplex gebildet und die Transkription der rRNA-Gene beginnen kann. lnitiationskomplex der RNA-Polymerase Ill~ Im Vergleich zur RNA-Polymerase I ist der Aufbau des Initiationskomplexes der RNA-Polymerase III wesentlich komplexer. Die Promotoren flir die SS RNA- und tRNAGene liegen innerhalb der codierenden Sequenz unterhalb des Startpunktes der Transkription. Dagegen sind die Promotoren fur die snRNA wie die Promotoren anderer Gene oberhalb des Startpunktes der Transkription lokalisiert. Zur Bildung des Initiationskomplexes miissen zunachst die Transkriptionsfaktoren TF III C und TF III A an die internen Promotoren binden, was dem Transkriptionsfaktor TF III B ermoglicht, an die Basensequenz urn die Startstelle der Transkription zu binden. Eine der Untereinheiten von TF III B ist wiederum das TATA-Box-Bindungsprotein TBP. Erst nach Anlagerung dieser Proteinfaktoren ist die RNA-Polymerase III imstande, DNA zu bin den und am korrekten Startpunkt mit der Transkription zu beginnen. Die Transkriptionsfaktoren TF III A und TF III C haben lediglich die Aufgabe TF III B die Bindung an die richtige Position auf der DNA zu ermoglichen. Der lnitiationskomplex der RNA-Polymerase II~ Die RNA-Polymerase II benotigt die groBte Zahl von allgemeinen Transkriptionsfaktoren. Man nimmt an, dass sich in Anwesenheit von DNA ein Multienzymkomplex aus der RNA-Polymerase II und den Transkriptionsfaktoren TF II B, TF II D, TF II H, TF II F, TFII I und TF II E bildet, der auch als RNA-Polymerase II-Holoenzym bezeichnet wird. Dariiber hinaus enthalt das Holoenzym noch eine Gruppe von Proteinen, die nicht zu den allgemeinen Transkriptionsfaktoren gerechnet werden, sondern als SRB-Proteine (SRB, engl. suppressor of RNA polymerase B) bezeichnet werden. Ihre Entfernung durch entsprechende Mutagenese fiihrt zu einer schwerwiegenden Storung der Transkription. Das RNA-Polymerase-Holoenzym (Abb.8.6) bindet fest an die AT-reichen Regionen von eukaryoten Genen, wenn diese durch den Transkriptionsfaktor TF II D belegt sind. TF II D ist ein groBer, aus mehreren Untereinheiten bestehender Proteinkomplex. Eine der Untereinheiten ist das TATABox-Bindungsprotein TBP, welches AT-reiche Regionen und andere promotorspezifische Sequenzen erkennen und binden kann. 248

I

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

TATA

r

+1

1.F-n-D- - - - -+

TATA

+1

TATA

+1

Abb. 8.6. Aufbau des RNA-Polymerase-11-Holoenzyms und Bindung an die TATA-Box. TFTranskriptionsfaktor

Fi.ir die Initiation der Transkription sind weitere regulatorische Elemente notwendig.

Die Bildung des Initiationskomplexes ist eine Voraussetzung dafiir, class die RNA-Polymerase die korrekte Startstelle der Transkription auffindet und prinzipiell zur Transkription befahigt ist. Es fin den sich allerdings in der Promotorregion eukaryoter Gene noch eine Reihe weiterer, oberhalb der TATA-Box lokalisierte Sequenzen, an die Transkriptionsfaktoren gebunden werden, die nicht am Aufbau des RNA-Polymerase II-Holoenzyms beteiligt sind. Abb. 8. 7 stellt dies in schematischer Form anhand des Aufbaus des Thymidinkinase-Pro motors dar. ~ In der Position -20, gerechnet vom Startpunkt der Transkription aus, befindet sich die TATA-Box, an der sich der Transkriptionsfaktor TF II D anlagert und auf diese Weise den Initiationskomplex bildet. ~ Etwa 40 Basenpaare oberhalb des Startpunktes befindet sich die so g. GC-Box, die in vielen Genen vor-

8 -120

-100

Oktamer

GC

-80

CAAT

-40 GC

-20

TATA

Abb. 8.7. Aufbau des Thymidinkinasepromotors

Cyclin H/cdk7/Mat1-Kinase ATP

11

Abb. 8.8. Wirkung von Transkriptionsaktivatoren. Transkriptionsaktivatoren binden DNA-Eiemente, die gelegentlich mehr als 100 Basenpaare von der Transkriptionsstartstelle und damit von der RNA-Polymerase entfernt liegen. Man nimmt an, dass die raumlichen Beziehungen so sind, dass ungeachtet dieser Entfernung eine direkte Assoziation der Transkriptionsaktivatoren mit dem lnitiationskomplex der RNA-Polymerase erfolgen kann

p

Vergleicht man die Anordnung der genannten DNAEiemente bei verschiedenen eukaryoten Genen, so zeigen sich groBe Unterschiede. Der Promotor des friihen SV40-Gens (S.306) enthalt beispielsweise als einzige Elemente 6 GC-Boxen, das Gen fiir das Histon H2B dagegen auBer der TATA-Box 2 Oktamer- sowie 2 CAATEiemente. Insgesamt entscheidet die Zahl, weniger die raumliche Anordnung der genannten Elemente iiber die Effektivitat, mit der ein Promotor die Transkription eines spezifischen Gens beeinflusst.

p

pp

p

p p

p p p

All den genannten Sequenzelementen ist gemeinsam, dass sie jeweils spezifische Proteinfaktoren binden ki:innen ( Abb. 8.8), welche als Aktivatoren der Transkription dienen und entweder mit dem Transkriptionsfaktor TF II D oder dem RNA-Polymerase-Holoenzym direkt in Wechselwirkung treten. Sie werden als .- Transkriptionsaktivatoren, "' Transkriptions-aktivierende Faktoren oder "' englisch als upstream regulatory factors (URF) bezeichnet.

p

p

pp

p p p

kommt und die Konsensussequenz GGGCGG aufweist. .- Ungefahr 70 Basenpaare oberhalb des Startpunktes der Transkription findet sich ein weiteres Element, das auch als CAAT-Box bezeichnet wird und die Konsensussequenz GGCCAATCT aufweist. "' Die Oktamer-Box schlieBlich befindet sich noch weiter oberhalb der Transkriptionsstartstelle.

p

p

pp

p p

p p p

p

p

pp p p

Abb. 8.9. Vorgange beim Obergang zur Elongationsphase der Transkription. Fur den Obergang von der Initiation zur Elongation derTranskription ist die Phosphorylierung des C-terminalen repetitiven Heptapeptides der RNA-Polymerase II entscheidend. Durch die Phosphorylierung wird die Bindung an Transkriptionsfaktoren gelost. (Weitere Einzelheiten s.Text)

Mechanismen fUr die Elongation und Termination der Transkription eukaryoter Gene. Fiir die Elongation und Termination der Transkription eukaryoter Gene sind viele der Proteine des Initiationskomplexes nicht mehr notwendig. Die deswegen stattfindende Dissoziation des Initiationskomplexes ist am besten an der RNA-Polymerase II untersucht (Abb. 8.9). Entscheidend fiir ihre Auflclarung war die Beobachtung, class nicht die Bildung des Initiationskomplexes und die Initiation der Transkription, sondern die Elongation einen ATP-abhangigen Schritt beinhaltet. Spater zeigte sich, dass das ATP u. a. dazu beniitzt wird, mit Hilfe des Cyclin H/cdk7/Matl-Kinasekomplexes (S.212) das C-terminale Fragment (CTD) der gri:iBten Untereinheit der RNA-Polymerase II zu phosphorylieren. Dieses CTD-Fragment besteht aus einer repetitiven Sequenz des Heptapeptides -Tyr-SerPro-Thr-Ser-Pro-Ser-. Dieses Heptapeptid ist bei so unterschiedlichen Organismen wie der Hefe und dem Menschen in gleicher Weise vorhanden. Seine Entfernung durch Mutagenese ist letal. Die humane RNAPolymerase II enthalt 52 Kopien dieses Heptapeptides, niedere Eukaryote verfiigen iiber eine etwas geringere Kopienzahl. In vivo findet sich die C-terminale Domane der RNA-Polymerase II entweder unphosphoryliert 8.1 Mechanismus der Transkription

249

8 oder in phosphorylierter Form, wobei dann im wesentlichen die Serin- und Threoninreste phosphoryliert sind. Die C-terminale Domane der RNA-Polymerase II spielt eine entscheidende Rolle beim Obergang von der Initiation in die Elongation der Transkription. In nicht phosphorylierter Form ist sie fur den Zusammenhalt des Initiationskomplexes notwendig, da sie eine spezifische Wechselwirkung mit dem TATA-Box-Bindungsprotein des Transkriptionsfaktors TF II D eingeht. Nach erfolgter Phosphorylierung des CTDs lost die RNA-Polymerase II ihre Bindung an den Transkriptionsfaktor TF II D. Daruber hinaus zerfallt der Initiationskomplex, so dass lediglich die Polymerase II zusammen mit den Transkriptionsfaktoren TF II F und TF II J in die Elongationsphase eintritt. Termination der Transkription.. Fur die Termination der Transkription eukaryoter Gene sind bei der RNA-Polymerase I und III ahnliche Signale verantwortlich wie bei prokaryoten Genen. Die Transkriptionstermination bei Genen, die durch die RNA-Polymerase II transkribiert werden, ist mechanistisch noch nicht aufgeklart. Haufig hort die Transkription mehr als tausend Basenpaare unterhalb des 3'-Endes der fertigen mRNA auf. Bei der posttranskriptionalen Modifikation (s. u.) mussen derartig lange 3'-Enden entsprechend verkurzt werden.

zwischen GC-Paare doppelstrangiger DNA. Die sich dadurch ergebende Verformung der DNA fuhrt zur Hemmung der Transkription. Aus dem Wirkungsmechanismus geht hervor, dass Actinomycin D sowohl bei Proals auch bei Eukaryoten wirkt. Rifampicin .. Es hemmt selektiv die RNA-Polymerase von Prokaryoten, da es an die /)-Untereinheit dieses Enzyms bindet. Da das entsprechende Enzym der Eukaryoten unbeeinflusst bleibt, kann Rifampicin zur Therapie bakterieller Infektionen angewandt werden. a-Amanitin.. Ein spezifischer Inhibitor der eukaryoten RNA-Polymerase II ist schlieBlich das a-Amanitin. Es ist fur die Giftwirkung des Knollenblatterpilzes verantwortlich. Bei der Knollenblatterpilzvergiftung steht seine hemmende Wirkung auf die Transkription von Genen, deren Produkte wichtige Proteine der Leber sind, im Vordergrund. Die Vergiftung wird von mit einer einer akuten Zersti:irung des Leberparenchyms einhergehenden klinischen Symptomatilc bestimmt. Eine Reihe einfacher, von der 4-0xochinolin-3-carbonsaure abstammender Verbindungen sind wirksame Hemmstoffe der prokaryoten DNA-Gyrase (S.218). Wegen dieser Wirkung beeintrachtigen derartige Gyrase-Hemmstoffe die bakterielle Replilcation und Transkription. Sie konnen deswegen zur Therapie eines breiten Spektrums bakterieller Infekte eingesetzt werden.

8.1.41 Hemmstoffe der Transkription Eine Reihe von Hemmstoffen der Transkription, darunter auch einige Antibiotika haben sich als wertvolle Hilfsmittel bei der Aufklarung der molekularen Mechanismen dieses Vorgangs erwiesen. Daruber hinaus haben sie Eingang in die Therapie humaner Erkrankungen gefunden. Actinomycin o.. Das Actinomycin D (Abb. 8.10) hemmt in niedrigen Konzentrationen die Transkription, in hOheren auch die Replikation. Das Molekiil schiebt sich wie ein interkalierender Farbstoff (S.l63)

L-Pro

/

I o-Val,

Sar

' L-meVal /

""

I 0

L-Pro

I o-Val,

O= C

' L-meVal

/ L-Thr

L-Thr

N

Sar

/

I 0

/

C= O

N yYNH2

Yo~o Actinomycin D Abb. 8.10. Struktur des Actinomycin D.Sar Sarcosin (Methylglycin) 250

I

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

KERNAUSSAGEN Fur die Transkription wird ein partiell einzelstrangiges DNAMolekul als Matrize bentitigt. Bei Prokaryoten gibt es eine, bei Eukaroyten drei RNAPolymerasen,die ffir die 5',3'-Verknupfung von Ribonudeotiden im wachsenden RNA-MolekUI verantwortlich sind. Bei Eukaroyten ist .. die RNA-Polymerase I fur die Synthese der rRNAs, .. die RNA-Polymerase II ffir die Synthese der hnRNA als Vorlaufermolekiil fur die mRNA und .. die RNA-Polymerase Ill fur die Synthese der tRNAs zustandig. Promotoren sind regulatorische DNA-Abschnitte,an die die RNA-Polymerasen zusammen mit Transkriptionsfaktoren binden. Ober diese Bindung wird .. der Zeitpunkt und .. die Effizienz derTranskription reguliert sowie .. der Startpunkt der Transkription festgelegt. Die Termination derTranskription erfolgt iiberspezifische DNA-Sequenzen und daran bindende Proteine. Hemmstoffe der Transkription verhindem entweder die Entwindung der DNA (z. B. Gyrasehemmer) oder sie inaktivieren die RNA-Polymerasen.

8 8.2 •Po• s•t•tr•a•n•sk•r•ip•t•io•n•a•le.--- - - Modifikationen der primaren RNA- Transkripte fll

Die primaren RNA-Transkripte sind sowohl bei Proals auch bei Eukaryoten haufig noch keine funktionsfahigen Molekule, sondern mussen durch posttranskriptionale Modifikationen in die biologisch aktive Form uberfuhrt werden. Dies trifft bei Prokaryoten fiir die mRNA allerdings nicht zu, die ohne weitere Veranderungen direkt fur die Proteinbiosynthese verwendet werden kann (Kap. 9).

8.2.1 I Prozessierung der Transkripte der tRNA-Gene In den meisten Zellen finden sich 40-50 unterschiedliche tRNA-Molekiile. Diese entstehen aus langeren RNA-Transkripten, die durch entsprechende Nucleasen prozessiert werden mussen (® Abb. 8.11). Die Endonuclease RNase P entfernt Polyribonucleotide am 5'-Ende der tRNA-Vorlaufermolekiile. Sie ist ein bei allen Organism en vorkommendes Enzym. Es benotigt zu seiner Funktion ein spezifisches RNA-Molekul, welches fiir die katalytische Aktivitat essentiell ist und sogar in Abwesenheit des Proteinanteils wirkt. Damit gehort die RNase P eigentlich in die Klasse der Ribozyme (S. 128). Nach der Entfernung uberzahliger Basen am 3'-OHEnde durch die RNase D erfolgt schliefmch die Anheftung der fur alle tRNA-Molekule typischen CCA-Sequenz durch die tRNA-Nucleotidyltransferase. Als letztes werden die fur die tRNA spezifischen Basenmodifikationen, z. B. Methylierungen, eingefugt.

8.2.21 Die Prozessierung der Transkripte fUr ribosomale RNA Die Bildung ribosomaler RNA-Molekule bei Eukaryoten entspricht im Prinzip derjenigen bei Prokaryoten. Gene fur rRNA finden sich in vielen tausend Kopien im Genom und sind in Form groBer Vorlaufermolekule jeweils als Tandem angeordnet. Bei Eukaryoten hat das Vorlaufer-rRNA Molekul eine Sedimentationskonstante von 45 S und ein Molekulargewicht von 4,1-106 Da (-Abb. 8.12). Es enthalt die fur die eukaryote rRNA charakteristischen 18 S-, 28 S- und 5,8 S-rRNA-Molekule. Zunachst erfolgt eine umfangreiche Methylierung an den 2'-0HGruppen der Ribosereste, die in den spateren r RNA-Molekiilen erhalten bleiben.AnschlieBend werden sequentiell durch entsprechende Nucleasen die fertigen rRNAMolekule aus dem primaren Transkript geschnitten.

8.2.31 Herstellung eukaryoter mRNA Von allen primaren RNA-Transkripten werden diejenigen fur die spatere mRNA am umfangreichsten posttranskriptional prozessiert. ® Abb. 8.13 gibt in schematischer Form eine Ubersicht uber die einzelnen Schritte dieser posttranskriptionalen Modifikationen. Sie bestehen in der ... Anheftung einer Kopfgruppe oder Cap-Struktur am 5'-Ende, ... Modifikation am 3'-OH-Ende durch Verkurzung der 3' -untranslatierten Region und Anheftung eines Poly-A-Endes sowie schlieBlich ... Entfernung nicht codierender Sequenzen, SpleiBen (engl. splicing).

Einfiigen von CCA

Abb. 8.11 . Entstehung der tRNA-Moleklile durch posttranskriptionale Prozessierung der primaren Transkripte von tRNA-Genen durch RNase P, RNase D und tRNA-Nucleotidyltransferase

8.2 Posttranskriptionale Modifikationen der primaren RNA-Transkripte

251

8

:Jc H2N~N o

HN

MG 3,1 x10 6 ;41 5

~H3

w )

N

?- td 2 0

O=P- o-

? 1

®

185

~-

w

@)

285

1

MG 4x 10 4

MG 1,75x10 6

guanosin

OH OH

O=P- oMG6,5x 10 51(jji)

7- Methyl-

0

®=@

O=~-o-

5,85

Abb. 8.12. Entstehung der 18 5-, 28 5- und 5,8 5-rRNA durch posttranskriptionale Prozessierung der eukaryoten nucleolaren 45 5-RNA

d

Base

6 - -CH2 0

2'-Methyl-

ribosid

o1

DNA

S' P -

j ==:=:=:= ======== j·

3' 0H

Anheftung der Kopfgruppe - Entfernung nichtcodierender 5equenzen am 3'-0H-Ende - Anheftung von Poly- A

primares Transkript hnRNA

O=~-o

o: :e

0-~ 2 0 o1 O=P---0 OCH3

2' -Methyl-

ribosid

Abb. 8.14. Die Sequenz 7-Methylguanosin-2' -Methylribosid-2' -Methylribosid als haufig aufgefundene, posttranskriptional angeheftete Kopfgruppe der rnRNA,die auch alsCap bezeichnet wird

Gppp-1== :::::=:::::::= = - AAAAA ... A-3'0H

=

-11'"' "" I

~

- AAAA .... A- 3'0H

mRNA

codierende Sequenz

j

-Transport ins Cytosol · Translation

Am 3'-Ende der hnRNA wird ein Poly(A)-Ende angefi.igt. Protein

Abb. 8.13. Die einzelnen Schritte der posttranskriptionalen Modifikation der hnRNA zu mRNA-MolekUien

!

Schon wahrend derTranskription erhalt die spatere mRNA eine Kopfgruppe. Eukaryote mRNA wird zunachst als heteronucleares (hn)RNA-Vorlaufermoleklil synthetisiert. Bereits wahrend der Transkription wird das 5' -Ende durch die Anheftung einer Kopfgruppe aus einem 7-Methylguanosintriphosphat modifiziert ( Abb. 8.14). Haufig werden weitere Methylgruppen an die 2'-Hydroxygruppen der heiden anschlieBenden Nucleotide a ngefiigt. Donor der Methylgruppen ist S-Adenosyl-Methionin (S. 488). • Eine wichtige Funktion der Kopfgruppe besteht im Schutz der entstehenden RNA vor dem Abbau durch entsprechende Nucleasen.

252

• Die Kopfgruppe ist dariiber hinaus ein Signal fur den Transport der mRNA durch die Kernporen (s. u.). • Die Kopfgruppe wird fiir die Anheftung der mRNA an das entstehende Ribosom benotigt, wo sie das Auffinden des Startpunkts der Translation ermoglicht (S. 277).

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

Mit Ausnahme der mRNAs von Histonen tragt das 3'Ende eukaryoter mRNAs ein Poly(A)-Ende aus 50 bis etwa 200 oder mehr Adenylresten, das Poly(A)-Ende bzw. der Poly(A)-Schwanz. Ihre Anheftung erfolgt meist nicht an der Stelle, an der die Transkription des primaren Transkriptes aufgehOrt hat ( Abb.8.15). Das eigentliche Signal fiir die Anheftung des Poly(A) -Endes ist eine spezifische Sequenz a usden sechs Basen AAUAAA. Diese bildet eine Erkennungsregion zur Bindung eines Multienzymkomplexes mit zwei Funktionen. • Eine Endonucleaseaktivitat des Komplexes entfernt den Teil des Transkripts, der unterhalb des Spaltsignals liegt, • eine Polyadenylatpolymerase katalysiert die Anheftung von Adenylatresten, die aus ATP entstehen. Eine Reihe von Hinweisen spricht dafiir, dass der Poly(A)-Schwanz mRNA vor enzymatischem Abbau schiitzt und damit eine wichtige Funktion bei der Bestimmung der Lebensdauer der mRNA hat (s. u.).

8 3'

3'

S' 1 (47 BP) -

Abbau A

OH

I

OH

2 (185 BP)

I

8

3 (51 BP)

c 4 (1298P)

D 5 (1188P)

7700BP Kopfgruppe

Kopfgruppe

Kopfgruppe

E

Kopfgruppe 6(143 BP)

Abb. 8.15. Modifikation des 3'-Endes der hnRNA zu der fOr die mRNA typischen Struktur mit einem Poly(A)-Ende

7 (156 BP)

G

8 (1043 BP)

Abb. 8.16. Schematische Darstellung einer DNA-mRNA-Hybridisierung eines eukaryoten Gens mit intervenierenden Sequenzen

!

3'

Die meisten Gene hoherer Eukaryoter sind diskontinuierlich angeordnet. 1977 wurde in einer Reihe von Laboratorien entdeckt, dass Gene von eukaryoten Zellen diskontinuierlich auf der DNA angeordnet sind. Dies ergab sich aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen von Hybriden zwischen der mRNA fiir das Ovalbumin des Huhns und dem aus der DNA isolierten Gen fiir das selbe Protein. Wie schematisch in Abb. 8.16 dargestellt, fanden sich bei der Hybridisierung Schleifen doppelstrangiger DNA, die nicht mit der mRNA in Wechselwirkung traten. Aus diesem Ergebnis musste geschlossen werden, dass das Gen fiir Hiihner-Ovalbumin nicht codierende ,intervenierende" Sequenzen enthalt ( Abb. 8.17). Die intervenierenden Sequenzen werden als Introns bezeichnet, die in der mRNA erscheinenden und damit exprimierten Sequenzen als Exons. Derartige diskontinuierlich angeordnete Gene sind typisch fiir hohere Eukaryote, finden sich dagegen nicht in der Hefe oder anderen Einzellern ( Tabelle 8.2).

Mechanismus des Spleil3ens~ Das korrekte Entfernen der nicht codierenden Sequenzen aus dem primaren

Abb.8.17. Aufbau des HUhnerovalbumin-Gens. Die Gesamtlange des Gens betragt 7 700 Basenpaare (BP). Es enthalt 7 lntrons (A-G) von insgesamt 5 828 BP-lange. Exons (7-8) variieren in der GroBe zwischen 47 und 1 043 Basenpaare und ergeben eine Gesamtlange von 1 872 Basenpaaren

Transkript sowie die Zusammenfiigung der Exons zur funktionsfahigen mRNA stellt einen komplizierten ProzeB dar, der mit htichster Genauigkeit ablaufen muss, da sonst funktionsunfahige Transkripte entstehen wiirden. Der hierzu ablaufende Vorgang wird als Spleiften der hnRNA bezeichnet und mechanistisch auf unterschiedliche Weise gelost. Abb. 8.18 stellt das bei fast allen SpleiBvorgangen verwendete Prinzip dar. Dieses beruht auf mehrfachen Umesterungen. Eine freie OH-Gruppe eines Nucleotids, welches meistens innerhalb des Introns lokalisiert ist, greift die Phosphodiesterbindung am Exon-IntronDbergang an. Dadurch kommt es an dieser Stelle zum Bruch des RNA-Strangs, im Intron bildet sich durch diesen Vorgang eine Lasso-Struktur (engl. lariat). Das dabei entstandene freie 3'-En de des ersten Exons greift nun am Dbergang zum Exon 2 an, wodurch das Intron

8.2 Posttranskriptionale Modifikationen der primaren RNA-Transkripte

253

8 S'

S' ' '

S'

'

'

Exon 1

Exon 1

~ HO

OH

lntron

Exon2

HO

Exon 2

-------- 3'

erste Umesterung

OH

zweite Umestenmg

Abb. 8.18. Chemischer Mechanismus des Splemens. (Einzelheiten s.Text)

Tabelle 8.2. Charakteristika eukaryoter, fur Proteine codierender Gene (kB = 103 Basen)

Art

Durdtschnlttlkhe Zahl der Exons

Hefe

Durdtschnlttlidle Genlange(kB) 1,6

1,6

Drosophila m.

4

11,3

2,7

Huhn

9

13,9

2,4

7

16,6

2,2

Sauger

entfernt und die heiden Exons verkntipft werden. Im Prinzip ist ftir die Katalyse dieses Vorgangs kein entsprechendes Enzym notwendig. Vielmehr hat die RNA selbst die notige katalytische Aktivitat. Die komplexe, durch die Basensequenz und die innerhalb eines Stranges vorkommenden Basenpaarungen vorgegebene Raumstruktur der RNA bildet eine wesentliche Voraussetzung ftir das richtige Auffinden der SpleiBstellen. Ein derartiges, proteinfreies SpleiBen von RNA-Molektilen ist allerdings bisher nur bei einfachen Eukaryoten nachgewiesen worden. Immerhin hat es gezeigt, dass auch RNA-Molekiile katalytische Eigenschaften besitzen, diese also nicht auf die Proteine beschrankt sind. Im Gegensatz zu den als Proteine vorliegenden Enzymen nennt man katalytisch aktive RNA-Molektile auch Ribozyme. Bei hOheren Eukaryoten ist ftir das korrekte SpleiBen der hnRNA ein sehr komplexer Apparat notwendig, bei dem Ribonucleoproteine, d. h. Komplexe aus 254

I

mRNA·I.Jnge (kB)

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

Proteinen und RNA, benotigt werden. Diese Komplexe werden auch als Spleiftosomen bezeichnet. Abb. 8.19 fasst die am SpleiBosom stattfindenden Vorgange schematisch zusammen. Fur den SpleiBvorgang werden eine Reihe von kleinen RNA-Molekiilen, die snRNAs (engl. small nuclear RNAs; S.159) benotigt. Diese liegen im Komplex mit Proteinen vor, so dass sie auch als snRNPs (RNP, engl. ribonucleoprotein) bezeichnet werden. Der SpleiBvorgang beginnt damit, dass das snRNP Ul an eine Konsensussequenz am 5'Ende des Introns bindet, die immer mit den zwei Basen GU anfangt. Diese Bindung gewinnt ihre Spezifitat dadurch, dass die RNA des Ul snRNP mit der Konsensussequenz hybridisiert. Hierftir ist allerdings der Proteinanteil essen tiel!. Im nachsten Schritt bindet das snRNP U2 an eine innerhalb des Introns, meist in der Nahe des 3'-Endes gelegene Konsensussequenz aus sieben Basen. Die Anlagerung der snRNPs U4, US und U6 bringt Ul und U2 in enge Nachbarschaft und erzeugt die

8 mANA

S. 233 ). Derartig modifizierte Gene konnen wieder in das Genom kultivierter Zellen eingebaut werden, so dass sie wie normale Gene transkribiert werden. Dberraschenderweise konnte dabei festgestellt werden, dass bei vielen, allerdings nicht allen Genen, wenigstens ein Intron in einem primaren Transkript vorhanden sein muss, damit ein Export aus dem Kern stattfindet. Eine genaue Analyse der Struktur vieler Proteine hat ergeben, dass sie haufig aus als Domanen (S. 78) bezeichneten Bauteilen zusammengesetzt sind. Bei allen NAD+abhangigen Dehydrogenasen zeigt beispielsweise der ftir die Bindung des Coenzyms verantwortliche Bereich der jeweiligen Proteine ein hohes AusmaB an Homologie. Vergleicht man nun Protein- und Genstruktur, so kommt man zu der tiberraschenden Feststellung, dass haufig die am Aufbau eines Proteins beteiligten Domanen jeweils einem Exon entsprechen. Die Evolution von Proteinen konnte demnach so erfolgt sein, dass durch Genduplikation entstandene Exons zu Proteinen neuer Funktion zusammengesetzt werden. Die Aufgabe der nicht in die Proteinstruktur translatierten Introns wtirde dann darin bestehen, die Zusammensetzung dieser neuen Proteine zu erleichtern (exon shuffling, S.100).

p

8.2.41 Der Export von RNA aus dem Zellkern

Abb. 8.19. Fur hohere Eukaryote typische Reaktionsfolge an einem SpleiBosom.(Einzelheiten s.Text)

strukturellen Voraussetzungen dafiir, dass sich eine Lassostruktur durch Kntipfung einer Phosphodiesterbindung mit der 5'-terminalen GU-Sequenz bilden kann, die das 3'-0H-Ende des Exons 1 freilegt. Wahrend dieses Vorgangs wird das snRNP U1 freigesetzt. AnschlieBend greift die nun freie 3'-0H-Gruppe des Exons 1 am Intron-Exon-'Obergang an, womit das in einer Lassostruktur vorliegende lntron entfernt und nach Dissoziation der Faktoren U2, U4, US und U6 abgebaut wird. Das SpleiBen von einigen Introns erfolgt bereits wahrend der Synthese des mRNA-Molektils. Offensichtlich spielt die RNA-Polymerase II eine wichtige Rolle beim Zusammenbau des SpleiBosoms. Dber die biologische Bedeutung der diskontinuierlichen Anordnung der Gene hoherer Eukaryoter gibt es viele Spekulationen. In der Tat wird der allergroBte Teil der primaren RNA-Transkripte durch die posttranskriptionale Prozessierung wieder entfernt, so dass nur ein kleiner Teil der transkribierten primaren RNA den Zellkern verlasst. Moglicherweise entstehen bei dieser RNA-Prozessierung spezifische Signale, die den Transport der RNA aus dem Zellkern in das Cytosol regulieren. Durch gentechnologische Verfahren gelingt es, Gene ohne Introns herzustellen (eDNA,

Viele der im Zellkern anfallenden RNAs mtissen fur ihre weitere Verwendung ins Cytosol transportiert werden. Dieser nucleo-cytoplasmatische Transport erfolgt tiber die Kernporen, die aus groBen makromolekularen Untereinheiten bestehen und sich in der Kernmembran befinden. Vor dem Kernexport werden die RNAs tiber verschiedene Prozessierungsschritte in Export-kompetente Ribonucleoproteinkomplexe umgewandelt. Der Kernexport ist energieabhangig. Er wird tiber bestimmte Signale reguliert. Es gibt Kernlokalisationssignale (engl. nuclear location signal, NLS) und Kernexportsignale (engl. nuclear export signal, NES), die an Transportrezeptoren der Importin-/3-Familie binden. Die unterschiedlichen RNAs wie tRNAs, rRNAs, snRNAs und mRNAs werden als Ribonucleoproteinkomplexe transportiert, wobei die RNAs oder der Proteinanteil an die Transportproteine bin den. Der RNA-Transport durch die Kernporen ist unidirektional, was aus der Beobachtung hervorgeht, dass markierte, in den Zellkern injizierte RNA diesen rasch verlassen kann, wahrend markierte cytoplasmatische RNA nicht in den Zellkern aufgenommen wird ( Abb. 8.20). Wahrend oder unmittelbar nach dem Export durch die Kernporen erfolgt die Bindung der mRNA an cytosolische RNA-Bindungsproteine. Diese sind wichtige Cofaktoren bei der ribosomalen Translation (S. 275), dienen der cytoplasmatischen Lokalisation der mRNA oder ftihren sie dem Abbau zu.

8.2 Posttranskriptionale Modifikationen der primaren RNA-Transkripte

255

8 AAAA (Aln AA - 3'

Zellkern

1

hnRNA

Polyadenylierung Kopfgruppe

l

mRNA

!

mRNA

!

Abbau

Translation

Translation

Cytosol

8.2.sl Abbau von mRNA Die Genexpression eukaryoter Zellen wird nicht nur von der Geschwindigkeit der RNA-Biosynthese, sondern auch von deren Abbau bestimmt. Dieser findet im Cytosol statt und wird durch eine Reihe unterschiedlicher RNasen katalysiert. Da viele Untersuchungen gezeigt haben, dass mRNA-Molekiile mit jeweils unterschiedlicher Geschwindigkeit abgebaut werden, muss man davon ausgehen, dass gewisse Strukturmerkmale fiir die Geschwindigkeit ihres Abbaus bestimmend sind. Am besten aufgeklart sind die Vorgange beim deadenylierungsabhiingigen mRNA-Abbau ( Abb. 8.21). In diesem Fall beginnt der mRNA-Abbau durch eine Deadenylierung, d. h., die schrittweise Verklirzung des 3'-Poly(A)-Endes. Dieser Vorgang verlauft initial sehr Iangsam und nimmt mit steigender Verklirzung des Poly(A)-Endes an Geschwindigkeit zu. Das hierflir verantwortliche Enzym ist eine Poly(A)-Nuclease. Eine Verklirzung des Poly(A)-Schwanzes auf wenige Nucleotide Iiefert das Signal zur Entfernung der 5'-Kopfgruppe, was anschliefiend den raschen RNA-Abbau durch eine 5', 3'-Exonuclease ausltist. Eine Alternative zu diesem Weg ist eine sequenzspezifische endonucleolytische Spaltung der mRNA, was ebenfalls anschlieBend das Signal zum 5', 3' -exonucleolytischem Abbau J

Verkurzung des Poly (A)-Endes

AAAA - 3'

!

5'--+3'-exonucleolytischer Abbau

AAAA - 3'

Entfernung der Kopfgruppe AAAA - 3'

3'

!

5'--+3'-exonucleolytischer Abbau

Abb.8.21. Deadenylierung bzw.endonucleolytische Spaltung als Signale fUr den exonucleolytischen Abbau der mRNA

Abb. 8.20. Der Transport durch die Kern pore entscheidet Uber das weitere Schicksal von RNA-MolekUien. Vor der fertigen Prozessierung ist ein Transport von RNA-MolekUien durch die Kernporen nicht rntiglich. Nach erfolgtem Transport konkurrieren verschiedene Bindungsproteine urn die RNA, die die Schritte zurTranslation,zum Abbau oderzur subzellularen Lokalisation der RNA einleiten

256

1

AAAA (Aln AA - 3'

Entfernung der Kopfgruppe 5'--+3'-exonucleolytischer Abbau

lokalisation

~ Verkurzung des Poly (A)-Endes

Endonucleolytis/ Spaltung

SpleiBen

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

liefert. Eine Reihe von Strukturelementen beeinflusst die Geschwindigkeit des mRNA-Abbaus. So enthalten die mRNAs flir eine Reihe von Wachstumsfaktoren mit sehr kurzer Halbwertszeit im 3'-nichttranslatierten Ende ein AU-reiches Element, was eine besonders schnelle Deadenylierung auslost. Auch flir den endonucleolytischen Abbauweg kommen Signale in der 3'nichttranslatierten Region vor. Ein regulierter Abbau der mRNA ist schliefilich fUr den Transferrinrezeptor beschrieben worden (S. 706).

KERNAUSSAGEN Mit Ausnahme der prokaroyten mRNA werden aile anderen primaren RNA-Transkripte nach der Synthese modifziert. tRNA-Yorlaufermolekule werden ... mit Hilfe von Ribozymen verkurzt, .,.. am 3'-Ende mit der Sequenz-CCA verse hen und .,.. methyliert. rRNA-Vorlaufermolekule werden • methyliert und • mit Hilfe von Nucleasen zu den reifen rRNA-Molekulen prozessiert. mRNA wird zunachst als hnRNA-Vorlaufermolekul synthetisiert. Die hnRNAwird • am 5'-Ende mit einer Kopfgruppe versehen, .,.. am 3'-Ende polyadenyliert und • durch Entfernung nicht codierender Sequenzen der lntrons zur reifen mRNA prozessiert (SpleiBen). Am SpleiBvorgang ist eine weitere Klasse von RNA-MolekUien, die snRNAs beteiligt. Bei Eukaryoten find en diese Reifungsschritte im Zellkern statt. FUr die Proteinbiosynthese werden die tRNAs, rRNAs und mRNAs mit Hilfe vonTransportproteinen Uber die Kernporen ins Cytosol transportiert.lm Cytosol stehen spezielle Abbaumechanismen fUr die RNA zurVerfUgung. Die Synthese, das Prozessieren, der Kern export und der Abbau der RNA sind streng regulierte Prozesse.

8

8.3 1Regulation der Transkription bei Prokaryoten

Fur die Regulation der Transkription und damit der Genexpression bei Prokaryoten liefert das von Francois Jacob und Jacques Monod erstmalig formulierte Operonmodell die beste ErkHi.rung (Abb. 8.22). Im Prinzip beruhen alle Varianten dieses Modells darauf, dass eine Operatorregion in unmittelbarer Nachbarschaft zum Promotor vor einem Strukturgen lokalisiert ist. Im Fall der negativen Kontrolle verhindert ein an den Operator gebundenes Repressorprotein die Transkription des Strukturgens durch die RNA-Polymerase. I. allg. wird das Repressorprotein durch einen Liganden, den Induktor, entfernt, womit die Transkription beginnen kann. Es sind jedoch auch Fiille bekannt, wo der Komplex aus Repressor und Ligand den Operator belegt und damit die Transkription verhindert. In diesem Fall ftihrt die Entfernung des Liganden zu einer Freigabe des Operators und damit zur Transkription des Gens. Bei der positiven Kontrolle nach dem Operonmodell erlaubt ein an den Operator gebundenes Aktivatorprotein erst den Angriff der RNA-Polymerase und die Transkription des Gens. Bei manchen Genen wird durch Addition eines Liganden das Aktivatorprotein vom Operator entfernt und das Gen damit abgeschaltet. In anderen Fallen ist der Komplex aus Ligand und Aktivatorprotein am Operator aktiv und erlaubt die Transkription. In diesem Fall fiihrt die Entfernung des Liganden (Induktors) zur AblOsung des Aktivatorproteins und damit zum Stop der Transkription. Operator Promotor

Strukturgene

Repressorprotein bindet an Operator, II.. blockiert Promotor, Gen inaktiv

lnduktor andert Konformation des Repressorproteins: keine Bindung an Operator, Gen aktiv

Polymerase Abb. 8.22. Regulation der Transkription bei Prokaryonten nach dem Operonmodell. (Einzelheiten s.Text)

8.4 1Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

Die Unterschiede der Genexpression bei Pro- und Eukaryoten sind betrachtlich. Bei den ersteren erfolgt die Proteinbiosynthese haufig noch wahrend der Transkription, d. h. am entstehenden RNA-Strang. Dies ist nattirlich nur deshalb moglich, weil die DNA von Prokaryoten nicht in einem Zellkern kondensiert ist und aus diesem Grund Transkription und Translation im gleichen Kompartiment der Zelle stattfinden. Die Halbwertszeit der RNA liegt bei Prokaryoten im Bereich von Minuten, weswegen jede Regulation der Transkription unmittelbar die Biosynthese der entsprechenden Proteine, d. h. die Genexpression beeinflusst. Anders liegen die Verhaltnisse bei Eukaryoten. Sie besitzen einen Kern, in dem, mit Ausnahme der mitochondrialen DNA, die gesamte DNA der Zelle kondensiert ist. Im Kern erfolgt die Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der primaren Transkripte. Anders als bei Prokaryoten findet die Translation des RNA-Strangs in eine Aminosauresequenz, also die Proteinbiosynthese, bei Eukaryoten im Cytosol statt, was einen Export der RNA durch die Kernporen voraussetzt. Fur die Expression eines zell- oder gewebetypischen Phanotyps sowie fiir die Anpassung samtlicher Leistungen von Zellen an geanderte Umweltbedingungen ist die Moglichkeit, die Expression spezifischer Gene entsprechend zu regulieren, eine unabdingbare Voraussetzung. Anderungen der Genexpression spielen dariiber hinaus beim Zustandekommen pathobiochemischer Vorgange wie der Reaktion von Zellen auf Stress, toxische oder infektiose Verbindungen oder bei der malign enTransformation eine entscheidende Rolle. Im Prinzip konnen Anderungen der Genexpression bei ~ der Aktivierung der Genstruktur, ~ der Initiation der Transkription, ~ Hemmung der Transkription, ~ der Prozessierung des Transkriptes, ~ dem Transport ins Cytoplasma, ~ dem Abbau der RNA oder ~ der Translation der mRNA vorkommen ( Tabelle 8.3). Tatsachlich hat sich gezeigt, dass die genannten Vorgange in unterschiedlichem AusmaB an der Regulation der Genexpression beteiligt sind.

8.4.1 Aktivierung und lnaktivierung von Genen Bei Prokaryoten und einzelligen Eukaryoten ist die Genexpression und damit die Ausstattung mit Proteinen bei allen Nachkommen einer Zelle identisch. Anders liegen dagegen die Verhaltnisse bei hoheren viel8.4 Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

257

8 Vorkommen (Belspiele) (ln-)Aktivierung von Genen

lnaktivierung durch Methylierung an CG-Paaren,Aktivierung durch Demethylierung

Initiation der Transkription

Aktivierung de Transkriptionskomplexes Aktivierung der Transkription durch durch Liganden-aktivierte Transkriptions- Steroidhormonrezeptoren, Rezeptoren fur Metabolite u. a. faktoren

Hemmung der Transkription

Hemmung des lmportes von Transkriptionsfaktoren in den Kern. Hem mung der Bindung von Transkriptionsfaktoren an DNA

Hemmung von NF-KB durch IKB, SV40-T-Antigen-Bindung an Promotoren, Hemmung der Transkription durch Histone

RNA-Editing

Posttranskription.a ler Basenaustausch aufder RNA

Erzeugung von Isoformen des Apolipoprotein B

Alternatives Spleillen

Verwendung alternativer Spleillstellen; Regulationsmechanismus unbekannt

lmrnunglobulingene, ribosomale Proteine, SV40-Antigene, Ras, Calcitonin/CGRPGeneu.a.

Transport und Lokalisierung der RNA

RNA-Bindungsproteine filr den Transport Transport viraler RNA durch Rev-Protein spezifischer RNAs

Abbau der RNA

Verhinderung des endonucleolytischen Abbaus durch DNA-Bindungsproteine

zelligen Organismen. Diese entstammen alle einer befruchteten, diploiden Eizelle. Durch Replikation wird jeweils das gesamte genetische Material auf alle Tochterzellen dieser Eizelle, d. h. auf jede Zelle des differenzierten vielzelligen Organismus weitergegeben. Dass tatsachlich im Zellkern einer somatischen Zelle noch die gesamte Information fur den jeweiligen Organismus enthalten ist, sieht man daran, dass es moglich ist, einer befruchteten Eizelle eines Frosches den Kern zu entnehmen und durch den Kern einer beliebigen somatischen Zelle zu ersetzen. Auch dann entsteht aus der befruchteten Eizelle ein vollstandiger Frosch. Ungeachtet dieser Tatsache ist es klar, dass die Vielfalt der verschiedenen Zellen eines hoheren Organismus sich nur dadurch erklaren lasst, dass wahrend des Differenzierungsvorgangs spezifische Gene anund andere wieder abgeschaltet werden. So findet sich z. B. Hamoglobin ausschlieBlich in den Erythrocyten und einigen ihrer Vorlaufer, nicht dagegen in den anderen Zellen des Organismus. Man weiB heute mit Sicherheit, dass dies nicht auf einem Verlust des Hamoglobingens in den nicht-Hamoglobin-produzierenden Zellen beruht. Vielmehr werden in ihnen die fur die Hamoglobinbiosynthese zustandigen Gene abgeschaltet. Offensichtlich entwickelt jede differenzierte Zelle ein spezifisches Muster von an- bzw. abgeschalteten Genen, das bei der Zellteilung unverandert an die Nachkommen weitergegeben wird. Eine Moglichkeit hierfur besteht im Einbringen spezifischer Methylierungsmuster in das Genom sich differenzierender Zellen. Der hierbei zugrundeliegende Mechanism us ist in Abb. 8.23 dargestellt. Die Inaktivierung eines Gens beginnt danach mit der Methylierung am C-Atom 5 eines Cytosinrestes in einer Kontrollregion des Gens. Wesentlich dabei ist, dass auf den 258

I

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

Viele differenzierungsabhangige Gene, »Imprinting"

Stabilitat der Transferrinrezeptor-mRNA

Cytosinrest immer ein Guanin folgt. Fur die Weitergabe dieses Methylierungsmusters wahrend der Replikation bedarf es einer spezifischen Methyltransferase, die die palindromartige CG-Sequenz im komplementaren Strang erkennt und den C-Rest nur dann methyliert, wenn der parentale Strang eine entsprechende Methylgruppe tragt. In der Tat konnen Anderungen des Methylierungsmusters wahrend Differenzierungsprozessen festgestellt werden und es ist inzwischen nachgewiesen worden, dass sehr viele inaktive Gene starker methyliert sind als aktive. Ein wichtiges Werkzeug zum Studium der Methylierungsmuster der DNA ist die Base 5-Aza-Cytosin. Wird sie anstelle des normalen Cytosins in DNA eingebaut, so wird die Methylierung an dieser Stelle wegen des in Position 5 anstatt eines C-Atoms befindlichen N-Atoms verhindert. Zur Vorstellung des Abschaltens von Genen durch Methylierung paBt der Befund, dass es nach Behandlung von Zellen mit 5-Aza-Cytosin in vielen Fallen zu einer Zunahme der Genexpression kommt, wobei vor allem embryonale Gene betroffen sind. Unterschiede im Methylierungsmuster sind auch fur das genomic imprinting verantwortlich. Man versteht hierunter das Phanomen, dass gleiche Allele paternaler und maternaler Gene unterschiedlich exprimiert werden. So wird beispielsweise nur das vaterliche Allel fur IGF-2 (engl. insulin like growth factor 2) transkribiert, nicht jedoch das der Mutter. In den Oocyten ist tatsachlich das IGF-2-Gen methyliert, nicht jedoch in den Spermatocyten. Da dieses Methylierungsmuster auf alle von der befruchteten Eizelle abstammenden Zellen weitergegeben wird, ist im fertigen Organismus nur das paternale Allel fiir IGF-2 aktiv. Die DNA-Methylierung ist nicht der einzige Mechanismus zur Etablierung von Differenzierungsmustern.

8

s·3'

Promotor --~- Strukturgen CG 3' codogener Strang GC _ _ _ _ _ _ S'

·------3·' 3'- GC------·s 5'- CG ______ 3'- GC------s·

t Methylierung Gen-lnaktivierung

S'

2. Methylierung

Gen-lnaktivierung

Me

3'

Replikation "Vererbung• der Modifikation

S'

CG

!

3' 3'

GC

neter Gene steuern und auf diese Weise fiir die Ausbildung von Differenzierungsmustern verantwortlich sind. Aile homootischen Gene verfiigen iiber eine meist im 3'-Teil gelegene hochkonservierte Region, die auch als Homoobox bezeichnet wird und die fiir eine DNAbindende Do mane codiert. Obwohl noch nicht aile von homootischen Genen gesteuerten Strukturgene bekannt sind, nimmt man an, dass sie fiir die bei Drosophila auftretenden Entwicklungsmuster verantwortlich sind. Interessanterweise sind homootische Gene bei allen segmentierten eukaryoten Vielzellern vom Regenwurm bis zum Menschen nachgewiesen worden. Diese Hox-Gene haben aber nicht nur wichtige Funktionen bei der Embryogenese, sondern auch bei der Kontrolle der Zellproliferation. Die Expression von Hox-Genen ist in verschiedenen Tumoren stark verandert, so dass man annimmt, dass diese Gene an der Tumorentstehung und auch an der Tumorprogression beteiligt sind. Aufgrund der Forschungsergebnisse der letzten Jahre geht man davon aus, dass Hox-Gene das nucleare Dekodierungssystem fiir extrazellulare Signale darstellen. Durch die Produkte der Hox-Gene werden dann verschiedene Effektorgene aktiviert, die fiir morphogenetische Molekiile, fiir Zellzyklus-regulierende Proteine oder fiir Apoptose-regulierende Proteine codieren.

a

Anlagerung der Methylgruppe

Anlagerung der Methylgruppe nicht miiglich

j b

Cytosin

j Aza -Cytosin

Abb. 8.23. a Methylierung an CG-Paaren als Signal zur lnaktivierung von Genen. Da die Methylierung wahrend der Replikation kopiert wird, ergeben sich stabile Muster. (Weitere Einzelheiten s.Text) b Struktur von Cytosin und Aza-Cytosin

So ist z. B. das gesamte Genom der Taufliege Drosophila melanogaster frei von Methylcytosin. Bei ihr miissen also ganzlich andere Differenzierungsmechanismen realisiert sein, zu deren AutkHi.rung die Genetik des Insektes viel beigetragen hat. Bei ihm sind namlich Mutationen einzelner Gene bekannt, die einen Teil (ein Segment) des Organismus in einen anderen umwandeln. So beruht z. B. die als Antennapedia bezeichnete Mutation auf der Umwandlung derjenigen Zellgruppe, die normalerweise fiir die Antennenbildung verantwortlich ist, zu Zellen, welche ein zusatzliches Beinpaar ausbilden. Derartige Mutationen werden auch als homootische Mutationen bezeichnet. Man weifi inzwischen, dass sie Gene betreffen, die fiir regulatorische Proteine codieren, welche ihrerseits eine grofie Zahl nachgeord-

8.4.21 Regulation der Initiation der Transkription Die Gene von eukaryoten Zellen werden mit ganz unterschiedlicher Haufigkeit transkribiert, was auch aus der unterschiedlichen Mengenverteilung der einzelnen mRNA-Molekiile hervorgeht. Bei der Untersuchung der Transkriptionsgeschwindigkeit viraler Gene stiefi man erstmalig auf Kontrollelemente, deren Vorhandensein zu einer vielfachen Steigerung der Transkription dieser Gene fiihrte. Weitere Untersuchungen ergaben schliefilich, dass in allen regulierbaren eukaryoten Genen sog. enhancer (engl. Verstarker)-sequenzen vorkommen, die auch als cis-aktivierende Elemente bezeichnet werden. Enhancer liegen meist einige hundert Basenpaare oberhalb der Promotorregion, konnen jedoch in Einzelfallen auch unterhalb oder innerhalb des Gens lokalisiert sein. Gentechnische Experimente haben ergeben, dass enhancer auch dann noch voll aktiv sind, wenn sie mit der entgegengesetzten Polaritat in das Genom eingebaut werden, und dass sie dariiber hinaus auch noch iiber Entfernungen von einigen tausend Basenpaaren wirken konnen. Die Steigerung der Transkription durch enhancer findet nur dann statt, wenn diffusible, induzierbare DNA-bindende Proteine an die enhancer binden. Der dabei entstehende Komplex wirkt als zusatzlicher Transkriptionsfaktor fiir die RNA-Polymerase II und stimuliert die Initiation der Transkription ( -®Abb. 8.24). -®Tabelle 8.4 stellt einige wichtige enhancer-Elemente und die zugehorigen Proteinfaktoren zusam8.4 Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

259

8

kann ~ a-Helix bilden

• kann

~-faltblan bilden

Cys His ... ~ Zn++

~

Cys

Abb. 8.24. Funktion eines enhancer-Elements bei der Transkription. Enhancer-Eiemente, die mehrere tausend Basenpaare vom Transkriptionsstartpunkt entfernt sein kiinnen, binden induzier-(aktivier-)bare DNABindungsproteine, die auch als induzierbare oder regulierbare Transkriptionsfaktoren oder Transkriptions-regulierende Faktoren bezeichnet werden. Auch diese sind imstande, Assoziationen mit dem lnitiationskomplex der Transkription einzugehen

....

His

a

men, die diese als Trans-Aktivierung bezeichnete Genregulation vermitteln.

8.4.31 Aufbau und Wirkungsmechanismus von Transkriptions-regulierenden Faktoren Vom beobachteten Wirkungsmechanismus her kann vorhergesagt werden, dass ein die Transkription regulierender induzierbarer Proteinfaktor fUr die TransAktivierung der Transkription wenigstens drei Domanen b enotigt: .,. eine fur die Bindung des aktivierenden Ligan den, .,. eine fur die DNA-Bindung sowie .,. eine Domane, die den Initiationskomplex der Transkription aktiviert. Wegen der Vielfaltigkeit der moglichen Liganden ist es schwierig, gemeinsame Motive in den Ligandenbindungsdomanen dieser Proteine aufzufinden. Anders ist es jedoch mit der DNA-Bindungsdomane. Ungeachtet der Unterschiede in den Basensequenzen fin den sich in allen cis-Elementen der DNA einige Gemeinsamkeiten. So handelt es sich meist urn DNA-Sequenzen aus wenig mehr als 20 Basen. Sehr haufig sind es palindromische Sequenzen oder gleichartige bzw. sehr ahnliche, als Tandem wiederholte Sequenzen. Hierzu paBt, dass i. allg. Transkriptions-regulierende Faktoren als Homo- oder Heterodimere wirken.

! In vie len regulatorischen DNA-Bindungsproteinen kommen Zinkfingerdomanen vor.

Ein in vielen DNA (und RNA)-bindenden Proteinen anzutreffendes Motiv ist das so g. Zinkfingermotiv, dessen schematischer Aufbau in Abb. 8.25 dargestellt ist (S. 796). Zinkfinger wurden ursprunglich beim Trans260

I

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

Abb. 8.25. Allgemeine Struktur eines Zinkfingerproteins. (Aufnahme von SWISS-3DIMAGE, Universitat Genf)

kriptionsfaktor TF III A beobachtet. Die Fingerstruktur entsteht dadurch, dass Cysteinyl- oder Histidylreste in der Peptidkette so positioniert sind, dass sie durch ein Zink-Atom komplexiert werden konnen, wobei eine schleifenformige Struktur, der Zinkfinger, entsteht. Diese Schleifen bilden a-helikale oder f)-Faltblattstrukturen, die imstande sind, in der groBen Furche der DNA basenspezifische Kontakte zu knupfen. Man unterscheidet Cys2/His 2- bzw. Cys2/CysrZinkfinger, wobei die letzteren bevorzugt in der Superfamilie der Steroidhormonrezeptoren vorkommen. Diese Familie von durch induzierbare Liganden aktivierbaren regulatorischen Transkriptionsfaktoren zeigt einen allen Mitgliedern gemeinsamen modularen Aufbau ( Abb. 8.26). N-terminal fin den sich Domanen, die die Aktivierung der Transkription vermitteln konnen. Daran schlieBt sich eine relativ kurze DNA-Bindungsdomane an, gefolgt von der C-terminalen Hormonbindungsdomane. Diese enthalt auBerdem Signale fUr die Dimerisierung, die fiir samtliche Rezeptoren dieser Art typisch ist. In der DNA-Bindungsdomane finden sich typischerweise zwei Zinkfinger des Typs Cys2/Cys2 ( Abb. 8.27).

8 Tabelle 8.4. Enhancer und induzierbare Transkriptionsfaktoren {Auswahl) Ausl6ser

DNA-Bindungsprotein

Enhancer-Buekhnung

Consensussequnz

Glucocorticoide

Glucocorticoid- Rezeptor

GRE

TGGTACAAATGITCT

Cydo-AMP

CREBP

CRE

Serum

Serum-Re pon e Factor (SRF)

SRE

CCATATIAGG

Hitzeschock

Hitze chock-Transkriptionsfaktor

HSRE

C

KBRE

GGGRNNYCC

F-ICB

Oxidativer Stress, T Fa

GAANNTCC

G

GRE glucocorticoid responsive element; CRE cAMP responsive element; SRE serum response element; HSE heat shock responsive element; KBRE tcB responsive element.

i

DNA -Bindungsdomane

I

Hormonbindungs-Domane

TransalAbb. 8.32). Das vollstandige Gen fUr die schwere Kette des IgM enthalt eine Signalsequenz, das Exon ftir die variable Region der schweren Kette gefolgt von vier Exons fiir den konstanten Teil der schweren Kette. Das vierte Exon dieses Komplexes tragt am 3'-En de eine so g. SC-Sequenz, die das carboxyterminale Ende der sezernierten IgMForm codiert. Zwei weitere 3' -gelegene Exons codieren fUr eine Transmembrandomane sowie eine cytoplasmatische Sequenz. Zwei potentielle TranskriptionsstopSignale befinden sich im Intron hinter dem Exon 5 und am 3'- gelegenen Polyadenylierungs-Signal. Von diesem Gen gibt es je nach Verwendung des Transkriptionsstopsignals zwei primare Transkripte. Eines von diesen wird zur sezernierten Form des IgM gesplei6t. Beim anderen wird eine verborgene Splei6stelle im vierten Exonder CRegion verwendet, was unter Verlust der SC-Do mane zu einer mRNA fiihrt, die an ihrem 3'- En de fiir die Transmembrandomane und das cytoplasmatische Ende codiert. Damit entsteht ein Translationsprodukt, das eine Verankerung in der Membran ermoglicht. Eine sehr eindrucksvolle Transkriptionsregulation findet sich bei der Prozessierung der hnRNA fiir das p21-ras-Protoonkogenprodukt (S. 213, 821). Unter normalen Bedingungen wird nur ein kleiner Teil der primaren Transkripte des ras-Protoonkogens so gesplei6t, dass eine relativ stabile mRNA fiir das ras-Protein entsteht. Der gro6te Teil der primaren Transkripte wird so gesplei6t, dass sie ein Extra-Exon zwischen den Exons 3 und 4 erhalten. Dieses enthalt eine Reihe von Stopcodons ftir die Translation, was zu verkiirzten und damit funktionell inaktiven Formen des ras-Proteins fiihrt. Man nimmt an, dass das Ausma6 des in diesem Fall vorliegenden Exon-Skippings tiber die Menge des akti8.4 Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

263

8 lgM -Gen

/ prima res Transkript 1

prima res Transkript 2

pAz AAAA

mRNA l

VDJ

C1J1 CiJl

mRNA Cl!3 C1J4 TMD

AAAA

AAAA

Ca~

Ca ~ membranverankertes lmmunglobulin

Abb. 8.32. Entstehung von Membran-gebundenen bzw. sezernierten lgM-Moleklilen durch alternatives SpleiBen. (Einzelheiten s. Text) VDJ VDJ Gen fur den varia bien Teil des lmmunglobulins;q..tl - qt4 Exons der kon·

stanten Kette;SC sekretorische Do mane; TMDTransmembrandomane;pA1, pA2 Polyadenylierungssignale

ven p21-ras-Proteins bestimmt, obwohl tiber die zugrunde liegenden Regulationsvorgange noch nichts bekannt ist.

! Apo8100 1 5' - - - AUG AU A CAA UUU - - - 3' N

Met

lie

Gin

Phe

====-

C

s· - - - AUG AU A UAA UU U _ _ _ 3' N

8.4.61 mRNA-Editing Unter dem Begriff des mRNA-Editingversteht man die Modifikation der fertigen mRNA durch Vorgange,die zu einer Veranderung der Basensequenz fiihren. So kommt es bei niederen Eukaryoten durch Einfiigen von Basen nach dem Transkriptionsvorgang bei Transkripten mitochondrialer Gene zu Rasterverschiebungen und damit zu einer Anderung der Basensequenz der mRNA im Vergleich zur genomischen Sequenz. Auch beim Menscherr ist RNA-Editing nachgewiesen worden. Das Apolipoprotein B (S. 617) kommt in zwei Formen vor, • dem in der Leber synthetisierten Apolipoprotein B 100 mit einem Molekulargewicht von 513 kDa und • dem im Darm synthetisierten Apolipoprotein B 48 mit einem Molekulargewicht von 250 kDa. Beide Apolipoproteine werden durch das selbe Gen codiert, dementsprechend ist auch die mRNA fiir beide Isoformen identisch. Durch einen spezifisch nur im Darm vorkommenden Vorgang des RNA-Editing wird am Codon 2153 der Apolipoprotein B-mRNA ein Cytosin gegen ein Uracil ausgetauscht ( Abb. 8.33 ). Hierdurch entsteht das Terminations-Codon UAA und ciamit im Darm eine entsprechend verkiirzte Form des Apolipoproteins B. 264

I

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

===

Met

lie

Stop

Abb. 8.33. Entstehung von Apo B-100 und Apo B-48 durch RNA-Editing. (Einzelheiten s.Text)

KERNAUSSAGEN Die Regulation der Transkription erfolgt zum einen iiber sog. cis-Eiemente auf der DNA. Dazu gehoren: .. der Promotor sowie .. Enhancer bzw.bei Prokaryoten .. die Operatorregion. Die DNA kann in den regulatorischen Elementen z. B.durch Methylierung so verandert werden, dass eine veranderte Transkription resultiert. Hox-Gene sind Beispiele fiir Gene, deren Produkte nachfolgende Genmuster z. B. .. fur Differenzierungsvorgange, .,. fiir die Kontrolle der Zellproliferation, .. fiir die Tumorentstehung und .. fiir die Apoptose regulieren.

8 Die Regulation der Transkription erfolgt zum anderen Uber regulatorische Proteine, die trans-Eiemente oder Transkriptionsfaktoren. Transkriptionsfaktoren haben bestimmte Strukturelemente, die ihre Funktion regulieren: Bindungsregion fUr den liganden sind: ... DNA-Bindungsdomanen, Zinkfingermotive, ... Leucin-Zipper sowie Helix-Loop-Helix-Motive.

Der Transkriptionsfaktor NF- K13 wird durch ein lnhibitormolekUI im Cytosol festgehalten, wodurch es zu einer Hem mung derTranskription kommt. Durch alternatives SpleiBen und durch RNA-Editing konnen alternative Proteinprodukte mit veranderten Eigenschaften erzeugt werden.

SCHLOSSELBEGRIFFE a-Amanitin Actinomycin D Enhancer Exon Homooboxen lnitiationskomplex lntron Kerntransport

Leucin-Zipper Operonmodell Polyadenylierung Posttranskriptionelle Modifikation Promotor Repressorproteine Ribozyme Rifampicin

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I

8 Transkription und posttranskriptionale Prozessierung der RNA

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Biosynthese, Modifikation und Abbau von Protein en A.

9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6

9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3

9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4

268 Biosynthese von Proteinen 268 Oberblick Der genetische Code 270 Transfer-RNA's, MeisterstOcke der Evolution 272 275 Ribosomen und Polysomen 277 Mechanismus der Proteinbiosynthese Regulation der Proteinbiosynthese 281 Faltung, Transport und Modifikationen von Proteinen 282 Faltung der Polypeptidkenen 282 Transport von Polypeptiden und Proteinen durch Membranen 286 Covalente Modifikationen von Proteinen 289 294 Abbau von Proteinen Spezifitat der Proteinasen 294 Klassifizierung der Proteinasen 294 Funktionen von Proteinasen 295 in verschiedenen Kompartimenten Abbau von Proteinen in verschiedenen Kompartimenten 295

HASILIK

9

,

In eI u ng

Proteine erfullen mannigfaltige katalytische, regulatorische sowie strukturelle Aufgaben.lhren Funktionen und ihrer Differenzierung entsprechend verfugt jede Zelle uber ein charakteristisches Muster von Proteinen, das Proteom (Abb. 9.1 ). Der Spiegel jedes einzelnen Proteins ist veranderlich und ergibt sich aus dem Verhaltnis der Synthese- und Abbaugeschwindigkeiten.Zudem konnen viele Proteine in unterschiedlich modifizierten Formen vorkommen, wobei einige der Modifikationen physiologisch reversibel sind und als lnterkonversion bezeichnet werden. Proteine enthalten eine oder mehrere Polypeptidketten, die aus uber Peptidbindungen linear verknupften Aminosauren bestehen. Die Sequenz der Aminosauren (d. h. die Primarstruktur des Proteins) ist genetisch determiniert. Als Bauplan der Proteinsynthese dient mRNA, in der jeweils drei aufeinander folgende Nucleotide (Tripletts) den Anfang, die einzelnen Aminosauren und das En de der Polypeptidkette definieren. Die Synthese erfolgt auf den Ribosomen und benotigt an tRNA gebundene Aminosauren, verschiedene Faktoren, die den Beg inn, die Verlangerung sowie das En de der Polymerisierung steuern und schlieBiich GTP. Von den tRNA's werden 21 verschiedene Aminosauren ubertragen. Diese werden als proteinogen bezeichnet. Energetisch begunstigt werden diese Reaktionen durch eine gekoppelte Hydrolyse des GTP. Die Synthese der Peptidbindungen wird vom Ribosom, genauer durch eine Peptidyltransferase-Aktivitat des Ribosoms katalysiert. Die naszierende Proteinkette gelangt a us dem Ribosom in das Cytoplasma bzw. in das Lumen des rauhen endoplasmatischen Reticulums (ER). Unter Mitwirkung mehrerer Proteine, die z. T. als molekulare Chaperone bezeichnet werden, entsteht die einzigartige 3D-Struktur jedes Proteins, die durch seine Primarstruktur definiert ist. Einige Modifikationen erfolgen noch vor bzw. wah rend der Faltung und des Transports der Proteine zu ihrem Wirkungsort. Die Lebensdauer der Proteine im mensch lichen Korper variiert zwischen Minuten und Wochen. Ein Teil dieser Polymere wird unmittelbar nach ihrer Synthese abgebaut.lm Cytosol werden die Proteine zu Oligopeptiden aus ca. 10 Aminosauren abgebaut und spater in ihre Einzelteile zerlegt. Die Oligopeptide konnen dem lmmunsystem von Histokompatibilitatsproteinen prasentiert werden. So kann festgestellt werden, ob die Zellen nicht zur Synthese fremder Proteine gezwungen werden.ln den lysosomen werden Proteine und andere Makromolekule in ihre Bausteine hydrolysiert.Storungen im Abbau von Proteinen konnen leta I sein und tragen zur Pathologie verschiedener Krankheiten bei, vermutlich auch zu einigen Krebserkrankungen und der Alzheimer'schen Krankheit.

9.1 Biosynthese von Protein en 9.1.1

Oberblick

Proteine bestehen aus einer oder mehreren Polypeptidketten, die als Polymere von Aminosauren bezeichnet werden konnen. Ihre Struktur wird in Kapitel 3 beschrieben. Die Synthese und subzellulare Verteilung funktionsfahiger Proteine sowie ihr Abbau lassen sich wie folgt beschreiben: ~ Die Polypeptide werden nach einem Bauplan synthetisiert, der durch die Nucleotidsequenz der Proteinstrukturgene auf DNA-Ebene festgelegt ist und in Form von mRNA (messenger RNA, Kap. 5, 8) an den Ort der Synthese libermittelt wird. Die Obersetzung ergibt sich aus dem genetischen Code, der kleinen Abschnitten der Sequenz, die als Codons bezeichnet werden, definierte Aminosauren zuordnet. ~ Die Synthese erfolgt auf Ribonucleoproteinpartikeln, die im Nucleolus gebildet und als Ribosomen bezeichnet werden. Auf den Ribosomen wird der in der Nucleotidsequenz codierte Bauplan den Codierungsregeln entsprechend in die Sequenz der Aminosauren libersetzt. Dieser Vorgang wird als Translation bezeichnet. Das Prinzip der Translation wird in Abb. 9.2 dargestellt. ~ Flir die Obersetzung werden Adaptormoleklile benotigt. Als Adaptor dienen spezifische transferRNAs (tRNA), an die definierte Aminosauren in ak268

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen

~

tivierter Form covalent gebunden werden. Zusammen mit verschiedenen Hilfsproteinen, die als Translationsfaktoren bezeichnet werden, entschllisseln diese Moleklile die Bauplane der mRNA und stellen die Aminosauren den Ribosomen in der geplanten Reihenfolge zur Verfligung. Mittels Peptidbindungen wird das an den Ribosomen wachsende Polypeptid fortwahrend auf die weiteren, durch tRNA bereitgestellten Aminosauren libertragen. Flir die Anlagerung der tRNAs und die Bewegung von Teilen der Ribosomen entlang der mRNA benotigen diese GTP.

Abb. 9.1. In den meisten humanen Zellen werden schatzungsweise Uber zehntausend Proteine synthetisiert. Der zentrale Vorgang dieser Synthese, die VerknUpfung von Aminosauren, ist Ergebnis der Aktivitat der Peptidyltransferase an einem Ribonucleoproteinpartikel, dem Ribosom. Die Abbildung zeigt ein hochaufliisendes Modell der groBen Untereinheit des Ribosoms eukaryoter Zellen (Ban et al. 2000). Das in dem Modell farbig hervorgehobene, aktive Zentrum der Peptidyltransferase wird von dem Ribonucleinsaureanteil des Partikels gebildet. Katalysator der zentralen Reaktion der Proteinsynthese ist demnach Ribonucleinsaure und die Peptidyltransferase, somit ein Ribozym. lm Hintergrund des Bildes ist das zweidimensionale (2D-) Muster des Proteoms verschiedener Gewebe dargestellt, das in der SwissProt Datenbank (www.expasy.ch/ch2 d) aufgerufen werden kann. Die 2D-Trennung der Proteine wurde in Kap. 3beschrieben (Sanchez et al. 2000). Durch limitierte proteolytische Spa hung, z. B. durch Trypsin, massenspektroskopische Analyse der Fragmente und Vergleich mit Datenbanken kann die ldentitat dergetrennten Polypeptide bestimmt werden.Auf diese Weise kiinnen physiologische und pathologische Veranderungen von Proteinen experimentell und diagnostisch nachgewiesen werden. (Mit Erlaubnis der Autoren und © Science bzw © Elektrophoresis)

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Die Genese

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20

30

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Blutplasma

\0

9

ITranslation I

mRNA

Codon 1

Codon 2

Codon 3

Codon 4

i

DNA

Abb. 9.2. Schematische Darstellung des Prinzips der Proteinbiosynthese. tRNA-Molekiile wirken als Adaptoren, die Aminosauren fi.ir ihre Verkni.ipfung entsprechend der Reihenfolge der Codons in der mRNA bereitstellen. In den mit den Aminosauren beladenen Adaptoren liegen die a-Aminogruppen (a-N) frei vor, wah rend die a-Carboxylgruppen (a-C) mit dem 3'-Ende der tRNA verestert sind. Die Aminosaure (oder das Peptid), die an der zuerst angelegten tRNA gebunden vorliegt, wird auf die a-Aminogruppe des spater angelegten Aminosaure-tRNA-Derivats i.ibertragen. (Der Mechanismus der Reaktion wird in Abb. 9.13 erklart.)

~

~

~

~

270

Wahrend und/oder nach der Synthese erlangen die Polypeptide durch Faltung eine fiir Proteine charakteristische dreidimensionale Struktur. Diese zeichnet sich durch Stabilitat und biologische Aktivitat aus. Die Reifung der Proteine hangt mit zahlreichen Modifikationen zusammen, die sich ebenfalls aus der Primarstruktur ergeben. Aufgrund dieser Veranderungen iibersteigt die Zahl der unterschiedlichen Formen einzelner Proteine die ihrer Strukturgene urn ein Mehrfaches. Die Proteine miissen auf verschiedene Kompartimente verteilt werden. Ihre Kompartimentierung erfolgt durch einen zielgerichteten Transport, der durch die Sequenz der Aminosauren und ihre Modifikationen definiert ist. Im exokrinen Pankreas ( Abb. 9.3) werden groBe Mengen von sekretorischen Proteinen produziert, die durch Membranen transloziert werden miissen. In diesen Zellen werden daher zahlreiche Membran-assoziierte Ribosemen beobachtet. Der individuelle Spiegel der einzelnen Proteinformen und ihre Halbwertszeit hangen von den jeweiligen Synthese- und Abbaugeschwindigkeiten ab. Aus diesen ergibt sich ein dynamisches Gleichgewicht, bei dem der Abbau von normalen Proteinen ein scheinbar angemessener Preis fiir denjenigen der iiberfliissigen, beschadigten und fremden ist. Dem Proteinabbau dient eine groBe Zahl unterschiedlicher Proteinasen und Regulatoren. In seiner Komplexitat steht er der Synthese in nichts nach. 9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Protein en

Abb. 9.3. Elektronenmikroskopische Aufnahme vom rauhen endoplasmatischen Reticulum im exokrinen Teil des Pankreas. Z Zymogengranulum; M Mitochondrium (Querschnitt); ZM Zellmembran; ER rauhes endoplasmatisches Reticulum. (Aufnahme: Elmar SieB, Universitat Mi.inchen)

~

~

In eukaryoten Zellen gibt es vollstandige Proteinsynthese-Systeme im Cytosol und den Mitochondrien. Griine Pflanzen verfiigen tiber ein weiteres Proteinsynthesesystem in den Plastiden. Der genetische Code sowie die Proteinsynthesemaschinerie dieser Systeme und der verschiedenen Lebewesen unterscheiden sich Iediglich im Detail voneinander und werden daher als universal bezeichnet. Fiir die Proteino lyse gibt es mehrere Systeme im Cytosol und auBerhalb des Cytosols in Endosomen, Lysosomen, Autophagosomen sowie dem Extrazelluliirraum.

9.1.21 Der genetische Code Anfang der 60 er Jahre wurden erstmalig in vitro-Systeme zur Proteinsynthese beschrieben. Mit synthetischen Polyribonucleotiden war es moglich, die ersten Codons, die den Einbau einzelner Aminosauren bestimmen, zu identifizieren. Als erkannt wurde, dass die Codons aus drei Nucleotiden bestehen und PolyuridyIat die Synthese von Polyphenylalanin bestimmt, konnte daraus geschlossen werden, dass das Basentriplett

9 UUU das Phenylalanin codiert. Die Codierung heginnt nahe des 5'-Terminus der mRNA mit dem Triplett AUG, das hei eukaryoten Zellen als Methionin translatiert wird. Sie endet vor dem 3'-Ende mit einem von drei Stop-Codons, UAA, UAG oder UGA. Jedes Stop-Codon kann die Synthese zum Ahschluss hringen. Die Zuordnung der Codons zu einzelnen Aminosauren und dem Stop-Signal wird als genetischer Code hezeichnet. Dieser ist in ® Ahb. 9.4 dargestellt. Die Codierung der Aminosauresequenz der Proteine in Form von Tripletts bedeutet, dass auf DNA-Ebene in Strukturgenen von Proteinen Insertionen oder Deletion en dreier Nucleotide zu einer Verlangerung bzw. Verkiirzung der Polypeptidkette urn eine Aminosaure fiihren. Wenn die Zahl der zusatzlichen oder fehlenden Nucleotide nicht durch drei teilbar ist, verschiebt sich das Leseraster und die Sequenz wird ab der mutierten Stelle vollstandig verandert. Ob eine DNA-Sequenz ein Protein codiert, muss in allen drei Leserastern in heiden Richtungen iiberpriift werden. Potentiell codierende Sequenzen werden als offene Leserahmen (engl. open reading frame, ORF) bezeichnet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass an ihrem Anfang das Triplett AUG als Start-Codon steht und iiber weite Strecken kein Stop-

Codon vorkommt. Die Identifizierung der ORFs wird durch die zumeist vorliegende Intron-Exon-Struktur der Gene erschwert. Typisch fiir die Introns ist zusatzlich zu charakteristischen Randsequenzen (S. 254) ein gehauftes Vorkommen von Stop-Codons.

Der genetische Code ist degeneriert. Mit den vier Basen der RNA konnen 43 verschiedene Tripletts codiert werden. Da in die Proteine nur 21 verschiedene Aminosauren direkt eingebaut werden (und aile anderen durch nachtragliche Modifikationen gehildet werden), werden einige Aminosauren von mehreren Codons bestimmt. Diese Eigenschaft des Code wird als Degeneration bezeichnet. Die Zahl der fiir die Uhersetzung des Codes benotigten tRNAs ist geringer als die der codierenden Tripletts, da die tRNAs z. T. an mehrere Codons andocken konnen. Die mit ca. 2 o/o am seltensten vorkommenden Aminosauren Trypthophan und Methionin sowie Cystein und Histidin hesitzen nur ein hzw. zwei Codons. Das mit 9 o/o am haufigsten vertretene Leucin und zwei weitere Aminosauren weisen sogar je sechs zugehorige Codons auf.

Der genetische Code ist, universal". 1.Position

Phe

u

c

Phe

G

~ ~w G ~W

u

c

~~ ~

Endeb l

A

Leu

G~

Trp

G

Leu

Pro

His

Arg

u

Leu

Pro

His

Arg

c

Leu

lie lie lie Met' Val G

A

Leu

Leu

A

3.Position

2.Position

c

u

Val Val Val

~ Arg Pro ~ Arg ~~~ ~ [ ~~ ~ lys Arg Pro

l

A G

u

c A

Thr

Lys

Arg

G

~ ~ ~

Asp

Gly

u

Asp

Gly

c

G

"-------'

Glu

~

A

Glu

~

G

Abb. 9.4. Der genetische Code. Die hydrophoben Aminosauren sind mit einem gelben, die hydrophilen mit einem roten und die amphiphilen mit einem orangen Raster hinterlegt. Die drei Stop-Codons sind hervorgehoben. Beispiel: Tryptophan (Trp) wird durch das Triplett UGG codiert. •startCodon;bSelten als Selenocystein-Codon benutzes Stop-Signal

Von wenigen Abweichungen abgesehen, gilt dieser genetische Code in allen Organismen. Eine bakterielle oder eukaryote mRNA kann i. d. R. fehlerfrei in einem eukaryoten hzw. bakteriellen System translatiert werden. Offensichtlich ist der Code in einem primitiven Entwicklungsstadium der Zellen festgelegt worden. Das nahezu vollstandige ,Einfrieren" der Codierungsregeln kann dadurch erklart werden, dass es offenhar unmoglich ist, die Bedeutung der Tripletts zu andern, ohne dass sich dies auf die Funktionsfahigkeit zahlreicher Proteine in nicht tolerierharem Umfang auswirkt. Der genetische Code der mitochondrialen DNA weicht in mehrfacher Weise von dem der nuklearen DNA ab. Die Differenzen konnten wahrscheinlich im Zusammenhang mit der geringen Zahl der von der mitochondrialen DNA codierten Polypeptide etabliert werden. Der Code wird auf Grund des gemeinsamen Ursprungs und nur geringer Abweichungen zwischen verschiedenen Formen des Lebens als universal hezeichnet.

Der genetische Code ist konservativ. Es ist moglich, dass der Code von Anfang an aus Tripletts hestand, dass jedoch die Codierung urspriinglich nur von den ersten zwei Nucleotiden festgelegt wurde. Bis auf zwei Ausnahmen gilt die Regel, dass in der dritten Position des Codons beide Purin- hzw. Pyrimidinbasen jeweils eine Aminosaure codieren. Bei acht der Aminosauren kann in der dritten Position eine beliebige Base vorliegen. Mutationen in der dritten Position eines Codons haben also einen begrenzten Einfluss auf 9.1 Biosynthese von Proteinen

271

9 den Einbau von Aminosauren. Im Hinblick auf die Proteinstruktur wirkt sich die Degeneration des Codes konservativ aus. In der Tabelle des genetischen Codes fallt auf, dass in der ersten Spalte ausschlieGlich die relativ gro6en hydrophoben Aminosauren codiert werden. Wenn also in der mittleren Position eines Codons Uracil steht, konnen die Basen in der ersten und der dritten Position beliebig ausgetauscht werden, ohne den hydrophoben Charakter oder die GroBe der Seitenkette radikal zu andern. Eine Mutation an jeder dieser Positionen fiihrt, wenn iiberhaupt, zum Austausch ahnlicher Aminosauren. Solche Mutationen bzw. der Austausch werden als konservativ bezeichnet und im Hinblick auf die Struktur und Funktion des betroffenen Proteins meist gut toleriert.

3'

AkzeptorStiel

A

S'

ec eC

Pseudouridin-Arm

Extra-Arm

AntiTabelle 9.2). Sowohl pro- als auch eukaryote Zellen enthalten zahlreiche Ribosomen. In Bakterien lasst sich lediglich ein Ribosomentyp (70S-Ribosomen) nachweisen. Dagegen kommen in tierischen Zellen zwei Typen vor: ._ Die in Mitochondrien vorkommenden kleineren Ribosomen ahneln den en der Bakterien nicht nur in ihrer GroBe, sondern auch in der Empfindlichkeit Tabelle 9.2. Aufbau von pro- bzw. eukaryoten Ribosomen

Prokaryote Ribosomen

Eub.,W

Sedimentationskonstante GroBe Untereinheit (GRU) Kleine Untereinheit (KRU} Masse (kDa} Proteinanteil (Gewichts-%}

70S 50S 30S 2500 34

80S 60S 40S 4200 40

RNA's der GRU RNA's der KRU

23S; 5 S 16S

28S; 5,8S; ISS

Zahl der ProteiDe in der GRU 31 Zahl der Proteine in der KRU 21

Ribosomen

ss

49 33

9.1 Biosynthese von Proteinen

275

9 gegeniiber verschiedenen Giften der Proteinsynthese (s. u.) . .. Der grossere Typ (80 S) findet sich im Cytosol. In vitro konnen die Partikel aus den gereinigten Protein- und RNA-Komponenten in funktionsfahiger Form rekonstituiert werden. Die rRNA besitzt eine komplexe Sekundarstruktur mit vielen antiparallel angeordneten doppelhelicalen Arealen und Schleifen, die z. T. mit den ribosomalen Proteinen verbunden sind. Ein detailliertes Modell der GRU ist in Abb. 9.1 dargestellt. Wahrend der Proteinsynthese verbinden sich die ribosomal en Untereinheiten mit der mRNA und jeweils drei tRNAs zu Komplexen, in denen die tRNAs die benotigten Aminosauren bereitstellen. In Abb. 9.9 wird ein solcher Komplex aus einer Archaenzelle gezeigt. Ribosomen besitzen: .. Eine Peptidyltransferaseaktivitiit, die in der GRU lokalisiert ist, .,.. eine Bindungsfurche fUr mRNA, die in der KRU liegt und der GRU zugewandt ist, .. Aminoacyl-tRNA-Bindungsstellen A, P und E, die sich in einem Kanal zwischen den Untereinheiten befinden sowie .,.. Bindungsstellen fiir verschiedene an der Translation beteiligte Proteinfaktoren. Die tRNA-Bindungsstellen A und P konnen in zwei Halften, so g. ,half-sites", unterteilt werden, die sich auf der kleinen bzw. grossen Untereinheit befinden. Kurz bevor sie das Ribosom verlasst, wird die tRNA an die Bindungsstelle E gebunden. Mit Ausnahme der ersten durchwandern alle tRNAs den Kanal zwischen den heiden Untereinheiten von der A- zur E-Stelle.

!

Die nicht an der Proteinsynthese beteiligten Ribosomen liegen als Untereinheiten vor. Wahrend der Synthese der Proteine bewegen sich i. d. R. mehrere Ribosomen entlang einer mRNA. Dies ermoglicht die gleichzeitige Synthese mehrerer Polypeptidketten. Die aus einer mRNA und mehreren Ribosomen bestehenden Strukturen werden als Polysomen (gelegentlich auch Polyribosomen) (Abb. 9.10) bezeichnet. Am Ende der Polypeptidsynthese wird die KRU von dem eukaryoten Initiationsfaktor-3 (eiF-3) gebunden und von der GRU abgetrennt. Die aus den Polysomen freigesetzten Untereinheiten stehen fiir weitere Synthesen zur Verfiigung.

276

I

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen

9 Abb. 9.17). Dabei werden gemischte Disulfide zwischen Enzym und einem Cysteinrest des angegriffenen, teilweise gefalteten Proteins gebildet. Der so reduzierte zweite Cysteinrest kann intramolekular mit anderen Disulfidbriicken reagieren. SchlieBlich kann ein weiterer Cysteinrest (Nr. 4 im Schema) die intermolekulare Briicke auflosen und selbst eine Briicke mit dem ersten Rest eingehen. Solche Reaktionen sind reversibel. So konnen nacheinander mehrere Briicken aufgelOst und geschlossen werden, bis die stabilste und thermodynamisch wahrscheinlichste 3D-Struktur mit der dazugehorenden Kombination von Cystinbriicken entsteht.

! Peptidyi-Prolyi-Peptidbindungen bieten

zwei alternative Moglichkeiten zur raumlichen Faltung der Polypeptidkette. Die meisten Peptidbindungen liegen zu 100 o/o in einer gestreckten (trans)-Konformation (S. 71) vor. Eine Ausnahme machen Peptidyl-Prolyl-Peptidbindungen, die zu etwa 10 o/o in cis-Konformation vorliegen ( Abb. 9.18). Verantwortlich fiir die rasche Einstellung des Gleichgewichts dieser Isomerie ist die Gruppe der Peptidyl-Prolyl-cis-trans-Isomerasen (PPiasen) .

Abb. 9.21). Im Matrixraum werden die Polypeptide abermals von Hs-Proteinen 9.2 Faltung, Transport und Modifikation von Proteinen

287

9

mr--=======::-- AM ++++++++ .

++++" N

c ~

sp70 MGE.MDI Hsp60 cpnlO

Inter- und lnnermembran-Proteine

\.

...._ ADP + P,

++++ N MMP

IM

++++'N

-~ Matrix·Proteine

Abb. 9.21. Import im Cytosol synthetisierter Proteine in die mitochondriale Matrix. Cytosolisch synthetisierte Proteine kiinnen nur in nicht gefalteter Form in den Matrixraum transportiert werden. Hierzu wird neben cytosolischen und mitochondrialen Hs-Proteinen Hsp70 auch eine positiv geladene Signal-Sequenz sowie ein Porenkomplex (Tom/Tim) beniitigt, der die beiden Membranen verbindet. Die Triebkraftfiir die Translokation entstammt der Potentialdifferenz Ober der inneren mitochondrialen Membran. Die Signalsequenz wird durch eine "matrix processing proteinase" (MPP) gespalten. Falls die importierten Polypeptide weitere Signale enthalten, kiinnen sie in die innere Membran oder den Zwischenmembranraum eingebaut werden

(dem mitochondrialen Hsp70) gebunden. Es folgt die Abspaltung der Signalsequenz durch eine spezifische Metalloproteinase. Unter Assistenz von Hsp70 konnen nun die Proteine gefaltet werden, es sei denn, sie enthalten weitere Signale fiir den Einbau in die innere Membran oder den Intermembranraum. Der Einbau in diese Kompartimente erfolgt aus dem Matrixraum. Uber ein ahnliches Transportsystem verftigen auch Chloroplasten. Jedoch konnen dort zusatzlich Proteine in das Lumen oder die Matrix der Thylakoide eingebaut werden.

!

Peroxisomale Proteine werden gefaltet und dann transportiert. Ftir den Einbau peroxisomaler Matrix- und Membranproteine gibt es unterschiedliche Mechanismen. Die Matrixproteine werden mit Hilfe eines Membranproteinkomplexes aus dem Cytosol in die Matrix eingeschleust. Der Transportmechanismus peroxisomaler Membranproteine ist unbekannt. Peroxisomale Matrixproteine~ Ftir diese Proteine gibt es mindestens drei verschiedene Transportsignale (PTS). ~ Das PTSl ist C-terminallokalisiert und besteht aus nur drei Aminosauren: Serinyl-Lysyl-Leucin. Dieses Signal kommt mit einigen konservativen Variationen (z. B. Arginin statt Lysin) in zahlreichen peroxisomalen Proteinen vor. ~ Zwar sind an dem Transport in die Peroxisomen einige Chaperone beteiligt, jedoch ist die Fa! tung der

288

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Protein en

~

Proteine vor dem Transport moglich. Obwohl in einigen Proteinen das peroxisomale Lokalisierungssignal im Lumen der Peroxisomen abgespalten wird, ist der Transport von dieser Spaltung unabhangig. Folglich unterscheidet sich der Transport in die Peroxisomen erheblich von dem in das ER und auch von dem in die Mitochondrien. Das andere gut bekannte peroxisomale ,targeting" Signal, PTS2, besteht aus einem abspaltbaren N-terminalen Peptidabschnitt. Dieser hat einen basischamphipatischen helicalen Charakter und ermoglicht eine Interaktion des neu synthetisierten Proenzyms mit peroxisomalen Chaperonen (Pas) und einem Porenkomplex (PEX). Der PEX-Komplex ist an der cytosolischen Seite mit den Pas-Proteinen assoziiert, die fur die Bindung PTSl- und PTS2-haltiger Vorlaufer peroxisomaler Proteine zustandig sind. Uber diesen Komplex wird z. B. mit Hilfe ihres PTS2-Signals das am Abbau der Aminosaure Glycin beteiligte peroxisomale Matrixprotein Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase transportiert.

Peroxisomale Membranproteine~ In der Membran dieser Organellen kommt neben dem erwahnten Proteintransportkomplex eine Reihe von Transportproteinen vor. Ihre Aufgabe ist der Transport von Fettsauren und anderen Substraten und Produkten des peroxisomalen Stoffwechsels. Eines dieser Proteine ist bei der X-chromosomal vererbten Adrenoleukodystrophie (X-ALD) defekt. Diese Erkrankung erlangte durch den Film Lorenzo's Ol allgemeine Bekanntheit. Inwischen konnte das betroffene Gen kloniert werden. Es codiert einen ABC-Transporter (5.178), der am Transport langkettiger Acyl-Coenzym A-Derivate beteiligt ist. Im Gehirn und anderen Organen der X-ALD Patienten werden aufgrund des Transportdefektes langkettige Fettsauren, insbesondere C26:0, gespeichert. Die Expression des Gens ist regulierbar. Daher erscheint die Beschleunigung der Synthese des Transportproteins mit dem Butyrat-Analogon Buphenyl bei Patienten, bei denen eine Restaktivitat vorliegt, vielversprechend. Die klinischen Versuche beruhen auf einer erfolgreichen Anwendung des Derivats in der Therapie der cystischen Fibrose und {3-Thalassamie. Es konnte gezeigt werden, dass durch eine Steigerung der Synthese des defekten CFTR-Proteins bzw. des y-Globins die Symptome der Erkrankungen gemildert werden konnen. Defekte des peroxisomalen Proteintransports~ Bekannt sind Beispiele von StOrungen des Transports einzelner sowie von Gruppen peroxisomaler Proteine. ~ Defekte der Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase verursachen die primiire Hyperoxalurie I. Eine der bekannten ursachlichen Mutationen verandert das Nutzen von PTSl und kann zu einer Fehllokalisierung des Enzyms fiihren. Statt in Peroxisomen, gelangt das geringfiigig veranderte Protein bei einigen Patienten in die Mitochondrien. Obwohl das Enzym aktiv ist, werden die typischen Oxalosesymptome

9 (Urolithiasis, Nephrocalcinose und evtl. systemische Oxalose) manifest. .,.. Defekte des PTS1-abhangigen Transports sind an der Pathogenese des Zellweger-Syndroms beteiligt. Bei diesem Leiden konnen die am Transport beteiligten Pas- bzw. PEX-Proteine betroffen sein. Solche Defekte fi.ihren zu einer massiven Storung der Biogenese der Peroxisomen. Das autosomal-rezessiv vererbte Syndrom ist durch Dysmorphie, Neurodegeneration, Hepatomegalie sowie Nierenzysten charakterisiert und fri.ihzeitig letal.

9.2.31 Covalente Modifikationen von Proteinen

Modifikationsreaktionen erfi.illen eine Vielzahl von Funktionen und konnen mit der Faltung, dem Transport und der Reifung neusynthetisierter Moleki.ile in zeitlichem und kausalem Zusammenhang stehen. Modifikationen wahrend der Synthese werden als co translational, nach der Synthese als posttranslational bezeichnet. Ein Teil der Modifikationen erfolgt erst nach dem Transport zum Zielort der Proteine und wird eventuell fi.ir ihre Aktivierung benotigt. Weitere Modifikationen dienen der Regulation der Aktivitat der Proteine an ihrem Zielort. Sind solche Veranderungen durch demodifizierende Reaktionen physiologisch reversibel, werden sie als Interkonversion bezeichnet. Interkonversionen dienen regulatorischen Zwecken und werden in Zusammenhang mit dem Stoffwechsel erortert (S.l36).

!

Pra- und Prapro-Proteine werden proteolytisch zu reifen Proteinen umgesetzt. Durch gezielte Proteolyse werden aus Vorlauferformen von Proteinen Peptide entfernt, die die Adressierung, optimale Faltung und in einigen Fallen die Unterdri.ickung der enzymatischen Aktivitat gewahrleisten. .,.. Wie bereits besprochen, kommen in sekretorischen und Membranproteinen Signalsequenzen vor, die im ER durch die Signal-Peptidase von der naszierenden Polypeptidkette abgespalten werden ( Abb. 9.20). .,.. Die fi.ir den posttranslationalen Transport von Proteinen in die mitochondriale Matrix benotigten Adressierungssequenzen werden in der Matrix abgespalten. Einige der Proteine mi.issen nach dem Transport in die Matrix in die innere mitochondriale Membran oder den Intermembranraum (Cytochrome) eingebaut werden. Sie werden von bestimmten Metalloproteinasen mit der Bezeichnung MPP (mitochondrial processing proteinases) gespalten (S. 288). .,.. Manche Enzyme werden als inaktive Vorlauferformen synthetisiert. Sie werden dann als Proenzym bezeichnet (z. B. lysosomale Cathepsine und ver-

schiedene Verdauungsenzyme). Das Procathepsin D wird, wie das ihm genetisch verwandte Pepsinogen, in saurem Millieu durch Abspaltung einer N-terminalen Prosequenz aktiviert. Die Prosequenz liegt in gefalteter Form vor, z. T. im aktiven Zentrum und blockiert dessen Substratbindungsstelle. Nach Ansauerung kommt es zur Dissoziation schwach saurer Gruppen und Auflockerung der Kontakte zwischen der Prosequenz und dem Enzym. Auf diese Weise erfolgt eine Teilaktivierung des Procathepsin D. Dieses kann im Weiteren autokatalytisch oder von anderen Proteinasen gespalten werden. Die Expression einer Cathepsin D-cDNA mit deletierter Prosequenz fi.ihrt zur Synthese eines inaktiven Enzyms, da die korrekte Faltung des Polypeptids in Abwesenheit der Prosequenz nicht erfolgen kann. Dieses Beispiel zeigt, dass Prosequenzen u. a. an der Proteinfaltung beteiligt sein konnen, d. h. eine Prosequenz kann als intramolekulares Chaperon wirken. .,.. Proteohormone, z. B. Insulin, werden durch limitierte Proteolyse aus Prohormonen gebildet. I. d. R. werden Vorlauferformen von Polypeptidhormonen nach Entfernung der Signal-Sequenz in Sekretionsvesikel, deren Exocytose regulierbar ist, transportiert. Wahrend und nach der Segregation von anderen Proteinen im trans-Golgi-Apparat kommen sie mit Proteinasen in Kontakt (Prohormonkonvertasen, z. B. PCl, Furin). Diese Enzyme erkennen kurze Signale mit basischen Aminosauren (als Konsensus zwei Lysin- oder Argininreste, zwischen denen 0, 2, 4, oder 6 andere Reste vorkommen konnen) und spalten die Prohormone in charakteristische Fragmente. Das Proinsulin wird in /3-Zellen durch PC2, eine losliche Konvertase, die im trans-Golgi aktiviert und zusammen mit dem Prohormon in die Vesikel verpackt wird, zu Insulin umgewandelt (S. 841). Verschiedene Areale des Hypophysenvorderlappens enthalten unterschiedliche Konvertasen. Dies erklart Variationen im Spaltungsmuster des Prohormons Proopiomelanocortin (POMC, S.1073). .,.. Eine andere Moglichkeit ist die Entfernung bzw. Addition terminaler Aminosiiuren. Aminopeptidasen und Carboxypeptidasen konnen eine oder mehrere Aminosauren entfernen. Es fallt auf, dass nur wenige reife Proteine am Anfang ihrer Sequenz Methionin enthalten. Umwandlungen des N-Terminus konnen die Funktion oder Stabilitat der Proteine verandern. Als ein Gegenpol dieser Modifikation kann die Ubertragung eines zusatzlichen Argininrests auf ein Polypeptid (s. u.) erwahnt werden. .,.. Bei einigen Peptidhormonen kommt es zur Ausbildung einer C-terminalen Amidbildung. Die Amidgruppe wird durch ein bifunktionelles Enzym aus einem Glycinrest gebildet. Es besitzt eine Peptidylglycin-Monoxygenase-Aktivitat, die bestimmte interne Glycinreste hydroxyliert, und eine Peptidyla-Hydroxyglycin-a-amidierende Lyase-Aktivitat, die den hydroxylierten Glycinrest spaltet. Dessen aStickstoffatom verbleibt als Amidogruppe am Car9.2 Faltung, Transport und Modifikation von Proteinen

289

9

~

~

boxylende des N-terminalen Fragments. Auf diese Weise wird das TRH (pyro-Glutamyl-Histidyl-Prolinamid) gebildet (S. 871). In seltenen Hillen kommt es zu einem autokatalytischen intramolekularen Peptidyltransfer. Dabei wird ein mittleres Segment der Polypeptidkette, das als Intein bezeichnet wird, herausgespalten, wahrend die terminalen Segmente, Exteine, miteinander verschmelzen. Diese Reaktion ist ein Beispiel eines intramolekularen Peptidyltransfers ( Abb. 9.22). Obwohl bisher mehr als hundert zellulare und virale Proteine beschrieben wurden, die zu dieser Reaktion befahigt sind, ist die Bedeutung dieser Modifikation unklar. Das an der embryonalen Entwicklung als Signalmolekiil beteiligte hedgehog-Protein ist wie die Inteine zu einer autokatalytischen Modifikation befahigt. Dieses Protein enthalt eine Sterol-bindende Domane und ist am C-Terminus mit Cholesterol verestert. Der Cholesteroltransfer erfolgt in zwei Schritten. Zunachst wird aus einer bestehenden Peptidbindung der C-terminale Polypeptidteil herausgelost, wahrend der N-terminale Peptidylrest auf eine Sulfhydrylgruppe des anderen Molekiilteils iibertragen

. o (sH \ o(s~ . + N-Extem 11 lntein 11 1 C-Extem H3N-----------------------c, / c-------------------- c c-----------------------cooN I

H

I~Th~ ~

' N/ H

...

lntein

o (s~ 1

.

1

-C

' N/

C-Extem

C···--····------·--··--·Coo-

H

+ N-Extein ~ H3N··----····--····--···--C/

HS

l

·/

l C-Extein /. / C···--···----·------·--·Coo-

lntein

c --

H3N

+

s

Il--l

N-Extein

/ NH

.... c I

O

0 HS, 11 1 C-Extein

HS,

1 lntein

H3N-----------·-----------c, / c-----·--------------coo- + _/ c N H

coo-

H3N

Abb. 9.22. Autokatalytische Reifung selbstspleiBender Proteine. Die Obertragung des N-terminalen auf das C-terminale (Extein-) Peptid erfolgt Uber ein Thioesterintermediat. Nach einem Thioestertransfer befindet sich das N- in der Nahe des C-Exteins. Die Carboxylgruppe des Thioesters wird von dem N-terminalen Stickstoffatom des C-Exteins angegriffen. Folge ist die Erzeugung einer Peptidbindung zwischen beiden Exteinen sowie die Freisetzung des lnteins 290

I

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Protein en

wird. lm zweiten Schritt wird der Peptidylrest des Thioesters auf die Hydroxylgruppe eines Cholesterols iibertragen. Bei einer Storung der Cholesterolsynthese durch eine Defizienz der 7-Dehydrocholesterol-delta-7-Reductase ( Smith-Lemli-Opitz-Syndrom) kann diese Obertragung nicht stattfinden. Die Patienten leiden an Missbildungen im Bereich der Mittellinie verbunden mit einer Dysplasie des Corpus callosum und mentaler Retardierung.

Einige Proteine werden mit lipophilen Membranankern modifiziert. Es gibt mehrere Moglichkeiten, Proteine an die cytosolische oder extrazellulare Seite der Plasmamembran zu binden. Die zu diesem Zweck gebildeten Strukturen werden als Membrananker bezeichnet. Im Rahmen dieser Modifikation kommt es haufig auch zur Spaltung der Polypeptidkette. Zur Verankerung werden Prenylderivate und Acylreste einiger gesattigter Fettsauren sowie Phoshatidylderivate benutzt.

Modifikation mit Fettsauren.,.. Mit der C-14-Myristinsaure und C-16-Palmitinsaure konnen N-terminale Glycinreste bzw. verschiedene Cysteinreste modifiziert werden. Die entsprechenden Transferasen nutzen die CoA-Derivate der Sauren als Substrate, wobei erstaunlich ist, dass diese Enzyme das Myristyl-CoA und das sehr ahnliche Palmityl-CoA voneinander unterscheiden konnen. Beide Acyltransferasen sind iiberwiegend im ERGIC-Kompartiment (S.l89) lokalisiert. ~ Eine besondere Abfolge von Aminosauren am N-Terminus (Met-Gly-X-X-X-Ser/Thr) fiihrt zu N-terminaler Myristylierung. Neusynthetisierte Proteine im Cytosol mit dieser Sequenz werden zunachst von einer Methionin-Aminopeptidase hydrolysiert und dann an der a-Aminogruppe des Glycins myristyliert. ~ In einigen Proteinen kann der Myristylrest exponiert oder ,versteckt" werden. Durch eine Regulation der Konformation andert sich die Tendenz zur Assoziation mit der Plasmamembran. Beispielsweise funtioniert das arf-Protein (ADP-Ribosylierungsfaktor, S. 190), das die Bildung von intrazellularen Transportvesikeln reguliert, wie ein Myristylschalter: Der Myristylrest kann durch Erhohung der Ca2+-Konzentration aus dem Inneren des Molekiils nach auBen verlagert werden. Danach kann das Protein an eine Membran gebunden werden. ~ Zu den myristylierten Proteinen werden gezahlt: die meisten a-Untereinheiten von G-Proteinen, Oncogene der src-Familie, die fiir die Reifung von Lentiviruspartikeln (einschlieBiich HIV-I) benotigten gag-Proteine, die an der Regulation der Durchblutung beteiligte endotheliale NO-Synthetase (eNOS) und das am inneren Blatt der Plasmamembran an saure Phospholipide (z. B. PIP 2, S. 803) gebundene myristylierte und Alanin-reiche C-ProteinkinaseSubstratprotein (MARCKS, S. 808).

9 • Die meisten myristylierten Proteine konnen durch Acylierung bestimmter Cysteinreste zusatzlich palmityliert werden. Erst durch die gleichzeitige Modifikation mit heiden Fettsauren konnen sie in der Plasmamembran fest verankert werden. Die Palmitylierung ist ein Beispiel regulatorischer Modifikationen, da sie unter physiologischen Bedingungen reversibel ist. • Einige andere Proteine, beispielsweise das MARCKSProtein, enthalten nur die N-terminale Myristylgruppe. Seine Assoziation mit der Plasmamembran wird durch eine Sequenz basischer Aminosauren vermittelt, die mit den negativen Gruppen des inneren Blattes der Plasmamembran eine Bindung eingehen konnen. Im MARCKS-Protein werden den basischen Gruppen benachbarte Serin- und Threoninreste durch die Proteinkinase C phosphoryliert. Infolgedessen wird das MARCKS-Protein von der Plasmamembran abgelOst und die Verfiigbarkeit der vorher gebundenen Inositolphospholipide erhOht. • Die Anker, die aus den gesattigen Fettsauren bestehen, ermoglichen einen selektiven Einbau der modifizierten Proteine in spezifische ,FloGbereiche" (rafts) der Plasmamembran (S. 45, 182)

Lipid

&">

§J+~'"" (

I I HN - Giy -GIIDIYt-(ys-COO- (-COOCH;j)

a Lipid

s

s

I I Cys- Ala- Cys - COOCH3

b

Lipid

s

I I I Cys- Met - Ser - Cys - Lys - Cys - COOCH 3

(

Modifikationen mit Prenylresten und Fettsauren.,.. Einige Proteine werden prenyliert, d. h. mit einem oder mehreren Farnesyl- oder Geranylgeranylresten und eventuell zusatzlich mit Fettsauren modifiziert. Beide Prenylreste enthalten drei bzw. vier Isopreneinheiten, also 15 bzw. 20 C-Atome und konnen als Sesqui- bzw. Diterpene bezeichnet werden (s. Cholesterol- und Dolicholbzw. Polyisoprenoidsynthese, S. 608). Prenyliert werden verschiedene Ras-Oncogene, die meisten y-Untereinheiten der G-Proteine, eine Reihe von Proteinkinasen, die in der Kernmembran verankerten Lamine sowie die am vesikularen Transport beteiligten Rab-Proteine. Verschiedene Beispiele einer stabilen Membranverankerung werden in Abb. 9.23 dargestellt. • Das H-Ras-Oncogen wird durch eine cytosolische Farnesyltransferase modifiziert, die das Cystein in der Sequenz CAAX am N-Terminus des H-Ras erkennt. Die dem Cystein (C) benachbarten Aminosauren miissen hydrophobe (A) bzw. neutrale (X, das die Art des Prenylrestes bestimmt) Seitenketten tragen. Eine am ER lokalisierte Proteinase kann in diesem Faile das Tripeptid AAX abspalten. Daraufhin wird i. d. R. die Carboxylgruppe des verkiirzten Terminus methyliert. Es entsteht ein hydrophobes Ende, mit dem das H-ras-Protein reversibel in die Plasmamembran eingebaut werden kann. • Die Membrananker des H-Ras-Oncogens erlangen durch zusatzliche Palmitylierung(mit Pamityl-CoA) benachbarter Cysteinreste einen stark hydrophoben Charakter. Dies fiihrt zu einer deutlichen Verlagerung des modifizierten Proteins in die Plasmamembran (von ca. 10 auf > 90%). Sowohl die Lokalisierung als auch die Aktivitat derart doppelt modifizierter Proteine wird durch Ein- und Abbau der Palmitylreste reguliert.

s

C- 0

Lipid

~=e

e

eEJB

e

\::)

s

000000 0 0 I Lys- Lys - Lys -Lys - Lys - Lys- Ser- Lys- Thr- Lys - Cys - COOCH3

Abb. 9.23 a-d. Beispiele komplexer Verankerung von Proteinen in der Plasmamembran mit Beteiligung von Prenylresten. Vermittels der covalenten Anheftung von Farnesyl- und Geranylgeranylgruppen an Cysteinylreste enthalten die Proteine groBe hydrophobe Seitenketten,deren Verankerung in der Membran moduliert und durch Protein-Acylierungen unterstOtzt werden kann. aIn den heterotrimeren G-Proteinen sind die a Untereinheiten meistens N-terminal myristyliert (eventuell alternativ an einem Cysteinrest palmityliert), wahrend die y -Untereinheiten Uberwiegend C-terminal geranylgeranyliert sind. lm Transducin (5. 728) ist der C-terminale Cysteinrest farnesyliert und an der Carboxylgruppe methyliert. b Beispiel eines Rab-Proteins. Diese Proteine regulieren den vesikularenTransport. Sie trag en Geranylgeranylreste am C-terminalen lind dem nachsten oder Ubernachsten Cysteinrest. c Das C-terminal farnesylierte H-Ras-Oncogen muss palmityliert werden, um fest an die Plasmamembran zu binden. dlm K-Ras-Oncogen ist die Bindung an die Plasmamembran von der lnteraktion der term ina len Lysin-rei chen Sequenz mit negativ beladenen Phospholipiden abhangig. Nach Phosphorylierung der Serin- und Threonin-Reste wird das Protein von der Plasmamembran abgeliist, da die vom Farnesylrest vermittelte lnteraktion mit der Membran fUr die Bindung nicht ausreicht. Die dargestellten Aminosauren sind Teile des jeweiligen Proteins

• Die Farnesylierung wird fur die Aktivierung aller drei bekannten Ras-Oncogene benotigt. Daher sind Hemmstoffe der Farnesyltransferasen und der AAXProteinase medizinisch interessant. 9.2 Faltung, Transport und Modifikation von Proteinen

291

9 Die Phosphatidylinositolanker (GPI-Anker)~ Eine stabile Verankerung in dem AuGenblatt der Plasmamembran besteht aus einem acylierten Phoshatidylinositolrest (S. 38). .,. Die Phosphatidylinositolanker-Proteine werden mit einer C-terminalen Signalsequenz synthetisiert, die aus zwei kleinen Aminosaureresten besteht. Im Lumen des ER unweit der Signalsequenz wird das Protein gespalten und der N-terminale Teil wird mit seinem C-Terminus auf die Aminogruppe des Ethanolaminrestes des Ankers i.ibertragen (S. 38). Durch die Transpeptidylierung entsteht ein substituiertes Peptidylamid. .,. In der Plasmamembran werden die auf diese Weise verankerten Proteine i.iberwiegend in den Cholesterin-reichen Mikrodomiinen (rafts) gesammelt. ... Die Verankerung mit Phosphatidylinositol ist fiir die dim ere erythrozytare Form der Acetylcholinesterase (S. 38), fiir die alkalische Phosphatase und fi.ir zwei in den Erythrocyten zum Schutz vor spontaner Aktivierung des Komplements benotigte complement decay accelerator-Proteine charakteristisch (S. 989 ). .,. In den hamatopoetischen Zellen kommt es relativ haufig zu einem Defekt dieser Ankersynthese. Infolge dieser erworbenen Storung wird die paroxysm ale niichtliche Hiimoglobinurie manifest. Bei den Betroffenen besteht durch intermittierende vaskulare Hamolyseereignisse ein erhohtes Thromboserisiko.

Die Funktionen neusynthetisierter Proteine werden durch zahlreiche Modifikationen ihrer Seitenketten optimiert. Einige Proteinmodifikationen (Jodierung von Tyrosinresten, Hydroxylierung von Prolin und Lysinresten, Diphtamidsynthese) werden bei der Beschreibung von entsprechend modifizierten Proteinen erklart. Nachstehend werden weitere physiologisch wichtige bzw. haufig vorkommende Modifikationen behandelt. Pyroglutamatreste~ Terminate Glutaminylreste konnen von einer Glutaminylcyclase zu so g. Pyroglutamatresten umgewandelt werden. Durch diese seltene Reaktion werden einige releasing Hormone (z. B. TRH) und Immunglobuline modifiziert. Bei der Hormonsynthese kommt es zu einer intramolekularen Transamidierung, bei der das Amid der Seitenkette des N-terminalen Glutamins gelost und die Carbonylgruppe auf die a -Aminogruppe des gleichen Restes i.ibertragen wird.

und Gruppen prosthetischen mit Covalente Verbindungen dieser Art gibt es in einigen Holoenzymen, z. B. in den Phosphorylasen (S.406), in deren aktivem Zentrum ein Pyridoxalphosphatrest mit einer Lysinseitenkette verbunden ist. .,. In einigen Hiimoproteinen ist die Hamgruppe mit dem Protein covalent verbunden. Im Cytochrom c (S. 538) bestehen zwei Thioatherverbindungen zwischen dem Ham- und dem Globinteil. Modifikation

11>

Apocarboxylasen werden i.iber bestimmte Lysinreste covalent mit Biotin verbunden, wodurch Holocarboxylasen (S. 743) entstehen. Die Isopeptidbindung zwischen den Enzymen und dem Coenzym wird durch die Holocarboxylase-Synthetase hergestellt. Das nach dem Abbau der Biotinenzyme gebildete Biotinyllysin, das Biocytin, wird durch eine Biotinidase gespalten. Auf diese Weise wird das Biotin fiir den Stoffwechsel wieder verfiigbar. Defekte der Holocarboxylase-Synthetase und der Biotinidase verursachen eine Ketolactatacidose und organische Acidurie, die sehr haufig von einer Hyperammonamie und Hyperventilation begleitet wird.

Einige sekretorische Proteine, die bei der Blutgerinnung (Faktor II, VII, IX und X) bzw. der Mineralisierung (Osteocalcin) des Hartgewebes eine Rolle spielen, werden im Golgi-Apparat an mehreren Glutamatseitenketten durch eine Vitamin K-abhangige Carboxylierung modifiziert (S. 735). Die yCarboxyglutamatreste binden Calcium-Ionen und ermoglichen die Bindung der modifizierten Proteine an die polaren Kopfe der Membran-Phospholipide.

y-Carboxylierung~

Methylierung~ In Muskelzellen wird Actin am Histidin-73 posttranslational methyliert (S.1036). Diese Methylierung scheint fi.ir den optimalen Ablauf der ATP-abhangigen Polymerisierung des G-Aktin von Bedeutung zu sein. Das aus dem Abbau des Muskelproteins stammende 3-Methylhistidin wird mit dem Urin ausgeschieden. Demzufolge kann durch Bestimmung des Methylhistidinspiegels im Urin der Proteinumsatz der Muskulatur i.iberpri.ift werden. Ein Anstieg deutet auf eine Erhohung des katabolen Stoffwechsels in diesem Organ hin.

Vernetzungung von Polypeptidketten~ Im extrazellularen Raum konnen supramolekulare Komplexe mit Hilfe einer Transglutaminase gebildet werden. An der Transglutaminasereaktion sind Seitenketten von Glutamin- und Lysinresten beteiligt. Unter Abspaltung von Ammoniak entstehen Isopeptidbindungen (S.l019). Eine weitere Vernetzungsmoglichkeit besteht in einer oxidativen Deaminierung von Lysinseitenketten, bei der Aldehydgruppen gebildet werden. Diese werden mit Lysinresten benachbarter Polypeptide kondensiert. Im Elastin und an den Tripelhelices des Kollagen werden auf diese Weise durch eine Lysyloxidase einige Lysinseitenketten zu Allysin oxidiert. Danach werden die Allysinreste mit Aminogruppen gegeni.iberliegender Lysinreste vernetzt (S. 758).

Kofaktoren~

292

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen

Glycosylierungen finden im ER, Golgi-Apparat und Cytosol statt. Der Verkni.ipfungsart entsprechend lassen sich N-und 0 -glycosidische Modifikationen unterscheiden, die an den Seitenketten des Asparagins bzw. hydroxylierter Aminosauren erfolgen konnen. Donatoren der Zucker bei diesen Modifikationen sind Zuckernucleotide. Glycosylierungen~

9 .. Am hliufigsten findet sich in Glycoproteinen die Nglycosidische Verkniipfung. Mit dieser werden sekretorische und Membran-standige Glycoproteine im ER versehen. Die Synthese der N-glycosidisch verkniipften Oligosaccharide und deren Modifikationen im Golgi Apparat werden auf S. 592 beschrieben. Faltung und Stabilitat der Proteine werden von der N-Glycosylierung in hohem Ma6e beeinflusst. Andert sich die Zahl oder Lokalisation der Glycosylierungsstellen infolge von Mutationen, resultieren instabile Proteine, wenn ihre normale Faltung eingeschrankt wird oder ein Oligosaccharid z. B. mit einer Seitenkette verkniipft wird, die im Inneren des Proteins lokalisiert werden soll. Mutationen, die die Glycosylierung behindern ohne die sonstige raumliche Struktur wesentlich zu verandern, konnen die Stabilitat der Proteine stark beeintrachtigen. Vermutlich konnen die Oligosaccharide die umliegende Polypeptidkette vor Wechselwirkungen schiitzen, die die normale Faltung unmoglich machen. In diesem Sinne iiben die Oligosaccharide eine gewisse intramolekulare Chaperon-Funktion aus. .. Die im ER gebildeten 0-glycosidischen Verkniipfungen kommen meistens an Serin- und Threoninseitenketten vor. Diese Verkniipfungsart ist fiir die Iangen Glycosaminoglykanketten der Proteoglykane (S. 594) charakteristisch. Als Signale fiir diese Modifikationen dienen kurze Glycin-/Serin-reiche Sequenzen. In Mucinen (S.l080) und zahlreichen Glycoproteinen kommen kiirzere 0-glycosidisch gebundene Oligosaccharide vor. Im Kollagen wird Hydroxylysin glycosyliert (S. 756). .. Glycosylierungen von neu synthetisierten Proteinen sind auch im Cytosol moglich. Im Glycogen in (S. 405) wird ein Tyrosinrest mehrfach glucosyliert, bevor die Zuckerkette durch die Glycogensynthase verlangert werden kann. Eine Modifikation von Tyrosinresten in verschiedenen cytosolischen Proteinen mit NAcetylglucosamin fiihrt zur Tanslokation der Proteine in den Kern. Dieser Zuckerrest kann auch an Serin- und Threoninseitenketten iibertragen werden. Da in Proteinen die hydroxylierten Aminosauren phosphoryliert werden konnen (S.l36), ist bei einigen Protein en die Bildung von drei alternativen Formen moglich: bestimmte hydroxylierte Seitenketten konnen unverandert, phosphoryliert oder N-acetylglucosaminyliert werden. Durch die letztgenannte Modifikation wird die Moglichkeit zur Regulation der Aktivitat der Proteine durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung unterdriickt.

Durch Variationen in der Primarsequenz werden gewebespezifische Modifikationen von Proteinen ermoglicht. Das humane Genom enthalt mehr als 30000 Proteinstrukturgene. Das Proteom ist viel komplexer, da in diesem Proteine in verschiedenen Formen vorkommen konnen. Die Vielzahl der verschiedenen Formen hangt

mit den posttranskriptionalen und posttranslationalen Modifikationen der mRNA bzw. der Proteine zusammen. Acetylcholinesterase als Beispiel fUr die Synthese alternativer Proteinformen .. Durch alternatives Splei6en wird das Protein in drei Varianten mit verschiedenen C-terminalen Sequenzen synthetisiert. .. In einer einfachen Form, AcChEn, ist das Enzym li:islich. Es kommt als mono-, di- und tetrameres Protein im Blut vor. .. Im neuralen Gewebe findet sich eine Membran-assoziierte Form (AcChEr). Sie wird mit einer charakteristischen C-terminalen Sequenz synthetisiert, die einen Cysteinrest enthalt. Diese Form bildet Tetramere, in denen tiber Disulfidbriicken zwei Molekiile miteinander und zwei mit Untereinheiten eines Membran-assoziierten Proteins (P) verbunden werden. Das Protein P verankert die Acetylcholinesterase in Synapsen. .. In der neuromuskularen Endplatte bildet die tetramere AcChEr·Form ein Heteromer mit einem Kollagen-ahnlichen Protein (COLQ). Das COLQ ersetzt das Protein P und verankert das Enzym in der Basallamina. Die Endplatten-Acetylcholinesterase-Defizienz beruht auf Mutationen des COLQ-Proteins. .. Eine weitere Form, AcChEn, wird mit einer C-terminalen Signalsequenz synthetisiert, die die Bildung eines Phosphatidylinositolankers ermoglicht und abgespalten wird (s. o.). Diese Form tritt an der Oberflache der Erythrocyten auf.

KERNAUSSAGEN Nach ihrer Biosynthese mussen Proteine ihre native Konformation erhalten. Die Information fur diesen Vorgang liegt in der Primarstruktur der synthetisierten Proteine,jedoch erfordern die intrazellular herrschenden Bedingungen die Anwesenheit von Faktoren, die die Faltung katalysieren konnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die als Chaperone bezeichneten Hitzeschock-Proteine, daneben die Proteindisulfid-lsomerase und die Peptidyi-Prolyl-cis-translsomerasen. Posttranskriptionale Modifikationen beinhalten proteolytische Modifikationen, Oerivatisierung von Aminosaureseitenketten, Anheftung von Kohlenhydrat-oder Lipidseitenketten und die Translokation in entsprechende zellulare Kompartimente. Proteine,die in Lysosomen verpackt, sezerniert oder in Membranen inseriert werden, werden dabei in das Schlauchsystem des endoplasmatischen Reticulums synthetisiert, mitochondriale Proteine durch spezifische, wiederum von Hitzeschock-Proteinen abhangige Translokationsschritte in den Matrixraum importiert. In die Peroxisomen werden Proteine typischerweise nach der Faltung transportiert.

9.2 Faltung, Transport und Modifikation von Proteinen

293

9

9.3 1Abbau von Proteinen Taglich werden mehr als 300 g des korpereigenen Proteins umgesetzt. Bei einer negativen Stickstoftbilanz, z. B. bei Hunger oder einer Muskeldystrophie, kann die Abbaurate betrachtlich hoher sein. Der normale Umsatz (turnover) eines Proteins hangt von den Geschwindigkeiten der 5ynhese und des Abbaus ab. Fur den Abbau, die Proteinolyse (Proteolyse), stehen Dutzende von Proteinasen (Proteasen) zur Verfugung. Einerseits mussen unterschiedliche Peptidbindungen hydrolysiert werden konnen. Andererseits muss die Hydrolyse der einzelnen Proteine individuell geregelt werden. Tatsachlich ist die Lebensdauer der Proteine sehr verschieden. 5ie lasst sich mit der Halbwertszeit (t112) charakterisieren, die je nach Protein wenige Minuten oder mehrere Wochen betragen kann. Von groBer praktischer Bedeutung ist die proteinspezifische Halbwertszeit. Der Abbau verschiedener Isoenzyme, die von unterschiedlichen Organen ins Blut abgegeben werden, erfolgt mit charakteristischen Halbwertszeiten. Diese sind bei der Beurteilung von Ergebnissen der 5erumdiagnostik von Enzymen und der Wirkung verschiedener Wirkstoffe auf die Blutgerinnung (5.1022) zu berucksichtigen. Einweiteres Beispiel stellt die zirkulatorische Acetylcholinesterase dar, deren Halbwertszeit von der Kohlenhydratstruktur und dem Oligomerisierungszustand abhangig ist. Bei der langlebigsten tetrameren Form liegt die Halbwertszeit bei 12 5tunden. Wenn die Oligosaccharide die terminalen 5ialinsaurereste verlieren, wird das Enzym von Hepatocyten aufgenommen (5. 594, 1108) und die Halbwertszeit verkurzt sich auf 5 Minuten.

9.3.1

Spezifitat der Proteinasen

Proteinasen spalten Proteinketten, sofern diese zuganglich sind. Ihre Zuganglichkeit kann durch Modifikationen, Faltungsfehler oder Denaturierung erhoht werden. Aufgabe der Endoproteinasen ist meist die Initiierung des Abbaus. Durch eine Labilisierung der 5ubstratstruktur und durch weitere 5paltungen werden kleinere Fragmente e rzeugt, die schnell von Amino- und Carboxypeptidasen (Exoproteinasen) weiter abgebaut werden. In Bezug auf die 5pezifitat d erProteinasen ist fiir die Hydrolyse des 5ubstrats das Vorkommen definierter Aminosaurereste in der Umgebung der gespaltenen Peptidbindung entscheidend. Die 5eitenketten der wichtigen Reste werden an die Oberflache der Bindungstasche im aktiven Z entrum gebunden. Fur die 5paltung durch Trypsin ist beispielsweise erforderlich, dass im 5ubstrat Lysin- oder Argininreste vorkommen. Das Substrat wird nach diesen Resten gespalten. 5pezifischer als das Trypsin ist das mit diesem verwandte Thrombin. Es spaltet n ach Arginin, jedoch nur dann, wenn diesem ein Glycinrest f olgt. 294

I

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Protein en

9.3.21 Klassifizierung der Proteinasen Proteinasen mit bekanntem Katalysetyp lassen sich in fiinf Gruppen aufteilen. Enzyme einer Gruppe mit gemeinsamem Ursprung werden in Untergruppen, sog. Klane, zusammengefasst. In diesen finden sich Enzymfamilien mit mehr oder minder deutlicher Verwandtschaft und innerhalb dieser die einzelnen Enzyme mit ihrer charakteristischen 5pezifitat. • In der Gruppe der Serin-Proteinasen kommen die Subtilisin- und Chymotrypsinklane vor. Im Subtilisinklan wiederum befinden sich verschiedene Prohormonconvertasen (5. 289). Trypsin, die in den Granula der Granulocyten vorkommenden Enzyme Elastase und Cathepsin G, verschiedene Gerinnungsfaktoren einschlieBlich Thrombin und auch das thrombolytische Plasmin gehtiren zum Chymotrypsinklan. Das aktive Zentrum der Enzyme beider Klane enthalt eine katalytische Triade aus raumlich benachbarten 5eitenketten der Aminosauren Asparaginsaure, Histidin und Serin (5.131). Die unabhangige Entwicklung derselben katalytischen Triade im aktiven Zentrum der beiden Klane ist eine bemerkenswerte Leis tung der Evolution. • Die yl sosomalen Proteinasen Cathepsin B, Kund L gehoren zur Gruppe der Cystein-Proteinasen. Weitere Beispiele sind die Calcium-abhangigen Calpaine, die ebenfalls im Cytosollokalisierten Caspasen (ICE), die an der Apoptose beteiligt sind, sowie die Gingipaine, die von dem Bakterium Porphyromonas gingivalis gebildet w erden und an der Pathogenese der Periodontitis beteiligt sind. • Im aktiven Z entrum von Metalloproteinasen kommen Zn2+-Ionen vor. Die pankreatische Metalloproteinase Carboxypeptidase B spaltet spezifisch basische Reste vom C-Terminus ab. Zu dieser Gruppe gehoren die sog. Matrix-Metalloproteinasen (MMP), darunter Kollagenasen und Gelatinasen (5. 771).

• Die sauren Proteinasen Pepsin und das lysosomale Cathepsin D haben im aktiven Zentrum zwei Asparaginsaurereste. Solche Enzyme werden als Asparartatproteinasen bezeichnet. Zu dieser Gruppe gehort auch eine vom HIV-1-Virus codierte Proteinase. DieHemmung dieser Proteinase ist eine der 5aulen der Kombinationstherapie von AID5-Patienten. In der Entwicklung dieser Hemmstoffe ist ein Beispiel fiir die erfolgreiche Anwendung der molekularen Modellierung in der medizinischen Forschung zu sehen. • Eine vorlaufig kleine Gruppe bilden die Threoninproteinasen. In diese Gruppe gehort das Proteasom (5. 295). Eine aktuelle Liste vonProteinasen und Links zu den Datenbanken Merops und Prolysis kann in Internet unter der Adresse www.expasy.ch/cgi-bin/lists?/peptidas.txt gefunden w erden.

9 9.3.31 Funktionen von Proteinasen in verschiedenen Kompartimenten In fast allen subzellularen Kompartimenten und im extrazellularen Raum gibt es Proteinasen. Zwischen Lokalisierung und Funktion bestehen wichtige Zusammenhange. "' Im Cytosol kommen z. B. das Proteasom (s. u.), die Calcium-abhangigen Calpaine und Pro-Caspasen vor. Letztere sind inaktive Vorlaufer von Cysteinproteinasen, die bei der Apoptose (S. 213) aktiviert werden. Sie spalten spezifisch nach bestimmten Asparaginsaureresten. Die Calpaine sind u. a. am Umsatz der Muskelproteine bei der Myoblastenfusion, Muskeldystrophie, Ischamie und Denervation beteiligt. Eine ErhOhung der Calpainaktivitat wird meistens durch eine Inaktivierung des Calpastatins, eines ebenfalls im Cytosol vorkommenden Hemmproteins, erreicht. .,. Mitochondrien beinhalten die mitochondrialen prozessierenden Peptidasen (MPP). "' Im Lumen des ER befinden sich die Signal-Peptidase und an der cytosolischen Seite der ER-Membran die C-terminalen Peptidasen, die an der posttranslationalen Reifung der farnesylierten Proteine z. B. Hras (S. 291) beteiligt sind. ... Im Golgi-Apparat wurden eine Serin- und eine Metalloproteinase gefunden, die einen Transkriptionsfaktor von dem Sterol-responsive-Elementebindendem Protein (SREBP) abspalten konnen. Dieser wird in den Kern transportiert, wo er an Sterolresponsive-Elemente der Hydroxylmethyl-CoA-Reductase- und LDL-Rezeptor-Gene bindet. Dadurch wird die Synthese bzw. die Aufnahme von Cholesterin gefordert (S. 613). ... Die regulierten sekretorischen Vesikel beherbergen verschiedene Prohormon-Convertasen. "' Einige der Matrix-Metalloproteinasen sind integrale Membranproteine,die in der Plasmamenbran lokalisiert sind. Fur die normale (a) und die pathologische ({3, y) Spaltung des {3-Amyloidprakursorproteins sind so g. Praseniline und Proteinasen, die als Sekretasen bezeichnet werden, verantwortlich. {3-Sekretase ist eine Aspartatproteinase, deren Aktivitat mit der Bildung des {3-Amyloids bei der Alzheimer'schen Erkrankung ursachlich zusammenhangt. Durch molekulare Modellierung werden Hemmstoffe der {3-Sekretase mit therapeutischem Potential entwickelt. Durch membranassoziierte Proteolyse konnen auch von Plasmamembranproteinen Fragmente abgespalten werden, die in den Zellkern transportiert werden und dort die Transkription regulieren. "' Zellsekrete enthalten z. B. Trypsin, Matrix-Metalloproteinasen, Proteinasen der Gerinnungskaskade, Renin und das Angiotensin-Converting-Enzym. Die in den Lysosomen vorkommenden Proteinasen werden als Cathepsine bezeichnet. Das pH-Optimum

dieser Proteinasen liegt im sauren Bereich. Jedoch sind einige Cathepsine auch bei neutralem pH-Wert aktiv. Dies ist von Bedeutung, da ein Teil der Cathepsine sezerniert werden kann. Bei einigen Tumoren ist die Bildung und Sekretion bestimmter Cathepsine erhi:iht, so dass sie als Tumormarker fiir diagnostische und prognostische Zwecke herangezogen werden konnen (z. B. Cathepsin B beim Mammakarzinom als prognostisch ungunstiger Faktor).

9.3.41 Abbau von Proteinen in verschiedenen Kompartimenten Die meisten Proteine werden in Cytosol abgebaut. Nur ein Teil der Proteinolyse findet im extrazelluHiren Raum und in den Lysosomen statt.

Ander Proteinolyse im Cytosol sind , Riesenproteinasen" beteiligt. Im Cytosol kommen gro6e Partikel vor, die auf den Abbau von Proteinen spezialisiert sind, z. B.Proteasomen und die Tricorn-Peptidase. Proteasomen sind Fassahnliche Partikel ( Abb. 9.24), deren Deckelteile (19 S) die fUr den proteasomalen Abbau bestimmten Proteine vorbereiten. Den Chaperoninen nicht unahnlich, katalysieren sie unter Verbrauch von ATP die Entfaltung von Proteinen. In den 20 S-Proteasomen werden die Proteine endoproteolytisch gespalten; es entstehen Fragmente, die ca. 10 Aminosauren enthalten und im Cytosol hydrolysiert werden.

Die Substratproteine der Proteasomen werden mit Ubiquitin modifiziert. Das Ubiquitin ist ein ubiquitar vorkommendes, konserviertes Protein, das zur Steuerung mehrerer Prozesse, insbesondere des Proteinabbaus, eingesetzt wird. Die Aminosauresequenz des Proteins ist selbst bei den evolutionar entfernten Organismen Mensch, Frosch und Fruchtfliege identisch. Das Ubiquitin wird tiber dessen C-terminalen Glycinrest durch Isopeptidbindungen an Lysinreste anderer Proteine gekoppelt. Wird das markierte Protein abgebaut, kommt es zur Freisetzung des Ubiquitins, das wiederverwendet werden kann. Zur covalenten Markierung sind auch andere Proteine befahigt, z. B. das SUMO-Protein. Die Ubiquitinylierung erfolgt in mehreren Schritten ( Abb. 9.25): .,. Die C-terminale Aminosaure des Ubiquitins (ein Glycinrest) wird aktiviert und an das aktivierende Enzym (El) als Thioester gebunden. "' Das Ubiquitin wird auf eine Thiolgruppe eines zweiten Enzyms (E2) transferiert. "' Eine Reihe von spezialisierten Enzymen (E3) ubertragt das aktivierte Ubiquitin von E2 auf ausgewahlte Proteine. Die Verknupfung (eine Isopeptidbindung) erfolgt auf e-Aminogruppen von Lysinresten. 9.3 Abbau von Proteinen

295

9

Reaktionstyp:

I Trypsin-Aktivitat I Chymotrypsin-Aktivitat PGPH-Aktivitat Abb. 9.24a-c. EM-Aufnahmen und eine schematische Darstellung des Aufbaus der 265-Proteasomen. aIn der Negativ-Farbung erkennt man zylindrische Partikel, die in dem Praparat horizontal und z. T. vertikal vorliegen. b Untersuchungen der Dichte der Partikel deuten an, dass sie hohl sind. (EM-Aufnahmen in a und b stellen 265-Proteasomen aus Oocyten von Xenopus laevis dar, freundlicherweise von Wolfgang Baumeister und Zdenka Cejka, Max Planck lnstitut fiir Biochemie, Martinsried,zur Ver-

fOgung gestellt.) c Das Modell zeigt den Querschnitt des aus vier Ringen bestehenden Zylinderteils (205) mit zwei 195-Deckelteilen. Jeder Ring setzt sich aus 7 Untereinheiten zusammen.Je 5 Untereinheiten der beiden inneren Ringe besitzen proteinolytische Aktivitat. Vereinfacht ktinnen drei Reaktionstypen unterschieden werden. Das Substratprotein ist als eine schwarze linie dargestellt. (Modell freundlicherweise von Wolfgang Hilt, Universitat Stuttgart, zurVerfOgung gestellt.)

.....

/--~, _/

~-

Oligopeptide

~

Abb. 9.25. Mechanismus der Ubiquitinylierung von Proteinen. In dem stark vereinfacht dargestellten Ubiquitinylierungszyklus werden Ubiquitin-Reste als Thioester an die Transferproteine El und E2 sowie als Amid (lsopeptid) auf das Substrat und sich selbst Obertragen (in Wirklichkeit bindet das Ubiquitinadenylat zunachst an einen El-Ubiquitin-Ester nicht296

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen

kovalent an, urn nach dem Thiostertransfer auf E2 sofort die Bildung eines neuen El-Ubiquitin-Esters zu ermtiglichen). Dabei werden ..Oiigoubiquitin"-Ketten gebildet. Die Modifikationssignale werden von den E3-Enzymen erkannt. Meist handelt essich urn fehlgefaltete, oxidativ geschadigte oder fehlsynthetisierte Proteine

9 Welche Proteine abgebaut werden, wird von den E3Enzymen bestimmt. Durch Verkniipfung weiterer Ubiquitinmolektile mit Lysinrest-48 des Ubiquitins entstehen oligoubiquitinylierte Derivate, die von dem 19 S-Proteasomteil erkannt werden.

Die meisten der von den Proteasomen gebildeten Peptidfragmente werden durch Aminopeptidasen abgebaut. Am Abbau der von den Proteasomen gebildeten Oligopeptide sind Aminopeptidasen sowie, wenigstens bei Archaeen und einigen Bakterien ein weiteres ,Riesenenzym" beteiligt, die Tricorn-Peptidase. Sie spalten die Hydolyseprodukte der Proteasomen zu ktirzeren Oligopeptiden.

Ein Teil der von Proteasomen gebildeten Proteinfragmente wird fi.ir eine immunologische Kontrolle der Zellen benutzt. Die von Proteasomen produzierten Oligopeptide konnen in das Lumen des ER importiert werden. Sie werden ATP-abhangig von einem ABC-Transporter (S.1 78) selektiert. Im Lumen konnen sie zur Beladung von Histokompatibilitatsantigenen (MHC-1, HLA-1) verwendet werden. Diese membranstandigen Proteine konnen erst nach der Komplexbildung aus dem ER an die Zelloberflache transportiert werden. Dort werden die Komplexe durch T-Zellen tiberpruft und konnen ggf. eine lmmunreaktion auslOsen (S. 1124). Da unmittelbar nach der Synthese stets ein betrachtlicher Teil der Proteine fragmentiert wird, unterliegt die Qualitat der produzierten Proteine einer standigen Kontrolle.

Es ist bemerkenswert, dass diese Kontrolle aile Proteine erfasst, unabhangig davon, ob sie an den freien oder den Membran-gebundenen Ribosomen gebildet werden. Einige pathogene Organismen verfiigen tiber Strategien zur Unterdrtickung dieses Kontrollsystems. Es besteht eine Kooperation zwischen der proteasomalen Proteolyse, dem Export nicht gefalteter Proteine aus dem ER und dem Transport von Peptid-beladenen MHC-1-Antigenen aus dem ER ( Abb. 9.26).

Der Abbau der Proteine durch Proteasomen wird meist durch ihre Ubiquitinylierung reguliert. Ubiquitin scheint am Ende einer Reihe von Modifikationen zu stehen, die den Abbau von nicht benotigten und beschadigten, z. B. oxidierten, Proteinen einleiten. Diese Strategie erfordert, dass die Ubiquitinylierung von mehreren E3-Enzymen katalysiert wird, die an ihren Substratproteinen charakteristische Signale erkennen. .,. Ubiquitinyliert werden Proteine, die eine kurze Halbwertszeit haben. Ein Beispiel ist die TyrosinAminotransferase in der Leber. Dieses Enzym wird fur den Abbau der Aminosauren Phenylalanin und Tyrosin benotigt. Es wird durch Glucocorticoide induziert und ist bei Hunger stark erhOht. Am Ende der Resproptionsphase wird es rasch ubiquitinyliert und proteasomal abgebaut. Ein weiteres Beispiel stellt die Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reductase dar, die maggeblich an der Biosynthese des Cholesterol beteiligt ist. Nach einem Anstieg des Spiegels der Mevalonsaure und der Sterole wird das Enzym ubiquitinyliert und abgebaut.

Cytosol

ER-Lumen

,I ®

I

0)

GP -

Clx

Clr

uGP 1. Glc

Sec61p

I I '.~ \ ................ I ® Aminosauren

Abb. 9.26. Faltung und Exportkompetenz glycosylierter Proteine und der MHC+ Komplexe im ER. Glycoproteine werden im nicht-gefalteten Zustand (uGP) glucosyliert (G/c) und von Calnexin (Cix) und/oder Calreticulin (Cir) im ER festgehalten.l Gelungene Faltung: Es kommt zur permanenten Deglucosylierung. Das normal gefaltete Glycoprotein (GP) wird nicht mehr gebunden und kann zum Golgi Apparat transportiert werden. 2- 6 Misslungene Faltung.2 Nicht-gefaltete Glycopeptide werden durch das Translacon (Sec61p) ins Cytosol transportierU Nach Ubiquitinylierung werden

0/

~ cytosolische ~-~i~:tin Proteine diese sowie verschiedene cytosolische Proteine in Proteasomen gespalten.4 Die meisten Peptide werden abgebaut.5 Ein Teil wird jedoch durch den Tapl /Tap2-Kanal in das ER transportiert. 6 MHC+MolekOie werden im ER von Calnexin und Calretikulin festgehalten, solange sie nicht mit passenden Peptiden beladen werden konnen. Die Beladung wird durch Tapasin vermittelt und verleiht dem MHC-1die Transport-Kompetenz. 7 Die transportkompetenten Proteine werden in Vesikel verpackt und Ober ein intermediares Kompartiment (ERG/() zum Golgi-Apparat transportiert 9.3 Abbau von Proteinen

297

9 ~

~

~

Ubiquitinyliert werden Proteine, die einen N-terminalen Argininrest enthalten. Der Abbau kann durch Obertragung von Arginin auf Protein durch eine Arginyl-tRNA induziert werden. Die Arginylierung erfolgt bevorzugt an N-terminalen Glutaminsaureund Asparaginsaureresten. Diese Termini wiederum ki.innen durch Deamidierung von terminalen Glutamin- bzw. Asparaginresten erzeugt werden. Die Abhangigkeit der Ubiqutinylierung von der N-terminalen Aminosaure ist unter dem Begriff ,N-endrule" bekannt. Ubiquitinylierung und Abbau ki.innen bei Proteinen, die die sog. PEST-Sequenzen enthalten, schnell ausgeli.ist werden. Fur diese Sequenzen sind die Aminosauren Prolin (P), Glutaminsaure (E), Serin (S) und Threonin (T) charakteristisch. Enthalten sind sie z. B. in Androgen-, Estrogen- und Vitamin D-Rezeptoren. Die Aktivitat einer PEST-Sequenz und damit der Abbau eines Rezeptors wird durch Phosphorylierung benachbarter Domanen in dem Rezeptormolektil reguliert. Ubiquitinyliert werden Polypeptide, die im ER aus verschiedenen Grunden nicht korrekt gefaltet werden ki.innen. Diese werden durch das Translocon zurtick in das Cytosol transportiert und nach der Modifikation abgebaut. Ein Beispiel daftir ist das bei der cystischen Fibrose am haufigsten veranderte ~F508-Chloridkanalprotein (S. 287, 964), dessen erfolglose Faltungsversuche, von einem starken Anstieg der Konzentration eines Hs-Proteins (Hsp90) begleitet, letztendlich zum Abbau durch Proteasomen in Cytosol ftihren.

Bei einer vererbten juvenilen Form der Parkinsonschen Krankheit wurde ein Defekt eines als Parkin bezeichneten Proteins beschrieben. Das normale Parkin ist ein neuroprotektives Protein mit der Aktivitat eines E3-Enzyms. In Folge von Mutationen des Parkin-Proteins kommt es zu Sti.irungen der Ubiquitinylierung eines als Symphilin-1 bezeichneten Proteins und Apoptose von Neuronen.

Proteasomen konnen auch nicht-ubiquitinylierte Proteine abbauen. Ein Ubiquitin-unabhangiger Abbau durch Proteasomen ist bei Ornithindecarboxylase (S. 508) beschrieben worden. Dieses Enzym ist an der Biosynthese der Polyamine beteiligt. Es wird am Ende der S-Phase im Zellzyklus inaktiviert und abgebaut. Beides wird durch eine Ruckkopplung seitens der Polyamine bewirkt. Mittels einer translationalen Rasterverschiebung (S. 275, 508) wird von den Polyaminen die Synthese eines Regulatorproteins (des Antizyms) stimuliert. Das Antizym bindet die Ornithindecarboxylase, hemmt sie und bewirkt ihren proteasomalen Abbau. Dies bedeutet, dass nicht jedes von den Proteasomen abzubauende Protein ubiquitinyliert werden muss.

298

I

9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Protein en

In Lysosomen und Endosomen kooperieren verschiedene Endo- und Exoproteinasen bei dem Abbau von endo- und autophagozytierten Proteinen, Partikeln und Organellen. In den Lysosomen herrscht ein pH von ca. 4,5, bei dem die meisten lysosomalen Proteinasen optimal arbeiten ki.innen. Fur die Ansauerung ist eine vakuolare ATPase zustandig. Bei dem sauren pH werden endozytierte Fragmente der extrazellularen Matrix, Proteine und Partikel (z. B. LDL) aus dem Medium und auch Membranproteine abgebaut, die in die endocytotischen Vesikel einsortiert werden. Der Abbau endocytierter Proteine beginnt in den endosomalen Kompartimenten. Einige lysosomale Cathepsine und andere Endoproteinasen sind an der Bildung von Oligopeptiden beteiligt, die in Endosomen zum Beladen von MHC-II-Molekulen verwendet werden. In Abhangigkeit von der Beladung ki.innen diese Molektile zur Plasmamembran transportiert werden, wo die Peptide den T-Zellen prasentiert werden. Somit erfolgt die Antigenprasentierung durch die MHC-I- bzw. -II-Molektile in Abhangigkeit von unterschiedlichen Proteinasen. Intrazellulare Proteine und Organellen ki.innen durch mehrere Autophagocytosemechanismen, z. T. mit Beteiligung von Hs-Proteinen, nach einer Ligierung mit einem die Autophagocytose regulierenden Protein (Apg) in die Lysosomen gelangen. Die Regulation des Abbaus von Makromolektilen in den Lysosomen scheint hauptsachlich tiber deren Aufnahme in diese Organellen zu erfolgen. Eine Beschleunigung der Endocytose der Rezeptoren in Folge der Hormonwirkung auf die Zelle kann an der sog.,down-regulation" von Hormonrezeptoren beteiligt sein. Die Ausstattung der Lysosomen mit den Proteinasen wird dem Bedarf des Gewebes angepasst. Das Cathepsin K scheint in nennenswerter Konzentration nur in Osteoklasten und Thyrocyten vorzukommen. Seine Beteiligung an dem Abbau der organischen Matrix des mineralisierten Gewebes wird durch das Krankheitsbild der Pycnodysostosis deutlich, einer Osteochondrodysplasie mit vermindertem Wachstum und Osteosklerose.

Monoubiquitinylierung ist ein Endocytose-Signal Der Spiegel verschiedener Rezeptor- und Transportproteine in der Plasmamembran kann durch Monoubiquitinylierung, d. h. Anheftung jeweils einzelner Ubiquitinmolektile, reguliert werden. Monoubiquitinylierte Membranproteine, z. B. Glycinrezeptoren, werden rasch endocytiert und in MVBs (S.l89) abgebaut. Durch Monoubiquitinylierung wird der Spiegel der EnaC-Natriumkanale im Sammelrohr und damit die Natriumreabsorption reguliert.

9 KERNAUSSAGEN Die Lebensspanne bzw. Halbwertszeit der Proteine ist individuell und in vielen Fallen regulierbar. Ein Teil der Proteine wird unmittelbar nach der Synthese abgebaut. Der Abbau ist z.T. ATP-abhangig und erfolgt in vielen Kompartimenten einschlieBiich des extrazellularen Raumes. Er wird von zahlreichen Proteinasen katalysiert. ... Die Proteinasen lassen sich nach dem Mechanismus der Katalyse, Entwicklungsherkunft und Spezifitat in mehrere Gruppen, Klane und Familien klassifizieren. ... Proteinasen spalten entwederendo- oder exoproteolytisch. ... lhre Spezifitat ist abhangig von der Erkennung (Bindung) der Aminosaureseitenketten, die sich in Nachbarschaft der gespaltenen Peptidbindung befinden.

... Der proteolytische Abbau ist an physiologischen und pathologischen Vorgangen, z. B. Myoblastenfusion, Apoptose und Muskeldystrophie, beteiligt. ... Durch Proteinolyse konnen selektiv beschadigte Proteine gespalten werden. ... Zur lmmunkontrolle wird ein Teil aller neuen Proteine zu Fragmenten abgebaut, die von Histokapatibilitatsantigenen an der Zelloberflache prasentiert werden. ... Der Abbau von Proteinen erfolgt groBtenteils im Cytosol durch Proteasomen und auBerhalb des Cytosols in den Lysosomen.

SCHLOSSELBEGRIFFE Anticodon Aspartatproteinasen cotranslational Cyclophilin Cysteinproteinasen Disulfidbriicken Elongation Endoplasmatisches Reticulum Extein Faltung Farnesylierung Genetischer Code Geranylgeranylierung Glycosylierung Halbwertszeit Hitzeschock-Protein Initiation lntein lsopeptidbindung Lysosom

Metalloproteinasen Membrananker Modifikation mRNA Myristylierung Palmitylierung Peptidyltransferase PEST-Sequenz Peptidyi-Prolyl-cis-trans-lsomerase Phosphatidylinositoi-Membrananker Proteasom Proteinasen Proteinsynthese Proteindisulfidisomerase Polysom posttranslational Praproprotein Proteom Proprotein Ribosom

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Ribozym rRNA Selenocystein Sequon Serinproteinasen Signal-Peptidase Signalsequenz signal recognition particle Suppressor Termination Threoninproteinasen tRNA Translation Triplett Tricorn-Peptidase Translocon Transportsignal Turnover Ubiquitin wobble

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300

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9 Biosynthese, Modifikation und Abbau von Proteinen

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Viren S.

10.1 10.2

10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.2.6 10.2.7 10.3

10.3.1 10.3.2 10.4

10.4.1 10.4.2 10.5

10.5.1 10.5.2

Aufbau und Einteilung der Viren Virusvermehrung und Replikation Adsorption Aufnahme derViruspartikel Freisetzung der Nucleinsaure Genexpression Genomreplikation Morphogenese Freisetzung der Nachkommenviren Folgen der Virusinfektion fiir Wirtszelle und -organismus Zellschadigung und Viruspersistenz Tumorbildung durch Viren Diagnostik von Virusinfektionen Direkter Virusnachweis Bestimmung der lmmunantwort gegen Virusproteine Prophylaxe und Therapie von Virusinfektionen lmpfung Chemotherapie

302 304

306 307 310 310 314 315 317 318

318 319 322

322 322 324

324 326

MODROW

10 ------~.rr-~~rr----~Y

In eI u ng

Viren sind infektiose Partikel, die aus Nucleinsauren und Protein en bestehen. Bei einigen von ihnen findet man Lipide als zusatzliche Strukturkomponenten. Sie sind kleine, einfach aufgebaute lnfektionserreger, die in die Zellen eines Organismus eindringen und sich dort vermehren.Ais Zellparasiten verwenden Viren die Bestandteile der infizierten Wirtszellen fur die Bildung ihrer Nachkommen. lm Gegensatz zu Bakterien und eukaryotischen lebewesen besitzen Viren keinen eigenen Stoffwechsel. Fur ihre Vermehrung stellen sie selbst lediglich die in ihren Genomen verankerten lnformationen bereit, ansonsten sind sie jedoch auf die Energie, die Syntheseleistungen und die molekularen Bausteine angewiesen, die ihnen die infizierten Zellen zur VerfUgung stellen. Virusinfektionen sind beim Menschen mit verschiedenen Erkrankungen wie Grippe, Masern, Windpocken, Kinderlahmung, leberentzundung oder der lmmunschwache AIDS verbunden.Auch sind Viren kausal an der Entstehung von 15 bis 20 Prozent aller menschlicher Tumorerkrankungen beteiligt. Die moderne Molekularbiologie und Genetik hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Explosion des Wissens uber die Details des Virusaufbaus, die Art und Weise ihrer Vermehrung und ihrer Verbreitung gefuhrt. Es floss in die Entwicklung von lmpfstoffen zum Schutz vor lnfektionen und von antiviralen Medikamenten zur Therapie der mit den lnfektionen verbundenen Erkrankungen ein. Auch werden rekombinante,gentechnisch veranderte Viren vermehrt als.Genfahrenueingesetzt, mit welchen man in der Gentherapie bestimmte, durch Gendefekte verursachte Erbkrankheiten des Menschen zu behandeln versucht (s. Kap. 11 ).

10.1 I Aufbau und Einteilung der Viren Viren sind kleine Partikel aus Nucleinsauren, Proteinen und lipiden. Infektiose Viren sind kleine Partikel mit Durchmessern von 20 nm (Parvoviren) bis 300 nm (Pockenviren). Ihre geringe Grofie macht sie ultrafiltrierbar, das heiBt, sie werden durch bakteriendichte Filter nicht zuri.ickgehalten. Die infektiosen Viruspartikel oder Virionen bestehen aus folgenden Bestandteilen (Abb. lO.l): .- Nucleinsiiuren (DNA oder RNA), welche die Erbinformation des Virus darstellt. .- Proteine, die sich zu Hohlkorpern (Capsiden) zusammenlagern und die Erbinformation des Virus einschlieBen.

Membran Membranproteine Glycoprotein

Capsid

Genom (Nucleinsauren) DNA oder RNA

Nucleoprotein

Nucleocapsid Abb. 10.1. Aufbau eines Viruspartikels mit MembranhUIIe 302

I

10 Viren

._ Lipide, welche als Membran (engl. envelope) die Capside umhi.illen. In diese Membranhi.ille, die man nicht bei allen Virusarten findet, sind virale Membran- und Glycoproteine eingelagert.

Ein wichtiges Merkmal, in dem sich die Viren von Bakterien und eukaryotischen Zellen unterscheiden ist, dass sie nur eine Art von Nucleinsaure - namlich DNA oder RNA - enthalten. Diese stellt die Erbinformation der Erreger und kann abhangig vom Virustyp einzeloder doppelstrangig vorliegen, linear, ringfOrmig oder segmentiert sein. Einzelstrangige RNA- und DNA-Genome konnen unterschiedliche Polaritat aufweisen . Dadurch funktioniert bei den Positiv-(Plus-)StrangRNA-Viren - beispielsweise bei den Polio- und Rhinoviren sowie bei den Gelbfieber- oder Rotelnviren - das RNA-Genom als mRNA. Die Genome sind mit viralen Nucleoproteinen (unter anderen bei Rhabdo-, Paraund Orthomyxoviren, Adeno- und Herpesviren) oder zellularen Histonen (Papillomviren) komplexiert und liegen damit als Nucleocapside vor. Bei etlichen Virustypen, wie den Papillom-, den Herpes- oder den Adenoviren ( Abb. l0.2 a, b, c), sind die Nucleocapside in Proteinhohlkorper, die Capside, eingeschlossen. In einigen Fallen sind die Virusgenome ohne nucleinsaurebindende Proteinanteile (unter anderen bei den Polio-, Gelbfieber oder Parvoviren) direkt von den Capsiden umgeben. Bei anderen Viren fehlt die Capsidschicht; die Nucleocapside werden dann nur von der Virusmembran umhi.illt (beispielsweise bei den Rhabdo-, Para- oder den Orthomyxoviren). Die Capside und auch die Nucleocapside sind stabchenfOrmige oder spharische Gebilde aus Proteinen. Stabchenformige Capside besitzen eine helikale Symmetrie, spharische haben ikosaedrischen Aufbau mit Rotationssymmetrie. Beim Ikosaeder sind die Capsidproteine in der Form eines geometrischen Korpers aus 20 gleichseitigen Dreiecken und zwolf Ecken angeordnet. Bei den nicht von einer Lipidschicht umhi.illten Viren erfolgt die Wechselwirkung mit den Wirtszellen

10

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c

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Abb. 10.2 a-c. Aufbau eines Adenovirus. a Modell des Capsids der Adenoviren. Adenoviren enthalten eine lineare, doppelstrangige DNA als genetische Information (Genom). Das ikosaedrische Capsid besteht aus 240 Caspomeren, die jeweils sechs Nachbarproteine haben und die lkosaederecken bilden (Hexone, blau) und 12 Capsomeren an den Ecken (orange) . Diese grenzen an jeweils fUnf Nachbarproteine; man nennt sie deswegen Pentone.An ihnen entspringen die Fiberproteine (griin) . (Aufnahme von P. Stewart und R. Burnett, Wistar lnstitut, Philadelphia) b Querschnitt durch ein Adenovirus. I/ bis IX sind verschiedene virale Strukturproteine, die das Partikel bilden. Orange dargestellt sind die Pentane, blau die Hexone,griin die Fiberproteine. lm lnnern befindet sich das lineare, doppelstrangige DNA-Genom. (Verandert nach Brown DT et al. 1975) c Fiberproteine. Die Fiberproteine sind spikeartige ProteinvorsprUnge, die mit den Pentonproteinen an den lkosaederecken verknUpft sind und bis zu 30 nm aus der Partikeloberflache hervorragen. Ober die Knopfchen an den En den binden sich die Viren an die Rezeptoren auf der Oberflache ihrer Zielzellen. (Aufnahme von P. Stewart und R. Burnett, Wistar lnstitut, Philadelphia). (Nach Loftier u. Petrides 1998)

Viroide, Virusoide und Prionen sind iibertragbare Krankheitserreger von einfachstem Aufbau.

tiber Kontakte der Capsidobertliichen. Auch virusspezifische, neutralisierende Antikorper, die der Organismus wahrend der Infektion als Teil der spezifischen Immunantwort (S.ll35ff.) bildet, sind gegen Strukturen auf der Capsidoberflache gerichtet. Im Unterschied hierzu wird bei den membranumhiillten Viren die Partikeloberflache durch die Komponenten der Lipidschicht und die in ihr verankerten Virusproteine dargestellt. Die Viren konnen die Lipidbestandteile ihrer Membranen nicht selbst synthetisieren. Abhangig vom Virustyp verwenden die Infektionserreger hierfiir Teile von zellularen Membranen wie der Cytoplasmamembran, der Membranen des endoplasmatischen Reticulums oder der Golgi-Vesikel beziehungsweise der Kernmembran.

Viroide sind Pflanzenpathogene und bestehen aus einer ringformigen RNA von etwa 200 bis 400 Nucleotiden, die nicht fur Proteine codiert und eine komplexe zweidimensionale Struktur aufweist. Diese infektiosen RNA-Molekiile werden von zellularen Polymerasen im ,rolling-circle"-Mechanismus vermehrt. Eine zentrale, hochkonservierte RNA-Sequenz ist hierfiir essentiell. An den Obergangen der dabei entstehenden RNA-Sequenzkonkatemere bilden sich Sekundarstrukturen, die man wegen ihrer Form als hammerhead bezeichnet. Sie haben RNase-Aktivitat und schneiden die konkatemeren RNA-Strange nach der Replikation autokatalytisch in einzelne Untereinheiten. Von den hammerhead-artigen RNA-Strukturen leiten sich die Ribozyme ab. Darunter versteht man kleine RNA-Spezies mit sequenzspezifischer RNase-Aktivitat (S.l28). Virusoide (Satellitenviren) sind kleine DNA- oder RNA-Molekiile, die fiir ein bis zwei Proteine codieren, mit welch en sie komplexiert sind. Ihre Replikation und 10.1 Aufbau und Einteilung der Viren

303

10 Verbreitung ist von der Anwesenheit eines anderen Virus abhiingig. Virusoide findet man meist zusammen mit Pflanzenviren, aber auch das humanpathogene Hepatitis-D-Virus, das sich nur bei gleichzeitiger Infektion der Zelle mit Hepatits-B-Viren vermehren kann, gehOrt dazu. Prionen (proteinaceous infectious particles) sind infektiose, fehlgefaltete Formen eines zelluliiren, hochkonservierten Proteins. Nach dem heutigen Kenntnisstand sind sie frei von Nucleinsiiuren, besitzen also keine eigene Erbinformation. Prionen verursachen bei Menschen und Tieren verschiedene Auspriigungen subakuter Encephalopathien. Auf ihre Molekularbiologie und die von ihnen verursachten Erkrankungen wird in Kapitel 3 im Detail eingegangen.

!

Die Einteilung der Viren in Familien und Gattungen erfolgt nach ihren molekularen Eigenschaften. Die Einteilung der Vireo in die unterschiedlichen Familieu erfolgt anhand der folgenden Kriterien: • Der Art des Genoms aus RNA oder DNA sowie der Form, in der es vorliegt, also als Einzel- oder Doppelstrang, in Positiv- oder Negativstrangorientierung, segmentiert oder kontinuierlich, linear oder zirkuliir geschlossen. Auch die Anordnung und Abfolge der Gene auf der Nucleinsiiure ist fiir die Zuordnung der Vireo zu den einzelnen Familien wichtig. • Der Symmetrieform der Capside. .,. Dem Vorhandensein einer Membranhiille. Fiir die Unterteilung der Virusfamilien in verschiedene Gattungen (Genera) konnen dann unterschiedliche Parameter herangezogen werden: Dazu zahlen u. a. ob sie human-, tier- oder pflanzenpathogen sind, die Ahnlichkeit der Genomsequenzen, welche Zelltypen sie infizieren und auch welche Erkrankungen sie verursachen. Die weitere Einteilung in die verschiedenen Virustypen und -subtypen erfolgt dann meist nach serologischen Kriterien. Darunter versteht man das AusmaB, in dem Antikorper, die der Organismus wahrend der Infektion mit einem bestimmten Virustyp als Teil der spezifischen Immunantwort bildet und die sich spezifisch an dessen Oberflachenstrukturen binden, auch Komponenten eines mehr oder weniger verwandten Virus erkennen und sich daran binden. In Tabelle 10.1 sind die verschiedenen Virusfamilien mit wichtigen human- und auch tierpathogenen Vertretern zusammengefasst.

KERNAUSSAGEN Viren sind kleine Partikel mit einer GroBe von 20 bis 300 nm. Sie bestehen aus Proteinen und Nucleinsauren, welche die virale Erbinformation darstellen.lm Unterschied zu Prokaryoten und Eukaryoten findet man in Viren nur eine Sorte von Nucleinsaure, namlich DNA oder RNA. Einige Viren

304

10 Vireo

besitzen als weiteren Strukturbestandteil eine Membranhiille aus Lipiden, die sich von zellularen Membranstrukturen ableitet. Vireo haben keinen eigenen Stoffwechsel, sie verwenden fiir ihre Vermehrung und die Produktion ihrer Nachkommen die Energie- und Syntheseleistungen von Zellen, die sie dazu infizieren. Deshalb sind Vireo obligate Zellschmarotzer oder Zellparasiten. Die Einteilung derViren in Familien und Gattungen erfolgt nach den molekularen Charakteristika ihrer Erbinformation und ihrerViruspartikel.

10.2 1Virusvermehrung und Replikation Als Zellschmarotzer sind Viren auf die lnfektion geeigneter Wirte und Wirtszellen angewiesen. Vireo sind intrazelluliire Parasiten. In der viralen Erbinformation findet man nur eine begrenzte Anzahl Gene.Auch verfiigen sie nicht iiber Organellen wie Mitochondrien, Chloroplasten, endoplasmatisches Reticulum und Golgi-Apparat, Ribosomen, Lysosomen und eigene Stoffwechselsysteme. Bei allen Leistungen, die mit diesen Komponenten verbunden sind, miissen die Vireo auf entsprechende Funktionen der Zellen zugreifen. Deswegen sind sie im Unterschied zu Bakterien und eukaryotischen Zellen nicht dazu in der Lage, sich durch Teilung zu vermehren. Statt dessen haben Vireo Mechanism en entwickelt, in Zellen hineinzugelangen sie zu infizieren- und in ihnen einen Vielzahl an Nachkommen zu produzieren. Dabei bestimmen sowohl die molekularen Charakteristika der verschiedenen Vireo wie auch der Typ der infizierten Zelle den Ablauf des Virusvermehrung. Er lasst sich trotz der Verschiedenheit der Details generell in relativ gut definierte, zeitlich aufeinanderfolgende Phasen einteilen. • Adsorption. Die infektiosen Viruspartikel binden sich spezifisch an bestimmte Rezeptoren auf der Zelloberflache. .,. Partikelaufnahme oder Penetration. Die Viren werden in das Cytoplasm a der Zelle aufgenommen. ... Freisetzung der Nucleinsiiure (Uncoating). Das Virusgenom lOst sich von den Strukturproteinen. .,. Virale Genexpression (Transkription, Translation). Die Gene im Virusgenom werden exprimiert und es erfolgt die Synthese verschiedener Nichtstrukturund Strukturproteine. • Genomreplikation. Es erfolgt die Vervielfiiltigung der viralen Erbinformation. .,. Morphogenese (Virusassembly). Die neu gebildeten viralen Strukturproteine und Genome lagern sich in einem geordneten Mechanismus zu Viruspartikeln zusammen. .,. Freisetzung. Die Nachkommenviren werden von den infizierten Zellen abgegeben und konnen sich we iter verbreiten.

10.2 Virusvermehrung und Replikation

305

10 Tabelle 10.1. (Fortsetzung)

Vlnasfamllle

Genus/Unterfamilie

a.lsplel

Retroviridae

a-Retrovirus

Rous-Sarcom- Viru ja Maus-Mama-Thmor Virus Felines Leukamievirus Humane T -ZellLeukiimie- Viren Humane lmmundefizienzviren Humane pumaviren

100 nmllkosaeder oder Konus

Hepatitis- B-Virus

ja

42 nm

Polyomavirus Papillomavirus

BK,JC-Viren SV40-Virus Humane Warzenviren

nein

Adenoviridae

Mastadenovirus

Humane Adenoviren nein

Herpesviridae

a-Herpesvirus

Herpes-simplex ja Varicella-Zoster Cytomegaloviru Humane Herpes-viren 6/7 Epstein-Barr-Virus Humanes Herpesviru 8 Variola-vera-Viru ja Vaccinia virus

~-Retrovirus

y-Retrovirus b-Retrovirus Lentivirus Spumavirus Hepatitis-B- Virus Hepadnaviridae

Polyomaviridae Papillomaviridae

,8-Herpesvirus

y- Herpesviren Poxviridae

Chordopoxviren

Parvoviridae

Parvovirus Erythrovirus Dependovirus

Circoviridae

Circovirus

Felines Panleukopenie-Virus Parvovirus B19 Adeno-assoziierte Viren Tran fu iontran mitted Virus Chicken-AnaemieVirus

Charakhristlb PartikelgriiBe/ Form des Kapsids oder Nudeokapsids

nein

Genom Art/GriiBe ssRNA,linear, Positivstrang, Umschreibung in dsD A, Integration 7000-12 000 Ba en

DNA, teilweise doppelstriingig; zirkular, 3000-3300 Basen 45-50 nmllkosae- dsD A, zirkular, 5000-8000 Basen der 50-55 nm/lkosae- dsD A, zirkuliirer 7000-8000 Ba en der 60-80 nmllko ae- dsD A, linear, 36000-38000 Ba en der 120-300 nrnllkosae- dsD A, linear, 150000-250000 der Basen

300-450 nm/komplex

nein

20-25 nm/Ikosae der

nein

20 nrnllkosaeder

dsD A, linear, 130000-350000 Ba en ssDNA,linear, 5000 Basen

ssD A,zirkular 3500 Basen

ss einzelstrangig; ds doppelstrangig.

10.2.1

!

Adsorption

Die Viren wah len durch spezifische Wechselwirkung mit Oberflachenmolekulen die Zelltypen, die sie infizieren. Urn eine Zelle zu infizieren, mussen Viren in der Lage sein, bestimmte Rezeptormolekiile auf der OberfHiche der Cytoplasmamembran zu erkennen und sich an diese anzuheften. Diesen Prozess bezeichnet man als Adsorption. Bei den membranumhullten Viren wird diese Wechselwirkung durch Proteine vermittelt, die in die Lipiddoppelschicht der infektiosen Viruspartikel (Virionen) eingelagert sind, bei den membranlosen Viren

306

10 Viren

erfolgt die Interaktion durch bestimmte Proteinstrukturen auf der CapsidoberfHiche. Als zellulare Rezeptoren konnen dabei abhangig vom Virustyp unterschiedliche Oberflachenkomponenten benutzt werden ( Tabelle 10.2): ~ Zelluliire Membranproteine beziehungsweise bestimmte Proteindomanen von ihnen. ~ Kohlenhydrate, die sich als Modifikation komplexer Zuckerstrukturen an zellularen Glycoproteinen befinden. ~ Glycolipide, als Komponenten der Cytoplasmamembran. Die Bindung der Viruspartikel an die zellularen Oberflachenstrukturen ist i. d. R. hoch spezifisch. Sie entscheidet, welchen Zelltyp die verschiedenen Viren infi-

10 Tabelle 10.2. Beispiele fUr Zelloberflachenmolekiile, die ais Virusrezeptoren dienen

~ ~--------------------

~~ ------------------~

HIV

Retroviren

ICAM-I

Rhinovirus, major group CoxsackievirusAI3,18,21

Picornaviren Picornaviren

CD ISS

Poliovirus

Picornaviren

Vitronectin

Coxsackieviru A9

Picornaviren

CD46

Masernvirus

Paramyxoviren

CD21 (Komplement-Rezeptor C3 d)

Epstein-Barr-Virus

Herpe viren

Aminopeptidase

Coronaviren, 229E-Gruppe

Coronaviren

lnfluenzaviren Parainfluenzaviren

Orthomyxoviren Paramyxoviren

Proteine CD4-Rezeptor + Chemokinrezeptor

Kohlenhydrate und Glycolipide Sialinsaure ( -Acetyl- euraminsaure) Heparansulfat

Herpes-simplex-Viren

Herpesviren

Globosid (Blutgruppen-Antigen P)

Parvovirus 819

Parvovirus

zieren ki.innen. Die Spezifitat der Wechselwirkung ist aber auch dafiir verantwortlich, dass selbst nah miteinander verwandte Viren die Speziesschranke nur selten iiberspringen ki.innen. Bestimmte Viren, beispielsweise die Humanen Immundefizienzviren ( Abb. 10.8). Eines der Transkripte iiberspannt auch hier die gesamte Genomlange, wobei die En den sogar miteinander iiberlappen. Dieses wird fur die Synthese der Capsidproteine und einer Reversen Transcriptase eingesetzt. Letztere schreibt auch die iiberlangen Transkripte in doppelstrangige DNA urn und ist damit fur die Synthese der HepadnavirusGenome verantwortlich.

10.2.61 Morphogenese Der Zusammenbau der Virusproteine und Genome zu Partikeln erfolgt in einem Self-Assembly-ProzeG und ist weitgehend unabhangig von zellularen Funktionen. Nach dem Replikationsvorgang liegen in der Zelle die viralen Strukturproteine und auch die jeweiligen Genome in vielfachen Kopien vor. Diese miissen sich zu partikularen Strukturen, Capsiden und infektiosen Viren zusammenlagern. Bei allen membranumhiillten und auch bei den meisten anderen Viren findet der Zusammenbau an Membrankompartimenten in der Zelle statt. Diese stellen den Infektionserregern auch ihre Membranhiille zur Verfiigung. So nutzen beispielsweise die Retro-, Rhabdo-, Para- und Orthomyxoviren die Cytoplasmamembran als Ort fur die Morphogenese ( Abb. 10.4), wohingegen das Assembly der Flavi-, Toga-, Arena- und Hepadnaviren an der Membran des endoplasmatischen Reticulums stattfindet. Die Bunyaviren verwenden die Membran der Golgi-Vesikel und die Herpesviren die innere Kernmembran.

10.2 Virusvermehrung und Replikation

315

10 ..._ Abb.10.9a-d. Bildung von lnfluenzaviren mit neuen Eigenschaften durch Reassortment der Genomsegmente.lnfluenzaviren haben ein segmentiertes Genom, das aus acht Segmenten einzelstrangiger RNA besteht, die von einer HUIImembran umschlossen sind. In die HUIImembran sind die viralen Oberflachenproteine (Hamagglutinin, Neuraminidase und das M2-Protein) eingelagert. a Es existieren verschiedene lnfluenzavisegmentienes Genom (8 RNA-Segmente) rus-Typen, die Vogel (Enten, Mowen, etc. rot), Saugetiere (Schweine, Pferde) oder Menschen (griin) infizieren konnen. Gewohnlich sind die Viren spezifisch, das hemt, Vogelinfluenzaviren konnen Menschen nicht infizieVogelinfluenzavirus humanes lnfluenzavirus ren und umgekehrt. b Schweine sind jedoch empfanglich sowohl fUr vera schiedene Vogelinfluenzaviren wie auch fUr humane lnfluenzaviren. Bei der lnfektion eines Schweines mit beiden Virusarten konnen die Epithelzellen des Tieren doppelt infiziert werden. Dabei binden sich die Viren Ober das Hamagglutinin an Acetylneuraminsaure-haltige Kohlenhydratstrukturen auf der Zelloberflache. c Die Viren vermehren ihre Genomsegmente im Kern der infizierten Zelle und produzieren virale Proteine. Dabei kommt es zur Vermischung der Genomsegmente und der Proteine von aviaren und humanen lnfluenzaviren. d Deshalb werden bei der Virusmorphogenese Mixturen an unterschiedlichen Genomsegmenten in die von der Zelloberflache freigesetzten Nachkommenviren verpackt. So konEpithelzelle nen neue Viren entstehen, die neue Eigenschaften (Hamagglutinin- und eines Schweines Neuraminidasetypen) haben und gegen die in der mensch lichen Bevolkerung kein lmmunschutz besteht Hamagglutinin

V-- c - - - M2-Protein

b

0

0 0

0~

0 0 0

virale RNA-Genom Segmente



0

0

0

0

virale Proteine

Viele Vorgange bei der Virusmorphogenese sind nicht endgultig geklart, beispielsweise weiB man nicht, ob zellulare Proteine, etwa Chaperone, den Zusammenbau der Komponenten beeinflussen. So ist beispielsweise in den Virionen des Humanen Immundefizienzvirus Typ 1 das Chaperon Cyclophilin, eine Prolyl-cistrans-Isomerase, enthalten (S.283). Ob seine Aktivitat fur die Infektiositat der Viren wichtig ist, ist nicht endgultig geklart.

Ungenauigkeiten beim Zusammenbau der Viren mit segmentierten RNA-Genomen konnen die Bildung von neuen Virustypen bewirken.

Austausch der Oberflachenproteine Hamagglutinin/Neuraminidase durch Neukombination der Genomsegmente => Bildung von Viren mit neuen Eigenschaften und veranderter lnfektiositat d

316

10 Viren

Besonders kompliziert erscheint der Zusammenbau der verschiedenen Komponenten bei den Viren, deren Genom in Segmente unterteilt ist, wie beispielsweise bei den Influenza-A-Viren, dem Erreger der klassischen Virusgrippe. Ihr Genom liegt in acht Segmenten vor, von denen ein jedes fur die Synthese von ein bis zwei speziellen Virusproteinen verantwortlich ist. Die Nachkommenviren mussen folglich von jedem Segment mindestens eine Kopie in den Partikeln verpacken. Es gibt dafiir jedoch keinen speziellen Mechanismus. Untersucht man die Influenza-A-Viren hinsichtlich ihres Gehalts an RNA-Segmenten, dann findet man anstatt der acht meist elfbis 14 Genomabschnitte. Die Viren nehmen beim Zusammenbau immer so viele RNA-Segmente in die neu gebildeten Partikel auf, wie es deren Morphologie zulasst. Damit erhohen sie die Wahrscheinlichkeit, dass von den acht unterschiedlichen Abschnitten jeweils eines verpackt wird. Jedoch ist trotz dieses Tricks die Zahl der nicht infektiosen Influenza-A-Viren in der Population der Nachkommenviren noch immer recht hoch. Die Erreger kompensieren dies durch die groBe Menge der produzierten Partikel. Dieser relativ einfache Verpackungsmodus der

10 RNA-Segmente erklart auch die Entstehung neuer Influenzaviren, welche in der Humanbevolkerung Pandemien hervorrufen. Diese weltweiten Influenza-Epidemien sind dadurch gekennzeichnet, dass die dabei auftretenden Influenzaviren auch die Menschen infizieren, die bereits in einer der vorangegangenen Pandemien eine Influenzavirus-Infektion iiberstanden und in ihrem Verlauf eine schi.itzende Immunantwort ausgebildet hatten. Diese Pandemien ereigneten sich wahrend des letzten Jahrhunderts in Abstanden von etwa zehn bis 20 Jahren und waren durch das Auftreten von Influenza-A-Viren gekennzeichnet, deren Oberflachenproteine, das Hamagglutinin und die Neuraminidase, bis zu diesen Zeitpunkt nur bei tierpathogenen Influenza-A-Viren gefunden wurden. Damit derart neue Virustypen entstehen, infizieren vermutlich verschiedene tier- und humanpathogene Influenza-A-Virus-Typen gleichzeitig bestimmte Wirtsorganismen, in deren Zellen sich Virustypen unterschiedlicher Spezifitat vermehren konnen. Als ein solcher Wirt gilt das Schwein, das sowohl fur Infektionen mit Gefliigel-Influenza-A-Viren wie auch mit den humanpathogenen Virustypen empfanglich ist. Wird dabei gelegentlich eine Zelle gleichzeitig mit Viren der unterschiedlichen Typen infiziert, dann erfolgt bei der Morphogenese auch die zufallige Verpackung der Segmente von den unterschiedlichen Viren. In seltenen Fallen entsteht im Verlauf dieses Reassortments (phenotypic mixing) eine Variante der Influenza-A-Viren mit immunologisch neuen Eigenschaften der Oberflachenproteine (antigenic shift), gegen welche in der menschlichen Bevolkerung kein Immunschutz vorliegt und die sich deshalb effizient und schnell verbreiten kann (Abb. 10.9).

10.2.71 Freisetzung der Nachkommenviren Die Freisetzung der infektiosen Nachkommenviren von den infizierten Zellen ist fUr die Verbreitung der Erreger essentiell. Ein Weg zur Freisetzung der Viren von den Zellen ist die Knospung (Budding). Er ist an die Orte gebunden, an denen auch die Morphogenese ablauft. So knospen die Viren, die sich an der Cytoplasmamembran zusammenlagern, von der Zelloberflache (Abb. 10.10). Diejenigen, die sich an den Membranen des endoplasmatischen Reticulums oder des Golgi-Vesikel assemblieren, schniiren ihre Partikel in das Lumen dieser Organellen ab und werden im weiteren Verlauf tiber die Golgi-Vesikel zur Zelloberflache transportiert und dort gleichsam in die Umgebung sezerniert. Eine andere Moglichkeit der Virusfreisetzung ist mit dem Absterben der infizierten Zellen verbunden. Viele Erreger schadigen ihre Wirtszelle im Infektionsverlauf so stark, dass sie nicht mehr lebensfahig ist. Dies geschieht nicht nur durch die parasitare Lebensweise der

Abb. 10.10. Freisetzung der Nachkommenviren durch Knospung der Partikel von der Zelloberflache am Beispiel des humanen lmmundefizienzvirus. Gezeigt ist eine elektronenmikroskopische Aufnahme von HIV-infizierten T-Lymhozyten (Aufnahme von H. Frank, Tiibingen, aus Kulturen von H. Kurth,Frankfurt).Vergr.66 000:1 . (A us Loffler u. Petrides 1998)

Viren, sondern auch durch den so g. virus-host-shut-off. Hierbei greifen die Viren mit bestimmten Proteinen in die Stoffwechselprozesse der Zelle ein und steuern diese zu ihren Gunsten urn. Die infizierten Zellen versuchen diesen Vorgangen haufig durch Einleitung der Apoptose, des programmierten Zelltods (S. 213) zuvorzukommen. Bei einigen der Viren, beispielsweise den Retroviren, finden nach der Freisetzung Reifungsvorgiinge statt, die fiir die Ausbildung der Infektiositat der Viruspartikel obligat sind. So spaltet beispielsweise erst zu diesem Zeitpunkt die Protease der Humanen Immundefizienzviren sich autokatalytisch aus dem Vorlauferprotein Gagpol heraus und zerschneidet die Gag- und Gagpol-Polyproteine in die verschiedenen Strukturproteine und Enzyme, die man in den infektiosen HIVViren findet (Abb.10.3, 10.4).

10.2 Virusvermehrung und Replikation

317

10 KERNAUSSAGEN Die Vorgange bei derVirusvermehrung lassen sich generell in bestimmte Abschnittegliedern.Zu Beg inn steht die Adsorption,das heiBt die Bindung derViruspartikel an bestimmte Oberflachenkomponenten (zellulare Membranproteine oder Kohlenhydratsrukturen) ihrer Zielzellen.DieserVorgang bestimmtweitgehend die Zell- und Wirtsspezifitat derViren.Die Aufnahme derViruspartikel kann je nach Virustyp durch rezeptorvermittelte Endocytose oder durch Fusion derCytoplasmamembran mit der Virushiillmembran erfolgen.Nach der Freisetzung derviralen Erbinformation in der Zelle (Uncoating) werden dieviralen Gene exprimiert.Je nachdem,ob die Viren iiber RNA- oder DNAGenome, in einzelstrangiger oder doppelstrangiger Form, in Negativ- oder Positivstrangorientierung verfiigen, verwenden sie hierfiirspezielle Verfahrensweisen. Die dabei produzierten viralen Proteine lassen sich in solche mitenzymatischen und regulatorischen Funktionen (Nichtstrukturproteine) und in Strukturproteine einteilen.Die Replikation des Virusgenoms ist meist von der Aktivitat bestimmter Enzyme als Teil derviralen Nichtstrukturproteine (Polymerasen, Proteasen) abhangig. Die Nachkommenviren werden aus den neu gebildeten Genomen und den Strukturproteinen im einem.self-assembly"-Prozess zusammengebaut.Sie werden durch Knospung (Budding) von der Zelloberflacheabgegeben oder nach dem Absterben der Zelle durchApoptoseoderNekrose in die Umgebung freigesetzt.

10.3 1 Folgen der Virusinfektion

fUr Wirtszelle und -organismus

10.3.1 Zellschadigung und Viruspersistenz

! Abhangig vom Erregertyp konnen

Virusinfektionen fUr die Zellen und die Wirte unterschiedliche Folgen haben.

Zellzerstorung und Apoptose~ Infolge einer Virusinfektion kann die Zelle zerstort werden und absterben. Hierfiir konnen direkte Wirkungen der Virusproteine (,virus-host -shut -off"-Faktoren) ebenso verantwortlich sein wie die indirekte Einflussnahme des infizierten Wirtsorganismus. Dieser aktiviert im Infektionsverlauf eine Vielzahl von unspezifischen und spezifischen immunologischen Abwehrmechansimen, welche sowohl die Krankheitserrger selbst wie auch die von ihnen infizierten Zellen bekampfen (S.ll23 ff.). Meist findet man jedoch eine Kombination der direkten, replikationsbedingten und der immunologisch verursachten Zellschadigungen. Der dadurch ausge!Oste Zelltod wird als Nekrose bezeichnet. Dabei kommt es zur Zellschwellung und zum Verlust der Membranintegritat, spat wird auch die DNA abgebaut. In der Umgebung der nekrotischen Zelle kommt es zu weiteren Ent318

I

10 Viren

ziindungs- und Immunreaktionen, die auch die Zellen in der Nachbarschaft schadigen. Daher sind von den nekrotischen Vorgangen meist groBere Zellbereiche in einem Organ betroffen. Alternativ hierzu kann die infizierte Zelle den Prozess der Apoptose einleiten (S. 213). Dieser Vorgang kann auch als eine Art der Abwehrreaktion des Organism us angesehen werden, mit welcher dieser versucht, den durch die Virusreplikation bedingten Schaden zu begrenzen. Virusinfektionen, die mit massiven Zellschadigungen und damit auch mit rodlichen Folgen fiir den Organismus verbunden sind, sind in immunologisch gesunden Wirten relativ selten. Ein Virus, dessen Infektionen regelmaBig mit derart drastischen Auswirkungen verbunden sind, wiirde sich mit Abtoten seiner Wirte auch selbst ausrotten und hatte langfristig keine Uberlebenschancen. Derartige Infektionsverlaufe ereignen sich daher bevorzugt in immunologisch nicht kompetenten Wirten (Transplatationspatienten, Neugeborene, HIV-Patienten, Patienten mit erblichen Storungen des Immunsystems) oder in den Fallen, in denen ein Virus, das iiblicherweise tierpathogen ist, auf den Menschen iibertragen wird. Ein Beispiel dafiir sind die Infektionen mit den Marburg- und Ebolaviren, die iiblicherweise bestimmte Affenarten als natiirliche Wirte infizieren. Werden die Viren durch Kontakt mit den infizierten Tieren auf Menschen iibertragen, dann entwickeln diese haufig die Symptome des todlichen hamorrhagischen Fiebers. Chronisch-persistierende Virusinfektion~ Die Zelle iiberlebt die Virusinfektion, produziert aber kontinuierlich geringe Mengen von Viren und ist damit chronisch-persistierend infiziert. Bestimmte Viren haben sich an ihre Wirte sehr gut angepasst. Ihre Replikationsstrategien schadigen die Zelle daher nicht akut, langfristig kann es aber auch hier zum Tod der Zelle kommen. Diese Viren haben meist auch vielfache Mechanismen entwickelt, den immunologischen Abwehrmechanismen des Wirtes zu entgehen. Eine Moglichkeit ist dafiir die kontinuierliche Variation der Domanen in den Oberflachenproteinen, an die sich neutralisierende Antikorper bin den. Diesen Weg beschreiten beispielsweise die Humanen Immundefizienzviren und die Hepatitis-C-Viren. Latent infizierte Zellen~ Die Zelle iiberlebt die Virusinfektion und das Virusgenom bleibt in latentem Zustand erhalten, ohne dass infektiose Partikel gebildet werden. Die Genome konnen jedoch durch bestimmte auBere Einfliisse auf die Zellen zur erneuten Expression der Virusgene und Synthese von infektiosen Viren angeregt werden. Diese sind dann wiederum in der Lage, neuerlich Zellen zu infizieren und zu schadigen, wodurch rekurrierende, wiederkehrende Erkrankungssymptome (Rezidive) auftreten. Die Viren, die im Menschen chronisch-persistierende oder latente Infektionsformen etablieren, sind in ® Tabelle 10.4 zusammengefasst. Neb en der kontinuierlichen Schadigung der Zellen bestimmter Organe ihrer Wirte sind viele dieser Infektionserreger auch in

10 Tabelle 10.4. Virusinfektionen des Menschen, bei denen man regelmamg persistierende beziehungsweise latente Verlaufe beobachtet Virus

Erstinfektion

Symptome

bei Persistenz Hepatitis-C-Virus

Leberentziindung

Leberzirrhose Leberzellcarcinom

Masernvirus

Masern

subakute, sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)

Humanes l=undefizienzvirus (HfV)

Fieber, Lymphknotenschwellung

lmmundefizienz

Hepatitis-G-Virus

adulte T-Zell Leukamie, trophisch-spastische Paraparese

Humanes T-Zell leukiimie-Virus (HTLV-I) Leberzirrhose Leberzellcarcinom

Hepatitis-B-Virus

Leberentziindung

Papillomviren

Warzen, HautHisionen

Adenoviren

Keratokonjunktivitis Fieber, Halsschmerzen, Durchfall

Herpes-simplex-Virus

Entzi.indungen/Mund-, Genitalschleimhaut

Herpes labialis Herpes genitalis

Zervixcarcinom, Epidermodysplasia verruciformis

Varizella-Zoster-Virus

Windpocken

Giirtelrose

Zytomegalievirus

Fieber, Lymphknotenschwellung (selten) zytomegale Einschlusskorperchenkrankheit (in Feten und Neugeborenen)

bei Immundefekten: Pneumonie, Hepatitis, Choriomeningitis

Humane Herpesviren 6, 7

Dreitagefieber

der Lage, die von ihnen befallenen Zellen zu immortalisieren. Diese erhalten dadurch die Fahigkeit zur unendlichen Teilung, ein Vorgang, der mit der Transformation, das heiBt der malignen Entartung zur Tumorzelle verbunden sein kann (S. 378).

10.3.21 Tumorbildung durch Viren Man schatzt, dass etwa 15 his 20 Prozent aller Tumorerkrankungen des Menschen kausal mit Virusinfektionen verbunden sind. In all diesen Fallen ist es niemals die akute Infektion, die zur Tumorbildung fiihrt. Es handelt sich in aller Regel urn langsame, sich schrittweise ausbildende Vorgange, die sich in der Folge von persistierenden oder latenten Infektionen entwickeln konnen ( Tabelle 10.4). Die meisten Viren, die mit Tumorerkrankungen des Menschen verbunden sind, haben ein DNA-Genom. Ausnahmen sind nur die Hepatitis-C-Viren, die zur Familie der Flaviviren zahlen und Lebercarcinome verursachen, sowie die Humanen TZell-Leukamieviren, Vertreter der Retroviren, die an der Ausbildung der sog. adulten T-Zell-Leukamie (ATL) beteiligt sind.

Die v-onc-Gene der Oncoviren sind ursprUnglich zellulare Gene, die vielfache Mutationen aufweisen. Retroviren als Verursacher von Tumorerkrankungen bei Tieren waren schon friih bekannt: 1911 hatte Peyton Rous beschrieben, dass Viren bei Gefliigel Sarkome hervorrufen. Spater fand man, dass dieses Rous-SarkomVirus Zellen auch in der Gewebekultur transformieren kann ( Abb.10.11). Neben den Rous-Sarkom-Viren konnen eine Vielzahl von weiteren Retroviren aus den Gattungen der a -,(3- und y-Retroviren ( Tabelle 10.1) bei Vogeln und Nagetieren unterschiedliche Krebserkrankungen wie Lymphome, Carcinome und Sarkome auslosen. Die meisten wurden aus Inzuchtstammen der jeweiligen Tierarten oder aus Zellkulturen isoliert, sie verursachen in der Natur die entsprechenden Tumoren nur selten. Eine Ausnahme sind die Leukoseviren der Katze (FeLV), welche die Katzenleukose unter natiirlichen Bedingungen iibertragen. Das tumorerzeugende Potential beruht auf der Synthese von transformationsaktiven Proteinen (v-Onc), deren Information im Virusgenom verankert ist. Sie werden zusammen mit den viralen Enzymen und Strukturproteinen wahrend der Infektion produziert, nach10.3 Folgen derVirusinfektion fiirWirtszelle und ·organismus

319

10 Fast ein Viertel der Krebserkrankungen des Menschen sind durch Viren verursacht. Folgende maligne Tumorerkrankungen des Menschen stehen mit einer Virusinfktion in direkter Verbindung: .,. Primares Leberzellcarcinom: Hepatitis-B- und die Hepatitis-C-Viren . .. Zervixcarcinom und Carcinome der Genitalschleimhaut, Epidermodysplasia verruciformis und verschiedene bosartige Hauttumoren: Papillomviren als wichtigste Tumorviren des Menschen . .. Burkitt-Lymphom (B-Zell-Lymphome bei Kindem in Afrika), Nasopharynxcarcinom: Epstein-Barr-Virus. .. Kaposi-Sarkome, Effusionslymphome, multizentrische Castleman-Erkrankung: Humanes Herpesvirus Typ8 . .,. Adulte T-Zell-Leukamie: HTLV-1. Adenoviren, deren Infektion beim Menschen bisher nicht eindeutig mit Krebserkrankungen assoziiert werden konnten, rufen bei neugeborenen Nagetieren Tumoren hervor. Sie sind ein wichtiges Modellsystem zur AufkHirung der molekularen Prozesse bei der Transformation der Zellen.

Abb. 10.11. Transformation von Fibroblastenzellkulturen durch das Rous-Sarkom-Virus. Normale Fibroblasten sind flach, gestreckt und bilden einen dichten Zellrasen aus (oben). Nach der lnfektion mit dem Virus runden sich die Zellen ab, ltisen sich von der Unterlage und wachsen in grtifleren Haufen unkontrolliert (Aufnahme von G. S. Martin, Berkeley). (Aus Ltiffler u. Petrides 1998)

dem die virale Nucleinsaure als Provirus ins Wirtsgenom integriert wurde. Die v-Onc-Proteine ahneln zellularen Produkten (c-One), die iiberwiegend an der geregelten Zellteilung beteiligt sind (Abb.10.12). Die vOnc-Proteine sind aber gegeniiber ihren jeweiligen zellularen c-Onc-Homologen durch Mutationen so verandert, class sie im Gegensatz zu diesen konstitutiv, das heifit andauernd aktiv und nicht regulierbar sind. Diese Daueraktivitat bewirkt dann die Transformation und leitet die unkontrollierte Teilungsfahigkeit der Zellen ein.

SH2 63 G D

YrTT 9

R T D L

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N

10 Viren

Die DNA-Tumorviren und auch das Hepatitis-C-Virus besitzen keine klassischen v-onc-Gene, wie man sie bei den Retroviren findet. Die DNA-Tumorviren schalten durch bestimmte virale Regulatorproteine gezielt die Funktion der zellularen Tumorsuppressorproteine aus und leiten so die Transformation der Zellen ein. Zugleich ist in diesen Zellen die Produktion von Nachkommenviren unterbunden- dies ist eine Voraussetzung fiir die Immortalisierung, weil die Virussynthese iiblicherweise zur Schadigung und zum Sterben der Zellen fiihrt. Tumorsuppressorproteine oder Antionkogene sind eine Gruppe von zellularen Regulatorproteinen. Zu ihnen zahlt man das Antionkogen p53, die sog. Retinoblastomproteine Rb105/107 und andere (S. 1166). Alle haben die Aufgabe, die Teilungsrate der Zellen zu kontrollieren (S. 212, 1166). Viren sind i. allg. darauf ange-

Kinase 338 T

v

Abb.10.12. Vergleich Aminosauresequenzen des c-Src-Proteins des Huhns und des v-Src -Proteins des Rous-Sarkom-Virus. Die Mutationen sind durch Zahlen hervorgehoben. Darunter sind die Aminosaurereste an320

Viren sind fUr ihre Vermehrung darauf angewiesen, dass sich die Zellen teilen deswegen verandern sie die Aktivitat der Tumorsuppressoren.

467 469

474 501 515

533.....

·············

527 FLEDYFTSTEPQYQPGENL

v

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Q K

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R R QLLPACVLEVAE

gegeben, die sich durch die Mutationen zwischen dem zellularen Genprodukt und dem viralen Protein geandert haben (Nach Liu & Parson 1994). (Modifiziert nach Loftier u. Petrides 1998)

10 wiesen, dass sich Zellen moglichst schnell teilen: Ihr eigener parasitarer Vermehrungszyklus benotigt die hohen Stoffwechselraten und den Energieumsatz von proliferierenden Zellen. Einige Viren haben deshalb Fahigkeiten entwickelt, die Zellen zur Teilung anzuregen: Sie schaffen sich damit in den Zellen das zu ihrer Vervielfaltigung notwendige Umfeld. Auch wenn sie sich in den Details der Vorgehensweise unterscheiden, ist ihnen gemein, dass sie die zellularen Regulatoren der Zellteilung, namlich die Tumorsuppressorproteine, in ihrer Aktivitat beeinflussen. .,. Das E6-Protein der Papillomviren bindet sich an das p53-Protein (S. 1167) und bewirkt dessen Ubiquitinylierung. Dieses wird daraufhin durch die Proteasomen abgebaut, die Zellen verarmen an p53, Schaden in der DNA werden nicht korrigiert und die Zellen treten verfriiht in die Mitose ein. .,. Das E7-Protein der Papillomviren interagiert mit den Retinoblastomproteinen RBlOS (S.212). Dieses liegt in seiner unphosphorylierten Form im Komplex mit den Transkriptionsfaktoren E2F und DPl vor und inaktiviert diese. Die Bindung des E7-Proteins bewirkt, dass der Komplex mit den E2F- und DPl-Proteinen gelost wird und diese ihre Aktivitat entfalten konnen. Die Zellen treten damit verfriiht von der G1- indie S-Phase des Zellzyklus ein. Ahnlich wie das E7-Protein der Papillomviren wirkt auch das E1A-Protein der Adenoviren. .,. Das X-Protein der Hepatitis-B-Viren tritt in Wechselwirkung mit dem p53-Protein und dem DDBlProtein (engl. damaged DNA binding protein) der Zellen. Man vermutet, dass hierdurch die fiir die Aktivitat des p53 notwendige Tetramerisierung unterbunden wird. Eine ahnliche Wirkung scheint auch das ElB-Protein der Adenoviren zu besitzen. Auch das DDBl-Protein wird aktiv, wenn in den Zellen DNA-Schadigungen vorliegen. Es verzogert durch seine Funktion den Dbergang von der G1- in die SPhase des Zellzyklus. .,. Das EBNAS-Protein des Epstein-Barr-Virus interagiert sowohl mit dem p53- wie mit dem RBI OS-Protein - allerdings ist seine Wirkung auf die Funktion dieser Proteine noch ungeklart.

Die lmmortalisierung der Zellen durch Viren ist von mehreren Einzelschritten abhangig. Auch findet man b ei lalen menschlichen Tumorviren, dass sie die Aktivitat verschiedener Cycline sowie der Cyclin-abhangigen Kinasen beeinflussen. Als Folge treten die Zellen zu schnell indie S- beziehungsweise in die M-Phasen des Zellzyklus ein. Den Viren wird so ermoglicht, sich zu vervielfiiltigen und Nachkommen produzieren. Die Zellen werden dadurch jedoch iiblicherweise schwer geschadigt. Das bedeutet, dass die Einleitung der Zellteilung mit der Folge der gesteigerten Virusproduktion die Zellen nicht zur Immortalisierung fiihren kann - hierzu bedarf es folglich zusatzlicher Ereignisse. Alle Tumorviren d es M enschen verursachen persistierende

oder latente Infektionen- sie verbleiben also nach einer Infektion im Organismus und produzieren dabei kontinuierlich oder in Abstanden Nachkommen. Wahrend dieser lang andauernden Infektionen kann es zu ,Unfiillen" kommen, verbunden mit der Folge, dass der Infektionszyklus unterbrochen wird und die Bildung von neuen Viren unterbleibt, die erhohte Teilungsrate aber aufrecht erhalten wird. Hierfiir konnen unterschiedliche Vorgange verantwortlich sein: .. Das gesamte Virusgenom oder Teile davon wird in die Zell-DNA integriert. Durch die damit verbundene Deletion von Teilen des Virusgenoms ist der Infektionszyklus unterbrochen. .,. Die Viren verandern sich durch Mutationen, welche die Replikation unterbinden. .,. Die Viren gelangen in Zellen, in welchen der Infektionszyklus nicht vollstandig ablaufen kann. Es erfolgt dann nur die Synthese eines Teils der friihen Virusproteine - darunter die Regulatoren, welche die Aktivitat der Antionkogene beeinflussen. Die geschilderten Ereignisse reichen jedoch noch immer nicht aus, urn eine sich schnell und unendlich teilende - das hei6t immortalisierte - Zelle zur transformierten Tumorzelle werden zu lassen. Hierfiir sind zusatzliche Vorgange notwendig. Die Zellen miissen namlich dem Immunsystem entgehen, welches normalerweise derartig veranderte Zellen als ,fremd" erkennen kann. Auch das Programm der Apoptose muss ausgeschaltet werden. Es sind also in allen Fallen viele Schritte, die bei der virusbedingten Zelltransformation und Tumorbildung zusammenwirken miissen.

KERNAUSSAGEN Viren sind obligate Zellparasiten.Sie infizieren fiir ihre Vermehrung Zellen und nehmen dabei Einfluss auf deren Stoffwechselprozesse und auf die Zellteilung. Bestimmte Viren schadigen dabei ihre Wirte so stark, dass die infizierten Zellen absterben. Haufig wird in ihnen derVorgang der Apoptose eingeleitet, der zum programmierten Zelltod fiihrt. Daneben tragen nekrotische und immunpathologische Prozesse zur Schadigung der infizierten Zellen und Gewebe bei. Nicht bei allen Virusinfektionen sind die zellschadigenden Ereignisse stark ausgepragt. Dann konnen sich persistierende oder latente lnfektionsformen etablieren.ln bestimmten Fallen sind die persistierenden Virusinfektionen die Basis fiir die lmmortalisierung der infizierten Zellen. Dabei beeinflussen die Viren uber die Funktion ihrer Regulatorproteine zellulare Tumorsuppressorproteine, mit der Folge einer erhohten Zellteilungsrate. ln Verbindung mit zusatzlichen Einflussen konnen diese Zellen transformiert werden, maligne entarten und sich zu Tumoren ausbilden.

10.3 Folgen derVirusinfektion fiirWirtszelle und -organismus

321

10 10.4 1 Diagnostik von Virusinfektionen Bei der Diagnostik von Virusinfektionen kann man einerseits die lnfektionserreger selbst oder die gegen sie gerichteten lmmunreaktionen nachweisen. Die heute durchgefiihrte spezifische Diagnostik von Viruserkrankungen beruht auf den Methoden der modernen Molekularbiologie. Man unterscheidet dabei zwei grundsatzlich unterschiedliche Vorgehensweisen: "' Den direkten Nachweis der Viren bei akuten oder chronisch-persistierenden Infektionen. "' Den indirekten Nachweis der Virusinfektion iiber die sich im Infektionsverlauf ausbildende spezifische Immunantwort des infizierten Organism us.

10.4.1

!

Direkter Virusnachweis

Um Viren direkt nachzuweisen, muss man die Erreger oder ihre Erbinformation vervielfaltigen. Eine Voraussetzung fiir den direkten Nachweis von Viren ist meist ihre Vermehrung. Nur gelegentlich, und dann iiberwiegend bei akuten Infektionen, fin den sich die Viren in solch gro~en Konzentrationen im Organismus, dass man auf diesen Schritt verzichten kann. Diese Vermehrung kann durch die Zuchtung der Viren in dafiir geeigneten Zellkulturen erfolgen - eine Vorgehensweise, die auch heute noch nicht bei allen Viren angewandt werden kann. So stehen keine Zelllinien oder andere Kultursysteme zur Verfiigung, in welchen man beispielsweise die Hepatitis- B-Viren oder das Parvovirus Bl9 vermehren kann. Jedoch miissen sich an die Anzucht geeignete Systeme zum Nachweis der Viren in den Kulturen anschlie~en. Dazu werden neben der klassischen Methode der Elektronenmikroskopie Hiimagglutinations-, Immunfluoreszenz- und ELISATests eingesetzt. Alternativ zum Nachweis der Viren oder einzelner Viruskomponenten wurden in den letzten Jahren hi:ichst empfindliche Systeme entwickelt, mit welchen man virale Nucleinsauresequenzen aufspiiren kann. Urspriinglich setzte man dafiir die nach Reinigung der Virusgenome aus den Zellkulturen oder aus Patientenmaterial (Serum, Blut, Rachenspiilwasser, Gelenkpunktate etc.) die Methode des Southern Blots ein (S. 163). Heute verwendet man jedoch statt dessen die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) (S. 234) zum schnellen, hochspezifischen Nachweis der viralen Nucleinsauren, die im positiven Fall als ein direktes Indiz fiir das Vorhandensein der Erreger gewertet werden kann. Mit ihrer Hilfe kann man in den Patienten aber auch das Vorhandensein von latent in den Zellen vorliegenden Virusgenomen zeigen. Hierbei werden bestimmte virale Genombereiche durch Einsatz einer thermostabilen

322

10 Viren

DNA-Polymerase (Taq-Polymerase, Pwo-Polymerase) amplifiziert (S. 235). Die Amplifikationsprodukte kann man anschlie~end durch den Einsatz spezifischer Sonden- ahnlich wie beim Southern Blot- oder durch Nucleinsauresequenzierung weiter charakterisieren. Inzwischen stehen auch automatisierte PCR-Systeme zur quantitativen Bestimmung der Anzahl von viralen Genomaquivalenten im Probenmaterial zu Verfiigung. Diese Testsysteme zeichnen sich durch eine Empfindlichkeit aus, die den Nachweis von theoretisch einem Virusgenom in der zu untersuchenden Probe ermi:iglicht. Kontamination ist daher ein hohes Risiko. Hohe Sorgfalt bei der Durchfiihrung und die Einbeziehung verschiedenster Kontrollreaktionen sind deshalb au~erst wichtig, urn falsch positive Ergebnisse zu vermeiden.

10.4.21 Bestimmung der lmmunantwort gegen Virusproteine Der Nachweis spezifischer lmmunreaktionen ist ein indirekter Hinweis auf die lnfektion mit den fraglichen Viren . Viren sind oft nur fiir kurze Zeit im Patienten vorhanden. Im Verlauf einer Virusinfektion bildet der Ki:irper eine spezifische Immunantwort aus. Deswegen muss die Diagnose haufig indirekt gestellt werden, das hei~t durch die Bestimmung der Immunreaktion, die sich wahrend der Infektion gegen die jeweiligen Erreger ausbildet. Hierzu zahlen spezifische Immunglobuline (Antiki:irper), die sich gegen das Virus beziehungsweise gegen einzelne seiner Proteine oder Proteindomanen richten (S. 1135 ff.). Antiki:irper der Subklasse IgM weisen i. allg. darauf hin, dass es sich urn eine akute oder erst kiirzlich erfolgte Infektion handelt. Werden dagegen IgG-Antiki:irper gegen ein bestimmtes Virus nachgewiesen, dann lassen sie auf eine langer zuriickliegende, bereits abgelaufene Infektion schlie~en . Sie bleiben nach einer Infektion meist lebenslang im Blut vorhanden und sind auch ein Anzeichen dafiir, dass die jeweilige Person vor einer Neuinfektion mit dem gleichen Erregertyp geschiitzt ist, also eine Immunitat vorliegt. Antiki:irper weist man heute iiblicherweise in WesternBlot- oder ELISA-Tests nach. Mit den Immunglobulinen ki:innen aber auch bestimmte Funktionen, beispielsweise ihre Fahigkeit, das entsprechende Virus zu neutralisieren, verbunden werden. Dazu mischt man definierte Mengen infektii:iser Viren mit den Antiki:irpern und versetzt mit dieser Suspension Zellen in der Gewebekultur. Die Antiki:irper sind neutralisierend, wenn die in vitro-Infektion gehemmt ist und die Bildung von Nachkommenviren unterbleibt. Fiir Western-Blots verwendet man als Ausgangsmaterial u. a. Praparationen von in Zellkultur geziichteten Viren, in welchen die Strukturproteine der Erreger vorhanden sind. Alternativ und insbesondere dann,

10 wenn man die Biologie eines Virus bereits gut kennt, setzt man ftir die Western-Blots Proteine des Erregers ein, die man tiber die Methoden der rekombinanten Gentechnologie in prokaryotischen Expressionssystemen herstellt (S. 230). Der Einsatz solcher Antigene ist im Alltagsbetrieb eines diagnostischen Routinelabors wesentlich ungefahrlicher als der andauernde Umgang mit infektiosen Viren. Die in den Praparationen enthaltenen Proteine trennt man nach ihrer Molektilmasse in SDS-Polyacrylamidgelen auf und tibertragt sie auf eine Nitrocellulosemembran. Diese inkubiert man den Patientenseren, die auf ihren Gehalt an virusspezifischen Antikorpern untersucht werden sollen. Falls die Seren solche Immunglobuline enthalten, dann lagern sich diese spezifisch an die Proteinbanden an. Die Komplexe konnen durch die nachfolgende Inkubation mit sekundaren Antikorpern, die gegen den Fe-Teil menschlicher Immunglobuline gerichtet und einem Marker-Enzym - tiblicherweise der Meerrettichperoxidase - gekoppelt sind nachgewiesen werden: Nach Zugabe eines unlosliches Substrats der Meerrettichperoxidase farben sich die Protein-Antikorper-Komplexe als dunkle Banden und werden somit sichtbar (Abb.l0.13). Die ELISA-Tests zum Antikorpernachweis funktionieren vom Prinzip her ahnlich: Man verwendet wiederum Proteinpraparationen der entsprechenden Viren. Man koppelt sie an ein Tragermaterial und verwendet hierzu sog. Mikrotiterplatten, die 96 Vertiefungen aufweisen und aus speziell behandeltem Polystyrol bestehen. In die mit Protein beschichteten Vertiefun-

0

gpl60 - -- Vorlaufer der Huii-Giykoproteine (ENV) gp120 - - - Aufleres gp 120-Giykoprotein

p66 - - - Reverse Transcriptase + RNase H (Untereinheit 1) p55 - - - Vorlaufer der GAG-Proteine p51 - - - Reverse Transcriptase (Untereinheit 2) gp41 -

- - Transmembranares Glykoprotein gp41

p32 -

- - Integ rase (POL-Protein)

p24 -

- - Capsid protein (Gag-Protein)

p17 -

- - Matrixprotein (Gag-Protein)

Abb.10.13. Beispiel fOreinen Western-Biot.Gezeigt ist der Nachweis von HIV-spezifischen Antiktirpern aus dem Serum einer infizierten Person. Das Molekulargewicht der von den Antiktirpern erkannten Proteinbanden (Strukturproteine) ist in kDa angegeben. (Modifiziert nach Ltiffler u. Petrides 1998)

gen pipettiert man die zu untersuchenden Patientenseren. Enthalten diese spezifisch bindende Antikorper gegen die Proteine, dann bilden sich Protein-Antikorper-Komplexe aus, die - wie oben beschrieben mit Peroxidase-gekoppelten sekundaren Antikorpern nachweisbar sind. Im Unterschied zum Western-Blot setzt man beim ELISA-Test ein losliches Substrat (o-Phenylendiamin) ein, weil dies eine quantitative Auswertung und eine gleichzeitige Aussage tiber die Menge der Antikorper im Serum ermoglicht (Abb.l0.14).

Der lnfektionsverlauf lasst sich durch direkte und indirekte Nachweisverfahren kontrollieren. Durch die Kombination des direkten Virusnachweises im Patienten mit der Charakterisierung der im Infektionsverlauf entstehenden Antikorperantwort kann man Virusinfektionen diagnostizieren und ihren Verlauf kontrollieren ( Abb.lO.lS). Es existieren allerdings kurze Perioden, in welchen man weder Virus noch Antikorper findet, die zu untersuchende Person aber trotzdem infiziert ist. Das ist zum einendie Phase direkt nach dem Erregerkontakt. Theoretisch gentigt ein infektioses Viruspartikel, urn eine Infektion auszu!Osen. Bevor sich die Viren allerdings vermehrt haben und in nachweisbaren Mengen im Korper vorhanden sind, konnen je nach Virustyp einige Tage oder auch Wochen vergehen. In dieser Inkubationsphase werden meist keine Anzeichen einer Erkrankung beobachtet. Der Patient ist jedoch bereits infiziert, die Viren sind aber noch nicht nachweisbar. Eine weitere Phase, in der man trotz einer Infektion weder Virus noch Antikorper findet, kann sich an die erste Vermehrungsphase der Erreger im Patienten anschlieBen. Dieser Zeitraum macht insbesondere bei Infektionen mit den Humanen Immundefizienzviren diagnostische Probleme: Nach anfanglicher Vermehrung gehen die Viren im Patienten in ein Stadium der Latenz tiber. Infektiose, freie Viruspartikel sind im Blut nicht mehr vorhanden, ihre Erbinformation liegt nun als DNA integriert im Genom einiger Blutzellen vor - deren Zahl ist jedoch zu gering, urn sie in einer Blutprobe von tiblicherweise 5 bis 10 ml nachzuweisen. Zu diesem Zeitpunkt beginnt sich die Immunantwort auszubilden, Antikorper sind jedoch auch noch nicht in nachweisbaren Konzentrationen vorhanden. Folglich erhalt man auch in dieser Phase kein positives diagnostisches Ergebnis. In den ersten Jahren nach der Entdeckung des Humanen Immundefizienzvirus hat dieses Problem dazu geftihrt, dass einige Blutspenden virusinfizierte Zellen enthielten, obwohl die Spender symptomfrei und diagnostisch unauffallig waren. Deswegen ist man dazu tibergegangen, alle Blutkonserven in Quarantiine zu nehmen und vor ihrer Verwendung einige Wochen zu lagern. Ergibt eine zweite Testung des Blutspenders wiederum ein negatives Ergebnis, wird die Konserve zur Verwendung frei gegeben. 10.4 Diagnostik von Virusinfektionen

323

10 positiv

positiv

j

Substrat

oh

Meerrettich-Peroxidase (*) gekoppelt; 4 Zugabe von Substrat (o-Phenylendiamin); wird von der Meerrettich-Peroxidase umgesetzt gelbliche Farbung im positiven Fall

Abb.10.14. Elisa-Test zum Nachweis von Antikorpern gegen virale Proteine. 1An den Boden der Napfe gebundenes Virusprotein;2 Patientenserum enthalt im positiven Fall Antikorper gegen das Virusprotein; 3 sekundarer Antikorper gegen den Fc-Teil der Patientenimmunoglobuline, mit

.g

.. . ... . Vi ramie

~

E

~

(

.

c

~

Anti-VP-IgG

Anti-VP-IgM

lnfektion c

. .. : .. 0

10

15

20

25

30

KERNAUSSAGEN Virusinfektionen konnen durch den direkten Nachweis der Erreger diagnostiziert werden. Voraussetzung hierfur ist in den meisten Fallen die Vermehrung (Ziichtung) der Erreger in der Zellkultur.lm Anschluss konnen sie mit immunchemischen oder elektronenmikroskopischen Testverfahren nachgewiesen werden.Eine Alternative hierzu ist die Vermehrung (Amplifizierung) ausschlieBiich der Erbinformation derViren iiber die Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Moderne quantifizierbare Versionen gestatten die Bestimmung der im Blut oder anderen Untersuchungsmaterialien vorhandenen Kopienzahl derVirusgenome. lndirekt erfolgt der Nachweis von Virusinfektionen iiber die Bestimmung der lgM- und lgG-Antikorper gegen die Virusproteine (Antigene). Dieses Verfahren gestattet Riickschliisse auf akute oder zuriickliegende lnfektionen mit bestimmten Viren. Durch die Kombination des direkten Erregernachweises mit den indirekten Methoden zur Analyse der spezifischen lmmunreaktionen Iasst sich derVerlauf einer Virusinfektion kontrollieren.

324

I

10 Viren

35

40

Zeit (Tage)

Abb.10.15. SerologischerVerlaufeiner Virusinfektion am Beispiel des Ringelrotelnvirus (Parvovirus B19). Der Phase der Viramie (Virus im Blut) und der Symptome (Fieber, Hautausschlag) folgen die Synthese von lgM-Antikorpern gegen die Strukturproteine VP. Die lgM-Antikorper werden von lgG-Antikorpern gegen die Strukturproteine abgelost, welche lebenslang erhalten bleiben

10.5 Prophylaxe und Therapie von Virusinfektionen 10.5.1

lmpfung

lmpfungen mit Lebend- und Totimpfstoffen induzieren im Organsimus eine schutzende lmmunantwort. Impfstoffe dienen zur Priivention, das heiBt, sie sollen bei den Impflingen einen Schutz aufbauen, der sie bei Kontakt mit dem jeweiligen Erreger vor der Infektion und somit vor der Erkrankung schiitzt. ® Tabelle 10.5 gibt einen Uberblick zu den derzeit in Deutschland zugelassenen Impfstoffen zum Schutz vor Virusinfektionen. Grundsatzlich kann man zwei T ypen der Immunisierung unterscheiden: ._ Die aktive Immunisierung erzeugt einen lang anhaltenden Schutz vor der Infektion. Bei der aktiven Immunisierung wird im Organismus eine Virusinfektion simuliert und es bildet sich eine schiitzende Immunantwort aus. Im Idealfall ahnelt die durch die Impfung erzeugte Immunreaktion d erjenigen, wie sie sich auch b ei der Infektion ausbilden wiirde, und

10 Tabelle 10.5. In Deutschland zugelassene lmpfstoffe zur Verhinderung von Virusinfektionen beim Menschen

Lebelldlmpfstoffe/ attenuierte Viren

Totlmpfsteffe abgetotete Viren

Poliovirus

Poliovirus

Gelbfieberviru

Influenzavirus

Masernvirus

Hepatitis-A-Virus

Mumpsvirus

F ME-Viru

Rotelnvirus

Tollwutvirus

Hepatitis-B-Virus

Varicella-ZosterVirus

besteht aus einer Kombination von neutralisierenden Antikorpern und cytotoxischen T-Zellen (S.ll28). Die aktive Impfung kann auf zweierlei Weise erfolgen: Mit Lebend- und mit Totimpfstoffen . .,. Die passive Immunisierung beruht auf der Gabe von Immunglobulinen, die ein bestimmtes Virus neutralisieren konnen. Sie wird nur in besonderen Fallen angewandt, beispielsweise dann, wenn die zu schtitzende Person erst vor kurzem Kontakt mit einem bestimmten Virus hatte oder wenn das Risiko der Exposition mit Erregern in den folgenden Wochen nicht auszuschlieBen und eine aktive Impfung nicht moglich ist, wie bei kurzfristig geplanten Reisen in Lander der Dritten Welt (Expositionsprophylaxe). Der Schutz durch die Antikorperpraparate dauert nur wenige Wochen an, da die Immunglobuline im Korper schnell abgebaut werden.

!

Durch Mutation abgeschwachte Virusvarianten lassen sich als Lebendimpfstoff verwenden. Attenuierte (abgeschwachte), replikationsfahige Erreger ... Lebendimpfstoffe enthalten attenuierte, replikationsfahige Erreger, die sich im Impfling vermehren konnen. Attenuierte Viren iihneln den krankheitserzeugenden Erregern hinsichtlich ihres Aufbaus, der Proteinzusammensetzung und des Infektionsverhaltens. Im Vergleich zum virulenten Wildtypvirus, von dem sie sich durch verschiedene Mutationen unterscheiden, verursachen sie begrenzte oder abgeschwiichte Infektionen. Sie konnen bestimmte Zellen infizieren und die Synthese von viralen Proteinen und Partikeln einleiten. Der Organismus reagiert darauf mit der Ausbildung einer spezifischen Immunantwort und bildet dabei sowahl neutralisierende Antikorper als auch cytotoxische T-Zellen. Impfungen mit attenuierten Viren verleihen einen sehr guten, lang anhaltenden Impfschutz, Wiederholungsimpfungen zur Aufrechterhaltung des Impfschutzes sind nur in relativ Iangen Abstiinden von his zu zehn Jahren erforderlich. Rekombinante Viren ... Eine neue Form der Lebendimpfstoffe stellen rekombinante Viren dar. Hierbei handelt

es sich urn gut erforschte, und in der Vergangenheit bereits erfolgreich eingesetzte Impfviren, meist urn Vacciniaviren. Diese wurden in den vergangenen Jahrhunderten zur weltweiten Ausrottung der durch die Variola-Viren verursachten Pocken verwendet. Diese sehr komplexen Vacciniaviren werden durch gentechnologische Methoden so veriindert, dass sie auBer ftir ihre eigenen zur Infektion notwendigen Genprodukte auch ftir solche anderer Virustypen codieren. Diese fur das Vacciniavirus unspezifischen Fremdgene werden im Infektionsverlauf im Imp fling zusammen mit den viralen Genen exprimiert. Dies induziert eine Immunantwort sowohl gegen die Vacciniavirusproteine wie auch gegen die fremden Proteinprodukte. Derartige rekombinante Impfstoffe werden in einigen Liindern zur Bekiimpfung der Wildtollwut in der Fuchspopulation eingesetzt. Ftir die Anwendung beim Menschen wurden sie bisher noch nicht zugelassen. DNA-Impfstoffe.,. Ahnlich wirken die DNA-Impfstoffe, die sich ebenfalls in der Erprobung befinden. Sie beruhen auf Expressionsvektoren in der Form von zirkuliiren DNA-Plasmiden, in welche man unter Kontrolle eines eukaryotischen Promotors mittels gentechnologischer Methoden das gewtinschte Fremdgen einkloniert. Werden diese Vektoren als gereinigte DNA in den Muske] injiziert, dann erfolgt die Aufnahme der Nucleinsiiuren durch die Muskelzellen, in welchen sie lange erhalten bleiben. Die Fremdgene werden transkribiert und die mRNAs in Protein tibersetzt. Der Organismus leitet dann eine spezifische Immunantwort gegen die Fremdproteine ein. Derartige DNA-Impfstoffe wurden bisher in Tierexperimenten, v. a. in Nagetieren, erprobt und erwiesen sich hierbei als sehr erfolgreich. Ahnlich erfolgversprechende Ergebnisse konnten allerdings in Primaten bisher nicht erreicht werden. Fiir den potentiellen Einsatz im Menschen ist daher noch erhebliche Entwicklungsarbeit notwendig.

Totimpfstoffe enthalten Viren, die sich nicht mehr vermehren konnen. Totimpfstoffe konnen sich definitionsgemaB im Impfling nicht vermehren. Sie induzieren iiberwiegend die Bildung von spezifischen Antikorpern und mtissen zur Steigerung der Immunantwort zusammen mit einen Adjuvans (Aluminiumhydroxid) appliziert werden, das die Einwanderung immunologisch aktiver Zellen an die lnokulationsstelle fordert. Bei der Verwendung von Totimpfstoffen sind zur Erhaltung des Immunschutzes Wiederholungsimpfungen in relativ kurzen Abstiinden notig. Die einfachste Form eines Totimpfstoffes stellt eine Priiparation von Wildtypviren dar, die durch Behandlung mit Chemikalien (alkoholischen und aldehydischen Agentien, f:l-Propiolacton) getOtet wurden. Da auch die virale Nucleinsiiure in vielen Fiillen infektios ist und zur Bildung von Nachkommenviren ftihren kann, miissen zur Zerstorung der Infektiositat Metho10.5 Prophylaxe und Thera pie von Virusinfektionen

325

10 den eingesetzt werden, die auch die Virusgenome inaktivieren. Die Proteinkomponenten dtirfen dabei jedoch nicht so weit denaturiert werden, dass sie ihre native Konfiguration verlieren und den viralen Strukturen nicht mehr ahneln. Ist bekannt, gegen welche virale Oberflachenkomponente eine schtitzende Immunantwort induziert wird, dann kann das fur dieses Protein codierende Gen in einem geeigneten Expressionssystem synthetisiert, gereinigt und anschlieBend zusammen mit einem Adjuvans appliziert werden. Ein Beispiel fur diese relativ neuen rekombinanten Totimpfstoffe, die ausschlieBlich auf einer ausgewahlten Proteinkomponente eines Virus beruhen, ist die Vakzine, die zum Schutz vor Infektionen mit dem Hepatitis-B-Virus zugelassen ist. Sie enthalt das Oberflachenprotein HBsAg dieses Virus, das in Saccharomyces cerevisiae produziert wird und sich zu vesikularen Partikeln zusammenschlieBt. Da diese Impfstoffe frei von Virusgenomen und potentiell humanpathogenen Erregern sind, gelten sie als sehr sicher.

10.5.21 Chemotherapie

! Angriffspunkte fi.ir antivirale Therapeutika sind

Virusenzyme, die in der Zelle nicht vorkommen.

Viren konnen sich als obligate Zellparasiten nur in lebenden Zellen vermehren und nutzen viele funktionelle Aktivitaten ihrer Wirte. Antiviral wirkende Substanzen mtissen daher streng selektiv aufbestimmte Virusfunktionen zielen und sollten zellulare Prozesse moglichst nicht beeinflussen. Die tiberwiegende Mehrzahl der heute verftigbaren Chemotherapeutika hemmt die Genomreplikation der Viren. Viele Viren verwenden hierftir eigene Polymerasen, die sich meist von zellularen Enzymen unterscheiden. Dies ermoglicht dann eine gezielte Hemmung der Virusaktivitaten. Daneben bieten aber auch andere Virusenzyme Angriffspunkte fUr antivirale Chemotherapeutika. Hierzu zahlen u. a. die Protease der Humanen Immundefizienzviren zur Spaltung der Vorlauferproteine, die Protonenpumpen, die fi.ir die Freisetzung der Nucleocapside der Influenzaviren notwendig sind, sowie die Neuraminidase dieserViren.

!

Nichtnucleosidische Hemmstoffe bin den sich an Proteindomanen in der Nachbarschaft der aktiven Zentren der Enzyme.

Viele der verfugbaren Nucleosidanaloga werden zur Behandlung von Herpesvirusinfektionen eingesetzt. Die Vertreter dieser Virusfamilie haben einen sehr komplexen Aufbau und verftigen tiber die genetische Information fUr eine ganze Reihe von Enzymen, die am Nucleotidstoffwechsel und an der Genomreplikation beteiligt sind. Hierzu zahlen unter anderen eine Thymidinkinase, eine Ribonucleotidreductase und eine DNA-Polymerase. Acycloguanosin (9-(2-Hydroxyethoxy)-methylguanin), ein Guanosinderivat mit einem azyklischen Zuckerrest ( Abb.l0.16), auch unter der Bezeichnung Aciclovir oder dem Handelsnamen Zovirax bekannt, wurde bereits 1977 entwickelt. Es wird seitdem zur Therapie von akuten Infektionen mit Herpes-simplex- und Varicella-Zoster-Viren sowie von deren Rezidiven eingesetzt. Es beeinflusst die Thymidinkinase und die DNA-Polymerase beider Virustypen. In einem ersten Schritt wird Acycloguanosin von den Thymidinkinasen als bevorzugtes Substrat akzeptiert und monophosphoryliert ( Abb.l0.17). Zellulare Kinasen tiberftihren es in das Triphosphat. In dieser Form wird es seinerseits, ebenfalls selektiv, von den herpesviralen DNA-Polymerasen akzeptiert und in neusynthetisierte Virusgenome, jedoch nicht in zellulare DNA eingebaut und bewirkt den Abbruch der Polymerisation. Wegen des spezifischen Aktivierungsmechanismus ist Aciclovir ausschlieB!ich in Zellen wirksam, die mit Herpes-simplex- oder VaricellaZoster-Viren infiziert sind. Durch Veranderung oder Anftigen zusatzlicher funktioneller Gruppen ist die Substanz in vielfacher Weise modifiziert worden. So erhielt man weitere antiviral wirkende Substanzen, zu denen unter anderem Ganciclovir zahlt ( Abb. l0.16). Dieses setzt man bei Infektionen mit Cytomegalieviren ein. Es wirkt vermutlich tiber den gleichen molekularen Mechanismus wie Aciclovir, wird jedoch anscheinend von einer viralen Proteinkinase phosphoryliert, da Cytomegalieviren im Unterschied zu den anderen Herpesviren tiber keine Thymidinkinaseaktivitat verfugen.

0

0

Antiviral wirkende Therapeutika beeinflussen oft die Funktion der viralen Polymerasen. Substanzen, welche die Genomreplikation der Viren hemmen, konnen in zwei Gruppen eingeteilt werden: ~ Nucleosidanaloga konkurrieren mit den nati.irlichen Basenderivaten und binden sich an die aktiven Zentren der Polymerasen. Sie hemmen die Funktion der Enzyme oder werden in die wachsenden Nucleinsaurestrange eingebaut und bewirken wahrend der Replikation Kettenabbrtiche.

326

~

10 Viren

OH Adclovir

2'·Desoxyguanosin

Ganciclovir

Abb.10.16. Strukturformeln von Aciclovir und Gangciclovir. (Aus liiffler u. Petrides 1998)

10 0

0

0 II

c

Phosphorylierung herpesvirale Thymidinkinasen

Acycloguanosin-Monophosphat

Acydoguanosin mit unvollstandiger Oesoxyribose

Phosphorylierung

Konkuriert mit:

o 1 o-- P- 0 I 0

oI P- 0 I 0

Einbau in die Virus-DNA

H2N oI P- 0 II 0

herpesvirale DNA-Polymerase

0

Replikation /

Kettenabbruch

Herpesvirusgenom

Matrizenstrang

3'

S'

Abb. 10.17. Mechanismus der Hemmwirkung von Aciclovir

!

(AZTTP)

Desoxythymidintriphosphat (dTTP)

Abb. 10.18. Strukturformel von Azidothymidin. (Aus Loftier u. Petrides 1998)

Acycloguanosin-Triphosphat

S'

c

N3 Azidothymidintriphosphat

ZurTherapie von HIV-Infektionen setzt man Kombinationen von antiviralen Wirkstoffen ein. Eine andere Gruppe von Nucleosidanaloga wird zur Therapie von Erkrankungen eingesetzt, die durch Infektionen mit den Humanen Immundefizienzviren verursacht sind. Als erstes wurde 1987 die antiretrovirale Wirkung von Azidothymidin (3-Azido-3'-deoxythymidin, AZT, Handelsname: Zidovudine) beschrie-

ben ( Abb.l0.18). Es handelt sich urn ein Analogon des Thymidins, das an der 3'-Position der Ribose eine Azidogruppe besitzt. ZelluHire Kinasen iiberfiihren Azidothymidin in das Triphosphat, das bevorzugt von den Reversen Transcriptasen der Retroviren als Substrat verwendet wird ( Abb.l0.19) . Wahrend des Umschreibens des einzelstrangigen RNA-Genoms in doppelstrangige DNA bewirkt es einen Kettenabbruch, da keine 3'-0H-Gruppe zur Bildung der Phosphodiesterbindung zur Verfiigung steht. Hierdurch wird der Replikationszyklus der Retroviren schon zu einem sehr friihen Stadium, namlich noch vor Integration des Virusgenoms in die Wirtszell-DNA unterbunden. Die Affinitat des Azidothymidin-Triphosphats zur Reversen Transcriptase der Humanen Immundefizienzviren ist einhundert mal hOher als zu den zellularen DNA-Polymerasen a und /3. In der Zwischenzeit wurden noch eine Reihe weiterer Nucleosidanaloga entwickelt, die man zur Therapie der HIV-Infektionen eingesetzt. Hierzu zahlen unter anderen das Cytosinanalogon Dideoxycytosin (Zalcitabin, ddC) und Dideoxyinosin (Didanosin, ddl), das als Analogon des Adenosin wirkt. Beiden Substanzen fehlt die 3'-0H-Gruppe an der Ribose und sie bewirken bei Einbau in die wachsenden Nucleinsaurestrange den Abbruch der Polymerisation (Abb. l 0.19). Foscarnet, das Trinatriumsalz der Phosphonoameisensaure, hemmt als nichtnucleosidischer Hemmstoff die Genomreplikation verschiedener Viren. Es wirkt als Analogon von Pyrophosphaten. Die Pyrophosphatbindungsstelle liegt in Nachbarschaft zum aktiven Zentrum der DNA-Polymerase von Cytomegalieviren. Hieran bindet sich Foscarnet und hemmt die Aktivitat des Enzyms, wobei es nichtkompetitiv zu den natiirlichen Basen wirkt. Es hemmt auch die Reverse Transcriptase der Retroviren, auch diejenige der Humanen Immundefizienzviren. Eine ahnliche Wirkungsweise zeigt Nevirapin (Dipyridodiazepinon): diese antivirale Substanz bindet sich an die gri:igere Untereinheit der Reversen Transcriptase und hemmt so deren Aktivitat. 10.5 Prophylaxe und Thera pie von Virusinfektionen

327

10 ser Vorgang gehemmt, kann die Transkription und Replikation der viralen RNA-Segmente nicht stattfinden. Ebenfalls zur Therapie von Influenzavirus-A-Infektionen werden Inhibitoren der viralen Neuraminidase verwendet. Sie hemmen die rezeptorzerst6rende Aktivitat der Viren und bewirken, class die neu gebildeten Nachkommenviren nicht effizient von der Zelloberflache abgegeben werden. Folglich ist auch ihre Ausbreitung im Korper unterbunden und die Infektion kann immunologisch schneller kontrolliert werden. Ribavirin ( 1-D-Ribofuranosyl-1 ,2,4-triazol-3-caroxamid, s. a. Abb. 21.13, S. 639) hat eine breite antivirale Wirkung, jedoch auch eine nicht zu vernachlassigende Wirkung auf zellulare Prozesse, worauf die mit seinem Einsatz verbundenen Nebenwirkungen zuriickzufiihren sind. Es ist mit dem Guanosin verwandt und wird durch zellulare Kinasen zum Mono-, Di- und Triphosphat modifiziert. Als Monophosphat hemmt es die Inosinmonophosphatdehydrogenase und verursacht dadurch die Abnahme der intrazellularen GTPKonzentration. Das Triphosphat inhibiert die Guanyltransferase, welche die 5'-Cap-Gruppe an die Enden der mRNAs anfiigt. Dadurch wird letztendlich die Translation der viralen, aber auch der zellularen Transkripte verhindert. Trotz der Nebenwirkungen setzt man Ribavirin zur Therapie des Lassa-Fiebers und bei Lungenentziindungen von Kleinkindern ein, die mit dem Respiratorischen Syncytialvirus infiziert sind. Saquinavir und Invirase sind Hemmstoffe der Protease der Human en Immundefizienzviren. Dieses Enzym spaltet wahrend des Reifungsprozesses ( Abb. 10.4) die Polyproteine Gag und Gagpol in die einzelnen Strukturkomponenten - ein Vorgang, der fiir die Ausbildung der Infektiositat der Viren unerlaBlich ist. Die Hemmstoffe sind iiberwiegend von Peptiden abgeleitet, welche die Proteasespaltstellen in den Vorlauferproteinen simulieren.

0

l

Azidothymidin mit Azidogruppe Phosphorylierung Aktivierung



0

z~llulare f1\

Kmasen \:..J

0

0

o- - P- 0 - P- 0- P- 0- CH 2 I I 0 0 0

j

Azidothymidin-Triphosphat Umschreiben des HIV-Genoms in DNA

5'

reverse Transcriptase

,I Kenenabbruch

virales RNAGenom

3'

5'

Abb. 10.19. Mechanismu sder Hemmwirkung von Azidothymidin

Neben den viralen Polymerasen kann man auch andere Enzymfunktionen hemmen. Amantadin (1-Aminoadamantan-HCl) und Rimantadin (a-Methyl-1-adamantanmethylamin) sind polyzyklische, aliphatische Ringsysteme. Sie wirken als Hemmstoffe der Influenza-A-Virus-Infektion und inhibieren die Funktion des viral en M2-Proteins. Dieses ist in die Virusmembran eingelagert und bewirkt nach Aufnahme der Viren durch rezeptorvermittelte Endocytose die Ansauerung des Vesikelinneren. Es fOrdert somit die Freisetzung der Nucleocapside. 1st die328

10 Viren

Der Einsatz viraler Chemotherapeutika selektiert Virusvarianten, die durch Mutationen resistent sind. Bedingt durch die hohe Fehlerrate der viralen Replikationssysteme kommt es bei Einsatz von antiviralen Chemotherapeutika zur schnellen Bildung von Virusvarianten, die durch die jeweiligen Substanzen nicht mehr hemmbar sind, bei ihrem Einsatz aber selektiert werden. Deswegen setzt man die Medikamente nur zur Behandlung schwerer Erkrankungen ein. Ein besonderes Problem ist die Therapie der Infektionen mit den Humanen Immundefizienzviren. Hier zeigte sich, dass bereits kurze Zeit nach Einsatz der Hemmstoffe der Reversen Transcriptase Viren entstehen, die gegen die jeweiligen Substanzen resistent sind. Diese Virusisolate sind durch Veranderungen der Aminosauresequenzen im Enzym gekennzeichnet, welche mit den Inhibitoren wechselwirken. Da die Interaktionsstellen fiir die verschiedenen Hemmstoffe der Reversen Transcriptase sich jedoch voneinander unterscheiden, setzt man heu-

10 te gleichzeitig Kombinationen der Nucleosidanaloga zur Therapie der HIV-Infektion ein und erganzt das Spektrum durch nichtnucleosidische Inhibitoren und Hemmstoffe der Protease. Auf diese Weise soli es dem Virus unmoglich gemacht werden, aile fiir eine Resistenzentwicklung notwendigen Proteinregionen zu verandern, ohne dass dadurch auch die Oberlebensfahigkeit der Viren beeintrachtigt wird.

KERNAUSSAGEN Virusinfektionen kann man grundsatzlich auf zwei unterschiedliche Weisen beeinflussen und bekampfen. Ein Weg ist, sie durch lmpfungen zu verhindem. Dazu tauscht man dem Organism us die lnfektion mit einem bestimmten Virus vor, indem man abgetotete (inaktivierte) oder vermehrungsfahige,jedoch abgeschwacht wirkende (attenuierte) Viren in den Korper inokuliert. Das lmmunsystem

reagiert darauf mit der Ausbildung von Abwehrstoffen (Antikorpern und cytotoxischen T-Zellen). Diese schiitzen bei einer spateren lnfektion mit den pathogenen Viren den Organismus vor der lnfektion und vor der Erkrankung. Neben dieser aktiven lmpfung stellt die passive lmmunisierung, das heH3t die Verabreichung von lmmunglobulinen, eine Moglichkeit dar, in bestimmten Fallen nach bereits erfolgter Exposition mit bestimmten Viren die lnfektion friihzeitig einzugrenzen und die Erkrankung zu verhindern. Bei Einsatz der Chemotherapie versucht man, die Virusvermehrung im Korper zu unterbinden und so den Erkrankungsverlauf zu beeinflussen. Chemotherapeutika sind dann erfolgreich, wenn die Viren wah rend ihrer Vermehrung Enzyme benotigen,die in den Zellen des infizierten Organism us nicht vorkommen. Hierzu zahlen u. a.die Reversen Transcriptasen und die Proteasen der Retroviren oder die DNA-Polymerasen der Herpesviren.lhr Einsatz ist jedoch problematisch, wei I die Viren durch ihre hohe Variabilitat rasch Resistenzen gegen die therapeutischen Stoffe entwickeln.

SCHLOSSELBEGRIFFE Adsorption Antigen Antigenitat Antikorper (lmmunglobuline) Apoptose attenuierte Viren Budding Capsid Capsomere Endothel Endocytose Entziindung Epithel Epitop

Ganglion Herdimmunitat Hiille lkosaeder lnkubationsphase (-periode) lnokulation Carcinom Latenz, latente lnfektion Nekrose Neoplasma, Neoplasie Nucleocapsid Pathogenitat Persistenz, persistierende lnfektionen Rekurrenz

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330

I 10 Viren

MODROW S (2001) Viren, Grundlagen, Krankheiten, Therapien. Serie Wissen. 1. Aufl., Verlag C. H. Beck, Munchen THOMSSEN R (2001) Schutzimpfungen, Grundlagen, Vorteile, Risiken. Serie Wissen. l. Aufl., Verlag C. H. Beck, Munch en

Gendiagnostik und Gentherapie P.

11.1.1

Analyse des menschlichen Genoms ldentiflzierung von Krankheitsgenen Vererbung von Genen Vererbung mitochondrialer DNA

Mrankungen 11.2.1 11.2.2

11.2.4

11.2.5 11.2.6 11.2.7 11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4 11.3.5 11.3.6 11.3.7 11.4 11 .4.1 11.4.2 11.4.3

332 332 334 337 339 339

Hiufigkeit der Erkrankungen 339 und ihre medizinische Bedeutung Stabile Mutationen als Ursache vererbbarer 340 und erworbener Erkrankungen Mutationen 344 dynamische oder lnstabile Auswirkungen von Mutationen auf die Struktur des Genproduktes 346 oder die Genexpression Zellbiologische Folgen des Defektes des Genproduktes 353 356 Genotyp-Phanotyp-Beziehungen 356 Pharmakogenetik Dlagnostlk genetlscher Erkrankungen 358 Mutationsanalyse auf Proteinebene 359 Mutationsanalyse auf DNA-Ebene 359 360 Ermittlung von Gentragem n 361 Reihenuntersuchunge Pranatale Diagnostik 363 DNA-Fingerabdrucktechnik 363 als forensische Methode Gendiagnostik mit Hilfe der Chiptechnologie 365 1hera(M genetlscher Erkrankun...- 366 366 Anderung der Umwelt (Gentherapie) 368 Genotyps des Anderung Herstellung von Vektoren fur die Gentherapie 369

E. PETRIDES

11 --------w.~~--rw-------T,______

In eI ung

Zu Beg inn des 20. Jahrhunderts beg ann Archibald E. Garrod in England seine klassischen Untersuchungen iiber die Alkaptonurie, die man daran erkennt, dass sich der Urin beim Stehen an der Luft allmahlich verdunkelt. Garrod untersuchte den Urin der Patienten und konnte dabei eine groBe Menge Homogentisinsaure nachweisen, die beim Abbau der aromatischen Aminosauren Phenylalanin und Tyrosin entsteht. Dieses Abbauprodukt ist normalerweise im Urin nur in Spuren nachweisbar, da es in Leber und Nieren vollstandig abgebaut werden kann. Garrod stellte auBerdem fest, dass diese Storung auch bei Verwandten der Patienten auftrat. Er zog daraus den Schloss, dass diese Krankheit durch den erblichen Defekt eines spezifischen Enzyms zustande kommt. Etwa 50 Jahre spater (1958) wurde seine Hypothese bestatigt. Garrod pragte damals den heute noch gebrauchlichen Ausdruck der angeborenen Stoffwechselerkrankungen. Da natiirlich jedes der etwa 40 000 Gene des menschlichen Genoms von einer Mutation betroffen sein kann, konnen auch aile Genprodukte, d. h. Proteine, strukturell verandert sein. Genetische Anderungen spiel en bei vie len Erkrankungen wie Krebs, Herzkreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Nervenkrankheiten, Autoimmunerkrankungen oder lnfektionsanfalligkeit eine Rolle. Durch molekularbiologische Verfahren konnen Mutationsanalysen heute Ieicht durchgefiihrt werden. Durch die Moglichkeiten der Genklonierung werden Gene zunehmend verfiigbar,so dass sie in Zukunft bei Verwendung geeigneterVektoren durch Gentherapie auf Patienten mit vererbbaren Erkrankungen iibertragen werden konnen.

11.1 I Genetische Grund lag en 11.1.1 Analyse des mensch lichen Genoms Die Sequenzierung von etwa 90 % des mensch lichen Genoms hat zu neuen Erkenntnissen uber die Zahl der Gene und ihre Organisation gefUhrt. Im Fri.ihjahr 2001 publizierten das aus verschiedenen Arbeitsgruppen bestehende und mit Offentlichen Mitteln geforderte internationale Genomprojekt (HGP) sowie die Firma Celera unabhangig voneinander in den Fachzeitschriften NATURE bzw. SCIENCE ihre Sequenzierungsergebnisse des menschlichen Genoms. Dieses ist etwa 3,2 Mrd. Basen lang und zeichnet sich durch eine Reihe unerwarteter Eigenschaften aus: • Die Genzahl des Mensch en liegt bei maximal45 000. Celera rechnet mit 39114, das HGP mit 31778 Genen. Die Zahl der menschlichen Gene ist damit i.iberraschend niedrig, wenn man sie mit anderen bereits durchsequenzierten und sehr vie! einfacheren Organismen vergleicht ( Tabelle 5.5, S. 156) . .,.. Wahrend die Gendichte des menschlichen Genoms zwischen 5 und 23 Genen/10 6 Basen liegt, kommen bei der Pflanze Arabidopsis, dem Wurm C. elegans und der Taufliege Drosophila auf 1 Mio. Basen 100-200 Gene. .,.. Etwa 30% des Genoms werden in RNA transkribiert, wovon jedoch nur 5% in Proteine i.ibersetzt werden. Das durchschnittliche Protein-codierende Gen erstreckt sich i.iber 27 kb und enthalt 8,8 Exons. Die codierende Sequenz besteht durchschnittlich aus etwa 1350 Basenpaaren, d. h. codiert fi.ir ein Protein mit 450 Aminosauren. Das groBte bekannte Gen ist das Dystrophin-Gen mit 2,4 Mio. Basen (S. 1038). Auch das Gen mit der langsten codierenden Sequenz codiert fi.ir ein Muskelprotein, das Tit in (S. 1038 ). Seine Sequenz ist rund 80 000 Basen lang, enthalt etwa 200 Exons und codiert fi.ir etwa 30 000 Aminosauren. 332

11 Gendiagnostik und Gentherapie

• Etwa ein Drittel aller Gene kann alternativ gespleiftt werden (S. 262). Dies gilt besonders fi.ir Membranrezeptoren und Proteine des Immun- und Nervensystems. Im Humangenom wird also die unerwartet geringe Genzahl durch eine hohe kombinatorische Vielfalt auf der Ebene der Proteine kompensiert. Dies erfordert eine entsprechende Regulation von Transkription und Translation. Viele Wirbeltier-spezifische Proteine sind durch vollstandige Neukombination bereits existierender Domanen oder durch Hinzunahme von neuen Domanen entstanden (S. 78) . .,.. Ihrem Aufbau nach sind etwa 200 Gene bakteriellen Ursprungs und zeigen keinerlei Verwandtschaft mit Genen anderer Eukaryonten. Ein Beispiel fi.ir ein derartiges Gen ist das der Monoaminoxidase (S. 857). Das Humangenom enthalt dari.iber hinaus virale Sequenzen, die i.iber die reverse Transcriptase integriert wurden (S. 233).

Das Proteom des Menschen besteht wahrscheinlich aus uber 200 000 Proteinen, die sich in mehr als 1200 Proteinfamilien einteilen lassen. Das Proteom des Menschen lasst sich in 1278 Proteinfamilien einteilen, von denen etwa 100 ausschlieBlich bei Wirbeltieren vorkommen. 40% der vorhergesagten Proteine lassen sich keiner bisher bekannten Proteinfamilie zuordnen ( Abb.11.1). Unter den restlichen 60% der Gene fan den sich 1850 Transkriptionsfaktoren, 1543 Rezeptoren, 868 Kinasen, 406 Ionenkanale, 902 Protoonkogene, 376 Motorproteine, 876 Cytoskelettproteine, 264 Immunglobuline, 577 Zelladhasionsmoleki.ile und 437 extrazellulare Matrixproteine. Im Vergleich zu C. elegans bzw. Drosophila finden sich beim Menschen viele regulatorische Faktoren, die an Transkription, SpleiBen und mRNA-Modifikationen beteiligt sind. Die Funktion dieser neuen Gene erstreckt sich v. a. auf Entwicklung und Funktion des Nervensystems, die Regulation gewebsspezifischer Entwicklung, Hamostase und Immunsystem.

11

Virusproteine (100, Transfer- und Carrierproteine (203, 0.7%) Transkriptionsfaktoren (1 850, 6.0%)

Nucleinsaureenzyme (2308, 7

Zelladhasionsproteine (577, 1.9%) Chaperone (159, 0.5%) Zytoskeletproteine (876, 2.8%) Extrazellular-Matrix-Proteine (437, 1.4%) lmmunglobuline (264, 0.9%) lonenkanale (406, 1.3%) Motorproteine (376, 1.2%) Muskelstrukturproteine (296, 1.0%) Protoonkogene (902, 2.9%) Calcium bindende Proteine (34, 0.1 %) ; ; - - - - lntrazellulare Transportproteine (350, 1.1%] , . . - - Transporter(533, 1.7%)

!~

Signalmolekiile (376, 1 Rezeptoren (1543,

Synthasen and Synthetasen (313, 1

Hydrolasen (1227, 4.0%) Abb. 11.1. Verteilung der molekularen Funktionen von 26383 Genen. (Nach Venter et al.2001)

Das Humangenom enthalt verschiedene Arten repetitiver Sequenzen. Mehr als 45 % des nicht codierenden Teils des Humangenoms beseht aus Sequenzen mit einem hohen Grad an Wiederholungen, sog. repetitiven Sequenzen. Nach Dichtegradientenzentrifugation Hisst sich die DNA in eine Hauptbande und drei zusatzliche Satelliten-Banden auftrennen. Letztere untergliedern sich ~ in klassische Satelliten mit als Repeats bezeichneten Wiederholungen von 100 bis 6500 bp Lange, ~ in Minisatelliten mit 20 bis 100 bp-Repeats und ~ in Mikrosatelliten mit 2 bis 10 bp-Repeats. Mikrosatelliten sind die haufigste Form repetitiver DNA: sie sind tandemartig aufgebaut und konnen Di-, Tri- oder Tetranucleotide enthalten (z. B.AC auf dem einen bzw. TG auf dem anderen DNA-Strang). Die Repetition liegt zwischen einigen wenigen und etwa 30 Basenpaaren. Die Funktion dieser einfachen Tandemwiederholungen (simple tandem repeats), von denen das menschliche Genom zwischen 50000 und 100000 enthalt, ist noch nicht bekannt. Da die Zahl dieser Blocke stabil ist, bilden sie ein wichtiges genetisches Markersystem (S. 363). Dabei ist die Zahl der Kopien aufbeiden Chromosomen oft unterschiedlich. Daneben gibt es noch lange und kurze verteilte Wiederholungssequenzen (long bzw. short interspersed repeat elements, LINE bzw. SINE), zu denen z. B. die Alu-Sequenzen (aus zwei 130 bp-Tandemduplikationen) gehoren, die mit 500 000 Kopien fast 6 %des Genoms ausmachen.

Einzelnucleotid-Polymorphismen sind die haufigste DNA-Sequenzvariation des Humangenoms. Ein Einzelnucleotid-Polymorphismus (single nucleotide polymorphisms (SNPs)) ist ein DNA-Abschnitt, an dem sich zwei Individuen durch eine Nucleotidbase unterscheiden. SNPs mach en etwa 90% der genetischen Unterschiede zwischen zwei Individuen aus. Liegt ein SNP innerhalb eines klar definierten DNAAbschnitts, so kann er als genetischer Marker dienen, dessen Vererbung von Generation zu Generation verfolgt werden kann. Bis zum Fruhjahr 2002 sind 3,05 Mio. SNPs beschrieben worden, deren durchschnittlicher Abstand damit 300- 400 Basenpaare betragen wiirde. Etwa 60 000 von ihnen liegen in codierenden Regionen und konnen, miissen aber nicht Aminosauresubstitutionen verursachen. Liegen SNPs innerhalb von Introns oder regulatorischen Regionen, so konnen sie individuelle Unterschiede in der Proteinexpression hervorrufen.

Die FISH-Technik erlaubt die Lokalisation von Genen auf Chromosomen. Der menschliche Zellkern enthalt 46 Chromosomen, von denen 44 als Autosomen und die heiden iibrigen als Geschlechtschromosomen bezeichnet werden (S.154). Die Geschlechtschromosomen sind beim Mann verschieden und werden als X- und Y-Chromosomen bezeichnet, wohingegen die Frau zwei identi11 .1 Genetische Grundlagen

333

11 11.1.2l1dentifizierung von Krankheitsgenen Die molekulare Analyse genetischer Erkrankungen erfolgte zunachst primar tiber die Identifizierung und Charakterisierung des defekten Proteins und sekundar tiber die des dazugehorigen Gens. Beispiele fiir eine derartige funktionelle Klonierung sind die Phenylketonurie (S. 497) oder die Sichelzellanamie (S. 347). Im Weiteren wurde die positionelle Klonierung entwickelt, mit der primar das Krankheitsgen identifiziert wird. Mit der Verfugbarkeit des menschlichen Genoms wird die sequenzbasierte Genentdeckung die positionelle Klonierung erganzen und langfristig ersetzen.

Mit der positionellen Klonierung werden Gene ohne Kenntnis des Proteinproduktes identifiziert. Abb. 11.2. Nachweis des bel-Gens (gelbe Fluoreszenz) auf den Chromoso men 22 mit der FISH-Technik. (Aufnahme von A. Jauch und Th. Cremer, Heidelberg)

sche X-Chromosomen besitzt. Bestimmte Gene mussen auf dem X-Chromosom lokalisiert sein, weil eine auf diesem Chromosomauftretende Strukturanderung eines Gens (Mutation) keine Kompensation durch das Y-Chromosom erfahren kann. Die Mutation fuhrt deshalb beim mannlichen Geschlecht i. d. R. zu einem klinischen Erscheinungsbild. Die Lokalisation bekannter Gene erfolgte bis zur Sequenzierung des Humangenoms mit der Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung (FISH-Technik). Mit dieser Technik konnen ausgewahlte Chromosomen oder Chromosomenabschnitte bis hin zu einzelnen Genen selektiv angefarbt und mit einem Fluoreszenzmikroskop sichtbar gemacht werden. Die Technik beruht auf der Fahigkeit einzelstrangiger DNA, sich mit komplementaren Basensequenzen zu einem doppelstrangigen Abschnitt zusammenzulagern (Hybridisierung, S. 162). Zur Markierung kann ein Hapten wie Biotin oder Digoxigenin eingebaut werden, das mit Hilfe indirekter Immunfluoreszenztechniken nachgewiesen wird. Alternativ kann die DNA-Sonde direkt mit geeigneten Fluoreszenzfarbstoffen markiert werden. Bei dem anderen Strang handelt es sich urn den komplementaren DNA-Abschnitt in einem Chromosom der Zielzelle. Durch die Basenpaarung der DNA-Sonde mit der chromosomalen DNA entsteht eine doppelstrangige Hybrid-DNA. Mit der FISH-Technik konnen nicht nur Gene auf Chromosomen, sondern auch Lageveranderungen durch chromosomale Translokationen (5.1173) nachgewiesen werden ( Abb. 11.2).

334

11 Gendiagnostik und Gentherapie

Zu molekularen Untersuchungen von Krankheiten, bei denen das verantwortliche Gen (Produkt) nicht bekannt ist, findet die positionelle Klonierung Anwendung, d. h. man versucht, die Position des defekten Gens im Genom zu bestimmen, ohne vorher das defekte Protein zu identifizieren. Wenn man sich vergegenwartigt, dass die gesamte DNA-Menge in einem haploiden Genom 3,2 Mrd. Basenpaare umfasst, die durchschnittliche Lange eines Chromosoms 120 Mio. Basenpaare betragt und die durchschnittliche Lange eines Gens 27000 Basenpaare misst, ist dies in Anbetracht der Tatsache, dass die Veranderung eines Basenpaares (Punktmutation, S. 341) eine Erbkrankheit verursachen kann, ein gewaltiges Unterfangen. Die positionelle Klonierung geht von der alteren Technik der Kopplungsanalyse aus. Diese beruht darauf, dass sich bei der Reifeteilung der Keimzellen (Meiose, S. 155) homologe Chromosomen aneinanderlagern und BlOcke von Genen, die einen betrachtlichen Anteil des Chromosoms ausmachen konnen, austauschen (S.1173). Dieser Vorgang wird als Rekombination bezeichnet. Sind zwei Gene auf dem Chromosom weit voneinander entfernt, konnen viele Rekombinationen auf dem Verbindungsstiick zwischen ihnen auftreten. Umgekehrt ist die Chance, dass sie wahrend dieses Crossing-over ausgetauscht werden, geringer und damit die Chance groger, dass sie auf demselben Chromosom verbleiben, wenn sie nahe beieinander liegen. Wenn also zwei Eigenschaften in einem grogeren Mag, als es der Zufall erlauben wiirde, zusammen vererbt werden, muss man daraus schliegen, dass sie gekoppelt sind. In unserem Beispiel besitzen aile elterlichen Chromosomen Allele fur jedes der Gene A und B, die sich voneinander unterscheiden. Dieser als Polymorphismus bezeichnete Unterschied ist unabdinglich, da ein Crossing-over zwischen GenA und B nur dann festgestellt werden kann, wenn sich A von a und B von b unterscheiden. Marker fur die genetische Analyse mussen demnach polymorph sein.

11 !

lm ersten Schritt mussen DNA-Marker gefunden werden, die mit der Erkrankung gekoppelt sind. Wahrend man urspriinglich nur Gene mit Genen oder Gene mit phanotypischen Eigenschaften koppeln konnte, koppelt man bei der molekularen Kopplungsanalyse ein Gen mit den zahlreichen DNA-Polymorphismen, die normalerweise im menschlichen Genom vorkommen. Diese beruhen auf Punktmutationen (Substitutionen, lnsertionen, Deletionen von Basenpaaren, S. 341). Man geht davon aus, dass sich zwei Individuen bei einer Genomlange von 3,2 Mrd. Basen urn etwa 3 Mio. Basen (also 0,1 %) unterscheiden. Zunachst wurden Polymorphismen, die durch Bildung oder Verlust von Schnittstellen fur Restriktionsenzyme (RFLP = Restriktions-Fragment-Liingenentstehen Polymorphismen, S. 360), verwendet: so sind z. B. in dem etwa 60 000 Basenpaare umfassenden t3-Globincluster (S. 349) etwa 20 Polymorphismen vorhanden, die auch als Haplotypen bezeichnet werden. Heute werden die Mikrosatelliten (S. 333), die mehr oder weniger gleichmaBig tiber das gesamte menschliche Genom verteilt sind, verwendet. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum ftir eine Veranderung in einem Mikrosatellitenmarker heterozygot ist, betragt oft tiber 80 %, so dass sich diese Marker sehr gut eignen. Ein weiterer Vorteil von Mikrosatellitenmarkern ist die Tatsache, dass sie unter Verwendung der Polymerasekettenreaktion (S. 235) analysiert werden konnen. Die DNA-Sequenzen, die die einzelnen Mikrosatelliten flankieren, sind bekannt und verOffentlicht worden. Zudem sind Oligonucleotid-Primer, die diese Sequenzen erkennen, kauflich erwerbbar.

Fiir die Analyse eignen sich Familien, bei denen die Krankheit gehauft vorkommt. Dazu wird die DNA von Lymphocyten aus dem Blut jedes Familienmitgliedes isoliert und mit Primern, die die Mikrosatelliten flankieren, gemischt und amplifiziert ( Abb. 11.3). Da die Zahl der Einheiten der repetitiven Sequenzen des untersuchten Mikrosatelliten auf heiden Chromosomen unterschiedlich ist (z. B. vier Einheiten auf einem und zehn auf dem anderen in unserem Beispiel), sind die PCR-Amplifikationsprodukte von unterschiedlicher GroBe und konnen mit Primer 1 Allel 1 Primer2

Allel 2

....

kurzes Tandem repeat

Primer 2

Abb. 11.3. Die Verwendung von Mikrosatelliten und der Polymerasekettenreaktion zur Bildung polymorpher Marker fUr die Kopplungsanalyse

~--.--,--- -·------.---

••

~ ! co

3

4

5

6

DO

oe

10 11

12 13 14 15 16

BC CO

BC BC

AD BD AC

2

--~

7 8

9

A

B

c

0

Abb. 11.4. Kopplung von Mikrosatellitenmarkern rnit der Krankheitsrnanifestation bei einer Familienanalyse. Die vier Banden A, B, Cund Din der Autoradiographie reprasentieren Varianten, die sich durch die Zahl der Dinucleotid-Repeats unterscheiden. Die Sande D ist mit der Erkrankung assoziiert. (Nach Brook 1994)

der Gelelektrophorese voneinander getrennt werden. Dber einzelne Amplifikate kann dann der Krankheitsphanotyp in der Familie verfolgt werden (Abb. 11.4).

lm zweiten Schritt muss ein weiterer Marker gefunden werden. Wenn die Kopplung zwischen einem Mikrosatellitenmarker und einer vererbbaren Erkrankung etabliert worden ist, besteht der nachste Schritt bei der positionellen Klonierung darin, einen zweiten Marker zu finden, so class die heiden Marker den DNA-Abschnitt kennzeichnen, der das Gen enthiilt. Nach Identifizierung des zweiten Markers liegt die nachste Herausforderung darin, herauszufinden, wo im Genom das Krankheitsgen liegt. Meist betragt der Abstand zwischen zwei Markern mehrere Millionen Basen. Da die konventionelle Agarosegelelektrophorese DNA-Fragmente nur in einem Bereich von 500 bis 50000 Basenpaaren trennt, und die iiblichen Klonierungsmethoden mit bakteriellen Plasmiden oder Phagen (S. 230) nur Klone zwischen 2000 und 20 000 Basenpaaren Lange produzieren, mussten neue Methoden fur die Losung dieses Problems entwickelt werden. Eine Moglichkeit sind die artifiziellen Hefechromosomen (YAC, S. 231 ), mit denen sehr groBe DNA-Fragmente kloniert werden konnen. Normalerweise ist das DNA-Stuck, das durch diese Methode kloniert wird, zwischen einigen 100 Kilobasen bis einer Megabase groB. Da die Klone aus der chromosomalen DNA stammen, enthalten sie nichttranskribierte wie transkribierte DNA, so class der meiste Anteil des DNA-Stiickes aus nicht-codierender DNA besteht, in die die Gene eingestreut sind. Durch spezielle Methoden kann die Region, in der das Krankheitsgen liegen muss, zunehmend weiter eingegrenzt werden. Die Region kann mehrere Dutzend Gene enthalten, von denen jedes potentiell ein Kandidat sein kann, welcher die Krankheit verursacht. Eine Moglichkeit der weiteren Einengung des potentiellen Krank11.1 Genetische Grundlagen

335

11 heitsgens ist die Untersuchung, ob RNA-Transkripte des Gens in den Geweben, die von der Erkrankung betroffen sind, exprimiert werden (Northern Blot, S. 164).

!

Der Nachweis von Mutation en erhebt das Kandidatengen zum Krankheitsgen. Den letzten Schritt zur Identifizierung stellt dann der Nachweis von Mutationen im Gen bei Patienten mit der Erkrankung dar. Sind diese nachgewiesen, so wird das Gen vom Status eines Kandidatengens in den eines Krankheitsgens erhoben. Den kritischen Schritt bei dieser Strategie stellt also die Lokalisierung des Krankheitsgens dar. Normalerweise erfolgt dies durch den Prozess der genetischen Kopplung, welcher oft extrem zeitaufwendig sein kann. In einzelnen Fiillen wird die Genidentifizierung dadurch wesentlich vereinfacht, dass bei einzelnen Patienten mit Hilfe der Cytogenetik chromosomale Veranderungen nachweisbar sind. So Tabelle 11.1 . Beispiele fUr Gene angeborener Krankheiten, die durch positionelle Klonierung identifiziert worden sind llraMMit - - - - - - - - - -

ChniiiiCISOIIIale Veranderung

Chronische granulomatose Erkrankungen

+

Duchenne-Muskeldystrophie

+

Retinoblastom

+

Mukoviszidose Wilms- Tumor eurofibromatose Typ I

+ +

Fragile X-Syndrom

+

Farnilare Polyposis coli

+

Myotone Dy trophie Lowe-Syndrom

+

Menkes-Erkrankung

+

X-chromosomale Agammaglobulinamie

+

eurofibromatose Typ II

half z. B. eine Deletion im Bereich q21 des X-Chromosoms bei einem Patienten mit Duchenne'scher Muskeldystrophie unter Verzicht auf die Kopplungsanalyse, das Gen wesentlich schneller zu analysieren. Mit der positionellen Klonierung sind von etwa 1986 bis 1996 tiber 30 Krankheitsgene identifiziert worden ( Tabelle 11.1 ).

Die positionelle Klonierung wird zunehmend durch die Kombination von positioneller und Kandidatenklonierung ersetzt. Dabei wird zunachst das Gen in der richtigen chromosomalen Subregion, meist durch Kopplungsanalyse, lokalisiert und dann mit bereits bestehenden ComputerDaten verglichen, ob sich attraktive Kandidatengene in dieser Region befinden. So wurde z. B. beim MarfanSyndrom (S. 763) eine Lokalisierung auf Chromosam 15q durch Standardkopplungsmethoden vorgenommen. Da zur selben Zeit das Fibrillingen ebenfalls auf lSq lokalisiert wurde, wurde dieses Gen innerhalb ktirzester Zeit durch den Nachweis von Mutationen bei Patienten mit Marfan-Syndrom als Ursache dieser Erkrankung ausgemacht ( Tabelle 11.2). Es kommen also mehrere Entwicklungen zusammen, die sich gleichzeitig anbahnen, und die Identifizierung neuer Krankheitsgene erleichtern ( Abb. 11.5). Eine zusatzliche Entwicklung ist durch die automatische Sequenzierung von partiellen cDNA-Sequenzen (expressed sequence tags, EST) in Gang gekommen. Diese Methode geht von der Uberlegung aus, dass in einzelnen Geweben exprimierte mRNA eine spezifische Funktion flir das Gewebe haben so lite. Diese wird isoliert, durch die reverse Transcriptase in eDNA tiberftihrt, dann mit automatischen Methoden sequenziert und anschlieBend in Dateien, die international abrufbar sind, eingegeben. 2010

2005

positionelle Kandidatenklonierung

Chorea Huntington Hippei-Lindau-Erkrankung

. Abb. 11.13). Diese Mutationsform (auch als Missense-Mutation bezeichnet) fiihrt zum Austausch einer Aminosiiure. Replikationsfehler konnen auch zur sog. Rasterschubmutation fiihren. Dabei kommt es durch denVerlust (Deletion) bzw. Einschub (Insertion) eines Basenpaares zur Veranderung der anschlieBenden Sequenz aller Triplets und damit des Informationsgehaltes der DNA ( Abb. 11.14). Wahrend manche Viren einen unterschiedlichen Leserahmen zur effizienten Ablesung ihres oft sehr kleinen Genoms nutzen konnen (S.313), fiihrt dies bei Gendefekten des Menschen meist zum vorzeitigen Abbruch der Translation der mRNA am Ribosom. Gelegentlich ist mehr als ein Basenpaar von der Mutation betroffen. So fiihrt z. B. der Verlust eines Triplets im CFTR-Gen (S.178, 287, 346, 946) zum Verlust der Aminosaure Phenylalanin 508 (L\F 508; L\ =Deletion) damit zur Mukoviszidose. GroBere Deletionen und Duplikationen werden haufig in DNA-Regionen beobachtet, in den en sich repetitive Sequenzen fin den.

Guanin Umlagerung in die Enolform wahrend der Replikation, sowird Guanin statt Aden in in die DNA eingebaut, und in der Basensequenz steht nach einer erneuten Replikation anstelle des Adenin/Thyminpaares ein Guanin/Cytosinpaar 11.2 Genetische Erkrankungen

341

11

______...

4

codierender 5, .__ A______ C T DNA / Strang 1 "- Matrizenstrang 3' - T G A

6

C

A

T

G

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8

9

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10

11

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12

:!!::}'""'""'

~ Th_re;o_~n ~:~!:-~=:H:,n;:i=n =:~f ~ :l~=A:sJi ~:ta ==;~-a!i ~1! j!

mRNA tRNA

:::i'-__

codierender DNA / Strang "- Matrizenstrang

__:-l-f

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9

10

11

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8

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4 5,

A

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__;;...._....;._,

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3' - T

G

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n

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12

--- ___ _ ' 3']Transknptoon C - 5'

~=-

-

mRNA

5' - A

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C

-

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C

-

U

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C

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G - 3'

-~i·:=T:h:ri : ti:n=:=A~f ~~~=~: : J~AI~: ;: :;~:A~: - ~:=:A:,I~:rta:t=-:~f~ -.!.-=~=f- sl ••l•ioo 1

G

Basensubstitution Abb. 11.13. Durch Basensubstitution (Transversion) bedingte iinderung der DNA-Sequenz, wodurch der Austausch einer Aminosaure erfolgt

codierender 5, DNA / Strang "- Matrizenstrang 3' mRNA

6 - T

S' - A -

G

A

C -

U -

G

IU

C -

T

A

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A

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G

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tRNA

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8

9

10

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c_......;T;...

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G

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---

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11

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12

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~~~ - ~~~ - lui - ~~~ - 3' ~;;~ G

f

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1

G

i. ( ~~

l

' 3']Transkription

_ -

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codierender DNA / Strang "- Matrizenstrang mRNA

tRNA

5,

A

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T

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3' - T

G

A

G

S' - A -

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C

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-

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IIi

G

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-

-

11

12

T

G

T

A

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A

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A

U -

G

-

A

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A

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-

U

6

-

C -

13

' -3'] C - S'

---

Transkroptoon

---

i Thr~nin ~--- ......--------u Rasterschubmutation durch Verlust (Deletion) eines Basenpaares

Abb. 11.14. Rasterschubmutation. Durch Basenverlust bedingte iinderung der Primarstruktur des Proteins, wodurch mehrere Aminosauren ausgetauscht werden (Leserasteranderung)

342

11 Gendiagnostik und Gentherapie

11 !

Spontanmutationen treten als Folge von Depurinierungen, Desaminierungen oder oxidativen Schadigungen auf.

Zusatzlich zu den Replikationsfehlern konnen spontane Lasionen ebenfalls Mutationen erzeugen. Die haufigsten spontanen Veranderungen sind Folge von Depurinierungen, Desaminierungen oder oxidativen Schadigungen. Depurinierungen (bzw. die selteneren Depyrimidinierungen) kommen durch die hydrolytische Spaltung der glycosidischen Bindung zwischen der Base und der Desoxyribose zustande, wodurch ein Guaninoder Adeninrest aus der DNA veri oren geht. Wenn diese Purinverluste nicht durch Reparatursysteme kompensiert werden (S. 225), kommt es bei der DNA-Replikation durch die DNA-Polymerase zu Fehleinbauten von Basen gegeniiber der basenfreien Region. Cytosinreste konnen durch Desaminierung in Uracil iiberfiihrt werden ( Abb. 11.15). Uracilreste bilden aber wahrend der Replikation ein Basenpaar mit Adenin, so dass aus der GC-Basenpaarung eine AT-Basenpaarung wird. Diese Transition tritt jedoch nicht so haufig auf, da Uracilreste durch ein wirksames Enzym entfernt werden (S. 225). Dieses Enzym ist aber bei Thyminresten, die durch die Desaminierung methylierter Cytosinreste entstehen, wesentlich weniger wirksam ( Abb. 11.15). Diese 5-Methyl-Cytosine entstehen nach Abschluss der DNA-Synthese unter dem Einfluss von Methylasen. Die Methylierung wird besonders haufig in CG-Dinucleotidbereichen (S. 258) beobachtet. Wird ein methylierter Cytosinrest desaminiert, so entsteht tiber Keto-Enol-Tautomerie Thymin. Verbleibende Thyminreste bilden dann eine Basenpaarung mit Adenin wahrend der Replikation aus, was zu dem Ubergang einer CG-Basenpaarung zu einer TABasenpaarung (eine C ~ T-Transition) fiihrt. Durch aktive Sauerstoffspezies wie Superoxidradikale, Wasserstoffperoxid und Hydroxylradikale, die

im Stoffwechsel standig entstehen, kann die DNA oxidativ geschadigt werden (oxidativer Stress, S. 550ff.). Produkte wie 8-Hydroxyguanin, die bei der oxidativen Schadigung entstehen, fiihren zu einer Fehlbasenpaarung mit Adenin, so dass es zu G ~ T-Transversionen kommt. Mutationen ktinnen experimentell induziert werden .

Experimentell induzierte Mutationen besitzen eine wesentliche Bedeutung fiir die Mutationsforschung. Inwieweit die Ergebnisse auch fur die spontanen Mutationen gelten, ist jedoch noch ungewiss, da die Mutagenese wahrscheinlich auf unterschiedlichen Mechanismen beruht. So konnen z. B. Basenanaloga statt der normal en Basen in die DNA eingebaut werden. Alkylierende Substanzen modifizieren bzw. ethylieren Sauerstoff- oder Stickstoffatome einzelner Basen mit Alkylresten. Dies fiihrt zu Fehlpaarungen mit konsekutiven Transitionen bei der nachsten Replikation. UV-Strahlung fiihrt - im Zellkulturexperiment - fast ausschlie6lich zu Mutationen in Sequenzen, bei denen zwei Pyrimidinbasen aufeinanderfolgen (S. 225, Abb. 7.18 ). Zahlreiche Medikamente wie z. B. Cytostatica, Nahrungsmittelzusatze, Riickstande von Pestiziden oder Benzol (in Benzin) konnen Mutationen ausli:isen, so dass die Mutagenitatsforschung eine gro6e medizinische Bedeutung besitzt. De novo-Mutationen treten in den elterlichen Keimzellen oder in der Pra-Embryonalentwicklung auf.

Da Mutationen standig auftreten,miissen genetische Erkrankungen auch standig neu auftreten. Sie werden als sporadische Erkrankung bezeichnet. Voraussetzung fiir den Nachweis einer de novo-Mutation, d. h. einer neu

H

I

H

' c- c/ ~

H-l N.....

I C

N-H

N

H20

\

NH3

t,.

~0

H,

/ OH

c- c

H-l ....

N-

\

I C

~0

H,

~0

c-c7

H- l N-

.....

I

NH

C

~0

Uracil

Cytosin H H3C

I

c-c

H- l ....

/ N- H

'N I

N-C

~0

5-Methyi-Cytosin

H20

\

NH3

t•

H3C,

c-c

/ OH

~ N

H- l ....

N-

I

C

~0

JJ A

Thymin Abb. 11.15. Desaminierung von Cytosin bzw. 5-Methyi-Cytosin zu Uracil bzw. Thymin, welche wahrend der Replikation zu einer C --t T-Transversion fUhrt 11.2 Genetische Erkrankungen

343

11 aufgetretenen Punktmutation ist, dass die genetische Veranderung nur bei der untersuchten Person, nicht aber im Genom seiner Eltern vorhanden ist und dass die Vaterschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit gesichert ist. Die Mutation muss dann in den elterlichen Keimzellen, v. a. den Spermatozoen, oder einem friihen Stadium der Embryonalentwicklung auftreten. Bei der Hiimophilie A (S. 1026) geht etwa ein Drittel aller Falle auf de novo-Mutationen zuriick. Das Auftreten von de novo-Mutationen ist auch bei Familien mit der Lesch-Nyhan-Erkrankung (S. 645), einer Erkrankung des Purinstoffwechsels, untersucht worden, die X-chromosomal-recessiv vererbt wird: homozygote Trager der Anlage sind infertil, der heterozygote Zustand scheint keinen Selektionsvorteil zu gewahren. Man wiirde demnach erwarten, dass das Syndrom durch Aussterben der Trager der Anlage Iangsam aus der Population verschwindet. Da dem nicht so ist, miissen in dem fiir die Krankheit verantwortlichen HPRT-Gen standig de novo-Mutationen auftreten. Dies ist bei einer Familie genau untersucht worden: DNA wurde aus peripheren Lymphocyten der GroBmutter miitterlicherseits, der Mutter, Schwester und Nichte des Patienten gewonnen und durch Verdauung mit dem Restriktionsenzym Bglii durch Southern Blotting (Hybridisierung mit der radioaktiv markierten HPRTcDNA-Sonde) analysiert. Die fiir die Mutation bei dem Patienten charakteristische 4,1 kb-Bande wurde als Marker fiir Trager des defekten Gens verwendet. Diese Bande fehlt nur bei der GroBmutter ( ® Abb. 11.16). Demzufolge ist die Mutation in den Keimzellen eines Grol3elters oder der befruchteten Eizelle, aus der der Patient sich entwickelt hat, neu aufgetreten.

Mutationen treten nicht tiber das gesamte Gen statistisch verteilt auf, sondern bevorzugt in bestimmten Regionen, den sog. ,mutational hotspots'~ Dies sind z. B. die oben beschriebenen CG-Dinucleotidregionen, in denen die Desaminierung von 5-Methylcytosin auftreten kann. So werden bei der {3- Thalassamie in einer CG-Region mit dem Codon in Position 39 der {3-Globinkette gehauft Mutationen beobachtet. Bei diesen tritt eine Veranderung von CAG (Glutamin) zu TAG (C ~ T-Transition) auf, welches fiir einen Translationsabbruch codiert.

Vererbung der Hamophilie Die Vererbung der Hamophilie ist durch die engen verwandtschaftlichen Verhaltnisse der europaischen Fiirstenhauser eindrucksvoll dokumentiert. Konig in Viktoria von England (1819- 1901) wareine klinisch gesunde genetische Merkmalstragerin (Konduktorin).Zwei ihrer Tochter waren ebenfalls Obertragerinnen, ihr Sohn Leopold von Albany war Bluter und starb mit 31 Jahren. Durch die beiden Tochter wurde die Bluterkrankheit nach Deutschland, Spanien und Russland getragen. Viktorias Tochter Alice iibertrug die Hamophilie durch ihre Heirat mit dem hessischen Grof.!herzog Ludwig IV. nach Deutschland in die Familien Hessen und Hohenzollem.lhre Tochter Alice Viktoria (Aiix) war Konduktorin, heiratete Zar Nikolaus II. von Russ land und gebar den bluterkranken Zarewitsch Alexej. Dieser Zweig der Familie Romanov wurde 1918 durch die Bolschewisten ermordet. ViktoriasTochter Beatrice heiratete Heinrich von Batten berg, sie hatten vier Kinder: der alteste Sohn war gesund, Tochter Viktoria Eugenia brachte die Hamophilie in das spanische Herrscherhaus, die Sohne Leopold und Moritz waren manifeste Bluter und starben in jungen Jahren.

11.2.3llnstabile oder dynamische Mutationen

Ill

IV a

b

Abb. 11.16 a, b. Nachweis einer de novo-Mutation durch molekularbiologische Analyse einer Familie mit einem HPRT-Defekt. a Southern-Blotting von Bgl-1-verdauter DNA a usden Lymphocyten einer gesunden Kontrollperson (XY), der Gro~mutter miitterlicherseits (1-1), der Mutter (11-2), der Schwester (111-2) und der Nichte (IV-1) des Probanden. Der Pfeil zeigt die 4,1 kb-Bgiii-Bande an, die mit der Genmutation bei diesem Patienten assoziiert ist. b Der Familienstammbaum zeigt, dass es sich urn eine de novo-Mutation handeln muss. 0 weiblicher gesunder Familienangehiiriger; 0 weibliche Tragerin der Anlage; 0 nicht betroffenes mannliches Familienmitglied; rot betroffenes mannliches Familienmitglied. Der Proband ist durch einen Pfeil gekennzeichnet 344

I

11 Gendiagnostik und Gentherapie

Einzelne Erkrankungen werden durch die Vervielfachung von Trinucleotid -Repeats hervorgerufen. Wenn Mutationen auftreten, werden sie i. Allg. unverandert von Zelle zu Zelle und von Generation zu Generation weitergegeben. Dies gilt auch fiir die meisten Erbkrankheiten. Im Rahmen einer bestimmten klinischen Variationsbreite bleibt ihr Erscheinungsbild von Generation zu Generation konstant. Ausnahmen von dieser Regel wie eine stets friihere Manifestation von Krankheiten,die alsAntizipation bezeichnetwird,oderdie Zunahme ihres Schweregrades, sind auf andere Veranderungen zuriickzufiihren. Bei einzelnen Genen kommen sog. Trinucleotid-Repeats vor, d. h. Sequenzen, die aus BlOcken von jeweils drei DNA-Bausteinen aufgebaut

11 6-50 Repeats

normal

50-230 Repeats

IPramutation I

Abb. 11 .17. Dynamische Mutationen am Beispiel des fragilen X-Syndroms. Gesunde haben zwischen 6 und 50 Repeats (CCG bzw. CGG in Antisense-Richtung) im FMR-1-Gen (oben). Erkrankte wei sen dagegen mehr als 230 Repeats auf, die auch noch methyliert sein konnen (unten). Zwischen beiden Zustanden liegt die Pramutation, durch die asymptomische Trager der Genanlage gekennzeichnet sind (Mitte). Repeats konnen bei der Obertragung der genetischen Information von Generation zu Generation hinzugefOgt werden, so dass aus einer Pramutation eine Mutation wird

IMutation I

sind, CTG oder CGG. Bei Gesunden findet man meistens zwischen 5 und 40 solcher repetitiven Trinucleotidblocke, wahrend bei schwerbetroffenen Patienten mehrere 1000 repetierte Nucleotid-Triplets vorkommen konnen. Die meisten klinisch unauffalligen Obertrager solcher Krankheiten weisen 50 bis 200 Trinucleotid lange Repeats auf, die als Priimutation bezeichnet werden ( Abb. 11.17). Die Repeats sind nicht stabil, d. h. abhangig von ihrer Lange zeigen sie eine Tendenz zur weiteren GroBenzunahme, was in einer einzigen Generation zu einer Verlangerung mehrerer 100 Trinucleotide flihren kann. Expandierende Trinucleotid-Repeats sind fUr das Auftreten einer Reihe von Krankheiten verantwortlich ( Abb. 11.18). Beim fragilen(X)-Syndrom, der haufigsten Form der erblichen geistigen Behinderung, tragt das X-Chromosom eine fragile Stelle. .,.. Bei der spinobulbaren Muskelatrophie, einer auch in der Kennedyfamilie vorkommenden Form des Muskelschwundes, .,.. bei d ermyotonen Dystrophie (S.l048) und .,.. bei der Chorea Huntington, dem erblichen Veitstanz, fin den sich ebenfalls expandierende Trinucleotide. Warum derartige Expansionen zu diesen Krankheitsbildern flihren, ist noch unklar. Bei einzelnen Erkrankungen liegt die repetierte (CAG)wSequenz innerhalb des codierenden Genabschnittes. CAG-Triplets werden bei der Proteinsynthese in die Aminosaure Glutamin Ubersetzt. Polyglutaminsubsequenzen kommen bei einer Reihe von Proteinen vor, jedoch enthalten diese Sequenzen nie mehr als 38 Glutaminylreste. Bei allen Krankheiten mit intragenen CAG-Repeats handelt es sich urn neurodegenerative Storungen, was daflir spricht, dass Proteine mit Iangen Polyglutaminab-

fragiles X-Syndrom (X-Chromosom)

(CGG) 6-50 ~ 50-230 (Pramutation) ~ 230-2000 (Mutation) spinobulbare Muskelatrophie (Kennedy-Erkrankung) (X-Chromosom)

(CAG)

11-31

~

40-62

myotone Dystrophie (Chromosom 19)

5' ._....__ __ (aGJ

5-35 ~ 50-80 (Pramutation) ~ 80-2000 (Mutation)

Chorea Huntington (Chromosom 4)

(CAG)

11 -34 ~ 30-38 (Pramutation) ~ 37-121 (Mutation)

Abb. 11.18. Beispiele fOrTrinucleotid-Repeat-Erkrankungen.Die Repeats konnen innerhalb und auBerhalb des betroffenen Gens liegen

schnitten neurotoxisch sind. Bei anderen Erkrankungen liegtdie repetierte (CTG)wSequenz aufterhalb des codierenden Abschnitts am 3'-Ende des Gens. Die Instabilitat einfach repetierter Sequenzen im menschlichen Genom nimmt mit der Lange dieser Repeats zu. Dies gilt nicht nur fUr Trinucleotide, sondern auch fUr Di- und Tetranucleotid-Repeats. Dabei milssen die Repeats perfekt angeordnet sein, da bereits 11.2 Genetische Erkrankungen

345

11 durch Insertion eines einzigen anderen DNA-Bausteins die Instabilitat des Repeats aufgehoben wird. Bei allen bisher untersuchten Krankheiten findet sich eine deutliche Korrelation zwischen der Lange der TrinucleotidRepeats und dem Schweregrad der Erkrankung.

tur durch Aminosauresubstitutionen, durch eine Veranderung des Leserasters bei der Translation oder durch einen vorzeitigen Abbruch der Proteinsynthese, sei es aufgrund einer Deletion oder der friihzeitigen Einftihrung eines Abbruchcodons. Im Gegensatz zu diesen Proteinstruktur-Mutationen beeintrachtigen die regulatorischen Mutationen die Vorgange der Genexpression und ftihren so zu quantitativen Anderungen der Proteinproduktion. Die tiberwiegende Zahl dieser Mutationen liegt in der Genpromotorregion, d. h. den 5' -Regulatorsequenzen, die konstitutive Promotorelemente, Enhancer, Repressoren, gewebespezifische und andere responsive Elemente enthalten.

! Nicht jede Punktmutation fi.ihrt zu einem veranderten Protein.

Da viele Mutationen zu lebensunfahigen Mutanten ftihren, wtirde eine zu hohe Mutationshaufigkeit das Fortbestehen der Art gefahrden. Infolge dessen besitzt die Zelle Vorrichtungen, durch die der Mutationsschaden beseitigt bzw. die Auswirkung der Mutation auf ein Minimum reduziert wird. Zum einen gibt es die bereits erwahnten Reparaturenzyme (S. 225 ), die eine falsche Basensequenz eliminieren und die ursprtinglichen Basen wieder in die DNA-Kette einftigen konnen. Zum anderen ist der Code infolge seiner Degeneration so aufgebaut, dass bestimmte Anderungen von Basentriplets auf der DNA haufig keine oder nur sehr geringe Anderungen der Aminosauresequenz des dazugehorigen Proteins nach sich ziehen (S. 271).

Die zellbiologischen Folgen einer Genmutation hangen von deren Lokalisation ab. Bei der cystischen Fibrose oder Mukoviszidose ist ein als CFTR bezeichnetes Membranprotein betroffen, was als ein durch Phosphorylierung regulierbarer Ionenkanal wirkt (S. 178, 287, 946). Ober 800 (!) verschiedene Mutationen des CFTR-Gens sind beschrieben worden, die sich je nach Lokalisation in ftinf verschiedene Klassen einteilen lassen ( Abb. 11.19): .,. Klasse I-Mutationen treten bei weniger als 7% der Patienten auf. Es handelt sich urn Mutationen, die ein Stoppcodon bilden und damit ein frtihzeitiges Signal fiir die Beendigung der mRNA-Translation bewirken. .,. Klasse II-Mutationen st6ren den Transport des CFTR vom endoplasmatischen Reticulum zur Membran. Zu diesem Typ gehoren 85% der Faile. Die Mutation ftihrt zu einer gestorten oder veranderten Faltung des mutierten Proteins, zur verlangerten Wechselwirkung mit Chaperonen und dem konsekutiven Abbau durch das Proteasom. .,. Klasse III-Mutationen, die weniger als 3% der Faile ausmachen, bedingen eine Storung der ATP-abhiin-

11.2.41 Auswirkungen von Mutationen auf die Struktur des Genproduktes oder die Genexpression

! Grundsatzlich unterscheidet man zwischen

strukturellen und regulatorischen Mutationen.

Die meisten Mutationen, die Krankheiten beim Menschen verursachen, liegen im Bereich codierender Genabschnitte (Exons). Diese strukturellen Mutationen ftihren zu qualitativen Anderungen der Proteinstruk-

Defekt Klassifikation

Normal

II

111

IV

v

Substitution G551D

Substitution E117H R347P

Substitution A445E altern. SpleiBing

Re5ultat de5 Defekt5 Art der Mutation

Rastei'5Chub

Deletion (6508)

Abb. 11 .19. Unterteilung der Mutationen desCFTR-Gens in flinf Klassen. (Einzelheiten s.Text) 346

I

11 Gendiagnostik und Gentherapie

11

~

~

gigen Phosphorylierung von CFTR durch die Proteinkinase A. Dadurch gelangt das Protein zwar in die Membran, kann aber nicht mehr aktiviert oder inaktiviert werden. Klasse IV-Mutationen fiihren zu einer St5rung der Kanalfunktion des Proteins trotz normaler Lokalisation und Regulierbarkeit. Klasse V-Mutationen verursachen eine reduzierte Synthese des Membranproteins.

Die Gene fOr Hamoglobin konnen von strukturellen und regulatorischen Mutationen betroffen sein. Die Sichelzellaniimie und die Mittelmeeraniimie (Thalassamie) sind gute Beispiele fiir Krankheiten, denen strukturelle bzw. regulatorische Mutationen zugrunde liegen. Sie zeigen zudem die enorme Vielfalt von Mutationen, von denen praktisch alle Gene betroffen sein konnen. Die Mutationen treten in den heiden Genen desHamoglobins auf und verursachen funktionelle Ande rungen bzw. eine Abnahme des Hamoglobins, die mit Anderungen der Morphologie des Erythrocyten einhergehen ( Abb. 11.20). Ober unterschiedliche Mechanismen kommt es bei den Betroffenen zur Blutarmut (Anamie). Bevor wir im Einzelnen besprechen, wie die Punktmutationen diese heiden Krankheitsbilder hervorrufen, soU noch einmal der Weg von der DNA zum fertigen Polypeptid fiir das Hamoglobin rekapituliert werden ( Abb. 11.21). Die Exons und Introns enthaltenden Gene fiir die a- bzw. ,8-Kette werden in die entsprechenden Pra-mRNA umgeschrieben, die nach Entfernung der Introns als Matrize fiir die Globinbiosynthese an den Ribosomen dienen. Jeweils zwei a- und zwei ,8-Globinketten treten nach dem Einbau von Hamgeriisten zum Hamoglobintetramer zusammen. Mutationen konnen iiberall in den a- und ,8-Genen auftreten, d. h. in den Exon- und Intronbereichen und in der Promotorregion, die stromaufwarts - innerhalb der ersten 100 Basenpaare vom Transkriptionsstart aus gerechnet - vom Gen liegt und die die Bindungsstelle fiir die RNA-Polymerase und Transkriptionsfaktoren darstellt. Da viele Gene Introns in hoher Zahl besitzen, die damit in ihrer Gesamtlange oft die der Exons iibertreffen, erhoht sich der potentiell von einer Mutation betroffene Bereich ganz erheblich. Besonders kritische Bereiche sind dabei die Intron/Exoniibergange. Das a-Globin-Gen liegt auf Chromosom 16pl3, auf dem es in zwei Kopien vorkommt { Abb. 11.22). Daneben befinden sich das embryonale s-Globin-Gen sowie zwei sog. Pseudogene (1/J-a und 1/J-s). Pseudogene sind aus den eigentlichen Genen durch Duplikation entstanden, aber offenbar zu einem friihesten Zeitpunkt der Evolution so mutiert worden, dass sie entweder nicht mehr exprimiert werden, oder die Expressionsprodukte funktionell inaktiv sind. Die Existenz zweier a-Globin-Gene erklart, warum klinisch bedeutsame Veranderungen dieses Gens vie! seltener sind als

Abb. 11.20. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen eines normalen Erythrocyten (oben), eines Thalassamie-Erythrocyten (Mitte) und eines Sichelzeii-Erythrocyten (unten). (Nach Bessis, M1973)

die des ,8-Globin-Gens: ist ein a-Globin-Gen von einer Mutation betroffen, so kann das zweite a-Globin-Gen seine Funktion iibernehmen. Das P-Globin-Gen auf Chromosom llp15.5 kommt in nur einer Kopie vor ( Abb. 11.22). Neben diesem Gen findet sich das oGen (das fiir ein dem ,8-Globin-Gen ahnliches Produkt codiert, welches jedoch nur 2 o/o der biologischen Aktivitat des ,8-Globin-Gens aufweist), das 1/J-.B-GlobinGen, zwei Kopien des y-Globin-Gens (des fetalen .8Globin-Gens) sowie eine Kopie des embryonalen eGlobin-Gens. Da das menschliche Genom nur jeweils 11.2 Genetische Erkrankungen

347

11

Chromosom 11p15.5 DNA

WJW.i\..VJ\.yj (3-Giobingen

(3-Giobingen

5'

""

Exon

.,..,...;..---ojj.....

mRNAVorstufe

Kern

Chromosom 16p13

l -

I'

3'

5' ;,___ _

"""

mRNAVorstufe

--

Transkription

-

!

Translation

I

Hamoglobintetramer

(3-Giobin

a-Globin

Cytosol Abb. 11.21 . Biosynthese der a- und /1-Ketten des Hamoglobins:die Genexpression beginnt im Kern mit der Transkription des gesamten Gens, d. h. mit lntrons und Exons. Durch RNA-Prozessierung (Splei!len) werden die

lntrons entfernt. Die verbundenen Exons treten als reife mRNAs in das Cytosol Uber, wo die Translation am Ribosom und die anschlie!lende Assoziation zum Hamoglobintetramer stattfindet

ein /1-Globin-Gen auf heiden Chromosomen 11 enthalt, sind Mutationen dieses Gens wesentlich haufiger von klinischen Symptomen begleitet.

hydrophiler Glutamylrest durch einen hydrophoben Valylrest ersetzt ( ® Abb. 11.24). Die Sauerstoffanlagerung ist beim Sichelzell-Hamoglobin (HbS) nicht gestOrt; die mit diesem Hamoglobin beladenen Erythrocyten besitzen jedoch die besondere Neigung, im peripheren Blut eine Sichelzellform anzunehmen, da die HbS-Molekiile aggregieren. Auffallig ist dabei, dass dies nur im venosen Blut auftritt. Offenbar bewirkt die Sauerstoffentladung des Hamoglobins im venosen Blut eine Veranderung der Konformation des Hamoglobintetramers, infolge derer die HbS-Molekiile polymerisieren und die Erythrocyten die Sichelform annehmen. Als Ursache der Aggregation wird vermutet, dass - wie durch ® Abb. 11.25 veranschaulicht - durch die mit

! Eine heteropolare Mutation im Codon 6

der P-Giobinkette verursacht die Sichelzellanamie.

Uber 500 strukturelle Mutationen sind bisher in den verschiedenen Globingenen beschrieben worden. Als Prototyp gilt die Sichelzellanamie, die aus einer Mutation (GAG ~ GTG) in Codon 6 der /1-Globinkette resultiert, die mit Hilfe der Restriktionsenzymanalyse nachgewiesen werden kann (® Abb. 11.23). Durch die Mutation wird an der Oberflache des Hamoglobins ein 348

I

11 Gendiagnostik und Gentherapie

11

3'

5'

-

~-Globin

11p15.5

5'

3'

J a-Globin

16p13

Abb. 11.22. Gruppen(cluster)artige Anordnung der a- und ,8-Giobinge· ne. Das a-Giobin-Gen kommt in zwei Kopien vor. Neben dem a-GiobinGen liegen vier a-Analoga:das'tf!-a-Gen,das ~-Gen,ein embryonales aGen und das 'lj!-~-Gen. Das ,8 -Giobin-Gen existiert dagegen in nur einer

Kopie. Das b-Gen produziert zwar ebenfalls eine ,8-Kette, die jedoch nur eine geringe bio\ogische Aktivitat aufweist. Das '4'-,8-Gen wird nicht transkribiert. Das y-Gen (zwei Kopien) und das y -Gen werden nur wahrend der Embryonal- und Fetalentwicklung exprimiert

der Sauerstoffabgabe einhergehende Konformationsiinderung des Hamoglobins zwei hydrophobe Bezirke (Leucyl- und Phenylalanylreste der zweiten ,8-Globinkette) an der Oberflache der Molekule sichtbar werden, mit denen die hydrophoben Valylreste der ,8-Globinkette nach dem Schlussel-Schloss-Prinzip reagieren konnen. Durch die Aggregation schrumpfen die das mutierte HbS tragenden Erythrocyten, wodurch hamolytische Krisen verursacht werden, die fruher haufig letale Komplikationen verursacht haben. Aufgrund besserer Behandlungsmoglichkeiten hat sich die Lebenserwartung der Betroffenen bis in das mittlere Lebensalter erhoht. Heterozygote, die nur ein abnormes Gen aufweisen, sind klinisch gesund und scheinen - besonders als Kind - vor schwerer Malaria geschtitzt zu sein. Die Folge davon ist, dass die Heterozygoten in Malariagebieten begunstigt sind, so dass diese Gene

und damit die Sichelzellanamie dort relativ haufig sind. Wie hoch auch die Genverluste durch den Tod von Homozygoten sein mogen, in Malariagebieten besitzen die Heterozygoten einen Selektionsvorteil und vermehren sich starker als andere Individuen. So ist das haufige Auftreten der Sichelzellanamie in Afrika und Asien zu erklaren.

Die Thalassamien kommen durch quantitative Sttirungen der Globinkettenproduktion zustande. Thalassiimien werden auch als Mittelmeeranamien bezeichnet, da sie in der Mittelmeerregion weit verbreitet sind. Sie kommen aber auch in Afrika, im mittleren Osten, dem indischen Subkontinent und Burma, Siidostasien einschlieBlich Sudchina, Malaysia und Indonesien sowie in der deutschen Bevolkerung vor. 11.2 Genetische Erkrankungen

349

11

D +t 0

~6

.....

[r]

3'

5'

.~. .ro.2kb

-1.2kb

Mstll Mst II

Mst II

~

5'

3'



HbA (oxygeniert)

HbA (desoxygeniert)

~

HbS ~ (oxygeniert)

>--r-L,

HbS ~ (desoxygeniert)

I o,2kb

Mstll

Mstll

CCT.GAG.GAG

+

CCT.GTG.GAG

normales ~ -Giobingen

Abb. 11.25. Polymerisierung des Sichelzellhamoglobins im desoxygenierten Zustand

Sichelzellgen ~

1,4 r--

1,2

r-r--

-

lkbl

Abb. 11.23. Nachweis der Sichelzellmutation durch Restriktionsenzymanalyse. Die Mutation von Aden in zu Thymin zerstiirt die Erkennungsregion fiir das Restriktionsenzym Mst II. Es entstehen nicht mehr zwei DNAFragmente (1,2 kb und 0,2 kb), sondern nur noch eines (1,4 kb). Homozygote haben nur die 1,4 kb-Bande, Heterozygote die 1,4 und die 1,2 kbBande und Gesunde nur die 1,2 kb-Bande

I

I

N- H

N- H I

H- C- CH -CH

l

2

?

- coo-

O= C I

I H- C-

/ CH3 CH

I O= C

" CH3

I

Valylseitenkette

Glutamylseitenkette

Abb. 11.24. Substitution der hydrophilen Glutamyl- durch die hydrophobe Valylseitenkette im Sichelzellhamoglobin

Sie sind dadurch charakterisiert, dass eine der beiden Proteinketten nicht mehr ausreichend produziert wird. Thalassamien sind ein Beispiel fiir genetische Erkrankungen, bei den en die Mutation zu einer quantitativen Storung der Produktion des Genproduktes fiihrt. Im heterozygoten Zustand fiihren sie zu einer leichten mikrozytaren Anamie, im homozygoten bzw. gemischt heterozygoten Zustand tritt dagegen eine schwere Anamie auf. Fast 200 Mutationen sind bis heute als Ursache der verschiedenen Thalassamieformen beschrieben worden. Bei dem sehr heterogenen Krankheitsbild wird zwischen a- und fJ- Thalassamien unterschieden, die weiter unterteilt werden ~ in die U oder {J Thalassamien, bei denen keine aoder fJ-Globinketten mehr produziert werden, und 0

350

-

0

-

11 Gendiagnostik und Gentherapie

die a+- oder fJ+- Thalassamien, bei den en diese Ketten in nur sehr gering en Mengen gebildet werden.

Dadurch ist die St6chiometrie der Bildung des Hamoglobintetramers gestOrt. Die iiberschiissigen a-Globinketten (bei den fJ- Thalassamien) werden entweder durch Proteolyse abgebaut, assoziieren mit y-Ketten zu fetalem Hamoglobin (HbF) oder fallen in den Erythrocytenvorstufen aus. Klinische Folge bei den {J 0 - und schweren fJ+-Formen sind eine schwere Anamie und eine hochgradige Steigerung der Erythropoese, die aufgrund des molekularen Defektes jedoch ineffektiv ist und zu einer Milzvergrofierung fiihrt. Hiermit geht eine vermehrte Eisenaufnahme aus dem Darm einher. Das vermehrt aufgenommene Eisen kann aber nicht in die Globinketten eingebaut werden, so dass es sekundar zu einer Eiseniiberladung kommt.

Den {r-Thalassamien liegen meist Rasterschubmutationen zugrunde. Deletionen oder Additionen von Basen verursachen Rasterschubmutationen mit der nachfolgenden Bildung eines vollig veranderten und damit funktionslosen Produktes ( Tabelle 11.3). Nonsense-Mutationen in verschiedenen Codons fiihren zur Entstehung eines Abbruchcodons wahrend der Translation. Mutationen im Bereich der Intron-Exon-Ubergange, den Spleifiverbindungen und den daneben liegenden Konsensussequenzen besitzen ebenfalls entscheidende Konsequenzen. Zur Entfernung der Introns bildet die hnRNA eine Schleife (S. 253 ), so dass das stromabwarts gelegene Ende eines Exons, der Donorbereich, in die Nachbarschaft des stromaufwarts gelegenen Endes des nachsten Exons, den Akzeptorbereich, gelangt. Bei der folgenden enzymatischen Entfernung des Introns vereinigen sich Donor- und Akzeptorbereich. Voraussetzung fiir die Aneinander!agerung sind Erkennungsbereiche, die bei allen bisher untersuchten Genen sehr ahnlich sind. Bei diesen Consensussequenzen (S. 254) handelt es sich urn sechs aufeinanderfolgende Nucleotide, von denen die ersten beiden (G und T) identisch und die

11 Tabelle 11.3. Mutationen der fUr die ,8-Kette des Hamoglobins codierenden DNA (,8-Thalassamie). Eine Rei he von Mutationen fUhrt zum Verlust der ,8Giobinkettenbildung {,8°-Thalassamien). andere zur Reduktion (,8+-Thalassamien) 19

23

21

34

32

27

25

33

35

lntron 2

S'

I

17 2

4

6

8

10

12

14

3'

18

16

Typ A. icht funktionierende mRNA onsensemutanten (Tran lation abbruch) 12 Codon 17 (A~ T) 13 Codon 39 (C ~ T) 10 Codon IS (G ~A) 17 Codon 121 (G ~ T)

Chinesisch Mediterran Indisch (Asien) Polni ch

Ra terschubmutanten durch Deletionen (- ) oder Additionen (+) 7 - I von Codon 6 8 - 2von Codon 8 9 +I zwischen Codons 8 und 9 II - I von Codon 16 14 -4 von Codon 41/42 IS -1 von Codon 44 16 + l zwischen Codons 71 und 72

Mediterran Tiirkisch lndisch (Asien) lndisch (Asien) Lndisch (Asien) Kurdi ch Chinesisch

B. RNA-Prozessierungsmutanten SpleiRverbindungen-Veranderungen 22 Intron- 1 Position (G ~ A} 23 Intron-1 Position (G ~ T) 29 lntron-1 3'-Ende -25 Basenpaare 30 lntron-1 3'-Ende -17 Ba enpaare 31 lntron-2 Po it ion (G ~ A) 33 lntron-2 3'-Ende (A~ G)

Mediterran lndisch (Asien) Indisch (Asien) Kuwait Mediterran Schwarz (USA)

Consensusiinderungen (anliegend an SpleiBverbindungen) 24 lntron-1 Position 5 (G ~ T) 25 Intron-1 Position 5 (G ~ C) 26 lntron-1 Po ition 6 (T ~ C)

Mediterran lndisch (USA) Mediterran

Interne Anderungen, die verborgene Regionen betreffen 19 Codon 24 (T ~ A) 20 Codon 26 (G ~A) 21 Codon 27 (G ~ T) 27 lntron-1 Position 110 (G ~A) 28 lntron-1 Position 116 (T ~ G) 32 lntron-2 Position 654 (C ~ T) 33 lntron-2 Po it ion 705 (T ~ G) 34 lntron-2 Position 745 (C ~ G)

C. Promotorregionmutanten I -88(C~T)

6

- 87 (C ~G) -31 (A ~ G) -29(A ~ G) - 28(A ~G) - 28{A ~ C)

18

AATAAA~

2 3 4 5

AAGAAA

fJ+

E Knossos

fJ+ ?

fJ"

{3+ f3+

% der normalen Tran kriptionsrate 40 fJ+ 10 {3+ 55 fJ+ 25 fJ+ 10 fJ+

[J+

chwarz (USA) Siidosta ien Mediterran Mediterran Mediterran Chine i ch Mediterran Mediterran Schwarz (USA) Mediterran Japanisch chwarz (USA) Chine i ch Kurdi ch chwarz (U A)

11.2 Genetische Erkrankungen

351

11 iibrigen vier sehr ahnlich sind bzw. urn eine Folge von fiinf Basen, von den en die heiden letzten (A und G) immer gleich sind (Abb. 11.26). Mutationen, die die Nucleotide G oder Tim Donorbereich und A oder G im Akzeptorbereich betreffen, fiihren dazu, dass an dieser Region kein SpleiBen mehr stattfinden kann und das Exon ausgespart wird. Dies wird als ,,Exon iiberspringen" (exon skipping) bezeichnet.

! p+-Thalassamien entstehen durch Mutationen in der Promotorregion oder kryptischen Spleiflregionen.

Mutationen in der Promotorregion (etwa 30 bzw. 88-90 Nucleotide stromaufwarts vom f)-Globingen) sind auf zwei Subregionen konzentriert: die erste - ein Promotorsequenz

I

nichttranslatierte Region

I

CACCC-Motiv ( -91 bis -86) - ist fiir die perinatale Aktivierung des j)-Globingens von Bedeutung, die zweite - die TATA-Box (bei etwa -30) - fur die Bildung des Transkriptionskomplexes ( ® Abb. 11.26). Sie fiihren zu einer Abnahme der Transkriptionsrate auf 10 bis 55 % des Normalwertes und damit zu relativ milden Defekten der f)-Globinbiosynthese ( Tabelle 11.3 ). Sowohl in Exon- als auch in Intronbereichen befinden sich sog. kryptische SpleiBbereiche, die groBe Ahnlichkeit mit den normalen SpleiBregionen aufweisen. Ist eine derartige Region von einer Mutation betroffen, so kann sie in eine zusatzliche SpleiB-Erkennungsregion umgewandelt werden, so dass zumindest ein Teil des SpleiBens in diesem Bereich erfolgt. Dieses verkehrte SpleiBen fiihrt dazu, dass eine mRNA gebildet wird, der entweder ein Teil eines Exons fehlt oder die zusatzlich

Exon

I

lntron

I

3'

S'

Abb. 11.26. Prinzip der S truktur aller Globingene des Menschen: Nucleotidsequenzen am 5'-Ende dienen als Promotorsequenz fOr die Initiation der Transkription. Charakteristisch sind die TATA-Box und die CACCC-Sequenz (Rotraster). Positionen von Mutationen sind durch rote Buchstaben hervorgehoben. Eine Region zwischen der Promotorsequenz und dem ersten Exon wird zwar transkribiert, aber nicht translatiert. Die drei codie-

normales 13-Giobingen

t t t t

renden Sequenzen, die Exons, werden durch zwei lntrons unterbrochen. Eine weitere nicht-translatierte Region am 3'-Ende enthalt die AATAAASequenz, die als Signal fOr die Polyadenylierung der mRNA dient. AG und GT stellen Anteile von Consensussequenzen dar. Die haufigsten Mutationen bei der {3-Thalassamie verursachen ein falsches SpleiBen oder storen die Translation der Globinkette

t

hnRNA

,..

T~A-Mutation

,..

13+-Thalassamie

l t t tt t

G~A-Mutation

t t tt t

t -

Abb. 11.27. Mutationen k onnen kryptische (rote Pfeile) in aktive SpleiBregionen UberfOhren. ln den m eisten Fallen wird dann an beiden Erkennungsregionen geschnitten. Bei d er.B+-Thalassamie (links) ist die Anzahl 11 Gendiagnostik und Gentherapie

t

(-20%)

(-80%)

352

pE-Thalassamie

(-25%)

der j)-Giobinketten, bei denenin der f alschen Region geschnitten wird, etwa viermal groBer als in dernormalen j)-Kette; bei d erf3E-Thalassamie (rechts) betragt dieses Verhaltnis 1 : 3

11 Intronanteile enthalt. Durch Translation dieser mRNA entsteht eine nicht mehr funktionsfahige f)-Kette. In den meisten Fallen dienen beide Spleigregionen als Schnittstellen, aber in unterschiedlichem MaK Bei einer Form der f]+- Thalassamie ist die Expression der Gene, in denen die vorher kryptischen und durch die Mutation aktivierten Spleigregionen vorliegen, etwa viermal so hoch wie die der normal en Ketten. Bei einer anderen, der weitaus milderen t3E-Thalassamie, betragt dieses VerhiHtnis 1 : 3 (® Abb. 11.27). Diese extreme Vielfalt der Mutationen erklart das weite Spektrum von Thalassamie-Varianten unterschiedlichster Auspragung, die von der vollstandigen Abwesenheit der f)-Globinsynthese und einer ausgepragten Anamie bis zu einer sehr milden Anamie, die weitgehend asymptomisch ist, reich en kann. Ein Teil der Storung wird durch eine gesteigerte Bildung von HbF kompensiert. Da dies individuell unterschiedlich ist, erkHiren sich die unterschiedlichen Phanotypen.

Tabelle 11.4. Prototypen genetischer Erkrankungen DIM!

E.rlnnlwng

Proteintyp

Phenylalaninhydroxyla e

Phenylketonurie

Enzym

LDL-Rezeptor

Pamiliare Hyper- Rezeptor cholesterinamie

ChJoridtransporter

Cystische Pibro e, lonenkanal Mukoviszidose

PaktorVIII

Hamophilie

Gerinnungsfaktor

HamogJobin

Sichelzellanamie

0 2· Tran portprotein

Dystrophin

Cytoskelettprotein Duchenne Muskeldystrophie

Myosin

Kardiomyopathie Myosin-ATPase

BRCAI

Brustkrebs

Transkriptionsfaktor

11.2.sl Zellbiologische Folgen

des Defektes des Genproduktes

A

Der Einfluss des veranderten Genproduktes wird durch die Funktion des Proteins in der Zelle bestimmt. Da z. B. jedes katalytisch wirksame Protein in ein System von Stoffwechselreaktionen und -zyklen mit anderen Enzymen eingebunden ist, beeinflusst seine Storung auch die mit ihm verbundenen, anderen Enzymsysteme. Durch die Untersuchung der Stoffwechselanderung bei einigen genetischen Anomalien mit bekanntem Enzymdefekt konnten die Stellung und Bedeutung, die dieses Enzym im Gesamtstoffwechsel im Normalzustand einnimmt, naher definiert werden. Da aile Gene von Mutationen betroffen sein konnen, konnen damit auch aile Genprodukte, also Proteine, von einem Defekt betroffen sein: .,. die im Blut zirkulierenden Proteine (Hamoglobin, Blutgerinnungsfaktoren, Antikorper, Hormone, Cytokine), .,. die Strukturproteine, zu denen die Transportsysteme, Rezeptoren in Zellmembranen oder Cytoskelettproteine (Kollagene, Dystrophin, Elastin) gehOren, und .,. die am intrazellularen Stoffwechsel beteiligten Enzymproteine (® Tabelle 11.4). In ihrer historischen Entwicklung hat sich die Biochemie zunachst mit der Erforschung des Intermediarstoffwechsels auseinander gesetzt, weshalb Storungen von Enzymaktivitiiten zunachst intensiv untersucht wurden. ® Abbildung 11.28 zeigt die Beziehung eines Stoffes zum Stoffwechsel einer Zelle in schematischer Darstel-

Abb. 11.28. Die Beziehung eines Stoffes zu einer Zelle (unterVernachlassigung subzellularer Kompartimente). Durch ein membranstandiges Transportsystem (TA) gelangt der Stoff Avom Extra- in den lntrazellularraum, wo er durch die Enzyme EAB, EBC und Eco in die Stoffe B, Cund Diiberfiihrt wird (rote Pfeile). Daneben ist auch die katalytische Umwandlung von Ain A1 oder A2 moglich. Der dilnne rote Pfeil zeigt die negative Riickkopplung des Endproduktes auf das Enzym EAB an (vgl. z. B. Porphyrinbiosynthese, 5. 650ft.)

lung. Der Stoff A wird durch ein membranstandiges Transportsystem in die Zelle aufgenommen, in der er auf dem Hauptweg durch verschiedene Enzyme tiber die Stoffe A, B und C in D umgewandelt wird. Das entstandene Produkt D kann tiber einen negativen Rtickkopplungsprozess die Aktivitat des Enzyms EAB beeinflussen. Daneben existieren noch zwei weitere Moglichkeiten der Umwandlung des Stoffes A in A1 oder A2, die jedoch nur von untergeordneter Bedeutung sind. Aufgrund verschiedener Defekte kann eine Vielzahl von StOrungen des Stoffwechsels unterschieden werden.

Storungen auf Membranebene fuhren zu extrazellularem Oberschuss und intrazellularem Mangel. Wird der Stoff A aufgrund eines Defektes des Rezeptor- bzw. Transportsystems nicht von der Zelle erkannt bzw. nicht in diese transportiert, so kommt es zu ei11.2 Genetische Erkrankungen

353

11 nem intrazellularen Mangel und zu einem extrazellularen Dberschuss des Stoffes A. Als Folge davon kann A nicht in die Stoffe B, C oder D iiberfiihrt werden, die moglicherweise wichtige Stoffwechselfunktionen besitzen. Membranrezeptordefekte (z. B. des LDLoder Insulinrezeptors) treten in einer Vielzahl von Zellen auf, bei Transportsystemstorungen sind haufig Darm- und Nierenzellen betroffen. Die mangelnde Resorption im Darm und die vermehrte Ausscheidung in den Urin verringert die Verfiigbarkeit des Stoffes A im Organismus. Auf der anderen Seite kann der nicht resorbierte Stoff A dem Stoffwechsel von Mikroorganismen im Darm anheimfallen, deren Produkte ins Pfortaderblut iibertreten und Storungen verursachen konnen. Mutationen in Genen der Membrantransporter fur Ionen wie Chlorid oder Sulfat fiihren ebenfalls zu Ungleichgewichten dieser Stoffe zwischen Intra- und Extrazellularraum mit z. B. Storungen der SchweiBsekretion.

Bei Storungen des intrazellularen Stoffwechsels weicht der Stoffwechsel auf Nebenwege aus. Die fehlende oder reduzierte Aktivitat eines Enzyms verursacht die vollstandige oder partielle Blockade einer Reaktionskette mit konsekutiver Anhaufung bzw. Verminderung einzelner Reaktionsteilnehmer. So fiihrt der Defekt des Enzyms EA 8 , das das SubstratA in das Produkt B iiberfiihrt, zu einer Akkumulation von A und einem Konzentrationsabfall von B ( Abb. 11.29). Infolge des erhohten Substratdruckes durch A werden dann normalerweise kaum beschrittene Nebenwege eingeschlagen, durch deren Stoffwechsel A1 und A2 in Geweben, Blut und Urin vermehrt nachweisbar werden. Die vermehrte Bildung der Stoffwechselzwischenprodukte A1 und A2, die Akkumulation des Substrates A oder die verminderte Bildung von B, C oder D fiihren zu Gewebeschiidigungen, die das betreffende Krankheitsbild bestimmen. Die Erhohung der Plasmakonzentration der sich anhaufenden Stoffe kann zur sekundaren, d. h. nicht durch einen Nierenschaden verursachten Ausscheidung in den Urin fiihren. Ursache dafiir ist die Dberschreitung der maximalen Transportkapazitat des Nierentubulus fiir die akkumulierten Stoffe. Wird durch eine Mutation nicht die Aktivitat eines Enzyms beeinflusst, aber der Bereich, an dem die allosterische Regulation stattfindet (S. l34), so kann

A-

1\

B normal

A~

1\

s

Enzymdefekt

A

Abb. 11.29. Anhaufung eines Metaboliten durch Blockade eines Stoffwechselweges aufgrund des Fehlens oder der Verminderung eines Enzymproteins mit konsekutiver, vermehrter Bildung alternativer Produkte 354

I

11 Gendiagnostik und Gentherapie

Glucocerebrosid H I H H O-cH2 -C - C- C= C- (CH2h2- CH3

I

I

I

NH OH H

OH

Glucose

Ceramid

O= C- Rl

Fettsaure

Spaltung durch Glucocerebrosidase Abb. 11.30. Abbau von Glucocerebrosid in den Lysosomen durch das Enzym Glucocerebrosidase

dadurch die negative Riickkopplung bei der Biosynthese eines Stoffes ausfallen, wodurch dieser Stoff tiber den Bedarf der Zelle hinaus produziert wird.

Storungen des lysosomal en Abba us fuhren zur intrazellularen Akkumulation von Stoffen. In der Zelle unterliegen aile Stoffe einem standigen Auf- und Abbau. Wird die Aktivitat eines Enzyms, das am Abbau beteiligt ist, gestort, so kommt es zur intrazellularen Ablagerung dieses Stoffes. Krankheiten, bei denen der lysosomale Abbau einzelner Stoffe z. B. in Makrophagen betroffen ist, werden als Speicherkrankheiten des reticuloendothelialen Systems bezeichnet. So ist bei der Gaucher'schen Erkrankung der Abbau von Glucocerebrosiden zu Ceramid ( Abb. 11.30) durch Mutationen des Enzyms Glucocerebrosidase in den Makrophagen gest6rt. Die Makrophagen akkumulieren deshalb die nicht abgebauten Lipide und nebmen kontinuierlich an GroBe zu ( Abb. 11.31). Als Folge davon entstehen extreme Leber- und MilzvergroBerungen und Knochenstorungen.

Storungen der Assoziation extrazellularer MatrixProteine bewirken einen negativ dominanten Effekt. Die extrazellulare Matrix unserer Gewebe wird durch Kollagene und andere Makromolekiile gebildet. Kollagen-Molekiile bestehen aus drei Polypeptidketten, die zu einer Tripelhelix (S. 76, 761) verdrillt sind. Typ IKollagen setzt sich aus zwei al- und einer a2-Kette zusammen. Tritt nun eine heterozygote Mutation in dem Gen fur die al-Kollagenkette auf, so besteht folgende Ausgangssituation fiir die Assoziation zur Tripelhelix ( Abb. 11.32): auf 100 normale a2-Ketten kommen jeweils SO normale al-Ketten (al-N) und SO mutierte al -Ketten (al-M). Diese konnen nun zu 100 Tripelhelices mit der Zusammensetzung al-N/al-M/a2 oder auch zu je SO Tripelhelices mit der Zusammensetzung (a l -N)z-a2 und (a l -M)z-a2 assoziieren. Im ersten Fall sind alle Kollagenmolekiile von einer Storung ihrer Architektur betroffen, obwohl nur SO% der al -Ketten mutiert sind. Im zweiten Fall bestehen zwei Moglich-

11 Assoziation zu Kollagenfasern

50

J\J\J\ a -Kollagenkette (a -N) 1

1

100J \ J \ J \ a 2-Kollagenkette (a2) 50 Proteolyse Cytosol

\.\~~'r\'

\; 'r-'\·

~"

J

(a1-M)2-
Ahnlichen Oberlegungen folgend kann aus dem Verschwinden einer Aminosaure aus dem Plasma auf die Proteinbiosynthese geschlossen werden. Das Schicksal eines Phenylalanintracers ist entweder der Einbau in Proteine (Proteinbiosynthese) oder die Umwandlung zu Tyrosin mit anschlie6endem Abbau. Die Produktionsrate von Tyrosin aus Phenylalanin kann (analog zur Umwandlung eines gluconeogenen Substrates in Glucose) aus dem Verhaltnis Tyrosin zu Phenylalaninanreicherung im Plasma mal TyrosinRa entnommen werden. Die Einbaurate von Phenylalanin in Protein ergibt sich als Phenylalanin-Rd (im Gleichgewicht identisch mit Ra) minus Produktionsrate von Tyrosin aus Phenylalanin. Fur dieses Verfahren muss neben dem Phenylalanintracer auch ein Tyrosintracer infundiert werden. Da es sich bei Phenylalanin urn eine essentielle Aminosaure handelt, kann es niemals aus Tyrosin entstehen, d. h. die Markierung kann nicht den umgekehrten Weg gehen ( Abb.l2.8). Gemessen wird die Phenylalanin- und Tyrosinanreicherung.

12.2.21 Organbilanzuntersuchungen Fraktionale Extraktion eines Substrates ... Samtliche hisher geschilderten Tracermethoden erlauben lediglich Aussagen tiber Produktions- oder Umwandlungsraten im Gesamtorganismus. Der Grund daftir ist, dass die Blutentnahmen fur die Methoden der vorausgehenden Kapitel nur im peripheren Blut (vorzugsweise arterialisiertem Venenblut) erfolgten. Fur einige Organe ist es 384

12 Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels

aber dartiber hinaus moglich, auch beim Menschen eine entsprechende Vene zu katheterisieren und organspezifische Produktions- und Umwandlungsraten zu messen. Dies gilt fur Muskeln (z.B. Femoralvene oder tiefe Cubitalvene), Niere (Nierenvene) und Leber (Lebervene).Tracer kommen zusatzlich zum Einsatz, wenn das zu untersuchende Gewebe das Substrat sowohl aufnehmen als auch freisetzen kann. In den Muskeln trifft das fur die meisten Aminosauren zu oder in der Niere ftir Glucose. Das Prinzip der isotopischen Bestimmung der sog. fraktionalen Extraktion soli am Beispiel der renalen Glucoseproduktion und Glucoseaufnahme erlautert werden ( Abb.l2.9). Aus dem Konzentrationsunterschied (arteriell minus venos) eines Substrates und dem Blutfluss durch das Organ wird die Nettobilanz ftir das Substrat ermittelt. Fiir die Niere ergibt sich die Glucosenettobilanz (NB) aus der Differenz zwischen arterieller minus renalvenoser Glucosekonzentration multipliziert mit dem renalen Blutfluss (RBF) oder: NB

= (GlucoseArt- Glucoseven)

X

RBF

Der renale Blutfluss wird mit Hilfe des p-Aminohippurat (PAH)-Clearance-Verfahrens gem essen, wobei PAH konstant in eine periphere Vene infundiert wird und die arterielle Konzentration des PAH im Plasma (PAHArt) gemessen wird. Der renale Plasmafluss (RPF) errechnet sich dann als: RPF = Infusionsrate PAH PAHArt X 0,91

unmarkierte Glucose

e markierte Glucose

Arterie

SAAn

= 10/20

KonzArt =

20

renaler Blutfluss

SAv•n

=9/20

Konzven = 20

Abb. 12.9. Prinzip der isotopischen Bestimmung der fraktionalen Glucoseextraktion der Niere. Dargestellt ist ein gedachtes Experiment mit 20 Teilen Glucose, die in die Niere eintreten (Arterie), wovon 10 isotopisch markiert sind. Der renale Blutfluss sei eine Volumeneinheit pro Minute. Unter diesen Umstanden bedeuten 20 Teile Glucose, die die Niere verlassen (Vene) eine Nettobilanz von 0. Die Niere unterscheidet bei der Aufnahme von Glucose nicht zwischen markierter und unmarkierter, wahrend sie nur unmarkierte produzieren kann. Somit wird die arterielle spezifische Aktivitat von 10/20 in der Vene zu 9/20 verdunnt. Die fraktionale Extraktion errechnet sich dann als (1 0/20- 9/20)/10 /20) = 0, 1. Die Glucoseaufnahme wird errechnet aus dem Produkt von fraktionaler Extraktion und renalem Blutfluss sowie arterieller Glucosekonzentration. Aus dem in der Vene beobachteten Abfall der spezifischen Aktivitat lasst sich also berechnen, dass Verbrauch und Produktion gleich 2 Glucoseteilen pro Minute entsprechen

12 Dabei wird angenommen, dass im Mittel 91% des arteriellen PAH von der Niere extrahiert werden. Der renale BlutfluB errechnet sich als: RPF RBF = 1-Hamatokrit Der Nettobilanzansatz unterscheidet aber nicht zwischen dem gleichzeitigen Verbrauch und der Produktion von Glucose durch die Niere und liefert lediglich die Nettobilanz, d. h. die Differenz beider Vorgange. Deshalb unterschatzt man bei Glucosenettobilanzmessungen den tatsachlichen Anteil der Niere an der gesamten Glucoseproduktion des Korpers urn diejenige Menge, die die Niere gleichzeitig an Glucose aufnimmt ( Abb. 12.9). Glucoseaufnahme und -produktion sind distinkte Prozesse, die separat reguliert werden und in verschiedenen Bezirken der Niere ablaufen. Der Glucoseverbrauch findet vornehmlich im Nierenmark statt, wahrend die Glucoseproduktion auf die Nierenrinde beschrankt ist (S. 926). Diese heiden Prozesse lassen sich unter Verwendung eines geeigneten Glucosetracers und durch Messungen in arteriellem und renalvenosem Blut getrennt voneinander bestimmen. Flir die Bestimmung der renalen Glucoseproduktion wird bei der praktischen Durchflihrung ein Glucosetracer (z.B. [6- 3H)Glucose) kontinuierlich infundiert. Plasmaproben werden aus einer peripheren Arterie entnommen. Rechnerisch ermittelt man zunachst die fraktionale Glucoseextraktion (FX) der Niere, d. h. den Anteil der arteriell angebotenen Glucose, der von der Niere extrahiert wird: FX =

[3H) GlucoseArt [3

[3 H) Glucoseven H] GlucoseArt

,Art" und ,Ven" stehen fur arterielle bzw. renalvenose Tracerkonzentration. Die renale Glucoseaufnahme (RGU) errechnet sich aus der arteriellen Glucosekonzentration (GlucoseArt) als: RGU

= FX X

GlucoseArt

X

RBF

Die renale Glucoseproduktion (RGP) ist dann die Differenz aus RGU und der Glucosenettobilanz (NB): RGP = RGU- NB Umwandlung eines Substrates in Glucose in der Niere~

Uber die Bestimmung der wirklichen renalen Glucoseproduktion hinaus erlauben geeignete Tracer auch die Bestimmung der Umwandlung eines Substrates in Glucose in der Niere, d. h. die renale Gluconeogenese aus einem spezifischen Prakursor, wie zum Beispiel aus Glutamin. Zu diesem Zweck wird eine kontinuierliche Infusion eines Glucosetracers (z. B. [6- 3H)Glucose) und [U- 14 C)Glutamin verabreicht. Plasmaproben werden wieder aus einer peripheren Arterie (oder arterialisier-

ten Handrlickenvene) entnommen. Blutfluss und fraktionale Glucoseextraktion (FX) werden wie oben beschrieben ermittelt. Aus der FX des Glucosetracers kann (14 C)Glucose ermittelt werden und damit die erwartete Tracerkonzentration an (14C)Glucose, die die Niere verlassen wlirde, wenn in der Niere kein [l 4C)Glutamin in Glucose eingebaut wlirde. Mathematisch ergibt sich folgende Forme!:

[1 4C)Glucoseven =RBF X [1 4C) Glucose Art

X

(l-7x)

,Ven" und ,Art" weisen auf renalvenose bzw. arterielle Tracerkonzentration hin. Der Unterschied zwischen der tatsachlich gemessenen Tracerkonzentration in der Vene und der berechneten, erwarteten Tracerkonzentration reprasentiert die Menge an [l 4 C)Glucosetracer, die aus [l 4C)Glutamin hergestellt wurde. Die Division durch die venose spezifische Aktivitat des Glutamintracers ([1 4C)Glutamin sA ven) ergibt die Glucosemenge, die von der Niere aus Glutamin produziert wird: Glucose aus Glutamin = RBF x [1 4 C) Glucoseven - [1 4 C) Glucose Art X (1- 7x) 6fs x [1 4 C) Glutamin-SAven Der Faktor 6/5 gleicht wieder den Unterschied in der Zahl der Kohlenstoffatome aus. Die Gleichungen flir die Umwandlung von Lactat, Glycerin und Alanin in Glucose durch die Niere sind analog.

12.2.31 Mikrodialyse Ein praktisches Problem bei der Untersuchung von Stoffwechselablaufen beim Menschen ist der eingeschrankte Zugang zu spezifischen Geweben. Dieses Problem ist zum Teil mit den oben beschriebenen Organbilanzuntersuchungen in Verbindung mit Tracern gelost. Eine weitere, verbreitete Technik zur Untersuchung von biochemischen Prozessen beim Menschen in vivo ist das Mikrodialyseverfahren. Das Verfahren ermoglicht den direkten Zugang zur interstitiellen Fllissigkeit von oberflachennahen Geweben, also zu subkutanem Fettgewebe und zur Muskulatur. Gerade bei diesen Geweben, wo die Blutversorgung nicht tiber gut definierbare prominente GefaBe ablauft, ist die Mikrodialyse der Organbilanztechnik klar liberlegen. Das methodische Vorgehen bei der Mikrodialysetechnik ist in Abb. 12.10 beschrieben. Die Mikrodialysesonde besteht aus einem konzentrischen Doppelkatheter und der von einer Membran umgebenen Mikrodialysekammer. Die Sonde wird mit Hilfe einer Hohlnadel (Durchmesser 1,2 mm) in das Gewebe eingebracht. Getrieben von einer Pumpe stromt das Perfusat (Fluss -3 [.tllmin) tiber den Einstromkatheter in die Mikrodialysekammer und den interstitiellen Raum. Gleichzeitig diffundieren die Substrate nach dem Pick'schen Prinzip aus dem Interstitium entlang dem Kon12.2 ln-vivo-Methoden

385

12 Adiponectin, Angiontensinogen u. a.) mit diesem Verfahren messbar werden. Das ist zur Zeit noch schwierig, da hierfiir spezielle Dialysemembranen notig sind. lm Muske! hat man mit diesem Verfahren bereits die Bedeutung der intramyozellularen Lipide (S. 572) und deren Lipolyse naher charakterisieren konnen.

12.2.41 Prinzip des,Ciamps" als ln-vivo-Untersuchungstechnik Abb. 12.1 0. Mikrodialysetechnik./R interstitieller Raum; M Dialysemembran. (Einzelheiten s. Text)

zentrationsgefalle durch die Membran in das (zunachst substratfreie) Perfusat. Das so mit Substraten angereicherte Perfusat flieBt tiber den Ausstromkatheter zuriick in ein SammelgefaK Wichtig ist dabei, parallel zur Substratmessung ein semiquantitatives MaB des Gewebsflusses in der Hand zu haben. Dies geschieht tiber eine zweite Mikrodialysesonde, deren Perfusat z. B. Ethanol enthalt. Die Auswaschung des Ethanols (also der Anteil, der im Riickfluss nicht wiedergefunden wird) dient als MaB der Gewebsperfusion und Anderungen (z. B. infolge Hormonapplikation) konnen beriicksichtigt werden. Als deutlich empfindlicher gilt jedoch die Auswaschung von radioaktiv markiertem Xenon-133 (einem unschadlichen Edelgas, das sofort wieder in die Gasphase iibertritt, abgeatmet wird und daher eine sehr geringe biologische Halbwertszeit besitzt), die aber einer wesentlich aufwandigeren Messtechnik bedarf. Zu den Substraten, deren Umsatz Ieicht bestimmt werden kann, zahlen Glucose, Lactat, Pyruvat und Glycerin. Auch die Messung von Aminosauren ist prinzipiell moglich. Zu bedenken ist, dass der interstitielle Fluss sehr gering ist (im Vergleich zum Blutfluss) und daher langere Sammelintervalle notig sind, urn ein verniinftiges Probenvolumen zu erhalten (etwa 20 Minuten Dialysezeit fiir 10 f.ll Probenvolumen). Erhoht man den Dialysefluss, sinkt die sogenannte Recovery, also die Wiederfindungseffizienz des zu messenden Substrates. Mit dem Mikrodialyseverfahren lassen sich hervorragend Untersuchungen zum Fettgewebemetabolismus machen. Die Glycerinfreisetzung in die interstitielle Fliissigkeit ist das beste MaB fur die intrazellulare Lipolyse.Nach systemischer Applikation von Hormonen (Insulin,Catecholaminen) oder Medikamenten (z. B.Acipimox,einem Lipolyseinhibitor) konnen dann Konzentrationsanderungen im Dialysat erfasst werden. So konnen interindividuelle Unterschiede (z. B. schlanke versus iibergewichtige Menschen) wissenschaftlich ausgewertet werden. Aber auch regionale Unterschiede der Lipolyseregulation (z. B. abdominales versus gluteales versus femorales Fettgewebe) lassen sich in idealer Weise mit dem Mikrodialyseverfahren messen. In Zukunft sollen auch aus dem Fettgewebe stammende Peptide (Leptin, 386

12 Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels

Zur Untersuchung von Wirkungsst5rungen schnell wirkender Hormone, besonders des Insulins, sind die Clamp-Techniken eingefiihrt worden.

Der Eug Iyea misch-hyperi nsul ina mische Clamp dient vor allem der Erforschung der lnsulinresistenz. Dieses Verfahren stellt den Prototyp der sogenannten ,Clamp-Technik" in vivo dar. Der euglycamisch-hyperinsulinamische Clamp ist das Standardverfahren fiir die Messung der Insulinwirkung in vivo. Er findet Anwendung in der klinischen Erforschung des Phanomens der ,lnsulinresistenz", die eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Typ 2 Diabetes mellitus spielt. Das Prinzip beruht darauf, dass Insulin nach initialer Bolusgabe konstant infundiert wird, urn eine hohe (etwa 500 pM) und in jeder untersuchten Person auBerdem moglichst identische Insulinkonzentration im Plasma zu erreichen. Das Insulin fiihrt jetzt dazu, dass die endogene Glucoseproduktion gehemmt und die periphere (v. a. im Muske!) Glucoseaufnahme stimuliert wird (S.844ff.). Je nach lnsulinempfindlichkeit der untersuchten Person wiirde nun der Glucosespiegel schneller oder langsamer abfallen. Der Blutzuckerspiegel wird laufend (aile 5 bis 10 Minuten) gemessen und eine gleichzeitige Glucoseinfusion wird so angepasst, dass sich der Blutzuckerspiegel nicht verandert. Nach etwa 60 Minuten stellt sich ein Gleichgewicht zwischen dem insulinstimulierten Glucoseverbrauch der Gewebe und der Glucoseinfusion ein, d. h. die Glucoseinfusionsrate bleibt konstant. In diesem Gleichgewichtszustand ist die Glucoseinfusionsrate (ausgedriickt in mg/min bezogen auf kg Korpergewicht) ein gutes MaB fur die Insulinwirkung ( Abb.l2.11). Dabei erhalt man den Nettoeffekt von Hemmung der Glucoseproduktion und Stimulation der Glucoseaufnahme (v. a. im Muske!, etwas auch im Fettgewebe). Will man diese beiden Prozesse getrennt beurteilen, kann mit gleichzeitiger Infusion eines Glucosetracers die endogene Glucoseproduktion gemessen werden. Die Glucose Ra setzt sich hier aus endogener Glucoseproduktion plus exogener Glucoseinfusion zusammen. Im Gleichgewicht gilt Ra = Rd. Der Glucoseverbrauch (Rd) ergibt sich dann als Summe von endogener Glucoseproduktion plus exogener Glucoseinfusionsrate.

12 lnsulininfusion I 1 mU/kg/min I 500

400 :::1: 300

-'= .:

a.:

200 100

0

- 20

0

20

40

60

80

100

120

140

160

Zeit [min]

Der Antilipolyse-Ciamp dient der Abschatzung der Hemmwirkung von Insulin auf die lipolyse. Neben den wichtigen Wirkungen auf den Glucosestoffwechsel reguliert Insulin auch die Lipolyse. Grundsatzlich ist der suppressive Insulineffekt auf die Lipolyse wesentlicher starker als auf die Stimulierung der Glucoseaufnahme, das heiBt, die Dosiswirkungskurve ist nach links verschoben. Deshalb ist fiir die Messung der Insulinwirkung am Fettgewebe eine deutlich geringere Insulinkonzentration zu verwenden. Da die Insulinempfindlichkeit der Lipolyse von Mensch zu Mensch erheblich variiert, sollten auBerdem mehrere Insulinkonzentrationen beriicksichtigt werden. Dies wird in der praktischen Durchfiihrung durch einen sogenannten Stufenclamp erreicht. Dabei wird das Insulin nicht wie beschrieben mit einer konstanten Infusionsrate verabreicht, sondern mit (mindestens) drei steigenden Raten iiber jeweils mindestens 120 Minuten ( Abb.l2.12a). Eine angepasste Glucoseinfusion sorgt wieder fiir einen konstanten Blutzucker. Kombiniert man diesen 3-stufigen Clamp mit einer Infusion von d 5-Glycerin kann man den von der Insulinkonzentration abhangigen Abfall der Glycerin-Ra (Lipolyse) messen. Tragt man die Glycerin-Ra amEnde jeder Insulinstufe gegen die dabei erreichte Insulinkonzentration auf, erhalt man eine Dosiswirkungsbeziehung, aus der man unschwer den halbmaximalen Effekt auf die Lipolyse und die hierfiir notwendige Insulinkonzentration bestimmen kann ( Abb.l2.12b).

! Die lnsulinsekretion kann in vivo mit dem

hyperg lycamischen Clamp untersucht werden . Das Prinzip des euglycamischen Clamps zur Messung der Insulinwirkung wird analog als hyperglycamischer Clamp auf die Messung der Insulinsekretion iibertragen. Dabei wird durch eine Glucoseinfusion eine bei jedem Probanden gleiche Glucosekonzentration erzeugt (in der Regell80 mg/dl) und die Insulin- oder CPeptidkonzentration im Plasma gemessen. Dieses Ver-

180

Abb. 12.11. Prinzip des euglykamischen Clamps. (Einzelheiten s.Text)

fahren dient der Erforschung der Betazell-Funktion vor dem Hintergrund der Entstehung des Diabetes mellitus Typ 2. Hebt man durch einen initialen Glucosebolus die Glucosekonzentration ,rechteckig" an ( Abb.l2.13), kann man anschaulich die erste (friihe) und zweite (spate) Phase der glucosestimulierten Insulinsekretion auch beim Menschen in vivo darstellen.

12.2.s!

Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

Ein Positron ist ein Elektron mit positiver ladung. Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) konnen Stoffwechselprozesse unter in vivo-Bedingungen mit kurzlebigen Isotopen analysiert werden. Der Proband erhalt eine mit einem Isotop markierte Verbindung, die in dem zu untersuchenden Gewebe akkumuliert und dann mit Hilfe von Detektoren sichtbar gemacht werden kann. Bei der PET-Analyse werden Positronen emittierende Isotope verwendet. Ein Positron ist ein Partikel im Atomkern, dessen Masse und Ladung dem eines Elektrons aquivalent ist. Im Gegensatz zum Elektron ist das Positron jedoch positiv geladen. Bestimmte chemische Elemente besitzen instabile Isotope, die ein Positron vom Kern emittieren. Dadurch kann das Atom seine iiberschiissige Energie verlieren und auf ein stabiles Niveau zuriickfallen. Nach Emission aus dem Kern bewegt sich das Positron einige Millimeter, bis es mit einem Elektron kollidiert, so dass sich beide Partikel verbinden. Die verbleibende Energie ist eine Gammastrahlung, die mit zwei Detektoren, die ringformig urn den Probanden angeordnet sind,gemessen wird (Positronkamera).Aus den gemessenen Signalen berechnet ein Computer, wo die Kollision zwischen Positron und Elektron stattgefunden hat und erzeugt nach Vermessung ausreichender Datenmengen Schnittbilder, die als Tomographien bezeichnetwerden. 12.2 ln-vivo-Methoden

387

12 1,0 mU/kg/min

. - - - - - ---' 0,1 mU/kg/min

•••

Blutentnahmen

r--{

-2h

- IOh

0,25 mU/kg/min

lnsulininfusion

•••

•••

•••

2h

4h

6h

0

a

basal

"'

a:;

halbmaJCimale Suppression

-s >;::;

maJCimale Suppression

·················-~·-·· ······

'

Insa lns1 '

'

....

EC50

b

lns3

lns2 lnsulinkonzentration

Viele korpereigene Substanzen konnen fUr die PET -Analyse mit einem lsotop markiert werden.

400 ::0 "'-

300

]

100

.:

.:

Die vier wichtigsten Radionuklide sind: .,. Kohlenstoff-11 ( 11 C), .,. Stickstoff-13 (1 3N), 1> Sauerstoff-15 (1 5 0 ) und 1> Fluor-18 (1 8 F).

100 0

0

::0

E

§"' ::0

;::;

] - 30

0

30 60 Zeit [min]

90

120

o gesunde Probanden • Probanden mit eingeschr~ nkter Glucosetoleranz

Abb. 12.13. Hyperglycamischer Clamp. Verhalten von Insulin und Glucosekonzentration bei gesunden Probanden mit eingeschrankter Glucosetoleranz wahrend eines hyperglycamischen Clamps

388

Abb. 12.12 a, b. Dreistufiger euglycamischer hyperinsulinamischer Clamp zur Messung der lnsulinwirkung auf die Lipolyse. a Darstellung desVerlaufs des Clamps. b Die Glycerin Ra wird gegen die lnsulinkonzentration am En de der Stufen aufgetragen ( lund mit Hilfe eines Kurvenanpassungsprogramms ausgewertet. Die lnsulinkonzentration, mit der eine halbmaximale Suppression der der Lipolyse erzielt wird, kann rechnerisch ermittelt oder aus der Darstellung abgelesen werden

12 Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels

Als Vorteil der PET-Analyse erweist sich, dass die meisten biologischen Verbindungen diese Elemente aufweisen. Positron-emittierende Isotope werden in einem Zyklotron hergestellt. Die Isotope sind kurzlebig: die Halbwertszeit liegt zwischen einigen Minuten und 2 Stunden (® Tabelle 12.2). So ist z. B. bei 18F nach 12 Stunden ( 6Halbwertszeiten) noch 2 o/o der urspriinglichen Aktivitat vorhanden. Die kurze Halbwertszeit bedeutet eine entsprechend geringe Strahlenbelastung fiir den Probanden. Das person ell und apparativ aufwendige Verfahren hat den wesentlichen Vorteil, dass die zur Markierung verwendeten Atome die biochemischen Eigenschaften der Tracer kaum verandern und deshalb hochspezifische Messungen erlauben.Nach Verabreichung an einen Probanden verhalt sich das markierte Molekiil genauso wie das nichtradioaktive Ausgangsmoleki.il. Zusatzlich zur Lokalisierung konnen Stoffwechselprozesse auch quantifiziert werden. Rein theoretisch kann jede korpereigene Substanz oder jedes Medika-

12 Tabelle 12.2. Halbwertszeitvon Radionukliden,die Positronen emittieren

,,.

'ld

Sauerstoff-15

t'/1 2 Minuten

Stick toff-13

IOMinuten

Kohlenstoff-11

20 Minuten

Fluor-18

Glucose (G)

liOMinuten

ment, welches Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff oder Fluor enthalt, mit einem Positron-emittierenden Isotop ohne Anderung der chemischen Struktur markiert werden. 18 F substituiert dabei Wasserstoff oder die Hydroxylgruppe. Im Prinzip lassen sich beliebig viele Biomolekiile und Pharmaka fiir Untersuchungen der verschiedensten Funktionen des Organismus mit diesen Nukliden radioaktiv markieren. Wichtige, mit diesen Isotopen markierte Biomolekiile sind 18 F-Desoxyglucose (FDG ), 11 C-Tyrosin, 11 C-Palmitinsaure, 11 C-Dopamin, 15 0 2, 11 C0 2 oder 13 NH 4+. Mit der PET konnen biochemische und physiologische Grundfunktionen wie Blutfluss, Sauerstoffverbrauch und Glucose-, Aminosaure- und Fettstoffwechsel an Gehirn, Muske! und anderen Organ en untersucht werden. So akkumulieren z. B. Gewebe mit hoher Proteinsyntheserate neben anderen Aminosauren auch 11 C-Tyrosin. Im PET-Scan stellt sich deshalb das Pankreas als Organ mit hoher Proteinsynthese-Aktivitat deutlich dar (hot spot). Auf der anderen Seite wird ein Organ mit niedriger Proteinsyntheserate wie das Gehirn entsprechend schwach (cold spot) dargestellt.

! Mit 2-FOG kann der Glucosestoffwechsel untersucht werden.

Die am weitesten verbreitete PET-Technik zur Messung des Glucosestoffwechsels verwendet 18 F-Desoxyglucose (Abb. 12.14). Sie basiert auf der radioaktiven Desoxyglucose-Methode, die 2-Desoxy-D- 14 C-Glucose als Stoffwechsel-Tracer verwendet. Desoxyglucose ist ein Glucose-Analogon, das sich von dieser durch die Substitution der Hydroxylgruppe durch ein Wasserstoffatom am Kohlenstoffatom 2 unterscheidet. Es wird im Gewebe wie Glucose durch die Hexokinase unter Bildung von 14 C-Desoxyglucose-6-phosphat (DG-6-P) phosphoryliert. Aufgrund seiner anomalen Struktur wird es jedoch nicht we iter im Glucosestoffwechsel verstoffwechselt und in Geweben mit niedriger Aktivitat der Glucose-6-Phosphatase auch nur geringfiigig in Desoxyglucose riickiiberfiihrt. Demzufolge akkumuliert Glucose-6-phosphat in der Zelle, was auch als Stoffwechselfalle (metabolic trapping) bezeichnet wird. Fiir die PET wird Desoxyglucose mit dem Isotop 18 F unter Bildung von FDG markiert. FDG wird zu FDG-6-phosphat phosphoryliert, welches in Geweben akkumuliert. Dadurch konnen Gewebebezirke mit erhohtem Glucoseumsatz identifiziert werden. Die genaue Kenntnis des biochemischen Verhaltens von FDG hat die Entwicklung quantitativer biochemischer Modelle ermoglicht und damit

2- Desoxyglucose (OG)

2 • 1' Fiuor· 2• Desoxyglucose (FOG)

Abb. 12.14. Struktur von 2- 18F-2-Desoxyglucose

auch die quantitative Bestimmung des Glucoseumsatzes (flmol Glucose/100 g Gewebe x Minute).

Die PET findet Anwendung bei der Untersuchung der Gehirnfunktion und in derTumordiagnostik. Mit der PET konnen Anderungen des Blutflusses (z. B. durch PET mit 15 0-markiertem Wasser) und des Glucosestoffwechsels (mit FDG-PET) im Gehirn untersucht werden, die auftreten, wenn normale Funktionen wie Sehen, Horen, Sprechen oder Gedachtnisleistungen vollbracht werden. Mit Hilfe der PET konnen auch Rezeptoren fur verschiedene Ubertragerstoffe im Gehirn wie Opiate, Dopamin oder Serotonin bestimmt werden (S. 1068 ff.). Unter Verwendung entsprechender Rechenprogramme kann das Gehirn mit der PET in beliebiger Schnittfiihrung dargestellt werden. Die gute Darstellung einzelner anatomischer Strukturen lasst sich durch gleichzeitige Registrierung mit anderen hochauflosenden, bildgebenden Verfahren wie der Kernspintomographie weiter verbessern, wodurch die Beteiligung einzelner Hirnschichten an einfachen oder komplexen Funktionen gezeigt werden kann. Solche Untersuchungen haben bereits wichtige Beitrage zur funktionellen Neuroanatomie geleistet. Normalerweise bezieht das Gehirn 99 o/o seiner Energie aus dem Glucosestoffwechsel (S.1054), so dass die Bestimmung des Glucoseumsatzes zur Beurteilung der Stoffwechselaktivitat des Gehirns herangezogen werden kann. So lasst sich z. B. die lokale Aktivierung des Stoffwechsels wahrend Nachsprechens mit der FDG-PET messen ( Abb. 12.15). Bei Patienten mit epileptischenAnfallen konnen Region en mit verringertem Stoffwechsel (sog. hypometabole Region) oder mangelperfundierte Regionen nachgewiesen werden, in deren Randgebieten sich Anfalle mit gesteigertem Stoffwechsel bildenkonnen ( Abb. 12.16). 12.2 ln-vivo-Methoden

389

12

Abb. 12.16. PET-Schnittbild des Glucosestoffwechsels im Temporallappen bei Patienten mit epileptischen Anfallen: lm anfallsfreien Interval! zeigt sich eine groBe lasion mit vermindertem Stoffwechsel; wahrend des Anfalls kommt es im Randgebiet zu einer massiven regionalen Stoffwechselsteigerung (rot) aufgrund der von dort ausgehenden epileptischen Aktivitat.(Nach HeiB 1995)

rechte Mamma

+

Iinke Mamma

++

..-- Herz

.._. Lungen-

metastase

Abb. 12.1 S. lokale Aktivierung (braun) des Gehirnstoffwechsels wahrend Nachsprechens.(Nach Hem 1995)

Maligne Tumoren weisen einen erhohten Umsatz von Glucose auf, die auch bei ausreichender Sauerstoffzufuhr vorwiegend zu Lactat abgebaut wird (5.1179). Letzteres kann mit der NMR (s.u.) nachgewiesen werden. Gleichzeitig ist bei vielen Tumoren die Aufnahme von Aminosauren gegeni.iber dem Normalgewebe erheblich gesteigert. Der erhohte Glucoseumsatz wird i.iber die FDG-PET in der Tumordiagnostik genutzt (Abb. 12.17).

12.2.61 Magnet-Resonanz-Spektroskopie (NMR) Atomkerne nehmen in Magnetfeldern Energie auf und geben sie wieder ab. Die kernmagnetische Resonanz (engl. nuclear magnetic resonance; NMR) beruht auf einer Eigenschaft der Atomkerne, dem Spin, wodurch Kerne in starken Magnetfeldern Energie in Form elektromagnetischer Wel390

12 Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels

Abb. 12.17. FDG-PET-Untersuchung einer Patientin mit Verdacht auf Brustkrebs: Anreicherungen (schwarze Area/e) fin den sich in beiden Mammae und in einer lungenhalfte. (Aufnahme von D. Avril und M. Schwaiger, Klinikum rechts der lsar, MUnchen)

len im Radiofrequenzbereich aufnehmen und abgeben konnen. Die Elektronenhi.ille schirmt das Feld am Kernort geringfi.igig ab. Kerne in unterschiedlichen chemischen Verbindungen sind im allgemeinen von unterschiedlichen Elektronenhi.illen umgeben, so dass auf sic effektiv ein unterschiedliches Magnetfeld wirkt. Da die Resonanzfrequenz i.iber cine Naturkonstante mit der Magnetfeldstarke verkni.ipft ist, werden die Frequenzen in Abhangigkeit von der chemischen Umgebung der Kerne urn wenige ppm (part per million) verschoben. Diesen Effekt bezeichnet man als chemische Verschiebung (chemical shift). Die NMR erfordert sehr homogene aui3ere Magnetfelder, urn ahnliche Metabolite anhand ihrer chemischen Verschiebung voneinander zu unterscheiden. Normalerweise wird das untersuchte Gewebe mit einer Bandbreite von Radiofrequenzen gleichzeitig gepulst, da derselbe Kern in verschiedenen Moleki.ilen Energie bei geringfiigig unterschiedlichen Frequenzen absorbiert und emittiert. Die emittierte Energie wird dann durch cine Oberflachenspule detektiert und in ein Frequenzspektrum umgesetzt, wobei die Signalamplitude die Ordi-

12 nate und die Frequenz (in ppm) die Abszisse darstellt. Unter idealen Bedingungen ist die Flache unter jedem Spektrum-Peak direkt der Menge des jeweiligen Metaboliten in dem untersuchten Gewebe proportional.

!

Fur die NMR eignen sich am besten 1H, 19F und 31 P. Fur die NMR sind Kerne mit einem kernmagnetischen Moment erforderlich. Am geeignetsten sind 1H, 19F und 31 P, wobei Protonen die hochste Sensitivitat aufweisen ( Tabelle 12.3). Einige interessante Kerne, wie z. B. 12 C oder 160 besitzen kein kernmagnetisches Moment. Die NMR setzt ausreichende Konzentrationen der Metabolite im millimolaren Bereich voraus. In der klinischen Anwendung sind heute: .,. die 1H-Spektroskopie (fiir verschiedene Metabolite), .,. die 31 P-Spektroskopie (fur energiereiche Phosphate) und 1> die 19F-Spektroskopie (fiir Medikamente wie 5Fluoruracil). Langsame Reaktionen, wie z. B. die Aufnahme von Ethanol in das Gehirn, konnen durch wiederholte Untersuchungen analysiert werden, schnelle Reaktionen wie z. B. der Auf- und Abbau energiereicher Phosphate bei Muskelarbeit und -erholung konnen in einer langeren Untersuchung kontinuierlich verfolgt werden.

!

Mit der 31 P-NMR konnen Phosphatverbindungen gemessen werden. Mit der In-Vivo-1H-NMR sind Metabolite wie Glucose, Ethanol, Kreatin oder Kreatinphosphat und die vor allem im Gehirn vorhandenen Stoffe N-Acetyl-Aspartat und verschiedene Cholinverbindungen (z. B. Phosphatidylcholin), teilweise aber auch Glutamin, Inositole und Lactat nachweisbar. Die Resonanz der Methylgruppe des N-Acetyl-Aspartats wird haufig als Referenz (= 2,01 ppm) fiir die Skala der chemischen Verschiebung herangezogen. Kreatin und Kreatinphosphat sind in der 1H-NMR nicht voneinander zu unterscheiden, da die heiden Resonanzlinien von den NCHr bzw. N-CH 2-Gruppen des Kreatins stammen, die durch die Phosphatgruppe nicht verandert werden. Verschiedene Cholinverbindungen tragen zu der mit Cho (3,22 ppm) bezeichneten Resonanzlinie der N(CH3h-Gruppe bei. Ein wichtiger Vorteil der 1H-NMR ist die relativ hohe Signalintensitiit der Protonen, was

........

Tabelle 12.3. Kerne, die fOr die ln-vivo-NMR-Anwendung geeignet sind

Empfindlichkeit

Proton ('H) Fluor ( 19 F}

~

Amino auren, Glucose eurotransmitter, Alkohol

0,834

Phosphor (l1P) 0,00066

Medikarnente Energiereiche Pho phate

eine kurze Messzeit bedeutet. Da die nachweisbaren Metabolite in sehr viel geringerer Konzentration als Wasser (55 mmol/1) vorliegen, muss das Wassersignal mit geeigneten Methoden unterdruckt werden. Durch eine Kombination mit der Kernspin-Tomographic kann eine Lokalisation der gemessenen Metabolite in bestimmten Regionen des untersuchten Organs erfolgen.

Mit der 1H-NMR konnen verschiedene Metabolite untersucht werden. Messbar mit der In-Vivo- 31P-NMR sind Metabolite, die wie Phosphomonoester (PME), Orthophosphat (Pi), Phosphodiester (PDE), Kreatinphosphat (KP) oder die drei Phosphatgruppen des ATP (a, ~. y) in millimolaren Mengen vorkommen. Verbindungen, die wie ADP oder AMP normalerweise nur in mikromolaren Mengen vorhanden sind, entziehen sich dagegen der Analyse. Die Spiegel dieser Metabolite konnen nur indirekt aus den en der anderen ermittelt werden. Die phosphorylierten Glycolysezwischenprodukte (Glucose-6phosphat, Fructose-6-phosphat usw.), AMP und IMP bilden zusammen den PME-Peak. PDE-Resonanzen konnen wahrscheinlich Phospholipiden zugeordnet werden, die Membranbestandteile darstellen. Die Resonanz von Kreatinphosphat wird als Referenz (O ppm) fiir die Skala der chemischen Verschiebung herangezogen. Uber die energiereichen Phosphate Kreatinphosphat und ATP sowie anorganisches Phosphat wird ein Einblick in den Energiestoffwechsel der Zellen moglich.

Die Frequenzdifferenz zwischen anorganischem Phosphat und Kreatinphosphat dient zur pH-Bestimmung. Anorganisches Phosphat existiert im physiologischen pH-Bereich in zwei Formen, Hydrogenphosphat (HP0 42- ) und Dihydrogenphosphat (H2 P0 4-), die im Gleichgewicht miteinander stehen. Dadurch entsteht eine scharfe pH-abhangige Pi-Resonanzlinie, aus deren chemischer Verschiebung 6 gegenuber Kreatinphosphat (= 0,0 ppm) der intrazellulare pH-Wert nach der Gleichung von Henderson und Hasselbalch (S.18). pH

= pKa + log ( 6-aA) aB- 6

bestimmt werden kann. Bei einer magnetischen Feldstarke von 1,5 Tesla werden z. B. fiir den Skelettmuskel unter physiologischen Bedingungen die Werte pKa = 6,9, aA = 3,385 und aB = 5,702 ermittelt. Dabei beziehen sich a A und sB auf die chemischen Verschiebungen von H2P04- bzw. HP042- und pKa auf die Dissoziationskonstante des Dihydrogen-/Hydrogenphosphat-PufferSystems (S.17). Bei einem 6-Wert von 5 ppm (Differenz vonPiundKP)betragtderpH-Wert7,1 ( Abb. 12.18). 12.2 ln-vivo-Methoden

391

12 Kreatinphosphat [%des Richtwertes)

Die 31 P-NMR erlaubt die Untersuchung von Stoffwechselanderungen bei Muskelarbeit.

120

Die Muskulatur des Oberschenkels enthalt ausreichend energiereiche Phosphate, so dass der Energiestoffwechsel bei mechanischer Arbeit mit der 31Phosphor-NMR mit einer Autlosung von etwa 1 bis 5 Sekunden pro Spektrum analysiert werden kann. Mit der Muskelarbeit sind Veranderungen des pH-Wertes, von Kreatinphosphat und anorganischem Phosphat verbunden (Abb. 12.19). Wahrend einer kurz andauernden, intensiven Belastungsphase (240 Sekunden mit verschiedenen Gewichten) wird die benotigte Energie durch den Abbau von Kreatinphosphat und Glykogen im anaeroben Stoffwechsel gedeckt. Dabei ist der Abbau von Kreatinphosphat von der Hohe der Belastung abhangig und mit einem Anstieg der anorganischen Phosphatkonzentration verbunden ( Abb. 12.19).InderErholungsphase kommt es zu einer gegenlaufigen Entwicklung. Der Phosphorgehalt im Kristallgitter der Knochen wird in 31 P-NMR-Spektren nicht sichtbar, da durch seine limitierte Beweglichkeit kein Resonanzphanomen auftritt. Die Haut und das subkutane Fett produzieren ebenfalls keine signifikanten Signale, da sie eine relativ niedrige Stoffwechselrate aufweisen. Das Volumen und der Bereich des Muskelgewebes, das bei Muskelarbeitsstudien untersucht wird, kann durch Anderung der GroBe und Lokalisation der Obertlachenspule verandert werden. Normalerweise kann ein Volumen von wenigen Kubikzentimetern bis zum Querschnitt eines gesamten Oberschenkelmuskels untersucht werden.

Unterarmmuskel des Menschen pH=7,1

100

80

60

40

Erholung

I

Erholung

I

20

P1 [%des Ruhewertes] 800

600

400

200

pH

71

KP

0

60

120

180

240

300

360

420

480

540

Zeit [Sekunden] 10

5

-5 0 -10 chemische Verschiebung [ppm]

-15

-20

Abb. 12.18. Bestimmung des intrazellularen Muskel-pH-Wertes mit der chemischen Verschiebungen sind in ppm angegeben. Kreatinphosphat (0 ppm) dient als Referenz

31P-NMR. Die

392

12 Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels

Abb. 12.19. Bestimmung von Anderungen der Konzentrationen von Kreatinphosphat (KP),anorganischem Phosphat(PJ und dem pH-Wert im Bizepsmuskel desOberschenkelsbei gesunden Probanden in Abhangigkeitvon der ergometrischen Belastung mit der 31P-NMR (braun ohne Gewicht; rot mit 10 kg oder griin 30 kg Gewicht).(Verandert nachYoshida u.Watari 1993)

12 7

NAA

KPIK

4.0

3.5

3.0

2.5

2.0

1.5

chemiSAbb. 12.21). In ahnlicher Weise konnen auch Veranderungen der Glucosekonzentration im Gehirn nach intravenoser Gabe von Glucose beobachtet werden.

0

20

40

60

80

100

120

140

160

Zeit fMinuten1 Abb. 12.21. Zeitlicher Verlauf der Aufnahme von Alkohol in die graue Substanz des Gehirns eines jungen Probanden nach Genuss von 1 ml Ethanol/kg Korpergewicht iiber 5 Minuten. (Verandert nach Frahm 1993)

KERNAUSSAGEN Die ln-vivio-Verfahren zur Untersuchung des lntermediarstoffwechsels werden eingeteilt in: .,. In-vivo-Tracerverfahren,die die Messung von wichtigen Parametem des Glucose-, Fen- und Proteinstoffwechsel am Gesamtorganismus erlauben, ... die Untersuchung einzelner Organe mit Tracern, die organspezifische Aussagen erlauben, ... die Clamptechniken, die die Reaktion des Organismus auf Erhohung von Hormonkonzentrationen testen, sowie die .,. Positronen-Emissions-Tomographie und Magnetische Resonanzuntersuchung, die die lokalisierung von Stoffwechselvorgangen in bestimmten Organen ermoglichen. Die genannten Methoden werden am intakten Organism us, in der Medizin natOrlich am intakten Menschen, durchgefOhrt. Sie erlauben - innerhalb gewisser Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen- die Abschatzung der Substratumsatze innerhalb von sog. Substratkenen, wie Glycolyse, Gluconeogenese, lipolyse u. a. Solehe Untersuchungsverfahren, die infolge der dazu notwendigen ausgefeilten Technik erst seit relativ kurzer Zeit zurVerfOgung stehen, liefern fOr die Medizin wichtige Erkenntnisse, die sich auf jeden Fall in pathobiochemische und von Fall zu Fall auch in therapeutische Konzepte umsetzen lassen.

12.2 ln-vivo-Methoden

393

12 SCHLOSSELBEGRIFFE Clamp Euglykamischer hyperinsulinamischer Clamp Gewebeschnitte Hyperglycamischer Clamp lmmortalisierung lsotopenverdiinnungsprinzip

Magnetische Resonanz Mikrodialyse Monolayer Organbilanzuntersuchung Organellenisolierung Organ perfusion Positronen-Emissions Tomographie

literatur Original- und Obersichtsarbeiten BELL JD, TAYLOR-ROBINSON SD (2000) Assessing gene expression in vivo: magnetic resonance imaging and spectroscopy. Gene Ther 7: 1259-1264 BuTCHER IM, HoLTAS S (2001) Proton MR spectroscopy in clinical routine. J Reson Imaging 13: 560-567 Bu TLER P, BELL P, RIZZA R (1990) Choice and use of tracers. Horm Metab Res 24:20-25 KLETTER K,, BECHERER A (1999) FDG-PET in der Onkologie. Methodische Grundlagen und klinische A nwendung. Radiologe 39: 600-609 LoNNROTH, P (1997) Microdialysis in adipose tissue and skeletal muscle. Horm Metab Res 29: 344- 346

394

I

12 Methoden zur Analyse des lntermediarstoffwechsels

Stoffwechseltracer Tracee Tracer Zellisolierung Zellkultur Zelllinien

STUMVOLL M, 0VERKAMP D, GERICH JE (1995) A primer on trace methods for the study of glucose metabolism in man. Diab Nutr Metab 8: 298-314 STUMVOLL M, GERICH J (2001) Clinical features of insulin resistance and beta cell dysfunction and the relationship to type 2 diabetes. Clin Lab Med 21: 31 - 51 VoN KIENLIN Met a! (2001) Advances in human cardiac 31P-MR spectroscopy: SLOOP and clinical applications. J Magn Reson Imaging 13: 521- 527 WIECHERT W (2001) 13C metabolic flux analysis. Metab Eng 3: 195- 206 WoLFE R (1992) Radioactive and stable isotope t racers in biomedicine: principles and practice of kinetic analysis. New York: Wiley-Liss

Stoffwechsel von Glucose und Glycogen G.LOFFLER

13.1 13.1.1 13.1.2

13.2 13.2.1 13.2.2

13.3 13.4 13.4.1 13.4.2

13.5 13.6 13.6.1 13.6.2 13.6.3

13.7 13.7.1 13.7.2

Abbau der Glucose Die Glycolyse Der Hexosemonophosphat-Weg Der 61ycogenstoffwechsel Glycogenbiosynthese Glycogenabbau Die 61uconeogenese Regulation von 61ucoseaufnahme und -phosphorylierung Glucosetransportproteine Bildung und Verbrauch von Glucose-6-phosphat Regulation des 61ycogenstoffwechsels Regulation von 61ycolyse und 61uconeogenese lnduktion und Repression von Enzymen der Glycolyse und Gluconeogenese Allosterische Regulation von SchiOsselenzymen der Glycolyse Allosterische Regulation der Gluconeogenese Pathobiochemie Erworbene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels Angeborene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels

396 396 401

404 404 406

407 410 410 413

415 420 420 423 425

427 427 428

13

~----~------~--------T

In el ung

Glucose ist ein Schliisselmolekiil fOr aile hOheren Lebewesen einschlieBiich des Menschen. Bei gesunder Erniihrung wird mehr als 50 % des Energiebedarfs durch den Abbau von Glucose gedeckt, Glucose kann in Form von Glycogen in allen tierischen Zellen gespeichert werden und dient auf diese Weise als Energiespeicher, urn den Kohlenhydratbedarf des Organism us auch bei liingerem Hungern zu dec ken. Der Abbau und Stoffwechsel von Glucose liefert dariiber hinaus Bausteine fOr die Biosynthese einer groBen Zahl von Verbindungen.ln Anbetracht der Bedeutung des Glucosemolekiils ist es klar, dass es auch Moglichkeiten der Glucosesynthese geben muss. Substrate hierfiir sind glucogene Aminosiiuren, Lactat und Glycerin. Der Stoffwechsel der Glucose unterliegt einer komplizierten hormonellen Regulation, welche die Auffiillung der zellularen Glycogenvorrate bei Kohlenhydratangebot, bei Bedarf die Mobilisierung dieser Vorriite und die Gewahrleistung einer ausreichenden Energieversorgung von Zellen zum Ziel hat. Eine zentrale Funktion im Glucosestoffwechsel hat lnsulin, das fOr Aufnahme und Speicherung der Glucose sorgt. Fehlt es oder wird es in zu geringen Mengen sezerniert, entsteht das seit Jahrtausenden bekannte Krankheitsbild des Diabetes mellitus. Eine Rei he von lnsulinantagonisten werden fUr die endogene Glucoseproduktion und den Glucoseverbrauch, z. B. wahrend Hungerperioden benotigt.

13.1 I Abbau der Glucose In tierischen und pflanzlichen Zellen, aber auch in vielen Bakterien ist Glucose Ausgangspunkt bzw. Ziel zahlreicher Stoffwechselwege (Abb.l3.1): • Die Glycolyse ist ein der Energiegewinnung dienender Abbauweg. Unter anaeroben Bedingungen ist Lactat, bei der Hefe Ethanol ihr Endprodukt. .,. Im Hexosemonophosphatweg (Pentosephosphatweg) kommt es zur direkten Oxidation und Decarboxylierung des Glucosemolekiils zu C0 2• Dieser Weg dient vor allem der Erzeugung von NADPHJH+ sowie den fur die Nucleotidbiosynthese benotigten Pentosen. "' Das Glycogen tierischer bzw. die Starke pflanzlicher Zellen stellt eine intrazellulare Speicherform der Homoglykane (Glycogen) Biosynthese

Glycogensynthese Glycogenolyse

und Abbau von

Heteroglykanen

Glucose dar, die im Bedarfsfall abgebaut und dem Organismus zur Verfiigung gestellt werden kann . ., Die Gluconeogenese dient der Biosynthese von Glucose aus Nicht-Kohlenhydrat-Vorstufen.

13.1.1 Die Glycolyse Die Glycolyse umfasst eine Reaktionskette, in der Glucose zu Lactat bzw. Ethanol abgebaut wird. Bei dem auch unter anaeroben Bedingungen ablaufenden Abbau des Glucosemolekiils in der Glycolyse entsteht Lactat, bei Hefe Ethanol. Es handelt sich wahrscheinlich entwicklungsgeschichtlich urn einen der altesten Stoffwechselwege. Die Reaktionsfolge der Glycolyse ist bei allen eukaryonten Zellen sowie den me is ten Prokaryoten identisch. Die Summengleichung der anaeroben Glycolyse lautet: Glucose~

2 Lactat; ~Go'

= -

197 kJ/mol

Ein der Glycolyse oder Milchsiiuregiirung sehr ahnlicher Stoffwechselprozess findet in der Hefe statt und wird als alkoholische Giirung bezeichnet: Glucose~

Pyruvatllactat

Abb. 13.1. Obersicht uber die Hauptwege des Glucosestoffwechsels 396

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

2 Ethanol + 2 C0 2; ~G 0 ' =- 226 kJ/mol

Wie dem negativen ~Go' beider Reaktionen zu entnehmen ist, handelt es sich urn stark exergone Reaktionen. Ein Teil der frei werdenden Energie kann aus diesem Grund in Form von ATP konserviert werden. Bei eukaryonten Zellen sind die Enzyme der Glycolyse im Cytosol lokalisiert. Sie umfasst in tierischen Zellen 11, in der Hefe 13 Einzelschritte. Wie der in Abb. 13.2 zusammengestellten Reaktionssequenz der Glycolyse zu entnehmen ist, kann diese in zwei unterschiedliche Phasen eingeteilt werden.

13 0-Giucose

IHexokinase I

r-ATP ! ' - ADP

Glucose-6-phosphat Phosphohexoseisomerase

Jt

fructose-{>-phosphat HO Phosphofructokinase fructose-1 ,6-bisphosphat

r-ATP

H2C- O--®

J

! ' - AOP

I/o~2~oH- o--®)

~ HO

H, kO

cr

Glycerinaldehyd-3-phosphat Phosphoglycerinaldehyddehydrogenase

I HC - OH I H2c - o--®

1 ,3-Bisphosphog lycerat (3-Phosphoglyceroyl-phosphat)

-

Oihydrox:yacetonphosphat H2C- OH I C= O I --® H2C- O P

~ ADP

Phosphoglyceratkmase

~ ATP

3-Phosphoglycerat

j[

Phosphoglyceratmuta5e

2-Phosphoglycerat

r--

Phosphoenolpyruvat

!'-

ADP ATP

Pyruvat

ILactatdehydrogenase I Lactat

OH 0~ ~c/

)

I

HC - OH I

CHJ

Abb. 13.2. Reaktionsfolge der Glycolyse

13.1 Abbau der Glucose

397

13 In der ersten Phase der Glycolyse wird Glucose zu Glycerinaldehyd-3-phosphat und Di hyd roxyaceto nphos ph at gespalten. Die erste Phase der Glycolyse umfasst folgende Schritte: ,. Die ATP-abhangige Phosphorylierung von Glucose zu Glucose-6-phosphat. Diese Reaktion wird durch die Hexokinasen katalysiert, die in insgesamt vier Isoformen vorkommen und sich aus einem Vorlaufergen entwickelt haben. Die gewebsspezifisch exprimierten Hexokinasen I- III (HKI-III) haben eine molekulare Masse von etwa 100 kDa, Michaeliskonstanten ftir Glucose im Bereich von 0,1 mmol/1 und werden durch physiologische Konzentrationen von Glucose-6-phosphat gehemmt. Die Hexokinase IV (HKIV) wird auch als Glucokinase (GK) bezeichnet. Glucokinase wird spezifisch in Hepatocyten und den P-Zellen der Langerhans-Inseln des Pankreas exprimiert, hat eine Michaeliskonstante ftir Glucose im Bereich von 10 mmol/1 und wird nicht durch Glucose-6-phosphat gehemmt (S.414). Ihre molekulare Masse tragt 50 kDa. Aufgrund der Homologien in den Aminosauresequenzen liegt die Vermutung nahe, dass die vier Hexokinase-Isoformen aus einem gemeinsamen Vorlaufermolektil mit einer Masse von 50 kDa entstanden sind. Urn das Glucose6-phosphat konkurrieren mehrere Enzyme, die zu unterschiedlichen Stoffwechselwegen ftihren (S. 413 ff.). Auger der Glycolyse handelt es sich urn verschiedene Reaktionen der Saccharidsynthese, besonders der Glycogenbiosynthese (S. 404) sowie des Pentosephosphatweges (S.401). • Umwandlung von Glucose-6-phosphat durch die Phosphohexoseisomerase in Fructose-6-phosphat. • Phosphorylierung von Fructose-6-phosphat zu Fructose-1,6-bisphosphat in einer ATP-abhangigen Reaktion. Das hierftir notwendige Enzym ist die Phosphofructokinase (Fructose-6-phosphat-1-Kinase, PFK-1). Sie ist das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Glykolyse und wird durch mehrere Faktoren allosterisch beeinflusst (S.423). ,. Spaltung von Fructose-1,6-bisphosphat in die heiden Triosephosphate Glycerinaldehyd-3-phosphat und Dihydroxyacetonphosphat. Die Verschiebung der Carbonylgruppe des Glucose-6-phosphates von C-Atom 1 auf das C-Atom 2 unter Bildung von Fructose-1,6-bisphosphat ist die Voraussetzung ftir diese Aldolspaltung. Der Reaktionsmechanismus der hierftir verantwortlichen Fructose-1,6Bisphosphataldolase beruht auf der Reaktion der Carbonylgruppe des Fructose-! ,6-bisphosphates mit der s-Aminogruppe eines Lysylrestes des Aldolaseenzyms unter Bildung einer Schiff-Base und ist auf S.131 ausftihrlich besprochen. In tierischen Geweben kommen zwei Aldolasen vor, die sich durch ihre Affinitat zum Substrat Fructose-1,6bisphosphat unterscheiden. Die Aldolase A wird 398

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

auch als muskeltypische Form des Enzyms bezeichnet und findet sich in den meisten Geweben, wahrend die Aldolase B nur in Leber und Nieren nachzuweisen ist. Beide Enzyme konnen auger Fructose-! ,6-bisphosphat auch Fructose-1-phosphat spalten. Das Verhaltnis der Spaltungsgeschwindigkeit von Fructose-1,6-bisphosphat und Fructose-1-phosphat betragt ftir das Muskelenzym 50: 1, ftir das Leberenzym jedoch etwa 1: 1, was ftir den Fructosestoffwechsel von einiger Bedeutung ist (S. 588). • Glycerinaldehyd-3-phosphat und Dihydroxyacetonphosphat sind Isomere und konnen infolgedessen durch die Triosephosphatisomerase Ieicht ineinander tiberftihrt werden.

In der zweiten Phase der Glycolyse finden die beiden energieliefernden Reaktionen statt, die zur Bildung von Lactat bzw. Ethanol fuhren. In den sich nun anschliegenden energieliefernden Reaktionen der zweiten Phase der Glycolyse wird Glycerinaldehyd-3-phosphat zweimal dehydriert, wobei als Endprodukt Pyruvat entsteht, welches Ieicht in Lactat tiberftihrt werden kann: ,. NAD+ -abhangige Oxidation von Glycerinaldehyd-3phosphat zum 1,3-Bisphosphoglycerat. Die Bezeichnung 1,3-Bisphosphoglycerat ist, obwohl allgemein eingeftihrt, streng genommen nicht korrekt. Da es sich urn das Phosphorsiiureanhydrid der 3-Phosphoglycerinsaure handelt, mtisste es eigentlich 3Phosphoglyceroylphosphat heigen. Dihydroxyacetonphosphat beschreitet nach Isomerisierung zu Glycerinaldehyd-3-phosphat ebenfalls diesen Weg. Das ftir die Oxidationreaktion verantwortliche Enzym ist die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase. • Obertragung des energiereichen Phosphats des 1,3Bisphosphoglycerats auf ADP, wobei ATP und 3Phosphoglycerat entstehen. Das ftir die Reaktion verantwortliche Enzym ist die Phosphoglyceratkinase. Von ihr sind eine Reihe genetischer Defekte bekannt, die zu St6rungen der Glycolyse ftihren (S. 988). Da in der Glycolyse aus einem Glucosemolektil zwei Molektile Triosephosphat gebildet werden, werden auch zwei Molektile ATP erzeugt. Dieser Vorgang wird als Substratkettenphosphorylierung bezeichnet. • Umwandlung von 3-Phosphoglycerat in 2-Phosphoglycerat. Das hierftir verantwortliche Enzym ist die Phosphoglyceratmutase. Ftir die Obertragung des Phosphatrestes von Position 3 nach Position 2 des Phosphoglycerates wird 2,3-Bisphosphoglycerat benotigt ( Abb.l3.3). • Bildung von Phosphoenolpyruvat aus 2-Phosphoglycerat. Diese durch das Enzym Enolase katalysierte Reaktion schliegt die Dehydratation und Umverteilung von Energie innerhalb des Phosphoglycerates ein. Der Phosphatrest in Position 2 des Phos-

13 coo-

l H- C- OH I

~c-oPOt

ATP

Tcoo-

ADP

l H-C- OP0 2I 3 ~C - OH

Abb. 13.3. Reaktionsmechanismus der Phosphoglyceratmutase. Das Enzym verfiigt Ober einen Histidylrest, der phosphoryliert sein kann. Der Katalysezyklus startet mit der Obertragung dieses Phosphatrestes auf 3Phosphoglycerat, wobei 2,3-Bisphosphoglycerat entsteht. lm zweiten Schritt wird das 3-Phosphat des 2,3-Bisphosphoglycerats auf den Histidyl-

rest der Mutase Obertragen, so dass das phosphorylierte Enzym und 2Phosphoglycerat entstehen. Da das Histidylphosphat auch hydrolytisch abgespalten werden kann, kann 2,3-Bisphosphoglycerat auch durch eine spezifische Kinase aus 3-Phosphoglycerat gebildet werden. EPhosphoglyceratmutase

phoenolpyruvates gehort zu den energiereichen Phosphaten (S. 109). • Dbertragung des energiereichen Enolphosphates des Phosphoenolpyruvates auf ADP unter Bildung von ATP und Pyruvat. Das fur die Reaktion verantwortliche Enzym ist die Pyruvatkinase. In der Bilanz werden also pro Mol Glucose noch einmal durch Substratkettenphosphorylierung zwei Mol ATP gebildet. • Reduktion von Pyruvat zu L-Lactat. Die hierfiir verantwortliche Lactatdehydrogenase ist ein tetrameres Enzym, das in Form von fiinf verschiedenen Isoenzymen vorkommt, die sich durch ihre Kinetik bei niedrigen Pyruvatkonzentrationen sowie ihre Substratspezifitlit unterscheiden (S. 116). Als Reduktionsmittel client NADH, das dabei zu NAD+ reoxidiert wird. Damit wird das fiir die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase benotigte NAD+ hier regeneriert, so class die Glycolyse auch bei vollstandigem Sauerstoffmangel ablaufen kann.

• Hexokinase (Glucokinase), • Phosphofructokinase sowie • Pyruvatkinase

In den Erythrocyten der Saugetiere, einiger Vogel und Reptilien sowie vieler Amphibien kann der durch Phosphoglyceratkinase katalysierte Schritt umgangen werden. Mit Hilfe der Bisphosphoglyceromutase wird 1,3-Bisphosphoglycerat unter Verlust der energiereichen Bindung in 2,3-Bisphosphoglycerat umgewandelt. Dieses wirkt am Hamoglobin als allosterischer Effektor, durch den die Affinitat zu Sauerstoff reduziert und die Dissoziationskurve des Oxihamoglobins nach rechts verschoben wird. In Anwesenheit von 2,3-Bisphosphoglycerat wird damit den Erythrocyten die Abgabe des Sauerstoffs an die Gewebe erleichtert (S. 994). Ein Abbau von 2,3-Bisphosphoglycerat erfolgt durch die 2,3-Bisphosphoglyceratphosphatase, wobei 3-Phosphoglycerat und anorganisches Phosphat entsteht. Die meisten Reaktionen der Glycolyse sind grundsatzlich reversibel. Dies trifft jedoch nicht zu fiir die durch:

katalysierten Reaktionen. Diese sind unter physiologischen Bedingungen irreversibel und werden umgangen, wenn Glucose aus Nicht-Kohlenhydrat-Vorstufen synthetisiert werden muss. Die Umgehungsreaktionen werden ausfiihrlich im Abschnitt Gluconeogenese (S. 407) besprochen.

In Hefezellen endet die Glycolyse mit der Erzeugung von Ethanol. In der Hefezelle endet unter anaeroben Bedingungen die Glycolyse nicht beim Lac tat. Hier wird vielmehr Pyruvat zunachst durch Decarboxylierung in Acetaldehyd umgewandelt, welches dann analog der Lactatdehydrogenase durch die Alkoholdehydrogenase in einer NADH-abhangigen Reaktion zu Ethanol reduziert wird. Damit wird auch hier das fiir die Glycolyse benotigte NAD+ regeneriert: Pyruvat --7 Acetaldehyd + C0 2 Acetaldehyd + NADH + H+

~

Ethanol + NAD+

Die Decarboxylierung des Pyruvats zum Acetaldehyd ahnelt der Anfangsreaktion des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes (S. 521). Wie dort benotigt die Pyruvatdecarboxylase der Hefe das Vitamin Thiamin in Form des Thiaminpyrophosphats als Cofaktor. An diesem Cofaktor wird Pyruvat unter Bildung von Hydroxyethylthiaminpyrophosphat decarboxyliert, welches dann zu Thiaminpyrophosphat und Acetaldehyd gespalten wird.

13.1 Abbau der Glucose

399

13 ! Die Oxidation von 3-Phosphoglycerinaldehyd

zu 1 ,3-Bisphosphoglycerat ist der energiekonservierende Schritt der Glycolyse.

N--------cystein-- - - - - - -c I SH

0~

3·Phospho-glycerinaldehyd

I

Die anaerobe Glycolyse stellt einen Stoffwechselweg dar, der der ATP-Erzeugung in Abwesenheit von Sauerstoff dient. Bei ihr werden 2 mol Glucose zu 2 mol Lactat nach folgender Gleichung zerlegt: Glucose + 2 Pi + 2 ADP -7 2 Lactat + 2 ATP; ~G 0 ' = -136 kJ/mol

/H

c

H- C- OH I

H2C-OPO~-

Jt

N--------cystein--------- c I

Die eigentliche, zur ATP-Erzeugung fiihrende ,energiekonservierende" Reaktion ist die der Glycerinaldehyd3-phosphat-Dehydrogenase. Das Enzym ist ein Tetramer aus vier identischen Polypeptidketten. Im aktiven Zentrum jeder monomeren Peptidkette befindet sich ein Cysteinylrest, dessen SH-Gruppe an der enzymatischen Reaktion teilnimmt ( Abb. 13.4). AuBerdem ist NAD+ in einer spezifischen Tasche des Enzyms nichtkovalent gebunden. Zunachst reagiert die Carbonylgruppe des 3-Phosphoglycerinaldehyds mit der SH-Gruppe im aktiven Zentrum des Enzyms, wobei ein Thiohalbacetal gebildet wird. Dieser wird mit dem enzymgebundenen NAD+ oxidiert, womit ein Thioester entsteht. Im Gegensatz zu Thiohalbacetalen haben Thioester ein hohes Gruppeniibertragungspotential und gehoren somit zu den energiereichen Verbindungen (S.109). Wiirde man den Thioester durch Hydrolyse unter Bildung von 3-Phosphoglycerat vom Enzym abspalten, so wiirde die Reaktion mit einem ~Go' von -48 kJ/mol ablaufen. Dieser Betrag liegt nur wenig unter dem ~Go' von -67 kJ/mol, der der Oxidation eines Aldehyds zur Saure entspricht. Da die Zelle jedoch danach bestrebt ist, die bei derartigen Reaktionen auftretende Energie in Form von ATP zu konservieren, wird der durch Oxidation des Phosphoglycerinaldehyds entstandene Thioester nicht hydrolytisch, sondern phosphorolytisch gespalten. Dabei wird die SH-Gruppe des Enzyms regeneriert und es entsteht 3-Phosphoglyceroylphosphat (1,3-Bisphosphoglycerat). Die beiden im Molekiil vorliegenden Phosphatgruppen unterscheiden sich grundsatzlich. Diejenige in Position 3 ist ein einfacher Phosphorsaureester, dagegen handelt es sich bei dem Phosphat in Position 1 urn ein gemischtes Phosphorsiiureanhydrid. Phosphorsaureanhydride gehoren ebenfalls in die Gruppe energiereicher Verbindungen. Damit wird durch die phosphorolytische Spaltung das hohe Gruppeniibertragungspotential des Thioesters in Form eines gemischten Phosphorsaureanhydrids erhalten, was insgesamt einer Konservierung der durch die Redoxreaktion freigewordenen Energie entspricht. Experimentell kann der enzymgebundene Thioester statt durch Phosphat auch durch Arsenat gespalten werden. Hierbei entsteht als Zwischenprodukt 3-Phosphoglyceroylarsenat, welches instabil ist und deswegen spontan zu 3-Phosphoglycerat und Arsenat hydroly400

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

s

I OH- C- H I H- C- OH I H 2C-OPO~-

IThiohalbacetal j

NAD+ ~

~ N--------cystein-- - - - - - - c NADH + H+

I

s

IThioester I

I O= C I H- C- OH

I

2-

H2C- OP03

N---------cystein-- - - - - - - C I SH

O= C-OPOi I H- C- OH

I

1,3-Bisphosphoglycerat (3·Phospho-glyceroyl-phosphat)

2-

H2C- OP03

Abb. 13.4. Reaktionsmechanismus der Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase. An die funktionelle SH-Gruppe des Enzymproteins addiert sich der Carbonyi-Kohlenstoff des 3-Phosphoglycerinaldehyds. Das entstehende Thiohalbacetal wird zum Thioester reduziert, der phosphorolytisch vom Enzymprotein unter Bildung von 3-Phospho-glyceroylphosphat (1 ,3-Bisphosphoglycerat) abgespalten wird

siert. Dieser Effekt des Arsenats hat Ahnlichkeit mit seiner entkoppelnden Wirkung auf die oxidative Phosphorylierung der Mitochondrien (S. 545). Die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase wird durch Verbindungen gehemmt, die die reaktive SH-Gruppe modifizieren. ]odacetat wirkt dabei durch Carboxymethylierung, durch Parachloromercuribenzoat wird diese mit einer Mercuribenzoatgruppe versehen. Die Wirkung von Parachloromercuribenzoat kann wie die anderer Quecksilberverbindungen experimentell durch einen Oberschuss an Mercaptanen (z.B. Thioglycol, HO-CHrCHrSH) wieder aufgehoben werden. Aus diesem Grunde konnen Mercaptane als Gegenmittel bei Vergiftungen mit Quecksilberverbindungen verwendet werden.

13 ! Der anaerobe Abbau von Glucose in der Glycolyse liefert 2 ATP, die vollstandige Oxidation mehr als 30 ATP.

In Tabelle 13.1 ist die Energiebilanz der Glycolyse zusammengefasst. Unter anaeroben Bedingungen werden pro mol Glucose 2 mol ATP benotigt, urn das Fructose-1,6-bisphosphat zu bilden. Die heiden energieliefernden Reaktionen der Glycolyse fiihren zur Bildung von zusammen 4 mol ATP, so dass in der Endbilanz pro mol abgebauter Glucose ein Energiegewinn von 2 mol ATP erzielt wird. Unter aeroben Bedingungen wird das in der Glycolyse gebildete Pyruvat in die mitochondriale Matrix transloziert und dort durch den Pyruvatdehydrogenase-Komplex zu Acetyl-Coenzym A umgesetzt (S. 521). Au6erdem kann Pyruvat durch .Transaminierung in Alanin i.iberfi.ihrt werden (S. 473), das dann verschiedenen Reaktionen des Aminosaurestoffwechsels zur Verfi.igung steht (S. 509). lm Vergleich zur anaeroben Glycolyse ist die Energiebilanz des aeroben Glucoseabbaus zu C0 2 und H20 wesentlich giinstiger. So kann das im Zug der Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase anfallende NADH in der Atmungskette oxidiert werden. Hierzu ist allerdings der Transport der Reduktionsaquivalente des NADH vom cytosolischen in den mitochondrialen Raum erforderlich. Da NADH nicht durch die innere Mitochondrienmembran permeieren kann, stehen fi.ir diesen Prozess der Malatzyklus sowie der a-Glycerophosphatzyklus zur Verfiigung (S. 536, 540). Der erstere, der im wesentlichen in der Leberzelle ablauft, fiihrt zur Bildung von mitochondrialem NADH auf Kosten von cytosolischem. Der in manchen Geweben ablaufende a-Glycerophosphatzyklus liefert aus cytosolischem NADH intramitochondriales FADH 2• Das in der mitochondrialen Matrix aus Pyruvat entstehende Acetyl-CoA kann im Citratzyklus zu C02 abgebaut werden. Hierbei entstehen pro Pyruvat insgesamt vier NADH, ein FADH 2 sowie ein GTP durch Substrat-

kettenphosphorylierung (S. 110). Uber die ATP-Ausbeute bei der Reoxidation von NADH/H+ bzw. FADH 2 durch Atmungskettenphosphorylierung (S. 542).

13.1.21 Der Hexosemonophosphat-Weg lm Hexosemonophosphatweg findet eine oxidative Decarboxylierung von Glucose statt. Im Hexosemonophosphat- Weg (Synonyme: Pentosephosphat-Weg, Pentosephosphat-Zyklus) werden im Cytosol aus Glucose-6-phosphat durch Dehydrierung und Decarboxylierung am C-Atom 1 Pentosephosphate gebildet. Diese werden entweder als essentielle Bausteine fiir die Nucleotidbiosynthese benutzt oder in einem zyklisch en Prozess in Fructose-6-phosphat und 3-Phosphoglycerinaldehyd umgewandelt. In der Bilanz kann ·auf diese Weise Glucose im Hexosemonophosphat-Weg durch mehrfaches Zyklisieren vollstandig zu C02 oxidiert werden. Ein wichtiger Unterschied zur Glycolyse ist, dass der bei den Dehydrierungsreaktionen entstehende Wasserstoff auf NADP+ und nicht auf NAD+ iibertragen wird. NADPH ist das Wasserstoff-iibertragende Coenzym fiir reduktive, hydrierende Biosynthesen, beispielsweise die Fettsaure- oder Steroidbiosynthese (S. 444, 608). In seiner zyklischen Form lautet die Summenformel der Reaktionen des Hexosemonophosphat-Weges: Glucose-6-phosphat + 6 H20 + 12 NADP+~ 6 C0 2 + Pi + 12 NADPH + 12 H+ Formal kann man die Reaktionsfolge des Hexosemonophosphat-Weges in zwei Phasen einteilen. Die erste beinhaltet die Dehydrierung und Decarboxylierung von Glucose-6-phosphat, wobei die Pentose Ribulose5-phosphat entsteht, die zweite die Bildung von Fructose-6-phosphat aus Ribulose-5-phosphat.

Tabelle 13.1 ATP-Ausbeute bei anaerober Glycolyse bzw. bei Glucoseoxidation zu C02 und Wasser

Stoffwechselweg

Enzym

Bilclungsartderenergierekhen Bindung

Zahl der energierekhen Bindungen als ATP"

Glycolyse anaerob Phosphoglyceratkinase Substratkettenphosphorylierung Pyruvatkinase Substratkettenphosphorylierung Abziigiich ATP-Verbrauch durch Hexokinase- und Pho phofructokinasereaktion Netto

2 2 2

Glycolyse aerob

Glycerinaldehyd-3-phosphatDehydrogenase

Atmungskettenphosphorylierung von 2 NADH

6 ( 4)

Citratzyklus

Pyruvatdehydrogenase lsocitratdehydrogenase a-Ketoglutaratdehydrogenase Succinatthiokinase Succinatdehydrogenase Malatdehydrogenase

Atmungskettenphosphorylierungvon 2 NADH Atmungskettenpho phorylierungvon 2 NADH Atmungskettenphosphorylierung von 2 NADH Substratkettenphosphorylierung Atmungskettenphosphorylierungvon 2 FADH2 Atmungskettenphosphorylierungvon 2 NADH

6 6 6 2 4 6

Netto 38 (36) ' Die Berechnung geht von P/0-Quotienten von 3 fUr NADH und 2 fUr FADH2 aus, die in Wirklichkeit nicht ganz erreicht werden (5. 542). 13.1 Abbau der Glucose

401

13 Die Bilanz der zweiten Phase des Pentosephosphatweges ergibt eine Ruckgewinnung von Hexosen aus Pentosen. Das Enzym Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase katalysiert die Dehydrierung von Glucose-6-phosphat zu 6Phosphogluconat, wobei intermediar das 6-Phosphogluconolacton entsteht ( ® Abb. 13.5). Als Oxidationsmittel dient hierbei NADP+. Die Reaktion wird durch einige Arzneimittel, z. B. Sulfonamide, gehemmt. Der sich anschlieBende Schritt ist ebenfalls oxidativ und wird durch die 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase katalysiert. Auch dieses Enzym benotigt NADP+ als Wasserstoffakzeptor. Das bei der Reaktion entstehende 3Keto-6-Phosphogluconat tragt die Konfiguration einer P-Ketosaure und decarboxyliert sehr rasch spontan, wobei neben C0 2 die Pentose Ribulose-5-phosphat entsteht (® Abb.13.5).

!

H

OH

Glucose-6-phosphatdehydrogenase

~c - o-® 0 H

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

6-Phosphogluconolacton

OH

Gluconolactonhydrolase

6-Phosphogluconat

In der ersten Phase des Hexosemonophosphatweges entstehen NADPH/H und Pentosephosphate. FUr die zweite Phase des Hexosemonophosphat-Weges sind die beiden Enzyme Transketolase und Transaldolase von besonderer Bedeutung (® Abb. 13.6). Ribulose-5-phosphat ist allerdings kein Substrat dieser Enzyme. Es muss durch zwei weitere Enzyme umgelagert werden. Die Reaktionsfolge lauft folgendermaBen ab: .,. Die Ribulose-5-phosphat-Epimerase fUhrt zu einer Anderung der Konfiguration am C-Atom 3 der Ribulose, wobei Xylulose-5-phosphat entsteht. .,. Durch die Ribulose-5-phosphat-Ketoisomerase kann die entsprechende Aldopentose, namlich Ribose-5-phosphat, gebildet werden. Diese Reaktion gleicht der Umwandlung von Glucose-6-phosphat in Fructose-6-phosphat in der Glykolyse. Ribose-5phosphat dient als Baustein fUr die Biosynthese von Nucleosiden undNucleotiden (S.630). .,. Transketolasen katalysieren allgemein die Ubertragung der C-Atome 1 und 2 einer Ketose auf den Carbonyl-Kohlenstoff einer Aldose. Auf diese Weise entstehen aus einer Ketose eine urn 2 C-Atome verkUrzte Aldose und gleichzeitig aus einer Aldose eine urn 2 C-Atome verlangerte Ketose. Ein Cofaktor der Transketolase ist Thiaminpyrophosphat (S. 739). Der Ketozucker wird dabei an Thiaminpyrophosphat addiert, nach Aufspaltung des Molekiils bleibt ein Rest aus 2 C-Atomen als aktiver Glykolaldehyd am Thiaminpyrophosphat gebunden und wird so Ubertragen. Formal entspricht der Mechanismus der Aufspaltung der Ketose in aktiven Glykolaldehyd und eine Aldose also der Decarboxylierung des Pyruvats zu Acetaldehyd und C0 2 (S. 521). Zunachst entsteht durch die Transketolase aus Xylulose-5-phosphat und Ribose-5-phosphat der aus 7 C-Atomen bestehende Ketozucker Sedoheptulose7-phosphat sowie die Aldose Glycerinaldehyd-3phosphat.

402

Glucose-6-phosphat

NADPH + W

6-Phosphogluconatdehydrogenase

3·Keto-6-phosphogluconat

H2C-OH

I

C= O

I

HC- OH

Ribulose-5-phosphat

I

HC -OH

I H2c-

o-®

Abb. 13.5. Oxidation und Decarboxylierung von Glucose-6-phosphat zu Ribulose-5-phosphat im Hexosemonophosphatweg

.,. Diese beiden Verbindungen reagieren mit dem Enzym Transaldolase. Dieses ermoglicht die Ubertragung eines Dihydroxyaceton-Restes aus den C-Atomen 1 bis 3 der Sedoheptulose-7-phosphat auf die Aldose Glycerinaldehyd-3-phosphat. Dabei entstehen Fructose-6-phosphat und die Aldose Erythrose4-phosphat mit 4 C-Atomen. .,. Ein weiteres Molekiil Xylulose-5-phosphat dient unter Katalyse der Transketolase als Donor eines aktiven Glykolaldehydes, der auf Erythrose-4-phosphat iibertragen wird. Dabei entsteht ein zusatzliches Molekiil Fructose-6-phosphat und Glycerinaldehyd3-phosphat ( ® Abb. 13.6).

13 HC - OH

~C - OH

Ribulo~s-®

I C= I HC I HC I H2c -

IEpimerase I

Xylulose-s-®

O OH OH

--

o-®

~t

~ I HC - OH I

~c - o-®

H2C OH

I

Fructose-6-{!)

HO-

I

Endiolform

OH o-®

HC: : l Hb - oH 0 I

H~ - OH

0

HC - OH I HC-OH I

I

Ribo~s-®

HC I

~c - o-®

X

cr.Abb. 13.8). Hierbei wird eine glycosidische Bindung zwischen dem C-Atom 1 der aktivierten Glucose und dem C-Atom 4 d es terminalen Glucosylrestes am Starter Glykogen gekniipft. Uridindiphosphat wird frei und in einer ATP-abhangigen Reaktion zum Uridintriphosphat rephosphoryliert (Nucleosiddiphosphat-Kinase, S. 633 ).

0

0 OH

OH

OH

0

/ [Glucose 1. oder Glycogen in

Glycogen Abb. 13.8. Mechanismus der Kettenverlangerung im Glycogen. Der Glucoserest der UDP-Giucose wird auf die terminale 4-0H-Gruppe eines Starter-Glycogens Obertragen, wobei UDP freigesetzt und das Glycogen urn eine Glycosyleinheit verlangert wird.Ais Starter-Glycogen dient normalerweise schon vorhandenes zellulares Glycogen

Auf diese Weise werden die Zweige des Glycogenbaumes durch 1,4-glycosidische Bindungen verlangert. ,.. Hat die Kette eine Lange von 6-11 Glucoseresten erreicht, so tritt als weiteres Enzym das branching enzyme oder die Amylo-1,4-71,6-Transglucosylase in Aktion. Dieses Enzym iibertragt einen aus wenigstens 6 Glucoseresten bestehenden Teil der 1,4-glycosidisch verkniipften Kette auf eine benachbarte Kette, wobei eine 1,6-glycosidische Bindung entsteht ( Abb.13.9). Durch diesen Vorgang kommt es zu den fi.ir Glycogen (und Starke) typischen Verzweigungsstellen.

Fur die de novo Synthese von Glycogen ist das Protein Glycogen in erforderlich. Der oben dargestellte Mechanismus erklart nicht die Neuentstehung von Glycogenmolekiilen. Die Neuentstehung benotigt das Protein Glycogenin und verlauft in folgenden Schritten: ,.. Glycogenin ist ein cytosolisches Protein, welches eine Glycosyltransferase-Aktivitiit aufweist. ,.. Dank dieser Aktivitat ist Glycogenin imstande, sich selbst an einem Tyrosylrest zu glycosylieren. Der Donor der Glycosylgruppe ist UDP-Glucose. 13.2 Der Glycogenstoffwechsel

405

13 HO

0

HO

0

0

0

0

0

0

Abb.13.9. Biosynthese derVerzweigungsstellen in Glycogenmolekiilen durch die Amylo-1,4 01,6-Transglucosylase.(ZurVereinfachung sind die Hydroxylgruppen weggelassen.)

.,. An das glykosylierte Glycogenin lagert sich die Glycogensynthase an und beginnt mit der Anlagerung weiterer Glucosereste wie oben beschrieben. .,. Die anderen Enzyme der Glycogensynthese vervollstandigen dann das Glycogenmolekiil.

13.2.21 Glycogenabbau Der Abbau des Glycogens erfolgt nicht, wie eigentlich nach seiner Struktur anzunehmen ware, durch eine hydrolytische Abspaltung der einzelnen Glucosereste. Aus Glycogen entsteht in der Glycogenolyse Glucose-6phosphat: .,. Das erste Produkt des Glycogenabbaus ist Glucose1-phosphat. Es entsteht durch phosphorolytische Spaltung der 1,4-glycosidischen Bindungen im Glycogen. Das hierfiir verantwortliche Enzym ist die Glycogenphosphorylase ( Abb.13.10). Dieses Enzym ist fiir den Glycogenabbau (Glycogenolyse) reaktionsgeschwindigkeitsbestimmend. Die aus zwei identischen Untereinheiten bestehende Glycogen-

OH

OH

phosphorylase bindet an jede Untereinheit covalent Pyridoxalphosphat (S. 741). Das Coenzym hat hier eine vollig andere Funktion als im Aminosaurestoffwechsel (S. 465). Die Phosphatgruppe des Pyridoxalphosphates nimmt als Saure-Basen-Katalysator am Katalysevorgang teil. .,. Die Phosphorylase baut Glycogen so lange ab, bis die auBeren Ketten des Glycogenmolekiils eine Lange von etwa 4 Glucoseeinheiten,gerechnetvon einer 1,6glycosidischen Verzweigungsstelle erreicht haben. "' Jetzt wird unter Einwirkung des Enzyms a(l,4) ~ a(1,4)-Glucantransferase eine Trisaccharideinheit auf eine andere Kette iibertragen, wobei die Verzweigungspunkte freigelegt werden. Die Spaltung der 1,6-glycosidischen Bindung erfordert die Wirkung eines spezifischen Enzyms, der Amylo-1,6Glucosidase oder des debranching enzyme ( Abb.l3.11). Nur die 1,6-glycosidischen Bindungen werden somit hydrolytisch gespalten, was im Gegensatz zur phosphorolytischen Spaltung durch die Phosphorylase zur Bildung von freier Glucose fiihrt. Durch die gemeinsame Wirkung von a( 1,4) ~ a( 1,4)-Glucantransferase, der Amylo-1,6-Glucosida-

OH

n-1

0 I

o--r- o\ 0

Glyglicht. Dieses kann in Glucose-6phosphat und- in der Leber und in den Nieren- in Glucose umgewandelt werden. Fiir die Entfernung von Verzweigungsstellen sind eine a(1 ,4)-a(l ,4)Giucantransferase sowie die Amylo-1 ,6-Giucosidase notwendig.

KERNAUSSAGEN Glycogen ist das wichtigste Speicherkohlenhydrat tierischer Gewebe. Es kommt in unterschiedlichen Konzentrationen in allen Zelltypen auBer den Erythrocyten vor.MengenmaBig am bedeutendsten sind die Glycogenvorrate in der: ... Leber (maximallO g/100 g) sowie ,.. der Skelettmuskulatur (maximall g/100 g Gewebe). Glycogen wird bei ausreichendem Kohlenhydratangebot synthetisiert. Hierzu ist die Aktivierung von Glucose zu UDP-"(jlucose notwendig. Die Glycogensynthase kniipft Glucoseeinheiten an bereits bestehendes Glycogen oder

13.3 1Die Gluconeogenese

Die Glucosebiosynthese aus Nicht-Kohlenhydratvorstufen wird als Gluconeogenese bezeichnet. Sie stellt die Versorgung des Organismus mit Glucose sicher, auch wenn diese nicht mit der Nahrung aufgenommen wird. Dies ist von besonderer Bedeutung fur das Nervengewebe (S. 1054), die Erythrozyten (S. 986) und das Nierenmark (S. 926), die Glucose als einzige Energiequelle benutzen. Glucose ist dariiber hinaus der einzige 13.3 Die Gluconeogenese

407

13

Glucose-6-phosphat

~~

Fructose-6-phosphat

Fructose-1,6-bi.sphosphat

~ t~

Oihydroxyacetonphosphat

Glycerinaldehyd-3-phosphat

~

P,

+

NAD+ NADH+W

Umgehung der Pyruvatkinase~ Betrachtet man

1,3 Bisphosphoglycerat

~

ADP

~

ATP

3-Phosphoglycerat

H

u

2-Phosphoglycerat - Hp

{ C02

+H 20

Phosphoenolpyruvat

GOP

GTP ADP

L

Oxalacetat ATP Pyruvat H+ + NADH

~

/

NAD+~

Bei Saugern und damit beim Menschen ist die enzymatische Ausstattung zur vollstandigen Synthese von Glucose nur in Leber und Nieren vorhanden. Als Ausgangspunkt fUr die Gluconeogenese dient das von Muskulatur und Erythrozyten produzierte Lactat, sowie das Glycerin, das durch das Fettgewebe freigesetzt wird (S. 564). Von besonderer Bedeutung sind auBerdem die verschiedenen glucogenen Aminosiiuren, die vor allem in der Muskulatur durch Proteolyse entstehen (S. 565). Die Reaktionen der Gluconeogenese sind tiberwiegend eine Umkehr der Glycolyse. Allerdings mUssen die drei irreversiblen Reaktionen, die Glucokinase (Hexokinase), die Phosphofructokinase sowie die Pyruvatkinase aus thermodynamischen GrUnden umgangen werden ( Abb.13.12). Das L'.G0 ' aller drei Reaktionen ist so negativ, dass ein nennenswerter Substratdurchsatz bei den in der Zelle vorkommenden Metabolitkonzentrationen in der flir die Gluconeogenese notwendigen Richtung unmi:iglich erscheint.

~ ~~ ADP

C~~tamat

die Gluconeogenese aus Lactat oder Alanin, so ist nach Umwandlung dieser Verbindungen in Pyruvat die erste fUr die Gluconeogenese typische Reaktionssequenz die Bildung von Phosphoenolpyruvat ( Abb.13.13). Die Umgebung der Pyruvatkinase kommt durch folgende Reaktionen zustande: • Durch das mitochondriale Enzym Pyruvatcarboxylase wird Pyruvat zu Oxalacetat carboxyliert. Diese Reaktion ist auch eine der sog. anaplerotischen Reaktionen des Citratzyklus und dient somit der WiederauffUllung des Zyklus mit Verbindungen aus vier C-Atomen, wenn diese durch etwaige Biosynthesen verbraucht werden (S. 528). Die Pyruvatcarboxylase gehi:irt in die Gruppe der biotinabhiingigen Carboxylasen (S. 743). ~ Durch die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase (PEPCK) wird nun das durch die Pyruvatcarboxylase

Phosphoenolpyruvat

Pyruvat

a-Ketoglutarat

0~ ~0 Lactat

cr

Alan in

Abb. 13.12. Einzelreaktionen von Glycolyse und Gluconeogenese. Die Reaktionsfolge der Gluconeogenese ist rot hervorgehoben. Es wird ersichlich,dass die Bildung von Phospoenolpyruvat aus Pyruvat, von Fructose-6phosphat aus Fructose-1 ,6 bis-phosphat sowie von Glucose aus Glucose6-phosphat eine andere enzymatische Ausstattung benotigt als die Glycolyse

I C- O- P02II 3 CH2

~

~DP~Oz GTP

Brennstoff, der vom Skelettmuskel unter anaeroben Bedingungen verbraucht werden kann. Glucose dient als Substrat der verschiedenen Saccharidbiosynthesen, z. B. der Lactosesynthese in der MilchdrUse (S. 587) oder der Bausteine, die fUr die HeteropolysaccharidBiosynthese (S. 591 ff.) benotigt werden. 408

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

Phosphoenolpyruvat· Carboxyldnase

Abb. 13.13. Biotinabhangige Carboxylierung von Pyruvat zu Oxalacetat und Decarboxylierung und Phosphorylierung von Oxalacetat zu Phosphoenolpyruvat

gebildete Oxalacetat decarboxyliert und gleichzeitig phosphoryliert. Die Triebkraft fur die Bildung des Phosphoenolpyruvates liegt in der Decarboxylierung des Oxalacetates, wobei gleichzeitig die Einfiihrung einer energiereichen Enolphosphat-Bindung durch Verbrauch von GTP moglich ist. Formal gehOrt die Reaktion ebenfalls in die Gruppe der C0 2fixierenden Reaktionen, da sie ohne weiteres reversibel ist. Im Gegensatz zur Pyruvatcarboxylase ist hier jedoch Biotin nicht als Coenzym beteiligt. Die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase ist iiberwiegend cytosolisch lokalisiert. Da Oxalacetat mangels eines entsprechenden Transportsystems nicht durch die mitochondriale Innenmembran gelangen kann, milssen die in Abb.l3.14 dargestellten Transportzyklen eingeschaltet werden: • lntramitochondriale Reduktion von Oxalacetat zu Malat (mitochondriale Malatdehydrogenase),

• Export von Malat in das Cytosol durch den Dicarboxylat-Carrier (S. 535), .. Oxidation des Malates durch die cytosolische Malatdehydrogenase. Eine Alternative dazu ist die mitochondriale Reaktion von Oxalacetat mit Acetyl-CoA unter Bildung von Citrat. Das Citrat wird durch den Tricarboxylatcarrier aus den Mitochondrien exportiert und durch die cytosolische ATP-Citrat-Lyase zu Oxalacetat und Acetyl-CoA gespalten. Umgehung der Phosphofructokinase• Die Umwandlung von Fructose-1,6-bisphosphat zu Fructose-6-phosphat, die durch die Phosphofructokinase nicht katalysiert werden kann, geschieht durch eine Fructose-1,6-bisphosphatase. Das Enzym kommt in der Leber und in den Nieren sowie in geringer Aktivitat auch im quergestreiften Muske! vor.

Cytosol Glucose

I

GOP

....,.~L.,..... . .

..__c_\__ 2......;:>_1......./=--G-T_P_ _

I

NADPH + W

NADP+

Oxalacetat

~

ADP +® NADH + W NAD+

ATP CoA-SH

Malat

Malat

~

NAD+

~ NADH + W ATP

mitochondriale Matrix

Oxalac.etat

NADH + W

Abb. 13.14. Verteilung der Reaktionen zur Bildung von Phosphoenolpy-

ruvat aus Pyruvat auf das mitochondriale und cytoplasmatische Kompartiment.lnfolge der lmpermeabilitat der inneren Mitochondrienmembran

fUr Oxalacetat muss diesesin Malat oder Cit rat umgewandelt werden,welches mit Hilfe der mitochondria len Anionencarrier (5. 535) ins Cytosol transportiert und dort wieder in Oxalacetat umgewandelt wird 13.3 Die Gluconeogenese

409

13 Umgehung der Glucokinase (Hexokinase)~ Die Glucosebildung aus Glucose-6-phosphat ist nur in Gegenwart einer weiteren spezifischen Phosphatase, der Glucose6-Phosphatase, moglich. Dieses Enzym ist in der intestinalen Mucosa, in der Leber und in den Nieren nachgewiesen worden. Somit konnen diese Gewebe Glucose in das zirkulierende Blut abgeben. Das Enzym, welches an das endoplasmatische Reticulum (S. 188) gebunden ist, hat auch Pyrophosphataseaktivitat. In der quergestreiften Muskulatur und im Fettgewebe ist es nicht nachweisbar. Die Gluconeogenese aus Pyruvat benotigt betrachtliche Energiemengen. Vom Pyruvat bis auf die Stufe der Triosephosphate werden 3 mol ATP pro mol Triosephosphat, also 6 mol ATP pro mol Glucose verhraucht. Davon werden je eines fiir die Bildung von Oxalacetat aus Pyruvat, von Phosphoenolpyruvat aus Oxalacetat (GTP kann energetisch ATP-aquivalent gesetzt werden) sowie von 1,3-Bisphosphoglycerat aus 3-Phosphoglycerat benotigt.

!

Die Gluconeogenese hat enge Beziehungen zum lipid- und Aminosaurestoffwechsel. Wahrend der Lipolyse gibt das Fettgewebe nicht nur Fettsauren, sondern auch Glycerin in betrachtlichen Mengen ab (S. 564). Glycerin kann besonders in der Leber erneut in den Stoffwechsel eingeschleust werden. Die Leber verfiigt tiber das hierzu notwendige Enzym Glycerokinase: Glycerin + ATP

~

a-Glycerophosphat + ADP

Glycerophosphat kann durch die Glycerophosphat-Dehydrogenase Ieicht in Dihydroxyacetonphosphat umgewandelt und der Gluconeogenese zugefiihrt werden: a -Glycerophosphat + NAD+ .== Dihydroxyacetonphosphat + NADH + H+ MengenmaBig noch bedeutender fiir die Gluconeogenese sind die glucogenen Aminosiiuren (S.484). Sie werden bevorzugt in der Skelettmuskulatur, daneben natiirlich in jedem anderen Gewebe, freigesetzt. Nach Transaminierung (S.465) liefern sie entweder Pyruvat oder Zwischenprodukte des Citratzyklus mit vier oder mehr C-Atomen. Auch Propionat, das im Stoffwechsel ungeradzahliger Fettsauren entsteht, kann zur Gluconeogenese beitragen, was besonders fiir den Glucosestoffwechsel von Wiederkauern wesentlich ist. Die hierftir notwendigen Reaktionen bestehen in einer Carboxylierung von Propionat mit anschlieBender Umlagerung zu SuccinylCoA, welches tiber den Citratzyklus in die Gluconeogenese eintreten kann (S. 441).

410

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

KERNAUSSAGEN Die Gluconeogenese findet ausschlieBiich in der Leber und den Nieren stan und dient der Neusynthese von Glucose aus Nicht-Kohlenhydrat-Vorstufen.Hierfiir kommen infrage: • lactat, • Glycerin sowie • glucogene Aminosauren. Die Einzelreaktionen derGiuconeogenese sind im wesentlichen eine Umkehr derGiycolyse.AIIerdings miissen aus energetischen Grunden folgende Reaktionen umgangen werden: • die Pyruvatkinase durch Pyruvatcarboxylase und Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, • die Phosphofructokinase-1 durch die Fructose-1,6Bisphosphatase sowie • die Glucokinase (Hexokinase) durch die Glucose-6Phosphatase.

13.4 Regulation von Glucoseaufnahme und -phosphorylierung 13.4.1 Glucosetransportproteine Nahezu aile Zelltypen von den einfachsten Bakterien his hin zu den komplexesten Neuronen des menschlichen Zentralnervensystems mtissen Glucose mit Hilfe entsprechender Transportsysteme durch ihre Plasmamembranen transportieren. Beim Sauger und damit auch beim Menschen kommen im Prinzip zwei mechanisch unterschiedliche Glucosetransportsysteme vor: ~ der sekundiir aktive, natriumabhiingigen Glucosetransport an der luminalen Seite der Epithelien des Intestinaltrakts (S. 1093) und der Nieren (S. 924) ~ die Glucoseaufnahme durch erleichterte Diffusion (S. 177) in allen Zellen des Organismus. Das Phanomen der erleichterten Diffusion von Glucose heruht auf der Funktion spezifischer als Glucosetransporter dienender Carrierproteine in der Plasmamemhran, da freie Glucose nicht durch die Lipiddoppelschicht der Memhranen passieren kann. Glucosetransporter fiir die erleichterte Diffusion von Glucose hilden eine Familie von his zu 8 Mitgliedern ( Tahelle 13.3). Sie weisen untereinander betrachtliche Ahnlichkeiten auf, werden gewebs- bzw. zellspezifisch exprimiert und zum Teil durch externe Stimuli reguliert. Die aus der eDNA abgeleitete Aminosauresequenz aller Glucosetransporter zeigt, dass sie sich jeweils mit insgesamt 12 hydrophoben Transmembrandomanen in der Cytoplasmamembran anordnen (® Abb. 13.15 a). Die Abb.13.15 h und c gehen die derzeitigen Vorstellungen tiber die Raumstrukturvon Glucosetransportern am Beispiel von GLUT1 wieder. Die 12 Transmemhranhelices sind so angeordnet, dass eine zentrale Pore ent-

13 Tabelle 13.3. Glucosetransporter-lsoformen

GLUT1

Viele fetale und adulte Gewebe; Erythrocyteo, Endothelzelleo, KM

GLUT2

Hepatocyten,P-Zellen der Langerhans-lnseln des Pankreas, Epithelzellen der Nieren uod des lntestinaJtrakts, KM 40 mmol/1

TransepitheliaJer Transport; Teil des Gluco tatMechanismus (5.412); Hepatische Glucoseaufnahme und Glucoseabgabe

GLUTJ

Viele Gewebe, besonders ZentraJes Nervensystem; K~o~ = 10 mmol/1

BasaJe Glucoseversorgung; Glucoseaufnahme a us der cerebrospinaleo Fliissigkeit

GLUT4

Skelettmuskulatur, Fettgewebe; wird insulinabhiingig in die Plasmamembran transloziert

I nsulinabhangiger Glucoseumsatz des Organismus

GLUTS

lntestinaJtrakt, Spermatozoen, in geringem Umfang auch in andereo Geweben

Fructosetransport

GLUT6

Hirn, Milz, Leukozyteo

GLUTS

Testes

GLUT 10

Leber und Pankreas

BasaJe Glucoseversorgung vieler Gewebe, Blut-Hirn-Schranke

=20 mmol/1

=

Glucosetransport

hydrophob polar lys,Arg Asp,Giu

a

Cytoplasma

Abb. 13.15 a-c. Membrantopologie von Glucosetransportern am Beispiel des GLUT1 . a GLUT1 ist mit entsprechend nummerierten Transmembranhelices in der Membran verankert. Die Position des N-glykosidisch verknupften Oligosaccharides ist markiert. b Rekonstruktion der raumlichen Beziehungen der 12 Membranhelices zueinander in der Seitenansicht. c Aufsicht auf die Struktur der 12Transmembranhelices von der AuBenseite der Membran. (Mit freundlicher Genehmigung von J. Fischbarg, New York) 13.4 Regulation von Glucoseaufnahme und -phosphorylierung

411

13 steht, in die die Helix H 7 hineinragt, die moglicherweise ftir die Spezifitat des Transporters verantwortlich ist. Die Glucoseaufnahme und ihre Regulation ist ftir den Glucosestoffwechsel von ausschlaggebender Bedeutung. Die Ausstattung der verschiedenen Gewebe bzw. Zellen mit unterschiedlichen Isoformen der Glucosetransporter legt nahe, dass dies etwas mit den jeweils spezifischen Anforderungen der Gewebe an den Glucosetransport zu tun haben muss: ... Der GLUT 1- Transporter ist am weitesten verbreitet. Er kommt besonders in fetalen, aber auch in vielen adulten Saugerzellen vor, haufig allerdings in Verbindung mit anderen gewebsspezifischeren Transporterisoformen. Offensichtlich hat GLUT 1 eine besondere Bedeutung fiir die Glucoseversorgung der Zellen des Zentralnervensystems, da es in den Kapillaren des Zentralnervensystems, die die BlutHirn -Schranke bilden, sehr stark exprimiert wird.

.,. Der GLUT 2-Transporter wird in Hepatocyten, den P-Zellen der Pankreasinseln und auf der apikalen Seite der Epithelzellen von der intestinalen Mucosa und den Nieren exprimiert. Auffallend ist seine KM ftir Glucose. Sie betragt 42 mmol/1 und ist damit etwa doppelt so hoch wie die des GLUT 1-Transporters mit 18-21 mmol/1. In der Leber und den ,8-Zellen der Langerhans-Inseln (S. 842) bildet das GLUT 2-Transportprotein zusammen mit der nur in diesen Geweben vorkommenden Glucokinase (Hexokinase IV) ein System, das schon auf geringe Anderungen der Blutglucose-Konzentration mit entsprechenden Anderungen von Glucoseaufnahme und Glucosestoffwechsel reagiert, weswegen es auch als Teil eines Glucosesensors dient (S. 414). Da die Transportkapazitat tiber GLUT 2 die Glucokinaseaktivitat bei weitem iibertrifft, wird sie geschwindigkeitsbestimmend fiir die Glucoseaufnahme in

28

l 'm:::~fjre I

24

... 20

§

16

0

~

s. c:

12 8 4

Plasmamembran

0

b

a

Abb.l3.16a-d. Beeinflussung der Verteilung von GLUT4-Transportern zwischen Plasmamembran und intrazellularen Vesikeln durch Insulin. a Ohne Insulin liegen die Transporter bevorzugt an intrazellulare Vesikel gebunden vor. Die Bindung von Insulin an einen Rezeptor lost Uber Transduktionswege (S. 849) die Translokation der intrazellularen Vesikel in die Plasmamembran aus. b Da intrazellulareVesikel durch Zentrifugation von der Plasmamembran abgetrennt werden kiinnen (S. 379), Ia sst sich die Kinetik der durch Insulin stimulierten Umverteilung der GLUT4-Transporter experimentell verfolgen. Die Abbildung zeigt die Kinetik des Auftauchens bzw. Verschwindens von GLUT4-Transportern in der Cytoplasmamembran 412

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

0

5

10

15 0

-

+ Insulin -

-

30

60

- Insulin -

von Adipocyten in An- bzw. Abwesenheit von Insulin. MessgriiBe ist die in der jeweiligen Fraktion gemessene Transportaktivitat fUr Glucose. c, d In Adipocyten wurde das GLUT4-Protein mit lmmunhistochemie unter Verwendung einesAnti-GLUT4 sowie einesFITC-markierten Anti-lgA-Antikiirpers nachgewiesen. c In Abwesenheit von Insulin sind die meisten Transportmolekiile in einem Kompartiment zwischen der Plasmamembran und dem Fetttriipfchen lokalisiert. d Nach Zugabe von Insulin zeigt sich, dass ein groBer Teil der GLUT4-Transporter innerhalb weniger Minuten in die Plasmamembran verlagert wird. (Mit freundlicher Genehmigung von H.Shibata und ©The Biochemical Society)

13









diesen Zellen. In den Epithelzellen des Intestinaltrakts und der Nieren wird das GLUT 2-Transportsystem fiir die Bewaltigung der hohen transepithelialen Substratfli.isse nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten benotigt. Der GLUT 3- Transporter findet sich bevorzugt in den Neuronen des Gehirns. Die Glucosekonzentration in der interstitiellen Fli.issigkeit des Gehirns ist niedriger als im Serum, da Glucose zunachst mit Hilfe von GLUT 1 durch die Kapillarendothelien des Gehirns transportiert werden muss (BlutHirn-Schranke, S.1055). Es ist daher sinnvoll, dass GLUT 3 sich durch eine besonders niedrige KM fi.ir Glucose auszeichnet, die eine ausreichende Glucoseaufnahme im Nervensystem auch bei den niedrigen Glucosekonzentrationen gewahrleistet. Der GLUT 4-Transporter kommt ausschlieBlich in Adipocyten und Muskelzellen vor. GLUT 4 ist fi.ir die Regulierbarkeit der Glucoseaufnahme durch Insulin in beiden Geweben verantwortlich. Diese Tatsache ist von betrachtlicher Bedeutung, da im Ni.ichternzustand 20 o/o, bei erhohten Insulinkonzentrationen jedoch 75-95 o/o des Glucoseumsatzes des Organismus auf die Skelettmuskulatur fallen, in der die vermehrt aufgenommene Glucose nahezu vollstandig in Glykogen umgewandelt wird. Der zellbiologische Mechanismus des Insulineffektes auf den Glucosetransport ist in Abb.l3.16a-d dargestellt. GLUT 4-Transporter befinden sich sowohl in der Plasmamembran wie auch in einem spezifischen, vesikularen Kompartiment im Cytosol. Zwischen der Plasmamembran und dem Golgi-Apparat konnen GLUT 4-Transporter durch vesikulare Endobzw. Exocytose ausgetauscht werden (S. 189). Bei niedrigen Insulinkonzentrationen ist der Klathrinabhangige endocytotische Weg (S. 180) bevorzugt, so dass nur wenig funktionelle Transporter in der Plasmamembran vorhanden sind. Insulin ist imstande, das Gleichgewicht in Rich tung der Exocytose zu verschieben, so dass die Zahl der funktionellen Transportmoleki.ile in der Plasmamembran deutlich zunimmt. Die dabei ablaufenden Signaltransduktionsvorgange sind auf S. 849 beschrieben. GLUT 5 ist ein Fructose-Transportprotein und kommt in hoher Konzentration an den apikalen Membranen der intestinalen Enterocyten und der Plasmamembran reifer Spermatocyten vor. GLUT 7 ist ein Klonierungsartefakt, GLUT 6 entspricht dem fri.iheren GLUT 9. Uber die Funktion dieser drei verbleibenden GLUT ist wenig bekannt.

13.4.21 Bildung und Verbrauch von Glucose-6-phosphat Mit Ausnahme derdirekten Umwandlung von Glucose in Fructose (S. 590) ist das Glucose-6-phosphat Ausgangspunkt samtlicher von der Glucose ausgehender

Glucose

~

Saccharidsynthesen Glycogen Glycolyse HexosemonophosphatWeg

Abb.13.17. Bildung und Verwertung von Glucose-6-phosphat in extrahepatischen, insulinabhangigen Geweben. (Einzelheiten s. Text)

Stoffwechselwege. Seine intrazellulare Konzentration signalisiert der Zelle die Menge der aufgenommenen Glucose und bestimmt dari.iber, welcher der verschiedenen Stoffwechselwege der Glucose benutzt wird.

In extrahepatischen, insulinabhangigen Geweben wird die Glucose-6-phosphat-Konzentration durch die Hexokinase II reguliert. Die Abb. 13.17 stellt die Bildung und Verwertung von Glucose-6-phosphat in extrahepatischen, insulinabhangigen Geweben, also vor allem in der Skelettmuskulatur und dem Fettgewebe, dar. Nach dem Transport von Glucose in die Zelle unter Katalyse des GLUT 4Transporters wird Glucose durch die Hexokinase II zu Glucose-6-phosphat phosphoryliert. Dieses bildet den Startpunkt fi.ir die Biosynthese von Glycogen sowie einer Reihe von Monosacchariden, die fiir die Biosynthese komplexer Kohlenhydrate gebraucht werden (S. 584 ff.). AuBerdem startet von Glucose-6-phosphat der Abbau iiber die Glycolyse bzw. den Hexosemonophosphatweg. Bei der Regulation des Glucose-6-phosphat-Spiegels spielt Insulin eine wichtige Rolle: • Insulin ist ein Induktor des Glucosetransportproteins GLUT 4 sowie der Hexokinase II. .,. Insulin stimuliert die Glucoseaufnahme durch Translokation von GLUT 4 in die Plasmamembran (S. 412). Auch Glucose-6-phosphat hat regulatorische Funktionen: • Es ist ein Inhibitor derHexokinase II und • es stimuliert die Glycogenbiosynthese (S. 419). Diese Regulationsmechanismen kommen in Gang, sobald die extrazellulare Glucosekonzentration ansteigt, z. B. nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit. Das un13.4 Regulation von Glucoseaufnahme und -phosphorylierung

413

13 ter diesen Bedingungen vermehrt freigesetzte Insulin (S. 841) induziert die fiir die Glucoseverwertung wichtigen Proteine GLUT 4 und Hexokinase II und sorgt dari.iber hinaus fiir die vermehrte Glucoseaufnahme. Die aktivierende Wirkung von Glucose-6-phosphat auf die Glykogenbiosynthese bewirkt, dass die vermehrt aufgenommene Glucose zur Auffiillung der Glykogenvorrate benutzt wird. Eine Uberschwemmung der Zelle mit Glucose-6-phosphat wird durch die Hemmwirkung dieses Metaboliten auf die Hexokinase II verhindert.

! Das Gleichgewicht zwischen Glucokinase und

Glucose-6-Phosphatase ist fUr den Glucose-6phosphat-Spiegel der Hepatocyten entscheidend.

Prinzipiell sind die ersten Schritte des Glucosestoffwechsels in der Leber die gleichen wie in den oben dargestellten insulinabhangigen extrahepatischen Geweben. Glucose wird durch das in der Leber vorherrschende Glucosetransportprotein GLUT 2 aufgenommen und zu Glucose-6-phosphat phosphoryliert, von dem die verschiedenen weiteren Stoffwechselwege der Glucose ausgehen. Die Regulation der Glucose-6-phosphat-Konzentration in den Hepatocyten ist jedoch wesentlich komplexer als in extrahepatischen Geweben. Das beruht vor allem auf der Existenz der Glucose-6-Phosphatase in der Leber. Dieses Enzym kommt nur in den zur Gluconeogenese fahigen Geweben vor und spaltet Glucose-6-phosphat zu Glucose und organischem Phosphat. Die Abb.l3.18 stellt die in der Leber vorliegenden Verhaltnisse dar. Sie zeichnen sich durch folgende Gegebenheiten aus:

,.. Glucose wird in Abhangigkeit von der extrazellularen Konzentration durch den Transporter GLUT 2 in die Hepatocyten transportiert. ,.. Das in den Hepatocyten hauptsachlich vorkommende Glucose-phosporylierende Enzym ist die Glucokinase (Hexokinase IV). Dieses Enzym hat eine hohe Michaelis-Konstante fiir Glucose. Dies fiihrt dazu, dass die Geschwindigkeit der Glucose-6-phosphat-Bildung proportional zur extrazellularen Glucosekonzentration ist. Glucokinase dient infolge dessen als ,Glucosesensor". ,.. Bei niedrigen Glucosekonzentrationen bildet die Glucokinase einen Komplex mit einem als Glucokinase-Regulatorprotein (GKRP) bezeichneten Protein. Dieses bindet die Glucokinase, inaktiviert sie dadurch und transloziert sie in den Zellkern. Hohe intrazellulare Glucosekonzentrationen fiihren zu einer Losung der Bindung von Glucokinase an GKRP. Da die Glucokinase ein nukleares Exportsignal (S.188) tragt, gelangt sie ins Cytosol und steht zur Phosphorylierung von Glucose-6-phosphat zur Verfiigung. Eine ahnliche Wirkung wie Glucose hat auch Fructose-1-phosphat. ,.. Insulin hat zwar keinen Einfluss auf die Aktivitat des Glucosetransporters GLUT 2, ist jedoch ein starker Induktor der Glucokinase. • Im Leber- und Nierengewebe, das zur Gluconeogenese befahigt ist, ist Glucose-6-phosphat nicht nur Ausgangsprodukt fi.ir den Stoffwechsel der aufgenommenen Glucose, sondern auch ein Zwischenprodukt der Gluconeogenese (S. 407) und der Glycogenolyse (S. 406). Durch die Glucose-6-Phosphatase

Glucose

GkRP

Glucose-6-phosphat

\

~

Glycogen

Glycolyse

Hexosemonophosphat-Weg Saccharide

Gluconeogenese

Abb. 13.18. Bildung und Verbrauch von Glucose-6-phosphat in der L eber. (Einzelheiten s. Text) 414

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

13 wird Glucose-6-phosphat in Glucose und anorganisches Phosphat gespalten und Glucose dann von den Hepatocyten abgegeben. • Die Glucose-6-Phosphatase ist ein aus zwei Untereinheiten bestehendes Enzym, das als integrates Membranprotein an das endoplasmatische Reticulum gebunden ist. Eine der Untereinheiten dient wahrscheinlich als Glucose-6-phosphat-Transporter, da die Spaltung von Glucose-6-phosphat auf der luminalen Seite des endoplasmatischen Reticulums erfolgt. Es ist noch nicht klar, auf welche Weise die entstehende Glucose von den Hepatocyten abgegeben wird. Insulin ist ein Repressor der Glucose-6Phosphatase. • Ahnlich wie in den extrahepatischen Geweben ist auch in der Leber Glucose-6-phosphat ein wichtiger Stimulator der Glycogenbiosynthese. Die besondere Problematik im Glucosestoffwechsel der Hepatocyten beruht darauf, dass sie die enzymatische Ausstattung fiir Glykolyse als auch Gluconeogenese enthalten. Aus energetischen Grunden muss jedoch verhindert werden, dass beide Vorgange gleichzeitig ablaufen. Die oben geschilderten Regulationsmechanismen dienen diesem Ziel: Erhtihtes Glucoseangebot ... Bei erhohtem Glucoseangebot, z. B. nach kohlenhydratreicher Ernahrung, steigt der Insulinspiegel, was zu einer Induktion der Glucokinase sowie einer Repression der Glucose-6-Phosphatase fuhrt. Die durch den Glucosetransporter GLUT 2 vermehrt aufgenommene Glucose fiihrt zu einer Aktivierung der Glucokinase, da sie aus ihrem Komplex mit dem GkRP gelOst wird. Als Folge steigt die Glucose-6phosphat-Konzentration an, was zu einer Stimulierung der Glycogenbiosynthese fuhrt. Daruber hinaus konnen die anderen Stoffwechselwege der Glucose beschritten werden. Nahrungskarenz ... Eine Steigerung der Gluconeogenese ist immer dann notwendig, wenn die Glucosekonzentration in der extrazellularen Flussigkeit absinkt, z. B. bei Nahrungskarenz. In diesem Fall ist die Insulinkonzentration niedrig, was zu einer Hemmung der Glucokinaseexpression und einer Derepression der Glucose6-Phosphatase fuhrt. Durch die Glucosetransporter GLUT 2 wird wenig Glucose in den Hepatocyten transportiert, was eine Inaktivierung der Glucokinase durch Assoziation mit GKRP auslost. Glucose-6-phosphat, das durch Glycogenolyse oder Gluconeogenese entsteht, wird bevorzugt gespalten und aus den Hepatocyten ausgeschleust.

KERNAUSSAGEN Glucose muss mit Hilfe Carrier-vermittelter Transportsysteme von den Zellen aufgenommen werden.Aufder luminalen Seite der Epithelien des lntestinaltrakts und der Nierentubuli findet die Glucoseaufnahme durch sekundar aktiven Transport, in allen iibrigen Geweben durch erleichterte Diffusion statt. Fur die erleichterte Diffusion sind Transportproteine der GLUT-Familie verantwortlich, von denen insgesamt acht Mitglieder beschrieben worden sind. Es handelt sich urn Transmembranproteine mit 12 Membrandomanen, die eine zentrale Pore fiir den Glucosetransport bilden. In allen Geweben wird Glucose nach der Aufnahme durch Enzyme aus der Familie der Hexokinasen zu Glucose-6phosphat phosphoryliert. Von besonderer Bedeutung sind: ... die Hexokinase II in insulinabhangigen Geweben. Diese wird durch Insulin induziert und durch ihr Produkt Glucose-6-phosphat gehemmt sowie ... die Glucokinase (Hexokinase IV) in der Leber und den fJ-Zellen der Langerhans-lnseln des Pankreas. Sie wird ebenfalls durch Insulin induziert. Bei niedrigen Glucosekonzentrationen assoziiert sie an ein spezifisches Bindungsprotein und wird dadurch inaktiviert. Erhtihung der zellularen Glucosekonzentration fiihrt zur Ltisung dieser Bindung und zur Aktivierung der Glucokinase. In der Leber wird Glucose-6-phosphat au6er durch die Glucokinase durch die Gluconeogenese gebildet und dann durch die Glucose-6-Phosphatase gespalten und als Glucose freigesetzt.lnsulin ist ein lnduktor der Glucokinase und ein Repressor der Glucose-6-Phosphatase.

13.5 1Regulation

des Glycogenstoffwechsels

Fur den Organismus ist die Aufrechterhaltung seiner Glycogenvorriite von entscheidender Bedeutung: • Glycogen stellt fiir jede Zelle einen Ieicht mobilisierbaren Energiespeicher dar, der in wenigen Schritten in ATP-liefernde Reaktionswege eingeschleust werden kann und schlieBlich noch bei Hypo- bzw.Anoxie einen gewissen Energiebeitrag zu liefern vermag. • Aus dem Glycogen der Leber und in gewissem Umfang auch der Muskulatur (Cori-Zyklus, S. 573) kann Glucose zur Aufrechterhaltung der Blutglucosekonzentration wahrend ktirzerer Fastenperioden entnommen werden, was vor allem fiir die Aufrechterhaltung der Funktion des Zentralnervensystems von ausschlaggebender Bedeutung ist (S. l 054). Deswegen unterliegt der Glycogenstoffwechsel einer sehr genauen Regulation. Diese gewahrleistet die rasche Freisetzung von Glucose-6-phosphat bzw. Glucose aus Glycogen bei gesteigertem Energiebedarf und bei 13.5 Regulation des Glycogenstoffwechsels

415

13 Kohlenhydratmangel und, sobald Nahrungskohlenhydrate zur Verfugung stehen, die schnelle Wiederaufftillung der Glycogenvorrate.

Das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Glycogenolyse ist die Glycogen phosphorylase, die durch allosterische Effektoren und durch kovalente Modifikation reguliert wird. Das geschwindigkeitsbestimmende Enzym fUr die Glycogenolyse (Glycogenabbau) ist die Glycogenphosphorylase. Dieses Enzym ist insofern bemerkenswert, als es sowohl durch allosterische Regulation wie auch durch kovalente Modifikation reguliert werden kann (Abb.l3.19). aktiv

allostenschen ohne 1 l ligand en

inaktiv

inaktiv

Abb. 13.19. Regulation der Glycogen phosphorylase der Leber durch allosterische liganden und covalente Modifikation. (Einzelheiten s.Text)

adrenerger Rueptor +Adrenalin

Allosterische Regulation~ In der Muskulatur liegt die Glycogenphosphorylase als dimeres Enzym vor und wird auch als Phosphorylase b bezeichnet. Durch AMP wird die Phosphorylase b allosterisch von der inaktiven T- in die enzymatisch aktive R-Form tiberftihrt ( Abb.l3.19) . ATP und Glucose-6-phosphat sind allosterische Ligan den, die jedoch die inaktive Form der Phosphorylase b stabilisieren. Damit ist die Phosphorylase ein Sensor fur die Energieladung einer Zelle. Bricht diese zusammen, z. B. bei Hypoxie oder Anoxie (z. B. Myokardinfarkt; s. Infobox), so ftihrt dies tiber die rasch ansteigenden AMP-Spiegel zu einer Stimulierung der Glycogenolyse. Enthalt die Glycolyse jedoch ausreichend Substrat bzw. ist der ATP-Spiegel normal, so wird die inaktive Form des Enzyms bevorzugt. Auch die Glycogenphosphorylase der Leber liegt als dimeres Enzym vor. Hier ist die Glycogenphosphorylase b jedoch inaktiv, eine Regulation des Enzyms durch allosterische Effektoren tritt nicht auf. Kovalente Modifikation~ Schon 1938 fand Carl Cori, dass es in allen Geweben eine zweite Form der Glycogenphosphorylase gibt, die auch in Abwesenheit von allosterischen Effektoren aktiv ist. Er nannte diese Form Phosphorylase a und Jahre spater konnten Edwin Krebs und Edmund Fischer zeigen, dass diese aus der inaktiven T-Form der Phosphorylase b durch enzymkatalysierte, ATP-abhiingige Phosphorylierung entsteht. Die Phosphorylierung, die am Serylrest 14 des Phosphorylaseproteins stattfindet, verschiebt das Gleichgewicht zwischen T- und R-Form vollstandig und in Abwesenheit allosterischer Liganden auf die Seite der enzymatisch aktiven R-Form.

Phosphorylasekinase b

aktive Proteinkinase A 2R + 2C Phosphorylase-

Glycogenphosphorylase b

kinase a

----------+ R2C2 inaktive Proteinkinase A

Abb. 13.20. Mechanismus der hormonell induzierten Aktivierung der Glycogen phosphorylase. Fur die Phosphorylierung der Glycogenphosphorylase ist eine Phosphorylase-Kinase verantwortlich, die ihrerseits durch 416

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

l.....____.,

ATP

~v--

P1

ADP~~ ~0 Glycogenphosphorylase a

eine Proteinkinase A-vermittelte Phosphorylierung aktiviert wird. Die Aktivitat der Proteinkinase Ahangt davon ab,ob cAMP an ihre regulatorische Untereinheit bindet

13 Die Phosphorylase a der Leber wird durch Glucose als allosterischem Liganden inaktiviert. Damit ist die Leberphosphorylase eine Art Glucosesensor. Bei hohen Glucosekonzentrationen, z. B. nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten, ist ein Glycogenabbau wenig sinnvoll, anders ist es jedoch bei geringeren Glucosekonzentrationen, z. B. bei Nahrungskarenz. Wie spater durch Earl Sutherland und Edwin Krebs gefunden wurde, vermittelt die Glycogenphosphorylase durch kovalente enzymkatalysierte Modifikation ihre Regulierbarkeit durch Hormone ( Abb.l3.20): .. Fur die Phosphorylierung der Phosphorylase b zur aktiven Phosphorylase a ist eine Proteinkinase verantwortlich, die als Phosphorylasekinase bezeichnet wird. Auch dieses Enzym kommt in einer aktiven und inaktiven Form vor, auch hier beruht der Unterschied zwischen den heiden Formen auf der Phosphorylierung eines spezifischen Serylrestes. .,. Fur diese Phosphorylierung ist die Proteinkinase A verantwortlich, die durch 3~ 5'-cyclo-AMP (cAMP) aktiviert wird (S.145). .,. Fur die Erzeugung von cAMP aus ATP ist die Adenylatcyclase verantwortlich, die tiber die in Kapitel 27 und 29 geschilderten Mechanismen durch Adrenalin, Noradrenalin und in der Leber durch Glucagon aktiviert wird. Die Phosphorylasekinase ist ein Hexadekamer der Zusammensetzung (a4]34y 404 ) mit einer Molektilmasse von 1300 kDa. Die o-Untereinheiten sind Calmodulin. Bindung von Calcium fuhrt zu einer Aktivierung der Phosphorylasekinase unabhangig von der Aktivierung der Phosphorylierung. Diese Art der Aktivierung spielt fUr Muskelzellen eine groBe Rolle. Die mit der Kontraktion einhergehende Erhohung der Calciumkonzentration (S.1041) fuhrt auch zu einer Aktivierung des Glycogenabbaus und stellt sicher, dass das fur die Kontraktion benotigte ATP bereitgestellt werden kann.

!

Die Glycogensynthese wird auf der Stufe der Glycogen synthase reguliert. Das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Glycogenbiosynthese in allen animalen Zellen ist die Glycogensynthase. Auch dieses Enzym kann allosterisch und durch kovalente Modifikation reguliert werden ( Abb.l3.21):

Kovalente Modifikation .. Die enzymatisch aktive Form der als Homodimer vorliegenden Glycogensynthase ist die dephosphorylierte. Die Glycogensynthase besitzt insgesamt neun Serylreste, die durch verschiedene Proteinkinasen phosphoryliert werden konnen, was zur Inaktivierung des Enzyms fiihrt: .,. Die cAMP-abhiingige Proteinkinase phosphoryliert spezifisch funf der neun Serylreste. Die dadurch entstehende Glycogensynthase b ist weniger aktiv und wird durch physiologische Konzentrationen von Adeninnucleotiden allosterisch gehemmt.

Glycogensynthase a aktiv

Glycogensynthase b inaktiv

t

Glucose-6- 1 phosphat ~

Glycogensynthase b aktiv

Abb. 13.21. Regulation der Glycogensynthase durch covalente Modifikation und allosterische Liganden. (Einzelheiten s.Text)

Tabelle 13.4. Phosphorylierung der Glycogensynthase durch verschiedene Proteinkinasen (Auswahl)

z.llldlrp.Dipholy- 1111--.g lierten Serylmte cAMP-abhiingige Proteinkinase 3

+

cGMP-abhangige Protein kinase 2

+

Glycogensynthase-Kinase 3

3

+++

Glycogensynthase-Kinase4

2

+

Caseinkinase 1

9

+++

Proteinkinase C

+

.,. In Tabelle 13.4 sind andere Proteinkinasen zusammengestellt, die ebenfalls die Glycogensynthase phosphorylieren konnen. Da jede von ihnen andere Phosphorylierungsstellen auf der Glycogensynthase erkennt und modifiziert, kann damit insgesamt der Aktivitatszustand der Glycogensynthase ganz besanders fein auf die Bediirfnisse der Zelle abgestimmt werden . .,. Von besonderer Bedeutung ist die Glycogensynthasekinase-3. Sie phosphoryliert 4 spezifische Serylreste und bewirkt dadurch eine dramatische Aktivitatsabnahme des Enzyms. Eine Behandlung von Zellen mit Insulin fiihrt zu einer raschen Entfernung dieser Phosphatreste. Da die Glykogensynthasekinase-3 auch andere regulatorische Proteine wie Protoonkogene und Transkriptionsfaktoren modifiziert, nimmt man an, dass dieses Enzym eine wichtige Rolle bei der Embryogenese und bei Differenzierungsvorgangen spielt. 13.5 Regulation des Glycogenstoffwechsels

417

13 Allosterische Regulation~ Die inaktive phosphorylierte Glycogensynthase kann zwar durch supraphysiologische Konzentrationen von Glucose-6-phosphat reaktiviert werden, unter physiologischen Bedingungen ist jedoch nur die dephosphorylierte Form der Glycogensynthase vollstandig aktiv.

Die Glycogensynthasekinase-3 wird durch Insulin inaktiviert. Es ist schon sehr lange bekannt, dass die Behandlung von Zellen mit Insulin in Anwesenheit von Glucose zu einer Steigerung der Glycogenbiosynthese fiihrt. Einen wesentlichen Anteil hieran hat die Inaktivierung der

§] .-------. --, P, ~ ,.--=. GlycogenGlycogenSynthase

Synthase

.>khv

1n~kt1v

~ GSK-3 akt1v

IR

GSK-3 iNktiv

Abb. 13.22. Mechanismus der Aktivierung der Glycogensynthase durch Insulin. IR lnsulinrezeptor; PDKI phospholipidabhangige Proteinkinase; PKB Protein kinase B; GSK-3 Glycogensynthasekinase-3; PPI Phosphoproteinphosphatase 1. (Einzelheiten s.Text)

Glycogen

Phosphorylase

Glycogen

Glycogensynthasekinase-3 durch Insulin. Der Mechanismus dieses Vorgangs ist in Abb. 13.22 dargestellt: ~ Uber die auf S. 849 dargestellten Signaltransduktionsvorgange lOst Insulin eine Aktivierung der Proteinkinase PDKl und anschlieBend der Proteinkinase B (PKB) aus. ~ Die PKB phosphoryliert die Glycogensynthasekinase-3, was zu einer Hemmung dieses Enzyms fiihrt. ~ Infolge der Anwesenheit von Phosphoproteinphosphatasen (s. u.) wird der Phosphorylierungszustand der Glycogensynthase vermindert und das Enzym in die aktive Form iiberfiihrt.

Spezifische Phosphoproteinphosphatasen sind fi.ir die Dephosphorylierung von Glycogensynthase, Phosphorylase und Phosphorylasekinase verantwortlich. Generell!Ost die Phosphorylierung der am Glycogenstoffwechsel beteiligten Enzyme Glycogensynthase und Phosphorylase eine Hemmung der Biosynthese des Glycogens und eine Steigerung der Glycogenolyse aus ( Abb. 13.20). Die Umkehr dieser Effekte erfordert eine Reihe enzymatischer Mechanismen: Siebeginn en mit der Inaktivierung des Adenylatcyclase-Systems durch die GTPase-Aktivitat der G-Proteine (S. 800). cAMP wird durch eine cAMP-spezifische Phosphodiesterase abgebaut, die durch Insulin aktiviert werden kann (S. 845). Bei niedrigen cAMP-Konzentrationen ist die Bildung des inaktiven Proteinkinase A-Tetramers bevorzugt. Damit wird die weitere Phosphorylierung von Glykogensynthase, Phosphorylasekinase und Phosphorylase verhindert. Fiir die Dephosphorylierung der genannten Enzyme und damit das Umschalten von Glycogenolyse auf Glycogensynthese ist auBerdem die Aktivierung entspre-

Phosphorylase

Dephosphoryfierung und lnaktivierung der Phosphorylase

Abb. 13.23. Regulation der Aktivitat d er hPosphoproteinphosphatase PP-1. Das Enzym wird durch Assoziation an die G-Untereinheit am Glycogen fixiert und dadurch aktiviert. Phosphorylierung durch die Protein kinase AfOhrt zu einer Abdissoziation von der G-Untereinheit und damit zur Hemmung des Enzyms. (Einzelheiten s.Text) 418

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

13 Adrenalin

Gtc-6--Q)

Abb. 13.24. Regulation des Glycogenstoffwechsels durch allosterische Mechanismen und kovalente Modifikation. (Einzelheiten s.Text) (Nach Bollen et al. Glucose

chender Phosphoproteinphosphatasen notwendig. Fur die Regulation des Glycogenstoffwechsels ist von den acht bis heute bekannten Phosphoproteinphosphatasen die Serin/Threonin-spezifische Phosphoproteinphosphatase PPl verantwortlich. Die Aktivierung dieses Enzyms ist in Abb.l3.23 dargestellt: • Die Phosphoproteinphosphatase PP-1 erlangt ihre Spezifitat erst durch Assoziation an regulatorische Untereinheiten. Fur den Glycogenstoffwechsel von besonderer Bedeutung ist die Untereinheit G, die in einer muskel- bzw. leberspezifischen Form vorkommt. Die G-Untereinheit ist ein Glycogen-bindendes Protein, welches eine PP-1-bindende Domane hat und auf diese Weise die Phosphoproteinphosphatase 1 in unmittelbare Nachbarschaft zu den ebenfalls an Glycogen bindenden Enzymen Phosphorylase und Glycogensynthase bringt. • Ein wichtiger allosterischer Aktivator der Phosphoproteinphosphatase 1 ist Glucose-6-phosphat in physiologischen Konzentrationen. Das erklart seine stimulierende Wirkung auf die Glycogenbiosynthese. • Durch die cAMP-abhangige Proteinkinase A wird die Bindungsstelle der Untereinheit G fiir PP-1 phosphoryliert, was zur Abdissoziation von PP-1 und seiner lnaktivierung fiihrt. Besonders in Hepatocyten kommt zusatzlich ein cytosolischer Phosphoproteinphosphatase-1-Inhibitor vor, der das Enzym bindet und inaktiviert. cAMP-abhiingige Phosphorylierung dieses Inhibitors fiihrt zur Aufhebung der Bindung und zur Reaktivierung der Phosphoproteinphosphatase.

1998)

Die Abb.13.24 gibt einen Uberblick tiber die Mechanismen, die Speicherung und Abbau des Glycogens regulieren. Seine Bedeutung als einziges Reservekohlenhydrat animaler Zellen wird durch die vielfaltigen Regulationsmoglichkeiten unterstrichen, die eine genaue Anpassung von Glycogensynthese und -abbau an die jeweiligen zellularen Bediirfnisse ermoglichen.

Zusammenhang der Nekrose bei Myokardinfarkt infolge akuten Sauerstoffmangels mit verziSgerter Aktivierung der Glycogenolyse Pathophysiologisch beruht jeder Myokardinfarkt darauf, dass ein vollstandiger oder partieller Verschluss einer der Koronararterien bzw. ihrer Aste zu einer Minderdurchblutung des Myokards fiihrt. Da im mensch lichen Herzmuskel keine oder nur sehr wenig kollaterale BlutgefaBe vorkommen, kommt es sehr rasch zu einer schwerwiegenden, haufig zur Nekrose fiihrenden Stoffwechselstorung des Myokards. DafOr sind prinzipiell zwei Mechanismen verantwortlich: Einmal fiihrt das Sistieren der Sauerstoffversorgung zur Unterbrechung der energieliefernden mitochondria len Vorgange,zum anderen verhindert die sich durch den Gefa6verschluss ergebende Minderdurchblutung den Abtransport schadlicher sich unter diesen Bedingungen anhaufender Stoffwechselprodukte. Die Energiespeicher des Myokards sind ziemlich sparlich. Die vorhandenen Vorrate an Phosphokreatin und ATP geniigen fiir 3 oder 4 effektive Kontraktionsvorgange. Aus diesem Grund htiren beim kompletten GefaBverschluss sehr schnell die

13.5 Regulation des Glycogenstoffwechsels

419

13 Kontraktionsvorgange im nicht durchbluteten Gebiet auf, was natiirlich den Substratbedarf der betroffenen Cardiomyocyten herabsetzt. Da die Sauerstoffzufuhr sistiert, kommen die ATPIiefemden mitochondrialen Vorgange rasch zum Erliegen. Reduzierte Wasserstoff-iibertragende Coenzyme, vor allem NADH/H+ konnen nicht mehr reoxidiert werden, weswegen zunachst die mitochondriale NADH-Konzentrotion ansteigt. Durch Umkehr der auf S. 536 geschilderten Transportzyklen kommt es auch zum Anstau von cytoplasmatischem NADH. Da die energieliefernden mitochondrialen Prozesse zum Erliegen kommen, sinkt die ATP-Konzentration in den Cardiomyocyten ab.Die ADP-Konzentration steigt zunachst entsprechend dem ATP-Abbau an, durch die Nucleosiddiphosphatkinase (Myokinase; 5. 633), wird ADP zu ATP und AMP umgewandelt. Das ist ein Signal fiir die Aktivierung der Phosphorylase.Das durch die gesteigerte Glycogenolyse entstehende Glucose-1-phosphat wird nach Umwandlung in Glucose-6-phosphat in die anaerobeGlycolyse eingeschleust. Da die hohe NADH-Konzentration jedoch die Glycerinaldehydphosphot-Dehydrogenase (S. 400) hemmt, wird nur etwa ein Viertel der normalen unter aeroben Bedingungen auftretenden Glycolysegeschwindigkeit erreicht. lmmerhin geniigt das, um den Abfall des myokardialen ATP etwas zu verlangsamen, so dass erst nach 30-40 Minuten nur noch 10 % des Normalwertes vorliegen.Sich akkumulierendes AMP wird durch die 5'-Nucleotidase zu Adenosin und spater zu lnosin und Hypoxanthin abgebaut. Wegen des herabgesetzten Blutflusses akkumulieren diese Metabolite ebenso wie das durch die Glycolyse entstehende lactat in der Herzmuskelzelle. Diese Storungen fuhren zu Anderungen der lonenverteilung im Myokard und damit auch zu friihen elektrokardiographischen Veranderungen. Etwa 20 Minuten nach dem Ende der Sauerstoffversorgung beginnen die ersten Cardiomyocyten zugrunde zu gehen, nach 60 Minuten ist ein gro6erTeil von ihnen abgestorben. Bei einem unvollstandigen Verschluss kann sich dieses Ereignis urn einige Stunden verzi)gern. Es kommt dann zu einer Auflosung der Membranstruktur und zum Austritt der in den Cardiomyocyten vorhandenen Makromolekiile, besonders der Enzyme, welche dann diagnostisch im Serum nachgewiesen werden konnen. Durch eine friihzeitig eingeleitete fibrinolytische Therapie (S. 1025) wird versucht, den Gefa6verschluss zu beheben und das hypoxische Gewebe zu reperfundieren. Dies kann dann zu einer Ausheilung des Schadens fiihren, wenn die betroffenen Cardiomyocyten noch nicht irreversibel geschadigt oder abgestorben sind. Allerdings kann es wah rend der Reperfusion zu Ereignisse kommen, die ihrerseits das Ergebnis der Reperfusion infrage stellen konnen. Es kommt rasch zum Ausschwemmen der verschiedenen schadlichen Stoffwechselzwischenprodukte aus dem infarzierten Gewebe. Wegen deszum Teil betrachtlichen Abba us kann es Tage dauern, bisder Adeninnucleotidpool wieder vollstandig durch de novo Synthese aufgefullt und die Kontraktionskraft der Herzmuskelzellen hergestellt ist. Eine der moglichen Ursachen fur weitere Schadigungen ist, dass durch die Oxygenierung wahrend der Reperfusion Sauerstoffradikale entstehen, deren Auswirkungen auf die verschiedenen Strukturen des 420

I

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

Myokards des geschadigten Herzmuskels schwer zu beheben sind.Eine Rei he von Untersuchungen hat jedenfalls Anhaltspunkte dafi.ir gegeben, dass Antioxidantien die Erholungsphase des Myokards verkiirzen konnen. Gelegentlich fuhrt erst eine erfolgreiche Reperfusion zur raschen Entwicklung nekrotischer Stellen im Myokard, dievon einer charakteristischen massiven Zellschwellung und Calciumiiberladung begleitet sind, wobei sich Calcium in Form von Calcium phosphat in den Mitochondrien ablagert. Die Myofibrillen kontrahieren und bilden gro6e Aggregate.

KERNAUSSAGEN Fi.ir jede Zelle ist ihr Glycogenvorrat der wichtigste Energiespeicher, wei! er kurzfristig und auch unter anaeroben Bedingungen mobilisierbar ist.Giycogensynthese und Glycogenolyse werden daher sowohl durch allosterische Mechanismen als auch durch covalente Modifikation der beteiligten Enzyme reguliert: • Das geschwindigkeitsbestimmende Enzym derGiycogenolyse ist die Phosphorylase.In extrahepatischen Geweben wird dieses Enzym durch hohe AMP-Konzentrationen aktiviert und erlaubt deshalb eine gesteigerte Glycogenolyse und damit einen gesteigerten Glucosedurchsatz unter anaeroben Bedingungen.ln allen Geweben wird dariiber hinaus die Glycogenolyse durch cAMP-induzierte kovalente Modifikation von Phosphorylasekinase und Phosphorylase aktiviert.cAMP wird vorallem unter dem Einfluss von Katecholaminen und Glucagon vermehrt gebildet. • Die Glycogensynthase als geschwindigkeitsbestimmendes Enzym derGiycogenbiosynthesewird durch reversible Phosphorylierung/Dephosphorylierung reguliert. Besonders wichtige Proteinkinasen,die die Glycogensynthase phosphorylieren und dann inaktivieren, sind die Proteinkinase Aund dieGiycogensynthasekinase 3. Die letztere wird durch Insulin inaktiviert, wasdiedurch dieses Hormon ausgeloste Stimulierung der Glycogenbiosynthese erklart. .,. Glucose-6-phosphat ist ein wichtiger Aktivator der Glycogensynthese,Giucose ein Inhibitor der Glycogenolyse.

13.6 Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese

13.6.1 lnduktion und Repression von Enzymen der Glycolyse und Gluconeogenese Die Biosynthese von Schli.isselenzymen der . Glycolyse wird durch Insulin und Glucose regullert. In Tabelle 13.5 sind die Enzyme von Glycolyse und Gluconeogenese zusammengestellt, von denen man weiB, dass ihre Biosynthesegeschwindigkeit durch hor-

13 Tabelle 13.5. SchiUsselenzyme der Glycolyse und Gluconeogenese, deren Transkription durch Hormone oder Glucose reguliert wird

Glucodlo,.._

Glymlyse

Enzym

lnduktor

Repressor

Enzym

lnduktor

Repressor

Glucokinase

ln ulin

cAMP

PyruvatCarboxylase

cAMP, Glucocorticoide

lnsulin

Phosphofructokinase

Insulin+ Glucose

cAMP

PEPCarboxykinase

cAMP, Glucocorticoide

In ulin

Fructose-6phosphat-2-Kinase

Insulin+ Glucose Glucocorticoide

cAMP

Fructose-1,6Bisphosphatase

Glucocorticoide cAMP

In ulin

Pyruvatkinase

Insulin + Glucose

cAMP

Glucose-6Phosphata e

Glucocorticoide cAMP

Insulin

monelle oder nutritive Faktoren reguliert wird. Da es sich uberwiegend urn Schliisselenzyme handelt, wird durch Stimulierung bzw. Hemmung der Biosynthese dieser Schlusselenzyme (Induktion bzw. Repression) nicht nur die Menge des betreffenden Enzyms in einer Zelle vermehrt oder vermindert, sondern auch die maximal mogliche Umsatzgeschwindigkeit in Glycolyse bzw. Gluconeogenese. Von besonderer Bedeutung fUr Enzyme der Glycolyse sind Insulin und Glucose. So ist Insulin ein direkter Induktor der Glucokinase, wobei sein Effekt unabhangig von der gleichzeitigen Anwesenheit von Glucose ist (S. 414). Fur weitere Insulin-sensitive Gene der Glycolyse trifft das nicht zu, besonders der Fructose-6-phosphat-2-Kinase (s. u.), der Phosphofructokinase (Fructose-6-phosphat-1-Kinase) sowie der Pyruvatkinase. Bei den genannten Enzymen ist fur die Induktion die gleichzeitige Anwesenheit von Insulin und Glucose notwendig. Aus dieser Tatsache ist die Vorstellung abgeleitet worden, dass die Hauptfunktion des Insulins bei der Induktion von Enzymen der Glykolyse wenigstens in der Leber auf der Induktion der Glucokinase beruht. Liegt dieses Enzym in hohen Konzentrationen vor, kann so vie! Glucose in den Stoffwechsel eingeschleust werden, dass ein noch unbekannter Metabolit der Glucose, der fUr die Induktion der genannten anderen Enzyme der Glykolyse notwendig ist, akkumulierenkann. In der Abb. 13.25 sind die heutigen Kenntnisse tiber die Beziehungen von Insulin bzw. Glucose zur Expression der oben genannten Gene dargestellt: • Der vom Insulin aktivierte Transkriptionsfaktor wird als SREBP-1 c (engl. sterol response element binding protein) bezeichnet. lm Gegensatz zu den anderen Transkriptionsfaktoren der SREBP-Familie (S.613) ist SREBP-1 c nicht vom Cholesterinstoffwechsel abhangig. In der inaktiven Form ist dieser Transkriptionsfaktor ein integrales Membranprotein des endoplasmatischen Reticulums mit einer gro~en zum Cytosol ausgerichteten Domane. Auf noch unbekannte Weise fuhrt die Behandlung von Zellen mit Insulin zu einer Abspaltung dieser Domane, die anschlie~end in den Zellkern transloziert wird und dort als Transkriptionsfaktor, vor allem fUr die Glucokinase dient. Ob SREBP-1 c fUr die Ex-

Adrenal in

Abb. 13.25. Einfluss von Insulin und Glucose auf die Expression der Glycolyseenzyme. Dicke griine Neile bedeuten eine Steigerung der Genexpression. (Einzelheiten s.Text)

pression weiterer Gene eine Rolle spielt, ist noch unklar. • Die anderen in Tabelle 13.5 zusammengestellten Enzyme verfiigen in den Promotoren ihrer Gene tiber eine Enhancer-Sequenz, an die der Transkriptionsfaktor ChREBP (engl. Carbohydrate response element binding protein) bindet. In seiner inaktiven Form liegt der Transkriptionsfaktor im Cytosol vor und ist an zwei spezifischen Serylresten phosphoryliert. Das hierfiir verantwortliche Enzym ist die cAMP-abhangige PKA. Ein noch unbekannter Glucosemetabolit aktiviert vermutlich die Phospho13.6 Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese

421

13 Glucose

proteinphosphatase PP-2 a, was zu einer Dephosphorylierung des CHREBP und zur Translokation in den Zellkern flihrt. Der aktivierte CHREBP gehort in die Familie der Leucin-Zipper-Transkriptionsfaktoren (S.261).

£+(

Insulin

Glc-6-P

H

Neben seiner aktivierenden Wirkung auf die Induktion von Enzymen der Glykolyse hat Insulin einen stark reprimierenden Effekt auf Enzyme der Gluconeogenese. Das betrifft vor allem die PEP-Carboxykinase, die Pyruvatcarboxylase, die Fructose-1,6Bisphosphatase und die Glucose-6-Phosphatase. Uber den molekularen Mechanismus der Insulinwirkung auf die Transkription der genannten Gene ist noch wenig bekannt.

cAMP

cAMP

Die durch Insulin bzw. Glucose/Insulin reprimierten Gene von Enzymen der Gluconeogenese werden durch Glucagon oder Katecholamine induziert. Der molekulare Mechanism us zur Erklarung dieses Befun des ist besonders gut an den Genen fur Pyruvatkinase sowie PEP-Carboxykinase gezeigt worden. Beide werden durch cAMP reguliert, die Pyruvatkinase wird reprimiert, die PEP-Carboxykinase dagegen induziert. In ihrer Promotorregion findet sich ein cAMP-Response-Element, das auch als CRE bezeichnet wird. Das zugehorige Bindungsprotein CREB hat eine LeucinZipper-Struktur. Es wird durch die cAMP-abhiingige Proteinkinase phosphoryliert und damit aktiviert. Fur die Inaktivierung ist eine Dephosphorylierung durch die Phosphoprotein-Phosphatasen PP-lA bzw. PP-2Al verantwortlich. Fur die Enzyme der Gluconeogenese sind Glucocorticoide weitere wichtige Induktoren. Die Pyruvatcarboxylase, PEP-Carboxykinase, Fructose-1,6-Bisphosphatase und Glucose-6-Phosphatase enthalten ein Glucocorticoid-Response-Element, das durch den Glucocorticoid-Rezeptor (S. 795) aktiviert wird und die gesteigerte Transkription der entsprechenden Gene vermittelt. Eine groGe Zahl weiterer Untersuchungen hat gezeigt, dass die Schliisselenzyme von Glycolyse und Gluconeogenese nicht nur durch Insulin, cAMP und Glucocorticoide, sondern durch weitere Hormone und Vitamine reguliert werden. Es ist demnach klar, dass der Aufbau ihrer Promotorstruktur sehr komplex sein muss. Das wird in Abb. 13.26 am Beispiel

Jr

\_

~~

PEP

+

Oxalacetat

cAMP

Abb. 13.27. Koordinierte transkriptionelle Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese durch Insulin, Glucose und cAMP. Die durch Insulin reprimierten und durch cAMP induzierten Enzyme sind griin hervorgehoben, die durch Insulin oder Insulin und Glucose induzierten und durch cAMP reprimierten orange. (Einzelheiten s. Text)

der Promotorstruktur des PEP-Carboxykinasegens demonstriert. Dieser Promotor ist weitgehend charakterisiert worden. Er enthalt zahlreiche Elemente, an die allgemeine, aber auch Liganden-aktivierte Transkriptionsfaktoren binden konnen. Die aktuelle Transkriptionsrate dieses Gens ergibt sich damit aus dem komplexen Zusammenspiel der einzelnen den Promotor aktivierenden bzw. inhibierenden Faktoren. Ungeachtet der Komplexitat der Regulation einzelner fUr Glykolyse bzw. Gluconeogenese verantwortlicher Enzyme ergibt sich doch ein Bild, das auf eine koordinierte transkriptionelle Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese durch Insulin, Glucose und cAMP schlieGen lasst ( Abb. 13.27). Insulin stimuliert die Expression der Gene fur die Schliisselenzyme der Glycolyse und hemmt die der Gene fUr die Gluconeogenese. cAMP ist dagegen ein Antagonist des Insulins, da im allgemeinen Insulin-stimulierte Gene durch cAMP reprimiert, Insulin-reprimierte dagegen durch cAMP induziert werden.

TRE PEP · CK-Sequenz -4800

-500

-400

-300

-200

-100

bp

Abb. 13.26. Aufbau des PEP-Carboxykinase-Promotors.Oberhalb derTATA-Boxfinden sich eine Rei he von Elementen,die,zum Teil Oberlappend,die Regulierbarkeit durch Hormone und Vita mine gewahrleisten. CRE cAMP-Response-Element; GRE Glucocorticoid-Response-Element; TRETrResponse-Eiement 422

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

13 13.6.21 Allosterische Regulation von Schli.isselenzymen der Glycolyse Wie in der Abb. 13.28 zu sehen ist, werden au6er den auf S. 413 ff. besprochenen Enzymen fiir die Bildung und den Abbau von Glucose-6-phosphat viele Schliisselenzyme von Glycolyse und Gluconeogenese allosterisch reguliert.

! Die Phosphofructokinase-1 ist ein Sensor fiir den energetischen Zustand der Zelle.

Das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Glycolyse in allen Geweben ist die Phosphofructokinase-! (PFK1). Dieses Enzym unterliegt den allosterischen Regulationen, durch die in Tabelle 13.6 zusammengestellten Faktoren. Durch diese wird sichergestellt, dass bei hohen Konzentrationen von der Glycolyse nachgeschalteten Metaboliten (z. B. Citrat) bzw. bei hoher ATP-Konzentration der Substratdurchfluss durch die Glycolyse gebremst wird. Beim Anstau der oberhalb der Phosphofructokinase gelegenen Glycolysemetaboliten oder aber bei hohen Konzentrationen von ADP und AMP setzt dagegen eine Aktivierung des Flusses durch die Glycolyse ein.

Glucose

GKRP Glc-6-P

Fru-6-P

AMP

Citrat, ATP

PEP " \ Oxalacetat

+ Fru-1,6-P2

~ T Pyr

Acetyl..(oA

Alanin

Acetyi-CoA

Abb. 13.28. Allosterische Regulation von Schlusselenzymen von Glycolyse und Gluconeogenese. Aktivatoren der Glycolyse und der Gluconeogenese sind rot, lnhibitoren der Gluconeogenese und der Glycolyse griin hervorgehoben. (Einzelheiten s.Text)

Tabelle 13.6. Allosterische Aktivatoren und lnhibitoren der Phosphofructokinase (PFK-1)

ATP

ADP,AMP

Cit rat

Fructose-6-phospbat Fructose-2,6-bi phosphat

Von besonderer Bedeutung ist diese Art der Regulation der Glycolyse fUr den von Louis Pasteur erstmalig beschriebenen und nach ihm benannten sogenannten Pasteur-Effekt. Wie urspriinglich an der Hefe beobachtet, zeigen viele Gewebe beim Obergang von Normoxie zu Hypoxie/ Anoxie eine deutliche Zunahme der Glycolyse. Das ist auf die durch den Sauerstoffmangel ausgeloste Zunahme der AMP-Konzentration und die damit einhergehende Aktivierung der PFK-1 zuriickzufiihren. Fiir das Oberleben von Geweben bei Sauerstoffmangel, z. B. bei Blutgefa6verschliissen, ist dieser Mechanismus von besonderer Bedeutung (s. Info box).

Fructose-2,6-bisphosphat ist ein allosterischer Aktivator der PFK-1, der fUr die hormonelle Regulation der Glycolyse verantwortlich ist. Es ist nicht moglich, unter physiologischen Bedingungen die Regulation der Phosphofructokinase und damit der Glycolyse mit Konzentrationsanderungen von ATP, Citrat, Fructose-6-phosphat und ADP bzw. AMP zu erklaren. In der Leber wird beispielsweise unter Zugrundelegung der bekannten Konzentrationen der Adeninnucleotide und des Citrats eigentlich nie eine Konstellation erreicht, bei der die Phosphofructokinase aktiv ist. Dies weist auf das Vorhandensein eines weiteren allosterischen Aktivators des Enzyms hin. Es handelt sich urn das 1980 von Henry-Geri Hers entdeckte Fructose-2,6-bisphosphat ( Abb. 13.29). Liegt es in hoher Konzentration vor, wird wegen seiner aktivierenden Wirkung auf die PFK-1 der Substratdurchsatz der Glycolyse beschleunigt. Die Abb. 13.30 zeigt die Mechanismen fiir die Biosynthese und den Abbau von Fructose-2,6-bisphosphat, das mit Hilfe der Fructose-6-phosphat-2-Kinase (s. o.) aus Fructose-6-phosphat entsteht, wobei der Phosphatrest tiber ATP eingefiihrt wird. Der Abbau des Fructose-2,6-bisphosphats erfolgt durch eine hydrolytische Phosphatabspaltung, wobei wieder Fructose-6phosphat entsteht. Katalysiert wird diese Reaktion durch die Fructose-2,6-Bisphosphatase. Da die Geschwindigkeit der Glycolyse in vielen Geweben proportional der Konzentration an Fructose2,6-bisphosphat ist, muss die enzymkatalysierte Geschwindigkeit der Bildung und/oder des Abbaus dieser Verbindung reguliert werden. Die genaue Untersuchung dieses Vorgangs hat gezeigt, dass die Fructose-6phosphat-2-Kinase sowie die Fructose-2,6-Bisphosphatase in Wirklichkeit ein und dasselbe Enzym sind ( Abb. 13.31), welches auch als PFKFBP bezeichnet 13.6 Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese

423

13 Glc Insulin

Glc-6-P

H --·

PICJ/ PEP

Acetyl-(oA /

0

A + ____ glucogene Amino~uren

~

Fru-6-P

AOP

f.::\ c.\

~~

~0

OH Fru-2,6-P2

Abb. 13.30. Bildung und Abbau von Fructose-2,6-bisphosphat. Man beachte, dass es sich bei der Fructose-6-phosphat-2-Kinase sowie der Fructose-2,6-Bisphosphatase urn dasselbe Enzymprotein handelt, dessen katalytische Eigenschaften durch covalente Modifizierung geandert werden (s.auch Abb.13.31)

wird. Es gibt gewebsspezifisch exprimierte Isoformen des Enzyms. Unter Einwirkung der cAMP-abhiingigen Proteinkinase kann dieses Enzym an einem Serylrest phosphoryliert werden. Das hat unterschiedliche Folgen fiir die jeweiligen Enzyme aus der Leber und dem Herzmuskel: 424

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

Frc-6-P

1 Phosphoproteinphosphatase

Abb. 13.29. Bedeutung von Fructose-2,6-bisphosphat fUr die Regulation von Glycolyse und Gluconeogenese in der Leber. Fructose-2,6-bisphosphat ist der wirksamste allosterische Aktivator der Phosphofructokinase und gleichzeitig ein Inhibitor der Fructose-1,6-Bisphosphatase.Jede Aktivierung der Phosphofructokinase fUhrt zu einer Konzentrationszunahme von Fructose-1 ,6-bisphosphat. Dieses Glycolyseintermediat ist ein allosterischer Aktivator der Pyruvatkinase

ATP

l

Fru-6-P

H H

I

jif

Proteinkinase

~~

lac - -- - - • ._. Pyr

Glucagon KateAbb. 13.34 a). Die zugrunde liegenden Reaktionen sind aus der Lebensmittelchemie als Maillard-Reaktion bekannt. Unter diesem Begriff werden nichtenzymatische Braunungsreaktionen von Lebensmitteln bezeichnet, die auf Reaktionen zwischen Aminen und Carbonylgruppen beruhen. Die Bildung der AGE wird mit einer Reihe physiologischer aber auch pathophysiologischer Vorgange inVerbindung gebracht. So nimmt man an, dass sie etwas mit den physiologischen Alterungsvorgangen zu tun haben. Jedenfalls nimmt mit zunehmendem Alter die Menge an AGE im Bindegewebe linear zu, wie in Abb. 13.34 banhand des Pentosidinspiegels im Kollagen der Dura mater, aber auch in der Haut und in den Nieren des Menschen nachgewiesen wurde.AGE fin den sich in endothelialen Proteinen, Linsenkristallinen (Proteine der Augenlinse), Hautkollagenen und treten bei Patienten mit Diabetes mellitus gehauft auf. Auf Makrophagen und Endothelzellen sind in letzter Zeit spezifische Rezeptoren fiir AGE gefunden worden, die als RAGE (engl. Rezeptors for AGE) bezeichnet werden und zur Superfamilie der Immunglobuline gehOren. Sie sind moglicherweise fiir Reaktionen verantwortlich, die zuArteriosklerose und anderen GefaBveranderungen fiihren.

I

Amadori-Umlagerung

Abb. 13.33. Mechanismus der nicht-enzymatischen Glykierung von Proteinen. Die Carbonylgruppe von Aldosen, besonders von Glucose, reagiert reversibel mit Aminogruppen in Proteinen. Die dabei entstehenden SchiffBasen erfahren eine Amadori-Umlagerung, fOr deren Spaltung keine Enzyme vorliegen

hangenden Halbwertszeit in besonderem Umfang glykiert werden. Tatsachlich liegen beim Gesunden etwa 4-7 o/o des Hamoglobins in glykierter Form, d. h. als Hb A 1 , vor. Bei Patienten mit Hyperglykamien, z. B. einem Diabetes mellitus, steigt die Konzentration des glykierten Hamoglobins an. Infolge der groBen Halbwertszeit des Hamoglobins erlaubt die Bestimmung des glykierten Hamoglobins bei Diabetikern eine Abschatzung der qualitativen Diabeteseinstellung wahrend der vergangenen Wochen. AuBer dem Hamoglobin werden eine Reihe weiterer Proteine glykiert. Sie finden sich entweder in der extrazelluHiren Fliissigkeit oder in Geweben mit hoher intrazelluHirer Konzentration von Glucose sowie anderen Aldosen. Glykierte Anteile lassen sich im Albumin, in den Apoproteinen der LDL, im Kollagen, Myelin, in Basalmembran-Proteinen, in Linsenproteinen und in Proteinen der Erythrocytenmembran nachweisen. Sehr haufig gehen mit der Proteinglykierung Anderungen der Proteinstruktur, der Halbwertszeit oder auch der Funktion einher.

13.7.21 Angeborene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels Angeborene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels betreffen Enzymdefekte, die bei homozygoten Tragern zu schweren, meist lebensbedrohlichen und lebensverkiirzenden Erkrankungen fiihren. Prinzipiell konnen derartige Defekte natiirlich jedes Enzym der beschriebenen Wege des Kohlenhydratstoffwechsels betreffen. In Tabelle 13.8 ist eine Aus-

Pentosidin

N~A~I'I' NH

'~/

/ [CH~l

NH~~ H

oo

)

a

I [CHzlc

I

I

C

250

~/

CH

/

N

c "' "'

c ..

:t;~

·~:.:::

"'

428

13 Stoffwechsel von Glucose und Glycogen

150

B"' cE

~~

~~ 100 E

' oo

E:

50 0

C

Abb. 13.34 a, b. Bildung von advanced glycosylation end products (AGE). a Durch Maillard-Reaktionen erfahren die als Ketoamine gebundenen Zuckerreste auf Proteinen komplizierte Umlagerungen, die zu den dargestellten Endprodukten fOhren und teilweise mit Quervernetzungen ein-

200

0 b

20

40 60 Alter (Jahre]

80

100

hergehen, z. B. durch Pentosidin (rot hervorgehoben). b Zunahme der Pentodisinmenge im Kollagen menschlicher Dura mater in Abhangigkeit vom Lebensalter. (Abbildung freundlicherweise zur VerfOgung gestellt von VM Monnier, Cleveland)

13 Tabelle 13.8 Angeborene Storungen des Kohlenhydratstoffwechsels (Auswahl)

Hypoglykamien,Leberfunktionsstorun g, Leberzirrhose,geistige Retardierung Galactosamie,Katarakte

selten I: 130000

I :55000

Fructo eintoleranz

AldolaseB

Hypoglykamien, Leberzirrhose

Glycogenose Typ I

Glucose-6-Phosphatase

Hypoglykiimie, LebervergroBerung

Glycogenose Typ HJ

Amylo-1,6-Giucosidase

Hypoglykiimie, LebervergroBerung, Mu kel chwache

selten

Glycogenose Typ Vl

Leberphosphorylase

Hypoglykiimie, LebervergroBerung

selten

Angeborene hamolyti che Anamie

Pyruvatkinase

Beschleunigter Abbau von Erythrocyten

selten

wahl der haufigeren angeborenen StOrungen des Kohlenhydratstoffwechsels zusammengestellt. Wie man sieht, handelt es sich urn seltene Erkrankungen. Dber diese genannten Defekte hinaus sind in EinzeWillen Defekte von Enzymen der Gluconeogenese, des Glucuronsaurestoffwechsels, des Pentosephosphatweges und der Enzyme fUr die Biosynthese von Glycoproteinen beschrieben worden. Etwas haufiger sind lysosomale Defekte, die den Abbau von Proteoglykanen, Glycoproteinen und Glycolipiden betreffen und an anderer Stelle beschrieben sind. Von den in Tabelle 13.8 beschriebenen Erkrankungen ist der angeborene Defekt der Galactose-1phosphat-Uridyltransferase mit einer Inzidenz von 1 :55 000 der haufigste. Die Erkrankung flihrt zu Storungen der Gluconeogenese, damit zu Hypoglykamien und LeberfunktionsstOrungen (S. 587). AuBerdem tritt eine geistige Retardierung auf, deren Ursache noch nicht bekannt ist. Wesentlich seltener ist die Fructoseintoleranz mit einer Inzidenz von 1: 130 000. Die Pathobiochemie dieser Erkrankung ist auf S. 590 beschrieben. Bis heute sind insgesamt 12 Defekte im Glycogenstoffwechsel beschrieben worden. Sie betreffen immer einzelne Enzyme von Glycogenbiosynthese, Glycogenabbau oder Regulation des Glycogenstoffwechsels. Generell handelt es sich urn auBerordentlich seltene Erkrankungen. In der Tabelle 13.8 sind die drei haufigsten genannt. Bei der Glycogenose Typ I liegt ein Defekt der Glucose-6-Phosphatase vor, der dazu fiihrt, dass die Leber nicht mehr zur Glucosefreisetzung aus Glucose-6-phosphat imstande ist. Da dies zu einem Anstau von Glucose-1-phosphat fiihrt, ergibt sich eine Hemmung der Glycogenphosphorylase und damit eine Storungen des Abbaus von Glycogen. Die Patienten leiden an einer LebervergroBerung und Hypoglykamien. Die Glycogenosen Typ III und Typ VI betreffen Enzyme des Glycogenabbaus. Auch sie sind durch Hypoglykamien und LebervergroBerung gekennzeichnet. Die haufigste Ursache einer angeborenen hiimolytischen Aniimie (S. 988) ist ein Defekt der Pyruvatkinase der Erythrocyten. Meist ist bei den Patienten die Aktivitat des Enzyms auf etwa 20% der Norm reduziert. Die Vorstufen der Erythrocyten entwickeln sich normal, da ihr Energiebedarf mit der geringen Aktivitat

ellen

der Pyruvatkinase gedeckt werden kann und sie tiber intakte Mitochondrien verfiigen. Nach Verlust der Mitochondrien bei den reifen Erythrocyten reicht die Pyruvatkinaseaktivitat jedoch nicht mehr aus, urn durch die jetzt notwendige anaerobe Glycolyse geniigend ATP fUr die Aufrechterhaltung der Erythrocytenfunktion synthetisieren. Aus diesem Grunde kommt es zum vorzeitigen Altern der Erythrocyten und zu ihrer Lyse.

KERNAUSSAGEN Storungen des GlucosestoffweAbb. 14.3 stellt die Funktionsweise und die Lokalisation der Lipoproteinlipase dar. In der Leber kommt auGer der Lipoproteinlipase ein weiteres Enzym ahnlicher Funktion vor, die sog. hepatische Lipase.

Fettsauren gelangen mit Hilfe spezifischer Transportproteine durch die Membran. In der extrazellularen Fliissigkeit liegen Fettsauren zum allergroGten Teil als Komplexe mit Albumin vor. Analysiert man die Kinetik ihrer Aufnahme in die Zellen verschiedenster Gewebe, so lasst sich neb en der Diffusion durch die Lipiddoppelschicht eine weitere, Carrier-vermittelte Komponente nachweisen. Dies hat zur Entdeckung einer Proteinfamilie von bis jetzt sechs Mitgliedern gefiihrt, die als FATP 1-6 (engl. FATP, fatty acid transport protein) bezeichnet werden. Ahnlich wie die Glucosetransport-Proteine GLUTl - GLUTS sind auch die FATP-Isoformen gewebsspezifisch verteilt. FATP's sind auGer bei Saugern auch bei Invertebraten wie Caenorhabditis elegans, Drosophila oder der Hefe nachge-

-c. '21 11

NAD

Abb. 14.2. Einschleusung von Glycerin in den Glucosestoffwechsel 436

der Triacylglycerin-Resorption der Nahrungslipide (S.1093) bzw. aus der Triacylglycerin-Synthese der Leber (S. 559, 437). Im Serum werden sie in Form von Triacylglycerin-reichen Lipoproteinen, v. a. Chylomikronen und VLDL (S. 616), transportiert und miissen von vielen Geweben, v. a. dem Fettgewebe, dem Skelettmuskel und dem Herzmuskel als Substrate zur Deckung des Energiebedarfs oder als Energiespeicher aufgenommen werden. Da Triacylglycerine generell nicht oder nur in geringem Umfang von Zellen aufgenommen werden konnen, ist deren vorherige Spaltung durch die Lipoproteinlipase notwendig. Dieses Enzym zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: .,. Die Lipoproteinlipase ist eine Lipase breiter Spezifitat, die die Triacylglycerine in Lipoproteinen zu Fettsauren und Glycerin spalten kann. .,. Die Lipoproteinlipase wird iiberwiegend von Fettgewebe und Skelettmuskulatur synthetisiert und von diesen Geweben sezerniert. .,. Die Lipoproteinlipase erlangt ihre Aktivitat nach Dimerisierung und Bindung an Heparansulfat-Proteoglykane (S. 31) auf der AuGenseite der Plasmamembran vieler Zellen, besonders der Endothelzellen der Blutkapillaren.

NADH/W

o- pa-J

HC- OH

J) -

I

~c,

07 Dihydroxyacetonphosphat

H

Glycerinaldehyd-3-phosphat

14

Upoprotein

H.zO

Glycerin

NI/V\IV'I/VV"- coo

Acyi.CoA Endothel

Plasmamembran

wiesen worden. Uberexperession dieser Proteine in den jeweiligen Zellen ftihrt zu einer Steigerung der Fettsaureaufnahme. Abb.14.3 zeigt ein hypothetisches Schema des Mechanismus der Fettsaureaufnahme. Es zeichnet sich durch folgende Komponenten aus: ~ Ein Teil der Fettsauren passiert die Plasmamembran durch freie Diffusion. ~ In manchen Geweben erfolgt eine Konzentration von Fettsauren durch Bindung an das Membranprotein CD 36, einem Rezeptor, der eine Vielzahl von Strukturen wie modifiziertes LDL, Kollagen, mit Malaria infizierte Erythrocyten u. a. bin den kann. ~ Fi.ir den Carrier-vermittelten Transport sind die FATP-Proteine verantwortlich, obwohl i.iber den Transportmechanismus noch nichts bekannt ist. ~ Intrazellular werden die Fettsauren durch die AcylCoA-Thiokinase (langkettige Acyl-GoA-Synthetase, LACS) in Acyl-CoA umgewandelt (S. 439) und als solche aus dem Diffusionsgleichgewicht gezogen.

14.1.41 Triacylglycerin-Biosynthese Zur Biosynthese von Triacylglycerinen mi.issen zunachst sowohl die Fettsauren als auch das Glycerin in ATP-abhangigen Reaktionen aktiviert werden. Fiir das Glycerin stehen hierfi.ir zwei Stoffwechselwege zur Verfiigung. a -Glycerophosphat kann durch Reduktion von

Abb. 14.3. Lipoproteinlipase und - - - - . . . , die Aufnahme von Fettsauren durch - - - - - ' die Plasmamembran. TGTriacylglycerin

Dihydroxyacetonphosphat mit der a-GlycerophosphatDehydrogenase gewonnen werden. Seine Verfiigbarkeit steht damit in direkter Verbindung zum Glucoseabbau in der Glycolyse (S. 396ff.). In den meisten Geweben wird a-Glycerophosphat auf diese Weise gewonnen. Die Leber, die Niere, die Darmmucosa sowie die laktierende Milchdriise verfiigen als Alternativweg zur aGlycerophosphat-Synthese aus Dihydroxyacetonphosphat tiber die Moglichkeit, Glycerin durch direkte ATPabhangige Phosphorylierung in a -Glycerophosphat umzuwandeln. Sie sind hierzu mit einer entsprechend hohen Aktivitat des Enzyms Glycerokinase ausgestattet. Die fiir die Triacylglycerin-Biosynthese verwendeten Fettsauren miissen mit Hilfe der auf S. 439 beschriebenen ATP-abhangigen Acyl-CoA-Synthetase in Acyl-CoA umgewandelt werden. Im ersten Schritt der Biosynthese von Triacylglycerinen ( Abb. 14.4) katalysiert das Enzym Glycerophosphat-Acyltransferase die Verkniipfung von zwei Molekiilen Acyl-CoA mit a -Glycerophosphat zu einem zweifach acylierten Glycerophosphat, der Phosphatidsiiure. Die Acyltransferase zeigt nur eine geringe Kettenlangenspezifitat, obgleich sie ihre hochsten Umsatzraten fur Fettsauren mit einer Kettenlange von 16- 18 C-Atom en besitzt. Aus der Phosphatidsaure wird durch eine Phosphatase, die Phosphatidat Phosphohydrolase, ein a, {3- Diacylglycerin gebildet. Durch eine Diacylglycerin-Acyltransferase wird nun durch Anheftung eines 14.1 Stoffwechsel der Triacylglycerine

437

14 dritten Acyl-CoA die Bildung des fertigen Triacylglycerins vervollstandigt. Die hOchsten Aktivitaten der AcylCoA-Glycerin-3-phosphat-Acyltransferase sowie der Diacylglycerin-Acyltransferase befinden sich im endoplasmatischen Reticulum. Die ersten Schritte der Triacylglycerin-Biosynthese sind mit denen der Phospholipidbiosynthese (S. 601) identisch. Wie aus Abb.l4.4 hervorgeht, ist der Verzweigungspunkt der beiden Stoffwechselwege das Diacylglycerin. Infolge dessen ist die Diacylglycerin-Acyltransferase das fur die Triacylglycerinbiosynthese spezifische Enzym.

H2C OH I HC - OH I

C -S-CoA

2

t--

a -+81 +18

Stearin aure

' b

-2

Ober die ATP-Ausbeute bei der oxidativen Phosphorylierung s. 5.542. Energiereiche Phosphate alsGTP fixiert durch Substratkettenphosphorylierung. 14.2 Stoffwechsel der Fettsauren

443

14 CH3-

II II C- CH2- C- S- CoA

L--

1'--

CH3

0

0

I

Acetacetyi..CoA

CH3 - g - S-CoA;H20 Acetyl- Abb. 14.22 zeigt die einzelnen Schritte der Biosyn-

these von Prostanoiden: • Durch die Wirkung einer Phospholipase A 2 werden aus Membranphospholipiden die in dieser Position typischerweise lokalisierten ungesattigten Fettsauren freigesetzt. Fiir die Prostanoidsynthese kommt hiervon im Wesentlichen Arachidonat infrage. t> In einer sauerstoffabhangigen Reaktion entsteht unter Katalyse der Prostaglandin H-Synthase (PGHS) das Prostaglandin H2 (PGH 2) als Muttersubstanz der Prostaglandine (PG) 12, E2 und F2 sowie des Thromboxans A2 (aus Eikosatriensaure entstehen die Prostaglandine der Serie I (PGJ), Eikosapentaensaure diejenigen der Serie 3 (PG3)). • Es gibt zwei Isoformen der Prostaglandin H-Synthase, die als PGHS-1 und PGHS-2 bezeichnet werden. t> Beide PGHS-Isoformen enthalten eine Cyclooxygenase- sowie eine Peroxidaseaktivitiit. Die erstere ist fur die Umwandlung von Arachidonsaure zu Prostaglandin G2 verantwortlich, die letztere fiir die anschlieBende Reduktion der 15-Hydroperoxylgruppe des Prostaglandins G2 zur 15-Hydroxylgruppe des Prostaglandins H2 • • PGSH -1 wird konstitutiv in vielen Zellen exprimiert, PGSH-2 unterliegt dagegen einer vielfaltigen Regulation. Als allgemeine Regel gilt, dass seine Aktivitat durch Wachstumsfaktoren und Entziindungsmediatoren wie Interleukin-1 oder TNFa induziert wird. Dagegen reprimieren Glucocorticoide und antiinflamatorische Zytokine die PGHS-2-Expression.

l

OH HO

OH Abb. 14.22. Biosynthese der Prostaglandine und Thromboxane aus Arachidonat. Durch eine Phospholipase A2 wird Arachidonat aus Phospholipiden abgespalten. Eine Cyclooxygenase fiihrt zum Prostaglandin H2 als Muttersubstanz der weiteren Prostaglandine. Durch die Lipoxygenase entsteht 5-Hydroperoxyeikosatetraenoat (5-HPTE), von dem die Leukotriene abstammen

Prostaglandine und Thromboxane haben vielfaltige Wirkungen als Signalmolekiile. Die Gewebsverteilung der PGSH sowie der Prostaglandin-Synthasen, die an der Biosynthese der einzelnen weiteren Prostaglandine beteiligt sind, zeigt, dass nahezu aile Gewebe zur Prostaglandinbiosynthese befahigt sind. Allerdings haben die sezernierten Prosta14.2 Stoffwechsel der Fettsauren

451

14 Tabelle 14.3. Oberblick iiber die biologischen Effekte von Prostaglandinen und Thromboxanen COX Cylooxigenase

Prostaglandin E2

Bronchodilatation,Vasodilatation, Hemmungder Cl--Sekretion im Magen,Antilipolyse im Fettgewebe, Erzeugung von Fieber, Entzilndungsreaktion, Entziindungsschmerz, Aktivierung von Osteoklasten

Prostaglandin Dz

Bronchokonstriktion,Schlaferzeugung

Prostaglandin F2a

Bronchokonstriktion, Vasokonstriktion, Konstriktion der glatten Muskulatur

Tbromboxan Az

Broncbokonstriktion, Vasokonstriktioo, Pliittchenaggregatioo

Prostaglandin lz (Prostacyclin)

Vasodilation, Zunahme der GeraBpermeabilitat, Hemmung der Pliittchenaggregation, Entzllndungsreaktion

glandine Halbwertszeiten zwischen einigen Sekunden und wenigen Minuten. Man geht infolge dessen davon aus, dass sie im wesentlichen para- bzw. autokrin wirken und damit eine Funktion als Gewebshormone haben. Ihr Wirkungsprofil hangt dabei entscheidend davon ab, welche Prostaglandinrezeptoren (s. u.) in der unmittelbaren Nachbarschaft der Prostaglandin-synthetisierenden Zellen exprimiert werden. Prostaglandineffekte sind auBerordentlich vielfaltig und schwer unter dem Aspekt eines einheitlichen Wirkungsmechanismus zu verstehen ( Tabelle 14.3) .,. Prostaglandin D2 fiihrt zu einer Bronchokonstriktion und ist, wie andere Prostaglandine auch, mit der Entstehung von Asthma bronchiale in Verbindung gebracht worden. .,. In vielen, allerdings nicht allen bis jetzt untersuchten Geweben fiihrt Prostaglandin E2 zu einer Zunahme des cAMP-Gehaltes, was z. B. eine Relaxierung der glatten Muskulatur hervorruft (S. 857). Dies zeigt sich besonders deutlich an der Uterusmuskulatur, an einer allgemeinen Vasodilatation sowie einer Erweiterung des Bronchialsystems. Im Magen hat Prostaglandin E2 einen cytoprotektiven Effekt, da es die HCl-Sekretion hemmt. Am Fettgewebe ist Prostaglandin E2 nach Insulin die am starksten wirksame antilipolytische Verbindung, da es hier eine Senkung des cAMP-Spiegels auslOst. .,. Prostaglandin F2a hat in vielen Aspekten einen zum Prostaglandin E2 antagonistischen Effekt. So fiihrt es zu einer Bronchokonstriktion und Vasokonstriktion sowie zu einer auch klinisch ausgeniitzten Kontraktion der Uterusmuskulatur. .,. Von besonderem Interesse sind die Beziehungen zwischen dem Prostaglandin 12 und Thromboxan A. Das letztere entsteht bevorzugt in Blutplattchen aus Prostaglandin H2• Es induziert die Plattchenaggregation sowie die damit verbundene Freisetzungsreaktion (S.1017) und spielt somit eine wichtige Rolle bei der Blutstillung. Seine Wirkung wird tiber einen Abfall der cAMP-Konzentration in Thrombocyten vermittelt. Ein Thromboxanantagonist ist das Prostaglandin 12 oder Prostacyclin, das in GefaBendothelzellen aus Prostaglandin F2a entsteht. Es ist ein 452

14 Stoffwechsel von Triacylglycerinen und Fettsauren

Aktivator der Adenylatcyclase in vielen Geweben und damit auch in Blutplattchen und hemmt somit die Plattchenaggregation. Storungen im Verhaltnis von Thromboxan A2 und Prostaglandin 12 scheinen bei einer Reihe von pathologischen Zustanden eine wichtige Rolle zu spielen. So findet sich bei Diabetes mellitus mit GefaBkomplikationen eine Hemmung der Prostaglandin 12-Bildung und eine Steigerung der Thromboxanbiosynthese. Auch fiir die Entstehung der Arteriosklerose wird eine Sti:irung des Gleichgewichts zwischen Thromboxanen und Prostaglandin 12 verantwortlich gemacht. Auf jeden Fall muss angenommen werden, dass das arteriosklerotisch geschadigte GefaBendothel eine verringerte Kapazitat zur Prostaglandin 12-Synthese hat, weswegen allein schon die Plattchen-aggregierende Wirkung der Thromboxane iiberwiegt. Dies ist die Basis fiir die durch zahlreiche Studien bekraftigte Therapie der Coronarsklerose mit Hemmstoffen der Cyclooxygenase (s. u.). In Tabelle 14.4 sind die bis heute bekannten Prostaglandinrezeptoren zusammengefasst. Es handelt Tabelle 14.4. Rezeptoren fiir Prostaglandine

PGD2

Anstieg von cAMP

Ileum

PGE2 Subtyp EP 1

Zunahme von IP3

Nieren

Subtyp EP2

Zunahme von cAMP

Thymus, Lunge, Myokard, Milz, Ileum, Uterus

SubtypEP3

Abfall von cAMP

Fettgewebe, Magen, Niereo, Uterus

PGF24

Zunahme von IP3

Niereo, Uteru

Thromboxan A2

Abfall von cAMP

Thrombocyten, Thymus, Lunge, Nieren, Myokard

Prostaglandin 12

Zunahme von cAMP

Tbrombocyten, Thymus, Myokard,

Milz

14 sich in jedem Faile urn Rezeptoren mit sieben Transmembrandomanen, die an groBe, heterotrimere G-Proteine gekoppelt sind (S. 799). Sie fiihren je nach Typ zu einer Stimulierung bzw. Hemmung der Adenylatcyclase mit entsprechenden Veranderungen der cAMP-Konzentration oder beeinflussen die zelluHire Calciumkonzentration iiber den Phosphatidylinositol-Zyklus (S. 803). Prostaglandine sind eine vielfaltige Gruppe von Gewebshormonen, die von sehr vielen Zellen synthetisiert werden konnen. Allerdings zeigen verschiedene Zellen eine gewisse Gewebsspezifitat beziiglich der Synthese spezifischer Prostaglandine und, was noch wichtiger ist, beziiglich der Verteilung der Prostaglandinrezeptoren. Hier zeichnet sich ein besonders fein differenziertes Bild ab. So konnte durch in situHybridisierung gezeigt werden, dass in der Niere der Subtyp EP 3 der Prostaglandin-E-Rezeptoren vornehmlich in den medullaren Tubulusepithelien lokalisiert ist, der Subtyp EP 1 in den Sammelrohren der P apille, der Subtyp EP 2 in den Glomeruli. Man nimmt an, dass diese Verteilung die durch Prostaglandin E2 ermittelten Regulationen von Ionentransport, Wasserreabsorption und glomerularer Filtrationsrate ermoglicht. Bei der Analyse der Prostaglandin Ez-Rezeptoren des Nervensystems hat sich gezeigt, dass der Subtyp EP 3 des Prostaglandin E-Rezeptors in kleinen Neuronen der Ganglien der dorsalen Wurzel besonders hoch exprimiert ist. Man spekuliert, dass sich hierin die durch Prostaglandin E2 vermittelte Hyperalgesie widerspiegelt.

! FOr die Erzeugung von leukotrienen

aus Arachidonsaure sind Lipoxygenasen verantwortlich.

Eine alternative Modifikation der Arachidonsaure wird durch Lipoxygenasen erzeugt. Die 5-Lipoxygenase fiihrt zur Bildung einer Hydroperoxydstruktur am CAtom 5 der Arachidonsaure, aus der durch Umlagerung der Doppelbindungen e ine Verbindung mit drei konjugierten Doppelbindungen, das Leukotrien A 4 entsteht. Dieses ist der Ausgangspunkt fiir die Biosynthese der anderen Leukotriene (® Abb. 14.23). Hierbei entsteht das Leukotrien C4 durch Anheftung von Glutathion (S.l79) iiber eine Thioetherbriicke. Durch schrittweise Abtrennung von Glutamat und Glycin entstehen aus dem Leukotrien C4 die Leukotriene D4 und E4• AuBer der 5-Lipoxygenase ist in verschiedenen Geweben eine 12- bzw. 15-Lipoxygenase nachgewiesen worden. Sie ist fiir die Bildung von 12- bzw. 15-Hydroperoxyeik.osatetraen-Sauren (12-, 15-HPETE) verantwortlich. Uber die biologische Bedeutung dieser Arachidonsaurederivate istnoch relativ wenig bekannt.

!

leukotriene sind Mediatoren der Entzundungsreaktion. Schon vor dem 2. Weltkrieg wurde beobachtet, dass a us mit Kobragift behandelter Lunge eine Substanz freigesetzt wird, die die glatte Muskulatur zur Kontraktion

bringt. Spater ergab sich, dass diese als slow reacting substance (SRS) bezeichnete Verbindung zusammen mit anderen Mediatoren bei durch Immunglobulin E vermittelten Uberempfindlichkeitsreaktionen entsteht und dass es sich bei ihr urn ein Gemisch aus den Leukotrienen A., C., D4 und E4 handelt. Diese gehoren zu den starksten Constrictoren der Bronchialmuskulatur. Das Leukotrien c4 ist beispielsweise 100-1000 mal wirksamer als Histamin und spielt bei der Entstehung von Asthmaanfallen eine entscheidende Rolle. Auch in eine Reihe von entziindlichen Phanomenen sind Leukotriene eingeschaltet. Sie erhohen die Kapillarpermeabilitat und fiihren zu Odemen. Das Leukotrien B4 hat einen chemotaktischen Effekt auf Leukocyten. Man vermutet aus diesem Grund, dass es an der Wanderung von weiBen Blutzellen in Entziindungsgebiete beteiligt ist. Die eigentliche physiologische Funktion der Leukotriene ist allerdings nach wie vor ungeklart. Mause, bei denen durch molekulargenetische Verfahren (knock out-Mause, S. 240) das 5-Lipoxygenasegen ausgeschaltet wurde, waren erwartungsgemaB nicht mehr zur Leukotrienbiosynthese imstande, entwickelten sich jedoch normal und iiberstanden eine Reihe von experimentell ausgelosten Entziindungs- und Schockreaktionen besser als die Wildtypmause!

Natlirliche und pharmakologische Hemmstoffe von Eikosanoiden haben vielfaltige Wirkungen Die Bedeutung von Arachidonsauremetaboliten besanders fiir die Vermittlung von Entziindungs- und Uberempfindlichkeitsreaktionen, aber auch fiir die Schmerzperzeption, geht aus dem Wirkungsspektrum spezifischer Hemmstoffe, ihrer Biosynthese bzw. der von Rezeptorantagonisten hervor. Abb. l4.24 fasst die verschiedenen Angriffspunkte derartiger Medikamente zusammen: • Nichtsteroidale Entziindungshemmer. Unter dieser Bezeichnung fasst man Wirkstoffe zusammen, die die Prostaglandinbiosynthese durch Hemmung der PGHS vermindern. Dieser Gruppe von Arzneimitteln ist gemeinsam, dass beide Isoformen in gleicher Weise in ihrer Aktivitat reduziert werden. Das bekannteste derartige Arzneimittel ist das Aspirin (Acetylsalicylsaure), das die heiden PGHS-Isoformen an einem Serylrest acetyliert und damit die Bindung des Substrates Arachidonsaure hemmt. Ein anderer Wirkstoff aus dieser Gruppe ist das Indomethacin, das als kompetitiver Hemmstoff an der Arachidonsaure-Bindungsstelle wirkt. Nichtsteroidale Entziindungshemmer haben vielfaltige Effekte. Sie wirken vermutlich durch eine Hemmung der Biosynthese von Prostaglandin E2 schmerzstillend und dampfen Entziindungsreaktionen. AuBerdem hemmen sie die Thromboxanbiosynthese und vermindern damit die Plattchenaggregation, wahrend die ebenfalls ausgeloste Hemmung der Prostaglandin 12-Synthese dem14.2 Stoffwechsel der Fettsauren

453

14 OH

Glu cool HC - NH3 Cys Gly I CH 0 0 I 2 II II CH2 - C- HN- ~H - C - NH- CH2- COO-

OH

leukotrien B4

CH2 I

s

Glutathlon

~

~

t-"'

Leukotrien C4

5

leukotrien A4

0

1

~~ -N -

' '2

II CH - C- NH- CH - cooI 2 CH2

I

s H

S· HPTE

1'

Leukotrien 0 4

H N - CH - Coo2 I CH2 I

s

H 2-ArachidonyiPhosphatidylInositol

gegeniiber weniger ins Gewicht fallt. Dies ist die Grundlage der Aspirindauerbehandlung bei der Bekampfung der mit einer Coronarsklerose einhergehenden coronaren Herzerkrankung, bei der eine St6rung des Gleichgewichts zwischen Thromboxanen und Prostaglandin 12 vorliegt. Eine allen nichtsteroidalen Entziindungshemmern gemeinsame Nebenwirkung betrifft die Salzsaureproduktion des Magens, die durch Prostaglandin E2 gehemmt wird. Fallt diese Hemmung weg, kommt es zu einer gesteigerten Saurebildung, so dass etwa 1% der Patienten, die diese Arzneimittel in Dauermedikation nehmen, unter Magengeschwiiren und anderen schweren gastrointestinalen Komplikationen erkranken. 454

14 Stoffwechsel von Triacylglycerinen und Fettsauren

Leukotrien E4

Abb.14.23. Biosynthese der Leukotriene aus Arachidonat.Aus Arachidonat entsteht durch eine Lipoxygenase das 5-Hydroperoxyeikosatetraenoat (5· HPTE), das durch Umlagerung das Leukotrien A4 1iefert. Durch eine EpoxydHydrolase entsteht das Leukotrien 84, durch Anlagerung von Glutation das Leukotrien ( 4• Die Leukotriene D4 und E4 werden durch schrittweise Abspaltung von Glutamat und Glycin gebildet. 1 Phospholipase A2;2 Lipoxygenase;3 Leukotrien-A4-Epoxydhydrolase;4 Glutation-5-Transferase;S y-GiutamyiTransferase; 6 Cysteinyi-Lycin-Dipeptidase

• COX 2-Inhibitoren. Eine neue Gruppe von Inhibitoren der Prostaglandinbiosynthese sind die so g. COX 2-Inhibitoren. Diese Verbindungen hemmen spezifisch die Cyclooxygenaseaktivitat der PGHS-2. Da dieses Enzym in der Magenschleimhaut nicht vorkommt, fallt bei Verwendung von COX 2-lnhibitoren die oben beschriebene Nebenwirkung weg, wahrend die erwiinschten Wirkungen weitgehend erhalten bleiben. • Phospholipase Ar Inhibitoren. Die so g. nicht-steroidalen Entziindungshemmer beeinflussen aufgrund ihres Wirkungsspektrums nicht die Leukotrienbiosynthese. Fiir die Hemmung der Biosynthese aller Eikosanoide muss die durch die cytosolische

14 Phospholipide

!

ca•

KERNAUSSAGEN

Phospholipase A2

GlucOAbb. 15.40, 5. 506) katalysiert

dehydrogenase-Aktivitat im Plasma, wo sie normalerweise nur sehr gering ist, als spezifischer Indikator eines Lebergewebezerfalls, der mit Zerstarung von Mitochondrien einhergeht. Die freie Energie dieser Reaktion betragt (bei pH 7,0) etwa 27,2 kJ/mol (6,5 kcal/mol), d. h. das Gleichgewicht der Reaktion begi.instigt stark die Bildung von Glutamat und nicht die Freisetzung von Ammoniak. Die Glutaminsynthetase ist in allen untersuchten Geweben nachweisbar. In der Leber ist sie nicht tiber das gesamte Organ verteilt, sondern nur in einer kleinen Subpopulation von perivenosen Zellen nachweisbar. Dagegen sind die Enzyme des Harnstoffzyklus (S.476), des wesentlichen ammoniakfixierenden Systems, in der gesamten Leber mit Ausnahme dieser perivenosen Region en lokalisiert. Offenbarsind die Stoffwechselwege in verschiedenen Zellen lokalisiert, urn die Kompetition beider Systeme in einer Zelle urn die Ammoniakfixierung zu verhindern (S.1108).

reversibel ist, wird angenommen, dass es durch eine Stoffwechselstorung des zentralen Nervensystems zustande kommt. Dem beim Coma hepaticum erhOhten Ammoniakspiegel wird eine wesentliche Bedeutung bei dessen Entstehung zugemessen. GroBe Mengen des anfallenden Ammoniaks werden durch die Muskulatur und das Gehirn (dart die Astrocyten) fixiert. Studien der cerebroarteriovenosen Differenzen von Ammoniak zeigen, dass das Gehirn schon unter normalen Bedingungen bis zu etwa 11 o/o des Ammoniaks im Blut extrahiert. Studien, bei denen das mit einem Stickstoffisotop markierte Moleki.il (1 3NH 3 ) gesunden Versuchspersonen und Patienten mit Lebererkrankungen intravenos verabreicht wurde, erharten diese Beobachtung ( Abb. 15.8). Als Folge der vermehrten Fixierung bei erhOhtem Ammoniakspiegel ist der Glutaminspiegel im Liquor cerebrospinalis bei komatOsen Patienten fast immer erhoht. Jedoch ist die Kapazitat dieser vorlaufigen Entgiftung nicht unbegrenzt. Da zwischen Blutammoniakspiegel und dem Auftreten cerebraler Symptome zwar eine signifikante, aber nicht sehr hohe Korrelation besteht, wurde nach weiteren ursachlichen Faktoren gesucht.

! Dekompensation einer chronischen Leberinsuffizienz fi.ihrt zur Storung des Gehirnstoffwechsels.

Bei einer z. B. durch eine Virusinfektion, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch verursachten chronischen Leberinsuffizienz sind die einzelnen Funktionen der Leber, u. a. auch die Entgiftung von Ammoniak zu Harnstoff, erheblich eingeschrankt. Gleichzeitig bilden sich mit der haufig dabei entstehenden Fibrose aufgrund eines erhohten Portalvenendruckes portalvenose Anastomosen, die das Blut an der Leber vorbeileiten. Kommt es zur weiteren Reduktion der Leberfunktionen, z. B. durch eine Infektion, so tritt eine hepatische Encephalopathie auf. Deren Symptome ahneln der bereits beschriebenen Ammoniakvergiftung (S. 469) und konnen von leichten Beeintrachtigungen der zerebralen Funktion (Stadium I) bis zum Coma hepaticum (Stadium IV) reichen. Da bisher keine morphologischen Veranderungen des Gehirns beim auf dem Boden einer chronischen Leberinsuffizienz entstandenen Coma hepaticum nachgewiesen werden konnten, sich das Coma schnell entwickelt und bei Behandlung voll 470

L·Giutamin

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Auch andere neurotoxische Substanzen ktinnten an der Entstehung der Encephalopathie beteiligt sein. Bei der Entstehung der Encephalopathie handelt es sich urn ein multikausales Geschehen, da die funktionelle Beeintrachtigung eines so elementaren Stoffwechselorgans wie der Leber zwangslaufig eine Vielzahl von Fehlregulationen bewirkt. Als weitere potentiell neurotoxische Substanzen gelten die Phenol- und Indolkorper (mangelnde Entgiftung in der Leber durch Koppelung mit Sulfat oder Glucuronat (S.lllO), die ebenfalls im Stoffwechsel von den Mikroorganismen im Darm beim Abbau der aromatischen Aminosauren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan entstehen. Vor allem die Phenole Phenylethanolamin, Tyramin und Octopamin, die im Darm unter dem Einfluss bakterieller Enzyme aus Phenylalanin und Tyrosin entste-

15 Diese Stoffe konnen Noradrenalin, den normalen Neurotransmitter (S.1069), wegen ihrer strukturellen Ahnlichkeit kompetitiv von den Rezeptoren verdrangen und damit blockieren. Diese experimentell noch nicht erhartete Annahme kann einige Symptome der hepatischen Encephalopathie erklaren. Andere, gleichzeitig auftretende Stoffwechselverschiebungen konnen das Gehirn fiir die im Leberkoma vermehrt nachweisbaren, potentiell hirntoxischen Substanzen sensibilisieren: So begtinstigt z. B. eine Alkalose die vermehrte Bildung von lipidloslichem Ammoniak (s. oben) und damit die Aufnahme von NH 3 ins Gehirn. Die GABA-Hypothese versucht, die hepatische Encephalopathie mit der Aktivierung des GABAA-Rezeptors zu erklaren, einem Chloridkanal, der sich nach Bindung von y-Aminobutyrat Offnet und damit die Neurotransmission inhibiert. Dieser Rezeptor besitzt auch Bindungsstellen fiir Benzodiazepine, so dass endogen gebildete, bisher noch nicht charakterisierte Liganden (in Analogie zu den endogenen Digitalis-ahnlichen Substanzen und den Endorphinen, S.1073) zu seiner Aktivierung fi.ihren konnten. Gestiitzt wird die Hypothese dadurch, dass bei einzelnen Patienten ein Riickgang der Symptome durch Gabe von Flumazenil, einem Benzodiazepinantagonisten, beobachtet wird.

Medikamentose Darmdekontamination und -acidifizierung reduzieren Ammoniakbildung und -reabsorption.

Abb. 15.8. llN-Verteilung nach intraventiser Verabreichung von llN-Ammoniak: Die Aktivitat ist im Gehirn, in der Leber und Harnblase, daneben auch in der Herzregion und lin ken Niere zu erkennen; die dunk/e Region in der Blase stellt das Areal mit der htichsten Radioaktivitat dar. Von der Gesamtradioaktivitat werden etwa 7% im Gehirn und Uber 50% im Skelettmuskel fixiert.(Nach Lockwood AH et al.1979)

hen, sollen fi.ir die toxische Wirkung der Phenolkorper verantwortlich sein. Normalerweise werden diese Substanzen durch die Monoaminoxidase (S. 466) der Leber entgiftet. Sie sollen jedoch auch im Gehirn selbst entstehen, da dieses aufgrund einer Verschiebung des Plasmaaminosauremusters (sog. Imbalance) vermehrt Vorstufen aufnimmt: Bei einer Storung des Hepatocytenstoffwechsels sind die Blutspiegel der aromatischen Aminosauren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan erhoht und die der verzweigtkettigen Aminosauren Valin, Leucin und Isoleucin erniedrigt. Da aile diese hydrophoben Aminosauren ein gemeinsames Transportsystem ( Tabelle 15.1, S. 464) in das Gehirn besitzen, werden Phenylalanin und Tyrosin prozentual vermehrt aufgenommen, was eine erhohte Synthese dieser ,falschen" biogenen Amine nach sich ziehen soli. Diese Hypothese wird durch Versuche an Ratten gesttitzt, deren Gehirn und Myocard beim experimentellen Leberkoma die 2- bis 4 fach erhohte Konzentration von Octopamin und Phenylethanolamin aufweisen.

Wegen der Rolle des Darms als Produzenten cerebrotoxischer Substanzen zielt eine wirkungsvolle Therapie auch auf eine ZerstOrung der Urease-enthaltenden Darmflora (insbesondere Escherichia coli und Proteus vulgaris) durch schwer resorbierbare Antibiotika wie Neomycin hin, urn die Ammoniak- (und auch Phenolund Indol-)produktion durch die Mikroorganismen des Darms einzudammen. Die therapeutische Gabe des synthetischen Disaccharids Lactulose (1,4-Galaktosidofructose), das beim Menschen weder hydrolysiert noch resorbiert wird, ftihrt im Darm durch bakterielle Verstoffwechselung zur Bildung von Lactat,Acetat, Formiat und Kohlendioxid. Dadurch kommt es zu einem Abfall des pH-Wertes im Darmlumen aufWerte urn 5,5, was die Umwandlung von Ammoniak in das Ammoniumion im Darmlumen und nachfolgend die Diffusion - aufgrund des entstandenen Gradienten - von Ammoniak aus dem Extrazellularraum in den Darm fordert. Das Ammoniumion wird so im Darm abgefangen und mit dem Stuhl ausgeschieden.

leberfunktionsstorungen treten erst im fortgeschrittenen Stadium einer leberschadigung auf. Bemerkenswerterweise tritt eine Leberinsuffizienz erst dann ein, wenn der GroBteil der Hepatocyten zerstort ist oder seine Funktion eingestellt hat. Bei der Ratte kann man 2/ 3 der Leber ohne Gefahr entfernen. Die Le-

15.2 Stoffwechsel von Ammoniak bzw. der von ihm abgeleiteten Aminogruppe

471

15 ber erneuert sich innerhalb von ein bis zwei Wochen vollstandig; in der Zwischenzeit kommt das Tier mit einem Bruchteil der normalen Leber aus, da die Kapazitat der Leber als Hauptlaboratorium des Korpers viel hoher als normalerweise notwendig ist. Eine Erhohung des Blutammoniakspiegels (Hyperammonamie) ist deshalb erst dann zu erwarten, wenn entweder die Schadigung der Leber sehr groB ist, d. h. wenn 80 bis 90 o/o der normalen Kapazitat ausgefallen sind, oder die Leber z. B. durch einen hohen Proteinanfall (d. h. Hamoglobin) bei gastrointestinalen Blutungen i.iberlastet wird.

Alanin

- NHj

y Hamstoff

15.2.21 Grundzi.ige des Stoffwechsels der Aminogruppen der Aminosauren Glutamat stellt die Drehscheibe des Aminostickstoff-Stoffwechsels dar. Der Aminostickstoff der verschiedenen Aminosauren kann durch Transaminierungen in einzelnen Aminosauren (Alanin, Aspartat und Glutamat) gesammelt werden, von denen er - je nach Stoffwechsellage - fi.ir Biosynthesen wieder i.ibernommen oder zwecks Ausscheidung zur Harnstoffbiosynthese herangezogen wird. Diese drei Aminosauren bieten sich deshalb an, weil ihr Kohlenstoffskelett in Form der zugehorigen aKetosiiuren stan dig im Stoffwechsel produziert wird. Unter den drei genannten Aminosauren nimmt Glutamat (a-Aminoglutarat) eine Schli.isselstellung ein, es stellt sozusagen die Drehscheibe des AminostickstoffStoffwechsels dar, wei! (wie Abb. 15.9 zeigt): • freies Ammoniak durch Fixierung mit a-Ketoglutarat Glutamat bilden kann (S. 469 ), • die Aminogruppe von Glutamat durch reversible Transaminierung auf die a -Ketosaure Pyruvat (aKetopropionat) unter Bildung von Alanin (a-Aminopropionat), dem wesentlichen Transportstoff fUr Aminogruppen im Blutplasma, i.ibertragen werden kann, • die Aminogruppe von Glutamat durch reversible Transaminierung auf die a-Ketosaure Oxalacetat (a-Ketobernsteinsaure) unter Bildung von Aspartat (a-Aminobernsteinsaure) i.ibertragen werden kann, dessen Aminostickstoff fi.ir zahlreiche Biosynthesen (S. 507) und v. a. die Bildung von Harnstoff (S. 476) Verwendung findet, • durch Fixierung von Ammoniak Glutamin (5.469) gebildet wird, das ebenfalls als Aminogruppendonator bei Biosynthesen und beim Stickstofftransport im Blutplasma wirkt, • iiberschi.issiges Ammoniak durch Desaminierung aus Glutamat freigesetzt und zur Harnstoffbildung verwendet werden kann. Wahrend einzelne Organe die gesamte Enzymausstattung fi.ir aile diese Prozesse besitzen, sind andere auf 472

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Abb. 15.9. Schliisselstellung von Glutamat im Stoffwechsel der Aminogruppen von Aminosauren. Glutamin und Aspartat werden als Aminogruppendonatoren (- NH 3+) bei Biosynthesen verwendet

einzelne Funktionen spezialisiert, so dass sie zur metabolischen Integration auf die Zusammenarbeit mit anderen Organ en angewiesen sind. So ist beispielsweise die Obertragung und Abspaltung von Aminogruppen verschiedener Aminosauren in fast allen Organen moglich, die Harnstoffbiosynthese aus Ammoniak, Bicarbonat und der Aminogruppe von Aspartat (zwecks Ausscheidung iiberschiissigen Ammoniaks) jedoch nur in der Leber. Das bedeutet, dass nicht mehr benotigtes Ammoniak in einer ungiftigen Form (Alanin und Glutamin) von den Geweben durch das Blutplasma zur Leber transportiert werden muss.

Aminogruppen werden durch Transaminierung oder den Aspartatzyklus ubertragen. Transaminierung• An einer Transaminierung, d. h. einer durch Transaminasen oder Aminotransferasen katalysierten Reaktion nehmen - wie auf S. 465 beschrieben- je ein Paar Aminosauren (i.Allg. a-Aminosauren) und Ketosauren (i. All g. a- Ketosauren) teil. Die Gleichgewichtskonstante fi.ir die meisten Transaminierungsreaktionen liegt nahe bei 1, da sie Ieicht reversibel sind. Deshalb besitzen die Aminotransferasen nicht nur beim Abbau, sondern auch bei der Biosynthese der Aminosauren aus entsprechenden Ketosauren eine Bedeutung. Aminotransferasen• Durch Aminotransferasen, die fi.ir die jeweiligen Aminosauren spezifisch sind, werden die Aminogruppen auf die a-Ketosauren a-Ketoglutarat bzw. Pyruvat unter Bildung von Glutamat bzw. Alanin iibertragen. Durch zwei Aminotransferasen, die in hohen Konzentrationen in Leber, Myocard und Gehirn vorkommen, kann die Aminogruppe von Alanin auf aKetoglutarat unter Bildung von Glutamat und Pyruvat sowie die Aminogruppe von Aspartat auf a -Ketoglutarat ebenfalls unter Bildung von Glutamat und Oxalacetat iibertragen werden. Es handelt sich urn die Aspartat-Aminotransferase oder Glutamat-Oxalacetat-

15 Transaminase (ASAT oder GOT) bzw. die Alanin-Aminotransferase oder Glutamat-Pyruvat-Transaminase (ALAT oder GPT). Umgekehrt gewahrleistet dieses System die Obertragung der im Glutamat gesammelten Aminogruppen auf Oxalacetat, wobei Aspartat entsteht (Reaktion der ASAT): Aspartat + a-Ketoglutarat ~ Oxalacetat + Glutamat, Alanin + a-Ketoglutarat ~ Pyruvat + Glutamat. Die beiden Enzyme kommen jeweils in zwei Formen mit unterschiedlich physikalisch-chemischen Eigenschaften vor (Isoenzyme,S.ll5), von denen eine im Cytosol, die andere im Mitochondrium lokalisiert ist. Die unterschiedlichen Eigenschaften erklaren ihre unterschiedliche Regulierbarkeit. Beide Enzyme haben fiir die klinische Medizin praktische Bedeutung erlangt, da sie bei Erkrankung der Leber, die mit Gewebeschiidigungen verbunden sind, aus den geschadigten Zellen ins Blutplasma iibertreten und dort vermehrt nachgewiesen werden konnen (S.125). Aspartatzyklusreaktionen ... Auf eine Reihe von Ketoverbindungen kann eine Aminogruppe dadurch iibertragen werden ( Abb. 15.10), dass die Aminogruppe der Aminosaure Aspartat mit der Ketoverbindung unter Energieverbrauch (ATP oder GTP) zu einem Kondensationsprodukt zusammentritt und das Kondensationsprodukt durch eine Lyasereaktion in die aminierte Verbindung und Fumarat gespalten wird. Aspartat wird aus Fumarat durch die Fumarase-, Malatdehydrogenase- und Glutamat-Oxalacetat-Transaminase-Reaktion unter gleichzeitigem Gewinn eines Reduktionsaquivalentes regeneriert und steht fiir den erneuten Umlauf zur Verfiigung. Aile genannten Reaktionen, auch die Teilreaktionen des Citratzyklus (!), laufen im Cytosol ab. Dieser Reaktionszyklus wird fiir wichtige Biosynthesen benotigt ( Tabelle 15.3).

!

Aus Aminosauren und anderen stickstoffhaltigen Verbindungen wird Ammoniak freigesetzt. Die Ammoniakfreisetzung aus Aminosauren erfolgt durch enzymatische Oberfiihrung der Aminosaure in ein Produkt, das durch Wasser Ieicht angegriffen werden kann (C=N-Bindung, S. 7).

l -A5partat

NTP

Oxalacetat

l

oder NMP + P-P1 NDP + P;

NADH + W latdehydrogenase NAD+

Malat

H20

~

})

Kondensations· produkt (Y)

Fumarat

~

Y-Lyase

X-NH3

Abb. 15.10. Aspartatzyklus. N steht fUr Guanosin oder Adenosin. (Einzelheiten s.Text)

Nichtdehydrierende Desaminierung.,. Bei einer Reihe von Aminosauren (Serin, Threonin, Cystein, Histidin und Homoserin) wird Ammoniak iiber den irreversiblen Prozess der Pyridoxalphosphat-abhangigen a-, {3Eliminierung freigesetzt. Auf die Bedeutung dieser Reaktion wird bei der Besprechung des Stoffwechsels dieser Aminosauren eingegangen. Freisetzung mit Hilfe des Aspartatzyklus ... Wird der in Glutamat gesammelte Stickstoff durch die ASAT-Reaktion auf Oxalacetat unter Bildung von Aspartat iibertragen, so ist durch die in Tabelle 15.3 erwahnte Kondensation mit dem Nucleotid Inosin-5'-monophosphat im Rahmen des Aspartatzyklus die Bildung von Adenosin-5'-monophosphat moglich. Aus diesem kann durch Hydrolyse Ammoniak abgespalten werden, wobei wieder Inosin-5'-monophosphat entsteht, das erneut eine Aminogruppe von Aspartat iibernehmen kann (Purinnucleotidzyklus, Abb. 15.ll). Das Enzym, die Adenylatdesaminase, ist im Cytosol der Zelle lokalisiert und zeigt eine umgekehrte Gewebeverteilung wie die Glutamatdehydrogenase, d. h. .,.. in Organen mit hoher Glutamatdehydrogenaseaktivitat (S. 469) - wie in der Leber - ist die der Adenylatdesaminase niedrig und .,.. in der Muskulatur mit niedriger Glutamatdehydrogenaseaktivitat, ist die der Adenylatdesaminase am hOchsten.

Tabelle 15.3. Stoffwechselbedeutung des Aspartatcyclus

Carbamylornithio

Argininosuccinat

Arginin

Hamsroff- und Argininbiosynthue (S.475)

lnosin-5'-monophosphat (IMP)

Adenyl uccinat

Adenosin-5' -monophosphat

AMP-Biosynthese (S.632)

5-lmida.zol-4-carbonsaure-ribonucleotid

5-Aminoimidazol-4-(N)-succi- 5-Aminoimidazol-4-carboxnyl-carboxamid-)ribonucleotid amid-ribonucleotid

(AMP)

Purinbiosynthese (S. 630)

15.2 Stoffwechsel von Ammoniak bzw. der von ihm abgeleiteten Aminogruppe

473

15

X

a-Aminosiiure

a-Ketosiiure

X X X

a-Ketoglutarat

a-Aminoglutarat

Glutamat-OxalacetatTransaminase

a-Aminosuccinat a -Ketosuccinat

Ketopurin-5'Monophosphat

Ammoniak

Aminopurin-5'Monophosphat

Wasser

Die bei der Reaktion hydrierten Coenzyme werden durch molekularen Sauerstoff unter Bildung von H20 2 dehydriert, das durch Katalase in den Peroxisomen zu 1/ 2 0 2 und H 20 entgiftet wird. Bis auf eine Ausnahme (Glycinabbau, S. 510) ist die physiologische Funktion der Aminosaureoxidasen noch nicht geklart. Da Aminoacylsynthetasen auch 0-Aminosauren aktivieren, die nicht in Proteine eingebaut werden, ki:innte die Aufgabe der Aminosaureoxidasen darin liegen, die 0-Aminosauren abzubauen, damit sie den Translationsvorgang nicht sti:iren.

Ammoniak wird im Blut in Form von Glutamin und Alanin transportiert.

Purinnucleotidzyklus

Adenylatdesaminase

Abb. 15.11. Purinnucleotidzyklus. Statt der Trivialnamen wurden die chemischen Namen gewahlt, um die Wanderung und Freisetzung der Aminogruppe darzustellen

Die Nettoreaktion dieser Reaktionsfolge Glutamat + NAD+ + GTP + 2H20 ~ a-Ketoglutarat + NADH + H+ +GOP+ NH 4++Pi entspricht der Dehydrierung von Glutamat durch die Glutamatdehydrogenasereaktion, mit dem Unterschied, class die Hydrolyse der Phosphoanhydridbindung von GTP zur Verschiebung des Reaktionsgleichgewichts von Jinks nach rechts beitragt. Die freie Energie dieser Reaktionssequenz betragt etwa -4,2 kJ/mol (1 kcal!mol), mit anderen Worten, der Purinnucleotidzyklus client zusammen mit den Hilfsreaktionen des Aspartatzyklus der Freisetzung von Ammoniak. Durch diesen Zyklus kann auch die bei der Muskelarbeit erhi:ihte Ammoniakfreisetzung erklart werden.

Eine besondere Situation ist dadurch gegeben, class zwar alle Organe einen mehr oder minder intensiven Aminosaurenstoffwechsel besitzen, jedoch nur die Leber imstande ist, mit Hilfe der Harnstoffbildung iiberschiissiges Ammoniak zu entgiften. Die extrahepatischen Organe ki:innen zwar auch Ammoniak fixieren (mit Hilfe der Glutamatdehydrogenase- und der Glutaminsynthetasereaktionen, S. 469 ), miissen dafiir aber bei gro6em Angebot dem Citratzyklus a-Ketoglutarat entziehen, wahrend in der Leber zur Harnstoffbiosynthese nur Bicarbonat, Ammoniak und Energie benotigt

Tabelle 15.4. Plasmaaminosaurekonzentrationen normaler Versuchspersonen im postabsorptiven Zustand (n = 10). (Nach Felig P, Marliss E, Pozefsky T. Cahill GF 1970). Mittelwerte ± 5tandardabweichung des Mittelwertes

Allin in Glycin Valin Prolin Lysin Threonin Leucin Serin l/2-Cystin Histidin Arginin Ornithinb Isoleucin Tyros in Taurin• Phenylalanin Tryptophan Citrullinb Methionin a -Aminobutyrat" Aspartat

Hydrolytische Freisetzung beim Purin- und PyrimidinabWeiterhin wird Ammoniak beim Abbau der Pyrimidine und Purine, zu denen ja auch Adenosin-5'monophosphat gehi:irt, freigesetzt (S. 642 ff.). bau~

In Leber- und Nierengewebe sind weitere Enzyme nachgewiesen worden, die Aminosauren irreversibel durch Dehydrierung desaminieren. Diese Aminosaureoxidasen, die nicht mit den Mono- und Diaminoxidasen verwechselt werden diirfen, greifen entweder die proteinogenen L-Aminosauren oder die ungewi:ihnlichen 0 -Aminosauren an: ~ 0-Aminooxidasen, die in den Peroxisomen (S.l98) lokalisiert sind, benutzen als Coenzym FAD, ~ L-Aminooxidasen, die sich im endoplasmatischen Reticulum fin den, arbeiten mit FMN. Aminosaureoxidasen~

474

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Glutamin Glutamat '

b

344 ±29 215 ± 8 212 ± 8 175 ± 13 164 ± 9 134 ± 10 112± 4 109± 7 92± 5 73± 4 69± 8 67 ± 9 59± 2 54± 4 51± 3 49± 2 39± 6 30± 3 24± 1 20± 2 < 20 600-800 30- 70

Taurin entsteht im 5toffwechsel aus Cystein, a-Aminobutyrat durch Transaminierung aus a-Ketobutyrat (Threonin- und Methioninabbau) (5. 486 ff.). Nichtproteinogene Aminosauren, die an der Harnstoffbiosynthese teilnehmen (5. 476).

15 werden (S. 476). Soli von peripheren Organen Ammoniak zur Leber abtransportiert werden, so geschieht dies vorwiegend in Form von Alanin und Glutamin. Diese heiden Aminosauren zeigen auch die hochsten Plasmakonzentrationen, die im postabsorptiven Zustand (9 Uhr morgens), d. h. 16 Stunden nach Aufnahme der letzten Mahlzeit ( 17 Uhr nachmittags) bestimmt werden (Tabelle 15.4). Auffallig ist ein dreiBigfacher Konzentrationsunterschied zwischen der in hOchster (Glutamin mit 600 !!mol) und den in den niedrigsten Konzentrationen (Aspartat und a-Aminobutyrat mit jeweils 20 f.Lmol) vorliegenden Aminosauren. Beim Transport von Aminogruppen vom Muskel zur Leber werden diese in Alanin gesammelt, das benotigte Pyruvat stammt aus dem Glucoseabbau (Glycolyse). In der Leber werden das Kohlenstoffskelett von Alanin zur Glucoseneubildung, der Aminostickstoff zur Harnstoffbildung verwendet. Da die neugebildete Glucose die Leber verlasst und auf dem Blutweg in die Muskulatur gelangt, entsteht ein dem Corizyklus (S. 573) entsprechender GlucoseAlanin-Zyklus (Abb. 15.12). Dieser ist bei Muskeltatigkeit von besonderer Bedeutung. Wie Alanin wird auch Glutamin aus der Muskulatur freigesetzt. Im Gegensatz zu Alanin stammt das Kohlenstoffgeriist des freigesetzten Glutamins jedoch aus anderen Aminosauren, und zwar hauptsachlich aus Glutamat und Aspartat. Somit ist Glutamin wahrscheinlich eher Transportstoff fiir Kohlenstoffgeriiste, die bei der Proteolyse frei werden. Auch in einem zweiten Punkt unterscheidet sich die Rolle des Glutamins

von der des Alanins: Der GroBteil dieser Aminosaure wird nicht von Hepatocyten, sondern von Darm- und Nierenzellen aufgenommen (Abb. 15.12). Neben dem Blutplasma soil auch den Erythrocyten eine wesentliche Funktion beim Transport von Aminosauren zwischen den Geweben zukommen.

15.2.31 Ammoniakstoffwechsel von leber,

Gehirn und Nieren

Die Leber, auf deren zentrale Bedeutung im Stoffwechsel der Aminosauren eingangs hingewiesen wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass nur sie die enzymatische Ausstattung fiir eine vollstandige und quantitativ bedeutsame Biosynthese von Harnstoff aus Ammoniak und Bicarbonat besitzt. Es handelt sich dabei urn einen mehrstufigen Kreisprozess, in dessen Verlauf ein Molekiil Harnstoff aus je einem MolekiilAmmoniak und Bicarbonat sowie dem a-Aminostickstoff von Aspartat zusammengesetzt wird. Die Energie verbrauchende Synthese von Harnstoff erfolgt deshalb, weil das von den Aminosauren abgespaltene Ammoniak eine iiufierst toxische Substanz darstellt, wenn es nicht wieder zur Biosynthese stickstoffhaltiger Substanzen verwendet wird. Fiir die meisten im Wasser lebenden Tiere, die ihre Stoffwechselendprodukte standig an die Umgebung abgeben konnen, besteht nicht die Notwendigkeit der Harnstoffsynthese, da nicht die Gefahr einer Ammoniakakkumulation eintreten kann. Sie scheiden Ammoniak aus und werden als ammonotelische Lebewesen bezeichnet. Beim Obergang zum Landleben kann nicht mehr standig Wasser abgegeben werden, da eine kontinuierliche Wasserzufuhr auf dem trockenen Land nicht gewahrleistet ist. Amphibien bauen deshalb Ammoniak zum ungiftigen Harnstoff urn, der das Endprodukt und Exkret ihres Stickstoffwechsels darstellt (ureotelische Lebewesen). Diese Einrichtung wird von den Saugetieren beibehalten. Vogel hingegen verlassen die Harnstoffsynthese und scheiden statt dessen die schwerlosliche Harnsaure aus (uricotelische Lebewesen).

Der Erwachsene bildet taglich etwa 30 g Harnstoff.

Nieren

Darm

Abb. 15.12. Glucose-Aianinzyklus. Die vom Muske! aufgenommene Glucose wird zu Pyruvat metabolisiert; durch Transaminierung wird eine covalent gebundene (-NH3+) Aminogruppe iibernommen. Das entstandene Alan in verlasst die Muskulatur und wird von der Leber aufgenommen, wo es nach Obergabe der Aminogruppe auf a-Ketoglutarat wieder in Glucose umgewandelt wird

Eine 70 kg schwere Normalperson bildet in 24 h etwa 0,5 mol (30 g) Harnstoff. Bei proteinreicher Ernahrung kann die Harnstoffbildung bis auf das Dreifache ansteigen. Diese Steigerung ist deshalb moglich, weil die Enzyme im Oberschuss vorhanden sind und weil sich auBerdem die Enzymaktivitaten bei proteinreicher Nahrung urn das Zwei- bis Dreifache erhohen konnen. Im Vergleich zur Biosynthese anderer Stoffe steht die Harnstoffbildungmit etwa 1,5 mol/24 h bei hohem Proteingehalt der Nahrung quantitativ an erster Stelle. An zweiter Stelle folgt die Gluconeogenese in Leber und Nieren mit etwa 0,5-1 mol Glucose/Tag. Es gibt natiirlich quantitativ bedeutendere Biosynthesen von

15.2 Stoffwechsel von Ammoniak bzw. der von ihm abgeleiteten Aminogruppe

475

15 Stoffen, die jedoch nicht End-, sondern nur Zwischenprodukte des Stoffwechsels sind. So synthetisiert ein Erwachsener bei einem taglichen Energieverbrauch von 12600 kJ (3000 kcal) etwa 180 mol Adenosintriphosphat (ATP). Da ATP nach seiner Bildung wieder fiir Biosynthesen, Transportprozesse, kontraktile Vorgange usw. verbraucht wird, hauft es sich nicht an, so dass sich im Organismus eines Erwachsenen nicht mehr als 0,1 mol ATP findet.

! Die Harnstoffsynthese lauft in einem auf

zwei Zellkompartimente verteilten Zyklus ab.

Die Enzyme des Harnstoffzyklus - der nach seinen Entdeckern (1932), dem damaligen Medizinstudenten (!) Kurt Henseleit und dem spateren Nobelpreistrager Sir

Hans Adolf Krebs auch als Krebs-Henseleit-Zyklus bezeichnet wird- liegen nicht in einem Zellkompartiment vor, denn .,. die ersten heiden Schritte finden im Mitochondrium statt, .,. die iibrigen im Cytosol ( Abb. 15.13). Durch das Enzym Carbamylphosphat-Synthetase I wird unter Verbrauch von zwei Molekiilen ATP aus Bicarbonat und Ammoniak das Phosphorsaureanhydrid der Carbaminsaure, das Carbamylphosphat, gebildet. Carbamylphosphat ist auch der Ausgangspunkt der Pyrimidinbiosynthese. Fiir diese Reaktion wird es jedoch durch eine cytosolische Carbamylphosphat-Synthetase II gebildet, die Glutamin, Bicarbonat und zwei Molekiile ATP benotigt (S. 634).

Hamstoff 2ATP

NH2 II

C- NH -v¥ 2

N-Acetylglutamat

CHc NH

I

CH2 I

CHi~H3

c~

I

I • I

CH2

H - C -N~

I CH2 I • H- C- NH I 3

cooFumarat

coo-

0 GlutaNt + Acetyf. Abb. 15.15 zeigt, fiihrt ein Anstieg der Aminosaurekonzentration zu einem proportional hoheren Anstieg der Harnstoffbildung und damit zu einer Normalisierung der Aminosaurekonzentration. Auf der anderen Seite fallt die Harnstoffbildung proportional starker als die Aminosaurekonzentration ab und nahert sich Null, wenn die Aminosaure-Stickstoffkonzentration etwa 4,5 mg/100 ml betragt.Auf diese Weise konnte eine zunehmende Verarmung des Aminosaurepools durch die Harnstoffbilduri.g bei eingeschrankter Aminosaurezufuhr verhindert werden.

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N-Acetylglutamat spielt eine Schliisselrolle bei der schnell wirkenden Regulation des Harnstoffzyklus. In Abwesenheit von N-Acetylglutamat ist die Carbamylphosphatsynthetase vollstandig inaktiv. Wahrscheinlich fiihrt ein vermehrtes Aminosaureangebot tiber eine rasche Steigerung des Glutamatspiegels zu einer vermehrten Bildung von Acetylglutamat, das als Signalmetabolit wirkt. Dagegen nimmt die Induktion der Harnstoffzyklusenzyme bei kontinuierlich hoher Proteinzufuhr oder unter dem Einfluss von Glucocorticoiden Stunden bis Tage in Anspruch.

Pathobiochemie: genetische Enzymdefekte des Harnstoffzyklus. Homozygote bzw. gemischt heterozygote Defekte der in Tabelle 15.5 genannten Enzyme fiihren zu einem Zusammenbruch des Harnstoffzyklus mit einem Anstieg der Ammoniakkonzentration. Ohne entsprechende Therapie, d. h. Hamodialyse in der Akutphase, treten Gehirnschaden (Hirnodem mit verkleinertem Ventrikelsystem,Abflachung der Gyri) und der Tod der Patienten ein. Beim Arginasemangel kommt es ebenfalls zu Schaden des Zentralnervensystems, Erhohungen des Ammoniakspiegels sind jedoch selten. Heterozygote Trager (SO % Restaktivitat) sind i.Allg. asymptomatisch. Menschen mit weniger als 50% der Enzymaktivitat der in Tabelle 15.5 zusammengestellten Enzyme weisen zwar selten Symptome in der Neugeborenenperiode auf, dafiir aber oft in der Jugend oder im Erwachsenenalter. Die Beschwerden bestehen in Ubelkeit, Migrane, Sprach- oder Gangst6rungen und Halluzinationen, die durch Nahrung mit hohem Proteingehalt, Infekte, Schwangerschaft oder Operationen hervorgerufen werden konnen. Aile homozygoten Enzymdefekte kommen mit einer Haufigkeit von 1 : 25 000 bei Neugeborenen vor. Die Symptome der neonatalen Hyperammonamie wie Lethargie, Appetitmangel, Brechen, Krampfe, und gelegentlich Coma sind relativ unspezifisch, da sie auch bei anderen · Stoffwechselerkrankungen vorkommen. Deshalb sind zur Differentialdiagnose Bestimmungen des Tabelle 15.5. Enzymatische Defekte des Harnstoffzyklus

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Plasma-Ami~uren (mg Aminosaurenstickstoff/100ml)

Abb. 15.1 5. Harnstoffbildung gesunder Versuchspersonen in Abhangig· keit von der Gesamt-a-Aminostickstoffkonzentration im Plasma. (Nach Rafoth RJ, Onstadt GR 1975)

Carbamylphosphat· Synthetase I

Kongenitale Arnmoniakintoxikation (Hyperammonamie I)

Ornithin-Transcarbamylase

Hyperammonamie II

ArgininosuccinatSyntheta e

CitruJlinamie

Arginino-Succinat-

lya e

Argininbernsteinsa urekrankheit (Argininosuccinaturie)

Argina e

Hyperargininamie

-AcetylglutamatSynthase

-Acetylglutamat-Synthasemangel

15.2 Stoffwechsel von Ammoniak bzw. der von ihm abgeleiteten Aminogruppe

479

15 pH-Werts (Acidose), der Konzentration von Ammoniak und einzelner Aminosauren erforderlich. Eine Hyperammonamie tritt auch als sekundares Phanomen bei angeborenen Erkrankungen des Stoffwechels organischer Sauren auf, die ebenfalls durch eine metabolische Acidose und eine Ketonurie gekennzeichnet sind (S. 492}. Die dabei akkumulierenden FettsaureCoA-Thioester hemmen wahrscheinlich kompetitiv die Bildung von N-Acetylglutamat aus Acetyl-CoA und Glutamat. Eine Hyperammonamie in Verbindung mit einer respiratorischen Alkalose (S. 969} deutet auf einen Defekt des Harnstoffzyklus oder eine transitorische Hyperammoniimie hin, wie sie bei Reifungssti:irungen der Enzyme des Zyklus vorkommen kann. Hyperammonamien mit Werten tiber 400 t-tmol/1 fiihren zum Coma, das einer Notfallbehandlung bedarf. Zur weiteren Differenzierung wird die Plasmakonzentration von Citrullin herangezogen: .,. Normale bis Ieicht erhi:ihte Spiegel (etwa 50 t-tmol/1) werden bei transitorischen Hyperammonamien beobachtet, .,. eine ausgepragte Citrullinamie mit Werten von tiber 1000 t-tmol/1 deutet auf einen Argininosuccinatsynthetasemangel hin, da Citrullin nicht in Argininosuccinat iiberfiihrt werden kann. .,. Eine ma6ige Erhi:ihung des Citrullinspiegels auf Werte zwischen 100 und 300 t-tmol/1 ist fur den Argininosuccinasemangel typisch. "' Auf kaum mehr bestimmbare Werte fallt der Citrullinspiegel beim Ornithintranscarbamylase-( OTC- ), Carbamylphosphatsynthetase- oder N-Acetylglutamatsynthasemangel. Eine weitere Differenzierung ist in diesem Fall dadurch mi:iglich, dass Carbamylphosphat sich bei einem OTCMangel anstaut. Dieses reagiert nun mit Aspartat in einer Schliisselreaktion der Pyrimidinbiosynthese ( Abb. 21.5, S. 634) zu Carbamylaspartat, das nach Umwandlung zu Oro tat tiber die Nieren ausgeschieden wird. Fiir einen OTC-Mangel ist daher Orotat im Urin charakteristisch. Wahrend friiher die Patienten einfach mit einer Stickstoffreduktionskost behandelt wurden, geht man heute - in Kenntnis der Stoffwechselbiochemie - wesentlich differenzierter vor. So treten metabolische Probleme beim Argininosuccinasemangel nicht durch eine theoretisch mi:igliche Akkumulation von Argininosuccinat auf, da dieses kontinuierlich tiber die Nieren ausgeschieden wird, sondern dadurch, dass die gesti:irte Argininosuccinatspaltung zu einer Beeintrachtigung der Ornithinregeneration fiihrt. Therapeutisch wird Arginin verabreicht, das nicht nur durch Harnstoffabspaltung in Ornithin umgewandelt, sondern auch als Proteinbaustein verwendet werden kann. Beim Argininosuccinatsynthetasemangel staut sich Citrullin an, das im Gegensatz zu Argininosuccinat wesentlich schlechter in den Urin ausgeschieden wird. Dariiber hinaus enthalt Citrullin gegeniiber Arginino480

15 Stoffwechsel der Aminosauren

succinat nur ein Stickstoffatom/Molekiil, so dass die Stickstoffausscheidung aufgrund dieser Tatsache und der geringeren Urinausscheidung wesentlich ineffizienter ist als die tiber Argininosuccinat. In dieser Situation kann man dem Organismus Stickstoff indirekt tiber die Aminosauren Glycin bzw. Glutamin entziehen. Dies erfolgt durch therapeutische Gabe von Benzoesiiure bzw. Phenylacetat, die mit Glycin zu Hippursaure ( Tabelle 15.14, S. 510} bzw. mit Glutamin zu Phenylacetylglutamin ( Abb. 15.29, S. 498) konjugieren. Beide Konjugate werden tiber die Nieren ausgeschieden. Damit ki:innen dem Organismus tiber die Glycin- und Glutaminstickstoffatome ein bzw. zwei Stickstoffatome entzogen werden. Eine Heilung ist gegenwartig nur durch Lebertransplantation oder in Zukunft mi:iglicherweise durch Gentherapie mi:iglich.

lm Gehirn wird Ammoniak durch Glutamatdehydrogenase und Glutaminsynthetase entgiftet. Ammoniak, das im Gehirnstoffwechsel entsteht oder das Gehirn auf dem Blutweg erreicht, wird durch ATPabhangige Glutaminbildung in den Astrocyten fixiert ( Abb. 15.7, S. 470}. Die Ursachen der neurotoxischen Wirkung von Ammoniak, dessen Konzentration z. B. bei stark beeintrachtigter Leberfunktion im Blut erhi:iht ist, sind noch ungeklart. Entscheidend ist, dass Glutamat die Blut-HirnSchranke nur schlecht permeieren kann und deshalb das Glutamatangebot durch das Blut, das ohnehin nur gering ist ( Tabelle 15.4, S. 474}, bei erhi:ihter Glutaminbildung nicht ausreicht. Deshalb miissen bei vermehrter Ammoniakfixierung intrazellular mehr Glutamat (das in Gehirn auch Neurotransmitterfunktion besitzt) und a-Ketoglutarat, die Vorstufe von Glutamat, anderen Stoffwechselwegen entzogen werden. Bei erhi:ihtem Ammoniakangebot soli das Gehirn durch vermehrte COrFixierung (ATP-abhangige Pyruvatcarboxylasereaktion, S. 528} in der Lage sein, mehr Oxalacetat und damit a-Ketoglutarat und Glutamat fur die Glutaminbildung zur Verfiigung zu stellen. Danach kann eine Verarmung des Citratzyklus an aKetoglutarat nicht die Ursache der toxischen Wirkung von Ammoniak sein. Nach anderen Befunden soli die COr Fixierung im Gehirn dagegen nur gering sein, so dass die verringerten a-Ketoglutaratspiegel eine Sti:irung des Citratzyklus und damit der ATP-Bildung bewirken. Wird namlich Mausen Methioninsulphoximin, ein Methioninderivat, das die Glutaminsynthetase kompetitiv hemmt, verabreicht, so haben die Tiere nach Infusion einer Ammoniumchloridli:isung eine weitaus hi:ihere Dberlebensrate als die nicht mit dem Methioninderivat vorbehandelten Kontrolltiere. Methioninsulphoximin verhindert einen Abfall der a-Ketoglutaratkonzentration. Als weitere Ursachen der Entstehung der Symptome einer Ammoniakvergiftung werden

15 ,.. eine Verarmung des Stammhirns an energiereichen Phosphaten (ATP und Kreatinphosphat), ,.. eine Storung der Acetylcholinbiosynthese, ,.. Anderungen des intramitochondrialen Redoxzustands der Pyridinnucleotide (Glutamatdehydrogenasereaktion!) und ,.. Wechselwirkungen von NH4 + mit Kalium, einem fur die Erregungsleitung (5.1062) notwendigen Ion, diskutiert.

! In den Nieren entsteht Ammoniak

aus Glutamin und wird als Ammonium in den Urin ausgeschieden. Ein Teil der nichtfliichtigen Sauren (z. B. Harnsaure), die im Stoffwechsel der Zellen des Organismus entstehen, werden zur Einsparung von Kationen als Ammoniumsalze durch die Nieren ausgeschieden. Der arterielle Ammoniakspiegel ist so gering, dass auch bei einer vollstandigen Extraktion des Ammoniaks aus dem Blut durch die Nieren nicht die Menge entstehen wiirde, die in den Urin ausgeschieden wird. Da die Ammoniakkonzentration im Nierenvenenblut ( Abb. 15.5, S. 469) sogar noch hi:\her als im arteriellen Blut ist, d. h. die Nieren Ammoniak in das Blut sezernieren, muss das ins Nierenvenenblut und in den Urin ausgeschiedene Ammoniak aus Aminosauren stammen, die wahrend ihres Durchflusses durch die Nieren extrahiert werden. Unter ihnen nimmt Glutamin eine Schliisselstellung ein: Rund 40% des Urinammoniaks stammen aus dem Amidstickstoff von Glutamin. Dber Einzelheiten der Abspaltung des Amidstickstoffs von Glutamin (Glutaminasereaktionen I und II) und ihre Regulation orientiert Kapitel31 (S. 922 ff.).

KERNAUSSAGEN Ammoniak ist neurotoxisch und wird deshalb iiber die Glutamat-Dehydrogenase bzw. Glutamin-Synthetase covalent fixiert. Schwere Leberfunktionsstorungen konnen zur hepatischen Encephalopathie fiihren, an der Ammoniak und andere neurotoxische Substanzen beteiligt sind. Glutamat stellt die Drehscheibe des Aminosaurestoffwechsels dar. Die Obergabe von Aminogruppen erfolgt durch Pyridoxalphosphat-abhangige Transaminierung. Der Mensch entgiftet iiberschiissigen Stickstoff iiber die Harnstoffbiosynthese, bei der: ,.. Carbamyl phosphat aus Bicarbonat und Ammoniak gebildet wird, ,.. sich dieses anschlieBend mit Ornithin zu Citrullin zusammenlagert, welches das Mitochondrium verlasst und dart die 2. Aminogruppe unter Argininbildung von Aspartat iibernimmt. ,.. Durch Arginase I wird Harnstoff unter Ornithinbildung abgespalten, das wieder in das Mitochondrium zuriickkehrt.

Genetische Enzymdefekte des Harnstoffzyklus fiihren in ihren homozygoten oder gemischt-heterozygoten Formen zur neonatalen Hyperammonamie mit schweren neurologischen Funktionsstorungen; heterozygote Gentrager konnen im Erwachsenenalter unter Stresssituationen symptomatisch werden.

15.3 1 Stoffwechsel

der essentiellen Aminosauren

Grundsatzlich wird unterschieden zwischen Aminosauren, die im Stoffwechsel von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren aus Kohlenstoffskeletten und Ammoniak synthetisiert werden konnen, und solchen, deren Bildung nur in Mikroorganismen und Pflanzen, jedoch nicht mehr in der tierischen Zelle moglich ist. Letztere Aminosauren werden als essentiell bezeichnet.

Neun Aminosauren sind fur den Menschen essentiell. Beim Menschen ist die Frage, ob eine Aminosaure standig mit der Nahrung zugefiihrt werden muss, also essentiell ist, in klassischen Experimenten mit Hilfe von Stickstoffbilanzversuchen und in jiingerer Zeit mit Aminosauren untersucht worden, die mit dem 13CKohlenstoff-Isotop markiert waren. Bei diesen Versuchen haben sich 9 Aminosauren als fiir den Menschen essentiell erwiesen ( Tabelle 15.6). Interessanterweise lasst sich tiber ihre Biosynthesewege (Zugehorigkeit zu bestimmten Familien) in Mikroorganismen und Pflanzen erklaren, warum sie vom Menschen nicht mehr synthetisiert werden. Ob Histidin essentiell ist, war lange umstritten, da aufgrund des hohen Histidingehaltes von Hamoglobin in den Erythrocyten und von Carnosin, eines f:l-Alanylhistidin-Dipeptids in der Muskulatur, ein groger Histidinpool existiert. Durch kontinuierliche Mobilisierung von Histidin aus diesem Pool dauert es relativ lange, his die Stickstoffbilanz (S. 685) als Indikator fiir die Essentialitat negativ wird. Tyrosin und Cystein sind bedingt essentiell, da sie nur beim Abbau essentieller Aminosauren entstehen (Tyrosin beim Phenylalanin- und Cystein beim Methio-

Tabelle 15.6. Essentielle und nichtessentielle Aminosauren beim Menschen Absolut essentiell: Lysin, Methionin, Threonin, Isoleucin (Aspartatfam ilie), Valin, Leucin (Pyr uvatfamilie), Phenylalanin, Tryptophan (Shikimisaurefamilie), Histidin Bedingt essentiell: l'yrosin, C ystein icht essentieU:

Aspartat, Asparagin, Glu tamat, Glutamin, Glycin, Alanin, Serin, Prolin, Arginin

15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

481

15 ninabbau). Diese Aminosauren konnen unter veranderten Stoffwechselbedingungen absolut essentiell werden.

! a-Ketosauren konnen a-Aminosauren in der Nahrung ersetzen.

Bei einigen essentiellen Aminosauren ist der erste Schritt des Abbaus reversibel, so class der dabei entstehende Metabolit die Aminosaure in der Nahrung ersetzen kann (z. B. das durch Transaminierung aus Valin gebildete a-Ketoisovalerianat oder das durch Demethylierung aus Methionin entstehende Homocystein). Diese Aminosauren bleiben aber nach wie vor essentiell, da sie ja nicht aus Kohlenstoffskeletten des Zwischenstoffwechsels und Ammoniak gebildet werden. Die Tatsache, class eine Reihe von Aminosauren in der Nahrung durch die entsprechenden Ketosauren ersetzt werden konnen, findet therapeutische Anwendung bei Erkrankungen, bei denen die Belastung des Organismus mit stickstoffhaltigen Substanzen durch die Nahrung moglichst gering gehalten werden soli, da die Entgiftung oder Ausscheidung dieser Stoffe gestort ist. Dazu gehOren • das hepatische Coma (S.470) und • das chronische Nierenversagen (S. 925), bei denen mit einer derartigen Diat bereits Erfolge erzielt wurden. Im Folgenden wird auf die Biosynthese der essentiellen Aminosauren in Mikroorganismen und Pflanzen und deren Abbau, die Stoffwechselbedeutung und die angeborenen Stoffwechselerkrankungen dieser Aminosauren im tierischen Organismus eingegangen. Uber die ernahrungsphysiologische Bedeutung der essentiellen Aminosauren orientiert Kapitel23 (S. 686). I Die essentiellen Aminosauren werden

• in Mikroorganismen gruppenweise gebildet. Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten der Biosynthese der fUr den Mensch en essentiellen Aminosauren eingehen zu wollen, soli doch das Prinzip der Biosynthese von 8 der 9 essentiellen Aminosauren in Mikroorganismen und Pflanzen erlautert werden, wei! seine Kenntnis uns in die Lage versetzt zu erkennen, warum gerade diese Aminosauren von der menschlichen Zelle nicht mehr synthetisiert werden. Die Kohlenstoffgeruste fur die Biosynthesen der einzelnen Aminosauren entstammen dem Kohlenhydratstoffwechsel. Da es sich z. T. urn hydrierende Prozesse handelt, werden Reduktionsaquivalente benotigt, die in der Pflanzenzelle vorwiegend durch Photolyse von Wasser und im Mikroorganismus im Pentosephosphatweg entstehen (S.401). Ammoniak wird meist durch Transaminierung mit Glutamat ubernommen, das aus a -Ketoglutarat durch die Glutamatdehydrogenasereaktion gebildet wird. Direkte Ausgangsmolekule sind a -Ketocarbonsauren bzw. deren entsprechende a Aminocarbonsauren. Je nachdem, welche Carbonsaure

482

15 Stoffwechsel der Aminosauren

die gemeinsame Vorstufe einer Gruppe von Aminosauren bildet, wird zwischen drei Familien unterschieden ( Tabelle 15.6): • der Familie von Aspartat (Ausgangspunkt der Synthese von Lysin, Methionin, Threonin und Isoleucin), das durch Transaminierung der a-Ketosaure Oxalacetat entsteht. • der Familie der a-Ketosiiure Pyruvat (Vorstufe von Leucin und Valin) und schlieBlich • der Familie der Shikimisiiure (Vorstufe der aromatischen Aminosauren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan), einer a-Ketosaure mit 7 C-Atomen, die aus Zwischenprodukten der Glycolyse und des Pentosephosphatwegs entsteht.

Im Gegensatz zur spater zu besprechenden Biosynthese der nichtessentiellen Aminosauren ist die aller essentiellen Aminosauren sehr umfangreich, da bis zu 11 enzymatische Schritte (z. B. beim Tryptophanaufbau) erforderlich sein konnen. Dies gilt auch fur Histidin, das iiber eine separate Stoffwechselkette synthetisiert wird. Die Synthesen enthalten die gesamte Palette enzymatischer Reaktionen, die die Zelle aufzuweisen hat: • Hydrierungen von Carboxyl- zu Aldehydfunktionen (die dann Aldoladditionen eingehen konnen), • Transaminierungen, • Isomerisierungen, • Decarboxylierungen, • Dehydratisierungen, • Zyklisierungen usw. Die Bildung beschreitet so weit wie moglich gemeinsame Wege, die sich dann immer weiter verzweigen. Das bringt auf der einen Seite den Vorteil mit sich, dass weniger Enzyme benotigt werden, macht aber das System auf der anderen Seite empfindlicher gegen Storungen, da der Ausfall eines relativ friihen Enzyms dieUnfahigkeit der Bildung mehrerer Endprodukte bewirken kann. Treten wahrend der Reaktionssequenzen a-Ketosauren auf, die in ihr nachst hoheres Homologes uberflihrt werden sollen, so wird auf die aus dem Citratzyklus (Umwandlung von a-Ketobernsteinsaure in aKetoglutarsaure, S. 524) bekannte Reaktionsfolge zuruckgegriffen, die sich offenbar als optimal erwiesen hat: Ankoppelung eines Acetyi-CoA-Restes mit anschlieBender Dehydrierung und Decarboxylierung.

Der Ausfall von drei SchHisselenzymen bewirkt den Verlust der Fahigkeit zur Synthese von 8 Aminosauren. Die fehlende Biosynthese ist auf den Mangel an Enzymen zuriickzuflihren, die an den Biosyntheseketten beteiligt sind. Auf den ersten Blick erscheint die Gruppe der 9 fiir den Menschen essentiellen Aminosauren als ein heterogenes Gemisch von Aminosauren mit den unterschiedlichsten, meist recht komplizierten Seitenketten. Da wir jedoch wissen, dass diese Aminosauren im Mikroorganismus und in der Pflanzenzelle grup-

15 penweise gebildet werden, fallt auf, dass immer die Biosynthese einer gesamten Familie von Aminosauren nicht mehr vollzogen werden kann. Man muss daraus schliegen, dass bei den drei Gruppen jeweils zumindest ein fruher - den Endprodukten noch gemeinsamer Biosyntheseschritt ausgefallen ist: • Wird bei den Aspartatfamilien die enzymatische Oberftihrung von Aspartat in sein Folgeprodukt blockiert (Mutation des entsprechenden Enzyms), so ist der gesamte Biosyntheseweg von Lysin, Threonin und Methionin nicht mehr aktiv. • Bei der Pyruvatfamilie fuhrt ebenfalls der Ausfall des ersten Enzyms zur Blockade des Synthesewegs fur Valin und Leucin. • Und schliemich ist es bei den aromatischen Aminosauren das Enzym, das die Bildung der Shikimisaure aus Zwischenprodukten der Glycolyse und des Pentosephosphatweges katalysiert, dessen Mutation (mit Verlust der enzymatischen Aktivitat) die Bildung von Phenylalanin und Tryptophan unmoglich macht. Die Fahigkeit zur Biosynthese der Gruppe der essentiellen Aminosauren ging einem fruhen Vorlaufer der Tiere vor etlichen Millionen Jahren verloren. Fur ihn, der sich von den reichlich vorhandenen Pflanzen ernahrte, bedeuteten bei dem standigen Aminosaurenangebot die enzymatischen Schritte zur Aminosaurenbiosynthese nur eine unnotige Belastung. Da die Energie fiir die Biosynthese der notwendigen Enzyme und die Biosynthese der Aminosauren gewinnbringender verwendet werden konnte, brachte ihm der durch eine Mutation bedingte Verlust eines Enzyms einer Biosynthesekette einen Selektionsvorteil, der naturlich urn so groger war, je mehr Aminosauren durch diesen Enzymmangel nicht mehr synthetisiert werden konnten. Ein weiterer Grund, warum gerade diese Aminosauren im Laufe der Evolution essentiell wurden, ist ihr augerordentlich komplizierter Biosyntheseweg, an dem bis zu einem Dutzend Enzyme beteiligt sein konnen. So sind ftir die Biosynthese • von Tryptophan 11, • von Phenylalanin und Tyrosin je 10, • von Lysin und Leucin je 9, • von Methionin 7 und • von Threonin, Valin und lsoleucin je 5 Enzyme erforderlich. Bei keiner der spater zu besprechenden Biosynthesen der nichtessentiellen Aminosauren sind dagegen mehr als drei Enzyme beteiligt. Bei Bakterien konnte in experimentellen Untersuchungen nachgewiesen werden, dass eine Mutante, die die Biosynthese eines bestimmten Molekuls nicht mehr vollziehen kann, bei reichlichem Angebot dieses Molektils eine bessere Dberlebenschance als der (nicht mutierte) Wildtyp besitzt. Von Bedeutung war wahrscheinlich auch, dass es sich urn hydrierende Biosynthesen handelt, die durch NADPH + H+ getrieben werden, das von der pflanz-

lichen Zelle durch Photolyse von Wasser, von der tierischen Zelle jedoch nur aus Nahrungsstoffen (z. B. Pentosephosphatweg beim Glucoseabbau) gewonnen werdenkann. Aus diesen Grunden hat dem gemeinsamen Vorlaufer der Tiere z. B. ein Ausfall des Enzyms, das die komplizierte Biosynthese der aromatischen Aminosauren [von den en im ubrigen auch die Biosynthese der pAminobenzoesiiure (Bestandteil von Folsaure) und des Naphthochinons (Grundgeriist von Vitamin K) ausgeht, S. 735] einleitet, bei dem reichlichen Angebot aromatischer Aminosauren durch die pflanzliche Nahrung einen entscheidenden Selektionsvorteil gebracht. Dadurch konnte die Energie ftir die Biosynthese der zahlreichen an der Bildung der aromatischen Aminosauren beteiligten Enzyme und fiir die Bildung der aromatischen Aminosauren selbst fiir andere Stoffwechselwege verwendet werden. Was dem Vorfahren vor einigen Millionen Jahren zum Dberlebensvorteil gereichte, bedeutet fiir uns Menschen heute auf vielen Teilen der Erde - bei der mangelnden Aminosaurenversorgung - einen oft fatalen Nachteil.

15.3.1 I Abbau, Stoffwechselbedeutung und Pathobiochemie der essentiellen Aminosauren Aminosauren werden nach Verlust der Aminogruppe als a-Ketosauren dehydriert und decarboxyliert. Grundziige des Abbaus• Die Zusammenstellung der

nachfolgend beschriebenen Abbauwege der essentiellen Aminosauren erhebt keinen Anspruch auf Vollstandigkeit. In einigen Fallen existieren mehrere Abbaumoglichkeiten, von denen die mit der grog ten quantitativen Bedeutung ausgewahlt wurde, in anderen Fallen sind sicherlich noch nicht aile Abbauwege bekannt. Der Abbau der essentiellen Aminosauren stellt - wie bereits auf S. 482 betont - wegen der Irreversibilitat der dehydrierenden Decarboxylierung keine Umkehr der Biosynthesewege dar. Im Allg. werden die a -Aminosauren durch ein- oder mehrfache nichtdehydrierende Desaminierung (Threonin) oder Transaminierung (aile ubrigen Aminosauren mit Ausnahme von Tryptophan) in a-Ketosauren uberfuhrt, aus denen durch die aus dem Abbau von (Pyruvat) a-Ketopropionat und a-Ketoglutarat bekannte dehydrierende Decarboxylierung FettsaureCoA-Thioester entstehen. Diese werden direkt (z. B. durch Carboxylierung von Propionyl-CoA tiber Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA) oder tiber die (30xidation (S. 440) in Zwischenprodukte des Citratzyklus umgebaut ( Abb. 15.16). Als solche konnen sie entweder zum Energiegewinn (ATP) vollstandig zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert oder in Ketonkor15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

483

15 Blut

l.eberzelle

Blut

Glutamat

Histidin - - - • His (6)

Forrnimino-Obertragung Mtth1onin - -(5)

Threomn

(4)

C02

lsoleucin

r

J1' Fm 7-~'

(6)

1

Valin (5)

>K

6 Glykogen ) 4-rltrat(


Homocystein kann entweder zu Methionin riickverwandelt oder weiter abgebaut werden (Abb. 15.21). Die Remethylierung von Homocystein erfolgt durch die Methioninsynthase, ein Vitamin-B12-abhangiges Enzym. Da Methyltetrahydrofolsaure bei dieser Reaktion als Methylgruppendonator wirkt (S. 745), besteht an diesem Punkt die einzig bekannte Verknupfungdes Stoffwechsels zweier Vitamine. AuBer durch die Methioninsynthasereaktion ist eine Methioninbildung auch durch die Betain-Homocystein-Methylase moglich, wobei die Methylgruppe von Betain iibernommen wird, das dadurch in Dimethylglycin iiberfiihrt wird.

Beim Abbau von Homocystein verliert dieses seine Sulfhydrylgruppe durch eine Transsulfurierung. Da eine Direktiibertragung nicht moglich ist, kondensiert die Sulfhydrylgruppe von Homocystein - analog zu der aus dem Lysinstoffwechsel bekannten Lysin -a-Ketoglutarat-Dehydrogenase-Reaktion - in einer Pyridoxalphosphat-abhiingigen Reaktion mit der Hydroxylgruppe von Serin zu Cystathionin, das besonders im menschlichen Gehirn in hoher Konzentration vorliegt. Dieses Kondensationsprodukt wird durch Cystathionase, ein ebenfalls Pyridoxalphosphat-abhiingiges Enzym, in Cystein und Homoserin gespalten. Damit ist die Sulfhydrylgruppe von Homocystein auf Serin (unter Bildung von Cystein) iibertragen worden. Der Abbau von Methionin setzt somit die standige Bereitstellung von Serin voraus. Da auf diesem Weg die Biosynthese der nichtessentiellen Aminosaure Cystein aus Serin und dem Schwefelatom von Methionin erfolgt, fiihrt ein Defekt der Cystathioninsynthase oder Cystathionase zu einer StOrung des Cysteinstoffwechsels (s. unten). In der Leber der menschlichen Feten ist die Cystathionasereaktivitat noch nicht nachweisbar; Cystein gehort deshalb ftir Feten und Friihgeburten zu den essentiellen Aminosauren ( Tabelle 15.6, S. 481). Cystein wird auf verschiedenen Wegen zu Pyruvat abgebaut, Homoserin zu a - Ketobutyrat desaminiert. Da das verantwortliche Enzym, die Homoserindehydratase, mit der Cystathionase identisch ist, tritt Homoserin nie in nennenswerten Mengen auf. a- Ketobutyrat ist das Homologe zu Pyruvat (a-Ketopropionat) und kann dementsprechend durch dehydrierende Decarboxylierung in Propionyl-CoA umgewandelt oder durch Transaminierung in a-Aminobutyrat iiberfiihrt werden (Abb. 15.22). Der GroBteil der Enzyme des Methioninstoffwechsels ist auch in extrahepatischen Geweben zu finden, da Methylgruppen fiir Methylierungen tiberall benotigt werden. Da die a-Ketobutyratdehydrogenase nur in der Leber vorkommt, muss das in den peripheren Geweben durch Transmethylierung und -sulfurierung aus Methionin gebildete a-Ketobutyrat nach Transaminierung zu a-Aminobutyrat ins Blut iibertreten ( Tabelle 15.4, S.474) und in die Leber gelangen, wo es weiter verstoffwechselt wird. Transsulfurierung~~>

490

I

15 Stoffwechsel der Aminosauren

CH3 I

c~

I + H- C- NH3 I

coo-

a-Ketobutyrat

a·Aminobutyrat

Jt CH3 I CH2 I

CH3 I CH2

I

H- C- OH I

C= O

a-Hydroxybutyrat

Propionyi-CoA

coo-

I

S - CoA

Abb. 15.22. Durch Enzyme katalysierte Reaktion von a-Ketobutyrat: Hydrierung zur a-Hydroxysaure, dehydrierende Decarboxylierung zum urn ein C -Atom kOrzeren CoA-Derivat und Transaminierung zur Aminosaure (vgl.die entsprechenden Reaktionen von Pyruvat)

Da der Methioninabbau mit einem anabolen Schritt gekoppelt ist, erhebt sich die Frage, ob diese Koppelung sinnvoll ist, da der Bedarf an aktiven Methylgruppen bei einem Oberangebot von Methionin nicht zwangslaufig erhoht ist. Es wird deshalb ein anderer Stoffwechselweg postuliert, der die Transaminierung von Methionin zu a-Methylthio-f3-Ketobutyrat und anschlieBende dehydrierende Decarboxylierung zu aMethylthiopropionyl-CoA einschlieBt. Dieses Molekiil wird dann weiter zu Kohlendioxid, Wasser und anorganischem Sulfat oxidiert.

Pathobiochemie: Storungen im Homocysteinstoffwechsel verursachen eine Endothelzellschadigung. Homocystinurie~~> Ursache dieser autosomal-rezessiv vererbten Krankheit ist eine Storung der Cystathioninsynthaseaktivitiit. Dadurch staut sich Homocystein an, das entweder (tiber die heiden bekannten Wege) durch Methylierung in Methionin riickverwandelt oder durch oxidative Verkntipfung der SH-Gruppen mit einem weiteren Homocysteinmolekiil in Homocystin iiberfuhrt werden kann. Auch die Kondensation mit Adenasin zu S-Adenosylhomocystein ist moglich, zumal das Reaktionsgleichgewicht die Synthese begiinstigt. Die pathologische Akkumulation des Disulfids Homocystin im Blut und in Geweben verursacht bei der homozygoten Form eine schwere Endothelschiidigung, die zu GefaBverschliissen fiihren kann. Wie die StoffwechselstOrung und die Zellschadigung zusammenhangen, ist noch ungeklart. Cystein, das bei Menschen zu den bedingt essentiellen Aminosauren zahlt, wird durch den Enzymdefekt absolut essentiell. Die Therapie besteht in einer gezielten Diat, die wenig Methionin und zusatzlich Cystein enthalt, und der weiterhin Folsaure zugesetzt wird, da die erhohte Remethylierung

15 IThreonin-Aidolase l HC- C- H 3 II 0 Acetaldehyd H c-

c- c- coo-

I I HO H

3

Glydn

H NH3 I I

l -Threonin

AldehydDehydrogenase

10

5 N ,N -Me· thylen·FH 4

ThreoninSerin-Dehydratase

~

FH 4

H c-

21

Serin-Transhydroxymethylase

NHJ I

c- cooI

HO H H 0

H c3

I

II

c-c-cooI

l ·Serin

H

ThreoninSerin-Dehydratase

a-Ketobutyrat ATP AMP + P- P;

H3c-

0 II

0 II

Pyruvat

H3C- C- S- CoA +-- -- - ----'

Acetyi-CoA

von Methionin einen vermehrten Folsaureverbrauch bedingt. Hyperhomocysteinamie.. Patienten mit der heterozygoten Form der Erkrankung - ermittelt durch einen oralen Methioninbelastungstest (100 mg Methionin/kg Korpergewicht) - weisen eine Pradisposition fur friih einsetzende arterielle Verschlusserkrankungen (Herz, Peripherie, Hirn) auf. Der Homocysteinspiegel ist zwar erhoht (-amie), aber nicht so hoch, dass Homocystein in den Urin iibertritt (-urie). Die Hyperhomocysteinamie fiihrt zu einer Schadigung des GefaBendothels, deren biochemischer Wirkungsmechanismus im einzelnen noch nicht geklart ist. Homocystein gilt neben Cholesterin als wesentlicher Risikofaktor bei der Entstehung der Arteriosklerose (S. 625).

! Vitaminmangelzustande beeintrachtigen den Methioninstoffwechsel.

Da an der Umwandlung von Methionin in Cystein drei Vitamine (Cobalamin, Folsaure und Pyridoxalphosphat) beteiligt sind, ist bei einem Mangel an diesen Vitaminen auch der Plasmahomocysteinspiegel erhoht. Das Narkosemittel N20 kann zu einer Oxidation des Kobalts im Cobalamin und damit zu einer drastischen Abnahme der Methioninsynthaseaktivitat fiihren. Narkosen mit diesem Mittel bei Individuen mit schon vorbestehendem leichten B12 -Mangel konnen deshalb schwere neurologische Schaden auslosen (S. 748).

c- cooAbb. 15.23. Zwei Abbauwege von Threonin: Desaminierung (a, ~- Elimination) zu a-Ketobutyrat oder Aldolspaltung zu Acetaldehyd und zur Aminosaure Glycin. Beide Reaktionen sind irreversibel

Threonin kann in Serin UberfUhrt werden. Threonin ( Abb. 15.23) wird entweder durch die Pyridoxalphosphat-abhangige Threoninaldolasereaktion in Acetaldehyd und die nichtessentielle Aminosame Glycin oder durch die ebenfalls Pyridoxalphosphat-abhangige Threonin-Serin-Dehydratase-Reaktion in Ammoniak und a-Ketobutyrat umgewandelt. Glycin wird durch die reversible Ubernahme einer Hydroxymethylgruppe in Serin iiberfiihrt. Das verantwortliche Enzym, die Serin-Transhydroxymethylase, soll mit der Threonin-Aldolase identisch sein. Serin kann durch Desaminierung (a, j3-Eliminierung durch die Threonin-Serin-Dehydratase!) in Pyruvat iiberfiihrt werden. a-Ketobutyrat wird zu a -Aminobutyrat transaminiert oder zur Propionyl-CoA dehydriert und decarboxyliert. Beim Menschen dient Threonin nur als Baustein von Proteinen, in denen es haufig entweder reversibel phosphoryliert oder glycosyliert wird.

Pathobiochemie: Bei Enzymdefekten treten Propionat bzw. Methylmalonat in den Urin Uber. Stiirungen im Stoffwechsel von Propionyi-CoA und Methylmalonyi-CoA .. Propionyl-CoA entsteht im Stoffwechsel der Aminosauren Methionin, Threonin und Valin (S.492) sowie beim Abbau des Cholesterins zu Cholsaure (S. 1083) und der ungeradzahligen Fettsauren ( Abb. 15.24). Die nachfolgende Umwandlung 15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

491

15 Thymin

Valin

lsoleucin

Methionin

L

Acetyi-CoA

Threonin

""'"' ""'" __j

ungerad2ahlige FettS Abb. 2.35, S. 50) auf, deren Entstehung Abb. 15.26 beschreibt. Falls nicht sofort mit einer Diat begonnen wird, die arm an, aber nicht frei (da es sich urn essentielle Aminosauren handelt) von Valin, Leucin und lsoleucin ist, tre-

·coo-

l

I HN - CH 3 I 3

bau der anderen verzweigtkettigen Aminosauren wird diese Verbindung nun durch eine - der Acetylcarboxylasereaktion entsprechende - Biotin- und ATP-abhangige Carboxylierung und anschlieGende Wasseranlagerung in P-Hydroxy-P-methylglutaryl-CoA umgewandelt, welches entweder durch die mitochondriale HMG-CoA-Lyase in den Ketonkorper Acetacetat und Acetyl-CoA gespalten wird oder tiber Mevalonat zur Cholesterinbiosynthese fiihren kann (S. 608 ff.). Ein Teil des Kohlenstoffgerusts von Leucin kann zur Cholesterinbiosynthese verwendet werden, die verzweigtkettigen Fettsaure-CoA-Derivate (lsobutyrylCoA aus Valin und a-Methylbutyryl-CoA aus Isoleucin) sind Starter der Biosynthese verzweigtkettiger Fettsiiuren. In Pilzen dient Valin als Baustein der Penicillinbiosynthese ( Abb. 19.15, S. 595), bei Bakterien und Pflanzen nach Transaminierung zu a-Ketoisovalerianat als Vorstufe von Pantothensaure (S. 742).

l.-a-Keto-P-Methyi-

Y.aJeJijUJ

coo-

l

I Racemisierung .J

O= C I H- C- CH I 3 CH2 I CH3 lb-a-Keto-p-MethyiValerianat

ITransaminierung I

• I HN- C- H 3 I H C CH3 I

CH2 I

CH3 l-AIIoisoleucin

Abb. 15.26. Bildung der ungewtihnlichen Aminosaure L-AIIoisoleucin bei derVerzweigtkettenkrankheit durch Racemisierung der L-a-Ketosaure zur Da-Ketosaure 494

I

15 Stoffwechsel der Aminosauren

15 ten schwere zentralnervose Schadigungen (verbunden mit Atemnot und Cyanose) und eine Acidose auf, die meist in den ersten Lebenswochen zum Tode fiihren. Bei einer Variante dieser Krankheit, der sog. intermittierenden Verzweigtkettenkrankheit, treten die Symptome spater und nur zwischenzeitlich auf. Die Aktivitat des Enzyms ist zwar niedrig, liegt jedoch erheblich tiber der bei der klassischen Ahornsirupkrankheit. Dies ist auf eine weniger starke Stukturveranderung des Enzyms zurtickzufiihren.

Aktivierung des Ringsystems durch Einfiihrung einer Hydroxylgruppe voraus. Da Phenylalanin im ersten enzymatischen Schritt seines Abbaus in Tyrosin tiberfiihrt wird, ist der Phenylalaninabbau praktisch der von Tyrosin.

Durch Hydroxylierung von Phenylalanin entsteht Tyrosin . Zuerst wird Phenylalanin durch die PhenylalaninHydroxylase in p-Hydroxyphenylalanin (Tyrosin) umgewandelt. Dieses Enzym ist durch reversible Phosphorylierung interkonvertierbar und beim Menschen hisher nur im Cytosol der Leber nachweis bar. Es gehort zu den mischfunktionellen Oxygenasen, d. h. Enzymen, die mit molekularem Sauerstoff arbeiten und ein Sauerstoffatom in das Substrat einbauen, wahrend das andere Sauerstoffatom mit Wasserstoff zu Wasser reagiert (S. 548). Das Gen fiir das Enzym liegt auf Chromosom 12. Wahrend die mRNA 2,4 kb lang ist, weist das Phenylalaninhydroxylasegen eine Lange von insgesamt etwa 90 kb auf. Der fiir das Enzymprotein codierende Bereich verteilt sich dabeiauf 13 Exons ( Abb. 15.3l,S. 499).

15.3.4[ Phenylalanin, Tryptophan und das bedingt essentielle Tyros in Beim Abbau der aromatischen Aminosauren wird der Ring oxidativ gespalten. Im Verlauf des Abba us der aromatisch en Aminosauren wird ihr Benzolring durch Dioxygenasen (S. 547) gespalten. Diese Reaktion, bei der die Spaltung einer C-CBindung durch Einftihrung zweier (,Di") Sauerstoffatome erfolgt, ist irreversibel. Dieser Reaktion geht die

NADH+ W

L-Tyrosin

0=0

L-Phenylalanin

TNF·a, lnterferon-y

NADP+ NADPH+ W

GTP-Abb. 15.28) verliert seine Aminogruppe tiber die Transaminierung auf a -Ketoglutarat oder Py-

ITyrosin-Transaminase I a-Ketoglutarat

Glutamat

l -Tyrosin (p-Hydroxyphenylalanin)

p-Hydroxyphenylpyruvat

Oz

p-HydroxyphenylpyruvatHydroxylase H f).C ......_ / 0-

C"'-""'O

HC:::;:J 1

IHomogentisat-Dioxygenase I HO /

C Hz

0=0

Maleylacetacetat

1l

HC~ 'H

-vfv- -

.oC

Tocopheroi-Hydrochinon

" ' cH2- coo' c""' H

Homogentisat

R

Fumarat

I Fumarylacetacetat-Hydrolase

?

_}

\

-~---......._....---

O= Cj C/ C- CH 2 - COOHz Fumarylacetacetat

0

II H3C- C- CH2- CooAcetacetat

496

OH

Ma leylacetacetat-cistrans-Isomerase

cool c

I

"""'c/

II

C,

C02

H C

HC /

R

O= C......_ /C- CH 2- COO-

orbinsaure

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Abb. 15.28. Abbau von Tyrosin (p-Hydroxyphenylalanin)

15 teil des Citratzyklus, Acetacetat, ein Ketonkorper, wird nach Aktivierung zu Acetacetyl-CoA (S. 444) in 2 Moleki.ile Acetyl-CoA gespalten. Da Ketonkorper nur von peripheren Geweben verstoffwechselt werden konnen, tritt beim Tyrosinabbau in der Leber gebildetes Acetacetat ins Lebervenenblut i.iber, wird in periphere Organe (Myocard, Skelettmuskel, Gehirn, Nierenrinden) transportiert und dort utilisiert.

Phenylalanin und Tyro sin dienen als Vorstufen von Pigmenten, Neurotransmittern und Hormonen. Neben dem mit der Nahrung zugefiihrten Tyrosin ist Phenylalanin die Quelle fiir das im Stoffwechsel benotigte Tyros in. Tyros in dient als Vorstufe ., von Melanin, dem Pigment in Haut und Haaren, ., von dem biogenen Amin Dopamin, das in hohen Konzentrationen in den Kernarealen des extrapyramidalen Systems gefunden wird (S.1069), ., der Schilddri.isenhormone und ., der Katecholamine (S. 853). Da die tierische Zelle mit Ausnahme des aromatischen Rings der Ostrogene (S. 895) kein Benzolgeri.ist mehr aus aliphatischen Verbindungen synthetisieren kann, kommt fiir die Bildung des Ubichinons (S. 538) nur eine aromatische Vorstufe, wie z. B.Tyrosin in Frage. Darmbakterien konnen Tyrosin zu Tyramin, einem biogenen Amin mit blutdrucksteigender Wirkung decarboxylieren. Tyramin kommt auch in hohen Konzentrationen im Kase vor. Die Hemmung seines Abbaus im Organismus ( v. a.in der Leber) durch Monoaminoxidasehemmstoffe kann deshalb bei gleichzeitigem Kasegenuss zu schweren Blutdruckkrisen fiihren. Die im Blut und Urin auftretenden Phenole sind Derivate von Tyrosin, die im Stoffwechsel von Darmbakterien enstehen und ins Blut i.ibertreten. Zur Ausscheidung mit dem Urin werden sie mit Sulfat konjugiert und stellen damit einen Teil der sog. Ether-SchwefelFraktion des Urins (S. 932).

!

Pathobiochemie: Die Phenylketonurie ist die haufigste genetische Storung des Aminosaurestoffwechsels. In der Bundesrepublik Deutschland werden jahrlich etwa 100 Kinder mit homozygoter Phenylketonurie geboren (1 Erkrankung auf 10000 Neugeborene). Damit stellt die Phenylketonurie die haufigste genetische Anomalie des Aminosaurenstoffwechsels dar. Die Haufigkeit der Heterozygoten betragt 1 :50. Da die Aktivitat der Phenylalanin-Hydroxylase in der Leber nicht oder nur in extrem geringen Konzentrationen nachweisbar ist, kann Phenylalanin nicht oder nur sehr langsam in Tyrosin i.iberfiihrt werden und hauft sich im Intra- und Extracellularraum auf Werte von 0,9 bis 3,8 mol/1 an (bei Normalwerten von 0,06 bis 0,12 mol/1).

Tyrosin wird damit zur essentiellen Aminosaure. Durch den Enyzmblock weicht der Phenylalaninabbau auf alternative Stoffwechselwege aus: ., So entsteht aus Phenylalanin durch Transaminierung Phenylpyruvat, eine Ketocarbonsaure, deren vermehrtes Auftreten in Blut und Urin der Krankheit den Namen verliehen hat ( Abb. 15.29). ., Durch Hydrierung entsteht aus Phenylpyruvat Phenyllactat. ., Durch dehydrierende Decarboxylierung Phenylacetyl-CoA, das vorwiegend nach Konjugation mit Glutamin im Urin als Phenylacetylglutamin nachgewiesen werden kann (Tabelle 15.9), aber auch zu Phenylacetat und CoA-SH hydrolysiert wird. ., Au~erdem kann Phenylalanin zu Phenylethylamin decarboxyliert und anschlie~end zu Phenylacetat dehydriert und desaminiert werden . Weiterhin sind die Spiegel von Indolylacetat und -lactat sowie von Indican erhoht. Die Erhohung der Konzentrationen von Indolylacetat und -lactat konnte durch eine Hemmung des ersten Enzyms des Tryptophan-(Indolylalanin-)abbaus, der Tryptophanpyrrolase (S. 499), bedingt sein, wodurch Indolylalanin - in Analogie zum veranderten Stoffwechsel bei der Phenylketonurie - durch Transaminierung in Indolylpyruvat und anschlie~ende Reduktion in Indolyllactat i.iberfi.ihrt wird. Das Vorkommen von Indican weist auf einen gesteigerten Tryptophanabbau durch die Bakterienflora des Darms hin; dabei bewirken wahrscheinlich die erhOhten Blutphenylalaninspiegel eine Hemmung der Tryptophanresorption im Darm, weshalb das nichtresorbierte Tryptophan vermehrt dem Stoffwechsel der Mikroorganismen anheim fallt, die Tryptophan in Indol, Ammoniak und Pyruvat spalten. Das Indolgeri.ist gelangt i.iber die Pfortader in die Leber, wird dort mit Sulfat konjugiert und als Indican mit dem Urin ausgeschieden (S. 932). Bedeutendes Symptom der unbehandelten Krankheit ist die geistige Retardierung, fi.ir deren biochemische Ursache eine toxische Wirkung der vermehrt ausgeschiedenen Metaboliten auf die Synthese der cerebralen, mehrfach ungesattigten Fettsauren Arachidon(20:4w6)- und Docosahexanon-(22:6w3) Sauren, die unter dem Einfluss einer mitochondrialen FettsaureDesaturase entstehen. Dieses Enzym benotigt als CoTabelle 15.9. Phenylalaninmetaboliten im Urin von Patienten mit Phenylketonurie Mmbollt Normal

Phenylalanin Phenylpyruvat Phenyllactat Phenylacetat Phenylacetylglutamin

0,18

0,8- 1,2

Urln [11111101124 h) Patienten mit Phenylketonurie

1,8-6,0 1,8-12,0 1,8-3,3 Erhoht 9

15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

497

15

L-Phenylalanin

L-Tyrosin

~

rr-

a-Ketoglutarat Glutamat

Phenylpyruvat

Phenylethylamin

N + A;t NADH+W

Phenylacetat

CoA - SH

Glutamin

o-

C0 2

CH2- CO -S - CoA

~

t- ~-~

o-

o coo· II I CH -C - N- C- H 2

H I

CH2 I CH 2 CONH 2

Phenylacetylglutamin

faktor a- Tocopherol-Chinon, fiir dessen Synthese aus Vitamin E Homogentisat kritisch ist (S. 496). Da bei gesunden Neugeborenen die Aktivitat der Phenylalaninhydroxylase noch sehr gering ist und auch bei Neugeborenen (ohne Nahrung) mit Phenylketonurie die Phenylalaninkonzentration innerhalb des Normalbereichs gesunder Neugeborener liegt, wird das erkrankte Neugeborene ohne Starungen geboren. Dies diirfte auch dadurch bedingt sein, dass Metaboliten beim Feten tiber die Placenta in den miitterlichen Kreislauf gelangen, wo sie entgiftet werden. Erst durch die Proteinzufuhr nach der Geburt und nach der Trennung vom miitterlichen Stoffwechsel kommt es zum drastischen Anstieg des Phenylalaninspiegels.

! Die fri.ihzeitige Diagnose

durch Reihenuntersuchungen erlaubt eine wirkungsvolle Behandlung.

Da die Entwicklung des Schwachsinns durch Behandlung mit phenylalaninarmer Diat, die zur Normalisie15 Stoffwechsel der Aminosauren

OH

Phenyllactat

Phenylacetyi-CoA

I

498

o-~ CH2-yH-Coo-

Abb. 15.29. Alternative Produkte,die vermehrt bei Patienten mit Phenylketonurie gebildet werden. G) Blockade des Phenylalaninabbaus auf der Stufe der Phenylalanin-Hydroxylase

rung des Spiegels von Phenylalanin und seiner Abbauprodukte fiihrt, verhindert werden kann, ist eine friihzeitige Diagnose bei Neugeborenen im Rahmen von Reihenuntersuchungen unerHisslich. Dabei wird die Phenylalaninkonzentration im Blut durch den mikrobiologischen Hemmtest nach Guthrie bestimmt. Durch (3-Thienylalanin gehemmte Bakterien werden durch Zusatz von phenylalaninhaltigem Blut zum Wachsen gebracht. Die GroBe des Wachstumshofes dient als MaB fiir die Phenylalaninkonzentration ( Abb. 15.30 ). Der Test ist dann anwendbar, wenn das Neugeborene so viel Nahrung zu sich genommen hat, dass der Phenylalaninspiegel im Krankheitsfall ansteigt (meist 4.-6. Tag). Eine genaue quantitative Phenylalaninbestimmung kann durch fluorometrische oder chromatographische Methoden erfolgen. Die Therapie, die mindestens bis zum Ende des 1. Lebensjahrzehnts durchgefiihrt werden muss, besteht in einer speziellen phenylalaninarmen, nicht -freien Ernahrung, da Phenylalanin eine essentielle Aminosaure darstellt. Da aile in der Natur vorkom-

15 verstarktes Wachstum des B.subtilis



0,12 normal





0,48





1,20

Blutproben mit bekannter Phenylalaninkonzentration [mmol/1]

Phenylalaninamie

Abb. 15.30. Guthrie-Hemmtest zur Diagnose der Phenylketonurie: Ein mit Blut getranktes Scheibchen wird auf eine Agarplatte gebracht. Der durch Thienylalanin gehemmte Bacillus subtilis wachst bei Vorhandensein von Phenylalanin

menden Proteinarten einen recht hohen Phenylalaninanteil (4-5 %) enthalten, muss der Proteinbedarf durch spezielle - im Handel erhaltliche- Diaten gedeckt werden, aus denen Phenylalanin durch Adsorption an Kohle vollstandig entfernt wurde und denen Fette, Kohlenhydrate und Mineralstoffe zugesetzt wurden. Der i.ibrige Teil der Nahrung muss proteinarm sein. Mit dieser Kost wird ein Blutphenylalaninspiegel von 0,12 bis 0,24 mmol/l eingestellt. Bei Fri.ihgeborenen wird manchmal eine passagere Erhohung des Phenylalanin- ( und meist auch Tyrosin-) spiegels beobachtet, die durch eine mangelnde Reifung der notwendigen Enzyme bedingt ist. Die Diagnose einer Phenylketonurie muss deshalb vor dem Beginn einer Spezialdiat immer durch mehrfache Bestimmungen gesichert werden. I Ober 400 verschiedene Mutationen

• im Phenylhydroxylasegen konnen eine Phenylketonurie verursachen.

Die Analyse der molekularen Grundlagen der Phenylketonurie hat zur Identifikation von i.iber 400 verschiedenen Mutationen (Abb. 15.31) gefi.ihrt. Die meisten Patienten sind gemischte Heterozygote, d. h. ihre bei-

R158Q

- ·--·-

den Allele weisen unterschiedliche Mutation en auf. Die verschiedenen Genotypen erklaren die individuelle Auspragung beim einzelnen Patienten, d. h. einzelne Individuen weisen i.iberhaupt keine Enzymaktivitat auf, andere haben Restaktivitaten bis zu etwa 30%. In Europa herrschen funf Mutationen vor, d. h. Argininzu-Glutaminsubstitutionen in den Positionen 158 bzw. 261 (R 158Q bzw. R261 Q), eine Arginin-zu-Tryptophansubstitution in Position 408 (R408W) sowie Mutationen in den Introns 10 und 12 (INT10nt546 bzw. INT12ntl). Durch letztere Mutation einer Consensussequenz (G ~A-Transition) kommt es- ahnlich wie bei einer [3- Thalassamieform (S. 350) - zu einer abnormen mRNA-Prozessierung. Unterschiede in der Verteilung und Haufigkeit der Mutationen in Europa sprechen fi.ir verschiedene geographische und ethnische Urspri.inge der Phenylketonurie in der europaischen Bevolkerung.

Die Ringsysteme von Tryptophan werden durch Einfi.ihrung molekularen Sauerstoffs gespalten. Beim Abbau von Tryptophan (Indolylalanin) erfolgt zuerst .,.. die oxidative Spaltung des Pyrrolrings, anschlieBend .,.. die Abtrennung der Alaninseitenkette und daraufhin .,.. die oxidative Offnung des Benzolrings. Zusatzlich kann der Indolring in das Pyridingeri.ist umgewandelt werden, das zur Nicotinsaurebiosynthese verwendet wird. Im einleitenden Schritt wird der Pyrrolring durch Einfiihrung molekularen Sauerstoffs gespalten ( Abb. 15.32 ). Verantwortliches Enzym ist die Tryptophanpyrrolase, eine Dioxygenase, die bisher nur im Cytosol der Leber nachgewiesen wurde. Vom Reaktionsprodukt Formylkynurenin wird im Cytosol Formiat abgespalten. Dieses kann in einer ATP-

INT10nt546

R261Q

R408W INT12nt1

•••••••••• ••••• •••••••• ••••••• • .---------------· --------------· • •

e

Substitution SpleiBmutation Deletion Polymorphismus Nonsense-Mutation

Abb. 15.31. Mutationen im Phenylalaninhydroxylase-Gen (13 Exons).Oben die in Europa haufigsten,unten eine Auswahl aus den Uber400 verschiedenen Mutationen und Polymorphismen 15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

499

15 H ...,::C, HC::?' e - - cl II "'*'HC~ /C'- / C C N H

H

H I c1 H

H

0=0

H I e- cooI +NH 3

H

H

II

/C'-

C

I OH

I

NH 2

H20 0=0

H

I

H

H 0 H H -""' C'II I I HC::?' e-c-c-e-cool II I I HC~ /C'H •NH 3 C NH 2 H

I

H ~NH 3

f

H

DHB THB

Kynu renin

3-HydroKykynurenin

IKynureninase I

I

N-Formylkynurenin

H 0 H H C II I I He""" ' c - c f c - c- coo-

1

II

e - - c- c - e-cool II I I HC ~ /C'- .2 7 o H +NH 3 c N1c,

L-Tryptophan

HC ~

0 H

...,::C,

HC::?'

2

~

H0 H c - c - coo3 I •NH 3 L-Aianin

H b e, / cooHC::?' C I II HC~ /C'C NH 2 I OH

H be, / cooHC::?' C o ~l II w__..c c/c'NH

0=0

3-HydroxyAnthranilatOioxygenase

o?

3

1

OH

C0 2

1

a

Acroleyl-13AminofumaratOeAbb. 15.34), einem ungesattigten Aldehyd und Aminofumarat zusammensetzt, wird durch enzymatische Decarboxylierung (Acroleyl-,8-Aminofumaratdecarboxylase) in den E-Semialdehyd von a-Aminomuconsaure umgewandelt. Als Muconsiiure wird die bei der oxidativen Spaltung des Benzolrings entstehende Dicarbonsaure bezeichnet (Abb. 15.34). Der Semialdehyd wird nach der Dehydrierung zur Dicarbonsaure in a-Ketoadipat iiberfiihrt, dessen weiteres Schicksal aus dem Lysinstoffwechsel bereits bekannt ist (S. 487).

HO - CH 2

I

HO-CH

I

HO-CH 2

H

c He' ' cH a""'/ CI / CH II

-o ~

! Hydroxyanthranilat wird zu a -Ketoadipat abgebaut.

Benzol

Im Verlauf des normalen Abbauwegs wird der Benzolring von Hydroxyanthranilat durch eine Dioxygenase abgespalten. Das entstandene Acroleyl-P-Aminofumarat (Synonym: a-Amino-,8-Carboxymuconsaure-£-Se-

Acrolein

Glycerin

c~

a""' o-I

Muconsaure

Adipinsaure

Abb. 15.34. Strukturen von Acrolein (der durch Abspaltung von 2 MolekOien Wasser aus Glycerin entsteht) und Muconsaure (die bei der oxidativen Offnung des BenzolgerOsts entsteht und das ungesattigte Analogon der Adipinsaure darstellt) 15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

SOl

15 ! Tryptophan reguliert

die hepatische Proteinbiosynthese.

Tryptophan spielt eine wesentliche Rolle im Leberstoffwechsel: Tryptophan allein oder als Bestandteil eines Aminosauregemischs verursacht eine relativ unspezifische Verstarkung der Proteinbiosynthese in der Leber, die sich in einer vermehrten Aggregation von Ribosomen zu Polysomen widerspiegelt. Auf der anderen Seite fi.ihrt die Verabreichung einer tryptophanfreien Kost zu einem Abfall der hepatischen Proteinbiosynthese. Diese Wirkungen sind bei anderen essentiellen Aminosauren nicht zu beobachten. Die spezielle Empfindlichkeit der Polysomenbildung auf die Verfi.igbarkeit von Tryptophan wird wahrscheinlich dadurch bedingt, dass es normalerweise die Aminosame mit der geringsten freien Konzentration in der Leber darstellt.

! Tryptophan ist Provitamin

fur die Nicotinsauresynthese.

Von Acroleyl-P-Aminofumarat zweigt die Nicotinsaurebiosynthese ab ( Abb. 15.35). Dabei stellt man sich vor, dass der Aminofumaratanteil (trans-Form) zu Aminomaleinsaure (cis-Form) isomerisiert wird. Die spontane Kondensation fi.ihrt zu Chinolinsiiure, einem Pyridinderivat, das nach Verkni.ipfung mit Phosphoribosylpyrophosphat (PRPP) und nachfolgender Decarboxylierung als Nicotinsauremononucleotid zur NAD+-Biosynthese (S. 740) herangezogen wird. In Kenntnis dieses Stoffwechselwegs darf Nicotinsaure nur bedingt zu den Vitaminen gezahlt werden. Beim Menschen werden 3,75 mmol Tryptophan in der Nahrung benotigt, urn 0,1 mmol Nicotinsaure zu ersetzen. Die empfohlene tagliche Tryptophanzufuhr (S. 686) reicht also zur Deckung des taglichen Nicotinsaurebedarfs aus. Durch die Verkni.ipfung des Tryptophan- und Nicotinsaurestoffwechsels mi.issen nahrungsbedingte Mangelzustande wie die Pellagra (S. 741) deshalb als kombinierte Protein-(Tryptophan-) und Vitaminmangel- (Niacin)Zustande betrachtet werden. Da ein bereits erwahnter Schritt im Tryptophanabbau, die Kynureninasereaktion, Pyridoxalphosphat-abhangig ist, kann ein Pyridoxinmangel durch Beeintrachtigung der Umwandlung von Tryptophan in Nicotinsaure auch deren Stoffwechsel beeintrachtigen.

! Tryptophan ist Vorstufe biogener Amine. Tryptophan ist Ausgangssubstanz der Biosynthese von ._ Serotonin, einem biogenen Am in (S. 1071 ), ._ Melatonin, einem Hormon der Epiphyse (S.l074), und ._ Tryptamin, einem biogenen Amin, das von Darmbakterien und in Leber und Nieren gebildet werden kann. 502

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Acroleyl -~·aminofumarat

Chinolat ChinolatphosphoribosylTransferase PP;

1\ H ,...c, _.. . cooHe c I I Hc,._.....cH N

I

Ribose-® Nicotinsauremononucleotid Abb. 15.35. Tryptophan als Provitamin der Nicotinsaure: die spontane Bildung des Pyridinrings au sAcroleyl-,13-aminofumarat

Im Urin sind verschiedene Indolderivate nachweisbar. Den Hauptteil macht 5-Hydroxyindolylacetat aus, das beim Abbau von Serotonin, einem Tryptophanderivat, entsteht. Weiterhin ist Indolylacetat (besonders bei einer Tryptophanbelastung) vorhanden, das durch Transaminierung und dehydrierende Decarboxylierung aus Indolylpyruvat, der Ketosaure von Tryptophan, gebildet wird. Auf die Bedeutung dieser Derivate bei der Phenylketonurie wurde bereits hingewiesen (S.497). Indolylacetat kann auch beim Abbau von Tryptamin, einem biogenen Amin, in Leber und Nieren sowie in Darmbakterien entstehen.

Pathobiochemie: Derivate des Tryptophanabbaus. Eosinophilie-Myalgie-Syndrom .. Da Tryptophan die Vorstufe von Serotonin (S. 1071) darstellt, wird diese Aminosaure auch zur Behandlung von Schlafstorungen und Depressionen eingesetzt, bei den en die Serotoninbiosynthese gestort sein soll. Nach oraler Einnahme hoherer Tryptophandosen traten bei einzelnen Patienten eine Erhohung der Eosinophilen und Muskelschmerzen auf, als deren Ursache ein bei der technischen Tryptophanherstellung gebildetes Tryptophandimer (zwei i.iber eine Ethylgruppe verbundene Tryptophanreste) identifiziert wurde. Kynurensiiure und Chinolinsiiure wirken als Antagonisten bzw. Agonisten des NMDA-Rezeptors (S. 1071) im Gehirn, in dem sie z. B. in Astrocyten gebildet werden. Es wird ihnen deshalb eine Rolle bei der Pathogenese verschiedener neurologischer Erkrankungen zugeschrieben.

15 15.3.51 Histidin

! Histidin wird zu u-Ketoglutarat abgebaut. Beim Histidinabbau (Abb. 15.36) wird das erste Stickstoffatom in Form von Ammoniak abgespalten, das zweite gemeinsam mit einem Kohlenstoffatom als Formiminogruppe von Tetrahydrofolsiiure (FH4 ) (S. 745) iibernommen. Von dem an FH 4 gebundenen Formiminorest wird durch eine Desaminase Ammoniak abgespalten. Patienten mit einem Folsauremangel (S. 745) scheiden N-Formiminoglutamat in den Urin aus, da die Ubertragung der Formiminogruppe gestort ist. Ein Folsauremangel kann deshalb klinisch nach Histidingabe durch Bestimmung von Formiminoglutamat im Urin diagnostiziert werden (Histidinbelastungstest). Die PALP-abhangige Decarboxylierung von Histidin fiihrt zu Histamin, einem biogenen Amin, das in den weit verbreiteten Mastzellen vorkommt. In vielen Geweben existieren zur Katalyse dieses Schrittes zwei Enzyme ( Abb. 15.37): ~ eine aromatische L-Aminosauredecarboxylase (Gehirn, Nieren, Leber) mit einem breiten Substratspektrum (Phenylalanin, Tyrosin, 3,4-Dihydroxyphenylalanin, Tryptophan, 5-Hydroxytryptophan) und ~ die Histidin-Decarboxylase (in fetalem Gewebe, Placenta, Magenmucosa und Knochenmark), Stoffwechselbedeutung~

Histamin fiihrt tiber HrRezeptoren zur Kontraktion glatter Muskulatur im Respirations- und Gastrointestinaltrakt und zur Freisetzung von NO durch Gefafiendothelzellen, welches sekundar eine Relaxation glatter Gefafimuskelzellen bedingt. In der Magenmucosa bindet aus Mastzellen freigesetztes Histamin an HrRezeptoren von Belegzellen, was eine Adenylatcyclase und konsekutiv die H+fK+- ATPase aktiviert, so dass vermehrt Magensaure freigesetzt wird (S.1086). Demzufolge besitzen H1- und H 2-Rezeptorantagonisten klinische Bedeutung fiir die Behandlung allergischer Reaktionen und der Ulcuskrankheit. Der Abbau erfolgt ebenfalls auf zwei Wegen: ~ entweder durch Histaminase, eine Diaminoxidase zum entsprechenden Aldehyd, dessen Dehydrierung (Aldehyddehydrogenase) zu Imidazolacetat fiihrt oder ~ durch N-Methylierung und anschliefiende Oxidation zu M-Methylimidazolacetat (Abb. 15.37). Die Aktivitaten aller Enzyme des Histaminauf- und -abbaues stehen unter dem Einflufi von Hormonen und Cytokinen.

H H I

I

HC= C-c-c-coo1

I I I N H NH + 3

N~

~c / H

Histidin (lmidazolaminopropionat)

H

H H I

I

HC= C- c=c- coo1

I

N N ~c /H H

H I

H H I I

I

I I H H

o=c- c- c- c- coovtv'"

N~ N ~c / H

lmidazolacrylat (Urocanat)

lmidazolonpropionat

H

ImidazolonpropionatHydrolase

H H H I

I

l

I

I

-ooc- c- c-c- cooN H ~c / H

HN ~

I

H

N-Formiminoglutamat (figlu)

H

GlutamatformiminoTransferase

H I

H H I I

-ooc- c- c- c- coo1 I I +NH3 H H

L·Giutamat

H H I

I

-ooc- c- c- c- coo11 0

I I H H

cx-Ketoglutarat

Abb. 15.36. Abbau von Histidin

15.3 Stoffwechsel der essentiellen Aminosauren

503

15 3-(oder :n:-)Methylhistidin~ Das Actin aller Muskelfa-

sern und das Myosin wei6er Muskelfasern (S. 569) enthalt die Aminosaure 3-Methylhistidin (S. 1036). Da Histidin erst nach dem Einbau in diese heiden Muskelproteine methyliert wird und beim Proteinabbau freigesetztes 3-Methylhistidin (wie Hydroxyprolin beim Kollagenabbau) nicht reutilisiert wird, kann es - zumal es unverandert in den Urin ausgeschieden wird - als Indikator fur den Proteinstoffwechsel in der Muskulatur verwertet werden. So kann die Bestimmung der Konzentration dieser Aminosaure im Urin z. B. Hinweise tiber die Beeinflussung des Muskelproteinstoffwechsels durch kurz- oder langerdauernden Hunger geben.

Histidin

IHistidin-Decarboxylase I Aromatisdle L-AminosaureDecarboxylase

15.3.61 Energiegewinn beim Abbau

Histamin

l

IAldehyddehydrogenase I

HC= I

HN

der essentiellen Aminosauren

lmidazolacetaldehyd

;.: 0 C- CH2- C7 I ' o-

.6N

' cr H

lmidazolacetat Abb. 15.37. Biosynthese und Abbau von Histamin

Tryptophan

44

Tyrosin

44

43

Phenylalanin Leudn

41 39

Lysin

Histidin Threonin

Methionin Abb. 15.38. Energiegewinn (in ATP-Aquivalenten) bei der vollstandigen Oxidation der essentiellen Aminosauren zu Kohlendioxid und Wasser. Orange aromatische Aminosauren; rot verzweigtkettige Aminosau ren; blau die Obrigen gekennzeichnet 504

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Bei der vollstandigen Oxidation der essentiellen Aminosauren (sowie von Tyrosin) zu Kohlendioxid und Wasser konnen zwischen 22 und 44 ATP-Aquivalente gebildet werden, wenn alle Schritte der oxidativen Phosphorylierung gekoppelt sind und der P/0Quotient ftir die NADH-Reoxidation 3 betragt (Abb. 15.38). Im Vergleich dazu betragt die Ausbeute bei der Oxidation des Kohlenhydrats Glucose 38 ATPAquivalente und bei der der Fettsaure Stearinsaure (C 18 ) 148 ATP-Aquivalente (Tabelle 15.10). Nicht miteinbezogen in die Kalkulation wurden der Energieverbrauch ftir die Inkorporation des beim Abbau entstehenden freien Ammoniaks bzw. der covalent gebundenen Aminogruppe in Harnstoff. Beim Tryptophanabbau wurde der Stoffwechsel der entstehenden Ameisensaure auGer acht gelassen, beim Threoninabbau der Weg der a-Ketobuttersaure gewahlt und beim Methioninabbau die fiir die Aktivierung der Methylgruppe erforderliche Energie subtrahiert. Da die vollstandige Oxidation der Aminosauren aber mehr ATP produzieren wiirde als die Leber verbrauchen kann, werden die Aminosauren nur zu einem Teil oxidiert und zum anderen in Glucose (und Acetacetat) tiberftihrt (Abb. 15.16, S. 484), so class sie auch anderen Organen indirekt als Energietrager zur Verftigung stehen.

Tabelle 15.10. ATP-Gewinn bei der vollstandigen Oxidation von Zwischenprodukten desCitratzyklussowie Pyruvat und Acetacetat

Metabollt

ATP·Iquivalente

Acetyl-CoA Oxalacetat a- Ketoglutarat Succinyl-CoA Pyruvat Acetacetat

12 18 27

24

15 23

15 KERNAUSSAGEN Fur den Mensch en sind neun Aminosauren essentiell. Die Synthese dieser Aminosauren wurde in der Evolution wegen ihres Enzym- und Energieaufwandes aufgegeben. Der Abbau der essentiellen Aminosauren erfolgt i. Allg. nach Transaminierung zur a-Ketosaure. .. Aktiviertes Methionin wirkt als Methylgruppendonor bei einer Vielzahl von Reaktionen; beim Abbau von Methionin entsteht Cystein als Zwischenprodukt. .. Homocystein, ein weiteres Zwischenprodukt des Methioninstoffwechsel wirkt in htiheren Konzentrationen endothelschadigend. .. Die verzweigtkettigen Aminosauren Valin, Leucin und lsoleucin werden nach Transaminierung durch dehydrierende Decarboxylierung abgebaut.lhr Abbau findet vorwiegend in peripheren Organen statt. .. Phenylalanin wird OberTyrosin zu Acetacetat und Fumarat abgebaut. Ober 400 Mutationen konnen im Phenylalaninhydroxylase-Gen auftreten, was die Phenylketonurie (PKU) verursacht. Mit Hilfe eines Reihenuntersuchungsprogramms werden aile Neugeborenen auf das Vorkommen dieser haufigsten Stoffwechselstorung des Aminosaurestoffwechsels untersucht. Eine geeignete Diat kann das Auftreten der gefOrchteten cerebra len Funktionsstorungen bei PKUTragern verhindern. .. Phenylalanin und Tyrosin werden als Vorstufen von Hormonen, Pigmenten und Neurotransmittern verwendet. .. Die ebenfalls aromatische Aminosaure Tryptophan ist Provitamin fOr die Nicotinsauresynthese und Vorstufe biogener Amine.

15.4 1 Stoffwechsel der

nichtessentiellen Aminosauren

15.4.1 Biosynthese, Abbau und Stoffwechselbedeutung Fast alle nichtessentiellen Aminosauren besitzen eine einfach gebaute Seitenkette. In den meisten Fallen besteht ihr Abbau deshalb nur aus ein oder zwei enzymatischen Schritten und stellt die Umkehrung des Biosynthesewegs dar (Abb. 15.39). Abbau und Biosynthese erfolgen mit Ausnahme der Aminotransferaseschritte jedoch durch unterschiedliche Enzyme, wodurch der Zelle die Moglichkeit gegeben ist, Biosynthese und Abbau getrennt zu regulieren. Fur die Regulation durch Hormone und Substratangebot sowie die Existenz von Isoenzymformen gilt dasselbe wie flir die essentiellen Aminosauren (S.484). Da die Kohlenstoffskelette aller nichtessentiellen Aminosauren in Oxalacetat, einem C4-Korper, angereichert werden konnen, sind diese Aminosauren glucogen. Eine Ausnahme macht das bereits besprochene

Tyrosin (S. 496), das sowohl gluco- als auch ketogen ist. Im Gegensatz zu den essentiellen Aminosauren sind die Enzyme des Stoffwechsels der nichtessentiellen Aminosauren in fast allen Geweben nachweis bar. Diese Aminosauren wirken haufig als Aminogruppendonatoren (Aspartat und Glutamin) bei Biosynthesen; auf die Bedeutung von Glutamat und den Aspartatzyklus wurde auf S. 472 bereits hingewiesen. Nur in wenigen Fallen sind sie Vorstufen niedermolekularer Verbindungen wie z. B. den Aminen. Die Einteilung der nichtessentiellen Aminosauren in verschiedene Gruppen erfolgt nach der a-Ketosiiure, die bei ihrem Abbau entsteht: .. Oxalacetat (a-Ketobernsteinsaure), .. a-Ketoglutarsaure und .. Pyruvat (a-Ketopropionsaure).

IDer Abbau von Asparagin und Aspartat liefert Oxalacetat. Abbau und Biosynthese .. Aile vier Kohlenstoffatome von Asparagin und Aspartat werden in Oxalacetat liberflihrt. Zuerst wird Asparagin zu Aspartat und Ammoniak hydrolytisch gespalten, anschlie6end erfolgt eine Transaminierung mit a-Ketoglutarat zu Glutamat und Oxalacetat mit Hilfe der ASAT-Reaktion (Abb. 15.40). Die Biosynthese von Aspartat erfolgt durch Umkehrung der Transaminasereaktion. Aus Aspartat entsteht durch die Asparaginsynthetasereaktion, bei der Glutamin als Aminogruppendonator dient, Asparagin. Bei bestimmten Leukamieformen ist die normalerweise hohe Asparaginsynthetaseaktivitat nur gering. Deshalb werden Patienten mit solchen Leukamien mit rekombinanter Asparaginase behandelt, was zu einer Asparaginverarmung des Extrazellularraums und damit auch der Leukamiezellen flihrt, deren Proteinbiosynthese und Wachstum dadurch beeintrachtigt wird. Stoffwechselbedeutung .. Eine Ubersicht tiber die Stoffwechselbedeutung von Aspartat gibt Tabelle 15.11. Reaktionen, bei denen Aspartat als Aminogruppendonator wirkt, verlaufen tiber den auf S. 472 beschriebenen Aspartatzyklus (Abb. 15.10, S.473). Die Aminogruppe libernimmt Aspartat von Glutamat i.iber die ASAT-Reaktion.

Der Abbau von Glutamin und Glutamat liefert a-Ketoglutarat. Abbau und Biosynthese .. Die Reaktionen entsprechen dem Abbau und der Biosynthese von Asparagin. Fi.ir den Abbau ist die mitochondriale Glutaminase verantwortlich, die in zwei Isoformen (Leber- und Nierentyp) vorkommt. Hohe Aktivitaten weisen .,. die Mucosa des Di.inndarmes, .. Makrophagen, .,. Lymphocyten, .. Nieren (v. a. beiAcidose), 15.4 Stoffwechsel der nichtessentiellen Aminosiiuren

505

15 Glucose

+ + + 3-Phosphoglycerat

Phenylalanin

! Aspara~ gin Tyrosin

Alanin

H2oi

Glutamat

NH,

Gl•umm Aspartat

:::;::==~

:::;::========~

~

:I_

Pyruvat

~

~L

osq

~ Oxalacetat

'

G~o ~

l

{t

Argininosuccinat

Cyn.;o

Crtrat

Fumarat

Arginin

a-~~--

Serin -+-+-+ Cholin

Glyoxylat

a-Ketoglutarat

Sucdnyi-CoA

/

Ornithin :::;::===r~::::::=~ :s~ ;;::===~ Glutamat-"("S I emialdehyd a-Ketoglutarat

1 r

Glutamat

Prof in

Abb. 15.39. Obersicht Uber den Stoffwechsel der nichtessentiellen Aminosauren. Alanin, Aspartat und Glutamat werden durch Transaminierung a usihren a -Ketosauren gebildet. Die Biosynthese des Saureamids Asparagin und seines Homologen Glutamin erfolgt durch Aminierung von

cr6 0

I' NH2 (H- C- H) I • H- C- NH I

coo-

NH3

3

I (H - C- H) I H- C- NH I 3

L-Asparagin L-Giutamin

L-Aspartat L-Giutamat

0

coo-

n= 1 n= 2

H20

\__

)

~

+n

coo-

I I

.

iL

~~ ITransaminase I

...

In diesen Zellen wird Glutamin entweder zur Energiegewinnung oxidiert oder als Aminostickstoffquelle (mit Bildung von Glutamat oder a -Ketoglutarat) zu Biosynthesezwecken (Tabelle 15.12) verwendet. Mucosazellen des Darmes oxidieren 2/3 des aufgenommenen Glutamins zu Kohlendioxid, so dass diese Amino15 Stoffwechsel der Aminosauren

I I

C= O - C- NH

• die Leber (in Assoziation mit der Carbamylphosphat-Synthetase I); .., die lactierende Mamma und ... Tumorzellen auf.

506

Aspartat bzw. Glutamat. Cystein und Tyrosin ktinnen nur dann gebildet werden, wenn der Mensch die Vorstufen in Form von Methionin bzw. Phenylalanin aufnimmt

3

coo-

I I

(H- C- H) n

C= O

I

cooOxalacetat a-Ketoglutarat

Abb. 15.40. Abbau der Homologen Asparagin und Glutamin durch Des- und Transaminierung

saure fiir den Gastrointestinaltrakt ein wichtiges Energiesubstrat darstellt. In Losungen fiir die parenterale Infusion von Aminosauren ist Glutamin relativ wenig loslich; auBerdem zerfiillt es schnell in Ammoniak und Pyroglutamat. Aus diesen Grunden war es lange schwierig, Glutamin im Rahmen der parenteralen Ernahrungstherapie in ausreichenden Mengen zu infundieren (S. 693). Dieses Problem ist jetzt durch die Moglichkeit der Infusion von Dipeptiden wie Glycyl-Glutamin oder Alanyl-Glutamin gelOst, die intra- und extrazellular in die Aminosauren gespalten werden. Die Glu-

15 Tabelle 15.11. Stoffwechselbedeutung von Aspartat (Auswahl)

Transaminierung

Oxalacetat

Amidbildung

Asparagin

Proteinogene Aminosaure

Kondensation mit Carbamylphosphat

Carbamylaspartat (Ureidosuccinat)

E.inleitende Reaktion der Pyrimidinbiosynthese (S. 634)

Phosphorylierung mit ATP (in Mikroorganismen und Pflanzen)

Aspartylphosphat

Einleitende Reaktion der Biosynthese der Arninosauren Methionin, Threonin, Lysin und Isoleucin in Mikroorganismen und Pflanzen

Decarboxylierung (in Mikroorganismen)

P-Ahmin

Bestandteil von Pantothensaure (S. 742)

Kondensation mit Citrullin

Argininosuccinat

Aminogruppeniibertragung bei der Umwandlung von Carbamin aure in Harnstoff (S. 476)

Kondensation mit lnosin-5'-Phosphat (IMP)

Adeny/osuccinat

Aminogruppenilbertragung bei der Umwandlung von IMP in Adenosin-5' -Phosphat (AMP) (S. 632)

Kondensation mit 5-Aminoimidazol4-Carbonsaureribonucleotid

5-Aminoimidazo/-4(N-succiny/carboxamid)Ribonucleotid

Aminogruppenilbertragung im Verlauf der Purinbiosynthese (S. 63 I)

Abbau zum amphibolen Produkt des Citratzyklus

Aspartatzyklusreaktionen

Tabelle 15.12. Glutamin als Aminogruppendonator bei Biosynthesen (Auswahl)

Fructose-6-phosphat Desarnido- AD Phosphoribosylprophosphat Xantho inmonophosphat Aspartat Bicarbonat und ATP

G/ucosamin-6-phosphat

NAD+

5-Phosphoribosy/amin Guanosinmonophosphat (GMP) Asparagin Carbamylphosphat

Aminozuckern (S. 590) NAO+ (S. 740) Purinen (S. 630) GMP (5.632) Asparagin Pyrimidin (S. 634)

Tabelle 15.13. Stoffwechselbedeutung von Glutamat (Auswahl)

Transaminierung oder dehydrierende Desaminierung

a-Ketoglutarat

Abbau zum amphibolen Produkt des Citratzyklus, Freisetzung von freiem Ammoniak,Abgabe der Aminogruppe auf die Akzeptorverbindung

Decarboxylierung

y-Aminobutyrat

Obertragerstoffbei hemmenden Neuronen in der grauen Substanz des Z S (S. 1070)

Konden ation mit Acetyl-CoA

Acetylglutamat

Cofaktor der mitochondrialen Carbamylphosphatsynthetase (S. 479)

Amidbildung mit Ammoniak

Glutamin

Entgiftung von freiem Ammoniak im Gehirn (Ammoniakfixierung); Bildung der proteinogenen Aminosaure Glutamin

tamin-Synthetase ist in einer Vielzahl von Geweben wie Skelettmuskel, Lungen, Gehirn, Fettgewebe, Nieren und Leber nachweisbar. Stoffwechselbedeutung~~> Eine Auswahl der Stoffwechselwege von Glutamat, auf dessen zentrale Bedeutung im Aminosaurestoffwechsel auf S.472 hingewiesen wurde, zeigt Tabelle 15.13. AuBerdem wirkt Glutamat im Gehirn auch als exzitatorischer Neurotransmitter (S.1070). Wahrend die Plasmakonzentration von Glutamat sehr niedrig ist, weist Glutamin die hochste Konzentration aller Aminosauren im Plasma auf (Tabelle 15.4,

S.474). Der Plasmaglutaminpool hat eine hohe Umsatzrate und spielt eine wesentliche Rolle beim Transport von Kohlen- und Stickstoffgeriisten zwischen den einzelnen Organen, d. h. von Gehirn und Muskulatur zu Nieren, Leber und Mucosa des Gastrointestinaltraktes ( Abb. 15.41).

Prolin und Arginin (Ornithin) werden uber den Semialdehyd von Glutamat abgebaut. Abbau und Biosynthese~~> Prolin (Abb. 15.42) wird zuerst am Stickstoffatom dehydriert und dann unter hydrolytischer Ringaufspaltung in Glutamat-y-Semi15.4 Stoffwechsel der nichtessentiellen Aminosauren

507

15 Muske!

Glutamin Lymphocyten und cmdere Zellen mit hoher Teilungsrate

Alanin

Darmmucosa Abb. 15.41. Organbeziehungen im Glutaminstoffwechsel

aldehyd umgewandelt. Arginin wird durch hydrolytische Abspaltung von Harnstoff in Ornithin, das Homologe von Lysin, tiberftihrt. Interessanterweise steht fur die anschlieBende Transaminierung der o-Aminogruppe (im Gegensatz zur Obertragung der s-Aminogruppe von Lysin!) ein Enzym in Mitochondrien zur Verfiigung (Ornithin -a-Ketosaure-Transaminase), das Ornithin in Glutamat-y-Semialdehyd tiberftihrt. Der Semialdehyd wird dann weiter zur Dicarbonsaure dehydriert. Prolin und Ornithin werden durch Umkehr der Abbauwege, jedoch mit anderen Enzymen, synthetisiert, da z. B. die Bildung von Glutamat-y-Semialdehyd aus Glutamat die Phosphorylierung der Carboxylgruppe voraussetzt. Arginin entsteht durch die Reaktion des Harnstoffzyklus (S. 476).

Stoffwechselbedeutung.,. Prolin ist die Vorstufe von Hydroxy prolin, einer wichtigen Aminosaure in Kollagen (1 0-15 o/o) und Elastin (1-3 o/o ). Im Kollagen stellen

H2C-CH2

H2C-CH2

I

I

H2C, •/cH-cooN H2

(



NAD+ NAOH + H+

Prolin (Pyrrolidincarboxylat)

Abb. 15.42. Abbau von Prolin 508

I

15 5toffwechsel der Aminosauren

I

I

H~N/ CH-coo-

H

Pro lin und Hydroxyprolin gemeinsam etwa 25 o/o der Aminosauren (S. 754). Die Hydroxylierung erfolgt im Peptidverband. Arginin ist Vorstufe von Stickstoffmonoxid (NO), das auch als Endothel-relaxierender Faktor bezeichnet wird. Die NO-Synthase, ein Calcium-, Calmodulin- und Tetrahydrobiopterin-abhangiges Enzym, bildet in Endothelzellen aus Arginin unter Freisetzung von Citrullin das farblose Gas NO, das in die benachbarte glatte Muskelzelle diffundiert und dort eine Guanylat-Cyclase aktiviert (S. 809). Das erhOhte Cyclo-GMP bewirkt eine GefaBrelaxation. Neben diesem konstitutiven Enzym existiert in Endothelzellen, aber auch in Muskelzellen, Makrophagen, im ZNS und im peripheren Nervensystem ein calciumunabhangiges lsoenzym, das durch verschiedene Zytokine stimuliert und durch Glucocorticoide gehemmt wird. Aufgrund der weiten Verbreitung dieses Enzyms im Organismus tibernimmt Stickstoffmonoxid eine Vielzahl von Funktionen als interzelluliirer Mediator. NO wird tiber Nitrit zu Nitrat oxidiert (Plasmakonzentration 30 mmol/1), das in den Urin ausgeschieden wird. Citrullin wird tiber den Aspartatzyklus zu Arginin regeneriert, so dass man die NO-Synthese auch als einen modifizierten Harnstoffzyklus ansehen konnte. Arginin stellt auBerdem seinen Guanidylrest fiir die Biosynthese von Kreatin zur Verfiigung (S. 571). Durch diese oder die Arginasereaktion entsteht die nichtproteinogene Aminosaure Ornithin, die durch eine Ornithin-Decarboxylase zum Diamin Putrescin decarboxyliert werden kann. Putrescin bildet die Vorstufe der Polyamine Spermin und Spermidin, die in allen Geweben vorkommen und ihre Bezeichnung nach dem reichlichen Auftreten in der Spermafliissigkeit erhalten haben. Bei der Biosynthese der Polyamine kondensiert Putrescin mit decarboxyliertem S-Adenosylmethionin (,Methamin"), von dem es den Propylaminrest (Abb. 15.43) tibernimmt, zu Spermidin. Durch Ankoppelung eines weiteren Propylaminrests entsteht Spermin. Der Abbau der Polyamine erfolgt durch NAcetylierung. Die Regulation der Polyaminsynthese erfolgt tiber die Inaktivierung der Ornithin-Decarboxylase, des ersten Enzyms der Polyaminbiosynthese, durch das Protein Antizym. Methylthioadenosin wird durch Phosphorylyse in Adenosin (das reutilisiert wird) und 5-Methylthioribo-

(( H20

I

H- C

I

• / cH-coo0 NH3

Glutamat-y-Semialdehyd

1-Pyrrolincarboxylat

ISpontan I

H2C-CH2

H2C--CH2

( NAO+, H20

)~ NADH + H+

GlutamatSemialdehydDehydrogenase

I

-o- c

I

CH-coo0 ' NH3

L-Giutamat

15 S-AdenosylmethioninOe Abb. 15.51, S. 514) zeigt, dass die reduzierte Verfiigbarkeit von Alanin auf die verringerte Freisetzung aus der Muskulatur zuriickzufuhren ist. Nach langerdauernder Nahrungskarenz ist die periphere Freisetzung von Alanin und anderen Aminosauren urn 75% reduziert. Damit ist zumindest fUr die Muskulatur sicher, dass die Mobilisierung endogener Aminosauren durch langerdauernde Nahrungskarenz stark herabgesetzt wird.

Bei Nahrungskarenz steigt die Plasmakonzentration von Glycin. Die dritte Moglichkeit, wie sich der Plasmaspiegel einer Aminosaure bei Nahrungskarenz andern kann, ist ein verzogerter Anstieg, der bei Glycin, Threonin und in geringerem MaB bei Serin auftritt. Der Anstieg des Glycinspiegels wird darauf zuriickgefuhrt, dass weniger Glycin in die Leber aufgenommen wird. Zudem ist Glycin die einzige Aminosaure, deren Freisetzung aus der Muskulatur zwar sinkt, aber nur geringfiigig. Das ist darauf zuriickzufiihren, dass nicht nur die taglich synthetisierte Glucosemenge bei Nahrungskarenz verandert ist, sondern auch der Ort der Gluconeogenese von der Leber zu den Nieren verlagert wird. Glycin ist neb en Glutamin eine der wenigen Aminosauren, die standig von den Nieren extrahiert werden. Mit erhohter Glycinkonzentration im Plasma steigt die Glycinextraktion durch die Nieren und der Einbau des Glycinstickstoffs in Ammoniak. Damit im Einklang steht die vier- bis sechsfache ErhOhung der Glycinextraktion durch die Nieren bei langerdauernder Nahrungskarenz. Da die Glycinausscheidung in den Urin nicht verandert ist, wird der Glycinkohlenstoff wahrscheinlich fUr die Glucosebildung und der Glycinstickstoff fUr die bei Nahrungskarenz erhohte Ammoniakbildung verwendet ( Abb. 15.53).

!

15

Die insulinbedingte Hemmung der Gluconeogenese erfolgt nicht uber Alanin. Da Insulin die Plasmakonzentration von Aminosauren senkt (S. 846),erhebt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die durch Insulin verursachte Hemmung der

Harnstoff Ammoniak Harnsaure, Kreatinin

0 ~--~~--------~--~---

normal

Nahrungskarenz

Abb. 15.53. Stickstoffausscheidung mit dem Urin bei normaler Ernahrung und bei Nahrungskarenz

Gluconeogenese auf einen ahnlichen Mechanismus wie die Hemmung bei langerdauernder Nahrungskarenz zuriickgeht oder durch eine direkte Wirkung des Hormons auf die Leber zustandekommt. Dazu muss auf den unterschiedlichen Einfluss des Insulins auf die Plasmakonzentration der einzelnen Aminosauren eingegangen werden: Stimuliert man die endogene Insulinsekretion durch Glucose, so sinken die Spiegel einzelner Aminosauren; am starksten sind dabei - wie erwahnt - die verzweigtkettigen und die aromatischen Aminosiiuren Phenylalanin und Tyrosin betroffen. Dieser Effekt ist wahrscheinlich die Folge einer verringerten Freisetzung dieser Aminosauren aus der Muskulatur. Gleichzeitig ist die Gesamtextraktion aller Aminosauren ( einschlieBlich Alanin) durch die Leber urn 25% reduziert. Da der arterielle Spiegel von Alan in, der entscheidenden von der Leber extrahierten Glucosevorstufe, im Gegensatz dazu nicht verandert ist, konnen der Glucose- bzw. lnsulineffekt auf die Gluconeogenese nicht durch eine veranderte Substratverfiigbarkeit bedingt sein. Trotz des Anstiegs der arteriellen Lactatkonzentration ist auch die Lactatextraktion durch die Leber praktisch auf Null reduziert. Man muss deshalb annehmen, dass der enzymatische Schritt, durch dessen Beeinflussung die Gluconeogenese blockiert wird, auf die Transaminierung von Alanin zu Pyruvat folgt: das regulierte Enzym ist das Paar Phosphofructokinase/Fructose-1 ,6-Hisphosphatase, das tiber Fructose-2,6-Bisphosphat reguliert wird (S. 424). Es kann als gesichert gelten, dass die glucoseinduzierte verringerte Alaninaufnahme nicht die Folge einer herabgesetzten Verfugbarkeit ist. Andererseits kann ein Substrateffekt nicht vollstandig ausgeschlossen werden, da Insulin ja die Freisetzung einzelner Aminosauren aus der Muskulatur blockiert. Abbildung 15.54 zeigt zusammenfassend, dass im postabsorptiven Zustand ein Nettojluss von Aminosiiuren (v. a. Alanin) von der Muskulatur zur Leber 15.5 Stoffwechsel der Aminosauren bei Nahrungskarenz

515

15 postabsorptiver Zustand Leber

Plasmainsulin basal

Muskel

Bei hohem Glucoseangebot und damit hoher lnsulinkonzentration wird die Gluconeogenese wahrscheinlich durch die Blockierung der Aufnahme von Glucosevorstufen - durch Regulation auf Phosphofructokinase-/Fructose-1,6-Bisphosphatase-Ebene (S.424) - in die Leber gehemmt.

Plasmaalanin ~ andere Plasmaaminosauren

.....-!

KERNAUSSAGEN

Zustand bei Nahrungskarenz (4-6 Wochen) Plasmainsulin J, I"'"'GIOOi~-.....- Biutglucose

l.

Zustand nach Glucoseinfusion Plasmainsulin

t

Blutglucose t

Plasmaalanin

~.

::>-

andere Plasmaaminosauren

l.

( r co2 l.actat und

Pyruvat

Muskelprotein

Abb. 15.54. Einfluss von Substraten und Hormonen auf die Gluconeogenese beim Menschen. Die Balken zeigen die postulierten Stellen,an denen die Regulation erfolgt

herrscht (s. hierzu auch Kap. 8, S. 565). Unter Bedingungen, bei denen die Erhaltung lebensnotwendigen Korperproteins entscheidend fiir das Oberleben des Menschen ist, namlich bei langerdauernder Nahrungskarenz, kommt die verringerte Glucosebiosynthese durch ein herabgesetztes Substratangebot zustande.

In den meisten Fallen stellt der Abbau nichtessentieller Aminosauren die Umkehr der Biosynthese, allerdings durch unterschiedliche Enzyme dar. Dieser mundet im Oxalacetat, a-Ketoglutarat oder Pyruvat. .,. Aspartat ist Ausgangspunkt der Pyrimidinbiosynthese und stellt uber den Aspartat-Zyklus Aminogruppen fur verschiedene Biosynthesen zurVerffigung. .,. Gutamin ist Aminogruppendonator ffir die Biosynthese von Aminozuckern, Purinen, Pyrimidinen und anderen Substanzen . .,. Glutamat steht fur Transaminierungen zur Verffigung, ist Vorstufe von y-Aminobutyrat (GABA), ist als AcetyiGiutamat Regulator der Hamstoffbiosynthese und Vorstufe von Glutamin. .,. Glutamin ist die Aminosaure mit der hochsten Plasmakonzentration und spielt eine wichtige Rolle beim Kohlenstoff- und Aminogruppentransport zwischen den einzelnen Organen. .,. Prolin ist die Vorstufe von Hydroxy-Prolin, einer wichtigen Aminosaure im Kollagen. .,. Arginin ist Bestandteil des Hamstoffzyklus und Vorstufe von Stickstoffmonoxid. Der Guanidylrest von Arginin wird ffir die Kreatinsynthese verwendet. Aus Arginin gebildetes Ornithin ist Ausgangspunkt der Polyaminsynthese. .,. Alan in ist die wichtigste glucogene Aminosaure. .,. Serin und Glycin dienen als Vorstufe zahlreicher wichtigerVerbindungen des Stoffwechsels wie Purinen, Porphyrinen, Glutathion, Gallensauren etc. Nahrungskarenz ffihrt zu unterschiedlichen Anderungen der Plasmakonzenration einzelner Aminosauren.

SCHLOSSELBEGRIFFE a -,,8-Eiiminierung Ahornsirupkrankheit Alanin Alaninaminotransferase Aminosaureabbau Aminosauredecarboxylierung Aminosauretransporter Aminosaureumsatz Aminotransferasen Ammoniak

516

I

15 Stoffwechsel der Aminosauren

Arginase Arginin Argininosuccinatlyase Argininosuccinatsynthetase Asparagin Aspartat Aspartata minotra nsferase Aspartatzyklus Carbamylphosphat-Synthetase Cystein

Cystinurie Essentielle Aminosauren Glucogene Aminosauren Gluconeogenese Glucose-Aianinzyklus Glutamat Glutamatdehydrogenase Glutamin Glutaminsynthetase Glycin

15 Harnstoff Harnstoffzyklus Histamin Histidin Homocystein Homocystinurie Hydroxyprolin lsoleucin Ketogene Aminosauren Leucin

Lipogenese aus Aminosauren Lysin Methionin N-Acetylglutamat Omithin-Transcarbamylase Phenylalanin Phenylalaninhydroxylase Phenylketonurie Prolin Proteinbiosynthese aus Aminosauren

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Pyridoxal phosphat S-Adenosylmethionin Spermidin Spermin Threonin Transaminierung Tryptophan Tyrosin Valin

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Literatur

517

Der Citratzyklus G.LO FFLE R

16.1 16.2 16.3 16.4

Stellung des Citratzyklus im Stoffwechsel Reaktionsfolge des Citratzyklus Regulation des Citratzyklus Amphibole Natur des Citratzyklus

520 521 526 527

16

.,

In e•tung

Acetyi-CoA wird bei vielen katabolen Stoffwechselvorgangen gebildet. Es entsteht aus dem aus der Glycolyse stammenden Pyruvat, bei der P-Oxidation der Fettsauren sowie beim Abbau vieler Aminosauren. Der Mechanismus des Abba us von Acetyi-CoA wurde von Hans Adolf Krebs entdeckt. Er fand hera us, dass hierfiir ein zyklischer Vorgang verantwortlich ist, in dessen Verlauf Acetyi-CoA zunachst mit Oxalacetat unter Bildung von Cit rat kondensiert. Citrat wird danach schrittweise bis zur Stufe des Oxalacetates oxidiert und decarboxyliert. Die dabei gewonnenen Reduktionsaquivalente werden in der Atmungskette unter ATP-Gewinn reoxidiert.

16.1 I Stellung des Citratzyklus im Stoffwechsel Die fUr den Abbau von Kohlenhydraten, Fetten und Aminosauren als den wichtigsten von der Zelle umgesetzten Verbindungen verantwortlichen Stoffwechselwege enden auf der Stufe des Acetyl-CoA oder der aKetosiiuren mit 3-5 C-Atomen (Pyruvat, Oxalacetat, aKetoglutarat) (S. 398, 440). GroBe Teile des Kohlenstoffskeletts der abgebauten Verbindungen bleiben somit erhalten, energieliefernde Redoxreaktionen sind nur in beschranktem Umfang moglich, und die Energieausbeute ist relativ gering. Eine wesentliche Steigerung des Energiegewinns ist nur zu erwarten, wenn die abgebauten Substrate moglichst vollstandig zerlegt werden. In Tabelle 16.1 sind die Verhaltnisse am Beispiel des Glucoseabbaus dargestellt. Erfolgt der Glucoseabbau tiber die Glycolyse bis auf die Stufe des Lactats (S. 401), was auch unter anaeroben Bedingungen moglich ist, so tritt eine Anderung an freier Energie von - 197 kJ/mol Glucose auf. Die vollstandige Zerlegung des Glucosemolekiils in C0 2 und H2 0, die allerdings nur in Anwesenheit von Sauerstoff moglich ist, ist dagegen von einer urn mehr als das zehnfache hoheren Anderung der freien Energie begleitet. Unter diesen Bedingungen gewinnt die Zelle also einen ungleich groBeren Energiebetrag fiir die von ihr zu leistende Arbeit. Ahnlich wie bei der Glucose liegen die Verhaltnisse beim Abbau von Lipiden und Aminosauren (Kap. 14 und 15). Dabei entstehende Endprodukte sind entweder Acetyl-CoA, Pyruvat ( a-Ketopropionat),Oxalacetat (a-Ketosuccinat) oder a -Ketoglutarat. Das Verdienst, als erster Licht in das Dunkel dieser gemeinsamen oxidativen Endstrecke des Substratabbaus gebracht zu haben, gebiihrt dem deutsch-englischen Biochemiker Hans Adolf Krebs. In einer Serie von eleganten Untersuchungen, die En de der 30er Jahre begonnen und nach dem 2. Weltkrieg beendet wurden, konnte er zeigen, dass der Substratabbau im Rahmen

eines zyklischen Prozesses ablauft, bei dem Citrat als Zwischenprodukt auftritt. Der nach dieser Verbindung Citratzyklus (KrebsZyklus, Tricarbonsaurezyklus) genannte Prozess ist zwischen Substratabbau und oxidativer Phosphorylierung eingeschaltet und fiihrt formal bei einem Durchgang zur Zerlegung eines Molekiils Acetat in 2 Molekiile C0 2 und 8 Wasserstoffatome (Abb. 16.1 ). Die allgemeine Bedeutung des Citratzyklus fiir den oxidativen Stoffwechsel wird durch die Tatsache unterstrichen, dass kein anderes Bindeglied zwischen Substratabbau und biologischer Oxidation nachgewiesen werden konnte. In allen bisher untersuchten aerob arbeitenden Zellen konnte die enzymatische Ausstattung fiir den Citratzyklus nachgewiesen werden. Reaktionen, die einzelne Schritte des Zyklus umgehen, werden zu besonderen,meist biosynthetischen Zwecken verwendet. Innerhalb der Zelle enthalten die Mitochondrien den vollstandigen Satz der fiir den Citratzyklus notwendigen Enzyme. Er befindet sich somit in engster Nachbarschaft zu den auf S. 532 ff. geschilderten VorKohlenhydrate

l

Protein

~ruvat

/

Lipide

1~

Citra!

Oxalacetat

\

Cis-Aconitat

~ lsocitrat

Malat

Tabelle 16.1. iinderung der freien Energie bei anaerobem (glycolytischem) und aerobem Abbau von Glucose Redoxreaktionen der Atmungskette

Glucose ~ 2 Lactat Glucose + 6 0 2~ 6 C02 + 6 H20

520

I

16 Der Citratzyklus

- 197kJ/mol - 2881 kJ/mol

Abb. 16.1. Beziehungen des Citratzyklus zum Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwechsel sowie zur biologischen Oxidation

16 gangen der an die biologische Oxidation gekniipften Energiegewinnung durch oxidative Phosphorylierung. Diese Tatsache hat fUr die Regulation des Citratzyklus auf3erordentliche Bedeutung (s. unten) .

KERNAUSSAGEN Beim Stoffwechsel von Kohlenhydraten, Lipiden und in gewissem Umtang von Proteinen entsteht Acetyi-CoA. Dieses wird im Citratzyklus oxidiert und decarboxyliert, wobei 2 Molekiihle C0 2 und 8 Wasserstoffatome entstehen. Der vollstandige Satz der fur den Citratzyklus notwendigen Enzyme ist innerhalb der mitochondrialen Matrix lokalisiert.

16.2 Reaktionsfolge des Citratzyklus In Abb.16.2 ist die Reaktionsfolge des Citratzyklus dargestellt. Diese lasst sich formal in 3 Teile einteilen: "' Erzeugung des fiir den Citratzyklus notwendigen Acetats in Form des Acetyl-CoA. "' Reaktion von Oxalacetat (a -Ketosuccinat) mit Acetyl-CoA unter Bildung von Citrat, das zweimal oxidiert und zweimal decarboxyliert wird, so dass Succinat entsteht. "' Regenerierung von Oxalacetat, das damit wieder der erneuten Reaktion mit Acetyl-CoA zur Verftigung steht. Dabei wird das durch dehydrierende Decarboxylierung von a-Ketoglutarat gebildete Succinat in einer Reaktionssequenz, die formal Ahnlichkeit mit den ersten 3 Reaktionen der Fettsaureoxidation hat, zu Oxalacetat umgebaut (S. 440).

Acetyi -CoA entsteht aus Pyruvat durch dehydrierende Decarboxylierung von Pyruvat. Mengenma13ig tragt die Oxidation von Kohlenhydraten den Hauptteil an der Deckung des Energiebedarfs der Zelle bei. Urn Kohlenhydrate in den Citratzyklus einschleusen zu konnen, muss Pyruvat als Endprodukt der Glycolyse in Acetyl-CoA umgewandelt werden. Dies geschieht in einer mehrstufigen, als dehydrierende Decarboxylierung von Pyruvat bezeichneten Reaktion. Sie wird von einem kompliziert aufgebauten Multienzymkomplex, dem Pyruvatdehydrogenasekomplex (PDH-Komplex) katalysiert. Die dehydrierende Decarboxylierung von a-Ketosauren wie Pyruvat wird auch als oxidative Decarboxylierung bezeichnet. Der erste Ausdruck beschreibt die molekularen Vorgange jedoch besser, da Sauerstoff an der Reaktion nicht beteiligt ist, sondern Wasserstoff vom Substrat abgezogen wird (Dehydrierung). Die Einzelreaktionen der durch den PDH-Komplex katalysierten Reaktionen sind in Abb. 16.3 dargestellt:

"' Pyruvat wird decarboxyliert. Hierzu ist die Addition der Carbonylgruppe des Pyruvates an das dem Stickstoff benachbarte, sehr reaktionsfahige CAtom des Thiazolrings im Thiaminpyrophosphat notwendig. Die fiir die Decarboxylierung zum Hydroxyethylthiaminpyrophosphat erforderliche Elektronenverschiebung wird dadurch erleichtert, dass dieser Ring als Elektronenakzeptor dienen kann. Diese Reaktion wird durch die Pyruvatdecarboxylase-Untereinheit katalysiert. "' Hydroxyethylthiaminpyrophosphat ist eigentlich ein aktiver Acetaldehyd. Durch die Enzym gebundene oxidierte a-Liponsaure wird er zum Acetylrest oxidiert und dabei auf die Liponsaure iibertragen. Diese ist auBerdem der Akzeptor des bei der Oxidation frei werdenden Elektronenpaares. Die dabei gewonnene Energie bleibt in Form des Thioesters des S-Acetylhydrolipoates erhalten. ... Der energiereiche Acetylrest wird auf Coenzym A iibertragen, wobei Acetyl-CoA und reduziertes Lipoat entsteht. Die fiir die Oxidation sowie Transacetylierung verantwortliche Untereinheit des PyruvatDehydrogenase-Komplexes wird als Lipoattransacetylase bezeichnet. "' Das reduzierte Lipoat wird durch Dihydrolipoatdehydrogenase reoxidiert. Diese ist ein FAD-haltiges Enzym, das seine Reduktionsaquivalente im Gegensatz zu anderen FAD-Enzymen auf NAD+ iibertragen kann, da sein Redoxpotential negativer als das des NAD+/NADH-Systems ist. In der Thioesterkonfiguration des Acetyl-CoA liegt eine der sog. ,energiereichen Verbindungen" vor. Der bei Oxidation des Acetaldehyds zum Acetylrest freiwerdende Energiebetrag ist jedoch so groB, dass trotz der Bildung eines Thioesters die Pyruvatdehydrogenase mit einem ~G 0 ' von -34 kJ/mol stark exergonisch und damit unter physiologischen Bedingungen praktisch irreversibel arbeitet. In Abb. 16.4 ist schematisch der Aufbau der fur Saugergewebe typischen Form des PDH-Komplexes dargestellt. Insgesamt sind am Aufbau des Enzymkomplexes die 4 Komponenten, El> E2, E3 und X beteiligt. "' Die E1-Komponente ist ein Tetramer der Zusammensetzung a z[J 2, die die geschwindigkeitsbestimmende Teilreaktion der PDH katalysiert. Die E1a-Untereinheiten tragen das Thiaminpyrophosphat. Wahrscheinlich wird die Decarboxylierung des Pyruvates zum Thiaminpyrophosphat-gebundenen Hydroxyethylrest durch die Untereinheit EJ(3 katalysiert. "' Die Untereinheit E2 tragt zwei, die Untereinheit X einen Lipoatrest. Wahrend des Katalysezyklus wird der Hydroxyethylrest unter Oxidation zunachst auf das erste Lipoat der Er Untereinheit iibertragen, wobei dort ein Acetylrest entsteht, der durch eine Thiotransferaseaktivitat auf den zweiten Lipoatrest gelangt. Von diesem wird er mit Coenzym A unter Bildung von Acetyl-CoA abgespalten. Der Lipoatrest 16.2 Reaktionsfolge des Citratzyklus

521

16 0 II

CH3- c- coo-

co2

~CoA-SH

Pyruvat

NAD+

NADH+H

Fettsauren

/

~ CH3- C-S-CoA Acetyl-CoA

NADH+H NA H l Ho- c- cool H2c- coo-

o= c-cooI H2c- coo-

~ H2o CoA-sH

oxalacetat

H2c- cooI HO- c- cooI H2c-coo(itrat

Malat

~H20

IFumarase I He-coon -ooC- CH

IAconitase I

H2~-coo~ c-coo11 Hc- coo-

[

cis·Aconitat

IAconitase I H2c- cool He- cool Ho-c-cool H

lsocitrat

lb

NAD+ ~ NADH+H coo[ HHe-2~-coo~

Succinyi-CoA

l

o= c- coo-

Oxalsuccinat

NADH H NAD+ cx·Ketoglutarat

~

auf der Untereinheit X ist das Oxidationsmittel fiir den Lipoatrest der Untereinheit E2 • Die Untereinheit E3, an welche FAD gebunden ist, reoxidiert nun den auf der Komponente X gelegenen Lipoatrest, wobei das Er gebundene FAD reduziert wird. Mit Hilfe von NAD+ wird es reoxidiert, womit der Ausgangszustand des Komplexes wieder hergestellt ist.

Der tierische PDH-Komplex hat ein sehr hohes Molekulargewicht. Er besteht aus 20- 30 E1- Tetrameren, 522

16 Der Citratzyklus

Abb. 16.2. Reaktionsfolge des Citrat· zyklus. Die beiden vom Acetyi-CoA abstammenden C·Atome sind rot hervorgehoben. Die Asymmetrie der Aconitase fUhrt dazu, dass der bei den beiden Decarboxylierungsreaktionen in Form von C02 abgespaltene Kohlenstoff nicht dem Acetyi-CoA-Kohlenstoff ent· stammt. Dieser findet sich jedoch nach einmaligem Durchlauf des Zyklus im Oxalacetat wieder, ist hier jedoch auf aile 4 C-Atorne verteilt, da Succinat eine symmetrische Verbindung ist

etwa 60 Er Komponenten sowie je 6 X- und ErKomponenten. Die primiir biliiire Lebercirrhose, eine relativ seltene Form der Lebercirrhose ist wahrscheinlich eine Autoimmunerkrankung. Man findet bei den betroffenen Patienten regelmaBig Autoantikorper, die gegen die Er Untereinheit des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes gerichtet sind. Man hat allerdings zur Zeit keine Vorstellung dariiber, wie diese Autoimmunreaktion mit der Entwicklung der biliaren Cirrhose in Zusammenhang zu bringen ist.

16 CH 3

I C= O I

~G)

1l

"-- co0 Carbanion des Thiaminpyrophosphats

OH

I

H- C-TPP

I

CH 3

t-

co,

---- H- o- c--

CH3 ' w I II

C- CH3 II

c c' s/

Hydroxylethylthiamin - 8 S - CH -(CH~ 1

CH3 I

O= C- SHS-

SCH- (CH-' - C' V4 II / CH2 0 CH2

r

' cH /

CH 2

2

FAOHl

4

- CII

0

X

FAD

S-Acetyl-hydrolipoylenzym HS-

HS-

NAD+ NADH

+W

CH- (CH-' - C' V4 II / CH2 0 CH2

Acetyi-CoA Abb. 16.3. Reaktionsfolge der dehydrierenden Decarboxylierung von Pyruvat durch den Pyruvatdehydrogenasekomplex. Die Atome des Pyruvats sind rotund blau hervorgehoben. Aus PlatzgrOnden ist lediglich der Thiazolring des Thiaminpyrophosphatsdargestellt

Die a-Untereinheit von E1 kann durch eine spezifische Kinase phosphoryliert und inaktiviert, sowie durch eine spezifische Phosphatase dephosphoryliert und aktiviert werden. Die Phosphorylierung findet sequenziell an drei Serylresten der a -Untereinheit statt, wobei die Phosphorylierung des ersten Serylrestes bereits mit einer Inaktivierung urn 60-70 o/o der AusgangsaktiviUit einhergeht. Sowohl die Kinase wie auch die Phosphatase sind Bestandteil des PDH-Komplexes,

~A-SH \\

H3C- C- S- CoA

Abb. 16.4. Die Beteiligung der PDH-Untereinheiten am Reaktionszyklus. In der Reaktion 7erfolgt die Bin dung des Substrates an Thiaminpyrophosphat (TPP) sowie die Decarboxylierung. Die Oxidation zum Acetylrest durch a-liponsaure geschieht in Reaktion 2. Den Reaktionen 3 und 4 entspricht die Obertragung des Acetylrestes auf CoA, in den Reaktionen 5, 6 und 7 wird das reduzierte Lipoat reoxidiert, wobei letztlich NADH/H+ gebildet wird. (Einzelheiten s.Text) (Nach Patel MS, Roche TE 1990)

16.2 Reaktionsfolge des Citratzyklus

523

16 PPi AOP Pyruvat

ATP

Acetyi-CoA

NADH

Schon 1973 wurde neben der mitochrondrialen eine cytosolische Aconitase entdeckt. Die beiden Proteine sind auBerordentlich ahnlich, die Aminosauresequenz zeigt etwa 31 % ldentitat und 56 % Ahnlichkeit. Die Funktion der cytosolischen Aconitase besteht allerdings weniger in der Bildung von lsocitrat als Citrat. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass dieses Enzym identisch mit einem Protein ist, welches als transaktivierender Faktor eisenabhangige Gene aktiviert. Es wird infolgedessen auch als IRE-BP (engl. Iron Responsive Element Binding Protein; dtsch. ES-BP} bezeichnet {5. 706}. Wie die mitochondriale Aconitase kann auch die cytoplasmatische Aconitase einen Fe-5-Komplex enthalten. Dieser ist fiir ihre Funktion als Aconitase notwendig. Fiir die Funktion der cytoplasmatischen Aconitase als IRE-BP ist allerdings die Abspaltung des Fe-5-Ciusters erforderlich. Die cytosolische Aconitase ist das am besten untersuchte Beispiel fiir sog. bifunktionelle Proteine. Andere Proteine mit zweierlei Funktionen sind die Thymidylatsynthase (5. 638}, die Dihydrofolatreductase (5. 636}, die Glycerinaldehyd-3-phosphatdehydrogenase (S. 400) und die Glutamatdehydrogenase (5. 472}.

ADP

~

'I0-ep-ho-sp-' ho--P-oH'I

I Phospho-PDH I

aktiv

inaktiv

~ Pi

HOH

+

Abb. 16.5. lnterconvertierung der Pyruvatdehydrogenase

beide Enzyme konnen durch spezifische Effektoren aktiviert oder gehemmt werden ( Abb. 16.5 ). Der Pyruvatdehydrogenasekomplex gehort damit in die Gruppe der sog. interconvertierbaren Enzyme (S.136). Der biologische Vorteil dieser Tatsache besteht darin, dass durch die Phosphorylierung bzw. Dephosphorylierung die Aktivitat des Enzymkomplexes sehr rasch ,ab- bzw. angeschaltet" werden kann.

Die meisten tierischen und pflanzlichen Gewebe sowie Mikroorganismen enthalten 2 Isocitratdehydrogenasen, die die Reaktion

! Durch Reaktion von Acetyi-CoA mit Oxalacetat

524

entsteht Citrat und nach zweimaliger Decarboxylierung Succinat.

Isocitrat + NAD+ (NADP+) ~ a-Ketoglutarat + C0 2 + NADH (NADPH) + H+

In der ersten Teilsequenz des Citratzyklus wird Oxalacetat (a-Ketosuccinat) in die homologe, urn eine CHr Gruppe verlangerte a-Ketosaure, das a-Ketoglutarat, umgewandelt. Dieses wird anschliefiend unter Bildung von Succinat oxidiert und decarboxyliert. Dabei finden folgende Reaktionen statt: ~ Unter Katalyse der Citratsynthase reagiert Oxalacetat mit Acetyl-CoA unter Bildung von Citrat. Es handelt sich formal urn den Typ der Aldoladdition, da sich die durch die Thioester-Bindung aktivierte CHrGruppe des Acetyl-CoA an die polarisierte C=O-Gruppe am Oxalacetat addiert. Da die Thioesterbindung dabei gel6st wird, liegt das Gleichgewicht der Reaktion ganz auf der Seite der Citratbildung. ~ Unter Katalyse der Aconitase erfolgt die Umwandlung von Citrat zu Isocitrat, wobei intermediar enzymgebundenes cis-Aconitat entsteht. Citrat ist eine prochirale Verbindung, da sich die heiden CH 2 COOH-Gruppen des Molekiils wie Bild und Spiegelbild verhalten. Die Aconitase erkennt die Prochiralitat des Citrats und bindet ihr Substrat so, dass die Hydroxylgruppe nur auf den vom Oxalacetat stammenden CH 2-COOH-Rest iibertragen werden kann. ~ Durch Isocitratdehydrogenase wird a-Ketogluterat zu Citrat oxidiert und carboxyliert.

katalysieren. Wahrend die NADP+ -abhangige Isocitratdehydrogenase in den Mitochondrien und im Cytosol gefunden wird, kommt das NAD+ -abhangige Enzym ausschliefilich in den Mitochondrien vor. Man nimmt an, dass das NAD+ -abhangige Enzym fiir den Citratzyklus benutzt wird, wahrend die NADP+ -abhangige Isocitratdehydrogenase eme Nebenstrecke des Zyklus darstellt. Durch das Enzym a-Ketoglutarat-Dehydrogenase wird a-Ketoglutarat durch dehydrierende Decarboxylierung in Succinyl-CoA umgewandelt. Der Reaktionsmechanismus der a-Ketoglutaratdehydrogenase entspricht demjenigen der Pyruvatdehydrogenase. Das Enzym benotigt Thiaminpyrophosphat, aLiponsaure, Coenzym A, NAD+ und FAD als Cofaktoren. Ahnlich wie bei der Pyruvatdehydrogenase sind die einzelnen fur die Reaktionssequenz verantwortlichen Enzyme in einem Multienzymkomplex zusammengefasst. Dieser ist jedoch im Gegensatz zur Pyruvatdehydrogenase nicht durch Phosphorylierung bzw. Dephosphorylierung zu interconvertieren. Die Anderung der freien Energie der a-Ketoglutaratdehydrogenasereaktion liegt bei - 34 kJ/mol. In der nachsten, durch die Succinyl-CoA-Synthetase katalysierten Reaktion wird die Thioesterbindung unter Freisetzung von Coenzym A gespalten, wobei

16 Der Citratzyklus

~

16

>-
Am Mechanism us des Protonentransports im Komplex III, der tiber den sog. Ubichinon-Zyklus (auch , Q-Zyklus") verlauft, liisst sich das bereits angesprochene Grundprinzip der Ladungskompensation verdeutlichen (Abb.l7.9): Der Komplex III hat zwei aktive Zentren, ein Ubihydrochinon-Oxidationszentrum auf ljl+

lntermembranraum

OxidationsZentrum

((

Glycerophosphat-Oxidase~>

Q-Pool

ReduktionsZentrum lji -

Matrix

Der Cytochrom bc 1-Komplex (Komplex Ill) reduziert Cytochrom c. In Saugetiermitochondrien wird Ubihydrochinon ausschlieGlich durch die Ubihydrochinon: Cytochrom cOxidoreductase (Komplex III) reoxidiert, die wegen ihrer charakteristischen Hamzentren haufig als Cytochrom herKomplex bezeichnet wird: 540

17 Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung

Abb. 17.9. Reaktionsschema des Protonentransports durch den Ubichinon-Zyklus im Komplex Ill. 1 Verzweigte Oxidation von Ubihydrochinon auf der cytosolischen Seite und Obertragung des ersten Elektrons auf das Eisen-Schwefei-Protein (FeS) und des zweiten Elektrons auf Ham b1• 2 Elektroneniibertragung auf Ham c1• 3 Elektroneniibertragung von Ham bL auf Ham bH.4 Reduktion von Ubichinon zu Ubisemichinon (a), bzw.Ubisemichinon zu Ubihydrochinon (b) auf der Matrixseite der inneren Mitochondrienmembran. (Einzelheiten s.Text)

17 der dem Cytosol zugewandten Seite der inneren Mitochondrienmembran und ein Ubichinon-Reduktionszentrum auf der Matrixseite. Da die beiden Zentren ,elektrisch" tiber die beiden Ham b-Gruppen verbunden sind, konnen Elektronen, die auf der einen Seite durch Oxidation freigesetzt werden, auf der anderen Seite zur Reduktion verwendet werden, wobei gleichzeitig ein Ladungstransport tiber die Membran stattfindet. Da der Redoxwechsel des Ubichinons mit einer Protonenabgabe bzw. -aufnahme gekoppelt ist (s. Abb. 17.6), konnen so in der Summe Protonen tiber die Membran transportiert werden, ohne dass sie im eigentlichen Sinne ,gepumpt" werden. Urn diesen Ladungstransport anzutreiben, mtissen die Elektronen, die auf das Cytochrom b iibertragen werden solien, zunachst auf ein hoheres Energieniveau gebracht werden. Dies geschieht in einer Art ,Redox-Wippe" dadurch, dass jeweils das erste Elektron des Ubihydrochinons in einer exergonen Reaktion auf das ,Rieske'-EisenSchwefel-Zentrum tibertragen wird, wobei ein stark reduzierendes Ubisemichinon entsteht, das dann Cytochrom b reduzieren kann. Aus dieser Verzweigung im Elektronentransport und der Ruckiibertragung jedes zweiten Elektrons auf ein Ubichinon im Reduktionszentrum ergibt sich, dass in einem vollstandigen Zyklus zwei Molektile Ubihydrochinon auf der cytosolischen Seite oxidiert und ein Molektil Ubichinon auf der Matrixseite reduziert werden mtissen, urn netto die Oxidation von einem Ubihydrochinon zu ergeben. Eine bemerkenswerte Erkenntnis aus der vor einigen Jahren aufgeklarten molekularen Struktur des Cytochrom bcr Komplexes ist, dass die fiir die Energiekonservierung entscheidende Verzweigung des Elektronentransports offenbar durch einen regelrechten ,molekularen Schalter" sichergestellt wird: Urn das vom Ubihydrochinon aufgenommene Elektron auf Cytochrom c1 und schlieBlich auf Cytochrom c iibertragen zu konnen, muss sich die hydrophile Domane des ,Rieske'-Proteins jedesmal urn 60 o drehen, so dass nie gleichzeitig ,elektrischer Kontakt" mit Elektronendonor und -akzeptor besteht. Zur Aufklarung des Q-Zyklus hat in hohem MaB die Verfiigbarkeit spezifischer, Chinon-analoger Hemmstoffe des Komplex III beigetragen. So blockieren Myxothiazol und Stigmatellin das Ubihydrochinon-Oxidationszentrum undAntimycin das Ubichinon-Reduktionszentrum.

In diesem Fall werden zwei zusatzliche Protonen, die fur die Wasserbildung benotigt werden, von der Matrixseite her aufgenommen. Da dieser Protonenaufnahme die Abgabe von zwei Elektronen durch Cytochrom c auf der anderen Seite der Membran gegeniibersteht, ergibt sich ein vektorieller Transport von zwei weiteren Ladungen tiber die innere Mitochondrienmembran. Die Protonenbilanz wird formal durch die beiden ,chemischen" Protonen des Komplex III ausgeglichen. Insgesamt pumpt die Cytochrom c-Oxidase also vier Ladungen fiir jedes reduzierte Sauerstoffatom. In Saugetiermitochondrien besteht die Cytochrom c-Oxidase aus 13 Untereinheiten, von denen drei den katalytischen Kern bilden und im mitochondrialen Genom codiert werden. Zwei dieser Untereinheiten tragen die Redoxzentren: Die Bindungsstelle fiir Cytochrom c und ein zweikerniges, mit CuA bezeichnetes Kupferzentrum ( Abb.l7.10 a) befindet sich in der Untereinheit 2. Vom CuA-Zentrum, das wie die EisenSchwefel-Zentren nur ein Elektron auf- und wieder abgeben kann, flieBen die Elektronen tiber das Ham aZentrum (s. Abb.17.5) der Untereinheit 1 auf das sog. binukleiire Zentrum (Abb.l7.10b). Das binukleare Zentrum aus Hiim a3 und einem als Cu8 bezeich-

His

Met - S

a

CuA

I

His

! Die Cytochrom c-Oxidase reduziert Sauerstoff zu Wasser.

Der letzte Komplex der Atmungskette, die Cytochrom cOxidase (Komplex IV) tibertragt die Elektronen von Cytochrom c auf Sauerstoff. Gleichzeitig werden je Sauerstoffatom (, 1/ 2 0 2") zwei Protonen tiber die Membran gepumpt: 2 Cyt. c2 + + 1/ 2 0

2

+ 4 H+(M)

-7

2 Cyt. c3 + + H 20 + 2 H+(C)

Ham b

Hama3 - Cu 8 "binukleares Zentrumw

Abb.17.10a, b. Raumstruktur der Kupferzentren der Cytochrom c-Oxidase. a CuA enthalt zwei Kupferatome und wird durch Seitenketten der Untereinheit 21igiert. b Cu 6 bildet zusammen mit Ham a3 das,binukleare Zentrum" welches zwischen Kupfer- und Eisenatom den Sauerstoffbindet und reduziert 17.1 Energiewandlung in den Mitochondrien

541

17 neten Kupferatom ist die Reduktionsstelle fiir den Sauerstoff und befindet sich ebenfalls in der Untereinheit 1. Bemerkenswerterweise kann der Sauerstoff erst binden, wenn das binukleare Zentrum mit zwei Elektronen ,vorgeladen" ist. So kann das Sauerstoffmolekiil unmittelbar zur Peroxid-Stufe reduziert und in seine beiden Einzelatome gespalten werden. Auf diese Weise wird effektiv die Bildung von schadlichen SuperoxidRadikalen verhindert (s. u.). Der Mechanismus der Protonen-Translokation im Komplex IV ist noch nicht vollstandig aufgeklart. Jedoch ist klar, dass das in der Membran weiter auf der cytosolischen Seite gelegene binukleare Zentrum fiir die Pumpfunktion verantwortlich ist und tiber zwei Protonenkanale mit der Matrixseite in Verbindung steht. Auch hier scheint das Prinzip der Ladungskompensation eine entscheidende Rolle zu spielen. In jiingster Zeit konnte die Beteiligung eines Tyrosyl-Radikals am Mechanismus nachgewiesen werden. Das entsprechende Tyrosin ist covalent mit einem der CuB ligierenden Histidine verkniipft. Die Cytochrom c-Oxidase wird durch eine Reihe Sauerstoff-ahnlicher Molekiile kompetitiv gehemmt, die ebenfalls mit Eisen komplexieren konnen. Beispiele sind Cyanid, Kohlenmonoxid und Azid. Stickstoffmonoxid (NO), das inzwischen als wichtiges Gewebshormon bekannt ist, hemmt ebenfalls und wird Iangsam zu Lachgas (N 20) reduziert. Inwieweit dies Bedeutung fur die Wirkung und den Abbau des NO hat, ist noch nicht abschlie6end geklart.

Dies hat unmittelbare Konsequenzen fiir die Energiebilanz der oxidativen Phosphorylierung (s. u.) und damit z. B. auch der aeroben Glycolyse. Die Ursache fur diese Unsicherheit wird durch eine Betrachtung der Struktur, die in den letzten Jahren weitgehend aufgeklart werden konnte, und des Mechanismus der ATP-Synthase deutlich:

Die F1-F0 -ATP-Synthase besteht aus 16 Untereinheiten. Die pilzformige F1/F0 -ATP-Synthase aus SaugetierMitochondrien setzt sich aus 16 verschiedenen Untereinheiten zusammen, wobei zwei mitochondrial codiert werden ( Abb. 17.11 ). Diese Untereinheiten, von denen einige in mehreren Kopien vorkommen, bilden den membranstiindigen F0 -Teil, durch den die Protonen tlieBen, und den in die Matrix hineinragenden Fr Teil, welcher die Nucleotid-Bindungstellen enthalt. Der F0 - Teil besteht aus der Untereinheit a und mindestens 9 Kopien der Untereinheit c. Neben weiteren kleinen Untereinheiten enthalt er noch ein Protein, welches den Hemmstoff der ATP-Synthese Oligomycin bindet, dem dieser Teil die Bezeichnung F0 verdankt. Der F1- Teil ist ein Hexamer aus drei a- und drei P-Untereinheiten (ajJ3 ). Eine {3-Untereinheit tragt die 15-Untereinheit, die wiederum zwei b-Untereinheiten verankert, welche Teil des sog. peripheren Stils sind. Der periphere Stil

Pro NADH werden 10 und pro Succinat 6 Protonen aus der Matrix gepumpt. Angetrieben durch schrittweise Ubertragung der Elektronen auf den Sauerstoff, pump en die Komplexe I, III und IV der mitochondrialen Atmungskette insgesamt 10 Protonen pro oxidiertem NADH tiber die innere Mitochondrienmembran (s. Abb.l7.4). Da bei der Einschleusung von Elektronen tiber den Komplex II und die iibrigen Dehydrogenasen der Komplex I umgangen wird, tragen in diesem Fall nur die Komplexe III und IV mit 6 Protonen zur Ausbildung des Protonengradienten bei.

F,

17.1.31 ATP-Synthese

! Die F1-F0-ATP-Synthase katalysiert die ATP-Bildung.

Die Nutzung des Protonengradienten zur ATP-Synthese erfolgt durch die manchmal auch als Komplex V bezeichnete FrF0 -ATP-Synthase: ADP + Pi + 2 3 W(M)

~

ATP + H 20 + 2 3 W(C)

Die Zahl der Protonen, die pro gebildetem ATP zuriickflie6en miissen, ist bis heute nicht endgiiltig geklart. 542

I

17 Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung

Abb.17.11. Aufbau der F1/F0 -ATP-Synthase. Eine a- und eine /3-Untereinheit sind nicht gezeigt, urn die Sicht auf den zentralen Stil freizugeben. (Einzelheiten s.Text) (Nach Junge et al.1997)

17 verbindet F1- und F0 - Teil. Ein weiterer, zentraler Stil, der bis in die Spitze des F1- Teils ragt, wird durch die yUntereinheit gebildet, deren Kontakt mit den ringformig angeordneten c-Untereinheiten des F0 - Teils durch die t:- Untereinheit verstarkt wird. Wahrend der isolierte F1- Teil sehr wohl zur ATP-Hydrolyse in der Lage ist, ist nur der vollstandige F1/F0 -Komplex zur ATP-Synthese bzw. der Umkehrung dieser Reaktion, dem ATPgetriebenen Protonenpumpen, fahig.

!

Die ATP-Synthese beruht auf einer Rotation von Teilen der AlP-Synthase. Die ringformig Anordnung der a- und (3-Untereinheiten im F1- Teil und der c-Untereinheiten im F0 - Teil suggeriert die Beteiligung einer Drehbewegung am Mechanismus der ATP-Synthase. Tatsachlich wurden, schon vor der Strukturaufldarung des F1- Teils durch John Walker und seine Kollegen vor einigen Jahren, Rotationsmechanismen der ATP-Synthese vorgeschlagen, die auf kinetischen Messungen beruhten. Die von Paul Boyer vorgeschlagene Variante wurde durch die Struktur vollstandig bestatigt. Inzwischen wurde die Drehung von Teilen der ATP-Synthase auch mit verschiedenen Methoden experimentell gezeigt. Die Energie des Protonengradienten treibt also zunachst eine Drehbewegung des c-Rings an, die dann ,mechanisch" tiber eine Konformationsanderung die ATP-Bildung ermoglicht.

!

Der Protonengradient treibt eine Drehbewegung im F0-Teil. Der sich drehende Teil der ATP-Synthase (,Rotor") besteht aus dem Ring aus c-Untereinheiten im F0 - Teil und dem zentralen Stil aus den Untereinheiten y und E. Jede c-Untereinheit tragt einen essentiellen Asparaginsaure-Rest im hydrophoben Bereich. Man nimmt an, dass immer eine dieser sauren Gruppen durch die aUntereinheit ,maskiert" wird. Untereinheit a besitzt auBerdem zwei Protonenkanale, die Protonen an die saure Gruppe heran und wieder weg ftihren konnen. Induziert nun ein Proton, das sich durch diese Kanale von einer Seite der Membran zur anderen bewegt, das Weiterriicken des Rings urn eine c-Untereinheit, so entsteht eine Drehbewegung, die tiber den zentralen Stil in den F1- Teil ubertragen wird. Wie bei jedem Motor muss verhindert werden, dass sich der F1-Teil (,Stator") als Ganzes mitdreht. Diese Aufgabe ubernimmt der periphere Stil, der auch die a-Untereinheit festhalt. Damit entspricht die Funktionsweise des F0 - Teils der eines Flagellenmotors oder einer 9+ 2-GeiBel, die i.d. R. ebenfalls durch Protonengradienten angetrieben werden.

! Der F,-Teil nutzt die Rotation zur ATP-Synthese. Wie eine durch die Rotation des zentralen Stils induzierte Rotationsbewegung zur Ausbildung einer , ener-

-

0)

1/3 y-Drehung

-0

Abb.17.12. Mechanismus der ATP-Bildung durch die F1/F0-ATP-Synthase. Der zentrale Stil ist gekoppelt an den Ring aus c-Untereinheiten und rotiert, angetrieben durch den RUckstrom der Protonen, relativ zu den drei af:i-Paaren. Durch die Asymmetrie der y-Untereinheit durchlaufen die af:i-Paare verschiedene konformative Zustande.ln der T-Form wird ATP gebildet, das unter Energieaufwand beim Obergang in die 0-Form freigesetzt wi rd. (Einzelheiten s. Text) (Modifiziert nach Liiffler/Petrides 1998)

giereichen" Phosphorsaureanhydrid-Bindung genutzt werden kann, geht aus der Struktur des F1- Teils hervor: Jeweils gemeinsam aus einer a - und einer (3-Untereinheit gebildet, besitzt jeder F1- Teil drei katalytische Zentren, die in drei verschiedenen Konformationen vorliegen (Abb.I7.12). In der L-Form (engl. loose) bindet das Zentrum ADP und Phosphat, wahrend in der 0Form (engl. open) die Affinitat sowohl fur ADP + P; als auch ftir ATP gering ist. Die dritte Konformation ist entscheidend fur die Ausbildung der Phosphorsaureanhydridbindung des ATP. Diese T-Form (engl. tight), die wahrend der ATP-Synthese aus der mit ADP + P; beladenen L-Form entsteht, bindet ATP mit sehr hoher Affinitat, was sein Bildung aus ADP + P; begunstigt. AuBerdem wird in dieser Konformation Wasser aus der Bindungstasche ausgeschlossen, was die Reaktion ebenfalls in Richtung der Kondensation verschiebt. Tatsachlich konnte fUr die T-Form eine Gleichgewichtskonstante abgeleitet werden, nach der sich ATP unter diesen Bedingungen praktisch spontan bildet. Der Preis hierfur ist jedoch eine sehr feste Bindung des ATP an dieT-Form, so dass Energie benotigt wird, urn das Produkt der Reaktion freizusetzen. Diese Energie wird dadurch geliefert, dass die asymmetrisch rotierende y-Untereinheit einen Obergang der T-Form in die 0-Form erzwingt, die eine sehr niedrige Affinitat fur ATP hat. Da sich jeweils ein katalytisches Zentrum in der 0-, L-und T-Form befindet, werden so bei einer vollstandigen Rotation der y-Untereinheit 3 ATP synthetisiert.

Die Zahl der c-Untereinheiten bestimmt die Protonen-Stochiometrie. Da der Ring aus c-Untereinheiten die Drehung der y Untereinheit und damit die ATP-Synthese antreibt, ergibt sich die Zahl der Protonen, die fUr die Synthese eines ATP benotigt werden, daraus, wie viele Protonen ftir eine Umdrehung des c-Rings aus dem Intermembranraum in die Matrix zuruckflieBen mussen. Wenn der Ring wiederum mit jedem Proton jeweils eine c-Untereinheit weiterruckt, musste diese Zahl direkt der Zahl 17.1 Energiewandlung in den Mitochondrien

543

17 der c-Untereinheiten entsprechen. V. a. wegen der extrem hydrophoben Eigenschaften der c-Untereinheiten, erweist sich die Bestimmung dieser Zahl jedoch als auBerst schwierig. Vieles spricht so gar daflir, dass die Zahl der c-Untereinheiten bei verschiedenen Organismen unterschiedlich sein kann. Damit konnte die ,Obersetzung" der ATP-Synthase an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden. Die ATP-Synthase der Saugetiermitochondrien besitzt wahrscheinlich 9 oder 10 c-Untereinheiten, was dem Verbrauch von 3 bzw. 3,3 Protonen pro ATP entsprechen wtirde. Trotz dieser Unsicherheit gehen aile weiteren Betrachtungen in diesem Kapitel der Einfachheit halber von 3 Proton en pro ATP a us.

17.1.41 Energiebilanz der oxidativen Phosphorylierung Der P/0-Quotient gibt an, wieviel ATP pro verbrauchtem Sauerstoff gebildet wird. Aus der Kenntnis der Protonentranslokations-Stochiometrie fur die einzelnen Schritte der oxidativen Phosphorylierung ergibt sich, wie viele ATP (,P") proverbrauchtem Sauerstoffatom (,0") gebildet werden konnen. Bei der Berechnung dieses sog. P/0-Quotienten muss berticksichtigt werden, dass ADP und Pi in die Mitochondrien hinein und ATP wieder heraus transportiert werden muss. Wie bereits besprochen, ist der Gegentausch von ATP und ADP durch den Adeninnucleotid-Carrier mit einem Ladungstransport gekoppelt. Der Phosphat-Transport erfolgt elektroneutral im Symport mit einem Proton (S. 535). Insgesamt entspricht dies dem Rtickstrom eines Protons, was zu den durch die ATP-Synthase verbrauchten Protonen dazugerechnet werden muss. Pro gebildetem und exportiertem ATP gelangen also 4 Protonen in die Matrix zuriick. Fiir NADH, bei dessen Oxidation 10 Protonen gepumpt werden, ergibt sich ein P/0-Quotient von 2,5. Fiir Succinat und andere Substrate, die die Elektronen tiber FAD direkt an Ubichinon abgeben und bei deren Oxidation daher nur 6 Protonen gepumpt werden, ergibt sich ein P/0-Quotient von 1,5. Nicht nur wegen d er immer noch bestehenden Unsicherheit bei der Protonen-Stochiometrie der ATP-Synthase, sondern auch wegen eines gewissen unproduktiven Protonenrtickstroms durch die Membran (,Leak"), sind diese Werte als Maximalwerte zu betrachten, die in vivo sicher nicht erreicht werden.

Der Wirkungsgrad der oxidativen Phosphorylierung liegt bei etwa 60 %. Aus der Differenz der Mittelpunktspotentiale fiir NADH/NAD+ von -320 mV und H 20/0 2 von +820 mV lasst sich tiber die Beziehung

544

17 Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung

eine maximale Energieausbeute von -220 kJ/mol pro oxidiertem NADH berechnen. Setzt man aufgrund der unter physiologischen Bedingungen herrschenden Konzentrationsverhaltnisse ein AG von etwa +50 kJ/mol fur die ATP-Synthese an, so ergibt sich, dass mit einem NADH maximal 4 ATP gebildet werden konnten. Da aber nur maximal 2,5 ATP entstehen, liegt der Wirkungsgrad der oxidativen Phosphorylierung bei etwa 60 o/o. Mit Hilfe der Mittelpunktspotentiale fiir Ubichinon (+80 m V) und Cytochrom c ( + 250 m V) lasst sich auch die den einzelnen protonenpumpenden Atmungskettenkomplexen zur Verfligung stehende Energie berechnen. Komplex I stehen 77 kJ/mol zur Verfiigung, Komplex III 33 kJ/mol und Komplex IV 110 kJ/mol. In diesen Zahlen spiegelt sich gut der Beitrag dieser Komplexe zum Ladungstransport tiber die innere Mitochondrienmembran wider (s. Abb.17.4).

17.1.sl Kontrolle und Regulation der oxidativen Phosphorylierung Substratoxidation und ATP·Bildung sind strikt gekoppelt. Lange bevor Einzelheiten tiber die Komponenten des Systems der oxidativen Phosphorylierung bekannt waren, wurde beobachtet, dass isolierte, intakte Mitochondrien nur dann schnell Substrat oxidieren, wenn

100

20

0 +-----r-----r---~r---~----~----~

0

4

6

8

10

12

Zeit[min)

Abb.17.13. Experiment zur Atmungskontrolle an isolierten lebermitochondrien der Ratte.lsolierte Rattenlebermitochondrien wurden mit Succi nat als Substrat versetzt. Mit Hilfe einer Sauerstoffelektrode wurde der Sauerstoffverbrauch gemessen.An den gekennzeichneten Stellen wurden jeweils 0,1 t-tmol/ml ADP zugesetzt. Der Obergang in den aktiven Zustand wird durch die Erhtihung der Atmungsrate sichtbar. Nachdem das zugesetzte ATP verbraucht ist, gehen die Mitochondrien wieder in den kontrollierten Zustand uber (s.auch Tabelle 17.3). (Aus ltiffler/Petrides 1998)

17 Tabelle 17.3. FlieBgleichgewichtszustande der Atmungskette



lm Oberschuss

Atmungsgeschwlndlg-

vorhanden

keit begrenzt durch

Zustand 1

02

ADP und Substrat

Zustand 2

0 2,ADP

Substrat

Zustand 3 ,aktiv"

02, ADP, Substrat

~JlH

Zustand 4 ,kontrolliert"

0 2, Substrat

ADP

Zustand 5

ADP, Substrat

02

Entkoppelt

Oz, Substrat•

Maximalgeschwindigkeit des Elektronentransports

In diesem Zustand hat ADP keinen Einfluss auf die Atmungsgeschwindigkeit.

ihnen ADP und anorganisches Phosphat zur Verfiigung stehen. Diese strikte Kopplung von Substratoxidation und ATP-Bildung wird auch als Atmungskontrolle bezeichnet. Abb.17.13 stellt dieses Phanomen an isolierten Lebermitochondrien der Ratte dar. In Anwesenheit von Sauerstoff und Succinat als Substrat erhoht sich die Geschwindigkeit des Sauerstoffverbrauchs erst nach Zugabe von ADP urn das funf- bis sechsfache und geht wieder zuriick, wenn das zugesetzte ADP komplett zu ATP phosphoryliert worden ist. Ist ausreichend Substrat vorhanden, kann die Atmungsrate durch erneute Zugabe von ADP nochmals erhOht werden. Anhand derartiger Experimente hat Britton Chance bereits 1956 fiinf FlieBgleichgewichtszustande definiert, bei denen die Atmungsgeschwindigkeit durch jeweils verschiedene Faktoren kontrolliert wird (Tabelle 17.3). Besonders wichtig sind die Zustii.nde 3 und 4. • Im Zustand 3, der auch als aktiver Zustand bezeichnet wird, sind ausreichend Sauerstoff, Substrat, ADP und Phosphat vorhanden, so dass die oxidative Phosphorylierung mit maximaler Geschwindigkeit ablauft.

I

• Im Zustand 4, der auch als kontrollierter Zustand bezeichnet wird, limitiert das Fehlen von ADP den Sauerstoffverbrauch. Unter diesen Bedingungen erreicht die protonenmotorische Kraft ihren Maximalwert und bremst den Elektronentransport der Atmungskettenkomplexe.

Entkoppler heben die Atmungskontrolle auf. Die Tatsache, dass die Atmungskontrolle von der Dichtigkeit der inneren Mitochondrienmembran abhangt, lii.sst sich Ieicht daran zeigen, dass die Atmungsrate auch in Abwesenheit von ADP einen Maximalwert annimmt, wenn man durch Zugabe eines Entkopplers den passiven Ruckstrom von Protonen ermoglicht und so das elektrochemische Potential aufhebt ( Tabelle 17.3 ). Ein Beispiel fiir einen Entkoppler ist Dinitrophenol (Abb.l7.14). Allgemein haben lipophile, schwache organische Sii.uren meist entkoppelnde Eigenschaften, da sie sowohl in der protonierten als auch in der deprotonierten Form frei tiber die Membran diffundieren konnen und so einen Zusammenbruch des Protonengradienten bewirken.

Oas Entkopplungsprotein dient der Thermogenese. Im entkoppelten Zustand wird die im Protonengradienten gespeicherte Energie nicht im ATP gespeichert, sondern als Wii.rme frei. Bemerkenswerterweise nutzen Saugetierzellen diesen Umstand zur Thermogenese aus. Martin Klingenberg konnte zeigen, dass v. a. Mitochondrien des braunen Fettgewebes ein auch Thermogenin genanntes Entkopplungsprotein enthalten, das zur Familie der mitochondrialen Carrier gehort (s. Tabelle 17.1). Es katalysiert einen passiven, elektrogenen Uniport von Protonen und entkoppelt so die mitochondriale Atmung, was zu einer Erwii.rmung des Gewebes fuhrt. Das Entkopplungsprotein wird durch Purinnucleotide, v. a. GDP, und wahrscheinlich auch Ubichinon reguliert, so dass zwischen Thermogenese

, Abb. 17.14. Wirkungsmechanismus von 2,4-Dinitrophenol als Entkoppler der oxidativen Phosphorylierung. (Aus Liiffler/Petrides 1998) 17.1 Energiewandlung in den Mitochondrien

545

17 und ATP-Bildung umgeschaltet werden kann. In den letzten Jahren wurden im Menschen mehrere lsoformen des Entkopplungsproteins nachgewiesen und gezeigt, dass es entgegen frtiherer Vorstellungen in fast allen Gewebetypen exprimiert wird. AuGerhalb des braunen Fettgewebes ist tiber seine Regulation und Bedeutung jedoch bisher wenig bekannt. Im braunen Fettgewebe, das bei allen bisher untersuchten Saugetieren in unterschiedlichem AusmaG subscapular und entlang der groGen GefaGe vorkommt, dient es der Themogenese. Beim Menschen ermoglicht es dem Neugeborenen die Aufrechterhaltung des Korpertemperatur, indem es durch den mit der Geburt einhergehenden Kalteschock aktiviert wird. In Abb. 17.15 ist der Mechanismus der ThermogeneseauslOsung dargestellt. Hypothalamische Signale ftihren zu einer Stimulierung des sympathischen Nervensystems, was zu einer gesteigerten Freisetzung von Katecholaminen an den Nervenendigungen fiihrt. Dber besonders im braunen Fettgewebe nachweisbare PrRezeptoren kommt es zum Anstieg der cyclo-AMP Konzentration im braunen Fettgewebe und zur gesteigerten Lipolyse. Die dabei freigesetzten Fettsauren werden in der mitochondrialen Matrix oxidiert und die dabei gebildeten Reduktionsaquivalente tiber die Atmungskette oxidiert. Gleichzeitig induziert die hohe cAMP-Konzentration die Transkription einiger ftir die Thermogenese wichtiger Proteine. Eines

Kiiltereiz

• •

Noradrenalin

cAMP

Stimulierung der Lipolyse

1

Feruauren

Thermogenin

Mitochondrium

Abb. 17.15. lnduktion derThermogenese durch einen Kaltereiz. Die durch Noradrenalin erhohten cAMP-Spiegel fiihren nicht nur zu einer Erhohung derlipolyse,sondern auch zu einer gesteigerten Expression derGene fOr Lipoproteinlipase, das a us derZelle exportiert wird, und Thermogenin, dasin die Mitochondrien importiert wird. (Aus Loffler/Petrides 1998) 546

17 Redoxreaktionen, Sauerstoff und oxidative Phosphorylierung

von ihnen ist die Lipoproteinlipase, die die Aufnahme extrazellularer Lipide durch die braunen Adipocyten ermoglicht (S. 436). Das zweite ist das Thermogenin, das in die innere Mitochondrienmembr an integriert wird und dort die Steigerung der Warmeabgabe bewirkt. Da das braune Fettgewebe ungewohnlich gut durchblutet ist, kann die produzierte Warme Ieicht abgefiihrt werden und dient der Aufrechterhaltung der Korpertemperatur. AuGer der Thermogenese bei Neugeborenen dient das braune Fettgewebe auch als Warmeproduzent ftir Winterschliifer, bei denen es eine rasche und effektive ErhOhung der Korpertemperatur wahrend der im Verlauf des Winterschlafs auftretenden intermittierenden Aufwachphasen erlaubt.

Die zellulare ATP-Synthese wird an den jeweiligen Energieverbrauch angepasst. In der intakten Zelle wird die Geschwindigkeit der Substratoxidation nicht nur durch die Verftigbarkeit von ADP kontrolliert. Ein groGe Zahl energieverbrauchender Stoffwechselprozesse liefert zwar ADP und anorganisches Phosphat,jedoch unterliegt auch die Bereitstellung von oxidierbarem Substrat einer komplexen Regulation und kann damit geschwindigkeitsbestimmend werden. Unter Umstanden kann dies in einigen Geweben auch ftir die Versorgung mit Sauerstoff gelten. Abb. 17.16 fasst die wichtigsten Regulationsmoglichkeiten zusammen. Es erscheint zunachst einleuchtend, dass auch in der intakten Zelle eine durch gesteigerte Arbeitsleistungen vermehrte ADP-Bildung zu einer erhohten Substratoxidation in den Mitochondrien ftihrt. Allerdings wird in den seltensten Fallen tatsachlich eine Zunahme des cytosolischen ADP-Spiegels infolge gesteigerter Arbeit beobachtet. Dies liegt v. a. daran, dass einige Gewebe tiber ein Phosphokreatin-Kreatinsystem (S. 571) verftigen, das der kurzfristigen Aufftillung der ATP-Speicher dient. In einigen Fallen konnte beobachtet werden, dass ein gesteigertes Angebot von Reduktionsaquivalenten zu einer Erhohung der Atmungsrate ftihrt, ohne dass sich das ATP zu ADP Verhaltnis andert. In diesem Zusammenhang konnten die in allen Geweben vorhandenen Isoformen des Thermogenins von Bedeutung sein, deren Aktivierung zu einer von der ATP-Synthese unabhangigen Erhohung des Sauerstoffverbrauchs ftihren konnte. Eine weitere Moglichkeit besteht dar in, dass eine Erhohung des cytosolischen Calciums zu einer verstarkten Aufnahme von Calcium in die Mitochondrien ftihrt, wo es den Citratzyklus aktiviert. Eine direkte Regulation tiber die Sauerstoffversorgung kann ausgeschlossen werden, da die Michaelis-Konstante der den Sauerstoff verbrauchenden Cytochrom c-Oxidase mit weniger als 100 nmol!l extrem klein ist. Allerdings wird spekuliert, dass unter mikroaeroben Bedingungen eine Kompetition mit NO physiologische Bedeutung haben konnte. SchlieGlich wurde in jtingster Zeit gezeigt, dass die Aktivitat der Cytochrom c-Oxidase in gewissem MaGe tiber allosterische Nucleotid-Bindungsstellen reguliert werden kann.

17 Cytosol

energieverbrauchende Vorgange

{ \

ADP ATP+ AMP+ Ade

Ca

K

P-Kreatin Kreatin

>-
Gewichtheben vergro13ert die Typ-II-Fasern, .,. Schnelligkeitstraining erhoht dagegen den Anteil der glycogenolytischen Typ-II-Fasern. Die Kontraktions- und Relaxtionsgeschwindigkeit von Herzmuskelfasern ist niedriger als die der Typ-I-Fasern, entsprechend hoher ist auch Aktivitat der Citratsynthase- und Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase.

! In der Skelettmuskulatur werden bevorzugt

Glucose und Fettsauren als Substrate oxidiert.

fiir jede langere Muskeltatigkeit ATP aus ADP und Phosphat regeneriert werden. Die hierfiir benotigten Reduktionsaquivalente (S. 110) entstehen durch den oxidativen Abbau von Glucose, Fettsauren und in geringem Umfang von Aminosauren. Diese Substrate werden entweder durch Mobilisierung muskeleigener Speicher (Glycogen, Triacylglycerine) gewonnen oder von der Muskelzelle aus dem Blutplasma aufgenommen. Zur schnellen Dberbriickung der Energieversorgung enthalten Muskeln als zusatzliches energiereiches Phosphat das Kreatinphosphat ( Abb. 18.10 ). Kreatinphosphat steht mit ADP tiber die Kreatinkinase in folgender Beziehung:

Glucose und nichtveresterte Fettsauren sind die wichtigsten Substrate fiir den Stoffwechsel des Muskels. In Gegenwart von Sauerstoff werden beide zu C02 und Wasser oxidiert. Bei Sauerstoffmangel kann das in der Glycolyse gebildete Pyruvat in Lactat iiberfiihrt werden, so dass eine beschrankte ATP-Bildung auch unter anaeroben Bedingungen moglich ist (S.401). AuBerdem fallen mit der Lactatbildung Protonen an, die zu einer Acidose der Muskelzellen fiihren. Die Oxidation von Aminosauren zur Deckung des Energiebedarfes spielt nur eine untergeordnete Rolle, da auch bei Ianger dauernder Arbeit die Harnstoffausscheidung des Organismus nicht zunimmt. Nur verzweigtkettige Aminosauren wie Leucin werden vor allem in den Typ-I-Fasern der Skelettmuskulatur oxidiert, die die von diesen Aminosauren abstammenden Aminogruppen als Alanin oder Glutamin abgeben.

H2c- cool / N, / NH2

H3C

H2c- cooI N NH C / ' c/ H 3 II • NH2

C

II •NH2

Kreatin

18.2.21 Herkunft des fi.ir den KontraktionsRelaxations-Vorgang benotigten

ATP

! Der begrenzte ATP-Vorrat des Muskels wird durch das energiereiche Kreatinphosphat erganzt.

Sowohl bei der Kontraktion als auch bei der Relaxation der Muskelzelle wird ATP hydrolysiert (S.1039 ff.). Da der ATP-Vorrat des Muskels jedoch begrenzt ist, muss

I

18 Koordinierung des Stoffwechsels

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-""

~-CO[J



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NH CH CO A ~>-""~

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)""

14

16

17

Squalen

s

IProteolyse I

21

l l

A A A

Ringschluss, Einfiihrung der Hydroxyfgruppe

1J2 02

11

roo

s~ ( -terminate Carboxymethylierung

j

NH CH C

CH

HO

17

lanosterin

0 0 Ctl

s~

I Demethylierung

Abb.20.19. Mechanismus der Farnesylierung von Proteinen. Die Prakursoren von farnesylierten Proteinen besitzen an der viertletzten Position einen Cysteinylrest. Dieser wird uber eine Thioetherbrucke- unter Katalyse einer spezifischen Prenyltransferase- mit einer Farnesylgruppe versehen. AnschlieBend werden die 3 terminalen Aminosauren abgespalten und die zum Cysteinylrest gehorende Carboxylgruppe methyliert

!

Cholesterin hemmt die Transkription der Enzyme der Cholesterinbiosynthese.

I

21

HO

16

17

Zymosterin

Das Reaktionsgeschwindigkeitsbestimmende Enzym fur die gesamte Cholesterinbiosynthese ist die HMGCoA-Reductase. Bei Nahrungskarenz ist die Aktivitiit dieses Enzyms deutlich reduziert, was das Absinken des Cholesterinspiegels beim Fasten erkliirt. Ahnlich niedrige HMG-CoA-Reductaseaktivitiiten finden sich auch beim Diabetes mellitus. Hier konnen allerdings die Cholesterinspiegel im Blut hoch sein, wahrscheinlich wegen einer Verlangsamung des Cholesterinumsatzes und der Cholesterinausscheidung. Eine dem Diabetes mellitus iihnliche Konstellation findet man bei der Schilddriisenunterfunktion, der Hypothyreose (S. 877). Die Hyperthyreose geht dagegen trotz ErhOhung der HMG-CoA-Reductaseaktivitiit mit erniedrigten Cholesterinspiegeln im Blut einher, wahrscheinlich wei! gleichzeitig Cholesterinumsatz und -ausscheidung gesteigert sind. Auch Gallensiiuren hemmen die Cholesterinbiosynthese (5.1083). Wird die Riickresorption 612

I

~ttigung der Seitenkette, Wanderung der Doppelbindung in Ring B 11

HO

17

Cholesterin Abb. 20.20. Biosynthese von Cholesterin aus Squalen. (Einzelheiten s. Text)

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20 Nahrungscholesterin

_,-Biosynthese ______./

Gallens.'iuren

Ausscheidung

Abb. 20.21. Obersicht uber den Stoffwechsel von Cholesterin. Zellen gewinnen ihr Cholesterin entweder durch Biosynthese oder durch Aufnahme aus lipoproteinen (5. 622). lntrazellular wird Cholesterin entweder durch die ACAT als Ester gespeichert oder,je nach Gewebe, fUr weitere Reaktionen verwendet. Die dargestellten Reaktionen fin den in unterschiedliche Zellen in verschiedenem Umfang statt

der Gallensauren im Darm durch die Bindung an einen nicht resorbierbaren lonenaustauscher unterbunden, so kommt es zu einer Steigerung der Cholesterinbiosynthese in der Leber. Da gleichzeitig jedoch die Gallensaureneubildung aus Cholesterin betrachtlich beschleunigt ist, sinkt der Serumcholesterinspiegel trotzdemab. Auf molekularer Ebene ist die Regulation der HMGCoA-Reductase auBerordentlich komplex und hangt mit der Expression anderer Enzyme bzw. Proteine zusammen: ~ Zufuhr von Nahrungscholesterin oder Gabe von Sterolen und Mevalonsaure zu kultivierten Zellen fiihrt zu einer raschen Abnahme der mRNA fiir die HMG-CoA-Reductase, die HMG-CoA-Synthase, die Prenyltransferase und den LDL-Rezeptor. ~ Bei Cholesterinmangel nimmt dagegen die Transkription dieser Gene zu. Die Gene der genannten Proteine haben in ihrer Promotorregion in mehreren Kopien ein aus acht Nucleotiden bestehendes sog. Sterolregulationselement 1 (SRE-1). Die Entfernung dieser Elemente bringt die Transkriptionsabhangigkeit von Cholesterin und anderen Sterolen zum Verschwinden. SRE-1 ist ein Enhancer (S. 259), der die Transkription der o. g. Gene dann aktiviert, wenn Transkriptionsfaktoren an ihn binden, die als SREBP's (Sterol Response Element Binding Protein) bezeichnet werden. SREBP's kommen in drei Isoformen, SREBP-1 a, - 1 cund - 2 vor. Es handelt sich urn groBe, aus drei Doman en bestehende Proteine, die haarnadelartig in die Membran des endoplasmatischen Reticulums integriert sind. Die N-terminale sowie die C-terminale Domane ragen ins Cytosol. Die

N-terminale Domane ist ein Transkriptionsfaktor der Helix-Loop-Helix-Familie (S. 261 ), die C-terminate Domane hat eine regulatorische Funktion. Fur die Aktivierung der SREBP's sind folgende Schritte notwendig ( Abb. 20.22): ~ Durch eine als SIP bezeichnete Protease werden die SREBP's in der luminalen Domane gespalten. Beide cytosolische Domanen sind danach noch in die ERMembran integriert. ~ Erst durch die S2P-Protease wird die N-terminale Domane freigesetzt, in den Zellkern transloziert und wirkt dann als Transkriptionsfaktor. S2P ist nur aktiv, wenn SlP die luminale Domane geschnitten hat. ~ SlP ist nur aktiv, wenn SREBP im Komplex mit einem weiteren Membranprotein, dem SCAP, vorliegt. SCAP ist mit 8 Transmembrandomanen in die ERMembran integriert. ~ Funf der acht Transmembrandomanen von SCAP bilden einen Cholesterinsensor. Werden sie mit Cholesterin beladen, so lOst sich die Bindung von SREBP und SCAP, was zu einer lnaktivierung der SIP-Protease fuhrt. Dieser Mechanismus gewahrleistet, dass die fiir die Cholesterinbiosynthese benotigten Gene nur dann aktiviert werden, wenn die Zelle arm an Cholesterin ist ( Abb. 20.23 ). SREBP's sind nicht nur an der Regulation des Cholesterinstoffwechsels beteiligt, sondern greifen auch in die Fettsaure- und Triacylglycerinsynthese, die Aufnahme von Cholesterin und Fettsauren in Zellen und sogar in den Glucosestoffwechsel ein (Tabelle 20.1). Die Aktivierung ist in diesem Fall allerdings nicht cholesterin-, sondern insulinabhangig (S.421).

Eine Erhohung des zellularen Cholesteringehaltes senkt die Halbwertszeit der HMG-CoA-Reductase. Die HMG-CoA Reductase ist ebenfalls ein Protein des endoplasmatischen Reticulums. Eine cytosolische Domane tragt die Enzymaktivitat. In die Membran ist das Tabelle 20.1. Proteine, deren Expression durch SREBP's aktiviert wird (Auswahl)

Cholesterinsynthese

HMG-CoA-Synthase HMG-CoA-Reductase FamesylpyrophosphatSynthase Squalen-Synthase

Cholesterin- und Fettsaureaufnahme

LDL-Rezeptor Lipoproteinlipase

Fettsaure- und Triacylglycerinsynthase

Acetyl-CoA-Carboxylase Fettsliuresynthase Stearoyi-CoA-Desatura e Glycerin-3-phosphatAcyltransferase

Glycoly e

Glucokinase

20.3 Stoffwechsel der lsoprenlipide und des Cholesterins

613

20 HLH-Dom3ne

Regul3torische Dom3ne

HLH-Oomane Regulatorische Oomane

Abb. 20.22. Die proteolytische Aktivierung von SREBP's.Die Freisetzung von SREBP's wird durch eine Spaltung durch die Protease 51Peingeleitet. FUr diese ist allerdings nur der SCAP/SREBP-Komplex ein geeignetes Substrat. Nach der ersten Spaltung wird die Protease S2P aktiv und spaltet den DNA-bindenden Teil des SREBP's ab. Dieser gelangt in den Kern und wirkt als Transkriptionsfaktor. Die Beladung von SCAP mit Cholesterin s!Ort die Wechselwirkung mit SREBP und inaktiviert 51 P. (Einzelheiten s.Text)

Die HMG-Co-Reductase wird durch reversible Phosphorylierung inaktiviert.

2-Acetyi-CoA + Acetacetyi-CoA

Durch die AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPPK), die auch die Acetyl-CoA-Carboxylase phosphoryliert und inaktiviert (S.458), wird die HMG-CoA-Reductase inaktiviert. Eine Phosphoproteinphosphatase macht diesen Effekt riickgangig. AMP als der Aktivator der AMPPK faHt immer dann an, wenn in Zellen Energiemangel herrscht. In diesem Zustand erscheint es sinnvoll, Energie verbrauchende Biosynthesen wie die Fettsaure- oder Cholesterinbiosynthese abzuschalten.

HMG-CoA

Mevalonat

~

lsopentenyi-PP + Dimethylallyi-PP Prenyltransferase

reprimiert

I

Farnesyi·PP

~ ~===-

Zur Behandlung von Hypercholesterinamien werden lnhibitoren der HMG-CoA-Reductase verwendet.

Squalen

Cholesterin ~===- Cholesterin

Nahrung

Abb. 20.23. Regulation der Transkription von HMG-CoA-Synthase, HMGCoA-Reduktase, Prenyltransferase und LDL-Rezeptor durch Cholesterin

Enzym mit acht Transmembrandomanen integriert. Diese sind eng mit den acht Transmembrandomanen von SCAP verwandt, dienen also auch als Cholesterinsensor. Bindung von Cholesterin an diese Domiinen lOst einen gesteigerten Abbau von HMG-CoA-Reductase und damit eine Verminderung der Cholesterinbiosynthese a us.

614

I

Von besonderer Bedeutung fiir die Aufkliirung der posttranskriptionalen Regulation der HMG-CoA-Reductase waren eine Reihe spezifischer Pilzmetabolite, die kompetitive Inhibitoren der HMG-CoA-Reductase sind. Es handelt sich urn Verbindungen wie Mevinolin oder Compactin, deren Derivate als Statine bezeichnet und fiir die Behandlung von Hypercholesterinamien verwendet werden( Abb. 20.24). Sie sind kompetitive Inhibitoren der HMG-CoA-Reductase. Da sie eine besonders hohe Affinitat zu diesem Enzym besitzen, kann mit ihnen die Biosynthese von Isoprenderivaten und Cholesterin vollstandig gehemmt werden. Interessanterweise nimmt allerdings die Menge der immunologisch nachweisbaren HMG-CoA-Reductase unter Be-

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20 c~J R

/ CH2 H3C- CH

20.4 lipide und Signalmoleki.He

' c=o

/

O

CH

H

'2

/ OH

/c

H1C

CH2 - CH

CH3

CH2

I coo-

OH

R= H : Compactin R= CH3 : Mevinolin

Mevalonat

Abb. 20.24. Struktur von Compactin und Mevinolin. Der zum Mevalonat strukturhomologe Teil ist hervorgehoben

handlung mit den genannten Inhibitoren urn ein bis zwei GroBenordnungen zu. Dies beruht auf einer durch die erniedrigten zelluHiren Cholesterinspiegel ausgelosten Steigerung der Expression der HMG-CoA Reductase sowie einer Verlangsamung ihres Abbaus (s. o.). Ihre Halbwertszeit betragt normalerweise etwa zwei Stunden und verlangert sich in Gegenwart von Mevinolin ungefahr auf 11 Stunden, wahrend die Zugabe von Mevalonsaure und Hydroxysterolen die Halbwertszeit auf weniger als 40 Minuten verkiirzen.

KERNAUSSAGEN Die lsopren-Lipide bilden eine eigene Gruppe von Lipiden mit eminenter biologischer Bedeutung. Sie entstehen durch Kondensation von aktiven lsopreneinheiten, dem Dimethylallylpyrophosphat und lsopentenylpyrophosphat. Durch diese Kondensationsreaktion entstehen eine groBe Zahl von Naturstoffen, zu denen viele Vita mine, aber auch das intrazellular synthetisierte Ubichinon gehoren. Ein besonders wichtiges lsoprenderivat ist das Cholesterin, das ein essentieller Bestandteil zellularer Membranen ist, daneben aber auch den Ausgangspunkt fiir die Biosynthese der Steroid hormone sowie der Gallensauren darstellt. Das Ringsystem des Cholesterins sowie der anderen Steroide kann vom tierischen Organismus nicht gespalten werden. Deswegen wird Cholesterin als solches oder nach Umwandlung in Gallensauren ausgeschieden. Da Cholesterin nicht wasserloslich ist, muss seine Synthese genau reguliert werden. Dabei sind folgende Prinzipien wirksam: .,.. Cholesterin hemmt die Aktivierung von SREBP's, die als Transkriptionsfaktoren das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Cholesterinbiosynthese, die HMG-CoAReductase, andere Enzyme der Cholesterinsynthese, aber auch der lipidspeicherung induzieren. ... Cholesterin verkurzt die Halbwertszeit der HMG-CoAReductase. ... Die HMG-CoA-Reductase wird durch reversible Phosphorylierung inaktiviert.

Uber die schon seit vielen Jahren bekannte Tatsache, dass Phospholipide, Sphingolipide und Cholesterin aile Membranen aufbauen, hinaus, erfiillen diese wichtige Funktionen im Bereich der Signaltransduktion, d. h. der Umsetzung extrazellularer Signale in intrazellulare Anderungen des Stoffwechsels und anderer Aktivitaten von Zellen (Tabelle 20.2). Phosphoglyceride... Die Spaltprodukte von Phosphoglyceriden durch spezifische Phospholipasen liefern: .,.. Inositoltrisphosphat, das die cytosolische Calciumkonzentration erhoht, .,.. Diacylglycerin als Aktivator der Proteinkinase C sowie .,.. Arachidonsiiure, die den Ausgangspunkt fiir die Biosynthese der Eikosanoide darstellt. Phosphatidylinositol-bisphosphat kann durch die PI3Kinase phosphoryliert werden. Das entstehende Phosphatidylinositol-(3,4,5)trisphosphat bleibt in die Membran integriert. Es dient als Andockplatz fiir spezifische Proteine, v. a. die 3-Phosphoinositid-abhangige Kinase1 (PDKl) sowie die Proteinkinase B (PKB). Diese Kinasen spielen eine wichtige Rolle bei der Signaltransduktion von Wachstumsfaktoren und Insulin. Fiir alle aus Phosphoglyceriden gebildeten Signalstoffe gilt natiirlich, dass ihr Bildung einer genauen Regulation unterliegt. Sphingolipide.,. Der Abbau von Sphingolipiden liefert einige Zwischenprodukte, die verschiedenen zellbiologische Phanomene beeinflussen: .,.. Ceramid, das durch die Sphingomyelinase aus Sphingomyelin entsteht, ist in vielen Zellen an der AuslOsung der Apoptose (S. 213) beteiligt. .,.. Sphingosin entsteht durch die Ceramidase aus Ceramid und ist ein Inhibitor der Proteinkinase C. .,.. Sphingosin-1-phosphat wird durch die Sphingosinkinase gebildet und lasst sich extrazellular nachweisen. Es wirkt tiber einen spezifischen Sphingosin-1phosphat-Rezeptor, stimuliert in vielen Zellen die Proliferation und wirkt antiapoptotisch. Cholesterin.,.. Auch das Cholesterin greift an verschiedenen Stellen in Vorgange der Signaltransduktion ein oder ist Ausgangspunkt fiir die Herstellung von Signalmolekiilen: .,.. bildet den Ausgangspunkt fiir die Biosynthese aller Steroidhormone, .,.. hemmt die Aktivierung von SREBP-1 a und -2 und .,.. vermindert die Halbwertszeit der HMG-CoA-Reductase.

20.4 lipide und Signalmolekiile

615

20 Tabelle 20.2. Lipide und Lipidderivate, die fiir die zellulare Signalvermittlung eine Rolle spielen (Auswahl)

Molekiil

Beteiligtes Enzym

Zellullire Effekte

lnsP 3

Phospholipa e C/3 bzw. Cy

Calciummobilisierung a us ER

803

Phospholipase C/3 bzw. Cy Pho pholipase C; Phospholipase D mit Phosphohydrolase

Aktivierung der Proteinkinase C

807

Aktivierung der Proteinkinase C

807

Diacylglycerin

Phosphoglyceride

Arachidonat

Phosphoglyceride

Phospholipase A2

Synthese von Eikosanoiden

451

Ptd Ins (3,4,5)P 3

Ptd Ins ( 4,5)P2

P13-!Gnase

Aktivierung der PDK 1 und der PK B

848

Ceramid

Sphingomyelin

Sphingomyelinase

213

Sphingosin

Ceramid

Ceramidase

Auslosung der Apoptose Hemmung der Proteinkina e C Hem mung der Apopto e

Sphingosin-1 Pho phat

Sphingosin

Sphingosin-1 -Kinase

Proliferation

Cholesterin

Acetyl-CoA

Hem mung der Expression von HMG-CoA Reductase u. a. Synthese der Steroid hormone Synthese von Caveolae

213

613 880 ff.

Ins/"3 tnsosltoltrisphosphat; Ptdlns (4,5)P2 Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat; Ptlns(3, 4,5)P3 Phosphatidylinositol-3,4,5-trisph osphat.

KERNAUSSAGEN

Tabelle 20.3. Normale Konzentrationsbereiche der im Serum vorkommenden Lipide

Upid

Die amphiphilen Membranlipide befinden sich in einem dynamischen Zustand. Sie unterliegen einem permanenten Umbau, der auch die Vorgange des Phospholipid- und Spingolipidabbaus beinhaltet. Hierbei werden wichtige Signalmolekiile freigesetzt: ~ Durch Hydrolyse der Esterbindungen entstehen aus unterschiedlichen Phosphoglyceriden lnositoltrisphosphat als Regulator der zellularen Calciumkonzentration, Diacylglycerin als Aktivator der Proteinkinase Csowie Arachidonsaure als Ausgangspunkt fiir die Eikosanoidbiosynthese. ~ Durch Phosphorylierung des Inositol rings von Phosphatidylinositol entstehen modifizierte Phospholipide, die als Andockpunkte fiir Proteine dienen, die an Signaltransduktionsvorgangen beteiligt sind. ~ Durch Ab- bzw. Umbau von Sphingolipiden entstehen die Signalmolekiile Ceramid,Spingosin und Sphingosin-1phosphat

20.5 Transport der Lipide im Blut Extrahiert man die Lipide des Blutplasmas mit geeigneten organischen Losungsmitteln oder trennt sie mit chemischen Methoden auf, so fin den sich 11> Cholesterin und Cholesterinester, 11> Phosphoglyceride sowie 11> Triacylglycerine und ~ in geringeren Mengen unveresterte langkettige Fettsauren ( Tabelle 20.3). 616

Konzentratlonsberekh [mg/100 ml] [mmol/1]

Triacylglycerine

b

0,62- 2,5

160-250'·b

2,2-3,4·

Chole terin (frei + verestert)

150-220"

3,9-6,2"

14-22

0,5-0,8

Nichtveresterte Fett auren '

5o-150

Phosphoglyceride

Klinisch-diagnostische Bedeutung. Ohne klinisch-diagnostische Bedeutung.

Bei Lipiden iiberwiegen die hydrophoben Eigenschaften. Es ist deswegen verstandlich, dass ihr Transport in dem wassrigen Medium des Blutplasmas schwierig ist. Fiir die mengenmaf~ig unbedeutende Fraktion der nicht veresterten Fettsauren steht als Transportvehikel das Serumalbumin zur Verfiigung. Alle anderen Lipide des Plasmas miissen durch Bindung an spezifische Transportproteine in Form der Lipoproteine transportiert werden.

20.5.1

Aufbau der Lipoproteine

Aufgrund ihrer Dichte konnen Lipoproteine in vier Hauptklassen eingeteilt werden. Die im Plasma vorkommenden Lipoproteine werden nach einer Reihe unterschiedlicher Kriterien eingeteilt, die in Abb. 20.25 zusammengestellt sind. Zunachst einmal konnen sie entsprechend ihrer Dichte in der praparativen Ultrazentrifuge (S. 68) auf-

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20

I ~

Dichteklasse

s,

VLDL

mlkronen

0,9g/ml

loS

Formund Durchmesser

Elektrophorese

1,063g/ml

20

0

0

0

1,21 g/ml

c:(p

100-l OOOnm

30-70nm

15-2S nm

7,Sx10 nm

9911

90/10

78n2

SO/SO

AI, AIV, ClClll, E, 848

CI,CII,CIII,E,

8100 (C,E)

AI,AII,AIV,

lipid/ProteinVerhaltnis Apolipoprotein

1,006g/ml

400

0

HDL

LDL

·-

B10o

Cl-(111, E.

+ Chylomi kronen

Pr~-13-

Upoprotelne

~-Upoproteine

geteilt und klassifiziert werden. Demnach sind Plasmalipoproteine sehr geringer, geringer und hoher Dichte unterscheidbar, die auch als 11> very low density lipoproteins (VLDL), .,. low density lipoproteins (LDL) und .,. high density lipoproteins (HDL) bezeichnet werden. 11> Eine Dichte noch unterhalb der VLDL zeigen schlieBlich die besonders lipidreichen Chylomikronen. Entsprechend ihrer verschiedenen Dichte unterscheiden sich die Lipoproteine sowohl beziiglich ihres Lipidgehalts als auch beziiglich des Verhaltnisses von Lipiden zu Proteinen. In den Chylomikronen betragt dieses Verhaltnis 99: 1, 90% der Lipide sind Triacylglycerine, 6% Cholesterin und nur 4% Phospholipide. Uber VLDL, LDL und HDL nimmt das Lipid-Protein-Verhaltnis his auf 50: 50 bei den HDL ab. In der gleichen Reihenfolge sinkt auch der Anteil von transportierten Triacylglycerinen. Den hochsten Cholesteringehalt zeigt die LDLFraktion, den hOchsten Phosphoglyceridgehalt die HDL-Fraktion (® Tabelle 20.4}.

a-Upoprotelne

Abb. 20.25. Einteilung und Eigenschaften der Serumlipoproteine

Dass sich die einzelnen Lipoproteinklassen auch beziiglich ihrer Proteinzusammensetzung unterscheiden, wird aus ihrem elektrophoretischen Verhalten klar, welches eine weitere Einteilungsmoglichkeit liefert ( ® Abb. 20.25). Wahrend Chylomikronen keine elektrophoretische Beweglichkeit haben, wandern LDL mit der ,8-Globulin-Fraktion, HDL mit der a-GlobulinFraktion. Sie werden dementsprechend als P- bzw. aLipoproteine bezeichnet. VLDL wandern dagegen in der Elektrophorese den ,8-Globulinen voraus und werden dementsprechend als Prii-P-Lipoproteine bezeichnet.

Die einzelnen Lipoproteinklassen sind mitjeweils spezifischen Apolipoproteinen ausgestattet. Inzwischen ist es gelungen, die einzelnen auch als Apolipoproteine bezeichneten, in Lipoproteinen vorkommenden Proteine zu klassifizieren und wenigstens teilweise strukturell aufzuklaren ( ® Tabelle 20.5). VLDL enthalten im Wesentlichen die Apolipoproteine CI-CIII sowie in geringeren Anteilen die Apolipopro20.5 Transport der Lipide im Blut

617

20 Tabelle 20.4. Physikalische Eiqenschaften, chemische Zusammensetzunq und Hauotaoolioooroteine der verschiedenen Lioooroteinklassen Chylomlkron Dichte [glml)

0,93

VLDL

LDL

HDL

0,93-1,006

1,019-1,063

1,063-1,21

18-25

Durchmesser [rum)

75-1200

30-80

Triacylglyceri.ne [%)

86

55

6

Cholesterin [%) u.nd Cholesteri.nester

5

19

50

19

Phospholipide [%)

7

18

22

34

Apolipoprotei.ne [%) davon ApoA-1 [%) ApoA-ll [%) ApoB(%) ApoC[%) ApoD[%) Apo E [%)

2

8

22

42

33

Spur Spur

Spur Spur

63 16 3 9 2 2

Spur

5 32

25 55

90 2

15

10

3

5-12 4

Tabelle 20.5. Klassifizierung der Apolipoproteine des menschlichen Serums Apolipoprottln

Upoproteln

AI

HDL

28

Aktivator der LCAT

All

HDL

17

Strukturelemente

MolekWmuse [kDa)

46

Funktion

Arv

HDL

BulO'

VLDL,LDL

549

Ligand de 8-Rezeptors

s...•

Chylomikronen

265

Strukturelement

Cl

VLDL,HDL

Unbeka.n.nt

7

Aktivator der LCAT

Cll

VLDL,HDL

8,5

Aktivator der LPL

Clll

VLDL,HDL

8,9

Unbekannt

D

HDL

21

Aktivator der LCAT, Strukturelement

E

VLDL, HDL, (LDL)

39

Ligand des E-Rezeptors

Nicht austauschbare Apolipoproteine.

teine B und E. Chylomikronen besitzen dariiber hinaus das Apolipoprotein B48 sowie AI. LDL enthalten hauptsachlich das Apolipoprotein B100, daneben das Apolipoprotein E. In der Gruppe der HDL finden sich auGer den Apolipoproteinen der C-Gruppe auch die Apolipoproteine AI, All und E. Strukturell konnen die Apolipoproteine in zwei Gruppen eingeteilt werden: ~ ApoB 100 und ApoB48 werden als nicht austauschbare Apolipoproteine bezeichnet, die nicht zwischen den verschiedenen Lipoproteinen ausgetauscht werden. Sie sind praktisch unloslich in Wasser. ~ Die Apolipoproteine der Gruppen A, C, D und E sind in freier Form wasserloslich und werden zwischen Lipoproteinen ausgetauscht (s. u.). Die Primarstruktur der entsprechenden Apolipoproteine ist inzwischen aus den zugehorigen cDNA-Sequenzen ermittelt worden. Wie aus physikalisch-che618

I

mischen Untersuchungen hervorgeht, nehmen Apolipoproteine erst in Gegenwart von Phosphoglyceriden ihre endgiiltige raumliche Konformation an. Diese zeichnet sich durch einen relativ gro6en Gehalt an a-helikalen Bereichen aus, die haufig als sogenannte amphiphile Helices organisiert sind. Dies bedeutet, dass sich auf der einen Halfte der Helixoberflache iiberwiegend hydrophile auf der anderen dagegen iiberwiegend hydrophobe Aminosaureseitenketten befinden. Grundlage aller Strukturmodelle von Lipoproteinen bildet die Annahme, dass der Kern jedes Lipoproteins aus hydrophoben Lipiden, v. a.Triacylglycerinen und Cholesterinestern, besteht. Urn diesen herum sind Cholesterin und amphiphile Lipide, v. a. Phospholipide, gruppiert. Die Apolipoproteine ,schwimmen" mit ihren hydrophoben Strukturen auf der Lipidphase und treten mit ihren hydrophilen Domanen mit der wassrigen Umgebung in Wechselwirkung.

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20

Cholesterinester Triacylglycerin

'1-----'->,....-- Amph ipatische ~-Faltblatter

..., v Ji

C prd3

prd2

prdl

Phospholipide Freies Cholesterin

Amphipatische u-Helices

Abb. 20.26. Dreidimensionale Darstellung eines LDL -Lipoproteins. Links: lm Querschnitt erkennt man den inneren, aus Triacylglycerinen und Cholesterinestern zusammengesetzten Kern (rot); die ihn umgebenden amphiphilen Lipide sind gelb dargestellt, Phospholipide in der Nachbarschaft des blau dargestellten Faltblattanteils von ApoB 100 sind griin. Rechts: LDL

in der Aufsicht. Man erkennt, wie sich ApoB 100 mit a-helicalen und ,8-Faltb\att-Antei\en urn den Lipid kern windet. Die hell dargestellten Anteile sind hinter dem Lipid kern gelegen. (Mit freundlicher Genehmigung von Jere P. Segrest 2001)

® Abb. 20.26 zeigt ein Modell des LDL's, das aufgrund dieser Annahme und der Strukturermittlung des Apolipoproteins B100 ermittelt wurde. AuBer ihrer strukturgebenden Funktion haben Apolipoproteine wichtige Aufgaben im Rahmen des Metabolismus der Lipoproteine zu erfiillen ( ® Tabelle 20.5). So sind die Apolipoproteine B100 sowie ELiganden fiir spezifische Rezeptoren, die ihre Internalisierung und damit ihren weiteren Stoffwechsel vermitteln. Das Apolipoprotein CII ist ein unerlasslicher Aktivator der Lipoproteinlipase, die Apolipoproteine AI, Cl und D aktivieren die Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase.

~

~

~

~

20.5.21 Stoffwechsel der lipoproteine

! Triacylglycerinreiche Lipoproteine entstehen

Die bei der Resorption durch die Pankreaslipase gespaltenen Triacylglycerine werden im glatten endoplasmatischen Reticulum zu Triacylglycerinen resynthetisiert (S. 1094). Sie werden anschlieBend von einem TriacylglycerinTransferprotein gebunden und zum rauen endoplasmatischen Reticulum transportiert. Dart assoziieren sie cotranslational mit dem Apolipoprotein B48 , wobei kleine, unreife Chylomikronen entstehen. Diese reifen anschlieBend durch Aufnahme weiterer Lipide wie Cholesterin und Phosphoglyceride sowie der Apolipoproteine AI, All (® Abb. 20.27). Vom rauen endoplasmatischen Reticulum gelangen sie in den Golgi-Apparat, von wo die Chylomikronen in Sekretgranula gspeichert und unter Einschaltung des mikrotubularen Systems (S.l98) durch Exocytose in den extrazellularen Raum gegeben werden. Hier sammeln sie sich in den intestinalen Lymphgangen und gelangen tiber den Ductus thoracicus zum Kreislauf.

in Darm und Leber.

~

Chylomikronen und VLDL sind die besonders triacylglycerinreichen Lipoproteine. Die ersteren sind fiir den Transport von mit der Nahrung aufgenommenen Triacylglycerinen, die letzteren fiir den Transport von in der Leber aus endogenen Quellen synthetisierten Triacylglycerinen verantwortlich. Chylomikronen entstehen in den Mucosazellen der duodenalen Schleimhaut:

Grundsatzlich gleichartig erfolgt die Assemblierung der VLDL. Die Kapazitat der intestinalen Mucosa zur Synthese dieser Lipoproteinklasse ist relativ gering, jedoch sind Hepatocyten in groBem Umfang zur VLDLBiosynthese und -sekretion fahig. Auch diese Partikel sind sehr Triacylglycerin-reich, enthalten daneben 20.5 Transport der Lipide im Blut

619

20

Extrahepatische Gewebe

___ ___._ Apo 848 Transferprotein Lipidtropfchen

Upoproteinlipase

Golgi

, "., lnterzellul~rer

Fe~uren

Raum

6 !

Kem

Chylomik'"""

a

Lymphgefa!l

Abb. 20.27. Biosynthese und Sekretion von Chylomikronen in den Mucosazellen der duodena len Schleimhaut. (Einzelheiten s. Text)

E.xtrahepatische Gewebe

VLDL

c

auch Cholesterin, Cholesterinester und Phosphoglyceride. Die Assemblierung mit den Apolipoproteinen CI III, B100 und E erfolgt ebenfalls im Golgi-Apparat, von wo aus VLDL-Partikel in Sekretgranula gespeichert und vom Hepatocyten sezerniert werden.

!

620

Fettsauren

\.

Triacylglycerinreiche Lipoproteine werden durch die Lipoproteinlipase abgebaut. Am Abbau der Triacylglycerin-reichen Lipoproteine sind in besonderem Umfang die extrahepatischen Gewebe beteiligt. Allerdings bestehen betrachtliche Unterschiede in den Abbauwegen fur Chylomikronen und VLDL ( Abb. 20.28). Chylomikronen. Unmittelbar nach ihrem Erscheinen im Blut andert sich die Oberflache der Chylomikronen. In Abhangigkeit von der Konzentration von HDL, besonders der Untergruppe HDL2, erfolgt ein Austausch der Apolipoproteine des Typs C und E zwischen HDL und Chylomikronen. Besonders wichtig ist das Apolipoprotein CII als ein Cofaktor der Lipoproteinlipase. Dieses lipolytisch wirksame Enzym (S.436) ist an den Endothelzellen der Kapillaren sowie an der Plasmamembran der extrahepatischen Gewebe lokalisiert und katalysiert die Spaltung von Triacylglycerin zu Glycerin und Fettsauren. Die Fettsauren werden von den extrahepatischen Geweben aufgenommen und verstoffwechselt (S. 564), dagegen gelangt Glycerin zur Leber urn dort phosphoryliert und anschlie6end in den Stoffwechsel eingeschleust zu werden. Beim Abbau der Chylomikronen durch die Lipoproteinlipase gehen 70-90 o/o des Triacylglyceringehalts verloren. Gleichzeitig findet ein betrachtlicher Verlust an Apolipoprotein A sowie Cholesterin statt. Be ide wer-

I

Lipoproteinlipase

Extrahepatische Gewebe

b

Abb. 20.28a, b. Abbau der Triacylglycerin-reichen Lipoproteine. aAbbau von Chylomikronen. b Abbau von VLDL. (Einzelheiten s.Text)

den offenbar aufHDL-Vorstufen, sogenannte discoidale HDL i.ibertragen, wobei die Fraktion HDL3 entsteht. Das Uberbleibsel des Chylomikronenabbaus, welches auch als Remnant (engl. Uberbleibsel) bezeichnet wird, gelangt zur Leber. Dort erfolgt tiber spezifische Rezeptoren fUr die Apolipoproteine B und E eine Internalisierung und dam it schlie6lich ein Abbau dieses Restpartikels. Im Gegensatz zu Chylomikronen werden VLDL in der Leber synthetisiert. Die einzelnen Schritte bei der Synthese und Assemblierung dieser Triacylglycerin-reichen Lipoproteine entsprechen denen der Synthese und Assemblierung von Chylomikronen: ~ die Lipide werden im glatten endoplasmatischen Reticulum synthetisiert, ~ durch Lipidtransfer-Proteine gelangen sie zum rauen endoplasmatischen Reticulum und assoziieren mit dem Apolipoprotein B100•

VLDL~

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20 ~

Die endgi.iltige Reifung des VLDL erfolgt dann im endoplasmatischen Reticulum sowie im Golgi-Apparat. Von dort werden VLDL sezerniert.

Apolipoproteine C und der groBte Teil der Apolipoproteine E gehen bei dieser Umwandlung verloren. Zum Teil erfolgt dies durch Austausch mit HDL-Partikeln, jedoch ist auch eine Wechselwirkung mit dem Apolipoprotein B - und E-Rezeptor der Hepatocyten notwendig. Damit kommt den triacylglycerinreichen Lipoproteinen eine klare Funktion im Lipidstoffwechsel zu. Als Chylomikronen transportieren sie Nahrungstriacylglycerine, als VLDL endogen synthetisierte Triacylglycerine vom Darm bzw. der Leber in das Kapillarendothel und extrahepatische Gewebe. Dort erfolgt der Abbau eines graBen Teils ihrer Acylglycerine, was mit einer Formanderung sowie mit einem Apolipoproteinaustausch, vor allem mit HDL-Lipoproteinen, einher-

Nach der Sekretion erfolgt durch Wechselwirkung mit HDL-Partikeln eine Anreicherung mit den Apolipoproteinen E und C, besonders CII. Aus diesem Grund werden VLDL-Partikel am Kapillarendothel durch die dort vorhandene Lipoproteinlipase abgebaut, wobei ein Partikel intermediarer Dichte, das IDL (IDL, engl. intermediate density lipoprotein) entsteht. Auf einem in seinen Einzelheiten nicht aufgekHirten Weg werden in der Leber aus IDL die LDL-Partikel gebildet. Die letzteren enthalten i.iberwiegend das Apolipoprotein B, die auf dem IDL-Partikel noch vorhandenen

o,200

200

E

j1oo

100

LDL

0 E

ohne

...

.!: >

2J.lg/ml

20

20

§ 10

10

~




"

a: "'

:::;: :r

20)lg/ml 0 0

a

8

16

24

0

32

0

Zeit nach Entfemung des Serums (hI b

12

8

Zeit nach Zusatz von LDL [hi



Regulation mikrosomaler Enzyme

Abb. 20.29 a-c. Beziehung zwischen der Plasmacholesterinkonzentration und der Aktivitat der HMG-CoA-Reductase. aKultiviert man humane Fibroblasten in Anwesenheit von LDL-haltigem Serum, so ist die Aktivitat der HMG-CoA-Reductase sehr gering. Entfernt man die LDL aus dem Serum und damit das Serumcholesterin, s osteigt die HMG-CoA-Reductase

und damit die Cholesterinbiosynthese stark an. b Gibt man zu einer serumfreien Kultur humaner Fibroblasten LDL -haltiges Serum, fa lit die Aktivitat der HMG-CoA-Reductase rasch ab. cAufnahme und Stoffwechsel der LDL-Partikel in extrahepatischen Geweben.(Einzelheiten s.Text)

20.5 Transport der Lipide im Blut

621

20 geht. Hierbei entsteht im Fall der Chylomikronen die HDL3 sowie von der Leber abgebaute Oberbleibsel, im Fall der VLDL tiber die Zwischenstufe der IDL letzten Endes die LDL.

!

Die LDL transportieren Cholesterin zu den extrahepatischen Geweben und regulieren deren Cholesterinbiosynthese. Von den Plasmalipoproteinen enthalten die LDL am meisten Cholesterin und Cholesterinester, die entsprechend der Herkunft der LDL aus der Leber stammen und von dort zu den extrahepatischen Geweben transportiert werden, wo sie meist als Membranbauteil Verwendung finden. Untersucht man die Geschwindigkeit der Cholesterinbiosynthese in extrahepatischen Geweben in vivo oder in Zellkultur unter dem tiblichen Serumzusatz, so ist die Geschwindigkeit der Cholesterinbiosynthese auBerordentlich gering. Entfernt man jedoch die LDL aus dem Kulturmedium durch Delipidierung des Serums, so steigt die Geschwindigkeit der Cholesterinbiosynthese sehr deutlich an. Diese Beziehung zwischen der LDL-Konzentration in der extrazelluHiren Fltissigkeit und der Cholesterinbiosynthese spiegelt sich auch in der Aktivitat der HMG-CoA-Reduktase wider. Bei niedriger Cholesterinzufuhr tiber LD Lund dementsprechend hoher Cholesterinbiosynthese ist die Aktivitat dieses Enzyms erhoht. Dieser Befund ftihrte zur Entdeckung der in ~ Abb. 20.29 dargestellten Beziehung zwischen dem in den LDL transportierten Cholesterin und der Cholesterinbiosynthese extrahepatischer Gewebe. Entscheidend hierftir ist, dass zunachst die LDL-Partikel an einen spezifischen, in der Plasmamembran der Zielzelle gelegenen Rezeptor, den LDL-Rezeptor, binden. Sein Ligand ist das Apolipoprotein B100• Bindung von LDL an die LDL-Rezeptoren lOst die Aufnahme der LDL-Partikel in die Zelle durch Endocytose aus. Die inkorporierten LDL assoziieren mit Lysosomen. Intralysosomal erfolgt ihr Abbau, wobei das Apolipoprotein B100 durch lysosomale Proteasen gespalten wird. Die in den LDL-Partikeln enthaltenen Cholesterinester werden durch eine lysosomale saure Lipase hydrolysiert, wonach das freie Cholesterin das Lysosom verlasst. An den Membranen des endoplasmatischen Reticulums beeinflusst Cholesterin nun zwei Enzyme: .,.. Zum einen reduziert es die Aktivitat der HMG-CoAReductase durch eine Reduktion der Transkription des zugehOrigen Gens und unterdrtickt auf diese Weise die Geschwindigkeit der Cholesterinbiosynthese. .,.. Zum anderen aktiviert es die Acyl-CoA-Cholesterin-Acyltransferase (ACAT), was zu einer Veresterung des Cholesterins mit Speicherung der entstehenden Cholesterinester in den Lipidtropfen der Zelle ftihrt. Auf diese Weise spielt der LDL-Rezeptor extrahepatischer Gewebe eine bedeutende Rolle im Cholesterin-

622

I

stoffwechsel. Er ist ftir die Bindung und Aufnahme der cholesterinreichen LDL-Partikel verantwortlich und sorgt damit fiir eine Senkung des Cholesterinspiegels im Plasma. Zusatzlich vermittelt er eine Hemmung der Cholesterinbiosynthese extrahepatischer Gewebe und verhindert so eine Uberschwemmung der Zellen mit Cholesterin. Die 1985 mit dem Nobel-Preis fiir Medizin ausgezeichneten Arbeiten von Joseph Goldstein und Michael Brown haben zur Strukturaufklarung des LDL-Rezeptors und zur Aufklarung seiner Wirkungsweise geftihrt. Wie aus ~Abb. 20.30 hervorgeht, stellt der aus 839 Aminosauren bestehende LDL-Rezeptor ein Membranprotein mit einer Reihe fur seine Funktion wichtiger Domanen dar. Das N-terminale Ende des Rezeptorproteins entspricht dem extrazellularen Anteil. Es enthalt zunachst eine aus 292 Aminosauren bestehende Domane, die die Bindungsstelle fur Apolipoprotein B100 und Apolipoprotein E enthalt. Wie bei vielen Rezeptoren finden sich hier gehauft Cysteinreste, dartiber hinaus eine Anhaufung negativer Ladung. An diese Ligandenbindungsdomane schlieBt eine weitere aus 400 Aminosauren bestehende Domane an, die Homologie zum EGF-Rezeptor-Prakursor (S. 817) zeigt. Auf sie folgt eine aus etwa 58 Aminosauren bestehende Domane, die tiber 0-glycosidische Bindung en glycosyliert ist und die Verbindung zur Transmembrandomane darstellt, die aus 22 hydrophoben Aminosauren besteht und den LDL-Rezeptor in der Plasmamembran verankert. Im Cytoplasma liegt schlieBlich das C-terminale Ende des Rezeptors, das aus 50 Aminosauren besteht. Der LDL-Rezeptor wird im rauhen endoplasmatischen Reticulum in Form eines Prakursorproteins synthetisiert und wie alle Glycoproteine im rauhen endoplasmatischen Reticulum sowie im Golgi-Apparat

l.Domane Bindungsregion

2.Domane homolog zum EGF· Rezeptor·Prilkursor

3. Domane 0-glycosidische Kohlenhydrate

4.Domane transmembranarer Anker

Plasmamembran

S.Domane cytoplasmatischer Anteil

cooAbb. 20.30. Aufbau des LDL-Rezeptors aus verschiedenen Domanen

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20 Endoplasmatisches Reticulum

Vesikel ~ HMG-(oA-Reductase

~ LDl-Rezeptoren

.• ••

l ysosom

w

;®~ Endosom

LDL Protein Cholestrinester

IProteolyse I Abb. 20.31. Der intrazellulare Kreislauf des LDL-Rezeptors. (rot; Einzelheiten s. Text)

Cholesterinester

prozessiert. Etwa 45 Minuten nach seiner Synthese erscheint er in korrekter Orientierung auf der Zelloberflache ( Abb. 20.31 ). Der cytoplasmatische Teil des Rezeptorproteins kann in Wechselwirkung mit Clathrin (S. 180) treten, so dass sich der Rezeptor in coated pits sammelt und in dieser Form zur Bindung von LDLPartikeln bereit ist. Bereits 3-5 Minuten nach diesem Vorgang kommt es zur Endocytose dieser coated pits, wobei deren Clathrinschicht verlorengeht und endocytotische Vesikel entstehen. In ihnen sinkt der pH-Wert wegen des Vorhandenseins einer ATP-getriebenen Protonenpumpe (S.178, 194) aufWerte unter 6,5, so dass es zur Dissoziation von LDL und Rezeptor kommt. Die ersteren werden danach in Lysosomen abgebaut, der Rezeptor jedoch kehrt in Form kleiner Vesikel wieder zur Zelloberflache zuruck und steht fUr die Bindung weiterer Lipoproteine zur Verftigung. Die fUr einen derartigen Transportzyklus benotigte Zeit betragt etwa 10 Mi-

/

Oiscoidale HDl

1

nuten. (Ober die Bedeutung der LDL-Rezeptoren bei der familiaren Hypercholesterinamie S. 626).

Die HDL sind fur den reversen Cholesterintransport verantwortlich. Im Gegensatz zu anderen Lipoproteinen ist die Fraktion der HDL nicht einheitlich. Aufgrund eines unterschiedlichen Gehalts an Apolipoproteinen sowie unterschiedlichem Lipidgehalt konnen mindestens drei HDL-Gruppen unterschieden werden, die als HDL 1, HDL2 und HDL3 bezeichnet werden. Abbildung 20.32 stellt die Vorstellungen tiber die Funktion der HDL zusammen. Es gilt als gesichert, dass beim Abbau von Chylomikronen in extrahepatischen Geweben discoidale HDL-Partikel entstehen, welche bevorzugt das Apolipoprotein A, Phospholipide und Cholesterinester enthalten.AuBerdem liefern auch der Darm

Lysophospholipide

Chylomikronen

Abb. 20.32. Die Funktion der HDL beim reversen Cholesterintransport. (Einzelheiten s.Text)

VlDL

Aufnahme, Abbau, Ausscheidung

20.5 Transport der Lipide im Blut

623

20 und die Leber entsprechende HDL-Vorstufen. Dank ihres Gehalts an ApolipoproteinAI sind solche Partikel imstande, das von der Leber synthetisierte und sezernierte Enzym Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT) zu bin den. Das Enzym katalysiert die Reaktion: Cholesterin + Phosphatidylcholin =; Cholesterinester + Lysophosphatidylcholin Durch die Einwirkung der LCAT nimmt der Gehalt der HDL an Cholesterinestern zu, gleichzeitig verringert sich ihr Gehalt an Phosphoglyceriden, da das gebildete Lysophosphatidylcholin von den HDL-Partikeln abdiffundiert. Hierdurch nehmen die HDL ihre runde Form als micellare Partikel an. Da die durch LCAT gebildeten Cholesterinester in den apolaren Kern der HDL-Partikel wandern, entsteht auf der HDL-Oberflache Platz, in den aus den Membranen extrahepatischer Gewebe Starnmendes Cholesterin eingelagert werden kann. Fiir den Cholesterintransport durch die Plasmambran wird der ATP-abhangige Transporter ABC-1 beni:itigt. Dadurch entsteht zunachst die Fraktion der HDL 3 , durch weiteren An griff der LCAT und Ubernahme von Material, welches beim Abbau der VLDL entsteht (Phospholipide, Apolipoproteine C, E) auch die HDL 2 und HDL 1• Die Aufnahme von HDL3 in die Leber erfolgt durch Bindung an einen Rezeptor, der als SR-B 1-Rezeptor (Scavenger Receptor-B1) bezeichnet wird. Das internalisierte Cholesterin wird in der Leber anschlieBend der Ausscheidung bzw. der Umwandlung zu Gallensauren zugefiihrt. Dieser Mechanismus steht mit der Vorstellung in Ubereinstimmung, dass eine der Hauptfunktionen der HDL im reversen Cholesterintransport besteht, namlich dem Transport von extrahepatischem Cholesterin zur Leber als dem Hauptausscheidungsort des Cholesterins.

KERNAUSSAGEN lm Blutplasma erreichen die Lipide Konzentrationen, die ihre Loslichkeit we it iibersteigen. Sie werden infolgedessen als Proteinkomplexe in Form von Lipoprotein en transportiert: ... Chylomikronen sind fUr den Transport von mit der Nahrung aufgenommenen Triacylglycerinen und anderen Lipiden sowie fettloslichen Vitaminen verantwortlich. ... VLDL transportiert im Wesentlichen in der Leber synthetisierte Triacylglycerine sowie Phospholipide und Cholesterin. ... Bei dem VLDL-Abbau durch die Lipoproteinlipase entstehen LDL als Cholesterin-reiche Lipoproteine, die rezeptorvermittelt v. a.von extrahepatischen Geweben aufgenommen werden. .,. Fur den reversen Cholesterintransport zur Leber und dam it zum Ort der Ausscheidung sind schlieBiich die HDL verantwortlich.

624

I

20.6 Pathobiochemie 20.6.1 Pathobiochemie der Phosphoglyceride und Sphingolipide Autoantikorper gegen Phospholipide fUhren zum Antiphospholipidsyndrom. Von Graham Hughes wurde 1983 ein Krankheitsbild beschrieben, das durch Thrombosen, Thrombocytopenic und immer wiederkehrende Aborte gekennzeichnet ist und als Antiphospholipidsyndrom bezeichnet wird. Fiir die Erkrankung ist typisch, dass hohe Titer von Autoantiki:irpern gegen verschiedene, meist negativ geladene Phospholipide auftreten. Am haufigsten handelt es sich urn Antiki:irper gegen das mitochondriale Phospholipid Cardiolipin. Uber die pathogenetischen Mechanismen, die die beschriebene Symptomatik mit den Autoantiki:irpern verkniipfen, herrscht noch keine Klarheit.

Enzymdefekte des Sphingolipidabbaus verursachen lipidspeicherkrankheiten. Eine Reihe von genetischen Stoffwechseldefekten ist durch pathologische Lipidansammlungen in verschiedenen Geweben charakterisiert, weswegen fiir diese Erkrankungen auch der Sammelbegriff Lipidspeicherkrankheiten oder Lipidosen verwendet wird. Haufig ist das Zentralnervensystem, nicht selten aber auch Leber und Niere betroffen. Die spezielle Bezeichnung Sphingolipidose wird auf bestimmte, in der Regel autosomalrezessiv vererbte Stoffwechseldefekte angewendet, die meist schon im Kindesalter auftreten. Bei diesen Erkrankungen finden sich abnorme Ablagerungen von gelegentlich falsch aufgebauten Sphingolipiden in den betroffenen Geweben. Die Ursache dieser Sphingolipidspeicherung lasst sich auf genetisch bedingte Defekte der spezifischen, fiir den Abbau der betreffenden Lipide verantwortlichen Hydrolasen zuriickfiihren, seltener auch auf Defekte der Sphingolipidaktivatorproteine. Abbildung 20.33 stellt die wichtigsten heute bekannten Sphingolipidosen zusammen. Die Diagnose kann durch die Bestimmung des gespeicherten Lipids und v.a. durch den Nachweis des entsprechenden Enzymdefekts, haufig durch molekularbiologische Methoden, in Gewebeproben von Haut, Leber, Diinndarm und auch in den Leukocyten gesichert werden. Selbst beim noch ungeborenen Kind kann durch Amniocentese, Zellgewinnung aus dem Fruchtwasser und Anziichtung dieser Zellen mit anschlieBender Enzymbestimmung oder Genanalyse der Lipidosenachweis durchgefiihrt werden . Fiir die Therapie einer der Sphingolipidosen, des Morbus Gaucher, gibt es inzwischen eine rationale Therapie (S. 354). Die Erkrankung, die mit einer Haufigkeit von 1: 40 000 vorkommt, beruht auf dem Man-

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20 Krankheit

Niemann-Pick

gespeicherte Verbindung

~ PCh

defektes Enzym

Sphingomyelinase

Sphingomyelin Gaucher

.

~Glucosidase

Glucocerebrosid metachromatische Leukodystrophie Angiokeratoma corporisdiffusum (Fabry) Tay-Sachs

~ Su Ifatid •• oso 3

Sulfatidase

~

(3-Galactosidase

~ Gangliosid GM NANA

Hexosaminidase

Ceramidtrihexosid

2

generalisierte Gangliosidose

~ Gangliosid GM 1

NANA

(3-Galactosidase

:

Abb. 20.33. Enzymdefekte, die Sphingolipidosen verursachen (Auswahl)

gel einer spezifischen Glucocerebrosidase. Sie geht mit der Ablagerung groBer Mengen an Glucocerebrosid in den Makrophagen einher und befallt verschiedene Organe und Gewebe. Im Knochenmark kommt es zu einer schweren StOrung der Hamatopoese, am Knochen kommt es zu Nekrosen, Frakturen und Infarkten, Leber und Milz konnen extrem vergroBert sein. Fur die Therapie injiziert man den Patienten die ihnen fehlende Glucocerebrosidase. In nativer Form wird dieses Enzym allerdings eher von Hepatocyten als von Makrophagen aufgenommen und ist deswegen ziemlich wirkungslos. Besser ist die Verwendung modifizierter Glucocerebrosidasen, die vermehrt mannosehaltige Kohlenhydratseitenketten aufweisen und deswegen viel besser von Makrophagen internalisiert werden konnen. Hiermit sind bei einer Reihe von Patienten gute Erfolge erzielt worden (s. S. 355,Abb.11.31).

20.6.21 Pathobiochemie des Lipoproteinstoffwechsels Sehr hiiufig sind Erkrankungen, die durch Veriinderungen im Lipoproteinmuster des Plasmas gekennzeichnet sind. Generell kann man Hypo- und Hyperlipoproteiniimien unterscheiden. Neben primiiren Lipoprotein-StoffwechselstOrungen, die auf genetischen Defekten beruhen, kommen wesentlich haufiger sekundiire Lipoprotein-Stoffwechselstorungen vor, die durch Diatfehler oder andere Primiirerkrankungen verursacht werden.

Hypolipoproteinamien beruhen meist auf genetischen Defekten. A-P-lipoproteinamie.,.. Die A-f)- Lipoproteinamie ist charakterisiert durch eine Verminderung oder das Fehlen der LDL und anderer, das Apolipoprotein B tragender Lipoproteine im Plasma. Ursiichlich fur die Erkrankung ist entweder eine StOrung der Apolipoprotein-B-Biosynthese oder Mutationen im Beeich des Triacylglycerin-Transferproteins (S. 619). Da beide Proteine eine Voraussetzung fur die Freisetzung von Apolipoprotein B enthaltenden Lipoproteine ist, findet sich bei den Patienten eine Verminderung der Chylomikronen, VLDL und LDL. Nach oraler Fettbelastung kommt es nicht zu einer Freisetzung von Chylomikronen. Aus Ausdruck der TransportstOrung findet sich eine ausgepragte Erhohung des Triacylglyceringehaltes der Darmmucosa und der Leber. Die Patienten haben zwar ein erniedrigtes Risiko fur kardiovaskulare Erkrankungen, jedoch ein erhOhtes Risiko fur Carcinome und Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes sowie der Lungen, das derzeit nicht erklart werden kann. Hypo-u-lipoproteinamie (Tangier-Erkrankung).,.. Diese Erkrankung wurde erstmalig bei Geschwistern, die auf der Tangier-Insel in Virginia lebten, entdeckt. Im Plasma dieser Patienten ist der Spiegel an HDL und damit auch der Cholesteringehalt extrem erniedrigt; es kommt dagegen zu einer Cholesterinspeicherung in den Zellen des reticuloendothelialen Systems. Die Ursache dieser Erkrankung besteht in einer Mutation des ABC-1-Transporters. Dies fiihrt zu einer Unfiihigkeit, HDL-Vorstufen entsprechend mit Cholesterin zu beladen. Dem entsprechend finden sich Cholesterinablagerungen bei den betroffenen Patienten im Reticuloendothelialen System. Eine ErhOhung des Risikos fur kardiovaskuliire Erkrankungen ist nicht bei allen Patienten nachweisbar.

Hyperlipoproteinamien stellen ein schweres Gesundheitsrisiko dar. In Deutschland sterben jahrlich fast 450 000 Personen an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, was knapp die Halfte aller Todesfalle des Jahres ausmacht. Die Hiiufigkeit dieser Erkrankungen steigt von Jahr zu Jahr, wobei die koronare Herzerkrankung ein besonderes Gewicht hat. Diese beruht ~uf einer arteriosklerotischen Erkrankung der Koronararterien und ftihrt u. a. zum Herzinfarkt (S. 419, 626). Untersucht man die Betroffenen, so finden sich auBerordentlich haufig die in Tabelle 20.6 zusammengestellten Risikofaktoren. Neben Adipositas, Diabetes mellitus, Hypertonie der Homocysteinamie (S.490) und Zigarettenrauchen nehmen Hyper- und Dyslipoproteinamien einen ganz besonders hohen Rang ein. In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, dass eine Korrelation zwischen der Hohe des Choles20.6 Pathobiochemie

625

20

Abb. 20.34. Wechselbeziehungen der an der koronaren Herzkrankheit beteiligten Risikofaktoren

Tabelle 20.6. Risikofaktoren bei koronarer Herzerkrankung und arterieller peripherer Verschlusskrankheit

Koronare Herzerkrankung Hyper- und Dyslipoproteinamie Zigarettenrauchen Hypertonie Diabetes mellitus Obergewicht Arterielle peri ph ere Verschlusskrankheit

Zigarettenrauchen Hyper- und Dyslipoproteinamie Diabetes mellitus

terinspiegels und der Mortalitat an koronarer Herzerkrankung besteht. Dariiber hinaus haben mehrere prospektive Langzeitstudien zu der Erkenntnis gefiihrt, dass eine Senkung des Cholesterinspiegels in der Tat das Koronarrisiko vermindert. Natiirlich sind tiber den Faktor Hyperlipidamie hinaus noch eine Reihe weiterer pathophysiologischer Mechanismen entscheidend an der Entstehung der koronaren Herzerkrankung beteiligt ( ® Abb. 20.34).

!

Primare Hyperlipoproteinamien beruhen auf genetischen Defekten des Lipoproteinstoffwechsels. Man weiB heute zwar, dass die einzelnen Lipoproteine nicht statische, fiir den Transport einer bestimmten Lipidart spezialisierte Transporteinheiten sind, sondern in einem dynamischen Gleichgewicht untereinander stehen und ineinander iibergehen konnen. Trotzdem lassen sich Krankheitsbilder definieren, bei denen haufig nur ein Lipoproteintyp eine erhohte Konzentration gegeniiber der Norm aufweist. Soweit es sich dabei urn primare, d. h. genetisch fixierte Defekte handelt, ist die Zuordnung zu bestimmten Apoproteindefekten wenigstens teilweise moglich. Aufgrund ihres Erscheinungsbildes lassen sich flinf Typen von primaren Hyperlipoproteinamien unterscheiden.

626

I

Hyperlipoproteinamie Typ I~ Bei der Hyperlipoproteinamie Typ I sind auch nach 12-stiindiger Nahrungskarenz Chylomikronen im Plasma nachweisbar. Aus dem trliben, lipamischen Serum setzt sich beim Stehen eine dicke Fettschicht an der Oberflache ab. Der Triacylglyceringehalt des Serums ist entsprechend erhoht, jedoch kann auch der Cholesteringehalt gesteigert sein. Der Grund fUr diesen Anstieg der Plasmatriacylglycerine ist ein Mangel an Lipoproteinlipase, der autosomal-rezessiv vererbt wird. In manchen Fallen fehlt auch das Apolipoprotein C II, so dass es nicht zur Aktivierung der Lipoproteinlipase kommt. Dieser Mangel an Lipoproteinlipase-Aktivitat flihrt dazu, dass Nahrungsfette zwar resorbiert und als Chylomikronen in das Blut eingespeist, aber nicht rasch genug verwertet werden konnen. Die Therapie der Erkrankung besteht in einer Reduktion der Fettzufuhr auf weniger als 3 g/Tag. Dabei sollten Triacylglycerine mit Fettsauren kurzer und mittlerer Kettenlange bevorzugt werden, da diese direkt an das Pfortaderblut abgegeben und nicht in Chylomikronen eingebaut werden (S. 693). Hyperlipoproteinamie Typ II (familiare HypercholesterinDiese autosomal-dominant vererbte Erkrankung ist durch eine sehr starke Erhohung der Cholesterinkonzentration des Serums gekennzeichnet, die mit einer ErhOhung der LDL-Fraktion einhergeht. Die Triacylglycerinkonzentration kann normal (Typ Ila) bzw. Ieicht erhoht (Typ lib) sein. Heterozygote kommen mit einer Haufigkeit von 1 :500 vor und machen etwa 5% der Patienten aus, die jlinger als 60 Jahre sind und bereits einen Myocardinfarkt hinter sich haben. Homozygote Trager der Erkrankung kommen mit einer Frequenz von 1 : 1 000 000 vor und leiden schon in der Kindheit an einer schweren Arteriosklerose mit koronarer Herzerkrankung und Cerebralsklerose. Die Ursache des Defektes liegt in einem Funktionsdefekt des LDL-Rezeptors. Aufgrund molekularbiologischer Untersuchungen des LDL-Rezeptors bzw. seines Gens an einer groBen Zahl homozygoter Patienten konnten vier Klassen von Mutationen definiert werden, die das Krankheitsbild auslosen konnen. Am haufigsten (ca. 50 o/o der Falle) findet sich ein Rezeptormangel. In anderen Fallen wird der Rezeptor zwar synthetisiert jedoch nicht posttranslational prozessiert und glycosyliert, so dass er nicht in die Membran eingebaut werden kann. Gelegentlich fanden sich Defekte der LDL-Bindungsstellen des Rezeptors oder infolge von Mutationen am C-terminalen Teil des Rezeptors,eine St6rungder Assoziation mit Clathrin und damit der Bildung der flir die Rezeptorinternalisierung wichtigen coated pits. Die genannten Defekte fiihren ohne Ausnahme zu einer Hemmung der LDL-Aufnahme und damit zum Anstieg des Serumcholesterins.Auf der anderen Seite fallt die Hemmung der endogenen Cholesterinbiosynthese der extrahepatischen Gewebe durch die LDL-Aufnahme (S. 622) weg, so dass es zur iiberschlissigen Cholesterinbiosynthese kommt. Dies erhoht die Serumcholesterinkonzentration und dam it das Arterioskleroserisiko we iter. amie)~

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

20 Die Behandlung besteht bei Homozygoten darin, das Plasma in regelmaBigen Abstanden durch Affinitatschromatographie an einer mit einem Apolipoprotein B-Antikorper dotierten Matrix zu behandeln. Daneben muss die Cholesterinzufuhr gesenkt und der Cholesterinspiegel durch Gaben von Cholestyramin (S. 1084) und Nicotinsaure gesenkt werden. Ein wei teres Therapieprinzip, das bei heterozygoten Patienten eingesetzt werden kann, besteht in der Behandlung mit Hemmstoffen der HMG-CoA-Reductase (Mevilonin, S. 615), die auBerdem zu einer vermehrten Synthese von LDL-Rezeptoren flihren. Bei Homozygoten ist wegen des Befalls beider Allele des LDL-Rezeptor-Gens eine derartige Therapie nicht sinnvoll. Hyperlipoproteinamie Typ Ill~ Kennzeichnend flir diese Erkrankung ist das Auftreten einer besonders breiten Lipoproteinbande im j3-Globulinbereich der Lipidelektrophorese. Die in dieser Bande wandernden Lipoproteine gehoren ihrer Dichte nach zu den VLDL. Aus der gegenliber normalen VLDL geanderten elektrophoretischen Wanderungsgeschwindigkeit kann geschlossen werden, dass es sich urn ein atypisches VLDL mit geanderter Apolipoprotein-Zusammensetzung handelt. Die Patienten sind homozygot fur eine als Apo E2 bezeichnete Variante des Apolipoprotein E. Lipoproteine mit diesem Protein werden nicht vom LDL-Rezeptor erkannt, weswegen sich im Blut relativ cholesterinreiche Apolipoproteine ansammeln, die von einem spezifischen, als Scavenger Rezeptor bezeichneten Makrophagenrezeptor gebunden werden. Dies flihrt zur Internalisierung und zur Umwandlung von Makrophagen in lipidreiche Schaumzellen. Im Serum finden sich erhohte Triacylglycerin- und Cholesterinspiegel, auBerdem lagert sich Cholesterin in der Haut der Erkrankten ab. Das Arterioskleroserisiko ist extrem hoch. Die Behandlung besteht in einer Reduktion der Cholesterinzufuhr. Hyperlipoproteinamie Typ IV~ Diese Form der Hyperlipoproteinamie zeichnet sich durch eine deutliche Zunahme der Triacylglycerine mit einer geringgradigen Zunahme des Cholesteringehalts im Serum aus. Das Serum ist in Abhangigkeit vom AusmaB der Triacylglycerinvermehrung klar bis milchig trlib. Vermehrt sind die VLDL. Die Konzentration der Lipoproteine wird durch eine kohlenhydratreiche Mahlzeit deutlich erhoht, weswegen die Erkrankung auch als kohlenhydratinduzierte Hyperlipamie bezeichnet wird. Der metabolische Defekt der Erkrankung ist nicht bekannt, haufig handelt es sich urn Patienten mit auffallendem Obergewicht, Diabetes mellitus und Hyperuricamie. Die Therapie besteht in einer Reduktion der Energie- und Kohlenhydratzufuhr. Hyperlipoproteinamie Typ V~ In ihrem Erscheinungsbild entspricht diese Form der Hyperlipoproteinamie einer Mischform der Typen I und IV. Charakteristisch sind eine exzessive Vermehrung der Triacylglycerine und eine maBige Vermehrung des Cholesterins im Serum.

In der Elektrophorese findet sich eine Zunahme der Chylomikronen und der VLDL. Der primare Defekt der Erkrankung ist nicht bekannt, das Krankheitsbild ist auGer der Anderung der Blutfettkonzentrationen durch Ablagerung von Cholesterin in der Haut gekennzeichnet. Ein besonderes Arterioskleroserisiko besteht nicht. Sekundare Hypercholesterinamie~ 20-25% der erwachsenen Bevolkerung Deutschlands leidet an einer ErhOhung der Serum-Cholesterinkonzentration tiber dem Normalbereich. Man nimmt an, dass bei diesen Patienten eine genetische Disposition zu erhohten LDL-Konzentrationen besteht, die jedoch durch zusatzliche exogene Faktoren wie Ubergewicht oder Bewegungsmangel verstarkt werden muss. Sekundiire Hyperlipoproteiniimien sind hiiufig und konnen die verschiedensten Ursachen haben. Bei einer Reihe von Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Ubergewicht, Verschlussikterus, nephrotisches Syndrom, Gicht, Pankreatitis, Alkoholismus, Schwangerschaft und Hypothyreose entstehen Hyperlipoproteinamien, bei den en hiiufig spezifische Lipoproteine vermehrt vorkommen. Am haufigsten handelt es sich urn Hyperlipoproteinamien des Typs IV, gelegentlich auch des Typs II. Eine sekundiire Hyperlipoproteinamie des Typs I findet sich nur bei unbehandeltem Diabetes Typ 1 und ist dementsprechend heute sehr selten. Beim Verschlussikterus sowie der Hyperthyreose finden sich darliber hinaus atypische Lipoproteine.

KERNAUSSAGEN Storungen im Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden sind seltene Erkrankungen,z. B.das Antiphospholipidsyndrom oder die Lipidspeicherkrankheiten. Haufig sind dagegen Storungen der Lipoproteinzusammensetzung oder des Lipoproteinstoffwechsels. Man unterscheidet Hypo- und Hyperlipidamien, die letzteren werden auch als Dyslipidamien bezeichnet. Genetische Formen dieser Erkrankungen betreffen Mutationen in den Genen fur: .. Apolipoproteine, .. die Assemblierung von lipoproteinen, .. lipolytische Enzyme sowie .. Rezeptoren, die fur die Lipoproteinaufnahme benotigt werden. Erworbene Hyperlipoproteinamien betreffen haufig das Verhaltnis von LDL zu HDL und sind von einer Hypercholesterinamie begleitet.Sie gelten als Risikofaktoren fur Arteriosklerose und koronare Herzerkrankung.

20.6 Pathobiochemie

627

20 SCHLOSSELBEGRIFFE A-_,6-Lipoproteinamie AMP-abhangige Protein kinase Apolipoproteine Arachidonsaure CDP-Cholin CDP-Diacylglycerin Ceramid Cerebrosid Cholesterin Chylomikronen Diacylglycerin Dimethylallyi-Pyrophosphat Familiare Hypercholesterinamie Flippase

Floppase Gallensauren Gangliosid HDL HMG-CoA-Reduktase lnsositol-trisphosphat lsopentenyi-Pyrophosphat lsopren LDL LDL-Rezeptor Lipid-Transferprotein Phosphatidylcholin Phosphatidylethanolamin Phosphatidylinositol

literatur Original- und Obersichtsarbeiten BEVERS EM, COMFURIUS P, DEKKERS DWC, ZWAAL RFA (1999) Lipid translocation across the plasma membrane of mammalian cells. Biochim Biophys Acta 1439:317-330 BODZIOCH M, 0RSO E, KLUCKEN J, LANGMANN T, BOTTCHER A, DIEDERICH W, DROBNIK W, BARLAG E S, BUCHLER C, PORSCH-0ZCURUMEZ M, KAMINSKI WE, HAHMANN HW, OETTE K, RoTHE G, AsLANmrs C, LACKNER KJ, ScHMITZ G. (1999) The gene encoding ATP-binding cassette transporter I is mutated in Tangier disease. Nat Genet 22:347-351 BROWN MS, GoLDSTEIN JL (1999) A proteolytic pathway that controls the cholesterol content of membranes, cells, and blood Proc. Natl Acad Sci USA 96: 11 041 - 11 048 BROWN MS, JrN YE, RAwsoN RB, GoLDSTEIN JL (2000) Regulated intramembrane proteolysis: a control mechanism conserved from bacteria to humans. Cell 100:391-398 FIELDING CJ, FIELDING PE (2000) Cholesterol and caveolae: structural and functional relationships. Biochim Biophys Acta 1529: 210- 222 FLOWER DR (1996) The lipocalin protein family: structure and function. Biochem J 318: 1-14 FuNK CD (2001) Prostaglandins and leukotrienes: advances in eicosanoid biology. Science 294: 1871-1875 GoLDSTEIN JL, BROWN MS (2001) The cholesterol quartett. Science 292: 1310- 1314

628

I

Phosphatidylserin Phosphoglyceride Phospholipase A, Coder D Plasmalogen Protein kinase B Scavenger-Rezeptor Scramblase Sphinomyelin Squalen SREBP Sulfatid Tangier-Erkrankung Triacylglycerin-Transferprotein VLDL

HLA T, LEE M, ANCELLIN N, PArK JH, KwK MJ (2001) Lysophospholipids: receptor revelations. Science 294:1875-1878 HUWILER A, KOLTER T, PFEILSCHIFTER J, SANDHOFF K (2000) Physiology and pathophysiology of sphingolipid metabolism and signaling. Biochem Biophys Acta 1485: 63-99 KAT SO R, OKKENHAUG K, AHMADI K, WHITE s, TIMMS J, WATERFIELD MD (2001) Cellular function of phosphoinositide 3-kinases: implications for development, immunity, homeostasis, and cancer. Annu Rev Cell Dev Biol17: 615- 75 VON LANDENBERG P, VON LANDENBERG C, SCHOLMERICH J, LACKNER KJ (2001) Antiphospholipid syndrome. Pathogenesis, molecular basis and clinical aspects. Med Klin 96 (6): 331-342 OsBORNE TF (2000) Sterol regulatory element binding proteins (SREBPs): Key regulators of nutritional homeostasis and insulin action. J Bioi Chern 275: 32 379- 32 382 SEGREST JP, JoNES MK, DE LooF H, DASHTr N (2001). Structure of apolipoprotein B-100 in low density lipoproteins. J Lipid Res 42: 1346-1367 SIMONS K, lKONEN E (2000) How cells handle cholesterol. Science 290: 1721-1726 STAHLHUT M, SANDVIG K, VAN DEURS B (2000) Caveolae: uniform structures with multiple functions in signaling cell growth, and cancer. Exp Cell Res 261: 111-118 WrLLNOW TE (1999) The low-density lipoprotein receptor gene family: multiple roles in lipid metabolism. J Mol Med 77: 306- 315 WINDER WW, HARDIE DG (1999) AMP-activated protein kinase, a metabolic master switch: possible roles in Type 2 diabetes. Am J Physiol277:E1 -ElO

20 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden, Sphingolipiden und Cholesterin

Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine G.LOPFL ER

21 .1 21.1.1 21.1.2 21.1.3 21.1.4 21.1.5

21 .2 21.3 21.3.1 21.3.2

21 .4 21.4.1 21.4.2

Biosynthese von Purinund Pyrimidinnucleotiden Biosynthese von Purinnucleotiden Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden Biosynthese von Desoxyribonucleotiden Regulation der Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden Hemmstoffe der Purinund Pyrimidinbiosynthese Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen Abbau von Nucleotiden Abbau von Purinnucleotiden Abbau von Pyrimidinnucleotiden Pathobiochemie Purinstoffwechsel Pyrimidinstoffwechsel

630 630 633 635

637 639

640 642 642 643 644 644 646

21 y

___________U_n_g_

Purine und Pyrimidine haben als Bausteine von Coenzymen wichtige Aufgaben, dariiber hinaus dienen sie in Form ihrer zugehorigen Nucleinsauren der lnformationsspeicherung und -weitergabe in biologischen Systemen. Bei der Biosynthese der Purin- und Pyrimidinbasen dienen einfache Bausteine als Substrate, wobei haufig die Form der reaktionsfreudigeren Nucleotide als Zwischenprodukte benutzt wird. Die Kenntnis der Biosynthesewege hat nicht nur zu einem tieferen Verstandnis der Regulation der beteiligten Vorgange gefiihrt, sondern lieferte auch die Ansatzpunkte zur erfolgreichen Entwicklung von Arzneimitteln, die durch Beeintrachtigung der Purin- bzw. Pyrimidinbiosynthese als Cytostatica verwendet werden. Dariiber hinaus hat sich die Moglichkeit zur Entwicklung von Arzneimitteln eroffnet, die fUr die Behandlung der Gicht als einer der klassischen, seit Jahrtausenden bekannten und gefiirchteten Erkrankungen des Menschen eingesetzt werden konnen.

21.1 I Biosynthese von Purinund Pyrimidinnucleotiden 21.1.1

Biosynthese von Purinnucleotiden

r-

D·Ribose-S·phosphat

Der Purinkern wird aus Glutamin, Aspartat, Glycin sowie Formiat und HC0 3- aufgebaut. Schon in den fiinfziger Jahren konnte durch Einsatz radioaktiv markierter Verbindungen, die als Ausgangspunkte fur die Biosynthese eingesetzt wurden, die Herkunft der einzelnen, am Aufbau des Puringeriistes beteiligten C- und N-Atome nachgewiesen werden ( Abb. 21.1).

! Purine werden als Ribonucleotide synthetisiert. Trotzdem also schon friihzeitig die Herkunft der einzelnen C- bzw. N-Atome des Purinkerns bekannt war, wurde der Mechanismus dieser Biosynthese erst verstandlich, als gezeigt werden konnte, dass entgegen den Erwartungen nicht zuerst der Purinkern synthetisiert und danach die N-glykosidische Bindung mit Ribose gekniipft wird. Die Biosynthese erfolgt vielmehr von der ersten Reaktion an in Form eines zunachst offenen, spater ringf6rmigen Ribonucleotids, das wesentlich reaktionsfahiger ist, als die Bausteine der Purinbasen alleine. Im ersten Schritt ist hierfiir die Biosynthese eines reaktionsfreudigen Derivats des Ribose-5-phosphats notwendig. Biosynthese von

a-5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat~

Ausgangspunkt fiir die Nucleotid-biosynthese ist a-5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat (PRPP). Hierzu wird das Zwischenprodukt des Hexosemonophosphat-

HCO~

Amino·N Aspanat

I

N.... ~ '-C_....N

•c1 5

11

Form rat

"'

c2

I

aC-

s, H

3 / -... N

N

Amrd·N Glutamin

630

7

Glycin

Amrd·N Glutamrn

Formiat

Abb.21.1 . Herkunft der Kohlenstoff- und Stickstoffatome im Purinkern

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

ATP

t - AMP

0 I

o--~- o -c H 2

o-

00- 0P - 0 - 0P-1 0 OH

0

OH

O

O

a·S·Phosphoribosyl·l-pyrophosphat (PRPP)

Abb. 21.2. Pyrophosphorylierung von D-Ribose-5-phosphat

weges (S. 404) Ribose-5-phosphat pyrophosphoryliert ( Abb. 21.2). Diese Reaktion ist insofern ungewohnlich, als eine aus dem {3- und y- Phosphat des ATP bestehende Pyrophosphatgruppe auf Ribose-5-phosphat iibertragen wird. Biosynthese von lnosinmonophosphat~ Bei der Purinnucleotidbiosynthese wird zunachst Inosinmonophosphat (IMP) in insgesamt 10 Reaktionen durch schrittweise Anlagerung der einzelnen C- und N-Atome an PRPP aufgebaut ( Abb.21 .3): ~ Anlagerung des N-Atoms 9 des Purinkerns. Der Stickstoff entstammt dem Amidstickstoff des Glutamins und wird unter Abspaltung der Pyrophosphatgruppe und gleichzeitiger Inversion am C-Atom 1 der Ribose angelagert, so dass P-5-Phosphoribosylamin (PRA) entsteht. ... Anlagerung der Atome 4, 5 und 7 des Purinkerns. An PRA wird in einer ATP-abhangigen Reaktion Glycin unter Bildung einer Saureamidbindung zwischen seiner Carboxylgruppe und der Aminogruppe des 5-Phosphoribosylamins angelagert, wobei Glycinamidribonucleotid (GAR) entsteht. ... Anlagerung des C-Atoms 8 des Purinkerns an die freie Aminogruppe des GAR. Es wird als Formylrest durch N10 -Formyltetrahydrofolat iibertragen,

21 0

0

I

I

o- P- o- p- o1 I OH o- o-

OH

PRPP u -5-Phosphoribosyl1-pyrophosphat

ATP

ADP+ P, HC...-N II CH H N...-C-.. I

~

Glutamin

~

Glutamat

I

2

Pyrophosphat

Ribose-@

i

PRA 5-Phosphoribosylamin OH

CAIR

OH

5-Aminoimidazol4-carboxylatribonucleotid

t

ATP ADP+ P,

Glycin

HO

H N

c

CH2

D OH

NH2

I CH2

I

GAR Glycinamidribonucleotid

OH

.&0

cr

,. . c

c__

0 H2N

HO

N"~,m~ ~

0 II

HC- N- C- C...1 H II

tetrahydrofolat

N

SA ICAR

CH N; I Ribose - @

Tetrahydrofolat

5-Aminoimidazoi4-N-succinocarboxamidribonucleotid

Fumarat

CH

I

NH

0

FGAR

AI CAR

Formylglycinamidribonucleotid

I

ATP

Glutamin

ADP+P,

Glutamat

H C/ 2

H N

1

c

'-NH

CH

I 0

5-Aminoimidazol· 4-carboxamidribonucleotid

I

Ribose - 0

HN

AIR 5-Aminoimidazolribonucleotid

Ribose - ® N10-Formyltetrahydrofolat Tetrahydrofolat

FGAM Formylglycinamidinribonucleotid

I

Ribose - 0

c...-N 0

II

CH c .rC-.. I H H I N Ribose - ®

FAICAR 5-Formamidoimidazol4-carboxamidribonucleotid

0 I

c

HN/ C...1 II CH HC""- .rC-.. I

N

Abb. 21.3. Reaktionen der Purinbiosynthese.(Einzelheiten s.Text)

lnosinmonophosphat

I

Ribose - 0

21 .1 Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden

631

21

.,.

.,.

.,.

.,.

.,.

...

.,.

wobei Formylglycinamid-Ribonucleotid (FGAR) entsteht. Anlagerung des N-Atoms 3 des Purinkerns. In einer ATP-abhangigen Reaktion wird das C-Atom 4 amidiert. Der Stickstoff stammt wiederum vom Amidstickstoff des Glutamins, das dabei in Glutamat iibergeht. Es entsteht Formylglycinamidin-Ribonucleotid (FGAM). Bildung des Imidazolrings des Purinkerns. Diese erfolgt in einer wiederum ATP-abhangigen Reaktion durch Ringschluss zwischen dem C-Atom 8 und NAtom 9. Es entsteht Aminoimidazol-Ribosyl-5-phosphat (AIR) . Anlagerung des C-Atoms 6 des Purinkerns. An AIR wird in einer reversiblen Reaktion C0 2 angelagert, womit auch das C-Atom 6 des Purinkorpers gebildet ist und das 4-Carboxy-5-aminoimidazol-ribonucleotid (CAIR) entsteht. Auffallenderweise erfolgt die Carboxylierung mit freiem C0 2 ohne Einschaltung von Biotin . Anlagerung des N-Atoms 1 des Purinkerns. Hierfiir werden zwei Reaktionen benotigt. Zunachst wird in einer ATP-abhangigen Reaktion am C-Atom 6 Aspartat angelagert, so dass 5-Aminoimidazol-4-Nsuccinocarboxamidribonucleotid (SAICAR) entsteht. Von dieser Verbindung wird Fumarat abgespalten, so dass 5-Aminoimidazol-4-carboxamidribonucleotid (AI CAR) entstanden ist. Diese Art der Ubertragung einer Aminogruppe kommt auch bei verschiedenen Reaktionen des Aminosaurestoffwechsels und beim Harnstoffzyklus (5.473) vor. Fumarat stellt gewissermaBen das Tragermolekiil fiir die Aminogruppe dar. Anheftung des C-Atoms 2 des Purinkerns. Das noch fehlende C-Atom 2 wird wieder als Formylrest durch W0-Formyl-tetrahydrofolat an das Atom 3 angelagert, so dass 5-Formamidoimidazol-4-carboxamid-ribonucleotid (FAICAR) entsteht. Durch einfache Wasserabspaltung zwischen dem CAtom 2 und dem N-Atom 1 erfolgt der SchluB des zweiten Rings, wobei Inosinmonophosphat (IMP, Inosinsaure) gebildet wird.

IMP ist der Ausgangspunkt fi.ir die Biosynthese von AMP und GMP. Vom IMP startet die Biosynthese der anderen Purinnucleotide Adenosinmonophosphat (AMP, Adenylsaure) und Guanosinmonophosphat (GMP, Guanylsaure) ( ® Abb. 21.4). AMP-Biosynthese ... Zur AMP-Biosynthese ist der Ersatz des Sauerstoffs am C-Atom 6des IMP durch eine Aminogruppe notwendig, der in einer zweistufigen Reaktion erfolgt, wobei Aspartat wieder derDonor der Aminogruppe ist: .,. Aspartat wird in einer GTP-abhangigen Reaktion unter Wasserabspaltung an das C-Atom 6 des IMP 632

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

geheftet. Es entsteht das Adenylosuccinat oder Succinoadeninnucleotid. .,. Durch Abspaltung von Fumarat wird nun Adenosinmonophosphat (AMP) gebildet. GMP-Biosynthese... Auch die Biosynthese des GMP erfolgt in einer zweistufigen Reaktion: .,. Zunachst wird IMP am C-Atom 2 oxidiert, wobei Xanthosinmonophosphat (Xanthylsaure) entsteht. .,. An dieses wird in einer ATP-abhangigen Reaktion unter Bildung von Guanosinmonophosphat eine Aminogruppe geheftet. Der Stickstoff entstammt dem Amidstickstoff des Glutamins. Bildung von Nucleosiddi- und -triphosphaten ... Fur die Dberfiihrung von AMP und GMP in die entsprechenden Di- und Triphosphate steht eine Reihe von transphosphorylierenden Reaktionen zur Verfiigung: .,. die Nucleosidmonophosphat-Kinase: Nucleosidmonophosphat + ATP .= Nucleosiddiphosphat + ADP 0 II

C_.. N

HN......-C

I

II

CH

......-c..._ NI

HC

N

I Rib-®

GTP

Aspartat

GOP + P,

HOOC

NADH +H+

CH 2 -CH COOH NH

N"""c c_..N I

HC:,...

II

......-c..._N/

N

CH

I

Rib - ® Adenylosuccinat

~ ,,.....

Xanthosin-5'-monophosphat

Glutamm

ATP *

Glutamat

AMP+ PP1

0

c c_..N I

HN/

I

H2N"

c

II

.......c..._

N

1

CH

N I

Rib- ® Adenosin·S'·monophosphat

Guanosin·S'·monophosphat

Abb. 21.4. Biosynthesen von AMP und GMP aus IMP

21 ~

sowie die Nucleosiddiphosphat-Kinase Nucleosiddiphosphat + ATP ~ Nucleosidtriphosphat + ADP

Drei multifunktionelle Enzyme sind bei Vertebraten an der IMP-Biosynthese beteiligt. Die oben geschilderten Reaktionssequenzen fiir die Biosynthese von Purinnucleotiden sind bei Pro- und Eukaryonten identisch. Bei Prokaryonten sind inzwischen samtliche Enzyme fiir die 10 benotigten Reaktionen isoliert und charakterisiert worden. Wie aus -Tabelle 21.1 zu entnehmen ist, sind beim Menschen und anderen Vertebraten drei multifunktionelle Enzyme an der Purinnucleotidbiosynthese beteiligt, deren Gene auf unterschiedlichen Chromosomen lokalisiert sind: ~ Das GART-Gen codiert fiir ein multifunktionelles Protein mit einer GAR-Synthetase-, GAR-Transformylase- und AIR-Synthetase-Aktivitat. ~ Das AIRC-Gen codiert fiir ein multifunktionelles Protein mit einer AIR-Carboxylase- und SAICARSynthetase-Aktivitat. ~ Das IMPS-Gen codiert fiir ein multifunktionelles Protein mit einer die AI CAR-Transformylase- und IMP-Cyclohydrolase-Aktivitat. Lediglich der erste Schritt der Biosynthesekette, die Glutamin-PRPP-Amidotransferase, und die Adenylosuccinat-Synthetase stellen monofunktionelle Proteine dar. Die Adenylosuccinatlyase katalysiert jedoch au~er der Reaktion 8 der IMP-Biosynthese die Umwandlung von Adenylosuccinat zu AMP, ist also fiir zwei Reaktionen verantwortlich. Die Enzyme der Purinbiosynthese sind damit ein weiteres eindrucksvolles Beispiel fiir die in hoheren Tabelle 21.1. Gene und Enzyme der IMP-Biosynthese. Die Angaben iiber die chromosomale Lokalisation beziehen sich auf die humanen Gene Gen GPAT

Chromosom Schritt 4

Enzym Glutamin-PRPP-Amidotransferase

GART

21

2

GAR-Synthetase

GART

21

3

GAR -Transformylase

GART

21

5

AIR-Synthetase

FGAMS

14

4

FGAM-Synthetase

AIRC

4

6

AIR-Carboxylase

A1RC

4

7

SA! CAR-Synthetase

ASL

22

8

Adenylosuccinatlyase

IMPS

2

9

AI CAR-Transformylase

IMPS

2

10

IMP-Cyclohydrolase

GAR Glycinamid-Ribonucleotid; AIR 5-Aminoimidazoi-Ribonucleotid; FGAM Formyi-Giycinamidin-Ribonucleotid;SA/CAR 5-Aminoimidazoi-4-NSuccinocarboxamid-Ribonucleotid; A/CAR 5-Aminoimidazoi-4-Carboxamid-Ribonucleotid.

Tabelle 21 .2. Energieverbrauch bei der Purinbiosynthese Biosynthese von

Beniitigtes Zahl der kJ/mol Nucleotid beniitigten energiereichen Bindungen

PRPP

ATP

2

60

Glycinamidribonucleotid ATP

30

-Formylglycinamidinribonucleotid

ATP

30

5-Aminoimidazolribonucleotid

ATP

30

5-Aminoirnidazol-4- Nsuccinocarboxamidribonucleotid

ATP

30

Adenylosuccinat

GTP

Guanosinmonophosphat

ATP

2

60

Gesamtverbrauch fiir die Biosynthese von IMP

5ATP

6

180

Gesamtverbrauch fiir die Biosynthese von AMP

5ATP+ l GTP

7

210

Gesamtverbrauch fiir die Biosynthese von GMP

6ATP

8

240

30

Eukaryonten zu findende Tendenz, die Enzyme fiir langere Biosynthesen als multifunktionelle Proteine zusammenzufassen und damit unter die Kontrolle nur eines oder weniger Promotoren zu bringen (s. a. S. 446, 634).

Sechs bzw. sieben ATP werden fiir die Biosynthese von AMP bzw. GMP benotigt. In Tabelle 21.2 ist der fiir die Purinbiosynthese benotigte Energieverbrauch zusammengestellt. Fiir die de novo-Biosynthese von IMP werden insgesamt 5 mol ATP, jedoch 6 energiereiche Bindungen benotigt. Urn zum AMP zu kommen, wird eine weitere energiereiche Bindung in Form von GTP benotigt, die Biosynthese von GMP aus IMP erfordert zwei energiereiche Bindungen, die durch ein ATP zur Verfiigung gestellt werden.

21.1.2! Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden Aspartat und Carbamyl phosphat liefern die C- und N-Atome des Pyrimidinkerns. Der Pyrimidinkern wird aus Aspartat und Carbamylphosphat aufgebaut ( Abb. 21.5): ~ Durch Kondensation von Aspartat mit Carbamylphosphat entsteht Carbamylaspartat (Ureidosuccinat), das damit bereits die Atome 1-6 des Pyrimidinskeletts enthiilt. 21.1 Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden

633

21 0

Ho- c,

CH 2 / H

I

+

/ c,

HN H

Aspartat

COOH

HPOt -

0 II

HO- C H N I

' cH

I/ 2H

.& c, / c,

0'

N H

Durch Wasserabspaltung zwischen dem N-Atom 1 sowie dem C-Atom 6 des Carbamylaspartats wird Dihydroorotat gebildet, womit das Grundskelett der Pyrimidine synthetisiert ist. .,. Durch die Dihydroorotat-Dehydrogenase entsteht Orotat. 1> Orotat reagiert mit PRPP zum Orotidin-5-monophosphat (OMP). Im Gegensatz zur Purinbiosynthese, die ja von Anfang an in Form des entsprechenden Nucleotids erfolgt, kommt es also bei der Pyrimidinbiosynthese erst relativ spat zur Anlagerung eines Ribosephosphats. 1> Durch Decarboxylierung von OMP wird Uridinmonophosphat (UMP) gebildet, das den Grundbaustein fiir die anderen Nucleotide der Pyrimidinreihe abgibt. 1>

II

Carbamylaspartat

COOH

Aus UMP entstehen die weiteren Pyrimidinnucleotide.

IDihydroorotase J

Abb. 21.6 gibt einen Uberblick tiber die Biosynthese

Dihydroorotat CODH

NAD+ (U bichinon)

der weiteren Pyrimidinnucleotide aus UMP. Dieses kann in zwei ATP-abhangigen Reaktionen zu Uridindiphosphat (UDP) und Uridintriphosphat (UTP) phosphoryliert werden. In einer Glutamin-abhangigen Reaktion wird eine Aminogruppe an das C-Atom 6 des UTP geheftet, wobei Cytidintriphosphat (CTP) entsteht. Dber die Biosynthese von Thyminnucleotiden s. S.636.

NADH + H+ (Ubichinol)

Auch fUr die Pyrimidinbiosynthese werden multifunktionelle Enzyme verwendet. CH

Orotat

I

,....c H

COOH

~ rDiipii\ ~

OrotatphosphoribosylTransferase

@

0

D I

HN/

CH

I

I

_......c COOH

0

C

c

_......CH N

D PO

HO

OH

OMP Orotidin-5 'monophosphat

Abb. 21 .5. Reaktionen der Pyrimidinbiosynthese

634

I

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

HO

CH

I

OH

Im Gegensatz zu Prokaryonten und niederen Eukaryonten werden bei Vertebraten fiir die sechs Biosynthesereaktionen der Pyrimidinbiosynthese lediglich drei Enzymproteine benotigt, von denen zwei multifunktionale Proteine sind: .,. Das vom sog. CAD-Gen codierte CAD-Protein enthalt in seinen drei Domanen eine Carbamylphosphat-Synthetase-, eine Aspartattranscarbamylase- und eine Dihydroorotase-Aktivitat. Von besonderem Interesse ist die Carbamylphosphat-Synthetase-Aktivitat, die auch als CarbamylphosphatSynthesetase II bezeichnet wird. Im Gegensatz zu der Carbamylphosphat-Synthetase I des Harnstoffcyclus ist bei ihr der Donor fiir NHrGruppe des Carbamylphosphats nicht Ammoniak, sondern die Amidgruppe der Aminosaure Glutamin, so dass die von diesem Enzym katalysierte Reaktion lautet: 2 ATP + Glutamin + HC0 3 - -7 Carbamylphosphat + 2ADP +Pi+ Glutamat

UMP Uridin-5'monophosphat

Die Dihydroorotat-Dehydrogenase ist ein aus einer Peptidkette bestehendes Enzym . .,. Fiir die letzten beiden Teilreaktionen wird ein von einem Gen codiertes, diesmal bifunktionales Pro-

1>

21 UMP ATP AOP

NADP+

~ I

c 0

c

FADH 2

FAD

~

~

Thioredoxin

Thioredoxin

CH

_... CH N

I s-

0

UDP ATP ADP

~ ~ c

0

SH

SH

}

~

Glutamin, ATP

~

Glutamat, ADP + P1

0

00-

s-

SH

SH

NH

I

s

Ribonucleotid-Reductase

UTP

N.,..c

~

?

0

HN/

NADPH/H+

HO

B

OH

s

~

0

00-

HO

B +HOH H

Abb.21.7. Herkunft des Wasserstoffs fUr die Biosynthese von Desoxyribonucleotiden. (Einzelheiten s.Text)

CH

I

_... CH N 0 0 0 II II II H C-0 - P- 0- P- O- P- o2 I I I ooo-

Cytidintriphosphat (CTP)

Abb. 21.6. Biosynthese von Uridin- und Cytidinnucleotiden

tein verwendet, das als UMP-Synthase bezeichnet wird. Es tragt zwei Domanen, die Orotatphosphoribosyltransferase- sowie die OMP-DecarboxylaseAktivitiit.

21 .1.31 Biosynthese von Desoxyribonucleotiden Die Ribonucleotid-Reductase katalysiert die Reduktion des Riboserestes von Ribonucleotiden zum Desoxyriboserest. Bilanzgleichung der Ribonucleotid-Reductase~ Ein entscheidender Schritt fUr alle Reaktionen, bei denen DNA synthetisiert wird (Kap.7, S.215ff.) ist die Umwandlung von Ribonucleotiden zu Desoxyribonucleotiden, die von der Ribonucleotid-Reductase katalysiert wird:

Ribonucleotiddiphosphat + NADPH + H+ ~ Desoxyribonucleotiddiphosphat + NADP+ + H2 0 Ungeachtet dieser relativ einfachen Summengleichung handelt es sich urn eine komplizierte Reaktionssequenz ( Abb. 21.7), bei der sowohl die Herkunft des benotigten Wasserstoffes wie auch der Reaktionsmechanismus von besonderem Interesse sind. Herkunft des fiir die Ribonucleotid-Reductase benotigten Der fiir die Reduktion der Ribose zur Desoxyribose benotigte Wasserstoff entstammt zwar dem NADPH/H+, jedoch wird dieses nicht direkt fUr die Reduktionsreaktion benutzt: .,. NADPH dient primar dazu, FAD zu FADH 2 zu reduzieren. .,. Dieses UberfUhrt anschlieBend eine DisulfidbrUcke in einem als Thioredoxin bezeichneten Protein in ein Dithiol. .,. Reduziertes Thioredoxin dient dazu, eine DisulfidbrUcke der Ribonucleotid-Reductase in zwei SHGruppen umzuwandeln, die dann fUr die eigentliche Reduktionsreaktion verwendet werden. Wasserstoffes~

Reaktionsmechanismus der Ribonucleotid-Reductase ... Die Ribonucleotid-Reductase ist ein tetrameres Enzym aus je zwei Bl- und B2-Untereinheiten. Die B2-Untereinheiten tragen Bindungsstellen fiir allosterische Effektoren und andere Regulatoren, auBerdem die zwei 21.1 Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden

635

21 Thyminnucleotide entstehen durch Methylierung von Desoxyuridinmonophosphat.

fUr die Katalyse wichtigen Thiolgruppen. Die B2Untereinheit enthalt dariiber hinaus ein Tyrosylradikal, dessen ganz ungewtihnliche Stabilitat durch einen Eisencofaktor hervorgerufen wird. Der Mechanismus der Ribonucleotid-Reductase ist in Abb. 21.8 dargestellt. ~ Das Tyrosylradikal greift an der Position 3' des Riboserestes an, so dass ein 3'-Ribonucleotid-Radikal entsteht, welches das am C-Atom 2' nach Austritt von OH- entstehende Kation stabilisiert. ~ Dieses wird zweimal reduziert, wobei die beiden Thiole zum Disulfid oxidiert werden. ~ Der letzte Schritt der Reaktion besteht nun in der Riickgewinnung des Tyrosylradikals, der Abgabe des Desoxynucleosiddiphosphates und der Reduktion des Disulfides mit Thioredoxin.

Bezeichnend fur den Unterschied zwischen DNA und RNA ist nicht nur, dass die erstere 2'-Desoxyribose enthalt, sondern auch die Base Thymin {5-Methyluracil) anstelle des in der RNA vorkommenden Uracils (S. 148 ). Das fiir die Biosynthese der Thyminnucleotide verantwortliche Enzym ist die Thymidylat-Synthase, die folgende Reaktion katalysiert: dUMP+ N5,W 0 -Methylen-Tetrahydrofolat ~ dTMP + 7,8-Dihydrofolat Abb. 21.9 zeigt die bei der Thymidylatsynthese ab-

laufenden Teilreaktionen: ~ Der Donor der Methylgruppe ist das W, W0 -Methylentetrahydrofolat (N5 , W0 -FH4 ). Da dieses jedoch eine hohere Oxidationsstufe aufweist als eine Methylgruppe, liefert der reduzierte Pteridinkern des W, W0 -Methylentetrahydrofolats auch noch Wasserstoff und Elektronen, so dass es nach der Desoxythymidinsynthese als Dihydrofolat (FH2 ) vorliegt. ~ Durch die als Hilfsenzym wirkende DihydrofolatReductase wird FH2 mit Hilfe von NADPH + H+ in Tetrahydrofolat (FH4 ) umgewandelt.

Die durch die Ribonucleotid-Reductase gebildeten Desoxyribonucleosiddiphosphate werden mit Hilfe von ATP durch entsprechende NucleosiddiphosphatKinasen (S. 632) in die Desoxyribonucleosidtriphosphate umgewandelt: dNDP + ATP ~ dNTP + ADP.

82

Bl HS

- Tyr•

HS

NDP

B,

dNDP

®-®-cH2 0 Thioredoxin (-SHh

Tyr•

Tyr-H

HO

HS HS

OH

~ ~H

s I s

B, Tyr - H HO

q

B,

®-®-cH2 0 >- Tyr - H

HO

H

s I s

~

Abb. 21 .8. Mechanismus der Ribonucleotidreductasereaktion. An der Katalyse sind die SH-Gruppen alsWasserstoffdonatoren sowie ein stabiles Tyrosylradikal beteiligt, welches die Zwischenstufen der Reaktion stabilisiert. (Einzelheiten s.Text) 636

I

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

21

:t_'):-H 0

dTMP

dUMP

I

o-

0

0

0

II o--P- 0- CH

II

N

o--P- 0- CH I 2

2

HO

H

o-

HO

H

H

~>-------~ H~~' (H:-0

H2N~N/CH2 H

Abb. 21 .9. Mechanismus derThymidylatsynthase. Bei der Umwandlung des Methylenrestes des N5, N10-Methylentetrahydrofolats (N 5, N10-FH4) in die Methylgruppe des Thymidylats werden Reduktionsaquivalente aus derTetrahydrofolsaure benotigt. Dies fiihrt zur Oxidation derTetrahydrofolsaure zu Dihydrofolsaure (FH 2), welche deswegen durch die Dihydrofolatreductase zu Tetrahydrofolat (FH4) regeneriert werden muss.(Einzelheiten s.Text)

.,. FH 4 kann unter Katalyse der Serin-HydroxymethylTransferase einen -CH 20H-Rest des Serins aufnehmen und liegt nach Wasserabspaltung wieder als N5, W 0-Methylentetrahydrofolat vor (S. 745).

PRPP ___, .,.

PRPP-

Glutamin Glutamat

Damit ist die Geschwindigkeit der ThyminnucleotidBiosynthese eng mit dem Stoffwechsel der Folsaure (S. 744) verkniipft. Bei jeder Verminderung des Folsaureangebotes bzw. der zur Verfiigung stehenden Folsaure musses zu einer StAbb. 21.14) . ... Durch die Adenin-Phosphoribosyltransferase (APRT) wird Adenin in einer PRPP-abhangigen Reaktion zu Adenosinmonophosphat umgewandelt. Das Enzym wird durch die Adeninnucleotide (insbesondere AMP) gehemmt. ... Die Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) ist fiir die Wiedereinfiihrung von Hypoxanthin und Guanin verantwortlich. Wieder ist PRPP der Donator des Phosphoribosylrestes. Das Enzym wird durch seine Endprodukte IMP und GMP gehemmt. In Anbetracht der biologischen Bedeutung der Purinnucleotide muss gewahrleistet sein, dass der Zelle unter allen Umstanden ausreichende Mengen der einzelnen Vertreter dieser Substanzklasse zur Verfiigung stehen. Zu diesem Zweck dient ein aus mehr als 15 Enzymen bestehendes System, mit dessen Hilfe es gelingt, Purine, Purinnucleoside und Purinnucleotide vollstandig ineinander zu iiberfiihren. Da auf diese Weise eine gewisse Unabhangigkeit der Purinnucleotid-Neubildung von der Biosynthesegeschwindigkeit aus den Grundbausteinen gewahrleistet wird, ist die biologische Bedeutung dieses ,enzymatischen Netzwerkes" betrachtlich.

Der Purinnucleotidzyklus liefert Fumarat fur den Skelettmuskel. Die einzelnen Schritte des sog. Purinnucleotidzyklus sind in Abb. 21.15 dargestellt (s. a. S. 473): ... IMP wird, wie schon bei der Biosynthese der Adeninnucleotide beschrieben, unter Aufnahme von Aspartat mit Hilfe der Adenylosuccinat-Synthetase in Adenylosuccinat umgewandelt.

21 Adenylosuccinat

GDP+P;

GTP AMP

~

Abb.21.1S. Der Purinnucleotidzyklus. Der Purinnucleotidzyklus wird durch die Enzyme AMP-Desaminase, Adenylosuccinat-Synthetase und Adenylosuccinat-Lyase gebildet und hangt mit einer Reihe anderer Enzyme des Purinstoffwechsels zusammen. (Einzelheiten s.Text)

~

~

TMP

Thymidin Adenosin

Adenylosuccinat wird durch die AdenylosuccinatLyase in AMP iiberfiihrt und dabei das C-Skelett des Aspartats als Fumarat freigesetzt. Der Zyklus wird durch die AMP-Desaminase geschlossen, die unter NHrAbspaltung AMP in IMP iiberfiihrt.

Die biologische Bedeutung des Purinnucleotidzyklus beruht auf der Umwandlung von Aspartat in Fumarat, wodurch der Citratzyklus im Sinne einer anaplerotischen Reaktion (S. 528) mit Substrat beschickt wird. Die schon in den spiiten 20er Jahren gemachte Beobachtung, dass gesteigerte Muskelarbeit mit einer gesteigerten NHrProduktion im Muskelgewebe einhergeht, wird durch die Existenz des Purinnucleotidzyklus erkliirt. Er verhindert dariiber hinaus, dass bei starker Muskelkontraktion anfallendes AMP zu Adenosin gespalten wird, da er die AMP-Konzentrationen niedrig halt. Dass dieser Zyklus fiir den Muskelstoffwechsel von groBer Bedeutung ist, geht aus den gelegentlich zu beobachtenden schweren StOrungen der Muskelfunktion bei einem Mangel an AMP-Desaminase oder Adenylosuccinat-Lyase hervor (S. 646}.

! Pyrimidine konnen nur als Nucleoside wiederverwertet werden.

Pyrimidinnucleotide kommen in den Nucleinsiiuren in etwa den gleichen Mengen vor wie Purinnucleotide. Ihre tiigliche Biosyntheserate liegt beim Menschen mit etwa 400-700 mg in der gleichen GroBenordnung wie die der Purinnucleotide. Man muss annehmen, dass auch fiir sie effektive Wiederverwertungssysteme vorkommen, iiber die jedoch noch recht wenig bekannt ist. Es scheint festzustehen, dass anders als bei Purinen freie Pyrimidinbasen mangels entsprechender Enzyme nicht mit PRPP zu den entsprechenden Mononucleotiden reagieren konnen. Dagegen werden Pyrimidinnucleoside mit ATP zu Pyrimidinnucleotiden phosphoryliert ( Abb.21.16}.

Die Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen ist fi.ir mani:he Gewebe von besonderer Bedeutung. Im Prinzip sind aile kernhaltigen Zellen zur de novoBiosynthese von Purin- und Pyrimidin-nucleotiden imstande, allerdings in ganz unterschiedlichem Urnfang. Eine besonders schlechte Enzymausstattung zur Purinbiosynthese hat z. B. das Zentralnervensystem. Hier finden sich jedoch die hOchsten Aktivitiiten der Hypoxanthin-Guanin- und der Adenin-Phosphoribosyltransferase. Moglicherweise ist dies die Ursache fiir die ausgepriigte cerebrale Symptomatik beim LeschNyhan-Syndrom (S. 645}.

Fur die Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen spielen Nucleosidtransporter eine groBe Rolle. Beim Stoffwechsel von Purin- und Pyrimidinnucleosiden sowie bei den Reaktionen des Wiederverwertungscyclus fiir Purine und Pyrimidine spielen Nucleoside eine wichtige Rolle. AuBerdem sind einige Nucleoside, v. a. das Adenosin, als Signalmolekiile von erheblicher Bedeutung. Da Nucleoside relativ hydrophile Molekiile sind, sind fiir ihren Import in bzw. den Export aus Zellen entsprechende Transportsysteme in den Plasmamembranen von groBer Bedeutung. Diese kommen in zwei Formen vor ( 1\.bb. 21.17}: ~ Transport durch erleichterte Diffusion entlang eines Konzentrationsgradienten. Derartige Transporter finden sich in allen Zellen.

Plasmamembran

a

b

Abb. 21.17 a, b. Nucleosidtransporter der Plasmamembran. a Aquilibrierender Nucleosidtransporter; b konzentrierender Nucleosidtransporter. Nuc Nucleosid. (Einzelheiten s.Text) 21.2 Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen

641

21 ~

Transport durch sekundar aktiven, natriumabhangigen Transport gegen einen Konzentrationsgradienten. Transporter dieses Typs sind vor allen Dingen im Intestinaltrakt, renalen Epithelien und der Leber vorhanden.

.,. Pyrimidine ki:innen nur als Nucleoside wieder verwertet werden. Die hieran beteiligten Enzyme sind die UridinCytidinkinase bzw. die Thymidinkinase. .,. Fur die Wiederverwertung spielt die Familie der Nucleosidtransporter eine groBe Rolle, die in verschiedenen lsoformen vorkommen.

Nucleosidtransporter spielen eine erhebliche Rolle fur die Wirksamkeit der bei der Therapie von Tumorerkrankungen eingesetzten Nucleosidanaloga(S.639).

21.3 1 Abbau von Nucleotiden KERNAUSSAGEN

21.3.1 Abbau von Purinnucleotiden

Purine und Pyrimidine, die beim Nucleotidabbau entstehen bzw. bei der intestinalen Resorption aufgenommen werden, ki:innen wiederverwendet werden: .,. Fur die Wiederverwertung von Purinbasen sind die Adenin-Phosphoribosyltransferase sowie die Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase verantwortlich.

AMP

IMP

0~~0

0~::'

·5:' l..N

N> I Rib

H20 NH3

~ ).

0

Der Abbau d er Purinnucleotide lauft nach einer anderen Reaktionssequenz als ihre Biosynthese ab ( Abb. 21.18):

0r,, XMP

GMP

0~""

PI

(X> OH

PI

OH

OH

•:):' HO~N

•:):' H2N~N

?

)

I Rib

Adenosin

Purinnucleotide werden zu freien Basen abgebaut und anschlieBend unter Bildung von Harnsaure oxidiert.

I

Rib

Inos in

Rib

Xanthosin

P, ~ 0

··-~~0

Rib - (!)

6=>

02; H20

~ ~

Hypoxanthin

~ ~

D; 2W

0)

Rib - ®

. HO~N:X" • 0J OH

OH

H

Guanosin

·:X' OH

NH3 H20

N

)

~

N H

· ~0

H2NA

Xanthin

N

) H

Guanin

H~ ~~· 0)

:X">= 0

OH

N

HN

OJ.___N H

N H

Harnsaure (Ketoform)

0

J..') :) -oH

HO

N

N H

Hamsaure (Enolform)

·:X' OH

A HO

N

)-o+ H

N H

Harnsaure (dissoziiert: pk = 5,4)

Abb. 21 .18. Reaktionen des Purinabbaus. 7 5'-Nucleotidase;2 Adenosin-Desaminase;J Nucleosid-Phosphorylase; 4 Guanase;5 Xanthinoxidase 642

I

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

21 .,. Durch entsprechende Nucleotidasen werden die Purinmononucleotide in die entsprechenden Nucleoside i.iberfiihrt. .,. Adenosin wird durch die Adenosindesaminase in Inosin iiberfi.ihrt. .,. Die Purinnucleoside Inosin, Xanthosin und Guanosin werden mit anorganischem Phosphat unter Katalyse der Nucleosid-Phosphorylase gespalten. Dadurch werden die Purinbasen Hypoxanthin aus !nosin, Xanthin aus Xanthosin und Guanin aus Guanosin gebildet, auBerdem entsteht Ribose-1-phosphat. .,. Unter Abspaltung von NH 3 wird Guanin durch die Guanase in Xanthin i.iberfiihrt. .,. Die Xanthinoxidase wandelt Hypoxanthin in Xanthin und dieses in Harnsiiure urn. Dabei entsteht jeweils das Superoxidradikal 0 2-, welches durch die Superoxiddismutase zu H20 2 umgewandelt wird:

schwindigkeit der Purinbiosynthese (s. o.) entspricht somit ziemlich genau der taglichen Harnsaureausscheidung. Eine Harnsaureausscheidung tiber den Darm spielt demgegeni.iber nur eine untergeordnete Rolle. Die im Blut transportierte Harnsaure wird in den Nieren durch glomerulare Filtration sowie durch tubulare Sekretion ausgeschieden. Ober das quantitative Verhliltnis dieser heiden Mechanismen ist nichts Sicheres bekannt. Das fi.ir die Harnsauresekretion verantwortliche tubulare Transportsystem ist relativ unspezifisch, da es auBer Harnsaure eine Anzahl weiterer organischer Sauren wie Lactat, Acetacetat, {3-Hydroxybutyrat und verzweigtkettige Ketosauren sezerniert. Ein Teil der glomerular filtrierten oder tubular sezernierten Harnsaure wird schlieElich tubular reabsorbiert und vermindert damit die Harnsaureausscheidung.

.,. Harnsaure ist ein Enol und kann in die Ketoform tautomerisieren. Ihr Saurecharakter erklart sich aus dem pK-Wert von 5,4 der OH-Gruppe am C-Atom 8

21.3.21 Abbau von Pyrimidinnucleotiden

Harnsaure ist bei Primaten, Vogeln und einigen Reptilien das Endprodukt des Purinabbaus. Harnsaure kann von Primaten und damit dem Menschen, auBerdem von Vogeln und einigen Reptilien nicht weiter metabolisiert werden und ist damit das Endprodukt des Purinabbaus. Sie ist schwer wasserli:islich, so dass ihr Transport im Blut und ihre Ausscheidung durch die Nieren dem Organismus gewisse Schwierigkeiten machen (s. Pathobiochemie des Purinstoffwechsels, S. 644). Andere Lebewesen konnen Harnsaure zu besser wasserloslichen Produkten abbauen. Die meisten Sauger spalten Harnsaure zu dem wesentlich besser loslichen Allantoin, Fische sind in der Lage, Allantoin nach Ringspaltung zu Allantoinsaure in Harnstoff und Glyoxylsiiure umzuwandeln und marine Invertebraten spalten schlieBlich Harnstoff mit Hilfe der Urease zu Ammoniak. Im Gegensatz zur Oxidation von Kohlenhydraten, Fetten oder Aminosauren kann der Purinabbau von der Zelle nicht zur Energiegewinnung herangezogen werden, da weder eine Substratkettenphosphorylierung noch die Gewinnung von Reduktionsaquivalenten zur Energiegewinnung in der Atmungskette moglich sind.

!

Die Nieren sind das Hauptorgan der Harnsaureausscheidung. Die Gesamtmenge der durch intrazellularen Purinabbau entstandenen und an die Korperfli.issigkeit abgegebenen Harnsiiure betragt beim Menschen etwa 4-6 mmol!Tag. Von dieser Menge wird der groEte Teil mit dem Urin ausgeschieden. Die kalkulierte Ge-

Der im wesentlichen in der Leber stattfindende Pyrimidinabbau erfolgt nach dem in Abb. 21.19 dargestellten Mechanismus. Ausgehend von Cytosin, Uracil und Thymin als den wichtigsten Pyrimidinbasen erfolgt in einem dreistufigen Mechanismus eine Ringspaltung. Zunachst kommt es durch Reduktion zu Dihydrouracil bzw. Dihydrothymin. Durch Wasseranlagerung kann nun der 6-Ring zwischen den Positionen 1 und 6 gespalten werden. Es entsteht Ureidopropionat aus Dihydrouracil bzw. Ureidoisobutyrat aus Dihydrothymin. Von heiden Verbindungen kann C0 2 und NH3 abgespalten werden, so dass /3-Alanin bzw. /3-Aminobutyrat entstehen, die zu Acetat bzw. Propionat, NH 3 und C02 abgebaut werden konnen. Im Gegensatz zum Purinabbau entstehen beim Pyrimidinabbau in Form von Acetat und Propionat oxidierbare Verbindungen, so dass fiir die Zelle der Abbau der Pyrimidinbasen mit einem gewissen Energiegewinn verbunden ist.

KERNAUSSAGEN Der Abbau von Purinnucleotiden fiihrt i.iber eine Reihe von Reaktionen zur Harnsaure, die bei Primaten, Vogeln und einigen Reptilien das Endprodukt des Purinabbaus ist: ... Durch Nucleotidasen werden Nucleotide in die entsprechenden Nucleoside Oberfiihrt.Aus diesen entstehen durch die Nucleosidphosphorylasen die Basen Hypoxanthin,Xanthin und Guanin. .,.. Die Xanthinoxidase wandelt diese in einer 02-abhangigen Reaktion in Harnsaure urn. Pyrimidinnucleotide werden zu C02 und Ammoniak abgebaut.

21.3 Abbau von Nucleotiden

643

21 Cytosin

Methylcytosin

~

21.4.1 Purinstoffwechsel

NH3

0

0

HN

O~N

I

H

Thymin

Uracil

F F NAOPH

NADPH1

NADP+

NADP+

0

0

CH3 H H H

H H H H

r

Dihydrothymin

Oihydrouracil H20

0

0 II

II

HO- C CH2 HNH

I

of

HO - C HNH

I

,.....cH2 N H

0

c ~ CHJ

I I H C..r' ,.....cH 2 l 'N H

Ureidoisobutyrat

Ureidopropionat

0~ H C- C- CH - NH / I 2 2

+

HO

~-Aianin

NH,

CH3

~-Aminoisobutyrat

~

~

CH,-COOH

C02

0~ HO/

cx-Ketoglutarat Gluramat

H H

C- C- C= O

I

CH3

Methylmalons.iiuresemialdehyd

ro,l_ Abb. 21.19. Reaktionen des Pyrimidinabbaus

644

I

21.4 Pathobiochemie

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

Es ist klar, dass Storungen des Purinstoffwechsels den Zellstoffwechsel erheblich beeintrachtigen. So verursachen beispielsweise durch Metabolitanaloga hervorgerufene Hemmungen der Purinnucleotidbiosynthese deswegen den Zelltod, wei! die Biosynthese der Nucleinsauren blockiert wird. Jede Dberproduktion von Purinnucleotiden wird dagegen eine Zunahme ihrer Abbaugeschwindigkeit und damit der Harnsaureproduktion nach sich ziehen.

Hyperuricamien konnen zur Gicht flihren. Infolge ihrer geringen Loslichkeit sind dem Transport der Harnsaure im Blut relativ enge Grenzen gesetzt. Schon der normale Serumharnsaurespiegel (ca. 0,4 mmol/1) ist nur deshalb moglich, weil ein betrachtlicher Teil der Serumharnsaure an Protein gebunden ist. Jede weitere Erhohung des Harnsaurespiegels tiber diesen Grenzwert wird als Hyperuriciimie bezeichnet und kann zur Gicht fiihren. Unter diesem Krankheitsbild versteht man eine mit Harnsaureablagerungen in den Gelenken, den Schleimbeuteln, den Sehnenscheiden, der Subcutis und dem Nierenmark einhergehende chronische Erkrankung, die haufig von akuten Entztindungsschtiben v. a. der Gelenke begleitet ist. Hyperuricamie und Gicht sind haufige Stoffwechselkrankheiten. Man nimmt an, dass in der Bundesrepublik Deutschland etwa 1- 2% der mannlichen und bis zu 0,4% der weiblichen Erwachsenen an einer haufig unerkannten Gicht leiden. Bezeichnenderweise sinkt, ahnlich wie beim Diabetes mellitus (S. 861) die Gichthaufigkeit in Notzeiten auf Werte von 0,1 - 0,2% der Bevolkerung. Offenbar fiihrt Luxuskonsum nicht nur zu einer Zunahme der Kohlenhydratstoffwechselstorungen, sondern wahrscheinlich wegen des tiberhohten Fleischkonsums zu einem steigenden Angebot an Purinbasen, deren Abbau bei entsprechender genetischer Konstellation eine Gicht auslOst.

Hyperuricamien konnen hereditar oder erworben sein. Hyperuricamien werden in primiire (familiare) bzw. sekundiire Formen unterteilt:. ~ Bei der primiiren Hyperuriciimien handelt es sich urn hereditare StOrungen des Purinstoffwechsels, wobei sowohl die Biosynthese als auch die Ausscheidung betroffen sein kann. ~ Bei den sekundaren Formen der Hyperuricamie liegt keine Storung im Bereich des Purinstoffwechsels vor. Hier ist das Krankheitsbild die Folge von Erkrankungen, bei denen durch vermehrten Zelluntergang ein UbermaB an Purinbasen zum Abbau

21

M•A ,~/0

gelangt oder aber durch erworbene Nierenerkrankungen die Harnsaureausscheidung behindert ist. Primare Hyperuricamie~ Die primare Hyperuricamie ist durch eine allmahliche Zunahme der Gesamtmenge der im Korperwasser gelosten Harnsaure, also des Harnsaurepools, von normal 6 mmol (s. o.) bis auf 180 mmol und mehr gekennzeichnet. Damit verbunden ist eine Zunahme der Harnsaurekonzentration im Serum auf Werte tiber 0,4 mmol/1 und das Ausfallen von Uraten in verschiedenen Geweben. Mehrere ursachliche Faktoren sind als Ausloser dieses Krankheitsbildes bekannt ( Tabelle 21.3): Bei einem groBen Teil der Patienten (75-80%) handelt es sich urn eine renale StOrung der tubularen Harnsauresekretion. Sehr wahrscheinlich liegt eine allgemeine epitheliale Insuffizienz der Harnsaureeliminierung vor. In der Konsequenz fiihrt dies dazu, dass die Patienten bei gleichen Plasmaspiegeln weniger Harnsaure im Harn ausscheiden als gesunde, bzw. fiir die Ausscheidung gleicher Harnsauremengen hohere Plasmaspiegel benotigen. Bei dem anderen, etwa 20-25 o/o umfassenden Teil der Patienten mit Hyperuricamie beruht die Erkrankung nicht auf einer Storung der renalen Ausscheidung, sondern vielmehr auf einer gesteigerten Biosynthese von Purinen aufgrund verschiedener Enzymdefekte ( Abb. 21.20): ~ Am haufigsten ist ein Gendefekt der HypoxanthinGuanin-Phosphoribosyltransferase, der zur verminderten Aktivitat des Enzyms fiihrt. Dies lost einen Anstieg der PRPP-Konzentration aus, welches durch Aktivierung der PRPP-Amidotransferase (S.637) eine Steigerung der Purinbiosynthese auslost. Insgesamt fiihrt der Enzymdefekt zu einer schon im juvenilen Alter auftretenden Gicht, die sich dadurch auszeichnet, dass die Harnsaurekonzentrationen im Serum auch bei purinarmer Ernahrung nicht absinken. ~ Vollstandiges Fehlen der Hypoxanthin-GuaninPhosphoribosyltransferase liegt beim Lesch-NyhanSyndrom vor. Das Krankheitsbild ist durch eine schwere Gicht und Nephrolithiasis gekennzeichnet, Tabelle 21.3. Ursachen der primaren Hyperuricamie

PRPP

0

..

----....

Guanin

Hypoxanthin

ribosylamin

~0

AMP-------------. IMP .-------------GMP

l

Hypoxanthin -

xanrin -

Guanin

Harnsaure

Abb. 21.20. Entstehungsmechanismen der primaren,durch Oberproduktion zustandekommenden Hyperuricamie. 1 vermehrte PRPP-Bildung; 2 vermindert APRT-Aktivitat; 3 verminderte HGPRT-Aktivitat

~

~

zusatzlich findet sich ein neurologisches Krankheitsbild mit Spastik, verzogerter geistiger und motorischer Entwicklung und einer auffallenden Tendenz zur Selbstverstiimmelung. Eine sehr seltene Enzymopathie ist eine Erhohung der Harnsaurebildung infolge einer gesteigerten Aktivitat der PRPP-Synthetase. Dariiber hinaus gibt es Falle, bei denen die Riickkoppelungshemmung der Glutamin-PRPP-Amidotransferase durch Endprodukte der Biosynthese, Adenin- und Guaninnucleotide, gestort ist.

Gichtfamilien Die primare Hyperuricamie ist eine hereditare Stoffwechselsti:irung. Es gibt daher sog .•Gichtfamilien", wobei die Vererbung vornehmlich vom Vater auf den Sohn erfolgt. Ein bekanntes Beispiel ist die Familie Hohenzollern: Friedrich Wilhelm (162o-1688), der GroBe Kurfiirst~ Mit 40 Jahren hatte er seinen ersten Gichtanfall. Seit dieser Zeit musste er wegen qualender Gelenkschmerzen pelzgefiitterte Juchtenstiefel tragen. Er strapazierte seinen Stoffwechsel durch ein ObermaB von .kostlichen Speisen und edlen Weinen'" sowie durch .,Bechergelage, des Podagra nicht achtend".

Hiuflgkelt

Oberproduktion von Harn aure

PRPP-Synthetase: Zunahme der Aktivitat; Glutamin-PRPPArnidotran fe ra e: Aufhebung der Riickkoppelungs20- 25%der hemmung; Xanthinoxida e: Zunahme der Aktivitat; Hypo- GichtfaiJe xanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase: Abnahme oder Fehlen der Aktivitat; Adeninphosphoribosyltran sferase: Fehlen des Enzyms

TubuHire Harnsauresekretion: 75- 80% der Hemmung Verminderung GichtfaiJe der renalen Ausscheidung

Friedrich I. (1657 -1713), der erste PreuBenkonig~ Beim Feiern, im Essen wie im Trinken, entwickelte er diesel be Leidenschaft wie sein Vater.Seit der Jugend hatte er Gichtanfalle. Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), der Soldatenki:inig~ Die Gicht be rei tete ihm derartige Qualen, dass er oftmals an den Rollstuhl gefesselt war und sich mit Abdankungsgedanken trug, dennwdieses /eiden unertreglich, aber viehisch ist.'" Friedrich II. (1712- 1786), der GroBe~ Als Neunundzwanzigjahriger bekam er den ersten Gichtanfall, die Krankheit begleitete ihn sein ganzes Leben lang.

21.4 Pathobiochemie

645

21 Tabelle 21.4. Ursachen der sekundaren Hyperuricamie

Oberproduktion durch Zunahme des Nucleinsaureumsatzes

P oriasis, lymphatische und myeloische Leukiimien, chronisch-hamolytische Anamien

Oberproduktion durch gesteigerte De-novo-Biosynthese

Glucose-6-phosphatasemangel

Verminderung der renalen Ausscheidung

Chronische ierenerkrankungen, Bleivergiftung, Berylliurnvergiftung, Alkoholintoxikation, Schwangerschaftstox:ikose, diabetische Ketose, Dehydration, Behandlung mit Diuretika, Salicylaten

Sekundare Hyperuricamien~ Wie aus Tabelle 21.4 hervorgeht, konnen sekundiire Hyperuriciimien viele Ursachen haben. Sie kommen zustande durch Uberproduktion von Harnsaure infolge gesteigerten Nucleinsaureumsatzes. Dies tritt z. B. bei lymphatischen und myeloischen Leukamien, chronisch hamolytischen Anamien und der Psoriasis auf. Eine gesteigerte de novo-Biosynthese findet sich beim hereditaren Glucose-6-Phosphatase-Mangel, der Glykogenose Typ 1 (S. 429). Die Verwertungsstorung des Glucose-6-phosphats fiihrt zu einer vermehrten Uberfiihrung von Glucose in den Pentosephosphatweg und damit zur gesteigerten PRPP-Bildung. Eine Verminderung der renalen Ausscheidung als Ursache fiir die sekundare Hyperuricamie findet sich bei verschiedenen Nierenerkrankungen, so z. B. bei chronischen Nephropathien, bei Schwermetallvergiftungen oder der Schwangerschaftstoxikose.

Hyperuricamien werden mit Diat und spezifischen Arzneimitteln behandelt. Folgende Mafinahmen eignen sich fiir die Behandlung von Hyperuricamien: Diiitetische Einschriinkung der Purinzufuhr. Gabe von so g. Uricosurica. Diese (z. B. Probenecid) hemmen die tubulare Reabsorption von Harnsaure und fiihren auf diese Weise zu einem Anstieg der Uratausscheidung. Therapie mit Allopurinol (Abb.21.21). Dieses Strukturanaloge des Hypoxanthins ist ein kompetitiver Hemmstoff der Xanthin oxidase. Wird es in therapeutischen Dosen gegeben, so kommt es zu einer

0

0

I

HN/

I

HC

II

c c...... I

HN / I

/ C-...N N H Hypoxanthin

CH

c

c--

H

I

I

HC

N

/

/ c -...N

H

Allopurinol

Abb.21.21. Hypoxanthin und Allopurinol 646

I

21 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

weitgehenden Hemmung der Harnsaurebildung. Endprodukte des Purinabbaus sind nunmehr Xanthin und Hypoxanthin. Die Serum- und Urinkonzentrationen dieser beiden Purinbasen steigen auch tatsachlich stark an. Da sie sich jedoch von der Harnsaure durch ihre bessere Loslichkeit unterscheiden, konnen sie wesentlich Ieichter tiber die Nieren ausgeschieden werden.

Der hereditare Adenosindesaminase-Mangel geht mit einem schweren lmmundefekt einher. Die Adenosindesaminase katalysiert die Desaminierung von Adenosin und 2'-Desoxy-adenosin zum entsprechenden Inosinnucleosid. Als relativ seltener hereditarer Enzymdefekt (Haufigkeit etwa 1:100000 Geburten) kommt ein Mangel dieses Enzyms vor. Die Erkrankung ist meist mit einem schweren Immundefekt vergesellschaftet, dessen Ursache auf einer Proliferationshemmung der Lymphocyten beruht. Durch den Enzymdefekt kommt es namlich zur Akkumulierung von Adenosin und 2'-Desoxyadenosin in den Lymphocyten. Beide Verbindungen werden jedoch durch die Nucleosidkinasen rasch phosphoryliert, so dass sich schliefi!ich ATP und dATP anhaufen. Die letztere Verbindung ist der wichtigste allosterische Inhibitor der Ribonucleotid-Reductase (S. 638), so dass in den Lymphocyten die zur Proliferation benotigten Desoxyribonucleotide nicht mehr erzeugt werden konnen. Am Adenosindesaminase-Mangel herrscht derzeit grofies Interesse, da weltweit cine Reihe von Protokollen zur Gentherapie dieser Erkrankung existieren (S. 368).

21.4.21 Pyrimidinstoffwechsel Tabelle 21.5 fasst die bis heute bekannten Storungen des Pyrimidinstoffwechsels zusammen. Der haufigste Stoffwechseldefekt ist die gesteigerte Ausscheidung von ft-Aminoisobutyrat, einem Zwischenprodukt des Thyminabbaus ( Abb. 21.19). Zugrunde liegt wahrscheinlich eine St6rung der Transaminierung von fiAminobutyrat zu Methylmalonsauresemialdehyd. 5-10 o/o der weifien Bevolkerung sowie bis zu 50 o/o der Asiaten sind Trager dieses Merkmals, das jedoch keinerlei pathologische Bedeutung hat. Die wichtigste genetische Erkrankung des Pyrimidinstoffwechsels ist die hereditiire Orotacidurie. Es handelt sich urn eine relativ seltene Erkrankung, zu deTabelle 21.5. Storungen des Pyrimidinstoffwechsels

Primare P-Aminobutyraturie, hereditare Orotacidurie Storungen: Sekundare Gesteigerter Nucleinsaureumsatz, OrnithinStorungen: transcarbamylasemangel, Pharmaka: 6-Azauridin, Allopurinol

21 ren Symptomatik eine megaloblastare Anamie, Leukopenie, Verlangsamung von Wachstum und geistiger Entwicklung und massive Ausscheidung von Orotsaure im Urin gehoren. Die Ursache der Erkrankung ist ein Enzymdefekt der Pyrimidinbiosynthese. Die Aktivitaten der Orotatphosphoribosyltransferase sowie der OMP-Decarboxylase sind nur in Spuren nachweisbar (® Abb. 21.5, S. 634) . Dies fiihrt zu einem betrachtlichen Anstau von Orotsaure, die im Urin ausgeschieden werden muss. Durch den Enzymdefekt kommt es zusatzlich zu einem Sistieren der Bildung von Uridinnucleotiden, was eine Verminderung des UTP-Spiegels zur Folge hat. Dadurch wird die fur die Pyrimidinbiosynthese geschwindigkeitsbestimmende Carbamylphosphat-Synthetase II enthemmt, was zur verstarkten Orotsaurebildung fiihrt. Da die Fahigkeit zur Pyrimidinbiosynthese stark reduziert ist, sind schwere Storungen des Zellstoffwechsels durch den Mangel dieser wichtigen Nucleotide unvermeidlich. Eine Therapie der Erkrankung bietet sich jedoch dadurch an, dass Uridin in Do sen von 2-4 g/Tag zugefiihrt wird. Das Nucleosid kann durch die Uridin-Cytidin-Kinase in die entsprechenden Nucleotide umgewandelt werden. Durch den angeborenen Enzymdefekt ist somit das Uridin, das sonst leicht durch Biosynthese hergestellt werden konnte, zu einer essentiellen Substanz geworden, die wie essentielle Aminosauren mit der Nahrung zugefiihrt werden muss. Ahnlich wie bei der Pathobiochemie des Purinstoffwechsels gibt es auch sekundare Storungen des Pyrimidinstoffwechsels. So kommt es bei gesteigertem Nucleinsaureumsatz zu einer Steigerung der Orotsaureausscheidung. Eine Orotacidurie ist bei Kindem mit Ornithintranscarbamylase-Mangel (S. 479) beobachtet

worden. Offenbar kann unter diesen Umstanden auch das von der Carbamylphosphat-Synthetase I zum Zweck der Harnstoftbildung bereitgestellte mitochondriale Carbamylphosphat fiir die cytosolische Pyrimidinbiosynthese verwendet werden. SchlieBlich fiihrt eine Reihe von Pharmaka zur Orotacidurie. Es handelt sich v. a. urn die oben besprochenen Antimetaboliten 6Azauridin und Allopurinol.

KERNAUSSAGEN Storungen im Purin- bzw. Pyrimidinstoffwechsel kommen als primare,genetisch verursachte bzw.erworbene Erkrankungen vor: " Die primare Hyperuricamie ist die Folge einer verminderten Ausscheidung oder Oberproduktion von Harnsaure infolge genetischer Defekte. 20 %dieser Defekte sind fur eine Oberproduktion von Harnsaure verantwortlich und beruhen auf Defekten der HGPRT,der PRPP-Synthetase sowie der Glutamin-PRPPAmidotransferase. 70-80 % der Faile primarer Hyperuricamie beruhen auf Storungen der rena len Ausscheidung. ... Sekundare Hyperuricamien fuhren zu einer Harnsaureuberproduktion bzw. verminderten Ausscheidung auf Grund von Storungen, die nicht im Bereich des Purinstoffwechsels liegen. Auch beim Pyrimidinstoffwechsel gibt es primare und sekundare Storungen. Die wichtigste genetische Erkrankung des Pyrimidinstoffwechsels ist hereditare Orotacidurie.

SCHLOSSELBEGRIFFE a-5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat Allosterische Regulation Amethopterin Aminopterin AMP. Biosynthese Antimetabolite Aspartat CAD-Protein

Carbamyl phosphat Carbamylphosphatsynthetase II Glutamin-PRPP-Amidotransferase GMP. Biosynthese IMP. Prinzip der Biosynthese OMP Orotat PRPP

Literatur

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Ham und Gallenfarbstoffe P.

22.1 22.1.1 22.1.2 22.1.3 22.1.4 22.1.5

22.2 22.2.1 22.2.2 22.2.3

22.3 22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4

22.4 22.4.1 22.4.2

Biosynthese des Hams Obersicht Uber die Hambiosynthese Einzelschritte der Hambiosynthese Ausscheidung von Porphyrin en und Porphyrinvorstufen Energiebedarf der Hambiosynthese Regulation der Hambiosynthese Pathobiochemie: Storungen der Hambiosynthese Sideroblastische Anamie Angeborene Porphyrien Erworbene Porphyrien Abbau des Hams zu Gallenfarbstoffen Abbau zu Bilirubin Nachweismethoden fUr Bilirubin im Blutplasma Abbau des Bilirubins im Darm Hamoglobin- und Bilirubinumsatz Pathobiochemie: Storungen des Bilirubinstoffwechsels Erworbene Hyperbilirubinamien Angeborene Hyperbilirubinamien

650 650 650 652 654 654

655 655 655 660

661 661 662 664 665

665 665 666

E.

PETRIDES

22 ...

In eI u ng

Porphyrine sind farbige Verbindungen, dieubiquitar im Pflanzen- und Tierreich auftreten. Strukturell bestehen sie aus 4 Pyrrolringen, die tiber Methinbrucken (=CH-) zu einem Tetrapyrrolsystem verbunden sind. Dieses konjugierte Ringsystem mit 11 Doppelbindungen bildet Ieicht Komplexe mit Obergangsmetallen. Wah rend im Pflanzen reich die Komplexbildung mit Magnesium (aIs Chlorophyll) iiberwiegt, tritt Porphyrin im Tierreich als Eisenkomplex auf, der als Ham bezeichnet wird.lhre Funktion im Zellstoffwechsel erfullen die Harne dabei als prosthetische Gruppe von Hamoproteinen. Der Proteinanteil seinerseits bestimmt, welche Funktionen das Eisenporphyringerust im Proteinverband ubernimmt: so den Transport, die Speicherung oder Aktivierung von Sauerstoff im Hamoglobin, Myoglobin bzw. Cytochrom P450, den Abbau von H20 2 in den Enzymen Katalase und Peroxidase oder den Transport von Elektronen durch die verschiedenen Cytochrome der Atmungskette. Beim Menschen werden die Porphyrine in praktisch allen Zellen in einer Sequenz von acht enzymatischen Schritten aus Glycin und Succinyi-CoA synthetisiert und kommen dort als Bestandteile der mitochondrial en Cytochrome vor. Quantitativ am bedeutendsten sind sie in den Erythroblasten des Knochenmarks (dem Ort der Hamoglobin-Synthese), den Erythrocyten (aIs Trager des Hamoglobins) im stromenden Slut und den Hepatocyten der Leber, diesich durch einen hohen Gehalt an Cytochrom P450 auszeichnen, vertreten. Aufgrund dieser elementaren Funktion der Porphyrine ist das vollstandige Fehlen eines der Enzyme der Porphyrinbiosynthese mit dem Leben nicht vereinbar. Partielle Defekte einzelner Enzyme der Hambiosynthese treten jedoch auf und verursachen neuroviszerale oder neuropsychiatrische Symptomenkomplexe, die bei Nichterkennung lebensbedrohlichen Charakter annehmen konnen.

-

22.1 Biosynthese des Hams 22.1.1

Obersicht uber die Hambiosynthese

Einzelne Enzyme der Hambiosynthese treten in gewebespezifischen lsoformen auf. Obwohl das Knochenmark als das wesentliche Gewebe der Hambiosynthese (mit etwa 85 o/o) gilt, sind die meisten experimentellen Untersuchungen an Lebergewebe durchgefiihrt worden, da zum einen im Knochenmark verschiedene Zellen existieren, die zudem verschiedene Differenzierungsstufen durchlaufen, und zum anderen Lebergewebe fur tierexperimentelle biochemische Studien einfacher zu gewinnen ist. Obwohl die einzelnen enzymatischen Schritte der Hambiosynthese im Knochenmark und in der Leber identisch sind, unterscheiden sich die funktionellen Charakteristika einzelner beteiligter Enzyme durch die Existenz von Isoenzymen in diesen Organen voneinander. Die lsoformen werden entweder von unterschiedlichen Genen codiert oder entstehen durch unterschiedliches SpleiBen der hnRNA desselben Gens und besitzen fiir die gewebespezifische Regulation der Hambiosynthese eine elementare Bedeutung. Die Biosynthese der Porphyrine lauft - ahnlich der Harnstoffbiosynthese - partiell im Mitochondrium und partiell im Cytosol ab ( Abb. 22.1 ). Ausgehend vom Succinyl-CoA, einem Zwischenprodukt des mitochondrialen Citratzyklus, wird durch Kondensation mit der Aminosaure Glycin ein Produkt gebildet, das nach Ubertritt ins Cytosol mit einem weiteren Molekiil seinesgleichen zu einem Pyrrol kondensiert. Vier dieser Pyrrole treten zu einem Tetrapyrrol zusammen, das nach Decarboxylierung ins Mitochondrium zu650

I

22 Ham und Gallenfarbstoffe

-

riickgelangt, wo es durch erneute Decarboxylierung und Dehydrierung sowie durch den Einbau von Eisen in Ham iiberfiihrt wird. Das gebildete Ham wird nun fiir mitochondriale Enzyme wie Cytochrome (in allen Zellen) oder fiir die Bildung von Hamoglobin (in den Erythroblasten des Knochenmarks) verwendet.

22.1.21 Einzelschritte der Hambiosynthese Die Hamvorstufe Protoporphyrin entsteht durch Kondensation von Glycin und Succinyi-CoA. Ausgehend von Succinyl-CoA, einem Zwischenprodukt des Citratzyklus, und Glycin, der einfachsten Aminosame, entsteht im Mitochondrium unter Abspaltung von CoA das labile Zwischenprodukt a-Amino-fJ-ketoadipat, das als fJ-Ketosaure spontan zu b-Aminoliivulinat (a-ALA) decarboxyliert. Dieser Schritt wird durch die mitochondriale b-Aminoliivulinatsynthase (aALA-Synthase) katalysiert ( Abb. 22.2). Da dieses Enzym Pyridoxalphosphat-abhangig ist, fiihrt ein Vitamin B6 -Mangel (S. 742) zu einer Verringerung der Hambiosynthese. Die o-ALA-Synthase-Reaktion ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Porphyrinbiosynthese, da aile folgenden Enzyme im Uberschuss vorliegen. Beim Menschen codieren zwei Gene fiir zwei oALA-Synthasen: ._ das a-ALA-S 1-Gen auf Chromosom 3 (p 21) tragt die Information fiir ein ubiquitar verbreitetes Enzym, ._ das ()-ALA-S 2-Gen auf dem X-Chromosom (p 11 - 21) codiert fiir ein Enzym, das nur in den Erythroblasten vorkommt.

22 Endo lasmatisches Reticulum

Bilirubin

'--..

Glucuronidierung zur Ausscheidung Hamoproteine

/ Cytosol

Ham

"""1'''~0

Protoporphyrinogen Uroporphyrinogen Ill (8.(00H)' 7-COOH-

~- G

'-.~

Koproporphyrinogen Ill I (4·COOH) 5-COOH 6-COOH/

Zellmembran Abb. 22.1. Verteilung der Hambiosynthese auf zwei Zellkompartimente. Die roten Rechtecke zeigen Ebenen der RUckkoppelungshemmung der Biosynthese durch Ham Succinyl· CoA

coo CH 2

CoA

CH 2

)

CoA - S- C- 0 H I + H- C- NH

I

cooGiydn

SH

3

coo CH 2 I CH 2 I

CH 2

0-Aminol~vulinatsynthase (O-ALA -51 und -S2) Pyridoxal phosphat

coo CH 1

CD

c 0 H- ~-•NH I 3 coo-

0: - Amino ·~ - ketoadipat

J. spontan

I

c I I

0 ~

H- C- NH

3

H

&-Aminolavulinat (0-ALA)

Abb. 22.2. Pyridoxalphosphat-abhangige Bildung von o-Aminolavulinat (a-ALA) aus Glycin und 5uccinyi-CoA durch die o-ALA-5 1 oder -52. Die Zahl gibt den mtiglichen Enzymdefekt an

Beide Proenzyme (Pro-o-ALA-S 1 bzw. -S 2) besitzen die Sequenz Cys-Pro-X-Asp-His, die Ham bindet, wodurch die Translokation des Enzyms vom Cytosol in das Mitochondrium gehemmt wird (sog. hamregulatorisches Element). Dariiberhinaus weist die knochenmarkspezifische o-ALA-S 2 im Gegensatz zur 0-ALA-S 1 in der 5' -nichttranslatierten Region ihrer mRNA eine Struktur auf, die den eisenempfindlichen Elementen in den 5' -nichttranslatierten Region en der Ferritin- und Transferrin-mRNA (S. 707) ahnelt. Diese Konstellation erlaubt die Koordination der Porphyrinbiosynthese mit dem Eisenstoffwechsel (S. 707). Im Hepatocyten wird die Aktivitat der o-ALA-Synthase-1 durch das Endprodukt Ham gehemmt (S.654). Dane ben wird die Enzymaktivitat auf noch unbekannte Weise auch durch die Gabe von Glucose (sog. Gluco-

se-Effekt) vermindert, was von klinischer Bedeutung ist (S. 658). Nach Obertritt ins Cytosol kondensieren zwei Molekiile o-Aminolavulinat zu Porphobilinogen (PBG), der Pyrrolvorstufe (Ring A in ® Abb. 22.3) der Porphyrine. Diese Reaktion wird durch die Porphobilinogensynthase (o- Aminolavulinatdehydratase) katalysiert. Das Enzym kommt in zwei lsoformen vor, von denen die eine in allen Geweben, die andere nur in Erythroblasten nachweis bar ist. Anschliefiend kondensieren unter dem katalytischen Einfluss der PBG-Desaminase sukzessive drei weitere Porphobilinogenmolekiile (Ringe B, C und D) unter Abspaltung von vier Molekiilen Ammoniak und Bildung des Zwischenproduktes Hydroxymethylbilan zum Tetrapyrrol (® Abb. 22.4). Beim Menschen wird die PBG-Desaminase durch ein 10 kb-Gen mit 22.1 Biosynthese des Hams

651

22 coo-

coo coo-

/

CH2 I CH2 CH2 I O= C CH2 I C= O CH2

CH2 I •NH3

H2 NH

CH2

CH2

CH2

I

)

I

I

c--c

Porphobilinogensynthase (0 -ALA- Oehydratase)Q)

0-Aminolavulinat (0-ALA)

cooII

C

A II

CH

................ .......

CH2

I

•NH3

N

H

Porphobilinogen (PBG)

Abb. 22.3. Bildung des Monopyrrols Porphobilinogen (PBG) durch Kondensation von zwei MolekOien o-Aminolavulinat durch die Porphobilinogen-Synthase (oder a-ALA-Dehydratase)

15 Exons auf Chromosom 11 q 24 codiert. Die bei der Transkription entstehende hnRNA kann unterschiedlich gespleiBt werden, so dass aus einem Gen zwei Isoenzyme entstehen: ~ das Erythroblasten-Isoenzym mit einer Molekiilmasse von etwa 42 kDa enthalt den 3'-Anteil von Exon 3 sowie die Exons 4 bis 15, ~ das ,House-Keeping"-Isoenzym mit einer Molekiilmasse von etwa 44 kDa besteht aus Exon 1 sowie den Exons 3 bis 15. Je nachdem in welchem Genabschnitt eine Mutation auftritt, wird die Bildung eines der beiden Enzyme oder beider Isoformen beeinflusst. Bei der Kondensation von Ring D ( -®Abb. 22.4) findet ein Austausch der Acetat- und Propionatseitenketten dieses Pyrrolringes statt, so dass das durch die asymmetrische Reihenfolge seiner Substituenten charakterisierte Uroporphyrinogen III entsteht. Daneben werden auch sehr geringe Mengen an Uroporphyrinogen I synthetisiert, bei dem diese Isomerisierung am Ring D nicht stattgefunden hat. Verantwortlich ftir diesen enzymatischen Schritt ist das Enzym PEG-Isomerase (Uroporphyrinogen-Cosynthase). Nachfolgend werden die Acetatgruppen aller vier Ringe unter dem Einfluss der cytosolischen Uroporphyrinogen-Decarboxylase zu Methylgruppen decarboxyliert. Das entstandene Koproporphyrinogen III tritt ins Mitochondrium tiber, in dem die Proprionatseitenketten der Ringe A und B zu Vinylseitenketten dehydriert und decarboxyliert werden. Bei dieser von dem Enzym Koproporphyrinogen-Oxidase katalysierten Reaktion wirkt molekularer Sauerstoff als Wasserstoffakzeptor. Das Enzym ist an der auBeren Oberflache der inneren Mitochondrienmembran lokalisiert und spezifisch flir das III-Isomer (-® Abb. 22.5). Das Porphyringertist wird durch die Abspaltung von insgesamt 6 Carboxylgruppen zunehmend hydrophober, was offenbar flir den spateren Einbau in das hydrophobe Innere von Proteinen wichtig ist. Im Anschluss an diese Veranderungen der Substituenten des Tetrapyrrols wird nun das Ringsystem selbst modifiziert. Durch enzymatische Dehydrierung der die einzelnen Ringe verbindenden Methylengrup652

I

22 Ham und Gallenfarbstoffe

pen entstehen 4 Methingruppen. Die flir diese Reaktion zustandige Protoporphyrinogenoxidase ist ein integrates Protein der inneren Mitochondrienmembran (-® Abb. 22.5). Aus einem nichtkonjugierten farblosen System mit 8 Doppelbindungen ist damit ein konjugiertes farbiges Tetrapyrrolsystem mit 11 Doppelbindungen gebildet worden.

Der Einbau von Eisen in das Protoporphyrin erfolgt durch die Ferrochelatase. Der nachfolgende Ferrochelatase-katalysierte Einbau von zweiwertigem Eisen an der Matrixoberflache der inneren Mitochondrienmembran vervollstandigt die Biosynthese von Ham ( -®Abb. 22.5). In der Bilanz ist damit aus jeweils 8 Molektilen Succinyl-CoA und Glycin sowie jeweils 1 Molektil molekularen Sauerstoffs und 1 Eisenatom 1 Molekiil Ham entstanden, wobei 4 Molektile Ammoniak, 14 Molektile Kohlendioxid, 8 Molekiile Coenzym A, 10 Molekiile Wasser sowie 8 Wasserstoffatome freigesetzt worden sind.

22.1.31 Ausscheidung von Porphyrinen und Porphyrinvorstufen Der Ausscheidungsweg wird durch die Wasserloslichkeit bestimmt. In geringen Mengen ki:innen die Porphyrinvorstufen o-Aminolavulinat (a-ALA) und Porphobilinogen (PBG) die Zellen verlassen, in das Blutplasma gelangen und in den Urin ausgeschieden werden. Uroporphyrinogen und Koproporphyrinogen sollten als Zwischenprodukte der Hambiosynthese ebenfalls tiber die Nieren in den Urin und/oder tiber die Galle in den Stuhl ausgeschieden werden. Tatsachlich sind im Urin jedoch vorzugsweise Uroporphyrin und Koproporphyrin (-® Abb. 22.6) nachweisbar, die entweder durch enzymatische Oxidation im Organismus oder - was wahrscheinlicher ist- spontan nach Exposition mit Luftsauerstoff entstehen. Zu diagnostischen Zwecken werden deshalb Urin- und Stuhlextrakte mit Verbindungen versetzt, die eine vollstandige Oxidation der Porphyrinogene zu den entsprechenden Porphyrinen bedingen. Die relative Verteilung eines Porphyrins zwischen Urin- und Stuhlausscheidung wird durch die Anzahl der Carboxylgruppen und damit die Wasserli:islichkeit der Verbindung bestimmt. Uroporphyrin, das 8 Carboxylgruppen und damit die hi:ichste Wasserli:islichkeit aufweist, wird vorzugsweise in den Urin ausgeschieden. Koproporphyrin besitzt 4 Carboxylgruppen und wird sowohl in den Urin als auch in den Stuhl ausgeschieden (griech. xo:rrpo~, Stuhl). Protoporphyrin, welches mit 2 Carboxylgruppen nur schwach wasserli:islich ist, wird nur mit der Galle ausgeschieden.

22 coo-

l

coo- CHz

I

I

~2

?Hz c-c

Propionat

II

Acetal

A

H C- C 21

N/

II

C- CH

2

OOC- CH2- C- C H c-c - CHz- COO 0 / NH HN 8 H C- C CHz- CHz-COO" -ooC - CH2- CH2- C- C

!

/ N

)

I

H2C- C C C- CH2

Propionat

II

II

c-

c

CHz

CHz

CH2

coo-

I

IPBG -Isomerase @ I

I

I . I

l

t-

coo-

Hydroxymethylbilan

Uroporphyrinogen Ill

Cytosol Mitochondrium

UroporphyrinogenDecarboxylase ®

CH2 CH3

CH

c-

c

I

II

4C02

II

coo-

I

A

l

II

H2C- C C- CH2 I N/ CH3- C C H C C- CH3 I D , NH HN 8 -ooC- CHz- CHz-C- C H C C- CH= CH2 /N I H C-C C- CH 2 II C II c-c

I

CH3 I c-

II A

II

H2C- C / CI N CHc C H 0 / NH HN -ooc- CH -CH - c c H 2 2 I /N H2C- C C C-

I

CH2 I CH2

CHz I CH2 I c

CH3

II

II

CH2 C- CH3 8

c

I CH2

c

c-c

I

I

coo-

I

CHJ

CH2

I

Protoporphyrinogen IX

CHz

I

coo-

ProtoporphyrinogenOxidase f"i'

6H

'-V

CH2

CH2

II

II

CH3

CH

CHJ

CH

C=

C

C=

C

I

I

I

I A I

I A I

HC = C I

N/

HC = C

C = CH

CH3- C C H C -C - CH3 D N N 8 OOC - CH2- CH2- C-C H C-C - CH= CH2 / N HC C C C- CH

I

I

II

II

I

2H

CHJ

\_) Ferrochelatase

c

I

2

2

HC

C= CH

c

I

c

II D

-ooC-CH - CH - C- C

@

N/

/ N

C - C- CH= CH2

/ N C C C- CH

II

II

c-

c

c-

c

CH2

CH3

CH2

CH3

I

I

I

CH2 I coo-

Protoporphyrin IX

C- CHJ 8

I

I

I

CH2

I

cooHam

Abb. 22.4. Biosynthese von Ham durch sukzessive Kondensation von 4 MolekOien PBG, mehrfache Decarboxylierung der Seitenketten, Dehydrierung des Ringsystems und anschlie~endem Einbau von zweiwertigem Eisen.Die lahlen geben mtigliche Enzymdefekte an.

22.1 Biosynthese des Hams

653

22 Cytosol

Koproporphyrinogen Ill

22.1.sl Regulation der Hambiosynthese Die Hambiosynthese in Leber und Knochenmark wird unterschiedlich reguliert.

Multienzymkomplex

Nur der erste Schritt der Hambiosynthese ist energieabhangig.

Die Regulation der Hambiosynthese erfolgt- wie haufig bei unverzweigten Biosynthesewegen - in den Hepatocyten der Leber liber das erste Enzym, in diesem Fall die o-Aminolavulinatsynthase (o-ALA-Synthase1). Flir Enzyme mit regulatorischer Funktion ist eine hohe Umsatzrate Voraussetzung, wenn die Regulation liber eine Anderung der Biosynthese- oder Abbaugeschwindigkeit des Enzyms erfolgen soil. So besitzt die o-ALA-S 1 auch nur eine sehr kurze Halbwertszeit von 60 Minuten. Als Endprodukt der Biosynthesekette reguliert Ham liber eine negative Rlickkoppelung die Aktivitat der o-ALA-Synthase. Ham kann seine Wirkung liber drei unterschiedliche Mechanismen entfalten (® Abb.22.l): .,. Repression der Enzymneusynthese, .,. Beeinflussung des Transportes neu synthetisierten Proenzyms vom Cytosol in das Mitochondrium tiber das hamregulatorische Element (S. 651) und .,. direkte allosterische Hemmung der Enzymaktivitat.

Von den 8 enzymatischen Schritten der Hambiosynthese ist praktisch nur der erste wegen der Spaltung des CoA-Thioesters im Succinyl-CoA energieabhangig. Aile librigen Schritte laufen ohne Aufwendung von Energie ab. Inwieweit die Transportvorgange zwischen Cytosol und Mitochondrium (und umgekehrt) flir die einzelnen Zwischenprodukte der Biosynthese Energie erfordern, ist noch unbekannt.

Durch Derepression (Induktion) kann die Enzymkonzentration bei Hammangel bis auf das flinfzigfache gesteigert werden. Die Konzentration an freiem Ham wird durch die Biosyntheserate, den Einbau in Hamoproteine und den Abbau durch die Hamoxygenase (s. unten) bestimmt. Deshalb beeinflussen diese Faktoren ebenfalls die Regulation der Hambiosynthese. So entziehen Stoffe wie

Mitochondrien· matrix

Abb. 22.5. Hypothetischer Multienzymkomplex fUr die letzten Schritte der Hambiosynthese. Die Enzyme Koproporphyrinogenoxidase (KPO), Protoporphyrinogenoxidase (PPO) und Ferrochelatase (FC) sitzen auf der inneren Mitochondrienmembran. Durch die Assoziation dieser drei Enzyme entsteht ein Kanal, der den Eintritt von Koproporphyrinogen in das Mi· tochondrium erlaubt. (Proto(porphyrino)gen; Proto(porphyrin)

22.1.41 Energiebedarf der Hambiosynthese

coo-

cool CH2 R H

I

l

I

CH2



I

cc H II A II H- C- C C- C- H I ' N/ I R -C = C H C= C - R

I D>H H H< C=8C-CHc I -ooC- CH - CH - C= C 2

2

/ N'-

1

H- C- C

I

CH2

I

C

I

I A I

CHc Coo-

I

CH - C R - C-C D / NH -ooC-CH -CH -C- C

N/

I

2

2

N

CH- Cf

CH2

I

CH2

CH2

coo-

coo-

C I R

I

I

Uroporphyrinogen Ill :

I

C= CH

I C I I

R

C= CH I C= C- R HN/ 8 C= C-CH2-CH2-Coo-

I

C=

H

I

C=

I

6H

C- C- H

I C II H cc

R

CH2 I CH2

R

Koproporphyrinogen Ill : R

CH2 - Coo-

Uroporphyrin Ill :

R

CH2 - coo-

CH3

Koproporphyrin Ill :

R

CH3

(nicht konjugiertes, farbloses Ringsystem, nicht photosensibilisierend)

(konjugiertes, farbloses Ringsystem, photosensibilisierend)

Abb. 22.6. Biosynthese von Uroporphyrin Ill (mit Acetatseitenketten) und Koproporphyrin Ill (mit Methylseitenketten) aus Uroporphyrinogen Ill bzw. Koproporphyrinogen Ill 654

I

22 Ham und Gallenfarbstoffe

22 z. B. Barbiturate, die die Cytochrom P450 -Synthese induzieren, Ham dem freien Pool und stimulieren damit indirekt die a-ALA-Synthase- I. In den jungen Erythroblasten des Knochenmarks wird die Aktivitat des Schliisselenzyms a-ALA-Synthase-2 aufgrund der notwendigen Koordination mit der Biosynthese der a- und /3-Globinketten und der Verfiigbarkeit von Eisen unterschiedlich reguliert. Auch hier kann Ham den Transport der Pro-a-ALA-Synthase-2 in das Mitochondrium iiber hamregulatorische Elemente (s. o.) hemmen. Da die Promotorregion aber zudem strukturelle Verwandtschaft mit der des Ferrochelatasegens und der Globinkettengene aufweist, werden diese Gene durch Erythropoietin (S. 928) induziert. Weiterhin bedingt die Existenz der eisenempfindlichen Elemente (S. 706) in der mRNA nicht nur der a-ALA-S 2, sondern auch des Ferritins und des Transferrinrezeptors, dass ein Eisenmangel (S. 709) eine Hemmung der Translation der a-ALA-S 2- und Ferritin-mRNA und die gleichzeitige Stabilisierung der Transferrinrezeptor-mRNA mit erhohter Translation bewirkt.

Abb. 22.7. Bildung von Ringsideroblasten bei der sideroblastischen Anamie (Berliner Blau-Farbung). (Aufnahme von R. Baumgart, Klinikum GroBhadern, MUnchen)

anderen Enzymen der Hambiosynthese primiire Porphyrien verursachen. Erworbene Porphyrien werden als sekundiire Porphyrien bezeichnet.

KERNAUSSAGEN ~

~

~

~

~ ~

Ham (Eisen porphyrin) kommt in einerVielzahl von Proteinen des Organismus vor, in denen es am Sauerstoffund Elektronentransport oder am Abbau von Wasserstoffperoxid beteiligt ist. In der Zelle wird das Hamgerust in einer auf zwei Zellkompartimente verteilten Stoffwech~elkette aus Succinyi-CoA und Glycin synthetisiert. Die Regulation der Hambiosynthese unterscheidet sich in der Leber und im Knochenmark, da bei der Hamoglobinbildung in den Erythroblasten eine Koordination mit der Synthese der a- und ,8-Giobinketten und dem Eisenstoffwechsel erforderlich ist. Ermoglicht wird dies dadurch, dass das erste Enzym der Hambiosynthese, die c)-AlA-Synthase, in zwei lsoenzymformen (5 1 und 5 2) vorkommt. Beide Enzyme werden durch das Endprodukt Ham gehemmt. Zusatzlich verfugt die mRNA des knochenmarkspezifischen 5 2-lsoenzyms uber eisenempfindliche Elemente,die auch in den mRNAs des Ferritins und des Transferrinrezeptors vorhanden sind, so dass eine koordinierte Expression dieser Proteine moglich ist.

22 .2 1 Pathobiochemie:

Storungen der Hambiosynthese

Storungen des ersten und geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes der Hambiosynthese, der a-ALASynthase-2 im Knochenmark, fiihren zur sideroblastischen Aniimie, wohingegen genetische Mangel an den

22.2.1 Sideroblastische Anamie Eine Storung der o-ALA-Synthase-2 im Knochenmark fi.ihrt zur Akkumulation von Eisen in den Erythroblasten. Diese Anamie hat ihren Namen von der Akkumulation von Eisen in den Mitochondrien erhalten, die ringformig urn den Zellkern angeordnet sind t Abb. 22.7). Der relative Eiseniiberschuss kommt durch die verringerte Protoporphyrinbiosynthese aufgrund eines Defektes der a-ALA-S 2 zustande. Bei einer Familie erbrachte die genetische Analyse eine Punktmutation von Threonin zu Serin (T 388 S), wodurch die Bindung des essentiellen Cofaktors Pyridoxalphosphat an das Enzym reduziert wird. Ein vermehrtes Pyridoxinangebot kann bei diesen Patienten zu einer Steigerung der a-ALA-S 2-Aktivitat fiihren.

22.2.21 Angeborene Porphyrien Die Reduktion der Bildung des Endproduktes Ham fi.ihrt zu einer Enthemmung der a -ALA-Synthase. Die Porphyrien stellen eine Gruppe genetischer Erkrankungen dar, die durch spezifische Defekte einzelner Enzyme der Hambiosynthese verursacht werden. Bei den heterozygoten Varianten der Erkrankungen ist ein Allel durch eine Mutation defekt, so dass auch die Expression des normalen Allels die Enzymaktivitat zwar aufrecht22.2 Pathobiochemie: Storungen der Hambiosynthese

655

22

[HAMJ~ (3l ( ) "~'!r '~"''t,.,

(6)

(6)

Abb. 22.8. Molekularpathogenese des erhi:ihten Anfalls von Porphyrinvorstufen: der partielle Enzymdefekt (1), fuhrt zu einem Abfall der Hamkonzentration (2), der eine Stimulierung der a-ALA-Synthase (3) bewirkt, wodurch der Defekt kompensiert wird. Wird die a-ALA-Synthase (3) durch erhi:ihten Hambedarf aber stark stimuliert, dann werden a-ALA (4) und PBG (5) in solch hohen M engen gebildet, dasss iedurch den,,Fiaschenhals" des Enzymdefektes (1) nicht vollstandig weiter verwertet werden ki:innen und deshalb die Zelle verlassen mussen (6)

erhalten wird, aber auf 50% reduziert ist. Diese Reduktion der Enzymaktivitat fiihrt tiber eine Verminderung der Konzentration von Ham, das die o-ALA-Synthase hemmt, zu einer Aktivitatssteigerung dieses Schrittmacherenzyms der Hambiosynthese ( ~Abb. 22.8). Dadurch wird die Hambiosynthese unter Normalbedingungen aufrechterhalten. Wird sie aber durch einen vermehrten Verbrauch (z. B. durch Induktion von Cytochrom P450-Enzymen) deutlich gesteigert, dann konnen die Porphyrinvorstufen aufgrund der auf 50% reduzierten Enzymaktivitat nur noch teilweise verwertet werden. Sie treten deshalb aus den produzierenden Zellen in den Extrazellularraum tiber und werden in Geweben (Haut, Knochenmark, Leber) abgelagert oder in den Urin und die Galle ausgeschieden.

Die Art der akkumulierenden Zwischenprodukte bestimmt die klinische Symptomatik. Neurologische Symptome und Hauterscheinungen bestimmen die Klinik der Porphyrien. Sind bei den Erkrankungen Porphyrinvorstufen erhoht, so treten meist neurologische Symptome auf. Erhohungen der Uro- und Koproporphyrine sind durch Hautlasionen an lichtexponierten Stellen charakterisiert. Zu den neurologischen Dysfunktionen zahlen neuroviszerale Beschwerden (akutes Abdomen, Obstipation, Dbelkeit, Erbrechen, Rtickenschmerzen) sowie neuropsychiatrische Symptome (Krampfanfalle, Koma, Halluzinationen, Lahmungen, Areflexien). Obwohl abdominelle Beschwerden im Vordergrund stehen, kann jeder Teil des Nervensystems betroffen sein. Als Ursache der neurologischen Manifestationen wird ein Dberschuss an aAminolavulinat oder Porphobilinogen oder ein Mangel an Ham diskutiert. Da o-Aminolavulinat strukturell mit y-Aminobutyrat verwandt ist und einen par-

I

22 Ham und Gallenfarbstoffe

CH2

I

~-llf!:::J[PBG] f (5)

656

coo-

CH2 I CH2 C= O

~

Tetrapyrrol

coo(

Succinyi-CoA + Glycin

CH2 I +NH3 a- ALA

I CH2

I I

CH2 I +NH3

GABA

Abb. 22.9. Strukturelle Ahnlichkeit von a-ALA und GABA

tiellen Agonisten der GABA-Wirkung (S. 1071) darstellt, wird eine Wirkung tiber eine Interferenz mit diesem inhibitorischen Neurotransmitter diskutiert ( ~Abb. 22.9). Symptome wie Koma oder Krampfanfalle konnten damit erklart werden. Auf der anderen Seite konnte ein Mangel an Ham z. B. die Biosynthese mitochondrialer Cytochrome beeintrachtigen und damit einen ATP··Mangel hervorrufen.

Erhohungen der Porphyrinkonzentration verursachen Hautlasionen. Wahrend die Porphyrinogene (o-Aminolavulinat, Porphobilinogen, Uroporphyrinogen I und III, Koproporphyrinogen I und III und Protoporphyrinogen IX) ungefarbt sind, sind die Porphyrine (Uroporphyrin I und III, Koproporphyrin I und III sowie Protoporphyrin IX und Ham) aufgrund der konjugierten Doppelbindungen farbig. Die Porphyrine zeigen sowohl im sichtbaren (800-380 nm) als auch im ultravioletten (380- 180 nm) Bereich des Spektrums ein spezifisches Absorptionsverhalten. Charakteristisch ist die Absorption bei etwa 400 nm, die nach ihrem Entdecker als Soret-Bande bezeichnet wird. Bei Bestrahlung mit UVLicht zeigen Porphyrine eine rote Fluoreszenz, die auch als Grundlage fi.ir Nachweisreaktionen dienen kann. Kopro- und Uroporphyrine besitzen andere Absorptionsspektren als Ham, da mit der Komplexbildung mit Metallionen eine Anderung der Absorption im sichtbaren Bereich des Spektrums einhergeht. Wie auf S. 992 besprochen, tritt eine weitere Veranderung des Absorptionsspektrums ein, wenn z. B. im Hamoglobin Sauerstoff angelagert wird (unterschiedliche Farbe arteriellen und venosen Bluts). Diese Eigenschaften der Porphyrine erklaren auch, warum ihre Ablagerung in der Haut zu lokalen Schadigungen durch Photosensibilisierung fiihrt. Die Porphyrin-induzierte Photosensibilitat manifestiert sich normalerweise auf zwei Wegen: .,.. einer erhohten Fragilitat der lichtexponierten Haut, insbesondere der Regionen, die den Handrticken und die Unterarme bedecken und .,.. einer akuten Rotung, Brennen und Jucken der lichtexponierten Haut, besonders im Gesicht und den Handinnenflachen. Diese unterschiedlichen Manifestationen sind wahrscheinlich darauf zuri.ickzufiihren, dass das hydropho-

22 be Protoporphyrin in anderen subzelluHiren Strukturen der Zelle akkumuliert als die hydrophilen Uro- und Koproporphyrine. Protoporphyrin hauft sich vorwiegend in Mitochondrien an, in denen es normalerweise unter Aufnahme von Eisen in Ham iiberftihrt wird. Aufgrund seiner Hydrophobizitat soil Protoporphyrin in biologischen Membranen interkalieren. Im Gegensatz dazu akkumulieren Uroporphyrine vorwiegend in Lysosomen. Die photosensibilisierenden Wirkungen der Porphyrine sind auf ihre Eigenschaft, Licht zu absorbieren, zuriickzufiihren. Am wirksamsten ist die Wellenlange im UV-A-Bereich urn 400 nm, durch die die Elektronen des Porphyrins in einen angeregten Zustand iiberfiihrt werden, von dem sie auf ihr urspriingliches Niveau zuriickfallen und dabei einen Teil der Energie auf molekularen Sauerstoff iibertragen. Aktivierter Sauerstoff kann die Zelle tiber verschiedene Mechanismen schadigen, wie z. B. die Peroxidation von Membranlipiden, die Vernetzung von Proteinen oder Schadigung von Nucleinsauren (S. 551). Die Schadigung von Membranen der Lysosomen, die Uroporphyrine enthalten, kann zu einer Freisetzung von Hydrolasen und Proteasen in das Cytosol und damit zu einer Selbstverdauung der Zelle fiihren. Das Licht mit einer Wellenlange urn 400 nm, welches Porphyrine anregt, durchdringt normales Fensterglas, so dass die Photosensibilisierung durch Fenster von Hausern, Biiros und

Automobilen erfolgen kann. Die Wellenlange des UVB-Bereiches (urn 280-315 nm) wird dagegen durch Fensterglas absorbiert. Damit konnen sich Patienten mit Porphyrien vor einer Photosensibilisierung nicht dadurch schiitzen, dass sie sich vorwiegend in Hausern aufhalten.

Die Molekularpathologie der Porphyrien wird zunehmend besser verstanden. Genetisch determinierte Defekte aller Enzyme der Hambiosynthese sind bekannt ( Tabelle 22.1) .Da die eDNA oder auch genomische DNA aller Enzyme kloniert ist, kann die Molekularpathologie dieser Erkrankungen jetzt genau analysiert werden. Die bisherigen Analysen zeigen, dass - in Einklang mit den klinischen Beobachtungen - die molekularen Veranderungen sich von Patient zu Patient erheblich unterscheiden konnen. Ahnlich wie bei den Thalassamien (S. 349) finden sich auf molekularer Ebene eine extreme Heterogenitat: die Mutationsanalyse zeigt eine Fiille verschiedener Mutationen bei Gentragern dieser Erkrankungen. Wahrend friiher zwischen erythropoetischen und hepatischen Porphyrien unterschieden wurde, besprechen wir die einzelnen Porphyrien nach dem verursachenden Enzymdefekt, da es sich herausgestellt hat, dass es sich urn Krankheiten handelt, die den gesamten

Tabelle 22.1. Angeborene Porphyrien

Porphyrie

s.bdrllt

Enzym (Genlocus)

6-Aminolavulinat ALA-Dehydratase

6-ALA-DehydrataseMangel (ADM)

Q)

(Chromosom 9) Porphobilinogen PBG-Desaminase

akute intermittierende Porphyrie (AlP)

®

(Chromosom 11q24)

Hlufigkelt

Vererbungs-

extrem selten

rezessiv

+

+

haufig 10/100.000

dominant

+

+

sehr selten

rezessiv

+

haufig

dominant

+

dominant

+

modus

Photo- neurologisdle Symptomatlk sensiblllneuroneurosierung viszeral psychiatrisch

Hydroxymethylbilan kongenitale erythropoetische Porphyrie (KEP)

Uroporphyrinogen-~

Co-Synthase 4 (Chromosom 10q2S) Urporphyrinogen Ill UroporphyrinogenDecarboxylase (Chromosom 1p34)

Porphyria cutanea tarda

®

(PCT)

hepatoerythropoetische Porphyrie (HPP) Koproporphyrinogen hereditare Koproporphyrie (HKP)

Koproporphyrinogen111-Abb. 22.15), die dadurch Energie gewinnen. Nach Abspaltung der Glucuronatreste (durch eine ti-Glucuronidase) erfolgt die schrittweise Reduktion zum Stercobilinogen (lat. stercus, Stuhl). Zuerst entstehen durch Hydrierung der Vinylgruppen zu Ethylgruppen (entspricht einer Umkehrung der Dehydrierung dieser 664

I

22 Ham und Gallenfarbstoffe

c

I

CH2 I

c

A CH / ' OH H

Stercobilin (orange-gelb) Abb. 22.15. Abbau von Bilirubin zu Stercobilin

22 funktionellen Gruppe bei der Hambiosynthese) das Zwischenprodukt Mesobilirubin (griech. f.1EOOI;, zwischen) und durch Hydrierung der Methingruppen (- CH =) zwischen den Ringen A und D sowie B und C zu Methylengruppen das Zwischenprodukt Mesobilirubinogen. Diese Uberftihrung von Doppel- in Einfachbindungen ist mit einem Verlust der Farbe verbunden. Durch einen weiteren Hydrierungsschritt (an den Pyrrolringen A und B) entsteht Stercobilinogen, das durch Dehydrierung der Methylengruppe am Ring D zu einer Methingruppe (Umkehrung der Biliverdinreductasereaktion) in Stercobilin tiberftihrt wird (Ausscheidung etwa 40-280 mg/Tag). Bei Sterilisierung des Darms unter hochdosierter oraler Antibiotikatherapie kann die Vernichtung der Anaerobier die Ausscheidung von chemisch unverandertem Bilirubin verursachen, das durch Oxidation bei Zutritt von Luftsauerstoff in Biliverdin umgewandelt wird (griinliche Verfiirbungdes Stuhls). Ein Teil des Stercobilinogens wird durch bakterielle Enzyme weiter in Dipyrrole zerlegt (Mesobilifuchsin, Bilifuchsin). Stercobilin und diese Dipyrrole tragen zur normalen Stuhlfarbe bei. Bei verschiedenen Produkten, die aus Bilirubin im Darm entstehen, werden bis zu 20% reabsorbiert und tiber die Pfortader der Leber zugefiihrt, wo sie erneut ausgeschieden werden (enterohepatischer Kreislauf). Ein geringer Teil gelangt tiber das Blut zu den Nieren, wo es als Urobilin oder Urobilinogen in den Urin ausgeschieden wird (im Mittel etwa 0,64 mg, maximal4 mg/24-h-Urin). Bei Leberfunktionsstorungen werden diese Produkte vermehrt in den Urin ausgeschieden.

22.3.41 Hamoglobin- und Bilirubinumsatz

! Taglich werden etwa 250 mg Gallenfarbstoffe produziert.

Geringe Mengen von Hamoglobin werden standig aus gealterten, im Blut zirkulierenden Erythrocyten in das Plasma freigesetzt und dort an a 2-Haptoglobin gebunden. Dieses Protein besteht aus 2 a -(83 Aminosauren) und (3-(245 Aminosauren) Untereinheiten, von denen die (3-Untereinheit Homologie mit Serinproteasen aufweist. Der Hamoglobin-Haptoglobin-Komplex wird schnell durch Aufnahme in das reticuloendotheliale System aus dem Blut geklart (Halbwertszeit 1030 min), wohingegen die Halbwertszeit freien Haptoglobins etwa 5 hbetragt. Aus Hamoglobin freigesetztes Ham wird an das Protein Hiimopexin gebunden und Iangsam aus dem Blut geklart (Halbwertszeit 7- 8 h). Da Hamoglobin den bei weitem groBten Teil des Hams im Organismus enthalt, entspricht die tagliche Ausscheidung an Gallenfarbstoffen ungefahr der Menge an Hamoglobin, das taglich gebildet und abgebaut wird. Im Hamoglobin entspricht der Porphyrinanteil (nach Abzug des Eisens) 3,5 % des Hamoglobinge-

wichts, d. h. beim Abbau von 1 g Hamoglobin entstehen 35 mg Bilirubin. Bei einem Erwachsenen mit 70 kg Korpergewicht betragt der tagliche Hamoglobinumsatz etwa 90 ftmol (6,25 g) oder 1,3 ftmol!kg Korpergewicht. Das bedeutet, dass taglich etwa 220 mg oder 380 ftmol Bilirubin beim Abbau von Hamoglobin entstehen. Dazu kommen das beim Abbau von anderen Hamoproteinen (Myoglobin, Cytochrome) freigesetzte Bilirubin sowie die Nebenprodukte der Hambiosynthese. Damit erhoht sich die Gesamtproduktion von Gallenfarbstoffen beim Menschen auf etwa 250 mg.

22.4 Pathobiochemie: Storungen

des Bilirubinstoffwechsels

Ein lkterus tritt als Folge einer Hyperbilirubinamie auf. Steigt der Gehalt an Gesamtbilirubin tiber eine Konzentration von 2-3 mg/100 ml (34-51 ftmol!l) Plasma an, so liegt eine Hyperbilirubiniimie vor und das Bilirubin tritt in die Gewebe tiber. Die damit verbundene Gelbverfarbung der Haut und Skleren bezeichnet man als Gelbsucht oder Ikterus. Beim Vorliegen eines Ikterus wird als erstes untersucht, ob die Bilirubinamie direkter oder indirekter Natur ist. Dadurch konnen Hamolysen oder gestorte hepatische Konjugationen von hepatobiliaren Erkrankungen unterschieden werden. Eine Gelbsucht kann die Folge einer gesteigerten Bildung von Bilirubin sein, die die Ausscheidungskapazitat der gesunden Leber iibersteigt, oder Folge der Unfiihigkeit einer geschadigten Leber sein, das in normalen Mengen produzierte Bilirubin auszuscheiden. Bei einem Verschluss der ableitenden Gallenwege, der zu einer Unterbrechung des Gallenflusses und damit der Bilirubinausscheidung fiihrt, kommt es ebenfalls zur Hyperbilirubinamie. Je nachdem, welcher Mechanismus der BilirubinerhOhung zugrunde liegt, wird zwischen hamolytischem, hepatocellularem und Verschlussikterus unterschieden. Oft gibt es auch Mischformen dieser Gelbsuchtsarten.

22.4.1 I Erworbene Hyperbilirubinamien Der erhohte Abbau von Erythrocyten kann zum lkterus flihren. Aile Zustande, die mit einem erhohten Abbau von Erythrocyten (hamolytische Krisen) einhergehen, fiihren zu einer gesteigerten Bildung der Abbauprodukte des Hams, d. h. der Gallenfarbstoffe. trbersteigt die Bilirubinbildung die Glucuronidierung und anschlieBende Ausscheidung in die Galle, so kommt es zur Hyperbili22.4 Pathobiochemie: Stiirungen des Bilirubinstoffwechsels

665

22 rubinamie und damit zum hamolytisch bedingten Ikterus, bei dem das nichtkonjugierte (d. h. an Albumin gebundene) Bilirubin im Plasma erhOht ist (prahepatischer Ikterus).

Schadigung der Hepatocyten beeintrachtigt den Bilirubinstoffwechsel. Medikamente oder Hepatitisviren (S. 318) ftihren zu einer Schadigung der Leberparenchymzelle mit Storungen des Bilirubinexports in die Gallenkapillaren (Erhohung des konjugierten Bilirubins). Oft ftihren dabei auch die akut entztindlichen Veranderungen zu einer mechanischen Beengung intrahepatischer Gallenkapillaren mit nachfolgendem intrahepatischem Gallenstau (intrahepatischer Ikterus). Bei einer Blockade der ableitenden Gallenwege in bzw. nach der Leber kommt es in den Leberzellen zu einem Stau des Bilirubins, das weiterhin von der arteriellen Seite her aufgenommen und glucuronidiert wird. Durch Rtickstau tritt das glucuronidierte Bilirubin in die Interzellularspalten, die Lymphgefa6e und die ableitenden Lebervenen tiber (posthepatischer Ikterus). Bei Neugeborenen konnen spezielle Ikterusformen auftreten. Verglichen mit dem Erwachsenen hat jedes Neugeborene eine Hyperbilirubinamie, und etwa 50 o/o aller Neugeborenen sind innerhalb der ersten 5 Lebenstage ikterisch. Normalerweise steigt bei Neugeborenen der Bilirubinspiegel innerhalb der ersten 3 Tage von 1 his 2 mg/100 ml (17-34 ~mol!l) auf 5-6 mg/100 ml (85-102 ~mol!l) (vorwiegend an Albumin gebunden) und fallt dann innerhalb von einer Woche auf Normalwerte ab. Dieser physiologische Ikterus ist das Resultat einer erhohten Produktion (infolge des Abbaus von HbF-haltigen Erythrocyten), die der Reifung der Ausscheidungsmechanismen in der Leber zeitlich vorangeht. Kommt es wahrend dieser Periode jedoch zu einer starkeren Hamolyse (z. B. bei einer RhInkompatibilitat, S. 1006), so tritt ein pathologischer Neugeborenenikterus auf, der bei Nichtbehandlung mit Austauschtransfusionen zur Schadigung bestimmter Hirnkerne (deshalb auch als Kernikterus bezeichnet) ftihren kann.

Durch photochemische Behandlung kann Bilirubin in ein polareres Derivat i.iberfi.ihrt werden. Die Phototherapie des Neugeborenen zur Behandlung der unkonjugierten Hyperbilirubinamie hat sich als sicher und wirkungsvoll erwiesen, wenn die Serumbilirubinkonzentrationen tiber 5 mg/100 ml liegen. Die Bestrahlung mit blauem Licht im Frequenzbereich von 400 bis 500 nm ftihrt zu einer Photoisomerisierung des Bilirubins und zu einer nachfolgenden Ausscheidung des unkonjugierten Bilirubins in die Galle. Entweder einer oder beide der au6eren Pyrrolringe des Bilirubins IX a (Z,Z, Abb. 22.16)- des nattirlich auftretenden Isomers - schlagt urn, was zur Bildung einer Mischung instabiler Isomere ftihrt (Z,E; E,Z; E,E). Diese 666

I

22 Ham

und Gallenfarbstoffe

Photoisomere, die man ingesamt als Photobilirubin bezeichnet, konnen keine intramolekularen Wasserstoffbindungen bilden, die fUr das Z,Z-Isomer charakteristisch sind. Demzufolge ist Photobilirubin polarer als Bilirubin und kann deshalb leicht in die Galle ausgeschieden werden, ohne dass es daftir mit Glucuronsaure konjugiert werden mtisste. Die photochemische Umwandlung des Bilirubins in Photobilirubin durch blaues Licht soU direkt in der Haut und in subcutanen Geweben (und nicht in der Mikrozirkulation) erfolgen, von wo es in das Blut freigesetzt wird. Wahrend Photoisomere nach Photoaktivierung aus der Haut freigesetzt werden, werden sie gleichzeitig mit Bilirubin IX a aus dem Plasma ersetzt, so dass schlie6lich die Gesamtplasmabilirubinkonzentration abfallt. Der relative Anteil der einzelnen unter der Phototherapie entstehenden Isomere (einschlie6lich der schnell ausgeschiedenen Cycloformen der E,Z und E,E-Isomere) ist zwar nicht bestimmt worden, aber insgesamt machen sie etwa 15 o/o des Gesamtbilirubingehalts bei ikterischen Neugeborenen aus. Photobilirubin wird an Albumin im Plasma gebunden, in der Leber aufgenommen und ohne Konjugierung in die Gallenwege sezerniert. In der Galle fallen die instabilen geometrischen Isomere wieder in die stabile Bilirubin X a-Form zurtick, die Wasserstoffbrtickenbindungen aufweist, und gelangen dann in den enterohepatischen Kreislauf. Da Photobilirubin sogar bei der niedrigen Intensitat des normalen Tageslichts gebildet wird, werden geringe Mengen der Photoisomere wahrscheinlich stets gebildetund von ikterischen Kindem und Patienten mit unkonjugierter Hyperbilirubinamie, wie z. B. bei der Crigler-Erkrankung (s. u.), ausgeschieden.

22.4.21 Angeborene Hyperbilirubinamien Ein genetischer Defekt der UDPGiucosyltransferase fi.ihrt zur Hyperbilirubinamie. Beim Morbus Meulengracht (Gilbert-Syndrom) tritt eine vorwiegend unkonjugierte Hyperbilirubinamie (bis 6 mg/100 ml) auf, wobei das Gesamtbilirubin oft erst unter Belastung (Nahrungskarenz, Infekte, Medikamente) ansteigt. Ursachen dieser Hyperbilirubinamie sind Mutationen im Bereich des Promotoranteils (milde Form) bzw. Strukturanteils (z. B. G71R, schwerere Form) des UDP-Glucuronyltransferase I-Gens. Beim Crigler-Najjar-Syndrom werden zwei Formen (I und II) unterschieden: ~ Die extrem seltene autosomal-rezessive Form I mit hochgradiger Hyperbilirubinamie (428-769 ~mol/l oder 25-40 mg/100 ml), die therapierefraktar ist, so dass die Kinder an Kernikterus sterben ~ autosomal-dominante Form II, die mit Plasmabilirubinwerten von 103 his 428 ~mol/l (6-25 mg/ 100 ml) einhergeht.

22

z,z

~

'eo'

/

/

Abb. 22.16. Die Ausscheidung unkonjugierten Bilirubins in die Galle wird durch die Bestrahlung mit blauem Licht im Wellenbereich von 400 bis 500 nm erleichtert. Das natlirlich vorkommende Z,Z-Isomer ist schwer liislich. Photoisomere dagegen,die durch eine Umstellung von Ring A (zur Bildung des E,Z-Isomers), Ring B(zur Bildung des Z,E-Isomers) oder der

Ringe A und B(um das E,E-Isomer zu bilden) entstehen, sind polarer. Deshalb kiinnen sie ohne vorherige Konjugierung durch den Hepatocyten transportiert und in die Galle ausgeschieden werden. ln der Galle bilden sich diese Photoisomere Ieicht zur Z,Z-Form zuriick

Wiihrend normalerweise mehr als 90 o/o des konjugierten Bilirubins als Diglucuronid ausgeschieden werden, ist beim Crigler-Najjar-Syndrom II das Monoglucuronid das Hauptausscheidungsprodukt. Eine Besserung kann bei dieser Variante durch Phenobarbitalbehandlung erreicht werden, was dafiir spricht, dass bei der Form II nur eine partielle Storung des Glucuronidierungssystems vorliegt. Die Analyse des Gens von Patienten hat auch hier eine molekulare Heterogenitiit (mehr als 50 verschiedene Mutationen) erbracht: so z. B. den Verlust von 13 Basenpaaren (Exon 2) oder eine Punktmutation, die zum vorzeitigen Kettenabbruch fiihrt (bei Form I) oder eine Aminosiiuresubstitution bei Form II.

Genetische Defekte des Bilirubintransportes rufen ebenfalls eine Hyperbilirubinamie hervor. Beim Dubin-]ohnson- und Rotor-Syndrom liegen Mutationen im MRP2-Gen (S. 1115) des Bilirubintransports durch den Hepatocyten vor. Das Dubin-Johnson-Syndrom ist durch eine chronische oder intermittierende Gelbsucht mit einer Erhohung des konjugierten oder unkonjugierten Bilirubins gekennzeichnet. Charakteristisch sind gro6e Mengen eines gelbbraunen oder schwarzen Pigments in den hepatischen Lysosomen, dessen chemische Zusammensetzung noch nicht gekliirt ist. Das Rotor-Syndrom ist durch eine chronische konjugierte Hyperbilirubinamie charakterisiert.

22.4 Pathobiochemie: Stiirungen des Bilirubinstoffwechsels

667

22 Ein geringer Prozentsatz dieser Produkte kann in einem enterohepatischen Kreislauf reabsorbiert und wieder Ober Leber oder Nieren (als Urobilinogen) ausgeschieden werden. ~ Erhohungen des Bilirubinspiegels treten bei ObermaBigem Abbau von Erythrocyten, Leberfunktionsstorungen oder Galleabflussstorungen aus der Leber in den Darm auf. ~ Da bei Neugeborenen die Blut-Him-Schranke ffir Bilirubin noch durchlassig ist, konnen starke Bilirubinerhohungen bei ihnen zu Hirnschadigungen ffihren, wenn die BilirubinerhOhung nicht durch Phototherapie beherrscht wird. ~

KERNAUSSAGEN Beim Abbau von Hamproteinen wird Ham freigesetzt und in Makrophagen zu Bilirubin abgebaut. ~ lm Blutplasma wird Bilirubin entweder in Bindung an Albumin (unkonjugiertes oder indirektes Bilirubin) transportiert oder in glucuronidierter Form (konjugiertes oder direktes Bilirubin) gelost. ~ Bilirubin wird mit der Galle in den Darm ausgeschieden, woes durch ortsstandige Bakterien weiter abgebaut wird. ~

SCH LOSSELBEGRIFFE o-Aminolavulinat o-Aminolavulinatsynthase Bilirubin Bilirubin-Diglucuronid Biliverdin Ferrochelatase Gallenfarbstoffe

Hambiosynthese Hamoglobinumsatz Hyperbilirubinamie lkterus Koproporphyrinogen Porphobilinogen Porphyrien

Literatur Obersichtsarbeiten BORLAK J, THUM T, LANDT 0, ERB K, HERMANN R (2000) Molecular diagnosis of a familial nonhemolytic hyperbilirubinemia (Gilbert's syndrome) in healthy subjects. Hepatology 32: 792-795 KAKADOL A et al (2000) Genetic lesions ofbilirubin-diphosphoglucuronate glucuronosyltransferase (UGTlA1) causing Crigler-Najjar and Gilbert syndromes: correlation of genotype to phenotype. Hum Mutat 16:297-306 KAMASIKO T et al (2000) Recent advances in bilirubin metabolism research: the molecular mechanism of hepatocyte transport and its clinical relevance. J Gastroenterol 35: 659-664 KEPPLER D, KONIG J (2000) Hepatic secretion of conjugated drugs and endogeneous substances. Semin Liver Dis 20: 265-272 MEERMAN L (2000) Erythropoietic protoporphyria: an overview with emphasis on the liver. Scand J Gastroenterol Suppl. 232: 79-85 PETRIDES PE (1998) Acute intermittent porphyria: mutation analysis and identification of gene carriers in

668

I

22 Ham und Gallenfarbstoffe

Protoporphyrinogen Pyridoxal phosphat Sideroblastische Anamie Stercobilin UDP-Giucuronyl-Transferase Uroporphyrinogen

a German kindred by PCR-DGGE analysis. Skin Pharmacol Appl Skin Physiol11: 374-380 PETRIDES PE, GANTEN D, RucKPAUL L (Hrsg.) (2000) Akute intermittierende Porphyrie. In: Handbuch der Molekularen Medizin 6: 442-453 Springer-Verlag, Heidelberg, New York PETRIDES PE (1997) Akute intermittierende Porphyrie. Dt.Arzteblatt 94:A3407-3412 THOMPSON, R, }ANSEN PL (2000) Genetic defects in hepatocanalicular transport. Semin Liver Dis 20: 365-372 THUNELL S (2000) Porphyrins, porphyrin metabolism and porphyrias.l. Update Scand J Clin Lab Invest 60: 509-540 THUNELL S, HARPER P, BROCK A, PETERSEN NE (2000) Porphyrins, porphyrin metabolism and porphyrias. II. Diagnosis and monitoring in the acute porphyrias. Scan J Clin Lab Invest 60: 541-5606

Websites www.porphyries.com.fr (franzosische Porphyrie-Site) www.enterprise.net/apf/ (Amerikanische PorphyrieFoundation) www.akuteporphyrie.de (deutsche Porphyrie-Site)

Stoffwechsel des Organism us: Bedeutung von Nahrungskomponenten

23 24

25

Ernahrung Spurenelemente Vita mine

673 697 721

Ernahrung P.

23.1 23.1.1 23.1 .2

23.2 23.2.1 23.2.2

23.3 23.4 23.4.1 23.4.2 23.4.3 23.4.4 23.5 23.5.1 23.5.2 23.5.3 23.5.4 23.5.5 23.6 23.6.1 23.6.2 23.6.3 23.6.4 23.6.5

E. PETRIDES I G. WOLFRAM

Ernahrungsmedizin Die aktuelle Ernahrungssituation und ihre Folgen Konsequenzen fi.ir die Ernahrungsmedizin Die Lebensmittel Einteilung und gesetzliche Bestimmungen Verarbeitung,Abbau und Resorption von Lebensmitteln Der Ernahrungszustand Energiebilanz Energieumsatz Methoden zur Messung des Energieumsatzes Positive Energiebilanz Negative Energiebilanz Einzelne Nahrstoffe Proteine Kohlenhydrate Lipide Ethanol Ballaststoffe Nahrstoffzufuhr Referenzwerte fi.ir die Nahrstoffzufuhr Vollwertige Ernahrung Ernahrung in besonderen Lebenssituationen Alternative Ernahrungsformen Ki.instliche Ernahrung

674 674 674 675 675 676 676 677 677 680 681 682 684

684 687 687 688 690 690 690 690 692 692 693

23 ~-~·

In eI u ng

Der Mensch nimmt im laufe seines Lebens uber SOTonnen lebensmittel auf.Neben der Atmung tritt der Mensch durch diese Nahrungszufuhr am intensivsten mit seiner Umwelt in Kontakt. Daraus Iasst sich ableiten, dass die Ernahrung fUr die Gesundheit und leistungsfahigkeit des Mensch en sehr wichtig ist. Falsche Ernahrung- mangelhafte oder ubermaBige Nahrungszufuhr- fiihrt zur Krankheit. Die durch falsche Ernahrung mit verursachten Erkrankungen, z. B. Herz-KreislaufErkrankungen und Krebs sowie Mangelerkrankungen (Mangel an essentiellen Nahrstoffen,z. B.Jodmangelkropf), fiihren in Deutschland zu jahrlichen Kosten von uber SO Milliarden € (iiber 100 Milliarden DM).In derTodesursachenstatistik Deutsch lands stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen an erster,Krebserkrankungen an zweiter Stelle (verantwortlich fUr iiber SO % bzw. iiber 20% der Todesfalle). Die meisten derdurch die Ernahrung mit verursachten Krankheiten konnten durch vollwertige Ernahrung vermieden bzw. stark zuriickgedrangt werden. Die Fortschritte der modernen Medizin fiihrten dazu,dass die klassischen konservativen Verfahren wie die Thera pie durch richtige Ernahrung in den Hintergrund traten. Erst die Kostenexplosion in der technisierten Medizin,verschaffte der Ernahrungsmedizin wieder eine Chance. Durch eine vollwertige Ernahrung praventiv den negativen Auswirkungen von falscher Ernahrung friihzeitig entgegenzuwirken ist heute ein allgemein anerkanntes Ziei.Die Basis der Ernahrungsmedizin besteht darin,durch erhohte Zufuhrvon biologisch aktiven Substanzen die korpereigene Widerstandskraft zu starken sowie bei Erkrankungen,die durch die Ernahrung mitbedingt sind, mit der Ernahrungstherapie einzelner Organe den Stoffwechsel zu entlasten. Dam it kniipft die Ernahrungsmedizin an die Heilverfahren des Altertums an;sie will die Erfahrungen der alten Medizin mit den Erkenntnissen der modern en Naturwissenschaften kombinieren und in die lebensweise der Patienten integrieren.

13.1 Ernahrungsmedizin 23.1.1 Die aktuelle Ernahrungssituation und ihre Folgen Die zunehmende Industrialisierung fuhrte in den letzten Jahrzehnten zu einer Umstrukturierung der Arbeitswelt mit geringerer korperlicher und vermehrter psychomentaler Belastung. Die heutige Ernahrung tragt dem kaum Rechnung, wie die aile 4 Jahre (zuletzt im Jahr 2000) erscheinenden Ernahrungsberichte der Deutschen Gesellschaft fiir Ernahrung (DGE) zeigen ( ® Tabelle 23.1). Die Ernahrung entspricht haufig der eines Schwerarbeiters, den es heute kaum noch gibt. Das reiche Nahrungsangebot fuhrt bei einer zu geringen korperlichen Aktivitat dazu, dass 50% der Erwachsenen in Deutschland Ubergewicht haben und 20% adipos (fettsuchtig) sind. Energie, Fett, Cholesterin, Purine und Salz werden mit der Nahrung zu reichlich aufgenommen. Die weitverbreitete Ubererniihrung ist Wegbereiter von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Hyperlipidamie, Hypertonie oder Gicht. Diese Erkrankungen begunstigen die Entstehung einer vorzeitigen Arteriosklerose mit ihren klinischen Erscheinungsformen Herzinfarkt, Schlaganfall und periphere Durchblutungsstorungen und werden auch unter dem Sammelbegriff ,Metabolisches Syndrom" zusammengefasst. Gleichzeitig sind eine zu geringe Zufuhr von Ballaststoffen und eine Mangelversorgung mit Jod, bei bestimmten Personengruppen auch mit Folsaure, zu beobachten. Eine Mangelversorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen kann daruber hinaus bei Patienten mit Resorptionsstorungen, bei Alkoholikern, aber auch bei alten Menschen, Schwangeren und Stillenden auftreten. 674

I

23 Ernahrung

Diese Fehlernahrung ist an der Entstehung von Krankheiten, z. B von Krebs, Osteoporose oder Karies beteiligt. Weitere Folgen der Umstrukturierung der Arbeitswelt sind Hingere Wege zum Arbeitsplatz und Verschiebungen des Arbeitsrhythmus. Sie erzwangen Umstellungen bei der Nahrungsaufnahme: Es werden mehr Mahlzeiten auBer Haus eingenommen. So stieg der Bedarf an AuBer-Haus-Verpflegung und es ergab sich ein wachsender Markt fur ,Convenience food". Die Lebensmittelindustrie nahm diese Chance wahr. Das technisch Machbare entwickelt immer eine Eigendynamik. So findet man heute in den Lebensmitteln Konservierungsstoffe, Farbstoffe und kunstliche Aromen, deren Notwendigkeit nicht immer zu verstehen ist. Schlagworte wie ,Chemie in der Nahrung" fanden ihr Publikum. Haufig wurde die Situation allerdings auch dramatisiert. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass eine z u ausgepragte Zufuhr an sich gesunder Nahrstoffe heute die Gesundheit der Bevolkerung mehr schadigt als Verunreinigungen, Schadstoffe oder unerwunschte Inhaltstoffe in Lebensmitteln.

23.1.21 Konsequenzen fUr die Ernahrungsmedizin Die DGE hat - zuletzt im Jahr 2000 - gemeinsam mit den Ernahrungsfachgesellschaften in Osterreich und der Schweiz Referenzwerte fiir die Nahrstoffzufuhr herausgegeben (D-A-CH-Referenzwerte, ® Tabelle 23.1), in denen Empfehlungen, Schatzwerte bzw. Richtwerte zur taglichen Zufuhr der einzelnen Nahrstoffe fur gesunde Menschen verschiedenen Alters enthalten sind. Diese Referenzwerte befinden sich in weitgehender Ubereinstimmung mit entsprechenden Referenzwer-

23 Tabelle 23.1. Mittlere tagliche Zufuhr von Energie und Nahrstoffen bei Mannern zwischen 25 und 50 Jahren (nach dem Ernahrungsbericht [EB] 2000), dargestellt als Absolutwert und als Prozentwert der Referenzwerte der ernahrungswissenschaftlichen Gesellschaften von Deutschland, Osterreich und der 5chweiz (D-A-CH) (%)

D-A-CHReferenzwerte

103 142 126 148 141 84- 59 114 88 67 100

10042 59 80 27 19- 27 300 >30 20

EB2000

absolut Energie Protein Fett gesattigte FS einfach unges. FS mehrf. unge . FS Cholesterin Kohlenhydrate Ballaststoffe Alkohol

kJ

10360 84 g 101 g g 40 g 38 16 g mg 341 g 263 20 g 21 g

tender Weltgesundheitsorganisation (WHO) bzw. der USA (Dietary Reference Intakes, Food and Nutrition Board des National Research Council) sowie anderer internationaler Institutionen. Auf dieser wissenschaftlichen Grundlage wurden ,10 Regeln fiir die Nahrstoffzufuhr" formuliert, an denen sich eine vollwertige Ernahrung orientieren muss (s. Kap. 23.6.3 ). Die Deutsche Gesellschaft fur Ernahrungsmedizin (DGEM) und die Deutsche Akademie fiir Ernahrungsmedizin (DAEM) befassen sich besonders mit den durch die Ernahrung mitbedingten Krankheiten. Diese beiden Institutionen haben gemeinsam mit der DGE und weiteren Fachgesellschaften ein ,Rationalisierungsschema 2000" herausgegeben, in dem die Diaten fiir die Ernahrungstherapie von durch die Ernahrung mitbedingten Krankheiten nach dem neuesten Stand der Wissenschaft differenziert dargelegt sind.

KERNAUSSAGEN Die Ernahrungssituation hat sich in den letzten Jahr2ehnten dahingehend verandert, dass: "'" ein zu reiches Nahrungsangebot bei zu geringer korperlicher Aktivitat besteht, was zu Obergewicht und Adipositas fiihrt, "'" eine zu geringe Zufuhr von Ballaststoffen und eine Mangelversorgung mit Jod und bei bestimmten Personengruppen auch mit Folsaure zu beobachten ist. Die Ernahrungsfachgesellschaften veroffentlichen Referenzwerte fiir die Nahrstoffzufuhr, Regeln fiir eine vollwertige Ernahrung und bewerten die in der Ernahrungstherapie eingesetzten Diaten nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

23.2 1 Die lebensmittel

23.2.1

Einteilung und gesetzliche Bestimmungen

Lebensmittel sind Energielieferanten und enthalten essentielle Nahrstoffe. Lebensmittel konnen pflanzlicher oder tierischer Herkunft sein. Energielieferanten in Lebensmitteln sind Proteine, Lipide, Kohlenhydrate oder auch Alkohol. AuBerdem enthalten Lebensmittel Bestandteile, die nicht vom Organismus synthetisiert werden konnen. Zu diesen gehoren essentielle Amino- bzw. Fettsiiuren, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, sekundiire Pflanzenstoffe und Ballaststoffe.

Der Umgang mit Lebensmittel wird gesetzlich Oberwacht. In allen Industrienationen werden die Zusammensetzung und der Umgang mit Lebensmitteln gesetzlich iiberwacht. In Deutschland unterscheidet man folgende Lebensmittelarten: "'" Allgemeine Lebensmittel "'" Diiitetische Lebensmittel: Kennzeichen ist ein geringerer oder vermehrter Gehalt an bestimmten Nahrstoffen oder physiologisch wirksamen Substanzen, der den Erfordernissen der Patienten bei bestimmten Krankheiten oder auch in bestimmten Lebenssituationen besser gerecht wird. Die hierfiir geltenden gesetzlichen Vorschriften sind durch EU-Recht festgelegt. "'" Nahrungsergiinzungsmittel sind eine spezielle Gruppe von Produkten, die entsprechend ihrem Einsatz weniger ,erganzen, was fehlt", sondern tiber die iibliche Ernahrung hinaus den Korper gewissermaBen auf Verdacht mit gesundheitsforderlichen Substanzen versorgen. Die Angebotspalette reicht von den klassischen Vitaminpraparaten bis hin zu Monopraparaten mit bestimmten Substanzen und Extrakten. Wichtig sind eine Positivliste und Obergrenzen fiir die in Nahrungserganzungsmitteln zulassigen Mengen von Substanzen. "'" Funktionelle Lebensmittel sind herkommliche Lebensmittel (keine Nahrungserganzungsmittel), die tiber die iibliche Nahrstoffversorgung hinaus einen zusatzlichen Vorteil fiir den Verbraucher aufweisen. Japan ist bislang das einzige Land, das funktionelle Lebensmittel und deren Bewerbung gesetzlich geregelt hat. Der zusatzliche Nutzen soll in einer Verbesserung des individuellen Gesundheitszustandes oder des Wohlbefindens bzw. in einer Verringerung des Risikos, an bestimmten Krankheiten zu erkranken, bestehen. Zu nennen sind hier Produkte mit w23.2 Die Lebensmittel

675

23 3-Fettsauren, mit Soja oder Lecithin und Getranke mit den Vitaminen A, C und E. ..,. Unter ,Neuen Lebensmitteln" (Novel Food) versteht man Lebensmittel, die vor dem 15.05 1997 innerhalb der Europaischen Union nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden und nach diesem Stichtag im Markt eingeflihrt wurden und werden. Diese Lebensmittel unterliegen einem speziellen Zulassungsverfahren.

23.2.21 Verarbeitung, Abbau und Resorption von Lebensmitteln

!

Die Verarbeitung von Lebensmitteln verandert ihre Zusammensetzung. Beim Garen treten Mineralstoffe und wasserlosliche Vitamine in das Kochwasser bzw. fettlosliche Nahrstoffe in das Bratfett tiber und gehen dadurch verloren. Bei Einwirkung von Hitze werden Vitamine zerstOrt. Andererseits werden Nahrstoffe in Lebensmitteln durch Erhitzen tiberhaupt erst verfligbar, z. B. die Starke in der Kartoffel. Bestimmte Nahrstoffe werden durch Garen besser nutzbar gemacht, z. B. /3-Carotin in Karotten, wenngleich durch die Warmeeinwirkung ein Teil des {3Carotins verloren geht. In Bohnen wird beim Kochen der Trypsininhibitor unwirksam.

! Nur ein Teil der Nahrstoffe ist

fUr den Organism us verfligbar.

Die Nahrstoffe sind in bestimmte Strukturen der Lebensmittel eingebettet. Bei der Verdauung werden die Nahrstoffe freigesetzt und mit Hilfe von Enzymen soweit abgebaut, dass sie in resorbierbarer Form vorliegen (S. 1091 ff.). Der Anteil der im Darm resorbierten Nahrstoffe ist sehr unterschiedlich und wird durch den Resorptionskoeffizienten beschrieben. So werden Proteine zu etwa 92 o/o, Kohlenhydrate zu 98 o/o und Lipide zu 95 o/o resorbiert. Die Resorptionsraten von Mineralstoffen und Spurenelementen liegen deutlich niedriger und sind auch starker von der Zusammensetzung des Chylus abhangig. Die Resorption der Nahrstoffe wird auGer durch ihre Verfiigbarkeit auch durch die Zusammensetzung der Nahrung bestimmt. Ballaststoffe und sekundare Pflanzenstoffe wie Phytin und Tannin hemmen z. B. die Resorption zweiwertiger Ionen wie Calcium, Magnesium, Eisen und Zink. Tierisches Protein und Ascorbinsaure verbessern die Resorption von Eisen und Zink.

676

I

23 Ernahrung

KERNAUSSAGEN Lebensmittel enthalten als Energielieferanten: ... Proteine, ... Lipide, ... Kohlenhydrate oder Alkohol. Lebensmittel enthalten auBerdem wichtige Nahrstoffe: .,. essentielle Amino- bzw. Fettsauren, .,. Vitamine, ... Mineralstoffe,Spurenelemente bzw. ... sekundare Pflanzenstoffe und Ballaststoffe. Die Verarbeitung von Lebensmitteln fUhrt dazu, dass: .,. Nahrstoffe dadurch erst verfUgbar werden, .,. andererseits ihr Nahrstoffgehalt reduziert wird. Die Resorption von Nahrstoffen im Darm ist sehr unterschiedlich und hangt ab von: .,. ihrerVerfUgbarkeit und .,. der Zusammensetzung der Nahrung.

23.3

DerErnahrungszustand

Der Ernahrungszustand ist eine wichtige GroBe fur die Prognose eines Erkrankten. Der Ernahrungszustand ist ein wichtiger prognostischer Parameter. Informationen tiber den Ernahrungszustand liefern: ... die Erniihrungsanamnese: Zu erfragen sind unbeabsichtigte Anderungen des Korpergewichts (Schwankungen von mehr als 5 o/o in den letzten 6 Monaten erfordern eine Abklarung!), einseitige Ernahrung (Veganer, Alkoholabhangige), die Einnahme von Medikamenten (Abftihrmittel, Diuretika!) und StuhlunregelmaBigkeiten. Weitere Informationen liefert ein Ernahrungsprotokoll tiber 3, besser tiber 7 Tage einschlieB!ich eines Wochenendes. ... die korperliche Untersuchung: Sie deckt nur selten klinische Zeichen eines Nahrstoffmangels auf (z. B. Blasse bei Eisenmangelanamie, Odeme bei EiweiBmangel) . ..,. biochemische Parameter, z. B. der Hamoglobingehalt und Elektrolytwerte. Ftir die Prognose des Patienten als sehr hochwertig haben sich die Albuminkonzentration im Plasma (> 3 g/dl) und die Lymphozytenzahl im Blut (> 1500/f-tl) erwiesen. ... die Korperzusammensetzung: Sie wird in der klinischen Praxis am besten mit der Bioelektrischen Impedanzanalyse bestimmt (s. S. 677}.

23 Kompartment-Modelle liefern weiter Information en uber den Ernahrungszustand und die Korperzusammensetzung. Mit Hilfe von Kompartment-Modellen kann der Ernahrungszustand abgeschatzt werden. Dabei unterteilt man den Organismus in Ein-, Zwei- oder Dreikompartments Einkompartment-Modell~ Das Einkompartment-Modell bedient sich des Korpergewichts, des einfachsten Parameters zur Erfassung des Ernahrungszustands. Da das Korpergewicht auch von der KorpergroBe bestimmt wird, verwendet man das relative Korpergewicht, d. h. die Korpermasse in Bezug zur KorpergroBe, den Body-Mass-Index (BMI = Korpergewicht/KorpergroBe2 [kg/m2]). Eine Anderung des Korpergewichts von mehr als 500 g pro Tag kann nicht allein durch Anderungen des Gewebebestandes verursacht werden, sondern es mussen auch Anderungen des Wassergehalts beteiligt sein.

Bei bestimmten Fragen zur Ernahrung ist eine genauere Kenntnis der Zusammensetzung des Korpers von Bedeutung, z. B. bei der Definition von Fettsucht oder der Beurteilung von Trainingseffekten im Leistungssport. Dann bedient man sich des Zweikompartment-Modells, das den Korper in die Kompartmente Korperfett und fettfreie Masse (Magermasse) unterteilt. Das Korperfett wird unterteilt in Struktur- und Depotfett. Strukturfett bildet z. B. die Auskleidung der Augenhohlen oder des Nierenlagers. Seine Masse betragt ca. 5 kg und ist vom Ernahrungszustand weitgehend unabhangig. Das Depotfett liegt im Unterhautfettgewebe und im Bauchraum, seine Masse betragt beim Mann > 15 kg und bei der Frau> 20 kg. Da etwa 70% des Korperfetts subkutan gespeichert ist,kann durch Bestimmung der Hautfaltendicke an charakteristischen Messpunkten (Biceps, Triceps, subscapular, suprailiacal, am Abdomen, am Oberschenkel) mit Hilfe empirischer Faktoren auf den Korperfettgehalt geschlossen werden. Aus diesem wird nach Bestimmung des Korpergewichts die fettfreie Korpermasse berechnet. Die fettfreie Masse hat den groBten Energieumsatz und bestimmt den Energiebedarf des Mensch en. Zweikompartment-Modell~

Dreikompartment-Modell~ Das Dreikompartment-Modell unterscheidet die Kompartmente Fett und fettfreie Korpermasse. Die fettfreie Korpermasse wird weiter unterteilt in Zellmasse und Extrazelluliirmasse. Es beclient sich der Bioelektrischen lmpedanzanalyse (BIA), einer nichtinvasiven Methode zur Messung der drei Kompartmente Gesamtkorperfett, fettfreie Korpermasse und Gesamtkorpermasse. Die BIA beruht auf der Leitfahigkeit einer angelegten elektrischen Spannung innerhalb des Korpers. In fettfreiem Gewebe ist die Leitfahigkeit durch den hohen Anteil an Wasser und Elektrolyten im Gegensatz zum Fettgewebe ausge-

pragter, wahrend Zellmembranen sich wie elektrische Kondensatoren verhalten und eine geringe Leitfahigkeit aufweisen. Die Leitfahigkeit ist umgekehrt proportional zum elektrischen Widerstand (Impedanz), der durch Anlegen zweier Elektroden am Hand- und FuBgelenk gemessen wird und aus dem mittels empirischer Formeln die Fettmasse, die fettfreie Masse und das Gesamtwasser berechnet werden.

KERNAUSSAGEN Kompartment-Modelle beschreiben den Ernahrungszustand. ~ Beim Einkompartment-Modell wird der Ernahrungszustand mit Hilfe des Ktirpergewichts bzw.des Body-Mass-Index erfasst. ~ Das Zweikompartment-Modell unterteilt den Ktirper in Fett und fettfreie Ktirpermasse. ~ Das Dreikompartment-Modell unterscheidet die Kompartmente Fett und fettfreie Ktirpermasse, wobei die fettfreie Ktirpermasse we iter unterteilt wird in Zellmasse und E.xtrazellularmasse.

23.4 1 Energiebilanz

23.4.1 Energieumsatz Die in den Nahrungsmitteln vorhandene chemische Energie wird vom Organism us zur ATP-Synthese benutzt. Fur den Aufbau und die Erhaltung von Zellstrukturen sowie fUr die biologischen Funktionen benotigt der Organismus Energie. Diese ist in der Nahrung chemisch gebunden, wobei die verschiedenen Nahrstoffe hinsichtlich ihres Energiegehalts austauschbar sind. Die in der Nahrung gebundene Energie wird bei der biologischen Oxidation zu etwa 40% in energiereiche Phosphate (ATP) uberfuhrt, der Rest wird in Warme umgewandelt, die der Erhaltung der Korpertemperatur dient. Diese Umwandlung der Energie bezeichnet man als Energieumsatz.

Energie wird in Kilojoule gemessen. Die MaBeinheit fUr die Energie ist nach Einfuhrung der SI-Einheiten das Kilojoule (kJ). Diese MaBeinheit hat die fruher gebrauchliche Kilokalorie (kcal) ersetzt, die in der Praxis aber sehr haufig noch verwendet wird. Zwischen Kalorie und Joule besteht folgende Beziehung: 1 kcal = 4,184 kJ oder 1 kJ = 0,239 kcal. Fur praktische Zwecke kann zur Umrechnung von Kalorien in Joule auch der Faktor 4,2 benutzt werden. 23.4 Energiebilanz

677

23 Tabelle 23.2. Physikalische und physiologische Brennwerte von Nahrungsbestandteilen in kJ/g Koh._hydrate

Upide

Proteine"

Ethanol

Physikalischer Brennwert

17,15 (4,1)

39,54 (9,45)

23,64 (5,65)

29,71 (7,1)

Netto-Brennwert

17,15 (4,1}

39,54 (9,45}

18,2 (4,35)

29,71 (7,1)

Re orptionskoeffizient

0,98

0,95

0,92

0,99

Physiologischer Brennwert

16,81 (4)

37,6 (9)

16,7 (4)

29,3 (7)

'Bei den Proteinen unterscheidet sich der physikalische und der Nettobrennwert, da bei der biologischen Oxidation Stickstoff ais Harnstoff ausgeschieden wird.Werte in Klammern kcal/g.

Da die Berechnung des Energietagesbedarfs in kJ sehr groBe Zahlen ergibt, wird in der Ernahrungsberatung auch die Einheit Mega-joule (1 MJ = 1000 kJ) verwendet.

1 9 geliefert

kJ

Ileal

Hexo en Disaccaride Polysaccharide

16 17 18

3,72-3,76 3,86-3,96 4,20

Nahrungsmittel steht dem Organismus nicht vollstandig zur Verfl.igung.

Milchsaure Zitronensaure

15 10

3,62 2,47

Der Bruttoenergiegehalt der Nahrung steht den Korperzellen nicht komplett zur Verftigung. Bei der Verdauung und Resorption im Darm geht ein kleiner Teil der Nahrstoffe tiber den Stuhl verloren, so dass nur die ,verdauliche Energie" resorbiert wird. Nach Abzug der durch den Urin verlorenen Energie spricht man von ,umsetzbarer Energie", die in Arbeit (40%) bzw. Warme (60 o/o) umgesetzt werden kann. Aufgrund dieser Zusammenhange unterscheidet man beim Energiegehalt der Nahrung zwischen: physikalischem Brennwert: Er entspricht der Energie, die bei vollstandiger Verbrennung eines Nahrstoffs im Kalorimeter als Warme freigesetzt wird, und physiologischem Brennwert, d. h. jener Energie, die dem Korper zur Verfiigung gestellt wird.

Ethanol Glycerin Xylit Sorbit

30 18 16 16

7,10 4,31 3,75 3,75

25 33 36 39 39 39 41 31 17

5,96 7,90 8,48 9,36 9,41 9,33 9,68 7,37 4,10

! Der physikalisch messbare Energiegehalt der

Kohlenhydrate und Fette ergeben bei der physikalischen Verbrennung und bei der biologischen Oxidation im Korper die gleichen Endprodukte, weswegen der physikalische und der Netto-Brennwert tibereinstimmen. Aus Proteinen entsteht im Kalorimeter Ammoniak, das zu Salpetersaure umgesetzt wird, wah rend im Organismus das Endprodukt des EiweiBabbaus der Harnstoff ist. Deshalb besteht ein Unterschied zwischen dem physikalischen und Netto-Brennwert. Korrigiert man die Netto-Brennwerte der Abb. 23.1). Alle Stoffwechselvorgange (z. B. die Resorption von Nahrstoffen, Gluconeogenese, Harnstoffsynthese) sind mit Warmebildung verbunden, die unter konstanten Stoffwechselbedingungen nicht, bei kurzfristiger Stoffwechselsteigerung, z. B. postprandial, dagegen deutlich wahrgenommen wird. Die postprandiale Thermogenese entspricht 18-25 o/o der mit Protein, 4-7 o/o der mit Kohlenhydraten und 2-4 o/o der mit Fett aufgenommenen Energiemenge. Unter iiblichen Ernahrungsbedingungen sind 8-15 o/o des taglichen Energieumsatzes auf die postprandiale Thermogenese zuriickzufiihren. Leistungsbedarf._ Als Leistungsbedarf wird diejenige Energiemenge bezeichnet, welche tiber den Erhaltungsbedarf hinaus fiir korperliche Aktivitat oder besondere physiologische Leistungen wie Wachstum, Schwangerschaft und Stillzeit notwendig ist.

23.4 Energiebilanz

679

23 16.0

c

~

12,0

~ N

~

8,0

E

"

"' 4.0 -~

.z

0

12.00

06.00

18.00 Uhrzeit

Abb. 23.1. 24-Stunden-Registrierung des Energieverbrauchs bei einem Probanden, der sich in einem indirekten Kalorimeter oder in einer Respirationskammer aufhalt. Der Energieverbrauch betragt 4,2 kJ {1 kcal)/min

23.4.21 Method en zur Messung des Energieumsatzes

Zur Messung des Energieumsatzes existieren mehrere Methoden, die unterschiedlich aufwendig sind und verschiedene Kompartmente des Energieverbrauches erfassen. Im Einzelnen handelt es sich urn: .,.. die direkte Kalorimetrie, .,.. die indirekte Kalorimetrie sowie .,.. die Isotopendilutionsmethode. Direkte Kalorimetrie.,.. Die direkte Kalorimetrie erfasst in einer wi:irmeisolierten Kammer die vom Korper durch Konvektion, Leitung und Verdunstung abgegebene Wi:irme, die ein MaB fiir den Energieumsatz ist. Da ein Teil der zugefiihrten Wi:irme zuni:ichst im Korper gespeichert wird, mussen die Messperioden ausreichend lang sein. AuBerdem muss die mit Wasserdampf in der Atemluft abgegebene Wi:irme durch eine Korrektur berucksichtigt werden. Mit dieser Methode sind nur Aussagen uber den gesamten Energieumsatz, nicht aber uber den Anteil der verschiedenen Ni:ihrstoffe am Energieumsatz moglich. lndirekte Kalorimetrie.,.. Bei der indirekten Kalorimetrie wird der Sauerstoffverbrauch bestimmt. Aus dieser GroBe wird der zugehorige Energieverbrauch ermittelt. Dabei geht man davon aus, dass der energieliefernde Schritt im Zellstoffwechsel die mitochondriale Bildung von Wasser aus dem bei der Oxidation der Ni:ihrstoffe frei gewordenen Wasserstoff und dem mit der Lungenatmung aufgenommenen Sauerstoff ist. Der

24.00

06.00

wah rend des Schlafes {dunkelblau) und ist wah rend korperlicher Aktivitat {hel/b/au) und nach Mahlzeiten {griin) erhoht

Sauerstoffverbrauch ist deshalb das MaB fur die Menge der vom gesamten Organismus oxidierten Ni:ihrstoffe. Am Beispiel der vollsti:indigen Oxidation von Glucose li:isst sich ableiten: .,.. Der Glucoseoxidation liegt folgende Beziehung zugrunde:

.,.. Pro Mol Glucose werden demnach 6 x 22,4 I (pro g Glucose 0,751) Sauerstoff verbraucht und .,.. beim Verbrauch von 11 Sauerstoff wird eine Wi:ir2898 . memenge von 6 x 22,4 = 21,6 kJ (5,1 kcal) fre1gesetzt (s. Oxidationsgleichung fur Glucose). Diese beim Verbrauch von 1 I S auerstoff freigesetzte Energiemenge bezeichnet man als energetisches Aquivalent von Sauerstoff fur Glucose. Entsprechende Gleichungen bestehen fur die Oxidation von Fettsi:iuren oder Aminosi:iuren ( ~ Tabelle 23.4). Da das energetische Aquivalent von Sauerstoff fiir die drei wichtigsten Ni:ihrstoffe in der Nahrung des Menschen fast gleich ist ( ~Tabelle 23.4), verwendet man fur die Berechnung des Energieumsatzes aus dem Sauerstoffverbrauch einen Durchschnittswert von 20 kJ (4,8 kcal). Betri:igt der Sauerstoffverbrauch in Ruhe z. B. 250 ml!min, so errechnet sich der Grundumsatz pro 24 Stunden wie folgt: 0,250

X

60

X

24

X

20

= 7200 kJ {1730 kcal).

Als Respiratorischen Quotienten (RQ) bezeichnet man das Verhi:iltnis des bei der biologischen Oxidation ent-

Tabelle 23.4. Respiratorischer Quotient und energetisches iiquivalent tor Sauerstofftor die einzelnen Nahrstoffe.RQ respiratorischer Quotient

RQ

Kohlenhydrat Glucose Fett Triolein AJanin Protein

680

I

23 Ernahrung

~H 1106 + 6 0 1 -+ 6 col+ 6 H20 Cs7H 1040 6 + 80 Oz -+ 57 C01 + 52 H10 2 C3H,0 2N + 6 0 2 -+ (NH1hCO + 5 C01 + 5 H10

%= 1,00

= 0,71 5/6 = 0,83

5'11111)

F~

~

Warme(kJ/g bzw. kcaVg)

lquivalent (kJ bzw. kcalll ~I

16,8 39,7 18,1

21,0 19,7 19,3

4,00 9,46 4,32

5,0 4,7 4,6

23 standenen Kohlendioxids zum verbrauchten Sauerstoff. Der RQ fur die Oxidation von Glucose liegt bei 1,0, der RQ fur die sauerstoffarmeren Lipide bei 0,7 und der RQ fur Proteine bei 0,8. Durch Interpolation aus dem ermittelten RQ kann fur jedes Verhaltnis der Kohlenhydrat- und Fettanteile am Gesamtenergieumsatz des Korpers das entsprechende Sauerstoffaquivalent ermittelt werden. Wird die indirekte Kalorimetrie zur Bestimmung des Grundumsatzes eingesetzt, so erfolgt die Messung morgens kurz nach dem Aufwachen am ruhig liegenden, aber nicht schlafenden Patienten, wobei aile AuBenreize ferngehalten werden und die letzte Nahrungsaufnahme mindestens 12 Stunden zuriickliegen soli. Der Proband sollte in den 3 Tagen vor der Messung keine eiweiBreiche Kost zu sich nehmen.

~

100

·;;;

..

0 Q

c:

50

~ :~

.,:;; :; E

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a.

.3

10 0

4

6

10

8 Zeit(Tage]

12

14

Abb. 23.3. Abfall der Konzentration von 2H20 (2H) und H2180(1 80) im Urin in Prozent der lnitialdosis wah rend der Bestimmung des Energieverbrauches mit der lsotopendilitionsmethode. Die COrProduktion wird aus den unterschiedlichen Ausscheidungsraten von 2H20 und H2180 berechnet

lsotopendilutionsmethode.,.. Die Isotopendilutionsmethode mit doppelt markiertem Wasser (2H21so, doubly labelled water, DLW) beruht auf der Bestimmung von Endprodukten des oxidativen Abbaus. 2H (Deuterium) und 1so werden zu unterschiedlichen Anteilen im Urin ausgeschieden und sind dort messbar. Deshalb eignet sich die Methode besonders zur ambulanten Untersuchung des Gesamtenergieverbrauchs. Nach oraler Verabreichung von doppelt markiertem Wasser werden tiber einen Zeitraum von 1-2 Wochen Proben von Spontanurin gesammelt, urn die Ausscheidung der heiden Isotope zu messen. Wahrend mit 2H der Wasserpool markiert wird, gelangt 1s0 nicht nur in der Wasser-, sondern auch tiber die Carboanhydrasere-

O=C=O

H-0

aktion in den Kohlensaurepool ( Abb. 23.2). Da 1so den Kohlensaurepool als C1s02 wieder verlasst und tiber die Lunge abgeatmet wird, fallt die 1s0-Konzentration im Urin schneller ab als die 2H-Konzentration ( Abb. 23.3). Die Differenz der Eliminationsgeschwindigkeit von 2H20 (K2)und H2180 (K 18) ist deshalb ein direktes MaB fur die C0 2-Produktion. Nach Bestimmung der GroBe des Korperwasserpools mit derselben Methode kann man bei Kenntnis der Zusammensetzung der Ernahrung oder unter Annahme eines mittleren RQ von 0,85 aus der ermittelten C0 2Produktion den Sauerstoffverbrauch und daraus den Gesamtenergieumsatz berechnen. Der groBe Vorteil dieser Methode liegt darin, dass sie unter normalen Lebens- und Arbeitsbedingungen ohne Beeintrachtigung des Probanden eingesetzt werden kann. Da die Isotope stabil sind, gibt es keine radioaktive Belastung. Die Methode ist deshalb auch bei Schwangeren, Neugeborenen und Kindem anwendbar.

23.4.31 Positive Energiebilanz

Wasserpool

Ubergewicht und Adipositas sind die Folgen einer langfristig positiven Energiebilanz. Bereits eine Nahrungsaufnahme, die tiber langere Zeit im Durchschnitt 1- 2 o/o tiber dem Energieverbrauch liegt, fiihrt mit der Zeit zu einer nennenswerten Gewichtszunahme.

Ausscheidung in den Urin

K,ac[co2]+[H20] ~------' Ausscheidung in den Urin

Bere. Als Ursache von Ubergewicht und Adipositas sind genetische Faktoren aus Zwillingsexperimenten, Familienuntersuchungen und Adoptionsstudien gut belegt. Schatzungen des Anteils genetischer Faktoren an der Entstehung von Adipositas liegen zwischen 25 und 50 o/o. Insbesondere fUr intraabdominelle Ansammlung von Fettgewebe wird eine genetische Pradisposition tiber 60 o/o angenommen. Allerdings sind die beteiligten Gene noch nicht identifiziert. In sehr seltenen Fallen ist die Adipositas Folge von Erkrankungen oder besonderer Lebenssituationen. Beispiele fUr endokrine Ursachen sind z. B. Hypothyreose oder Behandlung mit Glucocorticoiden. Auch in der Schwangerschaft kommt es gelegentlich zu einer sehr starken Gewichtszunahme, die haufig zu einer bleibenden Gewichtserhohung auch nach der Entbindung fiihrt. Als Ursachen extrem seltener familiarer Formen von massiver Adipositas sind homozygot vererbte Mutationen im Leptingen (S. 563), im Leptinrezeptor-Gen (S. 563) sowie im Melanocortin-4-Rezeptor-Gen (S.l073) entdeckt worden.

Obergewicht und Adipositas fiihren zu einer Verminderung der lebenserwartung. Bei Ubergewicht und vor allem Adipositas treten eine Reihe von Erkrankungen auf (Tabelle 23.5). Dies ist auch der Grund, warum Adipositas mit einer eindeutigen Verktirzung der Lebenserwartung einher geht. Sehr haufig findet sich bei einer Adipositas, besonders bei androidem, abdominellem Fettverteilungsmuster, ein Metabolisches Syndrom. Hierunter versteht man die Kombination von pathologischer Glucosetoleranz, Insulinresistenz, Dyslipoproteinamie, Hypertonie und Gicht. Das Metabolische Syndrom geht auBerdem mit vorzeitiger Arteriosklerose einher. 682

I

23 Ernahrung

Tabelle 23.5. Begleiterkrankungen der Adipositas

Erknntungen

Dyslipoproteinamie Fibrinogen erhoht lnsulinre istenz Hyperin ulinamie Glucoseintoleranz Hyperurikiimie

Diabetes Typ 2 Koronare Herzerkrankung Hypertonie Schlaganfall Angina pectoris Gallen teine Gicht Schlafapnoe Brustkrebs (postmenopausal)

Erst mit zunehmendem Alter sinkt das fettsuchtbedingte Gesundheitsrisiko und wendet sich sogar ins Gegenteil: Bei Mensch en tiber 70 Jahren ist die restliche Lebenserwartung bei einem urn 10% erhohten BMI groBer als bei normalem oder gar urn 10 o/o vermindertem BMI. Offensichtlich sind im Alter bestimmte Reserven an Energie und Nahrstoffen im Fall einer Krankheit von Vorteil.

23.4.41 Negative Energiebilanz Bei kurzfristiger Nahrungskarenz, also im Niichternzustand, werden Glucose, Fettsauren und Ketonkorper als Energiequellen verwendet. Der Substratumsatz eines gesunden, fastenden Menschen mit einem Energieumsatz von 7560 kJ (1800 kcal) ist in Abb. 23.4 dargestellt. Das metabolische Problem dieser Situation besteht darin, genugend Glucose fUr die obligaten ,Glucoseverbraucher" bereitzustellen. Es handelt sich bei diesen urn das Nervensystem, das pro 24 Stunden 144 g Glucose oxidiert sowie andere glucoseverbrauchende Zellen, vor allem Erythrocyten. Die Leber stellt die hierfiir benotigten 180 g Glucose bereit, zum Teil durch Glycogenolyse, zum Teil durch Gluconeogenese (S.407). Hierfiir werden die glucogenen Aminosiiuren aus dem Abbau von insgesamt 75 g Muskelprotein, 16 g bei der Lipolyse im Fettgewebe entstehendes Glycerin sowie 36 g Lactat (Pyruvat) verwendet, welches durch anaerobe Glycolyse in den Erythrocyten gebildet wird. Die Energieversorgung aller anderen Gewebe des Organismus wird durch die aus dem Fettgewebe stammenden und dort durch Lipolyse gebildeten nicht veresterten Fettsiiuren bereitgestellt. Etwa ein Viertel von ihnen werden in der Leber in Ketonkorper umgewandelt, die dann ebenfalls der Energieversorgung extrahepatischer Gewebe dienen. Die Glucoseoxidation der extrahepatischen Gewebe ist wahrend der Nahrungskarenz auBerordentlich niedrig, da diese Gewebe Glucose nur in Gegenwart von Insulin aufnehmen und dann oxidieren ki:innen, der Zustand der Nahrungskarenz jedoch durch sehr niedrige Insulinkonzentrationen gekennzeichnet ist (S. 567).

23 Herkunft des Brennstoffs

Brennstoffverbrauch

""'j,~ -P . :.-· • 9 .. GlucoseJ - -- - - - ------>--• CO2+ H20 - - - Ammosauren - - -- ~ Glykogen ~ lSOg Nerven Leber

Muske! Protein 7Sg

[Gluconeogenese)

Fettgewebe Triacylglycerine 160g" _ _,..

_[ GI~~in

J

J

:

144

36g

Erythrocyten, Leukocyten usw.

A

H;0---~ 36g --------·:-oP

·.

_ _---1,_--'02

- P • fl Ketonkorper - -- - - -- -- -- - -- - 60g

chtveresterte 40g Fettsauren 160g

o

l'

Lactat + Pyruvat 0_2 Herz. Nieren, Muskel

'-----'-nc.:ic:...:htv;.;.e:.:.re:.:.s.;..:tec.:rt:.:.e:...:Fe:..:.tt:.:.~:..:·u.:..:re'--'n...:.l2:..:0..:.g_ _ _--1~ __u~~: ________ '..-- • Abb. 23.4. Herkunft, Umwandlung und Verbrauch von Nahrstoffen, bezogen auf einen Energieumsatz von 7560 kJ (1 800 kcal)/24 h. beim fastenden gesunden Menschen. Muskel- und Fettgewebe stellen die beiden

Quellen der Stubstrate dar, die von Nerven, Erythrocyten, Leucocyten und dem Rest des Organismus verbraucht werden. (Nach Cahill G, 1970 New Engi.J of Med 282:6-8)

Herkunft des Brennstoffs

47g

Nieren, Leber · · Ammosauren -

20g

~

1

Brennstoffverbrauch

Muske I Protein

Fettgewebe Triacylglycerine lSOg .-.,.-

co2+ H2o

£

-- • Glykogen ~- Glucose onn VV~

t '

lGluconeogenese J Glycerin lSg

J

---~•---

02

htveresterte 38g Fettsauren 1SOg ----.

-----

6

36g

: .__ __ H20

~:_P_.!._ ---

• •{:.. o -P 449 -----• CO 2+H 20 Nerven--- - ~'..-•

SOg

Ketonkorper

I l

I

~-------,

Erythrocyten, Leukocyten usw. o

: : : 14g

--------·: -P Gl

,

'

Lactat : Pyruvat • -- • .' 0_2 Herz, Nieren, Muske! usw.

o o

nichtveresterte Fett~uren 11 2g : -P ' - - - - - - - - - - - - = - -+ ! ---+- ------------- -'--•

C0 2 + H20

Urin lOg Ketonkorper Abb. 23.5. Nach funf- bis sechswochiger Nahrungskarenz sinkt der Energiebedarf auf etwa 6300 kJ (1 500 kcal)/24 h, wobei vorwiegend die Gluconeogenese aus Aminosauren eingeschrankt wird. Das Nervensystem gewinnt die Fahigkeit zurVerwertung von Ketonkorpern. (Nach Cahill 1970)

Langer dauernde Nahrungskarenz flihrt zu verminderter Proteolyse in der Muskulatur und gesteigerter Oxidation von Ketonkorper im Nervensystem. Eine 5-6-wochige Nahrungskarenz fiihrt zu einer Reihe bemerkenswerter Anderungen in den Metabolitfliissen des Organismus ( Abb. 23.5). Von besonderer Bedeutung ist die Adaptation des Gehirns an die Verwertung von Ketonkorpern, die jetzt etwa 70% des Energiebedarfs des Zentralnervensystems decken. Dies wird da-

durch moglich, dass die Enzyme fiir die Verwertung von 13-Hydroxybutyrat und Acetacetat wahrend langerer Nahrungskarenz induziert werden. Hierdurch vermindert sich die vom Organismus bereitzustellende Glucosemenge von 180 g/24 Std bei kurzfristiger Nahrungskarenz auf ca. 80 g/24 Std. Da die Lipolyserate des Fettgewebes und damit die Glycerinproduktion etwa gleich bleibt, ebenso wie die Lactat-(Pyruvat)Freisetzung fiir die Gluconeogenese, wird eine Reduktion der Proteolyse in der Skelettmuskulatur auf etwa 20 g/24 Std moglich. Erst diese Anpassung erlaubt ein 23.4 Energiebilanz

683

23 Tabelle 23.6. Respiratorischer Quotient und energetisches Aquivalent fUr Sauerstoff fUr die einzelnen Nahrstoffe.RQ respiratorischer Quotient lleobldltungsda

Glucose

NkhtAcatacatat fJ-Hydroxy- Cilyorln veresterte butyrat Fettsauren

Postabsorptiv Nach 1-wochigem Hungern Nach 4-5-wochigem Hungern

4,8 3,7 3,7

0,5 1,5 1,5

O,oJ 1,0 1,5

mehrwochiges Hung ern,dessen Dauer natlirlich durch die Protein- und vor allem Fettreserven bestimmt wird. Diese Adaptation tritt ohne wesentliche Anderungen der Plasmakonzentrationen der einzelnen Substrate auf (Tabelle 23.6). In dem MaBe, in dem die Harnstoffbildung abnimmt und die Ammoniakausscheidung ansteigt ( Abb. 15.53), verlagert sich die Gluconeogenese von der Leber- in die Nierenzellen. Die Rolle, die die einzelnen Aminosauren, vor allem Alanin, dabei spielen, ist in Kapitel IS diskutiert.

KERNAUSSAGEN lm Ki:irper wird die mit der Nahrung zugefiihrte Energie ~ in Warme umgewandelt, ~ nur ca. 40% der zugefiihrten Energie steht dem Stoffwechsel in Form energiereicher Phosphate zur Verfugung. Diese Umwandlung der Energie bezeichnet man als Energieumsatz. Die einzelnen Nahrstoffe sind ~ als Energiequellen bis zu einem gewissen Grad austauschbar, ~ bei gleichzeitigem Angebot von Glucose und Fettsauren in der Nahrung hat die Glucose unter dem EinHuss von Insulin immer den Vorrang bei der Oxidation. Der Energiegehalt der Nahrung lasst sich durch zwei Parameter ausdrucken: ~ den physikalischen Brennwert, ein Mall der auBerhalb des Ki:irpers bei vollstandiger Verbrennung des Nahrstoffs freiwerdenden Energie, ~ den physiologischen Brennwert,ein MaB der innerhalb des Ki:irpers bei der Verbrennung des Nahrstoffs freiwerdenden Energie. Der Energieumsatz des Menschen setzt sich zusammen aus: .,. Grundumsatz, durch den im Ruhezustand lebensnotwendige Funktionen aufrechterhalten werden, ~ Erhaltungsbedarf, durch den Verdauung, Regeneration und alltagliche Bewegungsablaufe ermi:iglicht werden, "' Leistungsbedarf, der aile uber den Erhaltungsbedarf hinausgehenden Aktivitaten ermi:iglicht. Der Energieumsatz kann mit der direkten und der indirekten Kalorimetrie erfasst werden. Die lsotopendilutionsmethode

684

I

23 Ernahrung

0,01 4,0 6,0

0,06 0,1 0,1

Aminosiiuren

lKtat

Pyrvnt

4,5 4,5 3,5

0,6 0,6 0,6

0,1 0,1 0,1

mit doppelt markiertem Wasser erlaubt die ambulante Durchfuhrung von Energieumsatzmessungen. Obergewicht und Adipositas sind die Folgen einer langfristig positiven Energiebilanz. Die Einteilung erfolgt mittels des Body-Mass-Indexes, bei der Adipositas zusatzlich anhand des Fettverteilungsmusters. Obergewicht kann mit einem Metobo/ischen Syndrom, der Kombination von pathologischer Glucosetoleranz,lnsulinresistenz, Dyslipoproteinamie, Hypertonie und Gicht einhergehen,das zu Arteriosklerosefiihrt. Bei kurzfristig negativer Energiebilanz (kurzfristige Nahrungskarenz) sind die wesentlichen Energielieferanten Muskelproteine und die Triacylglycerine des Fettgewebes. AIs Brennstoffe werden verwertet: ~ in obligat Glucose verwertenden Geweben Glucose (aerob im Gehirn, anaerob in Erythrozyten u. a.), ~ in den ubrigen Geweben Fettsauren und Ketonki:irper. Die Leberzelle wirkt dabei als Energietransformator: Sie betreibt Gluconeogenese aus den Vorstufen Glycerin, Lactat und Aminosauren. Die dafiir notwendige Energie gewinnt sie aus der Oxidation von Fettsauren zu Ketonktirpern. Bei Ianger dauernder Nahrungskarenz findet man folgende iinderungen des Brennstoffumsatzes: ~ Das Gehirn erlangt die Fahigkeit zur Ketonktirperverwertung. ~ Die Proteolyse ist verringert. ~ Die Gewebe verbrauchen weniger Glucose und mehr Fettsauren.

23.5 I Einzelne Nahrstoffe

23.5.1 Proteine Proteine fi.ihren dem Korper die in Kohlenhydraten und Fett nicht enthaltenen Substanzen Stickstoff und Schwefel zu. Die Nahrungsproteine fiihren dem Menschen als einziger Nahrungsstoff stickstoffhaltige Verbindungen sowie einen groBen Teil des benotigten organischen Schwefels zu. Dariiber hinaus sind Proteine unentbehrlich, da sie essentielle Aminosiiuren (S. 481) enthalten. In bestimmten Situationen sind auch Aminosauren, die der Korper normalerweise synthetisieren kann, essentiell, z. B. Tyro sin bei Friihgeborenen, Phenylketo-

23 nurie oder Leberzirrhose, Cystein bei Frtihgeborenen und Leberzirrhose, Arginin bei gesti:irter Immunantwort. Aminosiiuren haben im Wesentlichen drei Funktionen: ~ Sie dienen als Bausteine ftir die Synthese von ki:irpereigenem Protein, ~ Sie sind Bausteine fiir die Synthese vieler stickstoffhaltiger Verbindungen (z. B. Purine, Pyrimidine, Porphyrine, Hormone). ~ Sie sind Substrate ftir die Gluconeogenese und ki:innen so zur Stabilisierung des Blutzuckerspiegels beitragen. Die Leber hat als Kontrollorgan ftir den Aminosaurestrom aus dem Darm und dessen Weitertransport zu den verschiedenen Organen eine zentrale Stellung im Aminosaurestoffwechsel.

Die Proteinbilanz des Korpers wird uber die Stickstoff-Bilanz gemessen. Ftir eine ausgeglichene Proteinbilanz ist sowohl der Ersatz derjenigen Proteinmenge notwendig, die abgebaut und in Form von stickstoffhaltigen Verbindungen, meist Harnstoff, ausgeschieden wird, als auch eine ausreichende Energiezufuhr, damit mi:iglichst wenig Aminosauren zur Energiegewinnung eingesetzt werden mtissen. Der Proteinbilanz liegen folgende Tatsachen zugrunde: ~ Der tagliche Proteinumsatz des Menschen liegt bei etwa 300 g und damit deutlich tiber der notwendigen Proteinzufuhr (s. u.). Die Proteinsynthese pro kg Ki:irpergewicht und Tag nimmt mit zunehmendem Alter ab. ~ Die Halbwertzeit der verschiedenen Proteine schwankt zwischen Stunden (Enzyme), Tagen (Plasmaproteine) und Wochen (Strukturproteine wie Kollagen). ~ Zwischen dem Aufbau und dem Abbau von Proteinen im Ki:irper besteht ein dynamisches Gleichgewicht. Beim Proteinabbau anfallende Aminosauren werden gemeinsam mit den in der Nahrung aufgenommenen ftir die Proteinbiosynthese verwendet oder zu Harnstoff abgebaut. ~ Der Mangel an einer einzigen essentiellen Aminosame sti:irt den gesamten Proteinaufbau und die Stickstoffbilanz. Beim gesunden Menschen ist eine unzureichende Proteinsynthese fast immer auf eine ungentigende Versorgung mit essentiellen Aminosauren zurtickzuftihren. Zur Bestimmung des Proteinbedarfs verwendet man die faktorielle Methode oder die Bilanzmethode. Die faktorielle Methode beruht auf der Berechnung des obligatorischen N-Verlustes: Nach Umstellung auf eine proteinfreie Kost erreicht die N-Ausscheidung im Urin nach 8-12 Tagen einen konstanten Wert, der beim

erwachsenen Mann 37 mg N/kg Ki:irpergewicht, bei der Frau 25 mg/kg Ki:irpergewicht betragt. Hinzu kommen noch die N-Verluste im Stuhl und tiber Haut, Haare, Nagel, Schwei~ , Sperma und Menstruation, woraus sich ein taglicher N-Verlust von 54 mg/kg ergibt. Die die sen Stickstoffverlusten entsprechende Menge Protein stellt den minimalen taglichen Bedarf dar. Der Umrechungsfaktor von Stickstoff (N) zu Protein betragt 6,25. Bei der Bilanzmethode misst man den Bedarf bei der niedrigsten Proteinzufuhr, mit der bei Erwachsenen noch ein N-Gleichgewicht und bei Kindem ein zufriedenstellendes Wachstum (N-Retention) erreicht wird. Dieses Bilanzminimum entspricht dem Minimalbedarf an Protein, urn ein N-Gleichgewicht zu erreichen. Gleichzeitig muss jedoch eine ausreichende Energieversorgung gewahrleistet sein, da bei zu niedriger Energiezufuhr Protein zur Energiegewinnung verwendet wird und deshalb mehr Protein ftir eine ausgeglichene Stickstoffbilanz notwendig ist (Hungerminimum).

Verschiedene Proteinquellen unterscheiden sich durch ihre biologische Wertigkeit. Das Bilanzminimum ist ftir verschiedene Proteinarten unterschiedlich, je nach ihrem Gehalt an essentiellen Aminosauren. Diese Qualitat eines Nahrungsproteins wird auch als biologische Wertigkeit bezeichnet. Sie gibt an, wie viel von dem absorbierten Nahrungsprotein im Ki:irper vollstandig verwertet und damit zurtickgehalten wird. Die biologische Wertigkeit ist urn so gri:i~er, je mehr die Aminosaurenzusammensetzung des Nahrungsproteins derjenigen des menschlichen Ki:irperproteins entspricht. Dabei wird eine ausreichende Resorbierbarkeit vorausgesetzt. Die biologische Wertigkeit von Protein wird dartiber hinaus von einer ausreichenden Energiezufuhr und der Ernahrung insgesamt bestimmt. Aufgrund von Bilanzuntersuchungen am Gesunden kann man die biologische Wertigkeit verschiedener Proteinsorten ermitteln ( Tabelle 23.7). Die biologische Wertigkeit von Protein en pflanzlicher Herkunft ist in aller Regel ungtinstiger als die von Proteinen tierischer Herkunft. Zum Teil sind pflanzliche Proteine auch schlechter verdaulich, was vor all em Kleinkindern bei veganer, d. h. rein pflanzlicher Ernahrung Probleme bereitet. Als Bezugsgri:i~e wird Volleiprotein mit einer biologischen Wertigkeit von 100 verwendet. Milcheiwei~ hat als alleinige Stickstoffquelle eine biologische Wertigkeit von 88, die aus den verschiedenen biologischen Wertigkeiten der einzelnen Milchbestandteile (Kasein 72, Lactalbumin 104) resultiert. Durch geeignete Kombination von Proteinen kann die biologische Wertigkeit eines Proteingemisches deutlich angehoben werden (Tabelle 23.8), man spricht vom Ergiinzungswert verschiedener Proteine. Die hi:ichste bekannte biologische Wertigkeit von 136 ist mit der Mischung von Kartoffelprotein und Volleiprotein im Verhaltnis von 64: 36 zu erreichen. Dieser 23 .5 Einzelne Nahrstoffe

685

23 Tabelle 23.7. Die biologische Wertigkeit (B. W.) des Proteins verschiedener Nahrungsmittel B.W. Lactalbumin Vollei Kartoffeln Rindfleisch Thunfisch Kuhmilch Edarner Kase Schweizer Kase Soja Griinalgen Reis Roggenmehl (82% Ausmahlung) Casein Bohnen Mais Weizenmehl (83% Ausmahlung) Trockenhefe Gelatine

104 100 100;98 92 92 88 85 83 84;86 81 81 76;83 72 72 72; 71 56; 59 48

Proteinmangel verursacht schwerwiegende Gesu nd heitsstoru ngen.

0

Tabelle 23.8. Die biologische Wertigkeit (B. W.) verschiedener Proteinkombinationen Prozentuales Mengenverhaltnis (N-Prozente)

B.W.

36%Vollei 70% Lactalbumin 75%Milch 60%Vollei 68%Vollei 76%Vollei 51 %Milch 88%Vollei 78% Rindfleisch 36% Vollei 52% Bohnen 84% Rindfleisch

136 134 125 124 123 119 114 114 114 109 99 98

plus 64% Kartoffel plus 30% Kartoffel plus 25% Weizenmehl plus 40 % Soja plus 32% Weizen plus 24% Milch plus 49% Kartoffel plus 12% Mais plus 22% Kartoffel plus 65% Bohnen plus 48% Mais plus 16% Gelantine

Tabelle 23.9. Bedarf an essentiellen Aminosauren und Proteinen (mg/kg Korpergewicht) bei Menschen verschiedene Alters Bedarf Valin Leucin lsoleucin Phenylalanin u. Tyrosin Tryptophan Lysin Threonin Methionin und Cystin HistiTabelle 23.11). Zum Beispiel: 60 kg (Korpergewicht) x 0,7 = 42 kg Reduktionsgewicht x 0,1 %o =4,2 g Alkohol. Ober 95% des resorbierten Alkohols werden abgebaut, und zwar ausschlieBlich in der Leber; weniger als 5% werden tiber die Niere, die Lunge und die Haut ausgeschieden. Die durchschnittliche Eliminationsgeschwindigkeit von Alkohol aus dem Blut betragt 100 mg pro kg Korpergewicht und Stunde, das entspricht bis zu 160 g Alkohol/24 h. Es bestehen jedoch erhebliche individuelle Schwankungen. Ein gesunder Proband (normale Leberfunktion, keine Arzneimittelzufuhr) baut pro 10 kg Korpergewicht und Stunde 1 g Alkoholab. In der Klinik wird bei Verdacht auf Alkoholintoxikation der Alkoholgehalt im Blut im Labor mit der Alkoholdehydrogenasereaktion in mmol!l bestimmt und in %o umgerechnet. Werden 1,5-2,5 g Alkohol pro kg Korpergewicht niichtern innerhalb von 30 Minuten getrunken (z. B. Trinkwetten) und komplett resorbiert (kein Erbrechen), so kann dies aufgrund einer Atemlahmung zum Tode fiihren. Die letale Blutalkoholkonzentration liegt bei etwa 4-5 %o. Die Alkoholtoleranz ist bei verschiedenen ethnischen Gruppen unterschiedlich. Die Gene der einzelnen am Alkoholabbau beteiligten Enzymsysteme werden deshalb auf Polymorphismen untersucht.

!

Chronischer Alkoholkonsum stellt ein ernstes Gesundheitsrisiko dar.

Tabelle 23.12. Wirkungen von Alkohol auf den Stoffwechsel "' "' "' "' "' "' "' "' "' "' "'

Ri iko einer Hypoglykamie Erhfihte Synthese von Triglyceriden in der Leber Hemrnung des Triglyceridabbaus irn Plasma Hem mung der Lipoproteinlipase im Plasma (akut) Aktivierung der Lipoproteinlipa e (chroni ch) Abfall von LDL-Cholesterin, Anstieg von HDL-Cholesterin im Plasma Hemmung der Thrombozytenaggregatioo Steigerung der Fibrinolyse Vermehrte Synthese von Harnsaure in der Leber Hemrnung der Harnsaureausscheidung der iere Anhebung des Blutdrucks

reits ab 20 g Alkohol pro Tag, bei Frauen sogar ab 10 g/Tag mit einer Erhi:ihung des Krebsrisikos zu rechnen. Da der Alkoholabbau in der Leber erfolgt, wird dieses Organ durch chronischen Alkoholzufuhr besonders in Mitleidenschaft gezogen (S.ll17). Es kommt zunachst zur Fettleber, aus der sich im Lauf der Zeit eine Leberzirrhose entwickelt. Aufgrund der neurotoxischen Wirkung kommt es zur Neuropathie und schweren geistigen Defekten. Alkohol bewirkt auch Veranderungen im Stoffwechsel: Die Konzentration von HDL-Cholesterin im Plasma steigt an, die Thrombozytenaggregation wird gehemmt und die Fibrinolyse gesteigert ( Tabelle 23.12). Dadurch wirkt Alkohol auch koronarprotektiv. Personen mit dem Iangsam oxidierenden ADH 3-Allel weisen daher hOhere HDL-Cholesterinwerte und ein geringeres Risiko fiir einen Herzinfarkt auf. Diese positiven Effekte wiegen jedoch die negativen bei weitem nicht auf.

Alkohol beeinflusst sofort sowohl die Stimmung als auch die korperliche und geistige Leistungsfahigkeit. Speziell die Beeintrachtigung der Reaktionsfahigkeit hat vor allem im StraBenverkehr oft letale Folgen. Chronischer Alkoholabusus ist jedoch wesentlich gesundheitsschadlicher als ein akuter. Bei Mannern ist be23.5 Einzelne Nahrstoffe

689

23 23.s.s1 Ballaststoffe Als Ballaststoffe (Nahrungsfaser) werden die in den Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft enthaltenen Gerustsubstanzen bezeichnet, die von den Enzymen des Magen-Darm-Trakts nicht gespalten werden konnen. Es handelt sich urn Polysaccharide (Zellulose, Hemizellulose, Lignin oder Pektin), Nicht-Starkepolysaccharide (Inulin, Methylcellulose) und resistente Starke (Starke in kristalliner Struktur). Man unterscheidet wasserlOsliche (Pektine und andere Quellstoffe, lOsliche Hemizellulosen) und wasserunlOsliche Ballaststoffe (Zellulose, unlosliche Hemizellulose, Lignin). Ballaststoffe quellen im Darm auf, beeinflussen so die Viskositat der Faeces und regen die Darrnrnotilitat an. AuBerdem sind sie Ionenaustauscher und binden Gallensauren. Die Ballast;toffe haben also eine wichtige Funktion bei der Verdam ng und Resorption. Der Energiegehalt ballaststoffreicner Lebensrnittel ist geringer als der ballaststoffarrner Lebensmittel. Der Sattigungseffekt ballaststoffreicher Lebensmittel ist hoch und dadurch wirken sie der Adipositas entgegen. Ein Teil der Ballaststoffe wird von den Darrnbakterien zu den kurzkettigen Fettsauren Propionat,Acetat und Butyrat abgebaut. Diese kurzkettigen Fettsauren senken den pHWert der Faeces ab. Nach ihrer Resorption werden Propionat und Acetat an das Pfortaderblut abgegeben, wahrend Butyrat als Substrat fUr den Stoffwechsel der Dickdarmmucosa dient und so mit eine trophische Wirkung hat. Die dern Korper mit den kurzkettigen Fettsauren a us Ballaststoffen zur Verfiigung stehende Energie wird auf 8,4 kJ (2 kcal) pro g Ballaststoffe geschatzt.

KERNAUSSAGEN Proteine fiihren dem Korper die in Kohlenhydraten und Fen nicht enthaltenen Substanzen "' Stickstoff, Schwefel sowie "' Aminosauren zu. Essentielle Aminosauren sind unentbehrlich fiir: "' den Aufbau korpereigener Proteine und "' Aminosaureabkommlinge,z. B. Hormone. Die empfohlene Zufuhr von Protein en liegt bei 0,8 g/ kg Korpergewicht und Tag, wobei die einzelnen Proteine eine unterschiedliche biologische Wertigkeit haben. Kohlenhydrate sind: "' Energielieferanten und "' Kohlenstoffquellen fur die Biosynthese von Fensauren und Aminosauren. Fenesind: "' Energielieferanten, "' Bestandteil von Membranen und

690

I

23 Ernahrung

"' die essentiellen w- 3- und w-6-Fensauren sind Vorstufen von Prostaglandinen und Leukotrienen. Alkohol hat mit 29,4 kJ (7 kcal)/g einen hohen Energiegehalt. Der Abbau von Alkohol erfolgt im Wesentlichen in der Leber. "' Ballaststoffe bewirken, dass "' die Viskositat der Faeces erhoht und "' die Darmmotilitat angeregt wird "' durch die Darmbakterien der Darmschleimhaut kurzkenige Fensauren als Substrat zur VerfOgung stehen.

23.6 1 Nahrstoffzufuhr 23.6.1

Referenzwerte fUr die Nahrstoffzufuhr

Die Referenzwerte ftir die Nahrstoffzufuhr beruhen auf Ernahrungsexperirnenten mit Probanden. Zu diesem ermittelten durchschnittlichen Bedarf an Nahrstoffen wird die doppelte Standardabweichung addiert und der erhaltene Zahlenwert als Empfehlung ausgesprochen. Fur Nahrstoffe, deren Bedarf nicht mit der wunschenswerten Genauigkeit bestimrnt werden kann, gibt es Schiitzwerte (z. B. fUr einige Spurenelemente). Richtwerte (z. B. ftir Fett, Alkohol und Wasser) dienen als Orientierungshilfe, urn eine rnangelhafte oder uberrnaBige Zufuhr (mit dern Risiko unerwiinschter Wirkungen) von wichtigen Nahrstoffen zu verrneiden und eine vollwertige Ernahrung zu sichern ( Abb. 23.6). Die nationalen Ernahrungsfachgesellschaften formulieren die Ernpfehlungen, Schatz- und Richtwerte in Abhangigkeit von Alter und Geschlecht ( Tabelle 23.13). Die Referenzwerte, die in verschiedenen Landern und von internationalen Gremien herausgegeben werden, wei chen gelegentlich voneinander ab, da in den Referenzwerten nicht nur verschiedene Lebenssituationen, sondern auch Gesichtspunkte der Gesundheitspolitik zum Tragen kommen. Die Referenzwerte sollen nicht nur der Prophylaxe von Mangelkrankheiten, sondern auch von Zivilisationskrankheiten dienen.

23.6.21 Vollwertige Ernahrung Eine vollwertige Ernahrung enthalt ein ausgewogenes und ausreichendes Angebot aller lebensnotwendigen Nahrstoffe und eine dem Energieverbrauch angepasste Energiernenge. Die vollwertige Ernahrung ist die Voraussetzung ftir Gesundheit und Leistungsfahigkeit sowie fUr die Pravention von Krankheiten. Je groBer die Vielfalt der verzehrten Lebensrnittel, desto Ieichter lasst sich eine vollwertige Ernahrung verwirklichen. Die DGE hat 10 Regeln fUr eine vollwer-

23 Zufuhrempfehl ung

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Schatzwert Sicherhei tsbereich der Zufuhr

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Tabelle 23.14. Die 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft fOr Ernahrung (DGE) fOr eine vollwertige Ernahrung 1. Vielseitig essen 2. Getreideprodukte - mehrmals am Tag und reichlich Kartoffeln 3. Gemilse und Obst - Nimm ,5" am Tag ... 4. Taglich Milch und Milcbprodukte, einmal in der Woche Fisch; Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Mallen 5. Wenig Fett und fettreiche Lebensrnittel 6. Zucker und Salz in MaBen 7. Reichlich FIUssigkeit 8. Schmackhaft und schonend zubereiten 9. Nehmen Sie sich Zeit, genieBen Sie Ihr Essen I 0. Achten Sie auf Ihr Wunschgewicht und bleiben Sie in Bewegung

tige Ernahrung formuliert ( Tabelle 23.14). Der Ernahrungskreis der DGE ( Abb. 23.7) enthalt das Lebensmittelangebot auf sieben Gruppen verteilt . Tliglich sollte man Lebensmittel aus allen Gruppen verzehren und innerhalb der Gruppen die Lebensmittel haufig wechseln. Lebensmittel pflanzlicher Herkunft haben eine geringere Energiedichte und einen hoheren Gehalt an Ballast- und Mineralstoffen, bestimmten Vitaminen und sekundaren Pflanzenstoffen als Lebensmittel tierischer Herkunft. Letztere enthalten mehr Fett, Cholesterin und Purine, die den Stoffwechsel belasten konnen, allerdings auch wichtige Nahrstoffe (Vitamin B12, BI> Eisen, Zink). Mit bestimmten Nahrstoffen wie Fett, Zucker und Alkohol angereicherte Lebensmittel enthalten vorwiegend Energie ohne die fiir ihre Verstoffwechselung notwendigen Vitamine und Spurenelemente. Man spricht deshalb auch von ,leeren" Energietragern. Die Herkunft der Lebensmittel (aus konventionellem oder alternativem Anbau) spielt fiir den Nahrstoffgehalt nur eine geringe Rolle, von groBerer Bedeutung sind kurze Lager- und Transportzeiten und eine nahrstoffschonende Zubereitung der Lebensmittel.

Rii Retinolaquivalente; NA Niacinaquivalente; Tii Tocopherolaquivalente;

*% der Gesamtenergiezufuhr.

23.6 Nahrstoffzufuhr

691

23 7

6

4

Fette und Ole

1

Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln

Getr~nke

Gem use und HOisenfrOchte Obst

3 Abb. 23.7. Der Ernahrungskreis der Deutschen Gesellschaft fUr Ernahrung teilt die Lebensmittel in 7 Gruppen ein. FUr eine vollwertige Ernahrung sind die Lebensmittel in richtiger Menge aus allen 7 Gruppen auszuwahlen. Bei der Auswahl ist auf Frische und Abwechslung zu achten. Taglich sollten reichlich Lebensmittel aus den Gruppen 1- 5 verzehrt werden, weniger Lebensmittel dagegen aus den Gruppen 6 und 7. Ein konsequenter Wechsel bei der Wahl ist vor allem bei den Lebensmitteln aus der Gruppe 6 zu empfehlen.

23.6.31 Ernahrung in besonderen Lebenssituationen Schwangerschaft und Stillzeit .. Schwangerschaft und Stillzeit gehen mit einer Umstellung des Stoffwechsels einher. Die Referenzwerte ftir die Zufuhr von essen tiellen Nahrstoffen sind deshalb in diesen Lebensabschnitten hoher. Der Mehrbedarf an Energie liegt in der zweiten Schwangerschaftshalfte bei etwa 1300 kJ (300 kcal) pro Tag. Ftir die Stillzeit gilt eine Faustregel von 420 kJ (100 kcal) pro 100 ml sezernierter Muttermilch. Die Muttermilchmenge liegt im Durchschnitt bei 750 ml pro Tag. Die Stillende sollte die gleiche Menge an Nahrstoffen aufnehmen, die sie mit der Milch abgibt. Wachstumsalter.. Im Wachstumsalter ist neben einer erhohten Energiezufuhr auch eine ausreichende Versorgung mit essentiellen Nahrstoffen wichtig. Als Richtwerte des Energieaufwands fiir das Wachstum nennt die WHO 21 kJ (5 kcal) pro Gramm Gewebezuwachs. Kinder und Jugendliche nehmen von Tag zu Tag je nach Freizeitbeschaftigung und Belastung unterschiedliche Mengen von Nahrung auf. Im Durchschnitt gleichen sich diese Unterschiede aber aus. Auch in diesem Alter ist das Korpergewicht eine gute Kontrolle des Ernahrungsverhaltens. Alter.. Im Alter treten quantitative und qualitative Anderungen des Stoffwechsels und der Organfunktionen auf. MaBigkeit, Regelmaf3igkeit und Vielseitigkeit spielen bei der Ernahrung des alteren Mensch en eine groBe Rolle. Gleichzeitig sollte ftir eine angemessene korper692

I

23 Ernahrung

liche und geistige Betatigung sowie soziale Kontakte Sorge getragen werden. Der Bedarf an Nahrstoffen ist in aller Regel nicht erhOht, die Resorption einzelner Nahrstoffe kann jedoch verlangsamt sein. Wegen des geringeren Energiebedarfs im Alter ist eine hohere Nahrstoffdichte der verzehrten Lebensmittel notwendig. Die Nahrung alter Menschen sollte Ieicht verdaulich, besonders appetitanregend und mild gewiirzt sein. Bei alten Menschen ist besonders auf die Wasseraufnahme zu achten, da mit zunehmendem Alter das Empfinden ftir Durst abnimmt. Eine Exsikkose ftihrt bei alten Menschen nicht selten zu Verwirrtheitszustanden. Neuere Studien zeigen, dass ftir den alten Menschen ein Korpergewicht von 10% tiber dem Soliwert mit einer groBeren Lebenserwartung einhergeht als das Sollgewicht oder maBiges Untergewicht. Akute Erkrankungen .. Die Veranderung des Stoffwechsels bei akuter Krankheit verursacht in aller Regel einen erhohten Bedarf an Energie und essentiellen Nahrstoffen. Fieber steigert den Stoffwechsel und erhOht den Energiebedarf pro 1 oc urn etwa 15 %. Auch der Bedar£ an Vitamin en, die Coenzymfunktion haben, ist erhoht. Der mit erhohter Korpertemperatur verbundene vermehrte Verlust von Wasser und Mineralstoffen muss ebenfalls zeitnah ersetzt werden. Bei Krankheiten konnen StOrungen der Resorption von Nahrstoffen im Darm, aber auch Verluste von Mineralstoffen durch Diarrhoe oder tiber Wundsekrete und Drainagen zusatzlich den Bedarf an Nahrstoffen und Wasser erhohen. Eine Pleurapunktion von 1,5 l (4 g Eiwei£3 pro 100 ml Punktat) bedeutet einen Verlust von 60 g Eiwei£3 und von weiteren im Punktat enthaltenen Nahrstoffen. Eine unzureichende Ernahrung wirkt sich ungtinstig auf das Immunsystem aus (sowohl auf die humoralen als auch zellularen Anteile), was die Prognose beeintrachtigen kann.

23.6.41 Alternative Ernahrungsformen Alternative Ernahrungsformen wie Vegetarismus haben in aller Regel einen ganzheitlichen Ansatz, der sich tiber die reine Ernahrung hinaus auf die gesamte Lebensweise erstreckt. Ihre Anhanger verzichten meist auf Genussmittel, wie Alkohol und Nikotin und bewegen sich wesentlich intensiver. Extreme AuBenseiterdiaten haben meist eine starke weltanschauliche oder philosophische Komponente und die Zusammensetzungen dieser Kostformen entspricht haufig nicht den gesicherten Erkenntnissen der Ernahrungswissenschaft. Eine streng vegane Erniihrung (z. B. Makrobiotik) verzichtet auf Fleisch, Fisch, Milch, Milchprodukte und Ei. Diese einseitige Ernahrung muss zu Mangel an Vitamin B12 , Vitamin D, Calcium, Eisen und Zink, bei Kleinkindern aufgrund eines Energiemangels auch zu Wachstumsverzogerung ftihren. Eine ovo-lacto-vegetabile Kost, die nur auf Fleisch und Fisch verzichtet, ist

23 dagegen bei sorgfaltiger Auswahl der Lebensmittel vollwertig zu gestalten und hat den Vorteil, dass Korpergewicht, Plasma-Cholesterin und Blutzuckerwerte sowie Blutdruck im Normbereich bleiben.

23.6.51 Ki.instliche Ernahrung Als ki.instliche Ernahrung bezeichnet man jegliche Form von Nahrungszufuhr auf nichtphysiologischem We g. In aller Regel werden den Patienten, die nicht normal essen konnen, di.irfen oder wollen, enteral oder parenteral nahrstoffdefinierte oder chemisch definierte Nahrungsgemische zugefilhrt. Enterale Ernahrung~ Der Zugang tiber eine Sonde im Magen oder im Di.inndarm ist bei gegebener Indikation im Vergleich zur intravenosen Ernahrung die billigere und risikoarmere Moglichkeit, Patienten Fli.issignahrung zuzufilhren. Die Ernahrungssonden konnen entweder transnasal tiber die Speiserohre oder auch perkutan (perkutane endoskopische Gastrostomie) in den Magen oder das Duodenum gelegt werden. Die nahrstoffdefinierten (EiweiB, Starke und Fette) bzw. chemisch definierten (Aminosauren oder Peptide, Oligosaccharide oder mittelkettige Triacylglycerine) Bestandteile sind in kontrollierter und hygienisch einwandfreier und bilanzierter Form in diesen Fli.issignahrungen enthalten. Die Osmolaritat von Sondennahrung sollte den physiologischen Wert im Darm von 300 mosmol/1 nicht wesentlich tiberschreiten, da sonst osmotische Durchfalle auftreten. Vorteile der enteralen Ernahrung sind zum einen, dass die digestive und resorptive Funktion des Magen-Darm-Trakts sowie die immunologische Barrierefunktion des Darmes, die eine bakterielle Invasion des Blutes verhindert, intakt bleiben, zum anderen die im Vergleich zur parenteralen Ernahrung geringeren Kosten. Parenterale Ernahrung~ Die intravenose Nahrungszufuhr ist unabhangig von der Darmfunktion und stellt

die Ultima Ratio der Ernahrung dar. Sie ist teurer und risikoreicher als die enterale Ernahrung. Hypertone Infusionslosungen verursachen an peripheren Venen Entzi.indungen und konnen bei einem zentralen Venenkatheter eine Kathetersepsis auslOsen. Eine ausschlieBlich parenterale Ernahrung schwacht die Schrankenfunktion der Darmschleimhaut und ·erhoht das Risiko des Ubertritts von Bakterien aus dem Darm ins Blut. Eine zu rasche Zufuhr von Nahrstoffen kann bei parenteraler Ernahrung zu Stoffwechselentgleisungen, z. B. Hyperglykamien ftihren. Die intravenose Proteinversorgung erfolgt mit Aminosauregemischen, die jedoch in ihrer Zusammensetzung von den biologisch hochwertigen EiweiBen fiir orale Ernahrung abweichen ( Tabelle 23.15), da parenteral zugefiihrte Aminosaurelosungen nicht primar komplett die Leber passieren. Bei schweren FunktionsstOrungen von Leber und Nieren werden speziell adaptierte AminosaurelOsungen mit einem erhohten Gehalt an verzweigtkettigen Aminosauren eingesetzt. Glutamin ist ein wichtiges Substrat fUr die Zellen des Immunsystems und fur die Schleimhautzellen des Dtinndarms. Neuerdings werden auch Dipeptide (z. B. Alanyl-Glutamin) in InfusionslOsungen eingesetzt, da Glutamin allein in wassriger LOsung schlecht loslich ist und in Ammoniak und Pyroglutamat zerfallt. Fettemulsionen haben den Vorteil, dass in einem relativ klein en Volumen einer isotonischen Losung groBe Energiemengen angeboten werden konnen. Die modernen Fettemulsionen bestehen je zur Halfte aus langund mittelkettigen Fettsauren und enthalten 20 o/o Eilecithin als Emulgator. Mittelkettige Fettsauren haben den Vorteil, dass sie im Vergleich zu den langkettigen Fettsauren bevorzugt ox:idiert werden. Heute werden Fettemulsionen auch mit langkettigen w-3-Fettsauren angereichert, urn diese als Vorstufen von Prostaglandinen, Thromboxanen und Leukotrienen den Patienten zuzufiihren. Eine parenterale Ernahrung muss auch eine ausreichende Versorgung mit allen Vitaminen, Elektrolyten und Spurenelementen gewahrleisten.

Tabelle 23.15. Vergleich des ora len und parenteralen Bedarfs an Aminosauren insgesamt und an essentiellen Aminosauren. (Nach Munro 1974)

Bedarf (mglkg Ki)rpergewicht] Essentielle Aminosiiuren insgesamt Aminosauren

Prozentualer Anteil der essentiellen Aminosauren

Kinder" I 0- 12 Jahre• Erwachsene•

1600 700 425

680 260 80

43 36 19

Parenteralem Weg

Erwachsene• (normal)

Abb. 24.9). In der Leber, dem zentralen Organ des Kupferstoffwechsels, wird Kupfer in alle subzellularen Fraktionen der Parenchymzelle eingebaut. Der Transport durch die Plasmamembran und die Membranen subzellularer Kompartimente erfolgt tiber ATP-abhangige Kupfertransportsysteme, sog. CuATPasen oder Kupferpumpen. Kupfer wird in der Leber entweder gespeichert oder in die kupferhaltigen Leberenzyme sowie in das anschlieEend ins Plasma sezernierte Caeruloplasmin eingebaut. In den Erythrocyten findet sich ein - in den Normoblasten des Knochenmarks gebildetes - kupferhaltiges Enzym, das als Superoxiddismutase bezeichnet wird. Dieses zusatzlich noch Zink enthaltende Enzym katalysiert die Reaktion Abb. 22.1 0. Kayser-Fieischer-Ring beim Morbus Wilson. (A us Kritzinger u. Wright 1985)

wodurch Peroxidradikale entgiftet werden (Radikalreaktionen, S. 550). Das entstandene Wasserstoffperoxid wird durch Peroxidase oder Katalase (S. 552) abgebaut. Dieser Schutzmechanismus ist eine Vorbedingung fur die Anpassung der lebenden Zelle an Sauerstoff als Energiequelle. Der Schutzmechanismus selbst stellt eine grundlegende Beziehung zwischen zwei Gruppen von Metallproteinen dar, namlich zwischen einem Kupferenzym, das als Superoxiddismutase wirkt, und einem Hamenzym mit Katalase- oder Peroxidaseaktivitat. Kupfer in der Leber wird auch in die Galle sezerniert und gelangt dadurch in den Darm. Daneben treten geringe Mengen Kupfer direkt in den Urin tiber. Die groEte Menge des Kupfers in den Faeces besteht aus nichtresorbiertem und in die Galle ausgeschiedenem Kupfer. Verschiedene Hormone (ACTH, Corticoide, Schilddrtisen- und Geschlechtshormone und damit auch Ovulationshemmer) und Zytokine (Tumornekrosefaktor-a, Interleukin-1, Interleukin-6) beeinflussen auf noch unbekannte Weise den Kupferstoffwechsel.

Der genetische Defekt einer Kupferpumpe fi.ihrt zur Akkumulation von Kupfer in der Leber. Hepatolenticulare Degeneration (Morbus Wilson).,. Die wichtigste Sti:irung des Kupferstoffwechsels ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die erstmalig 1912 von dem Londoner Neurologen Kinnier Wilson beschrieben wurde. Die Pathogenese beruht auf zwei Sti:irungen des Kupferstoffwechsels: .,. einer Abnahme des Einbaus von Kupfer in Caeruloplasmin und .,. einer Abnahme der biliaren Kupferausscheidung. Diese ftihren zu einer Akkumulation dieses Metalls in der Leber mit zunehmender Leberfunktionssti:irung und der konsekutiven Ablagerung von Kupfer im Gehirn mit Koordinationssti:irungen (Nucleus lenticular is

der Basalganglien). Die Krankheit wird deshalb als hepatolenticuHire Degeneration bezeichnet. Die Kupferablagerung in der Descemet-Membran des Auges kann eine goldbraune, gelbe oder grtine Umrandung der Cornea (Kayser-Fleischer-Ring, Abb. 24.10) verursachen. Bei der Krankheit ist das Gesamtplasmakupfer niedriger, da der Caeruloplasminspiegel reduziert ist. Das an Albumin gebundene Kupfer (,freies Kupfer") ist dagegen erhoht. Durch eine Beeintrachtigung der Nierenfunktion ist neben der Ausscheidung von Kupfer auch die von Aminosauren und Harnsaure mit dem Urin erhi:iht ( Tabelle 24.4). Der Erkrankung liegt ein Defekt eines Gens auf Chromosom 13ql4.3 zugrunde, das fur ein Kupfertransportprotein mit 1411 Aminosauren codiert ( Abb. 24.11 ). Dieses gehi:irt zur Familie der Kationen transportierenden P-Typ-ATPasen (S. 177) und wird hauptsachlich in Leber, Nieren und Placenta exprimiert. Ober 200 verschiedene Mutationen (Insertionen,

Tabelle 24.4. Laborbefunde bei Patienten mit Morbus Wilson (6 ~mol = lmg Kupfer) Normalwerte

Morbus Wilson

Plasmakupfer [1-!moltl]

13-23

< 11,5

Direkt reagierendes Kupfer im Plasma [J.lmol/1]

3

Caeruloplasrnin [mglwo ml]

20-40

< 10

Urinkupfer [J.lmol/24 h)

< 1,6

>6,4

Leberkupfer [J.Uilol/g Trockengewicht]

< 1,6

>8(16)

Urinaminostickstoff [mg/24 h]

500

24.2 Die einzelnen Spurenelemente

711

24 extrazellular

Membran

3

655

0

782

820

Q) PhosphorylierungsDomane ATP-bindende Do mane

coo-

intrazellular

Deletionen, Missense-, Nonsense-, SpleiBmutationen) ki:innen die Erkrankung verursachen. Ein Drittel aller bisher untersuchten Patienten weist die Mutationen His 1070Glu bzw. Gly 1267Lys auf, die offenbar Pradilektionsstellen darstellen. Die meisten Patienten sind gemischt -heterozygot (S. 338 ). Die Therapie hat das Ziel, die Zunahme der Kupferablagerung und die Kupferuberladung des Organism us zu verhindern und die vorhandenen Kupferablagerungen durch Steiger ung der Kupferausscheidung zu reduzieren. Das wird durch eine kupferarme Kost, die Gabe von Zink sowie durch medikament6sen Kupferentzug mit Chelatbildnern wie dem Cysteinderivat D-Penicillamin (/),1)-Dimethylcystein, -® Abb. 24.12) erreicht. Durch die Einfuhrung der heiden hydrophoben Methylgruppen in /)-Stellung wird die Lipidli:islichkeit von Cystein und damit die Permeationsfahigkeit durch Membranen erhi:iht. Menkes-Erkrankung~ Bei dieser X-chromosomal vererbten neurodegenerativen Erkrankung ist die Aktivitiit einer Reihe kupferhaltiger Enzyme reduziert. In den meisten Zellen der Patienten - mit Ausnahme des Hep atocyten - findet sich jedoch eine Kupferakkumulation, was fur das Vorliegen einer intrazelluliiren KupferverteilungsstOrung spricht. Dadurch wird Kupfer in der Darmmucosa, den Nieren und dem Bindegewebe deponiert, aber nicht in andere Gewebe exportiert. Es kommtzu ~ einer fortschreitenden N ervendegeneration (Dopamin -f)- Hydroxylase-Mangel), ~ Hypopigmentierung (Tyrosinasemangel), ~ Bindegewebsdefekten (Cutis laxa, Lysyloxidasemangel, S. 761) und ~ friihem Tod in der Kindheit.

CH3 I H C- C- CH- Coo-

'

I

I SH •NH3

Abb. 24.12 D-Penicillamin (~,~-Dimethylcystein),das durch zwei hydrophobe Methylgruppen substituierte D-lsomer desCysteins 712

I

24 Spurenelemente

Abb. 24.11. Membranintegration des bei der Wilson'schen Erkrankung defekten KupferTransportproteins. Das Protein weist die Charakteristika einer typischen P-ATPase auf. Die Kupfer bindenden Domanen sind braun markiert, Regionen,die von Mutationen betroffen sein ktinnen, sind griln eingezeichnet

Als Ursache wurde durch positionelle Klonierung ein Gen auf Chromosom Xq13.3 identifiziert, das flir ein 1500 Aminosauren enthaltendes Membranprotein mit 6 Domanen codiert, das ebenfalls zur Familie der Kationen-transportierenden P-Typ-ATPasen gehi:irt. Wilson- und Menkes-Erkrankung-Genprodukte sind zu 56 o/o homolog. Die Mehrzahl der bisher untersuchten Menkes-Patienten wies Deletionen in diesem Gen auf.

KERNAUSSAGEN ... Fast aile kupferhaltigen Proteine sind Oxidasen,d. h.sie iibertragen Elektronen auf das Sauerstoffmolekiil.Wie Eisen ist auch Kupfer in hoheren Konzentrationen toxisch, so dass Membransysteme existieren. die den intrazellularen Kupferspiegel regulieren. ~ Der partielle Ausfall eines dieser Systeme in der Leber durch Mutationen ist die Grundlage der WilsonErkrankung, bei der das Meta II im Hepatocyten akkumuliert und dadurch die Leberfunktion - bis hin zum kompletten Ausfall - stort. ... Durch Chelatbildner kann Kupfer aus dem Organism us bei Patienten mit M. Wilson entfernt werden.

24.2.31 Molybdan Auch Molybdan ist an ElektronenUbertragungen beteiligt. Molybdan ist am Elektronentransferprozess der Flavoenzyme wie Xanthin-, Aldehyd- oder Sulfitoxidase b eteiligt. Auch die Stickstofffixierung, d. h . die Umwandlung atmospharischen Stickstoffs in Ammoniak durch bestimmte Prokaryonten (S. 9), ist ein Redoxvorgang, der an die Gegenwart von Molybdan gebunden ist. Wegen des stufenweisen Ablaufs der Redoxreaktion iiberrascht es nicht, dass fur m an che Vorgange mehrere Metalle notwendig sind. So sind die meisten

24 Molybdanenzyme auf die Gegenwart von Eisen (Xanthinoxidase und Aldehydoxidase!) angewiesen. Wahrscheinlich werden bei der enzymatischen Reaktion die Elektronen vom Substrat tiber Molybdan und Flavin auf Eisen ubertragen.

! Ober den Molybdanstoffwechsel ist bisher nur wenig bekannt.

Die Molybdankonzentration in den Geweben ist sehr gering. Da dieses Metall nur eine geringe praktische Bedeutung in der Ernahrung des Menschen besitzt, liegen bisher nur wenige Untersuchungen tiber seinen Stoffwechsel vor.

24.2.41 Kobalt

!

Kobalt- und Vitamin -812 -Stoffwechsel sind eng verbunden . Die Funktion dieses Metalls ist an die von Vitamin B12 gebunden, in dessen Corrinring es fest eingebaut ist (S. 746). Dieses Vitamin ist als Coenzym an der Isomerisierung von Methylmalonyl-CoA zur Succinyl-CoA und der Methylierung von Homocystein zu Methionin (S. 748) beteiligt.

Kobalt wird im Organismus schnell umgesetzt. Der Kobaltbestand des Menschen betragt etwa 1,1 mg (19 ~-tmol). Mit der Nahrung aufgenommenes Kobalt wird beim Menschen - im Gegensatz zu Tieren - zu 70-100% resorbiert, dann jedoch schnell wieder mit dem Urin ausgeschieden. Bei Versuchstieren sowie gesunden Versuchspersonen fiihrt die Gabe von Kobaltionen (z. B. in Form von Kobaltchlorid) zu einer Steigerung der Erythrocytenproduktion, als deren Ursache eine vermehrte Biosynthese von Erythropoetin in den Nieren diskutiert wird (S. 928).

24.2.51 Zink

! Zink ist Cofaktor von mehr als 300 Enzymen. Zink ist Bestandteil und Cofaktor von mehr als 300 Enzymen (Carbo anhydrase, Pankreascarboxypeptidase, Alkoholdehydrogenase, Glutamatdehydrogenase, Malatdehydrogenase, Lactatdehydrogenase, alkalische Phosphatase und Matrix-Metalloproteinasen), in denen es zwei Wirkungen besitzt: .- Es halt durch koordinative Bindungen mehrere Aminosaureseiteketten des Enzymproteins in einer Anordnung fest, die zur Einleitung der chemischen Reaktion gunstig ist.

.- Daruber hinaus kann es selbst durch weitere koordinative Bindungen das Substrat festhalten, polarisieren und zur Reaktion aktivieren. Zink wirkt weiterhin als Stabilisator biologischer Membranen und ist Bestandteil DNA-bindender Proteine. Diese genregulatorischen Transkriptionsfaktoren weisen bestimmte Domanen auf, die fiir die Bindung des Proteins an die DNA verantwortlich sind. Das Architekturprinzip dieser Proteinabschnitte beruht auf dem Verbund von Cysteinylresten oder Cysteinyl- und Histidylresten mit zwei oder drei Zinkatomen, die als Liganden fur Zink dienen. Je nach entstehender dreidimensionaler Struktur wird zwischen Zink.finger-, Zinkcluster- und Zinkdrehungsproteinen unterschieden. Zu letzteren zahlt die Familie der Steroidrezeptoren ( Abb. 8.26,S.261). Dan eben ist Zink z. B. auch fiir die biologische Aktivitat von Thymulin, einem Nonapeptid, das die Aktivitat von T-Lymphocyten stimuliert, erforderlich. In den ,8-Zellen des endokrinen Pankreas nimmt Zink an der Speicherform des Insulins teil (S. 838).

Zink wird im Plasma an Albumin gebunden. Ein gesunder Erwachsener enthalt etwa 2-3 g (3045 mmol) Zink. Davon befinden sich 99 o/o im Intrazellularraum. VerhaltnismaBig hohe Konzentrationen weisen ._ die Inselzellen des Pankreas (Insulinspeicher), .- Iris und Retina des Auges (Retinoldehydrogenase) und .- Leber, Lung en und Zahne auf, .- besonders hoch ist die Zinkkonzentration in Prostata, Epididymis, Testes [und damit Spermien ( Chromatinstabilisierung)] und Ovarien. Zink wird im Jejunum und Ileum tiber einen noch nicht bekannten Mechanismus resorbiert. Resorbiertes Zink wird im Blut an Plasmaproteine (hauptsachlich Albumin) gebunden, von denen es zur Aufnahme in die Gewebe wieder freigesetzt wird. Das im arMakroglobulin nachweisbare Zink ist nicht leicht austauschbar und reprasentiert damit wahrscheinlich kein transportiertes Zink. Das an Plasmaproteine gebundene Zink macht 22 o/o des Zinks im Blut aus, der Rest findet sich in den Erythrocyten (75 o/o, Carboanhydrase) und Leukocyten (3 o/o, alkalische Phosphatase!). Die Normalkonzentration im Plasma betragt 100-140 ~-tg/100 ml (1520 ~-tmol/1). Der Plasmazinkspiegel unterliegt einer circadianen Rhythmik. Er wird durch Hormone und Zytokine beeinflusst: Glucocorticoide stimulieren die Zinkaufnahme in die Leber, Interleukin-1 und -6 fuhren im Rahmen der Akutphaseantwort (S.l014) zu einem Abfall des Zinkspiegels durch Aufnahme in verschiedene Gewebe. Die Ausscheidung von Zink aus dem Organismus erfolgt vorwiegend tiber den Stuhl. Der tagliche Zink24.2 Die einzelnen Spurenelemente

713

24 bedarf liegt bei 10 bis 15 mg und wird mit der in den Industriestaaten i.iblichen Ernahrung gedeckt.

!

Zinkmangel kann das lmmunsystem beeintrachtigen. Angeborener Zinkmangel (Acrodermatitis enteropathica)~ Fi.irdiese Krankheitsind-wie ihrNamesagt- u. a.Hauteffloreszenzen (Vesikel- und Pustelbildung durch gesti:irte Basalzellproliferation) sowie gastrointestinale Symptome (Diarrhoe) charakteristisch. Zugrunde liegt offenbar ein genetischer Defekt des Zinktransportsystems in den Mucosazellen, der zu einem Abfall des Plasmazinkspiegels fi.ihrt. Durch Zinksubstitution kann eine komplette klinische Remission erzielt werden. Erworbener Zinkmangel~ Ein Zinkmangel kann in den meisten Fallen an einer Erniedrigung des Plasmazinkspiegels erkannt werden. Ein Abfall ist fur die Diagnose eines Zinkmangels jedoch nicht ausreichend, da dieser auch bei akuten Entziindungen ( alsTeil der Akutphaseantwort) und als Antwort auf Stresssituationen auftreten kann. Leichter ist die Diagnose bei chronischen Zustiinden wie langzeitiger parenteraler Ernahrung (unzureichende Zufuhr), Malabsorptionssyndromen (unzureichende Resorption) oder Lebercirrhose (persistierende Funktionssti:irung). Erworbener Zinkmangel kann sich ebenfalls an Haut und Schleimhauten manifestieren und mit Sti:irungen der humoralen und zellularen Immunantwort (reduzierte Thymulinaktivitat, s. o.) verbunden sein.

24.2.61 Mangan Mangan spielt eine wichtige Rolle im Knorpelstoffwechsel. Eine Reihe von Enzymen kann in vitro durch Mangan aktiviert werden. Diese Funktion kann jedoch auch von anderen zweiwertigen Kationen i.ibernommen werden. Die Pyruvatcarboxylase und die PEP-Carboxykinase, zwei wichtige Enzyme der Gluconeogenese, sowie die Arginase und die Mn-Superoxiddismutase sind Manganproteine. Eine spezifische Funktion besitzt Mangan bei der Biosynthese von Mucopolysaccharid-ProteinKomplexen (Proteoglykanen, S. 594) des Knorpels.

!

Mangan wird in Mitochondrien angereichert. Mangan wird im Gastrointestinaltrakt auf noch unbekannte Weise in geringem Ausmag resorbiert. Nach Bindung an ein fJ rGlobulin im Blut wird es schnell von den Geweben und dort v. a. von den Mitochondrien aufgenommen. Mitochondrienreiche Gewebe weisen deshalb meist eine hi:ihere Mangankonzentration auf. Der Gesamtmanganbestand des Organismus betragt 10- 20 mg (180- 360 [Lmol) und damit 1/ 5 des Kupfer-

714

I

24

Spurenelemente

und 1/ 10() des Zinkbestands. Die Manganausscheidung erfolgt fast vollstandig in den Darm, v. a. tiber die Galle, aber auch tiber den Pankreassaft.

Ein Manganmangel ist beim Menschen noch nicht beschrieben worden. Tierexperimenteller Manganmangel fi.ihrt zu Wachstums- und Fertilitatssti:irungen sowie Skelettdeformierungen, denen die Beeintrachtigung des manganabhangigen Knorpelstoffwechsels zugrunde liegt.

24.2.71 Fluor Ob Fluor als ftir den Menschen lebensnotwendiges Spurenelement angesehen wird, hangt von den angewendeten Kriterien zur Beantwortung dieser Frage ab. Fluor ist zwar nicht zum Oberleben notwendig, fordert aber unter den derzeitigen Lebensbedingungen Gesundheit und Wohlbefinden, da optimale Fluorgaben das Ausmag der Karies, d. h. die Zersetzung der Zahne, herabsetzen.

Fluorid wirkt uber verschiedene Mechanismen kariesprotektiv. Fluor wirkt tiber eine Fi:irderung der Remineralisierung der Zahnoberflache. Auflockerungsdefekte an der Schmelz-Oberflache des Zahnes werden normalerweise durch den an Zahnmineral tibersattigten Speichel wieder aufgefi.illt (Remineralisierung). ~ Oberwiegt die Remineralisierungsgeschwindigkeit, so besteht Kariesresistenz. ~ Oberwiegt die Demineralisierung, so kommt es zu fortschreitender Karies. Physiologische Fluordosen fi:irdern die Remineralisierung urn das Mehrfache. Der kariostatische Effekt von Fluor(id) kommt tiber mehrere Mechanismen zustande: zum einen tiber eine lokale (topische) Wirkung auf die Zahnoberflache durch die Applikation fluoridierter Zahn- und Mundpflegepraparate und zum anderen tiber eine systemische Wirkung auf das Zahnmineral durch fluoridiertes Trinkwasser. Der systemische Einfluss auf die Apatitbildung [Ca50H(P04 h] wird durch die Verdrangung des Hydroxylions (aus Hydroxylapatit) durch Fluorid (unter Bildung von Fluorapatit) erzielt, wodurch das Mineral widerstandsfahiger gegentiber den von Mikroorganismen gebildeten organischen Sauren wird. Wesentlich fi.ir die Kariesentstehung ist offenbar die Bildung einer Plaque auf der glatten und harten Schmelzoberflache des Zahnes. Diese Plaques bestehen aus Ablagerungen hochmolekularer Dextrane, in denen siiurebildende Bakterien am Zahnschmelz haften. Die Dextrane werden hauptsachlich durch bestimmte anaerobe Streptokokken synthetisiert, den en Saccharo-

24 se (S. 27) als Substrat dient. Der wesentliche zweite Schritt bei der Kariesbildung scheint auf die Bildung von Sauren (Lactat) aus niedermolekularen Kohlenhydraten wie der Saccharose durch Streptokokken und Lactobacillen (anaerobe Glycolyse) in der Plaque zu beruben. Der mit der Saurefreisetzung verbundene pHAbfall fiihrt zu einer Demineralisierung des benachbarten Schmelzes. Daran schlieBt sich die Zersetzung des Dentins und des Zements durch den bakteriellen Abbau (Proteolyse) der Proteinmatrix an. Topisch applizierte Fluoridionen fiihren zum einen zu einer AufIOsung der Oberflache des Zahnschmelzes und der konsekutiven Reprazipitation des freigesetzten Calciums als amorphes Calciumfluorid, was den Zahnschmelz widerstandsfahiger gegen Bakterien macht. Zum anderen fiihren hohere Fluoridkonzentrationen zu einer Hemmung der Produktion organischer Sauren durch orale Bakterien (moglicherweise tiber eine Hemmung der Enolasereaktion der Glycolyse durch Fluorid). Fluorpraparate werden auch zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt: auch hier wird ein Teil der Wirkung tiber die Verdrangung von Hydroxyl- durch Fluoridionen erzielt, gleichzeitig hemmt Fluorid aber auch eine Osteoblasten-spezifische PhosphotyrosinPhosphatase.

!

Fluorid besitzt eine hohe Affinitat zum Knochen- und Zahnhartgewebe. Fluor ist ein beim Menschen gut untersuchtes Spurenelement. Das in Nahrungsmitteln oder Getranken enthaltene Fluorid wird im Magen-Darm-Trakt zu 80-100 % resorbiert. Beim Erwachsenen fin den sich 99% der Gesamtfluorkonzentration im Skelett und in den Zahnen, der Rest in den tibrigen Geweben und im Extrazellularraum. Im Skelett wird es als schwerloslicher Fluorhydroxylapatit gebunden, der durch Austausch von Fluoridionen gegen Hydroxylionen im Apatitkristallgitter entsteht (S. 773). Die Fluorkonzentration im Plasma betragt 0,01-0,02 mg/100 ml (5-10 !lmol/1) und wird auch bei hoher Fluorzufuhr nur kurzfristig tiber Minuten erhOht. Die Plasmakonzentration wird dadurch konstant gehalten, dass Fluor im Skelett festgehalten wird und durch die Nieren (in ganz geringen Mengen auch mit dem Stuhl, SchweiB und Speichel) wieder ausgeschieden wird. Aus der Verteilung im Organismus geht hervor, dass Fluorid eine ausgesprochene Affinitat zum Knochenund Zahnhartgewebe besitzt. Bis zur Halfte des resorbierten Fluorids kann vom Skelett retiniert werden, wenn die vorausgegangene Fluorzufuhr sehr niedrig war. Bei anhaltender taglicher Zufuhr kleiner Fluoridmengen, wie sie z. B.bei der unten beschriebenen Trinkwasserfluoridierung vorliegen, bildet sich ein Gleichgewicht zwischen Skelett und extrazellularem Korperwasser aus, d. h. es kommt nicht zu einem standigen Anstieg der Fluoridkonzentration des Skeletts. Beim erwachsenen Mensch en werden durchschnittlich 30% des aufge-

nommenen Fluorids im Skelett eingelagert, der Rest mit dem Urin ausgeschieden. Gleichzeitig wird durch die Aktivitat der Osteoclasten ebensoviel Fluorid mobilisiert und durch die Nieren ausgeschieden, wie durch den Knochenanbau fixiert wird. Bei hOherer Fluoridaufnahme stellt sich die Fluorkonzentration im Knochen auf ein hOheres Niveau ein,jedoch bleibt die Fluorbilanz selbst beim Konsum eines Trinkwassers mit einem Gehaltvon 6-8 mg (315 bis 420 !!IDOl) Fluor/1 noch ausgeglichen. Eine Fluorakkumulation in Organen und anderen Weichgeweben findet nicht statt. Aufschluss tiber das Verhaltnis von Aufnahme, Retention und Ausscheidung von Fluorid gibt die Bilanz. Beim Jugendlichen ist die Fluorbilanz zunachst noch positiv, d. h. Fluor wird vermehrt retiniert, etwa in einer GroBenordnung von 50% der resorbierten Menge. Erst nach einigen Jahren hat die Fluoridkonzentration des Skeletts in Abhangigkeit von der Hohe der taglichen Fluoraufnahme eine bestimmte Hohe erreicht. Beim Erwachsenen, dessen Fluorzufuhr gering war, und der von einem bestimmten Zeitpunkt an hohere Fluordosen aufnimmt, dauert es nur wenige Wochen, bis sich Aufnahme und Ausscheidung die Waage halten. Wahrend des Aufbaus des Skeletts wird rund die Halfte des aufgenommenen Fluorids retiniert, wahrend die Mobilisierung von Fluorid aus dem Knochen nur gering ist (positive Bilanz). Entsprechend der Hohe der taglichen Fluoraufnahme erreicht die Fluoridkonzentration des Skeletts schlieBlich eine bestimmte Hohe. Erst dann besteht ein Gleichgewicht zwischen resorbiertem und retiniertem Fluorid einerseits und mobilisiertem und ausgeschiedenem andererseits. Zu diesem Zeitpunkt wird Fluorid praktisch vollstandig durch die Nieren ausgeschieden (ausgeglichene Bilanz). 1st nach Absetzen einer hohen Fluorzufuhr die Mobilisierung groBer als die Retention, so kommt es zu einer negativen Bilanz, da Fluorid aus dem mit diesem Spurenelement stark angereicherten Knochen mobilisiert wird.

Fluorid besitzt eine wesentliche Bedeutung fi.ir die Kariesprophylaxe und Osteoporosebehandlung. Die kariesprotektive Wirkung geringer Fluoridmengen ist heute unumstritten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt deshalb die generelle Fluoridanwendung zur Prophylaxe der Karies, die die haufigste chronische und progressive Krankheit wahrend Kindheit und Jugend darstellt. Nach den bisherigen Erfahrungen in verschiedenen Gegenden von Nordamerika, Holland, Schweden und der ehemaligen DDR scheint die Trinkwasserfluoridierung die wirkungsvollste Form der systematischen Fluorverabreichung zu sein. Auch in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland wurde 1974 die gesetzliche Grundlage zur Einfiihrung der Trinkwasserfluoridierung geschaffen. Da diese jedoch nicht realisiert worden ist, bleibt ftir lnteressenten nur die individuelle Kariesprophylaxe durch Fluoridtabletten und lokale Fluoridapplikation durch fluoridhaltige Zahnpasta. 24.2 Die einzelnen Spurenelemente

715

24 Die Wirkung von Fluorid bei der Osteoporosebehandlung kommt neben der Wirkung auf das Knochenmaterial durch einen stimulierenden Einfluss auf die Osteoblasten zustande, die neue Knochenmatrix synthetisieren. Die Zahnfluorose ist die haufigste Nebenwirkung einer erhohten Fluoridzufuhr. Infolge einer Storung der Ameloblastentatigkeit kommt es zu einer fleckenformigen Unterentwicklung des Zahnschmelzes (gesprenkelte Zahne). Die Zahnfluorose tritt nur bei Fluorzufuhr wahrend der Zahnbildung auf, also innerhalb der ersten 8-10 Lebensjahre; altere Kinder und Erwachsene konnen nicht mehr an Zahnfluorose erkranken.

24.2.81 Jod Die einzig bekannte Funktion von Jod ist die eines essentiellen Bestandteils der Schilddrtisenhormone Triund Tetrajodthyronin (Thyroxin, S. 873).

! 75 % des Gesamtkorperjods finden sich in der Schilddriise.

In der Nahrung liegt Jod vorwiegend als anorganisches Jodid vor und wird in dieser Form fast vollstandig im Magen-Darm-Trakt resorbiert. Die meisten Nahrungsmittel mit Ausnahme von Meerfisch enthalten wenig Jod. Im Blut ist die Konzentration des anorganischen Jodids sehr niedrig [0,08-0,60 f,lg/100 ml (6-47 nmol/1)], der Hauptteil ist organisches Jod in Form der Schilddrtisenhormone, von denen nur etwa 1 o/oo nicht an Tragerproteine des Plasmas gebunden sind. Etwa 3 / 4 des gesamten Korperjods [10-20 mg (79-158 f-Lmol)) finden sich in der Schilddrtise. Damit ist eine einzigartige Anreicherung eines Mikroelements in einem Organ gegeben, da die Schilddriise nur etwa 0,05 o/o des Korpergewichts ausmacht. Diese Anreicherung wird durch die Gegenwart von Jodidtransportern wie dem Natrium!Iodid-Symporter oder Pendrin ermoglicht. Der Rest des Jods findet sich in der Muskulatur, Galle, Hypophyse, in Speicheldriisen und bestimmten Teilen des Auges, insbesondere dem Fettgewebe der Augenhohle und dem M. orbicularis. Beim Abbau der Schilddriisenhormone freigesetztes Jod kann fiir die Biosynthese dieser Hormone reutilisiert werden. Die Jodausscheidung erfolgt hauptsachlich mit dem Urin, daneben auch mit dem SchweiB und den Faeces. Bei ausreichender Jodzufuhr [ 100-200 flg (0,791,58 flmol)/Tag] mit der Nahrung soli die Jodausscheidung im Urin zwischen 75 und 150 flg (0,59 und 1,18 flmol)/Tag liegen.

Der Jodmangel ist we it verbreitet. Jodmangel, der in Deutschland wegen des niedrigen Jodgehaltes der Boden und damit auch der Agrarprodukte haufig auftritt, ftihrt zu einer als endemische 716

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24 Spurenelemente

Struma bezeichneten St5rung der Schilddriisenfunktion (S. 879), da der Schilddriise nicht geniigend Bausteine angeboten werden. Daher wurde in verschiedenen Staaten die Strumaprophylaxe durch jodiertes Kochsalz (Vollsalz) gesetzlich eingefiihrt. Zur Erfassung des ]odstatus ist die Jodausscheidung in den Urin ein wichtiger Parameter, da sie eng mit der Jodzufuhr korreliert. Der Sollwert der Jodausscheidung liegt bei 150 flg/Tag. Tatsachlich liegt die mittlere Jodausscheidung in Deutschland nur bei etwa 60 flg/Tag. Eine besondere Bedeutung besitzt die ausreichende Jodversorgung wahrend der Schwangerschaft und der Stillzeit, da eine Steigerung des miitterlichen Grundumsatzes auftritt und die fetale Schilddriise etwa ab der 12. Schwangerschaftswoche mit der eigenen Hormonsynthese beginnt. Experten pladieren deshalb fiir die gesetzliche Einfiihrung der Jodprophylaxe mit Hilfe von jodiertem Kochsalz. Solange hierfiir noch keine gesetzliche Grundlage existiert, sollen alle Arzte an der Aufklarung der Bevolkerung aktiv teilnehmen, das jodierte Kochsalz freiwillig zu benutzen. Mit Jod angereichertes Kochsalz enthalt 15-25 flg/g, d. h. bei einem taglichen Salzverbrauch von 5 g betragt die Jodzufuhr 75-125 f.! g. Es besteht auch keine Gefahr einer jodinduzierten Uberfunktion der Schilddriise, die erst bei taglichen Dosen von mehr als 500 flg (4 mmol) auftritt.

24.2.91 Chrom

Chrom verbessert die Glucosetoleranz. Uber die biochemische Funktion von Chrom ist bisher nur wenig bekannt. Bei Ratten, die chromarm ernahrt werden, tritt eine Beeintrachtigung der Glucosetoleranz (S. 562) auf, die sich durch Chromgaben wieder beheben laBt. Es wurde spekuliert, dass ein chromhaltiger Glucosetoleranzfaktor existiert; dieser konnt aber bisher nicht isoliert werden. Tierexperimenteller Chrommangel fiihrt zu Wachstumsstorungen und Beeintrachtigungen des Glucose-, Fett- und Proteinstoffwechsels. Beim Menschen werden St5rungen der Glucosetoleranz beobachtet.

Chrom kann zur Markierung von Erythrocyten verwendet werden. Chrom wird nur in gering em AusmaB resorbiert, wobei die Resorption von sechswertigem Chrom besser als die von dreiwertigem ist. 11> Das resorbierte sechswertige Chromanion tritt durch die Erythrocytenmembran und bindet an den Globinanteil des Hiimoglobins. 11> Dagegen kann das dreiwertige Chromkation nicht die Erythrocytenmembran durchdringen und bindet an ~-Globulin und Transferrin.

24 Diese Beobachtungen fiihrten zur Entwicklung von Methoden, mit den en durch Chrommarkierung die Lebensdauer von Erythrocyten und Plasmaproteinen bestimmt werden kann. Die Chromausscheidung erfolgt vorwiegend mit dem Urin, in klein en Mengen auch mit der Galle, durch den Darm und die Haut. Ober die Chromverteilung in Geweben ist nur wenig bekannt. Interessanterweise nimmt der Chromgehalt des Organismus [normal etwa 6 mg (115 jlmol)]- im Gegensatz zu den meisten anderen Mikroelementen - mit zunehmendem Alter ab.

I 24.2.10 I Selen ! Selen ist Bestandteil der Selenoproteine. Selen kommt als Selenocystein in zwei wichtigen Selenoproteinen vor,der Glutathionperoxidase sowie der Typ IThyroxin-5' -Dejodase (S. 875}. Bei der Biosynthese dieser Selenoproteine wird unter Verwendung des Codons UGA (normalerweise ein Stopcodon) ein Serylphosphat in das entstehende Protein eingebaut, aus dem durch Einbau von Selenid Selenocystein entsteht (S. 280). Die Glutathionperoxidase ist ein wichtiger Bestandteil des antioxidativen Schutzsystems (® Abb. 24.13). Ihre besondere Bedeutung liegt in der Eliminierung von Lipidperoxiden, die durch Protonierung von organischen Dioxyl-Radikalen entstehen (S. 551}. Das Enzym kommt in verschiedenen Isoformen vor, von denen einige mit durch Peroxidation geschadigten Membranphospholipiden, andere dagegen mit oxidierten Lipiden in Lipoproteinen reagieren. Die Typ-I-Thyroxin-5'-Dejodase iiberfiihrt Thyroxin in das biologisch aktive Trijodthyronin. Sie spielt dabei eine wichtige Rolle bei der Biosynthese der Schilddriisenhormone und damit deren Aktivierung (S. 875).

! Selen besitzt eine relativ geringe therapeutische Breite.

Die Resorption von Selen wird durch die Wertigkeit und Verbindung, in der es vorliegt, sowie die Menge des zugefiihrten Elements bestimmt. Im Blut erfolgt der Transport in Bindung an Plasmaproteine, von denen Selen in alle Gewebe einschlieBlich Knochen, Haare, Erythrocyten und Leukocyten gelangt. Am hochsten sind die Selenkonzentrationen in der Nierenrinde, darauf folgen Pankreas, Hypophyse und Leber. Ausgeschieden wird Selen mit den Faeces, dem Urin und mit der Ausatmungsluft. Die Deutsche Gesellschaft fur Ernahrung empfiehlt eine tagliche Selenzufuhr von 100 jlg. Nahrungsmittel mit hohem Selengehalt sind Eigelb, Fisch und Fleisch. Selen besitzt im Vergleich zu anderen Spurenelementen eine relativ geringe therapeutische Breite, da bereits ab der zehnfach empfohlenen Tagesdosis toxische Wirkungen auftreten.

Glucose6-PhosphatDehydrogenase

·.:x lGSH x HlO

GS -SG

NAOP+ x

NAOPH/H+

Gic - 6-P

6- P-Giuconat

Abb. 24.13 Funktion der Glutathionperoxidase bei der Eliminierung von Lipidperoxiden. Die Glutathionperoxidase reduziert organische Peroxide, z. B. Lipidperoxide. Fur die Glutationregenerierung wird als Hilfsenzym die Glutathion-Reductase benotigt, fi.ir die NADPH+/Regenerierung beispielsweise die Glucose-6-Phosphatdehydrogenase.GSH Glutathion, reduziert; GS-SG Glutathiondisulfid

Selenmangel beeintrachtigt die Schilddrlisenfunktion. Da Selen essentieller Bestandteil eines wichtigen Enzyms des Schilddrusenhormonstoffwechsels ist, fiihrt ein Selenmangel zur Beeintrachtigung der Bildung von Trijodthyronin. Ob dieser die Schadigung der Herzund Skelettmuskulatur, die bei den in China endemischen Selenmangelerkrankungen (Keshan- und Kashin-Beckkrankheit) beobachtet wird, (mit)verursacht, ist noch unklar. Selenmangel wird auch als Folge langandauernder parenteraler Ernahrung und bei Malabsorptionen beobachtet.

I 24.2.11 I Cadmium Cadmium gehort zu den in geringen Mengen toxischen Spurenelementen. Bisher sind keine cadmiumenthaltenden Metallenzyme beschrieben worden. In Leber, Nieren und anderen Organen des Menschen findet sich eine Familie von Proteinen, die Cadmium und Zink binden und als Metallothioneine bezeichnet werden. Metallothionein enthalt 20 Cysteinylreste (bei insgesamt 62 Aminosauren). Es bindet 7 Atome Cadmium und/oder Zink pro Proteinmolekiil. Daneben werden auch Kupfer und Quecksilber gebunden. Da Cadmiumionen die Biosynthese des Metallothioneins aktivieren, wird diesem Protein eine Funktion bei der Bindung iiberschiissiger Cadmiummengen zugeschrieben. Dabei werden die schadlichen Cadmiumionen durch die Bindung an das Protein eingekapselt und nur sehr Iangsam wieder ausgeschieden. Daneben induzieren auch ~ andere Metalle wie Zink, Kupfer oder Wismut, ~ Hormone (Dexamethason,Adrenalin) und ~ Cytokine (Interleukin-1, Interleukin-6} die Metallothioneinsynthese, d. h. das Protein wird im Rahmen einer allgemeinen Stressantwort vermehrt gebildet. 24.2 Die einzelnen Spurenelemente

717

24 !

Der Stoffwechsel des Cadmiums interferiert mit dem ahnlicher Meta lie. Uber Aufnahme und Ausscheidung von Cadmium liegen bisher keine gesicherten Erkenntnisse vor. Der Gesamtbestand des Organismus an Cadmium betragt etwa 30 mg (270 J.lmol), davon findet sich 1/ 3 in den Nieren und etwa 4 mg (36 J.lmol) in der Leber (Metallothionein), der Rest in Pankreas, Milz, Placenta und Milchdriisen. Cadmium beeinflusst aufgrund seiner chemischen Ahnlichkeit den Stoffwechsel von Zink, Kupfer und anderen Metallen.

Cadmium ist ein Kumulationsgift. Im Tierexperiment ist Cadmium - wahrscheinlich auch aufgrund seiner zink- und kupferantagonistischen Wirkung- toxisch: Beschrieben wurden kardiovaskulare Erkrankungen (Bluthochdruck), Nierenleiden, Hodennekrose, Fehlgeburten und angeborene Missbildungen. In Japan trat Ende der 50er Jahre eine todliche Krankheit auf, die durch Decalcifikation der Skelettknochen und Frakturen (Itai-Itai-Krankheit) gekennzeichnet war. Nach epidemiologischen Studien sind in Gebieten mit hohem Cadmiumgehalt der Luft (Industrieabgase) Todesfalle an hypertonischen,kardiovaskularen Leiden signifikant hoher. Cadmiumverbindungen werden auch ftir Dekors von Porzellan- und Keramikgeschirr verwendet. Dieses Cadmium kann von der Geschirrglasur beim Koch en abgegeben werden, sich im Mag en mit der Salzsaure zum giftigen Cadmiumchlorid umsetzen und in den Organismus eintreten. Da Cadmium im Meerwasser enthalten ist, nehmen z. B. auch Miesmuscheln, die pro Stunde his zu 40 l Wasser filtern, dieses Schwermetall auf. Von allzu haufigem Verzehr von Muscheln wird deshalb abgeraten. Cadmium ist ein typisches Kumulationsgift, das erst nach Jahren oder Jahrzehnten manifeste Organschaden hervorruft. Zielorgan sind die Nieren, in denen es aufgrund seiner Iangen Halbwertszeit (Metallothioneine?) angereichert und praktisch nicht mehr ausgeschieden wird.

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24.2.121 Blei

Blei ist in Pflanzen und Boden weit verbreitet. In den Menschen gelangt es tiber Nahrungsmittel, die praktisch nicht mehr bleifrei sind, und die Atemluft. In der Bundesrepublik betragt die tagliche Bleizufuhr mit der Nahrung etwa 500 J.lg (2,4 J.lmol). Dazu kommt das mit der Atemluft aufgenommene Blei, das vorwiegend aus Industrieabgasen stammt, nachdem der Bleiaussto~ aus Autoabgasen dank der Verwendung bleifreier Kraftstoffe zurtickgegangen ist. Als Grenzwert ftir den Bleispiegel im Blut gelten 70-80 J.lg/ 100 ml (3,43,9 mmol/1) und im Urin 80 J.lg (3,9 J.lmol)/24-h-Urin. In toxischen Konzentrationen hemmt Blei SH-Enzyme, 718

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24 Spurenelemente

insbesondere Enzyme der Porphyrinbiosynthese (S. 650),ATPasen und die Dihydrolipoatdehydrogenase (S. 521). Ein wichtiger Indikator ftir eine Bleivergiftung ist deshalb b-Aminoliivulinat, dessen Ausscheidung in den Urin mit der Bleiausscheidung parallel geht ( Tabelle 24.5). .,. Die akute Bleivergiftung ist durch Anamie (Hamoglobinmangel!), Koliken und Encephalopathien, .,. die chronische durch Hautblasse, Kopfschmerzen und Appetitmangel gekennzeichnet. Die Bleiausscheidung aus dem Organismus erfolgt tiber die Nieren, ein Teil des Bleis wird auch im Knochen gespeichert. Die Behandlung der Vergiftung erfolgt mit Komplexbildnern, die Blei zur Ausscheidung in den Urin mobilisieren.

I

24.2.131 Quecksilber

Quecksilber wird industriell als Katalysator verwendet. Mit Abwassern in Seen und Fltisse gelangtes metallisches Quecksilber wird von Mikroorganismen in das wegen seiner Toxizitat besonders gefiirchtete Dimethylquecksilber tiberftihrt, das aufgrund seiner LipidIoslichkeit (hydrophobe Methylgruppen!) die BlutHirn-Schranke passieren kann und damit im ZNS akkumuliert.

KERNAUSSAGEN "' Zink ist Cofaktor von mehr als 300 Enzymen. Dazu gehOren Metalloproteinasen, die Komponenten der extrazellularen Matrix abbauen, undTranskriptionsfaktoren. Ein Zinkmangel, der z. B. bei parenteraler Ernahrung oder Resorptionsstorungen auftritt, kann die lmmunantwort beeintrachtigen. "' Fluor besitzt eine kariesprotektive Wirkung und wirkt durch Einbau in die anorganische Substanz im Knochen der Osteoporose entgegen. "' Jod ist obligater Bestandteil der Schilddriisenhormone, so dass in Jodmangelgebieten wie Deutschland Mangelzustande haufig zu einer Beeintrachtigung der Schilddriisenfunktion fiihren. "' Chrom soli die Glucosetoleranz verbessern und Selen ist Bestandteil antioxidativer Schutzsysteme. "' Einige Spurenelemente, die vom Menschen nicht benotigt werden,sind bereits in geringen Mengen schadlich.Dazu gehoren Cadmium, Blei und Quecksilber, die bei chronischer Exposition im Korper akkumulieren und dadurch toxisch wirken.

24 SCHLUSSELBEGRIFFE Acrodermatitis Enteropathica Blei Cadmium Caeruloplasmin Chrom Cytochrom P4so DMTl D-Penicillamin Eisen Eisen mangel Eisenresorption Eisensensorisches Protein Ferritin Ferrireductase Fluor Glutathionperoxidase

Hamochromatose Hamoglobin Hamosiderin Hamosiderose Ham oxygenase Hamproteine Hepatolenticulare Degeneration Hephaestin HFE-Gen IREG Jod Karies Kobalt Kupfer lysyloxidase Mangan

Tabelle 24.5 Labordiagnostische Beurteilungskriterien der Bleibelastung. (Nach Haas TH, Schaller KH, Valentin H 1972) Test

Nonnal

Alaeptabel bei beruflich exponierten Personen

Gefihrlkh

Blei im Blut

1,5

< 3,4

> 3,4

6-Aminolavulinatim

45

< 75

> 75

[mmol!l)

Harn

[mmoU24 h)

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Mobilferrin Molybdan Osteoporose Quecksilber Redoxsysteme Saure-Basen-Katalyse Schwefei/Eisen-Ciuster Selen Selenocystein Superoxiddismutase Thyroxin-5' -Dejodase Transcuprein Transferrin Transferrinrezeptor Zink

GODWIN HA (2001) The biological chemistry of lead. Curr Opin Chern BiolS: 223-227 HAAS TH et al (1972) Gefahrdung der Umwelt durch Blei und seine Verbindungen. Dtsch Arztebl69: 1803 HuH (2000) Exposure to metals. Prim Care 27: 983- 996 MERCER JFB (2001) The molecular basis of copper transport diseases. Trends Mol Med 7: 64-69 O'HALLORAN TV (1993) Transition metals in control of gene expression. Science 261:715-725 ROLFS A, HEDIGER MA (2001) Intestinal metal ion absorption: an update. Curr Opin Gastroenterol 17: 177- 183 SCHRAUZER GN (2000) Anticarcinogenic effects of selenium. Cell Mol Life Sci 57: 1864-1873 SIMPKINS CO (2000) Metallthionein in human diseases. Cell Mol Biol46: 465-488 STEARNS DM (2000) Is chromium a trace essential metal? Biofactors 11: 149-162 VALBERG LS et al (1976) Serum ferritin and the iron status of Canadians. Can Med Ass J 114 (5): 417- 421

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719

Vita mine G.LOFFLER

25.1 25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.2 25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4 25.3 25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4 25.3.5 25.3.6 25.3.7 25.3.8 25.3.9 25.4

Allgemeine Grundlagen und Pathobiochemie Definition und Einteilung Taglicher Bedarf an Vitaminen Pathobiochemie Fettlosliche Vitamine Retinol Calciferole Tocopherole Phyllochinone Wasserlosliche Vitamine L-Ascorbinsaure Thiamin Riboflavin Niacin und Niacinamid Pyridoxin Pantothensaure Biotin Folsaure Cobalamin Vitaminahnliche Substanzen

722 722 723 723 725 725 730 733 735 737 737 738 739 740 741 742 743 744 746 748

25

---·

1n e1 ung

Mit den groBen Seefahrten zu Beg inn der Neuzeit wurde beobachtet, dass Menschen unter langdauernder, einseitiger Ernahrung spezifische Krankheitsbilder entwickeln. Aber erst En de des letzten Jahrhunderts wurde dam it begonnen, die Entstehung dieser Krankheiten tierexperimentell durch das Verfiittern sogenannter Mangeldiaten zu untersuchen, was zur Entstehung der modernen Ernahrungswissenschaft fiihrte. Man fand, dass Versuchstiere trotz ausreichender Energiezufuhr sterben, wenn sie mit einer nur aus hochgereinigten Kohlenhydraten, Fetten, Proteinen, den notwendigen Spurenelementen und Elektrolyten bestehenden Diiit erniihrt werden. Die in einer derartigen Diat fUr das Oberleben fehlenden Bestandteile wurden Vita mine genannt, wei I man annahm, dass es sich ausschlieBiich urn stickstoffhaltige Verbindungen handle. Spater zeigte sich allerdings, dass viele Vita mine keinen Stickstoff enthalten, dass Vitamine untereinander keinerlei chemische Verwandtschaft aufweisen und ihr Wirkungsspektrum aile Aspekte der Biochemie hoherer Zellen umfasst.

25.1

Allgemeine Grundlagen und Pathobiochemie

25.1.1

Definition und Einteilung

Vitamine sind in Mikromengen benotigte essentielle Nahrungsbestandteile. Vitamine sind Verbindungen, die in geringen Konzentrationen fiir die Aufrechterhaltung von Stoffwechselfunktionen benotigt werden. Pflanzen und Mikroorganismen konnen diese fiir den Zellstoffwechsel benotigten Verbindungen selbst produzieren. Die hoher organisierten Lebensformen haben im Zuge der Evolution diese Fahigkeit eingebiilk Ihnen fehlen fiir die Biosyn-

these von Vitaminen benotigte Enzymaktivitaten, so dass fiir sie Vitamine zu essentiellen Nahrungsbestandteilen geworden sind [vgl. essentielle Aminosauren (S. 481 ), essentielle Fettsauren (S. 449) ]. Der mengenma6ig geringe tii.gliche Bedarf an Vitaminen entspricht der Tatsache, dass sie eine katalytische oder regulatorische Funktion haben. Vitamine .,. wirken als Coenzyme, .,. aktivieren Transkriptionsfaktoren, .,. sind Bestandteile des Verteidigungssystems gegen den oxidativen Stress oder .,. von Signaltransduktionsketten. Gewohnlich werden die Vitamine in wasser- bzw. fettIosliche Vitamine eingeteilt ( Tabelle 25.1). Dies basiert lediglich auf einer groben chemischen Eigen-

Tabelle 25.1. Einteilung derVitamine nach ihrer Ltislichkeit

Buchstabe

Name

Biologisch a ktive Form

Biochemische Funktion

A

Retinol

Retinoat bzw. Retinal

Photorezeption, Stabilisierung von Membranen, Glycoproteinbiosynthese, Genexpression

0

Cholecalciferol

1,25-Dihydroxycholecalciferol Regulation der extrazelluliiren Calciumkonzentration

E

Tocopherol

Tocochinon (?)

Schutz von Membranlipiden vor (Per-)Oxidation

K

Phyllochinon

Difarnesylnaphthochinon

Carboxylierung von Glutarnylresten in Proteinen (Coenzym)

Biologisch aktive Form

Biochem ische Funktion

Wassert6sllche Vltamlne Buchstabe

a me

c

Ascorbinsiiure

Ascorbinsaure

Redoxsystem, Hydroxylierungen

B.

Thiamin

Thiaminpyrophosphat

Dehydrierende Decarboxylierungen (Coenzym)

B2

Riboflavin

FMN,FAD

Niacin( amid) B6

Bl2

722

I

25 Vitamine

AD+, ADP•

Wasserstoffiibertragungen (Coenzym) Wasserstoffiibertragungen (Coenzym)

Pyridoxin

Pyridoxalphosphat

Transarninierungen, Decarboxylierungen, Transsulfurierung (Coenzym)

Pantothensaure

CoA-SH, Phosphopantethin

Acyliibertragungen (Coenzym)

Biotin

Biocytin

Carboxylierungen (Coenzym)

Folsaure

Tetrahydrofolsaure

1-Kohlenstoffatomiibertragu ngen (Coenzym)

Cobalamin

5'-Desoxyadenosylcobalamin C-C-Umlagerungen (Coenzym) 1-Kohlenstoffatomiibertragungen (Coenzym) Methylcobalamin

25 schaft, hat aber keinerlei Bezug zur biochemischen Funktion.

25.1.21 Taglicher Bedarf an Vitaminen

!

Der tatsachliche Vitaminbedarf hangt von individuellen Gegebenheiten ab. Exakte Zahlen fiir den taglichen Minimalbedarf wurden an einzelnen Versuchspersonen fiir einige Vitamine ermittelt. Da der Bedarf in den meisten Fallen jedoch nicht genau bekannt ist, begniigt man sich mit Empfehlungen fiir die wiinschenswerte Hohe der Zufuhr, in den en • die individuellen Schwankungen, • der veranderte Bedarf bei erhohtem Kalorienverbrauch, • Wachstum, • Schwangerschaft und Stillzeit

25.1.31 Pathobiochemie Hypo- und Hypervitaminosen fi.ihren zu unterschiedlichen Krankheitsbildern. Die mangelhafte Versorgung mit einem Vitamin fiihrt in der leichten Form zur Hypovitaminose, in der schweren, vollausgebildeten zur Avitaminose. Ein Vitaminmangel kann durch • eine unzureichende Zufuhr, .. gestorte intestinale Resorption oder • beeintrachtigte Umwandlung des Vitamins in seine Wirkform (z. B. Uberfiihrung in die Coenzymform) verursacht werden.

sowie ein angemessener Sicherheitszuschlag beriicksichtigt sind ( Tabelle 25.2). Bei der Schii.tzung der mit der Nahrung aufgenommenen Vitaminmenge sind mogliche Verluste durch Transport, industrielle Verarbeitung, Lagerung und Zubereitung der Nahrungsmittel (Kochen!) in Rechnung zu stellen, insbesondere dann, wenn aufgrund diatetischer Ma6nahmen die freie Nahrungswahl eingeschrankt wird.

Da viele Vitamine (besonders die des B-Komplexes) Coenzyme der Enzyme von Hauptstoffwechselwegen sind, ist die Symptomatik von Hypovitaminosen hii.ufig unspezifisch, da meist der gesamte Intermediarstoffwechsel schwer gestort ist. Betroffen sind v. a. Gewebe mit hoher Stoffwechselleistung (z. B. Myocard, Gastrointestinaltrakt) oder Vermehrungsrate (Blut bildende Gewebe des Knochenmarks, epitheliale Gewebe). Ein Vitaminmangel kann - besonders auch im praklinischen Stadium - durch die Bestimmung einer vitaminabhii.ngigen biochemischen Funktion erfasst werden: So ist z. B. die Urinausscheidung eines Stoffes erhOht, wenn eines der Enzyme, die seinen Abbau katalysieren, vitaminabhangig ist. Durch orale Gabe einer bestimmten Menge dieses Stoffes in Belastungstests kann die

Tabelle 25.2. Empfohlene Htihe der Vitaminzufuhr pro Tag fUr gesunde Erwachsene in IJmol (Iinke Spalte) bzw. mg (rechte Spa/te)

Tabelle 25.3. Biochemische Tests zur Erfassung von Vitaminmangelzustanden

Retinol Cholecalciferol Tocopherol Pbyllochinone

Thiamin Riboflavin Niacin Pyridoxin Pantothensaure

5,2

1,5DF

0,026

O,OJDF

26-78

10-30 DL-a-Tocopherylacetat

5,6

1,7

4,8

1,8

9-12 46

1,5-2,0

Verliingerung der Gerinnungszeit

Thiamin

Verminderung der Aktivitat der Transketolase in den Erythrocyten

Riboflavin

Vermehrte Ausscheidung von Kynurenin und 3-Hydroxykynurenin im Urin nach Belastung mit Tryptophan

Pyridoxin

Verringerte Aktivitat von Transaminasen in den Erythrocyten; vermehrte Ausscheidung von Xanthurensaure, Hydroxykynurenin und Kynurensaure im Urin nach Belastung mit Tryptophan

Folsaure

Vermehrte Ausscheidung von N-Forrnirninoglutamat im Urin nach Belastung mit Histidin

Cobalamin

Ausscheidung von Methylmalonsaure imUrin

10

1,2

0,3

Folsauregruppe

0,1

0,05

Cobalamin

0,022- 0,037 0,03- 0,05 426

Phyllochinone

20

Biotin

Ascorbinsiiure

Vermehrte Ausscheidung von Kreatin und 1-Methylhistidin im Urin (tierexperimentell)

L-Ascorbinsaure Ausscheidung von p-Hydroxyphenylpyruvat im Urin nach Belastung mit Tyrosin

2,2

160

Tocopherol

75

(D) Empfehlungen d erDeutschen Gesellschaft fUr Ernahrung. (F) Empfehlungen des.,Food and Nutrition Board" der U SA.

25.1 Allgemeine Grundlagen und Pathobiochemie

723

25 Vitaminspeidler

~ 100

Zellstoffwechsel

klinische Symptome anatomische Veriinderungen

0

50

100

150

200

250

Zeit [Tage) Abb. 25.1. Zeitlicher Verlauf der durch einen Vitaminmangel verursachten Stiirungen am Beispiel des Thiamins

Ausscheidung des sich in der Zelle anstauenden und ins Blut und den Urin iibertretenden Stoffes noch provoziert werden. Weiterhin ist die Aktivitatsminderung bestimmter Enzyme des Erythrocyten nachweisbar, wenn Sti:irungen im Stoffwechsel der entsprechenden Vitamine vorliegen ( Tabelle 25.3).Aus der Unterversorgung mit einem Vitamin resultiert eine Reihe von Storungen mit vorwiegend unspezifischer Symptomatik, zu denen mit fortschreitender Dauer des Mangels morphologische Veranderungen an den verschiedensten Organen kommen. Im Friihstadium treten nach dem Aufbrauchen der Speicher Sti:irungen des Zellstoffwechsels auf, die graduell abgestuft sein konnen und denen die klinischen Symptome und anatomischen Veranderungen zeitlich folgen ( Abb. 25.1 ). Die Erkennung und Behandlung eines Vitaminmangels ist von au6erordentlicher praktischer Bedeutung. Zur Zeit sind zwar die Bewohner der europaischen und nordamerikanischen Lander durch ein ausreichendes und vielseitiges Nahrungsangebot sowie synthetische Vitaminpraparate vor Hypovitaminosen bis auf Ausnahmesituationen geschiitzt. Wegen der Gefahr einer einseitigen Ernahrung ist allerdings der standig zunehmende Anteil alterer Menschen an der Population von Vitaminmangelsituationen bedroht. Daneben finden sich Vitaminmangelzustande gelegentlich wahrend der Graviditat, Stillperiode sowie bei einseitigen Ernahrungsformen. Infolge der immer mehr zunehmenden weltweiten Nahrungsmittelknappheit ist anzunehmen, class in nicht allzu ferner Zukunft die Hypovitaminosen in erschreckendem Umfang zunehmen werden und entsprechender arztlicher Behandlung bediirfen. Wahrend iiberschiissige Mengen wasser!Oslicher Vitamine mit dem Urin ausgeschieden werden, trifft dies fiir fettlosliche Vitamine offenbar nicht zu. So konnen Hypervitaminosen nach hoher Gabe synthetischer Vitamin-A- oder -D-Praparate auftreten. Abgesehen von den Beobachtungen, class der Genuss groBerer Mengen Eisbarenleber (bei Eskimos) oder die bevorzugte Ernahrung mit Karottensaften ZU einer Vitamin-AHypervitaminose fiihren kann, verursachen auch einseitige Ernahrungsformen keine Hypervitaminose.

724

I

25 Vitamine

StBrungen im Vitaminstoffwechsel verlaufen haufig mit der Symptomatik eines Vitaminmangels. Wie aus Tabelle 25.1 zu entnehmen ist, client der iiberwiegende Teil der Vitamine als Coenzym bei hochspezialisierten enzymatischen Reaktionen. Abbildung 25.2 fasst dabei die einzelnen Schritte zusammen, die von der Aufnahme eines Vitamins in den Organismus bis zu seinem Einbau in ein Apoenzym durchlaufen werden miissen. Zunachst muss das Vitamin durch einen meist spezifischen Prozess intestinal resorbiert werden. Sein Transport im Blut zu den Zielzellen erfolgt haufig in Bindung an spezifische Transportproteine. Nach der Aufnahme in die Zielzelle erfolgt dort die Umwandlung des Vitamins zum entsprechenden Coenzym sowie anschlieBend dessen Assoziation mit dem Apoenzym, wobei das fertige Holoenzym entsteht. Wie sorgfaltige klinisch biochemische Untersuchungen gezeigt haben, lassen sich eine Reihe von krankhaften Zustanden mit der Symptomatik eines Vitaminmangels auf Defekte im Vitaminstoffwechsel zuriickfiihren, sind also nicht durch Fehlernahrung verursacht. Solche Defekte treten familiar gehauft auf und beruhen auf genetischen Storungen von Proteinen bzw. Enzymen, die fiir den Vitaminstoffwechsel verantwortlich sind. Sie sind bisher fiir die Vitamine Biotin, Cobalamin, Folsaure, Pyridoxin, Riboflavin und Thiamin beschrieben worden und konnen jeden einzelnen Schritt im Vitaminstoffwechsel betreffen. Es handelt sich urn relativ seltene Erkrankungen, deren Symptomatik haufig durch Zufuhr supraphysiologischer Mengen des betroffenen Vitamins behoben werden kann.

Vitamin

! ! ! ! ! !

lntestinale Resorption

Transpon im Blut

Aufnahme in Zellen

Umwandlung zum Coenzym

Assoziation mit Apoenzym

Holoenzym

Abb. 25.2. Oberblick iiber die einzelnen Schritte des Vitaminstoffwechsels

25 KERNAUSSAGEN Vita mine sind eine Gruppe essentieller Nahrungsbestandteile, die dem Organismus in Mikromengen zugefiihrt werden mussen und ohne die der normale Ablaut der Stoffwechselprozesse nicht moglich ist. lhrer chemischen Natur nach kann man sie in fett- bzw. wasserlosliche Vita mine einteilen. Vitaminmangelzustande oder Hypovitaminosen fiihren in aller Regel zu schweren Krankheitsbildern mit meist unspezifischen Symptomatik, da haufig die verschiedensten Gewebe durch den Vitaminmangel betroffen sind. Hypervitaminosen sind lediglich fur die in verschiedensten Geweben gespeicherten fettloslichen Vitamine beschrieben worden und werden in aller Regel nicht durch Fehlernahrung, sondern durch zu hohe medikamentose Zufuhr ausgelost.

25.2 Fettlosliche Vita mine

25.2.1 Retinol

!

Retinolderivate sind fi.ir den Sehvorgang, die Genexpression sowie die Glycoproteinbiosynthese wichtig. Chemische Struktur~ Retinol (Vitamin A, Axerophthol) ist ein aus 4 Isopreneinheiten zusammengesetzter Alkohol ( Abb. 25.3). Er wird entweder als solcher oder in Form des Provitamins P-Carotin mit der Nahrung zugefiihrt. ~-Carotin gehOrt zur Gruppe d er Carotinoide, die formal a us 8 lsoprenresten bestehen und nur im Pflanzenreich synthetisiert werden. Gelbe Gemi.ise und Fri.ichte (z. B. Karotten und gelbe Pfirsiche) sowie die Blatter der gri.inen Gemiise (Spinat, Fenchel, Griinkohl) - also nur pflanzliche Produkte - stellen die Hauptmenge des mit der

Nahrung zugefi.ihrten Provitamins A dar. In tierischen Produkten sind Carotinoide mit Ausnahme von Leber, Milchprodukten und Fisch nur in geringen Konzentrationen vorhanden. Die intestinale Resorption von Carotin und Retinol erfolgt - wie diejenige anderer fettlOslicher Vitamine - gemeinsam mit der Fettresorption (5.1093), Gallensauren stellen dabei einen unerlasslichen Cofaktor dar. In den Enterocyten des Intestinaltraktes wird der groGte Teil des aufgenommenen Carotins durch eine spezifische Dioxygenase gespalten (Abb. 25.3). Donor der notwendigen Reduktionsaquivalente ist NADPH/H+. Das dabei entstehende Retinal wird in Chylomikronen eingebaut und zur Leber transportiert. Die Leber enthalt fi.ir die Speicherung von Vitamin A spezialisierte Zellen, die sog. Stern-Zellen (S. 1116). Die Speicherung von Vitamin A erfolgt nach Reduktion des Retinals zum Retinol durch die NADHJH+ -abhangige Retinoldehydrogenase mit anschlieGender Veresterung mit Palmitat als Retinylpalmitat. Die in den Stern-Zellen der Leber gespeicherte Vitamin A-Menge ist betrachtlich und sichert den Bedarf fi.ir mehrere Monate. Bei Bedarf wird Retinylpalmitat durch eine spezifische Esterase freigesetzt. Da nahezu alle Zellen des Organismus Vitamin A benotigen, kann das extrem hydrophobe Moleki.il nur in Bindung an spezifische Proteine transportiert werden. Bis heute sind fi.inf Bindungsproteine isoliert und identifiziert worden, ~ die fi.ir den intrazellularen Transport von Retinol wahrend der Resorption durch die Enterocyten, ~ fi.ir den Transport des Retinols im Blut sowie ~ fiir den zellularen Transport von Retinol oder Retinoat in den Zielzellen verantwortlich sind ( Tabelle 25.4). Stoffwechsel~

Vorkommen~

Retinol- und Retinoat-Bindungsproteine gehoren zu einer Gruppe von Lipid-Transportproteinen, die als Lipocaline bezeichnet werden.

Tabelle 25.4. Extra- und intrazellulare Retinolbindungsproteine

Name

Natiirlicher Ugand

Wirkort

Funktion

Retinol-Bindungsprotein RBP

aU-trans-Retinol

Slut

Extrazellularer Tran port von Retinol

ZeUulares RetinolBindungsprotein, Typ 1 CRBP-I

aU-trans-Retinol

In Zellen Vitamin Aempfindlicher Gewebe

Intrazellularer Transport von Retinol

Zellulares RetinolBindungsprotein, Typ II CRBP-11

aU-trans-Retinol aiJ-tran -Retinal

lntestinale Mucosazellen

Resorption und Transport von Vitamin Ain Mucosazellen

ZeUulares RetinsaureBindungsprotein, Typ I CRAB P-I

all-trans-Retinoat

In Zellen Vitamin A-empfindlicher Gewebe

lntrazellularer Transport von all-trans-Retinoat

ZeUulares RetinsaureBindungsprotein, Typ II CRAB P-I!

aU-trans- Retinoat

Hautzellen

lntrazellularer Transport von all-trans-Retinoat

25.2 Fettliisliche Vita mine

725

25

0

all-trans-Retinoat

!Isomerase

I

UA 0

c

all-tran s-Retinol

H

11 -cis-Retinal

o

c

o-

9- Vitamin A ist in Form des 11-cis- bzw. all-trans-Retinals Bestandteil des in den stabchenformigen Sinneszellen der Retina des Auges vorkommenden Sehpigments Rhodopsin. Rhodopsin ist ein zusammengesetztes Protein (Molekulargewicht ca. 27 kD), das aus dem Protein Opsin und Retinal besteht. Retinal ist covalent an die E-Aminogruppe eines Lysylrests des Opsins gebunden. Aus der molekularen Struktur des Opsins geht hervor, dass es in die Gruppe der heptahelicalen Rezeptoren geh6rt (S. 797, -®Abb. 25.5). Lediglich der Besitz des Pigmentes Retinal macht aus einem Rezeptor fur chemische Signalstoffe einen solchen fiir Lichtquanten. 726

25 Vitamine

Abb. 2.5 ..3. Vom ~-carotin abgeleitete Vitamin A-Derivate. ~-Carotin wird durch eine Dioxygenase zu all-trans-Retinal gespalten, welches zu 11-cis-Retinal isomerisieren kann. Durch Oxidation der Aldehydgruppe entsteht aus all-trans-Retinal das all-trans-Retinoat, das zu 9-cis-Retinoat isomerisieren kann. Durch Reduktion der Aldehydgruppe des all-trans-Retina Is kommt man zum all-trans-Retinol

Die in den fiir das Farbsehen verantwortlichen Zapfen (s. u.) vorkommenden lichtempfindlichen Pigmente mit Absorptionsmaxima von ... 420 nm (blauempfindlich), 11> 530 nm (rotempfindlich) und 11> 560 nm (grunempfindlich) sind grundsatzlich gleichartig aufgebaut. Nur minimale Unterschiede in der Primarstruktur des Opsins fiihren zu drastischen Veranderungen der jeweiligen Absorptionsmaxima. Diese Untersuchungen haben die Grundlage fiir die Aufklarung der molekularen Grundlagen der RotGrun-Blindheit geschaffen. Dazu wurde die genomische DNA von Patienten mit angeborener Rot-GrunBlindheit durch Southern-blot-Hybridisierung mit den klonierten Genen fur die rot- bzw. grunempfindlichen Photopigmente untersucht. Die pathologischen Genotypen sind dabei die Folge einer Genkonversion bzw.

25

rt t

9·cis·Retinol

NAD(Pj+

9-cis·Retinal

NAD{P)H/W

Abb. 25.4. Stoffwechsel des Vitamin A. ~-Carotin wird durch eine Dioxygenase

all-trans-Retinol

j

~~~(f~~~~~~ NAD(Pt

l tsomerasen

all-trans· Retinal NAD+

NAO{P)HIW

NADHIW

I LICht

11 -ds·Retinol

~~~(fR~~)~~NAO{P)+

11-cis·Retinal

NAD(P)HIW

nichtreziproken Rekombination. Dies fiihrt entweder zum volligen Verlust oder zu Strukturdefekten im Bereich des fur das rotempfindliche bzw. griinempfindliche Pigment codierenden Gens. Stabchen und Zapfen, die Sehzellen der Wirbeltiere, sind morphologisch und funktionell in mehrere Abschnitte gegliedert ( Abb. 25.6). Das AuBensegment eines Stabchens ist mit flachen Membransacken oder

coo-

Cytosol

gespalten, wobei entweder all-trans-Retinal oder 9-cis-Retinal entsteht. Durch Oxidoreductasen aus der Familie der Alkoholdehydrogenasen ki:innen die verschiedenen Retinale zu den entsprechenden Retinolen reduziert werden. Die Bildung des fUr die Rhodopsinbildung mitbeni:itigten 11-cis-Retinals erfolgt durch lsomerisierung von all-trans-Retinol zu 11 -cis-Retinol mit anschlieBender Oxidation zum Aldehyd. Retinole ki:innen mit Fettsauren verestert und so gespeichert werden.ln irreversiblen Reaktionen wandeln Enzyme aus der Familie der Aldehyddehydrogenasen all-trans-Retinal bzw. 9-cis-Retinal in die entsprechenden Retinoate urn, die als liganden fUrTranskriptionsfaktoren dienen

-scheiben angefiillt, die wie Miinzen einer Geldrolle innerhalb der Hiillmembran gestapelt sind. Sie enthalten ebenso wie die Hiillmembran das Rhodopsin. Ein StabchenauBensegment besteht z. B. bei der Ratte aus etwa 1000 derartigen Membransackchen. Im Innensegment des Stabchens befinden sich in groBer Zahl Mitochondrien und endoplasmatisches Reticulum, an dem u. a. die Biosynthese des Opsins stattfindet. Darauf folgt ein Abschnitt mit dem Zellkern und ein langerer Fortsatz, der mit der nachfolgenden Nervenzelle eine Synapse bildet. Ober diese Schaltstelle wird die Erregung aus der Lichtsinneszelle weitergeleitet. Die Zapfen unterscheiden sich von den Stabchen durch ihre konische Form und den abweichenden Aufbau des Membransystems im AuBensegment. Die fla-

AuBensegment

lnnensegment Kern

Synapse Abb. 25.5. Anordnung des Rhodopsins in der photosensiblen Membran der Stabchen. Das N-terminale Ende des Opsins liegt auf der luminalen, das C-terminale auf der cytosolischen Seite. ln sieben a-helikalen Bereichen durchzieht das Opsin die photosensible Membran. Die Nettoladung geladener Aminosauren ist entsprechend hervorgehoben. Das Retinal ist aus GrUnden der Vereinfachung weggelassen

Abb. 25.6. Schematisierte Darstellung von Stabchen aus der Meerschweinchen-Retina 25.2 Fettlosliche Vita mine

727

25 chen Einfaltungen der Photorezeptormembran werden nicht als flache Sackchen abgeschntirt, sondern behalten ihre Verbindung zur AuBenmembran. Statt Rhodopsin enthalten Zapfen die oben geschilderten farbempfindlichen Photopigmente. In Ruhe, d.h. im Dunkeln, sind in den Plasmamembranen der Stabchen und Zapfen Natriumkanale geOffnet, was zu einer Depolarisierung dieser Zellen fiihrt. Dies hat die Offnung von spannungsregulierten Calciumkanalen zur Folge. Die deswegen hohe intrazellulare Calciumkonzentration lOst die Freisetzung des Transmitters Glutamat an der Synapse zwischen der Photorezeptorenzelle und den afferenten Neuronen, den Bipolarzellen der Retina, aus. Diese verftigen tiber unterschiedliche Glutamatrezeptoren, die das ,Dunkelsignal" weitergeben. Bei Belichtung der stark gefalteten Photorezeptormembran kommt es zu einer photoinduzierten Stereoisomerisierung der 11-cis- zur all-trans-Form des Retinals, wobei der Proteinanteil des Rhodopsins, das Opsin, schrittweise Konformationsanderungen durchmacht, bis schlieBlich Retinal vom Opsin abgespalten wird (~ Abb. 25.7). Eine der dabei entstehenden

IBelichtung I

Rhodopsin (Opsin)

~

HC

Zwischenverbindungen wird als aktives Rhodopsin (R') bezeichnet und ist fiir die in ~Abb. 25.8 dargestellte Signaltibermittlung verantwortlich. R' bindet namlich an ein als Transducin bezeichnetes oligomeres Membranprotein, das zur Gruppe der heterotrimeren G-Proteine gehOrt (S. 799), und lOst dadurch den Austausch eines von diesem Protein gebundenen GDP-Molektils mit GTP aus. Dadurch wird die das gebundene GTP tragende a-Untereinheit des Transducins freigesetzt, welche eine cGMP-abhiingige Phosphodiesterase aktiviert, was zu einem auBerordentlich raschen Abfall des cGMP-Spiegels im Stabchen bzw. Zapfen ftihrt. Da cGMP das intrazellulare Molektil ist, das die ftir die Depolarisierung notwendigen Ionenkanale offenhalt, schlieBen sich diese, und es kommt zu einer mit einem Abfall der intrazellularen Calciumkonzentration einhergehenden Hyperpolarisierung der Sehzelle. Die Glutamatfreisetzung an der Synapse hort auf, was als ,Lichtsignal" client. Nach Beendigung des Lichtreizes kommt es sehr schnell zum Wiederanstieg des cGMP-Spiegels. Der Grund hierftir liegt darin, class die a-Untereinheit des Transducins eine GTPase-Aktivitat besitzt, weswegen das gebundene GTP zum GDP hydrolysiert wird. Damit geht sie in eine Konformation mit hoher Affinitat zur ~­ Untereinheit des Transducins tiber, was zur Inaktivierung der cGMP-abhangigen Phosphodiesterase fiihrt. Die Regenerierung des Rhodopsins erfolgt durch eine enzymatische Isomerisierung des all-trans- zum 11-cis-Retinal mit anschlieBender Assoziation an das

0

Transducin

!

h· v

Opsin

CL

11-cis-Retinal

HC= O

all-trans-Retinal

~NADH+W rrNAO + cGMP Phosphodiesterase

~= 11-cis-Retinol

H2C OH

inaktiv

all-trans-Retinol

Abb. 25.7. Zyklus des Retina Is bei der Belichtung der Photorezeptormembran

728

I

25 Vitamine

cGMP Phosphodtesterase aktiv

Abfall der cGMP-Konzentration

Abb. 25.8. Reaktionskaskade bei der ReizObertragung in photosensiblen Zellen. (Einzelheiten s. Text)

25 Opsin. Bei sehr starker Belichtung kommt es zusatzlich zur Reduktion von Retinal zum Vitamin-A-Alkohol, dem Retinol. Die Regenerierung des Retinals aus Retinol erfordert die Oxidation der terminalen alkoholischen Gruppe zur entsprechenden Aldehydgruppe. Diese Reaktion erfolgt durch NAD+ -abhangige Katalyse der Retinoldehydrogenase (s. oben). Unter normalen Umstanden sind in der Retina die Geschwindigkeiten der Rhodopsinspaltung und -regeneration gleich gro6. Bei Retinolmangel wird jedoch die Regeneration des Rhodopsins verlangsamt. In den Zapfen der Retina findet ein gleichartiger Prozess statt. Auch die Photorezeptormembranen der Zapfen enthalten Retinol, jedoch andere Opsinisoformen. Beeinflussung der Genexpression~ Man weiB schon lange, dass die vom Retinal abgeleiteten Retinoide, besonders das all-trans-, aber auch das 9-cis-Retinoat eine groBe Zahl biologischer Vorgange einschlieBlich ~ Embryogenese, .,. Morphogenese, .,. Wachstum, ... Differenzierung und .,. Fertilitat beeinflussen konnen.

Retinoide werden zur Therapie verschiedener Hauterkrankungen eingesetzt und zeigen dramatische Antitumoreffekte bei Patienten mit akuter PromyelocytenLeukamie. Die biochemische Grundlage dieser Effekte liegt in der Fahigkeit der Retinoide, die Transkription spezifischer Gene zu regulieren. Sie benotigen hierfiir Rezeptoren, die zur GroBfamilie der Steroidhormonrezeptoren (S. 260) gehoren. Diese Rezeptoren lassen sich in zwei Gruppen mit jeweils verschiedenen Isoformen einteilen ( ~ Abb. 25.9). .,. Der natiirliche Ligand fur die klassischen Retinoatrezeptoren RAR (RAR = engl. retinoic acid receptor) mit den Isoformen a,~ und y ist das all-transRetinoat. .,. Der Retinoat-X-Rezeptor (RXR), welcher ebenfalls in drei Isoformen a,~ und y vorkommt, wird durch 9-cis-Retinoat aktiviert.

Eine Analyse der Promotorstruktur von Genen, deren Transkription durch Retinoide gesteigert wird, hat gezeigt, dass ihnen eine Consensussequenz der Struktur 5'-~

GGTCA-3'

gemeinsam ist. Diese kommt in mehreren hintereinander geschalteten Wiederholungen vor, die je nach Rezeptortyp durch 1-5 Basenpaare getrennt sind. Ein wichtiger Unterschied zu den klassischen Steroidhormonrezeptoren ist, dass die Retinoatrezeptoren des Typs RAR a, ~ und y ahnlich wie die Rezeptoren fiir Schilddrusenhormone (S. 875) oder Vitamin D (S. 732) fiir die Aktivierung der entsprechenden Gene nicht als Homodimere vorliegen mussen, sondern einen zusatzlichen nuclearen Faktor benotigen, mit dem sie ein Heterodimer ausbilden. Dieser Faktor wurde als Retinoat-X-Rezeptor (RXR) identifiziert. Wie in ~Abb. 25.10 dargestellt, besteht die zentrale Funktion des RXR darin, als Partner fur die Aktivierung von RAR, Schilddriisenhormonrezeptoren und Vitamin DRezeptoren zu dienen . Gene deren Transkription durch Retinoate gesteigert wird, sind: .,. die Retinolbindungsproteine (S. 725), .,. das Laminin (S. 768), ... das Apolipoprotein A I (S. 618) und .,. die PEP-Carboxykinase (S.408) .,. die Keratine (S. 779). Es ist anzunehmen, dass die weitere Analyse RAR-abhangiger Gene zum Verstandnis der vielfaltigen biologischen Effekte der Retinoide beitragen wird. Vitamin A hat noch weitere Effekte. Es ist unerlasslich fur die Erhaltung der Integritat der Epithelzellen der Haut und Schleimhaut. AuBerdem ist bei Vitamin-AMangel das Korperwachstum gestort. Dies betrifft zunachst das Skelett, danach das Bindegewebe. Da die

r

VDR

VDR I RXR

Weitere Isoformen dieser Rezeptoren konnen durch unterschiedliches SpleiBen und die Verwendung unterschiedlicher Promotoren gewebespezifisch exprimiert werden.

88 DNA

RXR -------..----- TR TR / RXR

!

IGenexpression I

RXR

420 462

154 200

- 1Genexpression I

RARa-Rezeptor

Retinoat

RXR / RXR 140

205 230

DNA

~

467 9-cis-Retinoat

RXRa·Rezeptor

Abb. 25.9. Domanenaufbau von Retinoat-Rezeptoren. Die Zahlen geben die Nummern der Aminosaurereste an. DNA DNA-Bindungsdomane; Retinoat Domane fUr die Bindung von (all-trans)-Retinoat; 9-cis-Retinoat Bindungsdomane fUr 9-cis-Retinoat

IGenexpression I Abb. 25.10. Funktion des Retinoat-X-Rezeptors (RXR) bei der Aktivierung von Hormonrezeptoren durch Bildung von Heterodimeren. (Einzelheiten s. Text) RAR Retinoatrezeptor; RXR Retinoat-X-Rezeptor; VDR Vitamin 0-Rezeptor; TRT3-Rezeptor 25.2 Fettlosliche Vita mine

729

25 oxidative Phosphorylierung von Mitochondrien bei Vitamin-A-Mangel bzw. Vitamin-A-Hypervitaminose gestort ist, ist das Vitamin in einer bestimmten Konzentration fiir die funktionelle Intaktheit der Mitochondrienmembran notig. Wird diese i.iber- oder unterschritten, wird die Membran instabil und funktionelle Anderungen der membranassoziierten Enzyme der oxidativen Phosphorylierung treten auf. Wahrscheinlich liegt die generelle Bedeutung des Retinols in einer Erhaltung der strukturellen Integritat und der normalen Permeabilitat der Membranen der Zellen sowie der subzellularen Partikel. Eine Speicherung von Vitamin A erfolgt als Fettsaureester (S. 1116). Pathobiochemie.,.. Hypovitaminose: Das fri.iheste Symptom eines Vitamin-A-Mangels ist die Nachtblindheit (Hemeralopie). Es handelt sich urn eine mehr oderweniger ausgepragte StOrung der Rhodopsinregenerierung. Ist der Retinolmangel so weit fortgeschritten, dass es zu einer Abnahme der Plasmakonzentration kommt, ist die Symptomatik durch die fehlende Wirkung von Retinol auf die Epithelien gekennzeichnet. Normales sekretorisches Epithel wird durch ein trockenes verhorntes Epithel ersetzt, das besonders Ieicht durch Mikroorganismen angegriffen wird. Die Xerophthalmie, eine zur Blindheit fiihrende Verhornung der Cornea, ist ein spates Symptom des Retinolmangels. Sie ist besonders in den schnell wachsenden Stadtgebieten der Entwicklungslander eine haufige Erkrankung und besonders bei Kindern eine der Hauptursachen der Blindheit. Bei Jugendlichen treten zusatzliche Storungen des Wachstums und der Knochenbildung auf. Bei VitaminA-Mangel in der Schwangerschaft kommt es zu Missbildungen des Fetus. Hypervitaminose: Nach Zufuhr hoher Dosen synthetischer Vitamin-A-Praparate sind bei Kindern und Heranwachsenden Hypervitaminosen beschrieben worden. Die Hauptsymptome der Vitamin-A-Hypervitaminose sind Schmerzattacken, Verdickung des Periosts der langen Knoch en sowie Verlust der Haare. Nach Vitamin-A-Oberdosierung wahrend der Schwangerschaft sind auch teratogene Wirkungen bekannt geworden.

25.2.21 Cakiferole

! Calciferole regulieren Calciumresorption und Knochenbildung.

Chemische Struktur... Die Calciferole oder D-Vitamine gehoren zur Gruppe der Steroide (S.41). Die heiden wichtigsten Calciferole, .,.. Vitamin D2 (Ergocalciferol) und .,.. Vitamin D3 (Cholecalciferol) entstehen aus ihren Provitaminen Ergosterol bzw. 7Dehydrocholesterin durch eine durch die UV-Strah730

I

25 Vitamine

Squalen

1 7· Dehyd rocholesterin

HO

Cholecalciferol

HO

II 1,25-Dihydroxycholecaldferol

HO Abb. 25.11. Biosynthese von 1,25-Dihydroxycholecalciferol aus Squalen

lung des Sonnenlichts katalysierte Spaltung des Ringes B des Steranskeletts ( Abb. 25.11). Ergocalciferol unterscheidet sich vom Cholecalciferol lediglich durch den Besitz einer Doppelbindung sowie einer zusatzlichen Methylgruppe in der Seitenkette. Vorkommen ... In hoher Konzentration kommen Calciferole in Meeresfischen vor (Lebertran). Daneben finden sich betrachtliche Mengen auch in Milchprodukten, Eiern und Speisepilzen. Stoffwechsel ... Im Gegensatz zu dem aus Hefen oder manchen Pflanzen stammenden Ergosterol kann ?-Dehydrocholesterol (Provitamin D3 ) im Organismus (Leber) aus Squalen (S. 610) synthetisiert werden. Calciferole sind damit im eigentlichen Sinn keine Vitamine und konnten auch den Hormonen zugerechnet werden (s. unten). Durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht wird das in der Haut abgelagerte Provitamin in das Vitamin D3, das Cholecalciferol, umgewandelt. Tatsachlich ist der Vitamin-D-Mangel bei Naturvolkern, die mit minimaler Bekleidung im Wesentlichen im Freien Ieben,

25 unbekannt. Erst die durch die Zivilisation und Industrialisierung geanderte Lebensweise hat die durch die Sonnenbestrahlung begrenzte Kapazitat des Organismus zur Vitamin-D-Biosynthese gezeigt. Das Auftreten des Vitamin-D-Mangelsyndroms Rachitis bei Kindem, der erhohte Vitaminbedarf in der Wachstumsphase, der Schwangerschaft und der Lactationsperiode macht eine adaquate Substitution mit Vitamin D notwendig. Auch Cholecalciferol stellt noch nicht die biologisch aktive Form der D-Vitamine dar, sondern wird - nach dem Transport in die Leber- zu 25-Hydroxycholecalciferol hydroxyliert (Abb. 25.11). Dieses Derivat verlasst die Leber und gelangt tiber das Blut zu den Nieren, wo es durch ein mitochondrialesEnzym erneut - diesmal in Position 1 - hydroxyliert wird. AuBer dem Produkt 1,25-Dihydroxycholecalciferol (1,25 (OH}zD3, Calcitriol), der biologisch aktiven Form der D-Vitamine, lassen sich weitere Hydroxyderivate nachweisen, von den en das wichtigste das 24,25-Dihydroxycholecalciferol ist. Dieses z eigt nur eine geringe biologische Wirksamkeit und wird dann in groBeren Mengen gebildet, wenn trotz ausreichenden Nachschubs nur geringe Mengen an 1,25-Dihydroxycholecalciferol benotigt werden. Wegen der Bedeutung der Calciferole fiir die Regulation der extrazellularen Calciumkonzentration (S. 953 ff.) wird die Biosynthese von 1,25-Dihydroxycholecalciferol sehr genau reguliert. Dies betrifft weniger die hepatische Bildung von 25-Hydroxycholecalciferol, welche lediglich einer einfachen Produkthemmung unterliegt. Im Gegensatz dazu wird die fur die 1,25-Dihydroxycholecalciferol-Bildung notwendige 1aHydroxylase der proximalen Tubulusepithelien der Niere sehr genau reguliert ( Abb. 25.12):

ca++ -Sensor

.- Fiir den Transport von Calciferolen im Blut wird ein spezifisches Protein, das Vitamin D-Bindungsprotein (DBP) benotigt. Calciferole, besonders 25Hydroxycholecalciferol, wird als Komplex mit diesem Protein glomerular filtriert. Urn einen Verlust an 25-Hydroxycholecalciferol im Urin zu verhindern, verfiigen die proximalen Tubulusepithelzellen iiber den Megalinrezeptor aus der Familie der Lipoproteinrezeptoren (S.622). Er bindet den Komplex aus DBP und 25-Hydroxycholecalciferol, was die lnternalisierung und anschlieBende intrazellulare Freisetzung von 25-Hydroxycholecalciferol auslOst. .- Die Aktivitat der !a-Hydroxylase wird auf der Ebene der Genexpression reguliert. cAMP ist der wichtigste Aktivator, Phosphat, Calcium und der aktivierte Vitamin D-Rezeptor hemmen die Transkription des la-Hydroxylasegens. .- Parathormon ist iiber den PTH-Rezeptor der wichtigste Aktivator der Adenylatcyclase der glomerularen Tubulusepithelien und deswegen fiir erhOhte cAMP-Spiegel verantwortlich. In den proximalen Tubulusepithelien ist ahnlich wie in den Nebenschilddriisen ein Calcium-Sensorprotein nachgewiesen worden, das zur Familie der heptahelicalen Rezeptoren (S. 797) gehort. Es fiihrt iiber entsprechende G-Proteine zu einer Hemmung der Adenylatcyclase sowie zu einer Zunahme der freien intrazellularen Calciumkonzentration der Tubulusepithelzellen und lOst somit eine Hemmung der 1aHydroxylaseaktivitat aus. .- Da Erhohungen der extrazellularen Calciumkonzentration an den Epithelzellen der Nebenschilddriisen zu einer Hemmung der PTH-Sekretion fiih-

PTH-R

ca··-Sensor

IHydroxylierung I 25 (OH) 03

lntemalisierung des an den MegalinRezeptor gebundenen DBP 25 (OH} 03

DBP

Abb. 25.12. Regulation der Bildung von 1,25-0ihydroxycholecalciferol in den Epithelien der proximalen Tubuli der Nieren.(Einzelheiten s.Text) OBPVitamin 0-Bindungsprotein; VORVitamin 0Rezeptor; PTH Parathormon; PDH-R PDHRezeptor; 25(0H)D325-Hydroxycholecalciferol; 7,25(0Hh 03 1,25-0ihydroxycholecalciferol 25.2 Fettliisliche Vitamine

731

25 ren, lost auch dies eine Senkung der intrazelluHiren cAMP-Konzentration aus. Wirkungen von Calciferolen~~> Fiir die Calciumhomoostase (S. 953 ff.) sind auBer Parathormon (S. 953) und Thyreocalcitonin (S. 956) die Calciferole von besonderer Bedeutung. Ihre Aufgabe besteht dar in, einem Abfall des Plasmacalciumspiegels entgegenzuwirken. Dieses Ziel kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden: .,. durch vermehrte intestinale Calciumresorption, 11> durch gesteigerte renale Calciumreabsorption und .,. durch gesteigerte Calciummobilisation aus dem Skelettsystem. Wirkung von Calciferolen auf die intestinale Calciumresorption~~> Fur die intestinale Calciumresorption ist ein transzelluliirer Transport von Calciumionen vom Lumen auf die Serosaseite notwendig. Dieser besteht aus folgenden Komponenten: .,. ein elektrogener Calciumkanal auf der luminalen Seite der Enterocyten, der fiir die Calciumaufnahme aus dem intestinalen Lumen in die Mucosazellen verantwortlich ist; 11> Calbindin, ein Calcium bindendes Protein mit einer Molekiilmasse von 9 kD sowie 11> eine auf der basolateralen Seite der intestinalen Mucosazelle lokalisierte Calcium-ATPase.

1,25-Dihydroxycholecalciferol ist ein Aktivator der Transkription von Calbindin sowie der Calcium-ATPase. Dariiber hinaus stimuliert 1,25-Dihydroxycholecalciferol die Phosphatresorption im Intestinaltrakt. Hierbei spielt offensichtlich die gesteigerte Expression eines Na/P;-Symporters eine wichtige Rolle. Wirkung von Calciferolen auf die Nieren: Der wichtigste Effekt von 1,25-Dihydroxycholecalciferol in den Nieren beruht auf der Hemmung der Transkription der la-Hydroxylase. Da gleichzeitig die 24-HydroxylaseAktivitat stimuliert wird, entsteht aus 25-Hydroxycholecalciferol der inaktive Metabolit 24,25-Dihydroxycholecalciferol. AuBerdem steigert 1,25-Dihydroxycholecalciferol die Calcium- und Phosphatreabsorption in den Nieren. Der Effekt auf die Phosphatreabsorption lasst sich allerdings nur dann nachweisen, wenn Parathormon vorhanden ist. Wirkung von Calciferolen auf den Knochenstoffwechsel: Die Tatsache, dass bei Vitamin D-Mangel wahrend der Wachstumsphase Rachitis sowie beim Erwachsenen Osteomalacie (S. 733) auslost, zeigt eindriicklich, dass 1,25-Dihydroxycholecalciferol fur die Entwicklung und die Aufrechterhaltung der Mineralisierung des Skelettes notwendig ist. Vitamin D-Rezeptoren finden sich ausschlieBlich in Osteoblasten, nicht dagegen in Osteoclasten. In den ersteren induziert 1,25Dihydroxycholecalciferol eine Reihe von Proteinen ( Tabelle 25.5). Ihnen ist gemeinsam, dass sie am Aufbau der Knochenmatrix und der Calcifizierung beteiligt sind. 732

I

25 Vitamine

Tabelle 25.5. Proteine, deren Expression durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol reguliert wird (Auswahi);PTH-RP PTH-Related Polypeptide Elqnssion iiMIIIMt1 bpNssion ~ Protein Besprochen Protein Besprochen auf Seite auf Seite

24- Hydroxylase 731

In-Hydroxylase

731

Calbindin

732

Parathormon

953

Osteocalcin

773

PTH-RP

956

Osteopontin

773

Kollagen I

755

p21Ras

800

c-myc

P1-lntegrin

769

lnterleukin-2

1162 816

Besonders bei Hypocalcamie tritt ein weiterer Effekt von 1,25-Dihydroxycholecalciferol am Knochen in den Vordergrund. Urn die Serumcalciumkonzentration aufrecht zu erhalten, fordert 1,25-Dihydroxycholecalciferol die Demineralisierung des Knochens durch Osteoclasten. Da diese selbst nicht tiber einen Vitamin D-Rezeptor verfiigen, nimmt man an, dass ein durch Calciferole in Knochenmarksstammzellen und/oder Osteoclasten gebildeter Faktor fiir die Differenzierung von Osteoclasten aus Promonocyten des Knochenmarks und fiir deren Aktivierung verantwortlich ist. Auch bei (therapeutischer) Vitamin D-Oberdosierung laBt sich dieser gesteigerte Knochenabbau beobachten. Weitere Wirkungen von Calciferolen: Vitamin DRezeptoren (s. unten) kommen in den verschiedensten Geweben und Zellen vor und lassen den Schluss auf weitere biologische Effekte von Calciferolen zu. Zu diesen gehoren u. a.: 11> Hemmung der Parathormon-Biosynthese in den Nebenschilddriisen, Ill> Stimulierung der Differenzierung von Zellen des hamatopoetischen Systems, 11> Modulation der Aktivitat des Immunsystems 11> Stimulierung der Differenzierung epidermaler Zellen. Im Gegensatz zu den Wirkungen von Calciferolen auf den Mineralstoffwechsel ist es bei diesen Effekten noch weitgehend unbekannt, welche Gene im einzelnen durch Calciferole induziert werden. Wirkungsmechanismus von Calciferolen~~> Die meisten Effekte von Calciferolen beruhen darauf, dass sie die Transkription spezifischer Gene beeinflussen. Sie verhalten sich in dieser Beziehung analog den Steroidhormonen, mit den en sie chemisch ja auch verwandt sind. 1,25-Dihydroxycholecalciferol bindet an einen im Kern lokalisierten Rezeptor, der strukturell zur GroBfamilie der Steroidhormonrezeptoren gehort und dessen Struktur inzwischen aufgeklart werden konnte ( Abb. 25.13). Ahnlich wie die bereits besprochenen Retinoatrezeptoren des Typs RAR oder die Schilddriisenhormonrezeptoren (S. 875) liegt auch der aktive Vi-

25 +

NH3

\

Mel Ala Ala

Asp Gl

Ser

Thr

Thr

Phe

Hi

coo-

Phe

t

Asn

Ser

Arg

leu

Ala

Pile

Thr

Mel

Glu

Arg

Pro

lug

Asp

lys

His

Mel

(

Pro

Gly Asp

Gly

Asn

Asp Phe

lie

Ser Mel lys

Asp lug Asn Val Pro Arg

lie

Arg

lys Ala

leu Phe

Thr

Asp

Val

Abb. 25.13. Aminosauresequenz der DNA-Bindungsdomane des Vitamin D-Rezeptors. Der Rezeptor enthalt zwei Zinkfingerstrukturen (S. 260). die farblich hervorgehoben sind. Die roten Kreise stellen Aminosauresub-

stitutionen dar, die durch Punktmutationen entstanden sind und bei den betroffenen Patienten jeweils zu einer Vitamin D-resistenten Rachitis gefuhrt haben

tamin D-Rezeptor als Heterodimer mit einem Retinoatrezeptor des Typs RXR vor (S. 729). Eine Auswahl von Genen, deren Expression durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol reguliert wird, ist in Tabelle 25.5 zusammengestellt. Wie andere Steroidhormone,so zeigt auch 1,25-Dihydroxycholecalciferol eine Reihe von Effekten,die schneller eintreten als durch Anderungen der Genexpression spezifischer Proteine erklarbar ist. Hierzu gehoren innerhalb von Minuten auftretende Anderungen des Phosphatidylinositolzyklus mit Anstiegen der intrazellularen Calciumkonzentration, eine sehr rasche Stimulierung des intestinalen Calciumtransportes, Aktivierung der Proteinkinase C sowie Veranderungen der Konzentrationen von cGMP.Der oder die Rezeptoren, welche fiir diese,nichtklassischen" Effekteverantwortlich sind, sind noch nicht genauer charakterisiertworden.

umschwund des Skelettsystems, der wahrscheinlich durch eine verminderte Umwandlung von Calciferol in 1,25-Dihydroxycholecalciferol ausge!Ost ist (sekundarer Hyperparathyreoidismus, S. 958).

Pathobiochemie~ Hypovitaminose: Die bekannteste DHypovitaminose ist die Rachitis. Es handelt sich urn ein im Wachstumsalter auftretendes Krankheitsbild, das durch eine schwere MineralisierungsstOrung des Skelettsystems gekennzeichnet ist. Entscheidend ist der Calciummangel, der durch das Darniederliegen der intestinalen Calciumresorption infolge des Calciferolmangels hervorgerufen wird. Dass ein Calciferolmangel trotz der Fahigkeit des Organismus, das Vitamin selbst zu synthetisieren, vorkommt, liegt daran, dass die Bevolkerung z. B. im Winter einer so geringen ultravioletten Strahlung ausgesetzt ist, dass der erste Schritt in der Calciferolbiosynthese nicht mehr mit ausreichender Geschwindigkeit vollzogen werden kann. Vitamin-D-Mangel beim Erwachsenen wird als Osteomalacie bezeichnet. Sie tritt als Folge von St6rungen der Vitamin-D-Resorption (z. B. chronischer Gallengangverschluss) auf. Bei chronischen Leber- und Nierenerkrankungen kommt es sehr haufig zum Calci-

Hypervitaminose: Eine D-Hypervitaminose durch Fehlernahrung ist unbekannt, kann aber bei Oberdosierung vonVitamin D-Praparaten vorkommen. Durch die mobilisierende Wirkung der Calciferole kommt es zu einer massiven Knochenentkalkung. Das aus den Knochen freigesetzte Calcium muss iiber die Nieren ausgeschieden werden. In Extremfallen erreicht es im Nierentubulus eine so hohe Konzentration, dass es zur Ausfallung von Calciumphosphat und damit zur Nephrocalcinose kommt.

25.2.31 Tocopherole Tocopherole schutzen Lipide vor oxidativer Schadigung. Chemische Struktur~ Bei den Tocopherolen (Vitamin E) handelt es sich urn eine verhaltnismaf~ig groBe Gruppe von Substanzen, die aus einem Chromanring und einer isoprenoiden Seitenkette bestehen. In Abb. 25.14 ist die Struktur des a-Tocopherols dargestellt. Fiir die Vitaminwirkung sind der Chromanring und das Vorhandensein mindestens einer Methylgruppe und der Hydroxylgruppe am Ring von Bedeutung. Die verschiedenen Tocopherole unterscheiden sich durch die Zahl und Stellung der Methylgruppen am Chromanring. Tocopherole werden ausschlieBlich im Pflanzenreich synthetisiert. Besonders reich an Tocopherol ist keimender Weizen.

Vorkommen~

25.2 Fettlosliche Vitamine

733

25

a-Tocopherol

a -TocopheroiHydrochinon

gung von Membranfettsauren von besonderer Bedeutung (S. 552). Dabei ist sehr wichtig, dass das Tocopheroxylradikal durch Reaktion mit wasserloslichen Antioxidantien wie Ascorbat oder Thiolen wie Glutathion reduziert wird (S. 552). Daneben zeigen die E-Vitamine noch eine Reihe spezifischer Effekte, tiber deren molekularen Wirkungsmechanismus nichts bekannt ist. So verhindern sie bei einigen Tierspezies mit Kreatinurie einhergehende Muskeldystrophien und Anamien. Bemerkenswert ist die Fahigkeit des Tocopherols, die schadliche bzw. giftige Wirkung verschiedener experimenteller Nahrungsformen aufzuheben. So kommt es bei Versuchstieren unter einer Spezialdiat mit niedrigem Proteingehalt und besonderem Mangel an schwefelhaltigen Aminosauren nach etwa 45 Tagen zu einer akut einsetzenden, massiven Lebernekrose, die durch Tocopherole verhindert oder zumindest gemildert werden kann. Eine ahnliche Schutzwirkung zeigen selenhaltige Verbindungen. Der Mechanismus der Selenwirkung ist jedoch unbekannt. Pathobiochemie,.. Hypovitaminosen: An den verschiedensten Tierspezies sind Krankheitsbilder beschrieben worden, die durch die Gabe von Tocopherolen geheilt oder entscheidend gebessert werden konnen. Beim Menschen findet sich eine deutliche Reduktion des Plasmatocopherol-Spiegels ... bei Fruhgeborenen, ... bei Patienten mit einer Reihe von Enteropathien mit LipidresorptionsstOrungen, .,. bei hamolytischen Anamien sowie .,. bei Patienten, die tiber langere Zeit parenteral ernahrt wurden.

Tocochinon Abb. 25.14. a -Tocopherol und seine Funktion als Radikalfanger

Stoffwechsel... Als lipophile Verbindungen werden Tocopherole zusammen mit den Lipiden resorbiert. Fur diesen Vorgang ist die Anwesenheit von Gallensauren unerlasslich. Biochemische Funktion ... Tocopherole konnen in Tocochinone umgewandelt werden und in dieser Form an Redoxreaktionen teilnehmen (S. 107). Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass sie in 1-Elektronenreaktionen mit organischen Peroxylradikalen nach der Gleichung: Roo• + Tocopherol-OR ---7 ROOH + Tocopheroxyt-o• reagieren konnen. Diese Reaktion ist fur die Unterbrechung von Radikalketten bei der oxidativen Schiidi734

I

25 Vitamine

Es ist eine zur Zeit intensiv diskutierte Frage, ob durch Zufuhr von Vitamin E, besonders in Kombination mit Carotinoiden und Ascorbinsaure, die Schadigung biologischer Strukturen durch oxidativen Stress verringert werden kann. So liegen epidemiologische Belege dafiir vor, dass es primar praventive Effekte antioxidativer Vitamine bei kardiovaskularen Erkrankungen und Neoplasien gibt. Von besonderer Bedeutung ist vielleicht die antioxidative Wirkung von Vitamin E bei der Reperfusionsschadigung nach Herzoperationen. Tierexperimentell findet sich bei Vitamin E-Mangel eine erhOhte Hamolyseneigung der Erythrocyten, wahrscheinlich, weil wichtige Bestandteile der Erythrocytenmembran nicht vor Oxidation geschiitzt werden. Dieses Krankheitsbild kommt moglicherweise auch bei Neugeborenen vor, die unzureichend substituierte Flaschennahrung erhalten und nachgewiesenerma.Ben einen sehr niedrigen Plasmatocopherolspiegel haben.

25 Tabelle 25.6. Vitamin K-abhangige Proteine (Auswahl)

25.2.41 Phyllochinone

! Phyllochinone sind Coenzyme

fUr die Carboxylierung von Glutamylresten der Blutgerinnungsproteine.

Chemische Struktur ... Alle Substanzen mit Phyllochinonaktivitat (K-Vitamine) lei tensich vom natiirlicherweise nicht vorkommenden 2-Methyl-1,4-naphthochinon (Menadion) ab. Fur die biologische Wirkung istdie Methylgruppe in Position 2 essentiell. Die nattirlicherweise vorkommenden Phyllochinone sind an Position 3 des Rings substituiert: .,.. Vitamin K1 tragt eine Phytylseitenkette, ... Vitamin K2 einen Difarnesylrest aus 6 Isopreneinheiten (Abb. 25.15). Vorkommen ... Phyllochinone kommen in allen grtinen Pflanzen (daher der Name) in ausreichenden Mengen vor. Sie werden dariiber hinaus in groBen Mengen von den Mikroorganismen des menschlichen Darms synthetisiert. Stoffwechsel ... Als lipophile Verbindungen werden Phyllochinone zusammen mit den Lipiden resorbiert, wobei die Anwesenheit von Gallensauren notwendig ist. Die biologisch aktive Form der K-Vitamine ist das Difarnesylnaphthochinon (Vitamin K2). Der Difarnesylrest wird in der Leber nach Abspaltung etwaiger anderer S eitenketten angeheftet. Biochemische Funktion ... Die einzige bekannte Funktion fUr Vitamin K bei hOheren Organismen ist diejenige eines Cofaktors fur enzymatische Reaktionen, die Glutamylreste von entsprechenden Proteinen in y-Carboxyglutamylreste umwandeln. Die Gruppe von Proteinen, die dieser Modifikation unterliegt, wird auch als Vitamin K-abhiingige Proteine oder VKD-Proteine (VKD, engl. Vitamin K d ependent) bezeichnet.

R=

R=

R= Abb. 25.15. Phyllochinone

H;

Vit. KJ, Menadion

Protein

Funktion

Prothrombin

Blutgerinnung

Paktor VII

Blutgerinnung

Paktor IX

Blutgerinnung

Faktor X

Blutgerinnung

Protein C

Antikoagulation

ProteinS

Antikoagulation

Osteocalcin

Knochen-Morphogene e

Matrix gla-Protein

Wundheilung

Protein Z

Zur Zeit sind ungefahr 12 Mitglieder der VKD-Proteine bekannt ( Tabelle 25.6). Von besonderer medizinischer Bedeutung sind die fUr die Blutgerinnung notwendigen y-carboxylierten Faktoren. Die funktionelle Bedeutung der y-Carboxylgruppen, die zu einer erheblichen Vermehrung der negativen Ladungen der jeweiligen Proteine fuhren, liegt darin, dass sie die Bedingungen fUr die Wechselwirkungen der Blutgerinnungsproteine mit den fUr die Aktivierung notwendigen Phospholipiden und Calcium ermoglichen. Man nimmt an, dass die Gerinnungsfaktoren erst nach y-Carboxylierung ihrer Glutamylreste an Membranphospholipide gebunden werden und damit ihre enzymatische Aktivitat gewinnen, wobei moglicherweise eine Art ,Konzentrierungseffekt" durch die Membranbindung hervorgerufen wird. Die Faktoren VII, IX und X verlieren ihre zusatzlichen y-Carboxylgruppen auch nach Aktivierung durch limitierte Proteolyse nicht. Anders ist es dagegen bei der Aktivierung des Prothrombins zum Thrombin. Hier liegen aile zusatzlich unter Vitamin-K-Einwirkung eingeftihrten y-Carboxylgruppen auf dem durch den aktiven Faktor X abgespaltenen Rest, bleiben also membrangebunden. Das freigesetzte Thrombin hingegen, das nicht tiber zusatzliche y-Carboxylgruppen verfugt, diffundiert in die Blutbahn ab (S. 1019). Weitere Proteine mit y-Carboxyglutamylresten, die unter Vitamin-K-Katalyse synthetisiert werden, kommen im Knochen (Osteocalcin) sowie unter pathologischen B edingungen in arteriosklerotischen Plaques der Arterien (Atherocalcin) vor. Man nimmt an, dass sie dank ihrer y-Carboxyglutamylreste in den Calcifizierungsprozess eingeschaltet sind. Abb. 25.16 fasst die heutigen Vorstellungen tiber den molekularen W ir kungsmechanismus der K-Vitamine zusammen: .,.. Vitamin K muss durch eine NADPHJH+ -abhangige Chinonreductase zum Vitamin K-Hydrochinon reduziert werden. .,.. Dieses reagiert mit Sauerstoff, s o d sas als starke Base d asVitamin K-Alkoxyd entsteht. 25.2 Fettlosliche Vitamine

735

25

, CO

OH

CX~C

CX) o 0

K

HS

OH KH 2

\

NADPH+W

0

0

Ho

o-

H II - NH- C- C-

R

1

0 CH3 ~

D H II

I

- NH- C- C-

Cumarine

CHa

I SH

I

coo-

!

\

R

CH2 I H- C- H

1

CH2

OH

8

ICar11oxylase I

8 tH I coo-

r,~

0

w~~

H II - NH- C- C-

0

1

CH2 I CH

K-Epoxyd

/". coo- cooAbb. 25.16. Reaktionsmechanismus der Vitamin K-abhangigen Carboxylierung von y-Giutamylresten. (Einzelheiten s.Text)

~

~

Dieses ist imstande, ein Proton von einem entsprechenden Glutamylrest eines VDK-Proteins abzuziehen, so dass an diese Stelle unter Bildung eines y-Carboxyglutamylrestes C0 2 angelagert werden kann. Unter Abgabe eines OH- entsteht das Vitamin KEpoxyd, das durch eine entsprechende Epoxydreductase in Vitamin K umgewandelt wird.

Der Wirkungsmechanismus der inS. 1025 geschilderten und als Vitamin K-Antagonisten klinisch verwendeten Cumarine beruht auf einer spezifischen Hemmung der Epoxydreductase sowie der Chinonreductase. Pathobiochemie~

Hypovitaminose: Die Entstehung ei-

nes Phyllochinonmangels auf dem Boden einer Fehloder Mangelernahrung ist beim Erwachsenen praktisch nicht moglich, da das Vitamin in ausreichender Konzentration in den Nahrungsmitteln vorkommt und auBerdem intestinale Mikroorganismen betrachtliche Phyllochinonmengen synthetisieren. Ein Vitamin KMangel kann jedoch als Folge einer langdauernden oralen Therapie mit Antibiotika entstehen, die zur Sterilisierung des Darms und damit zur Vernichtung der Vitamin K-produzierenden Bakterien fiihrt. Dies tritt allerdings nur dann ein, wenn gleichzeitig eine Vitamin KMangelernahrung besteht. Wie bei anderen fettloslichen Vitamin en kommt es bei einer Storung der intestinal en Fettresorption zur verminderten Resorption von Vitamin K. Durch Verwendung wasserloslicher, synthetischer Praparate ist jedoch auch d ann m eist eine ausreichende Vitamin K-Versorgung moglich. 736

I

25 Vitamine

Ein funktioneller Vitamin K-Mangel kann durch Cumarinderivate (S.1025) als Antagonisten ausgelOst werden, die als Dauertherapie bei allen Zustanden verwendet werden, bei denen die Blutgerinnungszeit verlangert werden soli (Thrombose- und Infarktprophylaxe). Eine Oberdosierung mit Phyllochinonantagonisten kann durch hohe Mengen an Vitamin K behoben werden. Die durch Cumarinderivate gesenkten Prothrombinspiegel normalisieren sich gewohnlich 12-36 h nach der Gabe des Vitamins.

KERNAUSSAGEN Die fettltislichen Vita mine haben sehr unterschiedliche Funktionen: ~ Vitamin A ist als Retinal in den Sehvorgang und als Retinoat in die Regulation der Genexpression eingeschaltet ~ Vitamin 0 steuert Calcium-Resorption und Knochenbildung uberwiegend durch lnduktion oder Repression der hierfur bentitigten Gene. ~ Vitamin Eist ein wesentlicher Bestandteil des Verteidigungssystems gegen oxidativen Stress, da es ein lipophiler Radikalfiinger ist. ~ Vitamin Kist das Coenzym fUr die y-Carboxylierung von Glutamylresten in spezifischen Vitaminen,den VDKProteinen.

25 25.3 Wasserlosliche Vita mine

!

l -Ascorbinsaure schi.itzt Fe 2+ in Hydroxylasen vor der Oxidation zu Fe3+. Chemische Struktur~ Mit Ausnahme des Menschen und anderer Primaten sowie des Meerschweinchens konnen aile Tierspezies L-Ascorbinsaure aus Glucose synthetisieren (S. 586). Dem Menschen und Tieren, die LAscorbinsaure (Vitamin C) nicht bilden konnen, fehlt aufgrund einer Genmutation das Enzym L-Gulonolactonoxidase, das L-Gulonolacton zu 2-Ketogulonolacton oxidiert, aus dem spontan, d. h. nichtenzymatisch, LAscorbinsaure (-® Abb. 25.17) entsteht. Vorkommen~ Ascorbinsaure MPnoPn in oriinPn nnrl rntPn

kommt in erheblichen P~nrik~ .

I~ I

~N

N

II II C- O- P- O- P- 0- C 2 GJ I I ooo HO

OH

HO

HO

OH

NAD+ stammenden ADP-Ribose-Restes auf entsprechende Akzeptoraminosauren spezifischer Proteine. Sehr haufig dienen bakterielle Toxine als ADP-Ribosyltransferasen. Das bekannteste Beispiel ist die ADP-Ribosylierung der Gsa-Untereinheit von an die Adenylatcyclase gekoppelten heterotrimeren G-Proteinen durch das Choleratoxin (S. 802). Dies fuhrt zu Hemmung der intrinsischen GTPase-Aktivitat der G-Proteine und damit zur Daueraktivierung der Adenylatcyclase. cyclo-ADP-Ribose: cyclo-ADP-Ribose entsteht aus NAD durch die Aktivitat von NAD-Glycohydrolasen/ ADP-Ribosylcyclasen ( Abb. 25.22 ):

OH

H2C

NAD+

0

Nicotinamid + cyclo-ADP-Ribose

cyclo-ADP-Ribose ist ein aktivierender Ligand des Ryanodinrezeptors (S. 1042) und fuhrt deswegen zu einer Erhohung der cytosolischen Calciumkonzentration.

O= P- o1

0 I

O= P- O- CH2 I o-

HO

~

OH

Abb. 25.22. Bildung von cyclo-ADP-Ribose aus NAD+. (Einzelheiten s. Text)

das Nicotinsaureamidribosid mit Adenosin verbunden. lm NADP+ tragt der Adenosinteil in 2'-Stellung einen dritten Phosphatrest ( Abb. 25.22). Uber die Funktion von NAD+ bzw. NAD p+ bei Redoxreaktionen s. (S.110). Das dabei als Zwischenprodukt auftretende Nicotinatmononucleotid kann auch im Tryptophanstoffwechsel (S. 502) gebildet werden, weshalb Niacin bzw. Niacinamid durch Tryptophan ersetzt werden konnen. Die Ausscheidung von Niacin erfolgt mit dem Urin nach vorheriger Methylierung zum 1-Methylnicotinsaureamid in der Leber. Biochemische Funktion~ Nicotinamid ist Bestandteil von zwei Wasserstoff ubertragenden Coenzymen, ~ dem Nicotinamid-adenin-dinucleotid (NAD+) und ~ dem Nicotinamid-adenin-dinucleotidp hosphat (NADP+). In Anbetracht der Vielzahl der Redoxreaktionen und Wasserstoffubertragungen des Intermediarstoffwechsels, an denen die heiden Coenzyme NAD+bzw. NADP+ beteiligt sind, wird die auBerordentliche Bedeutung des Niacins bzw. Tryptophans bei der Ernahrung des Menschen verstandlich. AuBer als Wasserstoff ubertragendes Coenzym spielt NAD+ eine wichtige Rolle bei einer Reihe von Proteinmodifikationen sowie bei der Signaltransduktion. Es ist Substrat fUr ~ ADP-Ribosylierungen sowie ~ fUr die Biosynthese von cyclo-ADP-Ribose. ADP-Ribosylierung: Unter ADP-Ribosylierung versteht man die enzymkatalysierte Dbertragung eines aus dem

Pathobiochemie~ Hypovitaminose: Niacinmangel fuhrt zur Pellagra (Pelle agra, kranke Haut). Wie bei allen Vitaminmangelzustanden, die sehr haufig durch eine allgemeine Fehlernahrung gekennzeichnet sind, ist auch Niacinmangel mit dem anderer Vitamine vergesellschaftet. Obwohl die Haufigkeit der Pellagra mit der Verbesserung des Nahrungsangebots abgenommen hat, kommt sie immer noch in Afrika, in Sudosteuropa und in Amerika vor, wobei i. Allg. Populationen betroffen werden, die eine maisreiche Nahrung zu sich nehmen. AuBerdem ist der Alkoholismus ein weiterer, infolge Fehlernahrung zur Pellagra fiihrender Faktor. Da der tierische und menschliche Organismus Niacinamid aus Tryptophan synthetisieren kann (S. 502), kommt es nur dann zur Pellagra, wenn auch der Tryptophanstoffwechsel durch einen Pyridoxinmangel gestort oder wenn wie bei der Maisernahrung der Tryptophangehalt der Nahrung zu gering ist.

25.3.51 Pyridoxin Das vom Pyridoxin abgeleitete Pyridoxalphosphat ist das Coenzym des Aminosaurestoffwechsels. Chemische Struktur~ Zur Pyridoxingruppe (Vitamin B6 ) gehOren die Wirkstoffe Pyridoxol (Alkohol), Pyridoxamin (Amin) und Pyridoxal (Aldehyd, Abb. 25.23). In hoher Konzentration ist das Vitamin in Hefe, Weizen, Mais, Leber und in etwas geringerer in Milch, Eiern und grunen Gemusen enthalten.

Vorkommen~

Stoffwechsel~ Resorbiertes Pyridoxol und Pyridoxal werden im Blut zu den Geweben transportiert und dort durch die ATP-abhangige Pyridoxalkinase zu Pyridoxalphosphat (PALP) phosphoryliert. Zur Ausscheidung

25.3 Wasserlosliche Vita mine

741

25

HO,

CH20H I / CH20H c

c ....-- """c

II

H3C

/ c,

HO,

I

~CH N

Pyridoxal

CH2NH2 I / CH20H c

c ....-- "'=::c

II

H3C

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I

~CH

N

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crho HO,

I 'H

c

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c

H3C

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C H

HO

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c.. .-- """c I II / c, ~ c

,

c

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II

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H3C

Pyridoxal

""=c I

CH - 0- PO-3 2

~CH N

Pyridoxalphosphat

Pyridoxin Abb. 25.23. Pyridoxal, Pyridoxamin und Pyridoxal sowie das Coenzym Pyridoxalphosphat, des sen funktionelle Gruppe rot hervorgehoben ist

mit dem Urin wird Pyridoxal in der Leberzelle durch die Aldehydoxidase (S. 1118) zur biologisch inaktiven Pyridoxinsaure oxidiert. Biochemische Funktion ... Pyridoxalphosphat ist das Coenzym des Aminosiiurestoffwechsels (S.464 ff.). Bei allen pyridoxalphosphatabhangigen Reaktionen wird zwischen der Aldehydfunktion des Coenzyms und der Aminogruppe der Aminosaure eine Schiff-Base gebildet, die durch eine kationische Gruppe des aktiven Zentrums des Enzyms stabilisiert wird. Durch die Elektronen anziehende Wirkung des Pyridinstickstoffs (und auch der kationischen Gruppe) kommt es zu Elektronenverschiebungen innerhalb des CoenzymSubstrat-Komplexes, die die Schwachung einzelner Bindungen am a-C-Atom der Aminosaure bewirken. Je nachdem, welche Bindung- in Abhangigkeit vom Enzymprotein - labilisiert wird, werden .,.. Transaminierungen, .,.. Decarboxylierungen, .,.. Eliminierungen usw. unterschieden (S. 465). Pyridoxalphosphat ist auBerdem Bestandteil der Glycogenphosphorylase (S. 406). Pathobiochemie ... Hypovitaminose: Die Symptome des tierexperimentellen Pyridoxinmangels sind uncharakteristisch und unterscheiden sich von Spezies zu Spezies (Dermatitis, Wachstumsst6rungen, Anamien (S. 723)). Da aile Grundnahrungsmittel Pyridoxin enthalten, tritt beim Menschen ein Mangel nur selten auf. Experimenteller Pyridoxinmangel beim Menschen flihrt zu ahnlichen Symptomen wie im Tierversuch und auBerdem zu zentralnervosen Funktionsst6rungen (Ataxien, Paresen), die vermutlich mit Storungen des Glutamatstoffwechsels zusammenhangen (pyridoxalphosphatabhangige Decarboxylierung von Glutamat zum Neurotransmitter y-Aminobutyrat, S. 1070). Da ein enzymatischer Schritt des Tryptophanabbaus pyridoxinabhangig ist, konnen verschiedene Zwischen- und Nebenprodukte des Tryptophanabbaus beim Pyridoxinmangel vermehrt im Urin nachgewiesen werden (Tabelle 25.3, S. 723). Da das in der Tuberkulosetherapie eingesetzte Isonicotinsaurehydrazid (INH) als Pyridoxinantagonist wirkt, muss mit ihm gleichzeitig Pyridoxin verabreicht werden. 742

I

25 Vitamine

25.3.61 Pantothensaure Coenzym Aund Fettsauresynthase enthalten Pantothensaure. Chemische Struktur ... Pantothensaure ( Abb. 25.24) ist ein Dipeptid aus (3-Alanin und 2,4-Dihydroxy-3,3dimethylbutyrat. Das Buttersaurederivat kann in menschlichen und tierischen Geweben nicht synthetisiert werden. Vorkommen ... Pantothensaure ist fast in allen (daher der Name) pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln enthalten. Besonders hoch ist die Konzentration in Eigelb, Nieren, Leber und Hefe. AuBerdem wird Pantothensaure von Darmbakterien gebildet. Stoffwechsel ... Die biologisch aktive Form der Pantothensaure ist das Coenzym A, das in der Zelle durch KoppelungmitATP und Cystein entsteht ( Abb.25.24). Biochemische Funktion"' Die Aktivierung von Metaboliten mit Coenzym A erfolgt durch Anlagerung an die Sulfhydrylgruppe unter Ausbildung eines Thioesters. Thioester gehoren zur Gruppe der sog. energiereichen Verbindungen. Die bei der Hydrolyse von Thioestern auftretende Anderung der freien Enthalpie (S.109) liegt bei 30-42 kJ/mol und damit im Bereich der Hydrolyseenergie von ATP. Da die Sulfhydrylgruppe des Pantetheinrests fiir den Umsatz des Coenzyms A von Bedeutung ist, hat es sich eingebiirgert, fiir Coenzym A die Abkiirzung CoA-SH zu verwenden. Der flir den Intermediarstoffwechsel bedeutendste Ester des Coenzyms A ist die aktivierte Essigsaure, das Acetyl-CoA. Diese Verbindung wird mit Recht als der Drehpunkt des Intermediarstoffwechsels bezeichnet. Acetyl-CoA stellt ein Endprodukt des Kohlenhydrat-, Fett- und Aminosaurestoffwechsels dar. Durch direkte Addition von Acetyl-CoA an Oxalacetat unter Bildung von Citrat konnen Kohlenhydrat-, Fett- und Aminosaurekohlenstoffatome in den Citratzyklus eingeschleust und unter Energiegewinnung zu C02 und H20 oxidiert werden. In Form des aktiven Acetats reagiert Essigsaure mit Cholin unter Bildung von Acetylcholin (S. 1068) oder mit Arzneimitteln, die zu ihrer Ausscheidung acetyliert werden miissen (S. 1111 ).

25 2,4-Dihydroxy-3,3-dimethylbunersaure

~-Aianin

Pantothensaure

~ ATP

t-.

ADP

0 CH 0 II I 3 II o--P - 0- CH - C- CH - C-NH- CH - CH - cool 2 I I 2 2 oCH3 OH

4-Phosphopantothensaure

Cystein T

ATP

t-.

o 11 o--P- 0- CH 2 I o-

ADP + Pi

cH o o cooI 3 II II I C- CH - C- NH- CH - CH - C- N- CH - CH2- SH 2 2 I I H CH3 OH

Das Reaktionsprodukt der Decarboxylierung von a Ketoglutarat im Citratzyklus, das Succinyl-CoA, ist ebenfalls ein Derivat des Coenzyms A. Aus SuccinylCoA und Glycin entsteht 6-AminoHivulinat, das erste Zwischenprodukt der Hambiosynthese (S. 650). Aus diesem Grund findet sich bei Pantothensauremangel im Tierversuch haufig eine Anamie. Eine entscheidende Rolle spielt Coenzym A im Lipidstoffwechsel (Kap.l4, 20). Der erste Schritt der Fettsaureoxidation, der durch das Enzym Thiokinase katalysiert wird, besteht aus der Aktivierung der Fettsauren durch Koppelung an Coenzym A unter Bildung des entsprechenden Acyl-CoA-Derivats, wobei die Energie fiir die Koppelungsreaktion der ATP-Spaltung entnommen wird. Die Abtrennung von Acetylresten bei der ~-Oxidation wird durch eine thiolytische Spaltung mit Hilfe von Coenzym A bewirkt (S. 440). AuBer als Baustein des Coenzyms A hat Pantothensaure in proteingebundener Form eine wichtige Funktion bei der Fettsiiurebiosynthese: Sie ist Bestandteil des Acylcarrierproteins (S. 445).

4-Phosphopantothenylcystein

25.3.71 Biotin 0 II

CH I 3

o-

CH 3 OH

0 II

0 II

o-- ~ - O - CH 2 - ~- ~H - C - N H - CHc CHc C - ~ - CH 2 -CH2 -SH

~

t-.

4-Phosphopantethein

ATP

Chemische Struktur .. Biotin ist formal eine Verbindung aus Harnstoff und einem substituierten Thiophanring.

P- Pi

Vorkommen .. Besonders biotinreich sind Leber, Niere,

Eigelb und Hefe.

Dephospho-Coenzym A

t= :: CH

,~, 0

0

o-

o-

~NJ_N>

c-t~cH -o-~-o-~-o-rdc 2 I I I

H3

2

HC- OH I C= O

Biotin wird ATP-abhangig carboxyliert und dient als Carboxylierungsmittel fUr verschiedene Reaktionen.

0

~H

0

I

- I_

CH I 2 CH

OH

0 -P - 0 I o-

1 2

O= C- NH- CH2- CH2- SH

CoenzymA Abb. 25.24. Biosynthese von Coenzym Aaus Pantothensaure

Stoffwechsel .. In seiner aktiven Form ist Biotin cova-

lent an Enzymproteine gebunden. Die Bindung erfolgt dabei tiber eine Saureamidbindung an die E-Aminogruppe eines Lysylrests der Peptidkette. Diese Art der Bin dung konnte dadurch wahrscheinlich gemacht werden, dass aus tierischen Geweben isoliertes Biotin nur in Form des Biocytins (E-N-Biotinyllysin) vorkommt. Biochemische Funktion .. Biotin ist das Coenzym fiir viele Carboxylierungsreaktionen. Seine Aufgabe besteht in der Bindung von C0 2 sowie der Ubertragung der Carboxylgruppe, auf die zu carboxylierenden Substanzen ( Abb. 25.25). Folgende biotinabhangige Reaktionen sind im Intermediarstoffwechsel von Bedeutung: .,.. Acetyl-CoA-Carboxylase (S. 445), .,.. Pyruvatcarboxylase (S. 408), .,.. Propionyl-CoA-Carboxylase (S.441) und .,.. Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase (S. 492 ff.).

Davon besitzen beim Warmbliiter quantitativ die gri:iBte Bedeutung die Acetyl-CoA-Carboxylase und die Pyruvatcarboxylase. Erstere ist die Startreaktion zur Fettsau25.3 Wasserliisliche Vita mine

743

25 rungsmitteln vorkommen, unterscheiden sich lediglich in der Anzahl der Glutamylreste, die am Pteridin-pAminobenzoesiiure-Komplex angeheftet sind. Die wichtigsten sind Pteroyltriglutamat sowie Pteroylheptaglutamat, das in relativ hoher Konzentration in der Hefe vorkommt. ATP, HCOj

Abb. 25.25. Biotin und seine Funktion als Coenzym bei Carboxylierungen

rebiosynthese, da eine ausreichend schnelle Kondensationsreaktion von Acetyleinheiten mit vorgebildetem Acyl-CoA erst nach deren Carboxylierung moglich ist. Letztere gehort zu den sog. anaplerotischen Reaktionen des Citratzyklus (S. 528). In dieser Reaktion wird aus Pyruvat Oxalacetat gebildet, das als Kondensationspartner vonAcetyl-CoA zur Citratbildungvorhanden sein muss, damit der Citratzyklus mit ausreichender Geschwindigkeit Hiuft. Ober die Beziehungen der Pyruvatcarboxylasereaktion mit der Gluconeogeneses. S. 408. Pathobiochemie~ Hypovitaminose: Ein ernahrungsbedingter Biotinmangel beim Menschen ist auBerordentlich selten, da die Darmbakterien groBe Mengen an Biotin synthetisieren. Die Biotinausscheidung mit den Faeces iibersteigt i. Allg. die Zufuhr mit der Nahrung urn das zwei- bis fiinffache. Nur bei biotinarmer Ernahrung mit medikamentoser Stillegung der Darmflora, z. B. mit Antibiotika, kommt es zu einem Biotinmangel, dessen Symptome in nervosen Storungen, Miidigkeit, Appetitlosigkeit und EKG-Veranderungen bestehen. Gelegentlich treten Anamien sowie Hypercholesterinamie auf. Ein ahnliches Krankheitsbild kann durch Aufnahme groBerer Mengen von rohem HiihnereiweiB erzeugt werden. Dieses enthalt das Glycoprotein Avidin, das Biotin bindet und sowohl im intakten Organismus wie an gereinigten Enzympraparaten die biotinkatalysierten Reaktionen hemmt.

Besonders reich an Folsaure sind Leber, Nieren, dunkelgriines Blattgemiise und Hefe.

Vorkommen~

Stoffwechsel~ Bei der Folsaurebiosynthese in Mikroorganismen reagieren ATP, CoA und p-Aminobenzoesaure mit Glutamat zu p-Aminobenzoylglutamat. Dieses verbindet sich mit dem Pteridinring zu Pteroylmonoglutamat (Folsaure). Die therapeutische Wirkung von Sulfonamiden beruht auf der kompetitiven Hemmung des Einbaus von p-Aminobenzoesaure. Damit kommt die Folsiiurebiosynthese pathogener Mikroorganismen zum Erliegen. Mit den Nahrungsstoffen aufgenommene Folsiiure wird durch einen spezifischen Aufnahmeprozess in den Enterocyten resorbiert und im Plasma in Bindung an verschiedene Proteine transportiert. Die Aufnahme in die Zellen erfolgt gegen einen Konzentrationsgradienten und wird durch einen Rezeptor vermittelt, welcher mit Hilfe eines Phosphatidylinositol-Ankers in die Plasmamembran eingebaut ist. Die biologisch aktive Form der Folsaure ist die Tetrahydrofolsiiure (FHJ, die durch Reduktion der Folsiiure zu Dihydrofolsiiure und anschlieBend zu Tetrahydrofolsiiure mit Hilfe der NADPH/W -abhiingigen Folatreductase bzw. Dihydrofolatreductase entsteht (-®Abb. 25.26).

Biochemische Funktion~ Die Vitamine der Folsiiuregruppe sind die Coenzyme fiir Ubertragungen von 1Kohlensto.ffresten (Methyl-, Formyl-, Formiat-, Hydroxymethylreste).

OH

I .&C

0

N::r X 1 ,......c:::::,

H2N

N

H

-o~ II I ~c- cH - N 'I ~ c- N- c- coo2

N

I #)

H

N

H

-

Folat

I

CH2 I CH2 too-

2 NADPH + 2W 2 NADP+

25.3.81 Folsaure

Folsiiure ist das Coenzym fUr Ein-Kohlenstoffubertragungen. Chemische Struktur~ Folsaure ist aus einem Pteridinkern, p-Aminobenzoesiiure und L-Glutamat aufgebaut. Ahnliche Verbindungen, die in den natiirlichen Nah744

I

25 Vitamine

OH I

H

0

H

N~cXN'cH-CH - NO 'g- N- t - coo1

,. . . C:::,.., H2N N

I

I

N' H

HCH

2

H

-

Tetrahydrofolat Abb. 25.26. Die Bildung von Tetrahydrofolat aus Folat

H I

CH2 I CH2 I coo-

25 Trager der 1-Kohlenstoffgruppen sind die N-Atome in Position 5 bzw. 10 des Pteroylrests ( Abb. 25.27). Durch Dehydrogenase- bzw. Isomerasereaktionen ki:.innen die 1-Kohlenstoffreste ineinander uberfuhrt werden. Abbildung 25.27 gibt gleichzeitig daruber Aufschluss, aus welchen Quellen die an Tetrahydrofolsaure gehefteten 1-Kohlenstoffreste stammen und welche

NADP+

NADPH + H•~ HN

H

CH

. q7 c

/ N>-.. H/NH- C- C

I H

N5,

N10·Methenyi-FH 4

ho

H

Cr

I

[ H

/ N>-. H/N H-C-C

I H

t

H I / N>-.. H/N H- C- C

I H

N5-Formimino-FH 4

C'

0 H

H

I

/ N>-.. H/NH-C-C

I H

N10-Formyi-FH4 ADP + P; ATP

Formiat, FH4

1 N-Formylglutamat, FH 4

Abb. 25.27. Funktion der Tetrahydrofolsaure als Coenzym bei Obertragungen von 1-Kohlenstoffresten. (Einzelheiten s.Text)

weiteren Reaktionsmi:.iglichkeiten im Intermediarstoffwechsel ihnen zur Verfugung stehen. Herkunft der 1-Kohlenstoffreste: In einer ATP-abhangigen Reaktion kann unter Katalyse des Enzyms Formyltetrahydrofolsauresynthetase Formiat direkt an Tetrahydrofolsaure angelagert werden. Infolge des geringen Formiatspiegels in der Zelle hat diese Reaktion unter physiologischen Bedingungen jedoch nur geringe Bedeutung. Wesentlich wichtiger ist die Bildung von W,N 10-Methylentetrahydrofolsauredurch Ubertragung des~- Kohlenstoffs des Serins als Hydroxymethylgruppe (S. 509). Sehr wahrscheinlich erfolgt zunachst eine Anlagerung der Hydroxymethylgruppe an W gefolgt von einer intramolekularen Wasserabspaltung, so dass die reaktionsfreudige W,Ni 0 -Methylenkonfiguration entsteht. In ahnlicher Weise werden die Methylgruppen von Methionin, Cholin und Thymin nach Oxidation zur Hydroxymethylgruppe in die Tetrahydrofolsaure eingebaut. Die beim Histidinabbau entstehende Formiminogruppe von Formiminoglutamat wird als N5-Formiminotetrahydrofolsaure eingebaut, zum W-Formyltetrahydrofolat desaminiert und danach in N5, Ni 0 -Methylentetrahydrofolat umgewandelt (S. 503 ). Schicksal der 1-Kohlenstoffreste: Ni 0 -Formyltetrahydrofolat ist Kohlenstofflieferant fur verschiedene wichtige Stoffwechselreaktionen: Die C-Atome 2 und 8 des Purinkerns (S.630) werden in Form des Tetrahydrofolatderivats eingebaut. AuGerdem stellt es die Formylgruppe der N-Formylmethionin-tRNA, die bei Prokaryonten die Biosynthese von Proteinen startet. NS, Ni 0 Methylentetrahydrofolat liefert den Kohlenstoff fur die Methylgruppen von Thymin und Hydroxymethylcytosin, daneben bildet es den ~-Kohlenstoff des Serins bei der Umwandlung von Glycin in Serin (S. 509). In einer NAD+-abhangigen Reaktion wird W,Ni 0 -Methylentetrahydrofolat zu W-Methyltetrahydrofolat reduziert. Diese Methylgruppe wird fiir die Methylierung von Homocystein zu Methionin (S. 490) sowie fur die Cholinbiosynthese beni:.itigt. Pathobiochemie .. Hypovitaminose: Die Teilnahme der Folsaurecoenzyme bei der Biosynthese von Purinen und Pyrimidinen zeigt ihre besondere Bedeutung beim Wachstum und bei der Zellteilung. Da die Blut bildenden Zellen des Knochenmarks eine besonders hohe Teilungsrate haben, sind Sti:.irungen des Blutbilds ein fruhes Zeichen des Folsauremangels. Bei Ianger dauerndem Mangel kommt es jedoch zu einer generellen Sti:.irung des Zellstoffwechsels, da nicht nur die Biosynthesegeschwindigkeit von Nucleinsauren abfallt, sondern auch der Phospholipidstoffwechsel (Cholinbiosynthese) und der Aminosaurestoffwechsel beeintrachtigt sind. Beim Menschen tritt ein im Blutbild nachweisbarer Folsauremangel (megaloblastische Anamie) dann auf, wenn weniger als 5 j..t.g Folsaure/Tag wahrend etwa 6 Monaten zugefuhrt werden. Eine gleichartige Symptomatik zeigt sich auch beim Cobala25.3 Wasserlosliche Vita mine

745

25 minmangel (S. 748), die jedoch nur durch Gaben von Cobalamin und nicht durch Folsaure behoben werden kann. Deswegen sollten bei megaloblastischen Anamien grundsatzlich der Folsaure- und Cobalaminspiegel des Serums gemessen werden. Da Folsaure auch beim Histidinstoffwechsel bei der Umwandlung von Formiminoglutamat zu Glutamat (s. oben) beteiligt ist, kann beim Histidinbelastungstest eine gesteigerte Ausscheidung von Formiminoglutaminsaure im Urin als Folge eines Folsauremangels nachgewiesen werden (Tabelle 25.3). AuGer durch Fehlernahrung kann ein Folsauremangel medikamentos durch Folsiiureantagonisten hervorgerufen werden. Durch Substitution der Hydroxylgruppe an Position 4 des Pteridinkerns der Folsaure durch eine Aminogruppe entsteht die 4-Aminofolsaure, das Aminopterin. Wird gleichzeitig an Stellung 10 methyliert, kommt man zum Amethopterin ( Abb. 25.28). Beide Verbindungen wirken als Antivitamine, da sie durch Hemmung der Dihydrofolatreductase die Bildung von Tetrahydrofolat aus Folsaure blockieren. Durch beide Folsaureantagonisten kommt es zu einer Konzentrationsabnahme von mit 1-Kohlenstoffeinheiten bel aden en Tetrahydrofolaten, besonders dem Methylentetrahydrofolat. Dadurch werden die Biosynthesen von Purin- und Pyrimidinnucleotiden schwer beeintrachtigt. Amethopterin (Methotrexat) ist ein besonders effektiver Hemmstoff der Dihydrofolatreductase. Bereits Konzeritrationen von 10·8 M fiihren zu einem deutlichen Konzentrationsabfall der reduzierten Folate. Da sich solche Konzentrationen Ieicht bei therapeutischer Anwendung beim Menschen erzeugen lassen, wird Amethopterin als Cytostaticum beim Brustdriisencar-

C XI N I

N~ I

I

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I

0

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2

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Folat

C XI N

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NH2

I

NAbb. 25.30). In Lysosomen erfolgt die Trennung vom Rezeptor sowie der proteolytische Abbau des Intrinsic factors. Freies Cobalamin wird an ein zweites Transportprotein gebunden, das Transcobalamin II, welches fiir den Transport von Cobalamin im Blutplasma verantwortlich ist. Fiir die zellulare Aufnahme von Transcobalamin II- gebundenem Cobalamin wird ein weiterer spezifischer Rezep-

Korperzelle

Abb. 25.30. Stoffwechsel von Cobalaminen. Co Cobalamine; IF intrinsic factor; R1 Rezeptor fUr intrinsic factor; Tell Transcobalamin II, R2 Rezeptor fUrTranscobalamin II

tor benotigt, der sich auf allen Zellmembranen nachweisen lasst und zur Endocytose des Komplexes fiihrt. Transcobalamin II wird lysosomal abgebaut und das auf diese Weise freigesetzte Cobalamin in cytosolisches Methylcobalamin oder nach Aufnahme in Mitochondrien in Adenosyl-Cobalamin umgewandelt.

Biochemische Funktion ... In Abhangigkeit vom Rest R ( Abb. 25.29) unterscheidet man zwei Coenzymformen des Cobalamins, ... das 5' -Desoxyadenosylcobalamin und .,.. das Methylcobalamin. 25.3 Wasserlosliche Vita mine

747

25 Die Biosynthese des Adenosylcoenzyms erfolgt in einer zweistufigen Reaktion: Nach der FAD+- und NAD+abhangigen Reduktion des im Cobalamin zwei- oder dreiwertigen Kobalts zu einwertigem Kobalt wird die aus ATP stammende 5'-Desoxyadenosylgruppe angeheftet, wobei die drei Phosphatgruppen des ATP in Form von anorganischem Trimetaphosphat freigesetzt werden. Eine katalytische Funktion des 5'-Desoxyadenosylcobalamins ist die intramolekulare Umlagerung von Alkylresten wie z. B. die Isomerisierung von Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA beim Abbau ungeradzahliger Fettsauren (S. 441 ). 1st diese Reaktion beim Cobalaminmangel nicht moglich, so wird Methylmalonyl-CoA zu Methylmalonsaure hydrolysiert und mit dem Urin ausgeschieden. Die Ausscheidung dieser Saure ist deshalb ein empfindlicher Indikator eines Cobalaminmangels ( Tabelle 25.3). Methylcobalamin ist an der folatabhangigen Remethylierung von Homocystein zu Methionin (Verkntipfung von Folat- und Cobalaminstoffwechsel!, Methioninsynthase, S. 490 ), beteiligt. Pathobiochemie~ Langerdauernder Cobalaminmangel ftihrt zu einem als perniziose oder megaloblastiire Aniimie bezeichneten Krankheitsbild. Der Mangelzustand wird dabei seltener durch einseitige Ernahrung (Vegetarier) ausge!Ost. Seine haufigsten Ursachen sind eine verminderte Resorption bei Erkrankungen der Dtinndarmmucosa (z. B. Sprue, S.1101) oder eine fehlende oder mangelhafte Sekretion des ftir die Resorption unerlasslichen intrinsic factor. Diese kommt bei Erkrankungen der Magenschleimhaut, nach Gastrektomie sowie im Gefolge spezifischer Autoimmunerkrankungen vor. Dartiber hinaus sind eine Reihe hereditarer Storungen des Cobalamin-Transports und intracellularen Stoffwechsels beschrieben worden, die ebenfalls zur Symptomatik der perniziosen Anamie ftihren. Die Storungen konnen dabei in allen Schritten des Cobalamin-Stoffwechsels lokalisiert sein, beginnend mit einem Defekt der Bildung von Intrinsic factor tiber defekte Rezeptoren ftir Intrinsic factor bzw. Transcobalamin II, Storungen der intrazellularen Prozessierung der aufgenommenen Cobalamin-TransportproteinKomplexe bis zur Methylierung oder Adenosylierung von Cobalamin.

748

I

25 Vitamine

Da die Leber betrachtliche Mengen an Cobalamin speichern kann, vergehen meist Jahre bis zur Manifestierung des Krankheitsbildes der perniziosen Anamie. Ihre Hauptsymptome sind eine Sttirung der Erythropoiese mit megaloblastiirer Aniimie (S. 745), Leukound Thrombocytopenie. In vielen Fallen treten neurologische Sttirungen des peripheren und zentralen Nervensystems vor den hamatologischen Veranderungen auf. Diese Sttirungen sind eine Folge der durch den Vitaminmangel ausgelosten Verminderung der Cholin- und damit Phospholipidsynthese sowie der Nucleinsaurebiosynthese. Die verminderte Umwandlung von Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA verursacht eine Anhaufung von Methylmalonat (S. 723), das einen allgemein toxischen Effekt haben soli.

25.4 1 Vitaminahnliche Substanzen AuBer den eigentlichen Vitaminen gibt es noch einige vitaminahnliche Wirkstoffe, tiber deren Vitamincharakter, d. h. Biosyntheseweg bzw. Fahigkeit der menschlichen Zelle zur Biosynthese des betreffenden Stoffes, noch keine Klarheit existiert. Dazu gehoren Inositol (S. 37), Cholin (S. 37) und die Liponsaure (S. 523).

KERNAUSSAGEN Mit Ausnahme von Ascorbinsaure und Thiamin werden aile wasserloslichen Vitamine nach Oberfuhrung in die jeweils biologisch aktive Form als Gruppen ubertragende Coenzyme verwendet. Obertragene Gruppen sind ~ Wasserstoff (Niacin und Riboflavin), ~ C0 1 (Biotin), ~ Acyi-Reste (Pantothensaure) und ~ 1-Kohlenstoffreste (Folsaure, Vitamin B11) Thiamin ist als Coenzym der oxidativen Decarboxylierung von a-Ketosauren beteiligt. Ascorbinsaure ist ein sehr effektives Reduktionsmittel, halt Eisen- bzw. Kupferatome in Enzymen in der fUr die Katalyse notwendigen reduzierten Form und ist dariiber hinaus als Radikalfanger bei der Bewaltigung von oxidativem Stress von groller Bedeutung.

25

SCHLOSSELBEGRIFFE y-Carboxylierung ~-Carotin

1a -Hydroxylase 1,25-Dihydroxycholecalciferol 25-Hydroxycholcalciferol 5'-Oesoxyadenosylcobalamin Amethopterin Aminopterin Ascorbinsaure Beriberi-Krankheit Biotin Blutgerinnung Calbindin Calciumresorption Carboxylierung cGMP-Phosphodiesterase Cholecalciferol Cobalamin Coenzym A(CoA) Cumarine Dehydrierende Decarboxylierung

Oihydrofolatreductase FAD Fenliisliche Vitamine FMN Folsaure Hypervitaminose Hypovitaminose Methylcobalamin Nachtblindheit NAD(P) Niacin(amid) Opsin Osteomalacie oxidativer Stress Pantothensaure Pellagra perniziose Anamie Phyllochinon Prolylhydroxylase Pyridoxalphosphat Pyridoxin

!uteratur Obersichtsarbeiten und Originalarbeiten BERKNER KL (2000) The Vitamin K-Dependent Carboxylase. J. Nutr.130: 1877- 1880 BrESALSKI HK (1995) Antioxidative Vitamine in der Pravention. Dtsch. Arztebl. 92: C851-C855 BRIGELIUS-FLOHE R, TRABER MG (1999) Vitamin E: function and metabolism. FASEB J. 13: 1145- 11 55 BROWN AJ, Dusso A, SLATOPOLSKY E (1999) Vitamin D. Am. J. Physiol. 277 (Renal Physiol. 46): F157-F175 DuESTER G (2000) Families of retinoid dehydrogenases regulating vitamin A function. Production of visual pigment and retinoic acid. Eur J Biochem 267: 4315-4324

Rachitis Retinal Retinoat Retinoatrezeptor Retinol Retinoi-Bindungsprotein Rhodopsin Riboflavin Sehvorgang Skorbut Tetrahydrofolsaure Thiamin Tocopherol Tocopheroxyi-Radikal Transcobalamin Transducin Vitamin 0-Bindungsprotein Vitamin D-Rezeptor Vitamin K-abhangige Proteine Wasserlosliche Vita mine Xerophthalmie

HEWISON M, ZEHNDER D, BLAND R, STEWART PM (2000) I a-Hydroxylase and the action of vitamin D. J Mol Endocr 25: 141-148 VON LINTIG J, WYSS A (2001) Molecular Analysis of Vitamin A Formation: Cloning and Characterization of ~ - Carotene 15,15'-Dioxygenases. Arch Biochem Biophys 385: 47-52 PADH H (1990) Cellular functions of ascorbic acid. Biochem Cell Biol68: 1166-1173 WHITE P, CooKE N (2000) The Multifunctional Properties and Characteristics of Vitamin D-binding Protein. TEM 11: 320-327 ZHANG X, PFAHL M (1993) Regulation of retinoid and thyroid hormone action through homodimeric and heterodimeric receptors. TEM 4: 156-162 ZILE MH (2001) Function of Vitamin A in Vertebrate Embryonic Development. J, Nutr.l31: 705-708

Literatur

I

749

Stoffwechsel des Organism us: Spezifische Gewebe

26 27

28 29 30

31 32 33 34 35 36 37 38

Binde- und Stutzgewebe 753 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen 789 Endokrine Funktionen II: Zytokine 813 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation 837 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe 865 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes 909 Blut 975 Muskelgewebe 1031 Gehirn und Nervengewebe 1053 Gastrointestinaltrakt 1077 Leber 1103 1121 lmmunsystem Tumorgewebe 1159

Binde- und Stutzgewebe R.

26.1 26.2 26.2.1 26.2.2 26.2.3 26.2.4

26.3 26.4 26.4.1 26.4.2 26.4.3

26.5 26.5.1 26.5.2 26.5.3

26.6 26.7 26.7.1 26.7.2

26.7.3 26.7.4 26.7.5 26.7.6

26.8 26.8.1 26.8.2 26.8.3 26.8.4 26.8.5

DEUTZMANN

I L. BRUCKNER-TUDERMAN

Zusammensetzung der extrazellularen Matrix (ECM) 754 754 Kollagene 755 Fibrillare Kollagene Fibrillen-assoziierte Kollagene 758 Nichtfibrillare Kollagene 759 Angeborene Erkrankungen 761 des Kollagen-Stoffwechsels Elastin 762 763 Proteoglykane 764 Aggrecan Kleine leucinreiche Proteoglykane 765 Membrangebundene Proteoglykane 766 Nichtkollagene Glycoproteine 766 766 Fibronektin 768 Laminine 769 lntegrine Abbau der extrazellularen Matrix 771 Biochemie und Pathobiochemie des Skelettsystems 773 Die extrazellulare Matrix von Knorpel 773 und Knochen Zellulare Bestandteile des Skelettsystems: Differenzierung und Aktivierung von Chondroblasten, Osteoblasten und Osteoclasten 773 Regulation des Knochenwachstums 776 bis zur Pubertat Homoostase des Skelettsystems 776 Hormonelle Regulation 776 des Knochenstoffwechsels 778 Knochenerkran ku ngen 779 Biochemie der Haut 779 Aufbau und Funktion der Haut 779 Die Epidermis Die dermo-epidermale Junktionszone 780 Die Dermis 781 Pathobiochemie der Haut 783

P.

BRUCKNER

26 Oas Bindegewebe durchzieht den gesamten Organismus. Um den vielfaltigen Aufgaben ais Gerust- und StUtzsubstanz gerecht zu werden kommt es in den unterschied lichsten Auspragungen vor. Oazu gehiiren feste Strukturen wie Knorpel, Sehnen und Bander,aber auch das aus locker gepackten fibrillaren Strukturen bestehende interstitielle Bindegewebe, das den Extrazellularraum ausfUIIt und Organe umgibt. Oas Bindegewebe ist aber we it mehr als nur das strukturgebende Element des Kiirpers. Eine Vielzahl von extrazellularen Matrix-Moleki.ilen binden i.iber spezifische Rezeptoren an Zellen und beeinflussen Wachstum, Oifferenzierung und Funktion fast alter Zellen des Kiirpers. Eindrucksvoll konnte dies an Mausen gezeigt werden, bei den en Rezeptoren oder deren extrazellulare Liganden inaktiviert waren.lm Extremfall kames nicht einmal zur Ausbildung des zweiblattrigen Keimblatts. Aufgrund des komplexen Aufbaus und der ubiquitaren Verteilung ist das Bindegewebe an zahlreichen Krankheiten mitbeteiligt. Oazu gehiiren angeborene Stiirungen, die auf Oefekten in Genen fUr Strukturproteine oder Zelladhasionsmolekule beruhen. DarUber hinaus spielt das Bindegewebe eine entscheidende Rolle bei vielen atrophisierenden und fibrosierenden Prozessen. Pathologische Veranderun gen treten bei entzUndlichen Reaktionen wie den rheumatischen Erkrankungen auf. Auch die Metastasierung von Tumoren wird vom Bindegewebe beeinflusst.

26.1 Zusammensetzung der extrazelluUiren Matrix (ECM) Die verschiedenen Formen des Bindegewebes leiten sich vom embryonalen Bindegewebe, dem Mesenchym ab. Die Bindegewebszellen im engeren Sinne sind die Fibroblasten bzw. Fibrozyten. Abkommlinge sind die Chondroblasten des Knorpels und die Osteoblasten des Knochens. Diese Zelltypen synthetisieren den groBten Teil der extrazellularen Matrix, jedoch produzieren auch Epithel- und Endothelzellen sowie glatte Muskelzellen eine Reihe von extrazellularen Matrix-Molekulen, insbesondere die meisten Bestandteile der Basalmembran. Die von den verschiedenen Zelltypen sezernierten Proteine konnen in vier Gruppen eingeteilt werden: ... Kollagene, ... Elastin, ... Proteoglykane, .,. nichtkollagene Glycoproteine. Die Kollagene stellen quantitativ die bedeutendsten Proteine des Organismus dar und sind die strukturgebenden Proteine von Haut, Sehnen, Bandern sowie der organischen Grundsubstanz von Hartgeweben und der Basalmembranen. Elastin verleiht Strukuren elastische Eigenschaften, z. B. in der Aortenwand. Proteoglykane sind durch Anheften von sauren repetitiven Disaccharid-Einheiten (S. 30) Polyanionen und sowohl fiir die Schaffung von elastischen wassergefiillten Kompartimenten (z. B. Knorpel) notwendig als auch fur die Regulation der Kollagenfibrillen-Bildung. Proteoglykane sind als Zelloberflachen-assoziierte Co-Rezeptoren essentiell. Die Gruppe der nichtkollagenen Glycoproteine umfasst eine schier unuberschaubare Vielfalt von Molekiilen, die fur die Zellfunktion essentiell sind. Die bekanntesten Molekule dieser Gruppe sind die Laminine und das Fibronektin. Im Folgenden werden die verschiedenen Mitglieder dieser Gruppen im Einzelnen dargestellt.

754

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

26.21 Kollagene Kollagene sind eine groBe, durch vielfach wiederholte Gly-X-Y-Sequenzmotive cha ra kterisierte MolekU Ifam il ie. Bei Vertebraten waren bisher neunzehn verschiedene Kollagentypen bekannt, eine Ubersicht ist in Tabelle 26.1 aufgefiihrt. Zumindest noch vier weitere Kollagene werden zur Zeit charakterisiert. Kollagenmolekiile sind immer aus drei Polypeptidketten aufgebaut, die identisch oder verschieden sein konnen. So ist das am weitesten verbreitete Kollagen Typ I aus zwei al(I)-Ketten und einer a2(1)-Kette aufgebaut, wahrend die Kollagene vom Typ II und Typ III Homotrimere aus al(II)- bzw. al(III)-Ketten bilden. Gemeinsames Strukturmerkmal aller Kollagene ist das Vorkommen von stabformigen Abschnitten, die eine tripelhelikale Konformation (S. 76) besitzen. Drei linksgangige helikale Strange bilden eine rechtsgangige Superhelix aus. Diese Konformation ist durch monoton wiederholte Triplet Sequenzen aus Gly-X-Y bedingt, wobei X und Y haufig Pro lin und Hydroxyprolin sind. Ferner tritt in YPosition bisweilen Hydroxylysin auf. Auf die Bedeutung dieser Modifikationen wird spater noch eingegangen. Die Besetzung jeder dritten Position mit Glycin ist erforderlich, wei! jeder dritte Rest einer Kollagenkette durch das Zentrum der Helix geht und nur die kleinste Aminosaure Glycin hier Platz findet. Die Hauptunterschiede zwischen den einzelnen Kollagentypen bestehen in der Lange der tripelhelikalen Abschnitte, kurzen Unterbrechungen in der Tripelhelix und in dem zusatzlichen Vorhandensein von globularen Domanen. Auf diese Weise erhalten die Kollagene unterschiedliche biologische Eigenschaften.

26 Tabelle 26.1. Kollagen-Typen und reprasentative Expressionsorte

Polypeptidketten

Merkmale

Lokalisation

al(I), a2(I)

Quergestreifte Fibrillen

Haut, Knochen, Sehnen, Bander

II

aJ (II)

Quergestreifte Fibrillen

Knorpel, Glaskorper

"'

ai(III)

Quergestreifte Fibrillen

Dehnbare Gewebe wie Haut, GefaBe

IV

a.J(IV) - a.6(IV)

Netzwerk

Basalmembran

v

al(V)- a4(V)

Fibrillen (mit Typ I)

Haut, Cornea

VI

al(VI) - a3(VI)

Mikrofibrillen

Ubiquitar

vn

al(VII)

Verankerungs-Fibrillen

Dermo-epidermale Junktion

Typ

VIII

a I (Vlll), a2(VIII)

Hexagon ales Netzwerk

Gefa.Bwand

lX

aJ(LX)- a3(IX))

Fibrillen-assoziiert

Assoziiert mit Typ II

X

al(X)

Hexagonales Netzwerk

Hypertrophierender Knorpel

XI

al(XI)- a3(XI)

Fibrillen (mit Typ II)

Knorpel

XII

al(XII)

Fibrillen-assoziiert

Assoziiert mit Typ I

XIII

al(XIII)

Transmembrankollagen

Epidermis und Dermis

XIV

al(XIV)

Fibrillen-assoziiert

XV

al(XV)

XVI

al(XVI)

Mikrofibrillen

Ubiquitar

XVII

al(XVII)

Transmembrankollagen

Epidermis (Hemidesmosom)

XVIII

al(XVIII)

Fragment: Endostatin

In der Basalmembran-Zone weit verbreiret

XlX

al(XIX)

Assoziiert rnit Typ I Basalmernbran-Zone

26.2.1 Fibrillare Kollagene

In der Basalmembran-Zone weit verbreitet

500nm

Die fibrillaren Kollagene sind die Hauptkollagene des Bindegewebes von Haut, Knochen, Knorpel, Sehnen und Bandern und besitzen cha rakteristische Faserstrukturen. Betrachtet man Kollagenfasern unterschiedlicher Herkunft im Elektronenmikroskop, Hisst sich in allen Fallen ein Aufbau aus quergestreift erscheinenden Mikrofibrillen mit einer Periodizitiit von 67 nm erkennen,jedoch ist die Anordnung und die Dicke der Mikrofibrillen in verschiedenen Geweben recht unterschiedlich (Abb. 26.1). Die dreidimensionalen Strukturen sind den Anforderungen entsprechend optimiert. In Sehnen sind z. B. alle Mikrofibrillen parallel angeordnet, so dass sie maximale Stabilitat in Richtung einer Zugbelastung besitzen, wahrend sie in der Haut kreuz und quer liegen, urn eine Dehnung in alle Richtungen zu ermi:iglichen. Diese morphologischen Befunde lassen sich inzwischen recht gut mit der Biosynthese und den Aggregationseigenschaften der verschiedenen Kollagentypen erklaren, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Am Aufbau der fibrillaren Strukturen sind fiinfKollagen-Typen beteiligt. Die verschieden Polypeptidketten besitzen groBe Sequenzhomologien und identische Domanen-Strukturen ( Abb. 26.2). Das charakteristische Strukturmerkmal ist eine groBe zentrale Domane. Sie besteht aus einer tripelhelikalen Domiine von 340

Abb. 26.1 a, b. TransmissionselektronenmikroskopischeAufnahmen.a Kollagen-Mikrofibrillen aus Rattenschwanzsehnen. b Epiphysenknorpel des HOhnerembryos. (A usLoffler u. Petrides 1998) 26.2 Kollagene

755

26

Signalpeptid

23

"

N-Propeptid

"

/N-Telo-

Haupt-Tripel-Helix

/ C-Telo-

C-Propeptid

17

1020

23

244

peptid

130

/

peptid

Abb. 26.2. Schematische Darstellung der Struktur der Polypeptidkette von fibrillaren Kollagenen am Beispiel der a1(111)-Kette. Die tripelhelikalen Bereiche sind schraffiert dargestellt, die Spaltstellen fUr die N- und CPropeptidasen sind durch Pfeile gekennzeichnet. Die Zahlen geben die Anzahl der Aminosauren in den einzelnen Domanen an

Membran des RER II IJ II I I I I II II tJ II ll'h I I II II II II I I II II II ii'h

@

OH I

~0

6

OH I

I

OH

s

~0

a

~ I

~(!)

I

§ ~ § ~0

b 756

26 Binde- und Stiitzgewebe

Abb. 26.3 a-c. Biosynthese und Sekretion der fibrillaren Kollagene. a lntrazellulare Schritte: 1 kotranslationale Hydroxylierung von Prolinund Lysin-Resten;2 Glycosylierung einzelner Hydoxylysin-Reste;J Freisetzung der Polypeptidkette mit disulfidverbrUckten und N-glycosylierten Propeptiden; 4 Zusammenlagerung dreier Polypeptidketten iiber die CPropeptide und Beg inn derTripelhelix-Bildung;5 Bildung des fertigen tripelhelikalen Prokollagen-Molekiils. b Extrazellulare Schritte. 1 Abspaltung der Propeptide; 2 Aggregation zu Mikrofibrillen; 3 kovalente Quervernetzung. c Schematische Darstellung der Fusion von Kollagen-Molekiilen in extrazellularen Kompartimenten des Fibroblasten

Gly-X-Y-Repeats in ununterbrochener Reihenfolge, welche von zwei etwa 20 Aminosauren langen nichttripelhelikalen Telopeptiden flankiert ist. Diese Telopeptide sind fiir die Ausbildung von Quervernetzungen essentiell. Neu synthetisierte Kollagenmoleklile enthalten noch zusatzliche Domanen an den Enden, das NPropetid bzw. C-Propeptid, die im reifen Moleklil jedoch nicht mehr vorhanden sind. Zusatzlich besitzen die Ketten noch eine Pra-Sequenz zum Export ins endoplasmatischen Retikulum.

In der Zelle wird Prokollagen gebildet, das charakteristische Hydroxylierungen von Prolinen und Lysin aufweist. Die Kollagenketten werden am rauhen endoplasmatischen Retikulum (RER) gebildet und nach Abspaltung der Pra-Sequenz ins Lumen des RER transportiert, wo etwa 50% der Proline und einige Prozent der Lysine in der Y-Position des Gly-X-Y-Triplets hydroxyliert werden ( Abb. 26.3). An die hydroxylierten Lysine werden dann noch zum gro6en Teil 0-glykosidisch verknlipfte Disaccharide aus Galaktose und Glucose angehangt. Zusatzlich werden intramolekulare Disulfidbrlicken in den beiden Propeptiden ausgebildet und am C-Propeptid noch zusatzlich N-glykosidisch gebundene Zucker angehangt.

26 AnschlieBend assemblieren drei Polypeptidketten zum Prokollagen-Molekiil. Dieser Prozess wird durch Aneinanderlagerung der C-terminalen Domanen eingeleitet. Diese Domanen legen fest, ob Homo- oder Heterotrimere gebildet werden, da nur bestimmte Assoziationen moglich sind. Danach faltet sich die TripelHelix wie bei einem ReiBverschluss zum N-terminalen Ende hin. Das entstehende Prokollagen ist das Endprodukt der intrazellularen Biosyntheseabschnitte.

!

Die Hydroxylgruppen der Hydroxyproline konnen Wasserstoffbrucken zwischen den benachbarten Polypeptidketten ausbilden, so dass die Tripelhelix bei physiologischen Temperaturen stabil ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass tripelhelikale Abschnitte keine Substrate der Prolyl-Hydroxylase oder Lysyl-Hydroxylase darstellen, so dass diese Modifikationen vor der Faltung zum Prokollagen abgeschlossen sein miissen. Die Hydroxylierung ist absolut essentiell fiir die Strukturfunktion des Kollagens. Kollagene mit wenig Hydroxyprolin, wie sie bei vielen in kaltem Wasser lebenden Organismen vorkommen, besitzen Schmelzpunkte unter 37°C. Sie wiirden sich bei der Biosynthese im Menschen also nicht falten und daher abgebaut werden. Durch die Hydroxylierung wird der Schmelzpunkt jedoch auf iiber 40 oc heraufgesetzt. Die Hydroxylierung ist Vitamin C abhangig (S. 738). Das Auftreten von Skorbut bei Vitamin-C-Mangel ist im Wesentlichen durch das Fehlen von neu gebildetem Kollagen bedingt.

Prokollagen wird in extrazellularen Kompartimenten von Fibroblasten prozessiert und zu Fibrillen aneinander gelagert. Die sich an die Bildung von Prokollagen anschlieBende Fibrillenbildung erfolgt im Extrazellularraum. Allerdings werden die Molekiile nicht einfach in den Extrazellularraum sezerniert, sondern die Schritte bis zur Bildung von Mikrofibrillen finden in extrazelluliiren Kompartimenten des Fibroblasten statt. Wie in Abb. 26.3 c angedeutet, reichen Einbuchtungen bis tief in den Fibroblasten hinein. Sekretorische Vakuolen mit Prokollagen lagern sich lateral aneinander, fusionieren miteinander und mit der Zellmembran, so dass lange, enge Kanale entstehen, in denen die Fibrillenbildung ablauft. Dies konnte durch elektronenmikroskopische Untersuchung an seriellen Schnitten von embryonalen Fibroblasten gezeigt werden. In diesen extrazellularen Kompartimenten wird Prokollagen zunachst enzymatisch zu einem unlOslichen Kollagen prozessiert. Nach Abspaltung der N- und CPropeptide durch die Aminopropeptidase und die Carboxypropeptidase aggregieren die tripelhelikalen Molekiile, es bilden sich 10 bis 100 nm dicke Mikrofibrillen, die sich zu 3-5 f.Lill dicken Fibrillen aneinander lagern.

Die Assemblierung von Kollagen wird durch die charakteristische Verteilung von hydrophoben und polaren geladenen Aminosauren gelenkt. Die miteinander wechselwirkenden Aminosauren sind in vier homologen Region en D1 -D4 angeordnet ( Abb. 26.4), die je 67 nm lang sind. Daher lagern sich die Molekiile jeweils urn 67 nm versetzt (,Dstagger" = 67 nm) aneinander, urn maximale hydrophobe und elektrostatische Wechselwirkungen mit den Nachbarmolekiilen zu erreichen. Diese Anordnung er-

Ov Gap 01

02

03

04

~

I

a

b 67 nm

Abb. 26.4a-c. Zustandekommen der Querstreifung von Kollagen-Fibrillen. a Kollagen-MolekUie lag ern sich um je 67 nm versetzt (= D-Stagger) aneinander. Dabei entstehen in periodischen Abstanden Lucken. bIn diese Lucken wird Phosphowolframsaure bei Negativ-Staining eingelagert und bewirkt die Dunkelfarbung der Fibrillen bei Betrachtung im Elektronenmikroskop. c Elektronenmikroskopische Aufnahme mit Negativkontrast .(Aus Uiffler u. Petrides 1998) 26.2 Kollagene

757

26 kUirt auch die elektronenmikroskopisch zu beobachtende Querstreifung. In reguHiren Abstanden von 67 nm treten Lucken zwischen aufeinanderfolgenden Kollagenmolekiilen auf, in die der Farbstoff bei Negativstaining eingelagert wird.

Die Kollagenfibrillen werden zur Stabilisierung miteinander quervernetzt. Die Quervernetzungen bilden sich zwischen Lysinen/ Hydroxylysinen im N-terminalen Telopeptid und am Beginn der Tripelhelix mit entsprechenden Resten im C-terminalen Telopeptid und dem davor liegenden Teil der Tripelhelix. Voraussetzung ist die Oxidation von in konservierten Regionen des Telopeptids gelegenen Lysin/Hydroxylysinresten zu Allysin durch das kupferabhangige Enzym Lysyloxidase. Im einfachsten Fall kondensiert ein Allysin mit einem Lysin zu einer Schiffschen Base. Durch die Amadori-Umlagerung kann dieses Produkt zu einem nicht mehr saureempfindlichen Produkt umgelagert werden (Abb. 26.5). Daneben sind aber auch erheblich kompliziertere Reaktionen beobachtet worden, bei denen drei Aminosauren unter Ausbildung von Pyridin-Derivaten beteiligt sind.

Fibroblasten konnen Kollagenfibrillen organisieren. Werden in einer Petrischale Fibroblasten in einem Netzwerk aus lockeren Kollagen-Molekiilen kultiviert, wird dieses Kollagen-Gel bis auf einen kleinen Bruchteil des Ausgangsvolumens kontrahiert. Fibroblasten ki:innen iiber Integrin-Rezeptoren auf der Plasmamembran sezernierte Kollagene binden und biindeln ( Abb. 26.6). Solche Prozesse diirften unter an de rem auch flir die Kontraktion von Wundriindern essentiell sein.

26.2.21 Fibrillen-assoziierte Kollagene Fibrillen-assoziierte Kollagene helfen, die Dicke der Fibrillen und ihre hydrophilen Eigenschaften zu regulieren. Die Regulation der Fibrillendicke ist von groBer physiologischer Bedeutung. Der Organismus besitzt eine Reihe von Mi:iglichkeiten dies zu erreichen. Zum einen unterscheiden sich die verschiedenen Kollagentypen aufgrund ihrer unterschiedlichen Primarstrukturen in der maximal erreichbaren Fibrillendicke, zum anderen wird die Fibrillendicke durch Bildung a us verschiedenen fibrillaren Kollagenen (Mischfibrillen) reguliert. Zusatzlich hat die Zelle die Mi:iglichkeit, das Fi-

a

~ ~-(CH~I

v2

- CH N- CH2- C) I - CH2- H II CH2- (CH22

OH J

b

Abb. 26.5 a-c. Grundlegende Quervernetzungstypen von Kollagen. a Bildung von Schiffschen Basen zwischen e~Amionogruppen von Lysinen und der Aldehyd~Gruppen von Allysinen, die durch Oxidation der e~Amio~ nogruppe von Lysinen gebildet wurden. bStabilisierung von Schiffschen 758

I

0

26

Binde~

und Stiitzgewebe

Amadori-Umlagerung

-~

I

Basen durch Amadori-Umlagerung im Faile einer Quervernetzung zwi~ schen hydroxylierten Lysinen/Allysinen. cAldoi~Kondensation zweier AI~ lysin~ Reste

26

Abb. 26.6 a-d. Kontraktion von Kollagen-Gelen durch Fibroblasten. Fibroblasten wurden in Petrischalen in Kollagen-Gele eingebettet, die vier Fixpunkte aus Polystyrol enthielten. Anfangs zufallig verteilte KollagenmolekUie werden durch die Fibroblasten ausgerichtet und gebUndelt. Die

Abbildung zeigt das Fortschreiten der Kontraktion. a Nach 36 Stunden; b nach 48 Stunden; c nach 3 Tagen; d nach 14 Tagen (ein Fixpunkt wurde bei der Kontraktion herausgerissen).(Aus Stopak u.Harris 1982)

brillenwachstum zu begrenzen, indem die Propeptide nicht quantitativ abgespalten werden oder Proteine an der OberfHiche angelagert werden, die die Anlagerung von weiteren fibrillaren Kollagenmolekiilen inhibieren. Zu diesen Proteinen gehoren einige Proteoglykane (s. u.) und die FACIT-Kollagene (fibril g_ssociated fOllagens with interrupted t_riple helices). Diese Gruppe umfasst 5 Kollagentypen: IX, XII, XIV, XVI und XIX. Fiir Kollagen IX wurde gezeigt, dass es in regelmamgen Abstanden als monomeres Protein an die Oberflache von Knorpel-Kollagen-Fibrillen Typ II bindet (Abb.26.7). Der groBte Teil des Molekiils ist an der Typ-11-Fibrille fixiert, wahrend der N-terminale Teil, der in einer nichtkollagenen globularen Domane endet, von der Fibrille abknickt. Dieser Knick ist durch eine Unterbrechung in der Tripelhelix bedingt. Zusatzlich tragt Kollagen IX haufig noch eine Chondroitinsulfat-Proteoglykan-Seitenkette, so dass die Oberflache der Kollagen-II-Fibrille einen hydrophilen Charakter aufweist. Interessanterweise erkrankten Mause mit inaktiviertem Kollagen-IX-Gen im Alter von einigen Mo-

naten an Arthrose, so dass Kollagen IX dem Gelenkknorpel sozusagen als Gelenkschmiermittel eine hydrophile Oberflache verleiht, die ihn vor mechanischer Abnutzung schiitzt. Ahnliche Funktionen bei den Kollagen-1- und III-Fibrillen erfiillen moglicherweise die Kollagene Typ XII und Typ XIV.

26.2.31 Nichtfibrillare Kollagene Die nichtfibrillaren Kollagene bilden eine Vielzahl unterschiedlicher Strukturen mit unterschiedlichen Aufgaben. Im Gegensatz zu den fibrillaren Kollagenen bilden die iibrigen Kollagene eine sehr heterogene Gruppe. Die groBe Gruppe der mit Fibrillen assoziierten Kollagene wurde bereits im vorigen Abschnitt diskutiert. Andere Kollagene bilden ein separates Netzwerk oder Mikrofibrillen. Einige Strukturen sind in Abb. 26.8 darge26.2 Kollagene

759

26

Kollagen Typ-VI

Monomer

g

Dimer

~ b

•- lOOnm

Kollagen Typ-VI



Monomer

I

Q

420nm

Kollagen Typ-X

Monomer o---4

130nm

d Abb. 26.8 a-d. Schematische Darstellung der Struktur einiger ausgewahlter nichtfibrillarer Kollagene. a Kollagen Typ IV; b Kollagen Typ VI; c Kollagen Typ VII; d Kollagen Typ X Abb. 26.7. Elektronenmikroskopische Aufnahme nach Rotations-Kegelbedampfung (Rotary Shadowing) einer Kollagenfibrille aus Knorpel. Eine Typ-11 Kollagen enthaltende zentrale Fibrille ist an der Oberflache mit monomeren Typ-IX Kollagen-Molekulen bedeckt. Das Inset zeigt ein einzelnes Typ-IX Kollagen-MolekUI. Man erkennt eine prominente Knickstelle (2) und eine globulare N-terminale Domane (1), die nach Bindung des MolekUis von der Fibrille wegzeigt. Der horizontale Strich entspricht einer Lange von 100 nm. (Aus Vaughan L et al 1988 mit Genehmigung der Rockefeller University Press)

stellt. Die tripelhelikalen Segmente sind von unterschiedlicher Lange und z. T. durch langere nichttripelhelikale Segmente unterbrochen. Ein weiteres Kennzeichen ist die Gegenwart von zahlreichen nichtkollagenen Doman en. z. B. enthalt das Kollagen Typ VI zahlreiche Kopien von Domanen, die Sequenzabschnitten aus dem von Willebrand-Faktor homolog sind, wahrend Kollagen Typ VII eine Anzahl von FibronektinTyp-III-Domanen enthalt. Die ftir die fibrillaren Kollagen typische Prozessierung von Propeptiden findet meist nicht statt. Wichtige nichtfibrillare Kollagene sind: ~ Kollagen Typ IV ist das bekannteste und wohl auch wichtigste nichtfibrillare Kollagen. Es ist ftir alle tierischen Vielzeller lebenswichtig. Dieses Kollagen stellt die Hauptstrukturkomponente der Basalmembran dar. Es besitzt eine fast 400 nm lange tripelheli760

26 Bin de- und Stlitzgewebe

~

kale Do mane und zusatzlich eine globulare Do mane (NC 1) am C-terminal enEn de. Durch zahlreiche, nur wenige Aminosauren lange Unterbrechungen der Tripelhelix ist das Molektil flexibler als die fibrillaren Kollagene. Kollagen Typ IV bildet ein fliichiges Netzwerk: Durch kovalente Verkntipfungen tiber die C-terminalen globularen Domanen werden Dimere gebildet, die lateral miteinander aggregieren konnen. Zusatzlich konnen vier Molektile tiber die Nterminalen Abschnitte der Tripelhelix so g. 7S-Domane) aggregieren, so dass eine Struktur entsteht, wie sie in Abb. 26.8 dargestellt ist. Insgesamt existieren sechs verschiedene a-Ketten. In den meisten Basalmembranen hat Kollagen IV die Zusammensetzung [a 1(IV)za 2(IV)], in einigen spezialisierten Basalmembranen findet man jedoch Kombinationen der tibrigen vier Ketten. So enthalten die Basalmembranen der Niere tiberwiegend die a3-a6-Ketten, die funktionell nicht durch die a1 und a2-Ketten ersetzt werden konnen, wie die Analyse von Gendefekten zeigt (s. u.). Kollagen Typ VI ist ein in den meisten interstitiellen Bindegeweben vorkommendes Kollagen. Es ist der Hauptbestandteil der gebanderten Mikrofibrillen

26 ( Abb.26.8). Diese Strukturen werden in vollig anderer Art und Weise als die Fibrillen der Kollagene I-III und V gebildet. Zunachst lagern sich zwei monomere Molekiile antiparallel zu Dimeren zusammen, die weiter zu Tetrameren aggregieren. Diese Tetramere polymerisieren schlie6lich tiber die globularen Enden. .,. Kollagen Typ VII verankert die Basalmembran von Plattenepithelien mit Ankerplatten im darunter liegenden Gewebestroma. Nach Abspaltung einer Cterminalen, 30 kDa groBen globularen Domane bildet Kollagen VII antiparallele Dimere, die zu Btindeln aggregieren. .,. Kollagen Typ X ist ein sehr spezialisiertes Kollagen, es wird nur in hypertrophierendem Knorpel exprimiert und stellt daher ein wichtiges Markerprotein dar. Das monomere Molektil besitzt die Form einer Hantel und polymerisiert zu einem hexagonalen Netzwerk. Ahnlich aufgebaut ist Kollagen VIII, das aber eine breitere Verteilung besitzt, und vor allem in der Descemet-Membran und in der subendothelialen Matrix prominent ist. .,. Erwahnenswert sind schlieBlich noch zwei Transmembrankollagene Typ XIII und XVII, die an der Verankerung von Zellen in der extrazellularen Matrix beteiligt sind (S. 754), und Endostatin, ein 20 kDa groBer Angiogenese-Inhibitor, der ein Fragment aus der carboxyterminalen Region von Kollagen Typ XVIII darstellt.

26.2.41 Angeborene Erkrankungen des Kollagen-Stoffwechsels St6rungen der Kollagen-Expression konnen auf unterschiedlichen Eben en auftreten: .,. Es kann die Regulation einzelner Gene gestort sein, wodurch die gewebsspezifische Zusammensetzung der einzelnen Kollagen-Typen verandert wird. .,. Es konnen Mutationen von Kollagenen und Enzymen ftir die posttranslationalen Modifikationen auftreten. Dies ftihrt meist zu Defekten in der makromolekularen Organisation des Kollagens und somit zur Veranderung der biomechanischen Eigenschaften, die letztlich fur die klinischen Symptome verantwortlich sind. Osteogenesis imperfecta (01).,. Die Osteogenesis imperfecta ist durch Brtichigkeit der Knochen gekennzeichnet. Die Erkrankung beruht auf einer Synthesestorung von Kollagen I durch Mutationen in den Polypeptidketten. Betroffen sind alle Kollagen-reichen Organe. Die Patienten haben z. B. schwache Sehnen und eine dtinne Haut. Dominant ist j edoch der Knochen-Phanotyp. Man unterscheidet verschiedene Formen von OI, die schwerste Form fiihrt zum Tod im Mutterleib oder kurz nach der Geburt. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch wiederholte Knochenbriiche bei Belastung, was

auf Dauer zu schweren Skelettdeformationen fiihrt. Es sind tiber 200 verschiedene Mutationen beschrieben worden, darunter Deletionen, Insertionen und SpliceVariationen. Die meisten Mutationen bestehen in einer Substitution von Glycinen im Gly-X-Y-Triplet. Dies kann zur Folge haben, dass die Tripelhelix-Bildung verlangsamt wird oder sich iiberhaupt nicht mehr falten kann, so dass die Ketten im Fibroblasten abgebaut werden. Andere Mutationen verursachen Knicke in der Tripelhelix und interferieren so mit dem Wachstum der Fibrillen. Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS}... Das Ehlers-Danlos-Syndrom ist durch Uberdehnbarkeit der Haut und Uberstreckbarkeit der Gelenke charakterisiert. Trotz der relativ einheitlichen Symptomatik liegen der Erkrankung sehr heterogene Ursachen zugrunde, und man unterscheidet 9 verschiedene Typen, z. B.: .,. Typ IV beruht auf Defekten in der Kollagen III Synthese. Da BlutgefaBe, besonders die groBen Arterien, einen hohen Anteil an Kollagen III besitzen, besteht Neigung zu GefaBrupturen. Bei Rindern ist die Dermatosporaxie (leichte AblOsbarkeit der Haut) auf Fehlen dieses Kollagentyps zuriick zu fiihren . .,. Typ V beruht auf einer defekten Lysyloxidase, so dass die Quervernetzung von Kollagen gestOrt ist. Da dieses Enzym Kupfer-abhangig ist, treten ahnliche Effekte auch beim Mencke-Syndrom, einer Resorptionsstorung von Kupfer, auf. .,. Bei EDS Typ VI ist ebenfalls die Quervernetzung von Kollagenfibrillen gestort, in diesem Fall jedoch aufgrund einer defekten Lysylhydroxylase. .,. Typ VII beruht auf einer gestorten Abspaltung der Propeptide, indem entweder die Peptidasen inaktiv oder wenig aktiv sind oder die Erkennungsstelle fur die Proteasen mutiert sind. Alports-Syndrom.,.. Das Alports-Syndrom stellt eine progressive Erbkrankheit d ar, die durch Mutationen in den a3- his a6-Ketten von Typ IV Kollagen verursacht wird. Die Folge ist u. a. Hamatourie aufgrund von Strukturveranderungen der glomerularen Basalmembran. Chondrodysplasien... Eine Vielzahl von Mutationen im Kollagen-II-Gen korreliert mit einer Reihe von Chondrodysplasien, die zu Zwergwuchs, Gelenkdeformationen oder anderen Skelettfehlbildungen fiihren konnen, da es aufgrund von Kollagen-II-Synthesestorungen zu Storungen in der Knorpelbildung und damit zu Storungen der enchondralen Ossifikation kommt. Mutationen des Typ X-Kollagens sind die Ursache ftir die Chondrodysplasia metaphysaria vom Typ Schmid, klinische Symptome sind Verkiirzung der GliedmaBen und verkriimmte Beine. Epidermolysis bullosa dystrophica ist in Defekten des Kollagens Typ VII begriindet und wird im Abschnitt 26.8.5 behandelt. 26.2 Kollagene

761

26

KERNAUSSAGEN Kollagene sind die wichtigsten Strukturproteine des Korpers. Aile Kollagen-Molekiile bestehen aus drei Polypeptidketten. Gemeinsames Strukturmerkmal sind vielfach wiederholte GlyX-Y-Sequenzen, wobei Xund Yhaufig Pro und Hydroxyprolin darstellen. Hydroyxprolin erhoht den Schmelzpunkt der Tripelhelix auf iiber 40 "C. Weitere fiir Kollagen typische modifizierte Aminosauren sind Hydroxylysin und Allysin. Die Hydroxylierung von Prolin und lysin istVitamin C abhangig. Beim Menschen existieren iiber 20 Typen mit definierten, meist gut untersuchten Funktionen: ,. Die groBte Gruppe innerhalb der Kollagene sind die fiinf verschiedene Typen umfassenden fibrillaren Kollagene Typ 1,11,111, V,und XI, die gebanderte Fibrillen bilden (z. B. in Sehnen, Band ern Haut und Knorpel). Sie kommen z. T. in Form von Mischfibrillen vor,z. B.liegen Typ V und XI im lnneren von Typ 1- bzw.Typ 11-Fibrillen. Die komplexe Biosynthese der fibrillaren Kollagene lasst sich in mehrere Abschnitte unterteilen: .,. intrazellulare Schritte: Biosynthese am RER, kotranslationale Hydroxylierung, Assemblierung der drei Polypeptidketten zu Prokollagen, .,. Abspaltung der N- und C-Propeptide in extrazellularen Kompartimenten und Assemblierung zu groBeren Einheiten, .,. Bildung von Mikrofibrillen und Stabilisierung durch Quervernetzung (zwischen Lysin und Allysin) im Extrazellularraum, .,. Organisation der Fibrillen durch Fibroblasten . .,. Fibrillen-assozierte Kollagene modifizieren die Oberflachen von Fibrillen. So verleiht das Kollagen Typ IX den Typ-11-Fibrillen des Knorpels den hydrophilen Charakter (wichtig fiir die Gelenkfunktion). .,. Die meisten Kollagene bilden keine gebanderten Fibrillen. Ein besonders wichtiger Vertreter dieser Gruppe ist das Typ-IV-Kollagen, das essentieller Bestandteil aller Basalmembranen ist.

Die elastischen Fasern bestehen aus einem amorphen Kern aus Elastin (-® Abb. 26.9), assoziiert mit einem Mantel aus Mikrofibrillen, die aus Fibrillin (-® Abb. 26.10) bestehen. Dariiber hinaus werden noch geringe Mengen an anderen Protein en gefunden, z. B. Lysyl-Oxidase.

Elastin verleiht den Geweben elastische Eigenschaften. Elastin ist ein unlOsliches, quervernetztes Polymer, das aus monomeren Tropoelastin-Untereinheiten besteht. Dieses 70 kDa groBe Protein setzt sich zum groBen Teil aus alternierenden Bereichen hydrophober Reste und

Defekte in den Kollagen-Genen fiihren zu einer Rei he von Erkrankungen wie Osteogenesis imperfecta und Ehlers-DanlosSyndrom (Mutationen bzw. Defekte in der Prozessierung von Typ-1-Kollagen), AI ports Syndrom (Defekte im Typ-IV-Kollagen), Chondrodysplasien (Defekte im Typ-11-Kollagen).

26.3 1 Elastin Einige Gewebe im Korper wie die Gefaf~wande der graBen Arterien, das Lungengewebe und die Haut miissen elastische Eigenschaften besitzen, urn sich reversibel dehnen und kontrahieren zu konnen. Dafiir sind die Kollagene aufgrund ihrer starren Tripelhelix nur bedingt geeignet, die Vertebraten haben dafiir spezielle elastische Fasern entwickelt, die je nach Gewebetyp in morphologisch distinkten Netzwerken vorkommen. 762

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

Abb. 26.9 a, b. Architektur von Elastin am Beispiel der Aorta des Hundes. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen lassen verschiedene Strukturelemente erkennen. a Lmellen a aus feinen Fibrillen. b Netzwerk a us dicken longitudinalen Fasern. Die horizontalen S triche entsprechen einer Uingevon 100 nm.(Aus Haas KSet al.1991)

26

Abb. 26.1 0. Elektronenmikroskopische Aufnahme nach Rotations-Kegelbedampfung von Fibrillen aus Fibrillin.Der Strich entspricht 100 nm. (Aus Ren ZX 1991)

Quervernetzungs-Domanen zusammen. Die hydrophoben Bereiche sind reich an Glycin,Alanin, Valin und Prolin. Man nimmt an, dass diese hydrophoben Bereiche wesentlich fur die elastischen Eigenschaften sind. Siebesitzen wahrscheinlichj3-Faltblatt-Struktur, bei Dehnung wurden hydrophobe Reste der wassrigen Umgebung ausgesetzt, und die Tendenz der unpolaren Reste wieder zu reaggregieren und das Wasser ausschlie6en, wurde die Ruckstellkraft bewirken. Die Quervernetzungsdomanen enthalten 40 Lysin-Reste, von denen etwa 35 an Quervernetzungsreaktionen beteiligt sind. Wie beim Kollagen wird ein Teil der Lysine durch Lysyloxidase zum Aldehyd Allysin oxidiert. Im Gegensatz zum Kollagen werden aber durch Kondensation von drei oder sogar vier Lysin/Allysin-Res ten ringformige Strukturen wie Desmosin und Isodesmosin aufgebaut.

!

Mikrofibrillen aus Fibrillin sind fi.ir die Funktion der elastischen Fasern unentbehrlich. Fibrillin.,. Fibrillin besitzt eine Molekiilmasse von etwa 350 kDa und existiert in zwei verschiedenen lsoformen. Fibrillin-Monomere polymerisieren in noch weitgehend ungeklarter Art und Weise zu ganz charakteristischen Filamenten (Abb.26.10). In der Embryonalentwicklung tauchen zuerst Mikrofibrillen auf, die dann mit amorphem Elastin zusammenwachsen. Man nimmt an, dass eine Hauptfunktion dieser Mikrofibrillen darin besteht, Tropoelastin-Molekule so aneinander zu lagern, dass die zu vernetzenden Lysine in die richtige Lage fur die Quervernetzung gebracht werden. Die Bedeutung von Fibrillin zeigt sich anhand eines genetischen Defekts, des Marfan-Syndroms (s. auch S. 784). Das Marfan-Syndrom ist durch Hochwuchs, Arachnodaktylie und Linsenveranderungen gekennzeichnet. Entscheidend fiir den Verlauf der Krankheit sind jedoch Storungen in den Gefa6wanden. Es kommt zur Bildung von Aneurysmen und zu Aortenrupturen. Die Krankheit wurde zunachst mit StOrungen des Kol-

lagenstoffwechsels in Verbindung gebracht, die ahnliche Symptome hervorrufen konnen, ist aber auf Defekte im Fibrillin-Gen zuruckzufuhren. Eine der historischen Personlichkeiten, die an Marfan-Syndrom Iitten, war wahrscheinlich der amerikanische Prasident Abraham Lincoln.

KERNAUSSAGEN Elastische Fasern erlauben eine reversible Dehnung und Kontraktion. Elastische Fasern sind im Wesentlichen aus Elastin und Fibrillin aufgebaut: • Elastin ist ein Polymer, das durch Quervernetzung von monomeren Tropoelastin-Einheiten entsteht. Die Quervernetzung erfolgt wie beim Kollagen uber Lysin/Allysin. ... Fibrillin bildet Mikrofibrillen, die fiir die Organisation des Elastins notwendig sind. Defekte im Tropoelastin-Gen fiihren zum Marfan-Syndrom.

26.4 1 Proteoglykane Proteoglykane bilden eine Vielzahl von Strukturen und haben unterschiedlichste Funktionen. Proteoglykane sind ubiquitare Zellobertlachen- und ECM-Proteine. Im Unterschied zu den meisten Proteinen, die aufgrund ihrer Aminosauresequenz in verschiedene Familien eingeteilt werden, sind die Proteoglykane durch kovalent mit dem Proteingeriist verkniipfte Glycosaminoglykan-Seitenketten definiert. Diese stellen nichtverzweigte Polymere aus repetitiven Disaccharideinheiten dar und werden entsprechend 26.4 Proteoglykane

763

26 der Struktur der Grundbausteine in Chondroitinsulfat, Keratansulfat, Dermatansulfat und Heparansulfat unterteilt (S. 30, 594). Diese Glycosaminoglykan-Seitenketten,die im Golgi-Apparat angeheftet und modifiziert werden, konnen GroBen von mehreren 10 kDa besitzen und so die Eigenschaften des Proteins bestimmen. Proteoglykane zeigen eine fast unuberschaubare Struktur-Vielfalt. Diese ist durch zwei Faktoren bedingt: ... Modifikation der Glykane. Die Modifikationen umfassen: ... Anheftung von 0-Sulfat-Resten an verschiedenen Positionen, .,. Umwandlung von N-Acetylglucosamin in Glucose-N-Sulfat und ... Isomerisierung von Glucuronsaure zu Iduronsaure. Da diese Modifikationen nur sporadisch innerhalb der Ketten durchgeftihrt werden, ergibt sich ein komplexes Produktspektrum. ... Vielzahl von Proteingerusten. Die Core-Proteine der Proteoglykane werden von mehr als einhundert Genen kodiert. Die GroBe der Polypeptidketten reicht von etwa 10 kDa bis tiber 400 kDa, sie besitzen daher eine groBe Strukturvielfalt. Mit der groBen Strukturvielfalt der Proteoglykane ist eine Vielfalt an biologischen Funktionen verknupft. Eine Ubersicht gibt ~ Tabelle 26.2. Einige dieser Funktionen sind aufgrund der biophysikalischen Eigenschaften, des polaren Charakters und der negativen Ladungen durch Uron- und Sulfonsauren der Glykanketten zu erklaren. Aufgrund der negativen Ladungen konnen Proteoglykane eine Rolle bei der Filtration in den Glomeruli spielen. So verhindert das

Heparansulfat-Proteoglykan Perlecan in der Basalmembran der Nierenglomeruli den Durchtritt anionischer Serumproteine in den Urin. AuBerdem ziehen die fixierten negativen Ladungen Gegenionen an. Die hohe lokale Ionenkonzentration verursacht einen osmotisch bedingten Wassereinstrom aus den umliegenden Regionen und schafft so ein wassergeftilltes Kompartiment, z. B. im Knorpel. Mit solchen Funktionen sind die Proteoglykane aber nur unzureichend charakterisiert. Sie sind dariiber hinaus als Corezeptoren fur Wachstumsfaktoren, als Modulatoren der Zell-Zell- und Zell-Matrix-Interaktion und in der Regulation von Proteaseaktivtiit (HeparinThrombin-Antithrombin III) (S.1023) von Bedeutung. Einige reprasentative Beispiele sind im Folgenden vorgestellt.

26.4.1 Aggrecan J

Aggrecan ist fi.ir die Entwicklung und Funktion des Knorpels unentbehrlich. Aggrecan ist das Hauptproteoglykan des Knorpels. Das Core-Protein hat eine GroBe von etwa 250 kDa. N- und C-Terminus werden von globularen Domanen gebildet, wahrend der Mittelteil eine elongierte Struktur besitzt, die mit etwa 30 Keratansulfat- und ungefahr 100 Chondroitinsulfat-Seitenketten (!) substituiert ist,so dass das komplette Protein eine MolekUlmasse von etwa 3 MDa besitzt und nattirlich eine hohe Konzentration an Ladungen aufweist. Aggrecan kommt im Knorpel nicht isoliert vor, sondern bildet riesige Aggregate mit Hyalu-

Tabelle 26.2. Obersicht Ober wichtige Proteoglykane (Auswahl)

Proteoglybn

Core-Protein (kDa)"

Typ u. Anzahl cler CiAG-Kettenb

Vorkommen/Funlrtlon

Basalmembran-Proteoglykane Perlecan

400- 470

HS/CS (3}

Agrin

225

HS(3)

Integraler Bestandteil der Basalmembran, Filtrationsbarriere Aggregation von Acetylcholin-Rezeptoren

Hyalektamf Aggrecan Versican

220-250 180- 370

CSIKS (-130}

Knorpel, Bildung eines hydratisierten Gels Stroma, hydratisiertes Gel, Modulation v. Zeli-Matrix-Interaktionen

Kleine leuzinreiche Proteoglykane Decor in

36

CS/DS (I)

Fibromodulin

42

KS (4)

Bindung an Kollagen I, Rolle in der Fibrillen-Bildung, Bindung an TGF{J Bindung an Kollagen I, Rolle in der Fibrillen-Bildung

Membrangeb11ndene Proteoglykane Betaglykan Syndekane

100-110 20- 45

HS/CS (2) HS/CS (3)

CS(- 20)

Bindung von TGFfJ FGF-Bindung, Zelladhasion

' Die Variationen in den Gro~en ergeben sich durch Spezies-Unterschiede und alternatives Splei~en. b Art und Anzahl der angehefteten Glycosaminoglykan (GAG)-Seitenketten konnen von Zelltyp zu Zelltyp variieren. HS Heparansulfat; CS Chondroitinsulfat;K5 Keratansulfat;Hya Hyaluronsaure. ' Komplexe mit Hyaluronsaure und Link-Proteinen. 764

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

26 ronsiiure, die selbst schon ein ungewohnlich groBes lineares Polymer aus bis zu 25 000 Disaccharideinheiten von Glucuronsaure und N-Acetyl-Glucosamin darstellt (S. 30). Diese Komplexe lassen sich elektronenmikroskopisch recht gut darstellen ( Abb. 26.11 ). Man erkennt ein zentrales Moleklil, die Hyaluronsaure, an das in regelmaBigen Abstanden AggrecancMoleklile gebunden sind, die mit ihren Kohlenhydrat-Ketten nach auBen abstehen. Die nichtkovalente Bindung wird durch die N-terminale globulare Domane des Aggrecans vermittelt und durch ein kleines Protein, das sogenannte Link-Protein, stabilisiert. Die Bedeutung von Aggrecan flir die Knorpelstruktur zeigt sich am deutlichsten darin, dass Mutationen bei Hlihnchen und der Maus, die zu einem nichtfunktionellen Protein fiihren, letal sind. Die betroffenen Tiere zeigen reduzierte Knorpelbildung und damit gest6rte Knochenbildung. Unmittelbar leta! ist vermutlich der Kollaps der Luftrohre. Ein ahnlicher Phanotyp tritt bei Mangel an Sulfattransferasen auf, wei! dadurch die Ladungskonzentration erniedrigt ist und so die Bildung eines hyperosmotischen, reversibel deformierbaren Gels verhindert wird.

26.4.21 Kleine leucinreiche Proteoglykane Proteoglykane wie Decorin, Biglykan und Fibromodulin regulieren die Kollagen-Fibrillenbildung. Die kleinen leucinreichen Proteoglykane besitzen etwa 40 kDa groBe Core-Proteine mit einer N-terminalen, die Glycosaminoglykan-Seitenketten tragenden Domane, gefolgt von einer Domane, die aus leucinreichen Repeats besteht. Eine der Hauptfunktionen dieser Proteine ist die Organisation von Kollagenfibrillen. So bindet etwa Decorin mit seinem Core-Protein an die Gap-Region von Kollagen-Fibrillen, wahrend die Glycosaminoglykan-Seitenkette nach auBen gerichtet ist und so den interfibrillaren Abstand reguliert. Entsprechend besitzen Decorin-knock-out-Mause eine gest6rte Kollagen-Fibrillen-Morphologie und die Haut zeigt eine deutlich reduzierte mechanische Belastbarkeit.

Abb. 26.11 a, b. Aggregate des Proteoglykans Aggrecan mit Hyaluronsaure. a Elektronenmikroskopische Aufnahme nach Rotations-Kegelbedampfung einer aus einem Ratten-Chondrosarkom isolierten Probe. (Aus Morgelin Met al1994) b Schematische Darstellung der Struktur. Aggrecan-Moleklile binden Ober ihre N-terminale globulare Domane nichtkovalent an Hyaluronsaure. Die Bindung wird durch ein sog. Link-Protein verstarkt.K5 Keratansulfat; CS Chondroitinsulfat 26.4 Proteoglykane

765

26 26.4.31 Membrangebundene Proteoglykane

!

Viele membrangebundene Proteoglykane sind Corezeptoren fUr Wachstumsfaktoren. Zellkulturuntersuchungen aus den frtihen 90 er Jahren hatten gezeigt, dass Inhibition der Sulfatierung von Proteoglykanen oder enzymatische Abspaltung von Heparansulfat-Seitenketten die Wirkung von FGF (S. 815) drastisch reduzierten. Inzwischen sind ahnliche Effekte auch ftir andere Wachstumsfaktoren nachgewiesen. Verschiedene Proteoglykane - die entweder Membranproteine sind (z. B. Betaglykan und die Syndecane) oder mit einem Lipidanker (Glypican) befestigt sind- fungieren als Corezeptoren zusammen mit dem eigentlichen Rezeptor. Wahrend Betaglykan tiber sein Core-Protein mit TGFP (S. 815, 821) einen Komplex bildet, der mit dem TGF-Rezeptor interagiert, sind bei Syndecanen und Glypicanen die Heparansulfatketten involviert, wobei ftir das Zustandekommen einer hochaffinen Bindung noch ein spezielles Sulfatierungsmuster erforderlich ist. Nicht nur Zelloberflachenproteine binden Wachstumsfaktoren, sondern auch einige sezernierte Proteoglykane. Seit Iangen ist zum Beispiel der wachstumshemmende Effekt von Heparin bekannt. Dieser dtirfte darauf beruhen, dass Proteoglykane in der ECM urn die Bindung der Wachstumsfaktoren konkurrieren und so die Konzentration regulieren. Andererseits konnen dadurch auch Wachstumsfaktoren in der ECM gespeichert werden und bei Bedarf durch Hydrolyse der Bindungspartner wieder freigesetzt werden.

KERNAUSSAGEN Proteoglykane sind eine heterogene Gruppe von Protein en, die mit Glycosaminoglykan-Seitenkenen substituiert sind. Glycosaminoglykane sind aufgrund von sulfatierten Zuckern und Uronsauren stark negativ geladen. Man unterscheidet 4 Klassen: ~ Chondroitinsulfat, ~ Keratansulfat, ~ Dermatansulfat, ~ Heparansulfat/Heparin. Viele Funktionen der Proteoglykane ergeben sich aus den biophysikalischen Eigenschaften der negativ geladenen Zuckerketten, z. B.: ~ Filtrationsbarriere in den Glomeruli (z. B. durch Perlecan), ~ wassergeflillte hydrophile Kompartimente (z. B. durch Hyaluronsaure und Aggrecan im Knorpel). Einige Proteoglykane (wie Decorin) sind wichtig bei der Regulation der Kollagen-Fibrillenbildung. Einige membrangebundene Proteoglykane (z. B. Syndecane) sind Corezeptoren flirWachstumsfaktoren (FGF, TGF.fJ) oder fiir die Zelladhasion.

766

I

26 Binde- und Stutzgewebe

26.5 Nichtkollagene Glycoproteine Im Gegensatz zu Proteinen wie den Kollagenen, Elastin und den groBen Proteoglykanen, die vorwiegend strukturelle Aufgaben erftillen, gibt es eine Reihe von nichtkollagenen Glycoproteinen, bei den en die Regulation der Zellfunktion im Vordergrund steht. Die extrazellulare Matrix dient als Substrat ftir ZellAdhiision und -Wanderung. Zellen konnen tiber spezifische Rezeptoren an ECM-Molektile binden und werden je nach Substrat zur Wanderung angeregt, haften fest oder versuchen sogar, das Substrat zu meiden. Bei der Gastrulation z. B. wandern die Zellen tiber eine Schicht aus Fibronektin (s. u.), das gleichsam als Leitschiene ftir die Zellen dient. Zellwanderungen sind auch im adulten Organismus z. B. im Falle der Fibroblasten und in pathologischen Situation wie der Wundheilung erforderlich. Dartiber hinaus stimuliert die extrazellulare Matrix auch die Zellfunktion, Zelldifferenzierung und Zellproliferation sowie Effekte, die normalerweise Wachstumsfaktoren und Hormonen zugeordnet werden. Dieses auf den ersten Blick tiberraschende Ergebnis macht aber durchaus Sinn.

Mit Ausnahme einiger hamatopoetischer Zellen sind aile Zellen des Organism us standig an Substrate wie die Basalmembran oder das lockere Bindegewebe gebunden. Abgesehen von dem Erfordernis korrekter endokriner Faktoren mtissen Zellen in der richtigen Umgebung angesiedelt sein, d.h., sie mtissen die richtigen ZellZell- und Zell-Matrix-Kontakte ausbilden, urn ihre Funktion austiben zu konnen. Man kennt inzwischen eine groBe Anzahl von ECMMolektilen, die eine regulatorische Funktion austiben. Als reprasentative Beispiele sollen im Folgenden die heiden am besten bekannten und wahrscheinlich auch bedeutendsten ECM-Molektile, das Fibronektin und die Laminine beschrieben werden. Im Anschluss werden die lntegrine, die wichtigste Rezeptor-Familie, die die Zell-Matrix-Interaktion vermitteln, vorgestellt.

26.5.1 Fibronektin Fibronektin ist ein Heterodimer aus zwei etwa 230 kDa groBen Polypeptidketten, die nahe am C-terminalen Ende durch Disulfidbrticken zusammen gehalten werden. (Abb. 26.12). Es wurden mehr als 20 verschiedene Varianten gefunden, die alle durch alternatives , SpleiBen" der RNA eines einzigen Gens entstehen. Im Organismus wird Fibronektin im wesentlichen an zwei Orten gebildet: ~ In der Leber wird das lOsliche Plasma-Fibronektin (ca. 300 mg/1) synthetisiert, das eine Rolle in der

26 Zeii·Bindung Fibrin

I

Typ I

'

Typ II

D

EDB

EDA

IIICS

s I s s

J.._L

Typ Ill

COOH

a Abb. 26.12 a, b. Struktur von Fibronektin. a Schematische Darstellung des modularen Aufbaus einer .Fibronektin Untereinheit. Die Polypeptidkette (MG "' 230 kDa) besteht a useiner Vielzahl von 40-90 Aminosauren Iangen Domanen, die aufgrund ihrer Homologie in drei verschiedene Strukturtypen eingeteilt werden. EDA, EDB und IIICS sind Module, die alternativ gespleiBt werden kiinnen. Entlang der Polypeptidkette befinden sich verschiedene Bindungsregionen filr weitere ECM- und Zelloberflachen-Molekiile. b Elektronenmikroskopische Aufnahme (Rotary Shadowing Verfahren) einzelner Fibronektin-Molekiile. Zwei Polypeptidketten werden iiber C-terminale Disulfidbriicken verkniipft. (Aufnahme von J. Engel, Basel)

Wundheilung spielt. Bei der Blutgerinnung wird Fibronektin in das Fibrin-Gerinnsel eingebaut, so dass der Blutpfropf nicht nur die defekte Stelle verschlie6t, sondern gleichzeitig auch ein Zelladhasionsmolekiil enthalt, das von Keratinocyten, Fibroblasten und Zellen des Immunsystems erkannt wird, urn so gleichzeitig die Regeneration zu stimulieren. .,. Fibroblasten hingegen bilden eine Splei6variante (unlOsliches Fibronektin), die in die extrazellulare Matrix in Form von un!Oslichen Fibrillen eingelagert wird. Dieses Fibronektin besitzt eine Bruckenfunktion zwischen Kollagenfibrillen und anderen ECM-Molekiilen, dient als AdhiisionsmolekUl fiir verschiedene Zellen, und reguliert dadurch Wanderung und Differenzierung. Die gro6e Bedeutung von Fibronektin zeigt sich am deutlichsten in der Tatsache, dass die Inaktivierung des Gens embryonal leta! ist (s. Infobox).

Urn diese Funktionen erfiillen zu ktinnen enthalt Fibronektin Bindungs-Region en fiir Fibrin, Heparin und Kollagen sowie eine Zellbindungsregion ( Abb. 26.12). Die Fahigkeit, als Bindevermittler zwischen ECM-Molekiilen und Zellen zu vermitteln, brachten dem Molekiil zu An fang den Beinamen , Zellkleber" ein. Urspriinglich dachte man, dass unspezifische hydrophile und hydrophobe Wechselwirkungen involviert sind. Inzwischen wei6 man jedoch, dass durch Bindung an spezifische Integrin-Rezeptoren der adharierenden Zellen eine Signaltransduktionkette ausgelost wird (S. 769).

Bedeutung transgener Mausmodelle Fiir die grol3en Fortschritte bei der Aufklarung der Funktion der ECM in Prozessen wie Zellhomoostase oder Oifferenzierung waren transgene Mause von entscheidender Bedeutung. Molekularbiologische, proteinchemische und zellbiologische Untersuchungen erbrachten zwar umfangreiche,zum Verstandnis auf molekularer Ebene auch absolut essentielle Daten iiber die Molekiile und deren lnteraktionen, aber es war schwierig, diese Ergebnisse im biologischen Zusammenhang zu interpretieren. Ein besonders instruktives Beispiel in dieser Hinsicht stellt der knock-out des Fibronektin-Gens dar. Die Gastrulation war teilweise gehemmt und die mutanten Embryonen zeigten dramatische Storungen in der Bildung des Mesoderms ( Abb. 26.13). Der Phanotyp war praktisch identisch mit dem des spater durchgefiihrten lntegrin-a5- {31 -knock-outs und passte perfekt mit den zellbiologischen Oaten zusammen, so dass aS- {31-lntegrin der wichtigste Rezeptor fiir Fibronektin ist. Die Daten ergaben ein geschlossenes Bild und zeigten,dass Fibronektin nicht nur zur passiven Bindung von Zellen an die ECM dient.

26.5 Nichtkollagene Glycoproteine

767

26 26.5.2\laminine Multiple lsoformen verleihen Basalmembranen organspezifische Funktionen.

Abb. 26.13. Auswirkung der lnaktivierung des Fibronektin-Gens auf die Embryonalentwicklung der Maus. Homozygote (- /- )Mause zeigen im Vergleich zu normal aussehenden heterozygoten (+/- ) Mausen eine stark verkOrzte anteriore/posteriore Achse. Somiten fehlen sowie differenzierte Strukturen im kaudalen Bereich, die Kopffalte ist fehlgebildet (Pfe;n. Die Aufnahme wurde im Entwicklungsstadium E8.5 gemacht.H Herz;A/ Allantois;SSomit. (A us George El et al1993, mit freundlicher Genehmigung)

Wahrend sich die Fibronektine aus einem Gen durch alternatives SpleiBen ableiten und in der ECM deponiert werden, stellen die Laminine eine Multigen-Familie dar. Die Laminine sind Heterotrimere, bestehend aus je einer a-, P- und y-Kette. Bisher sind die Sequenzen von 11 verschiedenen Ketten publiziert worden, die zu verschiedenen Heterotrimeren assembliert werden konnen. Die Mehrzahl der Molekiile besitzt eine asymmetrische kreuzfOrmige Struktur, bestehend aus drei kurzen und einem Iangen Arm ( ~ Abb. 26.14). Einige Molekiile besitzen jedoch N-terminal verktirzte Ketten und zeigen daher abweichende Formen. Laminine stellen die nichtkollagene Hauptkomponente in allen Basalmembranen dar. Sie assemblieren tiber die drei terminalen Domanen der drei kurzen Arme zu einem Netzwerk, das tiber Linker-Proteine wie das Nidogen mit dem Gertist des Kollagens Typ IV verkntipft ist. Zusatzlich sind in die Basalmembran noch das Heparansulfatproteoglykan Perlecan und andere Glykosaminoglykane eingelagert, an die Laminin mit seiner Heparinbindungsstelle am Ende des Iangen Arms bin den kann. Je nach Zell-Typ und !so-Form konnen Laminine Zelladhiision, Zellwanderung, Zellproliferation oder Zelldifferenzierung stimulieren. AuBerdem zahlen Laminine zu den wirksamten Stimulatoren des Auswanderns vonAxonen. Die Laminine werden entwicklungs- und organspezifisch exprimiert. Obwohl man erwarten konnte, class sich die einzelnen Iso-Formen gegenseitig ersetzen

al VI . V 8- - LE-Module IVb

0

lllb

PolymerisationsDomane

IVa

~ 0

Zellbindung

•=O~==:r-ma~ / VI Abb. 26.14 a, b. Typische Struktur von lamininen, dargestellt am Beispiel von laminin-1. a Elektronenmikroskopische Aufnahme (nach Rotary Shadowing) von laminin-1 aus einem Maus-Tumor. b Schematische Darstellung des Aufbaus der kreuzformigen Struktur aus drei unterschiedlichen Polypeptidketten mit Molekulargewichten zwischen 220 und 440 kDa. Aile drei Ketten zeigen einen homologen Aufbau aus sechs unterschiedlichen globularen und stabchenformigen Domanen (I-VI) . Die stabchenformigen Domanen der kurzen Arme sind a us einer Vielzahl je acht Cystein-Reste enthaltender LE-Module aufgebaut. Der Stab des Iangen Arms besitzt eine coiled-coil Struktur. Zusatzlich enthalt die a 1-Kette noch eine groBe C-terminale globulare Domane. Einige wichtige biologisch aktive Regionen sind in der Abbildung gekennzeichnet 768

26 Binde- und Stiitzgewebe

V IV

Ill

O= e Ill

yl

IV V VI

Coiled-coil a -Helix

G-Domane b

l

Zeii-Bindung Neuritenwachstum Heparin

26 konnen, zeigen die bisherigen Ergebnisse, dass dies nicht zutrifft.

Zetlkem

----- '

! Der Ausfall jeder der bisher untersuchten

lamininketten erzeugt schwerste Defekte oder ist embryonalletal.

Die wichtigsten Ergebnisse sind in Tabelle 26.3 zusammengefasst. So fiihrt z. B. das Fehlen der u. a. im Muskel exprimierten a2-Kette zur Muskeldystrophie oder das Fehlen der /J2-Kette zur Blockierung der neuromuskularen Signaliibertragung, da die Schwannschen Zellen entlang der veranderten Basalmembran in den synaptischen Spalt hinein wachsen. Wird durch knock-out der in fast allen Iso-Formen vorkommenden y1-Kette der groBte Teil der Molekiilfamilie ausgeschaltet, ist dies im friihen Blastocysten-Stadium letal. Diese Ergebnisse zeigen, wie wichtig die korrekte Proteinzusammensetzung der Basalmembran fiir die Entwicklung und die Funktion der adharierenden Zellen ist.

''

Protein-Phosphorylierung Tyr-P

/

Abb. 26.15. Schematische Darstellung der lntegrin-vermittelten ZeiiMatrix-lnteraktion. lntegrine stellen heterodimere Rezeptoren aus einer a- und einer /J-Untereinheit dar. Sie binden mit ihren extrazellularen Doman en an spezifische ECM-MolekOie und regulieren auf der intrazellularen Seite die Organisation des Aktin-Zytoskeletts und die Aktivierung von Proteinkinasen wie der Focal-Adhesion-Kinase und Src

26.s.311ntegrine

! lntegrine sind die groBte Rezeptorfamilie tor ECM-Moleki.ile.

Damit die ECM-Proteine ihre Funktion ausiiben konnen, miissen sie fiber spezifische Rezeptoren mit den Zellen interagieren. Es sind mehrere Rezeptoren bekannt, darunter die vor allem als Corezeptoren agierenden membrangebundenen Proteoglykane und das Dystroglykan (S.1038). Die am besten untersuchten und universellsten Rezeptoren stellen jedoch die Integrine dar (Abb. 26.15) Aile Integrine sind heterodimere Transmembranproteine, die aus einer a- und einer /J-Untereinheit be-

stehen. Beide Ketten sind nichtkovalent miteinander assoziiert und besitzen Molmassen im Bereich zwischen 100 und 200 kDa. Es gibt wenigstens 16 a-Ketten und 8 P-Ketten. Von den theoretisch 128 moglichen Kombinationen werden jedoch nur 22 verschiedene Heterodimere gebildet. Die Rezeptoren fiir ECM-Molekiile sind meist Heterodimere aus der a 1-Kette mit verschiedenen f]-Ketten. So ist a2P1 ein Kollagen-Rezeptor, a5P1 ein Fibronektin-Rezeptor und a6fJ1 ein typischer LamininRezeptor. Einige Integrine konnen mehrere verschiedene ECM-Molekiile binden und umgekehrt haben einige ECM-Molekiile Bindungsstellen fur mehrere lntegrine. So sind neben a6/Jl auch a7/Jl und a 3/Jl Laminin-Rezeptoren mit unterschiedlichen Eigenschaften.

Tabelle 26.3. Laminin-lsoformen lfaa. _ _ __ at

a2

Embryonate Epithelien,seltener im adulten Organism us Muske!, periphere Nerven, Kapillaren, Plazenta

in vitro: Hemmung der Entwicklung von Niere, Lunge und Speicheldriise Muskeldystrophie, Defekte im peripheren und zentralen Nervensy tern Epidermolysis bullosa junctionalis nicht untersucht knock-outletal (Defekte in Plazenta, Neuralrohr u. Niere, Syndaktylie)

a4

a5

Epithel (Haut) weit verbreitet, Produkt von Mesenchymzellen Epithelien, Niere, synaptische Basalmembran

Pt pz

ubiquitlir neuromuskullire Synap en, Glomeruli der Niere

PJ

Epithet (Haut)

nicht untersucht knock-out letal (Defekte in der neuromu kularen Endplatte und in den Glomeruli der Niere) Epidermolysis bullosa junctionalis

yl

ubiquitar Epithel (Haul) nicht Ba almembran assoziiert

knock-out letal im Blastozysten-Stadium Epidermolysis bullosa junctionalis nicht untersucht

aJ

y2 y3

' Phanotyp bei knock-out in der Maus oder Gendefekt (Mensch). 26.5 Nichtkollagene Glycoproteine

769

26 Nicht alle Integrine sind Rezeptoren ftir ECM-Molekiile. So ist zum Beispiel all{J/{33 der wichtigste Rezeptor auf Blutplattchen ftir Fibrinogen (S. 1018) und {32Integrine vermitteln die Interaktion von Lymphozyten mit Endothelzellen, z. B. bei der Extravasation an Entztindungsherden (S. 1146).

!

lntegrine sind fUr den Organismus absolut lebensnotwendig. Werden Gene fiir einzelne Integrine ausgeschaltet, verursacht dies durchweg einen charakteristischen Phanotyp ( Tabelle 26.4). Die Befunde reichen von letalen Effekten im Blastocystenstadium bis hin zu relativ milden Effekten wie dem Fehlen der Peyerschen Plaques.

! lntegrine organisieren das Zytoskelett und aktivieren eine Vielzahl von Signaltransduktionswegen.

Die Integrine besitzen nur kurze cytoplasmatische Domanen, die keinerlei eigene enzymatische Aktivitaten aufweisen. Entsprechend lauft die Signaltransduktion auch anders ab als bei ,konventionellen" Rezeptoren. Die cytoplasmatischen Domanen dienen als Anker ftir die Assemblierung von Multiprotein-Komplexen, denen zwei ganz essentielle Aufgaben zukommen ( Abb. 26.15): ~ Uber Linker-Proteine wie Vinculin und Talin werden Verbindungen zu Aktin-Filamenten hergestellt. Die Bindung von Integrinen an Molektile in der ECM ftihrt sowohl zur Clusterbildung der IntegrinRezeptoren in der Zellmembran als auch zur Zusammenlagerung von Aktin-Filamenten zu StressFasern, Effekte, die z. T. durch Aktivierung von klei-

~

nen G-Proteinen wie Rho vermittelt werden. Als Resultat bilden sich feste Verbindungen zwischen ECM, Integrinen und Zytoskelett, die Fokal-Kontakte genannt werden (,focal adhesions"). In diese Fokal-Kontakte werden weitere signalgebende Komponenten eingelagert. Einige Komponenten sind mit allen Integrinen assoziiert, andere spezifisch ftir bestimmte Subtypen. Insbesondere kommt es nach Bindung der Integrine an die extrazellulare Matrix zur Aktivierung von Proteinkinasen in den ,focal adhesions" (Abb.26.16). Am besten untersucht sind Tyrosinkinasen der Src-Familie (src u. fyn) und die Focal-Adhesion-Kinase (FAK). Letztere kommt nur in Fokal-Kontakten vor, und ihre Aktivierung ist strikt an die Bildung solcher Adhasionsplaques gekoppelt.

Diese Kinasen konnen durch Phosphorylierung von Tyrosinresten Bindungstellen ftir Adapter-Proteine mit SH2- und SH3-Domanen schaffen (S. 819), tiber die verschiedene Signaltransduktionswege aktiviert werden konnen. Einige wichtige Effekte sind im Folgenden aufgeftihrt: ~ Integrine wirken synergistisch mit Wachstumsfaktoren. Einige Integrine konnen tiber SH2/SH3Adapterproteine Ras aktivieren und somit tiber

Tabelle 26.4. Effekte von Mutationen in lntegrin-Genen auf die Mausentwicklung (Beispiele)

770

I

lntegrin-Untereinheit

Phinotyp

a3

Perinatal leta I, Defekte in der ierenentwicklung

a4

Embryonalletal, Defekte in der Plazenta- und Herzentwicklung

aS

Embryonalletal, Defekte in der Mesoderm-Bildung

a6

Perinatalletal, Hautablosung

a7

Lebensfahig, Entwicklung einer Muskeldystrophie

as

Perinatalletal, Fehlbildung der Nieren

av

Perinatalletal, Rupturen von Gefa6en

/31

Letal, Degeneration der Inneren Zellmasse der Blastocyste

/37

FehJen von Lymphozyten irn Darmbereich

26 Binde- und Stiitzgewebe

Abb. 26.16. Nachweis erhohter Tyrosin-Phosphorylierung in Fokai-Kontakten durch Doppel-lmmunfluoreszenz. Fluoreszein-markiertes Phalloidin (Griinfiirbung) und Rhodamin-konjugierte Antikorper (Rotfiirbung) wurden benutzt, urn Aktinfilamente bzw. Phospho-Tyrosin-Reste in Proteinen anzufarben.An den Fokai-Kontakten treffen Rot-und GrOnfarbung zusammen, so dass eine Orangefiirbung eintritt. (Aus Burridge K et al. 1992)

26 MAP-Kinasen die Expression von Genen stimulieren, die fiir die Proliferation essentiell sind (S. 212). Sie stimulieren daher z. T. die gleichen Signaltransduktionswege wie Wachstumsfaktoren. In der Tat zeigen zahlreiche Befunde, dass in vivo beide Wege gleichzeitig aktiviert werden miissen, urn die Proliferation nichttransformierter Zellen auszulOsen: Auf der einen Seite teilen sich die Zellen auch in Gegenwart hoher Dosen an Wachstumsfaktoren nicht, solange sie in Suspension gehalten werden. Auf der anderen Seite teilen sich die Zellen nach Adbasion an die ECM nur, wenn geniigend Wachstumsfaktoren anwesend sind. ... Integrine sind permissiv fur die Zelldifferenzierung. In einigen Zelltypen bewirkt die Adhasion Austritt aus dem Zellzyklus und Differenzierung. Beispielsweise wandern und proliferieren Myoblasten auf Fibronektin, wahrend sie auf Laminin zu Myotuben fusionieren. Offensichtlich passt die Zelle ihr Programm dem jeweiligen extrazellularen Stimulus an . .,. Integrine sind wichtig fur das Uberleben von adhiirenten Zellen. Beispielsweise wird bei der Riickbildung der laktierenden Milchdriise die Basalmembran der Epithelien durch Metalloproteasen aufgeIOst und die Epithelzellen dadurch zur Apoptose induziert. Ebenso ist die Bildung der Basalmembran zwischen Ekto- und Endoderm absolut essentiell fiir die Bildung des zweiblattrigen Keimblatts.

KERNAUSSAGEN Nichtkollagene Glycoproteine der ECM wie Fibronektin und laminin sind wichtige Mediatoren: ... von Zelladhasion und -wanderung und ... beeinflussen Zellfunktion, -differenzierung und -proliferation. Fibronektin kommt in zahlreichen SpleiB-Varianten vor. Es bindet: ... sowohl an andere ECM-Moleki.ile wie Kollagen und Heparin als auch ... iiber lntegrine an Zellen. lm adulten Organismus ist Fibronektin von Bedeutung: ... bei derWundheilung und ... der Regulation der Aktivitatvon (Bindegewebs-)Zellen. Wah rend der Embryonalentwicklung ist Fibronektin u. a. essentiell fi.ir die Bildung mesodermaler Strukturen. laminine stellen eine groBe Moleki.ilfamilie aus drei Polypeptidketten dar, die meisten Moleki.ile besitzen eine typische kreuzformige Struktur. laminine sind: ... obligatorische Bestandteile der Basalmembran und ... werden gewebs- und entwicklungsspezifisch exprimiert.

Der Ausfall der verschiedenen lso-Formen hat einen charakteristischen, oft leta len Phanotyp. lntegrine: ... sind die wichtigsten Zelloberflachen-Rezeptoren fi.ir ECMMoleki.ile, ... bilden eine groBe Familie von heterodimeren Moleki.ilen aus je einer a - und einer ,8-Kette, ... konnen in verschiedenen Kombinationen unterschiedliche liganden binden, ... binden an die ECM, was fi.ir die Ausbildung der FokaiKontakte wichtig. ist.Dabei organisieren lntegrine das Aktin-Zytoskelett, fi.ihren zur' Aktivierung von Proteinkinasen und beeinflussen dadurch Signaltransduktionswege und den Funktionszustand der Zellen. lnaktivierung von lntegrin-Genen verursacht schwerste Schaden.

26.6 Abbau der extrazellularen Matrix Die extrazellulare Matrix des Erwachsenen besitzt in der Regel einen recht geringen Stoffumsatz. So betragt die Halbwertszeit der Kollagene zwischen etwa 30 Tagen in der Leber und 200 Tagen in der Haut. In bestimmten Situationen sind jedoch ein schneller Abbau bzw. Umbau erforderlich. GroBflachige Umstrukturierungen fin den z. B. bei der Riickbildung des Uterus nach der Geburt und bei der Wundheilung statt, wahrend auf die Umgebung der Zelle begrenzte Abbauprozesse beim Durchtritt von weiBen Blutkorperchen aus der Blutbahn ins Interstitium erfolgen. Diese Prozesse werden durch spezifische, lokal wirkende Proteasen vermittelt. Einige davon sind Serinproteasen, die meisten gehoren jedoch zur Familie der Metalloproteinasen: .,. Eine fiir den Abbau der ECM wichtige Serinprotease ist UPA (Urokinase- Typ-Plasminogen-Aktivator). UPA besitzt eine sehr hohe Spezifitat, es wandelt durch Spaltung einer einzigen Peptidbindung Plasminogen in Plasmin urn. Plasminogen/Plasmin sind wegen ihrer Rolle bei der Auflosung von Blutgerinnseln durch Spaltung von Fibrin bekannt (S. 1022), sind aber auch an Umbauprozessen der ECM beteiligt. Plasmin ist in der Lage, verschiedene ECM-Proteine wie Fibronektin und Laminin zu verdauen. ... Die Matrix-Metallo-Proteinasen (MMPs) stellen eine Familie von inzwischen tiber 20 Zink-abhiingigen Proteasen dar ( Tabelle 26.5), die entweder sezerniert werden oder in der Membran verankert sind. Aile Enzyme besitzen eine konservierte Protease-Domane, in der drei Histidin-Reste das Zinkatom im katalytischen Zentrum komplexieren (Abb. 26.17). Zusatzlich finden sich bei den meis26.6 Abbau der extrazellularen Matrix

771

26 Tabelle 26.5. Matrix-Metalloproteinasen und ihre Substrate (Auswahl) ~NMMn

_______________

Kollagenasen MMP- 1 MMP-8 MMP-13

Kollagenase-1, Fibroblasten-KoUagenase Kollagenase-2, Neutrophilen-KoUagenase KoUagenase-3

Col I, II, III, VII, X, Pro-MMP-2 u.-9 Col I, II, III, Aggrecan Col !,II, Il1, Aggrecan

Gelatinasen MMP-2 MMP-9

Gelatinase A Gelatinase B

Gelatine, Col IV, Coli, V, X, EL,Aggrecan, Link-Protein Gelatine, Col IV, Col V, XI, EL, Aggrecan, Link-Protein

Stromelysine MMP-3

Stromelysin-1, Proteo-glykanase

MMP-10

Stromelysin-2

KoUagene u. nichtkollagene ECM-Proteine, Pro-MMP- l,-8,-9,-13, E-C adherin, L-Selektin, lnaktivierung v. Protease-Inhibitoren iihnlich wie MMP-3, schwiicher aktiv als MMP-3

MMP-16

MTI -MMP MT3-MMP

Col I, JI,lli, PN, Lam, PG Pro-MMP-2

Sonstige MMP-7 MMP- 12 MMP-20

Matrilysin, PUMP-I Metalloelastase Enamelysin

ECM-Proteine, Pro-MMP-1 ,-2 u.-9 Elastin + weitere ECM-Molekiile Amelogenin

Membran-MMPs MMP-14

Col Kollagen;FN Fibronektin;Lam laminin; PG Proteoglykane. Spaltung von Pro-MMPs resultiert in einer Aktivierung.

SH Hamopexin-Domane pra-

pro-

katalytische Domane

rt'1julatorische Domane (nicht in allen MMPs vorhanden)

Abb. 26.17. Konsensus-Struktur von Matrix-Metallo-Proteinasen. Die katalytische Domane enthalt ein fiir die Funktion essentielles Zink-lon. Dieses wird in der inaktiven Pro-Form durch Komplexierung mit der SH-Gruppe eines Cysteins der Pro-Domane inhibiert, die Aktivierung erfolgt durch Abspaltung der Pro-Domane

ten Mitgliedern noch eine oder mehrere C-terminale Hamopexin-Domanen, die fur Substraterkennung und -bindung wichtig sind.

Die Matrix-Metallo-Proteinasen werden als inaktive Zymogene (Pro-Form) gebildet. Ein Cystein-Rest in der Pro-Domane komplexiert das Zinkatom im katalytischen Zentrum. Die Aktivierung der Protease erfolgt durch proteolytische Abspaltung des Propeptids im Extrazellularraum. Lediglich Stromelysin-3 und die membrangebunden MMPs (MTMMPs) werden bereits im Golgi-Apparat aktiviert.

! Die Matrix-Metallo-Proteinasen besitzen

zum Teil eine sehr hohe Substratspezifitat.

Die Kollagenasen MMP 1, 8 und 13 spalten die fibrillaren Kollagene I-III, nicht aber das Kollagen Typ IV. Die Spaltung erfolgt an einer einzigen Gly-Ile/Leu-Bindung, die Tripelhelix der Fragmente ist thermisch nicht mehr so stabil und kann von anderen Proteasen, da772

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

runter die ebenfalls zu den MMPs gehOrenden Gelatinasen (MMP 2 und MMP 9), weiter verdaut werden. Letztere vermogen auch das Typ-IV-Kollagen in zwei Fragmente zu zerlegen. Die Bedeutung der MMPs wurde in jiingerer Zeit auch durch Ausschalten der entsprechenden Gene in Mausen offenbar. So konnen Makrophagen von Mausen denen MMP-12 fehlt weder in vitro noch in vivo durch die Basalmembran penetrieren. MMP 9 defiziente Mause zeigen verzogertes Wachstum der Iangen Knochen mit abnorm verdickter Wachstumszone, was auf eine Verzogerung des Abbaus der knorpeligen ECM bei der indirekten Ossifikation zuriickzufiihren ist (s. u.).

Die Aktivitat von MMPs und Serinproteasen wird strikt reguliert. Eine iiberschieBende Reaktion wiirde Ieicht zu einer Gewebszerstorung fiihren. Daher erfolgt die Aktivierung lokal begrenzt an der Zelloberflache von Fibroblasten. Gelatinase wird bei Bedarf durch die membranstandige MT1-MMP aktiviert, die gleichzeitig einen Rezeptor fur das aktive Enzym darstellt. Dariiber hinaus gibt es eine Reihe von Inhibitoren der MMPs, die TIMP (Tissue Inhibitors of Metalloproteinases) genannt werden. Normalerweise herrscht ein fein reguliertes Gleichgewicht zwischen den MMPs und TIMPs. Storungen des Gleichgewichts fiihren zu einem erhohten Kollagenabbau. Ahnliche Regulationsmechanismen existieren auch fiir Serinproteasen. So wird U-PR tiber einen spezifischen Zell-Rezeptor (U-PA-R) nur an der invasiven Seite der Zelle exponiert.

26 26.7 Biochemie und Pathobiochemie des Skelettsystems

26.7 .1 Die extrazellulare Matrix von Knorpel und Knoch en Knorpel~ Knorpel findet sich an den Stellen, wo flexible, druckresistente Strukturen benotigt werden. Er hat als Gelenkknorpel und Zwischenwirbelscheibe mechanische Aufgaben. Dariiber hinaus ist Knorpel die Vorstufe fur die durch indirekte Ossifikation entstehenden Knochen. Die extrazellulare Matrix des Knorpels wird von Chondrocyten gebildet, die von ihren eigenen Syntheseprodukten eingeschlossen werden, so dass sie nur noch durch Diffusion von auBen ernahrt werden konnen. Knorpel ist nicht vaskularisiert. Die Knorpelmatrix stellt im wesentlichen ein faserverstiirktes Gel dar. Der Gelcharakter ist durch polyanionische Aggregate aus Hyaluronsiiure mit Proteoglykanen (Aggrecan) bedingt, die zu hohen osmotischen Driicken fiihren, was erklart, warum Knorpel die Fahigkeit besitzt anzuschwellen. Der Wasseranteil betragt etwa 70-80 o/o. Dieses Gel wird durch quervernetzte Fibrillen aus Kollagen Typ II in Form gehalten. Dieses Kollagen ist das mengenmaBig dominierende Knorpelkollagen. Daneben findet man noch geringere Mengen der physiologisch ebenfalls wichtigen Kollagene Typ XI und Typ IX. Kollagen XI liegt im Zentrum der Fibrille, wahrend Kollagen IX an der Oberflache angeordnet ist. Knorpel ist meist von einem Perichondrium umgeben, nicht jedoch die Gelenkflachen, die Knorpel-Knochen-Grenze der Gelenke und die Wachstumszone. In diesem Perichondrium finden sich Kollagene Typ I, II und V. Zusatzlich zu den Kollagenen und Proteoglykanen finden sich in der Korpel-Matrix noch weitere Proteine, darunter Proteaseinhibitoren und die in drei Isoformen bekannten Matriline (auch ,Cartilage Matrix Protein" genannt). Die Matriline besitzen moglicherweise eine Bedeutung in der Assemblierung der Knorpelmatrix oder vermitteln die Adhasion der Chondrocyten an Knorpel-Matrix-Proteine. Knochen~ Der Knochen erfiillt mehrere Funktionen. Zum einen ist er ein hochdifferenziertes Stiitzgewebe, das fur die Bewegungen des Korpers und zum Schutz von Organen wie dem Gehirn essentiell ist, zum anderen dient er als Speicher fur Calcium- und Phosphationen, der mit dem Extrazellularraum im Gleichgewicht steht. Dariiber hinaus beherbergt der Knochen das Knochenmark als Statte der Blutbildung. Im Gegensatz zum Knorpel ist der Knochen gut durchblutet und innerviert. Das anorganische Knochenmaterial setzt sich vorwiegend aus Calciumphosphaten zusammen, die sehr dem Hydroxyapatit [Ca10(P04 MOH)z] ahneln. Zusammen mit 10 o/o Wasser machen die anorganischen Bestandteile des Knochens etwa 80 o/o aus. Die restlichen 20 o/o entfallen auf organisches Material. Die Haupt-

komponente stellt das Kollagen Typ I dar, das dem Knoch en die mechanische Festigkeit verleiht. Die anorganische Matrix alleine ist zu briichig, urn Belastungen Stand zu halten, sie bildet mit dem Kollagen zusammen eine Art ,Verbundwerkstoff". Nichtkollagene Proteine machen nur etwa 10% der organischen Matrix aus, sind aber dennoch fur die Knochenentwicklung und Homoostase wichtig. Zu den nichtkollagenen Proteinen gehoren neben verschiedenen Proteoglykanen auch das calciumbindende Osteonectin (auch Spare oder BM40 genannt), einige saure, z. T hochphosphorylierte Integrin-bindende Sialo-Proteine z. B. Osteopontin und Bone-Sialoprotein, sowie Proteine mit Vitamin-K abhangig gebildeten y-Carboxy-Glutamat-Resten,Matrix-GLA-Protein und Osteocalcin (S.735). Diese Proteine sind fur die Knochenbildung essentiell. Mause, mit inaktivierten Genen fiir Matrix-GLA-Protein und Osteocalcin zeigten iiberraschenderweise eine verstarkte (!) Knochenbildung. Mause ohne GLA-Protein starben in den ersten heiden Monaten nach der Geburt aufgrund einer exzessiven, abnormalen Calzifizierung der Arterien. Trotz ihrer Fahigkeit an Apatit zu binden, scheint also die Funktion dieser Proteine eher in der kontrollierten Abscheidung von Hydroxyapatit und der Verhinderung einer zu starker Ossifikation zu sein.

26.7.21 Zellulare Bestandteile des Skelettsystems: Differenzierung und Aktivierung von Chondroblasten, Osteoblasten und Osteoclasten Die Architektur des Skelettsystems wird im wesentlichen von drei Zelltypen aufgebaut: ~ Die Chondroblasten synthetisieren die Knorpelsubstanz und die knorpelige Vorstufe der durch enchondrale (indirekte) Ossifikation gebildeten Knochen. ~ Die Osteoblasten/Osteocyten synthetisieren die Knochensubstanz. Zunachst wird eine Osteoid genannte organische Matrix aus Kollagen Typ I, Proteoglykanen, Muzinen und weiteren nichtkollagenen Proteinen wie Osteocalcin und Osteopontin abgelagert,die anschlieBend verkalkt. Die Osteoblasten werden in diese verkalkte Substanz eingemauert, bleiben aber tiber Zellfortsatze miteinander in Kontakt. ~ Die Osteoclasten sind die Zellen, die die Knochensubstanz auflosen und so auch fiir den Umbau des Skelettsystems unentbehrlich sind. Proliferation und Differenzierung dieser Zelltypen miissen genau kontrolliert werden. Wenn zum Beispiel Chondrozyten zu einem vorzeitigen Ubergang von der proliferativen Phase zum hypertrophierten Zustand stimuliert werden, wird das Langenwachstum des Knochens verlangsamt. Ebenso muss das Dickenwachstum der Diaphyse reguliert werden, indem die Neusynthese von Knochen durch Osteoblasten mit dem Abbau von 26.7 Biochemie und Pathobiochemie des Skelettsystems

773

26 Knochensubstanz in der Markhohle koordiniert wird, und schlieBlich mussen Langen- und Dickenwachstum bis zum Abschluss der Skelettentwicklung in der Pubertat aufeinander abgestimmt werden. Die Aufklarung der verantwortlichen Mechanismen ist von gro~em Interesse, urn Fehlentwicklungen gezielt therapieren zu konnen.

! Chondrocyten und Osteoblasten sind

mesenchymal en Ursprungs, Osteoclasten leiten sich von hamatopoetischen Stammzellen ab.

Aufgrund ihrer Herkunft haben Osteoblasten und Chondrocyten vieles mit Fibroblasten gemeinsam: In Zellkultur sind Osteoblasten morphologisch kaum von Fibroblasten unterscheidbar und synthetisieren im Wesentlichen nur Osteocalcin als Osteoblasten-spezifisches Protein. Chondrocyten nehmen unter normalen Zellkulturbedingungen sehr schnell wieder Fibroblasten-ahnliches Aussehen an, was mit einem Umschalten der Expression von Kollagen Typ II auf Typ I verbunden ist. Osteoclasten hingegen leiten sich von Zellen der Monozyten/Makrophagen-Linie ab ( Abb. 26.18). Dies erscheint auf den ersten Blick uberraschend. Der Grund liegt aber vermutlich darin, dass sie im Gegensatz zu den ECM-produzierenden Osteoblasten und Chondroblasten extrazellulares Material abbauen mussen. Die ,professionellen Fresszellen" des Korpers stellen aber die Makrophagen dar, die wahrscheinlich Ieichter auf den Abbau von extrazellularer Matrix umprogrammiert werden konnen als dies bei Fibrobla-

Osteoblast/ Stroma-Zelle VitO

,;!.

OPG

Hamatopoetische Zellen

I

e iM-CSFI lnterleukine

Osteoclast Abb.26.18. Mechanismus der Differenzierung von Osteoclasten aus Makrophagen-ahnlichen Vorlaufern. Es werden zwei Signale beniitigt: 7 direkte lnteraktion von RANKL auf der Oberflache von Osteoblasten/ Stroma-Zellen mit dem Rezeptor RANK auf dem Makrophagen;2 Bindung M-CSF an seinen Rezeptor auf derVorlauferzelle; OPG Osteoprotegrin; Vit D Vitamin D;PTH Prathormon. (Einzelheiten s.Text) 774

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

sten-ahnlichen Zellen moglich ware. Die Osteoclasten besitzen bis auf die terminale Differenzierung den gleichen Differenzierungsweg wie Makrophagen, Progenitorzellen werden uber die Blutzirkulation rekrutiert. Durch Fusion von einkernigen Vorlaufern entstehen im Knochen schlieBlich die reifen, vielkernigen Osteoclasten.

Die Zelldifferenzierung wird durch spezifische Transkriptionsfaktoren geregelt. Spezifische Transkriptionsfaktoren legen die Differenzierung zu den verschiedenen Zelltypen des Organismus fest. Im Falle der Knochenbildung ist die Differenzierung der Osteoblasten durch den Transkriptionsfaktor Cbfal am besten untersucht. Dieser Faktor wurde bei der Suche nach Proteinen entdeckt, die an den Promotor des bisher einzigen Osteoblasten-spezifischen Proteins, das Osteocalcin, binden. Wahrend der Embryonalentwicklung wird Cbfal zunachst in Mesenchymzellen exprimiert, die entweder zu Chondrocyten oder zu Osteoblasten differenzieren, danach geht die Expression in Chondroblasten zuruck und ist im Wesentlichen auf Osteoblasten (bzw. Odontoblasten in den Zahnen) beschrankt. Cbfal-defiziente Mause entwickeln ein normal aussehendes Skelett, das aber ausschlie~lich aus Knorpel besteht. Sie sterben kurz nach der Geburt. Dieser Befund zeigt die absolute Notwendigkeit von Cbfal fur die Bildung von Osteoblasten. Vermutlich ist Cbfal auch fur die Entwicklung der Chondroblasten von Bedeutung, da Befunde darauf hinweisen, dass Cbfal deren Hypertrophierung inhibiert. Interessanterweise fehlen in Cbfal -defizienten Mausen neben Osteoblasten auch die Osteoclasten, deren Differenzierung von der Anwesenheit von Osteoblasten abhangig ist (s. u.). Die transkriptionelle Regulation der Chondroblasten-Differenzierung ist weniger gut bekannt. Es wird eine Beteiligung von Sox9 angenommen, da seine Uberexpression ausreichend ist, die Differenzierung von nichtchondrogenen Zellen zu Chondrocyten zu stimulieren. Ein wichtiges Gen, dessen Transkription durch Sox9 reguliert wird, ist Kollagen II. In Ubereinstimmung mit der Herkunft der Osteoclasten aus hamatopoetischen Stammzellen steht die Tatsache, dass bei Inaktivierung des Gens fiir den Transkriptionsfaktor PU.l, der fiir die Bildung von Makrophagen-Vorlauferzellen wichtig ist, nicht nur reife Makrophagen, sondern auch Osteoclasten fehlen.

Eine Reihe von Wachstumsfaktoren a us der FGF- und TGF,B-Familie regulieren Wachstum und Differenzierung von Chondrocyten und Osteoblasten. In klassischen Experimenten wurde Mitte der 60er Jahre gezeigt, dass entmineralisierte Knochenextrakte in Rauen die de-novo-Synthese von Knochen induzieren konnten, wenn sie an ektopischen Stellen implan-

26 tiert wurden. Das Implantat wird zunachst von undifferenzierten Mesenchymzellen kolonisiert, die zu Chondrocyten differenzieren. Spater erfolgt Vaskularisierung und die Bildung von Osteoblasten und Osteoclasten. Aus diesen osteogenen Extrakten wurden Proteine isoliert, die zu der Familie der BMPs (Bone Morphogenetic Proteins) aus der TGFj3-Superfamilie gehOren. Welche Rolle die einzelnen Proteine spielen ist noch weitgehend unklar. Es darf aber als gesichert gelten, dass BMPS fUr die Kondensation der Mesenchymzellen zur Anlage des spateren Knochens wichtig ist. TGFP selbst wird ebenfalls in der Knochenmatrix gefunden, der Knochen stellt sogar das gro6te TGFj3-Reservoir des Korpers dar. TGF,B kann den Umfang der Osteoblasten-Differenzierung in vivo regulieren. Die Fibroblasten- Wachstumsfaktoren (FGFs) stellen eine Gruppe von Zytokinen dar, die mit TyrosinkinaseRezeptoren (FGFR) in der Zellmembran der TargetZelle interagieren. Aktivierende Mutation en im Rezeptor fUr FGF3 fiihren zur Achondrodysplasie, die haufigste Ursache fiir Zwergwuchs, wahrend FGF3-Rezeptordefiziente Mause eine vergro6erte Wachstumszone und ein verlangertes enchondrales Knochenwachstum zeigen. Diese komplementaren Ergebnisse belegen, dass FGF3/FGF3R das Knochenwachstum negativ regulieren, indem sie die Chondrocytenproliferation limitieren. Mutationen im Rezeptor fiir FGF2 hingegen fiihren zu Kraniosynostosis, einer verfriihten Verknocherung der Schadelnahte. Ein Faktor, der die Hypertrophierung von Chondrozyten inhibiert, stellt das dem Parathormon ahnliche Peptid PTHrP (Parathormon Related Peptide) dar.

! Zwei Osteoblasten-Proteine, M-CSF und RANKL, sind notwendig und hinreichend, die Osteoclastogenese zu stimulieren.

Lange Zeit war unklar, welche Faktoren die Differenzierung der Osteoclasten regulieren. In vitro lie6en sich Osteoclasten in Co-Kulturen von Osteoblasten/ Stromazellen mit hamatopoetischen Zellen unter Zugabe von Faktoren wie Vitamin D, PTH und IL-l erzeugen. Dabei war nicht nur die Anwesenheit von Knochenmark-Stroma-Zellen oder Osteoblasten erforderlich, sondern es war auch ein direkter Kontakt zwischen den beiden Zelltypen notwendig. Dies legte die Vermutung nahe, dass: ~ sezernierte Wachstums-/Differenzierungsfaktoren eine Rolle spielen, ~ iuxtrakrine Signaliibertragung zwischen einem membrangebundenen Liganden auf der Oberflache der Osteoblasten und dem zugehorigen Rezeptor auf dem Osteoclasten erforderlich ist. Diese Annahme hat sich inzwischen bestatigt. Es konnte gezeigt werden, dass in vitro nur zwei Proteine benotigt werden, urn Makrophagen in Osteoblasten umzuwandeln ( Abb.26.18).

Der eine Faktor ist der seit langem bekannte Wachstumsfaktor fiir Makrophagen M-CSF (Macrophage Colony-Stimulating Factor). Dieser Wachstumsfaktor ist nicht spezifisch fiir Osteoclasten, sondern fordert die Proliferation und Differenzierung von gemeinsamen Vorlaufern von Makrophagen und Osteoclasten. Der zweite Faktor ist das in der Zytoplasmamembran verankerte Protein RANKL (Ligand fUr RANK, alternativ auch TRANCE genannt). RANKL bindet an seinen Rezeptor RANK (Receptor for Activation of Nuclear Factor Kappa B, auch OPGL, Osteoprotegrin-Ligand, genannt). Stimulierung von RANK durch RANKL fiihrt zur terminalen Differenzierung und Aktivierung der Makrophagen. RANKL und RANK sind Mitglieder der Tumor-Necrosis-Factor-(TNF)- und Tumor-NecrosisFactor-Receptor-(TNFR)-Familie. Wie bei diesen assoziiert RANK mit TNF-Rezeptor-assoziierten Protein en (TRAFs), die letztlich zu einer Aktivierung von NFICB und jun-Kinase fiihren. Das Ausschalten der Gene fiir RANK oder RANKL fiihrt neben schwerwiegenden Storungen im Immunsystem zur vollstandigen Unterdriickung der Osteoclastogenese. Kiirzlich wurde ein Antagonist zu RANKL gefunden, OPG (Osteoprotegrin) genannt. OPG konkurriert mit dem eigentlichen Rezeptor RANK urn die Bindung von RANKL, vermag aber als frei losliches Protein keine Signaltransduktion auszuIOsen und inhibiert so die Wirkung von RANKL. In Mausen kann man durch Variation der Expression des Rezeptors RANK, des Liganden RANKL und des kompetitiven Inhibitors OPG die Osteoclasten-Bildung regulieren und alle Zustande von schwerer Osteopetrose bis zur massiven Osteoporose (S. 777) erzeugen. Viele Mediatoren wie PTH, Vitamin D und Prostaglandine fiihren zu einer Erhohung der Expression von RANKL. Daher nimmt man an, dass dieser Weg der gemeinsame Endpunkt fiir viele Osteoclasten-aktivierende Prozesse darstellt.

Osteoclasten erzeugen ein abgeschlossenes extrazellulares Kompartiment, in dem die Knochenmatrix resorbiert wird. Der erste Schritt im Knochenabbau besteht in der Anheftung der Osteoclasten an die Knochenoberflache. Dies ist mit einer Polarisierung der Zelle verbunden. Die Plasmamembran gegeniiber der Knochenmatrix faltet sich mehrfach ein, wodurch die resorbierende Oberflache vergrol3ert wird, wahrend der au6ere Rand eine umlaufende dichte Verbindung zwischen Knochen und Zelle aufbaut, so dass ein isoliertes extrazelluliires Kompartiment entsteht, in dem der Knochenabbau vonstatten geht (Abb.26.19). Diese Abdichtung wird durch Bindung des Integrins av,83 an ECM-Molekiile vermittelt. avj33-defizienten Osteoclasten konnen Knochen nur unvollstandig auflosen, was mit einer Erhohung der Skelettmasse und einem niedrigen Blut-Calcium-Spiegel verbunden ist. Die Bedeutung der Erzeugung eines abgeschlossenen extrazellularen Komparti26.7 Biochemie und Pathobiochemie des Skelettsystems

775

26 26.7.41 Homoostase des Skelettsystems

Lysosom

a.l33

lntegrin

Knochenmatrix

Abb. 26.19. Mechanism us der Knochenresorption durch Osteoclasten. (Einzelheiten s.Text)

mentes wird klar, wenn man den Mechanism us der Resorption betrachtet. Zunachst muss die anorganische Knochenmatrix abgebaut werden. Dies geschieht durch pH-Erniedrigung in dem abgeschlossenen Raum, wodurch der Hydroxyapatit in Losung geht. Die Ansauerung erfolgt ahnlich wie bei der Sezernierung von HCl im Magen durch Sezernierung von H+ -Ionen durch eine Protonen-ATPase, wobei die Elektroneutralitat durch einen ladungsgekoppelten Chlorid-Kanal gewahrt bleibt. Der intrazellulare pH wird durch HC0 3- / Cl-Austausch auf der dem Knoch en abgewandten Seite des Osteoclasten aufrecht erhalten. Daraufhin wird die entmineralisierte Knochenmatix durch lysosomale Proteasen abgebaut, eine Schliisselstellung nimmt dabei Cathepsin K ein.

26.7.31 Regulation des Knochenwachstums bis zur Pubertat Die Geschwindigkeit des Skelettwachstums wird durch das Wachstumshormon aus der Hypophyse (GH) reguliert,das vorwiegend lokal iiber IGF-1 (S. 847,905) wirkt. Ein Fehlen von IGF-1 fiihrt zu Zwergwuchs, die Proportionen des Skeletts bleiben dabei jedoch erhalten. Das koordinierte Wachstum der Knochen endet mit Schliefiung der Epiphysenfuge wah rend der Pubertat. Dieser Prozess ist von Sexualhormonen abhangig, und wird sowahl beim Mann als auch bei der Frau sehr wahrscheinlich von Ostrogen vermittelt. Indiz dafiir ist, dass bei einem 28-jahrigen Mann mit defektem Ostrogenrezeptor aber normalem Testosteronspiegel die Epiphysenfugen noch nicht vollstandig geschlossen waren. Ahnliche Effekte waren bei Mausen mit inaktiviertem ER-a-Ostrogenrezeptor-Gen zu beobachten und bei mannlichen Ratten, bei denen durch Gabe von Aromatase-Inhibitoren die Bildung von Ostrogenen inhibiert worden war.

776

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

In der Wachstumsphase steht durch die Aktivitat der verschiedenen Wachstums- und Differenzierungsfaktoren die Bildung neuer Knochensubstanz im Vordergrund. Nach Beendigung des Wachstums geht das Skelettsystem nicht in einen ruhenden Zustand iiber, sondern bleibt nach wie vor sehr aktiv, denn es erfolgt ein steter Umbau des Knochens. Dies ist erforderlich, da die Knochen einerseits als Calcium-Speicher fungieren und bei Bedarf Calcium freigesetzt werden muss. Zum anderen wird das Skelettsystem den mechanischen Erfordernissen angepasst, die Knochenbalkchen werden in Richtung der maximalen Belastung angeordnet, ein Prozess der noch weitestgehend unverstanden ist, aber immense physiologische Bedeutung besitzt, da sonst der Knochen bei mechanischer Belastung leicht brechen wiirde. Standig wird Knochensubstanz durch die Osteoclasten abgebaut und gleichzeitig neue Knochensubstanz durch die Osteoblasten hergestellt. Man schatzt, dass dies im menschlichen Skelett an etwa 1 bis 2 Millionen Stellen gleichzeitig geschieht. Etwa alle zehn Jahre ist das Skelettsystem einmal erneuert. Beim jungen Erwachsenen sind Aufbau und Abbau exakt ausbalanciert, mit zunehmendem Alter verschiebt sich das Gleichgewicht jedoch zugunsten der Osteoclasten, es kommt zur Osteoporose, die ein groges gesundheitliches Problem darstellt, insbesondere bei Frauen nach der Menopause. Die Osteoblasten- und Osteoclastenaktivitat kann auf zwei Wegen reguliert werden. Zu einen konnen reife Zellen zu Knochenaufbau bzw. Knochenabbau aktiviert werden. Zum anderen konnen Vorlauferzellen zur Proliferation und Differenzierung stimuliert werden urn so mehr Zellen zur Verfiigung zu stellen. Beide Wege werden durch die verschiedenen lokalen und systemischen Faktoren unterstiitzt. Es ist in vielen Fallen jedoch noch unklar auf welchen Mechanismen die Wirkungen beruhen.

26.7.51 Hormonelle Regulation des Knochenstoffwechsels Regulation durch Hormone des Calciumstoffwechsels~ Die Hormone des Calciumstoffwechsels, das Parathormon, Vitamin D und Calcitonin sind naturgemag fiir die Knochenbildung und den Knochenumbau absolut essentiell. Ihre Wirkungen sind in den Kapiteln 25 und 31 beschrieben. Regulation durch Zytokine~ Der Einfluss von Zytokinen auf die Knochenbildung wurde aufgrund der Beobachtung entdeckt, dass stimulierte Monocyten Faktoren ins Blut ausschiitten, die die Knochenresorption fordern.

26 !

Zytokine stimulieren die Knochenresorption und fordern so die Osteoporose. Diese Aktivitat wurde Osteoclasten-aktivierender Faktor (OAF) genannt und spater als Interleukin 1 (IL-l) identifiziert. Zusatzlich zu seiner Fahigkeit die Osteoclastenbildung und Aktivitat zu stimulieren, ist IL-l an Entzundungsreaktionen beteiligt und ein wirksamer Stimulus der Biosynthese von Prostaglandinen. In der Folgezeit wurde eine Vielzahl von weiteren Zytokinen entdeckt, die die Knochenresorption stimulieren (darunter TNF, IL-6, IL-11, IL-15 und IL-17). Es wurden aber auch andere Interleukine gefunden, die dieKnochenresorption inhibieren (IL-4, IL-10, IL-13,IL-18, IFN-y). TGF-,8 und Prostaglandine konnen sowohl inhibieren als auch stimulieren, je nach Funktionszustand der Zellen. Die Zytokine werden teils in den Stromazellen/Osteoblasten, teils in den hamatopoetischen Zellen/Osteoclasten exprimiert und bilden im Knochen ein komplexes Netzwerk. IL-l kann zum Beispiel durch autokrine und parakrine Mechanismen seine eigene Biosynthese und die von weiteren Interleukinen wie IL-6 stimulieren. Als Resultat der Zytokin-Wirkungen kommt es zu einer Stimulierung der Proliferation,Differenzierung undAktivierung von Osteoclasten. Die Aktivierung der Osteoclasten kann auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen: ~ Zytokine konnen direkt an Rezeptoren auf Osteoclasten bin den und intrazellulare Signale auslosen. ~ Sie konnen auf indirektem Wege wirken, indem die verschiedenen Interleukin-vermittelten Reaktionen in der Bildung von M-CSF und RANKL einmunden, die dann wie bereits diskutiert die Osteoclasten aktivieren. Die relative Bedeutung der direkten und indirekten Aktivierung ist noch unklar. Aufgrund der Beteiligung von RANKL an einer ganzen Reihe Osteoclasten-aktivierender Prozesse und der allgemeinen Bedeutung des RANKL-Weges wird aber angenommen, dass dieser Weg unter physiologischen Bedingungen bedeutender ist und die direkten Wirkungen der Interleukine moglicherweise bei pathophysiologischen Prozessen wichtiger sind. Regulation durch Steroidhormone~ Steroidhormone besitzen einen groBen Einfluss auf die Bildung und Homoostase des Skelettsystems. Von groBer Bedeutung sind vor allem zwei Gruppen von Hormonen, die Sexualhormone und die Glucocorticoide.

!

Ostrogene und Androgene bewirken bei Mann und Frau eine positive Bilanz der Knochendichte mit verbesserten biomechanischen Eigenschaften und kontrollieren die geschlechtsspezifische Auspragung des Knochenbaus.

kungen auf Proliferation und Differenzierung der Osteoblasten sind komplex und molekular noch nicht gut verstanden, da Osteoblasten bzw. deren Vorlauferzellen je nach Differenzierungszustand und Umgebung unterschiedlich auf Sexualhormone ansprechen. Wie auf S. 776 erwahnt, sind Sexualhormone nicht nur fiir den Knochenbau, sondern auch fur die SchlieBung der Epiphysenfugen wichtig.

Ostrogene und Androgene verhindern ein OberschiefJen der Osteoclastentatigkeit und wirken so antiosteoporotisch. Ostrogene und Androgene inhibieren die Transkription einer Reihe von den Knochenabbau stimulierenden Zytokinen (s. o.) wie IL-l , IL-6, TNF, CSF und Prostaglandin E2• Die Effekte werden durch die gleichzeitige Inhibition der Expression von Zytokin-Rezeptoren noch verstarkt, wie im Faile des IL-6 Rezeptors gezeigt worden ist. Zusatzlich konnen Ostrogene die durch RANKL vermittelte Aktivierung von Osteoclasten blockieren. Daruber hinaus kann Ostrogen die Apoptose von Osteoclasten fOrdern. Es wird angenommen, dass an diesem Prozess TGF,B beteiligt ist, dessen Transkription im Gegensatz zu den meisten Zytokinen durch Sexualhormone erhoht wird. In der Summe fiihren die Effekte der Sexualhormone daher zu einer Vermin de rung der Osteoclastentatigkeit und wirken so einer Osteoporose entgegen.

Hohe Spiegel an Glucocorticoiden fiihren zur Entmineralisierung des Knochens. Ober die physiologische Rolle der Glucocorticoide im Knochenstoffwechsel weiB man noch wenig, dagegen sind die durch Hormonuberschuss verursachten Effekte gut untersucht, wie im Falle des Cushing-Syndroms oder heute haufiger bei Einsatz von Cortisolderivaten als Immunsuppressiva. Zielzelle der Hormonwirkung ist der Osteoblast. Dieser besitzt Rezeptoren fiir Glucocorticoide, in Osteoclasten hingegen sind bisher noch keine Rezeptoren nachgewiesen worden. Glucocorticoide hemmen die Bildung und Aktivierung von Osteoblasten. Zusatzlich ist die Apoptoserate der Osteoblasten und Osteozyten erhoht. Als Teil der entzundungshemmenden Wirkung der Glucocorticoide wird die Expression von Kollagenase und Interleukin 6 inhibiert. Dies sollte zusammen mit der aus der verminderten Osteoblastenbildung resultierenden Hemmung der Osteoclastenbildung zu einer Verminderung des Knochenabbaus fiihren. Dennoch kommt es relativ zu einer verstarkten Aktivierung der Osteoclasten und somit zur Osteoporose. Ein Effekt, der dabei eine Rolle spielt, ist die Erniedrigung der Transkription der RNA fur Osteoprotegrin bei gleichzeitiger ErhOhung der Transkription seines Liganden (S. 775).

Die Sexualhormone wirken wahrscheinlich primar an den Osteoblasten, obwohl auch Osteoclasten Rezeptoren fiir Ostrogene bzw. Androgene besitzen. Die Wir26.7 Biochemie und Pathobiochemie des Skelettsystems

777

26 26.7.61 Knochenerkrankungen Das Skelettsystem ist einer Reihe von pathophysiologischen Veranderungen unterworfen, beginnend von angeborenen Fehlbildungen bis hin zu erworbenen Schadigungen durch Fehlhaltung und falsche Belastung und Storungen der Knochenhomoostase.Aufgrund der damit verbundenen langfristigen gesundheitlichen Beeintrachtigung sind Knochenerkrankungen daher von groBer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Im Folgenden sollen einige Krankheiten im Zusammenhang mit Storungen der Knochenhomoostase dargestellt werden. Osteoporose... Die Verringerung der Knochenmasse verbunden mit einer Verschlechterung der Knochenarchitektur nach dem 40 sten Lebensjahr stellt ein groBes gesundheitliches Problem dar, da bereits ein 10 o/oiger Verlust an Knochenmasse das Risiko eines Knochenbruchs verdoppelt. Man hat abgeschatzt, dass allein in den Vereinigten Staaten mehr als 25 o/o der Frauen in der Postmenopause eine urn 10 bis 25 o/o reduzierte Knochendichte besitzen und etwa 5 Millionen Frauen bereits einen Knochenbruch erlitten haben. Die haufigste Ursache der Osteoporose bei Frauen ist der Abfall an Ostrogen in der Menopause. Da Ostrogene den Spiegel an Zytokinen wie IL- l, IL-6 und TNF senken,fi.ihrt einAbfall des Ostrogenspiegels nati.irlich zu einer Erhohung und damit zu verstarktem Knochenabbau. Nicht nur Frauen, sondern auch Manner im fortgeschrittenen Alter leiden unter fortschreitender Osteoporose, vermutlich bedingt durch einen Abfall an Sexualhormonen. Aber auch die Tatsache, dass mit fortschreitendem Alter immer weniger teilungsfahige Fibroblasten-artige Zellen vorhanden sind, di.irfte wesentlich beteiligt sein. Die dritthaufigste Ursache ist inzwischen die Behandlung mit Cortison-Praparaten. Weitere Ursachen sind Multiple Myelomatose, Hyperparathyreoidismus und Hyperthyreoidismus. Paget-Krankheit,.. Diese Erkrankung betrifft etwa 3 o/o der i.iber 40-jahrigen Nordeuropaer und der weiBen Bevolkerung Nordamerikas. Die Erkrankung ist durch Verkri.immung und Verdickung einzelner Rohrenknochen mit Neigung zu Spontanfrakturen gekennzeichnet. Die Ursache ist noch nicht vollends geklart, beruht aber vermutlich auf einer Infektion mit Paramyxoviren, zu den en auch das Masernvirus gehort. In vitro konnte durch Transfektion von Osteoclasten-Vorlauferzellen mit retroviralen Vektoren,die das Gen fi.ir Masern-Nukleocapsidprotein trugen, eine Aktivierung der Expression von RANK,Aktivierungvon NFkB und erhohte Empfindlichkeit gegeni.iber Vitamin D beobachtet werden. Dafi.ir spricht auch, dass bei einer autosomal dominanten juvenilen Variante der Paget-Krankheit aktivierende Mutationen des RANK -Gens nachgewiesen wurden. Entziindliche Knochenerkrankungen,.. Rheumatische Erkrankungen sind durch Zerstorung des Gelenkknorpels und eine exzessive subchondrale Knochenresorp778

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

tion gekennzeichnet. In den entzi.indeten Regionen erhoht sich die Konzentration verschiedener Zytokine, darunter IL- l, IL-6, IL-13, IL-17 und PTHrP. In der rheumatischen Synovialmembran finden sich vermehrt Makrophagen sowie aktivierte Fibroblasten und T-Zellen. Die beiden letzteren Zelltypen exprimieren RANKL, das die Osteoclastenbildung ohne Beteiligung von weiteren Zelltypen stimulieren kann.

Knochenstoffwechsel Seit seinem 14. Lebensjahr warder groBartige Maier Henri Toulouse-Lautrec (1864-1901) nicht mehr gewachsen. Er blieb 1,52 m groB und wurde zu einem deformierten Zwerg. Seine Beine waren die eines Kin des, beim Gehen war er behindert und musste einen Stock benutzen. Er sagte:.,/ch gehe schlecht wie ein Enterich. lm Zoo stellte er vor den Pinguinen fest:,.Oie watscheln ja genau wie ich!N Sein Leiden war eine seltene Erbkrankheit der Skelettentwicklung mit der Bezeichnung Pyknodysostose. Man weiB nur, dass diese Storung mit einer Verminderung von Hydroxyprolin und einerVermehrung hexosaminhaltiger Substanzen in der Knochenmatrix einhergeht. Es resultiert zwar eine rontgenologisch vermehrte Knochendichte, jedoch kommt es zur abnorm gesteigerten Briichigkeit. Die Ursache von Lautrecs zwergenhafter Gestalt waren also nicht, wie oft behauptet, schlecht verheilte Knochenbriiche, sondern eine rezessiv-autosomal erbliche Skelettdysplasie. Der spater weltberiihmte Maier ist im 37. Lebensjahr gestorben. M

Therapiemoglichkeiten,.. Zur Behandlung der nach der Menopause auftretenden Osteoporose werden in erster Linie Ostrogene gegeben, urn den Abfall des Hormonspiegels zu kompensieren. Da eine Ostrogenbehandlung mit einem erhohten Risiko fi.ir Unterleibskrebs verbunden ist, wird es in Verbindung mit einem Gestagen verabreicht. In den letzten Jahren wurden Agenzien entwickelt, die die Wirkung von Ostrogen ganz oder teilweise nachahmen konnen, so genannte selektive Ostrogen Rezeptor Modulatoren (SERMs). Der erste Vertreter dieser Substanzklasse war das Triphenylethylen-Derivat Tamoxifen. Mit derartigen Wirkstoffen wird es in der Zukunft wahrscheinlich gelingen, die positive Wirkung von Ostrogen am Knochen zu substituieren, ohne die negativen Effekte in Kauf nehmen zu mi.issen.Eine andere Klasse von antiosteoporotisch wirkenden Substanzen sind die Bisphosphonate, in denen der Sauerstoff von Pyrophosphat durch eine Methylengruppe mit verschiedenen Seitenketten ersetzt ist. Diese Substanzen werden von Osteoclasten aufgenommen und wirken wahrscheinlich durch Inhibition der Farnesylpyrophosphatsynthase (S. 608) und inhibieren so die Prenylierung und damit die Membranverankerung von kleinen GProteinen wie Rho, Rab und Cdc42, die fi.ir die Aktivierung und Oberlebender Osteodasten wichtig sind. Aufgrund ihres Wirkungsmechanismus konnen die Bis-

26 phosphonate Knochenresorption unabhangig von der Ursache verhindern. Es sind zur Zeit mehrere Praparate in der klinischen Erprobung und es ist zu erwarten, dass in der Zukunft einige hochwirksame Medikamente auf den Markt kommen werden.

KERNAUSSAGEN Knorpel und Knoch en besitzen eine sehr spezialisierte ECM: • Knorpel stellt im wesentlichen ein elastisches hydratisiertes Gel dar,das aus riesigen Komplexen zwischen Hyaluronsaure und dem Proteoglykan Aggrecan besteht und durch Typ II Kollagen-Fasern in Form gehalten wird. • Knochen besitzt eine aus Hydroxyapatit aufgebaute ECM, die durch Kollagen Typ 1-Fasern ihre Stabilitat erlangt. • Dariiber hinaus enthalten Knoch en und Knorpel noch eine Reihevon anderen,nichtkollagenen Proteinen,die z. T.fiir die lnteraktion der Zellen mit der ECM von Bedeutung sind. Knochen- und Knorpel-spezifische Zellen sind die Chondrozyten, Osteoblasten/Osteozyten und die Osteoclasten. • Chondrozyten und Osteoblasten leiten sich von Fibroblasten ab. Die Differenzierung ist von Transkriptionsfaktoren wie Cbfal und Wachstumsfaktoren aus den TGF,8/BMP- und FGF-Familien abhangig. • Osteoclasten lei ten sich von der Monozyten/Makrophagen-linie ab. Die Differenzierung erfordert das Zusammenwirken zweier unterschiedlicher Signale: • sezernierte Faktoren: Bindung von M-CSF an Rezeptoren auf den Vorlauferzellen, • direkte Zeii-Zeii-Kontakte mit Osteoblasten: lnteraktion des Zellmembranproteins RANKL auf Osteoblasten mit RANK auf den Precursorzellen. Osteoclasten bauen Knochen durch Erzeugung eines abgeschlossenen extrazellularen Kompartiments ab, in das HCI und lysosomale Enzyme sezerniert werden. Die Homtiostase des Skelettsystems erfordert eine komplexe hormonelle Regulation: • Knochenwachstum unter Einfluss von Wachstumshormonen (GH und IGF),SchlieBung der Epiphysenfuge in der Pubertat unter Einfluss von Ostrogen, • Hormone des Calcium-Stoffwechsels (PTH, Vitamin D, Calcitonin): Mineralisation u. Demineralisation • Androgene und Ostrogene: pos. Bilanz, geschlechtsspezifische Auspragung, • Glucocorticoide: hohe Spiegel bewirken Entmineralisierung, • Zytokine (lnterleukine):stimulieren Knochenabbau. Das Skelettsystem ist einer Rei he von pathophysiologischen Veranderungen unterworfen.Am bedeutendsten sind: • Osteoporose, besonders in der Postmenopause bei Frauen, • entziindliche Knochenerkrankungen wie Rheuma mit erhtihten Zytokin-Spiegeln.

26.8 1 Biochemie der Haut 26.8.1 Aufbau und Funktionen der Haut Die Haut ist das Grenzorgan zur Umwelt. Sie besteht von au~en nach innen aus drei Schichten: • Die Epidermis ist ein vielschichtiges Plattenepithel und ist Trager der Hornschicht, der au~ersten, nicht mehr vitalen Hautschicht. Sie enthalt drei Hauptzelltypen, die Keratinocyten, die Melanocyten und die immunkompetenten Langerhans-Zellen. • Durch eine Basalmembran von der Epidermis getrennt, ist die Dermis das bindegewebige Geriist der Haut und gleichzeitig der vaskularisierte Versorgungsteil. • Die Subkutis ist ein Fettgewebspolster, das auf den Faszien der darunter liegenden Muskulatur aufliegt. Die Haut erfiillt folgende Funktionen: • Barrierefunktion gegen die Umwelt, einschlieBlich Mikroorganismen, • Schutz vor Wasserverlust, .,. mechanischer Schutz gegen Traumen, • Schutz vor physikalischen Einwirkungen, wie UVLicht, Hitze oder Kalte, • immunologische Abwehr, • Sinnesfunktionen wie Tast- und Schmerzreize. Zur Erfiillung spezifischer Aufgaben weist die Haut regionale Unterschiede auf, die sich in der Beschaffenheit und Dimensionierung der einzelnen Schichten und der makromolekularen Zusammensetzung manifestieren.

26.8.21 Die Epidermis Die Epidermis besteht aus Schichten von Keratinocyten unterschiedlichen Reifungszustandes ( Abb.26.20). Diese entstehen aus Stammzellen und machen eine Reihe von Differenzierungsschritten durch bis sie abgeschilfert werden (Desquamation). In der normalen Haut besteht ein Gleichgewicht zwischen Proliferation und Desquamation, was zu einer vollstandigen Erneuerung in etwa 28 Tagen fiihrt. In der Epidermis s tellen Keratine die Hauptbestandteile terminal differenzierter Strukturen dar, die schiitzende Funktion aufweisen (Stratum corneum, Haare, Nagel). Sie gehi:iren zu einer Gro~familie mit etwa 40 Proteinen (Kl, K2, K3 etc.), die sich zu Zytoskelett-Filamenten mit einem Durchmesser von 10 nm zusammenlagern, die als Intermediiirfilamente (IF) (S. 203) bezeichnet werden (Abb.26.21). Alle Keratine besitzen eine zentrale a -helikale Domane mit 310 bis 350 Aminosauren, die von einer nichthelikalen Kopf- und Schwanzregion flankiert wird. Letztere unterscheidet sich erheblich durch Lange und Zusammensetzung. Die a -helikale Domane zeichnet sich 26.8 Biochemie der Haut

779

26 A multilamellare Lipidstrukturen

lnvolukrin KPP Lorikrin

c

j

Zellhullproteine B

Filament-Matrix Komplex

Stratum corneum

l

Obergangszelle

FilaggrinGranula K2e,K9 lamellare Granula K1,K10

KS,K14

Stratum basale

Zellkern

Abb. 26.20. Verteilung der Keratine in der Haut: KS und K14 im Stratum basale, K1 und K10 im Stratum spinosum,K2 e und K9 im Stratum granulare. Diese Keratine bilden die lntermediarfilamente, die den Zellkern umschlieBen und mit den Desmosomen der Zellmembran verbinden. lm Zuge der Differenzierung treten die Keratin-lntermediarfilamente mit Filaggrin, einem Matrixprotein zu einer hochorganisierten Struktur zusammen. Die ZellhUIIe ersetzt die Plasmamembran terminal differenzierter Keratinozyten.Sie besteht aus covalent verknUpften Proteinen,an die Lipide gebunden sind und dem lntermediarfilament-Matrix Komplex. Die Lipide stammen a usden lamellaren Granula, aus denen sie beim Obergang zum Stratum corneum abgegeben werden. (Aus Loftier u. Petrides 1998)

durch eine Heptapeptid- Wiederholung aus, in der jede erste und vierte Aminosiiure hydrophob ist, und durch eine periodische Verteilung sich abwechselnder positiver und negativer Ladungen. Die HeptapeptidWiederholung wird durch kurze Verbindungssequenzen unterbrochen. Aufgrund der Anordnung der hydrophoben Reste bilden Keratine spontan Dimere, 780

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

indem sich zwei a-Helices zu einer Coiled-coil-a-Helix in Parallelanordnung umeinander winden. Diese assoziieren ihrerseits zu einem Tetramer in antiparalleler Anordnung (Protofilament). Je zwei Protofilamente bilden eine Protofibrille, die Grundstruktur der 10 nm Fibrille (Abb.26.21). Die beiden Keratinsubtypen (I und II) unterscheiden sich durch GroBe (40-57,5 kDa bzw. 53-67 kDa) und Ladung (sauer bzw. basisch-neutral). Dies ist insofern von Bedeutung, als Keratine immer Heterodimere aus Typ Iund II-Ketten darstellen. Die Zusammensetzung der keratinhaltigen Intermediiirfilamente ist Gewebsepithel-spezifisch und vom Differenzierungszustand der Zelle abhiingig. So erfolgt bei Keratinozyten im Rahmen der Differenzierung eine Umschaltung von Keratin 14 (Typ I)/Keratin 5 (Typ II) auf Keratin 10 (Typ I)/Keratin 1 (Typ II). Die Intermediiirfilamente lagern sich in Keratinozyten zu einem Netzwerk zusammen. Normalerweise nimmt diese architektonische Struktur ihren Ausgang an einem den Zellkern umschlieBenden Ring, zieht durch das Zytoplasma und endet an Verbindungskomplexen an der Membran, den Desmosomen und Hemidesmosomen (S. 185). Diese Komplexe sind fur die Aufrechterhaltung der Integritiit der Epidermis entscheidend. Bei der normalen Differenzierung werden die Keratin-Intermediiirfilamente durch Wechselwirkung mit Filaggrin, einem Matrixprotein, in eine hochorganisierte Struktur iiberfiihrt. Bei der Differenzierung werden auBerdem unter dem Eintluss einer Transglutaminase K (TGK) Glutaminyl- und Lysylreste von Proteinen kovalent verkniipft, wodurch die Plasmamembran zunehmend durch eine Zellhiille ersetzt wird. Diese Zellhiille enthiilt auBerdem Lipide auf ihrer AuBentliiche und den sog. Filament-Matrix-Komplex an ihrer Innentliiche. Die TGK verkniipft ein membrangebundenes Protein mit Involukrin, einem Zytoplasmaprotein. Dieses Geriist wird durch Verkniipfung anderer Proteine wie Cornifinen, den kleinen prolinreichen Proteinen (KPP) oder Lorikrin weiter verstiirkt, bis die gesamte innere Obertliiche der Zellmembran bedeckt ist. Die durch Filaggrin aggregierten Keratinfilamente treten dann mit der verstiirkten Proteinhiille in Verbindung.

26.8.3 1 Die dermo-epidermale

Junktionszone

Die dermo-epidermale Junktionszone ist eine spezialisierte Basalmembranzone, die fiir den Zusammenhalt der Epidermis mit der Dermis und dadurch fiir die Unversehrtheit der Haut sorgt. Sie filtriert Molekiile anhand ihrer GroBe und Ladung, ermoglicht jedoch unter gewissen Umstiinden die Passage bestimmter Zellen, z. B. der Langerhans-Zellen oder Lymphocyten. Ferner beeintlusst sie die Proliferation, Differenzierung und Migration der basalen Keratinocyten in der Epidermis

26 L2

L1

+NH3

2A

18

28

=:::J coo-

Typ IIKeratin (z.B. K1 , K5)

Ll-2

+ =:::J coo-

+NH3

l

Typ 1Keratin (z.B. K9, K10, K14)

J Heterodimer

10nm

lntermediarfilament

Protofilament (2-3 nm)

und spielt damit eine wichtige Rolle z. B. in der Wundheilung. Die supramolekularen Teilstrukturen der dermoepidermalen Junktionszone sind im Elektronenmikroskop darstellbar (-®Abb. 26.22 a). Diese enthalten die in -® Abb. 26.22 b schematisch dargestellten Makromolektile des dermo-epidermalen Verankerungskomplexes, der fiir den festen Zusammenhalt der Hautschichten essentiell ist.

26.8.41 Die Dermis Die Dermis ist ein fibroelastisches Gewebe von hoher Reififestigkeit und Elastizitiit und gleichzeitig Trager der versorgenden Gefiifie und Nerven. Sie enthalt mehrere Typen von diskreten fibrosen Netzwerken. Zwischen den Maschen dieser Fasernetze liegen die Zellen der Dermis, darunter die Fibroblasten, Mastzellen, Makrophagen, und gelegentlich Lymphozyten. Zu den molekularen Komponenten der extrazellularen Matrix in der Dermis zahlen viele Kollagene, Proteoglykane und Glycoproteine, die aile zu unloslichen, supramolekularen Aggregat-Netzwerken polymerisieren. Das prominenteste Fibrillennetzwerk besteht aus losen, vernetzten Faserbi.indeln aus Kollagen- und Proteoglykan-haltigen Fibrillen (D-Periodizitat: 64 nm). Augerdem finden sich elastische Fasern, die mit per-

Abb. 26.21 . Aufbau derTypl-und 11Keratine (lA, 78,78,28 helicale Abschnitte;L 7, L7-2,L2 nicht helicale Abschnitte) paralle Anordnung zum Heterodimer,anti-parallele Anordnung zum Protofilament. Supramolekulare Assoziation zur Protofibrille und zum lntermediarfilament (ZF). (Aus Loftier u. Petrides 1998)

lenkettenartigen Mikrofibrillen vergesellschaftet sind (S. 758, 762). Andere Netzwerke werden z. B. durch Fibronektin gebildet. Schliemich kommen auch Filamente mit einer Periodizitat von 100 nm vor, deren Hauptkomponente das Kollagen Typ VI ist. Die Information fiir den Aufbau einer gegebenen Aggregatstruktur ist in der Zusammensetzung der makromolekularen Bestandteile, sowie in deren Primarstruktur enthalten und die Polymerisierung der Fibrillen-Netzwerke ist auf molekularer Ebene hierarchisch und streng reguliert. Die Dermis enthalt mindestens 12 verschiedene Kollagentypen (-® Tabelle 26.1). Typische dermale Fibrillen sind immer Mischfibrillen, die mehrere Kollagentypen sowie nichtkollagene Komponenten enthalten. Die charakteristischen, im Elektronenmikroskop sichtbaren quergestreiften Fibrillen in der Dermis enthalten als Hauptkomponente das ubiquitare Kollagen Typ I, gemischt mit etwa 10-lSo/o Typ III. Ferner finden sich geringe Mengen der Kollagene Typ V, Typ XII und Typ XIV, die jedoch fi.ir die Fibrillenorganisation essentiell sind. Der Kollagen Typ 111-Gehalt nimmt mit dem Alter ab. Die Kollagen Typen IV, VII, VIII, XVII und XVIII kommen in den verschiedenen epithelialen und vaskularen Basalmembranzonen in der Haut vor und sind dort Bestandteile von diskreten Suprastrukturen. Die Elastizitat der Haut beruht aufder Struktur der elastischen Fasern, die in verschiedenen Dermis26.8 Biochemie der Haut

781

26

Basaler Keratinozyt

EBS

Verankerungsfilamente

¢

EBJ

¢

EBD

lamina Iucida Kollagen XVII lamina densa Kollagen VII

b Abb. 26.22. aElektronenmikroskopische Aufnahme der dermo-epidermalen Junktion. Der basale Keratinozyt (K) sitzt auf einer zweischichtigen Basalmembran bestehend aus einer elektronenoptisch he/len Zone, Lamina Iucida (LL), und aus einer elektronenoptisch dunk/en Zone, Lamina densa (LO). Die intrazellularen, dunkel gefarbten feinen lntermediarfilamente docken an den knopffi.irmigen Hemidesmosomen (HD) ein. Die feinen Verankerungsfilamente zwischen d en Hmidesmosomen e und der Lamina densa sind kaum sichtbar. Dagegen sind die quergestreiften Verankerungsfibrillen (AF anchoring fibrils) unterhalb der Lamina densa prominent. b Schematische Darstellung der molekularen Komponenten der dermo-epidermalen Junktion. Die Hemidesmosomen an der Plasmamembran der basalen Zelle sind Proteinaggregate, die eine Verbindung zwischen den Keratinfilamenten und der Basalmembran sichern. Auf der intrazellularen Seite vermitteln BP230 und Plectin als Linker-Proteine die Bindung zwischen den Keratinfilamenten und dem Hemidesmosom, wahrend auf der extrazellularen Seite die Laminin 5- und Kollagen Typ

782

26 Binde- und Stiitzgewebe

XVII-haltigen Verankerungsfilamente die Lamina Iucida durchspannen. Dabei funktionieren die Transmembranproteine lntegrin a6f34 und Kollagen Typ XVII aucn als Zelladhasionsrezeptoren. Die Lamina densa, eine ultrastrukturell amorphe Schicht, ist durch Kollagen Typ Vll-haltige Verankerungsfibrillen mit dem unterliegenden Bindegewebe verankert. Ein Verankerungskomplex mit Hemidesmosomen, Verankerungsfilamenten und Verankerungsfibrillen ist charakteristisch fiir die Haut und kommt in anderen Basalmembranen nicht vor. Mutationen in den erwahnten Proteinen flihren zum verminderten Zusammenhalt der Hautschichten und zur Blasenbildung als Symptom (Epidermolysis-bullosa-Gruppe). Rechts ist die Blasenbildungsebene bei den verschiedenen Epidermolysis-bullosa-Formen markiert (Pfeile). Die Blasenbildungsebene ist von der Lokalisation des betroffenen Proteins abhangig. Die entsprechenden Gendefekte sind in Tabelle 26.7 aufgelistet. EBS Epidermolysis bullosa simplex; EBJ Epidermolysis bullosa junctionalis; EBD Epidermolysis bullosa dystrophica

26 Schichten in unterschiedlicher Zusammensetzung vorkommen. Die Fasern sind unterschiedlich dick und sind zum Teil verzweigt. Ultrastrukturell sind zwei Komponenten erkennbar, eine amorphe Masse, die die dehnbare Komponente darstellt, und 10-12 om dicke Mikrofibrillen, die die elastischen Fasern mit dem angrenzenden Gewebe verbinden. Das amorphe Material besteht vorwiegend aus Elastin, einem stark quervernetzten Protein, das /)-Faltblatt-Elemente enthalt. Die mikrofibrilHire Komponente der Fasern sorgt fur deren Festigkeit und Begrenzung der Dehnbarkeit. Deren Hauptbestandteil ist Fibrillin-1, ein Makromolekul, das sich mit anderen Proteinen wie Fibrillin-2 zu Mikrofibrillen polymerisiert. Zwischen den Fibrillennetzwerken eingelagert ist eine amorphe extrafibrilliire Matrix. Deren Hauptkomponenten sind neben Wasser Proteoglykane (z. B. Versican, Decorin), Hyaluronan und Glycoproteine. Die extrafibrillare Matrix hat in der Haut nicht our eine wichtige Full- und Stutzfunktion, sondern ist auch biologisch aktiv. Viele Glycoproteine und Proteoglykane sind wesentlich fur den korrekten Aufbau der Gewebearchitektur und liefern spezifische Informationen an die Zellen. Heparansulfatseitenketten der Proteoglykane und kleine Proteoglykane, z. B. Decorin und Biglykan, funktionieren auch als Speicher oder Modulatoren von Wachstumsfaktoren der FGF- und TGF/)-Familien. Die dermalen Glycoproteine besitzen adhlisive Eigenschaften und sind an der Regulation der Fibrillenbildung und bestimmter zellularer Funktionen beteiligt. Ein wichtiges multifunktionelles Glycoprotein ist Fibronektin (S. 766). Das im Plasma in einer li:islichen,

globularen Form vorkommende Protein faltet sich in der extrazellularen Matrix vieler Gewebe, u. a. in der Dermis, auf und polymerisiert zu Fibrillen, welche die Adhasion, die Migration und die Differenzierung von vielen verschiedenen Zellen regulieren.

26.s.sl Pathobiochemie der Haut Vielfaltige genetische Defekte mit Hautmanifestationen sind bekannt, betroffen konnen alle Hautschichten sein. Verhornungsstorungen sind die Konsequenz von Mutationen in den Genen fur epidermale Strukturproteine. Zum Beispiel fiihren Mutationen in den Genen fur Keratin 1, Keratin 10 oder Transglutaminase-1 (Tabelle 26.6) zu erblichen Ichthyosen (Fischschuppenkrankheit). Die durch die Transglutaminase vernetzten Keratinfilament-Aggregate des Stratum Corneum werden unter diesen Umstanden nicht mehr normal gebildet und mit der Zellhulle verknupft, was zu der charakteristischen, grob lamellaren Schuppenbildung fuhrt.

Verhornungsstorungen~

Bindegewebskrankheiten~ Mutationen in den Genen fiir die Hautkollagene, fur das Elastin sowie fiir die Fibrilline fiihren zu einem breiten Spektrum von erblichen Hautkrankheiten oder Syndromen mit Hautbeteiligung ( Tabelle 26.6). Die durch Kollagenmutationen herbeigefuhrten molekularen Defekte haben eine abnormale Struktur oder Stabilitat der kollagenhaltigen Fasern und damit eine stark erhohte Dehnbarkeit oder verminderte Reiftfestigkeit der Der-

Tabelle 26.6. Erbliche Hautkrankheiten oder -symptome durch mutierte Strukturproteine.fB Epidermolysis bullosa Protein

Gen

Krankheit

HautsymptoJIM!

Keratin l

KRTl

Ichthyo e (epidermolytische Hyperkeratose)

Starke Schuppung und Rotung der Haut

Keratin 10

KRTIO

lchthyose (epidermolytische Hyperkeratose)

Starke Schuppung und Rotung der Haut

KoUagen Typ I

COLlA!

EhJers-DanJos-Syndrom Typ I Ehlers-Danlos-Syndrom Typ VII A & VII B

Schwere Form; diinne, dehnbare Haut diinne, dehnbare Haut

KoUagen Typ Ill

COL3Al

Ehlers-Danlos-Syndrom Typ IV

Fragilitat, Hlimatombildung

Kollagen Typ V

COLSAI COLSA2

Ehlers-Danlos-Syndrom Typ I Ehlers-Danlos-Syndrom Typ I

Schwere Form; diinne, dehnbare Haut Schwere Form; diinne, dehnbare Haut

Kollagen Typ VI

COL6Al

Ullrich-Syndrom

Muskeldystrophie und teigige Haut

KoUagen Typ VI

COL7Al

EB dystrophica

Blasenbildung

KoUagen Typ XVII

COLI7Al

EB junctional is

Blasenbildung

Laminin 5

LAMA3 LAMB3 LAMC2

EB junctional is

Blasenbildung

Fibrillin I

FBNI

Marfan-Syndrom

Dunne, Ieicht dehnbare Haut

Elastin

EL

Cuti laxa

Schlaffe ,zu groBe" Haut

26.8 Biochemie der Haut

783

26

Abb. 26.23 a-c. Klinische Symptome von genetischen Hautkrankheiten. Mutationen in den Genen fUr Strukturproteine der Haut ktinnen vielfaltige Symptome verursachen.Typische Beispiele sind in a-c dargestellt. a DUnne und stark dehnbare Haut beim Ehlers-Danlos-Syndrom (Kollagen-Typ-

!-Mutation). bSchlaffe.,zu groBe" Haut bei Cutis laxa (Elastin Mutation). c Blasenbildung an der Hand nach minimaler mechanischer Belastung (Kollagen Typ XVII Mutation)

mis zur Folge. Diese Situation findet sich z. B. bei verschiedenen Formen des Ehlers-Danlos-Syndroms ( Abb. 26.23 a). In ahnlicher Weise sind Mutationen im Fibrillin-1-Gen die Ursache fur das Marfan-Syndrom und im Fibrillin-2-Gen ftir die kongenitale kontrakturale Arachnodaktylie. Elastin-Mutationen konnen autosomal dominante Formen von Cutis laxa verursachen ( Abb. 26.23 b).

wird. Ursachen sind Mutation en in den Genen fur Proteine des Verankerungskomplexes und dadurch Verminderung des dermo-epidermalen Zusammenhalts. Es werden drei EB-Hauptgruppen unterschieden: EB simplex, EB junctionalis und EB dystrophica. Im Fall der EB simplex (EBS) erfolgt die Blasenbildung innerhalb des Stratum basale. Abnormale Intermediarfilamente sind die Folge von Mutationen in den Genen ftir die Keratine 5 und 14 oder Plectin. Diese Makromolekule sind ftir den Aufbau und die Verankerung des Intermediarfilament-Netzwerkes der Zelle essentiell. Bei der EB junctionalis (EB]) tritt die Spaltbildung entlang der Lamina lucida aufgrund von abnormalen Verankerungsfilamenten auf. Hier sind Mutationen in den Genen fur Laminin 5, a6{34-Integrin und Kollagen Typ XVII ursachlich beteiligt (Abb.26.23c). Die Mutationen ftihren zu abnormalen Proteinstrukturen und zu ultrastrukturell rudimentaren Hemidesmosomen, die nicht funktionell

Blasenbildende Hautkrankheiten ... Ein illustratives Beispiel ftir die unterschiedlichen Ursachen von Hautkrankheiten stellen die Defekte der dermo-epidermalen Junktionszone dar ( Abb. 26.23 c). Daran lassen sich die genetischen und erworbenen molekularen Abnormitaten einander gegenuberstellen, bzw. miteinander korrelieren. Die Epidermolysis bullosa (EB) gehort zu einer Gruppe von erblichen Krankheiten, bei denen durch minimale Verletzungen Blasenbildung hervorrufen

Tabelle 26.7. Molekulare Grundlagen der Epidermolysis bullosa (EB) EB-Subtyp

Gen

Protein

Abnonnlle Strvktur

EBsimplex

KRTS

Keratin 5

KeratinfLlamente

Keratin 14

Keratinftlamente

EBsimplex

KRT14

EB simplex-MD•

PLECI

Plectin

Hemidesmosom

EB junctionalis

LAMA3

Laminin 5 (a3-Kette)

Verankerunsftlarnente

EB junctionalis

LAMB3

Larninin 5 ({33-Kette)

Verankerunsfilamente

EB junctionalis

LAMG2

Laminin 5 (y2-Kette)

Verankerunsfilamente

EB junctionalis

COLI7Al

KoUagen Typ XVII

Verankeru nsfLlamente

EB junctionalis

ITGA6

a6,84-Integrin

Hemidesmosom

EB junctionalis

ITGB4

a6,84-Integrin

Hemidesmosom

EB dystrophica

COL7Al

KoUagen Typ Vll

Verankerungsfibrillen

' MD mit Muskeldystrophie. Plectin kommt in der Haut und im Muskel vor.

784

I

26 Binde- und Stiitzgewebe

26 KERNAUSSAGEN Die Haut ist das Grenzorgan zur Umwelt. Sie besteht aus drei Schichten: .,.. Epidermis, .,.. Dermisund .,.. Subkutis. Dermis und Epidermis sind durch die dermo-epidermale Junktionszone verbunden.

Abb. 26.24. lmmunfluoreszenz-Farbung der Haut beim bullosen Pemphigoid. Die Epidermis ist durch eine Blase von der Dermis getrennt (Stern). Autoantikorper gegen Kollagen Typ XVII (griine Fluoreszenzfarbung,Pfei/e) sind am Blasendach sichtbar.EEpidermis; DDermis

sind. Bei der Epidermolysis bullosa dystrophica (EBD) findet die Spaltung unterhalb der Lamina densa auf der Ebene der Verankerungsfibrillen statt. Bei der EBD sind die Verankerungsfibrillen entweder abnormal oder in ihrer Anzahl vermindert. Fiir alle molekular identifizierten EBD-Varianten sind Mutationen im Gen fiir Kollagen Typ VII verantwortlich. Bis heute sind zahlreiche Mutationen in den Genen fur die erwahnten Proteine bekannt ( ~Tabelle 26.7). Null-Mutationen, die zum vollstandigen Fehlen eines dieser Proteine fiihren, sind in der Regel mit schweren Krankheitsbildern assoziiert. Andere Mutationen, z. B. Aminosauresubstitutionen oder kleine Deletionen oder lnsertionen, verursachen meistens mildere Symptome ( ~ Abb.26.2 3c). Autoimmunkrankheiten ... Erworbene blasenbildende Hautkrankheiten konnen durch Autoantikorper verursacht werden, die gegen Strukturproteine der dermo-epidermalen Junktionszone gerichtet sind. Man vermutet, dass die Bindung der Autoantikorper zu einer Funktionsverminderung der Proteine und damit zum geschwachten dermo-epidermalen Zusammenhalt fiihren. Zum Beispiel kommen beim bullosen Pemphigoid sowohl zirkulierende als auch gewebestandige Autoantikorper gegen Kollagen Typ XVII oder Laminin 5 vor, oder bei der Epidermolysis bullosa acquisita Autoantikorper gegen Kollagen Typ VII. Die Autoantikorper konnen durch Immunfluoreszenzfarbung in der Haut nachgewiesen werden (~ Abb. 26.24).

Hauptbestandteil der terminal differenzierten Strukturen (Corneum, Haare, Nagel) sind die Keratin e. eine GroBfamilie von etwa 40 verschiedenen Proteinen. Die Keratine bilden 10 nm-dicke Keratin-lntermediarfilamente: Die Assemblierung erfolgt iiber Dimere mit einer coiled-coil a helikalen Struktur, die iiber Proteofilamente und Proteofibrillen zu den reifen 10 nm-Fibrillen polymerisieren. Das Stratum corneum bildet eine hochorganisierte Struktur aus Keratin-Fibrillen,zusammen mit Filaggrin und weiteren Proteinen und Lipiden. Durch Transglutaminase Kwird das Netzwerk zur Stabilisierung extensiv quervernetzt. Der Zusammenhalt zwischen Dermis und Epidermis wird durch eine spezialisierte Basalmembran-Region, die dermo-epidermale Junktionszone, vermittelt: Hemidesmosomen an der basalen Seite der Keratinocyten stehen uber das lntegrin a6{34, laminin-5 und das Transmembran-Kollagen XIII mit Ankerfibrillen aus Kollagen VII und dem interstitiellen Bindegewebe in Verbindung. Die Dermis ist ein fibroelastisches Gewebe mit mehreren Typen von fibrosen Netzwerken aus mindestens 12 verschiedenen Kollagentypen, Proteoglykanen und Fibronektin. Die Elastizitat der Haut wird durch elastische Fasern aus Elastin und Fibrillin gewahrleistet. Die fibrillaren Strukturen sind in eine amorphe Matrix aus Hyaluronaure und Proteoglykanen wie Versican eingebettet. Aile Hautschichten konnen von vielfaltigen genetischen Defekten betroffen sein. Die bekanntesten sind: .,.. Verhornungsstorungen (lchthyosen), .,.. Mutationen in Bindegewebsproteinen, die zu einer erhohten Dehnbarkeit/verminderten ReiBfestigkeit fuhren (z. B.beim Marfan-Syndrom), .,.. Blasen-bildende Krankheiten aufgrund von Defekten in der dermo-epidermalen Junktionszone (verschiedene Formen der Epidermolysis bullosa). Eine der bekanntesten Autoimmunerkrankung ist das bullose Pemphigoid, bei der das Kollagen Typ XVII von einer Mutation betroffen ist.

26.8 Biochemie der Haut

785

26

SCHLOSSELBEGRIFFE Aggrecan Amino-Propeptidase bulloses Pemphigoid Carboxy-Propeptidase Cbfal Chondrodysplasie Corezeptoren fiir Wachstumsfaktoren Decorin dermo-epidermale Junktion Ehlers-Danlos-Syndrom elastische Faser Elastin Epidermolysis bullosa fibrillare Kollagene Fibrillin

Fibronektin Filtrationsbarriere Fokai-Kontakte GAG-Seitenketten Gelatinasen Hydroxyprolin lchthyosen lntegrine Keratine Knochenhomoostase: Steroidhormone Knochenhomoostase: lnterleukine Knochenresorption (Mechanismus) Kollagenasen Kollagen-Biosynthese Laminin

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26 Binde- und Stiitzgewebe

Marfan-Syndrom nichtfibrillare Kollagene Osteoclasten-Differenzierung Osteoblast Osteogenesis imperfecta Osteoporose Prokollagen quergestreifte Fibrillen Quervernetzung RANK RANKL Transglutaminase K Tripelhelix Zelladhasion Zeii-Matrix-lnteraktion

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literatur

I

787

Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen G.LOFFLER

27.1

27.1.1 27.1.2

27.1.3 27.2

27.2.2 27.2.3 27.2.4 27.3

27.4 27.5

27.5.2 27.5.3 25.6

27.7

ExtrazelluUire Signalmolekiile Extrazellulare SignalmolekOie und die Kommunikation zwischen Zellen Glandulare Hormone, Gewebshorrnone und Zytokine Einteilung extrazellularer SignalmolekOie nach ihren jeweiligen Funktionen Stoffwechsel und Analyse von Horrnonen und ZJ!okinen Biosynthese und Sekretion Transport im Blut Abbau und Ausscheidung Methoden zur Konzentrationsbestimmung Rezeptoren fOr Hormone undZ okine Liganden-aktivierte Transkriptionsfaktoren als Rezeptoren Liganden-regulierte lonenkanale als Rezeptoren Integrate Membranproteine als Rezeptoren Prinzip der Signaltransduktion von Membranrezeptoren Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren Die Bedeutung heterotrimerer G-Proteine fOr die Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren Rezeptoren, die an das Adenylatcyclasesystem gekoppelt sind Rezeptoren, die an die Phospholipase C/3 gekoppelt sind Signaltransduktion von Tyrosinkinase-Rezeptoren und Rezeptoren mit assoziierten Proteinkinasen Membrangebundene Guanylatcydasen

790

790 791 791 792

792 793 793 793 795

795 796 797 799 800

800 801 803

806 808

27

___,.

_________U_n_g_ Die zellularen Funktionen in vielzellig organisierten hoheren Organismen miissen besonders streng reguliert und aufeinander abgestimmt werden, wenn die Funktionsfahigkeit des Organismus bei unterschiedlichen Umweltbedingungen erhalten werden soli. Eine entscheidende Rolle hierbei spielen extrazellulare Signalmolekiile. Diese konnen zum einen der Umgebung des Organismus entstammen oder Nahrungsbestandteile sein. Von wesentlich groBerer Bedeutung sind jedoch die endogen synthetisierten und sezernierten extrazellularen Signalmolekiile, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen, die Zytokine und die Hormone. Allen chemischen Signalmolekiilen ist gemeinsam, dass sie von den sie synthetisierenden Zellen auf definierte Reize hin freigesetzt werden und jeweils typische Anderungen vieler biochemischer Parameter in ihren Zielzellen auslosen. Storungen der Funktion der Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen fiihren, soweit es Hormone betrifft, zu klinisch gut definierten Krankheitsbildern. ln verstarktem Malle werden unterschiedliche Erkrankungen auch als Konsequenzen einer gestorten Regulation durch Zytokine oder Gewebshormone verstanden, so dass speziell diesen beiden Gruppen von Signalmolekiilen eine zunehmende klinische Bedeutung zukommt. •

27.1 Extrazellulare Signalmolekule 27 .1.1 Extrazellulare Signalmolekiile und die Kommunikation zwischen Zellen

Extrazellulare Signalmolekl.ile erreichen ihre Zielzellen auf unterschiedlichen Wegen. Die Entwicklung vielzelliger, arbeitsteilig organisierter Lebewesen aus dem Zusammenschluss von Einzelzellen ist ein gewaltiger Fortschritt in der Evolution gewesen. Eine seiner wesentlichen Voraussetzungen ist die Entwicklung der Signalubermittlung von Zelle zu Zelle bzw. von Organ zu Organ. In Abb.27.1 sind die verschiedenen hierfiir realisierten Mechanismen zusammengestellt. Die Signale werden auf humoralem Weg in Form chemischer Verbindungen als Signalvermittler i.ibertragen: Erfolgt die Signali.ibermittlung durch Diffusion von der sezernierenden direkt auf eine benachbarte Zelle, so spricht man von parakriner Regulation. Einen Sonderfall stellt die juxtakrine Regulation dar, bei der das Signalmoleki.il in der Plasmamembran der produzierenden Zelle verankert ist und fi.ir die Wechselwirkung mit dem entsprechenden Rezeptor auf der Zielzelle ein direkter Zeli-Zellkontakt notig ist. Wird dagegen das Signalmoleki.il von einer spezifischen, sezernierenden Zelle einer endokrinen Dri.ise in die Blutbahn abgegeben, urn seine Funktion an einer we iter entfernten Zelle auszui.iben, so handelt es sich urn endokrine Regulation durch ein glandulares Horman. Von parakriner und endokriner Regulation abzugrenzen ist schlieBlich die autokrine Regulation, die in einer intern en bzw. externen Form vorkommt. Sieberuht darauf, dass von einer sezernierenden Zelle gebildete Signalmoleki.ile auf diese Zelle selbst ri.ickwirken. Die autokrine Sekretion von Wachstumsfaktoren spielt bei manchen Tumoren eine wichtige Rolle. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass bestimmte 790

I

Mammacarcinomzellen in groBer Menge den insulinahnlichen Wachstumsfaktor I (IGF-1, S. 905) abgeben, der auf die Tumorzellen als Proliferationsfaktor wirkt.

Extrazellulare Signale miissen in intrazellulare Antworten umgewandelt werden. Zytokine und Hormone sind immer extrazelluHire Signalmoleki.ile. Damit sie die gewi.inschte intrazelluHire Antwort auslosen konnen, mi.issen sie mit einem zellularen Rezeptor in Wechselwirkung treten. Derartige Rezeptoren sind immer Proteine, die als integrale Membranproteine, als cytoplasmatische Proteine oder als Kernproteine vorliegen konnen. Meist lOst der durch die Aktion von Signalmoleki.il mit Rezeptor entstandene Signalmoleki.il-Rezeptor-Komplex die Bildung eines intrazellularen Signalmoleki.ils aus. Der Mechanismus, mit dem dies geschieht, wird auch als Signaltransduktion bezeichnet. Oft erfolgt die Signaltransduktion in einem mehrstufigen Prozess, was auch als Signalkaskade bezeichnet wird. Von groBer Bedeutung ist auch die Beendigung der zellularen Antwort auf ein Signalmoleki.il. Meist wer-

G\) ® ~ •

a



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• tf



.•

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.00 ,{) • Hormon bzw. Signalstoff

4

Rezeptor

Abb. 27.1 a-e. Mtiglichkeiten der interzellularen SignaiObermittlung. a Parakrine Regulation; b juxtakrine Regulation; c interne autokrine Regulation; d externe autokrine Regulation; e endokrine Regulation

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 den dabei die intrazellular entstandenen Signalstoffe inaktiviert. Dieser Vorgang wird auch als Signalloschung bezeichnet.

27.1.21 Glandulare Hormone, Gewebshormone und Zytokine Endogen synthetisierte extrazellulare Signalmolekiile konnenin .,. glandulare Hormone, .,. aglandulare Hormone oder Gewebshormone und .,. Zytokine eingeteilt werden. Glandulare Hormone .. Glandulare Hormone werden in endokrinen Drusen gebildet, von diesen sezerniert und auf dem Blutweg zu den jeweiligen Zielzellen transportiert, an den en sie spezifische Wirkungen entfalten. Endokrine Drusen sind: .,. die Hypophyse (Vorder- und Hinterlappen), ... die Langerhans'schen Inseln des Pankreas, ... die Schilddriise, ... die Nebenschilddriisen (Epithelkorperchen), .,. die Nebennieren (Nebennierenmark und -rinde), ... die mannlichen und weiblichen Keimdriisen, .,. die Placenta. Gewebshormone... Im Gegensatz zu den glandularen Hormonen werden die Gewebshormone oder aglanduliiren Hormone von besonderen, in den verschiedensten Geweben verstreuten, endokrin aktiven Zellen synthetisiert (Tabelle 27.1). Einige Gewebshormone erreichen ihre Zielzelle, ahnlich wie die glandularen Hormone, tiber den Blutweg (z. B. gastrointestinale Hormone). Die Zielzellen anderer Gewebshormone befinden sich dagegen in unmittelbarer Nachbar-

Tabelle 27.1. Wichtige Gewebshormone (Auswahl)

Gruppe

Vertreter

Besprodlen

aufSeite Amine

Serotonin Histamin

1071 503

Kinine

Bradykinin Kallidin

1107 1107

Eikosanoide

Prostaglandine Leukotriene

Gastrointestinale Hormone

Gastrin Sekretin Cholecystokinin} Pankreozymin Gastroinhibitorisches Peptid Motilin Neurotensin Enteroglucagon Somata tatin

451 453 1086 1089 1088 843 1086 1086 1086 904

schaft zu den hormonproduzierenden Zellen oder sind mit diesen identisch (parakrine bzw. autokrine Sekretion). Zytokine ... Die als Zytokine bezeichneten regulatorischen Peptidfaktoren konnen von den unterschiedlichsten Zellen gebildet und sezerniert werden. Sie regulieren meist als parakrine Faktoren Proliferation bzw. Differenzierung und Funktion ihrer Zielzellen, konnen jedoch auch im Blut nachgewiesen werden. Wegen ihrer Beteiligung an immunologischen Prozessen und v. a. an Entziindungsvorgangen werden sie auch als Mediatoren bezeichnet. Wegen ihrer besonderen Bedeutung sind sie in einem eigenen Kapitel beschrieben (Kap. 28,S. 813) . Im Einzelfall kann die Zuordnung eines extrazellularen Signalmolekiils zu einer der genannten Gruppen schwierig sein. Besonders die Unterscheidung zwischen Zytokinen und Gewebshormonen erscheint gelegentlich problematisch.

27.1.31 Einteilung extrazellularer Signalmoleki.ile nach ihren jeweiligen Funktionen Eine Einteilung der groBen Zahl von extrazellularen Signalmolekiilen, die den Stoffwechsel vielzelliger Organismen beeinflussen, kann natiirlich nach den verschiedensten Gesichtspunkten, wie z. B. Gemeinsamkeiten des Wirkungsmechanismus oder topographischen Beziehungen der einzelnen endokrinen Drusen, erfolgen. Die groBte Hilfe fUr das Verstandnis der komplexen Beziehungen der einzelnen Signalmolekiile untereinander sowie der Regulation des Stoffwechsels der verschiedenen Organe bietet eine Einteilung nach funktionellen Aspekten ( Abb. 27.2) . .,. In der ersten Gruppe befinden sich die Zytokine, die Differenzierung oder Wachstum der unterschiedlichsten Zellen beeinflussen (S. 813 ff.). .,. Die zweite Gruppe bilden eine Reihe glanduHirer Hormone, die ebenfalls Wachstum und Differenzierung steuern. Neben dem Wachstumshormon gehoren hierzu die Hormone der Schilddruse, die mannlichen und weiblichen Sexualhormone sowie die in der Nebennierenrinde gebildeten Glucocorticoide. Auffallend ist,dass die AktivWit dieser endokrinen Drusen durch hypophysare und hypothalamische Hormone reguliert wird. .,. In der dritten Gruppe befinden sich die Hormone, deren Wirkungseintritt sehr rasch, d. h. innerhalb weniger Minuten erfolgt und die aus diesem Grund fUr die schnelle Umstellungen des Stoffwechsels zu sorgen haben. Zu ihnen gehoren v. a. das Insulin, sowie seine Gegenspieler Glucagon und die Katecholamine. .,. In einem vierten Funktionskreis finden sich diejenigen Hormone, die Verdauung und Resorption von 27.1 Extrazellulare Signalmolekiile

791

27 II

Zytokine

(z.B. POGF, EGF,

FGF,IGF-1 u.a.)

Wachstumshonnon Schilddrusenhonnone Sexualhormone Glucocorticoide

IV gastrointestinale Hormone (Secretin, Gastrin u.a.)

Ill

Insulin Adrenalin Glucagon

v Parathonnon D-Honnone Thyreocalcitonin

VI Vasopressin Mineralocorticoide natriu retisches Atriumpeptid

KERNAUSSAGEN Ein wichtiger Teil der Koordination verschiedener Gewebe und Organe im vielzelligen Organism us erfolgt tiber die Regulation von Stoffwechselprozessen mit Hilfe endogener Signalmolekille. Diese konnen dabei als endokrine Faktoren von den Drusen, in denen sie produziert werden, i.iber den Blutweg an ihre Zielzellen gelangen,als parakrine Faktoren auf benachbarte Zellen einwirken oder aber als autokrine Faktoren auf dieZellen zuruckwirken, von denen sie produziert werden. Neben den in den klassischen endokrinen DrUsen gebildeten Hormonen komrrien im Organismus eine groBe Zahl von Gewebshormonen vor, welche durch endokrin aktive, in den Geweben verstreute, einzelne Zellen gebildet werden.Zu diesen Gewebshormonen gehtiren von ihrem Mechanism us her auch die zahlreichen Wachstumsfaktoren oder Zytokine.

Abb. 27.2. Einteilung der Hormone und Zytokine nach funktionellen Zusammenhangen. (Einzelheiten s.Text)

Nahrungsstoffen i.iberwachen und wahrscheinlich auch in die fi.ir Hunger- bzw. Sattegefi.ihl verantwortlichen hypothalamischen Zentren eingreifen. .,. Der fi.infte endokrine Funktionskreis umfasst Hormone, die in den Stoffwechsel von Calcium und Phosphat eingreifen. Es handelt sich urn das Parathormon der Nebenschilddri.ise, das Thyreocalcitonin der C-Zellen der Schilddri.ise sowie die biologisch aktiven Formen des Vitamin D (D-Hormone) . .,. In der sechsten Gruppe finden sich die Hormone, die in den Stoffwechsel von Wasser und Elektrolyten eingrcifen. Hierzu gehoren das Vasopressin a us dem Hypophysenhinterlappen, das Angiotensin, die Mineralocorticoide der Nebennierenrinde und das natriuretische Atriumpeptid. .,. Die noch verbleibenden Gewebshormone konnen nur schwer unter einem einheitlichen System zusammengefasst werden. Viele von ihnen beeinflussen die Aktivitat der glatten Muskulatur und sind auf diese Weise fi.ir das Kreislaufsystem verantwortlich, beteiligen sich dari.iber hinaus aber auch an Entziindungsvorgangen. Andere sind wichtige Wachstums- und Differenzierungsfaktoren und spielen z. B. eine wichtige Rolle bei der Wundheilung. Selbstverstandlich bestehen enge Beziehungen zwischen den einzelnen Funktionskreisen. So konnen beispielsweise die insulinantagonistischen Hormone Glucagon bzw. Adrenalin nur dann an Hepatocyten wirken, wenn Glucocorticoide in ausreichenden Mengen vorhanden sind.

792

I

27.2 1 Stoffwechsel und Analyse von Hormonen und Zytokinen

27.2.1 Biosynthese und Sekretion Zytokine sind immer Peptide und werden, meist als entsprechende Prakursoren, durch Proteinbiosynthese gebildet. Hormone gehoren dagegen chemisch zu den unterschiedlichsten Verbindungen. Sie konnen Derivate von Aminosauren, Abkommlinge des Cholesterins oder mehrfach ungesattigter Fettsauren oder aber Peptide und Proteine sein. Dementsprechend unterschiedlich sind natiirlich auch die Mechanismen ihrer Biosynthese. Besonders die Peptid- und Proteohormone (z. B. Insulin, Glucagon, Parathormon, ACTH) werden wie andere sekretorische Proteine in Form hohermolekularer Vorstufen synthetisiert und z. T. so gespeichert. Gelegentlich tragen derartige Prakursoren sogar mehrere unterschiedliche Hormone, die durch entsprechende proteolytische Spaltung freigesetzt werden (z. B. Proopiomelanocortin, S. 1073, Glicentin, S. 850). Eine grofie Zahl von Hormonen wird intrazellular gespeichert. Bei vielen Peptid- und Proteohormonen, aber auch bei Aminosaurederivaten wie den Katecholaminen erfolgt diese Speicherung in Form intrazelluliirer Sekretvesikel. Einen besonderen Fall stellen die Schilddriisenhormone dar, die als Kolloid extrazellular in groBen Mengen in der Schilddriise gespeichert werden. Andere Hormone, z. B. Steroidhormone oder das PTH werden nur in geringem Umfang gespeichert. Es ist klar, dass besonders in diesem Fall eine sehr genaue Regulation der Biosynthese erfolgen muss, da Biosynthese und Sekretion miteinander gekoppelt sind. Die Sekretion von in Vesikeln gespeicherten Signalmolekiilen erfolgt entsprechend den zellbiologischen Vorgangen beim regulierten vesikuliiren Transport

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 (S.188 ff.). Ein wichtiger Ausltiser ist meist die Erhtihung der cytosolischen Calciumkonzentration. Bei einer Reihe von endokrinen Zellen ist experimentell nachgewiesen worden, dass ein intaktes mikrotubuliires System fiir den Transport der sekretorischen Vesikel vom Golgi-Apparat zur Plasmamembran notwendig ist. Dieser Transport ist ATP-abhangig und man nimmt an,dass Kinesin (S. 200) den fiir den Transport notwendigen Motor darstellt.

21.2.2J Transport im Blut Die glandularen Hormone gelangen tiber den Blutkreislauf an ihren Wirkungsort. I. allg. sind die Serumkonzentrationen von Hormonen auBerst gering. Fiir Peptid- und Proteohormone liegen sie bei etwa w-12 w-10 mol!l, fiir Schilddriisen und Steroidhormone zwischen 10- 9 und w-6 mol/1. Die vom Cholesterin abgeleiteten Steroidhormone sowie die Hormone der Schilddriise sind besonders hydrophob. Aus diesem Grund ki:innen sie nur in Bindung an spezifische Transportproteine im Serum transportiert werden. Da die Assoziation eines Hormons an sein Transportprotein nach dem Massenwirkungsgesetz erfolgt, liegt immer nur eine meist sehr kleine Fraktion des betreffenden Hormons in freier und damit biologisch aktiver Form vor. Es ist daher klar, dass nicht nur die Konzentration des Hormons, sondern auch die seines Bindungsproteins von Bedeutung fiir die biologische Aktivitat ist.

27.2.31 Abbau und Ausscheidung Besonders unter pathologischen Bedingungen kann die Geschwindigkeit des Abbaus und der Ausscheidung von Hormonen fiir ihre Serumkonzentration und damit fiir ihre biologische Aktivitat wichtig werden. Zytokine, Peptid- und Proteohormone werden durch Proteolyse abgebaut, die hierfiir wichtigen Organe sind v. a. die Leber, dan eben aber auch die Nieren. Fiir den Abbau und die Ausscheidung von Steroidbzw. Schilddriisenhormonen oder Katecholaminen sind wesentlich spezifischere Mechanismen notwendig. Das wichtigste Organ hierfiir ist die Leber. Die Metabolisierungsreaktionen fiir die genannten Hormone finden nach den Mechanismen der Phase I und II des Biotransformationssystems (S. 1109) statt. Bei Funktionssttirungen des Leberzellparenchyms sind naturgemaB auch diese Reaktionen betroffen, so dass es dann zu entsprechenden Sttirungen im Stoffwechsel der genannten Hormone kommt.

27.2.41 Methoden

zur Konzentrationsbestimmung

Biologische Nachweisverfahren beruhen auf der Quantifizierung zellularer Effekte von Signalmolekiilen. Grundlage der biologischen Nachweisverfahren fiir Hormone und Zytokine ist deren biologische Aktivitat am intakten Tier, in isolierten Gewebspraparationen oder an isolierten Zellen. Dieser Nachweis ist der fiir die biologische Funktion wichtigste Test, da in ihm inaktive Vorstufen oder Abbauprodukte des Hormons oder Zytokins nicht wirksam sind. V. a. zur Aufdeckung neuer hormonell aktiver Verbindungen sind biologische Nachweisverfahren unerlasslich, da bis zur endgiiltigen Strukturaufklarung des Signalmolekiils andere Methoden (s. u.) nicht anwendbar sind. Ein Nachteil biologischer Testverfahren liegt in der Komplexitat und Sttiranfalligkeit des Bestimmungsansatzes. Es ist auBerordentlich schwierig, die fiir derartige Teste bentitigten Gewebe oder Zellpraparationen in gut reproduzierbarer Form herzustellen. Dariiber hinaus werden gelegentlich auch von anderen Signalmolekiilen ahnliche zellulare Antworten ausgeltist, so dass haufig auch die Spezifitat derartiger Teste nicht sehr groB ist.

Chemische Nachweisverfahren setzen das Vorhandensein spezifischer reaktiver Gruppen voraus. Zur chemischen Bestimmung der Hormone bedient man sich der klassischen Methoden der Extraktion mit verschiedenen Ltisungsmitteln, der lsolierung durch Elektrophorese oder Chromatographie und schlieBlich kolorimetrischer oder fluorimetrischer Methoden. Der Aufwand dieser Verfahren ist meist groB und ihre Spezifitat gering, da i. d. R. nur Gruppenreaktionen mtiglich sind. Gut brauchbar sind chemische Methoden fiir die Bestimmung der Katecholamine und der Steroide, haufig in Kombination mit hochaufltisenden chromatographischen Verfahren (s. Hochdruckfliissigkeitschromatographie (S. 62)). Bei Proteohormonen sind chemische Verfahren nicht anwendbar.

Fiir aile Hormone und Zytokine stehen spezifische und sensitive immunologische Nachweisverfahren zur Verfiigung. Die Entdeckung des Prinzips der immunologischen Konzentrationsbestimmungen durch Solomon Berson und Rosalyn Yalow Anfang der 60 er Jahre hat die Endokrinologie in ihrer heutigen Form erst mtiglich gemacht, da nur diese Verfahren die notwendige Spezifitat und Empfindlichkeit fiir die Konzentrationsbestimmung von Hormonen und Zytokinen in Ktirperfliissigkeiten liefern. Die Methode beruht auf der Reaktion mit spezifischen Antiktirpern, die inzwischen ge27.2 Stoffwechsel und Analyse von Hormonen und Zytokinen

793

27 gen jedes bekannte Horman oder Zytokin in ausreichender Spezifitat und Menge gewonnen werden konnen. Der Vorteil der immunologischen Konzentrationsbestimmungen liegt in der Einfachheit ihrer Durchfiihrung und in der hohen Empfindlichkeit des Nachweises. Ihr Nachteil ist, dass auch Vorstufen oder Abbauprodukte vom Antikorper gebunden werden, wenn sie nur das fur die Antikorperbindung notwendige Epitop enthalten. Daher ist es manchmal zur Losung bestimmter Fragestellungen notwendig, neben der immunologischen Bestimmung auch die biologische Aktivitat eines Hormons oder Zytokins zu messen. Die altere Variante der immunologischen Nachweisverfahren sind die kompetitiven Verfahren, empfindlicher sind i. allg. die immunometrischen Bestimmungen. Kompetitive Verfahren ... Die kompetitiven immunolo-

gischen Verfahren beruhen auf der kompetitiven Konkurrenz einer konstanten Menge markierten Hormons oder Zytokins (im Folgenden als markierter Ligand bezeichnet) mit unterschiedlichen Mengen nicht markierten Hormons oder Zytokins (im Folgenden als nicht markierter Ligand bezeichnet) aus der Probe urn eine limitierte Zahl von Bindungsstellen auf einer konstanten Menge eines spezifischen Antikorpers. Wie aus Abb. 27.3 zu entnehmen ist, bestimmt also die Menge an nicht markiertem Liganden den Anteil des markierten Liganden, der sich an den Antikorper koppelt. Die Markierung kann durch Einfiihrung eines radioaktiven Atoms (radioimmunologische Bestimmung, RIA) oder durch kovalente Kopplung an ein geeignetes Enzym, z. B. Peroxidase ( enzymimmunologische Bestimmung, EIA) erfolgen.

Die Konzentrationsbestimmungen dieser Art unterscheiden sich hinsichtlich der Trennung des gebundenen vom freien Ligan den. Elektrophoretische Trennungen, Aussalzungen, Fallungen mit einem gegen den Ligand-Antikorper-Komplex gerichteten zweiten Antikorper und Adsorption des freien Liganden an Aktivkohle oder Ionenaustauscher werden verwendet. Die Menge an markiertem - gebundenem oder auch freiem - Liganden kann mit geeigneten Geraten (im Fall des radioimmunologischen Tests durch Radioaktivitatsmessung, im Fall des enzymimmunologischen Tests durch Enzymaktivitatsbestimmung) gemessen und die Ligandenkonzentration in der Probe anhand einer Eichkurve aus bekannten Mengen nicht markierten Liganden bestimmt werden. lmmunometrische Bestimmungen ... Bei den immunometrischen Nachweisverfahren handelt es sich ausschlie:Blich urn Festphasen-Methoden, bei denen ein Trennschritt entfallt. Au:Berdem wird hauptsachlich mit markierten Antikorpern gearbeitet. Wie der Abb.27.4 zu entnehmen ist, werden bei den gangigen immunometrischen Nachweisverfahren (IRMA = immunoradiometrischer Assay, ELISA = immunoenzymatischer Assay) die Antikorper an eine Festphase, i. allg. die Wand des Reagenzrohrchens gebunden. Der im Oberschuss vorliegende Festphasenantikorper reagiert danach mit dem in der Probe vorhandenen Antigen, wobei das Antigen an den Antikorper gebunden wird. Durch einen markierten (radioaktiv oder mit einem Enzym) Antikorper gegen weitere antigene Determinanten auf dem Antigen erfolgt nun das eigentliche Nachweisverfahren. Bestimmungsgro:Be sind je nach Markierungsart die verbleibenden freien markierten

••• ••

•• ··=· . ,. .•

4

It•

······ .•. ...

~

I



Antikorper

e

Ligand

Jl

,



LigandAntikorperKomplex

40%

~

125J-Ligand

...... ~

-

• • • B=

~--~--------------~

Abb. 27.3 a, b. Prinzip der immunologischen Konzentrationsbestimmung durch Kompetition urn Bindungsstellen auf Antiktirpern. a Die Antigen-Antiktirperreaktion erfolgt in Ltisung. Nach Abschluss der Reaktion muss eine Trennung von freiem und an Antiktirper gebundenem markierten Liganden erfolgen. bDer Antiktirper ist an eine inerte Oberflache gebunden, weswegen ein Trennungsschritt entfallt.lm dargestellten Fall ist 794

B=

80%

• •• • • =·=·=·· ~ _I • •.! ••• •••• •• ••• ,v

+



b

125J-ligandAntikorperKomplex

an Oberfl~che gebundene Antikorper

Enzymmarkierter Ligand

die an den Antiktirper gebundene Enzymaktivitat das Messsignal, da ein mit einem Enzym markierter Ligand verwendet wird. Mit dieser Technik ktinnen die Konzentrationen aller Verbindungen ermittelt werden, gegen die Antiktirper erzeugt werden ktinne, darunter auch Hormone und Zytokine

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27

+

• 0 •• • immobilisierter 1. Antikorper

s +

s s

s

-

0

s s s

s



ligand

bzw. die an die Rohrchenwand gebundenen markierten Antikorper. In einer Variante des immunometrischen Testverfahrens kann natiirlich auch der Antikorpergehalt einer Gewebeprobe oder einer Korperfliissigkeit durch Reaktion mit an einer Festphase immobilisiertem Antigen und Nachweis mit einem zweiten Antikorper erfolgen.

KERNAUSSAGEN Die Konzentrationen von Hormonen und Zytokinen in der extrazellularen Fliissigkeit liegen in einem Bereich zwischen 1~- 1 o-1o mol/1. Die Entwicklung immunologischer Bestimmungsverfahren fiir diese Verbindungen stellt einen Meilenstein in der Endokrinologie dar, da nur durch sie derartig geringe Konzentrationen in spezifischer und gut reproduzierbarer Weise ermittelt werden konnen.

27.3 Rezeptoren fi.ir Hormone und Zytokine Unabhangig von Wirkort und Wirkungsspektrum muss man fiir alle Signalmolekiile annehmen, dass sie primiir mit einem Rezeptor reagieren und dass der dabei entstehende Signalmolekiil-Rezeptor-Komplex fiir die Ausbildung der intrazelluliiren Signale verantwortlich ist: Extrazelluliires Signalmolekiil + Rezeptor --7 Signal-Rezeptor-Komplex --7 intrazelluliire Signale Die Richtigkeit dieser Vorstellung wurde durch die Isolierung und Charakterisierung von Rezeptoren belegt. Rezeptoren sind offenbar immer Proteine und die Kinetik der Bindung des Signalmolekiils an seinen Rezeptor verliiuft analog zur Bindung eines Substrats an das aktive Zentrum eines Enzyms (S.ll7).

s

markierter 2 .Antikorper

27.3.1

Abb. 27.4a, b. Prinzip des immunometrischen Nachweisverfahrens. Bei der hier dargestellten Festphasentechnik ist das Antikorpermolekiil an die Oberflache des ReagenzgefaBes gebunden. Er liegt im Oberschuss vor und reagiert mit dem in der Probe vorhandenen Antigen (a). Die Nachweisreaktion besteht darin, an weitere antigene Determinanten einen loslichen, markierten Antikorper zu binden (b)

liganden-aktivierte Transkriptionsfaktoren als Rezeptoren

Steroid- oder Schilddriisenhormone (S. 260, 875), aber auch Retinoat (S. 729) oder die D- Vitamine (S. 732) wirken durch Anderung der Transkription spezifischer Gene. Dies fiihrt zu einer gesteigerten oder gehemmten Biosynthese eines oder mehrerer spezifischer Proteine, meist Enzyme. Der erste Schritt in der Wirkung dieser Signalmolekiile ist die Aufnahme in die Zelle und die dortige Bindung an spezifische Rezeptorproteine, welche cytoplasmatisch oder nuclear lokalisiert sein konnen.

Die Bindung des Signalmoleki.ils an intrazellulare Rezeptoren aktiviert diese zu Transkriptionsfaktoren. Die die Anderung der Transkription spezifischer Gene beeinflussenden intrazelluliiren Rezeptoren gehoren in die Gruppe der regulierbaren Transkriptionsfaktoren (S. 260). Sie werden wegen der Ahnlichkeit ihres Aufbaus auch als Superfamilie der Steroidhormon-Rezeptoren bezeichnet und sind auf S. 260 besprochen. Sie zeigen untereinander eine groBe Ahnlichkeit, was fiir ihre Herkunft von einem gemeinsamen Gen spricht. Neben einer Hormonbindungsdomiine, welche immer C-terminallokalisiert ist, findet sich eine DNABindungsdomiine, welche bestimmte Strukturelemente aufweist. Es ist von besonderem Interesse, dass einige transformierende Onkogene (S.ll62) strukturelle Verwandtschaften mit derartigen DNA-Bindungsproteinen aufweisen. Abb. 27.5 gibt die heutigen Vorstellungen tiber die Aktivierung derartiger intrazelluliirer Hormonrezeptoren durch ihre jeweiligen Liganden wieder. In ihrer inaktiven Form liegen die DNA-Bindungsproteine entweder im Cytosol (z. B. Cortisolrezeptor) oder bereits im Kern (z. B. Trijodtyroninrezeptor) meist in Bindung an andere Proteine vor,die ihre DNA-Bindungsdomiine (s. u.) blockieren. Als solche sind u. a. das Hitzeschockprotein (S. 284) Hsp90 sowie weitere Proteine identifiziert worden. Die Bindung des Hormons an den Rezeptor fiihrt zur Dissoziation der Hitzeschockproteine und anschlieBend zur Bildung von homodimeren Formen 27.3 Rezeptoren tor Hormone und Zytokine

795

27

.,.

Cytosol

I

I

".,.

Abb. 27.5. Aktivierung intrazellularer Rezeptoren durch Liganden.Die Abbildung zeigt den bei Glucocorticoiden aufgedeckten Mechanism us. Glucocorticoide diffundieren durch die Zellmembran und binden an den durch den Glucocorticoidrezeptor, das Hitzeschockprotein HSP 90 und das Protein p59 gebildeten Komplex. Dies fUhrt zur Abdissoziation der gebundenen Proteine sowie zur Dimerisierung des hormonbeladenen Rezeptors. Dieser wird in den Zellkern transportiert und wirkt dort je anch Gen a is Transaktivator oder Repressor

Hsp90 p59

Hsp90

der jeweiligen Hormonrezeptoren (tiber die heterodimeren Hormon-Rezeptor-Komplexe im Fall der Schilddrusenhormone s. S. 875).

ligandenaktivierte intrazellulare Hormonrezeptoren binden an spezifische Enhancersequenzen der DNA. Der homo- bzw. heterodimere Hormon-RezeptorKomplex ist e in Transaktivator fUr spezifische Enhancer-Regionen der entsprechenden regulierten Gene. Diese Enhancer (bzw. Silencer) -Sequenzen haben meist eine palindromische Struktur, was ihre Wechselwirkung mit dem dimeren Rezeptor erleichtert ( Abb. 27.6). Inzwischen gibt es gute Vorstellungen tiber die Raumstruktur der DNA-Bindungsdomane derartiger H ormonrezeptoren. Sie enthalten h aufig Zinkfingermotive (S. 260).

Liganden-aktivierte Ionenkanale kommen auf der Plasmamembran sowie auf intrazellularen Membranen vor ( Tabelle 27.2). Extrazellularen Liganden sind b eispielsweise die Neurotransmitter ~ y-Aminobutyrat, ~ Acetylcholin, ~ Glutamat oder ~ Serotonin.

Halbpalindrom 5'

A G A A I

a 3' 5'

b 3'

I

796

I

I

c

T

x'

x' x' A

X I

X I

I

3'

I

c

I

A

I

I

A G G T T

I

A G T x'

(

I

(

T G T

A G G T

5'

Im Gegensatz zu den intrazellularen Rezeptoren fUr Signalmolekiile, besonders Hormone, sind die Liganden-regulierten I onenkanale ihrer Natur nach immer Membranproteine. Wie fur Ionenkanale ublich (S.l75, 1062), sind sie fUr den nicht-ATP-abhangigen Transport verschiedener I onen tiber die Me m bran verantwortlich. Viele Ionenkanale zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Offnungszustand und damit ihre Transportkapazitat regulierbar sind. Eine der vorhandenen Regulationsmoglichkeiten beruht darauf, dass die Bindung spezifischer Liganden den Offnungszustand des Kanals beeinflusst (Tabelle 27.2).

X

I

I

c c

I

c I

X

X

I

I

I

X I

x'

I

I

I

A

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G T

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I

T

5'

3'

I

A G G A

c c

3'

I

A A G A

T

A T G T

A G T

I

I

c

I

x'

c

G T T

T

A

(

I

T

(

I

27.3.21 Liganden-regulierte lonenkanale als Rezeptoren

I

I

T

Halbpalindrom

intervenierende Sequenz

5'

3'

I

A G G A

5'

Abb. 27.6 a-c. Enhancer-Sequenzen auf der DNA, die dimere, aktivierte Hormon-Rezeptor-Komplexe erkennen. Die beiden Halften d erpalindromischen Sequenzen sind identisch, wenn jeder Strang in Richtung 5'- 3' gelesen wird. Gelegentlich b efinden sichintervenierende Sequenzen zwischen den b ieden Halbpalindromen. Die Unterschiede der Basensequenzen d er ienzelnen Enhancer k onnen sehr geringfUgig sein. So unterscheidet sich der Glucocorticoid- vom bstrogenenhancer nur durch zwei Basenpaare. Der bstrogen- und der T3-Enhancer sind identisch und unterscheiden sich nur durch die intervenierende Basensequenz. aGlucocorticoidenhancer; bbstrogenenhancer; cT3-Enhancer

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 Tabelle 27.2. Liganden-regulierte lonenkanale Rezeptor (Kanal)

Ligand

lonenselfttlvltit

Besprochen auf Selte

Extrazelluliir aktivierte Jonenkaniile

a•,K•,ea•

Nikotinischer Acetylcholinrezeptor

Acetylcholin

GABAA-Rezeptor

GABA

Cl-, HCQ3-

1070

Glycinrezeptor

Glycin

CI-,HCQl-

1071

lnositoltrisphosphat

Ca2•

796

Ryanodinrezeptor

cyclo-ADP-Ribose

Ca2+

1042

Na•-Kanal der Stabchen

cyclo-GMP

a•

728

1069

lntrazelluliir aktivierte Ionenkar~iile

lnsP3-abhangiger Calciumkanal

Intrazellular aktivierte Ionenkanale spielen eine wichtige Rolle bei der Photorezeption sowie der Geruchserkennung, aber auch allgemeiner bei der Regulation der intrazellularen Calciumkonzentration, z. B. durch Inositolphosphate, Calcium oder cyclo-ADP-Ribose (S. 741, 804). Liganden-regulierte lonenkanale vermitteln die schnellsten bekannten zellularen Reaktionen auf Signalstoffe, da die Bindung des Liganden unmittelbar mit der spezifischen Antwort, namlich dem Offnen oder Schliegen eines Ionenkanals verkni.ipft ist. Anders als bei den anderen Rezeptortypen (s. u.) ist die Erzeugung eines intrazelluHiren Boten- oder zweiten Signalstoffes (second mes1!enger) fi.ir die Signaltransduktion nicht notwendig. Die durch extrazellulare Liganden aktivierten Ionenkanale haben eine gemeinsame Grundstruktur. Sie sind jeweils aus fi.inf Proteinuntereinheiten zusammengesetzt. So hat z. B. der nikotinische Acetylcholinrezeptor die Struktur aJ)yb. Jede der Untereinheiten besteht aus einem integralen Membranprotein mit vier Transmembrandomanen. Der N- sowie der C-Terminus liegen extrazellular, auBerdem findet sich eine relativ groge cytoplasmatische Schleife (S.l069). Die durch intrazellulare Liganden regulierten Ionenkanale zeigen einen etwas anderen Autbau und sind im Einzelnen auf S. 804 besprochen.

27.3.311ntegrale Membranproteine als Rezeptoren

Der strukturelle Vergleich der unterschiedlichen Rezeptoren hat ergeben, dass sie in vier Familien mit unterschiedlichem Autbau eingeteilt werden konnen: .,. Heptahelicale Rezeptoren oder Serpentin-Rezeptoren, .. Rezeptor-Tyrosinkinasen, .,. Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen sowie .. membrangebundene Guanylatcyclasen.

Heptahelicale Rezeptoren sind mit sieben Transmembrandomanen in die Plasmamembran integriert. Heptahelicale Rezeptoren, die auch als Serpentinrezeptoren bezeichnet werden, bilden eine sehr groBe Familie von Membranrezeptoren. Ihr Autbau ist in Abb.27.7 dargestellt. Es handelt sich urn Proteine aus 400-500 Aminosauren und Molekularmassen zwischen 60 und 80 kDa. Aufgrund der aus ihrer eDNA vorhergesagten Primarstruktur lassen sie sich in sieben Transmembrandomanen (heptahelical = aus 7 Helices aufgebaut) anordnen, wobei der N -Terminus extra- und der C-Terminus intrazellular liegen. Auffallend ist eine besonders groBe intrazellulare Schleife zwischen der 5. und 6. Transmembrandomane. Teile von ihr sind fi.ir den Signaltransduktionsmechanismus verantwortlich, bei dem immer heterotrimere G-Proteine beteiligt sind (S. 800). Die unterschiedlichsten Signalmoleki.ile benutzen heptahelicale Rezeptoren. Zu ihnen gehoren glandulare Hormone, Gewebshormone, Neurotransmitter, aber auch Geschmacks- und Geruchsstoffe, divalente Kationen und sogar Lichtquanten (S. 801).

Viele Signalmoleki.ile entfalten ihre Wirkung durch Bindung an in der Plasmamembrangelegene Rezeptoren, wobei dieses Ereignis die Bildung intrazelluliirer Reaktionskaskaden veranlagt. Haufig werden hierbei intrazellulare Botenstoffe gebildet, die auch als second messenger und dementsprechend der primare Signalstaff als first messenger bezeichnet werden. I. allg. werden solche Rezeptoren als Membranrezeptoren bezeichnet. 27.3 Rezeptoren fiir Hormone und Zytokine

797

27

extrazellular

intrazellular

! Rezeptor-Tyrosinkinasen werden meist

durch liganden dimerisiert und unterliegen dann einer Autophosphorylierung.

Rezeptor-Tyrosinkinasen sind iiberwiegend monomere integrale Membranproteine mit einer Transmembranhelix. Bindung der jeweiligen Liganden lOst meist eine Dimerisierung und eine Aktivierung einer intrinsischen Tyrosinkinaseaktivitat aus, die zu einer Autophosphorylierung der Rezeptoren an spezifischen Tyrosylresten fiihrt. Die Phosphotyrosylreste sind die Andockungsstellen fiir spezifische intrazellulare Proteine und damit fiir die Signaltransduktion zustandig. Insulin (S. 847) und eine Reihe von Zytokinen (S. 817) sind Liganden von Tyrosinkinaserezeptoren. Einzelheiten zum Aufbau der Tyrosinkinaserezeptoren fin den sich in Kap. 28 und 29.

Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen akktivieren losliche zellulare Tyrosinkinasen. Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen haben prinzipielle Ahnlichkeit mit den Tyrosinkinase-Rezeptoren. Sie werden meist durch Ligandenbindung dimerisiert und aktiviert. Die dadurch ausge!Oste Konformationsanderung ist das Signal zur Assoziation cytoplasmatischer Tyrosinkinasen an den Rezeptor, der anschlieBend an Tyrosylresten phosphoryliert wird. Liganden fiir derartige Rezeptoren sind das Wachstumshormon (S. 869, 904), Prolactin (S. 892), Erythropoietin (S. 928) sowie eine Reihe von Zytokinen. Aus diesem Grund sind diese Rezeptoren genauer in Kap. 28 besprochen.

798

I

-ooc

Abb. 27.7. Aufbau von heptahelicalen Membranrezeptoren. Die tor diese Rezeptoren typische Struktur mit sieben Transmembrandomanen ist am Beispiel des a 1-adrenergen Rezeptors dargestellt. Heptahelicale Rezeptoren bestehen i. all g. aus 400-500 Aminosauren, der N-Terminus liegt extra-, der C-Terminus intrazellular. FOr die Wechselwirkung mit den G-Proteinen sind wahrscheinlich die hervorgehobenen Teile der gronen intrazellularen Schleife verantwortlich.Pfei/e Kohlenhydratseitenketten

Membrangebundene Guanylatcyclasen sind Rezeptoren fur Natriuretische Peptide und Guanyline. Membrangebundene Guanylatcyclasen sind integrale Membranproteine mit einer 3',5'-cyclo-GMP (cGMP) produzierenden Guanylatcyclase in der cytosolischen Domane. Diese wird durch Bindung entsprechender Signalmolekiile aktiviert. Als solche sind die Natriuretischen Peptide (S. 942), die sog. Guanyline (S. 810) sowie das hitzstabile Enterotoxin von Enterobakterien identifiziert worden.

KERNAUSSAGEN Die lnteraktion mit einem spezifischen Rezeptor ist der erste Schritt in derWirkung von Hormonen und Zytokinen. lntrazellular lokalisierte Hormonrezeptoren gehoren i. all g. zur Gruppe der ligandenaktivierten Transkriptionsfaktoren. Diese treten mit Enhancer-Sequenzen der entsprechenden Gene in Wechselwirkung und kontrollieren so die Genexpression. Ein grof!erTeil von Hormonrezeptoren ist in zellularen Membranen, i. allg. in die Plasmamembran, integriert.Nach ihrem Aufbau konnen Hormonrezeptoren ligandenaktivierte lonenkanale, Rezeptoren mit sieben Transmembrandomanen oder Rezeptoren mit Tyrosinkinaseaktivitat sein. Einen Sonderfall stellen die GH/PRL-Zytokinrezeptoren dar, die nach Bindung des Liganden mit einer cytosolischen Tyrosinkinase assoziieren.

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 G-Proteine dienen als molekulare Schalter bei der Signaltransduktion.

27.4 / Prinzip der Signaltransduktion von Membranrezeptoren

Bei allen Membranrezeptoren muss das extrazellulare Signal in ein intrazellulares umgewandelt werden. Nach Bindung ihres jeweiligen Liganden losen Membranrezeptoren die verschiedensten intrazelluHiren Antworten aus. Effekte sind u. a.: ~ die Mobilisierung intrazelluHirer Calciumspeicher, ~ die Aktivierung von Enzymen durch covalente Modifikation und ~ das Eingreifen in die Genexpression. Das generelle Problem bei diesen Vorgangen besteht darin, die extrazellulare Bindung des Liganden an den Hormonrezeptor in ein intrazellulares Signal umzusetzen. Der allgemeine Mechanismus dieses auch als Signaltransduktion bezeichneten Vorganges ist in Abb. 27.8 dargestellt. Er beruht auf folgenden Schritten: ~ Aktivierung des Rezeptors durch Bindung des Liganden, also des Signalstoffes. Die Ligandenbindung fi.ihrt zu einer Konformationsanderung des Rezeptors. ~ Weitergabe der Konformationsanderung an einen Signaltransduktor. ~ Der aktivierte Signaltransduktor ist fi.ir die Erzeugung einer intrazellular ablaufenden Signalkaskade verantwortlich. Nahezu alle Signaltranduktionsvorgange fi.ihren letztlich zur Aktivierung von Proteinkinasen und damit zu geanderten Eigenschaften der phosphorylierten Proteine. Auf dem Weg hierzu werden gelegentlich kleine Moleki.ile wie cAMP (S.145) oder InsP 3 (S. 804) synthetisiert. Sehr haufig spielt bei der Signaltransduktion eine Familie von Guaninnucleotid-bindenden Proteinen, die sog. G-Proteine, eine bedeutsame Rolle.

intrazellul~r

-

H

extrazellul~r

Haufig sind an der Signaltransduktion G-Proteine beteiligt. Sie sind nicht nur fi.ir hormonelle, sondern auch fi.ir nichthormonelle Signaltransduktions-Mechanismen als molekulare Schalter von grofier Bedeutung. Wie aus Abb. 27.9 hervorgeht, kommen G-Proteine in zwei unterschiedlichen Zustanden vor, die sich nur durch das jeweils gebundene Guaninnucleotid unterscheiden. In aktiver Form sind sie mit GTP beladen und imstande, eine Reihe unterschiedlicher Proteine zu aktivieren (s. u.). Fi.ir die trberfi.ihrung der aktiven in die inaktive Form des G-Proteins ist eine GTPase-Aktivitiit notwendig, die meist eine Eigenschaft des G-Proteins selbst ist, haufig aber einen aktivierenden Hilfsfaktor, ein sog. GTPase-aktivierendes Protein (GAP), benotigt. Soll das inaktive, GDPbeladene G-Protein wieder in die aktive Form i.iberfi.ihrt werden, so ist zunachst die Abdissoziation des GDP notwendig. Hierfi.ir werden Proteinfaktoren unterschiedlichster Art benotigt, die allgemein als Guaninnucleotid-releasing-Proteins ( GNRP) bezeichnet werden. Das Guaninnucleotid-freie G-Protein hat eine hohe Affinitat fi.ir GTP und nimmt dies rasch auf, womit es wieder in den aktiven Zustand i.iberfi.ihrt wird. Bis heute sind mehr als 50 unterschiedliche Isoformen von G-Proteinen isoliert und charakterisiert worden. Sie lassen sich in drei Untergruppen einteilen ( Tabelle 27.3): ~ Translationsfaktoren mit ubiquitarem Vorkommen, ~ kleine G-Proteine, die als Schalter bei der Regulation von Wachstum und Differenzierung, beim Vesikeltransport und bei vielen anderen Vorgangen benotigt werden sowie ~ heterotrimere G-Proteine, die v. a. durch heptahelicale Rezeptoren (s. u.) aktiviert werden.

GNRP

GOP

GTP aktiv

inaktiv

I

K* -

Aktivierung von Proteinfunktionen

signal

J intrazellular

Abb.27.8. Prinzip der fOr die hormonelle Signaltransduktion erforderlichen Schritte. Ein Horman (H) mussan einen Rezeptor (R) gebunden werden. Die sich dabei ergebende Konformationsanderung wird Ober einen Signaltransduktor (7) an eine katalytische Einheit (K) weitergeleitet, die fOr die Synthese eines intrazellularen Botenstoffes (5) sorgt. Durch das Horman aktivierte Bestandteile des Signaltransduktionssystems sind mit * hervorgehoben

GAP Abb. 27.9. G-Proteine als molekulare Schalter. (Einzelheiten s.Text) 27.4 Prinzip der Signaltransduktion von Membranrezeptoren

799

27 Tabelle 27 .3. Die GroBfamilie der G-Proteine Familie

llezeichnung

Funktlon

Vorltommen

Tran lationsfaktoren

lf-2 Ef-Th; Ef-1; Ef-2

Initiation Elongation

Ubiquitlir

Heterotrimere G-Proteine

G,

Aktivierung der Adenylatcycla e

Siiuger

Go1r G;

Gs Gq Ras Rab Rho

Regulation von Wachstum und Differenzierung, Vesikeltransport, u. a.

Go G,

Kleine G-Proteine

Olfaktorisches Epithel Siiuger

Hemmungder Adenylatcyclase Aktivierung der PLC Aktivierung der cGMPPhosphodiesterase unbekannt Aktivierung der PLC-~

ARF

s

Sauger,Z Retina

Geschmack kno pen Siiuger Eukaryonte

ARA SAS u.a.

KERNAUSSAGEN Das generelle Problem bei der Wirkung extrazellularer Signalmolektile ist die als Signaltransduktion bezeichnete Obersetzung des extrazellularen in ein intrazellulares Signal. Eine wichtige Rolle bei der hormonellen Signaltransduktion spielen G-Proteine. Sie werden unter dem Einfluss von entsprechenden Signalmolekiilen in die aktive, mit GTP beladene Form gebracht und vermitteln auf diese Weise als molekulare Schalter die intrazellulare Wirkung. Ein generelles Prinzip ist, dass im Verlauf der Signaltransduktion Proteinkinasen aktiviert werden, die durch Phosphorylierung die Eigenschaften intrazellularer Proteine, meist Enzyme, andern.

lost die Abdissoziation des an die a-Untereinheit gebundenen GDP aus. ... Der Komplex aus aktiviertem Rezeptor und dem leeren heterotrimeren G-Protein bindet nun GTP, was zur Abdissoziation des aktivierten Rezeptors sowie Freisetzung der f3y -Untereinheit flihrt. .,. Die a -Untereinheit des G-Proteins ist mit GTP beladen, wird dadurch aktiv und assoziiert mit den ftir die biologische Antwort verantwortlichen Proteinen. Diese werden dadurch aktiviert bzw. gelegentlich inaktiviert und losen haufig Reaktionskaskaden aus. .,. Eine intrinsische GTPase-Aktivitat der a-Untereinheit sorgt ftir die Spaltung des gebundenen GTP zu Aktivierung

I

27 .S Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren

800

a

a

~:~

27 .5.1 Die Bedeutung heterotrimerer G-Proteine fi.ir die Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren In Abb. 27.10 ist das Prinzip der Signaltransduktion der heptahelicalen Rezeptoren dargestellt. Ihnen allen ist gemeinsam, dass als Transduktoren heterotrimere G-Proteine dienen, deren Aktivierungs-/Inaktivierungszyklus sich in folgende Schritte einteilen 11isst: .,. Das inaktive heterotrimere G-Proteine besteht aus den drei Untereinheiten a, f3 und y, wobei die aUntereinheit mit GDP beladen ist. .,. Der durch den entsprechenden Liganden aktivierte heptahelicale Rezeptor dient als GNRP (S. 799) und

i

GTP

GOP

GOP l3r a

GTP ~'Y a

j

l

R GOP

a

~l

~y-rl GOP

R

a

~'YT

l

R

R GTP ~y

a

GTP

Abb.27.10. Die Funktion von heterotrimeren G-Proteinen bei der hormonellen Signaltransduktion. a,f3,y Untereinheiten der G-Proteine; RRezeptor; L Ligand (Hormon). (Weitere Einzelheiten s.Text)

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 Tabelle 27 .4. Rezeptoren und Effektoren fUr heterotrimere G-Proteine

G-Proteine

Rezeptoren fllr

Gekoppelt an

lntrazellulirer Effekt

Gs

Adrenalin, oradrenalin, Histamin, Glucagon, ACTH,LH,

Adenylatcyclase Ca1+-Kanale

cAMPi Ca1+ -influx

Noradrenalin, Prostaglandine, Opiate, Angiotensin

Adenylatcyclase Phospholipase C

cAMP.l..

Phospholipase A2

Arachidonsaure

Geruch toffe

Adeoylatcyclase

cAMPi

Photonen

cGMPPhosphodiesterase

cGMP.J..

Phospholipase C

Inositoltrisphos_phat i Diacylglycerin T Ca2+-Influx

FSH, TSH u. a.

Go~~

Ca2+- Kanale

GDP und zu anorganischem Phosphat. Damit ist die a-Untereinheit inaktiviert und das Signal geloscht. .,. Die GDP-beladene a-Untereinheit assoziiert mit den f3y- Untereinheiten, womit der Ausgangszustand wieder hergestellt ist. Tabelle 27.4 fasst einige Rezeptoren und Liganden fur heterotrimere G-Proteine zusammen.

27 .s.2l

Rezeptoren, die an das Adenylatcyclasesystem gekoppelt sind

Ino itoltrisphos_phat i Diacylglycerin T

In Abb. 27.11 ist die Feinstruktur des in die Plasmamembran integrierten Adenylatcyclasesystems dargestellt. Es besteht aus einer Reihe von gut charakterisierten Proteinen. Zunachst gehoren zum Adenylatcyclasesystem die Rezeptoren fiir stimulierende bzw. hemmende Hormone oder Substanzen (Rs bzw. R1). Die Bindung des entsprechenden Effektors an den Rezeptor wird als Signal auf das entsprechende heterotrimere G-Protein weitergeleitet. Die aktivierten Rezeptoren dienen als GNRP's und lOsen die Freisetzung des gebundenen GDP aus, wodurch es zur Dissoziation der

Das Adenylatcyclasesystem besteht a us Rezeptoren, heterotrimeren G-Proteinen und Adenylatcyclasen. Eine groBe Zahl von Signalstoffen bedient sich des Adenylatcyclasesystems zur Signaltransduktion. Das als extrazelluHirer Botenstoff dienende Hormon wird auch als erster Informationstrager oder 1' 1 messenger bezeichnet. Es bindet an seinen spezifischen heptahelicalen Rezeptor. Dies fiihrt tiber ein heterotrimeres G-Protein zu einer Aktivitatszunahme der auf der Innenseite der Zellmembran lokalisierten katalytischen Einheit, der Adenylatcyclase. Diese katalysiert die Reaktion:

Zellmembran

Gscx

Gicx 1 ' - GoP

GTP

C aktiv

ATP --7 3',5'-cyclo-AMP + Pyrophosphat. Der amerikanische Biochemiker Earl Sutherland entdeckte als erster, dass das Nucleotid 3',5'-cyclo-AMP (cAMP, S.l45) als intrazellularer Vermittler der Wirkung vieler Hormone eine einzigartige Rolle spielt. Aus diesem Grund wird fiir diese Verbindung auch die Bezeichnung 2. Informationstrager (,second messenger") verwendet.

--0-

--0-

GDP . /

GTP

~

ATP

cAMP+PPi

Abb. 27.11. Aufbau des Adenylatcydasesystems. Die katalytische Untereinheit Cdes Adenylatcydasesystems wird durch aktivierende bzw. hemmende G-Proteine reguliert, die ihrerseits durch stimulierende bzw. inhibierende Rezeptoren gesteuert werden. R5 bzw. G5 stimulierender Rezeptor bzw. stimulierendes G-Proteine;R, bzw.G1inhibitorischer Rezeptor bzw. inhibitorisches G-Protein.(Weitere Einzelheiten s.Text) 27.5 Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren

801

27 Untereinheiten kommt. Dadurch wird die fur den stimulierenden Effekt wichtige Untereinheit Gsa freigesetzt. Diese bindet ein GTP und ist in dieser Form zur Aktivierung der Adenylatcyclase imstande, was zu einer vermehrten cAMP-Bildung fiihrt. Mit Hilfe der Klonierungstechniken ist in der letzten Zeit der Nachweis einer ganzen Familie unterschiedlicher Adenylatcyclasen gelungen, die durch die aUntereinheiten stimulierender G-Proteine aktiviert werden konnen. Sie zeichnen sich alle durch einen ahnlichen Autbau aus insgesamt 12 Transmembrandomanen aus, wobei zwischen der 6. und 7. sowie am C-terminalen Ende jeweils eine gro6e cytoplasmatische Schleife nachweisbar ist (Abb.27.12). Man nimmt an, dass diese heiden cytoplasmatischen Extensionen fUr die Wechselwirkung mit dem G-Protein verantwortlich sind. Bis heute sind acht Isoformen der Adenylatcyclase nachgewiesen worden, die eine unterschiedliche Gewebsverteilung aufweisen. So kommen Adenylatcyclasen des Typs I vorwiegend in neuronalem Gewebe vor, Adenylatcyclasen des Typs III finden sich in hoher Aktivitat in olfaktorischem Gewebe, solche des Typs IV, V und VI in Leber, Lunge, Nieren und Herzmuskel. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Subtypen liegen weniger in ihrer Stimulierbarkeit durch G,a -Proteine als vielmehr in ihrer Hemmung durch Gp-Proteine, die sich nur bei den Subtypen II, III und VI mit Sicherheit haben nachweisen lassen. Auffallend ist, dass die nur im Nervengewebe vorkommende Adenylatcyclase des Typs II, sowie in schwacherem Umfang auch die Isoformen I und III auch durch Proteinkinase C-abhangige Phosphorylierung aktiviert werden konnen (S. 808).

Interessanterweise erfolgt die Informationsiibertragung im Fall inhibitorischer Effektoren auf ganz ahnliche Weise. Auch hier lOst die Beladung des inhibitorischen Rezeptors Ri mit seinem Effektor die Dissoziation eines G-Proteins aus drei Untereinheiten aus. Die inhibitorische a -Untereinheit Gia ist nach Bindung von GTP imstande, die aktive Form der katalytischen Untereinheit Cindie inaktive zu iiberfiihren und so die cAMP-Produktion zu hemmen.

coo-

Abb. 27.12. Membrantopologie der Adenylatcyclasen. Die bisher klonierten Adenylatcyclasen sind integrate Membranproteine mit 12 Transmembrandomanen, die eine grorle cytoplasmatische Schleife zwischen der 6. und 7. Domane enthalten. Diese ist fiir die Wechselwirkung mit dem G-Protein verantwortlich 802

I

Die stimulierende ebenso wie die hemmende Untereinheit Gsa und Gia verfiigen tiber eine intrinsische GTPase-Aktivitat. Diese ist fiir die hydrolytische Spaltung des gebundenen GTP zu GDP und anorganischem Phosphat verantwortlich, was zur Loschung des stimulierenden bzw. inhibitorischen Signals und daruber hinaus zur Reassoziation der jeweiligen G-Proteinkomplexe fiihrt. Ein GTPase-aktivierendes Protein ist bierfUr nicht notwendig. Es ist von besonderem medizinischen Interesse, dass die Effekte einiger Bakterientoxine offensichtlich tiber Wechselwirkungen mit den G-Proteinen vermittelt werden. So fiihrt beispielsweise das Choleratoxin zu einer ADP-Ribosylierung (S. 741) der Gsa Untereinheit, womit diese irreversibel aktiviert wird, was das Adenylatcyclasesystem in einen permanent aktiven Zustand uberfiihrt (tiber die Bedeutung dieses Effekts fiir die intestinale Symptomatik bei der Choleras. S.1099). Das Toxin des Keuchhustenerregers Bordetella pertussis ADP-ribosyliert dagegen die GiaUntereinheit, was zu deren permanenter Hemmung fiihrt. In der letzten Zeit mehren sich die Hinweise fiir eine besondere Funktion der f3y-Untereinheiten der G-Proteine. Solange die a-Untereinheit GDP gebunden hat, bilden die /3- und y-Untereinheit mit ihr ein Heterotrimer. Der Austausch von GDP gegen GTP fiihrt zu einer Dissoziation der a-Untereinheit, die /3und y-Untereinheiten bleiben jedoch noch relativ fest aneinander gebunden. In dieser Form sind sie imstande, andere Proteine zu binden. So gibt es Hinweise dafiir, dass sie die Phospholipase C (s. u.) und besondere Rezeptorkinasen binden konnen. Ein Beispiel hierfiir ist die Kinase fUr den P-adrenergen Rezeptor (/3-ARK). Dieses Enzym wird durch Bindung an die f3y-Untereinheit der G-Proteine aktiviert und ist dann imstande, den /3-Rezeptor an einem spezifischen Serylrest zu phosphorylieren, was zu dessen Inaktivierung fiihrt.

cAMP aktiviert die Protein kinase A und lost dam it spezifische Phosphorylierungskaskaden aus. Soweit man bis heute wei6, hat cAMP eine einzige intrazellulare Funktion: es aktiviert eine spezifische Proteinkinase, die auch als Proteinkinase A (PK A) bezeichnet wird. Abb. 27.13 stellt den Autbau der Proteinkinase A dar. Es handelt sich urn ein tetrameres Enzym, welches aus je zwei unterschiedlichen Untereinheiten, der regulatorischen R-Untereinheit sowie der katalytischen C-Untereinheit besteht. In Abwesenheit von cAMP werden durch die R-Untereinheiten die Substratbindungsstellen der C-Untereinheiten blockiert. Die Bindung von jeweils zwei cAMP-Molekiilen an jede R-Untereinheit fiihrt zu einer Konformationsanderung, die eine Abdissoziation der heiden C-Untereinheiten auslost. Dadurch werden die Substratbindungsstellen der PK A freigelegt und sie somit katalytisch aktiv gemacht.

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 27.5.31 Rezeptoren, die an die Phospho-

R

lipase Cp gekoppelt sind

s

R

Abb. 27.13. Aktivierung der Proteinkinase A durch cAMP. Durch Bindung von cAMP an die beiden Bindungsstellen jeder R-Untereinheit erfolgt eine Konformationsanderung, die eine Abdissoziation der C-Untereinheiten ausliist

Die aktivierte PK A phosphoryliert spezifische Serylreste einer Reihe von Proteinen, von denen einige in ~ Tabelle 27.5 zusammengestellt sind. Die Beobachtung, dass erhOhte zellulare cAMPSpiegel nicht nur Stoffwechselenzyme aktivieren bzw. inaktivieren, sondern auch die Transkription spezifischer Gene auslosen, hat zu der Entdeckung gefuhrt, dass derartige cAMP-abhangige Gene in ihrer Promotorregion eine spezifische Sequenz der Struktur 5'-TGACGTCA-3' enthalten, die als cAMP-response-element oder CRE bezeichnet wird. Die Aktivierung von Genen, die CRE als Enhancer-Element enthalten, erfolgt nach Bindung eines spezifischen Transkriptionsfaktors, des CREB (engl. cAMP response-element binding protein). CREB ist ein dimeres Protein, wobei eine typische LeucinZipper-Struktur fiir die Dimerisierung verantwortlich ist. Das dim ere CREB wird durch die zu diesem Zweck in den Kern translozierte PK A phosphoryliert und kann danach mit dem Transkriptionsfaktor TF II D sowie der RNA-Polymerase II assoziieren, die TATA-Box lokalisieren und die Transkription des jeweiligen Gens stimulieren. Beispiele fur CRE-Elemente enthaltende Gene sind diejenigen fiir Somatostatin, Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, Parathormon, den Transkriptionsfaktor c-fos und das vasoaktive intestinale Polypeptid (VIP).

Eine Reihe von Signalmolekiilen losen nach Wechselwirkung mit ihrem in der Plasmamembran lokalisierten heptahelicalen Rezeptor einen Anstieg der intrazelluliiren Ca2+-Konzentration aus, was zu spezifischen Anderungen des Stoffwechsels der Zielzellen fuhrt. Vor etwa 10 Jahren ist das Inositol-(1,4,5)-trisphosphat (InsP 3, IP3) als derjenige intrazelluHire Obertragerstoff identifiziert worden, der fur die Erhohung der Calciumkonzentration verantwortlich ist. lnsP 3 entsteht durch Spaltung eines spezifischen Membranphospholipids, des Phosphatidylinositol-4,5bisphosphats (PIP2 ) ( ~Abb. 27.14). Dieses wird durch zweimalige, ATP-abhangige Phosphorylierung von Phosphatidylinositol (S. 37) gebildet. Fur die Bildung von InsP 3 aus PIP2 wird eine spezifische Phospholipase C, die Phospholipase cp benotigt. Ein weiteres Reaktionsprodukt auBer lnsP 3 ist Diacylglycerin, welches in der Membran zuriickbleibt. ~Abb.27.14 fasst die Vorgange zusammen, die fiir die Erzeugung von InsP 3 aus PIP 2 verantwortlich sind. Heptahelicale Rezeptoren wie die a 1-Rezeptoren (S. 856) von Katecholaminen sowie Rezeptoren fur Acetylcholin, Histamin, Angiotensin, Vasopressin, Pankreozymin, Serotonin, TRH sowie viele Geruchsstoffe fiihren nach Bindung des jeweiligen Hormons (oder Liganden) tiber ein heterotrimeres G-Protein nach Austausch von GDP mit GTP zur Aktivierung der Phospholipase cp, welche in mehreren Isoformen vorkommt. Interessanterweise binden Tyrosinkinaserezeptoren (s. u.) nach Aktivierung die Phospholipase Cy, was ebenfalls zur Spaltung von PIP2 fiihrt (s. u. ).

lnsP 3 vermittelt die calciumabhangige Zellaktivierung An einer R eihe von permeabilisierten Z ellpraparationen konnte der N cahweis gefiihrt werden, dass InsP3 imstande ist, die cytoplasmatische Calciumkonzentration zu erhOhen. Die Calciummobilisierung erfolgt hierbei im wesentlichen aus intrazellularen Calciumspeichern, welche im endoplasmatischen Reticulum lokalisiert sind. Dart finden sich auch die inzwischen charakterisierten InsP3-Rezeptoren, von denen 3Sub-

Tabelle 27.5. Substrate der Proteinkinase A (Auswahl) Auslosendes Hormon

Phosphoryliertes Protein

Organ

Funlrtlon

Besprochen aufSeite

Glukagon

Phosphorylase Glycogensynthase

Leber Leber

Glycogenolyse Glycogensynthese

417 417

Katecholamine

Phosphorylase Glycogensynthase Hormonsensitive Lipase Myosinkinase

Leber, Muskularur Leber, Muskulatur Fettgewebe Glatte Muskulatur

Glycogenolyse Glycogensynthese Lipolyse Relaxation

417 417 456 857

ACTH

Cholesterinester-Hydrolase

Nebennierenrinde

Steroidhormon-Biosynthese

882

27.5 Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren

803

27

TT

TT

ATP ADP

ATP ADP PI

PIP

H20

Y-

lnaktivierung

Calcium· Mobilisierung

P;

lnsP2

Abb. 27.14. Biosynthese und Spaltung von Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PIP 2). Fiir die Synthese von PIP2 aus Phosphatidylinositol sind zwei Kinasen notwendig, die Spaltung von PIP2 erfolgt unter Katalyse einer spezifischen Phospholipase C. Dabei entsteht lnsP3 und Diacylglycerin

typen bekannt sind. Es handelt sich ligandenaktivierte Ionenkanale (S. 796) mit zwei Membrandomanen und einer groBen cytoplasmatischen N-terminalen Schleife. Man nimmt an, dass hier die Bindungsstelle fur InsP3 liegt. Insgesamt bilden vier derartige Rezeptormolektile ein Homotetramer, das einen durch den Liganden InsP3 aktivierten Calciumkanal darstellt. Jede Erhohung der cytosolischen Calciumkonzentration fiihrt zu markanten Anderungen des Zellstoffwechsels. So kommt es u. a. zu einer Stimulierung des Glykogenabbaus in Leber, Muskulatur und Fettgewebe, zu einer Stimulierung sekretorischer Prozesse (Enzymsekretion des Pankreas, S.1089), sowie zur Verstarkung einer Reihe von Effekten, die eigentlich durch cAMP vermittelt sind.

!

804

Die cytosolische Calciumkonzentration wird genau reguliert und ist fi.ir den Aktivitatszustand von Zellen verantwortlich.

systemen sehr genau reguliert ( Abb. 27.15). Im einzelnen handelt es sich urn Mechanismen ftir den aktiven Export von Calciumionen aus dem Cytosol sowie fur den regulierten Einstrom von Calcium in dasselbe. Zu den ersteren gehoren IJoo eine in der Plasmamembran aller Zeilen nachweisbare Ca2+-ATPase (S.178), .,. ein Ca2+JNa+-Antiportsystem, welches den mit Hi1fe Na+JK+ -ATPase erzeugten Natrium-Gradienten tiber der Zellmembran zum sekundar aktiven Ca1ciumexport benutzt, IJoo eine in den Vesikeln des endoplasmatischen Reticu1ums lokalisierte Ca2+-ATPase, die die Sequestrierung von Calcium in diesen Organellen ermoglicht sowie .,. ein nur bei Calciumtiberladung von Zellen benutztes System, das die Akkumulierung von Calcium als Calciurnphosphat in den Mitochondrien ermoglicht (in Abb. 27.15 nicht dargestellt).

Als Zellaktivierung bezeichnet man die Stimulierung einer Zelle zur Austibung ihrer spezifischen Funktionen, z.B. Kontraktion, Biosynthese und Sekretion von Stoffen, transzellularem Transport von Ionen, Bereitstellung von Glucose (Glycogenolyse und/oder Gluconeogenese), Photorezeption usw. Bei vielen dieser Prozesse besitzt Calcium eine Signalfunktion, da es Informationen von der Membran der aktivierten Zelle auf Rezeptormo1ektile innerhalb der Zelle tibertragt. Mit wenigen Ausnahmen geht mit der Zellaktivierung eine Erhohung der cytosolischen Calciumkonzentration von w-7 mol/1 aufWerte von etwa w-smol/1 einher. Deshalb wird diese durch eine Reihe von Transport-

Die genannten Systeme sind daftir verantwortlich, dass im Ruhezustand eine niedrige Calcium-Konzentration aufrecht erhalten werden kann. Ftir die Erhohung der intrazellularen cytoso1ischen Calciumkonzentrationen bei Aktivierung von Zellen stehen Mechanismen zur Verftigung(Abb. 27.15): IJoo Calciumeinstrom aus dem extrazelluHiren Raum durch spannungsregulierte Calciumkaniile. Die Offnung derartiger Kanale, die in einer Reihe unterschiedlicher Isoformen vorkommen, erfolgt nach Depolarisierung von Zellen. Interessanterweise kann die Offnungswahrscheinlichkeit des spannungsregulierten Calciumkanals, z.B. im Herz-

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27

Phosphorylase CaM-Kinase Ill Kinase

multifunktionelle CaM-Kinase II

K

!

Abb.27.1S. Regulation des zellularen Calciumstoffwechsels. Calcium wird durch die Ca2+·ATPase, den Ca 2+fNa+-Antiport und die Calciumsequestrierung im endoplasmatischen Reticulum aus dem Cytosol exportiert. Flir die Erhiihung der cytosolischen Calciumkonzentration verwendete Mechanismen beruhen auf der Aktivitat von spannungs- bzw.ligandenregulierten Calciumkanalen der Plasmamembran sowie dem IPrRe-

zeptor im endoplasmatischen Reticulum. Calcium bindet an Calmodulin und aktiviert so CaM-Kinasen.H Horman; GG-Protein;AC Adenylatcyclase; R7-Transmembrandomanen-Rezeptor; TK Tyrosinkinase-Rezeptor; PLC Phospholipase C; DAG Diacylglycerin; ER endoplasmatisches Reticulum; PKA Proteinkinase A.(Einzelheiten s.Text)

muskel dadurch vergroBert werden, dass das Kanalprotein durch die cAMP-abhangige Proteinkinase A phosphoryliert wird. Dies ist eine der Moglichkeiten, die intrazellulare Calciumkonzentration durch Hormone zu regulieren. .,. Calciumeinstrom aus dem extrazellularen Raum durch Liganden-regulierte Calciumkaniile. Derartige Kanale Offnen sich dann, wenn entsprechende Liganden, meist Hormone, gebunden werden. Hierzu gehoren Vasopressin, Leukotriene oder extrazellulares ATP (Purinrezeptoren). IIJo. Calciumeinstrom aus Calciumspeichern im endoplasmatischen Reticulum. Hierflir kommen die lnsPraktivierten Calciumkaniile des endoplasmatischen Reticulums infrage (S. 804). In vielen Geweben, besonders in der Skelettmuskulatur, finden sich zusatzlich als Liganden aktivierte Calciumkanale des endoplasmatischen Reticulums sog. Ryanodinrezeptoren. Sie werden durch einen Calciumeinstrom durch Spannungs- oder ligandenregulierte Calciumkanale in der Plasmamembran aktiviert (S. 1042). Moglicherweise ist das aus NAD gebildete cyclo-ADP-Ribosemolekiil der natiirliche Ligand dieses Rezeptors (S. 741).

selwirkung enzymatischer Systeme mit intrazellularem Ca2+ kann aufgrund dieser Tatsache nur dann erfolgen, wenn sie iiber hochaffine Bindungsstellen flir Calcium verfligen. Dariiber hinaus mlissen solche Bindungsstellen sehr spezifisch flir Calcium sein, da intrazellular andere zweiwertige Kationen, v. a. Magnesium, in einer Konzentration von etwa 1o-3 mol!l vorkommen. Auf der Suche nach dem Mechanismus von Calciumeffekten wurde gefunden, dass Calcium meist nicht direkt, sondern unter Einschaltung calciumbindender Proteine auf die von ibm beeinflussten enzymatischen Systeme einwirkt. Das Vorkommen calciumbindender Proteine war schon aus Untersuchungen iiber die Muskelkontraktion bekannt. Hier ist das calciumbindende Protein das Troponin (S. 1036). In Nichtmuskelzellen wurde als calciumbindendes Protein das Calmodulin nachgewiesen, ein aus einer einzelnen Peptidkette aus 148 Aminosauren bestehendes Protein, dessen Aminosauresequenz groBe Ahnlichkeit mit der des Troponin Chat (5.1036). Wie Troponin C verfligt auch Calmodulin iiber 4 hochaffine Bindungsstellen flir Calcium. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass das Calcium iiber eine Reihe von Carboxylaten und -C=O-Gruppen der Peptidbindung fixiert wird (S. 78). Etwa 1% des gesamten zellularen Proteins tierischer Zellen besteht aus Calmodulin, welches nicht nur im Cytosol vorkommt, sondern auch an verschiedene zellulare Organellen wie Mitosespindeln, Actinfilamente und Intermediarfilamente assoziiert ist. Nach Bindung von Calcium macht Calmodulin eine umfangreiche Konformationsanderungdurch.

Calcium-bindende Proteine vermitteln die Calciumwirkung auf zellulare Systeme. Die cytosolische Ca2+-Konzentration tierischer Zellen liegt bei etwa 1o-7 mol/1 und steigt auch nach voller hormoneller Aktivierung kaum iiber 10-5mol!l. Jede Wech-

27.5 Signaltransduktion heptahelicaler Rezeptoren

80S

27 Der Calcium/Calmodulinkomplex ist ein Aktivator der sogenannten Calcium/Calmodulin-Kinasen (CaMKinasen). Bei diesen handelt es sich urn eine Familie von Enzymen unterschiedlicher Spezifitlit ( Abb. 27.15). Hohe Substratspezifitlit unter den CaM-Kinasen hat auch als Myosin-leichte-Kettenkinase (MLCK) bezeichnete Isoform, die die leichte Kette des Myosins phosphoryliert und damit den Kontraktionscyclus der glatten Muskulatur beeinflusst (S. 857, 1043). Weitere spezifische CaM-Kinasen sind die CaM-Kinase III, die den Elongationsfaktor 2 bei der Proteinbiosynthese phosphoryliert (S. 279) und die Phosphorylasekinase, deren Bedeutung fUr die Glycogenolyse ausftihrlich besprochen wurde (S.417).Ein besonders umfangreiches Substratspektrum hat die multifunktionelle CaM-Kinase II. Eine Auswahl ihrer Substrate ist in Tabelle 27.6 zusammengestellt. Zu ihnen gehoren Stoffwechselenzyme, aber auch Proteine, deren Funktion im Bereich der Signaltransduktion liegt, oder Strukturproteine. Aus diesen vielfaltigen Wirkungen des Calcium-Calmondulinkomplexes wird die entscheidende Bedeutung von Calcium bei der Zellaktivierung verstlindlich. Bei der oben geschilderten Spaltung von Phosphoinositiden wird nicht nur InsP3 als second messenger zur intrazellulliren Calciummobilisierung erzeugt. Auch das dabei frei werdende Diacylglycerin hat eine wichtige Funktion bei der Signaltransduktion. Es aktiviert zusammen mit Calcium spezifische Proteinkinasen, die Proteinkinasen C, die in einer Reihe von Isoformen vorkommen. Diese Enzyme unterscheiden sich in ihrer Substratspezifitlit wesentlich von der cAMPabhlingigen Proteinkinase A sowie den CaM-Kinasen. Da fUr ihre Aktivierung das Zusammenspiel zweier Rezeptortypen notwendig ist, werden sie weiter unten besprochen (S. 807).

KERNAUSSAGEN Heptahelicale Rezeptoren sind mit 7Transmembrandomanen in der Plasmamembran verankert. Sie konnen durch eine Vielzahl von extrazellularen Signalen aktiviert werden. Dies lost immer die Bela dung von heterotrimeren G-Proteinen mit GTP und dam it deren Aktivierung aus. Die Adenylatcyclase ist ein Membranenzym, das durch G,bzw.G1-Proteine aktiviert bzw. inhibiert wird. Sie ist fur die Erzeugung des intrazellularen Signalmolekiils cyclo-AMP verantwortlich, das die Proteinkinase Aaktiviert und dadurch in den Stoffwechsel vieler Gewebe eingreift. Ein weiteres durch G-Proteine reguliertes Enzym ist die Phospholipase C/3. Sie spaltet das Membranphospholipid PIP;z. wobei Diacylglycerin und lnsP3 gebildet werden.lnsP3 1ost eine Calciumfreisetzung aus dem endoplasmatischen Reticulum aus, die zur Zellaktivierung und zusammen mit Diacylglycerin zur Aktivierung der Proteinkinase Cfiihrt.

806

I

Tabelle 27 .6. Substrate der CaM-Kinase II (Auswahl)

Protein

Funktion

Acetyi-CoA-Carboxylase ATP-Citrat-Lyase

Fett auresynthese

Glycogen-Synthase

Glycogen ynthese

HMG-CoA-Reduktase

Cholesterinsynthese

Phosphofructokinase

Glycolyse

Typ N-Ca-Kanal

Pdisynaptiscber Calciumeinstrom

EGF-Rezeptor

Proliferation

Phospholipase A2

Ara.chidonat-Frei etzung; Pho pbolipidspaltung

lntermediarfilamente

A emblierung de Cyto kelerts

Mikrotubulus-assoziierte Proteine (MAP's) As emblierung von Mikrotubuli

27.6 1 Signaltransduktion

von Tyrosinkinase-Rezeptoren und Rezeptoren mit assoziierten Proteinkinasen

Ausgangspunkt fUr die Signaltransduktion dieser Rezeptortypen ist die durch die Ligandenbindung ausgeli:iste Phosphorylierung spezifischer Tyrosylreste. An diese lagern sich, meist mit Hilfe sog. SHrDomiinen, eine Reihe cytosolischer Effektorproteine an, wodurch letztlich wiederum Phosphorylierungskaskaden ausgeli:ist werden. Wegen der Bedeutung dieser Rezeptoren fur Zytokine und Insulin werden diese Transduktionsmechanismen im Einzelnen in den Kap. 28 und 29 besprochen. Interessanterweise treten Vernetzungen der Signaltransduktion dieser Rezeptoren mit den heptahelicalen Rezeptoren auf, die auch mit dem Schlagwort ,Receptor Crosstalk" bezeichnet werden.

Die Aktivierung von Tyrosinkinase-Rezeptoren kann eine Spaltung von Phosphatidylinositolbisphosphat auslosen. Fur die Spaltung von PIP 2 zu Diacylglycerin und InsP 3 steht nicht nur die durch heptahelicale Rezeptoren aktivierte Phospholipase C/3 zur Verfugung, sondern auch die Phospholipase Cy. Dieses Membranenzym verftigt tiber eine SHr Domline und bindet deshalb an ligandenaktivierte Rezeptoren mit phosphorylierten Tyrosylresten (Rezeptor-Tyrosinkinasen und Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen). Wie in Abb. 27.16 dargestellt, besteht somit eine zweifache Mi:iglichkeit zur Erzeugung von InsP 3 und Diacylglycerin.

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 PDGF, EGF u.a. Rl

-------

Acetylcholin Angiotensin II, Vasopressin, Noradrenalin u.a.

-----------------------~

DAG

~ Abb. 27.16. Hormonelle Aktivierung der fOr die lnsPr Bildung aus PIP 2 verantwortlichen Phospholipase (-Isoenzyme, C/3 und Cy. Rl Tyrosinkinaserezeptoren; TKTyrosinkinasedomane;R2 G-Protein gekoppelte Rezeptoren; GG-Protein; PIP2 Phosphatidylinositol-bisphosphat; PLC Phospholipase C;DAG Diacylglycerin; /nsP3 1nositoltriphosphat; PK CProtein kinase C

Die Kinasen der Proteinkinase C-Familie werden nach Phosphorylierung mit Hilfe von Calcium und Diacylglycerin aktiviert. Unter dem Begriff der Proteinkinase C (PK C) fasst man eine aus mindestens 12 Mitgliedern bestehende Familie von Proteinkinasen zusammen, denen Aktivierung durch Phosphorylierung und Membranlipide sowie Calcium-Abhangigkeit gemeinsam ist. Da man heute weiB, dass diese Proteine eine wichtige Rolle bei der hormonellen Signaltransduktion spielen und in die Regulation von Wachstum, Differenzierung und moglicherweise die Carcinomentstehung eingeschaltet sind, haben sie erhebliches Interesse. - Abb. 27.17 stellt den allgemeinen Bauplan dar, der bei allen bisher untersuchten Mitgliedern der Proteinkinase C-Familie aufgefunden wurde. Die Proteinkinase C-Proteine lassen sich in eine durch eine Art Scharnierregion verbundene N-terminale regulatorische und C-terminale katalytische Einheit teilen. In der ersteren finden sich zwei Domiinen, die die Regulierbarkeit des Enzyms durch Diacylglycerin bzw. Calcium vermitteln. Am weitesten N-terminal liegt eine Pseudosubstratdomiine, die fur die Regulation des Enzyms von groBer Bedeutung ist (s. u.). Die katalytische Domiine enthiilt eine gut konservierte ATP-Bindungsregion sowie eine Substratbindungsstelle, die bei einem Vergleich der verschiedenen Mitglieder der Proteinkinase C-Familie groBe Unterschiede aufweist. Die Aktivierung der verschiedenen Proteinkinase C-Isoformen erfordert ein komplexes Zusam-

a

b

\

Calpain

Abb. 27.17 a, b. Schematische Darstellung des Aufbaus der Protein kinase C. a lnaktives Enzym. Die Pseudosubstratstruktur (PS) der regulatorischen Do mane (b/au) liegt im aktiven Zentrum der katalytischen Domane (rot). b Aktives Enzym.Nach Bindung von Diacylglycerin (DAG) und in Anwesenheit von Calcium kommt es zu einer Konformationsanderung mit Freilegung des aktiven Zentrums und Substratbindung. Durch proteolytische Spaltung mit Calpain wird die regulatorische Domane abgetrennt. (Nach Azzi et al.1992)

menspiel von Membranlipiden und Proteinkinasen (- Abb. 27.18 ), das auf folgenden Vorgangen beruht: ~ In ihrer inaktiven Form liegt die Proteinkinase C (PK C) membrangebunden vor. ~ Eine Voraussetzung fur die Aktivierung ist die Phosphorylierung der PK C durch die Proteinkinase PDK-1 (Phosphoinositid-abhiingige Proteinkinase) ~ Die PDK-1 benotigt fur ihre Aktivitat die Bindung an Phosphatidylinositol-3,4,5-trisphosphat (PIP 3). ~ PIP 3 entsteht durch Katalyse einer PlrKinase. Dieses Enzym verfiigt in seiner regulatorischen Untereinheit tiber eine SH 2-Domiine und wird durch ligandenaktivierte Tyrosinkinaserezeptoren aktiviert. ~ Die phosphorylierte PK C gelangt ins Cytosol. ~ Durch Calcium und Bindung an das Membranlipid Diacylglycerin wird die phosphorylierte PK C aktiviert. Die N-terminale Pseudosubstratsequenz liegt im aktiven Zentrum des Enzyms. Ihre Aktivierung erfolgt in Anwesenheit von Calcium durch Bindung an Diacylglycerin, welches an der Innenseite der Plasmamembran gebunden ist. Dabei macht die Peptidkette eine Konformationsiinderung durch, so dass die Substratbindungsstelle im aktiven Zentrum des Enzyms freigelegt wird. Durch eine als Calpain bezeichnete Calciumabhiingige Protease kann das Enzym an der Verbindungsstelle zwischen regulatorischer und katalytischer Einheit gespalten werden. Dadurch verliert die Proteinkinase C ihre Calciumabhiingigkeit und zeigt nun konstitutiv die volle Aktivitiit.

27.6 Signaltransduktion von Tyrosinkinase-Rezeptoren und Rezeptoren mit assoziierten Proteinkinasen

807

27

Abb.27.18. Mechanismus der Aktivierung von Protein kinase Cdurch Tyrosinkinaserezeptoren.lnaktive, membrangebundene PK Cwird durch die PDKl phosphoryliert und befindet sich anschlieBend im Cytosol. Durch Bindung an Diacylglycerin wird das Enzym an die Membran gebunden und durch Calciumionen aktiviert. DAG und lnsP3 konnen auch iiber hep-

Die Proteinkinase C-lsoformen phosphorylieren bevorzugt Proteine, die in Genexpression, Proliferation und Differenzierung eingeschaltet sind. Die Substrate der Proteinkinase C werden an Serylbzw. Threonylresten phosphoryliert und andern damit ihre biologische Aktivitat. Das alaninreiche Proteinkinase C-Substrat ist ein in vielen Geweben vorkommendes Protein, tiber dessen Funktion man noch nichts weiB. Besser untersucht ist die Phosphorylierung des EGF-Rezeptors und des 1-1\B-Proteins. Der erstere vermindert nach Proteinkinase C-abhangiger Phosphorylierung seine Affinitat fiir EGF (S. 815). Dieses als Transmodulation bezeichnete Phiinomen fiihrt damit zu einem verminderten Ansprechen EGF-abhangiger Zellen und damit zu deren reduzierter Proliferation. Einen Eingriff in die Transkription spezifischer Gene stellt die Phosphorylierung des I- K-E-Proteins dar. Dieses Protein bindet an ein induzierbares und gewebsspezifisches Protein, das als NF-1\B bezeichnet wird und ein Transkriptionsfaktor ist (S. 262). Der inaktive Komplex 1-1\B/NF-K:B wird durch die PK C phosphoryliert. Dies fiihrt zu seiner Dissoziation, wonach sich NF- K"B in den Zellkern verlagert. Dort bindet es an spezifische DNA-Sequenzen in den Promotorregionen von Genen und fiihrt auf diese Weise zur gesteigerten Transkription derselben. Andere Substrate der Proteinkinase C sind ein Na+ fH+ -Austauschprotein in der Zellmembran vieler Zellen sowie andere Proteinkinasen, denen letzten Endes gemeinsam ist, eine Verbindung zu Proliferation und Differenzierung herstellen.

808

I

tahelicale Rezeptoren gebildet werden. (Weitere Einzelheiten s. Text) DAG Diacylglycerin; lnsP3 lnsositoltrisphosphat; P/3-K Phosphatidylinositoltrisphosphat-Kinase; PDKI Phosphoinositidabhangige Proteinkinase-1; PIP2 Phosphatidylinositolbisphosphat; PIP3 Phosphatidylinositoltrisphosphat; PK CProteinkinase C; PLCy Phospholipase Cy

KERNAUSSAGEN Tyrosinkinaserezeptoren bzw. Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen binden nach ligandeninduzierter Phosphorylierung spezifischerTyrosylreste uber SHrDomanen eine Rei he von fUr die Signaltransduktion verantwortlichen Proteinen. Zu diesen gehoren u. a. die Phospholipase Cy , deren Wirkungsspektrum der Phospholipase C/3 entspricht, auBerdem die PlrKinase. Dieses Enzym phosphoryliert PIP2 zu PIP3• An es bindet u. a. die Proteinkinase PDK-1, was zur Aktivierung der Protein kinase Cflihrt.

27.7 Membrangebundene Guanylatcyclasen Membrangebundene Guanylatcyclasen stellen eine Gruppe von Membranproteinen dar, die mit einer Transmembrandomane in die Membran verankert sind. In ihrem cytoplasmatischen Anteil enthalten sie eine Guanylatcyclase, die folgende Reaktion katalysiert: GTP --7 3',5'- cyclo-GMP + Pyrophosphat cGMP ist eine dem cAMP analoge Verbindung. Die Guanylatcyclase unterscheidet sich vom Adenylatcyclasesystem allerdings dadurch, dass es sich urn ein einziges Transmembranprotein handelt, auf dessen extrazellularer Seite die Bindungsstelle fiir den aktivierenden Liganden liegt. Guanylatcyclase ist auf der cytoplasmatischen Seite stark phosphoryliert. Nach Bindung des Liganden kommt es zur Aktivierung des Enzyms, die Signalloschung erfolgt durch Dephosphorylierung, was zu einem Aktivitatsverlust fiihrt, auch wenn der Ligand noch an die Cyclase gebunden ist.

27 Endokrine Funktionen 1: Regulation durch chemische Kommunikation zwischen Zellen

27 Tabelle 27.7. lntrazellulare cGMP-Bindungsproteine

Eine Reihe von Liganden sind imstande, die membrangebundene Guanylatcyclasen zu aktivieren: IJo. Die natriuretischen Peptide Atriales natriuretisches Peptid (ANP), sowie die natriuretischen Peptide B undC. IJo. Die Guanyline, eine aus drei Typen bestehende Klasse von Peptiden, die im Intestinaltrakt, den Nieren sowie im lymphatischen Gewebe gebildet werden.

Binclungsprotein

Vorltommen

Effekt

cGMP-abhii.ngige Proteinkinasen

Glatte Muskulatur Thrombocyten

Relaxation Hemmungder Aggregation

cGMP-abhangige a+-Kanale

Retina (Zapfen und Stabchen)

Photorezeption

Olfaktorisches Epithel

Olfaktorische Rezeption

Das hitzestabile Enterotoxin von Enterobakterien ist ebenfalls ein Aktivator membrangebundener Guanylatcyclasen.

Renales Sammelrohr cGMP-abhangige Viele Zellen Phosphodiesterasen

! AuBer der membrangebundenen Guanylatcyclase

atriurese cGMP-Abbau

findet sich in sehr vielen Zellen eine losliche Guanylatcyclase.

cGMP-abhangige Proteinkinasen~Jo. Diese finden sich in besonders hoher Konzentration in glatten Muskelzellen, Thrombocyten und im Kleinhirn. Die wichtigste Funktion der cGMP-abhangigen Proteinkinase der glatten Muskulatur beruht auf ihrer relaxierenden Wirkung. Dies ist iibrigens auch das therapeutische Prinzip aller NO-freisetzenden Vasodilatoren wie Nitroprussit oder dem zur Behandlung der akuten koronaren Herzkrankheit eingesetzten Nitroglycerin. Ungeachtet der groBen medizinischen Bedeutung der cGMP-abhangigen Proteinkinasen ist ihr genauer Wirkungsmechanismus noch unbekannt. Man nimmt an, dass sie eine in der Plasmamembran lokalisierte Calcium-ATPase phosphorylieren und dadurch stimulieren, so dass die cytosolische Calciumkonzentration in der glatten Muskelzelle absinkt. Auch in Thrombocyten ergibt sich unter dem Einfluss der aktivierten cGMP-abhangigen Proteinkinase eine Verminderung der zellularen Calciumkonzentration, was den aggregationshemmenden Effekt von NO erklart.

Die li:isliche Guanylatcyclase ist ein dimeres Enzym aus zwei identischen Untereinheiten, welches in einem inaktiven und einem aktiven Zustand vorkommt. Das Verhaltnis von inaktiver zu aktiver Form des Enzyms hangt von der Konzentration von Nitroxid (NO) ab. Je hOher die NO-Konzentration, umso hoher die Guanylatcyclaseaktivitat. NO ist ein in der jiingsten Zeit entdecktes intra- und interzellulares Signalmolekiil. Es entsteht enzymatisch unter Katalyse der Nitroxid-Synthase aus Arginin (-®Abb.27.19). Die meisten der bis heute entdeckten sechs unterschiedlichen Isoformen der Nitroxid-Synthase werden durch Erhohung der Ca 2•tcalmodulinKonzentration aktiviert, die NO-Synthasen in Makrophagen und anderen Zellen des Immunsystems dariiber hinaus durch eine Reihe von Zytokinen. AuBer seiner Funktion als Stimulator der loslichen Guanylatcyclase dient NO im Nervensystem als Neurotransmitter (nitrinerge Neuronen) bzw. im Immunsystem als Bestandteil des Verteidigungssystems gegen Bakterien (S.ll53).

cGMP-abhangige lonenkanale~Jo. Sie finden sich in den Photorezeptorzellen, dem olfaktorischen Epithel sowie dem Epithel der renalen Sammelrohre. In den ersteren heiden Systemen spielt der cGMP-abhangige Natriumkana! eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des im unstimulierten Zustand niedrigen Membranpotentials dieser Zelle. Erst durch Aktivierung einer cGMP-spezifischen Phosphodiesterase kommt es zur Hyperpolarisierung dieser Sinneszellen und damit zur Reizweiterleitung (S. 728). In den Sammelrohrepithelien ist der

! cGMP aktiviert cGMP-abhangige Kinasen,

cGMP-regulierte lonenkanale und cGMP-bindende Phosphodiesterasen. Im Gegensatz zu cAMP, welches als einzigen intrazellularen Rezeptor iiber die Proteinkinase A verfiigt, sind eine groBere Zahl von intrazellularen cGMPbindende Proteine beschrieben worden (-®Tabelle 27.7). H2N,

H2N

h NH2

cr

I / NH H2C I H2 CH2 I + / CH, H3N

02 NADPH/W

\. \. • ) )

c,

H20 NADP+

coo-

Arginin

h NHOH

' cr

I / NH H2C I H2c, CH2 I +/CH, cooH3N N·Hydroxyarginin

.

02 'h NADPH/W

\. \. )

)

H20 'I, NADP+

Abb. 27.19. Mechanism us der NitroxidSynthase. Das Substrat des in verschiedenen lsoformen vorkommenden Enzyms ist die Aminosaure Arginin. Diese wird durch zweimalige Hydroxylierung in NO und Citrullin umgewandelt 27.7 Membrangebundene Guanylatcyclasen

809

27 cGMP-abhangige Natriumkanal moglicherweise verantwortlich fiir die Stimulierung der Natriurese durch das natriuretische Atriumpeptid (S. 942). Eine membrangebundene Guanylatcyclase in den Epithelzellen des Gastrointestinaltraktes wird durch eine als Guanyline bezeichnete Gruppe von kleinen Peptiden aktiviert. Dies fiihrt zu einer Stimulierung der Chloridexkretion und zu einer Steigerung der Wasserausscheidung. Das hitzestabile bakterielle Enterotoxin, das fiir viele Durchfallerkrankungen verantwortlich ist, zeigt erhebliche Strukturahnlichkeit mit den Guanylinen.

KERNAUSSAGEN Ein wichtiger intra- bzw. extrazellular wirkender Signalmetabolit ist das NO. Es aktiviert eine losliche Guanylatcyclase. Das dabei entstehende cGMP wirkt relaxierend auf glatte Muskelzellen, ist ein Ligand fiir lonenkanale und aktiviert Phosphodiesterasen. AuBer durch die losliche kann cGMP auch durch eine membrangebundene Guanylatcyclase gebildet werden. Diese ist eine Domane des Rezeptors fUr das natriuretische Peptide und Guanyline.

cGMP-bindende Phosphodiesterasen.. Diese hydrolysieren bevorzugt cAMP, aber auch cGMP und sind in Saugergeweben weit verbreitet. Man nimmt an, dass ihre Hauptfunktion in der Regulation des cGMP-Abbaus in den verschiedensten Geweben zu sehen ist.

SCHLOSSELBEGRIFFE Adenylatcyclase aglandulare Hormone Angiotensin assoziierte Tyrosinkinasen autokrine Regulation Calmodulin CaM-Kinase Catecholamine Choleratoxin CREB D-Hormone Diacylglycerin endokrine Regulation Enzymimmunologischer Test Gewebshormone glandulare Hormone Glucagon Glucocorticoide

G-Proteine GTPase Guanylatcyclase Heptahelicale Rezeptoren heterotrimere G-Proteine Hitzschockprotein immunologische Konzentrationsbestimmungen lnsP1-Rezeptor Insulin juxtakrine Regulation kleine G-Proteine Liganden-aktivierte Transkriptionsfaktoren liganden-regulierte lonenkanale Natriuretisches Atriumpeptid Nitroxid parakrine Regulation

literatur Original- und Ubersichtsarbeiten Azzr A, BoscoBOINIK D, HENSEY C (1992) The protein kinase C familiy. Eur J Biochem 208: 347-357 BELTOWSKI J (2001) Guanylin and related peptides. J Physiol Pharmacol52: 351- 375 BERRIDGE MJ (1993) Inositol trisphosphate and calcium signalling. Nature 361: 315- 325 CHIN D, MEANS AR (2000) Calmodulin: a prototypical calcium sensor. Trends Cell Biol10: 322-328 DEMPSEY EC et al. (2000) Protein kinase C isozymes and the regulation of diverse cell responses. Am J Physiol Lung Cell Mol Physiol279:L429-L438 810

Parathormon Phospholipase C Protein kinase A Protein kinase C Radioimmunologischer Test Rezeptor Schilddriisenhormone Sexual hormone Signalkaskade Signalloschung Signalmolekiil Signaltransduktion Thyreocalcitonin Tyrosinkinaserezeptoren Vasopressin Wachstumshormon Zytokine

FoRTE LR et al. (2000) Guanylin peptides: renal actions mediated by cyclic GMP. Am J Physiol Renal Physiol 278:F180- F191 GRIMM S, BAEUERLE PA (1993) The inducible transcription factor NF-kB: structure-function relationship of its protein subunits. Biochem J 290: 297-308 HANOUNE J et al: (1997) Adenylyl cyclases: structure, regulation and function in an enzyme superfamily. Mol Cell Endocr 128: 179- 194 IYENGAR R. (1993) Molecular and functional diversity of mammalian G5-stimulated adenylyl cyclases. FASEB J 7: 768- 775 KAZIRO Yet al. (1991) Structure and function of signaltransducing GTP-binding proteins. Annu Rev Biochem 60: 349- 400

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literatur

811

Endokrine Funktionen II: Zytokine P. c. HEINRICH

28.1 28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4 28.3 28.3.1 28.3.2 28.3.3

28.4 28.4.1 28.4.2 28.4.3 28.4.4 28.4.5

28.4.6 28.4.7 28.4.8 28.5 28.5.1 28.5.2

I F. SCHAPER I A. TIMMERMANN A. s. MARTENS I u. LEHMANN

Zytokineigenschaften Einteilung der Zytokine Wachstumsfaktoren lnterleukine lnterferone Chemokine Zytokin-Rezeptoren und Signaltransduktionswege Drei Rezeptorspezies Rezeptoraktivierung Rekrutierung zytoplasmatischer Effektorproteine Spezielle Signaltransduktionsmechanismen PDGF-Signaltransduktion TGF-{3-Signaltransduktion lnterleukin-1-Signaltransduktion TNF-Signaltransduktion lnterleukin-6-Typ-ZytokinSignaltransduktion lnterferon-Signaltransduktion lnterleukin-8-Signaltransduktion Notch-Signaltransduktion Regulation der Signaltransduktion Rezeptor-Expression Ruckkopplungsmechanismen

814 814 814 816 816 816 817 817 818 819

820 820 821 823 824 824 827 829 829 831 831 833

28 _ _ _T

In eI u ng zytok"me werden von den me1sten . K""orperze II en nach st1mu . Iat10n . synt het1s1ert . . un

d . s·1e w1r . ken m. sezermert. der Regellokal iiber Oberflachenrezeptoren und aktivieren Signaltransduktionskaskaden, die zu veranderter Genexpression, Stoffwechselaktivitat, Zelldifferenzierung, Proliferation, Migration und Apoptose fiihren kiinnen. Unterschiedliche Zytokine kiinnen die gleiche Signaltransduktionskaskase aktivieren (Redundanz). Andererseits kann ein bestimmtes Zytokin auf verschiedene Zelltypen einwirken und unterschiedliche Antworten hervorrufen (Pieiotropie). Eine Dysregulation der Zytokin-Signaltransduktion kann zu schwerwiegenden entziindlichen Autoimmunerkrankungen und Neoplasien fiihren. Daher ist das Verstandnis der molekularen Mechanismen der Zytokin-Signaltransduktionskaskaden fUr therapeutische Ansatze von groBer Bedeutung.

28.1 I Zytokineigenschaften Die Homoostase eines vielzelligen Organismus wird durch ein komplexes Kommunikationsnetzwerk zwischen den einzelnen Zellsystemen und Organen aufrechterhalten. Die Kommunikation funktioniert tiber eine Vielzahl von Mediatoren. Die klassischen Hormone, wie zum Beispiel Insulin und Glukagon, konnen durch ihre Sezernierung in den Blutstrom auch weiter entfernte Zielgewebe erreichen, wirken also endokrin. Die Zytokine, wie Wachstumsfaktoren, Interleukine, Interferone und Chemokine wirken tiber sehr viel ktirzere Distanzen entweder parakrin oder autokrin.

Ein Zytokin kann sowohl iiberlappende Eigenschaften mit anderen Zytokinen aufweisen als auch sehr spezifische Eigenschaften besitzen. Merkmale, die auf aile Zytokine zutreffen, sind im Folgenden zusammengestellt. Zytokine: .,. sind Polypeptide mit Molekulargewichten von ca. 15-25 kDa, ... werden nach auslosenden Noxen, z. B. Verletzungen, Infektionen oder Stress freigesetzt, .,. werden schnell synthetisiert und sezerniert, ... werden nicht als praformierte Molektile gespeichert, .,. werden von verschiedenen Zelltypen produziert, .,. wirken im pico- bis nanomolaren Bereich, .,. wirken auf unterschiedliche Zelltypen (Pleiotropismus), aber auch autokrin, .,. wirken tiber spezifische Rezeptoren auf der Oberflache von Zielzellen, ... unterschiedlicher Art konnen auf ihren Zielzellen gleiches bewirken (Redundanz), .,. beeinflussen die Synthese anderer Zytokine, .,. beeinflussen die Wirkung anderer Zytokine additiv, synergistisch oder antagonistisch, .,. spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der Genexpression in den Zielzellen, .,. konnen Differenzierung, Proliferation, Migration, oder Apoptose der Zielzellen induzieren.

814

I

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

28.2

Einteilung der Zytokine

Zytokine lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifizieren: Im Hinblick auf ihre Funktionen kann eine Einteilung nach den vermittelten biologischen Antworten erfolgen. Weiterhin sind Einteilungen nach strukturellen Eigenschaften mi:iglich, z. B. nach der dreidimensionalen Struktur der Zytokine oder nach gemeinsam genutzten Rezeptorkomponenten. In Tabelle 28.1 findet sich ein Oberblick tiber die verschiedenen Zytokine, die sich nach ihren biologischen Funktionen in Wachstumsfaktoren, Interleukine, Interferone und Chemokine einteilen lassen. Die gewahlte Darstellung wird auch der Signaltransduktion tiber gemeinsame Rezeptorenspezies gerecht.

I

28.2.1 Wachstumsfaktoren Wachstumsfaktoren regulieren die Entwicklung von Vorlauferzellen zu differenzierten Zelltypen und stimulieren die Zellproliferation. Innerhalb der Wachstumsfaktoren ist eine Einteilung nach funktionellen Eigenschaften schwierig. Eine mogliche Klassifizierung kann jedoch nach der intrazellularen Signalweiterleitung erfolgen. Danach kann man Wachstumsfaktoren, die tiber Rezeptoren mit intrinsischer Kinaseaktivitiit (Rezeptor-Tyrosin-Kinasen und Rezeptor-Serin/Threonin-Kinasen) signalisieren, von solchen mit assoziierten Kinasen und von G-Proteingekoppelten Rezeptoren unterscheiden. Ein gemeinsamer, zentraler Mechanismus in den Signalwegen aller Wachstumsfaktoren besteht in der Aktivierung der Ras/Raf/MAPK-Kaskade (s. Kap. 28.4.1 ) .

28 Tabelle 28.1. Einteilung der Zytokine Wadtstumsfaktoren

lnterleuldne

lnterferone

Proinflammatorische Zytokine Typ-1-lnterferone - lnterleukin-1 (IL-l) - Interferon-a {JFN-al bis IFNa23) - brain-derived nerve - tumor necrosis factor a growth factor (BDNF) (T F) - lnterferon-{3 (IFN -{3) colony stimulating factor - lnterferon-w (IF w1, Antiinflammatorische Zytokine (CSF) IFN-w2) lnterleukin-4 {IL-4) Typ-2-lnterferon epidermal growth factor - lnterleukin-10 (IL-10) - lnterferon-y (IFN-y) (EGF) - lnterleukin-13 {IL-13) - lnterleukin 10 (IL-l O) fibroblast growth factor (FGF) IL-6-Typ-Zytokine (pro- und insulin-like growth factor antiinflammatorisch) (IGF) Lnterleukin-6 {IL-6) keratinocyte growth factor lnterleukin-11 (IL-11) (KGF) - oncostatin M (OSM)

Signaltransduktion i.iber Rezeptor-Tyrosinkinasen

macrophage colony leukemia inhibitory fa ctor stimulatingfactor (MCSF) (LIF) nerve growth factor (NGF) ciliary neurotrophic factor platelet derived growth (C TF) factor (PDGF) - cardiotrophi11-l (CT- 1) stem cell factor (SCF) cardiotrophin-like cytokine vascular endothelial (CLC) growth factor (VEGF)

Chemoldne

CC-Chemokine

- pulmonary and activation regulated chemokine (PARC) -

Eotaxin (Eot, Eot-2)

- myeoloid progenitor inhibitory factor l(MPJF- 1) hemofiltrate CC chemokine 1,4 (HCC-1, HCC-4)

- small inducible cytokine subfamily A member 26 (SCYA26)

- macrophage inflammatory protein I a, 1{3, 10, 3a, 3{3

-

(MJP-1a, MIP-1{3, MIP-10, MIP-3a/LARC, Ml P3{3/ELC) 1309 6-Cysteine-Chemokine (6-Ckine)

- regulated on activation, normal T-ce/1 expressed and secreted (RANTES) - monocyte chemoattractant protein 1- 5 (MCP-1 bis

lmmunmodulatorische Signaltransduktion i.iber Zytokine Rezeptor-Serin/Threonin- - Interleukin-2 (IL-2) Kinasen - lnterleukin-3 (IL-3) - transforming growth lnterleukin-4 (lL-4) factor f3 (TGF-{3) - lnterleukin-6 (IL-6) - bone morphogenetic Interleukin-7 {IL-7) protein {BMP) - Interleukin-9 (IL-9) - Aktivin

MCPS)

thymus and activationregulated chemokine (TARC) thymus-expressed chemokine (TECK)

macrophage-derived chemokine (MDC)

Signaltransduktion i.iber Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen - erythropoietin (EPO) growth hormone (GH)

CXC-Chemokine - lnterleukin-8 (JL-8)

granulocyte chemotactic protein 2 (GCP2) monokine induced by IFNy

granulocyte colony stimulatingfactor (GCSF) granulocyte macrophage colony stimulatingfacror

(MIG)

stromal derived factor la,{3 (SDF-1 a, SDF-1{3)

IFN-inducible T cell a

(GMCSF) Leptin

chemoattractant (1-TAC)

platelet factor 4(PF4) epithelial cell-derived neutrophil activating protein

prolactin (PRL) thrombopoieti11 (TPO)

(ENA-78) IFN-y -inducible protein 10 (IP-10)

Signaltransduktion iiber G-Protein-gekoppelte Rezeptoren endothelin (ET)

neutrophil activating peptide

2 (NAP2)

growth related oncogene a.{J,y (GRO-a/MGSA,GR0-

{3/MIP-2a, GRO-y/MIP-2{3)

B-lymphocyte chemoattractant/8-cell attracting chemokine l(BLC/BCA- 1) Breast and kidney derived/bolokine (BRAK)

-7 Proliferation,

Differenzierung

lmmunabwebr, Entziindung, Hamatopoese, Apop lose

-7

-7 Virusabwehr,

-7

Migration, Chemotaxis

Proliferationshemrnung, Apoptose

28.2 Einteilung der Zytokine

815

28 28.2.211nterleukine

! lnterleukine besitzen vielfaltige Aufgaben

in der Regulation der lmmunabwehr, der Entzundungsreaktion, der Hamatopoese und der Apoptose.

Bisher sind 23 Interleukine bekannt. Weiterhin werden die Zytokine TNF, OSM, LIF, CNTF, CT-1 und CLC der Gruppe der Interleukine zugerechnet. TNF und IL-l nehmen innerhalb der Interleukine im Hinblick auf ihre Rezeptoren und Effektorproteine eine Sonderstellung ein (s. Kap. 28.4.3 und 28.4.4).

sinkinasen der ]anus-Familie und STAT-(signal transducer and activator oftranscription)Transkriptionsfaktoren. Die Interferone selbst werden in zwei Typen eingeteilt. Alpha-Interferone (IFN-a), f)- Interferone (IFN-f)) und w-Interferone (IFN-w) gehi:iren zu den Typ-1Interferonen. Sie signalisieren tiber die gleichen Rezeptorheterodimere. Von den a-Interferonen sind derzeit 23 und von den w- Interferon en zwei Subtypen bekannt. IFN-y ist das einzige derzeit bekannte Typ-2Interferon. Es bindet als Dimer an IFN-y-spezifische Rezeptor-Heterodimere. Interleukin-10 gehi:irt trotz seines Namens zu den Interferonen, weil es ebenfalls tiber einen Klasse-II -Zytokinrezeptor signalisiert.

! Die Signalubertragung der lnterleukine

erfolgt uber Klasse-1-Zytokinrezeptoren.

Charakteristisches Merkmal dieser Rezeptorklasse ist mindestens ein zytokinbindendes Modul in der Extrazellulardomane. Dieses Modul besteht aus zwei Domanen, ahnlich dem Fibronektintyp-III, von denen die Nterminale Domane vier konservierte Cysteine und die C-terminale Domane ein WSXWS-Motiv (W = Tryptophan, S = Serin, X = beliebig) enthalt. Die Signaltransduktion iiber diese Rezeptoren erfolgt durch die Aktivierung assoziierter zytoplasmatischer Kinasen. Bei diesen handelt es sich urn Tyrosinkinasen der Janus-Familie, die als Effektorproteine STAT-Transkriptionsfaktoren (signal transducer and activator of transcription) aktivieren. Innerhalb der Interleukine unterscheidet man proinflammatorische (TNF, IL-l) und anti-inflammatorische Zytokine (IL-4, IL-10, IL-13, TGFfi). Den Mitgliedern der IL-6-Typ-Familie kommt eine Bedeutung als pro- und anti-inflammatorische Faktoren zu. Zu ihnen gehi:iren IL-6, IL-11, OSM, LIF, CNTF, CT-1 und CLC. Eine Rolle als immunmodulatorische Zytokine spielen IL-2, IL-3, IL-4, IL-6, IL-7 und IL-9.

28.2.3llnterferone Die mit den lnterleukinen nahe verwandten lnterferone spiel en eine wesentliche Rolle bei der lmmunabwehr (besonders nach Virusinfektionen) und Apoptose und wirken stark wachstumshemmend. Von den Interleukinen werden die sehr nahe verwandten Interferone abgegrenzt. Interferonrezeptoren enthalten keine der fiir die Klasse-I-Zytokinrezeptoren typischen Zytokin-Bindungsdomanen. Entsprechend werden die Interferonrezeptoren auch als Klasse-II-Zytokinrezeptoren bezeichnet. Die Signaltransduktion der Interferone gleicht weitgehend derjenigen der Interleukine. Auch Interferonrezeptoren signalisieren tiber Rezeptor-assoziierte Tyro816

/

28 Endokrine Funktionen II:Zytokine

28.2.41 Chemokine Der Name Chemokine stellt die Funktion dieser Zytokine als Migration-ausli:isende chemotaktische Faktoren heraus. Im Unterschied zu den Wachstumsfaktoren, Interleukinen und Interferonen fiihrt die Bindung eines Chemokins an seinen spezifischen Rezeptor zu keiner Kinase-Aktivierung am Rezeptor.

Chemokinrezeptoren gehoren zur Klasse der heptahelikalen Rezeptoren. Diese sind so aufgebaut, class sieben Transmembranhelices die Zellmembran durchspannen; daher wird dieser Rezeptortyp haufig auch als 7-Transmembranrezeptor oder Serpentinrezeptor bezeichnet (S. 797). Die Ligandenbindung an den Rezeptor fiihrt zur Aktivierung trimerer G-Proteine, die mit den zytoplasmatischen Teilen der Rezeptoren assoziiert sind. Chemokine werden in zwei Klassen unterteilt: CXCund CC-Chemokine. CXC-Chemokine enthalten zwischen zwei konservierten, N-terminal Iokalisierten Cysteinen eine weitere Aminosaure, wahrend bei CC-Chemokinen diese Cysteine direkt benachbart sind. Entsprechend ihres Liganden werden auch die Chemokinrezeptoren in CXC- und CC-Rezeptoren unterteilt. Im Unterschied zu den Wachstumsfaktoren, Interleukinen und Interferonen ist die Ligand/Rezeptorspezifitat bei den Chemokinen nicht stark ausgepragt. Einzelne Chemokine sind in der Lage, verschiedene Rezeptoren der gleichen Klasse zu binden. Interleukin-8 ist trotz seines Namens bei den CXC-Chemokinen einzuordnen.

28 KERNAUSSAGEN Zytokine werden nach ihrer biologischen Funktion eingeteilt in: .. Wachstumsfaktoren, .. lnterleukine, .. lnterferone und .. Chemokine. Die meisten Wachstumsfaktoren signalisieren iiber RezeptorTyrosinkinasen, einige aber auch iiber Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen und Serpentinrezeptoren. lnterleukine und lnterferone signalisieren iiber Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen. Chemokine benutzen heptahelikale Rezeptoren.

28.3 Zytokin-Rezeptoren und Signaltransduktionswege Die Zytokine -losliche Botenstoffe - induzieren in ihren Zielzellen Antworten, indem sie als Liganden an spezifische Rezeptoren an der Zelloberflache binden. Rezeptoren leiten das Signal der Zytokinbindung in das Zellinnere weiter (receptor: lat. Hehler). Auf der zytoplasmatischen Seite der Rezeptoren werden nun Signaltransduktionskaskaden aktiviert, bei denen aufeinanderfolgend verschiedene Proteine aktiviert werden. Diese Aktivierungen sind haufig mit Phosphorylierungen (dem Anhangen eines Phosphatrestes an die Seitenketten von Aminosauren wie Serin, Threonin oder Tyrosin) verbunden oder durch den Austausch von gebundenem GDP durch GTP gekennzeichnet. Als Resultat eines solchen Signaltransduktionsweges kommt es zu gesteigerter oder verminderter Transkription von Zielgenen und der entsprechenden Proteinexpression, zu Stoffwechselanderungen sowie zu Differenzierung, Proliferation, Apoptose oder Migration.

.. Rezeptor-Tyrosinkinasen, ~ Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen sowie ~ heptahelikale Rezeptoren (Serpentinrezeptoren). Die extrazellularen Bereiche der Rezeptor-Tyrosinkinasen und der Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen sind haufig modular aufgebaut, d. h. sie bestehen aus einer Reihe einander sehr ahnlicher Elemente,die eigenstandige dreidimensionale Faltungseinheiten (Domanen) bilden. Anhand ihrer Tertiarstruktur lasst sich die Zugehorigkeit zu Domanenfamilien feststellen, die aus der Immunologie bekannt sind ( Abb.28.1). Die Paltung der einzelnen Domanen wird in vielen Rezeptoren zusatzlich durch Disulfidbrucken zwischen konservierten Cysteinresten stabilisiert. Rezeptor- Tyrosinkinasen~ Die Rezeptoren fur eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren gehoren zur Familie der Rezeptor-Tyrosinkinasen. Hierbei handelt es sich urn integrale Membranproteine, die die Zellmembran einmal durchspannen ( Abb. 28.2 a). Der Amino-Terminus des Proteins befindet sich auf der AuBenseite der Zelle, wahrend der Carboxy-Terminus im Zellinnern lokalisiert ist (Typ- I-Transmembranproteine ). Rezeptor-Tyrosinkinasen sind Glycoproteine.

extrCJzellular

l-'

l _j

intrCJ· zellular

28.3.1

Drei Rezeptorspezies

Die Stimulierbarkeit eines Zelltyps durch ein bestimmtes Zytokin ist davon abhangig, ob auf der Zelloberflache Rezeptoren fur dieses Zytokin vorhanden sind. Bei Rezeptoren kann es sich urn ein Protein (homooligomere Rezeptoren) oder mehrere unterschiedliche Proteine (heterooligomere Rezeptoren) handeln. In Abhangigkeit von ihrer Struktur und den Mechanismen der Signalweiterleitung im Zytoplasma unterscheidet man drei Arten von Zytokinrezeptoren:

EGFR

PDGFR

• • • katalytische Domane .()_()_()_ lmmunglobin-Domane

INSR

FGFR

cysteinreiche Domane Fibronektin Ill· Domane

Abb. 28.1. Aufbau von Tyrosinkinaserezeptoren. Tyrosinkinaserezeptoren sind modulartig aufgebaut. Sie besitzen aile eine cytosolische Tyrosinkinasedomane, wahrend die extrazellularen Domanen sich von Rezeptor zu Rezeptor betrachtlich unterscheiden. EGFR EGF-Rezeptor; PDGFR PDGFRezeptor; INSR lnsulinrezeptor; FGFR FGF-Rezeptor. (Aus Uiffler und Petrides 1998) 28.3 Zytokin-Rezeptoren und Signaltransduktionswege

817

28 ligand

e • Zytoplasma

a

Ligand Rezeptor

e •

Kinase Oomane Effel Abb. 28.3 a). Hierbei kann Grb2/SOS entweder direkt oder tiber die Adapter She oder SHP-2 an den PDGF-Rezeptor rekrutiert werden. SOS gelangt hierdurch in die Nahe des in der Membran verankerten G-Proteins Ras und bewirkt dessen Dbergang in die aktivierte, GTP-bindende Form. Die nun mogliche Interaktion von Ras-GTP mit der Serin/Threonin-Kinase Raf-1 fiihrt zur Raf-1-Aktivierung. Raf-1 ist wiederum der Aktivator der MAP-Kinase-Kinase (MEK).Diese dualspezifische Threonin/Tyrosin-Kinase phosphoryliert schliemich die Mitogen-akTabelle 28.2. Signaltransduktionsmolekule, die am PDGF-Rezeptor binden

Signaltrans·

duktionsmolekiil

Funktlon

lntenktions·

domanen•

Pho phatidylRegulatori che Lnositol-3-Kinase Untereinheit (PI3K)

SH2,SH2,SH3

Phospholipase Cy Lipase (PLCy)

SH2, SH2, SH3, PH, PH

Src

SH2,SH3

Tyros in-Kinase

SH2-containing Tyrosin-Phosphata- SH2,SH2 tyrosine phospho- se, Ada pterprotein tase {SHP2) GAP

Adapterprotein

Signal transducer Tran kriptionsand activator of faktor transcript ion

SH2, SH2, SH3, PH SH2

l, - 3, - 5 (STAT 1,-3,-5) She

Adapterprotein

SH2,PTB

Grb2

Adapterprotein

SH2,SH3,SH3

Grb7

Adapterprotein

SH2,SH3

Nck

Adapterprotein

SH2, SH3, SH3, SH3

Crk

Adapterprotein

SH2, SH3, (SH3)

' SH2- und PTB-Domanen-bindende Phosphotyrosin-Motive. SH3-Domanen-bindende Prolin-reiche Sequenzen. PH-Domanen-bindende Phosphatidylinositolphosphate.

tivierte-Proteinkinase (MAPK), deren Substrate unter anderem Transkriptionsfaktoren sind (Abb. 28.3 a). Transkriptionsfaktoren konnen aber auch direkt am PDGF-Rezeptor aktiviert werden. Mitglieder der Familie der signal transducer and activator of transcription(STAT)-1,-3, -5 werden an den PDGF-Rezeptor rekrutiert und durch Tyrosin-Phosphorylierung aktiviert ( Abb. 28.3 b). PDGF induziert neb en der PDGFRezeptorkinase-Aktivitat auch die der Janus-Kinase-1 (Jakl). Der Jak/STAT-Signalweg spielt bei der Signaltransduktion der Interferone und Interleukine eine zentrale Rolle und wird in den Kapiteln 28.4.5 und 28.4.6 genauer beschrieben. Die regulatorische Untereinheit der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K) bindet ebenfalls an den aktivierten PDGF-Rezeptor ( Abb. 28.3 a). Dies fiihrt zur Aktivierung der PI3K und somit zur Phosphorylierung von Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PI[4,5]P 2). Das entstehende PI(3,4,5)P 3 wird von der PleckstrinHomologie-Domane (PH-Domane) der Serin-Threonin-Proteinkinase-B (PKB, auch Akt-Kinase genannt) gebunden. Die Rekrutierung der PKB an die Zellmembran ist ein essentieller Schritt fiir die Phosphorylierung und Aktivierung der PKB durch die Threonin-Kinase-PDK1 (PIP3-dependent kinase). Dieses Enzym nimmt ebenfalls bei der Aktivierung der PKC eine wesentliche Funktion ein (S.806ff.). Eines der Substrate der PKB ist die Glycogensynthase-Kinase, die durch Phosphorylierung durch PKB in ihrer Aktivitat gehemmt wird. Dber diesen Weg wird die Hemmung der Glycogensynthese aufgehoben (S. 418). Aktivierte PKB transloziert auch in den Zellkern und reguliert hier Transkriptionsfaktoren, die fur die Zellproliferation wichtig sind. Phospholipase-C-y (PLC-y) wird ebenfalls am PDGFRezeptor durch Tyrosinphosphorylierung aktiviert (Abb.28.3b). PI(4,5)P 2 ist sowohl Substrat der PI3K als auch der PLC-y. Die aktivierte PLC-y bindet mit ihrer PH-Domane an das durch die P13K generierte Pl(3,4,5) P3. Sie hydrolisiert PI(4,5)P2 zu lnositol(l,4,5) triphosphat (InsP3 ) und Diacylglycerin (DAG). Zytoplasmatisches lnsP 3 fiihrt zur Freisetzung des second messengers Ca2+ aus dem endoplasmatischen Retikulum. Der zweite second messenger Diacylglycerin aktiviert zusammen mit dem freigesetzten Ca2+ die Serin/Threonin-Proteinkinase-C (PKC). Diese ist wiederum ein Regulator fiir Transkriptionsfaktoren und beeinflusst somit auch die Genexpression (S. 808).

28.4.21 TGF-P-Signaltransduktion Die transforming growth factor-P-Familie lasst sich in drei Gruppen einteilen: .,. TGF-/3-Isoformen TGF-Pl bis TGF-ps ... die Gruppe der bone morphogenetic proteins (BMP) und ... Aktivine. 28.4 Spezielle Signaltransduktionsmechanismen

821

28 PDGF

PDGF

b

!

Die MolekUie der TGF-P-Familie spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der Gewebehomoostase und bei der Entwicklung vielzelliger Organismen. Entsprechend ihrer Heterogenitat vermitteln die Mitglieder der TGF-{3-Familie vielfaltige biologische Antworten: Die TGF-{3-Isoformen induzieren die Proliferation epithelialer und mesenchymaler Zellen sowie die Bildung der extrazellularen Matrix. Diese Eigenschaften sind mit Hilfe von knock-out-Mausen belegt worden, bei denen das Fehlen der jeweiligen TGF-{3-Isoformen gravierende Fehlentwicklungen in verschiedenen Organen und Geweben zur Folge hat. Dariiber hinaus weisen TGF-{31-knock-out-Mause multifokale Entziindungsherde auf und sterben infolge unkontrollierter Lymphozyten-Infiltration. TGF-/31 spielt daher zusatzlich eine bedeutende Rolle in der Modulation von Immunantworten.

!

Die BMP induzieren die Bildung von Knochenund Knorpelgewebe. Aktivine beeinflussen die Erythropoese und die Neuralentwicklung im Stadium der Gastrulation. TGF-{3-Molekiile binden als Dimere an ihre Rezeptoren ( Abb. 28.4). Die Bindung des Ligandendimers an den

822

Abb. 28.3 a, b. PDGF-Signaltransduktion. PDGF-Isoformen binden als Dimere an den PDGF-Rezeptor. Vom aktivierten Rezeptor konnen verschiedene Signaltransduktionswege ausgehen. a Rechts: Grb2/SOS-Assoziation lost die Aktivierung der MAPK-Kaskade aus. Links: Bindung der PI3-Kinase resultiert in der PKB-Aktivierung. b Rechts: Assoziation der PLCy filhrt zur Erhohung der zytoplasmatischen Ca 2+-Konzentration. Links: STAT-Faktoren werden nach Bindung an phosphorylierte Tyrosine phosphoryliert

I

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

Abb. 28.4. TGF/3-Signaltransduktion.TGF/3-Isoformen binden als Dimere an TGF/3-Rezeptoren von Typ II.Nachfolgend werdenTyp-1-TGF/3-Rezeptoren rekrutiert, welche das Signal an R-Smad-Proteine weitergeben. Aktivierte R-Smad-Proteine mussen ein Co-Smad-Protein binden, urn in den Zellkern zu gelangen. Die Aktivierung von R-Smads wird durch 1-SmadProteine inhibiert

28 dimeren TGF-J)-Typ-II-Rezeptor ist Voraussetzung daftir, dass ein Typ-1-Rezeptordimer rekrutiert wird. Bei heiden Rezeptortypen handelt es sich urn Serin/Threonin-Kinasen. Der Typ-II-Rezeptor ist konstitutiv aktiv und phosphoryliert nach Assoziation den Typ-1-Rezeptor. Das Typ-1-Rezeptordimer leitet das Signal des Liganden an zytoplasmatische Effektorproteine weiter, die als Smad-Proteine bezeichnet werden. Die R-SmadProteine (receptor activated Smads) Smad 2 und Smad 3 werden tiber das membranverankerte Hilfsprotein SARA (Smad anchor for receptor activation) an den Typ-1-Rezeptor rekrutiert. SARA interagiert dabei sowohl mit dem Rezeptor als auch mit dem R-Smad-Protein. Die Kinase-Domane des Typ-1-Rezeptors phosphoryliert das R-Smad-Protein an spezifischen Serinresten. Dies ftihrt zur Dimerisierung und zur nachfolgenden Assoziation mit einem Co-Smad (common partner Smad), dem Smad 4. Die Anlagerung des CoSmad-Proteins ist ftir die Translokation des entstehenden Heterotrimers in den Zellkern notwendig. Dort werden meistens weitere Transkriptionsfaktoren oder Co-Faktoren assoziiert und die Transkription von TGF-J)-Zielgenen aktiviert. Die Abschaltung der TGF-J)-Signaltransduktion erfolgt unter anderem tiber das 1-Smad-Protein (inhibitory Smad) Smad 7, das die Phosphorylierung und Dimerisierung der R-Smad-Molektile blockiert. In der BMP-Signaltransduktion sind die R-SmadProteine Smad 1, Smad 5 und Smad 8 und die 1-SmadProteine Smad 6 und Smad 7 beteiligt.

28.4.311nterleukin-1-Signaltransduktion Das pro-inflammatorische Zytokin Interleukin-1 kommt in zwei Isoformen (IL-la und IL-lJ)) vor, die sich in ihren biologischen Wirkungen kaum unterscheiden. IL-la/J) signalisieren tiber einen Rezeptorkomplex, der aus zwei Polypeptid-Ketten besteht: dem Interleukin-1-Rezeptor-1 (IL-lRI) und dem Interleukin-1-receptor accessory protein (IL-lRAcP) ( Abb. 28.5). Nach Ligandenbindung und Oligomerisierung des Rezeptors werden verschiedene Signalmolekiile rekrutiert. Zunachst binden MyD88 (myeloid-differentiation) und Tollip an den Rezeptorkomplex. Beide Effektor-Proteine sind in der Lage, die IL-l-Rezeptor-assoziierte-Kinase (IRAK) zu rekrutieren. An den Proteinkomplex assoziiert der sogenannte TNF-receptor-associating factor TRAF6. Uber den gebildeten Multiproteinkomplex wird nun eine noch nicht eindeutig identifizierte Kinase - NIK (NF-KB-inducing kinase) und/oder TAKl (TGF-J)-activated kinase) - aktiviert. In der Folge wird der IICB (inhibitor of NF-JCB)Kinase(IKK)-Komplex, der aus den drei Untereinheiten IKKa, IKKJ) und IKKy aufgebaut ist, durch Phosphorylierung aktiviert. Nach Phosphorylierung von IkB, welches im Komplex mit NF-ICB vorliegt, wird die-

TRAF6

TRAF6

TAKl

Abb. 28.5. lnterleukin-1-Signaltransduktion.Nach Bindung einer derbeiden IL-1 -Isoformen IL-1a oder IL-1j3 an den IL-1 -Rezeptorkomplex wird der NF-JCB-Signaltransduktionsweg aktiviert. Dies resultiert in der lnduktion pro-inflammatorischer Zielgene

ses an Lysin-Resten ubiquitinyliert und tiber das Proteasom abgebaut. Das freigesetzte NF-ICB - bestehend aus den heiden Untereinheiten p50 und p65 - transloziert in den Zellkern und bindet hier an enhancer-Elemente von Zielgenen. Wichtige Zielgene, die in der proinflammatorischen Phase von Entztindungsreaktionen durch NF-ICB induziert werden, sind die ftir die Chemokine Interleukin-8 und RANTES. Diese Zytokine wirken chemotaktisch auf Granulocyten und Neutrophile. Auch Interferon-y und IL-6 werden nach IL-l-Stimulation verstarkt exprimiert. Uber die ebenfalls beobachtete Induktion der Cyclooxygenase 2 (COX2) werden andere Entztindungsmediatoren, wie die fieberauslOsenden Prostaglandine generiert (s. S. 451 ff.). Neben dem lnterleukin-1-Rezeptor IL-lRI existiert auch eine cytoplasmatisch verktirzte Form des Rezeptors, der IL-1 -Rezeptor-II. Dieser Rezeptor bindet die Liganden IL-la/J), transduziert aber kein Signal und wirkt deshalb antagonistisch.

28.4 Spezielle Signaltransduktionsmechanismen

823

28 28.4.41 TNF-Signaltransduktion Der Name Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) geht auf Experimente zuruck, in denen Tumoren in Mausen nach Behandlung mit TNF nekrotisierten. Fur die Behandlung humaner Tumoren spielt TNF bisher noch keine Rolle. TNF ist ein sehr wirksames pro-intlammatorisches Zytokin, welches Fieber hervorruft (Pyrogen) und in hohen Konzentrationen - zum Beispiel nach Endotoxin-Wirkung auf Monozyten/Makrophagen zum septischen Schock flihrt. TNF spielt aber auch eine wichtige Rolle bei chronisch entzundlichen Erkrankungen. Der Tumor-Nekrose-Faktor existiert in einer Membran-gebundenen sowie in einer loslichen Form ( Abb. 28.6 a). Das Enzym TNF-alpha converting enzyme (TACE) uberflihrt den Membran-gebundenen Liganden in die Iosliche Form. Beide liegen in oligomerisierter Form - bevorzugt als Trimere - vor. Es existieren zwei TNF-Rezeptoren, die ebenfalls als trimere Komplexe signalisieren: TNF-Rezeptor-1 und TNF-Rezeptor-II. Wahrend losliches TNF ausschlie!Slich tiber den TNF-Rezeptor-1 wirkt, kann Membran-gebundenes TNF tiber beide Rezeptorkomplexe signalisieren.

! Eine Besonderheit des TNF-RI ist

das Vorhandensein einer death-domain (DO) im intrazellularen Teil des Rezeptors.

Der TNF-Rl ist in der Lage, sowohl NF-ICB zu aktivieren ( Abb. 28.6 b) - ahnlich der IL-1-Signaltransduktion - und damit pro-inflammatorische Prozesse zu induzieren als auch den programmierten Zelltod (Apoptose) hervorzurufen. Die Auslosung der Apoptose erfolgt nach Ligandenbindung und Aktivierung des TNF-RI-Rezeptorkomplexes durch Rekrutierung zahlreicher zytoplasmatischer Effektorproteine (TRADD, FADD, RIP und RAIDD) ( Abb.28.6c). Diese Effektormolektile enthalten ebenfalls death-domains, die sie in die Lage versetzen, mit den Rezeptoren und untereinander zu interagieren. Der fUr die Apoptose wichtige Signaltransduktionsprozess ist die Rekrutierung der Pro-Caspasen 8 und 2, die am Anfang einer Caspase-Kaskade stehen. Caspasen gehoren zur Familie der Cystein-Proteasen, die C-terminal von Aspartat spalten. Die Pro-Caspase 8 wird durch Abspaltung eines Pro-Peptids autokatalytisch aktiviert und vermag ihrerseits verschiedene zytoplasmatisch lokalisierte Pro-Caspasen (3, 6 und 7) durch limitierte Proteolyse zu aktivieren. Die aktivierten Caspasen (Executive-Caspasen) leiten den Zelltod auf verschiedenen Ebenen ein: Sie zerst6ren wichtige Strukturproteine der Zelle wie z. B. Proteine der Kernmembran und das Aktincytoskelett oder sie aktivieren eine DNAse und losen damit die Zerstorung der nuklearen DNA aus. Auch DNA-Reparatur und Zellzyklus werden auBer Kraft gesetzt (S. 214).

824

I

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

28.4.sllnterleukin-6-TypZytokin-Signaltransduktion Die Mitglieder der Familie der IL-6-Typ-Zytokine, der neben IL-6 auch IL-11, leukemia inhibitory factor (LIF), oncostatin M (OSM), ciliary neurotrophic factor (CNTF), cardiotrophin-1 (CT-1) und das erst ktirzlich klonierte Zytokin cardiotrophin-like cytokine/novel neurotrophin-1/B-cell stimulatory factor-3 (CLC/NNTl/BSF-3) angehoren, weisen eine gemeinsame dreidimensionale Struktur auf. Sie gehoren zu den sogenannten langkettigen 4-Helix-Bundel-Zytokinen und uben vielfaltige physiologische Funktionen aus.

Die IL-6-Typ-Zytokine sind an der AkutphaseReaktion des Korpers, an der Hamatopoese, der Differenzierung und dem Wachstum von B- und T-Zellen sowie an der neuronalen Differenzierung beteiligt. Die IL-6-Typ-Zytokine definieren sich zusatzlich tiber die Nutzung einer gemeinsamen Rezeptoruntereinheit, dem Glycoprotein 130 (gpl30) ( Abb. 28.7, 28.8). IL-6 und IL-11 flihren zu einer Homodimerisierung von gp130. CNTF, LIF und CT-1 signalisieren tiber ein gpl30/LIFR-Heterodimer. OSM ist das einzige Zytokin, das tiber zwei Rezeptorkomplexe, namlich gp130/LIFR und gp 130/0SMR, signalisieren kann. Wahrend LIF und OSM direkt an die signaltransduzierenden Rezeptor-Untereinheiten binden konnen - LIF an den LIFR und OSM an gp 130 - benotigen IL6, IL-11 und CNTF spezifische, nicht signalisierende aRezeptoren ( Abb.28.8). Ftir CT-1 wird ein a -Rezeptor diskutiert, seine Existenz ist bislang nicht bestatigt worden. Die a-Rezeptoren fUr IL-6, IL-11 und CNTF kommen auBer in Membran-standiger auch in loslicher Form vor. Im Gegensatz zu vielen anderen lOslichen Rezeptoren, die eine antagonistische Wirkung zeigen, konnen die Ioslichen Rezeptoren fUr IL-6, IL11 und CNTF nach Bindung ihrer Liganden die signaltransduzierenden Ketten dimerisieren und somit agonistisch wirken. Ob der Agonismus auch physiologisch eine Rolle spielt ist unklar.

Ligandenbindung fUhrt zur Dimerisierung/Multimerisierung der Rezeptorketten und zur Aktivierung von konstitutiv assoziierten Tyrosin-Kinasen der Janus-Familie. Mitglieder der Janusfamilie sind Jak1, Jak2, Jak3 und Tyk2. Bei der IL-6-Typ-Zytokin-Signaltransduktion spielt Jak3 keine Rolle. Die aktivierten Janus-Kinasen phosphorylieren im zytoplasmatischen Bereich der Zytokin-Rezeptoren Tyrosin-Reste. Diese Tyrosin-Reste fungieren dann als Rekrutierungsstellen fUr Proteine mit SH2(src homology 2)-Domanen wie STAT (signal transducer and acti-

28 QX)TNF

sTNF

l [______ _. ) \. . _ ____

TRADD Pro-Caspase 2

(=FLICE)

"'""'r-'-1 r---1

TNFRI

Q~-Caspase ! TNFRII Caspase 8

ProCaspase 3, 6, 7

-

Caspase 3, 6, 7

• Effekte der Caspasen • Zerstorung von Strukturproteinen • DNA-Fragmentierung • Verlust der DNA-Reparatur • Stopp des Zellzyklus

c Apoptose

Aktivierung von Zielgenen, die an Entziindungen beteiligt sind

a

FADD

TAKl

g

b

NF-KII

Abb. 28.6 a-c. TNF-Signaltransduktion. a Uisliches TNF entsteht aus membrangebundenem TNF durch Einwirkung des Enzyms TACE. Sowohl losliches als auch membrangebundenes TNF kann den TNFR I aktivieren. Der TNFR II kann nur durch membrangebundenes TNF aktiviert werden. b Die Aktivierung des NF-7d3-Signaltransduktionsweges durch TNF erfolgt Uber ahnliche Mechanismen wie beim IL-1-Rezeptor. c Der TNFR I ist im Gegensatzzum TNFR II in der Lage,Caspasen zu aktivieren.Diese leiten den programmierten Zelltod (Apoptose) ein

vator of transcription) Transkriptionsfaktoren und die Tyrosinphosphatase SHP-2 sowie feed-back-inhibitorProteine der SOCS-Familie (suppressor of cytokine signaling) (Kap.28.5.2). Im Fall der IL-6-/IL-11-/0SMSignaltransduktion assoziieren hauptsachlich STAT3 und STATl an Rezeptoruntereinheiten und werden ihrerseits Tyrosin-phosphoryliert, verlassen den Rezeptorkomplex, homo- bzw. heterodimerisieren und translozieren in den Zellkern. Hier binden die STATDimere an Enhancer-Elemente verschiedener Zielgene und beeinflussen deren Transkription ( Abb. 28.7 a). An die aktivierten Signaltransduktoren gpl30, LIFR bzw. OSMR binden Adapter-Proteine wie She oder die Phosphatase SHP-2 (Abb. 28.7b). Letztere werden phosphoryliert. Nach Phosphorylierung binden beide Adapter-Molekiile Grb2, ein weiteres Adapter-Protein, welches mit dem Guanin-Nukleotid-Austauschfaktor Sos assoziiert ist. Hierdurch gelangt Sos in die Nahe der Plasmamembran und ist nun in der Lage, das Membran-assoziierte G-Protein Ras in den GTP-gebundenen und damit aktivierten Zustand zu iiberfiihren. GTP-Ras fiihrt zur Aktivierung der Serin/Threonin-Kinase Raf-1, und durch die kaskadenartige Aktivierung weiterer Kinasen (Mitogen-aktivierte-Protein(MAP)-Kinase-Kinasen und MAP-Kinasen) werden Transkriptionsfaktoren phosphoryliert, welche die Expression von Ras-induzierbaren Genen vermitteln.

28.4 Spezielle Signaltransduktionsmechanismen

825

28

=

STAT1 / STAT3

STAT1 / STAT3

Homo- oder Heterodi mere

APIIE

a

IGenexpression I b

826

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

Abb. 28.7 a, b. lnterleukin-6-Signaltransduktion. aAblaufder ll-6-induzierten Jak/STAT-Signaltransduktion. Nach Rezeptordimerisierung phosphorylieren assoziierte Janus-Kinasen den Rezeptor an Tyrosinmotiven. An diese binden STAT-Proteine,die durch Tyrosin-Phosphorylierung aktiviert werden. Nach Homo- oder Heterodimerisierung binden die aktivierten STAT-Faktoren an DNA-Sequenzen und induzieren die Transkription spezifischer Gene (APRE Akutphase Protein responsivesElement). b Neben dem Jak/STAT-Weg kann ausgehend von aktiviertem gp130 auch die MAPK-Kaskade induziert werden. Die Protein-Tyrosin-Phosphatase SHP2 fungiert hierbei als Adapterprotein

28 NNT-1/ IL-6

IL-11

LIF

0-1

CNTF

OSM

BSF-3/ (L(

OSM Abb. 28.8. Die Familie der IL-6-TypZytokine.Die Zytokine IL-6,1L-11, CNTF und CLC binden zunachst an spezifische a-Rezeptoren. Diese Zytokin-a-Rezeptor-Komplexe interagieren mit den Signaltransduktoren gp130, LIFR oder OSMR. Wahrend IL-6 und IL-11 Uber gp130 Homodimere signalisieren, induzieren die anderen Mitglieder der Familie die Bildung von Heterodimeren aus gp130 und den Rezeptorketten LIFR oder OSMR

! Urn eine unkontrollierte Antwort

auf einen Stimulus zu verhindern, ist es unerlasslich, dass die einmal gestartete Signaltransduktion auch wieder abgeschaltet wird.

Dies wird durch verschiedene Mechanismen erreicht: IL-6-Typ Zytokin-induzierte feed-back- Inhibitoren (SOCS-Proteine) hemmen Janus-Kinasen; protein inhibitors of activated STAYs (PIAS) assoziieren mit STAT-Dimeren und verhindern deren Bindung an Enhancer-Sequenzen von Zielgenen (Kap.28.5.2).

Janus - Romischer Gott mit einem Kopf und zwei Gesichtern. Janus-Tyrosin-Kinasen besitzen zwei Kinase-Domanen, von den en nur eine enzymatische Aktivitat besitzt.

28.4.6llnterferon-Signaltransduktion lnterferone sind Zytokine, die die Virusvermehrung in nahezu allen Zellen hemmen. Die Biosynthese von Interferonen wird durch Viren, Bakterien, Antigene und Zytokine wie Interleukin-1, Interleukin-2 und Tumor-Nekrose-Faktor stimuliert. Typ-1-Interferone, zu denen die Interferon-a-Mitglieder und lnterferon-f:i zahlen, werden von Monozyten und Makrophagen bzw. · Fibroblasten (Interferon-f:i) produziert. Das Typ-2-Interferon-y wird von T-Zellen und nati.irlichen Killerzellen sezerniert. Die antivirale Wirkung der lnterferone greift auf allen Ebenen der Virusreplikation: Virusaufnahme, Transkription, Translation, Reifung und Freisetzung. Zellzyklus-Komponenten wie c-myc, RetinoblastomProtein (Rb ), oder Cyclin D3 sind Ziele der antiproliferativen und apoptotischen Wirkung der Interferone. Die immunoregulatorische Wirkung insbesondere von Interferon-y besteht in der Induktion der Expression von Antigen-prasentierenden Rezeptoren der Klasse I und II (MHC) sowie der Modulation des Antigen-processing durch das Proteasom. Typ-1- und Typ-2-Interferone signalisieren i.iber unterschiedliche Oberflachen-Rezeptoren. Der Rezeptor fi.ir Interferon-a/f:i besteht aus zwei Untereinheiten: Interferon-a/f:i-Rezeptor-1 (IFNAR-1) und Interferona/f:i-Rezeptor-2 (IFNAR-2) ( ~ Abb.28.9).IFNAR-l bindet die Janus-Kinase Tyk2, IFNAR-2 die Janus-Kinase Jakl. Nach Ligandenbindung dimerisieren die Rezeptoren, die Janus-Kinasen werden durch Transphosphorylierung aktiviert und phosphorylieren Tyrosin-Reste im zytoplasmatischen Teil des IFNAR~L Die wahrscheinlich am IFNAR-2 praassoziierten dimerisierten STAT-Faktoren STATl und STAT2 werden anschlieBend i.iber einen noch unverstandenen Mechanismus am IFNAR-1 rekrutiert und Tyrosin-phosphoryliert. Die aktivierten STAT-1/STAT-2-Heterodimere binden nach Ablosung vom Rezeptor den Transkriptionsfaktor p48, der zur interferon regulatory factor (IRF)-Familie gehort. Der Komplex aus STAT-1, STAT-2 und p48 28.4 Spezielle Signaltransduktionsmechanismen

827

28 I FNa/~

IFNy

Jak2

GAF: (STATlh

GAS

ISRE Abb.28.9. lnterferona/,6-Signaltransduktion. IFNa/,6 bindet an einen Rezeptorkomplex aus IFNAR1 und IFNAR2. Nach Tyrosin-Phosphorylierung des IFNAR1 durch assoziierte Janus-Kinasen werden STAT1/STAT2Komplexe phosphoryliert. Diese induzieren nach Bindung eines weiteren Proteins (p48) die Transkription spezifischer Gene. Die STAT-Faktoren liegen moglicherweise in pra-assoziierter Form an den IFNAR2 gebunden vor

wird auch als interferon-stimulated gene factor (ISGF)-3 bezeichnet. Dieser Komplex transloziert in den Zellkern und bindet hier an interferon stimulated regulatory elements (ISRE) von Interferon-a/,6-Zielgenen. Im Unterschied zu Interferon-a/,6 wirkt Interferony als Dimer (Abb. 28.10). Es bindet an einen Rezeptorkomplex, der aus zwei a- und zwei ,6-Ketten besteht. An die a-Ketten bindet konstitutiv Jakl, an die /3-Ketten die Janus-Kinase Jak2. Nach Ligandenbindung und Rezeptoraktivierung werden die Janus-Kinasen durch Transphosphorylierung aktiviert und konnen TyrosinReste im zytoplasmatischen Teil der a -Rezeptor-Untereinheit phosphorylieren. Nach Rekrutierung von STAT! an die Phosphotyrosin-Reste der a -Rezeptorketten sowie dessen folgender Tyrosin-Phosphorylierung lost sich der Transkriptionsfaktor STAT! vom Rezeptor, homodimerisiert und transloziert in den Zell828

I

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

Abb.28.10. lnterferony-Signaltransduktion. IFNy bindet als Dimer an einen Komplex aus zwei a - und zwei /3-Rezeptorketten. Der aktivierte Rezeptor lost die Jak/STAT-Signaltransduktionskaskade aus. Dies ftihrt zur Bildung von STAT1 -Homodimeren (GAF y interferon activated factor), die nach Translokation in den Zellkern an GAS-Eiemente binden (GAS y interferon activated site)

kern. Das Dimer bindet hier an sogenannte interferony activated sequences (GAS Elemente) spezifischer

IFN -y-Zielgene. IFN-a/,6 induziert die Expression von Protein-Kinase R (PKR). Dieses Enzym liegt zunachst in inaktiver Form vor, wird aber durch Bindung an doppelstrangige RNA, die nach Virusreplikation gebildet wird, durch Autophosphorylierung an Serin-Threonin-Resten aktiviert ( Abb. 28.11). Die aktivierte PKR phosphoryliert den eukaryotischen Protein-Synthese-Initiationsfaktor 2a (eiF2a) (S. 277). Der modifizierte eiF2a kann nicht mehr die Proteinsynthese initiieren. Neben der Hemmung der Proteinbiosynthese induziert Interferon a/,6 auch die 2' -5'-0 ligo-A-SynthetaseExpression (2'-5'-0ASE) ( Abb.28.12). Die 2'-5'0ASE wird iiber doppelstrangige RNA aktiviert. Die aktive 2'-5'-OASE homopolymerisiert ATP zu 2'-5'-Oligoadenylat. Im Unterschied zu dem iiblichen 3'-5'Phosphodiesterbindungen handelt es sich hier urn eine 2'-5'-Phosphodiesterbindung. 2'-5'-0ligo-A bindet inaktive RNAse L und aktiviert dieses Enzym, welches mRNA zu Nucleotiden abbaut.

28 IFNap

l l

28.4.711nterleukin-8-Signaltransduktion

PKRmRNA

inaktive PKR dsRNA

---0--

j

Aktivierung durch Autophosphorylierung an Serin- und Threonin-Seitenkenen

aktivierte PKR -®

!

Phosphorylierung des eukaryotischen Proteinsynthese lnitiationsfaktors-la (eiF2a)

Ein wichtiger Vorgang ist die lnterleukin-8-Produktion im Entzi.indungsherd durch Endothelzellen.

phosphoryliertes eiF2a kann nicht die Translationsinitiation starten

Blockade der Proteinsynthese Abb. 28.11. Antivirale Wirkung von IFNa/ j) durch Blockade der Proteinsynthese. Die Signaltransduktion von IFN a/(3 fiihrt zur Expression von inaktiver Protein-Kinase R. Nach Bindung doppelstrangiger RNA wahrend der Virusreplikation wird das Enzym aktiviert. Dies fOhrt zur Inhibition der Initiation der Proteinsynthese

IFNa!P

l l

2'-5' OASE mRNA

inaktive 2'-5' OASE d> RNA

---0--

j

aktive 2' ·S' OASE nATP

---'+'---_

2'-5' POE

2' -5' oligo A.

~

RNase l - - - -(inaktiv)

-

mRNA

Interleukin-8 ist ein pro-inflammatorisches chemotaktisch wirkendes Zytokin, das zur Gruppe der CXC-Chemokine gehort. Es wird von vielen Zellen im Zuge einer Zytokinkaskade produziert: TNF stimuliert die Freisetzung von Interleukin-lj), das seinerseits die Bildung von Interleukin-8 induziert. Interleukin-8 ist einer der potentesten chemotaktischen Faktoren fiir Neutrophile, spielt aber auch eine Rolle bei Angiogenese und Zellteilung.

ATP+(n-1 )AMP

RNase l (aktiv)

~

Nucleotide

Abb. 28.12. Antivirale Wirkung von IFN a/j) durch mRNA-Abbau nach RNase-L-Aktivierung. Die Signaltransduktion von IFN a/(3 fOhrt zur Ex· pression inaktiver 2'-5'-0iigo-A-Synthetase. Nach Bindung doppelstrangiger RNA wahrend der Virusreplikation wird das Enzym aktiviert. Es synthetisiert daraufhin 2'-5'-Oligo A, welches nach Bindung die RNase L aktiviert. Diese hydrolysiert mRNA, weshalb keine Proteinsynthese in der Zelle mehr stattfinden kann

Dadurch werden Neutrophile chemotaktisch in die Nahe der Blutgefa6wand gelenkt. Gleichzeitig erfolgt eine Aktivierung der Neutrophilen, wodurch die Bitdung von Adhasionsmolekiilen induziert wird. Infolgedessen kommt es zur vermehrten Integrinexpression auf der Oberflache der Neutrophilen. Dies ermoglicht die Anheftung an Endothelzellen und die Passage in das Gewebe (Diapedese). Dabei bewegen sich die Neutrophilen entlang eines IL-8-Konzentrationsgradienten. Die Bekampfung der Pathogene erfolgt durch freigesetzte lysosomale Enzyme und reaktive Sauerstoffspezies. Auf molekularer Ebene werden die beschriebenen Prozesse folgenderma6en vermittelt: Die Interleukin-8-Rezeptoren - CXCRl und CXCR2 - sind G-Protein-gekoppelte Sieben- Transmembranrezeptoren. Wahrend CXCRl vorwiegend durch IL-8 aktiviert wird, bindet CXCR2 in erster Linie Groa, einen Mitose-aktivierenden Faktor, und MIP2, das Monozyten aktiviert. Nach IL-8-Stimulus werden G-Protein-vermittelt PI3-Kinase, Phospholipase Cj)2 und Rho A aktiviert ( Abb. 28.13). PI3-Kinase katalysiert einerseits die Phosphorylierung von Phospatidylinositol, andererseits aktiviert sie die Ras/Raf/MAPK-Kaskade. Phospholipase Cj)2 katalysiert die Umsetzung von Phosphatidyl-4,5-bisphosphat (PIP2) zu Diacylglycerin (DAG) und Insitoltriphosphat (InsP 3 ). InsP3 vermittelt die Freisetzung von Ca2+- Ionen (second messenger) aus dem endoplasmatischen Retikulum, wahrend DAG das Enzym Proteinkinase C aktiviert (S. 807). Rho A gehOrt zur Gruppe der klein en GTP-bindenden Proteine. Es beeinflusst die Aktin-Polymerisation und damit die Organisation des Zytoskeletts.

28.4.81 Notch-Signaltransduktion Das Notch-Gen wurde bereits 1916 benannt, nachdem Drosophila-Mutanten keine vollstandige Fliigelentwicklung zeigten, sondern unter anderem eine Kerbe 28.4 Spezielle Signaltransduktionsmechanismen

829

28

ER kleines G-Protein (membrangebunden)

Abb. 28.13. lnterleukin-8-Signaltransduktion.IL-8 bindet an die heptahelikalen Rezeptoren CXCR1 oder CXCR2. Diese Rezeptoren aktivieren ein heterotrimeres G-Protein, welches neben dem MAPK-Weg und der Erhti-

(engl.: notch) im Fltigel aufwiesen. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass die Signaltransduktion tiber Notch ein evolutionar sehr alter und konservierter Mechanismus ist, urn im sich entwickelnden Organismus - sei es Drosophila, C. elegans, oder der Mensch- das Schicksal von Zellen zu beeinflussen. Die Signaltransduktion tiber den Notch-Rezeptor weist sehr viele Eigenschaften von Zytokin-vermittelter Signalweiterleitung auf, auBerdem interagiert der Rezeptor mit einer Vielzahl von Proteinen, unter anderem Zytokinen, die als Modulatoren die biologische Antwort beeinflussen konnen. Sowohl der Rezeptor (Notchl-4 in Saugern), als auch der Ligand (Delta, Delta-like und Jagged in Saugern) sind Membranproteine mit einer Transmembrandomane ( Abb.28.14). Prozessierung und Aktivierung von Notch: NotchRezeptoren werden als eine Polypeptidkette synthetisiert und im Golgi-Apparat proteolytisch prozessiert, so dass an der Zelloberflache ein heterodimerer Komplex den Liganden bindet. Das Dimer besteht aus einer Kette, die nur den extrazellularen Teil des Rezeptors beinhaltet und aus einer transmembranosen Kette, die nur noch einen kleinen extrazellularen Anteil besitzt. Die beiden Ketten sind wahrscheinlich tiber Disulfidbrticken verkntipft. Die Interaktion des Liganden mit dem Rezeptor kann zwischen Molektilen auf derselben, oder auf benachbarten Zellen stattfinden. Nach Liganden-Bindung erfolgt eine weitere proteolytische Prozessierung des Rezeptors, diesmal auf der zytoplasmatischen Seite, nahe der Transmembrandomane. Das gebildete Fragment NICD (Notch intracellular domain) besitzt eine NLS (nuclear localization sequence) und ist in der Lage, in den Zellkern zu translozieren. Hier interagiert NICD mit dem Transkriptionsfaktor CBF l, urn die Transkription Notch-regulierter Gene zu induzieren (HES). Es gibt aber auch die Moglichkeit der CBF 1-unabhangigen Transkription. 830

I

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

hung des zytoplasmatischen Ca 2+-Spiegels die Aktivierung des membrangebundenen kleinen G-Proteins RhoA induziert

Delta I Delta-like I Jagged

Notch

Abb. 28.14. Notch-Signaltransduktion. Der Notch-Rezeptor ist ein Dimer aus einer extrazellularen und einer transmembranaren Kette. Nach Ligandenbindung wird intrazellularvon der transmembranaren Kette das NICD(notch intracellular domain)-Fragment abgespalten. Nach Translokation in den Zellkern kann es entweder direkt oder nach Bindung eines weiteren Proteins (CBF-1) die Transkription von Zielgenen induzieren

28 !

Die Notch-Signaltransduktion ist besonders fUr die Entwicklung des Organismus sehr wichtig. Hierbei lassen sich zwei Phanomene unterscheiden: die laterale Inhibition und die laterale Induktion: .,. Die laterale Inhibition beruht auf dem Prinzip, dass eine Zelle ihre benachbarte Zelle daran hindert, die durch Notch ausgeloste Differenzierung durchzumachen, wahrend sie selber ausdifferenziert. So entstehen Muster und die undifferenzierten Vorlauferzellen konnen eventuell in einem nachsten Schritt in eine andere Richtung differenzieren. Auch dieser Schritt kann durch einen Liganden fiir Notch ausgeIOst werden. .,. Die laterale Induktion ist das Gegensti.ick zur lateralen Inhibition. In diesem Fall entwickeln sich die benachbarten Zellen zusammen in die gleiche Richtung. Beide Prozesse werden durch die Regulation der Expression des Liganden gesteuert. Das Schicksal der Zellen beruht also auf einer Dosis-abhangigen Signaltransduktion i.iber Notch.

KERNAUSSAGEN Die durch Zytokine ausgeloste Signaltransduktion kann Uber verschiedene zellulare Signalwege vermittelt werden. Dazu gehOren: ... die MAPK-Kaskade, .,. der Jak/STAT-Weg, ... der PI3-Kinase-Weg, .,. der PKC-Weg, ... der Death-Domain/Caspase-Weg. Die meisten Zytokine aktivieren Uber ihre Rezeptoren mehrere dieser Wege gleichzeitig. Die wesentlichen Effekte einzelner Zytokine sind: ... PDGF wirkt durch Aktivierung der MAPK-Kaskade, des Jak/STAT-Signalweges, der PI3K-Kaskade sowie der Phospholipase Cy. Dies fiihrt zu einer Anderung der Genexpression und einem mitogenen Effekt. .,. Die einzelnen Vertreter der TGFfHamilie vermitteln vielfaltige biologische Antworten wie Proliferation epithelialer und mesenchymaler Zellen, Bildung der extrazellularen Matrix, Angiogenese sowie Apoptose. FUr die Signaltransduktion sind Smad-Proteine wichtig, die spezifische Effekte bei der Genexpression zeigen. ... lnterleukin-1 fiihrt Uber verschiedene, an den Rezeptor assoziierte Proteine zur Translokation von NF- K13 in den Zellkern. Nach Bindung an die Enhancer-Eiemente verschiedener Zielgene wird unter anderem die Expression von Chemokinen, lnterferon-y und IL-6 induziert. .,. TN Fa fiihrt sowohl zur NF-K13-Aktivierung als auch zur Apoptose. Hierfi.ir sind Effektormolekiile mit sogenannten Death-Domains verantwortlich. Die Apoptose wird durch Caspasen ausgelost.

.. Mitglieder der Familie der IL-6-Typ-Zytokine fiihren zur Aktivierung assoziierter Tyrosinkinasen der Janus-Familie. Diese aktivieren Transkriptionsfaktoren der STAT-Familie, fiihren aber auch zur MAP-Kinase Aktivierung. .,. lnterferone hemmen die Virusvermehrung in nahezu allen Zellen. Ober Anderung der Bildung von Zellzykluskomponenten, lnduktion der Antigenprasentation sowie durch Hemmung derTranslation und Abbau der mRNA wird die Virusreplikation inhibiert.lnterferone signalisieren ebenfalls Uber den Jak/STAT-Weg. ... lnterleukin-8 wirkt chemotaktisch. Stimulierung des heptahelikalen IL-8-Rezeptors fiihrt zur Aktivierung von PI3-Kinase, Phospholipase C{J und RhoA. .. Der Notch-Ligand und -Rezeptor sind Transmembranproteine. Das proteolytisch abgespaltene intrazellulare Fragment des Notch-Rezeptors wird in den Zellkem transloziert und andert dort die Genexpression.

28.5 I Regulation der Signaltransduktion Die Zytokin-Signaltransduktion kann i.iber Initiation und Termination reguliert werden. Dari.iber hinaus existieren Mechanismen zur Modulation der Signaltransduktion. Die genauen Vorgange, die zwischen Noxe und Zytokinfreisetzung (z. B. IL-l-Freisetzung nach Hypoxie beim Herzinfarkt) liegen, sind noch nicht aufgeklart. Im Gegensatz dazu sind zahlreiche Mechanismen der Termination und Modulation der Zytokin-Signaltransduktion bekannt.

I

28.5.1 Rezeptor-Expression Die primare Voraussetzung, damit eine Zelle auf Zytokine reagieren kann, ist das Vorhandensein von spezifischen Rezeptoren auf der ZelloberfHi.che. Zusatzlich ist die Zuganglichkeit des Rezeptors fiir das Hormon von Bedeutung: Eine Zelle, die auf endokrine Botenstoffe reagiert, exprimiert die notwendigen Rezeptoren auf ihrer basolateralen, dem Blut zugewandten Seite. In den zytoplasmatischen Bereichen einer Reihe von Transmembranrezeptoren sind Signalsequenzen fiir die polare Expression identifiziert worden, die den Transport des Rezeptors an die basolaterale Seite einer polaren Zelle vermitteln. Somit ist nicht nur die Anzahl der Rezeptoren, sondern auch ihre Lokalisation von zentraler Bedeutung fiir die Stimulierbarkeit einer Zelle. Viele Zytokine signalisieren i.iber Rezeptorkomplexe, in denen Liganden-bindende Untereinheiten mit Signal-transduzierenden Untereinheiten assoziiert sind (s. S. 818). Haufig ist die Stimulierbarkeit einzelner 28.5 Regulation der Signaltransduktion

831

28 Zellen tiber die Expression der Liganden-bindenden Rezeptoruntereinheit reguliert. Das Fehlen dieser Untereinheit kann durch das Vorhandensein ihrer loslichen Form kompensiert werden. Dabei assoziieren Ligand und li:isliche Rezeptoruntereinheit, binden an die Signal-transduzierenden Rezeptorketten und li:isen dort die Signalkaskade aus. In der Regel hemmen aber losliche Rezeptoren die Signaltransduktion, indem sie den Liganden binden und so seine Assoziation mit Membran-standigen Rezeptoren verhindern. Losliche Rezeptoren entstehen entweder durch alternatives SpleiBen der Pra-mRNA des Transmembranrezeptors oder werden durch eine Protease-vermittelte Abspaltung des extrazellklularen Teils des Membran-standigen Rezeptors (receptor-shedding) generiert ( Abb. 28.15).

Abb. 28.15. Biosynthese liislicher Rezeptoren. Differentielles SpleiBen (links) einer Rezeptor-pra-mRNA resultiert in der Expression unterschiedlicher Proteine. Wahrend der Membran-gebundene Rezeptor transmembranare und zytoplasmatische Bereiche enthalt (0, E), besteht der liisliche Rezeptor nur aus den extrazellularen Domanen und einem alternativen Carboxy-Terminus (C). Bei der lirnitierten proteolytischen Spaltung im Extrazellularteil einesmembranstandigen Rezeptorsdurch eine spezifische Protease (shedding, rechts) entsteht ein loslicher Rezeptor,der keinen alternativen Carboxy-Terminus enthalt

Messung der Rezeptor-Expression Neben den bereits im Kapitel 27.2.4 beschriebenen Methoden der ligandenbestimmung existieren verschiedene Verfahren, die Anzahl der Rezeptoren fur extrazellulare SignalmolekUie aufZellmembranen zu bestimmen. Die Zahl der Zytokinrezeptoren aufZelloberflachen ist im Unterschied zu nutritiven Rezeptoren niedrig.Man findet zwischen 100 und 5000 Rezeptoren pro Zelle. Auch diese relativ geringen Rezeptorzahlen lassen sich mit Hilfe der sogenannten FACS-(fluorescence activated cell sorting)-Analyse im Durchflusszytometer messen. Die Rezeptoren werden auf der Zelloberflache uber einen Fluoreszenz-markierten Antikorper nachgewiesen. Diese Methode ermoglicht auch die Sortierung lebender Zellen nach der Oberflachenexpression bestimmter Proteine. Alternativ Iasst sich die Rezeptoranzahl auch uber Bindungsstudien mit radioaktiv markierten Liganden ermitteln. Hierbei wird die spezifische radioaktive Bindung als Differenz der gesamten Bindung und der unspezifischen Bindung errechnet. Durch die Wahl geeigneter Auswertungsverfahren (Scotchord-Piots) kann die Anzahl der Bindungsstellen (Rezeptoren) und deren Bindungsaffinitaten zum liganden (Zytokin) ermittelt werden.

....

loslicher Rezeptor

i

Membran-gebundener Rezeptor

,

NH 2

B

A

DCOOH

f-

extrazellular

B

extrazellular

D intrazellular

I

5' mRNA

i

E '-' COOH

i

3'

5' A

i

832

I

D

3' mRNA

Pra-mRNA

U\VAVAVAVA~~

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

COOH

3'

B

Pra-mRNA

RezeptorGen

intrazellular

RezeptorGen

t

IAVAVAVAVAVA ~, : :

28 28.5.21 Ruckkopplungsmechanismen Zellen reagieren haufig nur transient auf eine ZytokinStimulation. Es existieren mehrere Riickkopplungsmechanismen, urn die Signaltransduktion bei andauernder Zytokin- Prasenz zu dampfen oder sogar ganz zu hemmen. Eine Uberstimulation - besonders an Orten der Zytokinfreisetzung - wird so mit verhindert. Rezeptoren konnen Liganden-abhangig aber auch -unabhangig durch Endozytose internalisiert werden ( Abb. 28.16). Sie stehen dann fiir eine weitere Stimulation nicht mehr zur Verfiigung. Die Zelle ist desensitiviert. Internalisierte Rezeptorkomplexe konnen nach Ablosung des Liganden zuriick zur Zellmembran transportiert (recycling) oder abgebaut werden. Degradierte Rezeptoren werden durch Neusynthese ersetzt. Proteolytische Prozesse sind auch an anderen Stellen von Signaltransduktionskaskaden regulatorisch beteiligt. Prinzipiell konnen alle Signalmolekiile durch Abbau eliminiert werden: So konnen Proteasen nach Zytokin-Stimulation sezerniert werden, die das stimulierende Zytokin abbauen. Haufig werden Transkriptionsfaktoren im Kern durch das Proteasom abgebaut. Im Unterschied dazu dient die Degradation von Inhibitoren in der Signaltransduktionskaskade der Signalweiterleitung.

! Die Phosphorylierung von SignalmolekUien ist in allen Zytokin-Signaltransduktionswegen von zentraler Bedeutung.

Der Phosphorylierungsstatus wird durch Serin/Threonin und Tyrosin-Kinasen und -Phosphatasen bestimmt. Stimulation mit Wachstumsfaktoren, Interleukinen oder Interferonen lOst Phosphorylierungskaskaden aus. Auch in der Chemokin-vermittelten Signaltransduktion sind Kinasen/Phosphatasen von Bedeutung. Fiir viele Wachstumsfaktor-, Interleukin- und Interferon-Rezeptoren ist bekannt, dass sich neben Kinasen auch Phosphatasen im aktivierten Rezeptorkomplex befinden. Die Bindung inhibitorischer Proteine an aktivierte Signalmolekiile ist auf allen Ebenen der Signaltransduktion zu find en: Ligan den konnen durch lOsliche Rezeptoren abgefangen werden. Aktivierte Kinasen konnen durch Kinase-Inhibitoren in ihrer enzymatischen Aktivitat gehemmt und so an der Signalweiterleitung gehindert werden ( Abb. 28.16). Interleukine induzieren sogenannte suppressors of cytokine signalling (SOCS)-Proteine. Diese sehr friih nach Zytokin-Stimulation nachweisbaren Proteine binden und hemmen aktivierte Janus-Kinasen oder kompetieren mit STATFaktoren urn die Bindung am Rezeptor. SOCS-Proteine selbst werden sehr schnell durch das Proteasom abgebaut und konnen daher nur kurzfristig in die Signalweiterleitung eingreifen. Ahnlich wie die SOCS-Proteine werden auch an Rezeptor-Tyrosinkinasen inhibitorische Proteine rekrutiert: APS (adapter-containing PH

and SH2 domains) bindet an den aktivierten PDGF-Rezeptor und inhibiert die Expression PDGF-induzierbarer Gene. Slap (src-like adaptor protein) kompetiert mit der Src-Kinase urn die Assoziation am aktivierten PDGF-Rezeptor. SchlieBlich wird die Ubiquitinylierung und anschlieBende Degradation des PDGF-R durch die Bindung des Cbl-Proteins an den aktivierten PDGF-R initiiert.

Die Kerntranslokation von Transkriptionsfaktoren ist ein entscheidender Schritt der Signaltransduktion. Haufig werden Transkriptionsfaktoren im Zytoplasma zuriickgehalten und translozieren erst nach Stimulation der Zelle in den Zellkern ( Abb. 28.16). Zum Beispiel bindet lK'B an NF-KB und deckt dabei dessen Kernlokalisierungssequenz ab. Erst der Abbau von lK'B ermoglicht die Kerntranslokation von NF-KB (s. Kap. 28.4.3). Eine Hormon-induzierte erh6hte Expression von IK'B kann einer NF-KB-Aktivierung entgegenwirken. STAT-Faktoren translozieren als phosphorylierte Dimere in den Zellkern und binden dort an Enhancer-Sequenzen Zytokin-induzierter Gene. Protein inhibitor of activated STAT(PIAS)-Proteine assoziieren spezifisch mit STAT-Dimeren und verhindern so die Promotoraktivierung. Ahnlich wirken Smad 6 und Smad 7 in der TGF-/3-Signalkaskade (s. Kap. 28.4.2). SchlieBlich findet man in den Enhancer-Sequenzen von Promotoren meist Bindungsstellen fiir verschiedene Transkriptionsfaktoren. Diese Transkriptionsfaktoren kompetieren urn DNA-Bindungsstellen, wenn diese iiberlappen (cross-talk).

KERNAUSSAGEN Die Zytokin-Signaltransduktion wird reguliert durch: die Anzahl und Lokalisation von Rezeptoren, "' losliche Rezeptoren, Phosphorylierung/Dephosphorylierung von Signalmolekulen, Bindung inhibitorischer Proteine an aktivierte Signalmolekule, ... Blockierung der Kerntranslokation von Transkriptionsfaktoren sowie ... eine Reihe von Ruckkopplungsmechanismen wie lnternalisierung von Rezeptoren durch Endozytose, proteolytischer Abbau von Zytokinen, Rezeptoren und Transkriptionsfaktoren.

28.5 Regulation der Signaltransduktion

833

28 Zytokin-induziertes Protein

lnhibitoren der Transkriptionsfaktoren

~

1

1 mRNA

,.~ 1

~§ ~ ~,__)

____;

liislicher Rezeptor

mRNA

~

- - - - - - - - - - - - - -- - - - - - Kinase-Inhibitor

Abb. 28.16. Termination der Signaltransduktion. Die Modulation und Termination eines Zytokin-induzierten Signals kann auf verschiedenen Ebenen der Signaltransduktion erfolgen: Neben der VerfUgbarkeit von Rezep-

torkomponenten entscheidet das Vorhandensein von zytoplasmatischen lnhibitoren iiber die Signalintensitat.(Einzelheiten s. Text)

SCHLOSSELBEGRIFFE Apoptose Caspase Chemokine Death domain Heptahelikale Rezeptoren Heterotrimere G-Proteine Interferon lnterleukin-6 lnterteukin-8 lnterleukine Janus-Kinase Kerntranslokation Ligandenbindung Mitogen-aktivierte Proteinkinase NF-KB Notch

834

I

28 Endokrine Funktionen II: Zytokine

OASE PDGF PDGF-Rezeptoren PDKl PH-Domane Phosphatidyl-lnositol-3-Kinase Phospholipase Cy Phosphoprotein-Phosphatase P13-Kinase PlPrdependent Kinase PKB PKR Proteinkinase B(PKB) Proteinkinase R(PKR) Ras Rezeptoraktivierung

Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen Rezeptor-Tyrosinkinasen Serpentinrezeptoren SH2-Domane Shedding Signaltransduktion Smad STAT TGF/3 TNF Tyrosinkinase-Rezeptoren Wachstumsfaktoren Zytokine Zytokinrezeptoren

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835

Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation G.

29.1 29.1 .1 29.1.2 29.1.3 29.1.4 29.1.5 29.2 29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4 29.3 29.3.1 29.3.2 29.3.3 29.3.4 29.3.5 29.4 29.4.1

LOFFLER

I M. KELLER E R I H. u. HARING

Insulin

Struktur Biosynthese und Sekretion Plasmakonzentration und Abbau Biologische Wirkungen Molekularer Wirkungsmechanismus Glucagon

Struktur Biosynthese und Sekretion Biologische Wirkungen Molekularer Wirkungsmechanismus Katecholamine

Struktur Biosynthese und Sekretion Biologische Wirkungen Molekularer Wirkungsmechanismus Abbau Pathobiochemie

lnsulinmangel - Diabetes mellitus

838 838 839 843 843 847 850 850 850 852 852 853 853 853 855 856 857 859 859

29 --------~--~---------~

n eI ung

Die Funktion einer Rei he von Hormonen besteht darin, die rasche Umstellung v. a. der Energie liefernden Stoffwechselprozesse an geanderte Aktivitaten des Organism us bzw. geanderte Ernahrungsbedingungen anzupassen. Insulin ist als das wichtigste ana bole Hormon fur die Regulation von Substrataufnahme und Speicherung in einer Rei he von Geweben notwendig. Sein Mangel lost den Diabetes mellitus aus, eine Erkrankung, deren klinischer Verlauf und Symptomatik schon sehr genau in den medizinischen Papyri der alten Agypter beschrieben wurden. Glucagon ist einer seiner direkten Gegenspieler. Es ist verantwortlich fur die Stoffwechselumstellung auf fehlende Nahrungszufuhr und wirkt uberwiegend auf die Leber, woes Glycogenabbau und Gluconeogenese stimuliert. Die Katecholamine schlieBiich sind die wichtigsten Hormone fur die rasche Mobilisierung von gespeicherten Substraten.Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Reaktion des Organismus auf Stresssituationen und haben ein auBerordentlich breites Wirkungsspektrum, das von der Regulation der Durchblutung verschiedener Gewebsgebiete bis zur Steuerung des Stoffwechsels reicht.

29.1

Insulin

29.1.1

Struktur

line des Schafes, des Pferdes und des Rindes unterscheiden sich vom Schweineinsulin durch Veranderungen der drei Aminosauren unter der Disulfidbriicke der A-Kette. Bei anderen Arten sind bis zu 29 der insgesamt 51 Aminosauren des Insulins ausgetauscht, obwohl sich an der biologischen Aktivitat der unterschiedlichen Insuline in verschiedenen experimentellen Systemen relativ wenig Unterschiede zeigen. Im Blut kommt Insulin sehr wahrscheinlich nur in monomerer Form vor. Bei starkerer Konzentration und v. a. in Anwesenheit von Zinkionen bilden sich in vitro hexamere und dimere Insuline, die Ieicht kristallisieren. In den das gespeicherte Insulin enthaltenden Granula der ,8-Zellen der Langerhans'schen Inseln (s. u.) liegt das Insulin in stark kondensierter Formals linkkomplex vor. Insulinkristalle haben die Rontgenstrukturanalyse des Insulinmolekiils ermoglicht (S. 92). Dabei hat sich gezeigt, dass gro6e Teile der A-Kette des Molektils nach auGen exponiert sind, wahrend die BKette mehr im Inneren des Molektils liegt. Diese Tatsache hat zur Annahme gefiihrt,dass dieA-Kette den gro6eren Anteil an der biologischen Aktivitat des Insulinmolekiils hat, wahrend die B-Kette beispielsweise fiir die Ausbildung von Insulinoligomeren verantwortlich ist.

Insulin wurde 1923 erstmalig von Frederick Banting und Charles Best aus Rinderprankreas angereichert, so dass seither sein therapeutischer Einsatz bei der Behandlung der Zuckerkrankheit moglich ist. Erst nach dem 2. Weltkrieg gelang Frederick Sanger die Strukturaufklarung des Insulins. Es ist ein Proteohormon, welches aus zwei Peptidketten besteht, die als A-Kette mit 21 Aminosauren sowie als B-Kette mit 30 Aminosauren bezeichnet werden. A- und B-Kette sind durch zwei Disulfidbrucken miteinander verkntipft, eine dritte Disulfidbriicke im Bereich der A-Kette tragt zur Stabilisierung der Raumstruktur des Insulins bei (~ Abb. 29.1). Bis heute ist die Primarstruktur der Insuline von weit tiber 20 Arten aufgeklart worden. Soweit bis jetzt bekannt, ist der Bauplan aller Insuline identisch, wenn auch eine Reihe von Aminosauren variiert. Die gro6te Ahnlichkeit mit dem Humaninsulin hat das Schweineinsulin, bei dem nur das carboxyterminale Threonin der B-Kette gegen ein Alan in ausgetauscht ist. Die lnsuNH2 L- ---

1 Gly

2 lie

COOH

I

l7

A-

Asn 21 ~

3 ~

NH2 L ---1 Phe 2 Val

4 Gly Gin 5 Cys

.,...---s-......., 5

B-

6

3 Asn Gin 4

5

Hi~ 6

Leu

./

Cys 7 Gly 8

S

Cys Tht

s/7

8

/

Gin leu

Ser lie Cys Ser Leu Tyr 9 15 10 11 12 13 14

Glu

16

I

17

/.s Ser His 9 leu

v1

a Glu Ala leu Tyr Leu Val Cys

12 13

I

\

20

COOH

18

I Lys 30

s T

10 11

838

Asn 1

14 15

16

17

18

Gly Glu

19

20

Arg

GPhe

21 22

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

ly

23

Thr

Pro 27

Lys 29 28

Phe yr 26

24

25

Abb.29.1 . Primarstruktur des Humaninsulins

29 Die bedeutendste Entdeckung im Rahmen der Erforschung der Zuckerkrankheit endete mit einem Eklat 1921 wares Dr. Frederick Banting (1891 - 1941) und dem damals 22jahrigen Studenten Charles Best gelungen, im laboratorium des Professors John J. R. Mcleod in Toronto das Hormon Insulin aus Pankreasextrakten von Versuchstieren zu gewinnen. Dam it stand das entscheidende Heilmittel zur Verfi.igung,die bislang unheilbare Krankheit Diabetes mellitus konnte behandelt werden. Bereits 2 Jahre spater, also 1923, erhielten Banting und Mcleod, der wah rend der entscheidenden Experimente gar nicht im Labor gewesen war, den Nobelpreis fUr Medizin. Charles Best aber wurde als zu jung befunden und ging leer aus - zu Unrecht.AIIerdings bewiesen die Ausgezeichneten Fairness. Banting teilte seine Preishalfte demonstrativ mit Best, Mcleod die seine mit James Bertram Collip, der bei der erstmaligen lnsulinreinigung aus Bauchspeicheldriisen einen wichtigen Beitrag geleistet hatte. 0brig ens:Banting und Best verzichteten auf die Reichtiimer, die sie mit der lnsulinentdeckung hatten verdienen konnen. Fiireinen symbolischen Betrag von einem Dollarvergaben sie die Lizenzzur lnsulinherstellung an aile Firmen,die sich der Erhaltung von Qualitatsstandards bei der Herstellung verpflichteten.Aus diesem Grund konnten sehr schnell nach der Entdeckung viele sonst dem Tod geweihte Zuckerkranke zu einem vertretbaren Preis behandelt werden.

29.1.21 Biosynthese und Sekretion

Biosynthese und Sekretion von Insulin fin den in den [j-Zellen der Langerhans'schen lnseln des Pankreas statt. Fiir die Insulinbiosynthese, Speicherung und Sekretion ist der endokrine Teil des Pankreas verantwortlich. Er enthalt die Langerhans'schen Inseln, kleine homogen iiber das Pankreas verstreute Zellaggregate, in denen verschiedene Zelltypen nachzuweisen sind: ... Die fur die Produktion von Glucagon (S. 850) verantwortlichen a-Zellen, .,.. die ,8-Zellen, in den en die lnsulinbiosynthese ablauft sowie .,.. die o-Zellen, die Somatostatin (S. 904) produzieren. Diese drei Zellarten sind in der Langerhans'schen Insel in typischer Weise verteilt. Die ,8-Zellen finden sich im Zentrum der Insel, umgeben von den a- und o-Zellen. Die·arterielle Blutversorgung der Langerhans'schen Insel gestaltet sich derart, dass die ,8-Zellen im Zentrum zuerst erreicht werden und dann erst die a-undo-Zellen. Hierdurch wird eine rasche Antwort auf Glucosekonzentrationsanderungen im Blutstrom mi:iglich. Die ,8-Zellen machen etwa 80 % der gesamten Zellmasse der Langerhans'schen Inseln aus. -® Abbildung 29.2 zeigt die schematische Darstellung eines elek-

Endothel Basal·

membran

ER

Abb. 29.2. Schematische Darstellung einer Langerhans'schen lnsel des Menschen nach elektronenmikroskopischen Aufnahmen.VergroBerung 10000 : 1.A a-Zelle;B f)-Zelle; Do-Zelle 29.1 Insulin

839

29 tronenmikroskopischen Bildes einer Langerhans'schen Insel, auf der die genannten drei Zellarten zu sehen sind. Sie lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Sekretgranula differenzieren.

Proinsulin ist der einkettige lnsulinprakursor. An einem menschlichen Inselzelltumor konnte der Mechanism us der lnsulinbiosynthese von Donald Steiner aufgeklart werden. Er zeigte, dass die heiden Ketten des Insulins Teile eines einkettigen Vorlaufermolekiils

5' -

sind. Heute ist auch die Struktur des auf dem kurzen Arm von Chromosom 11 gelegenen Insulingens bekannt, so dass der in - Abb. 29.3 dargestellte Syntheseweg gesichert ist. Das Insulingen enthalt zwei Introns. Die nach Transkription und SpleiBen entstehende mRNA des Insulins codiert fiir ein Protein, das, vom Nzum C-Terminus zunachst eine Signalsequenz (S. 286) aus 24 Aminosauren enthalt, an das sich die vollsUindige Sequenz der B-Kette anschlieBt. Nach einem C-Peptid folgt dann die Sequenz der A-Kette. Das Translationsprodukt ist das Priipro-Insulin, welches je nach

(

(

A

-

3'

DNA

!

Transkription Prozessierung des prim~ren Transkripts Entfemung der lntrons (I)

Zellkem

s

B

A

(

mRNA

1

Translation

s

Ribosomen

~ (

I

Prapro-lnsulin

HS SH

B

j Entfemung der Signa !sequenz (S) Faltung, Schlie!lung der Disulfidbriicken

Endoplasmatisches Reticulum, Golgi-Apparat

Proinsulin

B

Entfernung des C-Peptids

s- s Golgi-Apparat ~-{;ranula

840

I

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

Insulin

Abb. 29.3. Biosynthese von Insulin. Das lnsulingen enthalt zwei groBe lntrons (1). Diese werden posttranskriptional entfernt. Nach Translation der dabei entstehenden mRNA entsteht Prapro-lnsulin, welches posttranslational prozessiert werden muss, darn it natives Insulin entsteht. S Exon fur Signalsequenz. (Einzel heiten s.Text)

29 Species aus 104-109 Aminosauren besteht. Wie andere Exportproteine wird auch Priipro-lnsulin an den Ribosomen des rauhen endoplasmatischen Reticulums synthetisiert, wobei das Signalpeptid fiir die Einfiidelung der synthetisierten Peptidkette in das Lumen des ER verantwortlich ist. Dort erfolgt die Abtrennung des Signalpeptids, so dass Proinsulin entsteht. Strukturell ist es Mitglied einer Familie stoffwechselaktiver Wachstumsfaktoren, zu denen u. a. die insulinahnlichen Wachstumsfaktoren (S. 905) sowie das Relaxin (S. 903) gehoren. Insulin wird unter Einschaltung einer spezifischen Protease aus der Familie der Prohormon-Convertasen durch Entfernung des C-Peptids gebildet. Dieser Vorgang findet im Golgi-Apparat sowie innerhalb der j)-Granula statt. Das C-Peptid wird nicht weiter proteolytisch abgebaut, so dass sich in den im Golgi-Apparat entstehenden Sekretgranula Insulin und C-Peptid in aquimolarem Verhaltnis befinden. Diese Tatsache ist insofern von einiger klinischer Bedeutung, als bei der Sekretion von Insulin (s. u.) auch C-Peptid in aquimolaren Konzentrationen zum Insulin freigesetzt wird. Durch spezifische immunologische Bestimmung der C-Peptid-Konzentration im Plasma ist bei mit exogenem Insulin behandelten Diabetikern ein Riickschluss auf die noch vorhandene korpereigene Restsekretion von Insulin moglich. Der wichtigste Faktor fur die Expression des Insulingens ist Glucose. Viele Beobachtungen haben gezeigt, class jede Erhohung der extrazellularen Glucosekonzentration eine Zunahme der Prapro-Insulinsynthese auslost. Hohe Insulinkonzentrationen ftihren dagegen zu einer Hemmung der Expression des PraproInsulingens.

Der physiologische Reiz zur Auslosung der Insulinsekretion der j)-Zelle besteht in einer Erhohung der Glucosekonzentration in der extrazellularen Fltissigkeit. Wie Abb. 29.5 zu entnehmen ist, beginnt die Insulinsekretion bei einer Glucosekonzentration von 2-3 mmol/1 und nimmt danach bis zu einem Grenzwert von etwa 15 mmol/1 mit der Glucosekonzentration zu. Diese Tatsache gewahrleistet, dass jede Erhohung der Blutglucosekonzentration tiber einen Grenzwert von etwa 3 mmol/1 dosisabhangig von einer Insulinsekretion begleitet ist. Unter normalen Bedingungen folgt also jeder ErhOhung der Blutglucosekonzentration ein Anstieg der Insulinkonzentration im peripheren Blut ( Abb. 29.6). Dieses Phanomen ist die

Abb. 29.4. Schematische Darstellung der lnsulinsekretion der /3-Zelle. (Einzelheiten s.Text)

! Die lnsulinsekretion hangt

von der extrazellularen Glucosekonzentration ab .

In Abb. 29.4 ist die aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen abgeleitete Vorstellung tiber den Ablauf der Insulinsekretion der j)-Zellen schematisch dargestellt. Nach seiner Biosynthese und posttranslationalen Modifikation wird Insulin zusammen mit CPeptid in dem vom Golgi-Komplex abgeschntirten Sekretgranula in konzentrierter Form gespeichert. Jeder zur Sekretion fiihrende Reiz bewirkt eine Wanderung der j)-Granula an die innere Zellmembranoberflache. Hier verschmilzt die Granulamembran mit der Plasmamembran, an der Nahtstelle reifit die Membran auf, so dass der Granulainhalt jetzt in den perikapilliiren Raum entleert werden kann. Der Sekretionsvorgang, der also dem klassischen Ablauf der regulierten Exocytose (S. 188 ff.) entspricht, ist abhiingig von der Aufrechterhaltung einer physiologischen Calciumkonzentration im extrazellularen Raum. Colchicin oder Vinca-Alkaloide (S. 201) sind wirkungsvolle Hemmstoffe der Insulinsekretion, was fur eine Beteiligung des mikrotubularen Systems bei der Wanderung der j)-Granula zur Zellmembran spricht.

10

0+---~~--.---~-.---.--,---.--.--~

0

6

9

12

15

Glucose [ mmol/ 1I Abb. 29.5. Glucoseabhangigkeit der lnsulinsekretion. lsolierte Langerhans'sche lnseln wurden 30 Minuten lang mit Glucose in den angegebenen Konzentrationen inkubiert und danach die Menge des freigesetzten lnsulinsermittelt 29.1 Insulin

841

29

ohne Glucose

0

11

15

19

B

Abb. 29.6. 24-Stunden-Profil von Blutglucose- und Plasmainsulin-Konzentration bei einer normalgewichtigen Versuchsperson. F FrOhstUck; M Mittagessen; Z Zwischenmahlzeit; A Abendessen; S Spatmahlzeit; G 1 Stunde gehen. (Nach Molnar 1972)

Grundlage der Glucosebelastungstests zur Diagnose von Vorstadien des Diabetes mellitus (S. 562). Nur bei normaler Insulinsekretion ist der etwa 30 min nach der Glucosebelastung erfolgende Abfall der Blutglucose moglich. Durch kombinierte biochemische und elektrophysiologische Untersuchungen hat man heute eine einigermaBen sichere Vorstellung von dem biochemischen Mechanismus, mit Hilfe dessen das Signal einer erhohten extrazellularen Glucosekonzentration in die Exocytose der Insulin enthaltenden f)-Granula umgesetzt wird ( Abb. 29.7). Glucose wird von den f)-Zellen in Abhangigkeit von ihrer Konzentration (s. u.) aufgenommen und verstoffwechselt. Jede Steigerung des Glucoseumsatzes in der f)- Zelle resultiert in einem Anstieg des zellularen ATP/ADP-Verhiiltnisses. Dies fiihrt zur Hemmung eines in der Plasmamembran der f)-Zellen vorhandenen ATP-empfindlichen K+-Kanals, was eine Depolarisierung der f)-Zelle aus!Ost. Ein spannungsregulierter Ca2+ -Kanal Offnet sich infolgedessen und fiihrt zu einem Anstieg der cytosolischen Calciumkonzentration, die wiederum der Ausloser fur die gesteigerte Exocytose von f)-Granula ist. Somit stellt nicht das Glucosemolekiil selbst, sondern die bei seinem Abbau entstehenden Stoffwechselprodukte das Signal fiir die Depolarisierung der f)-Zelle und die Insulinsekretion dar. Die molekulare Ursache fur die Abhangigkeit der Insulinsekretion der f)-Zellen der Langerhans'schen Inseln von der extrazellularen Glucosekonzentration und vom Glucoseumsatz liegt offensichtlich in einem gewebstypischen Zusammenspiel von Glucoseaufnahme und Glucosephosphorylierung. In den f)- Zellen der Langerhans'schen Inseln kommt das Glucosetransportprotein GLUT-2 mit einer besonders hohen Mi842

I

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

++ COz

ATP -

ATP

+

Abb. 29.7. Mechanismus der Glucose induzierten lnsulinsekretion in fJZellen der langerhans'schen lnseln. Der Glucosestoffwechsel der fJ-Zellen der langerhans'schen lnseln fOhrt in Abhangigkeit von der extrazellularen Glucosekonzentration zu einer Steigerung des ATP/ADP-Quotienten, der das metabolische Signal fOr das SchlieBen eines ATP-abhangigen K+-Kana Is abgibt. Die sich dadurch ergebende Depolarisierung fOhrt zur Offnung eines spannungsabhangigen Ca 2+-Kanals und zur Zunahme der regularen Calciumkonzentration. Diese ist der Ausliiser fOr die gesteigerte Exocytose von fJ-Granula

chaeliskonstante fiir Glucose vor, so dass die Glucoseaufnahme dieser Zellen nie limitierend fiir den Glucoseumsatz wird. Ahnlich wie die Leber verfiigen f)-Zellen tiber eine hohe Glucokinaseaktivitiit. Die Glucokinase der f)-Zellen hat eine KM von etwa 8 mmol/1. Da aufgrund der Ausstattung mit GLUT-2 die intrazellulare Glucosekonzentration der f)-Zellen der extrazellularen entspricht, hangt die Glucosephosphorylierung und damit die Glycolyserate der f)-Zellen direkt von der Blutglucosekonzentration ab.

29 Verschiedene Verbindungen modulieren die Antwort der ,8-Zelle auf den Glucosereiz. AuBer einigen Monosacchariden konnen Aminosauren, Fettsauren und Ketonkorper zur Insulinfreisetzung fuhren. Allerdings ist in jedem Fall die Anwesenheit von Glucose notwendig, so dass eigentlich lediglich die Glucose-induzierte Insulinsekretion durch die genannten Verbindungen verstarkt wird. Einige Hormone uben eine regulierende Wirkung auf die Insulinfreisetzung durch die ,8-Zelle aus. Noradrenalin und besonders Adrenalin hemmen die Insulinsekretion. Blockade der a 2-Rezeptoren (S. 856) hebt diese Hemmwirkung auf, Stimulierung der ,8-Rezeptoren fuhrt dagegen zu einer Steigerung der Insulinfreisetzung, bei der das Adenylatcyclasesystem eingeschaltet ist. In ahnlicher Weise wirkt auch das Glucagon. Seit lang em ist bekannt, dass die gleiche Menge Glucose oral gegeben zu hoheren Insulinspiegeln fuhrt als bei intravenoser Zufuhr. Dies ist die Folge einer durch Enterohormone gesteigerten Insulinsekretion. Derartige Enterohormone werden auch als Inkretine bezeichnet. Von besonderer Bedeutung ist hier das gastrische inhibitorische Peptid (GIP) (S.1088), dessen Plasmakonzentration besonders nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten aufWerte ansteigt, die die Insulinsekretion deutlich stimulieren. Ahnlich verhalt sich das aus dem Prapro-Glucagon der Mucosazellen entstehende Glucagon-iihnliche Pep tid (GLP-1, S. 850 ). Ob Insulin seine eigene Sekretion hemmt, ist nach wie vor Gegenstand der Diskussion. Dagegen ist es sicher, dass Somatostatin, welches u. a. in den 6-Zellen der Langerhans'schen Inseln gebildet wird, die Insulinsekretion hemmt. Die physiologische Bedeutung dieses · Befundes ist noch nicht klar. Unter den Pharmaka besitzen die von den Sulfonamiden abgeleiteten Sulfonylharnstoffe ( Abb. 29.8) eine besonders ausgepragte Wirkung auf die Insulinfreisetzung. Aus diesem Grund werden sie als sog. orale Antidiabetika zur Therapie des Typ 2-Diabetes (S. 861} eingesetzt. Inzwischen ist es gelungen, den SulfonylharnstoffRezeptor der ,8-Zelle zu klonieren und zu charakterisieren. Dieses SUR-Protein (engl. sulfonylurea receptor, SUR) ist ein Transmembranprotein mit einem Moleku0 II II 0

largewicht von etwa 180 kD. Es ist ein Mitglied der ABC-Transporter-Familie und hat zwei Nucleotid-Bindungsdomanen. Interessanterweise hat sich ergeben, dass der SUR identisch mit einem Teil des ATP-abhangigen K+-Kanals ist. Wahrend die ATP-Bindungsstelle am K+ -Kanal intrazellular liegt, befindet sich die Bindungsstelle fur Sulfonylharnstoffe an der extrazellularen Seite desK+ -Kanals. Sowohl ATP als auch Sulfonylharnstoffe konnen an das Kanalprotein binden, womit eine Zelldepolarisierung und Insulinsekretion ausgelOst wird. Mutationen im Bereich des ATP-abhiingigen K+ -Kanals sind in seltenen Fallen beim Menschen beschrieben worden und fiihren zur kindlichen familiaren hyperinsulinamischen Hypoglykamie, da der Rezeptor konstitutiv aktiviert ist.

29.1.31 Plasmakonzentration und Abbau Im zirkulierenden Blut kommt Insulin im Wesentlichen als Monomer vor. Ein Bindungsprotein fur Insulin ist nicht nachgewiesen worden. Die Insulinkonzentration im Blut betragt - in Abhangigkeit von der Glucosekonzentration - beim Stoffwechselgesunden 0,44 ng/ml. Meist werden Insulinmengen aber in internationalen Einheiten angegeben. 1 mg Insulin entspricht etwa 25 internationalen Einheiten (IE). Dieser Wert ist mit Hilfe eines immunologischen Testverfahrens (S. 793) ermittelt worden. Die fruher haufiger benutzten biologischen Bestimmungsverfahren fiihren zu hoheren Werten,die durch die Anwesenheit von Insulin-ahnlich wirkenden Verbindungen im Plasma verursacht sind (Somatomedine, Insulin-ahnliche Wachstumsfaktoren, S. 905). Eine Reihe von sehr aktiven enzymatischen System en sorgt fur den raschen Abbau von zirkulierendem Insulin, so dass dessen Halbwertszeit im Serum nur etwa 7-15 Minuten betragt. So kann von einer Reihe von Zellen der Insulin-Rezeptor-Komplex (s. u.) internalisiert und durch lysosomale Enzyme abgebaut werden. Eine spezifische Glutathion-Insulin- Transhydrogenase katalysiert die reduktive Spaltung der die Aund B-Kette verbindenden Disulfidbriicken. Die nun isolierten Ketten werden rasch proteolytisch abgebaut. Speziell in der Muskulatur scheint es dariiber hinaus Proteasen mit hoher Spezifitat fur Insulin zu geben.

R - S- NH - CO - NH - R2 1

29.1.41 Biologische Wirkungen

a

Cl

O

0-CO-NH-CH,-CH,-Q-!-NH-CO-NH-0

b

OCH 3

Abb. 29.8 a, b. Struktur von Sulfonylharnstoffen. a Allgemeine Struktur der Sulfonylharnstoffe. b Glibenclamid als Beispiel fUr einen haufig verwendeten Sulfonylharnstoff

Das aus den ,8-Zellen der Langerhans'schen Inseln freigesetzte Insulin wirkt nicht auf alle Zellen des Organismus. Von den in Tabelle 29.1 aufgefiihrten insulinempfindlichen Geweben fallen aufgrund ihrer Masse und Stoffwechselbedeutung die Muskulatur, das Fettgewebe und die Leber besonders ins Gewicht, weswegen an ihnen die biochemischen Funktionen des Insulins dargestellt werden sollen ( Tabelle 29.2). 29.1 Insulin

843

29 Tabelle 29.1. Die lnsulinempfindlichkeitverschiedenerOrganeund Zellen

lnsulinempfinclliche Organe

lnsulinunempfindliche Organe

MuskeI (Skelett- und Herzmuskel) Fettgewebe Leber

Erythrocyten lntestinale Mucosa ieren

Leukocyten Lactierende Brustdri.ise Samenblasen Knorpel und Knochen Haut Linse des Auges Hypophyse Peripherer Nerv Aorta Hypothalamus Pankreas Hypophyse

Insulin stimuliert die Glucoseaufnahme in Fettgewebe und Skelettmuskel. Die am langsten bekannte und wichtigste Wirkung des Insulins wurde in den 40 er Jahren von Rachmiel Levine entdeckt, als er zeigen konnte, dass Insulin die Glucoseaufnahme der Skelettmuskulatur stimuliert. Spater konnte eine gleichartige lnsulinwirkung auch im Fettgewebe nachgewiesen werden. Die hierdurch gesteigerte Glucoseverwertung flihrt am Gesamtorganismus zu einem raschen Blutglucoseabfall nach Insulingaben. Fiir die Glucoseaufnahme sowohl der Muske!- als auch der Fettzelle ist der bereits beschriebene Glucosetransporter GLUT-4 (S. 413) verantwortlich, welcher die Glucoseaufnahme durch erleichterte Diffusion katalysiert. GLUT-4-Transporter sind nicht nur in der Plasmamembran verankert, sondern befinden sich auch in

intrazellularen Membranvesikeln, wo sie zur schnellen Mobilisierung bereitstehen. Die Wirkung des Insulins beruht darauf, dass es solche Vesikel in die Plasmamembran verlagert (S.412,413). Ein derartiger Mechanismus passt gut zu den Ergebnissen kinetischer Untersuchungen, wonach Insulin die Maximalgeschwindigkeit und nicht etwa die KM des Glucosetransportsystems verandert. Im Gegensatz zur Fett- und Muskelzelle verfligt die Leberzelle nicht tiber ein insulinabhangiges Glucosetransportsystem. Sie besitzt den Glucosetransporter GLUT-2, welcher aufgrund seiner KM eine Glucoseaufnahme in Abhangigkeit von der extrazellularen Glucosekonzentration gewahrleistet. Eine insulinabhangige Translokation zwischen Plasmamembran und intrazellularen Vesikeln findet im Gegensatz zu GLUT-4 bei GLUT-2 in der Leber nicht statt.Da diese,ahnlich wie die ,8-Zellen, eine sehr aktive Glucokinase besitzt, wird von ihr Glucose proportional dem Glucoseangebot der extrazellularen Fliissigkeit metabolisiert (S. 414). Die gesteigerte Glucoseaufnahme in Muske!- und Fettzelle fiihrt zu einer Reihe von charakteristischen Stoffwechseleffekten. An der Muskelzelle kommt es v. a. zu einer Zunahme der Glycogenbiosynthese, daneben zu gesteigerter Glycolyse. In der Fettzelle wird ein betrachtlicher Teil der vermehrt aufgenommenen Glucose im Hexosemonophosphatweg unter Bildung von NADPH/H+ abgebaut. Au6erdem steigt auch in der Fettzelle die Geschwindigkeit des Glucoseabbaus in der Glycolyse, wobei das gebildete Pyruvat zu Acetyl-CoA decarboxyliert und danach gegebenenfalls fiir die Fettsaurebiosynthese verwendet wird (S.561). Vermehrt synthetisierte Fettsauren werden in Triacylglycerine eingebaut, womit Insulin auch an der Fettzelle den Aufbau von Speichermolekiilen begiinstigt. Von besonderer Bedeutung hierfiir ist die durch das Insulin ausgeli:iste Aktivierung des in den Mitochondrien

Tabelle 29.2. Stoffwechselwirkungen von Insulin Wlrkungstyp Effekte

Stoffwedtselwlrkung

Schnell

Steigerung des Glucosetransports in Skelettmuskel und Adipocyt

Senkung der Blutglucosekonzentration; Steigerung der Glycogensynthese und Glycolyse der Skelettmuskulatur; Steigerung der Triacylglycerinsynthese im Fettgewebe

Aktivierung der Glycogensynthase

Steigerung der Glycogensynthese in Leber und Skelettmuskulatur

Aktivierung der cAMP-spezifischen Senkung des cAMP-Spiegels; im Fettgewebe Hem mung der Lipolyse; Phosphodiesterase in Leber und Skelettmuskel Hem mung der Glycogenolyse und Stimulierung der Glycogensynthese; in Leber Hemmung der Gluconeogenese

Lang am

844

I

Steigerung des Aminosauretran ports im Skelettmuskel

Steigerung der zellularen Aminosaurekonzentration; Stirnulierung der Proteinbiosynthese

Induktion der Lipoproteinlipase

Steigerung der Spa! tung von VLDL-Triacylglycerinen; Stimulierung der Triacylglycerinbiosynthese

Induktion von Glucokinase, Phosphofructokinase, Pyruvatkinase

Stimulierung der Glycolyse

Repression von PyruvatCarboxylase, PEP-Carboxykinase, Fructose !,6-Bisphosphatase und Glucose-6-Phosphatase

Hemmung der Gluconeogenese

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

29 lokalisierten Pyruvatdehydrogenase-Komplexes. Dies fiihrt zu einer vermehrten Bereitstellung von AcetylCoA fUr die Fettsaurebiosynthese ( Abb. 29.9).

!

Insulin senkt den cAMP-Spiegel vieler Gewebe. Da die Glucoseaufnahme des Hepatocyten insulinunabhangig verlauft, miissen etwaige Angriffspunkte des Insulins an der Leber iiber andere Wege als das Glucosetransportsystem vermittelt werden. Auffallend ist, dass in der Leber Stoffwechseleffekte des Insulins mehr als bei anderen Organen im Gegenspiel zu Insulinantagonisten, also Glucagon oder Katecholaminen auftreten. So vermag Insulin wirkungsvoll die durch Glucagon (s. u.) stimulierte Gluconeogenese zu hemmen, daneben stimuliert es die Glycolyse sowie die Glycogensynthese. Die genannten Effekte gehen mit einer durch Insulin verursachten Senkung des cAMP-Spiegels der Leberzelle einher. Ursachlich hierfiir ist eine durch Insulin hervorgerufene Aktivierung der fUr den cAMPAbbau verantwortlichen Phosphodiesterase. Jeder Abfall der cAMP-Konzentration muss zwangslaufig zu einer Hemmung des Glycogenabbaus und zu einer Stimulierung der Glycogensynthese fiihren. Dariiber hinaus verursacht eine niedrige cAMP-Konzentration eine verminderte Phosphorylierung der Fructose-6-Phosphat-2-Kinase, was nach dem auf S.424 dargestellten Schema zur gesteigerten Bildung von Fructose-2,6-Bisphosphat und damit zur gesteigerten Glycolyse fiihren muss. Wahrscheinlich beruht die unter Insulin beobachtete Hemmung der Ketonkorperproduktion auch auf dem beschriebenen Abfall des cAMP. Am Fettgewebe, nicht aber an der Muskulatur zeigt Insulin einen ahnlichen H emmeffekt auf die Adenylatcyclase und fiihrt so zu einer Senkung der durch Insu-

lin-antagonistische Hormone gesteigerten cAMP-Konzentration. Dieses Phanomen bildet die Basis des schon lange bekannten antilipolytischen Effektes von Insulin am Fettgewebe. Dieser auBert sich besonders eindrucksvoll in dem in Abb. 29.10 dargestellten Verhalten von Blutglucose- und Fettsaurekonzentration bei der Therapie eines Patienten mit diabetischem Coma. Neb en der Senkung der Blutglucosespiegel zeigt sich auch ein deutlicher Abfall der Fettsaurespiegel als Hinweis dafiir, dass Insulin die Lipolyse der Fettzelle hemmt.

Insulin stimuliert die Proteinbiosynthese. Die Latenzzeit bis zum Wirkungseintritt der oben genannten Insulineffekte betragt einige Sekunden bis hochstens wenige Minuten. Anders ist es dagegen mit Insulineffekten auf Wachstum und Proteinbiosynthese. Diese sind erst nach Stunden bis Tagen nachweisbar und konnen sich auf der Ebene der Induktion bzw. Repression einzelner Enzyme abspielen, was zu einem geanderten Enzymbestand der Zielzelle fiihrt, oder in einer allgemeinen Wachstumswirkung bestehen. Von immer mehr Genen wird bekannt, dass ihre Transkription durch Insulin reguliert wird. Meist handelt es sich urn Enzyme, die an Schliisselstellen des Kohlenhydrat- oder F ettstoffwechsels stehen. Tabelle 29.3 enthalt eine Auswahl derartiger Enzyme. Am Fettgewebe wird die Expression der fiir die Umwandlung von Glucose in Fettsauren benotigten Transport-

30 1,8 1,6

25

1.4 Tabelle 29.4). Die schon aufgrund pharmakologischer Untersuchungen postulierte Unterscheidung zwischen a - und /J-Rezeptoren ftir Katecholamine konnte dahingehend erweitert werden, dass zwei Typen von a-Rezeptoren, «r und arRezeptoren, sowie drei Typen von /J-Rezeptoren, Pn Pr und P3 -Rezeptoren, molekularbiologisch charakterisiert werden konnten.

Auffallend dabei ist, dass sowohl ftir die a 1- wie auch fiir die a 2-Rezeptoren jeweils noch drei gewebsspezifisch exprimierte Isoformen nachweisbar sind. Samtliche bis jetzt klonierte Katecholaminrezeptoren werden durch eigene, auf verschiedenen Chromosomen lokalisierte Gene codiert. Aile Katecholaminrezeptoren gehoren in die Gruppe der an heterotrimere G-Proteine gekoppelten Rezeptoren mit sieben Transmembrandomanen (S.800). Entsprechend ihrem jeweiligen Wirkungsmechanismus erfolgt jedoch diese Kopplung tiber unterschiedliche G-Proteine. So aktiviert der a 1 -Rezeptor solche Isoformen der G-Proteine, die zu einer Aktivierung der Phospholipase CB und damit zu einer gesteigerten intrazellularen Calciumfreisetzung ftihren. Dieser Effekt spielt bei der Katecholamin-induzierten Vasokonstriktion eine besondere Rolle. a 2-Rezeptoren sind an ein inhibitorisches G-Protein der Adenylatcyclase gekoppelt, so dass ihre Aktivierung durch Katecholamine zu einer Senkung des cAMP-Gehalts ftihrt. Dies ist besonders fiir das Fettgewebe wichtig. Adipocyten der typischen weiblichen Pradilektionsstellen fiir die Fettansammlung, sog. gynoide Adipocyten, enthalten neben j32(s. u.) besonders vie! arRezeptoren. Dies bedeutet, dass sie relativ unempfindlich gegentiber der lipolytischen Wirkung von Katecholaminen sind. In der Tat vermindert sich die Zahl der a r Rezeptoren in diesem Gewebe nur wahrend Schwangerschaft und Lactation. Dies deutet darauf hin, dass eine wesentliche Funktion des gynoiden Fettgewebes in der wahrend der Lactationsphase erforderlichen Bereitstellung von Lipiden ftir die Synthese der Milchfette besteht. Aile bekannten /J-Rezeptoren sind tiber stimulierende G-Proteine ( G5 ) mit dem Adenylatcyclasesystem gekoppelt, steigern also den zellularen cAMP-Gehalt. /J 1Rez~ptoren finden sich u. a. in der Leber, wo sie ftir die Glucoseproduktion aus verschiedenen Quellen verantwortlich sind. Am Myocard beruht ihre Hauptfunktion

Tabelle 29.4. Funktion und Mechanismus von Katecholaminrezeptoren

Rezeptor

Uz

Signaltransduktlon

lntruellulires Signalmoleldil

Effekt

G-Protein vermittelte Aktivierung der Phospholipase C/3

Inositoltrisphosphat; Ca++-Freisetzung

Glycogenoly e; Vasokon triktion u. a. im Splanchnicu gebiet

G,-Protein vermittelte Hemmung der Adenylatcyclase

Senkung des cAMP-Gehaltes

Hemmung der Lipoly e; Hemmung der lnsulinsekretion

G,-Protein vermittelte Stimulierung Steigerung des cAMP-Gehaltes der Adenylatcyclase

Steigerung von Glycogenolyse und Gluconeogenese der Leber; Stimulierung der Insulinsekretion; Steigerung der Kontraktionskraft des Herzens

G,-Protein vermittelte Stimulierung Steigerung des cAMP-Gehaltes der Adenylatcyclase

Steigerung der Lipolyse des Fettgewebes; Vasodilatation in Skelettmuskulatur

G,-Protein vermittelte Stimulierung der Adenylatcyclase

856

/

Steigerung des cAMP-Gehaltes

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

Steigerung der Lipolyse und Thermogenese im braunen Fettgewebe

29 in einer Steigerung der Kontraktionskraft des Herzens. f3r Rezeptoren sind fiir die katecholamininduzierte Steigerung der Lipolyse des Fettgewebes verantwortlich. Au£erdem fiihren sie zu einer Relaxation der glatten Muskulatur sowie der Bronchien und der Blutgefa£e der Skelettmuskulatur. Die molekulare Basis dieses Effektes beruht einmal auf der durch cAMP stimulierten Calciumaufnahme in die Speicher des endoplasmatischen Reticulums. Dies fiihrt zu einem Absinken der cytoplasmatischen Calciumkonzentration in der glatten Muskelzelle und damit zu einer Verminderung der Aktivitat der Myosinkinase ( Abb. 29.21). Dber f3r Rezeptoren andern Katecholamine jedoch den Kontraktionszustand der glatten Muskulatur iiber einen zweiten Mechanismus. Die cAMP-abhiingige Proteinkinase phosphoryliert die Myosinkinase, wodurch deren Affinitat zum Calcium-Calmodulin-Komplex wesentlich verandert wird. Im Vergleich zum nichtphosphorylierten Enzym werden wesentlich hohere Konzentrationen des Calcium-Calmodulinkomplexes benotigt, urn von der inaktiven in die aktive Form iiberzugehen. Dies bedeutet, dass unter {32 -adrenerger Stimulierung die bei Erregung einer glatten Muskelzel-

le auftretende Konzentrationszunahme an freien Calciumionen nicht mehr zur Auslosung eines Kontraktionsvorgangs ausreicht (S. 1042). Dieser Mechanismus liegt u. a. der therapeutischen Wirkung von f3rsympathikomimetisch wirkenden Arzneimitteln zugrunde, die in gro£em Umfang zur Therapie des Bronchialasthmas eingesetzt werden, welches durch eine gesteigerte Kontraktion der glatten Muskulatur des Bronchialtrakts gekennzeichnet ist. f3r Rezeptoren finden sich schlie£lich im braunen Fettgewebe, wo sie fiir eine Steigerung der Lipolyse sowie der Thermogenese verantwortlich sind. Die genaue Kenntnis der Struktur der verschiedenen adrenergen Rezeptoren bietet natiirlich die Moglichkeit, gezielte Hemmstoffe bzw. Aktivatoren spezifischer Rezeptoren zu entwickeln und fiir therapeutische Zwecke einzusetzen. Am bekanntesten sind derzeit Hemmstoffe der (3-Rezeptoren, welche eine hohe Spezifitat fiir die myocardialen {31-Rezeptoren zeigen und u. a. fiir die Therapie der Hochdruckerkrankung eingesetzt werden (s. auch Lehrbiicher der Pharmakologie).

29.3.51 Abbau

inaktiv Myosinkinase

inaktiv Myosinkinase

- Poi-

\

ea2+. calmodulin - -· i

aktiv Myosin kinase •• Ca · Calmodulin

Myosin·ATPase (leichte Kette) inaktiv

Abb.29.21. Regulation d erKontraktion der glatten Muskulatur.Die Myo· sin-ATPase der glatten Muskelzellen ist nur in phosphorylierter Form aktiv. FUr die Phosphorylierung wird eine Myosin kinase benotigt, die durch den Ca2+-Calmodulin komplex aktiviert wird. Katecholaminrezeptoren konnen in zweifacherWeise eingreifen.a1-Rezeptoren fUhren Uber den IPr Zyklus zu einer Erhohung der zellularen Calciumkonzentration. Durch Aktivierung der ,8-Rezeptoren erhohte cAMP-Konzentrationen fordern einmal die Calciumsequestrierung im endoplasmatischen Reticulum, zum anderen durch die aktivierte, cAMP-abhangige Proteinkinase die Phosphorylierung der Myosinkinase. Die phosphorylierte Myosin kinase benotigt hohere Ca 2+-Calmodulin-Konzentrationen, urn aktiv zu sein

Die Plasmaspiegel der Katecholamine sind mit etwa 1 nmol/1 (0,2 ng/ml) fiir Noradrenalin und 0,2 nmol/1 (0,05 ng/ml) fiir Adrenalin au£erordentlich niedrig. Nach beidseitiger Adrenalektomie im Tierexperiment fallt der Plasmaadrenalinspiegel auf 0 ab, wahrend sich der Noradrenalinspiegel nicht andert, da der Ausfall der Noradrenalinbiosynthese im Nebennierenmark durch entsprechende Mehrsekretion der adrenergen Nervenendigungen ausgeglichen wird. Adrenalin und Noradrenalin werden durch eine Kombination von Oxidation und Methylierung zu biologisch inaktiven Produkten abgebaut. Die am Abbau beteiligten Enzyme sind die Monoaminoxidase (MAO) und die Katechol-0-methyltransferase (COMT) ( Abb. 29.22). Die Monoaminoxidase desaminiert Amine, darunter auch Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin, wonach die entstehenden Aldehyde entweder zur entsprechenden Saure oxidiert oder zum Alkohol reduziert werden. Monoaminoxidase ist in den verschiedensten Geweben nachweisbar und findet sich in der au£eren Mitochondrienmembran. Die Katechol-0methyltransferase ist zur 0 -Methylierung verschiedener biologisch aktiver Verbindungenwie Noradrenalin, Adrenalin, Dopamin, 3-Hydroxyestradiol,Ascorbat u. a. fahig.Als Methyldonor dient S-Adenosylmethionin. Der Abbau von zirkulierendem Noradrenalin und Adrenalin beginnt mit der 0-Methylierung zu den entsprechenden 3-Methoxyverbindungen Normetanephrin und Metanephrin. Durch MAO werden beide Verbindungen zum 3-Methoxy-4-Hydroxymandelsiiurealdehyd desaminiert, wonach eine Oxidation zur 3-Methoxy-4-Hydroxymandelsiiure (Vanillinmandelsaure iVMS) erfolgt. Diese wird im Harn ausgeschieden. In 29.3 Katecholamine

857

29 HNCH 3

NH 2

I

CH2

CHO

CH 2

HCOH

HCOH

HCOH

I

I

~ -- ---~---- - .. ~ HOY

HOY OH

OH

Adrenalin

3,4-Dihydroxymandelsaurealdehyd

Noradrenalin

/

OH

-- ~¢

/

IOxidation I / /

/

IReduktion I

/

Ham

Ham

COMT

If

COMT

COOH I

HCOH

, 1) OH

OH

3,4-Dihydroxymandelsaure (OHMS)

3,4-Dihydroxyphenylglycol (DHPG)

OH Methanephrin (3-Methoxyadrenalin)

Normetanephrin (3-Meth oxynorad renali n)

I

\

CHO HCOH

Konjugate

Konjugate

Ham

Ham

OH COOH HCOH

3-Methoxy-4hydroxymandelsaurealdehyd

OH 3-Methoxy-4hydroxymandelsaure (VMS)

l

Ham

Abb. 29.22. Abbau von Noradrenalin und Adrenalin. In den adrenergen Nervenendigungen wird der Noradrenalinabbau durch MAO eingeleitet; Dihydroxymandelsaure und Dihydroxyphenylglycol gelangen in die Zirkulation und werden hauptsachlich zu VMS abgebaut. Zirkulierendes Adrenalin und Noradrenalin werden zuerst 0-methyliert und dann durch MAO

858

I

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

3-Methoxy-4hyd roxypheny lg Iyeo I (MHPG)

Ham

desaminiert. MAO Monoaminoxidase; COMT KatechoiO-MethyltransferaAbbau zirkulierender Kase;-- - Abbau in adrenergen Neuronen; techolamine (vorwiegend in der Leber). Die quantitativ bedeutendsten Abbauwege sind hervorgehoben

29 den adrenergen Nervenendigungen wird Noradrenalin zunachst durch MAO zum 3,4-Dihydroxymandelsaurealdehyd desaminiert, der zum groBten Teil durch COMT ebenfalls in Vanillinmandelsaure umgebaut wird. Vanillinmandelsaure stellt demnach das Hauptabbauprodukt der Katecholamine dar. Urn Aufschluss iiber die Katecholaminsekretion zu erhalten, hat es sich daher bewahrt, statt der sehr aufwendigen Bestimmung der Katecholamingehalte des Plasmas die Vanillinmandelsaureausscheidung im Urin iiber 24 h zu messen, die auBerdem Anhaltspunkte iiber den taglichen Umsatz gibt.

KERNAUSSAGE Fiir die Bewaltigung von Stresssituationen sind die Katecholamine Adrenal in und Noradrenalin von ganz besonderer Bedeutung. Sie werden in adrenergen Nervenendigungen sowie im Nebennierenmark aus der Aminosaure Tyrosin synthetisiert.Sieverfiigen iiber ein breites Wirkungsspektrum am Kreislaufsystem sowie auf den Stoffwechsel,das im Wesentlichen die Mobilisierung gespeicherter Substrate zum Ziel hat.Diese Vielfalt von Effekten kommt dadurch zustande,dass der Organismus iiber mindestens fiinf unterschiedliche Rezeptoren fiir Adrenalin, die Adrenozeptoren,verfiigt.Sie gehOren aile in die Familie der heptahelicalen Rezeptoren und benotigen fOr ihre Wirkung heterotrimere G-Proteine.a1-Adrenozeptoren sind an den Phosphatidylinositolzyklus gekoppelt, arAdrenozeptoren hemmen die Adenylatcyclaseaktivitat, wah rend aile drei {3Adrenozeptoren-Subtypen die Adenylatcylase stimulieren.Die Antwort einer Zelle auf einen Katecholaminstimulus hangt dam it von ihrer Ausstattung mit den unterschiedlichen Rezeptoren ab.

29.4 Pathobiochemie Das koordinierte Zusammenspiel von Insulin und seinen Antagonisten Glucagon sowie den Katecholaminen gewahrleistet, dass der Intermediarstoffwechsel des Organismus rasch und flexibel auf Anderungen der Nahrungszufuhr reagieren kann. Ein wesentliches Ziel dieser hormonellen Regulation besteht darin, unabhangig vom jeweiligen Ernahrungszustand und der Art eines eventuellen Nahrungsmittels eine weitgehende Konstanz der Zusammensetzung der Korperfliissigkeiten zu erhalten, besonders was das Substratangebot angeht. Im Uberschuss aufgenommene Nahrungsstoffe werden im Wesentlichen unter dem Einfluss von Insulin in den Energiedepots des Organismus als Glycogen bzw. Triacylglycerine abgelagert. Im Hungerzustand kommt es zunachst zu einer Abnahme der Substratkonzentration im Blut und damit zu einer Hemmung der Insulinsekretion. Das hierdurch ausgeloste Uberwiegen insulinantagonistischer Hormone sowie die Steigerung der Gluca-

gonsekretion gewahrleistet eine rasche Mobilisierung der gespeicherten Energievorrate. Dabei sorgen komplizierte Regulationsprozesse dafiir, dass trotz fehlender Zufuhr die Glucosekonzentration im Blut so hoch bleibt, dass die Energieversorgung des von Glucose abhangigen Zentralnervensystems gedeckt bleibt. Aufgrund dieser Erwagungen nimmt es nicht wunder, dass endokrine Storungen, welche das Verhaltnis der genannten Hormone betreffen, rasch zu schweren Erkrankungen fiihren konnen. Anhand einiger ausgewahlter Beispiele soll dies im Folgenden dargestellt werden.

29.4.1 lnsulinmangel- Diabetes mellitus Der Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselerkrankung, welche auf einem relativen oder absoluten Insulinmangel beruht. Konnen infolge einer pathologischen Veranderung der ,8-Zellen der Langerhans'schen Inseln oder sehr viel seltener durch Bildung eines mutierten Insulins mit fehlerhafter Aminosauresequenz physiologische Insulinkonzentrationen nicht aufrecht erhalten werden, spricht man von absolutem Insulinmangel. Das durch ihn ausgeloste Krankheitsbild wird als Typ 1-Diabetes bezeichnet. Ein relativer Insulinmangel liegt dann vor, wenn trotz gelegentlich normaler oder sogar Ieicht erhohter Insulinkonzentrationen im Blut die metabolische Antwort des Organismus nicht ausreicht. Dies kann u. a. die Folge eines Rezeptor- oder Postrezeptordefekts sein, hierdurch ausgeloste Diabetes-Formen werden als Typ 2-Diabetes bezeichnet.

Absoluter lnsulinmangellost den Typ 1-0iabetes mellitus aus. Das klassische Krankheitsbild des Diabetes mellitus findet sich beim meist in juvenilem Alter auftretenden insulinabhangigen Typ 1-Diabetes. Eine durch Autoimmunreaktionen ausgeloste Zerstorung der ,8-Zellen fiihrt haufig sehr rasch zu einem akuten Insulinmangel. Die Auslosung dieser autoimmunen Destruktion der ,8Zellen beim Typ 1-Diabetes ist noch nicht vollkommen verstanden. Es werden jedoch sowohl genetische als auch ernahrungsabhangige Faktoren sowie Stress und Virusinfekte diskutiert. Ein Genlocus, der mit der ,Bzellzerst6renden Autoimmunreaktion beim Typ !-Diabetes in Verbindung gebracht wird, befindet sich auf dem human en Leukozytenantigen (HLA-Gen), das eine wichtige Rolle bei der Antigenprasentation spielt. So hat man die HLA-Haplotypen DR3 und DR4 als sog. Suszeptibilitatsgene fur die Entstehung des Typ !-Diabetes identifiziert. In der Zwischenzeit sind weitere Genorte auf verschiedenen Chromosomen identifziert worden, die an der Autoimmunreaktion, die zum Typ ! Diabetes fiihrt, offensichtlich auch mitbeteiligt sind. Durch eine zytotoxische T-Zellreaktion wird eine entziindliche Reaktion der ,8-Zellen ausgelost. Diese Insulinitis fiihrt im Folgenden zur Zerst6rung der In29.4 Pathobiochemie

859

29 Infolge der Glucosurie und Ketonurie stellt sich, bedingt durch osmotische Diurese mit verminderter Wasserreabsorption im proximalen Tubulus, eine Zwangspolyurie ein. Die gesteigerte Ausscheidung organischer Anion en (Acetacetat und ,8-Hydroxybutyrat) bringt die gleichzeitige Ausscheidung von Kationen und Ammoniumionen mit sich. Unter akutem Insulinmangel erreichen diese Fehlregulationen in kiirzester Zeit ein bedrohliches AusmaB. Es kommt zum Coma diabeticum. Im schweren diabetischen Coma konnen taglich 4-8 1 Fliissigkeit, etwa 400 mmol Natrium- und 300-400 mmol Kaliumionen durch Diurese verloren gehen. Trotz des ausgepragten Kaliumverlustes kann im Blutplasma ein normaler Kaliumspiegel gefunden werden, da die Gewebe im Insulinmangel vermehrt Kalium in den Extrazellularraum verlieren. Anhaltende Hyperglykamie und zunehmender Fliissigkeitsverlust setzen die Osmolalitat des Elutes weiter hinauf. Das zirkulierende Blutvolumen nimmt ab, es kommt zur Kollapsneigung mit cerebraler und renaler Minderdurchblutung mit entsprechenden erheblichen FunktionsstOrungen. Die Anhaufung von Ketonkorpern im Blut fiihrt zur Acidose (diabetische Ketoacidose). Fiir die Hirnfunktionsstorungen im diabetischen Coma sind im Wesentlichen die Elektrolytverschiebungen, intrazellulare Dehydratation und ein Sauerstoffmangel durch Minderdurchblutung verantwortlich zu machen. Die hier im einzelnen beschriebenen Fehlregulationen, die zum diabetischen Coma fiihren, sind schematisch inAbb. 29.24 zusammengefasst. Fiir die Behandlung des Coma diabeticum ist neben der Insulinsubstitution v. a. eine ausreichende Fliissigkeitszufuhr und die Korrektur der ElektrolytstOrungen erforderlich.

selzellen. Haufig sind hierbei auch Antikorper gegen Insulin sowie Bestandteile der Inselzelle nachweisbar. Die Messung dieser Antikorpertiter nutzt man heute auch zur diagnostischen Einordnung des Diabetes mellitus sowie zur Einschatzung des Diabetesrisikos bei Kindem von Eltern mit Typ !-Diabetes. Fur den Stoffwechsel des Organismus hat der absolute Insulinmangel eine Reihe von Konsequenzen (Abb. 29.23): Im Fettgewebe kommt es zu einer Verminderung der Glucoseaufnahme und -oxidation, was zu einer Hemmung von Fettsaure- und Triacylglycerinbiosynthese fiihrt. Durch das Oberwiegen insulinantagonistischer Hormone wird eine gesteigerte Lipolyse mit Freisetzung von Glycerin und nichtveresterten Fettsauren in die Blutbahn ausgelost. Dies fiihrt zu einem Uberangebot mit gesteigerter Fettsaureoxidation in der Leber und damit zu iiberschieBender Produktion von Ketonkorpern. Die Konsequenz sind Ketoniimie und Ketonurie. In der Muskulatur sind der Glucosetransport und die Glucoseoxidation verlangsamt. Die Glycogenbiosynthese ist vermindert, die Proteolyse gesteigert. In der Leber fiihrt dies zu einer Zunahme der Gluconeogenese aus Aminosauren sowie zu einer gesteigerten Harnstoffbiosynthese. Proteolysesteigerung und Stimulierung der Harnstoff-Biosynthese sind die Ursache der negativen Stickstoffbilanz. GestOrte Glucoseaufnahme in den extrahepathischen Geweben und erhohte Gluconeogenese in der Leber fiihren zu Hyperglykamie und Glucosurie, die einen erheblichen Energieverlust bedeutet. Mit dem Anstieg der Glucose im Extrazellularraum wird Wasser aus dem Intrazellularraum abgezogen, urn die Osmolalitat aufrecht zu erhalten. Es kommt zur intrazellularen Dehydratation.

Schwerer Diabetes (24h: 10080 kJ (2400 kcal) Herkunft des Brennstoffs

Muskel Protein 150g

1

Brennstoffverbrauch

Leber - - -

• Glucose - - •• Glycogen ..,..---- -

Aminosauren -

280g

.. ? . :-P 1449 ·- - --- •. • .• • ':.- - • C02 + H20 Nerven

36g

Fettgewebe . . Tnacylglycenne 200g- -~

J_c

GI~~~in

36g



Erythrocyten, leukocyten usw.

hrveresterte SOg Fettsauren 200g ~

I

Herz. Nieren, Muskel usw.

• SOg : -P '----"_ ich_tv_e_re_st_e_rte_F_e_tt_sa_ur_e_n_lS_Og-=----:-:-----Abb. 29.25).Seine Mutter tiel im Alter von 70 Jahren ins Coma diabeticum und musste anschlieBend mit Insulin behandeltwerden. Am 4.6.01 wurde der Patient,der bisher weitgehend gesund war, im Coma diabeticum mit einem Blutzuckervon 1405 mg/dl und einem HbA1 cWertvon 17,1 %vom Notarzt in die Klinik gebracht. Es wurde ein Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert. Unter lnsulintherapie besserte sich der Allgemeinzustand des Patienten rasch wieder. Am 15.6.01 erhielt der Patient,der inzwischen erlemt hatte sich selbst Insulin zu spritzen, eine Ernahrungsberatung.ln den folgenden 7 Wochen konnte er durch die Umsetzung der Ernahrungsempfehlungen Gewicht abnehmen. Die lnsulindosis konnte durch Verbesserung der Blutzuckerwerte schrittweise reduziert werden. Am 6.8.01 Gewichtsabnahme von 7 kg (1 03 kg). Der Patient hatte jetzt ohne Insulin bereits wieder normale Blutzuckerwerte. Dieses Beispiel zeigt eindriicklich die starke Abhangigkeit des Glucosestoffwechsels vom Korpergewicht (insbesondere zentrale Adipositas) bei einem neu manifestierten Typ 2Diabetiker. Bereits eine Abnahme von 7 kg hat hier wieder zu

862

I

29 Endokrine Funktionen Ill: Die schnelle Stoffwechselregulation

Abb. 29.25. Adiotiser Tvo2-Diabetiker

einer Stoffwechselnormalisierung gefiihrt. Somit sind Gewichtsabnahme und vermehrte korperliche Bewegung ein prima res therapeutisches Ziel zur Verbesserung der lnsulinsensitivitat beim iibergewichtigen Typ 2-Diabetiker.

Chronischer lnsulinmangel und lang dauernde Hyperglykamien fi.ihren zum diabetischen Spatsyndrom. Obgleich die akute diabetische Stoffwechselentgleisung heute in der Regel gut zu beherrschen ist, hangt das Schicksal diabetischer Patienten zu einem betrachtlichen Ausma13 von Spatkomplikationen an ~ Augen (Katarakt,Retinopathie), ~ Nieren (Nephropathie), ~ Nerven (Neuropathie) und ~ dem Gefa13system (Angiopathie) ab. Der Entstehungsmechanismus dieser Spatkomplikationen hangt im Wesentlichen von der Hyperglykamie selbst und den durch das Metabolische Syndrom definierten Storungen wie Hyperlipidamie und arterielle Hypertonie ab. So konnte durch gro13 angelegte Studien inzwischen belegt werden, dass eine normoglykamische Einstellung von Diabetikern sowie eine Korrektur der Hyperlipidamie und der arteriellen Hypertonie zu

29 einer fast vollstandigen Unterdriickung der Diabetesspezifischen Folgeerkrankungen wie auch der kardiovaskularen Erkrankungen im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv fiihrt. Damit kommt der Stoffwechseleinstellung eine enorm groBe Bedeutung fiir die Vermeidung von Diabetes-spezifischen Spatschaden zu. Hier haben sich durch neue Insulininjektionstechniken und Insulinpraparationen wie ultrakurz oder sehr Iangsam und gleichmaBig wirkende Analoginsuline bessere Moglichkeiten zu einer normoglykamischen Einstellung bei Typ 1- und Typ2-Diabetes ergeben. Die derzeitige Auffassung von der Entstehung der Spatkomplikationen geht davon aus, dass die zeitweise erhohte Glucosekonzentration im Blut die entscheidende StorgroBe ist. Die meisten der diabetischen Spatkomplikationen sind auf Schaden im Bereich der kleinen GefaBe (Mikroangiopathie) zuriickzufiihren. Sowohl die genetische Pradisposition als auch hohe Glucosespiegel sind an der Mikroangiopathie beteiligt. Hohe Glucosespiegel fiihren zu gesteigerter Glykierung und Bildung von Advanced Glycosylation Endproducts (AGE-Produkte) (S. 428). Auch der Polyolstoffwechsel, durch den Glucose vermehrt in Sorbitol umgewandelt und angereichert wird (S. 590), ist an der Entwicklung der Mikroangiopathie mitbeteiligt. Daneben wird eine endotheliale Dysfunktion diskutiert. Dies zeigt, dass die fiir Diabetes typische Schadigung der kleinsten GefaBe multifaktoriell ausgeltist wird. In Zellen, in denen die dazugehorigen Enzyme synthetisiert werden, verursacht ein hohes Glucoseangebot osmotische Zellschadigungen, da die Aldosereductasereaktion peaktisch irreversibel ist und die heiden Zucker nicht weiter verstoffwechselt werden, aber auch nicht in den Extrazellularraum zuriickdiffundieren konnen. Eines der betroffenen Organe ist die Augenlinse, in deren Epithelzellen die Akkumulation der osmotisch aktiven Fructose und Sorbitol den Nachstrom von Wasser und damit eine Zellschwellung bewirkt. Mit dem Wasser dringt Natrium in die Epithelzelle, was von einem gleichzeitigen Efflux von Kalium zur Erhaltung der Elektroneutralitat begleitet ist. Diese Elektrolytverschiebung start die Membranfunktionen, so dass das Zellinnere an Aminosauren und Proteinen, an Glutathion und ATP verarmt. Die Konsequenz dieser pathobiochemischen Veranderung ist der Zusammenbruch der Osmoregulation der Zelle, der sich klinisch als Triibung und Quellung der Linsenfasern, also als Katarakt, auBert. In engem Zusammenhang mit Mangeln der diabetischen Stoffwechseleinstellung kann es auch zu einer diabetischen Retinopathie kommen, die sich im wesentlichen durch Veranderungen der NetzhautgefaBe mit Neovaskularisation, Aneurysmabildung und Retinablutungen auszeichnet. Unbehandelt wiirde dies in vielen Fallen zur Erblindung fiihren. Die Verteilung des Polyolstoffwechselwegs im Nervengewebe zeigt interessante Aspekte fiir die Entwicklung der diabetischen Neuropathie, die typischerweise distal symmetrisch vorkommt. Die Aldosereductase ist vorwiegend in den Schwann-Zellen lokalisiert, in de-

nen auch die ersten diabetischen Schaden auftreten. Auch an der Pathogenese der Angiopathie soll eine Fehlregulation des Polyolstoffwechsels beteiligt sein. Die diabetische Nephropathie ist durch Veranderungen der glomerularen Basalmembran mit ihrem speziellen Typ IV-Kollagen (S. 760) gekennzeichnet. Basalmembranen von Diabetikern weisen einen hoheren Gehalt an Hydroxylysin und an Hydroxylysin-gebundenen Disacchariden auf. Dies spricht dafiir, daB die Lysylreste der Basalmembrankollagene vermehrt hydroxyliert werden, so dass mehr Akzeptorgruppen zur Ankopplung von Kohlenhydratseitenketten entstehen. Durch Verminderung der Heparansulfatproteoglykane im Bereich der Basalmembran des Glomerulums kommt es zu einer Reduktion der negativen Ladung, die wahrscheinlich zusammen mit Hyperfiltration, Kollagenveranderungen und anderen Faktoren zu einem veranderten Aufbau der Basalmembran und der glomerularen Porengro6e fiihrt. Durch diese und tubulare Veranderungen kommt es zu einem anfangs selektiv auf Albumin begrenzten EiweiBverlust der Niere. Die Albuminurie, die im Bereich zwischen 30 und 300 mg/Tag als Mikroalbuminurie definiert wird, benutzt man als friihen Marker der Nierenschadigung bei Diabetes mellitus. Dieses Stadium der diabetischen Nephropathie ist vielfach durch eine normoglykamische Einstellung sowie durch eine Blutdrucksenkung in den normotonen Bereich reversibel. Als wichtiger Parameter zur Beurteilung der Stoffwechselqualitat eines Diabetikers hat sich die Bestimmung der Glycohamoglobine (S. 428, 999) erwiesen. Normalerweise mach en diese nur bis zu 6 o/o des gesamten Erwachsenenhamoglobins aus. Dabei korreliert ihr Anteil nicht mit der aktuellen Blutglucosekonzentration, sondern- was entscheidend fiir die Frage ist, ob ein Diabetiker nicht nur zum Zeitpunkt der Untersuchung sondern langfristig gut eingestellt ist- mit der tiber einen langeren Zeitraum erhohten Blutglucosekonzentration. Nicht die Dauer des Diabetes oder Art der Therapie sind fiir die Hohe dieser glykierten Hamoglobine entscheidend, sondern allein die Haufigkeit und Starke der Konzentrationsveranderungen von Glucose im Blut und damit in den Erythrocyten. In den letzten Jahren sind viele Hinweise dafiir gefunden worden, dass nicht nur Hamoglobin, sondern eine Reihe weiterer extrazellularer Proteine nichtenzymatisch glykiert wird (S. 428). Als Konsequenz dieser Glykierung ergeben sich sehr komplexe Umlagerungsreaktionen der im Zug der Glykierung angehangten Gruppen, die den aus der Lebensmittelchemie bekannten Braunungsreaktionen entsprechen und zu AGE's fiihren. Diese rufen sowohl Struktur- als auch Funktionsanderungen von Proteinen hervor. Sie treten beim Diabetiker weitaus haufiger auf als beim Nichtdiabetiker, betreffen u. a. Endothelien und konnten so fiir das verfriihte Auftreten von GefaBveranderungen bei Diabetes verantwortlich sein.

29.4 Pathobiochemie

863

29 KERNAUSSAGEN Oer Diabetes mellitus ist die haufigste Ursache von Storungen im Bereich der rasch wirksamen Stoffwe Tabelle 30.1). Die regulatorischen Polypeptide des Hypothalamus stellen eine Gruppe von Molekiilen mit Langen von 3 bis etwa 60 Aminosauren dar, die sich u. a. dadurch auszeichnen, dass ihr C-terminaler Rest amidiert ist. Alle hypothalamischen Hormone, d. h. auch das kleinste, das Tripeptid TRH, entstehen durch limitierte Proteolyse aus hochmolekularen Vorstufen. Die Klonierung der Vorstufen fi.ir die einzelnen Polypeptide hat gezeigt, dass jeweils ein in der Vorstufe dem C-Terminus anliegender Glycylrest als Amiddonor fi.ir die enzymatische Amidierung dient. Fast aile hypothalamischen Regulatorhormone finden sich auch in extrahypothalamischen Arealen und anderen Geweben des Organismus, ohne dass jedoch ihre dortige Funktion in jedem Fall bekannt ist.

Einzelne Releasing -Hormone werden stoBweise aus dem Hypothalamus freigesetzt. Einen weiteren essentiellen Bestandteil des neuroendokrinen Systems stellt eine biologische Uhr dar, die verschiedene hormonelle Zyklen steuert, die auch mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus verbunden sind. Wie diese Uhr circadiane Rhythmen wie den der Cortisolsekretion (S. 881) hervorbringt, ist noch unbekannt. Andere reproduzierbare Veranderungen werden nicht von einer tageszeitlichen Rhythmik bestimmt, sondern z. B. davon, wann man einschlaft: So kommt es etwa 60-90 min. nach dem Einschlafen zu einem starken Anstieg der Wachstumshormonsekretion. Eine weitere bedeutende Form der Periodizitat findet sich z. B. bei der Sekretion des Releasinghormons LH-RH (aber auch bei den anderen Releasinghormonen): Die pulsatile Freisetzung, d. h. das Hormon wird nicht kontinuierlich, sondern stoBweise in Abstanden von 90-120 min. aus dem Hypothalamus sezerniert. Dieses Sekretionsmuster, das eine wesentliche Voraussetzung fiir die biologische Wirkung der Releasinghormone darstellt, bleibt auch dann bestehen, wenn z. B. in pathologischen Situationen die Ri.ickkoppelung von der Peripherie gestort ist.

Nucleus paraventricularis Ocytocinse retion Vasopressinsekretion Nuclei praeoptici stoBwe1se Gonadotropinfreisetzung

Nucleus ventromedialis

I

vorderes Hypothalamusgebiet __.~..,......­ Schilddrusenregulation Temperaturregulation Nucleus supraopticus Vasopressinsekretion

Hypophysenstiel

Eminentia mediana

Abb. 30.1. Die einzelnen Anteile des Hypothalamus 30.1 Hypothalamisch-hypophysare Beziehungen

867

30 Tabelle 30.1. Hypothalamische Polypeptide mit regulatorischer Funktion auf die Hypophyse. (+) stimuliert Freisetzung des regulierten hypophysaren Polypeptids; (-) hemmt Freisetzung des regulierten hypophysaren Polypeptids;die Gene aller Polypeptide sind inzwischen kloniert Bezekhnung

Abldirzung

Zahlder Aminosiuren

Regullertes hypophsires Polypeptid

Abldirzung

Corticortropin Relea ing Hormone (+)

CRH

41

Adrenocorticotropes Harmon

ACTH

Thyreotropin Relea ing Hormone ( +)

TRH

3

Thyreoidea stimulierendes Horman TSH (Thyreotropin)

Luteotropic Hormone Releasing Hormone(+)

LH-RH

10

Luteotropes Horman Follikel stimulierendes Harmon

Growth Hormone Releasing Hormone(+) Somatostatin (- }

GRH

44

ss

14/28

Somatotropes Horman (growth hormone = GH) STH STH Somatrotropes Harmon Thyreoidea stimuliereodes Horman TSH

Prolactin Release inhibiting Hormone

PlH

56

LH FSH

Prl

Prolactin

Nerven zum Primarplexus

Nucleus paraventricularis

30.1.21 Hypophyse Zwischen den hypothalamischen Kernen und der Hypophyse bestehen enge anatomische und funktionelle Beziehungen ( Abb. 30.2). Entwicklungsgeschichtlich setzt sich die Hypophyse a us zwei verschiedenen Zelltypen zusammen: .,. der Neurohypophyse (Hinterlappen), die tiber das Infundibulum (Hypophysenstiel) mit dem Hypothalamus verbunden ist, und .,. der Adenohypophyse (Vorderlappen), in der die Hormone gebildet werden, deren Sekretion durch die regulatorischen Polypeptide des Hypothalamus gesteuert wird.

Die hypophysaren Hormone sind untereinander strukturverwandt. Bisher sind sechs Hormone der Adenohypophyse charakterisiert worden ( Tabelle 30.2): TSH, LH und FSH sind Dimere, die eine identische a -Untereinheit besitzen und sich nur durch die (J- Untereinheit voneinander unterscheiden. Prolactin und Somatotropin (Wachstumshormon) leiten sich von einem gemeinsamen Vorlaufergen ab, da sie etwa 50 o/o Homologie besitzen. Die Vorstufe von ACTH, das Prapro-Opiomelanocortin, besitzt strukturelle Ahnlichkeit mit dem Arginin-Vasopressin-Neurophysin, der Vorstufe des Vasopressins in der Neurohypophyse (S. 936).

Sekundarplexus

30.1.31 Regulation von Hypothalamus und

Abb. 30.2. Vasculare und neurale Verbindungen zwischen Hypothalamus und Hypophyse. Fast das gesamte Blut, das den Hypophysenvorderlappen erreicht, muss zuerst das Gebiet der Eminentia mediana des Hypothalamus passieren. Dieses Netzwerk ermiiglicht den Transport hypothalamischer regulatorischer Polypeptide in die Hypophyse. Blut aus der Eminentia mediana flieBt durch einen primaren Kapillarplexus in die hypophysaren Portalvenen

Die aus der Hypophyse freigesetzten Hormone wirken auf bestimmte periphere Gewebe, in den en sie die Biosynthese und Sekretion gewebespezifischer Hormone hervorrufen. Dber diese Hormonprodukte, aber auch Substrate, wie z. B. Glucose, erfolgt eine Riickkoppelungshemmung (Abb. 30.3) auf der Ebene des Hypo-

thalamus und/oder der Hypophyse (long loop feedback). So verursacht z. B. ein Abfall der Plasmakonzentration von Cortisol eine vermehrte ACTH-Produktion und -Sekretion durch die Hypophyse, wahrend auf der anderen Seite hohe Plasmacortisolkonzentrationen die ACTH-Sekretion hemmen. Neben der Hemmung

Hypophyse durch die Zielgewebe

868

I

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

30 Bezeidtnung

Anzahl der Amlnosluren

Gen auf Chromosom

intemeund exteme Stimuli zentrales Nervensystem

ACTH

36

TSH

Dimeraus a (92) und/1 (110)

6a

LH

Dimeraus a (92) und tJ (118)

19(/3) 6a

FSH

Dimeraus a (92) und/3 (liS)

{/J)

STH

191

17

Prolactin

198

6

Hypothalamus

~

6a

durch von den peripheren Zielgewehen gehildete Hormone hilden einzelne Gewehe, wie z. B.die Gonaden, Proteohormone, die spezifisch aufhypophysarer Ehene hemmend wirken (Inhihin). Dariiher hinaus hesteht offenhar auch zwischen Hypophyse und Hypothalamus eine Riickkoppelungshemmung (short loop feedback).

hypothalamische Releasing· und inhibitorische Hormone

PRH

Somato- : stat in PIH

t GH Prolactin

MSH

Hypophysenvorderla ppen

~

30.1.41 Hormone des Hypophysenmittelund -hinterlappens Im Hypophysenmittellappen finden sich Hormone, die die Melaninahlagerungen in den Melanocyten und damit die Pigmentierung der Haut stimulieren. Die heiden hisher charakterisierten Melanocyten stimulierenden Hormone (MSH) a - und ,8-MSH (Ahh. 34.20, S.l073) hesitzen strukturelle Ahnlichkeit mit ACTH, einem Hormon des Hypophysenvorderlappens (S. 880). Im Hypophysenhinterlappen finden sich die heiden Polypeptidhormone Ocytocin und Vasopressin, iiher deren Bedeutung bei der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes in Kapitel31 (S. 937) berichtet wird.

30.1.51 Weitere Hormone des Hypothalamus

!

CGRP entsteht durch alternierendes Spleif'len der Calcitoningen-mRNA. Bei der Transkription des Gens fiir Calcitonin, eines Polypeptidhormons der Schilddriise (S. 956), wird im Hypothalamus durch alternierendes SpleiBen eine mRNA gehildet, deren Translation ein Peptid mit 37 Aminosauren ergiht, das als Calcitoningen-verwandtes Polypeptid (CGRP, engl. calcitonin gene related peptide) hezeichnet wird ( Ahh. 30.4). CGRP kommt zwar auch in der Schilddriise vor, es ist jedoch wesentlich starker im ZNS verhreitet, in dem es auBer im Hypothalamus auch im Riickenmark, im limhischen

Nebennieren

Schilddn1se

Hoden

Ovarien

Testosteron

Gewebemetabohten und Stoffwechselsubstrate (z.B. Glucose)

Stimulierung

Hem mung

bekannt ... - - - - - - - - - - - - - - - - - - vermutet - - - - - - - - - - - - - - - - - - .,. Abb. 30.3. Prinzip der Regulation des hypothalamisch-hypophysaren Systems und seiner peripheren Zielgewebe

System, im Trigeminusganglion und in der Hypophyse nachzuweisen ist. Auch in peripheren Nervenfasern, im Herz, den Lungen und dem Gastrointestinaltrakt kommt CGRP oft im Verhund mit der glatten Muskulatur von BlutgefaBen vor. Immunoreaktives CGRP ist im Plasma nachweishar und kommt dort in hoheren Konzentrationen als Calcitonin vor, so dass dieses Peptid u. U. das Hauptprodukt des Calcitoningens heim Men30.1 Hypothalamisch-hypophysare Beziehungen

869

30 codierend

Calcitonin-Gen

Calcitonin

CGRP

codierend

S'

3'

Poly A

Schilddriise ( 1

Calcitonin-mANA

Cl Calcitonin

Poly A

Hypothalamus Poly A

S'

Poly A 3'

S'

3' CGRP-mRNA

Calcitonin-Vorstufe (17.4kD)

gemeinsame Region

CGRP-Vorstufe

6 Calcitonin

I

(1S,9kD)

gemeinsame Region

16

4 CGRP

4

l N-terminales Peptid

C-terminales Peptid

/l

N-terminales Peptid

CGRP

(37 Amino~uren)

C-terminales Peptid

Abb. 30.4. Produktion von CGRP durch gewebespezifisches alternierendes SpleiBen. Die beiden mRNA'sfUr Calcitonin bzw. CRGP besitzen eine identische Region am 5' -En de

schen ist. Die Injektion in das Ventrikelsystem des Gehirns verursacht eine Erhohung der Noradrenalinspiegel im Plasma, eine Tachykardie und einen erhohten Blutdruck, wogegen die periphere Injektion eine Tachykardie mit Blutdruckabfall verursacht. Die intravenose Verabreichung von CGRP bei freiwilligen Versuchspersonen fiihrt zu einer peripheren Vasodilatation mit Blutdruckabfall, Tachykardie und erhohten Katecholaminwerten. Das Pep tid fiihrt beim Menschen zu einem Abfall der Magensaure- und Pepsinsekretion, die von einer Ianger andauernden Senkung der zirkulierenden Spiegel von Gastrin, gastrischem inhibitorischem Peptid, Glucagon und Neurotensin begleitet werden. Beim Menschen hat CGRP keinen Effekt auf den Plasmacalciumspiegel. Die starke vasoaktive Wirkung des Peptides sprechen dafiir, dass es an der Regulation des peripheren GefaBwiderstandes beteiligt ist.

870

I

KERNAUSSAGEN ... Das hypothalamisch-hypophysare System ist ein komplexes neuroendokrines Regelwerk.Seine Kommunikation erfolgt iiber Releasing und Release-lnhibiting-Peptidhormone, die nicht kontinuierlich, sondern stoBweise in bestimmten zeitlichen Abstanden aus dem Hypothalamus sezerniert werden. • Unter dem spezifischen Einfluss hypothalamischer Faktoren werden aus der Hypophyse Hormone freigesetzt, die die Schilddriise, die Nebennierenrinden, die mannlichen oder weiblichen Geschlechtsgewebe sowie die Leber und sekundar den Knochen beeinflussen. • Die in diesen Erfolgsorganen gebildeten Hormone binden an ihren Zielzellen Rezeptoren,deren Aufbau ein gemeinsames Strukturprinzip zugrunde liegt. .,. Ober Riickkoppelungsmechanismen werden die Systeme auf Hypophysen- bzw. Hypothalamusebene reguliert.

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

30 30.2 Hypothalamus-HypophysenSchilddri.isen-Achse

30.2.1 Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse

! TRH entsteht aus einem relativ groBen Prohormon. Die Regulation der Sekretion des Thyreoidea stimulierenden Hormons (TSH) der Hypophyse durch den Hypothalamus erfolgt tiber das TSH-Releasing-Hormon (TRH), ein Tripeptid mit der Struktur (pyro)Glu-HisPro-NH2. Die Amidierung des C-terminalen Prolylrestes und die Zyklisierung des Glutaminylrestes sind Voraussetzung fiir die biologische Aktivitat. TRH ent-

steht durch posttranslationale Prozessierung eines Prohormons mit 255 Aminosauren und einer Molekillmasse von 30 kDa. In der aus der eDNA ( Abb. 30.10, S. 874) - durch Monodejodierung in biologisch inaktives 3', 3', 5-T3 (reverses T3 ) iiberfiihrt. Weitere 40 o/o werden in der Leber- wie andere Phenole (S. 1110) - durch Konjugation mit Sulfat oder Glucuronat in eine ausscheidungsfahige Form (Galle) iiberfiihrt. Die Sulfatierung erfolgt durch Sulfotransferasen (beim Menschen 5 Familien mit 10 Genen), die neben Schilddriisenhormone auch Ostrogene, Corticoide und Xenobiotika sulfatieren. Die iibrigen 20 o/o werden durch oxidative Desaminierung und Decarboxylierung der Alanylseitenkette durch Enzyme des Aminosaurestoffwechsels in der Leber oder den Nieren zu den Acetatanaloga Tetra- und Trijodthyreoacetat abgebaut, die vor ihrer Ausscheidung noch dejodiert werden.

30.2.61 Molekularer Wirkungsmechanismus der SchilddrUsenhormone FurT 3 existieren mehrere Rezeptoren. Aus dem Cytosol der Zielzelle gelangt T3 in den Zellkern ( Abb. 30.12). Dort findet das Hormon Rezeptoren, die an die Regulatorelemente bestimmter Gene binden und damit ihre Expression verandern. TrRezeptoren gehoren zur Familie der hormonempfindlichen Transkriptionsfaktoren ( Tabelle 30.3). Die Rezeptoren besitzen C- und N -terminale Domanen, die eine zentrale DNA-Bindungsdomane einrahmen. In dieser Bindungsdomane finden sich Cysteinylreste, die ein Zinkatom chelieren und deshalb als Zinkfinger bezeichnet werden (S. 260). Normalerweise dimerisieren diese Rezeptoren, damit sie funktionell aktiv werden konnen. Fiir T3 existieren zwei Rezeptoren (a und {3) mit unterschiedlichen Subtypen (1 und 2). Die a 1-, ar und {3 1- Rezeptoren sind ubiquitar verbreitet, wohingegen andere Subtypen nur in einzelnen Organen wie Gehirn, Leber oder Myocard vorkommen, oder auch in einzelnenArealen dieser Gewebe unterschiedlich verteilt sind. 30.2 Hypothalamus-Hypophysen-Schilddriisen-Achse

875

30 Tabelle 30.3. Genfamilie der Schilddriisenhormon-/Steroidhormonrezeptoren. (In Klammern die chromosomale Lokalisation des Gens, sofern bekannt)

Ostrogen-a (6) und {3 (14) Cortisol (5) Progesteron (nq23) Androgen Schilddriisenhormon ({3-Typ)

Aldosteron (4)

Vitamin-A-Saure (17q21.1)

Vitamin D

Dartiber hinaus wird auch wahrend der Entwicklung die Expression dieser Rezeptoren unterschiedlich reguliert. Nach Bindung des Liganden wirken die Rezeptoren als Transkriptionsfaktoren , wobei sie entweder als Homodimere vorliegen mtissen oder mit anderen Kernproteinen, v. a. dem Retinsaure-X-Rezepto r (RXR, S. 729) als Heterodimere mit den entsprechenden DNA-Sequenzen interagieren. T3 kann eine Zu- oder Abnahme der Expression verschiedener Gene herbeiftihren.

30.2.71 Zellulare Wirkungen der SchilddrUsenhormone Schilddri.isenhormone wirken auf Stoffwechsel, Wachstum und Differenzierung sowie die Kontraktionskraft des Myocards. Schilddrtisenhormone beeinflussen den Intermediarstoffwechsel. Sie aktivieren z. B. die Gluconeogenese, Glycogenolyse und Liponeogenese. Die Liponeogenese wird durch Stimulierung des Malatenzyms, der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase und der Fettsauresynthase vermittelt. T3 wirkt auch auf den Cholesterinstoffwechsel, da ein Abfall der TrKonzentration mit einer Erhohung des Plasmacholesterinspie gels verbunden ist, sowie auf die Expression der Gene der Na+fK+-

1

ATPase. Dieses ATP-abhangige Enzym ist fiir einen betrachtlichen Anteil des Sauerstoffverbrauchs der Gewebe verantwortlich. T3 stimuliert dieses Enzymsystem, sodass der Sauerstoffverbrauch vieler Gewebe unter dem Einfluss von Schilddrtisenhormone n steigt. Ein Teil der bei der ATP-Spaltung freiwerdenden Energie wird in Form von Warme frei und tragt wesentlich zur Thermogenese bei. T3 ftihrt auBerdem zusammen mit einer adrenergen Stimulation von {3 3-Rezeptoren zu einer gesteigerten Expression des Entkopplungsproteins (S. 545) am braunen Fettgewebe. Die Transkription der Gene ftir verschiedene lysosomale Enzyme steht ebenfalls unter dem Einfluss von T 3• Moglicherweise ftihrt die verringerte Expression des Hyaluronidasegens bei TrMangel zu der bei Schilddrtisenunterfun ktion auftretenden St6rung des Bindegewebsstoffwechsels (Myxodem). T3 fordert das Wachstum zum einen tiber eine Stimulierung der Biosynthese von Wachstumshormon in der Hypophyse (S. 904) und zum anderen tiber einen direkten Effekt auf den Knochen, der moglicherweise durch Polypeptidwachstumsf aktoren (wie z. B. IGF und EGF, S. 815) vermittelt wird. T3 besitzt auch eine Schltisselfunktion bei Differenzierungsvorga ngen wie z. B. der Hirnentwicklung bei Neugeborenen durch Forderung der Dendritenbildung (moglicherweise unter Vermittlung neurotropher Faktoren, S. 1075) und der Myelinisierung (S. 1059). T 3 verringert den peripheren GefaBwiderstand, erhoht die Kontraktilitat des Herzmuskels und besitzt einen positiv chronotropen Effekt am Herzen. Die Wirkungen werden tiber eine Verstarkung der Aktion von Katecholaminen durch Zunahme der {3 1-Rezeptoren im Herzmuskel vermittelt. Am Myocard fOrdert T3 weiterhin die Expression der Gene ftir die sarcoplasmatische Ca-ATPase, Na/K-ATPase sowie verschiedene Kaliumkanale (kv 1.5, kv 4.2, kv 4.9) und hemmt die von Phospholamban, Adenylatcyclasen V und VI, des Tr Rezeptors-a sowie des Na/Ca-Austauschers. Damit konnen elektrochemische und -mechanische Eigenschaften des Herzmuskels beeinflusst werden.

~ T

RA

andere

Transkriptionsfaktoren

hnRNA

- --'lit-- Protein - - - mRNA _ _ __.,

876

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

Abb. 30.12. Molekularer Wirkungsmechanismus von T3• TR T rRezeptor; RXR Retinoat -Rezeptor. (Einzelheiten s.Text)

30 100

30.2.81laborchemische Tests zur Bestimmung der Schilddri.isenfunktion

90

80

! Die Bestimmung des biologisch aktiven Hormons ist am aussagekraftigsten.

Die entscheidende GroBe zur Beurteilung der Schilddrusenfunktion ist die Kenntnis der Konzentrationen von T4 und T3 im Blut. Man muss allerdings dabei davon ausgehen, class nur freies, d. h. nicht an Tragerproteine gebundenes T4 bzw. T3 biologisch aktiv ist. Da heutzutage zuverlassige Messverfahren fUr ihre Bestimmung zur Verftigung stehen, bestimmt man gebundenes oder besser freies T4 bzw. T3 und verzichtet auf die fruher ubliche Bestimmung des Thyroxin-Bindungsindexes. Plasma enthalt etwa 40 mal soviel Gesamt-T4 wie Gesamt-T3 ( Tabelle 30-4). Wegen der unterschiedlichen Affinitaten von T4 und T3 zu den jeweiligen Bindungsproteinen ist der Konzentrationsunterschied zwischen freiem T4 und T3 bei we item nicht so groK

!

Ober die TRH-Stimulation wird die Hypothalamus-Hypophysen-Achse getestet. Durch die radioimmunologische Bestimmung von TSH nach Stimulation der Hypophyse durch intravenose Verabreichung von 500 jlg TRH kann der Funktionszustand der hypothalamisch-hypophysii.renAchse ermittelt werden. Normalerweise kommt es zu einem schnellen Anstieg des TSH-Spiegels auf das Zwei- bis Dreifache, welcher seinen Gipfel innerhalb von 20-30 min. erreicht. Daraufhin erfolgt ein langsamer Abfall auf den Ausgangswert innerhalb von zwei bis drei Stunden. Beim Stimulationstest wird der TSH-Spiegel deshalb vor und dreiBig Minuten nach Gabe des Releasing-Hormons bestimmt. Bei primarer (d. h. auf Schilddrusenebene liegender) Unterfunktion der Schilddruse wird bei basal erhohten TSH-Werten ein verstarkter Anstieg aufTRHGabe beobachtet ( Abb. 30.13); kein Anstieg wird dagegen in einzelnen Fallen von hypophysii.r bedingter Schilddrusenunterfunktion sowie bei Uberfunktion der Schilddruse gesehen. Die Messung des basalen TSH-Spiegels im Plasma erlaubt beim Neugeborenen im Rahmen einer Reihenuntersuchung die Diagnose einer angeborenen Schilddrusenunterfunktion, da der ISH-Spiegel als Folge einer mangeinden Ruckkopplungshemmung durch T4 Tabelle 30.4. Plasmakonzentration der SchilddrOsenhormone Konuntntiot'l

Gesamt

Frei

Thyroxin T 4

4,5- 10,5 x IOlngldl 0,8-2 ngldl (60- 140 nmoUI) (10- 25 pmoUI)

1'rijodlhyronin T J

100- 200 ngldl (1,5- 3,5 nmoUI)

0,25- 0,6 ngldl (4- 9 pmoUI)

70 60

50 40 30 20

0

t

30

60

120

180

Minuten nach TRH-Injektion

Abb. 30.13. TRH-Stimulationstest

oder T3 auf ein Mehrfaches der Norm erhoht ist. Diese Bestimmung hat sich auch bei Erwachsenen bei Verdacht auf Schilddrusenfehlfunktionen bewahrt.

30.2.91 Pathobiochemie Jodmangel oder Mutationen im TSH -Rezeptoroder Tr Rezeptorgen ktinnen Unterfunktionen verursachen. Eine Hypothyreose im Kindesalter kann durch eine St6rung auf hypothalamischer, hypophysarer oder Schilddriisenebene verursacht sein. Genetische Defekte der einzelnen Schritte der Hormonbiosynthese in der Schilddruse verursachen einen Hormonmangel, Mutationen in dem Anteil des TrRezeptor-{3-Gens, der fUr die Liganden bindende Domane codiert, fiihren zu einer TrResistenz. Mutationen in der Bindungsdomane des TSH-Rezeptors ( Abb. 30.14) bedingen eine TSH-Resistenz. Werden diese Defekte bei der Geburt manifest, so tritt - wenn die Krankheit nicht erkannt und deshalb nicht behandelt wird - aufgrund der fehlenden Schilddrusenhormonwirkung auf Wachstum und Differenzierung ein schwerer physischer (Minderwuchs) und geistiger Entwicklungsriickstand innerhalb der ersten Lebensjahre auf. Die Hypothyreose im Erwachsenenalter fuhrt zu anderen klinischen Manifestationen. Ursache kann die Produktion von gegen 30.2 Hypothalamus-Hypophysen-Schilddriisen-Achse

877

30 Exon 1

+NH 3 - ~~Mt~~~I4~~DC~~~~20 30 Exon 3 Exon 2 I Rs I ') P l NS F A H S P I T R 90 81 70 Exon 4

40

l,

100

YIDPDAL 120 Exon 7

190

200

-205 'v

Exon6 CL G FA

Lr 182

KYLTV I D

210

'(

SSE

D 220

C

l SE 300

p

NDT

150

El 158

162

I

240

,I

250 i

294

320

167

'

Exon9

F G GV YS G P S

l N S P l

a

' y

170

Exon8

LNK

Exon 5

F L 131

280

290

270

260

E N l GDS 330

Extrazellularraum

DS KP T CV EC

I

D 410

400

D

S D GC I 390

A I

Zellmembran



lntrazellularraum

•• •+

Polymorphism us Keimbahn-Mutationen, die zur Resistenz flihren somatiSTabelle 30.3, S. 876). Daran anschliefiend folgt die Oberfiihrung des Komplexes in den Zellkern, die Bin dung an die DNA und die Beeinflussung der Transkription spezifischer Gene. Die quantitative Bestimmung dieser Rezeptoren in maligne entartetem Mammagewebe ist Grundlage der 900

I

30.s.sJ Zellulare Wirkungen der Hormone Ostrogene wirken unter Vermittlung von Polypeptidwachstumsfaktoren. Eine Konsequenz der komplexen Wechselwirkungen der einzelnen Bestandteile des Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Systems ist die Vorbereitung des Endometriums des Uterus auf die Implantation eines befruchteten Eies. Die Sequenz von .- Wachstum (proliferative Phase), .- Differenzierung (sekretorische Phase) und .- Rtickbildung (Menstruation) des Endometrium wird durch die in den Ovarien gebildeten Steroidhormone reguliert. Die Expression der Rezeptoren fiir beide Hormone ist ebenfalls zyklischen Schwankungen unterworfen. Der Ostrogenrezeptor steigt zum Zeitpunkt der Zyklusmitte an und erreicht die maximale Expression wahrend des mittleren bis spaten Abschnittes der proliferativen Phase des Endometriums. Nach der Ovulation fallt der Ostrogenrezeptorspiegel wieder ab. Ostrogene induzieren die Proliferationsphase und bereiten den Uterus auf die anschlieBende Gestagenwirkung und die Schwangerschaft vor. Vermutlich unter der Vermittlung von Polypeptidwachstumsfaktoren (S. 815) kommt es zum Aufbau der Uterusschleimhaut, Verlangerung der uterinen DrUsen, Wachstum und Vermehrung der Muskelfasern und zunehmender Vaskularisierung. Gleichzeitig kommt es zu charakteristischen Veranderungen im Eileiterepithel und in der Vagina. Diese Veranderungen beginnen unmittelbar nach Beendigung der letzten Regelblutung. Weiterhin sind Ostrogene auch fiir die Auspragung und Aufrechterhaltung der sekundaren weiblichen Geschlechtsmerkmale verantwortlich (z. B. den Mammae). Ostrogene beeinflussen in der Brust Stimulation von Wachstum und Differenzierung des Gangepithels, Induktion der mitotischen Aktivitat von Gangzylinderepithelien und des Wachstums des Bindegewebes. Sie wirken auf den Fettstoffwechsel, indem sie ApoB und ApoE erhOhen und High density Lipoproteine erniedrigen (S. 616). Am Knochen hemmen Ostrogene den Knochenabbau und fordern die Produktion anderer Hormone, die die Knochendichte erhohen, wie 1,25-Dihydro:xy-VitaminD, Wachstumshormon und IGF-1 (S. 777). Dies erklart die Abnahme der Knochendichte bei Frauen nach der Menopause (Osteoporose). Aufgrund ihres lipophilen Charakters sind Ostrogene auch mit Hautpflastern anwendbar, durch die das Hormon transdermal in das Blut diffundiert. In der Leber fiihren sie zu einer gesteigerten Synthese bestimm-

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

30 ter Proteine, so z. B. des Thyroxin bindenden Globulins.

!

Progesteron bereitet die Nidation des befruchteten Eies vor.

Progesteron wird im Menstruationszyklus nach der Ovulation gebildet und fiihrt zum Wachstum des Uterus sowie zur Umwandlung des Endometriums vom Proliferations- zum Sekretionsstadium, wodurch die Nidation des befruchteten Eies und die Ernahrung des entstehenden Embryos vorbereitet wird. Progesteron hemmt die Ovulation und tiber eine hypothalamische Riickkoppelung die Sekretion von LH durch die Hypophyse. Kommt es nicht zur Befruchtung, so fallen ungefahr am 26. Tag des Zyklus die Hormonspiegel an Ostrogenen und Progesteronen steil ab ( Abb. 30.31, S. 897), und die Uterusschleimhaut wird in der Menstruation (beim Beginn des neuen Zyklus) abgestoGen. Prostaglandine sollen an diesem Prozess beteiligt sein. Die nicht auftretende Coagulation des Menstruationsblutes wird auf die Gegenwartfibrinolytischer Aktivitiiten zuriickgefiihrt (S. 1022). Kommt es zur Befruchtung, dann bleibt das Corpus luteum erhalten und wandelt sich in das Corpus luteum graviditatis mit gesteigerter Progesteronbiosynthese urn, die dann in der zweiten Schwangerschaftshalfte von der Placenta (s. u.) iibernommen wird. In den Mammae bewirkt Progesteron die Ausbildung eines sekretionsfahigen Milchgangsystems. Eine direkte Einwirkung des Progesterons auf das Temperaturzentrum im Gehirn fiihrt zu einem Anstieg der Korpertemperatur urn 0,4-0,8 oc (thermogener Effekt, Abb. 30.31, S. 897). Extragenital wirken die Gestagene, wenn auch nur schwach, ahnlich wie Aldosteron oder Cortisol auf die Natriumretention und auf den Proteinkatabolismus.

!

Die Implantation des befruchteten Eies und die Entwicklung der Placenta erfolgen in einem Mehrschrittprozess.

Die Anhaftung der aus der befruchteten Eizelle hervorgegangenen Morula an das Uterusepithel wird als Implantation bezeichnet. Der entstehende Embryo kann sich nicht ohne die Placenta entwickeln, deren erste spezialisierte Struktur (bestehend aus Trophoblasten, Basalmembranen und Endodermzellen) sich nach der Implantation bildet. Durch Weiterentwicklung stellt die Placenta die fiir den Stoffaustausch notwendigen GefaGverbindungen und steuert endokrine, immunologische und Stoffwechselprozesse der Mutter zum Vorteil des Embryos. StOrungen dieser komplexen Vorgange sind Ursachen fiir Konzeptionsprobleme und Fehlgeburten. In den letzten Jahren haben sich die Kenntnisse tiber die molekularen Grundlagen dieser Vorgange wesentlich erweitert: Nach der Befruchtung des Eies im Eileiter entsteht durch Zellteilung die Morula, die nach Erreichen des Blastocystenstadiums in den Uterus wandert

und sich dort an das Uterusepithel anlagert. Der Blastocyst besteht aus Trophoblasten, innerer Zellmasse und primitiven Endoderm. Zwischen Uterusepithel und Trophoblasten-Anteil des Blastocysten entwickeln sich Wechselwirkungen, die die Grundlage der Implantation darstellt: Die Trophoblasten haften an das Uterusepithel, welches eine ,Klammer" urn den Blastocysten bildet ( Abb. 30.34). Unter dem Einfluss von Ostrogenen wird das Uterusepithel fur die Implantation empfanglich, d. h. es bildet vermehrt Zytokine wie z. B. EGF, TGFa und LIF (Leukemia inhibitory factor). Dazugehorige EGF-Rezeptoren finden sich auf der TrophoblastenOberflache. Zusatzlich wird von den Trophoblasten Interleukin 1 sezerniert, dessen Rezeptoren im Uterusepithet, Endometriumstroma (Decidua-Zellen) und Trophoblasten selbst nachweisbar ist. Bei der Maus fiihrt die Gabe eines Interleukin 1-Rezeptorantagonisten zur Verhiitung der Implantation, was fiir parakine Wechselwirkungen zwischen Trophoblasten und Uterusepithel spricht. Gleichzeitig kommt es zu einer vermehrten Expression von Adhasionsmolekiilen, die die direkte Wechselwirkung beider Zelltypen fordert: Dazu zahlen Integrine und Matrixmolekiile wie Proteoglykane. Als nachstes tritt eine Reaktion des Uterus auf die Implantation des Embryo auf, die als Decidua-Antwort bezeichnet wird. Diese Reaktion weist erhebliche Ahnlichkeit mit der Entziindung auf: Nach einer Erhohung der GefaGpermeabilitat tritt eine Rekrutierung der Entziindungszellen (Granulocyten, Monocyten) ein (S. 980). Dabei kommt es zur Apoptose des Uterusepithels und zur Proliferation von Deciduazellen. Polyploide Trophoblasten-Riesenzellen, die den Embryo umgeben, dringen in die Decidua ein ( Abb. 30.32). Dieser Prozess wird durch Matrix-Metalloproteinasen (MMPs, S. 771), die normalerweise durch TIMPs (S. 772) gehemmt werden, und Anderungen der Expression von Adhasionsmolekiilen vermittelt. Trophoblastenzellen synthetisieren Zytokine (wie z. B. TGF-,6, Inhibin oder Interleukin 10) und Hormone (z. B. Choriongonadotropin, S. 903 ). Wahrend dieser Phase produzieren parietale Endodermzellendie Reichert'sche Basalmembran. Diese dreischichtige Anordnung aus Riesentrophoblasten, Basalmembran und parietalem Endoderm stellt die erste Placentastruktur dar. Diese Struktur, bei der die Riesentrophoblasten als Endothelzellen dienen, ist das Haupttransportorgan zum Stoffaustausch. Eine Storung der Invasion von Trophoblasten tritt beim Mensch en auf und wird als Priieklampsie bezeichnet. Bei Erreichen des Gastrula-Stadiums entstehen Blutinseln, aus denen sich fetale Endothel- und Blutzellen entwickeln. Diese Zellen bilden auch die Allantois, die unter Vermittlung von Wechselwirkungen von zwischen VCAM-1 und a-4-Integrin mit dem Chorion zur Chorion-Allantois-Placenta fusioniert ( Abb. 30.32). AnschlieGend kommt es zu einer ausgepragten Vermischung von miitterlichen und fetalen BlutgefaGen in der Chorion-Allantois-Membran. Das folgende Wachstum des Fetus ist weitgehend durch die Ausbildung dieses Austauschorgans bestimmt. 30.5 Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Uterus-Achse

901

30 •

__. Oendua-

Zellen

Oezidumlle

Oezidumtle

Abb. 30.34 a-c. Mehrschrittprozess der Implantation und Entwicklung der Placenta. aImplantation des Blastocysten; b friihe PostimplantationsPiacenta; c spate Postimplantations-Piacenta. (Nach Cross et al.1994)

b

30.5.91

~ynthetische Progesterone,

Ostrogene und Phytoostrogene

Eine Reihe synthetischer Progesterone und Ostrogene ist verfiigbar. Sie werden in der Leber nur verzogert abgebaut, so dass sie oral verabreichbar sind (Aufhebung des First-pass-Effektes, S. 883). Sie werden zur Hormonsubstitution (nach der Menopause) oder Antikonzeption eingesetzt. Antagonisten der Ostrogene wurden bisher als Antiostrogene bezeichnet. Der wichtigste Vertreter ist Tamoxifen, das initial tiber seine antiproliferative Wirkung auf gutartiges und maligne transformiertes Mammagewebe charakterisiert wurde. Spater zeigte sich, dass Tamoxifen aber auch ostrogeniihnliche Wir902

kungen auf den Knoch en, den Fettstoffwechsel und das Endometrium aufweist. Tamoxifen kann ostrogene Effekte auf bestimmte Gene und antiostrogene Wirkungen auf andere entfalten, und dies sogar in derselben Zielzelle. Die Gruppe der Stoffe, als deren Prototyp Tamoxifen gilt, werden deshalb heute besser als selektive Estrogen-Rezeptor Modulatoren (SERMs) bezeichnet. Verschiedene Pflanzenprodukte weisen strukturelle Ahnlichkeiten mit Ostrogenen auf und werden deshalb als Phytoostrogene bezeichnet. Genistein (das Enzyme der Steroidsynthese und Tyrosinkinasen hemmt) und Daidzein sind lsoflavonoide in Sojabohnen und Klee. Gruner Tee und verschiedene Hiilsenfriichte enthalten die Lignane Enterolacton und Enterodiol. Phytoostrogen-reiche Ernahrung soll krebsvorbeugend sein.

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

30 I 30.5.1 0 ILaborchemische Tests zur Bestimmung der Ovarfunktion Der radioimmunologisch bestimmte Ostradiolplasmaspiegel betragt bei der Frau wahrend der Follikelphase 30-120 pg/ml, wiihrend der Lutealphase 100-210 pg/ml und steigt vor der Ovulation auf Werte zwischen 150 und 300 pg/ml. Beim Mann liegt der Wert zwischen 10 und 30 pg/ml. Auch die Plasmaspiegel von LH und FSH konnen radioimmunologisch ( Abb. 30.31, S. 897) bestimmt werden: Sie betragen prii- und postovulatorisch 2- 15 bzw. 1,5- 8,5 IU/1, wiihrend des Ovulationspeaks 30-110 bzw. 8-20 IU/1 und iindern sich in der Postmenopause auf Werte von 20-60 bzw. 30-100 IU/1 ( Abb. 30.29, S. 894). Mit dem LH-RH-Funktionstest kann die Stimulierbarkeit der Sekretion der Ganadotropine aus der Hypophyse untersucht werden: Normalerweise steigt der LH-Wert auf das Drei- bis Achtfache, der FSH-Spiegel auf das Doppelte des Basalwertes. Die LH-Bestimmung im Urin erlaubt die Bestimmung des Ovulationszeitpunktes.

30.5.11 Weitere Hormone des Ovars

!

Relaxin wirkt uber eine Stimulierung der Aktivitat von Metalloproteinasen. Ein wei teres weibliches Sexualhormon, das in den Ovarien (im Corpus luteum) gebildet wird, das aber auch in der Placenta und im Blut von Schwangeren nachgewiesen werden kann, ist Relaxin, ein Proteohormon mit einem Molekulargewicht von etwa 6 kD, das zu Insulin, dem insulinahnlichen Protein 3 und den insulinahnlichen Wachstumsfaktoren (IGF) homolog ist.Auch Relaxin wird in Form einer einkettigen Vorstufe, dem Prorelaxin, gebildet, aus der durch Abspaltung eines - allerdings sehr Iangen (lOS Aminosiiuren)- C-Peptides das zweikettige Polypeptid entsteht. Seine Wirkung besteht in einer Auflockerung der bindegewebigen Verbindung der Symphyse und der Ileosacralgelenke mit einer Auflosung und Quellung kollagener Fasern. Der Wirkung liegt wahrscheinlich die Aktivierung von Proteoglykan- und Kollagen abbauenden Enzymen zugrunde. Folge ist die Erweiterung des Beckenringes und damit die Geburtserleichterung.

I 30.5.121 Hormone der Placenta I Der Nachweis von hCG im Urin dient

• als Schwangerschaftstest.

Wahrend der Schwangerschaft wird in der Placenta eine Reihe von Hormonen gebildet. Jedes dieser Hormone besitzt ein Analogon in der Hypophyse oder im

Hypothalamus. Zu die sen Hormonen gehoren das Choriongonadotropin (CG), das Chorionsomatomammotropin (CS) und das Chorionthyrotropin (CT). Weiterhin produziert die Placenta ACTH-ahnliche Polypeptide, Endorphine sowie hypothalamische Polypeptide wie LH-RH, TRH oder Somatostatin. CG (oder auch hCG fiir humanes CG) besitzt eine Molekiilmasse von 36-40 kDa und weist Strukturahnlichkeiten mit LH (S. 868) auf: Wie dieses ist es aus zwei Untereinheiten aufgebaut, von denen die a-Untereinheit mit der des LH identisch ist, wiihrend die {3- Untereinheit (fiir die 7 Gene auf Chromosom 7 existieren) die Spezifitat des CG bestimmt. CG wird bereits 1 Tag nach der Implantation des Eies vom Blastocysten und spater vom Syncytiotrophoblasten der Placenta gebildet. Der Nachweis von CG im Urin dient deshalb als Grundlage eines Schwangerschaftstests. Maximale Werte werden zwischen dem 60. und 90. Tag der Schwangerschaft erreicht. Die Halbwertszeit des CG ist - im Gegensatz zu jener der Gonadotropine (S. 889) - sehr lang und betriigt etwa 35 h. CG gestattet offenbar die Umwandlung des Corpus luteum in das Corpus luteum graviditatis und damit die kontinuierliche Produktion von Progesteron fiir die Entwicklung der Decidua, bis die Placenta die Progesteronproduktion iibernimmt. Verschiedene Organe wie Hypophyse, Hoden oder der obere Gastrointestinaltrakt enthalten CG-ahnliche Substanzen. Da verschiedene Tumoren (wie Leber, Pankreas, Magen oder Gonaden) CG produzieren ( ektopische Produktion), findet hCG insbesondere bei Chorioncarcinomen der Hoden oder der Ovarien- Verwendung als Tumormarker (S. 1180). Aufgrund der Strukturverwandtschaft mit TSH (S. 868) konnen sehr hohe hCG-Konzentrationen auch zur Stimulation der Schilddriise fiihren. Chorionsomatomammotropin (humanes CS, friiher auch als placentares Lactogen bezeichnet) wird ebenfalls vom Syncytiotrophoblasten gebildet. Dieses Polypeptid mit 191 Aminosiiuren weist 91 o/o Homologie mit dem Wachstumshormon (S. 868) auf. Es besitzt qualitativ ahnliche biologische Wirkungen wie STH, aber nur etwa 3 o/o von seiner biologischen Aktivitat. Es wird diskutiert, dass dieses Hormon nach Freisetzung in den miitterlichen Kreislauf auf den Stoffwechsel der Mutter wirkt und die Substratfliisse zur besseren Versorgung des Fetus beeinflusst. Auch die Decidua produziert Hormone, wie z. B. Relaxin oder Prolactin (S. 892).

KERNAUSSAGEN Auch bei der Frau existiert eine pulsatile Sekretion von LH-RH (GnRH).die an GnRH-Rezeptoren der Hypophysenzellmembran binden. " Eine Riickkoppelungshemmung erfolgt iiber Ostradiol und lnhibin.

30.5 Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Uterus-Achse

903

30 Ostrogene werden im Ovar aus Progesteron iiber die Androgene unterVermittlung des Schliisselenzymes Aromatase gebildet. ln der Postmenopause werden Androgene in der Nebennierenrinde synthetisiert und in peripheren Organ en durch die Aromatase in Ostrogene uberfiihrt. Durch Aromatase-lnhibitoren kann die Ostrogensynthese gehemmt werden, was therapeutisch bei der Behandlung des hormonabhangigen Mammacarcinoms ausgenutzt wird. Ostrogene werden im Blut in Bindung an Transportproteine befiirdert; ihr Abbau erfolgt durch Hydroxylierung an verschiedenen C-Atomen und miigliche anschlieBende Methoxylierung durch eine Catechoi-0Methyltransferase. Da der Abbau individuell verschieden sein kann, unterscheidet sich das Muster der in den Urin ausgeschiedenen Metabolite von Frau zu Frau. Ostrogene entfalten ihre biologische Wirkung iiber zwei Ostradiolrezeptoren (a und p),die sich strukturell und funktionell unterscheiden. Ostrogene wirken auf den Uterus, die Mammae, den Fettstoffwechsel, den Knoch en und die Leber. Die Implantation der befruchteten Eizelle und die Entwicklung der Placenta erfolgen in einem Mehrschrittprozess, an dem PolypeptidWachstumsfaktoren, Metalloproteinasen und Cytokine beteiligt sind. In den Ovarien wird auBerdem Relaxin gebildet, das den Beckenring zur Geburt erweitern kann. In der Placenta werden verschiedene Hormone produziert, zu denen auchJ9HCG gehiirt, welches zum Schwangerschaftsnachweisbestimmt wird.

30.6

30.6.1

Hypothalamus-Hypophysenleber-Knochen-Achse

Regulatorische Polypeptide des Hypothalamus und der Hypophyse

Somatokrinin und Somatostatin regulieren die STH-Sekretion. Die Regulation der Hypophyse (d. h. der Sekretion des somatotropen Hormons (STH)) durch den Hypothalamus erfolgt tiber das Somatokrinin (Growth hormone releasing Hormone, GRH), ein Polypeptid mit 44 Aminosauren, das die Freisetzung von STH (Wachstumshormon) stimuliert. Somatokrinin entsteht durch proteolytische Prozessierung aus einem Prohormon mit 108 Aminosauren, in dem es am N-Terminus durch zwei, und am C-Terminus durch eine basische Aminosame flankiert ist (Abb. 30.35). Am C-terminalen Ende befindet sich auch ein Glycylrest als Amiddonator. Die Abgabe von GRH aus dem Hypothalamus steht unter der Steuerung neuraler Glucorezeptoren, die im Nucleus ventromedialis liegen und den Glucosespiegel 904

I

registrieren: Dabei fiihrt ein Abfall der Glucosekonzentration zur Stimulierung der GRH-Sekretion, ein Anstieg zur Hem mung derselben. Gehemmt wird die STH-Sekretion durch Somatostatin (growth hormone release inhibiting hormone), einer Familie von Polypeptiden, zu denen das zuerst identifizierte Somatostatin 14 (S-14), das am N-Terminus verlangerte Somatostatin 28 (S-28) und ein Fragment mit den ersten 12 Aminosauren von S-28 gehoren. Somatostatin entsteht durch proteolytische Prozessierung aus einem Prohormon. Die einzelnen Somatostatinderivate unterscheiden sich in ihrer biologischen Wirksamkeit (z. B. auf die Sekretion des Insulins, s. u.). Die Bezeichnung Somatostatin fur das die STH-Sekretion hemmende Hormon ist insofern unzutreffend, als das Molekiil auch die TSH-Sekretion hemmt (S. 872), im gesamten Nervensystem weit verbreitet ist und auBerdem in vielen anderen Organen wie z. B. dem Gastrointestinaltrakt vorkommt, in denen es auf Epithelien sowie exokrine (Hemmung der Magensaure-, Bicarbonat- und Enzymsekretion) und endokrine (z. B. Hemmung der Insulin- und Glucagonsekretion) Drusen wirkt und so auf parakrinem Wege verschiedene Funktionen ausiibt. S-28 ist dabei ein wirksamerer Hemmstoff z. B. der lnsulinsekretion als S-14.

Die Frequenz der STH-Sekretionsstofle andert sich mit dem Alter. GRH bindet an spezifische Rezeptoren der acidophilen Zellen der Hypophyse und bewirkt dort die Sekretion von Wachstumshormon. Es besitzt keinen Einfluss auf die basale [wie im Faile des LH (S. 888)] stoBweise Freisetzung von Wachstumshormon. Kinder vor der Pubertat setzen nur wenige StoBe und wahrend der Pubertal etwa 8 pro 24 h frei. Die Halbwertszeit des Hormons im Plasma betragt etwa 10-15 min. Obwohl kleine Mengen wahrend des Tages sezerniert werden, erfolgt die Sekretion der groBeren Menge wahrend der Nacht; etwa 60- 90 min nach dem Einschlafen tritt ein starker Anstieg der STH-Sekretion auf. Die Wachstumshormone stellen eine Familie von Polypeptiden dar, zu der drei Gene auf Chromosom 17 gehoren. Diese Gene codieren flir das eigentliche Wachstumshormon, ein Polypeptid mit 191 Aminosauren (Molekulargewicht 22 kD), das in der Placenta produzierte Chorionsomatomammotropin (S. 903) und ein weiteres Protein, das sich vom Wachstumshormon bei gleicher GroBe in 13 Aminosauren unterscheidet (STH2).

Extrahypothalamische Peptide modulieren die STH-Sekretion. Ghrelin wird im Magen synthetisiert und bei Nahrungskarenz freigesetzt. Es ist strukturell mit Motilin (S. 1086) verwandt und weist als Besonderheit die Oktanylierung eines Serylrestes auf. Es wirkt tiber ei-

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

30 Exons genomische DNA

2

3

4

S'

3'

1-----i

500 Basenpaare

1-----i

S'NT

50 Basenpaare

Signal

GRH

3'NT

Poly(A)

Abb. 30.35. Stuktur des Gens (auf Chromosom 20) und der mRNA fur GRH. Blau die 5 Exons. Die mRNA enthalt die nichttranslatierten Anteile (5'NT und 3'NT), die GRH-Region sowie flankierende Peptide zur proteolytischen Prozessierung

nen eigenen Rezeptor auf die Hypophysenzelle. Leptin, ein im Adipocyten gebildetes Peptid (S. S63), wirkt hemmend auf die STH-Sekretion.

30.6.31 Hormone der leber Die STH-Wirkungen werden durch die Somatomedine vermittelt.

30.6.21 Regulation von Hypothalamus und Hypophyse Die Sekretion des Wachstumshormons wird durch ein komplexes System reguliert, das innerhalb weniger Minuten eine Anderung des Plasma-STH -Spiegels urn den Faktor 10 ermoglicht. Der Plasma-Wachstumshormonspiegel betragt beim Erwachsenen zwischen 1 und S ng/ml (4S-220 pMol/1). Der Wert ist stark von korperlicher Belastung, Nahrungsaufnahme (Glucose, Ghrelin, s. o.) und Stress abhangig. Die Regulation erfolgt durch GRH und Somatostatin; die negativen Feedbackmechanismen erfolgen durch Wachstumshormon und die Somatomedine ( Abb. 30.36). Uber das limbische System kommt es zu einer Regulation der GRH-Sekretion durch den Schlaf-Wach-Rhythmus in dem Sinne, dass tiefer Schlaf zu einem Anstieg des STH -Spiegels fUhrt. Eine dopaminabhangige Stimulierung der GRHSekretion geht vom Nucleus arcuatus aus. Die Regulation der Transkription des STH-Gens steht u. a. auch unter dem Einfluss von Schilddriisenhormonen (S. 876).

--------i~-{---9---..., IGF Hypothalamus

Hypophyse

~

STH

GRH

~----~ Jr-----------

Unter der Einwirkung des Wachstumshormons werden in der Leber die Somatomedine oder Insulin like growth factors I und II (IGF-1 und IGF-2) gebildet; sie sind im Knorpel und der Wachstumszone des Knochens ausschlieBlich, im Fettgewebe und in der Muskulatur zumindest partiell fiir die Wachstumshormonwirkung verantwortlich. IGF-1 und IGF-2 sind einkettige Polypeptide mit 67 bzw. 70 Aminosauren, die etwa SO % Homologie zu Insulin und etwa 70 % zueinander aufweisen. IGF-1 und IGF-2 entstehen aus Vorstufen mit 130 bzw. 180 Aminosauren. Somatomedine werden in der Leber gebildet und in das Plasma sezerniert. IGF-1 (auch als Somatomedin C, Somatomedin A oder basisches Somatomedin bekannt) steht unter der Regulation von Wachstumshormonen, so dass es bei der Akromegalie (S. 906) erhOht und bei Hypophysenunterfunktion erniedrigt ist. Dariiber hinaus sind die normalen Spiegel altersabhangig mit niedrigem Spiegel in der Kindheit, einem Gipfel wahrend der Adoleszenz und einem Abfall nach dem SO. Lebensjahr. Die Plasmaspiegel von IGF-2 sind von der Gegenwart geringer Wachstumshormonmengen abhangig, eine Erhohung des Wachstumshormonspiegels - wie bei der Akromegalie- fiihrt jedoch nicht zu einer entsprechenden ErhOhung des IGF-2-Spiegels, der bei einer Hypophysenunterfunktion erniedrigt ist. Im Gegensatz zu IGF-1 sind die IGF-2-Spiegel vom 2. Lebensjahr bis ins hohe Alter konstant. Wachstumshormon ist fiir etwa S0-70% der Wachstumsrate wahrend der Wachstumsphase verantwortlich. Demnach miissen also noch andere bisher unbekannte Hormone fiir das Wachstum verantwortlich sein. Die Sekretion von Wachstumshormonen nach der Pubertat setzt sich fort, so dass man eine anabole Funktion wahrend des Erwachsenenalters annehmen muss.

Abb. 30.36. Regulation derWachstumshormon-Sekretion

30.6 Hypothalamus-Hypophysen-Leber-Knochen-Achse

905

30 30.6.41 Transport der IGF's im Blut Im Plasma werden IGF-1 und IGF-2 an hochmolekulare Triigerproteine (IGF-BP, Bindungsproteine 1 bis 6) gebunden, so dass sie Halbwertszeiten von mehreren Stunden aufweisen. Die Tragerproteine stehen ihrerseits unter dem regulativen Einfluss von STH, Insulin und moglicherweise anderen Hormonen. In gebundener Form sind IGF-1 und -2 biologisch inaktiv.

30.6.51 Molekularer Wirkungsmechanismus der Somatomedine

!

Der IGF-1-Rezeptor ahnelt dem lnsulinrezeptor. IGF-1 und -2 binden an spezifische Zellmembranrezeptoren. Der IGF-1-Rezeptor stellt ein aus je zwei a - und /3-Untereinheiten bestehendes Tetramer dar, das groGe Ahnlichkeit mit dem Insulinrezeptor ( Abb. 29.11, S. 847) aufweist. Die /3-Untereinheit besitzt Tyrosinkinaseaktivitiit, die a-Untereinheit bindet das IGF-1-Molekiil. Der IGF-2-Rezeptor stellt dagegen ein einkettiges Glycoprotein dar, das zwar Tyrosylreste, aber keine Tyrosinkinaseaktivitat aufweist. Dieser Rezeptor besitzt groGe Ahnlichkeit mit dem Mannose-6-phosphat-Rezeptor, der fur die Uberflihrung lysosomaler Enzyme in Lysosomen verantwortlich ist (5.192).

30.6.61 Zellulare Wirkungen der IGF's In vivo stimuliert IGF-1 am intakten Rippenknorpel den Einbau von Sulfat in Proteoglykane und den von Thymidin in DNA. In vitro wirkt IGF-1 auf Chondrocyten in niedriger Zelldichte nur mitogen, hat jedochkeinen Einfluss auf die Proteoglykansynthese (S. 595). Wenn die Zellen konfluent sind und ihr Wachs tum einstellen, fallt der Thymidineinbau ab und IGF-1 ftihrt nur zur Synthese extrazellularer Matrix. Demnach wird die Reaktion einer Zielzelle auf dieses Polypeptid durch ihren Proliferationszustand (Zellzyklus, S. 210) bestimmt. Knorpel in verschiedenen Geweben reagiert unterschiedlich auf IGF-1, so z. B. die Wachstumsregion im Knorpel der Rohrenknochen (S. 776) wesentlich besser als Gelenkknorpel. In vivo flihren die IGF's bei hypophysektomierten Versuchstieren (die also kein Wachstumshormon bilden) zu einer Verbreiterung des Epiphysenknorpels der Tibia, zu einer Stimulierung des Thymidineinbaus in Rippenknorpel und einer Zunahme des Korpergewichts, wobei die Wirkung von IGF-1 ausgepragter ist als die von IGF-2.

906

I

30.6.71 Pathobiochemie Eine Unterfunktion der Hypophyse verursacht Minderwuchs. Storungen des Wachstums, verursacht durch das Wachstumshormonsystem, konnen praktisch auf jeder Ebene des Systems auftreten. Die Mehrzahl der Patienten mit Wachstumshormonmangel reagieren auf die Gabe von GRH mit der Freisetzung von STH, wenn das Releasinghormon sto13weise tiber einen langeren Zeitraum gegeben wird. Diese Patienten haben offenbar eher einen GRH-Mangel als einen Defekt der Wachstumshormonproduktion. Beim autosomal-rezessiven Wachstumshormonmangel vom Typ lA liegen Deletionen, Rasterschub- oder Nonsense-Mutationen im STHGen vor, die zu einem vollstandigen Verlust der STHProduktion flihren. Werden diese Patienten mit rekombinantem Wachstumshormon behandelt, so bilden sie Antikorper gegen das als fremd erkannte Molekiil. Bei der Typ IB-Erkrankung werden noch geringe Mengen radioimmunologisch bestimmbaren Wachstumshormons im Plasma gefunden; diese Patienten konnen mit rekombinantem Wachstumshormon behandelt werden (S. 238). Bei Pygmaen in Afrika wurden die Plasmaspiegel von STH, IGF-1 und IGF-2 bei Jugendlichen, Kindem und Erwachsenen sowie bei einem Kontrollkollektiv bestimmt: Vor Beginn der Pubertat zeigen sich keine Unterschiede der Spiegel von IGF-1 und -2 gegeniiber Kontrollpersonen. Mit Einsetzen der Pubertat jedoch betragen die IGF-1-Spiegel - bei identischen STH-Plasmakonzentrationen - bei den Pygmaen nur 1/ 3 des Normalwertes. Dies spricht daftir, dass als Ursache fiir die Wachstumsstorung eine St6rung der IGF-1-Sekretion aus dem Hepatocyten vorliegt.

G-Protein-Mutationen konnen zu Hypophysentumoren fuhren, die fur die Akromegalie verantwortlich sind. Das eosinophile Adenom ist ein Wachstumshormonproduzierender Tumor der Hypophyse. Tritt das Krankheitsbild in der Kindheit bzw. Jugend auf, d. h. vor dem Schluss der Epiphysenfugen, so kommt es bei den Patienten zum Riesenwuchs. Bei Beginn der Erkrankung im Erwachsenenalter dagegen tritt eine Akromegalie auf, d. h. Vergro13erungen der Endglieder des Skelettsystems verursachen Deformitaten im Gesicht (VergroGerung des Kinns, Nase, Augenwiilste) sowie im Bereich der Hande und FiiGe. Mutationen in Genen von G-Proteinen finden sich in etwa 30- 40 % der Hypophysentumoren, die fiir die Akromegalie verantwortlich sind. Durch diese somatischen Mutationen kommt es zu einer konstitutiven Aktivierung der Adenylatcyclase, wodurch sich die Zellen der Regulation durch GH-RH entziehen und autonom proliferieren, waszu einem Tumor flihrt.

30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

30 KERNAUSSAGEN • Die hypothalamischen Peptide Somatokrinin und Somatostatin regulieren die STH-Sekretion durch die Hypophyse. Die Sekretion wird durch Ghrelin, ein im Magen gebildetes Peptid, moduliert. .,. Auch die basale STH-Sekretion erfolgt stoBweise. • Die Wirkung von STH wird tiber die in der Leber gebildeten insulinahnlichen Wachstumsfaktoren (IGF-1 und -2) verminelt.

Der Transport der IGFs erfolgt in Bindung an Bindungsproteine, ihre Wirkung wird tiber lnsulinrezeptorahnliche Strukturen verminelt. Die IGFs ford ern das Wachstum v. a. tiber eine Beeinflussung der Wachstumsregion im Knorpel der Rohrenknochen. ... Wachstumshormonmangel fiihrt zum Minderwuchs, der mit rekombinantem Hormon behandelt wird. Hypophysentumore, die mit einer Oberproduktion von STH verbunden sind, verursachen beim Erwachsenen die Akromegalie.

SCHlOSSElBEGRIFFE AGH (Adrenocorticotropes Hormon) Adenohypophyse Akromegalie Androgene/Antiandrogene Arginin-Vasopressin CGRP (Calcitoningen-verwandtes Polypeptid) Cortisol CRH (Corticotropin-Releasing-Harmon) Cushing Syndrom Dihydrotestosteron FSH Glucocorticoidresistenz Gonadotropine Hyperthyreose Hypophyse

Hypophyseniiberfunktion, Akromegalie Hypophysenunterfunktion, Minderwuchs Hypothalamus Hypothyreose lnterleukin-1 lnterleukin-6 LH LHRH (LH-Releasing-Hormon) Morbus Cushing Neurohypophyse bstrogene Phytoostrogene Progesteron Prolactin Release- und Release-inhibitingHormone

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Schilddriisenunterfunktion, - iiberfunktion Somatokrinin Somatomedine Somatostatin Somatotropes Hormon TBG (Thyroxin bindendes Globulin) Testosteron Thyreoglobulin Thyroxin (T4) TN Fa Trijodthyronin (T3) TSH (Thyroida stimulierendes Hormon) Wachstumshormon Zytokine

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30 Endokrine Funktionen IV: Hypothalamisch-hypophysares System und Zielgewebe

Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes A. KURTZ

31.1 31 .1.1 31.1.2 31 .1.3 31 .1.4 31.1.5

31 .2.4 31.3 313.1

31.4.1 31.4.2 31.4.3

31.6.3

911 911 Durchblutung der Niere 912 Aufbau und Funktion der Glomeruli 914 Aufbau des Harnkanalsystems Resorption von Elektrolyten und Wasser 918 Ausscheidung von Protonen 922 und Hydrogencarbonat Sc'iure-Basen-Transport 923 der Tubulusepithellen Reabsorption von Monosacchariden, 923 Peptiden und Amine>sauren hampflichtiger Ausscheidung 925 Substanzen 925 Energiegewinnung in der Niere 926 Organ Die Niere als endokrines 930 Der Endham (Urin) 930 Eigenschaften des Urins 931 Urins des Chemische Zusammensetzung 932 Pathobiochemie des Urins 933 Ham- und Nierensteine 934 DerWasserhaushalt 934 Hormonelle Regulation 936 des Wasserhaushaltes Pathobiochemie des Wasserhaushaltes 938 939 939 Natriumbilanzierung Hormonelle Regulation 940 des Natriumhaushaltes Pathobiochemie des Natriumhaushaltes 945 947 Der Kaliumhaushah 947 Regulation des Kaliumhaushaltes 948 Pathobiochmie des Kaliumhaushaltes Der Calcium- und Phosphathaushah 949 949 Caldumhaushalt 951 Phosphathaushalt Hormonelle Regulation des Calcium953 und Phosphatstoffwechsels DieNiere

31 31.6.4 31 .7 31.7.1 31.7.2 31 .8 31.8.1

31.8.2 31.8.3

31.8.4 31.8.5 31.8.6

Pathobiochemie des Calcium- und Phosphathaushaltes Der Magnesium- und Sulfathaushalt Magnesium Schwefel Der saure-Basen-Haushalt Notwendigkeit der Konstanthaltung der Protonenkonzentration Entstehung von Sauren im Stoffwechsel Verteilung der Protonen zwischen Intraund Extrazellularraum Puffersysteme Regulation der Protonenkonzentration Pathobiochem ie des Saure-Basen-Haushaltes

958 959 959 961 961 961 962 964

964 965 968

31

,. Die Nieren scheiden endogen gebildete organische wasserlosliche Stoffwechselendprodukte,anorganische Stoffe sowie exogen zugefUhrte, nicht abbaubare Substanzen wie Medikamente oder Vita mine aus. Sie dienen daruber hinaus der Erhaltung der Konstanz der Extrazellularflussigkeit, regulieren Volumen und Osmolaritat der Korperflussigkeiten durch selektive Reabsorption oder Sekretion von lonen und Wasser. Sie greifen durch Ausscheidung uberschussiger Sauren und Basen im Zusammenwirken mit den Lungen in das Saure-Basen-Gieichgewicht ein. Dariiber hinaus sind die Nieren an der Regulation des Blutdrucks, der Erythropoiese und des extrazellularen Calciumspiegels beteiligt und synthetisieren wichtige Verbindungen wie Glucose und y-Aminobutyrat. Die Funktion der Nieren steht in engem Zusammenhang mit den Regelsystemen, die fiir den Wasser- und Elektrolythaushalt verantwortlich sind. Fiir die Regulation des Wasserhaushaltes und des Natrium- und Kaliumstoffwechsels sind die Hormone Vasopressin, Aldosteron und das natriuretische Atriumpeptid von besonderer Bedeutung.lhr Ziel ist es, Natrium- und Kaliumverluste gering zu halten und eine ausgeglichene Wasserbilanz zu erreichen. Fiir die Regulation des wichtigen Calciumstoffwechsels stehen drei Hormone zur Verfiigung, das Parathormon, das DHormon sowie das Thyreocalcitonin.

31.1 DieNiere Die Nieren sind paarig angelegte bohnenfOrmige Organe und haben beim Erwachsenen ein Gewicht bis zu 300 g ( Abb. 31.1 ). Niere und Nebenniere liegen gemeinsam in einem Fettpolster des Retroperitonealraumes, der so g. Fettkapsel, die eine wichtige Rolle fiir die Lageerhaltung der Niere spielt. Da die Fettkapsel eigentlich Speicherfett ist, wird sie bei Hungerzustanden eingeschmolzen, was die Verschieblichkeit der Niere erhoht. Die Niere des Menschen besteht aus bis zu 14 keilformigen miteinander verschmolzenen Nierenlappen. Diese Lappen werden zur Nierenoberflache hin durch die etwa 1 em breite rotlichbraun gefarbte Rinde begrenzt. Nach innen schlieBt sich fiir jeden Lappen das kegelformige Nierenmark an. Dieses ragt mit der Spitze seiner Kegel, der Innenzone des Markes (Papille), in das Nierenbecken vor. Ander Oberflache der Papillen munden die Ductus papillares als Endabschnitte des Sammelrohrsystems. Das Nierenmark stiilpt sich in

Papillenspitze

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inneres -~-~:......::=if-­ Nierenmarl
Treten Erythrocyten in den Urin tiber, so liegt eine Hiimaturie vor. Hamoglobinurie~> Freies Hamoglobin kann nach schwerer Hamolyse oder schweren Verbrennungen, Myoglobin nach Muskelverletzungen (,Crush-Syndrom"; quetschen, engl. to crush) in den Urin iibertreten. Bei intravasaler Hamolyse tritt Hamoglobin in den Urin tiber sobald die Haptoglobinbindungskapazitat des Plasmas (S.l0l3) und die Reabsorptionskapazitat der Tubuli fur Hamoglobin iiberschritten werden. Das ist in der Regel bei Hamoglobinkonzentrationen tiber 1,2 g/1 der Fall.

toren und entziindlichen Veranderungen von Nieren und Harnwegen konnen sich bestimmte Stoffe jedoch in Nieren (Nephrolithiasis), Harnblase oder Harnrohre (Urolithiasis) ablagern und dadurch groBere oder kleinere Steine oder Konkremente bilden. Je nach GroBe unterscheidet man Sand-, GrieB- oder Steinformen. Sie bestehen aus einer organischen Matrix und einem kristallinen Mantel. Man nimmt an, dass sich Mineralsalze in vom Tubulusepithel ausgeschiedene Mucopolysaccharide einlagern, wobei zunachst ein Mikrolith entsteht, der noch problemlos vom Harn ausgeschwemmt werden konnte. Haftet er allerdings fest, so bildet er das Kristallisationszentrum fur das Ausfallen weiterer Salze wobei der Makrolith entsteht. Da die Zusammensetzung des Urins weitgehend durch die aufgenommene Nahrung bestimmt wird, ist es wichtig, die chemische Zusammensetzung der Harn(Nieren-)Steine zu kennen, urn durch eine entsprechende Diat ihrer weiteren Bildung entgegenwirken zu konnen. Folgende Steinformen kommen vor: .,.. Calciumoxalatsteine ( Abb. 31.20) bzw. Gemische aus Calciumoxalat und Calciumphosphat in Form von Hydroxyapatit machen 2/3 aller untersuchten Steine aus. Obwohl Oxalsaure in 2/3 aller Steine vorkommt, ist die Hyperoxalurie als Ursache sehr selten. Oxalat kommt zwar im Gemiise (v. a. Rhabarber und Spinat) in hohen Konzentrationen vor, wird im Darm jedoch nur zu 5-l 0% resorbiert. Bei der primaren Hyperoxalurie und beim Pyridoxinmangel (Pyridoxalphosphat ist auch Cofaktor der Transaminierung

Porphyrinurie~> Das Vorkommen von Uroporphyrinen sowie vermehrter Mengen von Koproporphyrinen im Urin wird als Porphyrinurie bezeichnet (S. 652). Die normale Koproporphyrinausscheidung im Urin betragt 90- 430 nmol (60-280 (.tg)/24 h. Ober die Anwesenheit von Bilirubin, Urobilin und Urobilinogen und ihre Beziehung zur Gelbsucht informiert Kapitel 22.

31.2.4\ Harn- und Nierensteine

! Zwei Drittel aller Harnsteine sind Oxalatsteine. Die Konzentrationsleistung der Nieren bei der Bildung des Urins ermoglicht die Ausscheidung mancher Stoffe in relativ hoher Konzentration. Dabei hangt die Loslichkeit derartiger Verbindungen weitgehend von der Protonenkonzentration des Urins ab, da die Wasserstoffionen des Losungsmittels die Dissoziation geloster Stoffe und damit deren Loslichkeit bestimmen (je polarer, desto wasserloslicher). Verschiedene Faktoren (s. u.) verhindern, dass Stoffe beim Uberschreiten ihres Loslichkeitsprodukts auskristallisieren. Bei einem verminderten Gehalt des Urins an diesen Regulationsfak-

Abb.31 .20. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von Calciumoxalatkristallen.Oben: Bikonkav ausgehohlte Eiform in Hantelgestalt (typische Tracht fiir Calciumoxalatmonohydrat = Whewellit).Unten: Tetragonal kristallisierte Bipyramide (typische Tracht fiir Calciumoxalatdihydrat = Weddell it) (Aufnahmen von W. Berg,Jena). (Uiffler u. Petrides 1998) 31.2 Der Endharn (Urin)

933

31

~

~

~

von Glycin zu Glyoxylat,so dass beim Pyridoxinmangel vermehrt Glyoxylat und damit Oxalat gebildet wird) tritt eine vermehrte Oxalatkonzentration auf, die dieCalciumoxalatbildung begiinstigt. Magnesiumammoniumphosphat (Struvit) macht etwa 1S o/o aller Nierensteine aus und kommt nahezu ausschlieBlich bei Patienten mit rezidivierenden Nierenweginfekten mit harnstoffspaltenden Mikroorganismen vor. Dadurch kommt es zu erhohten Konzentrationen von Ammoniak und zur Alkalisierung des Urins (da das freiwerdende Ammoniak Protonen aufnimmt), so dass Magnesiumammoniumphosphatsteine (Struvit) ausfallen. Harnsaure- (Urat) und Cystinsteine machen etwa 10 o/o aus. Sie entstehen bei Hyperuricosurie infolge erhohten Purinabbaus (Gicht) oder erhohten Zellumsatzes (Leukamie, Polycythaemia vera). Urat ist wesentlich wasserloslicher als die undissoziierte Harnsaure (S. 642), so dass mit zunehmender Wasserstoffionenkonzentration des Urins immer mehr unlosliche Harnsaure gebildet wird. Damit begiinstigt auch eine standige Hyperaciditat des Urins die Auskristallisation von Harnsauresteinen. Reine Apatit- oder Calciummonohydratsteine sind extrem selten.

Die Steine kommen selten in reiner Form vor, 90 o/o enthalten einen oder mehrere zusatzliche kristalline Bestandteile. AuBerdem sind immer Proteine und Glycoproteine, die etwa 3% des Gesamtgewichts des Steins ausmachen,vorhanden. Nierensteine gelangen oft in den Harnleiter und konnen dort eine Kolik auslosen. Klein ere Blasensteine verfangen sich manchmal im inneren Harnrohrenostium und losen so eine Kolik aus. Verschiedene Nierenproteine hemmen die Steinbildung. Nephrocalcin, ein saures Glycoprotein, das die Aminosaure y-Carboxyglutamat enthalt, hemmt die Bildung von Calciumoxalatsteinen. Ahnlich wirkt das Tamm-Harsfall-Glycoprotein. Uropontin, ebenfalls von den Nieren gebildet, hemmt das Wachstum von Calciumoxalatkristallen. Moglicherweise begiinstigen Konzentrationsveranderungen derartiger Proteine die Entwicklung von Steinen.

Der Urin enthalt normalerweise keine Glucose. Eine Glucosurie weist deshalb fast immer auf einen Diabetes mellitus hin. Bei Hungerzustanden steigt die Konzentration von Ketonkiirpern im Urin (Ketonurie) an. Rotverfarbung des Urins tritt bei Hamoglobinurie, Hamaturie und Porphyrien auf. Durch Auskristallisation von Salzen im Urin enstehen Harnsteine, wovon die haufigsten Oxalatsteine sind.

31.3

31.3.1

Der Wasserhaushalt

Wasserbilanz

Das Korperwasser verteilt sich auf verschiedene Kompartimente. Der Wassergehalt des Korpers ist wesentlich abhangig vom Anteil des Fettgewebes, welches im Vergleich zu anderen Korpergeweben einen viel geringeren Wasserinhalt besitzt. Da der Fettgewebsanteil wiederum vom Lebensalter und vom Geschlecht abhangt, andert sich der Wassergehalt des Korpers mit dem Lebensalter in Abhangigkeit vom Geschlecht. Bei Sauglingen macht das Korperwasser noch etwa 7S o/o der Korpermasse aus, beim Einjahrigen etwa 6S %, beim erwachsenen Mann etwa 60 %, und bei der erwachsenen Frau etwa SO% (wegen eines hoheren Fettgewebsanteiles). Beim alteren Menschen nimmt der Fettanteil kompensatorisch zur abnehmenden Muskelmasse zu, weshalb der Wassergehalt beim alteren Mann unter 60% und bei der Frau unter SO% sinkt. Innerhalb des Korpers lassen sich 2 Wasserraume unterscheiden, namlich der groGere Intrazellularraum (60-6S% des Korperwassers) und der kleinere Extrazellularraum (3S-40% des Korperwassers). Der Extrazellularraum lasst sich weiter unterteilen in den interstitiellen Raum (7S o/o des Extrazellularvolumens), in das Blutplasma (2S o/o des Extrazellularvolumens) und in die transzellulare Fliissigkeit (z. B. Liquor cerbrospinalis etc.), die aber nur etwa 1 Liter beim Erwachsenen ausmacht.

KERNAUSSAGEN Der gesunde Mensch bildet in Abhangigkeit von Alter und Geschlecht taglich 500-2000 mlsauren Urin,der normal stroh- bis bernsteingelb ist und aromatisch riecht. Der Urin enthalt in hiiherer Konzentration die wasserliislichen Endprodukte des EiweiBstoffwechsels, die dam it stickstoffhaltig sind. Die Proteinausscheidung iiber den Urin ist normalerweise sehr gering, nur bei entziindlichen und degenerativen Nierenerkrankungen tritt eine pathologische Proteinausscheidung (Proteinurie) auf.

934

I

Die Wasserzufuhr dient der Kompensation obligater und nichtobligater Wasserverluste. Ein 70 kg schwerer Erwachsener nimmt in 24 h bei normalen Ess- und Trinkgewohnheiten 1,5-3,01 Wasser auf und scheidet ebensoviel aus ( Tabelle 31.6). Diese Werte gelten als grobe Richtwerte. Wenn die Bilanz bei hoheren oder zusatzlichen Fliissigkeitsverlusten (Exsudation aus Wunden, Milchabsonderung, Blutverlust, Erbrechen, Magen- oder Darmfistel, Durchfall, gesteigerte Diurese, Pleuraerguss, Ascites, Odeme, starkes

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 Tabelle 31.6. Zufuhr und Verlust von Wasser beim Erwachsenen.(Aus Ltiffler und Petrides 1998) Wasserzufuhr

ml

Wasserverlust

ml

Trinken (Wasser und Getrlinke)

1200 (500-1600)

Urin

1400 (600-1600)

Wasser der Nahru ngsstoffe (Gehalt: 60-97% Wasser)

900 (800-1000)

Lungen und Haut (Perspiration)

900 (850-1200)

Oxidationswasser

300 (200-400}

Faeces

100 (50-200}

lnsgesamt

2400 ( 1500-3000)

Schwitzen) erhalten bleiben soli, muss die Zufuhr entsprechend erhoht werden. Von der zugeftihrten Menge entfallen etwa 1200 ml auf Getranke und 900 ml auf in den Nahrungsstoffen enthaltenes Wasser. Verloren wird Wasser tiber die Haut, die Lungen und den Urin. Uber Lungen und Haut wird standig Wasserdampf abgegeben, wodurch etwa 25 o/o der Warmeproduktion des Korpers verloren gehen. Dieser obligate Wasserverlust spielt eine Rolle bei der Regulation der Korperwarme und nimmt auch bei hochgradigen Fltissigkeitsverlusten nur wenig ab. ... Die direkte Umwandlung von Wasser in die gasformige Phase wird als Perspiratio insensibilis (nicht sptirbarer Verlust) bezeichnet. ..,. Der Wasserverlust durch Schweifi (Perspiratio sensibilis) wird dagegen als sptirbarer Verlust bezeichnet. Dieser gewinnt besonders bei fieberhaften Erkrankungen an Bedeutung, wobei durch den erheblichen Elektrolytgehalt des SchweiBes auch Elektrolyte verlorengehen. Im Organismus entsteht Wasser bei der mitochondrialen Oxidation der Nahrungsstoffe (Biooxidation). Die Oxidation von 100 g Fett liefert 107 ml, die von 100 g Kohlenhydraten 55 ml und die von 100 g Protein 41 ml Wasser. Die vom Menschen taglich gebildete Menge Oxidationswasser betragt etwa 300 ml. In die Bilanz gehen die 5-10 1 Verdauungssekrete, die in den Magen-Darm-Trakt abgegeben werden, nicht mit ein, da sie schliefilich wieder reabsorbiert werden. Sie sind aber beim Erbrechen oder bei Durchfallen von Bedeutung. Der Mensch kann wochenlang auf die Zufuhr von Nahrungsstoffen verzichten, jedoch nur wenige Tage auf die von Wasser und Elektrolyten. Die tagliche Wasserzufuhr und der Wasserverlust nehmen mit dem Lebensalter zu (® Tabelle 31.7). Bezieht man diese Menge auf das Korpergewicht, so ist zu erkennen, dass der Fltissigkeitsbedarf des Sauglings hoher liegt als der des Erwachsenen. Die Erklarung fUr den hohen Bedarf des Sauglings liegt sowohl im vermehrten Stoffwechselumsatz als auch in der noch nicht so ausgebildeten Fahigkeit, konzentrierten Urin auszuscheiden.

2400 ( 1500- 3000)

Die Regulation des Wasserhaushaltes erfolgt wesentlich uber Osmoregulation. Der Wasserhaushalt des Korpers wird ganz wesentlich tiber die Osmolaritat der Extrazellularfltissigkeit geregelt, die normalerweise bei ca. 290-295 mosmol!lliegt und deren Konstanz vom Korper angestrebt wird. Entscheidend fUr die effektive Osmolaritiit im Extrazellularraum sind vorwiegend Natriumionen, welche in einer Konzentration von 140 mmol/1 vorliegen, zusammen mit den Anion en Chlorid und Hydrogencarbonat. Die Osmolaritat im Intrazellularraum entspricht der des Extrazellularraumes. Im Intrazellularraum sind die Trager der effektiven Osmolaritat im wesentlichen Kaliumionen und die organischen Pho~phate bzw. die Proteine. Die Osmolaritat wird standig durch die Osmorezeptoren des Hypothalamus kontrolliert, die Anderungen der Osmolaritat des Extrazellularraumes mit hoher Sensitivitat erfassen. Diese regeln die Wasseraufnahme und -ausscheidung derart, class die Osmolaritat im Extrazellularraum konstant bleibt, so dass sich im Normalfall Wasseraufnahme und -ausscheidung die Waage halten. Tabelle 31.7. Taglicher Wasserbedarf (ml/kg Ktirpergewicht) in Abhangigkeit vom Lebensalter. (Aus ltiffier und Petrides 1998)



Alter

Kiirpergewicht [kg) Geschi tzter Wasserbedarf [ml!kg Korpergewicht)

3Tage IOTage 3 Monate 6 Monate 9 Monate I jahr 2 jahre 4 jahre 6 jahre 10 jahre 14 jahre 18 jahre Em•ach ene

3,0 3,2 5,4 7,3 8,6 9,5 11,8 16,2 20,0 28,7 45,0 54,0 70,0

80-IOO• 125- 150• 140- 160 130- 155 125-145 120-135 115- 125 100-110 90-100 70- 85 50- 60 40- 50 21- 43

Durchschnittswerte fUr gestillte Sauglinge.

31.3 Der Wasserhaushalt

935

31 ADH (Vasopressin) wird als Prohormon im Hypothalamus gebildet.

31.3.21 Hormonelle Regulation des Wasserhaushaltes

Das antidiuretische Hormon (ADH) ist das zentrale Hormon in der Regulation des Wasserhaushaltes. Als blutdrucksteigerndes, antidiuretisches Peptid kommt im Hypophysenhinterlappen das aus 9 Aminosauren bestehende antidiuretisches Hormon, ADH (Synonym: Vasopressin oder Pitressin) vor ( Abb. 31.21 ). Die Cysteine in den Position en 1 und 6 bilden eine Disulfidbriicke. Ein sehr ahnliches, ebenfalls im Hypophysenhinterlappen vorkommendes Peptidhormon ist das Ocytocin. Es unterscheidet sich vom Vasopressin lediglich in 2 Aminosauren. Das Phenylalanin des Vasopressins ist im Ocytocin durch Isoleucin ersetzt, das Arginin durch Leucin. Ocytocin ist die wichtigste zur Uteruskontraktion fiihrende Substanz und wird infolgedessen im Rahmen der Geburtshilfe verwendet. Au6erdem fiihrt es zu einer Kontraktion der glatten Muskulatur der Brustdriise, wodurch es zur Milchexkretion kommt.

Vasopressin wird - wie Ocytocin - in den neurosekretorischen Neuronen der paraventrikularen Kerne des Hypothalamus gebildet. Das Vasopressin-Gen ( Abb. 31.22) ist ein Polyprotein-Gen, welches aus 3 Exons und 2 Introns besteht. Die nach Transkription und Entfernung der Introns entstehende mRNA codiert fiir Pra-Pro-Vasopressin. Nach Abtrennung der N-terminalen Signalsequenz entstehen Pro-Vasopressin und aus diesem durch weitere posttranslationale Proteolyse das N-terminal gelegene Nonapeptid Vasopressin, ein als Neurophysin II bezeichnetes Protein sowie ein Glycoprotein. Das Ocytocin-Gen ist sehr ahnlich aufgebaut und codiert fiir ein tiber weite Bereiche homologes Pra-Pro-Ocytocin. Aus ihm entstehen Ocytocin sowie Neurophysin I. Eine zum Glycoprotein des Vasopressinprakursors analoge Verbindung kommt beim Ocytocin nicht vor. Man nimmt an, dass das Vasopressin- und Ocytocin-Gen von einem gemeinsamen Vorlaufer-Gen abstammen. Die Neurophysine dienen als Tragerproteine fiir Vasopressin bzw. Ocytocin wahrend ihres Transports vom Ort der Biosynthese entlang entsprechender Axone in den Hy-

Cys

Gin

Gly (amid)

936

I

Abb.31.21. Chemische Struktur des Nonapeptids Vasopressin. Die Cysteinreste in Position 1 und 6 sind durch eine DisulfidbrUcke verknUpft, so dass eine zyklische Struktur entsteht.lm Ocytocin sind Phenyl analin durch lsoleucin und Arginin durch Leucin ersetzt. (loffler u. Petrides 1998)

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 pophysenhinterlappen, dem Ort ihrer Sekretion. Ober die Funktion des C-terminalen Glykoproteins ist nichts bekannt. 1 ADH (Vasopressin) wirkt vasokonstriktorisch

• UberV1-Rezeptoren und ftirdert die renale WasserrUckresorption uber Vr Rezeptoren.

GefaBwirkungen.,. ADH (Vasopressin) lost iiberVl-Rezeptoren eine Kontraktion der glatten Muskelzellen der BlutgefaBe aus. Das bewirkt einen Blutdruckanstieg

5' -

E1

11

E2

12

E3

-

3'

Transkription; posttranskriptionelle Proz~sierung;

Translation

coo107 109

147 PrHro-AVP

-

posnranslationale Prozessierung

AVP

Neurophysin II

Glykoprotein

Abb. 31.22. Genstruktur und Biosynthese von Vasopressin. DasVasopressin-Gen enthalt 2 lntrons und 3 Exons. Nach Transkription und posttranskriptionaler Prozessierung codiert der Messenger fOr das Prapro-Vasopressin, das posttranslational durch Entfernung der Leadersequenz sowie Spaltung zu Vasopressin, Neurophysin II und einem (-terminal gelegenen Glykoprotein prozessiert wird.AVP Arginin-Vasopressin. (Loftier u. Petrides 1998)

durch die Erhohung des Kreislaufwiderstandes. Die Vr Rezeptoren gehi:iren zur Familie der Rezeptoren mit 7 Transmembrandomanen und sind an den Phosphatidylinositol-Zyklus gekoppelt, ihre Aktivierung fiihrt also zu einer Erhi:ihung der cytosolischen Calciumkonzentration. Renale Wirkungen.,. ADH wirkt antidiuretisch durch eine Stimulierung der Wasserriickresorption im Sammelrohrsytem der Niere (Abb.31.23). Dieser Effekt kommt dadurch zustande, dass ADH in der apikalen Membran der Sammelrohrepithelien die Zahl der Wasserkanal(Aquaporin 2)-Molekiile erhOht. Dabei induziert es eine Translokation von praformierten aber funktionslosen Wasserkanalen, die sich in intrazellularen Vesikeln befinden, in die apikale Plasmamembran. Diese Wirkung wird durch den VTRezeptor vermittelt. Ahnlich wie der V1-Rezeptor ist er ein Protein mit 7 Transmembrandomanen, der im Gegensatz jedoch zu diesem tiber G-Proteine an die Adenylatcyclase gekoppelt ist. Enstprechend werden alle Effekte von ADH auf die Sammelrohre durch cAMP vermittelt. Da die Halbwertszeit des zirkulierenden ADH als Peptidhormon ca. 5 Minuten betragt, wirken sich Anderungen der ADH-Freisetzung schnell auf die ADH-Konzentration im Plasma aus. So kann der Organismus sehr rasch auf Anderungen des Wasserbestandes bzw. der Osmolaritat reagieren und verhindern, dass es zu unerwiinschten Volumenanderungen des Intrazellularraumes kommt.

Adenylat Cyclase

ATP

j

3'5'cAMP

PKA (

r

A =r .- s

luminal

Abb. 31.23. Wirkungsmechanismus von Vasopressin an den Sammelrohrepithelien der Nieren. Ober Vr Rezeptoren kommt es zu einem Anstieg der zellularen cAMP-Konzentration. Diese lost Ober unbekannte Me-

chanismen eine Translokation von Wasserkanalen aus intrazellularen Vesikeln in die Plasmamembran a us.(Loftier u. Petrides 1998)

31.3 Der Wasserhaushalt

937

31 !

Die ADH-Freisetzung wird durch eine Erhohung der Plasmaosmolaritat, eine Verringerung des Extrazellularvolumens und durch Hormone stimuliert. Die Freisetzung von ADH aus dem Hypophysenhinterlappen wird durch osmotische und nichtosmotische Signale gesteuert: ... Die PlasmaosmolariUit ist ftir die ADH-Sekretion von besonderer Wichtigkeit. Die Schwelle ftir die ADH-Freisetzung liegt bei ca 275-280 mosmol/1, weshalb auch bereits im Normalzustand ADH sezerniert wird. Ein Anstieg der Osmolariti:it urn nur 1% fiihrt bereits zu einer messbaren Zunahme der ADH-Sekretion. Der osmotische Druck wird kontinuierlich in verschiedenen Bereichen des Hypothalamus durch spezifische Osmorezeptoren erfasst, deren Signale auf die ADH produzierenden Zellen des N. suprapopticus und N. paraventricularis weitergegeben werden. Auch diese selbst sind an der Osmorezeption beteiligt. Die Osmorezeption wird dabei durch mechanosensitive Kationenkani:ile hervorgerufen, die sich bei Schrumpfung der Zellen Offnen (erhi:ihter osmotischer Druck im Extrazelluli:irraum) und eine Depolarisation und nachfolgende ADH- Freisetzung ausli:isen. Umgekehrt ftihrt ein Abfall des osmotischen Drucks zur Zellschwellung und dadurch bedingten Inaktivierung der Ionenkani:ile. • Der Ftillungszustand des Extrazelluli:irraumes bzw. der Blutdruck beeinflusst die ADH-Freisetzung. Dadurch kann unabhi:ingig von der Osmolariti:it eine Steigerung der ADH-Produktion bei signifikantem Volumenmangel und/oder Blutdruckabfall ausgeli:ist werden. Eine Oberftillung des Extrazelluli:irraumes bzw. ein Blutdruckanstieg wirkt sich dagegen di:impfend auf die ADH-Freisetzung aus. Hierftir gentigen bereits Wasserdefizite oder Wasserzufuhr von 0,3-0,51. • Angiotensin II aktiviert auch die ADH-Sekretion durch einen direkten Effekt auf die Zellen des N. supraopticus und N. paraventricularis. ... Am Hypophysenhinterlappen stimulieren Acetylcholin, Nikotin und Morphin die ADH-Freisetzung, Adrenalin und Ethanol sind dagegen Hemmstoffe.

Das Durstgefuhl wird von Osmorezeptoren vermittelt. Auch das Durstgefuhl wird wesentlich tiber hypothalamische Osmorezeptoren ausgeli:ist, die jedoch nicht genau lokalisiert sind. Angiotensin II wirkt ebenfalls fi:irdernd auf die Entwicklung des Durstgefiihls. Die Schwelle ftir die Ausli:isung des Durstgeftihls liegt nur 5-10 mosmol tiber der ftir die ADH-Freisetzung. Dadurch wird vermieden, dass es zu einer Erhi:ihung des osmotischen Drucks tiber den physiologischen Bereich (290-295 mosmol/1) kommt.

938

31.3.31 Pathobiochemie des Wasserhaushaltes Bei Abweichungen des Wassergehaltes vom Normalwert, was als Dehydratation bzw. Hyperhydration bezeichnet wird, ist zu unterscheiden ob es sich urn isotone Veri:inderungen (Osmolariti:it bleibt normal) oder urn hypo- bzw. hypertone Abweichungen handelt. Da die Natriumkonzentration die Osmolariti:it des Extrazelluli:irraumes hauptsi:ichlich determiniert, bestimmt sie auch die Zuordnung der De- bzw. Hyperhydratation. Isotone Veri:inderungen des Wassergehaltes treten in der Regel sekundi:ir zur Veri:inderung des Natriumhaushaltes auf. Sie werden deshalb in Kapitel 31.4 beschrieben. Nichtisotone Veri:inderungen gehen bei Wasserverlust (ohne Natriumverlust) in der Regel mit einer Hypertoniziti:it (Hypernatrii:imie, Na+ > 150 mmol/1), bei Oberwi:isserung (ohne zusi:itzliche Natriumzufuhr) mit einer Hypotoniziti:it (Hyponatrii:imie, Na+ < 135 mmol/1) einher. Dehydration bei Hypernatriamie• Sie entsteht durch den Verlust hypotoner Ki:irperfltissigkeiten bei gleichzeitig unzureichender Wasserzufuhr. Beispiele hierftir sind: • starkes Schwitzen (SchweiB ist hypoton!), • Wasserverlust tiber die Atemwege bei anhaltender Hyperventilation (z. B. bei Hi:ihenaufenthalt), • anhaltender Durchfall bzw. Erbrechen, • anhaltende Produktion eines hypotonen Hames (z. B. bei Diabetes insipidus, Verabreichung von Diuretika etc.). Durch die ungehinderte Wasserpermeabiliti:it vermindert sich bei einer solchen hypertonen Dehydratation nicht nur der Extrazelluli:irraum sondern auch entsprechend der Intrazelluli:irraum, d. h. die Ki:irperzellen schrumpfen. Besonders empfindlich auf Volumeni:inderungen reagieren dabei Neurone, weshalb im klinischen Beschwerdebild Sti:irungen des Zentralnervensystems im Vordergrund stehen. Rasche Dehydratation kann so zu Bewusstseinstriibung bis hin zu Koma und Tod fiihren. Wenn sich die hypertone Dehydratation Iangsam entwickelt, ki:innen Hirnzellen durch zusi:itzliche Bildung von Osmolyten (z. B. Inositol) ihre intrazelluli:ire Osmolariti:it erhi:ihen und so ihr Volumen weitgehend konstant halten. Wasser mangel und der damit assoziierte Anstieg der Plasmaosmolariti:it fiihren normalerweise zu einer maximalen ADH-Freisetzung und in Folge zur maximalen Antidiurese, sowie parallel dazu zu einer Aktivierung des Durstgefiihls. Durch die Kombination von renaler Wasserretention und oraler Wasseraufnahme ki:innen Fltissigkeitsdefizite und die damit verbundene Erhi:ihung der Osmolariti:it in kurzer Zeit ausgeglichen werden.

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 Beim Diabetes insipidus centralis kann die Neurohypophyse kein ADH mehr sezernieren. Als Folge des fehlenden ADH-Effektes auf die Wasserreabsorption in der Niere werden groGe Volumina hypotonen Harns ausgeschieden, wobei im Extremfall Werte bis zu 40 1/Tag beobachtet wurden. Als Ursache der Erkrankung stehen benigne oder maligne Tum oren der Hypophyse oder des Gehirns im Vordergrund. Bei 40% der Faile kann eine Ursache fiir das Krankheitsbild nicht gefunden werden, weswegen diese als idiopathischer Diabetes insipidus bezeichnet werden. Der Defekt kann die Osmorezeptoren im Hypothalamus, die ADH-Biosynthese oder die ADH-Sekretion betreffen. Die Behandlung der Erkrankung erfolgt durch Vasopressinsubstitution. Der ADH-resistente Diabetes insipidus renalis ist eine seltene, meist X-chromosomal vererbte Krankheit. Bei ihr liegt der Defekt in den Tubulusepithelien, die entweder keinen intakten Vasopressin-Rezeptor besitzen oder Mutationen in den Aquaporinen tragen, wodurch die Sammelrohre selbst bei sehr hohen ADHKonzentrationen die Wasserresorption nicht steigern konnen. Hyperhydratation bei Hyponatriamie~ Sie entwickelt sich bei iiberma6iger Zufuhr von hypotonen Fliissigkeiten (z. B. Wasser, Infusionen) wenn gleichzeitig die renale Wasserausscheidung vermindert ist. Durch den Abfall des osmotischen Druckes im Extrazellularraum schwellen die Zellen an, was bei raschen Anderungen ein lebensgefahrliches Hirnodem hervorrufen kann. Eine gravierende Einschrankung der renalen Wasserausscheidung beobachtet man bei einer allgemeinen Einschrankung der exkretorischen Nierenfunktion (Niereninsuffizienz) oder bei pathologisch gesteigerter ADH-Sekretion. Ein mit gesteigerter ADH-Sekretion einhergehendes Krankheitsbild (SIADH: Syndrome of inappropriate antidiuretic hormone secretion) findet sich relativ haufig. Es kommt b esonders bei kleinzelligen Bronchialcarcinomen, aber auch bei anderen Carcinomen (Pankreas-, Duodenal-, Blasencarcinom, Lymphosarkom, Morbus Hodkin) vor und wird durch eine ektopische Vasopressinsekretion der genannten Tumoren verursacht. Dariiber hinaus kann das Krankheitsbild auch als Folge einer Reihe zentralnervoser Erkrankungen auftreten. Bei den Patienten fmdet sich eine Unfahigkeit, einen hypotonen Urin auszuscheiden. Dies fiihrt zur Fliissigkeitsretention und infolge der dadurch ausgeli:isten Verdiinnung zur Hyponatriamie. Die Patienten haben eine ausgepragte Natriurese, die nicht durch Natriuminfusionen sondern nur durch Verringerung der Fliissigkeitszufuhr reduziert werden kann.

KERNAUSSAGEN Der Wassergehalt des Ktirpers sinkt mit zunehmendem Lebensalter und ist bei Mannern htiher als bei Frauen. Die Wasserraume des Ktirpers gliedern sich in den grti!Jeren lntarzellularraum und den kleineren Extrazellularraum, welcher auch das Plasmavolumen umfasst. DerWasserhaushalt des Ktirpers wird vor all em durch ADH reguliert, welches die orale Wasseraufnahme (iiber das Durstgefiihl) und die renale Wasserausscheidung bestimmt. Die Sekretion von ADH wird wesentlich von der Osmolaritat und dem Extrazellularraum-Volumen bestimmt. ObermaBige Wasserverluste bzW. Zufuhr von hypotonen Fliissigkeiten ktinnen zu Dehydratation bzw.Hyperhydratation fiihren. Bei isotonen Veranderungen des Wasserbestandes verandert sich auch parallel der Natriumbestand des Ki:irpers. Entsprechend ist die Regulation des Wasserhaushaltes eng mit der Regulation des Natriumhaushaltes verflochten.

31.4 31.4.1

Der Natriumhaushalt Natriumbilanzierung

Ober 90 % des Korpernatriums befinden sich in freier oder gebundener Form im Extrazellularraum. Der Gesamtnatriumbestand des Menschen liegt b ei 55- 60 mmol/kg Korpergewicht, welches sich zu 95% auf den Extrazellular- und zu 5% auf den Intrazellularraum verteilt. Davon befinden sich 30-40% des Natriums in gebundener Form im Knochen, weshalb nur 60- 70% des Korpernatriums rasch austauschbar sind. Das gesamte, auf einer Basis von 60 mmol!kg Korpergewicht berechnete, Korpernatrium reduziert sich deshalb auf 40 mmol/kg Korpergewicht austauschbares Natrium, d. h. also 2800 mmol Natrium fur den 70 kg schweren Normalerwachsenen (Tabelle 31.8). Die obligaten taglichen Natriumverluste betragen bei normaler SchweiGproduktion weniger als 3 g NaCl pro Tag. Normalerweise fiihrt man mit der Nahrung taglich 5-20 g NaCl (70- 350 mmol) zu. Diese Menge liegt damit tiber dem taglichen Bedarf. Dabei enthalt die taglich zugefiihrte Nahrung selbst selten mehr als 200 mmol Natrium, der Rest wird in Form von Tafelsalz (Kochen und Wiirzen) aufgenommen. Die Ausscheidung erfolgt im wesentlichen tiber den Urin und liegt in Abhangigkeit von der zugefiihrten Menge bei 100-150 mmol/24 h. Die Ausscheidung unterliegt einem 24-Stunden-Rhythmus. Die Nieren konnen dem Organismus tiber eine vermehrte Reabsorption Natriumionen erhalten. Dieser Regulationsmechanismus steht unter dem Einfluss der Mineralocorticoide der Nebennierenrinde. 31.4 Der Natriumhaushalt

939

31 Tabelle 31.8. Daten zum Natriumstoffwechsel. (Aus Uiffler und Petrides 1998)

llliiiOIIkg Korpergewicht

Plasma Inter titieUe Fliissigkeit, Lymphe Sehnen und Knorpel Tran zeUuHire Flil igkeit Knochen (ge amte Menge) Knochen (au tauschbare Menge)

Ge amtmenge

im Extrazellularraum (austau chbar) im Extrazellularraum (gesamt) im lntrazellularraum im Organi mus

atriumkonzentration de Blutpla mas Normalbereich Tag.liche Au cheidung mit dem Urin Tagliche Au cheidung mit der Nahrung

Eine Erhohung der Natriumausscheidung erfordert oft auch eine ErhOhung der Wasserausscheidung. Die natriumkonservierenden Mechanismen sind wie bei allen terrestrischen Lebewesen sehr effektiv, so dass es unter physiologischen Bedingungen und bei normaler Kost nicht zu einem signifikanten Natriummangel kommen kann. Da die durchschnittliche Natriumzufuhr deutlich tiber dem obligaten Natriumverlust liegt (s. o.) ist die Konstanz des auch das Extrazellularvolumen bestimmenden Natriumbestandes des Organismus an die fortlaufende renale Elimination von tiberschtissigem Kochsalz gebunden. Dabei ist zu bedenken, dass wegen der Harnstoffausscheidung bei maximaler Konzentration des Endharns (1200 mosmol/1) die Konzentration von NaCI im Endharn hochstens 200 mmol/1 ( entspricht 400 mosmol/1) betragen kann. Entsprechend konnen hohere NaCI-Mengen nur tiber ein erhohtes Urinvolumen ausgeschieden werden, was nattirlich auch eine erhohte Trinkmenge an freiem Wasser erfordert (s. o. ). Meerwasser enthalt NaCI in einer Konzentration von 450 mmol/1. Wird solches Wasser getrunken, kann die aufgenommene Salzmenge nur dadurch wieder ausgeschieden werden, dass zusatzlich freies Wasser (mindestens 1 Liter ,Sti6wasser" pro Liter Meerwasser) getrunken wird. Mit reinem Meerwasser wird eine hypertone Dehydratation erzeugt, die mittelfristig zum Tod fiihrt.

940

I

6,5 16,8 6,8 1,5 25,0 8,0

11,2 29,0 11,7 2,6 43,1 13,8

39,6 56,6 1,4 58,0

68,3 97,6

2,4 100,0

140 mmol/1 135-145 mmol/1 100-150 mmol 70-350mmol

Eine geringe Menge (5 mmol/24h) wird auch tiber den Stuhl ausgeschieden.Die Verdauungssafte enthalten zwar vie! Natrium, da sie aber normalerweise im Darm reabsorbiert werden, geht dem Organismus kein Natrium verloren. St6rungen der Reabsorption (Durchfalle) konnen dagegen zu Natriumverlusten ftihren. Uber die Haut geht bei starkem Schwitzen Natrium verloren (20-80 mmol/1). Dabei nimmt die Natriummenge mit steigendem Schwei6volumen zu.

!

PnluntuAier Anteil an der Gesamtmenge

31.4.21 Hormonelle Regulation des Natriumhaushaltes Die Regulation der Natriumkonzentration des Intrazellularraumes erfolgt tiber die Na+fK+-ATPase (S. 177), die des Extrazellularraumes tiber das Renin-AngiotensinAldosteron-System und das atriale natriuretische Peptid.

Oas Renin-Angiotensin-Aidosteron -System (RAAS) sorgt fi.ir eine Zunahme des Natriumbestandes. Angiotensin II ist das eigentliche Horman des ReninAngiotensin-Systems. Diebiologischen Wirkungen von Angiotensin II sind: .,. zentrale Auslosung von Durstgefiihl und Salzappetit, was die Salz- und Wasserzufuhr in den Korper erhoht (S. 938), "' Steigerung der ADH-Freisetzungaus dem Hypophysenhinterlappen, welches die Wasserreabsorption in den Sammelrohren der Niere erhoht (S. 938), "' Steigerung der Natriumresorption direkt am proximalen Tubulus, .,.. Stimulation der Bildung des Mineralocorticoidhormones Aldosteron in der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde.

Mineralocorticoide werden aus Cholesterin synthetisiert. Die Biosynthesewege ftir die Mineralocorticoide 11Desoxycorticosteron und Aldosteron beginnen beim Cholesterin und gehen tiber die Zwischenstufe Pregnenolon (S. 882) ( ~ Abb. 31.24). Durch Oxidation am CAtom 3 und Verschieben der Doppelbindung entsteht Progesteron, durch Hydroxylierung an den Positionen 21(3, 18(3 und 11/3 wird daraus 18-Hydroxycorticosteron. Das beim Menschen wichtigste Mineralocorticoid, das Aldosteron, wird aus 18-Hydroxycorticosteron durch

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 Cholesterin

Pregnenolon Oxidation

HO

Umlagerung der

Ooppelbindung CH3 I C= O

Progesteron

0

I 21-J3-Hydroxylierungl H C OH I C= O

ll ·Desoxycorticosteron

0

18-Hydroxylierung 11-(3-Hydroxylierung

18-Hyd roxycorticosteron

0

Oxidation der Hydroxylgruppe am C-Atom 18 gebildet. Die dabei entstehende Aldehydgruppe, welche dem Aldosteron seinen Namen gibt, kommt der Hydroxylgruppe am C-Atom 11 so nahe, dass sich eine Halbacetalform des Aldosterons ausbilden kann, in der es in wassriger Losung bevorzugt vorliegen dtirfte. Durch Hydroxylierung wird 11-Desoxycorticosteron in Position 116 zum Corticosteron. Beim Menschen hat Corticosteron eine schwache Mineralocorticoid- und Glucocorticoidwirkung, bei Nagern ist es das wichtigste Glucocorticoid. Mineralocorticoide ford ern die Natriumretention in der Niere.

Mit Ausnahme der Androgene steigern alle Corticosteroidhormone, besonders jedoch die Mineralocorticoide,die Ruckresorption von Natriumionen in den Verbindungstubuli und Sammelrohren der Niere. Parallel zur gesteigerten Natriumretention kommt es zu einer gesteigerten Ausscheidung von Kalium-, Wasserstoff- und Ammoniumionen, was zu einer Abnahme der Kaliumkonzentration im Serum fiihrt. Auch in den Schwei6dri.isen, den Speicheldrtisen sowie im Intestinaltrakt wird die Ausscheidung von Natriumionen verlangsamt. Im ihrer Wirksamkeit auf den Mineralstoffwechsel unterscheiden sich die einzelnen Steroidhormone der Nebennierenrinde betrachtlich voneinander. Aldosteron ist 1000-mal wirksamer als Cortisol und ungefahr 35-mal effektiver als 11-Desoxycorticosteron. Ftir die Bewaltigung lebensbedrohlicher Stresssituationen, wie z. B. die Einwirkung sehr niedriger Temperaturen, ist Aldosteron offenbar auch unerlasslich. Es ist auch das bei weitem wirksamste Steroidhormon, wenn Versuchstiere nach beidseitiger Adrenalektomie am Leben erhalten werden sollen. Aldosteron wirkt uber einen Rezeptor aus der Superfamilie der Steroidhormonrezeptoren.

Aldosteron

0 Halbacetalbildung

OH

0

CH

H2C- OH

I C= O

Aldosteron Halbacetal 0

Abb. 31.24. Biosynthese der Mineralocorticoide 11-Desoxycorticosteron und Aldosteron. FOr die Biosynthese des Aldosterons ist eine Hydroxylierung an den Positionen 21{3, 18 und 11{3 des Progesterons notwendig. Vgl. hierzu die Hydroxylierung bei der Biosynthese des Cortisols (S. 882). (Aus Uiffler u.Petrides 1998)

Der molekulare Wirkungsmechanismus des Aldosterons ahnelt dem der anderen Steroidhormone der Nebennierenrinde. Das Harmon wird in die Zelle aufgenornrnen und bindet an einen cytosolischen Rezeptor, der zur Superfarnilie der Steroidhormone gehort. Eine besonders hohe Konzentration von Aldosteronrezeptoren findet sich in den corticalen Abschnitten der Sammelrohre, dari.iber hinaus irn Colon und den Schweifldrusen, was auf diese Organe als besondere Zielgewebe fi.ir die Mineralocorticoidwirkung hinweist. Wie aus der Abb. 31.25 hervorgeht, gelangt der Mineralocorticoid-Rezeptor-Kornplex nach entsprechender Aktivierung (S. 795) in den Zellkern und beeinflusst dort die Expression spezifischer Gene. Das fi.ihrt in natriumreabsorbierenden Zellen zur vermehrten Biosynthese einer Reihe von Proteinen. Irn einzelnen handelt es sich urn einen in der apikalen Zellmembran gelegenen Natriumkanal, urn eine Na+fK+ -ATPase sowie urn eine Reihe von Enzyrnen des Citratzyklus. Die letzteren errnoglichenwahrscheinlich einen gestei31 .4 Der Natriumhaushalt

941

31

Na K+

Na •

t mRNA Mito\ chondri urn

8-B )

A

A

Die Bildung von Angiotensin II und von Aldosteron wird wesentlich durch die Grolle des Extrazellularvolumens reguliert.

A

Transkription K+

K+

Kern

K+

Abb. 31.25. Molekularer Mechanismus der Aldosteronwirkung auf die Tubulusepithelien. Aldosteron bindet an ein Rezeptorprotein, das nach Konformationsanderung im Zellkern die Transkription spezifischer Gene auslost. Es kommt dam it zur gesteigerten Biosynthese eines Natriumkanals, der NaK-ATPase sowie verschiedener mitochondrialer Enzyme.A Aldosteron;R Aldosteronrezeptor.(Einzelheiten s.Text) (loffler u.Petrides 1998)

gerten Substratdurchsatz und damit eine vermehrte Bereitstellung des fiir den Transport benotigten ATP. Man weiB mittlerweile, dass Aldosteron auch spezifische zellulare Wirkungen auslOsen kann, die nicht iiber die Beeinflussung von Gentranskription vermittelt werden. Diese sog. nichtgenomischen Wirkungen treten schnell auf (innerhalb von 10 Minuten) und sind in der Regel nicht durch Spironolocatone (s. u.) hemmbar. Die zellularen Signalwege umfassen dabei die Aktivierung der Mitogen-aktivierten Proteinkinasen (MAPK) (S.821) aber auch anderer Proteinkinasen. Spironolactone... Sie sind eine Gruppe von Aldosteronanalogen Verbindungen, die iiber einen C-17-LactonRing verfiigen (~ Abb. 31.26). Sie wirken als Mineralocorticoid-Antagonisten und werden als solche auch bei der Behandlung des primaren Hyperaldosteronismus eingesetzt. Ihr Wirkungsmechanismus beruht darauf, dass sie Aldosteron kompetitiv vom cytoplasmatischen Rezeptor verdrangen. Der dabei gebildete Rezeptoran-

0

942

I

tagonist-Komplex kann aber nicht die zum Obertritt in den Kern notwendige Konformationsanderung (Aktivierung) durchmachen, weswegen die Anderung der Genexpression unterbleibt.

Abb. 31.26. Struktur des Aldosteronantagonisten Spironolacton. Man beachte die Lactonstruktur an der Seitenkette des RingsD. (Loffler u. Petrides 1998)

Angiotensin 11 ... Die Freisetzung des Renins als Schliisselregulators des Renin-Angiotensin-Systems wird durch eine Reduktion des Extrazellularvolumes (z. B. bei Natriummangel) stimuliert. Ein expandiertes Extrazellularvolumen bei Salziiberschuss bewirkt eine Hemmung der Reninfreisetzung und damit eine Hemmung der ANGII-Bildung. Die Steuerung der Reninfreisetzung erfolgt dabei indirekt iiber Pressorsensoren des Hochdrucksystems (Sinus Carotic us und Aortenbogen) und Volumensensoren im Niederdrucksystem (Hohlvenen und VorhOfe). Auch eine Aktivierung des Sympathikus bei starkem Druckabfall oder Volumenmangel stimuliert die Reninsekretion (direkt iiber /)-Rezeptoren) und damit die ANGII-Bildung. Aldosteron ... Folgende Faktoren sind fiir die Regulation der Aldosteronbiosynthese und Sekretion von besonderer Bedeutung: .. ANGil stimuliert iiber ATl-Rezeptoren (S. 927) die Aldosteronbiosynthese und -sekretion. ACTH (S. 880) hat dagegen nur eine geringe Bedeutung. .. Jeder Anstieg der Kaliumkonzentration stellt einen starken direkten Reiz fiir die Aldosteronsynthese dar (s. u.). .,.. Zu einem Sistieren der Aldosteronbildung und Sekretion kommt es dagegen, wenn die Natriumretention durch die Nieren bzw. die Kaliumausscheidung ansteigt und es zu einer Erhohung des extrazellularen Volumens bei gleichzeitigem Kaliumverlust kommt. .,.. Ober diese Regulation hinaus wird die Biosynthese von Mineralocorticoiden noch durch Substanzen mit /)-adrenerger Wirkung angeregt und durch Dopamin gehemmt.

Das atriale natriuretische Peptid senkt den Natriumbestand des Korpers. Die Funktion von Mineralocorticoiden und ADH besteht in der Natrium- und Wasserretention. Damit regulieren sie eine speziell fiir Landbewohner essentielle Funktion. Ein antagonistisches, natriuretisch wirkendes Horman ist das vor allem im rechten Vorhof des Herzens synthetisierte, gespeicherte und sezernierte atriale natriuretische Peptid (ANP).

ANP wird in den Herzvorhofen als Prohormon gebildet. Das atriale natriuretische Peptid (ANP) wird in myoendokrinen Zellen des Herzmuskels synthetisiert und

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 E3 11

/

25

12

-3'

151

cooPra-Pro-ANP

j N-terminales Fragment

!

ANP-Peptid

Abb.31.27. Biosynthese des natriuretischen Atriumpeptids (ANP). Das zugehtirige Gen besteht aus drei Exons und zwei lntrons. Diese codieren fiir ein Prapro-ANP aus 152, beim Menschen 151 Aminosauren. Dieser Prakursor tragt (-terminal das aus 28 Aminosaureresten bestehende ANP (s. auch Abb. 31.28).5 (Ltiffler u. Petrides 1998)

in Sekretvesikeln gespeichert, die sich vorwiegend im rechten Vorhof, daneben aber auch im linken Vorhof und nur ganz vereinzelt im Herzkammergewebe befinden. Die Abb. 31.27 gibt einen Uberblick i.iber die ANP-Biosynthese. Das ANP-Gen (beim Menschen auf Chromosom 1) enthalt 3 Exons und 2 Introns, nach Transkription und posttranskriptionaler Prozessierung entsteht aus ihm die Pra-Pro-ANP-mRNA, welche ein Protein mit 151 Aminosauren kodiert. Abtrennung des N-terminalen, aus 25 Aminosauren bestehenden Signalpeptids fi.ihrt zum Pro-ANP mit 126 Aminosauren, welches in Vesikel gepackt wird. Darin wird durch ein noch nicht identifiziertes Conversionsenzym vom Carboxyterminus ANP als ein 28 Aminosauren umfassendes Peptid abgespalten. Da die Primarstruktur von ANP fi.ir die bislang untersuchten Sauger praktisch identisch ist, scheint das ANP-System in der Evolution hoch konserviert zu sein. In wesentlich geringerem AusmaB als im Herzen wird Pro-ANP auch noch in anderen Organen wie Gehirn, Nebenniere und Niere gefunden. Dabei spalten die Sammelrohrzellen der Niere spezifisch ein 32 Aminosaure umfassendes Peptid vom Carboxyterminus des Pro-ANP ab, das als Urodilatin bezeichnet wird. ANP und Urodilatin zeigen dieselben biologischen Wirkungen (s. u.), haben aber eine unterschiedliche biologische Stabilitat. So erscheint Urodilatin wesentlich resistenter als ANP gegeni.iber einer proteolytischen Degradation durch die neutrale Endopeptidase zu sein, die gerade in der Niere in hoher Aktivitat vorkommt. Neben dem ANP (sog. Typ-A der natriuretischen Peptide gibt es mit BNP (B-Typ) und CNP (C-Typ) noch 2 weitere natriuretische Peptide, die wesentliche Struktur- und Funktionsahnlichkeiten mit

ANP besitzen ( Abb.31.28). Sie werden von jeweils eigenen Genen kodiert, aber im gesunden Herzen im Vergleich zu ANP nur minimal exprimiert. Ihre physiologische Bedeutung ist noch nicht geklart. Der ausli:isende Reiz fi.ir die ANP-Sekretion ist ein Anstieg des Vorhofdrucks, der zu einer Wanddehnung und damit Dehnung der Myozyten fi.ihrt. Uber einen calciumabhangigen Prozess fi.ihrt eine solche Dehnung dann zur Exocytose von ANP aus den Speichervesikeln. Der Anstieg des Vorhofdruckes kann durch eine Expansion des Extrazellularvolumens, (Plasmavolumen) z. B. durch vermehrte Kochsalzzufuhr, aber auch durch Hormone wie ADH, Katecholamine oder Angiotensin II, ausgelost werden.

ANP relaxiert Blutgetalle und fordert die renale Natrium- und Wasserausscheidung. Eine Hauptwirkung von ANP wie aller natriuretischen Peptide besteht in einer Relaxation der glatten Muskulatur der Arteriolen, was den arteriellen GefaBwiderstand senkt und damit blutdrucksenkend wirkt. Dieser vasodilatierende Effekt ist auch an den renalen praglomerularen BlutgefaBen sehr ausgepragt. Dies fi.ihrt zu einer Erhohung der glomeruliiren Filtrationsrate und zu einer Steigerung der Nierenmarksdurchblutung, was prinzipiell die renale Wasser- und Salzausscheidung erhohen kann. Uber luminale Rezeptoren an den Sammelrohren der Nierenpapillen kann es dort auch direkt die Natrium- und Wasserresorption vermindern. Weiterhin hemmt ANP die Aldosteronfreisetzung sowohl durch einen direkten Effekt auf die Nebennierenrinde als auch indirekt durch Hemmung der Reninfreisetzung. In der Tat scheint die Wechselwirkung mit dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) sehr bedeutsam fi.ir die Wirkung zu sein, da man eine deutliche natriuretische Wirkung von ANP nur bei einem stimulierten RAAS beobachten kann. Moglicherweise ist Urodilatin fi.ir die renalen Wirkungen wesentlich bedeutsamer als ANP selbst. Rezeptoren fi.ir natriuretische Peptide ANP sind in einer Reihe von Geweben, wie z. B. den Nierenglomerula, Sammelrohrzellen und den medullaren und papillaren Vasa recta der Nieren gefunden worden, daneben aber auch im Zentralnervensystem, der Nebennierenrinde sowie GefaBmuskel- und Endothelzellen. Man kennt derzeit 3 Rezeptoren, welche als A-, B- und C-Rezeptor bezeichnet werden. Der A-Rezeptor ist selektiv fi.ir ANP und BNP, der B-Rezeptor fi.ir CNP und der CRezeptor bindet alle 3 Peptide. Der A- und B-Rezeptor sind membrangebundene Guanylatcylasen (S. 808), deren Aktivierung zu erhohten cGMP-Konzentrationen in den Zielgeweben fi.ihrt (Abb. 31.29). Der C-Rezeptor vermittelt keine derzeit bekannte Signalwirkung. Man nimmt an, dass es sich dabei urn einen ClearanceRezeptor handelt, der die natriuretischen Peptide bei hohen Konzentrationen abfischt und einer endosomalen Degradation zufi.ihrt. Dieser Mechanismus tragt so zur Elimination der natriuretischen Peptide bei, die 31.4 Oer Natriumhaushalt

943

31

Alp

Go\l Glu

L'"ttu

LY' I'll
1 mmol/1, die auch bereits beim Gesunden tiberschritten werden, weshalb auch dieses Phosphat mit dem Urin ausgeschieden wird. Die renale Phosphatausscheidung wird durch Parathormon, Calcitonin, Calciumzufuhr, Ostrogene, Thyroxin und eine Acidose erhoht, durch Wachstumshormon, Insulin und Cortisol erniedrigt (s. u.). Die Regelung der renalen Phosphatausscheidung ist nicht nur fUr den Phosphatbestand des Korpers an sich von Bedeutung, sondern hat auch direkte Auswirkung auf die Protonenausscheidung im Urin. Da HP0 4 2 - ein sehr effektiver Protonenpuffer im physiologischen pHBereich des Barnes ist

I

~ 1.38 E E

1,30

1.22

36

c

~

0 E

:::1.

Urin-Phosphat

I

28 20

12

16

20

24

8

12

16

Uhrzeit

Abb. 31.34. Schwankungen des Plasmaphosphats und der Phosphatausscheidung in den Urin bei 3 gesunden Probanden. (Nach Stanbury SW [1958] Adv Intern Med 9:31) (A us Uiffier u. Petrides 1998)

durch die Nieren. Die Konzentration von anorganischem Phosphat im Plasma unterliegt einem ausgepragten - durch Parathormon nicht beeinflussbaren Tag-Nacht-Rhythmus und hangt auBerdem von der mit der Nahrung zugeftihrten Menge ab. Mit diesem Rhythmus gehen Schwankungen der Phosphatkonzentration im Urin parallel (-®Abb. 31.34). Die Konzentration des Plasma- und Urinphosphats ist am Vormittag am niedrigsten und am Abend am hochsten. Da nach Entfernung der Nebennieren oder der Hypophyse - im Tierexperiment - der normale Tag-Nacht-Rhythmus der Phosphatkonzentration im Plasma und der Phosphatausscheidung im Urin verschwindet, wird ein Zusammenhang mit den tageszeitlichen Schwankungen des Plasmacortisolspiegels diskutiert. Ausscheidung~ Die Ausscheidung von Phosphat erfolgt hauptsachlich tiber die Nieren, daneben auch tiber SchweiB und Stuhl. Da die Phosphatausscheidung in den Urin ebenso wie die Plasmakonzentration einem ausgepragten Tag-Nacht-Rhythmus unterliegt, muss ihre quantitative Erfassung tiber den 24-StundenUrin erfolgen. Anorganisches Phosphat wird glomerular frei filtriert und ausschlieBlich im proximalen Tubulus zu 85-90 o/o wieder reabsorbiert. Von den miteinander im chemischen Gleichgewicht stehenden Phosphaten der Tubulusfltissigkeit

952

werden bei verminderter Phosphatresorption wesentlich mehr Protonen (bis zu 30 mmol pro Tag mehr) ausgeschieden.

Die Plasmaphosphatkonzentration weist starkere Schwankungen auf als die anderer Elektrolyte. Die Plasmaphosphatkonzentration unterliegt nicht einer so genauen Regulation wie die Calciumkonzentration. Tagliche Schwankungen, insbesondere nach Mahlzeiten, sind haufig. Das ist darauf zurtickzuftihren, dass Phosphat nicht nur - wie Calcium - mit dem Knochenphosphat im Gleichgewicht steht, sondern auch im Stoffwechsel der Zelle standig umgesetzt wird ATP

~

ADP + Pi.

Die Regulation des Plasmaphosphatspiegels erfolgt im wesentlichen tiber die Nieren, jedoch auch tiber eine Verteilung des Phosphats zwischen Intra- und Extrazellularraum. In die Zellen oder subzellularen Partikel gelangt Phosphat nicht durch aktiven Transport, sondern folgt passiv den Bewegungen von Kationen, insbesondere von Calcium.

Phosphatmangel beeintrachtigt den ATP-Haushalt. ! Hohe Phosphatverluste kommen als Folge von Nierentubulusfunktionsstorungen vor, denen entweder ein genetischer Defekt oder eine erworbene Nierentubulusschadigung zugrunde liegt. Eine Hypophosphatiimie kann auch als Verteilungsstorung auftreten, wenn z. B. bei parenteraler Ernahrung eine gesteigerte Aufnahme von Phosphat in den Muske! und ins Fettgewe-

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 be erfolgt. Hypophosphatamien fiihren u. a. zum ATPund 2,3-Bisphosphoglyceratmangel (2,3-BPG). Die Reduktion von 2,3-BPG fiihrt zu einer Verschlechterung der Sauerstoffversorgung der peripheren Gewebe, da die Linksverschiebung der Sauerstoffdissohiationskurve eine reduzierte Sauerstoffabgabe von Hamoglobin in der Peripherie bedingt.

31.6.31 Hormonelle Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels

!

Die Plasmacalciumkonzentration wird durch das Zusammenspiel von Parathormon, Thyreocalcitonin und 1,25-Dihydroxycholecalciferol in engen Grenzen konstant gehalten. Die Konzentration des freien (ionisierten) Calciums in der extrazellularen Fli.issigkeit wird durch das Zusammenspiel von Parathormon (PTH), Thyreocalcitonin (CT) und 1,25-Dihydroxycholecalciferol als biologisch aktive Form der D-Vitamine (S. 731) erstaunlich konstant gehalten. Die ® Abb. 31.35 gibt eine Zusammenfassung der Wechselbeziehungen der 3 Hormone. Ein Absinken der Serumcalciumkonzentration fiihrt zu einer Sekretion von PTH durch die Nebenschilddri.isen. Dessen Effekt auf den Calciumstoffwechsel von Knochen und Nieren sowie die Biosynthese des D-Hormons bewirken eine rasche Normalisierung des Serumcalciums. Steigt dieses i.iber einen Sollwert an, kommt es durch eine gesteigerte Thyreocalcitoninfreisetzung zu einer Hemmung der Knochenresorption und damit zum Absinken des Serumcalciums. Der wichtigste Faktor fiir die enterale Calciumresorption ist das 1,25-Dihydroxycholecalciferol (1,25-(DHh-D 3 ).

Parathormon entsteht durch limitierte Proteolyse eines Prakursors in den Nebenschilddriisen. Struktur des Parathormons~ Parathormon (PTH) wird von den Nebenschilddri.isen (Synonym: Epithelkorperchen) sezerniert. Es sind meist 4 etwa linsengroBe abgegrenzte Organe, die hinter den 4 Polen der Schilddri.ise liegen. PTH ist ein Polypeptid aus 84 Aminosauren. Die PTH verschiedener Spezies unterscheiden sich nur geringfiigig, z. B. das des Rindes von dem des Schweines in nur 7 der 84 Aminosauren. Untersuchungen mit synthetischen Teilsequenzen zeigten, dass fi.ir die biologischen Effekte des Hormons nur die Sequenz der ersten 27 N-terminalen Aminosauren notwendig ist. Biosynthese und Sekretion des Parathormons~ Wie bei vielen anderen Polypeptidhormonen erfolgt auch die Biosynthese des PTH als groBeres Vorlaufermoleki.il. Die ® Abb. 31.36 zeigt den Aufbau des auf dem kurzen Arm von Chromosom 11 gelegenen Prii-Pro-PTH-

1.25-(0Hh-03

ea2•

ul 2 •

• HPO; •

+

Plasmacalcium 2,5 mmol/1

Neben- _ ) .....__P-'-TH___ schilddrusen

25-0H-~-

1,25-(0H)1-03 _ _ _ ___;:_....;;__,

Hydroxylase Nieren 25-0H-03 ~ Vitamin 0-25\. Hydroxylase - J Leber Vitamin 0 Abb. 31.35. Regulation der extrazellularen Calciumkonzentration. Ein Abfall des Plasmacalciums stimuliert die Freisetzung von Parathormon aus den NebenschilddrOsen, das die Biosynthese von 1,25-(0Hh-03 in den Nieren beschleunigt. Parathormon und 1,25-(0Hh-03 ford ern gemeinsam die Freisetzung von Calcium aus dem Skelettsystem. Auf3erdem fordert 1,25-(0Hh-03 die intestinale Calciumresorption. Diese beiden Wirkungen fOhren dazu, dass der Plasmacalciumspiegel wieder den Normalwert erreicht. Das bei der Calciummobilisierung gleichzeitig aus dem Knochen freigesetzte oder im Darm resorbierte Phosphat hemmt direkt die Biosynthese von 1,25-(0Hh-03 nach Art eines negativen RUckkoppelungsprozesses. (Loftier u. Petrides 1998)

Gens. Es codiert die aus 115 Aminosauren bestehende Sequenz des Pra-Pro-PTH. Co translational wird im rauhen endoplasmatischen Reticulum die aminoterminale Signalsequenz abgespalten, welche aus 25 Aminosauren besteht, so class als Zwischenprodukt das Pro-PTH entsteht (i.iber die Funktion der Signalsequenz s. S. 286). Im Golgi-Komplex erfolgt unter Bildung des reifen PTH die proteolytische Abspaltung eines N-terminalen Hexapeptids aus meist basischen Aminosauren.

Die PTH-Sekretion wird durch die extrazellulare Ca lei umkonzentrati on reg uIiert; PTH wird proteolytisch abgebaut. Regulation der PTH-Sekretion~ Elektronenmikroskopische Untersuchungen der Epithelkorperchen-Struktur haben gezeigt, class ihre Zellen nur relativ wenig Sekretgranula enthalten. Man muss daraus schlieBen, class PTH nur in geringem Umfang gespeichert und zum groBten Teil kontinuierlich synthetisiert und konstitutiv sezerniert wird. Die Sekretion von PTH wird durch die Konzentration an ionisiertem Calcium im 31.6 Der Calcium- und Phosphathaushalt

953

31 3'

DNA

l

hnRNA

Prli-Pro-PTH-Gen

ITranskription I prima res Transkript

posttransskriptionale Prozessierung

mRNA

[

Pra-Pro-PTH-mRNA

ITranslation v

Protein

coo-

Pra·Pro·PTH

115

Protein

-

Pra

-

Pro

,....... coo-

co- und posttranslationale Prozessierung

PTH

84

Blutplasma reguliert. Ein Abfall der Calciumkonzentration bewirkt einen Anstieg der cAMP-Konzentration und eine gesteigerte PTH-Sekretion ( Abb. 31.37). Bei erhohter Serumcalcium-Konzentration sinkt der intrazellulare cAMP-Spiegel in den Epithelkorperchen und die PTH-Sekretion kommt zum Erliegen. Die Verbindung zwischen der extrazellularer Calciumkonzentration und der intrazellularen cAMP-Konzentration besteht dabei in einem membranstandigen ,Calciumrezeptor"-Protein, welches zur Familie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren mit 7 Transmembrandomanen zahlt. Ein Anstieg der extrazellularen Calciumkonzentration im physiologischen Bereich fiihrt zur Aktivierung des Rezeptors und damit zur intrazellularen Calciummobilisierung tiber den Inositolphosphatweg. Ein Anstieg der Calciumkonzentration hemmt wahrscheinlich die Aktivitat der Adenylatcyclase (Typ VI) und senkt so den intrazellularen cAMP-Spiegel, worauf sich die PTH-Sekretion vermindert ( Abb. 31.37). Stoffwechsel des PTH~ Sowohl innerhalb der Epithelkorperchen selbst als auch in der Leber und moglicherweise in den Nieren, erfolgt ein proteolytischer Abbau des PTH. Dabei kommt es zunachst zu einer Spaltung im ersten Drittel des PTH. Das dabei entstehende 954

I

Abb. 31.36. Das Prapro-PTH-Gen und die Prozessierung seines Transkriptionsund Translationsproduktes. (Einzelheiten s. Text) (Uiffler u. Petrides 1998)

Bruchstiick aus den Aminosauren 1-33 besitzt noch die volle biologische Aktivitat, das Bruchstiick 34-84 ist dagegen inaktiv. Das N-terminale Bruchstiick 1-33 wird offensichtlich schneller weiter abgebaut als das Cterminale Fragment. Jedenfalls geben Epithelkorperchen sehr viel grogere Mengen dieses Fragments ans Blut ab als intaktes PTH und Fragment 1-33. Im Blut findet sich ein Gemisch aus vollstandigem PTH sowie unterschiedlich biologisch aktiven Bruchstiicken.

PTH erhoht die Plasmacalciumkonzentration durch seine Wirkung an Knochen, Nieren und DUnndarm. Nach Zufuhr von PTH findet sich im Plasma ein Anstieg des Calciums sowie ein Abfall der Konzentration des anorganischen Phosphates. Diese Effekte lassen sich auf die PTH-Wirkung an den Knochen, den Nieren sowie der intestinalen Mucosa erklaren: ~ Am Knochen fiihrt PTH nach einer Latenzphase von etwa 60 Minuten durch die Aktivierung von Osteclasten zu einer Freisetzung von Calcium. Dariiber hinaus beeinflusst PTH die organische Knochenmatrix, in dem es zu einer Auflosung von Kollagen und Knochengrundsubstanz fiihrt. Diese Wirkung beruht auf der Aktivierung von Kollagenasen und von

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31

y

0,8

c: ~ a;

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a [Ca 2+lu trutllullr

[(a l+]utrutllulir t

Calf Calf

~

b

PTH t

PTH

Abb. 31.37. a Einfluss der extrazellularen Calciumkonzentration auf die cAMP-Konzentration und PTH-Freisetzung durch Epithelkorperchen. lsolierte Epithelkorperchenzellen wurden mit Calcium in den jeweils angegebenen Konzentrationen inkubiert und danach die intrazellulare cAMPKonzentration sowie die PTH-Abgabe in das Medium gemessen. (A us Leffler, Petrides, Biochemie und Pathobiochemie. 6. Auti. Springer 1998) b Signalweg der Regulation der PTH-Sekretion aus Epithelkorperchen durch die extrazellulare Calciumkonzentration. (Einzelheiten s.Text)

~

lysosomalen Hydrolasen in den Osteoclasten. Als Folge wird vermehrt Hydroxyprolin aus dem Knochen freigesetzt. Die erhohte Ausscheidung dieser Verbindung im Urin kann daher als diagnostischer Parameter fur eine erhohte PTH-AktiviHit verwendetwerden. Die Regulation der renalen Calciumausscheidung erfolgt im distalen Tubulus (Pars convoluta) durch PTH und 1,25-(0Hh-Cholecalciferol, welche dort die Calciumresorption stimulieren und so die renale Calciumausscheidung vermindern. Die Regulation der renalen Phosphatauscheidung erfolgt im proximalen Tubulus, wo Phosphat uber einen Natriumcotransport (NaPi) resorbiert wird. Der NaPi wird in seiner Aktivitat und auch in der Zahl der Transportmolekule durch Parathormon und Calcitonin gehemmt. Entsprechend fuhren PTH und Calcitonin

zu einer verstarkten Phosphatauscheidung im Urin (Phosphaturie). Bis zu 20% des filtrierten Phosphates konnen so ausgeschieden werden, was zu einem Abfall der Phosphatkonzentration im Plasma fuhrt. Da die Konzentrationen von freiem Calcium und freiem Phosphat zusammen mit ihrem Produkt Calciumphosphat im reversiblen chemischen Gleichgewicht stehen, fiihrt ein Abfall der Phosphatkonzentration gleichzeitig zu einem Anstieg der Calciumkonzentration. Ein weiterer sehr wichtiger renaler Effekt des PTH besteht darin, dass es die Hydroxylierung von 25Hydroxycholecalciferol zum biologisch aktiven 1,25-Dihydroxycholecalciferol stimuliert. Damit schafft es die Voraussetzung zur Steigerung der intestinalen Calciumresorption bei erniedrigten Serumcalciumkonzentrationen. Ausgehend vom Cholesterin entsteht in der Leber 25-(0H)-Cholecalciferol, (S. 731) welches biologisch noch nicht aktiv ist. 25-(0H)-Cholecalciferol wird an ein spezielles Plasmaprotein gebunden zur Niere transportiert, dort glomerular filtriert und uber den Megalinrezeptor vom proximalen Tubulus resorbiert. In den Zellen des proximalen Tubulus wird 25-( OH)-Cholecalciferol durch eine I a-Hydroxylase zum biologisch aktiven 1,25-(0Hh-Cholecalciferol hydroxyliert und wieder in die Blutbahn abgegeben. Diese Reaktion steht unter der hormonellen Kontrolle des Parathormones (PTH), welches diese Reaktion fOrdert. An der Dunndarmmucosa stimuliert PTH die Resorption von Calcium und Magnesium. Dieser Effekt ist jedoch im Vergleich zu den anderen Wirkungen des Hormons nur von geringer Bedeutung. Interessanterweise llisst er sich auch nur dann demonstrieren, wenn die Kost relativ calciumarm ist.

Der Parathormonrezeptor ist i.iber G-Proteine mit der Adenylatcyclase gekoppelt. Parathormon wirkt auf seine Zielzellen uber einen 7Transmembrandomiinen-Rezeptor, welcher an heterotrimere, gro6e G-Proteine gekoppelt ist und die Adenylatcyclase stimuliert. Die meisten, wenn nicht alle Effekte des PTH konnen durch Behandlung mit cAMP imitiert werden. Der Effekt des PTH auf die Adenylatcyclase der Tubulusepithelien der Nieren fuhrt sogar zu einer deutlichen Ausscheidung von cAMP im Urin. Der PTH-Rezeptor reagiert auch mit dem PTHrP (s. u.). Mittlerweile sind Rezeptoren fiir PTH bzw. PTHrP in einer Vielzahl weiterer Gewebe nachgewiesen worden. Daman von diesen Geweben eigentlich nicht annehmen kann, dass sie eine besondere Bedeutung fur die Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels haben, muss man vermuten, dass PTH und/oder das PTHrP (s. u.) noch unbekannte weitere Funktionen haben.

31.6 Der Calcium- und Phosphathaushalt

955

31 ! Parathormon-Related -Protein hat ahnliche Wirkungen wie PTH.

Es ist seit !angem bekannt, dass bei verschiedenen malignen Tumorerkrankungen eine Hypercalciamie auftreten kann. Das wurde zunachst auf die lytische Aktivitat von Knochenmetastasen zuriickgefiihrt, bei genauerer Untersuchung zeigte es sich jedoch, dass derartige Komplikationen von malignen Tumoren auch bei volligem Fehlen von Knochenmetastasen auftreten konnen. Aus diesem Grund wurde schon friihzeitig die Existenz eines Faktors postuliert, der eine dem PTH entsprechende Wirkung haben sollte. Es gelang 1987 ein neues Peptidhormon zu reinigen, das die erwarteten Eigenschaften hatte. Es wurde als PTH-RelatedProtein (PTHrP) bezeichnet; seine Charakterisierung erfolgte nach mehr als 60000-facher Anreicherung aus einem Mammacarcinom sowie aus anderen Tumorgeweben. Inzwischen ist seine Aminosauresequenz aus der entsprechenden eDNA ermittelt und sein Gen lokalisiert worden. Beim PTHrP handelt es sich urn ein Peptid, welches aufgrund unterschiedlichen SpleiBens der mRNA in Isoformen aus 139-173 Aminosauren vorkommt. Die ersten 13 Aminosauren sind identisch mit dem biologisch aktiven aminoterminalen Ende von PTH, was die dem PTH ahnliche biologische Wirkung erklart. Die weiteren in PTHrP vorkommenden Domanen haben keinerlei Ahnlichkeit mit dem PTH. Das PTHrP wird in einer Reihe unterschiedlicher Gewebe des Erwachsenen exprimiert. Zu ihnen gehOren u. a. die Epidermis, die Placenta, die lactierende Mamma, die Nebenschilddriisen, das Hirn, der Magen und die Leber. Von den malignen Tumoren zeigen besanders haufig das Plattenepithelcarcinom, das Mammacarcinom und das Plasmocytom eine gesteigerte Sekretion von PTHrP. PTHrP ist in der fetalen Nebenschilddriise nachweisbar. Offensichtlich ist es wichtig fur die Calciumhomeostase des Feten und fur die Bereitstellung des Calciums fur das fetale Knochenwachstum. PTHrP wirkt relaxierend auf die Uterusmuskulatur, woraus geschlossen wurde, dass es fiir die Anpassung des Uterus an das fetale Wachstum und die Ruhigstellung des Uterus wichtig ist. Besonders auffallend ist, dass sehr hohe Konzentrationen von PTHrP in der Muttermilch nachweisbar sind. Geringere Mengen erscheinen in der miitterlichen Zirkulation und sind moglicherweise die Ursache der Calciummobilisierung aus dem mutterlichen Skelett. Die ubiquitare Verbreitung von PTHrP lasst daran denken, dass es tiber die genannten Funktionen hinaus noch als parakriner oder autokriner Faktor unbekannte Funktionen iibernimmt.

!

Thyreocalcitonin wird in der Schilddriise gebildet.

niert wiirde. Es zeigte sich aber, dass es in den parafollikularen Zellen, den sogenannten C-Zellen der Schilddriise, gebildet wird, weshalb es jetzt auch als Thyreocalcitonin bezeichnet wird. Das Thyreocalcitonin scheint als spezifischer Gegenspieler des PTH besanders fur die Feinregulation des Calciumspiegels im Blut verantwortlich zu sein. Die Thyreocalcitonine einer Reihe von Spezies einschlieB!ich des Menschen sind isoliert worden. Es handelt sich urn ein Peptid aus 32 Aminosauren, welches N-terminal eine Disulfidbriicke aufweist und dessen Cterminales Ende ein Glycinamid ist.

Die Sekretion von Thyreocalcitonin wird durch Calcium stimuliert. Thyreocalcitonin entsteht durch proteolytische Prozessierung eines aus 136 Aminosauren bestehenden Pracursors ( Abb. 31.38). Die Thyreocalcitonin-Sequenz ist von basischen Aminosauren flankiert, die die Signale fiir die proteolytische Abtrennung des Threocalcitonins sowie fiir die Aminierung des C-terminalen Glycins liefern. Ein tiber groBe Bereiche homologes Peptid, das Calcitonin gene related product (CGRP) entsteht durch alternatives SpleiBen desselben Gens. Wahrscheinlich ist der Thyreocalcitonin-Pracursor in ahnlicher Weise wie das Proopiomelanocortin (S. 1073) ein Polyprotein, aus dessen Sequenz gewebsspezifisch unterschiedliche Hormone geschnitten werden konnen. Uber mogliche Funktionen des N- bzw. C-terminalen Peptids ist allerdings noch nichts bekannt. Jede ErhOhung des Spiegels an ionisiertem Calcium im Plasma ftihrt zu einer Thyreocalcitoninabgabe aus der Schilddriise. In ahnlicher Weise wirken gastrointestinale Hormone wie z. B. Gastrin oder Pankreozymin.

coo

e'

--------APS-K-~1-

Proteinbiosynthese

oc

I

Taurin ~

}~------'----------..

I

coo-

~C-CHcSH - H-b- cHc

HN~

:

Cyuo;o

\

Urin

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+

SH

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~ H~ _)______. Abbo"

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rl

i

:

Konjugationen (Entgiftung) in derleber (z.B. Steroide, Phenole,lndoxyl)

)

oc

\

HC-CHc S- CH 3 I

HN

·.

-

Methionin

Proteinbiosynthese

Reaktionsketten in der Zelle koordiniert funktionieren konnen, muss demzufolge die Protonenkonzentration durch Puffersysteme in engen Grenzen konstant gehalten werden. pH-bedingte St6rungen auf zellularer Ebene machen sich systemisch als Funktionsstorungen bemerkbar: So fiihrt eine pathologische Zunahme der H+ -Konzentration z. B. am Herzen zur Beeintrachtigung der Kontraktilitat und zu Storungen der Erregungsbildung (Arrhythmien). Die klinische Bedeutung des Saure-Basen-Haushaltes mag sich daran ermessen lassen, dass bei etwa 90 o/o aller Akutpatienten auf Intensivstationen Storungen des Saure-Basen-Haushaltes festzustellen sind, die wesentlichen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf nehmen.

31.8.21 Entstehung von Sauren im Stoffwechsel lm Stoffwechsel entstehen Sauren als Endprodukte. Im Stoffwechsel des Menschen entstehen taglich betrachtliche Mengen an Sauren z. B. ca. 24 Mol Kohlensiiure

sowie je nach Nahrungszusammensetzung 50-100 mMol andere Sauren wie Schwefelsiiure, Phosphorsiiure und organische Siiuren. Wahrend die Kohlensaure in Form von C0 2 in der Lunge abgeatmet wird, miissen 962

I

Protonen

Abb. 31.41. Stoffwechsel des Schwefels (Bildung, Verwendung und Aus· scheidung von Sulfat(Aus Loftier u.Petrides 1998)

die anderen Sauren tiber die Niere ausgeschieden werden (-®Abb.31.42).

Taglich werden bei korperlicher Tatigkeit etwa 24 Mol Kohlendioxid tiber die Lungen abgeatmet. Kohlendioxid wird bei einer Fiille kataboler Reaktionen freigesetzt. Das geschieht vorwiegend bei der dehydrierenden Decarboxylierung von a-Ketosauren und der nichtdehydrierenden Decarboxylierung von /3Ketosauren (-® Tabelle 31.11): Ein ganz geringer Teil des freien Kohlendioxids kann in sog. Carboxylierungsreaktionen wieder fixiert werden, der iiberwiegende Teil - etwa 24 000 mmol pro Tag beim gesunden Erwachsenen mit normaler korperlicher Aktivitat wird durch die Lungen abgeatmet. Wegen des leichten Oberganges in die Gasphase wird die Kohlensaure daher als fliichtige Saure bezeichnet. Wie auf S. 996 geschildert, wird das von den Gewebezellen gebildete C0 2 wegen seiner unzureichenden Loslichkeit als polares HC0 3- (das wesentlich besser loslich ist) transportiert. Die bei der Bildung von Bicarbonationen entstehenden Proton en werden vorwiegend durch Hamoglobinmolekiile abgepuffert. Im Bereich der Lungen wird Hydrogencarbonat unter Aufnahme von Protonen wieder in Kohlensaure umgewandelt und als C0 2 abgeatmet

Aminosauren sind wichtige Protonenquellen aus dem Stoffwechsel der Zelle. Protonen entstehen vorwiegend bei der Oxidation der SH -Gruppen der proteinogenen Aminosauren Cystein und Methionin zu Sulfat. Durch Methioninzufuhr kann

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 Substrate

HH

!

w

C0 2 + H20

Extrazellularraum

H2C0 3 ~ HCOj + W + Puffer ~ H-Puffer

~ -!~ lungen

Nieren

24000 mmol/24h

60mmol/24h

Abb. 31.42. lm Saure-Basen-Haushalt sind die Eliminationswege und Bilanzen fOr Kohlendioxid und die Protonen fixer Sauren vtillig voneinander getrennt. Die VerknOpfung beider Komponenten zum Saure-BasenGieichgewicht erfolgt durch Puffersysteme. (A us Ltiffler u. Petrides 1998)

daher die Protonenauscheidung mit dem Urin fast urn 2 mol Proton en/mol Methionin gesteigert werden. Der Aminosaureschwefel ist daher die Ursache fur den sog. Saureiiberschuss des Nahrungsproteins und damit der Nahrung iiberhaupt Beim Abbau der kationischen Aminosauren Arginin, Lysin und Histidin, die formal als Salze (Chloride) vorliegen, entsteht HCl. Beim Abbau von Glutamat und Aspartat werden Proton en verbraucht, dem entspricht eine Nettoproduktion von HC0 3- . lnsgesamt resultiert aus dem Proteinkatabolismus ein Uberschuss an nicht fliichtigen Siiuren. Weiterhin fallen im Stoffwechsel Milchsiiure bzw. Ketosiiuren wie die {3-Hydroxybuttersaure an. Da diese jedoch weiter verstoffwechselt werden, spielen sie in der Bilanz unter physiologischen Bedingungen keine Rolle. Mit proteinreichen Nahrungsmitteln, wie z. B. Fleisch, Eiern oder Getreideprodukten emtsteht ein saurer Urin, mit Milch, Obst und Gemiise (lactovegetabile Kost) ein alkalischer Harn. Die normale Mischkost aus saure- und baseniiberschiissigen Nahrungsstoffen liefert taglich etwa 60 ± 20 mmol Protonen. Die durch extrem einseitige Ernahrung erreichbaren Uberschiisse sollen in beiden Richtungen bei etwa 150 mmol/24 h liegen.

Phosphat in der Nahrung ist ebenfalls eine Protonenquelle. Die iibrigen mit der Nahrung zugefiihrten Protonen stammen im wesentlichen aus dem Nahrungsphosphat; anorganisches Phosphat, das z. B.in einem sauren

Tabelle 31 .11. Stoffwechsel von Kohlendioxid in der tierischen Zelle: Decarboxylierungen Carboxylierungen (Auswahl). (A us Ltiffler und Petrides 1998) St~

Decarboxylierungen Dehydrierende Decarboxylierung von a-Ketosiiurer1 a -Ketopropionat (Pyruvat) a -Ketobutyrat a -Ketoisocapronat a -Ketovalerianat a -Keto-{J-methylvalerianat a -Ketoglutarat a-Ketoadipat

Spontane Decarboxylierung von {J-Ketosiiuren {J- Keto-1-phosphogluconat {J-Ketobutyrat (Acetacetat) a -Amino-{J-ketoadipat {J- Keto-L-gulonat

Carboxy lierungen Pyruvat Ammoniak bzw. Glutamin Acetyl -CoA Propionyl-CoA {J-Methylcrotonyl-CoA S-Aminoimidazol-ribosyl5'-pho phat

Acetyl-CoA Propionyi-CoA I ovaleryl-CoA lsobutyryl-CoA a -Methylbutyryl-CoA uccinyi-CoA Glutaryl-CoA

Glucoseabbau Threonin- und Methioninabbau Leucinabbau Valinabbau I oleucinabbau Citratcyclu Ly in- und Tryptophanabbau

D-Ribulo e-5-phophat Aceton b -AminoHivulinat L-Xylulose

Pentosephosphatweg Ketonkl>rper Porphyrinbio ynthe e Uron aureweg

Gluconeogene e Harnstoff-bzw. Pyrimidinbiosynthese Fettsaurebio ynthe e Malonyl-CoA Fettsaureabbau D-Methylmalonyl-CoA {J-Methylglutaconyl-CoA Leucinabbau S-Aminoimidazol-ribo- Purinbio ynthe e syl-carboxy-5'-pho ph at Oxalacetat Carbamylpho pat

31 .8 Der Saure-Basen-Haushalt

963

31 Fruchtsaft tiberwiegend als Dihydrogenphosphat vorliegt, geht im alkalischen Milieu des Darmes in Hydrogenphosphat unter Freisetzung von Proton en tiber.

31.8.41 Puffersysteme

Das Kohlendioxid-Bicarbonat-System und Proteine sind die wichtigsten extrazellularen Puffer. 31.8.31 Verteilung der Protonen zwischen Intra- und Extrazellularraum Die Menge der freien Protonen im Korper betragt bei einem gesunden Erwachsenen 2,1 ftmol, die der an Puffer gebundenen Protonen 105 mmol und die maximale Pufferflihigkeit des Organism us 700 mmol. Die Summe der freien und der an Puffer gebundenen Protonen stellt den H+-Pool dar. Gebrauchlicherweise wird die H+ -Ionenkonzentration als pH- Wert angegeben. Im arteriellen Blut liegt der pH im Mittel bei 7,4 (40 nanomol H+ /1) mit einem physiologischen Schwankungsbereich von pH 7,36-7,44. Dieser Wert entspricht auch dem pH-Wert im Extrazellularraum. Der intrazelluliire pH- Wert liegt in der Regel etwas unter dem extrazellularen im Bereich von pH 7,0-7,2. In fast allen Geweben ist der intrazellulare pH hoher als es der Protonenverteilung unter elektrochemischen Gleichgewichtsbedingungen entspricht, d. h. es existieren in fast allen Zellen aktive Transportmechanismen ftir den H+ -Export bzw. Basenimport. Im Stoffwechsel anfallende Sauren/Basen konnen die Zellmembran auf verschiedenen Wegen permeieren: .- durch nichtionische Diffusion der ungeladenen Form schwacher Sauren und Basen wie z. B. NH 3oder C0 2, .- tiber den Na +fH+- Antiport; hier wird der passive Na+ -Einstrom zum Export von H+genutzt; es ist ein ubiquitares Sytem, das in allen Zellen vorliegt und bei intrazellularer Azidose aktiviert wird, .- tiber die in vielen Zellen vorkommenden Cl-/HC0 3- Antiporter bzw. Na+/HC0 3--Cotransportsysteme, die in Abhangigkeit von den aktuellen elektrochemischen Gradienten cine Nettoverschiebung von Base (HC0 3- ) zwischen Extra- und Intrazellularraum erlauben. Obwohl der Intrazellularraum etwa doppelt so groB ist wie der Extrazellularraum und er an der Gesamtpufferkapazitat des Organism us zu etwa 50% beteiligt ist, sind die Kenntnisse tiber die Puffervorgange in diesem Kompartiment aufgrund seiner Komplexitat und Differenziertheit (verschiedene Gewebe, verschiedene Zellen, subzellulare Strukturen) gering. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Phosphat- und Proteinat-Puffer (s. u.) ftir die Pufferung im Intrazelluliirraum entscheidendsind. Im Vergleich zum Intrazellularraum stellt der Extrazellularraum eine homogene Fltissigkeit dar, deren pHWert durch verschiedene Puffersysteme eingestellt wird.

964

I

Kohlendioxid-Bicarbonat-Puffersystem.- Von den Puffern des Extrazellularraumes - zusammenfassend als Pufferbasen bezeichnet - stellt das Kohlendioxid-Bicarbonat-System, das vorwiegend im Plasma lokalisiert ist, etwa die Halfte dar. Es ist als sog. offenes Puffersystem von ganz besonderer physiologischer Bedeutung.

Daraus ergibt sich die Henderson-Hasselbalch-Gleichung (5.18) des Systems:

Nichtbicarbonatpuffer.- Hierunter fallen die Aminosiiureseitenketten der Proteine (Proteinatpuffer). Proteine

sind Ampholyte und konnen im physiologischen pHBereich Protonen vor allem an die Imidazolgruppen des Histidins und die SH-Gruppen des Cysteins assoziieren. Unter diesen Puffersystemen, deren Anteil an der Gesamtkonzentration 50%, an der Gesamtpufferkapazitat (s. u.) jedoch nur 25% betragt, nimmt das Ramoglobin aufgrund seiner hohen Konzentration (160 g/1 Blut) und des hohen Gehaltes an Imidazolgruppen (mehr als 50 mmol!l Blut), die vorrangige Stellung ein. Da der pK-Wert des desoxygenierten Hamoglobins mit 8,25 hoher als der des oxygenierten Hamoglobins (6,95) liegt, ist Desoxyhamoglobin die schwachere Saure und damit der bessere Puffer. Die isoelektrischen Punkte der Plasmaproteine liegen ebefalls im sauren Bereich (4,90-6,40). Sic sind daher bei pH 7,40 Anionen, deren Pufferkapazitat etwa 5 mmol/1/pH betragt. Ein weiterer relevanter Nicht-Bicarbonat-Puffer ist das Dihydrogen-/Hydrogenphosphat-System (H 2P0- 4 ~ H+ + HP0 4 2- ). Ftir seine Pufferkapazitat wirkt sich besonders gtinstig aus, dass der pK-Wert (6,880) fast mit dem Zell-pH von ca. 7,0 tibereinstimmt. Wegen seiner geringen Plasmakonzentration ( 1 mmol!l) ist es jedoch nur mit 1 % an der extrazellularen Gesamtpufferkapazitat beteiligt. In der Zelle findet sich Phosphat in wechselnd hohen Konzentrationen (100-150 mmol/1), wobei es allerdings tiberwiegend an Makromolektile gebundenist. Dem Ammoniak-/Ammonium-System kommt aufgrund seiner sehr geringen Konzentration (40 ftmol/1) und des ungtinstigen pK-Wertes (9,40) keine Bedeutung bei der Pufferung im Extrazellularraum zu. Alle genannten Puffersysteme stehen - als Bestandteile einer gemeinsamen Losung - miteinander im Gleichgewicht:

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 H 2C0 3 + Nichtbicarbonatpuffer- ~ Nichtcarbonatpuffer--H+ + HC0 3- .

Pufferkapazitat und Basenuberschuss des Blutes charakterisieren die Pufferfahigkeit des Korpers. Pufferkapazitat~ Sie ermog1icht eine quantitative Abschatzung der Pufferfahigkeit. Hierunter versteht man die Menge an Saure oder Base (mmol/1), die benotigt wird, urn den pH einer Losung (11) urn eine Einheit zu verandern. Die Pufferkapazitat ist dabei von der Pufferkonzentration aber auch vom pH-Wert der Losung und dem pK-Wert des Puffers abhangig. Sie ist am groBten, wenn pH = pK ± 1. Da im offenen Puffersystem die Reaktionsprodukte der Pufferung entfernt werden, ist die Pufferkapazitat deutlich hOher a1s im gesch1ossenen System. Die Bedeutung der Pufferung wird ersichtlich aus der Tatsache, dass die Pufferkapazitat allein des Extrazellu1arraumes ausreicht, urn 4- 5 Nettotagesproduktionen an fixer Saure abzupuffern, ohne dass es zu 1eta1en pH-Veranderungen kommt. Die Tabelle 31.12 zeigt die Pufferkapazitat des B1utes. Danach hatte der Extrazellu1arraum a1s gesch1ossenes System eine Pufferkapazitat von rund 24 mmo1/l!pH, a1s offenes System jedoch rund das 3-fache. Davon entfallen rund 3/4 auf das C0 2/HC0 3--System. Durch die kompensatorischen Atemregu1ationen zur Einstellung des Koh1endioxidpartia1druckes, die aber streng genommen nicht mehr unter den Begriff der Pufferung fallen, konnen die Gesamtkapazitat und auch der prozentuale Antei1 des COrBicarbonat-Systems noch betrachtlich erhOht werden. Baseniiberschuss~ Die Gesamtheit aller puffernden Basenanionen im B1ut (Hauptkomponenten HC0 3- und Hamog1obin) ergibt die Gesamtpufferbasenkonzentra-

Tabelle 31.12. AufschiOsselung der Pufferkapazitat des Blutes. (A us LoftIer und Petrides 1998) ~ ~ ~~~-­ [mmoVVpH]

Plasmapho phat Plasma protein Pia mabicarbonat

Puffer im Blutplasma Puffer in Erythrocyten (Hamoglobin) Puffer im Gesamtblut (geschlossene Sy tern) ormale Ventilation

0,4 5,0 2,6

t..

I

6 3 8,0

1.- JO

16,2

21

L

24.2

L

31

52,6

69

Gesamtblutpuffer ein chlieBiich normaler Ventilation (offene ystem)

76,8

100

Kompen atori che Atemregulation

41,6

Maximalwert

118,4

tion, die bei ca. 48 mmol!l1iegt. Der sogenannte Baseniiberschuss (base excess =BE) ergibt sich aus der Differenz der aktuellen Gesamtpuffenbasenkonzentration zum physiologischen Sollwert. Stimmen Sollwert und Istwert iiberein, ist der BE = 0. Als physiologisch werden BE-Werte zwischen - 2,5 mmol/1 bis + 2,5 mmol/1 angesehen. Bei einem starker negativen BE ist Pufferbase verbraucht worden (z. B. metabolische Azidose), bei positiveren BE Werten hat sich die Pufferbasenkonzentration erhoht (metabolische Alkalose). Standardbicarbonat~ Stellt eine weitere MessgroBe zur Analyse des Saure-Basen-Status dar. Dabei bestimmt man die HC0 3--Konzentration unter deflnierten Bedingungen: 37 °C, 40 mmHg C0 2,100% Sauerstoffsattigung des Hamoglobins. Dazu miissen Blutproben entnommen werden und in einem so g. Tonometer mit den entsprechenden COr und 0 2-Drucken begast werden. Dieser Wert betragt normalerweise 24 mmol/1 und verandert sich bei Storungen des Saure-Basen-Haushalts in gleicher Weise wie der BE.

31.8.51 Regulation

der Protonenkonzentration

Obwohl die Puffersysteme des Organismus die taglich gebildeten Protonen (40-80 mmol) Ieicht abpuffern konnen, ware ein Uberleben ohne Ausscheidung der Protonen und damit Regeneration der Puffer nicht moglich. Die heiden wesentlichen Regulationsvorgange werden durch 2 Organpaare, die Lungen und die Nieren, vermittelt.

Die lungen sind an der Regulation uber das Bicarbonat-Puffersystem beteiligt. Durch die Atmung wird direkt nur das C0 2/HC0 3- -System betroffen. Da jedoch in einer Losung mit mehreren Puffersystemen ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Puffern besteht, werden indirekt auch die anderen Puffer betroffen. Die Konzentration von Kohlendioxid in den Korperfliissigkeiten ist direkt vom Partialdruck des Kohlendioxids in den Lungenalveolen (40 mm Hg) abhangig [(C0 2 ) = S * pC0 2 ] (s. molarer Loslichkeitskoefflzient). Der alveolare pC0 2 ist dem Verhaltnis aus C0 2-Produktion des Korpers und alveolarer Ventilation proportional (s. Lehrbiicher der Physiologie). Entsprechend fiihrt eine erhohte Ventilation bei gleichbleibender C0 2-Produktion (Hyperventilation) zu einer Abnahme des C0 2-Partialdruckes in den Alveolen, einer Abnahme der C0 2-Konzentration im Plasma, zur Nachbildung von C0 2 nach dem Massenwirkungsgesetz und dadurch zur Abnahme der Protonenkonzentration (Zunahme des pH-Wertes, Alkalose) ( Abb. 31.43). Diese Reaktion kann eine schnelle Anderung der Protonenkonz.e ntration hervorrufen, dient 31.8 Der Saure-Basen-Haushalt

965

31 Die Nieren sind an der Regulation i.iber die Ausscheidung von Protonen und an der Resorption von Bicarbonat beteiligt.

Alveole: C02

-----------------------------Nb-Puffer H

a

~

W + Nb-Puffer

Alveole: C0 2

- 1- - I

b

+ I

)

Nb-Puffer H - - - - W + Nb-Puffer

Abb. 31 .43. a Hyperventilation: Die vermehrte Abatmung von C0 2 fuhrt zur Abnahme des COrPartialdruckes, der Bicarbonat- und der Protonenkonzentration. Durch die Nichtbicarbonatpuffer (Nb-PufferH) werden Protonen nachgeliefert und gleichzeitig Nichtbicarbonatpufferanionen gebildet, die den Verlust des Pufferanions Bicarbonat ausgleichen. Die Gesamtkonzentration der Pufferanionen bleibt deshalb unverandert. Die GraBen, deren Konzentration abfallt, sind mit einem grauen Raster, diejenigen, deren Konzentration ansteigt, mit einem roten Raster hinterlegt. b Hypoventilation:Die verringerte Abatmung von C0 2 flihrt zum Anstieg des C0 2-Partialdruckes, der Protonen- und Bicarbonatkonzentration. Durch die Nichtbicarbonatpuffer (Nb-Puffer) werden Protonen aufgenommen und gleichzeitig Nichtbicarbonatpufferanionen verbraucht, wodurch trotz der Erhiihung der Bicarbonatkonzentration die Gesamtkonzentration der Pufferanionen konstant bleibt. (Aus Loftier u. Petrides 1998)

jedoch nicht als primarer Mechanismus zur Ausscheidung von Protonen, da bei diesem Vorgang die gleiche Menge Bicarbonat verbraucht wird. Ein Teil der Protonen wird von Nichtbicarbonatpuffern (insbesondere dem Hamoglobin) nachgeliefert. Weil dadurch der Anteil des dissoziierten Hamoglobins (Hb- ) als Pufferbase zunimmt, andert sich trotz des Abfalls der Bicarbonatkonzentration die Gesamtpufferanionenkonzentration nicht. Auf der anderen Seite ftihrt eine herabgesetzte Atmung (Hypoventilation) zu einer Erhi:ihung des C0 2 Partialdruckes in den Alveolen, zu einer Zunahme der COrKonzentration im Plasma, zu der Verlagerung der Reaktion auf die rechte Seite und dadurch zur Zunahme der Protonenkonzentration (Abnahme des pH-Wertes, Azidose) (Abb. 31.43). Diese Reaktionen, durch die der COrPartialdruck auf das 2- bis 3-fache (von 40 auf 80-120 mm Hg) angehoben werden kann, ftihren zu einer Erhi:ihung der Bicarbonatkonzentration. Da ein Teil der gebildeten Protonen durch Nichtbicarbonatpufferanionen aufgenommen wird, andert sich wegen des damit verbundenen Abfalls der Nichtbicarbonatpufferanionen die Gesamtpufferbasenkonzentration trotz des Bicarbonatanstiegs nicht. 966

I

Die Funktion der Niere ist entscheidend fiir die langfristige Kontrolle des pH, da iiber sie die Ausscheidung der nicht fliichtigen Sauren erfolgt und sie die bei der Pufferung verbrauchten Basenaquivalente regeneriert. Die obligate Ruckresorption von HC0 3 - im Bereich des proximalen Tubulus (S. 922) ist die Grundvoraussetzung fiir die Konstanterhaltung der extrazellularen Pufferkapazitat. Taglich werden ca. 4,8 Mol Hydrogencarbonat in der Niere glomerular filtriert, das entspricht etwa dem 13-fachen Bestand des gesamten Extrazellularraumes an Bicarbonat. Die Ausscheidung von Protonen erfolgt iiber 3 Mechanismen: • Na+JH+-Austausch im proximalen Tubulus. Bei der Sekretion der Protonen in den Urin wird in der proximalen Tubuluszelle Kohlendioxid, das entweder aus dem Stoffwechsel der Zelle selbst stammt bzw. aus der Tubulusfliissigkeit oder dem Blut entnommen wird, unter Katalyse des Enzyms Carboanhydrase II in Kohlensaure umgewandelt. Diese dissoziiert in Bicarbonationen und Protonen. Wahrend letztere im Austausch gegen Natrium in die Tubulusfliissigkeit diffundieren, tritt Bicarbonat in den Extrazellularraum iiber und nimmt gleichzeitig ein Natriumion zur Wahrung der Ladungsneutralitat mit ( Abb. 31.9). Die intrazellulare Kohlensaureproduktion ist dabei direkt abhangig vom pC0 2• Je hi:iher der pC0 2, umso mehr Kohlensaure wird produziert und umso mehr Proton en werden sezerniert und Bicarbonat resorbiert. Sinkt der pC0 2, dann sinken ebenfalls die Protonenausscheidung und die Bicarbonatresorption. • Protonen- und Bicarbonatsekretion im distalen Nephron. Schaltzellen des Typs A sezernieren Protonen in den Urin(H+ -ATPasen) und ftihren Bicarbonat dem Extrazellularraum zu (Abb.31.12). Schaltzellen des Typs B sezernieren Bicarbonat in den Urin und fiihren Protonen dem Extrazellularraum zu ( Abb. 31.12). Zugrunde liegt wiederum eine intrazellulare Bildung von Kohlensaure, die in Bicarbonationen und Proton en dissoziiert. Das Verhaltnis von Typ-A- zu Typ-B-Schaltzellen ist dabei dem Saurengehalt des Ki:irpers proportional. Je hi:iher die Protonenkonzentration im Blut ist, umso hi:iher ist die Zahl der protonensezernierenden Typ-AZellen und umgekehrt. Desaminierung von Glutamin im proximalen Tubulus. Dabei entsteht NH 3/NH 4 +,was in den Urin ausgeschieden wird. Das im NH 4 + zusatzlich enthaltene Proton entstammt dem Lebermetabolismus (S. 969). Glutamin wird in den periveni:isen Zellen der Leber unter Engergieaufwand durch die Glutaminsynthetase aus Glutamat unter Verbrauch von NH 3 und H+ synthetisiert (S. 1008). Glutamin wird von der Leber in die Zirkulation abgegeben, wo es mit

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 600-800 ~-tmol/1 die weitaus hochste Plasmakonzentration aller Aminosauren erreicht. Es wird glomerular frei filtriert und im proximalen Tubulus zusammen mit anderen Aminosauren resorbiert. Zusammen auch mit einer zusatzlichen Aufnahme aus dem Blut steht dem proximalen Tubulus damit Glutamin in nennenswertem Umfang zur Desaminierung zu Glutamat zur Verfiigung. Das entstehende NH4 + enthalt damit ein Proton, welches dem Leberstoffwechsel entnommen wurde. Durch eine weitere Desaminierung von Glutamat zu a-Ketoglutarat entsteht dann ein weiteres NH4 +. Dessen Proton enstammt der Protonierung der a-Aminogruppe des Glutamats und ist damit auch dem Stoffwechsel entzogen worden. Die Bereitstellung von Glutamin seitens der Leber und die Desaminierung von Glutamin in der Niere sind pH-abhangig: Beide Prozesse werden bei einem Anstieg der Protonenkonzentration aktiviert und bei einem Abfall entsprechend blockiert . Bei schwerer Azidose kann die Niere pro Tag 300-400 mmol NH 4+ produzieren; allerdings benotigt sie fiir die erforderliche Anpassung mehrere Tage.

Die Ausscheidung von Protonen uber den Urin erfordert effektive Puffer. Die Nieren des Menschen konnen so taglich bis zu 1000 mmol (1 mol) Protonen ausscheiden bzw. 300-400 mmol einsparen. Ober die Nierenfunktion wird die Wasserstoffionenkonzentration zwar langsamer verandert als tiber die Atmung, iiber die Niere konnen aber durch die Ausscheidung von Protonen die Pufferanionen regeneriert werden, was iiber die Lunge nicht moglich ist. Die Nierentubuli sind imstande, die Wasserstoffionenkonzentration bis auf das 1000-fache zu erhohen, von 40 nmol/1 (der Konzentration im Blut und Glomerulumfiltrat) auf 40000 nmol/1 (der Konzentration im Urin bei einem pH von 4,4). Diese 0,04 mmol/1 sind jedoch nur ein sehr geringer Teil der taglichen Produktion, die zwischen 40 und 80 mmol beim Erwachsenen liegt. Sollte die tagliche Bildung von etwa 60 mmol Protonen in der Tagesmenge von 1,5 1 Urin ausgeschieden werden ( entsprechend 40 mmol/1 Urin), dann miisste ein Urin mit einem pH-Wert von 1,4 gebildet werden. Tatsachlich wird aber ein UrinpH-Wert von 4,5 (Regelbereich 4,5- 8,2) nicht unterschritten, weil die Protonenpumpen im Sammelrohr nur maximal gegen H+ -Konzentration 30 ~-tmol/1 (pH 4.5) arbeiten konnen. Folglich konnen die anfallenden Protonen nur unwesentlich in freier Form, sondern hauptsachlich nur in gebundener (gepufferter) Form im Endharn ausgeschieden werden (S. 931). Bei einem durchschnittlichen Urin-pH von 5,5 werden etwa nur 5 ~-tmol H+ pro Tag in freier Form ausgeschieden. Dass die taglich produzierte Menge Protonen dennoch ausgeschieden werden kann, ist auf die Anwesenheit von Puffern im Urin zuriickzufiihren, die die sezernierten Protonen wegfangen und damit die weitere Protonensekretion in Gang halten.

Auch im Urin existiert ein offenes Puffersystem. Dihydrogenphosphat-Hydrogenphosphat-System~ Dieses Puffersystem weist im Glomerulumfiltrat eine annahernd gleiche Konzentration wie im Plasma auf (1 mmol/1) und liegt beim pH-Wert des Glomerulumfiltrates (7,40) zu 80 o/o als Hydrogen- und zu 20 o/o als Dihydrogenphosphat (Verhaltnis 4: 1) vor. Aufgrund der giinstigen Lage seines pK'-Wertes mit 6,80 (pH = pK' ± 1 bei nichtfliichtigen Puffersystemen!) eignet es sich vorziiglich zur Urinpufferung. Erst bei einem pH-Wert von 4,5 ist nahezu das gesamte Hydrogenphosphat durch Aufnahme von Protonen nach der Gleichung

in Dihydrogenphosphat umgewandelt. Auf diese Weise werden bis zu 50 o/o der Protonen im Urin von diesem Puffersystem aufgenommen. Durch Titration des Urins mit Base (0,1 n NaOH) wird diese Pufferung - in vitro - riickgangig gemacht und damit die abgepufferten Protonen quantitativ erfasst. Dieser als titrierbare Aciditat des Urins bezeichnete Anteil betragt beim Gesunden zwischen 10 und 40 mmol/24 h. Die titrierbare Aciditat des Urins steigt bei Saurebelastung spontan an. Die Kapazitat dieses nichtfliichtigen Puffersystems ist bei hohen Saurebelastungen jedoch verhaltnismaGig gering, da Phosphat Endprodukt des Phosphorstoffwechsels ist und seine Verfiigbarkeit damit auch durch die Nahrung bestimmt wird. Ammonium-/Ammoniak-System~ Eine weitere Pufferungsmoglichkeit ist die Bildung von Ammoniak, die im Gegensatz zu der des Phosphatpuffersystems in den Tubuluszellen erfolgt. Da die Konzentration von Ammoniak im Extrazellularraum und damit auch im Glomerulumfiltrat aufgrund der entgiftenden Aktivitat der Hepatocyten sehr niedrig ist, muss das von den Tubuluszellen in den Urin freigesetzte Ammoniak aus anderen Quellen stammen. Wesentlicher Ammoniakdonator ist die Aminosaure Glutamin, die in verschiedenen Geweben (Muskulatur, Gehirn, Leber) aus Glutamat und freiem Ammoniak gebildet wird, in den Extrazellularraum iibertritt und von den Tubuluszellen aus dem arteriellen Blut entnommen wird. Das in den Zellen des distalen und proximalen Tubulus sowie der Sammelrohre durch enzymatische Hydrolyse aus Glutamin freigesetzte Ammoniak diffundiert in das Lumen und wirkt dort als Protonenakzeptor nach der Gleichung

Das entstandene Ammoniumion kann aufgrund seiner Ladung die Tubulusmembran nicht permeieren und verbleibt daher im Urin. 31.8 Der Saure-Basen-Haushalt

967

31 Die NH/ -Ausscheidung betragt beim Gesunden etwa 30-50 mmol/24 h. Wahrend das Phosphatpuffersystem auf eine Saurebelastung sofort anspricht, steigt die Ammoniumausscheidung erst innerhalb mehrerer Tage allmahlich an. Sie kann daftir jedoch erheblich starker gesteigert werden als die titrierbare Aciditat und Werte bis zu 500 mmol/24 h erreichen. Ammoniak eignet sich besonders als Puffer, da es - wie Kohlendioxid- als Endprodukt des Stickstoffstoffwechsels in nahezu unbegrenzter Menge zur Verftigung steht. Es wird zwar in Aminierungsreaktionen (Glutamatdehydrogenase- und Glutaminsynthetasereaktion) teilweise wieder fixiert (wie Kohlendioxid in Carboxylierungsreaktionen), in der tierischen Zelle gibt es jedoch keine Nettofixierung dieser Endprodukte. Bei Saurebelastungen - wie z. B. bei langerdauerndem Hunger, der mit einer Ketoacidose einhergeht - wird deshalb mehr Stickstoff in Form von Ammoniak als in Form von Harnstoff ausgeschieden. Der pK-Wert des Ammonium-/Ammoniak-Puffersystems liegt mit 9,40 relativ ungtinstig zum pH-Wert des Glomerulumfiltrates. Somit mtisste dieser Puffer in einem geschlossenen System schlecht wirken. Da jedoch durch die Tubuluszellen standig Ammoniak nachgeliefert wird, liegt der Puffer praktisch in einem offenen System vor. Dem Urin konnen hohe Sauremengen zugefiihrt werden, ohne dass sich der pH-Wert wesentlich andert, wei! das Verhaltnis von Ion (NH4 +) zu Gas (NH 3 ) sehr hoch ist (100: 1 bei pH 7,40). Dieses System entspricht dem C0 2/HC0 3- -System, das sich als offenes System mit einem hohen Ion/Gas-Verhaltnis (20: 1) und einem zum Blut-pH-Wert relativ ungtinstig liegenden pK-Wert von 6,1 ausgezeichnet als Puffer eignet.

Die Leber ist uber die Harnstoffsynthese an der Regulation des Protonenhaushaltes beteiligt. Auch die Leber ist an der Regulation des Saure-BasenHaushalts beteiligt. Bei der Oxidation des Nahrungsproteins (etwa 90 g/Tag) entstehen Bicarbonationen ( etwa60 g bzw. 1 Mol/Tag), die nicht mit dem Urin ausgeschieden werden konnen, sondern stattdessen in die Harnstoftbiosynthese eingehen: Aus jeweils 2 Mol HC0 3- und NH 4+ entsteht 1 Mol Harnstoff, d. h. Bicarbonat- und Ammoniumionelimimination sind miteinander gekoppelt (S. 1008). Muss Bicarbonat eingespart werden, so wird dadurch auch weniger Ammonium fixiert, so dass die NH 4+-Ausscheidung auf alternative Stoffwechselwege verlagert werden muss. Bei einem Anstieg der Protonenkonzentration wird die Harnstoftbiosynthese zur Einsparung von Bicarbonat gedrosselt, das tiberschtissige Ammonium wird vermehrt durch Bildung von Glutamin fixiert, welches von der Leber abgegeben wird. Das Ammoniumion wird dann in den Urin durch renale Freisetzung aus Glutamin ausgeschieden. Umgekehrt flie6t bei einem Abfall der Protonenkonzentration vermehrt Bicarbonat in den Harnstoffzyklus; das in aquimolaren Men968

I

gen erforderliche NH 4+ wird durch die vermehrte intrahepatische Hydrolyse (periportale Zellen) von Glutamin (Glutaminase-Reaktion) bereitgestellt, das in diesem Fall von der Leber aufgenommen wird ( Abb. 31.44).

31.8.61 Pathobiochemie

des Saure-Basen-Haushaltes

Azidosen und Alkalosen sind die Sti:irungen des Saure-Basen-Haushalts. Definitionen von Storungen ... Obwohl die Regulation des pH-Wertes des Intrazellularraumes wahrscheinlich wichtiger ist als die des Extrazellularraumes, da der Stoffwechsel im wesentlichen innerhalb der Zelle ablauft, sind die Kenntnisse tiber die Regulation des pHWertes im Intrazellularraum noch nicht weit fortgeschritten. Man muss sich bei der Beurteilung des SaureBasen-Haushaltes immer noch auf den Extrazellularraum beschranken. Eine Abweichung des pH-Wertes des Extrazellularraumes in den sauren Bereich ( ab7,3 7) wird als Azidose (Azidamie), in den alkalischen (ab 7,44) als Alkalose oder Alkaliamie bezeichnet. Mit dem Leben vereinbar sind unter schwersten Komplikationen Abweichungen des pH-Wertes bis zu 6,80 (H+ -Konzentration 160 nmol/1) nach unten und 7,70 (H+-Konzentration 20 nmol/1) nach oben, d. h. der Mensch kann eine 8-fache Anderung der Protonenkonzentration im Extrazellularraum ertragen, was das 4-fache des Natriumbereichs (100-200 mmol/1) und etwa dasselbe wie der Bereich der Kaliumkonzentration (1,5- 12 mmol/1) ist. Wird eine Azidose bzw. Alkalose durch eine Storung des pulmonalen Gasaustausches verursacht, so handelt es sich urn eine respiratorische Azidose bzw. Alkalose. Wird sie durch Stoffwechselprozesse hervorgerufen, so spricht man von der nichtrespiratorischen oder auch metabolischen Azidose bzw. Alkalose. Zusatzlich gibt es auch gemischte Zustande, bei denen gleichzeitig respiratorische und nichtrespiratorische Storungen vorliegen. Kompensation von Storungen ... Primar respiratorische Storungen konnen durch nichtrespiratorische Vorgange kompensiert werden, primar nichtrespiratorische Storungen durch respiratorische Vorgange. Inwieweit es dabei dem Organismus gelingt, eine Storung durch Pufferung und aktive Kompensation auszugleichen, kann am pH-Wert abgelesen werden. Im allgemeinen erreicht die Kompensation nicht mehr den pH-Normalwerte-Bereich.

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31

Abb. 31.44. Wechselwirkung zwischen Leber und Niere bei der Saure-Basen-Ausscheidung. Die Leber fixiert Protonen und Ammoniak zum einen direkt in der Harnstoffsynthese wie auch in der Bildung von Glutamin aus Glutarnat. Glutamin wird sowohl in der Leber wie auch der Niere durch Glutaminasen wieder desaminiert.ln der Niere werden die Ammoniumionen mit dem Urin ausgeschieden, in der Leber werden sie wiederum zur Harnstoffsynthese verwendet. Da die Harnstoffsynthese Bicarbonat bentitigt, werden mit der Protonenauscheidung in Form von Harnstoff auch Pufferbasen verbraucht. Bei einer Saurebelastung des Ktirpers {Azidose)

wird die Glutaminase in der Leber gehemmt und in der Niere stimuliert. Somit werden Protonen und Ammoniak direkt in der Niere ausgeschieden, es wird weniger Harnstoff gebildet, wodurch Pufferbasen gespart werden. Bei einem BasenUberschuss (Aikalose) hingegen geschieht das Gegenteil. Durch die gegenlaufige Aktivierung der hepatischen und renalen Glutaminasen, werden Protonen und Ammoniak in der Niere vermindert ausgeschieden. Entsprechend wird mehr Harnstoff gebildet wodurch auch vermehrt Pufferbasen verbraucht und ausgeschieden werden

Respiratorische Storungen resultieren aus einer Veranderung der (0 2-Abatmung.

Die respiratorische Alkalose ist durch die vermehrte Abatmung von Kohlendioxid (Hyperventilation) gekennzeichnet. Der Baseniiberschuss ist unverandert (s. o.). Die Hyperventilation kann physiologische Griinde haben (Hohenaufenthalt), sie kann aber auch andere Ursachen haben (haufig: Angst als Hyperventilationssyndrom; Schmerz). Die dadurch verursachte Verringerung des COrPartialdruckes (Hypokapnie) (< 36 mmHg) bedeutet eine Verringerung des Nenners der Henderson-Hasselbalch-Gleichung und damit eine Zunahme des pH-Wertes ( Abb. 31.45). Die renale Kompensation erfolgt iiber 2 Mechanismen, namlich durch eine Reduktion der Resorption von Bicarbonat im proximalen Tubulus (Einschrankung der luminalen H+ -Sekretion aufgrund intrazellularer Alkalose) und durch eine vermehrte Bildung von Typ-B-Schaltzellen im distalen Nephron, welche luminal Bicarbonat sezernieren und an der basolateralen Seite Protonen in den Extrazellularraum entlassen. So wird die Bicarbonatkonzentration gesenkt, urn den HC0 3-/COrQuotienten wieder dem Normalwert von 20: 1 zu nahern und damit dem pH-Anstieg entgegenzuwirken ( Abb.31.45).

Die respiratorische Azidose ist durch die ungeniigende Abatmung des im Zellstoffwechsels gebildeten Kohlendioxids gekennzeichnet. Der Baseniiberschuss ist unverandert (s. o.). Hauptursachen dafiir sind StOrungen des zentralen Atemantriebs (z. B. Sedativa, Alkohol), Storungen der Atemmuskulatur und besonders LungenfunktionsstOrungen wie Asthma, chronische Bronchitis etc. Die dadurch verursachte Erhohung des Kohlendioxidpartialdruckes (Hyperkapnie) (pC0 2 > 44 mmHg) bedeutet eine VergroBerung des Nenners der Henderson-Hasselbalch-Gleichung pH= 6,1 +log [HC0 3-]/[S * pCOz] (S molarer LOslichkeitskoeffizient fiir C0 2). Als Folge des erniedrigten Quotienten HC03-/C0 2 nimmt der pH-Wert ab ( Abb. 31.45). Nach ca. 24 Stunden setzen dann renale Kompensationsmechanismen ein. Im proximalen Tubulus wird die HC03--Resorption verstarkt (intrazellulare Azidose steigert die luminale H+-Sekretion, s.o) und gleichzeitig werden verstiirkt von Protonen im distalen Nephron (Schaltzellen, H+-ATPase) sezerniert, verbunden mit einer Abgabe von Bicarbonat an den ExtrazelluHirraum. Somit kann die Bicarbonatkonzentration im Plasma stark erhoht werden, und dadurch der HC0 3- / C0 2-Quotient dem Normalwert von 20: 1 wieder angenahert und der pH-Abnahme entgegengewirkt werden ( Abb. 31.45).

Nichtrespiratorische Storungen enstehen meist aus Saurei.iberproduktion oder Saurenverlust. Eine nichtrespiratorische Azidose ist durch die Zunahme an starker Saure oder durch einen Bicarbonatmangel gekennzeichnet. Entsprechend wird der Baseniiberschuss negativ. Metabolische Azidosen entstehen z. B. wenn die endogene Saureproduktion erhoht ist 31.8 Der Saure-Basen-Haushalt

969

31 mmol/l

Normal

mmol/1

1,2

[HCO] IPI

24 --------

24

48

48

t

PC0 2 [HCO j) PI

+

pH HCO]: C02

20 :1

20 :1

20:1

t

+ + 20 :1

t t \

20 :1

0 =Dekompensiert K =Kompensiert

tt tt

I \

prim~r veranderte Grollen (erhoht oder emiedrigt) sekundar ver3nderte Guillen (erhoht oder emiedrigt) Ann3herung des pH-Wertes an den Normal bereich

PI = Plasma

(Lactatazidose im Schock, diabetische Ketoazidose) oder bei gesteigerten Verlusten von Hydrogencarbonat (Diarrhoe). Die Abnahme der Bicarbonatkonzentration bedeutet eine Verringerung des Zahlers der Henderson-Hasselbalch-Gleichung und damit einen Abfall des pH-Wertes des Extrazellularraumes ( Abb. 31.45). Durch Pufferung und kompensatorische Senkung des COrPartialdruckes (Hyperventilation, weil Azidose das Atemzentrum stimuliert) wird versucht, den normalen HC0 3-/C0 2-Quotienten von 20: 1 wieder herzustellen und damit dem pH-Abfall entgegenzuwirken ( Abb. 31.45). Die nichtrespiratorische Alkalose ist durch denVerlust von starker Saure (Erbrechen von Mageninhalt, d. h. HCl) oder durch einen Bicarbonatiiberschuss charakterisiert. Entsprechend wird der Baseniiberschuss positiv. Die Bicarbonatzunahme bedeutet eine VergroBerung des Zahlers der Henderson-Hasselbalch-Gleichung und damit eine pH-ErhOhung (Abb.31.45). 970

I

Abb. 31 .45. Respiratorische und nichtrespiratorische Sttirungen des Saure-Basen-Haushalts. (Einzelheiten s. Text) (Loftier u. Petrides 1998)

Durch Pufferung und kompensatorische Erhohung des COr Partialdruckes (Hypoventilation, weil Alkalose das Atemzentrum hemmt) wird der pH-Verschiebung entgegengewirkt ( Abb. 31.45).

Der Saure-Basen -Status kann durch Bestimmung der arteriellen Werte fi.ir pH , pC0 2 und den Basenexzess beurteilt werden. Die im klinischen Einsatz befindlichen Gerate zur Erfassung des Saure-Basen-Status messen bzw. berechnen alle relevanten Parameter: pH, pC0 2 und p0 2 werden direkt mit Elektroden im arteriellen Blut gemessen. Erganzend werden Messungen der Hamoglobinkonzentration (wird benotigt fur die Gesamtpufferbasenkonzentration) und der arteriellen Sauerstoffsattigung durchgefiihrt. Die abhangigen Parameter wie Gesamtpufferbasenkonzentration, BE und Standardbicarbonat werden aus den Messdaten berechnet. Sind pH-

31 Funktion der Nieren und Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes

31 Wert und pC02 bekannt, so kann auch aus sog. Nomogrammen ( ® Abb. 31.46) der BE bzw. das Standardbicarbonat ermittelt werden. Der pH-Wert ist bei der Beurteilung Leitparameter, er gibt an, ob iiberhaupt eine Azidose oder Alkalose vorliegt. Geht die Azidose mit einem erhohten pC02, bzw. eine Alkalose mit einem erniedrigten pC0 2 einher, so ist von einer primar respiratorischen Sttirung auszugehen. Solange noch keine metabolischen Kompensationen eingesetzt haben, bleibt der BE normal. Erst bei metabolischen Kompensationen primar respiratorischer Storungen andert sich der BE dahingehend, class er bei einer Azidose ansteigt und bei einer Alkalose abnimmt. Geht eine Azidose mit einem normalen oder gar erniedrigten pC02 bzw. eine Alkalose mit einem normalen oder gar erhohten pC0 2 einher, so ist von einer pri-

P~[mmHg]

pH

15

8,0

mar nichtrespiratorischen Storung auszugehen. Der BE ist verandert, und zwar erniedrigt bei einer Azidose und erhoht bei einer Alkalose. Auffallige Abweichungen des pC02 vom Normalwert zeigen hier bereits respiratorische Kompensationen an. Typische Konstellationen von kennzeichnenden Blutparametern fiir die verschiedenen Storungen des Saure-Basen-Haushaltes sind in der Tabelle 31.13 dargestellt.

Basenexzess [mmol/1]

7,9

25

7,8 7,7

25

7,6

30

7,5

35

80 90

100

Abb. 31.46. Leiternomogramm nach Thews zur Ermittlung des Basenexzesses aus dem arteriellen pH-Wert und dem arteriellen pC02• Kurve 1Normalsituation; Kurve 2 akute respiratorische Azidose; Kurve 3 respiratorische Azidose mit metabolischer Kompensation

KERNAUSSAGEN lm Stoffwechsel entstehen Kohlendioxid (Kohlensaure) und andere nichtfli.ichtige 5auren als Endprodukte. Da Anderungen der Protonenkonzentration eine Vielzahl von zellularen Reaktionen beintrachtigen, mi.issen die anfallenden Protonen zunachst gepuffert und an5chlieBend ausgeschieden werden. Proteine und Phosphat sind die wichtigsten intrazellularen Puffer,das Kohlendioxid-Bicarbonat-System und Proteine (Hamoglobin) die wichtigsten extrazellularen Puffer. Aile Puffersysteme stehen dabei miteinander im Gleichgewicht. Die Puffertahigkeit des Korpers wird durch die Pufferkapazitat und den Basenuberschuss des Blutes reflektiert. Ander Ausscheidung von Protonen und Pufferbasen bzw. deren Ruckgewinnung sind die lunge, Niere und Leber zentral beteiligt. Da die Ausscheidung von Protonen in der Niere - im Gegensatz zur lunge und Leber- nicht in chemisch gebundener Form erfolgt, sind im Urin effektive Puffersysteme wie Phosphat und Ammoniak erforderlich. Storungen des saure-Basen-Haushalts werden als Azidosen oder Alkalosen bezeichnet und konnen primar respiratorisch oder metabolisch bedingt sein. Respiratorische Storungen resultieren aus einer Veranderung der C02-Abatmung, nichtrespiratorische Storungen meist aus Saurei.iberproduktion oder -verlusten. Respiratorische und metabolische Storungen des Blut-pHWertes konnen sich wechselseitig kompensieren. Der Saure-Basen-Status kann durch Bestimmung der arteriellen Werte fur pH, pC02 und den Basenexzess beurteilt werden.

Tabelle 31.13. Blutparameter b eiSttirungen des Saure-Basen-Haushaltes St6rung

pH

~(mmltg)

BE(mmolll)

Keine

7,36-7,44

36-44

±2

Respiratori che A~ido e Nach Kompen ation

44 >44

±2 >2

Re piratori che Alkalo e Nach Kompensation

>> 7,44