Bildende Kunst als soziales Feld: Eine Studie über die Berliner Szene [1. Aufl.] 9783839423318

Dient die Kunst dem Vergnügen von Eliten? Oder besitzt sie subversive Kraft? Worum geht es im Spiel der Kunst? Valerie M

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German Pages 346 [340] Year 2014

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Bildende Kunst als soziales Feld: Eine Studie über die Berliner Szene [1. Aufl.]
 9783839423318

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Valerie Moser Bildende Kunst als soziales Feld

Kultur und soziale Praxis

Valerie Moser (Dr. phil.) ist Soziologin und lebt in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst- und Kultursoziologie, Arbeitssoziologie, Feldanalyse und qualitative Sozialforschung.

VALERlE MosER

Bildende Kunst als soziales Feld Eine Studie über die Berliner Szene

[ transcript]

Diese Publikation wurde gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung. Dissertation der Technischen Universität Darmstadt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ jdnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Sielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Nihad Nino Pusija, www.fotofabrika.de Lektorat: Valerie Moser Satz: Ulf Heidel, Berlin (www.lektorat-ulf-heidel.de) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2331-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort

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AUSGANGSPUNKT: FORSCHUNGSKONTEXT, METHODOLOGIE UND METHODIK Einleitung

I 13

Kunstsoziologie heute

I 19

Empirisches Forschen mit Pierre Bourdieu I 33 Das Konzept der sozialen Felder und das künstlerische Feld 134 Die praxeologische Erkenntnisweise I 39 Das qualitative Interview I 44 Das Forschungsdesign I 47 Die Fragestellung I 47 Das Datenmaterial I 49 Das Erhebungsinstrument I 53 Das Untersuchungsfeld I 56

DIE EMPIRISCHE STUDIE: DAS SOZIALE FELD DER BILDENDEN KUNST IN BERLIN Die Strukturdaten I 63 Die staatliche Kunstförderung I 64 Die Ausstellungsorte zeitgenössischer Kunst Der Kunstmarkt I 90 Bildende Kunst als Beruf I 96

I 85

Die Akteure 1105 Max Corbach: Der staatliche Museumsleiter I 105 Matthias Claas: Der staatliche Kurator I 111 Gustav Emmerich: Der Galerist mit Startkapital I 119 Gita Eshwar: Die Künstlerin als Galeristin 1127

Patricia Falkenstein: Die freie Kunstwissenschaftlerin 1135 Paul Fadani: Der kritische Intellektuelle 1144 Viola Brenner: Die Geschäftsführerin eines Kunstvereins 1150 Ruben Dietlich: Der Kunstraumleiter I I 57 Karin Appl: Die Malerin und ihr Geist I 164 Karohne Aigner: Die Malerin und ihr Körper I I 72 Kathrin Amling: Die intellektuelle Künstlerin 1180 Karsten Aschenbach: Der gesellschaftskritische Künstler 1186 Kendra Aurich: Die politische Künstlerin I 194 Klemens Adler: Der Performancekünstler I 203 Klaus Arnold: Der Kunst-Handwerker 1211 Khadir Amar: Der afrikanische Künstler I 222 Die »Positionen« I 231 Das staatliche Museum I 231 Der primäre Kunstmarkt I 239 Die institutionelle Freiheit I 245 Der öffentliche Raum I 253 Der soziale Raum I 260 Die »Positionen« in der bürgerlichen Gesellschaft Das staatliche Museum und sein Bildungsauftrag I 269 Der primäre Kunstmarkt und seine Repräsentationsfunktion Das Streben nach Freiheit I 285 Die Kunstvereine und ihre aufklärende Mission I 293 Die Ökonomisierung staatlicher Kunstförderung I 299 Der »Glaube«

I 269 I 280

I 305

5CHLUSSBETRACHTUNG: DIE STRUKTUR DES BERLINER KUNSTFELDES Die Differenzierungslinien I 315 Die staatliche Strukturförderung und die Kultur Deutschlands I 316 Das Galeriengeschäft und das großbürgerliche Selbstverständnis I 319 Die staatliche Wirtschaftsförderung und die Idee vom kreativen Menschen I 320 Die Autonomie der Kunst und die akademische Elite I 323 Die Ökonomisierung und der Kampf um kulturelle Werte Literaturverzeichnis

I 331

I 327

Vorwort

Ausgangspunkt der vorliegenden Studie sind Erkenntnisse und Erfahrungen, die ich in meiner qualitativen Untersuchung eines Wiener Kunstfestivals gewonnen habe. Diese weckten bei mir das Interesse, die gesamte Kunstszene einer Stadt soziologisch zu erfassen, zu begreifen und zu beschreiben. Für diese Forschung wählte ich als Untersuchungsfeld das Kunstgeschehen in Berlin. Die Perspektive, die ich dabei einnehme, resultiert aus Beobachtungen, die ich entlang der folgenden Aussage einer Wiener Künstlerin skizzieren möchte. Am Beginn habe ich mir gedacht, quasi als Experiment, etwas zu versuchen an einem Ort, an dem in dem Sinne keine Kunst stattfindet, also vor allem sehr stark abseits von etablierten Orten. Bereits im ersten Jahr hatte ich quasi als Zugpferde verschiedene Galerien eingeladen teilzunehmen. Und ich war ziemlich überrascht, dass di e Galerien so starke Bereitschaft gezeigt haben mitzumachen. Zunächst hatte ich nicht wirklich vor, das Festival weiterzuführen, aber es kam dann der Wunsch vor Ort von den Kaufleuten und von der Wirtschaftskammer, die natürlich wiederum andere Interessen verfolgt haben. Aber daraus ist eine relativ gute Kooperation entstanden. Die Wirtschaftskammer hat geholfen, die Basis des Projektes zu finanzieren und auch teilweise mitzuorganisieren, was mir sehr stark entgegengekommen ist. Na ja und so hat sich das von einem Jahr zum anderen weiterentwickelt und wurde immer stärker zu einem sogenannten >Public Art ProjektEvent< fördert sie vor allem langfristige Kunstprojekte in Zusammenarbeit mit lokal agierenden Sozialarbeiter/-innen. Nicht zuletzt spricht sie von den »verschiedenen Welten«, in denen die »türkischen Marktverkäufer« und sie leben und betont ihre Bemühungen, die Hemmschwelle und Grenze zwischen diesen Welten zu überwinden. In der Selbstdefinition ihres Festivals werden Grenzziehungen, werden gesellschaftliche Strukturen sichtbar. Sie markiert soziale Gruppen und »verschiedene Welten«, benennt Institutionen und Einrichtungen, unterscheidet etablierte Kunstorte von kunstfreien Orten und positioniert sich als aktive Gestalterin dieser Strukturen. Vehikel ihrer Gestaltungskraft ist die Kunst, die für sie das Potential in sich trägt, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessem. Es zeigt sich, dass die Sichtweisen dieser Künstlerin Aufschluss geben über ihren Kunstbegriff, ihr Selbstverständnis als Künstlerin, aber auch über die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst und die sozialen wie strukturellen Einflüsse auf die künstlerische Praxis. Ferner wird deutlich, dass -will man das Kunstgeschehen soziologisch begreifen - sowohl die Menschen und ihre Weltsichten und Handlungen als auch die Struktur, Funktion und Bedeutung von Institutionen und Einrichtungen erfasst werden müssen. Mit dieser Forschungsperspektive beziehe ich mich auf Pierre Bourdieus Konzept der sozialen Felder. In seinem Sinne begreife ich das Kunstgeschehen als eigene »soziale Welt«, deren Struktur von den Menschen aktiv gelebt wird, genauso wie sie in den Institutionen und Dingen verankert ist. Ziel meiner Forschung ist, diese »soziale Welt« - das soziale Feld der Kunst- als eine Welt zu ergründen, die genauso spezifisch ist wie sie stets mit den anderen Welten verwoben und Teil der Gesellschaft bleibt. Deshalb wählte ich als Untersuchungsgegenstand für die vorliegende Studie keinen Teilbereich der Kunstszene. Vielmehr analysiere ich das Kunstgeschehen in Berlin. Ich stelle mir die Frage, was das Berliner soziale Feld der Kunst ist. Wo liegen die Grenzen? Was gilt als Kunst und was nicht? Was und wer gehört dazu, was und wer nicht? Wer grenzt sich von wem ab und wer fühlt sich zu wem oder was zugehörig? Wie ist ein solches Feld strukturiert? Welche Machtverhältnisse herrschen vor?

VORWORT

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Ein Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung bot mir die Freiheit nach Berlin zu ziehen und dieses Vorhaben umzusetzen, weshalb ich der Stiftung zu großem Dank verpflichtet bin. Eine qualitative Studie lebt vom Vertrauen und der Offenheit der Interviewpartnerl-innen. An nächster Stelle gilt daher mein Dank den Künstlerl-innen und Kunstakteuren, die mir Einblicke in ihre Welt ermöglichten. Die vorliegende Arbeit wurde an der Technischen Universität Dam1stadt als Dissertation angenommen. Mein ganz besonderer Dank kommt meiner wissenschaftlichen Betreuerirr Beate Krais zu, die sich immer wieder intensiv mit meiner Arbeit auseinandersetzte und sich mit mir in vielen Stunden darüber austauschte. Martina Löw danke ich für ihr engagiertes Gutachten. Sandra Beaufays hat mich nicht nur ermutigt, diese Dissertation zu schreiben, sie hat auch maßgeblich zu ihrem Verlauf und ihrer Fertigstellung beigetragen, wofllr ich ihr außerordentlich dankbar bin. Nicht nur die finanzielle Absicherung, sondern auch das ideelle Förderangebot der HansBöckler-Stiftung und der Austausch mit anderen Stipendiaten und Stipendiatinnen trugen entscheidend zum erfolgreichen Abschluss bei. Insbesondere Mare Gärtner, Jana Günter, Anja Pannewitz und Victoria Schnier danke ich für ihre stets konstruktive Kritik und unsere aufmunternden und ermutigenden Arbeitstreffen. Silke Feldhoff und Carla Ortheu warfen vor dem Hintergrund ihres kunstspezifischen Expertenwissens immer wieder einen genauso kritischen wie interessierten Blick auf meine Arbeit, woflir ich ihnen sehr dankbar bin. Meine Teilnahme an den Kolloquien von Beate Krais und von Hildegard Maria Nickel sorgte für die notwendige wissenschaftliche Einbettung meiner Studie. In den darin stattfindenden Diskussionen habe ich viel gelernt, weshalb ich allen Teilnehmerl-innen zu Dank verpflichtet bin. Dem Team von audiotranskription.de und dem Lektor Ulf Heide! danke ich für ihre professionelle Arbeit. Rudolf Richter möchte ich an dieser Stelle nochmals für meine soziologischen Leh1jahre an der Universität Wien danken. Das Fundament meiner Promotionszeit bildet die Unterstützung von Seiten meiner Familie. Von ganzem Herzen danke ich Alexander Haas, der nicht nur jeden Gesprächs- und Diskussionsbedarf geduldig und voll ungebrochenem Interesse an meiner Arbeit erwidert hat, sondern auch die Betreuung unseres Sohnes übernommen und mir damit die nötige Arbeitszeit em1öglicht hat. Meinen Eltern Ingrid Moser und Gerhard Carl Moser danke ich herzlich, dass sie mir in vielerlei Hinsicht den Rücken freigehalten und immer wieder von neuem gestärkt haben. Nicht zuletzt möchte ich Gerlinde Haas und Herbert Haas für ihre vielseitige und umfangreiche Hilfe danken.

Valerie Moser

Einleitung

Ich würde sagen, dass es mittlerweile eine Szene ist, die so dicht ist, wie nirgendwo sonst in Deutschland. Eine Szene, die über lange Zeit interessant marktfern war, weil das Verhältnis, das quantitative Verhältnis von Künstlerinnen und Künstlern in der Stadt und den Distributionsinstitutionen eine totale Imbalance zeigte. Das hat sich mittlerweile, was Galerien betrifft, so ein bisscheu gewandelt. Aber zum Beispiel ist es sehr auffallig, dass es für zeitgenössische Kunst sehr, sehr mühsam erst Institutionen gibt. Dann finde ich, ist es eine Kunstszene von der ich sagen würde, dass sie immer schon sehr viel stärker einen sich als gesellschaftlich relevant verstehenden Anteil besessen hat, als ich das aus anderen Städten kenne. Dann würde ich sagen, ist durch die Geschichte Berlins und die unendlich vielen Austauschprogramme, die nach 1990 entstanden sind, auch ein unglaublich hoher Anteil internationaler Künstlerinnen und Künstler hier. Was dem Diskurs gut tut. Mein Eindruck ist, dass das allerdings dazu führt, dass die Szene extrem zersplittert und aufgefasert ist, so dass die Netzwerke sehr spezialisiert funktionieren. (Patricia Falkenstein, E2: 26)

Das Buch beinhaltet eine Analyse der Berliner Kunstszene als soziales Feld. Die Stadt Berlin erschien mir als Untersuchungsgegenstand einer Feldanalyse besonders geeignet, weil sie wie keine andere Stadt in Deutschland oder sogar Europa in den letzten beiden Jahrzehnten als >neue Kunstmetropole< gehandelt wird. Imagekampagnen des Senats, das Profil des Regierenden Bürgermeisters oder die auf die Hauptstadt bezogene Kulturpolitik des Bundes schaffen die infrastrukturelle und symbolische Basis eines neuen Berlin-Bildes. Dieses Bild preist zum einen die Internationalität und Kreativität der jungen Bewohnerl-innen und das wirtschaftliche Potential ihrer künstlerischen und kreativen Tätigkeit und positioniert zum anderen Berlin als Standort des internationalen Kunstmarktes. Die ansässigen Galerien kämpfen seit Anfang der 1990er Jahre um einen relevanten Status. Neben diesen ökonomisch geprägten Berlin-Bildern blickt die Stadt auf eine Geschichte zurück, die im Westteil eine staatlich subventionierte Insel für Künstlerl-innen und im Ostteil subkulturelle Nischen bot. Die kunstspezifische Infrastruktur der Stadt zeugt von dieser Vergangenheit als staatlich gefördertem Freiraum für die Kunst, genauso

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

wie der städtische Raum subkultureHe Flächen sichtbar werden lässt. Durch Kunstvereine, Kunsträume, Künstlerl-innen-Initiativen und künstlerisch besetzten städtischen Raum ist ein Bild von Berlin als Stadt der alternativen und politischen Kunst, der Avantgarde und Subkultur lebendig. Die Bedeutung, die die Stadt und ihre Kunst hat, drückt sich sowohl in den sozialen, kulturellen, politischen und administrativen Praktiken wie in den Institutionen, der staatlichen lmd wirtschaftlichen Struktur aus. Berlin gilt als Stadt der Kunst. Sie wird als solche inszeniert, gefördert und institutionell verankert und ist deshalb Anziehungspunkt für Menschen, die sich als künstlerisch oder kreativ verstehen. Dass es eine Berliner Kunstszene gibt, ist nicht nur meine abstrakte Vorannahme, vielmehr wird sie in der sozialen Praxis erzeugt. Aus diesem Grund kann das Kunstgeschehen in der Stadt als soziales Feld begriffen und untersucht werden. Mit meiner Forschungsperspektive distanziere ich mich von soziologischen Studien und philosophischen Abhandlungen, die entweder eine ästhetische Essenz der Kunst zu ergründen suchen oder diese als gegeben annehmen. Als Quelle der Kunst gilt vielen das künstlerische Individuum, das sich durch eine besondere Begabung auszeichnet. Seit den 1970er Jahren ist die deutsche Kunstsoziologie geprägt von empirischen Forschungsarbeiten, die sich explizit gegen »Wesenscharakterstudien« wenden. Wurde damals die Bedeutung von Kunst daran abgelesen, wie sie auf die Rezipienten und Rezipientinnen wirkt, konzentriert sich die heutige Kunstsoziologie auf die Produktion und auf Prozesse der Definition von Kunst. Berufs- und arbeitssoziologische Ansätze untersuchen soziale Rollen, kulturelle Wandlungsprozesse und strukturelle Veränderungen der Arbeitswelt mit dem Ziel zu erkennen, wie diese das künstlerische Individuum in seinem Selbstverständnis und seiner Ausdrucksweise beeinflussen. Eine grundlegende Frage dabei ist, wie es um individuelle Selbstbestimmung und Kreativität angesichts von Ökonomisierungstendenzen bestellt ist. Studien zu Kunstdefinitionsprozessen beforschen kunstspezifische Institutionen, staatliche Förderstrukturen oder kulturelle Hegemonien, um vorherrschende Kunstbegriffe und -positionen zu erklären. Sie erhellen damit, wie soziale Kräfte an der Produktion von Kunst und ihres Wertes teilhaben. Mit meiner Studie leiste ich einen Beitrag zu diesem Forschungsschwerpunkt der deutschen Kunstsoziologie. Bildende Kunst als soziales Feld zu betrachten, eröffnet mir eine Forschungsperspektive, die zum einen sowohl das Subjekt des Künstlers oder der Künstlerin als auch den Begriff von Kunst in den Blick nimmt. Zum anderen ermöglicht mir Bourdieus analytisches Konzept strukturelle Einflüsse genauso zu berücksichtigen, wie es mir erlaubt, Menschen, die sich professionell mit Kunst beschäftigen, als aktive Gestalter ihrer Welt zu betrachten. Anstatt einen substantialistischen künstlerischen Kern des Individuums anzunehmen, wird der Mensch zu einem Sozialwesen, das geprägt ist von der Gesellschaft, in der es einen spezifischen Platz einnimmt und von dem aus es wiederum auf diese einwirkt. Die Sichtweisen der Menschen

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werden dergestalt von immanent soziologischem Interesse, denn sie geben Aufschluss darüber, wie unsere Welt beschaffen ist. Das Konzept des sozialen Feldes ist ein analytisches Hilfswerkzeug, um zu begreifen, wie in der »sozialen Praxis«, im sozialen Miteinander von Menschen, im gegenseitigen Erkennen und Anerkennen sich die soziale Welt konstruiert und strukturiert. Die Differenzierungslinien zwischen Kunst und Nicht-Kunst, zwischen der einen und einer anderen Kunstposition werden von den Kunstakteuren erzeugt und gelebt und sind in den institutionalisierten Strukturen des kunstspezifischen Wirkungsbereichs verankert. Ich stelle mir die Forschungsfrage: »Was ist Kunst und was ist ein Künstler oder eine Künstlerin?« Damit versuche ich aber keine Essenz oder Substanz auszumachen, genauso wenig gehe ich davon aus, dass es sich um bloße Zuschreibungen handelt. Vielmehr frage ich danach, wie die Künstlerl-innen und Kunstakteure sich selbst und ihre oder die Kunst verstehen. Ihre Sichtweisen sind nicht rein individuell, sondern es sind soziale Konstrukte, die kollektive Bedeutungen in sich tragen und aus gesellschaftlichen Machtkämpfen resultieren. Die >Kunst-Weltsichten< können Aufschluss geben über die Struktur des Kunstfeldes, seine »Positionen«, seine Differenzierungslinien und das Machtverhältnis, das zwischen diesen herrscht. Ziel meiner Analyse des sozialen Feldes der bildenden Kunst in Berlin ist also, seine gelebte wie institutionalisierte Struktur zu erfassen. Weil die Sichtweisen der Menschen im Mittelpunkt meiner Forschungsperspektive stehen, wählte ich eine qualitative Vorgehensweise. Das Datenmaterial aus 25 qualitativen Interviews mit Künstlerl-innen und Kunstakteuren der Berliner Kunstszene bildet das Fundament meiner Analyse. Ergänzt wurde dieses durch weitere zwölf Interviews, die ich im Rahmen meiner Wiener Studie geführt habe und die als Vergleichsmoment dienten. Des Weiteren bereitete ich statistisches Material auf, sammelte Informationen zu kunstspezifischen Institutionen und Einrichtungen in Berlin und zog kunsthistorische und soziologische Literatur zur Geschichte des künstlerischen Feldes in Deutschland heran. Der vorliegende erste Teil des Buches zu »Forschungsstand, Methodologie und Methodik« umfasst drei Kapitel. Im Kapitel »Kunstsoziologie heute« fasse ich den kunstsoziologischen Forschungsstand in Deutschland zusammen. Darin stelle ich aktuelle kunst- und arbeitssoziologische und kunstwissenschaftliche Studien vor, die sich mit künstlerischen Subjektkonstruktionen, dem Beruf des Künstlers und dem Kunstsystem auseinandersetzen. Im Kapitel »Empirisches Forschen mit Bourdieu« führe ich die epistemologischen und methodologischen Implikationen weiter aus, die sich aus der empirischen Arbeit mit Pierre Bourdieus Konzepten ergeben. Das Kapitel »Das Forschungsdesign« stellt meine Fragestellung, mein Datenmaterial, mein Erhebungsinstrument und mein Untersuchungsfeld gerrauer vor. Die Ergebnisse meiner empirischen Studie sind im Hauptteil des Buches dargelegt und analysieren »Das soziale Feld der bildenden Kunst in Berlin«. Dieser Buchteil gliedert sich in fünf Kapitel, die wie folgt benannt sind: »Die Strukturdaten«, »Die Akteure«, »Die Positionen«, »Die Positionen in der bürgerlichen Gesell-

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schaft« und »Der Glaube«. Im ersten Kapitel stecke ich meinen Untersuchungsgegenstand ab. Ich frage danach, welche Institutionen und Einrichtungen dazu gehören, wo Kunst ausgestellt und/oder verkauft wird, welche verschiedenen Tätigkeitsbereiche bzw. Berufe es gibt, wie sich die Kunst finanziert und von welchen Einnahmen die Künstlerl-innen und andere Kunstakteure leben. Die hier gesammelten und aufbereiteten »Strukturdaten« ergeben eine erste Skizze des Berliner Kunstfeldes. Obwohl der Wirkungskreis der Kunstakteure nach seiner eigenen »Logik« funktioniert, ist seine Struktur bestimmt von im politischen, administrativen oder ökonomischen Feld getroffenen Entscheidungen. Jede Fördermaßnahme, sei sie nun staatlich oder privatwirtschaftlich motiviert, beeinflusst die Praxis des Feldes. Dieses Kapitel zeichnet also zum einen den ersten Umriss möglicher »Positionen« und zum anderen klärt es, wer an der Praxis des Feldes beteiligt ist. Im zweiten Kapitel stelle ich eine Auswahl der von mir interviewten Künstlerl-innen und Kunstakteure vor. Die Darstellungen werden mit einer Skizze der derzeitigen Lebenssituation, des Interviewsettings und des Werdegangs eingeleitet, die einer ersten Verortung im Feld dient. In diesem Schritt geht es darum zu verstehen, wie die Menschen mit ihren sozialen Voraussetzungen und in Auseinandersetzung mit »anderen und anderem« ihre Sicht auf sich, die Kunst und die Welt konstruieren. Ich vollziehe dabei die Selbst- und Kunstbilder der einzelnen Personen nach. Dabei wird deutlich, dass sich nicht die Berufsgruppe der Künstlerl-innen von anderen Kunstakteuren unterscheidet, sondern dass sich vielmehr Personen verschiedenster Berufspositionen in ihrem Selbst- und Kunstverständnis ähneln und sich darin wiederum von anderen abgrenzen. Die Reflexion der Interviewsituation und die Sichtweisen der Akteure auf ihren Werdegang und ihr Berufsleben ergeben einen weiteren und lebendigen Einblick in die Struktur des Feldes, seiner Institutionen, Karrierewege, Tätigkeitsbereiche und Lebenssituationen. Im dritten Kapitel entwerfe ich ein differenziertes Bild des Berliner Kunstfeldes. Ich rekonstruierte fünf »Positionen«, die jeweils unterschiedliche Begriffe von Kunst und Künstlerl-innen vertreten. Es zeigt sich, dass weder jede Person ihr ganz individuelles Kunst- und Selbstbild hat, noch in der Welt der Kunst nur eine Vorstellung davon existiert, was Kunst oder eine Künstlerin bzw. ein Künstler ist. Das Feld ist strukturiert durch aufeinander verweisende oder sich voneinander abgrenzende Praxisbereiche oder »Positionen«. In diesem Kapitel lege ich dar, wie die unterschiedlichen Kunst- und Selbstbilder konstruiert werden und definiert sind. Im vierten Kapitel gehe ich auf die historische Dimension des bourdieuschen Feldkonzeptes ein. Entlang kunsthistorischer und soziologischer Studien versuche ich nachzuvollziehen, ob und wie die Konstrukte, Bedeutungen und Kategorien, die die Personen in ihrer Praxis heute anwenden, bereits zu früheren Zeitpunkten im Feld gewirkt haben. Ich verorte damit die heutige Praxis und ihren »praktischen Sinn« in der Tradition des Feldes. Denn die Konstruktionsarbeit der Akteure kann nur vor dem Hintergrund des Zustands und der Geschichte des Feldes, in dem sie stattfindet, verstanden werden. Durch diesen Schritt wird die

E INLEITUNG

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künstlerische Praxis als gesellschaftliche Praxis und somit ihr Zusammenhang mit der Konstitution der bürgerlichen Gesellschaft erkennbar. Im ftinften Kapitel komme ich daran anschließend zur Analyse des allem zugrunde liegenden und von allen geteilten »Glaubens« des künstlerischen Feldes. Das Feld ist nicht nur Kampfplatz verschiedenster Begriffe von Kunst- und Künstler/-innen, sondern auch ein »Glaubensuniversum« (Bourdieu). Denn der »Glaube« an den Wert der Kunst ist die Basis jeglichen Engagements für die Kunst. An dieser Stelle offenbart sich, dass es sich dabei um einen »Glauben« an den kulturellen Wert der Kunst handelt. Im letzten Buchteil, den Schlussbetrachtungen, fasse ich meine zentralen Erkenntnisse zusammen und rekonstruiere damit »Die Struktur des Berliner Kunstfeldes«. »Die Differenzierungslinien« zeigen sich nicht bloß im institutionellen Gefüge, in der Förderlandschaft oder den Tätigkeitsbereichen. Sie werden auch von den Kunstakteuren gelebt, drücken sich in ihren Sichtweisen aus, verdinglichen sich in ihren künstlerischen Arbeitsprodukten. Ferner kann die heutige Struktur nur vor dem Hintergrund der Geschichte des Feldes und seiner gesellschaftlichen Eingebundenheit verstanden werden. Das abschließende Kapitel »Die Ökonomisierung und der Kampf um kulturelle Werte« skizziert zunächst das feldinterne Machtgefüge und zeigt, wie sich die Kräfteverhältnisse verschieben. Schließlich expliziere ich noch einmal das Prinzip, um das sich das Spiel der Kunst dreht. Meine Analyse ergab, dass sich das Feld in einer Umbruchsituation befindet und die Grenzen eines autonomen Kunstbereichs brüchig werden.

Kunstsoziologie heute

Die flir die Soziologie der Kunst wichtigste Einsicht gründet sich auf die Tatsache, daß unser ganzes Denken, Empfinden und Wollen auf eine und dieselbe Wirklichkeit gerichtet ist, daß wir im Grunde stets den gleichen Tatsachen, Fragen und Schwierigkeiten gegenüberstehen und mit allen unseren Kräften und Fähigkeiten um die Lösung der Aufgaben eines einheitlichen und ungeteilten Daseins bemüht sind. Was wir auch unternehmen und in welcher Form wir es auch tun, es handelt sich flir uns immer darum, die an und flir sich chaotische, rätselhafte und oft bedrohliche Wirklichkeit besser zu erkennen, richtiger zu beurteilen und erfolgreicher zu bewältigen. [ ... ] Wir trachten auch in der Kunst, so wie in der gewöhnlichen Praxis und den einzelnen Wissenschaften, herauszufinden, wie di e Welt, mit der wir es zu tun haben, beschaffen ist, und wie wir ihr am besten beizukommen vermögen. (Hauser 1974: 5)

Arnold Hauser veröffentlichte 1974 seine Soziologie der Kunst, eine geschichtsphilosophische Abhandlung, die auf eindrückliche Weise den Begriff der autonomen Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft fundiert. Seinen Erläuterungen, wodurch autonome Kunst sich einst entfalten konnte und wie ihr im Zuge des technischen Fortschritts die Entfremdung drohe (vgl. ebd.: 701), liegt die Annahme einer authentischen Kunst zugrunde. Das Wesen der Kunst sei ihre »Zwecklosigkeit, Unmittelbarkeit und Spontaneität« (ebd.: 28). Sie ermögliche sinnliche Erfahrungen, in denen die Menschen dem »Chaos« des Lebens entkommen und sich wieder ihrer ganzheitlichen »Innerlichkeit« und somit der »Totalität« menschlicher Existenz bewusst werden könnten (ebd.). In diesem »Glauben« an das versöhnende Moment autonomer Kunst und ihrer daraus resultierenden zentralen gesellschaftlichen Funktion steht Hauser in der Tradition des Deutschen Idealismus. Er verfasste seine Werke zu einer Zeit der »tiefsten Verunsicherung bürgerlichen Kulturverständnisses«, was ihn zu dem Versuch veranlasste, »der bürgerlichen Kultur das zu bewahren, was der marxistischen Kritik standzuhalten vermag« (Scharfschwerdt 1979: 200f). Die so bewahrte Kunst solle bewirken, dass die Menschen sich auf die bürgerlichen Werte besinnen.

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

In den 1970er Jahren erschienen überdies drei Publikationen, die sich als Einflihrungen in die Kunstsoziologie verstehen. Alphons Silbermanns Buch Empirische Kunstsoziologie (1973) trägt zum einen den damaligen Stand soziologischer Forschung über bildende Kunst, Musik, Literatur, Theater und Film zusammen und präsentiert diesen in Form einer kommentierten Bibliografie. Zum anderen wird darin argumentiert, wie sich die dargelegte große Zahl an zusammenhangslos existierenden kunstspezifischen Arbeiten zu einem eigenen Wissenschaftszweig, vergleichbar mit anderen Speziellen Soziologien, etablieren könnte. Wichtig sei dabei, sich auf einheitliche »Ansätze, Methoden und Ziele« (ebd.: 1) zu verständigen. Die von Silbermann herausgegebenen Klassiker der Kunstsoziologie (1979) fundieren diese Idee historisch, d.h. sie versuchen eine wissenschaftliche Disziplin der Kunstsoziologie in ihrer eigenen Tradition zu verorten. Der von Rainer Wiek und Astrid Wick-Kmoch herausgegebene Band Kunstsoziologie. Bildende Kunst und Gesellschaft ( 1979) verfolgt eine ähnliche Intention. Er sammelt Beiträge zur empirischen Soziologie der bildenden Kunst, um diese den unterschiedlichen Ansätzen und Vorgehensweisen zum Trotz unter dem Überbegriff Kunstsoziologie zu vereinen. Als Grundpfeiler einer Kunstsoziologie gelten den genannten Autorinnen und Autoren die empirische Feldforschung, die Trias Künstler/-in - Kunstwerk - Publikum als Forschungsgegenstand und die Betrachtung der Künstlerl-innen in ihrem »sozialen Sein« (Silbermann 1973) und Gewordensein sowie des Kunstwerkes als »soziales Produkt« (Silbermann 1966: 174). Die damaligen Bemühungen wandten sich unter anderem gegen den »Einfluss der marxistischen Kunstphilosophie« (Wiek/ Wick-Kmoch 1979: 10f) sowie gegen »Wesenscharakterstudien« der Kunstwerke (Silbermann 1973: 11 ), wie Adomo sie betrieb. Die ästhetische Essenz der Kunst zu erfassen, sei Aufgabe der Kunsttheorie. Die kunstsoziologische Betrachtung lasse den der Kunst immanenten »irrationalen« (ebd.: 21) wie »gesellschaftlichen Gehalt« (Adomo 1998: 339) außer Acht, konzentriere sich vielmehr auf die sozialen Effekte des Werks und beziehe den Standpunkt der Produzentinnen und Produzenten mit ein. Um den Zusammenhang zwischen Kunst und Gesellschaft zu ergründen, müsse das >>übermäßig simplifizierende Kausaldenken« (Wick/Wick-Kmoch 1979: 11) marxistischer Kunstphilosophie durch eine Theoriebildung ersetzt werden, die sich auf empirische Untersuchungen stützt (vgl. Thurn 1976). Das Hauptaugenmerk der Kunstsoziologie liege allerdings auf der über das Kunstwerk vermittelten Kommunikation zwischen Künstlerl-innen und Rezipienten!Rezipientinnen. Nur das »Kunsterlebnis« (Silbermann 1973: 19) sei empirisch erfassbar und nur an ihm könnten die wechselseitigen Beeinflussungen von Produzenten/Produzentinnen und Konsumenten/Konsumentinnen und deren soziales Umfeld untersucht werden (vgl. Wick/Wick-Kmoch 1979: 14). Gegen einen zu einseitigen Fokus auf die Rezeptionsbedingungen wendet sich Hans Peter Thum in seinem 1973 veröffentlichten Buch zur Soziologie der Kunst. Entlang des Konzepts der symbolischen Handlung versucht er soziologisch der Frage nachzugehen, wie Kunst entsteht (vgl. ebd.:

KUNSTSOZIOLOG IE HEUTE

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65ff). 20 Jahre später erschien ein weiterer Sammelband unter diesem Titel (Gerhards 1997), der erneut den Versuch unternahm, theoretische wie empirische Studien zur Kunstsoziologie zueinander in Relation zu setzen und einen eigenen Wissenschaftszweig zu begründen. Bis heute gelang dieses Unterfangen nicht: In Deutschland existiert weder ein Lehrstuhl, der ausschließlich der Kunstsoziologie gewidmet ist, noch scheinen kunstsoziologische Aufsätze vermehrt in den zentralen soziologischen Fachzeitschriften auf. Und dennoch ist in den letzten Jahren ein steigendes soziologisches Interesse an der Kunst zu konstatieren, das sich unter anderem im 2010 gegründeten Arbeitskreis Soziologie der Künste innerhalb der DGS-Sektion Kultursoziologie zeigt ( vgl. Danko/Giauser/Herrschaft/Moser 20 12). Im darauffolgenden Jahr erschien die erste Auflage von Die Kunst in der Gesellschaft (Müller-Jentsch 20 II ), ein Buch, in dem erneut empirische Studien und theoretische Ansätze zur Kunst mit der Intention versammelt werden, ein verbindendes Element auszumachen. 2012 veröffentlichte der transcript- Verlag in seiner Reihe Einsichten. Themen der Soziologie einen eigenen Band zur Kunstsoziologie (Danko 2012). Dieser führt »die Kunstsoziologie als Forschungsrichtung« ein, indem er eine Chronologie ihrer Entwicklung seit der Entstehung der Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin aufstellt und dabei »soziologische Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft präsentiert« (ebd. 8±). Überdies ist eine rege Rezeption der kunstsoziologischen Arbeiten Bourdieus festzustellen. Neben Einführungen zu Bourdieus Kunstsoziologie (Schumacher 2011, Kastner 2009) wird von der UKV Verlagsgesellschaft eine Reihe mit allen theoretischen Schriften und empirischen Studien Bourdieus veröffentlicht. In vier Bänden zur Kunst und Kultur werden erstmals alle seine klmst- und kultursoziologischen Texte in deutscher Sprache erhältlich sein. 2011 erschien der Band Kunst und künstlerisches Feld, der 13 kunstsoziologische Texte Bourdieus vereint. Des Weiteren ist darin ein Text des Soziologen Ulf Wuggenig publiziert, der zum Inhalt hat, »Pierre Bourdieus Soziologie der Kunst« zu überblicken und zu kontextualisieren (W uggenig 2011 ). Aktuell scheinen also die Bemühungen, Kunstsoziologie als einen Wissenschaftszweig zu etablieren, in eine nächste Runde zu gehen. Vor allem Nachwuchswissenschaftler/ -innen aus der Soziologie nehmen sich vermehrt des Themas Kunst an, was sich an einer Reihe von themenspezifischen Dissertationen und Forschungsarbeiten zeigt. In Folge werde ich einen Überblick der für meine Arbeit relevanten Forschungen geben und dabei ausgewählte Studien kurz vorstellen. Meine Auswahl berücksichtigt überdies einige für meine Forschung interessante kunstwissenschaftliche Studien. Die folgende Darstellung des Forschungsstands der Kunstsoziologie in Deutschland gliedert sich entlang dreier Themenbereiche: Subjektkonstruktionen, Kunst als Berufund das Kunstfeld. Sozialhistorische Arbeiten der Kunstgeschichte differenzieren Künstler/-innenBilder, die sie mit der sich wandelnden Konstitution der Gesellschaft in Relation

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setzen (vgl. u.a. Bätschmann 1997, Conti 1998, Hellmold/Kampmann/LindneriSykora 2003, Krieger 2007, Ruppert 2000, Warnke 1996). So habe bis zum Zeitalter der Renaissance der bildende Künstler als Handwerker gegolten, sei sodann zum als Genie verehrten Hofkünstler aufgestiegen, um schließlich im Zuge der Herausbildung kunstspezifischer Institutionen zum autonomen Künstler zu werden. Diese Studien sind für meine Arbeit insofern relevant, als sie die Welt der Kunst als historisch geworden und als abhängig von gesellschaftlichen Prozessen begreifen. Es werden Strukturen beschrieben, die bestimmte Künstlerl-innen-Begriffe hervorbringen und den Künstlerl-innen einen bestimmten Platz in der Gesellschaft zuweisen. Wolfgang Ruppert liefert mit seiner umfangreichen Studie Der moderne Künstler (2000) eine sozial- und kulturgeschichtliche Fundierung der Idee des autonomen Künstlers in der bürgerlichen Gesellschaft. Ruppert versucht erstens Merkmale auszumachen, die dem modernen Künstler in kunsttheoretischen und kulturellen Vorstellungen normativ zugeschrieben wurden, fragt zweitens danach, was dieses Bild mit der sozialen Realität von Künstlerl-innen zu tun hatte und untersucht drittens das Ausbildungssystem als Vermittlungsinstanz von »Bildern, Verhaltenspraktiken und Begriffen« (ebd.: 26) an die K.ünstler/-innen. Als Untersuchungsfeld wählte Ruppert den künstlerischen Beruf Maler/-in in der »Kunststadt« München im Zeitraum zwischen 1850 und 1930 (ebd.: 39). Mit seiner Studie liefert er eine detailreiche und fundierte Aufnahme des künstlerischen Feldes zu dieser Zeit, die zunächst Münchens kunstspezifische Institutionen beschreibt, die strukturellen Bedingungen künstlerischen Schaffens entlang einer quantitativen Analyse rekonstruiert und ausgehend von facettenreichen historischen Quellen skizziert, welche Funktion dem Künstlerberuf in der damaligen bürgerlichen Gesellschaft zugeschrieben wurde. Den Hauptteil seiner Arbeit bildet die »Konstruktion des Künstlerhabitus« (ebd.: 225), in deren Rahmen er zu ergründen versucht, wie kulturelle Muster im Künstlerberuf wirken. Als Analyseinstrument führt Ruppert Bourdieus Begriff des »Habitus« ein. Aus dieser Durchdringung von Berufspraktiken mit kulturellen Wahrnehmungs- und Ausdrucksformen resultiert die Notwendigkeit, Strukturgeschichte mit Subjekt- und Erfahrungsgeschichte zu verknüpfen. Die Individualität der einzelnen Künstler ist an eine Vermittlungsarbeit zwischen den Strukturen des historischen Prozesses und den Praktiken der Personen gebunden. (Ebd.: 28)

Der Künstlerhabitus drücke sich in den Kunstwerken aus, weil die »kulturelle Grammatik« in die »Innenseite des Gefühlsapparats des künstlerischen Individuums« eingeschrieben werde und so in der »vorrationalen Intuition« des künstlerischen Ausdrucks- »der ästhetischen Form« - wirke (ebd.: 577). Ruppert differenziert »drei Merkmalsebenen« (ebd.: 27), um den Künstlerhabitus zu bestimmen: Die Qualifikationen, die zum Beruf des Malers oder der Malerin gehören, die sozialen

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Bedingungen, unter denen sie ihre kreative Individualität konstruieren, und die kulturellen Muster, Bilder und Mythen der bürgerlichen Gesellschaft. Als Künstlerhabitus versteht Ruppert ein »Ensemble von Leitbildern«, das »in der sozialen Kommunikation der Gesellschaft überindividuell und unabhängig vom einzelnen Künstler« wirkt und das sich Künstlerl-innen aneignen müssen, um als Mitglied der Berufsgruppe anerkannt zu werden (ebd.: 580). Als Ergebnis fasst er zusammen, dass dem Leitbild Künstler!-in in der bürgerlichen Gesellschaft deshalb ein Sonderstatus, ein Freiraum gegenüber der »Zweckökonomie« gewährt worden sei, weil den Künstlerl-innen die Funktion zugekommen sei, als Repräsentanten und Repräsentantinnen der Ideale des »Geistigen« und der »Subjektivität« aufzutreten (ebd.). Folgende Merkmale zeichneten den Beruf des Künstlers oder der Künstlerin aus: Merkmale wie Selbständigkeit, Erwerbstätigkeit fur den Markt, kollektive Selbstorganisation in den Künstlergenossenschaften sowie der Selbstbezug der Künstlerindividuen in der freien Phantasieproduktion ergaben ein >geistiges< Leistungsprofil, das den bürgerlichen freien Berufen zuzuordnen ist. (Ebd.: 577)

Rupperts Studie gibt nicht nur einen präzisen Einblick in das Feld der Malerei im München des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, sie trägt auch maßgeblich zum Verständnis des heutigen künstlerischen Feldes bei, wie im Rahmen meiner Analyse zu zeigen sein wird. Feministische Kunstwissenschaftlerl-innen kritisieren das Leitbild des Künstlers als Inbegriff des neuzeitlichen Subjektverständnisses. Sie rekonstruieren es als Ausdruck patriarchaler Hegemonie, weil der Künstler- wie Subjektbegriff sich »ausschließlich am männlichen Beispiel entwickelt« habe (Kampmann 2006: 109). ln ihrer Dissertation zum Künstler sein (2006) kritisiert Sabine Kampmann, dass sich die Kunstgeschichte auf ein substantielles Subjektkonzept, nämlich das männlich konnotierte, beschränke. Mit ihrer Arbeit untersucht sie das »komplexe und dynamische Bedingungsgeflige, in dem die Figur >Künstler< entsteht« (ebd.: 65). Ihr systemtheoretischer Zugang soll den Blick von einer subjektzentrierten hin zu einer strukturfunktionalen Herstellung von Künstlertypen lenken. Dabei werde deutlich, dass es nicht einen dominanten Typus gebe, sondern es sei »die Vielfalt, die typisch ist« (ebd.: 235). Wie in der (Kunst-)Wissenschaft oder im Kunstsystem über das, was eine Künstlerin oder ein Künstler ist, geschrieben und gesprochen wird, hänge von den Interessen der jeweiligen Funktionssysteme ab. Mit ihrem Ansatz trägt Kampmann einerseits dazu bei, das Selbstverständnis von Künstlerl-innen als sozial konstruiert zu begreifen und die miteinander konkurrierenden Kräfte mitzudenken, die daran beteiligt sind. Andererseits konzentriert sich Kampmann auf die »kommunikative Produktion von Autorenschafl« (ebd.: 69ff), den Diskurs über Künstler/-innen. Von diesem Blickwinkel aus intendiert sie, ein Modell zu entwickeln, »mit dem die Autorenschaft bildender Künstlerl-innen begrifflich-theoretisch er-

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fasst werden kann« (ebd.: 238). Es handelt sich dabei um eine kunstwissenschaftliehe Fragestellung, denn das Bestreben dieser Disziplin ist, Kunstwerke, künstlerische Arbeiten und nun eben auch künstlerische Selbstinszenierungen nach einer bestimmten Logik zu kategorisieren, um dergestalt ihre Bedeutung innerhalb dieses Systems zu objektivieren. Eine weitere kunstwissenschaftliche Dissertation, die sich mit Selbstinszenierungen von Künstlerl-innen beschäftigt, erschien ebenfalls 2006 unter dem Titel Konstruktionen von Jdentität (Krause-Wahl 2006). Antje Krause-Wahl untersucht entlang dreier renommierter Künstlerl-innen, auf welche Subjekt- und Rollenvorstellungen sich diese beziehen, wie sie in ihren »Selbstentwürfen« (ebd.: 8) etablierte Bilder hinterfragen und somit zu deren Dekonstruktion beitragen. Mit Michel Foucaults Autorenbegriff (1988) verweist sie darauf, dass sich Künstlerl-innen in Diskursen formieren und stellt die Frage, wie Künstlerinnen dem hegemonialen, männlich zentrierten Funktionsprinzip entkommen können. Mit Judith Butlers Verständnis von performativen Prozessen der Subjektkonstitution geht sie davon aus, dass Künstlerl-innen die in Diskursen verhandelten gesellschaftlichen Muster und Rollen übernehmen, wenn sie ihre Identität konstruieren. Zuletzt zieht Krause-Wahl Bourdieus Kapitalbegriff heran, um die >>Positionen« der Künstlerl-innen im sozialen Feld der Kunst zu bestimmen. Dabei ftihrt sie die Unterschiede in den zur VerfUgung stehenden Ressourcen vor Augen. Die diskursanalytische Perspektive erhellt, wie und welche Vorstellungen über Künstlerl-innen in der Gesellschaft vorherrschen. Krause-Wahl fokussiert auf konkrete Personen und darauf, wie diese ihre Sicht auf sich und die Welt konstruieren und vertritt dabei die Idee einer Identitätskonstruktion, die auf rein intentionalem Handeln beruht. Am Ende ihrer Ausführungen erläutert sie, wie die von ihr vorgestellten Künstlerl-innen verschiedene Rollenmuster und Subjektbilder heranziehen, um mitunter strategisch die »Effektivität« ihrer »Selbstentwürfe« (Krause-Wahl2006: 201) zu steigern. Dem Verständnis intentionalen und strategischen Handeins folgen auch kunstsoziologische Studien zur Berufsrolle von Künstlerl-innen (vgl. u.a. Gerhards 1997, Müller-Jentsch 2011, Thurn 1973). Den äußeren Zwängen- zum Beispiel den Gesetzen des Marktes, den Gefahren der Kommerzialisierung oder der Abhängigkeit von institutionellen Strukturen - wird die innere Notwendigkeit, die künstlerische Kreativität, die Berufung und das Charisma der Künstlerl-innen gegenübergestellt. Das Interesse dieser Studien gilt mitunter einem inneren Konflikt, den die Künstler/ -innen auszutragen haben. Einerseits werde von außen eine soziale Rolle an sie herangetragen und andererseits müssten sie ihrem kreativen Kern gerecht werden. Die Studien setzen ihren Schwerpunkt darauf, wie Künstlerl-innen den äußeren Strukturen begegnen, wenn sie ihre innere Berufung zu einem Beruf machen wollen. Neben den kunstsoziologischen Studien gibt es aktuelle Studien, die sich entlang arbeitssoziologischer Ansätze mit der Berufssituation von Kunst- und Kulturschaffenden beschäftigen. Die Studien analysieren die Veränderungen des Arbeits-

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marktes und versuchen deren Auswirkungen fassbar zu machen, indem sie die neuen Arbeitsformen empirisch untersuchen. Ein auf diese Studien Bezug nehmender kunstwissenschaftlicher Diskurs beschäftigt sich mit der Frage, wie Künstlerl-innen trotzeines in der Arbeitswelt festgestellten Zwangs zu kreativem und selbständigem Handeln, eine autonome und authentische künstlerische Kreativität bewahren könnten (vgl. u.a. Bismarck!Kaufmann/W uggenig 2008, Menke/Rebentisch 20 I 0, Osten 2003, Raunig/Wuggenig 2007). Die arbeitssoziologischen Studien führen die Transformation der Arbeitsstrukturen auf einen Strukturwandel zurück, der in den 1980er Jahren einsetzte. Die globale Ausweitung und Dynamisierung der Märkte und Finanzdienstleistungen habe zum »Aufstieg der flexiblen Organisation« (K.oppetsch 2006: 35) geführt. Sowohl die »variable Produktion« (Boltanski/Chiapello 2003b: 61) eines Unternehmens, als auch die Beschäftigungsverhältnisse seien verstärkt den Mechanismen des Marktes unterworfen (vgl. Moldaschl/Sauer 2000, Moldasch12002). Veränderungen und Risiken des Marktes könnten im Zuge der Flexibilisierung der Arbeitsformen auf die Arbeitskräfte abgewälzt werden. Die einzelne Arbeitskraft habe weder ein festgelegtes berufliches Qualitätsprofil noch eine sichere berufliche Position. Das bisher als Normalarbeitsverhältnis geltende Beschäftigungsmodell einer unbefristeten, sozial abgesicherten Vollzeitanstellung verliere zusehends an Bedeutung. Der frühere Arbeitnehmer werde zum »Arbeitskraftunternehmer« (Voß/Pongratz 1998, Voß 2001), zum >mnternehmerischen Selbst« (Bröckling 2000, Bröckling 2007), das seine Arbeit jeden Tag neu erfinde, selbstverantwortlich und diszipliniert sich selbst organisiere und sich von anderen im Wettbewerb durch seine herausragende Individualität und seine kreativen Ideen unterscheide. Studien, die diese Entwicklungen untersuchen, sprechen auch von einer »Subjektivierung der Arbeit« (vgl. Lohr/Nickel 2005, Moldaschl/Voß 2002). Die »Triebfeder der kapitalistischen Expansion« basiere des Weiteren auf einer >>Unablässigen Wissensanhäufung und -Umgestaltung« (Menger 2006: 8). Die Berufsstruktur verschiebe sich in Richtung qualifizierter Tätigkeiten und die Dominanz des industriellen Sektors werde vom sekundären Dienstleistungsbereich abgelöst (vgl. Deutschmann 2002). Die Soziologen Daniel Bell (1996), Ulrich Beck (1986) und Anthony Giddens (1994, 1999) haben die These von der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft in größerem Rahmen publik gemacht. Die Transformation der Arbeitsmarktstrukturen sei mit veränderten kulturellen Werten einhergegangen. Rationalität, Disziplin und Kontrolle als Maßstäbe fordistischer Arbeitsverhältnisse seien im »Postfordismus« von den neuen Idealen der Kreativität, Autonomie und Selbstbestimmung abgelöst worden. In der »wissensbasierten Ökonomie« ersetze eine »Stratifikation nach dem Grad der Verfügung über Wissen« die bisherige »Stratifikation nach Geld, Macht, Herkunft und Prestige« (Münch 2009: 22). Der skizzierte arbeitssoziologische Hintergrund weckt das Interesse an kunstsoziologischer Forschung in zweierlei Hinsicht: Erstens wird den Künstlerl-innen in

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Anschluss an diese Gesellschaftsanalysen eine Vorbildfunktion zugeschrieben. Denn sie fungieren seit dem 19. Jahrhundert als Platzhalter jener Werte, die nun normativ an alle Arbeitnehmerl-innen herangetragen werden. Zweitens expandierten auch kunst- und kulturspezifische Dienstleistungen, die mittlerweile unter dem Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft als eigener Wirtschaftszweig gelten. Dieser Bereich bietet ein neues Untersuchungsfeld, das die Auseinandersetzung mit Kunst in die Nähe der zentralen Forschungsschwerpunkte der soziologischen Disziplin rückt. Alexandra Manske beleuchtet in ihrer Dissertation zur Prekarisierung auf hohem Niveau (2007) die Vorbildfunktion insofern kritisch, als sie entlang einer empirischen Untersuchung der Berliner IT-Branche auch die negativen Auswirkungen freiberuflichen, selbstbestimmten Arbeitens aufzeigt. Sie geht der Frage nach, ob sich das Leben der durchwegs gut qualifizierten Web-Designerl-innen als ein »Zwischenraum von Privilegierung und Prekarisierung« (ebd.: 39) herausbildet und versucht diesen empirisch zu erfassen. So würden die Solo-Selbstständigen und Freelancer zwar in einem »arbeits- und sozialpolitischen Abseits« stehen, »aufgrund ihrer hohen Ressourcenausstattung« seien sie allerdings »in der privilegierten Lage, selbstbestimmte Arbeit zu machen und sozioökonomische Risiken durch soziales und kulturelles Kapital abzupuffern« (ebd.: 223). Bastian Lange verfolgt in seiner Forschungsarbeit zu den Räumen der Kreativszenen (2007) das Ziel einen Strukturtyp des »Culturepreneurs« (ebd.: 21f) auszumachen. Die Analyse des neuen Typs und dessen »kreative, künstlerische und innovative Untemehmenspraktiken« (ebd.: 49) erfolgt einerseits auf der Ebene der Selbstbeschreibungen der Berufspraxis, der Identität, der beruflichen Ziele und Erfahrungen; andererseits werden die Begriffe Unternehmer, Selbstständiger und Kreativer auf ihre kulturelle Bedeutung hin untersucht. Seine Analyse sozialer Praktiken und der symbolischen wie sozialen Konstitution von Räumen (vgl. ebd.: 157) verfolgt er entlang von Fallstudien. Am Ende wird die unternehmerische Praxis der Berliner Kreativwirtschaft und ihr Raumbezug aufschlussreich dargelegt. In ihrer Habilitationsschrift Das Ethos der Kreativen (2006) liefert Comelia Koppetsch einen maßgeblichen Beitrag zur oben skizzierten Forschung über die Funktionsweise des postfordistischen Kapitalismus. Sie legt den Fokus auf die »Kultur- und Symbolwelten des neuen Kapitalismus« (ebd.: 14) und geht dabei in zwei Schritten vor: Einer theoretischen Neubewertung berufssoziologischer Klassiker folgt eine empirische Fallstudie zum Berufsfeld der Werbebranche. Die »Kreativen« zieht sie als beruflichen Akteurstyp für die Analyse des Glaubenssystems, der Ideale und W ertorientierungen des neuen Kapitalismus heran. Die empirische Typenforschung, die den »Habitus« und das Berufsethos der Kreativen beschreibt, fundiert sie entlang einer theoretischen Einschätzung des Strukturwandels, um dergestalt dem »Widerspruch zwischen der Idee persönlicher Selbstverwirklichung

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und den marktbezogenen ökonomischen Austauschbeziehungen und Denkweisen« (ebd.) nachzuspüren. Die soziologische Forschungslandschaft umfasst ferner Arbeiten zum sozialen Feld oder System der Kunst. Dabei werden kunstspezifische Institutionen genauso beleuchtet, wie Kunstdefinitionsprozesse, wodurch neben Künstlerl-innen auch andere Akteure, wie Kuratoren und Kuratorinnen oder Museumsdirektoren und -direktorinnen, in den Blick geraten. Diese Perspektive analysiert zum einen den Einfluss struktureller Bedingungen auf die künstlerische Praxis und ihre Erzeugnisse. Sie trägt somit zum Verständnis der Prozesse bei, die Künstlerl-innen und Kunstwerke als solche hervorbringen. Zum anderen untersucht sie die Macht des institutionellen Geftiges und ihre Verbindung zu politischer und kultureller Hegemonie. Die Welt der Kunst wird also stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verhältnisse, Wandlungsprozesse und Wertmaßstäbe betrachtet. Mangels eines ausschließlich der Kunst gewidmeten Lehrstuhls und in Anbetracht der soeben skizzierten Perspektive sind diese Forschungen an kultursoziologischen und theoretischen Lehrstühlen der Soziologie angesiedelt. Für Kari-Siegfried Rehberg stellt die Kultursoziologie eine Grundlagentheorie des Sozialen dar und somit erklärt er die Kunstsoziologie zu einer zentralen Speziellen Soziologie. Ein Forschungsschwerpunkt Rehbergs liegt auf der Analyse des Einflusses staatlicher Macht auf das Kunstsystem, insbesondere auf die Präsentation und Produktion von Kunst. Viele seiner Arbeiten zur Kunst beleuchten das staatlich reglementierte Kunstsystem der DDR sowie dessen »Freiräume« (vgl. u.a. Rehberg/ Kaiser 2003, Rehberg/Kaiser 1999, Rehberg 2009). LutzHieberund Stephan Moebius setzten sich unter anderem mit künstlerischen Praktiken auseinander, die der bürgerlichen Vorstellung autonomer Kunst zuwiderlaufen. Dabei verfolgen sie deren Entwicklung im historischen Verlauf, thematisieren ihren politischen und gesellschaftskritischen Anspruch und zeigen auf, wie staatliche Kunstinstitutionen, die Kunstförderpolitik und die dominante Kultur einer Gesellschaft eine bestimmte Kunstpraxis fördem oder hemmen bzw. sogar verhindem können. 1995 brachten Kari-Siegfried Rehberg, Lutz Hieber und Stephan Moebius einen Band heraus, der kritische Abhandlungen zur Situation der staatlichen Museumslandschaft in Deutschland zusammenträgt. Die Texte basieren auf Vorträgen einer Tagung der DOS-Sektion Kultursoziologie zu »Grenzen der Freiheit oder Paradoxien musealer Präsentation«, die intendierte, der pauschalen Beurteilung von staatlich reglementierter DDR-Kunst auf der einen und freier BRD-Kunst auf der anderen Seite eine Analyse der Ausschlussmechanismen des westlichen Kunstsystems gegenüberzustellen. In einem weiteren Sammelband (Hieber/Moebius 2009) vereinen sie Beiträge, die sich mit historischen wie gegenwärtigen avantgardistischen Praktiken beschäftigen. In einem 2011 erschienenen Band sammeln Lutz Hieber und Stephan Moebius wiederum Beiträge zur Asthetisierung des Sozialen. Sie widmen sich nunmehr der These einer Ausdehnung ästhetischer Praktiken, die mit einer Versinnli-

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chung von Gegenständen, Wahrnehmungen und Erfahrungen einhergehe und somit die Grenzen des Feldes hoher Kunst überschreite. Medial-ästhetische Praktiken werden kultursoziologisch auf ihren Stellenwert im »Kampf um Bedeutungen« (ebd.: 12) untersucht. In diesem Zusammenhang ist noch eine weitere interessante soziologische Studie zu erwähnen, die 20 I 0 unter dem Titel Konsum und Exklusion erschien (Bosch 2010). In ihrer kultursoziologisch angelegten Armuts- und Arbeitslosenforschung geht Aida Bosch der Frage nach, ob Milieus sich nur mehr mittels medialer Bilder und Konsumobjekte identifizierten und welche Auswirkungen dies auf Menschen habe, die aus der Welt des Konsums ausgeschlossen sind. Nach einem theoretischen Entwurf zu einer »Soziologie der Dinge« und einer Analyse der Warenform im kapitalistischen Wirtschaftssystem untersucht die Autorirr empirisch, welchen Einfluss die »Dingwelt« auf die Identität der Menschen nimmt. Die Kulturbetriebsforschung ergänzt die kultursoziologische Perspektive mit wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen, um der Entstehung von Kulturgütern auf die Spur zu kommen. Sie fragt danach, wie kulturelle Symbole, Artefakte und Handlungen zu Gütern und Leistungen transformiert werden. Da die Produktion von Kulturgütern nicht ausschließlich auf ökonomische Gesichtspunkte reduziert werden könne, müssten die betriebswirtschaftliehen Instrumente durch kultur- und sozialwissenschaftliche Methoden ergänzt werden. Der Ansatz dient der Analyse von Organisationen der Kulturwirtschaft und berücksichtigt sowohl den Einfluss der Kulturpolitik als auch die Ebene der kulturproduzierenden Akteure. Ziel der Forschung ist, neue Erkenntnisse im Bereich des Kultunnanagements anzuwenden, um so nachhaltige und zukunftsfahige Lösungen zu finden (vgl. u.a. Zembylas/ Tschmuck 2006). Der Soziologe Volker Kirchberg veröffentlichte zahlreiche Texte zur Analyse des Kulturbetriebs und seiner Institutionen. Dabei verwendet und entwickelt er neue Organisationstheorien, um die dynamischen Umfeldfaktoren von Kulturorganisationen fassbar zu machen (vgl. u.a. Kirchberg 2005 , Kirchberg 2006). Volker Kirchberg ist Professor an der Universität Lüneburg, einer der wenigen Universitäten, die einen Schwerpunkt auf Kulturwissenschaft legt. An der Fakultät flir Kulturwissenschaften wurde am Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung, Kiinste (JKKK) eine eigene Abteilung zur Soziologie der Künste und Kultur eingerichtet. In seinen aktuellen Projekten beschäftigt sich Volker Kirchberg unter anderem mit der »Bedeutung von Kunst und Kultur ftir die Stadtentwicklung« oder betreibt Besucherforschung, wie im Projekt »eMotion - das psychogeographische Museum: mapping museum experience«. 1 Der ebenfalls in dieser Abteilung tätige

Vgl. http://v.rv.rw.leuphana.de/volker-kirchberg/forschung-projekte/forschung.html#c 13 10 83 vom 10.10.2011.

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Christoph Behnke führte kunstsoziologische Projekte zu »Artist in Residence«Programmen (Behnke/Dziallas/Gerber/Seidel 2008, Behnke 2009) und zu »Kunstsammlungen in Unternehmen« (Behnke 2007) durch. Nicht zuletzt sind jene Arbeiten des Lüneburger Soziologen Ulf Wuggenig zu erwähnen, in denen er entlang Bourdieus Konzept des sozialen Feldes vorgeht. Die Kunstszene der Städte Harnburg, Wien, Paris und in einer neueren Studie Zürich waren ihm Untersuchungsfelder seiner umfangreichen quantitativen Erhebungen. In korrespondenzanalytischen Auswertungen des Materials untersucht er die W ertorientierungen, Lebensstile, Handlungsweisen und die Verteilung der Kapitalsorten. Um die Grenzen des Feldes auszuloten, nimmt er sowohl Laien als auch professionelle Akteure des Feldes in den Blick. Ihm geht es um die Frage, wie sich künstlerische Praxisbereiche, ausgedrückt durch unterschiedliche Werte, Handlungen und Ressourcen zwischen der Peripherie und dem Zentrum des Feldes verteilen (vgl. u.a. Tarnai/Wuggenig 1996, Tarnai/Wuggenig 1998, Wuggenig 1997a, Wuggenig 1997b). Eine weitere Studie zu »Artist in Residence«-Programmen liefert Andrea Glauser mit ihrer Dissertation Verordnete Entgrenzung (2009). Sie beleuchtet dabei den Einfluss der institutionellen Einbindung auf die Subjektkonstruktionen der Künstler/-innen. Während der Aufenthalte sind die Künstlerl-innen in Strukturen eingebunden, die handlungs- und deutungsweisend sind und insofern die künstlerische Subjektivität beeinflussen. Deshalb stellt die Autorin die Frage, welche Künstlerf-innen-Bilder und Vorstellungen künstlerischer Arbeit den Förderprogrammen zugrunde liegen. Neben einer strukturellen Analyse des Praxisgebietes von Förderprogrammen rekonstruiert Glauser entlang von Fallanalysen die Perspektive der Künstler/-innen, deren »Positionierungen« im Rahmen dieser Praxis. Sie enttarnt die Freiheit der Kunst als »idealisierende Abstraktion, um nicht zu sagen Illusion« und fordert, dass in der künstlerischen Praxis der Einfluss kulturpolitischer Maßnahmen auf die Kunstproduktion reflektiert werden sollte ( ebd.: 275). Nina Zahner führt in ihrer Dissertation Die neuen Regeln der Kunst (2006) eine Analyse des künstlerischen Feldes in den Vereinigten Staaten der 1960er Jahre durch. Das Untersuchungsobjekt ihrer Fallstudie ist Andy Warhol, »als der wichtigste und radikalste Vertreter der Pop Art«, die wiederum »eine egalitäre Kunstauffassung vertrat, die die Idee der Autonomie der Kunst radikal in Frage stellte« (ebd.: 92). Die umfangreichen Sekundärdaten zu seiner Person dienen ihr als Datenmaterial. Entlang der Rekonstruktion der Künstlerkarriere Andy Warhals untersucht sie, wie Kunstdefinitionsprozesse funktionieren. Dabei verfolgt sie das Ziel die »institutionellen Ausdifferenzierungs- und Transformationsprozesse« (ebd.: 90) sichtbar zu machen. Bourdieus Studie zum literarischen Feld in Frankreich nimmt sie zum Anlass einer erneuten Überprüfung seiner damaligen Ergebnisse. Sie kommt zu dem Schluss, dass Museen ihren »Status als Konsekrationsinstanzen« (ebd.: 280) verloren haben und es zu einer »Demokratisierung des Prozesses der Kunstzuweisung« (ebd.: 291) gekommen sei. An die Stelle der Subfelder der einge-

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schränkten Produktion und der Massenproduktion sei in einer »Überschneidungszone« das »Subfeld der erweiterten Produktion« (ebd.: 241ft) entstanden. In den 1960er Jahren hätten sich zum einen die Kunstrichtungen ausdifferenziert und pluralisiert, zum anderen habe sich das Feld auf neue der Mittelschicht entstammende Künstler-, Sammler- und Publikumstypen ausgedehnt. Diesen Prozess wertet Zahner als »Demokratisierung« des künstlerischen Feldes (ebd.: 292). Die Entwicklung habe auch dazu geführt, dass die »Logik« der Anti-Ökonomie von einer »Inklusion marktförmiger Logiken« ( ebd.: 290) abgelöst worden sei. Abschließend soll noch eine Studie Erwähnung finden, die sich mit dem Einfluss struktureller Veränderungen auf die Praxis des künstlerischen Feldes auseinandersetzt In seiner Arbeit Mediamorphosen des Kulturschaffens (2002) untersucht Alfred Smudits die Auswirkungen neuer Entwicklungen im Bereich der Medien und Kommunikationstechnologien auf die Produktion von Kunst. In dem sich seit dem 19. Jahrhundert vollziehenden Wandel macht er vier Mediamorphosen aus, die jeweils neue Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten für Künstlerl-innen mit sich brachten. Neben der historischen und strukturellen Perspektive, die die soziale Praxis als Konstruktion offenbart, analysiert Smudits künstlerische Praktiken als »Sinndeutungen und Sinnproduktionen« (ebd.: 207), in denen verschiedene Klassen ihre Werte und Normen zum Ausdruck bringen. Kunst stehe somit immer im Verhältnis zur Macht, werbe stets für die »Ideologie einer gesellschaftlichen Gruppierung« (ebd.: 208). Auf diese Weise richtet er den Blick auf die Herrschaftsverhältnisse im Feld, denn nicht jede Praxis habe die Macht ihre Ideologie durchzusetzen und auch der Zugang zu den jeweiligen neuen Technologien sei sozial begrenzt. Meine Darstellung des Forschungsstandes der Kunstsoziologie in Deutschland beginnt in den 1970er Jahren, einer Zeit, in der sich »Wesenscharakterstudien«, die marxistische Kunstphilosophie und eine sich neu formierende empirische Kunstsoziologie gegenüberstanden. Die empirische Kunstsoziologie teilte weder die marxistische Kritik am bürgerlichen Kunstbegriff, noch erklärte sie es zu ihrer Aufgabe, das Wesen der Kunst zu ergründen. Die Bestimmung einer ästhetischen Essenz des Künstlerischen überließ sie der Kunsttheorie. Die Untersuchungen fokussieren nicht auf das Kunstwerk; fragen nicht, warum es sich dabei um Kunst handelt. Den ästhetischen Gehalt von Kunst festzulegen, obliege kunstinternen Prozessen. Einzig über die Wirkung auf das Publikum bzw. seine Rezeptionsweise lasse sich die Bedeutung von Kunstwerken soziologisch erfassen. Die empirische Kunstsoziologie beschäftigte sich vorrangig mit dem Kunsterlebnis, der Rezeptionsweise. Die damaligen Bemühungen, Kunstsoziologie innerhalb der deutschen Forschungslandschaft als Spezielle Soziologie und somit als anerkannten Forschungszweig zu etablieren, erreichten erst drei Jahrzehnte später wieder ein ernstzunehmendes Ausmaß. Die heutige Kunstsoziologie hat einen zentralen Schwerpunkt bei meist empirisch fundierten theoretischen Abhandlungen zur Kunstproduktion. Mit Verweis auf arbeitssoziologische Analysen werden strukturelle Bedingungen und

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kulturelle Wandlungsprozesse in der Gesellschaft bzw. in der Arbeitswelt und deren Einfluss auf die künstlerische Praxis untersucht. Der berufssoziologische Blick auf die Kunstproduktion erklärt den schöpferischen Akt zu einem Beruf, davon ausgehend erweitem die arbeitssoziologischen Studien den Kreis künstlerischer Tätigkeitsbereiche. Neue, nunmehr als kreativ bezeichnete, Tätigkeiten werden untersucht und Parallelen zu althergebrachten künstlerischen Berufen gezogen. Ihre Annahme einer Expansion fundieren diese Studien mit Analysen des Arbeitsmarktes und dabei erstellten Befunden einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Die (arbeits-)soziologischen Studien geben- mit Verweis auf soziologische Klassiker wie Emile Durkheim (1992), Max Weber (1988) oder Talcott Parsons (1954)- in ihren Analysen einen Hinweis darauf, dass die strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt mit einem kulturellen Wandel einhergehen. Die Studien haben gemeinsam, dass sie die künstlerische Kreativität als individuellen Wesenszug den äußeren Zwängen struktureller und kultureller Begebenheiten gegenüberstellen. Die Studien nehmen das künstlerische Subjekt als gegeben an und hinterfragen nicht, warum es sich bei dem Arbeitsprodukt um ein Kunstwerk handelt. Auf meiner Suche nach Studien zum künstlerischen Selbstverständnis stieß ich großteils auf kunstwissenschaftliche Arbeiten. Sozialhistorische Arbeiten stellen Künstlerl-innen-Eilder in den Kontext historischer Gesellschaftsstrukturen und Arbeitsbedingungen. Aktuelle kunstwissenschaftliche Studien beschäftigen sich erstmals mit Künstlerf-innen-Bildern als Leitbilder für das künstlerische Selbstverständnis und versuchen, Künstlertypen entlang des Konzepts der >>Autorenschaft« zu systematisieren. Ähnlich dem kunstwissenschaftliehen Ordnungssystem der Kunstwerke will dieser Forschungszweig ein System von Künstler/-innen-Bildem etablieren. Diesem Anliegen liegt die Annahme zugrunde, dass das künstlerische Selbstverständnis sozial konstruiert ist und innerhalb des Kunstsystems bestimmte, meist männlich konnotierte Bilder dominieren. Dieser Annahme folgen auch jene kunstsoziologischen Studien, die mit den analytischen Konzepten des sozialen Systems (Luhmann) oder des sozialen Feldes (Bourdieu) arbeiten. Beide Ansätze gehen von der Existenz eines spezifischen Wirkungsbereichs der Kunst aus, der seiner eigenen Logik folgt. Ein Schwerpunkt dieser Studien liegt auf der Untersuchung von Kunstdefinitionsprozessen. Abstrahiert die Systemtheorie von den Personen auf Kommunikationen und darin zum Ausdruck kommende Strukturfunktionen, nehmen Forschungen, die sich auf das Konzept der sozialen Felder beziehen, die Praxis der mit Kunst beschäftigten Akteure und die strukturellen Bedingungen ihres professionellen Tuns in den Blick. Eine Feldanalyse nimmt das Wechselspiel zwischen institutionalisierten Strukturen und den Sichtweisen und Handlungen der Personen in den Blick. Die Figur des Künstlers und die Definition von Kunst sind hier Ausdruck sozialer Prozesse. Prozesse, die stets auch soziale Kämpfe sind und somit gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegeln.

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Im Kapitel »Die Fragestellung« führe ich aus, welche Forschungsperspektive ich ausgehend vom Konzept der sozialen Felder einnehme. Im Mittelpunkt meines Forschungsinteresses stehen Fragen, die in anderen kunstsoziologischen Arbeiten nur selten gestellt werden: Was ist Kunst und was ist ein Künstler oder eine Künstlerin? Um erklären zu können, welche Perspektive auf diese Fragen ich einnehme, wenn ich sie mit dem Konzept der sozialen Felder bearbeite, werde ich zunächst die epistemologischen und methodologischen Prämissen des Forschungsansatzes von Pierre Bourdieu verdeutlichen.

Empirisches Forschen mit Pierre Bourdieu

Aktuell sind innerhalb der Soziologie in Deutschland verstärkt Bemühungen erkennbar, die mittlerweile zahlreichen Forschungen, die sich dem Denken Pierre Bourdieus verpflichtet fühlen, zu strukturieren und zu jeweils eigenen Forschungsschwerpunkten herauszubilden. Versuchen die einen die Feldanalyse als Forschungsprogramm (Bemhard/Schmidt-Wellenburg 2012a, c) zu etablieren, formiert sich eine Soziologie der Praktiken durch kulturwissenschaftlich angereicherte theoretische und empirisch-analytische Reflexionen zum Begriff der Praxis (vgl. Suber/ Schäfer/Prinz 2011 , Schmidt 2011, Schmidt 2012). Andere Forschungsarbeiten stellen wiederum die methodologischen und erkenntnistheoretischen Prämissen und ihre Umsetzung in der konkreten empirischen Forschungsarbeit in den Mittelpunkt (vgl. Beaufays 2003, Brake/Bremer/Lange-Vester 2013, Engler 2001). In meiner empirischen Studie wende ich das Konzept der sozialen Felder als analytisches Werkzeug an. Welche epistemologischen und methodologischen Grundsätze aus dieser Herangehensweise resultieren, soll mit den folgenden Ausführungen zu Pierre Bourdieus soziologischem Denken verdeutlicht werden. Pierre Bourdieu verwendet selten den Begriff Gesellschaft, sondern stets Begriffe wie »soziale Welt« oder »soziale Praxis« (vgl. Krais 2001a: 328). Die Welt ist für ihn kein abstraktes Gebilde und keine starre Struktur, vielmehr besteht sie aus einem »Miteinander und Gegeneinander« von Menschen (Krais 2004: 202). Er spricht von »agent, vom >Agent der Gesellschaft«>besondere Klasse der >Herren der symbolischen Ordnungenherrschende Klassen< zu erkennen geben. Ein nicht unerheblicher Teil seiner Arbeit kreiste um Kultureliten. (Beaufays/Moser 2013: 249)

Im zweiten Teil seiner umfangreichen Studie zum literarischen Feld, die den Titel Die Regeln der Kunst (200 1) trägt, fasst Bourdieu »allgemeine Merkmale der Felder kultureller Produktion« (ebd.: 340ft) zusammen. Dabei bezieht er stets auch seine Erkenntnisse zum Feld der Malerei bzw. zur künstlerischen Produktion ein. In Folge werde ich die flir meine Studie zentralen »Eigenschaften von Feldern« (Bourdieu 1993 b: I 07ff) mit Fokus auf das künstlerische Feld darlegen. Die Herausbildung »relativ autonomer« Felder der Kulturproduktion hatte den Wegfall einer unangefochtenen kulturellen Definitionsinstanz zur Voraussetzung. Die soziale Praxis des künstlerischen Feldes ist die Suche nach einer Definition von Kunst, der Künstlerin bzw. des Künstlers, die nie zu einem Ende kommt. Es handelt sich um die »Stätte eines Kampfes um die Definition« (Bourdieu 2001 : 355), deren unterschiedliche Parteien zu keiner Einigung über den einen Begriff gelangen. Die Begriffe von Kunst und Künstlerl-innen geben daher stets den »Stand des Kampfes um die legitime Definition« wieder und niemals eine »universelle Definition« (ebd.). In der sozialen Praxis werden Grenzen zwischen Produktionsweisen, Disziplinen und Gattungen gezogen und gemäß der Logik der Konkurrenz werden dabei stets Hierarchien erzeugt. Bourdieu macht für die Felder der Kulturproduktion »zwei Hierarchisierungsprinzipien« (ebd.: 344) fest, die je nach Ausmaß der Autonomie unterschiedlich stark ausgeprägte Pole hervorbringen. Das »heteronome Prinzip« bevorzugt Akteure, die ökonomisch und politisch einflussreich sind, das »autonome Prinzip« hingegen jene, die sich von materiellen Interessen unabhängig erklären (ebd.). Im Laufe des Autonomisierungsprozesses entwickelte sich das künstlerische Feld zum »Gegenbild der ökonomischen Welt« (ebd.: 342), seine Logik dreht das Gesetz des materiellen Profits in sein Gegenteil ( vgl. Bourdieu 1993a:

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29-73). Das autonome Prinzip bestimmt also die feldinterne Anerkennung, wohingegen das heteronome Prinzip den Erfolg »beim >breiten Publikumpersönlichen Entscheidungen< in dem Sinne, dass sie Maßstäbe anlegen, die sie sich selbst ausgedacht haben. Vielmehr verkörpern die Akteure genau die Ein- und Aufteilungen des Feldes, die es zu dem machen, was es ist und die auch die Wahrnehmungsschemata derer prägen, die Teil desselben sind. [ . .. ]Damit gibt es keine Möglichkeit, einen Künstler und ein Kunstwerk losgelöst von den Machteffekten des Feldes, in dem sie produziert werden, zu sehen. Kunst ist damit immer auch selbst Machteffekt, wird nur hervorgebracht durch die und in der herrschenden Ordnung des Feldes. In diesem Sinne werden auch Künstler und Künstlerinnen, werden Kunstwerke als soziale Konstrukte hervorgebracht. [ . . .] Bourdieus Zugriff ist somit konstruktivistisch bis in die letzte Konsequenz, insofern auch die eigenen Prämissen als konstruierte betrachtet und analysiert werden. Auch diese Konstruktionen sind niemals machtfrei und es ist keine Praxis denkbar, die machtfrei wäre. (Beaufays/Moser 2013: 246-249)

In Bezug auf die kulturproduzierenden Felder stellt Bourdieu eine »erstaunlich starke Korrespondenz [ .. .] zwischen dem Raum der Positionen und dem Raum der Dispositionen ihrer Inhaber« (Bourdieu 2001: 375) fest und beschreibt diese Relation als dialektisch (vgl. ebd.: 419ff) . Die anti-ökonomische »Logik« des künstlerischen Feldes begünstigt Dispositionen, die eher in »mit gehobener Herkunft verbundenen Lebensbedingungen« entstehen (ebd.: 414). »Kühnheit und Gleichgültigkeit gegenüber materiellen Gewinnen«, ein »Sinn für Platzierungen« und der Mut »sich den riskantesten Positionen zuzuwenden« hängt »zum Großteil von der Ver-

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fligung über ein bedeutendes ökonomisches und symbolisches Kapital« ab (ebd.: 413f). Die soziale Herkunft kann allerdings nicht als »Ausgangspunkt einer linearen Serie mechanischer Determinierungen« (ebd.: 406) betrachtet werden. Ausschlaggebender für die Positionierung sind die strukturellen Feld-Effekte und die »Intensität der Konkurrenz«, mit denen »Neulinge« konfrontiert sind, und welchen »Raum des Möglichen« sie von ihrem Standpunkt aus wahrnehmen können (ebd.). Trotz der festgestellten Korrespondenz zwischen den »Positionen« und den »Dispositionen« ihrer Inhaberl-innen sind im künstlerischen Feld die Grenzen durchlässiger und der »Ausgang ungewisser« (ebd.) als in anderen Feldern. Eine Besonderheit des literarischen und künstlerischen Feldes ist ihr »sehr geringes Ausmaß an Kodifizierung« (ebd.: 358). Feldinterne Regeln und Grenzziehungen, sowie Berufsmerkmale und Legitimitätsprinzipien unterliegen einem permanenten Wandel. Die Felder sind >>Unsichere Orte« mit »vagen Positionen« (ebd.), weshalb die Grenzen zwar durchlässig, eine Teilnahme an der Praxis aber stets ein risikoreiches Unterfangen ist. Dies bewirkt, dass die Akteure zum einen in ihrer sozialen Herkunft und ihren Einstellungen zum künstlerischen Beruf differieren, zum anderen es aber stets »genügend Selbstsicherheit und anderen Sicherheiten« (ebd.) bedarf, um darin bestehen zu können. Um das »fast wundersame Zusammentreffen von Habitus und Feld, von einverleibter und objektivierter Geschichte« (ebd.: 122) zu ergründen, zieht Bourdieu die Metapher des Spiels heran. Beim Spiel zeigt sich das Feld (d.h. Spielraum, Spielregeln, Einsätze usw.) eindeutig, wie es ist, nämlich als willkürliche und künstliche soziale Konstruktion, als ein in allem, was seine Selbständigkeit definiert, also in expliziten und spezifischen Regeln, in strikter Begrenztheit und Außergewöhnlichkeit von Raum und Zeit zum Ausdruck kommender Artefakt. (Bourdieu 1999: 123)

Die objektive Struktur legt das Spielfeld fest, auf dem die Mitspieler agieren und ihre Erfahrungen sammeln. Der »Sinn für das Spiel« (ebd.) bewirkt, dass die Akteure dem Spiel Bedeutung zumessen und »derart im Spiel >aufgehenschöpferischen Tunsillusio»objektivemachtneutrale< Haltung gegenüber dem Alltagswissen« möglich und es wird Macht ausgeübt, »wenn man die Kategorien der Wissenschaft auf die Praxis anderer anwendet, ohne diese Kategorien als solche kenntlich zu machen« (Beaufays 2003: 62f). Jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin nimmt einen besonderen Standpunkt im Feld der Wissenschaft ein und verfolgt mit ihrer oder seiner Forschung auch das pragmatische Interesse, diesen zu verbessern. Die Akteure sind somit niemals unabhängig von dem sozialen Gefüge, in dem sie stehen, und wenden in ihrer Tätigkeit stets Instrumente an, die diesem entspringen und die ihre eigenen Wahrnehmungsschemata geprägt haben und prägen. Deshalb fordert Bourdieu, dass Wissenschaftlerl-innen j ene Konstruktionsnormen hinterfragen, die sie selbst im Verstehensprozess anwenden. Dabei geht es zum einen darum, »Distanz zu den ei-

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genen Präkonstruktionen« (Beaufays 2003: 63) zu gewinnen und mit den »Begriffen und Traditionen des Fachs« (Krais 2001a: 329) zu brechen. Zum anderen muss die Position des wissenschaftlichen Akteurs als ein »Standpunkt im Hinblick auf einen Standpunkt« (Bourdieu 1997: 802) erkannt werden und das bedeutet, dass die Wissenschaftlerl-innen stets »in einer relationalen Position zur analysierten Praxis« (Beaufays 2003: 66) stehen. Ohne eine Reflexion der sozialen Unterschiede zwischen den Forschern und Forscherinnen und den Befragten kann wissenschaftliches Verstehen dem »Objekt«, dem Forschungsgegenstand, nicht gerecht werden, wie Bourdieu in folgendem Zitat noch einmal verdeutlicht: Nur in dem Maße, wie er fähig ist, sich selbst zu objektivieren, kann er an dem Platz bleiben, der unauslöschlich der seine in der gesellschaftlichen Welt ist, und sich gleichzeitig an den Ort begeben, an dem sich sein Objekt befindet [ ... ], und so dessen Standpunkt einnehmen, das heißt verstehen, daß er, wäre er, wie man so schön sagt, an dessen Stelle, zweifellos wie jener sein und denken würde. (Bourdieu 1997: 802)

Robert Schmidt konstatiert, dass in Bourdieus Arbeiten zwar »die konzeptionellen Mittel bereit« (Schmidt 20 II: 97) gestellt werden, um die eigenen Erkenntnismittel zu reflektieren. Bourdieu bleibe allerdings bei einer bloßen »Gegenüberstellung von Praxis und Scholastik« (ebd.) stehen. Darüber hinausgehend müsse »die praxeologische Erkenntnisweise auf die Analyse der Praktiken des Forschens und Theoretisierens ausgedehnt werden« (ebd.). Auf diese Weise können soziologische Erkenntnismittel reflektiert im Forschungsprozess eingesetzt werden und dergestalt ihre »Eigenschaften, Merkmale und Leistungen« (ebd.) überhaupt erst entfalten. Nun stellt sich die Frage, wie wissenschaftliches Verstehen laut Pierre Bourdieu möglich ist. Eine soziologische Analyse, die seinem Forschungsansatz folgt, interessiert sich weder für den subjektiven Sinn von Handlungen, noch führt sie diese auf persönliche Eigenschaften der Akteure zurück (vgl. ebd. : 95). Nicht die »Innenwelt der Subjekte« soll mit Bourdieus Erkenntnismittel erhellt werden, »sondern eine in Gegenständen, Handlungen und Äußerungen von Akteurinnen erfassbare und erfahrbare Welt« (Engler 2001: 119). Weil die »soziale Welt immer nur als konstruierte, sozial vermittelte wahrgenommen werden kann« ( ebd. : 82), ist kein objektiver Blick auf die Wirklichkeit möglich. Wie Menschen wahrnehmen, denken, fühlen und handeln, ist subjektiv, aber »nicht individuell im Sinne eines substantialistischen Ursprungs oder Kems im Subjekt« (ebd.: 130). Das Subjektive, die Wahmehmungs- und Bewertungsschemata, genauso wie die »stillschweigenden Vorannahmen des gesunden Menschenverstandes« (Bourdieu 1997: 795) werden in der sozialen Praxis hervorgebracht, »in der sie selbstverständlich und daher als soziale Konstruktionen nicht unmittelbar sichtbar sind« (Beaufays 2003: 66). Die Akteure leisten in ihrem Handeln Konstruktionsarbeit Die dabei zur Anwendung kommenden Unterscheidungsmerkmale lassen sich jedoch nicht aus den situativen

EMPIRISCHES FORSCHEN MIT PIERRE B OURD IEU

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Kontextbedingungen erklären. »Vielmehr konstruieren Akteurinnen die soziale Welt in Formen und in Kategorien, die sie nicht selbst herstellen, denn das, was Bourdieu als soziales Feld bezeichnet, hat immer auch eine historische Dimension« (Engler 2001: 118, FN 102). Sowohl wie ein Mensch agiert, als auch was das Agieren schließlich für andere bedeutet, ist abhängig von den sozialen Begebenheiten. Mit Bourdieu gesprochen, können Handlungen nur verstanden werden, wenn zum einen die Eingebundenheit des Akteurs in die soziale Praxis eines Feldes und zum anderen seine »Position« im sozialen Raum berücksichtigt wird. Je nach dem in einem Feld herrschenden Kräfteverhältnis können Handlungen völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Weil sich dieses Verhältnis stets wandeln kann, muss eine soziologische Analyse sowohl den Zustand des Feldes zu einem gegebenen Zeitpunkt, als auch die historischen Einflüsse, die zu diesem Zustand geführt haben, einbeziehen. Warum ein Mensch so gehandelt hat, kann wiederum nur rekonstruiert werden, wenn die »objektiven«, sozialen Bedingungen reflektiert werden, in denen er sozialisiert wurde. Es geht darum, »ein generelles und genetisches Verständnis der Existenz des anderen anzustreben, das auf der praktischen und theoretischen Einsicht in die sozialen Bedingungen basiert, deren Produkt er ist« (Bourdieu 1997: 786). Das Erkenntnisziel einer soziologischen Analyse im bourdieuschen Sinne ist, die »Bedeutung und Konstrukte zu verstehen, mit denen die Akteurinnen ihr Handeln interpretieren« (Engler 2001: 121). Das Ziel der Feldforschung ist, die spezifische »Logik« eines Feldes zu »entdecken« (vgl. Bemhard 2012c: 37). Für Bourdieu ist soziologisches Verstehen eine »realistische Konstruktion« (1997: 793), die einen >>doppelten Bruch« (1998: 83) mit Präkonstruktionen zur Voraussetzung hat. Neben der oben erläuterten Reflexion des eigenen Standpunkts und der wissenschaftlichen Kategorien müssen auch die Kategorien des Alltags hinterfragt und rekonstruiert werden. Zunächst muss es den Wissenschaftlerl-innen gelingen, mit dem eigenen Standpunkt zu brechen und die soziologischen Erkenntnismittel so zu reflektieren, dass sie fruchtbar angewendet werden können. Denn dies ist »die Voraussetzung, um eine Nähe zu den Befragten herzustellen, die bedingt, sich gedanklich in die Lage zu versetzen, sich an den sozialen Ort zu begeben« (Engler 2001: 121). Und diese Nähe ermöglicht, die Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata der Akteure zu verstehen und die soziale Praxis aus ihrer eigenen »Logik« heraus zu analysieren.

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DAS QUALITATIVE INTERVIEW Im Zentrum qualitativer Interviews steht die Frage, was die befragten Personen für relevant erachten, wie sie ihre Welt beobachten und was ihre Lebenswelt charakterisiert. (Froschauer/ Lueger 2003: 16)

Das soeben beschriebene Forschungsinteresse Pierre Bourdieus und die sich daraus ergebenden Leitlinien für die empirische Arbeit rücken seine Soziologie in die Nähe qualitativer Sozialforschung. Denn auch sie stellt die Perspektive der Menschen in den Mittelpunkt und erhebt den Anspruch, den Einfluss der Beobachterstandpunktes zu kontrollieren und zu reflektieren. Bourdieus umfangreiche empirische Arbeit ist geprägt von einem »methodologischen Polytheismus, dem die Spaltung in qualitative und quantitative Zugänge in der Tradition[ ... ] der deutschen Sozialwissenschaften fremd ist« (Wuggenig 2011: 492). In seiner, der Studie Das Elend der Welt angehängten, Abhandlung zum Verstehen (Bourdieu 1997: 779ft) plädiert er schließlich für den Einsatz einer Befragungsmethode, die dem >>qualitativen Interview« (vgl. Froschauer/Lueger 2003) nahekommt An dieser Stelle sieht Bourdieu das qualitative Erhebungsinstrument als Bedingung seiner soeben erläuterten soziologischen »Konstruktions- und Verstehensarbeit« (Bourdieu 1997: 780). Eine Interviewsituation, folgt sie nun quantitativer oder qualitativer Methodik, hat wenig mit einem alltäglichen Gesprächsverlauf gemein. Dennoch handelt es sich um eine »soziale Beziehung« (ebd.), deren Konstellation das Gesagte beeinflusst. Aus diesem Grund müssen mögliche »Effekte« (ebd.), z.B. der sozialen Distanz der Interviewpartner!-innen, auf den Gesprächsverlauf erkannt und kontrolliert werden. Ein Soziologe, eine Soziologin sollte laut Bourdieu während des Interviews eine »reflexartige Reflexivität« zur Anwendung bringen. Die sozialwissenschaftliehe Methodik sollte soweit verinnerlicht sein, dass sie »praktisch verfügbar gemacht werden« kann (ebd.: 797, FN 14, Herv.i.O.), um dergestalt bereits in der Interviewsituation möglichen Verzen·ungen entgegenwirken zu können. So hängt zum Beispiel die Bereitschaft, an einer Studie teilzunehmen, davon ab, wie Personen Informationen zu den Forschungszielen und -fragen auffassen und dies beeinflusst wiederum, wie sie Dinge darstellen, was sie betonen oder verschweigen. Aus diesem Grund sollten die Wissenschaftlerl-innen weniger Aufmerksamkeit auf die in Ihrem Sinne >korrekte< Darstellung ihres Forschungsinteresses legen, als vielmehr auf die Formulierung einer Einstiegsfrage, die der Lebenssituation des Befragten gerecht wird. Am Beginn eines qualitativen Interviews sollte eine »offene Frage« (vgl. Froschauer/Lueger 2003: 76) stehen, die der Person einen breiten Antwortrahmen bietet und einen möglichst umfangreichen Erzählfluss anzuregen vermag. Dies kann zum Beispiel erreicht werden, indem die Person nach einem selbst erlebten Ereignis gefragt wird. Im Vorfeld eines qualitativen Interviews stehen daher

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umfangreiche Recherchen zur derzeitigen Lebenssituation und den sozialen Bedingungen, in die die Person eingebunden ist. Der durch die Einstiegsfrage generierte Erzählfluss wird in Folge durch Gespräch generierende Beiträge unterstützt. Der Interviewer oder die Interviewerirr muss sich derart »auf das Spiel« einlassen, dass er oder sie in der Lage ist, stets »neue, sinnvolle Fragen zu improvisieren«, Fragen, >>die sich auf eine intuitive und provisorische Repräsentation des dem Befragten eigenen Grundmotivs stützen« (Bourdieu I997: 787). Dieses Einlassen gelingt umso leichter, je vertrauter dem Interviewer das Sprachniveau, die verbalen und nonverbalen Signale und die von seinem Partner angewendeten Kategorien und Konstrukte sind. Dieses »Einvernehmen« (ebd.: 783) kann nicht nur über die soziale Nähe der Gesprächspartnerl-innen erreicht werden. Ohne die gesellschaftliche Distanz zwischen ihnen und ihren Befragten zu leugnen, können Sozialwissenschaftlerl-innen durch die Art und Weise, wie sie Fragen stellen und formulieren ein Vertrauensverhältnis herstellen. Bourdieu verwendet Worte wie »soziale Aufrichtigkeit«, »hingebungsvolle Offenheit«, »Respekt« und »Aufmerksamkeit« für das Gegenüber und spricht von der Bereitschaft, sich die »Probleme des Befragten zu seinen eigenen [VM: zu machen], ihn zu nehmen und zu verstehen, wie er ist« (ebd.: 788f). Um eine solche Situation des Einvernehmens zu erreichen, bedarf es einer Schulung des »aktiven und methodischen Zuhörens« (ebd.: 782). Im Vergleich zu einem Alltagsgespräch nehmen sich die Interviewerl-innen bewusst zurück und versuchen auf »verständliche, ruhige und motivierende Art und Weise« dem Befragten in seiner Erzählung zu folgen und zu unterstützen, wodurch dieser in der »Situation einen Sinn erkennen kann« (ebd.: 786). Die Andersartigkeit der Gesprächsform, die eine Person in den Mittelpunkt rückt und dieser unbegrenzten Raum bietet, sich darzustellen und zu erklären, macht die Besonderheit eines qualitativen Interviews aus. Die Befragten werden dadurch nicht nur zu Gebenden, die einer bittenden Forscherirr einen Gefallen tun, sondern sie werden zu Nehmenden, denen die Chance geboten wird, in Ruhe ihre Sicht der Welt zu erzählen. Bourdieu erläutert diese Besonderheit eines qualitativen Interviews, wie folgt: Indem der Interviewer mit dem Befragten in eine vollkommen außergewöhnliche Kommunikationssituation eintritt, die von den - vor allem zeitlichen - Zwängen befreit ist, die auf den meisten Austauschbeziehungen des täglichen Lebens beruhen, und indem er ihm Alternativen eröffnet, die ihn dazu bringen oder es ihm erlauben, sein Unbehagen, seine unerfüllten Bedürfnisse und Wünsche zur Sprache zu bringen, di e er manchmal erst durch dieses ZurSprache-Bringen entdeckt, trägt dazu bei, die Bedingungen für das Zustandekommen eines außergewöhnlichen Diskurses zu schaffen, der sonst nie hätte gehalten werden können, aber dennoch bereits da war und nur auf günstige Umstände wartete, um sich zu Geltung zu bringen. Die Befragten nelunen sicherlich nicht alle diese Zeichen des Eingehens auf sie [... ] bewußt wahr. Dennoch scheinen einige von ihnen [... ] diese Situation als eine ganz besondere Gelegenheit zu empfinden, um Zeugnis abzulegen, sich Gehör zu verschaffen, um ihre Erfah-

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rung von der privaten in die öffentliche Sphäre zu tragen; und auch als eine Gelegenheit sich zu erklären, und zwar im weitesten Sinne des Wortes, also ihre eigene Sichtweise von sich

selbst und der Welt zu konstruieren, und jenen Punkt innerhalb dieser Welt festzulegen, von dem aus sie sich selbst und die Welt sehen, von dem aus ihr Handeln verständlich und gerechtfertigt ist, und zwar zu allererst für sie selbst. (Bourdieu 1997: 79lf, Herv.i.O.)

Das Forschungsdesign

DIE FRAGESTELLUNG Wie im Kapitel »Kunstsoziologie heute« ausgeführt, liegt der Schwerpunkt kunstsoziologischer Forschung in Deutschland bei Arbeiten zur Kunstproduktion, die oftmals unhinterfragt lassen, warum es sich bei den Personen um Künstlerl-innen und bei den Arbeitsprodukten um Kunstwerke handelt. Die vorliegende Studie folgt Forschungsarbeiten, die sich auf das analytische Konzept der sozialen Felder beziehen und Künstlerl-innen und Kunstwerke als soziale Konstrukte betrachten. In meiner Forschung stelle ich die Fragen: Was ist Kunst und was ist ein Künstler oder eine Künstlerin? Diese Fragen mit Pierre Bourdieus Konzept der sozialen Felder zu bearbeiten, bedeutet einen spezifischen Blickwinkel einzunehmen. Erstens geraten alle Personen ins Blickfeld, die sich professionell mit Kunst beschäftigen. Wie sich eine Person als Künstler oder Künstlerin, als Kurator oder Kuratorin, als Museums- oder Kunstvereinsleiter oder -Ieiterin versteht, wird in wechselseitiger Anerkennung, in »Unterscheidung zu anderen und zu etwas anderem« (Beaufays 2009: 207) hervorgebracht. Diese Herangehensweise bricht mit essentialistischen Vorstellungen vom Wesenszug des autonomen Künstlers oder der Unnachvollziehbarkeit des schöpferischen Aktes. Künstlerl-innen sind genauso wie die anderen Kunstakteure vergesellschaftete Individuen. Erst das Zusammenspiel aller Kunstakteure, ihrer jeweiligen Funktionen und »Positionen« im Feld »lässt die Künstler und ihre Klmstwerke zu eben solchen werden« (Beaufays/Moser 2013: 229). Das künstlerische Feld ist keine machtfreie soziale Welt, sondern ein Kampffeld. Die Akteure bringen ihre »Positionen« über Abgrenzungen zu anderen hervor und nehmen einen spezifischen Platz in der Kunstwelt ein. Dabei wenden sie Unterscheidungsmerkmale an, die sie nicht selbst erfunden haben, sondern die der »Logik« des Feldes entstammen. Die Akteure sind »Verkörperungen, Personifizierungen der Strukturen« (Krais 2000: 38) des Feldes. Als Mitspieler im Spiel der Kunst wird nur anerkannt, wer den »Glauben« des Feldes verkörpert. Das soziale Feld ist also auch - wie Bourdieu schreibt - ein »Giaubensuniversum«. Alle professionell

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mit Kunst beschäftigten Personen produzieren und reproduzieren den »Glauben« an den Wert der Kunst. Die Bedeutungen und differenzierenden Konstrukte werden in und über die soziale Praxis hergestellt. Das »praktische Wissen« ist Ausdruck des inkorporierten »Glaubens« und bewirkt, dass die Akteure sich in ihrer sozialen Welt zurechtfinden. Zweitens suche ich nicht nach einer ästhetischen Essenz autonomer Kunst, sondern gehe davon aus, dass im Feld Auseinandersetzungen um die legitime Sichtweise auf die Kunst stattfinden. Die »relative Autonomie des Feldes« (Bourdieu 2001: 393) der Kunst ist Ergebnis einer empirischen Beobachtung, das aufzeigt, wie institutionalisiert in eigens der Kunst gewidmeten Einrichtungen, verdinglicht in den Kunstwerken und kunstspezifischen Publikationen und verankert in den Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsweisen der mit Kunst beschäftigten Akteure die Idee autonomer Kunst gelebt, legitimiert, unterstützt und ermöglich wird. Über die Praxis der Akteure und den von ihnen verkörperten »Glauben« kann sichtbar gemacht werden, welche sozial erzeugten Konstrukte einer Idee wie der Kunst heute zugrunde liegen. Von dieser Perspektive aus betrachtet, besteht mein Forschungsinteresse darin zu begreifen, welche Konzepte, welche Begriffe von Kunst und Künstlerl-innen im Feld wirksam sind und welcher »Glaube« ihnen zugrunde liegt. Damit lege ich den Blick auf die soziale Praxis des künstlerischen Feldes und den ihr innewohnenden »praktischen Sinn«. Das Konzept der sozialen Felder erlaubt es, sowohl die Heterogenität der »Positionen« als auch die kunstfeldspezifische »illusio« herauszuarbeiten. Ferner wird klar, dass die differenzierten Kunst-Weltsichten auch als »Homologien« (Bourdieu) in den feldspezifischen Institutionen, den Förderprogrammen, der politischen und ökonomischen Situation und den künstlerischen Artefakten existieren. Eine solche Analyse offenbart demnach die von den Akteuren verkörperte und in den Institutionen und Dingen verankerte Struktur des künstlerischen Feldes, die stets ein Kräfteverhältnis, eine Hierarchie ist. Mit dem Konzept der sozialen Felder zu arbeiten bedeutet, soziale Machtverhältnisse aufzudecken. Meine Studie intendiert also auch, das feldinterne Machtgefüge und die darin zum Ausdruck kommenden Relationen zu anderen Feldern zu erhellen. Meine Forschungsfrage verfolge ich entlang der empirischen Untersuchung einer urbanen Kunstszene, die ich als soziales Feld betrachte. Mein Untersuchungsgegenstand ist das soziale Feld der bildenden Kunst in Berlin. Weil die Definition dessen, was als bildende Kunst gilt, den feldinternen Kämpfen obliegt, musste ich einen möglichst offenen Zugang wählen. Um einen ungefähren Rahmen zu skizzieren, seien hier einige Kunstsparten genannt, denen sich meine Interviewpartner/ -innen zuordneten. Die Spannbreite reichte von traditionsreicher Malerei und Bildhauerei, über Zeichnung, Fotografie, Grafik, Druckgrafik bis hin zu Video- und Computerkunst, Performance, Kunst im öffentlichen Raum oder partizipatorischer Kunst.

DAS FORSCHUN GSDESIGN

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DAS DATENMATERIAL

Meinem dem Konzept des sozialen Feldes verpflichteten Forschungsansatz folgend, beschränkte sich meine Ergebung nicht auf Künstler/-innen, sondern versuchte, alle an der Bedeutungsproduktion des Kunstwerks Beteiligen zu erfassen. Bourdieu listet folgende daranteilhabende Akteure und Institutionen auf: Kritiker, Kunsthistoriker, Verleger, Galeristen, Händler, Konservatoren, Mäzene, Sammler, Mitglieder von Konsekrationsinstanzen wie Akademien, Ausstellungsstätten, Kunstjurys usw., ferner die Gesamtheit der politischen und administrativen Stellen, die in Kunstfragen mitzureden haben (die je nach Epoche zuständigen Ministerien, Museumsdirektionen, Akademieleitungen), die durch ihre gelegentlich mit wirtschaftlichen Vorteilen (Ankauf, Subvention, Preise, Stipendien usw.), gelegentlich mit anderen Maßnahmen (steuerliche Vorteile für Mäzene und Sammler usw.) gekoppelten Entscheidungen den Kunstmarkt beeinflussen können; nicht zu vergessen die Mitglieder von Institutionen, die zur Produktion der Produzenten (Kunsthochschulen usw.) und zur Produktion von Konsumenten beitragen, die fähig sind, ein Kunstwerk als solches, das heißt als Wert, anzuerkennen, angefangen bei den Lehrern und den Eltern, die für das erste Einprägen künstlerischer Dispositionen verantwortlich sind. (Bourdieu 2001: 362)

Mein erster Arbeitsschritt bestand darin zu begreifen, welche Akteure und Institutionen zu meinem Untersuchungsfeld, dem Feld der bildenden Kunst in Berlin, dazugehören. Das Ergebnis meiner Recherchen ist im Kapitel »Die Strukturdaten« dargelegt und bildet eine Landkarte, entlang derer ich meine lnterviewpartner/ -innen auswählte. Mein Datenmaterial besteht aus Interviews mit einem Direktor und einem hauptverantwortlichen Kurator eines Bundes- und eines Landesmuseums, mit Leiterl-innen verschiedener öffentlich finanzierter Kunstvereine oder kommunaler Kunsträume, einem Galeristen und einer Galeristin, Professoren und Professorinnen an Akademien oder Universitäten und Angestellten staatlicher Kulturfördereinrichtungen. Überdies umfasst das Material Interviews mit Künstler/ -innen, die sich sowohl in ihrer sozialen Position als auch darin unterscheiden, welcher Kunstposition sie angehören. So befragte ich einerseits am Kunstmarkt etablierte Künstlerl-innen und andererseits solche, die sich von diesem abgrenzen, sich über öffentliche Förderungen oder Nebenjobs finanzieren und deren Grad an Anerkennung sich daran misst, bei welchen und wie häufig ihre künstlerischen Arbeiten bei renommierten (Groß-)Ausstellungen, Biennalen und Festivals präsentiert werden. Neben etablierten interviewte ich Künstler!-innen, die vor kurzem ihr Studium absolvierten und versuchen ihre ersten Ausstellungsteilnahmen oder Kontakte zu Galeristen und Galeristinnen zu akquirieren.

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

In Berlin führte ich 24 ein- bis vierstündige qualitative Interviews. Im Rahmen meiner Analyse bezog ich zusätzliches Material aus meiner Diplomarbeitsstudie mit ein. Die 14 Interviews mit Wiener Künstlerl-innen dienten mir als Vergleichsmoment, um städtische Unterschiede bzw. die Besonderheit des Berliner Kunstfeldes besser ausmachen zu können. Wie sich zeigen wird, konnte ich eine Berliner Kunstposition erst entlang des Wiener Materials fassbar machen. Die folgende Übersicht des Datenmaterials weist die Kodeziffer, das Alter und Geschlecht, den Kodenamen sowie eine kurze Charakterisierung der Akteure auf. Aus Gründen der Anonymisierung werden weder Institutionen benannt, noch präzisere Informationen angeführt. Alle Namen sind frei erfunden. Tab. 1: Die Berliner lnterviewpartnerl-innen: Die Kunstakteure in Institutionen und Einrichtungen

In staatlichen Museen El2

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Max Corbach

Staatlicher Museumsdirektor

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m

Matthias Claas

Kurator für den Bereich Bildende Kunst

In Kunstvereinen E6

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Viola Brenner

Geschäftsführerin eines Kunstvereins

E4

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w

Verena Bluhm

Leiterin eines Kunstvereins

ElO

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m

Valentin Bartok

Leiter eines Kunstvereins

In Kunsträumen El5

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m

Ralph Darstein

Verantwortlicher eines Projektraums

E17

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m

Ruben Dietrich

Leiter eines kommunalen Kunstraums

In Galerien Ell

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m

Gustav Emmerich

Zehn Jahre bestehende Galerie an renommiertem Standort

ES

34

w

Gita Eshwar

Dreivierteljahr bestehende Galerie

In Kunsthochschulen und Universitäten E2

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w

Patricia Falkenstein

Professorin für Kunstgeschichte an Kunsthochschule

DAS FORSCHUN GSD ESIGN

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E8

58

m

Peter Freising

Professor für Kulturforschung an Universität

E7

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m

Paul Fadani

Professor ftir Kunsttheorie an privater Hochschule

In Fördereinrichtungen El6

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w

Frauke Gabler

Angestellte der Kulturstiftung des Bundes

El4

55

w

Frieda Gruber

Angestellte der Berliner Kulturverwaltung

E3

38

w

Felicitas Gessler

Leiterin eines Weiterbildungsprogramms

El3

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m

Frank Geyer

Vorstandsmitglied des bbk Berlin

Tab. 2: Die Berliner lnterviewpartner/-innen: Die Künstlerl-innen

Kl

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K3

K4

K5

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m

m

w

w

Karin Appl

Malerin: Vertretung durch Galerie in Süddeutschland, Kunstmessenbeteiligungen mehmmls pro Jahr, private Verkäufe, eigenes Atelier.

Konrad Anselm

Maler: UdK-Abschluss vor einem Jahr, Künstlerstipendium beantragt, Gruppenausstellungen in Kunsträumen, keine Einzelausstellungen.

Karsten Aschenbach

Politischer Künstler: Kunst im öffentlichen Raum, Beteiligung an der documenta in Kassei, der Biennale von Venedig und zahlreichen anderen deutschen, wie internationalen Ausstellungen.

Kendra Aurich

Politische Künstlerin: Kunst im öffentlichen Raum, Mitglied einer Künstlergruppe, Projektförderungen des Landes Berlin, kuratorisehe Tätigkeit und mehrere Weiterbildungen.

Kathrin Amling

Konzeptkünstlerin: Vertretung durch eine New Yorker Galerie, Teilnahme an derBerlin Biennale, mehrere Einzelausstellungen, Kunstpreise und Stipendien.

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD Maler, Videokünstler, Kunsthandwerker: Vertretung durch Berliner Galerie, Gruppenausstellungen in Kunsträumen, Raumgestaltung von Lokalen, Nebenberuf in Werbebranche.

K6

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m

KlausAmold

K7

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w

Malerin: Auf der Suche nach einer Galerie, Karohne Aigner Teilnahme am Festival48-Stunden-Neukölln, Mitglied einer Künstlergruppe.

m

Performance- und Installationskünstler: Meisterschülerstudium an der UdK, mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen, einige kuratarische Projekte in öffentlichen Museen.

K8

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Klemens Adler

Tab. 3: Die Wiener lnterviewpartnerl-innen: Die Künstlerl-innen

K9

KlO

60

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m

w

Khadir Amar

Politischer Künstler und Modedesigner: Lebt in Berlin, mehrere Ausstellungen in Kunsträumen, tätig im Bereich Kulturelle Bildung und Jugendarbeit in einem staatlichen Museum, betreibt Künstlerresidenz in Westafrika.

Kayra Ate~

Politische Künstlerin: Internationale Arbeitsaufenthalte, mehrere geförderte Projekte fUr Kunst im öffentlichen Raum, betreibt Atelierhaus auf dem Land.

K20

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w

Konstanze Ahlig

Sozial engagierte Künstlerin: Mitbegründerin eines selbst organisierten Kunstraums und eines Kunstfestivals, öffentliche Projektförderungen, Kuratieren mehrerer Ausstellungen.

Kll

24

m

Karl Achleitner

Zeichner: Vertretung durch Wiener Galerie, mehrere nationale wie internationale Einzelund Gruppenausstellungen.

Kl2

33

m

Kiril Athow

Zeichner: Mitglied einer Künstlergruppe.

DAS FORSCHUN GSD ESIGN

K13

36

w

I 53

Kerstin Axer

Rauminstallationskünstlerin: Nebenberuf in der Werbebranche. Politischer Künstler und Maler: Mitglied einer Künstlergruppe, zahlreiche Förderungen und Ausstellungen in Deutschland und Österreich, eigenes Atelier.

K14 38

m

KurtAlden

Kl5

38

m

Karlos Arata

Kl6 43

w

Käthe Atzirrger

Politisches Künstlerpaar: Leben in Buenos Aires und Wien, Kunst im öffentlich Raum, internationale Ausstellungen, mehrere öffentliehe Projektförderungen und Künstlerstipendien. Bildhauer und Kunsterzieher: Promotion in Kunsttheorie, eigenes Atelier, mehrere Gruppenausstellungen, wissenschaftliche und kuratorische Tätigkeit in staatlichem Museum.

Kl7 48

m

Kai Avram

Kl8

27

w

Kora Auer

Kl9

27

w

Kordula Adams

K21

23

w

Kati Anton

Betreiberin eines Kunstraums und Cafes: Organisatorirr des Kunstfestivals.

K22 38

w

Krista Albrecht

Politische Künstlerin: Initiatorirr des Kunstfestivals.

Künstlerinnenpaar: Architekturstudentinnen, mehrere Kunstprojekte.

DAS ERHEBUNGSINSTRUMENT Wie im Kapitel »Das qualitative Interview« ausgeführt, wählte ich einen qualitativen methodischen Zugang zu meinem Forschungsfeld. Den Befragungen gingen umfangreiche Recherchen zu den professionellen Werdegängen und momentanen beruflichen Tätigkeiten meiner Interviewpartnerl-innen voraus. Auf Basis dieser Informationen formulierte ich die Einstiegsfragen. Bei den Künstlerl-innen lmüpfte die Einstiegsfrage an ein zu dieser Zeit laufendes oder das letzte abgelaufene Ereignis an, weshalb die Frage immer variierte. So fragte ich zum Beispiel danach, wie die Ausstellungsteilnahme, die Vertretung durch eine Galerie, die Zusammenarbeit mit einer Künstlergruppe oder in einem Gemeinschaftsatelier, die Kunstaktion oder -performance oder das Kunstprojekt im öffentlichen Raum zustande gekommen und

54

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

wie es verlaufen war. In meinen Interviews verwendete ich keinen festgelegten Leitfaden. Abgesehen von der Einstiegsfrage hatte ich mir im Vorfeld Themenschwerpunkte überlegt, die ich für meine Forschungsfrage relevant erachtete, ohne zu wissen, ob sie es wirklich sind. Während des Interviews achtete ich darauf, ob die Punkte von den Befragten selbst angesprochen wurden. Taten sie es nicht, kam ich gegen Ende des Interviews auf sie zu sprechen, indem ich sie in Zusammenhang zu etwas brachte, das die Befragten vorher erzählt hatten. Im Analyseprozess reflektierte ich diese Interviewphase in Hinblick darauf, »daß diese exmanenten Fragen von außen oktroyiert wurden und möglicherweise mehr mit dem wissenschaftlichen Denksystem zu tun haben, als mit den Prozessen und Strukturen des untersuchten sozialen Systems« (Froschauer/Lueger 2003: 72). Tab. 4: Die Themenschwerpunkte der Interviews mit Künstlerl-innen

Werdegang

• Wie war die Ausbildung an der Kunsthochschule? • Was hat Sie Ihrer Meinung nach weitergebracht?

Selbsteinschätzung

• Ab wann und warum haben Sie sich als professioneller Künstler oder professionelle Künstlerin verstanden? • Gab es eine Entscheidung zur Berufswahl Künstler/-in? • Entspricht Ihre jetzige Tätigkeit dem, was Sie schon immer gern machen wollten? Was wünschen sie sich?

Kunstproduktion

läuft ihr Arbeitsalltag ab? .• Wie Was ist flir Sie spannend an der künstlerischen Tätigkeit?

Soziale Beziehungen

• Wer ist für Ihre Arbeit besonders wichtig? • Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit anderen beschreiben?

. Waren Sie schon einmal an einer Ausstellung beteiligt? Öffentlichkeit

Wie kam es dazu? • Erzählen Sie bitte von der Vernissage ihrer letzten Ausstellung.

. Sie haben ein Stipendium bekommen/einen Preis geFinanzierung

wonnen. Wie kam es dazu? • Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Ihrer Gaterie? • Welchen Einfluss hat Ihr Nebenjob aufihre künstlerisehe Tätigkeit?

DAS FORSCHUNGSDESIGN

I 55

Bei den anderen Akteuren des künstlerischen Feldes stieg ich mit der Frage in das Interview ein, wie sie zu dem wurden, was sie heute sind: Kuratorl-in, Galerist/-in, Kunstprofessorl-in usw. Daran schlossen, wenn nötig, Nachfragen zur Einschätzung des eigenen Karriereverlaufs und der eigenen Tätigkeit an. Um zu verstehen, wie diese Akteure den Grad der Anerkennung der Künstlerl-innen mitbestimmen, waren ferner folgende Themenschwerpunkte relevant: Tab. 5: Die Themenschwerpunkte der Interviews mit Kunstakteuren

Tätigkeit

• Was finden Sie, ist das Spannende an Ihrer Tätigkeit? • Wie entscheiden Sie, mit wem Sie die nächste Ausstellung machen/wen Sie in ihre Galerie aufnehmen? • Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Künstlerl-innen?

Institution und künstlerisches Feld

• Wie ist Ihre Institution entstanden, welche Ziele und Aufgaben verfolgt sie? • Was glauben Sie, kann Ihre Institution (in der Berliner Kunstszene) bewirken? • Weiche Qualifikationen erlangen Studierende an einer Kunsthochschule?

Berliner Kunstfeld

• Warum haben Sie beschlossen in Berlin eine Galerie zu eröffnen/(freie) Kuratorirr zu werden/eine kunstspezifisehe Stelle anzunehmen usw.? • Was ist das Besondere an der Berliner Kunstszene? • Weiche Einrichtungen zählen Ihrer Meinung nach zu den wichtigsten in der (Berliner) Kunstszene?

Situation von Künstlerl-innen

• Was würden Sie einemjungen Künstler oder einer Künstlerin raten? Woraufkommt es an, wenn sich jemand in der Kunstwelt etablieren will? • Worin liegen die Anreize und Schwierigkeiten des Berufesder Künstler/-innen?

Die Kontaktdaten meiner Interviewpartnerl-innen fand ich entweder im Rahmen meiner Onlinerecherchen, durch private Kontakte oder über befragte Personen, die mich weiterverwiesen. Der erste Schritt war stets die postalische Zusendung einer Mappe, die Folgendes enthielt: Einen Flyer mit Informationen zur Fragestellung und Art und Weise des Interviews, Angaben zu meiner Person in Form eines Lebenslaufs und Angaben zu meinem Forschungsvorhaben, in Form des Exposees meiner Studie. Eine Woche nach Absenden der Mappe versuchte ich die Personen telefonisch zu erreichen. In den meisten Fällen hatten die Personen meine Unterla-

56

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

gen gelesen und erklärten sich sofort zu einem Interview bereit. Manchmal erfolgte der Erstkontakt per E-Mail. Nur eine angefragte Person lehnte ab. Da ich die interviewten Personen über Zeitpunkt und Ort entscheiden ließ, fanden die Interviews in Ausstellungs-, Büro- oder Galerieräumen, Ateliers oder p1ivaten Wohnungen statt. Nach jedem Interview verfasste ich detaillierte Interviewprotokolle. Ich hielt darin das Zustandekommen, die Milieubedingungen und die Rahmenbedingungen des Interviews fest (vgl. Froschauer!Lueger 2003: 74). Jedes Interview wurde auf Tonband aufgenommen, transkribiert und anonymisiert.

DAS UNTERSUCHUNGSFELD Neuere stadtsoziologische Studien 1 betrachten die Stadt nicht mehr nur »als Laboratorium der Gesellschaft«, sondern versuchen die jeder Stadt spezifische Strukturlogik und die »vergesellschafteten Einflüsse« auf die Bewohnerl-innen zu verstehen (Löw 2010: 31 t). Die städtische »Eigenlogik erfasst praxeologisch die verborgenen Strukturen der Städte als vor 01i eingespielte, zumeist stillschweigend wirksame präreflexive Prozesse der Sinnkonstitution (Doxa) und ihrer körperlich-kognitiven Einschreibung (Habitus)« (ebd.: 76). Allgemeine Merkmale von Städten wie »Urbanisierung, Verdichtung und Heterogenisierung« laufen in jeder Stadt »ortsspezifisch im Rückgriff auf historische Ereignisse, materielle Substanz, technologische Produkte, kulturelle Praktiken sowie ökonomische oder politische Figurationen« ab (ebd.: 77). Jede Stadt besitzt ihre eigene »Kultur«, die sich in den kulturellen Praktiken genauso manifestiert wie in den Bedeutungen, die ihr von den Bewohnerl-innen, den Besucherl-innen, in den Imagekampagnen, von der Politik und dem Verwaltungsapparat zugeschrieben werden (vgl. Noller 2011 ). Verfolge ich meine Forschungsfrage nach den in einem Feld wirksamen Begriffen von Kunst und Künstlerl-innen entlang einer empirischen Untersuchung des Berliner Feldes der bildenden Kunst, habe ich es mit einer spezifischen Praxis zu tun, die mit der städtischen Eigenlogik Berlins verwoben ist. Bereits im Überblick der Struktur des Berliner Kunstfeldes, die ich im Kapitel »Die Strukturdaten« darlege, zeigt sich, wie politische Positionierungen und Schwerpunkte, vom administrativen Apparat umgesetzte kulturpolitische Programme und Maßnahmen, historische Gegebenheiten, die städtische Bevölkerungsstruktur und die staatliche wie wirtschaftliche Infrastruktur einer Stadt an der Produktion von Kunst und Kultur teilhaben. Berlin als Stadt der Kunst blickt auf eine bis in das 19. Jahrhundert gehende Tradition zmiick. Die einzigartige Situation der geteilten Stadt schuf in

Vgl. u.a. die Autoren und Autorinnen folgender Sammelbände: Berking/Löw 2008, Löw/

Terizakis 2011.

DAS FORSCHUNGSDESIGN

I 57

W estberlin eine aus staatlichen Mitteln finanzierte Insel flir Kunstschaffende. Auch in Ostberlin konnten sich einige subkultureHe Nischen behaupten. Wie ich nun zeigen werde, stieg nach der Wende die Bedeutung der Stadt Berlin nicht nur, weil sie zur gesamtdeutschen Hauptstadt, sondern vor allem auch, weil sie zur deutschen Hauptstadt flir Kunst und Kultur und der Kulturwirtschaft wurde. Der seit Juni 2001 als Regierender Bürgermeister von Berlin amtierende Klaus Wowereit siedelte nach seiner zweiten Wiederwahl im Jahr 2006 das Kulturressort bei der Senatskanzlei an. Der vorherigen Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur wurden die Kulturellen Angelegenheiten entzogen, die nunmehr an politisch prominenter Stelle direkt dem Regierenden Bürgermeister unterstellt sind. Im Haushaltsjahr 2011 wurden nach Abzug der Einnahmen rund 382 Millionen Euro für alle Kunstsparten ausgegeben. 2 Wie im Kapitel »Die Stmkturdaten« präzise dargelegt, verfolgt die Berliner Kulturverwaltung ein strukturelles Fördermodell. Es werden künstlerische Arbeitsräume geschaffen, Stipendien vergeben und Ausstellungsorte institutionell gefördert. Folgende Beschreibung aus dem Berliner Haushaltsplan 2010/11 fasst die Maßnahmen zusammen: Berlin gilt international als Stadt der aktuellen Kunst. Bildende Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt finden in Berlin ihren Arbeitsmittelpunkt und bilden eine einzigartige Kunstszene. Neben Programmen für Künstler und Künstlerinnen (Stipendien, Kataloge/Website/CD-ROM, kleinere Projekte) werden Infrastrukturmaßnahmen für die künstlerische Produktion gefördert, das Kulturwerk des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlins GmbH mit der Druckwerkstatt, der Bildhauerwerkstatt, dem Büro für Kunst im öffentlichen Raum und dem Atelierbüro sowie das Atelierprogramm. Mit dem Künstlerhaus Bethanien GmbH und dem Kunst-Werke Berlin e.V. bietet Berlin zwei profilierte und überregional renommierte Ausstellungsorte, an denen junge Kunst aus dem internationalen Raum in Projekten, Stipendienprogrammen und wechselnden Ausstellungen zur Auseinandersetzung einlädt. Die institutionelle Förderung des Deutschen Künstlerbunds und des Deutschen Werkbunds wird ebenso fortgesetzt wie das mit dem Land Brandenburg betriebene Sammlungs- und Dokumentationszentrum für Kunst der DDR in Beeskow. Des Weiteren wird eine neue Kunsthalle gefördert, welche ausschließlich zeitgenössische Kunst präsentieren soll. 3

Die Berliner Kulturverwaltung intendiert, eine freie Kunstszene zu sichern. Die Geschichte einer lebendigen Berliner Kunstlandschaft geht zurück bis in die Wilhel-

2

3

Vgl. Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 20 I 0/20 11 , Einzelplan 03, S. 121, zitiert nach: http://www.berlin.de/imperia!md/content/senatsverwaltungen/finanzen/haus halt/2010_2011_band03_epl_03.pdfvom 10.02.2012. Vgl. Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2010/2011, Band 3, Einzelplan 03, S. 113, zitiert nach: http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/finan zen/haushalt/2010_2011 _band03_ epl_ 03.pdf vom 10.02.2012.

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

minisehe Zeit und die Zeit der Weimarer Republik. Während der Jahrzehnte der Teilung zog Westberlin zahlreiche »Kulturschaffende, Studenten und Aussteiger« an (Schiffauer 1997: 121). »Die ortlose Gemeinde an Zugezogenen entwickelte in den Freiräumen Westberlins eine für deutsche Verhältnisse bemerkenswerte Subkultur«, die einen »>alternativen< Lebensstil« (ebd.: 122) pflegte. Auch in Ostberlin hatten sich »Nischen« entwickelt, »in denen sich Subkulturen entfalten konnten« (ebd.). Westberlin wurde aufgrund seiner »lnsellage« (ebd.: 120) auch von staatlicher Seite als Ort der Gegenwartskunst installiert. Die in den 1990er Jahren aufkommende alternative Kunstszene baute auf dieser Geschichte Berlins und der vorhandenen kunstspezifischen Infrastruktur auf. Im neuen Jahtiausend wurde Berlin zusehends Anziehungspunkt junger, internationaler Künstler/-innen. Wie ich noch zeigen werde, drückt sich dieses Phänomen auch in geänderten Fördermaßnahmen der Kulturverwaltung aus. ln den letzten fünf Jahren wurde von der Senatsverwaltung für Wirtschaft das Augenmerk auf einen neuen kunstspezifischen Bereich gelegt: Die Kultur- und Kreativwirtschaft. Das Land führt maßgeblich von der Europäischen Union finanzierte Programme durch, um diesen Wirtschaftszweig anzukurbeln. Die Berliner Verwaltung beschäftigt sich mit der statistischen Erfassung der neuen Branche, der große Wachsturnsraten prophezeit werden: Die Umsätze der Berliner Kultur- und Kreativwirtschaft stiegen von 2000 bis 2006 um rund 25% bzw. über 3,5 Mrd. Euro an. Dieser Wirtschaftsbereich wird geprägt von Menschen, die schöpferisch und gestalterisch tätig sind. Dazu gehören Filmemacher, Designer, Autoren, Musiker, Softwareentwickler und viele mehr. (PIA 201 0: 6)

ln seinem politischen Profil stützt sich der Regierende Bürgermeister auf die Prognosen der Wirtschaftsverwaltung, die von Kunstschaffenden, von Kreativen, berichten, die nicht mehr das Bild der staatlich alimentierten Künstlerl-innen verkörpern, sondern die zur wirtschaftlich erfolgreichen Elite gehören. Klaus Wowereit propagiert >die Kreativen< als Vorbild für die Berliner/-innen. Martina Löw führt auf eindrückliche Weise vor Augen, wie in den Werbekampagnen des Berliner Senats ein Berlin-Bild konstruiert wird, das den Bürgerl-innen als kulturelles Leitbild vorgehalten wird (vgl. Löw 2010: 188ff). Es wird dabei eine »Divergenz von Stadt und Bürgern« behauptet und die Bevölkerung aufgefordert, sich der Stadt anzupassen. Das Bild suggeriert ein »sexualisiert-metropolitanes Berlin, das Armut in kulturelle Kompetenz zu übersetzen weiß. [ ...]Da er [Klaus Wowereit, VM] bzw. die kulturelle Elite der Stadt [ ...] ihren wirtschaftlichen Erfolg gerrau in der Verkörperung dieses sexualisierten, einzigartigen, kulturell innovativen Berlins sehen, soll dieses Lebensgefühl geweckt und als das bislang fehlende Gemeinsame, als Identifikation der Berliner mit Berlin, etabliert werden.« (Ebd.: 209).

DAS FORSCHUNGSDESIGN

I 59

Als Bundeshauptstadt profitiert Berlin vom umfangreichen Engagement der Kulturpolitik des Bundes. Aus dem rund eine Milliarde Euro umfassenden Etat des Staatsministers für Kultur und Medien standen im Haushaltsjahr 2011 für »hauptstadtbedingte kulturelle Maßnahmen und Veranstaltungen« rund 11 ,7 Millionen Euro zur Verfügung. 4 Zusätzlich sind die vom Bund und den Ländern getragene Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre 15 Museen in Berlin angesiedelt. Die Akademie der Künste, die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH, die Kulturstiftung des Bundes und die Projektförderung für das Museumfür Gegenwart, Hamburger Bahnhof, sind weitere vom Bund geförderte Einrichtungen, die in besonderer Weise Berlin zugutekommen. Die vom Bund und den anderen Ländern hierfür zur Verfügung gestellten Mittel reichen in ihrem Volumen nahezu an den Kulturetat des Landes Berlin heran. Angesichts des deutschen Modells des Kulturföderalismus ist diese Relation bundesweit einzigartig und gründet nicht nur auf Berlins Hauptstadtfunktion sondern bereits auf der Geschichte Westberlins. »Da die Stadt aus eigener Kraft nicht lebensfähig war, wurde sie massiv von der Bundesrepublik subventioniert - was unter anderem zum Aufbau eines riesigen Kulturbetriebs führte.« (Schiffauer 1997: 120) Berlin profitiert nicht nur von einem gesteigerten kulturpolitischen Engagement des Bundes, auch bundesweite Vereinigungen wie der Deutsche Künstlerbund, der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine e. V., der Deutsche Museumsbund, das Deutsche Nationalkomitee des internationalen Museumsrats sowie die internationale Gesellschaft der Bildenden Künste (iGBK) haben hier ihren Sitz. Im Vergleich zu anderen deutschen Städten ist in Berlin das Bürgertum relativ schwach ausgeprägt. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bestand die Bevölkerung groBteils aus »Beamten, Arbeitern und Immigranten« (ebd.: 121). Während der Teilung der Stadt hatte Westberlin weder zahlreiche kaufkräftige Bewohner/-innen, noch einen deutschland- oder europaweit bedeutsamen Kunstmarkt Erst nach dem Fall der Mauer siedelten sich wieder mehr Galerien in Berlin an, von denen sich einige in den letzten 20 Jahren etablieren konnten. Im letzten Jahrzehnt siedelten sich einige Sammlerl-innen an, von denen manche öffentliche Ausstellungsflächen einrichteten. Auch die kaufkräftige Bevölkerung Berlins vergrößert sich wieder. Von Seiten der Politik und der Kunstmarktakteure werden große Anstrengungen unternommen, Berlin in einen zentralen Standort des deutschen und internationalen Kunstmarktes zu verwandeln. Berlin als Stadt der Kunst hat viele Gesichter: Sie ist Metropole der Kreativen, Standort des Kunstmarktes, Ort einer alternativen K.unstszene, Sprungbrett zum Erfolg internationaler Künstlerl-innen und Hauptstadt der deutschen Kultur. Alle diese

4

Vgl. Bundeshaushalt 2011, Einzelplan 04, S. 27, zitiert nach: http://www.bundesfinanzmi nisterium.de/bundeshaushalt2011/pdf/epl04.pdf vom 15.02.2012.

60

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Sichtweisen auf Berlin als Stadt der Kunst haben eines gemeinsam: Sie setzen ihre Hoffnungen in Berlin als Ort, an dem sie ihrer künstlerischen Praxis nachgehen können und an dem ihre Kunstauffassung Gehör finden wird. Die Vielfalt der Blickwinkel und die in Berlin gesetzten Erwartungen machen die Stadt zu einem geeigneten Untersuchungsfeld für meine Forschungsfrage.

Die Strukturdaten

Eine zuverlässige und differenzierte Gesamtsicht auf das Berliner Feld der bildenden Kunst zu erhalten, ist schwer. Statistische Daten, wie sie fUr die verschiedenen Wirtschaftsbranchen verfügbar sind, stehen flir das Feld der Kunst nur rudimentär zur Verfügung; auch die Arbeitsmarktstatistik ist für diesen Bereich nicht sehr aussagekräftig. Ebenso wenig gibt es spezielle Untersuchungen, die einen Gesamtüberblick über das Feld der bildenden Kunst verschaffen könnten. Ein erster Schritt der vorliegenden Untersuchung war es daher, das vorhandene, sehr unterschiedliche Material zusammen zu tragen, um den Gegenstand der Untersuchung- das Feld der bildenden Kunst in Berlin - in seinen zentralen Dimensionen zu skizzieren. Die folgenden Ausführungen stützen sich, wenn nicht anders angeflihrt, auf umfangreiche Recherchen im Internet, explorative Interviews und zur Verfugung stehendes statistisches Datenmaterial, das ich in Hinblick auf mein Forschungsinteresse auswertete. Wie ich auch im weiteren Verlaufmeiner Analyse ergründen und konkretisieren konnte, strukturieren zunächst die Pole staatliche Kunstförderung und privatwirtschaftlicher Kunsthandel das Feld der bildenden Kunst. Trotz des deutschen Modells des Kulturföderalismus spielen in Berlin - im Rahmen der staatlichen Kunstförderung - Bundesfürdermittel eine zentrale Rolle für das Kultur- und Kunstgeschehen. Neben der institutionellen Förderung der Bundes- und Landesmuseen sowie der vom Land getragenen Kunsthochschulen weisen der Bund und das Land Berlin je eigene Projekt- und Künstlerförderprogramme auf. In den letzten fünf Jahren wurden auf Bundes- und Landesebene überdies Initiativen zur Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft installiert. Meine Recherchen zum Berliner Kunstmarkt verdeutlichen, dass dieser hauptsächlich aus dem Geschäft einiger etablierter Galerien besteht. Im Jahr 2011 wurde eine der größten Berliner Kunstmessen, das art forum berlin, abgesagt. In der Stadt gibt es nur wenige umsatzstarke Auktionshäuser, die privatwirtschaftliehen Museen sind noch rar und erst in den letzten Jahren siedelten sich einige Sammlerl-innen an, die ihre Besitztümer auch der Öffentlichkeit präsentieren. Der Berliner Kunstmarkt

64

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

besteht hauptsächlich aus dem privaten Kunsthandel einer relativ überschaubaren Galerienszene. Der Handel konzentriert sich also auf den primären Kunstmarkt Obwohl eine hohe Fluktuation an Galerien konstatiert wird, bleiben doch zentrale Galerienstandorte bestehen. Die etablierten ansässigen Galerien existieren bereits seit Beginn der 1990er Jahre und handeln mittlerweile mit Kunstwerken im mittleren bis oberen Preissegment Zwischen den oben genannten Polen ist ein Kapitel eingefiigt, in dem ich Ausstellungsorte vorstelle, die für die zeitgenössische Kunst bzw. für das Berufsleben von Künstlerl-innen relevant sind. Da die Berliner Bezirke keine eigenständigen Kommunen sind, fallen ihre Kunsträume genau genommen auch unter die institutionelle Landesförderung. Weil sich aber quer zu den beiden Polen die hierarchische Struktur der Kunsteinrichtungen legt, ordnete ich die >kommunalen< Kunsträume diesem Kapitel zu. Denn stehen die Bundes- und Landesmuseen an oberster Stelle dieser Hierarchie, konkurrieren Kunsträume und Kunstvereine um Positionen im mittleren Bereich, und die Künstlerl-innen-Initiativen bilden das unterste Segment, in dem es um erste Präsentationsmöglichkeiten geht. Die Finanzierung der Kunstvereine ist zum einen nicht einheitlich geregelt und zum anderen erhalten sie ihre Zuschüsse meist aus mehreren Quellen, weshalb sie nicht pauschal der staatlichen Kunstförderung zugeordnet werden können. Neben den Mitgliedsbeiträgen werden unterschiedliche Projektmittel beantragt oder private Sponsoren eingeworben. Zwei Berliner Kunstvereine erhalten institutionelle Landesfördergelder über Mittel der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Die von Künstlerl-innen initiierten Projekträume basieren meist auf unbezahltem Eigenengagement Die Zusammenschlüsse verfolgen das Ziel, die Aufmerksamkeit von Galeristen/Galeristinnen, Kuratoren/Kuratorinnen und anderen wichtigen Kunstakteuren auf sich zu ziehen. Das letzte Kapitel versucht entlang des zusammengetragenen statistischen Datenmaterials, das Berufsfeld der bildenden Kunst zu umreißen. Neben einer Schätzung der Anzahl in Berlin ansässiger bildender Künstler/-innen, lege ich dar, welche professionellen Tätigkeitsbereiche noch zum künstlerischen Feld gezählt werden können.

DIE STAATLICHE KUNSTFÖRDERUNG Die Kunstmuseen Im Jahr 2010 werden in einer statistischen Gesamterhebung des instituts für Museumsforschung 37 Berliner Kunstmuseen gezählt (2011: 29). Die Liste beinhaltet sowohl die Bundes- und Landesmuseen, als auch private Museen, die mitunter Sammlungen von Wirtschaftsunternehmen präsentieren. An dieser Stelle werde ich

DIE STRUKTURDATEN

I 65

jene Bundes- und Landesmuseen skizzieren, die Gegenwartskunst, d.h. künstlerische Arbeiten noch lebender Künstlerl-innen, ausstellen und vereinzelte Exponate für ihre Sammlungen ankaufen. Ein Großteil der Berliner Museen gehört den Staatlichen Museen zu Berlin an. Diese waren eine DDR-Einrichtung, die ihm Rahmen des Einigungsvertrags in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingegliedert wurde. Seit 1992 wird die Stiftung zu 75 Prozent aus Bundesmitteln und zu 25 Prozent aus Geldern aller Bundesländer getragen. Die 15 Einzelmuseen umfassen Sammlungen zu »den alten Kulturen des Mittelmeerraums (Ägypten, Vorderasien, Griechenland, Römisches Reich), zu allen Sparten der Kunst und Kultur der Neuzeit (Gemälde, Skulpturen, Grafik, Kunsthandwerk, Fotografie, Film, Video), zu außereuropäischen Hochkulturen (Indien, Welt des Islam, Ostasien) und zur Ethnologie der fünf Kontinente sowie ihren vier (Forschungs-) Instituten (Institut für Museumsforschung, Rathgen-Forschungslabor, Zentralarchiv, Gipsformerei)«. 1 Der Hamburger Bahnhof wurde als »Museum für Gegenwart« installiert, um die Bestände der Nationalgalerie an künstlerischen Arbeiten ab den 1960er Jahren in einem eigenen Ausstellungsgebäude präsentieren zu können. Bis 2021 steht dem Museum die Friedrich Christfan Flick Collection als Dauerleihgabe zur Verfügung. Zusätzlich gehören die Privatsammlungen Erich Marx und Marzona zum festen Inventar, deren Exponate auch in der Neuen Nationalgalerie gezeigt werden. Die Neue Nationalgalerie stellt in ihren Räumlichkeiten im Souterrain die Bestände der Nationalgalerie der Epoche von 1900 bis 1945 aus. Das Erdgeschoß des Mies van der Rohe-Baus wird vom 2009 eingesetzten neuen Leiter vermehrt als Präsentationsort etablierter Künstlerl-innen der Gegenwart genutzt. Während des Umbaus des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) wurden in der Neuen Nationalgalerie unter dem Titel »MoMA in Berlin« 212 Werke ausgestellt. Im Zeitraum vom 20. Febmar bis 19. September 2004 zählte die Ausstellung 1,2 Millionen verkaufte Eintrittskarten. Die Ausstellung spielte insgesamt 600.000 Millionen Euro ein. Sechs Millionen Euro wurden in einem Fonds angelegt. Von den jährlich ungefahr 300.000 Euro Zinsen aus dem Fonds kauft die Nationalgalerie seitdem Exponate zeitgenössischer Kunst der letzten Jahrzehnte an. Die Auswahl der Neuankäufe erfolgt durch einen Beirat aus drei Kunstexperten und -expertinnen, der alle ftinf Jahre neu zusammengesetzt wird. Neben der Leitung der beiden Museen werden Kunsthistorikerl-innen, Kunstkritikerl-innen oder Kuratoren!Kuratorinnen in den Beirat berufen, die sich als Experten und Expertinnen für Gegenwartskunst einen Namen gemacht haben. Das ebenfalls im Kulturforum am Potsdamer Platz angesiedelte Kupferstichkabinett beherbergt die grafische Sammlung der Nationalgalerie, die über 500.000 druckgrafische Werke und etwa 110.000 Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle und Ölskizzen umfasst. Auch künstlerische Arbei-

http://hv.spk-berlin.de/deutsch/wir_ueber_ uns/einrichtungenvom 20.09.2011.

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

ten jüngeren Datums wurden und werden kontinuierlich angekauft. Unter dem Begriff Museen Dahlem sind das Ethnologische Museum, das Museum für Asiatische Kunst und das Museum Europäischer Kulturen vereint. Ist das Ethnologische Museen auf materielle Kulturerzeugnisse vorindustrieller Gesellschaften spezialisiert, sammelt das Museum Europäischer Kulturen Objekte europäischer Alltagskultur und populärer Kunst vom 18. Jahrhundert bis heute. Einzig das Museum für Asiatische Kunst präsentiert gelegentlich künstlerische Arbeiten noch lebender Künstler/ -innen, wie zum Jahreswechsel 2011/2012 eine Installation des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei. Die Akademie der Künste ist eine Einrichtung des Bundes, die zeitgenössische Kunst aller Sparten vermittelt und deren Tradition bis ins 17. Jahrhundert zurückgeht. Die heutige Akademie ist ein Zusammenschluss der von 1972 bis 1990 bestehenden Akademie der Kiinste der Deutschen Demokratischen Republik und der 1954 gegründeten Akademie der Künste in Berlin (West). Im Rahmen des Hauptstadtbeschlusses wurde die Akademie zu einer von der Bundesrepublik Deutschland getragenen Körperschaft des öffentlichen Rechts, die vom Staatsminister für Kultur und Medien gefördert wird. Der Hauptsitz der Akademie ist in einem 2004 eröffneten Neubau am Pariser Platz. Das Gebäude am Hanseatenweg, dem früheren Sitz der Westberliner Akademie, wird flir Tagungen, Kongresse, Ausstellungen und für Verwaltungszwecke genutzt. Die Selbstpräsentation auf der Website der Akademie erläutert ihren Aufbau und ihre Aufgaben: Als eine internationale Gemeinschaft von Künstlern beruft die Akademie in geheimer Abstimmung Mitglieder, deren Werk auf dem Gebiet der Bildenden Kunst, der Baukunst, der Musik, der Literatur, der Darstellenden Kunst sowie der Film- und Medienkunst anerkannt wird. Dabei handelt es sich um Persönlichkeiten, die die Kunst ihrer Zeit prägen und von denen erwartet wird, dass sie an den Aufgaben der Akademie mitwirken. [... ] Die Akademie soll öffentlich wirken und sich sowohl der Vermittlung neuer künstlerischer Tendenzen als auch der Pflege des kulturellen Erbes widmen. Im Rahmen dieser Aufgaben veranstaltet sie unter anderem Kunst- und Dokumentationsausstellungen, Workshops, Konzerte, Vorträge, Lesungen, Film-, Theater- und Tanz-Aufflihrungen.2

Ebenfalls gefördert vom Staatsminister für Kultur und Medien betreiben die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH (KBB) den Martin-Gropius-Bau. Dort werden in wechselnden Ausstellungen kulturhistorische, kunstgewerbliche und Themen der bildenden Kunst aufbereitet. Bereits in den 1980er Jahren war er ein Haus für Gegenwartskunst in Westberlin, das junge, weniger etablierte Künstler/ -innen förderte. Zum Beispiel wurden in der Ausstellung »Zeitgeist - Internationale

2

http://www.adk.de/de/akademie/aufbau-aufgaben vom 10.08.2011.

DIE STRUKTURDATEN

I 67

Kunstausstellung Berlin 1982« Werke von Vertreterl-innen der damals entstehenden Kunstposition »Neue Wilde« gezeigt, was zu deren Durchbruch beitrug. Heute ist der Martin-Gropius-Bau ein Ort flir großangelegte und publikumswirksame Ausstellungen. Die KBB betreibt ferner das Haus der Kulturen der Welt, in dem die Bereiche bildende Kunst, Musik, Literatur, darstellende Künste, Film und digitale Medien vertreten sind. Das Haus versteht sich als Schnittstelle zwischen internationalen Künstlerl-innen und der Stadt Berlin und seiner Bevölkerung. Dies drückt sich vor allem in den Bildungs- und Vermittlungsprogrammen sowie im Einbezug ansässiger Künstlerl-innen und des städtischen Raums aus. Im Mai 2010 wurde mit der Reihe »Labor Berlin« in Berlin lebenden internationalen Künstlerl-innen eine Ausstellungsplattform geboten. 3 Das zentrale Berliner Landesmuseum für Gegenwartskunst ist die Berlinische Galerie. Deren Sammlung umfasst 5.000 Gemälde und Skulpturen, Installationen und Medienarbeiten, 15.000 grafische Arbeiten, 20.000 Fotografien, eine umfangreiche Ansammlung architektonischer Entwürfe und ein Künstlerarchiv aus dokumentarischen Nachlässen in Berlin lebender bildender Künstler/-innen, Künstlergruppen, Galeristen/Galeristinnen und Kunstwissenschaftler/-innen. Mit folgenden Worten wird die Sammlung auf der Website des Museums charakterisiert: Die Sammlung der Berlinischen Galerie unterscheidet sich fundamental von jenen anderer Museen der Hauptstadt, da es sich nicht um eine ftirstliche, sondern um eine Bürgersammlung handelt, die seit 1975 mit großem Enthusiasmus zusammen getragen wurde. Überdies erfolgte eine ungewöhnlich anmutende Spezialisierung auf in Berlin entstandene Kunst seit 1870. Das Sammlungsgebiet der Berlinischen Galerie zeichnet das Museum aus, macht es besonders. Die lokale Konzentration auf das künstlerische Schaffen in einer Region ist jedoch nicht als Beschränkung zu verstehen, sondern muss vielmehr als Fokussiemng begriffen werden. Konzentrierte man sich zunächst auf Erwerbungen aus dem Bereich der Malerei, der Skulptur und der Grafik, kamen mit der Fotografischen Sammlung, der Architektursammlung und den Künstler-Archiven weitere Sammlungsbereiche hinzu, die das dynamische Prinzip, ästhetische Praktiken zu reflektieren, vor Augen ftihren. 4

Die Zuschüsse des Landes Berlin reichen aus, um die Personal- und Sachkosten zu finanzieren und um die hauseigene Sammlung zu präsentieren. Für Ausstellungen, die eine Ausleihe externer Exponate vorsehen, oder für den Ankauf neuer Werke muss das Museum einen Antrag an die Senatskanzlei, Abteilung Kulturelle Angelegenheiten, stellen oder Sponsoren akquirieren. Stellte die Kulturverwaltung vor einigen Jahren noch selbst Mittel für den Ankaufvon Werken zur Verfügung, holt sie

3 4

Vgl. http://www.hkw.de/de/programm/2011 /labor_berlin_2011 /projekt_detai1_53773.php vom 05.09.2011. http://www.berlinischegalerie.de/sammlung/unsere-sammlung.html vom I 0.09.2011.

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I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

heute Gelder über einen Antrag bei der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin ein, die dann an das Museum weitergeleitet werden. 2010 erhielt das Museum die Untemehmenssammlung der Gasag AG als Leihgabe. Als ein Instrument zur Förderung der Kunstproduktion der Hauptstadt verleiht das Museum mehrere Kunstpreise. Die Preisverleihungen werden meist von Ausstellungen der Preisträgerl-innen begleitet. Folgende Preise werden verliehen: Die Berlinische Galerie vergibt den Fred-Thieler-Preis für Malerei und das Eberhard-RotersStipendium. Sie richtet zudem den von der Stiftung Preußische Seehandlung zu vergebenden Friedlieb-Ferdinand-Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung und gemeinsam mit der Stiftung Stadtmuseum, dem Neuen Berliner Kunstverein und der Neuen Nationalgalerie den von der Kulturverwaltung gestellten Hannah-Höch-Preis aus. 5

Das Bröhan-Museum als Landesmuseum flir Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus im Zeitraum von 1889 bis 1939, das landeseigene Brücke-Museum und das Stadtmuseum Berlin sind weder Präsentationsorte ftir lebende Künstler/-innen, noch wird Gegenwartskunst angekauft. Die Kunsthochschulen

Berlin steht im Vergleich zu allen Bundesländern bei den öffentlichen Ausgaben für Kunsthochschulen je Einwohner/-in im Jahr 2007 an vorderster Stelle (siehe Tab. 6). Zwei der vier Berliner Kunsthochschulen bieten eine Ausbildung im Bereich Bildende Kunst an. Die Universität der Künste Berlin (UdK) feierte 1996 ihr dreihundertjähriges Bestehen und war einst die Lehrakademie der Berliner Akademie der Künste. Neben den Fakultäten flir Musik, Gestaltung und Darstellende Kunst besitzt die UdK eine eigene Fakultät für Bildende Kunst. Diese gliedert sich in fünf Institute: das Institut für Kunst, das Institut für Kunstdidaktik, das Institut ftir Ästhetische Erziehung, das Institut ftir Kunstwissenschaft und Ästhetik und das Institut für Kunst im Kontext. Das letztgenannte Institut dient vor allem der Weiterbildung und für Ergänzungsstudien. Die Gliederung zeigt auf, dass das Lehrangebot sowohl Freie Kunst als auch Kunsterziehung abdeckt. Der künstlerische Studiengang umfasst die Gebiete Malerei, Freie Grafik, Bildhauerei und Neue Medien. Sein Ziel ist, die Studierenden »auf die Arbeit als selbständige freischaffende Künstler und Künstlerinnen vorzubereiten«. 6 Während der ersten beiden Semester absolvieren alle Studierenden des Studiengangs die gleiche Grundlehre, in der Gestaltungsgrundlagen vermittelt werden. Ab dem dritten Semester erfolgt der Wech-

5 6

http://www.berlinischegalerie.de/museum-berlin/kunstpreise.html vom 03.11.2011. http://www .udk-berl in .de/sites/content/themen/fakultaeten/b ildende_ kunst/studiengaen ge/kuenstlerische_ studiengaenge/bildende_ kunst/-index_ger.html vom 05.09.2011.

DIE STRUKTURDATEN

I 69

sel in eine Fachklasse. Der Schwerpunkt liegt auf der künstlerischen Praxis, d.h. auf der Produktion künstlerischer Arbeiten. Ergänzt wird dieser durch Lehrveranstaltungen in Kunstwissenschaft und -geschichte, in Ästhetik und Philosophie. Das Studium wird mit einer künstlerischen Absolventenprüfung abgeschlossen. Wird diese erfolgreich bestanden, kann ein zweisemestriges Meisterschülerstudium angeschlossen werden. Das Career & Transfer Service Center der UdK richtet sich an Studierende und Absolventen/Absolventinnen aller vier Berliner Kunsthochschulen.

Tab. 6: Öffentliche Ausgaben (Grundmittel) für Kunsthochschulen 2007 nach Ländern (einschl. Gemeinden/Zweckverbände) -sortiert nach Euro je Einwohnerl-in Euro je Einwohner/-in

Gesamtausgaben (in Mill. Euro)

Berlin

20,29

69,1

Bremen

15,83

10,5

Sachsen

11,26

47,7

Harnburg

10,82

19,1

Saarland

6,49

6,7

Bayern

6,44

80,6

Sachsen-Anhalt

5,07

12,3

Baden-Württemberg

4,93

52,9

Nordrhein-Westfalen

4,64

83,5

Thüringen

4,43

10,2

Brandenburg

3,97

10,1

Niedersachsen

3,78

30,2

Schleswig-Holstein

3,47

9,8

Hessen

3,03

18,4

Mecklenburg-Vorpommern

2,70

4,6

Rheinland-Pfalz*

-

-

Länder insgesamt

5,66

465,7

Bundesland

Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Kulturfinanzbericht 2010.

* In Rheinland-Pfalzgibt es keine Kunsthochschulen. In Workshops, individueller Beratung und Coachings werden Künstlerl-innen bei ihrem Berufseinstieg unterstützt. Fragen zur erfolgreichen Positionierung im Feld und zur Existenzgründung und -Sicherung stehen dabei im Vordergrund. Die

70 I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Kunsthochschule Berlin-Weißensee wurde vor über 50 Jahren gegründet und bietet seitdem ein Lehrangebot aus künstlerischen und gestalterischen Bereichen. Das Angebot untergliedert sich in folgende Fächer: Bildhauerei, Bühnen- und Kostümbild, Malerei, Mode-Design, Produkt-Design, Textil- und Flächen-Design, Visuelle Kommunikation, Künstlerische Grundlagen, Theorie und Geschichte, Kunsttherapie und Raumstrategien. Studierende aller Fächer absolvieren ein zweisemestriges, interdisziplinäres Grundlagenstudium, auf Basis dessen sie sich für ein Fach entscheiden sollen. Der Austausch zwischen den Fachgebieten und das interdisziplinäre Arbeiten sind auch darüber hinaus erwünscht und werden gefördert. So bleiben die Werkstätten fUr alle Fachrichtungen zugänglich. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der theoretischen Ausbildung. Der Studienplan sieht im zweiten Studienabschnitt die Bearbeitung einer wissenschaftlichen Fragestellung im Rahmen einer theoretischen Hausarbeit vor. Ein Meisterschülerstudium steht jenen offen, die ihr Studium in der Regelzeit und mit der Note »Sehr gut« abschließen. Folgende Tabelle gibt einen Überblick über alle Studierenden, die im Wintersemester 2010/20 II an deutschen bzw. Berliner Hochschulen ein kunstspezifisches Fach belegten. Die Übersicht gliedert sich nach ausgewählten Studienbereichen, nach dem ersten Studienfach und nach der Hochschulart: Tab. 7: Studierende an deutschen und Berliner Hochschulen im WS 2010/2011 in künstlerischen Studiengängen Studienbereich Kunst, Kunstwissenschaft allgemein

an Universitäten

an KunstHochschulen

an FachHochschulen

gesamt

D

Berlin

D

Berlin

D

Berlin

D

Berlin

Tnterdiszipl. Studien m. Schwerpunkt Kunst und Kunstwissenschaft

385

273

83

126

296

221

764

620

Kunsterziehung

2964

5910

501

11 727

1207

*

** 1817

501

*** 1129

**** Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft

11397

Restaurierungskunde

100

Studienbereich zusammen

14846

1207

330 165

1480

2395

627

775

116

1040

116

2200

337

19441

2444

DIE STRUKTURDATEN

an Studienbereich Bildende Kunst

V niversitäten D

Bildende Kunst/Grafik

605

Berlin

an KunstHochschulen D

Berlin

2654

Bildhauerci/Plastik

492

89

Malerei

610

96

Neue Medien

751

Studienbereich zusammen

605

4507

185

an FachHochschulen D

Berlin

I 71

gesamt D

Berlin

36

3295

II

503

89

610

96

1157

198

1908

198

1204

198

6316

383

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.1 , WS 2010/2011; Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Eigene Berechnungen. *Das Studienfach »Kunst- und Bildgeschichte« wurde von der Verfasserirr hier zugeordnet. **Die Studienfächer »Art in Context« (78) und »Kunsttherapie« (48) wurden von der Verfasserin hier zugeordnet. ***Die Studienfächer »Informations- und Interfacedesign« (28) sowie »Yisual- und Motionsdesign« (193) werden vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg dem Studienbereich »Kunst, Kunstwissenschaft allgemein« zugeordnet. **** Studierende an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen im Studiengang >>Kunsterziehung«.

Die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft

Die Bundesregierung startete im Jahr 2008, koordiniert vom Staatsminister für Kultur und Medien und dem Bundeswirtschaftsministerium, ihre »Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft«. Auf der Website der Initiative ist die Branche der Kultur- und Kreativwirtschaft wie folgt charakterisiert: Die schöpferischen und gestaltenden Menschen sind die Basis der Kultur- und Kreativwirtschaft: Autoren, Filmemacher, Musiker, bildende und darstellende Künstlerinnen und Künstler, Architekten, Designer und die Entwickler von Computerspielen schaffen künstlerische Qualität, kulturelle Vielfalt, kreative Erneuerung und stehen zugleich fiir die wirtschaftliche Dynamik einer auf Wissen und Innovation basierenden Ökonomie. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird insbesondere von Freiberuflern sowie von Klein- und Kleinstbetrieben geprägt. Sie sind überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert und beschäf-

72

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

tigen sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen oder kreativen Gütern und Dienstleistungen.7

Die Initiative beruft sich auf den Schlussbericht der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« (Deutscher Bundestag 2007) und gab 2008 ein eigenes Forschungsgutachten in Auftrag, das Folgendes zum Inhalt hatte: Der Forschungsbericht beschreibt die gesamtwirtschaftliche Perspektive der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland, gibt damit eine erste umfassende Lagebeschreibung der Situation dieses Wirtschaftszweiges wieder und fuhrt eine charakteristische Definition der Teilbranchen in Deutschland ein. Dabei hat der Einfluss der neuen Technologien besondere Berücksichtigung gefunden. Analysiert wurden in dem Gutachten auch die bestehenden Rahmenbedingungen, insbesondere in den Bereichen Mittelstandsförderung und EU-Regionalförderung, etwa im Hinblick auf mögliche Hemmnisse für Kreative bei der Erschließung neuer Märkte im In- und Ausland. (BMWi/BKM 2009: 6)

Die daraus resultierenden Ziele und vorgeschlagenen Lösungswege der Initiative sind: Hauptziel ist die Erschließung positiver Zukunftsperspektiven der Kultur- und Kreativwirtschaft durch Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und bessere Ausschöpfung und Entwicklung ihres Arbeitsplatzpotentials. [ ... ] So hat di e Bundesregierung [ .. . ] die Unterstützung kl einer und mittlerer Unternehmen auf Auslandsmärkten verstärkt, die Startbedingungen für Unternehmensgründungen und Kleinunternehmen verbessert und die Finanzierungsmöglichkeiten erweitert. (Ebd.: 2)

Für Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen der »Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft« standen im Jahr 2011 aus dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums 3,5 Millionen Euro zur Verfügung. Diese Mittel waren unter anderem vorgesehen flir »die Durchführung von regelmäßigen Branchengesprächen, Aufbau von Netzwerken und Plattformen sowie Beteiligung an Wettbewerben [... ], Fachkongressen und Fachmessen«.x Die Landesregierung von Berlin installierte das Internetportal www.CreativeCity-Berlin.de, das sich als ein »Branchennetzwerk« versteht und Interessierte über Förderprogramme und Stipendien, Ausbildungsmöglichkeiten und Stellenangebote informiert. Neben dem Bereich Bildende Kunst zählen zu den Kreativbereichen

7 8

http://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KuK/Navigation/kultur-kreativwirtschaft.html vom 10.09.2011. Bundeshaushalt 2011 , Einzelplan 09, S. 40, zitiert nach: http://www.bundesfinanzministe rium.de/bundeshaushalt2012/pdf/201 1/epl09.pdfvom 15.02.2012.

DIE STRUKTURDATEN

I 73

zwölfweitere Sparten. Die Plattform soll vor allem auch Kunstschaffende und Kreative unterstützen, die nach Berlin ziehen und sich selbstständig machen wollen. In den Jahren 2005 und 2008 gaben jeweils die für Wirtschaft und Kultur zuständigen Senatsverwaltungen einen Kulturwirtschaftsbericht heraus. Der letzte Kulturwirtschaftsbericht (SenWTF 2008) untersucht insgesamt neun Branchen und trägt unter anderem umfangreiche Daten zu Beschäftigungs- und Umsatzzahlen zusammen. Die 2011 erschienene empirische Untersuchung mit dem Titel »Kultur- und Kreativwirtschaftsindex Berlin-Brandenburg« verfolgt ein ähnliches Ziel: Zum ersten Mal legen die Länder Berlin und Brandenburg gemeinsam mit der !HK Berlin, der !HK Potsdam und dem Medienboard Berlin-Brandenburg den Kultur- und Kreativwirtschaftsindex vor. Der KKl gibt einen Einblick in die wirtschaftliche Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft der Region und reflektiert das aktuelle Stimmungsbild innerhalb ihrer Branchen. (House ofResearch 2011: 3)

Die seit 1997 in der Wirtschaftsverwaltung des Landes Berlin angesiedelte Initiative »Projekt Zukunft« sieht ihre Aufgabe darin, das Wachstum im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien und der Kreativwirtschaft zu fördern, Strategien zu entwickeln und Projekte zu initiieren und zu fördern. Auf der Website der Initiative ist folgende Einschätzung zur Stadt Berlin zu finden, die vor Augen führt, dass die Landespolitik darauf abzielt, Berlin als Standort der Kreativwirtschaft zu etablieren: Der Wandel Berlins zu einem wahren Mekka der Kulturwirtschaft für junge und etablierte Kreative vollzieht sich langsam aber stetig. Die Creative Irrdustries sind mittlerweile zu einem handfesten Wirtschaftsfaktor mit großem Zukunftspotenzial geworden, der weit über die Stadt hinaus wirkt und begeistert. 9

Das Land Berlin fördert im Rahmen des Programms »Qualifizierung Kulturwirtschaft« (KuWiQ) Projekte, die (angehenden) freiberuflichen Künstlerl-innen Kompetenzen für eine erfolgreiche Existenzgründung bzw. -sicherung vermitteln. Dafür stehen in den Jahren 2007 bis 2013 aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) 2,88 Millionen Euro zur Verfügung, dies entspricht umgelegt auf das Jahr 2011 rund einer halben Million Euro. Die Förderung aus dem ESF umfasst höchstens die Hälfte der förderfähigen Gesamtkosten, die nationale Kofinanzierung des restlichen Teils der Kosten besteht aus Haushaltsmitteln der Einrichtungen, öffentlichen Leistungen an die Teilnehmerl-innen (z.B. Arbeitslosengeld) und privaten Beiträgen wie Teilnehmerentgelten. Daneben werden auch die Infrastrukturen im Bereich der kultur-

9

http://www.berlin.de/projektzukunft/kreativwirtschaft vom 03.11.2011.

74

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

wirtschaftlichen Weiterbildung, vor allem flir freiberufliche Künstlerl-innen mit Mitteln der Europäischen Union modernisiert. Das Programm Qualifizierungskapazitäten in der Kulturwirtschaji (QiK) des Landes Berlin wird dazu in den Jahren 2007 bis 2013 mit 6,06 Millionen Euro (umgelegt rund 800.000 Euro für 2011) aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) gespeist. Auch diese Förderung ist seitens der EU auf die Hälfte der Gesamtkosten begrenzt, die übrigen Mittel stammen aus nationalen öffentlichen Mitteln. 10 Die Künstler- und Projektförderung

Im Jahr 2002 gründete die Bundesregierung, vertreten durch den Staatsminister für Kultur und Medien, die Kulturstiftung des Bundes als eine Stiftung des Bürgerlichen Rechts. Auf der Website sind folgende Förderziele formuliert, die die Sparten Bild und Raum, Bühne und Bewegung, Film und Neue Medien, Musik und Klang und Wort und Wissen abdecken: Die Kulturstiftung des Bundes fördert Kunst und Kultur im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Ein Schwerpunkt ist dabei die Förderung innovativer Programme und Projekte im internationalen Kontext. Dabei investiert die Stiftung auch in die Entwicklung neuer Verfahren der Pflege des Kulturerbes und in die Erschließung kultureller und künstlerischer Wissenspotentiale für die Diskussion gesellschaftlicher Fragen.11

Im Jahr 2007 wurden die Fördergrundsätze geändert, sodass nur mehr Projekte gefördert werden, die mehr als 5.000 Euro beantragen und 20 Prozent ihrer Gesamtkosten über andere Förderungen abdecken können. Beispiele für mehrmals unterstützte Großprojekte sind die weiter unten dargestellte alle zwei Jahre stattfindende Berlin Biennale und die alle vier Jahre stattfindende documenta in Kassel, als eine der renommiertesten Präsentationen zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Überdies wird die Stiftung Kulturfond5 dauerhaft bezuschusst. Die Stiftung wurde aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages von 1980 ins Leben gerufen. Damals wurden ftinf Millionen Mark zur Förderung zeitgenössischer Kunst zur Verfugung gestellt, die die Stiftung seitdem verwaltet. Jährlich werden 1,1 Millionen Euro an ca. 70 Künstler/-innen, Galerien, Kunstvereine, Museen, Kuratoren/ Kuratorinnen und Verlage in Form von Stipendien, Projekt- und Ausstellungsförderungen und Publikationszuschüssen vergeben. Seit 2007 bezuschusst der Staatsminister für Kultur und Medien überdies den Hauptstadtkulturfonds. lhm wurde durch

10 Vgl. Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2010/2011 , Band 3, Einzelplan 03, S. 60f, 84f, zitiert nach: http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/fi nanzen/haushalt/20 10_2011_band03_ep1_03.pdf vom 10.02.201 2. 11 http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/stiftung/ vom 03.11.2011.

DIE STRUKTURDATEN

I 75

den »Vertrag über die aus der Hauptstadtfunktion Berlins abgeleitete Kulturfinanzierung und die Abgeltung von Sonderbelastungen der Bundeshauptstadt - Hauptstadtfinanzierungsvertrag 2007« die Aufgabe zuteil, Projekte zu fördern, die einer Repräsentation des Staates in der Bundeshauptstadt dienen. Die jährlich zur VerfUgung stehenden rund zehn Millionen Euro werden vom Land Berlin verwaltet. Die Förderrichtlinien lauten zusammengefasst: Aus dem Hauptstadtkulturfonds werden Einzelprojekte und Veranstaltungen gefördert, die für die Bundeshauptstadt Berlin bedeutsam sind, nationale und internationale Ausstrahlung haben bzw. besonders innovativ sind. Die Förderung kann für nahezu alle Sparten und Bereiche des Kulturschaffens gewährt werden: Architektur, Design, Ausstellungen, Bildende Kunst, Filmreihen, Literatur, Musik, Musiktheater, Performance, Tanz, Theater, für spartenübergreifende, interdisziplinäre Vorhaben und Projekte, die dem Kulturaustausch dienen. Die Projekte müssen in Berlin realisiert bzw. präsentiert werden. 12

Die seit 1925 bestehende Förderorganisation Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) wirdgroßteilsaus Mitteln des Bundes finan ziert. Weitere Zuschüsse kommen von der Europäischen Union, Unternehmen, Organisationen und ausländischen Regierungen. An das Hauptstadtbüro des DAAD ist das Berliner Kunst/erprogramm - ein Stipendienprogramm ftir die Sparten Bildende Kunst, Literatur, Musik, Film, Tanz und Performance - angegliedert. Das Programm wurde 1963 von der Ford Foundation gegründet, ein Jahr später vom DAAD übernommen und wird heute votTangig vom Auswärtigen Amt und dem Berliner Senat gefördert. Pro Jahr werden weltweit 20 Stipendien fLir einen meist einjährigen Aufenthalt in Berlin vergeben. Die daadgalerie am Checkpoint Charlie hat als Präsentations- und Veranstaltungsort des Programms und seiner Stipendiaten und Stipendiatinnen eine etablierte Stellung im Berliner Kunstgeschehen. Auf der Website des Programms zum Bereich Bildende Kunst werden Namen renommierter Künstlerl-innen aufgelistet. Viele hätten »unmittelbar nach und durch ihren Berlinaufenthalt«, also durch ihr DAAD-Stipendium, internationale Anerkennung erfahren. 13 Auf Landesebene ist für die Förderung der bildenden Kunst die bei der Berliner Senatskanzlei angesiedelte Kulturverwaltung zuständig. Die Förderstruktur gliedert sich in die Bereiche Institutionen, Vereine und Verbände, Atelierförderung und Projekt- und Künstlerförderung. 14 Folgende Tabelle zeigt, dass im Haushaltsjahr 2011 ca. 4,3 Millionen Euro für den Bereich Bildende Kunst eingeplant waren. Damit nimmt er im Vergleich zu den anderen Kunstsparten mit großem Abstand den untersten Rang ein. Exemplarisch

12 http://www.hauptstadtkulturfonds.berlin.de/-index.php?id=32 vom I 0.1 0.2011. 13 Vgl. http://www.berliner-kuenstlerprogramm.de/de/profil_bi.html vom 10.10.20 11. 14 Vgl. http://www.berlin.de/sen/kultur/foerderung vom 10.10.2011.

76

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

flir das Verhältnis von Landes- und Bezirksausgaben weist die Tabelle flir den Bereich der Museen auch die Summe der Ausgaben der Bezirkshaushalte aus.

Tab. 8: Planmäßige Ausgaben 2011 im Berliner Haushaltsplanfür die Förderung einzelner Sparten im Bereich »Kulturelle Angelegenheiten« (in Euro) Sparte

Landeshaushalt

Bühnen/Tanz

219.661.700

Museen, Gedenkstätten und Erinnerungskultur

64.070.228

Musik

41.308.650

Förderung der Bildenden Kunst

4.299.970

Förderung der Literatur und Bibliotheken

24.747.945

Bezirkshaushalte

200.000

Quelle: Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 20 I 0/2011, Band 3, Einzelplan 03; Haushaltspläne der Bezirke.

Tabelle 9 gibt einen Überblick über die öffentlichen Grundmittel für Museen, Sammlungen und Ausstellungen in den Jahren 2001, 2003, 2005 und 2007. Im Bereich der strukturellen Kunstförderung steht das Land Berlin, gerechnet auf die Einwohnerzahl, im Vergleich zu den anderen Bundesländern in den Jahren 2001 und 2003 an erster, im Jahr 2005 an zweiter und im Jahr 2007 an dritter Stelle. (Die Länder sind in der Tabelle nach der Höhe ihrer Ausgaben in Euro je Einwohner/-in im Jahr 2007 sortiert.) Es zeigt sich, dass die Bundesausgaben für diesen Bereich zugenommen haben, die Landesmittel hingegen leicht rückläufig sind. Insbesondere flir Berlin als Hauptstadt und Sitz vieler Bundesmuseen machen sich die erhöhten Bundesausgaben bemerkbar.

DIE STRUKTURDATEN

I 77

Tab. 9: Öffentliche Ausgaben (Grundmittel) für Museen, Sammlungen, Ausstellungen nach Ländern (einseht. Gemeinden/Zweckverbände) und Bund 2001

2007

Euro je Einwohner /-in

Gesamtausgaben (Mill. Euro)

Euro je Einwohner /-in

Gesamtausgaben (Mill. Euro)

Harnburg

10,9

18,7

29,80

52,5

Saarland

4,6

4,9

29,80

31,0

Berlin

35,8

121,1

26,37

89,9

Sachsen

24,5

108,1

23,08

97,7

Bremen

20,8

13,7

22,35

14,8

Sachsen-Anhalt

20,7

53,8

22,11

53,7

Thüringen

18,3

44,4

19,20

44,2

Nordrhein-Westfalen

15,3

275,8

16,98

305,8

Mecklenburg-Vorp.

14,9

26,4

16,56

27,9

Bayern

17,5

214,8

15,70

196,3

Baden-Württemberg

14,6

154,2

14,78

158,9

Rheinland-Pfalz

9,6

38,7

10,61

43,0

Schleswig-Holstein

7,8

21,9

10,20

28,9

Hessen

14,0

84,8

10,12

61,5

Niedersachsen

7,9

63,0

8,66

69,1

Brandenburg

9,0

23,3

6,89

17,5

Länder insgesamt

15,4

1267,5

15,71

1292,6

Bund

1,3

108,9

3,44

282,9

Bund, Länder, Gemeinden/Zweckverbände insgesamt

16,7

1376,4

19,15

1575,5

Bundesland

Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Kulturfinanzberichte 2010 und Museumsbericht 2004.

78

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Neben den oben angeführten Museen und Kunstvereinen wird das Kulturwerk des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlins GmbH (Kulturwerk) jährlich mit rund 1,1 Millionen Euro bezuschusst. Das Kulturwerk ist eine Dienstleistungseinrichtung für die künstlerische Produktion. Es stellt eine Druckwerkstatt und eine Bildhauerwerkstatt zur Verfligung, unterhält ein Büro für Kunst im öffentlichen Raum und organisiert über sein Atelierbüro die vom Land Berlin subventionierten Ateliers. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die institutionellen Fördermittel, die den Kunsteinrichtungen in den Jahren 2000 und 2011 zur Verfügung gestellt wurden. In den zehn Jahren wurden die meisten Zuschüsse geringfügig erhöht. Nur die Mittel für Projekte des Hauptstadtkulturfonds haben sich mehr als vervierfacht Das Kulturwerk erhält neben dem Bauhaus-Archiv die höchste institutionelle Förderung. Tab. 10: Haushaltsmittel des Landes Berlin und Mittel der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin (DKLB) für Einrichtungen der bildenden Kunst, ohne Investitionsmittel (in Euro) 2011

Einrichtung direkt

2000 indirekt

direkt

Akademie der Künste**

0

7.476.621

Künstlerhaus Bethanien

712.900

738.254

Deutscher Künstlerbund

26.000

34.257

Deutscher Werkbund

20.500

20.452

Kulturwerk des bbk

1.102.400

174.000

920.325

Kunst-Werke e.V.

511.300

511.292

Sammlungs- und Dokumentationszentrum für Kunst der DDR in Beeskow

53.700

102.258

Kunsthalle

400.000

0

n.b.k e. V.***

834.000

782.788

NGBK e. V.***

681.000

616.107

Stiftung Kolbe

119.700

99.702

Bauhaus-Archiv e.V.

1.149.000

343.440

87 1.241

Stiftung Bröhan-Museum

796.000

278.220

719.899

Brücke-Museum

484.400

34 1.338

DIE STRU KTURDATEN

I 79

nicht nur bildende Kunst Zuschuss an Stiftung Stadtmuseum Berlin

8.632.000

1.412.280

9.008.963

Zuschuss an Stiftung Preuß. Kulturbesitz

14.599.000

1.027.980

13.989.968

Zuschüsse für Projekte aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds

9.816.000

2.372.394

Zuschuss an die Kulturstiftung der Länder

631.000

518.450

Werkbundarchiv

351.100

286.068

1.540

1.534

Ausstellungen privater Museen

Quelle: Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2010/2011, Band 3, Einzelplan 03; Haushaltsplan von Berlin für das Haushaltsjahr 2000, Band 1 und 2, Einzelplan 17; AGH: Drs.l3 /4193 undAGH: Drs. 16/3698.

* Indirekte Subventionen sind beispielsweise die kostenlose oder vergünstigte Überlassung von Immobilien.

** Seit 2004 vom Bund getragen, vorher von den Ländern Berlin und Brandenburg. *** Institutionelle Förderung aus Mitteln der DKLB. Mit der Akademie der Künste, den von der Stifiung Preußischer Kulturbesitz getragenen Staatlichen Museen zu Berlin und dem von der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH getragenen Martin-Gropius-Bau finanziert der Bund bedeutende Einrichtungen der bildenden Kunst in Berlin. Daneben werden in Berlin ansässige bundesweite Vereinigungen im Rahmen der »Förderung von Kunst und Kultur von gesamtstaatlicher Bedeutung« mit Projektmitteln unterstützt (siehe Tab. 11). Im Jahr 2003 bot das Land Berlin 860 strukturell gesicherte Ateliers und Atelierwohnungen an. Auf der W ebsite werden aktuell ca. 700 Ateliers angegeben (siehe Tab. 12). Darin enthalten sind landeseigene oder vom Land angemietete, sowie öffentlich geförderte private Ateliers, bei denen das Land oder die Bezirke die Belegrechte haben. Zusätzlich bestanden in diesem Jahr 600 Ateliers freier und privater Träger, die öffentlich gefördert wurden (AGH: Drs. 15/3672). Die Ateliers werden entweder befristet oder unbefristet zu einem Mietzins zwischen 2,50 und 5 Euro pro Quadratmeter an Künstlerl-innen vergeben. Voraussetzung für eine Bewerbung beim Atelierbüro des Kulturwerks ist ein Nettoeinkommen unter 16.055 Euro jährlich (AGH: Drs. 15/12 504). 2011 wurden des Weiteren 226 Ateliers, die im Eigentum landeseigener Wohnungsbaugesellschaften stehen, von diesen zur Dauer- oder Zwischennutzung zu günstigen Mietkonditionen an Künstlerl-innen überlassen (AGH: Drs. 16/15 251 ). Ein Beispiel dafür sind die Weddinger Gerichtshöfe, die vom Verein Kunst in den Gerichtshöfen e. V getragen werden. Die Räumlichkeiten sind Eigentum der landeseigenen GESOBA U AG. Der Gebäudekomplex beherbergt

80

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

seit den 1980er Jahren 70 Ateliers, die mehrmals jährlich ftir Publikum geöffnet werden. Tab. 11: Haushaltsmittel des Bundes und anderer Bundesländer für Einrichtungen der bildenden Kunst in Berlin, ohne Investitionsmittel (in Tausend Euro) Einrichtung

2011

Akademie der Künste

18.075

Projektförderung Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart

938

Projektförderung Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler

97

Projektförderung internationale Gesellschaft der Bildenden Künste

96

Projektförderung Deutscher Künstlerbund

95

Projektförderung Arbeitgemeinschaft Deutscher Kunstvereine e. V.

36

nicht nur bildende Kunst Zuwendung an die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH

22.320

Projektförderung Martin-Gropius-Bau

2.559

Förderung hauptstadtbedingter kultureller Maßnahmen und Veranstaltungen in Berlin

11.655

Bundeszuschuss an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz

198.561

Zuschüsse anderer Länder (außer Berlin) an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz

22.760

nicht nur Berlin Zuschuss an die Kulturstiftung des Bundes

37.048

Projektförderung iCOM Deutschland - Deutsches Nationalkomitee des internationalen Museumsrats

96

Projektförderung Deutscher Museumsbund

69

Quelle: Bundeshaushalt 2011, Einzelplan 04. Eigene Berechnungen.

DIE STRUKTU RDATEN

I 81

Tab. 12: Anzahl der strukturell gesicherten Ateliers und Atelierwohnungen in Berlin 2003 Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur ( Atelierhäuser und Ateliermietprogramm)

412

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

278

Bezirke*

87

Wohnungsbaugesellschaften (Altbestände)

26

Freie Träger (Belegrechte)

56

Strukturell gesicherte Ateliers und Atelierwohnungen gesamt:

859

Zzgl. Freie Träger und Private Atelierhäuser**

597

Gesamt: Ateliers und Atelierwohnungen

1.456

Quelle: Abgeordnetenhaus Berlin: Drs. 15/3672, S. 5.

* Die Gesamtzahl der Ateliers in den Bezirken beträgt 132, davon 87 Ateliers mit Belegrechten, 45 Ateliers vergibt ein Freier Träger. ** Die Gesamtzahl beträgt 608, davon sind 56 Ateliers der o.g. Freien Träger abgezogen und 45 Ateliers der Freier Träger des Bezirks hinzugefügt. Im Jahr 2008 nutzten 358 Personen, davon 198 Künstlerinnen und 160 Künstler vom Atelieranmietprogramm der Kulturvetwaltung bereitgestellte Räume. Die Atelierhäuser A dlershof, Schnellerstraße und das Atelierhau s am Käuzchen steig waren mit 51 Personen belegt, davon 29 Frauen und 22 M änner. Für die im Jahr 2008 regulär zu vergebenden 84 Plätze im Atelieranmietprogramm, den Atelierhäusern und den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geförderten Atelierwohnungen gab es 401 Bewerbungen.15 Nach Angab en des Berufsverbandes B ildender Kiinstler Berlin e. V. (bbk) sollen in den Jahren 201 2 und 2013 die Landesmittel für Ateliers erhöht w erden: Der Senat beabsichtigt, die zur Verfügung stehenden Gelder für das Atelieranmietprogramm zunächst um 150.000 € und im kommenden Jahr 20 13 um 300.000 € zu erhöhen. Diese Mittel sollen dazu eingesetzt werden, zusätzliche Arbeitsflächen für Künstlerinnen und Künstler in landeseigenen Gebäuden anzumieten. Damit können im Lauf der nächsten 2 Yz Jahre etwa 100 neue Ateliers angeboten werden. 16

15 Vgl. Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2010/2011 , Einzelplan 03, S. 115, zitiert nach: http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/finanzen/haus halt/2010_2011_band03_epl_03.pdfvom 10.02.2012. 16 http://www.bbk-berlin.de/conlbbk/front_content.php?idart= 1838&refld= 199 vom 04.02.2012.

82

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Die Projekt- und Künstlerförderung des Senats umfasst folgende Programme: Erstens werden bis zu 7.000 Euro für Einzel- und maximal 10.000 Euro für Gruppenausstellungen vergeben, wobei nach Angaben der Kulturverwaltung jährlich insgesamt 50.000 Euro zur Verfügung stehen. Im Jahr 2011 wurden zwei Einzelprojekte und fünf Gruppenprojekte gefördert. Zweitens wird ausgewählten in Berlin lebenden Künstlerl-innen ein Zuschuss von bis zu 8.000 Euro für die Publikation eines ersten Einzelkatalogs und höchstens 3.200 Euro für die Erstellung einer Website gewährt. Im Jahr 2011 wurden sechs Kataloge und zwei Websites gefördert. Drittens werden im Jahr 15 mit 12.000 Euro dotierte Arbeitsstipendien angeboten, die sich über einen Förderzeitraum von sechs Monaten erstrecken. Im Jahr 2010 haben sich auf diese Arbeitsstipendien 340 Personen beworben. Viertens verleiht der Senat den mit 5.000 Euro dotierten Hannah-Höch-Preis an über 60-jährige Berliner Künstler/-innen. Fünftens hat der Senat eine Förderkommission Bildende Kunst eingerichtet, in der Personen vertreten sind, die in den Berliner Sammlungen zeitgenössischer Kunst arbeiten. Mehrmals jährlich besucht die Kommission ausgewählte Künstlerl-innen in ihren Ateliers. Die Auswahl basiert auf Vorschlägen der Kommissionsmitgliederl-innen oder auf Bewerbungen, die beim Senat eingehen. Einmal im Jahr bereitet die Kommission der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin einen Vorschlag, welche Werke in Berlin lebender Künstlerl-innen in eine Berliner Kunstsammlung aufgenommen werden sollten und stellt einen Antrag auf Finanzierung des Ankaufs. 17 Tabelle 13 gibt einen Überblick über die Anzahl der Künstlerl-innen, von denen in den Jahren 1999 bis 2008 Kunstwerke angekauft wurden, den Gesamtbetrag der KaufPreise sowie die Verteilung des Gesamtvolumens nach Geschlecht. Im Jahr 1989 richtete die Kulturverwaltung eine Künstlerinnenförderung ein. Seit 1992 verfügt das Berliner Künstlerinnenprogramm über einen eigenen Etat. Im Doppelhaushalt 201012011 waren 85.000 Euro für Projekte von Film- und Videomacherinnen eingeplant. Alle zwei Jahre wird eine Künstlerin mit 20.000 Euro bei der Umsetzung einer Einzelausstellung und eines Übersichtskatalogs unterstützt. Nach Angaben der Kulturverwaltung werden 82.000 Euro an langjährig arbeitende Frauenkulturinitiativen und -projekte vergeben. Bereits mehrere Jahre werden der Künstlerinnenverhand Gedok-Berlin, das Verborgene Museum und die Inselgalerie gefördert. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft bezuschusst das Professionalisierungsprogramm Goldrausch art IT. 18

17 Vgl. http://www.berlin.de/sen/kultur/foerderung/kunst-atelier/projekt-kuenstler/-index.de. html und http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-kultur/kulturfoerderung/bildende kunst/201l_foerderung_bild._kunst.pdfvom 15.01.2012. 18 Vgl. http://www.berlin.de/sen/kultur/foerderung/kuenst1erinnen/-index.de.html vom 10.10.2011.

DIE STRUKTU RDATEN

I 83

Tab. 13: Durch Ankaufvon Kunstwerken geförderte Künstlerl-innen

Anzahl Personen

davon °/o Frauen

GesamtBetrag in Euro

davon °/ o für Werke von Frauen

1999

50

38

345. 833

30

2000

52

35

339.743

24

2001

16

50

102.104

49

2002

31

39

199.878

32

2003

26

42

253.985

37

2004

24

42

250.000

37

2005

42

43

250.000

48

2006

30

43

250.000

42

2007

19

53

250.000

55

2008

29

59

250.000

49

Haushaltsjahr

Quelle: Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2010/2011, Band 3, Einzelplan 03, S. 73.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die für die einzelnen Fördermaßnahmen zur Verfügung gestellten Mittel zu Beginn des Jahrtausends und im Jahr 2011. Die oben genannten Angaben der Kulturverwaltung weichen teilweise von den Zahlen des entsprechenden Haushaltsplanes ab. Die Verteilung mancher Haushaltsposten auf die einzelnen Kunstsparten ist nicht bindend, sodass es zu Schwankungen kommen kann. Insofern sind auch die Angaben der Kulturverwaltung zu den Gesamtsummen der Förderung von Katalogen, Websites und Projekten nur als Orientierung zu verstehen. Der zeitliche Vergleich in der folgenden Tabelle offenbart, dass viele Posten relativ konstant geblieben sind. Allerdings wurden die Arbeitsstipendien, sowohl allgemeine als auch spezielle Frauenfördermaßnahmen, reduziert, wohingegen bezuschusste Auslandsaufenthalte für Künstlerl-innen zugenommen haben. Des Weiteren fällt auf, dass in die Sicherung von Arbeitsstrukturen deutlich mehr Mittel fließen als in den Ankauf von Kunstwerken.

84

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Tab. 14: Haushaltsmittel des Landes Berlinfür einzelne bildende Künstlerl-innen (in Euro) Zweck Arbeitsstipendien und Hannah-Höch-Preis*

2011

2000

250.000

396.200

Förderung von Künstlerl-innen durch den Kauf von Bildern

96.685

Katalog-lW ebsite-/CD-Rom-Förderung

55.970

52.663

Ankauf von Kunstwerken**

250.000

250.022

4.639.000

4.617.477

davon Bildende Kunst

40.000

k.A.

davon Künstlerinnenförderung (alle Sparten)

52.000

k.A.

1.127.000

1.227.101

307.000

109.723

Zuschuss für kulturelle Aktivitäten*** freier Gruppen

Zuschuss an eine Serviceeinrichtung zur Atelierbestandssicherung Künstlerische Gestaltungen im Stadtraum**** Nicht nur bildende Kunst: Kunstpreis des Landes Berlin

45.000

Einmalige Unterstützung für verdiente Künstler/ -innen in Fällen dringender Notlage

9.970

Kulturaustausch- Aufenthalte von Berliner Künstlerl-innen im Ausland

213.320

65.854

Künstlerinnenförderung (Arbeitsstipendien)

57.680

133.345

Veranstaltungen Künstlerinnenförderung*****

85.710

93.822

Quelle: Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 20 I 0/2011, Band 3, Einzelplan 03 und Haushaltsplan von Berlin für das Haushaltsjahr 2000, Band I und 2, Einzelplan 17. *Im Jahr 2000 gemeinsamer Posten mit Künstlern und Künstlerinnen der darstellenden Kunst. 2011 betrug die Förderung der darstellenden Kunst (Tanz) 10.000 EUR. ** Ankauffür landeseigene Museen und Einrichtungen. 2011 sind an direkten Landesmitteln 1.000 EUR eingestellt. Die tatsächlichen Ausgaben sind abhängig von der Förderung durch die DKLB. Die dargestellten Werte stammen aus den Jahren 1998 und 2008 (IST). *** im Jahr 2000: Projekte ****im Jahr 2000: Kunst auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz *****im Jahr 2000: Frauenkultur

DIE STRU KTURDATEN

I 85

Anders als bei der Museumsförderung fallen die Bundesmittel für den Haushaltsposten »Förderung deutscher Künstler« im Verhältnis zur Berliner Künstlerf-innenFörderung weniger ins Gewicht. Im Jahr 2011 wurden für den Ankauf zeitgenössischer Kunst 470.000 Euro zur Verfügung gestellt. Die übrigen Ausgaben des Bundes zur Förderung von Künstlerl-innen in Höhe von 2,9 Millionen Euro kommen deutschen Akademien und Studienzentren im Ausland zugute. 19

DIE AUSSTELLUNGSORTE ZEITGENÖSSISCHER KUNST

Die kommunalen Kunsträume Die Berliner Bezirke betreiben gemeinsam 46 kommunale Galerien, Ausstellungsund Projekträume. 20 Sie sind zentraler Bestandteil des aktuellen Kunstgeschehens, weil in ihnen auch noch unbekannte Künstlerl-innen Sichtbarkeit erlangen, sie Treffpunkte und Diskussionsforum sind und als Vermittlerl-innen zwischen Künstlerl-innen und Käuferl-innen fungieren, ohne dabei dem etablierten primären Kunstmarkt anzugehören. Das Konzept, die kuratarische Leitung und die Geschichte der Einrichtungen entscheiden über deren »Position« im künstlerischen Feld. Als Beispiele sollen drei kommunale Einrichtungen vorgestellt werden: der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, das Haus am Wald5ee im Bezirk Steglitz/Zehlendorf und das Kulturamt Neukölln. Das bis 1970 als Krankenhaus fungierende Gebäude Bethanien wurde durch eine Besetzung, den Protest von Bürgerinitiativen und Denkmalschützerl-innen vor einem Abriss bewahrt und dient seitdem kulturellen und künstlerischen Institutionen als Herberge. Der seit 2002 tätige Leiter des Kunstraums Kreuzberg/Bethanien setzt auf einen häufigen Ausstellungswechsel und kuratiert bis zu sechs Ausstellungen jährlich. Für die Realisierung stehen ihm 25.000 Euro jährlich zur Verfügung. Die drei- bis fünftausend Euro pro Ausstellung müssen durch Drittmittel aufgestockt werden. Da es sich stets um themenzentrierte Gruppenausstellungen handelt, erhält eine vergleichsweise große Anzahl an Künstlerl-innen die Möglichkeit zur Teilnahme. Der Kunstraum Kreuzberg mit seiner symbolträchtigen Lage am Mariannenplatz, dem Zentrum der Unruhen am l. Mai 1987, gerät immer wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit. Während der sechsten Berlin Biennale im Sommer 2010 wurde er zum Beispiel von linken Gruppierungen als Beförderer der Gentrifizierung Kreuzbergs angesehen. Im Jahr 2004 löste ein Artikel in der Zeitung B.Z.

19 Vgl. Bundeshaushalt 2011, Einzelplan 04, S. 4lf, zitiert nach: http://www.bundesfinanz ministerium.de/bundeshaushalt20 II /pdf/epl04.pdf vom I 0.02.20 12. 20 Für eine genaue Autlistung siehe: http://www.bbk-berlin.de/con/bbk/front_content.php? idart=995 vom 10.08.2011.

86

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

die Skandalisierung einer Ausstellung mit dem Titel »When Sex Turns To Poison« aus, an der sowohl die konservative Politik und die ansässige Bevölkerung als auch linksradikale Akteure beteiligt waren (vgl. Bauer 2006). Das Haus am Waldsee wurde 1946 vom Bezirksamt ZehJendorf als Ausstellungsort flir zeitgenössische Kunst installiert. Mit der Präsentation von Bildern der Künstlerin K.äthe Kollwitz wurde bereits im gleichen Jahr eine Reihe von Ausstellungen eingeleitet, die Werke von während des Nationalsozialismus verfolgten Künstlerl-innen zeigte. Auf der Website steht geschrieben: Als Ort internationaler Größen der Kunstszene trug das Haus am Waldsee unmittelbar nach Kriegsende wesentlich zur Wiederbelebung des kulturellen Lebens in der Bundesrepublik bei. [ ... ] Aus dieser Tradition heraus hat das Haus am Waldsee sein Programm mit zeitgenössischen Künstlern, die in Berlin leben und arbeiten und weltweit agieren seit 2005 erneuert. Mit klassischen Konzerten und Interpretationen von internationalen Musikern, die in Berliner Orchestern oder kleineren Ensembles spielen, sowie mit den Klassikern der Kunstgeschichte, die früher bereits im Haus am Waldsee zu sehen waren, rundet das Ausstellungshaus, neben Künstlergesprächen und Künstleressen, sein Programm mit der übergreifenden Frage >w ie kommt das Neue in die Welt< ab. 21

Als ein Beispiel für die enge Beziehung kommunaler Kunsträume zu den lokalen Strukturen soll zuletzt noch das Kulturamt Neukölln Erwähnung finden. Durch Kooperationen mit im Bezirk Neukölln ansässigen K.ulturvereinen, freien Trägern, Künstlerl-innen-Initiativen und Unternehmen sowie einer intensiven Kulturarbeit wird versucht, Kunst und Kultur in Relation zum Lebensalltag der Neuköllner Bevölkerung zu setzen. Das Kulturnetzwerk Neukölln e.V. vereint 49 ansässige Kultureinrichtungen, so auch das kommunale Kulturamt Jährlich veranstaltet der Verein die beiden Kunstfestivals »Nachtundnebel« und »48-Stunden-Neukölln«. Im Herbst 2011 wurde eine Petition flir den Erhalt der Neuköllner Kunstszene eingereicht, die sich unter anderem für eine dauerhafte finanzielle Absicherung der beiden Festivals einsetzte. 22

Die Kunstvereine Kunstvereine haben im deutschen Sprachraum eine lange Geschichte. Die ersten Kunstvereine wurden Anfang des 19. Jahrhunderts vorrangig von Personen des aufstrebenden Bürgertums gegründet. Wie im Kapitel »Die Kunstvereine und ihre aufklärende Mission« noch gezeigt werden wird, waren die Vereine damals meist Ver-

21 http://www.hausamwaldsee.de/-index.php vom 30.10.2011. 22 http://openpetition.de/petition/online/erhaltet-die-neukoellner-kunstszene vom 30.10.2011.

DIE STRUKTURDATEN

I 87

kaufsplattformell und trugen maßgeblich zur Etablierung eines deutschen und bald auch internationalen Kunsthandels bei. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten sie vermehrt öffentliche Zuschüsse und sollten fortan als gemeinnützige Vereine der Vermittlung zeitgenössischer Kunst und der Förderung von Künstlerl-innen dienen. Historisch bedeutsame und etablietie Kunstvereine spielen eine herausragende Rolle im aktuellen Kunstgeschehen. Die Beteiligung an einer Gruppenausstellung oder noch besser eine Einzelausstellung in einem renommierten Kunstverein sind vergleichbar mit der Publikation eines wissenschaftlichen Artikels in einer angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift: Eine Ausstellungsbeteiligung erhöht die Sichtbarkeit, öffnet Türen zu weiteren Ausstellungsmöglichkeiten, Kontakten und Förderungen. Die Konzepte der Kuratoren und Kuratorinnen werden von der Kunstkritik begutachtet und dienen auch Akteuren des Kunstmarktes oder der Museen als Referenzpunkte. Die folgende Auswahl beschränkt sich auf die vom Land Berlin geförderten und im Dachverband Arbeitsgemeinschaji Deutscher Kunstvereine (ADKV) organisierten Vereine, die Präsentationsorte von Gegenwartskunst sind. Vom 1903 in Weimar gegründeten und heute in Berlin ansässigen Deutschen Künstlerbund e. V ging unter anderem die Initiative zur Einrichtung der Künstlersozialkasse aus. Der Verein sieht seinen Auftrag in der Stärkung der Position der Künstlerl-innen in der Gesellschaft und, wie auf der Website weiter zu lesen ist, für die künstlerische Freiheit als unverzichtbare Basis einer kulturellen Fortentwicklung. 23 Der Deutsche Werkbund Berlin e. V vermittelt zwischen bildenden Künstlerl-innen und Gestalterl-innen und zwischen Wirtschaft und Industrie. Seine Ausstellungen, Symposien und Vorträge drehen sich um das Thema Gestaltung. Das Anfang der 1990er Jahre in einer alten Margarinefabrik im Bezirk Mitte gegründete K W Institute jor Contemporary Art - Kunst- Werke Berlin e. V. ist heute eines der bekanntesten Ausstellungshäuser der Stadt. Diese Position konnte mitunter durch eine Anhindung an das P.S.l/MoMA, New York, dessen heutiger Direktor das KW mit begründete, durch Kooperationen mit der Biennale von Venedig und der documenta in Kassel, sowie durch die Durchführung der im Jahr 2012 bereits zum siebten Mal stattfindenden Berlin Biennale erreicht werden. Neben einer Landeszuwendung flir den Verein wurden und werden die vierte bis siebte Berlin Biennale durch die Kulturstiftung des Bundes unterstützt. Werden die Ausstellungen im KW hauptsächlich von einem fest angestellten Kurator oder einer Kuratorin konzipiert, wird die kuratarische Leitung der Berlin Biennale jedes Mal neu ausgeschrieben und bestimmt. Neben den Räumlichkeiten des KW werden seit der ersten Ber-

23 http://www.kuenstlerbund.de/deutsch/projekte/deutscher-kuenstlerbund/-index.html vom 30.07.2011.

88

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

!in Biennale im Herbst 1998 auch andere Kunstinstitutionen oder leerstehende Gebäude genutzt. Die beiden Kunstvereine Neue Gesellschaji für Bildende Kunst e. V. (NGBK) und Neuer Berliner Kunstverein e. V (n.b.k.) gehen aus dem Verein Deutsche Gesellschajifiir Bildende Kunst (DGBK) hervor. Der frühere Verein wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufinitiative des Berliner Senats gegründet, um zeitgenössische Kunst zu fördern und zu ihrer Vermittlung beizutragen. 1969 ftihrte die aufkeimende Kritik vor allem junger Mitgliederl-innen an den starren Strukturen, dem mangelnden Mitspracherecht und dem als konservativ empfundenen Ausstellungsprogramm zur Auflösung des Vereins. Binnen weniger Tage wurden daraufhin die beiden heute noch existierenden Vereine NGBK und n.b.k. gegründet, die seit damals aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin finanziert werden. Die NGBK mit Sitz in der Omnienstraße im Bezirk Kreuzberg ist der einzige basisdemokratisch organisierte Kunstverein Deutschlands. Die sich im Titel des Vereins ausdrückende Vision einer neuen Gesellschaji leitet bis heute das Ausstellungsprogramm. Die Ausstellungen sind stets themenzentriert, behandeln gesellschaftsrelevante Themen, zeigen zum Beispiel die Arbeits- und Lebenssituationen benachteiligter Gruppen auf und werden begleitet von Diskussionsveranstaltungen, Vermittlungsarbeit und abschließenden Dokumentationen. Der n.b.k. zog 1994 von Charlottenburg in Räumlichkeiten in der Chausseestraße im Bezirk Mitte. 2008 wurde ein neuer Direktor berufen, der sich dem Kulturauftrag eines Kunstvereins verpflichtet fühlt. Seine Neustrukturierung des Vereins, der Räumlichkeiten und des kuratarischen Programms sieht daher unter anderem den Abbau der Hemmschwelle des Publikums und seine aktive Teilnahme vor. Die inhaltliche Arbeit kreist um folgende Themenbereiche: Visualität, Transkulturalität, Öffentlichkeit und Berlin. Der n.b.k. besitzt und verwaltet eine 4.000 Werke umfassende Artothek und ein 1.300 Werke umfassendes Video-Forum, die beide der Öffentlichkeit zugänglich sind. Der Fördererkreis Kulturzentrum Berlin e. V besitzt seit 1964 das Haus am Lützowplatz. Der gemeinnützige Verein wurde durch fuhrende Mitglieder der Berliner Sozialdemokratie und der Industriegewerkschaft Metall gegründet. In den Jahren der Teilung der Stadt setzte sich der Verein für politische Bildungsarbeit und die Aufrechterhaltung kultureller Beziehungen ein. In Kooperation mit anderen Institutionen gelang es, Exponate renommierter zeitgenössischer Künstlerl-innen aus Berlin, der DDR und Osteuropa zu präsentieren. Nach dem Umbau wurde das Haus 1992 wiedereröffnet und zeigt seitdem im Wechsel anerkannte und weniger etablierte Künstler/-innen. Durch die Vermietung von Teilen des Hauses kann der Verein sein Programm unabhängig realisieren. Weitere im ADKV organisierte Kunstvereine, deren Darstellung den Rahmen meines Vorhabens, eine Skizze des Berliner Kunstfeldes zu liefern, sprengen würde, sind: Galerie Nord, Kunstverein Tiergarten, KUNSTrePUBLIK e. V, Sparwasser HQ- Offensivefür zeitgenössische

DIE STRUKTURDATEN

I 89

Kunst e. V., Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e. V., arttransponder e. V.

Die Künstlerl-innen-Initiativen

Die soeben vorgestellte Struktur Berliner Kunstinstitutionen wird e1weitert durch eine schwer abzuschätzende, weil beständig sich wandelnde Anzahl an freien Künstler/-innen-Initiativen, die Bezeichnungen wie Projektraum, Produzentenraum, Off-Raum, Artist Run Space oder Produzentengalerie tragen. Die Kunstwissenschaftlerirr Carla Orthen, die an ihrer Dissertation mit dem Arbeitstitel »Künstlerische Selbstorganisation: Produzentenräume in Deutschland. Prekarität als Erfolgsstrategie?«24 arbeitet, hat dazu umfangreich recherchiert. Im Folgenden stütze ich mich auf ihre Ergebnisse: 2011 existieren in Berlin an die 200 derartige Initiativen, die sowohl in der Zahl ihrer Beteiligten als auch in ihrem Organisierungsgrad und ihrer Organisationsform differieren. Das verbindende Element dieser vielfaltigen Zusammenschlüsse sieht Carla Ortben in folgenden Aspekten: Gemeint sind kollektive Zusammenschlüsse mit der Zielsetzung, die eigenen künstlerischen Erzeugnisse und Haltungen als gewollte Alternative oder aber Brückenschlag zu etablierten Ausstellungseinrichtungen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Je nach Gründungsmotivation kann ein Produzentenraum als Plattform und Netzwerk für die eigene oder kollegiale Kunstvermittlung dienen, zum Diskurs kunstimmanenter bis gesellschaftspolitischer Fragen beitragen und/oder den Eintritt in den Kunstmarkt vorantreiben. 25

Charakteristisch sei überdies, dass die Künstlerl-innen ihre Vereinigung nutzen, um besser mit anderen - z.B. etablierten, institutionell eingebundenen oder flir die eigene Praxis relevanten - Kunstakteuren kooperieren zu können und dennoch ihre Selbstorganisation, ihren nicht-institutionalisierten Status als Wert hochhalten. Der Gründung gingen meist eine Kritik an der etablierten Struktur des Feldes und die Intention voraus, sich flir davon abweichende Praktiken einzusetzen. Allen Initiativen sei gemein, dass sie einen Raum - zum Beispiel in einer privaten Wohnung oder einem Atelier, ein Ladenlokal, oder Freiflächen im öffentlichen Raum und Hinterhöfe - besitzen, den sie als permanenten Treffpunkt, als Ausstellungsfläche, Veranstaltungsraum und auch als Aushängeschild der kollektiven Präsentation nach außen verwenden. Neben losen Zusammenkünften seien einige in gemeinnützigen Vereinen oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts organisiert. Die zur Verfügung stehenden Mittel aus Subventionen, Sponsoring, Eigenkapital und Verkaufsein-

24 http://www.produzentenraum.de. 25 http://www.produzentenraum.de/was.html vom 4.1 0.2011.

90

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

nahmen könnten in den meisten Fällen nicht die anfallenden Kosten, geschweige denn die investierte Arbeitszeit der Beteiligten decken. Als Beispiel möchte ich kurz das Berliner Netzwerkfreier Projekträume und -initiativen26 vorstellen. Ende des Jahres 2011 waren 24 Räume und Initiativen in dem Netzwerk aktiv. Auf dessen Website ist eine Recherche für den September 2011 veröffentlicht, die 120 Berliner Projekträume zählt. Alle Zusammenschlüsse präsentieren sich auf einer eigenen Website, deren Links am angeftihrten Ort aufgelistet sind. Das Netzwerk hat zum Ziel »eine langfristige Struktur zu etablieren, um neue Formen von Kooperation und Austausch zu ermöglichen, sich politisch zu artikulieren und für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen einzutreten« (ebd.). In einem Positionspapier vom Mai 2011 werden auf Basis gemeinsamer Charakteristika kulturpolitische Forderungen gestellt. Ein verbindendes Element wird hier auch in der künstlerischen Praxis gesehen, die stets prozessorientiert, partizipatorisch, diskursiv und kontextbezogen sei. In ihrer Arbeitsweise kämen den Initiativen die vom Berliner Senat im Jahr 2008 geschaffenen Stellen des Öffentlich geförderten Beschäf tigungssektors (ÖBS) zugute. 27 Dem dort formulierten Fördergrundsatz, »gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Arbeit« (ebd.) zu unterstützen, könnten die Initiativen nachkommen, weil sie »helfen innovatives Potenzial zu entdecken, [sie, VM] fördern junge, nicht etablierte Künstler/-innen, und auch jene, die sich bewusst abseits des gängigen Kunstbetriebs positionieren. Projekträume und -initiativen tragen damit zur Erhaltung der Vielfalt künstlerischer Praxis bei«.28 Diese öffentliche Fördermaßnahme sollte, so die Forderung des Positionspapiers, durch einen eigenen Fördertopf ergänzt werden. Die derzeitigen Einzel- und Projektfördergelder seien bereits mehr als ausgeschöpft und es fehle an Strukturförderprogrammen. Eine langfristige Basisförderung sei flir eine sinnvolle und dauerhafte Arbeit in den Projekträumen und -initiativen unerlässlich.

DER KUNSTMARKT Die Galerien und ihre Standorte

In Berlin sind über 400 professionelle Galerien angesiedelt. Permanente Neugründungen, Schließungen und Umzüge machen eine genaue Angabe zu einem unmöglichen Unterfangen. Die Pilotstudie »Studio Berlin« des Instituts j iir Strategieentwicklung (JFSE) erstellte eine Recherche zur Situation der Berliner Gegenwartskunst und führte eine Umfrage unter 430 Galerien durch (vgl. Englert/Wöbken

26 http://www.projektraeume-berlin.net. 27 Vgl. http://www.oebs-berlin.de 28 http://www.projektraeume-berlin.net vom 03.11.2011.

DIE STRUKTU RDATEN

I 91

2010). Der Kulturwirtschaftsbericht des Landes Berlin (SenWTF 2008) beinhaltet auch Angaben zum Kunstmarkt In den nächsten Absätzen stütze ich mich großteils auf die Ergebnisse dieser Studien. Die Berliner Galerienlandschaft ist keine bloße Ansammlung von über die Stadt verteilten Galerien, sondern zeichnet sich durch ausgewählte Ballungsräume aus. Neben dem Standort Berlin-Mitte gibt es weitere Galerienstandorte auf der Potsdamer Straße, rund um den Checkpoint Charlie, rund um den Savignyplatz, in der Brunnenstraße, neben dem Gleisdreieck oder neben dem Hamburger Bahnhof. Einzelne Galerien lokalisieren sich bewusst außerhalb dieser Zentren und sind nicht selten selbst wieder Wegbereiter einer neuen Ansammlung. Ein Blick in die jüngere Geschichte erhellt zentrale Aspekte der heutigen Struktur. Vor der Wende gab es in W estberlin im Bezirk Charlottenburg und am Kreuzberger Moritzplatz einige Kunstgalerien, die allerdings wenig Anschluss an den deutschen oder internationalen Kunstmarkt hatten. In Ostberlin war der Kunsthandel eine Staatsangelegenheit; vor allem im Gebiet rund um die Auguststraße im Bezirk Mitte existierten jedoch einige wenige nicht-staatliche Kunst- und Ausstellungsräume (vgl. EnglertiWöbken 2010: 8). Einige dieser Räume zählen heute zu den renommiertesten Orten der Berliner Kunstszene: Aus der >Wohnmaschine< von Friedrich Look sowie >Eigen+Art< von Judy Lybke wurden nach der Wende kommerzielle Galerien. Ebenso in dieser Zeit entstanden sind VorläuferAusstellungen in einer alten Margarinefabrik in der Auguststraße 69, die heute als die Institution Kunst-Werke e.V. bekannt ist. Die 1987 auf Initiative der Arbeitsgruppe junger Künstler im DDR-Künstlerverband gegründete Galerie >Weißer Elefant< war ein Treffpunkt der Szene in der Auguststraße. (Ebd.)

Zu Beginn der 1990er Jahre verwaltete die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WEM) einen Großteil der Gebäude rund um die Auguststraße. Die damalige Zuständige für Gewerberaumvermietungen bevorzugte Kunstakteure als Neumieterl-innen der oft sanierungsbedürftigen Räume und Freiflächen. Sie setzte sich zum Beispiel dafür ein, dass die Begründerl-innen des Kunstvereins Kunst-Werke Berlin e. V. die Margarinefabrik in der Auguststraße anmieten konnten, die noch heute dem Verein als Ausstellungshaus dient (vgl. ebd.: 9). So kam es, dass zahlreiche westdeutsche Galerien nach Berlin zogen, bevorzugt in dieses Viertel, oder neue Galerien hier gegründet wurden. Heute ist das Gebiet der renommierteste und traditionsreichste Standort des Berliner Primärmarktes. Im Rahmen der Ergebnisdarstellung ihrer Umfrage unter Berliner Galerien sprechen die Autoren und Autorinnen der Pilotstudie (ebd.) davon, dass es seit dem Jahr 2004 einen erneuten Gründungsboom gegeben hat. Dessen Ausmaße werden darin deutlich, dass die Hälfte aller Berliner Galerien in den letzten fünf Jahren gegründet worden ist. Mit der Vermarktung von Malerei lebender Künstlerl-innen

92

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

erzielen die Galerien über 80 Prozent ihrer Umsätze. Die umsatzstarken Galerien verkaufen vor allem in andere Regionen Deutschlands und Europas und in die Vereinigten Staaten. Für die umsatzschwachen Galerien ist Berlin der größte Markt. Die Studie unterteilt die Galerien in drei Umsatzgruppen: Die Hälfte aller Galerien erzielt einen Umsatz unter 50.000 Euro, bei einem Drittel von allen liegt der Umsatz unter 17.500 Euro. Insgesamt erzielen 50 Prozent und damit mehr als 200 Galerien zusammen weniger als fünf Millionen Euro Umsatz. Die etwa 150 Galerien mit einem Umsatz von bis zu 500.000 Euro erzielen zusammen einen Umsatz von etwa 30 Millionen Euro. Die mehr als 60 Galerien mit einem Umsatz von über einer halben Million Euro erwirtschaften gemeinsam mehr als 60 Millionen Euro, wobei schätzungsweise eine Spitzengruppe von 20 Galerien und damit ein Anteil von fünf Prozent aller Berliner Galerien fiir die Hälfte aller Umsätze verantwortlich ist. Trotz Intransparenz und Volatilität im Kunstmarkt sowie Wirtschaftskrise und einer hohen Fluktuation wird eine Struktur der Galerien in Berlin erkennbar. (Ebd.: 19)

I 00 Galerien sind laut Bericht etabliert und wirtschaftlich autonom. 60 Galetien können der Konkurrenz auf dem internationalen Kunstmarkt standhalten. In den letzten drei Jahren haben 20 Prozent der Berliner Galerien an den Messen in Basel, Miami oder New York teilgenommen. 25 Prozent nahmen drei- bis sechsmal im Jahr an einer Messe teil, wohingegen fast die Hälfte aller Galerien an keiner Messe teilnahm. Im Durchschnitt zählen die Galerien zweieinhalb Mitarbeiterl-innen, wodurch alle Galerien zusammen ungefähr 1.000 Arbeitsplätze umfassen. Zwölf Künstlerl-innen werden durchschnittlich von einer Galerie vertreten. Die Räumlichkeiten der Galerien variieren stark in ihrer Größe, wohingegen alle Galerien Platz zur Präsentation künstlerischer Arbeiten zur Verfügung haben. Zusammengefasst ergibt sich diesbezüglich folgendes Bild: Die Berliner Galerien präsentieren mehr als 3.000 Ausstellungen im Jahr mit mehr als 5.000 Künstlern auf einer Ausstellungsfläche von über 45.000 qm. Die Berliner Galerien haben zusammen pro Jahr über eine Million Besucher. (Ebd.: 20)

Galeristen und Galeristinnen sind Eigentümerl-innen eines privatwirtschaftliehen Unternehmens, das die Gewinnerzielung mittels der Vermarktung von Kunstwerken, der von ihnen vertretenen Künstlerl-innen, anstrebt. Am Kunstmarkt bezeichnet man als Sekundärmarkt den Handel mit am Markt befindlichen Werken, also bereits etablierter und auch älterer Kunst, und als Primärmarkt den Handel mit Werken, die soeben produziert und noch nicht in den Markt eingeführt wurden. Obwohl viele (vor allem weniger etablierte) Galerien ihre Finanzen über den Sekundärmarkt aufstocken (müssen) oder Werke ihrer Künstlerl-innen rück- und wiederverkaufen, liegt ihr primäres Unternehmensziel doch bei der Vermarktung neuer

DIE STRUKTURDATEN

I 93

Kunstwerke. Die Größe des Unternehmens ist, wie bei allen Unternehmungen, abhängig von dessen Erfolg. Bei Galerien ist zu beobachten, dass eine Expansion zunächst mit dem Zuwachs an Mitarbeiterl-innen einhergeht. Bei sehr erfolgreichen Galerien besteht meist ein Eins-zu-eins-Verhältnis zwischen Mitarbeiterl-innen und Künstler/-innen. Statt auf eine möglichst große Zahl an Künstlerl-innen wird also auf einen begrenzten Künstlerstamm gesetzt. Dieser wandelt sich nicht permanent, vielmehr wird er in unregelmäßigen, von der Finanzlage der Galerie abhängigen Abständen ergänzt. Ziel jeder Aufnahme in eine Galerie ist eine dauerhafte Vertretung des Künstlers oder der Künstlerin. Viele heute in Berlin ansässige Galerien durchlebten eine parallel laufende Etablierung ihres Unternehmens und der Künstler/-innen, die sie seit ihrer Gründung vertreten. Eine Galerie übernimmt also, wenn möglich, über Jahrzehnte die Verantwortung für die Vermittlung der Kunstwerke an potentielle Käuferl-innen oder auch Kuratmen/Kuratorinnen und Leiterl-innen von Museen und anderen Ausstellungsinstitutionen. Galerien sind um eine möglichst umfangreiche und professionelle Betreuung ihres Künstlerstamms bemüht. In ihren Aufgabenbereich fällt die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Verwaltung, die Gestaltung und Veröffentlichung von Katalogen und anderen Materialien, die Dokumentation der Kunstwerke mittels professioneller Fotografien, die Kommunikation mit Sammlerl-innen und Einzelkäuferl-innen oder Kuratoren/Kuratorinnen und Leiterl-innen und die Organisation von Veranstaltungen, wie regelmäßige Ausstellungen in den Galerieräumen, deren Vernissagen und Finissagen sowie die Teilnahme an Kunstmessen. Kurz, die Galerie kümmert sich um alle nicht-künstlerischen Angelegenheiten, die mit dem Künstlerberuf einhergehen. Das Geschäftsverhältnis zwischen Galeristen/Galeristinnen und Künstlerl-innen unterliegt keinen formalen Regelungen. Selten existiert ein schriftlicher Vertrag, der den Verkauf der Kommissionsware Kunst regeln oder die gegenseitigen Pflichten bei diesem Geschäft festlegen würde. Die F ederation ofEuropean Galleries Association gab 1991 lediglich einen »Code der Berufspflichten der Galeristen« heraus, an den sich auch Mitglieder des Bundesverband5 Deutscher Galerien »halten wollen«. 29 Die Ausübung des galeristischen Berufs bedarf ferner keiner professionellen Ausbildung. Jede Person, die über ausreichend finanzielle Mittel verfugt und sich als kompetent genug erachtet, kann eine Galerie gründen. In einem Ratgeberbuch zum »Unternehmen Galerie«, das die aktuelle deutsche Kunstszene in Bildmaterial und anekdotenhaften Texten skizziert, steht dazu geschrieben: Viele Junggaleristen [ ...] haben oder hatten das Glück, in einem Galeristen-Haushalt groß zu werden und so automatisch einiges über den professionellen Kunsthandel zu erfahren. Doch ihre Eltern, die Lehrmeister, waren oder sind ihrerseits selbst nicht geschult worden, weil es

29 http://www.bvdg.de/pdf/FEAGA_Code_ 10102005.pdfvom 03.11.2011.

94

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

bislang gar keine entsprechenden Angebote gab. Fatal, bedenkt man, dass sowohl die Künstler als auch die Museumsleiter studieren können, um für ihren Beruf beHihigt zu sein. Überfallig also, dass der Bundesverband Deutscher Galerien (BVDG) endlich eine Initiative ergreift und in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Köln den Studiengang Kunsthandel einrichtet. Zunächst nur auf zehn Studenten begrenzt, nämlich Bachelor-Absolventen der Kunstgeschichte, soll in einem zweijährigen Autbaustudium, inklusive Praktikumssemester, alles getan werden, um angehende Galeristen mit dem notwendigen (betriebswirtschaftlichen) Wissen zu versorgen. Indes: Was Qualität ist, wie man Gespür für zukunftsträchtige Kunst entwickelt, wird wohl jeder Student herausfinden müssen. (Schmid 2007: 105)

Die Kunstmessen und Auktionshäuser Die oben erwähnte geografische Ballung von Galerien steht beispielhaft für ein Phänomen des Kunstmarktes, das oft mit dem Begriff Synergieeffekt begründet wird. Das Kunstmarktgeschehen zeichnet eine räumliche und zeitliche Ballung aus. Die Galerien konzentrieren sich nicht nur in bestimmten Gegenden, sie versammeln sich auch auf einer wachsenden Zahl an Kunstmessen, organisieren gemeinsame Events oder vermarkten sich als ein Standort. Überdies ist der Herbst die Zeit des Kunsthandels. Alle wichtigen Messen und Veranstaltungen finden zu dieser Jahreszeit statt. Eine Berliner Kunstmesse, die auch über Deutschland hinaus bekannt war, war das art forum berlin (ajb). Sie wurde 1996 von Galeristen und Galeristinnen gegründet und fand bis 2010 j ährlich auf dem Berliner Messegelände statt. Sie widmete sich von Beginn an vor allem der Gegenwartskunst Ab dem Jahr 1998 wurde ein Preis für den besten Stand verliehen. Im letzten Jahr waren 110 Galerien aus 20 Ländern vertreten. In einem eigenen Sektor konnten sich Galerien präsentieren, die vor weniger als sechs Jahren gegründet wurden. Seit 2008 lief zeitgleich die Art Berlin Contemporary (ABC), eine kuratierte Verkaufsausstellung, die bis heute Exponate von Künstlerl-innen renommierter Galerien anpreist. Für 2011 war eine Fusion des afb mit der ABC und eine gemeinsame Präsentation auf dem Berliner Messegelände geplant, die an den Verhandlungen scheiterte. Im Herbst 2011 fand daher ausschließlich die ABC im Veranstaltungsort Station-Berlin, dem ehemaligen Dresdner Bahnhof in der Nähe des Potsdamer Platzes, statt. Der Fokus lag in diesem Jahr aufjunger Malerei. Weitere auf Initiative junger Galerien gründende Messen sind die Preview Berlin, die Berliner Liste und der Berliner Kunstsalon. Bei letztgenannter stellen sich auch Künstlerkollektive, Hochschulklassen und einzelne Künstlerl-innen vor. Außerhalb des Kunstherbstes findet das gallery weekend Anfang Mai jeden Jahres statt. Auch dieses Event hat seinen Mittelpunkt in BerlinMitte, wobei die teilnehmenden Galerien jährlich wechseln. Wer im Marketingkon-

DIE STRUKTURDATEN

I 95

zept Erwähnung finden will, muss 7.000 Euro Teilnahmegebühren zahlen, weshalb weniger etablierte Galerien ihre Türen an diesem Wochenende offen halten, ohne in den Faltblättern oder auf der Website aufzuscheinen. Der Kulturwirtschaftsbericht des LandesBerlinerwähnt ein weiteres kollektives Vermarktungstool: Allein drei große internationale Kunst- und Galerienportale werden von Berlin aus betrieben. Bereits vor 10 Jahren wurde artnet gegründet, das weltweit größte Online-Galerien-Netzwerk, mit dessen Hilfe Kunst recherchiert, ge- und verkauft werden kann. Mehr als 2.000 Galerien präsentieren von Berlin aus über 100.000 Arbeiten von mehr als 25.000 Künstlern weltweit. (SenWTF 2008: 55)

In Berlin bieten insgesamt zehn Auktionshändlerl-innen zeitgenössische bildende Kunst an. Die deutschen Aktionshäuser spielen im internationalen Kunstmarkt keine wichtige Rolle. 60 Prozent des weltweiten Umsatzes mit bildender Kunst erzielen die Auktionshäuser Christie 's und Sotherby 's. Das 1986 in Berlin gegründete Auktionshaus Villa Grisebach ist auf bildende Kunst der klassischen Moderne spezialisiert. Sie ist das umsatzstärkste Auktionshaus Berlins und erwirtschaftete 2009 29,5 Millionen Euro. »In den letzten Jahren wurde die Gegenwartskunst (in diesem Fall die Kunst nach 1960) zunehmend wichtiger für das Geschäft. 2009lag der Umsatz in diesem Bereich bei etwa 5,5 Mio. Euro.« (Englert/Wöbken 2010: 26) Mittlerweile haben einige Auktionshäuser aus München, Harnburg oder Köln Dependancen in Berlin eröffnet.

Die Sammlerl-innen und die privaten Museen Ein weiterer Indikator einer lebendigen Kunstmarktszene wird darin gesehen, wie viele und welche Sammlerl-innen sich in Berlin niederlassen. Eine gerraue Zahl ist nicht auszumachen, denn Kunstsammeln ist eine Privatangelegenheit und tangiert nur dann die Öffentlichkeit, wenn ihr die Sammlung zugänglich gemacht wird. Für Künstlerl-innen ist der Verkauf eines Werkes an einen Sammler oder eine Sammlerirr neben der finanziellen Einnahme ein wertsteigernder Reverenzpunkt Die Vermittlung läuft vorrangig über Galeristen und Galeristinnen oder Museumskuratoren und -kuratorinnen. Auch in Berlin zeigen mittlerweile Privatleute ihren Kunstbesitz einem meist ausgewählten Publikumskreis. Entweder es werden nach Vereinbarung Führungen durch die Privaträume gegeben oder die Besitzerl-innen errichteten eigene Häuser, die zu besonderen Öffnungszeiten zugänglich gemacht werden. Zu den bekanntesten Sammlungen dieser Art zählen die Sammlung der Ehepaare Celine und Heiner Bastian und Barbara und Axel Haubrock, sowie die Sammlungen von Christian Boras, Erika Hoffmann, Christiane zu Salm oder Thomas Olbricht. Wie weiter oben bereits erwähnt, sind einige private Sammlungen auch als Leihga-

96

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

ben an die Staatlichen Museen zu Berlin vergeben, wie zum Beispiel die Sammlungen von Christian Flick, Nicolas Berggruen, Helmut und June Newton, Erich Marx und die Sammlung Scharf-Gerstenberg (vgl. Pein/Thaimann 2010). Das Deutsche Guggenheim Berlin wurde bis Ende 2012 von einer Kooperation der Deutschen Bank AG mit der Solomon R. Guggenheim Foundation getragen. 15 Jahre lang nutzte das Museum ein Haus der Deutschen Bank Unter den Linden. Die 350 Quadratmeter große Museumsfläche bestandgroßteilsaus einer Halle. Pro Jahr wurden vier Ausstellungen mit Schwerpunkt auf der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts kuratiert. Die Sammlung Guggenheim besteht hauptsächlich aus nichtgegenständlicher Kunst und wurde nun von einem Zusammenschluss der Guggenheim Stiftung mit der Schweizer Bank UBS übernommen. Die Deutsche Bank will sich in Zukunft auf die Präsentation ihrer eigenen Sammlung konzentrieren. Die Privatsammlung der Deutschen Bank umfasst 56.000 Werke, vorrangig zeitgenössische Grafiken, Zeichnungen und Fotografien. Die Sammlung der Daimler AG präsentiert sich seit 1999 in einem eigenen Ausstellungsraum am Potsdamer Platz. Dem Daimler Contemporary Berlin stehen 600 Quadratmeter Fläche für die vierteljährlich wechselnden Ausstellungen zur Verfügung. Der Schwerpunkt liegt auf der Präsentation der 1.800 Exponate der Sammlung, die vorrangig abstrakt-konstruktive, konzeptuelle und minimalistische Arbeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfasst. Neuanwerbungen sollen nun auch den Bereich Neue Medien einschließen.

BILDENDE KUNST ALS BERUF Anfang der 1970er Jahren erteilte das damalige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung dem Institut für Projektstudien den Forschungsauftrag, die wirtschaftliche und soziale Lage von Künstlerl-innen zu erheben. Mit ihren 3.000 einstündigen Interviews bildet die Studie bis heute die einzig repräsentative Erhebung zur Situation von Musiker/-innen, darstellenden und bildenden Künstlerl-innen sowie Designer/-innen. Die Ergebnisse der Studie erschienen 1974 unter dem Titel »Künstler-Report« (Fohrbeck/Wiesand 1974) und lösten rege politische und öffentliche Debatten aus, die 1983 schließlich zur Einführung der Künstlersozialversicherung KSK führten.

Zahl der bildenden Künstlerl-innen Über die heutige Anzahl von Künstlerl-innen existieren nur Schätzungen und Datensätze zu einzelnen Berufszweigen. Die folgende Tabelle stellt alle gefundenen Angaben zur Zahl bildender Künstler/-itmen in Berlin gegenüber.

DIE STRUKTURDATEN

I 97

Tab. 15: Schätzungen zur Gesamtzahl und Angaben zu Teilgruppen bildender Künstlerl-innen in Berlin Anzahl

Jahr

Mitglieder sowie alle dem bbk bekannten professionell arbeitenden Künstlerl-innen

5400

2006

Schätzung der Zahl bildender Künstlerl-innen durch die BerIiner Kulturverwaltung

4000 bis 5000

2005

352

2006

SenWTF 2008

170

2009

SenWTF, unveröffentlichte Auswertung.

1302

2006

SenWTF 2008

629

2009

SenWTF, unveröffentlichte Auswertung

629

2006

SenWTF 2008

940

2009

Amt fiir Statistik BerlinBrandenburg, Statistischer Bericht L IV 1 - j/09.

8702

2007

2695

2006

2004

2009

Abhängig beschäftigte bildende Künstlerl-innen

Selbstständige & freiberufliche bildende Künstlerl-innen

Umsatzsteuerpflichtige bildende Künstlerl-innen (Jahreseinkommen mind. 17.500 Euro) Versicherte im Bereich Bildende Kunst in der Künstlersozialkasse (Jahreseinkommen mind. 3.900 Euro)* Arbeitslose mit Berufsziel »Künstler/-in, Grafiker/ -in« Berufsordnung (833)*

Quelle

DIW 2006

AGH: Drs. 15/3672

Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 22f. Eigene Berechnungen. Datenbank des lAB, in: http://bisds.infosys.iab.de/

Die unten vorgestellte Interessenvertretung Berufsverband Bildender Kiinstler Berlin e. V. (bbk) besitzt neben ihren Mitgliederzahlen eine Datenbank über in Berlin lebende bildende Künstlerl-innen, die 5.400 Personen zählt. Die Schätzung der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten liegt 4.000 bis 5.000, wobei in dem angeführten Beticht nicht erwähnt wird, worauf sich die Schätzung stützt. Die große Bandbreite der Angaben aus statistischen Datensätzen ist mitunter den verschiedenen Klassifikationen geschuldet. So gibt es keine einheitliche Festlegung, wer zum Bereich Bildende Kunst zu zählen ist und wer nicht. Im Kulturwirtschaftsbericht des Landes Berlin (SenWTF 2008) wird für das Jahr 2006 die vergleichsweise geringe Zahl von 1.302 selbstständigen bildenden Künstlerl-innen genannt. Diese

98

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

beinhaltet ausschließlich Personen, die in freien Künsten tätig sind, z.B. in der Malerei, der Bildhauerei oder der Installationskunst (ebd.: 51). Eine Auswertung von Wirtschaftsdaten aus dem Cluster »IKT, Medien, Kreativwirtschaft«, die mir von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen zur Verfügung gestellt wurde, nennt für das Jahr 2009 noch geringere Zahlen. Die von den statistischen Landesämtern publizierten Daten zur Umsatzsteuererhebung liefern zwar valide Zahlen, diese beschränken sich allerdings auf Unternehmen, Selbstständige wie Gesellschaften, die einen Jahresumsatz von mindestens 17.500 Euro vorweisen. Die Künstlersozialkasse verwendet eine relativ weite Klassifikation, die neben Bildhauerl-innen und Maler/-innen, auch Designer/-innen, Layouter/-innen, Fotogravurzeichnerf-innen oder Bild-Restauratoren und -Restauratorinnen einschließt. 30 Hier beschränkt sich die Zahl auf selbstständige Künstler/-innen, die ein Jahreseinkommen von mindestens 3.900 Euro nachweisen können. Wie bereits erklärt, entscheidet diese Grenze über eine Aufnahme bzw. dauerhafte Absicherung durch die KSK. Die Angaben zu den arbeitslos gemeldeten Künstlerl-innen und Grafikerl-innen entstammen einer Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Beruj5forschung (!AB) von Daten der Bundesagentur für Arbeit. Ihre Klassifikation, die Berufsordnung 833, umfasst bildende Künstler/-innen, Grafiker/-innen, Bildhauer/-innen, Kunstmalerl-innen, Designerl-innen, Layouter/-innen, Fotogravurzeichnerl-innen, Textilmustergestalter/-innen und Bild-Restauratoren und -Restauratorinnen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen von vielen kommunalen Arbeitsvermittlungseinrichtungen die Zahlen nicht ausreichend erfasst werden, ist die Berliner Datenbasis der Bundesagentur für Arbeit vollständig.

Künstlersozialkasse Seit dem I. Januar 1983 sind selbstständige Künstlerl-innen und Medienschaffende aufgrund des Künstlersozialversicherungsgesetzes pflichtversichert und somit in die gesetzliche Kranken-, Renten- und seit 1995 auch Pflegeversicherung einbezogen. Zur Durchführung des Gesetzes wurde die Künstlersozialkasse (KSK) , als Abteilung der Unfallkasse des Bundes, eingerichtet. Die KSK ist keine Leistungsträgerin, sondern fördert die Beiträge ihrer Mitglieder/-innen, die diese im Rahmen eines gesetzlichen Versicherungsschutzes ihrer Wahl zu leisten haben. Die Sozialversicherungsbeiträge werden hälftig von den Versicherten getragen. Die andere Hälfte wird von der KSK aus Mitteln der Künstlersozialabgabe und des Bundes übernommen. Die 30 Prozent der Beiträge abdeckende Künstlersozialabgabe wird von Unternehmen erhoben, die überwiegend Werke oder Leistungen selbstständiger Künstlerl-in-

30 Vgl. http://www.kuenst1ersozia1kasse.de/w0eutsch/down1oad/daten/V erwerter/-info_ 06_- Kuenstlerkatalog_ und_ Abgabesaetze.pdf vom 03.11.2011.

DIE STRUKTURDATEN

I 99

nen und PublizisteniPublizistinnen verwerten, wie zum Beispiel Verlage, Theater, Galerien, Werbeagenturen, Hersteller von CDs oder DVDs, Rundfunkanstalten, Werbeagenturen oder Produktdesignfirmen. Die restlichen 20 Prozent zahlt der Bund, weil Kunst- und Medienschaffende auch Honorare von nicht abgabepflichtigen Endabnehmern erhalten, wie zum Beispiel von Kunstsammlerl-innen oder bei privaten Veranstaltungen. Voraussetzung für die Versicherungspflicht ist eine dauerhafte, erwerbsmäßige und selbstständige Tätigkeit, die der Finanzierung des Lebensunterhalts dient. Als Mindesteirrkommen müssen 3.900 Euro jährlich bzw. 325 Euro monatlich erreicht werden. Bei Berufseinsteigerl-innen ist die Mindestgrenzenregel drei Jahre lang wirkungslos. Für eine Aufnahme in die KSK muss die professionelle Ausübung der künstlerischen Tätigkeit durch einen Hochschulabschluss, die Teilnahme an Ausstellungen in bekannten Institutionen, den Erhalt eines renommierten Stipendiums, eines Kunstpreises oder einer ähnlichen finanziellen Unterstützung nachgewiesen werden. Dies gilt insbesondere für neu entstehende Berufsbilder. »Es ist vermehrt zu beobachten, dass viele im Kulturbereich tätige Selbständige mangels Erfüllung der Kriterien des§ 2 KSVG nicht den Weg in die KSK finden.« (HelmensteiniHenning/Kuschej 2006: 14) »Die Höhe der Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung bemisst sich grundsätzlich nach dem jeweils für ein Jahr im Voraus vom Versicherten geschätzten Arbeitseinkommen aus der selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit sowie den allgemein geltenden Beitragssätzen.« (BMAS 2011: 6)

Interessenvertretung Die mitgliederstärkste Berliner Interessenvertretung ist der Berufsverband Bildender Künstler Berlin e. V. (bbk), der etwa 2.000 Künstlerl-innen organisiert. Mit den Tochtergesellschaften Kulturwerk und Bildungswerk des bbk bietet der Berufsverband Infrastruktur- und Produktionsmittelförderung und Professionalisierungskurse. In der Fachgruppe Bildende Kunst der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sind bundesweit 1.700 professionelle Künstlerl-innen vereint. Ver.di unterstützt die Selbstständigen und Freiberuflerl-innen im Kulturbereich mit ihrer Beratungsfirma mediafon GmbH. Des Weiteren sehen sich der Verein Berliner Kiinstler und der Deutsche Künstlerbund den Belangen Berliner Künstlerl-innen verpflichtet. Die Interessenvertretungen setzen sich dafür ein, dass die Rechte von Künstlerl-innen gestärkt, sowie ihre Produktionsbedingungen verbesseti werden, und betreiben Lobbyarbeit Ihre Dienstleistungsangebote reichen von beruflichem Rechtsschutz, über Rechts-, Steuer-, Versicherungs- und Mietrechtsberatung, bis zur Bereitstellung beruflicher Informationen und der Unterstützung einer Online-Präsentation.

100

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Erwerbstätige im Bereich Bildende Kunst Die folgenden beiden Tabellen zeigen ein präziseres Bild des Berliner Berufsfeldes der bildenden Kunst. Tabelle 16 weist die Anzahl der Erwerbstätigen und der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen und Tabelle 17 die Jahresumsätze dieser Unternehmen für die Jahre 2006 und 2009 aus. Es zeigt sich, dass die Zahl der umsatzsteuerpflichtigen bildenden Künstlerl-innen und deren erwirtschaftete Einnahmen stieg. Während diese Zahl direkt statistisch erhoben wird, wird die Zahl der Freiberuflerl-innen und Selbstständigen nur indirekt über einen Faktor errechnet, weshalb die Jahreswerte 2006 und 2009 und ihre Entwicklung nur bedingt aussagekräftig sind. Die Daten von 2006 zu sozialversicherungspflichtigen, geringfügig beschäftigten und freiberuflichen oder selbstständigen E1werbstätigen im Bereich Bildende Kunst sind dem Kultmwirtschafsbericht 2008 entnommen. Die Berechnungen wurden vom Deutschen Institut für Wirtschajisforschung (DJW) durchgeführt und basieren auf Daten der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit und des Mikrozensus 2006. Die Angabe zu abhängig Beschäftigten beinhaltet sowohl sozialversicherungspflichtige als auch geringfügig Beschäftigte mit einem Monatsverdienst unter 400 Euro. Darin wird ein deutlicher Überhang der Zahl der selbstständigen und freiberuflichen bildenden Künstlerl-innen sichtbar. ihre Anzahl wurde über einen eigenen Faktor ermittelt, wie folgendes Zitat erläutert: Die Anzahl der Erwerbstätigen errechnet sich aus der Anzahl der sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten sowie einem Faktor für die Selbständigen und freien Mitarbeiter. Der Faktor der Freiberufler und Selbständigen basiert auf einer Befragung des DIW bei 25.000 Berliner Unternehmen der Kulturwirtschaft in 2006. Dieser Faktor konnte durch Auswertungen des Mikrozensus 2006 verifiziert werden. (SenWTF 2008: 23)

DIE STRUKTURDATEN

I I 0I

Tab. 16: Unternehmen und Erwerbstätige ausgewählter Wirtschaftszweige des Kunstmarkts in Berlin

Wirtschaftszweig

Erwerbstätige im Wirtschaftszweig Umsatzsteuersozial verFreiberufpflichtige* sicherungsgeringftigig liehe/ Unternehmen pflichtig Be- Beschäftigte Selbständige schäftigte

2006

2009

2006

2009

2006

2009

2006

2009

Selbstständige bildende Künstler/ -mnen

629

940

291

11 5

61

55

1302

629

Selbstständige Restauratoren/ Restauratorinnen**

137

151

113

133

21

12

140

152

Einzelhandel mit Kunstgegenständen, Bildern, Briefmarken, Münzen

420

410

581

766

251

346

0

0

Versteigerungsgewerbe

26

k.A.

108

208

43

32

0

0

Museen (und Kunstausstellungen)* * *

113

124

1953

2230

162

217

0

0

Quelle: SenWTF (2008); unveröffentlichte Auswertung von Wirtschaftsdaten für das Jahr 2009 im Cluster »IKT, Medien, Kreativwirtschaft« und Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistischer Bericht L IV 1 - j/09.

* Umsatzsteuerpflicht besteht ab 17.500 Euro Jahresumsatz. ** Selbständige Restauratoren und Restauratorinnen werden im Kulturwirtschaftsbericht (SenWTF 2008) dem Architektenmarkt zugerechnet. Die Wirtschaftsministerkonferenz zählt sie zum Kunstmarkt

*** Die Erhebung im Jahr 2009 berücksichtigt nur noch »Museen«.

102

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Tab. 17: Unternehmensumsätze ausgewählter Wirtschaftszweige des Kunstmarkts in Berlin

Wirtschaftszweig

Umsatzsteuerpflichtige Unternehmen Umsatz in Tausend Euro* 2006

2009

Selbstständige bildende Künstlerl-innen

55.410

73.597

Selbstständige Restauratoren/ Restauratorinnen* *

12.922

12.953

Einzelhandel mit Kunstgegenständen, Bildern, Briefmarken, Münzen

144.014

162.280

Versteigerungsgewerbe

45.834

k.A.

Museen (und Kunstausstellungen)***

45.226

54.875

Quelle: SenWTF (2008); unveröffentlichte Auswertung von Wirtschaftsdaten flir das Jahr 2009 im Cluster »IKT, Medien, Kreativwirtschaft« und Amt flir Statistik BerlinBrandenburg, Statistischer Bericht L IV 1- j/09. * Umsatzsteuerpflicht besteht ab 17.500 Euro Jahresumsatz. ** Selbständige Restauratoren und Restauratorinnen werden im Kulturwirtschaftsbericht (SenWTF 2008) dem Architektenmarkt zugerechnet. Die Wirtschaftsministerkonferenz zählt sie zum Kunstmarkt ***Die Erhebung im Jahr 2009 berücksichtigt nur noch »Museen«.

Die Daten aus dem Kulturwirtschaftsbericht folgen der Intention, eine allgemeine Wirtschaftsbranche kultureller und künstlerischer Tätigkeitsbereiche zu umreißen und müssen daher für meine Fragestellung differenzierter betrachtet werden. So umfassen zum Beispiel die in der Tabelle ausgewiesenen Museen alle, also auch nicht kunstspezifische, Berliner Museen. Des Weiteren differenzieren die angegebenen Beschäftigungszahlen nicht nach Tätigkeitsbereichen und beinhalten auch Angestellte, die keine Akteure des künstlerischen Feldes sind. So beschränkt sich die kunstspezifische Praxis in Museen auf die akademischen Mitarbeiter/-innen. Exemplarisch für das Zahlenverhältnis der verschiedenen Beschäftigtengruppen, gestaffelt nach Qualifikationsniveau, sind in der folgenden Tabelle die im Haushaltsplan des Landes Berlin teilweise offengelegten Stellenpläne der öffentlich gefOrderten Museen der bildenden Kunst in Berlin ausgewertet. Dabei zeigt sich, dass die Kunstakteure nur einen geringen Anteil an den Beschäftigten einnehmen, wie zum Beispiel in der Berlinischen Gale1ie, oder aber nicht-kunstspezifisches Personal nicht mehr als Landesstellen geführt werden.

DIE STRUKTURDATEN

I I 03

Tab. 18: Planmäßige Vollzeitstellen 2011 der mit mehr als 100.000 Euro jährlich direkt aus dem Haushalt des Landes Berlin geförderten Einrichtungen der bildenden Kunst*

:i

.... ~ .... 2 := :o:s Ql

~

Ql

Einrichtung

Tarifvertraglich/Besoldungsrechtlich gefordertes Qualifikationsniveau**

~

... ..c Ql ~

~

Berlinische Galerie

gD

mD

eD

12,5

12,6

16,5

17,1

Ql

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Weihe< der akademischen Welt: Er bekam eine Honorarprofessur an einer Universität. Gemeinsam mit seinen Mitarbeiterl-innen schreibt er eine »spezifische Geschichte der Kunst«, indem er das Werk als geistigen Prozess einer künstlerischen Persönlichkeit ansieht, die sich selbst in Beziehung zu anderen konstruiert. Ein Kunstwerk findet also nicht Eingang in die Kunstgeschichte, weil es im Nachhinein, losgelöst von der Person des Künstlers oder der Künstlerin, kategorisiert und kanonisiert wird. Es findet Eingang, wenn einer Künstlerin eine geistig herausragende Persönlichkeit zugeschrieben und sie für das anerkannt wurde, wie sie sich zu anderen bzw. zur »Einheit des kulturellen Besitzes« in Relation gesetzt hat.

108

I BILDENDE KUNST ALS SOZIALES FELD

Der Bildungsauftrag Max Corbach erklärt, ihm liege die Vermittlungsarbeit in seinem Museum »sehr am Herzen«. Wie sich in folgender Interviewpassage zeigt, hat er eine genaue Vorstellung davon: Ich glaube, man muss heute stark daran arbeiten diese Didaktik, die Museumspädagogik klug dort einzubauen, möglicherweise sogar als Teil der Arbeit, indem man die Kontexte einfach sichtbar macht, die dann in der Arbeit selber nicht mehr so stark sind, die verschlüsselt sind, das könnte man wieder entschlüsseln. Das könnte man in separaten Räumen als Arbeits- und Denkweg, der dieser Arbeit zugrunde lag, sichtbar machen. Man könnte das wie in einem kleinen Archiv, in einem separaten Raum als Möglichkeit, wenn man mit dem Werk konfrontiert ist und emotional sozusagen an einen gewissen Punkt gebracht ist, das noch einmal rational zu überprüfen, was das eigentlich ist. (Max Corbach, E12: 8)

Ein Kunstwerk sei in der Lage die Betrachterl-innen »emotional an einen gewissen Punkt« zu bringen, die Emotion müsse aber immer »rational überprüft« werden. Um ein Kunstwerk verstehen zu können, müsse die Intention der Künstlerl-innen erforscht werden. Denn der Künstler sei »die authentischste Quelle seiner Hervorbringung«. Die Authentizität eines Werkes erschließt sich aus den Kontexten, in denen die Künstlerl-innen standen und aus dem »Arbeits- und Denkweg«, dessen Resultat das Kunstwerk war. In einem Archivraum sollten die Besucherl-innen Quellenarbeit betreiben können, um dergestalt die Künstlerf-innen-Intention zu entdecken. Die Ausstellungen sind hier ein Versuch gewisse hermetische Produkte oder Produktionsweisen so sichtbar zu machen, dass auch Menschen, die sich nicht jeden Tag mit Kunst beschäftigen, herangeführt werden und für sich etwas finden können. (Max Corbach, E12 : 6)

Max Corbach erklärt, er habe nicht genug Personal, also nicht genug finanzielle Mittel, um seinen Vorstellungen von Vermittlungsarbeit gerecht werden zu können. Sein Museum sei aber trotz mangelnder Vermittlungsarbeit gut besucht. Einerseits würden allein wegen der Pracht des historischen Gebäudes viele Touristen und Touristinnen kommen. Diese hätten, »auch wenn sie von der Kunst nichts verstehen, so eine Art Abenteuer«, wenn sie sich neben dem Gebäude auch noch die Ausstellung ansehen. Andererseits hätte das Museum durch internationale Schulklassen viele junge Menschen als Besucher/-innen. Er sei froh um die engagierten Lehrer/ -innen, die in intensiver Vermittlungsarbeit ihren Schülerl-innen die ausgestellten Kunstwerke näherbringen.

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Max Corbachs Ausführungen führen vor Augen, dass es für ihn eine authentische Bedeutung und das heißt auch, eine korrekte Sichtweise auf das Werk gibt. Auch wenn er äußert, bildungsferne soziale Schichten einbeziehen zu wollen, entspricht sein Vermittlungsanspruch doch- mit Bourdieu gesprochen- dem »Glauben« an eine »einzige gesellschaftlich für >angemessen< erachtete Art und Weise, sich Gegenständen zu nähern, denen die Gesellschaft den Titel von Kunstwerken verlieh« (1982: 58). Seine Vorstellung von Vermittlungsarbeit verschweigt die sozialen Bedingungen der Kunstkompetenz bzw. des Interesses an Kunst. Denn er stellt den Anspruch an sich und die Besucherl-innen seines Museums, ein Kunstwerk in seiner Authentizität zu erkennen, was bedeutet, das Werk so zu lesen wie die Produzenten und Produzentinnen ihr Werk sehen. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, bedarf es einer »ästhetischen Einstellung« (ebd.: 57), die mit jener der Künstlerl-innen identisch ist. Die Rezipientl-innen von Kunst sollen die Werke nicht nur betrachten, vielmehr sollen sie sich in einem »Archivraum« mit dem Werk, den Künstlerl-innen und ihren Intentionen und dem Entstehungszusammenhang auseinandersetzen. Die Betrachterl-innen müssen also befähigt sein, den geistigen Denkprozess der Künstlerl-innen nachzuvollziehen. Das bedeutet, um ein Werk entschlüsseln zu können, muss die Bildung der Betrachterl-innen mit jener der Künstlerl-innen übereinstimmen. Durch die Konfrontation mit den Kunstwerken, die im Museum zum Bestandteil des kulturellen Erbes geweiht wurden, werden diese auch in den >Köpfen und Herzenmnter idealen Bedingungen kritisch sehen würde«, müsse das Museen mit Privatsammlerl-innen kooperieren, weil diese sich sonst »eigene Häuser bauen und dort unsystematisch irgendwas ausstellen«. Überdies stünden die Preise am Kunstmarkt in keinem Verhältnis zu seinem Ankaufsetat Die Museen könnten seiner Vorstellung einer »flächendeckenden« Archivierung des »kulturellen Besitzes« nicht mehr gerecht werden, weil viele Werke für sie nicht mehr erschwinglich seien. Bedeutende private Sammlungen besäßen Kunstwerke, die ei-

Vgl. Zusammenfassung in Kastner 2009: 104.

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gentlieh in die Sammlung eines staatlichen Museums »gehören« würden. Nur durch die Kooperation mit privaten Sammlerl-innen könne er wenigstens einen Teil dieser sowohl für die Kunstgeschichte als auch den Markt relevanten Werke der Öffentlichkeit präsentieren. Private Sammlungen müssten »zum Wohle der Öffentlichkeit« geordnet werden, wie er wie folgt begründet: Also ein Privatsammler, der hat seine Leidenschaften, der kauft natürlich unsystematisch, weil es ihm gefällt, hat Motive, die nicht die unseren sind. Er versucht - bis auf wenige Ausnahmen, das gibt es vielleicht auch- aber ein Sammler versucht nicht das wissenschaftlich zu systematisieren und folgerichtig quasi die Sammlung zu erweitern, sondern das sind doch mehr oder weniger so etwas wie enthusiastische Anfalle, die dazu fuhren, dass man das erwirbt und wenn man das Geld hat, das zu kaufen, das ist ja auch eine wunderbare Geschichte. (Max Corbach, El2: 9)

Den »enthusiastischen Anfällen« stellt Max Corbach die kunstwissenschaftlich fundierte Systematisierung der Werke gegenüber. Die »Motive« der Privatsammlerl-innen seien rein »subjektiv« und hätten nichts mit seinen Maßstäben zu tun. Mittels kunsthistorischer Methodik seien er und seine Mitarbeiterl-innen in der Lage, den »objektiven« Wert eines Werkes zu bestimmen. Erst dadurch werde sichtbar, was in einem Werk »drinsteckt und in welchem Zusammenhang es« stehe. Die privaten Sammlerl-innen müssten »begreifen, dass sie das Glück haben, mit einer großen kulturellen Einrichtung zusammen zu arbeiten«. Zur Absicherung schloss er mit den Sammlerl-innen Verträge ab, in denen festgeschtieben steht, dass sein Museum während einer Leihgabe »freie Hand« im Umgang mit der Sammlung hat und die Privatsammlerl-innen »keine Bedingungen« stellen dürfen. Mit seinen Ausführungen über das Verhältnis von privaten Sammlerl-innen und Museen verweist Max Corbach auf eine Entwicklung, die in Berlin erst im letzten Jahrzehnt langsam ins Rollen kommt, weil sich mehr private Sammlerl-innen ansiedeln. Es wird deutlich, dass Max Corbach die feldinteme »Position« des staatlichen Museums verkörpert und seine Konsekrationsmacht verteidigt. Seiner Meinung nach steht diese Macht im Kampf zwischen staatlichem Museum und privaten Sammlerl-innen bzw. dem Kunstmarkt auf dem Spiel. Noch scheint die Einbindung einer privaten Sammlung in ein Museum den symbolischen Wert der Sammlungin Folge auch den ökonomischen Wert am Kunstmarkt- steigem zu können. Max Corbach sieht eine Gefahr darin, dass immer mehr Sammlerl-innen sich eigene Museen bauen und sich dort nicht mehr >>in der zweiten Reihe« sehen müssen, wie in der Zusammenarbeit mit ihm. In ihren eigenen Museen müssen sich private Sammlerl-innen nicht an seine kunsthistorischen Kriterien halten und stellen somit die Maßstäbe der Kunstgeschichte in Frage. Wenn Max Corbach die wissenschaftlich fundierte Systematisierung von Werken bzw. ganzer Sammlungen hoch hält, verteidigt er die Legitimität seiner Beurteilung, die sich auf die Anwendung von Ktite-

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rien der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte stützt. Dem privaten Sammlerl-innen muss es nicht in dieser Weise am Herzen liegen, den kunsthistorischen Kanon aus- und fortzuführen. Private Sammlerl-innen müssen keine Kunsthistorikerl-innen sein, sich nicht einmal besonders für Kunst interessieren. In privaten Museen - wenn sie nicht selbst Kunsthistorikerl-innen anstellen - werden Kunstwerke entlang anderer Maßstäbe zusammengestellt. Über die Rezeption der Ausstellungen - sei durch Kunstkritik, sprich der kunstspezifischen Presse oder durch Museumsbesucherl-innen - finden diese Kategorisierungen Eingang in die feldinternen symbolischen Kämpfe. Deshalb ist Max Corbach auch das »Wohl der Öffentlichkeit«, d.h. sein Bildungsauftrag wichtig. Die hegemoniale Kunstgeschichte reproduziert sich auch durch die Konfrontation mit den Werken im Museum. Besuchen immer mehr Menschen, insbesondere Schulklassen, private Museen, könnten neue Systematisierungen in den Köpfen und Lehrplänen Eingang finden.

MATTHIAS CLAAS: DER STAATLICHE KURATOR Matthias Claas ist Ende 30 und wuchs in Rheinland-Pfalz auf. Seit zehn Jahren ist er an einem staatlichen Museum angestellt, wo er heute als Kurator für den Bereich Bildende Kunst tätig ist. Auf der Website des Museums fand ich Matthias Claas in seiner Funktion als Kurator angeführt. Ich sendete einen Brief und versuchte ihn eine Woche später telefonisch zu erreichen. Meine Anrufe wurden von einer Zentrale durchgestellt. Beim vierten Mal erreichte ich ihn und er entschuldigte sich sogleich, dass er sich nicht gemeldet habe. Wir vereinbarten einen Termin und er erklärte mir, wie ich in sein Büro gelange. Als ich beim Museum ankam, war die Tür zum Bürogebäude verschlossen. Ich fragte die bei der Kasse sitzende Angestellte, die mich daraufhin telefonisch bei Matthias Claas ankündigte. Sie erklärte mir, ich solle an der Tür klingeln. Eine Männerstimme meldete sich, ich sagte meinen Namen und zu wem ich wollte. Ein Lift führte mich in ein Großraumbüro, das von verglasten Einzelzimmern gesäumt war. Da ich nicht wusste, wie Matthias Claas aussah, fragte ich eine an einem Schreibtisch sitzende Frau und sie führte mich zu einem der abgetrennten Zimmer. Wir reichten uns zur Begrüßung die Hände und er bat mich, noch >>eine Sekunde« zu warten, seine Besprechung sei gleich zu Ende. Die Wände des Großraumbüros, in dem ich wartete, waren zum größten Teil aus Glas, der Rest war mit deckenhohen Bücherregalen verstellt. Kunstkataloge und Ordner füllten die Regale. Insgesamt gab es acht Arbeitsplätze, an dreien saß jemand. Auf den Tischen standen ältere Röhrenbildschirme und PCs, auf einigen war es sehr ordentlich, auf anderen türmten sich Papier- und BücherstapeL Nach zehn Minuten öffnete Matthias Claas die Glastür seines Zimmers, verabschiedete die andere Person mit den

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Worten, sie würden sich heute noch einmal sprechen und bat mich herein. Das Büro war relativ klein und an drei Seiten verglast. An der unverglasten Seite gab es ein Regal mit Büchern und Ordnern. In der linken vorderen Ecke befand sich ein großer Schreibtisch mit einem Flachbildschirm und einem PC. Links neben der Tür stand der kleine Tisch mit zwei Stühlen, an dem wir saßen. Das Interview dauerte eine Stunde und 20 Minuten. Während des Gesprächs läutete einmal das Telefon. Danach erklärte er mir, dass dies ein Kameramann gewesen sei, den er gestern kennengelernt habe und der am darauffolgenden Tag bei der Eröffnung der nächsten Ausstellung filmen wolle. Nach dem Telefonat meinte er, er würde das Telefonjetzt leise schalten. Einmal empfing er noch eine SMS. Er bemühte sich das Gespräch nicht zu unterbrechen, während er es las. Durch die Glastür, die hinter meinem Rücken lag, verfolgte er manchmal das Geschehen im Großraumbüro. Gegen Ende des Interviews wurde Matthias Claas knapper in seinen Antworten. Es schien länger zu dauern, als er eingeplant hatte. Er wies mich jedoch nicht darauf hin und verabschiedete mich schließlich sehr freundlich. Matthias Claas absolvierte in den 1990er Jahren in Rheinland-Pfalzein Studium der Kunstgeschichte, Philosophie, Kunstpädagogik und Germanistik. Danach entschied er nach Berlin zu gehen, wo er ein von der Agentur fiir Arbeit finanziertes halbjähriges Praktikum im Museum begann. Er habe damals überlegt zu promovieren. Doch nach dem Praktikum erhielt er ein Volontariat, dann eine Stelle als Assistent des Direktors und schließlich wurde er Kurator für den Bereich Bildende Kunst. Erzählt Matthias Claas von seinen Karriereschritten, betont er seine maßgebliche Mitarbeit an der Entwicklung des Museumskonzeptes, seine leitenden Funktionen und seine enge Zusammenarbeit mit der Direktion. Er ist Mitglied in verschiedenen Jurys, die über den Ankauf von Kunstwerken oder die Vergabe von Kunstpreisen entscheiden. Immer wieder fungiert er als Berater für Firmen oder private Sammler/-innen, die ihn vor ihrer Kaufentscheidung kontaktieren. Das gestaltende Selbst Unser Museum besteht aus der Sammlungspräsentation und wechselnden Ausstellungen, die wir assoziierend zu unserer Sammlung machen, aber auch die ständige Ausstellung wird immer wieder umgebaut, umgeräumt. Einerseits, um sie lebendig zu halten und andererseits, um immer wieder andere Positionen zu zeigen. Wir bestehen, wie alle Museen, zu 99 % aus Archiv und Depot. Also wir zeigen maximal I % - nicht einmal - von dem, was wir haben, in der Ausstellung. (Matthias Claas, E9: 2)

Matthias Claas erklärt mir, als Kurator des Museums konzipiere er Ausstellungen, die Werke aus der Sammlung mit Leihgaben kombiniere. Am Beginnjeder Ausstellung stehe seine »Idee«. Es stellten sich dann die Fragen, ob die »Idee funktionie-

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re«, d.h. wie eine Ausstellung aussehen könnte und ob er »Verbündete« finde. Bei regelmäßigen Treffen der Museumsleitung mit den Kuratoren und Kuratorinnen müsse er bereits Vorarbeiten zu seiner Idee vorweisen und erläutern können, was er mit dem Projekt erreichen und wann und wie er es umsetzen wolle. Die anderen müssen überzeugt werden, dass es sich um eine »spannende Idee« handele. Mit einem Projekt habe er sich zum Beispiel durchgesetzt, weil es sowohl dem Sammlungsauftrag entsprach, d.h. es thematisch zur Ausrichtung des Museums passte, als auch einen aktuellen Bezug herstellte, indem es ein in der Politik verhandeltes Thema aufgriffund lebende Künstlerl-innen einband. Ein anderes Projekt hingegen, das er als »Expetimentierraum« bezeichnet, habe er nicht mehr weiterverfolgt Die Leitung entscheide, welche Ausstellungsprojekte zu welchem Zeitpunkt und in welcher Länge und Größe durchgeführt werden. Am Ende des Interviews erzählt er, dass eine neue Stelle eingerichtet worden sei, deren ausschließliche Aufgabe darin bestehe, einen »roten Faden« oder ein »Profil« flir das Museum zu erarbeiten. Dieser »Programmleiter« werde in Zukunft entscheiden, welche Ausstellungsprojekte umgesetzt werden. Für die Umsetzung sei die Kuratorirr oder der Kurator aber allein verantwortlich. In seiner Erzählung betont Matthias Claas immer wieder seine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Führungsebene des Museums. Bereits nach Praktikum und Volontariat erhielt er eine Stelle, die ihm erlaubte, auf deren Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Er habe »das Haus mit konzipiert«, entwickle gemeinsam mit der Museumsleitung Programme und Projekte. In den letzten zehn Jahren stieg er bis zum fest angestellten Kurator auf. Zwischen Direktor/-in und Kurator/-in wurde zwar die neue Ebene der Programmleitung eingeführt, wie sich diese auf seine Position auswirken wird, scheint Matthias Claas noch nicht zu wissen oder nicht thematisieren zu wollen. Seine Erzählung erweckt den Eindruck, dass die Führungsebene und auch Kollegen und Kolleginnen Ausstellungsprojekte danach beurteilen, wie sehr sie den gesetzlichen Vorgaben des Museums gerecht werden. Trotz mehrmaligen Nachfragens bezog er seine Erläuterung, was ein Ausstellungsprojekt »spannend« mache, stets auf diesen Rahmen. Matthias Claas hält sich also an die Richtlinien, hebt aber seine individuelle Ideenfindlmg und konzeptuellen Funktionen hervor. Indem er sich als Mitgestalter des Museums sieht, relativiert er seine hierarchisch untergeordnete Position. Er versteht sich nicht als Ausführender, der Vorgaben befolgen muss, weil sie ihm von oben verordnet wurden. Vielmehr befolgt er sie, weil er sich die Belange des Museums zu eigen gemacht hat, weil er sich selbst als für das Museum verantwortlich begreift. Im Gegensatz zum Archivar, der die Sammlung verwaltet, gestaltet er in seiner Funktion als Kurator jene Bereiche des Museums, die nach außen sichtbar werden. Nur mittels Ausstellungen formiert sich das Profil einer Sammlung auch für die Öffentlichkeit. So gesehen ist Matthias Claas Repräsentant des Museums. In der Rezeption einer Ausstellung durch Presse, Kunstkritik und Publikum werden nicht ausschließlich die

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Kuratoren und Kuratorinnen bewertet, sondern vor allem das Museum, dessen »Position« im Feld dabei zur Disposition steht. Dies wird durch seinen Status als vom Museum angestellter Kurator verstärkt. Beifreien Kuratoren und Kuratorinnen, die von einer Institution ftir die Dauer einer Ausstellung eingeladen werden, liegt der Fokus vielleicht mehr auf ihrem Profil, über das sie sich zu positionieren versuchen. Vor diesem Hintergrund wird noch klarer, warum Matthias Claas die Belange des Museums internalisiert hat. Er wurde zum Verantwortlichen für den Bereich Bildende Kunst ernannt, weil er als Repräsentant des Museums anerkannt wurde. Und dies gelang ihm, weil sein Selbstbild kein anderes Agieren zulässt als jenes, das dem Museum dienlich ist. Um sein Selbstverständnis als Kurator weiter zu ergründen, skizziere ich seine Erzählung über den Aufbau von Ausstellungen: Matthias Claas entscheidet als Kurator, welche Werke auf welche Weise präsentiert werden. Werden Werke aus der Sammlung gezeigt, deren Produzenten und Produzentinnen leben, sei es seine Aufgabe, sie darüber zu informieren und mit ihnen über die Präsentation zu sprechen. Bei Werken, die nicht zur Sammlung gehören, diskutiere er mit den Künstlerl-innen über die Auswahl der gezeigten Werke: Da muss man aufpassen, weil jeder Künstler sich ausdehnen will und mehr zeigen will und Nachbarschaftell ungern hat und sagt: >Nein, neben dem will ich nicht, das passt doch gar nicht.< Deswegen versuche ich, wo ich es vermeiden kann, zu vermeiden, einen Künstler während der Aufbauphase einzuladen. Aber bei manchen weiß man, dass die extrem kompliziert sind und dann macht man das lieber im Vorfeld, um das Desaster im Nachhinein zu vermeiden. (Matthias Claas, E9: 15)

Jeder Künstler, jede Künstlerin sei »ein eigenes Universum«, einige könne man als »Egomanen« bezeichnen, erklärt er mir. Bei Gruppenausstellungen bestehe seine Tätigkeit »eher aus Psychologie als irgendetwas anderem«. Er rede viel auf die Künstlerl-innen ein und versuche seine Vorstellungen von Anfang an klar zu stellen. Beim Aufbau der Ausstellung lade er sie »zum Zuschauen« ein, ändere sein Konzept aber nicht mehr. Einmal habe er mit einem Künstler einen Ort vereinbart gehabt, an dem dessen Werk hängen sollte. Während des Aufbaus habe sich herausgestellt, dass es dort »eigentlich nicht geht« und er habe es an anderer Stelle platziert. Der Künstler sei daraufhin so erbost gewesen, dass er das Werk zurückzog. Diese Möglichkeit stehe Künstlerl-innen offen. Weil es im »Chaos« enden würde, ginge er nicht auf alle Wünsche ein, nehme er eine derartige Reaktion in Kauf. Bei Einzelausstellungen seien die Künstlerl-innen manchmal »Von der Auswahl der Arbeiten, die man zeigt, bis hin zur Stellprobe und Hängung dabei«. Er sei offen für Diskussionen, müsse aber oft auf seinem Konzept beharren, damit die Ausstellung »kein Sammelsurium« werde und die Werke »den Raum bekommen, den sie brauchen«.

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lm Erzählten manifestiert sich, dass Matthias Claas im Rahmen seiner kuratarischen Tätigkeit über die Kunstwerke verfügt und den Künstlerl-innen dabei wenig Entscheidungskompetenz zuerkennt. Nur einmal nennt er den Namen eines etablierten Künstlers und erzählt, dessen »Assistent« habe den Aufbau des Werkes koordiniert und bewacht, weil der Künstler Wert auf eine millimetergerraue Ausrichtung der Installation lege. Die anderen Künstlerl-innen, die er erwähnt, können zwar mit ihm diskutieren, letztendlich entscheidet jedoch er. Bei Werken, die vom Museum angekauft wurden, bleibt den Produzenten und Produzentinnen nicht einmal die Option, es zurückzuziehen. Die Erarbeitung des Profils des Museums fällt wiederum nicht unmittelbar in den Kompetenzbereich von Matthias Claas. Seinem Stellenprofil entspricht es Konzepte für Ausstellungen zu erarbeiten und umzusetzen. Obwohl ein angestellter Kurator seine Arbeit weniger vermarkten muss als ein freier, werden Erfolg oder Misserfolg einer Ausstellung ihm zugerechnet. Er muss seinen Status innerhalb der Museumsstruktur verteidigen, indem er dem Museum mittels eines erfolgreichen Ausstellungskonzeptes ein guter Repräsentant ist. Wie eine Künstlerin nur mittels ihres Werkes anerkannt wird, ist das Produkt des Kurators seine Ausstellung. Diese Parallele zeige ich auf, weil der Kurator seine Ausstellung als sein Werk versteht. Aus seiner Sicht ist seine Arbeit die Materialisierung einer Idee, die seinem Geist entsprungen ist und die er durch Recherchearbeit präzisiert hat. Sein Material sind die Kunstwerke anderer und der Ausstellungsraum, der ihm zur Verfügung steht. Matthias Claas erzählt, er experimentiere oft mit dem Raum, löse das starre Raumkonzept der auf gleicher Höhe hängenden Bilder auf. Die Werke anderer wählt er nach inhaltlichen Gesichtspunkten aus, ihre Platzierung kann sich auch nach seinem Empfinden vor Ort richten. Die einzelnen Werke, ihre inhaltliche oder ästhetische Aussage, verschwinden hinter jener der gesamten Ausstellung. Sie werden dem Konzept untergeordnet, darin nach den Maßstäben bzw. der Idee des Kurators einsortiert. Diese Zuordnung muss nicht mit dem übereinstimmen, wie die Produzenten und Produzentinnen selbst ihre Produkte bezeichnen oder zu anderen in Relation stellen. Matthias Claas sieht seine Aufgabe nicht darin, die Künstlerl-innen in deren Sinne bestmöglich zu präsentieren. Im Gegenteil, er glaubt, wenn er dies täte, würde alles im »Chaos« enden. Sein wiederholter Hinweis, dass die Ausstellung »kein Sammelsurium« werden dürfe, dient dem Schutz der eigenen »Position« im Feld. Denn für ein »Sammelsurium«, also die wahllose Aneinanderreihung von Werken, braucht es keinen Kurator. Dieser wird engagiert, um Werke zu konzeptualisieren und zu kontextualisieren. Ein letzter Erzählstrang soll sein Selbstbild noch weiter präzisieren. Matthias Claas erläutert mir die Finanzlage des Museums und welche Mittel zum Ankauf von Kunstwerken zur Verfügung stehen. Zum Beispiel habe das Museum zwei Stimmen in einer Kommission eines staatlichen Programms zur Künstlerförderung. »Nach einem bestimmten Schlüssel« dürfe jedes Museum einen »Etat zum Ankauf verwenden«. Weil es sich dabei um eine Künstlerförderung handele, müssten Wer-

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ke von lebenden Künstlerl-innen angekauft werden. Deshalb habe er gemeinsam mit den Direktoren und Direktorinnen seines Museums ein »Programm entwickelt«, das daraus bestehe, einmal im Monat sechs bis acht Personen in ihren Ateliers zu besuchen: Man wird von Künstlern angesprochen oder angeschrieben: Wollen Sie nicht einmal vorbeikommen? In der Regel von den Künstlern selber. Viele kennt man schon über Jahre und besucht sie immer wieder und guckt, was passiert gerade Neues, an welchen Themen sind die dran. Manche kennt man gar nicht und die schreiben einen einfach an, nicht einmal so gezielt nur uns als Museum, sondern allgemein Kunst- und Kulturinstitute. Sobald sie eine Ausstellung in einer Galerie haben oder in einem anderen Institut oder ihr Katalog ist erschienen, dann bekommen wir das zugeschickt. (Matthias Claas, E9: 8)

Bei den Atelierbesuchen gehe es darum, sich »wirklich Zeit zu nehmen«. Eine Stunde lang redeten sie über »viele Sachen«, ließen sich »Dinge zeigen«, auch ältere Werke, und würden sehen, »wie Sachen entstehen«. Das sei ein »ziemlich naher und direkter Kontakt«. Auch wenn es nicht gleich zur Kaufentscheidung komme, bleibe »im Hinterkopf, wie die Person arbeitet, was sie gerade macht und woher sie kommt«. Neben der kuratarischen Tätigkeit und den Atelierbesuchen bestehe ein wichtiger Teil seiner Arbeit darin, abends zu »Eröffnungen, Empfangen oder Events« zu gehen. Manchmal habe er den Eindruck, nicht tagsüber im Büro passiere seine Arbeit, sondern eigentlich würden abends »Verbindungen hergestellt, Entscheidungen getroffen, Pläne und Geschäfte gemacht«. Er werde dort in seiner Funktion als »Käufer und Ausstellungsmacher« wahrgenommen und »dementsprechend« werde er von Künstlerl-innen und von Galeristen und Galeristinnen »belagert«. Es sei wichtig, dass Künstlerl-innen nicht nur auf ihre eigenen Eröffnungen gingen, sondern sie müssten sich bei solchen Abendveranstaltungen »im Bewusstsein halten«. Denn nur, wenn er als Kurator mehrmals Einladungskarten oder Kataloge erhalte, blieben sie ihm »im Kopf«. So könne er verfolgen, ob die Werke über einen längeren Zeitraum »spannend und toll« bleiben. Er wisse, dass die Künstler/ -innen, die er wahrnehme, sich bereits »ein bisschen durchsetzen mussten«. Professoren und Professorinnen an den Akademien seien erste »Schlüsselpersonen«, um als Künstlerl-in Beteiligungen an Ausstellung zu erhalten oder von einer Galerie vertreten zu werden. Künstlerl-innen bräuchten »Verbündete«, sonst blieben sie auf dem »gleichen Niveau«, erklärt er. Als Kurator eines Museums werde er aufKünstlerl-innen erst aufmerksam, wenn sie eine kontinuierliche Ausstellungsliste aufwiesen. Matthias Claas nennt diesen Teil seiner Arbeit »das Netzwerken«, das ein »riesengroßes Spiel« sei. lm künstlerischen Feld hat diese Form der Kommunikation einen Namen und erfüllt eine bestimmte Funktion. An dieser Stelle möchte ich den Blick jedoch weiterhin auf sein Selbstbild richten. Die Atelierbesuche und Abend-

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veranstaltungen dienen ihm dazu, in seinem »Kopf« oder »Bewusstsein« Namen von Künstlerl-innen zu speichern. Jene, die in diesen Speicher Eingang finden, müssen bestimmten Kriterien gerecht werden. In diesem Stadium, das der Ausstellungskonzeption vorgelagert ist, steht noch nicht das Werk im Mittelpunkt, sondern der Produzenten oder die Produzentin und ihre momentane wie bisherige künstlerische Arbeit. Von Interesse scheint einerseits zu sein, wie sich die Person und ihre Arbeit entwickeln und welche »Dinge« die Künstlerl-innen beschäftigen. Andererseits beachtet er, an wie vielen Ausstellungen in welchen Institutionen die Person teilnimmt. Relevant ist für ihn ferner, mit welchen anerkannten Akteuren ein Künstler oder eine Künstlerin kooperiert und wer sich für ihn oder sie einsetzt. Diese Informationen benötigt Matthias Claas, um abschätzen zu können, ob die Künstler/ -innen in sein Ausstellungskonzept passen oder ob »es sich lohnt«, ein bzw. mehrere Werke in die Sammlung des Museums aufzunehmen. Wie er selbst sagt, bezieht er nur jene Künstlerl-innen in seine Überlegungen mit ein, die von anderen relevanten Institutionen bereits anerkannt wurden. Er bewegt sich also auf einem Terrain, das bereits erprobt und relativ abgesichert ist. Sein Entschluss, einen Künstler oder eine Künstlerin in eine Ausstellung aufzunehmen oder sogar die Entscheidung ein Werk anzukaufen, bedeutet fLir die Personen einen erneuten Statusgewinn. Seine Wahl, die er als Kurator und Berater der Kaufentscheidung fällt, muss wiederum der Kunstkritik standhalten. Dabei muss er gegebenenfalls argumentieren können, wie es zu dieser Auswahl kam, wobei ihm die genannten Kriterien dienlich sind. Deshalb gestaltet Matthias Claas sein Ausstellungskonzept auf Basis seiner kognitiven Datenbank etablierter oder sich etablierender Künstler/-innen. Dies ist sein Materialpool, aus dem er sein Werk, die Ausstellung, schöpft. Wie manche Künstlerl-innen ihre Werke als verschiedene Ausdrucksformen der Beschäftigung mit einem Thema verstehen, speichert er in seinem Kopf Informationen zu Kunstwerken und ihren Produzenten und Produzentinnen, um daraus etwas Neues zu kreieren. Seine konzeptuelle und gestalterische Fähigkeit besteht in der Zusammenfügung und dem In-Relation-Setzen von Werken und Personen. Er versteht sich also nicht nur als Teil eines »Netzwerkes«, sondern als jemand, der diesem Netzwerk zeitgenössischer Kunst eine Struktur gibt, indem er »Verbindungen herstellt«. Kunst der Kategorie Gegen Ende des Interviews thematisiert Matthias Claas die Entwicklungen des Kunstmarktes und die sich verändernde Rolle staatlicher Museen. Private Sammlerl-innen bauten Sammlungen auf, von denen Museen »nur träumen« könnten, erklärt er mir. Zeitgenössische Kunst werde immer mehr von Galerien und Privatsammlungen »geadelt«. Das Museum könne noch in Form einer Retrospektive Künstlerl-innen Anerkennung verschaffen. Obwohl er das »Gefühl« habe, das Mu-

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seum »hinke« in Bezug auf zeitgenössische Kunst »hinterher«, denke er nicht, dass es am Kunstmarkt »mitmischen« sollte. Seiner Meinung nach muss der Etat des Museums »nicht um fünf Millionen Euro erhöht werden, nur weil die Kunstpreise steigen«. Vielmehr dürfe sich ein Museum nicht »funktionalisieren lassen«, denn der Markt sei eine »Seifenblase« und bei vielen Werken stelle sich mit einer »Minidistanz« heraus, dass »es sich nicht trägt«, d.h. dass sich ihr Wert weder hält noch steigert. Sogar in der Sammlung seines Museums hätte »ein Viertel der Werke niemals angekauft werden dürfen«. Die Werke seien zu früh angekauft worden, denn erst mit zeitlicher Distanz könne festgestellt werden, »ob es sich lohnt« ein Werk zu archivieren. Im Gegensatz zu Privatsammlerl-innen könne ein staatliches Museum seine Werke nicht wieder verkaufen. Das Museum habe einen »Sammlungsauftrag« mit dem Ziel, der eigenen Sammlung ein »Profil« zu geben. Werke werden nach einem »bestimmten Konzept« angekauft, Schenkungen abgelehnt, wenn sie nicht in die Sammlung passen. Die Rolle des staatlichen Museums sehe er wie folgt: Unser Archiv ist wirklich ein Wurzelwerk, in dem man historisch forschen kann. Das ist eigentlich eher die Rolle eines Museums. Ein Museum fur Zeitgenössische Kunst ist eigentlich Quatsch! Weil ein Museum eine gewisse historische Distanz braucht.

Er spricht davon, dass er jene Werke ausleihen müsse, die in die Sammlung »gehören«, aber nicht angekauft werden konnten oder an ihnen »vorbeigegangen« sind. Beginne er mit dem Konzept für eine Ausstellung, habe er immer einige »Schlüsselwerke aus dem Archiv im Kopf«. Um kein »Sammelsurium« auszustellen, brauche er einen »Fokus«, der »sinnvoll und für die Besucher interessant ist«. Er beleuchte zum Beispiel ein bestimmtes »Phänomen«, überlege, was dazu gehört und wo es ergänzt werden sollte. Anschließend recherchiere er, ob und wie das Thema bereits an anderen Institutionen bearbeitet wurde. Dabei konzentriere er sich nicht ausschließlich auf den Kunstbereich, sondern versuche interdisziplinär zu arbeiten. Ein Konzept wachse und präzisiere sich in der Auseinandersetzung mit einem Thema und er wisse zu Beginn nicht, wie die Ausstellung am Ende aussehe. Die »Schlüsselwerke« bildeten den Ausgangspunkt. Er versuche zu erg1ünden, warum diese seiner Meinung nach im Rahmen des »Themas oder Phänomens« gezeigt werden sollten und was sie verbinde. Wie Matthias Claas Ausstellungen konzipiert, habe ich bereits in Bezug auf sein Selbstbild beleuchtet. Nun soll sein Kunstbild verdeutlicht werden: Obwohl er Museen und Privatsammlungen die Macht zuschreibt, zeitgenössischer Kunst Anerkennung zu verschaffen, stellt er doch in Frage, ob viele dieser Werke auf Dauer bedeutsam bleiben. ln der Sammlung des Museums erhalten Werke einen dauerhaften Status, wenn und weil sie in ein Konzept eingeordnet werden. Begrenzt auf einen Bereich, der durch den Sammlungsauftrag festgelegt ist, wird dessen Entwicklung dargestellt, werden Verbindungen hergestellt, die aus einem »Sammelsurium«

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eine Struktur machen. Ausgehend von »Schlüsselwerken« aus der Kunstgeschichte bildet er Kriterien, nach denen Werke und Künstlerl-innen gruppiert werden können. Er wendet einen kunsthistorischen »Kanon« an, erweitert ihn. Ausgehend von diesem vorgegebenen Kriterienkatalog wird entschieden, welche Werke den Maßstäben entsprechen und in das Ordnungs- und Archivsystem aufgenommen werden. Ein Schritt dorthin ist die Präsentation eines Kunstwerks im Rahmen einer musealen Ausstellung, ein weiterer der Ankauf in eine staatliche Sammlung und ein letzter die Absegnung durch die Kunstkritik und die Erwähnung bzw. Darstellung und Charakterisierung in kunsthistorischen Publikationen. Ausstellungskataloge staatlicher Museen und anderer anerkannter Institutionen sind Präsentationen möglicher neuer Kategorien und Bewertungen. Das bedeutet, jene Verbindungen, jene Struktur, die Matthias Claas in seinen Ausstellungen erstellt, sind Vorschläge der Kategorisierung und Charakterisierung, die in das kunsthistorische Ordnungssystem eingehen könnten. Die Aufnahme in eine staatliche Sammlung verleiht einem Kunstwerk noch keinen kunsthistorischen Wert. Wir erfahren von Matthias Claas, dass es Werke gibt, die nicht hätten angekauft werden dürfen. Ein Museum sollte seiner Meinung nach Werke erst dann ankaufen, wenn sie über einen längeren Zeitraum bedeutsam geblieben sind, d.h. wenn sie ihren Status im Feld halten konnten. Dann erst sollten sie die Weihe des Museums erhalten. Matthias Claas verwendet keine Worte wie »Kulturgut« oder »kultureller Besitz«. Er schreibt dem Museum eine aktive Rolle zu, weil er die Verkörperung dieser Aktivität ist. Spricht er von »Schlüsselwerken« wird klar, dass seiner Meinung nach Werke eine Bedeutung haben, weil sie das in sich tragen, was eine Kategotie ausmacht. Sein Kunstverständnis bewegt sich im Rahmen der Vorstellung von einer begrenzten Anzahl an Werken, die es zu bewahren gilt. Diese sprechen allerdings nicht aus sich selbst, sondern offenbaren sich erst in ihrer Relation zum kunsthistorischen Ordnungssystem und dessen Kategorien. Der Kurator eines staatlichen Museums reiht das Werk stets in die Geschichte und Entwicklung der Kunst ein, dieses existiert für ihn nicht ohne diesen Bezug.

GUSTAV EMMERICH: DER GALERIST MIT STARTKAPITAL Gustav Emmerich ist Ende 40 und wuchs in Nordrhein-Westfalen auf. Vor 20 Jahren kam er nach Berlin und gründete seine eigene Galerie, die er bis heute erfolgreich führt. Die Galerie Emmerich liegt in einer Straße, in der auch viele andere Galerien angesiedelt sind. Das Treffen, dem mehrere Telefonate mit seiner Mitarbeiterin und einige Wartezeit vorausgingen, fand Anfang Juni statt. Auf dem Weg zur Galerie fiel mir auf, dass sich an jeder zweiten Hausecke ein Cafe befand. An Tischen auf

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dem Gehweg saßen Menschen beim Zeitungslesen, Kaffeetrinken, Reden. Kinderspielplätze und Grünanlagen säumten die Kopfsteinpflasterstraße. Schlendernde blieben immer wieder vor Auslagen stehen oder senkten den Blick in einen Galerien- oder Berlinftihrer. Auch die Straßenfront der Galerie Emmerich war verglast und erlaubte den Blick auf zwei großformatige Bilder und eine Skulptur im Raum. Ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift Galerie Emmerich kennzeichnete den Eingang. Ich betrat den Raum und sah am rechten hinteren Ende einen Tresen, hinter dem eine Frau saß. Daneben, an den Tresen gelehnt, stand ein Mann. Als ich mich vorstellte, meinte Gustav Emmerich ohne mir die Hand zu geben, ich solle mir die Ausstellung ansehen, er habe noch zu tun. Als ich von meiner Tour zurückkam, schien Herr Emmerich sehr aufgebracht zu sein. Seine Mitarbeiterin redete beschwichtigend auf ihn ein. Er öffnete eine Tür zum Treppenhaus, bat mich ihm zu folgen und sagte laut »Scheiße«, bevor er die Tür hinter sich zuknallte. Auf unserem Weg Richtung Hinterhaus entschuldigte er sich bei mir, es würde ihn ärgern, wenn Künstlerl-innen Chancen vertan werden. Er würde sich aber jetzt auf das Interview konzentrieren. In seiner Privatwohnung angekommen, bat er mich in ein Zimmer, dessen Tür weit offen stand. Ich sah 30 Quadratmeter Raum, weiß gestrichene Wände, Parkettboden, flinf Fenster, einen in die Wand eingefassten Kamin. Links und rechts hingen Kunstwerke, die die Wände ausfüllten. Bunte Skulpturen thronten auf weißen Podesten. In der Mitte standen ein rechteckiger Glastisch mit acht Stühlen und zwei weiße Sofas, getrennt von einem niedrigen Glastisch. Auf dem Glastisch, eine Vase mit geschätzten 40 roten Rosen, Kante an Kante gestapelte Zeitschriftenstapel, sonst nichts. Die Kissen des Sofas ordentlich drapiert. Gustav Emmerich deutete auf die Sofas und bat mich, mich zu setzen. Bevor er mir gegenüber Platz nahm, brachte er aus der Küche zwei kleine Gläser und eine dazu passende Wasserkaraffe. Gustav Emmerich schlug die Beine so übereinander, dass der Knöchel des einen auf dem Knie des anderen lag und streckte seine Arme auf der Rückenlehne aus. Ich hatte Mühe eine ebenso entspannte Sitzposition zu finden, da meine Körpermaße nicht zu den Dimensionen des Interieurs passten. Ich kam mir vor wie ein Kind in einer viel zu großen Welt. Das Interview dauerte etwas mehr als eine Stunde. Gustav Emmerich hatte deutlich gemacht, dass er nicht länger Zeit habe. Zweimal läutete sein Telefon. Einmal vermutete ich, dass seine Mitarbeiterin dran war, denn er bejahte nur kurz. Das zweite Telefonat dauerte länger. Auffällig war, dass er im Vergleich zu seinem belehrenden Ton im Interview während des Telefonats eher unterwürfig agierte. Danach erklärte er, dieser Mann habe ihm kurz zuvor abgesagt und nur deswegen habe er für mich Zeit gehabt. Gustav Emmerich absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaften und arbeitete danach einige Jahre im familieneigenen Unternehmen. Als das Unternehmen Anfang der 1990er Jahre seine deutschen Produktionsstandorte auflöste, zog er nach Berlin und wurde mit seiner eigenen Galerie selbstständig. Heute hat er drei pro-

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movierte Kunsthistorikerl-innen als »wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen« angestellt und vertritt international renommierte Künstler/-innen. Die Wende zur Selbstständigkeit

Am Beginn des Interviews schilderte mir Gustav Emmerich seine Lebenssituation, als er nach Berlin kam. Ich meine, man kann das gar nicht mehr glauben, wie das damals hier aussah. Es waren fast nur Ofenheizungen und die meisten hatten gar keine Heizung. Wir hatten das Glück, hier in diesen Räumen hatten die damaligen Vormieter eine Gas-Etagen-Heizung eingebaut, das war ein Luxus! Und trotzdem pfiff es durch jede Ecke. Im Winter war es trotzdem saukalt Und der erste Projektraum, in dem ich was gemacht habe, da gab es gar keine Heizung. Und meine Nachbarin damals, die hatte auch keine Heizung. Die kam dann manchmal zu uns zum Aufwärmen. Oder man traf sich ohnehin im Cafe. (Gustav Emmerich, Ell: 9)

Als Gustav Emmerich Anfang der 1990er Jahre nach Berlin kam, habe er als damals 30-Jähriger eine Zeit durchlebt, in der er darüber nachgedacht habe: »Mensch, was machst du eigentlich mit deinem Leben, wo willst du hin, was interessiert dich?« In dieser Stimmung habe er die »Energie« Berlins gespürt, wie er weiter erklärt: »Dort bewegte sich etwas, dort gab es Neues, dort kamen Impulse her«. Überall seien »offene Orte« gewesen und alles erschien machbar. Durch den großen Leerstand, vor allem an Ladenlokalen, hätten mit wenig finanziellen Mitteln Ausstellungen organisiert werden können. Die geringen Mieten, Betriebs- und Lebenshaltungskosten hätten die Gründung einer Galerie kalkulierbar gemacht. Er habe Rücklagen gehabt, Existenzgründungshilfe und Steuerrückerstattung erhalten. Weil er zuvor Angestellter war, habe er außerdem eine Abfindung bekommen. Nach zwei erfolgreichen Ausstellungsprojekten, die er gemeinsam mit einer »befreundeten Galerie« gemacht hatte, habe er seine Galerie eröffnet. Gustav Emmerich weiß nicht, ob er heute eine Galerie in Berlin eröffnen würde, genauso habe er sich damals nicht vorstellen können, eine Galerie in Westdeutschland zu gründen. Es seien die »Vibrations« in Berlin gewesen, die ftir ihn diesen Neuanfang erst reizvoll gemacht hätten. Die Galerien in Westdeutschland seien hingegen »statische Gebilde« gewesen, was er völlig uninteressant gefunden habe. Neben dieser besonderen »Energie« des Ortes habe ihm sein Elternhaus die »Hemmschwelle« genommen. Gustav Emmerich erzählt, dass sein Vater sich ehrenamtlich in einem Kunstverein engagiert und diesen »stark mitgeprägt« habe. Für seinen Vater sei »Kunst das schönste Hobby der Welt« gewesen. Nur deshalb sei er überhaupt auf die Idee gekommen, seine Fähigkeiten im Bereich der Kunst umzusetzen.

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Ich denke, jeder Galerist hat irgendwie natürlich einen Background, wie er zur Kunst kommt. Das fällt nicht vom Himmel. Ich bin eben in einem sehr künstlerisch orientierten Haushalt aufgewachsen. Künstler sind bei uns aus- und eingegangen. Da wird man natürlich geprägt. (Gustav Emmerich, Eil : 2)

Die Emmerichs sind eine traditionsreiche Industriellenfamilie, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihre erste Fabrik eröffnete. Mit Ausnahme einer dreijährigen Unterbrechung während des Zweiten Weltkrieges expandierte das Unternehmen beständig und gehörte in den 1970er Jahren zu den größten der Branche. Die starke Konkurrenz führte Ende der 1980er Jahre zum Einstieg internationaler Investoren und zur stufenweisen Aufgabe inländischer Produktionsstandorte. Zeitgleich ging Gustav Emmerich nach Berlin. Unterstützt wurde er, wie er selbst erzählt, auch von seinem Bruder, der in einem staatlichen Museum arbeitete und ihm Kontakte zu weltweiten Auktionshäusern vermitteln konnte. Überdies halfen ihm Freunde seiner Eltern, den Einstieg in die Welt der Kunst zu finden. Seine Eltern waren nicht nur engagierte Kunstvereinsmitglieder, sie hatten im Laufe ihres Lebens eine große Kunstsammlung aufgebaut. Sie prägten insofern den Kunstverein, als sie Werke von- dem Verein nahestehenden- Künstlerl-innen ankauften und für Ausstellungen zur Verfugung stellten. Gustav Emmerich lässt seinen familiären Hintergrund unerwähnt. Sein Vater, der Kunstsammler, wird zum engagierten Kunstvereinsmitglied. Er stellt nicht seine traditionsreiche Familiengeschichte und das damit einhergehende ererbte ökonomische Kapital in den Vordergrund, sondern betont die genauen Kalkulationen, die er vor der Gründung seiner Galerie anstellte, und führt die Möglichkeit, diesen Schritt überhaupt wagen zu können, auf die günstigen strnkturellen Bedingungen im Berlin der Nachwendezeit zurück. Er macht seinen Erfolg zu einem einmaligen Ereignis, indem er ihn an eine historische, räumliche und individuelle Situation lmüpft. Die Startbedingungen seien >>Unvorstellbar« gewesen. Sie hätten aus dem Nichts etwas erschaffen müssen. Nur das glückliche Zusammenspiel mehrerer Faktoren, seiner eigenen Stimmung als 30-Jähriger, der »Energie« des Ortes und der leistbaren Mieten, hätten ihn zu dem werden lassen, was er heute ist: ein erfolgreicher Galerist. Berufung statt Broterwerb Also bei mir war eine große Motivation die Galerie zu machen, der Glaube an gewisse Künstler und deren Arbeit. Als Galerist ist man Teil der Kommunikationskette und wenn man sich für etwas selbst begeistert, dann ist es auch viel leichter, diese Begeisterung an andere weiterzugeben. Ich denke, das ist immer ein wesentliches Element meiner Arbeit oder auch meiner Motivation, weil als Selbstständiger muss man sich jeden Tag selber motivieren. (Gustav Emmerich, E 11: 5)

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Aus der Wirtschaftswelt kommend, machte Gustav Emmerich das Hobby seines Vaters zur Motivationsquelle seiner täglichen Arbeit. Den »reinen Broterwerb« habe er als »sehr reduziertes Leben« empfunden. Betriebswirtschaftliche Kompetenzen und seine »Lieblingsgebiete Organisation und Kommunikation« seien hilfreich, würden ihn aber noch nicht zum guten Galeristen machen. Die Aufgabe seiner Galerie sei es, den zehn bis fünfzehn Künstlerl-innen das bestmögliche »Backup« zu geben. Er würde deshalb seinen Künstlerl-innen »Profis« an die Seite stellen. Promovierte Kunsthistorikerl-innen kümmern sich um die Vermittlung, d.h. um die Texte für die Presse oder für Veröffentlichungen, um gute Fotografien der künstlerischen Arbeiten und um die professionelle Kommunikation mit »Sammlern, Käufern, Museen und Kuratoren«. Eine kunsthistorische Ausbildung sei Basis jeder professionellen Arbeit mit aktueller Kunst, vor allem auch weil es keine akademische Ausbildung flir zeitgenössische Kunst gibt. Seine Mitarbeiterl-innen seien genauso wie er- mit »Interesse und Begeisterung« bei der Arbeit und alle ihre Bemühungen würden den Künstlerl-innen gelten. Oberstes Ziel sei es, »dem Künstler einen Freiraum zu schaffen, in dem er ohne finanzielle Nöte seine Kunst schaffen kann«, erklärt mir Gustav Emmerich. Profite erziele er primär mit der Intention, den Lebensunterhalt seiner Künstlerl-innen finanzieren zu können. Die Basis seines Unternehmens sei die Beziehung zu seinen Künstlerl-innen. Meine Galerie, als eine vom Eigentümer geführte Galerie, da ist es natürlich schon so, dass mir ein gutes Verhältnis zu meinen Künstlern wichtig ist. Es geht ja letztendlich auch um das Vertrauensthema. (Gustav Emmerich, E II: 6)

Als er beschloss seine »Begeisterung« für die Kunst zum Beruf zu machen, habe er viel Zeit mit den Künstlerfreunden seiner Familie verbracht. Gemeinsam seien sie ständig unterwegs gewesen, besuchten Vernissagen und andere Kunstevents. Dort traf Gustav Emmerich auf Menschen, mit denen, wie er sagt, ein »Bündnis im Geist« bestand. Mit ihnen verstand er sich, weil in ihnen ein ähnlicher »Geist« wohnte wie in ihm selbst. Dieses Bündnis sei Voraussetzung jeder guten Freundschaft. Daraus ergab sich, dass er sich um die Vermarktung der Arbeiten seiner neuen Künstlerfreunde kümmerte. Bis heute bestehe sein »Künstlerstamm« großteils aus diesen Leuten. Die Begeisterung flir seine Künstlerl-innen sei die Quelle seiner Motivation sich für sie einzusetzen. Seine Arbeit mache ihm Spaß, weil er mit Leuten zusammenarbeite, »wo die Chemie stimmt«. Die Begeisterung und Stimmigkeit in der face-to-face-Kommunikation könne nicht >>geheuchelt« werden. Hätten Künstlerl-innen »Macken« oder seien sie »kompliziert«, könne er sie nicht vertreten, denn schließlich müsse er seine Begeisterung authentisch kommunizieren können. Abgesehen von seinen Freunden, die er seit den Anfangen seiner Galerie vertritt, gibt es nur zwei weitere Möglichkeiten in Gustav Emmerichs Galerie aufgenommen zu werden: Erstens besitzt die Galerie einen zweiten Ausstellungsraum,

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der unscheinbar hinter dem der Straße zugewandten Raum liegt. Diesen Raum nütze die Galerie als »Experimentierfeld«. Künstlerl-innen der Galerie könnten »befreundete oder ihnen am Herzen liegende Künstler« einladen dort auszustellen. Zweitens gebe es einige wenige »ganz große Namen«, die Gustav Emmerich in seine Galerie aufnehmen würde. Unmöglich findet er hingegen junge Künstler/-innen, die frisch von der Kunsthochschule oder seit neuestem noch bevor sie den Abschluss gemacht haben, zu ihm kämen, ihre »Mappe auf den Tisch schmeißen« und dabei sagen: »Können Sie die mal anschauen« und »Ich will hier ausstellen«. Die Kunststudierenden sollten lernen, wie »das System funktioniert«. Gustav Emmerich kritisiert die Entwicklung, dass immer mehr Studierende bereits von einer Galerie vertreten werden. Er findet, junge Künstlerl-innen sollten sich zunächst in Produzentengalerien selbst organisieren und gemeinsam Projekte auf die Beine stellen. Erst nach dieser Phase könne sich ein professioneller Galerist eine Meinung bilden und würde dann an den Künstler oder die Künstlerin herantreten. In Gustav Emmerichs Erzählung verschwindet die ökonomische Gewinnorientierung hinter der Unterhaltspflicht, deren einziger Zweck es sei, den Künstlerl-innen - wie Bourdieu formuliert - »den Kontakt mit dem Markt zu ersparen«, damit diese »ihr >uneigennütziges< und >interesseloses Bild< von sich« wahren können (2001: 272). Gustav Emmerichs Tätigkeit als Galerist unterscheidet sich von seiner vorherigen Tätigkeit in der Wirtschaft durch die Hingabe an eine Sache, an die er glaubt. Entsprechend seinem Selbstbild steht seine Arbeit nicht primär unter der Prämisse individueller Gewinnmaximierung, sondern unter jener uneigennütziger Fürsorgearbeit Täglich leiste er »harte Arbeit«, um seine Künstlerl-innen auf ihrem Weg zu unterstützen. Gustav Emmerich ist überzeugt von seinen Leuten und spricht davon, dass er innerhalb der Kunstrichtungen, die seine Galerie abdeckt, nur »die Besten« vertrete. Er bietet seinen Künstlerl-innen eine Unterstützung, die viel mehr ist als die bloße Vermarktung der Kunstwerke. Er will nicht bloß Profit aus den Werken schlagen, sondern er glaubt an den Wert der Werke als herausragende Schöpfungen und an die Besonderheit der Persönlichkeiten seiner Künstlerl-innen. Das Verhältnis zu seinen Künstlerl-innen versteht Gustav Emmerich nicht als Geschäftsbeziehung, sondern als Freundschaftsbeziehung. Freundschaften entstünden zwischen Personen, denen ein besonderer »Geist« inne wohne. Dieser »Geist« durchdringe die Person, bestimme, wie sich diese verhält, wofür sie sich interessiert oder welche Weltsicht sie vertritt. Was Gustav Emmerich sich und seinen Freunden zuschreibt und weshalb sie sich gegenseitig anerkennen, ist Ausdruck eines gemeinsamen gelebten >>praktischen Sinns«. Gustav Emmerich und seine Freunde sind verbunden, weil sie sich nicht nur als schaffende sondern auch als besondere Persönlichkeiten verstehen. Gustav Emmerich erweitert den Freundeskreis seiner Galerie, indem er Künstlerl-innen, die mit von ihm vertretenen Künstlerl-innen befreundet sind, die Chance bietet auszustellen. Da »wo die Chemie stimmt«, wo das Selbstverständnis übereinstimmt, erkennen sich die Personen als Freunde. Gustav

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Emmerich glaubt daran, dass, wer mit ihm im Geiste verbunden ist, Freunde hat, mit denen auch er sich verstehen wird. So erweitert sich der Kreis um Personen mit ähnlichen Dispositionen. Den noch weniger bekannten Künstlerl-innen ermöglicht Gustav Emmerich durch die Präsentation in den Räumlichkeiten der Galerie eine erste Konsekration ihrer Werke. Seine »Position« im Feld färbt auf die Künstlerl-innen ab. Sehen Käufer/-innen, Kuratoren/Kuratorinnen, Sammlerl-innen und Galeristenkollegen und -kolleginnen eine junge Künstlerin in Verbindung mit der Galerie, sind deren Kunstwerke automatisch von höherem Wert. Bourdieu schreibt zur »anti-ökonomischen Logik« des Galeriengeschäfts: Die einzige legitime Akkumulation besteht darin, sich einen Namen zu machen [ ... ]: ein Konsekrationskapital, [ .. . ] Macht also, Wert zu verleihen und aus dieser Operation Gewinn zu schlagen. (2001: 239)

Die Vermarktungsstrategien Also ich meine, gerade wenn es um den Markt geht. Der Markt ist nun mal der Markt. Und die Kunst ist die Knnst. Und man trifft sich so dazwischen. Was ist überhaupt Kunst? Ich meine, da kann man gleich anfangen zu philosophieren. Also ich denke, das Gute ist, im Prinzip darf jeder das machen, was er meint und wir sind zum Glück auch frei uns selbst zu entscheiden, was wir gut finden und ob wir was für Kunst halten oder nicht. Das ist dann auch unsere freie Entscheidung. Und Kunst ist immer erstmal eine Behauptung. (Gustav Emmerich, Ell : 15)

Gustav Emmerich erklärt, was auf dem Kunstmarkt passiere, sei von so vielen Faktoren abhängig, dass es unmöglich sei, sie nachzuvollziehen. Die Vermittlungsarbeit der Galerie könne für den Erfolg einer Künstlerin »hilfreich« sein, warum jemand wirklich berühmt wird, wisse er allerdings nicht. Auch sei der Kunstmarkt abhängig vom Weltmarkt. Gebe es dort keine Krise, würde der Kunstmarkt boomen. lhm sei vor allem wichtig, »qualitätvolle« Werke zu verkaufen. Qualität zeige sich darin, dass sie im Gegensatz zu den »Trends und Hypes« des Kunstmarktes die Zeit überdauere. Der Wert am Kunstmarkt sage hingegen nichts über die Qualität eines Werkes aus. Unabhängig vom Markt könne er seine eigene Entscheidung treffen, welche »Behauptung« er für Kunst halte. Für ihn müsse Kunst immer einen »interessanten Input« bringen. Eine »Innovation« sei, wenn ein Künstler eine »sensationelle Technik« entwickle, die völlig neue Sichtweisen eröffne. Aber das Werk stehe nie für sich. Der Künstler selbst müsse ein »hohes Maß an Authentizität« haben, d.h. »für sich stehen und seinen Weg gehen«. Eine Galerie sei schnell eröffnet, die Schwierigkeit läge darin, sie erfolgreich zu führen. Deshalb setze er auf »Qualität«. Diese könne er gewährleisten, indem er mit promovierten Kunsthistoriker/

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-innen zusammenarbeite, die auch fundiertes Wissen über Gegenwartskunst und die aktuelle Kunstszene hätten. Seine Galerie stehe für Professionalität und Wissenschaftlichkeit, nicht für eine bestimmte Kunstrichtung oder Künstlergruppe. Dieses »Signal« sende er an die Käuferl-innen. Gustav Emmerich ist zufrieden mit seinen Verkäufen und sieht optimistisch in die Zukunft. Ja, also heute ist der Standort Berlin einer der hippsten und interessantesten und wichtigsten Standorte weltweit. (Gustav Emmerich, E11 : 11)

Als Gustav Emmerich seine Galerie gründete, war er nicht der Einzige in der Gegend. Bis heute sieht er diesen Ballungsraum an Galerien, der damals entstand, nicht als Konkurrenzsituation. Er sagt, die »Synergien« würden überwiegen. Nur als ein Standort wäre es ihnen möglich gewesen, den Ort flir Sammlerl-innen »attraktiv zu machen« und wichtige Kuratoren und Kuratorinnen, Museumsleiterf-innen und die Medien an sich zu binden. An Kunst(-käufen) Interessierte würden sich immer einen Überblick verschaffen und das heißt, sie seien bestrebt, so viele Galerien wie möglich zu besuchen. Durch die Standortbildung sei in Berlin an »365 Tagen im Jahr« Messe. Ein Standort sei »interessant«, wenn er eine »finanzielle Potenz« habe. Gustav Emmerich unterscheidet »wahnsinnig hohe«, »extrem beliebige und kommerzielle« Standorte und solche mit »Underground Niveau«. Als er seine Galerie gründete, sei Berlin auf einem »Underground-Niveau« gewesen. Man musste improvisieren und habe sehr kostengünstig gearbeitet. Mittlerweile habe sich der Standort professionalisiert. Der Erfolg einer Galerie zeige sich in der Größe der Räume, die sie bespielen kann. Heute werde in den ansässigen Galerien mit Werken der mittleren bis oberen Preiskategorie gehandelt. In der Nähe würden sich nun auch private Sammlerl-innen mit eigenen Museen niederlassen. Der Standort sei noch immer in der Lage »neue Kreise zu generieren«. Das räumliche Umfeld, nämlich die angenehme Atmosphäre in den Straßen und Cafes, würde zur positiven Entwicklung des Standortes beitragen. Gustav Emmerich verfolgt in der Vermarktung der Kunstwerke seiner Künstlerl-innen zwei Strategien: Erstens bezieht er sich auf die Legitimität der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte, indem er mit promovierten Kunsthistorikerl-innen zusammenarbeitet. Der Galerist sucht ebenfalls nach der Authentizität des künstlerischen Ausdrucks und der Innovation, die dieser in sich trägt. Seine Künstlerl-innen müssen für sich stehen und etwas Eigenes - bei Gustav Ernmetich ist dies immer mit einer Technik verbunden - entwickeln, das über alles Bisherige hinausgeht. So wie die Anhindung an ein staatliches Museum den Wert einer privaten Sammlung noch steigern kann, verhalf die Orientierung an den Wertmaßstäben der Kunstgeschichte Gustav Emmerich zu Erfolg. Den Unwägbarkeitendes Marktes setzt Gustav Emmerich ein Instrumentarium entgegen, das Objektivität verspricht. Den Kunstkäuferl-innen seien bleibende Werte äußerst wichtig. Der Ga-

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lerist zeigt sich den Mechanismen des Marktes passiv ausgeliefert. Wie sich dort die Preise entwickeln, darauf habe er keinen Einfluss und er könne nur versuchen, qualitätvolle neue Werke anzubieten und dafür stabile Preise zu erzielen. Zweitens nützt Gustav Emmerich den »Standortfaktor« als Trumpf im Kampf um die eigene Positionierung. In der Standortdebatte tritt die sonst verschwiegene Ausrichtung an den Bedürfnissen potentieller Käuferl-innen zu Tage. Ein Standort ist wichtig, weil er den Ansprüchen von Sammlerl-innen und anderen Käuferl-innen genügt. Die Galerien des Standorts vermarkten sich gemeinsam. Nicht nur die einzelne Galerie muss für etwas stehen, sondern der ganze Komplex an Galerien. Um sich aus der Masse in Berlin ansässiger Galerien emporzuheben, bedarf es eines Unterscheidungskriteriums. Differenz muss hergestellt werden. So wird den Käuferl-innen zum Beispiel - und dies gleicht den Marketingstrategien des Gütermarktes - eine möglichst angenehme und umfangreiche Shopping-Atmosphäre geboten. Der Kunstkauf wird zum Lifestyle-Event einer mit ökonomischem Kapital und mehr oder weniger kulturellem Kapital ausgestatteten Klientel. Die alle drei Wochen wechselnden Ausstellungen in den Galerieräumen werden als Verkaufsplattformen sichtbar. Die >ÖffentlichkeitNee, das ist mein Herzwerk! Ich kenne Sie überhaupt nicht, warum soll ich Ihnen das jetzt verkaufen?< Ich habe mich eigentlich sehr dagegengestellt Und da war auch der Professor Petzold mit dabei, ein sehr guter Freund mittlerweile, auch so ein Wegbegleiter. Er war der erste Mensch, dem ich damals an der Hochschule begegnet bin, als ich kurz vor der Bewerbung stand, nachdem ich gewechselt hatte. Und da hat eben der Galerist gefragt, ob ich denn nicht Lust hätte seine Galerie zu leiten. (Gita Eshwar, E5: 2)

Gita Eshwar erzählt an dieser Stelle, wie sie zur Direktorin der ersten Berliner Galerie wurde. Aufmeine irritierte Nachfrage, warum der Galerist sie als Galeristin und nicht als Künstlerin Iördern wollte, erklärte sie mir, er habe wohl aus ihren künstlerischen Arbeiten »geahnt«, dass sie in der Lage sei »die Struktur2 zu erkennen« und ihm habe wohl gefallen, dass sie »Kontra gegeben« habe und wisse, was sie wolle. Überdies sei sie sehr kommunikativ und das sei nun mal »das wichtigste Handwerk« einer Galeristin. Sie betonte noch einmal, dass der Galerist zuvor weder ihre Kunstwerke noch sie selbst gekannt hatte. Ein halbes Jahr habe sie mit dem Galeristen verhandelt, denn eigentlich wollte sie »damals noch Künstlerin werden«, was sie aber nie »forciert« habe, d.h. sie sei nie mit einer Mappe in eine Galerie gegangen. Gita Eshwar erzählt, sie habe als Künstlerin >>nicht genug Abstand« zu ihren Arbeiten gehabt. ln Bezug auf die eine Arbeit spricht sie von ihrem »Herzwerk«.

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Es wird aus Gita Eshwars Aussage nicht ganz klar, ob sie die Struktur des Kunstfeldes oder die von Kunstwerken meint. Ihr Wortlaut war: »Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, dass ich in der Lage bin so eine Struktur zu erkennen oder schon erkannt habe, um eben damit dann umzugehen. Ich denke, das hat er irgendwie geahnt, dass mir das liegt.«

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Der Galerist habe ihr sogar angeboten, dass sie sowohl Leiterin als auch Künstlerin der Galerie sein könnte. Dies wollte sie aber »auf gar keinen Fall«, da hätte sie sich »lächerlich gemacht«. Aus Unzufriedenheit mit ihrer erzieherischen Tätigkeit sei sie dann doch ins »kalte Wasserbecken« gesprungen und habe von der »künstletischen Leitung bis zur Buchhaltung« alles gemacht. Wie wir wissen, blieb sie nicht lange Leiterin dieser Galerie. Sie erklärt warum: Ich habe mich nicht mehr mit dem Programm identifizieren können. Ich habe zwar in dieser Galerie auch schon so ein Element hinein gebracht, wo ich die Künstler vertreten konnte, die ich immer gut fand. Ich durfte das auch machen! Das war auch eine Bereicherung fiir das

Programm. Aber das Dmmherum, das Hauptprogramm hat mir einfach überhaupt nicht mehr zugesagt. Ich habe dann gekündigt und habe dann ein halbes Jahr kuratiert und während dessen hier mit Kollegen eine eigene Galeriearbeit vorbereitet und relativ rasch dann die eigene Galerie gegründet. Und ich fühle mich sauwohl auf der anderen Seite. (lacht) Wenn ich Ausstellungen, wenn wir die Bilder zusammenstellen, aussuchen, ich mir Sachen angucke, das ist, wie wenn ich eine Zeichnung mache an der Wand, nur dass ich den Abstand dazu habe. Den habe ich bei meinen eigenen Sachen nicht so. (Gita Eshwar, ES: 2f)

Gita Eshwar ist begeistert von ihrem Leben als Galeristin. Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs erzählt sie: Das ist eben ähnlich wie beim Künstler, also zumindest ist es bei uns so, dass das unser Leben ist! Das ist die Voraussetzung, dass ichjeden Tag diesen Willen habe hierher zu kommen, jeden Tag bis spät in die Nacht arbeite und eigentlich überhaupt kein Privatl eben mehr habe. Also in den ersten zwei, drei Jahren sieht das einfach so aus. Das ist sehr, sehr viel Arbeit. (Gita Eshwar, ES: 6)

Die soeben skizzierte Erzählung Gita Eshwars irritierte mich, weil ich in der Interviewsituation nicht nachvollziehen konnte, warum der Galerist ihr ein solches Angebot gemacht hatte und warum sie sich in der Verhandlungssituation eine derart machtvolle Position zuschreibt. Mein Alltagsverständnis wäre davon ausgegangen, dass die Künstlerin erfreut auf das Kaufinteresse eines Galeristen reagieren würde und- so auch meine Nachfrage- dass die Begeisterung flir ein Werk, den Galeristen dazu veranlassen würde, sie als Künstlerin zu fördern. Schließlich gab es damals keinen Anlass Gita Eshwar in Zusammenhang mit einer galeristischen Tätigkeit zu bringen. Sie hatte noch nie in diesem Bereich gearbeitet. Was steckt hinter dieser flir mich zunächst irritierenden Erzählung? Gita Eshwar erklärt, man könne nicht gleichzeitig Galeristin und Künstlerin sein. Sie entschied sich flir den Weg als Galeristin, denn es sei ihr kein Anliegen, ihre eigenen Werke zu vermarkten. Hätte sie ihr Kunstwerk verkaufen müssen, hätte sie das Gefühl gehabt, einen Teil ihres »Herzens« zu verkaufen. Diese Formulie-

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rung führt vor Augen, dass Gita Eshwar ihre Kunst als Teil ihrer selbst versteht. Das, was sich in ihrer Kunst ausdrückt, erftillt keinen Zweck außerhalb ihrer selbst. Für sie hat ihr Werk einen Wert, der jenseits materieller Werte liegt. Erst als Galeristin habe sie genug Abstand, erklärt sie. Als Galeristin kann sie Geld verdienen ohne mit ihrem Selbstverständnis als Künstlerin in Widerspruch zu geraten. Ihre eigenen Werke bleiben vom ökonomischen Kalkül unbefleckt. Deshalb spricht sie davon, dass sie sich »lächerlich« mache, wäre sie gleichzeitig Galeristin und Künstlerin. Eine Künstlerin, die mit den Gesetzen des Marktes vertraut ist, deren tägliches Geschäft das Verkaufen von Kunst ist, setzt sich dem Vorwurf aus, sie wende die Gesetze auch in ihren Werken an, mache Kunst, die sich gut verkaufe. Gita Eshwar erklärt, wenn sie als Galeristin die Werke anderer für eine Ausstellung an der Wand gruppiert, sei dies, als mache sie eine »Zeichnung an der Wand«. Die Hängung der Werke wird zum Ort ihrer künstlerischen Ausdruckskraft. Dieses Werk, das mit der Wand verschmolzen ist wie ein Graffito, ist unverkäuflich und temporär. Indem sie ihre Karriere als Künstlerin aufgibt, erhält sie die Reinheit ihrer Kunst und ihr Selbstverständnis als aus sich selbst schöpfende und von ökonomischen Interessen befreite Künstlerin. Sie versteht sich weiterhin als Künstlerin und so erhebt sie auch in ihrer galeristischen Tätigkeit den Anspruch, völlig autonom agieren zu können. In ihrer ersten Galeriearbeit konnte sie dem, was sie will und was sie gut findet, nicht unbegrenzt nachgehen. Sie konnte sich nicht »mit dem Programm identifizieren«, ftihlte sich in ihrer Persönlichkeit beschränkt. Erst die Leitung ihrer eigenen Galerie gab ihr die ihrem Selbstverständnis genügende Autonomie. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass Gita Eshwar zwar die Galerie mit zwei anderen gründete, die Galerie aber ihren Namen trägt. Die eine Mitgründerin besitzt noch eine weitere, eigene Galerie und scheint nur namentlich auf. Der andere Kollege arbeitet mit ihr, nennt sich ebenfalls Galerist und ist der eigentliche Inhaber der Galerie. Nebenbei arbeitet er als Webdesigner. Gita Eshwars Auftreten verweist ihren Kollegen in die zweite Reihe. Damit will ich nicht sagen, dass sie nicht mit ihrem Kollegen kooperiert oder ihm keinen Raum für eigene Entscheidungen und Handlungen ließe. Mir geht es um Gita Eshwars Bild von sich selbst: In ihrer Selbstdarstellung dominiert ihre selbstbestimmte Individualität. Den Arbeitsalltag im Team thematisiert sie genauso wenig, wie sie mir ihren Kollegen als ebenbürtigen Galeristenkollegen vorstellt. Sie versteht sich als autonome, aus sich selbst schöpfende Persönlichkeit. Nun zurück zu meiner zweiten Ausgangsfrage: Warum macht ihr der Galerist, scheinbar aus dem Nichts, ein solches Angebot? Gita Eshwar erzählt, wie der Anblick des Werkes den Galeristen auf Anhieb von ihrer Person begeisterte. Sie geht davon aus, dass der Galerist in ihrem Werk ihre Persönlichkeit erkannte. Mit Bourdieu gesprochen, glaubt sie an den »hermetischen und einzigartigen Aspekt des Produktionsaktes« (1970: 162, FN 4) durch den sich ihr Innerstes im Werk manifestiert. Als »Produkt« dieser Vorstellung beschreibt Bourdieu den »Mythos vom >rei-

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nen Augeentdeckt< zunächst nicht den Künstler, sondern das Werk. Aus der Masse der bei einem Sommerrundgang präsentierten Werke erkannte sie - unmittelbar und ohne Zutun- das eine Werk. Sie machte sich auf die Suche, in der festen Überzeugung im Künstler auch »einen guten Menschen« zu finden. Und dies sei die Voraussetzung für die Aufnahme in ihre Galerie, erklärt sie weiter: Meine Künstler, das sind wirklich alles sehr tolle Menschen! Ich bin immer der Meinung, wenn ein Künstler nicht auch ein Lebenskünstler ist oder ein guter Mensch, dann ist das auch fiir mich meistens kein guter Künstler. Und das ist schon eine Basis, glaube ich, um gemeinsam zu wachsen. (Gita Eshwar, ES: 7)

Wie sich aus dem Kontext des Interviewausschnitts erschließt, meint Gita Eshwar mit »Lebenskünstler« Menschen, die auch mit wenig Geld ihr Leben zu meistern wissen. Gerade für Künstlerl-innen sei es viel wichtiger, »den eigenen Wegzugehen« als sich von der Aussicht auf Profite leiten zu lassen. Ihre Vorstellung eines »guten Menschen« lässt sich entlang mehrerer Interviewpassagen präzisieren: Sie sei froh, dass die heutige Generation, zu der sie sich selbst zählt, »kulturell erzogen worden« sei. Sie und ihre Generation seien als Kinder »ganz selbstverständlich« ins Museum gegangen und würden sich daher »wirklich für Kunst interessieren«. Neben der kulturellen Bildung sei das soziale Miteinander wichtig. Kinder, die Kindertagesstätten besuchen, würden »sehr sozialisiert aufwachsen, weil sie einfach lernen von früh auf mit anderen Menschen klar zu kommen«. Bei der Erziehung ihres Sohnes wende sie sich gegen das Erziehungsmodell ihrer Mutter, die als Hausfrau ihre Kinder sehr >>überbehütet« habe. Gita Eshwar konnte schließlich den Kontakt mit Kamal Amin herstellen und erzählt hier von der Vorbereitungszeit zu seiner ersten Ausstellung in der Galerie: Ich hatte ein bisschen Angst, dass seine Arbeiten zu dekorativ werden. Und Kamal hatte auch gleichzeitig so Liebeskummer. Also in Marokko war die Liebe seines Lebens. Da habe ich gesagt: >Weißt du was, gehe doch einfach nach Marokko! Gehe doch jetzt bis kurz vor der Ausstellung, fahre da hin, arbeite da, ich glaube, das würde dir gut tun!< Das hat er dann wirklich gemacht. Er kam zurück und hat Wahnsinnsarbeiten zurückgebracht. Er hat da auch seine Liebesbeziehung beendet, hat dieses Ding beendet (lacht). Er hat sich sehr konzentriert und ist wirklich den Weg weitergegangen. Und er hat kein Telefon gehabt, kein E-Mail, hat sich wirklich abgeschottet und gearbeitet und ist mit sehr konzentrierten Arbeiten zurückgekommen. (Gita Eshwar, ES: 9)

Künstlerische Arbeiten dürften nicht »zu dekorativ werden« und das gelinge, wenn Werke aus konzentrierter Arbeit entstehen würden. Nur in der Abgeschiedenheit von Marokko, in der Kamal Amin von keinem Telefon und E-Mail gestört wurde und er belastende Gefühle aus dem Weg geräumt hatte, seien Werke entstanden, die

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ihren Vorstellungen von » W ahnsinnsarbeiten« genügten. Denn er sei »den Weg weitergegangen«. Ihre Aufgabe sei es, die Künstlerl-innen auf ihrer Suche zu unterstützen und sie auf ihren Weg zu weisen: Gerade bei den jungen Leuten ist es wichtig, weil die auch noch so auf der Suche sind. Und man will die auch weiterbringen. Also der Prozess der Hängung löst ja beim Künstler jedes Mal etwas aus. Und letztendlich ist es schon eine gemeinsame Entwicklung. Und deshalb bestehe ich auch nach wie vor darauf, dass die Künstler bei der Hängung dabei sind. (Gita Eshwar, E5: 9)

Aus vorangegangener Erzählung wird deutlich, dass fl.ir Gita Eshwar die Entscheidung gerade diese künstlerischen Arbeiten gut zu finden, nicht rational begründet ist. Sie überprüft keine festgelegten Kriterien, sondern sie beschreibt, wie sie emotional reagiert. Die Werke hätten sie »nicht mehr losgelassen«. Die Leidenschaft, die das Werk auszulösen vermag, gründet darauf, dass sie beim Betrachten der Zeichnungen auf Kamal Amins Persönlichkeit schließt, so wie der Galerist in ihrem Werk ihre Persönlichkeit erkannte. Um Gita Eshwars Bild eines »guten Menschen« entsprechen zu können, bedarf es bestimmter Voraussetzungen, dazu gehören: die unmittelbare Konfrontation mit arrivierter Kunst im Museum, die Sozialisation unter Gleichgesinnten und die finanzielle Absicherung, um das ökonomische Kalkül außer Acht lassen zu können. Was Gita Eshwar als Generationenfrage interpretiert, ist eine Frage der sozialen Herkunft. Um ihrem Bild vom »guten Künstler«, der auch ein »guter Mensch« ist, entsprechen zu können, muss man frei von finanziellen Nöten sein und unter Bedingungen aufgewachsen sein, die Basis eines bestimmten, kulturell gebildeten Habitus sind. Zurück zum letzten Zitat: Zwischen der Galeristin und dem Künstler soll einerseits eine »gemeinsame Entwicklung« stattfinden. Andererseits sollen die Künstler/ -innen ihren »eigenen Weg« gehen. Was hat es mit diesem scheinbaren Widerspruch auf sich? So wie Gita Eshwar daran glaubt, aus ihrem Innersten zu schöpfen, glaubt sie auch daran, dass Künstlerl-innen ihren Weg gehen, wenn sie sich von externen Einflüssen lossagen und sich »auf sich selbst konzentrieren«. Aber was bedeutet dann die »gemeinsame Entwicklung«? Was als guter Tipp in privaten Lebensfragen formuliert ist, reiht sich bei genauerer Betrachtung in Gita Eshwars Selbstverständnis als Künstlerin. So wie sie die Hängung der Kunstwerke als ihren künstlerischen Ausdruck versteht, ist die Betreuung ihrer Künstlerl-innen Teil ihres schöpferischen Tuns. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Künstlerl-innen auf den Weg zu bringen, der ihrer Meinung nach der >richtige< ist. Ihre Hängung, ihr Werk an der Wand, vermöge in den Künstlerl-innen etwas »auszulösen«. Durch ihren Einfluss und ihre Ratschläge werden sie zu dem, was sie unter einem »guten Künstler« oder einer »guten Künstlerin« versteht. Was Gita Eshwar eine »gemeinsame Entwicklung« nennt, ist ein Prozess, in dem sie, mit Bourdieu gesagt, zum

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»Schöpfer des Schöpfers« wird (2001: 272). ihr Selbstbild besagt, dass sie das Potential der Künstlerl-innen entdeckt, sich die Künstlerl-innen durch ihren Einfluss erst entfalten können. Die Stringenz ihres Selbstverständnisses liegt darin, dass sie sich selbst sowohl beim Entdecken als auch bei der Betreuung der Künstlerl-innen als aus sich selbst schaffende Persönlichkeit versteht. Außer, dass sie ein Werk emotional nicht mehr loslässt, erwähnt sie nicht, dass sie von Künstlerl-innen etwas lernen würde. Weiche Werke sie ansprechen, wie sie Werke hängt und wie sie ihre Künstlerl-innen beeinflusst und formt, sind für Gita Eshwar Prozesse, die rational nicht nachvollziehbar sind, sondern vielmehr ihrer Persönlichkeit entsprechen.

PATRICIA FALKENSTEIN: DIE FREIE KUNSTWISSENSCHAFTLERIN Patricia Falkenstein ist Anfang 50 und wuchs in Baden-Württemberg auf. Sie wohnt fast 20 Jahre lang in Berlin und hat seit zehn Jahren eine Professur für Kunstgeschichte an einer deutschen Kunsthochschule inne. Auf mehreren Tagungen hatte ich bereits Vorträge von Patricia Falkenstein gehört, bevor ich sie flir ein interview anfragte. Nach mehrmaligen telefonischen Versuchen an der Kunsthochschule erreichte ich sie schließlich über eine private EMail-Adresse, die ich im Internet recherchiert hatte. Über meine Unterlagen, die ich perPost an die Adresse ihres Arbeitsplatzes geschickt hatte, wusste Patricia Falkenstein nicht Bescheid. Dennoch war sie sogleich sehr interessiert an meiner Arbeit und erklärte sich flir ein interview bereit. Sie bat mich, sie in ihrer privaten Wohnung aufzusuchen. Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie in einer Altbauwohnung in einem »bürgerlichen Statusgebiet« (Hurrelmann/Zürn 2009: 141) Berlins. Gleich an der Eingangstür zur Wohnung entwickelte sich ein freundliches Gespräch. Wir sprachen zunächst über eine von Patricia Falkenstein veranstaltete Tagung, die ich kurz zuvor besucht hatte. Nachdem sie mir meinen Mantel abgenommen hatte, bat sie mich in die Küche und fragte mich, ob ich Tee wolle. Eine Edelstahlkochzeile war kombiniert mit alten Holzmöbeln, an den Wänden hingen alte Werbeplakate, in der Mitte stand ein kleiner runder Tisch. Auf den Ablageflächen und am Tisch befanden sich Obst- und Gemüsekörbe, Dosen mit Nahrungsmitteln und PapierstapeL Patricia Falkenstein schob einen Stapel beiseite und bat mich, an dem kleinen Tisch Platz zu nehmen. Patricia Falkenstein begann ihr Studium der Kunstgeschichte an einer badenwürttembergischen Universität. Nach zwei Jahren wechselte sie an eine Universität in den Vereinigten Staaten, wo sie ihr Studium absolvierte. Für ihre Promotion kam sie zurück nach Deutschland und erhielt unmittelbar danach eine Stelle als Kuratorin an einem staatlichen Museum. Nach fünf Jahren wechselte sie als wissenschaft-

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liehe Mitarbeiterin an eine deutsche Universität und war in Lehre und Forschung tätig. Von dort wurde sie nach weiteren fünf Jahren auf die Professur an der Kunsthochschule bemfen, die sie bis heute innehat.

Das freie Selbst Unser Anfangsgespräch ging fließend in das Interview über und Patricia Falkenstein erzählte mir, wie sie zu dem wurde, was sie heute ist: Ich würde selber über mich sagen, dass ich wahnsinnig viel Glück gehabt habe. Und ich meine, dass dieses Glückhaben eine verallgemeinerbare Eigenschaft ist, insofern als eben es wirklich sehr häufig davon abhängt, etwas anbieten zu können zu einem Zeitpunkt, wo es auch gefragt wird. Ich würde für mich sagen, dass meine wichtigste Entscheidung in meinem ganzen Leben gewesen ist, dass ich für drei Jahre in die Vereinigten Staaten gegangen bin. Und da einfach festgestellt habe, dass es alles auch ganz anders sein kann, wie man das Studium betreibt, wie man Dinge sieht, wie man Dinge interpretiert, wie man sie lehrt, wie man sie lernt, alles. (Patricia Falkenstein, E2: 16)

Unmittelbar nach dem Abitur begann Patricia Falkenstein Kunstgeschichte zu studieren. Vier Semester später habe sie entschieden, am ihres Wissens »besten kunsthistorischen Institut« in den Vereinigten Staaten weiterzustudieren. Obwohl das Institut in der für sie >>Unattraktivsten Stadt« lag, sei es doch ihre »wichtigste Entscheidung« gewesen. Denn es war ein »Gehen außerhalb des gewohnten Bereichs«. Dort habe sie das gemacht, was am kunsthistorischen Institut in Deutschland damals noch »komplett verpönt warUninteressante« administratorische oder organisatorische Dinge selbst erledigen müsse. Ihre Arbeitsstrukturen seien »frei, selbstbestimmt und selbstständig« und deswegen wolle sie »keinen Zentimeter tauschen«. Denn nur unter der Bedingung dieser »Freiheit« könne sie j ene Tätigkeiten ausführen, >>derentwillen man das Ganze« mache. Das »Gehen außerhalb des gewohnten Bereichs« brachte zunächst Risiken und Unsicherheiten mit sich. »Es hätte auch anders ausgehen können«, und sie hatte »keinen Schimmer, was das wird«, erklärt sie in Bezug auf ihren Studienortwechsel oder die Entscheidung, die Stelle an der Universität anzunehmen. In ihrem Fall brachte das Eingehen des Risikos einen K.arrieresprung. Wie in Patricia Falkensteins Erzählung angedeutet, vertrat nicht nur das eine Institut in den Vereinigten Staaten, an dem sie ihr Studium absolvierte, dieses neue Verständnis des Fachs Kunstgeschichte. Auch in Deutschland gab es bereits Kunsthistoriker/-innen, die auf diese Weise arbeiteten. Während ihres Studiums wurde Patricia Falkenstein Teil einer sozialen Welt, einer sich etablierenden »Position« des künstlerischen Feldes. Teil-Werden setzt voraus, dass sie sich nicht mehr als

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Lernende versteht, sondern jene Art und Weise zu denken, wahrzunehmen und zu handeln ihr Eigen werden. Dies kann nicht von der Pieke auf gelernt werden, sondern ihr »Habitus« war prädestiniert für diese Sicht der Welt. Das, was sie kennengelernt hat, wird zu ihrem eigenen Interesse, zu ihrer Perspektive auf die (Kunst-)Welt. Sie spricht von »zufälligen« und »glücklichen Momenten«, wenn sich ihr genau jene Optionen boten, die sie gerade »attraktiv fand«. Wie ich zeigen werde, sind diese »Momente« nicht nur Resultat guter Netzwerke. Bereits zu Beginn ihres Studiums war ihr klar, wo sie ein Praktikum machen oder ihr Studium fortsetzen sollte. Patricia Falkensteins Lebensentscheidungen fußten nicht ausschließlich auf Informationen, die sie in ihren ersten beiden Studienjahren gesammelt hat. Bourdieu konstatierte mit Bezug auf seine Studien, dass der Weg, den man innerhalb des Bildungssystems einschlägt, von der primären Sozialisation abhängt: Wer sich über seine Familie, seine Eltern und Geschwister usw. und deren Beziehungen Infonnationen darüber zu verschaffen weiß, welchen Kurs man im Bildungssystem steuern muß und mit welchen aktuellen wie potentiellen Erträgen dabei zu rechnen ist, kann seine Bildungsinvestitionen besser platzieren und größere Profite aus seinem kulturellen Kapital schlagen. (1998: 42)

Patricia Falkenstein stammt aus einer Familie, die reich an ökonomischem und kulturellem Kapital ist und auf eine lange aristokratische Tradition zurückblicken kann. Aber nicht nur das Kapital, das sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft hatte, diese »objektiven« Vorteile, wie materielle Mittel oder der Zugang zu Bildung und Informationen, förderten ihren »glücklichen« Lebensweg. In den Vereinigten Staaten traf Patricia Falkenstein auf genau das, von dem sie sich dachte, »klar super, warum habe ich das nicht vorher gewusst«. Der »Habitus« ist nicht determiniert und wartet auch nicht darauf irgendwo besonders gut zu passen. Patricia Falkensteins Denk- und Wahrnehmungsweisen als junge Studentin mussten »eine genügende Nähe aufweisen und[ ... ] vor allem formbar und geeignet sein[ .. .], um sich in einen konformen Habitus konvertieren zu lassen« (Bourdieu in: Krais/Gebauer 2002: 61). Die neuen Sichtweisen waren nicht etwas Undenkbares, sondern etwas, das an ihr Verständnis von sich selbst so weit anknüpfte, dass sie darin ihren eigenen Weg erkennen konnte. Die Personen, die ihr im Laufe ihrer Karriere entweder Stellen anboten oder sie auf eine verwiesen, waren ihr nicht nur derart wohlgesinnt, weil sie ihr Netzwerk pflegte. Diese Momente, in denen sich Patricia Falkensteins Leben einfach so fügte, sind Ausdruck eines gemeinsam gelebten »praktischen Sinns«. Da Patricia Falkensteins Selbstverständnis und Auftreten mit dem harmonisierte, wonach in dem Bereich des künstlerischen Feldes gerade gesucht wurde, trat die soziale Voraussetzung dieser »glücklichen« Fügung in den Hintergrund. Eine Beziehung zu einem Museumsdirektor aufzubauen, die es auch nach Jahren noch erlaubt, ihn um einen väterlichen Rat in Bezug auf die eigene Karriereplanung zu

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bitten, ist nicht ausschließlich Resultat besonderer Sympathie. Vielmehr entsteht diese Sympathie, weil Patricia Falkenstein mit dem Museumsdirektor die gleiche Art zu denken, zu handeln und wahrzunehmen teilt. Auch hätte dieses Vertrauensverhältnis darunter gelitten, wäre es ihr nicht gelungen in der Zwischenzeit ihren Bekanntheitsgrad, d.h. ihre »Position« im Feld, zu steigern. Für ihren Werdegang war wichtig, dass sie neben ihrer universitären Tätigkeit etwas auf die Beine stellte, womit sie sich im künstlerischen Feld einen Namen machen konnte. Die Arbeit an einer Universität allein hätte ihr dort keinen Statusgewinn gebracht. Universitäten sind Teil des wissenschaftlichen Feldes, dessen »Logik« nicht mit jener des Kunstbereichs identisch ist. Mit ihrem »Modell« förderte sie eine bestimmte Art Kunst zu betreiben und zu verstehen. Sie setzte darin das um, was sie während ihrer akademischen Ausbildung gelernt hatte und was nun Teil ihres Selbst- und Kunstverständnisses war. Sie spricht davon, dass sie ihren gesicherten Karriereweg verließ, um das machen zu können, was sie wollte. ihre Sichtweise war nicht individuell, da auch andere Kunsttheoretiker/-innen, -kritiker/-innen, -professoren/-professorinnen, Kuratoren/Kuratorionen und Künstlerl-innen ihre Kunstauffassung teilten. So erzählt Patricia Falkenstein, dass sie an dem Ort, an den sie nach Ende ihres Vertrags hinwechselte, »ganz lustigerweise schon ganz lange interessiert war, weil dort einfach ganz viele interessante Sachen passierten und ich auch schon mal auf einer Tagung dort war und da passierte einfach extrem viel«. Ohne sich als Gruppe zu sehen oder zu benennen, erkennen die Beteiligten, dass sie sich für die gleichen »Sachen interessieren«. Sie anerkennen sich als Personen, die sich für das Gleiche begeistern und sich gegenseitig beeinflussen können. Gemeinsam werden Tagungen oder Ausstellungen veranstaltet, Sammelbände geschrieben oder Projekte realisiert. Und doch spricht Patricia Falkenstein davon, dass ihr Lebensweg ein »Gehen außerhalb des gewohnten Bereichs« war, dass sie etwas tat, was eben gerade nicht den Auffassungen und Werten des künstlerischen Feldes bzw. dem Berufsbild der Kunsthistorikerirr entsprach. Das Einschlagen riskanter und neuer Wege, was Patricia Falkensteins Erfolg ankurbelte, steht in besonderem Maße j enen offen, die wie sie auf ökonomisches und kulturelles Kapital bauen können, wie Bourdieu beschrieb: Selbstverständlich ist die >Wahl< zwischen einer riskanten Investition [...] und dem Einschlagen einer sicheren Lautbahn [... ] nicht unabhängig von der sozialen Herkunft und der Neigung, sich Risiken zu stellen, die diese Herkunft mehr oder weniger, je nach den gewährten Sicherheiten, begünstigt. (Bourdieu 2001: 245, FN 18)

Die Möglichkeit riskante Wege einzuschlagen, brachte Patricia Falkenstein mehr Freiheit, das tun zu können, was sie wollte. Beziehungsweise stellt die Möglichkeit, Risiken einzugehen eine Freiheit dar, die sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft bereits während ihres Studiums genoss und die dazu beitrug, dass sie ihre »Position«

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stets weiter etablieren konnte. Zum Zeitpunkt, als sie ihr Modell entwickelte und installierte, besetzte sie Stellen, die ihr mehr Freiheit boten, weil diese sie finanziell absicherten und ihr das Renommee der Position bereits mehr Aufmerksamkeit verschaffte. Diese Situation bot ihr die Möglichkeit, riskante Wege zur Freiheit zu gehen und Teil einer sich neu etablierenden »Position« des künstlerischen Feldes zu werden. Eine neue soziale Praxis durchzusetzen, erfordert Beteiligte, die in der Lage sind »riskante Investitionen« auf sich zu nehmen. »Freiheit« ist Dreh- und Angelpunkt von Patricia Falkensteins Verständnis von sich und der Kunst. Freiheit gegenüber den institutionellen Strukturen. Das bedeutet, Freiheit gegenüber Lehrprogrammen und anderen Verpflichtungen, die mit einem bestimmten Stellenprofil einhergehen. Freiheit, die Grenzen der Akademie und des künstlerischen Feldes und damit die Grenzen der Disziplinen zu überschreiten. Freiheit gegenüber kunstwissenschaftlicher Methodik. Und Freiheit gegenüber dem Markt und ökonomischen Zwängen.

Kunst als interdisziplinärer Austausch Aber was hat Patricia Falkenstein gemeinsam mit ihren Kollegen entwickelt, das ihren weiteren Karriereschritt beförderte? Weil ich diese Arbeitseinheit als etwas gefasst habe, das nicht institutionalisiert ist. Das gibt es oder das gibt es nicht, aber es ist nicht ganz klar, und kann immer wieder auftauchen, und es kann aber auch, wenn nichts zu tun ist, gibt es eben nichts zu tun. Und das erlaubt mir die Frage immer neu zu stellen und es erlaubt mir sie sozusagen aus diesen Kontexten heraus umzuformulieren, zu gucken, ob sie eine Dringlichkeit kriegen. Aber diese Arbeitseinheit lässt sich nicht vereinnahmen im Moment. Und mit Vereinnahmung meine ich, sie kann bisher nicht zum Aushängeschild der Hochschule werden, und damit kann sie auch nicht ökonomisierbar im Moment werden, sondern sie hat fiir die, die an diesem Zusammenhang mitwirken, ihren Zweck innerhalb des Zusammenhangs. (Patricia Falkenstein, E2: 7)

Patricia Falkenstein ist es wichtig, dass ihr »Modell« nicht institutionalisiert wird, da dies eine Einschränkung bedeute. lnstitutionalisierung ginge einher mit Ökonomisierung und würde Zwänge und Konkurrenzen erzeugen. Man würde etwas tun, weil man es muss oder um im Wettbewerb um Förderung bestehen zu können. Nur in »dynamisierten Strukturen« könnten Fragen immer wieder neu gestellt und diskutiert werden. Einziger Grundsatz sei, »dass Praxis- und Theorieanteile füreinander förderlich sind« und das bedeute, dass immer »Künstler/-innen, Wissenschaftlerf-innen und Theoretikerl-innen gleichermaßen beteiligt sind«. Diese würden unterschiedliche »Mittel« zur Verfügung haben, um zu einer »Lösung« zu gelangen. Ziel sei es, dass »diese Mittel in Kommunikation zueinander« gesetzt werden. Dies

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gelinge, indem in »frei flottierenden Modulen ein Argument am Laufen« gehalten werde. »Module« seien »immer wieder neue Formate, die sich im Tun entwickeln«. Das bedeute, je nachdem, wer sich in einer Arbeitsgruppe trifft, würden Tagungen, Seminare, Workshops oder Ausstellungen gemacht und es entstünden künstlerische Arbeiten oder Publikationen. Die Themen der »Projekte« resultierten aus den aufgeworfenen Fragen. Fragen seien immer Reflexionen, des Sinns der Institution Kunsthochschule oder der eigenen Arbeit und Person oder gesellschaftlicher Probleme. In diesen Prozessen sollten nicht nur Lernende sich selbst zur Disposition stellen, sondern auch renommierte Professoren und Professorinnen. In der Kommunikation mit Akteuren aus dem künstlerischen Berufsfeld oder der Wissenschaft ginge es darum die eigene Perspektive zu erweitern, etwas Neues entstehen zu lassen oder eine »Lösung« für die aufgestellte Frage zu finden. Nur für jene, die an einem Projekt teilnehmen, erfülle dieses seinen »Zweck« und die Struktur, der Ablauf des Projektes sei so »individuell und einzigartig«, wie die Personen, die daran teilnehmen. Um Patricia Falkensteins Kunstverständnis besser erläutern zu können, ziehe ich im Folgenden zusätzlich Aussagen eines Kollegen heran, der an der Universität mit ihr das »Modell« entwickelt hat. Patricia Falkenstein bezeichnete die Kunst, die unter der »Bedingung von Freiheit« entstehe, »konzeptuellere, kollektivere, diskursivere, kontext-orientiertere Kunst«. Jene Kunst übersteige andere Kunst in ihrem »intellektuellen und kollektiven Anspruch«. Ein weiteres Merkmal dieser Kunst sei, dass sie der »Markt-Kunst« diametral entgegengesetzt sei. Mehrmals konstruiert Patricia Falkenstein zwei Welten, die nichts miteinander zu tun hätten. Im Moment haben wir so ein ganz seltsames Phänomen, in dem es eben Marktkünstler gibt, die im Diskurs nicht hochstehen, und vice versa. Und das läuft völlig parallel. Also, Sie finden Ausstellungen von Positionen, die extrem berühmt sind, die von ihrer Arbeit nicht leben können, und sie - also jetzt extrem formuliert - und sie finden Leute, die unglaublich gut verdienen, über die schreibt keiner. (Patricia Falkenstein, E2: 24f)

Ihr Kollege Peter Freising erklärt, dass es sich um zwei Märkte handle, die jeweils anders funktionierten. In dem einen Markt würden »avantgardistische Mechanismen« wirken, das hieße, die Bewertung der Kunst passiere im Diskurs zwischen Künstler/-innen. Diese Kunst präsentiere sich bei Biennalen oder der documenta in Kassel. Die Künstlerl-innen müssten sich viele Jahre mit Stipendien, anderen Förderungen oder Nebenjobs finanzieren, denn auf diesem Markt würde sich der ökonomische Erfolg erst nach vielen Jahren zeigen. »Kurzfristiger Erfolg ist sogar gefährlich, weil es ein Symptom oder ein Indiz dafür ist, dass man zu kommerziell arbeitet oder zu sehr am Publikumsgeschmack orientiert ist«, betont Peter Freising. Hier könne man nur erfolgreich sein, wenn man sich klar gegen den Kunstmarkt wende. Eine soziale Herkunft, die helfen könne, die schwierigen ökonomischen

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Bedingungen zu überdauern, sei beinahe Bedingung, um als Künstlerl-innen bestehen zu können. Der andere Markt sei kommerziell und würde schnellen finanziellen Erfolg versprechen. Auf Kunstmessen und in Galerien würde diese Kunst gezeigt und unmittelbar verkauft. Die Kunst des erstgenannten Marktes könne nicht in dieser Form zur Ware gemacht werden. Diese Kunst betreibe »künstlerische Feldforschung«. Sie verfolge einen forschenden und reflektierenden Umgang mit der Kunst, den Lebensbedingungen von Künstlerl-innen und der Gesellschaft. Den beiden Märkten seien zwei unterschiedliche Künstlertypen zugeordnet: der »wissenschaftlich orientierte, intellektuelle Typ« und der »malerei- und genieorientierte Typ«. Anband der Ausbildungssysteme präzisiert Peter Freising diesen Unterschied: Wenn ich zum Beispiel deutsche und amerikanische Künstler vergleiche, ohne essentialistisch werden zu wollen, aber der Künstler aus Deutschland hat einen anderen Habitus als der Künstler aus den USA typischerweise. Was auch mit den Differenzen der Ausbildungssysteme zu tun hat. Wir haben hier viel stärker diesen genieorientierten Künstlertypus und in den USA haben wir viel stärker diesen irgendwie intellektuellen und theoretischen Typus, weil dort auch anders ausgebildet wird. Das ist typischerweise in den USA so, dass da viele Ausbildungen an Universitäten stattfinden. Da gibt es diese Trennung von Kunsthochschule und Universitäten nicht. Die sind einfach Teil von Universitäten. Da gibt es hunderte MA's an Universitäten. Und so ein Künstler bekommt einfach mehr mit von einer akademischen Welt und benimmt sich in dem Sinn auch akademischer und gewisse1maßen kontrollierter. Der deutsche Künstler repräsentiert eher so dieses klassische Künstlerklischee. Die sind total deviant und einen Irrsinn simulierend oder tatsächlich repräsentierend. (Peter Freising, E8: 27)

Peter Freising urteilt über akademische Künstler positiv, über die anderen stark negativ. Der erste Künstlertypus sei »intellektueller, kontrollierter, reflektierter, theoretisch versierter, sozial umgänglicher und weniger von sich eingenommen«. Der zweite Typ hänge »dem Glauben an, ein Genie zu sein«, sei ungebildet, verstecke sich in seinem Atelier und sei deshalb >>unreflektiert, weil er sich nicht für die Machtmechanismen des Feldes« interessiere. Peter Freising erklärt weiter, dass es den »intellektuellen Künstler« seit den 1960er Jahren gebe. In den 1980er Jahren habe es eine »starke Akzentuierung« auf die Malerei gegeben, weshalb bis Anfang der 1990er Jahre die »diskursive Kunst« marginalisiert gewesen sei. Heute sei das »malerische Feld« zwar wieder sehr dominant, die intellektuellen Diskurse gebe es aber unabhängig davon. Als Patricia Falkenstein zu Beginn des neuen Jahrtausends zur Professorin berufen wurde, war an den deutschen Kunsthochschulen die Diskussion um die Professionalisierung der Ausbildung in vollem Gange. Es wurde kritisiert, dass Kunstakademien starre Systeme seien und nichts mit der beruflichen Praxis der Künstlerl-innen nach dem Studium zu tun hätten bzw. die Studierenden nicht auf ihr Leben als

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Künstlerl-innen vorbereiten würden. Unter anderem wurden im Verlauf des Bologna-Prozesses an vielen Akademien Professionalisierungskurse oder andere auf die künstlerische Praxis bezogene Lehrprogramme eingeführt. 3 Die Kritik richtete sich auch gegen die Vorstellung, Künstlerl-innen würden eher einer >Berufung< als einem Beruf nachgehen, sowie gegen die Struktur der Meisterklassen mit ihrem engen Verhältnis zwischen Professoren/Professorinnen und Studierenden. In dieser Zeit entwerfen Patricia Falkenstein und ihre Kollegen und Kolleginnen ein »Modell«, das losgelöst von den institutionellen Strukturen funktioniert, Akteure aus verschiedenen Bereichen integriert und diese auf eine Ebene des gemeinsamen Austauschs stellt. Um dem Vorwurf der Verschlossenheit der Akademie gegenüber dem späteren Berufsleben von Künstlerl-innen entgegenzuwirken, integriert Patricia Falkenstein auch Kuratoren und Kuratorinnen in ihre Arbeitsgruppen. Gemeinsam werden Ausstellungskonzepte erarbeitet und in den Räumlichkeiten der Akademie umgesetzt. Darüber wird, wie sie betont, eine »gewollte Sichtbarkeit nach außen« erzeugt. Der Bekanntheitsgrad der Akademie, Patricia Falkensteins Name und ihres »Modells« farbenauf die an den Ausstellungen beteiligten Künstlerl-innen und KuratoreniKuratorinnen ab. Sie fördert ihre Studierenden, indem sie ihnen vor Abschluss des Studiums Sichtbarkeit verschafft. Den- meist ebenfalls jungen- Kuratoren und Kuratorinnen verhilft sie zu einer namhaften kuratorischen Tätigkeit. Die flexiblen Strukturen projektbasierter Arbeit, die Patricia Falkenstein an der Universität und der Akademie neu installiert hat, scheinen offener zu sein, sowohl was den interdisziplinären Austausch und den Bezug zum Berufsfeld als auch was den Zugang für Studierende betrifft. Unbeachtet bleibt dabei, dass die »Zusammenhänge« sich ergeben, weil zwischen den Personen die »Neigung zur wechselseitigen Anerkennung« (Bourdieu 1998: 50) größer ist, wenn deren »Habitus« kongruiere und sie relational verbundene »Positionen« im Feld innehaben. Die sich treffenden »Künstlerl-innen, Wissenschaftlerl-innen und Theoretikerl-innen« stehen nicht ohne jeglichen Bezug zueinander. Es reicht nicht aus, dass die Personen an ein und demselben Thema arbeiten. Die Art und Weise, wie sie die Themen bearbeiten, ist ausschlaggebend. Die Beteiligten müssen an ein und dieselbe Sache glauben und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Jene Wissenschaftlerl-innen, die mit den Künstlerl-innen im Austausch stehen, müssen als Mitspielerl-innen des künstlerischen Feldes anerkannt sein und die Regeln dieses Spiels anwenden (können). In diesem Spiel wird ihnen eine eigene Position zuteil: Sie sollen einerseits durch ihre »Außenperspektive« zur eigenen Perspektivenerweiterung beitragen. Andererseits werden durch ihre Teilnahme der akademische Anspruch und die Kritik an der Geschlossenheit des Feldes untermauert. Patricia Falkenstein unterscheidet zwischen

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Zum Beispiel das »Career Center« oder das Graduiertenkolleg »Praxis und Theorie des künstlerischen Schaffensprozess« an der UdK Berlin oder das »überfachliche Professionalisierungsmodul« an der HBK Braunschweig.

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»Wissenschaftler/-innen« und »Theoretiker!-innen« und hält somit die Trennung der beiden Felder aufrecht. »Theoretiker/-innen« bezeichnet dabei die Akteure dieser sich formierenden und etablierenden »Position« des künstlerischen Feldes.

PAUL FADANI: DER KRITISCHE INTELLEKTUELLE Paul Fadani ist Anfang 50 und wuchs in der Schweiz auf. Er ist Professor für Kunsttheorie an einer privaten Kunsthochschule. Jedes Wochenende pendelt er von seiner Arbeitsstelle nach Berlin. Nach einigen Versuchen erreichte ich Paul Fadani telefonisch an seinem Arbeitsplatz. Er hatte meine Unterlagen studiert, wusste gerrau Bescheid und erklärte sich sofort für ein Interview bereit. Am Ende des Telefonats bat er mich, ihm die vereinbarten Faktenper E-Mail zuzusenden und ihm einige Tage vor dem Interview eine Erinnerungsmail zu schreiben. Bezüglich des Ortes war Paul Fadani zunächst unsicher und schlug schließlich doch seine private Wohnung vor. Diese lag im obersten Stockwerk eines Altbaus. Auf dem Weg dorthin durchquerte ich einen großen Park, kreuzte mehrere Spielplätze und kam an zahlreichen Caü\s mit vollbesetzten Tischen vorbei. Ich hatte Mühe die richtige Klingel zu finden. An einem übrig gebliebenen »F« am Klingelschild konnte ich sie erraten. Als ich im fünften Stock ankam, stand die Tür leicht angelehnt. Ich klopfte und hörte von innen ein »Kommen Sie herein«. Wir schüttelten die Hände und er ging mir voraus in ein mittelgroßes Zimmer. In funktionalen, schlichten Stahlrolumöbeln waren eine große Menge an DVDs, Büchern, Zeitschriften und anderem Papier untergebracht. Auf einem runden Glastisch türmten sich weitere Papier- und BücherstapeL Paul Fadani hielt nichts von förmlichen Umgangsformen, auf die ich im Umgang mit einem Professor eingestellt war. Er verhielt sich sehr locker und schien von mir zu erwarten, ebenso entspannt zu sein. Während den zweieinhalb Stunden saßen Paul Fadani und ich uns quer zum Glastisch gegenüber. Er trank immer wieder aus einer kleinen Plastikflasche Leitungswasser. Als ich ging, entschuldigte er sich bei mir, dass er mir gar nichts angeboten habe. Er hätte aber ohnehin nur Leitungswasser gehabt, denn seine Küche sei etwas improvisiert. Paul Fadani begann nach dem Abitur ein Studium der Kunstgeschichte in jener Stadt in der Schweiz, in der er aufgewachsen war. Im Laufe seines Studiums wechselte er an Universitäten in zwei verschiedenen europäischen Hauptstädten. Für seine Promotion kehrte er in die Schweiz zurück. Als promovierter Kunstwissenschaftler arbeitete er einige Jahre als freier Autor und Kurator und machte Lehraufträge an verschiedenen Kunsthochschulen. Wie bereits vor seiner Promotion schrieb er weiter Kunstkritiken für Tageszeitungen und kunstspezifische Zeitschriften. Danach wurde Paul Fadani Leiter eines Kunstvereins. Fünf Jahre später entschied er,

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wieder zu seiner Tätigkeit als freier Autor, Lehrender und Kurator zurückzukehren. Nach weiteren fünf Jahren erhielt Paul Fadani eine Professur an einer privaten Akademie, an der er seit vielen Jahren als Dozent gelehrt hatte und die er bis heute innehat.

Das Selbst und sein inhaltliches Interesse Paul Fadani erklärte, dass er für seine Promotion wieder an sein ehemaliges Institut in die Schweiz zurückgekehrt sei, weil es ihm Bedingungen geboten habe, die für die 1980er Jahre innerhalb der Kunstgeschichte ungewöhnlich waren. In einer der dort ansässigen staatlichen Kunstinstitutionen habe es eine »Katalogbibliothek« gegeben, in der man über außereuropäische Kunstgeschichte und zeitgenössische Kunst arbeiten und forschen konnte. Der Leiter dieser Institution war zugleich Honorarprofessor an der Universität und eröffnete Paul Fadani die Möglichkeit im Fach Kunstgeschichte eine Dissertation über Gegenwartskunst zu schreiben. Nach seiner Promotion verließ Paul Fadani die Schweiz, weil er »auf keinen Fall« als Kunsthistoriker in einem Museum arbeiten wollte. Denn bereits während seines Studiums war es sein Ziel, im »Zwischenbereich von Gegenwartskunst, Kunstgeschichte und Theorie« zu arbeiten. Paul Fadani erklärt nicht, wie dieses Interesse entstand. In folgender Interviewpassage erklärt er, wie man zum Kritiker, Kurator oder Künstler wird: Für freie Kunst ist ja doch entscheidend, dass man sie ja tatsächlich nicht ausbilden kann, sondern dass es eine Entscheidung, eine Selbstermächtigung ist, irgendwann zu sagen: Okay jetzt bin ich halt Künstler oder Künstlerin oder werde Kritiker, Kurator oder was es auch immer sein soll. Aber das sind Entscheidungsakte, die man nicht, ... Kunst kann man nicht lehren, das kann man niemandem abnehmen. Und deswegen geht es natürlich darum, welche Bedingungen kann man schaffen, in denen das sozusagen wahrscheinlich ist, dass jemand diese Entscheidung trifft. (Paul Fadani, E7: 21f)

An Kunsthochschulen sollten »Bedingungen« geschaffen werden, die es »wahrscheinlich« machen, dass jemand »sein Ding« mache und »es auf sich« nehme Künstler zu sein, erklärt er weiter. Paul Fadani unterscheidet zwei Modelle der Kunstausbildung: Das >>Meisterklassenmodell« und das »akademische Modell«. Beide Modelle hätten ihre Vor- und Nachteile und am besten wäre, sie aufeinander zu beziehen. Im »Meisterklassenmodell« könnten der starke persönliche Kontakt und der Vorbildcharakter zu einem reinen Imitations- und Nachahmungseffekt führen. Es wären jene Kunstprofessoren und -professorinnen am erfolgreichsten gewesen, die die eigene Karriere zurückgestellt hätten und nicht »dogmatisch in eine Selbstreproduktion« gegangen seien, sondern den j ungen Künstlerl-innen zwar As-

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pekte für die »Identifikation und Auseinandersetzung« geboten, ihnen aber sonst Freiraum gelassen hätten. Dem »akademische Modell« fehle die Vorbildfunktion, was viele überfordere. In diesem Modell ginge es primär um die Auseinandersetzung mit Theorien, die Anhäufung von Wissen. Paul Fadani erklärt, dass »daran ganz viele Leute scheitern, dass sie dann zwar alles wissen, aber nie zu dem Punkt kommen, eben ihr Ding zu machen«. Er geht davon aus, dass >>Unter geeigneten Bedingungen jeder sein Ding« finden und weiterentwickeln kann. Er hatte bereits während seines Studiums »sein Ding«, ein bestimmtes inhaltliches Interesse, gefunden. Dieses Interesse führte ihn durch sein berufliches Leben bis zu seiner heutigen Stelle, die er gut findet, weil sie ihm >>die Art von Reproduktion und Aneignung von Wissen« erlaube, die sein »eigentliches Ziel beim Schreiben oder beim Ausstellung-Machen« seien. Seine kuratarische Tätigkeit während seiner Zeit als Leiter des Kunstvereins beschreibt Paul Fadani als »intellektuellen Raubbau«, weil er keine Zeit mehr gefunden habe, sich neues Wissen anzueignen. Seine »Ressourcen«, wie er es nennt, baut er nicht wahllos und möglichst breit gefächert auf, sondern stets in Hinblick auf sein inhaltliches Interesse. Diese Skizze seiner Erzählung soll uns Paul Fadanis Selbstbild näherbringen. Wichtig ist ihm, dass er nicht durch äußere Einflüsse zu dem wurde, was er heute ist. Es war seine Entscheidung Kunstkritiker und Kunsttheoretiker zu sein und er suchte selbstbestimmt Wege, die ihm dies erlaubten. Sein Werdegang ist die Suche nach den »geeigneten Bedingungen« für seine inhaltlichen Interessen. Paul Fadanis Selbstverständnis blendet seine Eingebundenheit in die soziale Welt der Kunst aus. Sein Interesse führte ihn durch sein berufliches Leben. Nicht die einzelnen Stellenprofile bestimmen, womit er sich beschäftigt. Er verfolgt sein Interesse, egal ob er gerade als freier Autor oder Kurator arbeitet oder in eine Institution eingebunden ist. Dieses Interesse ist nicht bloß Inhalt seiner professionellen Tätigkeit, sondern macht ihn als Person aus und ist deshalb etwas, das nicht von außen an ihn herangetragen wurde. Er versteht sich als intellektuelle Persönlichkeit, die sich durch Anhäufung von Wissen weiter entwickelt. Diese Persönlichkeit ist ein Wissensbehälter, der entweder gefüllt wird oder der >>ausgelaugt« und irgendwann »leer« ist. Obwohl Paul Fadani weder sein Interesse noch seinen beruflichen Werdegang von außen beeinflusst sieht, gibt seine Erzählung doch Aufschluss darüber, dass er Teil einer bestimmten sozialen Praxis ist. Zum Beispiel erfuhr er in der Beurteilung seiner Dissertation j ene symbolischen Gräben zwischen traditioneller Kunstgeschichte und einer neu entstehenden Sicht auf das Fach, die wir auch bei Patricia Falkenstein kennengelernt haben. Jedenfalls hatte ich dann von dem einen Professor ein Ausgezeichnet und von dem anderen ein Nicht Genügend. Dadurch war das dann auch für das Dekanat ein interessanter Fall. Worum es da gehen könnte. Und insofern war das schon eine sehr spezielle Situation. (Paul Fadani, E7: I f)

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Mit Bourdieu gesprochen, ist der Kampf zwischen den beiden Sichtweisen auf das Fach Kunstgeschichte einer »zwischen denen, die Geschichte gemacht haben (indem sie im Feld eine neue Position schufen) und um ihr Weiterleben (als >Klassikerfreien< Zeiten, in denen er nicht institutionell eingebunden war, war entscheidend, in welchen Institutionen er Ausstellungen zu welchen Themen und vor allem mit welchen Künstlerl-innen kuratierte. Ferner konnte er sich durch Veröffentlichungen, wissenschaftliche Projekte und Tagungen einen Namen machen. Sein Lebenslauf auf der Website der Hochschule listet alle Personen auf, mit denen er zusammengearbeitet hat. Die neue »Position« und das, wofür sie steht, konnte sich formieren, weil den Beteiligten der Zugang zu renommierten Institutionen offen stand und einige bereits über Macht verfügten, sich in den symbolischen Kämpfen des Feldes durchzusetzen.

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Kunst als inhaltlicher Diskurs Während seiner Tätigkeit als Kunstvereinsleiter war Paul Fadani im Ankaufsbeirat einer privatwirtschaftliehen Stiftung. Zum Zeitpunkt des Interviews lief gerade seine Zeit im Beirat eines staatlichen M useums aus. Leitungen von Stiftungen oder Museen setzen für mehrere Jahre einen Beirat ein, der über Ankäufe berät und diese vorschlägt. Je nach Institution kann diese Tätigkeit bezahlt oder ehrenamtlich sein. Der Beirat besteht aus Akteuren des Feldes, denen der Status des Experten oder der Expertin für kunsthistorische und zeitgenössische Kunst zuerkannt wurde. Das können Kunsthistoriker/-innen, Kunstkritiker/-innen, Kunsttheoretikerl-innen oder auch Kuratoren/Kuratorinnen sein. Paul Fadani erzählt, wie es im Beirat zu einer Entscheidung kommt: Ja, natürlich ist es ein Prozess der Abgleichung der Interessen. Ein Prozess des Suchens und Herausfindens, wo gibt es Überschneidungen? Welche Dinge sind für einen sozusagen essenziell? Wie kann man damit umgehen, auf welcher Basis? Und dann ist eben die Frage, ist es für einen vertretbar, wenn ich jetzt aus meinem Interessenspektrum dann nur einen Teil repräsentieren kann. Wie kann ich den ausweiten? Wie weit kann es gehen? Aber das finde ich okay, das ist ja ein legitimer Prozess. Also ich sehe das nicht unbedingt als meine Aufgabe, da ausschließlich mein Ding durchzusetzen. Für mich ist die Herangehensweise, dass ich ein kleines Konzeptpapier schreibe und denke, das und das und das sollte gesammelt werden. Und dann kann man halt sehen. Das hat letztlich, denke ich, ziemlich gut funktioniert. Also zum Großteil, 70 oder 80 Prozent, denke ich, werden wir fast erreichen. Und das ist eigentlich ganz gut. Und wenn wir das jetzt noch schaffen, dass das auch irgendwie in einer Ausstellung sichtbar wird, dann ist das total okay. Aber wie gesagt, nicht einfach (lacht). (Paul Fadani, E7: 21)

Paul Fadani weiß, welche Werke für ihn »essenziell« sind und wie sein »lnteressensspektrum« aussieht. Er bildet sich seine Meinung nicht erst im Gruppenprozess, sondern legt seine Auswahl in einem »kleinen Konzeptpapier« dar. Darin kommt zum Ausdruck, was seiner Meinung nach gesammelt werden sollte, in welchen Zusammenhang die Werke gestellt werden sollten und welches »Statement« er abgeben möchte. Die Auseinandersetzung mit anderen findet er mühsam und an anderer Stelle merkt er an, wenn er »das alleine machen würde, würde es ein bisschen anders aussehen«. Er habe aber sein Konzept so weit durchgesetzt, dass der Ankaufsvorschlag bzw. schließlich die Sammlung angekaufter Werke ftir ihn noch »vertretbar« sei. Das Ziel sei vielmehr, wie Paul Fadani mehrfach betont, einer Sammlung »ein eigenständiges Profil« zu geben und ein »klares Statement« abzugeben. Auf diese Weise werde versucht sich auf ein »gemeinsames Profil«, auf ein »Statement« zu einigen. Das »Statement« müsse sich dann gegen die Widerstände der Leitungs-

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ebene behaupten. Im Beirat treffen also Personen aufeinander, die die anderen von ihrer Auswahl überzeugen wollen. Zunächst vertritt also jeder sein Interesse gegenüber den anderen Beiratsmitgliedern. Der Beirat muss sich auf eine gemeinsame Ankaufsliste einigen, die schließlich gegenüber der Museumsdirektion oder Stiftungsleitung durchgesetzt werden muss. In einem weiteren Erzählstrang erklärt Paul Fadani, dass sich das künstlerische Feld ausdifferenziert habe. Dadurch würden die einzelnen Kunstszenen nicht mehr aufeinander Bezug nehmen und sich auch nicht mehr >>Untereinander weh« tun. Paul Fadani fordert, dass jede einzelne Institution im Feld ein »klares inhaltliches Programm« verfolgen sollte. Jede »inhaltliche Position« müsse einem Ort zuzuordnen sein, sonst gehe sie im »Diskurs« unter. Die Institutionen sollten anhand ihrer »Programmatik« identifizierbar sein und sich klar von anderen absetzen. Nur in Konfrontation verschiedener Behauptungen entstünde ein »Spielraum«, in dem etwas Neues und Interessantes entstehen könne. Durch das »Ausleben der Differenzen«, durch Konflikte und kritische Auseinandersetzungen könne die »Produktivität inhaltlicher Diskurse« gesteigert werden. Fehle es, so wie insbesondere in Berlin, an derartigen Diskursen, würde eine »Leere« entstehen und die Szenen würden »sich als selbst bestätigende Systeme« abschließen. Klare Grenzziehungen fordert Paul Fadani auch zwischen den einzelnen Feldern, zwischen Kunst, Politik oder Wissenschaft. Erst durch die Aufrechterhaltung »verschiedener Formen der Symbolisierung« könnten die einzelnen Felder ihre Funktion, auch füreinander, erfüllen. Dem Ruf nach klaren inhaltlichen Positionen und symbolischen Grenzziehungen steht Paul Fadanis Ktitik an »fixen Zuschreibungen« und Polarisierungen gegenüber. Dabei wendet er sich gegen Abgrenzungen, wie die zwischen »Diskurs- und Marktkunst«, die entlang des Gegensatzes von »gut und böse« funktionierten, oder gegen »klassisch kritische Positionen«, die nur der eigenen Positionierung dienten. In der Erzählung über seine kuratarische Tätigkeit erläutert Paul Fadani, wie man zu einer »inhaltlichen Position« gelange könne, die seinem Ideal entspricht. Eine Ausstellung zu machen, sollte ein langsamer Prozess sein, indem am Ende ein >>klares Statement« gemacht werden kann. Er kritisiert die »Professionalisierung« der kuratarischen Tätigkeit, da produziert werde, um zu produzieren und nicht um eine Aussage zu machen. Den Kuratoren und Kuratorinnen fehle es an Zeit sich mit Themen auseinanderzusetzen. Ausstellungen sollten nur dann gemacht werden, wenn ein Thema wirklich sinnvoll und wichtig erscheint. Ein »Sinn« entstünde zum Beispiel durch Reflexion des »Systems Ausstellung«, das viel mehr als »Medium« verstanden werden sollte. In Konfrontation mit diesem »Medium«, seiner »Funktion«, seiner »Form«, seiner »Codierung« und den innewohnenden »Bedeutungen« könne ein »Sinn auftauchen«. Nur eine Person, die in der Lage ist, sich und ihr Umfeld zu reflektieren und die inhaltlich etwas beizusteuern hat, könne eine sinnvolle Ausstellung machen.

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Wie im vorherigen Unterkapitel erläutert, versteht sich Paul Fadani als intellektuelle Persönlichkeit, die in ihrem beruflichen Leben ein bestimmtes, eigenes inhaltliches Interesse verfolgt. In seinem Selbstbild erscheint sein Interesse, »sein Ding«, als unabhängig von seinem Agieren im Feld entstanden. In den soeben skizzierten Erzählsträngen zeigt sich, dass in Paul Fadanis Kunstbild gerade die Konfrontation verschiedener Sichtweisen als sinn- und gehaltstiftend gilt. Sowohl Institutionen als auch Personen sollten sich ihrer »inhaltlichen Position« klar werden und diese gegenüber anderen vertreten. Auf diese Weise entstünden »inhaltliche Diskurse«, die neue Gedanken und Erkenntnisse hervorbringen. Dem zunächst widersprüchlich klingenden Gegensatz zwischen einem Plädoyer für klare Positionen und Grenzziehungen einerseits und der Ablehnung fixer Zuschreibungen andererseits liegt die von ihm vertretene Unterscheidung von symbolischer, inhaltlicher und subjektiver Ebene zugrunde. Das Subjekt und sein Streben nach Profliierung müssen hinter das oberste Ziel der Produktivitätssteigerung »inhaltlicher Diskurse« treten. Nur in der Konfrontation inhaltlich und/oder symbolisch differenzierter Meinungen könne Interessantes entstehen. Während des Interviews sah mich Paul Fadani nicht in meiner Rolle als - sich zurücknehmende - Interviewerin, sondern forderte mich heraus, mich inhaltlich mit ihm auseinanderzusetzen. Stellte ich ihm Fragen oder fasste ich von ihm Gesagtes zusammen, um bei einem Thema vertieft nachzufragen, fasste er meine Aussage als entweder ihm widersprechende oder zustimmende Position auf. An Soziologen und Soziologinnen kritisierte er ihren »Standpunkt des Beobachters dritter Ordnung« und forderte, auch Wissenschaftlerl-innen sollten im Feld kämpfen, dabei aber die symbolischen Grenzen wahren. Paul Fadani sah mich als Teil des künstlerischen Feldes, setzte Wissen über Kunstgeschichte und zeitgenössisches Kunstgeschehen voraus und suchte während des Interviews nach meiner »inhaltlichen Position«, mit dem er sich konfrontieren konnte. Für ihn können und sollen sich Personen aus anderen Feldern an der Praxis des Feldes beteiligen. Sie sollten allerdings ihre symbolischen Praktiken beibehalten, weil die Auseinandersetzungen, die symbolischen Kämpfe, ftir den »inhaltlichen Diskurs« fruchtbarer seien.

VIOLA BRENNER: DIE GESCHÄFTSFÜHRERIN EINES KUNSTVEREINS Viola Brenner ist Ende 40 und kam Mitte der 1980er Jahre von Schleswig-Holstein nach Westberlin. Seit 20 Jahren ist sie Geschäftsführerirr eines Anfang der 1970er Jahre gegründeten Kunstvereins. Ich wendete mich postalisch an die Geschäftsstelle des Vereins. Als ich eine Woche später anrief, wurde ich zu Viola Brenner durchgestellt. Wir vereinbarten einen Termin zwei Monate später und sie erklärte mir ausführlich den Weg zum

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Verein. Eine Woche vor dem Termin rief mich ihre Mitarbeiterin an, um den Termin noch einmal zu bestätigen. Der Kunstverein liegt in einem unsanierten Backsteingebäudekomplex. im Erdgeschoß an der Straßenfront mietet der Verein drei Räume, in denen wechselnde Ausstellungen stattfinden. Die Büroräume sind im dritten Stock eines Quergebäudes des zweiten Hinterhofes. Unscheinbare Schilder neben der Haus- und der Eingangstür weisen auf den Verein hin. Ich läutete und die Tür öffnete sich surrend. ich ging einen langen Gang entlang, von dem rechts und links Zimmer abgingen. An den Schreibtischen saßen Frauen, in einem größeren Zimmer stand eine Gruppe von Männern und Frauen vor einer Pinnwand. Als ich fragte, wo ich Viola Brenner finden könne, verwies man mich in das erste Zimmer. Die dort an einem Schreibtisch sitzende Frau bat mich, mich zu setzen und verschwand in einem Zimmer, das neben ihrem lag. Fünf Minuten später kam sie zurück und ließ die Tür hinter sich offen. Einige Momente später trat Viola Brenner aus ihrem Zimmer, reichte mir die Hand und bat mich ihr zu folgen. Eine Wand des Zimmers bestand aus großen, alten Holzfenstern. Quer dazu stand ein Schreibtisch, auf dem aufgeschlagene Bücher, Zettelberge und Schreibmaterial lagen. Auf einem Whiteboard dahinter hingen unzählige Zettel, Flyer und Plakate. Die gegenüberliegende Wand war mit einem deckenhohen Bücherregal verstellt, das vorrangig mit Kunstkatalogen, Ordnern und Zeitschriftenboxen gefüllt war. Wir setzten uns an einen rechteckigen Glastisch, der Platz für acht Personen bot. Sie schenkte mir Mineralwasser ein und erwartete meine erste Frage. Viola Brenner antwortete prägnant, ohne je in einen längeren Redefluss zu verfallen. Sie sprach in gewählten Worten und führte auch komplizierte Satzgefüge stets grammatikalisch richtig zu Ende. Sie beendete ihren Redebeitrag, wenn eine Frage ihrer Meinung nach ausreichend beantwortet war und wartete auf eine erneute Frage. Nach genau einer Stunde wurden ihre Antworten kürzer. Als ich das interview beendete, schien sie erleichtert, dass sie nicht habe drängen müssen, zu einem Ende zu kommen. Bevor wir uns verabschiedeten, bat sie mich um meine Visitenkarte und wünschte mir viel Glück. Viola Brenner begann Anfang der 1970er Jahre ein Studium der Diplompädagogik in ihrer Geburtsstadt in Schleswig-Holstein. Als Nebenfacher wählte sie Soziologie und Psychologie. Im Grundstudium absolvierte sie ein Praktikum in einem Jugendkulturzentrum, in dem sie sich die folgenden Jahre engagierte und schließlich dessen Vorsitzende wurde. Kurz bevor sie ihr Studium abschloss, erhielt sie eine Verwaltungsstelle in einer benachbarten Stadt. Fünf Jahre später zog sie nach Berlin, um in einer Landeskultureinrichtung zu arbeiten. Nach sechs Jahren nahm sie die Stelle als Geschäftsführerirr des Vereins an, die sie noch heute, 20 Jahre später, innehat. Im Laufe ihrer Berufsjahre war sie Vorsitzende verschiedener kunstspezifischer Verbände und Vereine und setzte sich dabei für die Belange von Kunstvereinen in Deutschland ein. Überdies war sie in zahlreichen Beiräten von Kunst- und Kulturprojekten und Jurys von Kunstfördereinrichtungen aktiv, lehrte an Kunstakademien und anderen kunstspezifischen Ausbildungsstätten, war Her-

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ausgeberirr einiger Bücher über Kunstvermittlung und schrieb journalistische Texte sowie Beiträge für Kunstkataloge. Sie engagierte sich als Kunstvermittlerirr und kuratierte einige Ausstellungen.

Das Selbst als verkörperter Verein Viola Brenner bezeichnet sich als »Quereinsteigerin« in die Kunst. Sie habe sich zwar als Schülerirr mit Begeisterung »alle möglichen« Theaterstücke angesehen, trotzdem sei ihre Schwerpunktbildung während des Studiums »relativ zufällig« passiert. Ihr Pflichtpraktikum im Grundstudium habe sie dazu gebracht sich im Kunstbereich zu engagieren. Aus dem Praktikum sei eine »mehrjährige, wirklich sehr zeitaufwändige Beschäftigung geworden«. Diese außeruniversitären Aktivitäten waren schließlich ausschlaggebend für ihren weiteren Berufsverlauf Ihr Studium beschreibt sie als »ganz schöne Ergänzung zu den Erfahrungen in den Kulturbereichen«. Hätte es damals bereits Studiengänge wie »Kulturvermittlung oder Kulturmanagement« gegeben, wäre sie umgestiegen. So sei ihr nichts anders übrig geblieben, als die notwendigen Kompetenzen selbstständig zu erwerben. Sie vetmute, dass die >>Unglaublich vielen« Projekte, an denen sie parallel zu ihrem Studium beteiligt war, ihr zu ihrer ersten Stelle verhalfen. Ihre Erfahrungen mit »Kooperationsprojekten« und der Organisation von »Veranstaltungen, Filmreihen und Lesungen« entsprachen dem Anforderungsprofil der neuen Stelle. Sie wurde genommen, obwohl ihre Abschlussprüfung noch vor ihr lag. Fünf Jahre später zog sie nach Berlin: Ich bin nach Berlin gekommen, weil ich mich damals auf eine Stelle beworben habe, die ich nicht bekommen habe. Das war übrigens meine jetzige Stelle. Die war Anfang der 1980er Jahre schon einmal ausgeschrieben. Ich habe mich damals beworben und es ist dann jemand anderes geworden. Aber aus dem Zusammenhang des Bewerbungsgesprächs hat sich für mich dann etwas ergeben. Jemand, der da dabei war, riefmich an und fragte mich, ob ich eine andere freie Stelle haben wolle. Und das habe ich sechs Jahre lang gemacht. Also flinf Jahre hatte ich meine erste Stelle, sechs Jahre habe ich im Landeskulturbereich gearbeitet und bin dann von da aus Anfang der 1990er hierher gewechselt. (Viola Brenner, E6: 2)

Zu Beginn ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerirr habe sie den »Umzug des Vereins befördert« und erreicht, dass er eigene Ausstellungsräume bekam. Dies habe eine »stärkere Profilierung« ermöglicht und die öffentliche Wahrnehmung verbessert. Heute könne sie über die Besucherzahlen und Presseresonanz »nicht klagen«. Die Tatsache, dass der Verein »sehr viele« Ausstellungen realisieren könne, sei auf ein »ganz gutes Management« zurückzuführen, das auch die Fixkosten so gering wie möglich halte. Der Verein habe bisher aus einer »Reihe an Fördertöpfen immer

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wieder erfolgreich Gelder beantragen« können. Die Institution habe es über die Jahre geschafft, »thematische Freiräume« zu definieren und immer wieder Themen zu behandeln, die »zum allerersten Mal mit der bildenden Kunst verkoppelt« wurden. Dies sei das »Alleinstellungsmerkmal« des Vereins und resultiere aus der gesellschaftlichen Situation zu der Zeit, als der Verein gegründet wurde. Seit Anfang der 1970er Jahre bestehe dieser aus einer flachen Organisationsstruktur. Zwischen dem Präsidium, den Mitgliedern und der Geschäftsstelle gebe es eine rege Diskussionsund Beratungskultur. Die Satzung schreibe ein starkes Mitbestimmungsrecht der Mitglieder fest. Im Gegensatz zu anderen Kunstvereinen und Kunstinstitutionen würden die Künstlerl-innen »nicht als Objekte oder Produkte behandelt«. Der Verein verfolge eine »andere Auffassung von Autorenschaft«, die sich gegen die »Genievorstellung« wende. Ihre Künstlerl-innen säßen nicht alleine in ihren Ateliers, in denen sie dann Besuche empfingen. Vielmehr arbeiteten sie mit Menschen aus den verschiedensten Bereichen zusammen. Diese Kooperationen spiegelten die »gesellschaftlichen Verhältnisse« wider, was dazu führe, dass die Kunst nicht nur feldinterne Fragen stelle und sich deshalb jeder dieser Kunst annähern könne. Über die Jahrzehnte des Bestehens des Vereins seien Ausstellungen immer als »Plattformen« betrachtet worden. Es ginge nicht darum, nur etwas zu präsentieren, sondern darum, »Positionen zur Debatte« zu stellen. Deshalb sei jede Ausstellung von einem »umfangreichen Programm aus Führungen, Künstlergesprächen und Workshops« begleitet. Neben ihren organisatorischen Tätigkeiten als Geschäftsführerin biete sie selbst Kunst- und Stadtführungen an. Die Auseinandersetzung des Publikums mit einer Ausstellung sei bereits eine Form der Vermittlung. Überdies könne die Vermittlung dazu eine >>Metaebene« sein, habe aber nicht zum Ziel die Interpretationen der Künstlerl-innen den Rezipienten und Rezipientinnen überzustülpen. Sie finde es »völlig in Ordnung«, wenn das Publikum ein Werk anders lese als der Künstler oder die Künstlerin. Ihr mache Kunst »Spaß«, wenn sie mit anderen Menschen darüber diskutieren könne. Sie frage auch Kuratoren und Kuratorinnen, weshalb sie welche Künstlerl-innen auf welche Weise zeigten und warum sie ein bestimmtes Ausstellungsprogramm verfolgten. Oft widerspreche sie deren Auswahl und Präferenzen, wenn sie diese nicht nachvollziehen könne. Manchmal erkenne sie aber erst nach einem derartigen Gespräch den Wert einer künstlerischen Arbeit: Ich glaube, die zeitgenössische Kunst ist viel zu heterogen, viel zu experimentell, viel zu durchdacht und viel zu durchgeistigt, um sie sofort zu verstehen. Wenn ich da nicht alle Zusammenhänge kenne, wo der Künstler das produziert hat, bei welchem Stipendium oder welchem Auslandsaufenthalt er wem begegnet und dies und jenes. Wenn man aber die ganzen Geschichten nachvollzieht, wenn man das alles verstanden hat, dann kann es ganz oft passieren, dass man denkt: >Ja toll, das ist ja wirklich eine tolle Arbeit!< (Viola Brenner, E6: 16)

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Viola Brenner beschreibt ihren Werdegang weder als Ausdruck eines in der Sozialisation begründeten Interesses an der Kunst noch als Verwirklichung einer angeborenen Berufung. Es scheint, als stellte sie die Verbindung zu ihrer Theaterbegeisterung als Schülerin nur deshalb her, weil meine Nachfrage auf eine tiefer gehende Herleitung ihres Interesses abzielte. Ich hatte sie zu Beginn gefragt, wie sie zu ihrem Interesse an Kunst und Kultur gekommen sei. Sie spricht davon, dass ihre Schwerpunktbildung »zufällig« passiert sei. ihr Interesse entstand erst, als sie sich in die Jugendorganisation integrierte. Sie investierte viel Zeit für deren Zielsetzungen und Ideen und war schließlich so sehr Teil der Organisation, dass sie deren Vorsitzende wurde. Ihr beruflicher Werdegang baute nicht nur deshalb auf ihrem dortigen Engagement auf, weil sie nunmehr spezifische Kompetenzen vorzuweisen hatte. Vielmehr übernahm sie während ihrer Studienzeit ein Verständnis von Kunst und ihrer Vermittlung, das den Vorstellungen ihrer zukünftigen Arbeitgeberl-innen entsprach. Sie machte sich dieses Verständnis zu eigen und dieses bildet bis heute das Fundament ihres Selbstverständnisses. Was meine ich damit? Die drei Arbeitsstellen, die Viola Brenner im Laufe ihres Berufslebens innehat, gehören einer »Position« des Feldes an. Die Stellenprofile sahen vor, dass Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu sein und sich deren Anliegen anzunehmen habe. Dies erklärt sich daraus, dass es Stellen in staatlichen oder öffentlich geförderten Institutionen waren. Kunst wird hier die Funktion zugeschrieben, den Menschen ein Sprachrohr und ein Instrument zu sein, um auf die politischen Akteure einzuwirken und die Gesellschaft mit zu gestalten. In Viola Brenners Selbstbild erscheint diese Kunstauffassung in einer spezifischen Form, die auf ihre langjährige Tätigkeit im Kunstverein zurückzuführen ist. Seit 20 Jahren ist sie dessen Geschäftsführerin. Sie ist verantwortlich fiir die organisatorische und technische Umsetzung der Beschlüsse des Präsidiums, das auch das Ausstellungsprogramm festlegt. Sie bestimmt also nicht über das Programm, weshalb sie sich auch nicht als künstlerische Leiterin versteht. ihre administratorischen Aufgaben tauchen allerdings genauso wenig in ihrer Erzählung auf. Sie habe »Spaß« an ihrer Arbeit im künstlerischen Feld, wenn sie sich mit anderen kontrovers über Kunst auseinandersetzen könne. Alle Meinungen stehen gleichwertig nebeneinander und die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Personen sei das, was Kunst interessant mache. Wie sie mir selbst erklärt und wie in der Satzung nachzulesen ist, vertritt der Verein offen dieses Kunst-, Menschen- und Gesellschaftsbild. Die Eckpunkte dieser Vorstellung sind die Akzeptanz menschlicher Diversität, der Einsatz für die Gleichstellung aller in der Gesellschaft und die zentrale Rolle der Kunst in der Umsetzung dieses Ideals. Viola Brenner verkörpert jene Ideale, denen sich der Verein seit seiner Gründung verschrieben hat. Die flache Hierarchie des Vereins und die dahinter stehende Idee der Gleichheit aller Mitglieder bewirkt, dass sie sich als Geschäftsftihrerin keine übergeordnete oder besondere Stellung zuschreibt. Sie versteht sich als zwar langjähriges, aber dennoch gleichwertiges Mitglied des Vereins. Ihr Selbstbild ist die Ver-

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körperung dieser Ideale. Sie wurde zu dem, was sie ist, weil sie in diesen Kunstbereich hineinwuchs und weil der Verein bzw. dessen Akteure die Identifikation mit den Idealen voraussetzen. Der Verein lebt in der sozialen Praxis seiner Mitglieder und in ihr werden die Bilder (re-)produziert. Weil alle Mitglieder als gleichwertig gelten, unterscheidet sich die Praxis der Geschäftsstelle, also des administrativen Personals, nicht von den anderen Akteuren. Ein weiterer Aspekt, der in ihrer Selbstdarstellung zum Ausdruck kommt, betrifft Mechanismen des künstlerischen Feldes. Spricht sie über die Vermittlung von Kunst, wird sie einerseits dem gerade besprochenen Vereinsanspruch gerecht, die Sichtweisen aller Rezipienten und Rezipientinnen gleichwertig nebeneinander stehen zu lassen. Andererseits erklärt sie, es bedürfe bestimmten Wissens über den Werdegang der K.ünstler/-innen, um ein Werk verstehen zu können und sie müsse sich mit anderen Akteuren des Feldes darüber austauschen, welche künstlerischen Arbeiten als gut empfunden werden. Dies entspricht nicht nur der Idee von Kunst als Auseinandersetzung, die ich nun erläutern werde, sondern zeigt auch, dass innerhalb des Feldes über Kriterien guter Kunst verhandelt wird.

Kunst als Auseinandersetzung In den Anfängen der Kunstvereinsgründung- Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhundertswollten viele an Kunst partizipieren. Sie wollten selber sammeln, wollten Kunst kaufen und wollten das nicht nur Kirchenleuten oder Adelsleuten überlassen. Das hatte einen sehr emanzipativen Charakter - eigentlich. Und gerade im 19. Jahrhundert im damaligen deutschen preußischen Staat war das sehr stark ausgeprägt. Da haben sich zum Beispiel sehr viele Künstler für ihre eigenen Interessen engagiert. Ich bin der Meinung, dass diese lange Tradition von Kunstvereinen, in der sich viele Menschen über Kunst auseinandergesetzt haben, dass das auch unser gesellschaftliches Verhalten geprägt hat. Wir Deutschen sind es irgendwie gewohnt, anders mit Kunst umzugehen als in anderen Ländern. (Viola Brenner, E6: 11 )

Diese Geschichte der Kunstvereine bewirke, dass dort »Kunst als Verhandlungsraum« begriffen werden könne. Als Reaktion auf die Ausstellungen in ihrem Kunstverein wünscht sich Viola Brenner, dass diese »nicht einfach als toll empfunden werden«. Vielmehr wolle sie eine »widerstreitende Auseinandersetzung um Positionen« auslösen. Die Besucherl-innen sollten darüber diskutieren, ob eine Ausstellung einen »angemessenen Umgang mit einem Thema« gefunden habe und wie sie einzelne Werke verstehen. Jeder hat völlig unterschiedliche Vorstellungen von Kunst. Das finde ich auch völlig in Ordnung. Das ist ja gerade der Sinn der Sache, sich dann über unterschiedliche Meinungen auszutauschen. Also, wir stecken ja eigentlich in so einem sehr vielschichtigen Prozess der stän-

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digen Hinterfragung, der ständigen Neupositionierung, der ständigen Suche nach Visionen und Utopien. Und da dieser Prozess in allererster Linie von Menschen geprägt ist, ist er logischerweise auch nicht hundertprozentig konfliktfrei. (Viola Brenner, E6: 8) Diese Auseinandersetzung brauche die zeitgenössische Kunst, denn nur so unterscheide sie sich von einem Produkt. Mit Galeristen und Galeristinnen könne sie sich nicht auseinandersetzen. Sie könne nur fragen, warum sie welche Künstlerl-innen förderten. Wie diese auf dem Markt platziert werden, sei allerdings nicht nachvollziehbar und »völlig außer Kontrolle«. Weil dem Kunstmarkt diese Auseinandersetzung fehle, w ürden die Werke zu bloßen Produkten degradiert. Sie würden produziert, verkauft und dann von der >>Bildfläche verschwinden«. In Kunstvereinen seien Künstlerl-innen von »pragmatischen« Überlegungen und »Sachzwängen« befreit. Dort könne auch j ene Kunst gezeigt werden, deren lnteressentenkreis noch klein ist. Nur diese »offenen und experimentellen Räume« ermöglichten >>Unorthodoxes, wertfreies Denken, Spielen und Handeln«. Die dadurch in Gang gesetzten Erkenntnisprozesse würden »wesentliche Anstöße für gesellschaftliche Weiterentwicklung« geben. So könne Kunst die Gesellschaft »weiterbringen«, wenn diese »selbst festgefahren« sei. Eine Gesellschaft sollte »ihre Künstler hegen und pflegen«. Während sich Wirtschaftsunternehmen oft »ganz schnell für andere Standorte« entscheiden, seien Arbeitsplätze im Kunst- und Kulturbereich »langfristig und nachhaltig«. Was wirklich strukturell und atmosphärisch Städten und auch Regionen hilft, ist, wenn sie ihre Menschen zu kreativer Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt befähigen. In der Form als sie anfangen relativ selbstbewusst mit ihren eigenen Problemen umzugehen und nicht darauf warten, dass von irgendwoher eine Lösung kommt. (Viola Brenner, E6: 14) Viola Brenner ist »überzeugt«, dass in der Politik zukünftig eine »Umorientierung« und ein »Umwälzungsprozess« passieren würden. Dies zeige die Entwicklung der »Creative Industries«, die die »gesamte Produktivität auf künstleri sche und kulturelle Prozesse« verlagere. Ihres Erachtens sei dies der »einzige Weg«, um Menschen »Lebenshoffnung« zu geben, »weil, sonst wäre ja alles nur noch demotiviert und frustriert«. Viola Brenner klärt uns auf, dass es verschiedene Auffassungen darüber gebe, was Kunst sei. Die Vorstellung, die sie und ihr Verein vertreten, sei auf eine spezifi sche deutsche Geschichte zurückzuflihren. Weil es in Deutschland Kunstvereine gibt, unterscheide sich das Kunstverständnis der deutschen Bevölkerung von j enem in anderen Staaten. Diese Diskrepanz veranschaulicht sie im Vergleich zur Kunst, die vermarktet wird. Kunst verkomme dann zum Produkt, wenn sie nur einzelnen Käuferl-innen und dessen ästhetischen Präferenzen diene. Nach ihrer Auffassung spricht ein Werk nicht aus sich selbst und es gibt auch nicht eine richtige Interpreta-

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tion. Vielmehr entstehe ein Kunstwerk erst in der Kommunikation, in der Auseinandersetzung, die dmüber geführt wird. Ein Werk, das im Wohnzimmer eines Privathauses verschwindet, habe keine Bedeutung mehr. Kunst werde in ihrer Rezeption lebendig. Je umfassender und vielseitiger ihre Besprechung, desto interessanter und langlebiger sei die Kunst. Die Kunst sei nicht das, was Künstlerl-innen mate•ialisieren, sondern welche »Utopien und Visionen« sie vermitteln, oder welche in der Konfrontation mit dem Publikum entstehen. Ferner schreibt sie der Kunst zu, auf die Gesellschaft positiv einwirken zu können. Diesem Anspruch könne die Kunst nur gerecht werden, wenn alle Menschen aktiv an diesem Prozess der Auseinandersetzung teilhaben, wenn die Kunst Teil der Gesellschaft und nicht in einem »autonomen Feld« verhandelt werde, in dem nur kunstimmanente Fragen gestellt werden. Darin spiegelt sich der oben beschriebene Gleichheitsanspruch. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum sich Viola Brenner gegen den Kunstmarkt aber nicht gegen die »Creative Industries« wendet. Zunächst können ihre Aussagen den Anschein erwecken, als würde diese Kunstauffassung jegliches ökonomische Kalkül ablehnen und sich darauf berufen, dass sich der Staat in der Pflicht sehen müsse, Kunst zu fördern. Steht der Kunstmarkt für individualistisches Profitstreben, wird den »Creative Industries« zugeschrieben, dass sie alle Menschen befahigen könne, ihre kreativen Potentiale freizusetzen. Darin wird ein Lösungsweg für die wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit gesehen. Die Förderung möglichst vieler verschiedener kreativer Potentiale scheint kompatibel mit der Idee der Freisetzung emanzipatorischer Energien. Die dabei entstehende Kunst diene nicht einem Einzelnen sondern der Gesellschaft, auf die sie positiv einzuwirken im Stande ist.

RUBEN DIETRICH: DER KUNSTRAUMLEITER Ruben Dietrich ist Mitte 40 und lebte in einem westeuropäischen Land, bevor er als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Deutschland kam. Seit acht Jahren leitet er einen städtischen Kunstraum in Berlin. Auf der Website der Institution fand ich Ruben Dietrichs E-Mail-Adresse, an die ich meine Anfrage sendete. Als Antwort schlug er mir einen Termin vor, den ich dankend annahm. Der Kunstraum liegt in einem großen Gebäudekomplex, der auch andere städtische Einrichtungen beherbergt. Als ich das Gebäude betrat, saß neben dem Eingang ein Portier in einer Loge. Ich folgte den Wegweisern, die mich durch lange Gänge führten, bis ich schließlich hinter einer Glastür einen weiteren Mann sitzen sah. Auf dem Tresen lagen Broschüren und Ausstellungskataloge. Ich fragte den Mann, wo ich Ruben Dietrich finden könne. Er wollte wissen, ob ich einen Termin hätte und zeigte dann auf eine unscheinbare Tür ohne Namensschild. Als ich eintrat, saß Ruhen Dietrich mit zwei Frauen an einem Tisch. Er stand auf,

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kam auf mich zu, schüttelte mir die Hand und bat mich, fünf Minuten vor der Tür zu warten. In der Zwischenzeit sah ich mir die an den Wänden hängenden Fotografien und Grafiken an. Auf Podesten in der Raummitte waren weitere künstlerische Arbeiten platziert. In einer Ecke des Raumes konnte man sich an einem Computer über die Ausstellung informieren. Nach zehn Minuten bat mich Ruhen Dietrich in sein ungefähr 20 Quadratmeter großes Zimmer. An der Wand gegenüber der Tür befanden sich zwei hohe Doppelglasfenster. Alle Wandflächen waren mit deckenhohen Metallregalen verstellt, in denen Bücher, Zeitschriftenordner, ungeordnete Zettel und Gegenstände lagen. Ein großer Schreibtisch vor dem Fenster und ein kleiner Tisch mit vier Stühlen neben der Tür füllten das Zimmer. Er räumte die alten Gläser weg und bot mir Mineralwasser an. Als Ruhen Dietrich sich neben mich setzte, konzentrierte er sich sogleich auf meine Fragen. Während des Gespräches wurden wir nicht gestört. Nach einer Stunde signalisierte er mir, dass er nicht länger Zeit habe. Dennoch war es ihm ein Anliegen, mir noch Namen von Künstlerl-innen zu nennen, die ich interviewen könnte. Er verabschiedete sich sehr freundlich und wünschte mir viel Glück mit meiner Arbeit. Ruben Dietrich wuchs zweisprachig auf. Die ersten 15 Jahre seines Lebens lebte er im westeuropäischen Herkunftsland seines Vaters. Als Neunjähriger verbrachte er mit seinen Eltern ein Jahr in den Vereinigten Staaten. Später zog die Familie nach Deutschland, dem Geburtsland seiner Mutter, wo er an einer zweisprachigen Schule sein Abitur machte. In der gleichen hessischen Stadt begann er ein Studium der Soziologie, Politik, Volkswirtschaftslehre und Psychologie. Während seiner Studienzeit engagierte er sich in der Studierendenvertretung und in einem Kulturzentrum. Den letzten Studienabschnitt absolvierte er an einer Berliner Universität. Danach erhielt er von einer Berliner Kunsthochschule einen Werkvertrag für die Organisation einer Tagung. Dort knüpfte er Kontakte zum Kunstraum, in dem er kurz darauf eine Stelle als Geschäftsführer annahm. Zehn Jahre später wurde er dessen Leiter. Seit Mitte der 1990er Jahre kuratiert er Ausstellungen im Kunstraum, einem Kunstverein, in dem er Mitglied ist, und weiteren städtischen Einrichtungen. In den letzten Jahren bietet er zusätzlich Seminare zur Kunstvermittlung in anerkannten Institutionen an. Das Selbst im Einsatz für eine bessere Welt Ich bin Doppelstaatler. Das ist für mich persönlich wichtig. Auch wenn ich Teil einer europäischen Mittelschicht bin und mich nicht mit einem Migrant vergleichen kann, aber trotzdem macht man in den jeweiligen Ländern Erfahrungen von kultureller Fremdheit oder man reibt sich an kulturellen Prozessen und das seit frühester Kindheit. Also dieses Kulturell-sich-adaptieren-Müssen war schon prägend für mich. (Ruben Dietrich, E17: I)

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Aus dieser Erfahrung sei sein früher »Wunsch, sich politisch zu involvieren« entstanden. Mit diesem Ziel vor Augen habe er auch seine Studienfächer gewählt. Mit seinem Engagement in der Studierendenvertretung wollte er die »Aktivitäten von Studierenden befördern und bestärken«. Anstatt das zur Verfügung stehende Geld für Sommerfeste auszugeben, habe er sich eingesetzt »nachhaltige Projekte« zu finanzieren. Eines dieser Projekte war ein >>soziokulturelles Zentrum«, das schließlich auch aus dem Kulturhaushalt der Stadt unterstützt wurde. Er und seine Mitstreiterl-innen hätten die »Politik davon überzeugt«, dass die Förderung »freier Kulturgruppen« für die Entwicklung einer Stadt wichtig sei. Da sein Engagement im »Kulturzentrum« seinen erfolgreichen Studienabschluss bedrohte, entschied er sich nach Berlin zu gehen. Dort wollte er sein »theoretisches Fundament« stärken. Die Auseinandersetzung mit soziologischen Lmd politologischen Theorien hätten ihn erst zur Erkenntnis gebracht, dass die Felder der kulturellen und politischen Hegemonie die Felder sind, in denen es interessant ist zu wirken, weil man darüber gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen und mitschreiben kann. (Ruben Dietrich, E 17: I)

Seine in Berlin verfasste theoretische Abschlussarbeit habe ihm »Spaß gemacht«, dennoch liege ihm der »Praxisbezug in der Kulturarbeit« mehr. Er wolle »Projekte umsetzen und ermöglichen« und »mit Menschen zusammen auf ein Ergebnis hinarbeiten«. Sein Vorhaben zu promovieren sei bald in Vergessenheit geraten, nachdem er die Stelle im Kunstraum angenommen hatte. Ruhen Dietrich bezeichnet den Kunstraum als eine der >>ärmsten Institutionen Berlins«. Da er sich keine Angestellten leisten könne, entscheide er alleine über das Ausstellungsprogramm. Den »politisch Zuständigen« müsse er dieses jährlich schriftlich vorlegen. Es sei allerdings noch nie versucht worden, auf ihn Einfluss zu nehmen. Dies nenne er »die Freiheit der Armut«, denn wer ihm zu wenig Mittel zur Verfügung stelle, könne auch keine Ansprüche stellen. Der Etat reiche nicht, um alle Ausstellungen zu finanzieren, weshalb bei anderen öffentlichen Kulturfördereinrichtungen Geld eingeworben werden müsse. Jedes Jahresprogramm sei ein »Balanceakt«, denn er wisse nie, welches Projekt finanziert werde. Um möglichst flexibel zu sein, plane er immer mehrere Ausstellungen parallel. Er stehe in der ambivalenten Situation, einerseits durch die geringen Mittel »frei« in seinen Entscheidungen zu sein, und andererseits frage er sich oft: Was wäre, wenn ich meine Arbeitsprinzipien auf andere Strukturen übertragen würde, in denen ich mehr Mittel und Möglichkeiten hätte? Würde es überhaupt funktionieren? Oder bin ich mein Leben lang >verdonnert< den Kunstraum zu leiten, weil das der einzige Ort ist, an dem ich so arbeiten kann? Eine Antwort habe ich nicht. (Ruben Dietrich, E 17: 17)

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Obwohl der Kunstraum faktisch nur aus seiner Person bestehe, sei sein Arbeitsstil »kooperativ«. Neben »freien Mitarbeiterl-innen«, die flir den Ausstellungsaufbau und die Aufsicht zuständig seien, arbeite er eng mit wechselnden Kuratoren und Kuratorinnen, Künstlerl-innen und anderen Institutionen zusammen. Der Kunstraum trage zwar seine »Handschrift«, seine Rolle definiere er aber anders: Ich würde meine Rolle nicht als Kurator, sondern als Dramaturg bezeichnen. Ich bin eher ein Mensch, der zusammen mit Künstlern weiterrecherchiert, weiterhilft, weiterschaut, wie man Sachen umsetzt. Und der nicht alles selber machen muss. (Ruhen Dietrich, E1 7: 6)

Im Umgang mit Menschen habe er folgende zwei Leitsätze: »Jede Person, die sich mit mir treffen will, bekommt einen Termin.« und »Jeden Menschen trifft man zweimal im Leben.« Eines seiner »erfolgreichsten Projekte« sei aus einer zufalligen Begegnung mit einem Kurator entstanden, mit dem er einige Jahre zuvor zusammengearbeitet hatte. Er werte es als wichtige Erfahrung, dass erst das zweite Aufeinandertreffen zu einer intensiven Kooperation führte, die mittlerweile sechs Jahre andauere. Wohingegen er die Arbeit des Kurators beim ersten Mal bloß »okay« fand, habe dieser in der Zwischenzeit »viel anderorts gelernt und gemacht«. Sein Ziel sei, mit möglichst vielen Künstlerl-innen und Kuratoren und Kuratorinnen im Kontakt zu bleiben. Deshalb pflege er auch bei Abendveranstaltungen und in der Freizeit einen »kommunikativen und vernetzten Stil«. Auch wenn er nicht mit jeder Person unmittelbar ein Ausstellungsprojekt umsetzen könne, behalte er sie doch »im Bewusstsein«. Auf diesem Wege habe er sich eine »enorme Basis an Leuten« geschaffen, mit denen er kooperieren könne. Durch seinen »offenen Stil« gebe es im Kunstraum sowohl »theoretische bzw. diskursive« als auch »weniger verkopfte« Ausstellungen. Mit seinem Ausstellungsprogramm wolle er stets »Neugierde« wecken und einen »Raum schaffen, der nicht eindeutig« sei. Er wolle erreichen, dass Menschen durch die Auseinandersetzung mit Kunst »visuelle Kompetenzen erwerben und trainieren«. Denn die visuellen und intellektuellen Fähigkeiten seien immer mehr medial beeinflusst, weshalb viele nur mehr in »Pawlow' scher Manier auf bestimmte Symbole reagieren« würden, ohne »Irritationen« und neue Sichtweisen zuzulassen. Auch jenen, die normalerweise keine Kunstausstellung besuchten, wolle er den Zugang zur Kultur ermöglichen. Jeder Mensch solle »auf seinem Level« etwas mitnehmen und sich »mit seinem Blick« Anregungen holen. Andere, die nicht in die Ausstellungen kämen, versuche er über »Programme« einzubinden. Zum Beispiel arbeite er mit Jugendlichen, deren »Label-Orientierung« aufbrechen würde, sobald sie »kreativ« tätig seien und »über die Kunst eine andere Wertschätzung« erfuhren. Die Funktion des Kunstraums sehe er folgendermaßen:

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Die Kunst muss sich mehr öffuen, aber gleichzeitig in der Vermittlung spezifischer sein. In diesem Wechselspiel müssen sich die Projekte verhalten. Sie müssen eine Orientierung haben in der Vermittlung, müssen eine lokale Anhindung haben, die ich nicht als eine geografische Anhindung sondern eher als eine thematische Anhindung an das Lokale sehe. Platt gesagt: Global denken, lokal handeln! Also schauen, wie man bestimmte Themen, die wichtig sind, dass man die dann auch hier verhandelt. (Ruhen Dietrich, E17: 5)

Wie in den skizzierten Aussagen deutlich wird, reflektiert Ruhen Dietrich die Diskrepanz zwischen dem Anspruch an sich selbst und der »Position« des Kunstraums im künstlerischen Feld. Aus Ruhen Dietrichs Sicht bedingte seine Sozialisation, dass er sich bereits als Jugendlicher wünschte auf die Gesellschaft positiv einzuwirken. Seine Erfahrungen machten ihn empfanglieh für die Probleme von Bevölkenmgsgruppen, die nicht der »europäischen Mittelschicht« oder Oberschicht angehören. Bereits als Kind habe er soziale Ungleichheit und »kulturelle Fremdheit« erfahren. Indem er das eigene Engagement als Teil seiner Persönlichkeit konstruiert, hebt er sich von jenen ab, die, wie er selbst sagt, diesen Anspruch »einfach formulieren«, ohne ihn tatsächlich umzusetzen. Er wolle die Gesellschaft wirklich verändern, prägen, mitschreiben. Diesem Ziel scheint eine Vorstellung zugrunde zu liegen, wie die Gesellschaft aussehen sollte. Dreh- und Angelpunkt dabei ist der Begriff Pluralität. An dieser Stelle ist aber weniger relevant, wie sein Idealbild einer Gesellschaft tatsächlich aussieht. Wichtig ist, dass seiner Meinung nach mittels der Kunst die Gesellschaft an dieses Ideal angenähert werden kann. Bereits als Student überzeugte er die politisch Verantwortlichen, dass der Kunst- zum Beispiel in der Stadtplanung - ein höherer Stellenwert eingeräumt werden sollte. Ruben Dietrich wählte den Kunst- und Kulturbereich als sein Wirkungsfeld, weil er darin die größten Potentiale für sich sah, zur Verbesserung der Welt beizutragen. Er versteht sich als engagierter Teil eines gemeinsamen »Kampfes« gegen jene Kräfte, die die Gesellschaft vom Ideal wegführen. Sein Beitrag besteht darin, Kunst zu fördern, die jene bessere Welt zu verwirklichen hilft. Seine Offenheit gegenüber jedem Akteur des Feldes drückt auch aus, dass er möglichst viele künstlerische Potentiale freisetzen möchte. Allerdings prüft er die Arbeiten der Künstlerl-innen und auch Kuratoren und Kuratorinnen dahingehend, ob sie seinem Anspruch genügen. Seiner Meinung nach müssen sowohl die Kunstwerke als auch die Ausstellungskonzepte den Besucherl-innen Denkanstöße geben und neue Sichtweisen eröffnen. Die Projekte müssen sozial engagieti sein, sich den Problemen benachteiligter Bevölkerungsgruppen annehmen und diese aktiv mit einbeziehen. Erfüllen die Künstlerl-innen und Kuratoren und Kuratorinnen diesen Anspruch, betrachtet er sie als Quelle von Ideen, die der Schlüssel zur besseren Gesellschaft sind. Als deren »Dramaturg« möchte er zur Verwirklichung ihrer Visionen und zur optimalen Entwicklung ihrer Potentiale beitragen. In seinem Kunstraum können sie ihre Ideen zur Entfaltung bringen.

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Kunst für eine bessere Welt Öffentliche Institutionen müssen danach streben unterschiedliche Öffentlichkeiten zu erreichen. Es ist einfach zu sagen, wir wollen Teilhabe ermöglichen, wir wollen Menschen, die keinen Zugang zur Kultur haben, Zugänge ermöglichen, wir wollen Kultur fur alle machen. Das ist in der Konsequenz zu einfach formuliert und in der Weise auch wirkungslos. Es geht darum, mit jedem Projekt das von neuem intelligent umzusetzen und zwar in Abgrenzung zu - ich nenne es - einer Kartografie der kulturellen Institution und kulturellen Rollenträgem, die es gibt. (Ruhen Dietrich, E17: 4)

Die Funktion des Kunstraums ergebe sich in Abgrenzung zu den Aufgaben »anderer Institutionen und Akteure im kulturellen Feld«. Dafür müsse das »Netzwerk« analysiert werden, das zeige, »wer mit wem und wie kann«. Der Kunstraum könne nicht den Anspruch erheben, eine Ausstellung zum Thema »Die Zeichnung im 21. Jahrhundert« umzusetzen, genauso wenig wie er die Funktion einer privaten Galerie oder eines von Künstlerl-innen organisierten Projektraums übernehmen könne. Im Kunstraum wolle er sich der Themen annehmen, die in anderen Institutionen keinen Platz fanden, die aber dennoch »kulturpolitisch und künstlerisch wichtig« seien. Vor allem in Abgrenzung zur »Hysterie des Kunstmarktes« müsste in öffentlichen Einrichtungen jene Kunst gefördert werden, die »philosophische Werte« freisetze. Wenn der »historische, phänomenologische und inhaltliche Wert von Kunst in der Gesellschaft« nicht geschützt werde, bewegten wir uns auf eine »andere Gesellschaft« zu. Eine zu bewahrende »Funktion von Kunst« sei, den Menschen gesellschaftliche Anerkennung zu geben und ihnen eine Öffentlichkeit zu schaffen, die sie sonst nicht hätten. Er sehe es als »Privileg unserer Gesellschaft« an, Kunst in einem nicht ökonomischen Kontext betreiben zu können. Die Politik müsse sich wieder in der Pflicht sehen, diese Kunst zu fördern und die Kluft zwischen einem Bruchteil an »reichen« und einer Masse an in »prekären Verhältnissen lebenden« Künstlerl-innen zu verringern. Als Leiter eines städtischen Kunstraums sehe er sich in der Verantwortung, den »Kampf gegen hegemoniale Strukturen« zu fuhren und hoffe, dass er diesen nicht verliere: Sehr wenige Politiker haben wirklich ein Bewusstsein dafür, was der Unterschied ist zw ischen einem Raum, der Ambivalenzen und Auseinandersetzungen schärft und ermöglicht, und was das überhaupt ist und einem Raum, in dem etwas an der Wand hängt, was auch Kunst ist. Das zu erklären, warum ist das eine so und das andere so, das sind Welten! Diese Überzeugungsarbeit ist sehr, sehr schwer, weil wir leben in einer Gesellschaft, in der die visuellen und intellektuellen Fähigkeiten überhaupt nicht ausgebildet sind. Was sieht man und was versteht man und was begreift man im Verstehen? Also was man fur sich mit nimmt und was man damit macht. Das ist ja das Schöne an der Kunst, dass man sich eine Anregung holt,

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um sich Welt anzueignen. Aber viele Menschen wollen sich gar keine Welt aneignen. Viele Menschen und auch Politiker leben in einer Weitsicht, die auf sich bezogen ist, also in geschlossenen Systemen. Wenn das weiter zunimmt, sind solche Orte wie dieser gefahrdet. (Ruben Dietrich, E 17: 25)

In seiner »Kartografie der kulturellen Institutionen« schreibt Ruben Dietrich dem Kunstraum die Funktion zu, emanzipatorische und zivilisatorische Kunst zu fördern. Ein Museum beschäftige sich mit den großen Fragen der Kunstgeschichte, eine Galerie verfolge kommerzielle Ziele und ein Projektraum richte sich nach den Interessen der Künstler/-innen. Ein öffentlich geförderter Kunstraum hingegen könne sich den Themen und Menschen zuwenden, die fern der im Kunstfeld verhandelten Fragen stehen. Deshalb sei dies der Ort, an dem gesellschaftliche Veränderungen initiiert und erprobt werden. Darin präzisiert sich die herausragende Rolle, die für ihn Kunst auf dem Weg zu seinem Gesellschaftsideal spielt. Nur wenn der Wert der Kunst für die Gesellschaft erkannt werde, sei sein Ideal zu verwirklichen. Denn Kunst vermittle jene Werte, die Basis der von ihm angestrebten Gesellschaft sind. Die Kunst bilde die Menschen, eröffne ihnen neue Sichtweisen, erziehe sie zu weltoffenen und mündigen Bürger/-innen. Sie sei in der Lage, Menschen unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe zu ermöglichen. Deshalb könne sie zur Gestaltung einer pluralen Gesellschaft beitragen. Ruben Dietrich sieht es als Aufgabe des Staates an, jene Institutionen zu fördern, die sich die Verbesserung der Welt zur Aufgabe gemacht haben. Die finanzielle Lage des Kunstraums ist flir ihn ein anschauliches Beispiel daflir, dass der Staat den Wert der Kunst missachte. Er fuhrt es auf die Dominanz ökonomischer Werte zurück, dass die Notwendigkeit staatlicher Kunstförderung aus dem Blick geraten sei. Er »kämpft« dafür, dass die politischen Akteure wieder erkennen, dass die Förderung dieser Kunst gesellschaftliche Probleme lösen könne. Auch Ruben Dietrich sieht in der Kreativwirtschaft einen neuen Weg, den Stellenwert der Kunst in der Gesellschaft zu stärken. Er erklärt, dass sich Deutschland zukünftig »zunehmend spezialisieren, auf Kreativität setzen und die Wechselbeziehung zwischen den Wissenschaften und den Künstlern fördern« müsse, um »ökonomischen Gewinn freizusetzen«. Obwohl seiner Meinung nach Welt verbessernde Kunst nur fern ökonomischen Kalküls - und deshalb fern des Kunstmarktes - entstehen kann, schreibt er dennoch der Kunst das Potential zu, das ökonomische System in eine positivere Richtung zu lenken. Seine Vorstellung von einer besseren Welt sprengt also nicht die kapitalistische Gesellschaftsordnung.

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KARIN ÄPPL: DIE MALERIN UND IHR GEIST Karin Appl ist Anfang 40 und wuchs in Westberlin auf. Seit über zehn Jahren lebt sie als freischaffende Malerin. In ihrem eigenen Atelier arbeitet sie täglich an großformatigen Gemälden. Sie wird von Galerien in Süddeutschland und in der Schweiz vertreten und verkauft manchmal privat Werke. Ich lernte Karin Appl in einem Kurs für zeitgenössischen Tanz kennen. Sie gab mir ihre Visitenkarte und empfahl mir, zunächst ihre Website zu studieren und mich danach bei ihr zu melden. Alles Weitere vereinbarten wir per E-Mail. Wir trafen uns abends in ihrem Atelier. Sie kam gehetzt kurz nach mir an und erklärte mir entschuldigend, ihr Mann sei krank, weshalb sie heute noch gar nicht hier gewesen sei. Ihr Atelier lag im ersten Stockwerk eines renovierten Altbaus. Das Haus wirkte wie ein Wohnhaus, obwohl mir Karirr Appl erklärte, es handle sich um ein Atelierhaus. Ihr Atelier hatte eine provisorisch eingerichtete Kochecke und ein Bad. Sonst bestand es aus einem großen, nicht sehr hellen Raum mit weißen Wänden und einem schwarzen Boden, der mit weißen und grauen Farbstreifen und Klecksen durchzogen war. In einer Ecke stand ein Schreibtisch, darauf ein Laptop, ein Farbdrucker, Schreib- und Schneideutensilien. In einer anderen Ecke waren in einem großen Holzgestell zahlreiche Bilder gelagert. Als sie Kaffee zubereitete und mir ein Glas mit Mineralwasser füllte, erzählte mir Karirr Appl, dass die Lagerung der Bilder das größte Problem sei. Sie könne nicht alle Bilder hier lagern. Zu Hause würde ihr Mann noch immer im Lagerraum schlafen. Das Atelier habe sie seit drei Jahren. Zuvor habe sie - wie ihr Mann, der Komponist sei - zu Hause gearbeitet. Ihr Mann sei Fußballfan und als damals »irgendeine EM oder WM« gewesen sei, hätte er alle Spiele verfolgt und nebenbei komponiert. Das sei ihr einfach zu laut gewesen und deshalb habe sie beschlossen, sich ein Atelier zu mieten. Karirr Appl betont, sie arbeite täglich von nachmittags bis spät nachts im Atelier. Karin Appl begann nach dem Abitur an einer Fachhochschule Design zu studieren. Mit dem erfolgreichen Abschluss in der Tasche bewarb sie sich an einer Kunsthochschule, wo sie ein weiteres Studium in Design absolvierte. Seit dem Ende ihrer Studienjahre lebt sie als freischaffende Künstlerin. Sie produziert vorrangig Malereien und wurde zehn Jahre lang von einer Berliner Galerie vertreten. Am Beginn finanzierte sie sich, neben dem Verkauf ihrer Werke, über Auftragsarbeiten an Theatern. Mit Ende 30 stieg sie für zwei Jahre aus dem Kunstgeschehen aus, um ihre Mutter zu pflegen. Nach dem Wiedereinstieg gelang es ihr nicht, erneut eine Berliner Galerie zu finden. Heute wird sie von einer Galerie in Süddeutschland und einer Galerie in der Schweiz vertreten. Karirr Appl lebt wieder als freischaffende Künstlerin und kann seit einigen Jahren ihren Lebensunterhalt ausschließlich über den Verkauf ihrer Werke finanzieren. Eine Erbschaft ermöglichte ihr überdies, eine Ausbildung zur Osteopathin zu beginnen.

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Das geistig schaffende Selbst Karin Appl erklärte mir, Kunst sei eine »Sprache«, die man »als Talent« mitbekäme und die »sich irgendwie ausdrücken« müsse. Sie haben eine angeborene Veranlagung zur Malerin, wie sie in folgender Interviewpassage präzisiert: Malerei ist in großen Stücken Autotherapie. Und das hat sich bei mir gefugt. Da traf die bildnerische Sprache auf den Irrsinn. Also ich glaube, dass es eine gewisse Zwanghaftigkeit braucht. Ich wirke jetzt nicht so, aber heute aus der Entfernung würde ich sagen, dass ich als Kind grenzwertig autistisch war. Und diesen Teil brauchst du, wenn du malst, diese Versenkung. (Karin Appl, K1: 19)

Am Rande des Interviews erzählte mir Karirr Appl, ihre Mutter sei eine berühmte Tänzerin gewesen. Bereits als kleines Kind habe sie Ballettunterricht beim Tanzlehrer ihrer Mutter genommen. Sie interessiere sich eigentlich schon immer für bildende Kunst, Musik und Theater. Nach dem Abitur bewarb sie sich zweimal für den Studiengang Malerei an einer Akademie. Beide Male wurde sie nicht aufgenommen. Karirr Appl erklärt, warum es nicht klappte: Das Prozedere an den Hochschulen - also früher war es so, dass ich nach der Schule nicht angenommen wurde, weil es hieß: >Na, überleben Sie erst mal eine Weile>Hochschuldebakel« gewesen, erklärte sie mir. Die Akademie hätte um ihren »Status gefürchtet«, wenn sie ein »gemaltes Diplom« duldeten. Weil der damalige De-

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kan sich für sie einsetzte, erhielt Karin Appl dennoch ihr Designdiplom. Nach ihrem Studium bis zum Zeitpunkt des Interviews war Karin Appl als Selbstständige tätig. Obwohl sie heute von einer »deutschen Topgalerie« und einer »guten« Galerie in der Schweiz vertreten werde, sei die Akquise von Galerien, neben dem Produzieren neuer Werke, eine ihrer p1imären Tätigkeiten. Ihre Ausbildung zur Osteopathin begründete sie damit, dass sie schließlich nicht wisse, wie lange sie als Künstlerin überleben könne. Karin Appl versteht sich als Malerin, obwohl sie letztendlich im Studiengang Malerei weder die Aufnahmeprüfung geschafft noch je einen Abschluss gemacht hat. Das Scheitern beim ersten Anlauf an der Akademie, der Umweg über das Designstudium, ihre Auftragsarbeiten im Theaterbereich oder der schwierige Wiedereinstieg nach dem Tod ihrer Mutter konnten ihrem Selbstverständnis als Malerin und freischaffende Künstlerin nichts anhaben. Während ihres Studiums und ihrer Auftragsarbeiten sah sie sich nicht als Designerirr oder Bühnenbildnerin. Malerei und autonomes Arbeiten war Karirr Appls oberstes Ziel. Und bereits nach dem Abitur wusste sie, wolle sie als freischaffende Künstlerin leben, müsse sie an einer Akademie studieren. Ihre Erzählung über das »Hochschuldebakel«, als sie mit einer Malerei ihr Designdiplom erlangen wollte, führt uns die hierarchische Struktur des Feldes vor Augen. Studiengänge in gestaltender Kunst schließen mit einem Diplom ab. Bildende Kunst, die sogenannten freien Künste, hingegen mit einem Magister Artium. Die Akademie fürchtete also um ihren Status, weiche sie die Trennung zwischen bildender und gestaltender Kunst auf. In den 1970er Jahren unterteilte Bourdieu das Feld der kulturellen Produktion in drei Sphären ( vgl. 1970: 109). Obwohl seitdem Sparten- so zum Beispiel die Fotografie (vgl. Kastner 2009: 121)in die Sphäre der »legitimen Künste« aufgenommen wurden, blieben- zumindest in Buropa (vgl. Hieber/Moebius 2009)- klassische Musik, Malerei, Bildhauerei, Literatur und Theater doch in ihrem Legitimitätsstatus unangetastet. Gestaltende oder angewandte Kunst wird bis heute in eigenen Museen ausgestellt und relativ unabhängig von den freien Künsten verhandelt und produziert. Karin Appl reproduziert die im Feld wirkenden Differenzierungen und sieht sich - und bereits ihre primäre Sozialisation legte das Fundament dafür- der Sphäre der »legitimen Künste« zugehörig. Deshalb waren die angewandten Künste Design und Bühnenbild für sie keine Alternative. Auch das Fachhochschulstudium war nicht mehr als ein Zeitvertreib auf ihrem Weg zur Malerin und freischaffenden Künstlerin. Auf ihrer aktuellen Website führt Frau Appl zum Beispiel ausschließlich ihr Akademiestudium an. In ihren Erzählungen tauchen Design und Bühnenbild nur als Aspekte ihrer malerischen Arbeiten auf. Dass sie zunächst gar nicht und dann nur über den Studiengang Design den Sprung an die Akademie schaffte, ließ sie nicht an ihren Fähigkeiten in Malerei zweifeln, sondern sie führte dies auf die ungerechten Strukturen des Aufnahmeverfahrens zurück, die sie schließlich durch ihr strategisches Vorgehen unterlief. Karin Appl wuchs in einer Familie auf, in der seit Generationen verschiedene

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»legitimen Künste« praktiziert wurden, mit denen alle wie selbstverständlich lebten. Auch heute noch pendelt sie zwischen Ballett, klassischer Musik und bildender Kunst. Die Einflüsse ihres komponierenden Mannes seien aus ihren Malereien genauso wenig wegzudenken wie die »unbewussten« Prägungen, die ihre regelmäßigen Museumsbesuche hinterließen, erklärte sie mir. Karin Appl glaubt, eine bildnerische Sprachbegabung und ein >natürliches< Wissenschaftsbedürfnis zu haben. Aus ihrer Sicht besitzt sie von Geburt an eine besondere geistige und künstlerische Begabung, die ihren Lebensweg bestimmte. Selbst ihre Ausbildung zur Osteopathin ist ftir Karin Appl nicht nur eine aus finanziellen Nöten entstandene Alternative zur Kunst, sondern auch ein spätes Ausleben ihrer angeborenen Affinität zur Wissenschaft. Was hat es mit diesem Bild einer >natürlichen< Begabung auf sich? In ihrer Studie über das französische Hochschulsystem untersuchten Bourdieu und Passeron bereits in den 1960er Jahren die Illusion, wer begabt genug sei, könne ungeachtet seiner sozialen Herkunft gesellschaftlichen Status erlangen (vgl. 1971). Auch in seinen Studien zur Rezeption von Kunstwerken thematisiert Bourdieu, wie das Bildungssystem soziale Unterschiede in »Ungleichheiten des Erfolges und der Begabung« (1970: 196) umwandelt. Die widernatürliche Idee einer mit der Geburt gegebenen Kultur, einer bestimmten Menschen von der Natur auferlegten Begnadung ist unauflöslich verfilzt mit der Blindheit gegenüber den Funktionen der Institutionen, die die Rentabilität des kulturellen Erbes sichert und dessen Übermittlung legitimie11, indem sie verschleiert, daß sie diese Funktion erfüllt. (Ebd.)

Wie Bourdieu in seinen Studien zeigte, korrelieren bestimmte Dispositionen in besonderem Maße mit dem Lehrplan an Schulen, weshalb Kindern aus Familien mit höherem kulturellem Kapital die Bildungsinhalte vertrauter sind. Was allgemein ftir schulische Leistungen gilt, kann auch bei künstlerischen Talenten hinterfragt werden. Was als >natürliche< Begabung erscheint, resultiert aus der Korrespondenz zwischen einem gebildeten »Habitus« und den in den Institutionen - des künstlerischen Feldes- objektivierten Inhalten. Eine dieser Vorstellungen ist die der »angeborenen, gottähnlichen Fähigkeiten« (Bismarck/Rink 2006: 29) des Künstlers oder der Künstlerin. Bei Karirr Appl wird deutlich, dass es sich nicht um eine bewusst vollzogene Orientierung an einem erfolgversprechenden Konzept handelt. Sie ahmt kein Künstlerbild strategisch nach, sondern sie hat den »Glauben« an ihr angeborenes Talent zu geistiger und künstlerischer Leistung inkorpotiert. In ihrer kulturell gebildeten Familie lernte sie Sicht-, Denk- und Handlungsweisen, die im künstlerischen Feld ihre Entsprechung fanden. Nur weil sich ihr Selbstbild im Feld spiegelte, ihre »innere Erwartung mit dem äußeren Lauf der Welt« (Bourdieu 1997a: 159) übereinstimmte, blieb ihr »Glaube« an ihr >natürliches< Talent unangetastet. Wie sie selbst erzählt, schafften es nur jene an die Akademie, die die Misserfolge einstecken und überdauern (können). Dass dieses gefestigte Selbstbild einen sozialen Hinter-

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grund als Voraussetzung hat, der reich an kulturellem Kapital ist, verschwindet hinter der »naturalisierenden Funktion« des Künstlermythos (Bismarck 2006: 30).

Kunst als geistiger Entwurf Genauso sicher, wie Karirr Appl sich ihres Talents zu wissenschaftlichem Denken ist, genauso wenig zweifelt sie an ihren handwerklichen Fähigkeiten. Dies verlange zwar »ständiges Training«, weil sonst die »Motorik« leide, aber »Bilder produzieren«, das könne sie. Die eigentliche Schwierigkeit liege darin, »kreative Löcher« zu überdauern. Ein regelmäßiger Alltag helfe ihr dabei. Auf meine Nachfrage, was »kreative Löcher« seien, erklärt sie mir, dass für sie »im Inneren eine Entwicklung stattfinden« müsse. Ein »Laie« bekomme das nicht mit. Was fiir sie eine Neuentwick:lung ihrer Werke sei, sähe für ihn aus wie eine Wiederholung. »Meine Sachen sehen nicht so aus, als ob ich wahnsinnig eruptiv aus dem tiefsten Inneren schaffe«, schmunzelt sie. Der Hintergrund ihrer Arbeit sei »eher konzeptuell«. Im Interview erläutert Karin Appl ihr Konzept, indem sie ein Genre und ein Stilelement benennt. Aus Anonymisierungsgründen verwende ich die allgemeinen Begriffe. Bereits seit ihren Jahren an der Akademie gehe es ihr um die »Weiterentwicklung des Genres«. In ihren Arbeiten setze sie sich mit der Frage auseinander, was das Genre heute bedeuten könne. Ein bestimmtes Stilelement dieses Genres liefere den »Denkansatz« für ihre Werke und kehre als Motiv in ihren Arbeiten wieder. Karirr Appl erklärt weiter, dass sie kunsthistorische Studien zu ihrem Genre betreibe. Daraus entwickle sie ihre Variante einer zeitgenössischen Fortführung des Genres. In Bezug auf das wiederkehrende Stilelement versuche sie sich klar zu werden, was dieses flir sie bedeute, wofür es stünde. Es handele sich um eine Allegorie. Indem sie die Bedeutung weiterdenke und konkretisiere, fande sie neue Formen das Stilelement im Werk einzubauen. Für ihre Malerei sei es genauso wichtig, zeitgenössische Entwicklungen zu kennen wie wichtige Werke der Kunstgeschichte »in echt« gesehen zu haben. Sie pilgere oft ins Museum, um bestimmte Werke wiederholt zu studieren. Wie bereits erwähnt, legt Karin Appl auch Wert darauf, sich in anderen »Kunst-Sparten des 21. Jahrhunderts« zu bewegen. Antworten auf die Frage, was das Genre heute sein könne, sei auch das, was sie vermitteln wolle. Würden die Rezipienten und Rezipientinnen ihrer Werke etwas völlig anderes sehen, würde sie sich »falsch ausdrücken«. Da sie die Betrachterl-innen nicht ändern könne, müsse sie sich selbst ändern. Sie müsse dann ihre »Sprache« so ändern, dass das, was sie »senden will, auch genauso beim Empfänger ankommt«. Karin Appl differenziert zwischen dem körperlichen, erlernten und trainierten Handwerk und dem geistigen Prozess, aus dem der Entwurf resultiert. Ist der Entwurf einmal geschafft, sei die Ausführung ein Kinderspiel. Das, worauf es ankommt, ist nicht das handwerkliche Können, denn dieses wird selbstverständlich

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vorausgesetzt, sondern die Entwicklung des Geistes. Im Studium kunsthistorischer Publikationen und in der Konfrontation mit den Kunstwerken in Museen bildet sie ihren Geist fort und generiert daraus neue Ideen. Ihr angeborener Zwang sich ihrer Malerei zu widmen, ist für sie keine bloße handwerkliche Begabung, sondern die Gabe sich geistig zu versenken. Sie versteht sich als geistig schaffende Persönlichkeit. Das Materialisieren des Gedachten wird zur unwichtigen Routine, die genauso gut von jemandem anderen ausgeführt werden könne. Karin Appl versucht, das Kulturgut in seiner Einheit zu begreifen, um alles bisher Gedachte zu überschreiten und weiterzudenken. Sie fügt sich selbst in die Geschichte der Kunst und Kultur ein. Karin Appl versteht alle »legitimen Künste« als ein Ensemble kultureller Güter, zu denen sie sich in Relation setzt. Ohne die geistige Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe wären Karin Appls Werke laienhafte Handwerkskunst Wie sie selbst sagt, könne ein Laie den geistigen Prozess ihrer Arbeiten nicht nachvollziehen. Ihr sei wichtig, dass ihre Intention bei den Betrachterl-innen ankommt. Sie sieht sich zwar selbst in der Verantwortung, wenn diese etwas anderes sehen, dennoch stellt sie ähnlich hohe Ansprüche an die Rezipienten und Rezipientinnen wie der staatliche Museumsleiter Max Corbach. Nur wer in der Kunstgeschichte versiert ist, wird das empfangen können, was sie sendet. Ein Laie sehe nur das Äußerliche, die Farben oder das Dargestellte. Wer ihren geistigen Prozess nachvollziehen möchte, muss einen ähnlichen Wissensstand, eine ähnliche Bildung haben.

Der professionelle Anspruch Das wird einem aufgenötigt: Entweder man lebt davon oder man heiratet und kriegt Kinder und das möglichst wohlsituiert und malt für Freunde und für die Freude. (Karin Appl, Kl: 4)

Karin Appl betonte, dass sie in ihrem Bekanntenkreis die einzige Frau sei, die nicht aufgegeben habe und mit mittlerweile 43 Jahren noch immer ausschließlich von ihrer Kunst lebe. Alle anderen hätten zu Lasten ihrer Karriere Kinder bekommen. Das hätte sie nicht gemacht. Karin Appl witzelte, »obwohl ein normaler deutscher Bundesbürger dafür nicht aufstehen würde«, sei sie mit ihrem Einkommen zufrieden. Wolle man als Künstlerin auch finanziell überleben, müsse man sich mit den »unternehmerischen Aspekten auseinandersetzen«. Schließlich sei man als Künstlerin eine Kleinunternehmerin. Bevor sie nachmittags für »die kreative Arbeit« ins Atelier komme, erledige sie zu Hause die bürokratischen Tätigkeiten. Sie habe zwar einen Steuerberater, aber es bliebe noch genug Organisatorisches über. Vor allem die Akquise von Galerien raube ihr viel Zeit. Es gebe Stoßzeiten, zum Beispiel vor Kunstmessen oder wenn sie an einer Ausstellung in einer Galerie beteiligt sei. Dann müsse sie viel mit ihren Galeristen und Galeristinnen telefonieren, um den Transport ihrer Bilder und Ähnliches abzustimmen und sie müsse den Text für den Kata-

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log schreiben. Konträr zum gängigen Klischee seien Künstler/-innen, die von ihrer Kunst leben, eigentlich »Spießer«. Man könne nicht ständig »Party machen« und nebenher malen. Eigentlich sei die »Malerei ein sehr einsamer Beruf«. Am wichtigsten seien »Konsequenz, Kontinuität und Disziplin«, nicht nur für die Künstler/ -innen selbst, sondern vor allem auch wegen des Marktes. Eine Galerie brauche keine Künstler/-innen, die sagen: »Üch nö, dieses Jahr habe ich keine Lust zu arbeiten, vielleicht nächstes Jahr.« Die Galerie müsse den Markt bedienen und deshalb müsse sie ständig neue Werke produzieren. Schließlich könne man nicht erst, wenn eine Anfrage flir eine Ausstellung oder für Verkäufe käme, Werke produzieren. Das sei sehr zeitaufwändig. Man brauche einen großen Lagerraum mit fertig gestellten Werken. Der Markt sei »schnell«, weshalb selbstständige Künstlerl-innen nicht einfach ein Jahr aussteigen könnten. Die Galeristin müsse ständig mit neuen Werken »geflittert« werden, sonst geriete man in Vergessenheit. Deshalb wäre der Wiedereinstieg nach einer Kinderpause so schwierig. Viele Frauen hätten das »Durchhaltevermögen« nicht. Für sie selbst sei es nach dem Tod ihrer Mutter auch nicht leicht gewesen »wieder reinzukommen«. Aber sie habe einfach so viele Bewerbungen an Galerien geschickt, bis jemand Interesse zeigte. »Das ist pure Statistik, je mehr Kieselsteine man wirft, irgendwann schwappt eine Welle zurück«, erklärt sie. Ein weiteres Problem sei, dass man als Frau »ab 40 keine junge Künstlerin mehr ist«. Galerien würden sich aber »möglichst frische Künstler suchen«, um die Preise selbst »höher ziehen zu können«. Sie hätte bei ihrem Wiedereinstieg bereits »ihren Preis« gehabt, den die Galerien nicht mehr unterschreiten konnten. Außerdem spiele bei Frauen die »Attraktivität eine deutliche Rolle«. Es gehe viel darum, »ob und wie man sich riechen kann«. Für Männer sei es viel leichter im Kunstbetrieb Fuß zu fassen: Wobei die Jungs gehen halt einen saufen, was di e Frauen dann oft nicht machen, mit dem sich anbiedern. Du musst halt Klinken putzen. Und als Mann geht man halt mit dem Galeristen nach der Vernissage einen saufen und rutscht dann immer ein Stühlchen her und das ist fiir eine Frau dann noch nicht so schick, also in den Augen des Galeristen. Wenn es um das echte Geld geht, läuft der Deal unter den Jungs. (Karin Appl, Kl: 19)

Karin Appl zählt weitere »Spielregeln« des primären Kunstmarktes auf, an die man sich zu halten habe. Missachte man diese, sei der eigene Ruf schnell ruiniert und keine Galerie würde einen noch vertreten wollen. Es wäre zum Beispiel unüblich, temporär mit einer Galerie zusammen zu arbeiten. Ein Fauxpas sei, eine Galerie nur zu benützen, um an einer Messe teilnehmen zu können. Verkaufe man selbst ein Werk, müsse man sich an die Preise der Galerie halten und dem Galeristen oder der Galeristin 50 Prozent abgeben. Dies gelte auch umgekehrt. Ihre frühere Berliner Galeristin habe zum Beispiel ihren Künstlerl-innen ihre 50 Prozent nicht ausbezahlt und hätte irgendwann private Insolvenz angemeldet, obwohl sie nachweislich Wer-

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ke verkauft habe. Frau Appl vermutet, die Galeristin habe das Geld »nach Liechtenstein gebracht«. Als Künstlerin ginge man ein großes Risiko ein und hätte wenig Rechte, denn die Werke in der Galerie seien Kommissionsware. Es bedürfe deshalb eines sehr vertrauensvollen und freundschaftlichen Verhältnisses. In ihrer Erzählung über die Funktionsweisen des primären Kunstmarktes kommt zum Ausdruck, welchen Einfluss die Vermarktung auf ihre künstlerische Arbeit hat: Du kannst nie wieder deine Stiltindung so ausprobieren wie an der Hochschule, weil später ist der Markt da. Wenn du irgendetwas machst, ein Sujet machst oder eine Serie hast, die der Galerist toll findet, dann kommt man nicht mehr runter. Also man wird gelabelt. Das ist auch legitim, weil man muss ja im Markt entweder über einen Duktus oder über ein Sujet, oder irgendetwas muss der Galerist haben, was er verkauft. (Karin Appl, K I: 8)

lm Gegensatz zum Entwurf, der aus einem geistigen Prozess entsteht und ihrer eigenen Entwicklung dient, kommt das Laben von außen. Der Markt verlange danach und stülpe einem das Label über. Karin Appl rät, es sei besser, man entwickle sein Label selbst und ließe sich nicht verunsichern. In Bezug auf sich betont sie, dass sie verstehe, wie der Markt funktioniert. Sie könnte Werke produzieren, die genau dem gerecht würden, wonach der Markt verlangt, erklärt sie mir am Beispiel von Gemälden, die sie mir zeigt: Damit hätte ich reich werden können. Also ich merkte, meine Galeristin springt da voll an. Ich hätte malen können, dass der Pinsel raucht. Aber das war nicht meine Intention, das wollte ich nicht mitteilen. Und meine Galeristin hat dann natürlich gespuckt, als ich mit den neuen Sachen ankam. Die hat das überhaupt nicht verstanden. Und ich habe ja tatsächlich dann erstmal nichts mehr verkauft. (Karin Appl, Kl: 9f)

Karin Appl entschied sich also gegen das große Geld. Sie wolle nicht so werden wie ihre Maler-Kollegen und -Kolleginnen. Sie wolle ihrer Intention treu bleiben. Sie wolle »Kunst mit Hirn« machen, etwas vern1itteln, das über das rein Visuelle hinausgeht. Sie wolle aber auch von ihrer Kunst leben und Kunst als Beruf betreiben. Wenn es darum geht, von ihrer Kunst leben zu können, wendet Karin Appl, wie sie selbst sagt, die »Spielregeln« des Marktes an. Sie handelt strategisch und entspricht von außen kommenden Anforderungen, wo sie es für nötig hält. Sowohl bei der Aufnahmeprüfung an der Hochschule als auch bei ihrer Suche nach Galerien betrachtet sie nüchtern die aus ihrer Sicht ungerechten Strukturen und bekämpft sie mit Ausdauer und Hartnäckigkeit. Für die Spielregeln des Marktes zeigt sie Verständnis, obwohl sie an manchen Stellen Kritik übt. Sie wehrt sich gegen das Künstlerstereotyp des »Lebemannkünstlers« und möchte ihre Tätigkeit als Beruf anerkannt sehen. Sie produziere nicht »für Freunde und für die Freude«, sondern sie

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verdiene Geld und arbeite diszipliniert und hart. Kunst als Hobby entspricht nicht ihrem Selbstverständnis. Neben ihrem »Glauben« an ihr >natürliches< Talent ist es ihr wichtig, eine professionelle Kiinstlerin zu ein. Professionalität bedeutet für sie, von ihrer künstlerischen Arbeit leben zu können. Erst wenn sie ihre Werke verkauft und von einer Galerie vertreten wird, gilt für sie ihre Tätigkeit als Beruf. N ur dann unterscheidet sie sich von den Frauen, die kein Durchhaltevermögen haben und sich von ihren Ehemännern finanzieren lassen. Karirr Appl erhebt also zwei Ansprüche an ihr Künstlerin-Sein, bzw. beinhaltet ihr Selbstbild zwei Aspekte: Zum einen versteht sie sich als eine zu geistigem und malerischem Schaffen besonders talentierte Künstlerin. Zum anderen stellt sie ihre Professionalität in den Mittelpunkt, der sie nur durch ihren ökonomischen Erfolg gerecht werden kann. Sowohl in der kunsthistorischen Praxis als auch in der Praxis des primären Kunstmarktes wirkt die Vorstellung, authentische Kunst sei vom ökonomischen Kalkül unbefleckt. Karin Appl muss die Balance finden zwischen ihrem Anspruch an Professionalität und der »anti-ökonomischen Ökonomie der reinen Kunst« (Bourdieu 2001: 228). Sie argumentiert, sie habe ihren Stil geändert, obwohl sie reich hätte werden können, weil ihre »Intention« eine andere sei. Primärer Zweck ihrer Kunst sei, ihren Geist weiter zu entwickeln. Weil sie sich als Teil und Fortführerirr der Kultur versteht, geht die Weiterentwicklung ihres Geistes einher mit jener des Kulturguts. Ihre »Intention« ist, einen Beitrag zur Kultur zu leisten und dies ist ihr viel mehr wert als materieller Reichtum. Ihr Anspruch auf Professionalität beschränkt sich also darauf, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Tatsächlicher materieller Erfolg würde ihrer künstlerischen »Intention« widersprechen und das bedeutet auch, es würde der »Logik« jener Praxis widersprechen, der sie angehört.

KAROUNE ÄIGNER: DIE MALERIN UND IHR KöRPER Karotine Aigner ist Mitte 30 und wuchs in Hessen auf. Seit Ende ihres Studiums an einer Kunstakademie lebt sie als freischaffende Malerin und finanziert sich durch gelegentliche Nebenjobs. Sie arbeitet in ihrer privaten Wohnung an mittel- bis kleinformatigen Gemälden und lebensgroßen Plastiken. Karoline Aigner wurde mir vom Leiter eines kommunalen Kunstraums vermittelt. Er erzählte ihr von meinem Vorhaben und gab ihr meine Visitenkarte. Kurze Zeit später rief sie mich an. Während wir über einen möglichen Termin und den Ort verhandelten, strich - wie sie mir amüsiert mitteilte - eine ihrer Katzen über ihre Schreibunterlage. Ich besuchte Karohne Aigner mittags in ihrer privaten Wohnung, die gleichzeitig ihr Atelier und Lagerraum ist. Den länglichen Flur säumte einseitig ein deckenhohes und sehr volles Bücherregal. Ein 20 Quadratmeter großer Raum,

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den sie mir als ihr Atelier vorstellte, war beinahe unmöbliert. Aus einem schlichten Holzregal ragten unzählige Pinsel, Farbtuben, Papier in verschiedenen Formaten und andere Malutensilien. An die untapezierte Wand gelehnt standen mittelformatige Gemälde. Einige Bilder, die sie mir näher erläuterte, hingen an den Wänden. Auf dem alten Dielenboden lag ein Flickenteppich. Ein alter Kachelofen zierte eine Ecke des Zimmers. Karohne Aigner führte mich mit den Worten, im Wohnzimmer sei es gemütlicher, in ein weiteres ähnlich großes Zimmer. Darin befanden sich eine rote Samtcouch, ein dunkelbrauner Vollholzschreibtisch und ein dazu passendes, schmales Regal, das mit Dekorgegenständen und anderem Kleinkram vollgestellt war. Im Raum verteilt standen drei menschengroße Plastiken aus Gips, zu denen sie mir erklärte, sie seien noch im Entstehen. Die Einrichtung des Zimmers war in warmen Farben gehalten. In der Ecke schnurrten zwei Katzen in ihren Körben. Sie brachte mir eine Tasse Tee und schloss die Balkontür, bevor sie sich neben mich auf die Couch setzte. Karohne Aigner wuchs gemeinsam mit ihren beiden Geschwistern im Rheingebiet auf. Als sie vier Jahre alt war, verbrachte die Familie ein Jahr in Asien, weil ihr Vater dort als Gastforscher arbeitete. Anfang der 1990er Jahre erhielt ihr Vater, der in zwei Disziplinen promoviert und an der Harvard University ein Masterstudium absolviert hatte, seine erste Professur. Mehrere Male folgte ihm seine Familie auf den zahlreichen internationalen Forschungsaufenthalten. Nach ihrem Abitur begann Karohne Aigner jene Disziplin zu studieren, in der ihr Vater eine Professur hat. Nach einem Jahr brach sie das Studium ab und bewarb sich zunächst an einer Berliner Kunsthochschule, wo sie abgelehnt wurde. Ihre Priorität sei aber ohnehin eine andere Akademie in einer ostdeutschen Kleinstadt gewesen. An dieser Akademie, wo Karohne Aigner schließlich ein Studium der Malerei absolvierte, wurde Karoline Aigner auf Anhieb aufgenommen. Seit ihrem Abschluss lebt sie als freischaffende Künstlerin in Berlin und finanziert sich phasenweise über Kurse an einer Volkshochschule.

Das bildungsbürgerliche Selbst Auf meine Frage, ab wann sie sich als Künstlerin verstanden habe, antwortete Karalirre Aigner: Ich bin total in so einem bildungsbürgerlichen Milieu groß geworden. Wo es auch keine Künstler gibt. Wo man Kunst im Museum anschaut. Wo Kunst immer ganz, ganz wichtig ist, aber man guckt sie im Museum an (lacht). Und ich habe das immer gerne gemacht: Ins Museum gehen, aber auch Kunst machen. Also dieses Blöde: >Ich habe schon immer gern gemalt und gebastelt.< Aber das ist bei mir einfach so. Und ich bin aber, bis ich 17 oder 18 war, nie

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auf die Idee gekommen, dass das eine Arbeit ist. Dass man das professionalisieren könnte. (Karotine Aigner, K7: 16)

Als die Familie ein Jahr in Asien lebte, besuchten sie und ihre Geschwister eine dortige Kindertagesstätte. Das hätte sie sehr geprägt, erklärt mir Karohne Aigner. Sie habe als Kleinkind auch die Sprache erlernt, leider seien davon nur mehr ein paar Bruchstücke übrig. Bis heute verspüre sie eine Affinität zu diesem Kulturkreis, die sich auch in ihren Kunstwerken niederschlage. Nach ihrem Abitur habe sie sich nicht getraut »Kunst zu studieren«, weshalb sie zunächst die Disziplin ihres Vaters wählte. Bereits im ersten Studienjahr habe sie aber gemerkt, dass sie dabei »kreuz unglücklich« werde. Bei ihrer ersten Bewerbung an einer Kunstakademie sei sie mit »Pauken und Trompeten« abgelehnt worden. Die zweite Akademie, bei der sie sich bewarb, wählte sie, weil ihr der Studienort gefiel. Ich habe mir nicht angeschaut, welche Schwerpunkte die Kunsthochschulen haben. Ich wusste gar nicht, dass es Schwerpunkte gibt. Ich bin blauäugig in diesen Künstlerberuf gegangen. Ich wusste nur, okay, wenn ich Künstlerin werden will, dann muss ich wohl Kunst studieren. Wo gefallt es mir? (lacht) Wo ist es hübsch? Da bewerbe ich mich. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass es so unterschiedliche Einstellungen zu Kunst gibt. Ich dachte, ich gehe an die Kunsthochschule und lerne jetzt Kunst machen (lacht). (Karotine Aigner, K7: 18)

Wie sie das erste Studienjahr »überlebt« habe, wisse sie bis heute nicht. Ihre Einstellung, an der Hochschule das Malen zu lernen, sei auf den »Künstlergestus« und die Lebenseinstellung ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen geprallt. Ich dachte, die Kunst ist frei. Und plötzlich erzählt mir jemand: »Also es ist ja erstaunlich, dass du Blumentöpfe hast.« - Auf meinen Fensterbrettern in der WG. Und ich wusste überhaupt nicht, was der meinte, und fragte: »Na wieso?« - »Na das ist doch eigentlich ganz schön spießig. Ich dachte, du machst Kunst.« (lacht) Ich so: »Ja, was hat denn das mit meinen Blumentöpfen zu tun? Ich hätte gern Blumen vor dem Fenster.« Oder eine andere Künstlerin, eine Kommilitonin, fragte mich: »Was, du hast einen Salzstreuer?« - »Ja, ich habe einen Salzstreuer.« Also als Künstler hat man keinen Salzstreuer. Ich kam mir vor, als sei ich als ein kleines Wichtelchen aus dem Wald gekommen und stünde plötzlich in einer anderen Welt. Man hat keinen Salzstreuer. Okay! Also diese Festlegungen, als Künstler machst du dies und machst du das und musst du so und so sein. Ich stand da nur und immer kam noch ein kalter Eimer Wasser. Und ich dachte: »Wieso, ich will doch hier malen lernen. Ich will meine Kunst machen lernen. Ich will Wege finden, wie ich weiterkomme.« Ich glaube, ich bin halt so extrem von meinem Bedürfuis das zu tun ausgegangen, dass mein Horizont zu eng war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Leute gibt, denen geht es darum, keinen Salzstreuer zu haben. (Karoline Aigner, K7: 19)

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Diese Lebenseinstellung des »Bohemiens« habe sie zwar gekannt, aber flir sie sei das etwas Historisches gewesen. Das gehörte für sie »ins 19. Jahrhundert« und habe nichts mit ihr zu tun. An anderer Stelle erklärte Karohne Aigner mir, ihr ginge es überhaupt nicht darum, sich gegen »das Bürgerliche« zu wehren oder abzugrenzen. Andere würden Künstler oder Künstlerin werden wollen, bloß weil sie »keinen bürgerlichen Beruf« ausüben wollten. Ihr hingegen ginge es um das Kunst-Machen. Das erste Studienjahr an der Akademie habe sie sich »hinter der Staffelei verschanzt« und den Kontakt zu ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen gemieden. Erst im zweiten Jahr, als die »Ateliers neu gewürfelt« wurden, habe sie das »Glück gehabt auf Leute zu treffen, mit denen die Wellenlänge stimmte«. Sie bildeten eine Gruppe von Leuten, die zwar unterschiedliche Kunst machten, aber »wo doch ein Grundverständnis« da war. Der vertrauensvolle Dialog mit diesen Menschen, die zu Freunden wurden, habe sie durch ihr »Studium getragen«. Nach ihrem Abschluss zog Karohne Aigner nach Berlin, weil man »als mittelloser Künstler recht einfach in Berlin existieren« könne. Außerdem lebten seit einigen Jahren sowohl ihre Eltern als auch ihre Geschwister hier. Seitdem versuche sie als freischaffende Künstlerin zu leben. Privat würde sie ab und zu Kunstwerke verkaufen. Reiche das Geld nicht, unterrichte sie an einer Volkshochschule. Karohne Aigner erzählt mir weiter, dass sie zwei Monate nach dem Interview an einer Ausstellung in einer Galerie beteiligt sei. Sie sei deswegen sehr nervös, denn es sei der Probelauf, ob sie in die Galerie aufgenommen würde. Der Lebenslauf auf ihrer Website zeigt, dass Karohne Aigner in Berlin an zehn Ausstellungen beteiligt war. Diese fanden vorrangig im Rahmen der Kunstszene, die in ihrem Wohnbezirk angesiedelt ist, statt. Kurz vor unserem Interview hatte sie gemeinsam mit drei anderen eine Künstlergruppe gegründet. Karohne Aigner erklärt, dass sie sich zusammenschlossen, weil sich alle in ihren Arbeiten auf besagten asiatischen Kulturkreis beziehen würden und sie ein vertrauensvolles Verhältnis verbinde. Sie gesteht mir verlegen lachend, sie sei »überhaupt kein Vernissage-Gänger oder gar kein Kunstszene-Gänger«. Sie hätte lange nicht gewusst, was eine »Kunstszene« ist. Sie hätte sich »immer nur flir das Machen und die Bilder interessiert«. Sie sei ins Museum gegangen und habe dort gearbeitet. Aus ihrem »bürgerlichen Kontext« heraus sei es für sie bis heute schwierig, ihre eigene Arbeit wertzuschätzen. Sie brauche »feste Strukturen«, weil sie dann mehr Arbeit schaffe. Mache sie »handwerkliches Zeug, wie Leinwände spannen«, lege sie auch oft einen »Zehn-Stunden-Tag« ein. Doch arbeite sie künstlerisch, sei sie nach vier Stunden »einfach platt«. Es fiele ihr dann schwer, trotzdem Feierabend zu machen, denn sie habe dann das Gefühl noch nichts gemacht zu haben. In Wahrheit sei Kunst zu machen »wahnsinnig anstrengend« und sie müsse aufPassen, nicht bis »zum Umfallen« zu arbeiten. Sie müsse lernen sich nach vier Stunden künstlerischer Arbeit die Lektüre eines Buches zu gönnen. Karohne Aigners Wertvorstellungen in Bezug auf professionelles Arbeiten widersprechen ihrem künstlerischen Selbstverständnis. Einerseits glaubt sie an eine in

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ihr ruhende schöpferische Kraft, die sie zum »Kunst-Machen«, wie sie es nennt, zwingt. Andererseits anerkennt ihre Werteskala diese Tätigkeit nicht als legitime Arbeit. Die Stundenanzahl, die sie konzentriert malen kann, erfüllt nicht Karohne Aigners Anspruch. Ihre Vorstellung eines erfolgreichen und erfüllten Arbeitstages steht ihrem Bedürfnis, sich nach vier Stunden Arbeit auf den Balkon zu setzen, im Weg. Die Zahl der Arbeitsstunden zeugt für sie von der Professionalität der Arbeit. Verbringt sie weniger Zeit mit ihrer Arbeit, kann sie dies nur durch besondere Leistung wettmachen. Erst indem sie sich immer wieder vor Augen führt, dass es sich um harte Arbeit handele, lernt sie ihr eigenes Tun wertzuschätzen. Neben dem »Wert der Individualität« stellt »Leistung den Kern des Selbstverständnisses einer auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln beruhenden modernen Gesellschaft« dar (K.rais 200 I b: 21 ). Leistung entstehe »auf dem Boden >harter ArbeitLebemannkünstlersBohemiens< zu distanzieren, halten auch andere von mir interviewten Künstlerl-innen ihren routinierten und disziplinierten Arbeitsalltag hoch. Die Argumentationen, warum es dieser Kontinuität im Alltag bedarf, unterscheiden sich allerdings. Karohne Aigner muss sich selbst erst beweisen, dass das, was sie tut, »harte Arbeit« ist. Dergestalt deklariert sie ihre künstlerische Arbeit als ernstzunehmenden Beruf und sich selbst als professionelle Künstlerin. Karirr Appl, zum Vergleich, definiert Professionalität über den ökonomischen Erfolg, d.h. sich durch den Verkauf ihrer Werke ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können.

Kunst aus dem Inneren Bei der Aufnahmeprüfung an die Berliner Kunsthochschule hätte der Professor einen »Tobsuchtsanfall« bekommen. Bereits beim Vorgespräch, in dem ihre eingereichte Mappe besprochen wurde, wäre sie durchgefallen, denn sie habe »damals überhaupt keine Kriterien erfüllt«. Die »zufällige« Wahl der Kunsthochschule, an der sie schließlich studierte, stellte sich für ihre Bedürfnisse als genau richtig heraus. Es handelte sich um eine »traditionelle Hochschule«, in der man die Grundlagen, die »akademischen Kriterien«, vermittelt bekommen habe. Karohne Aigner formuliert, »dass es gut ist, erst einmal die Grammatik zu pauken, bevor man anfangt zu dichten«. Irgendwann müsse man sich allerdings von den Kriterien der

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Hochschule lösen. Der »Widerstand«, das Reiben an diesen Kriterien, hätten ihr ihren Weg klarer gemacht. In der Auseinandersetzung und Abgrenzung müsse man »das Eigene finden«. »Das ist das, worum es geht«, strich sie hervor. Kurz vor dem Diplomjahr habe sie ein Semester im Ausland studiert, was eine >>sehr befreiende Erfahrung« gewesen sei. Sie sei mit einer »inneren Freiheit« zurückgekommen, die es ihr erleichterte »im Kontext der Hochschule« weiter zu arbeiten. Den »klassischen Weg« zu gehen und an der Hochschule eine »Lehrzeit« zu nehmen, sei wichtig gewesen. Sie erhielt an der Hochschule das, was sie sich gewünscht hatte: Sicherheit im Handwerk. Nach dem Studium musste sie bei der Bewerbung um Stipendien feststellen, dass ihre »Sachen gerade nicht in die Schubladen passen, die gut laufen«. Ihre Bilder erftillten bis heute keine Kriterien, was nur deshalb ein Problem sei, weil sie »in einem klassischen Medium«, der Malerei, arbeite. Sie mache nicht ganz etwas anderes, wie Konzept- oder Videokunst, passe aber auch nicht in die Schublade für »junge Malerei«. Sie denke allerdings nicht, dass ihr etwas vorenthalten würde oder die Kunstwelt böse und ungerecht sei, wenn sie kein Stipendium bekomme oder nicht in eine Galerie aufgenommen werde. Das sei dann einfach nicht ihre »Schiene« und dann müsse es eben anders gehen. Sie wolle nicht kämpfen und könne >>diese Art von Stress auch nicht gut bewältigen«. Sie sei aber bescheiden, komme mit wenig aus und wünsche sich bloß, dass sie nicht aufgeben müsse, wie sie in folgender Interviewpassage präzisiert: Ich will meine Sachen machen und ich will sie zeigen können und träume natürlich davon, irgendwann einmal dieses finanzielle Damoklesschwert los zu sein. Aber ich bin nicht Künstlerin geworden, um als Kunstamazone in den Kampf zu ziehen. (Karoline Aigner, K7: 16)

Reich werden wolle sie nicht, denn Menschen, die »plötzlich wie am Fließband« verkauften, würden sich dabei verlieren. Ihr hingegen ginge es darum, einen Freiraum für ihre Kunst zu schaffen. Ihre Arbeit bestehe schließlich darin, »die Möglichkeit zu schaffen, dass etwas Neues entstehen kann«. Deshalb bedürften »kreative Prozesse einer wahnwitzigen Konzentration«. Es gehe darum, sich um die »Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit« des Werkes zu bemühen. Einen Auftrag auszuführen, das würde ihre Kunst nicht weiterbringen. Ihre Intention sei nicht, mit ihren Werken »eine Geschichte zu erzählen«. »Meine Bilder leben davon, dass sie nicht eindeutig benennbar sind, dass sie den Raum eröffnen und nicht ihn festlegen«, insistiert sie. Der Entstehungsprozess eines Werkes sei nur »zu einem gewissen Grad kommunizierbar, diskutierbar und reflektierbar«. Trotz der Gefahr zu vereinsamen, merke sie, sie müsse immer ihr »eigenes Ding« machen. Es gebe nur wenige von außen kommende Impulse, die tatsächlich förderlich seien. Ein Werk, das noch im Entstehen sei, bespreche sie nur mit wenigen ausgewählten Kollegen und Kolleginnen. In Bezug auf ihre Künstlergruppe räumt sie jedoch ein, dass diese- abgesehen von organisatorischen Erleichterungen - die einzige Möglichkeit biete, »seine Kriterien

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auch immer wieder aufzufrischen oder zu überprüfen oder zu gucken, wie es künstlerisch weitergehen kann«. Es geht darum, was man will von der Kunst. Wohin man da treiben möchte. Wann fährt man sich fest? Wann wird man selbstverliebt? Das ist der Tod jedes Bildes: >Oh, habe ich das schön gemalt!< (lacht) Und so wach zu bleiben. Das geht oft im Dialog besser. (Karoline Aigner, K7: 9)

Kurz nach ihrer Ankunft in Berlin nahm Karohne Aigner gemeinsam mit einer Freundin an einem Kunstfestival teil. Dieses fand in ihrer neuen Wohnumgebung statt. Drei Jahre später, zum Zeitpunkt des Interviews, war sie fester Bestandteil dieser räumlich begrenzten Kunstszene. Sie werde nun fi.lr Projekte angefragt und zu Veranstaltungen eingeladen. Auch ihre Künstlergruppe habe sich aus diesem Zusammenhang ergeben. Allerdings beschwert sie sich über die Enge und Begrenztheit dieser Szene. Positives Feedback aus dieser Szene wertet sie als Selbstverständlichkeit und nett gemeintes Interesse. Karohne Aigner artikuliert, sie habe bei jeder Ausstellung, an der sie teilnimmt, den Anspruch »neue Leute zu erreichen«. Selten würden sich jedoch Kunstinteressierte aus anderen Szenen in diesen Bezirk verirren. Und wenn einmal einer mit »Schlips und Anzug« käme, fehle es am »Bewusstsein, dass demjenigen eine Brücke gebaut werden muss«, stellt sie verärgert fest. Und als Künstlerin seien einem »die Hände gebunden«. Da brauche es Organisatoren, die den Kontakt herstellten. Ihre Chance in der Galerie auszustellen, hätte sie über »ganz andere Kanäle« bekommen. Der Kontakt sei über Bekannte entstanden und würde auf eine Ausstellung zurückgehen, die vor »sieben oder acht Jahren« stattgefunden hatte. Das sind so Zufälle, dass jemand erzählt: >Das ist übrigens die Schwester meiner Schulfreundin.< Und irgendwann ist es dann die berühmte Schneeflocke, die den Ast zum Brechen bringt. Und dann sagt plötzlich jemand: >Ich würde gerne mal zu Ihnen ins Atelier kommen. < (Karoline Aigner, K7: 12)

Die vorangegangene Skizze ihrer Erzählung gibt Auskunft über Karohne Aigners Kunstbild, das ich in Folge präzisieren werde. Die Künstlerinnen Karin Appl und Kathrin Amling verstehen ihr Werk als Produkt eines geistigen Prozesses. Ihr Intellekt - ihre Fähigkeit sich Wissen anzueignen, zu reflektieren und weiter zu denken - schafft ein Konzept oder einen Entwurf, dessen Verbildlichung oder Vergegenständlichung zweitrangig ist. Für die Vorstellung einer inneren Schöpfungskraft, die ohne den Geist auskommt, haben sie nur Spott über. Für Karohne Aigner ist die Anhäufung von Wissen kein Thema. Im Gegenteil, ihre volle Konzentration liegt darauf, sich von Vorgaben und Kriterien zu lösen, um der Kunst freie Bahn zu geben. Sehen die einen ihre Kunst als Ausdruck ihres Geistes, kommt Karohne Aig-

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ners Kunst aus ihrem inneren. Sie schafft »die Möglichkeit«, dass die Kunst sich entfalten kann. Karohne Aigner malt nicht nach Entwurf, sondern ihre Werke entstehen im Tun. Sie weiß vorher nicht, wie das Endprodukt aussehen wird und erklärt mir, das Werk zeige ihr, wann es fertig ist. Sie glaubt daran, dass die Kunst in ihr sitzt und ihren Pinsel führt. An der Hochschule wollte sie das Malen lernen, um ihrer Kunst ein besseres Werkzeug zu sein. Sie perfektionierte ihre handwerklichen Fähigkeiten, um das, was in ihr schlummerte, besser ausdrücken zu können. Ganz im Gegensatz zum geistigen Entwurf, ist für Karohne Aigner der Entstehungsprozess etwas Körperliches. ihr Körper ist Vehikel der Kunst. Das handwerkliche »Machen« steht im Zentrum und nicht ein geistiger Prozess. Karoline Aigners Leitsatz, der sich durch das Interview zieht, ist: »Die Kunst ist frei. « Die Kriterien der Hochschule, das sich dort abspielende »Theaterstück«, das sich, anstatt um die Kunst, um die »dos and don'ts« um Salzstreuer und Blumentöpfe dreht, die Tricks, die einem zu einem Stipendium verhelfen können oder die Schubladen, in die sie nicht passen will, all das habe nichts mit Kunst zu tun. Und deshalb habe es auch nichts mit ihr zu tun. Die Aufregung und auch der Aufwand sei es nicht wert, denn die Kunst entfalte sich ohnehin unabhängig von der Szene und deren Spielregeln. >>Freiheit« sei die Bedingung für die »Möglichkeit«, dass Kunst entstehe. Karohne Aigner möchte, um der Kunst willen, in Ruhe gelassen werden und wünscht sich eine Galeristin, die sich um all die unangenehmen Seiten kümmert: Um den Verkauf genauso wie um »das Netzwerken«. Wie bei Gustav Emmerich und Gita Eshwar gezeigt, sehen Galeristen und Galeristinnen ihre Aufgabe ebenfalls darin, ihren Künstlerl-innen einen Freiraum für die Kunst zu schaffen. Sie wollen die Menschen, denen die Kunst inne wohnt, von der Notwendigkeit der Vermarktung der Werke und dem Kampf um die eigene Positionierung im Feld befreien. Protektion und ökonomisches Kalkül verhindern die Entfaltung »authentischer Kunst«, so der hier wirkende »Glaube«. Ging Karirr Appls Begabungsbegriff von einer geistig herausragenden Persönlichkeit aus, liegt für Karohne Aigner ihre >natürliche< Begabung in ihrem Drang begründet, sich künstlerisch auszudrücken. Sie trägt ihre Kunst in sich, diese durchdringt alles und tritt auf vorbestimmte Weise in Erscheinung. Seit Karohne Aigners Geburt lenke ihr innerer »Kompass« sie auf ihrem Weg. Karohne Aigner versteht sich als Auserwählte der Kunst, die ihrer Meinung nach nichts mit dem sozialen Drumherum zu tun hat. Sie hofft, irgendwann für ihre »authentische Kunst«, anerkannt zu werden, auch wenn sie nicht im Feld agiert.

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KATHRIN ÄMLING: DIE INTELLEKTUELLE KüNSTLERIN Kathrin Amling ist Ende 30 und wuchs in Süddeutschland auf. Sie lebt als freischaffende Konzept- und Performancekünstlerin. Ihr Lebenslauf weist zahlreiche Einzelausstellungen wie angesehene Kunstpreise und Stipendien auf. Seit kurzem wird sie von einer New Yorker Galerie vertreten. Zum Zeitpunkt des Interviews war Kathrin Amling mit einer eigenen Rauminstallation an einem bekannten Berliner Kunstfestival beteiligt. Die Pressesprecherin des Festivals hatte mich mit ihr in Verbindung gebracht. Kurz zuvor war die Künstlerin aus New York zurückgekehrt. Per E-Mail vereinbarten wir einen Termin, den Ort und wo ich klingeln sollte. Kathrin Amling öffnete mir die Tür und entschuldigte sich sogleich für den Zustand der Wohnung. Diese gehöre einer Freundin, die gerade in New York sei und die sie nütze, wenn sie Ruhe bräuchte. Badezimmer und Küche waren unmöbliert, die Wände verputzt, aber nicht gestrichen, die Armaturen der Wasseranschlüsse fehlten. Das Zimmer, in dem das Interview stattfand, war stark verdunkelt. Am Boden befanden sich eine Matratze, ein Plattenspieler und kreuz und quer liegende Schallplatten. Den Raum teilte ein schwarzes Bücherregal ohne Bücher. Davor stand ein kleiner, weißer Schreibtisch, dessen Platte ein iBook ausfüllte. Wir saßen uns am Schreibtisch gegenüber. Kathrin Amling wippte leicht in ihrem Stuhl. Wir tranken Schwarztee aus Bechern und duzten uns, nachdem sie mich gefragt hatte, ob es in Ordnung sei. Nach dem Abitur begann Kathrin Amling ein Studium der Geisteswissenschaften an einer Universität. Mithilfe eines Stipendiums verbrachte sie ein Studienjahr im europäischen Ausland. Während sie an ihrer Magisterarbeit schrieb, bewarb sie sich bei einem Graduiertenkolleg und an mehreren Kunsthochschulen. Mit 23 Jahren schloss sie ihr Magisterstudium mit Auszeichnung ab und wurde unmittelbar danach an einer deutschen Kunsthochschule aufgenommen. Dort absolvierte sie schließlich in der Meisterklasse einer renommierten Professorin für Performance ihr Kunststudium. Heute lebt Kathrin Amling als erfolgreiche junge Konzept- und Performancekünstlerin in New York und Berlin.

Das intellektuelle Selbst Auf meine Frage, wie sie nach ihrem Universitätsstudium zur Kunst gekommen sei, antwortet Kathrin Amling: Eigentlich so umgekehrt. Also ich komme jetzt, sage ich einmal, nicht aus richtig bürgerlichen Verhältnissen. Meine Eltern, die fanden das natürlich bescheuert, als ich gesagt habe, ich würde gerne so etwas mit Kunst machen. Und es wäre auch in den Konstellationen damals, als ich Abitur gemacht habe, wäre das auch irgendwie nicht möglich gewesen. Und na-

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türlieh hieß es: >Das ist ja viel zu bourgeois.Was willst du denn als Künstler?Das geht gar nicht.< Während Geisteswissenschaften, das sah für sie noch ein bisschen okay aus. Von daher ist es nicht so wirklich ... ich meine, ich weiß es nicht, aber ich denke .. . Also ich hatte jetzt auch keine Eltern, die mich gezwungen haben! Aber sie haben eben gesagt: >Hallo hier, es gibt die und die Sachen, um die musst du dich kümmern. Und das sieht da wohl nicht so gut aus, wenn du jetzt so etwas machst.< Also ihr Einwand kam eher aus so einem Zähneknirsch-Ding, vielleicht. Und natürlich auch, dass ich das Geftihl hatte, ich muss noch so viel lernen, oder ich will noch so viel wissen. Ich glaube, ich hatte mit 17, 18 noch nicht unbedingt das Geftihl, ich könnte jetzt schon als Künstler lostüddeln und ich bin der Tollste. (Kathrin Amling, K5: 6)

In dieser Interviewpassage deutet Kathrin Amling an, dass ein geisteswissenschaftliches Studium an einer Universität mehr der elterlichen Vorstellung einer geeigneten Startbedingung ftir einen lukrativen Karriereverlauf entsprochen habe als ein Kunststudium. Im weiteren Gesprächsverlauf erwähnt sie mehrmals, dass sie keinen »Finanzpolster« im Hintergrund hatte und ihr Vater kein »Professor oder Doktor« sei. Sie streicht hervor, dass ihre Startbedingungen schlechter waren als die ihrer Künstler-Kollegen und -Kolleginnen, die das notwendige kulturelle und ökonomische Kapital besaßen. Die müssten gar nicht an eine Hochschule gehen, weil sie sich das technische Equipment leisten könnten und über ausreichend soziale Kontakte verfugten. Sie hingegen brauchte die Infrastruktur der Hochschule und den Status der Kunststudentin, um ihre Kunst machen zu können. Und sie musste vorher ihr universitäres Studium absolvieren. Bereits als Abiturientin habe sie gewusst, dass beide Bereiche, Kunst und Geisteswissenschaft, jene sind, die sie kann, aber auch dass sie diese noch perfektionieren müsse. »In den Konstellationen«, als sie Abitur machte, hätte ihre Kunst nicht dem entsprochen, »wie sie mit der Welt umgeht«. Zunächst habe es ftir sie aber »gar nicht so einen Unterschied« gemacht, dass sie statt Kunst eine Geisteswissenschaft studierte. Erzählt Kathrin Amling über ihr Universitätsstudium, geht es nicht um interessante Seminare, schwierige Prüfungen oder die Zusammenarbeit mit anderen Studierenden, sondern um ihre Kunst. Sie habe immer »nebenher so Sachen gemacht«. Ihr Auslandsjahr nützte sie, um gemeinsam mit einer Freundin künstlerisch zu arbeiten. Dort wurde ihr klar, dass sie »doch noch einmal an eine Akademie gehen sollte«. Auch die Wahl des Themas für ihre Magisterarbeit beschreibt sie als Weiterentwicklung ihrer künstlerischen Arbeit. Kathrin Amling spricht davon, dass es das »Schicksal« so wollte, dass sie schließlich statt im Promotionsstudiengang an einer Kunstakademie aufgenommen wurde. Kathrin Amling erzählt, sie sei mit ihren »vier Filmen in der Tasche« an die Akademie gekommen. Sie fand bereits damals, dass es schwierig sei an der Hochschule »von so einem Künstler-Lehrer-Verhältnis auszugehen«. Wenn, dann liefe dieses Verhältnis über »Austausch und vielleicht auch Reibung und Kritik«. Sie

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setze sich mit der » Lehrerfigur auseinander« und nur dadurch seien »vielleicht Einflüsse« verschiedener Professoren und Professorinnen in ihren künstlerischen Arbeiten erkennbar. Aber diese könne man nicht im Nachhinein »mit der Stecknadel herunter pinnen«. Sie selbst habe die »Weichen« gestellt, habe für sich den »sinnvollen Rahmen« gewählt, um »bestimmte Sachen zu entwickeln«. Kathrin Amling gründete an der Klmsthochschule eine Künstlergruppe mit jenen Studierenden, die die gleiche »Art von Unzufriedenheit, Energie und Sensibilität für die Situation« mitgebracht hatten. »Es funktionierte, weil wir eine gute Energie hatten und so einen Unruhe-Pol«, erklärt sie. Daraus habe die Gründung einer »Mini-Akademie, wie wir sie uns vorstellten«, resultiert. Nicht nur sie selbst sondern die ganze Künstlergruppe habe gewusst, welche Intellektuelle, Künstler/-innen, Theorien und Texte sie »toll« fanden und wie sie sich eine Akademie vorstellten. Die Gruppe teilte in einer privaten Wohnung die Räume verschiedenen »Seminaren« zu, lud »Intellektuelle und Künstler« ein, um sich mit ihnen auszutauschen. Sie organisierten sich Ausstellungsmöglichkeiten und planten eigene Benefizveranstaltungen. Die Gruppe schaffte es, sich im künstlerischen Feld einen Namen zu machen. Einige Künstler/ -innen wurden aus der Gruppe »herausgepickt« und zu jungen Stars der Kunstszene, erklärte sie mir. Kathrin Amling setzt sich in ihrer Erzählung von einer Elite ab, die ohne Sorgen ihren künstlerischen Ambitionen nachgehen kann. Sie hingegen wurde nicht auf ihrem Weg unterstützt, sondern schaffte es aus eigener Kraft. Weder ihre Eltern noch sie selbst wollen zu einer Elite gehören, die ihre Privilegien ohne eigene Leistung erreicht haben. Sie konstruiert zwei Pole: Den einen wird alles in die Wiege gelegt, die anderen gehen ihren eigenen Weg, auch gegen Widerstände. Sie wusste, dass sie noch vielleisten bzw. lernen musste. Sie hatte nicht das »Gefühl, als Künstler so lostüddeln« zu können, weil ihr handwerkliches Können fehlte oder es ihr an künstlerischen Ideen mangelte. Ihr fehlte es an Selbstbewusstsein in intellektueller Hinsicht. Sie wollte noch mehr Wissen generieren. Die Eltern rieten ihrer Tochter nicht vom Kunsthochschulstudium ab, weil ihnen eine handwerkliche Lehre lieber gewesen wäre, sondern weil die Tochter an eine Universität gehen sollte. Den Ort, der im Vergleich zur Kunsthochschule für höhere Bildung steht. Was Kathrin Amling als von den elterlichen Ratschlägen und Sorgen beeinflusste Entscheidung beschreibt, führt sie genau dorthin, wo sie sich als Künstlerin sieht. Ihr geisteswissenschaftliches Studium reiht sich in die Stringenz jener Bereiche, die sie als Künstlerin interessieren. Wäre sie nach dem Abitur an eine Kunsthochschule gegangen, hätte sie sich intellektuell unterfordert gefühlt. Weder auf ihrer Website, die ihren Lebenslauf und einige ihrer Arbeiten präsentiert, noch auf der W ebsite ihrer Galerie, noch in Rezensionen oder Katalogtexten scheint auf, an welcher Universität sie studiert hat. Es wird hervorgehoben, dass sie Magistra der Geisteswissenschaften ist, an welchen Kunsthochschulen sie war, aber nicht an welcher Universität. Die »Logik« des wissenschaftlichen Feldes, die dort geltende Hierarchie der Universitäten, Insti-

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tute oder Lehrstühle sind für das künstlerische Feld irrelevant. Der Name der Universität ist keine Information, aus der Kathrin Amling Nutzen ziehen könnte. Wie ich sogleich zeigen werde, ist allerdings ihr akademischer Abschluss in einer geisteswissenschaftlichen Disziplin relevant für die Anerkennung als Künstlerin jener »Position«, der sie angehört. Meine Einstiegsfrage ging von der Annahme aus, dass Kathrin Amling durch den Besuch einer Kunsthochschule zur Künstlerin wurde. Diesem Ansatz widerspricht Kathrin Amling in zweierlei Hinsicht. Sie erzählt weder, wie sie zur Künstlerin wurde, noch ist sie der Meinung, dass Kunsthochschulen Künstlerl-innen ausbilden. Die Akademie war für sie kein Ort, wo sie ein Angebot nützte oder von einer hierarchisch höher stehenden Person etwas vermittelt oder beigebracht bekommen hätte. Sie kam nicht an die Hochschule, um dort zur Künstlerin zu werden. Sie lernte nichts völlig Neues dazu, übernahm nichts, das nicht an ihre eigene Entwicklung anschloss. Ihre eigene Entwicklung ist das Boot, das sie selbst steuert, für das sie das geeignete Fahrwasser sucht und dessen Kurs, wenn sie es zulässt, durch andere justiert wird. Die >>alten Knacker«, wie sie die Kunstprofessoren und -professorinnen nennt, und die Kunstakademie als traditionsreiche Institution sind für sie kein geeignetes Fahrwasser. Im Gegenteil, nur die Kritik daran und die Abgrenzung davon können sie auf ihrem Weg weiterbringen. Kathrin Amlings eigener Weg, den sie so selbstbestimmt gegangen ist, führte nicht zum Erfolg, weil er losgelöst von ihrem professionellen Umfeld war. Ihr Weg war erfolgreich, weil sie Teil einer sozialen Welt wurde, deren Wertvorstellungen sie verkörperte. Wie wir im Vergleich zu Patricia Falkenstein und Paul Fadani sehen, entspricht Kathrin Amlings Selbstverständnis als Künstlerin einer bestimmten »Position« im künstlerischen Feld. Ihre Wissbegier als Abiturientin, ihr intellektueller Anspruch, die daraus resultierende Ablehnung der Institution Kunsthochschule, die als unreflektiert und unakademisch gilt, und ihre selbstbestimmte intellektuelle Persönlichkeit drücken ihre Zugehörigkeit aus. Die Akademie ist für sie kein Ort der Meisterl-innen und ihrer Schüler/-innen, sondern eine »Austauschstelle« selbstbestimmter und selbst organisierter Künstlerindividuen. In den Seminaren, wie sie sich diese »vorstellten«, ging es nicht um handwerkliches Können oder ästhetische Kriterien, sondern um philosophische, soziologische, kunstwissenschaftliche oder politologische Theorien. Sie versuchten ihr Wissen beständig auszubauen und weiter zu entwickeln. Sie förderten ihre Intellektualität, indem sie sich mit Personen aus dem wissenschaftlichen Feld austauschten. Durch ihr akademisches Studium konnte Kathrin Amling ihren Status als intellektuelle Künstlerin stärken und sichern. Die Studierenden und ihre eingeladenen Seminarteilnehmerl-innen arbeiteten nicht zusammen, kooperierten nicht, bildeten keine Teams. Sie tauschten sich aus. Es wurde nicht etwas Gemeinsames gemacht, sondern jeder brachte seine Persönlichkeit ein und versuchte aus dem Zusammentreffen für die eigene Entwicklung etwas herauszuziehen. Das intellektuelle Selbst

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blieb dabei unangetastet. An der Hochschule sucht sie nicht nach Professoren und Professorinnen, die sie als Künstlerin anerkennen, sondern sie trifft auf Gleichgesinnte, auf andere Kunststudierende, die sich als intellektuelle Persönlichkeiten erkennen, weil sie einen bestimmten künstlerischen »Habitus« teilen. Kathrin Amling formulierte, sie hatten »kein Geld, aber tolle Ideen« und klare Vorstellungen davon, was sie interessiert und weiterbringt. Ihre Interessen stimmten von Anfang an überein und wurden nicht erst gemeinsam entwickelt. Das, was von Kathrin Amling als »Energie«, als zufallig entstandener »Unruhe-Pol« bezeichnet wird, ist der gemeinsam gelebte »praktische Sinn« jener »Position« des Feldes, der sie angehört.

Kunst im Gespräch Kathrin Amling bezeichnet sich als »Gegenteil von so einem Für-sich-selbst-arbeitenden-Künstler«. Sie erzählt, sie arbeite zwar immer flir sich alleine, aber »das, woraus sich meine Ideen speisen, ist schon so eine Auseinandersetzung mit einem intellektuellen oder künstlerischen Umfeld, nicht unbedingt mit dem ich mich konfrontiert sehe, sondern auch eines, das ich mir suche«. Die Ideen für eine künstlerische Arbeit entstünden im Austausch, durch Recherchearbeit und das »Anschauen von Sachen«. Mittlerweile habe sie einen »Materialpool« zur Verfügung, mit dem sie arbeite. Dieser Pool bestehe aus ihrem Wissen über (Populär-)Kultur und Kulturgeschichte, über bestimmte Schriften oder Eindrücke aus ihrer »konkreten Lebenswelt«. Sie wisse nie genau »was in diesem Prozess heraus« komme. In ihren Erklärungen zur künstlerischen Arbeit ftir das Kunstfestival macht sie deutlich, dass »etwas ganz anderes herausgekommenwäre«, hätte sie die Idee in einem anderen Zusammenhang weiterentwickelt. Die Idee konkretisiere sich erst in der Konfrontation mit einem bestimmten Kontext. Dem Ort, an dem das Werk ausgestellt wird, den Kuratoren und Kuratorinnen, die flir die Ausstellung verantwortlich sind, und dem »intellektuellen und künstlerischen Umfeld«, das für die Idee aufgeschlossen sein muss. Sie nennt Namen anderer Künstlerl-innen und Theoretiker/-innen, die sich ausführlich mit dem Thema beschäftigen. Ihr sei nicht wichtig, dass sie allein eine Idee habe, sondern dass sie ihr Interesse mit anderen Leuten teile. Diese Leute seien »konkrete oder abstrakte Personen«, d.h. einerseits Menschen, mit denen sie in Kontakt steht und andererseits Theoretikerl-innen oder Kulturschaffende, wie Musikerl-innen, Regisseure/Regisseurinnen oder Komponisten!Komponistinnen, auf die sie in ihrer Arbeit Bezug nimmt, mit denen sie aber nie real in Austausch trete. Der »grundsätzliche und wichtige konkrete Austausch« habe sich »über längere Zeit entwickelt«. Sie sei ein »zurückhaltender Mensch« und es passiere nur selten, dass »man plötzlich eine Arbeitsweise oder Arbeit von jemandem entdeckt, den man überhaupt nicht kannte und sich dann etwas ganz Tolles entwickelt«. Dies passiere meist nur dann, wenn sie jemanden über alte Bekannte kennenlernt

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Was der Auslöser gewesen sei, dass sie ftir die Teilnahme an dem Kunstfestival ausgewählt wurde, wisse sie gar nicht so genau. Es seien »organisch bestimmte Dinge ineinandergegangen«, erklärt sie. Der »übliche Weg« sei, dass Kuratoren und Kuratorinnen von der Galerie Material über eine Künstlerin anfordern. Das sei wohl in diesem Fall auch so gewesen. Die Kuratoren und Kurat01innen hätten vielleicht auch eine ihrer letzten Ausstellungen gesehen und dann den Entschluss gefasst, sie in die Künstlerliste aufzunehmen. Beim Besuch ihres Ateliers kamen sie bereits mit dem »Vorhaben« sie einzuladen. Sie betont, dass es nicht gerrau nachvollziehbar sei, sie aber auf Basis ihrer künstlerischen Arbeiten ausgewählt worden sei. Kathrin Amling bezeichnet ihre Kunst als »Auftragsarbeit«. Selten habe sie so viel Zeit zur Verfügung gehabt wie in der Vorbereitung für dieses KunstfestivaL Bereits ein Dreivierteljahr vor Beginn seien die Kuratoren und Kuratorinnen auf sie zugekommen. Im Laufe mehrerer Atelierbesuche habe sie ihre künstlerische Arbeit im »Gesprächsaustausch« mit ihnen entwickelt. Sie kann nicht gerrau erklären, wie diese Atelierbesuche abliefen und worum es dabei ging. Das sei eher wie so ein »flow«, erklärt sie mit folgenden Worten genauer: Was weiß ich, dass man zum Beispiel von irgendeiner Arbeit erzählt, die jetzt damit gar nichts zu tun hat, aber vielleicht einen Formalaspekt beinhaltet. Also es ergeben sich, wie ein Gewächs, verschiedene Sachen. Ich könnte nicht einmal einen Ablauf sagen. Das ist eher wie so ein Gewächs, wie ein Gespräch im Grunde. (Kathrin Amling, K5: 4)

Anstatt ihr autonomes künstlerisches Schaffen in den Vordergrund zu stellen, ordnet sich Kathrin Amling einer bestimmten abstrakten wie konkreten Gruppe zu. Das, was ihr Künstlerin-Sein ausmacht, ist nicht ein autonom geschaffenes Werk, sondern sind klare Interessen und ein dem intellektuellen Anspruch genügender Wissensstand. Diese Interessen und dieses Wissen müssen sich mit den Interessen und dem Wissen von bestimmten Personen im Feld »überschneiden«, um anerkannt zu werden. Nur wer die passenden Dispositionen mitbringt, dem wird der Status einer intellektuellen Künstlerin zugeschrieben. Sehen wir uns diesen Prozess gerrauer an: Wie beschrieben, schlossen sich an der Akademie jene zu einer Künstlergruppe zusammen, die sich gegenseitig als Gleichgesinnte erkannten. In Folge geht es aber auch darum, Anerkennung von etablierten Personen zu erhalten. Je nach Status des Kunstfestivals erfährt auch Kathrin Amling durch ihre Teilnahme einen Statusgewinn. Die verantwortlichen Kuratoren und Kuratorinnen bestimmen, welche Künstlerl-innen bei einem Kunstfestival vertreten sein werden. Wie bei Paul Fadani beschrieben, sind das Konzept einer Ausstellung oder eines Festivals und die Künstlerliste ausschlaggebend für die Beurteilung einer kuratarischen Tätigkeit und letztendlich auch für die Positionierung der Kuratoren und Kuratorinnen im Feld. Die von Kathrin Amling erwähnte »Überschneidung« bedeutet, dass sie und ihre Kuratoren und Kuratorinnen einem Praxisgebiet angehören. Bei den Atelierbesu-

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chen scheint es selbstverständlich zu sein, dass die Gespräche in Gang kommen. Das »Gewächs« gedeihe von selbst. Die Gesprächsteilnehmerl-innen scheinen mühelos gemeinsam in einen »flow« zu geraten. Sie wissen ohne darüber nachzudenken, wie man sich ausdrückt, welche Themen für die anderen interessant, welche Erzählungen spannend und welche unpassend sind, welche Witze gut ankommen und wie man sich verhält. Es wirkt, als sei die Situation einfach und ft.ir jeden leicht zu meistern. Meine eigenen Erfahrungen zeigten mir, dass für mich als Soziologin diese Gespräche keineswegs fließen. Wie spricht man über die künstlerischen Arbeiten anderer? Die einen würden sagen, mir fehlte es an kunstspezifischem und kunsthistorischem Wissen. Andere würden vielleicht sagen, über Kunst könne man gar nicht sprechen. Das »Sprechen über Kunst« verlangt nicht nur eine Fachsprache, d.h. ein bestimmtes kunstspezifisches Vokabular. Nicht nur das gemeinsame Wissen über das zeitgenössische Kunstgeschehen, über Kunstgeschichte oder Diskurse, die gerade en vogue sind, ist die Triebfeder solcher Gespräche. Vielmehr handelt es sich um eine soziale Praxis. Es kommt nicht nur darauf an, was gesprochen wird, sondern auch, wer spricht. Die sprechende Person musste bereits als eine anerkannt werden, die etwas Interessantes zum Thema einbringen kann. Nicht jedem wird die Fähigkeit zugeschrieben etwas einzubringen, das die anderen in einen »flow« versetzen kann. Die »Sachen, die einfließen«, sind nur dann auch für andere fruchtbar, wenn sie einerseits von einer Person eingebracht werden, die als Teil der Praxis anerkannt ist, und anderseits die »Sachen« an das Bisherige anschließen. Kathrin Amling zeigt uns, mit wem sie sich in Relation sieht. Ihre Ideen kommen nicht aus dem Nichts, sondern ihre »Sicht der Welt« resultiert aus dem Sich-in-BezugSetzen und dem In-Bezug-gesetzt-Werden zu einer bestimmten Art und Weise, Kunst zu verstehen und zu betreiben. Dabei handelt es sich um keine rein formale Zugehörigkeit, die erlernt oder strategisch geplant werden könnte. Die von Kathrin Amling erwähnte »Überschneidung der lnteressensgebiete« ist Bestandteil des gemeinsam gelebten »praktischen Sinns«.

KARSTEN ÄSCHENBACH: DER GESELLSCHAFTSKRITISCHE KüNSTLER Karsten Aschenbach ist Ende 40 und wuchs in Nordrhein-Westfalen auf. Erbezeichnet sich als »politischen Künstler«. Neben Objekten, die er im öffentlichen Raum installiert, bedient er sich in seinen Arbeiten der Malerei, der Zeichnung, des Films und der Fotografie. Seine Werke basieren aufumfangreichen Recherchen, flir die er manchmal monatelange Reisen unternimmt, und auf einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Theorien aus Soziologie, (Kunst-)Geschichte, Wirtschaft,

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Politikwissenschaften oder anderen Wissenschaftsbereichen. Ferner schreibt und publiziert er Texte und kuratiert selbst Ausstellungen. Seine E-Mail-Adresse erhielt ich von Patricia Falkenstein. Auf meine schriftliche Anfrage antwortete er mir, ich solle ihn anrufen. Als ich ihn nach mehreren Versuchen en·eichte, erklärte er mir, er gehe nun in sein Atelier und ich könne vorbeikommen. Sein Atelier war eine Wohnung im dritten Stock eines Altbauwohnhauses. Das Gebäude wirkte, als wäre es länger nicht renoviert worden. Das Treppenhaus hatte noch alte Holztreppen und Holzgeländer. Als ich im dritten Stock ankam, stand Karsten Aschenbach in der Tür, reichte mir aber nicht die Hand, sondern fragte mich sogleich, ob er noch etwas zu trinken holen solle. Ich antwortete, dass mir auch Leitungswasser recht sei. Er meinte, er könne auch Kaffee machen, wisse aber nicht, ob die Milch noch genießbar sei. Der Flur war dunkel und am Rand standen Umzugskartons. An die Wand waren diverse Holzbretter gelehnt. Er bat mich in die neben der Eingangstür liegende Küche, den einzigen Raum, den ich zu sehen bekam. Sie wirkte unbenützt und seit Langem nicht mehr erneuert. Der Boden war mit einem alten, dunkelgrauen PVC-Boden belegt. Karsten Aschenbach entschuldigte sich und erklärte, dass diese Wohnung eben sein Atelier sei. Gegenüber der Tür war ein hohes Altbau-Doppelglas-Fenster, davor standen ein kleiner Metall-Plastiktisch und zwei Holzstühle. Durch das Fenster hatte man einen sehr weiten Blick über brach liegendes Gelände und vereinzelte alte Backsteinhäuser. An den Wänden hingen viele Kinderzeichnungen. Während des Interviews saß mir Karsten Aschenbach gegenüber und blickte im 90-Grad-Winkel von mir weg. Er hatte seine Beine auf dem Kühlschrank hoch gelagert, wippte oft mit dem Stuhl zurück und sah mich nur sehr selten an. Einmal läutete das Telefon. Er bat mich das Tonband auszustellen und ging in ein anderes Zimmer. Als er zurückkam, erklärte er mir, das sei seine Lebensgefahrtin - er nannte ihren Vomamen - gewesen. Sie sei gerade mit ihrer neun Monate alten Tochter beim Arzt gewesen, aber es sei doch nichts Schlimmes. Dann sagte er: »So, weiter geht's«. Karsten Aschenbach sprach die meiste Zeit frei und holte immer wieder zu politischen Statements aus. Einige Male hielt er inne und meinte: »Nächste Frage!« Er wirkte gestresst und wies mehrmals darauf hin, dass er wegen einer baldigen Ausstellung in seiner Galerie gerade viel zu tun habe. Nachdem bereits deutlich mehr als eine Stunde vergangen war, beendete Karsten Aschenbach das Interview mit den Worten: »So, jetzt machen wir Schluss.« Zur Verabschiedung sagte er: »Dann machen Sie etwas Gutes daraus!« Karsten Aschenbachs spärliche Erzählungen über sich und seinen Werdegang waren stets in politische Statements eingebettet. Die folgenden Informationen basieren deshalb auf biografischen Angaben, die Websites, z.B. seiner Galerie oder verschiedenster Ausstellungsinstitutionen, anführen: Karsten Aschenbach wurde Anfang der 1960er Jahre im Ruhrgebiet geboren. Sein Studium betreffend fand ich wenige Angaben. Es scheint keine große Relevanz mehr zu haben. Einmal wird von

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einem Studium der »freien Künste« geschrieben, ein anderes Mal ein Studium der »Bildhauerei« angeführt, dem ein Studium der »Kunst und Geschichte« in einer anderen Stadt vorausging. Sicher ist, denn dies erzählte er mir, dass er in den 1980er Jahren in der BRD eine damals sehr renommierte Kunsthochschule besuchte. Dort lernte er seine Lebensgefährtin kennen, mit der er gemeinsam Ausstellungen kuratiert und künstlerisch zusammenarbeitet. Die recherchierten Personenbeschreibungen beschränken sich meist auf die Auflistung seiner Ausstellungen, seiner Veröffentlichungen und der Rezensionen seiner Kunst. Seit Anfang der 1990er Jahre hatte er 15 Einzel- und knapp 60 Gruppenausstellungen. Der Großteil davon fand in Museen statt, die genauso oft öffentlich wie privatwirtschaftlich finanziert waren. Präsentationen in Kunstvereinen halten sich wiederum die Waage mit jenen in Galerien bzw. auf Kunstmessen. Zehn Mal stellte er im öffentlichen Raum aus. Über 50 seiner Ausstellungen sind im deutschsprachigen, 15 im europäischen Raum und jeweils zwei in Asien, den Vereinigten Staaten und in Russland. Nach meiner Einschätzung der Wertigkeit der Ausstellungsinstitutionen spricht seine Liste für einen etablierten Status im künstlerischen Feld. Zum Beispiel nimmt er zweimal an der documenta in Kassel und einmal an der Biennale von Venedig teil. Seine Galerie gehört zu den anerkannten in Berlin. Allerdings erklärt er mir, er könne nicht vom Markt leben, sondern von einer »Mischfinanzierung« aus Verkäufen, öffentlichen Förderungen und Sponsorengeldern. Einen weiteren Hinweis auf seine »Position« im Feld liefert seine Bibliografie: Die Arbeiten von Karsten Aschenbach werden in 15 Katalogen besprochen. In einigen deutschen, in einem US-amerikanischen und einem französischen Kunstmagazin sind insgesamt zehn Artikel über ihn publiziert. Überregional erscheinen sechs Artikel in Wochenzeitungen und acht in Tageszeitungen. In Berlin gibt es sechs Berichte in Tageszeitungen und sieben in Stadtmagazinen. Messe- und Galerienberichterstattung bezieht sich im deutschen Sprachraum fünfmal auf ihn. Karsten Aschenbach schreibt gemeinsam mit seiner Lebensgefahrtin insgesamt 15 Buchbeiträge und Artikel in kunstspezifischen Zeitschriften.

Das aufklärende Selbst Erzählt Karsten Aschenbach von seiner Zeit an der »Erfolgsakademie«, grenzt er sich sogleich vonjenen Künstlerl-innen ab, die sofort nach dem Studium »Millionäre« geworden seien. Er hingegen habe sich durch die Auseinandersetzung mit aktuellen Weltgeschehnissen, wie dem Golfkrieg, »politisiert«. Er erklärt mir: »Ich habe mich zu ganz anderen Sachen aufgerufen gefühlt, anstelle großer Galeriekünstler zu werden.« Er wollte kein »Kleinunternehmer« mit mehreren Galerien und Angestellten werden, sondern sich den »Luxus« bewahren, »frei« über seine Zeit bestimmen zu können. Es sei ihm bis heute wichtig, im eigenen Leben »gegen eine Form von ökonomischer Logik oder Karrierelogik« sein zu können. Den Weg habe er auch

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gewählt, weil er »immer extrem viel lernen« wollte. Die Freiheit ermögliche ihm sich eine »Auszeit« zu nehmen, in der er zu Recherchezwecken monatelang verreise oder sich mit anderen Dingen beschäftige, die nicht primär mit Kunst zu tun hätten. Deswegen sehe sein Alltag anders aus als bei Künstler/-innen, die von Galerien vertreten werden: Ich bin ein de-reguliertes Subjekt. Ich mache halt nicht nur Kunst und deshalb ist es immer sehr verschieden und hängt von der Tätigkeit ab. Und die gehen in verschiedene Bereiche hinein, sei es, dass ich schreibe oder kuratiere. Auf der einen Seite sieht das aus wie das neoliberale Vorzeigesubjekt, so durchflexibilisiert. Auf der anderen Seite geht es mir natürlich darum, dass ich mir durch diese verschiedenen Tätigkeiten eine Autonomie erhalte, zu welchen Bedingungen ich wie handle. Und dadurch, dass ich mir das Schreiben nicht verbieten lasse, halte ich mir die Möglichkeit der Veröffentlichung und Kritik aufrecht. Deswegen ist der Alltag bei mir verschieden. Im Augenblick ist er extrem so von morgens bis abends malen und abmalen, weil ich in der Ausstellungsvorbereitung bin. Ansonsten bin ich beschäftigt mit Projekten, mit extrem vielen Projekten, wo man sehr viel recherchiert, sehr viel lesen muss, sich vernetzen muss. Also meistens Dinge, die mit dem Kunstbereich nichts zu tun haben und eher so weit außerhalb liegen. (Karsten Aschenbach, K3: 6)

ln der Zusammenarbeit mit seiner Lebensgefährtin sei wichtig, dass s1e sich die »eigene Ausdrucksweise« bewahrten und »selbstbestimmt« blieben. So eine »Art von Pärchenkunst« wäre ein »gegenseitiges Bedingen«, wenn es einem gelänge, den eigenen Rückzugsraum zu nützen und über Meinungsverschiedenheiten zu sprechen. Zu einer seiner Reisen habe er sich veranlasst gesehen, weil er den kuratarischen Konzepten jener Ausstellungen, die vorgeben würden, politisch engagierte Kunst zu präsentieren, etwas entgegensetzen wollte. Er habe nach einer Möglichkeit gesucht, als Künstler jenem Anspruch gerecht zu werden, den Kuratoren und Kuratorinnen zwar oft stellen, aber seiner Meinung nach kaum erfüllen. Denn einen Anspruch zu formulieren, hieße noch nicht, »wirklich politisch zu denken und zu handeln«. Kuratieren heißt wirklich curare, also Sorge tragen. Ich begreife das als einen Teil der politischen Arbeit. Kunst selber trägt das ja in sich. Das heißt also, ich muss schauen, geht das Thema, was ich in den Kunstbereich hinein trage, was macht das in dem Bereich, den ich thematisiere und was bedeutet das für diesen Bereich? Das heißt, man muss soziale Verantwortung übernehmen. (Karsten Aschenbach, K3: 25)

An dieser Stelle skizziert er die Arbeit eines Kollegen, der sich als »politischer Künstler« verstehe, weil er Projekte mit Migranten und Migrantinnen durchführe. Seiner Meinung nach würden auf diese Weise kunstferne Gesellschaftsschichten

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benützt und der »Voyeurismus« des Kunstpublikums bedient. Aus seiner Kritik erwachse sein eigener Anspruch an »politische Kunst«. Er wolle den »Sachen« auf den Grund gehen und sie wirklich verstehen. Deshalb beschäftige er sich seit 25 Jahren mit Theorien, die die Grundlage für seine Recherchen und Beobachtungen bildeten. Obwohl er nicht alles ergründen könne, wolle er sich den »Mund nicht verbieten lassen«. Wenn die Menschen sich der »Ohnmacht« hingeben, dass die Welt zu kompliziert sei, um sie zu verstehen, würde jede Kritik im Keim erstickt. Viele Menschen kümmerten sich nur mehr um ihr privates Glück. Damit dieses nicht eingeschränkt werde, wollten sie von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Missständen nichts wissen. Es mache ihn wütend, dass private und ökonomische Interessen Menschen »verblende«. Als Künstler sehe er sich in der Verantwortung, Informationen herzustellen und zu vermitteln, die fern der in Medien und im Internet »inszenierten und emotionalisierten Bilder« liegen. Es sei falsch, die Flut an medialen Informationen unhinterfragt zu übernehmen. Im Gegensatz zu den anderen lasse er sich nicht blenden und habe sich deshalb zur Aufgabe gemacht, sein Wissen für eine spätere Generation zu bewahren: Ich komme mir immer vor wie ein mittelalterlicher Annalenschrei her. Ich versuche nur noch die Dinge, die da sind, in ein Jahrbuch zu fassen, damit nicht jeder sagen kann, das hätten die alles nicht gewusst. (Karsten Aschenbach, K3: 28) Die vorangegangen Absätze, in denen ich Karsten Aschenbach zu Wort kommen ließ, sollen nun illustrative Grundlage seines in Folge dargelegten Selbstbildes sein: In seiner Erzählung liegt der Fokus nicht auf Individualität oder der persönlichen Alltagswelt, sondern auf gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen, die er mir zu erklären versucht. Auf meine Fragen nach seinem Alltag oder seiner Person setzt er sich stets in Relation zu anderen Personenkreisen, meist in Abgrenzung zu diesen. Seine Kritik an anderen hat nicht nur zum Ziel sich selbst als Individuum zu konstruieren, sondern fordert andere auf, es ihm gleich zu tun. Sowohl die »Galeriekünstler/-innen«, als auch Kuratoren und Kuratorinnen oder das Publikum sieht er als Geblendete und in den herrschenden Gesellschaftsstrukturen Gefangene. Aus seiner Kritik und seinem Aufruf an andere erwächst die Konstruktion seiner selbst, die gleichzeitig sein Bild, wie die Welt funktionieren sollte, beinhaltet. Obwohl er formuliert, er habe sich zu diesem Weg »berufen gefühlt«, sieht er sein Anders-Sein nicht als angeborenen an. Er recherchiere, studiere Theorien und versuche zu verstehen. Seine Fähigkeit die Welt mit anderen Augen zu sehen, ist also erlernt. Künstlerl-innen wie Rezipienten und Rezipientinnen hätten im Grunde die Verpflichtung, sich dieses Wissen ebenso anzueignen. Weil er aber wisse, dass nicht jede/r sich von der »ökonomischen Logik« befreien könne, habe er als »freier« Künstler die Aufgabe, den Menschen andere Informationen zur Verfügung zu stellen. Karsten Aschenbach löst also den »Mythos des autonomen Subjekts«, den er

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bei anderen Künstlerl-innen kritisiert, nicht vollständig auf. Er spricht davon, es sei ihm wichtig, seine »Autonomie« zu erhalten. Auch in der Zusammenarbeit mit seiner Lebensgefährtin ginge es ihm um »selbstbestimmtes Handeln«. Vielmehr kritisiert er, wofür andere Künstlerl-innen diese Freiheit nützen. Ihnen ginge es darum, sich auf sich selbst zu beziehen und von der Gesellschaft abgetrennte kunstimmanente Fragen zu stellen. Karsten Aschenbach stellt an die »Autonomie des Künstlers« einen anderen Anspruch: Der Sonderstatus rechtfertigt sich nur, wenn er der Erforschung gesellschaftlicher Zusammenhänge, der Aufklärung, der antagonistischen Politik, der Verbesserung gesellschaftlicher Missstände diene. Er teilt dem Künstler bzw. der Künstlerin eine bestimmte Position in der Gesellschaft zu: Ihnen wird ein Freiraum zuerkannt, wenn sie sich in den Dienst einer aufgeklärten Gesellschaft stellen. Ihr Wissen kann der Welt den Weg in Richtung einer gerechteren Zukunft weisen. Er selbst nehme diese »Verantwortung sehr ernst«. Kunst für eine aufgeklärte Gesellschaft Das ist unsere heutige Kunstauffassung: Das muss universell sein, und möglichst unkonkret und möglichst viel an Kunst erinnern, an den eigenen kulturellen Sachverstand, den man so gebildet hat, deswegen muss es aussehen, wie der und der, und durch die Universalität möglichst weit weg sein, damit es die Phantasie amegt. Die Kunst verabschiedet sich aus jeglicher Form von engagierter Kunst. (Karsten Aschenbach, K3 : 12)

Karsten Aschenbach spricht davon, dass das Kunstfeld »früher kritischer und angriffslustiger« gewesen sei. Er macht keine genaue Zeitangabe, vermutlich bezieht er sich auf die Kunst der 1960er und 70er Jahre. Damals habe es rege Debatten innerhalb des Feldes und sogar einen Diskurs über Kunst in der Öffentlichkeit gegeben. Aufgrund der Dominanz des Marktes in allen gesellschaftlichen Bereichen herrsche heute die »Universalität und die Wiedererkennbarkeit des Formalen« vor. Aus Angst, nicht mehr finanziert zu werden bzw. kein Publikum mehr zu finden, würden keine gesellschaftlich relevanten Themen mehr behandelt. »Das Kapital« investiere nur in Arbeiten, bei denen »vermeintlich sicher« sei, dass es sich um Kunst handele, d.h. es fördere nur bereits »kanonisierte« Kunst. Es verkaufe sich nur das, was möglichst zeitlos und dementsprechend »beliebig« sei. Mehrmals kritisiert er die Kunst der Leipziger Schule für ihre »reaktionäre Einstellung und Bildkultur« und erklärt, dass sich diese deshalb so gut verkaufe. Kunst, bei der man nicht mehr erkenne, aus welcher Zeit sie stammt, fände er »erschreckend«. Diese Kunst nenne er »Kunst-Kunst«, denn sie konzentriere sich auf sich selbst, abstrahiere auf eine Ebene, die jeglichen Bezug zur Gesellschaft verloren habe. Anstatt >>kämpferisch und antagonistisch« zu sein, konzentrierten sich viele Künstlerl-innen auf die untemehmerischen Aspekte der Kunstproduktion. Deren Gespräche drehten

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sich um die »Anzahl der Mitarbeiter« und nicht mehr um die Kunst. Selbst die staatliche Kulturförderung unterstütze nun statt Projekten mit »gesellschaftlicher Relevanz« nur mehr solche, die »Standortmarketing« betrieben. Diese Form »staatlicher Privatisierung« sei gefahrlich, denn damit gehe der letzte Bereich einer Kunstförderung abseits von Auftragsarbeit verloren. Kunst sei schließlich völlig abhängig von den Vorstellungen der Geldgeber. Wirklich kritische Kunst sei nicht mehr umsetzbar. Kunst werde zur Imagekunst, Kulturförderung zur Marketingstrategie. Wo früher Wissenschaftlerl-innen Museen und Ausstellungshäuser begleiteten und unterstützen, säßen heute »Marketingleute«. Ferner würden viele »Archivstellen und Kustodenstellen« in Museen gestrichen. Es liege am »politischen Willen«, welchen Stellenwert Kunst in der Gesellschaft habe. Vergleiche man selbst die höchsten auf dem Kunstmarkt bezahlten Beträge mit jenen, die für das Militär ausgegeben werden, würde klar, welchen Wert die Kunst wirklich habe. Trotz der Entwicklung hin zum Marketing ermögliche »Ausstellungs-, Museums- und Institutionspolitik« einen Kunstbereich, der fern des Marktes funktioniere. So unterscheide sich das Publikum bei »öffentlich-rechtlichen Kunstveranstaltungen« von jenem bei privatwirtschaftlich organisierten Events. Auch sei die Teilnahme an einer etablierten, öffentlichen Großausstellung, wie der documenta in Kassel, fLir die Künstlerl-innen kein Garant für den Erfolg. Er selbst habe nach seiner Teilnahme keine einzige Ausstellungsanfrage bekommen. Dies führe er allerdings auch darauf zurück, dass er sich mit tagespolitischen Themen beschäftige. Verlange der Markt nach zeitlosen und universellen Werken, sei seine Kunst genau das Gegenteil: Sie sei aktuell und auf einen konkreten politischen Anlass bezogen. Obwohl der öffentlich-rechtliche Bereich sich noch vom Marktsegment unterscheide, seien Aktualität und konkreter Politikbezug doch verpönt. Weil es keine »Pressefreiheit« und keinen »intakten, öffentlichen Raum« mehr gebe, führe politische Kunst nicht mehr zu konstruktiven »Debatten«, sondern es bestehe vielmehr die »Gefahr der Kriminalisierung«. Man sei als Künstlerl-in der Boulevardpresse ausgeliefert. In seiner Kunst gehe er von einer »europäischen, aufgeklärten Öffentlichkeit« aus und er finde es »unheimlich«, dass diese »nicht mehr da« sei. Es sei ihm unbegreiflich, warum seine Rezipienten und Rezipientinnen seine Kunst nicht verstehen, denn seiner Meinung nach sei sein »Wissen kein Geheimnis«. Überdies versuche er in seinen Ausstellungen das Publikum mit Texten und Theorie zu »begleiten«. Prinzipiell denke er, dass die Menschen für das Wissen, das er vermittle, »bereit« seien und er wolle das Publikum nicht »degradieren«, indem er ihnen diese Erkenntnisse nicht zutraue. Immer öfter habe er allerdings das Gefühl, die Leute zu überfordern, denn sie hätten verlernt, »Texte und Bilder zu lesen« und sich selbst Gedanken zu machen. Selbst Mitglieder von Kunstjurys seien überfordert mit den Inhalten seiner Kunst, weil sie keine Ahnung von den Zusammenhängen hätten, die er aufzeige. Seine Kunst rege die Reflexion an und gründe auf seiner reflektierenden Arbeit, weshalb sie im Kontrast zum vorherrschenden Kunstbild stehe.

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Die skizzierten Erzählstränge sollen zum besseren Verständnis von Karsten Aschenbachs Kunstbild beitragen: Im Vergleich zum bereits dargelegten Selbstbild fällt auf, dass sein Anspruch an die Rolle von Künstlerl-innen bzw. an deren Kunst nicht etwas ist, das in Zukunft erreicht werden soll, sondern vor allem etwas, das verloren gegangen ist. Es scheint bereits eine Phase gegeben zu haben, in der sie seinem Anspruch gerecht wurde und in der die Kunst den ihr zustehenden Wert in der Gesellschaft hatte. Erst die Dominanz der Ökonomie und die von Künstlerl-innen missbrauchte Autonomie hätten den Stellenwert und die Funktion von Kunst verändert. Heute diene sie der Gewinnmaximierung und der Reproduktion des etablierten Status des künstlerischen Feldes. Karsten Aschenbach sieht die Künstlerl-innen in der Verantwortung, sich für eine aufgeklärte Gesellschaft zu engagieren. Und er sieht den Staat in seiner Verantwortung den Künstlerl-innen den dafür notwendigen Freiraum zu ermöglichen. Er erklärt mir, er fiihle sich nicht eingeladen, wenn seine Beteiligung an einer Kunstveranstaltung nicht bezahlt werde. Das heißt, er sieht den Staat oder auch private Kunstförderer verpflichtet, ihm seine Dienste an der Gesellschaft zu finanzieren. Der Wert der Kunst in der Gesellschaft messe sich daran, wie viel Geld zur Verfügung gestellt werde. Denn nur durch staatliche Förderung, die keine Bedingungen stelle, könne die Autonomie der Kunst bewahrt werden. Stellt er sich selbst als Experte und Forscher dar, betont er bei staatlichen Kunstinstitutionen die Wichtigkeit von »Archivstellen und Kustodenstellen«, also den wissenschaftlichen Abteilungen. Ihm geht es dabei aber nicht um die Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe, denn dies würde dem Bereich der »Kunst-Kunst« entsprechen, sondern um die Auseinandersetzung mit aktuellen, tagespolitischen Themen. Er fordert: Wissenschaft als Aufklärung, staatliche Förderung als Freiraum für Gesellschaftskritik. Nur so könne die freie Meinungsäußerung in den Medien und im öffentlichen Raum gewährleistet werden. Das bedeutet, nur auf dieser Basis könne seine Kunst auch Gehör finden. Der Staat sollte also seinen autonomen und freien Status garantieren, und einen öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen Raum schaffen, in dem er den Menschen seine Erkenntnisse vermitteln könne. Seine Forderungen an den Staat gehen noch weiter: Dieser sollte den Menschen jene Bildung zugänglich machen, die Bedingung reflektierenden und kritischen Denkens sei. Denn er könne seine Kunst zwar theoretisch aufbereiten und begleiten, wenn die Menschen aber nicht gelemt hätten, »Texte und Bilder zu lesen« und sich Gedanken zu machen, könnten sie seine Kunst auch nicht verstehen. Seine Kunst beruhe darauf, dass Informationen nicht nur übernommen, sondern auch überprüft werden. Karsten Aschenbach hat sich also nicht zur Aufgabe gemacht, sein Publikum zu erziehen, sondem er stellt ihm neue Informationen zur Verfligung. Ein mündiges Publikum sollte in der Lage sein, das Gesehene selbstständig denkend zu verarbeiten und anzuwenden. Wie er selbst feststellt, habe seine Kunst eine »europäische, aufgeklärte Öffentlichkeit« zur Voraussetzung. Seiner Vorstellung nach leiste sich eine aufgeklärte Ge-

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sellschaft Künstler/-innen, damit diese neuartige Informationen und Denkanstöße lieferten. Kunst müsse kritisch sein, weil sie der Gesellschaft als Korrektiv diene.

KENDRA ÄURICH: DIE POLITISCHE KüNSTLERIN Kendra Aurich ist 40 Jahre alt und kam Anfang des Jahrtausends von Süddeutschland nach Berlin, wo sie mit ihrem Ehemann und einem Sohn im Kleinkindalter lebt. Ihre Kunst bezeichnet sie als »politisch und diskursiv«. Sie arbeitet auch als Kuratorin und ist an Forschungsprojekten beteiligt. Mehrmals installiert sie Objekte im öffentlichen Raum oder kuratiert Stadtraumprojekte. In den letzten zehn Jahren erhielt sie zahlreiche öffentlich geförderte Stipendien und Projektgelder. Kendra Aurichs E-Mail-Adresse fand ich auf ihrer Website, auf die ich bei einer Internetrecherche gestoßen war. Sie erklärte sich sofort zu einem Interview bereit, verwies mich jedoch auf einen späteren Zeitpunkt, da sie gerade in der Realisierung eines Projektes stecke. Ich rief sie zum vereinbarten Termin an und wir trafen uns in ihrer Wohnung. Diese lag im dritten Stock eines Altbaus. Bei der Begrüßung duzte sie mich, stellte mir ihren Ehemann vor und bat mich sogleich in ein Zimmer links neben der Eingangstür. Sie fragte mich, ob ich Kaffee wolle und verschwand in den hinteren Teil der Wohnung. Ich saß an einem alten Holztisch mit Glasplatte in einem ca. 20 Quadratmeter großen Zimmer. Zwei hohe Doppelglasfenster zeigten in Richtung Straße. Neben den Fenstern waren eine Couch und ein alter Holzschrank gruppiert. In einer anderen Ecke befand sich ein schlichtes Holzregal, das mit Kisten, Ordnern und Papierstapel voll geräumt war. Davor standen ein alter Kinderwagen, darauf ein Babyautositz, am Boden lag ein Fahrradkindersitz. An der Wand hing ein Kunstwerk. Auch in einem weiteren Zimmer, das ich nach dem Interview kurz betrat, waren alte Vollholzmöbel mit einfachen Holzregalen kombiniert. Zehn Minuten später kam Kendra Aurich mit zwei weißen Tassen in der Hand zurück. Sie entschuldigte sich, dass es so lange gedauert habe, aber sie habe uns »Cafe Latte« gemacht. Der Milchschaum war mit Zimt verfeinert, die Zuckerdose passte zu den Tassen. Sie schloss die Flügeltüren zum Flur und ließ dabei einen Spalt offen. Einige Zeit war ihr Mann zu hören, der am anderen Ende der Wohnung bohrte und hämmerte. Später verließ er die Wohnung, ohne uns zu stören. Kendra Aurich nahm das Interview sehr ernst und schien sich nicht um die Zeit zu kümmern. Als sie die Einwilligungserklärung las, fragte sie mich, wie sie unterschreiben solle. Sie habe eigentlich einen Doppelnamen, den sie aber als Künstlerin nicht verwende. Nach zwei Stunden läutete ihr Telefon und sie fragte mich, ob sie abnehmen dürfe. Nach dem Telefonat äußerte sie sich erstaunt über die Uhrzeit und erklärte, sie müsse leider gehen, sie habe jetzt noch ein Interview mit einer Frau, die

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auch eine wissenschaftliche Arbeit schreibe. Wir verließen gemeinsam das Haus und schüttelten uns vor der Tür zum Abschied die Hände. Kendra Aurich wurde Anfang der 1970er Jahre in Süddeutschland geboren. Nach dem Abitur studierte sie vier Jahre an einer Fachhochschule Design. Im Rahmen des Erasmus-Programms verbrachte sie ein Jahr an einer Universität in Nordengland. Nach dem Abschluss arbeitete sie als Praktikantirr für verschiedene Werbeagenturen. Weil ihr diese Arbeit nicht gefiel, begann sie einen Masterstudiengang an einem Londoner College. Nach einem Jahr schloss sie diesen mit einem Diplom für Mediengestaltung ab. Damals entschied sie sich, doch noch an einer deutschen Kunstakademie zu studieren. Sie wurde an einer Akademie in Süddeutschland für den Studiengang Malerei aufgenommen und absolvierte nach sieben Jahren ein Diplom in Bildhauerei. Wurde sie während ihres Fachhochschulstudiums von ihren Eltern finanziell unterstützt, arbeitete sie nun halbtags im Medienbereich. Zu dieser Zeit begann ihre Zusammenarbeit mit einem Künstler und einer Künstlerin. In Folge traten sie als Künstlergruppe auf und gründeten gemeinsam einen Bundesverband, um sich für die Belange einer bestimmten, benachteiligten Beschäftigungsgruppe einzusetzen. Zu diesem Thema stellten sie einerseits in Kunstvereinen aus, andererseits organisierten sie Lobby-Veranstaltungen im städtischen Raum, bereiteten Informationsmaterial auf und akquirierten Sponsorengelder. Für ihre Arbeit erhielten sie einen privatwirtschaftlich gesponserten Preis. Nach dem Studium schrieb sie sich erneut für einen Masterstudiengang in einer ostdeutschen Stadt ein und erhielt dafür ein Stipendium eines Begabtenförderwerkes des Bundes. Diesen Studiengang schloss sie jedoch nicht ab. Zeitgleich lehrte sie an verschiedenen Kunsthochschulen und war an zwei Forschungsprojekten beteiligt. Ein halbes Jahr war sie als Kuratorirr ftlr ein Kunstfestival tätig, das von ihrer süddeutschen Studienstadt gefördert wurde und im öffentlichen Raum stattfand. Mitte des ersten Jahrzehnts zog sie nach Berlin, wo sie an einem einjährigen, öffentlich geförderten Professionalisierungskurs für Künstlerl-innen teilnahm. Danach erhielt sie ein staatliches Stipendium ftlr einen halbjährigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. In den letzten Jahren war sie Mitglied in einem Forschungsprojekt einer Bundesstiftung, kuratierte eine Ausstellung in einem Berliner Kunstverein und ein weiteres Mal im Rahmen des erwähnten süddeutschen Kunstfestivals. Im Laufe ihres Berufslebens als Künstlerin stellte sie sieben Mal in Kunstvereinen, zwölf Mal in städtischen Kunsträumen, neun Mal in Kunsthallen, die sowohl öffentlich als auch privatwirtschaftlich finanziert waren, ftlnf Mal im öffentlichen Raum und sieben Mal in Räumen der Akademie oder in Künstlerwerkstätten aus. Zum Zeitpunkt des Interviews war an einem Verkehrsknotenpunkt in der Nähe ihrer Wohnung eine ihrer Installationen aufgestellt. Dieses Projekt konnte sie mithilfe einer Förderung des Landes Berlin umsetzen. 2009 erhielt sie ein hoch dotiertes öffentlich gefördertes Arbeitsstipendium.

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Das berufliche Selbst Wenn man an der Akademie aufgenommen ist, muss man einen Zettel ausfüllen und sein >Berufsziel< angeben. Und dann stand ich da und dachte: Berufsziel? Neben mir war eine Kollegin, die viel jünger war, die war sicher zehn Jahre jünger als ich, und die schrieb >KünstlerinDas kannst du nicht hinschreiben, Künstlerin kann man doch nicht werden!< Für mich war das damals noch dieses Genie, also du kannst dich nicht selbst als Künstlerin bezeichnen, sondernjemand anderes bezeichnet dich, wenn, als Künstler. Heute sehe ich das ganz anders: Künstlerin ist ein Berufund Punkt. Also, das ist nichts anderes. Ja! Im Endeffekt ist es so pragmatisch. (Kendra Aurich, K4: 17)

Den »Einstieg in die Akademie« habe sie nur geschafft, weil sie sich fl.ir den Studiengang Malerei beworben habe. Ihre Bewerbungsmappe bestand ausschließlich aus »zweidimensionalen, grafischen Arbeiten«, weshalb sie beim Studiengang Bildhauerei keine Chance gehabt habe. Überdies sei es ihr »Glück« gewesen, dass eine »lnterimsprofessorin« sie aufgenommen habe. Während des Studiums arbeitete sie drei Tage in der Woche. Die restliche Zeit habe sie »eigentlich in der Akademie gewohnt«. Die Akademie sei ein optimaler Ort, um ein »Netzwerk« aufzubauen, ohne »etwas dafl.ir tun zu müssen«. In ihrer Studienstadt sei sie sehr gut in die Kunstszene integriert gewesen, trotzdem wollte sie »aus Süddeutschland weg«. Weil sie wusste, dass man »als Künstlerin sehr flexibel« sein müsse, gab sie ihren Halbtagsjob auf und bewarb sich für ein Stipendium eines Begabtenförderungswerkes. Für den Masterstudiengang habe sie sich deshalb eingeschrieben, weil dies eine der Bedingungen flir die Bewerbung gewesen sei. Anstatt zu studieren, habe sie »als Künstlerin ganz normal weitergearbeitet«. Die Stiftung, von der sie das Stipendium erhielt, sei »sehr einsichtig« gewesen, als sie erklärte, sie habe kaum Kurse besucht. Danach arbeitete sie ein halbes Jahr als Kuratorirr und verdiente dabei »viermal so viel wie als Künstlerin«. Darauf folgte das Stipendium für den Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. Statt sechs Monate sei sie nur drei geblieben. Sie habe die Zeit als »sehr unkreativ« empfunden, weil sie mehr damit beschäftigt gewesen sei, die »Lebenssituation zu meistern«. Auf der Suche nach einer möglichst billigen Unterkunft sei sie alle drei Wochen umgezogen. Sie habe damals gedacht: »Umso weniger ich ausgebe, umso mehr habe ich dann noch für hier.« Als Künstlerin wisse man nie, wann das nächste Mal eine Anfrage komme. Es könne spontan j emand anrufen und sagen: »Komme morgen, ich brauche dich.« Deshalb könne eine Künstlerin keinen >>normalen Beruf« ausüben. Einem Arbeitgeber sei kaum zu vermitteln, dass man vier Wochen nicht arbeiten könne, weil man ein anderes Projekt machen müsse. Im Kunstfeld werde man aber nur wahrgenommen, wenn man immer unterwegs sei und spontane Angebote annehme. Schlage

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man diese ständig aus, würden die Leute irgendwann nicht mehr an einen denken. Sie selbst habe diese Erfahrung gemacht: Weil ich schwanger war und das Kind hatte, konnte ich eine Zeit lang weniger aktiv sein und da war es ganz schnell weniger, was hereinkam. Also, es ist schon wichtig, wie viel man in der Öffentlichkeit unterwegs ist, wie viele Ausstellungen man macht. Umso mehr Ausstellungen man macht, umso mehr lesen die Leute, umso mehr wird man dann auch wieder angesprochen. (Kendra Aurich, K4: 11)

Sie sei jemand, der »viel action« mache und »Dinge durchziehen« wolle. Dies habe zu Problemen in ihrer Künstlergruppe geführt. Kendra Aurich vermutet, sie habe >>zu viel Druck« ausgeübt, weil sie immer >>dies und das noch machen« wollte. Vor allem ihre Kollegin habe deswegen immer Bedenken geäußert. Zu Beginn arbeiteten sie ständig zusammen und diskutierten stundenlang. Diese »Basis« habe die Gruppe über fast zehn Jahre getragen, obwohl es bereits nach fünf Jahren »gruppendynamisch schwierig« geworden sei. Heute sei die Kollegin ausgestiegen, spreche nicht mit ihr und arbeite nicht mehr künstlerisch. Kendra Aurich erklärt mir, Künstlergruppen hätten ohnehin »nur eine gewisse Lebensdauer«. In der Kunstwelt werde man »als Einzelgenie gehandelt«, weshalb es kompliziert sei, sich gemeinsam zu etablieren. Zum Beispiel könne man sich um viele Stipendien und Fördergelder nur als Einzelperson bewerben, genauso wie eine Professur nur in Ausnahmefallen von einer Gruppe besetzt werde. Deshalb verfolgte die Gruppe die »Strategie«, neben dem Namen der Künstlergruppe auch jene der Mitglieder anzuführen. Tauche der eigene Name nicht auf, wisse im Kunstfeld schließlich niemand, wer man ist. Als Kendra Aurich von ihrer Reise in die Vereinigten Staaten zurückkam, erhielt sie in Berlin die Zusage, ein Jahr an einem öffentlich finanzierten Professionalisierungskurs für Künstlerl-innen teilnehmen zu können. Für mich war das ein Schritt zur Unabhängigkeit von der Gruppe, weil ich ja vorher wirklich hauptsächlich nur Gruppenarbeiten gemacht habe, und dann auch so ein bisscheu Angst hatte, schaffe ich es alleine und kann ich es alleine. Als ich gemerkt habe, dass es in der Gruppe vielleicht auf Dauer doch nicht so geht, da war der Kurs schon so ein Startpunkt, um etwas alleine zu machen. Und dann war ich auch neu in Berlin und im Kurs habe ich auch Freundinnen gefunden und so die Kunstwelt ein bisschen kennengelernt (Kendra Aurich, K4: 15)

Trotzdem habe sie sich dafür eingesetzt, dass die Namen der anderen Gruppenmitglieder im Katalog, den sie während dieser Zeit produzierte, e1wähnt wurden. Die Gruppe habe also davon profitiert, dass sie als Einzelkünstlerin an dem Kurs teilnahm. Im Kurs selbst habe es ebenfalls Konkurrenz gegeben. Für sie stehe dies im »Widerspruch« dazu, dass Künstlerl-innen nur im Netzwerk funktionierten. Die

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Kollegen und Kolleginnen müssten sich ihre »eigene Position« klarer machen und erkennen, dass künstlerische Arbeiten sehr verschieden seien. Da nicht jede Arbeit zu jedem Ausstellungskonzept passe, könne man durchaus eine Kollegin empfehlen. Schwierig werde es erst, wenn die »Interessen sehr nahe« lägen. Während des Kurses habe sie offen thematisiert, worin sie ihre Defi zite sehe. Weil es im Kunstfeld »total wichtig« sei, wie man auftrete, habe sie versucht, ihre Ängste vor Vorträgen abzubauen und sich mehr in Diskussionen einzubringen. Seit dem Kurs habe sie eine »gewisse Selbstverständlichkeit als Künstlerin« und habe den Einstieg in die Berliner Kunstszene geschafft. Allerdings seien ihre Kontakte auf bestimmte Zusammenhänge begrenzt. Zum Beispiel sei sie gewerkschaftlich organisiert, Mitglied eines K unstvereins und kenne Leute eines städtischen Kunstraumes. Mit dem »Galerienbereich« komme sie hingegen nie in Berührung. Wenn sich eine Idee für ein Projekt konkretisiere, stelle sich sogleich die Frage nach der Finanzierung. Für ihr aktuelles Projekt reichte sie einen »Projektentwurf« bei einer öffentlichen Förderstelle ein und wurde ausgewählt. Auf meine Frage erklärt sie mir, sie sei wahrscheinlich unter den 500 Bewerberl-innen aufgefallen, weil ihr Entwurf bereits »etwas Konkretes« gewesen sei. Für das Deckblatt des Antrags habe sie eine »Fotocollage« erstellt, die den Platz mit der geplanten Skulptur zeigte. Für die Auswahljury sei dies wichtig, denn diese müsse abschätzen, ob die Person das Projekt wirklich realisieren könne. Die Bewilligung habe länger gedauert, weil der zuständige Sachbearbeiter auf Urlaub gewesen sei. Nach mehrmaligem Nachfragen erzählte sie mir: Ich habe auch die Unterstützung von diesem Kunstraum bekommen, was auch ganz wichtig war. Wenn man allein, also als Künstlerin anruft, wird man sofort abgewiegelt. Und ich hatte über ihn, also er hat das im Endeffekt beantragt, die Genehmigung. Er hat mich da sehr unterstützt. Wir hatten so eine Kostennummer, und eine Produktionsnummer, und dann kommt man natürlich ganz anders weiter. Das ist sozusagen ein Kollege, der das beantragt, und nicht irgendwie irgendjemand. (Kendra Aurich, K4: 3)

Durch die Verzögerung habe sie flir die Umsetzung nur drei Wochen Zeit gehabt. Eine Woche lang schweißte sie gemeinsam mit ihrem Mann an den flir die Installation notwendigen Teilen. Für die restlichen Arbeiten vor Ort, d.h. an einem Platz im öffentlichen Raum, beauftragte sie Firmen. Es sei eine »große Aufregung« gewesen, alle Auflagen der Behörden, der Polizei und des Ordnungsamtes zu erfüllen und die verschiedenen Firmen zu koordinieren. Fast sei es an einer fehlenden Bewilligung gescheitert. Da der Aufbau durch die Firmen teurer ausfiel als geplant, habe sie die »Dokumentation« gestrichen. Ihre wäre sonst kein Geld übrig geblieben, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. In Zukunft wünsche sie sich, dass sie noch einige Male Förderung erhalte, um ihre Projekte realisieren zu können. Wenn »alle Fördertöpfe ausgeschöpft« seien, träume sie von einer »Kustodenstelle«.

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Die vorangegangene Nacherzählung fasst jene Stellen des Interviews zusammen, die Kendra Aurichs Selbstverständnis als Künstlerin plastisch werden lassen. Die in ihren Arbeiten thematisierten Inhalte führt sie nur am Rande aus. Sie konzentriert sich auf die alltäglichen Fragen: Wie finanziere ich mich? Welche Kontakte sind wichtig und wie bekomme ich sie? Wie präsentiere ich mich im Kunstfeld? Wie setze ich den Entwurf einer Installation um? Was muss dabei organisiert werden? Mit wem arbeite ich zusammen? Wie lange ist eine Künstlergruppe von Vorteil? Ab wann hemmt sie den eigenen Karriereweg? Sie gibt zu, »strategisch« vorzugehen und beschreibt Karriereschritte nicht als Resultate ihres besonderen Könnens, sondern als günstige Zufalle oder geglückte Resultate pragmatischen Vorgehens. Ihre Aufnahme an die Hochschule führt sie auf die anscheinend weniger anspruchsvollen Kriterien einer Interimsprofessorin zurück. Die Fotocollage auf dem Deckblatt ihres Antrags verhalf ihr zur Förderung, weil es der Vorstellungskraft der Jurymitglieder dienlich war. Sie schreibt sich in einem Studiengang ein, um ein Stipendium zu bekommen. Den Professionalisierungskurs betrachtet sie als Instrument der Loslösung von der Gruppe und der Stärkung des eigenen Auftretens. Der Kurs soll sie in dem ausbilden, was für ihre Prof ession wichtig ist. Ihre Handlungen setzt sie stets in Bezug zu dem, wie das Kunstfeld aus ihrer Sicht funktioniert. Man müsse ständig präsent und abrufbar sein, als Einzelperson auftreten, gut reden können und die richtigen Kontakte haben. Ihr Vorgehen scheint erfolgversprechend zu sein: Bei ihr reiht sich eine Förderung an die nächste. Ihre Kollegin, die weniger »action machen« wollte, arbeitet nicht mehr als Künstlerin. In ihrer Erzählung problematisiert sie ausführlich, wie sie ihren Lebensunterhalt finanziert. Dennoch entscheidet sie sich für die künstlerische Arbeit als Beruf, obwohl ihr ihre erste augewandte Kunstausbildung zu lukrativen Jobs verhalf oder sie als Kuratorirr viermal so viel verdienen würde wie als Künstlerin. Im Gegensatz zu ihrer Einstellung zu Beginn des Akademiestudiums sehe sie heute Kunst als einen Beruf an. Sie wolle ihren Lebensunterhalt mit ihrer Kunst verdienen. Sie erklärt, ihre Kunst eigne sich nicht dafür am Markt verkauft zu werden. Deshalb müsse sie sich um Stipendien und Fördergelder bewerben. Jährlich gelingt es ihr, eine öffentlich geförderte und zeitlich befristete Finanzierung zu bekommen. Ihre künstlerischen Projekte werden ausschließlich von staatlichen Geldern finanziert. Geldfragen dominieren nicht nur in der Erzählung, sondern scheinen auch Einfluss auf ihre künstlerische Arbeit zu haben. Anstatt ihre Zeit in den Vereinigten Staaten ftir ihre Arbeit zu nützen, verbringt sie diese mit der möglichst effizienten Nutzung der ihr zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen. Abgesehen vom Studium an der Akademie habe sie von keinem ihrer Masterstudiengänge inhaltlich profitiert. Sie dienten der temporären Finanzierung des Lebensunterhalts, sonst seien sie uninteressant gewesen. Spricht sie von ihrer künstlerischen Arbeit, liegt die Betonung nicht auf der Relevanz vermittelter Inhalte, sondern auf ihren persönlichen Unsi-

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cherheiten, Ängsten und mangelnden Kompetenzen. Sie thematisiere ihre Schwachstellen bewusst, weil sie etwas lernen wolle. Kendra Aurich möchte den Anforderungen des Feldes gerecht werden, jene Fähigkeiten erlernen, die es ihr abverlangt. Sie gehorcht den Regeln, weil sie dies als Teil ihres Berufes ansieht. Der Beruf der Künstlerin zeichnet sich ihrer Meinung nach durch folgende Punkte aus: flexible Arbeitszeit, befristete Förderungen, unsicheres Einkommen, Projektarbeit, temporäre Zusammenarbeit, lebenslanges Lernen, Konkurrenz unter Kollegen und Kolleginnen, Öffentlichkeitsarbeit, selbstsicheres Auftreten, hohe Selbstverantwortung und Selbstbestimmtheit, die sie als »Freiheit« beschreibt.

Kunst als Projekt Kendra Aurich kommt mit Ende 20 an die Akademie. Ein Studium an einer Kunsthochschule sei immer ihr »Traum« gewesen, sie habe sich aber die Aufnahmeprüfung nicht zugetraut. Weil sie an den »Geniekult« glaubte, sei es für sie eine »imaginäre Wunschvorstellung« gewesen. Dass der Bereich der angewandten Kunst nicht ihre »Welt« sei, habe sie aber immer gewusst. Damals sei sie »total unglücklich« gewesen und »das freiere Arbeiten« habe ihr »mehr Spaß« gemacht. Weil sie von ihrem ersten Studium gewohnt war, Aufgaben zu erfüllen, habe sie sich zunächst an der Akademie allein gelassen gefühlt. Außer den wöchentlichen »Kiassenbesprechungen« gab es dort keine Pflichtveranstaltungen. Sie besuchte freiwillig Veranstaltungen, die von den Studierenden organisiert waren. Dort traf sie Studierende aus anderen Fächern, wie der Bildhauerei, die »viel offener mit der Kunst umgegangen« seien. Bald fand sie die Besprechungen in ihrer Klasse »langweilig«. Nach einem Jahr wechselte sie in eine Klasse, die bald darauf ohne Professor geführt wurde. Bis die Stelle neu besetzt wurde, initiierten die Studierenden ein »Gruppenprojekt«, aus dem eine Installation im Hof der Akademie entstand. Dachte sie zu Beginn des Studiums, es drehe sich alles darum, so viel wie möglich zu zeichnen, habe sie durch ihre Aktivitäten erkannt, dass ihr aktuelle politische Geschehnisse und Fragen wichtiger seien. Sie engagierte sich in den Studierendenstreiks der 1990er Jahre. Wie sie selbst sagt, veränderte sich ihr »Kunstbegriff« grundlegend. Glaubte sie zuerst an ein aus ihr »heraus geschaffenes Produkt«, das durch handwerkliches Training zur Perfektion gelange, sei ihre heutige künstlerische Arbeit nicht verkäuflich. Sie recherchiere, informiere sich über Themen, führe Interviews mit Experten und Expertinnen oder kooperiere mit Wissenschaftler/-innen. Aus der Arbeit resultiere Unterschiedliches: Es reiche von Installationen im öffentlichen Raum, über wissenschaftliche Vorträge bis hin zu umfassenden Ausstellungen zum Thema. Für die Umsetzung beauftrage sie oft »Fachleute«, weil ihre Installationen aus schweren Stahlkonstruktionen oder Betonblöcken bestünden. In

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Bezug auf ihre aktuelle Installation erklärt sie, sie sei länger mit der »Idee herum gelaufen«, ihr habe aber der »spezielle Bezug« zur Situation in Berlin gefehlt, ohne den sie die Arbeit uninteressant gefunden habe. Ihr Anspruch an »politische Kunst« sei heute hoch. Sie finde es »nicht mehr vertretbar«, wenn Kuratoren und Kuratorinnen ein »aufgeblasenes, theoretisches, politisches K onzept« hätten und K ünstler/ -innen einlüden, deren Arbeiten zwar politisch interpretiert werden könnten, die den Bezug zum Politischen aber nicht selbst herstellten. Die Intention der Künstlerl-innen müsse mit der Intention der Kuratoren und Kuratorinnen und dessen, was vermittelt wird, übereinstimmen. In folgender Interviewpassage erzählt Kendra Aurich über die Reaktionen der Menschen auf dem städtischen Platz, wo zum Zeitpunkt des Interviews ihre Installation aufgestellt war: Also wir haben an diesem Platz ja drei Tage verbracht. Und es kamen immer fast zur gleichen Uhrzeit die gleichen Leute. Da sind auch relativ viele Obdachlose. Und eine Frau, die war so ein bisschen erbost, die meinte: »Warum baut ihr nicht für uns etwas?« Ja, und sonst habe ich zwei Migrantinnen gehört, die fragten: »Geht das jetzt gegen Migrantinnen?« Das hat mich dann schon ein bisschen erschreckt. Aber lustig war, vor zwei Tagen war ich noch einmal dort: Ich stand da so herum und habe mir das angeschaut und dann kam so ein Typ und sagte: »Ja, ich sage ihnen, was das ist.« Und der hat mir das dann wirklich erklärt und er fand das auch ganz gut. Also man kann nie sagen, wie es die Leute im Endeffekt sehen. Aber ich glaube schon, dass es viel zur Kommunikation füh1t, also die Leute fragen sich eben: Was ist das? Und reden dann darüber. Und ich glaube, viele sehen es schon so, w ie ich es gerne will, dass sie es sehen. (Kendra Aurich, K4: 5)

Neben der Installation im öffentlichen Raum gehörte zum Kunstprojekt eine Veranstaltungsreihe, die wöchentlich in einem nahen Kunstraum stattfand. Auf meine Frage, welches Publikum zu diesen Veranstaltungen gekommen sei, erklärt sie mir, das hänge meist von den Referenten und Referentinnen ab. H abe sie Wissenschaftlerf-innen eingeladen, w ürden viele Studierende kommen. Zu diesen Terminen würde dann allerdings »kein Kunstpublikum« erscheinen, weil es denen »ZU wissenschaftlich« sei. Einmal sei ihr ein Mann aufgefallen, der nicht dazu passte, weil er einen Anzug trug. Erst im Nachhinein habe sie erfahren, dass er Direktor eines staatlichen Museums gewesen sei. Sie fungiere bei den Veranstaltungen meist als »Moderatorin«, müsse aber noch lernen, die Diskussionen besser auf die Fragen zu fokussieren, die sie interessierten und auf die sie sich eine Antwort erhoffe. Andere Personen, die n ichts mit der Kunst oder dem Thema zu tun haben, kämen nicht zu den Veranstaltungen, selbst dann nicht, wenn es sich um ein Rahmenprogramm zu einer Installation im öffentlichen Raum handele. Was sagen nun Kendra Aurichs Aussagen über ihr Kunstverständnis aus? In ihren ersten Semestern an der Akademie glaubt sie nicht an ihr eigenes Genie, denkt,

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sie werde niemals das zeichnerische Können ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen erreichen, lässt sich aufgrund ihres Alters von den Professoren und Professorinnen nicht mehr beeinflussen und ist das selbstständige Arbeiten nicht gewohnt. In der Malereiklasse fühlt sie sich unwohl. Dem dort vermittelten Kunstbild der malerischen Perfektion und des Lehrer-Schüler-Verhältnisses kann sie nicht entsprechen. Sie geht auf die Suche und findet Studierende, die einen anderen Kunstbegriff vertreten. Statt handwerklichen Trainings geht es ihnen um den Bezug zu aktuellen Geschehnissen. Statt ästhetischer Fragen der Farbenlehre werden politische Fragen gestellt, die in Kooperation mit Wissenschaftlerl-innen bearbeitet werden. Die künstlerische Arbeit ähnelt wissenschaftlicher Vorgehensweise: recherchieren, lesen, Interviews führen, Informationen sammeln und aufbereiten, Vorträge halten, Veranstaltungen organisieren oder im Team arbeiten. Der Kunstbegriff begrenzt sich nicht auf ein Produkt, sondern alle diese Tätigkeiten werden darunter subsumiert. Eine Installation im öffentlichen Raum ist nur eine von vielen Varianten, wie ein Thema bearbeitet und vermittelt wird. Die Kunst ist das Projekt, in dem man sich eines Themas annimmt oder sich für eine benachteiligte Bevölkerungsgruppe engagiert. Die Künstlerin fungiert als Projektleiterin. Sie holt sich Wissenschaftler/ -innen oder Kollegen und Kolleginnen ins Team, lenkt deren Diskussionen, organisiert die Umsetzung einer Veranstaltung, einer Installation oder anderer künstlerischer Ausdrucksformen und ist verantwortlich für die Finanzierung. Dieses Kunstverständnis scheint unvereinbar mit dem, was Kendra Aurich als eine Regel des Feldes beschreibt: Man muss sich als Einzelkünstler/-in positionieren. Sie löst dieses Problem, indem sie verstärkt mit Wissenschaftlerl-innen und weniger mit Kollegen und Kolleginnen zusammenarbeitet. Bei ihrem aktuellen Projekt scheint sie als alleinige Künstlerin und Hauptverantwortliche des Projektes auf. Die bei den Rahmenveranstaltungen referierenden Wissenschaftlerl-innen sind Teil ihres Kunstprojektes, weil sie von der Künstlerin eingeladen wurden. Sie sind deshalb aber noch lange keine Künstler/-innen. Das Werk wird zum Projekt und die Künstlerin zur Projektleiterin. Das Projekt ist die Kunst und nicht die verschiedenen für das Publikum sichtbaren Ausdrucksformen. Kendra Aurich steuert und organisiert weder, wer an den Veranstaltungen teilnimmt, noch mischt sie sich ein, wie Passanten und Passantinnen ihre Installation im öffentlichen Raum beurteilen. Inkognito lauscht sie den Gesprächen und freut sich, wenn die Interpretation in ihrem Sinne ist. Sie liefert allerdings kein Zusatzmaterial, outet sich nicht als Produzentin des Werkes, stellt sich nicht den Fragen des Publikums. Es erschrecke sie zwar, wenn jemand etwas völlig anders interpretiere, als sie es intendiert habe. Doch sie erzählt nicht, dass sie einzelnen Personen ihre Sichtweise erkläre. Ihre Installation soll nicht erziehen, sondern jenen, die die Inhalte in ihrem Sinne verstehen, zusätzliche Informationen liefern oder zeigen, dass sichjemand des Themas annimmt. Die Veranstaltungen nützt sie, um von den Referenten und Referentinnen und den Teilnehmenden zu lernen.

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Sie erhofft sich von ihnen Antworten auf ihre Fragen. Sie wünsche sich mehr kunstspezifisches Publikum. Viele Kunstakteure interessierten sich allerdings nicht für wissenschaftliche Vorträge. Das Ziel der Künstlerin scheint zu sein, zukünftig ihre Veranstaltungen noch mehr dazu zu nützen, neue Kontakte zu relevanten Akteuren des Feldes aufzubauen.

KLEMENS ADLER: DER PERFORMANCEKÜNSTLER

Klemens Adler ist Ende 20 und wuchs in der Schweiz auf. Er ist Performancekünstler und arbeitet mit Rauminstallationen aus Videos, Diaprojektionen, Lichteffekten und Zeichnungen. Als Künstler initiiert er überdies Projekte, in denen er mit Personen aus verschiedenen Disziplinen eine meist ortsbezogene Thematik bearbeitet. Ziel dieser Projekte ist eine dauerhafte Verankerung in den lokalen, oft regionalen Strukturen, d.h., die dabei entstandene Kunst soll von den Bewohnerl-innen weiter betreut und vermittelt werden. Ein von mir interviewter Kunstraumleiter schrieb mir Klemens Adlers Telefonnummer mit den Worten auf: »Der Künstler istjung und steigt gerade auf.« Als ich Klemens Adler zum ersten Mal anrief, ve1wies er mich auf einen späteren Zeitpunkt, da er gerade in der abschließenden Phase eines Projektes stecke. Einige Wochen später vereinbarten wir einen Termin in seinem Atelier. Dieses lag in einem großen Backsteingebäudekomplex. Der Komplex war freistehend und zog sich die S-Bahn-Gieise entlang. Ich erreichte das Atelier über zwei aneinander anschließende Hinterhöfe und eine breite Steintreppe, die sich bis in den vierten Stock zog. Klemens Adler öffnete die schwere Stahltür und erklärte mir sogleich, er müsse noch kurz etwas fertig machen. Ich stand in einem sehr großen L-förmigen Raum. Deckenhohe, alte Kastenfenster säumten eine Längsseite und eine Breitseite und gaben den Blick über die Dächer frei. Der Raum war an zwei Stellen provisorisch mit Bücherregalen und einem Vorhang geteilt. In der Mitte der so geteilten Bereiche stand jeweils ein großer Stahlrohrtisch mit Stühlen. Auf dem dunkelgrauen PVC-Boden lagen große Papierbögen, in einer Ecke stand ein Modell aus Pappe. Der Raum war schlicht gestaltet und wirkte wie eine Werkstatt. Klemens Adler saß an einer Holzplatte auf Böcken und tippte etwas in seinen Laptop. Ungefähr flinf Minuten später bat er mich in den hinteren Bereich, brachte mir Kaffee und wir setzten uns an den großen Tisch nebeneinander. Während des Interviews schien Klemens Adler ungeduldig zu sein, gegen Ende nahm er sich Zeit mir Tipps zu geben, welche weiteren Interviewpartnerl-innen für meine Studie sinnvoll wären. Klemens Adler wurde Mitte der 1970er Jahre in der Schweiz geboren und wuchs in einer Gemeinde mit 4.000 EinwohnerniEinwohnerinnen auf. Nach dem Abitur begann er ein naturwissenschaftliches Studium an einer Züricher Universität.

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Vier Semester später wechselte er an eine Schweizer Kunsthochschule und besuchte die Klasse eines renommierten Aktionskünstlers. Gleich zu Beginn des Studiums reiste er ein halbes Jahr durch Nordamerika und verbrachte einen Sommer in New York. Ein Jahr unterbrach er sein Studium, um auf einem Bauernhof seinen Zivildienst abzuleisten. Bevor er an eine Berliner Kunsthochschule wechselte, lebte er vier Monate in Asien. Bereits im Laufe seiner Studienzeit führte Klemens Adler zahlreiche Performances und Projekte durch. Eine Performance fand in Kooperation mit einer privaten Kunstsammlung an exponierter Stelle im öffentlichen Raum statt. Im Rahmen einer Reihe zur Förderung junger Künstlerl-innen eines renommierten Schweizer Ausstellungshauses realisierte er als Einzelausstellung eine Rauminstallation. Ein Projekt beschäftigte sich mit einer ortsbezogenen Thematik, wurde öffentlich finanziert und in überregionalen und auch deutschen Zeitungen positiv rezensiert. Anfang des neuen Jahrtausends schloss er sein Studium als Meisterschüler einer renommierten Performancekünstlerin in Berlin ab. In den folgenden flinf Jahren initiierte er ein weiteres großes Projekt, das die Vergangenheit eines spezifischen Ortes aufarbeitete. Aufgrund der großen medialen Resonanz seines ersten Projektes wurde das zweite von Bund, Land und Kommune finanziert. Nach zweijähriger, intensiver Arbeit wurde dieses Projekt noch breiter und positiver von der Presse aufgenommen als das erste. Einige Zeit danach wirkte er an einer großen Gruppenausstellung eines Berliner Kunstraumes mit. Im gleichen Jahr war er bei einer Kunstmesse und einer Gruppenausstellung in zwei asiatischen Ländern vertreten. Des Weiteren partizipierte er mit einer Rauminstallation an einem Kunstfestival einer europäischen Kulturhauptstadt Im Interview erzählt er mir, er habe zwei Kinder und lebe mit seiner Familie in Berlin.

Das autonome Selbst Auf meine Frage, warum er sich entschieden habe, Kunst zu studieren, antwortet Klemens Adler: Weil ich das schon, seit ich 13 Jahre alt bin, machen wollte. Und weil es das war, was mich inhaltlich am meisten interessiert hat. (Kiemens Adler, KS: 13)

Das Kunststudium habe ihm einen »höher angesehenen gesellschaftlichen Status« geboten, der ihn von »anderen Dingen« befreite, wie der Verpflichtung einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Dadurch habe er Zeit gehabt, »ZU lesen, zu lernen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, Dinge zu tun, von denen man gar nicht wusste, wozu sie später einmal gut sind«. Sowohl sein Professor in Zürich als auch seine Professorin in Berlin hätten ihn »gewähren lassen«, obwohl er manchmal »Interessen« verfolgt habe, die für den »Kunstkontext«, in dem er stand, >>völlig irrelevant«

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und auch nicht Teil der Ausbildung gewesen seien. An den beiden Akademien sei das Angebot an Kursen, die er zur Ausbildung seiner Interessen benötigt habe, sehr schlecht gewesen. »Interessanter« als den Austausch mit den Studierenden habe er Gespräche »mit einem Freund, der Naturwissenschaftler und Mediziner« war, gefunden. Seinen Zivildienst habe er deswegen erst während seines Studiums abgeleistet, weil er eine »andere Perspektive von einem kulturellen Leben erleben und erfahren« wollte. Das »Einfache, Traditionelle, Erdgebundene und Handfeste« empfand er als Kontrast zu den »Szenemenschen« an der Akademie. Da sein Züricher Professor und seine Berliner Professorin in der zeitgenössischen Kunstszene sehr angesehen sind, habe er gute Kontakte knüpfen können: An der Hochschule lernte ich sehr etablierte Künstler kennen. Das heißt, man hat ein Geftihl bekommen, wie die ticken und wie die tun, und was das ftir Menschen sind. Und auch wie sie in ihrer Umgebung sind. Und das ist so eine Art Anknüpfungspunkt, den man einmal kennengelernt hat. Es hat auch eine Auseinandersetzung mit denen stattgefunden. Das fand ich sehr gut. (Klemens Adler, KS: 11)

Er erklärt mir, hätte er in einem anderen Bereich, wie der Wirtschaft, gleichrangige Ausbildungsinstitutionen besucht und genauso hart gearbeitet, wäre er viel angesehener und würde viel mehr verdienen. Denn schließlich habe er bereits mit namhaften Institutionen zusammengearbeitet, bei renommierten Professoren und Professorinnen studiert und große Presseresonanz erfahren. Seine Projekte und deren Finanzierung habe er aber nicht aufgrund seiner guten Kontakte aufgestellt, sondern weil er »ganz gut« verhandeln könne. Sowohl im Rahmen seiner Projekte als auch in der Vorbereitung einer Rauminstallation oder Performance müsse er mit einem Team zusammenarbeiten, weil er »nicht alles selbst können und machen« könne. Ein viel zu großer Teil seiner Arbeit bestehe aus Koordination und Organisation. Was ihm fehle, sei eine Struktur, wie in einer Galerie oder in der Filmbrache. Er erklärt mir: »Für alles, was gebraucht wird, muss es jemanden geben, der das richtig gut kann.« Da er von keiner Galerie vertreten werden wolle bzw. seine Arbeiten nicht verkäuflich seien, sollte es diese Struktur auch flir diesen Kunstbereich geben. Er stehe vor einer »große Aufgabe«, denn er müsse Personen aus verschiedenen Disziplinen, wie »Wissenschaftler, Ton- und Lichttechniker oder Organisatoren«, auf ein Ziel hinsteuern. Beim Zusammenstellen eines Teams greife er auf Bekannte und Freunde zurück, weil es bei ihm um »vom GefLihl oder von der Lebenshaltung abhängige Dinge« gehe. Wenn er mit Wissenschaftlern, wie »Historikern, Psychologen oder Kulturwissenschaftlern« kooperiere, sei dies ein »Impuls, der hereinkomme« und der bewirken könne, dass er statt einer Zeichnung eine »Intervention im öffentlichen Raum« umsetze. Während der Projekt- und Vorbereitungsphasen müsse er ständig präsent sein, sonst könnte er eine »Chance verpassen« oder es passiere etwas, das er vetmeiden hätte können.

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Wirklich zufrieden sei er mit einer Arbeit meist nur, wenn er alleine etwas gemacht habe. Sei er mit einer Arbeit nicht zufrieden, könne er damit »nicht leben« und er würde sie »nie mehr« ansehen. In den vorangegangenen Absätzen fasste ich das zusammen, was mir K.lemens Adler über sich und seinen Werdegang erzählte. Um sein Selbstbild besser verstehen zu können, soll nun der Blick auch auf das Nicht-Erzählte gerichtet werden. Aus seiner Sicht beginnt sein künstlerischer Lebenslauf, als er sich im Alter von 13 Jahren für Kunst zu interessieren begann. Für ihn kommt dieser Impuls von innen, denn er erwähnt weder sein soziales Umfeld, seine Prägungen noch die Lernprozesse, die diesem Interesse vorausgegangen sind. Aus der Phase des Wechsels vom naturwissenschaftlichen Studium zum K unststudium bleibt die A ufnahmeprüfung unerwähnt. In der Erzählung wird auch ausgespart, wie er in die Klasse eines renommierten Professors kam. Entscheidend ist für ihn ausschließlich, dass er seine Interessen verfolgte. Der Wechsel bedeutet, dass die Kunst von nun an von größerer Wichtigkeit war als die Naturwissenschaften. Auch den Wechsel an die Berliner Hochschule begründet und beschreibt er nicht näher. Klar wird nur, dass er dort ebenfalls die K lasse einer etablierten Professorin besuchte. Aus seiner Sicht zeichneten sich der Professor und die Professorin der beiden Akademien weder als imposante Vorbilder noch als charismatische Lehrpersonen aus. Ihre Stärke sei gewesen, ihn »gewähren« zu lassen. Es entsteht der Eindruck, sein Verhältnis zu den beiden beruhte auf der gegenseitigen Akzeptanz der besonderen Interessen des jeweils anderen. Im Vergleich zu seinen Kommilitonen und Kommilitoninnen habe er Themenfelder bearbeitet und sich in Bereiche begeben, die dem K unstfeld fern lagen. Ihm sei es nicht darum gegangen, was im künstlerischen Feld oder an der Akademie gerade üblich oder relevant war, sondern darum, was ihn gerade gedanklich und innerlich beschäftigte. Die Ausbildung an den Akademien sei »schlecht« gewesen, weil es keine Kurse gab, in denen er die für seine Interessen bzw. seine Kunst notwendigen Techniken hätte professionalisieren können. Erzählt er von den anderen etablierten Künstler/-innen, fallt auf, dass er sie beschreibt, als wären sie eine homogene Gruppe. Er habe ein GefLihl bekommen, wie diese Menschen »ticken«. Wie genau sie »ticken«, präzisiert er nicht. Er erwähnt die »Anlmüpfungspunkte« zu diesen Menschen, betont aber im gleichen Atemzug, er habe stets »sein eigenes Ding« gemacht. Des Weiteren erklärt er, jemand, der in der Wirtschaft arbeite, sei anerkannter als ein Künstler, ein Kunststudent sei anerkannter als ein Künstler ohne Studium. Personen wird also ein gesellschaftlicher Status auf Basis eines geltenden Wertesystems zugeordnet. Nur deshalb, weil die Kunst weniger anerkannt sei als die W irtschaft, sei auch sein Status geringer. Das Kunsthochschulstudium habe er begonnen, um seinen Status zu verbessern. Seine Sicht der Welt lautet also: Die Position in der Gesellschaft wird von außen zugeschrieben und ändert nichts an seinem Selbstbild bzw. an seinen künstlerischen Intentionen. In der Erzählung über seine Zusammenarbeit mit den Proj ektmitarbeiter/

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-innen legt er den Fokus nicht auf eine gemeinsamen Entwicklung von Ideen oder ihre kooperative Umsetzung. Er positioniert sich als Leiter des Teams. Er betont, die Ideen stammten von ihm. Die anderen sind also dafür da, seine Ideen so präzise wie möglich umzusetzen. Seine gedanklichen Einfalle überschreiten die Grenzen dessen, was er mit seinen Kapazitäten und Fähigkeiten verwirklichen kann. Deshalb braucht er möglichst gut ausgebildete Mitarbeiter/-innen, die ihn dabei unterstützen. Die perfektionistische Ausführung seiner Ideen kann nur gelingen, wenn er ständig präsent ist und die einzelnen Schritte kontrolliert. Die dargelegten und analysierten Erzählstränge skizzieren Klemens Adlers Selbstverständnis. Er versteht sich als autonom, im Sinne von selbstständig und selbstbestimmt, als losgelöst vom sozialen Umfeld, als aus sich selbst seiend und handelnd, als unabhängiges »Wesen«, um eines seiner Wörter zu zitieren. Er ist ein frei denkender Mensch mit eigenen Interessen, die er nicht erworben hat, sondern die ursprünglich in ihm sitzen. Die Einordnung in einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang und die Statuszuweisung passiert fremdbestimmt Dies ist für ihn nur dann von Relevanz, wenn es um Anerkennung und Geld geht, ändert aber nichts an seinen Interessen und seinem daraus resultierenden (künstlerischen) Tun. Sein Selbstbild als von allen Bindungen und Prägungen losgelöster Künstler, unterstreicht er nicht zuletzt, wenn er die etablierten Künstlerl-innen als eine homogene Gruppe darstellt von der er sich als Individuum absetzt. Kunst aus dem Körper

Auf meine Frage, wie er zur Kunst kam, antwortet Klemens Adler: Der Auslöser war, dass ich mir Dinge überlegt habe, also ich habe Dinge beobachtet in meiner Lebensumgebung. Zum Beispiel eine natürliche Form von einem Sandstrand im Gegensatz zu einer eckigen Form von Stühlen, die auf dem Strand stehen und wie die stehen. Das habe ich beobachtet, und das hat mich interessiert, wie das zueinander steht, und dann habe ich das gezeichnet. Da habe ich keinen einzelnen Begriff, der das decken würde. Es geht damm, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, denen eine neue Form zu geben. Das kann ich nicht beschreiben. Das ist einfach etwas total Schönes und hoch Interessantes und sehr, sehr Freies. (Kiemens Adler, KS: 13)

Er spricht mehrmals davon, seine Kunst entstehe, weil er »Ideen in sich« getragen habe oder weil er »einen Weg im Inneren« gesucht habe oder weil er sein »Selbst« beobachtet habe. Als er über seine Projektarbeit erzählt, beklagt er, er habe zu wenig Zeit, um seine »Literatur zu lesen, zu zeichnen, etwas durchzudenken und die Gedanken aufzuschreiben, sich irgendwelche Sachen anzuschauen oder irgendwo hinzufahren«, die mit seiner nächsten Idee zu tun hätten. Er interessiere sich auch

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noch flir andere Disziplinen, wie Naturwissenschaften oder experimentelles Theater. In der Kunst habe er die »Freiheit«, all das, was ihn interessiert und was er flir »wichtig und richtig« hält, zu vereinen. Denn keine andere Disziplin sei so wenig definiert und in keiner anderen Disziplin dürfe man so viel wie in der Kunst. Er verwendet den Begriff Kunst als »Laboratoriumswerkzeug«, um diese Freiheit zu haben. Man kann zum Beispiel einfach mitten in Berlin auf 1.000 qm Bürgersteige flächig anmalen. Das ist toll! Und das darf man! Also natürlich kann das auch eine Straßenmarkierungsfirma, aber die muss sich genau innerhalb ihrer Grenzen bewegen, und ein Künstler nicht. Das ist einfach eine schöne Sache, welche Möglichkeiten man hat, Dinge zu formen und zu bearbeiten. (Klemens Adler, K8: 13)

Wenn er etwas flir richtig halte, setze er es um, auch wenn es nicht als Kunst bezeichnet werde. Er wolle seine Kunst keinem der Begriffe, wie »Performance, Experiment, Rauminstallation, Intervention, Kunstprojekt« endgültig zuordnen. Im Interview erzählt Klemens Adler wenig Konkretes und Inhaltliches über seine künstlerische Arbeit. Auflistungen seiner Arbeiten und sein Lebenslauf sind im Internet auf Seiten von Kunstinstitutionen, in denen er ausstellte, oder auf seinen projektspezifischen Websites zu finden. Klemens Adler hat keine eigene Website, auf der er sich als Künstler vorstellt. Als Einstieg in das Interview sprechen wir über seine beiden Projekte, die er in Kooperation mit »lokalen Strukturen« umsetzte, d.h. mit NGOs, kulturellen Einrichtungen oder der Kommune. Diese Projekte fanden fern des etablierten Kunstgeschehens statt, waren öffentlich gefördert und wurden dauerhaft installiert. Klemens Adler bearbeitet mit künstlerischen Mitteln ortsbezogene Inhalte, die er in einen größeren thematischen Kontext stellt. Anstatt gängiger Ausstellungskonzepte, wie Informationstafeln oder Anschauungsmaterial in Vitrinen, installiert er verschiedene Räume, in denen er Anstöße zum Nachdenken über bestimmte Fragen gibt, durch ungewöhnliche Architektur oder Lichteffekte außeralltägliche und irreale Erfahrungen ermöglicht oder Assoziationsketten auszulösen versucht. Die Projekte stießen beim lokalen, kunstfernen Publikum zunächst auf Proteste, in der überregionalen Qualitätspresse wurden sie meist positiv besprochen. Klemens Adler möchte sich aber nicht ausschließlich im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum verorten und erklärt warum: Weil ich glaube, dass es sehr wohl wichtig ist, dass es einen elitären Kunstbereich oder einen Kunstkontext gibt, in dem man nicht mehr darauf achten muss, wie kann sich jemand, der nicht diese Vorbildung hat, nicht dieses ganze kontextuelle Wissen hat, das man braucht, um diese Arbeiten zu verstehen oder überhaupt nur lesen zu können, wie können diese Leute da überhaupt andocken. Also das ist bei einem großen Teilen der Projekte oder künstlerischen

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Arbeiten der Fall, dass jemand, der diese Bildung nicht hat, einfach keine Chance hat, das zu verstehen. Und das halte ich aber für wichtig, dass es diese künstlerischen Arbeiten gibt. (Klemens Adler, K8: 5)

In der heutigen Gesellschaft sei es »selbstverständlich«, dass es Kunst gebe und dass sie als eigener Bereich anerkannt sei. Wenn sie zu »selbstreferentiell« sei, finde er es zwar »problematisch«, aber viele seiner Arbeiten würden nur innerhalb dieses »Feldes« funktionieren. Seine Inhalte und die Form, wie er diese darstelle, seien für eine alltägliche Wahrnehmung nicht immer verständlich. Es sei »langweilig«, Kunst für ein bestimmtes Publikum zu produzieren, wie dies für den Kunstmarkt passiere. Seine Kunst erforsche den eigenen Körper, das Innere des »eigenen Wesens« und stelle »essentielle Fragen«. Wovon Klemens Adler im Interview nicht erzählt, aber wie im Internet recherchierte Ausstellungstexte und Lebensläufe beschreiben, führt er mehrmals sogenannte »Experimente« an sich selbst durch. Dabei setzt er sich extremen Klimabedingungen aus, fastet oder versucht auf andere Weise an seine körperlichen Grenzen zu stoßen. Diese äußersten Körpererfahrungen sind Grundlage seiner Performances, deren Ziel es ist, sein Erleben für das Publikum erfahrbar zu machen. Mit seiner Kunst wolle er vor allem Folgendes erreichen: Von einer innerlichen Ebene gesehen, geht es darum, dass einfach Leute, die das sehen, erleben, hören oder wahrnehmen, dass die in sich, innerlich berührt sind und in sich, innerlich da etwas in Bewegung gesetzt wird. Das ist eigentlich für mich das Wichtigste. (Klemens Adler, K8: 16)

Um seinem Kunstverständnis auf die Spur zu kommen, stellt sich die Frage, warum Klemens Adler nichts Inhaltliches und Konkretes über seine Arbeiten erzählt. In der Rekonstruktion seines Kunstbildes wird deutlich, dass seine Kunst nicht erzählbar und beschreibbar ist. Für ihn ist die Kunst nicht das, was in F01m eines Werkes, einer Raurnkonstruktion, einer Installation oder einer Fotografie bzw. eines Videos einer Performance materialisiert ist. Kunst ist das, was sich innerlich bewegt, die Erfahrung, die er und sein Publikum in der Auseinandersetzung mit dem Materialisierten haben. Er schafft kein neu es, innovatives Produkt, sondern stellt Vorhandenes in einen anderen Kontext, verfremdet es, verformt es, um eine Reflexion über sich selbst und gesellschaftliche Bedeutungszuschreibungen anzuregen. Der Ort der Kunst ist hier der eigene Körper, der erforscht und an seine Grenzen gestoßen wird. Versteht er sich als Künstler von seinen geistigen Interessen geleitet, sitzt die Kunst selbst doch in der körperlichen Erfahrung, im Wahrnehmen und Empfinden. Der Geist ist hier mehr ein Vehikel, um sich selbst zu beobachten, zu hinterfragen und das Erfahrene zu reflektieren. Bei genauerer Betrachtung seiner künstlerischen Arbeiten wird klar, dass diese Kunst nur auf den ersten Blick voraussetzungslos rezipiert werden kann. Zunächst

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entsteht der Eindruck, jene Erfahrungen könne jede/r machen. Wie Klemens Adler selbst sagt, bedarf es der »Vorbildung und kontextuellen Wissens«, um seine Kunst verstehen zu können. Das heißt, jene Denk-, Reflexions- und Assoziationsanstöße, die er gibt, können nur unter der Voraussetzung eines bestimmten Wissens über gesellschaftliche oder kunstspezifische Zusammenhänge umgesetzt werden. Die Trennung seiner künstlerischen Arbeiten in Projekte, die er in lokalen Strukturen für die breite Öffentlichkeit installiert, und Performances und Installationen im künstlerischen Feld verliert in Bezug auf das Rezeptionsniveau seine Gültigkeit. Auch die öffentlich geförderten Projekte setzen ein Wissen voraus, das die Erfahrung überhaupt erst möglich macht. Obwohl diese im öffentlichen Raum stattfinden, sind sie für ein kunstspezifisches oder zumindest kulturell gebildetes Publikum bestimmt. An diesem Punkt wird ein Aspekt seines Kunstbildes sichtbar, der in Klemens Adlers Selbstverständnis keinen Platz hat: Das, was aus seiner Sicht aus dem Inneren kommt und seinem Interesse entspricht, steht in einer bestimmten Tradition des künstlerischen Feldes. Bereits in den 1960er und 70er Jahren entdeckten Künstler/ -innen den Körper als Medium und Forschungsgegenstand der Kunst, wurde versucht tradierte Rollenzuschreibungen durch Aktionen im öffentlichen Raum aufzuzeigen, indem mit alltäglichen Wahrnehmungs- und Handlungsroutinen gebrochen wurde. 4 Dabei ging es nicht ausschließlich um die Provokation in der Öffentlichkeit, sondern auch um einen Paradigmenwechsel innerhalb des Kunstfeldes. Die Kunsthistorikerirr Christiane Fricke erklärt, dass sich Performances erst als eigenständige Kunstform ausprägen konnten, »als die in Proklamationen und Aktionismus investierten Energien auf kunstimmanente Fragestellungen konzentriert wurden« (2005: 601). Zum Beispiel hätten bei Künstlerl-innen des Wiener Aktionismus »analytische Gesichtspunkte« vorgeherrscht, sei der Körper »Material und Mittel der Selbsterfahrung«, »skulpturales« oder »expressives Ausdrucksmedium« gewesen (ebd.). Erst indem das zuerst rein »amediale Medium« (ebd. : 602) Performance fotografisch und filmisch dokumentiert wurde, konnte es innerhalb des Feldes eine bedeutende »Position« erlangen. Klemens Adlers Züricher Professor steht im Zusammenhang mit Künstler/-innen, die sich als kulturkritisch verstanden und die mittels Installationen im öffentlichen Raum die in den Museen vorherrschende Ästhetik entmystifizieren wollten. Der Künstler ließ auch unerwähnt, dass er im Laufe seines Studiums zahlreiche Performances gemeinsam mit seiner Berliner Professorin umsetzte. Sie arbeitet ebenfalls an historisch und politisch relevanten Orten, stellt Alltagsrealitäten in Frage oder regt Assoziationen zu (kunst-)geschichtlichem Wissen an. Ihre Performances zeichnen sich durch ein präzise ausgeführtes Konzept aus. Klemens Adlers Interesse an Naturwissenschaften, Psychologie, experimentellem Theater oder (Kultur-)Geschichte gibt seinen Arbeiten jenes analytische, theo-

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Zum Beispiel die Aktionen von Valie Export und Peter Weibel: Vgl. u.a. Le Gall2003.

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retische Fundament, das für die Anerkennung als Teil dieser »Position« im künstlerischen Feld notwendig ist. Denn nur, weil das, was er alsinnerstenAusdruck empfindet, seine Entsprechung im Feld fand und findet, wurde er als Performancekünstler, als Künstler dieser »Position« anerkannt.

KLAUS ÄRNOLD: DER KUNST-HANDWERKER

Klaus Amold ist Ende 40 und wuchs in Bayern auf. Nach einer Berufsausbildung zum Kunsthandwerker studierte er sein Handwerk in Kombination mit dem Studienfach Malerei an einer Kunsthochschule. Neben Malereien fertigt er seit einigen Jahren vorrangig Videoarbeiten an. Seit drei Jahren wird er von einer Berliner Galerie vertreten. Klaus Arnold nahm mehrmals an Ausstellungen eines kommunalen Kunstraums teil. Der dortige Leiter verwies mich auf ihn, der mir aufmeine Anfrageper E-Mail sofort zusagte. Wir trafen uns spät nachmittags in seinem Atelier, welches im dritten Hinterhof eines Backsteingebäudes lag. In der Mitte der breiten, spiralförrnigen Steintreppe befand sich ein Lastenaufzug. Große Fensterfronten säumten das Treppenhaus. In jedem Stockwerk versperrten links und rechts große Stahltüren den Eintritt in die jeweiligen Räumlichkeiten. Als ich an der vereinbarten Tür klingelte, hörte ich weder das Läuten noch sonstige von innen kommende Geräusche. Klaus Amold öffnete die schwere Tür, begrüßte mich freundlich und duzte mich dabei. Durch einen dunklen Gang führte er mich in ein großes Zimmer. Der Raum war ca. drei Meter hoch. Eine Längsseite bestand aus alten, deckenhohen Doppelfenstern, durch die man weit über die Dächer blicken konnte. In einer Ecke standen ein Schreibtisch und ein halbhohes Bücherregal. Ein großer Stahlrohrtisch mit Holzstuhl und Hocker befand sich in der Mitte des sonst unmöblierten Raumes. Eine der beiden schmäleren Wände war vollständig mit einem schwarzen Tuch verhängt. Ich nahm auf dem Hocker Platz. Klaus Amold setzte sich seitlich an den Tisch, so dass die große Tischfläche uns nicht trennte. Insgesamt verbrachte ich vier Stunden in seinem Atelier. Nach unserem sehr langen Gespräch zeigte er mir Kataloge seiner künstlerischen Arbeiten, sein Archiv, das aus einem die Wand ausfüllenden, ca. drei Meter langen Regal mit unzähligen Kartons und Ordnern bestand, und er stellte mich seinem Atelierkollegen und seiner Kollegin vor. Die Malerin und der Komponist besaßen am Ende des dunklen Ganges ebenso große und lichtdurchflutete Räume. Wir sprachen kurz über deren Arbeiten und Klaus Amold erzählte ihnen von unserem Gespräch und dem Thema meiner Studie. Klaus Arnold wuchs in einem kleinen Dorf in Bayern auf. Nach der Realschule begann er eine Kunsthandwerkslehre, die er drei Jahre später mit der Gesellenprüfung abschloss. Einige Monate arbeitete er als Kunsthandwerker, bevor er sich dazu

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entschied, sich an einer Kunsthochschule zu bewerben. Die Gesellenprüfung berechtigte Klaus Arnold, auch ohne Abitur, sein erlerntes Kunsthandwerk an einer Akademie zu studieren. Der Studiengang, für den er sich bewarb, kombinierte das Kunsthandwerk mit Malerei. Er schaffte die Prüfung auf Anhieb. Parallel zu seinem Studium fertigte er vor allem für Ausstellungen und Wettbewerbe kunsthandwerkliehe Arbeiten an. Unmittelbar nach dem erfolgreichen Studienabschluss erhielt er einen großen kunsthandwerkliehen Auftrag. Ein Jahr darauf vermittelte ihm sein Bruder ein Atelier in einem Künstlerhof auf dem Land, den ein mit seinem Bruder befreundetes, adeliges Ehepaar zum Zweck der Künstlerf-innen-Förderung umgebaut hatte. Nebenbei nahm er weitere große kunsthandwerkliche Aufträge an. Nach zwei Jahren zog er Ende der 1980er Jahre nach Berlin. Er lebte als freischaffender Künstler und hatte ein Atelier in einem Atelierhaus. Da es ihm nicht gelang, ein Stipendium zu erhalten, begann er ganztags in einer Galerie zu arbeiten. Einen Winter verbrachte er in New York, wo er ohne Erfolg versuchte, eine Galerie zu finden. Zurück in Berlin hatte er Mitte der 1990er seine erste Einzelausstellung in einer Galerie, eine Ausstellung in einem Kunstverein und weitere Ausstellungen in lokalen Kunsträumen. In dieser Zeit erhielt er ein einmaliges Stipendium, ein öffentlich gefördertes Atelier, zwei künstlerische Auftragsarbeiten und verkaufte erstmals Werke. Ende der 1990er Jahre beschloss er, sich einen Job zu suchen. Er absolvierte eine Weiterbildung im Medienbereich und erhielt eine Halbtagsanstellung in der Werbefirma eines Bekannten. Klaus Arnold besitzt zum Zeitpunkt des Interviews ein vom Berliner Senat gefördertes Atelier, in dem er jeden Nachmittag ab drei Uhr künstlerisch arbeitet. Die erste Hälfte des Tages ist er seit damals neun Jahren in der Firma seines Bekannten beschäftigt. Das handwerklich schaffende Selbst Zu Beginn des Interviews schilderte mir Klaus Arnold ausfuhrlieh seine Sicht seines Werdegangs: Ich komme aus einer einfachen Familie, dörflich, ein kleiner Ort mit 2.000 Einwohnern. Meine Eltern sind ganz normale Leute. Ich habe einen Bruder, der älter ist. Mein Vater ist kaufmännischer Angestellter gewesen, meine Mutter hat hin und wieder gearbeitet, aber in erster Linie war sie Hausfrau und hat uns groß gezogen. Mein Bruder hat den Vorreiter gemacht und die Familie in akademische Laufbahnen geführt, auf ganz großen Widerwillen meiner Eltern. Da mussten die Lehrer zu uns kommen, da kann ich mich sogar noch daran erinnern, und Überzeugungsarbeit leisten, ihn aufs Gymnasium zu schicken. Nachdem mein Bruder das vorgemacht hatte, und ich mit 16 nicht die geringste Ahnung hatte, was ich machen kann, wollte ich das nachmachen. Ich bin aber nach der Realschule kläglich bei der Aufnahme für das Abitur gescheitert. Da war ich das erste Mal in meinem Leben richtig unglücklich, weil

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ich wirklich nicht wusste, was ich machen sollte. Und dann hat man so die klassischen Sachen gemacht, man sollte zum Arbeitsamt gehen und sich beraten lassen, und da kam heraus, was ich vorher wusste: Ich sollte möglichst etwas Kreatives machen. Und dann hat zufälligerweise eine Freundin meiner Mutter eine Ausbildungsstätte gefunden, die so etwas versprach. Das heißt, ich habe nach der Realschule eine Lehre gemacht als Kunsthandwerker5. Das war eine ganz normale Lehre, aber man konnte schon verhältnismäßig selbst Sachen entwerfen und auch umsetzen. (Klaus Amold, K6: 1)

Auf meine Nachfrage erklärte mir Klaus Arnold, dass er »beim Arbeitsamt einen ganzen Tag getestet wurde«. Der Test habe ergeben, dass er »etwas Kreatives« machen solle. Die Kunsthandwerkslehre habe nicht in einem Betrieb stattgefunden, sondern in einer Schule. Da sich diese nicht in unmittelbarer Nähe zu seinem Elternhaus befand, habe er das Internat besucht. Mit 16 Jahren von zu Hause wegziehen zu können, sei ftir ihn »super« gewesen. Die Lehrinhalte seien ihm leicht gefallen und vor allem der »Mix an Leuten«, die die Schule besuchten, habe ihm sehr gut gefallen. Es habe »sehr viele ältere Leute, so Aussteigertypen« gegeben. Das fand ich alles total spitzenmäßig! Das war rundum eine richtige Entscheidung. Ich habe einfach gemerkt, dass ich handwerklich sehr gut bin. Das habe ich von meinem Vater geerbt. Und man sieht an meinen Noten, beim künstlerisch-kreativen Teil habe ich, ohne angeben zu wollen, geglänzt. Nach dem Praktikum habe ich aber so langsam begriffen, was es heißt, in der Praxis Kunsthandwerker zu sein: Das ist ganz sture Fließbandarbeit! In den Ferien bin ich in Betriebe gegangen und dachte: >Nein, das ist es nicht.< Ein Jahr später, vor der Gesellenprüfung, habe ich dann für mich beschlossen, dass ich gerne Kunst studieren würde. (Klaus Amold, K6: 2)

Er arbeitete einige Monate als Kunsthandwerker, bevor er seinen Entschluss in die Tat umsetzte: Meine Mutter war damals total happy, dass ich diesen praktischen und schönen Beruf hatte. Meine Eltern haben auch gemerkt, dass ich das gerne mache und auch erfolgreich bin. Ich bin dann irgendwann einmal nach Hause und habe gesagt: >Ich will Kunst studieren.< Und das war aus familiärer Sicht so abwegig, dass das weder mein Vater noch meine Mutter einen Hauch ernst genommen haben. (Klaus Arnold, K6: 2)

Alle Männer in seiner Familie seien LKW-Fahrer, Handwerker oder arbeiteten in Bergwerken und bei der Bundeswehr. Die Frauen seien, wie seine Mutter, nicht berufstätig. Obwohl sein Bruder promoviert war, sei »Kunst einfach noch einmal ir-

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Aus Anonymisierungsgründen wird der allgemeine Begriffverwendet

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rer« gewesen, erklärte mir Klaus Arnold. Sein Bruder habe Naturwissenschaften studiert. Das sei im Vergleich zu einem Kunststudium für seine Verwandten noch nachvollziehbar gewesen. Seine Eltern hätten ihm in der Annahme, er würde die Idee wieder fallen lassen, sogar Geld gegeben, damit er zur Aufnahmeprüfung an die Akademie fahren konnte. Als er sein Akademiestudium begann, war er Anfang 20 und zog das erste Mal in eine größere Stadt. Alles sei »große Klasse« gewesen, schwärmt Klaus Arnold vor allem von seinem ersten Studienjahr, in dem alle Studierenden facheruhergreifend unterrichtet wurden. Frisch an der Akademie habe er eine »super Aufbruchsstimmung« erlebt, und Kunst sei damals »etwas Politisches und ein Lebensgefühl« gewesen. Nach zwei Semestern kam er in die Fachklasse für Kunsthandwerk. Weil er, im Gegensatz zu den anderen seines Studiengangs, das Kunsthandwerk bereits beherrschte, konnte er sich auf Malerei konzentrieren. Getrennt vom Studiengang für Malerei habe er ein »riesiges Maleratelier im Dachgeschoss der Akademie« fast für sich alleine gehabt. Seine Nachstudienzeit auf dem Künstlerhofbezeichnet Klaus Arnold als »in Klausur gehen«. Sein eigentliches Ziel sei damals gewesen, Maler zu werden und nach Berlin zu ziehen. »Langsam« habe er von dort »den Sprung nach Berlin« geplant. Schließlich bot ihm ein ehemaliger Kommilitone ein Atelier in seiner Fabriketage an. In Berlin habe er ein »normales Künstlerleben« geführt, das er auf meine Nachfrage folgendermaßen beschreibt: Man hat keinen Job, verdient aber nicht so viel Geld mit der Kunst, dass man davon leben kann und muss irgendwie sehen, wo der Rest herkommt. (Klaus Arnold, K6: 16)

Er habe »permanent brutalste Geldprobleme« gehabt, weshalb er Ende der 1990er Jahre beschlossen habe, sich »irgendeinen Job zu suchen«. Diesen fand er bei einem Bekannten, der sich in der Werbebranche gerade selbstständig gemacht hatte. Während der einjährigen Ausbildung und dem Pflichtpraktikum, die er für diese Stelle absolvieren musste, spezialisierte sich Klaus Arnold, wie er mir erklärt, »auf das Handwerkliche« dieser Tätigkeit. Er wollte, um »frei« zu sein für seine Kunst, als »Job« etwas machen, »das so wenig wie möglich kreativ ist, und so wenig wie möglich das Hirn beansprucht«. Zum Zeitpunkt des Interviews war Klaus Amold an einem Wendepunkt. Die finanzielle Stabilität und die Alltagsroutine der vorangegangenen neun Jahre standen zur Disposition. Klaus Arnold hatte gerade ein neues Atelier bezogen und überlegte, seinen Halbtagsjob aufzugeben. Er könne sich auch gut vorstellen, dass er bald künstlerisch wieder etwas ganz anderes mache. Mir geht es gerade wieder richtig so wie früher. Komischerweise ist auch das Gefühl wieder so wie früher. Das macht jetzt trotzdem Spaß, weil alles so ein bisschen auf der Kippe steht. (Klaus Arnold, K6: 30)

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Als Einstieg in die Erzählung deklariert Klaus Arnold seine soziale Herkunft: Sozialstrukturelles Umfeld, Beruf der Eltern, Anzahl der Geschwister werden angeführt, gefolgt von einer Benennung des sozialen Aufstiegs seines Bruders und der Widerstände, die dieser zu bewältigen hatte. Daran reiht sich die Schilderung des eigenen schulischen Scheiterns, aber auch der Unterstützung, die er von seiner Familie und deren Freunden und Bekannten erfahren hat. Im Verlauf des Interviews weist er immer wieder auf sein Anders-Sein hin, ohne je seine soziale Herkunft zu leugnen oder sich gar von ihr abzugrenzen. Klaus Arnold erzählte mir, seine Mutter stamme aus einer kleinbäuerlichen Familie. Sie selbst sei »in erster Linie« Hausfrau und Mutter gewesen, wohingegen sein Vater, der aus einer Handwerkerfamilie kam, »kaufmännischer Angestellter« gewesen sei. Das Hausfrauendasein von Klaus Arnolds Mutter signalisierte in der westdeutschen Nachkriegszeit, dass man dem hegemonialen »Alleinernährer-Modell« entsprechen konnte. Die Eltern Arnold vollzogen einen leichten sozialen Aufstieg, der aber keinen Bruch mit Bisherigem zur Folge hatte. In Klaus Arnolds sozialer Herkunft ist körperliche Arbeit von größerem Wert als geistige. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes bringt zwar neue Betätigungsfelder mit sich, so sind manche seiner Cousins LKW-Fahrer und nicht mehr alle arbeiten im Bergwerk, so verdient sein Vater seinen Lebensunterhalt mit Büroarbeit und steht nicht in einer Werkstatt. Die Ungleichheit der Berufspositionen bleibt dabei aber relativ stabil, wie Michael Vester wie folgt erläutert: »Das heißt, die sozialen Gruppen sind weitgehend in ihren angestammten Berufsfeldern geblieben, aber diese haben sich in sich durch die Wandlungen des Bildungs- und Ausbildungssystems erheblich modernisiert.« (2004: 17) Auch wenn die eigenen Muskeln im Beruf nicht mehr so stark beansprucht werden, bleiben die Werte des Körperlichen noch erhalten. Klaus Arnold wurde von seinem sozialen Umfeld eine, wie er sagt, »vom Vater geerbte Begabung« zu handwerklicher Tätigkeit zugesprochen. Der berufliche Aufstieg seines Vaters ersetzte das Handwerk durch Büroarbeit. Das Handwerk wurde zur Freizeitbeschäftigung. Bereits bei Karirr Appl und Karotine Aigner wurde deutlich, dass jene Fähigkeiten, die einer Person als >natürliches< Talent zuerkannt werden, den Werten und Möglichkeiten der jeweiligen sozialen Herkunft entsprechen. Klaus Arnold ist sich seiner handwerklichen Begabung stets sicher. Darin habe er geglänzt, sowohl während seiner Lehre als auch an der Akademie oder danach bei seinen zahlreichen kunsthandwerkliehen Aufträgen. Selbst Personen aus öffentlichen Einrichtungen, wie dem Bildungssystem oder dem Arbeitsamt, bestätigten Klaus Arnold in seinen »kreativen und handwerklichen« Fähigkeiten. Diese wurden ihm zugeschrieben und bildeten fortan die Grenzen seines »Raums des Möglichen« (Bourdieu 2001: 372). Als er den Sprung von der Realschule zum Abitur nicht schaffte, waren seine Eltern froh, dass eine Freundin der Familie dem zweiten Sohn eine Kunsthandwerkslehre vermittelte. Der kunsthandwerkliche Beruf sprengte bei Klaus Arnold nicht die Grenzen des Vorstellbaren seiner sozialen Herkunft. Aus der Sicht seiner Eltern war die kunsthandwerkliche

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Arbeit deshalb so »schön«, weil sie nicht nur handwerklich und körperlich, sondern auch noch gestalterisch, »kreativ« und relativ selbstständig war. Klaus Arnold aber empfand bereits während der Ausbildung die »schöne und praktische« Tätigkeit als »Fließbandarbeit« und träumte von der Freiheit des Künstlers. Er versuchte, den »Raum des Möglichen« (ebd.) zu überschreiten. In seinen Erinnerungen betont er jene Ereignisse, in denen er und sein Bruder den Vorstellungsrahmen ihrer sozialen Herkunft sprengten. Im Gegensatz zu ihren Cousins schlugen sie neue Wege ein. Und doch brachen beide Brüder nicht vollständig aus. Der Bruder blieb seinen Wurzeln treu, indem er ein naturwissenschaftliches Studium wählte. Wie Klaus Arnold erklärt, schloss das Studium seines Bruders an die bäuerliche Familientradition an. Klaus Amold erklärt, er habe die akademische Laufbahn seines Bruders überboten, denn K unst sei in den Augen seiner Verwandten unvorstellbar gewesen. Gleich zu Beginn seiner Suche nach neuen Wegen stieß er allerdings auf Schranken, die ihn auf einen möglichen Weg verwiesen: Er erfüllte nicht die formalen Voraussetzungen, um in seiner Studienwahl frei zu sein. Er durfte nur den Studiengang »Kunsthandwerk und Malerei« studieren.

Freie Kunst versus Kunsthandwerk Klaus Arnold erzählt, seine kunsthandwerkliche Lehre sei ihm leicht gefallen, doch ihm habe die »freie, gestalterische Seite« künstlerischer Arbeit gefehlt. Deshalb entschied er sich, an einer Akademie zu studieren. Als er Anfang der 1980er Jahre an die Akademie kam, sei »Malerei, die Neuen Wilden, das große Ding« gewesen. »Die ganze Welt« habe gemalt und er und seine Kommilitonen und Kommilitoninnen »natürlich auch«. Da war mir dann klar: >Nein, ich will Maler werden.professionellIch will hier studieren, haben Sie einen Platz frei?< Und ich bin so ehrfurchtsvoll dahin gepilgert. Da war eine Freundin dabei, die war auch Malerin, hat Malerei studiert. Wir haben sogar beim Lüpertz [Markus Lüpertz, dt. Maler und Bildhauer, VM] im Atelier angeklopft, ob der vielleicht

zufällig da ist und die Tür aufmacht. Alleine hätte ich mich das nie getraut! Sie hat das ein-

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fach so gemacht: >Schauen wir doch einmal, was passiert!>Mode verkommen« und darauf habe er »ganz automatisch reagieren müssen«. Er habe erkannt, dass diese Kunst nicht »sein Ding« sei. Nach den zwei Grundsemestern habe sich alles »in kürzester Zeit extrem verändert«. In der Fachklasse für Kunsthandwerk habe »verschlafenes Handwerk geherrscht«. Die anderen Studierenden hätten für »die Bastler nur Hohn und Spott« über gehabt. Klaus Arnold ist, als er an die Akademie kommt, gelernter Kunsthandwerker. Er schwärmt vom ersten Studienjahr, in dem die Fachzugehörigkeit kein Thema ist, weil alle Studierenden ein gemeinsames Gmndstudium absolvieren. Im ersten Studienjahr habe er eine »Aufbruchsstimmung« miterlebt Es war Anfang der 1980er Jahre, die Neuen Wilden wandten sich gegen bürgerliche Wertmaßstäbe und die intellektuelle Konzeptkunst der 1970er Jahre. Die Malerei wurde als expressiver Ausdruck innerer Gefühle verstanden. Sein Professor sei begeistert gewesen von seinen »wilden Malereien«. Die Bewegung bzw. Stimmung habe sie alle zum Malen veranlasst. Ungeachtet der verschiedenen Voraussetzungen habe jeder »sein Ding« gemalt. Nach einem Jahr wird die strukturelle Trennung der Fachklassen vollzogen und schlägt sich auch in den Köpfen und Körpern der Studierenden durch. Obwohl er ausschließlich malt, hat Klaus Arnold keinen Kontakt zu seinen Kommilitonen und Kommilitoninnen aus der freien Malereiklasse. Er hatte den Eindruck, diese »verspotteten« ihn und die anderen Studierenden aus den kunsthandwerklichen Klassen. Die Gemeinschaft des ersten Jahres löst sich auf. Die »Aufbruchsstimmung« überlebte die in den Strukturen »objektivierte« und in den Körpern einverleibte Grenzziehung zwischen freier Kunst und Kunsthandwerk nicht. Obwohl Klaus Arnolds »wilde« Malereien zunächst den Vorstellungen des Professors entsprachen, interessierte sich niemand mehr dafür, als er den Stempel Kunsthandwerksstudent trug. Auch Klaus Arnold verkörpert die Trennung und versucht seinen kunsthandwerkliehen Ballast los zu werden: Er betont, dass er sich ganz auf die Malerei konzentriert habe, erwähnt kaum die kunsthandwerkliehen Arbeiten, die er für den erfolgreichen Abschluss seines Studiums produziert hat. In unserem Gespräch, in dem er mir sein bisheriges Leben erzählt, tauchen Darstellungen künstlerischen und kunsthandwerkliehen Tuns immer an unterschiedlichen Stellen auf, auch wenn sie zeitgleich passierten.

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Kunst als handwerkliche Perfektion Nach den zwei Grundsemestern malte Klaus Arnold in der Fachklasse für Kunsthandwerk weiter Gemälde. Sein Professor der Fachklasse sei »froh« gewesen, »dass er zwei Typen hatte, die sich frei künstlerisch austoben wollten« und habe ihn »machen lassen«. In seinen kunsthandwerkliehen Arbeiten versuchte er, »freie Kunst in dieses alte, traditionelle Handwerk hinein zu bekommen«, wofür ihn sein Professor sehr schätzte. Nachdem er erkannt hatte, dass die gerade in Mode geratene Malereirichtung nicht »sein Ding« sei, habe er sich »autodidaktisch in ein ganz konsequentes Malereistudium vertieft«. Jeden Tag habe er das Museum oder die Kunstbibliothek der Akademie besucht, und jeden Tag sei er die Kunstgeschichte »einen Schritt zurückgegangen«, bis er »ZUm Schluss Rubens und Tiepolo kopiert« habe. Sein früherer Professor, der von seinen ersten »wilden Malereien« begeistert gewesen war, sei »vollkommen entsetzt« gewesen, als er ihm einmal seine neuen »fast altmeisterliehen Werke« gezeigt hatte. Durch die Nachahmung habe er versucht, »etwas Eigenes« zu finden. Ich war total gespalten. Ich habe immer die allerneueste, zeitgenössische Kunst verfolgt, habe mir Zeitungen abonniert und bin aufjede Eröffuung gegangen. Aber meine eigene Arbeit hat sich immer mehr auf das Handwerk und auf klassische Kunst bezogen. (Klaus Amold, K6: 9) Das restliche Studium sei »als intellektuelle Erfahrung eine richtige Katastrophe« gewesen. In dieser Zeit fertigte er ein einziges Bild an, das er danach vernichtete, weil es eine »totale Nachahmung« seines damaligen Künstlervorbilds, seines »Superhelden«, war. Während seines Landaufenthaltes fertigte er großformatige Gemälde an. Was und wie er damals malte, ist kein Thema. Zunächst betont Klaus Arnold, er habe »täglich von morgens bis abends gemalt« und habe sich sonst nur um ein paar Schafe und einen Hund gekümmert. Erst später im Interview spricht er den zeitgleichen Erfolg seiner zahlreichen und großen kunsthandwerkliehen Aufträge an. Der Umzug nach Berlin sei auch eine Entscheidung gegen das Kunsthandwerk gewesen, weil klar gewesen sei, dass er in Berlin keine Aufträge erhalten werde. Während seines Galerienjobs in Berlin, bei dem er »acht Stunden pro Tag« herumsaß, habe er »systematisch« die Kunsttheorie seit dem Zweiten Weltkrieg in sich »hineingebaggert«. Habe er sich im Studium autodidaktisch das Handwerkliche des Maiens beigebracht, habe er in diesen zwei Jahren das Theoretische gelernt. Gleichzeitig begann er zu zeichnen, was er bis dahin nie gemacht habe. Bei seiner ersten Einzelausstellung in einer Galerie habe er, anstaU seine Gemälde zu zeigen, eine »ironisierende Abwicklung seiner künstlerischen Bisher-Laufbahn und seiner Vorbilder« präsentiert. Klaus Arnold erklärte mir, es sei eine >>typische Sache«,

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dass Künstlerl-innen »über ihr Vorbild nur hinweg kommen, indem sie sich darüber lustig machen«. Kurz danach habe ich das total veiWorfen. Ich habe auch jetzt noch einmal etwas weggeschmissen. Das sind so Sachen, die findet man super toll und denkt, man hätte sonst was auf die Beine gestellt, und später versteht man das selber nicht mehr. (Klaus Arnold, K6: 6)

Zwei Jahre darauf stellte Klaus Arnold erstmals Malereien aus. Er hatte einen Stil gefunden, von dem er dachte, »das ist es jetzt« und war damit sehr glücklich. Auf »irrsinnig arbeitsintensive und akribische« Weise habe er mit Ölfarben riesige Gemälde gemalt. Nach einem Jahr und fünf Gemälden habe er gemerkt, dass er diese Arbeitsweise nicht schaffe. Es musste wieder etwas Neues kommen. Zu dieser Zeit lebte Klaus Arnold ausschließlich als freischaffender Künstler. Es habe immer wieder Phasen gegeben, in denen er auf dem Sofa gelegen und »gegrübelt« habe. Davon habe er eine »Depression« bekommen, weil er »die Herumsitzerei und das Nicht-Arbeiten-Können als mangelnden Ehrgeiz oder Ideenmangel« interpretierte. Okay, springe ich jetzt aus dem Fenster oder ich betrinke mich!? Ja, genau: Heute Abend betrinke ich mich. Und man gibt noch mehr Geld aus, das man nicht hat, und treibt es total auf die Spitze, und dann ist man so dermaßen am Boden, fasst ein Stück Papier an, kritzelt etwas hin und denkt: Das ist toll! Da mache ich jetzt weiter. Und auf einmal ist etwas da, was ein halbes Jahr höchste Konzentration absaugt und man hat total Spaß am Arbeiten. (Klaus Amold, K6:18)

Im Zuge seiner Weiterbildung im Medienbereich begann Klaus Arnold, Computer und Internet auch für seine künstlerischen Arbeiten einzusetzen. Die dabei entstanden Werke bezeichnet Klaus Arnold als sein »Hauptwerk«. Irgendwann sei auch dies »unbefriedigend« geworden, »zumal«, wie er mir erklärt, »irgendwann jeder zweite Künstler« so arbeitete. Als Reaktion darauf wandte er sich einem neuen Medium zu. Zum Zeitpunkt des Interviews fertigte er bereits seit fünf Jahren ausschließlich künstlerische Videoarbeiten an, die er mehrmals in Kunstvereinen ausgestellt hatte. Die Berliner Galerie, bei der er seit drei Jahren als Künstler vertreten war, hatte ihn wegen seiner Videoarbeiten aufgenommen. Ähnlich wie in der Malerei habe er auch in der Videokunst mit der neuesten Technik begonnen und sich dann zurückentwickelt Er habe »totalen Spaß« gemacht, sich eine Technik, »das Handwerkszeug«, anzueignen und diese bis zu ihren Anfangen zurückzuverfolgen. Also ich vermeide >Handwerker>fantastischen Malerei«. Er versucht immer wieder, sich den Wissensstand und die Handhabung eines neuen »Mediums«, also einerneuen Technik, anzueignen und zu perfektionieren. Er erprobt beständig neue Techniken und Formen, seine Kunst auszudrücken. Jeder Zyklus entspricht einer Lebensphase und sei flir ihn irgendwann »erledigt« bzw. vorbei. Klaus Arnold pflegt ein großes und sehr präzise katalogisiertes Archiv seiner bisherigen künstlerischen Arbeiten. So unterschiedlich diese im Verlauf seines Werdegangs auch sein mögen, sie bilden für ihn doch eine Einheit, weshalb er sie auch akribisch sortiert und bewahrt. Für ihn entsteht durch die Vielzahl der angewandten Techniken und Stile keine Diskontinuität seiner Kunst. Der Anspruch einem Stil und einer Kunstgattung treu zu bleiben, wird von außen an ihn herangetragen und nur deshalb gerate er in ein »Dilemma«. Nur weil der Kunstmarkt ein »Signet« brauche und die Akteure des künstlerischen Feldes in ihrem Denken und Tun den starren Grenzen zwischen freier Kunst und Kunsthandwerk oder zwischen Malerei, Zeichnung und Videokunst verhaftet blieben, stehe er vor dem Problem, dass seine Werke als zusammenhangslose und daher nicht zuzuordnende Anhäufung interpretiert werden. Für Klaus Amold liegt die Stringenz seiner Kunst darin, dass sie in ihm sitzt und sich dergestalt auf verschiedene Weise ausdrücken kann. Da er jede neue Technik so lange ausübt, bis er sie perfekt beherrscht, entstehen am Ende jedes Zyklus Arbeiten, die seinem hohen Anspruch an handwerkliche Ausführung genügen. An diesem Punkt angelangt muss wieder ein neues Ausdrucksmittel gesucht werden, weil seine Kunst sonst stagniere. Klaus Arnold vertritt ein Kunst- und Selbstbild, das wir schon bei Karohne Aigner kennengelernt haben: Die Kunst sitzt im Inneren der künstlerischen Persönlichkeit, die ihrer Kunst zum Ausdruck und zur Vollendung verhilft, indem sie ihre Ausdruckskraft, ihr handwerkliches Können schult. Karotine Aigner konzentriert sich auf eine Technik, die Malerei, wohingegen Klaus Arnold sich ausgehend vom »Glauben« an seine herausragende handwerkliche Begabung zutraut, immer wieder neue Verfahrens- und Ausdrucksweisen auszuprobieren.

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KHADIR ÄMAR: DER AFRIKANISCHE KüNSTLER

Khadir Amar ist Ende 50 und lebte die ersten 30 Lebensjahre in westafrikanischen Ländern. Seine Werke bezeichnet er als »Installationen«. Der gelernte Bildhauer gruppiert und verbindet Skulpturen aus verschiedenen Materialien. Seit seiner Studienzeit arbeitet er nebenbei als Möbeldesigner. In den letzten zehn Jahren beschäftigt er sich auch mit Fotografie und neuen Medien. In Berlin und Brandenburg ist er überdies als Kulturvermittler tätig. Ich lernte Khadir Amar bei einem Wiener Kunstfestival kennen, das ich im Rahmen meiner Diplomarbeit beforschte (vgl. Moser 2004). Khadir Amar teilte sich einen Raum mit drei anderen Künstler/-innen, die entweder ebenfalls in Afrika geboren waren und/oder deren Kunst sich mit dem Kontinent beschäftigte. Die Fenster des Raumes waren mit Packpapier verhängt. Es war dunkel und heiß. In einer Ecke lief ein Video, an eine andere Wand wurden Dias projiziert. In einem separaten Zimmer stand ein Computer auf einem Rollwagen, davor ein Drehstuhl. Als ich eines seiner Werke studierte, kam Khadir Amar aufmich zu und fragte mich, ob er mir etwas erklären solle. Im Gegensatz zu den anderen Künstler/-innen, die ich interviewt hatte, siezte er mich. Im Zuge des Gesprächs über seine Arbeit erzählte ich ihm von meiner Studie, gab ihm meinen Flyer und bat ihn um ein Interview. Er holte seinen Kalender, schlug mir einen Termin drei Tage später vor und gab mir vier A4-Zettel in die Hand. Das sei sein Lebenslauf, ich solle ihn bis dahin lesen. Ich merkte, dass dies sein einziges Exemplar war, fragte, ob ich es kopieren solle, worauf er mich bat, die Zettel einfach beim Interview wieder mitzubringen. Einige Stunden vor der vereinbarten Zeit bat mich Khadir Amar telefonisch, früher zu kommen, weil er danach noch einen anderen Termin habe. Das Interview fand außerhalb der Öffnungszeiten in den Ausstellungsräumen statt. Wir saßen uns in dem kleinen Computerraum gegenüber. Er trug einen Anzug, hängte sein Saldm sorgfaltig über die Stuhllehne und setzte sich seine Brille auf. Während des zweistündigen Gesprächs läutete zweimal sein Mobiltelefon. Er sprach eine Mischung aus Französisch und einer Sprache, die ich nicht kannte. Nach dem zweiten Telefonat erklärte er mir, sein Termin sei abgesagt worden, aber das mache nichts, denn so habe er mehr Zeit für mich. Khadir Amar interessierte besonders, wie ich das Verhältnis zwischen Buropa und Afrika bzw. zwischen Europäerl-innen und Afrikanerl-innen sehe und beurteile. Einmal fragte er mich direkt, ob ich mich vor Menschen mit »schwarzer Hautfarbe« fürchte. Meine kurzen Statements schienen seine Befürchtungen zu widerlegen. Er begann, mich zu duzen. Gegen Ende des Interviews entschuldigte er sich, dass er sich nur selbst etwas zu trinken mitgebracht hatte. Er betonte mehrmals, wie schön er es finde, wenn sich Menschen Zeit füreinander nehmen würden. Zum Abschied gaben wir uns links und rechts einen Kuss auf die Wange.

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Khadir Amar wird Anfang der 1950er Jahre in einem französischen Kolonialstaat geboren, der heute eine unabhängige Demokratie ist. Nach der Schule besucht er die staatliche Kunsthochschule, die er vier Jahre später mit einem Diplom in Bildhauerei abschließt. Nach seinem Studium lebt er drei Jahre in einem staatlich geförderten Künstlerdorf, das nach einem Regierungswechsel geräumt wird. Weitere drei Jahre verbringt er gemeinsam mit anderen Künstlerl-innen in einem Dorf unweit der Hauptstadt. Mitte der 1980er Jahre heiratet Khadir Amar eine deutsche Ethnologin und zieht mit ihr für ein Jahr nach Berlin. Danach wohnen die beiden in einem Nachbarland seines Herkunftslandes. Seine Frau führt ethnologische Studien durch, er setzt sich mit regionalen Kunsttraditionen auseinander. Nach vier Jahren kehren sie nach Deutschland zurück. Heute lebt Khadir Amar seit ungefähr 15 Jahren in Berlin. Er arbeitet als Kulturvermittler in Museen, staatlichen Einrichtungen und in verschiedenen Kulturprojekten Berlins und Brandenburgs. Anfang des Jahrtausends kauft er aus eigenen Mitteln ein großes Grundstück in seiner Geburtstadt Das dazugehörende alte Haus baut er zu einer Künstlerresidenz um. Er plant, in ein paar Jahren wieder in sein Herkunftsland zu ziehen.

Afrikanische Kunst Was die europäische Kunst beschäftigt, ist nicht das, was afrikanische Kunst beschäftigt. Und was Kunst in Afrika bedeutet, bedeutet sie hier nicht. Ich habe eine klassische, akademische Ausbildung mit einem Abschlussdiplom, aber wir haben den Ahnenkult, die Figuren, die Initiation. (Khadir Amar, K9: 7)

Khadir Amar betont mehrmals die »klassische, akademische Schule«, die er an der Akademie seines Herkunftslandes durchlaufen habe, ohne zu präzisieren, wofür dieser Terminus steht. Bei meiner Recherche stieß ich auf eine wissenschaftliche Publikation über die Kunstszene des Landes nach der Kolonialzeit. Aus Gründen der Anonymisierung kann ich diese nicht zitieren. Die Studie erklärt, dass auch nach der Unabhängigkeit an der staatlichen Kunsthochschule westliche Mal- und Bildhauertechniken und -traditionen gelehrt wurden. Andere mir vorliegende Texte von und über Khadir Amar verdichten das Bild, dass die Wörter »klassisch, akademisch« verdeutlichen sollen, dass er an seine Hochschule eine Ausbildung in »europäischer Kunst« erhielt. Auf einer seiner französischsprachigen Websites ist zu lesen, dass er in der Tradition einer avantgardistischen Künstlergruppe stehe, die sich Mitte der 1970er Jahre in seinem Herkunftsland formierte. Es wird weiter erklärt, dass sich die Gmppe vom »akademischen Kanon befreit« habe. Als Reaktion auf die »überzogene Ästhetik und übertriebene Abstraktion des L' Art pour 1' Art«

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habe die Gruppe ihre kulturelle Herkunft und soziale Eingebundenheit betont. 6 In der anonym gehaltenen Publikation wird ebenfalls ausgeführt, dass sich die Gruppe gegen die an europäischen Ausdrucksformen und Techniken orientierte staatliche Kunst richtete. Die Künstlerl-innen arbeiteten mit regionalen Materialien, bezogen sich auf kulturelle und religiöse Praktiken und Symbole und suchten ein breiteres und unmittelbares Publikum für ihre Kunst. Ihrer Meinung nach habe die »westliche Vorstellung des isolierten Künstlers« nichts mit »afrikanischer Kultur und Lebensweise« zu tun. Im Interview erklärt mir Khadir Amar, Kunst sei eine Sprache, die keinen Übersetzer brauche, weil sie von der Emotionalität komme und »jedem unbedingt etwas« sage. Bezogen auf ein bestimmtes Kunstwerk erklärt er, er habe versucht, im verwendeten Material die »verloren gegangene Seele wieder lebendig zu machen« und »den Geist der Ahnen heraufzubeschwören«. Die aus der Natur kommenden Materialien hätten ftir die Menschen seines Herkunftslandes eine symbolische Bedeutung, die oft mit der Religion zusammenhänge. Khadir Amar trägt den Namenszusatz »EI Hadji«. Wie die Mehrheit der Bevölkerung seines Herkunftslandes ist er sunnitischer Muslim. In Westafrika ist der Islam bis heute von animistischen Vorstellungen und Praktiken geprägt (vgl. Ende/Steinbach/Krüger 1996: 449). Seinem Lebenslauf kann man entnehmen, dass er, bevor er nach Deutschland kam, mehrmals in benachbarten Regionen lebte, um sich dort überlieferte Kunstpraktiken anzueignen und die Mythologie der Volksstämme zu studieren. Khadir Amar erklärt, dass er auch »Möbeldesigner« sei. Auf einer seiner Websites wird darüber informiert, dass es in Afrika viele alte Techniken gebe, zum Beispiel des Spinnens, Webens, Färbens oder Korbflechtens, der künstlerischen Arbeit mit Silber, Bronze, Kupfer, Leder oder Holz und eine lange Tradition der Herstellung von Kleidung, Möbel, Keramik und Schmuck. Khadir Amar sieht sich in dieser Tradition »afrikanischer Kunst« und zählt im Interview einige »internationale Biennalen« auf, an denen er bis heute als Möbeldesigner teilnimmt. Der Fokus seiner Erzählung liegt allerdings nicht auf dieser Tätigkeit, sondern auf seiner Arbeit als »politischer Künstler«. Als Afrikaner in Europa

Mitte der 1980er Jahre lebt Khadir Amar zum ersten Mal in Deutschland. Er sei als »Privilegierter« nach Europa gekommen, nicht als »Asylbewerber«. Auf meine Frage erklärt er mir, der Grund seines ersten Aufenthaltes in Berlin sei zum einen

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Die Zitate sind von mir aus dem Französischen sinngemäß übersetzt. Khadir Amar verwies mich selbst darauf, dass ich im Internet viele Informationen über ihn als Künstler finden könne. Die im Internet recherchierten französischen Texte halfen mir, seine auf Deutsch oft sehr knappen Äußerungen zu fundi eren.

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ein staatliches Stipendium aus Deutschland gewesen. Zum anderen kam er mit seiner Ehefrau, die deutsche Staatsbürgerin ist. Ich gehöre zu den Privilegierten. Ich persönlich habe überhaupt keine Probleme, weil wenn du siehst, wie ich lebe, das ist so privilegiert. Das ist nicht wie bei den jungen Menschen, den Asylbewerbern, die wirklich existentielle Probleme haben und zu Hause Probleme haben. Ich habe zu Hause keine Probleme. Ich habe eine riesige internationale Residenz für Künstler. Ich lade Künstler aus dem Norden in den Süden ein, um unsere Länder besser kennen zu lernen. Zu Hause gebe ich mehr Kurse als hier. In Berlin habe ich ein Appartement, das hat vielleicht 100 Quadratmeter, aber in Afrika habe ich über 2500 Quadratmeter, mit riesigem Garten und Swimming-Pool. Also das, was ich dort habe, ist nicht das, was ich hier habe. Das zeige ich auch meinen Kollegen immer. (Khadir Amar, K9: 6)

lm gesamten interview setzt er den Akzent seiner Erzählung auf seine privilegierte Situation und seine gute Integration in seinem Berliner Umfeld. Nur zweimal spricht er offen davon, als »Schwarzafrikaner«, wie er sich nennt, in Europa und den Vereinigten Staaten diskriminiert zu werden. Sein Verhalten als wir uns kennenlemen, ist ein weiteres Indiz flir derartige Erfahrungen. Zunächst agiert er reserviert und vorsichtig. Zum Beispiel spricht er zu Beginn des Interviews ausschließlich über inhaltliche Themen seiner Werke, die seine Meinung zum Verhältnis zwischen Europa und Afrika klarstellen. Er achtet auf meine nonverbalen Reaktionen. Einmal fragt er mich direkt nach meinem Bild von »Afrikanern«, und ob ich Angst habe. Erst als er sich meiner Einstellung sicherer ist, beginnt er in seine Erzählung Persönliches zu integrieren. Einmal erläutert er mir ein Kunstwerk, welches seine negativen Erfahrungen beim Reisen thematisiert. Er wisse, dass er nicht genauso »frei« sei, wie Menschen mit »weißer Hautfarbe«. Auch wenn er »genügend Geld« habe und »intellektuell und gebildet« sei, werde er von der Bundespolizei öfter kontrolliert und bekomme seltener ein Visum. Als er ein anderes Mal betont, dass seine beiden Kinder deutsche Staatsbürger sind, stellt er klar, dass er lieber seine »afrikanische« Staatsbürgerschaft behalte. Ihm sei bewusst, dass er niemals als Deutscher wahrgenommen würde. Deshalb lebe er lieber »stolz« als Staatsbürger seines Geburtslandes. ln diesem Zusammenhang erläutert er, seine »Identität« sei in seiner »Heimat« verwurzelt. Als Beispiel führt er seine Sprachkompetenzen an. Er sei dreisprachig aufgewachsen, weil seine Eltern zwei verschiedenen Volksstämmen angehörten. Seine»Vatersprache und Muttersprache« seien etwas Besonders. Im Unterschied zu Französisch, Deutsch und Englisch werden seine afrikanischen Sprachen mündlich überliefert. Deshalb kämen sie vom Gefühl. Er sei froh, dass er sich heute auf Deutsch unterhalten könne, aber eine Sprache bedeute viel mehr als verbale Verständigung:

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Ich denke mehrsprachig! Ich bin nicht durcheinander in meinem Kopf. Ich bin mehrfach strukturiert. Ich habe teilweise Deutsches an mir: Ich bewege mich mit deutscher Haltung, mit deutscher Vernunft. Emotional bin ich Afrikaner. Diese Seite habe ich von Afrika geerbt, von da, wo ich herkomme. Meine Emotionalität kommt aus Afrika, die Rationalität aus Europa. Wenn ich unvernünftig werde, dann ist das mein afrikanisches Temperament. (Khadir Amar, K9: 12)

ln Deutschland sei ihm oft »langweilig« und er fühle sich »manchmal sehr einsam«. Das »afrikanische Volk« sei »viel näher, hautnah zusammen, viellauter und immer in Bewegung«. In Europa hingegen lebe man »isoliert, still und vorsichtig«. Weil er durch die Welt »wandle«, habe er viele Erfahrungen gesammelt und sei dadurch »immer rationaler« geworden. Denn er habe beständig aus den Fehlern gelernt, die aus emotionalem Handeln resultieren können, und habe daraufhin versucht sie zu vermeiden. Ich kann die beiden Welten sehr gut unterscheiden. Ich fliege vom Norden in den Süden. Ich pendl e oft. Die Erfahrung steigt, wenn man nicht an einem Ort sitzt, sondern wenn man sich bewegt. Wenn ich am Computer sitze und mir die Welt ansehe, dann kann das gefährlich sein, denn es gibt mehrere Wahrheiten. Es gibt meine Wahrheit, deine Wahrheit und überhaupt, wo liegt die Wahrheit? Das ist die Auseinandersetzung des Menschen! (Khadir Amar, K9: 3)

Für K.hadir Amar sind »Künstler das Gedächtnis unserer Zeit«. Bereits während seiner Schulzeit habe er sich viel mit Literatur, Musik und afrikanischer Geschichte und Politik beschäftigt. Indem er sich intellektuell bilde, durch die Welt wandle und Erfahrungen mache, sammle er ein umfangreiches Wissen. Weil er privilegiert ist, stehe er in der Verantwortung dieses Wissen an jüngere Generationen weiterzugeben. Denn ohne die Vergangenheit könne man »keine Zukunft bauen«. So wie in Afrika das »Gedächtnis« der alten Menschen nicht verloren gehen dürfe, müsse auch er sein Wissen als »spirituelle Nahrung« für Junge betrachten. K.hadir Amar fragt mich nach meinem Alter und betont daraufhin, er habe sich gerne für mich Zeit genommen und meine Fragen sehr ernst genommen, denn seine Hoffnung lege bei der jungen Generation. Er habe mir gerne sein Wissen weiter gegeben. Politische Kunst in Europa

Sein Umzug nach Berlin bedeutet für Khadir Amar eine erneute »Initiation als Künstler«. Sein Kunstverständnis verändert sich. Erst in Europa seien seine Arbeiten »politisch und engagiert« geworden.

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Heute denke ich, wenn ich Kunst mache ohne Ziele, die ich erreichen möchte, dann brauche ich keine Kunst mehr zu machen. Nur das Emotionale, das geht nicht, das muss inhaltlich sein. Deshalb ist es wichtig, dass die Leute neugierig sind und wissen wollen, was meine Kunst bedeutet. Und ich kann dann inhaltlich erzählen, was ich dir erzählt habe. (Khadir Amar, K9: 12)

Seine Erläuterungen der inhaltlichen Aussagen seiner aktuellen Kunstwerke nehmen die längste Zeit des Interviews in Anspruch. Mit keinem Wort erwähnt er, wie er seine Skulpturen herstellt. Andere Elemente seiner Kunst, wie sein religiöser Glaube, die erwähnte »afrikanische Emotionalität« oder der Bezug zu »afrikanischen« Kunsttraditionen sind im Vergleich zum politischen Inhalt zweitrangig. In seinen Erläuterungen drückt sich folgende politische Einstellung und Zielsetzung aus: Das grundsätzliche Problem Afrikas sei, dass die Menschen noch immer kaum Zugang zu Schulbildung hätten. »Analphabetismus im 21. Jahrhundert«, das sei »schlimm für ein Land«. Er setze sich dafür ein, dass das »Volk von Afrika« einen neuen Weg gehe, der unabhängig von den ehemaligen Kolonialherren und -staaten sei. »Afrika als Einheit« müsse den Wert seiner Kultur und seines Kontinents erkennen. Denn Afrika sei nicht arm, sondern »reich an Rohstoffen« und habe ein »reiches kulturelles Erbe«. Ferner fände er es »furchtbar«, dass in vielen afrikanischen Ländern die Kolonialsprachen als Amtssprachen gelten. Diese hätten nichts mit der »afrikanischen Kultur« zu tun. Nur wenige afrikanische Sprachen, wie z.B. Suaheli, seien strukturiert und verschriftlicht Deshalb sollte seiner Meinung nach Suaheli in jedem Land des Kontinents als »afrikanische Amtssprache« eingeführt werden. Seit er in Deutschland lebe, sei er bestrebt, zwischen den »zwei Welten« Europa und Afrika zu vermitteln. Europa müsse akzeptieren, dass es für die Situation in Afrika verantwortlich sei. Genauso wie er in Europa von der afrikanischen Gegenwart berichte, versuche er in Afrika, das allzu positive Buropabild zu relativieren. In seiner Künstlerresidenz ermögliche er den Austausch zwischen den Kulturen. Seine Aufgabe als Künstler sehe er darin, die »message« von der positiven Zukunft Afrikas zu verbreiten. In einem französischen Interview, das ich im Internet fand, spricht er von den »utopisch klingenden, aber notwendigen Zielen«, die er mithilfe »innovativer Potentiale« erreichen wolle. Indem er durch die Welt reise und das Internet nütze, könne er vermitteln, was er »zeigen und sagen will«. Bei seiner Arbeit in Berliner Museen und Projekten versuche er Afrikas Gegenwart und Zukunft zu thematisieren. Denn »Völkerkunde« zu betreiben, was oft von ihm erwartet werde, fände er »total falsch«.

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Die Konstruktion des Afrikanischen

Khadir Amars Verständnis des Afrikanischen darf weder als unhinterfragte und deswegen naturalisierende Kategorie übernommen werden, noch handelt es sich um eine Prämisse, die er sich als Stärkung seines Selbstbewusstseins in Europa selbst ausgedacht hat. Vielmehr reproduziert er ein pan-afrikanisches Bild des Kontinents: Der Pan-Afrikanismus ist eine Bewegung, die in vielen Ländern des Kontinents seit der Unabhängigkeit entstand und als Reaktion auf die Kolonialisierung verstanden werden kann. Folgendes Zitat fasst einige Punkte der sich durch die Pan-Afrikanische-Bewegung verbreitenden Ideen zusammen, die sich auch in Khadir Amars Aussagen wiederfinden. An all-embracing Africanity that supersedes disparilies and differences and aspires toward the construction, not invention, of a new and credible Africanity. This [...] remains the ground argument ofthe Pan-African movement. Culturally, the argument is to recognize a plurality of Africanities but aspire toward the active formulation of a singular African identity, somewhat along the lines of Pan-Europeanism and the construction ofthe West. (Oguibe 2004: 6)

ln Khadir Amars Herkunftsland war der erste Staatspräsident nach der Unabhängigkeit ein starker Vertreter dieser Bewegung. Die staatliche Kunstausbildung und -förderung dieser Zeit leitete die Künstlerl-innen dazu an, nach etwas ursprünglich Afrikanischem zu suchen. Die Konstruktion des Afrikanischen war noch stark von europäischen, anthropologischen Vorstellungen geprägt, wie zum Beispiel einer authentischen Emotionalität und Rhythmik des Afrikanischen (vgl. Harney 2004: 9). Als Student durchlief Khadir Amar die staatliche Kunstausbildung, als junger Künstler wurde er vom besagten Staatspräsidenten gefördert. Er sieht sich bis heute in dieser Tradition stehend. In seinem Selbst- und Kunstverständnis kommen die Sichtweisen der pan-afrikanischen Bewegung zum Ausdruck: In Europa begegnet er Diskriminierungen aufgrund seiner Hautfarbe und der pauschalen Degradierung des Afrikanischen mit einer positiven Umdeutung dieser Zuschreibungen. Mit dem plakativen Vergleich seiner beiden Wohnsituationen präsentiert er sich selbst als GegenbeispieL Er lebe nicht in Berlin, weil es ihm hier besser gehe, sondern wegen seiner Familie. Khadir Amar entwickelt diese Sichtweisen aber nicht erst im Zuge seiner Erfahrungen in Europa. Es handelt sich nicht um bloße Zuschreibungen. Dass er sich als Afrikaner versteht, kann auf die historische, politische Situation zurückgeführt werden. Ihn erfüllt seine »afrikanische Identität mit Stolz«, weil er in einem sozialen Umfeld sozialisiert wurde, das in Reaktion auf die zuvor hegemonialen westlichen Werte eine eigene, positive Deutung des Afrikanischen lebte. Khadir Amar wendet die Kategorien Afrika und Europa, sowie deren Attribute Emotionalität und Rationalität an. Unterschiede zwischen den

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»zwei Welten« in der Sprache, Lebensweise und auch Kunst gründen flir ihn auf diesem Gegensatz. Seine Identität ist afrikanischer und deshalb emotionaler Herkunft, obwohl er mittlerweile viel Deutsches, d.h. Rationales an sich habe. Bezeichnet er sich in Europa als afrikanischen Künstler, hebt er dabei nicht hervor, dass seine Kunst afrikanisch sei, sondern dass er sich als Afrikaner verstehe. Seit Khadir Amar in Berlin lebt, treten in seinen Kunstwerken jene Elemente in den Hintergrund, die für ihn afrikanisch sind. Als junger Künstler war er Teil einer Bewegung und Künstlergruppe, die auf der Suche waren nach einer zeitgenössischen afrikanischen Kunst. Die Betonung der Emotionalität der Kunstwerke, der Bezug auf lokale Glaubensvorstellungen und Riten und das Studium traditioneller Kunsttechniken waren Bestandteile der Konstruktion einer eigenständigen afrikanischen Kunst. In Europa produziert er keine in diesem Sinne afrikanische Kunst mehr. Er konzentriert sich auf die inhaltlichen und vor allem politischen Aussagen und die aufklärende Intention seiner Kunst. Er versteht sich nun als Erzieher oder Aufklärer. Eine Subjekt- bzw. Künstlerkonzeption, die mit der Praxis des westlichen künstlerischen Feldes korrespondiert. Von nun an soll seine Kunst zur Verbesserung der Welt und insbesondere zur positiven Zukunft von Afrika beitragen. Als Künstler vereint er akademische Bildungsgedanken mit Vorstellungen mündlicher Überlieferung. Er bezeichnet sich als »interkultureller Erzieher« und meint damit zum einen die Vermittlung von Wissen, das er sich durch seine umfangreichen Studien angeeignet hat und zum anderen verweist er auf die Erfahrungen, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat und schreibt sich eine äquivalente Rolle zu, wie jene von alten Weisen. Beides enthält aufklärende Potentiale, verfolgt das Ziel, die junge Generation auf den rechten Weg zu bringen. Er stellt sich als Künstler die Aufgabe, einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten.

Die »Positionen«

DAS STAATLICHE MUSEUM Das Malen an sich ist nur Arbeit oder nur Handwerk. Der Rest ist Entwurf. (Karin Appl, Kl: 2)

Die Künstlerin Karin Appl differenziert zwei aufeinander folgende Tätigkeitsbereiche, die sie in der Produktion eines Gemäldes durchläuft. Das »Handwerk« meint die Fähigkeit, alles Erdenkliche bildlich darstellen zu können. Die daz u erforderlichen Techniken gelten als körperlich erlernbar und werden an jener Ausbildungsstätte erworben, deren primäre Aufgabe im Vermitteln dieser Kompetenzen gesehen wird: der Kunsthochschule. Dort wird der Grundstock gelegt, doch Perfektion kann erst durch jahrelanges, kontinuierliches Üben erreicht werden. Ähnlich wie beim Erlernen komplizierter Tanzabfolgen oder eines Musikinstrumentes müssen auch beim Malen, Bildhauern, Schnitzen, Ritzen, Zeichnen oder anderen Ausdrucksformen die Muskeln und die Beweglichkeit der Hände und des gesamten Körpers trainiert werden. »Das Malen an sich« ist also eine körperliche Fertigkeit, die etwas Erdachtes, den Entwurf, auf eine Leinwand bringt. Abgesehen vom Grad der Technikbeherrschung ist die Umsetzung eines Entwurfs hier kein Prädikat, das einem Künstler oder einer Künstlerin Anerkennung verschaffen könnte. Im Gegenteil, sie kann auch in Auftrag gegeben werden. Das, worauf es ankommt, ist der Entwurf. Die Künstlerin Karin Appl erklärt mir, seit ihren Studienjahren setze sie sich mit folgender Frage auseinander: »Was kann die Porträtmalerei heute bedeuten?« Sie studiert historische und zeitgenössische Kunstwerke in Büchern und besucht regelmäßig Museen, um die Originale zu betrachten. Symboliken, die in historischen Porträtmalereien Charakterzüge der Dargestellten verbildlichen, verwendet sie als »Denkansatz« für ihre eigene künstlerische Arbeit. Sie versucht die Symboliken zu verstehen, sie zu konkretisieren und auf heute zu beziehen. Den langwierigen Denkprozess, den sie dabei durchläuft, beschreibt sie als »zwanghafte Versenkung« und als »Autotherapie«. Gewonnene Erkenntnisse münden schließlich in den präzisen Entwurf einer Malerei.

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Entlang folgender Aussage des staatlichen Museumsleiters Max Corbach werde ich nun rekonstruieren, wie sich die Künstlerl-innen dieser »Position« des Berliner Kunstfeldes selbst verstehen und welches Kunstbild dem Anerkennungsprozess zugrunde liegt. Max Corbach erklärte, ob ein Kunstwerk eine Anhängerschaft findet, habe zum einen etwas mit der Persönlichkeit des Künstlers oder der Künstlerin zu tun. Ein Kunstwerk ist zum anderen zunächst eine Behauptung, die den Stand der Kunst überschreitet. Der Beruf Kunst unterscheidet sich von allen anderen Tätigkeiten in der Gesellschaft extrem dadurch, dass er im Grunde genommen etwas zunächst Sinnloses produziert, der Wert dessen ist nur eine Behauptung. Also der Künstler muss so stark auch seelisch und in seiner ganzen Persönlichkeit sein, dass er diese Behauptung nicht verlässt, dass er ihr treu bleibt. Trotzdem wahrscheinlich zunächst überhaupt keine Anhängerschaft da ist, also niemand da ist, der das mit trägt. Er begibt sich, wenn er ein guter Künstler ist, begibt er sich auf einen einsamen Pfad der Überschreitung von etwas, was andere bis dahin gedacht oder produziert haben. Aber er geht dann noch einen Schritt weiter. Also es ist eine sehr starke Zuspitzung der eigenen Möglichkeiten. (Max Corbach, El2: 14)

Die Künstlerl-innen als Geisteswissenschaftlerl-innen

Max Corbach erklärt in der angeführten Interviewpassage, ein Künstler oder eine Künstlerin müsse in der Produktion eines Werkes alles bisher Gedachte bzw. die Materialisierungen des Gedachten überschreiten. Dabei drängt sich zunächst die Frage auf: Wie ist dies überhaupt möglich? Die Kunsthochschule gilt den Akteuren dieser »Position« als ein Ort, an dem nicht nur technisches Know-how erlernt werden sollte. Vorrangig müssen die Jahre an der Hochschule dafür genützt werden, in der Auseinandersetzung mit anerkannten Kunstwerken eine Frage zu finden, die imstande ist, das Fundament aller zukünftigen eigenen künstlerischen Arbeiten zu bilden. Erwächst die Forschungsfrage eines wissenschaftlichen Projektes in der Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand, entsteht diese Frage im Rahmen der Beschäftigung mit dem vergangeneo und aktuellen Stand der Kunst. Die Frage hat zum Ziel, neue Erkenntnisse zu einem bestimmten Thema zu generieren, und sie muss sich zu etwas entwickeln können, das einen Künstler oder eine Künstlerin auszeichnet, d.h. das mit seinem oder ihrem Namen besetzt werden kann, um schließlich Anerkennung daraus ziehen zu können (vgl. Beaufays 2005: 179ft). Erzählt Karin Appl von ihrer Frage und ihrem »Denkansatz«, die sie in ihrer entwerfenden Arbeit leiten, fallt auf, dass sie dabei bestimmte Kategorien anwendet. Sie spricht von Genres, Symboliken und Allegorien und ordnet Kunstwerke bestimmten Epochen oder Kunststilen zu. Sie erklärt, ihr Anspruch sei eine zeitgenös-

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sische Weiterführung des Genres der Porträtmalerei. Neben der Porträtmalerei sind die Landschaftsmalerei, die allegorische Malerei oder die Stilllebenmalerei weitere beispielhafte Genres. Der Begriff Genre gruppiert Werke entlang ihres thematischmotivischen Inhalts. Symboliken und Allegorien sind verbildlichte Träger inhaltlicher Aussagen und Informationen zu Personen, Gegenständen oder Kontexten. Der Tod als Sense oder die Gerechtigkeit als Justitia mit Waage und Schwert sind Allegorien, die ohne Vorwissen nicht verstanden werden können. Die von K.arin Appl angewendeten Kategorien sind nicht frei erfunden, sondern entstammen der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte. Auf der Online-Präsentation des 30. Deutschen Kunsthistorikertages findet sich folgende Selbstdefinition der Disziplin: Die Geschichte der Kunst operiert mit Gültigkeitsvorstellungen, indem sie diese generiert, pflegt, bestreitet, überholt oder verwirft. Solche Kanones sind zugleich Grundlage und Gegenstand des Spektrums der Methoden und Perspektiven der Kunstwissenschaft, die ihrerseits an den Prozessen der Kanonbildung Anteil nimmt und diese aktiv beeinflußt, keineswegs nur dort, wo es um die Listung von denkmalwerten Objekten oder um sogenanntes Welterbe geht. 1

Anfang des 20. Jahrhunderts erarbeitete Erwin Panofsky die ikonografisch-ikonologische Methode (vgl. Panofsky 2006), die bis heute »in der kunstwissenschaftliehen Literatur [ ... ] führend« (Eberlein 2008: 175) ist. Anders als bei formanalytischen, rezeptionsästhetischen oder sozialgeschichtlichen Ansätzen wird hier auf Inhalt und Gehalt eines Werkes fokussiert. In einem dreistufigen Modell wird versucht, den >>einstigen Sinn eines Kunstwerks« (ebd.: 179) zu rekonstruieren. Zunächst werden in einer vorikonografischen Beschreibung die dargestellten Objekte, die »reinen Formen« (Panofsky 2006: 37), identifiziert. Der zweite Schritt der ikonografischen Analyse beschäftigt sich mit Bildern, Anekdoten und Allegorien. Die im Werk zum Ausdruck kommenden Vorstellungen und Themen werden mithilfe anderer historischer Quellen ergründet. Das analytische Ziel der Ikonografie besteht also darin, die einst von Zeitgenossen beherrschte Bildsprache zu decodieren und zu bewahren. Auf die eigentliche ikonologische Interpretation, als dritte methodische Stufe, komme ich weiter hinten zurück. Die Künstlerin Karin Appl kann die Denkprozesse der Produzenten und Produzentinnen überlieferter Gemälde dechiffrieren, weil die verwendete Bildsprache systematisiert, archiviert und bis heute lebendig gehalten wurde und sie diese erlernte. Genauso wie ein Buch nur lesen kann, wer Buchstaben zu Worten formen kann und deren Gehalt versteht, kann diese bildliehe Sprache nur lesen, wer die Be-

Konferenz zum Thema »Kanon« des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker im März 2009: Vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=10769 vom 10.05.2010.

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deutung der Zeichen und Symbole beherrscht und den Sinn gebenden Rahmen kennt. Ähnlich dem Erwerben verbaler Sprachkenntnisse fallt das Verstehen der Bildsprache umso leichter, je früher, unmittelbarer und spielerischer sie erlernt wurde. Max Corbach spricht davon, dass der Künstler »in seiner ganzen Persönlichkeit stark« sein müsse, um seiner »Behauptung«, also seiner Kunst, >>treu bleiben« zu können. Sehen wir uns am Beispiel Karin Appl an, worauf seine Aussage verweist. Aufmeine Frage, ab wann sie sich als Künstlerin verstanden habe, antwortet sie: Ich glaube, als ich noch keinen vollständigen Satz sprechen konnte. (Kichern) Also so im Alter von drei Jahren? Ich wollte nie etwas anderes machen. - Also gut, es gab die Alternative Medizinstudium, aber das war mein Wissenschaftsbedürfnis. Ich wollte aber kein Arzt werden, ich wollte Medizin studieren. Ich wollte Medizin oder Kunst studieren, aber eben Medizin nur des Studiums wegen. (Karin Appl, Kl : 19)

Zunächst fallt auch hier die Parallelisierung von Kunst und Wissenschaft ins Auge. Die Wissenschaft vom Körper und jene von den Kunstwerken befriedigen gleichwertig ihr Bedürfnis nach Wissensgenerierung. Die Entstehung dieses Bedürfnisses datiert sie mit dem Beginn des verbalen Spracherwerbs, also dem Beginn des Denkens in vorgegebenen und erlernten Sinneinheiten. Seit damals wurde sie mit bildender Kunst, klassischer Musik und Theater konfrontiert und internalisierte somit die Sprache der »legitimen Künste«, genauso wie sie der deutschen Sprache mächtig wurde. Die Beherrschung dieser Kunstsprache gründet also nicht etwa auf einer rein formalen, lehrbuchkonformen Anwendung des Ordnungssystems, sondern die Sprachkunst liegt in der Verkörperung der Bildsprache. Karirr Appls »Habitus« lässt sie Teil dieser Künste werden. Die Künste sind nicht etwas außerhalb ihrer selbst, vielmehr leben sie durch sie fort. Wie Max Corbachs Aussage konkretisiert, misst sich die Stärke von Künstlerl-innen bzw. ihrer aufgestellten Behauptungen daran, wie sehr sie die Frage, die sie bearbeiten, als Ausdruck ihrer Persönlichkeit verstehen. Sie sehen es als ihre Bestimmung an, einen Beitrag zur Weiterft.ihrung und Belebung der Künste zu leisten. Die Frage, die sie sich zeit ihres Lebens stellen, folgt dieser Intention. Zur Anerkennung als Ausdruck des Zeitgeistes

Spricht Max Corbach von der »Zuspitzung der eigenen Möglichkeiten«, verweist er auf diesen Rahmen der Kunstsprache, in dem sich die Künstlerl-innen bewegen. An neu entstehende Werke wird zwar ein innovativer Anspruch gestellt. Eine Innovation wird aber stets in Anwendung der überlieferten Bildsprache generiert, d.h. sie ist Ausdruck der verkörperten Praxis der Bildsprache. Neues begrenzt sich also auf

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diesen »Raum des Möglichen« (Bourdieu 2001: 372). Karirr Appl studiert neben kunsthistorischen Werken zeitgenössische Malereien. Sie sichtet den aktuellen Stand der Kunst, um sich diesem gegenüber zu verorten bzw. um zu erkennen, was die Malerei heute auszeichnet. Erst wenn sie die Logik der Kunstgeschichtsschreibung und die Logik des aktuellen Standes der Malerei begreift, kann sie einen Beitrag dazu entwickeln. Ihre Gedanken entsprechen dem in diesem Rahmen und zu diesem Zeitpunkt Denkbaren, weil sie dessen Logik verkörpert. Bourdieu spricht vom »System des Möglichen«, das alles Neue begrenzt: Künstlerische Kühnheiten, Neues oder Revolutionäres sind überhaupt nur denkbar, wenn sie innerhalb des bestehenden Systems des Möglichen in Form struktureller Lücken virtuell bereits existieren, die darauf zu warten scheinen, als potentielle Entwicklungslinien, als Wege möglicher Erneuerung entdeckt zu werden. (Bourdieu 2001: 372)

Diese Praxis legt den Grundstein des Zeitgeistes, der den Kunstgeschichtsschreiber/ -innen als Charaktetmerkmal einer Epoche gilt. Zunächst zur Frage, wodurch ein Kunstwerk oder vielmehr die geistige Erkenntnis, die sich in allen Werken eines Künstlers oder einer Künstlerin manifestiert, zum Träger des Zeitgeistes bzw. Bestandteil der Kunstgeschichte wird. Der Kurator Mattbias Claas formuliert seine Rolle als Kunsthistoriker wie folgt: Oie Rolle ist vielleicht wirklich die, dass man in der Lage ist, eine Geschichte anhand der Kunst zu erzählen, eine Entwicklung der Kunst oder eine Entwicklung unserer Rolle im Spiegel der Kunst oder dieses gesamten geistigen und kulturellen Spannungsfeldes, wovon Kunst nur ein Teil ist. (Matthias Claas, E9: 22)

Generieren Künstlerl-innen Erkenntnisse zu einem bestimmten Teilaspekt, geht es nun um eine Geschichte, die die Kunst vereint. Die inhaltliche Aussage und ihre Manifestationen, sowie die Kategorie, der sie zugeordnet werden, sind wie die Unterkapitel einer großen Erzählung. Die Geschichte der Kunst ist wie ein Fortsetzungsroman, dessen Erzähllogik es zu bewahren gilt. Kunsthistorikerl-innen werden dazu ausgebildet, die Geschichte weiterzuerzählen und auszudifferenzieren. Abhängig von ihrer »Position« im künstlerischen Feld können sie ihren Einfluss auf den Fortgang und den Verlauf des >Romans< geltend machen. Zu den mächtigsten Geschichtsschreiberl-innen gehören einerseits die Mitglieder in Ankaufsbeiräten und anderseits die Kuratoren und Kuratorinnen staatlicher Museen. Die Entscheidung, ob eine staatliche Sammlung ein Kunstwerk ankauft, fallt meist der oder die Museumsleiter/-in unter Berücksichtigung des Vorschlags einer Kommission. Diese wechselt alle drei bis fünf Jahre und setzt sich aus Professoren und Professorinnen für Kunstgeschichte oder -theorie, Kunstkritikerl-innen oder anderen Akteuren des künstlerischen Feldes zusammen, die als Experten und Expertinnen des jeweiligen

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Bereichs anerkannt sind. Kuratoren und Kuratorinnen konzeptionalisieren jene Bereiche des Museums, die öffentlich sichtbar werden. In ihren Kompetenz- bzw. Aufgabenbereich gehört, Werke aus der Sammlung zu präsentieren. Diese werden teilweise mit Leihgaben aus anderen Museen oder aus dem Privatbesitz von Künstlerl-innen oder Sammlerl-innen kombiniert. Die Kuratoren und Kuratorinnen erstellen Ausstellungskonzepte, über deren Umsetzung die Programmleitung oder die Leitungsebene des Museums entscheidet. Sehen wir uns den Prozess der Auswahl gerrauer an. Auf meine Frage, wie er und seine Kommission Kunstwerke für den Ankauf in die Sammlung auswählen, antwortet Max Corbach: Ja, das ist eine gute Frage, die wir uns selbst auch immer wieder stellen. Zum einen versuchen wir Lücken zu schließen, auch bei älteren Generationen. Zum Beispiel haben wir gerade eine Ausstellung, in der wir ein Künstlerpaar vorstellen. Und es gibt nicht wirklich ein repräsentatives Werk dieser beiden Künstler in der Sammlung und deshalb haben wir uns entschlossen, ihr Initialwerk, mit dem sie angefangen haben als Paar zu arbeiten, zu erwerben. Das war quasi eine Ergänzung der Sammlungsbestände. Was die jüngere Kunst anbelangt, diskutieren wir Vorschläge, die wir alle auf den Tisch legen und überlegen uns, ob die Qualität der Sammlung oder der Institution entspricht und welchen Rang diese Künstler im heutigen Kunstgeschehen haben. Das kann alles nur fragmentarisch sein, weil die zeitgenössische Kunst heute so inflationär gewachsen ist, dass kein Museum der Welt dies flächendeckend kaufen kann oder überhaupt eine Idee hat, was man tatsächlich als Ausdruck unserer Zeit kaufen könnte. Und die Museen haben die schwere Mühe, diese Fülle wissenschaftlich einzuschätzen. (Max Corbach, E l2: 4)

Max Corbach formuliert den Anspruch einer »flächendeckenden« Archivierung aller künstlerischen Ausdrucksformen einer Epoche. Weil dies nicht gewährleistet werden könne, werden Werke angekauft, die in besonderer Weise die innovative Erkenntnis repräsentieren, die die Künstlerl-innen als ihre Lebensaufgabe erarbeiten. Der Museumsleiter führt die Unmöglichkeit einer »flächendeckenden« Archivierung auf die quantitative Expansion produzierter Kunstwerke zurück. Auch könne er deshalb den »Ausdruck unserer Zeit«, den Zeitgeist, nicht erkennen. Das, womit Max Corbach und seine Kollegen und Kolleginnen hier »Mühe« haben, liegt allerdings in der Logik der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte begründet. Die alles vereinende Geschichte kann immer erst in zeitlicher Distanz erzählt werden. Die Erzählerl-innen erfinden diese Geschichte nicht aus freien Stücken und stets von neuem. Vielmehr beziehen sie sich auf vorhandene Überlieferungen oder versuchen, wie Bourdieu erläutert, innerhalb eines bestehenden Systems möglicher künstlerischer Ausdrucksformen, die »strukturellen Lücken« (2001a: 372) zu finden und zu schließen.

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Der Zeitgeist wird in der sozialen Praxis von Kunsthistorikerl-innen und anderen Akteuren erzeugt, die die eine oder andere neue Sichtweise bzw. Erkenntnis fördern oder hemmen können. Leiterl-innen und Kuratmen/Kuratorinnen nicht musealer Ausstellungsinstitutionen verschaffen Künstlerl-innen Sichtbarkeit und Anerkennung im aktuellen Kunstgeschehen. In folgender Interviewpassage Verena Bluhms, Leiterin eines Berliner Kunstvereins, zeigt sich, dass die Auswahl und die Konzeption von Ausstellungen ein relationaler Prozess ist: Wie man die findet? Das ist immer so eine wiederkehrende Frage. Ich meine, .. . indem man guckt, indem man, also, ich meine, die Kunst ist etwas Visuelles und auch wir als Kuratoren oder als verantwortliche Direktoren von Ausstellungen sehen natürlich sehr, sehr viel und lesen sehr, sehr viel und reden sehr, sehr viel (lacht). Sowohl mit Kolleginnen und Kollegen als auch mit Künstlerinnen und Künstlern, also, von daher ... Das hat sehr viel mit Beobachtung zu tun, hat auch mit Beobachtung von Entwicklungen zu tun. Auch mitunter mal von der Entwicklung von Einzelpositionen, man weiß, okay, da hat man vor ein, zwei oder drei Jahren eine Arbeit gesehen, die einem sehr im Kopfhängen geblieben ist, die einen sehr angeregt hat und man guckt noch mal drauf, was hat der oder die jetzt in den letzten Wochen und Monaten gemacht und überlegt dann, wäre es etwas, was möglicherweise in das Konzept, in die Institution passt. Ist es etwas, was wir jetzt gerade zu dem Zeitpunkt richtigerweise vorstellen sollten. Das sind keine so aalglatt nachzuvollziehenden Prozesse. Das ist ein Hauptweg mit sehr vielen Nebenwegen, den man da beschreitet. (Verena Bluhm, E4: 8)

Einerseits beobachtet Verena Bluhm, woran Künstlerl-innen über Jahre arbeiten. Sie prüft, ob der Künstler oder die Künstlerin zu einer Erkenntnis gelangt, die im Verhältnis zum aktuellen Stand der Kunstproduktionen das Potential zu einer bahnbrechenden Innovation entfalten kann. Im Austausch mit ihren Kollegen und Kolleginnen versucht sie sich einen Überblick über die insofern potentiellen Kunstproduktionen zu verschaffen. Sie fällt ihre Auswahl also nicht entlang persönlicher Präferenzen, vielmehr muss sie frühzeitig erkennen, welche von den Künstlerl-innen erzeugten Erkenntnisse wie zueinander in Beziehung stehen, ob sie einer bereits bestehenden Kategorie zugeordnet werden können oder ob sich daraus eine neue Kategorie entwickeln könnte. Dabei handelt es sich um einen wechselseitigen Prozess: Wie bereits gezeigt, erzeugen einerseits Künstlerl-innen ihre relationale Verortung zum Kunstgeschehen in ihrer künstlerischen Praxis. Die Sichtbarkeit und Anerkennung verschaffenden Akteure nehmen zwar darauf Bezug, können in ihrer Auswahl und Zusammenstellung aber doch eigene Maßstäbe setzen. Die Auswahl renommierter Ausstellungsinstitutionen verleiht den Künstlerl-innen Anerkennung als Teil einer bestimmten Kategorie oder Kunstposition, genauso wie sie eine neue Kunstposition ins Bewusstsein der kunstfeldinternen Öffentlichkeit bringt. Erst auf diese Weise erhalten Künstlerl-innen wie Kunstpositionen die Chance, die Zeit zu

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überdauern. Eine Institution erfährt wiederum Anerkennung, wenn sie eine solche Kunstposition entdeckte, also erstmals ausstellte. Max Corbachs »Mühe«, sich einen Überblick über das zeitgenössische Kunstgeschehen zu verschaffen, gründet also auf dem noch nicht vollendeten Prozess des Wettbewerbs der einzelnen Kunstpositionen um die Durchsetzung als überlieferungswerte Kategorie. Seine Klarheit über >>Lücken« im Ordmmgsschema »älterer Generationen« weist darauf hin, dass er es hier mit einer begrenz-, überschaubaren und kategorisierten Menge an Kunstwerken zu tun hat. Wie ich bei Matthias Claas gezeigt habe, beziehen sich die einflussreichsten >Geschichtsschreiberl-innen< auf die Vorauswahl der über einige Jahrzehnte im Bewusstsein gebliebenen Werke bzw. Künstlerl-innen und entnehmen dieser eine erneute Selektion. Matthias Claas erklärt, sein Ausstellungskonzept gehe von »Schlüsselwerken« aus den Sammlungsbeständen des Museums aus, fokussiere daraufhin ein »Phänomen oder Thema« und präzisiere dieses schließlich anhand umfangreicher Recherchen. Dabei beziehe er sich auf kunstwissenschaftliche, aber auch auf fachfremde Publikationen und auf Ausstellungskonzepte anderer Institutionen. Ziel sei eine »Gliederung« zu entwickeln, die er schließlich aufandere Werke anwende: Es ist offen und es kann sich wandeln. Wenn man so eine Idee hat, dann sieht man unter dieser Brille auf Werke, auf Künstler, auf Positionen, die in Verbindung gebracht werden können. (Matthias Claas, E9: 19)

In Matthias Claas' Vorgehensweise offenbart sich zunächst wieder die relationale Generierung und Gestalt des Standes der Kunst. Neben den Beständen seines Museumsarchivs hat er den Überblick über die Sammlungen und Ausstellungsaktivitäten anderer Museen und Ausstellungsinstitutionen. Kombiniert er Archivbestände mit Leihgaben, greift er dabei stets auf bereits etablierte Künstlerl-innen zurück. Was Max Corbach »repräsentatives Werk« nennt, bezeichnet Matthias Claas als »Schlüsselwerk«. Allerdings lässt seine Praxis das aktive Element des Erzählens sichtbar werden. Er versucht, die bereits von anderen Institutionen oder den Künstlerl-innen selbst vorgenommenen Relationen oder Gruppierungen einem neuen Überthema zuzuftihren. Ausgehend von bereits kanonisierten »Schlüsselwerken«, sprich von Werken, die bereits als kunsthistorische Kategorie gesichert sind, bildet er eine Gliederung, die er auf andere, ungesicherte Werke anwendet. So schreibt er den >Roman< der Kunstgeschichte fort, differenziert dessen Kapitel aus, fügt an passender Stelle neue hinzu. Weil die Kunstgeschichte hier als erzählte Geschichte gilt, werden die Produktionen der Künstlerl-innen, sowie die Ausstellungs- und Sammlungskonzepte ausschließlich als inhaltliches Statement betrachtet und praktiziert. Es muss stets eine klare Aussage getätigt, die Werke einem Erzählrahmen zugeordnet und Verbindungen hergestellt werden. Niemals dürfe eine Ausstellung ein »Sammelsurium«, also eine zusammenhangslose Aneinanderreihung von Werken,

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werden. Das »wissenschaftliche Einschätzen«, von dem Max Corbach spricht, ist also eine Prüfung etablierter künstlerischer Arbeiten auf ihre Kompatibilität mit dem bestehenden Ordnungssystem der Kunstgeschichte. Wie ich oben gezeigt habe, beziehen sich manche Künstlerl-innen bereits in der Produktion ihrer Werke, und das bedeutet auch, in der Frage, die sie bearbeiten, auf dieses System. Sie operieren im Rahmen des in der Kunstgeschichte Denkbaren oder anders gesagt, im Rahmen der Erzähllogik des >RomansGeschichtsschreiberl-innen< ihre Zuordnungen oder Erzählungen auf Basis der Intentionen der Künstlerl-innen vornehmen, werden jene Künstlerl-innen eher in die Erzählung aufgenommen, die bereits in diesem Denkrahmen produzierten. Das bedeutet auch, dass der Zeitgeist, der in der Kunstgeschichte eine Epoche charakterisiert, eine Reduktion der Fülle des zu einer Zeit Gedachten auf die mit der Logik der Kunstgeschichte kompatiblen Elemente ist. Erst dadurch wird das Überlieferte derart überschaubar und für diejenigen, die die Bildsprache beherrschen, stets verstehbar.

DER PRIMÄRE KUNSTMARKT Ich habe immer schon wie wahnsinnig gemalt. Bei mir ist es immer dieses Kunst-Machen. Ein guter Freund von mir, der hat mir irgendwann ganz stolz das Bild gezeigt, wo er irgendwann beschlossen hat, so will er einmal malen können. So etwas war das bei mir nicht. Sondern, wenn man mir Material gibt, Farben, Blätter, es ist vollkommen egal, dann bin ich glücklich. Dann setz ich mich hin und wenn ich etwas machen kann, dann denke ich, dann bin ich am richtigen Platz in meinem Leben. Da ist meine Welt rund. Und wenn man so einen inneren Kompass hat, der einen da so eindeutig lotst, dann muss man wahrscheinlich da hingehen. (Karoline Aigner, K7: 17)

Die Künstlerin Karotine Aigner entwickelt keinen Entwurf, setzt sich nicht mit kunsthistorischen Vorbildern auseinander oder stellt Bezüge zu Künstlerkollegen und -kolleginnen her. Das Kunst-Machen wird hier als ein Prozess dargestellt, der ohne Einflüsse von außen abläuft. Das Werk, die Kunst, entsteht im Tun. Es wird nicht erfunden, es (er-)findet sich von selbst. Karohne Aigner setzt den Pinsel an, weiß weder, wie die zu Beginn weiße Leinwand am Ende aussehen wird, noch wann dieses Ende sein wird. Sie setzt sich hin und malt, jeder Pinselstrich folgt dem nächsten, das eine ergibt das andere. Irgendwann sage ihr das Bild, dass es fertig sei. Ich mache die Sachen auch leicht. Ich würde sie ja nicht machen, wenn sie nicht zu mir kämen. Aber für mich ist es schwierig anzuerkennen, dass auch wenn es etwas Leichtfüßiges ist, es ganz harte Arbeit ist. Es ist vor allem diese wahnwitzige Konzentration, die so anstrengend

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ist. Ich sehe meine Arbeit so, dass ich die Möglichkeit schaffe, dass etwas Neues entsteht. Und natürlich ackert man sich an seiner Kunst auch ab. Die kommt nicht vom Himmel. Das ist alles sehr anstrengend, auch körperlich. (Karoline Aigner, K7: 14)

Das Künstlerische entspringt nicht dem Geist, sondern sitzt im Inneren der künstlerischen Persönlichkeit. Die körperlichen Fertigkeiten- das >>Handwerk« - müssen geschult und trainiert werden, um dem, was im Inneren sitzt, die beste Möglichkeit zu schaffen sich auszudrücken. Die Konzentration und Anstrengung bestehen darin wahrzunehmen und zuzulassen, was aus dem Inneren kommt. Karohne Aigner erklärt, sie sei stets um »Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit« ihrer Kunst bemüht. Der Pinsel wird geführt und doch bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem, was zum Vorschein kommt. Die Kunst ist kein Fremdkörper, der sich zur Manifestation verhilft, indem er sich den Körper von Künstlerl-innen zum Diener macht. Vielmehr resultiert die Kunst aus dem »wahrhaftigen und ehrlichen« Weg einer Person, die diese Berufung in sich spürt. Jedes Werk offenbart die eigene Persönlichkeit, ist Weiterentwicklung von und Auseinandersetzung mit sich selbst. Authentizität ist das oberste Ziel künstlerischer Arbeit, d.h. die Arbeit ist darauf ausgerichtet, die eigene Persönlichkeit in ihrer Authentizität zum Ausdruck zu bringen. Die Kunstwerke stehen für sich, sind einzigartig, weil sie der einzigartigen Persönlichkeit des Künstlers oder der Künstlerin entspringen. Die Künstlerl-innen als authentische Persönlichkeiten

Ausgehend von folgender Aussage des Galeristen Gustav Emmerich gehe ich nun dem Bild vom Künstler und der Künstlerin dieser »Position« des Berliner Kunstfeldes genauer auf die Spur: Ich brauche jetzt niemanden, der ähnlich malt wie ein Künstler, den ich bereits vertrete, weil da habe ich dann schon den Besten. Das macht dann keinen Sinn, weil jeder Künstler für sich schon ein hohes Maß an Authentizität hat nnd haben muss. Das ist mir auch wichtig, also ich interessiere mich weniger für Leute, die ähnlich arbeiten. Gut, wir vertreten natürlich eine Gruppe, die auch einen Galerienschwerpunkt bildet. Aber jeder einzelne hat sich zwar damals aus dieser Bewegung entwickelt, aber die eigentliche Arbeit hat sich dann doch sehr verselbstständigt. Das ist mir wichtig, dass Künstler eben auch für sich stehen und ihren Weg gehen. (Gustav Emmerich, EI I: 3)

Die Kunsthochschule wird von den Akteuren dieser »Position« des Berliner Kunstfeldes primär in der Verantwortung gesehen, technisches Know-how zu vermitteln. Neben der Lehre in Grundtechniken gilt die Kunsthochschule als Hüterin und Vermittlerin akademischer Kriterien, d.h. der kunsthistorischen Kanons. Als solche

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schränkt sie Kunststudierende ein, deren authentischer Kern sich frei entfalten können muss. Die Studienjahre sind deshalb permanente Prüfung der Stärke der eigenen Persönlichkeit, die sich in Abgrenzung zu den bestehenden Kategorien, Stilen und Techniken bewähren muss. Selbst der Kontakt mit Kommilitonen und Kommilitoninnen wird als Ablenkung vom eigenen Weg verstanden, weshalb diese Künstlerl-innen meist einsam in ihren Ateliers arbeiten. Statt einer Frage, die in einem geistigen Prozess bearbeitet wird, geht es hier darum, eine Ausdrucksform zu finden und zu professionalisieren, die dem Eigenen entspricht bzw. gerecht wird. Denn am Materialisierten, an dem, was und wie es in einem Werk in Erscheinung tritt, wird die künstlerische Persönlichkeit in ihrer Authentizität sichtbar. Das Experimentieren mit einer noch nie da gewesenen Pinselführung, die Erfindung eines neuen Malstils, die Konstruktion und Zuhilfenahme einer Malmaschine, die Entwicklung oder Modifikation technischer Geräte oder die Perfektion einer bestehenden Technik haben zum Ziel, ein wieder erkennbares Merkmal der eigenen Arbeiten zu bilden. Ein eigener Stil, die Unverwechselbarkeit der Werke gilt als Ausdruck und Beleg der Authentizität und Genialität der künstlerischen Persönlichkeit. Der Entstehungsprozess gilt als nicht bewusst gesteuert, vielmehr von selbst ablaufend und daher als kaum kommunizierbar, diskutierbar oder reflektierbar. Das Werk ist erst in seiner Vollendung wahrhajiig, weil und wenn es dem authentischen Kern der Persönlichkeit gerecht wird. Auch nach dem Studium sind diese Künstlerl-innen bestrebt, ihre Kunst möglichst vor außerkünstlerischen Einflüssen zu bewahren. Den Konkurrenzkampf um Stipendien, Preise, Verkäufe, Ausstellungsteilnahmen oder die Aufnahme in eine Galerie empfinden sie als etwas, das nicht zu ihrem künstlerischen Leben gehört. Sie begreifen die Selbst(re)präsentation, die Kunstvermarktung oder das »Netzwerken« nicht als notwendigen Bestandteil ihres Berufes, obwohl sie das Ziel verfolgen, ihren Lebensunterhalt durch ihre Kunst zu finanzieren. In der nächsten lnterviewpassage Karohne Aigners zeigt sich, wie sie zwischen ihren Kompetenzen als Künstlerin und j enen von Organisatoren und Organisatorinnen unterscheidet. Sie spricht über eine Vernissage einer Gruppenausstellung in einem lokalen Kunstraum, an der sie teilnahm. Davor erklärte sie mir, sie gehe sonst nie zu Vernissagen und bewege sich kaum in der Kunstszene. An dem Abend war eine gute Atmosphäre und da irrte einer in seinem schwarzen Anzug durch die Gegend, aber niemand hat dem irgendeine Brücke gebaut. Und als Künstler sind einem die Hände auch sehr gebunden. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: >Tataratamm, ich bin der und der. < Sondern man braucht halt dann einen der Organisatoren oder so etwas, der da einen anderen Horizont dazwischen schiebt. (Karotine Aigner, K7: 10)

Nach diesem Verständnis werden Künstlerl-innen nicht erst zu dem, was sie sind, weil sie im künstlerischen Feld agieren und von dessen Akteuren Anerkennung er-

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fahren. Das, was einen Künstler oder eine Künstlerin ausmacht, ist unabhängig von der Außenwelt, ist verankert in seiner oder ihrer angeborenen Persönlichkeit. Der Kern der Persönlichkeit muss in seiner ursprünglichen Reinheit bewahrt werden und dies gelingt nur, wenn die Künstlerl-innen frei sind von allen gesellschaftlichen Notwendigkeiten, Maßstäben und Bedingungen. Sich bei einem potentiellen Förderer vorzustellen, widerspricht der Vorstellung von einer künstlerischen Arbeitsweise, bei der sich die Kunst ihrer selbst willen entfaltet. Nichts darf den Anschein erwecken, die eigene Arbeit diene anderen Zwecken als der Kunst. Selbst emotionale Sorgen oder Probleme und Ereignisse des täglichen Lebens können die Ursprünglichkeit der Kunst überlagern, wie wir bei der Galeristin Gita Eshwar gesehen haben. Sie riet ihrem Künstler Kamal Amin, sich in der Abgeschiedenheit von Marokko auf sich zu konzentrieren, woraufhin der Künstler erst mit Werken zurückkam, die sie zu begeistern vermochten. Zur Anerkennung als wahrhaftiges Werk Der Galerist Gustav Emmerich streicht den Unterschied zwischen primärem und sekundärem Kunstmarkt besonders hervor: Wir reden hier nicht von Kunsthandel. Das ist eine ganz andere Geschichte als in dem Bereich, wo man direkt mit den Künstlern arbeitet, als deren Agent, Vertreter in der Öffentlichkeit, als Kommunikator und so weiter. (Gustav Emmerich, E11: 6)

Die galeristische Vertretung ist weder bloßer Handel mit Kunstwerken, noch ausschließlich ökonomisches Management oder reine Dienstleistung. Die Galeristen und Galeristinnen sehen sich vielmehr als notwendige Begleiterl-innen und Richtungsweiserl-innen auf dem Weg der Künstlerl-innen zu sich selbst, d.h. zu ihrem authentischen Kern. Als Grund sich zu engagieren, führt der Galerist seine Begeisterung für die Kunst und ihre Produzenten und Produzentinnen an. Bei mir war eine große Motivation die Galerie zu machen, der Glaube an gewisse Künstler und deren Arbeit. Als Galerist ist man Teil der Kommunikationskette und wenn man sich für etwas selbst begeiste1t, dann ist es auch viel leichter, diese Begeisterung an andere weiter zu geben. Ich denke, das ist immer ein wesentliches Element meiner Arbeit oder auch meiner Motivation, weil als Selbstständiger muss man sich jeden Tag selber motivieren. (Gustav Enunerich, E II: 5)

Um sich zu einem authentischen Künstler oder einer authentischen Künstlerin entfalten zu können, müssen sie sich von allen Aufgaben und Sorgen des täglichen (Über-)Lebens befreien können. Die Tätigkeit des Galeristen, der Galeristin ist da-

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rauf angelegt, ausgewählten Personen diesen Status zu gewähren. lch werde nun der Frage nachgehen, wie Künstlerl-innen in eine Galerie aufgenommen werden und welches Kunstbild diesem Prozess zugrunde liegt. Unternehmerische Aspekte des galeristischen Berufes, wie die Nachfrage auf dem Kunstmarkt, die Konkurrenzsituation mit anderen Galerien, die momentanen Trends im künstlerischen Feld oder die globale bzw. nationale Wirtschaftslage gelten in der sozialen Praxis von Galeristen und Galeristinnen als zweitrangig bzw. als mit dem Beruf einhergehende, aber die eigene Tätigkeit nicht begründende Notwendigkeiten. Weder Gesetzmäßigkeiten des Kunstmarktes noch formale Kriterien oder aktuelle Trends werden als handlungsweisend angeführt. Im Gegenteil: Alle äußeren Faktoren, die steuernd auf das eigene Tun wirken könnten, werden verleugnet oder zumindest als selbstbestimmt ins Kalkül gezogen dargestellt. Viele Galeristen und Galeristinnen weigern sich, formale Bewerbungen von Künstlerl-innen anzusehen, und versichern, sie würden niemals jemanden auf diesem Wege in ihre Galerie aufnehmen. Stattdessen gehen sie selbst auf die Suche oder vertreten Künstlerl-innen, mit denen sie bereits befreundet sind: Die Galeristin Gita Eshwar argumentiert nicht, sie gehe bei ihren Rundgängen durch Präsentationen an Kunstakademien auf die Suche nach gewinnbringenden Objekten. Vielmehr schließt sie von Werken, die sie auf Anhieb emotional tief berühren, auf die Persönlichkeit des Künstlers oder der Künstlerin. Sie erkennt ein herausragendes Werk, wenn sie sich innerlich berührt fühlt, wenn sie sich im Werk widergespiegelt sieht. Die emotionale Erfahrung mit dem Werk gibt ihr einen Hinweis darauf, dass sie sich auch mit dem Produzenten oder der Produzentin verbunden fühlen wird. Schließt Gita Eshwar vom Werk auf die Persönlichkeit der Künstlerl-innen, geht Gustav Emmerich von einem spontanen Verbundenheitsgefühl mit Künstlerl-innen davon aus, dass auch deren Werke faszinierend sein werden. Als er nach Berlin kam, erlangte er über befreundete Künstlerl-innen seiner Familie Zugang zu einem Mikrokosmos, in dem sich Menschen trafen, die ihre Lebenseinstellung, ihre Weltsichten und ihre Zukunftsvorstellungen teilten. Gustav Emmerich verwendet Worte wie »Bündnis im Geist« oder »stimmige Chemie«, um seiner Verbundenheit mit diesen Menschen Ausdruck zu verleihen. Dieses Verbundenheitsgefühl sei die Basis »tiefer Freundschaften«, erklärt er. Damals begann er sich um die Vermarktung und die Karriere der Künstlerl-innen zu kümmern, mit denen er bis heute befreundet ist. Dieser »Künstlerstamm« blieb die 15 Jahre des Bestehens seiner Galerie relativ unverändert. Kontakte zu jungen, unbekannten Künstlerl-innen nimmt er ausschließlich auf Empfehlung seiner Künstlerl-innen auf. Das in der Praxis des primären Kunstmarktes wirkende Kunstbild begreift das Werk als Manifestation des authentischen Kerns der Künstlerl-innen. Das, was ein Werk ausdrückt, wird so zur Persönlichkeitsdarstellung. Der Prüfstein, ob ein Werk den eigenen Ansprüchen genügt, liegt also nicht nur im Werk begründet, sondern auch in der künstlerischen Persönlichkeit des Genies. Künstlerl-innen werden als

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Genies anerkannt, wenn sich der Galerist, die Galeristin mit ihnen freundschaftlich verbunden und ebenbürtig sieht. Weil sie sich als Ebenbürtige verstehen, sagt der Erfolg ihres Unternehmens nicht nur etwas aus über ihr Geschick im Handeln mit Kunst, sondern auch über die Besonderheit ihrer Person. Denn nur wer selbst eine herausragende Persönlichkeit ist, wird mit einem Genie, einer genialen Künstlerin, eine tief greifende, dauerhafte und vertrauensvolle Freundschaft aufbauen können, die als Basis einer Vertretung gilt. Aufgrund der Ebenbürtigkeit können Galeristen und Galeristinnen die geniale Psyche oder den besonderen Charakter ihrer Künstler/ -innen verstehen und nachvollziehen und ihnen den Weg zur Authentizität und somit zur Wahrhaftigkeit ihrer Kunst weisen. Damit werden sie zu maßgeblichen Beteiligten an der Entfaltung der Künstler/-innen, sie werden zum »Schöpfer des Schöpfers« (Bourdieu 2001: 272). Somit tragen sie zur Entstehung wahrhaftiger Kunst bei, die als authentischer Ausdruck einer genialen Persönlichkeit gilt. Freundschaft g1ündet hier auf dem Erkennen konvergierender Persönlichkeiten. Meine Analyse zeigt, dass das Verhältnis zwischen Galeristen und Galeristinnen und ihren Künstlerl-innen auf dem »Glauben« basiert, im Gegenüber den »wahren« Freund, die »wahre« Freundin, also eine Gleichgesinnte oder einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Die Widerspiegelung der Persönlichkeiten ist ein Erkennen von ihresgleichen, das sowohl die Förderung bestimmter Künstler/-innen, als auch den Kauf bestimmter Werke leitet. Die Galeristen und Galeristinnen stehen mit ihrer Person und ihrem Namen dafür ein, dass die geförderten Künstlerl-innen einer Aufnahme in den Kreis genialer Persönlichkeiten würdig sind und deren Genialität dem Selbstverständnis potentieller Käuferl-innen gerecht werden kann. Wie gezeigt, wendet Gustav Emmerich durchaus Vermarktungsstrategien an. Er belegt die Qualität der von ihm angebotenen Kunstwerke durch den Bezug auf kunstwissenschaftliehe Kriterien oder nutzt den »Standortfaktor« seiner Galerie. Dennoch werden am primären Kunstmarkt die Werke niemals ohne den Namen ihrer Produzenten und Produzentinnen verkauft, im Gegenteil: Eine jahrelange Vertretung durch eine Galerie, also eine vermeintlich tief gehende Beziehung zwischen Galeristen/Galeristinnen und Künstler/-innen, gilt als Garant für die Stringenz der genialen Persönlichkeit. Erst wenn man sich dessen sicher glaubt, vermögen auch die Werke so zu begeistern, dass sie schließlich gekauft werden. Am Beispiel Gustav Emmerich wird deutlich, dass der »Glaube« an die Ebenbürtigkeit herausragender und genialer Persönlichkeiten auch eine soziale Komponente hat. Die Widerspiegelung der Persönlichkeiten ist die Kongruenz der »Habitus«. Es ist das Wiedererkennen von ihresgleichen in der körperlichen Praxis oder sogar im Werk als nach außen gebrachtes Innerstes. Gustav Emmerichs »Bündnis im Geist«, das ihn mit seinen Künstlerl-innen verbindet, beschreibt dieses Einverständnis zwischen Akteuren gleicher oder ähnlicher Herkunft. Die Akteure des primären Kunstmarktes teilen das Selbstverständnis als herausragende und geniale Persönlichkeiten. Sich selbst in diesem Sinne verstehen zu können, erfordert eine

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finanzielle und soziale Unabhängigkeit, die den gesellschaftlichen Status dieser Schicht signalisiert. Am Beispiel der Künstlerin Karohne Aigner habe ich ausgeführt, dass die Vorstellung, die Kunst komme aus dem Inneren, mit Autonomiebestrebungen sowohl von kunstfeldinternen Anforderungen als auch von sozialen Zwängen, Unterschieden und Notwendigkeiten einhergeht. Die Akteure distanzieren sich von sozialen Zuschreibungen. Für sie ist ihre Sonderstellung begründet in ihrer Persönlichkeit, die als naturgegeben und nicht als von sozialen Einflüssen geprägt gilt. Karohne Aigners Meinung nach hat nichts außerhalb ihres Selbst und ihres künstlerischen Tuns- dem Machen, wie sie es nennt- etwas mit ihrem MalerinSein zu tun. Nicht soziale Unterschiede oder Fragen des Lebensstils und kultureller Werte machen sie zur Künstlerin, sondern ihre Persönlichkeit, die sich frei entfalten können muss. Die Privilegierung rechtfertigt sich also durch etwas, das einem qua Geburt auszeichnet, weshalb es keiner übertriebenen Distinktion bedarf.

DIE INSTITUTIONELLE FREIHEIT Die Arbeit entstand eigentlich aus einem schon seit Längerem bestehenden Interesse. Das ist eine Sache, die es bei mir seit einem Jahr auf jeden Fall schon gegeben hat. Ich habe, wie bei vielen Sachen, dazu recherchiert, mir viele Sachen angeschaut, mit vielen Leuten gesprochen, aber ich wusste nicht richtig, was dabei herauskommen wird. Als mich die Kuratoren des Kunstfestivals im Atelier besuchten, kam in mehreren Gesprächen der Punkt auf diese Geschichte und darauf, dass ich mich dafür interessiere. Und darauf, dass es gerade in Berlin da einiges zu entdecken gibt oder dass das ein großes Thema im, sage ich jetzt einmal, meuen Berlin< ist. Eigentlich ist das so ein Entstehen über Gespräche und Überschneidungen von Interessensgebieten. Die Geschichte ist natürlich eine, die mehrere Leute im Moment interessiert. Das ist jetzt kein groß neues Thema. Aber das dann in so einen Kontext zu setzen, das war quasi der glückliche Zusammenfall, der sich durch das Festival ergeben hat. (Kathrin Amling, K5: l) Die Künstlerin Kathrin Amling versteht sich nicht als aus sich selbst schöpfendes Individuum, das frei von äußeren Einflüssen ist. Im Gegenteil: Das Interesse, künstlerisch an einem Thema zu arbeiten, entwickelt sich erst in der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Umfeld: Dazu gehören einerseits Texte und Theorien wissenschaftlicher Disziplinen, wie z.B. der Kunst- oder Kulturwissenschaft, der Architektur, der Philosophie, der Soziologie oder der Politologie. Andererseits setzen sich diese Künstlerl-innen in Relation zu Akteuren des künstlerischen Feldes, die sich ebenfalls mit dem Thema befassen. Abhängig vom Thema können dies neben anderen visuellen Künstlerl-innen auch Kunsttheoretiker/-innen, Musiker/-innen, Komponisten/Komponistinnen, Regisseure!Regisseurinnen oder Architekten/ Archi-

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tektinnen sein. Mit diesen Akteuren treten die Künstlerl-innen entweder in einen konkreten Austausch, indem sie gemeinsam Veranstaltungen oder andere Projekte organisieren oder sogar eine Künstlergruppe gründen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, in der künstlerischen Arbeit abstrakte Bezüge herzustellen. Zum Beispiel verweisen bildliehe oder wörtliche Zitate auf andere oder es werden bestehende Ideen, Theorien, Kunst- und Bauwerke oder Musikstücke zum Gegenstand der eigenen künstlerischen Arbeit erklärt. Die äußeren Einflüsse auf das künstlerische Wirken gehen sogar noch weiter: Auch der Kontext, in dem eine Arbeit entsteht oder präsentiert werden soll, kann zum Thema, zum »Impulsgeber« werden. Der von Kuratoren und Kuratorinnen vorgegebene Schwerpunkt einer Ausstellung bzw. eines Kunstfestivals oder die Anfrage flir einen bestimmten Ort bzw. in Kooperation mit anderen ausgewählten Künstlerl-innen etwas zu erarbeiten, wird hier als Chance gesehen, die eigenen Perspektiven zu erweitern und sich weiterzuentwickeln. Wichtig ist der Prozess, nicht ein konkretes Resultat, d.h. ein Werk. Das Künstlerische entsteht hier im Denken, einem Prozess, der als körperlos oder zumindest als von diesem unabhängig gilt. Manifestationen des Gedachten dienen zu dessen Vermittlung, können verschiedenste Fotmen annehmen und werden nicht nach der Qualität ihrer Ausflihrung beurteilt. Collagen aus printmedialem Text- und Bildmaterial oder digitalen Ressourcen, Video- oder Fotoarbeiten, akustische Aufzeichnungen, webbasierte Anwendungen, (Raum-)Installationen, Performances oder auch Zeichnung und Druckgrafik sind nur einige Beispiele möglicher Ausdrucksformen. Relevant ist nicht primär die Form, sondern genauso wie in einem Gespräch wird ein inhaltliches Statement abgegeben. Dieses möchte etwas zur Diskussion beitragen und erhebt nicht den Anspruch, eine abschließende Erkenntnis zu präsentieren. Statt eine künstlerische Arbeit als hermetisches Ganzes zu verstehen, wird hier eine möglichst »offene Struktur« angestrebt: Offen für verschiedene Interpretationen, offen für andere Kontexte, offen für eine neue Funktion und selbst offen für Veränderungen ihrer erstmaligen Form. Patricia Falkenstein erläutert hier ihr Verständnis von Kunst, indem sie zwischen dem künstlerischen und dem wissenschaftlichen Arbeiten unterscheidet: Grundsätzlich würde ich sagen, ist die Wissenschaft eher textbasiert und die Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern nimmt Text unter anderem mit hinein, aber auch noch ganz viele andere Medien. Es ist auch im Wissenschaftsbereich möglich mit Bildern zu arbeiten, wie wir durch Diaprojektion und alle möglichen Arten von Visualisierungstechniken wissen, aber ... Da funktioniert in der Regel das Bild eher als Beleg, und in der Regel nicht als eigenständiges ArgumentationsmitteL Also das, würde ich sagen, sind sozusagen die medialen Unterschiede. Dann gibt es sicherlich Verfahrensunterschiede insofern, als eine künstlerische Argumentation im Gegensatz zum Beispiel zu einem wissenschaftlichen Text nicht notwendigerweise eine konsekutive Logik besitzen muss. Und nicht notwendigerweise eine These belegen will. Oder nicht notwendigerweise ein abgestecktes Erkenntnisziel besitzt, sondern in

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der Argumentation, in den Vorgehensweisen und in der Orientierung extrem viel offener und weniger linear, weniger kausal argumentierend vorgeht. Und das halte ich für beide Teile jeweils immer für sehr befruchtend. Weil man sozusagen immer an unterschiedlichen Stellen in die Argumentation des anderen eingreifen kann und andere Dinge sieht, als man sie selber hätte herstellen können. Und zwar wirklich beidseitig. (Patricia Falkenstein, E2: 3)

Kunst als autonomer Diskurs Erfüllte die Kunsthochschule für die in den beiden vorangegangenen Kapiteln vorgestellten sozialen Praktiken noch die Funktion technisches Know-how zu vermitteln, wird der dort angebotenen Ausbildung hier ihr bisheriger Nutzen abgesprochen. Die Wahl eines Kunststudiums begründet sich nicht durch das Lehrangebot, sondern durch externe Anforderungen, mit denen sich junge Künstlerl-innen konfrontiert sehen und durch die personellen wie materiellen Gegebenheiten: Ich glaube, dass die Akademie so eine Art »Austauschstelle« ist. Und außerdem glaube ich, dass, wenn man keinen Pluspunkt im Hintergrund hat, es schwierig ist, das aus sich selber heraus zu knüpfen, sei es jetzt die Technik, seien es die Kontakte oder sei es so etwas wie ein Austausch. Das ist natürlich am einfachsten, wenn man sich das an der Akademie sucht. Wenn es auch meistens nicht klappt oder frustrierend ist. Deswegen haben wir auch gleich am Anfang diese Künstlergruppe gegründet, weil wir so dachten: >Ja, was soll das! Hier sitzen lauter alte Knacker herum. Wir haben kein Geld und tolle Ideen und man bringt uns nichts bei und nichts gibt es und was sollen wir machen!?< Ich glaube, ich hatte damals schon so einen kritischen Ansatz der Institution gegenüber. Andererseits hatte ich aber keinen finanziell fetten Hintergrund, um mir meine Kameras selber kaufen zu können und musste auch Bafög bekommen, um mich zu finanzieren. (Kathrin Amling, K5: 8) Eine Kunsthochschule ist kein Ort, an dem Menschen zu Künstlerl-innen ausgebildet werden. Auch bei der in diesem Kapitel vorgestellten »Position« des Berliner Kunstfeldes gilt das Künstlerische als nicht !ehrbar. Was die einen als persönliche Affinität zu den »legitimen Künsten« oder als angeborenes Talent verstehen, wird hier zur Selbstermächtigung. Jeder Mensch kann sich- unter geeigneten Bedingungen - frei entscheiden, Künstler oder Künstlerin zu sein. An der Hochschule treffen also selbstbestimmte Künstlerindividuen aufeinander, die miteinander in Austausch treten. Statt von einer hierarchisch höher stehenden Person etwas zu lernen oder sich vorgegebenen Strukturen unterzuordnen, organisieren sich die gleichgesinnten Studierenden selbst verschiedenste Formen der Kommunikation und des Wissenstransfers. An einigen Akademien vertreten auch Inhaberl-innen von Professuren meist der Kunstgeschichte oder -theorie - dieses Verständnis künstlerischen Lernens und Wirkens. Patricia Falkenstein erzählt von ihren Seminaren:

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Also das entwickelt sich immer im Tun. Ein Seminar wird begleitet von mir als Theoretikerirr und meistens von einer künstlerischen Position, die reinkomm!, rausgeht, sich selbst vorstellt, Fragen stellt, Kritik übt, Workshops macht, usw. Und dann werden meistens noch weitere Positionen sowohl wissenschaftlicher oder vermittelnder als auch künstlerischer Natur eingeladen, die immer noch einmal Fragen in das Projekt reinfüttern und gleichzeitig meistens auch für Fragen zur Verfügung stehen, so dass daraus sich wiederum eine Präsentation und ein Workshop entwickeln. Und dann gibt es so frei flottierende Module wie Exkursionen, wie kleine Kurztagungen, wie eine Endtagung, wie Textproduktion auf der Strecke, in denen sich die Diskussionen irgendwie noch einmal anders kanalisieren lassen. Aber wie die Diskussionen nachher laufen und wie sich die Entwicklung strukturiert, ist in jedem Projekt komplett anders und neu, weil sich die Gruppen untereinander neu und wirklich jeweils komplett individuell strukturieren. Also es gibt auch Projekte, die waren zuerst voneinander abgegrenzt und dann griffen die richtig so ineinander über, oder dann waren sie einmal selber ein Programm, oder sie waren etwas, was gezeigt wurde, oder wieder ein anderes Mal waren sie ein Statement oder eine Verweigerungsaktion. Aber es wurde immer quasi das Argument am Laufen gehalten. Und vorher weiß man es nicht. Das entsteht im Prozess. (Patricia Falkenstein, E2: 12-13)

Die Studienzeit erleichtert den Einstieg m diese interaktive Form künstlerischen Arbeitens, unterscheidet sich aber sonst nicht vom späteren Leben als Künstler oder Künstlerin. Auch nach dem Studium bewahrt der Austausch seinen losen, dynamischen und situativen Charakter. Geregelte Strukturen widersprechen der Einzigartigkeit, die jedes Treffen auszeichnet. Einzigartig, weil die Form, der Inhalt und der Ablauf von den jeweils beteiligten Individuen bestimmt werden. Was hier produziert wird, ist weder ein gemeinsam erschaffenes Werk noch eine kollektiv gewonnene Erkenntnis. Vielmehr entsteht aufgnmd der Besonderheit der Aufeinandertreffenden-ihres besonderen Wissensstandes und ihrer Persönlichkeit- ein einmaliger Transfer an Gedanken, gleichgültig ob dieser in Form einer Tagung, einer Ausstellung, eines Seminars, einer Publikation oder eines infonnellen Gesprächs stattfindet. Dieser Prozess ist nicht ziel- oder lösungsorientiert, sondern erfüllt zunächst den Zweck der Wissensgenerierung. Statt klarer Ergebnisse wird ein möglichst freier und facettenreicher Gedankenfluss angestrebt, wie folgende Interviewpassage der Künstlerin Kathrin Amling deutlich macht: Das ist nicht wie bei einer philosophischen Diskussion, sondern vielleicht eher so wie ein »flow«. Das heißt, dass dem einen das einfällt und dem anderen das. Wenn ich ehrlich bin, könnte ich da auch gar keinen Unterschied machen, ob jetzt Künstler oder Kuratoren mich im Atelier besuchen. Also zumindest, wenn es erst einmal darum geht, sich kennen zu lernen und zu sehen, was macht der andere gerade. Und da fließen dann auch immer lauter andere Sachen mit hinein, was eigentlich ganz gut ist. (Kathrin Amling, KS: 4)

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Die ausgetauschten Informationen beschränken sich nicht auf das zeitgenössische Kunstgeschehen, d.h. auf künstlerische oder kuratarische Arbeiten, welche das eigene Thema betreffen. Relevant sind überdies Kenntnisse in Geistes-, Sozial-, Kultur- und Kunstwissenschaften, sowie in Kunsttheorie und Kunstkritik. Aber auch Einflüsse anderer Wissens- oder Wissenschaftsbereiche gelten als bereichernd für den Gedankenaustausch, den sogenannten Diskurs. Denn das Kontrastieren von Sichtweisen aus verschiedenen (wissenschaftlichen) Disziplinen oder künstlerischen Positionen trage zur Erweiterung der jeweiligen Horizonte bei. Genauso sollen interdisziplinäre Diskussionen die Kritik an festgefahrenen, fachspezifischen Glaubenssätzen und Strukturen fördern. Das Erkenntnis generierende Potential könne allerdings nur ausgeschöpft werden, wenn die feld- und positionsspezifischen Differenzen bewahrt werden. Denn die - durchaus auch Konflikt beladene - Konfrontation unterschiedlicher Sichtweisen schärften die Gedanken und führte sie zu neuen Einsichten. Ein weiteres Instrumentarium, um das Gedachte aus seinen festgefahrenen Bahnen hin zu immer neuem Wissen zu lenken, wird in der Reflexion gesehen. Folgende Interviewpassage zeigt, wie der Kurator Paul Fadani in seiner Arbeit, d.h. der Konzeption einer Ausstellung, dieses Mehr an Wissen, dieses »Sinn« gebende Wissen anstrebt: Es bedarf einer Reflexion der ganzen institutionellen Situation. Ich meine damit, dass man die Ausstellung nicht nur als einen Behälter auffasst, in dem Kunstwerke hineingestellt werden, die dann zu einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Auswahl einen Zusammenhang ergeben. Sondern, dass das mehr als ein System betrachtet wird, das ganz viele Verquickungen hat und das aber auch die Möglichkeiten bietet, mit diesem System und gegen dieses System zu arbeiten. Und dadurch kann dann so etwas wie ein Sinn überhaupt erst auftauchen. Weil ich kann die perfekte Künstlerliste haben und die Werke irgendwie aufreihen, das ist möglicherweise eine todlangweilige Ausstellung. Sondern es geht darum, was kommt da dazu. Was macht es überhaupt erst zu einer Ausstellung? (Paul Fadani, E7: 16)

Das Tun und Denken wird getragen von ständigen Fragen nach der eigenen kunstfeldinternen »Position« und Funktion, dem Zustand des künstlerischen Feldes und seiner Geschichte und nach den ökonomischen und sozialen Bedingungen der Gesellschaft, in der sich die Kunst verortet Auch der kollektive Diskurs, der sich aus den individuellen Gedanken speist, dreht sich um diese Fragen. Fragen, die prüfen, ob die Kunst den ihr gebührenden Status bewahren kann. Der Diskurs beschäftigt sich mit den gegebenen politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen nicht primär, um daraus Erkenntnisse und Lösungsvorschläge für die Gesellschaft zu erarbeiten. Vielmehr kreist er um den Dreh- und Angelpunkt dieser sozialen Praxis: die Autonomie der Kunst:

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Gesellschaftliche und kunstfeldinterne Veränderungen werden beleuchtet, weil sie den autonomen Status der Kunst gefahrden können. Autonomie definiert sich hier insofern relational zur Gesellschaft, als sie das Andere der Cesellschaji meint. Wandlungsprozesse bedrohen dann die autonome Kunst, wenn Ideen und Ideale zur gesellschaftlichen Normalität werden, die zuvor die Kunst definierten. Die Ttiebfeder für Innovation und Produktivität der Kunst wird daher im konfrontativen und reflektierenden Aufbrechen des in der Gesellschaft Üblichen gesehen. Ausgehend von der Kritik an herrschenden Strukturen, Normen und Werten außerhalb wie innerhalb des künstlerischen Feldes werden im Diskurs immer neue Wege, noch nie dagewesene Sichtweisen für die Kunst ge- und erfunden. Dergestalt wird die Autonomie stets von neuem bestimmt. Im freien Gedankenaustausch wird die Quelle des innovativen Denkens gesehen. Erstarren die »frei flottierenden« Ideen zu Leitsätzen oder Prinzipien, widerspricht dies dem Selbstverständnis der Kunst bzw. der sie produzierenden Akteure. Es werden also keine Ideale - weder für die Gesellschaft noch für die Kunst- formuliert. Vielmehr ist der Diskurs die kontinuierliche Suche nach der Definition autonomer Kunst. Das kunst- und kulturspezifische Wissen wird vor dem Hintergrund herrschender feldinterner und gesellschaftlicher Bedingungen reflektiert, kritisiert, weitergedacht, angereichert, neu einsortiert, revidiert oder verifiziert. Kunst ist somit permanente Selbstbefragung oder anders formuliert, ist Kunst der Diskurs über die Kunst und ihren autonomen Status. Die Akteure bezeichnen ihre Kunst als »Diskurs-Kunst« oder »Kunst-Kunst«.

Die Künstlerl-innen als theoretische Intellektuelle Wenn Kunst ein ständig angereicherter Fluss an kollektiven Gedanken ist, verliert die Unterscheidung zwischen Künstlerl-innen und anderen Akteuren, seien sie aus dem künstlerischen, dem wissenschaftlichen oder anderen Feldern, an Bedeutung. Obwohl nach dieser Auffassung jeder seiner Disziplin und seinem Erkenntnisinteresse treu bleiben sollte, können doch Beiträge aus verschiedenen Bereichen die Kunst bereichern und befördern. Die Kunst speist sich aus der Vielzahl an verbalisierten oder manifestierten Gedanken bzw. dem dabei vermittelten Wissen. Trotz der prinzipiellen Offenheit stellt sich nun die Frage, wer als Diskursteilnehmer/-in Anerkennung findet und das heißt auch, wessen Beitrag schließlich für die Definition von autonomer Kunst als relevant erachtet wird: Paul Fadani spricht von sich als »Wissensbehälter« und bezeichnet seine vorübergehende kuratarische Tätigkeit als >>intellektuellen Raubbau«, weil er zu wenig Zeit für die Lektüre von Texten fand. Der Behälter wird aber nicht wahllos gefüllt, vielmehr muss sich in der Auseinandersetzung mit dem Umfeld ein eigenes Interesse bilden. Das, wofür man sich interessiert, muss nicht außergewöhnlich oder noch nie dagewesen sein. Es existieren verschiedene kunstrelevante Interessengebiete

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und es gilt als bereichernd, wenn sich mehrere Personen damit beschäftigen. Das Thema, zu dem Wissen angehäuft wird, muss also nicht einzigartig und individuell sein. Was aber macht dann das Eigene aus? Die folgenden beiden Interviewausschnitte sollen uns der Beantwortung der Frage näherbringen, indem sie den Unterschied zwischen Interesse und Eigenem verdeutlichen: Zuerst erklärt Valentin Bart6k, Direktor eines Berliner Kunstvereins, welches Interesse seine Arbeit leitet. Danach bringt Paul Fadani auf den Punkt, was seiner Meinung nach einen guten Diskurs ausmacht: Mit der Zeit häuft man ja so ein gewisses Wissenskapital an, das man für sich analytisch einordnet, und daraus zieht man bestimmte Positionen, die einen mehr interessieren als andere. Und ich bin eher an Kunstwerken interessiert, die mit einer offenen Struktur arbeiten, die also offene Kunstwerke sind und weniger ein geschlossenes, ästhetisches System repräsentieren, weil sie analytischer sind und mir viel mehr sagen über mich, mein Leben und meine Welt, in der ich lebe. Und dahingehend verstehe ich auch mein ästhetisches Interesse und mein Erkenntnisinteresse als Kurator oder als Direktor. (Valentin Bartok, E l 0: 3) Was man oft in solchen Diskursen hat, ist das Problem der Positionierung, des Sich-Zuspitzens: Eine Position einnehmen, sie vereinfachen, den Gegner deutlicher herausschälen. Ich denke, dass man nicht darum herumkommt, Position zu beziehen. Dass es tatsächlich elementar ist und, dass man das gleichzeitig in einer Fonn tun müsste, die reflektiert, welche Auswirkungen das hat, wie exklusiv zum Beispiel die eigene Position ist. Also, dass trotz aller Unterschiede und bei aller Prägnanz der Position, diese auch immer etwas mit ihrem Gegenteil zu tun hat. Und diese Dialektik fehlt und dadurch geht viel an Dynamik oder an diesem maiveren Spielen< verloren, durch das Dinge erst passieren, die irgendwie herausfordernd und interessant sind. (Paul Fadani, E7: 26)

Wie bereits angedeutet, sind Diskurse nicht vergleichbar mit Teamwork. Die Beteiligten kooperieren nicht, um gemeinsam etwas Konkretes zu erarbeiten. Vielmehr tauschen sie sich aus, bereichern sich gegenseitig und den Diskurs. Statt ein Ziel durch Aufgabenteilung zu erreichen, liegt die Intention dieser Akteure bereits in der Diskussion. Wie sich die Einzelnen zu Theorien, Akteuren oder Institutionen in Relation setzen und welches Interessensgebiet sie bearbeiten, dient einer ersten Verortung bzw. Zuordnung im künstlerischen Feld. Der Grad der Anerkennung misst sich an der Präsenz im Diskurs. Wichtig ist, dass andere, zum Beispiel in (kunstwissenschaftlichen) Publikationen, Zeitschriftenartikeln oder Vorträgen, auf die eigenen Gedanken Bezug nehmen und die Person an Gesprächsrunden und kollektiven Veröffentlichungen beteiligt ist. Die eigentliche Positionierung erfolgt allerdings abhängig davon, wie sich eine Person als künstlerische Persönlichkeit konstruiert und welchen Standpunkt sie einnimmt.

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Gleiches kann auch für (Ausstellungs-)Institutionen gelten, die mittels eines stringenten Programms zu einem identifizierbaren, also für etwas Bestimmtes stehenden, Ort werden. Das Profil einer Institution wird denjeweiligen Leiterl-innen oder Kuratoren/Kuratorinnen zugeschrieben. Wechseln diese, steht auch die »Position« der Institution im Feld zur Disposition und muss von den neuen Verantwortlichen mittels ihres Standpunkts erneut erarbeitet werden. Umfassender als eine Meinung oder ein Prinzip macht ein Standpunkt die Person aus. Der als selbstbestimmt und rational geltende Entschluss, ein Akteur dieser Praxis zu werden, ob nun als Künstler/-in, Kurator/-in oder in einer anderen Funktion, ist der Auftakt für die Suche bzw. die Entwicklung eines eigenen Standpunkts. Beginnend mit der Lektüre von Texten bzw . dem Studium von Theorien, über die Konfrontation mit anderen Akteuren bis hin zum reflektierenden und kritischen Umgang mit sich selbst, seinem Umfeld und seinem Kontext handelt es sich um einen Prozess, im Laufe dessen eine Person aus ihrem Wissen und ihren Gedanken etwas Eigenes formt. Die Denkprozesse drehen sich stets um die Frage, was ist autonome Kunst. Aus der Beschäftigung mit dieser Frage erwächst ihr inhaltlicher Beitrag zur Definition autonomer Kunst, ihr theoretischer Standpunkt. Dieser kann insofern zum Prädikat einer Person werden, als er ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit zu abstraktem Denken zugeschrieben wird. Die Akteure können kunsttheoretische Texte nicht nur begreifen, sie können auch die Entwicklung und den Ist-Stand des Definitionsdiskurses überblicken, diesen kritisch reflektieren und beurteilen, welche aktuellen Beiträge von Relevanz sind bzw. zukünftig sein werden. Sie verharren nicht bei Einzelaspekten, sondern verfolgen stets eine umfassende Perspektive auf die Kunst und ihre gegenwärtige, wie zukünftige Bestimmung. In dieser Denkleistung liegt das Eigene begründet, das als verkörperte Praxis zu dem wird, was die Person als ihre intellektuelle Persönlichkeit versteht. Die Persönlichkeit konstruiert sich also über die besondere Fähigkeit, abstrakt, kritisch, reflexiv und beurteilend zu denken und ihre Gedanken in theoretischen Beiträgen zu bündeln bzw. zu strukturieren. Die dargestellte Praxis verbietet allerdings die intellektuellen Fähigkeiten nur zum Selbstzweck zu betreiben, denn diese müssen in den Dienst der Kunst gestellt werden. Mittels Reflexion der feldinternen und gesellschaftlichen Bedingungen und der eigenen Eingebundenheit muss die Kunst davor bewahrt werden, konservativ statt innovativ zu werden.

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DER ÖFFENTLICHE RAUM Ich habe ganz normal Kunst studiert, an einer sogenannten »Erfolgsakademie«, wo es nach dem Studium direkt die Künstlermillionäre gegeben hat. Ich habe mich aber quasi Anfang der 90er, als ich mich in selbst organisierten Kreisen aufgehalten habe, habe ich mich politisiert. Eigentlich extrem durch den ersten Golfkrieg. Da habe ich mich zu ganz anderen Sachen aufgerufen gefühlt, anstelle jetzt irgendwie großer Galeriekünstler werden zu wollen. Und mein Alltag ist deswegen sehr verschieden, was ich auch gut finde. Wir haben zum Beispiel ein Projekt gemacht, wo ich erst einmal sieben Monate lang in Lateinamerika war und Recherche gemacht habe. Das ist extremer Luxus! Ich empfinde das als Luxus, sich diese Auszeit zu nehmen, und nicht irgendwann zu sagen: >Nein, ich will jetzt fünf Galerien haben, 25 Angestellte und bin, sagen wir einmal, Kleinunternehmer und kopiere Kleinuntemehmertum. < Das empfinde ich nicht als Luxus. Da kann man zwar viel Geld damit machen, aber ich empfinde das als Luxus, frei über meine Zeit zu bestimmen, über meine Lebenszeit und auch diese Freiheit mir herauszunehmen, gegen so eine Form von ökonomischer Logik oder Karrierelogik zu leben. Und ich wollte immer noch extrem viel auch lernen. (Karsten Aschenbach, K3: 7)

Karsten Aschenbach flihlt sich zu etwas aufgemfen, das ihn von anderen Künstler! -innen abgrenzt. Statt die künstlerische Tätigkeit als gewinnbringenden Bemf anzusehen, geht es ihm um die dabei gewonnene Freiheit. Die Kunst ist hier kein Produkt einer als kunstspezifisch geltenden Tätigkeit, wie des Maiens, Zeichnens oder der Bildhauerei. Diese Künstlerl-innen schreiben Texte, führen Projekte durch, kuratieren Ausstellungen, organisieren Veranstaltungen oder Kampagnen und halten Vorträge oder bringen sich in öffentliche Debatten ein. Trainieren andere lebenslang ihr handwerkliches Können oder studieren kunsthistorische Werke, setzen sie sich mit Themen auseinander, sammeln Informationen und häufen Wissen an. Das Interesse an einem Thema erwächst allerdings nicht bezogen auf einen kunstspezifischen Kontext, sondern aus aktuellen politischen und ökonomischen Konfliktlagen, gesellschaftlichen Missständen und sozialen Ungerechtigkeiten, die die Person zum Engagement »aufmfen«, wie Karsten Aschenbach formuliert. Die Künstlerl-innen nehmen konkrete Ereignisse zum Anlass sich intensiver mit den Hintergründen, mit regionalen wie sozialen Begebenheiten, zu befassen. Ihre Kunst ist nicht universell und zeitlos, vielmehr erheben sie den Anspruch, diese solle im Hier und Jetzt antagonistisch, provokativ, unkonventionell und kritisch sein. Das Künstlerische liegt also auch bei dieser Praxis im geistigen Prozess, der sich aus dem Aneignen von Wissen und dem Sammeln von Erfahmngen speist. Die Form, in der sich die Denkinhalte ausdrücken und vermitteln, ist zweitrangig und reicht von Installationen im öffentlichen Raum über politische Kampagnen, themenspezifische Veranstaltungen,

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Publikationen, Vorträge bis zu grafischen, filmischen, fotografischen, tabellarischen oder bildliehen Dokumentationen in Ausstellungsräumen. Kunst als gesellschaftskritischer Diskurs

Das an der Kunsthochschule vermittelte technische Know-how wird von den Akteuren dieser »Position« des Berliner Kunstfeldes insofern als sinnvoll erachtet, als es das Repertoire erweitert, wie Künstlerl-innen ihre Inhalte generieren, dokumentieren und aufbereiten können. Es geht also darum, die Bandbreite an möglichen Dokumentations- und Präsentationsformen kennen zu lernen. Viel mehr als auf alte Techniken des Maiens, Zeichnens oder Bildhaueros setzen diese Studierenden auf das Erlernen neuer Medien, wie der Fotografie, des Filmens oder der Arbeit mit Computerprogrammen. Weil der Inhalt relevanter ist als die Form, kann mit den Darstellungsweisen experimentiert werden, kann jeder neue Inhalt seinen eigenen Ausdruck finden. Aus der Sicht dieser Akteure ist die derzeit in Deutschland angebotene Ausbildung bzw. ihre eigentliche Intention auf die Perfektionierung alter Techniken ausgelegt, weshalb eine umfangreiche Inanspruchnahme der Kurse als nicht notwendig erscheint. Die dadurch gewonnene Zeit soll vielmehr für die von Karsten Aschenbach bereits erwähnte Politisierung in selbst organisierten Zusammenhängen genützt werden. Die Studierenden bewegen sich also außerhalb der Akademie, um etwas zu lernen und den »Horizont zu erweitern«, wie die Künstlerin Kendra Aurich formulierte, als sie erklärte, was sie von ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen unterschied: In der Malereiklasse wurde diskutiert, ob dieses Türkis an der richtigen Stelle sitzt oder doch besser weiter oben und so. Das ist ein bisschen überzogen, aber so in etwa. Es kam dann, dass ich zu einer politischen Kampagne dazu kam, weil die einen Plakatentwurf wollten. Und das hat mich dann so interessiert, dass ich diese türkise Farbe einfach so unwichtig fand. Als wir streikten, damals war da diese Zeit, kam ich ins Atelier und einer meiner Kollegen malte und ich meinte: >Wir streiken.< Und er: >Was haben wir?< Also der hatte sozusagen überhaupt nichts um sich herum mitbekommen. Ich meine, es war schön, wie viel der gearbeitet hat. Aber im Endeffekt, glaube ich, hat ihm die Zeit vielleicht gar nicht so viel gebracht. Also gut, bei den Malern mag das sein, umso mehr du malst, umso besser wirst du. Aber ich glaube schon, dass es viel wichtiger ist, sich viel anzuschauen, um seinen Horizont zu erweitern. (Kendra Aurich, K4: 22-23)

Die Studienzeit gilt hier als eine Lebensphase, die fern gesellschaftlicher Zwänge liegt, d.h. in der Leistungsorientierung, ökonomischer Erfolgsdruck und Verpflichtungen des privaten und beruflichen Lebens nicht den Alltag bestimmen. Dieser Freiraum wird als ideale oder sogar notwendige Bedingung politischen Engage-

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ments angesehen. Was Studierende lernen, entspricht keinem akademischen Lehrplan, sondern resultiert aus dem Austausch mit politisch Gleichgesinnten. Die Studierenden schließen sich selbst organisiert, temporär oder auch für länger in Gruppen zusammen und recherchieren und diskutieren gemeinsam zu (tages-)politischen Themen. Auf diesem Weg erarbeiten sie ihre Sicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge und Missstände. In Aktionen, Veranstaltungen und Diskussionen nehmen sie Stellung zu aktuellen Geschehnissen und setzen sich für die Interessen von Studierenden aber auch von benachteiligten Gruppen ein. Ihre Stellungnahmen finden meist außerhalb der Institution Kunsthochschule statt und werden nur dann zur Beurteilung der Studienleistung herangezogen, wenn einzelne Kunstprofessoren und -professorinnen die Aktionen als künstlerische Praxis anerkennen. Die während dieser Zeit aufgebauten Zusammenhänge, die Themen, denen das Engagement galt, und die Form, wie sich dieses Gehör in der Öffentlichkeit verschaffte, legen das Fundament der späteren Positionierung des Künstlers oder der Künstlerin im künstlerischen Feld. Die erfolgte Politisierung meint Sensibilisierung für aktuell auftretende Konfliktlagen bzw. bestehende Herrschaftsverhältnisse außerhalb des künstlerischen Feldes. Wird Kritik an feldinternen Machtstrukturen geübt, geschieht dies stets aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Die Aufmerksamkeit der Künstlerl-innen gilt neben politischen Entscheidungsgewalten den Einflüssen aus Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft. Ferner stehen tradierte »Denkschulen, ldeologieträger, Verhaltensnormen, Lebensentwürfe oder das Konsens-Wissen« (Kube Ventura 2001: 18) im Fokus ihrer Kritik. Das Themenspektrum der künstlerischen Arbeiten reicht von den Auswirkungen des Asyl- und Sozialrechts oder der Gleichstellungsgesetze über die Lebenssituation von Migranten/Migrantinnen, Obdachlosen, Bewohnerl-innen von weltweiten Elendsvierteln oder Krisen- und Kriegsgebieten, über Themen im Gesundheits- und Medizinbereich, wie AIDS und Gentechnologie, bis hin zur Ökologie und sozialen Bewegungen. Die Phase der Auseinandersetzung mit einem Thema verstehen und praktizieren die Künstlerl-innen als ein Projekt, in dem sie die Leitung innehaben. Kooperieren mehrere Künstler/-innen, wird meist unter dem Deckmantel eines Gruppennamens kollektiv gearbeitet und entschieden. Auf ihrer Suche nach themenrelevanten Informationen studieren sie Texte aus dem wissenschaftlichen, ökonomischen oder politischen Feld, arbeiten mit Wissenschaftler/-innen, politischen Aktivisten/Aktivistinnen oder Sozialarbeiterl-innen zusammen oder führen Gespräche mit Betroffenen und erkunden deren Lebensumfeld. In monatelangen Forschungsreisen, Phasen ausschließlicher Literaturrecherche und -Iektüre und Zeiten der Aufarbeitung des gesammelten Materials geht es ihnen um das Ermitteln bisher unbekannter bzw. medial nicht vermittelter Erkenntnisse über gesellschaftliche Zusammenhänge. Sie wollen sich ihre eigene Meinung bilden und unabhängig sein von den allgemein verbreiteten Sichtweisen, die für sie medial inszeniert, Herrschaft ausübend und von ökonomischen Interessen geprägt sind. Mit

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kritischem Blick gehen sie den gesellschaftsrelevanten Fragen auf den Grund und versuchen die Hintergründe wirklich zu verstehen. Sind andere künstlerische Praktiken auf die Vollendung eines Werkes ausgelegt, werden hier Projekte dafür genützt, um Wissen zu einem Thema zu generieren. Dieses Wissen soll widerspiegeln, wie die Welt wirklich ist. Die Erkundungen der Künstlerl-innen wollen der Wahrheit auf die Spur kommen und das bedeutet, sie sind auf der Suche nach einer herrschaftsfreien Perspektive. Da die Gesellschaft stets von Machtstrukturen durchdrungen sei, sehen sie ihre Bestimmung darin, Kritik zu üben und die Tragweite der Ungerechtigkeit anhand der Situation der Beherrschten aufzuzeigen. Die Künstlerl-innen erheben allerdings nicht den Anspruch, die während ihrer Recherchen gewonnenen Einsichten entsprächen bereits einer objektiven Wahrheit. Stattdessen stellen sie diese zur Diskussion. Es können zwei Varianten unterschieden werden, wie Künstlerl-innen versuchen, ihr Wissen an andere zu vermitteln. Die einen fordern die Rezipienten und Rezipientinnen auf, sich mit dem Material ihres Projektes auseinanderzusetzen. Anstelle eines abschließenden Berichts, endgültiger Ergebnisse oder eines Kunstwerks werden gesammelte Informationen und Gegenstände, erstellte Berichte, aufgezeichnete Interviews und fotografische oder filmische Dokumentationen ausgestellt. Der bisherige Prozess eines Projektes wird nachvollziehbar gemacht. Das Projekt erhält den Charakter einer Zwischenbilanz oder eines vorläufigen Arbeitsschritts. In ihrem Buch über politische Kunstpraxen stellt Nicole Grothe ein Projekt der Künstlerin Martha Rosler vor und erläutert dessen Präsentationsform folgendermaßen: So umfassen die in den drei Ausstellungen zum Projekt gezeigten Exponate einerseits Kunstwerke, wie zum Beispiel Fotografien oder Installationen bekannter Künstlerinnen oder Bilder von Wohnungslosen, andererseits aber auch Flugblätter und Broschüren, Fachliteratur zum Thema, Zeitungsausschnitte, Manifeste, Plakate oder Arbeitsmaterialien politischer Initiativen. Die Ausstellungsräume werden primär nach pragmatischen, nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet: Die Wandflächen werden bis zur Decke genutzt, es werden Arbeitstische aufgestellt, Sofas zu Leseecken gruppiert und Videofilme gezeigt. (Grothe 2005: 94)

Die anderen schaffen Erfahrungsräume, die den Rezipienten und Rezipientinnen helfen sollen eine bestimmte soziale Lage zu begreifen. Die Künstlerl-innen installieren einen Raum, stellen Situationen nach, inszenieren beobachtete Begebenheiten und versetzen dadurch das Publikum in die Rolle der Person, deren benachteiligte Lebenssituation sie darstellen wollen. Als Illustration dieser Form des Ausstellens soll folgende Interviewpassage der Künstlerin Kayra Ate~ dienen, in dem sie ihre bei einem Wiener Kunstfestival aufgebaute Rauminstallation erläutert: Es geht um die Migrantinnen und Migranten, um >die AusländerWas schätzen Sie an diesem Land?Was haben Sie gerne hier? Was lieben Sie hier? Und was gefällt Ihnen?< Die Personen sind aus den verschiedensten Ländern, aber man sieht nur die Mundaufnahmen. Die Personen bleiben anonym. 45 Personen, 22 ethnische Gruppen bzw. Ethnien. Der Rezipient, der konnte sich dahin setzen, der Film dauert über 18 Minuten, der Raum wurde nie gelüftet, mit Absicht, damit es so stickig bleibt, damit man so ein bisscheu das Gefühl hat, dass man so eingeengt da sitzt und irgendwie auch ausweglos ist. Diese Ausweglosigkeit: Du hast einen Beamten vor dir und du weißt, es kann alles in die Hose gehen. Du kannst nicht einmal deinen eigenen Namen richtig aussprechen, weil der Mächtige vor dir sitzt! Also es geht auch um die Macht. Der Beamte ist der Mächtige und du hast überhaupt keine Macht dort. Er kann für dich entscheiden, über deine Zukunft entscheiden, wenn er dich rausschmeißen will, dann bist du draußen und dann weißt du nicht, was dann passiert. (Kayra Ate~, Kl 0: I f)

BeideMale erwarten die Besucherl-innen einer Ausstellung keine Kunstwerke, die nach ästhetischen Kriterien zu beurteilen wären. Das bloße visuelle Betrachten vem1ag nicht das zu erschließen, was für die Akteure dieser Praxis die Kunst ausmacht. Vielmehr wird eine Auseinandersetzung gefordert. Die Materialschau vermittelt auch keine vorgefertigten und starren Urteile oder Ansichten, d.h. keine Lerninhalte, die sich die Rezipienten und Rezipientinnen aneignen könnten. Die Ausstellung will nicht bilden oder erziehen, will nicht, dass das Wissen unhinterfragt übernommen wird. Vielmehr verlangen die zur Verfügung gestellten Informationen eine eigene inhaltliche Beschäftigung mit der dargelegten Problematik. Der Erfahrungsraum schafft zusätzlich noch Impulse, die ein körperliches Nachvollziehen der Situation ermöglichen sollen. Die Künstlerl-innen erwarten ein Publikum, das nicht nur visuell oder geistig konsumiert, sondern das selbstständig, kritisch und reflektierend denkt. Karsten Aschenbach formuliert seinen dahingehenden Anspruch folgendennaßen: Die Kunstproduktion ist nicht die Illustration des Theoretischen, aber sie gibt dem Publikum schon Dinge mit in die Hand, damit es die Glaubwürdigkeit, Überprüfbarkeit dessen, was es vor sich sieht, selbst vornehmen kann. Es ist immer noch die Frage: Ist eine Vorgabe eine Entmündigung oder eine Ermächtigung des Publikums? Die Leute sagen immer: >ich habe nur drei Sekunden für ein Kunstwerk und das muss sofort im Bauch wummern. < Oder sie

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meinen, sich sofort erdreisten zu können zu sagen, um was es sich bei einem Kunstwerk handelt. Man denkt, man brauche nicht nachzudenken, man brauche nur zu schauen. (Karsten Aschenbach, K3: 27)

Nun stellt sich die Frage, weshalb die Künstlerl-innen ihr Gegenüber auf diese Weise herausfordern. Wie gezeigt, intendieren sie mit ihren Projekten die Welt, wie sie wirklich ist, aufzuzeigen. Doch tun sie dies nicht im Glauben, ihr subjektiver Blick ergebe bereits valide Einsichten. Vielmehr verleitet sie ihre selbstreflexive Einstellung dazu, den Austausch mit anderen zu suchen. Die Konfrontation nützen sie als Instrument, um ihren Blick zu schärfen, ihr Wissen noch zu erweitern und ihre Meinung abzusichern. Sie fordern also andere dazu auf, sich mit ihrem Thema auseinanderzusetzen, weil sie den nächsten Schritt im Erkenntnisprozess nicht alleine bewerkstelligen können. Im Diskurs sehen sie ein objektivierendes Verfahren: In ihm werden die subjektiven Einsichten kritisch hinterfragt, geprüft, abgewogen, korrigiert, verglichen und abgeglichen. Als objektiv und somit herrschaftsfrei gelten schließlich Sichtweisen, die dem Diskurs standhielten und sich wiederholt bestätigten. Die diskursive Praxis gilt allerdings nur dann als sichere Methode, wenn alle Beteiligten mit einem besonderen Bewusstsein ausgestattet sind. Dabei ist irrelevant, welchem Feld sie angehören oder welche Tätigkeit sie ausüben, solange die Menschen urteilsfähig, vernunftbegabt und zum kritischen Denken imstande sind. Das heißt, sie müssen rational talentiert sein, sich ein Thema selbstdenkend erschließen, Gesehenes und Gehörtes kritisch beurteilen und einordnen, Ursachen erkunden, das Gedachte reflektieren und sich auf Basis dessen eine eigene Meinung bilden können. Ferner sollen sie in die Zukunft denken und Ideen generieren, wie die festgestellten gesellschaftlichen Probleme gelöst werden könnten. Aus der kritischen Bearbeitung eines Themas sollen Visionen und Utopien erwachsen, wohin die Gesellschaft steuern sollte, wie eine bessere Welt aussehen könnte. Diese Imaginationen entfalten sich im Diskurs zum Thinktank einer positiven Gesellschaftsentwicklung. Berücksichtigt man zuletzt noch, dass diese künstlerische Praxis darauf abzielt, eine herrschaftsfreie Perspektive auf die Wirklichkeit zu erzeugen, wird überdies deutlich, dass den geforderten Denkprozessen eine bestimmte Einstellung zugrunde liegen muss. Das im Diskurs erwünschte Bewusstsein ist stets gegen die Macht gerichtet und verfolgt das Ideal einer auf dem Prinzip der Gleichheit und Freiheit basierenden Gesellschaft. Solange die Gesellschaft ihren Idealzustand nicht erreicht, konstruiert sich die Kunst in kritischer Abgrenzung zu ihr. Dennoch oder deshalb steht die Kunst im Dienst der Gesellschaft. Sie erstellt ein unabhängiges, d.h. möglichst herrschaftsfreies und objektives Bild der Gesellschaft. Sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor, erinnert diese über die Kritik an ihre Ideale. Sie dient der Gesellschaft als Korrektiv und bietet Varschläge zu deren zukünftigen Gestaltung. Kunst ist somit permanente Reflexion gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse oder anders formuliert, ist Kunst der kritische Diskurs über den

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1st-Zustand der Gesellschaft. Die Akteure bezeichnen ihre Kunst als »politische« und, oder »kritische« Kunst. Der Begriff »politisch« meint hier gesellschaftsrelevant, das Zusammenleben aller Menschen betreffend. »Kritisch« bedeutet immer herrschaftskritisch.

Die Künstlerl-innen als politische Intellektuelle Wenn Kunst kein individuell erzeugtes Objekt, sondern ein Fluss an kollektiven Gedanken ist, muss sich auch das Subjekt des Künstlers oder der Künstlerin unabhängig von materiellen Manifestationen konstruieren. Das Interesse an einem Thema hat auch in dieser diskursiven Praxis nicht das Potential das Eigene auszuzeichnen. lm Gegenteil, die Künstlerl-innen geben anderen den Anstoß zur Beschäftigung mit ihrem Erkenntnisinteresse. Die Kunst verlangt gerade nach einer möglichst großen Anzahl an Diskursteilnehmerl-innen, weil sich dadurch die Validität der Erkenntnisse erhöht. Das Thema, zu dem Künstlerl-innen recherchieren, einen Diskurs in Gang setzen oder einen bereits bestehenden bereichern, ordnet sie einer bestimmten Diskursgruppe zu, in der sie sich als Experten und Expertinnen eines Teilaspekts profilieren können. Für die Positioniemng im künstlerischen Feld bedarf es allerdings mehr als eines herausragenden Expertenwissens. Auch bei dieser diskursiven Praxis bemisst sich die Anerkennung im Feld daran, wie sich eine Person im Laufe ihres Agierens im Feld als künstlerische Persönlichkeit konstruiert und welchen Standpunkt sie einnimmt. Machte sich das Eigene bei der Praxis der »Position« »Die institutionelle Freiheit« am geleisteten theoretischen Beitrag zu kunstimmanenten Fragen fest, wird hier gesellschaftskritisches Denken gefordert. Die Künstlerl-innen beleuchten zwar in ihren zahlreichen Projekten und Recherchen verschiedene regionale und soziale Besonderheiten, verfolgen dabei aber stets eine gesamtgesellschaftliche Perspektive. Ausgehend von der Frage, wie die Welt wirklich ist, bzw. präziser, wie die Herrschaftsverhältnisse wirklich sind, erarbeiten sie sich ihre Sicht auf die Welt, ihren politischen Standpunkt. Dieser zeichnet sie aus, weil er Rückschlüsse auf ihre außergewöhnliche Kritik-, Reflexions- und Urteilsfähigkeit zulässt. Die Akteure verstehen sich nicht als bloße (Wissens-)Sammlerl-innen, sondern als intellektuelle Persönlichkeiten, d.h. als im kritischen, reflexiven und beurteilendem Denken besonders befähigte Personen. Sie können manipulierte bzw. manipulative Informationen von authentischen unterscheiden, Ungerechtigkeiteil erkennen, deren Ursache ergründen und ihr eigenes Involviert-Sein, ihre eigene gesellschaftliche Eingebundenheit reflektieren und kontrollieren. Diese >>Gabe« unterscheide sie von den in den hegemonialen Strukturen gefangenen und somit »verblendeten« anderen Menschen. ihr selbstreflexives Streben nach Herrschaftsfreiheit verbietet allerdings Künstlerl-innen, ihren Sonderstatus auf angeborene Rechte und Fähigkeiten zurückzuführen oder aus ihm ein egozentrisches Erha-

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benheitsgefühl abzuleiten. Ihrer Meinung nach sind alle Menschen prinzipiell in der Lage zu erkennen. Der Staat mit seiner gesellschaftlichen Gestaltungsmacht stehe in der Verantwortung Bedingungen zu schaffen, in denen seine Mitglieder zu vernunftbegabten, kritik- und urteilsfahigen Bürgerl-innen heranwachsen können. Das bedeutet, er muss die ökonomischen, sozialen und politischen Zwänge reduzieren und Bildung gewährleisten, die oben erläutertes Bewusstsein und die darin wirkenden Ideale vermittelt. Der Sonderstatus von Künstlerl-innen erklärt und rechtfertigt sich ausschließlich aus der Tatsache, dass der Staat seiner Verantwortung nicht gerecht wird, bzw. niemals ganz gerecht werden kann. Damit der Weg zu einem auf Gleichheit beruhendem Gesellschaftssystem überhaupt gelingen kann, muss der Staat die Künstlerl-innen freistellen und sie mit der Aufgabe betrauen, den unabhängigen Blick zu wahren und die Ideale hochzuhalten. Die Künstlerl-innen sehen also den Staat in der Pflicht, ihnen den Lebensunterhalt zu finanzieren und sie von den ökonomischen und sozialen Zwängen des Alltagslebens zu befreien. Dies gelingt nur, wenn die Finanzierung unabhängig von erbrachter Leistung und Erfolgsdruck ist und die Kunst sich nicht an materiellen Werten messen muss. Da es keine staatlich finanzierte Grundsicherung gibt, leben diese Künstlerl-innen meist von Arbeitsstipendien, Preisen und Projektförderungen, die von Kommunen bzw. Bezirken, Ländern, dem Bund oder Kunstvereinen ausgeschrieben werden. Im Gegenzug zur- eingeforderten- finanziellen Unabhängigkeit stellen sie ihre gesamte Person in den Dienst der Gesellschaft. In ihrem Leben gehen gesamtgesellschaftliche vor private Interessen, alle ihre Energien fließen in den Einsatz für Benachteiligte und die Kritik an der Macht, das Erstellen tief gehender Einsichten über die Funktionsweisen der Gesellschaft und zukunftsweisender Ideen zu ihrer Gestaltung. Weil sie sich ihrer Privilegiertheit bewusst sind, fühlen sie sich »aufgerufen«, soziale Verantwortung zu übernehmen und den Menschen ein Sprachrohr zu sein im Kampf um eine bessere Welt. Sie wollen ihre Pflicht für die Gesellschaft, für die Menschen, die selbst in ihren Zwängen gefangen bleiben, erfüllen. Karsten Aschenbach sieht sich zum Beispiel als Archivar. Mit seiner Arbeit intendiert er, die Wirklichkeit zu dokumentieren und für zukünftige Generationen ein objektives Bild der heutigen Gesellschaft zu bewahren.

DER SOZIALE RAUM Ein Projekt habe ich nur koordiniert, könnte man sagen, kuratiert, könnte man auch sagen, aber da ich mich nicht als Kuratorin verstehe, was in der Szene auch nicht so gefragt ist (lacht) und ich mich in dem Bereich auch nicht profilieren will, sage ich, koordiniert! Ich habe also Künstlerinnen und Künstler koordiniert, die im Bereich der mobilen Jugendarbeit Projekte durchführen, mit Sozialarbeiterinnen zusammen, die zum Beispiel in der Parkbetreuung

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arbeiten. Und da entstanden Videos und Filme, die ich sehr interessant finde, die aber fast nie im Kunstkontext gezeigt werden. Weil diese mobile Jugendarbeit hauptsächlich in sogenannten >problematischen Bezirken< installiert wird, sind das in erster Linie Jugendliche mit migrantischem Hintergrund, die da mitarbeiten. Also die Arbeit geht überhaupt davon aus, dass Jugendliche in Kontakt kommen mit einer digitalen Videokamera und im Park mit der Kamera zum Beispiel Interviews fuhren oder was auch immer machen können. Die haben sonst keinen Zugang zu digitalen Videokameras und der Hintergrund ist der Gedanke, dass die durch so einen selbstverständlicheren Umgang, der dadurch entsteht, auch später sich leichter tun, Repräsentation zu erlangen im Bereich der Medien oder Öffentlichkeit. Es geht auch um das Üben von Öffentlichkeit! (Konstanze Ahlig, K20: I)

Die Künstlerin Konstanze Ahlig unterscheidet zwei Tätigkeitsbereiche, die sie wahrnimmt: Einerseits arbeitet sie selbst in beschriebener Weise mit unterschiedlichen Personenkreisen zusammen und andererseits koordiniert sie andere Künstler/ -innen und deren Projekte. Die von ihr erwähnten Künstlerl-innen versuchen Kontakt zu Gesellschaftsgruppen zu bekommen, die üblicherweise weder mit Kunstproduktion noch mit dem künstlerischen Feld in Berührung kommen. Der Einstieg gelingt ihnen über Sozialarbeiter/-innen, aber auch über sozialpolitisch tätige, staatliche oder gemeinnützige Einrichtungen, wie Gebietsbetreuungen und Sozialvereine. Neben der Arbeit mit Randgruppen, z.B. mit Menschen mit Behinderungen, Wohnungslosen, ethnischen Minderheiten, Aids-, Sucht- oder psychisch Kranken, werden soziale und räumliche Bereiche als Arbeitsfeld gewählt, die als benachteiligt gelten, z.B. eine sozial geförderte Wohnsiedlung oder Lokalitäten und öffentliche Orte, an denen sich sozial schwache Jugendliche, Langzeitarbeitslose oder Schichtbzw. Fabrikarbeiterl-innen treffen. Zur Anerkennung als Kunst im sozialen Raum

Das theoretische Lehrangebot an Kunsthochschulen behandle, nach Auffassung der Akteure dieser »Position« des Berliner Kunstfeldes, ausschließlich etablierte Kunstrichtungen. Die an der Hochschule vermittelten technischen Fertigkeiten sind, wie ich sogleich erläutern werde, für diese künstlerische Praxis irrelevant. Mehr als in anderen Bereichen durchlaufen die Künstlerl-innen deshalb davon abweichende Ausbildungswege, wie z.B. geistes- oder sozialwissenschaftliche Studiengänge und Lehrgänge zu Kunstvermittlung, Kunstmanagement oder Kunstpädagogik. Niemals studieren sie jedoch Sozialarbeit oder Sozialpädagogik, denn nur wer sich von diesen Betätigungsfeldern abgrenzt, wird als Künstler oder Künstlerin Anerkennung finden. Die Zusammenarbeit der Künstlerl-innen mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen kann von einer Woche bis mehrere Jahre andauern, wird aber stets

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als zeitlich begrenztes Projekt betrachtet und gestaltet: Am Beginn jedes Projektes steht eine umfangreiche Recherche über die Lebensbedingungen und alltägliche Probleme von Benachteiligten. Jedes Projekt zielt prinzipiell darauf ab, einen Beitrag zur Verbesserung der Situation dieser Menschen zu leisten. Die Arbeit vor Ort ist vergleichbar mit dem Vorgehen der ethnografischen Methode der teilnehmenden Beobachtung: Indem die Künstlerl-innen an der Lebenspraxis teilhaben, erlangen sie tief gehende Einsichten über individuelle und kollektive Schwierigkeiten und Wünsche, die sie bei der Planung und Durchführung des Projektes einbeziehen. Die Künstlerl-innen sprechen von »prozessorientierten Projekten«, d.h. deren Verlauf und Erfolg hängt von den Beteiligten und den gemeinsamen Erlebnissen ab. Zu Beginn steht ein von den Künstlerl-innen initiierter Impuls. Sie stellen, wie im oben erwähnten Beispiel, technisches Equipment zur Verfügung, vermitteln das erforderliche Know-how oder sie weisen in neue Formen der Kommunikation ein, regen einen zuvor nicht stattfindenden Austausch an. Es geht primär darum, etwas anzubieten oder anzustoßen, das es vorher nicht gab, seien es Räume, Zugänge, Erfahrungen, Fertigkeiten oder Denk- und Wahrnehmungsweisen. In weiterer Folge steuern die Künstlerl-innen den Prozess, betreuen die Menschen in ihrem Tun, ve1mitteln zwischen den Teilnehmerl-innen und moderieren eventuelle Präsentationen. Ob und wie der Impuls genützt wird, liegt in der Verantwortung der Beteiligten. Die eigenen Produktionen, wie Filme oder Videos, und andere erreichten Ziele, wie ein »Netz sozialer Beziehungen« (Kravagna 1998: 45), stehen ihnen zur Verfügung, dienen ihnen als Stärkung des Selbstbewusstseins oder der Verbesserung ihrer Lebenssituation. Konstanze Ahlig erzählte beispielsweise, dass die Jugendlichen ein Fest veranstalteten, um die von ihnen produzierten Videoarbeiten ihren Familien und Freunden vorzuführen. Viele dieser Projekte werden am Ende in den Räumlichkeiten von sozialen Einrichtungen oder anderen Orten der Lebenswelt präsentiert. Die Ausstellungen erreichen dabei keinen größeren Publikumskreis und erfüllen daher vor allem die Funktion, das Projekt für die Teilnehmerl-innen und deren Angehörige abzuschließen bzw. dessen Erfolg zu feiem und eine etwaige eigenständige WeiterfLihrung zu planen bzw. festzulegen. Die Künstlerl-innen wiederum dokumentieren ein Projekt aus ihrer Perspektive der teilnehmenden Beobachtung: Sie begleiten den Prozess mit Tonband- oder Videoaufzeichnungen, schreiben Zwischenberichte oder Projekttagebücher, archivieren entstandenes und gesammeltes Material und halten die Umgebung und die Aktionen fotografisch fest. Diese Dokumentation bildet die Grundlage für eine etwaige Präsentation des Projektes in Institutionen des künstlerischen Feldes. Dort treten die Künstlerl-innen als »Urheber eines Konzeptes«, damit als »Autoren« (Feldhoff 2013) und ohne die am Projekt beteiligten Menschen auf. Werden im Zusammenhang einer dokumentarischen Kunstausstellung die von den Teilnehmerl-innen produzierten Objekte oder erreichten Ziele vorgeführt, wird damit nicht etwa der Anspruch erhoben, diese könnten unter ästhetischen Kriterien beurteilt werden. Ge-

DIE »POS ITIONEN«

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nauso wenig werden die Werke einzelnen Produzenten und Produzentinnen, also den am Projekt Beteiligten, zugeordnet und deren künstlerische Potentiale zur Disposition gestellt. Durch die Projektpräsentation im künstlerischen Feld werden die Menschen nicht zu Künstler/-innen. Sie bleiben bloße Teilnehmerl-innen an einem Kunstprojekt Was aber macht dann ein sozial engagiertes Projekt zur Kunst? Um der Frage auf die Spur zu kommen, lasse ich zunächst Konstanze Ahlig weiter erzählen: Zum einen haben wir bei der Konzeptualisierung des Festivals gesagt, Jugendliche sind fast nie repräsentiert, es interessiert sich kaum jemand für sie, obwohl das total wichtig ist und die oft noch so einen guten Blick auf die Welt haben, so einen frischen Blick. Und besonders über migrantische Jugendliche kann man eigentlich kaum etwas erfahren, außer man ist in der Szene und arbeitet dort. Und deswegen sehe ich das als große Chancen, weil man lernt etwas über die Lebenswelt der migrantischen Jugendlichen. Man sieht in diesen Filmen einfach Sachen, zu denen man sonst keinen Zugang hat, bekommt Informationen, weil die auch sprechen und erzählen und man sieht, wie die agieren. Und die zweite Ebene war, dass ich in einem Kreis bin, in dem sehr viele Leute sind, die so arbeiten, also im Bereich >Kunst im sozialen Raummigrantisch< bezeichneten Stadtgebiet von Wien stattfand. Sie setzte sich dafür ein, dass die im Rahmen sozial engagierter Kunstprojekte von Jugendlichen produzierten Videos und Filme erstmals einem Kunstpublikum gezeigt wurden. Sie moderierte die Vorführabende und stellte dabei die einzelnen Projekte und ihre Urheber!-innen, sprich die Künstler!-innen, vor. Auf der einen Seite differenziert sie zwischen der »Lebenswelt migrantischer Jugendlicher« und jener von Kunstrezipienten und -rezipientinnen. Sie konstruiert eine Weitsicht, die sich von ihrer und der ihres Umfeldes unterscheidet. Der »gute, frische Blick« der Jugendlichen stelle eine Bereicherung für ihre Welt dar. Ein sozial engagiertes Kunstprojekt ist also in der Lage, den eigenen Horizont zu erweitern und neues Wissen über die Gesellschaft zu generieren. Beide Welten profitieren von einer Kooperation: Den einen werden Zugänge und Möglichkeiten eröffnet, die anderen können ihrem Anspruch auf Weltoffenheit und -gewandtheit Nachdruck verleihen.

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Auf der anderen Seite setzt sich Konstanze Ahlig mit einer bestimmten Frage auseinander, die sie im Austausch mit anderen Kunstakteuren bearbeitet. Im Diskurs beleuchten sie gemeinsam ihre eigene Vorgehensweise in den Projekten. Im Vergleich zu tradierten Kunstbildern produzieren sie weder Werke noch kann der Projektprozess auf ihre individuelle Denk- oder Gestaltungsleistung zurückgeführt werden. Die Akteure kämpfen also um eine Erweiterung des Kunstbegriffs, d.h. für eine Ausdehnung dessen, was als Kunst gilt. Konstanze Ahligs Gegenüberstellung der sozial engagierten Projekte ist ein Beitrag zu diesem Kampf, weil sie versucht, allen Unterschieden zum Trotz ein vereinheitlichendes Prinzip dieser Praxis zu finden. In diesem Zusammenhang kann erklärt werden, warum sie sich lieber als Koordinatorin denn als Kuratorin versteht. Wie gezeigt, grenzt sich auch Ruhen Dietrich vom Begriff des Kurators ab und bezeichnet sich als »Dramaturg«, der »zusammen mit Künstlern weiterrecherchiert, weiterhilft, weiterschaut, wie man Sachen umsetzt«. Wie im Kapitel »Das staatliche Museum« erläutert, stellen Kuratoren und Kuratorinnen Verbindungen zwischen bereits fertig gestellten Kunstwerken her. Beauftragen sie Künstlerl-innen flir eine bestimmte Ausstellung oder einen konkreten Raum etwas Neues anzufertigen, tun sie dies in der Erwartung, dass es an die bisherigen Arbeiten des Künstlers oder der Künstlerin anschließen wird, d.h. dass es dem entspricht, wofür die Person steht oder anerkannt wurde. Kuratoren und Kuratorinnen versuchen stets verschiedene Künstlerl-innen bzw. deren Werke zu gruppieren und sie dergestalt in das Ordnungssystem der Kunstgeschichte einzusortieren. Die Bezeichnungen Koordinatorirr oder Dramaturg stehen hingegen für eine Tätigkeit, die sich gegen das als autotitär empfundene kuratarische Vorgehen stellt. Es sollen nicht in zeitlicher Distanz abstrakte Zuschreibungen an Kunstwerken vorgenommen, sondern aktuell gelebte, künstlerische Praktiken zusammengeflihrt werden. Konstanze Ahlig und Ruhen Dietrich leiten andere Künstlerl-innen in ihren Projekten an, beraten sie bezüglich möglicher Vorgehensweisen, weisen sie auf fundiertes Material hin oder stellen Verbindungen zu relevanten Personen her. Auf diesem Weg tragen sie dazu bei, dass sich eine spezifische Praxis herausbildet, dass Vorgehensweisen und Vorstellungen geteilt und sich ein gemeinsames Kunstverständnis formiert. Die sich als Koordinatoren oder Dramaturgen Bezeichnenden sorgen auch für eine vereinheitlichende Präsentation im künstlerischen Feld. Denn nur wer identifizierbar und benennbar ist, kann in den Kampf um Etablierung als eigenständige Kunstrichtung, d.h. als »Position« des Feldes eintreten. Ein sozial engagiertes Projekt wird also nicht zur Kunst, weil die aus kunstfernen Gesellschaftsschichten stammenden Teilnehmerl-innen an Kunst herangeführt werden, sondern weil Akteure, die bereits Mitspieler des Feldes sind, sich für die Anerkennung als eigenständige Kunstrichtung einsetzen. Dazu gehört die Selbstbenennung, in diesem Fall als »Kunst im sozialen Raum«.

DIE »POS IT ION EN«

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Die Künstlerl-innen als sozial Engagierte

Um als Künstler/-in anerkannt zu werden, müssen sich die Akteure entweder in einer anderen Kunstrichtung, in diesem Fall meist in der Videokunst oder der Fotografie, profilieren oder sie müssen sich dafür einsetzen, dass sozial engagierte Projekte als Kunst Geltung finden. Der ehemalige Österreichische Bundeskurator für bildende Kunst, Wolfgang Zinggl, initiierte 1993 das bis heute fortlaufende sozial engagierte Kunstprojekt >>WochenKlausur«. 2 Als ein starker Vertreter und Unterstützer der Kunstrichtung »Kunst im sozialen Raum« trug er unter anderem dazu bei, dass gerade in Österreich eine Vielzahl solcher Projekte entstand. Was Kunst werden will, muß zuvor von anderen als solche akzeptiert werden. Wenn ich, wie

Malewitsch, ein schwarzes Quadrat einbringe, oder wie Duchamp einen Hundekamm ausstelle, oder wenn ich, wie Günter Brus, die Aktion als Kunst gesehen haben will, dann stelle ich jeweils den Antrag, die anderen mögen mit mir meine neuen Vorstellungen von Kunst teilen. Und über das gemeinsame Kunstverständnis bilden sich dann Gruppen, wie sie sich zu gemeinsamen Anschauungen in Fragen der Sexualität, der Religion oder der Karottenzucht finden. Die Gemeinschaften, die sich um die gemeinsamen Vorstellungen von Kunst bilden, existieren zwar nebeneinander wie in der liberalen Gesellschaft, doch in Wahrheit tobt ein Kampf um die VorheJTschaft. [ ... ] Wenn unter Kunst auch die aktive Mitgestaltung unseres Zusammenlebens verstanden werden könnte, die kreative Beteiligung bei der Beseitigung offensichtlicher Unzulänglichkeiten, das Erbringen konstruktiver Vorschläge und Modelle zur Verringerung von Arbeitslosigkeit, im Recycling, bei der Entwicklung sozialpolitischer Maßnahmen? Angesichts korrigierbarer Härtefälle des Schicksals, angesichts von Desozialisierungen, Schubhaft und ähnlichen Inhumanitäten, die den Medien keine Berichterstattung mehr wert sind, angesichts von Mißständen, die mit etwas Einfallsreichtum durchaus zu beseitigen wären, können wir in der Kunst nur schwerlich zur selbstreferentiellen Tagesordnung übergehen. (Zinggl 2000: 215ft)

Statt den Diskurs zur Kunst zu erklären, soll hier der gesetzte Impuls, die Intervention in kunstfernen Welten als künstlerische Praxis gelten. Es zählt also nicht nur eine intellektuelle Persönlichkeit, die abstrakte oder gesellschaftspolitische Zusammenhänge begreifen kann, sondern das Engagement für andere Menschen. Dieses erwächst aus dem Bewusstsein über soziale Unterschiede, deren Ursache in der ungleichen Verteilung von Macht, d.h. von Zugängen und Möglichkeiten, gesehen wird. Die Akteure sprechen von »Benachteiligten« oder »Marginalisierten«, Begriffe, die auf strukturelle und nicht auf individuelle Lebensbedingungen hinweisen.

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http://www.wochenklausur.at vom 03.11.2011.

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Die Künstlerl-innen zählen sich zu den Herrschenden. Das selbstreflexive Wissen um den eigenen privilegierten Status ruft zum Einsatz flir die Beherrschten auf. Auch Konstanze Ahlig fühlt sich zur Hilfe verpflichtet: Ich unterscheide mich ja nicht nur in meiner Selbstdefinition als Künstlerin, in meiner Rolle als Künstlerin von den Leuten, mit denen ich Projekte durchführe, sondern natürlich unterscheide ich mich auch sozial, durch eine andere Herkunft. Ich komme aus einer wohlhabenden Familie und das ist etwas, das ich mitreflektieren will, wenn ich Projekte mache. Und ich habe mir gedacht, es ist schade, dass es so sozial determiniert ist, dass Leute aus anderen sozialen Verhältnissen überhaupt keinen Zugang haben und deshalb gefeigentlichen BedeutungGehalt< als >symbolische Werte>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT

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wies Humboldt »der Kunst eine spezifische Rolle in jenem wesentlichen Prozeß der Bildung zu, durch den sowohl der individuelle Charakter als auch die Gemeinschaft der Nation geformt werden sollten« (ebd.: 93). Kunst sollte also eine »Rolle bei der Schaffung einer neuen staatsbürgerlichen Gemeinschaft« (ebd.: 277) einnehmen und erschien als ein geeignetes Mittel, um Nationalbewusstsein zu vermitteln. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich nach den militärischen Siegen über die Truppen Napoleons, durch die politischen Strömungen des Vormärz und insbesondere nach der Errichtung des zweiten Deutschen Kaiserreichs 1871 die wirtschaftliche und politische Rolle des Bürgertums in Deutschland gefestigt. Die durch die industrielle Revolution entstehenden neuen gesellschaftlichen Schichten wurden als Bedrohung der eigenen Errungenschaften wahrgenommen. Um die gewonnene politische Autorität zu legitimieren, trafen sich Monarchen und das Bürgertum in ihrem Bedürfnis, »die bedrohten Überreste der Vergangenheit zu bewahren und zu schützen« (Sheehan 2002: 131 ). In der Zeit nach 1830 entstanden in allen deutschen Hauptstädten die ersten öffentlichen Museen, deren Bau entweder von Fürsten oder von reichen Kaufleuten in Auftrag gegeben wurde. Dem staatlichen Museum wurde die Aufgabe zugewiesen, historische Objekte wissenschaftlich zu bewerten, zu archivieren und zu vermitteln. Die Museen galten als »Aufbewahrungsorte der Schätze der Geschichte, als Hüter traditioneller Werte und Stätten der wissenschaftlichen Forschung« (ebd.: 131). Das zeitgleich konstituierte universitäre Studium der Kunstgeschichte lieferte das geeignete Fundament, um die Kunst zu einer kulturerzeugenden und moralischen Instanz werden zu lassen. Kunsthistorikerl-innen wurden mit der Leitung staatlicher Museen, d.h. der Archivarbeit für staatliche Sammlungen und dem Kuratieren der öffentlichen Ausstellungen beauftragt. Somit vereinte sich im Museum »ein ausgesprochenes Interesse an der Vergangenheit mit der unausgesprochenen Annahme, es gäbe Ideale, die sich als Maßstäbe für eine Darstellung von Fortschritt und Verfall verwenden ließen. Der Zweck des Museums war - wie der Zweck der Kunstgeschichte - sowohl ein deskriptiver als auch ein normativer: Informationen über die Vergangenheit zu liefern und Werte zu vermitteln, die für alle Zeiten gültig waren.« (Ebd.: 142) Die 1876 fertig gestellte Berliner Nationalgalerie wurde der deutschen Kunst gewidmet und verfolgte die Intention, die deutschen Staaten unter Vormachtstellung Preußens kulturell zu vereinen (vgl. Lenman 1994: 70). Die >deutsche< Kunst sollte vor äußeren Einflüssen bewahrt werden. Internationale Ausstellungen galten als »Balzwettbewerbe zwischen feindlichen Kulturen« (ebd.: 103). Vor allem das städtische Bürgertum verstand sich als »wichtigste kulturschaffende Gruppe« und treibende »Kraft der Nation« (ebd.: 104). In seinem rückwärtsgewandten Kunstund Kulturverständnis traf es sich mit anderen machtvollen Instanzen, die der zeitgenössischen Kunst ebenso skeptisch gegenüberstanden. »Wilhelm ll. mochte den Stil und die Themen der Modemisten nicht; führende Katholiken erhoben Einwände gegen ihre angeblich obszönen Motive; und eine Vielzahl von Politikern und Publi-

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zisten war immer bereit, alles Ausländische, Unkonventionelle und Elitäre zu verdammen.« (Sheehan 2002: 251) »Eine kleine elitäre Fraktion des Bürgertums« unterstützte allerdings die aufkeimenden avantgardistischen Kunstströmungen, weil diese erstens »keinerlei Rücksicht auf historisch verbürgte, traditionelle Kulturformen« nahmen und zweitens die bisherige »Diskrepanz zwischen dem technischen Fortschritt und dem kulturellen Beharrungsvermögen« vor Augen führten (Grasskamp 1994: 136). Diese Gruppe des Bürgertums trat damit »gegen ihre eigene Klasse« an und machte die moderne Kunst zu einem »Aushängeschild« ihres »Gestaltungsanspruchs« (ebd.: 137). Auch einige Museumsdirektoren waren »Verfechter des Modernismus« und konnten sich dank »mächtiger Verbündeter« gegen das Gebot, ausschließlich historische Objekte anzukaufen, durchsetzen (Sheehan 2002: 251). Eben diese Männer bildeten in den Städten der Weimarer Republik »in den zwanziger Jahren den Kern des Museumsestablishments« (ebd.: 277). Zeitgleich propagierten bürgerlich-konservative Kreise die »Ästhetisierung von Macht und Herrschaft« und »diffamierten [... ] die avantgardistischen Strömungen als Zeichen des Verfalls und der Entartung« (Reichet 1998: 155). Anknüpfend an diese Tradition wurden nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten alle erworbenen Kunstwerke der Moderne aus den Museen entfernt, in die Ausstellung »Entartete Kunst« inkludiert, »zerstört oder zu Schleuderpreisen an Sammler in aller Welt verkauft« (Sheehan 2002: 278). 1937 eröffnete, gemeinsam mit der Ausstellung, als erster nationalsozialistischer Repräsentationsbau das Haus der Deutschen Kunst in München. Jährlich fand dort eine »Große Deutsche Kunstausstellung« statt, durch die eine »traditionalistische Gattungsmalerei [...] staatliche Anerkennung und Förderung« (Reichet 1998: 156) erhielt. Die Kunst diente der »Illustrierung der »nationalsozialistischen Weltanschauung«, von den vorgeblich heroischen und idyllischen Zeiten germanisch-deutscher Vergangenheit bis zu den verklärten Bildern einer neuen, »>großen>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLI CHEN GESELLSCHAFT

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nerung an die Moderne zunächst auf Werke des Impressionismus, Jugendstils, Expressionismus oder Kubismus. Diese »formale Avantgarde« (ebd.: 13 1) ist eine »gegenstandsfreie, von der illusionistischen Wiedergabe eines Bildobj ektes losgelöste, abstrahierende Malerei, die sich in der Konzentration auf die >Bildhaut< in einer eigenen Sprache von Zeichen, Farbeffekten und Formrhythmen abhebt« (Fischer/Giesecke 2005: 96). Abstrakte Kunst war ein Angriff auf herrschende Kunstbegriffe; ein Kampf, der innerhalb des künstlerischen Feldes geführt wurde. In den 1960er Jahren wurden auch zahlreiche neue staatliche Museumsgebäude errichtet (vgl. Sheehan 2002: 280), in denen erstmals Museen f ür Moderne Kunst installiert wurden. »Die Idee, die zeitgenössische oder jüngstvergangene Kunst zu musealisieren, ist eine kühne Verallgemeinerung der bürgerlichen Idee des KunstMuseums auf Gegenstände, deren historische Bedeutung sich noch nicht durch den >test of time< erweisen konnte. Vereinzelt gab es diese Idee schon in den 20er Jahren, als sich >modern< als Stil- und Epochenbegriff etablierte[ ... ].« (Resch/Steinert 2005: 137, FN 2) Einige dieser der Moderne gewidmeten Ausstellungsinstitutionen zeigten Werke der politischen- oftmals kommunistisch und sozialistisch orientierten- Avantgarde der Weimarer Republik, die zunächst ausschließlich in den Museen der DDR aufgetaucht waren. Die Kritik dieser anderen Avantgardetradition richtete sich gegen den Bildinhalt, in dem nach der Beschränkung auf aristokratische Repräsentationen nun ausschließlich die bürgerliche Welt dargestellt wurde und gegen die Exklusivität der bürgerlichen Kunstrezeption. Die Lebensräume aller Werktätigen, der »nichtbürgerliche Alltag und technische, großstädtische, existentielle und politische Umwälzungen« (Fischer/Giesecke 2005: 98) sollten dargestellt und vem1ittelt werden. Kunstwerken im Stil des Sozialistischen Realismus wurde in der DDR eine festgelegte Funktion »beim Aufbau des Landes und der Herausbildung >sozialistischer Persönlichkeiten«< (ebd.: 104) zugewiesen. Der DDR-Staat mit seinem Anspruch auf »Kulturgestaltungsmacht« (Damus 1991: 13) förderte ausschließlich Kunst im Sinne des real existierenden Sozialismus und diffamierte Künstler/-innen, die mit der Bildfläche experimentierten, »als >formalistisch< und >dekadentRätselcharakter< eine kognitive Ergänzung, eine Orientierungsleistung, einen Deutungskommentar von ihm verlangten [ . .. ]. Der Museumsbesucher [YM: der DDR] machte also im Durchgang den Erfahrungswechsel von klassischen figurativen Bildern, auf denen >exklusive< Menschen [ ... ] zu sehen waren, hin zu >inklusiven< Bildern, in denen nun tendenziell jeder ins künstlerisch figurative Bild genommen wurde [ ... ], im Prinzip er jedenfalls bei seiner eigenen künstlerisch voraussetzungsvollen Portraitierung angekommen war. (Ebd.: 107-109)

Erst die von Willy Brandt eingeleitete Ostpolitik ermöglichte auch in der Kunst eine Abschwächung der Polarisierung. Maßgeblich fLir die Akzeptanz der >Ostkunst< in der BRD, die die konservativ-liberale Regierung fortsetze, war überdies eine Öffnung der Warenmärkte und somit auch des Kunstmarktes nach Osten (vgl. Grasskamp 1994: 141ft). Der Aufriss der Geschichte staatlicher Museen in Deutschland führt vor Augen, dass die Praxis von Kunsthistorikerl-innen nicht nur einen bestimmten Kunstbegriff hervorbringt. Die Konstruktion autonomer Kunst als einer einheitlichen Universalgeschichte entwickelte sich, um die kulturellen Werte und Gesellschaftsutopien des aufstrebenden Bürgertums zu formieren, zu fundieren und zu verankern. Wie bereits gezeigt, sieht Max Corbach alle staatlichen Museen Deutschlands als ein »Universalmuseum« an. Die Summe aller Sammlungsbestände bilde den »kulturellen Besitz« Deutschlands. Auch im Code of Ethics des International Council of Museums wird dem Museum die Aufgabe zugewiesen, das >>Erbe der Menschheit« zu wahren: Museums preserve, interpret and promote the natural and cultural inheritance of humanity. [ ... ] Museums are responsible for the tangible and intangible natural and cultural heritage. Governing bodies and those concerned with the strategic direction and oversight ofmuseums have a primary responsibility to protect and promote this heritage as weil as the human, physical and financial resources made available for that purpose. 1

Meine Analyse verdeutlicht, dass in der Koalition aus Kunstgeschichte und staatlichem Museum eine kulturerzeugende Praxis überlebt hat, die bei Hegels Kunstphilosophie und der philosophischen Hermeneutik ihren Ausgang nahm. Das Ordnungs- und Bewertungssystem fokussiert nicht auf Formen, handwerkliche AusfLihnmg oder den ursp1iinglichen Gebrauchswert, vielmehr konzentriert es sich auf die im Bild versteckten inhaltlichen Aussagen. Als Ausdruck der eigenen Kultur gelten

http://icom.museum/code2006_ eng.pdf vom 10.10.2010.

DIE >>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLI CHEN GESELLSCHAFT

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jene Werke, die einer Deutung bedürfen, deren Inhalt in einer bestimmten Bildsprache kodiert ist. Historische Objekte werden dem Denksystem einer universalen Kunstgeschichte untergeordnet, wodurch frühere Bedeutungen und Gebrauchsweisen der Objekte verschwinden. Auf diesem Weg wird ein Kontinuum der eigenen Kultur erzeugt. Andere Denk- und Betrachtungsweisen geraten in Vergessenheit. Die erwähnte Sammlungspraxis während der Zeit des Kalten Krieges zeigt, wie sich darin aktuelle politische Konfliktlagen niederschlagen. Dem Staatsverständnis zuwiderlaufende Kultur- und Gesellschaftsideale werden entweder gar nicht in den Besitz aufgenommen oder als bereichernde, aber überwundene Anregung inkludiert. So blieben Tendenzen nicht-bürgerlicher, linker Gesellschaftsideen so lange in den staatlichen Museen der BRD unsichtbar, bis sicher gestellt war, dass sie in der bundesdeutschen Gesellschaft ausreichend an Legitimität verloren hatten, um keine Gefahr mehr darzustellen. Der kulturerzeugenden Praxis in den Museen gelang es, die politische Avantgarde als überwundene linke Tradition in die Logik der bürgerlichen Geistesgeschichte einzuordnen. Dergestalt sind künstlerische Arbeiten der politisch engagierten Avantgarde und teilweise auch von DDR-Künstler/-innen in die Bestände der BRD und schließlich des geeinten Deutschlands aufgenommen worden, ohne dass sich dadurch das in den staatlichen Museen (re-)produzierte »distinktive, bürgerliche« Kulturverständnis geändert hätte (vgl. Fischer/Giesecke 2005; Hieber 2005). lm Gegenteil, die inszenierte Toleranz half das liberale und demokratische Selbstverständnis der BRD zu untermauern. Die in moderner Kunst formulierte Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft verlor durch ihre Verstaatlichung an Dringlichkeit und politischer Bedeutung. Im letzten Jahrzehnt wurde, entgegen dem deutschen Modell des Kulturföderalismus, die Rolle des Bundes gestärkt. 1998 erhielt der Beauftragte fiir Kultur und Medien 2 den Status eines Staatsministers. Unter seiner Leitung werden unter anderem folgende Aufgaben organisiert: Die Gestaltung der »rechtlichen Rahmenbedingungen für Kultur und Medien«, die Förderung »von Kultureinrichtungen und Projekten von nationaler Bedeutung«, die »kulturelle Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt« und der »Schutz des kulturellen Erbes und der kulturellen Vielfalt«. 3 Die 2011 erschienene Broschüre »lm Bund mit der Kultur« führt beispielhaft vor Augen, wie die Kunstfördermaßnahmen mit dem Kultur- und Staatsverständnis der amtierenden Bundesregierung zusammenhängen. Deutschland verstehe sich als >>weltoffene, in europäischer Tradition verankerte Kulturnation«, weshalb »Denkanstöße der Kultur und der Künste« als »Grundlagen unserer Geschichte und unseres Zusammenlebens« gelten (vgl. ebd.). Auch im Leitbild der von Bund und Län-

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http://www. bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragterfuerKultur undMedien/beauftragter-fuer-kultur-und-medien.htm1 vom 19.09.2011 . Vgl. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/BKM/20 11-11-17-neuebroschuere.html vom 19.09.2011.

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dem getragenen Stiftung Preußischer Kulturbesitz werden »Kunst, Kultur und Wissenschaft als wesentliche Werte des menschlichen Daseins«4 bezeichnet. 2002 wurde ferner die Kulturstiftung des Bundes gegründet, die ihren Schwerpunkt in der »Förderung innovativer Programme und Projekte im internationalen Kontext hat. Dabei investiert die Stiftung auch in die Entwicklung neuer Verfahren der Pflege des Kulturerbes und in die Erschließung kultureller und künstlerischer Wissenspotentiale für die Diskussion gesellschaftlicher Fragen.«5 Hortensia Völckers, Vorstand und künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, sprach 2008 bei einer Tagung mit dem Titel »Kunst Werte Gesellschaft«6 davon, dass ein »breiter Konsens der entscheidungstragenden und meinungsbildenden Eliten unserer Gesellschaft« darüber herrsche, »dass es prinzipiell einen öffentlichen Bereich geben muss, in dem das kulturelle Erbe - und auch die ästhetische Produktion der Gegenwart - frei von den Interessen des Marktes erfahrbar«7 seien. lm Gespräch mit mir plädierte eine Angestellte der Kulturstiftung des Bundes für Strukturförderung, die sie als Bedingung für die freie Entfaltung von Kunst ansieht. Also Strukturen zu schaffen, in denen überhaupt Kunst entstehen kann. Wenn keine Ateliers aufrechterhalten werden, wenn die Ausbildung miserabel ist, wenn es nur noch privat betriebene Museen gibt, dann kann sich Kunst nicht entfalten, dann fokussiert sie sich auf die Marktgängigkeit und das ist es. (Frauke Gabler, E16: 18)

Neben der staatlichen Ansehubfinanzierung für die Kreativbranche und der strukturellen Förderung von Kunstvereinen, setzt die Bundesregierung also auf die Verantwortung für das Kulturgut. Bei gerrauerer Betrachtung der staatlichen Kunstförderstruktur fallt auf, dass sich das Verantwortungsbewusstsein allmählich auf einen Bereich des künstlerischen Feldes konzentriert: die hier vorgestellte »Position« »Das staatliche Museum«. Das gestiegene Engagement des Bundes widmet sich also in der Tendenz vor allem jener Praxis, die sich um die Herstellung und Bewahrung eines >deutschen Kulturbesitzes< dreht. Wie ich nun zeigen werde, beruht das

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Vgl. http://www.hv.spk-berlin.de/deutsch!wir_ueber_uns/down Ioad/Leitbild_ SPK.pdf vom 03.11.2011. Vgl. die Rubrik »Die Stiftung stellt sich vor« auf der offiziellen Website der Stiftung (http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/stiftung/). 2007 wurde in den Fördergrundsätzen festgelegt, dass nur Projekte mit einer »Mindestantragssumme von 50.000 Euro sowie eine gesicherte Kofinanzierung von 20 Prozent der Gesamtkosten« gefördert werden (vgl. http://www.kulturstiftung-des-bundes.de). Nähere Informationen zu den Fördergrundsätzen unter: http://www. kulturstiftung-des-bundes.de/media_ archive/12403 21620932.pdfvom 03.11.2011. Tagung der Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine und der Akademie der Künste vom 16. bis 18. Mai 2008: http://www. kwg.kunstvereine.de vom 03.11.2011. Vgl. http://www.kwg.kunstvereine.de/pdf/16_ 05/kwg_16-05-08_Voelckers.pdf vom 03.11.2011.

DIE >>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT

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hier (re-)produzierte Verständnis >deutscher Kultur< auf dem neuzeitlichen Subjektbegriff des >momo universale« und verweist auf eine >>bildungsbürgerliche« Tradition in Deutschland (vgl. Lepsius 1993: 289).

Das Ideal der gebildeten Bürgerl-innen Die Praxis der Kunstgeschichte in den staatlichen Museen entstand Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Herausbildung eines >>Dienstleistungsbürgertums« (ebd.: 307f). Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden Vertreter des Bürgertums in der staatlichen Verwaltung und der Justiz eingesetzt und es stieg die Anzahl von in freien Berufen, z.B. als Ärzte, Rechtsanwälte oder Apotheker, tätigen Bürgern. Die Expansion des höheren Bildungswesens verschaffte ihnen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs, die nicht mehr nur an ständische Vorrechte gebunden waren. Als an humanistischen Gymnasien und der Freiheit der Lehre verpflichteten Universitäten Ausgebildete wurden sie Teil des kulturerzeugenden und werteprägenden >>Bildungsbürgertums« (vgl. ebd.: 303ft). Frauen wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts allmählich an deutschen Universitäten zum Studium zugelassen und auch das Recht, eine Profession ausüben zu können, musste von der Frauenbewegung erst erkämpft werden. In Deutschland waren damals >>Professionalisierung und Bürokratisierung« tiefer verankert als >>Demokratisierung und Kapitalismus«, weshalb das Dienstleistungsbürgetturn seinen Einfluss auf die Politik stärker geltend machen konnte (ebd.: 308). Im Vergleich zu den in der Französischen Revolution geforderten bürgerlichen Idealen verloren für diese Gruppe des Bürgetturns das Prinzip der Volkssouveränität und allgemein gültige Menschenrechte an Bedeutung. In Abgrenzung zum Adel, aber auch zur wachsenden und bereits quantitativ überlegenen Arbeiterschaft setzten sie sich für die Stärkung der Rechte und der Macht des bürgerlichen Mittelstands ein. Als Vertreterl-innen des deutschen Liberalismus träumten sie von einer Gesellschaft aus freien und gebildeten Bürger/-innen. Die Symbiose aus der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte und den neu errichteten staatlichen Museen zeugt von der neugewonnenen Macht der bürgerlich geprägten bürokratischen undjuristischen Elite des Deutschen Kaiserreichs. In der höfischen Gesellschaft wurden männliche Künstler als Genies, als Menschen mit einer angeborenen Begabung, verehrt. Der aristokratische Geniekult kann bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden, als eine >>Ablösung des großen mittelalterlichen und Frührenaissance-Paradigmas der Nachahmung durch das neue Paradigma der Originalität« stattfand. Damals war das »Wissenschaftsargument durch das Begabungsargument« abgelöst worden (Krieger 2007: 19). In ihrer Abgrenzung zur Aristokratie besann sich die bürgerliche Gesellschaft auf das neuzeitliche Menschenbild des >momo universale«, das autonome, universal gebildete Individuum.

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Vor dem 15. und 16. Jahrhundert wurden Studenten und Absolventen der Universitätsfächer der freien Künste als Künstler bezeichnet. Die artes liberales bildeten seit der Antike einen Kanon aus sieben Wissenschaften: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Diese galten als Grundstudium für berufsbildende Fächer wie Medizin, Jura oder Theologie und vermittelten j enes Wissen, das für die Bildung eines neuzeitlichen Menschen als notwendig erachtet wurde. Diese Künstler genossen im Vergleich zu Malern und Bildhauern ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Die Zweitgenannten wurden damals zu den Handwerkern gezählt. Sie übten eine körperliche Tätigkeit aus, die nichts mit dem Studieren, das hieß, dem Generieren von Wissen aus Texten, gemein hatte. Zur Zeit der italienischen Renaissance begann der Kampf der Maler und Bildhauer um Anerkennung als Künstler. Dies bedeutete auch Kampf um Aufstieg in eine höhere soziale Position (vgl. Heidenreich 2009: 17ff). Dieser Aufstieg gelang durch eine »lntellektualisierung« (Krieger 2007: 16), die durch zwei Erfindungen eingeleitet wurde: die Herstellung von Papier und die Verbreitung des Dezimalsystems. Das neue, deutlich billigere Trägermaterial erleichterte die Produktion und Verbreitung von Zeichnungen und Texten. Das Zahlensystem ermöglichte die Darstellung von Perspektive und Proportionen und rückte die Produktion von Bildern in die Nähe der freien Künste Geometrie und Arithmetik (vgl. Heidenreich 2009: 23ff). Die Entdeckung der Zentralperspektive stellte »die Darstellung räumlicher Gegebenheiten«, die »bis dahin auf der Basis von Erfahrungswissen und Konvention geschah, auf eine wissenschaftliche Basis« (Krieger 2007: 17). 1435 verfasste Leone Battista A1berti die »erste umfassende Kunsttheorie der Neuzeit« ( ebd.), das Traktat Delta Pittura. Darin wird erstmals der Anspruch formuliert, der Künstler müsse ein »umfassend gebildeter Mensch sein« (ebd.). »Alberti forderte nicht nur eine Verwissenschaftlichung der Tätigkeit und Kompetenzen des Malers, sondern übertrug auch das bis dahin vorwiegend auf Fürsten und Hofleute bezogene Leitbild des momo universale>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLI CHEN GESELLSCHAFT

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sehen Arbeiten weiter, die dergestalt auch Ausdruck ihres Selbstbildes als gebildeter Mensch sind. Der von Kunsthistorikerl-innen beständig weitergedachte >Roman< bürgerlicher Kultur sammelt Wissen, dokumentiert die abendländische Geistesgeschichte, die Errungenschaften der westlichen >Menschheit< auf den Gebieten der aufgezählten Wissenschaften. Der kunsthistorische Spannungsbogen von Renaissancekunst über Abstrakte Kunst bis hin zu Konzeptkunst der 1960er Jahre archiviert nicht nur Kunstwerke, sondern dokumentiert deren inhaltlichen Gehalt und bewahrt das darin vermittelte Wissen. Wie oben ausgeführt, entstanden staatliche Museen und mit ihnen das von der kunsthistorischen Praxis erzeugte Kunst- und Kulturbild zu einer Zeit, in der das humanistische Bildungsideal durch Wilhelm von Humboldt in die staatliche Verwaltung Einzug hielt. Der Museumsbesuch avancierte damals zur angesehenen Freizeitbeschäftigung des bürgerlichen Mittelstands. Vermittelten viele der ausgestellten Kunstwerke zu ihrer Entstehungszeit Symbole christlicher Lehre oder waren Repräsentanten aristokratischer Macht, dienten sie als nunmehr autonome Kunst der humanistischen Bildung. In der Kunstrezeption sollten sich die Bürgerl-innen ihrer Zugehörigkeit zu einer bis in die Antike zurück rekonstruierten abendländischen Kultur versichern und in der geistigen Auseinandersetzung zum ganzheitlichen Menschen heranwachsen. Wie ich bei Max Corbach gezeigt habe, offenbart sein Verständnis von Vermittlungsarbeit, welcher Anspruch an die Rezipienten und Rezipientinnen musealer Kunst gestellt wird. Um ein Kunstwerk verstehen zu können, sei es notwendig, die Intention der Künstlerl-innen, den »Arbeits- und Denkweg«, dessen Resultat das Kunstwerk war, zu ergründen. Kunstbetrachtung sollte also nicht beim visuellen Erleben stehen bleiben, vielmehr bedarf es einer rationalen Überprüfung dessen, was ein Werk emotional auszulösen vermochte. Ein tatsächliches Begreifen von Kunst erfordert in diesem Sinne ein Vorgehen, das jenem der Kunstgeschichte ähnelt. Im Bild kodierte Bedeutungen müssen erkannt, die von den Künstlerl-innen hineingelegten Inhalte, die (kunst-)wissenschaftlichen Erkenntnisse und kulturellen Symbole gelesen werden. Wie gezeigt, wird der Zeitgeist entwickelt und festgehalten, weil Künstlerl-innen und Kunsthistorikerl-innen die gleiche Bildsprache sprechen. Denn nur so können die Inhalte, das generierte und im Werk vermittelte Wissen überhaupt verstanden und verbreitet werden. Gleiches gilt nun auch für Künstlerl-innen und ihre Rezipienten und Rezipientinnen. >Richtig< lesen, also das korrekte Dekodieren der Bildsprache, ist nach diesem Verständnis notwendig, weil es in der Betrachtung eines Kunstwerkes darum gehen muss, sich Wissen anzueignen bzw. den eigenen Wissensstand zu verfeinern, zu erweitern und zu festigen. Lesen kann die Werke, wer sich - gleich der Malerin Karirr Appl - als geistiges Puzzlestück der bürgerlichen Kultur, als gebildeter Mensch versteht. Unbeachtet bleibt dabei, dass sich ein solches Selbstverständnis vorrangig unter Bedingungen des unmittelbaren

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und praktischen Bezugs zu den als Ausfmmungen dieser Kultur geltenden Künsten und Wissenspotentialen herausbildet. Ab den 1960er Jahren setzte in der BRD eine quantitative Bildungsexpansion ein, die von der Politik unter anderem mit dem Ziel gefördert wurde, den Zugang zum deutschen Kultur- und Bildungsgut durch gleiche Bildungschancen zu demokratisieren. Soziologische Studien zeigten, dass den politischen Postulaten in ihrer Umsetzung strukturelle wie habituelle Grenzen gesetzt waren (vgl. Bourdieu/Passeron 1971, Müller 1998), wodurch die »Bildungsexpansion als horizontaler Prozess« (Vester 2004: 28) beschrieben werden muss. Die Studie »Soziale Gerechtigkeit in der OECD- Wo steht Deutschland?« (Bertelsmann Stiftung 2010) zieht in Bezug auf die aktuelle Situation des deutschen Bildungssystem keine positive Bilanz. In der Frage der Chancengleichheit, d.h. der Frage, wie stark der Bildungserfolg »von Herkunft und sozioökonomischem Hintergrund« abhängt, nimmt Deutschland den 22. Platz unter den 31 beteiligten OECD-Ländem ein (ebd.: 18±). Im 21. Jahrhundert ist zwar ein quantitativer Anstieg der Besucherzahlen in Museen zu verzeichnen (vgl. Institut für Museumsforschung 2009), doch kommt dieser genauso wenig wie die Bildungsexpansion einer tatsächlichen Demokratisierung der in Museen erzeugten Kultur gleich. Vielmehr helfen die vennehrt zum Einsatz kommenden Kulturmarketingstrategien, d.h. groß angelegte Werbekampagnen, wie sie auch im Konsumgüterbereich üblich sind, das Wissen um die Kulturgüter und deren Akzeptanz in breiteren Bevölkerungsschichten zu verankern. Treten die Akteure der hier vorgestellten »Position« des künstlerischen Feldes als Gestalterl-innen und Fortführerl-innen der deutschen Kultur auf, sehen sich viele Besucherl-innen mit einer Kultur konfrontiert, deren herausragende gesellschaftliche Stellung sie anerkennen, ohne sich selbst darin wiederzufinden oder die geforderte Rezeptionsweise, also die Bildsprache, zu beherrschen. Ihre Rezeptionsweise ermöglicht weder tatsächliche Teilnahme an der Kultur, noch können sie Einfluss darauf nehmen, was diese >gemeinsame< Kultur ausmachen bzw. wofür sie stehen soll.

DER PRIMÄRE KUNSTMARKT UND SEINE REPRÄSENTATIONSFUNKTION Zur Konstruktion repräsentativer Kunst

Als sich im 15. und 16. Jahrhundert der Wandel vom Handwerker zum Künstler vollzog, brachte dies für viele auch einen sozialen Aufstieg mit sich. Einige - fast ausschließlich männliche - Künstler wurden als neue Berufsgruppe in die »Bildungselite« (Heidenreich 2009: 41) der damaligen Gesellschaft integriert. Viele

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Künstler strebten nach einer Anstellung bei Hofe, die finanzielle Sicherheit nach sich zog. Dort erhielten Künstler ihr Honorar unabhängig von der Anzahl produzierter Werke. Die neue soziale Position löste sie aus dem städtischen Wirtschaftskreislauf, in den sie als Handwerker und durch die Zuordnung zu Zünften eingebunden gewesen waren. Gemäß den »Regeln des höfischen Wirtschaftslebens« (ebd.) bemaß sich der Ruhm an der Person des Künstlers, machte sich an seinem Namen fest und beschränkte sich nicht auf Einzelexponate (vgl. ebd.: 41f). Bis Mitte des 19. Jahrhunderts überwog das königliche und fürstliche Mäzenatentum, pflegten etablierte Künstler stets Verbindungen zum Hof. Im Zuge der sich entwickelnden kapitalistisch-industriellen Wirtschaft expandierten Industrielle und Kaufleute in ihrer Zahl und ihrem Vermögen. Einige bürgerliche Familien konnten durch internationalen Handel und industrielle Produktion ihr privates Vermögen vervielfachen. Voraussetzung ihres sozialen Aufstiegs waren die von der Französischen Revolution eingeleiteten Veränderungen hin zur Marktwirtschaft, zum Liberalismus und Individualismus. Das sich formierende Großbürgertum kann als tatsächlicher Gewinner der Französischen Revolution bezeichnet werden, denn keine andere erkämpfte Forderung wurde so erfolgreich und uneingeschränkt verwirklicht wie der Wirtschaftsliberalismus, d.h. die Ideen der freien Marktwirtschaft und des Freihandels. Die Macht des Großbürgertums beruhte also nicht auf akademischer Bildung und Beamtentum, sondern auf ökonomischem Reichtum. Ihre Vertreterl-innen unterhielten enge Verbindungen mit den Herrscherhäusern, strebten oftmals nach Nobilitierung und nahmen, nicht zuletzt nach der Einführung konstitutionell-parlamentarischer Monarchien, Einfluss auf deren politische Entscheidungen. Dem liberalen Gedankengut folgend, sahen die Großbürger/ -innen ihre machtvolle und wohlhabende Position durch ihren wirtschaftlichen Erfolg legitimiert. Ab den 1840er Jahren entwickelte sich der Handel mit Kunstwerken zu einem eigenen europäischen und transatlantischen Geschäftszweig. Das Großbürgertum trug maßgeblich zur Bildung des Kunstmarktes bei (vgl. Lenman 1994: 91). Die für Deutschland spezifische, 1815 einsetzende Gründung von Kunstvereinen war eine Initiative großbürgerlicher Kunstliebhaber/-innen. Kunstvereine organisierten erstmals Verkaufsausstellungen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts immens hohe Besucherzahlen vorwiesen. Der Hamburger Kunstverein zählte zum Beispiel 1888 bereits 2105 Mitglieder und seine Ausstellungen besichtigten 30.000 Besucher (vgl. Grasskamp 1994: 18). Die Herausbildung und Expansion der ausstellenden und vermittelnden bzw. vermarktenden Institutionen des künstlerischen Feldes und ihrer Akteure löste die Künstler und wenigen Künstlerinnen aus ihren »höfischen Auftragsverhältnissen« und stellte sie nunmehr als »Warenproduzenten« gleich (ebd.). Galt an den Herrscherhäusern die geförderte Kunst der Repräsentation aristokratischer Macht, wurde in der bürgerlichen Gesellschaft ein ähnlicher Kunstbegriff zum Statussymbol des Großbürgertums. Die Kunst diente dazu, »die sozialen und

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kulturellen Aspirationen seines Besitzers zu signalisieren« (Lenman 1994: 102) und gehörte als repräsentatives Objekt zur Innenausstattung der Häuser. Die kommerzielle Kunstausstellung war »Kulisse der Selbstdarstellung und Forum der Neugierde« (Grasskamp 1994: 18) der durch ökonomische Macht zu Herrschaft gelangten sozialen Schicht. Zeitgleich entstand auch das Unternehmen Galerie, das von nun an mit seinem Namen für die Echtheit und Repräsentativität der angebotenen Kunstwerke bürgte. Die Händlerl-innen nützten ihre familiären, geschäftlichen und internationalen Verbindungen, um die Werke an wohlhabende Käuferl-innen zu vermitteln und übernahmen die oben beschriebenen »Manageraufgaben« (ebd.: 89) flir Künstler/-innen. Wohlhabende, handelstüchtige Galeristen und wenigen Galeristinnen konnten den Künstlerl-innen Arbeitsbedingungen bieten, die an die aristokratische Alimentierung heranreichten. Dadurch gelang folgendes eigentümliche Unterfangen: Das aristokratische Konzept der Alimentierung war mit der bürgerlichen Idee eines autonomen Kunstbereichs vereinbar. Das Großbürgertum konnte sich also die aristokratische Praxis rund um die Förderung genialer Künstlerl-innen zu eigen machen, weil sie mit der »Logik« des bürgerlichen Kunstfeldes kompatibel und somit transformierbar war. Über die Vermittlerposition zwischen freiem Markt und Künstler/ -innen gelang es, die künstlerische Arbeit als ebenso unabhängig von profanen Fragen bürgerlichen Daseins erscheinen zu lassen, wie es für den adeligen Lebensstil charakteristisch war. Unter dem Deckmantel der Autonomie des bürgerlichen Kunstfeldes umgibt die Praxis des primären Kunstmarktes ein anti-ökonomischer Schein. Galeristen und Galeristinnen bürgen dafür, dass ein Werk dem privilegierten Selbstverständnis der am Spiel des Kunstmarkts Beteiligten gerecht wird und dergestalt imstande ist, ihre Sonderstellung zu repräsentieren. Wie es auf diese Wiese gelingt, den eigenen etablierten Status exklusiv und relativ unangetastet zu halten, werde ich nun darlegen. Das Ideal des Genies

Der die Renaissance charakterisierende Bezug auf die antike Ideenwelt führte zur Wiederbelebung der Begriffe Genius und Ingenium. Der erste Begriff meinte die »besondere Sensibilität oder psychische Konstitution, [ ... ] sich der göttlichen Eingebung zu öffnen« (Krieger 2007: 21). Der künstlerische Schöpfer ist »Werkzeug Gottes, der durch ihn zu den Menschen spricht« (ebd.). Ingenium benannte das angeborene Talent, die Begabung, und drückte ein neues säkularisiertes Gedankengut aus, das die Schöpfung als Leistung eines Individuums ansah. Bis ins 18. Jahrhundert wandelten sich diese Begriffe zur, bis heute geläufigen, Geniekonzeption (vgl. Krieger 2003: 122, FN 19). War der Künstler zuvor durch göttliche Eingebung inspiriert, verlagerte sich der Ursprung des Schöpferischen in das Innere der künstle-

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rischen Subjektivität. Genie bezeichnet von nun an eine »außergewöhnliche Persönlichkeit«. »Denn das moderne Genie [ ... ] schöpft aus sich selbst und handelt allein aus innerer Notwendigkeit.« (Ebd.: 45) Zum Kern seiner Persönlichkeit dringt der Künstler nur durch »Innerlichkeit« vor. Die Betrachterl-innen, das Leben außerhalb bleiben ausgeschlossen, nichts soll den Künstler ablenken (vgl. ebd.: 35ft). Die ausschließlich männlichen Formulierungen weisen auf die - von feministischen Kunstwissenschaftlerl-innen dekonstruierte - Tatsache hin, dass »das einzigartige Genie [ ... ] sich historisch zusammen mit dem Subjektbegriff ausschließlich am männlichen Beispiel entwickelt« hat (Kampmann 2006: 109). Die Tätigkeit der Galeristen und Ga letistinnen schuf die Voraussetzung, um den ehemals in aristokratischen Kreisen praktizierten Geniemythos bis heute lebendig zu halten. Viele Akteure des primären Kunstmarktes beschäftigen sich mit Kunst nicht ausschließlich, um in ihr Vermögen zu investieren und es zu vermehren, sondern sie suchen im Werk nach Repräsentation ihrer selbst. Der »Glaube« an den zum Genie geborenen Künstler bewirkt, dass das Kunstwerk als Statussymbol nicht nur materiellen Reichtum, sondern die Besonderheit der eigenen Persönlichkeit signalisiert. Sowohl Galeristen und Galeristinnen als auch Käuferl-innen sehen sich den genialen Künstlerl-innen ebenbürtig. Aus dieser Wahlverwandtschaft leiten sie ab, dass ihre privilegierte soziale Position gerechtfertigt ist. Folgt die »Logik« des ökonomischen Feldes der liberalen Idee der prinzipiellen Gleichheit aller und der Verteilung von Privilegien je nach erbrachter Leistung und Elfolg im Wettbewerb, schwingt in der Praxis des primären Kunstmarktes noch die Vorstellung angeborener Privilegien mit. Das bedeutet, im Selbstverständnis dieser Akteure leben aristokratische Züge fort, die in der Beschäftigung mit dem Kaufen, Verkaufen und dem im kleinen, elitären Kreis Zur-Schau-Stellen von Kunst ausgelebt werden. Unter dem Deckmantel eines freien, für alle offenen Marktes können Sammlerl-innen und ihre Händlerl-innen sich dem Spiel hingeben, das nicht nur aufgrund der gigantischen Preisentwicklung der gehandelten Werke auf kapitalstarke, meist großbürgerliche Akteure beschränkt bleibt. Dazu kommt die Widerspiegelung von ihresgleichen, um die sich das ganze Spiel dreht. Wie bereits im Kapitel »Der primäre Kunstmarkt« erläutert, ist die Widerspiegelung ein Wiedererkennen kongruierender »Habitus«. Nur wer das Selbstverständnis aufbringt, dem exklusiven Kreis genialer Persönlichkeiten anzugehören, wird auch von Ebenbürtigen in diesem bestätigt. Der Ausschluss anderer vollzieht sich entlang habitueller Grenzen, wodurch es keiner formalen oder räumlichen Barrieren bedarf. So sind die meisten Galerien jedermann zugänglich und dennoch ergeben sich kaum Gespräche zwischen Galeristen und Galeristinnen und nicht kaufkräftigen Touristen und Touristinnen. Genauso selten kommt es zur Vertretung von Künstler/-innen, die die Galerie betreten, ihre Mappe mit künstlerischen Arbeiten vorzeigen und sich auf diesem Weg eine Aufnahme in eine Galerie erhoffen. Der Galerist Gustav Emmerich spricht von »offenen Orten«, die neu besetzt wurden, als

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er seine Galerie Anfang der 1990er Jahre gründete. In einem Berliner Stadtgebiet, das vermeintlich ohne Geschichte und frei gesellschaftlicher Nutzung war, schienen alle Menschen gleiche Ausgangsbedingungen gehabt zu haben. Diese Besetzung »offener Orte«, die vielen als Ausgangsbasis der heute etablierten Berliner Kunstmarktszene gilt, war allerdings die Praxis einer mehrheitlich westdeutschen Elite, die die historische lmd räumliche Situation nutzte, um ihr (kulturelles, soziales und ökonomisches) Kapital zu investieren. Der Geniemythos verschleiert die zur Teilnahme an dieser Praxis erforderlichen sozialen Voraussetzungen und hilft dessen Sonderstellung zu legitimieren. Ähnlich wie in adeligen Herrscherhäusern wird also in den großbürgerlichen Familien nicht nur das ökonomische Kapital von Generation von Generation weitergegeben, auch das zum Spiel des (Kunst-)Marktes dazugehörende Selbstverständnis wird innerfamiliär erlernt. Der >>Glaube« an das Genie hält das Milieu der am primären Kunstmarkt beteiligten Akteure bis heute relativ sozial geschlossen und exklusiv. Wie Michael Hartmann feststellt, ist der klassenspezifische »Habitus« ausschlaggebend, wenn Toppositionen im Management neu besetzt werden. So seien die »Chancen, in den Vorstand oder die Geschäftsführung eines der 400 größten deutschen Konzerne zu gelangen, für Promovierte aus dem Bürgertum um 70 Prozent und flir die aus dem Großbürgertum im Durchschnitt um 150 Prozent höher als flir die Promovierten aus den Mittelschichten und der Arbeiterklasse. Je nach Jahrgang beträgt die Differenz in der Spitze sogar bis zu 400 Prozent, mit im Zeitverlauf ansteigender Tendenz« (Hartmann 2007: 149). Die Wirtschaftselite in Deutschland- weniger stark ausgeprägt auch in anderen Ländern der Europäischen Unionist daher bis heute großbürgerlich geprägt. Für die exklusive soziale Rekrutierung der wirtschaftlichen Eliten sorgt [ . . .] zum einen die nicht zu übersehende Bedeutung von Familienclans in der Wirtschaft. [ ... ] Der zweite [ ... ] Grund ist jedoch in den spezifischen Rekrutierungsmechanismen der Wirtschaft zu suchen, die in den Familienunternehmen im Übrigen genauso Gültigkeit haben wie in den anderen großen Konzernen. [ . .. ] Die externen Manager, die eines der großen deutschen Familienunternehmen leiten, kommen ausnahmslos aus dem Bürger- oder Großbürgertum. (Ebd.: 146)

Der primäre Kunstmarkt ist also nur eine, dafür aber besonders raffinierte, Variante großbürgerlicher Handelsgeschäfte, die in Summe ihre machtvolle und elitäre Stellung in der Gesellschaft begründen. Bereits in der konstitutionellen Monarchie des Wilhelminischen Zeitalters übten die durch Handel zu Geld und Macht gelangte soziale Schicht Einfluss auf Politik und Staat aus. Dieser Einfluss zeigt sich heute zum Beispiel in der Steuerpolitik der unter Kanzlerin Angela Merke] geführten Regierungen. Diese setzt eine Umverteilung zugunsten der bürgerlichen Eliten fort, die bereits in vorangegangenen Jahren eingeleitet wurde.

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Auch mit der Steuerpolitik haben die Regierungen Kohl über Sehröder bis zu Merke! kräftig an der Umverteilungsschraube von unten nach oben gedreht. Ende der 70er Jahre trugen die Lohnsteuer, Verbrauchsteuern sowie Gewinn- und Vermögenssteuern noch zu jeweils knapp einem Drittel zum gesamten Steueraufkommen bei. Damit ist es jedoch lange vorbei. Die Beschäftigten tragen mit ihrer Lohnsteuer zwar immer noch rund 30 Prozent. Unternehmer und Reiche zahlen aber deutlich weniger. Durch die wiederholte Senkung der Unternehmensteuer, des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer und nicht zuletzt durch die Abschaffung der Vermögensteuer. Trotz der Gewinnexplosion der letzten Jahre zahlen sie nur noch 21 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Staates. Dafür liegen die Verbrauchsteuern-nicht zuletzt wegen der Anhebung der Mehrwertsteuer- mit 38 Prozent des gesamten Steueraufkommens auf Rekordniveau. (ver.di 2008: 6f)

DAS STREBEN NACH FREIHEIT Zur Konstruktion eines autonomen Daseins

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt in Deutschland die Kunst, im Sinne des Deutschen Idealismus, vielen noch als »Heilsinstanz« und »Mutter aller Revolutionen« (Ullrich 2005: 126). In Frankreich besannen sich Intellektuelle als Folge gescheiteter Revolutionen und »dauernder politischer Unruhe« zusehends auf das Potential der Kunst, »Insel der Seligen, Rückzugsort und Heimat« (ebd.) zu sein. In Paris formierten sich, später unter dem Begriff Bohemex subsumierte, intellektuelle Zirkel, die in Deutschland erst im Wilhelminischen Zeitalter und in den 1920er Jahren aufkamen. Die bohemische Praxis konstruierte sich explizit in Abgrenzung zur neu entstandenen Herrschaftsschicht des Großbürgertums. Dieses verlor in seinen ruhmreichen Zeiten den Bezug zum »progressiven Anspruch und humanitären Impuls der älteren bürgerlichen Ideenwelt« (Kreuzer 1964: 206) und orientierte sich immer mehr an »utilitaristisch-monetären Wertmaßstäben« (Kreuzer 1968: 45). Die lukrative Teilnahme an den neu entstandenen, Profit orientierten Kunst- und Buchmärkten wurde den Bohemiens genauso zum Gegenmodell, wie sie sich dem Gebot nach zweckrationalem Handeln widersetzten. Sie verweigerten, den Werten und dem »eingefahrenen Muster des bürgerlichen Lebens« (Bourdieu 2001: 96) zu entsprechen und standen meist linken bis radikalen und revolutionären Bewegungen nahe (Kreuzer 1964: 203). Kaffeehäuser und Salons wurden zum Ort des gedanklichen Austauschs, zum »Knotenpunkt und Umschlagplatz von Ideen« (Kreuzer 1968: 51). Es entstand ein neuer künstlerischer Lebensstil, der sich explizit gegen das Leben der »Künstlerfürsten, die mit ihrer Malerei reich wurden wie zuvor Raf-

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Zur Entstehungsgeschichte des Begriffs Boheme vgl. Kreuzer 1964: 170ff.

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fael oder Tizian« (Ruppert 2000: 194f), oder das »geordnete Dasein der offiziellen Maler« (Bourdieu 2001: 93), die nach akademischen Kriterien arbeiteten, wandte. In den abgesonderten Zirkeln wurden eigene künstlerische »Normen der Produktion und Kriterien des Urteils« (Kreuzer 1968: 45) aufgestellt und andere Bewertungskriterien, z.B. der Kunstgeschichte, des Kunstmarktes oder der Welt außerhalb des Künstlerischen, für irrelevant erklärt. Der gedankliche Austausch wurde zur Quelle eines von »außerkünstlerischen Zwecken und Schranken« (ebd.) autonomen Kunstwerks. Für Bourdieu ist die Praxis des »l'art pour l'art« die konsequenteste Folge der zunehmenden Autonomie des künstlerischen Feldes: In dem Maße, wie das intellektuelle Feld an Autonomie gewinnt, beansprucht der Künstler immer entschiedener Autonomie auch für sich und proklamiert dem Publikum gegenüber seine Gleichgültigkeit. Zweifellos beginnt mit dem 19. Jahrhundert und der Romantik die Emanzipation der künstlerischen Intention. In den Theorien des l'art pour l'art wird sie ihre erste systematische Bestätigung finden. (Bourdieu 1970: 80)

Die Konstruktion autonomer Kunst ist in diesem Fall ein gedanklicher Austausch, der sich selbst zur Kunst erklärt. Dies hat zur Folge, dass zum einen andere Definitionsmächte außer Kraft gesetzt werden und zum anderen Kunst und ihre Produktion zu einem Lebensstil verschmelzen. Peter Bürger beschreibt in seiner Theorie der Avantgarde (1974), dass Avantgardekunst keinen Verwendungszweck habe, weil »Kunst und Lebenspraxis eine Einheit bilden, die Praxis ästhetisch ist und die Kunst praktisch« (ebd.: 69). In der Kunstproduktion verschwinde das Individuum als Subjekt des künstlerischen Schaffens, genauso wie die Kunst ihren »WerkCharakter« verliere. Das Kunstwerk werde zur »Manifestation« (ebd.: 71), die die Rezipienten und Rezipientinnen auffordert, selbst aktiv zu werden. »Allerdings darf diese Produktion dann nicht als Kunstproduktion verstanden werden, sondern ist als Teil einer befreienden Lebenspraxis aufzufassen.« (Ebd.: 72) Die Kunst als intellektueller Gedankenfluss diente also den Bohemiens als ein Instrument, um selbstbestimmt, frei jeglicher sozialer Zwänge und nach ihren Wertvorstellungen leben zu können. Es gelang ihnen zum Gegenmodell des bürgerlichen Lebens zu werden, weil sich ihr Leben um einen geistigen Diskurs drehte, der sich als das Andere der Gesellschaft konstruierte. Diese Intellektuellen erhoben allerdings nicht mehr den Anspruch, ihre Lebenseinstellung sollte als Gesellschaftsideal fungieren, weshalb sie sich weder politisch engagierten, noch ihr Recht auf Herrschaft proklamietien. Das Lebensideal war jedoch mit der kapitalistischen sozialen Realität nicht vereinbar, weshalb nur ein exklusiver, finanziell abgesicherter Kreis ein Leben außerhalb der bürgerlichen Norm für sich beanspruchen konnte. Wie ich nun zeigen werde, verweist der »praktische Sinn« der heutigen künstlerischen Praxis der »Position« »Die Institutionelle Freiheit« auf die Tradition der Boheme. Beide Male streben die sich als Intellektuelle verstehenden Akteure nach

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einer allumfassenden Autonomie der Kunst, indem sie sich erstens gegen die Dominanz des ökonomischen Feldes- damals großbürgerlich geprägt, heute bestehend aus einer global agierenden Wirtschaftselite - und der herrschenden Instanz der Kunstdefinition - damals die Akademien, heute die kunsthistorische Praxis in staatlichen Museen - wenden. Eine zweite Parallele besteht darin, dass die Akteure ihren gedanklichen Austausch mit Gleichgesinnten zur Kunst erklären und sich darüber eine eigene, den gesellschaftlichen Zwängen entgegengesetzte Welt erschaffen. Anfang der 1990er Jahre keimten ausgehend von Universitäten in den Vereinigten Staaten und Großbritannien Sichtweisen auf, die das bisherige Verständnis des Fachs Kunstgeschichte unterwanderten. Das Gebot, Kunstwerke nur aus zeitlicher Distanz zu beurteilen, wird dabei genauso in Frage gestellt, wie die Beschränkung des Kulturguts auf europäische Überlieferungen. Professoren/Professorinnen, Lektori-innen und Nachwuchswissenschaftlerl-innen wählen zeitgenössische Kunstwerke als Forschungs- bzw. Lehrgegenstand, erklären die Kunstkritik zur wissenschaftlichen Tätigkeit und verweigern an die bestehenden Kanons anzuknüpfen. Die kunstwissenschaftliche Methodik beurteilt ein Werk oder eine Werkfolge nach ihrer Kompatibilität mit der Logik des Ordnungssystems der Kunstgeschichte. Die neue Sichtweise unterzieht einzelne oder mehrere zeitgenössische Künstlerl-innen und ihre Arbeiten einer kritischen Prüfung und diskutiert ihre Bedeutung im Rahmen aktueller Kunst oder präziser gesagt, ihren Beitrag zum Diskurs. Denn wie bereits ausgeführt, besteht die Kunst aus dem Diskurs und nur wer als Teilnehmer/-in anerkannt ist, kann seine Beiträge als Kunst geltend machen. Das bedeutet, die neue kunstwissenschaftliche Praxis besitzt ihre eigene Definitionsmacht Sie bestimmt, wer als Teil des Diskurses anerkannt wird. Dadurch emanzipiert sie sich von den Bewertungsmaßstäben der traditionellen Kunstgeschichte und erklärt sich im Hier und Jetzt des zeitgenössischen Kunstgeschehens zur Kunst. Dies gelingt ihr unter anderem, weil sie die wissenschaftliche Betrachtung und Beurteilung von Kunst nicht mehr als historisch und einer bestimmten Logik folgend, sondern als Ausdruck eines freien Geistes begreift. Die Vorstellung der Quellenforscherl-innen weicht dem Ideal der Intellektuellen, die ihr Wissen mit unterschiedlichen Theorien und Ideen anreichern. Die Grenzen der Disziplin werden gesprengt, denn nur der interdisziplinäre Fluss von Gedanken entspricht dem »Glauben« an den intellektuellen Diskurs. Wie ich am Beispiel einer Aussage des Kulturwissenschaftlers Peter Freising zeigte, distanziert sich die Praxis der »Position« »Die Institutionelle Freiheit« auch von der Institution Kunsthochschule. Im Vergleich zur Kunstausbildung in den Vereinigten Staaten reiche das intellektuelle Niveau der Kunsthochschulen in Deutschland nicht an das von Universitäten heran. An den deutschen Akademien herrsche ein Kunst- und Künstlerl-innen-Bild vor, das der vorgestellte Praxis des Kunstmarktes und ihrem »Glauben« an die geniale Persönlichkeit entspreche. Ge-

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gen diese geht die diskursive Praxis in Opposition. Ist die Kunstgeschichte auf die Bewahrung von Werken ausgerichtet, bietet der Kunstmarkt diese als Waren an. In beiden Fällen sind Werke Erzeugnisse, Produkte, Gegenstände, denen ein künstlerischer Gehalt zugesprochen wird. Es handelt sich meist um Gemälde oder Werke der Bildhauerei. Diese können in letzter Instanz von ihren Produzenten und Produzentinnen unabhängig existieren. Einmal von der Kunstgeschichte oder dem Kunstmarkt geweiht, tragen sie ihre gesamte symbolische Bedeutsamkeit in sich selbst. Die Zuerkennung ihres Status in der Kunstgeschichte oder auf dem Kunstmarkt liegt in der alleinigen Kompetenz der Anerkennungsinstanzen. Gegen diese beiden Instanzen der Kunstweihe führen die Akteure den Begtiff des Diskurses ins Feld. Dieser beschreibt etwas, das nicht als Werk manifestiert ist und dergestalt weder von seinem Produzenten, seiner Produzentin gelöst, noch einer einzelnen Person zugeschrieben werden kann. Das, was autonome Kunst ausmacht, bleibt dem Geist aller Beteiligten verhaftet, ist nicht von seinem Ursprung im Denken der Intellektuellen zu trennen. Die Kunst kann sich nur zur Kunst erklären, wenn sie selbst sprechen kann, d.h. wenn die Gedanken einer Person zur Kunst werden und nicht das, was sie an Materiellem, Äußerlichem produziert. Die diskursive Praxis ist also autonom: Sie bedarf keiner Legitimation außerhalb ihrer selbst, sie ist verkörperte Objektivität. Wie oben ausgeführt, ist der Gedankenfluss die permanente Neudefinition autonomer Kunst, d.h. die Gedanken sind stets auf der Suche nach dem Anderen der Gesellschaft, nach dem, was nicht aus der Gesellschaft entspringt, was frei ist von ihren Vorgaben. Der Diskurs ist dergestalt eine befreiende Lebenspraxis (vgl. Bürger 1974), ermöglicht ein autonomes Dasein.

Das Ideal des freien Geistes Im Vergleich zu »arts and humanities im angelsächsischen Sprachraum« wiesen die Geisteswissenschajien an den deutschen Universitäten seit Ende des 18. Jahrhunderts ein »hohes Maß an sozialer und kognitiver Schließung« auf (Münch 2009: 96). Wie ich am Beispiel der geisteswissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte aufzeigte, hatte der Staat die rechtliche und finanzielle Grundlage eines autonomen, zweckfremden, »sakralen« universitären Kerns gesichert und dem »sich über die Universitätsbildung selbst reproduzierenden und staatlich alimentierten Bildungsbürgertum« (ebd.: 95) die Aufgabe zugewiesen, das >bürgerliche< Kulturgut zu pflegen. Für die Kunstgeschichte hieß das, sie entzog Kunstwerken ihre einstige gesellschaftliche Funktion und war fortan damit beschäftigt, diese in ein eigenes Ordnungssystem einzusortieren. Die Bildungsexpansion brachte den Geisteswissenschaften im Zeitraum von 1974 bis 2005 beinahe eine Versechsfachung ihrer Studierendenzahlen, die sich immer mehr auf die Magisterstudiengänge verlagerte (vgl. ebd.: 167). Die daraus resultierende hohe »Einstiegsarbeitslosigkeit der Ab-

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solventen« erhöhte den Druck, auch in diesen Disziplinen »praktisch verwertbare Fertigkeiten zu vermitteln« (ebd.: 168). Die Geisteswissenschaften wurden in Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte in Kunstwissenschaft umbenannt. Die neue kunstwissenschaftliche Ausbildung e1möglicht den Absolventen und Absolventinnen als freie Autoren und Autorinnen von Kunstkritiken, Katalogtexten oder theoretischen Abhandlungen zu arbeiten und erweitert ihren Forschungsgegenstand auf das große Feld des aktuellen Kunstgeschehens. Die Umwandlung des Selbstverständnisses der geisteswissenschaftlichen Disziplinen und die damit einhergehende Lockerung disziplinärer Grenzen bildeten unter anderem das Fundament, auf dem sich die »Position« »Die institutionelle Freiheit« herausbilden konnte. Diese entstand allerdings auch zu einer Zeit, in welcher der Kunstmarkt boomte (vgl. Nowikovsky 2011: 93f) und im Feld der Macht von einer »neoliberalen Revolution« (Münch 2009: 105) gesprochen werden kann. Wie Walter Grasskamp konstatiert, wird die Kunst seit damals immer weniger »als Garant der öffentlichen Wohlfahrt« und des demokratischen Zusammenlebens gesehen, vielmehr setzt der Staat zusehends auf »eine ökonomische Legitimität über den materiellen Wohlstand« (1998: 55). Der Rückzug aus der staatlichen Förderverantwortung bzw. die Umwandlung von der strukturellen zur Projektförderung gilt auch den Universitäten, die - wie soeben anhand der Geisteswissenschaften erläutert noch in den 1970er Jahren von einer »massiven Bildungsexpansion« (Münch 2009: 167) profitiert hatten. Um Forschung und Lehre aufrechterhalten zu können, müssen Drittmittel akquiriert werden. Im Wettbewerb um Fördergelder lässt sich eine klare Tendenz zu anwendungsorientierter Forschung feststellen (vgl. u.a. Hubig 2010). Wie die Geisteswissenschaften legen auch andere Fächer einen Schwerpunkt ihrer Studiengänge auf nicht-wissenschaftliche Berufsausbildungen ( vgl. Lohmann/ Rilling 2002: 247ft). Die Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaji9 zeigt exemplarisch, wie sich staatliches Fördervolumen auf einige wenige, im Wettbewerb erfolgreiche Universitäten konzentriert und dabei auch die Anzahl der Studierenden, denen der Weg in die Wissenschaft eröffnet wird, sozial segregiert und begrenzt bleibt (vgl. Hartmann 2010: 34f). Diese Prozesse laufen dem Selbst- bzw. dem Subjektverständnis der Akteure der »Position« »Die institutionelle Freiheit« und ihren Vorstellungen eines geeigneten Arbeitsumfeldes zuwider. Weiter oben erläutere ich, dass die Ausbildung an Kunsthochschulen deshalb kritisiert wird, weil dort der >Geniekult< und die kunsthistorischen Kriterien vorherrschten. Das eigene geistige Wirken werde dadurch begrenzt und der Intellekt unterfordert. Museen, Universitäten und Kunsthochschulen gelten den Akteuren prinzipiell als potentielle Arbeitsstellen, jedoch seien diese vor allem in Deutschland von starren Strukturen geprägt, die einengend wirken. Die

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Vgl. http://www.exzellenz-initiative.de vom 03.11.2011.

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Entwicklung der letzten 20 Jahre lockere zwar die Strukturen, ende allerdings in einer Ökonomisierung der Wissenschaft, wodurch das Denken nicht mehr frei, sondern aufvermarktbare Produkte ausgerichtet sei. Die erläuterte Kritik an der Institution Kunsthochschule erweitert sich auf eine allgemeine Institutionenkritik, weil theoretische Intellektuelle nach Rahmenbedingungen suchen, die eine geistige Freiheit erlauben. Um zu verstehen, welche Arbeitsbedingungen diesem Anspruch gerecht werden, lasse ich noch einmal die Kunstwissenschaftlerirr Patricia Falkenstein zu Wort kommen. Sie erklärte mir, sie sei nach ihrer Anstellung an einer Universität froh gewesen, eine Professur an einer Kunsthochschule angetreten zu sein, weil ihr diese mehr Flexibilität ermögliche: An der Kunsthochschule ist es anders, weil wir etwas weniger hierarchisch strukturiert sind als an einer Universität. Das heißt zwar, dass wir kein Sekretariat haben, dass nicht alle Professuren mit einer Assistentirr bestückt sind. Das erlaubt mir aber auch eine viel größere Flexibilität in ganz vielen Sachen. (Patricia Falkenstein, E2: 15)

Im Gegensatz zum deutschen Universitätssystem gilt in den Vereinigten Staaten die »Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre als Recht der einzelnen Professoren, aber nicht als Recht ihrer korporativen Selbstverwaltung bis in die Spitze der Universitätsleitung« (Münch 2009: 100). Professoren und Professorinnen werden nicht berufen, um einen bereits festgelegten Fachbereich mit einer bestimmten Anzahl an Mitarbeiterl-innen zu leiten. Vielmehr spezialisiert sich eine Vielzahl selbstständiger, selbstbestimmter und gleichwertiger Professoren und Professorinnen, die flexibel in Forschungsteams und interdisziplinären Zentren kooperieren, wodurch in Forschung und Lehre die Grenzen zwischen den Disziplinen verschwimmen und sich immer neue Disziplinen und neue Forschungsfelder entfalten können (vgl. ebd. IOOt). Die flache Hierarchie US-amerikanischer Universitäten und die Freiheit ihrer Professoren und Professorinnen gelten den Akteuren dieser »Position« prinzipiell als ideale Bedingungen, um den freien Geist zu entfalten und den intellektuellen Diskurs am Leben zu halten. Weil deutsche Universitäten und Hochschulen solche Arbeitsbedingungen nicht oder nur wenigen bieten, wird die institutionelle Freiheit zum Ideal des Berufslebens. Die Akteure bezeichnen sich meist als »Freiberufler/-innen« und bewegen sich zwischen verschiedenen Kultur produzierenden Tätigkeitsbereichen, wie dem Schreiben (kunst-)wissenschaftlicher, kunstkritischer oder journalistischer Texte, dem Kuratieren, dem Forschen, dem Lehren oder eben der Produktion künstlerischer Arbeiten. Sie finanzieren sich durch Stipendien, Honorare und befristete Arbeitsverhältnisse und müssen immer wieder Zeiten ohne Einkommen überbrücken. Nur die berufliche Selbstständigkeit scheint den eigenen Freiheitsansprüchen gerecht werden zu können. Eine institutionelle Stelle gilt, wie gezeigt, nur dann als er-

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strebenswert, wenn sie ein hohes Maß an Eigenverantwortung vorsieht bzw. sogar voraussetzt, wie zum Beispiel eine Professur. Nun stellt sich die Frage, welcher Subjektbegriff den beschriebenen Freiheitsansprüchen zugrunde liegt. Um diesen zu erläutern, gehe ich kurz auf folgendes Zitat von Theodor W. Adomo ein: Der Begriff der freien Meinungsäußerung, ja der geistigen Freiheit selber in der bürgerlichen Gesellschaft, auf dem die Kulturkritik beruht, hat seine eigene Dialektik. Denn während der Geist der theologisch-feudalen Bevormundung sich entwand, ist er kraftder fortschreitenden Vergesellschaftung aller Beziehungen zwischen den Menschen mehr stets einer anonymen Kontrolle durch die bestehenden Verhältnisse verfallen, die ihm nicht nur äußerlich widerfuhr, sondern in seine immanente Beschaffenheit einwanderte. Im autonomen Geist setzen jene so unerbittlich sich durch, wie vordem im gebundenen die heteronomen Ordnungen. Nicht nur richtet der Geist auf seine marktmäßige Verkäuflichkeit sich ein und reproduziert damit die gesellschaftlich vorwaltenden Kategorien. Sondern er ähnelt objektiv dem Bestehenden sich an, auch wo er subjektiv nicht zur Ware sich macht. (Adorno 1975: 48)

Theodor W. Adomos Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft richtet sich an dieser Stelle gegen ihre Konstruktion des Menschen als freien Geist. Bedingt durch das kapitalistische Wirtschaftssystem, das menschliche Beziehungen auf Tauschakte reduziere, sei die Illusion eines auf seine eigenen Ziele ausgerichteten Selbst entstanden. In psychoanalytischer Tradition stehend, sah Adomo eine vorbewusste innere Natur des Menschen von den Strukturen einer rationalisierten Welt durchdrungen und dergestalt entfremdet. Dem autonomen Subjekt als abstraktem, universalistischem Gebot der herrschenden Gesellschaftsordnung stellte er ein körperliches Vermögen zur Selbstbestimmung gegenüber. Diese inneren Impulse nach Freiheit können niemals als solche erlebt werden, sondern entäußern sich erst in der Konfrontation mit der sich wandelnden Welt. Nach Adomo ist das Subjekt sozial konstituiert, dessen tatsächliche Freiheit ist allerdings zu denken und zu verwirklichen, weil dem Menschen ein innerer Drang nach ihr innewohnt. Es bleibt ein Rest des Selbst, der mit den bestehenden Verhältnissen in Konflikt geraten und als Teil der sozialen Praxis zur Veränderung derselben beitragen kann. Das Zitat und die Skizze von Theodor W. Adornos Begriffen der Freiheit des Subjekts helfen einen Diskurs zu verstehen, der seit Beginn der 1990er Jahre innerhalb der »Position« »Die institutionelle Freiheit« geführt wird. Der Diskurs bezieht sich auf soziologische und kulturwissenschaftliche Gesellschaftsanalysen, die die Kunst und das künstlerische Subjekt in das Zentrum stellen. In ihnen wird davon ausgegangen, dass durch eine in den 1980er Jahren einsetzende Transformation des kapitalistischen Systems die Industrie- von einer Dienstleistungsgesellschaft abgelöst werde. Statt eines rationalen, zweckgerichteten verlangten die Verhältnisse nun nach einem flexiblen, sich selbst verwirklichenden Subjekt. Den prominentesten

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Referenzpunkt bildet dabei die Studie Der neue Geist des Kapitalismus (2003a) von Luc Boltauski und Eve Chiapello. Wie bereits im Titel ersichtlich, beziehen sich die Autoren und Autorinnen auf Max Weber, wenn sie davon ausgehen, dass Varianten des Kapitalismus durch kulturelle Veränderungen ermöglicht werden und jede Wirtschaftsform ein korrespondierendes Ethos hat. Der »Geist des Kapitalismus« meine die Vorstellung, den eigenen Handlungen einen Sinn jenseits der Profitsteigerung geben zu können (Boltanski/Chiapello 2003b: 58). Heute herrsche ein »dritter Geist des Kapitalismus« vor, der die Sozial- und Künstlerkritik der 1960er Jahre zur Voraussetzung hat. Die als Angriff auf herrschende fordistische Arbeitsverhältnisse formulierten Forderungen nach »Partizipation statt f01maler Autorität, Eigenverantwortung statt hierarchischer Kontrolle und Autonomie statt Fabriksdisziplin« (Bröckling 2003: 34) haben Werte demokratisiert, »auf denen die Distinktion der Lebensform des Künstlers« (Boltanski/Chiapello 2003a: 450) beruhe. In Folge habe sich der Kapitalismus diese Begriffe zu eigen gemacht, wodurch das in der künstlerisch-studentischen 68er-Bewegung geforderte freie, kreative und authentische Individuum zur neuen Leitfigur im nunmehr Post-Fordismus avanciert sei: Vielmehr ist davon auszugehen, dass die künstlerischen Schaffensprozesse angesichts der jüngsten Wandlungen des Kapitalismus zunehmend als fortschrittlichster Ausdruck innovativer Produktionsprozesse und Arbeitsbeziehungen beansprucht werden. [ . .. ] Jetzt gilt der schöpferische Mensch als modellhafte Figur des neuen Arbeitnehmers. (Menger 2006: 10) Eigenverantwortung, Initiative, Flexibilität, Beweglichkeit werden so zu Forderungen, die zwar das alte Disziplinarmodell der Gesellschaft verdrängt haben, ohne dabei j edoch die Einzelnen von der Selbstdisziplin zu befreien. An die Stelle der Normierung des Subjekts nach gesellschaftlich vorgeschriebenen Rollen ist die Erwartung der kreativen Selbstverwirklichung getreten. (Rebentisch 2010: 172)

Was Adomo bezüglich des Freiheitsbegriffs der bürgerlichen Gesellschaft einräumt, wird nun dem Ethos der neuen Verhältnisse zugeschrieben. Der über das Gebot nach Authentizität vermittelte Zwang betreffe das Innerste des Subjekts ungleich stärker als es die Aufforderung nach zweckrationalem Handeln vermochte. Den Menschen bleibe »nur die Alternative zwischen vorgespielter Authentizität oder Flucht in die depressive Erkrankung« (Honneth 2010: 78), was nicht zuletzt in einem diagnostizierten Anstieg derselben erkennbar werde (vgl. Ehrenberg 2010). Es geht also darum, die normativen, gesellschaftlichen Erwartungen von den ästhetischen, subjektimmanenten Impulsen zu unterscheiden, um so aus dem >Zwang nach< wieder ein >Aus mir< zu machen. Der Subjektbegriff der hier vorgestellten sozialen Praxis, das i deal des freien Geistes, geht also von einem substantialistischen Kern im Individuum aus, den es gegenüber Formen der Vergesellschaftung zu bewahren gilt. Nur in institutioneller Freiheit kann sich das Subjekt frei entfal-

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ten, können Gedanken entstehen, die wahrhaft autonom, weil sie einem inneren Impuls gefolgt sind.

DIE KUNSTVEREINE UND IHRE AUFKLÄRENDE MISSION Zur Konstruktion einer kritischen Öffentlichkeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Politik der jungen Bundesrepublik nicht nur auf den Ankauf von Werken der historischen Avantgarde, sondern auch auf die Förderung zeitgenössischer politischer Kunst. Avantgardistische und gesellschaftskritische Kunst wurde staatlich subventioniert, weil ihr zugesprochen wurde, sie könne demokratische Werte vermitteln. Walter Grasskamp nennt Werte wie »Individualismus, subjektive Freiheit, souveränen Handlungsspielraum und unzensierte Deutungsvielfalt« (1994: 135) und schreibt über diese Phase staatlicher Kunstförderung: Hierzulande war es in den 50er und 60er Jahren noch einmal möglich, glaubwürdig und emphatisch von Avantgardismus und artistischem Fortschritt zu sprechen,[ ... ] weil sich für kurze Zeit der genuin elitäre Anspruch der modernen Kunst mit dem einer demokratischen Staatsverfassung in einem gemeinsamen Bündnis traf. (Ebd.: 138)

Er konstatiert weiter, dass diese Förderpolitik auf einem »Nachkriegsmißverständnis« gründete durch das »der modernen Kunst die ästhetische Stellvertretung demokratischer Werte zugesprochen« wurde (ebd.: 135, Herv.i.O.). Unbeachtet bliebe dabei, dass »selten in der Gründungsgeneration der modernen Klmst die Befürworter der Moderne auch Befürworter der bürgerlichen Demokratie gewesen waren« (ebd). Entweder sollte dem avantgardistischen Kampf die Konstituierung sozialistischer oder kommunistischer Gesellschaften folgen oder die Akteure wollten das »ideal von Freiheit, Fortschrittlichkeit und Liberalität« (Kube Yentura 2001: 37) nur für ihre eigene bürgerliche Schicht durchsetzen. Kunstvereine, ursprünglich Begründer des deutschen Kunstmarktes, erhielten langfristige Förderungen aus Steuergeldern und den Auftrag, über die Vermittlung avantgardistischer und zeitgenössischer Kunst, ein demokratisches Bewusstsein einzuüben. Neben einer kulturpolitischen wurde den Kunstvereinen nun verstärkt eine politische Aufgabe zugeteilt, die darin bestand, eine kritische Öffentlichkeit herzustellen (vgl. Grasskamp 1994: 129). Der finanzielle Spielraum ermöglichte den Kunstvereinen, die durch Protest- und Emanzipationsbewegungen der 1960er Jahre bewirkte Politisierung der Kunst zu unterstützen. Kunst stellte nun wieder gesellschaftskritische und -gestalterische Ansprüche. Einerseits entstanden realistische

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Malereien und Grafiken, die »sich mit innergesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, mit Folter und politischer Verfolgung in Militärdiktaturen, mit dem Vietnamkrieg, der Stellung der Frau usw.« befassten und sich »an gesellschaftskritischer Kunst der l910er bis 30er Jahre« orientierten (Damus 2000: 323). Andererseits griffen viele künstlerische Arbeiten »surreal und dadaistisch anmutende Verfremdungen« auf, entwickelten »neue Bildformen und -sprachen« oder konfrontierten Besucherl-innen erstmals mit oben beschriebenen Erjahrungsräumen, um zum Beispiel zu »politischer Gewalt, zu Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in einem Freiheit verweigernden Staat« Stellung zu nehmen (ebd.). Neben der Unterstützung dieser oftmals als »Neoavantgarde« (Magerski 2011: 46) bezeichneten Kunst der 1960er und 70er Jahre sollten K unstvereine der Bevölkerung die Ideen und künstlerischen Arbeiten der historischen Avantgarde näh erbringen. Für zahlreiche Richtungen der modernen Kunst waren nun die westdeutschen Kunstvereine die ersten regionalen Dolmetscherinstitute, in denen mit Vorträgen, Führungen, Exkursionen und Ausstellungen an der Kunst jene Tugend eingeübt wurde, an der es zuvor nicht nur der Kunst gegenüber gemangelt hatte: Toleranz. Für dieses Umerziehungsprogramm waren die Kunstvereine die geeigneten Institute, denn die Museen waren noch jahrelang damit beschäftigt, die Lücken wieder aufzufüllen, die ihnen die Beschlagnahmungsaktion der Nationalsozialisten hinterlassen hatte, außerdem waren sie mit dem Wiederaufbau ihrer Gebäude befaßt. (Grasskamp 1994: 121)

In folgender Interviewpassage des Leiters eines Berliner Kunstvereins wird deutlich, dass sich Akteure staatlich subventionierter Kunstvereine bis heute der ihnen damals zugewiesenen Aufgabe verpflichtet flihlen. Der Kunstverein: das sind ja die Mitglieder! Das liegt an diesem speziellen deutschen Konstrukt Kunstverein, wo im politischen Sinne ein Territorium übrig geblieben ist, das noch kritischeres Bewusstsein ermöglicht. Das ist eigentlich der wichtigste Aspekt beim Kunstverein, dass man diese Hoffnun g, oder diese Optionen sieht. Ich sehe sehr klar, dass ich hier im öffentlichen Auftrag bin und auf der Basis eines eigeninitiativ gegründeten Gebildes bestimmte Handlungsoptionen formulieren kann und so auch unbelasteter, und unschuldiger, und nicht so verwickelt, und nicht so korrupt, wie andere kulturelle Einrichtungen, ein Angebot formulieren kann. (Valentin Bartok, EI 0: 17) Für mich ist eine Institution ein öffentlicher Raum. Also auch wenn sie quasi indoor operiert und eine gewisse Raumorganisierung hat, die vielleicht eine Hemmschwelle sein könnte. Aber sobald eine Institution erstens mit öffentlichen Mitteln und zweitens mit öffentlichen Interesse agiert, ist das eigentlich ein zwar architektonisch im Innenbereich liegender, aber es ist ein öffentlicher Raum. Wir nehmen auch keine Eintrittsgelder. (Valentin Bartok, EI 0: 15)

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Wie bereits im Kapitel »Der öffentliche Raum« ausgeführt, wird in der hier beschriebenen künstlerischen Praxis kein Kunstwerk erzeugt. Ausstellungen in Kunstvereinen stellen keine Exponate aus, die Betrachterl-innen entlang eines kunsthistorischen Schemas zuordnen sollen. Die ausgestellten künstlerischen Arbeiten intendieren, gemäß dem Kunstverständnis ihrer Produzenten und Produzentinnen, einen Diskurs in Gang zu setzen oder einen Beitrag zu einem bereits bestehenden Diskurs zu leisten. Gilt das Museum als öffentlich zugängliche staatliche Institution, soll der Kunstverein ein öffentlicher Raum sein, d.h. es sollen institutionelle Strukturen und - wie in der Interviewpassage beschrieben - sogar architektonische Hemmschwellen abgebaut werden. Der Zugang soll nicht nur räumlich offen sein, sondern auch in Hinblick auf eine tatsächliche Teilnahme am Diskurs. Um zu erläutern, was es mit der Idee eines öffentlichen Raums auf sich hat, erinnere ich an dieser Stelle an meine Ausführungen zur Künstlerin Kendra Aurich und zu ihrem Umgang mit dem Publikum: Die Künstlerin gab sich bei ihren zahlreichen Besuchen des öffentlichen Platzes nicht als Initiatorin der Installation zu erkennen. Sie berichtigte die Passanten und Passantinnen nicht, auch wenn sie manchmal erschrocken über deren Interpretationen ihrer künstlerischen Arbeit war. Begleitet wurde das Projekt von einem Rahmenprogramm aus vier Abendveranstaltungen in Form von Podiumsdiskussionen mit von ihr eingeladenen Wissenschaftlerf-innen und Experten/Expertinnen. Das Publikum bestand aus Studierenden und Personen, die die Diskutanten und Diskutantinnen mitgebracht hatten. Behandelt wurde das von der Installation als Impuls gegebene Thema Migration. Als positiven Abschluss des Projektes resümiert K.endra Aurich, dass sie selbst viel dabei gelernt habe. Obwohl die Installation im öffentlichen Raum stand und sich Passanten und Passantinnen untereinander und mit der Künstlerl-innen rege darüber austauschten, betrachtet Kendra Aurich deren Gedanken nicht als Teil des gesellschaftskritischen Diskurses. Sie findet ausschließlich die Beiträge während der Abendveranstaltungen für sich und das Diskussionsthema bereichernd. Die rege Kommunikation mit der ansässigen Bevölkerung verharrt in deren isolierter Lebenspraxis. Ihr Beitrag wird Kendra Aurichs Anspruch nicht gerecht, den sie an einen objektive Einsichten generierenden Diskurs stellt. Die von Kendra Aurich praktizierte Unterscheidung zweierPublikumskreise basiert auf der, dieser Praxis zugrunde liegenden, Vorstellung einer in vier Gruppen geteilten Gesellschaftsstruktur: Die erste Gruppe besteht aus Menschen, die mit einem bestimmten Bewusstsein ausgestattet sind. Neben kritischen Künstlerl-innen gehört dazu eine schrumpfende Anzahl an vom Staat zur Mündigkeit erzogenen Bürgerl-innen, die sich als aktive Kunstrezipienten und-rezipientinnen am Diskurs beteiligen. Die zweite Gruppe umfasst den Rest privilegierter Bürgerl-innen, deren ökonomische und soziale Fesseln sie »verblenden« und die ausschließlich nach ihrem privaten Glück streben. Sie sind beherrschte Herrschende, nicht mehr in der Lage sind zu reflektieren und sich für andere einzusetzen. Die letzten beiden Grup-

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pen entsprechen den hierarchischen Polen der Gesellschaft: den Herrschenden und den Beherrschten. Den einen gilt die Kritik, den anderen der Einsatz. Die avantgardistische Praxis der Wilhelminischen Zeit basierte auf einem ähnlichen Teilungsprinzip: Ein gebildetes, aufgeklärtes Bürgertum konstituierte sich in Abgrenzung zum durch Profitstreben »verblendeten« Großbürgertum, der herrschenden höfischen Gesellschaft und dem beherrschten Proletariat. Der ansässigen Bevölkerung gilt also der Einsatz. Ihre Lebenssituation gibt den gesellschaftskritischen Künstlerl-innen Anlass, über Missstände und soziale Ungleichheit zu diskutieren. Deren Situation zu verbessern, obliege allerdings dem Staat, genauso wie er sie zu mündigen Bürgerl-innen erziehen müsse. Bis dahin verharren >die Beherrschten< in Unmündigkeit und werden nicht als Diskursteilnehmerl-innen akzeptiert. Die in Kunstvereinen und im städtischen Raum erzeugte kritische Öffentlichkeit ist also ein diskursiver Austausch gebildeter Bürger/-innen. Die prinzipielle Offenheit beschränkt sich insofern auf Personen, die in ihrer primären Sozialisation und im Durchlaufen höherer Schulbildung die Fähigkeit erworben haben, kritisch, reflektierend und beurteilend zu denken.

Das Ideal des kritischen Intellektuellen Die Kunstakteure der »Position »Der öffentliche Raum« verstehen sich als politische Intellektuelle. Welchen Einfluss die staatliche Zuerkennung eines autonomen Status auf eine künstlerische Praxis nimmt, die in der Tradition der politischen Avantgarde verortet werden kann, werde ich nun erläutern. Der Begriff intellektuell tauchte erstmals im Zusammenhang mit der DreyfusAffäre auf. Diese war die erste auf breiter Front öffentlich wahrgenommene politische Intervention aus dem literarischen Feld. Emile Zolas offener Brief mit dem Titel »J'accuse« kurbelte den Protest gegen die Verurteilung von Alfred Dreyfus an und führte schließlich zu dessen Rehabilitation. Die französische Gesellschaft spaltete sich in »Dreyfusards« und »Antidreyfusards«. Auf beiden Seiten wurde der Begriff intellektuell aufgegriffen. Für die Dreyfus-Anhängerl-innen wurde er zur Selbstbeschreibung. Die anderen verwendeten ihn in polemischer Absicht, als Fremdbeschreibung (vgl. Vobruba 2009: 36). Bourdieu schreibt Emile Zola die Erfindung des Intellektuellen zu: Dazu mußte er eine neuartige Gestalt erfinden, die des Intellektuellen, und zwar indem er für den Künstler einen subversiven prophetischen Auftrag ersann, der, intellektuell und politisch zugleich, geeignet ist, als ästhetisch-ethisch-politische Konzeption erscheinen zu lassen, was seine Gegner als Folge eines vulgären oder abwegigen Geschmacks beschreiben, und Mitstreiter dafür zu gewinnen. Die Entwicklung des literarischen Feldes zur Autonomie vollen-

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dend, versucht er, genau die Werte der Unabhängigkeit, die sich im literarischen Feld behaupten, in der Politik wirksam werden zu lassen. (Bourdieu 2001a: 210)

Georg Vobruba bezeichnet die intellektuelle Praxis in ihren Anfängen als ein »Konglomerat aus modernen und v01modernen Denkmustern« (2009: 29). Einerseits sei sie »radikale Ausprägung der modernen Idee« der »Gestaltbarkeit der Gesellschaft« (ebd.: 34) und andererseits erhebe sie den Anspruch, einen »absoluten Bezugspunkt« (ebd.: 32) in der Formulierung allgemeiner Prinzipien einzunehmen. Nach Bourdieu konnten Intellektuelle ihren absoluten Standpunkt nur einnehmen, weil das kulturelle Produktionsfeld Autonomie erlangt hatte. Sie ermögliche die »unabhängige Existenz einer >Aristokratie der Intelligenz>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLI CHEN GESELLSCHAFT

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tive) Freiheit der Kunst gegenüber der Lebenspraxis ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit kritischer Realitätserkenntnis. (Bürger 1974: 68)

DIE ÖKONOMISIERUNG STAATLICHER KUNSTFÖRDERUNG Zur Konstruktion der Kreativwirtschaft

Um die Wende zum 19. Jahrhundert sahen Vertreter des Deutschen Idealismus in der Kunst nicht nur einen Ort der Entfaltung des eigenen Mensch-Seins, sondern erstmals auch ein Instrument der »Revolution der Lebensverhältnisse« (Ullrich 2004: 39). In Opposition zu den wahrgenommenen gesellschaftlichen Zwängen wurde die Kunst zur Hoffnungsträgerirr der Gesellschaft, zur »Retterin in der Not« (Krieger 2007: 212) und Therapeutin einer als entfremdet geltenden Welt. Schelling, Hege! und Hölderlin, »träumten [ ... ]davon, diese Reinheit [der Kunst, VM] könnte als revolutionäre Kraft wirken und die Gesellschaft so verbessern« (Ullrich 2005: 215). Friedrich Schiller unterschied in seinem Werk Über die ästhetische Erziehung des Menschen von 1795 »den >schönen Künstler< vom >pädagogischen und politischen Künstler< [ .. .], >der den Menschen zugleich zu seinem Material und zu seiner Aufgabe macht>Universelle Emanzipation« (Krieger 2007: 57), die allen Menschen »Selbstbestimmung« (Ullrich 2005: 118) bringe. Bei Richard Wagner, der in seinem 1849 erschienenen Werk Die Kunst und die Revolution schrieb, »daß schließlich >jeder Mensch [ ... ] in irgend einem Bezuge in Wahrheit Künstler sein< werde« (Krieger 2007: 213), entspringt die Befreiung einem angenommenen schöpferischen Potential jedes Menschen. Die Avantgardisten und Avantgardistinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts führten diese Tradition der Kritik an einer >»KälteZersplitterung< oder >Entfremdungjeder Mensch ist ein Künstler>POSITIONEN« IN DER BÜRGERLI CHEN GESELLSCHAFT

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Umorientierung sind, dass vielleicht viele Politiker das noch nicht so richtig sehen. Aber die Entwicklung der >Creative-Industries< heißt ja, dass wir es mit einer Umwälzung unserer gesamten Produktivität zu tun haben. Die wird zunehmend auf künstlerisch kulturelle Prozesse, kreative Prozesse, verlagert. Und es wird immer weniger die eigentliche Produktion im Zentrum stehen. Wenn man einen Staat nicht in Gänze sich selbst überlassen will, wird es Umverteilung geben. Ich glaube, dass man das zum Teil daran schon sehen kann, dass relativ viel Hoffuung in diese >Creative-Industries< gesteckt wird. Das sind schwierige Umwälzungsprozesse, weil sie ganz viel neues Denken und neue Strategien in Menschen herausfordern. Aber es zeigt sich bereits, dass es geht und meines Erachtens ist das der einzige Weg, um Menschen überhaupt noch Lebenshoffnung zu geben. Also ich bin davon überzeugt, dass das kommt. Wenn man Geld in Kunst und Kultur steckt, dann pass iert wirklich etwas: Da werden Arbeitsplätze geschaffen, da wird die Gesellschaft gestaltet und da passieren tatsächlich positive, langfristige Entwicklungen, die nachhaltig sind. (Viola Brenner, E6: 14)

Das Modell »Unternehmertum für alle« wurde »in ersten Konturen durch die Regierung des britischen Premierministers Tony Blair ab 1997 propagiert« (Lange 2007: 74). Der politische Medienberater Charles Leadbeater prägte den Begtiff >>social entrepreneur« und bezeichnete damit >>einen in den sozialen Hilfsdiensten selbständig agierenden Unternehmer« (ebd.: 81 ). Dieser Beschäftigungstyp sollte auch im >>kulturellen und kreativen Dienstleistungsbereich« (ebd.) Anwendung finden und wurde >>mit Persönlichkeitsattributen wie Flexibilität, Erfindungsreichturn, Gestaltungsfreiheit, Autonomie sowie Selbstverwirklichung verbunden« (ebd.: 67). Zur Politik der Labour Partei gehörte Ende der 1990er Jahre, >>ihren Begriff von Kultur zu modifizieren und neue Kulturfelder anschlussfahig fllr ihre Sozial- und Beschäftigungspolitik zu gestalten« (ebd.: 79). Sub-, pop- und alternativkulturelle Produktionsformen rückten in den Fokus politischer Aufmerksamkeit und erfuhren staatliche Förderung. Die Bereiche >>Werbung, Architektur, Kunst- und Antiquitätenmarkt, Kunsthandwerk, Design, Designer-Mode, Film, interaktive Freizeit-Software, Musik, darstellende Künste, Verlagswesen, Software, TV und Radio« (ebd.: 80) wurden unter dem Begriff Creative Irrdustries subsumiert. Dem neuen Kulturverständnis nach stellen diese >Industrien< Produkte her, die nicht nur monetär große Gewinnspannen versprechen, sondern gleichzeitig sinn-, wert- und identitätsstiftend sein können. Kultur verliere dabei ihren elitären Charakter, schließe an die jeweilige Lebenswelt - die Alltagsroutinen und Freizeitvorlieben - an, biete einzelnen Menschen wie regionalen >Communitys< ein neues Selbst- oder Gemeinschaftsbewusstsein, neue Beschäftigungsperspektiven und somit selbstbestimmte Lösungswege für soziale Probleme. Die dargelegten Bundes- und Landesfürdermaßnahmen im Bereich der Kulturund Kreativwirtschaft gelten nicht mehr den autonomen Lebensbedingungen von Künstler/-innen. Die Initiativen haben nicht mehr zum Ziel den Künstlerl-innen ein Leben fern ökonomischer Zwänge zu etmöglichen, vielmehr werden sie dabei un-

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terstützt, in den Wettbewerb eines neu entstehenden Wirtschaftszweiges eintreten zu können. Staatliche Förderung gilt also nicht mehr nur dem autonomen Kulturgut in den staatlichen Museen und der ökonomischen Unabhängigkeit von Künstlerl-innen, sondern auch dem Ansehub eines neuen Wirtschaftszweiges, dem Wachstum und Beschäftigungspotentiale prophezeit werden. Die seitens staatlicher Maßnahmen geförderte Selbsthilfe oder Selbstaktivierung von Menschen wird auch als »empowerment« bezeichnet. Die neue Förderpolitik greift dabei ein Menschen- und Gesellschaftsbild auf, das auch in der Praxis der »Position« »Der soziale Raum« wirksam ist. Beuys beabsichtigte mit seiner »Fähigkeitswirtschaft« jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit wertzuschätzen und an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Das Egalitätspostulat greift in seiner ursprünglichen Intention die Autonomie des künstlerischen Feldes an, macht die Trennung zwischen Handwerk, angewandter und freier Kunst genauso obsolet, wie die Weihe der zentralen Konsekrationsinstanzen Staatliches Museum und Kunstmarkt Wennjede Tätigkeit als künstlerisch, weil gesellschaftsrelevant verstanden wird, gibt es auch keinen gesonderten künstlerischen Wirkungsbereich mehr. Die in der Politik geführte Kreativitätsdebatte und ihre neuen Fördermodelle schließen aus drei zentralen Gründen an diesen, im künstlerischen Feld geführten, Kampf an: Erstens kann insbesondere die Politik der SPD geführten Berliner Regierung Legitimität aus der Idee ziehen, mittels der Anerkennung der Pluralität menschlicher Fähigkeiten soziale Egalität herstellen zu können. Zweitens bietet die Auflockerung der Grenzen zu den Feldern der augewandten Kunst, des Kunsthandwerks und der Medienbranche die Möglichkeit, mehrere kleine potentielle und vielversprechende Märkte zu einem großen neuen Wirtschaftszweig zusammenzuführen. Die Berichte der Wirtschaftsverwaltung des Landes Berlin zur Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre Logik der Datenaufbereitung und -darstellung folgen ökonomischen Gesichtspunkten, die an manchen Stellen der »Logik« des künstlerischen Feldes widersprechen, zumindest aber nicht nach dieser strukturiert sind. Drittens ist das Bild des kreativen Menschen, der selbstverantwortlich Produkte und Dienstleistungen herstellt und vermarktet, mit ökonomischen Denkmodellen kompatibel. Im nächsten Unterkapitel versuche ich zu erklären, weshalb dieses Menschenbild von der Politik aufgegriffen und auf anwendungsorientierte Kunstbereiche übertragen wurde.

Das Ideal des kreativen Menschen Rekonstruiert man das ideal des kreativen Menschen, fallen Parallelen zum Künstlerl-innen-Bild der Praxis des primären Kunstmarktes auf: Der Geniegedanke weicht dabei dem »weniger elitären Begriff Talent« (Lange 2007: 63), Autonomie

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reduziert sich auf Selbstverwirklichung, die Schöpfung wird zur Gestaltung oder anders gesagt, das wahrhaftige Kunstwerk wird zur gesellschaftsrelevanten Kreativität. Reduziert sich der Mensch bei der kunsthistorischen Praxis und den diskursiven Praktiken auf seinen Geist, drückt sich bei den Kreativen und den Genies, das was ihre Persönlichkeit auszeichnet, über den Körper aus. Die Idee der Kreativität verallgemeinert Begabung oder Fähigkeit zu einem menschlichen Merkmal, wohingegen angeborene Genialität nur einem erlauchten Kreis zuerkannt wird. Vergleicht man diese beiden Subjektbegriffe mit dem im wirtschaftlichen Feld vorherrschenden Diskurs der »Leistungsgerechtigkeit« (vgl. Hartmann 2002) werden auch hier Parallelen erkennbar: Die wirtschaftsliberale Idee des freien Marktes, auf dem jeder gemäß seinen Fähigkeiten und eingebrachten Leistungen zu Erfolg gelangen kann, hat ein Menschenbild zur Voraussetzung, das j edem prinzipiell und gleichwertig zuerkennt, etwas auf seine besondere Weise (er) schaffen zu können. Das Leistungsund das Genieargument legitimieren Privilegierung, weil sie entweder auf besserer Leistung oder auf einem angeborenen Exklusivstatus beruhe. An diesem Punkt offenbart sich das Dilemma der Idee des kreativen Menschen. Das Subj ektverständnis steht dem ökonomischen Feld nahe, weshalb Beuys ursprüngliche Intention, Egalität über eine »Fähigkeitswirtschaft« herzustellen, der Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems preisgegeben wird. Mit staatlicher Unterstützung entsteht eine kreative Praxis, die zwar die Grenzen des künstlerischen Feldes überwindet, jedoch zugleich den in Wirtschaft und Politik herrschenden Kräften ausgesetzt wird. Aufgrund der erläuterten Parallelen wandern nicht nur die Förderrichtlinien, sondern auch die Akteure dieserneuen Praxis auf dem schmalen Grat zwischen egalitärem Anspruch und ökonomischen Denkmodellen. Es besteht die Gefahr, dass das Prinzip der Gleichheit angeborener kreativer Fähigkeiten sich genauso zu einer »Legitimations- und lntegrationsideologie« (Vester/Oertzen/ Geiling/Herrnann/Müller 2001: 75) wandelt wie das Leistungs- und Genieargument Das Bild einer im Menschen sitzenden und sich körperlich ausdrückenden gestalterischen Fähigkeit impliziert stets eine Fähigkeit zur Selbstermächtigung. Die Gefahr besteht darin, dass dadurch die soziale Eingebundenheit des Menschen ignoriert wird. Es wird verkannt, dass die soziale Herkunft maßgeblich bestimmt, ob jemand Fähigkeiten ausbilden, diese perfektionieren, professionalisieren oder gewinnbringend einsetzen kann. Zählen bei der Vergabe von Spitzenpositionen der Wirtschaft souveränes Auftreten (vgl. Hartmann 2002: 148) und eingefleischte Kenntnisse im »Bildungswissen« (Max Scheler in Lepsius 1993: 309), die distinktives Verhalten obsolet machen, ist der Erfolg aufkreativen Märkten nicht bloß darauf zurückzuführen, dass jemand eine besondere Fähigkeit besitzt. Kreative Märkte sind geprägt durch alleinarbeitende Selbstständige oder Firmen kleinerer Teams, die die Vermarktung ihrer Produkte oder Dienstleistungen über Networking und Selbstpräsentation ankurbeln. Hilfe zur Selbsthilfe, »Unternehmertum für alle« trägt zu wenig der Tatsache Rechnung, dass der klassenspezifische »Habitus« auch auf

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diesen neuen Märkten ausschlaggebend ist. Einige kunstwissenschaftliche und -soziologische Studien führen, unter Zuhilfenahme von Bourdieus KapitalsortenBegriffen, die dabei entstehenden sozialen Unterschiede auf eine ungleich verteilte Ressourcenausstattung zurück. Ein ausreichendes Startkapital, das passende Auftreten und die tichtigen Kontakte seien ausschlaggebend, um sich selbst zum Erfolg führen zu können. Diese Analysen greifen insofern zu wenig weit, als der Begriff »Habitus« mehr als nur eine Ansammlung von Ressourcen bezeichnet, die je nach den Kräfteverhältnissen in diesem Bereich mehr oder weniger >passend< und Gewinn versprechend ist. Der »Habitus« ist verkörpertes Soziales, er meint die unter bestimmten Existenzbedingungen entstandenen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen. Der Mensch kann sein körperliches Agieren, seine kognitiven Fähigkeiten, seine Gedankengänge und W eltsichten, sein Selbstverständnis, seine Gefühle und Präferenzen nicht situativ verändern, ablegen und neu erlernen wie eine Rolle in einem Theaterstück. Das Denken in Ressourcen steht überdies wiederum ökonomischen Denkmodellen nahe, denen zufolge die Individuen mangelndes oder zu wenig ausgeschöpftes >Humankapital< selbst zu verantworten hätten. Die kreative Praxis gewann also deshalb für eine bestimmte Politik an Attraktivität, weil ihr ein Menschenbild zugrunde liegt, das die Einzigartigkeit und besondere Fähigkeit jedes einzelnen zwar hervorhebt, dabei aber zugleich jeden Misserfolg auf das zu wenig engagierte Ausschöpfen und Verwerten der eigenen Kapazitäten zurückführt. Kreative Menschen als selbstverantwortliche Kleinunternehmer/ -innen avancieren zusehends zum ersehnten Menschenbild einer Politik, die sowohl soziale Sicherungssysteme als auch demokratische Bildungszugänge abbaut und die ihre Hilfe darauf beschränkt, Menschen Starthilfe zu erteilen und sie anschließend in den freien Markt zu entlassen.

Der »Glaube«

In diesem Kapitel werde ich nun rekonstruieren, welche Bedeutung der Kunst und der Figur des Künstlers und der Künstlerin in der Praxis der fünf vorgestellten »Positionen« zugeschrieben wird. Wichtig dabei ist auch, welches Verständnis von Autonomie darin zum Ausdruck kommt. Aus dieser Gegenüberstellung analysiere ich schließlich den »Glauben«, der der künstlerischen Praxis und den darin wirkenden Begriffen von Kunst und Künstlerl-innen zugrunde liegt. Die Praxis der »Positionrichtige< Umgang mit den Werken gelingt nur, wenn man einem bestimmten Menschenbild entspricht. Denn darin liegt das eigentliche Ziel j eder musealen Vermittlungsarbeit Der Bildungsauftrag besteht darin, den Menschen gemäß diesem Ideal zu erziehen, denn nur ein Mensch, der dem Ideal entspricht, vermag diese Kultur weiterzuentwickeln. Wie aufgezeigt, verstehen sich die Akteure dieser »Position« als Geisteswissenschaftlerl-innen im weiten Sinne des Wortes, d.h. sie widmen ihr Leben dem Wissensstand der Kunstgeschichte, der zeitgenössischen bildenden und darstellenden Kunst, aber auch anderen Wissensbereichen und sehen ihre Bestimmung darin, einen Beitrag dazu zu leisten. Sie verstehen sich als Teil und Fortführerl-innen dieser Kultur. Im Anspruch an die Rezipienten und Rezipientinnen offenbart sich das davon abgeleitete allgemeine Subj ektverständnis: die gebildeten Bürger/-innen. Die kunsthistorische Praxis in staatlichen Museen steht in der Tradition des humanistischen Bildungsideals. Ihrem »Glauben« nach vermag das deutsche bzw. abendländische Kultur- und Bildungsgut den Menschen zu Humanität zu erziehen. Damit dies gelingt, soll das Wissen nicht nur erlernt, sondern es muss als Geistesgeschichte einer Kultur erkannt werden, der man selbst angehört. So entsteht, dem Ideal dieser Praxis nach, eine Gesellschaft aus humanistisch gebildeten, freien Bürger/-innen: eine bildungsbürgerliche Gesellschaft. Die Praxis der »Position« »Der primäre Kunstmarkt« kreist um einen Autonomiebegriff, der das Leben der Künstlerl-innen beschreibt. Die Tätigkeit der Galetisten und Galeristinnen ist darauf ausgelegt, dieses autonome Dasein zu ermöglichen. Autonom-Sein bedeutet in diesem Fall, sich um Fragen der Vermarktung nicht kümmern zu müssen und sich ausschließlich der Produktion von Kunstwerken widmen zu können. Der Status wird nur jenen Personen zuerkannt, denen eine herausragende, eine geniale Persönlichkeit zugeschrieben wird. Die Persönlichkeit gründet auf etwas, das den Menschen von Geburt an auszeichnet, charakterisiert und sein gesamtes Sein bestimmt. Dieses authentische Ich gilt als naturgegeben wie das körperliche Aussehen. Es sitzt im Körper, drückt sich über ihn aus. Das Authentische offenbart sich nicht mittels eines geschulten Geistes, vielmehr kommt es desto unberührter zum Vorschein, je weniger äußere Einflüsse es ttüben. Der autonome Status hat also zum Ziel, dem Authentischen in seiner Reinheit zum Ausdruck zu verhelfen. Dies ist die Geburtsstunde wahrhaftiger Kunst, denn das Kunstwerk ist hier der authentischste Ausdruck einer genialen Persönlichkeit. Das Materialisierte bringt das Innerste einer Person zum Vorschein und offenbart, ob es sich um ein Genie handelt. Am Maßstab anderer genialer Persönlichkeiten, denn nur diese sind befahigt, die wahrhaftige Kunst zu erkennen, misst sich die Authentizität und Genialität der Kunst und ihrer Produzenten und Produzentinnen. Die als Freundschaft bezeichnete Beziehung zwischen Galeristen und Galeristinnen und ihren Künstler/

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-innen basiert auf dem »Glauben«, dass ihre Persönlichkeiten einander ebenbürtig sind. Galeristen und Galeristinnen verstehen sich nicht nur als Dienstleister/-innen, sondern als auserkoren, geniale Persönlichkeiten aufzuspüren und zu fördern, um dergestalt ihren Beitrag zur Erschaffung wahrhaftiger Kunst zu leisten. Auch in der Rezeption der Kunstwerke, in dieser Praxis sind damit die Käuferl-innen gemeint, lebt dieses Selbstverständnis fort. Ein Werk wird als herausragend empfunden, wenn es das Innerste berührt, wenn es die eigene Persönlichkeit widerspiegelt. Die Begeisterung für ein Werk gründet allerdings nicht nur auf einem emotionalen Kunsterlebnis, vielmehr wird über die Vermittlerposition des Galeristen, der Galeristin eine Verbindung zu den Künstlerl-innen hergestellt. Ein Kunstwerk wird nie ohne den Namen seines Produzenten oder seiner Produzentin verkauft. Auch wenn diese Verbindung nicht den Charakter einer tatsächlichen Beziehung oder nicht einmal einer persönlichen Bekanntschaft haben muss, die Galeristen und Galeristinnen stehen mit ihrem Namen dafür ein, dass die von ihnen vertretenen Künstler/ -innen geniale Persönlichkeiten sind. Ein Werk vermag dann zu begeistern, wenn die sich als herausragende Persönlichkeiten verstehenden Käuferl-innen in der Genialität der Künstlerl-innen widergespiegelt sehen. Die Praxis des Kunsthandels ist ein Wiedererkennen von ihresgleichen, ein um den »Glauben« an die zum Genie geborenen Künstlerl-innen kreisendes Spiel, das eine gesellschaftliche Sonderstellung (mit) erzeugt. Ihre Legitimität zieht diese gesellschaftliche Privilegiertheit nicht - wie in ökonomischen Denkmodellen - aus erbrachter Leistung, sondern aus einer angeborenen Sonderstellung. Da oligarchische Herrschaft dem demokratischen Staats- und Kultur- und dem liberalen Wirtschaftsverständnis zuwiderläuft, überlebte diese Praxis nur, indem sie sich in die »Logik« des künstlerischen Feldes einfügte. Wie meine Analyse zeigt, übernahm die Praxis der großbürgerlichen Galeristen und Galeristinnen des 19. Jahrhunderts die in aristokratischen Kreisen übliche Künstlerförderung und mit ihr überlebte der seit dem 16. Jahrhundert am Hofpraktizierte >Geniemythosinneren Natur< begründet. Dieser Impuls müsse frei-

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gesetzt werden, um so eine Gesellschaft aus freien Individuen herbeizuführen bzw. die Individuen aus ihrer Vergesellschaftung zu befreien. Die »Position« »Der soziale Raum« agiert mit einem Kunstbegriff, in dem die Intention der historischen A vantgardebewegung, die Lebensverhältnisse revolutionieren zu wollen, fortlebt. Die Künstlerl-innen setzen Impulse, die die Potentiale der Menschen befreien helfen und so. Die Kunst liegt in den freigesetzten Potentialen, in den daraus folgenden Handlungen jedes einzelnen. Nicht auf eigens geschulte und gepflegte geistige Kapazitäten kommt es an, sondern jeder besitzt angeborene Fähigkeiten, die optimale äußere Bedingungen benötigen, um sich zu entfalten. Jeder Fähigkeit wird zugesprochen, etwas zur Gesellschaft beitragen zu können. Ihre immanente Bestimmung soll also sein, die Gesellschaft mit zu gestalten. Die künstlerische Praxis wird zu einer die Gesellschaft konstituierenden Praxis, einer allgemeinen, allen zugänglichen und allem zugrunde liegenden Praxis. Der Autonomiebegriff verliert dabei seinen Gehalt und seine Berechtigung. Diesem Subjektbegriff liegt die Annahme einer prinzipiellen Gleichheit aller zugrunde, die nicht erst mittels gleicher Bildungschancen hergestellt werden muss. Über die gleichwertige Anerkennung aller Tätigkeiten, die dem Inneren einer Persönlichkeit entspringen, und ihrer Relevanz flir das menschliche Miteinander soll der ungleich verteilte Zugang zur gesellschaftlichen Gestaltungsmacht und den vorhandenen Ressourcen geöffnet werden. Benachteiligte sollen Unterstützung erhalten, um ihren Beitrag zur Gesellschaftsgestaltung leisten zu können und auf diese Weise als gleichwertige Mitglieder Beachtung zu finden. Alle sozialen Schichten einbeziehend, öffnet die Praxis in ihrer Utopie die Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft. Es würden Denk-, Bewertungs- und Handlungsweisen an Legitimität, Personen an Macht gewinnen, die mit den bürgerlichen Idealen wenig gemein haben müssen. Handwerkliches Können wird den geistigen Kapazitäten gleichgestellt, und in der Utopie existiert keine Instanz, die urteilt und bewertet, ob der eine Beitrag besser oder mehr beizutragen habe als ein anderer. Der Mensch ist hier prinzipiell zu etwas begabt, ist befähigt, etwas aus sich heraus zu erschaffen und zu gestalten. Er ist also kreativ, auch wenn das Produzierte keinen ästhetischen oder kunstimmanenten Kriterien entspricht. Eine von kreativen Menschen gestaltete Gesellschaft ist eine egalitäre und plurale Gesellschafi. In diesem Kapitel verdeutlicht sich, dass die Begriffe von Kunst und Künstler/ -innen stets mit einem Ideal des Mensch-Seins und Vorstellungen einer ersehnten Vergesellschaftungsform einhergehen. Die Kunstakteure verkörpern das Ideal und ihre künstlerische Praxis vollführt das erstrebenswerte gesellschaftliche Miteinander. Die Kunst ist also bedeutsam, weil in ihr das Wissen darum hergestellt und bewahrt wird, was den Menschen ausmacht und wohin die Gesellschaft steuern soll. So unterschiedlich die Menschen- und Gesellschaftsbilder sind, sie erheben alle den Anspruch die eigentliche Bestimmung des Mensch-Seins und menschlichen Miteinanders in sich zu tragen. Die Kunstakteure schreiben sich und ihrem Tun Bedeu-

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tung zu, weil sie sich als Hüter, Pächter und Wächter, als Vorbilder und Revolutionäre ihrer Gesellschaftsutopie verstehen. Dem »Glaube« nach wird in der Kunst das >wahre< Leben gelebt, das Wissen darum bewahrt und die Kunst kann zum Mittel werden, um das >falsche< Leben der anderen zu verbessern. Der »Glaube« an den Wert der Kunst ist also ein »Glaube« an den kulturellen Wert der Kunst.

Die Differenzierungslinien

Meine Forschung untersuchte die Berliner Kunstwelt als soziales Feld. Damit gerieten zum einen alle Personen ins Blickfeld, die sich professionell mit Kunst beschäftigen und zum anderen wurde gefragt, was ein Künstler, eine Künstlerin und was Kunst ist. Entgegen essentialistischen Vorstellungen vom Wesenszug der Künstler/ -innen oder der Unnachvollziehbarkeit des schöpferischen Aktes wurden die Begriffe von Kunst und Künstlerl-innen als soziale Konstrukte betrachtet. Der Fokus lag auf der sozialen Praxis des künstlerischen Feldes, wodurch die Akteure und die in der sozialen Welt ausgetragenen Kämpfe um Bedeutungen in den Blick gerieten. Mittels einer Analyse der Kunst- und Selbstbilder der im Feld agierenden Akteure und des institutionellen Gefüges rekonstruierte ich die Struktur des künstlerischen Feldes. In den Konstrukten und Institutionen werden Unterscheidungsmerkmale sichtbar, die der »Logik« des Feldes entsprechen. Auf diesem Weg konnte ich die von den Akteuren verkörperte, in den künstlerischen Artefakten, den feldspezifischen Institutionen, den Förderprogrammen und der politischen und ökonomischen Situation verankerte Heterogenität verschiedener »Positionen« greifbar machen. Für das Berliner Kunstfeld konnte ich fünf »Positionen« differenzieren, die in meiner Studie wie folgt benannt sind: »Das staatliche Museum«, »Der primäre Kunstmarkt«, »Der öffentliche Raum«, »Die institutionelle Freiheit« und »Der soziale Raum«. Meine Analyse offenbarte, welche Kräfte im Feld wirksam sind, d.h. welche »Positionen« sich gegenüberstehen, worin sie sich nahe stehen oder abgrenzen und wo sich Umbrüche auftun. In Folge werde ich die Differenzierungslinien der heutigen Struktur des Berliner Kunstfeldes zusammenfassend vor Augen führen.

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DIE STAATLICHE STRUKTURFÖRDERUNG UND DIE KULTUR DEUTSCHLANDS

Im Vergleich zu staatlichen Museen in den Vereinigten Staaten, die sich in ihrer Sammlungs- und Ausstellungspraxis und ihrem institutionellen Selbstverständnis auf das Kunstverständnis der Avantgarde beziehen (vgl. Hieber 2005, Hieber/Moebius 2009), wurde in deutschen Museen die Avantgarde als eine Kunstrichtung in die Logik der geisteswissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte eingeordnet. Die Differenzen in der musealen Praxis lassen sich nur begreifen, wenn man einen Blick auf Bereiche außerhalb des künstlerischen Feldes wagt, nämlich auf die gesellschaftliche und politische Situation: Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die Bundesrepublik Deutschland nicht nur politisch, sondern auch kulturell, in Abgrenzung zu dem in der Bevölkerung fest verankerten nationalsozialistischen Gedankengut neu erfinden. Dazu gehörte, die von den Nationalsozialisten diffamierte avantgardistische Kunst, sofern sie nicht zerstört war, als zu bewahrendes und zu schützendes Kulturgut in staatliche Sammlungen aufzunehmen. Zur Zeit des Kalten Krieges verhärteten sich auch in kultureller Hinsicht die Fronten, was sich wiederum in der Praxis der DDR- und BRD-Museen niederschlug. Entlang der beiden Avantgardetraditionen, formale und politische Avantgarde, konstruierten sich zwei »konträre Kunstgesellschaften« (Fischer/Giesecke 2005: 101 ). Die Kunst stand dabei Pate für das von den jeweiligen Staaten propagierte Gesellschafts- und Menschenbild. Diente in der DDR die einzig tolerierte »Staatskunst« ebd.: 104) per definitionem der Propaganda, lebte in den Museen der BRD der bildungsbürgerliche »Glaube« an die autonome Kunst wieder auf. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurden die in der DDR geförderten und gesammelten Kunstwerke der kommunistisch und sozialistisch orientierten Avantgarde als staatliche Sammlungsbestände übernommen. Dies veränderte allerdings nichts an der ehemals westdeutschen kunsthistorischen Praxis, die fortdauert, wohingegen die Praxis der DDR-Museen und ihre kulturelle Mission gemeinsam mit ihrem Staat an Legitimität verloren haben. Bis heute folgt die kunsthistorische Praxis in den staatlichen Museen dem geisteswissenschaftlichen Kunstverständnis. Die dabei zur Anwendung kommende kunsthistorische Methode der Ikonografie sortiert Kunstwerke nach ihrem inhaltlichen Gehalt und ihrer Symbolik. Die auf diese Weise aufgestellten Kategorien dokumentieren, was in den Werken mittels bildlicher Sprache an Wissen vermittelt wird. Erst die Überlieferung der Bildsprache ermöglicht es, Symbole, Bedeutungen und Erkenntnisse zu verstehen. Das Ordnungssystem der Kunstgeschichte archiviert dieses Wissen und konstruiert es als Einheit einer abendländischen und deutschen Geistesgeschichte. Als solche gilt sie den Bürgerl-innen als Bildungsgut ihrer Kultur. Im 19. Jahrhundert wurden staatliche Museen als Stätten der kulturellen Bildung installiert. In ihnen sollte sich die bürgerliche Schicht ihrer

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Zugehörigkeit zu einer bis in die Antike zurück rekonstruierten Kultur gewahr werden. Diese bildungsbürgerliche Tradition lebt in den staatlichen Strukturförderprogrammen für Kunst und Kultur bis heute fort. Im letzten Jahrzehnt wurde entgegen dem deutschen Modell des Kulturföderalismus die Rolle des Bundes gestärkt. Der Bundesbeauftragte for Kultur und Medien wurde in den Rang eines Staatministers erhoben. In Berlin, als gesamtdeutscher Hauptstadt, ist diese Entwicklung besonders ausgeprägt. Das Fördervolumen aus Mitteln des Bundes und anderer Länder reicht nahezu an den Kulturetat des Landes Berlin heran. Aus Bundesmitteln werden große Institutionen wie die Staatlichen Museen zu Berlin oder die im Jahr 2002 gegründete Kulturstiftung des Bundes strukturell gefördert. Die Projektförderprogramme der Kulturstiftung, die allerdings einen hohen Eigenmittelanteil vorsehen, kommen zumindest großen Kunstvereinen zugute. Kunstvereine erhalten in Deutschland seit den 1960er Jahren verstärkt staatliche Strukturförderung. In Berlin administriert diese Maßnahmen die Kulturverwaltung des Landes. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete die Förderung von Kunstvereinen neben der musealen Bildungsarbeit einen weiteren Baustein in der Neuerfindung Deutschlands als eines demokratischen Staates einer humanistisch gebildeten, aufgeklärten Gesellschaft. Kunstvereinen kamen strukturelle Förderungen zu, um Raum für eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen. Damit war der Grundstein ftir die heutige »Position« »Der öffentliche Raum« gelegt. In den 1960er Jahren unterstützten die Kunstvereine die von der Emanzipations- und Protestbewegung getragene Politisierung der Kunst. In der heutigen Praxis nimmt der politische im Vergleich zum gesellschaftskritischen Anspruch eine untergeordnete Rolle ein. Das bedeutet, statt eines unmittelbaren politischen Aktivismus verfolgen die Akteure ihre Mission, soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Missstände aufzudecken und aufzuzeigen. Sie verstehen sich als Aufklärer. Die Verantwortung, die gegebenen Verhältnisse zu verbessern und eine herrschaftsfreie Gesellschaft umzusetzen, übertragen sie dem Staat. Von ihm fordern sie ein, ihnen so lange einen autonomen Status zu gewähren, bis das Ideal verwirklicht ist. So lange bedürfe es Menschen, die frei von gesellschaftlichen Zwängen leben, denn erst diese Freiheit ermögliche, einen objektiven Blick auf die Welt zu erlangen und zu bewahren. Die Künstlerl-innen nehmen jedoch nicht für sich in Anspruch, ihre Sichtweisen seien bereits objektiv. Erst im Diskurs mit anderen vernunftbegabten und urteilsfahigen Menschen wird ihre künstlerische Arbeit, die sie als Diskussionsanstoß und Informationsmaterial verstehen, überprüft und objektiviert. Kunst ist hier der Diskurs einer kritischen Öffentlichkeit, einer Öffentlichkeit aus autonomen Künstlerl-innen und mündigen Bürger/-innen. Die »Positionen« »Das staatliche Museum« und »Der öffentliche Raum« setzen auf eine von staatlicher Hand geleitete Erziehung. Jeder Mensch ist nach dieser Auffassung prinzipiell befähigt zu denken, welcher Mensch aus ihm wird, ist be-

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stimmt durch Bildungsangebote, d.h. durch Bildungsinhalte und die Möglichkeit, kritisches Denken und Urteilen zu üben. Künstlerl-innen wird ein autonomer Status gewährt, weil ihnen die Aufgabe zuteilwird, den humanistischen und aufklärenden Bildungsinhalt lebendig zu halten und fortzuführen. Die Vermittlung übernimmt der Staat mit der Intention, die Menschen zu (Bildungs-)Bürgerl-innen eines aufgeklärten Staates deutscher bzw. abendländischer Kultur zu erziehen. Besteht der Bildungsauftrag in den Museen darin, mittels historischer Objekte abendländischer Kultur humanistisches Gedankengut zu vermitteln, sollen in Kunstvereinen gesellschaftskritische und -analytische Arbeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um Urteilsfähigkeit und das W issen um Herrschaftsverhältnisse und soziale Ungleichheit zu lehren. Bis heute setzen die strukturellen Bundes- und Landesfördermaßnahmen auf die Bewahrung des Kulturguts in den Museen und auch auf den Erhalt einer kritischen Öffentlichkeit in den Kunstvereinen. Das (kultur-)politische Klima der Nachkriegsjahrzehnte trug dazu bei, dass in der BRD die Erziehung zur Mündigkeit und zu herrschaftskritischem Denken als ein weiterer staatlicher Bildungsauftrag installiert wurde und kritische Intellektuelle den Staatsauftrag erhielten, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Zu dieser Zeit setzte die Politik auch auf eine Demokratisierung des Bildungszugangs, die der breiten Bevölkerung das nunmehr neu installierte abendländische Kulturgut näherbringen und sie nach dessen Werten erziehen sollte. Die Bildungsexpansion der 1960er und 70er Jahre versuchte den Zugang zur staatlich propagierten Kultur zu öffnen, doch blieb eine soziale Ungleichheit bestehen, die sich durch die bildungspolitischen Maßnahmen des neuen Jahrtausends wieder verstärkt. Heute zieht sich der Staat immer mehr aus der Verantwortung zurück, den Zugang zum Bildungsgut und zum aufklärenden Diskurs zu demokratisieren, wodurch sich darin wieder zusehends nur die bürgerliche Schicht reproduziert. Staatliche Museen verzeichnen zwar Publikumsrekorde, die Rezeption gleicht jedoch bei Menschen, die nichtbürgerlichen sozialen Schichten angehören, dem Einüben und Akzeptieren einer Kultur, der sie angehören, ohne sie j e gestaltet zu haben. Die Kunstvereine sind zwar bestrebt, ihr Publikum zu öffnen und zu erweitern. So werden neue Kunstvermittlungsprogramme installieren, Schulklassen, Jugendorganisationen oder Reisegruppen aktiv einbezogen oder es wird versucht, die Hemmschwelle abzubauen, die Räumlichkeiten eines Kunstvereins zu betreten. Die kritische Öffentlichkeit, also die Praxis der »Position« »Der öffentliche Raum«, bleibt allerdings meist auf Künstlerl-innen und jene aufgeklärten und gebildeten Bürgerl-innen beschränkt, die als Diskursteilnehmerl-innen Anerkennung finden. Dabei handelt es sich meist großteils um die Mitgliederl-innen der Kunstvereine.

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DAS GALERIENGESCHÄFT UND DAS GROSSBÜRGERLICHE SELBSTVERSTÄNDNIS

Die »Position« »Das staatliche Museum« steht seit der Entstehung des autonomen künstlerischen Feldes einer zweiten »Position« gegenüber: dem Kunstmarkt Dass ich in meiner Arbeit den Kunstmarkt auf die Handelsgeschäfte und die Vertretungsarbeit von Galeristen und Galeristinnen, also auf den primären Kunstmarkt reduziere, ist meinem Untersuchungsfeld geschuldet. Der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung und die Ernennung Berlins zur gesamtdeutschen Hauptstadt erzeugten in Berlin die Möglichkeit und das Bedürfnis städtischen Raum von Grund auf und in möglichst kurzer Zeit neu zu gestalten und symbolisch zu besetzen. Junge, von·angig westdeutsche Wohlhabende nutzten diese Situation, um sich mit ihrem Traum eines Lebens für die Kunst selbstständig zu machen. Der Idealismus jener selbsternannten Galeristen und Galeristinnen, die Anfang der 1990er Jahre an einzelnen besonderen Standorten im Berliner Stadtraum ihre Galerien eröffneten, führte für eine erlesene Zahl zum Erfolg. Doch trotz der Bemühungen der Politik, Berlin als Wirtschaftsstandort zu etablieren, ist der Berliner Kunstmarkt nicht zu vergleichen mit Märkten in westdeutschen oder gar Städten wie London oder Paris. In Berlin fehlt es noch an bedeutenden Auktionshäusern oder Kunstmessen und auch an einer größeren Zahl ansässiger privater Sammlerl-innen und kaufkräftiger Bewohner/-innen. Der Handel in Berlin konzentriert sich auf das Geschäft direkt in den Galerien und den Verkaufneu produzierter Werke. Wie meine Analyse zeigt, basiert der primäre Kunstmarkt auf zwischenmenschlichen Beziehungen, denen ein besonderer Wert zugeschrieben wird. Die Beziehung zwischen Künstler/-in und Galerist/-in wird einem freundschaftlichen Verhältnis gleichgestellt. Der zugeschriebene Status einer Freundschaft dient den Galeristen und Galeristinnen als Prüfstein und Bürgschaft in der Vermittlung der Kunstwerke an potentielle Käufer/-innen. Die Triade Künstler-Galerist-Käufer wird getragen vom »Glauben« an das Künstlerbild des Genies. Die Werke erhalten ihren Wert, wenn und weil sie als authentische Hervorbringung einer genialen Persönlichkeit angesehen werden. Die Galeristen und Galeristinnen stehen mit ihrem Namen daflir ein, dass sie die in diesem Sinne wahrhajiigen Werke vermitteln. Als Beleg führen sie zwar auch wissenschaftliche oder ästhetische Kriterien ins Feld, als Garant gilt allerdings, dass sich die Galeristen und Galeristinnen auf einer Ebene, auf einer >Wellenlänge< mit den Künstlerl-innen sehen. Vertreten werden nur jene Künstler/ -innen, denen sie sich ebenbürtig, d.h. mit denen sie sich freundschaftlich verbunden fühlen. Diese Widerspiegelung von ihresgleichen, dieses Spiegeln des eigenen elitären Selbstverständnisses im Gegenüber, fundiert auch den Kunstkauf Der Kauf eines wahrhaftigen Kunstwerkes, eines Werkes, das qua Garantie der Galeristen und Galeristinnen als Schöpfung eines Genies gilt, dient den Käuferl-innen als Be-

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stätigung ihres eigenen privilegierten Status. Mit dem »Glauben« an das Genie lebt der »Glaube« an eine mit Geburt erworbene soziale Sonderstellung fort. Wie aufgezeigt, kann insbesondere ein großbürgerlicher »Habitus« ein Selbstverständnis mit sich bringen, das auf diesem »Glauben« gründet. Im neuen Jahrtausend macht sich eine »Verbürgerlichung der Politik« (Hartmann 2007: 135) bemerkbar, die durch mehrere Faktoren angetrieben wurde: Die Volksparteien CDU und SPD verloren ihre Verankerung in der breiten Basis der Bevölkerung, wodurch die politischen Führungspositionen sich vermehrt auf Politikerl-innen bürgerlicher Herkunft beschränken. Verlief früher die Laufbahn über kommunale, regionale und schließlich Ämter des Bundes, war diese also für Personen anderer Herkunft zugänglich, steigt nun der Anteil an Quereinsteiger/-innen aus der Verwaltung, der Justiz oder der Wirtschaft, also Feldern, die stärker bürgerlich geprägt sind. Sinkende W ahlbeteiligung, sinkende gewerkschaftliche Organisierung und sinkende Bereitschaft bzw. Möglichkeit anderer Gesellschaftsschichten zum Engagement in politischen Parteien erleichtern die Umwandlung des politischen Feldes (vgl. ebd.: 135ft). Seit den 1980er Jahren breitet sich überdies ein »ökonomischer Imperialismus« (Münch 2009: 14) aus, d.h. die Macht einer wachsenden globalen Wirtschaftselite wächst, die zusehends auf die nationalstaatliche Politik einwirkt. Ökonomische, neoliberale Denkmodelle haben derart an Einfluss gewonnen, dass sie mittle1weile alle Lebensbereiche durchdringen und auch in den Wertvorstellungen der breiten Bevölkerung verankert sind (vgl. ebd.: 24). Die Steuerpolitik der unter Kanzlerin Angela Merket geführten Regierungen setzte eine Umverteilung zugunsten bürgerlicher Eliten fort, die bereits die vorangegangenen Regierungen eingeleitet haben. Die steuerlichen Vergünstigungen für große Unternehmen und wohlhabende Personen stärken die »herrschende Klasse des Großbürgertums« (Hartmann 2002: 176). Das Großbürgertum ist im- an Macht gewinnenden- wirtschaftlichen Feld dominierend und hält sich mithilfe spezifischer Mechanismen der Rekrutierung sozial exklusiv (vgl. ebd.). Der über Galerien laufende Kunsthandel ist eine Variante großbürgerlich geprägter Handelsgeschäfte. In ihm wird der elitäre Status zelebriert und das eigene Selbstverständnis als Privilegierte widergespiegelt. Das in der Praxis des Kunsthandels noch mitschwingende geburtsständische Gedankengut zeugt davon, dass dem großbürgerlichen Selbstverständnis nach die eigene soziale Privilegierung gerechtfertigt ist.

DIE STAATLICHE WIRTSCHAFTSFÖRDERUNG UND DIE IDEE VOM KREATIVEN MENSCHEN Mit dem deutschen Künstler Joseph Beuys erfuhr ein Kunstbegriff einen prominenten und öffentlichkeitswirksamen neuen Vertreter, der im Deutschen Idealismus

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und später auch bei Avantgardisten und Avantgardistinnen vorkam. Der Kunst wurde gesellschaftliche Gestaltungsmacht zugesprochen. Mit ihrer Hilfe sollten die Lebensverhältnisse revolutioniert und der Menschheit zu einer universellen Emanzipation verholfen werden. Anfang der 1990er Jahre entstand eine Kunstposition, die sich bis heute explizit auf Joseph Beuys bezieht und die die Kunst als Mittel der Revolution der Lebensverhältnisse (re-)installierte: Die Kunstposition »Kunst im sozialen Raum«, die ich in meiner Studie im Kapitel »Der soziale Raum« darlege. Die Künstlerl-innen bezeichnen sich als »sozial engagiert«. Sie verstehen sich als sozial Privilegierte und sehen sich deshalb dazu verpflichtet, Benachteiligten zu helfen. Ihre künstlerische Praxis besteht aus »Interventionen«, so der von den Akteuren verwendete Begriff. Über einen begrenzten Zeitraum wird einem ausgewählten Personenkreis ein Angebot gemacht, das ihm sonst nicht zugänglich wäre und das die Menschen von sich aus nutzen können. Die sozialen Kunstprojekte sind getragen von der Idee, durch Hilfe nicht nur die Lebensumstände von Menschen zu verbessern, sondern vielmehr die Potentiale der Menschen freizusetzen. Die Hilfe zielt also darauf ab, die Menschen zu ermächtigen. Die künstlerische Praxis wird zu einer genuin gesellschaftlichen Praxis. Sie ist »Intervention« in kunstfernen Welten, um im Endeffekt die Differenz zwischen den Künstlerl-innen und den anderen aufzuheben. Die künstlerische Praxis ist getragen vom »Glauben« an den kreativen Menschen. Diesem Subjektverständnis nach besitzt jeder Mensch Potentiale, Fähigkeiten, die seine Person von jeher auszeichnen. Die Potentiale müssen auf eine Weise aktiviert und entwickelt werden, die selbstbestimmt ist. Fehlen derartige Impulse oder wird das Eigene unterdrückt, bleiben die Potentiale ungenutzt. Alle diese Fähigkeiten gelten als kreativ, weil sie die Gesellschaft mit gestalten, weil sie etwas zu ihrer Gestaltung beitragen können. In der Gesellschaftsutopie dieser Kunstpraxis formiert sich die Gesellschaft aus egalitären und pluralen Beiträgen aller ihrer Mitglieder. In der Idee vom kreativen Menschen lösen sich soziale wie kulturelle Unterschiede zwischen Künstlerl-innen und anderen Menschen auf. Kunst als soziale »Intervention« dient als Instrument, um die Menschen zu ermächtigen, ihre Fähigkeiten zu erkennen und sich für ihre Wertschätzung als egalitäre Gesellschaftsmitglieder einzusetzen. Im Vergleich zur gesellschaftskritischen Kunstpraxis begnügt sich diese Praxis nicht mit einer bloß mahnenden Position. Ihr Anspruch ist, tatsächliche soziale Veränderungen herbeiführen. Dies soll gelingen, indem alle Fähigkeiten als künstlerische bzw. kreative Tätigkeit anerkannt und als gleichwertig wertgeschätzt werden. Im letzten Jahrzehnt entstanden auf Landes- und Bundesebene neue Förderprogramme, die als ein weiteres Zeichen einer Verbürgerlichung und Ökonomisierung der Politik gedeutet werden können. Ab 1997 propagierten und förderten die Regierungen Tony Blair in Großbritannien erstmals die Wirtschaftskraft einer neuen Branche, der nunmehr unter dem Begriff Creative Irrdustries vereinten kulturellen Tätigkeitsbereiche. Die Zuordnung, der in Deutschland unter der Bezeichnung Ku!-

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tur- und Kreativwirtschaft subsumierten Berufe, widerspricht der »Logik« des künstlerischen Feldes. Die Kategorien Kunsthandwerk, augewandte und freie Kunst verlieren dabei genauso an Bedeutung wie die Abgrenzung zwischen staatlicher und privatwirtschaftlicher Kunstförderung. Die ehemals staatlich subventionierte freie Kunst wird zum einen Berufen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, der augewandten Künste und dem Kunsthandwerk an die Seite gestellt. Das vereinende Prinzip ist ihr wirtschaftliches ErfolgspotentiaL Diesem neuen Tätigkeitsbereich wird zum anderen auch der Kunstmarkt, vor allem der unternehmerische Beruf des Galeristen oder der Galeristin, zugeordnet. Es werden also neue Differenzierungslinien gezogen, die ehemals staatlich geförderte oder kunstfeldexterne Kunstbereiche an die machtvolle »Position« des Kunstmarktes annähert. Der Einbezug der Umsatzzahlen des primären und sekundären Kunstmarkts in die statistischen Berechnungen zur Kultur- und Kreativwirtschaft lässt deren Wirtschaftskraft steigen. Die Akteure der »Position« »Der primäre Kunstmarkt« wehren sich nicht gegen diese Entwicklung und Subsumtion, denn es handelt sich dabei um keinen Angriff auf die »Logik« ihrer Praxis, sondern vielmehr um eine Bestärkung, um einen Machtzuwachs. Die Diskrepanz zwischen einem autonomen Kunstbereich und der Kultur- und Kreativwirtschaft spiegelt sich in den staatlichen Förderprogrammen wider: Auf Bundesebene verwaltet das Amt des Staatsministers für Kultur und Medien zwar sowohl die Kunst-, Kultur- und Künstlerförderung als auch die Förderung der Kunst- und Kreativwirtschaft, allerdings sind die Bereiche in je eigenen Abteilungen organisiert. In Berlin verfolgt die Kulturabteilung der Senatskanzlei schwerpunktmäßig strukturelle Förderprogramme, wohingegen die Wirtschaftsverwaltung groBteils aus Mitteln der Europäischen Union Projektgelder für die Kultur- und Kreativwirtschaft ausschüttet. Die alten Fördermodelle erhalten die institutionelle Struktur des Kunst- und Kulturbereichs und finanzieren den Kunstakteuren ihren Lebensunterhalt unabhängig davon, was und wie viel sie produzieren. Die neuen Modelle zielen nicht mehr darauf ab, den autonomen Status von Künstlerl-innen zu sichern. Stattdessen werden Personen ermächtigt, in den Wettbewerb eines neuen Wirtschaftszweiges einzutreten. Der geförderte Personenkreis beschränkt sich nun nicht mehr auf Künstler/-innen, also auf Personen, die im künstlerischen Feld anerkannt wurden. Es findet eine Öffnung statt. Allerdings definiert nun der Markt, wer als kreativ gilt, d.h. als Kreativarbeiter/-in bestehen kann. Die ldee einer »Fähigkeitswirtschaft« im beuysschen Sinne wird der »Logik« des ökonomischen Feldes untergeordnet. Die eingebrachten Beiträge sind nicht gleichwertig, sondern treten in den Wettbewerb ein. Sowohl die Landes- als auch die Bundespolitik verweisen in der Begründung ihrer Fördermaßnahmen auf die ldee vom kreativen Menschen. Sie geben vor, kreativen Menschen Beachtung und gesellschaftliche Relevanz beizumessen, tun dies allerdings innerhalb der Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Relevant ist ihre Tätigkeit, seit sie einer neuer Branche zugeordnet wurde, de-

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ren Umsatzzahlen sie zur Hoffnungsträgerin der Politik werden ließ. Insbesondere in Bezug auf die deutsche Hauptstadt Berlin, in der kaum ein Wirtschafts- oder Industriezweig führend ist, setzt die Politik auf die Kunst- und Kreativwirtschaft Damit hat sich ein paradoxer Wandel vollzogen: Die Begriffe von Kunst und Künstlerl-innen einer künstlerischen Praxis, die bei avantgardistischer Kritik an bürgerlicher Herrschaft ihren Ausgang nahm, durch Joseph Beuys in den 1960er und 70er Jahren ihre theoretische und öffentlichkeitswirksame Wiederbelebung erfuhr und in den 1990er Jahren in die sozial engagierte Kunstposition mündete, werden heute von einer Politik vertreten, die zu einer Ökonomisierung des gesamten Kunstbereichs führen kann. In Berlin ziehen Kunstakteure, die der »Position« »Der soziale Raum« angehören, keine klare Grenze zwischen freier Kunst und Kreativwirtschaft. Für sie gehört die Kultur- und Kreativwirtschaft zu einem Kunst- und Kulturbereich, der alle kreativen Ausdrucksformen umfasst. Sie vertreten damit den e1weiterten Kunstbegriff und distanzieren sich von der Idee einer autonomen Kunst. Die neuen Fördermodelle werten sie als ersten Schritt hin zur gesellschaftlichen Anerkennung kreativer Tätigkeitsbereiche. Eine Entwicklung, die sie als Lösungsweg ftir die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung ansehen. Die Praxis wandert auf dem schmalen Grat zwischen dem Anspruch, das sozial exklusive autonome Kunstfeld zugunsten einer egalitären, kreativen Gesellschaft zu öffnen und der Gefahr der Ökonomisierung aller künstlerischen Tätigkeitsbereiche.

DIE AUTONOMIE DER KUNST UND DIE AKADEMISCHE ELITE Die Akteure der »Position« »Die institutionelle Freiheit« setzen sich intensiv und kritisch mit der Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft bzw. des kreativen Menschen als Vorbild postfordistischer Arbeitsverhältnisse auseinander. Sie werten die Entwicklung als Bedrohung, weil das Gebot nach Kreativität und der damit einhergehende Anschein eines für alle gleichen und freien Daseins die Menschen blende und ihren inneren Impuls nach tatsächlicher Freiheit trübe. Sie sehen dadurch auch ihr Ideal eines freien Geistes und die Hoffnung bedroht, durch Freisetzung innerer Impulse, seien sie nun kreativer oder freiheitsliebender Natur, den Menschen vor seiner Entfremdung zu bewahren. Die Praxis des autonomen Diskurses folgt einem Subjektbegriff, der das Individuum und seinen substantialistischen Kern in den Mittelpunkt stellt. Alle »gesellschaftlich vorwaltenden Kategorien« (1975: 48), wie Adomo formulierte, stehen der Entfaltung des Individuums im Weg, sie entfremden es. Die derzeitigen Entwicklungen kommen in zweierlei Hinsicht einer Gefahrdung gleich: Neben den Gefahren für die Psyche der Individuen sei die autonome Kunst bedroht. Nach Ansicht der Vertreterl-innen dieses Diskurses trägt sie das letzte tatsächliche Befreiungsmoment für das Individuum in sich.

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Deshalb müssten die Ideen von Freiheit, Autonomie, Authentizität und Kreativität gegenüber ihrer Vereinnahmung von Seiten der Ökonomie bewahrt und verteidigt werden. ihre diskursive Praxis verstehen die Akteure als permanente Suche nach der Definition autonomer Kunst, die nie zu einem Ende kommt, weil sie sich in kritischer Auseinandersetzung mit dem in der Gesellschaft Üblichen und Herrschenden ständig neu erfinden muss. Nur im stetigen Austausch von Gedanken, Gedanken, die einem freien Geist entspringen, kann die Autonomie der Kunst reflektiert, kritisch hinterfragt und neu bestimmt werden. Die Kunst ist Selbstbefragung, ist ein von freien Individuen, von theoretischen intellektuellen, geführter autonomer Diskurs. Die künstlerische Praxis, die sich um die Definition autonomer Kunst und um das Subjektverständnis eines mit einem inneren Impuls nach Freiheit ausgestatteten Individuums dreht, bildete sich Anfang der 1990er Jahre heraus. Die Praxis basiert auf einem neuen Verständnis kunstwissenschaftliehen Arbeitens, das durch die mit der Bildungsexpansion einhergehenden strukturellen Veränderungen des Universitätssystems möglich wurde. Diese fUhrten zu einer Lockerung althergebrachter disziplinärer Grenzen und Selbstverständnisse und öffneten den Raum für neue Modelle. Als Vorbild bzw. Ideal gelten den Akteuren die wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen US-amerikanischer Professuren. Da sie dieses Modell an deutschen Universitäten und Kunsthochschulen bis heute nicht umgesetzt sehen und der in den 80er Jahren einsetzenden Ökonomisierung des Wissenschaftssystems kritisch gegenüberstehen, lehnen sie die Einbindung in institutionelle Strukturen prinzipiell ab. Nur in institutioneller Freiheit und in Freiheit von den Bewertungskriterien der Kunstgeschichte und des Kunstmarktes glauben die Akteure dieser Praxis, ihrem Bedürfnis nach Freiheit und autonomem Denken gerecht werden zu können. Die in dieser »Position« Etablierten haben meist dennoch Professuren an privaten oder staatlichen Kunsthochschulen inne, betonen aber stets ihre strukturellen Freiräume und ihr Selbstverständnis als theoretische intellektuelle. Der durchwegs akademische Nachwuchs bezeichnet sich als freie Autoren und Autorinnen und finanziert sich über staatliche Stipendien, Preise und Projektförderungen oder freiberufliche Tätigkeiten, wie das Schreiben von Katalogtexten. Junge und, oder weniger etablierte Akteure finden Berlin auch wegen seiner vergleichsweise noch geringen Lebenshaltungskosten und der Nebenerwerbsmöglichkeiten attraktiv. Für die Etablierten bietet Berlin kaum Berufsmöglichkeiten, da die ansässigen Kunsthochschulen der »Position« gegenüber nicht aufgeschlossen sind und es auch sonst an wichtigen Einrichtungen mangelt. Dennoch ist die Stadt als Wohnort und Ort für den gedanklichen Austausch auf Tagungen und Ausstellungen relevant. Zentrale Einrichtungen und Förderer dieser Kunstposition befinden sich allerdings in anderen deutschen Städten, in Zürich und in Wien, in Großbritannien und den Vereinigten Staaten.

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Das autonome Subjekt- und Kunstverständnis und ihr Gebot nach institutioneller Freiheit bedingen in zweierlei Hinsicht einen sozial exklusiven Status der »Position«. Zum einen sichert ein Leben als freie Autoren/Autorinnen und Kunstkritiker/ -innen nur wenigen ein ausreichendes Einkommen, eine Tätigkeit im Bereich des Kunstmarktes läuft dem eigenen Selbstverständnis zuwider, etablierte Stellen an Universitäten und Kunsthochschulen sind rar und die staatliche Künstlerförderung kann gerade in Berlin den Bedarf bei weitem nicht decken. So waren nicht nur die bohemischen Zirkel des beginnenden 20. Jahrhunderts von bürgerlichen und aristokratischen »Aussteigerl-innen« geprägt (Kreuzer 1968: 48), auch heute bedarf die Freiheit des Denkens und des Daseins einer sozialen Herkunft, die die Distanz zum zweckrationalen Handeln erlaubt. Zum anderen wird die >>Position« innerhalb des künstlerischen Feldes über die Relation zum wissenschaftlichen Feld gestärkt. Die Akteure beziehen sich in ihren theoretischen Beiträgen nicht nur auf Theorien und Texte aus Philosophie, Soziologie oder den Kunst- und Kulturwissenschaften, sie kooperieren auch mit Wissenschaftler/-innen, tauschen sich auf gemeinsamen Tagungen aus und veröffentlichen Sammelbände. Ihr Selbstverständnis als theoretische Intellektuelle, das auf dem »Glauben« an die Kraft des freien und individuellen Denkens beruht, steht dem professoralen Selbstverständnis nahe, das objektive Erkenntnisse als frei von sozialen Einflüssen begreift (vgl. Engler 2001: 453). Ihre künstlerische Praxis, die aus dem Verfassen theoretischer und kunstkritischer Texte und dem intellektuellen Austausch auf Tagungen besteht, ist als neue Form kunstwissenschaftlichen Arbeitens anerkannt. Zielen die Verfahren des im 19. Jahrhundert entstandenen universitären Fachs Kunstgeschichte darauf ab, Kunstwerke und das in ihnen überlieferte Wissen zu systematisieren und zu archivieren, konzentriert sich die neue Disziplin Kunstwissenschaft auf das aktuelle Kunstgeschehen. Wollen die einen mittels Archivierung und Systematisierung autonomer Kunstwerke eine Geistes- und Kulturgeschichte schreiben, geht es den anderen darum, in kritischer Reflexion der kunstfeldinternen Entwicklungen über den Gehalt autonomer Kunst nachzudenken. Die einen verstehen sich als Bewahrer und Fortführer der Kultur, die anderen als Retter und Hüter des letzten Befreiungsmoments des Individuums: der Kunst. Beide Praktiken drehen sich um ihren Begriff autonomer Kunst. Die neue kunstwissenschaftliche Praxis ist nicht nur eine akademische Profession, vielmehr sehen die Akteure in ihrer Tätigkeit eine autonome Lebensform. Einer Lebensform, die dem Selbstverständnis als freies Individuum entspricht. Die »Position« »Die institutionelle Freiheit« umfasst einen relativ exklusiven akademischen Kreis, der in seinem »Glauben« an die individuelle Autonomie und die Kraft des intellektuellen Denkens einer sich herausbildenden »globalen akademischen Elite« (Münch 2009: 11) nahesteht

Die Ökonomisierung und der Kampf um kulturelle Werte

Aus den Differenzierungslinien ergibt sich schließlich folgendes Bild des momentan wirkenden Kräfteverhältnisses im Berliner Kunstfeld: Erstens wurde deutlich, dass mehrere autonome Begriffe von Kunst- und Künstlerl-innen einem Begriff gegenüberstehen, der sich auf Konzepte der Egalität und Pluralität bezieht und einen autonomen Kunstbereich obsolet macht. An diese Konzepte schließen auch ökonomische Denkmodelle an, wodurch eine künstlerische Praxis, die die sozial ungleichen Lebensverhältnisse egalisieren möchte, von staatlichen Wirtschaftsförderprogrammen profitiert. So konnte ich zweitens feststellen, dass zwar die staatlichen Strukturfördermaßnahmen darauf abzielen, einen vom ökonomischen Kalkül autonomen Bereich und damit die autonomen Kunstbegriffe zu erhalten. Die neuen staatlichen Wirtschaftsförderprogramme unterstützen jedoch die Herausbildung eines Kunstbereichs, der sich zum einen in der Nähe oder als Teil des Kunstmarktes positioniert und zum anderen einen Kunstbegriff vertritt, der keinen Anspruch auf Autonomie erhebt, sondern vielmehr die Vermarktbarkeit künstlerischer Arbeitsprodukte und -prozesse als Lösungsweg und sozial egalisierenden Mechanismus ansieht. Drittens offenbarte sich, dass der privatwirtschaftliche Kunsthandel immer weniger Legitimität über die Autonomie des künstlerischen Feldes benötigt. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, der wachsende Einfluss und die Macht des Großbürgertums fUhren dazu, dass der Verlauf von Kunsthandelsgeschäften verstärkt den Mechanismen des Marktes zugeschrieben wird und immer weniger der Bürgschaft von Galeristinnen und Galeristen bedarf. Der Sekundärmarkt besitzt mittlerweile das Potential, sich von der Logik des primären Marktes zu lösen und das bedeutet, sich von der »Logik« des autonomen künstlerischen Feldes zu lösen. So gilt zum Beispiel der ökonomische Wert, der Verkaufspreis, eines Kunstwerkes zusehends auch als ein GütesiegeL Ein Maßstab, von dem sich die Akteure der »Positionen« »Das staatliche Museum« und »Der private Kunstmarkt« noch vehement abgrenzen. Der Kunstmarkt wird auch unabhängiger von der Konsekrationsinstanz Staatliches Museum. Die Kriterien, nach denen private Sammlerl-innen ihre Be-

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stände aufbauen, müssen nicht den Maßstäben der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte genügen. Viertens und letztens wurde deutlich, dass neben den staatlich geförderten und in den staatlichen Institutionen verankerten autonomen Kunstbegriffen des Kulturguts und des gesellschaftskritischen Diskurses sich nur eine weitere »Position« der Ökonomisierung widersetzt: der Kunstbegriff des autonomen Diskurses. Ihre Kraft und relativ etablierte »Position« erklärt sich aus der Anhindung an das wissenschaftliche Feld. Meine Analyse ergab, dass sich das autonome künstlerische Feld in einer Umbruchsituation befindet. Die Veränderungen werden von wandelnden Kräfteverhältnissen in anderen Feldern, insbesondere dem ökonomischen und politischen Feld, genauso angetrieben wie von feldinternen Entwicklungen. Das Kunstgeschehen als soziales Feld und somit als gesellschaftliche Praxis zu betrachten, verdeutlicht, dass eine Ökonomisierung des Kunstbereichs niemals unabhängig von den Akteuren und niemals unabhängig von den Machtkämpfen zwischen den einzelnen »Positionen« vonstattengeht Das soziale Feld der Kunst ist damit ein Schauplatz gesellschaftlicher Machtkämpfe. Ferner erhellte meine Analyse, worum sich das Spiel der Kunst dreht und das heißt, warum sich Menschen für die Kunst engagieren und in ihr ihre Berufung sehen. Die »illusio«, der »Glaube« des künstlerischen Feldes, der der Praxis erst ihren Sinn und ihren Daseinsgrund verleiht, besagt, dass Kunstakteure ein Ideal des Menschen verkörpern und sie in ihrer künstlerischen Praxis das erstrebenswerte Leben und Miteinander umsetzen. Der Kunst und ihren Akteuren wird Wert zugeschrieben, weil sie kulturelle Werte unserer Gesellschaft leben, bewahren und vermitteln. Das Engagement staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteure ist dem »Glauben« an das kulturerzeugende Potential der Kunst verhaftet. Jede Förderung, jedes Agieren im Feld intendiert, bestimmte kulturelle Werte durchzusetzen. Die staatliche Strukturförderung basiert auf einem Kunstbegriff, der in das Konzept der kulturellen Bildung mündet. Die Kunst vermittelt das humanistische Bildungsgut und bietet Freiräume, um zu vernunftbegabten, urteilsfahigen und aufgeklärten Bürgerl-innen eines Staates deutscher Kultur heranzuwachsen. Die neuen staatlichen Wirtschaftsfördermodelle grenzen sich insofern von der bildungsbürgerlichen Idee ab, als sie sich auf die Anerkennung aller kreativen Fähigkeiten berufen. Nicht nur der geschulte Geist soll die eigene Kultur verkörpern, sondern die Pluralität menschlicher Potentiale. Die Tatsache, dass die von ihrer kulturellen Erziehung befreiten Individuen den Gesetzen des Marktes unterworfen werden, lässt den egalitären Anspruch zu einer »Legitimations- und Integrationsideologie« (Vester/Oertzen/Geiling/Hermann/Müller 2001: 75) verkommen. Wenn das Individuum und seine Potentiale in den Mittelpunkt gestellt werden, besteht die Gefahr, dass die sozialen Voraussetzungen ungleich verteilter Erfolge missachtet werden und der Staat nicht mehr in der Verantwortung gesehen wird, soziale Teilhabe für alle zu ermöglichen. Die staatlichen Wirtschaftsfördermodelle sind Ausdruck der wachsenden

DIE ÖKONOM ISIERUNG UND DER K AMP F UM KULTURELLE W ERTE

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Macht des ökonomischen Feldes und seiner Denkmodelle. In der Praxis des primären Kunstmarktes offenbart sich das Selbst- und Menschenbild des Großbürgertums, jener sozialen Schicht, die das ökonomische Feld beherrscht. Auch die Kunstmarktakteure stellen das Individuum und seine Potentiale in den Mittelpunkt. Allerdings gehen sie nicht von der Gleichheit aller Menschen und aller menschlichen Fähigkeiten aus, sondern von besonderen Talenten und einer qua Geburt begründeten sozialen Exklusivität einiger Weniger. Die Praxis der »Position« »Die institutionelle Freiheit« grenzt sich von einer drohenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche vehement ab. Ihr Ideal eines mit einem inneren Impuls nach Freiheit ausgestatten Individuums sehen die Akteure durch die Postulate und propagierten Menschenbilder ökonomischer Denkmodelle bedroht. Als einzigen A usweg ziehen sie sich mittels ihres Begriffs autonomer Kunst, also mittels ihrer diskursiven Praxis, auf ein autonomes Dasein zurück. Sie führen ein Leben als Teil eines exklusiven akademischen Kreises und nehmen fiir sich in Anspruch, das Befreiungsmoment des Individuums zu bewahren. Wie ich zeigen konnte, werden auf dem Schauplatz der Kunst nicht nur Kämpfe darum geführt, was Kunst ist oder sein soll. Kunst ist weder bloß visuell gestaltetes Objekt oder kreative Ausdrucksform, noch ist sie bloß kulturelles Gut, geniale Schöpfung, Diskurs oder Intervention. Die Perspektive der Kunstakteure auf sich und die Kunst erhellt, dass es sich bei ihren Sichtweisen um Weltsichten handelt. Es geht also nicht nur um Kunst. Vielmehr geht es darum, wie unsere Welt beschaffen sein sollund was den Menschen ausmacht. Das soziale Feld der Kunst ist damit ein Schauplatz gesellschaftlicher Machtkämpfe um kulturelle Werte.

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UrbaneJugendbewegungen Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt Juni 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 19,80 €, ISBN 978·3·8376·2130·3

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Die weltoffene Stadt Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht Mai 2013, 206 Seiten , kart., zahlr. Abb., 24,80 € , ISBN 978-3-8376-1674-3

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MATTHIAS FoRCHER-MAYR Fragile Übergänge Junge Männer, Gewalt und HIV/AIDS. Zur Bewältigung chronischer Arbeitslosigkeit in einem südafrikanischen Township Juli 2013, ca. 450 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2302-4

AYLA GÜLER SA!ED Rap in Deutschland Musik als Interaktionsmedium zwischen Partykultur und urbanen Anerkennungskämpfen Januar 2013, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2251-5

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MARCUS MICHAELSEN Wir sind die Medien Internet und politischer Wandel in Iran April 2013, 352 Seiten , kart., 32,80 € , ISBN 978-3-8376-23n-6

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HANNES SCHAMMANN Ethnomarketing und Integration Eine kulturwirtschaftliche Perspektive. Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien April 2013, 300 Seiten, kart., 29,80 € , ISBN 978-3-8376-2428-r

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