Bibelkunde: Altes und Neues Testament [5 ed.] 9783825236205, 3825240681, 9783825240684

Diese Bibelkunde führt in den Aufbau der Bibel ein, informiert über die Beziehungen zum Koran und erläutert die wichtigs

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Bibelkunde: Altes und Neues Testament [5 ed.]
 9783825236205, 3825240681, 9783825240684

Table of contents :
Cover
Impressum
Inhalts
Vorwort
Einleitung
1 Einführung in die Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments .
1.1 A nfang und Ende der Bibel
1.2 Qur’an und Bibel
1.3 Antike Bibelübersetzungen
1.4 Deutsche Bibelübersetzungen
1.5 Kanon: Die Sammlung der biblischen Schriften
1.6 Leitfaden 1
1.7 Literatur
2 Genesis bis Deuteronomium: Der Pentateuch
2.1 Einführung in den Pentateuch (1.-5. Mose)
2.2 Genesis (1. Mose)
2.3 Exodus (2. Mose)
2.4 Levitikus (3. Mose)
2.5 Numeri (4. Mose)
2.6 Deuteronomium (5. Mose)
2.7 Leitfaden 2
2.8 Literatur
3 Das deuteronomistische Geschichtswerk
3.1 Einführung in das deuteronomistische Geschichtswerk
3.2 Josua
3.3 Richter
3.4 Samuel (1. und 2. Samuel)
3.5 Könige (1. und 2. Könige)
3.6 Leitfaden 3
3.7 Literatur
4 Das chronistische Geschichtswerk und andere nachexilische Literatur
4.1 Einführung
4.2 Chronik (1. und 2. Chronik)
4.3 Esra
4.4 Nehemia
4.5 Haggai
4.6 Sacharja I (Protosacharja: Sacharja 1-8)
4.7 Rut
4.8 Ester
4.9 Jona
4.10 Leitfaden 4
4.11 Literatur
5 Die Dichtung Israels
5.1 Einführung in die hebräische Poesie
5.2 Hiob
5.3 Psalmen
5.4 Sprüche
5.5 Prediger
5.6 Hohelied
5.7 Leitfaden 5
5.8 Literatur
6 Die Prophetie des 8. Jahrhunderts
6.1 Einführung in die Prophetie
6.2 Jesaja I (Protejesaja: Jesaja 1-39)
6.3 Hosea
6.4 Amos
6.5 Micha
6.6 Leitfaden 6
6.7 Literatur
7 Die Prophetie vom 7. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr
7.1 Einführung
7.2 Jeremia
7.3 Klagelieder
7.4 Ezechiel
7.5 Jesaja II (Deuterojesaja: Jesaja 40-55)
7.6 Jesaja III (Tritojesaja: Jesaja 56-66)
7.7 Sacharja II und III (Deutero- und Tritosacharja: Sacharja 9-11 u. 12)
7.8 Maleachi
7.9 Die Komposition des Zwölfprophetenbuches und die übrigen Propheten
7.10 Leitfaden 7
7.11 Literatur
8 Das Markusevangelium
8.1 Einführung in die synoptischen Evangelien
8.2 Formen der synoptischen Tradition
8.3 Gliederung
8.4 Inhalt und Aufbau
8.5 Wichtige Themen
8.6 Leitfaden 8
8.7 Literatur
9 Das Lukasevangelium
9.1 Einführung
9.2 Gliederung
9.3 Inhalt und Aufbau
9.4 Wichtige Themen
9.5 Leitfaden 9
9.6 Literatur
10 Das Matthäusevangelium
10.1 Einführung
10.2 Gliederung
10.3 Inhalt und Aufbau
10.4 Wichtige Themen
10.5 Leitfaden 10
10.6 Literatur
11 Das Johannesevangelium und die drei Johannesbriefe
11.1 Einführung
11.2 Gliederung
11.3 Inhalt
11.4 Wichtige Themen
11.5 Die Johannesbriefe (1.-3. Johannesbrief)
11.6 Leitfaden 11
11.7 Literatur
12 Die Apostelgeschichte
12.1 Einführung in die Paulusüberlieferung
12.2 Gliederung
12.3 Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 1-15 (Petrusteil)
12.4 Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 16-28 (Paulusteil)
12.5 Erzählungen der Paulustradition
12.6 Leitfaden 12
12.7 Literatur
13 Die Paulusbriefe und die übrigen Schriften des Neuen Testaments
13.1 Einführung in die Paulusbriefe
13.2 Der erste Thessalonicherbrief
13.3 Der Philipperbrief und der Brief an Philemon
13.4 Der erste Korintherbrief
13.5 Der zweite Korintherbrief
13.6 Der Galaterbrief
13.7 Der Römerbrief
13.8 Deuteropaulinen und Pastoralbriefe
13.9 Die übrigen Schriften des Neuen Testaments
13.10 Leitfaden 13
13.11 Literatur
14 Die apokalyptische Literatur
14.1 Einführung in die apokalyptische Literatur
14.2 Das Buch des Propheten Daniel
14.3 Die Offenbarung des Johannes
14.4 Leitfaden 14
14.5 Literatur
15 Wissensstandards in Bibelkunde
Weiterführende Literaturhinweise
Glossar
Abbildungs- und Quellennachweis
Register
Übersicht in der Reihenfolge der biblischen Bücher

Citation preview

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L u k a s B orm a n n

Bibelkunde Altes und Neues Testament 4., durchgesehene Auflage mit 20 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

4

Lukas Bormann ist seit 2009 Professor für Neues Testament (Geschichte und Literatur des Urchristentums) an der Universität Erlangen. Zuvor hatte er Professuren an der Universität Bayreuth und an der Technischen Universität Braunschweig inne. Seine wichtigsten Publikationen sind: Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World: Essays Honoring Dieter Georgi, Leiden/New York/Köln 1994 (Gem. mit Kelly Del Tredici und Angela Standhartinger); Philippi – Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus, Leiden/New York/Köln 1995; Recht, Gerechtigkeit und Religion im Lukasevangelium, Göttingen 2001; Das Neue Testament, Stuttgart 2003; Schöpfung, Monotheismus und fremde Religionen, Neukirchen 2008 und gem. mit Joachim Kügler, Töchter (Gottes). Studien zum Verhältnis von Kultur, Religion und Geschlecht, Berlin 2008.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de Umschlagabbildung: Psalmenhandschrift aus Qumran 4Q Psg (4Q89) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012, 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Satz, Layout und Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck und Bindung: CPI books GmbH, Ulm Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. UTB-Band-Nr.: 2674 ISBN 978-3-8252-3620-5

5

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1

Einführung in die Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 Anfang und Ende der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Qur’an und Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Antike Bibelübersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Deutsche Bibelübersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Kanon: Die Sammlung der biblischen Schriften . . . . . . . . . . . . 1.6 Leitfaden 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

Genesis bis Deuteronomium: Der Pentateuch . . . . 2.1 Einführung in den Pentateuch (1.-5. Mose) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Genesis (1. Mose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Exodus (2. Mose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Levitikus (3. Mose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Numeri (4. Mose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Deuteronomium (5. Mose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Leitfaden 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

14 14 18 21 21 26 31 33 34 34 37 51 57 60 64 67 70

Das deuteronomistische Geschichtswerk . . . . . . . . 71 3.1 Einführung in das deuteronomistische Geschichtswerk . . . . . 71 3.2 Josua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.3 Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.4 Samuel (1. und 2. Samuel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.5 Könige (1. und 2. Könige) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.6 Leitfaden 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

6

I n h a lt

4

Das chronistische Geschichtswerk und andere nachexilische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.2 Chronik (1. und 2. Chronik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.3 Esra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.4 Nehemia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.5 Haggai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.6 Sacharja I (Protosacharja: Sacharja 1-8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.7 Rut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.8 Ester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.9 Jona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.10 Leitfaden 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.11 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

5

Die Dichtung Israels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einführung in die hebräische Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Hiob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Sprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Prediger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Hohelied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Leitfaden 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115 115 118 121 124 126 130 131 133

6

134 134 138 143 144 146 148 150

Die Prophetie des 8. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einführung in die Prophetie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Jesaja I (Protejesaja: Jesaja 1-39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Hosea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Amos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Micha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Leitfaden 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Die Prophetie vom 7. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Klagelieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Ezechiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Jesaja II (Deuterojesaja: Jesaja 40-55) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Jesaja III (Tritojesaja: Jesaja 56-66) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151 151 153 158 159 164 166

7

7.7 Sacharja II und III (Deutero- und Tritosacharja: Sacharja 9-11 u. 12) . . . . . . . . . . 7.8 Maleachi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 Die Komposition des Zwölfprophetenbuches und die übrigen Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.10 Leitfaden 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.11 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 168 170 173 175

8

Das Markusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7

Einführung in die synoptischen Evangelien . . . . . . . . . . . . . . . Formen der synoptischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 176 178 182 183 189 191 193

9

Das Lukasevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 194 197 198 206 208 209

10 Das Matthäusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210 210 213 214 222 223 224

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 Das Johannesevangelium und die drei Johannesbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Johannesbriefe (1.-3. Johannesbrief) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 228 228 234 236 237 239

8

I n h a lt

12 Die Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7

Einführung in die Paulusüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 1-15 (Petrusteil) . . Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 16-28 (Paulusteil) . Erzählungen der Paulustradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 Die Paulusbriefe und die übrigen Schriften des Neuen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Einführung in die Paulusbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Der erste Thessalonicherbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Der Philipperbrief und der Brief an Philemon . . . . . . . . . . . . . 13.4 Der erste Korintherbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Der zweite Korintherbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6 Der Galaterbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7 Der Römerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.8 Deuteropaulinen und Pastoralbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.9 Die übrigen Schriften des Neuen Testaments . . . . . . . . . . . . . . 13.10 Leitfaden 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.11 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 Die apokalyptische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

240 240 242 243 246 248 250 251

252 252 254 255 257 260 263 266 269 271 273 275

Einführung in die apokalyptische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . Das Buch des Propheten Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Offenbarung des Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276 276 278 282 286 287

15 Wissensstandards in Bibelkunde . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Weiterführende Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungs- und Quellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht in der Reihenfolge der biblischen Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 294 297 299 301

14.1 14.2 14.3 14.4 14.5

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Vorwort

Die Inhalte dieser Bibelkunde sind aus Lehrveranstaltungen an den Universitäten Hildesheim, Braunschweig und Bayreuth hervorgegangen. Die Leitfäden hat meine Braunschweiger Mitarbeiterin Ulrike Plath, jetzt Lehrerin am St. Elisabeth Gymnasium Heiligenstadt, entworfen. Sie wurden von meinem Bayreuther Assistenten Christian Wetz überarbeitet und von mir noch einmal durchgesehen und gestrafft. Herr Wetz und Frau Kristina Hübner, beide Bayreuth, haben Teile des Korrekturlesens übernommen. Ihnen allen danke ich herzlich für die unermüdliche Unterstützung. Bayreuth, im Mai 2005

Lukas Bormann

Vorwort zur 3. Auflage Die dritte Auflage wurde um Einführungen in die Kapitel 4 und 7 erweitert. Einige Abschnitte wurden etwas umfangreicher ergänzt, etwa 1.2 „Qur’an und Bibel“, 1.4 „Deutsche Bibelübersetzungen“, 2.2 „Genesis“, 3.4 „Samuel“, 3.5 „Könige“, 5.1 „Einführung in die hebräische Poesie“ und 12.2 „Apostelgeschichte“. Die Abbildungen wurden etwas eingehender erläutert und die Literaturhinweise auf den neuesten Stand gebracht. Ich danke für die Unterstützung, die ich von Lydia Einenkel und Christian Wetz erhalten habe. Ein Teil der Ergänzungen ist im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes gemeinsam mit den Kollegen Rodolfo Gaede, Martin Rösel, Aaron Schart und Emilio Voigt an der EST, São Leopoldo/RS, Brasilien entstanden. Ihnen allen danke ich für Hinweise und Anregungen. Bayreuth, im März 2009

Lukas Bormann

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V or wor t

Vorwort zur 4. Auflage In der vierten Auflage wurden einige wenige Versehen korrigiert. Der Abschnitt zu Qur’an und Bibel (1.2) wurde neu formuliert. Ich danke M. Podzeit-Lütjen, den studentischen Hilfskräften Lydia Einenkel und Julia Zeilmann sowie den Mitarbeiterinnen Johanna Elbert und Nadine Sauber für Anregungen und Hinweise.

Erlangen, im Juli 2011

Lukas Bormann

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Einleitung

Diese Bibelkunde hat das Ziel, über Inhalt und Aufbau der biblischen Schriften zu informieren. Dabei sollen die alt- und neutestamentlichen Schriften gleichberechtigt behandelt werden. Beide Schriftengruppen haben ein je eigenes Gepräge und bilden eine differenzierte Einheit. Sie stehen in einer Beziehung zueinander, aufgrund derer zwar das Alte Testament ohne das Neue, nicht aber das Neue Testament ohne das Alte verstanden werden kann. Die gemeinsame und doch voneinander unabhängige Ausrichtung des Alten und des Neuen Testaments wird in dieser Bibelkunde insbesondere im Eingangs- und im Schlusskapitel unterstrichen. Die Einteilung des Stoffes in die einzelnen Paragraphen erfolgt nicht einfach nach der Reihenfolge der biblischen Schriften in den Bibelausgaben, auch wenn diese in der Regel berücksichtigt wird. Vielmehr werden die biblischen Bücher zusammen behandelt, die sich aufgrund historischer und textlicher Gesichtspunkte nahe stehen. Die Kriterien dafür ergeben sich aus der kritischen Erforschung der biblischen Schriften und dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion. So werden in Kapitel 3 die Schriften behandelt, die in Teilen der alttestamentlichen Forschung als Werk einer so genannten deuteronomistischen Schule verstanden werden. Hier stimmen wissenschaftliche Bezeichnung (deuteronomistisches Geschichtswerk) und Abfolge der Schriften in der Bibel überein (Josua, Richter, Samuelbücher, Königsbücher), so dass dem Anfänger die Orientierung leicht fällt. In Kapitel 6 hingegen werden die Prophetenbücher behandelt, deren Namensgeber im 8. vorchristlichen Jahrhundert gewirkt haben (Jesaja 1-39, Hosea, Amos, Micha). Diese stehen in den Bibelausgaben nicht in dieser Reihenfolge und gehören auch unterschiedlichen größeren textlichen Zusammenhängen an (Jesajabuch und Zwölfprophetenbuch). Die historische und sachliche Nähe der Inhalte lässt aber eine gemeinsame Behandlung sinnvoll erscheinen. Die Übersicht in der Reihenfolge der biblischen Bücher (S. 301) erleichtert die Orientierung. In der alttestamentlichen Wissenschaft besteht zu vielen grundlegenden Fragen, die die Abfassungsverhältnisse der einzelnen Schriften und deren literarische Gestalt betreffen, kein Konsens. Dennoch

Aufbau

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Gliederung

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bilden die in dieser Bibelkunde verwendeten Begriffe die Grundlage und die Ausgangsbasis für die wissenschaftliche Diskussion (z.B. Deuteronomismus, deuteronomistisches und chronistisches Geschichtswerk, die Unterscheidung von Proto-, Deutero- und Tritojesaja bzw. Sacharja). Es kann nun aber nicht die Aufgabe einer Bibelkunde sein, diese wissenschaftlich verantworteten Entscheidungen näher zu begründen. Es wurde auch darauf verzichtet, die Darstellung des bibelkundlichen Stoffes allzu eng an bestimmte exegetische Fragen heranzuführen. Vielmehr soll die eigene Leseerfahrung des interessierten Lesers und der interessierten Leserin so gefördert und unterstützt werden, dass ein individuelles Leseerlebnis möglich wird. Die vorliegende Bibelkunde will auf das kritische Bibelverständnis vorbereiten, das grundlegend für die Beschäftigung mit der Bibel im universitären Bereich ist. Die Schriften des Alten und Neuen Testaments entfalten ihre inspirierende und erneuernde Wirkung nur dann, wenn sie sorgfältig und kritisch gelesen werden. Diese Ausrichtung auf das Universitätsstudium wird ergänzt durch eine Akzentsetzung dieser Bibelkunde, die die berufliche Praxis in Schule und Gemeinde berücksichtigt. Viele biblische Texte sind Erzählungen, d.h. sie entwerfen eine erzählte Welt, in der Menschen handeln. Gerade diese Erzähltexte der Bibel veranschaulichen an Personen die Bedeutung der Gottesbeziehung in einer Weise, die unmittelbar ansprechen kann, wenn die Texte als Erzählungen ernst genommen werden. Die Erzählungen der Bibel erschließen theologische Grundeinsichten und religiöse Erfahrungen, die nur in der erzählenden Sprachgestalt zugänglich sind. Deswegen werden zu jedem biblischen Buch die Erzählungen, die man kennen sollte, in einem eigenen Abschnitt aufgeführt. Schließlich wird unter Kapitel 15 „Wissensstandards Bibelkunde“ eine Liste der fünfzig alttestamentlichen und neutestamentlichen Texte vorgestellt, die man erzählen können sollte. Diese Liste eignet sich auch für eine erste kursorische Lektüre der Bibel. Die einzelnen Kapitel beginnen in der Regel mit einer Einführung in die Schriftengruppe, die behandelt wird. Dann folgen zu den einzelnen biblischen Büchern Abschnitte, die jeweils gleich aufgebaut sind. Auf eine Einführung in die Einzelschrift folgen jeweils die Gliederung, eine Inhaltsangabe, Lektürevorschläge, Erzähltexte und schließlich Hinweise auf wichtige Texte (Kapitel 1-8 und 14), die im Wortlaut vertraut sein sollen, bzw. Hinweise auf wichtige Themen (Kapitel 9-11), die zum Verständnis des biblischen Buches beitragen. Bei den Lektürevorschlägen wird in eckigen Klammern die Anzahl der zur Lektüre vorgeschlagenen Kapitel vermerkt, in runden Klammern folgt die Anzahl der Kapitel des

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biblischen Buches: [25] Gen (50) bedeutet 25 Kapitel von insgesamt 50 Kapiteln des Buches Genesis sollen gelesen werden. Die Kapitel schließen mit einem Leitfaden zur Bearbeitung, der durch Arbeitshinweise, Fragen und die Liste der wichtigen Begriffe das zielgerichtete Erlernen des Stoffes erleichtern soll. Wenn Sie die Absicht haben, über eine informierende Lektüre hinaus die Inhalte des Buches zu erarbeiten, dann sollten Sie mit den Leitfäden beginnen. Zum Schluss noch einige technische Hinweise, die den Umgang mit dieser Bibelkunde erleichtern sollen: ˘ Diese Bibelkunde soll auch ohne beständiges Nachschlagen in der Bibel lesbar und verständlich sein. Um das zu erreichen, sind aussagekräftige und sprachlich eindrucksvolle Passagen des Bibeltexts im Wortlaut abgedruckt. Hinter den Bibelstellen finden sich dann in Klammern die Abkürzungen für die benutzen Übersetzungen: L für Lutherübersetzung, Z für Zürcherbibel, EÜ für die Einheitsübersetzung, E für die Elberfelder Bibel. ˘ Die Abkürzungen der Zeitschriften, Serien und Lexika orientieren sich an dem Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie (TRE), Berlin/New York 21994. ˘ Die Schreibweise der biblischen Bücher und ihrer Abkürzungen folgen weitgehend dem Abkürzungsverzeichnis, das die Deutsche Bibelgesellschaft für die Lutherübersetzung verwendet (Ausnahme: Ezechiel für Hesekiel und Ez für Hes). Für einige biblische Bücher sind allerdings Abkürzungen üblich, die sich auf die lateinischen Buchtitel beziehen. Im Falle des Pentateuch (1.-5. Mose) werden diese am lateinischen Buchtitel orientierten Abkürzungen übernommen, etwa Gen für Genesis (1. Mose). Die Literaturhinweise am Ende der einzelnen Kapitel nennen die neueste deutschsprachige Fachliteratur. Kommentare und Lehrbücher sind dort in der Regel nicht aufgenommen. Die neuesten Kommentare sind mit Hilfe der Übersicht der Kommentarreihen (1.4) in den Bibliothekskatalogen leicht aufzufinden. Die neuesten Lehrbücher sind unter „weiterführende Literaturhinweise“ vermerkt. Ein Glossar, ein Sachregister und eine Übersicht in der Reihenfolge der biblischen Bücher schließen den Band ab. Weiterführende Informationen sind im WorldWideWeb über das Portal UTB-mehr-wissen.de zugänglich. Dort werden u.a. folgende Zusatzmaterialien angeboten: Erzählungen Altes Testament, Erzählungen Neues Testament, Online-Kurs Prophetie des 8. Jh., Online-Test mit sofortiger Auswertung. Der Autor bietet über die virtuelle Hochschule Bayern (www. vhb.org) seit 2010 einen Online-Kurs Bibelkunde mit weiteren Zusatzmaterialien wie z.B. Lernkarten zum Ausdrucken an (2 bzw. 3 ECTS).

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1 | Einführung in die Bibelkunde des | Alten und Neuen Testaments

Inhalt 1.1 Anfang und Ende der Bibel

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1.2 Qur’an und Bibel

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1.3 Antike Bibelübersetzungen

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1.4 Deutsche Bibelübersetzungen

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1.5 Kanon: Die Sammlung der biblischen Schriften

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1.6 Leitfaden 1

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1.7 Literatur

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1.1 | Anfang und Ende der Bibel Die jetzt vorliegende Zusammenstellung der biblischen Schriften nennt man die kanonische Endgestalt der Bibel oder einfach Kanon (Kanon = urspr. „Richtschnur“, dann übertragen „autorisierte Schriftensammlung“). „Kanonisch“ meint, dass die Auswahl der Schriften, die getroffen wurde, nun als gültiger Maßstab zu gelten habe. Diese Schriften bilden die heiligen Schriften des Christentums. In der kanonischen Endgestalt der Bibel gibt es Bezüge, die den inneren Zusammenhang der zusammengestellten Schriften verdeutlichen. Sie verklammern die Vielfalt der unterschiedlichen Inhalte und unterstreichen, dass trotz dieser Vielfalt eine Einheit der biblischen Schriften erkannt werden kann. Eine dieser Klammern erschließt sich der Bibellektüre unmittelbar. Schlägt man die ersten Worte der Bibel (Gen 1,1f) auf und blickt dann auf die letzten Verse (Offb 20,20f), dann liest man: ˘ Gen 1,1f (L): Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer … ˘ Offb 22,20 (L): Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald. – Amen, ja, komm, Herr Jesus!

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Am Anfang der Bibel steht das ursprüngliche Handeln Gottes in der Schöpfung (Gen 1,1) und an ihrem Ende wird der Blick des Lesers auf das endzeitliche Handeln Gottes im Kommen Jesu Christi gelenkt (Offb 22,20). Die Beziehung von Anfang und Ende ist die Klammer, die in der kanonischen Endgestalt der christlichen Bibel die vielen Schriften der Bibel zusammenhalten soll. Der Leser und die Leserin der Bibel sollen die Texte aus dieser Perspektive lesen. Sie selbst stehen zwischen dem von Gott gelegten Anfang und dem von Gott herkommenden Ende. In diesem Sinne ist die Bibel ein Buch, das sich mit der Beziehung des Menschen zu Gott befasst. Der Leserin und dem Leser wird eine Lesehaltung angeboten, die diese Sichtweise übernimmt. Diese Lesehaltung ist aber nur eine Möglichkeit der Bibellektüre. Die einzelnen Schriften der Bibel sind weitgehend unabhängig voneinander entstanden und jedenfalls nicht für die jetzt vorliegende Schriftensammlung verfasst worden. Sie bieten je eigene Lesehaltungen an. Und auch diesen Lesehaltungen gegenüber können die Leserin und der Leser der Bibel Distanz bewahren. Selbstverständlich kann man die Bibel auch literarisch interessiert oder unter ästhetischen Gesichtspunkten lesen. Oftmals wird man den einzelnen biblischen Schriften eher gerecht, wenn man die von der kanonischen Endgestalt angebotene Lesehaltung nicht einnimmt. Das gilt besonders für die Lektüre der Schriften des Alten Testaments, die durchweg für Israel geschrieben sind und kein Interesse am Kommen Jesu Christi zeigen. Fasst man allerdings die Verbindung von Anfang und Ende etwas allgemeiner und spricht von der Beziehung von Herkunft und Zukunftserwartung, dann erschließen sich weitere bewusste Verbindungen zwischen den Texten der Bibel. Das Alte Testament berichtet von der Herkunft des Menschen von Gott, indem es am Anfang von der Schöpfung erzählt. Es schließt mit der Zukunftserwartung des Menschen, die auf das Kommen des Propheten Elia ausgerichtet ist. ˘ Mal 3,23f (L): Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf dass ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage. Die unterschiedlichen Entstehungszeiten der biblischen Schriften führen dazu, dass einzelne Schriften bereits auf andere Schriften innerhalb der Bibel Bezug nehmen. Die Schriften des Neuen Testaments beziehen sich häufig auf alttestamentliche Texte. Sie bringen damit die Beziehung zwischen Anfang und Zukunftserwartung zum Ausdruck. Manche dieser Textbeziehungen gehen in den Übersetzungen verloren, da Passa-

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Bibel als Literatur

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gen, die in der Ursprungssprache übereinstimmen, in ihren jeweiligen Kontexten anders ins Deutsche übersetzt werden. So beginnt Mt 1,1 mit Worten, die sich an Gen 2,4a anlehnen. Der Teilvers Gen 2,4a steht am Ende des Schöpfungsberichtes, ist aber als die eigentliche Überschrift zu verstehen. Beide Schriften beginnen mit der Formulierung „Buch der Entstehung“, gr. biblos geneseos (λς γενσεως): ˘ Gen 2,4a (L): So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden. ˘ Gen 2,4a (gr.): Haute he biblos geneseos ouranou kai ges. (Aτη  λς γενσεως ραν κα γς) Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi. ˘ Mt 1,1 (L): ˘ Mt 1,1 (gr.): Biblos geneseos Iesou christou. (Bλς γενσεως Iησ Xριστ). Auch das Johannesevangelium spielt auf den Wortlaut des Schöpfungsberichts an. Es beginnt (Joh 1,1) mit den gleichen Worten wie das Buch Genesis (Gen 1,1). ˘ Gen 1,1 (L): Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. ˘ Gen 1,1 (gr.): En arche epoiesen ho theos ton ouranon kai ten gen. (\Eν ρ πησεν  ες τν ρανν κα τν γν.) Im Anfang war das Wort. ˘ Joh 1,1 (L): ˘ Joh 1,1 (gr.): En arche en ho logos. (\Eν ρ ν  λγς.) Am Anfang des Alten Testaments handelt Gott in der Schöpfung. Am Anfang des Neuen Testaments (Mt 1,1) wird die Abstammung Jesu durch eine sprachliche Anspielung (biblos geneseos) mit der Schöpfung verbunden. Das Johannesevangelium greift den Schöpfungsgedanken noch deutlicher auf, indem es auf Gen 1,1 anspielt. In den deutschen Übersetzungen, z.B. in der Lutherbibel, gehen diese sprachlichen Bezüge bisweilen verloren. Die Elberfelder Bibel ist für ihre wörtliche Übersetzung bekannt. Sie überträgt zum Beispiel in Gen 1,1 den Plural des hebräischen Wortes für Himmel, also die Himmel, auch ins Deutsche. Die Elberfelder Bibel übersetzt den Beginn von Gen 1,1 und Joh 1,1 wortgleich, die Anspielung von Mt 1,1 auf Gen 2,4a geht aber auch bei ihr verloren: ˘ Gen 1,1: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. ˘ Joh 1,1: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. ˘ Gen 2,4a: Dies ist die Entstehungsgeschichte der Himmel und der Erde, als sie geschaffen wurden. ˘ Mt 1,1: Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.

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„Im Anfang“ wird das zur Sprache gebracht, was den Menschen grundsätzlich betrifft. Auf dieser Basis des Anfangs kann der Mensch auch in der Gegenwart und in der Zukunft seiner selbst gewiss sein. Dieser Anfang ist ein in die Zukunft wirkender Anfang. Der Mensch ist nach biblischer Überzeugung vor allem Mensch vor Gott. Damit ist nicht nur ein religiöser Teilbereich des Menschseins gemeint, sondern der ganze Mensch in all seinen vielfältigen und widersprüchlichen Lebensbezügen. Die Stellung des Menschen vor Gott erschließt die Vielfalt und die Tiefe des Menschseins. Der Anfang der Schöpfung ist kein zurückliegendes Ereignis, sondern bleibende Grundlage und damit Gegenwart. Die biblischen Schriften formulieren die Überzeugung, dass dieser Gott, der am Anfang das Grundlegende geschaffen hat, immer wieder neu auf den Menschen zukommt. Nicht nur das Grundlegende, das in der Schöpfung entschieden ist, wirkt in der Gegenwart, sondern auch die Hoffnung auf das Zukünftige, das von Gott kommt, bestimmt die Haltung des Menschen vor Gott. Der Mensch steht in einer lebendigen, prozesshaft-dynamischen Beziehung zu Gott. Die Gegenwart ist bestimmt von der Sicherheit des in der Schöpfung gelegten guten Anfangs. Sie erwartet die Vollendung des in der Schöpfung angelegten Guten immer neu aus der Zukunft. Diese Sicherheit und die Hoffnung verbinden die Bibel mit dem Gott, der sich selbst als der Gütige und Barmherzige zu erkennen gegeben hat. Er steht nicht nur am Anfang und kommt in der Zukunft, sondern er prägt die Gegenwart. An vielen Stellen der Bibel wird eine Art Definition des biblischen Gottes (Gnadenformel) formuliert: ˘ Ps 145,8 (L): Gnädig und barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. ˘ Hebr.: Chanun ve rachum JHWH äräch aphajim ve gedal chasäd

Zu den Wesenseigenschaften Gottes gehören Gnade, Barmherzigkeit, Geduld und Güte (Ex 34,6; Ps 86,15; 103,8; Jon 4,2 u.ö.). Diese Definition des biblischen Gottes wird zur Grundlage von Judentum, Christentum und auch des Islams. Das islamische Gottesverständnis greift die biblischen Eigenschaften Gottes auf. Fast alle Suren des Qur’an beginnen mit einer gleich lautenden Eröffnung, mit der so genannten Basmala: Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Erbarmers. Bismi llãhi r-rahmãni r-rah¯ımi Das arabische und das hebräische Wort für „barmherzig“ haben einen gemeinsamen Ursprung. Der Konsonantenstamm stimmt überein: rhm

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Menschenbild

Gottesbild

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(hebr. rachum; arab. rachman). Im islamischen Denken ist die Barmherzigkeit eine von vielen Eigenschaften Gottes. Alle Gottesbezeichnungen zusammengenommen (traditionell sind es 99) vermögen es nach islamischer Anschauung nicht, Gott voll zu erfassen. Das islamische Gottesverständnis betont die Transzendenz Gottes. Das biblische Gottesverständnis hingegen stellt die Beziehung zwischen Gott und Mensch in den Mittelpunkt. Die bestimmende Eigenschaft der göttlichen Beziehung zum Menschen ist nach biblischer Auffassung die Barmherzigkeit.

1.2 | Qur’an und Bibel Im Qur’an („Lesung“) sind 114 Suren zusammengestellt, die nach der kurzen ersten Sure „Eröffnung“ (al-Fátiha) dem Umfang nach geordnet sind. Es begegnen vor allem in den Suren 2-5 viele Personen und Erzählungen, die aus der Bibel bekannt sind. Der Qur’an ist nach islamischem Verständnis direkte göttliche Offenbarung wie ursprünglich auch Tora und Evangelium, die aber nach Ansicht des Qur’an verfälscht wurden. Dieses Verständnis der direkten göttlichen Offenbarung des Qur’an und die Person des Mohammed sind der Kritik weitgehend entzogen. Für die Interpretation der einzelnen Suren können aber durchaus historische Erwägungen angestellt werden, etwa zu den Abfassungsverhältnissen, zu den sachlichen Umständen, zum angesprochenen Personenkreis oder auch zum Bedeutungswandel einzelner arabischer Begriffe und Wendungen. Auf der Basis historischer und theologischer Erwägungen setzen manche Ausleger die qur’anischen Stoffe so zueinander in Beziehung, dass eine Theologie des Qur’an erkennbar wird. So ist für Fazlur Rachman (1919-1988), ehemaliger Professor of Islamic Thought an der Universität Chicago, im Qur’an der Gottesgedanke zentral. Die Existenz Gottes, die Endlichkeit allen Seins jenseits Gottes, die Macht Gottes und schließlich seine Barmherzigkeit seien grundlegend für die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Auf dieser theologischen Grundlage wende sich der Qur’an an den Menschen und beeinflusse sein Verhalten, indem er ihm die eine wahre und unverfälschte „Rechtleitung“ (huda) mitteile. Im Folgenden werden einige wichtige Texte des Qur’an vorgestellt, in denen biblische Erzähltraditionen vorkommen. In diesen Texten wird die biblische Grunderzählung oftmals vorausgesetzt, nicht aber eigenständig neu erzählt. Diese aus biblischer Perspektive bisweilen verkürzt und unvollständig erscheinende Fassung im Qur’an gilt dem Islam aber

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als die ursprüngliche und unverfälschte. Das ist für das christlich-islamische Gespräch dann ein Problem, wenn sich Qur’an und Bibel widersprechen, wie etwa in den Aussagen zur Kreuzigung Jesu (vgl. Mt 27,3337 mit Sure 4,157f). Die folgenden Beispiele sollen zu einer eigenständigen Qur’an-Lektüre ermuntern. Man wird dem Qur’an nicht gerecht, wenn man ihn nur unter dem Gesichtspunkt der biblischen Überlieferungen liest. Adam, aus Sure 2, die Kuh (Al-Baqara) 2,35f: Und wir sagten: „Adam! Verweile du und deine Gattin im Paradies, und esst uneingeschränkt von seinen Früchten (w. von ihm), wo ihr wollt! Aber naht euch nicht diesem Baum, sonst gehört ihr zu den Frevlern!“ 36 Da veranlasste sie der Satan, einen Fehltritt zu tun, wodurch sie des Paradieses verlustig gingen. Abraham, aus Sure 2, die Kuh (Al-Baqara) 2,127-129: Und (damals) als Abraham dabei war, die Grundmauern – die des Hauses (der Ka’ba) – aufzuführen, (er) und Ismael (und zu Gott betete): „Herr! Nimm (es) von uns an! Du bist der, der (alles) hört und weiß. 128 Und mach, Herr, dass wir (beide) dir ergeben sind, und (mach) Leute aus unserer Nachkommenschaft zu einer dir ergebenen Gemeinde! Und zeig uns unsere Riten! Und wende dich uns (gnädig) wieder zu! Du bist ja der Gnädige und Barmherzige. 129 Und lass, Herr, unter ihnen (d.h. unseren Nachkommen) einen Gesandten aus ihren eigenen Reihen auftreten, der ihnen deine Verse (w. Zeichen) verliest, sie die Schrift und die Weisheit lehrt und sie (von der Unreinheit des Heidentums) läutert! Du bist der Mächtige und Weise.“ Moses, Exodus und Sinai, aus Sure 2, die Kuh (Al-Baqara) 2,49-52: Und (damals) als wir euch von den Leuten Pharaos erretteten, während sie euch eine schlimme Qual auferlegten, indem sie eure Söhne abschlachteten und (nur) eure Frauen am Leben ließen! Darin lag für euch eine schwere Prüfung von seiten eures Herrn. 50 Und (damals) als wir euch einen Weg mitten durch das Meer machten und euch erretteten und die Leute Pharaos ertrinken ließen, während ihr zuschautet! 51 Und (damals) als wir uns mit Mose (am Sinai) auf vierzig Tage verabredeten! Und dann, nachdem er weggegangen war, nahmet ihr euch in frevelhafter Weise das Kalb (zum Gegenstand eurer Anbetung). 52 Hierauf, nachdem dies geschehen war, rechneten wir es euch nicht an. Vielleicht würdet ihr dankbar sein.

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Maria, aus Sure 3, die Sippe ‘Imr¯ ans (Al-’Imrán) 3,45-47: (Damals) als die Engel sagten: „Maria! Gott verkündet dir ein Wort von sich, dessen Name Jesus Christus, der Sohn der Maria, ist! Er wird im Diesseits und im Jenseits angesehen sein, einer von denen, die (Gott) nahe stehen. 46 Und er wird (schon als Kind) in der Wiege zu den Leuten sprechen, und (auch später) als Erwachsener, und (wird) einer von den Rechtschaffenen (sein).“ 47 Sie sagte: „Herr! Wie sollte ich ein Kind bekommen, wo mich (noch) kein Mann (w. Mensch) berührt hat?“ Er (d.h. der Engel der Verkündigung, oder Gott?) sagte: „Das ist Gottes Art (zu handeln). Er schafft, was er will. Wenn er eine Sache beschlossen hat, sagt er zu ihr nur: sei!, dann ist sie. Jesus und die Jünger, aus Sure 3, die Sippe ‘Imr¯ans (Al-’Imrán) 3,52-55: Als Jesus aber fand, dass sie ungläubig waren, sagte er: „Wer sind meine Helfer (auf dem Weg?) zu Gott?“ Die Jünger sagten: „Wir sind die Helfer Gottes. Wir glauben an ihn. Bezeuge, dass wir (ihm) ergeben sind! 53 Herr! Wir glauben an das, was du (als Offenbarung) herabgesandt hast, und folgen dem Gesandten. Verzeichne uns unter der Gruppe derer, die (die Wahrheit) bezeugen!“ 54 Und sie (d.h. die Kinder Israels) schmiedeten Ränke. Aber (auch) Gott schmiedete Ränke. Er kann es am besten. 55 (Damals) als Gott sagte: „Jesus! Ich werde dich (nunmehr) abberufen und zu mir (in den Himmel) erheben und rein machen, so dass du den Ungläubigen entrückt bist. Und ich werde bewirken, dass diejenigen, die dir folgen, den Ungläubigen bis zum Tag der Auferstehung überlegen sind. Dann (aber) werdet ihr (alle) zu mir zurückkehren. Und ich werde zwischen euch entscheiden über das, worüber ihr (im Erdenleben) uneins waret.“ Jesus wurde nicht gekreuzigt, aus Sure 4, die Frauen (An-Nisá) 4,157f: Und (weil sie) sagten: „Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet.“ – Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn (oder: darüber) uneins sind, sind im Zweifel über ihn (oder: darüber). Sie haben kein Wissen über ihn (oder: darüber), gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet (d.h. sie können nicht mit Gewissheit sagen, dass sie ihn getötet haben). 158 Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben. Gott ist mächtig und weise.

De ut s ch e B ibe lü be r s e t zu n g e n

Antike Bibelübersetzungen

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Die Schriften des Alten und Neuen Testaments sind in den Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch abgefasst. Die Verbreitung einzelner biblischer Bücher und des biblischen Kanons über den Sprachkreis der Entstehungssprache hinaus führt bald dazu, dass diese Bücher aus ihren Ursprungssprachen in andere Sprachen übersetzt werden. Mit dem Übersetzungsvorgang ist in der Regel eine Übertragung in das Denken und die Welt des neuen Kulturkreises verbunden. Ein bekanntes Beispiel ist die Übersetzung von Jes 7,14. Dort heißt es: ˘ Jes 7,14 (L): Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel. Das hebräische Wort, das mit „Jungfrau“ übersetzt wird, lautet almah und bedeutet „junge, gebärfähige Frau“. Die griechische Übersetzung wählt das Wort parthenos „Jungfrau“, womit eine Frau bezeichnet wird, die noch keinen geschlechtlichen Verkehr hatte. In diesem Sinne nehmen die Geburtsgeschichten der Evangelien in Lk 1,26-38 und Mt 1,1823 das Wort aus Jesaja 7,14 auf. Sie betonen die jungfräuliche Geburt Jesu und die Zeugung durch den Heiligen Geist. Die ältesten Übersetzungen alttestamentlicher Texte erfolgen aus dem Hebräischen und Aramäischen ins Griechische. Die antike griechische Übersetzung des Alten Testaments nennt man Septuaginta (lat. siebzig; Abk.: LXX). Die neutestamentlichen Texte wurden sehr bald – oft gemeinsam mit dem Alten Testament – ins Lateinische, Koptische und Syrische übersetzt. Die lateinische Übersetzung der gesamten Bibel durch Hieronymus (ca. 350-420), die so genannte Vulgata (lat. die allgemein Verbreitete), wird schließlich die autoritative Textfassung. Erst die Reformation und der Humanismus interessieren sich wieder für die Ursprungssprachen der biblischen Bücher (lat. ad fontes, zu den Quellen). Die Übersetzungen in moderne Sprachen greifen in der Regel wieder auf die hebräischen und griechischen Ursprungstexte zurück.

Deutsche Bibelübersetzungen Im Folgenden werden die verschiedenen gebräuchlichen deutschen Übersetzungen kurz vorgestellt: Lutherbibel (L) Für den deutschen Sprach- und Kulturraum hat die Übersetzung des AT und NT durch Martin Luther herausragende Bedeutung (NT 1522;

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AT 1534 abgeschlossen). Obwohl es bereits vor Luther deutsche Übersetzungen der Bibel gab, hat keine dieser Übersetzungen – und auch keine spätere Übersetzung – eine vergleichbare Bedeutung erlangen können. Die Lutherübersetzung ging in der Regel vom griechischen und hebräischen Text aus. In Zweifelsfällen, etwa bei Textverderbnis des hebräischen Textes, hielt man sich an die Vulgata. In den Apokryphen ist die Textvorlage teilweise ungeklärt. Die Lutherbibel wurde mehrfach revidiert, zuletzt 1984. 1999 wurde sie behutsam an die neue deutsche Rechtschreibung angepasst. Sie hat eine Sprachgestalt, in der die einprägsame Sprachkraft Luthers und der moderne Sprachgebrauch in ein angemessenes Verhältnis gebracht sind. Zürcher Bibel (Z) Die Zürcher Bibel geht auf Übersetzungsversuche des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli und auf Anpassungen der Lutherübersetzung ans Alemannische zurück. 1529 liegt die erste Vollbibel vor. Sie wurde in den reformierten Kirchen immer wieder überarbeitet (zuletzt 2007). Die Sprache der Zürcher Bibel ist gewählt und sachlich. Die Übersetzung ist immer wieder am ursprünglichen Wortlaut und an neueren exegetischen Erkenntnissen kontrolliert worden. Einheitsübersetzung (EÜ) Die so genannte Einheitsübersetzung wurde von Alt- und Neutestamentlern aus den Entstehungssprachen der Bibel übersetzt. Das AT war 1980 und das NT 1979 abgeschlossen. Die Sprache der EÜ ist an das moderne Sprachempfinden angepasst, so weit es sich Hoch­schul­lehrer/ innen erschließt. Elberfelder Bibel (E) Die Elberfelder Bibel ist in Gemeinschaftskreisen entstanden (NT 1855; Bibel 1871), aber auch unter den Pfingstkirchen verbreitet. Sie ist sehr eng am ursprünglichen Text orientiert und möchte so die Lehre von der Verbalinspiration des biblischen Textes achten. Die letzte Revision erfolgte 1985. Gute Nachricht (GN) Der Titel übersetzt das griechische Wort Evangelium. Die GN möchte vor allem verständlich sein und sucht dies durch eine bewusste Anpassung an die Umgangssprache zu erreichen (NT 1971; AT 1977). In einer gründlichen Revision (1997) wurde der Text an vielen Stellen am ursprünglichen Wortlaut des biblischen Textes überprüft. An einigen Stellen ist eine wörtliche Übersetzung als Fußnote abgedruckt. Gleichzeitig wurde auf geschlechtergerechte Sprache geachtet.

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Hoffnung für alle (Hfa) Hier handelt es sich um eine modernisierende Übersetzung, die insbesondere den geistlichen Sinn des Textes in modernes Deutsch übertragen möchte. Dadurch wird der Bibeltext bereits stark interpretiert und bisweilen moralisierend ausgelegt. Bibel in gerechter Sprache (BiGS) Diese Bibelübersetzung wurde von einem Team erstellt, das sich auf die Prinzipien einer „gerechten Sprache“ verpflichtet hat. Darunter verstehen die Übersetzer/innen eine Ausdrucksweise, die der Bedeutung der Frauen in der Bibel gerecht wird und die gegenüber dem Judentum sensibel ist. Sie wurde im Jahr 2006 abgeschlossen. Eine Besonderheit ist die Variation der Gottesbezeichnungen. Ulrich Wilckens Der Neutestamentler hat 1970 eine exegetisch kommentierte Übersetzung des NT vorgelegt, die sich eng am griechischen Wortlaut orientiert. Vom griechischen Wortlaut wird nur bei Unverständlichkeit im Deutschen abgewichen. Die Übersetzung ist für wissenschaftliches Arbeiten am NT hilfreich. Münchener Neues Testament (MNT) Das MNT ist eine wissenschaftliche Arbeitsübersetzung. Grundprinzip ist „So griechisch wie möglich, so deutsch wie nötig.“ Das Ergebnis ist ein Übersetzungsdeutsch, das in Syntax und Semantik eng an die griechische Vorlage gebunden bleibt. Interlinearübersetzung Hier werden un­ter dem hebräischen oder griechischen Text jeweils die deutschen Bedeutungen gedruckt. Es entsteht so ein einigermaßen lesbarer Text, der aber eher als Übersetzungshilfe zu verstehen ist. Neben diesen Gesamtübersetzungen gibt es zu jedem biblischen Buch wissenschaftliche Literatur, in der der gesamte Text des Buches übersetzt und erläutert wird. Diese besondere Form exegetischer Literatur nennt man Kommentare. Dort wird der Text Abschnitt für Abschnitt und Vers für Vers kommentiert, d.h. erklärt und interpretiert. Kommentare erscheinen nur selten als Einzelpublikation. Meist sind sie Teil einer so genannten Kommentarreihe zur gesamten Bibel. Am Anfang der Kommentierung steht in der Regel eine eigenständige Übersetzung des biblischen Textes. Diese Übersetzungen berücksichtigen die neuesten philologischen Erkenntnisse und sind deswegen in der Regel gute

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Abb. 1 |

Grundlagen für eigene Textauslegungen. Es ist sinnvoll im Rahmen einer exegetischen Studienarbeit die neuesten zugänglichen Kommentare zu Grunde zu legen. Viele Kommentare legen Wert darauf, die biblischen Texte teilweise in den Originalsprachen Hebräisch oder Griechisch abzudrucken, und setzen die Kenntnis dieser Sprachen voraus. Man sollte sich deswegen aus der Vielzahl von Angeboten die Kommentare auswählen, die den eigenen Interessen und Sprachkenntnissen entsprechen.

Genesis 37,9. So sollte man um 1806 das Lesen lernen.

Übersicht deutschsprachiger Kommentarreihen In der Übersicht ist notiert, welche Kommentarreihen hebräische (hebr.) oder griechische Sprachkenntnisse (gr.) voraussetzen. Altes Testament

Neues Testament

Biblischer Kommentar. Altes Testament; BK (hebr.) Das Alte Testament Deutsch; ATD Handbuch zum Alten Testament; HAT (hebr.) Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament; HThK (hebr.) Kommentar zum Alten Testament; KAT (hebr.) Neue Echter Bibel. Altes Testament; NEB.AT Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament Stuttgarter Kleiner Kommentar. Altes Testament; SKK.AT Zürcher Bibelkommentare. Altes Testament; ZBK.AT

Das Neue Testament Deutsch; NTD Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament; ÖTBK Evangelisch-katholischer Kommentar; EKK (gr.) Handbuch zum Neuen Testament; HNT (gr.) Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament (gr.) Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament; KEK (gr.) Neue Echter Bibel. Neues Testament; NEB.NT Regensburger Neues Testament; RNT Stuttgarter Kleiner Kommentar. Neues Testament; SKK.NT Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament; ThHK (gr.) Zürcher Bibelkommentare. Neues Testament; ZBK.NT

Um einen ersten Eindruck der verschiedenen Übersetzungen zu bekommen, sind hier die Eingangsverse eines alttestamentlichen und eines neutestamentlichen Buches abgedruckt, Gen 1,1f und Joh 1,1f.

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Lutherbibel 1984 (L) Gen 1,1f: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Joh 1,1f: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Zürcher Bibel 2007 (Z): Gen 1,1f: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und öde, und Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser. Joh 1,1f: Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Einheitsübersetzung (EÜ) Gen 1,1f: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Joh 1,1f: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Elberfelder (E) Gen 1,1f: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Joh 1,1f: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Gute Nachricht (GN) Gen 1,1f: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war noch leer und öde, Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser, und über den Fluten schwebte Gottes Geist. Joh 1,1f: Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und in allem war es Gott gleich. Von Anfang an war es bei Gott. Hoffnung für alle (Hfa) Gen 1,1f: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Noch war die Erde leer und ohne Leben, von Wassermassen bedeckt. Finsternis herrschte, aber über dem Wasser schwebte der Geist Gottes. Joh 1,1f: Am Anfang war das ewige Wort Gottes: Christus. Immer war er bei Gott und ihm in allem gleich.

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Bibel in gerechter Sprache (BigS): Gen 1,1f: Durch einen Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen. Da war die Erde Chaos und Wüste, Dunkelheit war da angesichts der Urflut, und Gottes Geistkraft bewegte sich angesichts der Wasser. Joh 1,1f: Am Anfang war die Weisheit und die Weisheit war bei Gott und die Weisheit war wie Gott. Diese war im Anfang bei Gott. Interlinear Übersetzung (IÜ) Gen 1,1f: Himmel-die Gott schuf Anfang-Am. Öde-und Wüstenei war Erde-die-Und. Gottes Geist-der-und Urtiefe-der Oberfläche-der-über Finsternis-und. Joh 1,1f: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Wissenschaftliche Übersetzungen Gen 1,1f (Seebass): Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war verheerende Öde gewesen, und Finsternis war über der Urflut, und Gottes Hauch (stand) zitternd über dem Wasser. Joh 1,1f (Schnelle): Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott.

1.5 | Kanon: Die Sammlung der biblischen Schriften

Heilige Schriften

Keine der Schriften des Alten oder des Neuen Testaments ist für die Schriftensammlung, die wir Bibel nennen, verfasst worden. Die Schriften des Alten und des Neuen Testaments sind über einen langen Zeitraum je für sich überliefert worden, ehe sie Teil der Bibel wurden. Den Prozess der Auswahl der Schriften, die zu den heiligen Schriften gezählt werden, nennt man Kanonisierung, das Ergebnis dieses Prozesses: den Kanon. Die Erforschung dieser Vorgänge, die Kanongeschichte, ist ein wichtiges Gebiet der Spezialforschung, auf die im Rahmen einer Bibelkunde nicht näher eingegangen werden kann. In der letzten Phase der Kanongeschichte hat vermutlich die Sammlung der neutestamentlichen Schriften und ihre Zusammenstellung mit den Schriften des griechischen Alten Testaments (so genannte Septuaginta) dazu geführt, dass auch im Judentum genauer über die Festlegung bestimmter Schriften als heilige Schriften nachgedacht wurde. Die Rabbinen des ersten Jahrhunderts entschieden sich dafür, nur die Schriften als heilige Schriften zu betrachten, die in Hebräisch abgefasst waren. Im rabbinischen Kontext bedeutet „heilig“, dass eine besonde-

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re rituelle Behandlung des Schreibmaterials für nötig gehalten wurde. Die Berührung der Schriftrollen, auf denen die heiligen Texte geschrieben sind, verunreinige die Hände und erfordere eine besondere rituelle Vorsicht, die für die übrigen Schriften nicht gelte (Mischna, Jadajim 3,5). Der so genannte rabbinische Kanon ist etwa um 100 n.Chr. festgelegt worden. Er unterscheidet sich in Inhalt und Aufbau erheblich von der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta. Die Alte Kirche hat hingegen weiterhin das griechische Alte Testament als heilige Schrift verstanden. Da die Rabbinen die Schriften, die nur auf Griechisch zugänglich waren, ausgeschlossen hatten, entstand ein Überhang der biblischen Bücher im christlichen alttestamentlichen Kanon gegenüber den Büchern, die im rabbinischen Kanon aufgenommen worden waren. Diesen Überhang nennt man deuterokanonische Schriften (kath.) oder Apokryphen des Alten Testaments (Luther). Erst die Reformation bringt hier wieder Bewegung. Luther greift wieder auf die hebräischen Schriften zurück. Er akzeptiert als Altes Testament die Schriften, die in Hebräisch zugänglich waren, und d.h. die Schriften des rabbinischen Kanons. Die Reihenfolge der Schriften im rabbinischen Kanon übernimmt er hingegen nicht. Er folgt weiterhin der Reihung der Septuaginta. So finden sich heute im Wesentlichen drei Varianten des alttestamentlichen Kanons: ˘ Der Kanon der Lutherbibel (AT: Umfang des rabbinischen Kanons, Reihenfolge der Septuaginta) ˘ Der Kanon der jüdischen Bibel (rabbinischer Kanon) ˘ Der Kanon der katholischen Kirche (AT: Umfang und Reihenfolge der Septuaginta) Die katholische und die lutherische Bibel unterscheiden sich im neutestamentlichen Kanon nicht. Nur die Reihenfolge der Schriften stimmt nicht völlig überein. In der Lutherbibel steht der Hebräerbrief nach den drei Johannesbriefen, während viele andere Übersetzungen (Einheitsübersetzung, Zürcher), den Hebräerbrief bereits auf den Philemonbrief folgen lassen, um damit seine Nähe zu den Paulusbriefen auszudrücken. Im Folgenden finden sich Übersichten über den Inhalt der verschiedenen Sammlungen der biblischen Schriften. Dabei sind bisweilen die lateinischen Bezeichnungen der biblischen Bücher angefügt. Im Falle der fünf Bücher Mose ist es notwendig, die lateinischen Bezeichnungen zu kennen, da sie in der wissenschaftlichen Literatur ausschließlich verwendet werden (also: Genesis für 1. Mose). 1. Der alttestamentliche Kanon der Lutherbibel Der Kanon der Lutherbibel übernimmt für das Alte Testament die Schrif-

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ten des rabbinischen Kanons. In der Reihenfolge der Schriften folgt er aber der Septuaginta, die die Propheten ans Ende des Kanons stellt. Die prophetische Verheißung beschließt den alttestamentlichen Kanon. So entsteht eine heilsgeschichtliche Ordnung des alttestamentlichen Kanons, die auf das Neue Testament ausgerichtet ist. Die Propheten künden nach diesem Verständnis das Kommen des Messias an: Geschichtsbücher Vergangenheit Lehrbücher und Psalmen Gegenwart Propheten Zukunft Geschichtsbücher

Lehrbücher und Psalmen

Propheten

1. Mose (Genesis) 2. Mose (Exodus) 3. Mose (Levitikus) 4. Mose (Numeri) 5. Mose (Deuteronomium) Josua Richter Rut 1. und 2. Samuel 1. und 2. Könige 1. und 2. Chronik Esra Nehemia Ester

Hiob Psalter Sprüche Salomos Prediger Salomo Hohelied Salomos

Jesaja Jeremia Klagelieder Jeremias Hesekiel (Ezechiel) Daniel Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi

2. Der Rabbinische Kanon (Tenach) Der rabbinische Kanon definiert etwa um 100 n.Chr. die Schriften, die im Judentum als „heilig“ gelten. Die Rabbinen beschränken sich dabei auf die religiösen Schriften des Judentums, die zu dieser Zeit bereits allgemein anerkannt und in hebräischer Sprache erhalten sind. Auch der rabbinische Kanon hat eine Dreigliederung: Tora (Weisung) Nebiim (Propheten) Ketubim (Schriften) Die Dreigliederung stellt die Tora an den Anfang und die Propheten in die Mitte der biblischen Schrift. Darin drückt sich ein anderes Grundverständnis der Prophetie aus. Die Tora ist das zeitlos gültige Hauptstück. Die Prophetie blickt nicht in die Zukunft, sondern fordert nach

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diesem Verständnis immer wieder die Einhaltung der Tora. So können die geschichtlichen Bücher Jos – 2. Kön zu den „vorderen“ Propheten gezählt werden. Teilweise gibt es geläufige Begriffe für Untersammlungen, etwa Megiloth für die Bücher Hohelied, Prediger, Klagelieder, Rut und Ester. Aus den Anfangsbuchstaben der drei Teile wird das Akrostichon TNK, gespr. Tenach oder Tanach, gebildet. Die Bücher der Tora werden nach ihren ersten Wörtern bezeichnet, die übrigen Schriften in der Regel nach Inhalt oder Verfasser. Tora „Weisung“

Nebiim „Propheten“

Ketubim „Schriften“

Bereschit „Am Anfang“ (Genesis) Schemot „Die Namen“ (Exodus) Wajikra „Da rief“ oder Torat kohanim „Gesetz der Priester“ (Levitikus) Bemidbar „In der Wüste“ oder Chomäsch hafekudim „Buch der Zählungen“ (Numeri) Debarim „Die Worte“ oder Mischnä tora „Wiederholung des Gesetzes“ (Deuteronomium)

a) Die vorderen Propheten Jehoschua Schofetim (Richter) Schmuel Melachim (Könige) b) Die hinteren Propheten Jeschajah Jiremijah Jechäzkel

Tehillim (Psalmen) Mischlej Schelomo (Sprüche Salomos) Ijob Chamasch megiloth „die fünf Rollen“: Sir Hasirim „das Lied der Lieder“ Kohelet „Prediger“ Ejchah „Ach!“ (Klagelieder) Rut Ester Daniel Ezra Nehämijah Divrej Hajamim „Begebenheiten der Tage“ (Chronikbücher)

c) Das Zwölfprophetenbuch, „Dodekapropheton“ Hoschea Joel Amos Obadja Jonah Michah Nachum Habakuk Zefanjah Chaggaj Zicharjah Maleachi

3. Kanon des griechischen Alten Testaments (Septuaginta, LXX) Die Übersetzung der religiösen Schriften des Judentums ins Griechische beginnt etwa 300 v.Chr. Da die Rabbinen ausschließlich die hebräische Textfassung gelten ließen, wurde die griechische Texttradition nur noch im Christentum weitergeführt. Der Kanon der Septuaginta überliefert auch die jüdischen Schriften, die bereits in Griechisch abgefasst worden waren oder deren hebräische Urfassung nicht mehr erhalten war (z.B. Jesus Sirach). Diese Schriften nennt man Apokryphen des Alten Testaments oder deuterokanonische Schriften (in der Übersicht kursiv). Die

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katholischen Bibelübersetzungen (z.B. Einheitsübersetzung) folgen dem Kanon der Septuaginta und enthalten die deuterokanonischen Schriften. Die protestantischen Bibelübersetzungen enthalten die Apokryphen nur in Sonderausgaben (Bibel mit Apokryphen). Geschichtsbücher

Lehrbücher

Propheten

Genesis „Schöpfung“ Exodus „Auszug“ Leviticus „Das levitische [Gesetz]“ Numeri „Zählungen“ Deuteronomium „Das zweite [Gesetz]“ Iosua Iudicum „Richter“ Rut 1. und 2. Regnorum (= 1. und 2. Samuel) 3. und 4. Regnorum (= 1. und 2. Könige) Paralipomena (1. und 2. Chronik) 1. Esra (= Esra) 2. Esra (=Nehemia) Ester Judith Tobit 1. und 2. Makkabäer 3. und 4. Makkabäer

Psalmi Oden Salomos Proverbia (Sprüche) Ecclesiastes (Prediger) Canticum (Hohelied) Iob (Hiob) Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos) Jesus Sirach Psalmen Salomos

Dodekapropheton „Zwölfprophetenbuch“: Osee, Ioel, Amos, Abdias, Ionas, Micha, Nahum, Habacuc, Sophonias, Aggaeus, Zacharias, Malachias Isaias Ieremias Baruch Threni „Klagelieder“ Epistula Ieremiae (Brief Jeremias) Ezechiel Susanna Daniel Bel et Draco „Von Bel und vom Drachen“

4. Alttestamentlicher Kanon der katholischen Kirche (z.B. Einheitsübersetzung, deuterokanonische Schriften kursiv) Die Bücher der Geschichte

Die Bücher der Lehrweisheit

Die Bücher der Propheten

Genesis Exodus Levitikus Numeri Deuteronomium Josua Richter Rut 1. und 2. Samuel 1. und 2. Könige 1. und 2. Chronik Esra Nehemia Tobit Judith Ester 1. und 2. Makkabäer

Hiob Psalter Sprüche Salomos Prediger Salomo Hohelied Weisheit Salomos Jesus Sirach

Jesaja Jeremia Klagelieder Jeremias Baruch Hesekiel (Ezechiel) Daniel Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi

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5. Der neutestamentliche Kanon Der neutestamentliche Kanon umfasst 27 Schriften. Die Bibelausgaben unterscheiden sich nur in der Reihenfolge der Briefe. Man zählte traditionell 14 Paulusbriefe (einschließlich Hebräer), die das so genannte Corpus Paulinum bildeten, und sieben katholische („allgemeine“) Briefe. Die meisten Bibeln folgen dieser traditionellen Sicht und bieten den Hebräerbrief als letzten der Paulusbriefe nach dem Philemonbrief, und den Jakobusbrief als ersten der katholischen Briefe vor den Petrusbriefen. Die Lutherbibel stellt die beiden Briefe nach den 3. Johannesbrief. Evangelien

Apostelgeschichte

14 Briefe des Paulus

7 Katholische Briefe

Apokalypse

Römer 1. Korinther 2. Korinther Galater Epheser Philipper Kolosser 1. Thessalonicher 2. Thessalonicher 1. Timotheus 2. Timotheus Titus Philemon Hebräer

1. Petrus 2. Petrus 1. Johannes 2. Johannes 3. Johannes Jakobus Judas

Offenbarung des Johannes

(lat. Corpus Paulinum) Matthäus Markus Lukas Johannes

Apostelgeschichte

Leitfaden 1 Ziel der ersten Lerneinheit ist es, zum Einstieg einen Überblick über Gliederung und Geschichte der umfangreichen Textsammlung „Die Bibel“ zu geben. Die Lerneinheit 1 besteht aus 4 Lernschritten, die Sie nacheinander erarbeiten sollten. Schritt 1: Anfang und Ende der Bibel Der Text unter Kapitel 1.1 „Anfang und Ende der Bibel“ führt Sie in das Buch „Die Bibel“ ein und vermittelt einen ersten Eindruck über die vielseitige und verschiedenartige Gestalt des Textes. Lassen sie sich nicht von der fremdartig wirkenden Umschrift der griechischen Zitate beirren. Fremdsprachige Zitate werden ihnen in der Auseinandersetzung mit dem Studium der Theologie auch in Zukunft begegnen.

| 1.6

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Arbeitshinweise nach der Lektüre Versuchen Sie nun, nachdem Sie 1.1 gelesen haben, folgende Fragen zu beantworten: ˘ Was versteht man unter dem Begriff „Kanon“? ˘ Versuchen Sie das Anliegen zu benennen, das die kanonische Endgestalt der Bibel bestimmt. ˘ Inwiefern besteht über die Bibel eine Verbindung zwischen Christentum, Judentum und Islam? Schritt 2: Qur’an und Bibel Kapitel 1.2 „Qur’an und Bibel“ nennt Textausschnitte des Qur’an, in denen biblische Traditionen aufgenommen werden. Lesen Sie zunächst dieses Kapitel. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Verschaffen Sie sich Zugang zu einer Qur’an-Übersetzung und lesen Sie zumindest die Suren 1-5. Schritt 3: Bibelübersetzungen In diesem dritten Schritt lernen Sie die heute üblichen Bibelübersetzungen des deutschen Sprachraums und die Geschichte der Bibelübersetzungen kennen. Lesen Sie zunächst Kapitel 1.3 und 4. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Versuchen Sie, mögliche Unterscheidungskriterien für die einzelnen Bibelausgaben zu nennen. ˘ Welche Übersetzungen eignen sich für einen wissenschaftlichen Zugang zur Bibel? ˘ Vergleichen Sie nun die verschiedenen Übersetzungen am Beispiel von Gen 1,1 und Joh 1,1. Schritt 4: Kanon. Die Sammlung der biblischen Schriften Im letzten Schritt dieser Lerneinheit werden wir uns mit dem Aufbau der biblischen Bücher beschäftigen. Lesen Sie hierzu Kapitel 1.5 „Kanon. Die Sammlung der biblischen Schriften“. Sie haben bisher erfahren, dass der für uns gewohnte Kanon der biblischen Bücher Resultat einer langen Entwicklung ist. In anderen kulturellen Zusammenhängen führte die Zusammenstellung der biblischen Bücher zu anderen Ergebnissen. Die Übersichten über die einzelnen Bibelausgaben dienen dazu, Ihnen den Aufbau der unterschiedlichen Kanonbildungen vor Augen zu führen.

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Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Schauen Sie sich den jeweiligen Aufbau der verschiedenen Bibeln genau an und prägen Sie sich die deuterokanonischen Schriften ein.

Wichtige Begriffe Kanon, Septuaginta, Tenach, Tora, Nebiim, Ketubim.

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Literatur Brandt, Peter: Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel, Berlin 2001 (BBB 131). Campenhausen, Hans von: Die Entstehung der christlichen Bibel, Tübingen 2003 (BHTh 39). Gerber, Christine (Hg.): Gott heißt nicht nur Vater. Zur Rede über Gott in den Übersetzungen der „Bibel in gerechter Sprache“, Göttingen 2008 (Biblisch-theologische Schwerpunkte 32). Groß, Walter (Hg.): Bibelübersetzung heute. Geschichtliche Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen, Stuttgart 2001 (Arbeiten zur Geschichte und Wirkung der Bibel 2).

Janowski, Bernd (Hg.): Kanonhermeneutik. Vom Lesen und Verstehen der christlichen Bibel, Neukirchen-Vluyn 2007 (Theologie interdisziplinär 1). Loop, Jan: Auslegungskulturen. Grundlagen einer komparatistischen Beschreibung islamischer und christlicher Hermeneutiktraditionen, Bern u.a. 2003. Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 10 2007. Schnelle, Udo: Das Evangelium nach Johannes, Berlin 32004. Seebass, Horst: Genesis I. Urgeschichte, Neukirchen 22007. Tröger, Karl-Wolfgang: Bibel und Koran. Was sie verbindet und unterscheidet, Stuttgart 2008.

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2 | Genesis bis Deuteronomium: | Der Pentateuch

Inhalt 2.1 Einführung in den Pentateuch (1.-5. Mose)

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2.2 Genesis (1. Mose)

37

2.3 Exodus (2. Mose)

51

2.4 Levitikus (3. Mose)

57

2.5 Numeri (4. Mose)

60

2.6 Deuteronomium (5. Mose)

64

2.7 Leitfaden 2

67

2.8 Literatur

70

2.1 | Einführung in den Pentateuch (1.-5. Mose) Die fünf Bücher Mose werden in der alttestamentlichen Wissenschaft mit dem griechischen Wort „Pentateuch“ (das/der Fünfteilige) bezeichnet. Die hebräische Bibel spricht von der Tora (Weisung). In diesen Büchern sind die wichtigsten Geschichtstraditionen und Gesetzesüberlieferungen Israels zusammengestellt. Bei der Lektüre des Textes merkt man allerdings sehr schnell, dass es sich nicht um ein Werk handelt, das aus einer Hand stammt. Vielmehr sind sehr unterschiedliche Textformen und Erzählzusammenhänge in einen übergeordneten Erzählrahmen gestellt. Dieser Erzählrahmen unterstreicht zwei Sachverhalte: ˘ Die geschichtliche Führung Israels durch den Gott Israels von Abraham bis zur Landnahme ˘ Der Empfang des Religionsgesetzes Israels am Sinai a) Die Führung Israels Mit Abraham beginnt ein Erzählzusammenhang, der von der Führung

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Israels durch seinen Gott berichtet. Er findet sein Ziel mit der Ansiedlung des Volkes Israel im Land Kanaan. Dieser Erzählzusammenhang spannt sich über die Grenzen des Pentateuch hinaus und bezieht noch das Josuabuch mit ein. Deswegen spricht man hinsichtlich des Erzählzusammenhangs von Hexateuch (der/das Sechsteilige). Andererseits sind die Kapitel 1–11 der Genesis hier nicht miteinbezogen. Sie berichten von der so genannten Urgeschichte, der Schöpfung und der Entwicklung der Menschheit vor der Berufung Abrahams. So scheint es, dass diese Kapitel erst später vorangestellt wurden, um die Erzählung von der Erwählung Israels mit den Erinnerungen an die Anfänge der Menschheit zu ergänzen. Die einzelnen Abschnitte innerhalb des Pentateuchs werden durch verschiedene leitende Erzählmotive bestimmt, die in der folgenden Tabelle notiert sind: Biblischer Text

Inhalt/Thema

Gen 1-11 Urgeschichte Gen 12-36 und 38 Erzelterngeschichte/ Vätergeschichte Gen 37-50 Josefsgeschichte Ex 1-15 Auszug aus Ägypten Ex 15,22-18,27 Wüstenwanderung Ex 19,1 - Num 10,10 Aufenthalt am Sinai Num 10,11-36,13 Wiederaufnahme der Wanderung Dtn 1-30 Abschiedsrede Mose Tod des Mose Dtn 31-34

Erzählmotive Schuld und Strafe Verheißung von Nachkommenschaft, Land und Segen Wie kam Israel nach Ägypten? Gott erwählt sein Volk Motiv des Murrens Gott gibt seinem Volk die Tora Motiv des Murrens Mose gibt erneut die Tora bekannt Tod des Mose

b) Empfang des Gesetzes Bereits die grobe Übersicht über den Erzählzusammenhang des Pentateuch zeigt, welche große Bedeutung der zweite zentrale Gegenstand des Pentateuch, die rechtliche Überlieferung, hat: Der Aufenthalt am Sinai nimmt mit Ex 19 – Num 10,10 den größten in sich geschlossenen narrativen Raum ein. Hier wird die Gesetzesüberlieferung Israels in aller Ausführlichkeit und mit einigen Wiederholungen vorgetragen. Und noch an einer zweiten Stelle wird der Erzählzusammenhang zugunsten der Gesetzesüberlieferung unterbrochen, und zwar kurz vor dem Einzug in das Land, das Gott für sein Volk vorgesehen hat. Das 5. Buch Mose, das Deuteronomium (Gesetzeswiederholung), befasst sich mit der erneuten Einschärfung, Wiederholung und sozialen Akzentuierung des Gesetzes Israels. Im Pentateuch werden drei große rechtliche Texte in die Erzählung eingebettet, die jeweils eine von der Entstehung des Pentateuchs unabhängige Vorgeschichte haben:

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Rechtssammlungen im Pentateuch 1. Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,19) 2. Das Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) 3. Das deuteronomische Gesetz (Dtn 12-25) Diese drei Gesetzescorpora überschneiden sich inhaltlich, setzen aber auch eigene Akzente. Die älteste Gesetzessammlung ist wohl das Bundesbuch Ex 20,22-23,19. Die dort enthaltenen Rechtsregeln werden im Heiligkeitsgesetz Lev 17-26 erweitert und in einen größeren theologischen Zusammenhang gestellt. Parallel dazu knüpft auch das deuteronomische Gesetz an die Rechtstexte des Bundesbuches an und entwickelt sie weiter zu einer sozialen Utopie, in der gemeinschaftsverträgliche Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse im Mittelpunkt stehen. Im Alten Orient haben Gesetzessammlungen programmatischen Charakter. Das gilt auch für die alttestamentlichen Gesetzescorpora. Sie beschreiben eher eine Idealität, die anzustreben ist, als eine Realität, die vorausgesetzt wird. Abb. 2 |

Entstehung des Hexateuch (Gen-Jos).

Ge n e s i s

Entstehung der Geschichtsüberlieferung Gen bis 2. Kön (Münsteraner Pentateuchmodell).

37

| Abb. 3

Genesis (1. Mose)

| 2.2

Einführung in die Genesis

| 2.2.1

Die Genesis ist ein Kranz von Sagen. So beschreibt Hermann Gunkel (1862-1932) das erste Buch Mose, die Genesis. Ihm gelingt es mit dieser Formulierung, die auffällige Spannung zwischen dem teilweise lockeren Zusammenhang der einzelnen Textteile zueinander („Kranz“) und die innere Geschlossenheit der einzelnen Erzählungen („Sagen“) zu verdeutlichen. Seine Beobachtungen kann jeder Leser der Genesis nachvollziehen. Die Genesis beginnt mit dem Bericht über die Schöpfung in sieben Tagen (1,1-2,4a), dann bricht der Erzählzusammenhang ab und in 2,4b („Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte ...“) wird unbeholfen zu einer zweiten Erzählung von der Schöpfung übergeleitet, die sich in Inhalt und Sprache deutlich von der ersten unterscheidet, dennoch aber für sich betrachtet auch ein ganz eigenes Meisterwerk der sprachlichen, diesmal narrativen Gestaltung ist. Man sollte sich bei der Lektüre der Genesis einen Sachverhalt immer wieder klar machen: Der Gesamtzusammenhang der Texte ist locker, teilweise brüchig, bisweilen eine bloße Aneinanderreihung. Die ein-

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zelnen Texte hingegen bieten Inhalte, die jeweils eigene Welten zu erschließen vermögen und sich für immer neue Deutungen anbieten. Und dennoch ist auch der Gesamtzusammenhang letztlich mehr als ein „Kranz“ im Sinne einer gedankenlosen Zusammenfügung von Einzelteilen. Es ist von besonderem Gewicht, dass die Genesis alle berichteten Ereignisse in eine zeitliche Abfolge stellt und einen Anfang dieser Abfolge benennt: die Schöpfung. Von diesem Anfang her wird eine ununterbrochene Entwicklung (Abstammungslisten, so genannte Genealogien) konstruiert und damit die Idee entfaltet, dass sich die Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung in der Geschichte entwickelt. Wer einen Anfang denken kann, öffnet die Geschichte als Raum göttlichen und menschlichen Handelns und erwartet, dass in der Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft wirklich Neues geschehen wird. Die Genesis beginnt mit der Schöpfung, die in zwei Berichten vorgetragen wird: ˘ 1,1-2,4a: Weltschöpfung mit dem Ziel des Sabbat ˘ 2,4b-3,24: Menschenschöpfung und Paradieserzählung Dann folgt direkt die Erzählung von Kains Brudermord, die überleitet zu genealogischen Listen. Es sind diese Genealogien, die den Eindruck des geschichtlichen Nacheinanders erwecken und auch tatsächlich bewusst erzeugen. Sie verbinden die Erzählungen der Urgeschichte miteinander, indem sie ihre Handlungsträger durch Abstammungslisten in eine Generationenfolge bringen. Schöpfung, Paradies, Vertreibung, Brudermord, Sintflut und Turmbau zu Babel sind je für sich grundlegende Erzählungen der Menschheit, die nicht notwendig aufeinander folgen müssen. Die Genealogien stellen sie in dieses Nacheinander und richten sie auf den einen Menschen aus, der am Anfang des Glaubens Israels steht: Abraham. Die Abrahamsgestalt eröffnet einen neuen Kranz von Erzählungen: die Erzeltern- oder Vätergeschichten. Auch hier sind Texte durch die Geschlechterfolge (Abraham, Isaak, Jakob, zwölf Söhne Jakobs) zusammengefügt, die teilweise voneinander unabhängig entstanden sind. Die Jakobserzählung nimmt den breitesten Raum ein. Sie erstreckt sich letztlich von der Geburt Jakobs (Gen 25) bis zu seinem Begräbnis (Gen 50) und integriert zudem die kunstvolle Josefsgeschichte (Gem 37-50).

2.2.2 |

Gliederung der Genesis 1-11: Urgeschichte 1,1-2,4a Der erste (priesterschriftliche) Schöpfungsbericht 2,4b-3,24 Der zweite Schöpfungsbericht

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4 Kain und Abel 5 Stammbaum von Adam bis Noah 6-8 Sintflutgeschichte 9 Gottes Bund mit Noah 10 Die Völkertafel 11 Turmbau zu Babel

12-36.38: Erzelterngeschichte 12-25 Abraham und Sara 12 Abrahams Berufung 13f Abraham und Lot 15 Gottes Bund mit Abraham 16-18.20 Abraham und Sara 19 Untergang Sodoms 21 Geburt Isaaks 22 Opferung Isaaks 23 Saras Tod 24 Brautwerbung um Rebekka 25 Abahams Tod, Jakobs Geburt 26f Isaak und Rebekka 27 Jakobs List 28-36 Jakobserzählung 38 Juda und Tamar 37-50:

Josefsgeschichte 37 Streit unter den Brüdern 39-45 Josef in Ägypten 46-48 Anhänge 49 Sprüche Jakobs über seine Söhne 50 Begräbnis Jakobs, Josefs Tod

Inhalt der Genesis a) Die biblische Urgeschichte (Gen 1-11) Die Bibel beginnt mit den Worten „Im Anfang“ (hebr. bereschit). Im Griechischen ist das mit en arche und im Lateinischen mit in principio übersetzt. Augustinus weist in seiner Interpretation der Schöpfungsgeschichte daraufhin, dass die Bibel nicht mit in primo (zuerst), sondern mit in principio (als Grundlage, Ausgangspunkt) beginne. Diese Interpretation ist in der christlichen Theologie bis heute bestimmend. „Schöpfung“ meint nicht den Anfang im Sinne eines ersten Ereignisses in Raum und Zeit, dem andere folgen würden, sondern die zeitlose Grundlage allen Seins im

| 2.2.3 Schöpfung

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Willen Gottes. Die biblische Urgeschichte bringt das Grundsätzliche des Verhältnisses von Gott, Welt und Mensch zur Sprache, indem sie von den uranfänglichen Ereignissen berichtet. Dieser Text hat eine lange und im Einzelnen nicht mehr vollständig zu klärende Überlieferungsgeschichte. Er verdankt sich in seiner jetzigen Fassung als Teil der gesamten Bibel (kanonischer Text) einem langen und komplizierten Entstehungsprozess. Mehrere Redaktionen haben bei der Integration der verschiedenen Traditionsstufen Überarbeitungen vorgenommen. Am Anfang dieses Vorgangs stehen zwei unabhängig voneinander entstandene Urgeschichten: die priesterschriftliche Urgeschichte (P) die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte (J) Die nicht-priesterschritftliche Urgeschichte wird häufig einem größeren Überlieferungszusammenhang bzw. einer literarischen Quelle zugewiesen, die aufgrund des Gebrauchs des Tetragramms (JHWH, Jahwe) als Gottesnamen jahwistische Quelle oder einfach Jahwist genannt wird. Da die Zuweisung von Texten zu dem Jahwisten umstritten ist, die priesterschriftlichen Texte hingegen relativ sicher zu bestimmen sind, geht man in der Forschung immer mehr dazu über, nur noch priesterschriftliche (P) und nicht-priesterschriftliche Texte (früher J) voneinander zu unterscheiden. Die „priesterschriftliche“ Urgeschichte Die priesterschriftliche Urgeschichte ist in Gen 1-11 durch ihre sprachlichen und inhaltlichen Eigentümlichkeiten relativ leicht abzugrenzen. Der Zusammenhang der Texte wird z.B. durch die stereotype Eingangsformulierung hergestellt: „Dies ist die Geschlechterfolge von“ (Hebr. toledot; Gen 2,4; 5,1; 6,9; 10,1). Es handelt sich um die Abfolge von vier Toledot: Toledot der Schöpfung (Gen 1-2,4a) Toledot Adams (Gen 5) Toledot Noahs (Gen 6-9) Toledot der Söhne Noahs (Gen 10) Die priesterschriftliche Urgeschichte endet mit der Einordnung Abrahams in die Genealogie Sems (11,26). Die nicht-priesterschriftliche oder jahwistische Urgeschichte Die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte wird auch jahwistische Urge-

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schichte genannt, weil in ihr das Tetragramm (JHWH, gespr. Jahwe) bereits als Gottesnamen verwendet wird (Gen 4,26), während andere Textschichten des Pentateuch erst nach der Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3 das Tetragramm gebrauchen. Die Texte sind überwiegend Erzählungen, in denen menschliches Handeln und göttliche Reaktionen geschildert werden. Claus Westermann bezeichnet die Erzählungen der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte als Erzählungen von „Schuld und Strafe“. Es ist allerdings nicht immer von menschlicher Schuld die Rede, das Motiv fehlt in der Turmbauerzählung. Erzählungen von Schuld und Strafe Menschenschöpfung und Paradieserzählung (Gen 2,4b-3,24) Kains Brudermord (Gen 4,1-16) Sintflut (Gen 6-8) Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) Die Priesterschriftliche und die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte beginnen jeweils mit einer Schöpfungsgeschichte. An diesen Texten werden die Unterschiede, Gemeinsamkeiten und besonderen Interessen der beiden Quellen der biblischen Urgeschichte besonders anschaulich. Deswegen sollen im Folgenden diese Texte näher erläutert werden. Vorweg sei gesagt, dass man die priesterschriftliche Schöpfungsgeschichte als Bericht von der Erschaffung der Welt, die nicht-priesterschriftliche als Erzählung von der Erschaffung des Menschen verstehen kann. Gen 1,1-2,4a Der erste Schöpfungsbericht: Am Anfang der Schöpfung sind die Erde und die Urflut bereits da. Ihnen steht der „Geist Gottes“ gegenüber. Es herrscht lebensfeindliche „Finsternis“ und auch die Erde ist „wüst und öde“ (hebr. tohu vabohu). Die Schöpfung ist nicht als Schöpfung aus dem Nichts (lat. creatio ex nihilo) geschildert. Vielmehr wird durch das Schöpfungshandeln Gottes eine unlebendige finstere Ödnis mit Leben gefüllt. Der Schöpfungsbericht ist durch ein Sieben-TageSchema strukturiert. Aufbau und Gliederung 1,1f; 2,1-4a Rahmen 1,3-5 Licht (Tag und Nacht) 1. Tag 1,6-8 Wasser und Himmel 2. Tag 1,9-13 Meer und Land, Pflanzen 3. Tag 1,14-19 Lichter (Sterne, Sonne, Mond) 4. Tag 1,20-23 Meerestiere und Himmelstiere (Vögel) 5. Tag 1,24-31 Landtiere und Menschen 6. Tag:

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Die Schöpfungshandlungen (Werke) Gottes verteilen sich auf sechs Tage und werden in stereotyper Formelhaftigkeit berichtet. Grundschema Spruchformel als Einleitung: „Und Gott sprach ...“ Befehl: „Es werde ...“ Bestätigung bzw. Vollzug: „Und es wurde ...“ Teilweise Handlung: „Und Gott machte ...“ und/oder Benennung: „Und Gott nannte ...“ Bewertung: „Und Gott sah ... gut“ Tagesformel zur Einordnung: „Da ward aus Abend und Morgen ...“ Das strenge Schema lenkt gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf Abweichungen. So werden die Tiere und der Mensch gesegnet (1,22 u. 28). Im Segen empfängt der Mensch, der als Mann und Frau „nach dem Bild Gottes“ geschaffen wird (1,27), die Herrschaft über die Erde (lat. dominium terrae). Menschen und Tieren wird ihre Nahrung zugeteilt (1,29f). Die Menschen sollen zunächst als Vegetarier leben. Die Beschränkung auf pflanzliche Nahrung wird erst in Gen 9,1-6 aufgehoben. Der Bericht vom sechsten Tag endet mit der betonten Bewertung „und siehe, es war sehr gut.“ Die Schöpfung ist eine gute Schöpfung. Am siebten Tag ruht Gott. Dieser Tag wird gesegnet und geheiligt. Es ist der Sabbat. Menschenschöpfung

Gen 2,4b-3,24 Der zweite Schöpfungsbericht: Auch der zweite Schöpfungsbericht setzt die Erde voraus, die durch einen Wasserschwall getränkt wird (2,6). Gott formt den Menschen (hebr. adam) aus Erde vom „Ackerboden“ (hebr. adama) und haucht dem so gebildeten nicht-lebendigen Leib den Lebensgeist ein, der ihn zu einem lebenden Wesen macht (2,7). Im Gegensatz zum sprachlichen Schematismus des ersten Schöpfungsberichts ist der zweite Schöpfungsbericht durch eine dramatische Erzählweise charakterisiert, die immer wieder Krisen und Gefährdungen thematisiert. Zu diesen spannungsvollen Erzählmotiven zählen: Unzufriedenheit Adams (allein), Verbot von den Bäumen zu essen, Verführung durch die Schlange, Verstecken vor Gott, Strafe und Vertreibung. Zwei zentrale Motive binden die vielen Einzelheiten zu einer in sich geschlossenen Erzählung zusammen: Einerseits die Erschaffung des Menschen und seine Beauftragung, den Ackerboden zu bebauen, und andererseits das göttliche Verbot (nicht von dem einen Baum zu essen) und dessen Übertretung. Diese beiden erzählerischen Grundlinien werden ergänzt mit vielen Einzelmotiven: Der Mensch wird aus Erde geschaffen, er gibt den Tieren ihre Namen, sehnt sich aber nach seinesgleichen, die Frau wird aus seiner Rippe geschaffen, die Menschen schämen sich zunächst ihrer Nacktheit nicht.

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Die Erzählung von der Erschaffung des Menschenpaares und von der Übertretung des göttlichen Gebotes schließt mit den Lebensminderungen (3,14-19). Lebensminderungen Frau: Mühsal, unter Schmerzen gebären, Verlangen nach dem Mann und Herrschaft des Mannes. Mann: mühselige Ernährung vom Ackerboden, Dornen und Disteln, Brot im Schweiße seines Angesichts essen. Diese Lebensminderungen beschreiben die Wirklichkeit bäuerlichen Lebens. Mann und Frau sind aufeinander angewiesen und müssen sich um ihre Nahrung bemühen. Die Menschen sollen diesen Mühen aber nicht schutzlos ausgeliefert sein. Gott selbst macht ihnen noch Kleidung aus Fellen (3,21). Schließlich wird das erste Menschenpaar aus dem Paradies (gr. Garten) vertrieben. Die realistische Einschätzung der menschlichen Willensstärke und Zuverlässigkeit, die den zweiten Schöpfungsbericht prägt, hat dazu geführt, dass man hier von einem pessimistischen Menschenbild spricht. Der Mensch neigt zu Fehlhandlungen. Im Gegensatz zum geordneten „Bericht“ der Priesterschrift thematisiert die nicht-priesterschriftliche Schöpfungserzählung die Wirklichkeit menschlichen Lebens in großer Dramatik. Die Wechselhaftigkeit menschlicher Existenz vom größten Glücksmoment (2,23: Jubel Adams) bis zur Katastrophe (3,24: Vertreibung aus dem Paradies) wird als grundlegend verstanden. Gen 4-5 Kain und Abel, Stammbaum von Adam bis Noah: Eva gebiert Abel, den Schafhirt, und Kain, den Ackerbauer. Beide bringen Gott ein Opfer dar, aber das Opfer Kains wird von Gott nicht beachtet. Im Gespräch mit Kain mahnt Gott ihn, dass die „Sünde an der Tür lauere“. Tatsächlich erschlägt Kain seinen Bruder Abel. Gott hört, dass „das Blut Abels“ zu ihm schreit. Zur Strafe soll Kain „heimatlos auf Erden“ sein. Zum Schutz erhält er das Kainszeichen. Im Stammbaum Kains (4,17-24) wird Lamech hervorgehoben (Lamechlied: 4,23f). Adams Frau gebiert den Set als Ersatz für Abel. Die Nachkommen Adams werden alle sehr alt. Der älteste ist Methusalah, der 969 Jahre alt wird (5,27). Noah ist 500 Jahre, als er seine Söhne Sem, Ham und Japhet zeugt. Gen 6-9 Sintflutgeschichte, Gottes Bund mit Noah: Nach der kurzen Notiz über die Göttersöhne und die Riesen (6,1-4) beginnt die Noaherzählung. Gott

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sieht, dass die „Bosheit des Menschen groß war auf Erden“. Er bereut es, die Menschen und die Tiere geschaffen zu haben, und will alles, was „Lebensodem“ hat, im Wasser der Sintflut vernichten. Nur Noah, seine Sippe und je ein Paar „von allem, was lebt“, sollen in einem Holzkasten, der Arche, gerettet werden. Die „Quellen der Urflut und die Fenster des Himmels“ öffnen sich und überschwemmen die Erde mit Wasser. Als die Flut endet, setzt die Arche auf dem Berg Ararat auf. Noah lässt einen Raben und eine Taube fliegen. Die Taube kehrt mit einem Ölzweig zurück und zeigt dem Noah das Ende der Flut an. Die Geretteten verlassen die Arche. Gott sichert zu, dass er „nie wieder schlagen wird, was da lebt“ (8,21). Gott erneuert seinen Schöpfungssegen und gibt nun dem Menschen die Tiere zur Speise (9,1-6). Er schließt einen Bund mit Noah und stiftet als Zeichen des Bundes den Regenbogen (9,11-17). Noah wird Bauer und pflanzt Wein. Er trinkt sich in den Rausch, liegt entblößt in seinem Zelt und wird so von seinem Sohn Ham gesehen (9,18-24). Noah verflucht den Sohn Hams, Kanaan, und segnet die beiden anderen Söhne Sem und Japhet (9,24-27). Gen 10-11 Völkertafel, Turmbau zu Babel, Stammbaum von Sem bis Abraham: Die so genannte Völkertafel bietet die Nachkommenschaft Noahs in den drei Linien Japhet, Ham und Sem. Aus diesen entstehen die „Völker auf der Erde“ (10,32). In dieser Zeit hatten die Völker alle noch eine gemeinsame Sprache (11,1). Sie beginnen, „Ziegel zu brennen“, um eine Stadt und einen Turm, dessen „Spitze bis zum Himmel reichen“ soll, zu bauen. Gott schaut sich das an und „verwirrt“ (hebr. balal) ihre Sprache, dass keiner mehr den anderen verstehen kann. Die Völker zerstreuen sich nun von der Stadt Babel aus über die Erde. Der Stammbaum von Sem (11,10-32) wird bis Terach, dem Vater Abrahams, Nachors und Harans weitergeführt. Terach zieht mit seinem Sohn Abraham, mit dessen Frau Sara und mit seinem Enkel Lot, dem Sohn Harans, von Ur nach Charan. Erzeltern statt Erzväter

b) Die Erzelterngeschichte (Gen 12-36.38) Bis vor etwa zehn Jahren wurden die Kapitel Gen 12-36 unter die Überschrift „Vätergeschichte“ oder „Erzvätergeschichte“ gestellt. Abraham, Isaak und Jakob, die Patriarchen galten als die Hauptfiguren. Inzwischen ist man sich aber darüber im Klaren, dass die „Mütter“, Sara, Hagar, Rebekka, Lea, Rahel, Tamar u.a. ebenfalls eine besondere Rolle in diesen Erzählungen spielen. Im Rahmen der dominanten patriarchalen Strukturen wirken Frauen aktiv und selbstbewusst an der Geschichte der Familien mit. Deswegen wird die in Gen 12-36 geschilderte Phase nun nicht mehr Erzväter-, sondern Erzelternzeit genannt.

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Auch die Erzählungen in Gen 12-36 sind nicht aus einem Guss. Der Erzählfaden wird häufig durchbrochen, die geographischen Zusammenhänge sind brüchig und wechseln unvermittelt. Einige Texte kommen ohne die Nennung Gottes aus, in anderen treten Engel und auch Gott selbst massiv in Erscheinung. Manche Erzählungen scheinen mehrfach überliefert zu sein (bes. die Versuchung der Ahnfrau, Gen 12,10-20; 20,118; 26,1-11), andere wirken von Stimmung, Inhalt und Stil her fremd (so der Krieg Abrahams gegen die Könige, Gen 14,1-24). Diese Brüche im Erzählzusammenhang weisen darauf hin, dass es sich um Texte handelt, die über einen langen Zeitraum gesammelt, überarbeitet und erst in einer späteren Zeit in den Zusammenhang der Erzelterngeschichte gestellt wurden. Auch hier gilt: Die übergreifenden Zusammenhänge sind spät entstanden, die kleineren Erzählzusammenhänge (etwa der AbrahamLot-Kreis) und die Einzelüberlieferungen können aber recht alt sein. Ein gewisser Zusammenhalt wird in der Lektüre der Erzelterngeschichte durch Texte erzeugt, in denen Gott den Erzeltern ihr zukünftiges Ergehen sicher zusagt, „verheißt“. Diese so genannten Verheißungen beinhalten die Zusage der Geburt eines Sohnes oder auch zahlreicher Nachkommenschaft, die Zusage von Weidegrund oder Siedlungsland, die Zusage des Mit-seins Gottes, des Segens und schließlich auch eines Bundes. Durch ihren Verweischarakter erzeugen die Verheißungen einen gewissen Spannungsbogen im Erzählzusammenhang. Die Texte sind aber nicht einheitlich und wurden immer wieder ergänzend überarbeitet. Sie prägen gerade in ihrer Vielfalt den Charakter der Erzelternzeit als Zeit der besonderen, unmittelbaren Nähe Gottes. Verheißungen an die Erzeltern (Auswahl): Gen 12,1-3.7; 13,14-17; 15,5-7; 16,10-12; 17,4-8.15f.19-21; 18,10.14; 21,18; 22,16-18; 26,2-5.24; 28,13-15; 31,3; 35,10-12; 46,3f. Der späteste Zusammenhang ist in der Erzelterngeschichte wie in der Urgeschichte durch die Toledotformel gegeben. Die Toledotformel spiegelt die Perspektive einer patriarchalen Gesellschaft wider. Sie ordnet das Geschehen, das sich zu Lebzeiten des Ahnherrn ereignet, diesem Ahnherrn zu, auch wenn er, wie im Falle Isaaks, selbst kaum in Erscheinung tritt. Unter der Überschrift „dies ist die Geschichte Isaaks“ u.a. werden die unterschiedlichsten Überlieferungen zum Teil der Geschichte eines Ahnherrn. So spannt sich bis Gen 25,11 die „Geschichte Abrahams“, von 25,12-25,18 die „Geschichte Ismaels“, von 25,19-35,29 die „Geschichte Isaaks“, von 36,1-36,30 die „Geschichte Esaus“, von 37,2-50,14 die „Geschichte Jakobs“. So ergeben sich zwei Gliederungen, eine inhaltliche und eine patriarchale:

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Inhaltliche Gliederung 12-25 Abraham Isaak 26 Jakob 27-36 Josefsgeschichte 37.39-50 38 Juda und Tamar Patriarchale Gliederung Geschichte Terachs 11,27-32 Geschichte Abrahams 12,1-25,11 25,12-25,18 Geschichte Ismaels 25,19-35,29 Geschichte Isaaks Geschichte Esaus 36,1-30 Geschichte Jakobs 37,2-50,14 Die Erzeltern erscheinen überwiegend als Nomaden, die mit ihren Kleinviehherden im Weideland zwischen den Städten unterwegs sind. Mit den Städtern werden Vereinbarungen über Wasser, Ansiedlung und Grabstellen getroffen. Gen 34 berichtet aber auch von einem scharfen Konflikt zwischen den Söhnen Jakobs und den Bewohnern der Stadt Sichem, der mit List und Waffengewalt ausgetragen wird. Bei ihren Wanderungen durch Kanaan halten sie sich immer wieder an Stätten auf, die als heilige Orte (hebr. makom, Stätte) gelten. Heilige Orte (makom) 12,6 Sichem 12,8; 28,10-22; 35 Bethel 13,18; 23 Mamre Beerscheba 21,14; 26,23-33 22 Moria Mahanajim 32,1-3 32,23-33 Pnuel Durch die Erwähnungen der heiligen Orte und durch die Verheißungen entsteht in den Erzelterngeschichten eine besondere Stimmung. Die Erzelternzeit erscheint als eine Zeit der unmittelbaren Gottesnähe. Die Ortsangaben dienen allerdings auch dazu, Heiligtümern in Israel eine Ursprungs- bzw. Gründungsgeschichte zu geben. Unter diesem Aspekt betrachtet, handelt es sich in den Erzählungen von den heiligen Orten um so genannte Kultätiologien. Die Frauen der Genesis werden aktiv, wenn es um die Frage der Rechte der Söhne (Isaak vers. Ismael; Jakob vers. Esau) geht und um die Siche-

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rung der Nachkommenschaft (Motiv der Unfruchtbarkeit und der Ehelosigkeit). Sie dominieren dann oft genug die Situation – etwa im Falle des Paares Isaak und Rebekka. Wenn es um die Sicherung des Bestandes der Sippe geht, sind sie auch zu riskanten Strategien bereit. So nötigen die in der Bibel namenlos bleibenden Töchter Lots ihren betrunkenen Vater zum Beischlaf (19,30-38), und Tamar, die verwitwete Schwiegertochter Judas, verkleidet sich als Prostituierte, um ihren Schwiegervater zum Beischlaf zu veranlassen (Gen 38). Gen 12-20 Abraham und Sara, Lot: Gott spricht Abraham an und fordert ihn auf, in das Land zu gehen, „das ich Dir zeigen werde“. Abraham, Sara und Lot machen sich auf und ziehen in das Land Kanaan (Sichem, Bethel). Eine Hungersnot zwingt Abraham und Sara nach Ägypten zu fliehen. Abraham bittet Sara sich als seine Schwester auszugeben. Der Pharao holt die schöne Sara in seinen Palast und belohnt Abraham mit Geschenken. Gott straft den Pharao mit Krankheiten. Darauf gibt der Pharao Sara wieder frei. Aus Ägypten zieht Abraham nun als reicher Mann wieder nach Kanaan (13). Abraham und Lot trennen sich, weil es Streit zwischen den Hirten gibt. Lot zieht nach Sodom in die Jordanebene, Abraham ins Land Kanaan. Als fünf Könige, unter ihnen die Könige von Sodom und Gomorrha, gegen vier andere unterliegen, wird auch Lot gefangen genommen und um seinen Besitz gebracht (14). Abraham wiederum besiegt die vier siegreichen Könige und befreit die Gefangenen und auch Lot. Der König von Salem, Melchisedek, segnet Abraham. Gott schließt einen Bund mit Abraham, indem er wie ein Feuer durch die gehälfteten Opfertiere fährt, die Abraham für ihn bereitgelegt hat (15). Sara gibt dem Abraham ihre ägyptische Sklavin Hagar, damit sie ihm und ihr einen Sohn gebiert (16). Sara dringt dann aber darauf, die schwangere Hagar zu verstoßen. Sie kehrt aber ermutigt durch den Engel des Herrn zurück. Abraham nennt den Sohn Ismael. Gott stiftet erneut einen Bund (17). Das Bundeszeichen ist die Beschneidung. Abraham beschneidet „alles, was männlich war, in seinem Haus“. Als Abraham in Mamre ist, besuchen ihn drei Boten Gottes (18). Sie kündigen Sara und Abraham die Geburt eines Sohnes innerhalb eines Jahres an. Gott beschließt, Sodom zu vernichten. Abraham bittet ihn, Sodom zu verschonen, wenn er dort zehn Gerechte findet. Zwei der Boten Gottes kommen nach Sodom zu Lot (19). Die Sodomiter fordern Lot auf, die Gäste freizugeben, damit sie sie vergewaltigen können. Lot weigert sich. Die Boten schlagen die Sodomiter mit Blindheit und verlassen mit Lot, seiner Frau und seinen zwei Töchtern Sodom, das mit Gomorrha durch Feuer und Schwefel vernichtet wird. Lots Frau dreht sich um und erstarrt zur Salzsäule. Lot und seine Töchter fliehen in eine Höhle. Da die Töchter fürchten, kinderlos zu bleiben, machen sie Lot betrunken

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und lassen sich von ihm schwängern. Abraham zieht nach Gerar in das Gebiet des Königs Abimelech (20). Wieder gibt er Sara als seine Schwester aus. Abimelech holt sie in sein Haus. In der Nacht droht ihm aber Gott im Traum, und Abimelech gibt Sara zurück. Gen 21-25 Abraham und Sara, Isaak und Rebekka: Sara gebiert den Isaak (21). Sie befürchtet, dass Ismael als der ältere die Rechte Isaaks schmälert. Hagar und Ismael werden erneut vertrieben. Der Engel des Herrn rettet sie vor dem Tod in der Wüste Beer-Scheba. Von Abraham fordert Gott Isaak als Brandopfer (22). Als Abraham Isaak auf dem Berg Moria opfern will, greift der Engel des Herrn ein. Anstelle Isaaks wird ein Widder geopfert. Als Sara stirbt, kauft Abraham bei Hebron die Höhle Machpela als Grabstätte (23). Abraham sendet seinen Knecht aus, um bei der Familie seines Bruders Nachor eine Frau für Isaak zu finden (24). Dem Knecht kommt Rebekka am Brunnen entgegen. Er zahlt dem Bruder Rebekkas, Laban, den Brautpreis und zieht mit Rebekka zu Abraham. Abraham heiratet noch eine zweite Frau, Ketura, und hat mir ihr weitere Söhne (25). Als Abraham stirbt, wird er von Isaak und Ismael in der Höhle Machpela bei Hebron begraben. Rebekka bringt Esau und Jakob zur Welt. Jakob bleibt „bei den Zelten“, Esau aber ist ein „Mann der Jagd“. Rebekka liebt den Jakob, Isaak aber den Esau. Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht. Gen 26-27 Isaak und Rebekka, Jakob und Esau: Eine Hungersnot bringt Isaak zu Abimelech (26). Er gibt Rebekka als seine Schwester aus. Abimelech bemerkt den Schwindel. Isaak und Abimelech schließen einen Bund. Jakob überlistet mit Hilfe von Rebekka seinen Vater Isaak (27). Er gibt sich als Esau aus und erhält den Erstgeburtssegen. Esau will Rache nehmen. Jakob flieht zum Bruder Rebekkas, Laban. Gen 28-36 u. 38 Jakob, Lea und Rahel: Jakob kommt auf seiner Flucht an einen Ort, an dem er im Traum die Himmelsleiter sieht, auf der die Engel des Herrn auf- und absteigen (28). Er richtet einen Stein dort auf und nennt den Ort Beth-El (Haus Gottes). Jakob kommt zu Laban, begegnet dort zuerst Rahel und verliebt sich in sie (29). Als Lohn für seine sieben Jahre Knechtsdienst bei Laban fordert Jakob die Rahel zur Frau. Nach sieben Jahren gibt Laban ihm aber zunächst die ältere Schwester Lea zur Frau, und erst danach erhält er Rahel. Die Konkurrenz der beiden Schwestern überträgt sich auch auf die Söhne und Sklavinnen. Lea bekommt zuerst die vier Söhne Ruben, Simeon, Levi und Juda. Rahel gibt Jakob ihre Sklavin Bilha (30). Diese bekommt die Söhne Dan und Naftali. Lea gibt nun dem Jakob ihre Sklavin Silpa, die die Söhne Gad und Asser

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gebiert. Lea bekommt dann noch den Isaaschar, den Sebulon und die Tochter Dina. Erst jetzt bekommt Rahel ihren ersten Sohn, Josef. Jakob verhandelt mit Laban über den Lohn für seine zweiten sieben Jahre Dienst. Die Abmachung führt dazu, dass Jakob die wertvollsten Tiere der Herde erhält. Laban nimmt nun eine feindselige Haltung gegenüber Jakob ein (31). Jakob flieht mit all seinen Frauen, Kindern und seinem Besitz. Laban holt ihn ein, und nach langen Verhandlungen einigen sie sich friedlich. Nun steht noch die Begegnung mit Esau aus (32f). Jakob schickt Boten mit Geschenken für Esau vor sich her. Am Fluss Jabbok bleibt er alleine zurück und kämpft dort mit „einem“ bis zum Morgen. Jakob erzwingt von seinem Gegner einen Segen und erhält den Namen Israel. Die Begegnung mit Esau verläuft friedlich, und Jakob siedelt bei Sichem (33). Dina, die Tochter Leas, wird von Sichem, dem Sohn des Königs der Stadt, entführt und vergewaltigt (34). Der König akzeptiert die Sühneforderung der Söhne Jakobs. „Alles, was männlich ist“, soll sich beschneiden lassen. Als die Männer der Stadt durch die Wunden geschwächt sind, überfallen die Brüder Dinas, Simeon und Levi, die Stadt und töten „alles, was männlich ist“. Jakob zieht nach Bethel (35). Dort erhält er von Gott den Namen Israel. Rahel stirbt bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin und wird bei Bethlehem begraben. Esau, der auch Edom heißt, gilt als der Stammvater der Edomiter (36). Neben der Josefsgeschichte geht nur die Erzählung von Tamar näher auf einen der Jakobsöhne ein (38). Die Schwiegertochter Judas, Tamar, bleibt kinderlos, weil der erstgeborene Sohn Er stirbt und sein Bruder Onan seinen Samen „auf die Erde fallen und so verderben lässt“. Tamar verkleidet sich als Prostituierte, erlistet den Beischlaf durch Juda und gebiert die Zwillinge Perez und Serah. c) Die Josefsgeschichte (Gen 37; 39-50) Die Josefsgeschichte ist eine kunstvolle Erzählung. Sie berichtet von den Spannungen im Familienverband des Jakob. Jakob liebt den Josef, den Sohn seiner Lieblingsfrau Rahel, mehr als seine anderen Söhne (37,3f). Josef zieht zusätzlich den Hass der Brüder durch anmaßende Träume auf sich (37,5-11). Er gelangt als Sklave in das Haus des Ägypters Potiphar (39). Dort bewährt er sich ebenso wie während seines Gefängnisaufenthalts und als Großwesir des Pharaos (40f). Schließlich rettet er auch seine Familie vor dem Hungertod (42-45). Die besondere Stellung Josefs rechtfertigt sich dadurch, dass er „viele am Leben erhält und rettet“ (45,7). Diese Erzählung erfüllt mehrere Funktionen im Rahmen des Pentateuchs. Sie berichtet davon, wie Israel nach Ägypten kam, und verbindet dadurch das Buch Genesis mit dem Buch Exodus. Sie zeigt die Rivalitäten im Familienverband und die Leistungsfähigkeit staatlicher Organisation

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auf. Schließlich berichtet sie vom Erfolg eines begabten Israeliten in einer fremden Umgebung. Gott bleibt in der Josefsgeschichte im Hintergrund. Die Josefsgeschichte wird im Qur’an in Sure 12 (Yusuf) fast vollständig nacherzählt. Das Motiv der unerfüllten Liebe der Frau Potiphars zu dem schönen Jüngling Josef wird erweitert und bildet die Grundlage für die späteren Dichtungen zu Suleika.

2.2.4 |

Lektüre Das ganze Buch sollte vertraut sein. Die Lektüre der ausgewählten Kapitel gibt einen guten Einblick. Es werden 25 Kapitel zur Lektüre des Buches Genesis vorgeschlagen, das insgesamt 50 Kapitel umfasst. Die vorgeschlagenen Kapitel sind: 1-4; 6-8; 11; 12f; 18f; 21f; 27-29; 37; 39-45. Sie vermitteln einen Eindruck von den wichtigsten Erzähltexten der Urgeschichte, der Erzelterngeschichte und der Josefsgeschichte.

2.2.5 |

Erzählungen  ie Genesis sollte insgesamt bekannt sein. Die folgenden Texte ragen D aus den zahlreichen wichtigen Erzählungen nochmals hervor. 1. Weltschöpfung (Gen 1,1-2,4a) 2. Menschenschöpfung und Paradieserzählung (Gen 2,4b-3,24) 3. Kains Brudermord (Gen 4,1-16) 4. Sintflut (Gen 6-8) 5. Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) 6. Gottes Bund mit Abraham (Gen 15) 7. Opferung Isaaks (Gen 22)

2.2.6 |

Wichtige Texte der Genesis Urgeschichte ˘ Gen 1,27 (Z) Gottesebenbildlichkeit: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. ˘ Gen 5,27 (Z) Sprichwort: alt wie Methusalem: So betrug Methusalahs ganze Lebenszeit 969 Jahre; dann starb er. ˘ Gen 8,21f (Z) Strafverzicht: Ich will hinfort nicht mehr die Erde um der Menschen willen verfluchen; ist doch das Trachten des menschlichen Herzens böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

E x odu s

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˘ Gen 9,12f (Z) Regenbogen: Dies ist das Zeichen des Bundes ..., meinen Bogen stelle ich in die Wolken, der soll ein Bundeszeichen sein zwischen dir und mir. ˘ Gen 11,9 (Z) Sprachverwirrung: Daher heißt ihre Stadt Babel, weil der Herr daselbst die Sprache aller Welt verwirrt und sie von dort über die ganze Erde verstreut hat. Erzelterngeschichte ˘ Gen 12,1f (Z) Verheißung: Und der Herr sprach zu Abram: Ziehe hinweg aus deinem Vaterlande und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in das Land, das ich dir zeigen werde. So will ich dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen berühmt machen, dass er zum Segen wird. ˘ Gen 22,12-18 (Z) Verheißung: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest: du hast deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten. ... weil du das getan und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, darum will ich dich segnen und dein Geschlecht so zahlreich machen wie die Sterne des Himmels und wie den Sand am Gestade des Meeres, und dein Geschlecht wird das Tor seiner Feinde besitzen; mit dem Namen deines Stammes werden sich Segen wünschen alle Völker der Erde, weil du mir gehorcht hast. ˘ Gen 32,26 (Z) Jakob am Jabbok: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. ˘ Gen 32,28 (Z) Jakob-Israel: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel [d.i. Gottesstreiter]. Denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast obsiegt. Josefsgeschichte ˘ Gen 50,20 (L) Lehre der Josefsgeschichte: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.

Exodus (2. Mose)

| 2.3

Einführung in das Buch Exodus

| 2.3.1

Das Buch Exodus enthält zwei inhaltliche Schwerpunkte: ˘ Die Erzählung vom Auszug aus Ägypten (Exoduserzählung) ˘ Der Bericht über den Aufenthalt Israels am Sinai (Sinaiperikope)

52

De r P e n t a t e u ch

Der erste Schwerpunkt hat dem Buch seinen wissenschaftlichen Namen gegeben: Exodus heißt Auszug. Es ist also vom Auszug der Israeliten aus der Gefangenschaft in Ägypten berichtet. Hier begegnen berühmte Erzähltexte: ˘ Die Gefährdung und Rettung des Moses (Kindheitsgeschichte des Moses) ˘ Die zehn Plagen und die Einsetzung des Passahfestes ˘ Der Auszug aus Ägypten und die Rettung am Schilfmeer Der Erzählfaden wird dann bis zum Aufenthalt am Sinai, dem zweiten Schwerpunkt des Buches Exodus, weitergeführt: ˘ Wüstenwanderung (Mannawunder) ˘ Gottesoffenbarung am Sinai ˘ Erhalt der Gesetzestafeln und Vollzug des Bundesschluss ˘ Bundesbruch (Erzählung vom goldenen Kalb)

Erwählung des Volkes Israel

In den Bericht vom Aufenthalt am Sinai werden die wichtigen gesetzlichen Überlieferungen (Bundesbuch, Heiligkeitsgesetz) integriert. Der Umfang der Rechtstexte geht über die Grenzen des Buches Exodus hinaus und erstreckt sich bis zum Buch Levitikus. Dem Aufenthalt am Sinai ist auch der erste Teil des Buches Numeri gewidmet, ehe dann in Num 10,11f Israel vom Sinai aufbricht und seine Wanderung fortsetzt. Die beiden inhaltlichen Schwerpunkte (Exodus und Sinai) sind aufeinander bezogen: Beide thematisieren die Erwählung des Volkes Israel durch seinen Gott. Im Exodus geschieht die Erwählung durch Rettung, und die Sinaiperikope vertieft die Erwählung durch die Verpflichtung auf die Tora. In den narrativen Details kommen die besonderen Eigenschaften des biblischen Gottes zu tragen: ˘ Der Gott Israels erwählt sich ein unbedeutendes Volk. ˘ Die Erwählung ist gleichzeitig Befreiung aus sozialer und materieller Unterdrückung. ˘ Trotz des Bundesbruches wendet sich der Gott Israels seinem Volk wieder zu. Das Buch Exodus erzählt von der Zuwendung Gottes zu seinem Volk und seinem beharrlichen, barmherzigen Festhalten an den Zusagen, die er diesem Volk gegeben hat. Die Erzähltexte des Buches Exodus sind aber keine theologischen Legenden, die den biblischen Gott als sagenhafte Rettergestalt feiern. Im Gegenteil, sie interessieren sich für die Geschichte, für das wirkliche Ergehen des Volkes Israel in Ägypten. Nun ist zwar vieles, was erzählt wird, historisch unzuverlässig, aber einige Grundinformationen haben eine hohe Plausibilität. Es sind insbesondere drei Notizen hervorzuheben:

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˘ Ex 1,11 (Z): Sie mussten dem Pharao die Vorratsstädte Pithom und Ramses bauen. ˘ Ex 14,5a (Z): Als nun dem König von Ägypten gemeldet wurde, dass das Volk geflohen war ... ˘ Ex 15,21 (Z): Singt dem Herrn, denn hoch erhaben ist er, Ross und Reiter warf er ins Meer. Die Information, dass Israel zur Fronarbeit zum Bau dieser Städte gezwungen wurde, ist ebenso plausibel, wie die Flucht aus dieser Situation und die Erinnerung an eine durch Naturgewalten bewirkte Rettung. Ägyptische Quellen belegen zwar nicht den Aufenthalt eines Volkes mit dem Namen Israel, auch keine Vernichtung eines ägyptischen Heeres im Meer, aber Berichte über die Zwangsarbeit von Fremdvölkern und deren Flucht sind in den Notizen ägyptischer Grenzbeamter erhalten.

Gliederung des Buches Exodus

| 2.3.2

1-15: Knechtschaft und Auszug 1 Israel in Ägypten 2-6 Moses 7-11 10 Plagen 12,1-13,16 Passah 13,17-15,21 Der Auszug 15,22-18,27: Wanderung zum Sinai 15,22-18,27 Vom Schilfmeer zum Sinai 19-40: Aufenthalt am Sinai 19.20,18-21 Gotteserscheinung auf dem Sinai 20,1-17 Der Dekalog 20,22-23,33 Bundesbuch 24 Bundesschluss 25-31 Die Stiftshütte 32-34 Bundesbruch (das goldene Kalb) und erneuter Bundesschluss 35-40 Ausführung der Stiftshütte

Inhalt des Buches Exodus Das Buch Exodus führt den Erzählfaden der Josefsgeschichte weiter. Die Söhne Jakobs waren aufgrund der Hungersnot nach Ägypten

| 2.3.3

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De r P e n t a t e u ch

gekommen. Die Familie hatte sich in Ägypten niedergelassen und lebte zunächst sicher unter dem Schutz ihres Bruders Josef, der als Verwalter des Pharaos Ägypten regierte. Ex 1 Israel in Ägypten: Nach Exodus 1,8 kam dann ein „Pharao, der nichts von Josef wusste“. Die Verdienste Josefs, der nach Ägypten gekommen war, „zu einer großen Errettung“ (Gen 45,5) und „um ein großes Volk am Leben zu erhalten“ (Gen 50,20), waren vergessen. Ex 1,7-10 berichtet von der Sorge des neuen Pharaos, dass das rasch anwachsende Volk Israel die Macht in Ägypten übernehmen könnte. Er ergreift Maßnahmen zur Unterdrückung. Es beginnt die „Knechtschaft“ bzw. der „Frondienst“ der Israeliten: Die männlichen Kinder sollen getötet werden und das ganze Volk muss unter harten Bedingungen beim Bau der Städte Pithom und Ramses mitwirken. Diese Lage wird durch legendarische Erzählungen veranschaulicht: Ex 1,15-22 berichtet von den klugen Hebammen Siphra und Pua, Ex 2,1-10 von Geburt, Gefährdung und Rettung des Moses und auch der Totschlag und die Flucht des Moses (Ex 2,11-25) stehen in diesem Kontext. Ex 2-6 Moses: Ex 2,1-10 erzählt nach dem Vorbild vieler anderer Legenden von der „Gefährdung und Rettung“ des bedeutenden Kindes. Die Motive: Tötungsabsicht, gefährliche Rettungsversuche und wunderbares Geschick sind hier aufgenommen. Mose gelangt in einem Binsenkörbchen an den Hof des Pharaos und wird dort wie ein Prinz erzogen. Seine Zugehörigkeit zu den Israeliten bleibt aufrecht erhalten. Im Zorn erschlägt er einen der Wächter der Israeliten und muss fliehen. Er geht nach Midian, tritt in den Dienst des Priesters Reguel bzw. Jethro und heiratet Zippora, eine seiner Töchter (2,11-25). Mit Ex 3 setzt der Erzählfaden neu ein. Gott erscheint dem Mose im brennenden Dornbusch, offenbart ihm seinen Namen, das Tetragramm (3,14: JHWH, „Ich bin, der ich bin“, oder besser: „Ich werde sein, der ich sein werde.“) und beauftragt ihn, sein Volk aus Ägypten herauszuführen. Mose und sein Bruder Aaron (4,14) sollen gemeinsam die Israeliten befreien. Sie treten vor den Pharao und fordern, dass die Israeliten drei Tage in die Wüste ziehen dürfen, um ihrem Gott zu opfern (5,3). In Ex 6 wird die Offenbarung des Gottesnamens und die Beauftragung Moses wiederholt. Ex 7-11 Plagen: Es entspinnt sich die Erzählung von den zehn Plagen (5-11), die ihren Höhepunkt in der Tötung der Erstgeburt Ägyptens findet (12,29f). Diese zehnte Plage ist eingebunden in die Überlieferung von der Einsetzung des Passahmahles, des Festes der ungesäuerten Brote

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(Mazzot) und der Weihung aller Erstgeburt von Mensch und Vieh (12,113,16). Ex 13,17-15,21 Auszug, Rettung am Schilfmeer: Die Erzählung vom Durchzug durch das Schilfmeer betont, dass Gott das Volk rettet. Die wehrlosen Israeliten wären den sie verfolgenden Ägyptern schutzlos ausgeliefert gewesen. Gott hat aber dieses Volk erwählt und rettet es durch das Wunder am Schilfmeer. Ex 15,22-18,27 Wüstenwanderung: Mose führt die Israeliten nun durch die Wüste zum Sinai. Bald schon beginnt das Volk zu murren. Es fehlt an Wasser und Nahrung. Trotz des Murrens des Volkes verschafft Gott ihm Nahrung durch wunderbare Ereignisse: Bitteres Wasser wird genießbar (15,22-27), es regnet Manna vom Himmel (16), Mose schlägt an einen Felsen, aus dem dann Wasser strömt (17,5-7). Ex 19-24 Sinaioffenbarung: Schließlich gelangen die Israeliten an den Sinai. Dort legt sich eine Wolke um den Gipfel des Berges, und Gott offenbart sich in Blitz, Rauch, Donner und Posaunenschall (19,16-19). Die Israeliten lagern sich dort und bleiben bis Num 10,11 am Sinai. In 19 und 20,18-21 erfolgt die Gottesoffenbarung. Mose wird auf den Berg gerufen. Gott teilt in 20,1-17 und 20,22-23,33 als Grundlage des in Ex 24 vollzogenen Bundeschlusses die Gesetze mit, die er dem Volk Israel auferlegt. In diesen Zusammenhang ist die älteste Rechtssammlung des Alten Testaments eingebunden, das so genannte Bundesbuch (20,2223,19): Bundesrecht: Die Zehn Gebote (gr. Dekalog) 20,1-17: 20,22-23,33: Bundesbuch, kultische Regelungen, Gesetze für das soziale Leben, Regelungen zu den Festen (so genannte Festkalender, vgl. Lev 23; Num 28f; Dtn 16) In Ex 24 wird dann vom Bundesschluss berichtet. Gott verpflichtet sein Volk zu den von ihm gebotenen Gesetzen. Sie werden verlesen und durch einen Blutritus verbindlich gemacht (24,7f). Damit ist der Bund (hebr. berith) zwischen Gott und seinem Volk geschlossen. Ex 25-31 Das Zelt der Begegnung (Luther: Stiftshütte): Diese Kapitel berichten von den Anweisungen, die Gott für den Bau und den Gebrauch des Zeltes der Begegnung gibt. Nach dem Vorbild des späteren Tempels wird ein transportables Heiligtum entworfen. Die Bundeslade wird als „Lade

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De r P e n t a t e u ch

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des Gesetzes“ (25,21) verstanden. Regelungen über Priester und Opfer schließen diesen Abschnitt. Ex 32-34 Bundesbruch und erneuter Bundesschluss: Nur durch die in 25-31 notierten kultischen Anweisungen unterbrochen berichten Ex 32-34 noch am Sinai vom Bruch des Bundes durch das Volk. Durch den Bau des „goldenen Kalbes“ und durch dessen kultische Verehrung bricht Israel die im Bundesschluss (24) eingegangene Verpflichtung und macht sich des Todes schuldig. Der zu erwartende Zorn Gottes steigert sich aber nicht zum Vernichtungswillen. Ex 32-34 überbieten letztlich die in 19-24 gemachten Aussagen, indem sie zeigen, dass Gott seinen Bund als Ausdruck seiner Barmherzigkeit und nicht als Ausdruck seiner Macht versteht. Er gibt sich durch den Verzicht auf Strafe und Vernichtung, die eigentlich die Schlussfolgerungen aus dem Verhalten Israels sein müssten, als vergebender und barmherziger Gott zu erkennen (34,6f; Gnadenformel, vgl. S. 17). Ex 35-40 Ausführung der Stiftshütte und Einsetzung des Opferdienstes: Die Ausführung der Planungen aus Ex 25-31 wird berichtet.

2.3.4 |

Lektüre Aus den 40 Kapiteln des Buches Exodus sollten zumindest die 14 Kapitel gelesen werden, die den Erzählfaden des Buches bilden. Das sind: 1-6; 12-14; 19-20; 32-34.

2.3.5 |

Erzählungen Der gesamte Erzählfaden des Buches Exodus sollte erzählt werden können. Folgende Erzählungen sollten detaillierter vertraut sein: 8. Knechtschaft der Israeliten in Ägypten, Geburt und Rettung des Moses (Ex 1-2) 9. Moses am Dornbusch (Ex 3) 10. Tötung der Erstgeburt, Einsetzung des Passah und Rettung am Schilfmeer (Ex 12-15) 11. Sinaiaufenthalt, Zehn Gebote, goldenes Kalb (Ex 19f; 32)

2.3.6 |

Wichtige Texte des Buches Exodus ˘ Ex 3,13-15 (E) Die Bekanntgabe des Gottesnamens: Mose aber antwortete Gott: Siehe, wenn ich zu den Söhnen Israel komme und ihnen sage: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mich fragen: Was ist sein Name?, was soll ich dann zu ihnen sagen? Da sprach Gott zu Mose: Ich bin, der ich bin. Dann sprach er: So sollst du zu den

Levi t i k u s

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Söhnen Israel sagen: Der „Ich bin“ hat mich zu euch gesandt. Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name in Ewigkeit, und das ist meine Benennung von Generation zu Generation. ˘ Ex 14,14 (Z): Der Herr wird für euch streiten, seid ihr nur stille. ˘ Ex 14,31 (Z): Als Israel sah, wie gewaltig sich die Hand des Herrn an den Ägyptern erwiesen hatte, da fürchtete das Volk den Herrn, und sie glaubten an den Herrn und an seinen Knecht Mose. ˘ Ex 15,21 (Z) Miriamlied: Singt dem Herrn, denn hoch erhaben ist er; Ross und Reiter warf er ins Meer. ˘ Ex 34,6f (Z) Wesendefinition Gottes bzw Gnadenformel: Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der Herr, der Herr, – ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue, der Gnade bewahrt bis ins tausendste Geschlecht, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt, aber keineswegs ungestraft lässt, sondern die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Geschlecht.

Levitikus (3. Mose)

| 2.4

Einführung in das Buch Levitikus

| 2.4.1

Das Buch Levitikus steht im Erzählfaden des Pentateuch an einem besonderen narrativen Ruhepunkt. Das Volk Israel hat sich am Berg Sinai versammelt und nach Ex 35-40 ein Zelt der Begegnung (Luther: „Stiftshütte“) als Heiligtum nach den Anweisungen Gottes errichtet. Mit dem Bau des Zeltes ist die Einsetzung und Ordnung des Dienstes an diesem Zelt verbunden. Das Heiligtum und der Priesterdienst sind in Ex 25-31 und 35-40 vorbereitet, nun werden Opferarten, Festordnungen und Reinheitsvorschriften von Gott aus dem Zelt der Begegnung heraus bekannt gemacht (1,1): „Der Herr rief Mose und redete mit ihm aus dem Zelt der Begegnung.“ Das Interesse an kultischen Fragen ist deutlich: Der Gott Israels tritt nicht mehr als der freie Berggott vom Sinai auf, sondern als ein Gott, der sich an ein Heiligtum bindet, das von Priestern und Leviten organisiert wird. Nach der Einweisung und Einsetzung des Aaron und seiner Söhne in das Priesteramt (6-10) werden ab 11,1 häufiger Moses und Aaron von Gott angesprochen. Die ethischen und kultischen Regelungen des Buches Levitikus ordnen die Begegnung zwischen Gott und Mensch (Heiligtum, Opfer) und auch die Begegnung der Menschen untereinander (rein und unrein, Heiligkeitsgesetz).

Kultische Ordnungen – rein und unrein

De r P e n t a t e u ch

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2.4.2 |

Gliederung des Buches Levitikus 1-7 Bestimmungen über das Opfer Priester 8-10 11-15 Rein und Unrein Versöhnungstag 16 17-26 Heiligkeitsgesetz 27 Anhänge

2.4.3 |

Inhalt des Buches Levitikus Lev 1-5 Bestimmungen über die Opfer der Israeliten: Ausführlich und detailliert werden die Opferbestimmungen aus der Perspektive der Israeliten geschildert (1,2: „Rede mit den Israeliten“). Die unterschiedlichen Opfer werden erläutert: Brand-, Speise-, Heils- oder Dank-, Sünd- und Schuldopfer. Grundsätzlich gilt, dass die Bedeutung des Opfers mit dem Wert der Opfergabe und dem Ausmaß seiner Hingabe wächst. Das bedeutendste Opfer ist das Ganzopfer, die vollständige Verbrennung des Opfertieres (gr. holokaustes; davon die Bezeichnung Holocaust für Völkermord, bes. für die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten). Lev 6-7 Bestimmungen über die Opfer der Priester: Nun werden die Opferhandlungen aus der Sicht der Priester geregelt (6,2: „Gebiete Aaron und seinen Söhnen“). Lev 8-10 Priester: Auf den Bericht von der Priesterweihe und dem ersten Opfer der Aaroniten folgt unmittelbar die Erzählung von den ersten Verfehlungen der Priester. Die Söhne Aarons verstoßen gegen die Opferregeln und werden deswegen vernichtet, 10,2 (L): „Da fuhr ein Feuer aus von dem Herrn und verzehrte sie, dass sie starben vor dem Herrn.“ Lev 11-15 Rein und Unrein: In diesen Kapiteln werden die Bestimmungen über rein und unrein aufgelistet. Verunreinigung kann durch Nahrung, Geburt, Veränderung der Haut, Veränderung von Material (Mauer, Stoff u.a.), Körperflüssigkeiten und vor allem durch Leichname hervorgerufen werden. Es handelt sich weder um moralische noch um hygienische Vorstellungen. Rein ist nicht gleich gut bzw. sauber oder unrein gleich böse bzw. schmutzig. Es sind vielmehr Tabuvorschriften, die den Umgang mit faktisch vorliegenden körperlichen Merkmalen regeln. So ist die Unreinheit der Frau durch die Monatsblutung keine Abwertung der Frau, sondern eine Tabuisierung ihres Körpers, die nach einer bestimmten Zeit wieder aufgehoben wird (15,19).

Levi t i k u s

59

Lev 16 Versöhnungstag: Die Zeremonie des Versöhnungstages (hebr.: jom kippur) beschreibt das Opfer für die jährliche Entsühnung ganz Israels. Sie umfasst einen Blutritus (16,14-19) und ein Ritual, das die Wegschaffung der Sündenschuld veranschaulicht. Der Hohepriester legt die Hände auf den Kopf eines Ziegenbocks und überträgt auf ihn alle Schuld der Israeliten. Dieser sprichwörtlich gewordene „Sündenbock“ wird aus der Mitte Israels in die Wüste getrieben, um die Sünde aus Israel wegzuschaffen (16,22). Lev 17-26 Heiligkeitsgesetz: Das so genannte Heiligkeitsgesetz ist von der Vorstellung geprägt, dass sich die „Heiligkeit“ Gottes in der „Heiligkeit“ seines Volkes widerspiegeln müsse. Programmatisch ist die Aussage (19,2): „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“. Diese Heiligkeit wird durch Regelungen zur Ernährung, Ehe und Sexualität, zum Umgang mit dem „Fremdling“ (d.i. der in den Gebieten Israels lebende Nichtisraelit), zu Strafgesetzen, Priestergesetzen, Festgesetzen (Festkalender) u.a. geregelt. Im Heiligkeitsgesetz fällt der hohe ethische Anspruch im Umgang mit den Nächsten auf (19,18): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Das Gebot der Nächstenliebe wird im Neuen Testament mehrfach aufgenommen: Mt 5,43; 22,39; Mk 12,31; Lk 10,27; Röm 13,9; Gal 5,14; Jak 2,8. Im Schlusskapitel schließlich werden die Regelungen durch Segen und Fluch eingeschärft. Lev 27 Anhänge: Über die Auslösung von Gelübden, Weihegaben und den Zehnten.

Lektüre

| 2.4.4

Von den 27 Kapiteln des Buches Levitikus sollen acht Kapitel gelesen werden: 1; 9-13; 16; 19.

Erzählungen Im Buch Levitikus sind nur wenige Erzählungen enthalten. Es überwiegen Schilderungen kultischer Handlungen und Rechtstexte. In den Erzählungen werden an zwei Beispielen die Folgen von Verfehlungen berichtet: Verfehlung und Bestrafung der Aaronsöhne Nadab und Abihu (10,1-5) Steinigung des Gotteslästerers (24,10-23)

| 2.4.5

De r P e n t a t e u ch

60

2.4.6 |

Wichtige Texte des Buches Levitikus ˘ Lev 19,2 (L): Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig. ˘ Lev 19,18 (L): Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

2.5 | Numeri (4. Mose) 2.5.1 |

Einführung in das Buch Numeri Das Buch Numeri führt den Erzählfaden des Pentateuchs weiter, indem es die in Levitikus geschilderte Situation aufnimmt: Das Volk Israel lagert am Berg Sinai und Mose spricht mit Gott nun im Zelt der Begegnung, bzw. Stiftshütte, Num 1,1 (L): „Und der Herr redete mit Mose in der Wüste Sinai in der Stiftshütte.“ Die Ordnung Israels wird weiter gefestigt, indem das Volk nach Stämmen, Sippen und Geschlechtern gezählt und die Namen in Listen notiert werden (daher auch der lat. Titel numeri, Zählungen). Neben die gesetzliche und kultische Ordnung tritt nun die personenbezogene Ordnung. Das Gottesvolk wird nicht nur durch die Tora verbunden, sondern ist auch eine ethnische Gemeinschaft. Nach dem Aufbruch vom Sinai werden in den Erzählfaden verschiedene Traditionen und gesetzliche Texte integriert. Es fällt auf, dass eine ganze Reihe von Texten Widerstand gegen Gott, aber auch Auseinandersetzungen und Konkurrenz innerhalb des Volkes Israel thematisieren. Am Ende wird das Ostjordanland an die dort anzusiedelnden Stämme verteilt.

2.5.2 |

Gliederung des Buches Numeri 1-4 Zählung des Volkes am Sinai 5,1-10,10 Einzelregelungen, Nachträge 10,11-36 Wiederaufnahme der Wanderung 11-17 Murren und Opposition Vorschriften, Wanderung 18-21 22-24 Bileamgeschichten Wanderung zum verheißenen Land 25-36

2.5.3 |

Inhalt des Buches Numeri Num 1-4 Zählung des Volkes: Moses bekommt den Auftrag, die Männer Israels nach Stämmen, Geschlechtern und Sippen geordnet zu zählen.

Nu m e r i

Es werden Geburts- bzw. Abstammungslisten eingerichtet, in die alle männlichen Israeliten eingetragen werden, die die Bedingungen für den Kriegsdienst erfüllen (1,3.18). Insgesamt werden 603.550 kampffähige Männer über 20 Jahre gezählt (2,32). Dann werden die Priestergeschlechter bestimmt (3,1-4) und der Stamm der Leviten, der den Dienst am Zelt der Begegnung wahrnehmen soll, gezählt (8500). Hier gelten besondere Regeln. Die Leviten sollen zwischen 30 und 50 Jahre alt sein (4,47). Num 5,1-10,10 Einzelregelungen, Nachträge: Nach der Zählung des Volkes und der Priester werden verschiedene kultische und rechtliche Einzelregelungen nachgetragen: Gottesurteil bzw. Ordal (5), Gelübde bzw. Nasiräer-Gesetz (vgl. Simson: Ri 13,5.7 und 16,17; Johannes der Täufer: Lk 7,33; Paulus: Apg 21,23-26), Ausstattung des Zeltes der Begegnung (7), Weihe der Leviten (8), Passah (9), die „silbernen Trompeten“ für die Priester (10,1-10). Num 10,12-36 Aufbruch vom Sinai: Verschiedene Regelungen schließen sich an die Zählung an, dann bricht Israel vom Sinai auf (10,12). Die Wanderungsbeschreibung knüpft an Ex 16-19 an. Wieder wird das Volk von Gott mit einer Wolke, die sich zum Abmarsch erhebt und zum Rasten niederlässt, geleitet. Num 11-17 Murren und Opposition: Kurz nach dem Abmarsch begegnet wieder das Motiv des „Murrens“, 11,1 (L): „Und das Volk klagte vor den Ohren des Herrn, dass es ihm schlecht gehe.“ Die Unzufriedenheit mit dem Manna führt dazu, dass es nun auch „Wachteln“ regnet (11,31). Das Konfliktpotential zwischen Gott und seinem Volk ist allerdings weit größer. Nach Num 12 protestieren Miriam und Aaron gegen die nichtisraelitische Frau des Moses. Miriam wird mit Aussatz bestraft. Num 13f berichtet von der Ankunft an den Grenzen des Landes Kanaan. Kundschafter gehen in das Land, darunter auch Josua und Kaleb. Als sie zurückkommen, sind sie verstört, 13,31 (L): „Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen dieses Volk, denn sie sind uns zu stark.“ Die Weigerung in das Land zu ziehen führt zur Strafe. Gott will zunächst das Volk vernichten, Mose aber hält Fürsprache. Schließlich beschließt Gott, dass keiner dieses Geschlechts das gelobte Land sehen darf. Deswegen sollen sie vierzig Jahre in der Wüste umherziehen, 14,29 (L): „Eure Leiber sollen in dieser Wüste verfallen. Alle, die ihr gezählt seid von zwanzig Jahren an und darüber, die ihr gegen mich gemurrt habt.“ In Num 16 wird dann eines der verstörendsten Ereignisse des Buches erzählt. Korach und einige andere empören sich gegen Mose. Sie kritisieren seine Herrschaft. Mose zeigt seine Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, indem er von diesem die Vernichtung der Gruppe fordert. Das Ergebnis, 16,31f

61

62

De r P e n t a t e u ch

(L): „Und als er alle diese Worte beendet hatte, zerriss die Erde unter ihnen und tat ihren Mund auf und verschlang sie mit ihren Sippen, mit allen Menschen, die zu Korach gehörten, und mit all ihrer Habe.“ Auch in Num 17 wird noch von Protesten des Volkes berichtet. Num 18-21 verschiedene Einzelerzählungen und Gesetzesüberlieferungen: Aus den hier zusammengestellten Einzeltraditionen sind hervorzuheben: Die Notiz über Miriams Tod (20,1), die Erzählung vom wunderbaren Wasser aus dem Felsen, 20,2-13 „Und Mose schlug den Felsen mit dem Stab zweimal. Da kam viel Wasser heraus“, Aarons Tod (20,22-29), die eherne Schlange (21,4-9). Num 22-24 Bileam: Die Israeliten ziehen auf ihrer Wüstenwanderung durch die Gebiete verschiedener Völker. So gelangen sie in das Transjordanland, nach Moab. Der Moabiterkönig Balak ruft den Seher Bileam, damit er seine Macht gegen Israel einsetze, 22,6 (E): „Und nun komm doch, verfluche mir dieses Volk!“ Bileam macht sich schließlich auf den Weg. Unterwegs scheut aber seine Eselin, denn sie sieht den Engel Gottes auf dem Weg. Bileam schlägt die Eselin und zwingt sie weiterzugehen, bis sie an einer engen Stelle dem Engel nicht mehr ausweichen kann. Dort legt sich die Eselin nieder. Als Bileam auf sie einschlägt, spricht sie ihn an. Nun sieht auch Bileam den Engel, kann aber doch weitergehen. Bei Balak angekommen, fordert Bileam sieben Altäre. Diese werden auf einem Berg mit Blick auf das Volk Israel aufgebaut, das in der Ebene lagert. Bileam opfert an jedem dieser Altäre je einen Stier und einen Widder. Nun möchte er, seinem Auftrag gemäß, das Volk Israel verfluchen. Es gelingt ihm aber nicht. Er hat nur Segensworte, 23,20 (E): „Siehe, zu segnen habe ich empfangen; er hat gesegnet, und ich kann’s nicht wenden.“ Num 25-31 Konflikte, Gesetzliche Regelungen: Die Israeliten nehmen sich Moabiterinnen als Frauen und verehren auch deren Götter. Gott straft sie mit einer Plage. Der Priester Pinhas stößt mit einer Lanze den Israeliten Simri und seine midianitische Frau nieder und beendet so die Plage, durch die bis dahin bereits 24.000 Israeliten umgekommen waren (25). Der „Eifer des Pinhas“ wird sprichwörtlich (vgl. Ps 106,30; 1. Makk 2,2426.54; 4. Makk 18,12). Es erfolgt eine erneute Zählung des Volkes (26). Töchtern aus Familien ohne männliche Nachkommen wird das Erbrecht zugesprochen (27). Josua wird mit der Führung des Volkes beauftragt. Der ausführliche Festkalender (vgl. Ex 23; Lev 23; Dtn 16) regelt umfassend die Opfer, die täglich, am Sabbat, am Monatsanfang und am Passah darzubringen sind, und die Zeiten für die großen Festversammlungen

Nu m e r i

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(28f). Es folgen Regelungen über Gelübde (30) und der Bericht über den Vernichtungskrieg gegen die Midianiter unter der Führung des Pinhas (31). Num 32-36 Landverteilung: Die Stämme Ruben, Gad und halb Manasse werden im Ostjordanland angesiedelt.

Lektüre

| 2.5.4

Von den 36 Kapiteln des Buches Numeri sollen zehn Kapitel gelesen werden: 6,22-27; 10,11-14,38; 16; 22-24.

Erzählungen

| 2.5.5

Das Buch Numeri berichtet vom Aufbruch des Volkes Israel vom Sinai, von seiner Wanderung an die Grenzen des Landes Kanaan, von der Erkundung des Landes und vom erneuten Ungehorsam des Volkes durch die Weigerung in das Land Kanaan einzuziehen. Das Volk Israel wird mit der vierzigjährigen Wüstenwanderung bestraft. Innerhalb des Erzählfadens begegnen einprägsame Erzähleinheiten, die man etwas genauer kennen sollte: Die Kundschaftergeschichte (Num 13 und 14) Die Bileamgeschichte (Num 22-24; vgl. 31,8)

Wichtige Texte des Buches Numeri ˘ Num 6,24-26 (E) Der aaronitische Segen: Der Herr segne dich und behüte dich! Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig! Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden! ˘ Num 22,27-30 (E) Bileams Eselin: Und als die Eselin den Engel des Herrn sah, legte sie sich hin unter Bileam. Da entbrannte der Zorn Bileams, und er schlug die Eselin mit dem Stock. Da öffnete der Herr den Mund der Eselin, und sie sagte zu Bileam: Was habe ich dir getan, dass du mich nun schon dreimal geschlagen hast? Bileam sagte zu der Eselin: Weil du Spott mit mir getrieben hast. Hätte ich doch ein Schwert in meiner Hand! Gewiss hätte ich dich jetzt erschlagen! Und die Eselin sagte zu Bileam: Bin ich nicht deine Eselin, auf der du geritten bist von jeher bis zum heutigen Tag? War es je meine Gewohnheit, dir so etwas zu tun? Und er sagte: Nein. ˘ Num 24,17 (E) Bileamsegen: Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue

| 2.5.6

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ihn, aber nicht nahe. Es tritt hervor ein Stern aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel und zerschlägt die Schläfen Moabs und zerschmettert alle Söhne Sets.

2.6 | Deuteronomium (5. Mose) 2.6.1 |

Einführung in das Deuteronomium Das Buch Deuteronomium (gr. deuteros nomos, das zweite Gesetz; hebr. mischneh hatorah, Gesetzeswiederholung oder -abschrift) geht im Kern auf eine Gesetzessammlung zurück, die mit der Reform Israels unter Josia in den Jahren um 620 v.Chr. verbunden ist. Die in diesem Zusammenhang entstandenen älteren Rechtstexte werden von den Verfassern des Deuteronomiums mit Interpretationen verbunden und zu teilweise utopischen Forderungen umgestaltet. So entsteht der Eindruck, dass das Buch Dtn „durch und durch Bekenntnis“ ist (G. von Rad). In seiner jetzigen Form ist das Deuteronomium das Produkt einer Redaktion, deren Anschauungen auch prägend für das so genannte deuteronomistische Geschichtswerk (Kapitel 3) und die deuteronomistischen Überarbeitungen der Prophetenbücher werden. Im Deuteronomium werden Forderungen erhoben, die die Verehrung nur des einen Gottes (Monolatrie), an einem Ort (Kultzentralisation) durch das eine Volk Israel (Volk des Bundes) verwirklichen wollen. Das Deuteronomium steht im Erzählfaden des Pentateuchs an einem etwas abseitigen Ort. Während alle übrigen wichtigen Überlieferungen im Sinaiaufenthalt zusammengefasst werden, berichtet das Deuteronomium davon, dass Mose die Worte Gottes an das Volk Israel kurz vor dem Einzug in das gelobte Land verkündet. Das Deuteronomium ist also keine Gottesrede, sondern eine Rede Moses.

2.6.2 |

Gliederung des Buches Deuteronomium 1,1-4,43 1. Einleitungsrede (geschichtlicher Rückblick) 4,44-11,32 2. Einleitungsrede (Mahnung, den Bund zu halten) 12-25 (26) Das deuteronomische Gesetz 27-30 Mahnung, Fluch und Segen 31-34 Abschluss des Pentateuchs Tod des Moses 34

De ut e r on om i u m

Der Inhalt des Buches Deuteronomium

65

| 2.6.3

Dtn 1,1-4,43 1. Einleitungsrede: Die Einleitungsrede bietet einen geschichtlichen Rückblick, in dem die Fürsorge Gottes im Exodus und in der Wüstenwanderung betont wird. In 4,1 wird Gesetzestreue gefordert und der Götzendienst kritisiert. Er ist die Ursache für die Zerstreuung Israels (4,27). Dtn 4,44-11,32 2. Einleitungsrede: Die zweite Einleitungsrede konzentriert sich nun auf die Gebote, die von Israel einzuhalten und mit innerem Leben zu erfüllen sind. In Dtn 5 wird der Dekalog wiederholt und deutlicher mit dem Exodusmotiv verbunden (vgl. Dtn 5,14f mit Ex 20,11). Die Forderung nach der ausschließlichen Verehrung des Gottes Israels wird hervorgehoben und im Bekenntnis des „Höre Israel!“ (hebr. schema Israel) formuliert (6,4f). Das gehorsame Volk kann der Erwählung durch Gott gewiss sein (7,6), wird aber mit der Forderung konfrontiert, den „Bund zu halten“. Der Predigt- bzw. Bekenntnischarakter wird in Dtn 8-11 noch gesteigert: Mahnung zur Dankbarkeit, Warnung vor Überheblichkeit, Aufruf zum Gesetzesgehorsam und zur Gottesliebe. Dtn 12-26 Das zweite Gesetz: Der eigentliche gesetzliche Inhalt wird nun entfaltet. Es kehren viele Regelungen des Bundesbuches wieder (Ex 20,22-23,19). Sie werden aber durchweg zu Forderungen umformuliert, die eher ethischen Charakter haben. So soll nach dem Königsgesetz (17,14-20) der König in der Abschrift des Gesetzes „lesen sein Leben lang“. Das Kriegsgesetz (20) bestimmt, dass alle, die sich „fürchten“, nicht in den Krieg ziehen müssen. Beides klingt recht unrealistisch. Die gesetzlichen Bestimmungen werden jeweils zu Entwürfen eines idealen Israels umgeformt. Dtn 27-30 Mahnung, Fluch und Segen: Die Schlussrahmung berichtet von der Verpflichtung des Volkes auf das Gesetz. Die eine Hälfte Israels soll auf den Berg Garizim, die andere auf den Berg Ebal gehen. Die einen sollen einen Segen sprechen über die, die das Gesetz einhalten. Die anderen sollen einen Fluch aussprechen, der diejenigen treffen wird, die das Gesetz missachten. Dtn 31-34 Abschluss des Pentateuchs: Zahlreiche Texte unterschiedlicher Form schließen mit dem Deuteronomium auch den Pentateuch ab. Das Gesetz soll alle sieben Jahre verlesen werden. Josua wird zum Nachfolger bestimmt. Moselied und Mosesegen schließen das Wirken des Moses ab und blicken in die Zukunft. Schließlich wird der Tod des Moses berich-

Schema Israel

De r P e n t a t e u ch

66

tet, der mit dem Blick auf das gelobte Land stirbt. Sein Grab bleibt den Israeliten unbekannt.

2.6.4 |

Lektüre Von den 34 Kapiteln des Buches Deuteronomium sollen insgesamt etwa 8 gelesen werden: 4,44-5,22; 6,1-25; 12,1-7; 13,2-6; 17,14-20; 20,1-9; 30; 34.

2.6.5 |

Erzählungen Im Buch Deuteronomium wird im Grunde nur der Tod des Moses erzählt (34,1-8). Die übrigen Texte sind zusammenfassende Nacherzählungen der Ereignisse seit dem Exodus (1,6-4,40 und 5,1-11,32).

2.6.6 |

Wichtige Texte des Buches Deuteronomium ˘ Dtn 6,4-9 (E) Schema Israel, Höre, Israel: Der Herr ist unser Gott, der Herr allein! Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen, und du sollst davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen als Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben. ˘ Dtn 7,6-8 (E) Erwählungsformel: Denn du bist dem Herrn, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt, dass du ihm als Eigentumsvolk gehörst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der Herr sich euch zugeneigt und euch erwählt – ihr seid ja das geringste unter allen Völkern –, sondern wegen der Liebe des Herrn zu euch, und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, hat der Herr euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. ˘ Dtn 26,5-9 (E) Das kleine geschichtliche Credo: Du aber sollst vor dem Herrn, deinem Gott, anheben und sprechen: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater; und er zog nach Ägypten hinab und hielt sich dort als Fremder auf, als ein geringes Häuflein. Doch er wurde dort zu einer großen, starken und zahlreichen Nation. Und die Ägypter

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67

misshandelten uns, unterdrückten uns und legten uns harte Arbeit auf. Da schrieen wir zu dem Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unsere Stimme und sah unser Elend und unsere Mühsal und unsere Bedrängnis. Und der Herr führte uns aus Ägypten heraus mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm und mit großem Schrecken und mit Zeichen und Wundern. Und er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, das von Milch und Honig überfließt. ˘ Dtn 31,26f (E) Das Gesetz ist Zeuge gegen Israel: Nehmt dieses Buch des Gesetzes und legt es neben die Lade des Bundes des Herrn, eures Gottes, dass es dort zum Zeugen gegen dich wird! Denn ich kenne deine Widerspenstigkeit und deine Halsstarrigkeit wohl. Siehe heute schon, während ich noch bei euch lebe, seid ihr widerspenstig gegen den Herrn gewesen; wie viel mehr nach meinem Tod!

Leitfaden 2 Ziel der 2. Lerneinheit ist es, Sie dabei zu unterstützen, sich selbst einen Überblick über den komplexen Aufbau und Inhalt der ersten 5 Bücher Mose zu verschaffen. In 6 Lernschritten werden Sie sich mit den 5 Büchern Moses (Gen, Ex, Lev, Num, Dtn), dem so genannten Pentateuch, befassen. Nach einem Überblick über den Aufbau des Pentateuchs werden Sie den Inhalt der einzelnen Bücher kennen lernen. Dabei werden Ihnen die wichtigsten Textstellen und Themen vorgeführt und in einen größeren Bedeutungszusammenhang eingeordnet. Schritt 1: Einführung in den Pentateuch Lesen Sie zur Einführung Kapitel 2.1 „Einführung in den Pentateuch“. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich zunächst die Grobgliederung gut ein. Achten Sie dabei darauf, inwiefern die Themen die Buchgrenzen überschreiten. ˘ Versuchen Sie, sich die kennzeichnenden Erzählmotive der einzelnen Bücher einzuprägen. ˘ Tragen Sie nun die Textstellen zusammen, an denen sich die Rechtsüberlieferung Israels konzentriert. Schritt 2: Genesis – Anfang Lesen Sie zunächst das Kapitel 2.2.1 „Einführung in die Genesis“. Lesen Sie nun: [25] Gen (50) 1-4; 6-8; 11; 12f; 15; 18f; 21f; 27-29; 37; 39-45.

| 2.7

68

De r P e n t a t e u ch

Markieren Sie sich dabei die folgenden Erzähltexte 1. Weltschöpfung (Gen 1,1-2,4a) 2. Menschenschöpfung und Paradieserzählung (Gen 2,4b-3,24) 3. Kains Brudermord (Gen 4,1-16) 4. Sintflut (Gen 6-8) 5. Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) 6. Gottes Bund mit Abraham (Gen 15) 7. Opferung Isaaks (Gen 22) Prägen Sie sich die Gliederung der Genesiserzählungen (2.2.2) ein und wiederholen Sie mit 2.2.3 die Inhalte. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Warum betont Augustinus, dass der biblische Schöpfungsbericht mit „in principio“ beginnt? Stellen Sie die Texte der priesterschriftlichen Urgeschichte und die der nicht-priesterschriftlichen (jahwistischen) Urgeschichte zusammen. ˘ Halten Sie „Erzvätergeschichte“ oder „Erzelterngeschichte“ für eine geeignete Bezeichnung von Gen 12-36? ˘ Prägen Sie sich die wichtigsten Männer und Frauen der Erzelterngeschichte ein. ˘ Welche erzählerische Funktion übernimmt die Josefsgeschichte für den Pentateuch? ˘ Lesen Sie sorgfältig die unter 2.2.6 abgedruckten Texte. Schritt 3: Exodus – Auszug ˘ Lesen Sie zu Anfang Kapitel 2.3.1 „Einführung in das Buch Exodus“ ˘ Lesen Sie nun: [14] Ex (40) 1-6; 12-14; 19-20; 32-34. Markieren Sie sich dabei die folgenden Erzähltexte 8. Knechtschaft der Israeliten in Ägypten, Geburt und Rettung des Moses (Ex 1-2) 9. Moses am Dornbusch (Ex 3) 10. Tötung der Erstgeburt, Einsetzung des Passah und Rettung am Schilfmeer (Ex 12-15) 11. Sinaiaufenthalt, Zehn Gebote, goldenes Kalb (Ex 19f; 32) ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Buches Exodus ein (2.3.2) ein und wiederholen Sie mit 2.3.3 die Inhalte. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Versuchen Sie, den Erzählfaden des Buches Exodus nachzuvollziehen:

Lei t fa de n 2

In welche Erzähleinheiten gliedert er sich? ˘ Welche Eigenschaften Gottes werden im Buch Exodus deutlich? ˘ Nennen Sie die zentralen Ereignisse am Sinai und die zugehörigen Textstellen. ˘ Lesen Sie sorgfältig die unter 2.3.6 abgedruckten Texte. Schritt 4: Das Buch Levitikus ˘ Lesen Sie Kapitel 2.4.1 „Einführung in das Buch Levitikus “. ˘ Lesen Sie nun: [8] Lev (27) 1; 9-13; 16; 19. ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Buches Levitikus ein (2.4.2) ein und wiederholen Sie mit 2.4.3 die Inhalte. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was erfahren Sie über die Opfervorschriften? ˘ Nennen Sie Sachverhalte, die „Unreinheit“ hervorrufen. ˘ Wie wird „Reinheit“ wieder hergestellt? ˘ Welches Ritual steht im Mittelpunkt des Versöhnungstages? ˘ Wo steht das Heiligkeitsgesetz? ˘ Lesen Sie sorgfältig die unter 2.4.6 abgedruckten Texte. Schritt 5: Das Buch Numeri ˘ Lesen Sie Kapitel 2.5.1 „Einführung in das Buch Numeri“. ˘ Lesen Sie nun: [8] Num (36) 6,22-27; 10,11-14,38; 16; 22-24. ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Buches Numeri ein (2.5.2) ein und wiederholen Sie mit 2.5.3 die Inhalte. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Wie lautet der aaronitische Segen? ˘ Was beinhalten die Kundschaftergeschichten und wo stehen sie? ˘ Welche Bedeutung hat die Bileamgeschichte für das Selbstverständnis Israels? ˘ Lesen Sie sorgfältig die unter 2.5.6 abgedruckten Texte. Schritt 6: Deuteronomium ˘ Lesen Sie zur Einführung Kapitel 2.6.1 „Einführung in das Buch Deuteronomium“. ˘ Lesen Sie nun: [8] Dtn (34) 4,44-5,22; 6,1-25; 12,1-7; 13,2-6; 17,14-20; 20,1-9; 30; 34. ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Buches Deuteronomium ein (2.6.2) ein und wiederholen Sie mit 2.6.3 die Inhalte.

69

De r P e n t a t e u ch

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Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Das Deuteronomium ist das letzte Buch des Pentateuch. Was sind die letzten geschilderten Ereignisse des Pentateuchs? ˘ Das „Schema Israel“ gilt als das grundlegende Bekenntnis des Judentums. Wo steht es? ˘ Lesen Sie sorgfältig die unter 2.6.6 abgedruckten Texte.

Wichtige Begriffe Die lat. Bezeichnungen der 5 Bücher Mose sowie ihre Bedeutung (Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium), Pentateuch, Hexateuch, Toledot, Perikope, Urgeschichte, Erzelterngeschichte, Josefsgeschichte, Genealogie, Tetragramm, priesterschriftliche und nichtpriesterschriftliche Urgeschichte, Sinaitradition, Festkalender, Opfer, rein/unrein, Zelt der Begegnung („Stiftshütte“), Bundesschluss, Schema Israel.

2.8 | Literatur Achenbach, Reinhard: Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, Wiesbaden 2003. Bormann, Lukas (Hg.): Schöpfung, Monotheismus und fremde Religionen. Studien zu Inklusion und Exklusion in den biblischen Schöpfungsvorstellungen, Neukirchen-Vluyn 2008 (BThSt 95). Fischer, Irmtraud: Gottesstreiterinnen. Biblische Erzählungen über die Anfänge Israels, Stuttgart 32006. Hieke, Thomas: Genealogien der Genesis, Freiburg i.B. u.a. 2003 (Herders biblische Studien 39). Kratz, Reinhard G.: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000 (UTB 2157).

Otto, Eckart (Hg.): Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und deuteronomistischem Geschichtswerk, Göttingen 2004 (FRLANT 206). Otto, Eckart: Das Gesetz des Mose, Darmstadt 2007. Schmid, Konrad: Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, Neukirchen 1999 (WMANT 81). Die Tora in jüdischer Auslegung, 5 Bd., Gütersloh 3 2008. Weimar, Peter: Studien zur Priesterschrift, Tübingen 2008 (FAT 56).

71

Das deuteronomistische Geschichtswerk

|3 |

Inhalt 3.1 Einführung in das deuteronomistische Geschichtswerk

71

3.2 Josua

74

3.3 Richter

78

3.4 Samuel (1. und 2. Samuel)

81

3.5 Könige (1. und 2. Könige)

84

3.6 Leitfaden 3

88

3.7 Literatur

90

Einführung in das deuteronomistische Geschichtswerk

| 3.1

Eigenart des deuteronomistischen Geschichtswerks

| 3.1.1

Wer die Bücher Josua bis 2. Könige liest, stellt fest, dass im Wesentlichen zwei unterschiedliche Textsorten aufeinander folgen. Auf der einen Seite prägen Erzählungen die Bücher Josua bis 2. Könige. Man wird in eine erzählte Welt gestellt, in der Richter, Könige, Propheten, Heerführer, Kundschafter, Boten, Soldaten und weitere Einzelpersönlichkeiten handeln und die Geschichte Israels gestalten. Auf der anderen Seite begegnen kommentarartige Einschübe, die aus einer Beobachterposition heraus die erzählten Geschehnisse deuten und bewerten. Im einen Fall betrachtet man die berichteten Ereignisse aus der Perspektive der verschiedenen Erzählfiguren, so etwa in 2. Sam 11f aus den unterschiedlichen Perspektiven Davids, Bathsebas, Urias, Joabs und Nathans und kann die jeweiligen Sichtweisen nachempfinden. Im anderen Fall wird man mit Meinungen über das Berichtete konfrontiert, die das Geschehen anhand von Kriterien, die bisweilen in den Erzählungen selbst keine Rolle spielen, kommentieren. Der Wechsel zwischen Erzählungen und Kom-

Da s

72

Deuteronomistische Forderungen

3.1.2 |

Landnahme

de ut e r on om i st i s ch e

G e s ch i ch t s w e r k

mentaren ist den Büchern Josua bis Könige gemeinsam, auch wenn diese Bücher sich sonst inhaltlich unterscheiden. Ausführliche kommentarartige Einschübe, die auch „Deutetexte“ genannt werden, finden sich auch in Jos 23f; Ri 2,6-3,6; 2. Kön 17,7ff. Diese Beobachtung hat zu einer umstrittenen Hypothese über die Entstehung der Bücher Josua bis Könige geführt, die besagt, dass eine Gruppe von Geschichtsschreibern die Erzähltraditionen Israels gesammelt, bearbeitet und zu einem großen Geschichtswerk zusammengestellt habe. Die Kriterien der Kommentierung hätten diese Redaktoren aus dem Deuteronomium entnommen. Drei Gesichtspunkte begegnen immer wieder: das Verbot der Fremdgötterverehrung (Monolatrie), die Forderung, Gott nur an einem Ort (Jerusalem) zu verehren (Kultzentralisation), und die Forderung der Trennung Israels von anderen Völkern (ethnische Integrität). Diese 3 Kriterien entsprechen den Hauptaspekten der im Dtn festgehaltenen Vorstellungen von der Ordnung Israels. Deswegen nennt man den Zusammenhang vom Dtn bis 2. Könige „deuteronomistisches Geschichtswerk“ und die Gruppe der Sammler und Kommentatoren „deuteronomistische Schule“. Die deuteronomistische Schule entwickelt eine theologische Deutung der Geschichte Israels (Geschichtstheologie), die das Ergehen Israels als Folge des Verhältnisses zu seinem Gott interpretiert. Erfüllt Israel die Forderungen des Deuteronomiums (Monolatrie, Kultzentralisation, ethnische Integrität), dann ergeht es ihm gut, bricht Israel diese Gebote, dann wird es durch fremde Völker überwältigt. Es gibt aber auch berechtigte Einwände gegen die Vorstellung eines einheitlichen deuteronomistischen Geschichtswerks. Zu groß erscheinen etwa die Unterschiede zwischen den Deutetexten im Richterbuch und denen in den Büchern Samuel und Könige. Das Buch Josua steht zudem in einem engen Zusammenhang zum Pentateuch. Erst der Bericht von der Landnahme im Josuabuch schließt den Erzählfaden des Pentateuchs ab (Hexateuch, vgl. Abb. 2 u. 3, S. 36f.). Auch wenn vieles gegen eine einheitliche deuteronomistische Überarbeitung der gesamten Geschichtsschreibung Israels spricht, wird man das Deuteronomium als Ausgangspunkt einer deuteronomistischen Denkrichtung bezeichnen können, die die Bücher Samuel und Könige zu deuteronomistischen Geschichtsbüchern im engeren Sinn geformt hat.

Übersicht über die Bücher des deuteronomistischen Geschichtswerks Josua Das Buch Josua berichtet von der Landnahme. Die berichteten kriegerischen Ereignisse werden teilweise mit militärischer Präzision geschil-

E i n fü h r u n g

73

dert (Hinterhalt: Jos 8; Nachtmarsch und Überraschungsangriff: Jos 10,9). In der Deutung des Geschehens wird immer wieder betont, dass nicht Israel, sondern Gott selbst den Sieg erringt, besonders 10,11 (L): „Und als sie vor Israel flohen ..., ließ der Herr große Steine vom Himmel auf sie fallen ... Und von ihnen starben viel mehr durch die Hagelsteine, als die Israeliten mit dem Schwert töteten.“ Nachdem das Land erobert ist, wird es an die zwölf Stämme verteilt (13-22). Das nach dem Willen Gottes geordnete Leben Israels in dem Land, das Gott ihm verheißen hat, kann beginnen. In 21,43-45 wird dieser Zustand beschrieben: „und der Herr gab ihnen Ruhe“. 23-24 schließt mit der Abschiedsrede Josuas und dem Landtag zu Sichem den Erzählfaden ab, der in Gen 12 beginnt. Israel lebt als Volk Gottes, in dem Land, das Gott bereits Abraham verheißen hat. Die Gebeine Josefs, die aus Ägypten mitgebracht worden waren, werden beigesetzt. Mit dem Buch Josua endet der Erzählfaden, der mit den Verheißungen an Abraham über Land, Nachkommenschaft und Volkswerdung begonnen hat. Deswegen spricht man, wenn man den Zusammenhang der Bücher Gen bis Josua betonen möchte, vom Hexateuch (Sechsteiliges). Richter Das Buch der Richter führt nun in eine ganz andere Welt. Mit der „Ruhe“, die am Ende des Josuabuches erreicht ist, ist es vorbei. Das Richterbuch beginnt mit Kämpfen und mit einer negativen Einschätzung des Volkes. Ri 2,10f (L): „Als auch alle, die zu der Zeit gelebt hatten, zu ihren Vätern versammelt waren, kam nach ihnen ein anderes Geschlecht auf, das den Herrn nicht kannte noch die Werke, die er an Israel getan hatte. Da taten die Israeliten, was dem Herrn missfiel.“ Die verschiedenen Heldensagen des Richterbuchs werden durch eine geschichtstheologische Deutung zusammengebunden, nach der sich in der Richterzeit ein zyklisches Geschehen wiederholt. Israel tut, was dem Herrn missfällt. Gott gibt die Israeliten deswegen in die Hände ihrer Feinde, Israel schreit zum Herrn, dieser erweckt Richter in Israel, die Israel retten. 1. und 2. Samuel Die beiden Samuelbücher thematisieren die Neuordnung Israels durch das Königtum. Obwohl nach 1. Sam 8 die Forderung nach einem König der unumschränkten Herrschaft Gottes über Israel widerspricht, lässt Gott es zu, dass ein König für Israel eingesetzt wird: Saul. Aber bereits zu Lebzeiten Sauls entsendet Gott Samuel nach Bethlehem, um den jüngsten Sohn Isais zum König zu salben (1. Sam 16). Sein Name ist David. Auf ihm liegt Gottes Verheißung. Er wird König über den Stamm Juda, dann auch über die elf Nordstämme, die sich Israel nennen. Er erobert Jeru-

Einführung des Königtums

Da s

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de ut e r on om i st i s ch e

G e s ch i ch t s w e r k

salem, überführt das Zentralheiligtum, die Bundeslade, dorthin und festigt sein Königtum, indem er seinen Söhnen die Thronnachfolge sichert. Die davidische Dynastie hält den Jerusalemer Thron bis zum Exil.

Reichsteilung

Abb. 4 | Die Königreiche Juda und Israel

1. und 2. Könige Die Königsbücher berichten von den wechselhaften Ereignissen von Salomo bis zur Haftentlassung Jojachins (ca. 562 v. Chr.). Sie beginnen mit der Übernahme der Herrschaft durch Salomo und der Schilderung seiner großartigen Herrschaft, in die der Bau des Palastes und des Tempels fällt (1. Kön 1-11). Einzelne kritische Bemerkungen werden in die Darstellung dieser Blütezeit Israels eingestreut. Das davidisch-salomonische Reich endet jäh, als es dem Sohn Salomos, Rehabeam, nicht mehr gelingt, alle Stämme unter seiner Herrschaft zu vereinen (1. Kön 12). In 1. Kön 12 – 2. Kön 17 wird die wechselhafte Geschichte der beiden Reiche geschildert. Das Schwergewicht liegt auf den Ereignissen im Nordreich Israel. Hier treten immer wieder Propheten auf, die in die Politik Israels eingreifen, indem sie das Fehlverhalten der Könige aufdecken. 2. Kön 17 erzählt und deutet den Untergang des Nordreiches. 2. Kön 18-25 erzählt von der Geschichte des Südreiches Juda bis zur Eroberung durch die Babylonier. Am Ende der deuteronomistischen Geschichtsbücher steht die Notiz, dass der Davidide Jojachin aus der Haft entlassen wurde (2. Kön 25,2730). Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass die davidische Dynastie auch nach dem Exil noch einmal bedeutsam werden könnte.

3.2 | Josua 3.2.1 |

Einführung Das Buch Josua schließt den durch den Pentateuch eröffneten Erzählfaden von der Führung des von Gott erwählten Volkes Israel in das Land, das Gott ihm zugesagt hat, ab. Endlich ist die an die Erzeltern ergan-

J os u a

75

gene Landverheißung, das Ziel des Exodus und der Wüstenwanderung, erreicht: Israel findet Ruhe im Land Kanaan (11,23; 14,15; 21,43f; 22,4; 23,1). Diese „Ruhe“ ist das erzählerische Ziel, das durch die geordnete Ansiedlung der zwölf Stämme in genau beschriebenen Gebieten in Kanaan (Landverteilung) erreicht ist. Bevor mit der Landverteilung die Pentateucherzählung vollendet ist, werden auch Berichte von Kriegen und Eroberungen (Landnahme) eingefügt. Der Bericht von der Eroberung Jerichos wird zu einer spannenden Geschichte gestaltet, die aus Kundschaftergeschichte (Jos 2) und Eroberungsbericht (Jos 6) besteht. In der Erzählung von der Eroberung Jerichos finden sich nun auch Erzählelemente, die den Hexateuch (Gen – Jos) mit dem deuteronomistischen Geschichtswerk (Jos – 2. Kön) verbinden: 1. Das geschichtsmächtige Handeln Gottes für Israel wird in dem Motiv zur Sprache gebracht, dass es nicht die militärische Kraft der Israeliten ist, die die Mauern Jerichos bezwingt, sondern die Macht Gottes. 2. In Jos 6 wird angekündigt, dass derjenige, der Jericho wiederaufbauen werde, verflucht sei. Dies wird in 1. Kön 16,34 wieder aufgenommen.

Gliederung

| 3.2.2

1-12 Die Eroberung des Landes 13-22 Die Verteilung des Landes an die zwölf Stämme Josuas Abschiedsrede 23 Der Bundesschluss zu Sichem 24

Inhalt Jos 1-12 Die Eroberung des Landes: Zunächst werden Anweisungen für die Landnahme erteilt (1). Kundschafter kommen nach Jericho und werden von der Hure Rahab versteckt (2). Nun machen sich die Israeliten auf und durchziehen den Jordan. Die Erzählung nimmt Elemente des Durchzugs durch das Schilfmeer auf. In Gilgal wird innegehalten, um Beschneidung und Passahfeier zu begehen. Der Bericht von der Eroberung Jerichos stellt die Kampfhandlungen nach dem Vorbild einer rituellen Begehung dar (6). Folgerichtig wird der Mann verflucht, der Jericho wieder aufbauen wird (vgl. 1. Kön 16,34). Aufgrund des kultisch-rituellen Charakters des Eroberungskrieges werden neben den Kampfhandlungen auch rituelle Verfehlungen thematisiert: Achans Diebstahl, Niederlage vor Ai, Entdeckung und Steinigung Achans (7). Nachdem mit der Steinigung Achans die sakrale Integrität Israels wieder hergestellt ist, kann

| 3.2.3

Da s

76

de ut e r on om i st i s ch e

G e s ch i ch t s w e r k

Ai erobert werden (8). Die Nichtisraeliten werden nicht alle vernichtet. Mit den Gibeoniten wird ein Vertrag geschlossen (9). In der Schlacht bei Gibeon stehen Sonne und Mond still, um den Sieg der Israeliten zu unterstützen (10). Weitere Eroberungen (10) und eine Liste der eroberten Gebiete und besiegten Könige (11f) schließen diesen Teil ab. Jos 13-22 Die Verteilung des Landes an die zwölf Stämme: Den einzelnen Stämmen wird Land zugewiesen. Jos 23 Josuas Abschiedsrede: Josua verabschiedet sich mit einer geschichtstheologischen Mahnung. Bleibt Israel seinem Gott treu, dann wird es Gutes erfahren und die anderen Völker vor sich her treiben. Wendet es sich ab, wird der „Zorn“ des Herrn entbrennen, die anderen Völker werden zum Fallstrick werden und Israel wird vertilgt sein aus dem Land. Jos 24 Der Bundesschluss zu Sichem: In Sichem bekennt sich Israel zum Gott des Exodus. Josua stirbt. Die Gebeine Josefs werden beigesetzt. Mit dem Begräbnis Josefs schließt sich der Erzählzusammenhang, der in Gen 12 begonnen hat. Die Land- und Nachkommensverheißungen an Abraham, Isaak, Jakob und an ganz Israel sind erfüllt.

3.2.4 |

Lektüre Von den 24 Kapiteln des Josuabuches sollen die Kapitel 2; 6; 10 und 24 gelesen werden. Erzähltexte 12. Eroberung Jerichos (Jos 2 und 6 enthalten die Erzählungen von der Auskundschaftung und der Eroberung Jerichos).

3.2.5 |

Wichtige Texte ˘ Jos 1,2-5 (Z) Einsetzung Josuas: Mein Knecht Mose ist gestorben; so mache dich nun auf, ziehe über den Jordan hier, du und dieses ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gebe. Jeden Ort, darauf eure Fußsohle treten wird, gebe ich euch, wie ich Mose versprochen habe. Von der Wüste an und dem Libanon dort bis an den großen Strom, den Euphratstrom, das ganze Land der Hethiter, und bis an das große Meer im Westen soll euer Gebiet reichen. Niemand soll vor dir standhalten können dein ganzes Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch preisgeben. ˘ Jos 3,7 (Z): Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz

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Israel, damit sie erkennen, daß ich mit dir sein werde, wie ich mit Mose gewesen bin. ˘ Jos 6,18 (Z) Der Bann: Nur hütet euch vor dem Gebannten, dass euch nicht gelüste, etwas davon zu nehmen und so das Lager Israel durch euch dem Bann verfalle. ˘ Jos 8,29 (Z): Den König von Ai aber ließ er am Pfahle hängen bis zum Abend. Als aber die Sonne unterging, gebot Josua, dass man seinen Leichnahme vom Pfahle herabnehme. (Vgl. 10,26f; Dtn 21,22f und die Kreuzigung Jesu, Mk 15,42f; Joh 19,31; Gal 3,13). ˘ Jos 10,12-14 (Z) Tag Gibeons: Damals, an dem Tage, als der Herr die Amoriter vor den Israeliten preisgab, redete Josua mit dem Herrn und sprach in Gegenwart Israels: Sonne, stehe still zu Gibeon, und Mond im Tal Ajalon! Da stand die Sonne still und der Mond blieb stehen, bis das Volk Rache genommen an seinen Feinden. ... So stand die Sonne still mitten am Himmel und eilte nicht, unterzugehen, beinahe einen ganzen Tag. Und niemals, nicht vorher und nicht nachher, hat der Herr auf eines Mannes Stimme gehört wie an diesem Tage; denn der Herr stritt für Israel. ˘ Jos 10,25 (Z): Fürchtet euch nicht und seid unverzagt, seid fest und unentwegt; denn so wird der Herr allen euren Feinden tun, wider die ihr streitet. ˘ Jos 21,43-45 (Z): So gab der Herr den Israeliten das ganze Land, wie er es ihren Vätern zugeschworen hatte, und sie nahmen es ein und ließen sich darin nieder. Und der Herr verschaffte ihnen Ruhe ringsum, ganz wie er ihren Vätern geschworen hatte, und keiner hielt stand vor ihnen von all ihren Feinden; alle ihre Feinde gab der Herr in ihre Hand. Nichts fiel dahin von all dem Guten, das der Herr dem Hause Israel versprochen hatte; alles traf ein. ˘ Jos 24,16-18 (Z) Das Volk: Das sei uns ferne, dass wir den Herrn verlassen und andern Göttern dienen! Denn der Herr ist unser Gott; er ist es, der uns und unsere Väter aus dem Lande Ägypten, aus dem Sklavenhause, geführt und vor unseren Augen diese großen Zeichen getan und uns behütet hat auf dem ganzen Wege, den wir gegangen sind. Und der Herr hat alle Völker, auch die Amoriter, die im Lande wohnten, vor uns vertrieben. Auch wir wollen dem Herrn dienen, denn er ist unser Gott.

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3.3 | Richter 3.3.1 |

Einführung Das Buch der Richter hat seinen Namen von den tragenden Erzählfiguren, den Richtern. Die Richter werden vorgestellt als Führer Israels, die durch den Geist Gottes zu diesem Amt bestimmt sind. Sie setzen sich für die innere Ordnung in Israel ein und führen die Stämme in den Kriegen gegen die Philister, die von der Küste her zunehmend das palästinische Hinterland bedrängen. In diesen groben Rahmen werden nun Erzählungen eingefügt, die den Charakter von Heldensagen haben. Es werden die Taten herausragender Einzelpersönlichkeiten geschildert. Am bekanntesten ist der Sagenkranz um Simson (Ri 13-16). Im Gegensatz zum vorangehenden Buch Josua und auch zu den folgenden Samuelbüchern fehlt eine erkennbare Ordnung Israels (Ri 21,25). Der Zwölfstämmebund spielt kaum eine Rolle. Es handelt sich eher um Geschichten einzelner Stämme in Israel.

3.3.2 |

Gliederung 1,1-2,5 Landnahme: Abschluss und Ergebnis Geschichtstheologisches Programm 2,6-3,6 3,7-16,31 Erzählungen von den Richtern in Israel 17-18 Michas Heiligtum kommt nach Dan Die Greueltat der Benjaminiten 19-21

3.3.3 |

Inhalt 1,1-2,5 Landnahme: Kämpfe und Duldungsvereinbarungen mit kannaanitischen Stämmen schließen die Landnahme ab. Der Engel des Herrn (vgl. 6,11-22; Jos 5,1-5) kritisiert die Vereinbarungen. 2,6-3,6 Geschichtstheologisches Programm: Es wird eine feste Abfolge des Ergehens Israels zur Richterzeit vorgestellt, die sich zyklisch wiederholt: Abfall von Jahwe, Zorn Jahwes, Israel wird in die Hand der Feinde gegeben, Schreien zu Gott, Gott erweckt Richter als charismatische Heerführer, Rettung, Abfall von Jahwe, Zorn Jahwes usw. 3,7-16,31 Erzählungen von den Richtern in Israel: Die Israeliten dieser Zeit verfügten noch nicht über Metallwaffen und waren deswegen den Philistern militärisch unterlegen. Die wenigen Ausnahmen werden entsprechend gefeiert: 3,31 (Z): „Nach ihm trat Samgar auf, der Sohn Anaths;

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der schlug die Philister, sechshundert Mann, mit dem Ochsenstecken, und auch er errettete Israel.“ 15,15f (Z): „Und er (Simson) fand einen frischen Eselskinnbacken; da streckte er seine Hand aus, ergriff ihn und erschlug damit tausend Mann. Und Simson sprach: Mit dem Eselsbacken habe ich sie tüchtig geschunden, mit dem Eselsbacken schlug ich tausend Mann.“ Die Richtererzählungen im Überblick: 3,7-31 Othniel und Ehud („große Richter“ Nr. 1 und 2) 3,31 Samgar („kleiner Richter“ Nr. 1) Debora und Barak („großer Richter“ Nr. 3) 4 Deboralied 5 Gideon („großer Richter“ Nr. 4) 6-8 9 Abimelech. Die Jothamfabel (9,7-21) kritisiert den Wunsch nach einem König, vgl. 17,6; 18,1;19,1 und 21,25. Thola und Jair („kleine Richter“ Nr. 2 und 3) 10,1-5 10,6-12,7 Jephtha („großer Richter“ Nr. 5). Ibzan, Elon, Abdon („kleine Richter“ Nr. 4-6) 12,8-15 13-16 Simson („großer Richter“ Nr. 6) Richter Große

Kleine Richter

Othniel Ehud Barak Gideon Jephtha Simson

Samgar Thola Jair Ibzan Elon Abdon

Insgesamt werden sechs „große Richter“ als charismatische Heerführer oder Kriegshelden genannt. Daneben werden sechs „kleine Richter“ erwähnt. Die Alltagstätigkeit der Richter wird nicht näher erläutert. Ihre Befugnisse erstreckten sich vielleicht auch nur auf einzelne Stammesgebiete. 17-21 Nachträge: Zwei sehr altertümlich wirkende Erzählungen von einem Streit über ein Heiligtum im Stammesgebiet Dan (17-18) und von einer Greueltat der Benjaminiten (19-21) schließen das Richterbuch ab.

Lektüre Von den 21 Kapiteln des Richterbuches sollen fünf Kapitel gelesen werden: 2,6-23; 13-16.

| 3.3.4

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3.3.5 |

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Erzählungen Die Erzählungen im Richterbuch sind Heldensagen. Sie berichten von den großen Taten einzelner. Neben den großen Männern sind auch zahlreiche wichtige Frauengestalten genannt: Deborah (4f), Jael (4,17-22), die Frau, die Abimelech tötete (9,52f), Jephtahs Tochter (11,34-40), Delila, die Frau Simsons (16,4ff); die vergewaltigte Nebenfrau des Leviten (19), die Frauen Silos (21). Am wichtigsten sind die Erzählungen von Simson (1316). Diese sollte man nacherzählen können. Die Geburtsgeschichte Simsons diente wie die Geburts- und Kindheitsgeschichte Samuels (1. Sam 1-3) als Vorbild für die Geburtsgeschichten Jesu und des Täufers (Lk 1-2).

3.3.6 |

Wichtige Texte ˘ Ri 3,10 (L) Der Geist des Herrn: Und der Geist des Herrn kam auf ihn (Othniel). So auch 6,34 (Gideon); 11,29 (Jephtha); 13,25; 14,6.19; 15,14 (Simson). ˘ Ri 5 (L) Das Deboralied feiert u.a. die Tat der Jael, 5,24: Gepriesen sei unter den Frauen Jael. ˘ Ri 9,8-15 (L) Die Jothamfabel: Die Bäume gingen hin, um einen König über sich zu salben, und sprachen zum Ölbaum: Sei unser König! Aber der Ölbaum antwortete ihnen: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die Götter und Menschen an mir preisen, und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: Komm du und sei unser König! Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soll ich meine Süßigkeit und meine gute Frucht lassen und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Da sprachen die Bäume zum Weinstock: Komm du und sei unser König! Aber der Weinstock sprach zu ihnen: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du und sei unser König! Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Ist’s wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt, so kommt und bergt euch in meinem Schatten; wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern des Libanons. ˘ Ri 21,25 (L): Zu der Zeit war kein König in Israel; jeder tat, was ihn recht dünkte.

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Samuel (1. und 2. Samuel)

| 3.4

Einführung

| 3.4.1

Die beiden Bücher Samuel sind nach der prägenden Figur des ersten Samuelbuchs, dem Propheten Samuel, benannt. Seine Geburtsgeschichte steht am Anfang und er ist es, der als Prophet das Königtum in Israel einführt. Er leitet die Ernennung Sauls zum König (1. Sam 9-12), salbt David zum König (1. Sam 16), berät und kritisiert die Könige. Sein Tod wird in 1. Sam 25 berichtet. Mit der Salbung durch Samuel wird David zur tragenden Figur des Erzählzusammenhangs. Saul hingegen ist zunächst Samuel untergeordnet, dann wird er überwiegend in seiner spannungsvollen Beziehung zu David geschildert. Eigenständiges Gewicht erhält er nicht. Die Samuelbücher stellen überwiegend alte Erzähltraditionen über die Entstehung des Königtums in Israel und über die Spannungen am Königshof zusammen. Die ambivalente Gestalt Davids, der sich vom Führer einer Söldnertruppe zum König hocharbeitet, beherrscht den Inhalt. Nachdem David sein Königtum durch die Eroberung Jerusalems, die Überführung der Bundeslade und die Beibehaltung eines ständigen Heeres gefestigt hat, wird von den Konflikten seiner Söhne berichtet. Die so genannten Thronnachfolgegeschichten (2. Sam 9-20; 1. Kön 1f) thematisieren die Rivalitäten zwischen dem König, seinen ehrgeizigen Söhnen und den Einflussversuchen der verschiedenen Mütter der Königssöhne auf die Thronnachfolge.

Gliederung

| 3.4.2

1. Samuel Geburtsgeschichte Samuels, Ladeerzählungen 1-7 8-15 Samuel, der Priester, und Saul, der charismatische König Der Konflikt zwischen Saul und David 16-31 2. Samuel David wird König 1-8 9-20 Königtum Davids, Thronnachfolgegeschichten 21-24 Anhänge, Kauf des Tempelplatzes

Inhalt 1. Sam 1-7 Geburtsgeschichte Samuels, Ladeerzählungen: Die Eltern Samuels, Elkana und Hanna, bleiben lange kinderlos. Hanna gelobt, dass sie ihren

| 3.4.3

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Sohn dem Herrn weihen werde (1). Als Samuel geboren wird, dankt Hanna Gott mit einem Lobgesang (vgl. den Lobgesang der Maria in Lk 1,46-55) und gibt Samuel an den Priester von Silo (2). Samuel empfängt eine Offenbarung Gottes und wird von Israel als Prophet des Herrn anerkannt (3). Die Bundeslade geht im Krieg an die Philister verloren (4). Den Philistern bringt sie aber Unglück, so dass sie an Israel zurückgegeben wird (5-6). Unter Führung Samuels besiegen die Israeliten die Philister bei Mizpa (7). 1. Sam 8-15 Samuel, der Priester, und Saul, der charismatische König: Israel fordert von Samuel einen König, „wie es bei allen Völkern Brauch ist“. Der König soll Recht sprechen und die Führung im Krieg übernehmen (8). Samuel salbt den Benjaminiten Saul zum König. Die Israeliten bestimmen Saul durch Los zum König (9-10). Saul wird in Gilgal zum König gewählt (11). Saul und sein Sohn Jonathan sind als Kriegsführer erfolgreich (12-14). Saul führt den Bann nicht vollständig an der Kriegsbeute aus und verfehlt sich damit gegen Gott (15). 1. Sam 16-31 Der Konflikt zwischen Saul und David: David wird als jüngster der acht Söhne Isais von Samuel zum König gesalbt. Er kommt als Saitenspieler und Waffenträger zu Saul (16). David erschlägt den Goliath (17). David freundet sich mit Sauls Sohn Jonathan an (18). Saul möchte den erfolgreichen David töten, der aber durch Jonathan geschützt wird und rechtzeitig flieht (19-20). Daraus entwickelt sich eine kunstvoll verwobene Handlung, in der sich David nicht gegen Saul vergeht, obwohl dieser ihn töten möchte. David macht als Söldnerführer von sich reden (21-30). Im Kampf gegen die Philister werden die drei Söhne Sauls erschlagen. Saul stürzt sich in sein eigenes Schwert und stirbt (31). 2. Sam 1-8 David wird König: Als David vom Tod Sauls und Jonathans erfährt, trauert er um beide (1). In Hebron wird David zum König von Juda gesalbt (2). Nach Kämpfen mit dem Hause Sauls wird David König über ganz Israel. Er erobert Jerusalem, besiegt die Philister und lässt die Lade nach Jerusalem bringen (3-6). Der Prophet Nathan verkündet David: „Dein Thron soll in Ewigkeit stehen.“ (7). David siegt in vielen Kriegen. An seiner Seite stehen Zadok als Priester (davon das Priestergeschlecht der Zadokiden vgl. 1. Kön 1,8; 1. Chr 29,22; Ez 40,46; 44,15) und Joab als Heerführer (8). 2. Sam 9-20 Königtum Davids, Thronnachfolgegeschichten: Die so genannten Thronnachfolgegeschichten schildern Vorgänge am Königshof Davids. David hat Gegner und Unterstützer. Er gewinnt den gehbehinderten

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Sohn Sauls Mefiboschet und dessen Knecht Ziba für sich, weil er Mefiboschet „wie einen der Königssöhne“ behandelt (9). Joab besiegt die Ammoniter und Aramäer (10). David vergeht sich, indem er Bathseba, die Frau seines hethitischen Soldaten Uria, schwängert (11). Um die Tat zu vertuschen, gibt er Joab die Anweisung, Uria im Krieg umkommen zu lassen. Er holt dann Bathseba ganz zu sich. Der Prophet Nathan tritt David gegenüber und erzählt ihm das Gleichnis vom reichen und armen Mann (12). David ist empört und verurteilt sich selbst. Nach einer Totgeburt gebiert Bathseba den Salomo. Ammon, der Sohn Davids, vergewaltigt seine Halbschwester Tamar, verstößt sie dann aber (13). Absalom, der Bruder Tamars, lässt Ammon während einer Feier der Königssöhne erschlagen. Absalom flieht. Joab vermittelt seine Rückkehr (14). Absalom maßt sich die Königswürde an. David flieht aus Jerusalem (15). Auf der Flucht treten Unterstützer (Mefiboschet) und Gegner an David heran. Der Benjaminit Schimi verflucht David als „Bluthund“ (16). Absalom und David stehen sich gegenüber. Auf beiden Seiten gibt es Verrat und Intrigen (17). Die Männer Davids schlagen den durch Absalom aufgebotenen Heerbann Israels (18). Absalom bleibt mit seinen Haaren in einem Baum hängen. Joab lässt ihn niederstechen. Dennoch trauert David um Absalom (19). Als David nach Jerusalem zurückkehrt, treten wieder Gegner und Unterstützer (Schimi, Ziba, Mefiboschet, Barsillai) an ihn heran. Die Benjaminiten machen unter Scheba einen Aufstand (20). 20,1 (Z): „Wir haben keinen Teil an David, kein Erbe an dem Sohn Isais! Ein jeder zu seinen Zelten, Israel!“ Joab schlägt den Aufstand nieder. 2. Sam 21-24 Anhänge, Volkszählung: Das Königsgeschlecht des Saul wird endgültig ausgerottet und erhält eine Begräbnisstätte (21). Es folgen Davids Danklied und Nachträge zu den Helden um David (22-23). David lässt gegen den Willen Gottes eine Volkszählung durchführen (24). Zur Sühne kauft er auf Hinweis des Engels des Herrn die Tenne Araunas und richtet dort eine Opferstätte ein. Salomo wird dort den Tempel bauen.

Lektüre

| 3.4.4

Aus den 31 Kapiteln des 1. Sam sollen 12 (1-3; 8-12; 16-18; 31) und aus den 24 Kapiteln des 2. Sam 5 Kapitel (2,1-7; 5-7; 11) gelesen werden.

Erzählungen In den Samuelbüchern finden sich viele Einzelerzählungen (Samuels Geburt), Erzählkränze (z.B. Ladegeschichten), aber auch größere zusammenhängende Erzählungen (die Thronnachfolgegeschichten).

| 3.4.5

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13. Geburt und Kindheit Samuels (1. Sam 1-3) 14. Salbung Davids (1. Sam 16) 15. David und Goliath (1. Sam 17)

3.4.6 |

Wichtige Texte ˘ 1. Sam 8,7 (L) Königtum Gottes: Der Herr aber sprach zu Samuel: ... sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll. ˘ 1. Sam 8,20 (Z) Das Volk fordert einen König: Wir wollen es ebenso haben wie alle anderen Völker! Unser König soll uns Recht sprechen, soll vor uns herziehen und unsere Kriege führen! ˘ 1. Sam 10,22f (Z) Saul wird König: Ist der Mann (d.i. Saul) überhaupt hergekommen? Der Herr antwortete: Ja, er hält sich beim Gepäck versteckt. Da liefen sie hin und holten ihn von dort. Als er aber mitten unter das Volk trat, überragte er alle um Haupteslänge. ˘ 1. Sam 16,7 (L) David wird zum König gesalbt: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an. ˘ 2. Sam 7,12f (L) Ewiger Bestand für das Königtum Davids: Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen ... und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich.

3.5 | Könige (1. und 2. Könige) 3.5.1 |

Einführung Die beiden Königsbücher berichten von der Geschichte Israels, vom Tod Davids bis zum babylonischen Exil. Die Texte sind aus der Perspektive des Exilsschicksals Israels zusammengestellt. Ältere Quellen, die im Stil der Ereignischronologie von den Geschehnissen berichten, werden durch ältere Erzählzusammenhänge (z.B. Prophetenerzählungen) ergänzt und durch redaktionelle Einfügungen in einen Gesamtzusammenhang gebracht. Die leitende Frage lautet, warum das von Gott erwählte Volk Israel ins Exil gelangt ist. Die theologische Antwort der Redaktion steht dem Inhalt des Deuteronomiums nahe: Israel hat andere Götter verehrt, hat trotz der Warnungen der Propheten die kultischen und gesetzlichen Bestimmungen nicht eingehalten und wurde deswegen von Gott ins Exil verbannt.

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| Abb. 5 Wegführung der Bewohner einer besiegten Stadt.

Diese geschichtstheologische Deutung ist das Kennzeichen einer theologischen Gruppe, die man im Anschluss an das Deuteronomium „deuteronomistische Schule“ nennt. Sie möchte deutlich machen, dass nicht die Assyrer, die Babylonier und ihre Götter Israel bezwungen haben. Sie behauptet vielmehr, dass der Gott Israels selbst durch diese Völker an Israel gehandelt hat. Dieser Gedanke ist die Voraussetzung für die Hoffnung darauf, dass der Gott Israels sein Volk gegen den Willen dieser Völker und ihrer Götter auch wieder herausführen kann.

Gliederung

| 3.5.2

1. Könige 1-11 Davids Tod und Salomos Königtum 1. Könige 12– 2. Könige 17 Die Geschichte der beiden Reiche (Südreich Juda, Nordreich Israel) Geschichte Judas bis zur Eroberung 2. Könige 17-25 Jerusalems 587 v.Chr.

Inhalt 1. Kön 1-11 Davids Tod und Salomos Königtum: Im Streit um die Thronfolge stehen sich zwei Parteien gegenüber: auf der einen Seite Salomo, seine Mutter Bathseba, der Priester Zadok und der Prophet Nathan, auf der anderen Seite der ältere Königssohn Adonia, der Priester Abjathar und der Feldhauptmann Joab. Salomo wird durch David zum Nachfolger bestimmt und von Zadok zum König gesalbt (1). Nach dem Tod Davids lässt Salomo den Adonia und den Joab töten, Abjathar wird verstoßen (2). Salomos Weisheit und sein salomonisches Urteil gefallen Gott (3). Salomos großartige Herrschaft erstreckt sich von Ägypten bis zum Euphrat (4-5). Salomo macht einen Vertrag mit Hiram von Tyrus über Bauarbeiten. Tempel und Palast werden gebaut und von Salomo eingeweiht (6-8). Die großartige Herrschaft Salomos wird durch seine ausländischen Frauen und durch Götzendienst beeinträchtig (9-10). Salomo hat Geg-

| 3.5.3

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ner. Der wichtigste ist Jerobeam, der durch den Propheten Ahia von Silo mit einer Zeichenhandlung zum Abfall von Salomo aufgefordert wird. Ahia reißt seinen Mantel in zwölf Stücke und fordert Jerobeam auf, sich zehn Stücke (= Stämme Israels) zu nehmen (11). 1. Kön 12 - 2. Kön 17 Die Geschichte der beiden Reiche: Jerobeam erreicht, dass zehn Stämme dem Nachfolger Salomos, Rehabeam, die Gefolgschaft verweigern (12). Sie machen Jerobeam zum König. Dieser gründet die heiligen Stätten Dan und Bethel, wo „goldene Kälber“ aufgestellt werden („Sünde Jerobeams“, vgl. 1. Kön 15,29f; 2. Kön 10,29). Nun gibt es das Südreich Juda und das Nordreich Israel. In Bethel tritt ein „Gottesmann“ auf (13). Er kündigt an, dass dereinst König Josia das Heiligtum Bethel vernichten werde (vgl. 2. Kön 23,15-20). Der Prophet Ahia prophezeit die Vernichtung des Nordreichs. Jerobeam stirbt. Der Pharao Sisak plündert den Jerusalemer Tempel. Rehabam stirbt (14). Bascha rottet das Haus Jerobeams wegen der „Sünde Jerobeams“ aus (15). Der Prophet Jehu kündigt auch die Vernichtung des Hauses Baschas an, was dann auch durch Simri geschieht (16). Dieser wird durch Omri gestürzt. Die Dynastie der Omriden (Omri, Ahab, Ahasja, Joram) kommt an die Macht. Ihre Gegenspieler sind die Propheten Elia und Elisa (1. Kön 17- 2. Kön 9.13). Die Wunder Elias (17), sein Kampf gegen die Baalspriester (18), die Gottesbegegnung am Horeb (19), der Streit um Naboths Weinberg (21), die Entrückung Elias (2. Kön 2) und die Wunder Elisas (4-5) ragen unter den Prophetenerzählungen heraus. Jehu stürzt die Dynastie der Omriden („Haus Ahabs“), hält aber an der „Sünde Jerobeams“ fest (10). Die Königsmutter Athalja von Juda rottet nach dem Tod ihres eigenen Sohnes Ahasja das ganze königliche Geschlecht aus, nur Joas kann vor ihr im Tempel versteckt werden (11). Nach sechs Jahren wird Athalja ermordet, und der siebenjährige Joas wird König (12). Die wechselhafte Geschichte der beiden Reiche wird geschildert (13-16). Das Nordreich wird 722 von den Assyrern erobert und vernichtet (17). Der Untergang des Nordreichs wird ausführlich in einem geschichtstheologischen Rückblick begründet, u.a. mit der „Sünde Jerobeams“. 2. Kön 18-25 Geschichte Judas bis zur Eroberung Jerusalems 587 v. Chr.: König Hiskia von Juda und der Prophet Jesaja erleben im Jahr 701 die erfolglose Belagerung Jerusalems durch die Assyrer (18-20). Manasse, der Sohn Hiskias, treibt Götzendienst (Baal, Aschera, Heer des Himmels u.a.) und vergießt „unschuldiges Blut“ (21). Zur Zeit des Königs Josia findet man im Tempel ein Gesetzbuch (22). Josia verpflichtet das Volk auf diese „Worte des Bundes“, lässt die fremden Götter aus dem Tempel schaffen und zerstört das Heiligtum von Bethel (23). Trotz dieser gottgefälligen

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Taten wird Josia vom Pharao Necho recht sang- und klanglos in einer Schlacht geschlagen und getötet. Der babylonische König Nebukadnezar erobert ca. 597 v. Chr. Jerusalem, raubt den Tempelschatz und führt einen Teil der Oberschicht ins Exil (24). Elf Jahre später wird der König Zedekia den Babyloniern untreu. Infolge einer Strafexpedition wird Jerusalem erobert, der Tempel zerstört, ein weiterer Teil der Oberschicht wird nach Babylon weggeführt (25). Am Ende der Königsbücher steht die Erzählung von der Teil-Begnadigung Jojachins von Juda. Er wird an die Tafel des Königs von Babel gerufen (25,27-30). Mit dieser verhalten hoffnungsvollen Notiz schließt auch das deuteronomistische Geschichtswerk.

| 3.5.4

Lektüre Von den 22 Kapiteln des 1. Kön sollen 10 (1,1-2,12; 3,16-28; 8; 12-13; 17-19; 21) und von den 25 Kapiteln des 2. Kön ebenfalls 10 (1-2; 4-6; 17; 22-25) gelesen werden.

| 3.5.5

Erzählungen Neben den eher historisch-politischen Texten in den Königsbüchern sind einige Erzählungen von bleibender Bedeutung. Das salomonische Urteil, die Eliageschichten in 1. Kön 17-19 und die Wunder Elisas in 2. Kön 4 sollten nacherzählt werden können. Erzähltexte 16. Salomos Urteil (1. Kön 3,16-28) 17. Elia am Karmel und Horeb (1. Kön 18,16-19,13) 18. Wunder Elisas: Ölmehrung, Totenerweckung, wunderbare Speisung (2. Kön 4) Die wichtigsten Könige und Propheten sollten eingeordnet und kurz charakterisiert werden können: Könige

Propheten

Salomo (1. Kön 1-11) Rehabeam (1. Kön 12.14) Jerobeam (1. Kön 11-14) Ahab (1. Kön 17-22) Hiskia (2. Kön 18-20) Josia (2. Kön 22f)

Nathan (1. Kön 1) Ahia von Silo (1. Kön 11) »Gottesmann« (1. Kön 13; 2. Kön 23,16f) Elia (1. Kön 17-19; 21; 2. Kön 1-2) Elisa (1. Kön 19; 2. Kön 2-9; 13) Micha (1. Kön 22) Jesaja (2. Kön 19f; Jes 37-39).

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3.5.6 |

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Wichtige Texte ˘ 1. Kön 18,17f (Z) König und Prophet: Sobald nun Ahab den Elia erblickte, rief er ihm zu: Bist du es wirklich, du Verderber Israels? Er aber sprach: Nicht ich habe Israel ins Verderben gestürzt, sondern du und dein Geschlecht, weil ihr den Herrn verlassen habt und den Baalen nachgelaufen seid. ˘ 2. Kön 17,7 (L) Ende des Nordreichs: Denn die Israeliten hatten gegen den Herrn, ihren Gott, gesündigt, der sie aus Ägyptenland geführt hatte.

3.6 | Leitfaden 3 Ziel dieser 3. Lerneinheit ist es, Sie dabei zu unterstützen, Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte des deuteronomistischen Geschichtswerks (DtrG) wahrzunehmen. In dieser Lerneinheit werden Sie mit einem neuen Schwerpunkt des Alten Testaments konfrontiert: den Geschichtsbüchern. Diese teilen sich auf in das deuteronomistische und das chronistische Geschichtswerk. Das deuteronomistische Geschichtswerk umfasst neben dem Dtn die Bücher Josua, Richter, 1 und 2. Samuel sowie 1 und 2. Könige. Diese Bücher werden im rabbinischen Kanon auch als „die vorderen / früheren Propheten“ bezeichnet. Zur Sprachregelung: Das Wort „deuteronomistisch“ ist zu unterscheiden von „deuteronomisch“. Letzteres ist das Adjektiv, das von der Bezeichnung „Deuteronomium“ abgeleitet wurde. Die Bezeichnung „deuteronomistisch“ ergibt sich aus einem anderen Zusammenhang, den Sie im 1. Lernschritt unter „Einführung“ zum deuteronomistischen Geschichtswerk kennen lernen werden. In 5 Lernschritten werden Ihnen im Folgenden der Erzählzusammenhang und der Inhalt des DtrG nahe gebracht. Schritt 1: Einführung in das deuteronomistische Geschichtswerk Lesen Sie zunächst den Text unter 3.1 „Einführung in das deuteronomistische Geschichtswerk“ mit der Übersicht zu Aufbau und Inhalt der einzelnen Geschichtsbücher. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Die Bücher Josua bis 2. Könige sind durch den Wechsel von Erzähltexten und Kommentierungen (Deutetexte) charakterisiert. Prägen Sie sich die drei Kriterien ein, die in den Kommentierungen leitend sind.

Lei t fa de n 3

Schritt 2: Das Buch Josua Lesen Sie zunächst zur Einführung Kapitel 3.2 „Das Buch Josua“. Lesen Sie nun: [10] Jos (24) 2; 6-11; 24. Markieren Sie sich den Erzähltext 12. Eroberung Jerichos (Jos 2 und 6) Arbeitshinweis nach der Lektüre Nehmen Sie eine Karte (am besten „Palästina zur Zeit des Alten Testaments“ im vorderen Einbanddeckel Ihrer Bibel) zur Hand und verifizieren Sie dort die in Jos 1,2-5 genannten Stammesgebiete. Schritt 3: Das Buch der Richter Lesen Sie zunächst Kapitel 3.3 „Das Buch der Richter“. Lesen Sie nun: [5] Ri (21) 2,6-23; 13-16 Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich Gliederung und Inhalt des Richterbuches ein. ˘ Vergegenwärtigen Sie sich die Simson-Erzählungen (Ri 13-16). Schritt 4: Die beiden Samuelbücher Lesen Sie zur Einführung Kapitel 3.4 „Die beiden Bücher Samuel“. Lesen Sie nun: [12] 1. Sam (31) 1-3; 8-12; 16-18; 31 [5] 2. Sam (24) 2,17; 5-7; 11. Markieren Sie die Erzähltexte 13. Geburt und Kindheit Samuels (1. Sam 1-3) 14. Salbung Davids (1. Sam 16) 15. David und Goliath (1. Sam 17) Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die Gliederung und den Inhalt der beiden Samuelbücher ein. ˘ Gehen Sie noch einmal die genannten Erzähltexte 13-15 durch. Schritt 5: Die beiden Bücher der Könige Lesen Sie Kapitel 3.5 „Die beiden Bücher der Könige“. Lesen Sie: [10] 1. Kön (22) 1,1-2,12; 3,16-28; 8; 12-13; 17-19; 21 [10] 2. Kön (25) 1-2; 4-6; 17; 22-25. Markieren Sie die Erzähltexte 16. Salomos Urteil (1. Kön 3,16-28)

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de ut e r on om i st i s ch e

G e s ch i ch t s w e r k

17. Elia am Karmel und Horeb (1. Kön 18,16-19,13) 18. Wunder Elisas: Ölmehrung, Totenerweckung, wunderbare Speisung (2. Kön 4) Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich zunächst Gliederung und Inhalt der beiden Königsbücher ein. ˘ Prägen Sie sich Merkmale der wichtigsten Könige ein (Saul, David, Salomo, Rehabeam, Jerobeam, Ahab, Hiskia, Josia). Die folgenden Überblicksfragen sollten Sie nach der Bearbeitung der 5 Lernschritte sicher beantworten können: ˘ Klären Sie für sich die Bedeutung der Begriffe „Deuteronomium“, „deuteronomisch“ und demgegenüber „deuteronomistisch“. ˘ Was ist die „deuteronomistische Schule“? ˘ Erklären Sie die Begriffe „Juda“, „Israel“, „Nordreich“, „Südreich“, „davidische Dynastie“.

Wichtige Begriffe deuteronomisch, deuteronomistisch, deuteronomistische Schule, Juda, Israel, Nordreich, Südreich, davidische Dynastie, Geschichtstheologie.

3.7 | Literatur Adam, Klaus-Peter: Saul und David in der judäischen Geschichtsschreibung. Studien zu 1 Samuel 16 - 2 Samuel 5, Tübingen 2007 (FAT 51). Ahuis, Ferdinand: Das „Großreich“ Davids und die Rolle der Frauen. Eine Untersuchung zur Erzählung von der Nachfolge auf dem Thron Davids (2. Sam *10-20; 1. Kön *1-2) und ihrer Trägerinnengruppe, Neukirchen-Vluyn 2007 (BThSt 83). Braulik, Georg: Studien zum Deuteronomium und seiner Nachgeschichte, Stuttgart 2001 (SBAB 33). Dietrich, Walter: Von David zu den Deuteronomisten. Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments, Stuttgart 2002 (BWANT 156). Nentel, Jochen: Trägerschaft und Intentionen des deuteronomistischen Geschichtswerks. Untersuchungen zu den Reflexionsreden Jos 1;23;24; 1 Sam 12 und 1 Kön 8, Berlin/New York 2000 (BZNW 297).

Rudnig, Thilo Alexander: Davids Thron. Redaktionskritische Studien zur Geschichte von der Thronnachfolge Davids, Berlin / New York 2006 (BZAW 358). Schmitz, Barbara: Prophetie und Königtum. Eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern, Tübingen 2008 (FAT 60). Veijola, Timo: Moses Erben. Studien zum Dekalog, zum Deuteronomismus und zum Schriftgelehrtentum, Stuttgart u.a. 2000 (BWANT 149). Witte, Markus (Hg.): Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“-Diskussion in Tora und vorderen Propheten, Berlin/New York 2006 (BZAW 365).

91

Das chronistische Geschichtswerk und | 4 andere nachexilische Literatur |

Inhalt 4.1 Einführung

91

4.2 Chronik (1. und 2. Chronik)

93

4.3 Esra

97

4.4 Nehemia

101

4.5 Haggai

104

4.6 Sacharja I (Protosacharja: Sacharja 1-8)

105

4.7 Rut

107

4.8 Ester

109

4.9 Jona

110

4.10 Leitfaden 4

111

4.11 Literatur

114

Einführung Die in diesem Kapitel zusammengestellten biblischen Bücher verbindet ihre Entstehungszeit nach dem babylonischen Exil (587/6-539 v. Chr.). In ihnen spiegelt sich eine Sichtweise Israels wider, die davon geprägt ist, dass Israel nun nicht mehr politisch unabhängig ist und in zunehmend engerer Berührung mit nichtjüdischen Völkern lebt. Die Chronikbücher, das Buch Esra und Nehemia lassen sich als fortlaufende Erzählung der Geschichte Israels von Saul bis zur Wiedererrichtung des zerstörten Tempels und der Mauer von Jerusalem, letztlich bis zur Wiederherstellung Israels als nachexilische Tempelgemeinschaft, lesen. Martin Noth (1902-68) sah hier so viele Gemeinsamkeiten, dass er der Ansicht war, es handele sich um ein zusammenhängendes Werk, das er chronistisches Geschichtswerk nannte. Die neuere Forschung zeigt

| 4.1

92

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

hingegen, dass die Chronikbücher auf der einen Seite und die Bücher Esra und Nehemia auf der anderen Seite nicht von einem Verfasser stammen. Dennoch kann die Bezeichnung chronistisches Geschichtswerk sinnvoll verwendet werden, um die Gemeinsamkeit der Bücher 1. und 2. Chronik, Esra und Nehemia vorläufig zum Ausdruck zu bringen. Die prophetischen Bücher Haggai und Sacharja (1-8) beziehen ihre prophetische Botschaft auf den Wiederaufbau des Tempels. Die Bücher Rut, Ester und Jona bieten kleinere Erzählungen, die den Charakter von Novellen haben, d.h. von Erzählungen, die auf einen bestimmten Konflikt hin ausgerichtet sind. Die Chronikbücher erzählen im Rückblick die Geschichte Israels, indem sie sich fast ausschließlich mit dem Südreich um Jerusalem beschäftigen. Sie zeichnen diese Geschichte nach den Kriterien, die für die nachexilische Tempelgemeinde in Juda zählen: Das Volk bewahrt seine Einheit, indem es sich mit den Priestern und Leviten an den Festen im Tempel von Jerusalem versammelt. Dieser Gedanke von der Einheit Israels als Tempelgemeinde wird in den Büchern Esra und Nehemia auch in den Mittelpunkt gestellt, allerdings an anderen Sachverhalten thematisiert. Neben sozialen Reformen und wichtigen Baumaßnahmen ist es die Tora, ihre Verlesung und ihre Einhaltung, die dem jüdischen Volk einen Neuanfang nach dem Exil ermöglicht. Die Bücher Haggai und Sacharja gehen auf Traditionen zurück, die aus der Zeit des Neuanfangs stammen (um 520 v. Chr.). Sie geben einen Eindruck von den Spannungen, die mit dem Wiederaufbau des Tempels verbunden waren. Angesichts der persischen Fremdherrschaft über Juda (pers. Jehud) musste die Jerusalemer Judenschaft ein angemessenes Verhältnis zwischen wachsendem Selbstbewusstsein und der Loyalität gegenüber dem persischen Reich und seinen Statthaltern bewahren. Die Begegnung mit nicht-jüdischen Völkern wird in erzählender Form in Rut, Ester und Jona durchdacht. Die Erzählungen dieser Bücher sind keine Schilderungen von Ereignissen durch Augenzeugen, sondern in ihnen sollen vielmehr die spannungsvollen Möglichkeiten des Miteinanders von Juden und Nicht-Juden aufeinander bezogen werden. Jona erlebt auf seiner Seefahrt, wie sich die heidnischen Seeleute an den Gott Israels wenden, und bei seiner Ankunft in Ninive sieht er, wie sich die Heiden in Ninive durch seine prophetische Botschaft bekehren lassen. Im Buch Ruth steht die Moabiterin Ruth im Mittelpunkt, die als Nicht-Israelitin ihrer israelitischen Schwiegermutter Naomi treu bleibt. Im Buch Ester schließlich wird das Leben der Juden unter persischer Herrschaft in Legenden reflektiert. Die biblischen Bücher, die hier zusammengestellt sind, ringen um die Identität des jüdischen Volkes in einer Situation, in der die politische Unabhängigkeit Israels nicht verwirklicht werden kann.

Ch r on i k

93

Chronik (1. und 2. Chronik)

| 4.2

Einführung

| 4.2.1

Die Chronikbücher erzählen die Vorgeschichte und die Geschichte Israels von Adam bis zum Kyrosedikt. Sie greifen dabei auf die Samuel- und Königsbücher zurück, stellen ihnen Abstammungslisten (Genealogien) voran und überarbeiten diese Quellen nach folgenden Gesichtspunkten: ˘ Die Geschichtsdarstellung wird auf das Südreich Juda beschränkt. ˘ Es besteht besonderes Interesse an Fragen, die den Tempel und den Kult betreffen, z.B. Priesterschaft, Leviten, Feste u.ä. ˘ Die Einheit des um Tempel und Priesterschaft versammelten Volkes wird betont. ˘ Der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen (Tat und Tatfolge) wird sehr unmittelbar verstanden, d.h. auf die böse Tat folgt umgehend die Strafe und auf die gute Tat sofort die Belohnung. Diese Gesichtspunkte werden in den Büchern Esra und Nehemia weitgehend geteilt. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten spricht man in der alttestamentlichen Wissenschaft vom „chronistischen Geschichtswerk“, wenn man die Bücher 1. und 2. Chronik, Esra und Nehemia insgesamt bezeichnen will.

Gliederung

| 4.2.2

1. Chronik 1-9 Aufzählung der Geschlechter von Adam, Abraham und den zwölf Söhnen Jakobs bis hin zur Sippe Sauls (genealogische Vorhalle) 10 Königtum Sauls 11-29 Königtum Davids 2. Chronik 1-9 Königtum Salomos 10-36 Geschichte Judas bis zum Kyrosedikt

Inhalt 1. Chr 1-9 Die Geschlechter und Sippen Israels werden nach Stämmen geordnet aufgezählt: 1. Chr 1 beginnt mit Adam und schließt mit den Söhnen Jakobs (bis 2,2). Von 2,3-9,1 werden die Geschlechter der zwölf Stämme

| 4.2.3

94

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

Israels detailliert aufgeführt. 9,2-44 wendet sich den Bewohnern Jerusalems, den Leviten und schließlich – als Übergang in den Erzählteil – der Sippe Sauls zu. 1. Chr 10-14 Das Versagen Sauls und die ersten großen Taten Davids: Mit 1. Chr 10,1 beginnt die Nacherzählung der in 1. Sam 31 – 2. Kön 25 (dtrG) berichteten Ereignisse. 1. Chr 15-16 Feierliche Überführung der Lade in das Zeltheiligtum: An der Lade tun Leviten Dienst. Die verschiedenen Ämter werden ausführlich erklärt. Das Fest der Ladeüberführung wird detailliert geschildert. Ganz Israel feiert diese Überführung und in ihrer Mitte stehen die Leviten, Sänger, Posaunisten und die anderen Amtsträger am Heiligtum. Es wird von einem festlichen Miteinander von Volk, Leviten und König berichtet. Es entsteht eine ideale Szene, die das Hauptinteresse der Chronikbücher verdeutlicht: Die Einheit des Gottesvolkes hat seine Mitte im Tempel, an dem die Priester und Leviten ihren Dienst tun. 1. Chr 17-20 Schilderung der Herrschaft Davids: Die Konflikte um die Thronnachfolge Davids (vgl. 2. Sam 13 – 1. Kön 2) werden ausgelassen. Der Chronist berichtet von den großen Taten Davids und seiner Untergebenen. 1. Chr 21-22 Vorgeschichte des Tempelbaus: Es beginnt eine ausführliche Erzählung von den Gegebenheiten rund um den Bau des Tempels. Der Satan verführt David dazu, das Volk zu zählen. Damit verstößt David gegen den Befehl Gottes, der eine solche Zählung ablehnt. Die Folge ist, dass David den Tempel nicht bauen darf. 1. Chr 23-29 Planung des Tempelbaus: David leitet die Planungen für den Tempelbau. Der Schwerpunkt der Vorbereitungen liegt auf der Regelung des Tempeldienstes. Priestergruppen werden bestimmt und Amtsleute werden eingesetzt. David legt die Maße und die Ausführungen detailliert fest. Er übergibt seinem Sohn Salomo schließlich ein Modell des Tempelgebäudes. Die Ausführung des Baus bleibt Salomo vorbehalten. Der Tempel ist aber nicht nur das Werk der beiden Könige, sondern auch eine Angelegenheit, die das ganze Volk betrifft. David erklärt der Versammlung des Volkes, warum er den Tempel nicht bauen wird, er sei ein Mann der Kriege und habe Blut fließen lassen (28,3). Die Versammlung feiert schließlich den Abschluss der Planungen des Tempelbaus mit einem großen Fest und zahlreichen Opfern. Salomo wird inmitten der Versammlung zum König gesalbt und Zadok als Hohepriester einge-

Ch r on i k

95

setzt (29,22; vgl. 2. Sam 8,17; 1. Kön 1,8; Ez 40,46; 44,15). Damit ist die Priesterdynastie der Zadokiden begründet. 2. Chr 1-9 Das Königtum Salomos: In großartigen Übertreibungen wird vom Königtum Salomos berichtet. Seine Weisheit, sein Reichtum, seine militärische Macht und sein Ansehen werden hoch gelobt. 9,22: „So wurde der König Salomo größer an Weisheit und Reichtum als alle Könige auf der Erde.“ 2. Chr 10-36 Die Geschichte der Könige Judas: Die Geschichtserzählung konzentriert sich auf das Südreich Juda. Der Untergang des Nordreiches (2. Kön 17) wird nicht einmal erwähnt. Die Erzählweise lässt einen Schematismus erkennen, unter dem die Lebendigkeit der Darstellung leidet. Der Tempel und die mit ihm verbundenen Priester sind die wichtigsten Stützen des Volkes. Die Könige werden an den Vorbildern David (positiv) und Saul (negativ) gemessen. Das Gottesverständnis in Chronik ist recht oberflächlich. Gott straft Vergehen gegen seine Gesetze sofort, er belohnt aber auch unmittelbar die Umkehr zu ihm. Dieser enge Zusammenhang von menschlicher Tat und göttlichem Handeln wirkt häufig etwas banal, z.B. 26,5: „und solange er (Usia) den Herrn suchte, gab Gott ihm Glück.“ Der enge Zusammenhang von Tat und Tatfolge beschränkt sich zudem auf die kultischen Gesetze. Fragen sozialer und politischer Gerechtigkeit werden nicht verhandelt. In 2. Chr 36 werden das babylonische Exil und seine Dauer von siebzig Jahren kultisch erklärt. Juda wurde nach Baby-

| Abb. 6 Israel als persische Provinz Yehud (ca. 539-333 v. Chr.).

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

96

lonien geführt, (36,21) „damit erfüllt würde das Wort des Herrn durch den Mund Jeremias, bis das Land seine Sabbate ersetzt bekam. All die Tage seiner Verwüstung hatte es Ruhe, bis siebzig Jahre voll waren.“ Das Exil ist demnach die Folge der Nichtbeachtung des Gesetzes über die Erlassjahre (Sabbatjahre). Das Buch endet mit dem so genannten Kyrosedikt, dem Befehl an die von den Babyloniern weggeführten Israeliten, wieder in ihre Heimat zurückzukehren und ihrem Gott ein Haus zu bauen (2. Chr 36,22f).

4.2.4 |

Lektüre Aus den 29 Kapiteln des 1. Chronikbuches sollen insgesamt sieben gelesen werden: 1; 10-11; 15-16; 22; 28. Aus den 36 Kapiteln des 2. Chronikbuches sollen insgesamt sieben gelesen werden: 1; 3-7; 36

4.2.5 |

Erzählungen In 1. Chr 1-9 werden die genealogischen Ausführungen hier und da durch eingefügte Erzählnotizen ergänzt. Diese befassen sich meist mit Besonderheiten der jeweiligen Sippen (z.B. 4,8a-10), mit geographischen Details, militärischen Ereignissen (4,38-43) oder mit Einzelheiten der Priester- und Beamtenschaft (z.B. 6,16-34; 9,17-34). 1. Chr 10 – 2. Chr 36 bieten eine aktualisierende Nacherzählung der in den Samuel- und Königsbüchern berichteten Ereignisse. Die Darstellung beschränkt sich auf das Südreich Juda. Der Geschichtsbericht wird ergänzt mit Informationen über den Tempel, die Leviten, die Priester und die Beamtenschaft. Die Erzählungen der Chronikbücher sind durch eine schematische Handlungsfolge bestimmt. Auf das Tun des Willens Gottes folgen Glück, Wohlergehen und Belohnung, wer hingegen die Gebote Gottes übertritt oder missachtet, wird umgehend bestraft. Dadurch wirken die Erzählungen unrealistisch und konstruiert. Der Wille Gottes bzw. die Gebote Gottes werden fast ausschließlich auf kultische Regelungen bezogen. Es geht den Chronikbüchern weniger um Gerechtigkeit in Israel als vielmehr um die Achtung der Heiligkeit Gottes, die in kultischen Regelungen ihren Ausdruck findet.

4.2.6 |

Wichtige Texte ˘ 1. Chr 21,14-16.26f (E): Da gab der Herr die Pest in Israel; und es fielen von Israel 70.000 Mann. Und Gott sandte den Engel nach Jerusalem, um es zu vernichten. Und als er zu vernichten begann, sah es

Es r a

97

der Herr, und er hatte Mitleid wegen des Unheils. Und er sprach zu dem Engel, der vernichtete: Genug! Lass deine Hand jetzt sinken! Der Engel des Herrn stand aber gerade bei der Tenne Ornans, des Jebusiters. Und als David seine Augen erhob, sah er den Engel des Herrn zwischen der Erde und dem Himmel stehen, sein Schwert gezückt in seiner Hand, ausgestreckt über Jerusalem. Da fielen David und die Ältesten, in Sacktuch gehüllt, auf ihr Angesicht. ... Und David baute dort dem Herrn einen Altar und opferte Brandopfer und Heilsopfer. Und er rief zu dem Herrn, und der antwortete ihm mit Feuer, das vom Himmel auf den Altar des Brandopfers fiel. Und der Herr sprach zu dem Engel, und der steckte sein Schwert wieder in seine Scheide. ˘ 1. Chr 28,2f (E): Und der König David erhob sich, stellte sich auf seine Füße und sagte: Hört mich, meine Brüder und mein Volk! Ich hatte mir in meinem Herzen vorgenommen, ein Haus der Ruhe zu bauen für die Lade des Bundes des Herrn und für den Schemel der Füße unseres Gottes; und ich stellte Material bereit, es zu bauen. Aber Gott sprach zu mir: Du sollst meinem Namen kein Haus bauen! Denn du bist ein Mann der Kriege und hast Blut fließen lassen. ˘ 2. Chr 9,22-24 (E): So war der König Salomo größer als alle Könige der Erde an Reichtum und Weisheit. Und alle Könige der Erde suchten das Angesicht Salomos, um seine Weisheit zu hören, die Gott in sein Herz gegeben hatte. Und sie brachten ihm ein jeder sein Geschenk. ˘ 2. Chr 36,21 (E): ... damit erfüllt würde das Wort des Herrn durch den Mund Jeremias, bis das Land seine Sabbate ersetzt bekam. All die Tage seiner Verwüstung hatte es Ruhe, bis siebzig Jahre voll waren. ˘ 2. Chr 36,22-23 (L): Aber im ersten Jahr des Kyros, des Königs von Persien, erweckte der Herr – damit erfüllt würde das Wort des Herrn durch den Mund Jeremias – den Geist des Kyros, des Königs von Persien, dass er in seinem ganzen Königreich mündlich und auch schriftlich verkünden ließ: So spricht Kyros, der König von Persien: Der Herr, der Gott des Himmels, hat mir alle Königreiche der Erde gegeben und hat mir befohlen, ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem in Juda. Wer nun unter euch von seinem Volk ist, mit dem sei der Herr, sein Gott, und er ziehe hinauf.

Esra

| 4.3

Einführung

| 4.3.1

Das Buch Esra bildet mit dem Buch Nehemia einen Zusammenhang. Beide Bücher befassen sich mit der Wiederherstellung und der Neuord-

Neuordnung Israels nach dem Exil

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

98

nung Israels nach dem Exil. Esra berichtet vom Tempelbau, Nehemia vom Mauerbau in Jerusalem. Die äußere Wiederherstellung Jerusalems wird begleitet von einer inneren Neuordnung des nachexilischen Israels. Die wichtigste Tat Esras ist die Verlesung des Gesetzes vor dem vollständig versammelten Volk. Dies wird aber erst in Nehemia 8 berichtet. Esra ist der erste Schriftgelehrte. Mit ihm beginnt die Geschichte dieser Rechtsgelehrten des Judentums, die neben Priestern und Ältesten eine weitere für das Judentum wichtige Gruppe bilden. Die Erklärung, Anwendung und Durchsetzung des jüdischen Gesetzes sind nun Aufgaben der Schriftgelehrten.

4.3.2 |

Gliederung 1-6 7-10

4.3.3 |

Heimkehr und Tempelbau Esra in Jerusalem

Inhalt Das Esrabuch berichtet von der Heimkehr der Israeliten aus dem Exil. Nach der Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros werden die in das Zweistromland deportierten Judäer in ihre Heimat entlassen.

Tempelbau

Esra 1-6 Heimkehr und Tempelbau: Kyros erlaubt die Heimkehr der Judäer (1). Sie bekommen zudem den Auftrag, einen Tempel für ihren Gott zu erbauen (1,2-4; 6,3-5). Der persische Statthalter für Juda, Scheschbazar, erhält die Tempelgeräte. Der Tempelbau wird von Serubbabel und Josua, dem Hohepriester, geleitet. Die Liste der Rückkehrer endet mit der Notiz, die Priester und Leviten hätten sich in Jerusalem niedergelassen (2). Der Brandopferaltar wird wieder aufgerichtet (3). Der Opferdienst wird wieder aufgenommen. Man beginnt unter Weinen, Jauchzen und Freudengeschrei mit dem Tempelbau. Allerdings wird der Tempelbau behindert (4). Er wird sogar aufgrund des Protestes der umliegenden in Palästina lebenden Völkerschaften abgebrochen. Erst das Auftreten der Propheten Haggai und Sacharja ermutigt die Judäer dazu, den Tempelbau erneut anzugehen (5). Im persischen Archiv werden die Anweisungen des Kyrus zum Tempelbau gefunden (6,3-5). Der Tempelbau wird wieder aufgenommen und erfolgreich abgeschlossen. Der Tempel wird eingeweiht und das erste Passahfest kann gefeiert werden (6,19-22). Esra 7-10 Esra in Jerusalem: Erst in Kapitel 7 tritt Esra selbst auf. Er stammt aus einer priesterlichen Familie. Er wird aber „Schriftgelehr-

Es r a

99

ter“ genannt, d.h. er ist kundig im Gesetz für das Volk Israel. Esra führt nun die inneren Reformen durch, 7,10 (L): „Denn Esra richtete sein Herz darauf, das Gesetz des Herrn zu erforschen und danach zu tun und Gebote und Rechte in Israel zu lehren.“ In einem Schreiben des persischen Königs (7,21-26) wird Esra zum persischen Bevollmächtigten für die Einführung des jüdischen Gesetzes in Israel ernannt. Sein Auftrag lautet, Esra 7,25 (L): „Setze nach der Weisheit deines Gottes ... Richter und Rechtspfleger ein ... für alle, die das Gesetz deines Gottes kennen; und wer es nicht kennt, den sollt ihr es lehren.“ Mit 7,27 wechselt die Erzählung von der dritten Person Singular in die erste Person Singular. Im Stil einer Ich-Erzählung wird nun weiter erzählt, wie Esra mit einer größeren Gruppe von Heimkehrern nach Jerusalem zieht. Sie bringen Gold und Silber mit und übergeben die neuen Befehle des persischen Königs (8). Esra stellt empört fest, dass die Israeliten Frauen aus anderen Völkern geheiratet haben. Die Vermischung mit den Völkern, aus denen diese Frauen stammen, lehnt er ab, 9,3 (L): „Als ich dies hörte, zerriss ich mein Kleid und meinen Mantel und raufte mir Haupthaar und Bart und setzte mich bestürzt hin.“ Esra betet im Tempel zu Gott. Esra kann das Volk auf die Trennung von den Frauen aus den fremden Völkern verpflichten: Es findet eine Untersuchung statt, die zu folgendem Ergebnis führt: 10,44 (L) „Diese alle hatten sich fremde Frauen genommen; und nun entließen sie Frauen und Kinder.“

Lektüre

| 4.3.4

Aus den zehn Kapiteln des Esrabuches sollen fünf gelesen werden: 1; 3-6.

Erzählungen

| 4.3.5

Die Erzählungen des Esrabuches sind auf den Tempelbau und die Neuordnung des Volkes konzentriert. Sie bieten jenseits dieser beiden Gesichtspunkte wenige Möglichkeiten zu einer Identifikation mit den Handelnden.

Wichtige Texte ˘ Esra 1,2-4 (E): So spricht Kyros, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat der Herr, der Gott des Himmels, mir gegeben. Nun hat er selbst mir den Auftrag gegeben, ihm in Jerusalem, das in Juda ist, ein Haus zu bauen. Wer immer unter euch aus seinem Volk ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem,

| 4.3.6

100

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

das in Juda ist, und baue das Haus des Herrn, des Gottes Israels! Er ist der Gott, der in Jerusalem ist. Und jeden, der übrig geblieben ist, an irgendeinem Ort, wo er sich als Fremder aufhält, den sollen die Leute seines Ortes unterstützen mit Silber und mit Gold und mit Habe und mit Vieh neben den freiwilligen Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem. ˘ Esra 3,1 (L): Und als der siebte Monat herbeikam und die Israeliten nun in ihren Städten waren, versammelte sich das ganze Volk wie ein Mann in Jerusalem. ˘ Esra 6,3-5 (E): Im ersten Jahr des Königs Kyros erließ der König Kyros Befehl, das Haus Gottes in Jerusalem betreffend: Das Haus soll wieder aufgebaut werden als eine Stätte, wo man Schlachtopfer opfert. Und seine Fundamente sollen hergerichtet werden: seine Höhe soll sechzig Ellen sein, seine Breite sechzig Ellen, drei Lagen aus Quadersteinen und eine Lage aus neuem Holz. Und die Kosten sollen aus dem Haus des Königs bestritten werden. Und auch die goldenen und silbernen Geräte des Hauses Gottes, die Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem herausgenommen und nach Babel gebracht hat, soll man zurückgeben, dass ein jedes wieder in den Tempel zu Jerusalem kommt, an seinen Ort. Und du sollst sie im Haus Gottes niederlegen. ˘ Esra 10,1-4 (E): Und während Esra betete und, weinend und vor dem Haus Gottes daliegend, bekannte, versammelte sich um ihn eine sehr zahlreiche Versammlung aus Israel, Männer und Frauen und Kinder; denn auch das Volk weinte unter vielen Tränen. Und Schechanja, der Sohn Jehiels, von den Söhnen Elam, fing an und sagte zu Esra: Wir, ja wir haben treulos an unserm Gott gehandelt und haben ausländische Frauen von der Bevölkerung des Landes geheiratet. Doch jetzt gibt es noch Hoffnung für Israel in dieser Sache. So lasst uns jetzt mit unserm Gott einen Bund schließen, dass wir alle Frauen und die von ihnen geborenen Kinder fortschicken, nach dem Beschluss meines Herrn und jener, die vor dem Gebot unseres Gottes zittern. Nach dem Gesetz soll gehandelt werden. Steh auf, denn dir obliegt die Sache! Wir aber werden mit dir sein. Sei stark und handle!

Ne h e m i a

101

Nehemia

| 4.4

Einführung

| 4.4.1

Das Nehemiabuch führt den Bericht von der Konsolidierung Israels nach dem Exil weiter. Nach dem Bau des Tempels wird nun die Stadtmauer Jerusalems wiederhergestellt. Gleichzeitig werden soziale (Schuldenerlass), religiöse (Tempelsteuer) und politische Maßnahmen (Mauerbau, Bevölkerungspolitik) ergriffen, die Israel eine dauerhafte Existenz sichern sollen.

Konsolidierung Israels nach dem Exil

Gliederung

| 4.4.2

1-7 8 9-10 11-13

Der Statthalter Nehemia und der Mauerbau Gesetzesverlesung durch Esra Bußgebet des Volkes und Verpflichtung auf das Gesetz Listen, Vollendung der Mauer, Beseitigung von Missständen

Inhalt

| 4.4.3

Die Abschnitte, in denen von Nehemia die Rede ist, sind in der 1. Person Singular verfasst (ab 1,1). Diese Texte werden als „Nehemia-Denkschrift“ bezeichnet. Nehemia ist am persischen Hof als Mundschenk tätig. Der König bemerkt seine Trauer über die Zustände in seinem Herkunftsland. Nehemia wird Statthalter der persischen Unterprovinz Juda (pers. Jehud) und setzt alle seine Kräfte ein, um die Identität und Integrität des Volkes wiederherzustellen. In 7,72b-10,40 ist Esra die Hauptfigur. Neh 8 berichtet von der Verlesung des Gesetzes. Esra ist der erste Schriftgelehrte. Er verpflichtet das Volk auf das Gesetz. Deswegen wird er bisweilen als „Begründer des Judentums“ bezeichnet. Neh 1-7 Der Statthalter Nehemia und der Mauerbau: Nehemia klagt in einem Gebet über den Zustand Jerusalems (1). Er wird mit dem Mauerbau beauftragt und reist nach Jerusalem (2). Der Bau einer Stadtmauer wird in Angriff genommen und die Liste der Arbeiter vermerkt (3). Der Mauerbau wird von den benachbarten Völkerschaften kritisiert (4). Innere Missstände behindern ebenfalls die Aktivitäten. Sie werden durch Nehemias Opferbereitschaft und Bescheidenheit überwunden (5). Die Mauer kann vollendet werden (6). Nehemia ergreift Maßnahmen zur Bevölkerungsvermehrung (7).

Mauerbau

Neh 8 Gesetzesverlesung durch Esra: Esra verliest das Gesetz vor ganz Israel (8,1: „das ganze Volk wie ein Mann“). Anschließend wird das Laubhüttenfest gefeiert (8,17: „und es war eine große Freude“).

Gesetzesverlesung

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

102

Neh 9-10 Bußgebet des Volkes und Verpflichtung auf das Gesetz: In einer Bußfeier wird das vergangene und gegenwärtige Verhältnis des Volkes zu Gott geschildert (9). Das Volk verpflichtet sich auf das Gesetz Gottes (10). Neh 11-13 Listen, Vollendung der Mauer, Beseitigung von Missständen: Es werden zahlreiche Namenslisten mitgeteilt, die die Vermehrung der Bevölkerung Jerusalems dokumentieren (11,1-12,26). Die Stadtmauer wird eingeweiht (12,27-43). Nehemia setzt die Sabbatgebote und das Mischehenverbot durch (12,44-13,31).

Abb. 7 | Jehud (Juda) in persischer Zeit. Fläche ca. 2000 km2 (ca. 40 x 50 km), 15.000-25.000 Einwohner.

Ne h e m i a

Lektüre

103

| 4.4.4

Aus den dreizehn Kapiteln des Nehemiabuches sind sechs zu lesen: 1-2; 4-7,3; 8

Erzählungen

| 4.4.5

Ein eindrucksvolles Erzählmotiv ist die Erschütterung, mit der Nehemia den Zustand Jerusalems wahrnimmt (1,1-4). Er setzt sich mit selbstloser Energie und Opferbereitschaft für den Aufbau dieser Stadt ein. Er verzichtet auf seine Einkünfte als Statthalter (5,14-19), beseitigt durch persönlichen Einsatz Missstände und setzt die Einhaltung des Sabbats und des Mischehenverbots durch (13,4-30).

Wichtige Texte ˘ Neh 1,2-4 (E) Trauer Nehemias: Und ich (Nehemia) fragte sie nach den Juden, den Entkommenen, die von den Gefangenen übriggeblieben waren, und nach Jerusalem. Und sie sagten zu mir: Die Übriggebliebenen, die von den Gefangenen dort in der Provinz übriggeblieben sind, leben in großem Unglück und in Schmach. Und die Mauer von Jerusalem ist niedergerissen, und seine Tore sind mit Feuer verbrannt. Und es geschah, als ich diese Worte hörte, setzte ich mich hin, weinte und trauerte tagelang. Und ich fastete und betete vor dem Gott des Himmels. ˘ Neh 4,16f (Z) Kampfbereitschaft der Judäer: Von da an arbeitete nur die Hälfte meiner Leute an dem Werk; die andere Hälfte aber hielt sich bereit mit Spießen, Schilden, Bogen und Panzern, und die Offiziere standen hinter dem ganzen Volk Juda, das an der Mauer baute. Und die Lastträger arbeiteten in der Weise, dass sie mit einer Hand ihr Werk verrichteten, mit der anderen die Waffe hielten. ˘ Neh 8,4-6 (E) Verlesung des Gesetzes: Und Esra, der Schriftgelehrte, stand auf einem Holzgerüst, das man zu diesem Zweck hergestellt hatte. ... Und Esra öffnete das Buch (des Gesetzes) vor den Augen des ganzen Volkes, denn er überragte das ganze Volk. Und als er es öffnete, stand das ganze Volk auf. Und Esra pries den Herrn, den großen Gott, und das ganze Volk antwortete: Amen, Amen!

| 4.4.6

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

104

4.5 | Haggai 4.5.1 |

Einführung Der Prophet Haggai wirkt zur Zeit des Baus des zweiten Tempels in Jerusalem. Das Büchlein stellt die Worte Haggais zusammen, mit denen er die Bewohner Jerusalems zu überzeugen sucht, dass mit dem Bau des Tempels begonnen werden müsse. Dieser zweite Tempel wurde in den Jahren 520-515 gebaut und blieb bis zum Jahr 70 n.Chr. bestehen. In diesem Jahr wird er durch die Römer unter dem Feldherrn und späteren Kaiser Titus zerstört und nie wieder aufgebaut.

4.5.2|

Gliederung 1,1-15 Aufforderung zum Tempelbau Die Pracht des neuen Tempels 2,1-9 Vom neuen Tempel wird Wohlstand bewirkt 2,10-19 Verheißung an Serubbabel 2,20-23

4.5.3 |

Lektüre Das ganze Buch, das nur aus zwei Kapiteln besteht, soll gelesen werden.

4.5.4 |

Inhalt und wichtige Texte Die Worte Haggais sind genau datiert. Sie haben sich nach den Datumsangaben im Zeitraum zwischen dem 29. August 520 (Hag 1,1) und dem 18. Dezember 520 (Hag 2,10.20) ereignet. Danach ist Haggai verstummt. Haggai wendet sich an das Volk, an Josua, den Hohepriester, und Serubbabel, den Statthalter von Juda. Haggai mahnt die Jerusalemer, den Tempelbau voranzutreiben (vgl. Esra 5,1). Der Bau des Tempels wird nach Haggai die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Heimkehrer nachhaltig verbessern, 2,19: „Von diesem Tage an werde ich segnen.“ Scheinbar werden mit dem Tempelbau auch politische Hoffnungen verbunden. Das Buch endet mit der Verheißung an den Statthalter Serubbabel, 2,23: „An jenem Tag nehme ich dich, Serubbabel, meinen Knecht, dass du mir seiest wie ein Siegelring; denn ich habe dich erwählt.“

S a ch a r j a

105

Sacharja I (Protosacharja: Sacharja 1-8)

| 4.6

Einführung

| 4.6.1

Der Prophet Sacharja beginnt sein Wirken gemäß Sach 1,1 im Oktober/ November 520 v.Chr. Der Großteil seiner Prophetie, die Nachtgesichte, werden auf einen Tag, den 15. Februar 519 v.Chr. datiert. Dazwischen liegt die Grundsteinlegung für den Tempelbau am 18. Dezember 520 v.Chr. Ähnlich wie im Falle des Jesajabuches lassen sich etwa drei Entstehungsphasen des Sacharjabuchs unterscheiden. Protosacharja (Sach 1-8) geht weitgehend auf die Zeit um 520 v.Chr. zurück. Sach 9-11 enthält Prophetie aus persischer Zeit (Deuterosacharja), während die kompliziert verwickelten Kapitel Sach 12-14 (Tritosacharja) ebenso wie das Buch Maleachi in die Zeit des Hellenismus fallen. Diese Abschnitte des Sacharjabuches werden in den Kapiteln 7.6-7.7 behandelt.

| 4.6.2

Gliederung 1,1-6 1,7-6,8 6,9-7,14 8

Erinnerung an Gottes Zorn gegen die Väter Die acht Nachtgesichte Sacharjas Verschiedene Mahnungen Gott wird in Jerusalem wohnen

Lektüre

| 4.6.3

Aus den acht Kapiteln des Protosacharja sollen die Kapitel 1, 6 und 8 gelesen werden.

Inhalt und wichtige Texte Die in Sach 1,1; 1,7 und 7,1 genannten Datierungen des Auftretens Sacharjas sind mit den im Buch Haggai genannten Daten abgestimmt. Haggai fordert dazu auf, mit dem Tempelbau zu beginnen. Sacharja begleitet und deutet den Wiederaufbau des Tempels. Die auf den 15. Februar 519 v.Chr. datierten Nachtgesichte befassen sich mit dem Wiederaufbau des Tempels, aber noch mehr mit den Erwartungen, die Israel mit dem Wiederaufbau verbindet. Die Nachtgesichte sind Visionen von symbolischen Ereignissen, in deren Mitte der Jerusalemer Tempel steht. Sie sind konzentrisch angeordnet und berichten von universalen (1 und 8), internationalen (2 und 7) und nationalen (3 und 6) Visionen, um schließlich im 4. und 5. Nachtgesicht den Tempel und die

| 4.6.4

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

106

Führer Israels zu thematisieren. Sacharja „schaut“ etwas, beschreibt es und berichtet schließlich davon, dass ihm das Nachtgesicht durch den „Engel des Herrn“ gedeutet wird. Der Erklärer ist ein so genannter angelus interpres, ein erklärender Engel. Die Prophetie Sacharjas verliert dadurch die Unmittelbarkeit der prophetischen Verkündigung, die in der Regel mit dem direkten „So spricht der Herr“ einsetzt.

Abb. 8 | Die ursprünglich sieben Nachtgesichte Sacharjas ohne Sach 3,1-8. Dadurch verschiebt sich die Zählung der Nachgesichte und eine konzentrische Darstellung mit dem Tempel als Zentrum und Gott (Yahweh) als Rahmen wird möglich.

Die acht Nachtgesichte Sach 1,7-17 Nachtgesicht 1: Reiter haben die Erde durchstreift und stellen fest, sie sei „ruhig und stille“. Das Eingreifen Gottes steht bevor: „Mein Haus soll darin wieder gebaut werden“ und „meine Städte werden von Segen überfließen ... und ich will Jerusalem wieder erwählen“ (1,17). Sach 2,1-4 Nachtgesicht 2: Schmiede schlagen den Gegnern Israels die Hörner ab. Die vier Gegner Israels werden zertrümmert. Sach 2,5-9 Nachtgesicht 3: Ein Mann mit der Messschnur soll das neue Jerusalem ohne Mauern ausmessen. Die Völker werden zurückgewiesen und werden sich um Jerusalem versammeln. Die Mitte der Welt aber ist Jerusalem. Dort wird Gott „Wohnung nehmen“ und alle Welt soll stille sein vor dem Herrn. Sach 3,1-8 Nachtgesicht 4: Das nachträglich eingefügte Nachtgesicht 4 stellt ganz den Hohenpriester in den Mittelpunkt. Der Hohepriester Josua steht vor dem Thronrat Gottes (einschließlich Satans) und hat „schmutzige Kleider“ an (3). Er bekommt nun „Festkleider“. Seine Entsühnung ist Voraussetzung für das Heil in Israel. Sach 4,1-14 Nachtgesicht 5: Ein Leuchter und zwei Ölbäume verweisen auf den Hohepriester Josua und den Statthalter Serubbabel. Sie stehen als Führer des Volkes im Tempel. Sie sind die beiden Gesalbten des Herrn als persischer Statthalter und Hohepriester. Sach 5,1-4 Nachtgesicht 6: Eine fliegende Schriftrolle bringt den Fluch über die, die bisher ohne Strafe geblieben sind. Sie ist groß und enthält alles Wichtige über die Gegner des Tempels.

R ut

107

Sach 5,5-11 Nachtgesicht 7: Das Weib im „Scheffel“ verkörpert das „Böse“ und wird in das Land Sinear gebracht. Dies ist das Land der Gegner, wo das Böse hingehört. Sach 6,1-8 Nachtgesicht 8: Vier Wagen mit unterschiedlichen Pferden bespannt streben in die vier Himmelsrichtungen. Nur die, die ins Land des Nordens gehen, haben einen Auftrag: den Zorn Gottes an diesem Land zu stillen. In Kap. 7 wird der Prophet über das Fasten befragt. In seiner Antwort findet sich die prophetische Gerechtigkeitsforderung, die sich als Barmherzigkeit gegenüber den Rechtlosen und Ungeschützten konkretisiert (7,10): „Unterdrückt nicht die Witwen und Waisen, die Fremdlinge und die Armen“ (vgl. Jer 7,6). Im abschließenden Kapitel 8 werden Jerusalem und der Tempel als der Ort beschrieben, an dem Gott wohnt. Dieser Ort wird nun als Mitte der Welt verstanden. Am Ende steht die Erwartung, dass auch die Heiden erkennen werden, dass Jerusalem der Ort ist, an dem der einzige und wahre Gott wohnt. Sach 8,20-23 (Übers. Hanhart): So spricht Jahwe der Heerscharen: ... Und es werden viele Völker kommen und starke Nationen, zu suchen Jahwe der Heerscharen in Jerusalem und flehend anzubeten vor Jahwe. ... In jenen Tagen wird es sein, dass ergreifen werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker den Gewandsaum eines jüdischen Mannes und sprechen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.

Rut

| 4.7

Einführung

| 4.7.1

Das Buch Rut erzählt von der Treue zwischen zwei Frauen, Rut und Naomi. Nach Rut 1,1 ereignen sich die berichteten Geschehnisse in der Zeit der Richter. Eine Abstammungsliste (Genealogie) am Ende des Buches (4,18-21) verbindet die Erzählung mit dem Stammbaum Davids (vgl. Gen 38,29f und 1. Chr 2,3-15). Deswegen steht das Buch im christlichen Kanon zwischen dem Richterbuch und den Samuelbüchern. Der rabbinische Kanon zählt das Buch Rut zu den Schriften. Die Erzählung wird etwa im 5. Jh. v.Chr. entstanden sein. Die Erzählung setzt einige Kenntnisse des israelitischen Rechts voraus. Die dramatische Schilderung der Treue der beiden Frauen wird nur verständlich, wenn man in Grundzügen über die Leviratsehe (auch Schwagerehe) Bescheid weiß. Stirbt ein verheirateter Israelit und hin-

Eherecht

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

108

terlässt eine Frau ohne männliche Nachkommen, dann hat der nächste männ-liche Verwandte das Recht bzw. die Pflicht eines „Lösers“, d.h. er kann bzw. muss die Witwe heiraten. Die Nachkommen dieser Frau gelten als die Nachkommen des Verstorbenen. Die Leviratsehe dient damit sowohl der Erhaltung der Familien als auch der sozialen Absicherung der verwitweten Frau. Das Buch Rut berichtet nun davon, dass auch eine Nichtisraelitin (Moabiterin) die vollen Rechte einer israelitischen Frau hat. Die Bedeutung dieses Sachverhalts wird noch dadurch gesteigert, dass Rut durch die Abstammungsliste in 4,18-22 zur Stammmutter Davids wird.

4.7.2 |

Gliederung 1 Rut und Naomi verlassen Moab und ziehen nach Bethlehem 2 Rut begegnet Boas 3 Naomi und Rut planen die Verbindung mit Boas 4 Boas heiratet Rut

4.7.3 |

Lektüre Das Buch Rut soll ganz gelesen werden. Die gesamte Erzählung soll vertraut sein.

4.7.4 |

Inhalt und wichtige Texte Die Israelitin Naomi zieht mit ihrem Mann Elimelech von Bethlehem in das Land Moab. Naomi hat zwei Söhne, die nach dem Tod ihres Mannes für sie sorgen können. Beide Söhne heiraten Moabiterinnen. Die Männer sterben aber früh. Naomi hat nun niemanden mehr, der für sie sorgen kann, und beschließt nach Bethlehem zurückzukehren. Eine ihrer Schwiegertöchter, Rut, begleitet sie. Rut sagt Naomi Treue bis zum Tod zu, Rut 1,16f (E): „Denn wohin du gehst, dahin will auch ich gehen, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und dort will ich begraben werden. ... nur der Tod soll mich und dich scheiden.“ In Bethlehem angekommen lernt Naomi bei der Arbeit auf dem Feld Boas, einen männlichen Verwandten, kennen. Naomi und Rut beschließen, Boas für Rut zu gewinnen. Rut besucht Boas nachts an seinem Schlafplatz. Boas erwirbt in einer Verhandlung im Stadttor das Recht, Rut zu heiraten.

E st e r

109

Ester

| 4.8

Einführung

| 4.8.1

Das Esterbuch berichtet vom Ergehen der Juden im persischen Reich. Es handelt sich nicht um eine historische Darstellung, vielmehr wird eine Legende erzählt, die vom Aufstieg der Jüdin Ester und des Juden Mardochai zu höchstem Ansehen am Hof des persischen Königs berichtet. Im Text wird die Situation der Juden in der Diaspora (gr. Zerstreuung) bedacht. Ähnlich wie in der Josefsgeschichte (Gen 37-50) und im Danielbuch (Dan 1-6) wird dargestellt, wie man als frommer Jude in religiös und kulturell fremder Umgebung Erfolg haben kann, ohne sein Judesein und die jüdische Gemeinschaft zu verleugnen.

Gliederung 1-2 3-8 9 10

| 4.8.2

Die Jüdin Ester wird Königin Der Plan zur Ermordung der Juden und dessen Vereitelung Rache der Juden, Purimfest Der Jude Mardochai wird höchster Beamter des Perserkö-­ nigs

Lektüre

| 4.8.3

Aus den zehn Kapiteln des Esterbuches soll das Kapitel 9 gelesen werden.

Inhalt und wichtige Texte Die Erzählung berichtet von dem Erfolg und der Klugheit der Jüdin Ester. Schließlich wird auch die Entstehung des Purimfestes erklärt (9,23-32). Die Geschichte spielt in Susa, der persischen Hauptstadt. Es regiert der König Ahashveros. Während eines Trinkgelages befiehlt der König, seine Frau Vasthi hereinzuholen. Vasthi weigert sich. Diese Schmach führt dazu, dass der König in das „Gesetz der Perser und Meder“ (sprichwörtlich geworden für unverrückbare Anordnung) aufnimmt, „dass jeder Mann Herr sein solle in seinem Hause“ (1,22). Nun sucht man eine neue Jungfrau für den König. Die Wahl fällt auf die schöne Jüdin Ester, die Pflegetochter des Juden Mardochai. Sie wird an die Stelle Vasthis gesetzt, ohne dass bekannt wird, dass sie Jüdin ist (2). Am Hofe des Ahashveros nimmt Haman eine hohe Stellung ein. Weil Mardochai ihm nicht die nötige Ehrerbietung entgegenbringt, will er sich an allen Juden rächen und erwirkt einen Vernichtungsbefehl gegen alle Juden im persischen Reich

| 4.8.4

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

110

(3). Mardochai und Ester erreichen aber noch rechtzeitig, dass der König sich von Haman abwendet. Haman wird schließlich an den Pfahl gehängt, den er für Mardochai hat aufrichten lassen (7,10). Mardochai nimmt die Stellung Hamans beim König ein. Er bewegt den König nun dazu, an einem bestimmten Tag den Juden im ganzen Reich zu erlauben, sich zu bewaffnen und Rache an ihren Verfolgern zu üben (8,11f). Dies geschieht auch an dem Tag, der dann als Purimfest in den jüdischen Festkalender aufgenommen wird (9).

4.9 | Jona 4.9.1 |

Einführung Das Jonabuch befasst sich mit dem Verhältnis des Gottes Israels zu den Nicht-Israeliten. Es ist vermutlich im 4. vorchristlichen Jahrhundert entstanden. Die berichteten Ereignisse werden in die Zeit der Assyrerherrschaft verlegt, also ca. in das 8. Jh. v.Chr. Seinen Namen hat es von der Hauptfigur, dem Propheten Jona, der in 2. Kön 14,25 knapp erwähnt wird.

4.9.2 |

Gliederung 1,1-3 1,4-2,11 3 4

4.9.3 |

Beauftragung Jonas Jona auf dem Meer, Flucht Jonas, Aufenthalt im Fisch Jona in Ninive, Umkehr der Niniviten und Reue Gottes Jona im Gespräch mit Gott, Rizinus

Lektüre Das Jonabuch soll ganz gelesen werden. Die gesamte Erzählung soll vertraut sein. Erzähltexte 19. Der Prophet Jona (Das gesamte Jonabuch)

4.9.4 | Gerichtsankündigung und Reue Gottes

Inhalt und wichtige Texte Das Jonabuch erzählt die Geschichte eines Mannes namens Jona, der von Gott den Auftrag bekommt, nach Ninive, der assyrischen Hauptstadt, zu gehen, um deren Untergang anzusagen. Jona will sich diesem Auftrag entziehen. Er versucht mit einem Handelsschiff nach „Tarsis“ zu fliehen, „hinweg aus den Augen des Herrn“ (1,3). Auf See gerät das

Lei t fa de n 4

111

Schiff in Seenot. Die heidnischen Seeleute beten zum Gott Israels. Jona erkennt, dass Gott es ist, der seine Flucht vereiteln möchte und lässt sich von den Seeleuten ins Meer werfen. Dort verschluckt ihn ein großer Fisch (volkstümlich: Walfisch), in dessen Bauch er drei Tage hockt, zu Gott betet (2) und schließlich ans Land gespuckt wird. Nun macht er sich doch auf nach Ninive. Seine Gerichtsankündigung, „noch vierzig Tage, dann ist Ninive zerstört!“ (3,4), beeindruckt die Niniviten. Sie bereuen ihr Tun und können Gott schließlich umstimmen (3,10): „da ließ er sich des Unheils gereuen, das er ihnen angedroht hatte, und er tat es nicht.“ Jona ist empört und verärgert. Ihm passt es nicht, dass der Gott Israels auch zu den Heiden barmherzig ist und wirft ihm vor, Jon 4,2 (Z): „Denn ich wusste ja, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Huld, und dass dich des Übels gereut.“ (vgl. Ex 34,6; Ps 145,8) Gott lässt nun einen Rizinus wachsen, der Jona Schatten spendet, was ihn sehr freut. Nun schickt Gott einen Wurm, der den Rizinus zerstört. Jona ist betrübt. Gott vermag nun dem Jona sein Handeln zu erklären, Jon 4,10f (Z): „Dich jammert des Rizinus ... und mich sollte der großen Stadt Ninive nicht jammern, in der über 120.000 Menschen sind?“

Leitfaden 4 Ziel der 4. Lerneinheit ist es, Sie dabei zu unterstützen, die inhaltlichen Schwerpunkte des ChrG sowie der anderen nachexilischen Literatur wahrzunehmen. Sie lernen zunächst den zweiten Teil der Geschichtsbücher des AT kennen: das chronistische Geschichtswerk (ChrG). Die Bezeichnung geht auf Martin Noth (1902-1968) zurück und soll die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der Bücher 1. u. 2. Chronik, Esra und Nehemia zum Ausdruck bringen. Obwohl sich die beiden Chronikbücher auf dieselben Ereignisse beziehen wie die Bücher des DtrG, ist hier doch eine deutlich andere Gewichtung festzustellen. Im Mittelpunkt steht die Geschichte Judas, der Tempel und die Priesterschaft. Die 4. Lerneinheit befasst sich außerdem mit den biblischen Büchern, die in nachexilischer Zeit entstanden sind und eine gewisse Nähe zum chronistischen Geschichtswerk haben. Die Bücher Haggai und Sacharja thematisieren den Tempelbau und die Bücher Ester und Jona repräsentieren eine nachexilische Frömmigkeit, die dem chronistischen Geschichtswerk ebenfalls nahe steht. Eine gewisse Sonderstellung nimmt das Buch Rut ein. Durch eine Genealogie ist es mit den Chronikbüchern verbunden, sein Erzählstil steht Ester und Jona nahe,

| 4.10

112

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

der eigenwillige Inhalt weist auf seine geistige Unabhängigkeit hin. In 7 Lernschritten wird Ihnen im Folgenden der Inhalt des ChrG und der weiteren in diesem Abschnitt behandelten nachexilischen Literatur vermittelt. Schritt 1: Einführung und Chronikbücher Lesen Sie zunächst Kapitel 4.1 „Einführung“ und 4.2 „Die Chronikbücher“. Lesen Sie nun: [7] 1. Chr (29) 1; 10-11; 15-16; 22; 28; [7] 2. Chr (36) 1; 3-7; 36. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Welche Gemeinsamkeiten prägen die Bücher des ChrG? ˘ Wie wird die Herrschaft Davids in 1. u. 2. Chr dargestellt? ˘ Welche Bedeutung hat der Tempel? ˘ Was ist das Kyrosedikt? Schritt 2: Das Buch Esra Lesen Sie auch hier zunächst das Kapitel zum Buch Esra (4.2). Lesen Sie nun: [5] Esra (10) 1; 3-6. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Was erfahren Sie über die Person Esra? Schritt 3: Das Buch Nehemia Auch beim Buch Nehemia gilt es zunächst, das einführende Kapitel (4.3) zu lesen. Lesen Sie nun: [6] Neh (13) 1-2; 4-7,3; 8. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Welche Leistungen hat Nehemia vollbracht? Schritt 4: Das Buch des Propheten Haggai Lesen Sie zunächst Kapitel 4.4 „Das Buch des Propheten Haggai“. Lesen Sie nun: [2] Hag (2) 1-2. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Rufen Sie sich in Erinnerung, welches Anliegen Haggai vertreten hat. Schritt 5: Das Buch des Propheten Sacharja (Sach 1-8) Lesen Sie Kapitel 4.5 „Das Buch des Propheten Sacharja“. Lesen Sie nun: [3] Sach 1-8 (= Protosacharja) (8) 1 und 6; 8.

Lei t fa de n 4

Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Was ist ein „angelus interpres“ und in welchem Zusammenhang steht er mit Sacharjas Nachtgesichten? Schritt 6: Das Buch Rut Lesen sie die einführenden Bemerkungen (4.6) zum Buch Rut. Lesen Sie nun die vier Kapitel des Buches Rut. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Welches Rechtsinstitut nimmt in der Erzählung eine zentrale Stellung ein? Schritt 7: Das Esterbuch Lesen sie die einführenden Bemerkungen (4.7) zum Buch Ester. Lesen Sie nun: [1] Est (10) 9. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Versuchen Sie, die Positionen Esters und Mardochais am persischen Hofe darzustellen. ˘ Im Buch Ester wird die Entstehung des Purimfestes berichtet. Wie entstand es? Schritt 8: Das Buch des Propheten Jona Lesen Sie zunächst Kapitel 4.8 „Das Buch des Propheten Jona“. Lesen Sie nun: [4] Jona (4) 1-4. Im Falle des Jonabuches soll die gesamte Erzählung vertraut sein. 19. Der Prophet Jona (Jona) Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Die Bücher Rut und Jona eignen sich hervorragend zum Nacherzählen. Schildern Sie die Ereignisse in eigenen Worten. Beachten Sie dabei, dass das Buch Rut eine Erzählperspektive von Frauen wählt, die sich in einer patriarchalen Welt zu behaupten wissen.

Wichtige Begriffe Bundeslade, Kyrosedikt, Laubhüttenfest, Nachtgesichte des Sacharja, angelus interpres.

113

114

N a ch e x i li s ch e Li t e r a t u r

4.11 | Literatur Beentjes, Pancratius C.: „Die Freude war groß in Jerusalem“ (2Chr 30,26). Eine Einführung in die Chronikbücher, Wien/Berlin/Münster 2008. Graetz, Sebastian: Das Edikt des Artaxerxes. Eine Untersuchung zum religionspolitischen und historischen Umfeld von Esra 7,12-26, Berlin/ New York 2004 (BZAW 337). Karrer, Christiane: Ringen um die Verfassung Judas. Eine Studie zu den theologischpolitischen Vorstellungen im Esra-NehemiaBuch, Berlin/New York 2001 (BZAW 308). Keel, Othmar: Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, 2 Bd., Göttingen 2007 (Orte und Landschaften der Bibel 4.1). Kossmann, Ruth: Die Esternovelle. Vom Erzählten zur Erzählung – Studien zur Traditions- und Redaktionsgeschichte des Esterbuches. Leiden u.a. 2000 (VT.S 79).

Lux, Rüdiger: Jona, Prophet zwischen „Verweigerung“ und „Gehorsam“. Eine erzählanalytische Studie, Göttingen 1994 (FRLANT 162). Pola, Thomas: Das Priestertum bei Sacharja. Historische und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur frühnachexilischen Herrschererwartung, Tübingen 2003 (FAT 35). Reinmuth, Titus: Der Bericht Nehemias. Zur literarischen Eigenart, traditionsgeschichtlichen Prägung und innerbiblischen Rezeption des Ich-Berichts Nehemias, Freiburg/Göttingen 2002 (OBO 183). Royar, Stefan: „Denn der HERR, euer Gott, ist gnädig und barmherzig ...“. Die Gebete in den Chronikbüchern und ihre Bedeutung für die chronistische Theologie, Münster 2005 (Beiträge zum Verstehen der Bibel 10). Willi, Thomas: Juda – Jehud – Israel. Studien zum Selbstverständnis des Judentums in persischer Zeit, Tübingen 1995 (FAT 12).

115

Die Dichtung Israels

|5

Inhalt 5.1 Einführung in die hebräische Poesie

115

5.2 Hiob

118

5.3 Psalmen

121

5.4 Sprüche

124

5.5 Prediger

126

5.6 Hohelied

130

5.7 Leitfaden 5

131

5.8 Literatur

133

Einführung in die hebräische Poesie Poetische Sprache ist gebundene, gestaltete Sprache. Sie erzielt ihre Wirkung durch die Nutzung bestimmter Stilmittel. Im Hebräischen ist der Parallelismus membrorum die Form der Gestaltung der Sprache, die für Poesie benutzt wird. Die Grundstruktur des Parallelismus membrorum ist die variierende Wiederholung der zweigliedrigen Zeile 1 (a,b) in Zeile 2 (a’, b’). Die Glieder (a,b) der Zeile werden Kolon, pl. Kola (gr. Glied), genannt und bilden die kleinste poetische Einheit. Beide Zeilen bilden eine sachliche und syntaktische Einheit, durch die ein Gedanke zum Ausdruck gebracht wird. Diese Grundform kann zur Bildung eines Einzelspruchs (hebr. maschal) verwendet werden. Sie bildet auch die Grundlage für die Komposition von Spruchsammlungen, Liedern (Psalmen) und Lehrgedichten. Aus der Entstehungszeit der hebräischen Poesie sind keine Abhandlungen über die Theorie der hebräischen Dichtung erhalten. Die moderne Forschung hat den Begriff des Parallelismus membrorum gewählt. Sie versucht, die Eigenart des Parallelismus membrorum näher zu definieren. Hier sollen vier Varianten genannt werden.

| 5.1

116

Die Di ch t u n g I s r a e ls

1. Synonymer Parallelismus membrorum Der Gedankenfortschritt des Textes ist verzögert. Die Textaussage wird ausgestaltet, erweitert, veranschaulicht, eher horizontal ergänzt. Der synonyme Parallelismus membrorum ist zur Beschreibung eines Sachverhaltes hilfreich. Beispiel: Synonyme Aussage über den Wohltäter (segnen / erquicken) und dessen Ergehen (satt werden / gelabt werden) Spr 11,25

a

b

Z 1   Z 2

Einer, der gern segnet, a’ und wer erquickt,

wird gesättigt, b’ wird auch selbst gelabt.

2. Antithetischer Parallelismus membrorum Im antithetischen Parallelismus membrorum sind die Glieder durch den inneren Gegensatz inhaltlich und grammatisch eng aufeinander bezogen. Die zweite Zeile kann nicht ohne die Erste sein und umgekehrt. Der antithetische Parallelismus membrorum ist ein in sich geschlossener Spruch, der durch den Gegensatz der beiden Zeilen einen Gedanken intensiv herausstellen möchte. Beispiel: Antithetische Aussage über den weisen / törichten Sohn und über Freude / Gram des Vaters / der Mutter Spr 10,1 Z 1   Z 2

a Ein weiser Sohn a’ aber ein törichter

b erfreut den Vater, b’ grämt seine Mutter.

3. Synthetischer Parallelismus membrorum Der synthetische Parallelismus membrorum ergänzt die Aussage der ersten Zeile durch eine ähnliche oder erweiternde Variation. Er vertieft einen Nebengedanken, ein Bild oder ein Element der Aussage. Beispiel: Vertiefende Aussage über die Freude am Gesetz (Lust haben, Tag und Nacht sinnen) Ps 1,2 Z 1   Z 2

a ...sondern am Gesetz des Herrn a’ und über sein Gesetz

b seine Lust hat b’ Tag und Nacht sinnt.

H eb r ä i s ch e P oe s ie

4. Klimaktischer Parallelismus membrorum Der klimaktische Parallelismus membrorum verharrt bei einem Gedanken, den er vertiefend oder steigernd wiederholt. Es findet kein Gedankenfortschritt statt, aber eine Betonung und Intensivierung der Aussage. Beispiel: Intensivierende Aussage über die „Stimme des Herrn“ (schallen, dröhnen, zerbrechen) Ps 29,4f a Z 1 Die Stimme des Herrn a’   Z 2 Die Stimme des Herrn a’’ Die Stimme des Herrn Z 3 a’’’ Die Stimme des Herrn Z 4

b erschallt mit Macht, b’ dröhnt hehr! b’’ zerbricht Zedern, b’’’ zerbricht die Zedern des Libanon.

Im Alten Testament sind zahlreiche Texte im Parallelismus membrorum gestaltet. In den erzählenden Büchern sind kleinere Abschnitte poetisch geformt, z.B. Gen 4,23f (Lamechlied); Ex 15,1-18 u. 15,21 (Moseslied und Miriamlied). Poetische Texte, die in Erzählungen eingefügt sind wie etwa das Lied der Hanna (1. Sam 2,1-10) oder das Gebet Jonas im Bauch des Fisches (Jona 2,3-10), unterstreichen oftmals erzählerische Höhepunkte. Diese Technik wird auch im Neuen Testament aufgenommen. Im Lukasevangelium werden die Erzählungen von Ankündigung und Geburt des Täufers und Jesu jeweils an besonders bedeutsamen Stellen durch poetische Texte unterbrochen: Lobgesang der Maria (Magnificat) Lk 1,46-54, Lobgesang des Zacharias (Benedictus) Lk 1,68-79, Lobgesang des Simeon (Nunc dimittis) Lk 2,29-31 (vgl. 9.3.2). In den Prophetenbüchern und im Predigerbuch begegnet der Parallelismus membrorum auch. Die Identifikation der einzelnen Passagen poetischer Sprache ist nicht einfach und teilweise umstritten. Einige biblische Bücher sind vollständig oder überwiegend poetisch gestaltet: die Psalmen, das Sprüchebuch, das Hohelied, die Klagelieder, große Teile des Hiobbuches (die Reden Hiob 3,1-42,6). Der Parallelismus membrorum als poetische Form lässt sich nicht so ohne weiteres ins Deutsche übertragen. Übersetzt man hebräische poetische Texte ins Deutsche, dann wird in der Regel die Anzahl der Wörter im Deutschen gegenüber dem Hebräischen erheblich erhöht, oftmals verdoppelt. Die formale Parallelität der Glieder, das Gleichmaß der Silben im Parallelismus membrorum geht dabei verloren. In der deutschen Übersetzung versucht man dennoch, den Parallelismus membrorum im

117

Die Di ch t u n g I s r a e ls

118

Druck darzustellen. Die Abfolge der poetischen Einheiten (Zeilen und Verse) wird in den meisten deutschen Bibelübersetzungen nicht als Fließtext dargestellt, sondern stichometrisch (gr. Zeilenzählung) oder kolometrisch (gr. Satzgliedzählung) gedruckt. Ps 2,1 (E): Warum toben die Nationen und sinnen Eitles die Völkerschaften? Die Lektüre hebräischer Poesie ist zunächst sperrig. Die Aussagen scheinen aufgrund des Parallelismus membrorum ohne rechten Gedankenfortschritt auf der Stelle zu verharren. Hebräische Poesie kann aber dann zum Leseerlebnis werden, wenn man bei der Lektüre die einzelnen Sprüche, die einen Parallelismus membrorum bilden, sinnerfassend wahrnimmt und die Variierung des einen Gedankens verfolgt. Man kann Freude daran entwickeln, wie der Autor seine Vorstellungen in sprachlichen Varianten und in anschaulichen Bildern zum Ausdruck bringt.

5.2 | Hiob 5.2.1 |

Abb. 9 | Arnulf Rainer: Hiob auf dem Aschenhaufen. Das Bild zeigt die große Distanz des durch dunkle Linien mit Himmel und Erde verbundenen Hiob zu seinen Freunden, die wohl gekleidet im Licht stehen.

Einführung Im Mittelpunkt des Hiobbuches steht ein Mann namens Hiob. Er wird von Gott und Menschen als gerecht und fromm geachtet. Ez 14,12-20 nennt Hiob neben Noah und Daniel als exemplarischen Gerechten. Im Hiobbuch wird nach dem Ergehen des Gerechten gefragt – durchaus nicht nach dem Leid jedes Menschen, wie moderne Interpretationen oft nahe legen. Hiob ist gerecht und erfährt dennoch in seinem Leben schwere Schicksalsschläge („Hiobsbotschaften“) und schließlich sogar körperliches Leid. Er, der Gerechte, hat immer auf die Zusage vertraut, dass es dem Gerechten in dieser Welt auch wohl ergehen werde. Er hat sich darauf verlassen, dass Gott für den Tun-Ergehens-Zusammenhang eintritt, nach dem Gutes mit Gutem und Schlechtes mit Schlechtem vergolten wird. Nun erfährt aber

H i ob

119

Hiob, dass er zwar gerecht und fromm gehandelt hat, aber in seinem Leben Unglück erleben muss. Er wendet sich daraufhin gegen Gott und protestiert gegen einen Gott, der es zulässt, dass der Gerechte leidet.

Gliederung 1,1-2,10 2,11-13 3,1-42,6 42,7-9 42,10 42,11-17

| 5.2.2

Rahmenerzählung Überleitung Reden Rahmenerzählung Überleitung Erweiterung der Rahmenerzählung

Inhalt

| 5.2.3

Hiob 1,1-2,10 und 42,7-17 Rahmenerzählung: Das Buch Hiob besteht aus einer Rahmenerzählung und aus einer Hiobdichtung. Die Rahmenerzählung berichtet vom Wohlergehen des frommen und gerechten Hiob. Er ist mit Reichtum und Nachkommenschaft gesegnet. Vor dem Thron Gottes, der hier nach dem Vorbild des altorientalischen Königshofes geschildert wird, versammeln sich die Diener Gottes („Gottessöhne“). Unter ihnen ist auch „Satan“, der Ankläger. Er berichtet vom Zustand der Welt. Gott fragt ihn nach dem frommen und gerechten Hiob. Der Satan konfrontiert Gott mit der Behauptung, Hiob sei nur so fromm, weil es ihm wohl ergehe. Daraus entwickelt sich die „Wette“ zwischen Gott und Satan. Satan sagt, dass er Hiob dazu bringen werde, Gott zu verfluchen. Gott lässt sich auf diese Wette ein. Zunächst nimmt Satan Hiob seinen Besitz und seine Kinder („Hiobsbotschaften“), dann darf er ihn auch mit Krankheiten quälen. Hiob bleibt standhaft, Hiob 2,10: „Das Gute nehmen wir an von Gott, und das Böse sollten wir nicht annehmen?“ Ab Hiob 42,7 wird die Erzählung von der Versuchung und Bewährung Hiobs weitergeführt. Hiob wird für seine Standhaftigkeit und Treue belohnt und erhält allen Verlust vervielfacht wieder zurück.

Hioberzählung

Hiob 3-31 Reden der drei Freunde: Mit Hiob 3,3 setzt die Hiobdichtung im Stil der hebräischen Poesie (Parallelismus membrorum) ein. In Hiob 2,11-3,2 wird die Szene dargestellt: Drei Freunde Hiobs (Elifas, Bildad und Zofar) sind gekommen, halten mit ihm sieben Tage und Nächte schweigend Trauer, dann erhebt Hiob seine Stimme und klagt Gott an (3,326). Auf diese Klage antworten die drei Freunde. Nach jeder Rede eines Freundes antwortet Hiob. Insgesamt wiederholt sich das in drei Durchgängen (4-27), nur die dritte Rede Zofars fehlt. An ihrer Stelle steht das

Hiobdichtung

Die Di ch t u n g I s r a e ls

120

Lied von der göttlichen Weisheit (28). Die abschließende Antwort Hiobs ist eine große Rede (29-31). Die Freunde tragen ihre Überzeugung vor, dass der, dem es in der Welt schlecht ergeht, auch gesündigt haben muss. Aufgabe Hiobs sei es, sich dieser Sünde zu erinnern, damit er seine Situation verstehen und seine Tat sühnen könne. Gegen dieses in vielen Varianten vorgetragene Argument protestiert Hiob. Nicht er sei ungerecht, sondern Gott sei ungerecht und zynisch. Hiob 32-37 Reden Elihus: Die drei Freunde vermögen es nicht Hiob zu überzeugen. Da tritt der „junge“ Elihu auf. Auch er versucht, Hiob von seinem Protest gegen Gott abzubringen. Gott sei groß und unerforschlich, aber doch zuverlässig darin, dass er den Gottlosen strafe und den Gerechten behüte (32-37). Hiob 38,1-42,6 Reden Gottes: Die Reden Elihus bleiben von Hiob unbeantwortet. Stattdessen wendet sich nun Gott selbst an Hiob. In zwei Reden unterstreicht Gott seine Majestät und betont die geringe Bedeutung des Schicksals Hiobs angesichts der großartigen Schöpfungswerke (38f; 40f). Hiob verstummt, gesteht schließlich seine Unvernunft ein, widerruft und bereut (42,1-6).

5.2.4 |

Lektüre Sieben der 42 Kapitel des Hiobbuches werden zur Lektüre empfohlen: 1-4; 40-42.

5.2.5 |

Erzählungen Die Rahmenerzählung des Hiobbuches baut sich aus folgenden Erzählelementen auf: Beschreibung des Wohlergehens des gerechten Hiob; 1. Himmelszene; Satan nimmt Hiob seinen Besitz (Hiobsbotschaften); 2. Himmelszene; Satan schlägt Hiob mit Krankheit; Hiobs Frau fordert ihn auf, Gott zu fluchen; Hiob verweigert das; die drei Freunde kommen und trauern mit ihm. Gott ersetzt Hiob alle seine Verluste.

5.2.6 |

Wichtige Texte ˘ Hiob 1,21 (Z): Nackt bin ich aus dem Schoß meiner Mutter gekommen, und nackt werde ich dahingehen. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; Der Name des Herrn sei gelobt! In alledem versündigte sich Hiob nicht und redete nichts Törichtes wider Gott. ˘ Hiob 2,7-13 (E): 7 Und der Satan ... schlug Hiob mit bösen Geschwüren, von seiner Fußsohle bis zu seinem Scheitel. 8 Und er nahm eine

P s a lm e n

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Tonscherbe, um sich damit zu schaben, während er mitten in der Asche saß. ... 11 Es hatten nun die drei Freunde Hiobs von all diesem Unglück gehört, das über ihn gekommen war ... Und sie verabredeten sich miteinander hinzugehen ... 12 Als sie aber von fern ihre Augen erhoben, erkannten sie ihn nicht mehr. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten, und sie zerrissen ein jeder sein Obergewand und streuten Staub himmelwärts auf ihre Häupter. 13 Und sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte lang. Und keiner redete ein Wort zu ihm, denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. ˘ Hiob 4,7 (Z) Hiob soll seine Schuld eingestehen: Besinne dich doch: Wer verdarb je unschuldig, wo wurden Gerechte vernichtet? ˘ Hiob 9,21-23 (Z) Hiob greift Gott an: Schuldlos bin ich! Ich achte nicht meiner Seele, und ich verschmähe mein Leben! Es ist eins! Darum sage ich: Schuldlose wie Schuldige vernichtet er! Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so lacht er der Verzweiflung der Unschuldigen. ˘ Hiob 40,1-9 (L) Gott bringt Hiob zum Schweigen: Und der Herr antwortete Hiob und sprach: Wer mit dem Allmächtigen rechtet, kann der ihm etwas vorschreiben? Wer Gott zurechtweist, der antworte! Hiob aber antwortete dem Herrn und sprach: Siehe, ich bin zu gering, was soll ich verantworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Einmal habe ich geredet und will nicht mehr antworten; ein zweites Mal geredet und will’s nicht mehr tun. Und der Herr antwortete Hiob aus dem Wettersturm und sprach: Gürte wie ein Mann deine Lenden! Ich will dich fragen; lehre mich! Willst du mein Urteil zunichte machen und mich schuldig sprechen, dass du Recht behältst? Hast du einen Arm wie Gott, und kannst du mit gleicher Stimme donnern wie er?

Psalmen

| 5.3

Einführung

| 5.3.1

Das Buch der Psalmen oder der Psalter ist eine Sammlung von 150 hebräischen Dichtungen, die in der Zeit zwischen dem 10. und 3. vorchristlichen Jahrhundert entstanden sind. Die Bezeichnung Psalter geht auf die griechische Übersetzung dieser Dichtungen zurück, die etwa im 3. vorchristlichen Jahrhundert begann. Die Übersetzer orientierten sich an den Psalmüberschriften, in denen oftmals vom „Saitenspiel“ die Rede ist (gr. psalterion, Saiteninstrument). So in Ps 4: „mit Saitenspiel, ein Lied Davids“. Die häufige Überschrift „ein Psalm Davids“ (hebr. ledavid) erweckt den Eindruck, dass die Psalmen von König David gedichtet wurden. Von ihm wird berichtet, er habe durch sein Saitenspiel die Depressi-

Die Di ch t u n g I s r a e ls

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onen vertrieben, die Saul zu überwältigen drohten (1. Sam 16,23; 18,10; 2. Sam 6,5). Tatsächlich ist es aber unwahrscheinlich, dass David der Verfasser dieser Psalmen ist. Es handelt sich vielmehr um eine Zuschreibung, die eine den Psalmen gemeinsame Tradition bezeichnen soll. Die hebräische Bibel überschreibt die Psalmen mit tehillim. Dieses Wort geht auf den gleichen Wortstamm wie das bekannte „Halleluja“ (hebr. gelobt sei Gott) zurück und bedeutet in etwa Lobpreisungen, Lobgesänge. Mit dieser Buchüberschrift ist der Inhalt besser getroffen. Bei der Zusammenstellung dieser Lieder haben Sammler im dritten Jahrhundert ältere Teilsammlungen, darunter auch einen so genannten David-Psalter, als Grundlage gewählt. Dieser David-Psalter umfasst zunächst die Ps 3-41 und wird durch weitere Teilsammlungen ergänzt. Die Psalmen 1 und 2 werden vorangestellt und die jeweils mit Halleluja beginnenden Psalmen 146-150 beschließen die Sammlung von 150 Psalmen. Die Sammler gliedern das Buch dann noch in fünf Teile, indem sie an das Ende jedes Teils eine Lobzeile einfügen: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit! (41,14; 72,18f; 89,53; 106,48 und 150). Die Fünfteilung ist ein verbreitetes Gliederungsprinzip, wie man an Gefangene judäische (?) den fünf Büchern Mose (PentaSänger und ein assyteuch) sieht. Im Midrasch Tehillim rischer Wächter. I,2 (Auslegung der Psalmen) heißt es: „Mose gab Israel die fünf Fünftel Tora, und David gab Israel die fünf Bücher der Psalmen.“ Das ist die Gestalt, in der uns heute die Psalmen vorliegen. Es handelt sich um eine mit Bedacht gegliederte Gesamtkomposition, die durchaus als Buch gelesen werden soll. Sie führt den Beter oder Leser Schritt für Schritt zum abschließenden Lobpreis Gottes. Die hebräische Bezeichnung „Buch der Preisungen“ wird dem Charakter der Gesamtkomposition gerecht. Abb. 10 |

5.3.2 |

Gliederung Der Psalter wird durch Doxologien (Lobformeln) in fünf Bücher gegliedert. Als Vorbild diente vermutlich die Fünfteilung des Pentateuchs. 1. Buch Psalm: 1-41 2. Buch Psalm: 42-72 3. Buch Psalm: 73-89 4. Buch Psalm: 90-106 5. Buch Psalm: 107-150

P s a lm e n

Inhalt Das Buch der Psalmen enthält 150 Dichtungen, die im Hebräischen nach ihrem zentralen Inhalt Tehillim, d.h. Lobpreisungen, genannt werden. Die Grundaussage des Buches ist das Gotteslob. Die Formen, in denen das Lob ausgesprochen wird, und die Inhalte, die das Lob veranschaulichen sollen, unterscheiden sich aber erheblich. Nach Form und Inhalt unterscheidet man dann auch die verschiedenen Arten der Psalmen. Man spricht von Psalmgattungen. Die Bezeichnungen für diese Gattungen differieren. Die wichtigsten Psalmgattungen Klagelied (bzw. Klagepsalm) Danklied (Dankpsalm) Hymnus Daneben gibt es eine Vielzahl von Bezeichnungen, die eher inhaltliche Gesichtspunkte hervorheben, z.B.: Weitere Psalmgattungen Schöpfungspsalm Weisheitspsalm Königspsalm Geschichtspsalm Der Psalter ist eine Sammlung. Dennoch stehen die Texte in einer gewissen Beziehung zueinander und auch das Gesamtwerk des Psalters kann unter einem sinnvollen Gesichtspunkt als Buch gelesen werden. Der Gedankenfortschritt entwickelt sich allerdings nicht einfach von Psalm zu Psalm oder von Buch zu Buch. Es handelt sich eher um ein feines Gewebe von Textbeziehungen, das Schritt für Schritt zwei Grundgedanken entfaltet: ˘ Der Mensch in Israel, der sich zu Gott in Beziehung setzt (biblisch: der Fromme, der Gerechte), wird trotz aller Widerstände, die er durch Feinde erfährt, von Gott angenommen werden. Israel als Volk der Gerechten wird von Gott gerettet werden (bes. Ps 146-150). ˘ König David wird einerseits als exemplarischer Gerechter verstanden, andererseits sind mit ihm auch messianische Hoffnungen verbunden – die Hoffnung nämlich, dass Israel auch als politische Einheit unter einem Königmessias neu erstehen wird. Dieser Gedanke wird schließlich weiterentwickelt zur Vorstellung von der Königsherrschaft Gottes oder dem Reich Gottes (hebr. malkut JHWH).

123

| 5.3.3

Die Di ch t u n g I s r a e ls

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Der Leser wird in Psalm 1 mit dem ersten Grundgedanken vertraut gemacht. Dort wird dem Gerechten Wohlergehen („Wohl dem Manne“) zugesagt. Psalm 2 eröffnet den messianischen Gedankengang des Psalters („Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.“). In Psalm 145 findet sich eine Art Summe des gesamten Psalters. Er leitet zum Lob in den Psalmen 146-150 über.

5.3.4 |

Lektüre Elf der 150 Psalmen sollen gelesen werden: 1-2; 8; 22-23; 46; 72; 90; 110; 119; 145.

5.3.5 |

Wichtige Texte Die Psalmen sind Dichtungen. Es kommen einzelne narrative Elemente vor, die zur Anschaulichkeit der Aussagen beitragen. Sie sind aber typisch zu interpretieren. So stehen die „Feinde“ für vielfältige Bedrohungen und nicht für eine konkrete Personengruppe, die bestimmte Dinge getan hat. Die Geschichtspsalmen erzählen die Geschichte Israels, um Gott zu loben. Es ist nicht sinnvoll aus einer Dichtung einzelne Texte hervorzuheben. Die Psalmen wollen je für sich in ihrer dramatischen Struktur wahrgenommen und gelesen werden. Das Gottesverständnis des Psalters und das der Evangelien stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Das zeigt sich etwa in einem Vergleich des Vaterunsers (Mt 6,9-13; Lk 11,2-4) mit Ps 145, in den Psalmgebeten Jesu am Kreuz (Ps 22,2 in Mk 15,34; Ps 31,6 in Lk 23,46) oder den neutestamentlichen Psalmen z.B. Lk 1,46-55; 1,68-79.

Psalmen im NT

5.4 | Sprüche 5.4.1 |

Einführung In 1. Kön 5,9-14 wird die Weisheit Salomos gelobt. Diese Notiz ist wohl die Ursache dafür, dass die Bücher der Bibel, die sich mit Lebensweisheit befassen, als Verfasser Salomo nennen. Aber so wenig David alle Psalmen gedichtet hat, so wenig ist Salomo Verfasser der Weisheitsbücher. Es handelt sich vielmehr um Texte, die der Erziehung und Ausbildung dienen. Spruchweisheit, Sprüche oder, wie wir heute sagen, „Sprichwörter“ fassen Erfahrungen in einer prägnanten, anschaulichen Formulierung zusammen. Einige Texte sind bis heute als Sprichwörter bekannt: ˘ Spr 16,18 Hochmut kommt vor dem Fall.

S p r ü ch e

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˘ Spr 24,29 Wie du mir, so ich dir. ˘ Spr 26,27 Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Die Verfasser und Sammler dieser Spruchweisheiten sind davon überzeugt, dass der, der sich an diese Weisheit hält, ein gutes Leben führen wird. Genauso sicher erscheint es ihnen, dass der Böse, der Faule, der Tor und der Geschwätzige für ihr Fehlverhalten Nachteile in ihrem Leben erfahren müssen. Diese Überzeugung wird oft genug enttäuscht. In eine wirkliche grundsätzliche Krise gerät sie aber erst dann, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse so sind, dass der Gute, Fleißige und Weise beständig bestraft wird, der Böse aber dauerhaft Erfolg hat und sich durchsetzt.

Gliederung

| 5.4.2

1-9 Weisheitliche Mahnreden 10-31 Sammlungen von Weisheitssprüchen

Inhalt

| 5.4.3

Sprüche 1-9 enthalten weisheitliche Mahnreden, in denen der Vater dem Sohn Lehren erteilt. All diese Reden sind mit der optimistischen Zusage verbunden, dass der Sohn ein erfülltes Leben führen wird, wenn er sich an diese Lehren hält. Die Lehren werden überwiegend als Mahnungen vor dem falschen Tun vorgetragen. Grundthemen sind die Warnung vor der Verführung durch die fremde Frau, vor Laster, vor Lüge und vor anderem Fehlverhalten (1-7). Der Gegensatz von Weisheit und Torheit wird schließlich in den Kapitel 8 und 9 ausgeführt, in denen Frau Weisheit als Person gegen Frau Torheit auftritt. Frau Weisheit ist eine anständige und erfrischende Lehrerin des geordneten und maßvollen Lebens, Frau Torheit ist eine verführende Hure, die zu Laster und Genusssucht verlockt. Wer sich an die Weisheit hält, dem wird es gut ergehen, wer sich an die Torheit bindet, wird „in der Tiefe des Todes hausen“ (9,18). In 8,22-31 wird davon gesprochen, dass die Weisheit vor der Schöpfung der Welt bereits bei Gott war. In Sprüche 10-31 finden sich verschiedene Sammlungen von Weisheitssprüchen. Die Sprüche erscheinen ungeordnet, bisweilen durch Stichwortassoziationen zusammengestellt. In Spr 30 werden Zahlensprüche aufgeführt. Durch die Verbindung mit Zahlen soll das Merken erleichtert werden. In den Weisheitssprüchen wird soziales Fehlverhalten gerügt (Faulheit, Geschwätzigkeit und Trunksucht) und ein Verhalten, das der Ordnung der Welt entspricht, gelobt (Fleiß, Treue, Verschwiegenheit). Teilweise begegnen kleinere Lehrgedichte, etwa die

Weisheitlicher Optimismus

Die Di ch t u n g I s r a e ls

126

Worte Agurs (Spr 30,1-14) oder das Lob der tüchtigen Hausfrau (Spr 31,10-31).

5.4.4 |

Lektüre Zur Lektüre empfohlen werden von 31 Kapiteln des Sprüchebuches die Kapitel 1; 8f; 16; 31.

5.4.5 |

Wichtige Texte Im Sprüchebuch kommen keine Erzählungen vor. In den Sprüchen werden typische Gestalten einander gegenübergestellt: der Tor und der Weise, der Faule und der Fleißige, der Geschwätzige und der Verschwiegene usw. ˘ Spr 1,7 (L) Motto des Sprüchebuches: Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis. ˘ Spr 7,1 (Z) Weisheitliche Erziehung: Mein Sohn, behalte meine Worte, und meine Gebote bewahre bei dir. ˘ Spr 8,22-24 (L) Präexistenz der Weisheit: Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. ˘ Spr 22,15 (Z) Weisheitliche Erziehung: Die Torheit steckt dem Knaben im Herzen; aber die Rute der Zucht vertreibt sie daraus.

5.5 | Prediger 5.5.1 |

Einführung Der Name des Buches ist der Selbstbezeichnung des Verfassers in 1,1 entnommen. Das hebräische Wort lautet kohelet, was auf das Wort kahal, Versammlung oder Gemeinde, verweist. Kohelet könnte also den Versammlungsleiter bezeichnen. Luther übersetzt das mit „Prediger“. Dieser Kohelet oder der Prediger stellt sich zudem als ein „Sohn Davids“ und als „König“ vor (1,1.12). Aus diesen Andeutungen wurde auf Salomo als Verfasser geschlossen. Aber wie bei den Sprüchen und dem Hohelied handelt es sich eher um einen Traditionsbezug. Das Buch selbst wird erst im 3. Jh. v.Chr. entstanden sein. Es spielt aber deutlich mit der Rolle des Weisen und knüpft an der mit Salomo verbundenen Weisheitstradition an.

P r e di g e r

127

Der Verfasser schlüpft in die Rollen des Predigers, des „Sohnes Davids“ und des Königs (1,1), um den Eindruck zu vermitteln, es schreibe eine hochgestellte Persönlichkeit. In 1,12 nennt er sich ausdrücklich „König“. Auf das Ganze des Buches gesehen, wird diese Erzählperspektive nicht durchgehalten. In 7,27 ist wieder vom „Prediger“ die Rede und in 8,2-4 oder 10,20 spricht wohl kaum ein König. Auch der Anhang in 12,9-14 nennt nicht Salomo als Verfasser, sondern einfach den „Prediger“. Es scheint, dass der „Prediger“ je nach Perspektive als „König“ oder als „Weiser“ spricht. Das Buch schreibt aus der Perspektive des Weisen, der auf seine Lebenserfahrungen blickt und Bilanz zieht. Diese Bilanz ist von Skepsis über die von ihm erprobten Lebensweisheiten geprägt. Im Rückblick erscheinen alle Orientierungen, die auf die Zukunft verweisen und nicht in der Gegenwart selbst ihre Erfüllung finden, fraglich und unzuverlässig.

Weisheitliche Skepsis

Gliederung

| 5.5.2

Eine Gliederung dieses Buches ist nur schwer möglich. Es überwiegen kleinere thematische Zusammenhänge, größere Einheiten lassen sich kaum bestimmen. Die folgende Gliederung orientiert sich an dem Kommentar von Krüger (BK): Überschrift und Motto 1,1f Grenzen des Lebens (Zufall, Zeit, Tod) 1,3-4,12 4,13-5,8 König und Gott 5,9-6,9 Armut und Reichtum Grenzen weisheitlicher Lehren 6,10-8,17 Leben angesichts der Grenzen 9,1-12,7 12,8 Motto 12,9-14 Schlusskommentar

Inhalt Das Buch ist in 1,2 und 12,8 durch ein Motto gerahmt, dessen Aussage im Ganzen der Schrift mehrfach aufgegriffen und veranschaulicht wird: Wie ist alles so nichtig! Es ist alles umsonst! Der Inhalt des Buches besteht aus Weisheitsreden. Teilweise sind sie durchdacht komponiert, teilweise sind Weisheitssprüche aneinander gereiht, bisweilen entsteht der Eindruck, dass Weisheitsworte zitiert werden. Die Reden gehen mehr oder weniger konsequent einer Frage nach (1,3): „Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?“ Die Antwort des Predigers ist, dass letztlich angesichts der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens alles „eitel“ (Luther), unbedeutend,

| 5.5.3

Die Di ch t u n g I s r a e ls

128

flüchtig und nur von kurzer Dauer sei. Man spricht von weisheitlicher Skepsis, d.h. alle Klugheitsregeln vermögen nicht zu garantieren, dass man den guten Phasen des Lebens Dauer verleihen könnte. Die Skepsis des Predigers wendet sich gegen eine Grundüberzeugung des Alten Orients, die auch das biblische Denken prägt: den Tun-Ergehens-Zusammenhang. Dieser besagt, dass der Gute, Fromme, Gerechte auch Gutes in seinem Leben erfahren wird, der Böse, Gottlose und Frevler hingegen auch ein übles Ende finden werde. Der Prediger hingegen stellt das Gegenteil fest (9,2): „Denn alle trifft das gleiche Geschick, den Frommen und den Gottlosen, den Guten und den Bösen, den Reinen und den Unreinen ... den Guten und den Sünder.“ Umso wichtiger ist es, die Zeiten zu genießen und zu nutzen, in denen die Verhältnisse günstig sind (9,7.9): „So geh hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut, ... Genieße das Leben mit deinem Weibe, das du lieb hast.“ Der Schlusskommentar (12,9-14) gibt dem ganzen Buch eine Deutung, die seinem Inhalt im Grunde widerspricht: „Lasst uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen. Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles was verborgen ist, es sei gut oder böse.“ Von Gottes Geboten spricht der Prediger sonst nicht. Er ist ganz auf das irdische Wohlergehen konzentriert. So scheint es, dass das Buch des Predigers, das doch zahlreichen Anschauungen, die sonst in der Bibel vertreten werden, widerspricht, durch diesen Schlusskommentar eine Deutung bekommen hat, die die Aufnahme im Kanon der heiligen Schriften ermöglichte.

5.5.4 |

Lektüre Vier von den zwölf Kapiteln des Predigers sollen gelesen werden: 1; 3; 9; 12.

5.5.5 |

Wichtige Texte Die narrative Rahmung der Weisheitsreden des Predigers ist die Vorstellung, der Prediger berichte aus seinem Leben und von seinen Beobachtungen. Er überprüft im Rückblick, ob die Weisheitslehren zutreffen, die üblicherweise gelehrt werden, und kommt zu dem Ergebnis, dass sie alle nicht halten, was sie versprechen. Pred 1,2: Motto des Predigers in verschiedenen Übersetzungen (L): Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.

P r e di g e r



(E): Nichtigkeit der Nichtigkeiten! – spricht der Prediger; Nichtig keit der Nichtigkeiten, alles ist Nichtigkeit! (Übers. Krüger): Nichtig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, (das) alles ist nichtig.

˘ Pred 3,1-8 (L) Alles hat seine Zeit: Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist, würgen und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen, klagen und tanzen, Steine zerstreuen und Steine sammeln, herzen und ferne sein von Herzen, suchen und verlieren, behalten und wegwerfen, zerreißen und zunähen, schweigen und reden, lieben und hassen, Streit und Friede hat seine Zeit. ˘ Pred 3,19-22 (E) Tod: Denn das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs – sie haben ja ein einziges Geschick: wie diese sterben, so stirbt jenes, und einen Odem haben sie alle. Und einen Vorzug des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht, denn alles ist Nichtigkeit. Alles geht an einen Ort. Alles ist aus dem Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück. Wer kennt den Odem der Menschenkinder, ob er nach oben steigt, und den Odem des Viehs, ob er nach unten zur Erde hinabfährt? Und ich sah, dass es nichts Besseres gibt, als dass der Mensch sich freut an seinen Werken; denn das ist sein Teil. Denn wer wird ihn dahin bringen, hineinzusehen in das, was nach ihm sein wird? ˘ Pred 9,7-9 (L) Glück: So gehe hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dein Werk gefällt Gott. Lass deine Kleider immer weiß sein und lass deinem Haupt Salbe nicht mangeln. Brauche das Leben mit deinem Weibe, das du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat, solange dein eitel Leben währt; denn das ist dein Teil im Leben und in deiner Arbeit, die du tust unter der Sonne. ˘ Pred 12,13 (L): Lasst uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote!

129

Die Di ch t u n g I s r a e ls

130

5.6 | Hohelied 5.6.1 |

Einführung Das Hohelied (hebr. sir hasirim, Lied der Lieder) ist eine Sammlung Lieder, die durch ihr gemeinsames Thema, die erotische Liebe, zusammengehalten ist. Bei der Zusammenstellung wurde nicht auf eine szenische Gestaltung oder eine formale Strukturierung geachtet. Der abrupte Wechsel der Sprecher und der Perspektiven der literarischen Figuren lässt darauf schließen, dass es möglicherweise eine hinter den Texten liegende Ordnung gibt, etwa eine Hochzeitsliturgie o.ä. Eine solche Ordnung ist in den Texten selbst nicht zu entdecken. Es handelt sich in der jetzigen Gestalt um Kunstdichtungen, die ein Spiel der wechselnden Rollen betreiben.

5.6.2 |

Gliederung Das Hohelied ist eine Zusammenstellung von Liebesliedern, die entweder Teil einer Hochzeitsliturgie sind oder aber freie Dichtungen. Eine Gliederung ist nicht sinnvoll.

5.6.3 |

Inhalt In den Dichtungen geht es um die Sehnsucht der jungen Frau und des jungen Mannes nach körperlicher Liebe. Diese Sehnsucht wird durch verschiedene Motive dramatisiert: das Werben, der Verlust des Geliebten, die Suche des Geliebten, das Verlassen der Stadt oder das nächtliche Umherirren. Die Liebenden schwärmen einander über die körperlichen Vorzüge des jeweils anderen vor. In der Sprache und ihrer Bildwelt wird deutlich, dass die ersten Gefühle der Liebe über die Jahrhunderte nicht viel Veränderung erfahren haben, auch wenn die Beziehungsformen der Geschlechter einem nachhaltigen Wandel unterworfen wurden. Die Liebesmetaphorik ist dem heutigen Sprachgebrauch recht fremd und dennoch geht von ihr eine Anziehungskraft aus, die etwa in der modernen Übertragung von Reichert zum Ausdruck gebracht wird. In den Texten des Hoheliedes spielt die Rede von Gott so gut wie keine Rolle. Es handelt sich bei dieser Sammlung poetischer Texte um profane Dichtkunst. Nur in 8,6 wird möglicherweise die Liebe mit der Glut JHWHs verglichen.

5.6.4 |

Lektüre Von den acht Kapiteln des Hoheliedes empfiehlt sich zur Lektüre Hld 7.

H oh e lie d

Wichtige Texte

131

| 5.6.5

Das Hohelied besteht aus Liebesdichtungen. Ihr narrativer Gehalt besteht in Berichten von der Werbung der Geliebten umeinander und von der Suche nach dem/der verloren geglaubten Geliebten. ˘ Hld 8,6 (Übers. Reichert): Denn stark wie der Tod ist die Liebe, unerbittlich wie Sheol das Begehren, ihre Brände Feuerbrände, die unbändig lodern. ˘ Hld 4,1-4 (Übers. Reichert) Der junge Mann über die Geliebte: Sieh doch – schön bist du, meine Liebste, sieh doch – schön – Deine Blicke Tauben hinter deinem Lockenschleier, Dein Haar wie eine Herde Ziegen, die herabwogen vom Berg Gil’ad. Deine Zähne wie eine Herde Geschorener, die herausziehn aus der Schwemme, alle doppelt trächtig und fehl wirft nicht eins unter ihnen. ... Wie Davids Turm dein Hals gebaut in Steinumgängen. ˘ Hld 7,3f (Übers. Reichert) Der junge Mann über die Geliebte: Deine zwei Brüste – wie zwei Kitzchen, ein Gazellenpärchen. Dein Hals – wie ein Elfenbeinturm, deine Blicke – Teiche zu Cheshbon am Tor Bath-Rabbim, deine Nase – wie ein Libanonturm, der nach Dammaseq schaut. ˘ Hld 5,10-16 (Übers. Reichert) Die junge Frau über den Geliebten: Mein Liebster – gluthell und erdrot, sticht hervor unter zehntausend. Sein Kopf – Gold, lauteres Gold, seine Locken – Dattelpalmenblätter, rabenschwarze. Seine Blicke – wie Tauben an Wasserquellen, milchgeschwemmt, die da stehn in der Fülle. Seine Wangen – Gewürzbeete, Duftkräuter treibend, seine Lippen – Hyazinthen, die triefen von fließender Myrrhe. Seine Hände –Rollen von Gold, mit Tarshish-Stein besetzt, Sein Bauch –glattes Elfenbein, mit Lapislazuli bedeckt. Seine Schenkel – Marmorsäulen, fest auf Sockeln von Gold, sein Anblick – wie der Libanon, erlesen wie Zedern. Sein Gaumen – Süßigkeiten, und sein Alles – Kostbarkeiten. Das ist mein Liebster, und das mein Freund, Töchter Jerushalajims.

Leitfaden 5 Ziel dieser 5. Lerneinheit ist es, Sie mit den unterschiedlichen Formen und Themen der poetischen Bücher und der Weisheitsliteratur des AT vertraut zu machen. Die 6 Schritte dieser Lerneinheit vermitteln Ihnen einen ersten Zugang zur Dichtkunst des AT.

| 5.7

132

Die Di ch t u n g I s r a e ls

Schritt 1: Einführung in die hebräische Poesie Lesen Sie zunächst Kapitel 5.1 „Einführung in die hebräische Poesie“. Wir kennen gestaltete Sprache auch aus anderen Zusammenhängen. So finden wir sie z. B. in der Lyrik (als poetisches Mittel) oder in einer bewusst gestalteten Rede (als rhetorisches Mittel). In Kapitel 5.1 geht es nun darum, die Stilmittel der hebräischen Sprache kennen zu lernen, die für das Lesen und Verstehen der poetischen Texte des AT relevant sind. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Merken Sie sich je ein Beispiel für den synonymen und den antithetischen Parallelismus membrorum. Schritt 2: Das Buch Hiob Lesen Sie auch hier zunächst Kapitel 5.2 „Das Buch Hiob“. Lesen Sie: [7] Hiob (42) 1-4; 40-42. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Der komplexe Aufbau des Hiobbuches macht es notwendig, sich Inhalt und Struktur des Werkes bewusst zu machen. Klären Sie für sich den Umfang der Rahmenerzählung, der Reden der drei Freunde, der Reden Elihus und der Gottesreden. Schritt 3: Das Buch der Psalmen Lesen Sie eingangs Kapitel 5.3 „Das Buch der Psalmen“. Lesen Sie: [11] Ps (150) 1-2; 8; 22-23; 46; 72; 90; 110; 119; 145. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Der Psalter ist eine bewusst gestaltete Zusammenstellung von Einzelpsalmen. Wie lassen sich die Gesamtstruktur und die Aussageabsicht zusammenfassen? Schritt 4: Das Buch der Sprüche Lesen Sie zunächst Kapitel 5.4 „Das Buch der Sprüche“. Lesen Sie: [5] Spr (31) 1; 8f; 16; 31. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Das Buch der Sprüche ist eine Sammlung teilweise sehr kurzer Einzelsprüche. Nennen Sie einige charakteristische Themen und Merkmale der verwendeten Formen. ˘ Was wissen Sie über die Intentionen der Weisheitsliteratur?

Li t e r a t u r

133

Schritt 5: Das Buch des Predigers Lesen Sie zunächst Kapitel 5.5 „Das Buch des Predigers“. Lesen Sie: [4] Pred (12) 1; 3; 9; 12. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Was wissen Sie über den Verfasser und die Intentionen des Predigerbuches? Schritt 6: Das Hohelied Lesen Sie zunächst Kapitel 5.6 „Das Hohelied“. Lesen Sie: [1] Hld (8) 7. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Was ist das Thema dieser Textsammlung?

Wichtige Begriffe Parallelismus membrorum, Psalter, Tehillim, Psalm, Klagelied, Danklied, Hymnus, Doxologie, Weisheit, Skepsis.

| 5.8

Literatur Bauks, Michaela: Die Feinde des Psalmisten und die Freunde Ijobs. Untersuchungen zur Freund-Klage im Alten Testament am Beispiel von Ps 22, Stuttgart 2004 (SBS 203). Fischer, Irmtraud: Gotteslehrerinnen. Weise Frauen und Frau Weisheit im Alten Testament, Stuttgart 2006. Freuling, Georg: „Wer eine Grube gräbt...“. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang und sein Wandel in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur, Neukirchen 2004 (WMANT 102). Hartenstein, Friedhelm: Das Angesicht JHWHs. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34, Tübingen 2008 (FAT 55). Janowski, Bernd: Konfliktgespräch mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen 2 2003.

Kaiser, Otto: Vom offenbaren und verborgenen Gott. Studien zur spätbiblischen Weisheit und Hermeneutik, Berlin/New York 2008 (BZAW 392). Körting, Corinna: Zion in den Psalmen, Tübingen 2006 (FAT 48). Müllner, Ilse: Das hörende Herz. Weisheit in der hebräischen Bibel, Stuttgart 2006. Reichert, Klaus (Hg.): Das Hohelied Salomos, München 1998 (dtv 12545). Rohde, Michael: Der Knecht Hiob im Gespräch mit Mose. Eine traditions- und redaktionsgeschichtliche Studie zum Hiobbuch, Leipzig 2007 (ABG 26). Syring, Wolf-Dieter: Hiob und sein Anwalt. Die Prosatexte des Hiobbuches und ihre Rolle in seiner Redaktions- und Rezeptionsgeschichte, Berlin/New York 2004 (BZAW 336).

134

6 | Die Prophetie des 8. Jahrhunderts

Inhalt 6.1 Einführung in die Prophetie

134

6.2 Jesaja I (Protojesaja: Jesaja 1-39)

138

6.3 Hosea

143

6.4 Amos

144

6.5 Micha

146

6.6 Leitfaden 6

148

6.7 Literatur

150

6.1 | Einführung in die Prophetie 6.1.1 | Prophetisches Hintergrundwissen

Prophetie Prophetie ist ein Phänomen, das in sehr vielen Kulturen beheimatet ist. Der Prophetie liegt die Vorstellung zugrunde, dass es Menschen gibt, denen ein besonderes Wissen zugänglich ist. Dieses Wissen ist nicht einfach als ein bestimmtes Fach- oder Sachwissen zu verstehen, das jederzeit erworben werden kann, sondern es beruht in der Regel auf einer speziellen Art von Erfahrungen. Dieses Wissen wird z.B. in Auditionen und Visionen empfangen. Tritt die Person, die Zugang zu diesem Wissen hat, öffentlich auf und formuliert das Wissen in Aussagen, die auf die Zukunft gerichtet sind, spricht man von Prophetie (gr. Weissagung, Deutung). Die Prophetie in Israel ist immer an den Gott Israels gebunden. Er vermittelt das prophetische Hintergrundwissen, indem er zu den Propheten spricht (Audition) oder sie etwas schauen lässt (Vision). Die Propheten treten im Auftrag Gottes auf und werden zum Sprachrohr Gottes an sein Volk. Prophetische Worte deuten die Gegenwart, indem sie diese in Beziehung zur Zukunft setzen. Augenscheinliches Wohlerge-

E i n fü h r u n g

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P r op h e t ie

135

hen in der Gegenwart wird mit der Ankündigung des Gerichts kritisiert (Gerichts- oder Unheilsprophetie). Gegenwärtige Missstände in Israel oder die Unterdrückung Israels werden im Licht des guten göttlichen Willens in einen hoffnungsvollen Horizont gestellt (Heilsprophetie). Die prophetischen Traditionen sind in zwei Formen überliefert: Prophetenerzählungen Prophetenworte

Prophetenerzählungen

| 6.1.2

Eine Prophetenerzählung begegnet bereits in Num 22-24. Der Seher Bileam, ein Nichtisraelit, soll einen Fluch über Israel aussprechen. Er tut aber das Gegenteil. Er muss Israel segnen, weil das der Wille Gottes ist (vgl. 2.5.3). Besonderes Gewicht bekommen die Prophetenerzählungen in den deuteronomistischen Geschichtsbüchern (1. Sam-2. Kön). Dort ist von Einzelpropheten, aber auch von Prophetengruppen und Prophetenjüngern die Rede. Das Buch Jona wiederum ist eine ausgeführte und in sich geschlossene Prophetenerzählung. Propheten werden in den biblischen Texten oft mit dem Wort „Prophet“ bezeichnet, bisweilen aber werden sie aber auch „Seher“ oder „Gottesmann“ genannt. Propheten in den Prophetenerzählungen Samuel (1. Sam 1-16; 25) Nathan (2. Sam 7; 12; 1. Kön 1) Gad (2. Sam 24) Ahia von Silo (1. Kön 11) Der namenlose „Gottesmann“ (1. Kön 13; 2. Kön 23,16f) Elia (1. Kön 17-19; 21; 2. Kön 1-2) Elisa (1. Kön 19; 2. Kön 2-9; 13) Micha (1. Kön 22) Jesaja (2. Kön 19f; Jes 37-39). Jona (Jona)

Der Prophet und die Prophetenworte Das prophetische Wort ist Gotteswort. Das verdeutlicht die Botenformel. Sie lautet z.B. Jer 30,12: „So spricht der Herr“. Während die Botenformel am Anfang des prophetischen Wortes steht, wird die Gottesspruchformel ans Ende gesetzt. Die Übersetzung ins Deutsche ist zumeist ähnlich der Botenformel, z.B. Jer 1,19: „spricht der Herr“. Daneben gibt es literari-

| 6.1.3

Die P r op h e t ie

136

de s

8. J a h r h u n de r t s

sche Einleitungsformeln, die erst mit der Verschriftlichung des Prophetenwortes entstanden sind, etwa die Wortereignisformel, z.B. Jer 1,4: „Da erging das Wort des Herrn an“. Häufig werden die Prophetenworte dann auch datiert. Meist sind die Angaben an der Regierung der Könige orientiert, wie z.B. Jes 7,1: „Und es begab sich in den Tagen des Ahas“. Eine auf den Tag genaue Datierung der Prophetenworte findet sich erst in der nachexilischen Prophetie bei Haggai und Sacharja. Hinweise auf die Aufzeichnung der Prophetenworte finden sich in Jes 8,1-4; Jer 29 und 36. Die schriftliche Fixierung der mündlichen Prophetenworte diente zunächst der Überprüfung, ob die in ihnen angekündigten Ereignisse auch eintreffen werden. Prophetenworte, die man dann als zutreffend interpretierte, bildeten den Kern für die Abfassung der Prophetenbücher. Es ist sehr umstritten, in welchem Umfang die in den Prophetenbüchern zusammengestellten Worte der vorexilischen Prophetie (Jesaja, Hosea, Amos, Micha) tatsächlich auf die historischen Propheten zurückgehen. In der alttestamentlichen Wissenschaft unterscheidet man zwischen der literarischen Gestalt der Prophetenüberlieferung (Prophetenschrift, Schriftprophetie), der literarischen Prophetenfigur (Prophet, wie ihn das Prophetenbuch darstellt) und der hinter der prophetischen Überlieferung stehenden historischen Person des Propheten. Da man aber oft mit dem Namen des Propheten sowohl die jeweilige Prophetenschrift als auch den Propheten selbst bezeichnet, ist hier besondere Aufmerksamkeit gefordert.

6.1.4 |

Prophetische Zeichenhandlungen Die prophetische Verkündigung beschränkt sich nicht auf das Aussprechen des Gotteswortes. Der Inhalt der Prophetie wird auch in symbolischen Handlungen in Szene gesetzt. In einer symbolischen Handlung tut man etwas, um damit etwas anderes zum Ausdruck zu bringen. Wenn man zum Beispiel eine Tasse zerschlägt (Handlung), dann nicht, um Scherben zu erhalten, sondern, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen (symbolischer Ausdruck). Der Prophet aber bringt mit seiner symbolischen Handlung nicht seine Emotionen zum Ausdruck, sondern er bildet darin den Willen Gottes ab. Die wichtigsten prophetischen Zeichenhandlungen Nacktheit: Von Jesaja ist berichtet, dass er drei Jahre nackt durch Jerusalem gegangen sei (Jes 20,3). Auch Micha zieht nackt und klagend durch die Straßen Jerusalems (Mi 1,8). Symbolische Namen: Jesaja gibt seinen Söhnen symbolische Namen (Jes 7,3; 8,3), ebenso Hosea (Hos 1,4-9).

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Ehe: Hosea geht zu einer Prostituierten und muss eine Ehebrecherin zu sich nehmen (Hos 1,2; 3,1-3). Ezechiel darf den Tod seiner Frau nicht betrauern (Ez 24,15-24). Von Jeremia sind zahlreiche Zeichenhandlungen berichtet: Er vergräbt seinen Gürtel am Euphrat (Jer 13,1-11), muss ehelos bleiben (Jer 16,2-9), zerschlägt einen Krug (Jer 19,1-13), geht mit einem Joch auf den Schultern umher (Jer 27f), kauft einen Acker (Jer 32,7-15). Die Zeichenhandlungen Ezechiels fallen durch ihre Dauer und Intensität auf: Er isst eine Buchrolle (Ez 3,1-3), liegt 390 Tage auf der linken und 40 auf der rechten Seite vor dem Modell einer belagerten Stadt, bindet sich mit Stricken (Ez 4,1-8), bereitet sich unreine Kost zu (Ez 4,9-13), verbrennt einen Teil seiner Barthaare (Ez 5,1-4), spielt einen Auszug vor, schlägt dabei ein Loch in seine Hütte (Ez 12) u.a. (Ez 24; 37,15-28).

| 6.1.5

Zeittabelle Aus vorexilischer Zeit ist überwiegend Unheilsprophetie überliefert. Nach der Erfüllung der Strafansage Gottes in der Vernichtung Judas erfolgt mit dem Exil die Wende zur Heilsprophetie. Die Zeitangaben zu den Propheten orientieren sich zunächst an den Datierungen, die die prophetischen Bücher selbst nennen. Sie geben nicht die Entstehungszeit der Prophetenbücher an, sondern die Zeit, in der der Namensgeber eines prophetischen Buches gewirkt haben soll. Die literarische Gestalt der Prophetenbücher stammt in allen Fällen aus nachexilischer Zeit.

Übersicht

Gerichtsprophetie

Heilsprophetie

787-700 Amos Hosea Micha Jesaja   639-587

Jeremia Ezechiel  

587-538 (Exil)  

Ezechiel Deuterojesaja

520   Haggai Sacharja

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6.1.6 |

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8. J a h r h u n de r t s

Schriftprophetie Die Verschriftlichung der prophetischen Überlieferung geht teilweise auf Anregung der Propheten zurück (Jes 8,1-4; Jer 29; 36). Die Form, in der uns aber heute die prophetischen Bücher die prophetische Verkündigung darstellen, ist Ergebnis eines langen und komplexen Überlieferungs-, Redaktions- und Interpretationsprozesses, der sich von den historischen Gestalten der Propheten weitgehend gelöst hat. Im Rahmen der Bibelkunde sind zwei Sachverhalte bedeutsam: ˘ Die meisten prophetischen Bücher ordnen ihre Stoffe nach dem Schema Unheilsworte – Heilsworte. Dieses Ordnungsprinzip geht nicht auf die Propheten selbst zurück, sondern ist Ergebnis eines Redaktionsprozesses. ˘ Die Bücher Hosea bis Maleachi werden in den deutschen Bibelübersetzungen als eigenständige prophetische Bücher behandelt. Sie bilden aber gemeinsam ein prophetisches Buch, das Zwölfprophetenbuch oder gr. Dodekapropheton. Sie sind chronologisch nach der Folge der in den Büchern erwähnten historischen Ereignisse geordnet. In dieser Bibelkunde werden die einzelnen prophetischen Bücher nach ihrer historischen und literarischen Zugehörigkeit auf die beiden Lerneinheiten 6 und 7 aufgeteilt. Die Komposition des Zwölfprophetenbuches wird unter 7.9 behandelt.

Prophetenbuch

6.2 | Jesaja I (Protojesaja: Jesaja 1-39) 6.2.1 |

Einführung Das Jesajabuch umfasst in seiner kanonischen Gestalt 66 Kapitel. Inhalt und Sprache dieser Kapitel zeigen, dass die Texte über einen langen Zeitraum entstanden sind und beständig überarbeitet wurden. Der deutlichste Einschnitt liegt zwischen Jes 39 und 40. 40,1 setzt ganz neu ein. Aber auch zwischen 55 und 56 liegt eine deutliche Zäsur. Die heutige Forschung spricht in aller Regel deswegen von drei zu unterscheidenden Büchern. Die drei Teile des Jesajabuches 1. Protojesaja Jes 1-39 (Entstehung ab 740 v.Chr.) 2. Deuterojesaja Jes 40-55 (Entstehung zwischen 550 und 539 v.Chr.) Jes 56-66 (Entstehung nach 538 v.Chr.) 3. Tritojesaja Die Bücher Deutero- und Tritojesaja werden entsprechend der sich in

Je s a j a I

ihnen spiegelnden Abfassungsverhältnisse im Abschnitt „Prophetie vom 7. bis zum 2. Jahrhundert“ (7. Lerneinheit) behandelt. Einige Bestandteile der Kapitel 1-39 gehen möglicherweise auf Worte des Propheten Jesaja selbst zurück. Dieser hat jedoch seine Worte nicht von eigener Hand aufgeschrieben. Die Verschriftlichung der mündlichen Prophetie ist ein für sich zu analysierender Prozess („vom Prophetenwort zum Prophetenbuch“). Vermutlich haben Schüler die Worte Jesajas schriftlich festgehalten, um ihren Wahrheitsgehalt am Geschichtsverlauf Israels zu überprüfen. Dabei haben sich viele Aussagen Jesajas als zutreffend erwiesen. Insbesondere seine Forderung, angesichts der herandrängenden und weit überlegenen Assyrer nicht den Mut fallen zu lassen und auf den Gott Israels zu vertrauen, haben ihm höchstes Ansehen eingetragen (Jes 7,9: Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht). Tatsächlich haben die Assyrer die Belagerung Jerusalems im Jahr 701 plötzlich abgebrochen. Aber nicht nur Jesajas zutreffende Worte, sondern auch seine ungeheure sprachliche Ausdruckskraft beeindruckt. Die Sprache Jesajas ist anschaulich, provokativ, bildreich und voller innerer Spannung. Auf Jesaja gehen zudem die wichtigsten Texte zurück, in denen die Christen das Kommen Jesu als den Messias angekündigt gefunden haben. Diese so genannten messianischen Verheißungen (z.B. Jes 9,6: Denn ein Kind ist uns geboren) werden im Neuen Testament aufgenommen. Besonders Jes 7,14-16; 9,1-6 und 11,1-10 sind für die christliche Messiaserwartung wichtig. All das führte dazu, dass man Jesaja bisweilen den „König der Propheten“ nennt.

Gliederung 1-12 13-23 24-27 28-35 36-39

139

Protojesaja

| 6.2.2

Gericht über Israel Gericht über fremde Völker sog. Jesaja-Apokalypse Heil für Israel Fremdbericht über Hiskia und Jesaja (vgl. 2. Kön18-20)

Inhalt Der Prophet Jesaja wirkt in Jerusalem. Seine Prophetie ist an Jerusalem und Juda gerichtet. Er äußert sich aber auch zu den Verhältnissen im Nordreich Israel. Jesaja wendet sich überwiegend an die Oberschicht, aus der er selbst stammt. Seine Prophetie wird von Zeichenhandlungen begleitet, d.h. der Prophet tut Dinge mit zeichenhafter bzw. symbolischer Bedeutung. So geht Jesaja nach 20,3 drei Jahre nackt und barfuss, um zu zeigen, dass es so den Feinden Jerusalems ergehen werde. Beson-

| 6.2.3

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Die P r op h e t ie

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8. J a h r h u n de r t s

ders eindrücklich sind die Geburten der Kinder, die er mit der „Prophetin“ bekommt (Jes 8,3). Sie bekommen ebenso symbolische Namen wie das Kind der „jungen Frau“ (Jes 7,14). Symbolische Namen für Kinder in Jesaja Ein-Rest-kehrt-um (hebr. Schear-Jaschub) Jes 7,3 Jes 7,14 Gott-mit-uns (hebr. Immanuel) Raubebald-Eilebeute (hebr. Maher-Schalal-Chaz-Baz) Jes 8,3 Die Inhaltsangabe eines prophetischen Buches ist nicht einfach. Durch die verschiedenen Wachstums- und Sammlungsprozesse überlagern sich unterschiedliche Ordnungsprinzipien. Jes 1-39 lässt sich in etwa so gliedern: Jes 1-12: In Jes 1-5 dominiert die Kritik an den Zuständen in Juda. Sie findet ihren prägnantesten Ausdruck im so genannten Weinberglied, Jes 5,1-7. Das Weinberglied ist der älteste Beleg für die metaphorische Bezeichnung Israels als Weinberg. Diese Metapher wird in den neutestamentlichen Gleichnissen aufgenommen (vgl. Mk 12,1-12). In dem Bild des Weinbergs, der „herbe Frucht“ bringt, wird die Krise zwischen Gott und seinem Volk veranschaulicht. Der Weinberg, der trotz aller Mühen des Weinbergbesitzers keine Frucht bringt, wird ausgerissen werden. So soll es auch dem Volk Gottes ergehen, Jes 5,7 (Z): „Denn der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist das Haus Israel, und die Männer Judas sind seine Lieblingspflanzung. Er hoffte auf Guttat, und siehe da Bluttat, auf Rechtsspruch, und siehe da Rechtsbruch!“ Die Kapitel Jes 6,1-9,6 enthalten Texte, die zum Vertrauen auf Gott auffordern. Hier sind zumindest drei Texte hervorzuheben. In Jes 6,1-13 schildert Jesaja seine Berufung zum Propheten im himmlischen Thronrat. Er bekommt den merkwürdigen Auftrag, das Volk zu verstocken (6,9f). Der Verstockungsauftrag wird im Neuen Testament mehrfach zitiert (Mk 4,12; Joh 12,40; Apg 28,26). In Jes 7,14-16 wird die Geburt eines Sohnes mit dem Namen Immanuel (Gott mit uns) angekündigt. Dieses Wort wird in Lk 1,31 und Mt 2,23 auf die Geburt Jesu bezogen. Die Worte über den Friedensfürsten in Jes 9,1-6 gehören zu den wichtigsten messianischen Texten. Der Abschnitt Jes 9,7-12,6 richtet dann den Blick auf die mögliche Rettung des Volkes. Mit dieser Rettung wird die Hoffnung auf einen Nachkommen Davids („Spross Isais“, Isai ist der Vater Davids) verbunden, der Gerechtigkeit bringen wird (Jes 11,1-10). Jes 13-23 Fremdvölkersprüche: Diese Worte haben den Sinn, das Vertrauen Israels in seinen Gott zu stärken. Die Völker, die Israel jetzt bedrängen,

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141

werden dafür noch bestraft werden. Dabei äußert sich Jesaja sehr differenziert. Die Grundaussage findet sich zusammengefasst in Jes 17,14: „Zur Zeit des Abends, siehe da Schrecken! Ehe der Morgen kommt, sind sie nicht mehr. Das ist das Geschick derer, die uns plündern, und das Los derer, die uns berauben.“ Jes 24-27 Jesaja-Apokalypse: Dieser Abschnitt enthält sehr junge Texte, teilweise vielleicht sogar aus dem 2. Jh. So wird in 26,19 das Leben nach dem Tod angesprochen, ein Gedanke, der sonst im Alten Testament überhaupt nur im Danielbuch (12,2) und im Prediger (dort wird er abgelehnt, vgl. Pred 3,18-22) erwähnt wird. Jes 28-31 Worte Jesajas: Diese Prophetien setzen sich mit der assyrischen Bedrohung auseinander. Jesaja warnt vor einem Bündnis mit „Ägypten, dessen Hilfe eitel und nichtig ist“ (30,7). Jes 32-35 Heilsworte: Es wird die Vorstellung von einem König, der die Gerechtigkeit achtet, entfaltet. Er wird unterstützt von Gottes Präsenz auf dem Zion. Die Feinde werden vernichtet werden und Israel kann heimkehren. Jes 36-39 Prophetenbericht: Der Text stimmt weitgehend mit 2. Kön 18-20 überein. Es handelt sich um eine Geschichtserzählung, in deren Mittelpunkt Jesaja und König Hiskia stehen.

Lektüre

| 6.2.4

Es empfiehlt sich, von den 39 Kapiteln Protojesajas die neun folgenden zu lesen: 1-2; 5,1-7; 6; 8; 9,1-6; 11; 30; 35.

Erzählungen Neben dem geschlossenen Erzähltext in Jes 36-39 begegnen weitere narrative Elemente. So stehen am Anfang der einzelnen Prophetenworte Datums- bzw. Situationsangaben, die oftmals direkt in das prophetische Wort übergehen (z.B. 7,1-4). In den Prophetenworten werden auch Hinweise auf bestimmte Ereignisse gegeben, etwa die Geburt der Kinder Jesajas oder die Tatsache, dass Jesaja drei Jahre nackt in Jerusalem umhergegangen sei (20,3). Aus den wenigen Andeutungen ergibt sich insgesamt das Bild eines Mannes, der Zugang zur Jerusalemer Führungsschicht hatte und über gute Kenntnisse der politischen, militärischen und diplomatischen Situation verfügte.

| 6.2.5

Die P r op h e t ie

142

6.2.6 |

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Wichtige Texte ˘ Jes 2,4 Völkerwallfahrt zum Zion und das Friedensreich: und sie werden Schwerter zu Pflugscharen schmieden. ˘ Jes 6,9f (Z) Verstockung: Geh und sprich zu diesem Volk: Höret immerfort, doch verstehet nicht, und sehet immerfort, doch erkennet nicht! Verstocke das Herz dieses Volkes, mache taub seine Ohren und blind seine Augen, dass es mit seinen Augen nicht sehe und mit seinen Ohren nicht höre, dass nicht sein Herz einsichtig werde und man es wieder heile. ˘ Jes 7,14f (Z) Ankündigung des Immanuel: Siehe, das junge Weib ist schwanger und gebiert einen Sohn, und sie gibt ihm den Namen Immanuel. Sahne und Honig wird er essen, bis er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen. (vgl. Lk 1,31; Mt 2,23) ˘ Jes 9,1-6 (E) Friedensfürst: Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein großes Licht. Die im Land der Finsternis wohnen, Licht leuchtet über ihnen. Du vermehrst den Jubel, du machst die Freude groß. Sie freuen sich vor dir, wie man sich freut in der Ernte, wie man jauchzt beim Verteilen der Beute. Denn das Joch ihrer Last, den Stab auf ihrer Schulter, den Stock ihres Treibers zerbrichst du wie am Tag Midians. Denn jeder Stiefel, der dröhnend einherstampft, und jeder Mantel, in Blut gewälzt, fällt dem Brand anheim, wird ein Fraß des Feuers. Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens. Groß ist die Herrschaft, und der Friede wird kein Ende haben auf dem Thron Davids und über seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Der Eifer des Herrn der Heerscharen wird dies tun. ˘ Jes 11,1-10 (E) Spross Isais: Und ein Spross wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais, und ein Schößling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen. Und auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und Furcht des Herrn; und er wird sein Wohlgefallen haben an der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, und nicht zurechtweisen nach dem, was seine Ohren hören, sondern er wird die Geringen richten in Gerechtigkeit und die Elenden des Landes zurechtweisen in Geradheit. Und er wird den Gewalttätigen schlagen mit dem Stab seines Mundes und mit dem Hauch seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Schurz seiner Hüften sein und die Treue der Schurz seiner Lenden. Und der Wolf wird beim Lamm weilen und

H os e a

143

der Leopard beim Böckchen lagern. Das Kalb und der Junglöwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Junge wird sie treiben. Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen werden zusammen lagern. Und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird spielen an dem Loch der Viper und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle der Otter. Man wird nichts Böses tun noch verderblich handeln auf meinem ganzen heiligen Berg. Denn das Land wird voll von Erkenntnis des Herrn sein, wie von Wassern, die das Meer bedecken. – Und an jenem Tag wird es geschehen: der Wurzelspross Isais, der als Feldzeichen der Völker dasteht, nach ihm werden die Nationen fragen; und seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein. ˘ Jes 26,19 (Z) Totenauferstehung: Deine Toten werden leben, (meine Leichen) werden auferstehen; aufwachen und jubeln werden die Bewohner des Staubes. Denn Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten gebären.

Hosea

| 6.3

Einführung

| 6.3.1

Der Prophet Hosea wirkte in den Jahren zwischen 750-724 im Nordreich. Sein Grundthema ist das Verhältnis des Gottes Israels zu seinem Volk. Diese Beziehung wird im Bild der Ehe zur Sprache gebracht. Der Prophet versteht seine Ehe und seine außerehelichen Beziehungen zu Frauen als Zeichenhandlungen, in denen die Beziehung zwischen Gott und Israel veranschaulicht wird.

Gliederung

| 6.3.2

1-3 Die Ehe Hoseas als Zeichen Gericht und Heil für Israel 4-11 12-14 Umkehr und Heil

Lektüre, Inhalt und wichtige Texte Aus den 14 Kapitel des Hoseabuches werden sechs Kapitel zur Lektüre empfohlen: 1-3; 6; 11; 14. Hos 1-3: Diese Kapitel veranschaulichen die Beziehung zwischen Gott und Israel in verschiedenen Formen der Beziehung zwischen Mann und Frau. Zunächst soll Hosea zu einer Frau gehen, die ihm als Prostituierte

| 6.3.3

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144

de s

8. J a h r h u n de r t s

gilt, Hos 1,2 (Z): „Geh, nimm dir ein Dirnenweib und zeuge Dirnenkinder.“ Diese Kinder erhalten symbolische Namen. Symbolische Namen für Kinder in Hosea Hos 1,4 Jesreel (vgl. 2. Kön 9,22-26; 10,11) Hos 1,6 Kein-Erbarmen (hebr. Lo-Ruchama) Hos 1,9 Nicht-mein-Volk (hebr. Lo-Ammi) Die Verhältnisse sind nicht ganz klar, Hos 2,2 (Z): „Hadert mit eurer Mutter, hadert! denn sie ist nicht mein Weib, und ich bin nicht ihr Mann.“ In 3,1 soll Hosea schließlich zu einer Ehebrecherin gehen und sie lieben, denn auch Gott hält an Israel fest, obwohl sich Israel (= Ehebrecherin) anderen Göttern zuwendet. Hos 4-11: Hier sind Sprüche zusammengestellt, die nur schwer geordnet werden können. Im Neuen Testament ist vor allem Hos 6,6 mehrfach aufgenommen (Mt 9,13; 12,7; 23,23). Hos 6,6 (Z): „Denn an Liebe habe ich Wohlgefallen und nicht an Schlachtopfern, und an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.“ Hosea erinnert immer wieder an die Heilstaten Gottes, etwa an den Exodus. Hos 11,1 (Z): „Als Israel jung war, gewann ich es lieb; aus Ägypten rief ich meinen Sohn.“ Die Grundaussage des Buches ist vielleicht am ehesten in 6,1 wiedergegeben. Hos 6,1 (Z): „Kommt, lasst uns umkehren zu dem Herrn; denn er hat zerrissen, er wird uns heilen; er hat geschlagen, er wird uns verbinden.“

6.4 | Amos 6.4.1 |

Einführung Der Prophet wirkt etwa um 760 v.Chr. im Nordreich, obwohl er vermutlich aus dem Südreich Juda stammte. Der Prophetenbericht in Am 7,10-17 berichtet vom Auftreten des Amos in Bethel, dem Reichsheiligtum des Nordreichs. Von dort wird er durch den Priester Amazja vertrieben. Auch das Amosbuch wird mehrfach überarbeitet. Die in Am 3-6 gesammelten Prophetenworte des Amos werden in 1,3-2,16 mit einem ursprünglich fünfteiligen Fremdvölkerzyklus und in 7,1-9,10 mit einem ebenfalls fünfteiligen Visionszyklus gerahmt. Die ursprüngliche Unheilsverkündigung des Amos wird in 9,11-15 durch Heilsworte gemildert.

A m os

| 6.4.2

Gliederung 1-2 3,1-6,14 7,1-9,10 9,11-15

145

Gericht gegen die Fremdvölker und Juda Gericht über Israel Visionszyklus und Prophetenbericht Heil für Israel

Lektüre, Inhalt und wichtige Texte Aus den neun Kapiteln des Amosbuches werden sieben Kapitel zur Lektüre empfohlen: Am 3-9. Die Grundaussage des Buches ist wohl in 3,2 wiedergegeben. Aus der Erwählung Israels folgt seine Verpflichtung auf seinen Gott. Am 3,2 (Z): „Euch allein habe ich erwählt vor allen Geschlechtern der Erde; darum suche ich an euch heim all eure Schuld.“ Die Verpflichtung Israels ist die Ursache für das Gericht, das Gott über Israel bringen wird. Israel löst seine Verpflichtung nicht ein. In Israel sollen Recht und Gerechtigkeit verwirklicht sein. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Volk, in dem die Gerechtigkeit missachtet wird, hat sein Existenzrecht verloren. Deswegen stimmt Amos die Totenklage (hebr. kinah) über Israel an: Am 5,1f (L): „Höret, ihr vom Hause Israel, dies Wort; denn ich muss dies Klagelied (hebr. kinah) über euch anstimmen: Die Jungfrau Israel ist gefallen, dass sie nicht wieder aufstehen wird; sie ist zu Boden gestoßen, und niemand ist da, der ihr aufhelfe.“ Die Verhältnisse in Israel sind geprägt von Ungerechtigkeit, sozialer Willkür und der Missachtung des einfachen Israeliten. Reiche verhalten sich den Armen gegenüber unbarmherzig. Am 4,1f (Z): „Höret dieses Wort, ihr Basankühe auf dem Berge Samariens! die ihr die Geringen bedrückt und die Armen zermalmt und zu euren Männern sagt: Schaff her, dass wir zechen! Gott der Herr hat bei seiner Heiligkeit geschworen: Siehe, es werden Tage über euch kommen, da holt man euch heraus mit Haken und eure Brut mit Angeln.“ Gott steht diesen Verhältnissen unversöhnlich gegenüber. Er fordert Gerechtigkeit. Am 5,21-24 (Z): „Ich hasse, ich verschmähe eure Feste und mag nicht riechen eure Feiern. Denn wenn ihr mir Brandopfer darbringt – an euren Gaben habe ich keinen Gefallen, und das Opfer eurer Mastkälber sehe ich nicht an. Hinweg von mir mit dem Lärm deiner Lieder! Das Spiel deiner Harfen mag ich nicht hören! Aber es ströme wie Wasser das Recht, und die Gerechtigkeit wie ein unversieglicher Bach.“ Das Buch Amos wird aber mit Heilsworten ergänzt: Am 9,11-15 (E): „An jenem Tag richte ich die verfallene Hütte Davids auf, ihre Risse vermauere ich, und ihre Trümmer richte ich auf, und ich baue sie wie in den

| 6.4.3

Die P r op h e t ie

146

Abb. 11 |

Gehörnter Altar von Megiddo.

6.4.4 |

de s

8. J a h r h u n de r t s

Tagen der Vorzeit, damit sie den Überrest Edoms und all die Nationen in Besitz nehmen, über denen mein Name ausgerufen war, spricht der Herr, der dies tut. Siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da rückt der Pflüger nahe an den Schnitter heran und der Traubentreter an den Sämann, und die Berge triefen von Most, und alle Hügel zerfließen. Da wende ich das Geschick meines Volkes Israel. Sie werden die verödeten Städte aufbauen und bewohnen und Weinberge pflanzen und deren Wein trinken und Gärten anlegen und deren Frucht essen. Ich pflanze sie in ihr Land ein. Und sie sollen nicht mehr herausgerissen werden aus ihrem Land, das ich ihnen gegeben habe, spricht der Herr, dein Gott.“

Erzählungen Das Amosbuch bietet einige Hinweise auf biographische Details aus dem Leben des Propheten Amos. Die Überschrift 1,1 erwähnt neben der üblichen synchronistischen Datierung nach den Herrschaftsjahren der Könige, dass Amos „Schafzüchter in Thekoa“ gewesen sei und seine prophetische Botschaft „zwei Jahre vor dem Erdbeben“ verkündigt habe. In Am 7,10-17 wird eine Prophetenerzählung überliefert. Die Ich-Rede des Propheten wechselt in einen Er-Bericht aus der Perspektive eines Erzählers. Es wird berichtet, Amos habe am Königsheiligtum des Nordreichs Bethel Unheil über Israel angekündigt. Der Priester Amazja weist Amos aus dem Tempelgebiet aus und fordert ihn auf ins Südreich Juda zurückzukehren. Amos macht deutlich, dass er kein Berufsprophet (hebr. nabi) sei, sondern mit einer besonderen Botschaft Gottes aus dem normalen Leben des Schafzüchters herausgerissen worden sei. Am 7,14f. (Z): „Ich bin kein Prophet (nabi) und kein Prophetenjünger, sondern ein Viehhirt bin ich ... Der Herr hat mich hinter der Herde weggenommen und der Herr hat zu mir gesprochen ...“

Bethel

6.5 | Micha 6.5.1 | Heil und Unheil

Einführung Das Michabuch überliefert die Worte des Propheten Micha. Micha wirkt in der zweiten Hälfte des 8. Jh. (ca. 735-700 v. Chr.). Er kommt aus der ländlichen Umgebung Jerusalems. Seine prophetischen Worte aber sind an die Stadt Jerusalem gerichtet. Er klagt die Verhältnisse dort mit bitteren und kritischen Worten an. Micha kritisiert aus der Perspektive der Landbewohner die Überheblichkeit der Jerusalemer Oberschicht (3,1: „Herren im Hause Israel“). Er wendet sich gegen das Königtum (3,1-4), gegen die Propheten (3,5-7), gegen die Priester (3,11), gegen den Tempel

M i ch a

147

und die Stadt Jerusalem (3,12). Die am Tempel angestellten Propheten und Priester verhöhnt er, weil sie für Geld wahrsagen und lehren. An Michas Auftreten erinnert man sich noch zu Zeiten Jeremias in Jerusalem. Als man fordert, Jeremia zum Schweigen zu bringen, erinnern andere daran, dass in Israel auch Unheilspropheten sprechen dürfen. ˘ Jer 26,17-19 (Z): Es standen auch etliche von den Ältesten des Landes auf und sprachen zu der ganzen Volksversammlung: In den Tagen Hiskias, des Königs von Juda, hat Micha von Moreseth geweissagt; der sprach zu allem Volke Judas: So spricht der Herr der Heerscharen: Zion wird zum Feld umgepflügt, Jerusalem wird zum Trümmerhaufen und der Tempelberg zur Waldeshöhe. Haben ihn da Hiskia, der König von Juda und ganz Juda etwa getötet? Haben sie nicht den Herrn gefürchtet und ihn angefleht, sodass sich der Herr das Unheil gereuen liess, das er ihnen angedroht hatte? Und wir wollen ein so großes Unheil über uns bringen?

Gliederung

| 6.5.2

Das Michabuch ist in einer Doppelstruktur (Unheil/Heil) aufgebaut. 1-3 Unheil über Israel Heil für Jerusalem 4-5 6,1-7,7 Unheil über Israel 7,8-20 Heil für Jerusalem

Lektüre, Inhalt und wichtige Texte Aus den sieben Kapiteln des Michabuches empfehlen sich die drei ersten Kapitel zur Lektüre. Einige der in Mi 1-3 zusammengestellten Unheilsworte gehen möglicherweise auf Micha selbst zurück. Vermutlich ist er nackt aufgetreten, was in Israel eine ungeheure Provokation bedeutet (vgl. Gen 9,22-25; Jes 20,3), Mi 1,8 (E): „Darum will ich klagen und heulen, will barfuss und nackt gehen. Ich will Wehklage halten wie die Schakale und Trauer wie die Strauße.“ Micha formuliert seine Unheilsworte gegen die Stadt, die Könige und das Volk sehr drastisch und übertrifft darin alle anderen Propheten. ˘ Mi 3,1-3 (E): Ist es nicht an euch, das Recht zu kennen, die ihr das Gute hasst und das Böse liebt, die ihr ihnen die Haut abzieht und das Fleisch von ihren Gebeinen? Und diejenigen, die das Fleisch meines Volkes fressen und ihre Haut von ihnen abstreifen und ihre Gebeine zerbrechen und zerstückeln wie in einem Topf und wie Fleisch mit-

| 6.5.3

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de s

8. J a h r h u n de r t s

ten im Kessel, die werden dann zum Herrn um Hilfe schreien, aber er wird ihnen nicht antworten. Die Kapitel 4-7 gehen mit einiger Sicherheit nicht auf den historischen Propheten Micha zurück. Dort findet sich ein wichtiges messianisches Wort, das im Neuen Testament aufgegriffen wird (Lk 2,4; Mt 2,6). ˘ Mi 5,1-4a (E) Bethlehem: Und du, Bethlehem Efrata, das du klein unter den Tausendschaften von Juda bist, aus dir wird mir der hervorgehen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her. Darum wird er sie dahingeben bis zu der Zeit, da eine Gebärende geboren hat und der Rest seiner Brüder zu den Söhnen Israel zurückkehrt. Und er wird auftreten und seine Herde weiden in der Kraft des Herrn, in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden in Sicherheit wohnen. Ja, jetzt wird er groß sein bis an die Enden der Erde. Dieser wird der Herr des Friedens sein.

6.6 | Leitfaden 6 Das Ziel dieser 6. Lerneinheit ist es, Sie in fünf Schritten mit den Themen und Schwerpunkten prophetischer Texte, die sich auf das 8. Jh. v.Chr. zurückführen, vertraut zu machen. Für das Verständnis der prophetischen Bücher ist es wichtiger mit einigen zentralen Aussagen im Wortlaut vertraut zu sein als die Gliederungen der Bücher zu beherrschen. Schritt 1: Einführung in die Prophetie des 8. Jh. Lesen Sie zunächst 6.1 „Einführung in die Prophetie des 8. Jh.“. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Versuchen Sie „Prophetie“ zu definieren! ˘ Machen Sie sich anhand der Übersicht mit der zeitlichen Zuordnung der prophetischen Bücher vertraut. ˘ Welche Zeichenhandlungen werden von den Propheten berichtet? ˘ Klären Sie für sich noch einmal den Unterschied von Prophetenspruch und Prophetenerzählung. Schritt 2: Das Buch des Propheten Jesaja Lesen Sie die Einführung in Kapitel 6.2 „Das Buch des Propheten Jesaja“. Lesen Sie: [9] Protojesaja (39) 1-2; 5,1-7; 6; 8; 9,1-6; 11; 30; 35.

Lei t fa de n 6

Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Das Buch Jesaja zerfällt in wenigstens drei große Blöcke. Was steckt hinter den Begriffen „Proto-“, „Deutero-“ und „Tritojesaja“? ˘ Was lässt sich über die Person Jesajas sagen? ˘ Nennen Sie die messianischen Texte aus Jes 1-39. ˘ Machen Sie sich mit dem sprachlichen Stil Jesaja vertraut. ˘ Was meinen Sie, warum nennt man Jesaja bisweilen den „König der Propheten“? Schritt 3: Das Buch des Propheten Hosea Lesen Sie zunächst Kapitel 6.3 „Das Buch des Propheten Hosea“. Lesen Sie: [6] Hos (14) 1-3; 6; 11; 14. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Hosea bildet das Verhältnis Gottes zu Israel in der Metapher der Ehe ab. Auf welche Weise macht er das? ˘ Versuchen Sie sich einige Aussagen Hoseas mit Hilfe von 6.3.3 „Lektüre, Inhalt und wichtige Texte“ einzuprägen. Schritt 4: Das Buch des Propheten Amos Lesen Sie zunächst Kapitel 6.4 „Das Buch des Propheten Amos“. Lesen Sie: [7] Am (9) 3-9. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Wie begründet Amos Gericht und Unheil über Israel? ˘ Prägen Sie sich einige Aussagen des Amos mit Hilfe von 6.4.3 „Lektüre, Inhalt und wichtige Texte“ ein. Schritt 5: Das Buch des Propheten Micha Lesen Sie eingangs 6.5 „Das Buch des Propheten Micha“. Lesen Sie: [3] Mi (7) 1-3. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Wen kritisiert Micha besonders scharf? ˘ Prägen Sie sich einige Aussagen Michas mit Hilfe von 6.5.3 „Lektüre, Inhalt und wichtige Texte“ ein.

Wichtige Begriffe Prophetie, Zeichenhandlung, Formen prophetischer Überlieferung, Proto-, Deutero-, und Tritojesaja.

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6.7 | Literatur Blenkinsopp, Joseph: Geschichte der Prophetie in Israel, Stuttgart u.a. 1998. Hartenstein, Friedhelm / Krispenz, Jutta / Schart, Aaron (Hg.): Schriftprophetie, NeukirchenVluyn 2004. Jeremias, Jörg: Hosea und Amos, Tübingen 1996 (FAT 13). Kratz, Reinhard Gregor: Die Propheten Israels, München 2003. Rottzoll, Dirk U.: Studien zur Redaktion und Komposition des Amosbuchs, Berlin/New York 1996 (BZAW 243).

Scholl, Reinhard: Die Elenden in Gottes Thronrat. Stilistisch-kompositorische Untersuchungen zu Jesaja 24-27, Berlin/New York 2000 (BZAW 274). Steck, Odil Hannes: Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis. Wege der Nachfrage und Fährten zur Antwort, Tübingen 1996. Steck, Odil Hannes: Gott in der Zeit entdecken. Die Prophetenbücher des Alten Testaments als Vorbild für Theologie und Kirche, Neukirchen 2001 (BThSt 42).

151

Die Prophetie vom 7. bis zum 2. Jahrhundert v.Chr.

|7 |

Inhalt 7.1 Einführung

151

7.2 Jeremia

153

7.3 Klagelieder

158

7.4 Ezechiel

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7.5 Jesaja II (Deuterojesaja: Jesaja 40-55)

164

7.6 Jesaja III (Tritojesaja: Jesaja 56-66)

166

7.7 Sacharja II und III (Deutero- und Tritosacharja: Sacharja 9-14)

167

7.8 Maleachi

168

7.9 Die Komposition des Zwölfprophetenbuches und die übrigen Propheten

170

7.10 Leitfaden 7

173

7.11 Literatur

175

Einführung Die Propheten des achten Jahrhunderts, Jesaja, Hosea, Amos und Micha, haben durch ihr Auftreten die prophetischen Traditionen begründet, die zur Verschriftlichung in den Prophetenbüchern geführt haben. Damit beginnt das Phänomen der Schriftprophetie. In der Schriftprophetie werden Traditionen, die mit dem Namen eines bestimmten Propheten verbunden sind, in Form von Literatur weitergeführt. Die literarische Gestaltung des Prophetenbuches führt dazu, dass auch die literarische Prophetenfigur Eigenschaften bekommt, die sie mehr und mehr von dem historischen Prophet entfernt. Das Prophetenbild verselbständigt sich und orientiert sich zunehmend an einem Ideal. Nach diesem Ideal

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kündigt ein Prophet in einer Gerichts- bzw. Unheilsbotschaft den Untergang des Südreiches Juda, die Zerstörung Jerusalems und das Exil an. Darin erweist er sich als wahrer Prophet, denn diese Ereignisse sind zum Zeitpunkt der Verschriftlichung bereits eingetreten. Er hat neben dieser Gerichts- oder Unheilsbotschaft aber auch eine positive Botschaft, eine Heilsbotschaft, die das Ergehen Israels nach dem Eintreten des Gerichts oder des Unheils unter der Voraussetzung der Umkehr Israels zu Gott schildert. Im Falle des Buches Jeremia (7.2) ist die literarische Gestaltung besonders komplex vorangeschritten. Die Prophetenfigur Jeremia wird durch teilweise ausführliche biographische Texte, durch Texte in der ersten Person (Selbstberichte und Konfessionen) und durch rahmende Erzähltexte zu einer komplexen Gestalt des verfolgten Propheten. Die Klagelieder (7.3), die traditionell Jeremia zugeschrieben werden, unterstreichen diese Elemente der Individualisierung und Biographisierung. Die Klagelieder sollten allerdings unabhängig vom Buch Jeremia gelesen und interpretiert werden. Die kunstvolle Komposition reflektiert die Verhältnisse nach der Zerstörung des Tempels. Einen deutlich anderen Charakter hat das Ezechielbuch (7.4). Obwohl Ezechiel als Empfänger des Gotteswortes, als Visionär und als Akteur prophetischer Zeichenhandlungen im Mittelpunkt des Buches steht, bleiben seine Persönlichkeit und seine Biographie weitgehend im Hintergrund. Die Visionen Ezechiels entwickeln sich von der Reflexion der Zerstörung des Tempels hin zur Zukunft des idealen Israel. Gott enthüllt dem Ezechiel in Visionen die Ursachen des Untergangs, damit diese Fehler in der Zukunft vermieden werden können. Das Ezechielbuch gipfelt in der Vorstellung einer idealen Verfassung Israels. Der Text Ez 40-48 zeigt, dass an ihm viele Autoren mitgewirkt haben, die diese Überzeugung umsetzen wollten. Der Teil des Jesajabuches, der Deuterojesaja (7.5) genannt wird, umfasst die Kapitel 40 bis 55 des Jesajabuches. Die Nennung des Kyros des Großen in Jes 45,1 belegt, dass diese Texte nicht im 8. Jh., sondern in der Zeit um 539 v. Chr. entstanden sind. In Deuterojesaja dominiert die Heilsperspektive. Er kündigt an, dass Israel in einem zweiten Exodus aus dem Exil geführt werden wird. Die prophetischen Texte, die in Tritojesaja (7.6), Deuteround Tritosacharja (7.7) und im Maleachibuch (7.8) zusammengestellt sind, verdanken sich anderer Entstehungsverhältnisse. Die Autoren, die sich mit den Traditionen Jesajas und Sacharjas verbunden fühlen, entwickeln nun die Prophetie unter den Bedingungen der Existenz Israels als Jerusalemer Tempelgemeinschaft weiter. Die Prophetien Jesajas und Sacharjas sind eingetreten, Israel war im Exil und ist zurückgekehrt. Es hat seinen Tempel neu errichtet und das neue Israel begründet. Dessen Realität entspricht nun aber nicht den Vorstellungen, die sich aus

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den Idealen der prophetischen Botschaft ergeben. In Israel herrschen nach wie vor Ungerechtigkeit und Fremdherrschaft. So setzen sich diese Texte zunehmend damit auseinander, dass nur das Eingreifen Gottes selbst am „Tag des Herrn“ noch helfen kann. An diesem Tag, der in der Regel als Gericht vorgestellt wird, wird Gott ein majestätisches Gerichtsverfahren durchführen, in dem er Israel und die nicht-jüdischen Völker in eine neue Beziehung zueinander setzt. Dieser „Tag des Herrn“ oder „Tag der Bedrängnis“ ist auch das Grundthema der kleineren Bücher des Zwölfprophetenbuches (7.9), Joel, Obadja, Nahum, Habakuk und Zefanja. Die Autoren dieser Bücher greifen überwiegend legendarische oder historische Prophetengestalten auf, um in der historischen Verfremdung ihre Botschaft für die Gegenwart zu formulieren. Die Propheten, die über Israel angesichts der Assyrer, Edomiter und Babylonier prophezeien, thematisieren damit das Festhalten Gottes an seinem Volk. Die Bedeutung dieser kleinen Prophetenbücher ist zudem nach ihrer Stellung in der Gesamtkonstruktion des Zwölfprophetenbuches zu interpretieren. Dort stehen sie vor Haggai und Sacharja, also den Propheten, die den Wiederaufbau des Tempels begleiten.

Jeremia

| 7.2

Einführung

| 7.2.1

Das Buch des Propheten Jeremia ist durch eine Redaktion zusammengestellt worden, die der Theologie der Deuteronomisten (vgl. 3.1) nahe steht. Deutlicher als in den deuteronomistischen Geschichtsbüchern (1. Sam-2.Kön) wird aber der Untergang Judas mit Defiziten im sozialen Leben Israels begründet. Jeremia prangert neben der Fremdgötterverehrung auch Ungerechtigkeit und Unterdrückung an. ˘ Jer 7,5-7 (E): Denn nur wenn ihr ... eure Taten wirklich gut macht, wenn ihr wirklich Recht übt untereinander, den Fremden, die Waise und die Witwe nicht unterdrückt, kein unschuldiges Blut an diesem Ort vergießt ..., dann will ich euch an diesem Ort, ..., wohnen lassen. In Israel gibt es Unrecht. Unschuldige werden verurteilt und die Reichen sind rücksichtslos. Durch die redaktionelle Arbeit entsteht das Bild eines Propheten, der den Untergang Judas nicht nur ankündigt, sondern sogar gutheißt (Jer 38,1-5). Die deuteronomistische Redaktion des Jeremiabuches hat so einschneidend in die ursprüngliche Gestalt der prophetischen Worte Jere-

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mias eingegriffen, dass es außerordentlich schwierig ist, die vorexilische Verkündigung Jeremias herauszuarbeiten. Trotz der Datierung in Jer 1,2 („zur Zeit Josias“), die den Beginn der prophetischen Wirksamkeit Jeremias in das Jahr 639 verlegt, können erste Worte Jeremias erst für das Jahr 609 nachgewiesen werden. Die Prophetenerzählungen enden mit der Nachricht der zwangsweisen Wegführung nach Ägypten (nach 586). So ist es angemessen, das Jeremiabuch vor allem als literarisches Produkt und weniger als Quellensammlung zu verstehen. Insbesondere die deutliche Biographisierung des Propheten dient der Veranschaulichung des geschichtlich handelnden Gottes. Jeremia gewinnt durch die Fremdberichte (3. Pers.), durch die Selbstberichte (1. Pers.) und durch Texte, in denen der Prophet sein Erleben schildert, die so genannten „Konfessionen Jeremias“, ein individuelles Profil.

7.2.2 |

Gliederung 1-25 26-36 37-45 46-51 52

7.2.3 |

Gerichtsankündigung gegen Juda Prophetenlegenden mit integrierten Heilsworten (30f; 33) Prophetenlegenden über den leidenden Jeremia Fremdvölkerworte Historischer Bericht (vgl. 2. Kön 24,18-25,30)

Inhalt Das Jeremiabuch berichtet vom Wirken des Propheten Jeremia in Jerusalem und im ägyptischen Exil (43f). Konsequenter als in allen anderen prophetischen Büchern wird die Prophetie mit biographischen Elementen und teilweise ausführlichen Erzähltexten verbunden. Jeremia wirkt nach Jer 1,2 seit den „Tagen Josias“ (ab 639), tatsächlich wird seine Wirksamkeit erst in den Jahren der akuten Bedrohung durch die Neubabylonier fassbar, etwa ab 609 zur Zeit des Königs Jojakim. Das Jeremiabuch beginnt mit dem Berufungsbericht in 1,4-10, an den sich zwei Visionen anschließen (1,11-19). Dieser Eingangsteil ist bereits von den zwei tragenden Motiven des Jeremiabuches geprägt: einerseits die sehr persönliche Zuwendung Gottes zu Jeremia, Jer 1,8 (EÜ): „Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir, dich zu retten“ (vgl. 1,19), andererseits die strenge Gerichtsankündigung über Jerusalem und Juda, Jer 1,16 (EÜ): „dann werde ich sie strafen für alles Böse, das sie getan haben“. Das Volk Gottes ist nach Jeremia ein treuloses Volk. Seine Priester und Propheten lügen, wenn sie behaupten, Gott sei nach wie vor mit seinem Volk (23,11).

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Die Kapitel 2-6 bieten Gerichtsworte, die noch nicht szenisch gerahmt sind. Erst mit Jer 7,1 beginnt die erzählerische Einbindung der Prophetie Jeremias (vgl. 13,1; 16,1f; 17,19; 18,1; 19,1; 22,1). Er tritt in das Tor des Tempels, um dort seine berühmte Tempelrede zu halten. Die Tempelrede gilt als die Zusammenfassung der prophetischen Verkündigung Jeremias. Sie kritisiert das Selbstbewusstsein des Volkes, das auf dem Tempel beruht. Mit dem Tempel (Haus des Herrn) wird die Vorstellung von der Präsenz Gottes in Jerusalem verbunden. Der Tempel und die Präsenz Gottes gelten als Garant der Uneinnehmbarkeit Jerusalems. Jeremia hingegen erinnert an die Kultstätten des Nordreichs. So wie Gott sein Heiligtum Silo im Nordreich Israel (Ephraim) hat zerstören lassen, so könne es auch dem Jerusalemer Tempel ergehen. Die Prophetie Jeremias ist Gerichtswort über Jerusalem und Juda (19,11: „dieses Volk und diese Stadt“). Seine Worte gegen Juda führen dazu, dass er gefoltert wird (Jer 20,1-3). Das Ergehen des Propheten wird in den so genannten Konfessionen Jeremias zur Sprache gebracht (Jer 11,18-12,6; 15,10-21; 17,12-18; 18,19-23; 20,7-18). Mit Jer 26 nehmen die erzählerischen Teile an Umfang und Ausgestaltung erheblich zu. In den Kapiteln 36-45 dominieren sie völlig. Diese Kapitel werden Bericht des Baruch genannt. Jeremia wendet sich an Baruch, damit er seine Worte niederschreibt. Nachdem die erste Buchrolle vernichtet wird (36,23), schreibt Baruch eine zweite (36,32) und wird selbst unter den Schutz Gottes gestellt (45,1-5). Jeremia möchte verhindern, dass ein Teil der Judäer nach Ägypten flieht. Er und Baruch werden aber mit nach Ägypten verschleppt (43,1-7). In 46-51 sind Gerichtsworte gegen andere Völker gesammelt. Jer 52 schließt mit dem Bericht über die zweite Eroberung Jerusalems, der sich eng an 2. Kön 24,18-25,30 anlehnt. Im Jeremiabuch sind Zeichenhandlungen und Visionen besonders wichtig. Zeichenhandlungen Jeremias Ω Jer 13,1-11 Jeremia vergräbt seinen Gürtel am Euphrat. Ω Jer 16,2-9 Die Ehelosigkeit des Propheten (Kinderlosigkeit) bildet das Ende Judas ab (keine Nachkommen). Ω Jer 19,1-13 Jeremia soll einen Krug zerschlagen, um die Zerstörgung Jerusalems abzubilden. Jer 19,11 (E): „Ebenso zerbreche ich dieses Volk und diese Stadt, wie man Töpfergeschirr zerbricht.“ Ω Jer 27f Jeremia in Konkurrenz mit Chananja, der ein hölzernes Joch zerbricht, um zu zeigen, dass die Judäer nicht unter das Joch der Babylonier geraten werden; daraufhin geht Jeremia mit einem unzerbrechlichen eisernen Joch durch die Stadt.

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Tempel und Präsenz Gottes in Jerusalem

Baruch

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Ω Jer 32,7-15 Jeremia kauft während der Belagerung durch die Babylonier einen Acker, um die Heilszusage an Israel darzustellen. Jer 32,15: „Man wird wieder Häuser, Äcker und Weinberge kaufen in diesem Land.“ Visionen Jeremias Ω Jer 1,11-19 Der Mandelzweig, der dampfende Kessel. Ω Jer 24,1-10 Hier schaut Jeremia in einer Vision zwei Körbe mit guten und schlechten Feigen vor dem Tempel. Die guten stehen für die nach Babylon Verbannten, die schlechten für die nach Ägypten geflohenen Judäer.

7.2.4 |

Lektüre Von den 52 Kapiteln des Jeremiabuches werden die folgenden 13 zur Lektüre empfohlen: 1-2; 7; 11-13; 28-29; 31-32; 36-38.

7.2.5 |

Erzählungen Das Jeremiabuch ist durch kleinere Erzähltexte, die die Prophetenworte ergänzen, zu einer Biographie des Propheten gestaltet. Die Erzählungen berichten durchgehend von einem Grundkonflikt: Jeremia verkündet eine für Jerusalem und Juda schlechte Botschaft und trifft auf Widerstand der Priester, des Volkes, der Könige und anderer Propheten. Jer 26-29; 32-45 und 52 enthalten überwiegend Prophetenerzählungen, in denen die Verfolgung, Gefangennahme und Folter Jeremias berichtet werden. Besonders bekannt ist die Haft Jeremias an verschiedenen Orten Jerusalems (Jer 37-39), die schließlich in der Zisterne des Wachhofes endet. Von dort befreien ihn die Babylonier. Einige Zitate sollen die Haftgeschichte veranschaulichen: ˘ Jer 20,1-3 (E): Und als der Priester Paschhur, der Sohn des Immer – er war Oberaufseher im Haus des Herrn –, Jeremia diese Worte weissagen hörte, da schlug Paschhur den Propheten Jeremia und legte ihn in den Block im oberen Tor Benjamin, das am Haus des Herrn ist. Und es geschah am folgenden Tag, als Paschhur Jeremia aus dem Block herausholen ließ, sagte Jeremia zu ihm: Nicht Paschhur nennt der Herr deinen Namen, sondern Magor-Missabib (Grauen ringsum). ˘ Jer 38,6 (E): Da nahmen sie Jeremia und warfen ihn in die Zisterne des Königssohnes Malkija, die sich im Wachhof befand, und sie ließen Jeremia mit Stricken hinab. In der Zisterne aber war kein Wasser, sondern Schlamm, und Jeremia sank in den Schlamm ein.

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˘ Jer 39,11-14 (E): Und über Jeremia gab Nebukadnezar, der König von Babel ... den Befehl: Nimm ihn ... und tu ihm ja nichts Böses an ... Da sandten ... alle Grossen des Königs von Babel ... hin und ließen Jeremia aus dem Wachhof holen.

Wichtige Texte ˘ Jer 1,4-10 (L) Berufung Jeremias: Und des Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Ich kannte dich, ehe denn ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe denn du von der Mutter geboren wurdest, und stellte dich zum Propheten unter die Völker. Ich aber sprach: Ach Herr Herr, ich tauge nicht, zu predigen; denn ich bin zu jung. Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: „Ich bin zu jung“; sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen, was ich dich heiße. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr. Und der Herr reckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute dieses Tages über Völker und Königreiche, dass du ausreißen, zerbrechen, verstören und verderben sollst und bauen und pflanzen. ˘ Jer 7,2-7 (E) Tempelrede: Stell dich in das Tor des Hauses des Herrn [d.i. der Tempel], rufe dort dieses Wort aus und sprich: Hört das Wort des Herrn, ganz Juda, die ihr durch diese Tore kommt, um den Herrn anzubeten! So spricht der Herr der Heerscharen, der Gott Israels: Macht gut eure Wege und eure Taten, dann will ich euch an diesem Ort wohnen lassen! Und verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist dies! Denn nur wenn ihr eure Wege und eure Taten wirklich gut macht, wenn ihr wirklich Recht übt untereinander, den Fremden, die Waise und die Witwe nicht unterdrückt, kein unschuldiges Blut an diesem Ort vergießt und nicht anderen Göttern nachlauft zu eurem Unheil, dann will ich euch an diesem Ort, in dem Land, das ich euren Vätern gegeben habe, wohnen lassen von Ewigkeit zu Ewigkeit. ˘ Jer 7,11 (E) Tempelrede: Ist denn dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Räuberhöhle geworden in euren Augen? (vgl. Mt 21,13; Mk 11,7; Lk 19,46) Aus den Konfessionen (Bekenntnisse) Jeremias: ˘ Jer 11,19f (Z): Ich aber war wie ein zahmes Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; ich ahnte nichts. Sie (die Männer von Anatoth) schmiedeten Pläne wider mich. ˘ Jer 15,10 (Z): Wehe mir Mutter, dass Du mich geboren! einen Mann des Haders und des Streites für alle Welt.

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| 7.2.6

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˘ Jer 17,14 (Z): O Herr, heile mich, so werde ich heil, hilf mir, so ist mir geholfen. ˘ Jer 18, 19 (Z): Habe du auf mich acht, o Herr, und höre die Rede meiner Widersacher. ˘ Jer 20,14-18 (EÜ): Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet. Verflucht der Mann, der meinem Vater die frohe Kunde brachte: Ein Kind, ein Knabe ist dir geboren ... weil er mich nicht sterben ließ im Mutterleib. So wäre meine Mutter mir zum Grab geworden, ihr Schoß auf ewig schwanger geblieben. Warum denn kam ich hervor aus dem Mutterschoß, um nur Mühsal und Kummer zu erleben und meine Tage in Schande zu beenden?

7.3 | Klagelieder 7.3.1 |

Einführung Die Klagelieder (lat. Lamentationes) formulieren die Sicht der Judäer nach der Eroberung und Zerstörung Jerusalems. Die Klage ist Klage über die Situation des Gottesvolkes. Ohne Beschönigungen wird die desolate Lage in Juda geschildert. Die Texte schildern die frühexilischen Verhältnisse, die sonst nur aus Jeremia und Ezechiel erhellt werden.

7.3.2 |

Gliederung 1 2 3 4 5

7.3.3 |

Jerusalem gleicht einer klagenden Witwe Der Zustand Jerusalems wird beklagt Ein Israelit beklagt seine Situation (Wende zur Hoffnung) Die Schuld Jerusalems ist zu Ende Das Volk bittet um die Zuwendung Gottes

Inhalt Die fünf Texte sind so angeordnet, dass eine Entwicklung von der Klage über das Vertrauensbekenntnis und das Schuldeingeständnis hin zur Bitte um die Zuwendung Gottes zu erkennen ist. Diese Bitte wird in Klgl 5 in einem Klagelied des Volkes vorgebracht, das in den Worten gipfelt Klgl 5,21 (EÜ): „Kehre uns, Herr, dir zu, dann können wir uns zu dir bekehren.“

E ze ch ie l

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| 7.3.4

Lektüre Aus den 5 Kapiteln der Klagelieder ist das 2. Kapitel zu lesen.

Wichtige Texte

| 7.3.5

Gerade in der Krise des Gottesvolkes erinnert man sich an die Barmherzigkeit Gottes, wie sie in der Gnadenformel (Ex 34,6; Ps 145,8; Jon 4,2; vgl. S. 17) ausgedrückt ist. Klgl 3,31f (EÜ): Denn nicht für immer verwirft der Herr. Hat er betrübt, erbarmt er sich auch wieder nach seiner großen Huld.

Ezechiel

| 7.4

Einführung

| 7.4.1

Das Buch des Propheten Ezechiel stellt die Zeichenhandlungen, Visionen und Bildreden des Propheten Ezechiel zusammen. Ezechiel wird 597 v.Chr. aus Jerusalem deportiert. Er lebt anschließend im babylonischen Exil. Dort sieht er in Visionen das Schicksal seiner fernen Heimat. In den Visionen werden die Ursachen des Untergangs Jerusalems, aber auch der Verlauf der Zerstörung Jerusalems und des Tempels enthüllt. Das Ergehen der in Juda Zurückgebliebenen wird in Zeichenhandlungen des Propheten abgebildet und in Bildreden mitgeteilt.

Babylonisches Exil

Gliederung

| 7.4.2

1-24 25-32 33-39 40-48

Gericht über Jerusalem und Juda Gericht über Fremdvölker Heilsankündigung Vision der Heilszeit

Inhalt Das Ezechielbuch beginnt mit einer genauen Datierung und einer Beschreibung des Ortes, an dem sich der Prophet befindet (1,1-3). Dann folgt die Schilderung einer Vision, in deren Mittelpunkt die Schau des auf einer Art Fahrzeug angebrachten Thrones steht. Das Gesehene wird vom Visionär zusammengefasst, Ez 1,28 (EÜ): „So etwa sah die Herrlichkeit des Herrn aus.“ Herrlichkeit des Herrn (hebr. kabod JHWH) meint „Schwere“ oder „Majestät“ Gottes und bezeichnet die Seite des letztlich unsichtbaren Gottes, die sich der Erde und den Menschen zuwendet.

| 7.4.3

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Abb. 12 | Vision des künftigen Tempels. Die quadratische Tempelanlage ist ebenso durch drei Festungstore (I-III) gesichert wie der symmetrisch aufgebaute Kernbereich (1-3) aus Opferaltar (B), eigentlichem Tempelgebäude (A, H, V) und einem weiteren Bau (P). Die Konzeption zielt auf den Schutz und die Hervorhebung des Allerheiligsten (A).

In 2,1 wird der Visionär als „Menschensohn“ angesprochen. Es erfolgt seine Beauftragung, in deren Mittelpunkt das Essen einer Schriftrolle steht, die nach Ez 2,10 (EÜ): „... innen und außen beschrieben war und auf ihr waren Klagen, Seufzer und Weherufe geschrieben“. Der Auftrag Ezechiels ist die Mitteilung des Wortes Gottes an das „widerspenstige Volk“. Ezechiel wird als „Wächter“ eingesetzt (3,17; 33,1-9). Seine Aufgabe ist es, Israel zu warnen, den Gerechten zu stärken und den Ungerechten zur Umkehr zu bewegen. Dieser Aufgabe kommt Ezechiel in den Kapiteln 4-24 mit Gerichtsworten gegen Juda und Jerusalem, in 25-32 mit Gerichtsworten gegen fremde Völker und in 33-48 schließlich in Heilsworten an das Volk Gottes nach. Die Wende zu Heilsworten in Ez 33 ist verbunden mit einer Individualisierung der Gottesbeziehung. Gott möchte die Umkehr des einzelnen Israeliten, Ez 33,11 (EÜ): Gott hat „kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass er auf seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt“. Diese Umkehr wird möglich, weil jeder nur für seine eigenen Sünden zur

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Verantwortung gezogen wird, nicht mehr für die seiner Väter, ja nach der Umkehr werden auch die selbst begangenen Sünden vergeben werden. Diese individualisierte Sicht der Schuld wird begleitet von der Hoffnung auf die Wiederherstellung Israels. Gott hat die Macht, sein Volk neu erstehen zu lassen. Das wird in der Totenfeldvision Ez 37 zum Ausdruck gebracht: Knochen, die über eine Ebene verstreut liegen, werden durch das Prophetenwort mit Fleisch und Sehnen überzogen und mit Geist zu lebendigen Menschen beseelt, Ez 37,10 (EÜ): „... sie wurden lebendig und standen auf – ein großes, gewaltiges Heer.“ In Ez 40-48 wird dann eine detaillierte Vision des wiederhergestellten Israel vorgestellt. Der Tempel wird nach den Maßangaben, die Gott selbst gibt, neu aufgebaut. Die Stadt Jerusalem und das Land Israel werden in einem Verfassungsentwurf beschrieben, der das Verhältnis von Volk, Priesterschaft, Leviten und „Fürst“ (anstelle des Königs) neu ordnet. Im Mittelpunkt steht der Tempel. Von ihm wird nach Ezechiel eine Quelle ausgehen, die das ganze Land bewässern wird. Ez 47,12 (EÜ): „An beiden Ufern des Flusses wachsen alle Arten von Obstbäumen. Ihr Laub wird nicht welken, und sie werden nie ohne Frucht sein.“ Im Ezechielbuch finden sich insgesamt vier große Visionen. Alle vier haben eine umfangreiche Wirkungsgeschichte im Judentum und Christentum. Bereits in Amos (Am 7-9), Jesaja (Jes 6) und Jeremia (Jer 1,1119) begegnen Visionen, durch die Gott den Propheten seinen Willen mitteilt. Bei Ezechiel weiten sich die sonst eher knappen Visionen zu umfangreichen und detaillierten Schilderungen aus. Die vier großen Visionen in Ezechiel 1,1-3,15 Vision des Thronwagen Gottes (vgl. Offb 4) Jerusalemvision (Tempel), Thronwagenvision 8-11 37,1-14 Totenfeldvision Vision des Neuen Jerusalems (Tempel) (vgl. Offb 21-22) 40-48

Die Vision des Thrones Gottes wird in der Johannesoffenbarung aufgenommen: ˘ Ez 1,10 (L): Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen, und zur rechten Seite gleich einem Löwen bei allen vieren, und zur linken Seite gleich einem Ochsen bei allen vieren und hinten gleich einem Adler bei allen vieren. ˘ Offb 4,6f (E): Und vor dem Thron war es wie ein gläsernes Meer, gleich dem Kristall, und in der Mitte am Thron und um den Thron vier himmlische Gestalten, voller Augen vorn und hinten. Und die

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erste Gestalt war gleich einem Löwen, und die zweite Gestalt war gleich einem Stier, und die dritte Gestalt hatte ein Antlitz wie ein Mensch, und die vierte Gestalt war gleich einem fliegenden Adler. Die christliche Kirche interpretiert diese vier Wesen (bei Ezechiel handelt es sich um Wesen mit je einem Kopf, der auf vier Seiten je ein Gesicht hat) als Symbole für die vier Evangelisten: Die Symbole der Evangelisten (Ez 1,10; Offb 4,6f) Matthäus: Mensch (Engel) Markus: Löwe Lukas: Stier Johannes: Adler Die Vision des neuen Jerusalem wird ebenfalls in der Johannesoffenbarung variierend aufgegriffen. Ezechiel sieht Jerusalem als eine Stadt auf dem Berg, während Offb davon berichtet, wie das neue Jerusalem vom Himmel kommt. Im Mittelpunkt der Vision Ezechiels steht der Tempel, in Offb 21-22 fehlt der Tempel. Gott selbst wird inmitten der Stadt sein. Zum Vergleich werden einige Stellen aus Ezechiel und der Johannesoffenbarung gegenübergestellt: ˘ Ez 40,2 (L): Durch göttliche Gesichte führte er mich ins Land Israel und stellte mich auf einen hohen Berg, darauf war’s wie eine gebaute Stadt gegen Mittag. ˘ Ez 43,7 (Z): Und die Stimme sprach zu mir: Menschensohn, hast du gesehen die Stätte meines Thrones und die Stätte meiner Fußsohlen, wo ich für immer inmitten Israels wohnen will? ˘ Offb 21,1f (L): Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann. ˘ Offb 21,22 (L): Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, und das Lamm. Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.

7.4.4 |

Lektüre Aus den 48 Kapiteln des Ezechielbuches empfiehlt es sich insgesamt etwa 17 zu lesen: 1-5; 8-11; 18; 24; 33-34; 37; 40,1-4; 43,1-12; 45,1-8; 47,1-12.

E ze ch ie l

Erzählungen

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| 7.4.5

Als Erzähltexte eignen sich am ehesten die Schilderungen der teilweise skurrilen prophetischen Zeichenhandlungen. ˘ Ez 3,1-3: Ezechiel isst eine Buchrolle: „süß wie Honig“. ˘ Ez 4-5: Ezechiel stellt die Belagerung Jerusalems dar, isst unreine Kost, schneidet seinen Bart ab. ˘ Ez 12: Ezechiel stellt die Verschleppung der Judäer und die Verwüstung Judas dar, indem er aus seinem Haus auszieht und sein Brot mit Zittern isst. ˘ Ez 24: Ein Kessel, dessen Rost selbst unter größter Hitze nicht verschwindet, steht für das unreine Jerusalem. Ezechiel soll auf die Totenklage um seine plötzlich verstorbene Frau verzichten, weil auch um Jerusalem nicht geklagt werden wird. ˘ Ez 37,15-28: Zwei Stäbe stehen für Israel und Juda. Sie werden miteinander verbunden, um das neue Israel darzustellen, dessen Heil von Gott beschlossen ist.

Wichtige Texte ˘ Ez 3,17-19 (L): Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel. Du wirst aus meinem Munde das Wort hören und sollst sie in meinem Namen warnen. Wenn ich dem Gottlosen sage: Du musst des Todes sterben! und du warnst ihn nicht und sagst es ihm nicht, um den Gottlosen vor seinem gottlosen Wege zu warnen, damit er am Leben bleibe, – so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Wenn du aber den Gottlosen warnst und er sich nicht bekehrt von seinem gottlosen Wesen und Wege, so wird er um seiner Sünde willen sterben, aber du hast dein Leben errettet. ˘ Ez 11,19 (L): Ich will ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in sie geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben, damit sie in meinen Geboten wandeln und meine Ordnungen halten. ˘ Ez 33,11 (L): So sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: ich habe kein Gefallen am Tode der Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe. So kehrt nun um von euren bösen Wegen. Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?

| 7.4.6

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7.5 | Jesaja II (Deuterojesaja: Jesaja 40-55) 7.5.1 |

Einführung Die Kapitel 40-55 des Jesajabuches weichen in Form und Inhalt so weit von Jes 1-39 ab, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine eigenständige Entstehung dieser Texte angenommen werden kann. Der deutlichste Hinweis auf die spätere Entstehungszeit ist die Ankündigung des Wirkens des Kyros in Jes 45,1.

Abb. 13 Rollsiegel des Perserkönigs Darius I.

Sieg des Perserkönigs Kyros über Babylon

7.5.2 |

Deuterojesaja befasst sich mit der Situation der Israeliten im babylonischen Exil. Die Exulanten wissen um das Herandrängen des Perserkönigs Kyros nach Babylon. Von ihm ist bekannt, dass er die von den Neubabyloniern weggeführten Völker wieder in ihre Heimat zurückkehren lässt. Die Texte sind deswegen nach 550 v. Chr., dem ersten bedeutenden Sieg des Kyros, aber vor 539, dem Einzug des Kyros in Babylon, zu datieren. Sie sind in einer Zeit höchster Erwartung geschrieben. Diese Spannung findet ihren Ausdruck in Formulierungen surrealistisch anmutender Zukunftshoffnung (55,12: „alle Bäume klatschen“), aber auch in depressiv anmutenden Reflexionen (53,7: „wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt“).

Gliederung 40-48 Ankündigung des Kyros Das Handeln Gottes 49-55

Je s a j a I I

Inhalt

165

| 7.5.3

Die Kapitel 40-55 sind gerahmt durch einen Prolog in 40,1-11 und einen Epilog in 55,6-11(12f). In diesen Texten wird Gott als der vorgestellt, dessen Wort Macht hat. Er wird „mit starkem Arm“ Israel nach Jerusalem zurückführen. 40-48 kreisen um die Erwartung des Kyros. Sein Kommen wird in 45 (Kyrosorakel) als das Kommen des „Gesalbten Gottes“ (Messias) angekündigt. In ihm zeigt sich die Macht Gottes. Gott ist der Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte. Er ist der einzige Gott. Die anderen Götter sind lächerliche Menschengebilde (44,9-20). Die machtvollen Gottesaussagen werden begleitet von Texten, die sich dem Beauftragten Gottes zuwenden, den vier so genannten Ebed-JHWH-Liedern oder Gottesknechtsliedern (42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53,12). Die Deutung dieser vier zueinander in Spannung stehenden Texte ist nicht leicht. Handelt es sich bei dem „Knecht“ um ein Individuum, etwa Deuterojesaja selbst, oder ist das ganze Volk Israel gemeint? In Jes 49-55 tritt das Heilshandeln Gottes selbst in den Vordergrund. Er wird es sein, der seinem Volk den Weg nach Jerusalem durch die Wüste bereitet. Immer wieder wird den zögernden Israeliten Mut zugesprochen. Jes 54,10 (Z): „Denn die Berge mögen weichen und die Hügel wanken, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und mein Friedensbund nicht weichen.“

Lektüre

| 7.5.4

Aus den 17 Kapiteln des Deuterojesaja werden neun zur Lektüre empfohlen: 40; 42; 49-55.

Erzählungen

| 7.5.5

In Deuterojesaja gibt es eigentlich keine Erzähltexte. Lediglich das vierte Gottesknechtslied kann als Bericht eines dramatischen Missverständnisses gesehen werden. Seine narrative Grundstruktur eignet sich zur Nacherzählung.

Wichtige Texte ˘ Jes 44,24 (Z) Gott als Schöpfer: Ich bin der Herr, der alles gemacht hat, der die Himmel ausgespannt ganz allein, der die Erde gegründet – wer war bei mir? ˘ Jes 48,20f (E) der neue Exodus: Zieht aus Babel fort! Flieht aus Chaldäa! Mit jubelnder Stimme verkündet, lasst es hören, breitet es aus

| 7.5.6

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bis an die Enden der Erde! Sprecht: Erlöst hat der Herr seinen Knecht Jakob! Und sie dürsteten nicht, als er sie durch die Trümmerstätten führte. Wasser aus dem Felsen ließ er ihnen rinnen, er spaltete den Felsen, und Wasser floss heraus. ˘ Jes 44, 6 (L) der eine Gott und die Götzen: Ich bin der Erste und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott. ˘ Jes 45,5 (L) Einzigkeit Gottes: Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr, kein Gott ist außer mir. ˘ Jes 45,1 (L) Kyros, der Gesalbte Gottes: So spricht der Herr zu seinem Gesalbten (meschiach), zu Kyros. ˘ Gottesknechtslieder (Ebed-JHWH-Lieder): Jes 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53,12.

7.6 | Jesaja III (Tritojesaja: Jesaja 56-66) 7.6.1 | Heil für das nachexilische Juda

7.6.2 |

Einführung Die Kapitel 56-66 des Jesajabuches führen die Heilsverkündigung Deuterojesajas weiter, setzen aber auch neue Akzente. Das Thema „Neuer Exodus“ begegnet nicht mehr. Die Adressaten der Texte scheinen im nachexilischen Juda zu suchen zu sein. Es wird die Frage behandelt, wie die klägliche Gegenwart Israels angesichts der großartigen Heilszusagen Gottes zu verstehen ist. Tritojesaja stellt Verstöße gegen das Recht fest. Das angekündigte Heil ist mit der Wiedererrichtung Judas noch nicht eingetreten. Das wirkliche Israel, wie Gott es will, steht noch aus.

Gliederung 56-59 60-62 63-66

7.6.3 |

Verstöße gegen das Recht Die nahe bevorstehende Herrlichkeit Zions Heil und neue Schöpfung

Lektüre Von den elf Kapiteln Tritojesajas empfehlen sich vier zur Lektüre: 60-61; 65-66.

7.6.4 |

Inhalt In den Texten Jes 56-66 handelt es sich um eine Sammlung prophetischer Texte aus nachexilischer Zeit, die die Spannung zwischen Erwar-

S a ch a r j a I I

und

III

167

tung und Realität in Israel thematisieren. Die hochgespannten Erwartungen an die Präsenz Gottes und an einen Heilszustand in Israel werden konfrontiert mit Mängeln in der Gesetzesbefolgung und der Gerechtigkeit in Israel, aber auch mit der Dominanz fremder Völker. Im Mittelpunkt stehen die großartigen Vorstellungen von der Herrlichkeit Jerusalems, die in Jes 60-62 entfaltet werden. Letztlich wird aber eine Neuordnung der ganzen Schöpfung erwartet, die auch Auswirkungen auf die Völker haben wird. Am Ende steht die universale Gottesherrschaft über alle Völker.

Wichtige Texte

| 7.6.5

˘ Jes 56,7 (L): Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker. (Vgl. Mk 12,17) ˘ Jes 58,7 (L): Brich dem Hungrigen dein Brot, und die, so im Elend sind, führe ins Haus; so du einen nackt siehst, so kleide ihn. ˘ Jes 60,1f (L): Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt. ˘ Jes 61,1 (Z): ... er hat mich gesandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen, zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, den Gefangenen Befreiung zu verkünden, und den Gebundenen Lösung der Banden. (Vgl. Lk 4,17-21) ˘ Jes 63,16 (EÜ): Du bist doch unser Vater ... Du, Herr, bist unser Vater. ˘ Jes 66,22 (EÜ): Wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich erschaffe.

Sacharja II und III (Deutero- und Tritosacharja: Sacharja 9-14)

| 7.7

Einführung

| 7.7.1

Die Kapitel 9-14 des Sacharjabuches stellen Anhänge an den Grundbestand Sach 1-8 dar. Sie reflektieren die wechselnden Hoffnungen Israels angesichts innerer und äußerer Bedrohungen in persischer (Deuterosacharja: Sach 9-11) und hellenistischer Zeit (Tritosacharja: Sach 12-14).

Gliederung 9-11 12-14

Der Friedenskönig und die schlechten Hirten in Israel Bedrängnis und Läuterung am Tag des Herrn

| 7.7.2

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7.7.3 |

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Lektüre Aus den sechs Kapiteln von Sach 9-14 werden fünf zur Lektüre empfohlen: 8-9; 12-14.

7.7.4 |

Inhalt Die Kapitel 9-14 sind geprägt vom Wechsel zwischen Zukunftshoffnung für Israel und Enttäuschung über die Realität. In dieser Spannung stehen auch verschiedene Retter- oder Erlösergestalten, die genannt werden. Die Texte, in denen Rettergestalten erwähnt werden, sind im Christentum messianisch (d.h. als Weissagungen auf Christus) gedeutet worden (9,9f). Die große Hoffnung der Texte selbst aber ist letztlich die Einheit von Gott und seiner Stadt Jerusalem (vgl. Ez 40-48). Jerusalem soll dann der Mittelpunkt der Welt sein, Gott regiert in Jerusalem als König der Erde. Sach 14,9f (Z): Und der Herr wird dann König sein über die ganze Erde; an jenem Tag wird der Herr einzig sein und sein Name einzig. Und das ganze Land wird sich zur Ebene wandeln ... Die Stadt (d.i. Jerusalem) aber wird hochragen.

7.7.5 |

Wichtige Texte ˘ Sach 9,9f (L): Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, demütig ist er und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. ... Er schafft den Völkern Frieden durch seinen Spruch, und seine Herrschaft reicht ... bis an die Enden der Erde. ˘ Sach 12,10 (L): Aber über das Haus David und über die Bürger Jerusalems will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets. Und sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben, und sie werden um ihn klagen, wie man klagt um ein einziges Kind, und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübt um den Erstgeborenen.

7.8 | Maleachi 7.8.1 |

Einführung Das Buch Maleachi war wohl ursprünglich ein Bestandteil des Sacharjabuches. Der Name ist eigentlich das hebräische Wort für „Bote“. Im Zwölfprophetenbuch (Dodekapropheton) ist Maleachi das letzte Buch. Es

M a le a ch i

169

schließt diese Sammlung prophetischer Bücher mit einem Ausblick auf die Zukunft (der wiederkommende Elia).

Gliederung

| 7.8.2

1,1 Titel: Wort Gottes durch Maleachi („meinen Boten“) 1,2-3,21 Streitgespräche 3,22-24 Anhänge

Inhalt

| 7.8.3

Im Buch Maleachi sind Streitgespräche zusammengestellt. In der Gottesrede werden Einwände gegen Gott erhoben und zurückgewiesen. Die Einwände werden teilweise als rhetorische Fragen, teilweise als direkte Anrede vorgebracht. In ihnen geht es um die Ehre und die Achtung Gottes, die Gott in Israel nicht mehr entgegengebracht werden. Die Ankündigung der Wiederkunft Elias vor dem Gerichtstag Gottes wird im Neuen Testament aufgenommen. Im Judentum gibt es bis heute die Sitte zum Sedermahl des Sabbatabends einen Platz für Elia vorzubereiten. Im Neuen Testament wird diese Funktion Elias auf Johannes den Täufer übertragen. Elia im Neuen Testament (Johannes der Täufer) ˘ Mk 9,11-13: Die Schriftgelehrten sagen doch, dass zuvor Elia kommen muss. Jesus aber sprach: Ja, zuvor kommt Elia und bringt alles wieder zurecht. ... Aber ich sage euch: Elia ist schon gekommen, und sie haben ihm getan, was sie wollten. ˘ Mt 11,13f: Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis zur Zeit des Johannes; und so ihr’s wollt anhören: er ist der Elia, der da kommen soll. ˘ Lk 1,13.17: Der Engel sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias, ... dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, den sollst du Johannes nennen. ... Und er wird vor ihm (dem Herrn) hergehen in Geist und Kraft des Elia, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern ..., zuzurichten dem Herrn ein bereitet Volk.

Wichtige Texte ˘ Mal 1,2f (L): Ich habe euch lieb, spricht der Herr. Ihr aber sprecht: Woran sehen wir, dass du uns lieb hast? Ist nicht Esau Jakobs Bru-

| 7.8.4

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der? spricht der Herr; und doch habe ich Jakob lieb und hasse Esau und habe seine Gebirge öde gemacht und sein Erbe den Schakalen zur Wüste. ˘ Mal 3,23f (L): Siehe, ich sende euch den Propheten Elia, ehe der große und furchtbare Tag des Herrn kommt. Und er wird das Herz der Väter den Söhnen und das Herz der Söhne den Vätern wieder zuwenden, dass ich nicht komme und das Land mit dem Banne schlage.

7.9 | Die Komposition des Zwölfprophetenbuches und die übrigen Propheten 7.9.1 | Von der assyrischen Expansion bis zum Bau des zweiten Tempels

Das Zwölfprophetenbuch (Dodekapropheton) Fünf kleinere Prophetenbücher wurden bisher nicht eigens behandelt. Es handelt sich um die Bücher Joel, Obadja, Nahum, Habakuk und Zefanja. Sie gehören zu einer Reihe von zwölf prophetischen Büchern, die ursprünglich ein Buch, nämlich das Zwölfprophetenbuch (gr. Dodekapropheton) gebildet haben. Dodekapropheton Hosea (vgl. Kapitel 6.3) Joel Amos (vgl. Kapitel 6.4) Obadja Jona (vgl. Kapitel 4.7) Micha (vgl. Kapitel 6.5) Nahum Habakuk Zefanja Haggai (vgl. Kapitel 4.4) Sacharja (vgl. Kapitel 4.5 und 7.6) Maleachi (vgl. Kapitel 7.7) Die deutschen Bibelübersetzungen bringen diese zwölf kleinen Propheten nach den vier großen Prophetenbüchern Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel. Sie folgen damit der Reihenfolge des Zwölfprophetenbuchs, geben aber keinen Hinweis darauf, dass diese zwölf kleinen Propheten ein Buch bilden. Die Erforschung des Alten Testaments legt inzwischen großen Wert darauf, die literarischen Zusammenhänge dieser Schriften zu verstehen. Es stellen sich Fragen nach der Bedeutung der Gesamtkomposition: Wie

Da s Zw ölfp r op h e t e n b u ch

u n d die ü b r i g e n

P r op h e t e n 7

soll das Zwölfprophetenbuch nach Ansicht der Endredaktion gelesen werden? Sind kompositorische Gesichtspunkte zu erkennen, die auch für das Verständnis der einzelnen Schriften und ihrer Stellung im Ganzen von Bedeutung sind? Zunächst ist festzustellen, dass die Schriften in einer historischen Reihenfolge geordnet sind. In den Eingangssätzen der kleinen Propheten finden sich häufig Datierungen oder Hinweise auf Ereignisse. Ein mit der Geschichte Israels vertrauter Leser kann auf dieser Basis die im Buch berichteten Prophetenworte zeitlich einordnen. Diese Angaben sind teilweise von den Endredaktoren ergänzt und überarbeitet worden. So ist das Zwölfprophetenbuch ein Zusammenhang, der durchaus als Ganzes gelesen werden kann. In ihm spiegelt sich aus der Perspektive der prophetischen Verkündigung die Geschichte Israels vom achten bis ins fünfte Jahrhundert, von der assyrischen Expansion bis zum Bau des zweiten Tempels. Diese perspektivische Sicht dient aber weniger dem Rückblick auf die Geschichte als vielmehr der Analyse der Gegenwart, die vom Zwölfprophetenbuch als Zeit der Erwartung göttlichen Handelns verstanden wird. Gott wird am „Tag des Herrn“ kommen und Gericht halten. Dieses Gericht wird Gerechtigkeit schaffen und Frieden ermöglichen. Wie das genau geschehen soll, wird sehr unterschiedlich beantwortet. Die Vorstellungen, die mit dem „Tag des Herrn“ verbunden sind, sind vielfältig und werden oft innerhalb des gleichen prophetischen Buches kontrovers diskutiert. So endet Maleachi zunächst in 3,19f mit der Aussage, dass „die Gottlosen zertreten“, den Gottesfürchtigen aber die „Sonne der Gerechtigkeit“ aufgehen soll. Diese Schlussvision wird dann aber doch in Mal 3,23f wieder erweitert mit der Hoffnungsfigur des Elia. Elia soll noch vor dem „Tag des Herrn“ kommen und wieder Einheit in Israel schaffen („das Herz der Väter bekehren zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern“). Dann wird der Tag des Herrn nicht schrecklich sein, sondern ein freudiges Ereignis.

Die übrigen Propheten (Joel, Obadja, Nahum, Habakuk, Zefanja) Joel Das Buch Joel ist undatiert. Auch die berichteten Ereignisse geben keinen rechten Anhalt für die Frage, warum das Buch dem Amosbuch vorgeordnet und damit von der Redaktion in die Zeit der assyrischen Expansion datiert wurde. Joel schildert eine Heuschreckenplage (1,212) in militärischer Terminologie. Er fordert zu einer Kulthandlung auf (1,13-20). Die Feier wird durch das Blasen des Widderhornes eröffnet und mit einer Heilszusage (Orakel) beendet (2,18-27). Die Heilszusage wird dann ausgeweitet zu einer Vision des Tags des Herrn, der die Aus-

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Tag des Herrn

| 7.9.2

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gießung des Geistes Gottes, Strafgericht über die Heiden und Heil für Israel mit sich bringt. Joel 3,1-5 wird in Apg 2,17-21 ausführlich zitiert und auf das Pfingstwunder bezogen. Obadja Die 21 Verse des Büchleins Obadja schildern Konflikte zwischen den Israeliten und dem Nachbarvolk der Edomiter. Die Völker sind zwar Brüder, Israel ist Jakob und Edom ist Esau (vgl. Gen 25,13), die Israeliten aber sind Plünderungen und Raubzügen Edoms ausgesetzt. So ist das Buch im ersten Teil Gotteswort gegen Edom (1-15), „um des Frevels willen, an deinem Bruder Jakob begangen“ (10). Israel wird am Tag des Herrn gerettet werden und sein Land zurückerhalten (16-21). Nahum Das Nahumbuch umfasst drei Kapitel, die aus einer nationalistischen Perspektive die Zerstörung Ninives vorhersagen. Zunächst wird das Erscheinen Gottes beschrieben (1,2-14), dann die Vernichtung Ninives angekündigt (2,2-14: Orakel über Ninive) und schließlich dieses Ereignis bejubelt (3,1-19). Ninive ist die assyrische Hauptstadt, ihre Zerstörung steht für die Vernichtung des assyrischen Reiches. Habakuk Die drei Kapitel des Habakukbuches sind in Erwartung des Ansturms der Babylonier (1,6: „Chaldäer“) geschrieben und sind deswegen in die Zeit vor 598 zu datieren. Habakuk ist von der Frage bewegt, wie es zugehen kann, dass der Gerechte vom Gottlosen übervorteilt wird. Die Frage des Propheten wird mit visionären Texten und mit einer göttlichen Reaktion beantwortet. Der Prophet führt einen Dialog mit Gott (1,2-2,5). Das Ergebnis ist in 2,4 formuliert: Der Gerechte wird aus Glauben leben. Dieses Wort wird von Paulus in Röm 1,17 aufgenommen und als Beleg für sein Verständnis von Glaubensgerechtigkeit zitiert. Fünf Weheworte (2,6-20) und ein Psalmgebet (3,2-19) schließen das Buch ab. Zefanja Nach Zef 1,1 bietet das Buch eine Prophetie aus der Zeit des Königs Josia von Juda (639-609). In 1,2-18 wird der Tag des Herrn geschildert, der über Jerusalem kommen soll. Die Kapitel 2 und 3 stellen die „Elenden“ und die „Demütigen“ in den Mittelpunkt, die mit den geschilderten sozialen und politischen Verfehlungen nichts zu tun haben. Dieses „arme und geringe Volk“ wird übrig bleiben und Gott wird mit ihm sein.

Lei t fa de n 7

Wichtige Texte

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| 7.9.3

˘ Joel 3,1f Ausgießung des heiligen Geistes (L): Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. ˘ Habakuk 2,4 Glaubensgerechtigkeit (L): Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine Ruhe in seinem Herzen haben, der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben. ˘ Nahum 2,1 (L): Siehe auf den Bergen die Füße eines guten Boten, der da Frieden verkündigt!

Leitfaden 7 Ziel der 7. Lerneinheit ist es, Material für das Überblickswissen zur Prophetie des 7.-2. Jh. v.Chr. an die Hand zu geben. Schritt 1: Das Buch des Propheten Jeremia Lesen Sie zunächst Kapitel 7.1 „Einführung“ und 7.2 „Jeremia“. Lassen Sie sich dabei von dem Leitgedanken „der gefährdete und verfolgte Prophet Jeremia“ führen. Lesen Sie: [13] Jer (52) 1f; 7; 11-13; 28-29; 31-32; 36-38. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Rekapitulieren Sie für sich das Schicksal des Propheten Jeremia. ˘ Prägen Sie sich einige der charakteristischen Formulierungen der Konfessionen Jeremias ein. ˘ Klären Sie für sich die Inhalte der Tempelrede Jeremias. Schritt 2: Die Klagelieder Lesen Sie nun Kapitel 7.3 „Die Klagelieder“. Lesen Sie: [1] Klgl (5) 2 (Klagelieder Jeremias). Schritt 3: Ezechiel Lesen Sie Kapitel 7.4 unter dem Leitgedanken „der Visionär unter den Propheten“. Lesen Sie: [17] Ez (48) 1-5; 8-11; 18; 24; 33-34; 37; 40,1-4; 43,1-12; 45,18; 47,1-12. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was wissen Sie über die Situation Ezechiels? ˘ Nennen Sie die vier großen Visionen Ezechiels.

| 7.10

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˘ Welche Zeichenhandlungen vollzieht Ezechiel? ˘ Was charakterisiert die Botschaft und den Auftrag Ezechiels? ˘ Nennen Sie die Symbole aus Ez 1,10, die auch die Johannesoffenbarung (4,7) aufgreift und die die Kirchenväter den vier Evangelisten zugeordnet haben. Schritt 4: Deuterojesaja: Jesaja II (Jes 40-55) Lesen Sie zunächst wieder das einführende Kapitel (7.5). Lassen Sie sich bei der Lektüre von dem Leitgedanken führen: „Die Radikalisierung der Zukunftshoffnung“. Lesen Sie: [9] Deuterojesaja (17) 40; 42; 49-55. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Das Buch Jesaja zerfällt in mindestens drei große Blöcke. Welche Kapitel werden diesen Blöcken zugeordnet? ˘ Jesaja und Deuterojesaja waren keine Zeitgenossen. Können Sie sagen, wann Deuterojesaja lebte? ˘ Deuterojesaja formuliert Aussagen über Gott. Charakterisieren Sie diese. ˘ Prägen Sie sich die für Deuterojesaja charakteristischen Formulierungen ein. ˘ Was ist unter „Gottesknechtslieder“ zu verstehen? ˘ Versuchen Sie den dramatischen Gehalt des vierten Gottesknechtslieds nachzuerzählen (was ist wem passiert?). Schritt 5: Tritojesaja: Jesaja III (Jes 56-66) Lesen Sie Kapitel 7.6 „Jesaja III“. Lesen Sie: [4] Tritojesaja (10) 60-61; 65-66. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich einige der für Tritojesaja charakteristischen Formulierungen ein. Schritt 6: Sacharja II + III Lesen Sie zunächst Kapitel 7.7 „Sacharia II + III“. Sowohl Deuterosacharja als auch Maleachi (Schritt 7) lassen sich unter dem Leitgedanken „Die Krise der Prophetie“ zusammenfassen. Lesen Sie: [5] Sach 9-14 (6) 9; 12-14. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die für Deutero- und Tritosacharja charakteristischen Formulierungen ein.

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Schritt 7: Das Buch des Propheten Maleachi Lesen Sie auch hier zunächst die einführenden Angaben in Kapitel 7.8 „Das Buch des Propheten Maleachi“. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Was sagt Maleachi über Elia und wie wird das im Neuen Testament aufgenommen? Schritt 8: Das Zwölfprophetenbuch (Dodekapropheton) Lesen Sie das Kapitel 7.9. zum Zwölfprophetenbuch und zu den fünf bisher nicht behandelten kleinen Prophetenbüchern. Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die Namen und die Reihenfolge der zwölf kleinen Propheten ein.

Wichtige Begriffe Fremdvölkerworte, Gerichtsworte, Visionen, Zeichenhandlungen, Tempelrede, Jerusalemvision, Thronwagenvision, Totenfeldvision, Tag des Herrn, Zwölfprophetenbuch, Dodekapropheton.

| 7.11

Literatur Bezzel, Hannes: Die Konfessionen Jeremias. Eine redaktionsgeschichtliche Studie, Berlin/New York 2007 (BZAW 378). Fischer, Georg: Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2007. Janowski, Bernd: Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, Stuttgart 1997 (SBSt 165). Klein, Anja: Schriftauslegung im Ezechielbuch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Ez 34-39, Berlin/New York 2008 (BZAW 391). Konkel, Michael: Architektonik des Heiligen. Studien zur zweiten Tempelvision Ezechiel (Ez 40-48), Berlin/Wien 2001 (BBB 129). Petry, Sven: Die Entgrenzung JHWHs. Monolatrie, Bilderverbot und Monotheismus im Deuteronomium, in Deuterojesaja und im Ezechielbuch, Tübingen 2007 (FAT 2/27).

Pohlmann, Karl-Friedrich: Ezechiel. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2008. Roth, Martin: Israel und die Völker im Zwölfprophetenbuch. Eine Untersuchung zu den Büchern Joel, Jona, Micha und Nahum, Göttingen 2005 (FRLANT 210). Ruszkowski, Leszek: Volk und Gemeinde im Wandel. Eine Untersuchung zu Jesaja 56-66, Göttingen 2000 (FRLANT 191). Saur, Markus: Der Tyroszyklus des Ezechielbuches, Berlin / New York 2008 (BZAW 386). Schart, Aaron: Die Entstehung des Zwölfprophetenbuchs. Neubearbeitungen von Amos im Rahmen schriftenübergreifender Redaktionsprozesse, Berlin 1998 (BZAW 260). Schöpflin, Karin: Theologie als Biographie im Ezechielbuch. Ein Beitrag zur Konzeption alttestamentlicher Prophetie, Tübingen 2002 (FAT 36).

176

8 | Das Markusevangelium

Inhalt 8.1 Einführung in die synoptischen Evangelien

176

8.2 Formen der synoptischen Tradition

178

8.3 Gliederung

182

8.4 Inhalt und Aufbau

183

8.5 Wichtige Themen

189

8.6 Leitfaden 8

191

8.7 Literatur

193

8.1 | Einführung in die synoptischen Evangelien 1. Zum Begriff „Synopse“ Die Begriffe „Synoptiker“, „Synopse“ und „synoptisch“ sind von gr. synorao, zusammenschauen abgeleitet. Die Evangelien Mt, Mk und Lk stimmen in Inhalt, Aufbau und Wortlaut so weitgehend überein, dass sie in Spaltendruck parallel (synoptisch) gedruckt werden können (Evangeliensynopsen). Man kann an sehr vielen Textabschnitten (Perikopen) dann direkt vergleichen, wie ein neutestamentlicher Text in den jeweiligen Evangelien aufgenommen und abgewandelt wurde. Mit „synoptischer Tradition“ bezeichnet man die Stoffe der Jesusüberlieferung, die sich in Mt, Mk und Lk finden. Aufbau der synoptischen Evangelien

Mt

Mk

Lk

Vorgeschichte Galiläa Jerusalem Osterereignisse

1-2 3-20 21-27 28

- 1-10 11-15 16

1-2 3,1-19,28 19,29-23,49 24

S y n op t i s ch e E v a n g e lie n

2. Die Zweiquellenhypothese Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der synoptischen Evangelien erklärt man in der Regel mit der so genannten Zweiquellenhypothese. Sie erklärt nach wie vor die Textbeziehungen von Mk, Lk und Mt zueinander noch am besten, und d.h. mit den geringsten Widersprüchen. Sie besteht aus zwei Behauptungen: ˘ Das Mk-Evangelium lag den Verfassern von Lk und Mt als schriftliche Quelle vor und wurde von ihnen benutzt (Mk-Priorität). ˘ An den Stellen, an denen Mt und Lk miteinander übereinstimmen, Mk aber keinen Text bietet (Nicht-Mk-Stoff), haben Mt und Lk eine weitere (schriftliche) Quelle benutzt, die so genannte Spruchquelle oder Logienquelle (von gr. logion, Spruch), genannt Q (für Quelle). 3. Synoptischer Vergleich Im Vergleich der Textfassungen von Mk, Mt und Lk zeigen sich in den Unterschieden und Übereinstimmungen die besonderen Akzentsetzungen der einzelnen Evangelisten. Der synoptische Vergleich ermöglicht es, die vermutlich ursprünglichere Fassung einer Textüberlieferung zu rekonstruieren, weil man die Zusätze der Evangelisten (Redaktion) im Textvergleich recht sicher bestimmen kann. Ebenso verhilft ein synoptischer Vergleich dazu, die Intention der einzelnen Evangelisten deutlicher zu erkennen. Evangeliensynopse. Mt ergänzt eine halachische Sentenz (12,11f). Lk unterstreicht die Überlegenheit Jesu (6,8a). Mt und Lk verzichten auf das Verstockungsmotiv aus Mk 3,5.

| Abb. 14

177

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Da s M a r k u s ev a n g e li u m

4. Synoptiker und Johannes Die synoptischen Stoffe sind teilweise im Johannesevangelium aufgenommen. Aufs Ganze muss man jedoch feststellen, dass das Joh im Wortlaut und im Aufbau deutlich von den synoptischen Evangelien abweicht. Es ist zwar wahrscheinlich, dass der Verfasser des Joh die Synoptiker, zumindest Mk und Lk, kannte, dennoch hat er von ihren Texten nicht als Quelle Gebrauch gemacht. Selbst in den gemeinsamen Stoffen (Tempelaustreibung, Speisung, Sturmstillung, Passion, Auferstehung) sind die Unterschiede so stark, dass man von einer eigenständigen Tradition sprechen muss. Die deutlichste textliche Nähe findet sich in den folgenden Perikopen: ˘ Hauptmann von Kapernaum (Lk 7,1-10; Mt 8,5-13) zu Joh 4,46-53 ˘ Wundersame Speisung und Sturmstillung (Mk 6,32-52) zu Joh 6,1-21 ˘ Passionsgeschichte (Mk 14-16) zu Joh 2,13-17 und Joh 18-20

8.2 | Formen der synoptischen Tradition 1. Einführung Die synoptischen Stoffe sind keine Augenzeugenberichte, die sich als sprachliche Abbildung von Selbsterlebtem verstehen. Vielmehr wird die Jesustradition in sprachlichen Formen überliefert, die ihre Vorbilder teilweise im Judentum, teilweise im Hellenismus sehen, oder aber das Ergebnis der gegenseitigen Beeinflussung dieser Kulturkreise sind. Die Erforschung der Formen des Überlieferungsstoffes und ihrer Geschichte ist Aufgabe der Formgeschichte. Die Formgeschichte befasst sich demnach mit der Bestimmung der Formen des Überlieferungsstoffes (Gattungsfrage), mit der Erforschung der Entwicklung von Textgattungen (Gattungsgeschichte) und schließlich mit der Frage nach dem Verwendungszusammenhang dieser Textgattungen („Sitz im Leben“). In der synoptischen Tradition begegnen Formen der Überlieferung, die ihre Vorbilder im Alten Testament und im Frühjudentum haben. Der Erzählstoff hat seine Vorbilder in den Erzählungen der Genesis, in den Prophetenerzählungen (bes. Elia; Elisa) und in den frühjüdischen Frömmigkeitslegenden (Ester, Jona, Daniellegenden, Tobias, Judith). Der Redestoff, die Formen der Worte Jesu, knüpft an der Spruchüberlieferung der so genannten Weisheit (Sprüchebuch) und an der Prophetie an. Vereinzelt begegnet auch die explizite Aufnahme alttestamentlicher Formen, etwa der Psalmen in der lukanischen Vorgeschichte (Lk 1,46-55; 1,68-79; 2,29-32). 2. Redestoff (mit Beispielen) a) Weisheitssprüche: Sprüche, die nachvollziehbare Erfahrungen (Weisheiten) schildern, um mit diesem Wissen einen anderen Sachverhalt zu begründen.

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T r a di t i on

˘ Lk 8,16 (Z): Niemand aber, der ein Licht angezündet hat, bedeckt es mit einem Gefäß oder stellt es unter ein Bett, sondern er stellt es auf einen Leuchter, damit die Hereinkommenden das Licht sehen. b) Prophetische Worte: Sprüche, die Formen prophetischer Rede (im Beispiel: Vision) aufgreifen. ˘ Lk 10,18 (Z): Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. c) Gesetzesworte und Gemeinderegeln: Sprüche, die Regeln für das Verhalten der Gemeinde (im Beispiel: in der Mission) angeben. ˘ Lk 10,5-7 (Z): Wo ihr aber in ein Haus eintretet, da sprechet zuerst: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens ist, wird euer Friedensgruß auf ihm ruhen; wenn aber nicht, wird er zu euch zurückkehren. In eben diesem Haus aber bleibet und esset und trinket, was ihr von ihnen bekommt; denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Gehet nicht aus einem Hause weg in das andre! d) Gleichnisse: Formen uneigentlicher Rede, die an einem anschaulichen Sachverhalt (hier: Wachsen des Samens) einen unanschaulichen Sachverhalt (hier: Reich Gottes) erklärt. ˘ Mk 4,26-29 (Z): Und er sprach: Mit dem Reiche Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch den Samen in die Erde wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same sprosst und wird groß, er weiß selbst nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht es zuläßt, legt er alsbald die Sichel an; denn die Ernte ist da. e) Apophthegmata (Streit- und Schulgespräche, biographische Apophthegmata): Szenische Rahmung (hier: Schulgespräch) eines eindrücklichen Jesuswortes (hier: Doppelgebot der Liebe). ˘ Mk 12,28-34 (Z): Und einer der Schriftgelehrten, der gehört hatte, wie sie miteinander disputierten, trat hinzu und da er wusste, dass er ihnen trefflich geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das erste Gebot unter allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist allein Herr; und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Denken und aus deiner ganzen Kraft. Das zweite ist dieses: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. Größer als dieses ist kein anderes Gebot. Und der Schriftgelehrte sagte zu ihm: Trefflich Meister, nach der Wahrheit hast du gesagt: Er ist nur einer, und es gibt keinen anderen außer ihm; und ihn zu lieben aus ganzem Herzen und aus ganzer Kraft und den Nächsten zu lieben

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wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Und da Jesus sah, dass er verständig geantwortet hatte, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reiche Gottes. Und niemand wagte es mehr, ihn zu fragen. 3. Erzählstoff a) Wundergeschichten: Erzähltext, in deren Mittelpunkt eine Wunderhandlung (Heilung, Exorzismus, Naturwunder) steht. ˘ Mk 1,29-31 (E): Und sobald sie aus der Synagoge hinausgingen, kamen sie mit Jakobus und Johannes in das Haus Simons und des Andreas. Die Schwiegermutter Simons aber lag fieberkrank danieder; und sofort sagen sie ihm von ihr. Und er trat hinzu, ergriff ihre Hand und richtete sie auf; und das Fieber verließ sie, und sie diente ihnen. b) Legenden: Ausschmückung der Überlieferung um Einzelzüge. ˘ Lk 22,43f (Z): Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er geriet in angstvollen Kampf und betete noch anhaltender; und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fallen. c) Passionsgeschichte: Die Abgrenzung der ältesten Stoffe der Passionsgeschichte ist nicht eindeutig zu vollziehen. Vermutlich umfasste sie: Einzug in Jerusalem, Salbung durch die Frau, letztes Mahl, Gethsemaneszene, Gefangennahme, Verhör im Hohen Rat, Pilatusszene, Kreuzweg, Kreuzigung, Bericht vom leeren Grab. Diese Grundstruktur wird dann nach und nach ergänzt um folgende Stoffe: Verleumdung durch Petrus und deren Ankündigung, Ergänzungen der Abendmahlsszene, Ankündigung des Verrats u.a. d) Vorgeschichten bei Lk und Mt ˘ Lk 1-2: Die Geburtsgeschichten des Täufers und Jesu werden in einem parallel strukturierten Zyklus vorangestellt, der mit der Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel endet. ˘ Mt 1-2: Auf den „Stammbaum“ Jesu folgen legendarische Berichte über Empfängnis, Flucht nach Ägypten und Rückkehr der Familie Jesu. e) Epiphaniegeschichten: Erzählungen von wunderbaren Erscheinungen Jesu (meist des Auferstandenen) ˘ Lk 24,36-43 (Wilckens): Während sie sprachen, trat er selbst in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Doch sie, von Angst und Schrecken gepackt, meinten, einen Geist zu erblicken. Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so verwirrt, und warum steigen solche Gedanken in euren Herzen auf? Seht hier meine Hände und meine Füße: Ich bin es selbst! Fasst mich an und seht – denn ein Geist hat nicht Fleisch

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T r a di t i on

und Knochen, wie ihr es an mir seht! Und mit diesen Worten wies er ihnen seine Hände und Füße vor. Als sie vor Freude noch immer ungläubig blieben und staunend dastanden, fragte er sie: Habt ihr etwas zu essen? Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch. Und er nahm es und aß vor ihren Augen. 4. Die Gattung Evangelium Zum Begriff Evangelium (gr. euaggelion, gute Botschaft): Das Substantiv wird in der Propaganda der römischen Kaiser seit Augustus eingesetzt, um gute Nachrichten aus dem Hause des römischen Kaisers zu bezeichnen. Das Verb frohe Botschaft verkünden (gr. euaggelizomai), begegnet in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (z.B. Jes 52,7; 61,1), und meint dort die Ankündigung des heilvollen Eingreifens Gottes. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Formen der Überlieferung der Evangelienstoffe zunächst mündlich weitergegeben wurden. Sichere Hinweise hat man hier nicht, da die Belege naturgemäß fehlen. Aus der Art und Weise der schriftlichen Überlieferung lässt sich aber folgern, dass bestimmte Stoffe ursprünglich losgelöst von ihrer Stellung in den Evangelien verbreitet waren. Einige Beispiele mögen das veranschaulichen: a) Die Einsetzungsworte zum Abendmahl (Mt 26,26; Lk 22,19ff; Mk 14,24ff) werden bei den Synoptikern in den Erzählzusammenhang des letzten Mahles Jesu mit den Jüngern integriert, das zudem als Passahmahl vorgestellt wird. Die Einsetzungsworte begegnen aber in einem dem Lukasevangelium nahe stehenden Wortlaut in einem Paulusbrief (1. Kor 11,23ff), ohne dass sie in einen Erzählkontext eingebettet sind (nur: „in der Nacht, da er verraten ward“). Bei den Synoptikern und im 1. Korintherbrief sind also unabhängig voneinander die Einsetzungsworte mit leichten Veränderungen überliefert. Jeder Verfasser greift hier auf eine mündliche Tradition zurück, die vermutlich durch die gemeinsame Feier des Herrenmahls lebendig ist. Der „Sitz im Leben“ dieser Worte, also ihr Verwendungszusammenhang, ist die Feier des Abendmahls. b) Paulus überliefert Jesusworte, ohne dass der situative Kontext bei ihm eine besondere Rolle spielen würde (1. Kor 7,10 vgl. 7,12.25; 9,14). Das belegt, dass Jesusworte unabhängig von der Evangelienüberlieferung verbreitet waren. c) Einige Jesusworte begegnen innerhalb eines Evangeliums mehrfach und dann auch in leichter Variation des Wortlauts. Diese so genannten Dubletten belegen die vom Evangelienzusammenhang unabhängige Überlieferung einzelner Jesusworte.

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Aus den genannten Stoffen hat wohl als erster der Verfasser des Markusevangeliums einen Text zusammengestellt, der Verkündigung und Schicksal Jesu in eine Art Biographie zusammenfasst. Markus orientiert sich dabei einerseits an einem Episodenstil, wie er aus den Erzählungen der Genesis und der frühjüdischen Literatur vertraut ist, andererseits gestaltet er den Stoff so um, dass eine auf den Tod und die Auferstehung Jesu ausgerichtete Erzählung entsteht („Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“). Er ordnet den Stoff nach geographischen Gesichtspunkten (Galiläa, Weg nach Jerusalem, Jerusalem) und betont den Gedanken des Leidens Jesu und derer, die ihm nachfolgen.

8.3 | Gliederung Das Markusevangelium kann in drei Teile gegliedert werden: 1-8,26: Jesu Wirken in Galiläa Der Täufer und Jesus 1,1-15 Jünger, erste Heilungen, erste Konflikte 1,16-3,6 Jesu große Taten und Reden (Das Gleichniskapitel 3,7-6,56 Mk 4) Hinwendung zu den Heiden 7,1-8,26 8,27-10,52: Jesu Weg nach Jerusalem Die Person Jesu 8,27-9,13 Das Leben in der Gemeinde 9,14-10,52 11,1-16,8: Jesu Wirken in Jerusalem Jesu Auftreten in Jerusalem und im Tempel 11,1-25 Jesus lehrt im Tempel 11,27-12,44 13 Die apokalyptische Rede Jesus und die Jünger 14,1-14,42 Gefangennahme, Prozess und Hinrichtung Jesu 14,43-15,41 Das Grab 15,42-16,8 Sekundäre Ergänzung 16,9-20 Der letzte Vers des Markusevangeliums lautet, Mk 16,8 (E): „Und sie gingen hinaus und flohen von der Gruft. Denn Zittern und Bestürzung hatte sie ergriffen, und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.“ Der offene Schluss des Markusevangeliums (16,8: ... denn sie fürchteten sich) hat frühzeitig zu Ergänzungen des Textes herausgefordert. Der in den Bibelausgaben als Mk 16,9-20 gezählte

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Text gehört nicht zum ursprünglichen Markusevangelium. Dieser so genannte lange Mk-Schluss ist eine von mehreren Schlussnotizen, die im Überlieferungsprozess des Markusevangeliums nach Mk 16,8 ergänzt wurden.

Inhalt und Aufbau

| 8.4

Jesu Wirken in Galiläa 1,1-8,26

| 8.4.1

Mk 1,1-15 Der Täufer und Jesus: Das Markusevangelium nennt sich in der Überschrift „Evangelium von Jesus Christus“, d.h. gute Botschaft von Jesus Christus (1,1). Diese gute Botschaft wurzelt in den Schriften des Alten Testaments, wie der Rückbezug auf eine frei geformte Zitatenkombination aus Mal 3,1 und Jes 40,3 verdeutlicht. Die dort genannte „Stimme eines Predigers in der Wüste“ wird auf Johannes den Täufer bezogen (1,2f). Der Täufer predigt Buße und tauft im Jordan diejenigen, die zur Umkehr bereit sind. Er kündigt einen anderen an, „der stärker“ sei (1,4-8). Jesus aus Nazareth in Galiläa tritt zum Täufer und lässt sich taufen. Da kommt der Heilige Geist auf ihn und eine Stimme spricht: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“ (1,9-11). Danach begibt sich Jesus in die Wüste, wo er vierzig Tage lang dem Satan widersteht (1,12f). Nach der Gefangennahme des Johannes tritt nun Jesus öffentlich auf und verkündigt die Nähe Gottes mit den Worten: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen“ (1,14f). Mk 1,16-3,6 Jünger, erste Heilungen, erste Konflikte: In einem ersten Erzählzyklus werden das Profil Jesu und das seiner Gegner veranschaulicht. Jesus sammelt Jünger um sich. Zunächst die Fischer Petrus, Andreas, Johannes und Jakobus, die nun „Menschenfischer“ werden sollen (1,16-20). Er tritt in Kapernaum auf, lehrt in der Synagoge und geht in das Haus des Petrus (Simon). Es werden viele Kranke gebracht, die geheilt werden. Am Abend zieht sich Jesus zum Gebet zurück. Sein Wirken und seine Lehre geschehen mit „Vollmacht“ (1,21-39). Er heilt einen Aussätzigen (1,40-45) und vergibt einem Gelähmten nach der Heilung auch die Sünden (2,1-12). Seine Sendung zu den „Sündern, nicht zu den Gerechten“ (2,17b) wird durch die Berufung eines Zöllners und ein gemeinsames Mahl mit „Sündern und Zöllnern“ unterstrichen. Die um Jesus Versammelten fasten weder (2,18-22) noch beachten sie die strenge Fassung der Sabbatregeln (2,2328), wie das Ährenraufen am Sabbat zeigt. Jesus selbst heilt am Sabbat in einer Synagoge einen Mann mit einer verkrüppelten Hand (3,1-5). Die dort versammelten Pharisäer beraten nun, „wie sie ihn umbrächten“ (3,6).

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Mk 3,7-6,56 Jesu große Taten und Reden (das Gleichniskapitel Mk 4): Nachdem die Lehre Jesu und seine Vollmacht in Galiläa bekannt sind, kommen viele zu ihm, um geheilt und von bösen Geistern befreit zu werden (3,712). Jesus sammelt die „Zwölf“ um sich (3,13-19), macht seinen Verwandten klar, dass die Gemeinschaft der Glaubenden seine neue Familie ist (3,20f.31-35) und erläutert den Ursprung seiner Macht über die Dämonen: Gott selbst (3,22-30). In Mk 4 sind Gleichnisse Jesu zusammengestellt. Es werden die Gleichnisse vom Sämann (4,3-9), vom Wachsen (4,26-29) und vom Senfkorn (4,30-32) erzählt. Mk bettet die Gleichnisse in eine Rahmenerzählung ein, in der Jesus das Verständnis bzw. Unverständnis seiner Gleichnisse erläutert (vgl. 8.5.1: Gleichnistheorie). Die Gleichnisse werden nicht verstanden und müssen selbst den Jüngern ausgelegt werden. Die Sturmstillung (4,35-41) und drei Heilungsberichte demonstrieren die außergewöhnliche Macht Jesu. Die Heilung des Geraseners, den „niemand bändigen konnte“ (5,1-20), wird von Mk ebenso anschaulich erzählt wie die Auferweckung der Tochter des Jairus (5,35-43), die bereits als gestorben gilt, und die Heilung einer Frau, „die hatte den Blutfluss zwölf Jahre und hatte viel erlitten von vielen Ärzten und hatte all ihren Besitz dafür aufgewandt“ (5,24-34). In 6,1-6 folgt die Zurückweisung Jesu in Nazareth (V.4: „Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland“), dann die Aussendung der Zwölf, die beauftragt werden, die Botschaft Jesu eigenständig weiterzuverbreiten (6,7-13). In diesen Aussendungsbericht wird die Legende vom Tod des Täufers eingeschoben, nach der die Tochter des Königs Herodes den Kopf des Täufers als Lohn für einen Tanz am Geburtstag des Vaters gefordert habe (6,14-29). Die Speisung der 5000 (6,30-44), der Seewandel (6,45-52) und ein summarischer Bericht vom Wirken Jesu (6,53-56) schließen diesen Abschnitt ab. Mk 7,1-8,26 Hinwendung zu den Heiden: In 7,1-23 wird in einer langatmigen Argumentation begründet, dass Jesus „alle Speise für rein“ erklärte (19). Mit der Aufhebung der Speisegebote wird vorbereitet, dass sich Jesus nun aus Galiläa in nichtjüdisches (heidnisches) Gebiet begibt, nämlich nach Tyrus, Sidon und die Zehn Städte (7,24.31). Dort nötigt ihn eine Syrophönizierin, ihre Tochter zu heilen (7,24-30), ein Taubstummer redet wieder „richtig“, nachdem Jesus ihn mit dem aramäischen Wort Hefata (Öffne dich!) geheilt hat (7,31-37), und es werden nun 4000 gespeist (8,1-9). Während nach der Speisung der 5000 in Galiläa noch „zwölf Körbe“ (= zwölf Stämme Israels) übrig sind, bleiben bei den 4000 im heidnischen Gebiet „sieben Körbe“ voll. Schließlich wird ein Blinder durch Speichel und Handauflegung geheilt (8,22-26). Durch Heilungen

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und Dämonenaustreibungen erweist sich Jesus als der Christus. Er erfüllt die Erwartungen an den Christus (Messias). Erzähltexte 22. Taufe Jesu (Mk 1,9-11) 23. Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1-12) 24. Berufung des Levi und Zöllnermahl (Mk 2,13-17) 25. Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32) 26. Sturmstillung (Mk 4,35-41) 27. Speisung der 5000 (Mk 6,30-44)

Jesu Weg nach Jerusalem 8,27-10,52 Mk 8,27-9,13 Die Person Jesus: Bei Cäsarea Philippi fragt Jesus seine Jünger: „Wer, sagen die Leute, dass ich sei?“ Petrus schließlich stellt fest: „Du bist der Christus!“ Auf das Schweigegebot folgt die erste Leidensankündigung. Jesus erklärt, dass der Menschensohn „viel leiden … getötet werden und auferstehen wird“. Der Versuch des Petrus, Jesus davon abzubringen, wird scharf zurückgewiesen („Geh weg von mir, Satan!“). Das Petrusbekenntnis und die erste Leidensankündigung markieren eine Wende in der Darstellung Jesu (8,27-33). Jesus muss den Weg ans Kreuz gehen. Die Nachfolge der Jünger ist Kreuzesnachfolge (8,34-9,1). Die Jünger werden danach beurteilt werden, inwieweit sie trotz Verfolgung Jesus treu geblieben sind („Wer sich meiner und meiner Worte schämt“). Im Bericht von der Wandlung Jesu auf dem Berg wird die Bedeutung Jesu deutlich: Er steht neben Elia und Mose, als eine Stimme ähnlich wie bei der Taufe verkündet: „Das ist mein lieber Sohn“ (9,2-13). Mk 9,14-10,52 Das Leben in der Gemeinde: Obwohl die Jünger die Verwandlung Jesu miterlebt haben, erweisen sie sich in der Heilung eines besessenen Knaben als machtlos (9,14-29). Die zweite Leidensankündigung erinnert erneut an den Tod Jesu, aber die Jünger verstehen sie nicht (9,31f). Sie stehen in den folgenden Erzählungen im Mittelpunkt. Sie streiten um den Rang (9,33-37) und beklagen Konkurrenz (9,38-41). Jesus mahnt sie jeweils zum Machtverzicht. Die Jünger stehen für die Gemeinde der Jesusanhänger. Für die Gemeinde werden nun in beispielhaften Erzählungen Fragen nach der Abwendung von der Gemeinde, nach Scheidung, Kindersegnung, Reichtum, Nachfolge und Herrschaft geklärt (9,42-10,45). Am Ende dieses Abschnitts wird die vorher vorgetragene dritte Leidensankündigung (10,33f) am Machtverzicht der Jünger und Jesu veranschaulicht: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Löse-

| 8.4.2

Da s M a r k u s ev a n g e li u m

186

geld für viele“ (10,45). Die Heilung des blinden Bartimäus schließt die Wirksamkeit Jesu außerhalb Jerusalems ab.

8.4.3 |

Erzähltexte 28. Heilung des Bartimäus (Mk 10,46-52)

Jesu Wirken in Jerusalem 11,1-16,8 Mk 11,1-26 Jesu Auftreten in Jerusalem und im Tempel: Jesus betritt nun Jerusalem. Die mit dem Einzug verbundenen Erzählungen unterstreichen seine Messianität. In Erfüllung der Ankündigung in Sach 9,9 („Siehe, dein König kommt zu dir, ... arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin“) wird der Messias auf einem Esel nach Jerusalem einziehen. Der Esel wird ihm bereitgestellt. Beim Einzug werden Kleider und grüne Zweige auf den Weg gelegt und dabei gerufen: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ (Ps 118,25f). Jesus betritt den Tempel, übernachtet aber außerhalb Jerusalems (11,1-11). Am nächsten Tag geht er wieder in den Tempel und treibt die Händler aus dem Tempel. Dabei wird an die Tempelrede Jeremias erinnert (Jer 7,11: Räuberhöhle) und die Freigabe des Tempels als „Bethaus für alle Völker“ (Jes 56,7) gefordert (11,12-26). Mk 11,27-12,44 Jesus lehrt im Tempel: Jesus befindet sich tagsüber im Tempelgebiet. Dort lehrt er und beantwortet Fragen. Der Konflikt zwischen ihm und den führenden Gruppen Jerusalems wird deutlich. Die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten fragen ihn nach seiner Berechtigung („Vollmacht“) so aufzutreten (11,27-33). Die Pharisäer und Herodesanhänger wollen seine Meinung zur Steuer hören (12,13-17). Die Sadduzäer interessieren sich für seine Haltung zum Auferstehungsglauben (12,18-27). Ein Schriftgelehrter will von ihm das wichtigste Gebot genannt bekommen (12,28-34) und Jesus selbst greift die Frage auf, ob der Christus (Messias) ein Sohn Davids sein müsse (12,35-37). Die Antworten Jesu sind geschickt, aber auch ausweichend. So wird die Steuerfrage uneindeutig beantwortet: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (12,17) Die Streitgespräche werden unterbrochen durch das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (12,1-12). Die Weingärtner (Pächter des Weinbergs) töten die Boten und schließlich den Sohn des Weinbergbesitzers. Der Weinberg steht hier für Israel, der Besitzer ist Gott und die Weingärtner sind nach 12,12 die Zuhörer Jesu, die in 11,27 als Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste, also als Führer Israels, dargestellt werden. Diese Kritik wird in 12,38-44 verschärft. Während die arme Witwe für den Tempel Geld gibt, „fressen (die Schriftgelehrten) die Häuser der Witwen“ (12,40).

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Mk 13 Die apokalyptische Rede: Zum Begriff Apokalyptik (gr. apokalypsis, Offenbarung): Die Apokalyptik ist eine nur literarisch fassbare Strömung im antiken Judentum, die den Zustand der Welt und Israels als so zerrüttet ansieht, dass eine totale Vernichtung und Neuschöpfung der Welt durch Gott zwingend ist (vgl. Kapitel 14.1). Die apokalyptische Rede Jesu: Wieder verlässt Jesus den Tempel und die Stadt. Mit Blick auf den großartigen Bau des Tempels verkündet Jesus in einer großen Rede über die Endzeit den Untergang des Tempels, Hungersnöte und Erdbeben, die Verfolgung seiner Anhänger, Spaltung und Verrat innerhalb der Gemeinde, aber auch die Erlösung der Beharrlichen und das Kommen des Menschensohns. Als Trost für die Jesusanhänger wird festgehalten: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen“ (13,31). Deswegen sollen die Jünger wachsam sein (13,32-37). Mk 14,1-42 Jesus und die Jünger: Markus bindet durch die Motive von Ankündigung und Verrat des Judas bzw. Ankündigung und Verleugnung des Petrus die Stoffe des Passionsberichtes zu einer geschlossenen Erzählung zusammen. Im ersten Teil stehen die Jünger im Mittelpunkt. Nachdem die Gefangennahme Jesu beschlossen ist (14,1f), steht alles Weitere unter diesen düsteren Vorzeichen. Eine Frau salbt Jesus (14,3-9) mit kostbarem Öl, ohne dass klar ist, ob es sich um eine Salbung zum Christus (Messias) oder um eine vorweggenommene Totensalbung handelt. Judas beschließt den Verrat (14,10f) und im letzten Mahl mit den Jüngern verkündet Jesus in Anspielung auf den Sinaibund (Ex 24,8) seinen Tod als „Sterben für“ (14,24: „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“). Petrus und die Jünger beteuern, dass sie zu ihm stehen werden. Im Garten Gethsemane angekommen, vermögen sie aber nicht einmal während des Gebets Jesu wach zu bleiben (14,26-42). Mk 14,43-15,41 Gefangennahme, Prozess und Hinrichtung Jesu: Jesus wird gefangen genommen. Der Widerstand bleibt gering, Mk 14,47 (L): „Einer aber von denen, die dabeistanden, zog sein Schwert und schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab“. Die Jünger fliehen. Vor dem Hohen Rat wird Jesus verhört: „Bist du der Christus?“ Seine Antwort ist deutlich: „Ich bin’s“ (14,53-65). Von nun an wird Jesus misshandelt. Petrus folgt ihm, verleugnet ihn aber (14,71): „Ich kenne den Menschen nicht“, ehe der Hahn zweimal kräht. Die Todesstrafe muss allerdings von dem römischen Statthalter Pilatus angeordnet und vollzogen werden. Dieser verhört Jesus ohne Ergebnis (15,1-5). Er möchte zum Passah einen Gefangenen freigeben. Das Volk kann zwischen Jesus und Barabbas wählen. Es fordert den Kreuzestod Jesu (15,6-15).

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Abb. 15 | Kreuzigung: Der Tod tritt durch das Zusammenwirken von Stress, Schock, Bewusstlosigkeit, Sauerstoffmangel, Kreislaufkollaps, Herzversagen, letztlich durch den Zusammenbruch aller Körperfunktionen ein.

Der letzte Weg Jesu beginnt mit der Misshandlung und der Verspottung durch die Soldaten, die ihm eine Dornenkrone aufsetzen und einen Purpurmantel umlegen (15,16-20). Die Kreuzigung erfolgt auf Golgatha. Auf dem Weg dorthin wird Simon von Kyrene ge-zwungen, den Kreuzesbalken zu tragen. Jesus wird verspottet (15,30): „Steig herab vom Kreuz!“ Jesus beginnt das Gebet des Psalms 22 (15,34): „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Als er stirbt, reißt der Tempelvorhang entzwei. Ein römischer Hauptmann bekennt: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (15,39). Von den Anhängern Jesu sind nur die Frauen in der Nähe (15,40f). Mk 15,42-16,8 Das Grab: Nach dem Tod Jesu tritt Josef von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr, auf und bittet um den Leichnam Jesu. Die Frauen beobachten, wohin der Leichnam Jesu gelegt wird (15,42-47). Sie machen sich nach dem Sabbat auf den Weg, um den Leichnam zu salben. Das Grab aber ist leer. Ein Jüngling verkündet: „Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden ... sagt den Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa“ (16,1-8). Erzähltexte 29. Passionsgeschichte (Mk 11 und 14-16) In der Passionsgeschichte ist der gesamte Erzählfaden wichtig: Einzug, Tempelreinigung, letztes Mahl, Verrat des Judas, Gefangennahme, Verleugnung des Petrus, Prozess, Hinrichtung, Grablegung und das leere Grab.

W i ch t i g e

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themen

Wichtige Themen 1. Messiasgeheimnis Das Markusevangelium rückt das Handeln und die Verkündigung Jesu vielfach in den Bereich des Geheimnisvollen. Es entsteht eine Spannung zwischen verborgenen und offenbaren Zügen des Wesens und des Handelns Jesu, zwischen verständlicher und deutungsbedürftiger Verkündigung. Dieser Eindruck wird durch einige Ergänzungen im Text und durch die Verstärkung bereits vorhandener Ausdrucksformen des Geheimnisvollen erreicht. Hier sind vor allem vier Motive zu nennen: a) Schweigegebot Von Anfang an gebietet Jesus im Zusammenhang von Heilungen das Schweigen. In 1,25 bedroht Jesus im Verlaufe eines Exorzismus den unreinen Geist mit den Worten: „Verstumme und fahre aus von ihm!“ In 1,34 wird in einer summarischen Notiz erwähnt, Jesus „ließ die Dämonen nicht reden, weil sie ihn kannten“, noch deutlicher in 3,11f (E): „Und wenn die unreinen Geister ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder und schrien und sprachen: Du bist der Sohn Gottes. Und er bedrohte sie sehr, dass sie ihn nicht offenbar machten.“ In 1,44 nun wird ein gerade vom Aussatz Geheilter angewiesen: „Sieh zu, sage niemand etwas!“ Ähnliches findet sich noch in 5,43; 7,36; 8,30; 9,9. Das Schweigegebot richtet sich gegen die Bekanntmachung der besonderen Macht Jesu und seiner Stellung als Sohn Gottes. b) Gleichnistheorie Besonders merkwürdig berühren die verschiedenen Motive, die im Gleichniskapitel 4 die Auslegung und die Wirkung der Gleichnisse Jesu in einer Weise deuten, die der ursprünglichen Intention der Gleichnisverkündigung Jesu genau entgegensteht. Es wird das biblische Motiv der Verstockung in der Formulierung von Jes 6,9f (vgl. Ex 9,12) aufgenommen. Es heißt in 4,11f (E): „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil, damit sie sehend sehen und nicht wahrnehmen und hörend hören und nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde.“ Die Gleichnisse sollen verstocken, Bekehrung und Vergebung verhindern. Das gibt den Gleichnissen, die ja durch ihren bildhaften Ausdruck gerade ein Verständnis bewirken sollen, eine befremdliche Deutung. 4,33f ergänzt, dass Jesus seinen Jüngern alles noch einmal gesondert erklärte (vgl. 4,10; 7,14-18).

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Da s M a r k u s ev a n g e li u m

c) Jüngerunverständnis Die Jünger haben im Markusevangelium eine besondere Bedeutung. Jesus sammelt sie um sich. Unter den „Zwölfen“ (3,13-19; 4,10; 6,7) scheint es einen engeren Kreis zu geben, der Jesus besonders nahe steht. Es handelt sich um die beiden Brüderpaare: Petrus und Andreas und die Söhne des Zebedäus, Johannes und Jakobus (1,16-20; 13,3; vgl. 9,2; 10,35; 14,33). Als Einzelpersonen treten Judas, „der ihn verriet“ (Mk 3,19), und Petrus besonders hervor. Oftmals ist aber einfach nur von „den Jüngern“ die Rede. Sie werden nicht idealisiert – im Gegenteil: Markus stellt ihre Defizite besonders heraus. Man nennt dieses Motiv „Jüngerunverständnis“: In 4,13 wirft Jesus den Jüngern vor, dass sie das Gleichnis vom Sämann nicht verstehen (vgl. 7,17f); in 4,40 kritisiert er, dass sie keinen Glauben haben; in 6,35-38 erkennen die Jünger nicht, dass Jesus die Menge speisen wird (vgl. 8,4) u.v.m. (6,49; 8,17-21; 8,32f; 9,18f; 10,13; 10,41-45). Besonders im Zusammenhang der Passionsgeschichte versagen neben Judas auch Petrus, der Jesus dreimal verleugnet (14,29-31 und 14,66-72), und die anderen, die die Salbung in Bethanien missverstehen (14,4f), im Garten Gethsemane einschlafen (14,37-41) und bei der Gefangennahme Jesu fliehen (14,50). Im Gegensatz zu den Jüngern bleiben die Frauen bei der Kreuzigung in der Nähe, können die Grablegung beobachten und machen sich am Morgen nach dem Sabbat auf den Weg zum Grab (15,40f; 16,8). d) Leidensankündigungen Gleichnistheorie, Schweigegebot und Jüngerunverständnis unterstreichen als erzählerische Motive den besonderen Widerspruch im Schicksal Jesu. Der Sohn Gottes wird nicht angenommen, sondern abgelehnt. Die Ablehnung ist aber Teil seiner Sendung, deswegen sollen seine Gleichnisse unverstanden bleiben, sollen die Dämonen und Geheilten schweigen und selbst die Jünger erkennen seine Sendung nicht. Am deutlichsten wird dieser Widerspruch in den drei so genannten Leidensankündigungen formuliert (8,31): „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen“ (9,31; 10,33f; vgl. auch 9,9-13). Jesus ist der Sohn Gottes, der als leidender Menschensohn und Messias (Christus) in Niedrigkeit kommt. Das ist sein Geheimnis, das Messiasgeheimnis. 2. Christologische Titel Christologische Titel oder einfach Hoheitstitel sind Bezeichnungen Jesu, in denen Vorstellungen von seiner besonderen Stellung zum Ausdruck gebracht werden. Im Markusevangelium begegnen u.a.:

Lei t fa de n 8

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Christologische Hoheitstitel a) Sohn Gottes (1,1.9-11; 3,11; 5,7; 9,2-10; 14,61f; 15,39), b) Menschensohn (2,10.28; 8,31.38; 9,9.12.31; 10,33f.45; 13,24-32; 14,21.41.62), c) Messias bzw. Christus (8,27-30; 9,41; 14,61), d) Sohn Davids (10,46-52). 3. Eschatologie Eschatologie (gr. eschatos, letzter) meint traditionell die Lehre von den letzten Dingen (allgemeine Totenauferstehung, jüngstes Gericht usw.). In der Theologie der Gegenwart wird damit die besondere Weise der Präsenz des Göttlichen in der Weltwirklichkeit bezeichnet. In Mk 13 wird die Endzeit geschildert. Dem letzten Gericht gehen Bedrängnisse (Verfolgungen und Streit) voraus. Diese „Wehen“ der Endzeit bringen die Jünger in besondere Not. Sie verkündigen einerseits den Gekreuzigten als Sohn Gottes, andererseits werden sie genau deswegen verfolgt, ins Gefängnis geworfen, verraten und getötet. Diese Zeit der Bedrängnis soll die Jüngergemeinde bestehen, indem sie über die Ereignisse der letzten Tage aufgeklärt wird: Auf die Verfolgung folgt die Rettung der Auserwählten. 4. Passion Die Passionsgeschichte ist der Höhepunkt und das Ziel des Markusevangeliums. Zwischen Einzug und Auferstehung liegen sieben Tage. Jesus bewährt sich nach dem Vorbild von Jes 52,13-53,12 und Ps 22 als der leidende Gerechte, der ohne eigene Schuld für die anderen stirbt. Am Kreuz wird er als Sohn Gottes erkannt (15,39), weil erst im Sterben für die Menschen seine Sendung vollkommen ist. Seine Auferstehung wird im Markusevangelium nicht direkt berichtet, aber zweimal erwähnt (14,28; 16,6).

Leitfaden 8 Ziel der 8. Lerneinheit ist es, Sie zunächst in die synoptische Tradition und dann in das Markusevangelium (Mk) einzuführen. Schritt 1: Einführung Lesen Sie 8.1 („Einführung in die synoptische Tradition“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Erklären Sie die Begriffe „synoptisch“ und „Synopse“. ˘ Erläutern Sie die Zwei-Quellen-Hypothese. Was ist im Zusammen-

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Da s M a r k u s ev a n g e li u m

hang der Zwei-Quellen-Hypothese unter der „Markus-Priorität“ zu verstehen? ˘ Erklären Sie die Abkürzung Q. Schritt 2: Formen Lesen Sie 8.2 („Formen der synoptischen Tradition“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Versuchen Sie, zu erklären, was Formgeschichte ist. Nach was fragt die Formgeschichte? ˘ Nennen Sie die fünf Formen des Redestoffes Jesu und erläutern Sie sie. ˘ Erläutern Sie drei Erzählformen, die in den Evangelien begegnen. ˘ Nennen Sie Belege dafür, dass Jesusworte unabhängig von den Evangelien überliefert wurden. ˘ Inwiefern ist es berechtigt, vom Markusevangelium als „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ zu sprechen? Schritt 3: Gliederung Lesen Sie alle 16 Kapitel des Markusevangeliums. Lesen Sie parallel dazu die Gliederung (8.3). Markieren Sie sich dabei die Erzähltexte 22. Taufe Jesu (Mk 1,9-11) 23. Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1-12) 24. Berufung des Levi und Zöllnermahl (Mk 2,13-17) 25. Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32) 26. Sturmstillung (Mk 4,35-41) 27. Speisung der 5000 (Mk 6,30-44) 28. Heilung des Bartimäus (Mk 10,46-52) 29. Passionsgeschichte (Mk 11 und 14-16) Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Mk ein. ˘ Gehen Sie noch einmal die Erzähltexte 22-29 durch und prägen Sie sich die Erzählfiguren ein. ˘ Was ist unter dem langen Mk-Schluss zu verstehen? Schritt 4: Inhalt Lesen Sie 8.4 („Inhalt und Aufbau des Markusevangeliums“). Arbeitshinweise nach der Lektüre: ˘ Wodurch ist das Wirken Jesu in Galiläa gekennzeichnet?

Li t e r a t u r

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˘ Erzählen Sie die Geschichte von der Heilung des Bartimäus (Mk 10,4652) mit eigenen Worten nach. ˘ Was bedeutet der Begriff „Apokalypse“? ˘ Vergegenwärtigen Sie sich die Stationen der Passionsgeschichte (Mk 14-16). Schritt 5: Themen Lesen Sie 8.5 („Wichtige Themen“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was versteht man unter dem Messiasgeheimnis? ˘ Was bedeutet das „Schweigegebot“? ˘ Geben Sie ein Beispiel für das Jüngerunverständnis. ˘ Wo stehen die drei Leidensankündigungen? ˘ Was bedeutet der Begriff „Eschatologie“?

Wichtige Begriffe Synoptiker, Synopse, synoptisch, Zweiquellenhypothese, Logienquelle Q, „Sitz im Leben“, Perikope, Apophthegma, Epiphanie, Evangelium, Messianität Jesu, Apokalypse, Messiasgeheimnis, Schweigegebot, Gleichnistheorie, Jüngerunverständnis, Leidensankündigungen, Christologische Titel oder Hoheitstitel, Eschatologie, Passion, Auferstehung

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Literatur Adna, Jostein: Jesu Stellung zum Tempel. Die Tempelaktion und das Tempelwort als Ausdruck seiner messianischen Sendung, Tübingen 2000 (WUNT 2/119). Dechow, Jens: Gottessohn und Herrschaft Gottes. Der Theozentrismus des Markusevangeliums, Neukirchen 2000 (WMANT 86). Du Toit, David S.: Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen, Neukirchen-Vluyn 2006 (WMANT 111). Feneberg, Rupert: Der Jude Jesus und die Heiden. Biographie und Theologie Jesu im Markusevangelium, Freiburg u.a. 22001 (Herders biblische Studien 24). Guttenberger, Gudrun: Die Gottesvorstellung im Markusevangelium, Berlin/New York 2004 (BZNW 123).

Jochum-Bortfeld, Carsten: Die Verachteten stehen auf. Widersprüche und Gegenentwürfe des Markusevangeliums zu den Menschenbildern seiner Zeit, Stuttgart 2008 (BWANT 179). Majoros-Danowski, Johannes: Elija im Markusevangelium. Ein Buch im Kontext des Judentums, Stuttgart 2008 (BWANT 180). Müller, Peter: „Wer ist dieser?“ Jesus im Markusevangelium. Markus als Erzähler, Verkündiger und Lehrer, Neukirchen 1995 (BThSt 27). Weihs, Alexander: Jesus und das Schicksal der Propheten. Das Winzergleichnis (Mk 12, 1-12) im Horizont des Markusevangeliums, Neukirchen 2003 (BThSt 61). Wördemann, Dirk: Das Charakterbild im bíos nach Plutarch und das Christusbild im Evangelium nach Markus, Paderborn u.a. 2002.

194

9 | Das Lukasevangelium

Inhalt 9.1 Einführung

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9.2 Gliederung

197

9.3 Inhalt und Aufbau

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9.4 Wichtige Themen

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9.5 Leitfaden 9

208

9.6 Literatur

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9.1 | Einführung Lukanisches Sondergut

1. Die Quellen des Lukas: Markus, Logienquelle, Sondergut Der Verfasser des Lukasevangeliums hat mit großer Sicherheit das Markusevangelium und eine weitere schriftliche Quelle, die so genannte Logienquelle oder einfach Q, benutzt, die auch Matthäus vorgelegen hat (vgl. 8.1.2). Lukas übernimmt von Markus das Grundgerüst der Evangelienerzählung (von Galiläa nach Jerusalem). Er folgt auch in der Reihenfolge der Stoffe weitgehend dem Markusevangelium. Es fällt auf, dass Lk Mk 6,458,26 ganz auslässt (lukanische Lücke). Das Material aus der Logienquelle fügt er überwiegend blockweise in den Markusaufriss ein. Neben Mk und Q finden sich aber auch umfangreiche Texte im Lukasevangelium, die in der synoptischen Überlieferung einmalig sind, also in keinem der anderen Evangelien berichtet werden. Diese Überlieferungen nennt man „Sondergut“. Dieses Sondergut stellt Lk an den Anfang (Lk 1-2: Vorgeschichte), an das Ende (Lk 24: Osterberichte und Himmelfahrt) oder fügt es in von ihm geschaffene Einschaltungen in den Markusaufriss ein. Von 9,51-18,14 greift Lk fast ausschließlich auf die Logienquelle und Sondergut zurück. Diesen Abschnitt nennt man „große Einschaltung“, während die Passage von 6,20-8,3 „kleine Einschaltung“

E i n fü h r u n g

genannt wird. Die große Einschaltung stimmt weitgehend mit dem so genannten Reisebericht (Lk 9,51-19,28) überein.

Übersicht Lukas  1,1-2,52  3,1-6,19  6,20-8,3  8,4-9,50  9,51-18,14   18,15-24,12  24,13-24,49

Quellen (überwiegend) Inhalt  Sondergut  Die Vorgeschichte  Markus-Stoff Jesu Wirken in Galiläa (Mk 1,1-3,10) Sondergut und Logienquelle Feldrede, Wunder u.a.  („kleine Einschaltung“)  Markus-Stoff Gleichnisse, Wunder, (Mk 4,1-6,44 und 8,27-9,40) Leidensankündigungen Sondergut und Logienquelle Der lukanische Reisebericht  („große Einschaltung“) Markus-Stoff Ende Reisebericht, Passion Jesu  (Mk 10,13-16,8) Sondergut  Die Osterereignisse

2. Stil des Lukas Der Verfasser des Lukasevangeliums legt großen Wert auf einen plausiblen Erzählstil. Man sieht das sehr gut an den aus Mk übernommenen Texten. Diese werden meist durch eine Einleitung besser an den Kontext angepasst (z.B. Mk 2,1-4/Lk 5,17f). Auch das Material aus der Logienquelle wird durch kurze Bemerkungen szenisch gerahmt (z.B. Lk 15,1-2, vgl. Mt 18,12). Die besondere Kunst des Erzählens, die sich im Lukasevangelium findet, kommt vor allem im Sondergut zum Zuge. Die lukanische Vorgeschichte (1-2) und die Emmauserzählung (24,13-35) gehören zu den eindrucksvollsten Erzählungen des Neuen Testaments. Die bekanntesten Gleichnisse finden sich im Sondergut des Lukas: der barmherzige Samariter (10,25-37), der verlorene Sohn (15,11-32) oder auch der reiche Mann und der arme Lazarus (16,19-31). Neben den Gleichnissen beeindrucken auch die Erzählungen von Jesus in Nazareth (4,16-30), von der Berufung des Petrus (5,1-11) oder von Maria und Martha (10,38-42). In all diesen Zusammenhängen wird eine angemessene Terminologie gewählt und der Stil je nach Erzählzusammenhang variiert. Der wichtigste Einflussfaktor auf den Stil der Texte ist die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, und das von dieser geprägte religiöse Schrifttum des Frühjudentums. 3. Kultureller Horizont des Lukas Lukas setzt die synoptische Überlieferung durch Datierungen in Bezie-

195

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Da s Lu k a s ev a n g e li u m

hung zur Weltgeschichte. In 3,1 benennt er das Jahr des öffentlichen Auftretens Jesu im Stil antiker Datierungen nach den Herrschaftsjahren des römischen Kaisers: „Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius“. Bereits in 1,5 und 2,1f überliefert er ähnliche Angaben. Die Wortwahl und die Syntax des Lukas sind variantenreich und passen sich an die berichteten Zusammenhänge an. Amtspersonen, etwa Pilatus, sprechen amtlich, einfache Menschen wählen einfache Ausdrücke, Militärangehörige denken und sprechen militärisch usw. Man wird dem Verfasser des Lukasevangeliums eine gewisse Bildung unterstellen dürfen. 4. Übersicht Sondergut a) Erzählungen: Vorgeschichte 1-2 4,16-30 Antrittspredigt in Nazareth Fischzug des Petrus 5,1-11 Der Jüngling von Nain 7,11-17 Jesus und die Sünderin 7,36-50 Frauen im Gefolge Jesu 8,1-3 Verweigerung der Aufnahme in einem Samariterdorf 9,52-56 10,38-42 Maria und Martha Heilung einer verkrüppelten Frau am Sabbat 13,10-17 Heilung des Wassersüchtigen 14,1-6 Heilung der zehn Aussätzigen 17,11-19 Zachäus 19,1-10 Das Abendmahl 22,15-20 Jesus vor Herodes 23,6-12 Emmaus 24,13-35 Jesus erscheint den Jüngern 24,36-43 24,44-53 Abschied Jesu, Handauflegung, Himmelfahrt b) Gleichnisse: Barmherziger Samariter 10,29-37 Gleichnis vom Bitten 11,5-8 Vom unvernünftigen Reichen 12,16-21 Vom unfruchtbaren Feigenbaum 13,6-9 Vom Turmbau und der Kriegführung 14,28-32 Vom verlorenen Groschen 15,8-10 Vom verlorenen Sohn 15,11-32 Vom ungerechten Haushalter 16,1-9 16,19-31 Vom reichen Mann und armen Lazarus

G lie de r u n g

17,7-10 18,1-8 18,9-14

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Vom Knechtslohn Vom Richter und der Witwe Vom Phariäser und Zöllner

c) Jesusworte (bzw. Joh. des Täufers): 3,10-14 Standespredigt des Johannes Weherufe 6,24-26 9,61f Nachfolgeworte Blitzwort 10,18-20 Von der Habsucht 12,13-15 Fürchte dich nicht 12,32 12,35-38 Mahnung zur Wachsamkeit Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen 12,49-50 Rechtzeitige Umkehr 13,1-5 Warnung vor Herodes 13,31-33 Das Reich Gottes ist mitten unter euch 17,20f Jesus weint über Jerusalem 19,41-44 21,34-36 Mahnung zur Wachsamkeit 22,31f Simon, Simon Die zwei Schwerter 22,35-38 Wehe über Jerusalem 23,27-31

Gliederung 1,1-4: Prolog 1,5-2,52: Vorgeschichte 1,5-38 Ankündigung der Geburt des Täufers (1,5-25) und der Geburt Jesu (1,26-38) Begegnung zwischen Maria und Elisabeth 1,39-56 Geburt und Begrüßung Johannes des Täufers 1,57-80 Geburt und Begrüßung Jesu, des Messias 2,1-40 Der zwölfjährige Jesus im Tempel 2,41-52 3,1-9,50: Jesu Wirken in Galiläa und Judäa Das Auftreten Jesu und des Täufers 3,1-4,30 Die Konstituierung der Jüngergemeinschaft 4,31-6,16 Die öffentliche Rede Jesu 6,17-49 Ereignisse in Galiläa 7,1-9,50

| 9.2

Da s Lu k a s ev a n g e li u m

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9,51-19,28: Der lukanische Reisebericht Die Jüngerunterweisung 9,51-11,13 Die Auseinandersetzung mit und vor dem Volk 11,14-14,35 Festigung der Lehre und Wiederaufnahme der Reise 15,1-19,28 19,29-24,53: Jesus in Jerusalem Die Verkündigung in Jerusalem 19,29-21,38 Passion 22,1-23,56 24 Auferstehung und Himmelfahrt Jesu

9.3 | Inhalt und Aufbau 9.3.1 |

Der Prolog (Vorwort): 1,1-4 Im Prolog stellt der Verfasser des Lukasevangeliums die Absicht seiner literarischen Tätigkeit dar. Da nur wenige neutestamentliche Texte die Verschriftlichung der ältesten Überlieferung reflektieren, haben diese wenigen Zeilen große Bedeutung und werden hier im Wortlaut vorgestellt und analysiert. ˘ Lk 1,1-4: Nachdem nun viele Hand angelegt haben an den Bericht der Ereignisse, die sich unter uns begeben haben, zu ordnen, so wie es uns die ursprünglichen Augenzeugen und späteren Diener des Wortes überliefert haben, schien es auch mir sinnvoll, nachdem ich von Anfang an allem genauestens nachgegangen bin, es dir der Ordnung nach aufzuschreiben, werter Theophilus, damit du die Zuverlässigkeit der Worte, über die du unterrichtet wurdest, erkennst. Der Verfasser verweist darauf, dass bereits „viele“ vor ihm einen Bericht geschrieben haben. Sie haben sich dabei auf „Augenzeugen“ gestützt. Er selbst will es nun auch tun. Dabei möchte er „von Anfang an“, „genauestens“ und „der Ordnung nach“ vorgehen. Sein Ziel ist die „Zuverlässigkeit“ – im Griechischen steht das Wort für Zuverlässigkeit (asphaleia) am Ende der gesamten Satzperiode. Es kann sogar die gerichtliche Überprüfbarkeit von Tatsachenbehauptungen bedeuten. Der Verfasser zeigt, dass er Quellen kennt. Er strebt eine geordnete und vollständige Darstellung der Jesusgeschichte an. Diese schreibt er an einen Mann namens Theophilus, um dessen Glauben zu stärken. Theophilus kann eine wirkliche Person sein. Es handelte sich dann um eine hochgestellte Persönlichkeit, der man nach antikem Brauch eine literarische Schrift widmet und zuschickt, um eine Belohnung zu erhalten. Theophilus bedeutet „Freund Gottes“ und kann auch für jeden einzelnen Glaubenden stehen. Dann wäre es eine fiktive Widmung.

I n h a lt

und

A u fb a u

Die Vorgeschichte: 1,5-2,52 Lk 1,5-38 Ankündigung der Geburt des Täufers und Jesu: Der Erzähltext des Lukasevangeliums beginnt mit der Schilderung der Familie, aus der Johannes der Täufer stammt (1,5-25). Es ist eine priesterliche Familie, deren Leben von höchster Frömmigkeit geprägt ist. Zacharias versieht in regelmäßigen Abständen den Dienst am Jerusalemer Tempel und Elisabeth ist eine Tochter Aarons, d.h. sie stammt aus einer priesterlichen Familie, auf der der Segen Gottes ruhen sollte. Umso unverständlicher ist ihre Unfruchtbarkeit. Zacharias erfährt im Tempelgebäude durch den Erzengel Gabriel von der bevorstehenden Geburt und von der Bedeutung des Kindes für Israel. Da er misstrauisch bleibt, wird er mit Stummheit bestraft. Auch Maria erfährt von ihrer Schwangerschaft durch Gabriel (1,26-38). In Nazareth erscheint ihr der Erzengel und grüßt sie (1,28): „Sei gegrüßt, Du Begnadete!“ Die biblischen Vorbilder für diese Erzählungen von unverhofften Schwangerschaften als Zeichen der Zuwendung Gottes finden sich in Ri 13 (Simson) und 1. Sam 1 (Hanna, Samuel). Lk 1,39-56 Begegnung zwischen Maria und Elisabeth: Maria geht in das judäische Bergdorf, in dem Zacharias und Elisabeth leben. Ihre Begegnung ist von Freude erfüllt, Lk 1,44 (L): „Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.“ Maria bringt ihre Freude in die Gestalt eines Lobgesanges, „Lobpreis Gottes“, der nach dem Vorbild der alttestamentlichen Psalmen die Taten Gottes rühmt: Der Gott Israels nimmt sich der Niedrigen an und weist die Hochmütigen zurück. Er tritt für die Armen ein und lässt die Reichen unbeachtet. Schließlich Lk 1,52 (L): „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ Die beiden Frauen sehen, dass ihre Schwangerschaften Bestandteil dieses Handelns Gottes sind. Der Lobgesang der Maria beginnt mit den Worten (1,46): „Meine Seele erhebt den Herrn.“ Der lateinische Text lautet „Magnificat anima mea Dominum“ Der Text ist deswegen als „Magnificat“ bekannt. Lk 1,57-80 Geburt und Begrüßung Johannes des Täufers: Die Geburt des Johannes wird in dem judäischen Bergdorf mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. Die Namensgebung verwundert. Elisabeth möchte ihn Johannes nennen, obwohl der Name in ihrer Familie keine Tradition hat. Der stumme Zacharias schreibt auf eine Tafel: „Er soll Johannes heißen.“ Nun kann er wieder sprechen und auch er formuliert ein Loblied, den Lobgesang des Zacharias. Er beginnt mit den Worten: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!“ Im Lateinischen lautet der Eingang: Benedictus Dominus Deus Israel. Deswegen wird der Lobgesang des Zacharias einfach „Benedictus“ genannt.

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Lk 2,1-40 Geburt und Begrüßung Jesu, des Messias: Die Geburt des Täufers geschieht in der Mitte Israels. Die Geburt Jesu hingegen wird in die große Weltgeschichte eingeordnet: „Ein Gebot von dem Kaiser Augustus“ bringt die Familie Jesu dazu, vom Rand Israels, von Nazareth in Galiläa, in das Zentrum Israels nach Bethlehem, der „Stadt Davids“, zu ziehen. Dort wird Jesus geboren. Es sind Hirten, die sich um das Kind versammeln. Auch sie „priesen und lobten Gott“. Nun begeben sich Josef und Maria mit dem Kind nach Jerusalem, um im Tempel die Reinigungsvorschriften nach der Geburt zu erfüllen. Dort erregt das Kind Aufmerksamkeit bei den Frommen Israels: der Prophetin Hanna und dem frommen Simeon, dem gesagt war, er werde „den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen“ (2,26). Simeon erkennt in dem Kind den Messias und kann getröstet sterben. Er lobt Gott, Lk 2,29 (L): „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“ Im Lateinischen heißt das: „Nunc dimittis servum tuum, Domine“. Der Lobgesang des Simeon ist deswegen bekannt unter der Bezeichnung „Nunc dimittis“.

Abb. 16 | Tempel zur Zeit Jesu.

I n h a lt

und

A u fb a u

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Lk 2,41-52 Der zwölfjährige Jesus im Tempel: Die Vorgeschichte des Lukasevangeliums schließt mit der Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die fromme Familie zieht wie üblich zum Passah nach Jerusalem. Auf dem Heimweg fehlt Jesus. Die Eltern kehren zurück und sehen, wie er im Tempel mit den dort versammelten Gelehrten Israels spricht und diese zu beeindrucken weiß. Auf die Vorhaltungen der Eltern antwortet Jesus, Lk 2,49 (L): „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Poetische Texte in der lukanischen Vorgeschichte Magnificat, Lobgesang der Maria, Lk 1,46-54 Benedictus, Lobgesang des Zacharias, Lk 1,68-79 Nunc dimittis, Lobgesang des Simeon, Lk 2,29-31 Erzähltexte 30. Geburt und Kindheit des Täufers und Jesu (Lk 1,5-2,52).

Jesu Wirken in Galiläa und Judäa: 3,1-9,50 Lk 3,1-4,30 Das Auftreten Jesu und des Täufers: Mit einer Datierung in 3,1f beginnt die öffentliche Wirksamkeit Jesu. In 3,3-21 nimmt Lukas den Erzählfaden des Markusevangeliums auf. Er ergänzt die Erzählung von der Taufe Jesu um die Täuferpredigt, die er aus der Logienquelle kennt. Der Täufer verkündet das kommende Gericht und fordert Umkehr und Buße. Die Menschen fragen ihn auch nach Verhaltensänderungen, die in 3,10-14 mit Forderungen der Selbstbescheidung beantwortet werden. Der Stammbaum Jesu (3,23-38) und die Versuchungsgeschichte (4,1-13) zeigen die besondere Würde und Befähigung Jesu. Nun tritt er in seiner Heimatstadt Nazareth in der Synagoge auf (4,16-30), liest dort die Ankündigung des Erlassjahres und die Befreiung Israels aus Jes 61,1f vor und sagt, Lk 4,21 (L): „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ Es entwickelt sich ein Streitgespräch mit den Anwesenden, das schnell eine aggressive Wendung nimmt. Die Absicht, Jesus von einem Abhang zu stürzen und zu töten, bleibt unausgeführt (4,30): „Aber er ging mitten durch sie hinweg.“ Lk 4,31-6,16 Die Konstituierung der Jüngergemeinschaft: Lukas folgt nun überwiegend Markus. Auf die Heilung eines Besessenen folgt die Berufung der Jünger, die bei Lukas zu einer wunderhaften Geschichte vom Fischzug ausgestaltet wird (5,1-11). Die Jünger fahren nach erfolgloser Nachtarbeit auf den Rat Jesu hin erneut auf den See und fangen so viel, dass (5,6) „ihre Netze zu reißen begannen.“ Danach beruft Jesus Simon (Pet-

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Da s Lu k a s ev a n g e li u m

202

rus), Jakobus und Johannes in die Nachfolge. Es folgen Wundergeschichten, die aus Mk bekannt sind (Aussätziger, Gelähmter) und die ersten Streitgespräche (Zöllnermahl, Fasten, Ährenraufen). Die Berufung der Zwölf schließt die Konstituierung des Jüngerkreises ab. Lk 6,17-49 Die öffentliche Rede Jesu: Nach einer szenischen Rahmung folgt die so genannte Feldrede. In ihr stellt Lukas das Material der Logienquelle zusammen, aus dem Matthäus die Bergpredigt gebildet hat. Auf die Seligpreisungen der Armen, der Hungernden, der Weinenden und der Verachteten folgen Weherufe gegen die Reichen, die Satten, die Lachenden und die Angesehenen. Diese beiden Gruppen stehen sich gegenüber. Die Vermittlung der Gegensätze ist durch Feindesliebe, konkretisiert als Gewaltverzicht, Rechtsverzicht und Besitzverzicht, möglich (6,29): „Wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar!“ Die Schlussmahnung betont, dass die Ethik Jesu der Fels ist, auf dem man ein Haus bauen kann, das in der Flut bestehen wird.

Feindesliebe

Lk 7,1-9,50 Ereignisse in Galiläa: In 7,1-8,3 stellt Lukas Sondergut und Material der Logienquelle zusammen. Auf die Erzählung von der Heilung des Knechts eines Hauptmanns (7,1-10) folgt die Auferweckung des einzigen Sohnes einer Witwe aus Nain (7,11-17). In 7,18-35 wird das Verhältnis Jesu zum Täufer thematisiert. Der Täufer lässt fragen (7,19): „Bist du, der da kommen soll?“ Jesus verweist auf seine messianischen Taten und darauf, dass (7,22) „den Armen das Evangelium verkündigt wird.“ Die Salbung durch eine Frau und die Liste der Jüngerinnen Jesu stellt die Frauen um Jesus vor (7,36-8,3). Dann folgt Lukas wieder Mk (4,1- 9,40). Erzähltexte 31. Jesus in Nazareth (Lk 4,16-30) 32. Auferweckung des Jünglings zu Nain (Lk 7,11-17)

9.3.4 | Jerusalem

Der lukanische Reisebericht: 9,51-19,28 Lk 9,51-11,13 Die Jüngerunterweisung: Mit 9,51 wendet sich die Wanderungsbewegung Jesu ausdrücklich nach Jerusalem. Der sprachliche Ausdruck macht deutlich, dass hier eine neue Orientierung betont werden soll (9,51): „da wandte er sein Angesicht, stracks nach Jerusalem“. In den ersten Texten, die im Reisebericht zusammengestellt sind, wendet sich Jesus überwiegend an die Jünger. Der Weg nach Jerusalem bindet die Jüngergemeinschaft fester an Jesus. Die Zurückweisung, die er durch ein Samariterdorf erfährt, soll nicht mit Gewalt beantwortet werden. Die Zebedaiden fragen, ob sie bewirken sollen (9,54), „dass Feuer vom Himmel falle und sie verzehre“. Jesus lehnt das ab und erwartet von den

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Jüngern, auch den Zebedaiden Jakobus und Johannes, Gewaltverzicht (9,52-56). Die Nachfolge erfordert besonderes Geschick, wie Jesus den zur Nachfolge Bereiten sagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ (9,57-62). Die Aussendungsrede, die Weherufe über die galiläischen Städte und die Rückkehr der Jünger zeigen, dass nun die Jüngerschar gefestigt ist: „Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht!“ (10,1-24). Die beiden Texte vom barmherzigen Samariter und von Maria und Martha klären das Verhältnis von Tun und Hören, von Werk und Wort. Beides hat seine Bedeutung. Das Tun soll bestimmt sein von der Erfüllung des Doppelgebotes der Liebe: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Das Doppelgebot wird konkretisiert in der Erzählung von dem unter die Räuber gefallenen Mann, an dem Priester und Levit vorbeiziehen, der aber durch einen Nichtjuden, einen Samariter, gerettet und versorgt wird. Aber auch das Hören hat seine Bedeutung. Jesus kommt nun in das Haus der Maria und Martha, Maria hört ihm zu, Martha arbeitet im Haus und beklagt sich schließlich. Jesus antwortet: „Maria hat das gute Teil erwählt.“ (10,38-42). In 11,1-13 lehrt Jesus den Jüngern das Beten. In 11,2-4 wird das Vaterunser eingeführt. Lk 11,14-14,35 Die Auseinandersetzung mit und vor dem Volk: Von 11,14 an tritt das Volk („die Menge“) als Gesprächspartner Jesu in den Vordergrund. Die Texte wollen die besondere Entscheidungssituation unterstreichen, in die jeder durch Jesus gebracht wird. Die Sabbatheilung der gekrümmten Frau (13,10-17) zeigt die Stimmung, die durch die Verkündigung Jesu entsteht, Lk 13,17 (L): „Und alles Volk freute sich über alle herrliche Taten, die durch ihn geschahen.“ Der Freude steht aber auch das Wissen um das Schicksal Jesu und das Schicksal Jerusalems gegenüber (13,31-35). Der Abschnitt endet mit einer Gastmahlszene im Haus eines „Oberen der Pharisäer“. Die Mahlgemeinschaft bildet die Jüngergemeinschaft und die Gemeinschaft des Reiches Gottes ab. Im Gleichnis vom Abendmahl (14,15-24) wird die Verschlossenheit der Geschäftigen und die Offenheit der Unbedeutenden gegenübergestellt (14,21): „Führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.“ Lk 15,1-19,28 Festigung der Lehre und Wiederaufnahme der Reise: In diesem dritten Teil des Reiseberichts wird überwiegend in Gleichnissen gelehrt. In Lk 15 werden in eine Gesprächsszene zwischen Pharisäern und Jesus als Antwort auf die Frage nach der Gemeinschaft mit Sündern drei Gleichnisse vom Verlorenen (Schaf, Groschen, Sohn) eingebettet. Die Sünder sollen nicht nur Aufnahme finden, sondern das sollte mit Freude geschehen. So spricht der barmherzige Vater zum älteren Sohn, der

Freude

Vom Verlorenen

Da s Lu k a s ev a n g e li u m

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missmutig beiseite steht, Lk 15,32 (L): „Du sollst aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“ Die weiteren Gleichnisse in diesem Abschnitt Der unehrliche Verwalter 16,1-13 16,19-31 Reicher Mann und armer Lazarus Die bittende Witwe 18,1-8 Pharisäer und Zöllner 18,9-14 Von den anvertrauten Pfunden 19,11-27 Die Gleichnisse sind nicht ganz leicht zu deuten. Sie erzählen überwiegend von Konfliktsituationen, die stark durch materielle Fragen geprägt sind: Entlassung und Armut, Hunger, Unrecht, Willkürherrschaft. Die erzählte Welt der Texte berichtet jeweils von einer überraschenden Wende. In dieser Überraschung kommt eine Seite des Reiches Gottes zum Ausdruck: Das Reich Gottes bricht mit den alltäglichen Erwartungen. Erzähltexte 33. Der barmherzige Samariter (Lk 10,25-37) 34. Maria und Martha (Lk 10,38-42) 35. Der reiche Kornbauer (Lk 12,16-21) 36. Das große Abendmahl (Lk 14,15-24) 37. Die drei Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15,1-32) 38. Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14) 39. Zachäus (Lk 19,1-10)

9.3.5 |

Jesus in Jerusalem: 19,29-24,53 Lk 19,29-21,38 Die Verkündigung in Jerusalem: Der Aufenthalt Jesu in Jerusalem wird im Lukasevangelium nach der Vorgabe des markinischen Passionsberichts erzählt. An zahlreichen Stellen wird die Markusvorlage durch Sondergut ergänzt und der Erzählablauf wird überarbeitet. Der Einzug in Jerusalem führt unmittelbar in den Tempel und die Austreibung der Händler wird am ersten Tag des Aufenthalts Jesu vollzogen (Lk 19,28-48). In 19,41-44 ist eine kleine Passage eingefügt, nach der Jesus das Schicksal Jerusalems beweint (vgl. 13,34f). Im Tempelgebiet führt Jesus die Streitgespräche um seine Vollmacht, die Steuer, die Auferstehung und um die Davidsohnschaft des Messias. Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern wird der Führung des Jerusalemer Judentums die Legitimation abgesprochen. Das Volk steht auf der Seite Jesu (20,19). Lukas setzt gegenüber der

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und

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Markusvorlage nur einige Akzente neu. So wird die apokalyptische Rede (Mk 13) im Tempel gehalten (21,5-36). Lukas verstärkt die Hinweise auf die Geschichte Jerusalems. Die Stadt wird 70 n.Chr. von den Römern erobert und der Tempel wird zerstört. Lukas blickt auf diese Ereignisse zurück und ergänzt Andeutungen in der Rede Jesu, die auf die Vernichtung Jerusalems hinweisen. Die „Wehen“ der Endzeit werden zu geschichtlichen Ereignissen, Lk 21,20 (L): „Wenn ihr aber sehen werdet, dass Jerusalem von einem Heer belagert wird, ...“ (vgl. Mk 13,14: „Wenn ihr aber sehen werdet das Gräuelbild der Verwüstung stehen, wo es nicht soll ...“). Am Ende der Darstellung der endzeitlichen Vorgänge steht die Aufforderung zur ständigen Wachsamkeit, Lk 21,36 (Z): „Wachet aber zu jeder Zeit“. Lk 22,1-23,56 Passion: Im eigentlichen Passionsbericht, der Erzählung von der Gefangennahme Jesu bis zur Kreuzigung, weicht Lukas häufig vom Markustext ab. Es bleibt im Grunde nur ein gemeinsames Erzählgerüst übrig. Der Text ist durch und durch neu gestaltet und durch Sondergut ergänzt. Aber auch bei Lukas beginnt der Passionsbericht im engeren Sinne mit dem Verrat des Judas und dem letzten Mahl am Passahfest (22,1-23). Die Einsetzungsworte zum Abendmahl weichen von Mk ab und stehen 1.Kor 11,23-25 nahe, Lk 22,19f (L): „Und er nahm das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, der für euch vergossen wird!“ An das Mahl schließt sich ein Jüngergespräch an (22,24-38), in dem der Konflikt der Jünger mit der weltlichen Macht im Mittelpunkt steht, Lk 22,36 (L): „Und wer’s nicht hat, verkaufe seinen Mantel und kaufe ein Schwert.“ Dann folgt Lk wieder der Markusvorlage: Gethsemaneszene (ergänzt um 22,43f), Gefangennahme, Verleugnung des Petrus, vor dem Hohen Rat und vor Pilatus. In 23,6-12 wird ein Verhör durch Herodes ergänzt (Sondergut). Lukas betont deutlicher als Mk die Unschuld Jesu (23,4.14f.20.22). Pilatus gibt wider besseres Wissen dem Druck des Volkes und der Hohenpriester nach. Geißelung und Verspottung Jesu werden gegenüber Mk stark abgeschwächt. Auf dem Weg zum Kreuz berichtet Lk nun von der Trauer Jesu über Jerusalem, Lk 23,38 (L): „Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder.“ (vgl. 13,34f; 19,41-44). Am Kreuz führt Jesus noch ein Gespräch mit den beiden Verbrechern, die zu seiner Linken und Rechten gekreuzigt werden. Dem einem sagt er zu, Lk 23,43 (L): „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Nach Lk 23,46 betet Jesus in der Stunde seines Todes nicht Ps 22, sondern Ps 31,6: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Der Hauptmann nennt Jesus nicht Sohn Gottes (Mk 15,39),

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sondern einen „Gerechten“ und unterstreicht damit erneut die Unschuld Jesu. Josef von Arimathäa erhält den Leichnam und Lk 23,50f stellt heraus, dass er zwar Mitglied des Hohen Rats gewesen sei, aber dennoch (23,51) „ihren Rat und ihr Handeln nicht gebilligt“ hatte. Liebesgebot

Lk 24 Auferstehung und Himmelfahrt Jesu: In Lk 24 fallen Ostern und Himmelfahrt auf einen Tag. Die Entdeckung des leeren Grabes bleibt nicht nur den Frauen vorbehalten wie in Mk 16,1-8, sondern auch Petrus geht hin. Er sieht sogar die Leinentücher liegen und wundert sich (24,1-12). In zwei Erscheinungsberichten wird nun von der Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen berichtet. In der Erzählung von den Jüngern, die auf dem Weg nach Emmaus sind, zeigt sich ein großer Erzähler am Werk (24,1335). Er schildert das Empfinden der Jünger nach dem Tode Jesu. Als Jesus erkannt wird, verschwindet er. Die Jünger sprechen, Lk 24,32 (L): „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege?“ Sie gehen zu den anderen Jüngern mit dem Auferstehungsruf (24,34): „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ Jesus tritt dann noch mal in die Jüngergemeinschaft, zeigt seine Wundmale und isst mit ihnen (24,36-49). Dann geht er nach Bethanien und wird in den Himmel gehoben. Die Jünger aber kehren nach Jerusalem zurück (24,53) „und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.“ So endet das Lukasevangelium an dem Ort, an dem sein Erzählfaden begann: im Tempel Jerusalems. Im Tempel beginnt die Vorgeschichte, auf den Tempel zu bewegt sich Jesus, dort lehrt er und dorthin kehren schließlich die Jünger nach der Himmelfahrt zurück. Erzähltexte Von den Besonderheiten der lukanischen Passionsgeschichte gegenüber dem markinischen Passionsbericht sind vor allem das Verhör durch Herodes (23,612), das Gespräch Jesu mit den beiden Mitgekreuzigten (23,39-43) und die Emmausjünger (24,13-35) wichtig. 40. Begegnung Jesu mit den Emmausjüngern (Lk 24,13-35)

9.4 | Wichtige Themen Emmaus

1. Geschichte Das Lukasevangelium kommt einer Biographie Jesu am nächsten. Bereits das Vorwort unterstreicht, dass es dem Verfasser um die Darstellung historischer Ereignisse geht. Seine Quellen (Mk und Q) geben ihm aber nur Einblick in die Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu. So ergänzt Lukas diese Phase mit einer Vorgeschichte von Geburt und Kindheit Jesu.

W i ch t i g e T h e m e n

2. Christologie und Plan Gottes Jesus ist für Lukas von Anfang an der Christus und der „Herr“. Das Schicksal Jesu ist von Gott beschlossen. Jesus kennt diesen Plan Gottes und weiß bei seiner Wendung nach Jerusalem (9,51), dass er „emporgehoben“ werden soll, d.h. er weiß von seiner Himmelfahrt. Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu ist durch diese Orientierung auf die Himmelfahrt und durch die Einbettung in die Vorstellung vom Plan Gottes gegenüber Markus etwas reduziert. 3. Eschatologie und Ethik Deutlicher als in Markus wird Jesus bei Lukas als Lehrer dargestellt. Insbesondere durch seine Gleichnisse erweist er sich als jemand, der die Alltagsnöte der Menschen kennt und für diesen Alltag das Evangelium vom Kommen des Reiches Gottes in anschaulichen Erzählungen ankündigt. Dieses Kommen wird zwar noch erwartet, aber das Lukasevangelium rechnet mit dem individuellen Sterben vor der Wiederkunft Christi. Es gibt die Vorstellung vom individuellen Gericht (Lk 16,19-31) und vom Paradies, in das man nach dem Tod gelangen kann (23,43). Dadurch gewinnt die Frage nach dem Verhalten im Leben vor der Wiederkunft Christi größere Bedeutung. Der Glaubende muss sein Leben hier und jetzt gestalten. Er benötigt Hinweise für sein Verhalten, die sich nicht auf die Forderung zur Wachsamkeit und zum Ausharren beschränken können (wie etwa in Mk 13). Dieser Notwendigkeit folgt das Lukasevangelium, indem es Fragen der Lebensführung thematisiert: Umgang mit Reichtum, Rechtsfragen und Nächstenliebe. 4. Eigentum, Recht und Politik An vielen Stellen werden reich und arm gegenübergestellt (1,53; 6,20.24; 16,19-31). Gott ist eindeutig auf der Seite der Armen. Die Reichen sind verpflichtet ihren Besitz zur Verfügung zu stellen (12,15.16-21; 18,22). Die Verkündigung Jesu fordert allerdings von den Armen eine Ethik des Gewaltverzichts (6,27-31). Nur durch die Bereitschaft der Reichen zur Freigebigkeit und durch den Verzicht der Armen auf Gewalt kann ein Ausgleich geschaffen werden, der allen zugute kommt und würdige Lebensverhältnisse schafft. Lukas vertraut nicht darauf, dass die Herrschenden dieser Einsicht folgen (1,52; 3,19f; 13,31-33; 19,11-27; 22,25). Es ist Sache des Volkes, das aus Reichen und Armen besteht, diesen Ausgleich zu schaffen (3,10-14). Besitz wird nicht als Privateigentum verstanden, sondern als ein Mittel, Leben zu erhalten. Die vielen Texte im Sondergut, die sich mit dem materiellen Besitz befassen, zielen letztlich immer wieder darauf, das Materielle (Geld, Nahrung, Rechtsansprüche) so einzusetzen, dass das Leben der Menschen gesichert wird.

207

208

Da s Lu k a s ev a n g e li u m

9.5 | Leitfaden 9 Ziel dieser Lerneinheit ist es, Sie in vier Lernschritten mit dem Inhalt und den Besonderheiten (Sprache, Aufbau) des Lukasevangeliums (Lk) bekannt zu machen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Mk werden deutlich und Ihr Blick wird auf die wesentlichen inhaltlichen Aussagen des Lk gelenkt. Schritt 1: Einführung Lesen Sie 9.1 („Einführung“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was wissen Sie über die Quellen des Lukasevangeliums? ˘ Was ist unter den beiden „Einschaltungen“ zu verstehen? ˘ Was erfahren Sie über den Stil und den kulturellen Hintergrund des Verfassers des Lk? ˘ Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Texte des Sondergutes. ˘ Welche der Erzähltexte 30-40 gehören zum Sondergut? Schritt 2: Gliederung Lesen Sie: [19] Lk (24) 1-4; 6; 9,51-19,28; 21-24 und parallel dazu die Gliederung (9.2). Die Auswahl der Textstellen konzentriert sich auf die Texte, die Sie noch nicht aus Mk kennen. Markieren Sie sich die Erzähltexte 30. Geburt und Kindheit des Täufers und Jesu (Lk 1,5-2,52) 31. Jesus in Nazareth (Lk 4,16-30) 32. Auferweckung des Jünglings zu Nain (Lk 7,11-17) 33. Der barmherzige Samariter (Lk 10,25-37) 34. Maria und Martha (Lk 10,38-42) 35. Der reiche Kornbauer (Lk 12,16-21) 36. Das große Abendmahl (Lk 14,15-24) 37. Die drei Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15,1-32) 38. Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14) 39. Zachäus (Lk 19,1-10) 40. Begegnung Jesu mit den Emmausjüngern (Lk 24,13-35) Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Lukasevangeliums (9.2) ein. Schritt 3: Inhalt ˘ Lesen Sie 9.3 („Inhalt des Lukasevangeliums“).

Li t e r a t u r

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Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was ist das Besondere am Prolog des Lk? ˘ Prägen Sie sich den Erzählablauf der Vorgeschichte ein. ˘ Lesen Sie die „Auferweckung des Jünglings zu Nain“ (Lk 7,11-17) und erzählen sie die Geschichte in eigenen Worten nach. ˘ Prägen Sie sich die Textstelle und die inhaltlichen Schwerpunkte der Feldrede (Seligpreisungen, Weherufe, Feindesliebe, Schlussmahnung) ein. ˘ Wo steht bei Lk das Vaterunser? ˘ Prägen Sie sich fünf Gleichnisse und fünf Erzähltexte des Sondergutes ein. ˘ Skizzieren Sie die Hauptunterschiede zwischen der lukanischen und der markinischen Passionsgeschichte. ˘ Erzählen Sie die Geschichte von der Begegnung der Emmausjünger nach (Lk 24,13-35). Schritt 4: Themen Lesen Sie 9.4 („Wichtige Themen des Lukasevangeliums“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was meint „Plan Gottes“ bei Lukas? ˘ Erklären Sie das Verhältnis von „Eschatologie“ (Endzeiterwartung) und „Ethik“ (das Tun des Guten) bei Lukas. ˘ Welche Bedeutung hat Reichtum im Lukasevangelium?

| 9.6

Literatur Bendemann, Reinhard von: Zwischen doxa und stauros. Eine exegetische Untersuchung der Texte des so genannten Reiseberichts im Lukasevangelium, Berlin/New York 2001 (BZNW 101). Bormann, Lukas: Recht, Gerechtigkeit und Religion im Lukasevangelium, Göttingen 2001 (StUNT 24). Ganser-Kerperin, Heiner: Das Zeugnis des Tempels. Studien zur Bedeutung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk, Münster 2000 (NTA.NF 36). Hagene, Sylvia: Zeiten der Wiederherstellung. Studien zur lukanischen Geschichtstheologie als Soteriologie, Münster 2003 (NTA.NF 42). Heusler, Erika: Kapitalprozesse im lukanischen Doppelwerk. Die Verfahren gegen Jesus und Paulus in exegetischer und rechtshistorischer Analyse, Münster 2000 (NTA.NF 38).

Hotze, Gerhard: Jesus als Gast. Studien zu einem christologischen Leitmotiv im Lukasevangelium, Würzburg 2007 (fzb 111). Pokorny, Petr: Theologie der lukanischen Schriften, Göttingen 1998 (FRLANT 174). Rusam, Dietrich: Das Alte Testament bei Lukas, Berlin/New York 2003 (BZNW 112). Schiffner, Kerstin: Lukas liest Exodus. Eine Untersuchung zur Aufnahme ersttestamentlicher Befreiungsgeschichte im lukanischen Werk als Schrift-Lektüre, Stuttgart 2007 (BWANT 172). Wasserberg, Günter. Aus Israels Mitte - Heil für die Welt. Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas, Berlin/New York 1998 (BZNW 92).

210

10 | Das Matthäusevangelium

Inhalt 10.1 Einführung

210

10.2 Gliederung

213

10.3 Inhalt und Aufbau

214

10.4 Wichtige Themen

222

10.5 Leitfaden 10

223

10.6 Literatur

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10.1 | Einführung 1. Die Quellen des Matthäus: Markus, Logienquelle und Legenden Matthäus folgt dem Aufriss des Markusevangeliums. Jesus kommt von Galiläa, zieht nach Jerusalem, kommt dort um und erscheint den Jüngern in Galiläa. Die Markustexte gestaltet er nur wenig um. In den Wundergeschichten kürzt er die Markusvorlagen und konzentriert die Erzählungen auf die Wunderhandlung Jesu. Er stellt seinem Evangelium eine Vorgeschichte voran, die von dem Interesse geprägt ist, Jesus von Anfang an als den Christus darzustellen. Den Stoff der Logienquelle stellt Matthäus überwiegend in umfangreichere Redekompositionen zusammen. Der Gesamteindruck, den das Matthäusevangelium beim Leser hinterlässt, ist bestimmt von fünf oder – nach einer anderen Zählung – sechs Reden Jesu. Die berühmteste unter ihnen ist die Bergpredigt (5-7). Das Matthäusevangelium wirkt durch die Hervorhebung der Reden Jesu wie eine Lehre Jesu für die Gemeinde (5-7; 10; 13; 18; 23; 24f, bzw. 23-25).

E i n fü h r u n g

Die Reden im Mt Bergpredigt Jüngerrede Gleichnisrede Gemeinderede Pharisäerrede Endzeitrede

211

5-7 10 13 18 23 24f

Matthäus ergänzt die Markusüberlieferung um legendarisches Material (z.B. die Flucht der Familie Jesu nach Ägypten). Diese Texte haben meist einen rechtfertigenden oder verteidigenden Charakter und sind deswegen recht problematisch. 2. Stil des Matthäus Das Alte Testament hat für Matthäus große Bedeutung. Im Vergleich zum Lukasevangelium fällt aber auf, dass Matthäus weniger Wert auf die Erzählungen des Alten Testaments legt als auf die Auslegung einzelner Worte. Das wird deutlich an den Erfüllungszitaten (1,22f; 2,5f; 2,15; 2,17f; 2,23; 4,14f; 8,17; 12,18-21; 13,35; 21,4f; 27,9). Nicht die Welt der biblischen Frommen wird aufgenommen wie in Lk 1-2, sondern einzelne Zitate werden über den Weg der Schriftauslegung auf die Geschichte Jesu bezogen. Matthäus ist von der Auslegungspraxis des Frühjudentums geprägt, die auch in den Texten der Qumran-Essener belegt ist. Dort finden sich „Florilegien“, Sammlungen wichtiger Bibelzitate, und „Pescharim“, Auslegungen von Bibeltexten. Die Argumentationsweise Jesu im Matthäusevangelium ist an vielen Stellen an den Techniken orientiert, die wir aus der rabbinischen Literatur kennen (z.B. Mt 12,11f/Mk 3,1-6; vgl. Abb. 14). Neben den Erfüllungszitaten fallen Ergänzungen des Erzählfadens auf, die legendarischen Charakter haben. Sie setzen sich offensichtlich mit der Kritik an der Jesusüberlieferung auseinander. Matthäus kennt wohl eine Polemik gegen die Jungfrauengeburt, nach der Jesus vielmehr aus einem vorehelichen Verkehr Marias hervorgegangen sei. Diese Polemik weist er mit einer etwas merkwürdigen Erzählung von Josefs Absicht, Maria heimlich zu verlassen, zurück (1,19-25). Der Vorwurf, die Jünger hätten den Leichnam Jesu gestohlen, wird mit der vollkommen unwahrscheinlichen Erzählung von den Wächtern am Grab und dem Betrug der Hohepriester entkräftet (27,62-66 und 28,11-15). Ähnlich problematisch sind die Einfügungen des Traums der Frau des Pilatus und der Unschuldsbeteuerung des Pilatus (27,19.24f). In diesem Zusammenhang überliefert Matthäus die Schuldübernahme der am Prozess Jesu anwesenden Volksmenge, die über Jahrhunderte zur Begründung von

Erfüllungszitate

212

Da s M a t t h ä u s ev a n g e li u m

Judenpogromen missbraucht wurde (27,25: Da antwortete das ganze Volk und sprach: „Sein Blut komme über uns!“).

Vom syrisch-palästinischen Judentum zur weltweiten Mission

3. Kultureller Horizont des Matthäus Matthäus stellt Jesus, seine Lehre und sein Handeln ganz in den Kontext der Erwartungen des syrisch-palästinischen Judentums. Er unterscheidet deutlich zwischen „Heiden“ (5,47; 6,7; 18,17) und den Verehrern des Gottes Israels (Juden und Jesusanhängern). Er interessiert sich für die Auseinandersetzung um den Willen Gottes zwischen denen, die den Gott Israels anerkennen. Jesus setzt sich deswegen im Matthäusevangelium besonders eingehend mit der Lehre der Pharisäer auseinander und ringt mit ihnen um die angemessene Interpretation des Willens Gottes. Die Schärfe der Pharisäerrede (Mt 23) geht weit über die Vorlage in der Logienquelle hinaus (vgl. Lk 11,37-54). Die Pharisäer sind für Matthäus gegenwärtige Gegner der Gemeinde. Das Alte Testament ist für Matthäus die „Schrift“, in der der Messias verheißen ist. Sie ist im Auftreten Jesu erfüllt. Die Lehre Jesu erfüllt die ethischen Forderungen der Tora und führt sie weiter, um die „Gerechtigkeit“ zu lehren, die dem Reich Gottes entspricht. Seine Anschauungen weisen eine besondere Nähe zu den Vorstellungen auf, die auch in den Texten der Qumran-Essener zu finden sind (bes. Mt 18,15-17). Trotz dieser Bindung an das syrisch-palästinische Judentum blickt Matthäus auf die weltweite Mission (28,18-20). 4. Überblick Sondergut a) Legenden Geburts- und Kindheitsgeschichte 1,18-2,23 Tod des Judas 27,3-10 Traum der Frau des Pilatus 27,19 27,24f Unschuld des Pilatus Totenauferstehung 27,51-53 27,62-66 und 28,11-15 Die Wächter am Grabe und Betrug b) Gleichnisse 13,24-30 Unkraut im Weizen 13,44-52 Schatz im Acker, Perle, Fischnetz, Hausvater Von der Vergebung (Schalksknecht) 18,23-35 20,1-16 Arbeiter im Weinberg Die beiden Söhne 21,28-32 Die klugen und die törichten Jungfrauen 25,1-13 Das Weltgericht 25,31-46

G lie de r u n g

c) Wundergeschichten 9,27-34 14,28-31 17,24-27 21,14-16

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Heilung zweier Blinder und eines Taubstummen Jesus und der sinkende Petrus auf dem See Der Silbergroschen im Fischmaul Heilung der Blinden und Lahmen im Tempel

d) Erscheinungen Jesu Vor den Frauen am Grabe 28,9f Vor den Jüngern auf einem Berg Galiläas 28,16-18a e) Jesusworte 5,5.7-10 Seligpreisungen Gesetzeserfüllung 5,17.19f Vom Töten 5,21-24 Ehebruch, Scheidung, Schwören 5,27-37 6,1-6 Almosen, Gebet Fasten 6,16-18 Perlen vor die Säue 7,6 11,28-30 An die Mühseligen 16,17-19 Schlüsselgewalt an Petrus 18,15-22 An die Gemeinde, Versammlung, Vergebung Ehe und Ehelosigkeit 19,10-12 Gegen die Pharisäer 23,8-11.15-22 28,18-20 Missionsbefehl

Gliederung 1-2: Stammbaum Jesu und Vorgeschichte 1,1-17 Stammbaum Jesu Die Geburt des Messias 1,18-25 Die Gefährdung des Messias 2,1-23 3-20: Jesu Wirken in Galiläa und Judäa 3-4 Anfang des Wirkens Jesu Die Bergpredigt (5-7: Jesu große Rede) 5-7 Jesu große Taten 8-9 Jesus und die Jünger (10: Jüngerrede) 10 Feindschaft und Unglauben der Juden 11-12 Gleichnisse (13: Gleichnisrede) 13 entsprechen Mk 6-9 14-17 Probleme der Gemeinde (18: Gemeinderede) 17-20

| 10.2

Da s M a t t h ä u s ev a n g e li u m

214

21-25: Jesu Wirken in Jerusalem Handeln und Lehre Jesu 21-22 Rede gegen die Pharisäer (23: Pharisäerrede) 23 Rede über die Endzeit (24f: Endzeitrede) 24-25 26-28: Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen Jesus und die Jünger 26,1-46 Der Prozess, Hinrichtung und Grablegung Jesu 26,47-27,66 Die Auferstehung 28

10.3 | Inhalt und Aufbau 10.3.1 |

Stammbaum Jesu und Vorgeschichte: 1-2 Mt 1,1-17 Stammbaum Jesu: Der Stammbaum Jesu beginnt bei Abraham und ist in Siebenerrhythmen strukturiert: Abraham bis David 2 x 7; David bis Exil 2 x 7; Exil bis Christus 2 x 7. Insgesamt 6 x 7 Geschlechter. Soll angedeutet werden, dass nun das siebte (vollkommene oder endzeitliche?) Geschlecht anbricht? Im Stammbaum Jesu werden neben all den Männern nur fünf Frauen genannt. Die Auswahl der vier Stammmütter Tamar (1,3; vgl. Gen 38), Rahab (1,5; vgl. Jos 2 und 6), Rut (1,5; vgl. Rut), die Frau des Uria (1,6; vgl. 2. Sam 11f; 1. Kön 1f; „Bathseba“) ist nicht leicht zu deuten (Nichtjüdinnen?). Maria (1,16) schließt die Reihe dieser besonderen Frauen ab. Mt 1,18-25 Die Geburt des Messias: Die legendarischen Ergänzungen des Matthäus machen häufig vom Traummotiv Gebrauch (1,20; 2,12.13.19; 27,19). Die unberührte Verlobte des Josef wird schwanger. Josef wird durch einen Engel im Traum über die Zeugung durch den heiligen Geist aufgeklärt. Das erste Erfüllungszitat begründet die Jungfrauengeburt mit Jes 7,14, Mt 1,22 (L): „Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt werde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat.“ Das Kind bekommt den Namen Jesus. Mt 2,1-23 Die Gefährdung des Messias: An die wunderbare Geburt in Bethlehem schließt sich nun die Gefährdung des Neugeborenen an. Sterndeuter suchen den „neugeborenen König der Juden“. Herodes wird hellhörig und will über das Kind Genaueres wissen. Die Sterndeuter halten den Ort aber geheim (2,11-12). Josef erfährt in einem Traum, dass er fliehen muss und zieht nach Ägypten (2,13-15). Herodes lässt alle Kinder bis zwei Jahre töten (2,16-18). Nach dem Tod des Herodes kehrt Josef zurück, aber nicht nach Bethlehem, sondern nach Nazareth (2,19-23).

I n h a lt

und

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Erfüllungszitate der Vorgeschichte Matthäus wandelt die Zitate etwas ab (bes. Mi 5,1). Im Folgenden werden die alttestamentlichen Texte nach Matthäus zitiert. ˘ Jes 7,14: Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Emmanuel nennen, was übersetzt ist: Gott mit uns. ˘Mi 5,1: Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel hüten wird. ˘Hos 11,1: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. ˘Jer 31,15: Eine Stimme ist in Rama gehört worden, Weinen und viel Wehklagen: Rahel beweint ihre Kinder, und sie wollte sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind.

Erzähltext 41. Geburt und Gefährdung des Kindes (Mt 1,18-2,23)

Jesu Wirken in Galiläa und Judäa: 3-20

| 10.3.2

Mt 3-4 Anfang des Wirkens Jesu: Das Auftreten des Täufers konzipiert Mt durch eine Zusammenstellung des Materials aus Mk und Q. Der Täufer kündigt den „Stärkeren“ an (3,1-12). Johannes wehrt den Wunsch Jesu, sich von ihm taufen zu lassen, zunächst ab, tut es dann aber doch, um die „Gerechtigkeit“ zu erfüllen (3,13-17). Die Versuchungsgeschichte ist aus Q übernommen (4,1-11). Im Vergleich zu Lk 4,1-13 fällt die unterschiedliche Reihenfolge der Versuchungen auf (Mt: Steine zu Brot, vom Tempel herabstürzen, alle Reiche der Welt; Lk: Steine zu Brot, alle Reiche der Welt, vom Tempel herabstürzen).

| Abb. 17 Rekonstruktion der Synagoge bei Jericho (75 v. Chr. - 31 v. Chr.).

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Nun wird das Wirken Jesu charakterisiert (4,12-25). Er beginnt seine Bußpredigt in Kapernaum am See Genezareth. Dort beruft er seine ersten Jünger, predigt in den Synagogen und heilt Kranke. Sein Ruf breitet sich weit über Galiläa und Juda hinaus aus. Die große Aufmerksamkeit, die das Auftreten Jesu findet, schafft die szenische Rahmung für Jesu große Rede, die Bergpredigt (5-7). Seligpreisungen

Mt 5-7 Die Bergpredigt (Jesu große Rede): In der Bergpredigt, der ersten der fünf (oder sechs) großen Reden im Mt, ist Material der Logienquelle und anderes Material zusammengestellt worden. Die Komposition als Rede ist ein literarisches Produkt, ihre wesentlichen Inhalte lassen sich aber zu großen Teilen auf Jesus von Nazareth zurückführen (vgl. Lk 6,20-49). Die Einleitung der Bergpredigt schildert, dass sich die Jünger um Jesus wie Schüler um den Lehrer versammeln (5,1-2). Die Rede selbst setzt mit neun Seligpreisungen ein. Geistliche Armut, Leid, Sanftmut, Hunger nach Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Herzensreinheit, Friedfertigkeit, Verfolgung und Schmähung werden „selig“ gepriesen. Menschen, die diese Eigenschaften haben, gelangen in das Reich Gottes (5,312). In zwei Weisheitssprüchen wird die Bedeutung der Jünger unterstrichen. Sie sind notwendig wie das Salz und das Licht (5,13-16). Nach diesen Zusagen werden Aussagen formuliert, in denen Forderungen an die Jünger erhoben werden. Zur Einleitung dieses Teiles wird Grundsätzliches über die Geltung des Gesetzes gesagt (5,17-20). „Nicht ein Iota“ soll von ihm für ungültig erklärt werden. Es soll erfüllt werden und in der Erfüllung erlangen die Jünger die „bessere Gerechtigkeit“. Diese wird zunächst in den sechs Antithesen präzisiert. In Anknüpfung, Überbietung und im Gegensatz zu dem, was „zu den Alten gesagt“ ist, wird die Gerechtigkeit dargestellt, die die Jünger durch ihr Handeln erreichen können (5,21-48). Antithesen 1) Vom Töten 2) Ehebrechen 3) Scheidung 4) Schwören 5) Vergeltung 6) Feindesliebe

Mt 5,21-26 (vgl. Ex 20,13 bzw. Dtn 5,17) Mt 5,27-30 (vgl. Ex 20,14 bzw. Dtn 5,18) Mt 5,31-32 (vgl. Dtn 24,1-4) Mt 5,33-37 (vgl. Lev 19,12; Num 30,3) Mt 5,38-42 (vgl. Ex 21,24) Mt 5,43-48 (vgl. Lev 19,18 und Gemeinderegel aus Qumran 1QS I,3f)

Die Lebensgestaltung derjenigen, die sich dieser besseren Gerechtigkeit verpflichtet wissen, wird in Frömmigkeitsregeln festgehalten: Almosengeben, Beten und Fasten werden erläutert. Nichts von dem soll öffentlich

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und

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geschehen, wie es die „Heuchler“ tun, sondern verborgen und deswegen wahrhaft (6,1-18). Wer so handelt, der benötigt keine Schätze und wird frei sein von der Sorge um sich selbst (6,19-34). Die abschließenden Texte gehen immer deutlicher in Mahnungen über. Der Erfolg eines Lebens nach der Bergpredigt ist gefährdet durch falsches Richten (7,1-5) und durch falschen Umgang mit dem Heiligen (7,6). Dem Gebet hingegen wird die Gebetserhörung zugesagt (7,7-11). Die so genannte goldene Regel ist die Richtschnur für das Handeln in den Bereichen, die in der Bergpredigt nicht eigens abgehandelt sind: „Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch“ (7,12). Die Entscheidung für diesen richtigen Weg (7,13-14) wird durch falsche Propheten (7,15) und durch unglaubwürdige Gemeindeglieder (7,16-23) erschwert. Das anschließende Gleichnis vom Hausbau verdeutlicht nochmals die Notwendigkeit der Gerechtigkeit, wie sie die Bergpredigt fordert (7,24-27). Die Schlussbemerkung 7,28-29 unterstreicht die Bedeutung der Lehre Jesu: „Er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten“.

217

Goldene Regel

Mt 8-9 Jesu große Taten: In diesen beiden Kapiteln stellt Matthäus zahlreiche Wundererzählungen zusammen, die er mit den Ausnahmen des „Hauptmanns von Kapernaum“ (Q) und der Heilung zweier Blinder und eines Taubstummen (Sondergut) aus Mk übernommen hat. Er kürzt die Markusvorlage meist um die detaillierten Krankheitsschilderungen. Eine Gesamtdarstellung verstärkt das Bild Jesu, das Matthäus hat (9,35): „Und Jesus zog umher durch alle Städte und Dörfer und lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen.“ Mt 10 Jesus und die Jünger (Jüngerrede): Nach der Berufung der „Zwölf“, unter denen bei Mt auch ein „Matthäus, der Zöllner“ genannt wird, werden die „Zwölf“ mit der so genannten Aussendungsrede oder Jüngerrede entsendet (10,6): „Geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“ Sie besteht überwiegend aus Material der Logienquelle. Mt überarbeitet sie und aktualisiert sie. Sie wird auf die Gegenwart der matthäischen Gemeinde bezogen und auf das Liebesgebot ausgerichtet. Sie endet mit 10,42: „Und wer einem dieser Geringen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich ich sage euch: Es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.“ Mt 11-12 Ablehnung Jesu: Die folgenden Texte thematisieren die Ablehnung, die Jesus und die Jünger erfahren. Jesus wird abgelehnt wie auch Johannes der Täufer abgelehnt wurde (11,1-19). Über die galiläischen

Streitgespräche mit den Pharisäern

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Städte Chorazin, Bethsaida und Kapernaum wird Unheil ausgerufen („Wehe dir“; 11,20-24). Obwohl er ruft (11,28): „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich werde euch erquicken“, treten ihm die Pharisäer kritisch gegenüber, die Matthäus als die wichtigsten Gegner Jesu ansieht. Sie kritisieren das Ährenraufen am Sabbat (12,1-8) und die Heilung am Sabbat (12,9-14), obwohl das Handeln Jesu die Erfüllung von Jes 42,1-4 ist (12,15-21). Die Pharisäer unterstellen Jesus, dass er die Dämonen im Auftrag des höchsten Dämons („Beelzebul“) austreibe (12,22-30) und fordern ein Zeichen, das die göttliche Vollmacht Jesu erweisen soll (12,38-42). Jesus hingegen unterstreicht die Bedeutung der guten Lehre (12,36): „Die Menschen müssen Rechenschaft geben am Tag des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.“ Das richtige Handeln wird noch höher bewertet (12,50): „Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ Mt 13 Gleichnisse (Gleichnisrede): Matthäus stellt hier die Gleichnisse aus Mk 4 mit weiteren Gleichnissen zusammen und interpretiert sie. Die Gleichnisse werden überwiegend eingeleitet mit den Worten: „Das Himmelreich gleicht ...“ Gleichnisse der Gleichnisrede Vom Sämann 13,3-8 Unkraut unter dem Weizen 13,24-30 Senfkorn 13,31-32 Sauerteig 13,33 Schatz im Acker und die Perle 13,44-46 Fischnetz 13,47-50 Hausvater 13,51f Mt 14-17 entsprechen Mk 6-9: Mt folgt bereits ab 13,53 wieder weitgehend Mk. Als matthäische Besonderheiten im Mk-Stoff sind hervorzuheben: der sinkende Petrus (14,28-31), die israelzentrierte Notiz in 15,24 („nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“) und das Petruswort (16,17-19). In 17,24-27 wird die wunderbare Zahlung der Tempelsteuer berichtet. Dieser Text des matthäischen Sondergutes zeigt, wie Jesus trotz Kritik am Tempel an den Pflichten als Jude festhält. Mt 18-20 Probleme der Gemeinde (18: Gemeinderede): Nun wendet sich Matthäus wieder der Gemeinde direkt zu. Die Jünger werden ermahnt, die „Kleinen nicht zu verachten“. Abfall, Rückkehr, Gebet, Gemeindezucht und Vergebung sollen in der Gemeinde unter dem Vorrang der Liebe

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und

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gehandhabt werden. Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht unterstreicht, dass ein jeder seinem Bruder von Herzen vergeben soll (18,2335). Auch die weiteren Texte befassen sich mit dem rechten Verhalten: Ehelosigkeit, Reichtum, Nachfolge sind Themen, die behandelt werden (19). Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg zeigt, dass nicht die Dauer der Zugehörigkeit zur Gemeinde über die Aufnahme im Reich Gottes entscheidet, sondern die Hinwendung zur Gemeinde ausreicht (20,1-16). Die Frage der Söhne des Zebedäus, Johannes und Jakobus, nach den „Sitzen zur Rechten und Linken“ Jesu (20,20-28) und die Heilung der beiden Blinden von Jericho (20,29-34) schließen den Teil des Wirkens Jesu außerhalb Jerusalems ab. Erzähltexte 42. Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1-16)

Jesu Wirken in Jerusalem: 21-25 Mt 21-22 Handeln und Lehre Jesu: Mit dem Einzug nach Jerusalem schließt sich Mt wieder eng an die Mk-Vorlage (Mk 11f) an. Er ergänzt die Tempelreinigung um ein Wort über die Kinder 21,14-16. Jesu Auftreten im Tempel wird um die Gleichnisse von den beiden Söhnen (21,28-32) und von der königlichen Hochzeit (22,1-14) erweitert. Auch die letzte große Rede (23-25), die aus zwei Teilen besteht, wird im Tempelgebiet (23) bzw. mit Blick auf den Tempel gehalten (24f). Mt weitet die Bedeutung des Wirkens Jesu im Jerusalemer Tempel gegenüber Mk deutlich aus. Mt 23 Rede gegen die Pharisäer: Die Pharisäerrede gehört zu den bekanntesten Texten des Mt. Der „Pharisäer“ ist in der deutschen Sprache zum Synonym für den Heuchler geworden. Das wird dem Anliegen der pharisäischen Bewegung nicht gerecht. Hier liegt auch gar nicht die Ursache für die zum geflügelten Wort gewordene Rede vom „Pharisäertum“. Mt 23 legt vielmehr einen Zwiespalt offen, der von zeitloser Bedeutung ist: den Widerspruch zwischen Reden und Handeln (23,3): „denn sie sagen’s zwar, sie tun’s aber nicht.“ Der Gegensatz zwischen Jesus und den Pharisäern liegt im Auftreten. Die Pharisäer lassen sich nach Mt 23,6f öffentlich feiern: „Sie sitzen gern obenan bei Tisch und den Synagogen und haben’s gern, dass sie auf dem Markt gegrüßt und von den Leuten Rabbi genannt werden.“ Der wirklich Fromme handelt im Verborgenen und von Herzen (6,1-18). In den Weherufen werden die Vorwürfe noch verschärft und schließlich zu bitteren Beschimpfungen gesteigert (23,33): „Ihr Schlangen, ihr

| 10.3.3

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Otternbrut!“ Diese Aussagen des Mt stehen im Widerspruch zum Gebot der Feindesliebe (5,43-48). Mt 24-25 Rede über die Endzeit: Zwischen der Pharisäerrede und der Endzeitrede wird ein Ortswechsel geschildert. Jesus verlässt den Tempel und blickt auf das herrliche Tempelgebäude. Dessen Vergänglichkeit (zur Zeit der Abfassung des Mt ist der Tempel bereits zerstört) wird zum Ausgangspunkt der Endzeitrede. In ihr werden zunächst die Ereignisse der „letzten Tage“ bis zum Kommen des Menschensohns weitgehend nach Mk 13 geschildert (24,3-44). Dann wird in Gleichnissen ausführlich vom Endgericht gesprochen. In den Gleichnissen werden jeweils das Bestehen im Gericht und die Verdammnis gegenübergestellt. Die Ursachen für die Verdammnis werden offen gelegt und dadurch wird das rechte Verhalten eingeschärft: Der treue und der böse Knecht (24,45-51), die klugen und die törichten Jungfrauen (25,1-13), der tüchtige und der faule Knecht (25,14-30) und schließlich diejenigen, die den „geringsten Brüdern“ Barmherzigkeit erwiesen haben, und die anderen, die es nicht getan haben, werden gegenübergestellt. Die „Schafe“ werden von den „Böcken“ getrennt. Die einen erwartet die Finsternis und die ewige Strafe an einem Ort, „wo Heulen und Zähneklappern“ sein werden, die anderen erhalten das „ewige Leben“. Mit der Endzeitrede schließt der Reigen der fünf (nimmt man 23-25 als eine Rede) oder sechs Reden Jesu. Mt spricht das direkt aus (26,1): „Und es begab sich, als Jesus alle diese Reden vollendet hatte, ...“ Erzähltexte 43. Die zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13)

10.3.4 |

Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen: 26-28 Mt 26,1-46 Jesus und die Jünger: Mt hält sich im Erzählablauf an Mk 14f. In der Einleitung (26,1-5) ergänzt er den Beschluss der „Hohenpriester und der Ältesten des Volkes“, Jesus zu töten. Er verstärkt damit die Ausrichtung der letzten Ereignisse auf den Kreuzestod Jesu. Salbung, Verrat, Vorbereitung des Passahmahls, Benennung des Verräters, Abendmahl, Gang zum Ölberg und Gethsemaneszene stimmen mit Mk überein und werden nur knapp, etwa hinsichtlich des Verräters Judas, ergänzt. In 26,25 fragt Judas: „Bin ich’s Rabbi? Er sprach zu ihm: Du bist es.“ Mt 26,47-27,66 Prozess, Hinrichtung und Grablegung Jesu: Die Gefangennahme Jesu eröffnet den Prozessbericht (26,47-56). Mt erweitert die Schwertszene mit einem Jesuswort (26,52-54): „Wer das Schwert nimmt, soll durch

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und

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221

das Schwert umkommen.“ Neben kleineren Kürzungen und Veränderungen gegenüber Mk fallen bei Mt die legendarischen Ergänzungen auf: Legendarische Ergänzungen der Passionsgeschichte Tod des Judas 27,3-10 Traum der Frau des Pilatus 27,19 Unschuld des Pilatus 27,24f Totenauferstehung 27,51-53 Die Wächter am Grabe 27,62-66 Betrug 28,11-15 Sie sollen einerseits die Glaubwürdigkeit der berichteten Ereignisse unterstreichen, andererseits betonen sie die Schuld der jüdischen Gruppen am Schicksal Jesu auf eine historisch unzutreffende Weise. Die von Matthäus berichtete Schuldübernahme des Volkes und die Freisprechung des Pilatus von jeder Verantwortung haben bis heute verheerende Folgen für das jüdisch-christliche Verhältnis (27,24f): „Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut, seht ihr zu! Und das ganze Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Matthäus ist auch derjenige, der die Pharisäer in den Passionsbericht integriert. Nach 27,62 bitten die Pharisäer, die sonst im Passionsbericht keine Rolle spielen und mit der Hinrichtung Jesu nichts zu tun haben, Pilatus um die Bewachung des Grabes. Mt 28 Die Auferstehung: Die Erzählung vom leeren Grab folgt weitgehend Mk 16,1-8. In 28,9f wird aber bereits am Grab von einer Erscheinung Jesu vor den Frauen berichtet. Dem Vorwurf des Leichenraubes, der wohl schon sehr früh gegen die Jünger erhoben wurde, versucht Mt mit einer Legende vom Betrug der Hohepriester zu begegnen (28,11-15). Am Ende des Evangeliums steht die Erscheinung Jesu auf einem Berg in Galiläa. Er beauftragt die Jünger mit der weltweiten Mission. Dieses Wort (Luther: „Matthaei zum Letzten“) hat als so genannter Taufbefehl heute seinen festen Platz in der Taufliturgie der christlichen Kirchen, Mt 28,18b-20 (L): „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Missionsbefehl

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Da s M a t t h ä u s ev a n g e li u m

10.4 | Wichtige Themen 1. Gerechtigkeit Das Matthäusevangelium hat ein besonderes Verständnis von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit entsteht dadurch, dass man gerechte Taten vollbringt. Der Mensch, der der richtigen Lehre folgt und dadurch in der Lage ist „Gerechtigkeit“ zu tun, verwirklicht Gerechtigkeit und wird das Reich Gottes erlangen (5,6; 6,33). Dieses Reich Gottes wird durch das Tun der Gerechtigkeit geschaffen. Es ist also nicht nur jenseitig, sondern es wird durch Handeln, das dem Willen Gottes entspricht („Tun der Gerechtigkeit“), bereits jetzt auf der Erde verwirklicht. Deswegen kann Matthäus Gerechtigkeit quantitativ verstehen. Es gibt eine „größere“ Gerechtigkeit (5,20). Er unterscheidet auch zwischen der Lehre, die richtig sein kann, und den Vertretern dieser Lehre, die ungerecht handeln. So lehren die Pharisäer zwar richtig, handeln aber gegen ihre eigene „Gerechtigkeit“ (23,3). Wer nun auch noch eine falsche „Lehre“ verbreitet und andere zu einem Tun gegen die Gerechtigkeit verführt, handelt besonders verwerflich (23,13). Jesus lehrt und tut die „Gerechtigkeit“. Seine Lehre der Gerechtigkeit ist vor allem in der Bergpredigt zusammengefasst (Mt 5-7). 2. Das Liebesgebot Im Mittelpunkt der Lehre Jesu steht das Liebesgebot. Er entfaltet es in den Antithesen (5,21-48), die im Gebot der Feindesliebe gipfeln (5,43-48). Im ethischen Konflikt (Zorn, Begehren, Scheidung, Glaubwürdigkeit, Streit, Feindschaft) soll man sich so verhalten, dass man trotz schärfster Infragestellung der eigenen Identität weiterhin in Richtung Vergebung und Barmherzigkeit handelt. Die Überforderung, die damit ausgesprochen ist, wird auch von Matthäus gesehen (5,48): „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Im normalen Alltagshandeln genügt die Orientierung an der „goldenen Regel“, Mt 7,12 (L): „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.“ 3. Gericht Das Liebesgebot und das Tun der Gerechtigkeit werden von Matthäus als unbedingte Forderung verstanden. Wer dieser Forderung nicht nachkommt, wird im endzeitlichen Gericht bestraft. Der Gerichtsgedanke bei Matthäus soll das Liebesgebot stützen. So wird im endzeitlichen Gericht nicht nach der Einhaltung der kultischen und rituellen Gebote gefragt, sondern das Verhalten gegenüber Hunger, Durst, Blöße, Krankheit und Gefangenschaft wird zum Maßstab, Mt 25,40 (L): „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Lei t fa de n 10

223

4. Christologie Jesus ist von Anfang an der Christus (1,1). Maria empfängt ihn jungfräulich durch den Heiligen Geist (1,18). Seine Taten sind messianische Zeichen, die ihn als den Christus Gottes ausweisen. Matthäus interessiert sich besonders für die Lehre des Christus. Deswegen gestaltet er aus der Jesusüberlieferung, die ihm überwiegend in kleineren Einheiten und Einzelworten vorlag, Reden. In diesen Reden spricht Jesus auf der Erzählebene zu seinen Jüngern, die Texte sind aber gleichzeitig direkt an die matthäische Gemeinde gerichtet und werden dadurch zur unmittelbaren Gemeindelehre. Die Geltung der Lehre ist durch den zu Gott erhöhten Christus garantiert und soll Inhalt der Mission sein (28,18-20): „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker ... und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“

Leitfaden 10 Ziel dieser Lerneinheit ist es, Sie in vier Lernschritten mit Gliederung, Aufbau und inhaltlichen Schwerpunkten des Matthäusevangeliums (Mt) vertraut zu machen. Schritt 1: Einführung Lesen Sie 10.1 („Einführung in das Matthäusevangelium“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was erfahren Sie über die Quellen, den Stil und den kulturellen Hintergrund des Mt? ˘ Was sind Erfüllungszitate? ˘ Welche Bedeutung hat die „Schrift“ (das Alte Testament) für das Mt? ˘ Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Texte des Sondergutes (10.1.4). ˘ Welche der Erzähltexte 41-43 gehören zum Sondergut? Schritt 2: Gliederung Lesen Sie: [15] Mt (28) 1-2; 5-7; 10; 13; 16; 18; 23-28 und parallel dazu die Gliederung (10.2). Die Auswahl der Textstellen konzentriert sich auf die Texte, die Sie noch nicht aus Mk kennen. Markieren Sie sich die Erzähltexte 41. Geburt und Gefährdung des Kindes (Mt 1,18-2,23) 42. Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1-16) 43. Die zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13)

| 10.5

224

Da s M a t t h ä u s ev a n g e li u m

Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Mt (10.2) ein. Schritt 3: Inhalt Lesen Sie 10.3 („Inhalt des Matthäusevangeliums“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Welche Bedeutung haben die Erfüllungszitate? ˘ Wo steht die Bergpredigt? ˘ Prägen Sie sich die Inhalte der sechs Antithesen ein (Mt 5,21-48) ˘ Wie lautet die Goldene Regel (Mt 7,12)? ˘ Wo stehen die fünf bzw. sechs Reden des Mt? ˘ Nennen Sie fünf wichtige Sonderguttexte des Mt. ˘ Durch welche legendarischen Ergänzungen erweitert Mt den Passionsbericht? ˘ Was ist der Tauf- oder Missionsbefehl? Wo steht er? Schritt 4: Themen Lesen Sie 10.4 („Wichtige Themen im Matthäusevangelium“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Erläutern Sie die matthäische Gerechtigkeitsvorstellung. ˘ Wie versteht Mt das Liebesgebot Jesu?

10.6 | Literatur Garleff, Gunnar: Urchristliche Identität in Matthäusevangelium, Didache und Jakobusbrief, Münster 2004 (Beiträge zum Verstehen der Bibel 9). Gielen, Marlis: Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes im Spiegel der matthäischen Jesusgeschichte, Bodenheim 1998 (BBB 115). Kampling, Rainer (Hg.): „Dies ist das Buch ...“. Das Matthäusevangelium, Interpretationen – Rezeption – Rezeptionsgeschichte, Paderborn u.a. 2004. Landmesser, Christof: Jüngerberufung und Zuwendung zu Gott. Ein exegetischer Beitrag zum Konzept der matthäischen Soteriologie im Anschluß an Mt 9,9-13, Tübingen 2001 (WUNT 133). Münch, Christian: Die Gleichnisse Jesu im Matthäusevangelium. Eine Studie zu ihrer Form und Funktion, Neukirchen 2004 (WMANT 104).

Neusner, Jacob: Ein Rabbi spricht mit Jesus, Freiburg 22008. Paul, Dagmar J.: „Untypische“ Texte im Matthäusevangelium? Studien zu Charakter, Funktion und Bedeutung einer Textgruppe des Matthäischen Sonderguts, Münster 2005 (NTA 50). Poplutz, Uta: Erzählte Welt. Narratologische Studien zum Mattäusevangelium, NeukirchenVluyn 2008 (BThSt 100). Scheuermann, Georg: Gemeinde im Umbruch. Eine sozialgeschichtliche Studie zum Matthäusevangelium, Würzburg 1996 (fzb 77). Vahrenhorst, Martin: „Ihr sollt überhaupt nicht schwören“. Matthäus im halachischen Diskurs, Neukirchen 2002 (WMANT 95).

225

Das Johannesevangelium und die drei Johannesbriefe

| 11 |

Inhalt 11.1 Einführung

225

11.2 Gliederung

228

11.3 Inhalt

228

11.4 Wichtige Themen

234

11.5 Die Johannesbriefe (1.-3. Johannesbrief)

236

11.6 Leitfaden 11

237

11.7 Literatur

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Einführung 1. Die Quellen des Johannes Der Verfasser des Johannesevangeliums hat vermutlich die Evangelien Markus und Lukas gekannt. Er hat sie aber kaum als Vorlage für die Erstellung seines Textes benutzt, sondern vielmehr in Kenntnis dieser beiden Evangelien seine eigenen Texte abgefasst. Im Großen und Ganzen ist der Verfasser des Johannesevangeliums aber von der synoptischen Tradition unabhängig. Deutlich andere Wege geht das Joh in der Darstellung des Auftretens Jesu in Galiläa, Judäa und Jerusalem. Die offensichtlichste Abweichung vom Erzählablauf der Synoptiker ist die Anzahl der Jerusalemaufenthalte Jesu. Nach Joh hält sich Jesus vor der Passion bereits mehrmals in Jerusalem auf (Joh 2,13-3,36; 5,1-47; 7,10-10,42), während die Synoptiker nur von einem Jerusalemaufenthalt berichten (Ausnahme: lukanische Vorgeschichte). Die größte Nähe zu den Synoptikern liegt im Passionsbericht vor (Joh 12 und 18-20). Hier stimmt Joh trotz zahlreicher Differenzen im Einzelnen in den grundsätzlichen Erzählstrukturen mit dem Passionsbericht des Markusevangeliums überein.

| 11.1

226

Semeia- oder Zeichenquelle

Da s J oh a n n e s ev a n g e li u m J oh a n n e s b r ie fe

u n d die dr ei

Vermutungen über eine Sammlung von Wundergeschichten (im Joh: „Zeichen“ gr. semeion, deswegen Semeia- oder Zeichenquelle) und eine Sammlung von (Offenbarungs-) Reden, die der Evangelist benutzt habe, erscheinen plausibel, lassen sich aber nicht sicher nachweisen. Neben diesen möglichen Quellen (Passionsbericht, Redenquelle, Zeichenquelle) ist noch zwischen verschiedenen Überarbeitungen des Evangeliums (Redaktionen) zu unterscheiden. Bei der einfachen Bibellektüre fällt vor allem auf, dass der Schlussformulierung in Joh 20,30f doch noch Kapitel 21 folgt. Joh 21 scheint ein späterer Nachtrag zu sein und schließt mit einem zweiten Schluss: ˘ Joh 21,24f (Z): Das ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und dies geschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. Es gibt aber noch viel andres, was Jesus getan hat; und wenn eins nach dem andern aufgeschrieben würde, glaube ich, sogar die Welt könnte die Bücher nicht fassen, die geschrieben würden. Mögliche Quellen des Joh 1. Zeichenquelle (Sammlung von Wundergeschichten) 2. Redenquelle (Sammlung von Offenbarungsreden) 3. Passionsbericht 2. Stil des Johannes Der Stil des Joh ist in Syntax und Wortwahl einfach gehalten. Der Wortschatz ist im Verhältnis zum Textumfang gering, Substantive sind überrepräsentiert. Joh betont seine Aussagen, indem er eine relativ überschaubare Anzahl von Substantiven häufig wiederholt: Leben, Gericht, Licht, Welt u.a. Diese Wörter haben die Funktion von Signalwörtern. Sie rufen nicht nur die ihnen zugeordnete Bedeutung hervor, sondern verweisen auf einen komplexen Sachzusammenhang. So ist z.B. mit dem ersten Vers: „Im Anfang war das Wort“ durch „Anfang“ (gr. arche) die Schöpfung in Erinnerung gerufen und mit „Wort“ (gr. logos) die Vorstellung einer präexistenten Mittlergestalt. Dieser Stil führt dazu, dass in recht knappen und sprachlich einfachen Aussagen komprimierte Bedeutungsgehalte zusammengefasst sind. 3. Kultureller Horizont des Johannes Das Joh ist in griechischer Sprache abgefasst. Die Tradition verbindet es mit dem Wirken eines Johannes in Ephesus, einer griechischen Stadt an der kleinasiatischen Küste. Die Herkunft der ältesten Traditionen, aus denen das Joh hervorgegangen sein mag, wird jedoch meist in SyrienPalästina gesehen. Man vermutet, dass die Erinnerung an den „Synagogenausschluss“ (Joh 9,22; 12,42; 16,2) noch ebenso wach ist wie die im

E i n fü h r u n g

Evangelium genannte „Furcht vor den Juden“ (Joh 7,13; 19,38; 20,19; vgl. Joh 9,22 (L): „Denn die Juden hatten sich schon geeinigt: wenn jemand ihn [Jesus] als den Christus bekenne, der solle aus der Synagoge ausgestoßen werden“). Beide Aussagen spiegeln die Situation einer Jesusgemeinschaft wider, die vom Hauptstrom des Judentums abgelehnt wird. Das spricht für die Entstehung der ältesten johanneischen Traditionen in einem Gebiet außerhalb Judäas, vielleicht im Herrschaftsbereich des Agrippa II, der in Cäsarea Philippi residierte. 4. Zeichenhandlungen und Ich-bin-Worte Im Johannesevangelium sind zwei Textformen hervorzuheben, denen besondere Bedeutung zukommt. Joh nennt seine Wundergeschichten „Zeichen“ (gr. semeia). Ihnen kommt eine hohe symbolische Bedeutung zu. Sie unterstreichen die Gottessohnschaft Jesu. Es wird auch eine Zählung der „Zeichen“ angedeutet: Joh 2,11: „Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat“ und Joh 4,54: „das zweite Zeichen“. Die Siebenzahl der Zeichen ist wahrscheinlich bewusst gewählt, ebenso die Abfolge der Wunderhandlungen. Von Weinwunder, Heilungen, Speisung, Seewandel hin zur Blindenheilung und schließlich der Auferweckung des Lazarus wird der Zeichencharakter gesteigert. In der Auferweckung des Lazarus wird das Wunder mit einem aussagestarken Ich-bin-Wort verbunden (11,25). Die sieben Zeichenhandlungen (semeia) Weinwunder zu Kana 2,1-11 Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kapernaum 4,46-54 Heilung eines Gelähmten 5,1-9 Speisung der 5.000 6,1-15 Seewandel 6,16-21 Heilung des Blindgeborenen 9,1-7 Auferweckung des Lazarus 11,1-44 Die „Ich-bin-Worte“ lassen sich am ehesten als so genannte Rekognitionen verstehen. Es handelt sich nicht um Selbstvorstellungen, die auf die Frage „Wer bist du?“ antworten, in denen also das „Ich“ betont ist. Es scheint vielmehr darum zu gehen, die Frage nach Brot, Licht, Tür, den guten Hirten, die Auferstehung und das Leben zu beantworten, indem die suchenden Menschen auf Jesus aufmerksam gemacht werden. Er ist das Brot, das Licht, das Leben, nach dem die Menschen suchen. Sie sollen nicht länger an anderer Stelle suchen.

227

Da s J oh a n n e s ev a n g e li u m J oh a n n e s b r ie fe

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u n d die dr ei

Die sieben bekanntesten Ich-bin-Worte 6,35 Ich bin das Brot des Lebens 8,12 Ich bin das Licht der Welt 10,7 Ich bin die Tür zu den Schafen 10,11 Ich bin der gute Hirte 11,25 Ich bin die Auferstehung und das Leben 14,6 Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben 15,1 Ich bin der wahre Weinstock

11.2 | Gliederung 1,1-18: Der Prolog 1-12: Jesus vor der Welt: Jesus und der Täufer (erster Jerusalemaufenthalt, 1,19-3,36 Tempelreinigung) 4 Samaria und Galiläa Zweiter Jerusalemaufenthalt und Aufenthalt in Galiläa 5-6 Dritter Jerusalemaufenthalt 7-10 11 Auferweckung des Lazarus Einzug nach Jerusalem 12 13-20: Jesus und die Seinen 13-17 Das letzte Mahl und die Abschiedsreden Passion 18-19 20 Leeres Grab und Erscheinungen des Auferstandenen 21: Nachtrag 21,1-14: 21,15-25:

Erscheinung Jesu am See Tiberias (Genezareth) Beauftragung des Petrus, Buchabschlussformel

11.3 | Inhalt 11.3.1 |

Der Prolog: 1,1-18 Die Sendung des Sohnes: Im Prolog wechseln geformte Sprache und Erzählung miteinander ab. Der hymnische Stil, in dem Substantive (Wort, Gott, Anfang, Leben, Licht usw.) dominieren, wird immer wieder durch erzählartige Aussagen durchbrochen, in denen Johannes der Täufer eine

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wichtige Rolle spielt. Er ist der Zeuge der Sendung des Sohnes. Diese bewusste Komposition des Textes weist darauf hin, dass hier bereits die Gesamtaussage des Evangeliums formuliert ist. Im Johannesevangelium geht es um die Sendung des Sohnes vom Vater her in die Welt, um den Menschen Licht, Leben, Glauben, Wahrheit und Gnade zu bringen.

Jesus vor der Welt: 1-12 Joh 1,19-3,36 Jesus und der Täufer (erster Jerusalemaufenthalt, Tempelreinigung): Der erste Erzählzyklus des Johannesevangeliums beginnt und endet mit dem Täufer. In diese Klammer sind Texte eingefügt, in denen die wichtigsten Themen des Evangeliums in einem ersten Durchgang vorgestellt werden: Sendung Jesu, Jüngerschaft, Gottessohnschaft, Zeichen und Glaube, ewiges Leben. Der Täufer verkündet wie in der synoptischen Täuferpredigt das Kommen eines anderen „und ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen löse“ (1,19- 28). Dieser andere ist Jesus der Christus, von dem der Täufer sagt: „Siehe das ist Gottes Lamm!“ (1,29.36). Mit Joh 1,29 tritt Jesus auf, spricht mit dem Täufer und sammelt die ersten Jünger um sich: Andreas, Petrus, Philippus, Nathanael. Die Gespräche mit den Jüngern beginnen nicht mit dem synoptischen „Folgt mir nach!“ (Mk 1,17), sondern sind Dialoge, in denen die Jünger die Suchenden sind und in „Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth“ (1,45) den entdecken, den sie suchen: „Du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!“ (1,49). Die Hochzeit zu Kana, die erste Wundergeschichte des Johannesevangeliums, wird bei Johannes ausdrücklich „das erste Zeichen (gr. semeion), das Jesus tat,“ (2,11) genannt. Jesus verwandelt auf einer Hochzeit Wasser in einen Wein, der so hervorragend schmeckt, dass der Speisemeister der Feier verwundert ist (2,1-12). Nach dem ersten „Zeichen“ folgt der erste Jerusalemaufenthalt mit Tempelreinigung (2,13-17), Gespräch mit den „Juden“ (2,18-25) und das Gespräch mit Nikodemus (3,1-21). Jesus tritt als der auf, der alles weiß (2,25) und der von Gott gesandt ist, Joh 3,16 (L): „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Nikodemus kommt „bei Nacht“, hat Angst und versteht Jesus nicht richtig. Aber er hat Sympathie für ihn, wie sich dann auch in 7,50-52 und in 19,39-42 zeigt. Der erste Erzählzyklus endet mit der Taufe Jesu (3,22-24) und dem Zeugnis des Täufers (3,23-36). Der Täufer erkennt, dass seine Aufgabe, das Zeugnis, beendet ist, und dass die Aufgabe Jesu nun beginnt: „Er muss

| 11.3.2

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wachsen, ich aber muss abnehmen“ (3,30). Jesus steht nun, da der Zeuge abgetreten ist, alleine im Mittelpunkt der Sendung vom Vater: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“ (3,36). Joh 4,1-54 Samaria und Galiläa: Am Jakobsbrunnen in einer Stadt Samarias verwickelt Jesus eine Samaritanerin in ein Gespräch. Dieser Dialog entwickelt sich von der einfachen Bitte Jesu „Gib mir zu trinken!“ (4,7) zu einem Gespräch über das Wasser, das ewiges Leben ermöglicht. Hier wird dann auch die Spannung zwischen Samaritanern und der Jerusalemer Judenschaft angesprochen. Jesus stellt fest: „Das Heil kommt von den Juden!“ (4,22). Das Gespräch führt dazu, dass viele Samaritaner an Jesus glauben. „Dieser ist wahrlich der Welt Heiland“ (4,42). Jesus kehrt nach Galiläa zurück und dort ereignet sich das „zweite Zeichen“ (4,54): Jesus heilt den Sohn eines königlichen Beamten (4,4354). Die Erzählung stimmt in den Grundzügen mit der Heilung des Knechtes des Hauptmanns von Kapernaum überein (Logienquelle Lk 7, 1-10/ Mt 8,5-13). Heilungen und Wunder

Joh 5-6 Zweiter Jerusalemaufenthalt und Aufenthalt in Galiläa: Wieder zieht Jesus nach Jerusalem. War in 2,13 vom Passahfest die Rede, wird nun vom „Fest der Juden“ gesprochen (5,1), was auch eine Bezeichnung für das Passah ist. Sein Aufenthalt beginnt mit der Heilung eines Mannes, der bereits 38 Jahre krank ist. Ihm gelingt es nicht rechtzeitig zu dem Zeitpunkt in den Teich von Betesda zu steigen, zu dem dieser Heilkraft hat („wenn das Wasser sich bewegt“). Aus dieser Heilung entwickelt sich ein feindseliger Dialog mit „den Juden“ im Tempel (5,5-18). Der Dialog geht dann in eine ausführliche Rede Jesu über (5,19-47), in der er von Gericht und ewigem Leben spricht, Joh 5,24 (L): „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen.“ Das Gericht oder das ewige Leben sind keine zukünftigen Ereignisse, sondern vollziehen sich jetzt im Glauben an die Sendung des Sohnes. Plötzlich ist Jesus wieder am See Genezareth (6,1). Dort wendet er sich an das Volk mit der Speisung der Fünftausend (6,1-15). Es wird der Seewandel berichtet (6,16-21). In einer ausführlichen Rede über das Brot, das das Volk begehrt, setzt er sich mit den politischen Hoffnungen in Galiläa auseinander. Sie wollen ihn „zum König machen“ (6,15). Er aber zeigt ihnen, dass es nicht um „vergängliche Speise“, sondern um das „ewige Leben“ geht: 6,35 (L): „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Die Rede geht wiederum in einen feindseligen Dialog mit „den Juden“ über (6,41-59).

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Joh 7-10 Dritter Jerusalemaufenthalt: Zum Laubhüttenfest (vgl. Lev 23,34-36) kehrt Jesus erneut nach Jerusalem zurück. Die Feindseligkeit „der Juden“ nimmt zu, aber auch das Selbstbewusstsein Jesu wächst. Der Konflikt treibt auf einen ersten Höhepunkt zu. Jesus unterstreicht, dass er vom Vater, von Gott, kommt, Joh 7,12 (L): „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“. Er sagt von sich, Joh 8,12 (L): „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“. Unter den Pharisäern hingegen wird seine Herkunft angezweifelt: „Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr“ (8,13). Diese beiden Zuordnungen (nicht von mir/von dir selbst), bestimmen nun die Kontroverse: Kommt Jesus von Gott? Woher kommen aber seine Gegner? Hier greift Jesus „die Juden“ mit einer der schärfsten antijudaistischen Formulierungen des Neuen Testaments an: „Ihr habt den Teufel zum Vater!“ (8,44). In diese Kontroverse über die Herkunft Jesu und „der Juden“ wird ein sehr bekannter Text eingeschoben: Jesus und die Ehebrecherin (7,53-8,11). Die Erzählung steht der synoptischen Überlieferung nahe und gehört nicht zum ursprünglichen Bestand des Johannesevangeliums. Jesus sagt den Anklägern, die den Ehebruch mit einer Steinigung bestrafen wollen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie“ (8,7a). Die Heilung des Blindgeborenen (9,1-7) geht wieder in Dialoge über. Zunächst fragen die Nachbarn nach der Heilung, dann treten Pharisäer und „die Juden“ auf und führen ein energisches Verhör. Schließlich spricht Jesus mit dem Geheilten und greift die Pharisäer an (9,8-41). An diese Dialoge schließt sich eine lange Rede Jesu an (10,1-30). In ihr wird mit dem Bild des guten Hirten das Verhältnis Jesu zu den Menschen dargestellt, Joh 10,11 (L): „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Als er schließlich sagt: „Ich und der Vater sind eins“ (10,30), soll er wegen Gotteslästerung gesteinigt werden (10,31-42). „Aber er entging ihren Händen“ (10,39). Joh 11 Auferweckung des Lazarus: Das letzte der sieben „Zeichen“ Jesu ist die Auferweckung des Lazarus (11,1-45). Jesus hört von der Krankheit des Lazarus und sagt: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde“ (11,4). Nun tritt das Thema der „Herrlichkeit“ und der „Verherrlichung“ deutlich in den Vordergrund des Johannesevangeliums. Damit sind die sichtbare Erscheinung Gottes und die Gottessohnschaft Jesu gemeint. Jesus begibt sich erst zwei Tage, nachdem er diese Nachricht erhalten hat, zu Lazarus. Maria und Marta, seine Schwestern, kommen Jesus entgegen und teilen ihm mit, dass Lazarus bereits seit vier Tagen tot sei. Jesus entgegnet, Joh 11,25f (L): „Ich bin die Auferstehung und das

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Streitgespräche in Jerusalem

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Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmer-mehr sterben.“ Jesus geht zum Grab, lässt den Stein weg heben und spricht: „Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch“ (11,43a.44). Von dieser Tat wird im Hohen Rat in Jerusalem berichtet (11,4657). Es wird beschlossen, Jesus zu töten (11,53), denn „Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe“ (11,50). Joh 12 Einzug nach Jerusalem: Im Anschluss an die Erweckung des Lazarus wird Jesus noch in Bethanien von Maria gesalbt (12,1-11). Dann begibt er sich nach Jerusalem und zieht unter Psalmgesängen in die Stadt ein (12,1219). Im Dialog mit „Griechen“ und dem „Volk“ (12,20-50) wird der Gedanke der Verherrlichung Jesu als Erhöhung ausgesprochen, Joh 12,32: „Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Erzähltexte 44. Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) 45. Die Ehebrecherin (Joh 8,2-11) 46. Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,1-7) 47. Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-44)

11.3.3 | Fußwaschung

Jesus und die Seinen: 13-20 Joh 13-17 Das letzte Mahl und die Abschiedsreden: Jesus weiß um sein Ende und feiert mit den Jüngern ein „Abendessen“. Zu deren Überraschung beginnt er ihnen die Füße zu waschen (13,1-20). Das Füßewaschen ist die Handlung eines Untergebenen, eines Sklaven. Petrus protestiert. „Nimmermehr sollst Du mir die Füße waschen!“ (13,8). Jesus nimmt das zum Anlass, den Jüngern eine Grundregel der Jesusgemeinschaft mitzuteilen: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe“ (13,15). Es schließen sich hieran die Ankündigung des Verrats (13,21-30) und die Ankündigung der Verleugnung (13,36-38) an. Dazwischen (13,31-35) wird wieder auf den Tod Jesu als „Verherrlichung“ verwiesen und das Liebesgebot der Jesusgemeinschaft als Erkennungszeichen verkündet, Joh 13,34f (L): „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“

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In 14-16 folgen die so genannten Abschiedsreden. Hier wird die innige Beziehung Jesu zu den Jüngern thematisiert, aus der wiederum die Beziehung der Jünger durch den Sohn zum Vater entsteht, die durch Liebe gekennzeichnet ist. Im Mittelpunkt steht Jesus, der Sohn Gottes: 14,6: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Er geht zum Vater. Wer ihn erkennt, kennt den Vater. Die Jünger sollen „in“ Jesus, in seiner Liebe, „bleiben“, Joh 15,5 (L): „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Die Jünger müssen aber auch auf Widerstände und Gegnerschaft vorbereitet werden. Sie müssen damit rechnen, dass „euch die Welt hasst“ (15,18f). Sie können aber getrost auf diesen Hass warten, denn ihnen steht der „Tröster“ (gr. parakletos) bei. Für die bedrängte Jüngergemeinde gilt, Joh 16,33b (L): „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Schließlich wendet sich der Sohn in einem Gebet direkt an den Vater (Joh 17: das hohepriesterliche Gebet). Er betont die Einheit des Sohnes mit dem Vater und die Gemeinschaft des Vaters mit den Jüngern. Er bittet für seine Gemeinde, „damit sie eins seien, wie wir eins sind“ (17,22). Joh 18-19 Passion: Die johanneische Passionsgeschichte folgt dem Erzählablauf des synoptischen Passionsberichts. An vielen Stellen wird durch kleine Veränderungen und durch die Einfügung von typisch johanne-ischen Dialogen die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu verdeutlicht: Der Weg Jesu zum Kreuz ist der Weg zur Erhöhung, zur Verherrlichung, der Weg zum Vater. Jesus ist immer der Überlegene. Bei der Gefangennahme weichen die Soldaten zurück und fallen zu Boden (18,1-11). Im Verhör redet Jesus offen und frei gegen die Anklage des Hohepriesters (18,12-27). Pilatus verwickelt er in ein Gespräch über Macht und Wahrheit (18,28-40). Er erklärt Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (18,36). Obwohl Pilatus keine Schuld an Jesus finden kann (18,38), wird Jesus gegeißelt (19,1-5), verurteilt (19,6-16) und gekreuzigt (19,17-37). Der Kreuzestod ist nun der Endpunkt der Sendung des Sohnes in die Welt. Jesus spricht: „Es ist vollbracht“ (19,30). Josef von Arimathäa und Nikodemus nehmen den Leichnam vom Kreuz, salben ihn, legen ihn in Binden und begraben ihn im „Garten“ bei Golgatha (19,38-42). Joh 20 Leeres Grab und Erscheinungen des Auferstandenen: Die Osterereignisse nach Johannes berichten vom Gang der Maria von Magdala zum Grab. Ihr folgen die anderen Jünger. Petrus und der „andere Jünger“ laufen zum

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Abschiedsreden

Der Tröster (Paraklet)

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Grab, gehen hinein und sehen die Binden. Maria aber bleibt es vorbehalten, dem Herrn zu begegnen (20,1-18). Jesus erscheint dann den Jüngern und acht Tage später nochmals. Beim zweiten Mal ist Thomas zugegen, der an der Auferstehung zweifelte. Jesus zeigt ihm seine Wunden und spricht. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (20,29). Mit diesen Worten ist der Bogen zur glaubenden Gemeinde geschlagen. Sie sehen die Wundmale Jesu nicht und können doch glauben.

11.3.4 |

Nachtrag: 21 21,1-14 Erscheinung Jesu am See Tiberias (Genezareth): Joh 21 ist wohl ein sekundärer Nachtrag zum Evangelium, das ja bereits in 20,30f in einer Schlussformel endet. Es wird von einer weiteren Erscheinung Jesu am See Tiberias berichtet. Jesus ermutigt die Jünger zum Fischfang (vgl. Lk 5,1-11). 21,15-25 Beauftragung des Petrus, Buchabschlussformel: Als sie gemeinsam essen, spricht Jesus mit Petrus und mit dem „Jünger, den Jesus lieb hatte“. Es geht um die Leitung der Gemeinde. Petrus soll die Gemeinde leiten (21,15ff: „Weide meine Lämmer!“). Die Buchabschlussformel 21,24f ist unter 11.1 im Wortlaut zitiert. Erzähltexte 48. Fußwaschung (Joh 13,1-20)

11.4 | Wichtige Themen 1. Christologie Im Mittelpunkt des Johannesevangeliums steht von Anfang an Jesus als Sohn Gottes. Er wird im Prolog vorgestellt als der, der von der Schöpfung an bei Gott war. Er ist das „Wort“ (gr. logos), durch den die Welt geworden ist. Sein Leben wird verstanden als Sendung des Sohnes vom Vater (Gott) zu den Menschen, um diesen das „ewige Leben“ zu ermöglichen. Er offenbart der Welt seine Sohnschaft und ruft in die Entscheidung, ihn als Sohn anzuerkennen, sich in seiner Gemeinde zu versammeln und dort die Liebe zu leben, die sich zwischen Vater (Gott) und Sohn (Jesus) ereignet. 2. Gericht Die Begegnung mit dem vom Vater gesandten Sohn bringt den Men-

W i ch t i g e T h e m e n

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schen in die Situation der Entscheidung zwischen Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod. Diese Gegenüberstellungen (der so genannte johanneische Dualismus) sind typisch für das Johannesevangelium. Sie unterstreichen, dass der Mensch durch den Sohn Gottes vor die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten gestellt ist. Diese Entscheidungssituation ist das „Gericht“ (gr. krisis), in dem der Mensch zwischen Glaube und Unglaube und damit zwischen Leben und Tod entscheidet. 3. „Die Juden“ Es fällt auf, dass Joh häufig von „den Juden“ spricht. Sie erscheinen dadurch als eine homogene Gruppe von Christusgegnern. Jesus ist in der Auseinandersetzung mit „den Juden“ damit konfrontiert, dass er abgelehnt wird. Sie suchen ihn zu töten und bestreiten seine Sendung. Jesus wiederum attackiert seine jüdischen Gegner scharf, Joh 8,44 (L): „Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach eures Vaters Gelüste wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang an.“ Diese pauschale Feindseligkeit gegenüber „den Juden“ wird zwar mehrfach durchbrochen (z.B. Nikodemus in Joh 3,1f; 7,50-52; 19,38-42), bleibt aber problematisch. Im Joh wird keinesfalls das „Wesen des Juden“ o.ä. aufgedeckt. Es scheint eher so, dass aufgrund von einzelnen konkreten Erfahrungen der johanneischen Gemeinde (Synagogenausschluss: 9,22; 12,42; 16,2, Furcht vor den Juden: 7,13; 19,38; 20,19) „die Juden“ als Gegner der Gottessohnschaft Christi zu exemplarischen Christusverfolgern stilisiert werden. So wie die „Welt“ den vom Vater gesandten Sohn nicht annimmt, so nehmen auch „die Juden“ den Sohn nicht an. Die theologische und literarische Funktionalisierung „der Juden“ im Johannesevangelium stellt eine besondere Herausforderung im Umgang mit diesen Texten dar. Eine unkritische Wiedergabe der Texte, in denen „die Juden“ vorkommen, verbietet sich. Wenn eine Thematisierung der Problematik nicht möglich ist, dann sollte man „die Juden“ durch „das Volk“ (so ja auch die Synoptiker) oder „die Menschen“ ersetzen. 4. Liebe Die Synoptiker überliefern das Liebesgebot Jesu als Forderung (vgl. Mt 5,44). Im Johannesevangelium hingegen meint „Liebe“ die verwirklichte Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn, d.h. zwischen Gott und Jesus. In der Sendung seines Sohnes zeigt der Vater seine Liebe zu den Menschen, Joh 3,16 (L): „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Die gleiche intensive Liebe, die sich in der Hingabe zeigt, wird nun in der Mitte der Gemeinde veran-

Theologische und literarische Funktionalisierung „der Juden“

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kert. Ihr ist ein neues Gebot gegeben, Joh 15,12f (L): „Das ist mein Gebot, dass ihr einander lieben sollt, wie ich euch geliebt habe. Größere Liebe hat niemand als die, dass einer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ 5. Gemeinde Die Gemeinde ist in ihrem Inneren durch die Liebe geordnet. Nach außen hat sie sich mit Anfeindung und Hass auseinander zu setzen. Sie erhält von Jesus die Zusage, Joh 16,33 (L): „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

11.5 | Die Johannesbriefe (1.-3. Johannesbrief) 1. Einführung Der 1. Johannesbrief hat keine Adressatenangabe, der 2. Johannesbrief ist an die „auserwählte Herrin und ihre Kinder“ und der 3. Johannesbrief ist an den „Presbyter (gr. Ältester) Gajus“ gerichtet. Der 1. Joh nennt auch keinen Verfasser, der 2. und der 3. Joh sind von einem namenlosen „Presbyter“ geschrieben. Die Briefe werden Johannesbriefe genannt, weil es Beziehungen zur Johannestradition gibt. Im 1. Joh ist die Nähe inhaltlicher Art. Die Themen Gottessohnschaft Jesu, Liebe und Gemeinde werden ähnlich wie im Johannesevangelium behandelt. Der Verfasser des 2. und 3. Joh gilt als der Presbyter, von dessen Wirken in Ephesus berichtet wird. Dort ist wohl auch die Endredaktion des Johannesevangeliums vorgenommen worden. In allen Johannesbriefen findet eine Auseinandersetzung mit Irrlehren oder mit Streitigkeiten innerhalb der Gemeinden statt. 2. Der erste Johannesbrief Der 1. Johannesbrief beruft sich auf die Tradition: „Was von Anfang war, was wir gehört ... das verkündigen wir euch“ (1. Joh 1,1-4). In 1,5-2,17 wird das Liebesgebot hervorgehoben. Dann wendet sich der Verfasser gegen Irrlehrer in der Gemeinde (1. Joh 2,18-3,10). Er berichtet vom Auftreten der „Antichristen“, Lehrer, die an die Stelle Christi treten wollen. Ähnlich wie in Joh 8,44-47 wird die Stellung von Gott mit der Herkunft von Gott oder vom Teufel begründet, 1. Joh 3,10 (Z): „Daran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels zu erkennen: Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, stammt nicht von Gott, und wer seinen Bruder nicht liebt.“ Die Bruderliebe ist im Folgenden das zentrale Thema (1. Joh 3,114,21). Die inneren Beziehungen innerhalb der Gemeinde sollen mit der Beziehung Gottes zur Welt übereinstimmen, d.h. sie sollen durch Liebe gekennzeichnet sein, 1. Joh 4,16 (Z): „Gott ist Liebe, und wer in der

Lei t fa de n 11

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Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Im Schlussteil werden nochmals die Bekenntnisgrundlagen hervorgehoben: Der Glaube und das Bekenntnis zu Jesus, 1. Joh 5,12 (Z): „Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.“ 3. Der zweite Johannesbrief Der knappe 2. Johannesbrief wendet sich gegen Irrlehrer. Es scheint Missionare gegeben zu haben, die die leibliche Existenz Jesu bestritten. Gegen diese protestiert der Presbyter, 2. Joh 7 (Z): „Denn viele Irrlehrer sind in die Welt ausgegangen, die Jesus Christus nicht als den bekennen, der im Fleisch kommt.“ 4. Der dritte Johannesbrief Der 3. Johannesbrief gibt uns Einblick in die Verhältnisse der christlichen Gemeinden. Treue, Liebe und Wahrheit werden hochgehalten und dennoch gibt es Streit und Auseinandersetzungen um die Frage, wer zur Gemeinde gehören darf. Der Presbyter beschwert sich über ein Gemeindemitglied namens Diotrepes, der ihn und seine Freunde „nicht annimmt“.

Leitfaden 11 Ziel dieser Lerneinheit ist es, Ihnen einen Überblick über die zentralen inhaltlichen und formalen Aspekte des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe zu geben. In fünf Lernschritten können Sie sich mit der Thematik vertraut machen. Schritt 1: Einführung Lesen Sie 11.1 („Einführung in das Johannesevangelium“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Welche Quellen hat Joh vermutlich benutzt? ˘ Nennen Sie die auffälligste Abweichung des Erzählablaufs im Vergleich zu den synoptischen Evangelien. ˘ Welche Textstellen spiegeln die Situation der Jesusgemeinschaft des Joh wider? ˘ Nennen Sie die sieben Zeichenhandlungen und sieben Ich-bin-Worte. Schritt 2: Gliederung Lesen Sie das gesamte Johannesevangelium, parallel dazu die Gliederung (11.2).

| 11.6

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Markieren Sie sich die Erzähltexte 44. Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) 45. Die Ehebrecherin (Joh 8,1-11) 46. Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,1-7) 47. Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-46) 48. Fußwaschung (Joh 13,1-20) Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Prägen Sie sich die Gliederung des Joh (11.2) ein.

Schritt 3: Inhalt Lesen Sie 11.3 („Inhalt des Johannesevangeliums“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Formulieren Sie die bereits im Prolog zu findende Gesamtaussage des Johannesevangeliums. ˘ An welcher Stelle des Evangeliums wird im Gegensatz zu den Synoptikern von der Tempelreinigung berichtet? ˘ Welchen Weg legt Jesus geographisch zurück? ˘ Welches Textstück wird als Nachtrag zum Johannesevangelium angesehen? ˘ Was muss man bei der johanneischen Rede von den „Juden“ beachten? ˘ Erzählen Sie die Fußwaschung (Joh 13,1-20) nach. ˘ Wo finden sich die so genannten Abschiedsreden und was ist ihr Inhalt? ˘ Welche Personen sind im Johannesevangelium Zeugen der Osterereignisse? Schritt 4: Themen Lesen Sie 11.4 („Wichtige Themen des Johannesevangeliums“). Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was ist mit dem „johanneischen Dualismus“ gemeint? ˘ Wie wird das Liebesgebot im Joh dargestellt? Nennen Sie die kennzeichnenden Textstellen und den Unterschied zu den synoptischen Evangelien. Schritt 5: Briefe Lesen Sie 11.5 („Die Johannesbriefe“). Lesen Sie: [3] 1. Joh(5) 1,1-2,11; 4,7-21.

Li t e r a t u r

| 11.7

Literatur Chibici-Revneanu, Nicole: Die Herrlichkeit des Verherrlichten. Das Verständnis der δα im Johannesevangelium, Tübingen 2007 (WUNT 2/231) Diefenbach, Manfred: Der Konflikt Jesu mit den „Juden“. Ein Vergleich zur Lösung der johanneischen Antijudaismus-Diskussion mit Hilfe des antiken Handlungsverständnisses, Münster 2002 (NTA.NF 41). Dschulnigg, Peter: Jesus begegnen. Personen und ihre Bedeutung im Johannesevangelium, Münster u.a. 2000. Frey, Jörg/ Schnelle, Udo (Hg.): Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, Tübingen 2004 (WUNT 175). Metzner, Rainer: Das Verständnis der Sünde im Johannesevangelium, Tübingen 2000 (WUNT 122).

239

Ruschmann, Susanne: Maria von Magdala im Johannesevangelium. Jüngerin – Zeugin – Lebensbotin, Münster 2002 (NTA.NF 40). Scholtissek, Klaus: „In ihm sein und bleiben“. Die Sprache der Immanenz in den johanneischen Schriften, Freiburg u.a. 1999 (Herders biblische Studien 21). Schwindt, Rainer: Gesichte der Herrlichkeit. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Studie zur paulinischen und johanneischen Christologie, Freiburg u.a. 2007 (Herders biblische Studien 50). Urban, Christina: Das Menschenbild nach dem Johannesevangelium. Grundlagen johanneischer Anthropologie, Tübingen 2001 (WUNT 2/137).

240

12 | Die Apostelgeschichte

Inhalt 12.1 Einführung in die Paulusüberlieferung

240

12.2 Gliederung

242

12.3 Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 1-15 (Petrusteil) 243 12.4 Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 16-28 (Paulusteil)

246

12.5 Erzählungen der Paulustradition

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12.6 Leitfaden 12

250

12.7 Literatur

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12.1 | Einführung in die Paulusüberlieferung Damaskuserlebnis

1. Biographie des Paulus (ca. 0-60 n.Chr.) Paulus ist vermutlich um 0 geboren. Er schließt sich den Pharisäern an (Phil 3,5f) und tritt aktiv für sein Verständnis des Judentums ein (Gal 1,13f). Er verfolgt die Gemeinde der Jesusanhänger (1. Kor 15,9; Gal 1,13.23; Phil 3,6). Ca. 32 n.Chr. wird Paulus bei Damaskus durch eine Erscheinung des Auferstandenen Jesus Christus zum Apostel berufen (Gal 1,15-19; 1. Kor 15,8f). Er beginnt ohne zu zögern mit der Mission der Christusbotschaft und ist zunächst maximal drei Jahre in der Arabia tätig (Gal 1,17). Dann kehrt er nach Damaskus zurück, wird dort aber vom Statthalter des Nabatäerkönigs Aretas (vermutlich Aretas IV, 9-40 n.Chr.) verfolgt (2. Kor 11,32f; Apg 9,24f) und muss fliehen. Etwa 35 n.Chr. besucht er Jerusalem und bespricht sich mit den wichtigen Männern der Jerusalemer Gemeinde, Petrus und Jakobus (Gal 1,18f). Dann führt er mit Barnabas vom syrischen Antiochien aus eine eigenständige Mission im syrisch-kleinasiatischen Raum durch (Gal 1,21-24).

E i n fü h r u n g

Etwa 48 oder 49 n.Chr. besuchen Paulus, Barnabas und Titus die Jerusalemer Gemeinde (Gal 2,1-10), um sich über die Heidenmission zu verständigen. Auf diesem so genannten Apostelkonvent wird vereinbart, dass Paulus die Heidenmission weiterführen soll, die Jerusalemer hingegen mit der Verkündigung unter den Juden beauftragt sind. Die paulinischen Gemeinden verpflichten sich zu einer Unterstützung (die Kollekte) für Jerusalem (Gal 2,9f). Dennoch kommt es etwa 49 n.Chr. in Antiochien zu einem Streit zwischen Paulus auf der einen Seite und Petrus, Barnabas und den Jakobusleuten auf der anderen Seite (Gal 2,11-14, antiochenischer Zwischenfall). Paulus beginnt nun mit einer unabhängigen Mission. Paulus verlässt Antiochien, zieht durch Galatien und gründet dort die galatischen Gemeinden. Er gelangt über Troas nach Philippi und schließlich Thessaloniki. In Philippi und Thessaloniki gelingt es ihm trotz Spannungen mit der dortigen Obrigkeit (1. Thess 2,1f; Apg 16,9-40) Gemeinden zu gründen. Er begibt sich über Athen (1. Thess 3,1) nach Korinth, wo er 18 Monate bleibt (Apg 18,11). Am Anfang dieser Zeit verfasst Paulus den 1. Thess. 52 n.Chr. kommt Paulus nach Ephesus. Dort schreibt er die meisten der erhaltenen Briefe (1. und 2. Kor, Gal, Phlm und den Phil). Vermutlich gerät er dort in römische Haft und muss einen Prozess auf Leben und Tod durchstehen (1. Kor 15,32; 2. Kor 1,8-11; Phil 1,12-17). Sein Aufenthalt in Ephesus dauert 2-3 Jahre (Apg 19,8-22). Etwa 55-56 n.Chr. verlässt Paulus Ephesus, zieht über Troas durch Makedonien (2. Kor 2,12f und 7,5) nach Korinth. Er schließt die Kollekte ab, die er gemeinsam mit einer Delegation der Gemeinden nach Jerusalem bringen möchte. Er erwartet, dass es bei Übergabe der Kollekte in Jerusalem Schwierigkeiten geben könnte (Röm 15,25-32). Diese treten auch tatsächlich ein. Paulus wird in Jerusalem verhaftet und nach Cäsarea gebracht. Erst zwei Jahre später gelangt er nach Rom, um vor den Kaiser geführt zu werden (Apg 21,15-28,16). Dort ist er zwei Jahre lang in einer Wohnung unter Arrest, kann aber das Evangelium ungehindert verkündigen. Die älteste Nachricht über das Martyrium des Paulus in Rom findet sich im 1. Clemensbrief, einem Schreiben, das um 96 n.Chr. abgefasst wurde und nicht im NT enthalten ist, dort 1. Clem 5,5-7. 2. Die Mission des Paulus Paulus ist zunächst in der „Arabia“, womit er vermutlich die Gegend rund um die Felsenstadt Petra meint, tätig. Dann missioniert er von Antiochien aus mit Barnabas im kleinasiatischen Raum. Seine eigenständige Mission führt ihn schließlich über Galatien nach Makedonien und Griechenland, wo er seine wichtigsten Gemeinden gründet. An diese Gemeinden sind auch die meisten seiner Briefe gerichtet:

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Beginn der Mission

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Die A p ost e lg e s ch i ch t e



Paulinische Gemeindegründungen und Briefempfänger Die galatischen Gemeinden (Galaterbrief) Philippi (Philipperbrief) Thessaloniki (1. Thessalonicherbrief) Korinth (1. und 2. Korintherbrief)

3. Das Paulusbild der Apostelgeschichte Die Apostelgeschichte des Lukas berichtet anschaulich vom Wirken des Paulus und weiß zahlreiche Einzelheiten seiner Biographie und seines Wirkens mitzuteilen. Das Paulusbild der Apostelgeschichte wirft aber einige Fragen auf. So fallen an zahlreichen Stellen Widersprüche und Unterschiede zu den Darstellungen auf, die Paulus selbst in seinen Briefen gibt (z.B. Apg 15 zu Gal 1 und 2). Zudem scheint der Paulus der Apostelgeschichte die gleichen Anschauungen zu vertreten wie die anderen Apostel auch. Ihre Reden stimmen inhaltlich und stilistisch so weitgehend überein, dass die Sprecher – ob Paulus oder Petrus – austauschbar erscheinen. Das spricht dafür, dass die Reden der Apostelgeschichte an einer gemeinsamen theologischen Sichtweise ausgerichtet sind. Sie sind vom Verfasser zwar situationsgemäß nachgestaltet, beruhen aber nicht auf authentischen Informationen. Schließlich erscheint Paulus in der Apostelgeschichte als Held, Wundertäter und unbestrittener Führer seiner Gemeinden. In den Briefen hingegen ist immer wieder von Auseinandersetzungen innerhalb der Gemeinden die Rede. So anschaulich das Paulusbild der Apostelgeschichte auch ist, es sollte immer kritisch zu den Selbstaussagen des Paulus in Beziehung gesetzt werden. 4. Die Selbstdarstellung des Paulus im Galaterbrief Im Galaterbrief, besonders in den Kapiteln 1 und 2, stellt Paulus seinen Werdegang bis zum Beginn seiner eigenständigen Mission dar. Die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit erläutert er im Rückblick und verdeutlicht an ihnen die theologischen Entscheidungen, die er getroffen hat: Sein Wandel vom aktiven Christenverfolger zum Verkünder des Evangeliums an die Nicht-Juden (Heiden) und die Aufhebung der Bedeutung der jüdischen Tora für die Jesusgemeinschaft. Die harmonisierenden und vereinfachenden Informationen, die die Apostelgeschichte gibt, sollten immer auch mit der paulinischen Selbstdarstellung verglichen werden.

12.2 | Gliederung 1-15: Die Jerusalemer Urgemeinde (Petrusteil) Himmelfahrt Jesu und Pfingsten 1+2

A p ost e lg e s ch i ch t e 1- 15

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3-7 Die Urgemeinde in Jerusalem 8-14 Mission in Samaria, Galiläa, Antiochia, Zypern, Kleinasien Jerusalemer Apostelkonvent 15 16-28: Die paulinische Mission (Paulusteil) 16,1-18,22 Zweite Missionsreise, Mission des Paulus in Griechen- land (Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth) 18,23-20,38 Dritte Missionsreise, Reisen des Paulus von Ephesus nach Mazedonien, Griechenland, Troas, Milet 21-26 Paulus in Jerusalem, Gefangennahme, Haft in Caesarea 27-28 Paulus wird nach Rom gebracht

Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 1-15 (Petrusteil) Apg 1-2 Himmelfahrt Jesu und Pfingsten: Die Apostelgeschichte schließt an das letzte Kapitel des Lukasevangeliums an. Während aber nach Lk 24 Ostern und Himmelfahrt auf einen Tag fallen, wird in der Apostelgeschichte nachgetragen, dass Jesus „vierzig Tage“ bei den Jüngern war (1,3). Bei seiner Himmelfahrt kündigt Jesus den Jüngern den Empfang des Heiligen Geistes an (1,8). Nachdem die Jünger durch das Los den Zwölferkreis wieder vervollständigt haben (1,15-26), ereignet sich an Pfingsten die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger (2,1-13). Sie sprechen „in Zungen“, so dass sie von den anwesenden Juden aus der ganzen Welt in deren jeweiliger Sprache verstanden werden (2,6). Petrus hält nun die erste große Rede der Apostelgeschichte (2,14-36), in der er die Kreuzigung und Auferstehung Jesu als Teil des großen Planes Gottes vorstellt (2,23f) und die Übereinstimmung dieses Geschehens mit der „Schrift“ (vor allem Psalmen) betont. Nun bildet sich die erste Gemeinde (2,37-47). In ihr herrscht Eintracht, der Besitz ist gemeinsam und es kommen immer mehr Gläubige hinzu. Apg 3-7 Die Urgemeinde in Jerusalem: In der Jerusalemer Gemeinde, der so genannten Urgemeinde, hat Petrus die führende Rolle. Er ist nun bis Apg 15 die tragende Erzählfigur der Apostelgeschichte, auch wenn im Einzelnen weitere Apostel genannt werden (Johannes, Stephanus, Philippus). Die Urgemeinde hat mit inneren und äußeren Schwierigkeiten zu kämpfen. Obwohl Petrus durch Wundertaten (3,1-8) und durch wortmächtige Predigten (3,12-26) die Wahrheit der Christusbotschaft eindrücklich unter Beweis stellt, wird er vor den Hohen Rat geführt und zum Schwei-

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Die A p ost e lg e s ch i ch t e

gen verpflichtet (4,1-22). Nach der Freilassung beschließt die Gemeinde allerdings weiterhin offen zu predigen und Wundertaten zu vollbringen (4,23-31), was dazu führt, dass sie wächst und durch den gemeinsamen Besitz keinen Mangel leidet (4,32-37). Diese Besitzgemeinschaft wird von Hananias und Saphira missachtet. Bei der Entdeckung ihrer Unehrlichkeit kommen beide zu Tode (5,1-11). Die magischen Kräfte um die Gemeinde wachsen weiter. Die Wundertaten übersteigen das Maß des von Jesus Bekannten, so heilt bereits der Schatten des Petrus (5,12-16)! Das führt erneut zu Konflikten mit dem Hohen Rat, aber die Apostel beharren darauf: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (5,29b). Sie verkündigen weiter im Tempel (5,19-42). Die Kapitel 6 und 7 berichten von Stephanus. Er wird zu einem der sieben Diakone gewählt, die sich um die Griechisch sprechenden Gemeindeglieder kümmern sollen. Seine Verkündigung scheint so provokant zu sein, dass er schließlich unter Beisein des Saulus/Paulus gesteinigt wird (7,58). Apg 8-14 Die Mission in Samaria, Galiläa, Antiochia, Zypern und Kleinasien: Nun wird auch die Jerusalemer Gemeinde verfolgt (8,1-3). Wieder wird Saulus/ Paulus ausdrücklich genannt. Die Verfolgung führt dazu, dass sich die Mission über Jerusalem hinaus ausbreitet. Philippus verkündet in Samaria, weist den Magier Simon in die Schranken und bekehrt den äthiopischen Kämmerer. Diese Geschichte ist eine wichtige Taufgeschichte und sollte deswegen erzählt werden können (8,26-40). Das Gleiche gilt für den ersten Bericht von der Bekehrung des Paulus, sein so genanntes Damaskuserlebnis (9,1-19; vgl. 22,3-16; 26,9-18). Man sollte sich aber immer vergegenwärtigen, dass die Apostelgeschichte zur Übertreibung neigt und Paulus selbst viel bescheidener von diesem Ereignis spricht (Gal 1,15-17). Mit 9,32 tritt wieder Petrus in den Vordergrund. Er heilt den Gelähmten Äneas und erweckt die Tabitha vom Tode (9,32-43). Dann wird in dem wichtigen Kapitel 10 von der Aufhebung der Speisegebote berichtet. Der heidnische Hauptmann namens Kornelius bekommt von einem Engel den Auftrag, Petrus zu sich zu rufen. Dieser hat gleichzeitig eine Vision, in der er aufgefordert wird, unreine Speise zu essen (vgl. Apg 10,12 mit Lev 11,1-47). 10,15 (L): „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten!“ So ist die Grundlage für die Bekehrung des heidnischen Hauptmanns gelegt. Beim Betreten seines Hauses sagt Petrus, Apg 10,28 (L): „Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen, aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.“ Auch die Heiden bekehren sich nun und empfangen in der Taufe den heiligen Geist. Petrus verkündet die neue Offenheit gegenüber den

A p ost e lg e s ch i ch t e 1- 15

Nichtjuden auch vor der Jerusalemer Urgemeinde (11,1-18). Diese hört nun auch von der Mission außerhalb Jerusalems, besonders in Antiochien. Dort werden die Jesusanhänger zuerst Christen (gr. christianoi) genannt (11,19-30). In Jerusalem setzt eine neue Verfolgung der Gemeinde durch Herodes Agrippa ein, in deren Verlauf auch der Zebedaide Jakobus (Mk 1,19) getötet wird. Petrus hingegen wird durch den „Engel des Herrn“ aus dem Gefängnis geführt. Der Verfolger Herodes aber stirbt einen üblen Tod (12,1-25). Die Kapitel 13 und 14 richten nun zum ersten Mal die Aufmerksamkeit intensiver auf Antiochien. Von dort starten Barnabas und Paulus eine erste Missionsreise, die zunächst nach Zypern, dann wieder aufs kleinasiatische Festland bis ins pisidische Antiochien, dann Ikonion und Lystra führt. Allerhand wundersame Ereignisse und große Aufmerksamkeit durch die dortige Bevölkerung begleiten das Auftreten der Apostel, die dann wieder nach Antiochien zurückkehren. Die erste Missionsreise des Paulus ist erfolgreich beendet.

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Erste Missionsreise

Apg 15 Der Jerusalemer Apostelkonvent: Nun berichtet die Apostelgeschichte ausführlich von einer Zusammenkunft der Jerusalemer Gemeinde mit

Karte des östlichen Mittelmeerraumes.

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den antiochenischen Missionaren. Diese werden durch einen offiziellen Beschluss, das so genannte Aposteldekret, zu ihrer Mission unter den Heiden bevollmächtigt. Um das Zusammenleben von Judenchristen und Heidenchristen zu erleichtern, werden einige Minimalregeln festgehalten (15,22-29). Das Schreiben wird in Antiochien verlesen (15,3035). Dort wird dann bald die zweite Missionsreise vorbereitet. Allerdings gehen Paulus und Barnabas nun getrennte Wege (15,36-41). Die in Apg 15 berichteten Ereignisse werden von Paulus selbst auch im Galaterbrief geschildert. Im Schreiben des Paulus wird die Schärfe des Konflikts sehr viel deutlicher. Drei wichtige Unterschiede seien hier benannt: ˘ Nach Gal 2,1f geht Paulus freiwillig und als gleichberechtigter Verhandlungspartner nach Jerusalem. Nach Apg 15,2 geschah es auf Anordnung der Gemeinde. ˘ In Gal 2,6 sagt Paulus, er sei zu nichts verpflichtet worden. Apg 15,2229 zitiert das Aposteldekret mit seinen Forderungen an die Heidenchristen. ˘ Nach Gal 2,13 wirft Paulus den Judenchristen Heuchelei vor und gerät mit Petrus und Barnabas in einen heftigen Streit. Nach Apg 15,36-41 trennt er sich mehr oder weniger einvernehmlich von Barnabas.

12.4 | Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 16-28 (Paulusteil) Apg 15,36-18,22 Zweite Missionsreise, Mission des Paulus in Griechenland (Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth): Die eigenständige paulinische Mission beginnt mit einem Streit, und auch wenn die Apostelgeschichte diese inneren Spannungen im ersten Christentum gerne überdeckt, wird doch deutlich, dass das Wirken des Paulus von Spannungen und Konflikten geprägt ist. Die Briefe des Paulus sind da sehr viel deutlicher. Paulus und Barnabas trennen sich, weil Barnabas auf der Mitnahme des Johannes Markus besteht (15,36-41). Paulus reist mit Silas. Sie kommen durch Derbe und Lystra. Es schließt sich ihnen noch Timotheus an. Dann geht es durch Phrygien und Galatien nach Troas und von dort schließlich nach Philippi (16,1-13). In 16,10 begegnet dann zum ersten Mal in der Apg die 1. Pers. Pl. Es beginnt der erste so genannte „WirBericht“ (vgl. 20,5; 21,1 und 27,1). Es entsteht der Eindruck, dass nun ein Augenzeuge berichtet. In Philippi (16,11-40) gründet Paulus durch die Mission an einer außerhalb der römischen Kolonie liegenden Gebetsstätte eine erste

A p ost e lg e s ch i ch t e 16- 28

Gemeinde, der eine Pupurhändlerin namens Lydia angehört. Paulus gerät in Haft, wird aber unter Berufung auf sein römisches Bürgerrecht wieder freigelassen. Er kommt nach Thessaloniki (17,1-9). Auch dort wird eine Gemeinde gegründet und – wie in Philippi – gibt es Aufregung um die Apostel. Paulus zieht weiter über Beröa, nach Athen (Areopagrede 17,22-31) und gelangt schließlich nach Korinth (18,1-17), wo er 18 Monate bleibt (18,11), um von dort über Ephesus, Cäsarea und Jerusalem wieder nach Antiochien zurückzukehren (18,18-22). Apg 18,23-20,38 Dritte Missionsreise, Reisen des Paulus von Ephesus nach Mazedonien, Griechenland, Troas, Milet: Erneut macht sich Paulus auf die Reise. Er zieht durch Galatien und Phrygien und gelangt schließlich nach Ephesus (19,1-22). Dort hält er sich recht lange auf. Sehr eindrücklich wird der Aufruhr des Silberschmieds Demetrios geschildert, der wegen des Rückgangs der Artemisverehrung seine kleinen Artemis-(Diana-)statuetten nicht mehr ausreichend verkaufen kann (19,23-40). Paulus verlässt schließlich die Stadt, zieht nach Makedonien und Griechenland, um dann auf dem Rückweg wieder über Philippi und Troas nach Milet zu gelangen (20,1-16). In Milet (20,17-38) lässt er die Ältesten (gr. presbyteroi) aus Ephesus rufen und hält eine Abschiedsrede, in der er sein Schicksal ankündigt (20,25): „Und nun siehe, ich weiß, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet.“ Apg 21-26 Paulus in Jerusalem, Gefangennahme, Haft in Caesarea: Wieder setzt in 21,1 die 1. Pers. Pl. ein und wird bis 21,25 durchgehalten. Paulus zieht über Cäsarea nach Jerusalem. Dort verpflichtet er sich, vier Männer, die unter einem Gelübde stehen, im Tempel auszulösen (21,15-26). Als er den Tempel betritt, wird die Menge von griechischsprachigen Juden mit dem Vorwurf aufgehetzt, Paulus habe Heiden in den Tempel geführt und diesen damit entweiht. Paulus wird von römischen Soldaten vor der Liquidierung durch die Menge geschützt (21,27-40). Er erhält sogar die Möglichkeit eine Rede zu halten, die dann zu einem großen Tumult führt. Paulus bleibt in Haft, wird aber gut behandelt, da er erneut auf sein römisches Bürgerrecht aufmerksam macht (22,1-30). Die Stationen der weiteren Haftgeschichte des Paulus sind: Verhandlung vor dem Hohen Rat (23,1-11), Planung eines Anschlags gegen Paulus, heimliche Überführung durch die Römer nach Cäsarea (23,13-35), zwei Jahre Haft und Prozessverschleppung durch den römischen Statthalter Felix in Cäsarea (24,1-27). Dessen Nachfolger Festus nimmt den Prozess wieder auf, da sich Paulus aber auf sein römisches Bürgerrecht beruft und einen Prozess durch den Kaiser in Rom fordert, wird seine Überführung nach Rom beschlossen (25,1-26,32).

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Die A p ost e lg e s ch i ch t e

Apg 27-28 Paulus wird nach Rom gebracht: In 27,1-28,16 wird die wundersame Seereise des Paulus erzählt. Durch allerlei Gefahren und aufregende Hindernisse aufgehalten, gelangt er schließlich nach Rom. Dort kann er in einer Wohnung eine Art Arrest antreten, um sich auf seine Verhandlung vorzubereiten. Die Apg berichtet noch, dass Paulus dort zwei Jahre ungehindert das Evangelium verkündet habe, und schließt dann ohne weitere Nachricht über das Schicksal des Paulus (28,17-31).

12.5 | Erzählungen der Paulustradition Das Bild, das man sich von der Biographie und dem Wirken des Paulus macht, wirkt auf das Verständnis seiner theologischen Anliegen ein. Dies ist aus einem einfachen Grund problematisch. Die Paulusbriefe selbst bieten keine Erzählungen, bestenfalls kleinere biographische oder chronologische Notizen, wie etwa in 2. Kor 2,12f und 7,5-7. Diese werden aber immer wieder durch metaphorische Formulierungen so durchbrochen, dass das „eigentlich“ Erzählte gleich wieder unsicher wird. Ist Paulus wirklich gesteinigt worden (2. Kor 11,25) oder wurde er tatsächlich der Tierhatz ausgesetzt (1. Kor 15,32)? Er erzählt diese Ereignisse immer in Zusammenhängen, in denen er in einer theologischen Frage überzeugen möchte. Die Steinigung wird berichtet, um zu unterstreichen, dass Gottes Kraft gerade in den Schwachen mächtig ist, und die Bereitschaft des Paulus sich einer Tierhatz auszusetzen soll die Auferstehungshoffnung, die bei den Korinthern umstritten ist, unter Beweis stellen. Die Paulusbriefe liefern keine Erzählungen, sondern theologisch reflektierte Notizen über Ereignisse. Das ist in der Apostelgeschichte völlig anders. Die gängigsten Vorstellungen von Paulus gehen auf die Apostelgeschichte zurück: der wutschnaubende Christenverfolger (9,1), der dann vom sprichwörtlich gewordenen „Saulus zum Paulus“ wird. Er wird durch eine dramatische Christuserscheinung auf dem Weg nach Damaskus bekehrt (Damaskuserlebnis). Er hört die denkwürdigen Worte aus dem Munde des Auferstandenen: „Saul, warum verfolgst du mich?“ (9,4), erblindet und wird durch einen Christen geheilt: „Sofort fiel es wie Schuppen von seinen Augen und er sah wieder“ (9,18). Diese wohl bekannteste Episode aus dem Leben des Paulus ist vermutlich frei nach legendarischen Erzählungen gestaltet. Das ist aber gar nicht das Hauptproblem. Bisweilen vermögen Legenden ja Wahrheiten an den Tag zu bringen, die anderer Erzählweise verschlossen bleiben. Die Pauluslegenden in der Apostelgeschichte stellen allerdings einen ganz anderen Paulus und eine andere Theologie des Paulus vor als wir sie von Paulus selbst kennen. Der

E r zä h lu n g e n

de r

P a u lu st r a di t i on

wichtigste Unterschied besteht in dem theologisch gedeuteten Apostolatsverständnis. Die Apostelgeschichte berichtet von heldenhaften und überlegenen Aposteln. Ihr Erfolg soll den Eindruck von der immer siegreichen Botschaft des Evangeliums unterstreichen. Selbst die Vornehmsten der Gesellschaft sind so beeindruckt, dass sie sagen: „Fast überredest du mich dazu, mich als Christ auszugeben“ (Apg 26,28). Die Paulusbriefe vermitteln ein anderes Bild. Paulus versteht sein Apostolat als Nachahmung des Christusschicksals. Er kann schreiben: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden“ (Gal 2,19). Sein apostolisches Wirken ist von ständigen Bedrohungen, Schmähungen und ganz realen Gefährdungen begleitet (z.B. 1. Kor 4,9-13; 2. Kor 6,4-10; 2. Kor 11,23-33). Im Religionsunterricht greift man gerne auf Erzählungen zurück, wenn man ein anschauliches Bild einer Persönlichkeit zeichnen möchte. Das führt im Falle des Paulus dazu, dass die Erzählungen der Apostelgeschichte herangezogen werden. Das Bild des Apostels und vor allem das Verständnis seiner Botschaft werden dadurch in eine Richtung festgelegt, die der Sicht des Paulus nicht entspricht. Die Paulusverehrung führt zu einer Paulusverzerrung. Aus der Kreuzestheologie (lat. theologia crucis) des Paulus, die immer wieder die Macht Gottes dort wirksam sieht, wo Niederlagen, Enttäuschungen und Erniedrigungen (d.h. Kreuzeserfahrungen) geschehen, wird eine Siegestheologie (theologia gloriae). Im Religionsunterricht sollte man zwar nicht auf die Anschauung verzichten, die durch die Apostelgeschichte möglich wird, aber mit den Erfolgsstories der Apostelgeschichte sollte man im paulinischen Sinne, eben kreuzestheologisch, umgehen. Das bedeutet notwendig die Aufgabe der Texttreue zur Apostelgeschichte und die aktive theologische Neugestaltung der Paulusbiographie im Geiste seiner Briefe. Ein Beispiel: An die Seite des Damaskuserlebnisses, das im hellen Lichtglanz des triumphierenden Gottes steht, sollte zumindest die lächerliche Flucht aus Damaskus im Korb vor den übermächtigen Feinden (Apg 9,23-25; 2. Kor 11,32f) gestellt werden. Der wichtigste Text für eine theologisch und biographisch angemessene Sicht des paulinischen Apostolats ist 2. Kor 11,23-12,10. Die Details ermöglichen zwar keine Erzählung vom Wirken des Apostels, sie ermöglichen aber eine verantwortliche Umgestaltung der Paulusdarstellung der Apostelgeschichte. Mit dieser wichtigen Einschränkung sind dann die Erzählungen der Apostelgeschichte als Beispiele narrativer Theologie aufzugreifen. Neben dem Grundzug der paulinischen Biographie (vgl. Kapitel 12.1) sollte man die folgenden Erzählungen beherrschen:

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Die A p ost e lg e s ch i ch t e

Erzähltexte 49. Die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten (Apg 2,1-41) 50. Die Bekehrung des Paulus vor Damaskus (Apg 9,1-19)

12.6 | Leitfaden 12 Ziel dieser Lerneinheit ist es, Ihnen in fünf Schritten die Grundzüge der Paulusüberlieferung darzulegen. Schritt 1: Einführung in die Paulustradition Lesen Sie 12.1 („Einführung in die Paulustradition“). Arbeitshinweise nach der Lektüre von 12.1 ˘ Was erfahren Sie über die Biographie, die Mission und die Briefe des Paulus? ˘ Wie unterscheidet sich das Bild des Paulus in der Apostelgeschichte von seiner Selbstdarstellung im Galaterbrief? ˘ Notieren Sie die Stationen der Biographie des Paulus und vollziehen Sie die Reisen auf einer Karte nach (die meisten Bibelausgaben enthalten Karten der paulinischen Missionsreisen). ˘ Welches sind die wichtigsten Gemeinden, die durch die Missionsreisen des Paulus entstanden? Schritt 2: Gliederung Prägen Sie sich die Gliederung der Apostelgeschichte 12.2 ein Arbeitshinweise nach der Lektüre: ˘ In welche zwei Hauptteile lässt sich die Apostelgeschichte unterteilen? ˘ Welche Stellung nimmt der Bericht vom Apostelkonvent ein? Schritt 3: Inhalt und Aufbau von Apg 1-15 (Petrusteil) ˘ Lesen Sie 12.3 („Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 1-15 [Petrusteil]“) und lesen Sie Apostelgeschichte 1-15 kursorisch. Markieren Sie sich die Erzähltexte 49. Die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten (Apg 2,1-41) 50. Die Bekehrung des Paulus vor Damaskus (Apg 9,1-19) Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Erzählen Sie das Pfingstgeschehen nach. Geben Sie die Textstelle an. ˘ Wo steht die Erzählung von der Steinigung des Stephanus?

Li t e r a t u r

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˘ Wo steht die Bekehrung des äthiopischen Kämmerers und was wird erzählt? ˘ Wo steht das so genannte Damaskuserlebnis? Was ist darunter zu verstehen? ˘ Wo begegnet die Bezeichnung „Christen“ zuerst? Auf welches griechische Wort geht sie zurück? ˘ Welche Textstellen berichten vom Apostelkonvent? Benennen Sie einige Unterschiede in der Darstellung zwischen Apg und Gal. Schritt 4: Inhalt und Aufbau von Apg 16-28 (Paulusteil) Lesen 12.4 („Inhalt und Aufbau der Apostelgeschichte 16-28 [Paulusteil]“) und lesen Sie Apostelgeschichte 16-28 kursorisch. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Um was handelt es sich bei den so genannten „Wir-Berichten“? ˘ Nennen Sie die drei Missionsreisen des Paulus. ˘ Wo befindet sich Paulus am Ende der in der Apg berichteten Ereignisse und wie endet der Bericht? Schritt 5: Erzählungen der Paulustradition Lesen Sie 12.5 („Erzählungen der Paulustradition“). Arbeitshinweis nach der Lektüre ˘ Benennen Sie wichtige Unterschiede zwischen der Darstellung des Paulus in der Apg und in seiner Selbstdarstellung?

| 12.7

Literatur Backhaus, Knut / Häfner, Gerd: Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, Neukirchen-Vluyn 2007 (BThSt 86). Eisen, Ute E.: Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie, Fribourg/Göttingen 2006 (NTOA/StUNT 58). Haacker, Klaus: Paulus, der Apostel. Wie er wurde, was er war, Stuttgart 2008. Koch, Stefan: Rechtliche Regelung von Konflikten im frühen Christentum, Tübingen 2004 (WUNT 2/174). Lang, Manfred: Die Kunst des christlichen Lebens. Rezeptionsästhetische Studien zum lukanischen Paulusbild, Leipzig 2008 (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 29). Lohse, Eduard: Paulus. Eine Biographie, München 2003 (Beck’sche Reihe 1520).

Neubrand, Maria: Israel, die Völker und die Kirche. Eine exegetische Studie zu Apg 15, Stuttgart 2006 (SBS 55). Reinmuth, Eckart: Paulus. Gott neu denken, Leipzig 2004 (Biblische Gestalten 9). Schnelle, Udo: Paulus. Leben und Denken, Berlin/ New York 2003. Theißen, Gerd: Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 4 2008. Zeigan, Holger: Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1-10 und den möglichen lukanischen Parallelen, Leipzig 2005 (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 18).

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13 | Die Paulusbriefe und die übrigen | Schriften des Neuen Testaments

Inhalt 13.1 Einführung in die Paulusbriefe

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13.2 Der erste Thessalonicherbrief

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13.3 Der Philipperbrief und der Brief an Philemon

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13.4 Der erste Korintherbrief

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13.5 Der zweite Korintherbrief

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13.6 Der Galaterbrief

263

13.7 Der Römerbrief

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13.8 Deuteropaulinen und Pastoralbriefe

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13.9 Die übrigen Schriften des Neuen Testaments

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13.10 Leitfaden 13

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13.11 Literatur

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13.1 | Einführung in die Paulusbriefe Die Briefe des Paulus sind Gelegenheitsschreiben, d.h. sie reagieren auf Anfragen oder auf Informationen. Diese Informationen erreichen Paulus entweder selbst in Briefform oder werden ihm durch seine Mitarbeiter oder Gemeindegesandte zugetragen. Die paulinische Mission lebt vom Austausch zwischen dem Apostel und seinen Gemeinden. Von diesem Austausch sind aber nur Briefe des Paulus erhalten, d.h. es fehlt regelmäßig die andere Seite der Kommunikation. Aus den Bemerkungen des Paulus lassen sich Schlüsse auf Fragen und Konflikte ziehen. Man bleibt aber immer auf die Sicht des Paulus angewiesen. Vieles ist deswegen unsicher, z.B. die Anliegen der Gegner des Paulus.

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Man sollte unter den 13 Briefen des Neuen Testaments, die als Verfasserangabe den Namen des Paulus tragen, die echten Briefe des Paulus von den Deuteropaulinen und den Pastoralbriefen unterscheiden können. a) Echte Paulusbriefe Die echten Paulusbriefe sind alle in der Phase seiner eigenständigen Mission, etwa in den Jahren zwischen 49 und 56 n.Chr., entstanden. In der möglichen Reihenfolge ihres Entstehens sind das die folgenden sieben Briefe: Echte Paulusbriefe 1. Thessalonicherbrief 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief Philipperbrief Brief an Philemon Galaterbrief Römerbrief b) Deuteropaulinen Die so genannten Deuteropaulinen stehen den echten Paulusbriefen in Stil und Inhalt recht nahe, lassen aber doch so erhebliche Unterschiede erkennen, dass es recht unwahrscheinlich ist, diese Briefe auf den gleichen Verfasser wie die oben genannten zurückzuführen. Es handelt sich um: Deuteropaulinen Epheserbrief Kolosserbrief 2. Thessalonicherbrief c) Pastoralbriefe Diese Briefe sind an Einzelpersonen gerichtet und befassen sich mit Ämtern in den Gemeinden. Sie spiegeln Verhältnisse wider, die sich deutlich von den echten Paulusbriefen unterscheiden und werden bisweilen sogar bis in die ersten Jahrzehnte des 2. Jahrhunderts datiert. Pastoralbriefe 1. Brief an Timotheus 2. Brief an Timotheus Brief an Titus

253

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Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

üb r i gen

S ch r i ft e n

d) Briefformular Im Aufbau der Briefe lassen sich mit einiger Sicherheit folgende vier Teile unterscheiden: ˘ Eingangsgruß: Der Eingangsgruß ist nach dem so genannten orientalischen Formular gestaltet: NN an NN, Gruß in direkter Anrede (Gnade sei mit euch und Friede), der jeweils erweitert wird. Im Gegensatz dazu umfasst das griechische Formular recht knapp Absender, Empfänger und Gruß: NN dem NN Gruß (Apg 15,23; 23,26). ˘ Danksagung: Die Danksagung wird eingeleitet mit den Worten: „Ich (Wir) danke(n) Gott ...“, vgl. Röm 1,8-15; 1. Kor 1,4-9; Phil 1,3; 1.Thess 1,2-10; Phlm 4. Die Danksagung fehlt in 2. Kor 1 und Gal. Das Fehlen der Danksagung ist ein deutlicher Hinweis auf das große Konfliktpotential, das Anlass zum Schreiben gegeben hat. ˘ Briefcorpus: Der Hauptteil des Briefes folgt keinem festen Schema. Wie im modernen Brief werden die Anliegen in loser Folge behandelt. ˘ Schlussgrüße: Die Schlussgrüße geben noch einmal die Gelegenheit, die Beziehung zwischen Paulus und den Adressaten zu thematisieren, einzelne Personen und Mitabsender hervorzuheben.

13.2 | Der erste Thessalonicherbrief 1. Thess 1,1-10 Gruß und Danksagung: Paulus dankt für die erfolgreiche Mission in Thessalonich und die gute Entwicklung dieser Gemeinde. Es handelt sich vermutlich um eine Gemeinde aus Heidenchristen, denn Paulus berichtet, die Thessalonicher hätten sich bekehrt „zu Gott von den Götzen“. 1. Thess 2,1-20 Rückblick: Das Wirken des Paulus in Thessalonich war allerdings überschattet von Verfolgungen, wie sie Paulus bereits in Philippi erfahren hat. Auch die Gemeinde in Thessalonich ist in diese Bedrängnisse mit hinein gezogen. Das ist aber nichts Besonderes, sondern eine Erfahrung, die die Christengemeinden von Anfang an gemacht haben. 1. Thess 3,1-3,13 Reisevorhaben: Paulus berichtet nun von seinen Reisen. Von Athen hat er den Kontakt zur Gemeinde über Timotheus gehalten, der inzwischen zurückgekehrt ist und Gutes berichten konnte. 1. Thess 4,1-12 Mahnungen: Paulus geht nun auf einige Alltagsfragen ein. Ungeordnete Sexualität (Unzucht) ist zu vermeiden. In Geschäften soll man nicht betrügen und in der Gemeinde soll die Liebe als Maßstab des Verhaltens gelten.

De r P h i lippe r b r ie f

u n d de r

B r ie f

an

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1. Thess 4,13-5,11 Die Verstorbenen, die Auferstehung der Toten und der Tag Christi: Erst jetzt kommt Paulus auf ein wichtiges Anliegen der Gemeinde zu sprechen. Die Gemeinde erwartet die Wiederkunft Christi (Parusie) in baldiger Zukunft. Umso bedrückender ist es, dass Gemeindeglieder so kurz vor der Wiederkunft Christi sterben. Sie fragen, was mit ihnen geschehen wird. Paulus schildert den Ablauf am Tag Christi: Es werden zunächst die verstorbenen Gläubigen auferstehen und dann erst werden die lebenden Gläubigen mit Christus in den Himmel entrückt werden. Paulus hält aber wie die gesamte neutestamentliche Überlieferung daran fest, dass niemand Tag und Stunde der Wiederkunft Christi kenne. Sie werde sich aber noch innerhalb einer Generation ereignen. 1. Thess 5,12-28 Weisungen und Schluss: Recht allgemeine Mahnungen und gute Wünsche schließen den Brief ab.

Der Philipperbrief und der Brief an Philemon

| 13.3

Der Philipperbrief

| 13.3.1

Phil 1,1-11 Gruß und Danksagung: Die Philippergemeinde ist mit Paulus besonders eng verbunden. Freude und Herzlichkeit prägen die ersten Sätze des Briefes. In Freude erwarten sie den „Tag Christi“. Phil 1,12-2,4 Gefangenschaft und Prozess: Paulus selbst ist allerdings in Haft. „In Fesseln“ (1,13) ist keine Metapher, sondern der übliche griechische Ausdruck für die Gefängnishaft. Die Haft des Paulus hat seine Ursache in der Evangeliumsverkündigung. Wegen seiner Verkündigung ist Paulus in Konflikt mit der staatlichen Obrigkeit gekommen. Er ist im „Prätorium“ (1,13), also wohl in römischer Haft. Seine Situation ist bedrohlich. Er macht sich Gedanken über seinen möglichen Tod (1,21): „Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.“ Die Gefährdung um des Evangeliums willen ist aber kein Zufall. Die Philipper stehen im „gleichen Kampf“ (1,30) und auch Christus selbst ist angefeindet worden. Phil 2,5-11 Christushymnus: Paulus preist das Schicksal Christi nun im so genannten Christushymnus. Die gestaltete Sprachform deutet daraufhin, dass es sich vielleicht um ein Lied handelt. Der Text ist von außerordentlicher Bedeutung für die christliche Theologie. In ihm werden Präexistenz Christi, Gottessohnschaft, Erniedrigung, Kreuzestod und Erhöhung thematisiert:

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Phil 2,6-11 (L) Christushymnus: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. Phil 2,12-3,1 Freude: Paulus greift den freudigen Ton aus dem Briefeingang wieder auf. Er erwähnt die Krankheit des Epaphroditus und seine Genesung. Phil 3,2-4,1 Gegen Irrlehrer: Hier wandelt sich der Ton des Briefes. Paulus wendet sich scharf gegen Irrlehrer, die er u.a. Hunde nennt. In 3,7-9 macht er dann das theologische Problem deutlich. Wer sich zu Christus bekennt, weiß, dass die „Gerechtigkeit“ aus „Christus“ vor Gott gerecht macht. Paulus definiert hier die Gerechtigkeit aus Glauben (3,9): „damit ich Christus gewinne und in ihm erfunden werde, - ohne eine eigene Gerechtigkeit zu haben, nämlich die aus dem Gesetz, sondern die, die durch den Glauben an Christus (kommt), die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens.“ Wer anderes lehrt, ist ein „Feind des Kreuzes Christi“, d.h. er ist nicht bereit die Erniedrigung des Sohnes Gottes im Kreuzestod zu akzeptieren. Phil 4,2-23 Mahnungen und Dank: Am Ende des Briefes stehen dann wieder Mahnungen, Aufruf zur Freude und Dank im Mittelpunkt. Paulus bedankt sich für eine Unterstützung, die er durch die Philipper bekommen hat. Die inhaltlichen Spannungen und einige textliche Details weisen daraufhin, dass auch der Philipperbrief eher eine Sammlung mehrerer Briefe (wie der 2. Kor) als ein einheitliches Schreiben ist. Der Christushymnus (Phil 2,6-11) und die Aussage zur Gerechtigkeit aus Glauben (Phil 3,9) gehören zu den zentralen theologischen Texten in den Paulusbriefen und sollten im Wortlaut vertraut sein.

13.3.2 |

Der Philemonbrief Paulus schreibt an Philemon, den Besitzer des Sklaven Onesimus. Beide gehören zur Gemeinde. Onesimus ist bei Paulus und soll nun zu Philemon zurückkehren. Es scheint, dass Onesimus ohne Erlaubnis Phi-

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e r st e

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lemons bei Paulus ist. Paulus bittet nun Philemon, Onesimus wieder anzunehmen und auf Strafe zu verzichten. Ähnlich wie in 1. Kor 6,1-11 wird ein Rechtsgrundsatz innerhalb der Gemeinde deutlich: Der Geschädigte soll möglichst auf sein Recht verzichten. Falls Philemon dazu nicht bereit ist, will Paulus für den Schaden, den Onesimus angerichtet hat, aufkommen.

Der erste Korintherbrief

| 13.4

1. Kor 1-4 Parteiungen in der Gemeinde, Kreuzestheologie: Die ersten vier Kapitel des 1. Kor geben einen guten Einblick in die Verhältnisse der korinthischen Gemeinde. Sie sind bestimmt von einer Vielfalt der Ansichten und Gruppierungen. Für Paulus ist das zunächst einmal ein Zeichen für die reiche Zuwendung Gottes (Gnade). Dennoch bringt die Vielfalt auch Probleme mit sich und die behandelt Paulus sowohl theologisch (Kreuzestheologie) als auch praktisch (Taufe, Spaltungen). Nach Gruß und Danksagung (1,1-9) geht Paulus sofort auf die Spaltungen in Korinth ein. Offensichtlich berufen sich verschiedene Gruppen auf ihre Vorbilder (1,12): Paulus, Apollos und Kephas (= Petrus). Paulus macht sofort deutlich, dass Parteiungen der Gemeinde, die für ihn Leib Christi ist, nur berechtigt wären, wenn auch Christus selbst zerteilt wäre, und das ist absurd (1,13). Das, worauf es nach Paulus ankommt, ist die Orientierung am Kreuzesschicksal Jesu, 1. Kor 1,18 (L) „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.“ Das Kreuz Christi ist das Vorbild für die Gemeinde, die selbst aus dem besteht (1,27), „was töricht ist vor der Welt“. Kreuzestheologie heißt, dass das Niedrige und Verachtete Gott besonders nah ist. So wie der verachtete Gekreuzigte Gottes Sohn ist, so bilden die Verachteten den Leib Christi, die Gemeinde des Gekreuzigten. In den Kapiteln 2-4 betont Paulus in verschiedenen Zusammenhängen (Weisheit, Mitarbeiter, Gericht) die Bedeutung Christi, um schließlich in 3,11 (L) festzuhalten: „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Das hat dann auch für die Apostel, die bei den Korinthern hohes Ansehen haben, Folgen, 1. Kor 4,9-13 (L): „Gott hat uns Apostel als die Allergeringsten hingestellt, wie zum Tode Verurteilte ... Wir sind geworden wie der Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht, bis heute.“

Kreuzestheologie

1. Kor 5-6 Unzucht, Rechtsfragen, Prostitution: In der Korinthergemeinde gibt es zahlreiche Geschehnisse, die Kontroversen hervorrufen. Paulus

Alltag in der christlichen Gemeinde

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beharrt in Kapitel 5 darauf, dass ein „Unzüchtiger“ aus der Gemeinde zu verweisen ist. Er hatte wohl sexuellen Umgang mit der Frau seines Vaters, was die jüdischen Tabus verletzt. In 6,1-11 ist von Rechtsstreitigkeiten die Rede, die die Korinther untereinander haben und vor weltlichen Gerichten austragen. Paulus weist nun die Gemeinde an, solche Streitigkeiten intern zu lösen, am besten dadurch, dass die Geschädigten auf ihr Recht verzichten. Wenn das nicht möglich ist, dann soll die Gemeinde einen Richter bestimmen. In 6,12-20 wird nochmals die Grundlage der paulinischen Anschauungen ausgesprochen: Die Gemeinde ist Leib Christi und hat deswegen in ihren Entscheidungen Christus selbst abzubilden, was auch für jeden einzelnen gilt, 1. Kor 6,15 (L): „Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind?“ Das bedeutet für den Umgang mit Prostitution (Luther: Hurerei), dass nicht die Prostituierte den Leib Christi beschädigt, sondern derjenige, der Prostitution in Anspruch nimmt. 1. Kor 7-10 Ehe und Götzenopferfleisch: Die Reihe der zu behandelnden Konfliktfelder wird nun um Fragen der Ehe und der Ehelosigkeit erweitert. Paulus bevorzugt die Ehelosigkeit, weiß aber, dass dafür nicht jeder geeignet ist (7,7). In den Gemeinden ist Ehelosigkeit für Frauen wohl durchaus erstrebenswert, um dann als „Jungfrau“ oder „Witwe“ eine besondere Funktion in der Gemeinde zu bekommen (7,25-40). In Korinth existieren zahlreiche heidnische Tempel, vor denen regelmäßig Opfertiere geschlachtet und Mahlfeiern veranstaltet werden. Dieses Fleisch wird von einigen Gemeindegliedern abgelehnt, andere wiederum essen davon (8,1-13). Das Thema wird in 10,14-33 noch einmal ähnlich aufgegriffen. 1. Kor 11-14: Gottesdienst, Charismen, Liebe: In 1. Kor 11 wird die Stellung der Frau im Gemeindegottesdienst beschrieben. Frauen sollen Kopfbedeckungen tragen, wenn sie im Gottesdienst reden, predigen oder prophezeien. Im Abendmahl soll die Einheit des Leibes Christi erfahrbar sein, deswegen sollten vorher keine Sättigungsmahle stattfinden, bei denen die Reichen prassen und die Armen darben (11,17-34). In diesem Zusammenhang überliefert Paulus die Einsetzungsworte zum Abendmahl in einer Form (11,23-25), die der des Lukasevangeliums (Lk 22,1720) entspricht. Kapitel 12 schildert die paulinische Vorstellung einer Christengemeinde. In ihr existieren viele Gaben (Charismen), aber ein Geist (12,111). Viele Glieder bilden den einen Leib (12,12-31). Im so genannten Hohelied der Liebe (13) betont Paulus, dass alles Wirken nur Bestand hat, wenn in ihm die Liebe im Mittelpunkt steht, 1. Kor

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13,13 (L): „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ In Kapitel 14 wendet sich Paulus wieder der Gemeinderealität zu: Zungenrede soll durchaus ihren Platz im Gottesdienst haben. Sie ist aber wie die prophetische Rede daran zu prüfen, ob sie verständlich ist und ob sie Gutes wirkt. Nicht das Phänomen an sich ist eindrucksvoll, sondern seine Wirkungen sind entscheidend. 1. Kor 15 Auferstehung Christi und der Toten: Von besonderem Gewicht ist die paulinische Abhandlung über die Auferstehung. Wieder bildet ein Konflikt den Ausgangspunkt (15,12): „... wie können einige unter euch sagen: Es gibt keine Auferstehung der Toten?“ Paulus macht bereits in 15,1-9 deutlich, dass die Existenz der Christengemeinde auf dem Glauben zur Auferstehung Christi beruht. Er erinnert die Gemeinde an das älteste Auferstehungsbekenntnis. 1. Kor 15,3b-5 (L): Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Wenn nun Christus auferstanden ist, dann werden auch alle auferstehen, meint Paulus, denn wofür wäre Christus denn sonst gestorben, wenn nicht für alle Menschen? Die Korinther bestreiten nicht die Auferstehung Christi, halten aber nichts von der allgemeinen Totenauferstehung. Paulus argumentiert, dass das nicht geht. Denn Christus wird am Ende der Zeiten mit Gott die Herrschaft über alles antreten (15,24). Die Auferstehung werde leiblich sein, allerdings in einem geistlichen Leib erfolgen (15,44). 1. Kor 16 Briefschluss: Am Ende geht Paulus wieder auf die Kollekte ein, schildert Reisevorhaben und grüßt schließlich mit dem gottesdienstlichen Gebetsruf der frühen Gemeinde (16,22): Maranata! (aram.: Unser Herr komme). Aus dem 1. Korintherbrief sollten folgende Texte im Wortlaut vertraut sein: Das „Hohelied der Liebe“ (1. Kor 13), die beiden vorpaulinischen Überlieferungen über das Abendmahl (1. Kor 11,23-25) und über die Auferstehung Christi (1. Kor 15,3-5).

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Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

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13.5 | Der zweite Korintherbrief 13.5.1 |

Zur Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefes Die fortlaufende Lektüre des 2. Korintherbriefes wird durch einige Brüche im Text und im Stil gestört. So endet in 2,13 der Bericht über die Unruhe des Paulus wegen des Ausbleibens des Titus, ohne dass eine Klärung erfolgt. Stattdessen beginnt mit 2,14 eine Danksagung. Das Thema Titus wird dann unvermittelt in 7,5 wieder aufgenommen und zu Ende geführt. Die beiden Kapitel 8 und 9 behandeln die Kollekte, ohne dass eine Verbindung erkennbar wäre. Die Kapitel 10-13 haben ein sehr eigenes Gepräge und stellen eine gegenüber 2,14-6,13 gesteigerte Konfliktlage dar. Diese und andere Beobachtungen lassen einige Exegeten für eine Teilungshypothese plädieren, die in der folgenden Gliederung aufgenommen ist. Die jetzige Abfolge des Textes betont mit der Schlussstellung der Kapitel 10-13 den mahnenden Charakter der paulinischen Theologie. Das entspricht den Bedürfnissen der Kirche im zweiten Jahrhundert, einer Zeit, in der die Vielfalt des Christentums zur Unterscheidung zwischen Orthodoxie (Rechtgläubigkeit) und Häresie (Ketzerei) nötigte. In Wirklichkeit jedoch gelang es Paulus nach dem Streit (Apologie in 2,14-6,13 und 7,2-4 und Vierkapitelbrief in 10-13), das Einverständnis mit den Korinthern herzustellen (Versöhnungsbrief in 1,1-2,13 und 7,5-16) und mit der gemeinsamen Kollekte (Kollektenschreiben in 8 und 9) die Einheit der Kirche zu dokumentieren. Die Reihenfolge der Entstehung der Brieffragmente ist vermutlich so vorzustellen: 2. Kor als Briefsammlung Brief A Apologie (Verteidigungsrede des Paulus) in 2,14-6,13 und 7,2-4 Brief B Kritik an den Gegnern in 10-13 (sog. „Vierkapitelbrief“) Brief C Versöhnungsbrief in 1,1-2,13 und 7,5-16 Brief D 1. Kollektenschreiben in 8 Brief E 2. Kollektenschreiben in 9

13.5.2 |

Inhalt und Aufbau des 2. Korintherbriefes 2. Kor 1,1-2,13 und 7,5-16 Versöhnungsbrief (Brief C): Die jetzige Form des 2. Kor beginnt mit dem Briefteil, in dem das Verhältnis zwischen Paulus und seiner Gemeinde wieder positiv ist. Paulus klärt noch einmal einige Umstände des Streites und schildert die Rolle des Titus, der maßgeblich für die Versöhnung zwischen dem Apostel und seiner Gemeinde Sorge getragen hat.

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2. Kor 2,14-6,13 und 7,2-4 Apologie, Verteidigungsrede (Brief A): Paulus setzt sich hier mit einigen Vorstellungen auseinander, die nur verständlich sind, wenn man sich die Verankerung der ersten Christengemeinden im jüdischen Denken deutlich macht. In 2. Kor 3 setzt sich Paulus mit den Wirkungen der Schriftauslegung auseinander. Er versucht deutlich zu machen, dass nur eine Schriftauslegung in der Gemeinde sinnvoll ist, die jedem Einzelnen eine stärkende Erfahrung, die Erfahrung des Geistes, ermöglicht. Diese ist aber gebunden an das Schicksal Christi und muss sich mit seinem Tod auseinander setzen. Die Apostel stehen in Verbindung zum Gekreuzigten (4,10): „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe ...“. Gerade so sind sie Botschafter der Versöhnung zwischen Gott und Mensch, die durch den Tod Jesu vollzogen wurde (5,19f). Die Apostel zeigen sich in ihrem Dienst als diejenigen, die ohne äußere Macht die Botschaft Christi umso überzeugender vorzubringen wissen (6,1-10). Die Korinther werden aufgefordert, gerade in der Niedrigkeit der Apostel die Wahrheit des Evangeliums abgebildet zu sehen. 2. Kor 8 Kollektenbrief 1 (Brief D): Diese Wechselbeziehung von Niedrigkeit und Missionserfolg findet sich auch wieder in der Begründung der Kollekte. Diejenigen, die bereit sind abzugeben, bilden darin das Schicksal Christi ab, 2. Kor 8,9 (L): „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“ 2. Kor 9 Kollektenbrief 2 (Brief E): Der zweite Kollektenbrief verzichtet auf eine christologische Begründung. Stattdessen ermuntert er mit Hinweisen auf alltägliche Vorgänge wie Säen und Ernten zur Freigebigkeit. So wie der Schöpfergott großzügig ist, sollten auch die Gemeindeglieder großzügig sein, denn, 2. Kor 9,6 (L): „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.“ 2. Kor 10-13 Die Gegner des Paulus (Brief B): Die vier Kapitel am Ende des 2. Kor gehören zu den spannungsreichsten paulinischen Texten. In immer neuen Anläufen versucht Paulus die falsche Theologie und Praxis seiner Gegner in Korinth aufzudecken. Er wehrt sich gegen Vorwürfe, die gegen ihn vorgebracht werden, und geht gleichzeitig zum Angriff gegen die „Überapostel“ über (11,5). Bereits 10,1 greift einen Vorwurf auf: Paulus sei nur „mutig“ in Abwesenheit, wenn er hingegen in Korinth sei, trete er „unterwürfig“ auf. Nur seine Briefe seien „stark“, er selbst aber „schwach“ und seine Rede „kläglich“. Nun dreht er den Spieß auf intelligente Weise um. Er belegt,

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Paulus’ Narrenrede

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dass „Schwachheit“ ein wichtiger Teil des Christusschicksals, der Evangeliumsverkündigung und des Auftretens der Apostel sei, weil nämlich nur durch diese Schwachheit hindurch die Stärke des Evangeliums als Kraft Gottes und nicht der Menschen zu erweisen sei. Diese Argumentation führt er ab 11,16 zu ihrem Höhepunkt. Paulus hält eine Narrenrede, eine Rede, die durch scheinbar ironische Verhüllung die Wahrheit umso deutlicher zum Vorschein bringt. Er tritt in die Rolle dessen, der sich „rühmt“ und rühmt sich genau seiner Schwachheit, seiner Misserfolge und seiner Handicaps. In 11,23-29 imitiert er einen so genannten Peristasenkatalog, eine Aufzählung von heldenhaft bestandenen Gefahren. Er, der Held, ist aber immer der Geprügelte und Verfolgte, ja nach 11,32f flieht er auf schmähliche Weise vor seinen Verfolgern aus Damaskus.

Abb. 19 | Auspeitschung durch eine römische Behörde (Pompeji, 1. Jh.). Ähnliche Erfahrungen hat Paulus gemacht (2. Kor 11,23-25): „maßlos viele Schläge ... fünfmal in der Synagoge ausgepeitscht, dreimal die römische Prügelstrafe erhalten“.

12,1-10 zeigt, dass auch übersinnliche Erfahrungen nicht wirklich zählen. Gott teilt ihm mit, 2. Kor 12,9 (L): „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Nun drängt er die Gemeinde, die Schlussfolgerungen aus dem Gesagten zu ziehen. Was zählt wirklich in der Evangeliumsverkündigung? Wie sieht es in der Gemeinde aus? (12,20): „Hader, Zank, Neid ...“ In Kapitel 13 kündigt er sein Kommen, die möglichen Konflikte und seine Strenge an. Wenn die Teilungshypothese stimmt, war sein erneuter Besuch erfolgreich und Brief C (1,1-2,13; 7,5-16) schildert die Versöhnung zwischen Gemeinde und Apostel.

De r G a la t e r b r ie f

263

Der Galaterbrief

| 13.6

Inhalt und Aufbau

| 13.6.1

Die Adressaten dieses Paulusbriefes sind nicht sicher zu bestimmen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder schreibt Paulus an Gemeinden, die aus Apg 13,14-14,25 als Gründungen der ersten Missionsreise bekannt sind, etwa an Antiochia ad Pisidiam, Ikonion, Lystra und Derbe (südgalatische Hypothese) oder an sonst unerwähnte Gemeinden im eigentlichen Kerngebiet Galatiens in der Nähe von Ancyra, heute Ankara (nordgalatische Hypothese). Die Anrede in Gal 3,1 „ihr Galater“ spricht eher für die zweite Möglichkeit. Gal 1,1-10 Eingangsgruß und Gerichtsrede: Bereits der Eingang des Briefes macht deutlich, dass der Anlass des Schreibens durch einen scharfen Konflikt gegeben ist. Paulus verzichtet auf die sonst übliche Danksagung. An deren Stelle wird sofort das Hauptthema des Briefes genannt: Die Galater haben sich vom Evangelium, wie es Paulus verkündigt hat, abgewendet und ein „anderes“ Evangelium angenommen (1,6). Das heißt wohl, dass Missionare in Galatien Jesus Christus anders verkündet haben als Paulus. Diese Missionare haben dem Paulus die galatischen Gemeinden abspenstig gemacht. Gal 1,11-24 Berufung des Paulus, erste Mission: Um die Legitimation seiner eigenen Verkündigung zu unterstreichen, berichtet Paulus von seiner Biographie. Er sei vom Verfolger zum Apostel durch Gott selbst berufen worden und nicht durch Menschen. Seine Berufung schildert er in Anlehnung an die alttestamentlichen Prophetenberufungen (Gal 1,1517; vgl. Jer 1,5; Jes 49,1-6). Im Mittelpunkt steht aber die Aussage, dass Gott selbst dem Paulus seinen Sohn offenbart habe. Paulus zieht daraus die Schlussfolgerung, nun habe er das Evangelium Christi zu verkündigen, und zwar unter den Heiden und ohne die Beschneidung zu fordern. Seine erste Mission sei in der Arabia unabhängig von der Jerusalemer Urgemeinde erfolgt. Auch in Syrien und Kilikien habe er bereits das Evangelium verkündigt, ohne dass er von Jerusalem abhängig gewesen sei. Gal 2,1-21 Apostelkonvent und antiochenischer Konflikt: Das Verhältnis des Paulus zur Jerusalemer Gemeinde scheint von den Gegnern des Paulus als Argument gegen ihn vorgebracht worden zu sein. Deswegen geht Paulus nun ausführlich auf die umstrittenen Ereignisse ein und betont dabei: ˘ seine Unabhängigkeit von Jerusalem

Apostelkonvent

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˘ die Akzeptanz seiner beschneidungs- und gesetzesfreien Evangeliumsverkündigung in Jerusalem Er berichtet von der Einigung mit den Jerusalemern trotz Widerstandes von „falschen Brüdern“ (Apostelkonvent). Man habe sich mit Handschlag geeinigt, dass Paulus die Heidenmission ohne Einschränkungen weiterführen könne. Er solle nur eine Sammlung (Kollekte) für die Armen der Jerusalemer Gemeinde durchführen. Die Konflikte mit den Galatern zeigen aber auch, dass andere die Ereignisse in Jerusalem anders deuten als Paulus selbst. Das scheint auch der Hintergrund für den antiochenischen Konflikt oder Zwischenfall zu sein, von dem Paulus in 2,11-21 berichtet. Petrus habe in Antiochien „Gemeinschaft“ (vermutlich ist die Abendmahlsgemeinschaft gemeint) mit den Heidenchristen gehabt. Als aber „Leute des Jakobus“ aus Jerusalem gekommen seien, habe sich Petrus von den Heiden abgesondert und nur noch Gemeinschaft mit den Judenchristen gehabt. Dieser Heuchelei sei sogar Barnabas gefolgt. Paulus habe dann den Konflikt offen ausgetragen und betont, dass der Glaube an Jesus Christus und nicht Werke des Gesetzes den Menschen gerecht machen (2,16): „Der Mensch (wird) nicht durch Werke des Gesetzes gerecht, sondern durch den Glauben an Jesus Christus.“ Hier trägt Paulus also die Grundlage seiner gesetzesfreien Evangeliumsverkündigung vor: Werke des Menschen zählen nichts vor Gott, der Glaube als vertrauende Loyalität prägt die Gottesbeziehung. Freiheit im Glauben

Gal 3,1-5,12 Glaubensgerechtigkeit und Freiheit: In sechs Argumentationsgängen begründet Paulus die Freiheit seiner Evangeliumsverkündigung von der Forderung nach der Einhaltung des Gesetzes (Tora): ˘ Gal 3,1-5: Ihr habt den Geist als Gabe Gottes an seine Gemeinde erhalten, ohne dass ihr das Gesetz oder die Beschneidung erhalten habt. ˘ Gal 3,6-14: Schon die Schrift sagt, dass die Verheißungen ohne das Gesetz an Abraham ergangen sind. So seid ihr Kinder Abrahams aus Glauben und habt den verheißenen Geist empfangen. ˘ Gal 3,15-25: Göttliches und menschliches Erbrecht veranschaulichen die Unumkehrbarkeit dieser göttlichen Entscheidung. ˘ Gal 3,26-4,11: Die Traditionen der Gemeinde belegen die Gültigkeit der Entscheidung. Sie kennt die Taufe (3,26-29), sie hat die neue Gottesbeziehung (4,1-7) und hat bereits eine eigene Gemeindetradition entwickelt (4,8-11). ˘ Gal 4,12-20: Die Freundschaft zwischen der Gemeinde und Paulus hat sich zu bewähren. ˘ Gal 4,21-31: Allegorische Schriftauslegung: Sara und Hagar, die Freie

De r G a la t e r b r ie f

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und die Sklavin, werden gegenübergestellt und als himmlisches und irdisches Jerusalem, als Freiheit und Knechtschaft gedeutet. Gal 4,31: „Wir sind keine Kinder der Sklavin, sondern der Freien.“ Gal 5,1-12: Deswegen ist die Evangeliumsverkündigung des Paulus zu Recht frei von den Forderungen nach Beschneidung und Gesetzesbefolgung. Das Evangelium allein bildet die Gemeinschaft des Volkes Gottes in Freiheit, Gal 5,6 (L): „In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Gal 5,13-6,10 Ethik: Daraus ergeben sich Folgerungen für das Handeln der Gemeinde. Die Tora wird nun abgelöst durch ein freies Liebeshandeln der Kinder Gottes. Hier wirkt der Geist Gottes, den die Gemeinde empfangen hat, Gal 5,25 (L): „Wenn wir im Geiste leben, so lasst uns auch in Geist wandeln.“ Das heißt: Wenn der Geist Gottes unser Leben bestimmt, so sollen wir auch in unserem Handeln den Geist Gottes verwirklichen, und d.h. Gal 6,2 (EÜ): „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Gal 6,11-18 Briefschluss: Im Briefschluss bringt Paulus seine Enttäuschung über die Galater deutlich zum Ausdruck. Er unterschreibt eigenhändig in „großen Buchstaben“ und betont nochmals, dass ein Evangelium, das die Beschneidung mit einschließt, den Kreuzestod Jesu überflüssig mache. Die Evangeliumsverkündigung des Paulus ist im Kreuz Christi begründet. Sie verzichtet auf jedes Ansehen und jeden Respekt, den menschliche Leistungen (etwa die Einhaltung der Tora) geben könnten, und stimmt darin mit dem Schicksal des Gekreuzigten überein, der am Kreuz den verachteten Tod eines Verbrechers stirbt.

Wichtige Themen Im Galaterbrief sind die Grundthemen der paulinischen Theologie enthalten: ˘ Das Verhältnis von Biographie und Theologie bei Paulus ˘ Das beschneidungsfreie und gesetzesfreie Evangelium ˘ Die Unumkehrbarkeit der Zugehörigkeit der Heiden zum Gottesvolk ˘ Die Freiheit der Kinder Gottes in ihren ethischen Entscheidungen ˘ Die Bedeutung des Kreuzes für das Evangelium, für das Gottesvolk und für die Ethik.

| 13.6.2

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Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

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13.7 | Der Römerbrief Rechtfertigung

Röm 1-4: Gericht und Glaubensgerechtigkeit: 1,1-17 Briefeingang: Paulus erläutert hier, dass er, nachdem er schon lange den Plan hatte, nach Rom zu kommen, nun endlich kommen wird. Er stellt in 1,16f sein Evangelium thesenartig dar. Paulus nennt die gelungene Gottesbeziehung des Menschen „gerecht“ oder „Gerechtigkeit“. Sein Evangelium verkündigt die „Gerechtigkeit aus Glauben“. 1,18-3,20 Alle sind Sünder: Nun führt er eine recht detaillierte Argumentation vor, um zu zeigen, dass das Recht Gottes von Heiden wie Juden missachtet wurde, und deswegen alle Menschen unter der Strafandrohung Gottes stehen, ja längst verurteilt sind. 3,21-4,25 Die Gerechtigkeit aus Glauben: Gott verzichtet aber auf die Ausführung der berechtigten Vernichtung aller Menschen. Er ist barmherzig gegenüber den Sündern. Der Tod seines Sohnes Jesus Christus zeigt den Verschonungswillen Gottes und seine Bereitschaft, die Sünder gerecht zu machen. In 3,21-26 (27-31) stellt Paulus dann noch deutlich heraus, dass dieses Handeln Gottes ein Geschehen ist, in dessen Mittelpunkt der Glaube und nicht das Gesetz steht. Das Evangelium des Paulus ist das gesetzesfreie Evangelium. In 4,1-25 argumentiert Paulus, dass ja bereits die Zuwendung Gottes zu Abraham zeige, dass Gott ohne das Gesetz (Beschneidung und Opfer) Abraham „gerecht“ gemacht habe. Gott mache gerade „die Gottlosen gerecht“ (4,5). Deswegen ist Abraham nicht der Vater Israels alleine, sondern „unser aller Vater“ (4,16). Röm 5-8 Glaubensgerechtigkeit als eschatologische Freiheit: Im Folgenden konzentriert sich Paulus auf die Folgen seiner Sicht der neuen Gottesbeziehung, die im Glauben gerecht macht. Er stellt heraus, dass diese neue Gottesbeziehung den Menschen frei macht, und zwar frei von der Macht des Todes (5,1-21) und frei von der Macht der Sünde (6,1-23). Schließlich wird das Ende des Gesetzes und an dessen Stelle die Macht des Geistes erläutert (7,1- 8,39). Die Macht des Geistes im Menschen entspricht der Liebe in Gott, die das Ziel allen göttlichen Wirkens ist. Die Entfaltung des paulinischen Evangeliums endet mit einem großen Bekenntnis zur Liebe Gottes, die in allem Handeln Gottes dominiert, Röm 8,38 (L): „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ Paulus ist es gelungen, die beiden in Gott vereinten Beweggründe „Gerechtigkeit“ und „Barmherzigkeit“ zueinander in Beziehung zu setzen und als Liebe Gottes verständlich zu

De r R öm e r b r ie f

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machen. Vom Gerichtsgedanken über die Glaubensgerechtigkeit und die Freiheit des Menschen gelangt er zu der im Geist Gottes vermittelten liebenden Hinwendung des Schöpfers zu allen seinen Kreaturen. Röm 9-11 Gottesgerechtigkeit und Israel: Angesichts der liebenden Zuwendung Gottes in Christus stellt sich die Frage, wieso Israel, das Volk Gottes, diese Zuwendung zu allen Menschen nicht akzeptiert. Für Paulus ist das ein geheimnisvolles Rätsel (gr. mysterion), das nur Gott alleine lösen kann und lösen wird, denn die Erwählung Israels bleibt bestehen. Aufgrund dieser Situation mahnt Paulus die Christusgläubigen. Sie sollen gegenüber Israel nicht überheblich werden. Röm 12,1-15,13 Gottesdienst im Alltag der Welt: Nun wendet sich Paulus den inneren Verhältnissen der Christengemeinde zu. In 12,1-13,14 werden Nächstenliebe und Gehorsam gegenüber den staatlichen Stellen (13,17) erläutert. Nach Röm 13,8-10 ist „die Liebe des Gesetzes Erfüllung“. Innerhalb der Gemeinde scheint es verschiedene Ansichten über die erlaubten Speisen zu geben (14,1-15,13). Ein Teil der Gemeinde isst nur noch vegetarisch (die Schwachen), ein anderer Teil scheint dieses Verhalten zu verachten (die Starken). Es ist nicht ganz deutlich, worum es letztlich genau geht. Klar ist jedoch, dass Paulus von allen verlangt, solche Fragen dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen (15,7): „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat.“ Röm 15,14-33 Mission: Nun äußert sich Paulus noch einmal über seine Pläne und seine Mission. Da er immer nur dort das Evangelium verkündigen will, wo es noch nicht bekannt ist (15,14-21), möchte er nun über Rom nach Spanien (15,22-29). Zuvor muss er aber noch die nach Gal 2,10 vereinbarte Sammlung („nur dass wir an die Armen dächten“ bezieht sich auf die Kollekte) nach Jerusalem bringen. Diese Fahrt bereitet ihm Todesangst (15,30-33) und er möchte, dass die römische Gemeinde für ihn betet. Röm 16 Empfehlungen und Grüße: Die ausführliche Grußliste verdeutlicht, wie viele Männer und Frauen um Paulus in der Mission und in den Gemeinden tätig sind. Themen Der Römerbrief gilt als die theologische Summe, die Zusammenfassung der wichtigsten Überzeugungen des Paulus. Anders als in den übrigen Briefen, die erhalten sind, wendet er sich an eine Gemeinde, die er nicht kennt. Hier muss er seine Ansichten deutlicher und umfassender formulieren als in den Briefen an seine Gemeinden, die ja nur seine per-

Erwählung Israels

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Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

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S ch r i ft e n

sönlich vorgetragene Verkündigung ergänzen müssen. Paulus entfaltet im Römerbrief folgende grundlegende Ansichten: ˘ Gott hat als Schöpfer Ansprüche und Rechte gegenüber seinen Geschöpfen. ˘ Die Geschöpfe haben dieses Recht Gottes missachtet und haben sich schuldig gemacht. ˘ Gott verzichtet auf seinen Vernichtungsanspruch gegenüber seinen Geschöpfen und offenbart das im Tod seines Sohnes Jesus Christus. ˘ In Christus offenbart sich, dass der Wille des Schöpfergottes nichts anderes zwischen sich und seiner Schöpfung treten lässt als seine eigene Liebe. ˘ Die von dieser Einsicht in die Liebe Gottes Bewegten sind die Kinder Gottes, aus denen sich das Volk Gottes bildet. ˘ Israel teilt diese Einsicht nicht und bleibt dennoch erster Gegenstand der Liebe Gottes. ˘ Im Alltag der Gemeinde wird die liebende Zuwendung verwirklicht. Die wichtigsten Texte des Römerbriefes sollten auch im Wortlaut vertraut sein. Dazu gehören: ˘ Röm 3,21-28 (E) Gerechtigkeit aus Glauben: Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben. Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist. Ihn hat Gott hingestellt zu einem Sühneort durch den Glauben an sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist. Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz? Der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Denn wir urteilen, dass ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. ˘ Röm 8,31-39 (E) Liebe Gottes: Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns? Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: Wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken? Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt. Wer ist, der verdamme? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet. Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Drangsal

De ut e r op a u li n e n

und

P a stor a lb r ie fe f

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oder Angst oder Verfolgung oder Hungersnot oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wie Schlachtschafe sind wir gerechnet worden. Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Mächte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. ˘ Röm 13,1-7 (E) Gehorsam gegenüber der staatlichen Gewalt: Jedermann unterwerfe sich den übergeordneten Mächten; denn es ist keine Macht außer von Gott, und die bestehenden sind von Gott verordnet. Wer sich daher der Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes; die aber widerstehen, werden ein Urteil empfangen. Denn die Regenten sind nicht ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das böse. Willst du dich aber vor der [staatlichen] Macht nicht fürchten, so tue das Gute, und du wirst Lob von ihr haben; denn sie ist Gottes Dienerin, dir zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, so fürchte dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, denn sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut. Darum ist es notwendig, untertan zu sein, nicht allein der Strafe wegen, sondern auch des Gewissens wegen. Denn deshalb entrichtet ihr auch Steuern; denn es sind Gottes Diener, die eben hierzu fortwährend beschäftigt sind. Gebt allen, was ihnen gebührt: die Steuer, dem die Steuer, den Zoll, dem der Zoll, die Furcht, dem die Furcht, die Ehre, dem die Ehre gebührt.

Deuteropaulinen und Pastoralbriefe

| 13.8

Deuteropaulinen: Epheser, Kolosser und 2. Thessalonicherbrief

| 13.8.1

Die Briefe an die Epheser, Kolosser und der 2. Brief an die Thessalonicher tragen als Verfasserangabe den Namen des Apostel Paulus. Inhalt und Stil der Briefe unterscheiden sich aber deutlich von den sieben echten Paulusbriefen. Während nämlich 1. Kor 12,12-27 und Röm 12,4-6 von der Gemeinde als dem einen Leib, der Christus ist (1. Kor 12,27), sprechen, betont Eph 4,15f, Christus sei das „Haupt“, „von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist“. ˘ 1. Kor 12,27 (L): Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied. ˘ Eph 4,15f (L): Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wach-

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Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

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S ch r i ft e n

sen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist. Haustafeln

Es deutet sich in dieser Weiterentwicklung der Ansatz zu einer hierarchischen Kirchenverfassung an, wie sie Paulus noch nicht kennt. Diese Tendenz wird in den so genannten „Haustafeln“ verstärkt (Eph 5,21-6,9; Kol 3,18-4,1). Hier handelt es sich um eine Bezeichnung für eine nach Ständen geordnete Liste von Verpflichtungen für die Mitglieder eines „Hauses“ (gr. oikos): Männer, Frauen, Kinder, Väter, Sklaven, Herren der Sklaven. Paulus richtet sich mit seinen ethischen Konkretionen unterschiedslos an alle Gemeindeglieder. Epheser und Kolosser hingegen unterscheiden zwischen den einzelnen Gruppen (z.B. Frauen, Sklaven): Gehorsamsethik ˘ Eph 5,21-23 (L): Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist. ˘ Kol 3,22 (L): Ihr Sklaven, seid gehorsam in allen Dingen euren irdischen Herren.

Entwicklung von Christologie, Ekklesiologie, Ethik und Eschatologie

Die Forderungen der Haustafeln sind durch die christliche Liebesethik immerhin so weit geprägt, dass auch die Übergeordneten an ihre Verantwortung gemahnt werden, Kol 3,18f (L): „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie sich’s gebührt im Herrn. Ihr Männer, liebt eure Frauen und seid nicht bitter gegen sie.“ Paulinische Gedanken und Themen werden aufgegriffen, aber doch in einer sehr eigenen Weise behandelt. Das demokratische und egalitäre Gemeindeverständnis des Paulus gründet in der Vorstellung, dass der ganze Leib der Gemeinde Christus ist. In Eph und Kol hingegen wird die Leibmetapher in den Kategorien Überordnung – Unterordnung neu interpretiert und die Gemeinde hierarchisiert („Christus ist das Haupt“). Kolosser und Epheser entwickeln die Christologie, die Ekklesiologie (Kirchen- und Gemeindeverständnis) und die Ethik weiter. Der 2. Thessalonicherbrief setzt bei der Eschatologie neu ein. Die eschatologischen Aussagen, die Paulus im 1. Thess äußert, werden im 2. Thess weitergeführt. Die Aussagen über die Zukunft, das Gericht, die Auferstehung der Toten, die Rettung der Gemeinde werden nun in ein düsteres Zukunftsszenario gehüllt. 2. Thess ergänzt die endzeitlichen Vorstellungen des Paulus um die Vorstellung eines Gegners im endzeitlichen Geschehen. Er spricht vom „Antichrist“, 2. Thess 2,4 (L): „Er ist der Widersacher, der sich erhebt über

Die

üb r i gen

S ch r i ft e n

de s

N e u e n T e st a m e n t s

271

alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott.“

Pastoralbriefe: 1. und 2. Timotheusbrief, Brief an Titus

| 13.8.2

Die Briefe des Paulus an Timotheus und Titus werden als Pastoralbriefe bezeichnet. Es sind „Hirtenbriefe“ (lat. pastor, Hirte), die im Gegensatz zu den Gemeindebriefen an einzelne Personen (Timotheus, Titus) gerichtet sind. Diese „pastorale“ Tendenz wirkt sich auch im Inhalt aus. Es geht überwiegend um ethische Anweisungen für das Leben und die Organisation der Gemeinde. Timotheus und Titus werden als Gemeindeleiter von Paulus über die Ordnung der Gemeinde und ihre Amtsführung instruiert. Nun ist auch ausdrücklich vom Amt des Bischofs die Rede (1. Tim 3,1-7). Die wechselseitige Verpflichtung der Mitglieder des „Hauses“, wie es in den Haustafeln von Epheser und Kolosser noch zum Ausdruck kommt, wird nun einseitig zugunsten des Führungsanspruchs der Gemeindeleiter aufgelöst. Sie lehren, trösten und ermahnen. Von einem monarchischen Bischofsamt ist aber noch nichts zu spüren. Erst außerhalb des Neuen Testaments, in den Ignatiusbriefen, die zu den Schriften der so genannten Apostolischen Väter gehören, bahnt sich die alleinige Machtposition des Bischofs an. In den Pastoralbriefen ist der Bischof immerhin noch auf Diakone und Älteste angewiesen. Seine Lenkungsmittel sind die Predigt und das mahnende Wort. Besonders energisch werden die Frauen in ihre Schranken gewiesen, 1. Tim 2,12.15 (L): „Der Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still. ... Sie wird aber selig werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt ...“ Die Verbote weisen allerdings gerade auf die aktive Rolle der Frauen in der Gemeinde hin, die den männlichen Gemeindeleitern unangenehm ist. Diese einseitigen Ordnungsinteressen in den Pastoralbriefen stehen in Widerspruch zu den Aussagen des Paulus, der der ganzen Gemeinde, nicht aber einzelnen Leitungsfiguren die Verantwortung für das Miteinander überträgt. Die genannten Briefe stammen wohl eher aus der dritten nachpaulinischen Generation.

Bischof

Die übrigen Schriften des Neuen Testaments

| 13.9

Die traditionellen Schriftengruppen der neutestamentlichen Briefe kennen neben dem Corpus Paulinum (traditionell 14 Briefe einschließlich Hebräerbrief) noch die sieben so genannten katholischen Briefe (vgl. o.

Stellung der Frau

272

Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

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S ch r i ft e n

1.5). Dazu zählen die beiden Petrusbriefe, die drei Johannesbriefe, der Judas- und der Jakobusbrief. Katholische Briefe

Corpus Paulinum

1. Petrus (13.9) 2. Petrus (13.9) 1. Johannes (11.5) 2. Johannes (11.5) 3. Johannes (11.5) Judas (13.9) Jakobus (13.9)

Römer (13.7) 1. Korinther (13.4) 2. Korinther (13.5) Galater (13.6) Epheser (13.8) Philipper (13.3) Kolosser (13.8) 1. Thessalonicher (13.2) 2. Thessalonicher (13.8) 1. Timotheus (13.8) 2. Timotheus (13.8) Titus (13.8) Philemon (13.3.2)

Die traditionelle Gruppierung der Schriften des Neuen Testaments entspricht nicht den Entstehungsverhältnissen und den sachlichen Zusammenhängen, in denen die Schriften zueinander stehen. Deswegen ist es sinnvoll in der Lektüre der Texte von dieser Gliederung abzuweichen. Die Johannesbriefe sind unter Kapitel 11.5 behandelt. Der Hebräerbrief hat keine Verfasserangabe. Die übrigen Schriften sollen im Folgenden kurz skizziert werden: 1. Petrusbrief In diesem Schreiben werden die Grundüberzeugungen der frühen Christenheit hervorgehoben. Die Verfolgungen, denen die Kirche ausgesetzt ist, gelten dem 1.Petrusbrief als Teil des endzeitlichen Geschehens. 2. Petrusbrief Das Festhalten an den Überzeugungen der Christenheit wird durch Abwehr gegen Irrlehrer und die Schilderung des Endgerichts unterstrichen. Judasbrief In enger Verwandtschaft mit den Anschauungen des 2. Petrusbriefs wird vor Irrlehrern gewarnt und das Endgericht geschildert. Jakobusbrief In Abgrenzung von der paulinischen Vorstellung der Gerechtigkeit aus

Lei t fa de n 13

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Glauben wird im Jakobusbrief die Bedeutung der guten Werke hervorgehoben (2,14-26). Hebräerbrief Diese Schrift nennt weder Paulus als Verfasser noch ist ihr Inhalt mit den übrigen Paulusbriefen so ohne Weiteres in Übereinstimmung zu bringen. Sie ist deswegen nicht zu den Paulusbriefen zu zählen. Die herausragende Bedeutung Christi wird mit den Mitteln kultischer Sprache zum Ausdruck gebracht. Christus hat sich gleichsam als Hohepriester selbst ein für allemal als Sühne für die Sünden der Menschen hingegeben (9,11-15; 10,12-14).

Leitfaden 13 Ziel dieser Lerneinheit ist es, Sie in neun Schritten in die neutestamentliche Briefliteratur einzuführen Schritt 1: Einführung in die Paulusbriefe Lesen Sie 13.1 „Einführung in die Paulusbriefe und die übrigen Schriften des NT“. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was wissen sie über die Gründe für die Abfassung der Paulusbriefe? ˘ Erklären Sie die Bezeichnungen „Paulusbriefe“, „Deuteropaulinen“ und „Pastoralbriefe“. ˘ Aus welchen Aufbauelementen setzen sich die Briefe zusammen? Schritt 2: 1. Thessalonicherbrief Lesen Sie 13.2 „Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher“ und die für die Lerneinheit Kapitel 13 angegeben Textstellen: [4] 1. Thess (5) 1-2; 4,135,11. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was erfahren wir aus dem 1.Thessalonicherbrief über die Auferstehung der Toten? ˘ Erklären Sie den Begriff „Parusie“. Schritt 3: Die Briefe des Paulus an die Philipper und an Philemon Lesen Sie 13.3 „Die Briefe des Paulus an die Philipper und an Philemon“ und die für die Lerneinheit Kapitel 13 angegeben Textstellen: [2] Phil (4) 1-2.

| 13.10

274

Die P a u lu s b r ie fe u n d die de s N e u e n T e st a m e n t s

üb r i gen

S ch r i ft e n

Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ In welcher Situation befindet sich Paulus bei Abfassung des Briefes? ˘ Wo steht der so genannte „Christus-Hymnus“? Schritt 4: 1. Korintherbrief Lesen Sie 13.4 „Der erste Brief des Paulus an die Korinther“ und die für die Lerneinheit Kapitel 13 angegeben Textstellen: [7] 1. Kor (15) 1-2; 9; 12-15. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Welche Bedeutung hat für Paulus das Kreuz Christi? ˘ Was erfahren wir über die Haltung des Paulus zu Prostitution, Heirat und Ehe? ˘ Mit welchem Bild beschreibt Paulus die Gemeinde in Kapitel 12? ˘ Wo steht das Hohelied der Liebe? ˘ Wie lautet das älteste Auferstehungsbekenntnis in 1. Kor 15, 3-5? ˘ Wie lautet der gottesdienstliche Gebetsruf der frühen Gemeinde? Schritt 5: 2. Korintherbrief Lesen Sie 13.5 „Der zweite Brief des Paulus an die Korinther“ und die für die Lerneinheit Kapitel 13 angegeben Textstellen: [8] 2. Kor (13) 2,126,13; 11,16-13,10. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Aus welchen ursprünglich unabhängigen Briefteilen besteht möglicherweise der 2. Korintherbrief? ˘ Welche Rolle spielt die Auslegung der Schrift? ˘ Welche Bedeutung hat die Kollekte für die frühe Kirche? ˘ Wie wehrt sich Paulus gegen die Kritik an seinem Apostolat? Schritt 6: Galaterbrief Lesen Sie 13.5 „Der Galaterbrief“ und die Textstellen: [4] Gal (6) 1-2; 5-6 Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Welche Zielgruppe gibt Paulus für seine Mission an? ˘ Welche Rolle spielt die Beschneidung für Paulus? ˘ Worum geht es im so genannten antiochenischen Konflikt? Schritt 7: Römerbrief Lesen Sie 13.7 „Der Brief des Paulus an die Römer“ und die Textstellen: [9] Röm (16) 1; 3,21-4,25; 8; 9,1-13; 11,13-36; 12f; 15,14-33.

Li t e r a t u r

275

Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Wie stellt Paulus das Verhältnis Gott – Mensch dar? Wie hat es sich durch Christus verändert? ˘ Welche Freiheiten gewinnt der Glaubende? ˘ Welche Haltung soll die Gemeinde staatlicher Obrigkeit gegenüber einnehmen? ˘ Prägen Sie sich den Wortlaut folgender Texte ein: Röm 3,21-28, 8,3139. Schritt 8: Deuteropaulinen und Pastoralbriefe Lesen Sie Kapitel 13.8 „Deuteropaulinen und Pastoralbriefe“. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was sind so genannte „Haustafeln“? ˘ Welche Ämter kennen die Pastoralbriefe? ˘ Welche Rolle wird den Frauen zugedacht? Schritt 9: Die übrigen Schriften des NT Lesen Sie 13.9 „Die übrigen Schriften des NT“. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Welche Briefe zählen zu den katholischen Briefen?

| 13.11

Literatur Bachmann, Michael (Hg.): Lutherische und neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, Tübingen 2005 (WUNT 182). Cho, Gwang-Ho: Die Vorstellung und Bedeutung von ‚Jerusalem’ bei Paulus, Tübingen 2004. Machura, Jacek: Die paulinische Rechtfertigungslehre. Positionen deutschsprachiger katholischer Exegeten in der Römerbriefauslegung des 20. Jahrhunderts, Regensburg 2003 (Eichstätter Studien; N.F., Bd. 49). Merz, Annette: Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, Göttingen, 2003 (NTOA 52). Metzger, Paul: Katechon. II Thess 2,1-12 im Horizont apokalyptischen Denkens, Berlin u. New York 2005 (BZNW 135). Schrage, Wolfgang: Unterwegs zur Einzigkeit und Einheit Gottes. Zum „Monotheismus“ des Paulus und seiner alttestamentlichfrühjüdischen Tradition, Neukirchen 2002 (BThSt 48).

Schwindt, Rainer: Das Weltbild des Epheserbriefes. Eine religionsgeschichtlich-exegetische Studie, Tübingen 2002 (WUNT 148). Theobald, Michael: Studien zum Römerbrief, Tübingen 2001 (WUNT 2/136). Vegge, Tor: Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung des Paulus, Berlin/New York 2006 (BZNW 134). Vollenweider, Samuel: Horizonte neutestamentlicher Christologie. Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie, Tübingen 2002 (WUNT 144). Vorholt, Robert: Der Dienst der Versöhnung. Studien zur Apostolatstheologie bei Paulus, Neukirchen-Vluyn 2008 (WMANT 118). Wengst, Klaus: „Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!“. Israel und die Völker als Thema des Paulus - ein Gang durch den Römerbrief, Stuttgart 2008. Woyke, Johannes: Götter, ‚Götzen‘, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ‚Theologie der Religionen‘, Berlin/New York 2005 (BZNW 132).

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14 | Die apokalyptische Literatur

Inhalt 14.1 Einführung in die apokalyptische Literatur

276

14.2 Das Buch des Propheten Daniel

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14.3 Die Offenbarung des Johannes

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14.4 Leitfaden 14

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14.5 Literatur

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14.1 | Einführung in die apokalyptische Literatur Geheimes Wissen

Die Bezeichnung „Apokalyptik“ leitet sich ab von gr. apokalypsis, Offenbarung. Im wissenschaftlichen Gebrauch bezeichnet man damit eine Denkweise, die die wahre Wirklichkeit (z.B. den Willen Gottes) in einer jenseitigen Welt (z.B. dem Himmel) verborgen sieht. Diese wahre Wirklichkeit ist dem menschlichen Denken, der menschlichen Erfahrung und dem menschlichen Forschen nicht zugänglich. Aus der jenseitigen Welt („vom Himmel“) wird sie ihren Anhängern „offenbart“, d.h. durch eine himmlische Aktion in Visionen und Auditionen mitgeteilt, durch Engel erläutert (angelus interpres) oder auf mystischen Himmelsreisen eines Visionärs geschaut. Der Apokalyptiker „empfängt“ sein Wissen über die wahren Zustände der Welt aus der jenseitigen Welt und wird dadurch frei von den Zwängen und Bedingungen der diesseitigen Welt. Er erfährt, dass die Herrschaft derjenigen, die über ihn noch Macht ausüben, in der jenseitigen Welt bereits beendet ist, oder dass die Könige, die jetzt in der Welt triumphieren, dereinst vor dem Richterstuhl Gottes stehen werden, um abgeurteilt zu werden. Der Apokalyptiker hat Zugang zu einem geheimen Wissen, das ihn innerlich frei von den Machtstrukturen macht, die ihn äußerlich beherrschen. Ein wesentliches Merkmal der Apokalyptik ist ein „Dualismus“ oder ein „dualistisches Weltbild“. Die erfahrbare menschliche und geschicht-

E i n fü h r u n g

i n die a p ok a ly p t i s ch e

Li t e r a t u r

liche Welt ist zeitlich gesehen vorläufig, materiell gesehen dem Untergang geweiht und schließlich ethisch gesehen „schlecht“, „sündhaft“, „gottlos“ oder gar „widergöttlich“. Der Apokalyptiker weiß um die Frist, die dieser Welt gegeben ist, und richtet sich auf die nach ihr kommende wahre Wirklichkeit, die „neue Welt“, den „neuen Himmel und die neue Erde“ oder das „neue Zeitalter“ (Äon) ein. Diese Welt wird vergehen, eine neue wird entstehen, in der göttliche und gerechte Verhältnisse herrschen werden. Die apokalyptische Literatur hat ihre Wurzeln vermutlich in der nachexilischen Prophetie Sacharjas und Tritojesajas, aber auch in den Weisheitsspekulationen der ersten neun Kapitel des Sprüchebuches. Die literarischen Schriften sind in der Regel pseudonym, d.h. sie nennen eine Figur aus der Vorzeit als Verfasser. Beliebte Namensgeber sind biblische Gestalten, von denen gesagt wird, sie seien in den Himmel entrückt worden, etwa Henoch (Gen 5,24) und Elia (2. Kön 2,11). In den Kanon der Bibel sind nur Bruchstücke apokalyptischer Literatur eingegangen. Die Mehrzahl der apokalyptischen Schriften hat keine Akzeptanz gefunden und wurde nicht in den Kanon aufgenommen, so z.B. die Henochliteratur, die Baruchapokalypse, das 4. Esrabuch oder die Apokalypse Abrahams. Grundzüge apokalyptischen Denkens finden sich jedoch auch in biblischen Texten, vor allem in den späteren Ergänzungen der prophetischen Bücher Jesaja und Sacharja. Im Neuen Testament sind z.B. die Motive des Reiches Gottes, des Endgerichts und der allgemeinen Totenauferstehung der Apokalyptik entlehnt oder mit Motiven der Apokalyptik ergänzt. Das neutestamentliche Denken unterscheidet sich allerdings an vielen wichtigen Punkten von der Apokalyptik: ˘ Spekulationen über den Zeitpunkt des Kommens der neuen Welt werden zurückgewiesen. ˘ Die Gegenwart wird nicht einfach als schlecht, sündig und vorläufig abgewertet, sondern sie ist auch der Ort, an dem die frohe Botschaft (Evangelium) vom Kommen Gottes für alle verkündet wird. ˘ Die Christen werden angesichts dieser frohen Botschaft auf ethisches Handeln verpflichtet (Bergpredigt). ˘ Die wahre Wirklichkeit Gottes ist im Evangelium und im Liebeshandeln der Gemeinde bereits jetzt präsent und sieht ihrer Vollendung entgegen. ˘ Diese besondere Spannung zwischen dem „schon jetzt“ präsenten guten Willen Gottes und der „noch nicht“ eingetretenen Vollendung des Reiches Gottes macht die Besonderheit der neutestamentlichen Texte aus. Man nennt diese Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“ neutestamentliche Eschatologie. Das Handeln der Christen

277

Apokalyptik in der Bibel

Die

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Li t e r a t u r

im Horizont dieser Spannung (Feindesliebe, Rechtsverzicht, Besitzverzicht) ist von der Vorwegnahme der Kennzeichen des Reiches Gottes geprägt; sie ist „eschatologische Ethik“. Das Danielbuch und die Johannesoffenbarung sind die biblischen Schriften, die am stärksten von der Apokalyptik geprägt sind. Beide Texte sind wiederum auch Sonderphänomene innerhalb der apokalyptischen Literatur. Das Danielbuch verbindet klassische Formen apokalyptischen Redens (Visionen von der Abfolge der Reiche in Dan 2 und 7) mit Gattungen der Weisheitsliteratur, so die Daniellegenden in Dan 3-6. Die Johannesoffenbarung ist im eigentlichen Sinne gar keine Apokalypse, obwohl sie die einzige erhaltene Schrift ist, die sich ausdrücklich als apokalypsis bezeichnet. Sie ist allerdings nicht pseudonym und behauptet nicht von einer Figur der Vorzeit zu stammen. Sie enthält zwar apokalyptische Formen (Thron- und Himmelsvisionen, Endzeitvision usw.), ist aber letztlich ein Brief einer geschichtlichen Gestalt (Johannes auf Patmos) an die Gemeinden Kleinasiens. Die Distanz der biblischen Schriften zu den Grundansichten der Apokalyptik beruht wohl darauf, dass die Welt als gute Schöpfung Gottes verstanden wird und deswegen der radikale Dualismus zwischen der ausschließlich schlechten Gegenwart und der guten Zukunft nicht unverändert übernommen werden konnte.

14.2 | Das Buch des Propheten Daniel 14.2.1 |

Einführung Das Danielbuch berichtet vom Ergehen und von den Visionen des Israeliten Daniel im babylonischen Exil am Hofe der babylonischen Könige. Daniel wird von Gott geschützt und zum Dank für seine unbeirrbare Frömmigkeit mit besonderen Eigenschaften ausgestattet, die ihn vor der Willkür der Babylonier schützen. So wird das Buch als Ganzes zum Zeugnis der Überlegenheit des Gottes Israels und seines Volkes über die Götzen der anderen Völker. Die Texte bekommen dadurch einen gewissen propagandistischen Zug. Es lassen sich zunächst die Erzählungen oder Legenden (1-6), die von Daniel in der dritten Person sprechen, und die Visionen (7-12) oder Eigenberichte auseinander halten, in denen die 1. Person als Erzählperspektive gewählt wird. Sprachlich fällt auf, dass Dan 2,4b-7,28 in Aramäisch geschrieben sind, während der Eingangsteil 1,1-2,4a und die Visionen 8,1-12 in Hebräisch abgefasst sind. Auch die Legenden sind nicht ein-

Da s B u ch

de s

P r op h e t e n Da n ie l

279

heitlich gestaltet. In 1,6 ist Daniel ein gemeinsam mit Jojakim aus Israel Deportierter, der eine besondere Erziehung am babylonischen Hof erhalten soll (1,4f). In 2,25 tritt er als ein Unbekannter aus der Gruppe der Deportierten auf, der sich erst durch die Traumdeutung bekannt macht. Das Danielbuch ist somit das Resultat eines vielschichtigen Wachstumsund Ergänzungsvorgangs.

Gliederung 1 2 3-6 7 8-12

| 14.2.2

Frömmigkeit und Weisheit Daniels und seiner Freunde Daniel deutet den Traum Nebukadnezars (vier Weltreiche) Legenden um Daniel und um seine Freunde Daniel träumt von den vier Tieren und dem Menschensohn Weitere Visionen Daniels

Inhalt a) Legenden Kapitel 1 berichtet vom Schicksal einiger Israeliten, die ausgewählt wurden, um am babylonischen Königshof Ämter zu übernehmen. Am Königshof angekommen, weigern sich Daniel und seine drei Freunde, die Speise der Babylonier anzunehmen. Sie ernähren sich stattdessen ausschließlich von Gemüse und Wasser (1,12). Dennoch werden sie schöner und klüger als die anderen Zöglinge am königlichen Hof, Dan 1,20 (L): „Und der König fand sie in allen Sachen, die er sie fragte, zehnmal klüger und verständiger als alle Zeichendeuter und Weisen in seinem ganzen Reich.“ Als Nebukadnezar einen Traum träumt, in dem eine Statue auf tönernen Füßen durch einen Stein zerstört wird (2,31-35), ist nur Daniel in der Lage, diesen Traum zu deuten. In den Daniellegenden (Dan 3-6) zeigt sich immer wieder, dass Gott der Herr ist. Seine Herrschaft erstreckt sich auch auf die Israeliten unter fremder politischer Herrschaft. So bewährt sich die Macht Gottes an den drei Männern im Feuerofen (3), gegenüber den gotteslästerlichen Beschimpfungen durch Nebukadnezar und Belsazar (4-5) und schließlich gegenüber dem Perserkönig Darius, der Daniel in die Löwengrube werfen lässt (6). Die Legenden zeigen, dass Israeliten auch in fremder Umgebung erfolgreich sein können, weil Gott ihnen individuell beisteht. b) Visionen Die Visionen gehen über die Sichtweise der Legenden noch hinaus. Ihnen genügt es nicht, dass ein frommer Israelit auch unter fremder

| 14.2.3

Die

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Li t e r a t u r

Herrschaft erfolgreich sein kann. Sie wollen die Herrschaft Gottes als endzeitliches Reich „sehen“, d.h. wirklich erfahren. In diesem Reich soll wieder Israel herrschen, zumindest die „Weisen“ Israels. In Kapitel 2 deutet Daniel einen Traum Nebukadnezars, dessen Inhalt in enger Beziehung zur Vision in Dan 7 steht. Die Vision in Dan 7 ist ein Traum Daniels. Er schreibt diesen Traum und seine Deutung auf. Im Erzählteil und in den Visionen begegnet die gleiche Zweiteilung. Der Traum- bzw. Visionsschilderung folgt die Deutung. Im Traum offenbart Gott dem Träumenden seine Zukunft oder den hintergründigen Sinn seiner Gegenwart in verschlüsselter, also deutungsbedürftiger Form. Die Deutung wird von einem „Weisen“ übernommen. Der „Weise“ ist in biblischer Sicht der fromme Israelit, der durch seine richtige Deutung auch Fremdvölker von der Fähigkeit des Gottes Israels beeindruckt. Im Rahmen der Vision von Dan 7 wird eine Gestalt „wie eines Menschen Sohn“ erwähnt. Diese Vision des Menschensohns in 7,13b wird im Neuen Testament aufgegriffen und mehrfach zitiert, z.B. Mk 14,62; Lk 21,27. In den synoptischen Evangelien bezeichnet sich Jesus selbst als Menschensohn. Er spricht aber auch in dritter Person von dem kommenden, dem zukünftigen Menschensohn, der im Gericht Gottes eine Funktion als Fürsprecher und Richter ausüben wird. Die Visionen in Kapitel 8-12 befassen sich mit dem Kommen des Reiches Gottes. Geheimnisvolle und verschlüsselte Aussagen deuten das Weltgeschehen so, dass eine Entwicklung hin zur Herrschaft Gottes deutlich wird. Das ist das „Ende“ der Weltgeschichte, die „letzte Zeit“ (12,9).

Menschensohn

14.2.4 |

Lektüre Von den zwölf Kapiteln des Danielbuches werden die Kapitel 1-7 zur Lektüre empfohlen. Erzähltexte Die Erzählung von Belsazars Gastmahl (Dan 5) und von Daniel in der Löwengrube (Dan 6) sollten erzählt werden können. 20. Belsazars Gastmahl (Dan 5) 21. Daniel in der Löwengrube (Dan 6)

14.2.5 |

Wichtige Texte ˘ Dan 2,31-35 (E) Traum Nebukadnezars: Du, o König, schautest: Und siehe, ein großes Bild! Dieses Bild war gewaltig und sein Glanz außergewöhnlich; es stand vor dir, und sein Aussehen war furchtbar. Die-

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ses Bild, sein Haupt war aus feinem Gold, seine Brust und seine Arme aus Silber, sein Bauch und seine Lenden aus Bronze, seine Schenkel aus Eisen, seine Füße teils aus Eisen und teils aus Ton. Du schautest, bis ein Stein losbrach, und zwar nicht durch Hände, und das Bild an seinen Füßen aus Eisen und Ton traf und sie zermalmte. Da wurden zugleich das Eisen, der Ton, die Bronze, das Silber und das Gold zermalmt, und sie wurden wie Spreu aus den Sommertennen; und der Wind führte sie fort, und es war keinerlei Spur mehr von ihnen zu finden. Und der Stein, der das Bild zerschlagen hatte, wurde zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde. ˘ Dan 5,1-6.24-30 (E) Belsazars Gastmahl: Der König Belsazar machte seinen tausend Gewaltigen ein großes Mahl, und vor den Tausend trank er Wein. Belsazar befahl unter dem Einfluss des Weins, die goldenen und die silbernen Gefäße herbeizubringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem weggenommen hatte, damit der König und seine Gewaltigen, seine Frauen und seine Nebenfrauen daraus tränken. Da brachte man die goldenen Gefäße, die man aus dem Tempel des Hauses Gottes in Jerusalem weggenommen hatte; und der König und seine Gewaltigen, seine Frauen und seine Nebenfrauen tranken daraus. Sie tranken Wein und rühmten die Götter aus Gold und Silber, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein. In demselben Augenblick kamen Finger einer Menschenhand hervor und schrieben dem Leuchter gegenüber auf den Kalk der Wand des königlichen Palastes; und der König sah die Hand, die schrieb. Da veränderte sich die Gesichtsfarbe des Königs, und seine Gedanken erschreckten ihn, und seine Hüftgelenke erschlafften, und seine Knie schlugen aneinander. (Daniel wird geholt und deutet:) Da wurde von ihm diese Hand gesandt und diese Schrift geschrieben. Und dies ist die Schrift, die geschrieben wurde: Mene, mene, tekel upharsin. Dies ist die Deutung des Wortes: Mene – Gott hat dein Königtum gezählt und macht ihm ein Ende. Tekel – du bist auf der Waage gewogen und zu leicht befunden worden. Peres – dein Königreich wird zerteilt und den Medern und Persern gegeben. Daraufhin gab Belsazar Befehl, und man bekleidete Daniel mit Purpur, dazu mit einer goldenen Kette um seinen Hals; und man rief über ihn aus, dass er der Drittmächtigste im Königreich sei. In derselben Nacht wurde Belsazar, der chaldäische König, getötet. ˘ Dan 7,9-13 (E) Menschensohnvision: Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und einer, der alt war an Tagen, sich setzte. Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle, sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer. Ein Feuerstrom floss und ging von ihm aus. Tausend mal Tausende

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Li t e r a t u r

dienten ihm, und zehntausend mal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet. Dann schaute ich wegen der Stimme der großen Worte, die das Horn redete: ich schaute, bis das Tier getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben wurde. Und den übrigen Tieren wurde ihre Herrschaft weggenommen, und Lebensdauer wurde ihnen gegeben bis auf Zeit und Stunde. Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn. Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, dass es nicht zerstört wird.

14.3 | Die Offenbarung des Johannes 14.3.1 | Abb. 20 | Die sieben Städte der Sendschreiben.

Verfolgungen

Einführung Die Johannesoffenbarung berichtet in der Rahmenerzählung vom Schicksal des auf der Insel Patmos gefangen gehaltenen Johannes. Er empfängt eine Offenbarung (gr. apokalypsis) Jesu Christi (1,1). Er wird beauftragt, die Inhalte der Offenbarung den sieben Gemeinden Kleinasiens mitzuteilen (1,19f). Die Siebenzahl (Vollständigkeit, Fülle) deutet an, dass mit ihr die gesamte Kirche gemeint ist. Dennoch ist von sieben konkreten Gemeinden die Rede: Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea. Die Gemeinden liegen allesamt in Kleinasien. In den sieben Sendschreiben an die Gemeinden wird die Gemeindesituation recht detailliert beschrieben. Der Verfasser dieser Texte muss konkrete Informationen über die Verhältnisse dort haben. Es werden überwiegend innere Spannungen geschildert, die ihre Ursache durchaus auch in der Beziehung zur Umwelt haben, aber von energischen Verfol-

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gungen ist hier nicht die Rede. Im Visionsteil hingegen wird mehrfach auf Verfolgungen, Folter und Hinrichtungen hingewiesen (6,9-11; 7,14 u.a.). Es scheint so, dass im Visionsteil Motive und Textzusammenhänge verarbeitet sind, die in Verfolgungssituationen jüdischer Gemeinschaften ausgebildet wurden. Diese werden nun konsequent auf die Christusgemeinschaft bezogen. Christus ist das „Lamm“ (5,6.12f; 6,1 u.a.), das bereits im „Himmel“ die Herrschaft angetreten hat und am Ende der Zeiten im „neuen Jerusalem“ gemeinsam mit Gott herrschen wird (21,22). Die Kritik an Rom – die Stadt Rom wird mit der Chiffre „Babylon“ bezeichnet – ist scharf (17,1-6). Man datiert deswegen die Entstehung der Schrift meist in die späten Jahre der Herrschaft des römischen Kaisers Domitian (81-96 n.Chr.), der sich als dominus et deus (Herr und Gott) anreden und dann auch verehren ließ.

Gliederung 1,1-20 2,1-3,22 4,1-22,5 4 5,1-8,1 8,2-20,15 20,1-15 21,1-22,5 22,6-21

| 14.3.2

Rahmenerzählung (Johannes auf Patmos) Die sieben Sendschreiben an die Gemeinden Kleinasiens Die Offenbarung der Zukunft (Visionen) Die Thronvision Das Buch mit den sieben Siegeln (Endzeitwehen) Die Endereignisse Das tausendjährige Reich, Totenauferstehung und Endgericht Das himmlische Jerusalem Rahmenerzählung

Inhalt Offb 1,1-20 Rahmenerzählung (Johannes auf Patmos): Die Rahmenerzählung wird als Ich-Bericht vorgetragen 1,1-8 (9ff) und 22,6-21. Johannes ist auf Patmos und empfängt den Auftrag, eine Offenbarung Jesu Christi niederzuschreiben und das Buch an die Gemeinden zu senden (1,11; 22,9 und 18f). Diesen Auftrag erhält er im Rahmen einer ersten Christusvision (1,9-20). Offb 2,1-3,22 Die sieben Sendschreiben an die Gemeinden Kleinasiens: Die sieben Sendschreiben werden an die „Engel der Gemeinden“ geschickt. Die Engel stehen für die wahre Wirklichkeit der Gemeinde. Die gegenwärtige Situation der Gemeinden bleibt noch hinter dem Glanz ihrer himmlischen Repräsentanten zurück. Die Briefe von Christus und die Zusagen in die-

| 14.3.3

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sen Briefen sind aber bei den Engeln der Gemeinde angekommen, dort wirken sie bereits. Dieses Wissen über die himmlischen Zustände teilt die Johannesoffenbarung den Gemeinden mit, die in dem himmlischen Geschehen ihre bereits beschlossene zukünftige Wirklichkeit erkennen. Die Briefe folgen einem gemeinsamen Schema: Prüfung der Werke der Gemeinde, Mahnung vor Irrlehrern, innere und äußere Probleme, Zusage oder Mahnung.

Das neue Jerusalem

Offb 4,1-22,5 Die Offenbarung der Zukunft (Visionen): Mit der Thronvision in Kapitel 4 beginnt der Visionsteil. Das „Buch mit den sieben Siegeln“ (5,18,1) eröffnet die Schilderung der endzeitlichen Ereignisse, der Endzeitwehen. Das Öffnen jedes Siegels löst himmlische Ereignisse aus, die auf die Erde übergreifen. Nach dem Öffnen des siebten Siegels ist Stille. Die „sieben Posaunen“ und die von ihnen eingeleiteten Geschehnisse (8,2-14,20) steigern die innere Dramatik des Berichts durch die Aufnahme narrativer Elemente. Es treten weitere endzeitliche Figuren auf: Weib, Drache, Michael, Satan, Märtyrer, Engel. Die „sieben Zornesschalen“ und die mit ihnen verbundenen Ereignisse (15,1-20,5) lassen den Eindruck einer Wiederholung entstehen. In Kapitel 17 und 18 wird der Protest gegen Rom auf die Spitze getrieben: Es wird Gericht über die Hure Babylon (= Rom) gehalten, die trunken vom Blut der Bekenner (Märtyrer) ist. Wie ein Mühlstein im Meer versinkt, wird die große Stadt vergehen, weil in ihr die Heiligen geschlachtet wurden. Nun tritt der endzeitliche Messias auf (19,11-21). Der Drache (Satan) wird in der Unterwelt eingesperrt und damit beginnt das tausendjährige Reich. Es folgt das Gericht über die Toten, die Auferstehung der Märtyrer, die allgemeine Totenauferstehung und das Endgericht (20,1-15). Alles Böse ist ausgerottet. Alle Verachtung gegen Gott mit dem Tod gesühnt. Die Heiligen sind in ihre Funktionen eingesetzt. Nun kommt die neue Schöpfung (21,1-22,5), das Gottesreich als „neues Jerusalem“. Die Stadt wird in Anknüpfung an die Jerusalemvision aus Ez 40-48 (vgl. 7.4.3) und Sach 14 geschildert. Die genannten Größenverhältnisse haben symbolische Bedeutung. In dieser Stadt werden kein Leid und kein Unrecht mehr sein, denn in ihrer Mitte herrschen Gott selbst und das Lamm (Jesus). Ein Tempel wird nicht mehr benötigt, weil die unmittelbare Präsenz Gottes ein Gotteshaus überflüssig macht. Offb 22,6-21 Rahmenerzählung: Die Rahmenerzählung unterstreicht nochmals die Zuverlässigkeit und die Bedeutung der Weissagungen des Visionsteils. Das Buch endet vor dem Gnadengruß mit den Worten des frühchristlichen Gebetsrufs: „Amen, ja, komm, Herr Jesus!“

Die Offe n b a r u n g

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Lektüre

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| 14.3.4

Von den 22 Kapitel der Johannesoffenbarung werden die folgenden zehn zur Lektüre empfohlen: 1-5; 13; 17; 20-22.

Erzählungen

| 14.3.5

Keiner der Texte eignet sich als Erzähltext, bestenfalls die Situation des auf Patmos inhaftierten Johannes kann zu einer Erzählung ausgestaltet werden, mit der die Situation der verfolgten Jesusanhänger veranschaulicht wird.

Wichtige Texte ˘ Offb 1,8 (L) A und O: Ich bin das Alpha und das Omega (das A und das O), spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige. ˘ Offb 17,1-6 (E) Babylon, Rom: Und es kam einer von den sieben Engeln, welche die sieben Schalen hatten, und redete mit mir und sprach: Komm her, ich will dir das Gericht über die große Hure zeigen, die an vielen Wassern sitzt, mit der die Könige der Erde Unzucht getrieben haben; und die Bewohner der Erde sind trunken geworden von dem Wein ihrer Unzucht. Und er führte mich im Geist hinweg in eine Wüste; und ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das voller Lästernamen war und sieben Köpfe und zehn Hörner hatte. Und die Frau war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und Edelgestein und Perlen, und sie hatte einen goldenen Becher in ihrer Hand, voll Greuel und Unreinheit ihrer Unzucht; und sie hatte an ihrer Stirn einen Namen geschrieben, ein Geheimnis: Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Greuel der Erde. Und ich sah die Frau trunken vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu. Und ich wunderte mich, als ich sie sah, mit großer Verwunderung. ˘ Offb 21,1-5 (E) Das neue Jerusalem: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel von Gott herabkommen, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her sagen: Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht

| 14.3.6

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mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein: denn das Erste ist vergangen. Und der, welcher auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu.

14.4 | Leitfaden 14 Ziel der 14. Lerneinheit ist es, Sie anhand des Buches Daniel und der Johannesoffenbarung, also je einem Text des AT und NT, in die apokalyptische Literatur einzuführen. Die Erarbeitung dieses Themas ist in drei Lernschritte unterteilt. Schritt 1: Einführung in die apokalyptische Literatur Lesen Sie 14.1 „Einführung in die apokalyptische Literatur“. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Auf welche Weise empfängt der Apokalyptiker sein Wissen? ˘ Erklären Sie den Begriff „Eschatologie“. Schritt 2: Daniel Lesen Sie 14.2 „Das Buch des Propheten Daniel“ und die Textstellen: [7] Dan (12) 1-7. Markieren Sie sich die Erzähltexte 20. Belsazars Gastmahl (Dan 5) 21. Daniel in der Löwengrube (Dan 6) Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ Was erfahren Sie über die Biographie Daniels? ˘ Wie ernähren sich Daniel und seine drei Freunde? ˘ Schildern sie den Traum Nebukadnezars und seine Deutung. ˘ Was erfahren sie über den „Menschensohn“? Schritt 3: Johannesoffenbarung Lesen Sie 14.3 „Die Offenbarung des Johannes“ und die Textstellen: [10] Offb (22) 1-5; 13; 17; 20-22. Arbeitshinweise nach der Lektüre ˘ An welche Gemeinden gehen die sieben Sendschreiben? ˘ Was wird mit dem „Engel der Gemeinde“ bezeichnet? ˘ Welche Eigenschaften hat das Neue Jerusalem?

Li t e r a t u r

| 14.5

Literatur Backhaus, Knut (Hg.): Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung, Stuttgart 2001 (SBS 191). Brokoff, Jürgen (Hg.): Apokalyptik in Antike und Aufklärung, Paderborn u.a. 2004 (Studien zu Judentum und Christentum). Grimm, Michael Alban: Lebensraum in Gottes Stadt. Jerusalem als Symbolsystem der Eschatologie, Münster 2007 (Jerusalemer theologisches Forum 11). Huber, Konrad: Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9-20 und Offb 14,14-20 und die Christologie der Johannesoffenbarung, Münster 2007 (NTA 51). Jochum-Bortfeld, Carsten: Die zwölf Stämme in der Offenbarung des Johannes. Zum Verhältnis von Ekklesiologie und Ethik, München 2000 (Münchner theologische Beiträge).

287

Keel, Othmar/ Staub, Urs: Hellenismus und Judentum. Vier Studien zu Daniel 7 und zur Religionsnot unter Antiochus IV., Freiburg/ Göttingen 2000 (OBO 178). Kowalski, Beate: Die Rezeption des Propheten Ezechiel in der Offenbarung des Johannes, Stuttgart 2004 (SBB 52). Roose, Hanna: „Das Zeugnis Jesu“. Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes, Tübingen 2000 (TANZ 32). Santoso, Agus: Die Apokalyptik als jüdische Denkbewegung. Eine literarkritische Untersuchung zum Buch Daniel, Marburg 2007. Tóth, Franz: Der himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktion und Sinnbildung in der Johannesoffenbarung, Leipzig 2006 (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 22).

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15 | Wissensstandards in Bibelkunde

Standards

Prüfungsordnungen

In der bildungspolitischen Debatte wird intensiv über Standards diskutiert. Bildungsstandards sollen gewährleisten, dass im Rahmen eines Bildungsabschnitts unverzichtbare Kompetenzen erworben werden und am Ende über ein klar festgelegtes Grundwissen verfügt wird. In manchen Bundesländern (z.B. Baden-Württemberg) sind solche Bildungsstandards für die Unterrichtsfächer Ev. und Kath. Religion bereits festgelegt. In diesem Rahmen werden auch biblische Texte bestimmt, die als verpflichtende Unterrichtsgegenstände zum sicheren Grundwissen der Schülerinnen und Schüler gehören sollen. Dieser Prozess wird auch Auswirkungen auf die universitäre Lehre für Lehramtsstudiengänge haben. Im universitären Bereich ist der Begriff Wissensstandards angemessener. Auch die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge müssen die Inhalte ihrer Module und die erworbenen Kompetenzen und Kenntnisse recht genau definieren. Oftmals sind aber die öffentlich zugänglichen Festlegungen der Inhalte immer noch recht allgemein. Hier eine Auswahl der neueren Prüfungsordnungen: ˘ Universität Wuppertal, Bachelor-Studiengang Ev. Theologie: „Grundkenntnisse zu Aufbau und Inhalt des Alten Testaments und seiner wichtigsten Bücher“, „fundierter Überblick über die Texte des Neuen Testaments“. ˘ Humboldt-Universität Berlin, Prüfungsordnung für Bibelkunde: „die zum ordnungsgemäßen Studium der Evangelischen Theologie gehörenden Kenntnisse von Aufbau und Inhalt der Schriften des Alten und Neuen Testaments in deutscher Übersetzung“. ˘ Universität München, Prüfungsordnung Bibelkunde: „Gegenstand der Prüfung ist ein Gesamtüberblick über Inhalt und Aufbau der biblischen Bücher anhand des deutschen Textes, wobei in der Regel die Kenntnis der Inhalte nach Kapiteln bzw. Kapitelgruppen sowie in thematischen Längs- und Querschnitten erwartet wird.“ ˘ Universität Jena, Bibelkundeprüfungsordnung: „Gegenstand der Prüfung ist ein Gesamtüberblick über Inhalt und Aufbau der biblischen Bücher anhand des deutschen Textes. In der Regel wird die Kenntnis

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der Inhalte nach Kapiteln bzw. Kapitelgruppen erwartet. Es besteht die Möglichkeit, Schwerpunkte zu vereinbaren. Bei der Prüfung von Schwerpunkten sind differenzierte Kenntnisse in dem gewählten biblischen Textbereich nachzuweisen“. ˘ Universität Tübingen, Prüfung in Bibelkunde: „Gesamtüberblick über Inhalt und Aufbau der biblischen Bücher anhand des deutschen Bibeltextes. Dabei wird in der Regel die Kenntnis der zentralen Inhalte nach Kapiteln bzw. Kapitelgruppen erwartet“. Bibelkunde ist Prüfungsfach in folgenden Ausbildungsgängen: ˘ Diakonisch-theologische und religionspädagogische Ausbildungsstätten (Fachhochschulen). ˘ Kirchenmusikalische Ausbildungsstätten (Musikhochschulen, Kirchenmusikschulen u.ä.). ˘ Lehramtsstudium für das Fach Ev. Religion als Haupt-, Neben- oder Didaktikfach. ˘ Magisterstudium oder Masterstudiengang Ev. Theologie im Nebenund Hauptfach. ˘ Magisterstudium oder Masterstudium Jüdische Studien, Religionswissenschaft. ˘ Diplomtheologie oder Kirchliches Examen. Bei der Durchführung der Prüfungen haben die Lehrenden meist einen gewissen Spielraum. Oftmals wird den Prüflingen angeboten, sich auf bestimmte biblische Bücher zu konzentrieren und dort Spezialkenntnisse nachzuweisen. Die Angaben der Prüfungsordnungen geben nur einen Anhalt, welche Kenntnisse erwartet werden. Es ist deswegen sinnvoll, sich mit den jeweils geltenden Prüfungsordnungen vertraut zu machen und das Gespräch mit den Prüfern zu suchen. Dennoch ist es möglich, Wissensstandards in Bibelkunde zu definieren. Das Studium eines Faches, das Grundwissen in Bibelkunde erfordert, und die Ausübung eines Berufes, der ebenfalls ein solches Grundwissen voraussetzt, definieren Kernbereiche des bibelkundlichen Wissens, die sich auch genauer bestimmen lassen. Die folgenden Lernvorschläge sollen diesen Erwartungen gerecht werden. Sie zielen auf das Verständnis des biblischen Kanons, auf ein gutes Überblickswissen, auf genauere Kenntnisse in den Kernbereichen der biblischen Überlieferung und auf die biblische Gesamterzählung. Es werden die biblischen Bücher und Inhalte hervorgehoben, die in einem Studium und bei der Aus-übung eines theologischen Berufs von besonderer Bedeutung sind. Im Folgenden sind die vier genannten Wissensstandards genauer definiert:

Prüfungen

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1. Kanon: Aufbau des biblischen Kanons, reformatorischer Kanon (Luther, Zürcher), katholischer Kanon (Septuaginta, Einheitsübersetzung), jüdischer Kanon (Tenach), Verhältnis zum Qur’an (Kapitel 1). 2. Überblickswissen: Inhalt aller biblischen Bücher in Stichworten (Kapitel 1-14). 3. Kernbereich: genauere Kenntnis ausgewählter biblischer Bücher, d.h. Gliederung und Inhalt mit Angabe der Kapitel oder Kapitelgruppen, wichtige Texte: a) Pentateuch (Kapitel 2): Gen, Ex, Lev, Num, Dtn b) Geschichtsbücher (Kapitel 3): Josua, Richter, Samuel, Könige c) Propheten (Kapitel 6): Hosea, Amos, Micha, Jesaja 1-39 (bes. Prophetenerzählungen, Zeichenhandlungen, wichtige Texte) d) Evangelien (Kapitel 8-11): Matthäus, Markus, Lukas, Johannes (bes. jeweiliges Sondergut, Wundergeschichten, Gleichnisse) e) Echte Paulusbriefe (Kapitel 13.1-7): Röm, 1. und 2. Korinther, Galater, Philipper, 1. Thessalonicher, Philemon. 4. Die biblische Gesamterzählung: Die folgenden fünfzig Geschichten bilden eine Auswahl wichtiger Einzelerzählungen. Diese Auswahl soll gleichzeitig den Erzählzusammenhang der ganzen Bibel erschließen. Sie sind bereits in den einzelnen Abschnitten der Bibelkunde als Erzähltexte hervorgehoben. Sie sollen nacherzählt werden können: 1. Weltschöpfung (Gen 1,1-2,4a) 2. Menschenschöpfung und Paradieserzählung (Gen 2,4b-3,24) 3. Kains Brudermord (Gen 4,1-16) 4. Sintflut (Gen 6-8) 5. Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) 6. Gottes Bund mit Abraham (Gen 15) 7. Opferung Isaaks (Gen 22) 8. Knechtschaft der Israeliten in Ägypten, Geburt und Rettung des Moses (Ex 1-2) 9. Moses am Dornbusch (Ex 3) 10. Tötung der Erstgeburt, Einsetzung des Passah und Rettung am Schilfmeer (Ex 12-15) 11. Sinaiaufenthalt, Zehn Gebote, goldenes Kalb (Ex 19f; 32) 12. Eroberung Jerichos (Jos 2 und 6) 13. Geburt und Kindheit Samuels (1. Sam 1-3) 14. Salbung Davids (1. Sam 16) 15. David und Goliath (1. Sam 17) 16. Salomos Urteil (1. Kön 3,16-28) 17. Elia am Karmel und Horeb (1. Kön 18,16-19,13)

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18. Wunder Elisas: Ölmehrung, Totenerweckung, wunderbare Speisung (2. Kön 4) 19. Der Prophet Jona (Jona) 20. Belsazars Gastmahl (Dan 5) 21. Daniel in der Löwengrube (Dan 6) 22. Taufe Jesu (Mk 1,9-11) 23. Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1-12) 24. Berufung des Levi und Zöllnermahl (Mk 2,13-17) 25. Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32) 26. Sturmstillung (Mk 4,35-41) 27. Speisung der 5.000 (Mk 6,30-44) 28. Heilung des Bartimäus (Mk 10,46-52) 29. Passionsgeschichte (Mk 11 und 14-16) 30. Geburt und Kindheit des Täufers und Jesu (Lk 1,5-2,52) 31. Jesus in Nazareth (Lk 4,16-30) 32. Auferweckung des Jünglings zu Nain (Lk 7,11-17) 33. Der barmherzige Samariter (Lk 10,25-37) 34. Maria und Martha (Lk 10,38-42) 35. Der reiche Kornbauer (Lk 12,16-21) 36. Das große Abendmahl (Lk 14,15-24) 37. Die drei Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15,1-32) 38. Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14) 39. Zachäus (Lk 19,1-10) 40. Begegnung Jesu mit den Emmausjüngern (Lk 24,13-35) 41. Geburt und Gefährdung des Kindes (Mt 1,18-2,23) 42. Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1-16) 43. Die zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) 44. Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) 45. Die Ehebrecherin (Joh 8,1-11) 46. Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,1-7) 47. Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-46) 48. Fußwaschung (Joh 13,1-20) 49. Die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten (Apg 2,1-41) 50. Die Bekehrung des Paulus vor Damaskus (Apg 9,1-19)

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W ei t e r fü h r e n de Li t e r a t u r h i n w ei s e

Weiterführende Literaturhinweise

Zu allen Fragen der Bibelwissenschaften existieren zahlreiche gute Lehrbücher. Es haben sich Gattungen von Lehrbüchern entwickelt, die sich auf bestimmte Fragestellungen konzentrieren. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Einführungen, Einleitungen und Theologien. Der Gebrauch dieser Begriffe in den Bibelwissenschaften weicht teilweise vom umgangssprachlichen Verständnis ab. a) Einführungen „Einführungen“ haben die Aufgabe, die historischen, geistesgeschichtlichen, kulturellen, sprachlichen und religionsgeschichtlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen darzustellen, aus denen sich die Texte des Alten bzw. des Neuen Testaments entwickelt haben. Altes Testament Albani, Matthias/Rösel, Martin: Altes Testament, Stuttgart 22007. Levin, Christoph: Das Alte Testament, München 3 2006. Rendtorff, Rolf: Das Alte Testament. Eine Einführung, Neukirchen 62001. Schmidt, Werner H.: Einführung in das Alte Testament, Berlin/New York 51995. Neues Testament Bormann, Lukas: Neues Testament, Stuttgart 2003. Köster, Helmut: Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, Berlin/New York 1980. Roloff, Jürgen: Einführung in das Neue Testament, Stuttgart 2003. Theißen, Gerd: Das Neue Testament, München 2 2004. b) Einleitungen „Einleitungen“ behandeln die Entstehung der einzelnen Schriften, deren literarische Eigenart, ihre Sammlung und letztlich die Bildung des Kanons. Es geht um die „W-Fragen“ zu den Schriften des Alten bzw. des Neuen Testaments. „Wer“ (Autor) hat „Wann“ (Abfassungszeit), „Wo“ (Entstehungsort), an „Wen“ (Adressaten), mit „Welchen Vorlagen“ (Quellen und Traditi-

onen), „Was“ (Inhalt und Aufbau der Schrift) geschrieben. Altes Testament Kaiser, Otto: Einleitung in das Alte Testament, Gütersloh 51984. Kaiser, Otto: Grundriss der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, 3 Bd., Gütersloh 1992 und 1994. Schmid, Konrad: Literaturgeschichte des Alten Testaments, Darmstadt 2008. Stendebach, Franz Josef: Einleitung in das Alte Testament, Düsseldorf 2001. Zenger, Erich u.a.: Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart u.a. 72008. Neues Testament Broer, Ingo: Einleitung in das Neue Testament, Darmstadt 2006 Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hg.): Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008. Kümmel, Werner Georg: Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 211983. Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007 (UTB 1830). c) Theologie des Alten Testaments bzw. des Neuen Testaments Eine „Theologie“ hat die Aufgabe, die Beziehung der theologischen Grundgedanken der Schriften des Alten bzw. des Neuen Testaments zueinander und ihre Bedeutung für die Gegenwart herauszuarbeiten. Sie muss dabei sowohl die teilweise widersprüchliche Vielfalt der biblischen Anschauungen wahrnehmen als auch ihre Gemeinsamkeiten und Konvergenzen angemessen deuten. Eine Theologie des Alten Testaments hat zudem mit dem besonderen Problem zu ringen, dass die Schriften des AT Teil der christlichen Bibel und gleichzeitig die „jüdische Bibel“ (tenach) sind. Keine der Schriften des AT ist geschrieben worden, um in einen Gesamtkanon der christlichen Kirche aufgenommen zu werden; und dennoch werden diese Schriften aus einer christlich-theologischen Perspektive interpretiert. Um dieses theologische Problem zu umgehen, nennen sich Arbeiten, die das Werden, das Wesen und die Grundthemen der Religion Israels auf der Basis der Schriften des AT behandeln, ohne ihre

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Stellung im christlichen Kanon zu beachten, oft auch „Religionsgeschichte Israels“. Altes Testament Albertz, Rainer: Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bd., Göttingen 1992 (ATD Erg. 8). Gerstenberger, Erhard S.: Theologien im Alten Testament. Pluralität und Synkretismus alttestamentlichen Gottesglaubens, Stuttgart u.a. 2001. Gunneweg, Antonius H. J.: Biblische Theologie des Alten Testaments. Eine Religionsgeschichte Israels in biblisch-theologischer Sicht, Stuttgart u.a. 1993. Kaiser, Otto: Der Gott des Alten Testaments, 3 Bd., Göttingen 1993-2003 (UTB 1747, 2024 und 2392). Preuß, Horst Dietrich: Theologie des Alten Testaments, 2 Bd., Stuttgart u.a. 1991 und 1992. Rad, Gerhard von: Theologie des Alten Testaments, 2 Bd., Gütersloh 101993. Rendtorff, Rolf: Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf, 2 Bd., Neukirchen 1999 und 2001. Schmidt, Werner H.: Vielfalt und Einheit alttestamentlichen Glaubens, 2 Bd., Neukirchen 1995. Schreiner, Josef: Theologie des Alten Testaments, Würzburg 1995.

Neues Testament Berger, Klaus: Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 21995. Gnilka, Joachim: Theologie des Neuen Testaments, Freiburg u.a. 1999. Hahn, Ferdinand: Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd., Tübingen 22005. Lohse, Eduard: Grundriss der neutestamentlichen Theologie, Stuttgart 51998. Schnelle, Udo: Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2007. Strecker, Georg: Theologie des Neuen Testaments, Berlin/New York 1996. Stuhlmacher, Peter: Biblische Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd., Göttingen 32005 und 1999. Wilckens, Ulrich : Theologie des Neuen Testaments 1. Geschichte der urchristlichen Theologie, 5 Teilbd., Neukirchen 2002 -2007.

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G los s a r

Glossar

Apokalyptik: (gr. apokalypsis, Offenbarung) nur literarisch fassbare Strömung im antiken Judentum, die den Zustand der Welt und Israels als so zerrüttet ansieht, dass eine totale Vernichtung und Neuschöpfung der Welt durch Gott zwingend ist. Christologie: Lehre von der Bedeutung Jesu. Theologische Reflexion über die Frage, inwiefern Jesus wahrer Mensch und zugleich wahrer Gott ist. Christus: (gr. chrio, salben) der Gesalbte. Übersetzung des hebr. Messias. Bezeichnet eine von Gott erwählte Rettergestalt für Israel. Deutero-: (gr. deuteros, andere, zweite) bezeichnet als Präfix eine weitere, zweite Version eines Textes, einer Gattung (Deuteronomium: zweites Gesetz) oder einen anderen Verfasser als den genannten (Deuterojesaja: zweiter Jesaja). Diaspora: (gr. diaspora, Ausstreuung) bezeichnet den Teil des Judentums, der außerhalb Palästinas lebt. Nach dem Untergang des Südreiches Juda wurden in mehreren Bewegungen Teile der jüdäischen Oberschicht aus Judäa weggeführt. Die bedeutendste Gruppe war die im Zweistromland angesiedelte babylonische Diaspora oder babylonische Gola. (hebr. gola, Wegführung). Eschatologie: (gr. eschatos, letzter) traditionell die Lehre von den letzten Dingen (allgemeine Totenauferstehung, jüngstes Gericht usw.), heute die Frage nach der Weise der Präsenz des Göttlichen in der Weltwirklichkeit. Essener: (Etymologie ungeklärt) eine Mitte des 2. Jh. v.Chr. entstandene Gruppierung, die in Abgrenzung von Pharisäern und Sadduzäern an der vormakkabäischen Fassung des jüdischen Religionsgesetzes festhielt und die eigene Gemeinschaft nach rituell strengen und ethisch anspruchsvollen Regeln ordnete. Evangelium: (gr. euaggelion, gute Botschaft) Das Substantiv wird in der Propaganda des Kaisers Augustus eingesetzt, um gute Nachrichten aus dem Hause des römischen Kaisers zu bezeichnen. Das Verb euaggelizomai, frohe Botschaft verkünden, begegnet in der Septuaginta (z.B. Jes 52,7; 61,1) und meint dort, die Ankündigung des heilvollen Eingreifens Gottes.

Galiläa: Gebiet an der westlichen Seite des Sees Genezareth, das um 80 v.Chr. von dem Hasmonäer Alexander Jannäus erobert wurde und deren Bevölkerung seitdem zum palästinischen Judentum zählt. Gleichnis: Gattung der uneigentlichen Rede. Die ntl. Gleichnisse sind ausführliche Bildworte oder dramatische Erzählungen, die anschauliche Sachverhalte (z.B. Saat, Ernte oder menschliche Handlungen) vorstellen und die Zuhörer/Leser zu einem Urteil über unanschauliche Sachverhalte (Reich Gottes, Ethik) auffordern. Hellenismus: als historische Epoche bezeichnet der Begriff die Zeit der Nachfolgereiche des Alexanderreiches von ca. 330-30 v.Chr. Die kulturelle Bedeutung des Hellenismus geht aber weit über das Jahr 30 v.Chr. hinaus. hellenistische Philosophie: Philosophie der hellenistischen Epoche (330-30 v.Chr.), die die Einsichten der verschiedenen philosophischen Schulen (Platonismus, Aristotelismus, Stoa) miteinander verbindet. Hoher Rat, Synhedrion: (gr. Ratssitzung) Versammlung von Volksvertretern zur Beratung öffentlicher Angelegenheiten. JHWH: die vier Buchstaben (Tetragramm) des biblischen Gottesnamens. Da das Hebräische eine Konsonantensprache ist, fehlen die Vokale, die zur Aussprache notwendig sind. Kanon: (gr. kanon, Maßstab, Richtschnur) Die Zusammenstellung der Schriften des Alten und Neuen Testaments nennt man biblischen Kanon. In einem Kanon sind die Schriften zusammengefasst, die von einer religiösen Gemeinschaft als bindend betrachtet werden. Außerhalb des Kanons verbleiben die nicht-kanonischen Schriften, etwa die Apokryphen und Pseudepigraphen zum Alten Testament; vgl. Pseudepigraph. katholisch: (gr. katholikos, allgemein) bezeichnet im frühen Christentum die tatsächliche oder behauptete Mehrheitsform der rechtgläubigen Kirche. Konsonantenschrift (jhwh, rhm u.a.): Die semitischen Sprachen kennen in ihrem Alphabet nur Konsonanten. Die Vokale sind im Lesen zu ergänzen. Die ursprüngliche Aussprache ist unsicher bis unbekannt, vgl. Tetragramm.

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Logienquelle: (gr. logion, Spruch) auf der Basis der Zweiquellentheorie zu den synoptischen Evangelien aus den Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk im Nicht-Markusstoff rekonstruierter Text. Enthält überwiegend kurze Jesusworte, deswegen Logienquelle bzw. Spruchquelle oder einfach Q. Makkabäer: nach Judas Makkabäus benanntes, später auch nach einem Ahnen namens Hasmon Hasmonäer genanntes Geschlecht, das durch Aufstände gegen die seleukidische Herrschaft (hellenistische Dynastie in Syrien) ab 168 v.Chr. die Macht in Judäa errang (164 v.Chr. Eroberung Jerusalems, 152 v.Chr. Übernahme des Hohepriesteramtes, 104 Königstitel) und bis zur Herrschaft Herodes des Großen 37 v.Chr. innehatte. Messias: s. Christus. Metaphorik, metaphorisch: (gr. metaphorein, übertragen) der Gebrauch von Wörtern in einem Zusammenhang, in dem sie ihre eigentliche Bedeutung verlieren und eine übertragene Bedeutung bekommen, z.B. Gott öffnet seine Hand und sättigt alles, was da lebt (Ps 145, 16). Mythos: (gr. mythos, unglaubliche Legende) eine Erzählung, die Sachverhalte der menschlichen Erfahrung oder des menschlichen Bewusstseins auf übernatürliche Ursachen zurückführt, z.B. die Sterblichkeit des Menschen auf eine Strafe Gottes (1.Kor 15,21f). Neubabylonier: Der neubabylonische König Nabupolassar vernichtete ab 626 v.Chr. das Assyrerreich und schuf die erneute Dominanz eines Großreiches mit der Hauptstadt Babylon über den syrisch-mesopotamischen Raum bis zur Perserherrschaft (539 v.Chr.). Bereits im 2. Jahrtausend v.Chr. (Höhepunkt unter Hammurapi, 1792-1750 v.Chr.) existierte ein babylonisches Großreich (Altbabylonier). Parusie: (gr. parousia, Anwesenheit) Wiederkunft Christi. Passah: Erinnerungsfest an die Herausführung Israels aus Ägypten (Ex 12) am 14. Nissan. Im Mittelpunkt steht das Passahmahl mit Lamm, Mazzen und Bitterkräutern. Zur Zeit Jesu sollte das Passahlamm im Tempel geschlachtet werden, das Passahmahl erfolgte aber in der Familie oder Sippe. Passion: (lat. passio, Leiden) Leiden und Sterben Christi. Passionsgeschichte: Erzählung vom Leiden und Sterben Christi, die ursprünglich selbstständig überliefert wurde.

Pentateuch: (gr. pentateuchos, das Fünfteilige) die fünf Bücher Mose. Daneben gibt es auch Wortschöpfungen wie „Hexateuch“ (Sechsteilige); „Enneateuch“ (Neunteilige) u.ä. Mit dieser Bezeichnung soll die Zusammengehörigkeit der genannten Anzahl von Schriften zum Ausdruck gebracht werden. Perikope: (gr. perikope, das Abgeschnittene) kleinere Texteinheit, die aus dem Gesamttext herausgenommen, gelesen und interpretiert wird. Pharisäer: (aram. parasch, sich absondern) jüdische Frömmigkeitsbewegung, die für die Verankerung der Tora im Alltagsleben eintrat. philologisch, Philologie: (von gr. philologos, Gelehrter) Wissenschaft von der Beschaffenheit und der Bedeutung von Texten. Prophet: (von gr. prophetes, Verkünder und Interpret des göttlichen Willens) Prophetie stellt die Gegenwart in das Licht der vom Propheten angekündigten Zukunft. Die Vorstellung eines bestimmten zukünftigen Ergehens soll auf die Gegenwart wirken z.B. Umkehr, Reue u.ä. Pseudepigraph: (gr. pseudepigraphos, fälschliche Eintragung oder Aufschrift) zahlreiche Schriften des Alten und Neuen Testaments haben Autorenangaben, die historisch unwahrscheinlich und damit pseudepigraph sind, z.B. das Buch Daniel. Im engeren Sinne meint die Bezeichnung „Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments“ die Schriften, die nicht in den alttestamentlichen Kanon aufgenommen wurden; vgl. Kanon. Qumran: Ort am Toten Meer, der durch sensationell umfangreiche und gut erhaltene Handschriftenfunde aus der Zeit vor 70 n.Chr. in nahegelegenen Höhlen berühmt geworden ist. Dort lebte eine religiöse Gemeinschaft mit strengen Gemeinschaftsregeln, die zu den in ganz Palästina verbreiteten Essenern in Beziehung stand. Redaktionsgeschichte: exegetische Methode, die nach der literarischen Konzeption und nach der theologischen Intention der Gesamtkomposition eines biblischen Buches fragt, indem sie die Tätigkeit des Verfassers als Redaktor, der Quellen zusammenstellt und überarbeitet, untersucht. Sadduzäer: religiös-politische Gruppierung, aus deren Reihen die Hohenpriester bestimmt wurden (Tempelaristokratie). Sanhedrin: s. Synhedrion.

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Septuaginta: (lat. siebzig) die griechische Übersetzung des AT durch je sechs Vertreter jedes der zwölf Stämme Israels (12 x 6 = 72). Die Zahl erinnert auch an die Gemeinschaft Gottes mit den siebzig Ältesten des Volkes auf dem Sinai (Ex 24,9-11). Sohn Gottes: Im römisch-hellenistischen Bereich wird so ein Mensch bezeichnet, der durch Abkunft oder Leistung über das normale menschliche Maß hinausragt. Im biblischen Denken werden Menschen so genannt, die durch die Erfüllung der Gebote und Erwartungen des Gottes Israels ihre besondere Nähe zu Gott zeigen, z.B. der König Israels in Ps 2,7 oder die Barmherzigen in Lk 6,35. Der Singular wird im NT ausschließlich als Bezeichnung für Jesus gebraucht. Sondergut: Texte, die nur in je einem der synoptischen Evangelien überliefert sind. Spruchquelle: s. Logienquelle. Synopse: s. Synoptiker. Synoptiker: (gr. synorao, zusammenschauen) die drei Evangelien Mt, Mk und Lk stimmen im Aufbau und Wortlaut so weitgehend überein, dass sie parallel zueinander (synoptisch) gedruckt werden können (Synopse). Tetragramm: (gr. tetragrammaton, Vierbuchstabenwort) der Gottesnamen wird im Hebräischen mit den vier Buchstaben JHWH (Jod, He, Waw, He) geschrieben. Die Aussprache ist unsicher und wird etwa seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert vermieden. Das Verbot der Aussprache des Gottesnamens beruht auf einer strengen Auslegung von Lev 24,16.

Theologie: (gr. theos, Gott; und logos, Lehre) Denkbemühung, die den Zusammenhang und die Beziehung von Gott, Welt und Mensch erläutert und deren gegenwärtige Bedeutung hervorhebt. Tora: (hebr. Weisung) jüdisches Religionsgesetz, das die schriftliche Tora (Pentateuch, fünf Bücher Mose) und einen nicht exakt definierten mündlichen Teil (mündliche Tora) umfasst. Transzendenz: der Bereich jenseits der Grenzen menschlicher Erfahrungen und menschlichen Bewusstseins, z.B. Gott. Universalismus/Partikularismus: Begriffspaar, das aus der hegelschen Geschichtsphilosophie stammt und die Vorstellungen, deren Gültigkeit auf ein Volk beschränkt bleibt (partikular), von denen unterscheidet, die für die ganze Menschheit (universal) gültig sind. Vulgata: (lat. vulgatus, allgemein bekannt) die lateinische Bibelübersetzung des Hieronymus (um 400 n.Chr.), die sich als Standardtext durchsetzte. Zweiquellentheorie: Hypothese zur Erklärung der weitgehenden Übereinstimmungen der synoptischen Evangelien (Mt, Mk, Lk) nach Wortlaut, Inhalt und Aufbau. 1. Quelle: Mk; Mt und Lk haben Mk benutzt (z.B. Passionsbericht). 2. Quelle: Logienquelle; die Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk im Nicht-Markusstoff (z.B. Seligpreisungen) gehen auf die Logienquelle zurück.

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Abbildungs- und Quellennachweis

Abb. 1: Genesis 37,9, aus: Cürieuse Bilder-Bibel oder die vornehmsten Sprüche Heiliger Schrift in Figuren vorgestellt wodurch dieselben der zarten Jugend auf eine angenehme und ergötzende Art bekannt gemacht werden können, hrsg. u. mit Nachw. von Hubert Göbels, Nachdr. d. neuen, verb. Aufl. Nürnberg 1806, Dortmund 1979 (Die bibliophilen Taschenbücher 139), S. 19. Abb. 2: Entstehung des Hexateuch, aus: Otto, Eckart: Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens, Tübingen 2000 (Forschungen zum Alten Testament 30), S. 264. © Mohr Siebeck e.K. Abb. 3: Entstehung der Geschichtsüberlieferung Gen bis 2. Kön (Münsteraner Pentateuchmodell), aus: Zenger, Erich u.a.: Einleitung in das Alte Testament. Stuttgart/Berlin/Köln 52004, S. 105. © Kohlhammer GmbH.

Abb. 9: Arnulf Rainer: Hiob auf dem Aschenhaufen, aus: Rainer, Arnulf: Bibelübermalungen, hrsg. v. Helmut Friedel, Ostfildern-Ruit 2000, S. 191, Nr. 78. © Arnulf Rainer, Wien. Abb. 10: Gefangene judäische (?) Sänger und ein assyrischer Wächter, aus: Keel, Othmar: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, Göttingen 51996, Abb. 470, S. 325. Abb. 11: Gehörnter Altar von Megiddo, aus: Keel, Othmar: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, Göttingen 5 1996, Abb. 195, S. 128. Abb. 12: Vision des künftigen Tempels, aus: Keel, Othmar: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, Göttingen 5 1996, Abb. 174, S. 115. Abb. 13: Rollsiegel des Perserkönigs Darius I, aus: Fritz Rienecker und Gerhard Maier (Hrsg.): Lexikon zur Bibel © R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 52005, Sp. 1216.

Abb. 4: Die Königreiche Juda und Israel, gezeichnet von Annick Petersen, aus: Roberta L. Harris, Das Zeitalter der Bibel, veröffentlicht von Econ Verlag Berlin 1995, S. 82. © Thames & Hudson Ltd London.

Abb. 14: Seite einer Evangeliensynopse, aus: Peisker, Carl Heinz: Neue Luther-EvangelienSynopse, Wuppertal/Kassel 21991.

Abb. 5: Wegführung der Bewohner einer besiegten Stadt, aus: Keel, Othmar: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, Göttingen 51996, Abb. 136, S. 93.

Abb. 15: Kreuzigungsdarstellung, gezeichnet von George Taylor, aus: Roberta L. Harris, Das Zeitalter der Bibel, veröffentlicht von Econ Verlag Berlin 1995, S. 147. © Thames & Hudson Ltd London.

Abb. 6: Israel als persische Provinz, from: HAGGAI ZECHARIAH 1-8 (THE ANCHOR BIBLE) by Eric Myers, copyright © 1987 by Doubleday, a division of Random House, Inc, S. XXXVI.

Abb. 16: Tempel zur Zeit Jesu, aus: Roberta L. Harris, Zeitalter der Bibel, Berlin 1995, S. 134f. © Peter Bugod, Jerusalem.

Abb. 7: Jehud (Juda), aus: Willi, Thomas: Juda – Jehud – Israel: Studien zum Selbstverständnis des Judentums in persischer Zeit, FAT 12 (1995), S. IX. ©Mohr Siebeck e.K. Abb. 8: Die Nachtgesichte Sacharjas, from: HAGGAI ZECHARIAH 1-8 (THE ANCHOR BIBLE) by Eric Myers, copyright © 1987 by Doubleday, a division of Random House, Inc, S. LVI.

Abb. 17: Rekonstruktion der Synagoge bei Jericho (75 v.Chr. – 31 v.Chr.), aus: Netzer, Ehud: A Synagogue from the Hasmonean Period Recently Exposed in the Western Plain of Jericho, IEJ 49 nos. 3-4 (1999), S. 203-22; Fig. 17, S. 220. © IES Jerusalem. Abb. 18: Karte des östl. Mittelmeerraumes, aus: Bornkamm, Günther: Paulus, Stuttgart u.a.O. 7 1993, S. 9. © Kohlhammer GmbH.

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Abb. 19: Sklavenverhör, aus: Selinger, R.: Das Recht im Bild, in: ZSavRG.RA 2001, S. 344364, Abb. 3; urspr. Jahn, Otto: Über Darstellungen des Handwerks und Handelsverkehr auf antiken Wandgemälden, in: Abh. d. königl. sächs. Gesell. d. Wissenschaften Bd. XII, 1870, Tafel I.

Abb. 20: Die sieben Städte der Sendschreiben, aus: Schüssler Fiorenza, Elisabeth: Das Buch der Offenbarung. Vision einer gerechten Welt, Stuttgart u.a.O. 1994, S. 7. © Kohlhammer GmbH.

Quellennachweis Das Alte Testament aus: Steurer, Rita Maria: Das Alte Testament. Interlinearübersetzung Hebräisch-Deutsch und Transkription des hebräischen Grundtextes nach der Biblia Hebraica Stuttgartensia 1986. Band 1, Genesis – Deuteronomium. © Copyright 1989 by Hänssler Verlag, D-71087 Holzgerlingen. Das Neue Testament. Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch. Griechischer Text: Nestle-Aland-Ausgabe übersetzt von Ernst Dietzfelbinger. © Copyright 1986 by Hänssler Verlag, D-71087 Holzgerlingen.

Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Übersetzung „Hoffnung für alle“ (Brunnen Verlag Basel und Gießen) Copyright© 1996/2002 by International Bible Society.

Der Koran, übersetzt von Rudi Paret, Stuttgart 9 2004.

Übersetzung Reichert aus: Reichert, Klaus (Hg.), Das Hohelied Salomos, München 1998 (dtv 12545).

Elberfelder Übersetzung aus: Die Bibel. Revidierte Elberfelder Übersetzung © 1985/1991 R. Brockhaus Verlag, Wuppertal.

Zürcher Bibel aus: Die „Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments“. 1931/1955 © Genossenschaft Verlag der Zürcher Bibel.

R e g i st e r

Register

Abendmahl 180f, 196, 203-5, 208, 220, 258f, 264, 291 Apokalyptik, apokalpytisch 31, 139, 141, 182, 187, 205, 275-8, 286f, 294 Auferstehung der Toten 20, 141, 143, 160, 191, 204, 212, 221, 227f, 231, 234, 248, 255, 259, 270, 273, 277, 283f, 294 Auferstehung Jesu 178, 182, 191, 193, 198, 206, 214, 221, 243, 259 Barmherzigkeit 17f, 52, 56f, 107, 111, 114, 159, 195f, 203f, 216, 220, 222, 266, 291 Bekenntnis 64f, 70, 157, 158, 185, 237, 259, 266, 274 Bergpredigt 202, 211, 213, 216, 217, 222, 224, 277 Bethlehem 49, 73, 108, 148, 200, 214f Bund 39, 43-8, 50-6, 64-8, 70, 75f, 86, 97, 100, 187, 205, 290 Christus 20, 25, 168, 183-7, 190f, 200, 207, 210, 214, 223, 227, 229, 237, 240, 249, 255-9, 261, 263-70, 273-5, 283, 294f Dekalog 53, 55f, 65, 68, 90, 290 Engel 19f, 45, 47, 48, 62f, 78, 83, 96f, 106, 162, 169, 180, 199, 214, 244f, 266, 269, 276, 283-6 Eschatologie, eschatologisch 191, 193, 207, 209, 266, 270, 277f, 286f, 294 Feindesliebe 202, 209, 216, 220, 222, 278 Festkalender, Feste 54f, 57, 59, 62, 70, 92-4, 101, 109f, 113, 145, 230f Galiläa 176, 182-4, 188, 194f, 197, 200-2, 210, 213-6, 221, 225, 228, 230, 294 Gemeinde 19, 126, 179, 182, 185, 187, 210, 212f, 217f, 223f, 233-7, 240-7, 250, 252-71, 274f, 277, 283, 286 Gerechtigkeit 95f, 107, 140-2, 145, 153, 167, 171, 209, 212, 215-7, 222, 224, 236, 256, 266, 268, 272 Gericht 128, 135, 137, 139, 143, 145, 149, 152-5, 159, 171, 191, 201, 207, 218, 220, 222, 226, 230, 234f, 257, 266, 270, 280, 282, 284f, 294 Glaube 38, 172, 173, 190, 198, 229f, 235, 237, 256, 259, 264-8, 273 Gleichnis 83, 140, 179, 182, 184f, 186, 189f, 192, 195f, 203f, 207, 208f, 211-3, 217-20, 290f, 294 Herrlichkeit 143, 159, 162, 166f, 231, 239, 268 Jerusalem 72, 74, 81-7, 91f, 94, 96-107, 114, 136, 139, 141, 146f, 152, 154-6, 158-63, 165, 168,

172, 176, 180, 182, 185f, 194, 197-207, 210, 214, 219, 225, 228, 230-2, 240-7, 251, 263-5, 267, 275, 281, 283-6 Jungfrau 21, 109, 145, 211f, 214f, 220, 223, 258, 291 Kanon 14, 21, 26-33, 88, 107, 128, 277, 289f, 293-5 Kollekte 241, 259-61, 264, 267, 274 König, königlich 53, 65, 73, 77, 79-82, 84, 88, 94f, 97, 100f, 109, 121, 123, 126, 127, 139, 141, 147, 149, 157, 168, 186, 214, 227, 229f, 279-81, 295, 296 Levit 57, 61, 80, 92-4, 96, 98, 161, 203 Liebe 50, 66, 130f, 144, 179, 203, 218, 232-7, 254, 258f, 265-9, 274 Liebesgebot 217, 222, 224, 232, 235f, 238 Logienquelle 193, 194f, 201f, 210, 212, 216f, 230, 295, 296 Menschensohn 160, 162, 185, 190f, 279, 280, 286 Messias, messianisch 28, 123, 139, 165, 168, 185-7, 190f, 197, 200, 204, 212, 214, 223, 284, 294f Mission 179, 212, 221, 223, 240-6, 250-4, 263, 267, 274 Nächstenliebe 59, 207, 267 Opfer 56-9, 70, 145, 266 Parusie 255, 273, 295 Passah 52f, 56, 61, 68, 98, 187, 205, 230, 290, 295 Passion 178, 180, 182, 188, 190-5, 198, 205f, 209, 221, 225, 228, 233, 291, 295 Pentateuch 13, 34-6, 41, 57, 65f, 68, 70, 74, 290, 295f Pharisäer 183, 186, 203f, 208, 212-4, 218f, 221f, 231, 291, 295 Priester 29, 54-8, 61f, 81f, 85, 94-8, 144-7, 154, 156, 203 Prophet 15, 28-30, 71, 74, 81-8, 98, 104f, 110-4, 134-41, 143f, 146-50, 153-60, 166, 169, 1703, 175, 179, 184, 193, 214, 217, 222, 259, 268, 278, 286, 287, 290f, 295 Psalm 28, 30, 115, 121-4, 132f, 178, 199, 243 Pseudepigraph 294f Qumran 211f, 216, 295 Reich Gottes 123, 179, 183, 197, 203f, 212, 216, 219, 222, 294 Sadduzäer 186, 295 Satan 19, 94, 106, 119f, 179, 183, 185, 284

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Schöpfung 15-7, 30, 35, 37-40, 42, 125, 166f, 226, 234, 268, 278, 284 Schriftgelehrte 98, 101, 103, 179, 186 Schriftgelehrter 99, 186 Segen 35, 42, 51, 59, 63-5, 69, 106, 199, 261 Septuaginta 21, 26-9, 33, 181, 195, 290, 294, 296 Sohn Gottes 189-91, 206, 231, 233-5, 237, 296 Sondergut 194-6, 202, 204f, 207f, 212, 223, 290, 296 Streitgespräch 201 Synoptiker, synoptisch 176, 178, 191, 193, 225, 235, 296 Taufe 185, 192, 201, 229, 244, 257, 264, 291 Tempel 55, 74, 81-7, 91-100, 104-7, 111f, 155-7, 160-2, 180, 182, 186f, 193, 197, 199-201, 204, 206, 213, 215, 218-220, 230, 244, 247, 258, 271, 281, 284, 295

Tenach 28f, 33, 290 Tetragramm 41, 70, 294, 296 Tora 18, 28f, 33-5, 52, 60, 122, 212, 242, 264f, 295f Unfruchtbarkeit 47, 199 Volk Gottes 73, 140, 154, 160, 267, 268 Vulgata 21f, 296 Wunder 52, 54f, 62, 66, 86f, 90, 180, 195, 202, 210, 213f, 217f, 226f, 229, 290f Zadok 82, 85, 94 Zweiquellentheorie 177, 295, 296

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Übersicht in der Reihenfolge der biblischen Bücher

Altes Testament Genesis/ 1.Mose (Gen) 37 Exodus/ 2.Mose (Ex) 51 Levitikus/ 3.Mose (Lev) 57 Numeri/ 4.Mose (Num) 60 Deuteronomium/ 5.Mose (Dtn) 64 Josua (Jos) 74 Richter (Ri) 78 Rut (Rut) 107 1. u. 2.Samuel (1. u. 2.Sam) 81 1. u. 2.Könige (1. u. 2.Kön) 84 1. u. 2.Chronik (1. u. 2.Chr) 93 Esra (Esra) 97 Nehemia (Neh) 101 Ester (Est) 109 Hiob (Hiob) 118 Psalter (Ps) 121 Sprüche Salomos (Spr) 124 Prediger Salomo (Pred) 126 Hohelied Salomos (Hld) 130 Jesaja (Jes) 138; 164; 166 Jeremia (Jer) 153 Klagelieder Jeremias (Klgl) 158 Ezechiel/ Hesekiel (Ez) 159 Daniel (Dan) 278 Hosea (Hos) 143 Joel (Joel) 170 Amos (Am) 144 Obadja (Obd) 170 Jona (Jona) 110 Micha (Mi) 146 Nahum (Nah) 170 Habakuk (Hab) 170

Zefanja (Zef) 170 Haggai (Hag) 104 Sacharja (Sach) 105; 167 Maleachi (Mal) 168 Neues Testament Matthäus (Mt) 210 Markus (Mk) 176 Lukas (Lk) 194 Johannes (Joh) 225 Apostelgeschichte (Apg) 240 Römer (Röm) 266 1.Korinther (1.Kor) 257 2.Korinther (2.Kor) 260 Galater (Gal) 263 Epheser (Eph) 269 Philipper (Phil) 255 Kolosser (Kol) 269 1.Thessalonicher (1.Thess) 254 2.Thessalonicher (2.Thess) 269 1.Timotheus (1.Tim) 269 2.Timotheus (2.Tim) 269 Titus (Tit) 269 Philemon (Phlm) 255 1.Petrus (1.Petr) 271 2.Petrus (2.Petr) 271 1.Johannes (1.Joh) 236 2.Johannes (2.Joh) 236 3.Johannes (3.Joh) 236 Hebräer (Hebr) 271 Jakobus (Jak) 271 Judas (Jud) 271 Offenbarung des Johannes (Offb)

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Bücher fürs Studium 3594: Karl-Wilhelm Niebuhr (Hg.)/ Michael Bachmann / Reinhard Feldmeier / Friedrich Wilhelm Horn / Matthias Rein Grundinformation Neues Testament

0905: Bernd Moeller Geschichte des Christentums in Grundzügen

Eine bibelkundlich-theologische Einführung

2011. 420 Seiten, kartoniertt ISBN 978-3-8252-0905-6

2011. 477 Seiten, mit 8 Abb. und 20 Tab., kartoniert ISBN 978-3-8252-3594-9

3456: Reiner Rohloff Johannes Calvin Leben, Werk, Wirkung 2011. 141 Seiten Mit 11 Abb., kartoniert ISBN 978-3-8252-3456-0

3465: Volker Küster Einführung in die Interkulturelle Theologie

Gelebte Religion erforschen

2745: Jan Christian Gertz (Hg.) Grundinformation Altes Testament Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments In Verbindung mit Angelika Berlejung, Konrad Schmid und Markus Witte. 2010. 640 Seiten mit 19 Abb. und zahlreichen Tabellen, kartoniert ISBN 978-3-8252-2745-6

2011. 304 Seiten mit 10 Abb. und 13 Übersichten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3465-2

1253: Udo Schnelle Einführung in die neutestamentliche Exegese

3453: Michael Weinrich Religion und Religionskritik

2008. 229 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-1253-7

Ein Arbeitsbuch

2011. 333 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3453-9

1830: Udo Schnelle Einleitung in das Neue Testament 2011. 607 Seiten mit 6 Karten, kartoniert ISBN 978-3-8252-1830-0

1336: Wilfried Joest / Johannes von Lüpke Dogmatik I: Die Wirklichkeit Gottes 2010. 320 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-1336-7

3199: Peter Zimmerling Charismatische Bewegungen 2009. 293 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3199-6

3180: Albrecht Beutel Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung Ein Kompendium 2009. 272 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3180-4

Bücher fürs Studium 3230: Peter Zimmerling Studienbuch Beichte

2674: Lukas Bormann Bibelkunde

2009. 335 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3230-6

Altes und Neues Testament

3207: Axel Wiemer Lernkarten Bibelkunde 2009. 133 Seiten ISBN 978-3-8252-3207-8

3196: Michael Meyer-Blanck Liturgie und Liturgik Der Evangelische Gottesdienst aus Quellentexten erklärt 2009. 348 Seiten mit 3 Abb., kartoniert ISBN 978-3-8252-3196-5

2009. 301 Seiten mit 20 Abb., kartoniert ISBN 978-3-8252-2674-9

2214: Rochus Leonhardt Grundinformation Dogmatik Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie 2009. 496 Seiten mit 7 Abb., kartoniert ISBN 978-3-8252-2214-7

3149: Michael Meyer-Blanck / Birgit Weyel Studien- und Arbeitsbuch Praktische Theologie

3272: Wilhelm Pratscher (Hg.) Die Apostolischen Väter

2008. 272 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3149-1

Eine Einleitung

3163: Gerd Lüdemann / Frank Schleritt Arbeitsübersetzung des Neuen Testaments

2009. 283 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3272-6

3206: Hans G. Kippenberg / Jörg Rüpke / Kocku von Stuckrad (Hg.) Europäische Religionsgeschichte Ein mehrfacher Pluralismus 2009. XIV, 854 Seiten mit 2 Abb., 8 Grafiken und 5 Tab., kartoniert ISBN 978-3-8252-3206-1

2008. 567 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3163-7

3150: Martin Leiner Methodischer Leitfaden Systematische Theologie und Religionsphilosophie 2008. 163 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3150-7

3138: Wolfgang Lienemann 2887: Peter Fischer Grundinformation Theologische Ethik Philosophie der Religion 2008. 319 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3138-5

2007. 236 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-2887-3