Bild-Zeit: Zeitgestalt und Erzählstruktur in der bildenden Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts 9783205114642, 3205772237, 9783205772231

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Bild-Zeit: Zeitgestalt und Erzählstruktur in der bildenden Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts
 9783205114642, 3205772237, 9783205772231

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ARS VIVA Herausgegeben von

Götz Pochat Band 8

Götz Pochât

Bild - Zeit Zeitgestalt und Erzählstruktur in der bildenden Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts

BÖHLAU VERLAG WIEN • KÖLN • W E I M A R

Gedruckt mit der Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-205-77223-7 Das Werk ist urheberrechdich geschüttt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2004 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien • Köln • Weimar http ://www.boehlau.at http ://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Druck: Ferdinand Berger & Söhne, A-3580 Horn

Inhalt

Einleitung

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I

Vergegenwärtigung - Erzählkunst und Andachtsbild

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II

Freskenmalerei im Trecento

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III

Imitatio Pietatis in Miniaturen und Tafelbildern des 14. Jahrhunderts

34

IV

Florentinische Renaissance —erste Hälfte des 15. Jahrhunderts

63

V

Altniederländer der ersten Generation des 15. Jahrhunderts

122

VI

Florentinische Maler - zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts

191

VII

Altniederländer der zweiten Generation des 15. Jahrhunderts

250

Anmerkungen

295

Bibliographie

304

Namenregister

308

Abbildungsverzeichnis

311

Abbildungsnachweis

314

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Einleitung Das vorliegende Buch setzt eine Untersuchung fort, die sich mit der Zeitproblematik in der bildenden Kunst befaßt. In dem 1996 erschienenen ersten Teil der „Bild/Zeit" wurde den unterschiedlichen Modalitäten einer Phänomenologie der Zeit in der Kunstentwicklung von den Anfängen bis in die frühe Neuzeit nachgegangen: Bewegungsdarstellung, Schilderung eines Mythos bzw. einzelner Phasen eines Handlungsablaufs; Einordnung einzelner Szenen in den übergreifenden Kontext der Historie oder in die teleologisch ausgerichtete Heilsgeschichte. Mit den Erzählzyklen Giottos in Assisi und Padua kommen in zukunftsträchtiger Weise insbesondere die innertextuellen Bezüge der istoria gestalterisch in kompositorischen und formalen Ähnlichkeiten zum Tragen und machen so die überzeitlichen Bezüge sinnfällig. Mit dem schnell sich entwickelnden Illusionismus in der frühen Neuzeit eröffnete sich dem Künstler ein immer breiteres Spektrum der zeitlichen Ausdifferenzierung vorgegebener Gestalten und Geschehnisse. Aktion und Reaktion, äußere Handlungsabläufe und psychische Prozesse dienten der Sichtbarmachung und Entfaltung innertextueller Prozesse in einem bislang ungekannten Ausmaß. Dementsprechend erfuhr auch die Erlebniszeit des Betrachters im ästhetischen Nachvollzug der vorgestellten Geschichte eine emphatische Vertiefung - dabei stellten das nicht Gezeigte, das implizit Gedachte und Verweisende, den Rezipienten vor neue Aufgaben zeitlicher Einordnung und Interpretation. Das Schwinden des kultischen Zeichens zugunsten des Erzählerischen und der damit verbundenen Rahmenmotive führte zu einer fortschreitenden Komplexität zeitlicher Bezüge und zu entsprechenden subjektiv geprägten und zugleich offenen Bewußtseinsprozessen seitens des Rezipienten. Dies gilt auch für den Wandel der Gestaltungsprinzipien in der religiösen Kunst des 14. Jahrhunderts, die neben der erzählerischen Tendenz zugleich den neuen Typus des Andachtsbildes entwickelt, in dem durch bewußte Reduktion und Segmentierung der subjektive Nachvollzug des vorgestellten Themas gezielt eingefordert wurde. Bei der „Eroberung der sichtbaren Welt" im 15. Jahrhundert schlug man in Italien bzw. in Burgund und den Niederlanden unterschiedliche Wege ein. In Italien ruhte das Hauptaugenmerk auf der Darstellung der menschlichen Figur und in weiterer Folge auf der glaubhaften Inszenierung einer istoria, sowohl im religiösen wie im profanen Kontext. Die Protagonisten wurden in einen vorkonzipierten Handlungsraum eingefügt, dessen tiefenräumliche Struktur zugleich eine zeidiche Hierarchisierung von Vergangenem und Zukünftigem in Hinblick auf den gewählten Augenblick erlaubte. Die Nie-

derländer haben die empirische Erkundung des Sichtbaren auf die Spitze getrieben, zugleich aber den sakralen Aspekt ihrer überwältigenden Altarbilder nicht aufgegeben, sondern gerade die schier endlose Wiedergabe der Welt in ihrer unerschöpflichen Fülle und Schönheit von der göttlichen Allmacht ein Zeugnis ablegen lassen. Dabei treten höchst unterschiedliche Gestaltungsprinzipien auf, von der „Stillegung des Blickes" bis hin zur Dramatisierung eines Augenblicks, oder der Weg nach innen, durch die Auslotung der vom Wunder getroffenen menschlichen Psyche. Auf die Bedeutungsträchtigkeit der Einzeldinge kann aus dem raum-zeitlichen Kontext geschlossen werden, sie bleibt aber offen und von dem Erfahrungshorizont des Betrachters abhängig. Diese allgemeinen Feststellungen dienen nur als ein grobes, eigentlich den Kunsthistorikern längst vertrautes Raster. Erst aus der Analyse der einzelnen Werke, ob Malerei, Relief oder Plastik, läßt sich der Zeitaspekt herausarbeiten, der so konstitutiv zum Werkcharakter und zugleich dem hermeneutischen Kreis der Interpretation einen Beitrag leistet. Da es in der Natur der Kunst liegt, immer neu befragt werden zu können und Werk und Interpret sich dabei immer eine unabgeschlossene, „offenen Zukunft" bewahren, habe ich es vermieden, den Blick des Lesers durch eine Fülle von Literatur gleichsam zu trüben, sondern habe den Gang der formalen und inhaltlichen Interpretation im Lichte der „Zeit" in den Vordergrund gerückt und der Einschätzung und Uberprüfung seitens des Lesers anhand des sichtbaren Befundes überlassen. Ein eigentlich unlösbares Problem stellte die Gliederung dar, da zum einen die Chronologie ein sine qua non der Kunstgeschichte bleibt, andererseits aber fruchtbare Wechselbeziehungen oder gegensätzliche Positionen zwischen Nord und Süd ebenso erhellend sein können. So wurde eine gewisse Parallelfiihrung im Tre- und Quattrocento erstrebt und eine Aufteilung des historischen Verlaufs in größeren Blöcken vorgenommen. Da die Zeitaspekte unterschiedlich gelagert und vom Interpreten von Fall zu Fall in ihrer Diversität als Faden der Analyse dienen, kann von einem festgelegten methodischen Vorgehen nur insofern gesprochen werden, als die Werkanalyse stets den Vorrang behält und der Betrachter fortlaufend auf seine der Veränderung unterzogene Position verwiesen wird - denn auch die kunsthistorische Reflexion selbst läuft als ein interaktiver Bewußtseinsprozeß im Sinne eines Dialoges mit dem Kunstwerk zeitlich-diskursiv ab. Diesem hermeneutischen Ansatz wurde im ersten Buch der „Bild/Zeit" eine phänomenologische Betrachtung vorangestellt, und auch bei den Untersu-

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Bild-Zeit

chungen anderer Forscher (Theissing, Paflik, Boehm, Brucher) wurde ähnlich vorgegangen. Der Zeitaspekt in der bildenden Kunst bietet ein nie enden wollendes Betätigungsfeld kunsthistorischer Interpretation, das im Laufe der Entwicklung der abendländischen Kunst immer weitere Kreise und Erscheinungsformen annimmt. Das vorliegende Buch sucht, dem Phänomen in zwei Jahrhunderten gerecht zu werden — im weiteren Verlauf dürfte mit jeweils hundert Jahren bereits das Maß voll sein und Wesendiches immer noch unberücksichtigt bleiben.

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Dank sei hier Frau Helene Beke vom Institut für Kunstgeschichte Graz ausgesprochen, die Teile der Manuskripte geschrieben und das Ganze in Form gebracht hat. Meine Kollegin Brigitte Wagner hat unvermeidliche Fehler ausgemerzt, Ulrich Tragatschnig, Jasmin Haselsteiner und Manuela Steinberger haben sich mit den Illustrationen abgemüht; weiters war Herr Gerhard Weinberger beim Abbildungsteil behilflich. Die Zeit, die in dieses Buch eingeflossen ist, wird meiner Frau als Widmung zurückerstattet.

I Vergegenwärtigung - Erzählkunst und Andachtsbild In seinem Buch „Das Bild und sein Publikum im Mittelalter" macht Hans Belting auf die Entstehung der Bildform des Tafelkreuzes aufmerksam. Aus der byzantinischen Deesisgruppe des Gekreuzigten, Maria und Johannes hervorgegangen, wurden letztere partiell vergrößert, aus der ursprünglichen Lage gelöst und als Halbfiguren in Tafeln an den äußeren Enden des Querbalkens angebracht. Zweck dieser Transformation war das Bestreben nach Sichtbarmachung, die wiederum aus der veränderten sozialen und liturgischen Situation zu begreifen sei.1 Die großräumigen „Predigerscheunen" der Bettelordenkirchen in Italien legen von der neuen Bedeutung der Predigt im 13. Jahrhundert, Verkündigung und Festigung des Glaubens ein Zeugnis ab. Sowohl die Vertiefung und Verbreitung im stofflichen Bereich der Vita Christi in seinem Wirken, seinen Wundern und seinem Leiden waren dort Gegenstand des Diskurses, als auch Ereignisse aus dem Leben Mariens, der Apostel und der Heiligen. Als ein neuer, ungemein fruchtbarer Zweig der zur Frömmigkeit und Nachahmung anhaltenden Predigerstoffe zählte seitens der Franziskaner die ausfuhrliche Darstellung des Lebens des hl. Franziskus. Die offizielle Version von dessen Heiligenvita wurde 1263 in der Legenda major des Ordensgenerals, Bonaventuras, abgeschlossen, der später die vita secunda Thomas' von Celano folgte. Mit Franziskus, dem alter Christus, stand dem Gläubigen eine repräsentative, für jedermann erfaßbare Gestalt vor Augen, der zu folgen und die nachzuahmen er angehalten wurde.2 Auch seitens der Dominikaner wurde auf eine Reihe von einschlägigen Ordensheiligen verwiesen (der hl. Dominicus, Petrus Märtyrer u. a.), die in ihrer Frömmigkeit und Glaubenskraft den Menschen beispielhaft vor Augen standen. Die Heiligenviten fanden mit den ausgeweiteten Berichten aus dem Leben Christi und Mariens Eingang in die Legendensammlungen, in die Legenda aurea eines Johannes de Voragine oder die Meditationes des sog. Pseudo-Bonaventura. In diesem Kontext einer immer stärker im täglichen Leben der Städter sich ausbreitenden Volksfrömmigkeit kam es also zu einer Umstrukturierung oder zumindest Akzentverschiebung in der bildenden Kunst zu jenem entscheidenden Wandel vom ikonischen Zeichen und Bild zu bewußt narrativen Bildformen, die Raum und Zeit gleichermaßen als bildnerische Mittel im Rahmen der historia zur Geltung brachten. Wo das Bild noch als Bedeutungsträger infolge seines Standorts den Charakter eines symbolischen, ikonischen Zeichens beibehielt, wie im oben angeführten Falle des Lettnerkreuzes, wurde die Bildformel selbst einer Veränderung zwecks Sichtbarmachung unterzogen. Zu diesem gesellen sich später die Altaraufsätze mit ihren Alltags- und Sonntagsseiten.

Noch stärker war der Transformationsprozeß in dem nunmehr immer stärker auf das Erzählerische gerichteten Wandbild, das in seiner zyklischen Ausformung um 1300 in Assisi und Padua die neue Ära in der abendländischen Monumentalkunst einläutet. Sichtbarmachung und Vergegenwärtigung des biblischen Stoffes sowie der fast zeitgenössischen Heiligenviten bedeuten aber eine stärkere Inanspruchnahme des Betrachters, der sich zum einen mit einer für die Zeit unerhörten illusionistischen Darstellung konfrontiert sieht, die ihn quasi leibhaftig am Geschehen teilhaben läßt. Wie vielfältig die formalen Mittel schon zu Beginn waren, die vom Künstler erdacht und eingesetzt wurden, um den Ausdruck der Figuren und den Fortgang und tiefen Zusammenhang der Erzählung deudich zu machen, ist im ersten Buch zur Bild-Zeit-Thematik am Beispiel von Assisi beschrieben worden (Götz Pochat, Bild/Zeit. Zeitgestalt und Erzählstruktur in der bildenden Kunst von den Anfängen bis zur frühen Neuzeit, Wien 1996, Kap. XVII und XVIII). In Giottos Fresken in der Arenakapelle tritt in einer zunächst kaum in ihrer Tragweite erkannten, zumindest ohne Nachfolge gebliebenen Darstellungsform jene bewußt in Szene gesetzte Spannung von Fläche und Raum zutage, die dem jeweiligen Thema zu einer künstlerisch vertieften Aussage verhilft. Neue Anforderungen werden hier an den Betrachter gestellt, denn nicht nur vom Inhaltlichen, sondern auch infolge der neu entwickelten Darstellungsprinzipien wird seine Erlebniszeit von einem als autonom zu bezeichnenden ästhetischen Bewußtsein begleitet. In der abschließenden Betrachtung zu den Fresken in der Arenakapelle wird diese Intensivierung der Gegenwart durch Betrachtung und Nachvollzug als Resultat einer Kunstentwicklung gesehen, die eben den Betrachter zur inhaltlichen und ästhetischen Partizipation stärker in die Pflicht nimmt. Dasselbe Bestreben, wenn auch mit anderen Mitteln, liegt auch jenen Bildformen im Trecento zugrunde, die unter dem Begriff der Devotion, dem Andachtsbild, subsumiert werden. Die Vermehrung der kanonischen Stoffe und die Vielfalt der psychologischen Verästelungen und Ausdeutungen dienten vor allem dazu, den Betrachter in seiner geistigen Nachfolge und Frömmigkeitsübung den Weg zu weisen. Ob direkt oder indirekt angesprochen entwickelten sich, wie Frank Olaf Büttner und andere gezeigt haben, Bildformeln, die nicht nur das zur Nachahmung empfohlene Vorbild (etwa in einer Gestalt oder Szene) zum Gegenstand haben, sondern diese Wirkungsabsicht selbst implizit oder durch Einfügung von Vermittlerfiguren erklärten.3 Das Verhältnis der Gegenwart zur Vergangenheit, die Selektion und Aufarbeitung von Gestalten und Handlungen, die

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Vergegenwärtigung - Erzählkunst und Andachtsbild

mehr als tausend Jahre zurückliegen, mag in der Tat als eine Besonderheit der christlichen Heilslehre und ihres Geschichtsverständnisses gesehen werden. Schon zu frühchristlicher Zeit wurde auf das „vertikal" ausgerichtete Geschichtsbewußtsein hebräischer Prägung zurückgegriffen, jene Auslegungstechnik der Heiligen Schrift, nach der sich in der historischen Faktizität des alttestamentlichen Ereignisses die Bewahrheitung und Vollendung der Heilsgeschichte im neutestamentlichen Kontext bereits bekundete. (Bild/Zeit, I, 1996, S. 144 ff.). Eng mit diesem übergreifenden Heilsplan Gottes sah sich der Gläubige selbst verbunden, dem sich in der Gegenwart des Sakraments und der sich aufs neue ausgesprochenen Verheißung von Gnade und Erlösung am Jüngsten Tag die Befreiung aus diesem Geflecht irdischer Zeitlichkeit auftat. In der systematischen Ausprägung der hochmittelalterlichen Typologie und vor allem in den immer mehr zum Erzählerischen neigenden Darstellungen des Jüngsten Gerichts in der gotischen Portalplastik haben wir gesehen, wie diese Vergegenwärtigung des vergangenen und zukünftigen Heilsgeschehens immer stärker und erzählerischer dem Gläubigen vor Augen geführt und von ihm im Augenblick ästhetischer Partizipation persönlich vereinnahmt wurde. (Bild/Zeit, I, 1996, S. 209 ff.). Es nimmt nicht wunder, daß es im Laufe des 13. Jahrhunderts sogar zur Ausprägung von tableauhaften Kreuzigungsgruppen kam, die den Betrachter als „Zuschauer" etwa an der gefühlsgeladenen Handlung der Kreuzabnahme partizipieren ließen. Diesen frühen Gruppen sollten spätere der „Beweinung" selbst folgen.4 Geschichte, ob vergangene oder zukünftige, wird demnach durch Figurenkonstellationen vergegenwärtigt. Gestik und psychischer Ausdruck der Protagonisten tragen zum Nachvollzug der Handlung bei. Das Neuartige in der anfangs angesprochenen Präsentationsform des Tafelkreuzes liegt in dem ausschnitthaften Charakter der begleitenden Tafelfiguren, die zugleich als Anleitung emotionalen Nachvollzugs den Gläubigen am Lettnerkreuz vor Augen stehen. So öffnen sich in der devotional ausgerichteten Kunst des 14. Jahrhunderts verschiedene Wege, die alle von der Intention geleitet sind, den Gläubigen stärker in das Geschehen einzubeziehen und ihn zum emotionalen Nachvollzug anzuhalten: In der monumentalen Freskenmalerei kommt es zum illusionistischen Ausbau der erzählerischen Szenen mittels Frühformen der Axialperspektive, Verkürzungen und einer räumlichen Anordnung von Kulissen sowie einer Weiterentwicklung der Gebärdensprache und des physiognomischen Ausdrucks; Vergegenwärtigung also mittels illusionistischer Stilprinzipien. In Miniaturen und Stifterbildern wird der imitatio pietatis als Anweisung zur frommen Nachfolge durch die Figurenkonstellation Rechnung getragen, indem die Protagonisten oder die Begleitfiguren für den Betrachter

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gleichsam stellvertretend im Akt der Anbetung gezeigt werden, um ihm so die Szene selbst als Gegenstand der Anbetung nahezubringen.5 Das Andachtsbild Azs 14. Jahrhunderts trägt den Charakter einer Sonderform, die sich insofern von den besprochenen unterscheidet, als daß sie Einzelfiguren aus dem narrativen Verband herauslöst und so typisiert und stilisiert dem Betrachter vor Augen stellt.6 Das Erzählerische dient gleichsam als pars pro toto ftir einen Kontext, der nur von jenem nachvollziehbar ist, der ohnehin schon damit vertraut ist. Die Historie wird hier eben nicht als eine erzählerische Szene mit vielen Protagonisten vorgestellt, sondern von einer oder zwei Figuren, und jene nicht einmal immer zur Gänze, sondern ausschnitthaft. Ringbom spricht in seinem einschlägigen Buch vom „dramatic close-up".7 Aus der Nahsicht heraus ergibt sich die Möglichkeit und Notwendigkeit, sich in die psychische Lage der Figur zu versenken, sich die Formel des Leidens, des Zweifels oder des Vertrauens einzuverleiben, um so aus dem ästhetischen Augenblick und der von ihm getragenen Erlebniszeit heraus zu einer vertieften Erfahrung der Glaubenswahrheit zu gelangen. So paradox und eigentlich gegenläufig das Andachtsbild in seiner Isolation und Formelhaftigkeit zu der zeitgenössischen Entwicklung der erzählerischen Szenen und Raumbühnen steht, so unterschiedlich verhält es sich auch mit der Bildkategorie der Zeitlichkeit: Im ersten Falle kristallisiert sich die Zeitstruktur aus dem Narrativen heraus; der Verlauf der Geschichte wird an Einzelszenen und im Rahmen derselben aus der Figurenkonstellation und dem kompositionellen Aufbau ersichtlich; im Andachtsbild hingegen erscheint der Fluß der Zeit zum Stillstand gebracht. Die Repetition feststehender Formeln, das Stilisierte und Formelhafte, prägen sich dem Gemüt ein und dienen im Nachvollzug wie ein vertrautes Gebet der Verinnerlichung einfacher Glaubenssätze. Die Ausschaltung der Zeit entspricht der meditativen Praxis, nach der die Konzentration auf einen Punkt oder einen intensivierten Seelenzustand anhält, den Betrachter in jenes unbestimmte, bodenlose und letztlich unreflektierte Bewußtsein versetzt, in dem die Seele sich mit der Gottheit eins weiß, jenem Gott, der in der Mystik als die „Wolke des NichtGewußten" apostrophiert wird. Dies ist der Titel des Meditationsbuches von einem unbekannten englischen Autor, das in den Jahren 1349-1395 verfaßt wurde - „The Cloud of Unknowing".8 Die Rezeption des Andachtsbildes zielt auf jenen Augenblick ab, der außer Zeit und Raum steht, jene Allgegenwart, die von Augustinus in dessen Bekenntnissen als ein Charakteristikum christlicher Gotterfahrung überhaupt so eindringlich beschrieben wurde.

II Freskenmalerei im Trecento Giotto Mit den Fresken in S. Croce nach 1317 bis zur Abreise Giottos an den Hof von Robert d'Anjou in Neapel 1328 hat Giotto ein bedeutendes Vermächtnis seines dramatisch-erzählerischen Könnens in Florenz hinterlassen, das neben den Fresken in Assisi und Padua die weitere Entwicklung im Trecento bestimmen sollte. Es besteht kein Zweifel, daß jene ikonischen Aspekte, die in so eindrucksvoller Weise in der Scrovegni-Kapelle in Padua zum Tragen gekommen waren, in der Bardiund Peruzzi-Kapelle nochmals aufgegriffen und dem Betrachter zuweilen in monumentaler Form vor Augen geführt wurden. Die Harmonisierung von räumlich entwickeltem Szenario und agierenden Figuren in Assisi findet in der BardiKapelle eine Fortsetzung, sodaß man die strittige Frage, ob Giotto wirklich der Urheber des Zyklus in Assisi gewesen ist, mit der Tatsache, daß beide Stiltendenzen im Spätwerk Giot-

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tos münden, doch für seine Autorschaft sprechen. Oertel hielt allerdings den Maler der Bardi-Kapelle für einen eklektischen Nachfolger des Meisters.1

Bardi-Kapelle, S. Croce, Florenz In der Bardi-Kapelle wird noch einmal, in verkürzter Form, das Leben des hl. Franz geschildert. Am Anfang steht der Verzicht auf die Güter dieser Welt (Abb. 1). Zwei kompakte Gruppen, monumentale Gestalten, plastisch in schweren Gewändern zusammengefaßt, stehen sich gegenüber: die linke Gruppe mit dem erzürnten Vater, der von den Begleitern zurückgehalten wird - eine Bilderfindung, die in eleganter Form schon in Assisi zu verzeichnen ist - , rechts der hl. Franz mit seiner Gefolgschaft. Der Heilige mit dem erhobenen Arm, sowie der hinter ihm stehende Bischof schließen sich der Lö-

Giotto, Entsagung des hl. Franziskus, um 1317; Bardi-Kapelle, S. Croce, Florenz

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Freskenmalerei im Trecento

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Giotto, Feuerprobe vor dem Sultan, um 1317; Bardi-Kapelle, S. Croce, Florenz

sung in Assisi an. An den beiden äußeren Ecken dieser flächenparallel geordneten Gruppe wird jeweils ein Kind zurückgehalten und gemaßregelt — anekdotische Einschübe, die die feierliche Immobilität der Gruppen unterlaufen und dem Augenblick auch am Rande mit dem Lebendigen, Unvorhergesehenen Rechnung tragen. Während in Assisi in der Mitte der Szene durch das Auseinanderklaffen der beiden Häuserkulissen sich eine Leere auftut, geht Giotto in der Bardi-Kapelle einen anderen Weg, indem der mächtige Palast, der den ganzen Hintergrund einnimmt, oblique gestellt ist, und zwar so, daß die Vertikale der Ecke auf Franziskus trifft, dessen Fixierung und Immobilität im Bildgeftige dadurch verstärkt wird. Aus den fluchtenden Wänden und der Planimetrie der beiden Gruppen erwächst jene Spannung, die insbesondere in Padua den einzelnen Szenen ihren unverkennbar spezifischen Charakter verleihen. In der „Bestätigung der Regel" scheint wieder die Lösung in Assisi nachgewirkt zu haben. Die Protagonisten befinden sich

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in dem perspektivisch ausgeführten Empfangssaal eines Palastes, dessen Vorderseite geöffnet ist. Die Figuren indes sind massiger und bis an den unteren Rand des Freskenfeldes herabgezogen, die Urkunde selbst zwischen dem Papst und dem Ordensgründer kräftiger, quasi als Spange zwischen der Kirche als Institution und dem Orden in Szene gesetzt. Die beiden seitlichen, durch Pultdächer gedeckten Kompartimente sind jeweils durch zwei hintereinander gestaffelte Figuren besetzt eine zugleich dynamische wie raumschaffende Lösung, wie wir ihr später in der Verschmelzung der Figuren etwa in Nanni di Bancos „Quattro Coronati" in der seichten Nische von Or San Michele begegnen werden. In beiden angeführten Szenen wird das Geschehen auf einen erfüllten Augenblick hin verdichtet, in dem die Bewegung der Figuren eingefroren sind — Lossagung vom Vater in dem einen Fall, Bestätigung durch den Stellvertreter Christi in dem anderen. Größere Dramatik wird in der unvergeßlichen Darstellung mit der „Feuerprobe vor dem Sultan" erstrebt, die durch Mo-

Giotto

numentalität und Schlichtheit zugleich geprägt ist (Abb. 2). Während in Assisi Franziskus in der Mittelachse positioniert ist, links von ihm das Feuer und die zaghaften Muselmanen, rechts der Sultan in einem Throngehäuse, erscheint der Thron in der Bardi-Kapelle perspektivisch in die Mittelachse gerückt; links wenden sich die Muselmanen erschrocken von dem Feuer ab, rechts bestätigt Franziskus mit affirmativer Geste seine Bereitschaft, sich der Feuerprobe zu unterziehen. Die erhöhte Spannung wird vor allem durch den Rollenwechsel des Sultans erzielt. Während jener sich in Assisi Franziskus zuwendet und ostentativ auf das Feuer verweist, wendet er sich in der Bardi-Kapelle den eigenen Glaubensgenossen zu und deutet zugleich mit der Rechten - in ungemein wirkungsträchtiger Weise aus der Drehbewegung den eigenen Körper überschneidend — auf das Feuer bzw. auf den hl. Franz als das exemplum virtutis auf der rechten Seite. Der symmetrische Bildaufbau, dem durch die momentane, chiastische Bewegung Leben eingehaucht wird, die Waagschale in der Stunde der Entscheidung sichtbar zugunsten des rechten Glaubens sinken läßt, setzt als prägnante Umsetzung der Narratio in einem entschei-

denden Augenblick neue Maßstäbe, wiewohl die reduktionistische, man könnte sagen, minimalistische Form in ihrer erzählerischen Potenz von den unmittelbaren Nachfolgern offensichtlich nicht erkannt wurde. Nicht so dramatisch, aber gleichermaßen reduziert in der Form, mutet die „Erscheinung in Arles" an (Abb. 3). In der zum Betrachter hin geöffneten Halle erscheint der hl. Franziskus dem Bruder Antonius bei der Predigt als Vision. Die Szene ist wesendich stärker auf symmetrische Ordnung und Flächenparallelität angelegt als die entsprechende Darstellung in Assisi. Franziskus erscheint in dem mittleren Arkadenbogen der Rückwand, Antonius leicht seitenverschoben in dem linken. Die Schrägperspektive in Assisi ist hier einer mittachsigen gewichen. Die flächenparallele Verteilung der sitzenden Brüder im offenen Gehäuse knüpft eher an die Endszene in Padua mit dem „Pfingstwunder" an. Im Gegensatz zu der Schilderung der Vision in Assisi, wo der Legende gemäß nur Antonius den Heiligen wahrnimmt, wenden sich die sitzenden Brüder hier der zentralen Gestalt zu - sie nehmen unmittelbar an der Realität des Wunders teil, ebenso wie der Betrachter, der sich

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Freskenmalerei im Trecento

mit dem leibhaftig erscheinenden Franziskus konfrontiert sieht, der ihm in ganzer Gestalt ohne Überschneidungen gegenübersteht. So wird die Partizipation an dem erfüllten Augenblick durch die Bildstruktur in doppelter Hinsicht gewährleistet: im geschlossenen Raum vor der versammelten Kongregation und im Bewußtsein des Betrachters, der sich die Narratio gleichsam wie ein Andachtsbild zu Gemüte führen kann. Dementsprechend ist auch der „Tod des Franziskus" im Sinne einer Beweinung inszeniert. Die Minderbrüder sind um die Bahre versammelt, und ihre Gestik entspricht jenen Pathosformeln, die auch in der Schilderung der Frauen bei der Grablegung Christi immer wieder zum Tragen kommen. Das Erzählerische bei Giotto bleibt an der strengen reduzierten Form seiner früheren Werke orientiert. Die Ökonomie der künstlerischen Mittel und das „Ikonische" wirkt der Ausweitung des Bildraumes entgegen: Die Figuren und ihre Aktion bleiben an flächenparallel verlaufende Tiefenschichten gebunden, und die Strenge und Geschlossenheit der Kompositionen lassen die einzelnen Szenen autochthon vor dem Betrachter erscheinen. Ein Aufbrechen der fiktiven Räumlichkeit und eine Bezugnahme zum Betrachter wird vermieden. Als „Bild", mit der ihm eigenen ikonischen Qualität, dramatischen Zurschaustellung und Zeitlichkeit, wird der Inhalt geläutert vorgestellt und bietet dem Betrachter zugleich die Möglichkeit der inhaltlichen und ästhetischen Partizipation. In zwei weiteren, leider schwer beschädigten Szenen wird das Geschehen durch die ausdrucksvollen Figurenstellungen zusätzlich dramatisiert. In der Szene „Der hl. Franziskus erscheint dem Bruder Augustinus und dem Bischof von Assisi" schließt sich der Aufbau der Szene jener in Assisi insofern an, als daß die beiden Protagonisten in zwei voneinander getrennten Räumen geschildert werden, die in letzterem Falle dennoch von der Zentralperspektive zu einem Innenraum zusammengefaßt werden: der Bruder Augustinus auf seiner Liegestatt aufsitzend links, der träumende Bischof in Schlafhaltung rechts. Im Gegensatz zu der Darstellung in Assisi, wo die Himmelfahrt der Seele des Heiligen im Zeichen des Sterns links außerhalb des Gebäudes der Szene eigentlich vorangeht, dürfte der Stern hier entweder in der Mittachse im Innenraum selbst oder überhaupt nicht gezeigt worden sein (gerade hier können infolge der großen Schadstelle keine genauen Aussagen getroffen werden). Die beiden Hauptprotagonisten sind einander kompositioneil gegenübergestellt - der Stern als verbindendes Element dürfte sich in der Mitte befunden haben. Zur Dramatisierung, quasi als Unstetigkeitsstelle, wird am linken Bildrand hinter dem Bett des Bruders Augustinus die Halbfigur eines überraschten Mönches eingeführt, der nach vorn gebeugt einen Vorhang beiseite schiebt und den aufgeschreckten

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Augustinus beobachtet. Er dient als Leitfigur des Betrachters selbst, der, vor der Szene stehend, an dem Wunder durch den Nachvollzug der physischen Reaktion des Sterbenden teilnimmt. Die „Stigmatisierung" wird dem Betrachter in einer dramatischen und zugleich auf Bildhaftigkeit hinzielenden Form dargeboten, indem die Erscheinung des Seraphen im Himmel über der aus perspektivischer Untersicht wiedergegebenen Kirche geschildert wird, der sich Franziskus, vorne links kniend, mit erhobenen Händen in rückwärtiger Drehung zuwendet. Sein Körper bietet sich demnach wuchtig und vollplastisch dem Betrachter in der Vorderansicht dar, lenkt aber zugleich seinen Blick auf die himmlische Erscheinung schräg rechts im Himmel. Im Nachvollzug der Drehung, die zugleich innere Erregung zum Ausdruck bringt, wird die Erlebniszeit des Betrachters auf die Dynamik des Geschehens abgestimmt.

Peruzzi-Kapelle, S. Croce, Florenz Inwiefern die Fresken in der benachbarten Peruzzi-Kapelle jenen in der Bardi-Kapelle vorangehen, erscheint unsicher. Stilistische und grundsätzliche Unterschiede zwischen den beiden freskierten Wänden in der Peruzzi-Kapelle lassen auch Zweifel aufkommen, inwiefern die Fresken beider Kapellen zur Gänze von Giotto ausgeführt wurden. Mit Gehilfen ist sicher zu rechnen. Während sich die Geschichte Johannes des Täufers eher durch Vielfalt und Lebendigkeit der Erzählung auszeichnet, die Figuren im Verhältnis zu den recht konventionellen Kulissen relativ klein gehalten sind, zeichnen sich jene in der Geschichte des Johannes Evangelista durch eine beeindruckende Wucht und Monumentalität aus. Die Geschichte Johannes des Täufers beginnt in der Lünette mit der „Verkündigung an Zacharias". In dem schräg gestellten Tabernakel des Altars sehen wir den Auserwählten am Opferaltar, gerade dabei, dem Herrn ein Weihrauchopfer zu bringen, wie die Legenda aurea berichtet. Auf der rechten Seite sehen wir den Engel Gabriel mit erhobener Hand, den Verkündigungen gemäß. Die Lage der beiden Figuren entspricht strukturell-planimetrisch nicht der Relation der Figuren zu den Architekturkulissen in der Arenakapelle, da sie in das räumliche Gebilde eingeschoben sind und sich so nicht immer überzeugende Überschneidungen durch die Säulen ergeben. Auf der rechten Seite stehen die Frauen allerdings vor einem Gebäude, das durch seine Schrägstellung ihrer Positionierung widerstrebt. Deutlich ist in diesem Fresko das Bestreben, der istoria einen Aktionsraum zu geben. Dabei läßt die für Giotto charakteristische Flächenspannung nach. Ebenfalls aus einer Schrägperspektive wird die „Geburt des

Giotto

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Giotto, Auferweckung der Drusiana, um 1320; Peruzzi-Kapelle, S. Croce, Florenz

Täufers" geschildert. Die Handlung vollzieht sich in zwei aufeinander bezogenen Räumen: Rechts sehen wir Elisabeth auf dem Wochenbett. Zwei Hebammen stehen dahinter; im Vordergrund links vor der Tür steht eine monumentale Gestalt in halber Rückenansicht, deren Plastizität und schwere Gewandfalten eines Giotto würdig sind. Von dem Kind ist nichts zu sehen. Im anschließenden Raum links wird das Kind dem auf einem Schemel an der Wand sitzenden Zacharias vorgestellt. Jener trägt den Namen des Kindes in das Stammbuch ein - ein Thema, dem wir auch in der altniederländischen Malerei, etwa bei Rogier van der Weyden, begegnen (vgl. S. 109). Das Warten auf das fröhliche Ereignis und die Namensgebung entsprechen dem Verlauf der Geschichte, die stets auf die Rolle des Johannes als Vorläufer Christi verweist.

der gedeckten Tafel steht Salome, eher statisch, mit einer erhobenen Leier. Links, an der Säule stehend, bietet ein Soldat (oder Henker) dem König den Kopf des Täufers in einer Schale dar. Rechts, vor der Folie eines leeren Nebenraumes, kniet Salome und reicht Herodes ihrerseits das abgeschlagene Haupt nochmals, wie es in der Legenda aurea berichtet wird. Von einem Tanz kann also nur bedingt gesprochen werden, vielmehr von der vorgeplanten Einlösung des Versprechens. Die Hinrichtung selbst wird ausgelassen, nur der dramatische Augenblick festgehalten, als das Festgelage durch die Präsentation des Kopfes unterbrochen wird und anschließend die Ubergabe desselben an die Königin erfolgt, die in ruchloser Weise diesen Gang der Dinge eingefädelt und zur Ausführung hat kommen lassen.

Die Szene mit dem „Tanz Salomes" spielt sich ebenfalls in einer leicht schräg gestellten, nach vorne offenen Thronhalle ab: Der Spielmann, Salome und die mit ihr verbundenen Figuren befinden sich vor derselben. Die Szene spaltet sich in zwei Episoden auf: Vor der Thronhalle, vor dem König und

Die Fresken mit Ereignissen aus dem Leben des JohannesEvangelisten an der gegenüberliegenden Wand weisen sich durch eine Dramatik und Monumentalität aus, die das frühere Schaffen Giottos übersteigt. Nicht so sehr in der Lünette mit der Vision des Johannes auf Pathmos, sondern in den beiden

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Freskenmalerei im Trecento

großangelegten Darstellungen der Wunder, die „Auferweckung

Mannes am Kopfende der Bahre, der diese wohl soeben abge-

der Drusiana" und die „Himmelfahrt des Johannes".

setzt hat und nun wie gebannt Johannes anstarrt. Man kann

Von Pathmos zurückgekehrt, wird Johannes in Ephesos der

also eine Zunahme der Dramatik und des Bewegungsduktus

Leichnam seiner treuesten Anhängerin, in Grabtüchern ge-

zur Mitte der Szene hin mit der Drusiana und dem Evangeli-

wickelt, auf einer Bahre entgegengebracht (Abb. 4). D a der

sten verzeichnen. Die schweren und zugleich harmonisch

Evangelist „Jesus Christus erwecke dich, Drusiana" sprach,

geschwungenen Falten der Gewänder verleihen den Figuren

richtete sie sich sogleich auf. Vor den aufragenden Türmen und

Gravität und Würde, die sich auch in der mächtigen Architek-

Mauern der Stadt, die in leichter Schräge den ganzen Hinter-

turkulisse widerspiegelt, die alles Puppenhafte nun abgelegt hat.

grund schließen, sehen wir Drusiana in der Mitte des Bildfel-

Die „Himmelfahrt" des Johannes vollzieht sich in der

des auf ihrer Bahre sitzend, mit der Linken auf den Evangeli-

gleichnamigen Titelkirche zu Ephesos (Abb. 5). Die Architek-

sten verweisend, dessen monumentale Gestalt mit der

turkulisse dient hier ganz der dramatischen Steigerung der Ge-

ausgestreckten Rechten noch in der gebieterischen Pose ver-

schichte - so werden nicht nur die Vorderwand, sondern auch

harrt, die das Wunder ausgelöst hat. U m ihn knien Gläubige,

das Gebälk und Obergeschoß der Basilika weggelassen, um

und in seinem Gefolge nehmen Blicke und Gesten auf die Auf-

den Blick auf die mächtige aufwärts fahrende Gestalt des Evan-

erweckte Bezug. Dies gilt auch für die kompakte Gruppe der

gelisten freizugeben, der von Christus und den Begleitern ge-

Männer, die aus der Stadt mit der Bahre gekommen sind - ins-

rade mit ausgestreckten Armen gefaßt wird, um daraufhin in

besondere für den Mann in der vordersten Reihe, der in Verwunderung beide Hände erhoben hat. Außerordentlich einprägsam ist auch die Figurenfindung des nach vorn gebeugten

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den Himmel getragen zu werden. Links unten werden wir des dunklen Quadrates im Boden des Kirchenschiffes gewahr, jenes Grab, das am Sonntag der Himmelfahrt auf Geheiß Jo-

Taddeo Gaddi

hannes' neben dem Altar ausgehoben worden war, in dem stehend ihm ein großes Licht erschien und ergriff, wie es in der Legenda aurea geschrieben steht.2 Die Begleiter, stumme Zeugen des Herganges, tun ihre Verwunderung mittels Gesten kund - jener rechts Stehende erhebt seine Linke schützend vor das Gesicht, als sei er von einem Lichtschein geblendet. Ahnlich wie in der Drusiana-Szene wird links eine stark in der Hüfte eingeknickte Gestalt gezeigt, die in das leere Grab hinunterschaut, während die Protagonisten rechts eher des auffahrenden Johannes gewahr werden. So können wir anhand dieser Assistenzfiguren den kurzen Ablauf des Geschehens verfolgen, und die Bezugnahme zum Betrachter im Sinne des Sichzeigens wird umso deutlicher, als daß die Einschnitte in die Architektur ganz auf diese Sichtbarkeit hin angelegt sind. Aus dem Inneren des Grabes und des Kirchenschiffes entschwebt der Evangelist und Seher aus dem nach oben hin geöffneten Bau in den Himmel. Dramatisierung der Handlung, hier von der dynamischen zentralen Figur getragen, der die seitlichen Gruppen passiv schauend und reagierend untergeordnet sind, bedeutet Verlagerung der zeitlichen Gewichtung in die Gegenwart des Betrachters, der durch den Handlungsablauf und deren Inszenierung, sprich künstlerischen Umsetzung, das Geschehen in seiner verstärkten eingängigen Form verinnerlicht. Mit dem Nachvollzug der Handlung geht die Vereinnahmung ästhetischer Natur einher, die Erinnerung an die „Auferweckung ¿er Drusiana" und die „Himmelfahrt des Johannes" wird fortan in den einprägsamen gewaltigen Gestalten Giottos und ihre dramatische Wirkung im ikonischen Gefiige in Erinnerung bleiben. So ist es denn kein Zufall, daß wiederholt im Abstand von hundert Jahren Größen wie Masaccio und der junge Michelangelo gerade auf die Figurenfindungen in der Peruzzi-Kapelle wie der stehende Johannes der Täufer oder die Betrachtergruppe links in der „Himmelfahrt" in ihren frühen Zeichenstudien zurückgreifen und sie sich so der dramatischen Gestaltung der Körperlichkeit und Substanz ihrer eigenen Figuren zunutze machen. Die künstlerische Relevanz dieser Fresken als Ganzes und in einzelnen Passagen entbindet sie wiederum aus dem zeitlichen Kontext der istoria — im Sinne von Pathosformeln und Gestalten höchster physischer Präsenz gewinnen sie jene überzeitliche Signifikanz, die in der „reinen Dauer" im Bewußtsein des Betrachters immer wieder eine Bestätigung findet.

erheblich größere Zahl von Figuren, Versuche der Ausweitung des Bildraumes mittels Architekturkulissen und einer Ausdehnung der imaginären Bodenfläche. Dabei geht die dramatische Spannung und die Zuspitzung auf einen entscheidenden Zeitpunkt der jeweiligen Geschichte hin verloren. Die eigentliche künstlerische Leistung, die ikonische Umsetzung im Sinne einer vertieften Aussage, konnte von den Nachfolgern nicht mehr geleistet werden, zumal die Reduktion der Figuren und Wertigkeit der Volumina in ihren Ausdrucksmöglichkeiten dem Bestreben nach verstärkter Illusion eigentlich zuwiderliefen und vielleicht auch gar nicht als solche erkannt wurden. Diese Verflechtung wird insbesondere in Taddeo Gaddis Wiederaufnahme der beiden Szenen mit der „Auferweckung der Drusiana" und der „Himmelfahrt des Johannes Evangelista" deutlich (Poppi, Cappella del Castello, Beginn der 1330er Jahre). Die beiden Szenen werden in eine Lünette, die von einer fiktiven schlanken Säule zweigeteilt wird, eingefügt. Allein schon durch das Bildformat ist die recht getreue Übernahme der Figurengruppen aus den rechteckigen, breit gelagerten Wandfeldern der Peruzzi-Kapelle zum Scheitern verurteilt die Kraft und Plastizität der Gruppen, die Freistellung einzelner Figuren und die wirkungsmächtige flächenparallele Bilddisposition ist entschwunden; der Verlust an Dramatik fällt in der Himmelfahrt-Szene nicht zuletzt durch die wenig überzeugende Architekturkulisse noch stärker ins Auge. Uber diese Verlegenheit in der Figurenbildung und der Komposition hilft die Buntheit der Farbgebung ein wenig hinweg — eine Farbigkeit, die zur lebendigen Wirkung der Figuren, gar durch ein Changieren noch erhöht, beiträgt.3

Man würde aber Taddeo Gaddi unrecht tun, würde man sein erzählerisches Talent nur anhand dieser Lünette abtun. In seinem Hauptwerk, der Ausmalung der Baroncelli-Kapelle in S. Croce, von Oertel nach 1328, von Gregori u. a. erst gegen Ende des vierten Jahrzehnts datiert, findet der Maler zu einer gewissen Beruhigung der Farbgebung, einer sicheren, harmonischen Figurendarstellung und einer verstärkten illusionistischen Wirkung mittels Figurengruppierung, Architektur- und Landschaftshintergründen.4 Die Grundtendenz zum Ausbau der Bildbühnen, einer freieren Figurenschilderung und einem Eigenlicht mancher Szenen tritt im Vergleich etwa zu Giottos Fresken in den Szenen des „Marienlebens" sehr klar zutage. In der oberen Lünette sind die beiden einleitenden Szenen in einem einheitlichen Landschaftsraum zusammengeführt: Links wird Joachim aus dem hoch aufragenden Tempel vertrieben, im rechten Teil sehen wir Joachim auf einem hell erTaddeo Gaddi leuchteten Felsplateau inmitten der Steinwüste - vor dem Die Giotto-Nachfolger in Florenz, Taddeo Gaddi und Ber- dunklen Nachthimmel steht die Lichtvision des herabstürzennardo Daddi sowie Maso di Banco, haben im Prinzip den Aus- den Engels (Abb. 6). Nicht die planimetrische Flächendispobau des Erzählerischen in ihren Fresken vorangetrieben — eine sition trägt hier wie bei Giotto zu der dramatischen Steigerung

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Freskenmalerei im Trecento

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Taddeo Gaddi, Vertreibung Joachims aus dem Tempel, um 1328; Baroncelli-Kapelle, S. Croce, Florenz

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Taddeo Gaddi, Verkündigung an die Hirten, um 1328; BaroncelliKapelle, S. Croce, Florenz

einer Figur zu einem dramatischen Wechselspiel mit den Protagonisten. Die „Vermählung der Jungfrau" weist eine beeindruckende Schilderung einer Menschenmenge auf, in der man mit einiger Mühe den eigentlichen Akt der Vermählung herauslesen kann. Zur Beruhigung der reliefhaften Figurenszene tragen die der Erzählung bei. Sie entfaltet sich vielmehr in Einzelfiguren flächenparallele Gartenmauer im Hintergrund und die zu eiund Gruppen, die als Agierende miteinander in Beziehung tre- nem stupenden dichten grünen Geflecht verwobenen Baumten, aber keine größere Spannung aufkommen lassen. Darüber kronen unterschiedlicher Art bei. Diese Szene läßt die neuen hinaus weisen Einzelfiguren eher den Charakter von Genre- Möglichkeiten einer illusionistischen, auf den Betrachter ausmotiven auf — so die beiden Hirten im Hintergrund der Wü- gerichteten Raumbühne aufscheinen, die allerdings erst im stenlandschaft oder der Hirte mit den Ziegen am unteren Quattrocento realisiert werden sollten. Der Betrachter partiziBildrand. Jene Spannung, die bei Giotto gerade den Verlauf piert an der Gegenwart der ablaufenden Erzählung, in diesem der Handlung, die Vollendung des soeben Gewesenen, die Er- Falle an der Stimmung der festlich gekleideten Figuren. höhung der Gegenwart und die offene Zukunft so stark herZu einer für Taddeo Gaddi außergewöhnlichen Dramatiausstellte, und dementsprechend die Fokussierung auf einige sierung gelangt die Szene mit der „Verkündigung an die Hirfiir den Fortgang der istoria entscheidende Haltepunkte, löst ten", indem das künstliche Licht des in dem nächtlichen Himsich bei Taddeo Gaddi auf. Die „Begegnung an der Goldenen mel erscheinenden Engels von der Felskulisse reflektiert wird Pforte" gerät zu einem unverbindlichen Gesellschaftsereignis, und so die durch die Gestik des Hirten zum Ausdruck gebei der „Geburt Mariens" erhält die apokryphe Badeszene brachte Begegnung des Menschen mit dem Göttlichen einen einen erheblichen Stellenwert. In den beiden unteren Bild- übersinnlichen Charakter erhält (Abb. 7). Diese spektakuläre feldern bieten sich opulente figurenreiche Szenen dem Be- Inszenierung steht am Anfang einer Reihe von Wunderszenen, trachter dar. Beim „Tempelgang Mariens" wird der schräg ge- mit denen die Maler der Renaissance versuchten, den Betrachstellte Tempel der Lünette noch einmal im kleineren Maßstab ter in den Bann der jeweiligen Geschichte und des sich beabgebildet, diesmal über den sich verjüngenden Sockel frei ge- wahrheiteten Wunders zu ziehen — über Piero della Francescas stellt. Maria dreht sich, auf der mittleren Stufe angelangt, den „Traum Konstantins" bis hin zur „Befreiung Petri" in RafFaels vorderen Assistenzfiguren zu. Hier gelangt die innere Erregung Stanza dell'Incendio, wie Oertel in seinem Buch vermerkt.5

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Rinuccini-Meister.

Bernardo Daddi Die weiträumigen Fresken Bernardo Daddis in der Pulci- und Berardi-Kapelle in S. Croce zu Beginn der 1330er Jahre mit den relativ kleinen, in lebhafter Bewegung geschilderten Figuren der Szenen mit dem „Martyrium des hl. Laurentius" und der „Geschichte des hl. Stephanus" können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Aktion und erzählerische Vielfalt auf Kosten der dramatischen Verdichtung nach Ort und Zeit realisiert wurden - ganz im Gegensatz zu den kleinen Andachtstafeln des Künstlers, wo die Ökonomie der Mittel ebendiese Wirkung zeitigt. Hier ist zum einen auf den „Tempelgang Mariens" in der Predella des Altares von San Pancrazio in den Uffizien, um 1336—1338, zu verweisen und insbesondere auf die etwas spätere „Kreuzigung" im Museo Hörne: Die in flammendes Zinnober gekleidete Maria Magdalena das Kreuz umklammernd, die Trauergruppe mit der ohnmächtig in Schwarz gekleideten, in sich zusammensinkenden Maria links und der affirmativ auf den Gekreuzigten verweisende Hauptmann rechts faßt alle mit der Kreuzigung verbundenen, gängigen Formeln der Andacht in sich zusammen und weist so der compassio seitens des Betrachters den Weg.6 Etwas weniger expressiv, aber mit einer sehr ansprechenden Abstufung der bunten Lokalfarben tritt der als „Giottino" bezeichnete Meister der „Beweinung" in den Uffizien etwa zur gleichen Zeit hervor.

Giovanni di Milano

Gerade oberhalb der Brust Christi erreicht das Rot im Gewand der sonst von einem tiefblauen Gewand umhüllten Gottesmutter seinen höchsten Sättigungsgrad, sodaß die Verortung der unmittelbaren Berührung und höchsten seelischen Schmerzes im Kolorit direkt nachvollzogen werden kann. Aber gerade diese Leistungen Bernardo Daddis und Giottinos in der Gattung der Andachtsszenen lassen erkennen, daß die Künstler mit den großen Erzählungen in der Freskenmalerei überfordert waren und auch hinter Taddeo zurückstanden.

Maso di Banco Zu einer gewissen Eigenständigkeit und einer abgeklärten formalen und koloristischen Sprache gelangte Maso di Banco mit seiner Schilderung der „Geschichte des hl. Silvester" in der Cappella Bardi di Vernio in S. Croce in den 1340er Jahren (Abb. 8). 7 Die Kulissen sind stark reduziert und bilden mit ihren einheitlich in Rostrot und Gelbweiß getönten Flächen vor dem dunklen Violett des Himmels und der dunkelbraunen Erde einen eindrucksvollen, kompositioneil und farbig ruhigen Grund, vor dem sich das von Silvester vollbrachte Wunder abspielt. Zwei Episoden aus der Drachengeschichte werden hier auf der einheitlichen Bildbühne sukzessiv gezeigt: Links

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Freskenmalerei im Trecento

Geschichte in einer ästhetisch sehr ansprechenden, auf die Ökonomie der Mittel bedachten Weise vor Augen gefuhrt.

Rinuccini-Meister. Giovanni da Milano An Taddeo Gaddi anknüpfend, aber mehr auf Symmetrie im Aufbau bedacht und um Klarheit in der Figurenkomposition bemüht, erfolgt die Ausmalung der Rinuccini-Kapelle in S. Croce inmitten der 1360er Jahre. Auch hier werden dieselben Szenen aus dem Leben Joachims und Annas sowie der Kindheit Mariens geschildert. Vom zeitlich-narrativen Aspekt kann man nicht sagen, daß hier wesentlich Neues geschaffen wird. Die diskursive Reihung der Einzelepisoden, von gelegentlichen genrehaften Einzelfiguren abgesehen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, läßt keine Sprünge oder ikonisch begründete Abweichungen aufkommen — aber auch nicht Steigerungen und dramatische Momente, wie gelegendich bei Taddeo Gaddi, geschweige denn bei Giotto. Dies läßt sich etwa am „Tempelgang Mariens" ermessen, wo der psychisch spannungsgeladene „Blick zurück", wie er bei Taddeo Gaddi konzipiert wurde, in der sonst praktisch identen Szene nicht aufgegriffen wurde.

9

Giovanni da Milano, Pietà, um 1365; Galleria dell'Accademia, Florenz

steigt Silvester in Begleitung von zwei seiner Priester in die Höhle des wilden Drachen herab und bindet ihm mit einer Schnur die Kiefer zu. Rechts von der frei stehenden Säule sehen wir Silvester, erneut von den Priestern gefolgt, aus der Grube steigen. Am Rand derselben fand er, wie es in der Legenda aurea heißt, „zwei Zauberer halbtot von dem Gestank des Drachens auf den Stufen liegend" vor; zwei Bekehrte knien vor ihm in Ehrfurcht nieder. Der Kaiser Constantinus selbst, zum Christentum bekehrt, hatte Silvester beauftragt, den Drachen zu bezwingen, der mit seinem giftigen Atem an die dreihundert Menschen täglich tötete. Mit einem Priester der Abgötter und seinem Gefolge sehen wir den Kaiser nun am rechten Bildrand, mit seiner Rechten auf Silvester verweisend, der gerade die ungläubigen Priester bekehrt. Mit Constantinus nimmt die Handlung ihren Lauf, mit der Bekehrung durch Silvester und durch die Beglaubigung durch den Kaiser kommt sie zu ihrem Ende. In einer klaren, übersichtlichen Form, ohne übermenschliches Pathos, wird dem Betrachter die

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Wenn es Giovanni da Milano nicht gegeben war, über die gefällige Illustration herkömmlicher Inhalte in seinen Fresken hinauszugehen — hier sei auch auf die Szenen mit Christus, Maria Magdalena und die Lazarusepisode in der gleichnamigen Kapelle verwiesen - , so hat er zumindest im Bereich des Andachtsbildes wohl einen entscheidenden Impuls gesetzt, indem er den aufgerichteten, von Maria und Maria Magdalena gestützten Leichnam des Erlösers in seiner Pietà der Galleria dell'Accademia in Florenz um 1365 schuf — eine Tafel, die von Pächt quasi als Präfigur für die burgundisch-altniederländische Form der späteren „Erbärmde Christi"-Tafeln angeführt wurde (Abb. 9).8 Wie bei Bernardo Daddi fuhrt die notwendige Reduktion der Figuren und die Konzentration auf eindrucksvolle Ausprägungen zu jener Vertiefung der Bildaussage, die den Betrachter zur Partizipation und zum Nacherleben herausfordert — Qualitäten, die kaum in den epischen Erzählzyklen des Malers zum Tragen kommen.

Simone Martini Die „Maestà" 1315 war der größte Teil des großen Freskos der „Maestà" an der Ostseite des Sitzungssaales des Sieneser Generalrats, auch

Simone Martini

Sala del Mappamondo genannt, im Palazzo Pubblico in Siena von Simone Martini vollendet worden (Abb. 10). Unter einem perspektivisch angelegten Baldachin versammelt, huldigt eine große Schar von Engeln, Heiligen und Aposteln die Madonna mit dem Kind als Stadtherrin von Siena. Über die Attribute der Heiligen hinaus, wurden auch kleine Rundschilde mit dem Wappen von Siena in die Rahmenleiste eingebracht, und desgleichen schmücken die Stadtwappen die Bordüre des Thronhimmels selbst. Auf den Thronstufen erscheinen Terzinen, die zum einen die Schutzfunktion der Madonna ansprechen, zum anderen sich zugleich an den Betrachter bzw. die Amtsträger, die neun Ratsmitglieder, die in dem Saal ihre Amtsgeschäfte walten, wenden. Denn auch die innerstädtischen Parteikämpfe zwischen den Tolomei und den Salimbeni in Siena selbst drohten, das kommunale Gefuge und den Frieden zu untergraben. 9 Die Inschrift lautet: „die Engelsblümlein, Rosen und Lilien, die die Himmelswiese schmücken, erfreuen nicht mehr als guter Rat.

Doch zuweilen sehe ich den, der mich aus Eigennutz mißachtet und mein Land betrügt. Und je schlimmer seine Rede, umso mehr wird er gelobt. Wen immer dieses Urteil trifft, denke darüber nach. Responsio Virginis ad dieta Sanctorum: Wisset meine Lieben, daß ich eure ehrenvollen Bitten erhöre. Doch wenn sich die Mächtigen bekämpfen und sich dadurch mit Schuld und Schmach beladen, so sollen sie nicht in eure Gebete eingeschlossen sein, noch jene, die mein Land betrügen." 10 So eindeutig das Fresko als Huldigungs- und Kultbild dem Betrachter vor Augen steht, so dezidiert wird zugleich seine moralisch-didaktische Funktion angesprochen. Gerade der Umstand, daß kein Stifterporträt eingefügt wurde, läßt die „Maestà" allgemeinverbindlich erscheinen. Die Gottesmutter und die Schar der Huldigenden, unter ihnen die vier prominenten Stadtheiligen, sind stets präsent. Wer auch immer dem Rat der Neun angehört, wird gleichermaßen auf sein Gewissen, seine Worte und Taten hin befragt, wie es die Inschrift verlaut-

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Freskenmalerei im Trecento

bart. In dem eng an die „Maestà" anschließenden Fresko von Lippo Memmi im Palazzo Pubblico in S. Gimignano ist der Stifter selbst wieder im langen gestreiften Gewand im Vordergrund rechts vom Thron präsent. Die „Maestà" Duccios war 1311 im Triumph durch die Stadt getragen und in der Vierung des Domes aufgestellt worden. Aber bei diesem religiösen und kulturellen Ereignis handelte es sich immer noch um die Installation eines tatsächlichen Kultbildes im öffentlichen, sprich sakralen Raum, wiewohl die Stadtväter sich dabei bewußt in das Zeremoniell einbrachten.11 Simone Martini transformiert nun die öffentliche Andachtsikone formal und kontextuell, indem sie in einem profanen Bau als Fresko fortan ihren unverrückbaren Platz einnimmt. Die religiöse Zielsetzung des Andachtsbildes wird damit umgepolt: Nicht die meditative Versenkung, die vita contemplativa, des Betrachters wird eingefordert, sondern das Gewissen und die Reflexion, die seinen Taten zugrunde liegen und sie begleiten sollen. Anstelle der Andacht tritt die Moral, auch wenn sie auf Frömmigkeit und Glaubensgewißheit gegründet bleibt. Simones „Maestà" läßt die Gottesmutter als lebendige Gegenwart in Gestalt eines reproduzierten und zugleich illusionistisch ausgeweiteten Huldigungsbildes erscheinen. Die Funktion des Freskos reicht über das Memento des Augenblicks hinaus, indem der Betrachter sich der künftigen Konsequenz seiner Taten bewußt sein soll ; zugleich werden die Erfüllung bzw. die Zurückweisung seiner Fürbitten schon angekündigt. Diese moralischen, die Gegenwart bestimmenden und in die Zukunft weisenden Vorhaltungen seitens der thronenden Madonna entsprangen aus ihrer „Zwiesprache" mit dem Betrachter, d. h. aus der Kontextualität des Freskos. Eine Sichtbarmachung dieser zeitlichen Struktur im Bilde selbst, die sich aus der Relation von Werk, Betrachter und Kontext ergibt, würde die Dynamik der ästhetischen Situation und der offenen Zukunft unterbinden. So greift der Maler auf das Wort, in diesem Falle die am Thron eingelassenen Terzinen, zurück, um die moralische Handlungsanleitung und deren Konsequenz zu verdeutlichen.

Guidoriccio da Fogliano Auf der gegenüberliegenden Wand der Sala del Mappamondo befindet sich das berühmte Fresko mit „Guidoriccio da Fogliano", zum Gedenken an die Eroberung der Burg von Montemassi im Jahr 1328, auf die sich die Jahresangabe inmitten der Randleiste unter dem statuarischen Reiterbild des Feldherrn bezieht. Große Teile des Freskos, der Berg mit dem Kastell zu Montemassi links und das Feldlager rechts, sind Hinzufugungen wesentlich späteren Datums, sodaß die Urheberschaft Simones ernsthaft in Zweifel gezogen wurde. Darüber hinaus

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wurden ein mit Sicherheit älteres Fresko unter dem Landschaftspanorama sowie tieferliegende Putzschichten aufgespürt.12 Das Fresko unterhalb der monumentalen Darstellung des Feldherrn zeigt die Ubergabe einer weiteren Eroberung Sienas und das Abkommen mit dem Grafen von Santa Fiora über Arcidossi nach der Belagerung und Eroberung der Burg durch die Sieneser unter der Führung Guidoriccios im Jahr 1331. Weitere Darstellungen über die Einnahme von Castel del Piano und Sassoforte liegen vermudich unter den später ausgeführten Schlachtenszenen an der Nordwand verborgen.13 Aus der Zeitperspektive ist der Umstand entscheidend, daß es sich um profane Darstellungen historischer Ereignisse handelt, die durch Wiedergabe der örtlichen Topographie, der Burgen und der Städte bestätigt werden. Wir haben es in der Sala del Mappamondo demnach mit „Inkunabeln" von Historienbildern zu tun, die entscheidende Ereignisse der sienesischen Stadtgeschichte, die zur Festigung und expansiven Erweiterung der sienesischen Macht führten, verewigen. So wurde das Bewußtsein der Mitglieder des consiglio generale zum einen auf die moralischen Implikationen politischen Handelns, zum anderen auf die Ereignisse gelenkt, die der Stellung Sienas zugrunde lagen. Der vita activa der Zeitgeschichte steht das eng damit verbundene moralische Memento zur Seite.

Ambrogio Lorenzetti Die Fresken im Palazzo Pubblico, Siena Einen Schritt weiter in Richtung einer Spiegelung zeitgenössischer Zustände geht Ambrogio Lorenzetti im benachbarten Sala del Nove, der auserwählten neun herrschenden Vertreter der Stadt. Die drei großen Wände, von den Fenstern der Südseite belichtet, wurden in den Jahren 1338/1339 freskiert: die Nordwand mit den großen allegorischen Figuren des buongoverno (eigtl. „Die Gerechtigkeit als Tugend der Polis"), links das Fresko mit den Mächten des Bösen und der Stadt und ihrer Umgebung in Kriegszeiten (guerra), rechts die Ostwand mit der breit angelegten Schilderung der Friedenszeit (pace). Vorangegangen waren die in Volgare abgefaßten Gesetze der Stadt von 1309, sowie jene in Latein von 1337 und 1339, d. h. praktisch zeitgleich mit dem Auftrag. Führende Juristen aus Bologna, allen voran Giovanni d'Andrea, wurden dabei herangezogen. In den Bologneser Rechtshandschriften wurden Autoritätssymbole und göttliche Protagonisten (Gottvater, Christus, Petrus etc.) vorangestellt, die den weltlichen Machthabern die Insignien ihres Rechtsstatus überreichten. Darüber hinaus hat Giovanni d'Andrea in einem Kommentar zu den päpstli-

Ambrogio Lorenzetti

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Ambrogio Lorenzetti, Allegorie der Guten Regierung, 1338/39; Palazzo Pubblico, Siena

chen Gesetzen (seiner Novella von 1338) insbesondere auf die

Herrscher auf Erden" (Lib. Sapientiae I, 1). In der Rechten hält

unerläßlichen Tugenden der Regierenden verwiesen. D i e Exe-

die Justitia

kutive, von der Rechtsprechung bis zum Strafvollzug, gelangte

Waagschale. D i e Schale links wird von einem Engel mit der

in den Textillustrationen zur Darstellung. 1 4 A u f diese Tradition

Bezeichnung Distributiva

konnte Lorenzetti zurückgreifen, wiewohl die Sichtbarma-

wird der distributive Gesetzesvollzug in Form von einer Ent-

chung städtisch-republikanischer Rechtsverhältnisse in monu-

hauptung bzw. der Krönung einer knienden Gestalt vollzogen

mentaler Form eine neue Herausforderung darstellte.

- wahrscheinlich der mit Siena verbündete Robert d'Anjou,

A u f der rechten Seite der N o r d w a n d thront der Herrscher,

ein Gesetzbuch, mit der Linken stützt sie eine eingenommen. Dementsprechend

der sein Schwert gegen einen Palmenzweig als Zeichen der

eigentlich eine Verkörperung der K o m m u n e von Siena. Wap-

Friedfertigkeit eingetauscht hat. Rechts von der Justitia

pen, Szepter, Kleidung und Inschriften weisen ihn als Gebie-

u n d verteilt der Engel der ausgleichenden Gerechtigkeit (co-

ter der Stadt aus; ihm zu Füßen die beiden von der Wölfin

mutativa) Waffen und Geld von bzw. an kniende Bürger.

genährten Säuglinge Aschius und Senius, Söhne des vertriebe-

nimmt

Diese allegorischen Figuren sind als Verkörperung von

nen Remus und Gründer der Stadt (Abb. 11). Der retrospek-

Rechtsprinzipien und Tugenden zu verstehen, die der Gesetz-

tive Blick in die Gründerzeit dient demnach zur Legitimation

g e b u n g u n d deren A u s ü b u n g durch den Rat der N e u n zu-

der Gegenwart. Z u r Rechten des Herrschers sitzen die durch

grunde liegen. D i e spröde Materie von Rechtsprinzipien und

Inschriften gekennzeichneten allegorischen Figuren : Pax (im

Tugenden werden durch die monumentale, plastische und le-

antikischen G e w a n d mit Lorbeerkranz und Ölzweig), Forti-

bensnahe Gestaltung mit Leben erfüllt.

tudo u n d Prudentia;

links von ihm die Verkörperung der

Großherzigkeit, Magnanimitas perantia

(mit einer Goldschüssel), Tem-

(mit Sanduhr) und die in Rot gekleidete Kardinaltu-

gend der Justitia,

der Strafgewalt, die ihr Schwert auf den ab-

Eine direkte Bezugnahme zu den Bürgern und deren Vertreter erfolgt in der im kleineren Maßstab gehaltenen Szene vor dem Podium. Links, unterhalb der thronenden

Sapientia,

erscheint noch einmal eine größere allegorische Figur, die Con-

geschlagenen K o p f eines Verurteilten stützt. Über dem H a u p t

cordia mit einem Hobel, der mittels Seilen mit den beiden

des Herrschers schweben die drei christlichen Tugenden Fides,

Waagschalen der belohnenden und strafenden Gerechtigkeit

Caritas und Spes.15

verbunden ist. D i e „Eintracht" der Bürger bildet die G r u n d -

V o m Szepter des Herrschers läuft ein goldenes Seil zu der

lage ihrer Beschlußfassung u n d wird nach Kempers immer

zweiten dominanten Gestalt auf der linken Seite, die Justitia.

wieder auch in den Protokollen angesprochen. 1 6 Die sechs vor-

Uber ihr schwebt die inschriftlich beglaubigte Gestalt der Sa-

deren Würdenträger der Stadt, unter ihnen der capitaneus po-

pientia; dort ist auch derselbe Wahlspruch wie bei der Maestà

puli, der Bürgermeister u n d der höchste Richter, tragen alle

S i m o n e Martinis angebracht: „Liebt die Gerechtigkeit, ihr

Pelzmützen. Es folgen die Domines Novi und weitere Amtsträ-

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Freskenmalerei im Trecento

12

Ambrogio Lorenzetti, Die Folgen des Guten Regiments, 1338/39; Palazzo Pubblico, Siena

ger. Zusammen stellen sie die viri sapientes, prudentes, officiales und boni homines dar, die Siena verwalteten. Rechts vom Thron des Herrschers knien zwei Adelige, die eine Burg darbieten, vermutlich Herren der unterworfenen Städte der Umgebung. Hinter ihnen, am unteren Bildrand, stehen Gefesselte, Besiegte und Rebellen. In den großen flankierenden Darstellungen mit den Folgen des „guten" bzw. „schlechten Regiments" wird die Auswirkung der in die Tat umgesetzten Rechtsprinzipien dem Betrachter vor Augen gefuhrt (Abb. 12). In dem panoramahaften Fresko mit dem Guten Regiment entfaltet sich das Treiben in der Stadt, die topographisch glaubwürdig als Siena ausgewiesen ist: Handwerker und Händler gehen ihren Tätigkeiten nach, die den Wohlstand der Stadt gewährleisten. Edelleute zu Pferde bewegen sich auf den Dom zu, und ein heiterer Reigen von neun Jungfrauen vertritt die festivitas, die den Glanz des friedlichen Lebens in der Stadt erhöht. Uber dem Stadttor schwebt die Securitas im antikisierenden Gewand. (Die Bedeutung der Rechtssicherheit für Frieden und Wohlstand war insbesondere von Brunetto Latini in seinem Trésor betont worden.)17 Vor diesem Ort der Sicherheit und Gerechtigkeit schwebt der Blick über die bewirtschaftete Landschaft, wo die Bauern ihren Tätigkeiten nachgehen und so durch ihren Fleiß den Wohlstand mehren. Außerhalb des Stadttores werden wir einer regelmäßigen Anpflanzung gewahr, die den Umstand im Gedächtnis wachruft, daß auch die Sieneser vor der Porta a Camollia einen Park (prato) angelegt hatten, der den Bürgern zum Vergnügen und Spazierengehen zur Verfugung stand. Nach florentinischem Vorbild, wo solch ein pra-

24

tum communis schon 1290 beschlossen und in den folgenden Jahren jenseits des Borgognissanti eingerichtet wurde, findet der Park 1309 in den Sieneser Akten Erwähnung - che abiano prato o vero luogo a deletto etgaudio de Ii cittadini et de'forestieri.'8 Wie schnell die gesellschaftlichen Gegebenheiten in den Darstellungen zu topoi gerinnen, läßt sich schwer ausmachen - im Prinzip ist ja schon der erste in der Reihe, der sich vor die neuartige Aufgabe gestellt sieht, die Lebenswirklichkeit bildhaft wiederzugeben, auf gewisse Formeln, für die Zeitgenossen verständliche codes angewiesen. Dennoch dürfen wir Lorenzettis großartigen panoramahaften Landschaften den Wert der Neuheit zugestehen. Ihre Wirkung auf die Nachwelt, auch die Reisenden aus fernen Ländern, dürfte unbestritten sein. Sogar im kleinen Maßstab der Miniaturenmalerei (z. B. der Gebrüder Limbourg) hat man den Einfluß der italienischen Fresken desTrecento nachweisen können.19 Als Gegenstück zu den allegorischen Figuren an der Nordwand erscheint auf der Westwand die gehörnte Gestalt der schwarzgekleideten „Tyrannei" auf ihrem Thron. Vor ihr auf dem Podest ein schwarzer Ziegenbock, davor die gefesselte Gerechtigkeit. Dem Höllenfürsten zur Seite sitzen von links nach rechts Crudelitas, Proditio (Verrat), Fraus (mit dämonischen Fledermausflügeln), Furor, Divisio (die Stadt mit Säge zerteilend) und Guerra.20 Über dem Tyrannen schweben die Laster: der Geiz (Avaritia) mit verschlossenem Geldbeutel, die Zügellosigkeit (eigd. Superbia) mit einem zerbrochenen Joch und die Eitelkeit (Vanagloria) mit einem Spiegel. In der verwüsteten Stadt kommen alle Tätigkeiten zum Erliegen; Mord, Raub und Gewalt herrschen vor. Uber dem

Ambrogio Lorenzettì

Land treiben die dunklen Rauchschwaden der brennenden

eingestuft werden. Die allgemeine Botschaft und Sentenz wird

Dörfer und Felder - Zerstörung und Gewalt haben auch das

in dem Vertrauten, Alltäglichen, sinnfällig gemacht. Größere

gesamte Umland erfaßt, über dem die Furcht (Timor) als alle-

Freskenzyklen in Mittelitalien schließen sich diesem halbdra-

gorische Figur schwebt. Was dem Betrachter hier vor Augen

matischen Typus an, zunächst der „Triumph des Todes" im

steht, dürfte ein Stück seiner eigenen, oft leidvollen Lebens-

Campo Santo in Pisa, der von Bellori undTartuferi gar 1336,

wirklichkeit gewesen sein.

also noch vor dem Werk Ambrogio Lorenzettis angesetzt wird,

Die Fresken zeigen Bilder möglicher gesellschaftlicher Zustände - sie spiegeln die reale Welt aus der Sicht der Gegenwart und projizieren sie zugleich in eine potentielle Zukunft,

da der vorgeschlagene Florentiner Maler Bonamico Buffalmacco in diesem Jahr ebendort urkundlich erwähnt wird.21 An der Südwand wurde vermutlich als erstes das große

die den Entscheidungsträgern der „Neun" als Gestaltungsraum

Fresko mit dem „Triumph des Todes" geschaffen. Eigentlich

offensteht.

handelt es sich um zwei Hauptmotive, die den Tod einmal in zeitliche Relation zum Leben setzt, zum anderen als eine riesige

Pisa - Triumph des Todes

mit Fledermausflügeln versehene, sensenschwingende Gestalt schildert, die als Siegerin über die bereits Toten dahinfliegt.

Die Rathausfresken zu Siena mit ihrer moralisch-didaktischen

Die dramatische Begegnung der „Drei Lebenden" (eigent-

Ausrichtung unter Einbeziehung aller möglichen Mittel erzäh-

lich sind fünf sichtbar, drei elegant gekleidete Stutzer und zwei

lerischer Natur und einer bis dato ungekannten Wiedergabe

Frauen) und der „Drei Toten" findet während einer Jagd in ei-

topographischer Gegebenheiten können als semidramatisch

ner felsigen Landschaft statt (Abb. 13). Das alte Motiv der Be-

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Freskenmalerei im Trecento

gegnung im Sinne eines Memento mori reicht in der bildenden Kunst bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts, in der Literatur gar bis ins 11. Jahrhundert zurück.22 Womöglich östlicher Herkunft, erhielt es in Verbindung mit der Grabmalkunst eine christliche Umdeutung. Diese Verbindung mit der verstärkt auf die Vergänglichkeit und den Verfall des Körpers ausgerichteten Grabmalkunst seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts tritt in dem Pisaner Fresko deutlich zutage: In den offenen Särgen liegen drei Leichname in unterschiedlichem Stadium der Verwesung. Die Körper der oberen zwei Könige werden noch von Schlangen oder Gewürm zerfressen, der vordere ist praktisch nur ein Gerippe. Die Reaktion der Reiter ist sprechend genug: der Verweis des Edelmannes auf die Leichen, Betroffenheit und Ekel seitens der Könige. Hinter den Särgen auf einem Felsvorsprung stehend, erscheint ein Eremit, der der Welt mit all ihren Eitelkeiten entsagt hat. Mit finsterer Miene verweist er auf das aufgerollte Spruchband: „Was ihr seid, das waren wir — was wir sind, das werdet ihr sein." Der Gang der Zeit in seiner Unerbittlichkeit, wie könnte er treffender beschrieben werden? Aus der Sicht der Verstorbenen weist er in die Vergangenheit, aus jener der Lebenden in die Zukunft. Das Leben ist nur ein Gewesenes bis zu jener Schwelle, wo die Gegenwart in die ungewisse Zukunft umschlägt und der Mensch jederzeit vom Tod ereilt werden kann. Aber auch Tod und Vergänglichkeit sind Teile des irdischen Seins, dem Reich und Arm, die Schönen und die Kranken gleichermaßen anheimgefallen sind. Oertel hat auf das antike Motiv verwiesen, daß die Kranken und Leidenden den Tod herbeisehnen, jener sich aber dem jungen blühenden Leben zuwendet.23 Dementsprechend rufen die Bettler und Kranken unterhalb der geflügelten, schreckenerregenden Gestalt des Todes nach ihr, aber jene bewegt sich auf die junge Gesellschaft zu, die musizierend sich in einem Garten, wie in Boccaccios Decamerone, zusammengefunden hat, um der Pest zu entgehen. Ein Entrinnen gibt es eigentlich nicht, ein christlicher Tod und eine Verheißung sind auch nicht in Sicht. Vielmehr scheint das erhöhte Lebensgeftihl, das von den Alten beschworen wurde — adstat morte, nitebit vitae —, das sich angesichts der allseitigen Zerstörung und Vernichtung einstellt, beschworen zu werden. Von einem „Triumph des Todes" ist eigentlich nicht die Rede, aber gewiß von einer „Verweltlichung der Todesvorstellung", wie er von dem frühen Humanismus gepflegt wurde.24 Eine zusätzliche Zeitperspektive im größeren Rahmen wird durch die zweite große Szene mit dem „Jüngsten Gericht" aufgeworfen — jener Endpunkt, der dem irdischen Leben und auch dem Tod und der Vergänglichkeit ein Ende bereitet und die Welt in den Zustand der Ewigkeit versetzt. Teil dieser Zukunftsvision, die im richtenden Christus ihren furchteinflößenden Höhepunkt findet, ist auch die ausgiebige Schilderung

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der Hölle, in der Satan als unumschränkter Herrscher erscheint. Die vierte Szene — „Das Leben der Anachoreten in der thebaischen Wüste" — schildert in vielen kleinen Szenen das Leben jener, die sich von dem Trubel der Welt losgesagt und ihr Dasein in gottgefälliger Andacht schon auf das Jenseits ausgerichtet haben. Mit dieser Absage an das diesseitige Leben ist zugleich jede Intensivierung des Lebensgefuhls und Dramatisierung des Daseins, wie es der vita activa eigen ist, aus der Darstellung verschwunden.

Andrea da Firenze Die Fresken in der Spanischen Kapelle, S. Maria Novella Die Ausmalung der Spanischen Kapelle bei S. Maria Novella in Florenz durch Andrea da Firenze weist in dessen großartigen monumentalen Szenen mit einer Unzahl von Figuren zwar viele erzählerische Einzelepisoden und Figurenprägungen auf, ist aber in seiner Gesamtstruktur zugleich auf Didaktik und überzeitliche dogmatische Wahrheiten ausgerichtet, die das Erzählerische mehr im Sinne der Exemplifikation denn als Dramatisierung einsetzt. In der großen Lünette mit dem „Triumph Thomas von Aquins" (oder der,Verkündigung der Kirche") ist die Struktur gänzlich zu einem symmetrisch hieratischen Gebilde erstarrt. In der großen Lünette oberhalb der Altarnische steht dem Betrachter die „Passion Christi" vor Augen. Die obere Zone stellt eine großangelegte Golgatha-Szene dar. Unterhalb der symmetrisch-räumlich gestellten drei Kreuze ist eine große Menschenmenge versammelt, die in ihren Einzelfiguren alle dazugehörigen topoi in sich birgt. Von einer dramatischen Zurschaustellung einzelner Figuren kann keine Rede sein — auch Maria und Maria Magdalena am Kreuz stechen aus der Gruppe nicht besonders hervor. Als Typus haben wir es hier schon mit einer vielfältigen „Kreuzigung im Gedräng" zu tun. Der Kreuzigungsszene untergeordnet, mit etwas kleineren Figuren im unteren Register, aber durch die Landschaft mit der oberen verbunden, werden links die „Kreuztragung" (eigentlich der „Abschied Christi von der Mutter") und rechts der ,Abstieg in die Vorhölle" geschildert, somit der Beginn des Passionsgeschehens im engeren Sinne, und rechts die Auferstehung" oder Uberwindung des Todes - nach östlicher Tradition. Wenngleich der Ansatz einer illusionistischen Gesamtschau zu verzeichnen ist, überwiegt doch das Bestreben nach einer klaren Disposition konzeptueller Natur, die der zeidichen Abfolge der Passion zugleich Rechnung trägt. Schon 1330—1335 hatten Taddeo Gaddi und seine Werkstatt die

Andrea da Firenze

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Andrea da Firenze, Der Weg zum Heil, 1365-68; Spanische Kapelle, S. Maria Novella, Florenz

Sandsteinwand von S. Croce im Sinne eines großangelegten fiktiven Triptychons mit opulenter Rahmung ausgemalt. Unter der Himmelfahrt im Tympanon erscheinen dieselben Szenen von rechts nach unten, wobei die „Auferstehung" allerdings dem herkömmlichen weltlichen Typus entspricht. Der Rekurs auf die „Anastasis" in der Spanischen Kapelle mag auf den Missionsgedanken zurückzuführen sein — die Errettung auch jener alttestamentlichen Protagonisten, die nicht der Gnade der später Geborenen teilhaftig sein konnten. Jene allgemeine Entwicklung von agierenden Einzelpersonen nach der Vorgabe Giottos zu der Darstellung von ganzen Gruppen, die durch ihre Erwählten agieren, wird schon in den Fresken Taddeo Gaddis greifbar (Miliard Meiss)25; bei Andrea da Firenze ist die Darstellung des Kollektivs in einem vorgeprägten zeitli-

chen oder systematischen Rahmen schon zum Prinzip erhoben worden, was zugleich als adäquate ikonische Umsetzung der gestellten Aufgabe zu begreifen ist. Dies wird insbesondere in der zweiten Lünette in der Spanischen Kapelle mit dem „Weg zum Heil" ersichtlich, der wahrscheinlich der Specchio della vera penitenza des Priors Jacopo Passavanti (t 1357) zugrunde liegt (Abb. 14). Unter dem Apex der Lünette thront Christus mit Buch und Schlüssel, ihm zu Füßen das Lamm und die vier Evangelistensymbole. Ein eleganter Engelchor läßt himmlische Musik in dieser obersten Region erklingen. Im darunter liegenden irdischen Bereich setzt die Gliederung links unten an. Vor dem idealen Kirchenmodell des noch im Bau befindlichen Florentiner Domes thront der Papst in goldenem Ornat. Ihm zu seiten der Kaiser

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Freskenmalerei im Trecento

sowie weltliche und kirchliche Würdenträger. Zu Füßen des Papstes die Herde der Gläubigen sowie die beiden schwarzweiß gescheckten domini canes. Links Vertreter der Kirche und verschiedener Orden, rechts Repräsentanten unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und auch Völker (der Tatar dient als einschlägiges Beispiel für die missionarische Tätigkeit der Kirche im Fernen Osten). Das restliche vordere Bildfeld ist dem Predigerorden der Dominikaner gewidmet: Petrus Martyr, Thomas von Aquin und dem hl. Dominicus. Die Ordenshunde im Vordergrund zerfleischen die Wölfe (= die Häretiker). Im Register darüber sehen wir das angenehme Leben einer höfischen Gesellschaft, während ein Dominikaner die Beichte abnimmt und der hl. Petrus Martyr einer Gruppe den Weg zur Paradiespforte weist. Dort werden die Seelen in Gestalt von jungen Mädchen von zwei Engeln, die sie bekränzen, und Sankt Peter in Empfang genommen. Jenseits der Pforte stehen die monumentalen Gestalten der Seligen, Märtyrer und Heilige; sie blicken zu Christus empor, der in seiner Mandorla über dem Himmelsgewölbe thront. Wir haben es also mit einer Aneinanderkettung von Einzelgestalten und Szenen zu tun, die das missionarische Werk und den Weg der Menschen unterschiedlichen sozialen Standes und Herkunft zum Heil veranschaulichen. Die Reihung der Figuren, vor allem im unteren Register, erinnert an die Rathausfresken mit dem Gerechten Herrscher Ambrogio Lorenzettis in Siena. Die Kirche und der Orden als Institutionen weisen den Menschen letztendlich den rechten Weg, und die einzelnen Episoden dienen zur Veranschaulichung ihrer praktischen Tätigkeit. Von einer istoria im eigentlichen Sinne kann nicht gesprochen werden, und dementsprechend fehlt der Anordnung jene erzählerische oder gar dramatische Note, die dem Geschehen eine eigentlich zeitliche Struktur und Spannung verleihen würde. Der Weg zum Heil ist vorgezeichnet, und wer dem Beispiel der Bekehrung und der Bußfertigkeit in der Obhut der Barche folgt, darf sich eines Platzes im Paradies gewiß sein. Dieser Statik des übergeordneten Konzepts werden alle Einzelheiten untergeordnet. An der linken Wand mit dem „Triumph Thomas von Aquins" wird vollends auf erzählerische Szenen verzichtet. In der Mitte des oberen Registers sehen wir den Ordensheiligen. Ihm zu Füßen hocken die großen Widersacher: Sabellius, Averroes und Arian. Ihm zur Seite sitzen die zehn großen Denker des Alten und des Neuen Testaments; in der unteren bunten Reihe sitzen in gotischen Adikulen weibliche Vertreter der Wissenschaften und der freien Künste; vor diesen allegorischen Figuren die jeweiligen doctores, antike Gelehrte und Kirchenväter. In der symmetrischen Ordnung spiegelt sich die Hierarchie der Theologie und Wissenschaften, ein geistiges Weltgebäude, das seine Gültigkeit bis ins ausgehende 16. Jahr-

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hundert bewahren sollte. Dieser Dogmatismus theologischer und wissenschaftlicher Wahrheiten wird gerade dadurch zum Ausdruck gebracht, daß alles Zufällige und Ephemäre aus dem strikten Schema des geistigen Lehrgebäudes eliminiert wurde, eine Klarheit und Ordnung visueller Natur verkündet wird, die ihr Gegenstück in der großen Summa des Aquinaten findet, in der die antike Naturphilosophie mit den christlichen Glaubenssätzen in Einklang gebracht wurde, die Kirche das rationale Erbe der griechischen Philosophie antrat. Zeitlose Wahrheit in eine abstrakte Form gebracht, steht hier einer Schilderung der Passion gegenüber, die gerade in der Historizität ihrer vielen erzählerischen Einzelszenen Leben und Beglaubigung erhält. Eben auf Grund des Opfertodes Christi schöpft jenes Gebäude aus logischen Glaubenssätzen und menschlichem Denkvermögen seine Kraft, die sich in der Institution Kirche bekundet.

Agnolo Gaddi Kreuzeslegende, S. Croce In den Jahren 1388—1393 hat Agnolo Gaddi sein Hauptwerk, die „Kreuzeslegende", im Hauptchor von S. Croce in Florenz ausgeführt.26 Die Geschichte hebt in der Lünette der Nordwand mit dem „Tod Adams" an und bewegt sich in den unteren Registern jeweils in Leserichtung von links nach rechts. An der Südwand setzt sich der Bericht nahtlos in der Lünette mit der „Rückbringung des Kreuzes nach Jerusalem" fort, um mit der „Enthauptung Chosroes" und dem „Einzug Heraclius' in Jerusalem" im untersten Wandfeld zu enden. Im Prinzip entspricht die Folge der Einzelszenen dem Gang der Erzählung in der Legenda aurea, auch wenn gelegentlich mit Rücksicht auf die Form und die zur Verfugung stehende Wandfläche den Maler zu kleineren Korrekturen der Chronologie veranlaßt hat. So sehen wir in der ersten Lünette den am unteren Bildrand flächenparallel aufgebahrten Leichnam Adams in der rudimentär angedeuteten Grabeshöhle. Zwei keilförmige Figurengruppen rechts und links lassen die Mitte mit dem Leichnam Adams frei. Hinter ihm werden wir Seth gewahr, der kniend mit der Rechten den Setzling vom Baum der Erkenntnis auf das Grab Adams pflanzt. Jenen Zweig hatte Seth vom Engel empfangen, dessen Weissagung lautete, daß der Vater gesunden würde, wenn der Zweig Frucht trage. Diese Szene erscheint visionär und übermächtig im oberen Teil der Lünette, wo sich eine Landschaft auftürmt, die sich entscheidend von den begrenzten Raumbühnen der nachgiottesken Zeit in Flo-

Agnolo Gaddi

renz unterscheidet. Auf einem Plateau inmitten der linken Felskulisse kniet die überlebensgroße Gestalt des Seth und nimmt vom Engel das Holz entgegen. Der in die Tiefe führende Bergrücken, der zu einer Felskuppe inmitten der Landschaft fuhrt, dient als Verbindungsstück der beiden Szenen, wiewohl der übermenschliche Maßstab Seths den tiefenräumlichen Eindruck sogleich aufhebt. Die Diskrepanz des Maßstabs läßt sich nur dadurch erklären, daß Gaddi hier die göttliche Intervention als überirdisches Ereignis aufscheinen läßt, von der aus die Geschichte der Erlösung und das damit verbundene Opfer seinen Anfang nimmt. Nachdem Salomo den Baum für den Bau einer Holzhütte hatte fällen lassen, der Stamm sich aber nicht einfügen ließ, wurde er als Steg über einen Fluß gelegt. Als die Königin von Saba diesen erblickte, sah sie im Geiste den Heiland am Holz hängen und betete es an. Nach der Historia Scholastica sollte sie Salomo eröffnet haben, daß durch den Tod eines Mannes

am Holz das Reich der Juden untergehen würde. Daraufhin ließ Salomo das Holz tief in die Erde vergraben. Zwei Szenen, die .Anbetung" und das „Vergraben des Holzes", werden im Fresko gezeigt, die voneinander durch den Fluß und den darüber liegenden Stamm auf natürliche Weise getrennt sind (Abb. 15). Die düstere Vorankündigung ist implizit als Ursache der zweiten Episode darin enthalten, ebenso wie die erste Vision der Königin der ersten Szene zugrunde liegt. Die von der unmittelbaren Vergangenheit bestimmte Gegenwart bleibt letztlich auf den Höhepunkt der Heilsgeschichte, den späteren Opfertod Christi, ausgerichtet. Im Prinzip wird sich, nach dem Muster der Tragödie, das Ansinnen des Königs, zukünftigem Unheil und göttlicher Fügung zu entrinnen, als sinnlos, ja eigentlich frevelhaft erweisen. An der Stätte des Holzes wurde später ein Schafteich angelegt, in dem die Opfertiere gewaschen wurden und dessen Wasser die Heilung von Kranken bewirkte. Zur Passionszeit

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Freskenmalerei im Trecento

kam das Holz an die Oberfläche und wurde von den Juden zur Fertigung des Kreuzes benutzt. Diese Begebenheit wird im dritten Wandfeld geschildert, und wieder in zwei Episoden: Vor dichtgedrängten Gebäudekulissen, einem Palastbau mit geöffneter Vorderseite, wo sinnierende, prophetenhafte Figuren aufgereiht sitzen, sowie der Ansicht eines gotisierenden Kuppeltempels sehen wir links die Bergung des Holzes und rechts die Zimmermänner bei der Arbeit. Von einer Dramatisierung des Stoffes kann kaum die Rede sein. Die Architekturkulissen tragen nur begrenzt als Raumfolie der Figurengruppen zur Klärung der Narratio bei, und von der Auslotung des Stoffes und einer ikonischen Umsetzung, wie sie von Giotto paradigmatisch erzielt worden war, hat sich Agnolo Gaddi endgültig zugunsten einer einförmigen diskursiven Illustration der Legende verabschiedet. Dies bedeutet aber nicht, daß sein Werk ohne Wirkung blieb - vielmehr steht seine Kreuzeslegende am Anfang einer Reihe von Darstellungen desselben Themas, das allerdings wesentlich freier und einprägsamer gestaltet werden sollte — insbesondere von Piero della Francesca in seinem Freskenzyklus in Arezzo. Agnolo Gaddi verzichtet in seinem Zyklus charakteristischerweise auf die dramatische Episode und die Schlacht Konstantins gegen die „Barbaren" an der Donau oder jene von Constantinus an der milvischen Brücke und begnügt sich mit der neuerlichen Auffindung des wahren Kreuzes durch die Kaiserin Helena. Auch die dramatische Geschichte der Auffindung durch Judas, der genötigt wurde, den Ort und die drei Kreuze Golgothas zu offenbaren, wird ausgeblendet. Die Darstellung beschränkt sich auf die Bestätigung des wahren Kreuzes nach der Historia Ecclesiastica, wonach eine Edelfrau zu neuem Leben erweckt wurde. Merkwürdigerweise wird hier der Erzählduktus umgekehrt, sodaß wir im rechten Teil des Bildfeldes der Bergung des Kreuzes vor der stehenden Kaiserin gewahr werden, während links das Wunder der Erweckung der toten Edelfrau vonstatten geht. Stärker als in den anderen Szenen wird eine Flächenordnung mittels der in der Bergkuppe des Hintergrundes zusammenlaufenden Diagonalen der Kreuzstämme erzielt. Der Aufrichtung des Kreuzes rechts entspricht, inhaltlich gesehen, die erweckte Frau links, die von dem Kreuz eingerahmt aufrecht auf der Liegestatt sitzt. Die Geschichte Helenas endet, etwas überraschend, mit der „Rückführung des Kreuzes nach Jerusalem" in der Lünette an der Südwand. Womöglich lag dieser Aufteilung die Überlegung zugrunde, daß das Kreuz erneut von Chosroe geraubt und schlußendlich wieder von Heraclius nach Jerusalem zurückgebracht werden sollte. Die Szene mit der „Rückführung" ist mächtiger und tonaler in der farbigen Durchführung als die vorhergehenden; die Landschaft erhebt sich ähnlich wie in der gegenüberliegenden Lünette mächtig hinter den Figurengrup-

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pen im Vordergrund. Mauer, Zinnen, Tore, Türme und Kuppel von Jerusalem sind zu einer recht überzeugenden Stadtansicht zusammengefaßt, die sich in die Tiefe erstreckt. Der Künstler hat sich auf eine Szene beschränkt: Von links schreitet die Kaiserin, in einem byzantinisch anmutenden Kaiserhut gekleidet, mit dem Kreuz voran, rechts knien die Vertreter der Stadt in zwei orthogonal gestaffelten Reihen zum Empfang vor den Mauern der Stadt. In der nächsten Szene mit der „Plünderung Jerusalems durch Chosroe" und seiner „Flucht aus der Stadt" wurde der Bewegungsduktus der Figuren, und dementsprechend die Leserichtung, von rechts nach links umgepolt (Abb. 16). In der vorderen, untersten Bildebene zieht das Fußvolk mit seinen Beutestücken aus der Stadt - die beiden einander gegenübergestellten Figuren in der rechten Bildecke mögen den Raub eines kostbaren Mantels veranschaulichen; sie weisen einen topischen Charakter auf und könnten dem Kontext eines antiken Schlachtenreliefs, wie etwa dem der Trajanssäule, entnommen sein. In der zweiten Ebene der flächenparallel aufgereihten Figuren sehen wir die Reiter aus der Stadt preschen, in der Mitte unterhalb der kahlen Bergkuppe der Bösewicht Chosroe selbst. In dieser Darstellung hat der Maler versucht, die kontinuierliche Bewegung durch die Abfolge der Reiter und auch durch gewagte Überschneidungen, wie etwa der aus dem Stadttor herausragende Pferdekopf rechts und der Rumpf des hinter dem linken Bildrand flüchtenden Pferdes, zu veranschaulichen. Eine überzeugende Verbindung und räumliche Abstimmung zwischen Figuren und Architekturkulissen ist dem Künstler nicht gelungen, wiewohl die orthogonale Flucht der Stadtmauer und das beschattete Waldstück im Hintergrund durchaus eine räumliche Wirkung zeitigen. Aber wie so oft entsteht bei dem Versuch, eine tiefenräumliche Bühne mittels Perspektive zu schaffen, eine Diskrepanz zwischen den streng flächenparallel sich bewegenden Figuren und dem Tiefensog der Kulissen, die darüber hinaus noch durch die Inkompatibilität der Größenverhältnisse verstärkt wird. Erst Masaccio sollte es gelingen, hier einen überzeugenden Ausgleich zu schaffen. Das folgende Bildfeld zeigt mittels der dichtgedrängten Kulissen nicht weniger als drei Episoden, die den Verlauf des Geschehens schildern. In einer prächtigen offenen Thronhalle links sitzt der frevelhafte Herrscher auf seinem Thron, während seine Untergebenen vor ihm in Proskynese verharren. In der Mitte sehen wir den Feldherrn Heraclius in mittelalterlicher Schlafhaltung in seinem vorne aufgeschlagenen Zelt, träumend den Blick auf das Kreuz geheftet, das nach Weissagung des Engels, der von oben herabstürzt, ihm den Sieg in der bevorstehenden Schlacht bringen wird. Rechts wird ein Ausschnitt des mit Chosroe verabredeten Zweikampfes an der Do-

Agnoli Gaddi

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Agnolo Gaddi, Flucht Chosroes, 1388-93; Hauptchorkapelle, S. Croce, Florenz

nau gezeigt. Auf seinem weißen Roß sprengt Heraclius unwiderstehlich über die Brücke und treibt den Perserkönig in die Flucht. Infolge der dichtgedrängten Versatzstücke, die die unterschiedlichen Orte der fortlaufenden Erzählung vergegenwärtigen, kann man nicht umhin, an die Gepflogenheit in den Mysterienspielen der Zeit zu denken, die in ähnlicher Weise die verschiedenen Orte einer Handlung vorstellten, an denen der Gang der Dinge sich abspielte. Womöglich dürfen wir annehmen, daß die vor allem im 15. und 16. Jahrhundert ausgeweiteten Mysterienspiele im Norden bzw. die sacre rappresentazioni in Italien mit ihren luoghi deputati mit Kulissen nach dem Vorbild der vorangehenden Freskenmalerei ausgestaltet wurden.27 Was die Zeitstruktur dieser auf diskursive Narrativik ausgerichteten Szenen betrifft, ist sie grundsätzlich mit jener des spätmittelalterlichen Theaters mit ihren loca vergleichbar, sodaß sich allein schon aus dieser Affinität eine Ähnlichkeit ergibt. Der kausale Zusammenhang bleibt eine Hypothese.28 Das letzte Fresko weist insofern eine komplexere Struktur als die vorangehenden Szenen auf, in dem die Enthauptung

Chosroes vor seiner Königshalle, die überschnitten noch am linken Bildrand zu sehen ist, von der letzten Episode diagonal überlagert wird. Heraclius reitet links im Hintergrund prächtig gekleidet mit erhobenem Kreuz an der Spitze seines Heeres. Der Erzählung der Legenda aurea gemäß ist das Stadttor, das als pars pro toto in einem schräg gestellten Mauerstück in der Mitte sichtbar ist, verschlossen. Der Engel darüber verkündet dem Kaiser, daß der „König aller Himmel" einst demütig auf einem Esel durch das Stadttor eingezogen sei und nicht in „königlicher Tracht". So zog der Kaiser reumütig ein Büßerhemd über und trug das Kreuz barfuß bis an das Stadttor, das sich daraufhin öffnete. Der rechte Teil der Bildfläche ist diesem Endpunkt der triumphalen Rückführung des Kreuzes gewidmet. So sehen wir den Kaiser, von zwei Stadtvätern an der rechten unteren Bildecke begrüßt, feierlich durch das Tor schreiten. Der unaufhaltsame Sieg und der Triumph des Glaubens im Zeichen des Kreuzes tritt hier umso strahlender in Erscheinung, als an der gegenüberliegenden Seite die Enthauptung Chosroes gezeigt wird, der sich geweigert hatte, die

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Freskenmalerei im Trecento

Taufe zu empfangen, wiewohl auch er das Holz des heiligen Kreuzes verehrt hatte.

sammenfuhrung der einzelnen Bildkomponenten zu jenen „er-

Mit dem Freskenzyklus von Agnolo Gaddi, in Konsequenz und Erzählfulle bis dahin unerreicht, gelangt die Entwicklung der Freskenmalerei in Florenz in der nachgiottesken Zeit zweifellos zu einem Höhepunkt: Ausweitung der Szenerien durch große Figurengruppen, die meist den Vordergrund räumlich strukturieren und das Geschehen in der vordersten Bildebene begleiten; Ausbau der Hintergründe durch opulente Architekturkulissen und Landschaftsausblicke mit Bergen, Wäldern und Burgen, die allerdings nie an die Weite und topographische Glaubwürdigkeit der großen Landschaften Ambrogio Lorenzettis heranreichen. Von einem richtigen Zusammenschluß der Figurenszenen mit den Hintergrundlandschaften kann allerdings kaum die Rede sein. Gelegentlich dient ein Bergrücken oder ein Flußlauf dazu, das Bildfeld in zwei Hälften zu teilen, sodaß eine Bühne für die Einzelepisoden der fortlaufenden Geschichte geschaffen wird. Monumentalität und ein dramatisches Anhalten des Erzählflusses ist eigentlich nicht Sache des Künstlers, der eher darum bemüht ist, den der Legenda aurea folgenden Bericht möglichst getreu dem Verlauf nach wiederzugeben. Zweimal ist der Erzählduktus im Gegensinn von rechts nach links zu lesen („Auffindung und Prüfung des Kreuzes", die „Flucht Chosroes aus Jerusalem"), aber eine tiefere Absicht, etwa im Sinne einer Dramatisierung oder inhärenten Bildlogik, ist daraus nicht zu erkennen. So darf kritisch angemerkt werden, daß die Erzählfreude und Textgenauigkeit sehr wohl den Zeitfluß des literarischen Berichts im Medium des Bildes spiegelt, aber diese illustrative Absicht und strenge Einhaltung der fortschreitenden Stationen der Erzählung nicht die ikonischen Möglichkeiten der Bildgestaltung und den selbständigen Umgang mit der Erzählung ausschöpfen. Die künstlerische Umsetzung des Narrativ-Zeitlichen im Bild ist eben nicht durch die getreue Anlehnung an einen vorgegebenen Text getan - in einem größeren Freskenzyklus sind auch die Gesamtstruktur der Bildfelder in der Kapelle und ihre inneren Bezüge zu berücksichtigen. Was in Assisi und in der Arenakapelle in Padua schon längst geleistet worden war, scheint sich im Trecento nach Giotto, Siena ausgenommen, eher verflüchtigt zu haben. Ein ähnlicher Wandel wie in den zeitgenössischen Mysterienspielen tut sich hier auf: Der tiefere Gehalt und seine künstlerische Umsetzung wird einem zunehmenden Illusionismus und Erzählreichtum geopfert. Es drohen die entscheidenden Haltepunkte der jeweiligen Erzählung in der Fülle des Dargebotenen und ihrer eher oberflächlichen Präsentation verlorenzugehen. Masaccio sollte es vorbehalten bleiben, unter Wahrung und auch entscheidender Steigerung der illusionistischen Mittel die Narratio selbst durch monumentale Beschränkung, Harmonisierung und Zu-

tung zu fuhren.

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füllten Augenblicken" dramatischer und künsderischer Gestal-

Altichiero undAvanzo Freskenzyklen in der Cappella di San Giacomo und im Oratorio di San Giorgio, Padua Es war den Norditalienern beschieden, den kraftvollen Erzählstil Giottos mit dem gesteigerten Bedürfnis nach einer Ausweitung des fiktiven Bildraumes ohne Einbuße der Plastizität und Substanz der Figuren zu verbinden. Ich spreche von Altichiero und Avanzo, die in der Cappella di San Giacomo (heute San Feiice) im Santo in Padua und daselbst im Oratorio di San Giorgio ihre Freskenzyklen mit Szenen aus der Legende des hl. Jakobus bzw. die Kindheitsgeschichte Jesu sowie Szenen aus dem Leben des hl. Georg, der hl. Katharina und der hl. Lucia schufen. Die Entstehungszeit der Fresken in der Cappella di San Giacomo ist mit 1379, der Abschluß mit jener im Oratorio di San Giorgio 1384 anzusetzen.29 Fünf der acht Lünetten mit der Geschichte des hl. Jakob Maior werden Avanzo zugeschrieben. Kräftig angelegte Figuren mit beredter Gestik und einer tonalen Farbigkeit, die mit den weiträumigen Architektur- und Landschaftschaftshintergründen verschmelzen. Eine gewisse Flächenhaftigkeit, die nach Oertel auf ein tieferes Verständnis für die Ikonik Giottos in der Scrovegni-Kapelle schließen läßt, bleibt hier bei aller erzählerischen Verve doch gewahrt, auch bei Altichiero, dessen Figuren ein feineres Empfinden für die Stofflichkeit, die Karnation und die Lichtreflexe verraten und größere Eleganz aufweisen. Zu einer großartigen Steigerung gelangt Altichiero in der „Kreuzigung", einer szenographischen Inszenierung großen Stils mit einer Vielzahl von Assistenzfiguren und einer mächtigen Landschaft, die sich vor den Augen des Betrachters auftürmt (Abb. 17). Das ausgesprochene Gefühl Altichieros für harmonisch abgestufte Farbklänge, die sich durch- und nebeneinander entfalten, wird von Oertel überzeugend beschrieben 30 — hinzuzufügen wäre allenfalls, daß der mit feinstem Sinn für farbige Werte durchgeführte Kolorismus zugleich dazu beiträgt, die Erzählung zu akzentuieren. Seit den dramaturgischen Kreuzigungsfresken Cimabues in den 1280er Jahren in Assisi, die in die Periode der großen Passionsspiele in Rom oder Cividale fallen, wurden die Kreuzigungsszenen kontinuierlich ausgebaut. Unter den drei aufgerichteten Kreuzen tritt eine Reihe von topischen Motiven und Nebenszenen hervor, die quasi zeitgleich die Szene beleben: Maria Magdalena

Altichiero Avanzo

am Kreuz, Johannes und die trauernden Frauen, der Centurion auf seinem Schimmel, die um den Mantel des Herrn würfelnden Soldaten. Zu manchen Motiven trugen zweifelsohne die Textbücher der Mysterienspiele bei - das gilt insbesondere für den Streit zwischen Herodes und Pilatus bezüglich der Kreuzesinschrift.31 Die Ausprägung zu solch einer vielfigurigen „Kreuzigung im Gedräng" wurde schon in Andrea da Firenzes Fresko in der Spanischen Kapelle von S. M . Novella in den 1460er Jahren vollzogen. Auch in der Tafelmalerei bietet Agnolo Gaddis „Kreuzigung" von 1390 bis 1395 in den Uffizien hierfür ein gutes Beispiel. Eine Sonderstellung darf allerdings, wie erwähnt, Altichieros großem Fresko in der Cappella di San Giacomo um 1480 im Santo eingeräumt werden, wo die Vielfalt der Figuren und Einzelszenen überzeugend zu einer formalen und koloristischen Einheit verbunden wird, die sich in das Panorama der umgebenden Landschaft einfügt. Es kann durchaus sein, daß Altichiero als Anreger für diese, an erzählerischen Möglichkeiten so reichen Bildform gedient hat, jene „Kreuzigung im Gedräng", die in der spätgotischen Tafelmalerei im Alpenraum und in Deutschland sich so großer Beliebtheit erfreuen sollte.

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Altichiero, Kreuzigung, um 1379; Oratorio di San Giorgio, Padua

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III Imitatio Pietatis in Miniaturen und Tafelbildern des 14. Jahrhunderts

Im folgenden sollen nun anhand einiger einschlägiger Bildbei-

Ein verstärkter Z u g der Vergegenwärtigung erscheint allenfalls

spiele die unterschiedlichen Zeitstrukturen in der sakralen

dadurch gegeben, daß die Kleider der letzteren mit ihrer be-

Kunst des 14. Jahrhunderts exemplifiziert werden. In F - O .

tont modischen N o t e sich von den zeitlich eher unbestimm-

Büttners Darstellung der verschiedenen Typen der auf nachei-

ten Gewändern der biblischen Protagonisten abheben und so

fernde Frömmigkeit und Verähnlichung abzielenden Kunst

den Status der aszetischen Handlung sozial heben. Gegenstand

des Spätmittelalters, der imitatio pietatis, werden die einschlä-

der nacheifernden Huldigung ist das historische Ereignis in der

gigen Themen herausgestellt. Einige repräsentative Beispiele,

zeitlich geronnenen Bildformel.

1

an denen auch die Kontinuität dieser zeitlich ähnlich strukturierten Bilder ersichdich wird, seien hier genannt: In der Darstellung der „Hl. Drei Könige" wird in der ersten

Diese feine Differenzierung, die Trennung von Anbetenden und dem Gegenstand der Huldigung, die im Rahmen der devotionalen Praxis und der darin entwickelten Kunstformen

Hälfte des 14. Jahrhunderts durch Hinzufiigung weiterer Fi-

aufgehoben wird und die zeitliche Kluft vergessen macht,

guren die Anbetung selbst unterschwellig als Bildmotiv einge-

wurde nicht immer in so bewußter Weise wie in unserer Mi-

führt. Während zuweilen auch die Engel die Anbetung des

niatur von 1366 durchgeführt. Eher natürlich ergab sie sich

Kindes verstärken, werden durch Hinzufiigung von Heiligen

später in den Polyptychen, in denen die Stifterfiguren darge-

und auch profanen Personen, Stiftern und Herrschern, die

stellt werden. Aber ebensooft werden jene in die Hauptszene

Huldigung der Magier als Gegenstand frommen Nacheiferns

mit aufgenommen, in die Gruppen der biblischen Figuren

verdeudicht. In einem Missale aus Gent von 1366 (Den Haag,

und der Heiligen integriert, sodaß die zeitlichen Ebenen voll-

Rijksmuseum Meermanns-Westreenianum, ms. 10 A 14, fol.

ends verschmolzen werden.

27v) sehen wir zwei flankierende Figuren in eleganter zeit-

Ahnlich verhält es sich bei einem von Büttner angeführten

genössischer höfischer Tracht, die kniend die Huldigungsszene,

Schweizer Schnitzaltar im Zürcher Landesmuseum

die in einem abgeschlossenen, retabelähnlichen Gehäuse von

16710] um 1400. Z u den beiden in Relief ausgeführten Hl.

ihnen getrennt ist, den Akt der Anbetung wiederholen (Abb.

Drei Königen des linken Flügels gesellt sich in kleinerem Maß-

18). Wiewohl die innerbildliche Rahmung in den Miniaturen

stab ein Stifter (?), dessen Wappen neben der Krone des älte-

gang und gäbe (Pächt) und nicht als Ortsangabe zu verstehen

sten Magiers erscheint.

ist, haben wir es hier m . E. doch mit einer in seiner Ausfuhrung bemerkenswerten Ausnahme zu tun. Die G r u p p e der Drei Könige und Mutter/Kind erscheint, wie gesagt, in einer Nische vor einem rautengemusterten Grund. Jegliche historische Kontextualität, wie wir sie etwa von den Kanzeln Nicola Pisanos in Siena her kennen, ist unterbunden - die G r u p p e selbst steht als eine ganzheitliche Bildformel wie in einem Retabel außer Zeit und Raum, oder besser: in einen R a u m hineingestellt, der dem der Plastik der Zeit entspricht. Perspektivisch und auch durch die ähnlich gemusterte Tapete mit der Huldigungsgruppe verbunden, befinden sich die Stifterfiguren (?) in symmetrischen „Nebenräumen", sodaß der gesamte architektonische Rahmen das gehobene Ambiente eines höfischen Interieurs evoziert. Überhöht und dominant zieht die „Anbetung der Hl. Drei Könige" im Zentrum die Blicke auf sich. So kann man sagen, daß die Anbetung schon die formelhafte Ausprägung eines plastischen Andachtsbildes angenommen hat, das Gegenstand der weiteren Huldigung wird. Von einer Verschränkung zeitlich unterschiedlicher Ebenen kann deshalb in der Magiergruppe selbst nicht die Rede sein, zumal das Mittelbild von den Stifterfiguren nicht direkt berührt wird.

34

[LM

2

Bemerkenswert ist ebenfalls die Mitteltafel eines kleinen Triptychons aus dem frühen 15. Jahrhundert, womöglich eine Arbeit aus Salzburg u m 1425 (Cleveland Museum, Ohio). In dem oberen Register sehen wird Madonna und Kind im Stall, während sich die Magier gedrängt von rechts heranbewegen, der Älteste kniend, wie es seit Pisanos Darstellungen Usus war, seine Huldigung bezeugend. Darunter, in einem angedeuteten perspektivischen, getäfelten Kastenraum mit Sitzbänken, wiederholt sich der Huldigungsvorgang: Maria und Anna umhegen das Kind, welches stehend die Verehrung seitens der beiden Gläubigen (Stifterfiguren ?) entgegennimmt. Bemerkenswert ist hier die örtliche Trennung der beiden Szenen, sodaß das historische Ereignis als zeitlich getrennt Vorgabe den als zeitgenössisch zu verstehenden Akt der Nachahmung und Devotion bildhaft zur Seite steht. Ein weiteres frühes Beispiel, in dem der Gläubige in die Szene der Anbetung schon mit einbezogen wird, bietet nach Büttner ein oberitalienisches Fresko in Vezzolano um die Mitte des 14. Jahrhunderts (Abb. 19). Darin wendet sich Maria dem von einem Engel eingeführten Gläubigen mit einer einladenden Geste zu. So wird das Ereignisbild aus der historischen

Imitatio Pietatis in Miniaturen und Tafelbildern des 14. Jahrhunderts

Perspektive als Gegenstand der Devotion in die Gegenwart gerückt, das Formelhafte selbst von der neuen Kontextualität der zeitgenössischen Andacht gestört. Der Schritt ist hier nicht weit von der Andacht zu der Praxis der frommen Bruderschaften, die seit dem ausgehenden Dugento in Italien Konjunktur hatten. So finden wir etwa in einer Miniatur der disciplinati in Bologna um 1330 die Zeremonie der „Fußwaschung", wie sie von der Konfraternität am Gründonnerstag nachvollzogen wurde, abgebildet (Abb. 20). 3 Nicht Christus ist es, der die Fußwaschung durchführt, sondern ein „frommer Bruder" an seinem Gefährten. Die Rekrutierung der Bruderschaften aus den unterschiedlichsten Schichten des Bürgertums ist an der Kleidung der Protagonisten erkennbar. Die Umsetzung des Passionsgeschehens im realen Nachvollzug läßt sich demnach nachweisen. Im größeren Rahmen kann diese Entwicklung aus den in der Osterliturgie inkorporierten Geschehensabläufen (Visitatio Sepulchri oder duo currebant) oder aus den immer mehr ausgebauten großen Mysterienspielen Ende des 13. Jahrhunderts abgeleitet werden.4 Die Wurzel der devotionalen Praxis und die Ausprägung der Andachtsbilder läßt sich aber, wie einleitungsweise schon ausgeführt, insbesondere mit der Volksfrömmigkeit, der franziskanischen Missions- und Predigertätigkeit sowie mit dem Marienkult in Verbindung bringen, die in den zahlreichen meditativen Textbüchern und blumigen Ausführungen der devotionalen Literatur ihren Niederschlag finden. Diese Form der Vergegenwärtigung fuhrt zu einer Intensivierung der Präsenzzeit auf Kosten des diskursiven Verlaufs der Erzählung, das entscheidenden Einfluß auf die inhaltliche und formale Ausformung der devotional ausgerichteten Kunst nehmen sollte. Wir sehen uns mit dem Paradoxon konfrontiert, daß einmal die Vertiefung und Versenkung in die Einzelepisoden der Passionsgeschichte, dem Leben Jesu oder dem Mariens zur Formalisierung und Fragmentarisierung des ErzählstofFes und seiner bildhaften Umsetzung führt. Was damit in der Absicht, der Erzählung auf den Grund zu gehen, sie psychologisch auszudeuten und eindringlich nachzuvollziehen, begann, mündet in ein ikonographisches Repertoire an feststehenden Typen und Szenen, dem zunehmend gerade der erzählerische Gesamtkontext zu entgleiten droht. Wir werden sehen, wie darüber hinaus die „Eroberung der sichtbaren Welt" in der empirisch ausgerichteten Kunst der Altniederländer der ersten Stunde dem Zeitfluß der Erzählung weitere Hindernisse in den Weg stellte, die erst allmählich, vor allem durch Rogier van der Weyden, überwunden wurden. Zu dem fortlaufenden Wandel einer ursprünglichen szenischen Darstellung eines Ereignisses, das in der Vergangenheit angesiedelt war, trug, wie zu zeigen sein wird, die verstärkte Integration von den devotionalen Figuren bei, die nicht nur als Stifter auftreten, sondern zuweilen auch den Part der biblischen Protagonisten überneh-

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Anbetung der Magier, Mitte des 14. Jahrhunderts; Abbazia di S. Maria, Vezzolano

men. Zeitgenössische Kleidertracht und gar Porträtähnlichkeit tragen überdies dazu bei, die Szene in die Gegenwart des imaginären Betrachters zu verlegen, der sich häufig auch mit einer Architektur und Landschaft konfrontiert sieht, die ihm vertraut ist. Mit der Transformation der historischen Ortlichkeit in die fiktive Realität geht die Aufhebung der zeitlichen Kluft einher, sodaß das vorgestellte Ereignis mit der Gegenwart des Betrachters hier und jetzt zur Deckung gelangt. Weitere Szenen, die das Leben und die Passion Christi als Thema der imitatio pietatis zum Gegenstand haben, werden von Büttner angeführt: Die ,Anbetung der Hirten", „Die Fußwaschung", die „Olbergszene" und „Das Tragen des Kreuzes". Hier sollen nur einige Beispiele des reichhaltigen Bilderschatzes des 14. Jahrhunderts herausgegriffen werden, die diesen Prozeß der Ausweitung des ursprünglichen Berichts durch

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vrccito ua*. ai fòmite.

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Fußwaschung, um 1330; Archiginnasio, Fondo Ospedale, ms. 2, bacheca f. v., Bologna

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devotionale Figuren zeigen und demzufolge die ausgesprochene Verwischung der zeidichen Grenzen deudich machen. Die „Anbetung der Hirten" wird im Lukasevangelium nur als ein „Besuch im Stall" beschrieben; die Hirten konnten nach Büttner aber als „Platzhalter der Gläubigen" im Weihnachtsgeschehen begriffen werden (gaudium magnum, quod erit omni populoP, sodaß hier zugleich der Grund zu einem Geschehen, dem nachzueifern auch der einfache Betrachter angehalten war, gelegt wurde. Konnte der Großbürger und Adelige sich dem Zug der Hl. Drei Könige anschließen, so stand es dem Kleinbürger und Bauern frei, den Hirten an die Krippe zu folgen. Die Armut der Hirten und ihre Einfalt konnten als Voraussetzung für Gottesnähe und Gotteserkenntnis dienen, wie Bonaventura in einigen Kommentaren zum Lukasevangelium klargestellt hatte: quodpastores erant pauperes, simplices et contemptibiles; ideo, ne timerent accedere, datum est eis in Christo infante signum paupertatis et humilitatis.6 Darüber hinaus verdoppelt sich das Motiv der frommen Nachahmung im Bild zuweilen auch dadurch, daß die Bauern selbst es den Königen gleichtun und dem Christkind ihre Gaben bringen. Hier wird bei Büttner wiederholt auf ein schönes Beispiel aus einem französischen Brevier um 1300 in St. Petersburg hingewiesen (Abb. 21, Staad. Bibl., lat. q. v. I, 78). Im oberen Teil der Darstellung sehen wir das Kind in der Krippe mit Ochs und Esel im Zentrum, davor Maria auf der Liegestatt, ihr zu Füßen ein adorierender Hirte (mit Geschenk?) sowie den Propheten Daniel, ein Spruchband haltend: Daniel, cum venerit. Darunter, in kleinerem Maßstab, erscheinen links und rechts der Zug der Hirten bzw. jener der Hl. Drei Könige vor einer Stadtmauer. Das Tor im Zentrum mit seinem Fallgitter steht offen. Wiewohl man der Szene nicht einen gewissen diskursiven Charakter absprechen kann (die Reise der Hirten und Könige, die als Interieur zu begreifende Anbetung in der Stadt), ist die Gesamtstruktur doch von einer Spiegelsymmetrie geprägt, die die zeitliche Abfolge abschwächt. Abgesehen davon, daß die Geburtszene selbst durch die vorrangige Figur Daniels erweitert wurde, wird der Zug der Hirten denjenigen der Hl. Drei Könige als fromme Handlung gleichberechtigt gegenübergestellt. Auch diese Ausweitung durch die im Lukasevangelium nicht erwähnte Szene wurzelt in der devotionalen Praxis der Zeit mit ihren Pilgern - schon das Peregrinatiospiel im 12. Jahrhundert mag als Beleg für den Gegenwartsbezug dienen.7 Ein weiterer Aspekt, der wesentlich dazu beitrug, die zeitlich historische Kohärenz der Anbetungsszene der Hirten zu untergraben, ergibt sich aus der Funktion mancher Miniaturen, die als Initialausschmückung, etwa zu den Psalmen, zu dienen hatten und inhaltlich den Text kommentieren. So se-

Cinn uciienr f—T-W

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Geburt Christi, u m 1300; Staatliche Bibliothek, lat. q. v. I, 78, St. Petersburg

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Geburt Christi, ca. 1 1 2 0 - 1 2 3 0 ; Bibliothèque Nationale, lat. 11560, 26r, Paris

hen wir in einer Initialminiatur einer Bible moralisee von 1220-1230 (BN lat. 11560, fol. 26r) (Abb. 22) Maria auf dem Wochenlager mit David und seiner Harfe und zwei weiteren Männern (Gläubige?) - die zeitliche Auflösung der Geburtsszene ist auf den Umstand zurückzufuhren, daß die Miniatur sich auf den Autor, David, bezieht, der als gängiges Beispiel des Gotteslobes dient und als Vertreter des Alten Testamentes und des Judentums galt. Der aszetische Charakter der Darstellung

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